Isaac La Peyrère: Bibelkritik, Philosemitismus und Patronage in der Gelehrtenrepublik des 17. Jahrhunderts 9783110261394, 9783110261813

Because of the scandals surrounding his writings Isaac La Peyrère (1596–1676) has largely been interpreted either as a c

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Table of contents :
Einleitung
1. Isaac de La Peyrère zwischen Bibelkritik, Philosemitismus und Patronage
2. La Peyrère – un connu inconnu
2.1. Forschungsüberblick
2.2. Werk, Editionslage und weitere Quellen
3. Aufbau und Anliegen der Arbeit
I. Der animal fantastique Isaac de La Peyrère
1. Das Geschäft mit dem Wissen – Von den Praktiken in der République des Lettres
1.1. Korrespondenzen
1.2. Ana-Literatur
1.3. Mémoires
2. La Peyrère – le préadamite
2.1. Bayles beredtes Schweigen
2.2. Nicerons Fama
2.3. Fragmente eines Gelehrtenlebens
II. La Peyrère und der libertinage érudit
1. Bekenntnisreiche Freiheiten des Denkens
1.1. Libertinage und Atheismus
1.2. Debatte um Pintards Libertinage
1.3. Heterodoxien und Orthodoxien
1.4. La Peyrère als gelehrter Libertin
2. La Mothe Le Vayer und die Tugend der Heiden
2.1. La Mothe Le Vayer und La Peyrère
2.2. Verteidigung der Tugendhaftigkeit der Heiden
2.3. Biblische Epochenlehre
3. Heiden und Nichtheiden – la question juive
3.1. Juden und Völker im Römerbrief
3.2. Ölbaumbild (Röm 11,13–24)
3.3. Adamiten und Präadamiten
3.4. Biblische Chronologie und Neue Welt
3.5. Grotius’ Kritik
3.6. Bibelkritik und christlicher Missionswillen
III. Ludwig XIV. – un roi juif et un roi des Juifs
1. Du Rappel des Juifs
1.1. Verbreitung und erste Reaktionen
1.2. Gattungsüberlegungen
1.3. Inhalt
2. Messianismus und rêve impérial en France
3. Der König und sein Cousin
3.1. Condé als Patron der Familie La Peyrère
3.2. Aufstieg und Fall der Prinzen Condé
3.3. Condé und der Kampf mit den Wörtern
3.4. Grönland und die Sonderstellung Frankreichs und Condés
4. Der König und die Juden
IV. La Peyrère und der Philosemitismus
1. Hermeneutik der Verstellung
1.1. Forschungsüberblick zum Philosemitismus
1.2. Untertypen des Philosemitismus
1.3. Grundlegung einer marranischen Theologie
2. Millenarismus und Messianismus
2.1. The Calling of the Iewes
2.2. La Peyrères Amillenarismus
2.3. Menasse ben Israel, Paul Felgenhauer und La Peyrère
2.4. La Peyrère Iudaizans
3. La Peyrère – ce bon Israëlite
4. Echte Juden und wahre Juden
5. Marrano theology revisited
5.1. La Peyrère als Kryptojude
5.2. La Peyrère als eschatologischer Weichensteller
5.3. La Peyrère als Paulusinterpret
V. Ludwig XIV. – un roi décoratif
1. Kontinuität und Diskontinuität in La Peyrères Werk
1.1. Ludwig XIV. und Epistola ad Philotimum (1657)
1.2. Ludwig XIV. und Relation de l’Islande (1663)
1.3. Ludwig XIV. und Prae-Adamitae (1655)
1.4. Ludwig XIV. und Des Iuifs elus, rejetés et rapelés (1673?)
1.5. Nachträgliche Vereindeutigungen
1.6. Patronage als Schlüssel für Akzentverschiebungen
2. Condé und die Irenik der hénotiques
2.1. Interkonfessionelle Irenik
2.2. Richelieu, Condé und die konfessionellen Unionsbestrebungen
2.3. Richelieu und La Peyrère
2.4. Conde als neues Haupt der Unuionsbestrebungen
2.5. Konversionen im Kontext von Conde
2.6. Henotisten im Kontext französischer Irenik
3. Condé und der Jansenismus
3.1. Streit um Häufigkeit der Eucharistie
3.2. Streit um Freiheiten des französischen Königs
VI. La Peyrère und die libertas christiana
1. La Peyrère – le catholique
1.1. Römische Vorgeschichte
1.2. Erneuerung der Klientelbeziehung
1.3. Gefangenahme durch die Inquisition
1.4. La Peyrère und der Index der verbotenen Bücher
1.5. Protestanten auf dem Index
2. Doppelte Bibellektüre
2.1. Wörtliche und allegorische Auslegung
2.2. Auslegung für Juden und Auslegung für Christen
2.3. Deifikation der Kreatur
3. La Peyrère – un libertin spirituel
3.1. Nikodemismus und Libertinage
3.2. Französische Spiritualisten des 17. Jahrhunderts
3.3. Offensive und defensive Polemik
VII. Fazit
1. Desiderate der bisherigen Forschung
2. Chancen und Grenzen frühneuzeitlicher Patronage
3. La Peyrères Interesse an den Juden
4. Konfessionalisierung und Indifferenz
5. Polemik in der Gelehrtenrepublik
6. La Peyrère und das 17. Jahrhundert
VIII. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Abkürzungen
2. Unveröffentlichte Quellen
3. La Peyrères gedruckte Werke
4. Werke bis 1800
5. Literatur ab 1800
Personenverzeichnis
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Isaac La Peyrère: Bibelkritik, Philosemitismus und Patronage in der Gelehrtenrepublik des 17. Jahrhunderts
 9783110261394, 9783110261813

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Frühe Neuzeit Band 163

Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext Herausgegeben von Achim Aurnhammer, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller, Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt

Andreas Pietsch

Isaac La Peyrère Bibelkritik, Philosemitismus und Patronage in der Gelehrtenrepublik des 17. Jahrhunderts

De Gruyter

ISBN 978-3-11-026139-4 e-ISBN 978-3-11-026181-3 ISSN 0934-5531 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. %ibliogra¿scKe ,nforPation Ger DeutscKen 1ationalbibliotKeN Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliogra¿e detaillierte bibliogra¿sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/ Boston Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Danksagung Die vorliegende Studie wurde im Wintersemester 2008/09 von der Philosophischen Fakultät der Universität Münster als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie leicht überarbeitet. Mein Dank gilt in erster Linie meiner Doktormutter Barbara Stollberg-Rilinger, die das Promotionsprojekt von Anfang an sehr engagiert begleitet und stets geduldig gefördert hat. Aus unseren fruchtbaren Diskussionen entwickelte sich das gemeinsame Folgeprojekt für den Münsteraner Exzellenzcluster. Für die Übernahme des Korreferats sowie für freundliche wie hilfreiche Ratschläge aus kirchenhistorischer Sicht sei Hubert Wolf gedankt. Ebenso danke ich Ulrich Berges für anregende Anfragen aus alttestamentlicher Perspektive. Vielfältige Förderung erhielt ich durch ein Promotionsstipendium des Cusanuswerks. Der Exzellenzcluster ›Religion und Politik‹ ermöglichte durch einen großzügigen Druckkostenzuschuß die Publikation. Für die Aufnahme in die Reihe danke ich den Herausgebern, besonders Martin Mulsow und Friedrich Vollhardt. Besonderen Dank schulde ich Anne Desbordes, in deren Seminaren ich erstmals den Namen La Peyre`re hörte und die mir nicht nur das frühneuzeitliche, sondern auch das moderne französische Wissenschaftsuniversum erschloß. Auf einem Sommerkurs in Wolfenbüttel unter der Leitung von Wilhelm Schmidt-Biggemann und Walter Sparn konnte ich diese Kenntnisse weiter vertiefen und erste Ergebnisse vorstellen. Eine große Anzahl von Bibliothekaren und Archivaren trug zum Gelingen dieser Studie bei. Besonders sei Margherita Palumbo (Biblioteca Casanatense) für ihre kenntnisreiche und tatkräftige Hilfe gedankt. Mein Dank gilt zumal dem weitverzweigten Münsteraner Kollegenkreis am Lehrstuhl und in den umliegenden Forschungsverbünden, in dessen intellektuellem Klima diese Arbeit entstand. Persönlich danke ich Monika Koop, Jan Dirk Busemann und Sabine Schratz. Ein dreifaches Mai Hai Tusnelda! geht an Antje Flüchter, Dorothee Linnemann und Sita Steckel. Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern. Euch allen ist dieses Buch gewidmet. Münster, im Sommer 2011

Inhalt Einleitung

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1. Isaac de La Peyre`re zwischen Bibelkritik, Philosemitismus und Patronage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. La Peyre`re – un connu inconnu . . . . . . . . . . . . . 2.1. Forschungsüberblick. . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Werk, Editionslage und weitere Quellen . . . . . . 3. Aufbau und Anliegen der Arbeit. . . . . . . . . . . .

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I. Der animal fantastique Isaac de La Peyre`re

. . . . . . . .

1. Das Geschäft mit dem Wissen – Von den Praktiken in der Re´publique des Lettres . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Korrespondenzen . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Ana-Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Me´moires . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. La Peyre`re – le pre´adamite . . . . . . . . . . . . . 2.1. Bayles beredtes Schweigen . . . . . . . . . . . 2.2. Nicerons Fama . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Fragmente eines Gelehrtenlebens . . . . . . . .

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25 26 34 44 46 49 60 67

II. La Peyre`re und der libertinage e´rudit . . . . . . . . . . .

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1. Bekenntnisreiche Freiheiten des Denkens . . . . 1.1. Libertinage und Atheismus . . . . . . . . 1.2. Debatte um Pintards Libertinage. . . . . . 1.3. Heterodoxien und Orthodoxien . . . . . . 1.4. La Peyre`re als gelehrter Libertin . . . . . . 2. La Mothe Le Vayer und die Tugend der Heiden . 2.1. La Mothe Le Vayer und La Peyre`re . . . . 2.2. Verteidigung der Tugendhaftigkeit der Heiden 2.3. Biblische Epochenlehre . . . . . . . . .

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VIII 3. Heiden und Nichtheiden – la question juive . . 3.1. Juden und Völker im Römerbrief . . . . 3.2. Ölbaumbild (Röm 11,13–24) . . . . . . 3.3. Adamiten und Präadamiten . . . . . . 3.4. Biblische Chronologie und Neue Welt . . 3.5. Grotius’ Kritik . . . . . . . . . . . . 3.6. Bibelkritik und christlicher Missionswillen III. Ludwig XIV. – un roi juif et un roi des Juifs

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1. Du Rappel des Juifs . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Verbreitung und erste Reaktionen . . . . . . . 1.2. Gattungsüberlegungen . . . . . . . . . . . . 1.3. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Messianismus und reˆve impe´rial en France . . . . . . 3. Der König und sein Cousin . . . . . . . . . . . . 3.1. Conde´ als Patron der Familie La Peyre`re . . . . 3.2. Aufstieg und Fall der Prinzen Conde´ . . . . . . 3.3. Conde´ und der Kampf mit den Wörtern . . . . 3.4. Grönland und die Sonderstellung Frankreichs und Conde´s . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der König und die Juden . . . . . . . . . . . . .

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108 109 113 114 121 124 125 127 130

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1. Hermeneutik der Verstellung . . . . . . . . . . . . . 1.1. Forschungsüberblick zum Philosemitismus . . . . . 1.2. Untertypen des Philosemitismus . . . . . . . . . . 1.3. Grundlegung einer marranischen Theologie . . . . . 2. Millenarismus und Messianismus . . . . . . . . . . . 2.1. The Calling of the Iewes . . . . . . . . . . . . . 2.2. La Peyre`res Amillenarismus . . . . . . . . . . . 2.3. Menasse ben Israel, Paul Felgenhauer und La Peyre`re 2.4. La Peyre`re Iudaizans . . . . . . . . . . . . . . 3. La Peyre`re – ce bon Israe¨lite . . . . . . . . . . . . . 4. Echte Juden und wahre Juden . . . . . . . . . . . . . 5. Marrano theology revisited . . . . . . . . . . . . . . 5.1. La Peyre`re als Kryptojude . . . . . . . . . . . . 5.2. La Peyre`re als eschatologischer Weichensteller . . . . 5.3. La Peyre`re als Paulusinterpret . . . . . . . . . .

143 144 146 147 154 155 158 162 168 171 178 185 186 189 194

IV. La Peyre`re und der Philosemitismus

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IX V. Ludwig XIV. – un roi de´coratif . . . . . . . . . . . . .

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1. Kontinuität und Diskontinuität in La Peyre`res Werk . . 1.1. Ludwig XIV. und Epistola ad Philotimum (1657) . . 1.2. Ludwig XIV. und Relation de l’Islande (1663) . . . 1.3. Ludwig XIV. und Prae-Adamitae (1655) . . . . . 1.4. Ludwig XIV. und Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s (1673?) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5. Nachträgliche Vereindeutigungen . . . . . . . . 1.6. Patronage als Schlüssel für Akzentverschiebungen . 2. Conde´ und die Irenik der he´notiques . . . . . . . . . 2.1. Interkonfessionelle Irenik . . . . . . . . . . . 2.2. Richelieu, Conde´ und die konfessionellen Unionsbestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Richelieu und La Peyre`re . . . . . . . . . . . . 2.4. Conde´ als neues Haupt der Unuionsbestrebungen . 2.5. Konversionen im Kontext von Conde´ . . . . . . 2.6. Henotisten im Kontext französischer Irenik . . . . 3. Conde´ und der Jansenismus . . . . . . . . . . . . 3.1. Streit um Häufigkeit der Eucharistie . . . . . . . 3.2. Streit um Freiheiten des französischen Königs . . .

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201 202 206 208 209

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VI. La Peyre`re und die libertas christiana . . . . . . . . . .

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1. La Peyre`re – le catholique . . . . . . . . . . . . 1.1. Römische Vorgeschichte . . . . . . . . . . . 1.2. Erneuerung der Klientelbeziehung . . . . . . . 1.3. Gefangenahme durch die Inquisition . . . . . . 1.4. La Peyre`re und der Index der verbotenen Bücher 1.5. Protestanten auf dem Index . . . . . . . . . . 2. Doppelte Bibellektüre . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Wörtliche und allegorische Auslegung . . . . . 2.2. Auslegung für Juden und Auslegung für Christen 2.3. Deifikation der Kreatur . . . . . . . . . . . 3. La Peyre`re – un libertin spirituel . . . . . . . . . . 3.1. Nikodemismus und Libertinage . . . . . . . . 3.2. Französische Spiritualisten des 17. Jahrhunderts . 3.3. Offensive und defensive Polemik . . . . . . .

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231 232 234 236 239 242 244 244 246 249 251 252 255 261

X VII. Fazit 1. 2. 3. 4. 5. 6.

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VIII. Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . .

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1. 2. 3. 4. 5.

Desiderate der bisherigen Forschung . . . . . . Chancen und Grenzen frühneuzeitlicher Patronage La Peyre`res Interesse an den Juden . . . . . . Konfessionalisierung und Indifferenz . . . . . . Polemik in der Gelehrtenrepublik . . . . . . . La Peyre`re und das 17. Jahrhundert . . . . . .

Abkürzungen . . . . . . . Unveröffentlichte Quellen . La Peyre`res gedruckte Werke Werke bis 1800 . . . . . . Literatur ab 1800 . . . . .

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Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung 1. Isaac de La Peyre`re zwischen Bibelkritik, Philosemitismus und Patronage 1643 kursierte in den gelehrten Zirkeln von Paris ein Buch, dessen Autor dem französischen König die Rolle der verkörperten Parusie Christi zusprach und ihn als den roi universel aus Psalm 110 aufforderte, die Juden in seinem Reich zu sammeln und diese nach Jerusalem zu führen, um fortan über die gesamte in Christus geeinte Welt zu herrschen. Als diese messianisch anmutende Vision unter dem Titel Du Rappel des Juifs (Vom Rückruf der Juden) im Sommer 1643 anonym und ohne Angabe des Druckortes erschienen war, dauerte es nicht lange, bis der Autor identifiziert war: ein gewisser Isaac de La Peyre`re, der gegen Ende des 16. Jahrhunderts als Sproß hugenottischer Adliger geboren war und seit 1640 in den Diensten der einflußreichen Prinzen Conde´ stand.1 Dieser Isaac de La Peyre`re (1596?–1676) ist bislang in der Forschung kein gänzlich Unbekannter. Berühmt ist er allerdings nicht so sehr für Du Rappel des Juifs (1643) oder verschiedene andere Werke, die angesichts der Patronagebindung eines Hugenotten an den katholischen Prinzen Conde´ in äußerst interessanten wissenschafts-, konfessions- und religionsgeschichtlichen Zusammenhängen stehen. Im Gegenteil hat man ihn eher als antireligiösen Libertin eingeschätzt, denn die Publikationen seiner sogenannten Präadamitenthese, mittels der sich die begrenzte biblische Chronologie ins Unendliche nach vorn erweitern ließ, verursachte im Frankreich der Frühphase der Akademiebewegung einen gewaltigen Eklat.

1

Für die Schreibung des Namens gibt es viele Varianten. In der Forschung lassen sich vor allem zwei Tendenzen ausgemachen: Im romanischen Raum wird er in der Regel Lapeyre`re in einem Wort geschrieben, ansonsten getrennt La Peyre`re. Für beide Schreibungen gäbe es Argumente aus seinen Werken, so findet sich dort »Lapeyrere« (Chantilly, Ms. 193. Reˆponse de Lapeyrere), überwiegend jedoch »La Peyrere« (etwa Relation de l’Islande, 1663). Beim Titel dieser Arbeit habe ich mich für die weit verbreitete ›Kurzform‹ Isaac La Peyre`re entschieden, im Text orientiere ich mich mit Isaac de La Peyre`re an der Normierung des Katalogs der französischen Nationalbibliothek (BnF).

2 Der (hier weiter zu überprüfende) Tenor der meisten modernen Darstellungen ist jedenfalls aufregend genug: La Peyre`res kuriose These einer Menschheit bereits vor dem biblischen Adam habe, von Kardinal Richelieu (1585–1642) zensiert, nur als Manuskript in den Pariser Gelehrtenkreisen kursieren können. Erst 1655 seien seine Prae-Adamitae in Holland auf Betreiben von Christina von Schweden (1626–1689) gedruckt worden, was ihm die Aufmerksamkeit der gesamten europäischen Gelehrtenrepublik einbracht habe. Die einhellige Ablehnung seiner bibelkritischen Überlegungen war allerdings derart harsch, daß der Hugenotte La Peyre`re die Inquisition in den habsburgischen Niederlanden nur durch die Absicht habe beruhigen können, in Rom bei Papst Alexander VII. Chigi (1655–1667) zum Katholizismus zu konvertieren. Doch auch nach seiner Rückkehr aus Rom sei seine Rechtgläubigkeit häufig bezweifelt worden. Diese Einschätzung von Person und Werk La Peyre`res wird freilich noch genauer zu diskutieren sein: Seine Biographie wurde letztlich schon im Gefolge des unmittelbaren Skandals um ihn in der zeitgenössischen Rezeption verunklärt und blieb seitdem stets undeutlich. Sie stand daher für moderne Zuschreibungen offen, und die Bedeutung seines auffällig starken Interesses an den Juden ist meist als ›Philosemitismus‹, er selbst gar als ›Kryptojude‹ eingeschätzt worden. Auch ›Antisemitismus‹ hat man La Peyre`re freilich vorgeworfen – genau wie auch sonst Person und Werk in verschiedenen, deutsch-, englisch- und französisch- bzw. italienischsprachigen Forschungsdiskursen ganz unterschiedlich eingeschätzt wurden. Die Figur Isaac de La Peyre`re hat entsprechend viele Gesichter. Bereits von seinen Zeitgenossen als Häretiker und als in Glaubensfragen seltsam indifferent diffamiert, hatte La Peyre`re selbst einiges dafür getan, sich als eine Art ›Galileo der Exegese‹ zu etablieren. Diese Rolle in der sogenannten frühen Bibelkritik war es auch, die ihn in der älteren Historiographie zu einem Märtyrer der aufkeimenden neuen Wissenschaften avancieren ließ. Seine Trennung der Juden von der übrigen Bevölkerung der Erde verschaffte ihm zudem im 19. Jahrhundert die unrühmliche Vereinnahmung von diversen Rassentheoretikern.2 Erst das 20. Jahrhundert entdeckte den religiösen Impuls für die Belange der 2

Dies vor allem im Fahrwasser von Samuel Morton: Types of Mankind: or, Ethnological Researches based upon the Ancient Monuments, Paintings, Sculptures, and Crain of Races, and upon their Natural, Geographical, Philological, and Biblical History. Hgg. von J.C. Nott, George R. Glidden. Philadelphia 1854; oder auch Alexander Winchell: Preadamites: Or, A Demonstration of the Existence of Men Before Adam. Chicago 1880; vgl. David N. Livingstone: The Preadamite Theory and the Marriage of Science and Religion. In: Transactions of the American Philosophical Society 82 (1992), S. 1–81; Ders.: Adam’s Ancestors. Race, Religion, and the Politics of Human Origins. Baltimore 2008.

3 Juden neu, verengte jedoch diese Perspektive sofort auf die These, La Peyre`re sei Philosemit gewesen. Die vorliegende Studie zielt darauf, einen neuen Zugang zu La Peyre`res Rappel des Juifs (1643) zu eröffnen. Sie entwickelt dazu einen kulturwissenschaftlich-historisch orientierten, disziplinär aber offenen Zugriff. Eine ›klassische‹ Gelehrtenbiographie, so ist aufgrund der schwierigen Quellenlage von vornherein klar, kann zu La Peyre`re nicht geboten werden. Im Gegenteil wird hier zunächst eine systematische Auseinandersetzung mit seiner Einbettung in zeitgenössische Wissensund Wissenschaftspraktiken und mit seiner frühen Einordnung durch zeitgenössische Schriften erfolgen müssen. Um die Bedeutung und den religiongeschichtlichen Kontext seines Rappel des Juifs zu erschließen – was das Hauptanliegen der vorliegenden Studie darstellt – wird zumindest knapp sein Gesamtwerk und dessen soziale Situierung zwischen Kontroverstheologie und Patronagebeziehung in den Blick zu nehmen sein. Wie hier vorgeschlagen werden soll, läßt sich Isaac de La Peyre`re jenseits traditioneller Zuschreibungen als ›Philosemit‹ und ›Libertin‹ vor allem konfessionsgeschichtlich fassen, nämlich als Spiritualist. Um zu einer neuen Bewertung La Peyre`res in der französischen und europäischen Geschichte des 17. Jahrhunderts zu gelangen, wird im folgenden auf weiten Strecken freilich zunächst die ältere Literatur kritisch zu diskutieren sein, die Person und Werk auf den Spuren zeitgenössischer Spekulationen in ganz unterschiedliche Traditionslinien gestellt hat – tatsächlich sogar in recht widersprüchliche Kontexte, die zu neuen Fragen herausfordern, wie auf den unmittelbar folgenden Seiten entfaltet werden soll. In Auseinandersetzung mit solchen älteren Befunden werden dann prinzipiell wissenschaftsgeschichtliche, theologiegeschichtliche und allgemeinhistorische bzw. religionsgeschichtliche Zugänge kombiniert. Die folgende Darstellung nähert sich dabei dem Rappel des Juifs (1643) über die Person La Peyre`res und ihre Rezeption (Kap. I) sowie über seine Tätigkeit als Gelehrter, Klient des Prinzen Conde´ und Mitglied der europäischen Gelehrtenrepublik (Kap. II–III) und gelangt erst dann zu den konfessionspolitischen und religionsgeschichtlichen Implikationen seines Rappel des Juifs (Kap. IV–VI).

2. La Peyre`re – un connu inconnu Die Bekanntheit La Peyre`res als eines wahren enfant terrible der Gelehrtenrepublik steht in einer bemerkenswerten Diskrepanz zu der Anzahl an Arbeiten über ihn. Erst 1987 erschien die erste und bislang einzige Monographie zu diesem Franzosen, und auch die Anzahl an Aufsätzen über La Peyre`re ist so überschaubar, daß sie im wesentlichen im unmit-

4 telbaren Anschluß diskutiert werden können. In diesem Punkt ist er nicht im geringsten vergleichbar mit seinen Zeitgenossen Thomas Hobbes (1588–1679) oder Baruch de Spinoza (1632–1677). Und doch gibt es kaum ein Buch über Hobbes oder Spinoza, allgemein über skeptische Tendenzen in der Philosophie oder über heterodoxe Ansätze in der Theologie des 17. Jahrhunderts, in dessen Register La Peyre`re nicht verzeichnet wäre.3 Sein turbulenter Werdegang sichert ihm bis heute immerhin ein bescheidenes Fußnotendasein. Der Umstand, daß die Figur La Peyre`re durchaus mehrere moderne Disziplinen in ihren Bann schlug, dürfte dabei eine entscheidende Rolle für seine breite, wenngleich oft diffuse Popularität gespielt haben.4 In erster Linie haben sich Ideenhistoriker, doch ebenso auch Theologen und Philologen mit ihm beschäftigt. Das Tableau an Forschungsthemen und -perspektiven, das sich auftut, ist recht breit gefächert: So wurde La Peyre`re ebenso im Rahmen der Bibelkritik wie auf dem Feld der Erlösungslehre, jedoch etwa auch im Kontext des Wandels von Geschichtsbewußtsein behandelt. Wenn die wichtigsten Aspekte im folgenden kurz vorgestellt werden, so kann das gleich zur Beobachtung führen, daß Isaac de La Peyre`re bislang meist im Kontext ganz spezifischer – aber nicht immer einheitlicher – großer Narrative diskutiert wurde. 2.1. Forschungsüberblick Am Anfang der neueren Rezeption steht das enzyklopädische Werk zum Libertinage e´rudit dans la premie`re moitie´ du XVIIe sie`cle von Rene´ Pintard aus dem Jahr 1943, der darin La Peyre`re in den Kontext der freidenkerischen Kreise von Paris verortet.5 Die enorme Wirkung dieser 3

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Diese Zuschreibung geht nicht zuletzt auf Jacobus Thomasius zurück und sie zieht sich seither durch die Rezeptionsgeschichte; vgl. Ders.: Dissertationes LXIII. Halle, Magdeburg 1693, S. 574: »Cum enim totius operis duas partes animo concepisset Autor, qvarum altera Libertinissimum illum verae fidei seu Religioni, altera paci Reip. Consentaneum esse defenderet: prior Theologiam Edoardi Baronis Herberti, posterior Politicam Thomae Hobbesii sapit. Neqve nihil Praeadamitae Peyrerio debere videtur.« Vgl. dazu auch Jacob Freudenthal: Die Lebensgeschichte Spinoza’s in Quellenschriften, Urkunden und nichtamtlichen Nachrichten. Leipzig 1899, S. 192. Stellvertretend seien aus der jüngeren Forschung zwei Arbeiten genannt, die besonders ausführlich auf La Peyre`re eingehen: Yirmijahu Yovel: Spinoza. Das Abenteuer der Immanenz. Göttingen 1996, S. 111–114, und Noel Malcolm: Aspects of Hobbes. Oxford 2002, bes. S. 383–431. Aufschlußreich sind etwa die kurzen Nennungen La Peyre`res in der Enzyklopädie der Neuzeit, die sich grundsätzlich auf den Autor der Präadamiten beziehen, so bei Marianne Sommer: Art. Anthropologie. In: Bd. 1 (2005), Sp. 426; Stefan Jordan: Art. Geschichtsbewußtsein. In: Bd. 4, Sp. 593; Jörn Rüsen, Stefan Jordan: Art. Mensch, Menschheit. In: Bd. 8, Sp. 332; Burkhard Gladigow: Art. Religionsgeschichte. In: Bd. 10 (2009), Sp. 1083. Rene´ Pintard: Le libertinage e´rudit dans la premie`re moitie´ du XVIIe sie`cle. Paris

5 Interpretation bestimmt bis heute die Forschungsdiskussion und hat auch weit über Frankreich hinaus gewirkt.6 Fast zeitgleich zu Pintard erschien 1944 in Amerika der Aufsatz von David Rice McKee, der La Peyre`re zu einem Vorläufer der Deisten des 18. Jahrhunderts erklärt.7 Ebenfalls mit der Progressivität von La Peyre`res Präadamitenthese befaßt sich Don Cameron Allen in seiner Studie The Legend of Noah.8 In ähnlicher Weise hat auch John S. Spink La Peyre`re aufgrund seiner Bibelkritik in den Fahrwassern eines französischen Free-Thought verortet.9 Am Beginn der Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts entstanden die beiden größeren Studien vor der umfassenden Monographie von Popkin aus dem Jahr 1987, die beide aus dem romanischen Raum stammen: Jean-Paul Oddos verfaßte eine Doktorarbeit zu Leben und Werk La Peyre`res, die ihren Schwerpunkt eindeutig auf die Rekonstruktion der Biographie legt.10 Oddos rekurriert dabei vor allem auf die französische Forschung. Neben der genannten Arbeit von Pintard wären vor allem die Forschungen von Tamizey de Larroque aus dem späten 19. Jahrhundert zu nennen.11 Daß diese Dissertation nie publiziert wurde, ist schon deshalb umso bedauerlicher, weil in ihr wichtige Archivalien zusammengetragen und zum Teil erstmalig ediert wurden. Zeitgleich mit der Arbeit von Oddos erschien die umfangreiche Studie Le origini del poligenismo e Isaac Lapeyre`re von Dino Pastine.12 Diese quellenge-

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1943. Pintards Werk erlebte einen, um ein Vorwort erweitereten Nachdruck Gene`ve, Paris 1983. Zur älteren Rezeption vgl. Alexandre Cioranescu: Bibliographie de la Litte´rature franc¸aise du dix-septie`me sie`cle. Bd. 2. Gene`ve 1994 (ND Paris 1965), S. 1185f. Einen guten Forschungsüberblick gewährt etwa Jean-Pierre Cavaille´: Libertinage, irre´ligion, incroyance, athe´isme dans l’Europe de la premie`re modernite´ (XVIe–XVIIe sie`cles). Une approche critique des tendences actuelles de la recherche (1998–2002) (fe´vrier 2003). URL: http://dossiersgrihl.revues.org/279 (26. Juni 2011). David Rice McKee: Isaac de la Peyre`re. A Precursor of Eighteenth-Century Critical Deists. In: Publications of the Modern Language Association of America 59 (1944), S. 456–485. Don Cameron Allen: The Legend of Noah. Renaissance Rationalism in Art, Science, and Letters. Urbana 1963. J.S. Spink: French Free-Thought from Gassendi to Voltaire. London 1960, S. 289–292. Jean-Paul Oddos: Recherches sur la vie et l’œuvre d’Isaac de Lapeyre`re (1596?–1676). The`se de 3e`me cycle Grenoble II 1971–1974 (unveröffentlicht); im folgenden: Oddos: Lapeyre`re [1974]. Philippe Tamizey de Larroque: Quelques lettres ine´dites d’Isaac de la Peyre`re a` Boulliau. Paris, Bordeaux 1878 (Plaquettes Gontaudaises 2); Ders., A. Communay: Isaac de la Peyre`re et sa famille. In: Revue critique d’histoire et litte´rature 19 (1885), S. 136–137. Dino Pastine: Le origini del poligenismo e Isaac Lapeyre`re. In: Miscellanea seicento I (1971), S. 7–234. Lange vor Pastine erschien zur Frage des Polygenismus

6 schichtliche Arbeit fragt nach der Bedeutung La Peyre`res für die These eines mehrfachen Ursprungs der Menschheit und hat wohl schon aufgrund dieser Spezialisierung nicht die ihr zustehende Rezeption erfahren. Ebenfalls in diese Zeit fallen verschiedene kleinere Arbeiten. So wurde auch in Italien La Peyre`res Präadamitenthese vor allem im Rahmen des libertinage e´rudit diskutiert. Jedoch ist es bemerkenswert, daß sich sowohl Alessandro Dini wie ein weiteres Mal Dino Pastine durchaus kritisch zum Konzept des libertinage e´rudit äußerten und dies am Beispiel von La Peyre`re exemplifizierten.13 Beide warnten vor der vorschnellen Vereinnahmung La Peyre`res als ›Vorläufer‹ allein aufgrund der posthumen Rezeption eines Blount oder Vico im 18. Jahrhundert. Giuliano Gliozzi, der sich ebenfalls mit La Peyre`res Polygenismusthese beschäftigte, ordnete ihn in die allgemeine frühneuzeitliche Debatte um die Bevölkerung Amerikas ein und beleuchtete die Bedeutung der Präadamitenthese für die Entstehung von Rassentheorien.14 Allgemein die Konsequenzen der Präadamitenthese für das Verhältnis von Bibel und Geschichtsschreibung beschrieb Paolo Rossi in Il segno del tempo.15 Nach diesem überaus publikationsreichen Jahrzehnt schien die Forschung aus der Romania erst einmal an ein Ende gelangt. In der deutschen Forschung hat sich Adalbert Klempt schon lange vor dem genannten Beitrag von Rossi in ähnlicher Weise mit den Konsequenzen der Präadamitenthese für das allgemeine Geschichtsbild in der Frühen Neuzeit beschäftigt.16 Klempt sieht die Säkularisierung der

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bereits Pierre-G. Mahoudeau: Un pre´curseur du polyge´nisme: Isaac La Peyre`re. In: Revue anthropologique 25 (1915), S. 21–26. Alessandro Dini: La teoria preadamitica e il libertinismo di La Peyre`re (1594–1676). In: Annali dell’instituto di filosofia. Universita` di Firenze I (1979), S. 165–235. Dino Pastine: Era Lapeyre`re un libertino? In: Il libertinismo in Europa. Hg. v. Sergio Bertelli. Milano, Napoli 1980, S. 305–318. Giuliano Gliozzi: Adamo e il nouvo mondo. La nascita dell’antropologia come ideologia coloniale: dalle genealogie bibliche alle teorie razziali (1500–1700). Firenze 1977. Das Buch erschien 1979. Eine weite Rezeption erhielt es durch die englische Übersetzung: Paolo Rossi, The Dark Abyss of Time. The History of the Earth & the History of Nations from Hooke to Vico. Chicago, London 1984. Adalbert Klempt: Die Säkularisierung der universalgeschichtlichen Auffassung im 16. und 17. Jahrhundert. Göttingen u. a. 1960. La Peyre`re findet entsprechend etwa auch Erwähnung in Peter G. Bietenholz: Historia and Fabula. Myths and Legends in Historical Thought from Antiquity to the Modern Age. Leiden u. a. 1994 (Brill’s studies in intellectual history 59). Vgl. auch das monumentale Überblickswerk von Johan H.J. van der Pot: Sinndeutung und Periodisierung der Geschichte. Eine systematische Übersicht der Theorien und Auffassungen. Leiden u. a. 1999, S. 224–227. Im Kontext des Wandels des Geschichtsbildes wäre auch der Beitrag zu nennen von Kurt Flasch: Die Historisierung des Anfangs bei Bayle, Vico und Voltaire. In: Zeitschrift für Ideengeschichte 1/2 (2007), S. 29–44, der allerdings La Peyre`re nicht erwähnt.

7 universalhistorischen Auffassung nicht zuletzt durch die bibelkritischen Äußerungen La Peyre`res beeinflußt. Weit vor Klempt hatte sich bereits Otto Zöckler eingehender der ideengeschichtlichen Bedeutung von La Peyre`re gewidmet. Zöckler perspektivierte dabei La Peyre`res These in Hinsicht auf die modernen Naturwissenschaften und auf die Anthropologie.17 Auch hier wird La Peyre`res progressive Wirkung für die Entstehung der Moderne formuliert. Diese Positivierung der vormals ›häretischen‹ Position La Peyre`res wurde auch aus der theologiegeschichtlichen Warte mitvollzogen, indem er nun zum Beförderer neuerer Entwicklungen aufstieg. So wurde seine Rolle für die Entstehung der historisch-kritischen Bibelexegese etwa von Klaus Scholder und HansJoachim Kraus gewürdigt.18 Es ist umso erstaunlicher, daß Henning Graf Reventlow in seinen mehrbändigen Epochen der Bibelauslegung La Peyre`re nicht behandelt, obwohl er ihn in seiner vorangegangenen Studie über Bibelautorität und Geist der Moderne erwähnt hat.19 Dabei ist La Peyre`res Bedeutung für die Ausprägung einer biblischen Kritik auch außerhalb des theologischen Fachdiskurses etwa von Herbert Jaumann oder Michael Tietzmann beschrieben worden.20 17

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Otto Zöckler: Geschichte der Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaften mit besondrer Rücksicht auf Schöpfungsgeschichte. Gütersloh 1877; Ders.: Peyre`re’s (gest. 1676) Präadamiten-Hypothese nach ihren Beziehungen zu den anthropologischen Fragen der Gegenwart. In: Zeitschrift für die gesammte lutherische Theologie und Kirche 39 (1878), S. 28–48. Klaus Scholder: Ursprünge und Probleme der Bibelkritik im 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Entstehung der historisch-kritischen Theologie. München 1966; HansJoachim Kraus: Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments. Neukirchen-Vluyn 31982. Zu nennen wäre ebenso Jacques Le Brun: Die Entstehung der historischen Kritik im Bereich der religiösen Wissenschaften im 17. Jahrhundert. In: Trierer theologische Zeitschrift 89 (1980), S. 100–117. Franc¸ois Laplanche, der den Artikel La Peyre`re im LThK3 geschrieben hat, nennt ihn in seiner monumentalen Studie nur an einer Stelle. vgl. Ders.: L’Ecriture, le sacre´ et l’histoire. Erudits et politiques protestants devant la Bible en France au XVIIe sie`cle. Amsterdam, Maarssen 1986 (SIB 12), S. 592. Henning Graf Reventlow: Epochen der Bibelauslegung. Bd. 4. München 2001, S. 122. Nur im Kontext von Huet wird La Peyre`re einmalig erwähnt. Allerdings hatte Reventlow bereits La Peyre`re einen Sonderfall genannt, ohne dies weiter zu erläutern, vgl. Ders.: Bibelautorität und Geist der Moderne. Die Bedeutung des Bibelverständnisses für die geistesgeschichtliche und politische Entwicklung in England von der Reformation bis zur Aufklärung. Göttingen 1980, S. 14. Über Richard Simon und die französischen katholischen Theologen heißt es an gleicher Stelle wenig überzeugend: »Entscheidender ist, daß ihnen der Hintergrund des protestantischen Schriftverständnisses fehlt und sie gerade deshalb den Grundsätzen der späteren Bibelkritik keine grundsätzlichen Erkenntnisse beisteuern konnten.« Herbert Jaumann: Bibelkritik und Literaturkritik in der frühen Neuzeit. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 49 (1997), S. 123–134. Vgl. auch allgemein Ders.: Critica. Untersuchungen zur Geschichte der Literarkritik zwischen Quintilian und Thomasius. Leiden u. a. 1995 (Brill’s studies in intellectual history

8 So sehr auch die deutsche Forschung momentan nur ein randständiges Interesse für La Peyre`re entwickelt, hat die ältere Forschung wichtige Impulse gegeben.21 Dies gilt im besonderen Maße für die Debatte um La Peyre`res Verhältnis zu den Juden, die aus der deutschen Forschung hervorgegangen ist und weit darüber hinaus ihre Wirkung entfalten konnte. So wurde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von Leo Strauss und vor allem von Hans-Joachim Schoeps – ausgehend von La Peyre`res Verhältnis zu Spinoza – allgemein seine Haltung gegenüber den Juden erforscht. Für Schoeps ist La Peyre`re der Kronzeuge für das neuzeitliche Phänomen des sogenannten Philosemitismus.22 In den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde der Ansatz von Strauss und Schoeps durch die Arbeiten von Miriam Yardeni und von Ira Robinson ergänzt und korrigiert. Yardeni und Robinson stützten sich dabei in ihren Argumentationen vor allem auf La Peyre`res Du Rappel des Juifs (1643). Es sind die beiden einzigen Artikel, die hauptsächlich auf La Peyre`res erstem Werk fußen.23

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62); Michael Tietzmann: Herausforderungen der biblischen Hermeneutik in der Frühen Neuzeit: Die neuen Diskurse der Wissenschaft und der Philosophie. In: Geschichte der Hermeneutik und die Methodik der textinterpretierenden Disziplinen. Hgg. v. Jörg Schönert, Friedrich Vollhardt. Berlin 2005 (Historia Hermeneutica 1), S. 119–156, zu La Peyre`re bes. S. 147–149. Anders als in Frankreich, den Niederlanden und im gesamten angelsächsischen Bereich, wo schon aus Gründen der je eigenen nationalen Identität das 17. Jahrhundert als Grand Sie`cle, Gouden Eeuw oder aber als wechselhafte Geschichte von Interregnum und Glorious Revolution gefeiert wird, wird hierzulande besonders die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts allenfalls unter dem Seitenaspekt konfessioneller Auseinandersetzungen oder allgemein als Niedergangsepoche des Dreißigjährigen Kriegs behandelt. Vgl. dazu Paul Münch: Das Jahrhundert des Zwiespalts. Deutsche Geschichte 1600–1700. Stuttgart u. a. 1999, bes. S. 9–25, dort zu La Peyre`re, S. 63. Jaumann kann dafür eine vielsagende Stilblüte präsentieren, vgl. Ders.: Bibelkritik und Literaturkritik (1997), S. 124 Anm. 4: »Es ist typisch für den Stand der Forschung in Deutschland, daß im Art. Bibelwissenschaft (RGG. Bd. I, 3. Aufl. 1957) der Name La Peyre`re völlig entstellt gedruckt ist und der Verf. (Pfarrer C. Kühl) offenbar nicht weiß, von wem er spricht? Sp. 1230 ist dort von dem ›Jesuiten [sic!] Isaac Peyerius‹ die Rede.« Leo Strauss: Die Religionskritik Spinozas als Grundlage seiner Bibelkritik. Untersuchungen zu Spinozas Theologisch-politischem Traktat. Berlin 1930; HansJoachim Schoeps: Der Philosemitismus des 17. Jahrhunderts (Religions- und geistesgeschichtliche Untersuchungen) I. Isaak de la Peyre`re. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 1 (1948), S. 19–34; Ders.: La Peyre`re und Island. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 1 (1948), S. 162–167; vor allem aber: Ders.: Philosemitismus im Barock. Religions- und Geistesgeschichtliche Untersuchungen. Tübingen 1952. Myriam Yardeni: La religion de La Peyre`re et »Le Rappel des Juifs«. In: Revue d’Histoire et de Philosophie Religieuses 51 (1971), S. 247–259; Ira Robinson: Isaac de La Peyre`re and the Recall of the Jews. In: Jewish Social Studies 40 (1978), S. 117–130. Jüngst ist noch hinzugekommen Fausto Parente: Isaac de La Peyre`re interpre`te de Paul: pourquoi le rappel des juifs a-t-il e´te´ presque entie`rement de´truit ´ tudes juives 167 (2008), S. 169–186. au moment de sa publication. In: Revue des E

9 Die Charakterisierung als Philosemit ist nicht nur die andere große Interpretationslinie zu La Peyre`re, sie steht vielmehr in einem seltsamen Spannungsverhältnis zu Pintards entgegengesetzter Interpretation von La Peyre`re als libertin: Umweht den libertin eine gewisse Nonchalance in Glaubensfragen, bemäntelt der Philosemit hingegen seine fast übergroße Frömmigkeit. Diesen Sachverhalt identifizierte auch das Werk, das seit den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts für die Deutung von La Peyre`res Verhältnis zu den Juden in erster Linie zu nennen ist: die Arbeiten des amerikanischen Philosophiehistorikers Richard H. Popkin, der deutlich auf der deutschen Forschung aufbaute. Popkin nutzte die beiden Hauptrichtungen der bisherigen Forschung und unternahm den Versuch, diese widerstreitenden Thesen miteinander zu verbinden. Dies gelang Popkin, indem er den philosophiehistorischen Aspekt des libertinage mit der Debatte um den frühneuzeitlichen Skeptizismus verband und gleichzeitig auf dieser Basis La Peyre`res Werk als theologischen Entwurf eines zwangsgetauften Juden interpretierte. Von besonderer Bedeutung für diese Umdeutung waren das La Peyre`re gewidmete Kapitel in Popkins History of Scepticism, seine Untersuchungen zu dem Verhältnis zwischen La Peyre`re und Rabbi Menasse ben Israel (1604–1657) und vor allem sein programmatischer Aufsatz The Marrano Theology of Isaac La Peyre`re aus dem Jahr 1973.24 1987 folgte dann als Band 1 von Brill’s studies in intellectual history die Monographie Isaac La Peyre`re (1596–1676). His Life, Work and Influence.25 Sie ist die Frucht seiner über fünfundzwanzigjährigen Beschäftigung mit La Peyre`re. Mit dem Erscheinen von Popkins Monographie wurde das Thema La Peyre`re präsenter als je zuvor. Nicht nur stiftete dieses Buch La Peyre`re eine erneute Memoria, es erschienen auch weiterhin kleinere Einzelstudien, welche die Gesamtdarstellung Popkins als ihren Bezugspunkt ausweisen. Auch Popkin selbst hat sich weiterhin zu La Peyre`re geäußert. So ist etwa das von ihm mitinitiierte vierbändige Projekt zu Millenarianism and Messianism in Early Modern European Culture durch die Beschäftigung mit dem Franzosen angeregt.26 24

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Richard H. Popkin: The Marrano Theology of Isaac La Peyre`re. In: Studi Internazionali di Filosofia 5 (1973), S. 97–126; Ders.: Isaac La Peyre`re and the Beginning of Religious Scepticism. In: The History of Scepticism from Erasmus to Spinoza. Berkeley 1979, S. 214–228; Ders.: Menasseh ben Israel and Isaac La Peyre`re. In: Studia Rosenthaliana 8 (1974), S. 59–63; Ders.: Menasseh ben Israel and Isaac La Peyre`re II. In: Studia Rosenthaliana 18 (1984), S. 12–20. Richard H. Popkin: Isaac La Peyre`re (1596–1676). His Life, Work and Influence. Leiden u. a. 1987 (Brill’s studies in intellectual history 1); im folgenden: Popkin: La Peyre`re (1987). So etwa Richard H. Popkin: Christian Jews and Jewish Christians in the 17th Century. In: Ders., Gordon M. Weiner (Hgg.): Jewish Christians and Christian

10 Anthony Grafton widmete La Peyre`re ein Kapitel in seiner wissenschaftshistorischen Studie Defenders of the Text.27 Samuel J. Preus zeichnete erneut La Peyre`res Beitrag zur frühen Bibelkritik nach.28 Susanna ˚ kerman, eine Schülerin Popkins, ging speziell dem Einfluß nach, den A La Peyre`re auf Christina von Schweden ausübte.29 Seit den Neunziger Jahren läßt sich eine Wiederentdeckung La Peyre`res in der französischen Forschung feststellen. Die allgemeine Debatte führt hier weg von der reinen Ideengeschichte hin zu einer Kulturgeschichte der Gelehrten. Im Rekurs auf Pintard zeigt sich dabei jedoch stärker eine ›relecture‹ des libertinage e´rudit als eine explizite Auseinandersetzung mit Popkins Interpretation. Besonders Elisabeth Quennehen, die sich gleich mit mehreren Artikeln zu den zirkulierenden Manuskripten La Peyre`res gemeldet hat, beleuchtet Aspekte clandestiner Wissenschaftspraktiken.30 In ihrer Doktorarbeit zur Frage nach der Einheit der Menschheit hat sie sich eingehend mit der Präadamitenthese La Peyre`res befaßt.31 Jüngst hat sie nochmals den Versuch einer biographischen Skizze zu ihm vorgelegt.32 Mehr mit der Rezeption von La

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Jews. From the Renaissance to the Enlightenment. Dordrecht u. a. 1994 (Archives internationales d’histoire des ide´es 138), S. 57–72. Vgl. zu Millenarianism and Messianism in Early Modern European Culture Popkins Vorwort und seinen eigenen Beitrag: Millenarianism and Nationalism – a Case Study: Isaac La Peyre`re. In: Millenarianism and Messianism in Early Modern Culture. Hgg. v. John Chr. Laursen, Richard H. Popkin. Bd. 4: Continental Millenarians: Protestants, Catholics, Heretics. Dordrecht u. a. 2001 (Archives internationales d’histoire des ide´es 176), S. 77–84. Anthony Grafton: Defenders of the Text. The Tradition of Scholarship in an Age of Science, 1450–1800. Cambridge (Mass.), London 1991, S. 204–213. Samuel J. Preus: The Bible and Religion in the Century of Genius. In: Religion 28 (1998), S. 3–27. Vgl. auch Philip A. Almond: Adam and Eve in Seventeenth-Century Thought. Cambridge 1999, bes. S. 50–60. ˚ kerman: Queen Christina of Sweden and her Circle. The TransformaSusanna A tion of a Seventeenth-Century Philosophical Libertine. Leiden u. a. 1991 (Brill’s studies in intellectual history 21). Vgl. ebenfalls Richard H. Popkin: Christina and Isaac La Peyre`re. In: Nouvelles de la Re´publique des Lettres (1991), S. 103–109. ` propos des Pre´adamites. Deux manuscrits des Archives Elisabeth Quennehen: A Nationales. In: La Lettre Clandestine 3 (1994), S. 305–310; Dies.: Un nouveau manuscrit des Pre´adamites. In: La Lettre Clandestine 4 (1995), S. 545–551; Dies.: Lapeyre`re et Calvin. In: Libertinage et Philosophie au XVIIe sie`cle 1 (1996), S. 69–74; Dies.: Les diffe´rentes versions autorise´es: le cas d’Isaac de Lapeyre`re. In: Transactions of the Ninth International Congress on the Enlightment II. Oxford ` propos 1996 (Studies on Voltaire and the 18th century 347), S. 764–767; Dies.: A d’une lettre d’Antoine Arnauld relie´e dans un volume des Pre´adamites. In: La Lettre Clandestine 8 (1999), S. 251–254; Dies.: Lapeyre`re, la Chine et la Chronologie. In: La Lettre Clandestine 9 (2000), S. 243–255. Elisabeth Quennehen: Le proble`me de l’unite´ du genre humain au XVIIe sie`cle. Contribution a` l’histoire de l’ide´e polygeniste. The`se Paris I 1993 (unveröffentlicht). Elisabeth Quennehen: »L’Auteur des Pre´adamites«, Isaac Lapeyre`re. Essai bioˆ ge classique. Autour de graphique. In: Dissidents, excentriques et marginaux de l’A

11 Peyre`res Thesen im 18. Jahrhunderts beschäftigen sich die Arbeiten von Claudine Poulouin und von Maria Susana Seguin.33 Zentral steht bei beiden die Frage nach dem Zerfall der Einheit der biblischen Geschichte als Universalgeschichte der Menschheit und dabei speziell die Frage nach der Interpretation der biblischen Sintflut als nurmehr lokales historisches Ereignis in Palästina. Katia Be´guin hat etwa zeitgleich ihre große Studie zur Patronage im frühneuzeitlichen Frankreich am Beispiel der Familie Conde´ vorgelegt. Sie hat damit den Aspekt der sozialen Verflechtung der Gelehrten mit Trägern politischer Macht neu ins Bewußtsein gehoben. Sehr verdienstvoll ist ihre Prosopographie der Klientel der Prinzen Conde´, in der sie auch La Peyre`re einen kurzen Eintrag widmet und darin die spärlichen Quellen aus dem Archiv in Chantilly auswertet. In die überarbeitete Druckfassung sind jedoch nicht alle Ergebnisse ihrer Doktorarbeit eingeflossen; so hatte sie dort zusätzlich Bestallungslisten ausgewertet, in denen La Peyre`re ebenfalls erwähnt wird.34 Der englische Romanist Marc Bannister hat sich ebenfalls mit der Maison Conde´ beschäftigt und beschreibt das Leben im Hause eines Grand.35 Überdies wäre aus der englischen Forschung William Poole zu nennen, der in seinem Artikel einer von La Peyre`re selbst gelegten Fährte nachspürt und englische Vorläufer der Präadamitenthese ausmachen kann.36 Eine Fortführung dieses eingeschlagenen Weges wäre wünschenswert, doch hat der Anstoß aus der französischen Forschung auch im weiteren romanischen Raum eher zu disparaten Beiträgen als zu einer wirklichen Neubelebung der

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Carano de Bergerac (FS Madeleine Alcover). Hgg. v. Patricia Harry u. a. Paris 2006 (Colloques, congre`s et confe´rences sur le Classicisme 10), S. 349–373; Dies.: Art. Lapeyre`re, Isaac (1596–1676). In: The Dictionary of Seventeenth-Century French Philosophers. Hg. v. Luc Foisneau. Bd. 2. London, New York 2008, S. 697–700. Claudine Poulouin: Les temps des origines. L’Eden, le De´luge, et »les temps recule´s«. De Pascal a` l’Encyclope´die. Paris 1998 (Lumie`re classique 19); Maria Susana Seguin: Science et religion dans la pense´e franc¸aise du XVIIIe sie`cle: le mythe du de´luge universel. Paris 2001 (Les dix-huitie`mes sie`cles 52). Von deutscher Seite wäre hier noch zu nennen Helmut Zedelmaier: Der Anfang der Geschichte. Studien zur Ursprungsdebatte im 18. Jahrhundert. Hamburg 2003 (Studien zum 18. Jahrhundert 27). Katia Be´guin: Les princes de Conde´. Rebelles, courtisans et me´cenes dans la France du Grand Sie`cle. Seyssel 1999; Dies.: Patrons et me´ce`nes au Grand Sie`cle: les princes de Conde´ (1630–1709). The`se de doctorat Paris 1997 (unveröffentlicht), besonders Annex Nr. 30: Officiers et domestiques de la maison princie`re avant et apre`s la Fronde. Mark Bannister: Conde´ in Context. Ideological Change in Seventeenth-Century France. Oxford 2000. William Poole: Seventeenth-Century Preadamism, and an Anonymous English Preadamist. In: The Seventeenth Century 19 (2004), S. 1–35; jüngst Ders. The World Makers. Scientists of the Restoration and the Search for the Origins of the Earth. Oxford 2010.

12 Forschung führen können. So nahm etwa Sergio Zoli die von Pintard angeführte Debatte um den libertinage wieder auf, erweitert nur um den größeren Blick von einer nunmehr europäischen Warte.37 Ebenso aus dem italienischen Raum stammen andere kleinere Beiträge: Fausto Parente befaßt sich mit dem späten La Peyre`re und seinem Verhältnis zu dem katholischen Bibelgelehrten Richard Simon. Parente unterzog darüber hinaus das Phänomen des Philosemitismus einer kritischen Sichtung und ging der Entstehungsgeschichte des Rappel des Juifs (1643) nach.38 La Peyre`res Wirkung auf die entstehenden Rassentheorien zeichnet erneut der Aufsatz von Miguel Benı´tez nach.39 Ebenfalls in den Kontext der italienischen Forschung gehört auch die kommentierte, zweisprachige Neuausgabe der Prae-Adamitae (1655), die jüngst Giuseppe Lucchesini und Pina Totaro besorgt haben.40 2.2. Werk, Editionslage und weitere Quellen Wesentliche Quellen für die vorliegende Arbeit sind gemäß der Zielsetzung vor allem La Peyre`res Du Rappel des Juifs (1643) und seine weiteren Werke (vgl. zu einer chronologischen Übersicht weiter unten Kap. VIII). Sie umfassen ganz unterschiedliche Gattungen, doch liegen bis heute leider nur wenige Schriften in aktuelleren Ausgaben vor. Erschienen ist bislang nur die genannte lateinisch-italienische Ausgabe der Prae-Adamitae (1655). Seine Hypothese von den Präadamiten publizierte La Peyre`re 1655 eigentlich in zwei Texten, die sich jedoch in der Regel zusammengebunden finden: die nur wenige Seiten umfassenden Prae-Adamitae sive exercitatio super versibus duodecimo, decimotertio et decimoquarto, capitis quinti Epistolae D.Pauli ad Romanos quibus inducuntur primi homines ante Adamum conditi und das sehr viel umfangreichere Systema theologicum ex Prae-adamitarum hypothesi pars I. Luc-

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Sergio Zoli: Il preadamitismo di Isaac de La Peyre`re nell’eta` previchiana e il libertinismo europeo del seicento. In: Bolletino del Centro di Studi Vichiani 21 (1991), S. 61–77. Fausto Parente: Isaac de La Peyre`re e Richard Simon. In: La geografia dei saperi. Scritti in memoria di Dino Pastine. Hgg. v. Domenico Ferraro, Gianna Gigliotti. Firenze 2000, S. 161–182; Ders.: »Du tort qu’ont les Chrestiens de perse´cuter les Juifs«. Quelques observations a` propos du »philosemitisme« d’Isaac de la Peyre`re. In: Les textes jude´ophobes et jude´ophiles dans l’Europe chre´tienne a` l’e´poque moderne. Hg. von Daniel Tollet. Paris 2000, S. 51–66; ebenfalls Ders.: Isaac de La Peyre´re interpre`te de Paul (2008), S. 169–186. Miguel Benı´tez: La posterite´ de La Peyre`re: Dissertation sur l’origine des ne´gres & des ame´ricains. In: La geografia dei saperi. Scritti in memoria di Dino Pastine. Hgg. v. Domenico Ferraro, Gianna Gigliotti. Firenze 2000, S. 183–202. Isaac La Peyre`re. I preadamiti. Praeadamitae (1655). Hgg. v. Giuseppe Lucchesini e Pina Totaro. Macerata 2004 (Spinoziniana).

13 chesini und Totaro haben genau genommen nur die kürzeren PraeAdamitae ediert. Ansätze zur Edition von La Peyre`res Schriften hat es aber immer wieder gegeben. So wollte Popkin schon in den Siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts neben der englischen Fassung der Prae-Adamitae von 1656 auch ein Reprint des Rappel des Juifs (1643) herausgeben.41 In den neunziger Jahren wurde ein französisches Projekt in Aussicht gestellt, Oeuvres choisies von La Peyre`re zu edieren. Diese Werkausgabe sollte eine französische Übersetzung der Prae-Adamitae (1655) enthalten, Du Rappel des Juifs (1643) sowie das unedierte Manuskript Des Juifs e´lus, rejete´s et rapele´s (1673).42 Elisabeth Quennehen hat erneut ähnliche Editionspläne annonciert. Erfreulicherweise steht eine lateinisch-deutsche Edition des Doppelwerks zu den Präadamiten kurz vor dem Abschluß, die von Herbert Jaumann und Reimund Sdzuj besorgt wird.43 Ein Editionsprogramm erscheint schon deshalb umso wichtiger, als es meines Wissens nur noch sechzehn Exemplare von Du Rappel des Juifs (1643) in den europäischen Bibliotheken gibt.44 Da die Prae-Adamitae und das Systema theologicum (beide 1655) in ihrem Erscheinungsjahr bereits fünf unterschiedliche Ausgaben erlebten und dazu ins Englische (1656) und ins Niederländische (1661) übertragen wurden, befindet sich dieses Doppelwerk in einer ganz anderen Häufigkeit in den Bibliotheken.45 Die Universitätsbiliothek Kiel hat allerdings dankenswerterweise neuerdings ihre Ausgabe des Rappel des Juifs (1643) auf ihren Internetseiten online gestellt. Mir lag für diese Studie das Düsseldorfer Exemplar vor, das ich mit zwei weiteren in der Pariser Nationalbibliothek und in der Vatikanischen Bibliothek verglichen habe. Im Gegensatz zu dem Düsseldorfer kennen die beiden anderen Exemplare diverse Streichungen und Schwärzungen, die sich allerdings bei genauerer Betrachtung als Umsetzung der gedruckten Corrigendaliste entpuppen, die in allen drei Exemplaren vorhanden ist. Kleinere stilistische Verbesse41

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Vgl. Popkin: Marrano Theology (1973), S. 121 Anm. 60. Bei Olms ist zumindest die Ausgabe von Men before Adam weiterhin angekündigt. Zu dem ehrgeizigen Editionsplan der von Anthony McKenna initiierten Serie Libre Pense´e et Litte´rature clandestine vgl. La Lettre Clandestine 1 (1992), S. 78. Es handelt sich dabei nur um La Peyre`res Exercitatio, entsprechend fehlt hier auch seine Widmung ›an alle Juden‹. Jaumann und Sdzuj haben eine lateinisch-deutsche Ausgabe der Prae-Adamitae (1655) und des Systema theologicum (1655) bei Frommann-Holzboog in Druckvorbereitung. Die gängigen Recherchemittel ergeben: Neben sechs Exemplaren in Frankreich (u. a. in der BnF) gibt es vier in Deutschland (Düsseldorf, Kiel, Mannheim und München), weitere Exemplare befinden sich in NB Wien, BCUD Lausanne, BL London, UB Uppsala, KB Stockholm, BAV Vatikanstadt. Vgl. J.I. Doedes: Fijf drukken van Is. de la Peyre`re’s Praeadamitae uit het jaar 1655. In: Studie¨n en bijdragen op ’t gebied der historische theologie 4 (1880), S. 238–242.

14 rungen kommen hinzu und die handschriftlichen Korrekturen lassen den gleichen Schreiber vermuten.46 Zu diesen offensichtlich theologischen Werken zählt noch der Konversionsbericht Epistola ad Philotimum (1657), den La Peyre`re in Briefform an Papst Alexander VII. Chigi richtete. Obwohl diese Schrift zwei römische Ausgaben und eine weitere in Frankfurt erlebte, überdies ins Französische übertragen und einige Jahre später in stark überarbeiteter Form als Apologie de la Peyre`re (1663) publiziert wurde, ist diese nur schwer zu bekommen. Eine Teilübertragung der Epistola ad Philotimum (1657) ins Deutsche besorgte Andreas Räß in seiner Geschichte der Konvertiten.47 Ebenso zu diesen ›apologetischen‹ Schriften müßte man drei kleinere Briefsammlungen aus den 1660er Jahren rechnen, in denen La Peyre`re einen gewissen Comte de La Suze – Hugenotte und wie er zur Klientel Conde´s zählend – hat überzeugen wollen, ebenfalls zum katholischen Glauben überzutreten.48 Zwar erlebten diese Briefsammlungen mehrere Auflagen, sie sind aber dennoch sehr selten. La Peyre`res Verwobenheit mit der Maison Conde´ tritt besonders deutlich hervor in der Schlachtbeschreibung La bataille de Lents aus dem Jahr 1649, die seinen militärisch erfolgreichen Patron rühmt. Es waren ebenso diese Patronagenetzwerke, die es ihm erlaubten, in den Jahren 1644 bis 1646 nach Skandinavien zu reisen. Dort entstanden die zwei ›geographischen‹ Schriften, die Relation du Groenland (1647) und die erst später gedruckte Relation de l’Islande (1663). Diese beiden Landesbeschreibungen haben zwar keine große Verbreitung finden können, sind allerdings mittlerweile über den Internetserver ›Gallica‹ der Französischen Nationalbibliothek allgemein und leicht zugänglich. Andere Werke sind La Peyre`re zumindest zugeschrieben worden: so zum Beispiel eine weitere Schlachtbeschreibung (La Bataille de Rethel) aus dem Jahr 1651, ein nicht überlieferter Roman über die Mätresse des englischen Königs Edward III. sowie die Anmerkungen zu einer neuen Bibelübersetzung, die jedoch aufgrund ihrer theologischen Heterodoxie bereits 1671 im dritten Buch der Bibel eingestellt wurde.49 46

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In beiden Exemplaren wird beispielsweise das »lec¸on« handschriftlich in ein »version« verbessert, wie es die Corrigendaliste vorsieht, vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 126. An vielen Stellen werden überflüssige »que« gestrichen. Räß: Convertiten seit der Reformation (1868), S. 117–136. Vgl. Be´guin: Les princes de Conde´ (1999), S. 410. Es handelt sich dabei um Gaspard de Champagne, comte de la Suze, der mit Henriette de Coligny verheiratet gewesen war, die sich jedoch nicht nur von Suze trennte, sondern auch zum katholischen Glauben wechselte; von ihr wird nach der Konversion kolportiert, sie habe verkündet, sie wolle ihren Gatten auf keinen Fall wiederbegegnen »ni dans ce monde, ni dans l’autre«; vgl. Henri d’Aumale: Histoire des princes de Conde´. Bd. 6. Paris 1892, S. 341f. Vgl. dazu Antoine-Franc¸ois Pre´vost: Le pour et contre. Ouvrage pe´riodique d’un gouˆt nouveau. Bd. 20. La Haye 1740, S. 301.

15 Was La Peyre`res Korrespondenzen anbelangt, so ist am ausführlichsten sein Briefwechsel mit dem dänischen Gelehrten Olaf Wormius überliefert. Daneben gibt es einzelne Schreiben an Vater und Sohn Ulfeldt, an Christiaan Huygens, Claude Saumaise und später an dessen Biographen Philibert de La Mare.50 All diese Briefe La Peyre`res sind nach dem Rappel des Juifs (1643) entstanden. Das gilt im besonderen Maße auch für seine langjährige Beziehung zu seinem Patron, dem Prinzen Conde´. Ganze vier Schreiben haben sich erhalten, das früheste von 1655 aus dem direkten Vorfeld des Präadamitenskandals.51 Allerdings haben wir zwei Widmungsschreiben an seinen Patron in La Peyre`res Werken und weitere Erwähnungen in der Korrespondenz des Prinzen Conde´. Als weitere Quelle wurden für diese Arbeit erstmals die vatikanischen Zeugnisse benutzt, die neue Einblicke in die Mechanismen der Patronage rund um La Peyre`res Konversion gewähren. Erwähnungen aus dem Umfeld von Conde´, etwa in der Korrespondenz von Abbe´ Bourdelot, dem Leibarzt Conde´s, Gründer einer eigenen Akademie und späterem Vertrauten von Christina von Schweden, ergänzen das Bild. Darüber hinaus wurden die Manuskripte in Chantilly und in Paris konsultiert, darunter La Peyre`res Manuskript Des Iuifs elus, reiete´s et rapele´s aus den letzten Lebensjahren und seine nie veröffentlichte Antwort auf den Hugenotten Samuel Desmarets Reˆponse de Lapeyre`re, aux calomnies de Des Marais, Ministre de Groningue. In diesen späteren Werken benutzt La Peyre`re seine sehr eigene Orthographie, wie er 1662 eigens begründet.52

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Diese befinden sich in erster Linie in Paris, Chantilly und Dijon. Neben den Briefedition zu Huygens und Worm ist einiges davon bei Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 208–380, und bei Dini: La teoria preadamitica (1979), S. 227–235, ediert. Zur Bedeutung von Briefen für die Erforschung von Patronagebeziehungen vgl. Heiko Droste: Patronage in der Frühen Neuzeit – Institution und Kulturform. In: ZHF 30 (2003), S. 555–590. In diesem Punkt waren sie sich einig, vgl. Birgit Emich u. a.: Stand und Perpektiven der Patronageforschung. Zugleich Antwort auf Heiko Droste. In: ZHF 32 (2005), S. 233–265. Zusätzlich haben sich in Chantilly einige Schriftstücke von seiner Hand erhalten. Es handelt sich dabei um zwei Schreiben, die Fiesque 1653 aus Spanien an Conde´ gerichtet hat, vgl. Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 387. La Peyre`re bemerkt dazu zu Beginn seiner Suite de letres a` M. le Comte de la Suze pour l’obiger par raison a` se faire Catolique. Paris 1662, er orientiere sich an der italienischen Sprache und hoffe, daß die Acade´mie franc¸aise seinem Beispiel folgen werde, was diese bekanntlich nicht tat.

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3. Aufbau und Anliegen der Arbeit Inwiefern legt nun die diskutierte Forschungslage eine neue, vertiefte Beschäftigung mit La Peyre`res Rappel des Juifs (1643) nahe? Während bei den meisten vorliegenden Forschungen die querelle um die Präadamiten alles andere dominiert zu haben scheint, fällt bei der Betrachtung von La Peyre`res Biographie letztlich auf, daß die Präadamiten nicht mehr als eine Episode in seinem dramatischen Lebenslauf waren, eine markante Episode zwar, Krise und Katharsis in einem, aber doch vielleicht nur die provokante Verbildlichung einer anderen Problematik. La Peyre`re widerrief zudem relativ problemlos seine Präadamiten, nahm jedoch schon 1657 in seiner Konversionschrift Argumentationstränge aus seinem Rappel des Juifs (1643) wieder auf. Auch noch später in seinen letzten Lebensjahren als Laienbruder bei den Oratorianern schrieb er an dem erwähnten Werk über die Erwählung, Verwerfung und den Rückruf der Juden (Des Iuifs elus, reiete´s et rapele´s). Dort schreibt er im Vorwort: »Quand je mis au jour les Pre´adamites, mon principal dessein n’e´stoit pas les Pre´adamites, mais celuy que je traite en ce lieu, des juıˆs e´lus, rejetez et qui doivent eˆtre rapelez.«53 Heterodoxe biblische Argumentationen mit Folgen weit über die reine Interpretation der Heiligen Schrift hinaus, eine eklatante Inklination für die Belange der Juden und schließlich seine Konversion sichern La Peyre`re bis heute ein starkes Interesse – wenn auch (wie weiter oben diskutiert) vorwiegend außerhalb Deutschlands.54 Dabei schien es der 53

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So im Vorwort zu Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s. Chantilly, Muse´e Conde´, Ms. 191, o.S. Vgl. auch Apologie de la Peyre`re, Paris 1663, S. 26f: »Le principal dessin que ie m’estois propose´ dans l’ouurage total des Preadamites, estoit, l’vnion des Chrestiens & des Iuifs: En obligeant les Chrestiens a` persuader le Christianisme aux Iuifs: Et les Iuifs, a` receuoir l’Euangile des Chrestiens. Pour obliger les Chrestiens a` cete charite´ enuers les Iuifs: il me sambloit que ie ne me pouuois seruir d’vn meilleur expediant, que de faire connoıˆtre aux Chrestiens, qu’ils sont originairement Gentils. Et leur faire connoıˆtre en mesme temps, la veritable distiction qui est entre les Gentils, & les Iuifs. Distinction, qui est expresse, & formele, dans l’Escriture sainte: mais dont l’origine est tres-obscure, & tres-confuse, dans l’vn & dans l’autre Testament. Cete distinction est expresse & formele dans l’Escriture sainte, en ce qu’il est constant par elle, que le salut de tous les hommes, qui ne sont pas Iuifs, est des Iuifs.« Dabei sollte nicht übersehen werden, daß etwa das Thema Konversion in der deutschen Forschung eine Renaissance erlebt: Angelika Losar, Angelika Schaser: Die Rückkehr zum »wahren Glauben«. Konversionen im 17. Jahrhundert. In: Frühneuzeit-Info 13 (2002), S. 65–74; Jörg Deventer: Konversion und Konvertiten im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Stand und Perspektiven der Forschung. In: Aschkenas 15 (2005), S. 257–270; Ute Lotz-Heumann u. a. (Hgg.): Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit. Gütersloh 2007 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 207). Darüber hinaus ist ein neues allgemeines Interesse am Themenkreis Religion und Politik und vor allem an den spezifisch frühneuzeitlichen Formen zu erkennen: vgl. etwa Hartmut Lauf-

17 Königsweg der Forschung, sich auf die Präadamitenthese als La Peyre`res Hauptwerk zu konzentrieren, die gerade in ihrer komplexen Anlage des Systema theologicum ex Prae-Adamitarum hypothesi (1655) Fragen aufwirft. Da La Peyre`re diesem Werk eine Widmung ›an alle Juden‹ beigestellt hat, führt die Analyse dieser, von La Peyre`re selbst gelegten interpretatorischen Fährte zu einem werkimmanenten Rückstieg zum Rappel des Juifs (1643), dessen Lektüre im Kehrschluß seine Präadamitenthese erklären helfen soll. Trotz der zentralen Bedeutung für die gesamte Kontextualisierung von La Peyre`res Werk hat dieses Vorgehen bislang nur unzureichende Ergebnisse geliefert. So fehlt bis heute eine umfangreichere Studie zum Rappel des Juifs. Abgesehen von einigen kurzen Aufsätzen wird selbst in der Monographie von Popkin Du Rappel des Juifs vergleichsweise knapp auf nur wenigen Seiten behandelt. Daß Du Rappel des Juifs »unverdientermaßen bei weitem nicht das Interesse gefunden hat wie die mehr sensationellen späteren Schriften«, hat aber Hans-Joachim Schoeps bereits vor über fünfzig Jahren beklagt.55 Es ist umso erstaunlicher, als es naheliegt, Du Rappel des Juifs (1643) als La Peyre`res erstem publizierten Werk eine Studie zu widmen, bevor man sich an die nachfolgenden Werke macht, zumal ihn dieses Thema ja bis an sein Lebensende begleitet hat. Die in der Forschungsliteratur leider nur kursorisch erfolgte Analyse von Du Rappel des Juifs (1643) hat vor allem aber, so die hier vertretene Ansicht, zu eklatanten Fehlinterpretationen zu Autor und These der Präadamiten geführt. Das recht weite Spektrum der vorgeschlagenen Interpretationen zur Figur La Peyre`re, die vom Atheisten über den Judenfreund bis hin zum Kryptojuden reichen, hat sicher dazu beigetragen. All diese Ansätze verquicken La Peyre`res Leben und Werk und versuchen je auf ihre Weise die bestehenden Inkongruenzen in den Werken mit dem Lebensweg La Peyre`res zu erklären, wenn nicht sogar aufzulösen. Anliegen einer Untersuchung, die La Peyre`re und sein Du Rappel des Juifs (1643) ins Zentrum stellen möchte, muß deswegen fast zwangsläufig auch eine kritische Beschäftigung mit der vorliegenden Forschung, ihren unterliegenden großen Narrativen sowie ihren Detailbefunden sein. Dieses zunächst wesentlich dekonstruierende, dann kontextualisierende Vorgehen wird im folgenden in verschiedenen Kapiteln zu entfalten sein.

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hütte, Michael Titzmann (Hgg.): Heterodoxie in der Frühen Neuzeit. Tübingen 2006 (Frühe Neuzeit 117); Claudia Benthien, Steffen Martus (Hgg.): Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jahrhundert. Tübingen 2006 (Frühe Neuzeit 114). Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), S. 8.

18 Die Einzelfallstudie zu Du Rappel des Juifs (1643) und seinem Autor La Peyre`re fügt sich darüber hianus prinzipiell in größere Fragestellungen nach der intellectual history und Wissenschaftsgeschichte des 17. Jahrhunderts ein, die nicht umsonst als ›e´poque du Pe`re Mersenne‹ (Bots, Waquet) bezeichnet werden kann.56 Sie entwickelt diese jedoch in Richtungen weiter, die üblicherweise eher umgangen wurden: Im Zentrum der folgenden Überlegungen steht nicht nur die Frage nach der Verquickung der Gelehrtenkultur mit politischer Macht, wie sie in politisch aufgeladenen Patronagebeziehungen wie der La Peyre`res zum Haus Conde´ sichtbar wird.57 Es soll vielmehr auch La Peyre`res Umgang mit der Religion Raum gegeben werden, denn ein derzeit unübersehbares neues Interesse an Religion legt nahe, La Peyre`re als religiöses Individuum und kontroverstheologischen Autor einer bewegten Zeit neu in den Blick zu nehmen. Gerade auf diesem Forschungsfeld, auf dem sich letztlich auch die einflußreiche Studie von Popkin positionierte, deutet sich derzeit eine Neuorientierung an. Die klassische Ideengeschichte folgte meist der von Modernisierungs- und Säkularisierungstheorie beeinflußten Vorstellung einer sich entgrenzenden Ausweitung der Wissensbereiche und Aufhebung hinderlicher Erkenntnisschranken. Sie postulierte dafür klassischerweise das Dreigestirn Descartes, Hobbes und Spinoza als Wegbereiter der Moderne.58 Der Ort La Peyre`res wurde von Studien, die sich 56

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Vgl. allgemein Hans Bots, Franc¸oise Waquet: La Re´publique des Lettres. Paris 1997, S. 81–83. Davor wird dort von der »e´poque d’E´rasme« gesprochen und danach von der »e´poque de Leibniz«.; Notker Hammerstein: Res publica litteraria. Ausgewählte Aufsätze zur frühneuzeitlichen Bildungs-, Wissenschafts- und Universitätsgeschichte. Hgg. von Ulrich Muhlack, Gerrit Walter Berlin 2000 (Historische Forschungen 69); Herbert Jaumann (Hg.): Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus. Wiesbaden 2001 (Wolfenbütteler Forschungen 96); Helmut Zedelmaier, Martin Mulsow (Hgg.): Die Praktiken der Gelehrsamkeit in der Frühen Neuzeit. Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 64); Martin Mulsow: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Stuttgart, Weimar 2007. Vgl. einführend Sharon Kettering: Patrons, Brokers, and Clients in SeventeenthCentury France. New York u. a. 1986, sowie Dies.: Patronage in Sixteenth- and Seventeenth-Century France. Aldershot 2002; wichtige Impulse kamen auch von Wolfgang Reinhard, so etwa Ders.: Freunde und Kreaturen. »Verflechtung« als Konzept und Erforschung historischer Führungsgruppen. In: Ders.: Ausgewählte Abhandlungen. Berlin 1997 (Historische Forschungen 60), S. 289–310; vgl. auch Roger Mettam: The French Nobility. 1600–1715. In: The European Nobilities in the Seventeenth- and Eighteenth Centuries. Hg. v. Hamish M. Scott. Bd. 1. Basingstoke u. a. 22007, S. 127–155; Ronald G. Asch: Introduction. Court and Household from the 15th to the 17th Century. In: Princes, Patronage and the Nobility. The Court at the Beginning of the Modern Age. c. 1450–1650. Hgg. v. Ronald G. Asch, Adolf M. Birke. Oxford u. a. 1991 (Studies of the German Historical Institute), S. 1–39. Klassisch vorgetragen etwa bei Paul Hazard: La crise de la conscience europe´enne. 1680–1715. Paris 1935.

19 auch der sogenannten ›zweiten Reihe‹ der zeitgenössischen Gelehrtenkultur widmen, bislang vor allem in diesem Zusammenhang gesucht. Da besonders die Präadamitenthese La Peyre`re augenscheinlich das Gewand eines verkannten Modernen verlieh, schien ihn nur die Angst vor der letzten Konsequenz von einem Darwin zu unterscheiden. Die Zweifel an La Peyre`res Rechtgläubigkeit, wie sie schon seine Zeitgenossen – selbst über alle Konfessionsgrenzen hinweg – vortrugen, nährten bis in die neueste Forschung die kollektive Plausibilität, La Peyre`re aufgrund seiner unzeitgemäßen Betrachtung über die Ursprünge der Menschheit in den Olymp der mutigen Heroen der Moderne einzuordnen. Anthony Grafton formuliert etwa in seinem Sammelband Defenders of the Text über die Veränderungen in der biblischen Exegese und allgemein in der Wissenschaft im Verlauf des 17. Jahrhunderts: Die Entwicklung sei revolutionär zu nennen, halte man sich nur vor Augen, daß der Hugenotte Joe¨l Journet noch 1582 für eben jene Ideen auf dem Scheiterhaufen endete, die nur hundert Jahre später der reformierte Denker Pierre Bayle in seinem Dictionnaire historique et critique (1697) ohne Angst um Leib und Leben habe vortragen können. »No one«, so Grafton, »did more to make this revolution happen than the little remembered French Calvinist Isaac La Peyre`re.«59 Auch La Peyre`res Toleranz gegenüber den Juden macht ihn aus dem rückwärtigen Blickwinkel der Emanzipation des europäischen Judentums zu einem ihrer Stammväter, ja lief Gefahr, den Hugenotten La Peyre`re kurzerhand zu einem Kryptojuden, wenn nicht gar zu einem der leiblichen Söhne Abrahams zu erklären, wie das etwa Popkin in Nachfolge von Strauss und Schoeps vorschlug.60 Gerade wenn man der Aufforderung von Schoeps folgend, dem Du Rappel des Juifs (1643) gründlichere Aufmerksamkeit und umfassendere Kontextualisierung zuteil werden läßt, erweist sich jedoch La Peyre`res Umgang mit Religion und seine eigene hochgradig ambige Religiosität als faszinierenderes Thema. Nicht nur erweist sich eine konfessionelle Indifferenz als relevant, die man nicht nur als säkular deuten könnte, 59

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Vgl. Anthony Grafton: Defenders of the Text (1991), S. 205. Zu Journet vgl. Franc¸ois Barriot: He´te´rodoxie religieuse et utopie politique dans les »erreurs e´tranges« de Noe¨l Journet. In: Bulletin de la Socie´te´ de l’histoire du protestantisme franc¸ais 124 (1978), S. 236–248. Vor dem Hintergrund der englischen Geschichte und ohne auf La Peyre`re Bezug zu nehmen, ist diese These jüngst wiederholt in Zweifel gezogen worden, vgl. Eliane Glaser: Judaism without Jews. Philosemitism and Christian Polemic in Early Modern England. Basingstoke u. a. 2007; Achsah Guibbory: Christian Identity, Jews, and Israel in Seventeenth-Century England. Oxford 2010; Eric Nelson: The Hebrew Republic. Jewish Sources and the Transformation of European Political Thought. Cambridge (Mass.) 2010.

20 sondern die sogar eine theologisch untermauerte Ambiguitätstoleranz offenbart.61 Die möglichen Hintergründe sind vielfältig: Wir haben es mit einem Mitglied der oft als überkonfessionell ausgewiesenen Gelehrtenrepublik zu tun. In Zeiten des Toleranzediktes von Nantes (1589–1685) war der Hugenotte La Peyre`re zudem Klient eines katholischen Patrons.62 Im Trubel um seine Präadamiten konvertierte La Peyre`re 1657 schließlich zum katholischen Glauben, und den Rappel des Juifs (1643), den er zunächst dem französischen König gewidmet hatte, addressierte er später an den Papst. Er ist, wie hier ausführlich zu diskutieren sein wird, vor dem Hintergrund zeitgenössischer kontroverstheologischer Auseinandersetzungen (die Genres und Themen gern durchdrangen und auch einmal in einer Landesbeschreibung Islands geführt werden konnten) jedoch durchaus als religiös argumentierender Bibelkritiker einzustufen. Für die Frühe Neuzeit ist dabei allgemein und vor allem bei den Protestanten die Ausweitung der theologischen Rede über den Rahmen der eigentlichen Fachdisziplin hinaus zu konstatieren. Das beginnt bereits mit dem Rechtsgelehrten und theologischen Autodidakten Jean Calvin und zeigt sich im 17. Jahrhundet etwa bei Hugo Grotius, Claude Saumaise oder eben auch bei La Peyre`re.63 Sein lebenslanges Interesse an den Juden wirft vor diesem Hintergrund verschiedene Fragen auf. Es reizt zu einer Auseinandersetzung, die seine Werke insgesamt in Betracht zieht und vor dem Hintergrund der Praktiken der Gelehrtenkultur auswertet. Gleichzeitig mit einer Auswertung der verschiedenen Stränge der internationalen Forschung soll La Peyre`res Rappel des Juifs (1643) hier aber nicht von vornherein in 61

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Zur Nutzbarmachung dieses Terminus, der aus der Psychologie stammt, für die Kulturwissenschaften vgl. die Studie von Thomas Bauer: Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islam. Berlin 2011. Einführend zu den Hugenotten vgl. Henri Dubief: Art. Hugenotten. In: TRE. Bd. 15 (1986), S. 618–629; Irene Dingel: Art. Hugenotten. In: RGG4. Bd. 3 (2000), Sp. 1925–1929; ausführlicher Jacques Sole´: Le de´bat entre protestants et catholiques franc¸ais de 1598 a` 1685. 4 Bde. Paris 1985; Michel Grandjean, Bertrand Roussel (Hgg.): Coexister dans l’intole´rance. L’e´dit de Nantes (1598). Gene`ve 1998; Keith Cameron u. a. (Hgg.): The Adventure of Religious Pluralism in Early Modern France. Oxford u. a. 2000; Keith P. Luria: Sacred Boundaries. Religious Coexistence and Conflict in Early-Modern France. Washington 2005. Vgl. etwa G.H.M. Posthumus Meyjes: Protestants irenisme in de 16de en eerste helft van de 17de eeuw. In: Nederlands theologisch tijdschrift 36 (1982), S. 205–222, 217: »De burgers van de republiek der letteren vormden een groep van sterk gelijkgestemde, internationaal georie¨nteerde, enkelingen, die doorgaans tot de regenten-, de diplomaten- of geleerdenstand behoorden. Theologen waren er slechts weinigen onder hen. Qua vorming waren het meestal juristen, classici en historici, in theologisch opzicht autodidakt.« Vgl. dazu die Arbeit von Christoph Strohm: Calvinismus und Recht. Weltanschaulich-konfessionelle Aspekte im Werk reformierter Juristen in der Frühen Neuzeit. Berlin 2008 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 42).

21 modernisierende, sondern in zeitgenössische religiöse Diskurse eingeordnet werden. Klärungsbedürftig bleibt dann weiterhin, daß La Peyre`res Rappel des Juifs (1643) auf den knapp 400 Seiten nahezu jeden Verweis auf den allgemeinen Herrschaftsdiskurs vermeidet und ausschließlich biblisch argumentiert. Zu interpretieren wäre aber vor allem die direkte Verbindung, die hier zwischen dem König von Frankreich und den Juden gezogen wird, die seit dem Spätmittelalter offiziell aus diesem Land als vertrieben galten. Es stellt sich nämlich auch die Frage, wen La Peyre`re mit den ›Juden‹ überhaupt meint, ob dieser Begriff hier die soziale Gruppe der Menschen jüdischen Glaubens bezeichnet oder im übertragenen Sinne gebraucht wird. Über eine Neubewertung der Person und des Gelehrten La Peyre`re hinaus hofft die vorliegende Arbeit so auch Befunde zur aktuellen Nuancierung unserer Annahmen über religiöse Zugehörigkeit in der Vormoderne beitragen zu können. Dazu wird hier eine mehrschichtige, sich Person und Werk allmählich nähernde Einordnung vorgenommen, die in der Forschung debattierte Thesen nacheinander behandelt. Als erster Untersuchungsschritt ist eine Einordnung der Person La Peyre`res im zeitgenössischen Wissenschaftsbetrieb vorzunehmen, die den Quellenproblemen Rechnung trägt: Die um La Peyre`re gelagerte zeitgenössische Spekulation und moderne Einschätzung wird hier zunächst zu inventarisieren sein. Dazu erfolgt eine Auseinandersetzung mit frühneuzeitlichen biographisierenden Textgattungen und seinen (meist apologetisch gefärbten) Eigenaussagen (Kapitel I). Dann erst kann eine Auseinandersetzung mit der Frage erfolgen, inwiefern La Peyre`re als libertin erscheint – wie die italienisch- und französischsprachige Forschung vor allem aufgrund seiner Prae-Adamitae (1655) annahm – und was sich in einer Kontextualisierung des Konzepts des Libertinage und wichtiger Figuren wie La Mothe Le Vayer durch eine solche Einordnung gewinnen läßt (Kapitel II). Als zweiter Untersuchungsschritt wird eine Annäherung an Du Rappel des Juifs (1643) vorgenommen, die zunächst die Patronagebeziehung zwischen La Peyre`re und dem Prinzen Conde´ ausreichend Rechnung trägt bzw. diese Patronagebeziehung insgesamt rekonstruiert. Auch die politische Situation Frankreichs bei Veröffentlichung des Rappel kurz nach dem Tod des Königs 1643 wird einzubeziehen sein (Kap. III). Ein eigenes Kapitel wäre dann La Peyre`res Beziehung zu den Juden und seinem möglichen Philosemitismus zu widmen (Kap. IV). In der Auseinandersetzung mit der deutsch- und englischsprachigen Forschung werden dabei nicht zuletzt methodische Schwierigkeiten des Rückschlusses auf ein mögliches ›Schreiben zwischen den Zeilen‹ zu erörtern sein. Erst als dritter Untersuchungsschritt erfolgt schließlich eine vertiefte Diskussion des politischen und religiösen Gehalts von Du Rappel des Juifs (1643). Zunächst wäre dabei nachzuvollziehen, wie die hervorge-

22 hobene Rolle des französischen Königs beim Rückruf der Juden aufzufassen ist und wie sich die religionspolitische Agenda der Conde´ das Spannungsfeld um die anonyme Publikation des Rappel beeinflußte. Dabei wird insbesondere der Jansenismusstreit als Hintergrund zu betrachten sein (Kapitel V). Schließlich wird sowohl auf der Basis zeitgenössischer Kritik wie La Peyre`res handschriftlich hinterlassener Aussagen zur Bibellektüre sein konfessionspolitischer Standpunkt zu behandeln sein. Insbesondere wird zu diskutieren sein, inwiefern La Peyre`re als religiöser Spiritualist in die Nähe konfessionsindifferenter Gruppen wie etwa der sogenannten Radikalen Reformation zu verorten wäre (Kapitel VI). Das hier skizzierte Vorgehen verspricht nicht nur Einzelbefunde zu der Figur La Peyre`re und seinem Rappel des Juifs (1643) zu bieten. Vielmehr werden sich darüber hinaus weitergehende Befunde für die Vielfältigkeit dieses premier XVIIe sie`cle unter den beiden Kardinalministern Richelieu und Mazarin ableiten lassen.64

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Die französische Forschung hatte für die vielschichtige Periode zwischen Heinrich IV. und Ludwig XIV. – also für dieses ›lange 17. Jahrhundert‹ von 1589–1715 – den Oberbegriff des Age classique geprägt, der mittlerweile ähnlich umstritten ist wie der Begriff des Barock in der Germanistik, vgl. etwa Hartmut Stenzel: Die französische »Klassik«. Literarische Modernisierung und absolutistischer Staat. Darmstadt 1995. Daher haben sich weitere Binnendifferenzierungen immer deutlicher herausgebildet, wie etwa der Begriff des ›ersten 17. Jahrhunderts‹. Vgl. etwa Robert Descimon, Christian Jouhaud: La France du premier XVIIe sie`cle. 1594–1661. Paris 1996.

I. Der animal fantastique Isaac de La Peyre`re »Isaac de la Peyre`re, dessen Lebensgeschichte kein Monograph beschrieben hat, ist beinahe in allen allgemeinen Biographien ganz unrichtig beurteilt worden, weil die ihm gewidmeten kurzen Artikel entweder früheren gleichartigen Wercken nachgeschrieben, oder mit vorgefaßten Meinungen abgefertigt wurden. Einem jeden dieser kurzen Berichte sieht man an, daß der Verfasser desselben, de la Peyre`re’s Schriften, namentlich seine Letztern, nicht gelesen habe.«1 So urteilte Andreas Räß in seiner Geschichte der Konvertiten nach ihrem Leben und ihren Schriften dargestellt im Jahr 1868. Jedoch wird man Räß selbst, den ultramontan gesinnten Bischof von Straßburg, kaum von dem von ihm erhobenen Vorwurf lossprechen können. Dazu gerät seine Darstellung von La Peyre`re in dieser Apologie der Katholischen Sache am Vorabend des Kulturkampfes gar zu tendenziös. Dennoch behält seine Einschätzung insoweit ihre Berechtigung, als daß in der Forschung auch noch weit über das 19. Jahrhundert hinaus nicht La Peyre`res Werk, sondern gerade seine Biographie das argumentative Schlachtfeld abgibt, auf dem die Figur La Peyre`re dem ein oder anderen Lager zugeschlagen wird. Aufgrund der prekären Quellenlage kann der Autor aber sowieso kaum hinreichend rekonstruiert werden, vielmehr zeigt er sich uns nur über die frühe Wahrnehmung vermittelt. Teils müssen wir hier mit den wenigen Eigenaussagen arbeiten, die alle Probleme von Selbstzeugnissen in sich bergen.2 Zudem sind hier vor allem die apologetischen Schriften des Autors zu benutzen, denen man, wie es Karl Enenkel jüngst im Zusammenhang von Justus Lipsius formuliert hat, eine gewisse ›autobiographische Chamäleontik‹ wird zuschreiben müssen.3 Teils ist hier auf La Peyre`re nur über Fremdzuschreibungen aus der frühneuzeitli1

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Andreas Räß: Die Convertiten seit der Reformation nach ihrem Leben und ihren Schriften dargestellt. Bd. 7. Freiburg i.Br. 1868, S. 113. Vgl. allgemein Winfried Schulze (Hg.): Ego-Dokumente. Annäherungen an den Menschen in der Geschichte. Berlin 1996 (Selbstzeugnisse der Neuzeit 2), bes. S. 11–30; sowie Benigna von Krusenstjern: Was sind Selbstzeugnisse? Begriffskritische und quellenkritische Überlegungen anhand von Beispielen aus dem 17. Jahrhundert. In: Historische Anthropologie 2 (1994), S. 462–471. Vgl. Karl A.E. Enenkel: Die Erfindung des Menschen. Die Autobiographik des frühneuzeitlichen Humanismus von Petrarca bis Lipsius. Berlin 2008, S. 777–822.

24 chen Rezeption zuzugreifen, die ebenfalls nicht frei sind von Voreingenommenheiten. Eines steht somit fest: Nicht nur sein literarisches Werk, auch die Figur La Peyre`re ist bereits ein Produkt der sogenannten Gelehrtenrepublik.4 Respublica litteraria oder ab dem frühen 17. Jahrhundert mit dem rasanten Aufstieg des neuen Wissenschaftszentrums Paris auch häufiger Re´publique des Lettres wurde dieses schwer zu fassende Konstrukt genannt, das sich auf dem Ideal von quasi Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit zu Ehren der Wissenschaften gründete und seinen Ausdruck in zahlreichen Publikationen, häufigen mündlichen Kontakten und weit verzweigten Korrespondenz- oder auch sonstigen Netzwerken fand. Neue Fragen wurden diskutiert, die Pläne der anderen verhandelt und die gedruckten Ergebnisse rezensiert und eingeordnet. Witz war ebenso gefragt wie eine solide Erudition, die jemanden als ›Bürger‹ dieses Gelehrtenstaates auswiesen.5 Schon aus diesem Grund ist es sinnvoll, die biographische Annäherung an La Peyre`re in enger Verzahnung mit dem commercium litterarium, also den spezifischen Praktiken der Re´publique des Lettres seiner Zeit zu betrachten. Da es nämlich vor allem Briefe, Anekdoten und andere ›Erinnerungen‹ der frühneuzeitlichen Gelehrten sind, die von ihnen selbst und später von den Forschern benutzt wurden, um Lebensläufe zu konstruieren, sollen hier erst einmal grundsätzliche Ausführungen zu diesen Quellengattungen stehen. Damit verbunden sind Überlegungen zum ›Sitz im Leben‹ dieser Gattungen in der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur, bevor in Unterkapitel 2 die Formung der Biographie La Peyre`res nachgezeichnet werden soll. Neben den quellenkritischen Überlegungen ist dabei besonders nach den Konstanten in der über dreihundertjährigen Rezeption zu fragen und diese am Ende des Kapitels mit der schmalen Quellenbasis nochmals abzugleichen.

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Vgl. allgemein Hans Bots: Republiek der Letteren. Ideaal en werkelijkheid. Amsterdam 1977; Ders.: Die respublica litteraria. Wunschbild der europäischen Gelehrtenwelt. In: Ueberweg. 17. Jh. Bd. 1/1 (1998), S. 31–45; Ders., Franc¸oise Waquet: La Re´publique des Lettres. Paris 1997; sowie die Arbeiten von Marc Fumaroli, etwa Ders.: Rome et Paris – capitales de la re´publique europe´enne des lettres. Hamburg 1999. Maßgebend sind hier die Arbeiten aus dem Schülerkreis um Paul Dibon und Hans Bots, die in Nimwegen an dem »Instituut voor intellectuele betrekkingen tussen de westeuropese landen in de zeventiende eeuw« entstanden sind, dessen »ingewikkelde« Benennung an der katholischen Universität in ein prägnantes »Pierre Bayle Instituut« umbenannt wurde. Allein der Name ist Programm, der die starke Achse Frankreich-Niederlande widerspiegelt.

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1. Das Geschäft mit dem Wissen - Von den Praktiken in der Re´publique des Lettres Nein – so der intime Kenner der Pariser Gelehrtenkreise Guy Patin (1601–1672) gleich zu Beginn eines Briefes nach Lyon an seinen Korrespondenzpartner Charles Spon – der Titel Du Rappel des Juifs erscheine nur auf den ersten Blick skandalös, schließlich gehe es um die Missionierung der Juden zum christlichen Glauben. In der für Patin so charakteristischen Art kommentiert er knapp La Peyre`res Werk als erbarmungswürdige, gleichwohl hübsche Kanzonen zu dieser Thematik, die freilich auch ihr Gutes hätten. Abschließend garniert Patin dieses Urteil mit einem klassischen Zitat, das er – der Kürze seines Briefes und der Kenntnis seines Empfängers geschuldet – mehr markiert als zitiert: »Sunt bona, sunt quaedam mediocria, sunt mala multa, etc.«6 Beim lateinischen Dichter Martial heißt dieses Epigramm in Gänze: »Du liest hier Gutes, reichlich Mittelmäßiges und viel Schlechtes; anders, mein lieber Avitus, wäre es kaum ein Buch geworden.« Im Anschluß läßt sich Patin kurz über seine Zeitgenossen Heinsius und Grotius aus, gibt noch ein Bonmot über Casaubon und das Paris zu Zeiten von Heinrich IV. zum besten, das er den Briefen des großen Gelehrten Scaliger entnimmt, und endet seinen Brief über die neuesten philologischen Erkenntnisse zum Zucker des Herrn Saumaise. Es ist einer dieser für einen Gelehrten seiner Zeit so typischen Briefe, die Patin über Jahre mit Spon auszutauschen pflegte, verfaßt am 26. Oktober 1643 und somit kurz nach dem Erscheinen des Rappel des Juifs, wovon Spon anscheinend auch schon in Lyon Kenntnis genommen hatte. So zumindest entnehmen wir es der ersten Publikation dieser Korrespondenz an die 75 Jahre nach den Ereignissen und dem Verfassen dieses Briefes, die 1718 in Amsterdam und Den Haag gedruckt wurde. Der Brief hielt in dieser Form abermals 1846 Einzug in die Gesamtausgabe der Briefe Patins und wurde erst 1907 von Paul Triaire kritisch herausgegeben. Triaire vermutet dabei, es müsse sich um eine Kompilation zweier Briefe handeln, und argumentiert mit einer Inkongruenz 6

Lettres de Gui Patin (1630–1672). Nouvelle e´dition collationne´e sur les manuscripts autographes, publie´e avec l’addition des lettres ine´dites, la restauration des textes retranche´s ou alte´re´s, et des notes biographiques, bibliographiques, et historiques. Hg. v. Paul Triaire. 1 Bd. Paris 1907, Nr. XCVII, S. 335: »Monsieur, Le titre du livre intitule´: ›Du rappel des Juifs‹, qui vous semble scandaleux, n’est pas ce que vous pensez; il entend par la` le rappel des Juifs a` l’Eglise, etc; et y conte de fort belles chansons, qui vous feront pitie´ quand vous les verrez. Il y a ne´anmoins aussi quelque chose de bon. Sunt bona, sunt quaedam mediocria, sunt mala multa, etc.« Vgl. Markus V. Martialis: Epigrammata. Hg. von Paul Barie´. Bd. 1. Düsseldorf u. a. 2002 (Sammlung Tusculum), S. 16: »Sunt bona, sunt quaedam mediocria, sunt mala plura, / quae legis hic. Aliter non fit, Avite, liber.«

26 im Text, die kaum Zweifel am Eingreifen der frühneuzeitlichen Herausgeber zulasse.7 Dieses kleine, mehr philologische Detail ist an sich schon fast wieder ein zur Anekdote geronnener Kristallisationspunkt dessen, was wissenschaftliche Aktivität in der Frühen Neuzeit bedeuten konnte, und zugleich davon, wie bis in die heutige Forschung mit diesen Quellen verfahren wurde. 1.1. Korrespondenzen Für die Erforschung der Gelehrtenrepublik in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind die zahlreichen Korrespondenzen kaum zu überschätzen, die entweder als Manuskripte, als Centuriae oder in anderen frühneuzeitlichen Editionen bis hin zu modernen kritischen Ausgaben auf uns gekommen sind.8 Neben den Werken der Gelehrten stellen gerade die Briefe das Kommunikationsmedium dar, mit dem sich die Mitglieder über alle räumlichen und geistigen Grenzen hinweg austauschten und diese evozierte Republik erst entstehen ließen.9 Mit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts treten noch die gelehrten Zeitschriften hinzu, die als Informations- und Rezensionsort Einblicke in den Diskurs und die Praktiken der Gelehrten gewähren.10 Diese Zeitschriften stellen jedoch nur eine Ergänzung zu den Korrespondenzen dar, was besonders 7

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Patin an Spon vom 26. Oktober 1643. In: Nouvelles Lettres de feu M. Gui Patin. Bd. 1 (1718), S. 36–39; Lettres de Gui Patin (Reveille´-Parise). Bd. 1 (1846). Nr. CLXX, S. 299–301; Lettres de Gui Patin (Triaire). Bd. 1 (1907). Nr. XCVII, S. 335. Triaire bemerkt dazu: »Lettre e´crite en deux reprises et probablement remanie´e par les pre´ce´dents e´diteurs. Les deux passages relatifs au ›pulvis nabathinus‹ ne laissent aucun doute a` ce sujet.« Vgl. allgemein Hans Bots, Franc¸oise Waquet (Hgg.): Commercium litterarium. La Communication dans la Re´publique des Lettres. 1600–1750. Amstersam, Maarsen (SIB 25); T. van Houdt u.a (Hgg.): Self-presentation and social identification. The rhetoric and pragmatics of letter writing in early modern times. Louvain 2002 (Supplementa humanistica lovaniensia 18); Christiane Berkvens-Stevelinck u. a. ´ tudes de (Hgg.): Les grands interme´diaires culturels de la Re´publique des Lettres. E re´seaux de correspondances du XVIe au XVIIIe sie`cles. Paris 2005 (Les dix-huitie`mes sie`cles 91); Francisco Bethencourt, Florike Egmond (Hgg.): Cultural Exchange in Early Modern Europe III. Correspondence and Cultural Exchange in Europe 1400–1700. Cambridge 2007. Es sei auch verwiesen auf die Sondernummern über: Les correspondances. Leur importance pour l’histoirien des sciences et de la philosophie. In: Revue de Synthe`se 81–82 (1976); La lettre au XVIIe sie`cle. In: Revue d’histoire litte´raire de la France 78, Nr. 6 (1978); sowie auf Les correspondances franco-etrange`res au XVIIe sie`cle. In: XVIIe sie`cle 45/1 (1993). Vgl. u. a. Franz Mauelshagen: Netzwerke des Vertrauens. Gelehrtenkorrespondenzen und wissenschaftlicher Austausch in der Frühen Neuzeit. In: Vertrauen. Historische Annäherungen. Hg. v. Ute Frevert. Göttingen 2003, S. 119–151. Vgl. Martin Gierl: Korrespondenzen, Disputationen, Zeitschriften. Wissensorganisation und die Entwicklung der gelehrten Medienrepublik zwischen 1670 und 1730. In: Macht des Wissens. Die Entstehung der modernen Wissensgesellschaft. Hgg. v. Richard van Dülmen, Sina Rauschenbach. Köln u. a. 2004, S. 417–438.

27 eindrücklich daran deutlich wird, daß auch noch in diesen Zeitschriften Briefe veröffentlicht wurden.11 Paul Dibon hat deshalb sehr zu Recht für das 17. Jahrhundert von dem »sie`cle d’or des correspondances« gesprochen.12 Ähnlich groß wie die Relevanz der gelehrten Briefwechsel ist jedoch auch deren quellenkritische Problematik. Gelehrtenkorrespondenzen orientierten sich an dem genus familiare und stellen sich literarisch in die bereits antike Tradition der amicorum colloquia absentium.13 Briefe scheinen also in erster Linie eine Art von schriftlicher Unterhaltung zwischen zwei räumlich voneinander entfernter Personen zu sein. Diese Fiktion einer Angelegenheit von nur zwei Personen wird jedoch bereits dadurch gebrochen, daß die Korrespondenzen selbst von dem großen Interesse zeugen, das an den Briefen anderer bestand. Aus den Briefen dritter wurde zitiert, Extraits wurden erstellt, und auch ganze Briefabschriften kursierten wohl in ähnlichem Maße wie Manuskripte (noch) nicht veröffentlichter Werke. Ein explizites Verbot zur Weitergabe zeigt das ebenso wie der explizite Auftrag, einen Brief zu verfassen, um dessen Inhalt dann anderen kommunizieren zu können. Man wird daher fast paradoxal formulieren können: Erst mit der Publikation eines Briefes, wie es in den Briefsammlungen seit dem 16. Jahrhundert immer beliebter wurde, ist die Frage nach seiner Verbreitung eindeutiger zu ermessen.14 Denn nach ihrer Publikation darf man vermuten, daß – gerade in Zentren wie Paris – die Briefe für andere Gelehrte allgemein zugänglich und bekannt waren. Solche Briefsammlungen kamen unter unterschiedlichen Bedingungen zustande. So sehr sich etwa Grotius (1583–1645) sein Leben lang geweigert haben soll, eine Auswahl seiner Briefe zu edieren, gab Richard 11

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Vgl. Franc¸oise Waquet: De la lettre e´rudite au pe´riodique savant: les faux semblants d’une mutation intellectuelle. In: XVIIe sie`cle 35 (1983), S. 347–359. Vgl. Paul Dibon: Les e´changes e´pistolaires dans l’Europe savante du XVIIe sie`cle. In: Revue de synthe`se 81–82 (1976), S. 31–50. Die deutschsprachige Forschung ist eher geneigt, dieses Epitheton dem 18. Jahrhundert zuzusprechen. Überhaupt ist Kritik an der Bedeutung der Korrespondenzen etwa von Herbert Jaumann geäußert worden, vgl. Ders.: Gibt es eine katholische Respublica literaria? In: Kaspar Schoppe (1576–1649). Philologe im Dienste der Gegenreformation. Hg. v. Herbert Jaumann. Frankfurt a.M. 1998 (Zeitsprünge 2), S. 361–379, bes. 372f. Zur Ausbildung dieser Gattung: Marc Fumaroli: Gene`se de l’e´pistolographie classique: rhe´torique humaniste de la lettre, de Pe´trarque a` Juste Lipse. In: Revue d’histoire litte´raire de la France 78 (1978), S. 886–900. Vgl. H.J.M. Nellen: La Correspondance savante au XVIIe sie`cle. In: XVIIe sie`cle 45 (1993), S. 87–98. Alle quantifizierenden Analysen sind schon auf dieser Ebene mit größter Vorsicht zu betrachten. Ste´phane Haffemeyer hat beispielsweise für Ismae¨l Bouillau eine solche Analyse vorgelegt: Ders.: Espaces et re´seaux de l’information politique autour d’Ismae¨l Bouillau au XVIIe sie`cle. In: Re´seaux de correspondance a` l’aˆge classique (XVIe–XVIIIe sie`cle). Hgg. v. Pierre-Yves Beaurepaire u. a. Saint-E´tienne 2006, S. 59–66.

28 Simon (1638–1712) hingegen noch zu Lebzeiten Lettres choisies heraus.15 In der Regel erfolgte die Publikation aber erst posthum. Bereits im 17. Jahrhundert versuchten Editionen zudem, einem weiteren Mangel abzuhelfen. Während einige Briefe zum Teil verschlüsselt und nicht zuletzt auch als Vorsichtsmaßnahme in einer nicht allen verständlichen Sprache verfaßt wurden, präsentierten die gedruckten Briefsammlungen sie kurzerhand in der lingua franca: also auf Latein.16 Es bleibt bemerkenswert, wie durch eine Publikation zwar die Fiktion des ›privaten‹ Zweipersonenrahmens aufgehoben, aber dennoch diese Fiktion eigentümlicherweise nicht entlarvt wurde. Vielmehr konnte sie selbst über recht starke redaktionelle Eingriffe hinweg weiter fortgeschrieben werden. Neben den Centuriae und weiteren frühneuzeitlichen Briefeditionen entstanden mit dem 19. Jahrhundert vermehrt die großen systematischen Editionen bekannter Gelehrter, die jedoch noch ein geringes historisch-kritisches Bewußtsein erkennen lassen.17 Das läßt sich besonders gut zeigen am Beispiel des genannten Guy Patin: So druckt die 1846 von Reveille´-Parise veranstaltete Briefedition in der Regel die Version des Briefes, wie sie schon die frühneuzeitlichen Briefsammlungen boten, die zwischen 1683 und 1725 so zahlreich erschienen waren.18 Nur für die ergänzten Briefe bezog sich Reveille´-Parise auf die Manuskripte. Seine Leistung besteht in der Zusammenführung und Neuordnung der vier großen Briefsammlungen der Briefe Patins.19 Erst Triaire ging dann 1907 dazu über, eine Neuedition nach den Manuskripten zu besorgen. Im Apparat nennt er zudem die Editionen, in denen der entsprechende Brief ebenfalls zu finden ist.20 Nur in den Fällen, wo sich kein Autograph erhalten hat, beläßt er die bereits edierte Fassung. Diesen ehrgeizigen Plan konnte Triaire für die Briefe bis 1649 15

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Zu Grotius vgl. Nellen: La Correspondance savante (1993), S. 95; zu Simon s. Lettres choisies de Mr Simon, ou` l’on trouve un grand nombre de faits anecdotes de Literature. Nouvelle e´dition. 4 Bde. Rotterdam 1704. Vgl. Franc¸oise Waquet: Les e´ditions de correspondances savantes et les ide´aux de la Re´publique des Lettres. In: XVIIe sie`cle 45 (1993), S. 99–118, bes. 101. Sie nennt verschiedene Beispiele, wo Briefe für die Edition ins Lateinische übertragen wurden. ´ ditions de correspondances aux XIXe et XXe sie`cles, me´thodes et Vgl. Hans Bots: E strate´gies. In: XVIIe sie`cle 45 (1993), S. 119–129. Vgl. ein Stemma der unterschiedlichen Drucke. In: Lettres de Gui Patin (Triaire). Bd. 1 (1907), S. XV–XVIII. Lettres de Gui Patin. Nouvelle e´dition augmente´e de lettres ine´dites, pre´cede´e d’une notice biographiques et litte´raires. Hg. v. J.-H. Reveille´-Parise. 3 Bde. Paris 1846. So erfreulich es ist, daß diese Edition auch auf dem Internetserver ›Gallica‹ zu finden ist, umso ärgerlicher ist es, daß bei der typographischen Abschrift des Bandes der kritische Apparat weggefallen ist.

29 verfolgen.21 Laure Jestaz ist jüngst mit einem Folgeprojekt hervorgetreten, in dem sie zumindest die zahlreichen Briefe Patins an Charles Spon aus den Jahren der Fronde bis Anfang 1655 vorlegt.22 Sie hat dabei nur diejenigen Briefe berücksichtigt, für die wir noch Autographe besitzen. Einen Vergleich mit der Version, wie sie vor ihrer Neuedition nicht nur der heutigen Sekundärliteratur, sondern vor allem auch den Zeitgenossen in Form der gedruckten Briefsammlungen vorlag, bleibt sie schuldig. Selbst hinter die hilfreiche Vorarbeit, zumindest die älteren Editionen zu benennen, wie es Triaire in seiner Ausgabe bietet, fällt sie somit zurück. Briefsammlungen haben nicht nur durch ihre Auswahl und Anordnung der Briefe die Rezeption entscheidend gesteuert. Die Briefe sind für die Edition auch stilistisch und inhaltlich überarbeitet worden. Gerade auch an den Briefen von Patin läßt sich das gut zeigen: Patin schrieb etwa am 28. März 1643 an Spon, ebenso Arzt wie Patin, und mokierte sich darüber, Grotius leide an einer »plaisante maladie«. Grotius’ ›hübsche Krankheit‹ bestehe in der irrigen Annahme, die zwei Konfessionen in Frankreich wiedervereinen zu können.23 Die frühneuzeitlichen Herausgeber kürzten daraufhin einige verfängliche Abschnitte etwa aus Gründen der Pietät24 – so auch in diesem Fall: Zwar wollte man sich dieses Bonmot über Grotius für die Edition anscheinend nicht entgegen lassen. Im Manuskript dieses Briefes, wie wir ihn in der Pariser Nationalbibliothek finden, bietet Patin jedoch im Anschluß noch eine pikante Begründung für das Mißlingen eines solchen Plans: Der Katholik Patin sieht die Reunionsversuche der Konfessionen durch den Primatsanspruch des Papstes gefährdet sowie durch die liebgewonnenen Privilegien des Klerus.25 21

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Diese Ausgabe war als mehrbändige Edition geplant gewesen. Einen weiteren Band konnte Triaire nicht mehr vorlegen. Les Lettres de Guy Patin a` Charles Spon, janvier 1649 – fe´vrier 1655. Hg. v. Laure Jestaz. 2 Bde. Paris 2006 (Bibliothe`que des correspondances, me´moires et journaux 21). Der Brief erschien erstmals 1718 und wurde von Reveille´-Parise 1846 in dieser gekürzten Version publiziert: Lettres de Gui Patin (Reveille´-Parise). Bd. 1. Nr. CLXIII, S. 278–281. Lettres de Gui Patin (Triaire). Bd. 1 (1907). Nr. LXXXI, S. 271–277, bietet die am Manuskript orientierte Langfassung, die sich nicht nur in diesem Detail stark von der Kurzfassung unterscheidet. Immer noch sehr hilfreich Bots: Republiek der Letteren (1977). Seine Schüler zeichnen hingegen ein optimistischeres Bild, vgl. De brief in de vroegmoderne tijd. In: Papieren betrekkingen. Zeventwintig brieven uit de vroegmoderne tijd (FS Hans Bots). Hgg. v. Paul G. Hoftijzer u. a. Nijmegen 2005, S. 9–20, bes. 15f. Paris, BnF, Fonds fr. 9357, fol. 4. Patin an Spon vom 28. März 1643. Ediert in: Lettres de Gui Patin (Triaire). Bd. 1 (1907). Nr. LXXXI, S. 276: »Ce Grotius est malade d’une plaisante maladie. Il pre´tend avoir des moyens d’accorder les deux religions contraires qui sont en France; mais cela est impossible: ante gryphaei jungentur equis, etc. Jamais le pape ne se [de´pouillera] de sa puissance et les moynes

30 Bereits die Zeitgenossen benennen diese Problematik. Sie wissen sehr wohl um die Sprengkraft solcher Briefe. Die Rezension in den Nouvelles de la Re´publique des Lettres zu der Neuausgabe von Patins Briefen von 1718, die auch diesen Brief aus dem Nachlaß von Spon bot, stellt dazu fast enerviert fest: »La manie`re d’e´crire de Patin est connue de tout le monde«. Selbst Spons Sohn, der als Hugenotte im Zusammenhang mit der Aufhebung des Toleranzediktes von Nantes (1685) in die Niederlande geflohen war, habe sich zu Lebzeiten nicht getraut, die Briefe Patins zu publizieren, derart kritisch seien Patins Ausführungen über Kirche und Staat gewesen: »D’autres ont e´te´ choquez de la liberte´ avec laquelle il parle de Gouvernement de l’Etat & de l’Eglise & meˆme de la Religion.«26 Die Nouvelles de la Re´publique des Lettres – Pendant zu dem Pariser Journals des Sc¸avans und Sprachrohr der hugenottischen Refugie´s in den Nördlichen Niederlanden – stellen hier interessanterweise einen direkten Konnex her zwischen der Vertreibung der Hugenotten und der Veröffentlichung der Briefe Patins außerhalb Frankreichs.27 Indem sie sich also nachträglich von den Herausgebern für aktuelle Religionsbelange und tagespolitische Angelegenheiten instrumentalisieren ließen, deutet sich bereits an, welcher Nutzen solchen Briefsammlungen losgelöst von ihrem ursprünglichen Rahmen zufallen konnte. Es blieb allerdings nicht nur bei Streichungen. Für die Edition wurden ebenso das ein oder andere Bonmot geschärft, eine schlüpfrige Zusatzinformation in einer Anmerkung geboten und überhaupt der Erzählfluß gestrafft. Ganze Kontexte wurden sogar derart umgestaltet, daß der Vergleich mit den Autographen teilweise zu völlig neuen Kontextualisierungen und Bewertungen führt. Das ist besonders eklatant in einem Brief, in dem Patin auf La Peyre`re zu sprechen kommt.28 Zwar ist

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ne quitteront jamais l’article du purgatoire, qui leur a tant apporte´ de commoditez; c’est pourquoy cet accord pre´tendu doibt estre re´pute´ chime´rique.« Nouvelles de la Re´publique des Lettres (Mars & Avril 1718), S. 265f: »Tout cela e´toit venu du Cabinet de Mr. Charles Spon, Me´decin a` Lion, de la Religion Reforme´e, a` qui elles avoient e´crites, Cependent en voici encore deux volumes, que feu Mr. Jaques Spon, fils du pre´cedent, avoit apparemment fait difficulte´ de publier, parce que l’Ami de son Pere y parloit avec force, sur tout des Ecclesiastiques & de Moines [...]. La manie`re de Patin est connue de tout le monde. Il disoit a` son Ami dans ses Lettres, tout ce qu’il lui auroit pu dire a` l’oreille; sans craindre qu’elles ne tombassent en maivaises mains. [...] il ne s’agit que des pense´es d’un particulier, qu’il n’a jamais jette´es sur le papier, dans le dessein de les publier.« Vgl. dazu Peter Burke: Papier und Marktgeschrei. Die Geburt der Wissensgesellschaft. Berlin 2002, S. 41 u. 192; ausführlicher Hubert Bost: Un »intellectuel« avant la lettre: le journaliste Pierre Bayle (1647–1706). L’actualite´ religieuse dans les Nouvelles de la Re´publique des Lettres (1684–1687). Amsterdam, Maarssen 1994 (SIB 23). Vgl. dazu den Brief von Patin an Spon vom 18. November 1656, der erstmals in der Amsterdamer Ausgabe von 1718 als Nr. 117 abgedruckt wurde: ebd. Bd. 2, S. 208–210. In dieser Fassung findet er sich auch bei Reveille´-Parise (Bd. 2.

31 der Abschnitt über La Peyre`re als solcher sogar wortwörtlich derselbe, doch ist der Tonfall in der Druckversion von 1718 insgesamt forscher. Die Druckversion ist viel stärker durchkomponiert und kommt damit Patins angeblich ›aller Welt bekannten Art zu schreiben‹ näher. Die Causa La Peyre`re wird hier dadurch neu und anders akzentuiert, daß der Brief mit der Anekdote über La Peyre`re endet. Im Autograph hingegen findet sie sich in der Mitte und wird durch andere Geschichtchen stärker ›neutralisiert‹. Überhaupt bietet die Ausgabe von 1718 allein sechs Briefe Patins, die über La Peyre`re urteilen, zum ersten Mal. In der Rezension in den Nouvelles de la Re´publique des Lettres zu dieser neuen Ausgabe hielt man es deshalb auch für geboten, diese Briefe über La Peyre`re eigens hervorzuheben.29 Quellenkritisch müssen Briefe allerdings immer als eine Art Palimpsest gelten. Zwar ist ein Brief eine abgeschlossene literarische Einheit, im besten Fall vielleicht vergleichbar mit einem Einzelkapitel eines größeren Werks. Eine umfassende Kontextualisierung würde jedoch erst mittels des vollständigen Briefwechsels möglich, den wir in der Regel nicht mehr haben. Auch nur in wenigen Ausnahmen besitzen wir mittlerweile Korrespondenzinventare der Gelehrten, die einen Überblick über die uns noch vorliegenden Quellen bieten.30 Anders als die frühneuzeitlichen Briefsammlungen, die nur die Briefe abdrucken, die der Gelehrte selbst schrieb, machen sich die neueren Editionen zur Aufgabe, auch die Briefe an diesen Gelehrten mitzuedieren.31 Ein besonders glücklicher Fall ist die Edition des Briefwechsels zwischen den Hugenotten Andre´ Rivet und Claude Sarrau, die über neun Jahre (1641–1650) an die

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Nr. CCXCII, S. 263) und in der Briefanthologie La France au millieu du XVIIe sie`cle (1648–1661). Hg. v. Armand Brette. Paris 1901, S. 195. Ein Manuskript findet sich in der BnF, fonds fr. 9357. Dieses ist neu ediert in dem Band Libertins du XVIIe sie`cle. Hg. v. Jacques Pre´vot. Paris 2004. Bd. 2, S. 486–488. Der kritische Apparat wie der Kommentar von Pre´vot und Jestaz machen auf die eklatanten Unterschiede zwischen dem Autograph und der Version für den Druck von 1718 leider nicht aufmerksam, allein das Datum wird korrigiert in 28. November 1656. Vgl. Nouvelles de la Re´publique des Lettres (Mars & Avril 1718), S. 264–287, bes. 272f., wo ein längeres Briefzitat eingeleitet wird: »Dans la Lettre X. en parlant d’un Livre au Rappel des Juifs, qu’on attribuoit a` la Peirere«. Beispielhaft seien die Inventare zu Pierre Bayle und Andre´ Rivet genannt: Elisabeth Labrousse: Inventaire critique de la correspondance de Pierre Bayle. Paris 1961; Paul Dibon: Inventaire de la correspondance d’Andre´ Rivet (1595–1650). La Haye 1971 (Archives internationales d’histoire des ide´es 43). Ein Inventar etwa zu Patin bleibt ein Forschungsdesiderat. Es sei verwiesen etwa auf die Editionen der Briefwechsel von Hugo Grotius, Marin Mersenne oder aber Constantijn Huygens. Vgl. dazu H.J.M. Nellen: Editing 17thcentury Scholarly Correspondence: Grotius, Huygens and Mersenne. In: Lias 17 (1990), S. 9–20; ausführlicher die entsprechenden Kapitel in: Berkvens-Stevelinck u. a. (Hgg.): Les grands interme´diaires (2005).

32 fünfhundert Briefe zwischen Den Haag und Paris austauschten.32 Hier läßt sich nicht nur erahnen, in welcher Fülle und Schnelligkeit der Austausch in der Gelehrtenrepublik gepflegt wurde. Die Kontextualisierung der behandelten Themen fällt in diesem speziellen Fall schon deshalb leichter, weil sich deutlicher beobachten läßt, welche Themenstränge bereits in vorangegangenen Briefen angeschnitten waren, welche Fragen der Gegenseite etwa unbeantwortet blieben, aber auch welche vermeintlichen Antworten sich womöglich als ungefragt entpuppen. Die Analyse solcher Sequenzen in der Korrespondenz läßt nähere Rückschlüsse auf die Kommunikationspraktiken zwischen den Gelehrten wie auf die Wege der Wissensdiffusion innerhalb der Gelehrtenrepublik zu. Ohne die fehlenden ›Puzzle-Stücke‹ innerhalb eines Korrespondenznetzes bleibt einem meist nicht viel mehr, als e silentio argumentieren zu können. Doch auch ohne den Faktor Quellenverlust gäbe es schon aus Gründen der literarischen Gattung Vorbehalte, da Briefe per se stärker als andere Werke Anspielungen und Verkürzungen aufweisen, die dem bereits angesprochenen eingeschränkten ›privateren‹ Charakter dieser schriftlichen Unterhaltung geschuldet sind. Das gilt zwar für die Werke des 17. Jahrhunderts grundsätzlich in ähnlicher Weise, weil sie in der Regel für den recht kleinen illustren Kreis der Gelehrten verfaßt wurden. Was jedoch die Korrespondenzen gerade wegen ihrer ›Privatheit‹ über die gedruckten Werke hinaus auszuzeichnen scheint, ist ihre vermeintliche Authentizität. Anders als die Werke hätten sie weniger den Gesetzen der Zensur gehorchen müssen, da in ihnen, ähnlich wie in der großen Anzahl von clandestinen Veröffentlichungen und kursierenden Manuskripten, eine Offenheit des Ausdrucks möglich gewesen sei. Hier habe der Autor ohne größere Vorsichtsmaßnahmen auf die sonst angewandte Form der Dissimulation verzichten und die vielbeschworene Maske ablegen können und tue ganz offen seine ›wirkliche‹ Meinung kund. Diese Einschätzung läßt sich bereits bei den Zeitgenossen finden. So stellt auch die Besprechung der Briefsammlung von 1718 ausdrücklich fest, Patin habe hier ohne Rücksicht geschrieben: »Il disoit a` son Ami dans ses Lettres, tout ce qu’il lui auroit pu dire a` l’oreille; sans craindre qu’elles ne tombassent en mauvaises mains.«33 Man wird einerseits festhalten können, daß das Medium Brief in einzigartiger Weise die Gelehrtenrepublik erst entstehen ließ. Andererseits wird man jedoch kritisch einwenden müssen, daß die weit verbreitete Vorstellung unter den Gelehrten, daß Briefe ›wahre‹ Freundschaft 32

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Correspondance inte´grale d’Andre´ Rivet et de Claude Sarrau 1641–1650. Hgg. v. Hans Bots, Pierre Leroy. 3 Bde. Amsterdam 1978–1982. Nouvelles de la Re´publique des Lettres (Mars & Avril 1718), S. 266.

33 und Aufrichtigkeit der Gedanken widerspiegelten, doch nicht mehr als eine Konsensfassade gewesen sein kann.34 Diese Authentizitätsfiktion war es auch, die den einmaligen Aufstieg der Korrespondenzen und ihrer Wertschätzung ebnete. Bereits von den Zeitzeugen wurde durchaus auch eine Art Quellenkritik des ›Ego-Dokuments‹ Brief betrieben. Pierre Bayle (1647–1706) etwa zeigt sich skeptisch. Er rezensiert 1684 die erste gedruckte Briefsammlung Patins für die Nouvelles de la Re´publique des Lettres und beginnt seine Ausführungen nicht von ungefähr mit einer allgemeinen Erörterung über die Glaubhaftigkeit von Briefen. Auch Bayle sieht einen qualitativen Unterschied in Sachen Authentizität zwischen den Briefen und den sonstigen Werken eines Autors. Briefe seien glaubwürdiger als die übrigen Werke, doch stellt er einschränkend für die Korrespondenzen fest: »on n’e´crit pas aux gens tout ce que l’on pense«. Als Beispiel führt Bayle die konfessionellen Grenzen an, die einen Pater an einen Katholiken anders schreiben ließen als an einen Protestanten. Es reiche auch nicht aus, wolle man die von reformierter Seite gegen den anglikanischen Bischof Laud vorgebrachten Vorwürfe bewerten, nur dessen an Hugenotten gerichteten Briefe zu befragen.35 Bayle kommt deshalb in bezug auf den Quellenwert von Korrespondenzen zu dem Schluß: »En un mot les lettres d’un homme ne sont pas de bon te´moins de ses pense´es.«36 Es mag umso erstaunlicher anmuten, daß Bayle bereits im nächsten Satz dieses Urteil wiederum dahingehend einschränkt, im Falle von Patin verhalte es sich anders.37 Gerade auch Bayle profitierte von der Au34

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Vgl. allgemein Wolfgang G. Müller: Der Brief als Spiegel der Seele. Zur Geschichte eines Topos der Epistolartheorie von der Antike bis zu Samuel Richardson. In: Antike und Abendland 26 (1980), S. 138–157; Judith Rice Henderson: Humanist Letter Writing: Private Conversation or Public Forum? In: Self-presentation and social identification. The rhetoric and pragmatics of letter writing in early modern times. Hgg. v. T. van Houdt. Louvain 2002 (Supplementa humanistica lovaniensia 18), S. 17–38. Nouvelles de la Re´publique des Lettres (Avril 1684), S. 107f: »Le P. Paul n’e´crivoit pas du meˆme style aux Protestans, & aux bons Catholiques Romains, & si j’avois a` justifier l’Archeveˆque de Cantorberi, Guillaume Laud, de l’accusation qui lui a e´te´ intente´e d’avoir voulu abolir la Religion Anglicane, je ne me servirois pas des lettres qu’il e´crivoit aux bons Hugenots«. Nouvelles de la Re´publique des Lettres (Avril 1684), S. 107–128, 107f.: »Les Lettres qu’il [sc. un Auteur] e´crit par toute la terre, ne sont pas exemptes de cette dissimulation; il est bien vray qu’elles sont une plus fidele image de son coeur & de son genie, que les livres qu’il fait imprimer, mais apre´s tout, on n’ecrit pas aux gens tout ce que l’on pense, on aurait trop de honte de se montrer a` eux, tel qu’on est, & trop de peur de se faire des ennemis pas son inge´nuite´.« Vgl. auch Maarten Ultee: The Republic of Letters: Learned Correspondance, 1680–1720. In: Seventeenth Century 2 (1987), S. 95–112. Vgl. Nouvelles de la Re´publique des Lettres (Avril 1684), S. 108: »Mais il faut excepter de cette regle celles de M. Patin. Pour celles-la` on les garantit purge´es d’hypocrisie. L’Auteur s’y peint de naturel, & c’est ce qui en rend la lecture plus agreable.«

34 thentizitätszuschreibung der Korrespondenzen und bediente sich häufig der Briefe Patins als Argument in den Anmerkungen seines Dictionnaire historique et critique – so auch in seinem Artikel über La Peyre`re, wie wir noch sehen werden.38 Noch erstaunter muß man aber feststellen, daß sich diese unkritische Wertschätzung der Briefe bis in die heutige Historiographie erhalten konnte, wo etwa Jacques Pre´vot ›wahre Briefe‹ im Werk Patins auszumachen weiß.39 1.2. Ana-Literatur Den Wunsch nach ›authentischen‹ Informationen versuchte die Gelehrtenrepublik nicht nur durch die bereits genannten Publikationen zu befriedigen. Neben die Briefeditionen und die Werkausgaben tritt eine weitere Gattung, die sich besonders großer Beliebtheit erfreute: die sogenannte Ana-Literatur.40 In lockerer, fast spielerisch aphoristischer Form wurden dafür Anekdoten aus dem Leben eines Gelehrten versammelt. Angefangen mit den Scaligeriana, die rund fünfzig Jahre nach dem Tod von Joseph Scaliger (1540–1609) erstmals 1666 gedruckt vorlagen, erschienen in der Folgezeit eine große Anzahl solcher Florilegiensammlungen, darunter etwa auch die Menagiana und die Patiniana, in denen Reflexe auf La Peyre`re zu finden sind. Man wird aber auch etwa die Me´langes d’histoire et de litte´rature, die unter dem Pseudonym VigneulMarville erschienen, zu dieser Gattung rechnen können.41 Einen frühen Überblick über das breite Feld der Ana-Literatur bietet der Deutsche Johann Christoph Wolf 1710 in seinem Vorwort zu den von ihm besorgten Casauboniana.42

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Vgl. H.H.M. van Lieshout: The Making of Pierre Bayle’s Dictionaire historique et critique with a CD-Rom containing the Dictionaire’s library and references between articles. Amsterdam, Utrecht 2001 (SIB 30). Vgl. die Einleitung von Pre´vot zu den Briefen von Patin: Libertins du XVIIe sie`cle. Bd. 2 (2004), S. 1556: »Cela tient e´videmment d’abord a` ce que nous avons affaire a` de vraies lettres, qui n’ont pas e´te´ e´crites dans la pense´e d’une publication, et ou` l’e´pistolier ne se regarde jamais de sa spontane´ite´. [...] Une vraie lettre, d’ami a` l’autre, e´pouse sans fac¸on les vivacite´s d’e´sprit, elle reproduit la vie inte´rieure dans sa nature la plus e´phe´me`re. [...] Nous avons une chance singulie`re de pouvoir lire aujourd’hui des textes qui sont les plus fide`les te´moignages de l’e´sprit d’un homme de cette e´poque.« Vgl. allgemein Francine Wild: Naissance du genre des Ana (1574–1712). Paris 2001 (Etudes et essais sur la Renaissance 29); Bernard Beugnot: Forme et histoire: le statut des ana. In: Me´langes offerts a` Georges Couton. Lyon 1981, S. 85–101. Vigneul-Marville [Bonaventure d’Argonne]: Me´langes d’histoire et de litte´rature. 2. Aufl., Bd. 1. Rouen 1700; dort zu La Peyre`re, S. 144. Casauboniana, sive Isaaci Casauboni varia de scriptoribus librisque judicia. Hamburg 1710; ediert und ins Französische übertragen in: Wild: Naissance du genre des Ana (2001), S. 635–700.

35 Im Fall von Guy Patin wird man neben den Patiniana auch eine Sammlung mit dem sprechenden Titel L’Esprit de Guy Patin nennen können. Das Vorwort an den Leser faßt den Selbstanspruch dieser Publikation wie folgt zusammen: »Les choses dont il est compose´ sont toutes du ge´nie de l’illustre M. Patin: il y en a plusieurs que l’on a tire´es de ses lettres, dont chacun connaıˆt le me´rite, il y en a beaucoup qui lui sont e´chappe´es dans la conversation; et que ses amis, justes admirateurs de sa vivicacite´ et de son propre savoir, ont ramasse´es avec exactitude. Celui de qui je les tiens a eues par une aventure si heureuse qu’il semble que le hasard e´tait d’intelligence avec le ge´nie du monde savant pour rendre commun a` la Re´publique des Lettres un tre´sor qu’ils pre´tendaient ne devoir enrichir que leur cabinet.«43 Diese Florilegiensammlungen der Gelehrten verstehen sich also als der Versuch, durch die kurzen anspielungsreichen Anekdoten dem Denken des Gelehrten näher zu kommen. Zu diesem Zweck wird ein Extrakt aus Gesprächen, scharfsinnigen Bemerkungen und Briefpassagen in eine neue Wissensordnung gebracht. Register führen den Leser durch das scheinbare Durcheinander, wobei diese Bonmotssammlungen zum Teil alphabetisch nach den genannten Personen geordnet sind. Noch direkter als in den brieflichen ›Gesprächen getrennter Freunde‹ bilden die Ana die große Kultur der Mündlichkeit in der Gelehrtenrepublik ab, wenn auch in stark literarisierter Form. Francine Wild hat in ihrer Studie die großen Überarbeitungen aufgezeigt, die solche Bonmotssammlungen für die Publikation durchlaufen haben, weshalb sich die evozierten Gesprächsfetzen einer genaueren Kontextualisierung entziehen.44 Ähnlich wie die frühneuzeitlichen Briefeditionen, die auch nicht ganze Briefwechsel, sondern nur die Briefe eines Gelehrten mit dem Ziel publizierten, dessen Verwobenheit mit möglichst bedeutenden Gelehrten zu dokumentieren und seine große wissenschaftliche Potenz und seine scharfsinnigen Urteile über andere zu präsentieren, geht es bei den Ana in noch konzentrierterer Form um diese Funktion der schnelleren Erschließung des Werks eines Gelehrten. So heißt es zu L’Esprit de Guy Patin im Journal des sc¸avans: »un Recueil des plus belles pense´es de ce Sc¸avant, pour la commodite´ de ceux qui ne peuvent point donner beaucoup de temps a` la lecture.«45 Es deutet sich hier schon eine Akzentver43

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Le libraire au lecteur. In: L’Esprit de Guy Patin, tire´ de ses Conversations, de son Cabinet, de ses Lettres, & de ses autres Ouvrages. Amsterdam 1709, o.S. Für den Fall der Patiniana und L’Esprit de Guy Patin vgl. Wild: Naissance du genre des Ana (2001), S. 473–492. Vgl. zur quellenkritischen Einschätzung Martin Mulsow: Von der Tischgesellschaft zum Oberseminar. Zur historischen Anthropologie mündlicher Wissenschaftskommunikation. In: Ders.: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Stuttgart, Weimar 2007, S. 121–142. Auf die schnellere Rezipierbarkeit solcher Ana-Sammlungen im Vergleich zu den

36 schiebung an, die den Fokus weniger auf die Werke als immer stärker auf die Biographie der Gelehrten lenkt; eine Tendenz, die uns auch im weiteren bei La Peyre`re interessieren muß. Dabei müssen sich die Bonmots, die in den Ana geboten werden, nicht unbedingt auf den titelgebenden Gelehrten beziehen. Sowohl die Menagiana als auch die Patiniana geben etwa eine kleine Hofposse zum besten, ausgelöst durch die Predigt bei Hofe eines gewissen Jesuiten namens Jean Adam (1605–1684). Dieser hatte bei seinen Ausführungen über die Passionsgeschichte kurzerhand die Pariser mit den Juden verglichen, die Regentin Anna von Österreich mit der Jungfrau Maria und ihren Kardinalminister Mazarin mit Johannes dem Evangelisten. »Ce sermon fut mal receu a` la Ville & a` la Cour«, fassen die Menagiana zusammen.46 Auf die Predigt angesprochen habe Louis de Rohan, Prinz Gue´mene´, der Regentin abwiegelnd geantwortet, er sei Präadamit. Danach gefragt, was er damit habe ausdrücken wollen, soll dieser lakonisch draufgesattelt haben, er glaube kaum, daß Pater Adam der erste Mensch (»le premier des hommes«) sei. Die Patiniana erzählen diese Anekdote zwar in leicht anderer Form, doch auch sie spielen mit der gleichen Doppelbödigkeit von »premier« im Zusammenhang mit dem Namen dieses Jesuiten. Die Anspielung auf La Peyre`re reicht hier nurmehr für ein Bonmot bei Hofe, ja diese Anekdote käme selbst ohne ihn aus, reicht es hier doch erzähltechnisch vollkommen, nur mit dem Unverständnis über eine Wortschöpfung wie ›Prä-Adamit‹ zu spielen. Und doch wird in

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Briefeditionen heben die Rezensionen ab sowohl im Journal des sc¸avans (22. Juli 1709), S. 463f (Zitat 464), als auch in den Nouvelles de la Re´publique des Lettres (Mars 1710), S. 287–290. Menagiana ou les bons mots, les pense´es critiques, historiques, morales & d’erudition de Monsieur Me´nage, recuellis par ses amis. 2. Aufl. Bd. 2. Paris 1694, S. 41: »Dans ce temps qu’on parloit encore cette ridicule opinion des Pre´adamites, le Pere Adam Jesuite preˆcha la Passion a` saint Germain de l’Auxerrois. Il fit dans son discours une comparaison fort odieuse des Parisiens avec les Juifs qui avoient crucifie´ Noˆtre Seigneur. Il compara la Reine a` la Vierge, & le Cardinal Mazarin a` saint Jean l’Evangeliste. Ce Sermon fut tre`s-mal receu a` la Ville & a` la Cour. La Reine en parla a` M. le Prince de Gue´mene´, & lui demanda ce qu’il en pensoit: Madame, je suis Pre´adamite, lui re´pondit ce Prince. La Reine luy demanda ce que cela vouloit dire. C’est que je ne crois pas, Madame, lui re´pliqua-t’il, que le Pere Adam soit le premier des hommes.« Vgl. ebenfalls in leicht anderer Art Naudaeana et Patiniana, ou singularite´s remarquables prises des conversations de MM. Naude´ et Patin. 2. Aufl. Amsterdam 1703, S. 85: »Le P. Adam est un Jesuite du Limosin qu’on a fait taire pour avoir preˆche´ a` S. Paul contre S. Augustin; au sortir d’un de ses Sermons, la Reine Mere demanda a` un homme de sa Cour ce qu’il en pensoit; ce Seigneur re´pondit gentiment, que ce Pere l’avoit convaincu de l’opinion des Pre´adamites; la Reine lui ayant demande´ ce qu’il vouloit dire; c’est, dit-il, que ce Sermon m’a fait voir clairement, qu’Adam n’est le premier homme du monde.« Vgl. zur Bekanntheit von Jean Adam etwa den Artikel in Bayles Dictionnaire historique et critique. Louis VIII de Rohan (1598–1667) ist übrigens der Bruder der viel beschriebenen Madame de Chevreuse.

37 beiden Fällen die Hypothese von La Peyre`re nicht nur implizit vorausgesetzt, denn beide Sammlungen lassen es sich nicht nehmen, die Anekdote über den Jesuiten Adam als Aufhänger zu nutzen, um kurz auch direkt auf La Peyre`re einzugehen. Auch an anderer Stelle finden sich in der Ana-Literatur widersprüchliche Zuschreibungen, etwa wem La Peyre`res hübsche Kontrafaktur des Anfangsverses (I, 1) aus Ovids Tristia gegolten habe, ob nun Abbe´ Bourdelot oder Gilles Me´nage. Beide beanspruchen für sich, daß La Peyre`re ihnen mit diesen subtilen Worten sein Buch über die Präadamiten gewidmet habe, nachdem es den Flammen der Zensur anheimgefallen war: ›Ohne mich, kleines Büchlein, und ich will nicht neidisch sein, wirst du ins Feuer wandern!‹47 Überhaupt ist Vorsicht geboten, denn die AnaLiteratur verrät letztlich mehr über den Kreis der Kompilatoren als über den damit geehrten Gelehrten. Am deutlichsten mag das die Publikation der Menagiana verdeutlichen, die nicht nur mehrere Auflagen erlebten, sondern auch eine Gegenpublikation mit dem sprechenden Titel AntiMenagiana hervorriefen.48 Ähnlich wie mit der Leistungsfähigkeit der Briefe im Sinne authentischer Quellen oder auch wie mit der Rekonstruktion der Mündlichkeit über die Ana-Literatur verhält es sich mit der häufig in der Forschung geäußerten Meinung über die Gelehrtenrepublik insgesamt.49 Denn so sehr man auch die Leistung sehen muß, die diese Fiktion eines egalitären Miteinanders und vorbehaltlosen Austausches des Gutes ›Wissen‹ ermöglicht hat, so deutlich ist jedoch gleichzeitig der evidente Zerfall in Faktionen und die recht harsche Auseinandersetzung unter den Gelehrten, die sich aller Terminologie des Militärischen bedient und nicht umsonst den Beinamen Polemik erhielt. Im Wörterbuch von Furetie`re heißt es in aller Schärfe: »Les livres polemiques, ou les guerres des Auteurs sont fort utiles dans la Republique des Lettres.«50 Denn so sehr es auch 47

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Vgl. Menagiana (21694). Bd. 2, S. 40f.: »Lors que le Livre des Pre´adamites parut, il fut condamne´ a` eˆtre brule´ par la main du bourreau. Je priay l’auteur, qui e´toit de mes amis de me l’envoyer avant qu’il fuˆt mis en lumie`re. Il comprit ma raillerie & me l’envoya avec ce vers d’Ovide, en changeant le mot d’urbem en celui d’ignem. Parve, nec invideo, sine me, liber ibis in ignem.« Laut den Chevaneana, abgedruckt in Franc¸ois Bruys: Me´moires historiques, critiques et litte´raires. Bd. 2. Paris 1751, S. 356, stammt der perseflierte Vers aus einem Brief La Peyre`res an Bourdelot. Bereits Bruys verweist dort auf die anders lautenden Menagiana. Es handelt sich um die Jean Bernier zugeschriebenen Anti-Menagiana, ou` l’on cherche ces bons mots, cette morale, ces pense´es judicieuses et tout ce que l’affiche du Menagiana nous avoit promis. Paris 1693. Vgl. dazu Wild, Naissance du genre des Ana (2001), S. 245–264. Vgl. Bots, Waquet: La Re´publique des Lettres (1997), passim. Interessanterweise ist die Darstellung insgesamt harmonischer als noch in Bots: Republiek der Letteren (1977). Vgl. allgemein zum Begriff der Polemik, wie er hier verwandt wird, die Art. Pole-

38 ein Verdienst ist, daß hier über fast alle politischen, religiösen wie konfessionellen Grenzen hinweg kommuniziert wurde, sollte das nicht den Blick dafür versperren, daß diese Nähe evozierende Geste nicht als relativierende Überbrückung sämtlicher Differenzen überinterpretiert werden darf. Auch ein Krieg mit der Feder kommt nun einmal nicht ohne Feindeskontakt aus. Es muß entsprechend nicht nur reiner Menschenfreundlichkeit entspringen, wenn der Korrespondenzpartner auf eine neue Publikation hingewiesen wird, die diesen sicherlich sehr interessieren werde. Informationen über Dritte in Erfahrung zu bringen, kommt gar einer Form von Wissenschaftsspionage gleich, jedoch weniger um dieselbe These noch vor diesem zu publizieren, sondern eben um möglichst schnell darauf reagieren zu können. Überhaupt gewinnt man den Eindruck, daß das größte Interesse an potentiellen Gegnern besteht und potentielle Gefolgsleute allenfalls daraufhin begutachtet werden, inwieweit sie nützlich sein könnten, d. h. inwieweit sie schlagkräftig in der Auseinandersetzung mit einer anderen Position und bei der Stärkung der eigenen Position waren, wie das folgende Beispiel zeigen soll. Der schon erwähnte Andre´ Rivet (1572–1651) war Professor der Theologie in Leiden und später Erzieher beim Stadhouder in Den Haag. Rivet war somit die rechte Hand des Verteidigers der »ware religie« und also sozusagen ein calvinistischer Magister Sacri Palatii, der als Hugenotte auch ein reges Interesse für seine Glaubensbrüder in Frankreich hatte. Einer seiner Erzfeinde war Hugo Grotius, mit dem er sich ausgiebige Kontroversen lieferte.51 In einem Brief an den Pariser Hugenotten Claude Sarrau beschreibt er fast spöttelnd, wie sein Groninger Kollege Samuel Desmarets (1599–1673), der wie Rivet als Hugenotte in den nördlichen Niederlanden Karriere machte, schon seine Messer schleife,

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mische Schreibart und Polemische Theologie. In: Zedler. Bd. 28 (1741), Sp. 1079–1100. Ähnlich äußert sich Furetie`re. Bd. 3 (1727) im Art. Polemique: »C’est une e´pithete qu’on donne aux livres de dispute, ou de controverse. Les exerciations de Scaliger contre Cardan sont un livre polemique. Les livres polemiques, ou les geurres des Auteurs sont fort utiles dans la Republique des Lettres.« Vgl. allgemein Martin Gierl: Pietismus und Aufklärung. Theologische Polemik und die Kommunikationsreform am Ende des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1997; Ders.: Art. Polemik, theologische. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 10 (2009), Sp. 78–84; T.L. Hettema, A. van der Kooij (Hgg.): Religious Polemics in Context. Assen 2004 (Studies in Theology and Religion 11). Vgl. auch im folgenden Anne Desbordes: Der »Antisozianismus« des Hugo Grotius und die »Orthodoxie« der Synode von Dordrecht. In: Ablehnung – Duldung – Anerkennung. Toleranz in den Niederlanden und in Deutschland. Ein historischer und aktueller Vergleich. Hgg. v. Horst Lademacher u. a. Münster 2004, S. 202–233, bes. 206; ebenso H.J.M. Nellen: In strict confidence: Grotius’ correspondence with his Socinian friends. In: Van Houdt (Hg.): Self-presentation and social identification (2002), S. 227–245, bes. 237–239.

39 um mit besonders spitzer Feder auf Grotius zu antworten. Zwar sei es letztlich um Desmarets Bildung nicht gut bestellt, doch seien seine Motive, gegen Grotius zu polemisieren, umso bessere.52 Im selben Brief beklagt sich Rivet zudem darüber, daß Gerard Vossius (1577–1649) ihn nicht über die Pläne von Grotius rechtzeitig unterrichtet habe.53 Bei aller Verbundenheit hatte hier die Informationsdiffusion besonderer Art anscheinend versagt. Denn obwohl Rivet nicht mit Grotius direkt kommunizierte, fungierte Vossius als Informant in beiderlei Richtung. Ob Vossius, der als Parteigänger von Grotius gilt, ihm eine derartige Information bewußt vorenthalten hat, kann nicht mehr rekonstruiert werden, doch sieht Vossius in einem Brief an Grotius bereits am Anfang desselben Jahres den Unmut der Gegenseite voraus.54 War schon Rivets Charakterisierung von Desmarets, der nicht grundlos als einer der größten Kontroversisten seiner Zeit galt,55 nicht besonders schmeichelhaft, so fällt das Urteil besonders heftig über eine andere Person aus, die Rivet nicht einmal namentlich einführt: »un Aleman Lutherien« scheint hier schon genug zu sagen.56 Zwar teilt Rivet mit diesem die ablehnende Haltung gegenüber Grotius, jedoch sei dessen Antwort derart indiskutabel, daß Rivet sie, anstatt sie zu protegieren, ihm postwendend zurückgeschickt habe, und zwar mit vernichtenden Korrekturen.57 Dieser Tadel ist nicht unverhallt geblieben in den Korrespondenzen der Gelehrtenrepublik. So kann Rivet einige Zeit darauf in der Korrespondenz mit Sarrau aus einem Brief zitieren, in dem man sich artig bei Rivet bedankt habe für sein Vorgehen gegen diesen daher52

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Vgl. Rivet an Sarrau vom 19. November 1641. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 1. Nr. VII, S. 22: »Le grand annotateur [sc. Grotius] est aussi Helleniste, et de plus nous veut donner les Rabbins pour maistres de Religion. Il a doctes remarques, mais, ou il peut, il n’oublie pas de servir a ses hypotheses. Mons. des Marets aiguise ses cousteaux, et se prepare a le mal traicter. J’advoue¨ qu’il n’a pas tant de lettres, mais il a meilleure cause, et a des dons asse´z pour la maintenir; au reste homme de courage et diligent.« Vgl. Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 1. Nr. VII, S. 22: »Il [sc. Vossius] asseure fort que Mons. Grotius ne luy a rien communique´ de son dessein, et qu’il a este´ estonne´ voyant cet Appendix.« Gemeint ist sein Appendix de Antichristo, der 1641 zusammen mit seinen Annotationes in libros Evangelicorum erschien. Vgl. Vossius an Grotius vom 14. Januar 1641, in: BW Grotius. Bd. 12. Nr. 5011, S. 29–33. Vgl. zu Desmarets immer noch D. Nauta: Samuel Maresius. Amsterdam 1935. Zu der Skepsis gegenüber den »Allemans« vgl. auch Bots: Republiek der Letteren (1977), S. 18–20. Vgl. Rivet an Sarrau vom 8. September 1642. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 1. Nr. LXXV, S. 243: »Un Aleman Lutherien qui a este´ en France, et presche entre les siens a Amsterdam que Gr[otius] est un Apostat, corrupteur de jeunesse, qui debauche les Suedois qui passent en France, m’a envoye´ une Satyre contre Grot[ius] pensant que je la feroy imprimer voluntiers. Je la luy ay r’envoye´ avec Censure. Aussi ne valoit-elle rien, ni pour la forme ni pour la matiere. Je n’ay point veu l’auteur, mais il se nomme Joannes Syffertus Ulmano-Suevus.«

40 gelaufenen Lutheraner, dessen Injurien eines Mitglieds der Republik unwürdig seien. Rivets Waffen hingegen seien schon von anderem Kaliber und somit satisfaktionsfähig: »Ces procedures certes sont indignes d’un honneste homme, afin que je ne dis d’un Chrestien et Theologien. Vos armes sont d’une autre trempe, ausquelles il est plus difficile de parer, qu’a des calomnies.«58 Dieses schmeichelhafte Urteil stammte nicht etwa von einem Parteigänger von Rivet, sondern ausgerechnet von der Gegenseite: Etienne de Courcelles (1596–1659), der wenig später nach dem Tod von Episcopius Theologieprofessor am Remonstrantischen Seminar in Amsterdam wurde und einige Berühmtheit erlangte als Übersetzer der Werke von Grotius und Descartes.59 Dieser kurze Exkurs mag ausreichen, um vor einer voreiligen Interpretation von Briefstellen ausdrücklich zu warnen. Die gelehrten Briefwechsel als ›Netzwerke des Vertrauens‹ (Mauelshagen), wie es der Eigenfiktion der Gelehrtenrepublik entsprach, waren zudem nicht nur Orte des wissenschaftlichen Austausches, sondern auch Spiegel der sozialen Eingebundenheit der Korrespondenzpartner.60 Die Verflechtung der Gelehrten etwa in Patronagebeziehungen brachte nicht nur Aufgaben jenseits der reinen wissenschaftlichen Aktivitäten der Gelehrtenrepublik mit sich, sondern diese Einsetze wirkten auch wieder auf die wissenschaftlichen Netzwerke zurück. So führten die mannigfachen Interessen, die zwischen Gelehrten und besonders mittels des Mediums Brief verfolgt wurden, zu unterschiedlichen Adressaten in den Korrespondenzen und zu unterschiedlichen Gewichtungen innerhalb der Briefe.61 58

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Vgl. Rivet an Sarrau vom 29. Dezember 1642. In: Correspondance Rivet–Sarrau I. Nr. CVI, S. 353: »Le Sr de Courcelles m’en escrit en ce termes: ›[...] J’ay este´ bienaise de voir que vous improuve´z publiquement l’impudence de ce Lutherien qui a vomi tant d’injures contre vostre Antagoniste [sc. Grotius]. Ces procedures certes sont indignes d’un honneste homme, afin que je ne dis d’un Chrestien et Theologien. Vos armes sont d’une autre trempe, ausquelles il est plus difficile de parer, qu’a des calomnies.‹« Vgl. Corinna L. Vermeulen: Strategies and Slander in the Protestant Part of the Republic of letters: Image, Friendship and Patronage in Etienne de Courcelles’ Correspondence. In: Van Houdt (Hg.): Self-presentation and social identification (2002), S. 247–280, bes. 260–262. Vgl. zu dem wachsenden Interesse daran in der neueren Forschung etwa Jan Papy: Manus manum lavat. Die Briefkontakte zwischen Kaspar Schoppe und Justus Lipsius als Quelle für die Kenntnisse der sozialen Verhältnisse in der Respublica litteraria. In: Jaumann (Hg.): Kaspar Schoppe (1998), S. 276–297. Vgl. auch den Forschungsüberblick zur neueren Wissenschaftsgeschichte von Marian Füssel: Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft. Neue Forschungen zur Kultur des Wissens in der Frühen Neuzeit. In: Zeitschrift für historische Forschung 34 (2007), S. 273–289. Vgl. dazu auch das Plädoyer zur stärkeren Fokussierung weg von der reinen Gattungs- auf die Funktionsgeschichte des Briefes und auf die »Nachrichtenpolitik«

41 Hugo Grotius zum Beispiel war eben nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Gesandter der Schweden in Paris. 1637 versuchte Grotius anscheinend zudem Gesandter Polens zu werden.62 In diesem Zusammenhang muß Rivet versucht haben, seinen Erzrivalen Grotius bei den Polen anzuschwärzen. Er tat dies im Gespräch mit dem polnischen Gesandten im Haag. Grotius erfuhr jedoch von diesem Versuch durch seine Korrespondenz mit seinem Schwager Nicolas van Reigersberg, der bei dem Haager Gespräch anwesend war. Rivets Hauptargument gegen eine Bestallung war, daß Grotius in theologischen Fragen nicht orthodox genug sei. Reigersberg sah deshalb nur ein probates Gegenmittel, nämlich eine eindeutige Aussage von Grotius zur Prädestination. Grotius möge sich möglichst umgehend dazu äußern. Er möge ihm in dieser Angelegenheit einen Brief schreiben und zwar auf Latein, da das Niederländische als ihre gewöhnliche Korrespondenzsprache nicht von allen verstanden werde. Diesen Brief wolle er dann zur Entlastung der schwerwiegenden Vorwürfe allen zu lesen geben.63 Über den Ausgang dieses Manövers wissen wir nicht viel – Botschafter der Polen wurde Grotius jedenfalls nicht. Häufig wird im Zusammenhang der Überparteilichkeit in der Gelehrtenrepublik auf die Vorrede der ersten Ausgabe der Nouvelles de la Re´publique des Lettres verwiesen, in der der Herausgeber Bayle 1684 nochmals pragmatisch die Grundsätze dieser Republik zusammenfaßt: Nicht die Konfession, allein die Wissenschaft entscheide. Alle in der Gelehrtenrepublik seien schließlich gleich und gleichsam Kinder Apolls. Ja,

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innerhalb der Netzwerke: Franz Mauelshagen: Netzwerke des Nachrichtenaustausches. Für einen Paradigmenwechsel in der Erforschung der »neuen Zeitungen«. In: Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. Hgg. v. Johannes Burkhardt, Christine Werkstetter. München 2005 (HZ Beihefte N.F. 41), S. 409–425. Vgl. allgemein zu den schwedischen Gesandten und insbesondere auch zur Funktion von Korrespondenzen Heiko Droste: Unternehmer in Sachen Kultur. Die Diplomaten Schwedens im 17. Jahrhundert. In: Das eine Europa und die Vielfalt der Kulturen. Kulturtransfer in Europa 1500–1850. Hgg. v. Thomas Fuchs. Berlin 2003 (Aufklärung und Europa 12), S. 205–226. N. van Reigersberg an Grotius vom 7. Dezember 1637. In: BW Grotius. Bd. 8. Nr. 3375, S. 776: »[...] gelijk oock een vertrouwt vrient [...] mijn opinie confirmeert ende seyt lange diergelijke discourssen wt Rivet te hebben gehoort ende te oordeelen deselve te strecken om uEd. off de gereformeerde theologanten ende andere, die met uEd. corresponderen ende in het stuck van de predestinatie anders als sij gevoelen, hinder te doen. Waromme dit advys des te meer in achtynge dient genomen, gelijk ick ook hope, dat bij uEd. sal werden gedaen, van dewelcke ick verwachten sal een antwoorde sulckx ingestelt, die ick tot meerder confusie van de auteurs van gelijke calumnie¨n verder sal mogen communiceren, oock Rivet ende andere niet onbekent laten. Wensche darom int latijn werde ingestelt, hetwelcke des te nodyger wesen sal, omdat ick soowel Rivet als andere hebbe geseyt uEd. van alles communicatie te zullen geven, ende eenyge alreede verlangen te sien, wat van uEd. tegens alle dese calumnie¨n commen sal.«

42 selbst ein Mönch werde nicht anders beurteilt als die sonstigen Weisen.64 Allein der ostentative Rekurs auf die Gleichheit und Überparteilichkeit zeigt, daß es um diese nicht gut bestellt war. Nicht umsonst appelliert Bayle an die toleranten Niederlande und erinnert im Rekurs auf das Journal des Sc¸avans an die kirchliche Einflußnahme zu Beginn dieser gelehrten Zeitschrift.65 Andererseits war es auch kein Zufall, daß Bayles eigene Zeitschrift gerade in Rom indiziert werden sollte. So sehr es also sicher Kontakte und persönliche Freundschaft über alle konfessionellen Grenzen hinweg gab, so gab es nicht zuletzt konfessionelle Barrieren, die dem Eigenanspruch ungehemmter Kommunikation zuwiderliefen. Man denke etwa an die genannte mündliche bzw. briefliche Sprachlosigkeit zwischen den Kontrahenten Rivet, Vertreter der niederländischen Orthodoxie, und Grotius, Parteigänger der sogenannten Arminianer, allein im reformierten Lager.66 Ausblickhaft sei daran erinnert, daß im Übergang zum 18. Jahrhundert eine Veränderung in der Gelehrtenrepublik einsetzt, die nicht zuletzt einem Medienwechsel geschuldet war und eine Ausweitung der Mitglieder dieser Republik bedeutete. Martin Gierl hat eine Studie zur Kommunikationsreform in der theologischen Auseinandersetzung vorgelegt, die aus der deutschen Perspektive den Zusammenhang zwischen 64

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Preface. In: Nouvelles de la Re´publique des Lettres 1 (Mars 1684): »Nous n’examinerons point de quelle Religion ils auront e´te´ [...] ils suffira qu’ils ayant e´te´ celebres par leur science. [...] Il ne s’agit point de Religion: il s’agit de Science: on doit donc mettre bas tous les termes qui divisent les hommes en differentes factions, & considerer seulement le point dans lequel ils se re´ünissent, qui est la qualite´ d’Homme illustre dans la Re´publique des Lettres. En ce sens-la` tous les Savans se doivent regarder comme freres, ou comme d’aussi bonne maison les uns que les autres. Ils doivent dire, Nous sommes tous e´gaux / Nous sommes tous parens Comme enfans d’Apollon.« Vgl. Jean-Pierre Vittu: La formation d’une institution scientifique: le Journal des Sc¸avans de 1665 a` 1714. In: Journal des Savants (janvier-juin 2002), S. 179–203, bes.182f; Ders.: Le Journal des Savants et la Re´publique des Lettres 1665–1714. Paris 1997 (Microfiche-Edition), S. 63–67. Vgl. auch das Vorwort in Hans Bots, Jan de Vet: Strate´gies journalistiques de l’ancien re´gime. Les pre´faces des »Journaux de Hollande« 1684–1764. Amsterdam, Utrecht 2002 (SIB 32), S. vii-xxvi, bes. ix: »Parmi ceux qui se re´fugiaient en Hollande, il y avait aussi bien des lettre´s dont plusieurs trouvaient un emploi dans le monde de la librairie, notamment dans la re´daction des journaux en langue franc¸aise. En meˆme temps le refuge huguenot avait entraıˆne´ une diaspora d’une intelligentsia francophone qui avait besoin d’une information permanente«. Vgl. jüngst ausführlich Bernward Schmidt: Virtuelle Büchersäle. Lektüre und Zensur gelehrter Zeitschriften an der römischen Kurie 1665–1765. Paderborn u. a. 2009 (Römische Inquisition und Indexkongregation 14), S. 223–236, 375–378. Vgl. allgemein April G. Shelford: Confessional Division and the Republic of Letters: the Case of Pierre-Daniel Huet (1630–1721). In: Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter des Konfessionalismus. Hg. v. Herbert Jaumann. Wiesbaden 2001 (Wolfenbütteler Forschungen 96), S. 39–57; Jaumann, Gibt es eine katholische Respublica litteraria? (1998), S. 361–379.

43 dem Wandel der gelehrten Praktiken gegen Ende des 17. Jahrhunderts und der Konsolidierung des Pietismus aufzeigt.67 Gierl konnte dabei auf der Arbeit von Hans-Martin Barth aufbauen, der sich mit den verschiedenen Formen von Polemik auseinandergesetzt hat.68 Für den französischsprachigen Raum fällt für diese Periode vor allem der steile Anstieg der in den Niederlanden verlegten französischsprachigen Zeitschriften ins Auge und der damit parallel einhergehende Aufstieg des Französischen zur Wissenschaftssprache des beginnenden 18. Jahrhunderts.69 Auch schon Pierre Bayles ursprüngliches Ansinnen, seine Pense´es diverses sur la come`te ausgerechnet im Mercure galant abdrucken zu lassen, wird man hier einordnen können. Der Hugenotte Bayle fühlte sich in der späteren Ausgabe von 1699 zu einem Vorwort genötigt, um seinen Lesern zu erläutern, er habe sich nur deshalb des Stils eines römischen Katholiken bedient, weil er den Text – ›natürlich‹ in Briefform – ursprünglich in diesem höfischen Blättchen habe lancieren wollen. Man wird diese Strategie als Ausdruck der allgemeinen Ausweitung der Kampfzone im Umfeld von 1685 deuten müssen.70 Allerdings wird man sich gerade für das weite Feld der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dem Urteil von Van der Wall anschließen müssen: »In view of the lack of literature dealing especially with the ways of polemicizing in Christian history there is need for a more thoroughgoing analysis.«71

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Martin Gierl: Pietismus und Aufklärung. Theologische Polemik und die Kommuni-kationsreform am Ende des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1997. Hans-Martin Barth: Atheismus und Orthodoxie: Analysen und Modelle christlicher Apologetik im 17. Jahrhundert. Göttingen 1971. Vgl. Bots, Vet: Strate´gies journalistiques de l’ancien re´gime (2002). Vgl. den Avertissement au Lecteur aus der Ausgabe von 1699. In: Libertins du XVIIe sie`cle (Pre´vot). Bd. 2 (2004), S. 1183–1186, 1183: »Il me semble ne´cessaire d’apprendre d’abord a` mes lecteurs, [...] pourquoi le style de cet ouvrage est celui d’un catholique romain, soit qu’il s’agisse de religion, soit qu’il s’agisse d’affaire d’E´tat.« E. van der Wall: Ways of Polemicizing: The Power of Tradition in Christian Polemics. In: Hettema, Van der Kooij (Hgg.), Religious Polemics in Context (2004), S. 401–414 (Zitat 402). Interessante Ansätze finden sich bei Markus Friedrich: Der Streit um das Streiten. Wahrnehmung von Dissens um 1600 – das Beispiel des Helmstedter Hofmannstreites. In: Autorität der Form – Autorisierungen – Institutionelle Autoritäten. Hgg. v. Wulf Oesterreicher u. a. Münster u. a. 2003 (Pluralisierung & Autorität 1), S. 293–308; vor allem von germanistischer Seite gibt es eine erneute Beschäftigung mit Formen der Polemik: vgl. Kai Bremer: Philologie und Polemik. Ein Forschungsabriß zum wissenschaftsgeschichtlichen Status der Kontroverse in der Frühen Neuzeit. In: Geschichte der Germanistik 29/30 (2006), S. 9–16; Carlos Spoerhase: Kontroversen: Zur Formenlehre eines epistemischen Genres. In: Kontroversen in der Literaturtheorie/Literaturtheorie in der Kontroverse. Hgg. v. Ralf Klausnitzer, Carlos Spoerhase. Bern u. a. 2007 (Publikationen zur Zeitschrift für Germanistik. N.F. 19), S. 49–92.

44 1.3. Me´moires In die Reflexion der genannten Quellenproblematik sollen auch zwei weitere Gattungen einbezogen werden. Denn besonders für eine nähere Beschreibung der Gelehrtenkultur in ihrer Einbettung in Patronageverhältnisse tritt eine weitere Quellengattung hinzu, nämlich die Me´moires. Diese Gattung war vor allem dem Adel vorbehalten und gedieh trotz des Spannungsverhältnisses zwischen adeligem Habitus einerseits und literarischer Tätigkeit andererseits.72 Me´moires, mit einem großen M, definierte Furetie`re in seinem Dictionnaire als »Livres d’Historiens, escrits par ceux qui ont eu part aux affaires ou qui en ont este´ tesmoins oculaires, ou qui contiennent leur vie et leurs principales actions: Ce qui re´pond a` ce que les latins appelloient commentaires«.73 Der Einfluß der Wiederausgabe der Confessiones von Augustinus für die Ausformung dieser Gattung ist häufig beschrieben worden. Gerade die Ich-Erzählung suggeriert eine Augenzeugenschaft und somit eine große Nähe zum Beschriebenen, die sich bereits auf der Erzählungebene von den Werken der meist königlichen Historiographie distanziert. Sich persönlich widerspenstig gebährend, den Gattungsformen gleichzeitig völlig konform kann etwa Mlle de Montpensier (1627–1693), eine Nichte von Ludwig XIII., die subjektive Beliebigkeit ihrer ›Berichterstattung‹ über den Prinzen Conde´ mit ihrer ganz persönlichen Abneigung begründen: »M. le duc d’enghien [sc. der spätere Grand Conde´], qui e´tait alors en Allemagne, y faisait de grand progre`s; l’aversion que j’avais pour lui en ce temps-la` faisait que je ne prenais pas grand plaisir a` m’informer de ce qu’il faisait. Ainsi je n’en dirai rien pre´sentement, sans rien vouloir cacher de sa gloire, puisque les histoires en diront assez pour l’immortaliser.«74 Diese Me´moires sind ebenfalls häufig posthum publiziert worden und kursierten als in brisanten Details abweichenden Versionen, die 72

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Vgl. Edoardo Costadura: Der Edelmann am Schreibpult. Zum Selbstverständnis aristokratischer Literaten zwischen Renaissance und Revolution. Tübingen 2006 (mimesis 46), der sich allgemein dieses Spannungsverhältnisses annimmt; zu den Me´moires bes. S. 77–99, 77: »Neben den dem Adel geläufigen, vom Adel gepflegten literarischen Formen muß nun eine genannt werden, die zwar nicht als Gesellschaftsspiel aufgefaßt werden kann, die aber die deutlich ablesbaren Spuren ihrer Verankerung in den Praktiken des adligen loisir verrät; eine Form oder Gattung, die im Gegensatz zu vielen anderen ihre Urheber bis heute überdauert hat: die Gattung der Me´moires.« Vgl. ebenso Emmanue`le Lesne: La poe´tique des me´moires (1650–1685). Paris 1996 (Lumie`re classique 10); sowie Marc Fumaroli: Les Me´moires au carrefour des genres en prose. In: Ders.: La diplomatie en l’esprit. De Montaigne a` La Fontaine. Paris 1994, S. 183–215. Furetie`re. Bd. 2 (1690), o.S. Me´moires de Mlle de Montpensier. Hg. v. A. Che´ruel. Bd. 1. Paris 1858, S. 95.

45 ähnliche Überarbeitungen aufweisen wie die Briefsammlungen. Vergleichbar ist auch der Einfluß auf weitere Erzählgattungen. Wie die Briefsammlungen etwa auf den Briefroman wirkten, so findet man vergleichbare Beispiele für die Me´moires. La Princesse de Cle`ves von Mme de Lafayette wäre ein solches Beispiel für die vollständige Literarisierung der Gattung ins Romanhafte. Für die Rekonstruktion des französischen Hofes während der Regentschaft von Anna von Österreich bedient man sich oft der Me´moires der Mme de Motteville.75 Als Hofdame der Königin schreiben diese Me´moires deren Apologie, die verständlicherweise mit dem Jahr 1615, also mit der Hochzeit zwischen ihrer Protagonistin Anna und Ludwig XIII., beginnen, obwohl die Motteville selbst erst sechs Jahre später geboren wurde. Eine Sonderolle nehmen die Historiettes von Tallemant des Re´aux ein.76 Obwohl ihnen ein Vorwort an den intendierten Leser vorangestellt ist, sind sie erst im 19. Jahrhundert gedruckt worden. Über eine mögliche clandestine Verbreitung ist wenig bekannt und da Tallemant des Re´aux auch sonst nichts veröffentlicht hat, finden sich keine Spuren in den Korrespondenzen der Gelehrten über ihn. Seine Historiettes seien »petits Me´moires«, erklärt Tallemant in diesem Vorwort, und weiter heißt es über seine Intention: »je pretens de dire le bien et le mal sans dissimuler la ve´rite´, et sans me servir de ce qu’on trouve dans les histoires et les me´moires imprimez.«77 Das hat er in derart eindeutiger Art getan, daß selbst die um die Mehrzahl der Pikanterien gereinigte Erstausgabe beim Erscheinen zu der Unterstellung nötigte, es müsse sich um eine böswillige Fälschung handeln, da man im 19. Jahrhundert nicht gewillt war, sich diese in der Regel um keine obszönen Details verlegenen Histörchen im ehrwürdigen Grand Sie`cle vorzustellen. Die Forschung ist mittlerweile einhellig der Meinung, daß Tallemant gut über die Pariser Kreise informiert war, und spricht ihnen einen erstaunlich hohen Quellenwert zu. Leider schreibt Tallemant, der neben Ludwig XIII., Conde´ sowie anderen Höflingen auch vielen Gelehrten seiner Zeit einen eigenen Eintrag widmet, nicht direkt über La Peyre`re, obwohl er um 1657 – also in der Hochphase des Präadamitenskandals – mit dem Verfassen der Historiettes begonnen haben soll. Nur in Abgrenzung zu einem gewissen Jean de Peyrare`de (1590–1660) bemerkt er, man möge diesen nicht verwechseln mit »La Peirere, celui qui a fait le livre des Pre´adamites«.78 75

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Me´moires de Mme de Motteville sur Anne d’Autriche et sa cour. Hg. v. Francis Maria Riaux. 4 Bde. Paris 1904. Ge´de´on Tallemant des Re´aux: Historiettes. Hg. v. Antoine Adam. 2 Bde. Paris 1960. Vgl. einleitend das Vorwort von Adam im ersten Band. Tallemant des Re´aux: Historiettes (Adam). Bd. 1 (1960), S. 2. Tallemant des Re´aux: Historiettes (Adam). Bd. 2 (1960), S. 733. Vgl. dazu Philippe

46 Für die Me´moires gilt in bezug auf ihren Quellenwert ähnliches wie auch schon für die zahlreichen Korrespondenzen. In ihnen findet sich eine Gemengelage aus Rekonstruktions-, Ordnungs- und Verortungsbedürfnis. In der ›Biographisierung‹ suchte man Motive und Begründungen für die Gedanken und Positionen, die sich in den Werken eines Gelehrten fanden, aus dessen Lebenslauf oder seiner Lebensart zu erschließen. In der bereits genannten Besprechung der Briefsammlung Patins von 1718 wird in den Nouvelles de la Re´publique des Lettres diese wichtige Funktion solcher Briefeditionen indirekt benannt. Anscheinend hatten sich einige Leser darüber geärgert, in den Briefen zu viele ›falsche Fakten‹ zu finden. Der Rezensent wirft gegen diesen Einwand jedoch warnend ein, man solle doch bitte bedenken, daß es sich hier nicht um Historiographie handle, sondern schlicht um Briefe zwischen Freunden.79

2. La Peyre`re – le pre´adamite Befragt man nun diese Quellengattungen, so war La Peyre`re bereits seinen Zeitgenossen anscheinend ein Rätsel. Die anonyme Publikation der meisten seiner Werke hat daran wohl nur einen geringen Anteil. Vielmehr waren es seine Thesen, die eine schnelle Einordnung erschwerten. Doch selbst heute ist nur wenig über das Leben dieses Mannes bekannt; und das Wenige, das auf uns gekommen ist, wird ersten Lebensbeschreibungen oder Briefen entnommen, die fast ausschließlich nach dem Präadamitenskandal von 1655 geschrieben wurden und mehr die Einstellung des jeweiligen Schreibers zu diesem Ereignis widerspiegeln.80 Jedenfalls ist La Peyre`re derart mit seinen Prae-Adamitae (1655) identifiziert worden, daß etwa Christiaan Huygens (1629–1695) 1661 in

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Tamizey de Larroque: Quelques lettres ine´dites d’Isaac de la Peyre`re a` Boulliau. Paris, Bordeaux 1878 (Plaquettes Gontaudaises 2), S. 37: »Quel dommage que Tallemant n’ait qu’un seul mot (litte´ralement) sur ce La Peyre`re, qui, l’original personnage! lui aurait fourni le sujet d’une historiette si nourrie et si inte´ressante!« Nouvelles de la Re´publique des Lettres (Mars & Avril 1718), S. 266: »Quelques personnes les [sc. die Briefe] ont censure´es parce qu’il s’y trouve quantite´ de faits, qui sont pas veritables. On doit ne´anmoins se ressouvenir, que l’Auteur ne s’e´toit pas propose´ d’e´crire l’Histoire, mais seulement des Lettres a` un de ses Amis«. Vgl. zur Biographie vor allem die Ausführungen bei Tamizey de Larroque: Quelques lettres ine´dites d’Isaac de la Peyre`re (1878), S. 5–20; Jean-Paul Oddos: Recherches sur la vie et l’œuvre d’Isaac de Lapeyre`re (1596?–1676). The`se de 3e`me cycle Grenoble II 1971–1974 (unveröffentlicht); Elisabeth Quennehen: »L’Auteur des Pre´adamites«, Isaac Lapeyre`re. Essai biographique. In: Dissidents, excentriˆ ge classique. Autour de Carano de Bergerac (FS Madeques et marginaux de l’A leine Alcover). Hgg. v. Patricia Harry u. a. Paris 2006 (Colloques, congre`s et confe´rences sur le Classicisme 10), S. 349–373.

47 sein Tagebuch notierte, er habe Besuch erhalten von »M. de la Peirere le Preadamite«.81 Erste Ansätze zu Biographien, wie sie schon recht früh die noch junge Gattung der Dictionnaires bieten, finden sich im 17. Jahrhundert entsprechend unter dem Eintrag »Pre´adamite«. Neben einer Begriffsdefinition und knappen Abhandlung zur Präadamitenthese wachsen dort von Auflage zu Auflage die kurzen Informationen zu dem Autor immer mehr an.82 Nicht zuletzt Pierre Bayle etablierte 1697 mit seinem berühmten Dictionnaire historique et critique endgültig einen eigenen biographischen Eintrag.83 Fortan fand La Peyre`res Lebenslauf nicht nur in den Gelehrtenlexika84, sondern in gleichem Maße auch in Häretikerhandbüchern Erwähnung. Hier sticht vor allem Johann Anton Trinius mit seinem Freydenker-Lexicon aus der Mitte des 18. Jahrhunderts heraus, der die Erwiderungen auf La Peyre`res Prae-Adamitae mit insgesamt dreißig Titeln am vollständigsten auflistet.85 Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon kennt beides: Es hat rund hundert Jahre nach den Ereignissen einen einspaltigen Eintrag unter »La Peyre`re« und einen immerhin neunspaltigen Artikel über die »Prae-Adamiten«.86 Diese Tendenz des doppelten Eintrags hat sich bis in

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Eintrag vom 22. Februar 1661. In: Le se´jour de Christian Huygens a` Paris et ses relations avec les milieux scientifiques franc¸ais. Hg. v. H.L. Brugmans. Paris 1935, S. 154. Dieses Epitheton bekommt La Peyre`re dort bei fast jeder Erwähnung. Neben den dort genannten persönlichen Begegnungen haben sich einzelne Briefe aus den Jahren 1663–65 erhalten, in denen sie mathematische Probleme diskutieren, vgl. Oeuvres comple`tes de Christiaan Huygens. Hg. v. der Socie´te´ hollandaise des sciences. Bde. 4 u. 5. La Haye 1891–93, Nr. 1182–1185, 1191 u. 1387. Der Grand Dictionnaire des Arts et des Sciences par M. de l’Academie Franc¸oise. Bd. 4 (1695), S. 153, schreibt noch recht lapidar: »Il a paru depuis quelques anne´es un livre touchant les Preadamites, que le Pape a condamne´«; vgl. aber auch Richelet. Bd. 2 (1719), Sp. 205, und die spätere Ausgabe Richelet. Bd. 3 (1735), Sp. 200; hier wächst der Eintrag von wenigen Zeilen auf anderhalb Spalten an. Allgemein zur Rolle der Lexika vgl. H.H.M. van Lieshout: Dictionnaires et diffusion du savoir. In: Commercium litterarium. La Communication dans la Re´publique des Lettres. 1600–1750. Hgg. v. Hans Bots, Franc¸oise Waquet. Amsterdam, Maarsen 1994 (SIB 25), S. 131–150. Vgl. Bayle. Bd. 2 (1697), S. 766–767. Ab der Ausgabe von 1720 ist der Eintrag um zwei Anmerkungen erweitert. Vgl. etwa Niceron. Bd. 12 (1730), S. 65–84, oder Jöcher. Bd. 3 (1751), Sp. 1480f. Vgl. z. B. Johann Anton Trinius: Freydenker-Lexicon, oder Einleitung in die Geschichte der neuern Freygeister, ihrer Schriften, und deren Widerlegungen. Leipzig, Bernburg 1759, S. 389–393, 590. Zu nennen wäre auch Jacob Friedrich Reimmann: Historia Universalis Atheismi et Atheorum falso & merito suspectorum. Hildesheim 1725, S. 427–429. Vgl. Zedler. Bd. 27 (1741), Sp. 1183f, und Zedler. Bd. 29 (1741), Sp. 12–21. Das französische Pendant kennt nur einen Eintrag unter Pre´adamite: Encyclope´die. Bd 13 (1765), S. 266.

48 die neuesten Lexika fortgesetzt.87 Die breite Rezeption der Figur La Peyre`re erklärt auch, daß man Kurzbiographien nicht nur in den französischen Nationalbiographien findet.88 Weit über die französische Forschung hinaus widmen wissenschaftsgeschichtliche, philosophiehistorische und theologische, selbst die jüdischen Lexika und Handbücher La Peyre`re einen Eintrag.89 Dabei zeigt sich, daß auch die neuesten Biographen stark abhängig sind von den frühen biographischen Kompilationsversuchen des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Zwar wird dies zum Teil, wie etwa im Dictionnaire de biographie franc¸aise (2001), dadurch verschleiert, daß nur der indirekte Rückstieg über die Rezeption aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ausgewiesen wird, wo innerhalb eines Jahrzehnts allein fünf französische biographische Referenzwerke entstanden waren, die sich mit La Peyre`re beschäftigt haben. Neben den drei Entwürfen französischer Nationalbiographien von Feller (1849), Hoefer (1859) und Michaud (um 1860) sind dies der Dictionnaire des he´re´sies (1847) von Puquet sowie die Prosopographie La France protestante (1856) der Gebrüder Haag. Hingegen nennt etwa die Ueberweg Geschichte der Philosophie (1993) oder auch der Dictionnaire des lettres franc¸aises (1996) ganz explizit die frühe Rezeption als ihre Quellen. Ähnlich hatte schon Michauds Biographie universelle (um 1860) eigens auf die Ausführungen von Jean-Pierre Niceron (1730 und 1732) verwiesen.90 Niceron wiederum nennt als Grundlage seiner Biographie neben den Briefen von Richard Simon vor allem den Artikel im Dictionnaire historique et critique von Pierre Bayle.

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So etwa das Lexikon für Theologie und Kirche: Franc¸ois Laplanche: Art. La Peyre`re. In: LThK3. Bd 6 (1997), Sp. 570, und Markus Vogt: Art. Präadamiten. In: LThK3. Bd. 8 (1999), Sp. 463. Vgl. Biographie universelle (Feller). Bd. 6 (1849), S. 466; Nouvelle Biographie ge´ne´rale (Hoefer). Bd. 29 (1859), Sp. 520–522; Biographie universelle (Michaud). Bd. 32 (um 1860), S. 642–643; Dictionnaire de biographie franc¸aise. Bd. 19 (2001), Sp. 851f. Stellverstretend seien aus der französischen und deutschen Forschung genannt: La France protestante (Haag, Haag). Bd. 6 (1856), S. 305–307; Dictionnaire de The´ologie Catholique. Bd. 8 (1925), Sp. 2615f.; Jüdisches Lexikon. Bd. IV/1 (1930), Sp. 852f.; Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon (Bautz). Bd. 4 (1992), Sp. 1145–1155; Ueberweg. 17. Jh. Bd. 2/2 (1993), S. 1009–1012; Dictionnaire des lettres franc¸aises. Le XVIIe Sie`cle (21996), S. 701f.; Lexikon für Theologie und Kirche. Bd. 6 (31997), Sp. 570; Religion in Geschichte und Gegenwart. Bd. 5 (42002), Sp. 2; Herbert Jaumann: Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit. Bd. 1. Berlin, New York 2004, S. 384f. Am Ende des Artikels schreibt Weiss: »On peut consulter sur la Peyre`re les Me´moires de Niceron, t. 12 et 20.«

49 2.1. Bayles beredtes Schweigen Pierre Bayle (1647–1706) war angetreten, die Fehler des von Louis More´ri (1643–1680) begonnenen und überaus erfolgreichen Grand Dictionnaire Historique zu berichtigen,91 wie man es seinem Vorwort zum Dictionnaire Historique et Critique entnehmen kann: »Ma principale vue avoit e´te´ de marquer les fautes de Mr. Moreri, & celles de tous les autres Dictionaires qui sont semblables au sien.«92 Bayle bleibt also seinem Vorhaben treu, wenn er im Falle von La Peyre`re zwei Punkte explizit angibt, die er für den kurzen Eintrag bei More´ri zu »Perere«93 korrigiert sehen will: zum einen die Schreibung des Namens und zum anderen die Jahreszahl der Konversionsschrift, die La Peyre`re 1657 nach seinem Übertritt zum katholischen Glauben in Rom publiziert hatte.94 Doch sind diese Details nicht die einzigen Unterschiede zwischen dem preˆtre More´ri und dem ›Philosophen von Rotterdam‹. Vielmehr könnte man formulieren, hier werden zwei Lappalien präsentiert, während die eigentliche Auseinandersetzung mit dem nach More´ri benannten Werk auf einer ganz anderen Ebene ausgetragen wird. Bereits im Vorfeld hatte Bayle in seinem Projet d’un Dictionnaire (1692) recht deutlich den Hauptmakel bei More´ri nicht so sehr in derart offensichtlichen Druckfehlern oder Fehlinformationen – wie der Namensschreibung oder eines Veröffentlichungsdatums – als vielmehr im Gesamtansatz dieses historischen Wörterbuchs ausgemacht. Denn Mo91

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Das Wörterbuch von More´ri erlebte zwischen 1674 und 1759 allein 24 Ausgaben mit erheblichen Erweiterungen. Die zweite Ausgabe von 1681 gilt als Ausgabe letzter Hand, zitiert wird in der Forschung in der Regel unkritisch nach der letzten Ausgabe von 1759, die als Reprint vorliegt. Vgl. Bayle. Bd. 1 (1697), S. 2. Vgl. einleitend Elisabeth Labrousse: Pierre Bayle. In: Ueberweg. 17. Jh. Bd. 2/2 (1993), S. 1025–1043; zu den verschiedenen Editionen des Bayleschen Wörterbuchs vgl. Dies.: Pierre Bayle et l’instrument critique. Paris 1965, S. 183; Pierre Re´tat: Le Dictionnaire de Bayle et la lutte philosophique au XVIIIe sie`cle. Lyon 1971, S. 475–477; Sebastian Neumeister: Unordnung als Methode: Pierre Bayles Platz in der Geschichte der Enzyklopädien. In: Enzyklopädien der Frühen Neuzeit. Beiträge zu ihrer Erforschung. Hgg. v. Franz M. Eybl u. a. Tübingen 1995, S. 188–199. Dieses Lexikon bot 1681 zum ersten Mal einen Eintrag zu La Peyre`re und erlebte bis zum Erscheinen des Bayleschen Wörterbuchs allein fünf weitere Auflagen, vgl. More´ri. Bd. 2 (21681), S. 855. Ich zitiere im folgenden aus der fünften Auflage Lyon 1688, weil Bayle diese Ausgabe als Referenz angibt; vgl dazu das Vorwort bei Bayle. Bd. 1 (1697), S. 10. Erstmals 1689 folgte zudem im Supplement zum More´ri ein weiterer Artikel zu den »Pre-Adamites«. Zur Wechselwirkung mit Bayle vgl. allein das Titelblatt der ersten Ausgabe des More´ri nach dem Erscheinen des Bayleschen Wörterbuchs; More´ri. Bd. 1 (81698): »Ou` l’on a [...] corrige´ les fautes censure´es dans le Dictionaire Critique de Mr. Bayle«. Beide Punkte sind dort verbessert, wobei im zweiten Fall das nachgebesserte 1655 ebenso falsch ist wie das angemahnte 1555, die Schrift erschien in Rom 1657. More´ri. Bd. 2 (51688), S. 804, ist im übrigen die einzige Ausgabe von More´ri, wo »1555« steht.

50 re´ri habe hier letztlich als Kontroverstheologe geschrieben, ja seine Einträge glichen bisweilen ›wahren Kreuzzugspredigten‹.95 Trotz gewisser Übereinstimmungen und Abhängigkeiten überwiegen also die Unterschiede zwischen den biographischen Entwürfen bei More´ri und Bayle. Obwohl die Haupteinträge sich in ihrer Länge grundsätzlich gleichen, erlaubt schon die völlig andere Anlage des Bayleschen Dictionnaire Historique et Critique durch seine berühmten Anmerkungen eine ungleich umfangreichere Abhandlung, die zudem ihre Quellen preisgibt. Zwar legen beide Autoren den Schwerpunkt ihrer Lebensbeschreibung auf die querelle um die Präadamiten. Bei Pater More´ri gewinnt man aufgrund der Knappheit der Darstellung jedoch den Eindruck, La Peyre`res Hypothese sei eine Folge des Calvinismus und bei aller Häresie denn doch der Ursprung seiner vielleicht besten Tat, nämlich der Konversion zum katholischen Glauben.96 In ähnlicher Weise hatte es La Peyre`re selbst nach seiner Konversion in seinen apologetischen Schriften immer wieder darzustellen versucht.97 Dieser Eindruck eines direkten Konnexes zwischen Calvinismus und Präadamitenthese, wie ihn hier More´ri nahelegt, wird dadurch verstärkt, daß bei ihm nur eine sehr selektive Auswahl der zahlreichen Präadamitengegner explizit beim Namen genannt werden; und zwar nur drei Lutheraner (der Speyrer Theologe Ursinus, der Helmstedter Hilpert und der Straßburger Dannhauer) und der Katholik Philippe Le Prieur, der unter dem Pseudonym Eusebius Romanus publiziert hatte. Nimmt man nur die elf Erwiderungen gegen die Präadamitenthese aus dem Folgejahre 1656, so stammten jedoch allein drei davon aus dem reformierten Lager.98 Bayle führt deshalb ergänzend den in Groningen lehrenden Hugenotten Samuel Desmarets (1599–1673) ins Feld, der als scharfer Pole95

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Vgl. [Pierre Bayle:] Projet et fragmens d’un Dictionaire critique. Rotterdam 1692: »Il n’y a rien de plus ridicule qu’un Dictionaire ou` l’on fait le Controversiste. C’est un de plus grands defauts de celuy de Mr. Moreri; on y trouve cent endroits qui semblent eˆtre detachez d’un vray Sermon de Croisade.« More´ri. Bd. 2 (51688), S. 804: »Il est Auteur des Pre´-Adamites qui est un Ouvrage singulier, mais pernicieux, & mal prouve´. Isaac de la Perere faisoit alors profession des sentimens des Calvinistes. Il en fit abjuration, & desavoüa devant le Pape son Livre des Pre´-Adamites; ce qu’il fit meˆme par un e´crit public imprime´ a` Rome l’an 1655. & puis a` Fancfort sur le Main en 1658.« Der Eintrag ist später leicht geglättet worden, bereits ab der nächsten Auflage More´ri. Bd. 4 (61694), S. 129, steht anstelle von »& mal prouve´« dann »Ou` il veut prouver qu’il y a eu des hommes avant Adam«. Vgl. dazu seine Konversionsschrift: Epistola ad Philotimum (Rom 1657); und vor allem den zweiten Brief aus Recueil de Lettres e´crites a` Monsieur le Comte de la Suze pour l’obliger par raison a` se faire Catholique (Paris 1661) sowie seine Apologie de la Peyre`re (Paris 1663). Weiterhin am besten informiert über die Gegner ist der genannte Eintrag bei Trinius; zu nennen wären die Werke von Hulsius, Pythius und Desmarets.

51 miker bekannt war und dessen Refutatio fabulae Prae-Adamiticae als stärkste reformierte Antwort gilt.99 Noch deutlicher tritt die Reaktion auf More´ri zutage, wenn man die umfangreichen Erweiterungen hinzunimmt, die das Baylesche Dictionnaire posthum ab 1720 erfahren hat.100 Im Falle des Artikels zu La Peyre`re sind es die neu ergänzten Anmerkungen B und D. In Anmerkung B, wo explizit auf das Supplement zum Dictionnaire von More´ri (1689) eingegangen wird, werden noch weitere reformierte Stimmen gegen die Präadamitenhypothese angeführt.101 Obwohl hier Bayle die innercalvinistische Diskussion ins Gedächtnis ruft, fällt dennoch auf, daß er einen Umstand überhaupt nicht erwähnt, den er nicht zuletzt über das Werk Desmarets hätte kennen müssen. Denn der Unmut über La Peyre`res Werk ging in den nördlichen Niederlanden so weit, daß die Generalstaaten die Prae-Adamitae (1655) verboten.102 Doch bei Bayle werden mit Paris und Rom nur katholische Orte der Verurteilung erwähnt.103 Nicht nur legt der Refugie´ Bayle seinen Schwerpunkt auf die PraeAdamitae (1655) und ihre Folgen, vielmehr lenkt er das Hauptaugen99

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Samuel Desmarets: Refutatio Fabulae Prae-Adamiticae, editio altera. Groningen 1656. Bayle war zu diesem Zeitpunkt seit neun Jahren tot. Er soll die Ergänzungen seinem Verleger Leers hinterlassen haben. Ich zitiere entgegen der in der Forschung üblichen Konvention weder nach der Ausgabe letzter Hand von 1702 noch nach den Ausgaben 1730 oder 1740, sondern nach dieser Ausgabe von 1720, weil sie die einzige ist, die diese Ergänzungen als solche kenntlich macht. Die ansonsten sehr verdienstvolle Arbeit von Van Lieshout stützt sich in ihrer Arbeit auf die erweiterte Edition von 1740, obwohl auch sie die zeitgenössische Polemik um die Authentizität der Ergänzungen referiert, vgl. Van Lieshout: The Making of Pierre Bayle’s Dictionaire (2001), S. XVIf. Vgl. ferner die Kritik an Van Lieshout sowie die treffende Mikroanalyse von Markus Völkel: Bayles Umgang mit seinen Quellen. In: Aufklärung 16 (2004), S. 37–48. Hulsius und Pythius, die im Supplement von More´ri genannt werden, werden hier um Desmarets und Schotanus ergänzt. Auf katholischer Seite wird neben Eusebius Romanus noch Jean Baptiste Morin aus dem Supplement übernommen. Die Arbeit von Pezron bleibt hingegen bei Bayle unerwähnt. Desmarets druckt das niederländische Verbotsplakat wörtlich ab, vgl. Desmarets: Refutatio Fabulae Prae-Adamiticae (1656), S. CIX–CXV; Das Originalplakat vom 26. November 1654 findet sich in W.P.C. Knuttel: Catalogus van de pamflettenverzameling berustende in de Koninklijke Bibliotheek, 9 Bde. ’s-Gravenhage 1978, unter den Nummern 7681 und 7682. Vgl. zu diesem eher ungewöhnlichen Vorgang Ingrid Weekhout: Boekencensuur in de Noordelijke Nederlanden. De vrijheid van drukpers in de zeventiende eeuw. Diss. Nijmegen 1998, S. 307, die kurz auf die Causa La Peyre`re zu sprechen kommt; vgl. allgemein S. Groenveld: The Dutch republic, an island of liberty of press in 17th century Europe? The authorities and the book trade. In: Commercium litterarium. La Communication dans la Re´publique des Lettres. 1600–1750. Hgg. v. Hans Bots, Franc¸oise Waquet. Amsterdam, Maarsen 1994 (SIB 25), S. 281–300. In Anm. F (bis 1720 Anm. D) zitiert Bayle aus der Menagiana: »Lors que le Livre des Pre´adamites parut, il fut condamne´ a` eˆtre brule´ par la main du bourreau.«

52 merk auf einen scheinbaren Seitenaspekt des Präadamitenskandals: auf La Peyre`res Konversion zum katholischen Glauben. Allein zwei der fünf Anmerkungen widmet Bayle der expliziten Erzählung über die Umstände dieser Konversion. Nimmt man die beiden 1720 ergänzten Anmerkungen hinzu, so sind es vier der nunmehr sieben Anmerkungen, die sich mit der Konversion und mit La Peyre`res Katholizität befassen. Zudem wird man die Konversion eines Hugenotten erst recht in dieser Zeit kurz nach 1685 wahrlich kein unschuldiges Thema nennen können. Vielmehr zeichnet sich hier die Vereinnahmung der Ereignisse um 1655 als Argumentationspotential für die aktuelle Lage gegen Ende des 17. Jahrhunderts nach der Aufhebung des französischen Toleranzediktes ab.104 Bayle führt dabei eine neue Ebene ein, die bei More´ri keine Erwähnung findet. So macht er auf den Umstand aufmerksam, daß La Peyre`re in den Diensten der Prinzen von Conde´ stand (aufgrund der Länge des Zitats biete ich die Übersetzung der Passage in der Fußnote). L’Eveˆque de Namur – so zitiert Bayle die Konversionsbeschreibung von Pierre de Saint-Romuald – fit publier une Censure du livre des Pre-Adamites, fait par le Sieur la Peyre`re, toutefois sans le nommer, parce qu’il ne s’en estoit pas dit l’Auteur, encore qu’on ne le sceust que trop. Mais il en fut bien plus mal-traite´ pour le mesme sujet, estant a` Bruxelles au mois de Fe´vrier 1656. Trente hommes arme´s entre`rent d’insulte dans sa chambre et l’enleve`rent, puis l’ayant mene´ par de longs et divers de´tours des rues de Bruxelles, ils le jete`rent enfin dans la tour de Turemberg; et cela du consentement de l’archiduc Le´opold. On lui dit que c’e´tait de l’autorite´ de monsieur le grand vicaire de l’archeveˆque de Malines. Enfin, apre`s avoir demeure´ quelques temps en cette tour, il en sortit par le cre´dit de son maıˆtre, M. le prince de Conde´, et aussi par son avis s’en alla a` Rome se jeter aux pieds du pape, et se soumettre entie`rement a` sa volonte´, lui et son livre, devenant par ce moyen catholique avec tout le bon succe`s qu’il pouvait souhaiter. C’est ce qu’il a rapporte´ lui-meˆme dans sa requeˆte au tre`s-saint pe`re le pape Alexandre VII.105 104

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Vgl. dazu die in der neueren Forschung immer stärker vertretene These einer Theologie im Gewande der Philosophie bei Bayle. In Nachfolge der Arbeiten von Paul Dibon und Elisabeth Labrousse hat dies Nicola Stricker sehr überzeugend herausgearbeitet. Sie hat dabei die Rede von der Maske der Dissimulation kurzerhand schon im Titel umgedreht. Nicola Stricker: Die maskierte Theologie von Pierre Bayle. Berlin, New York 2003 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 84); Dies.: Die Theologie Bayles im Dictionnaire historique et critique. In: Aufklärung 16 (2004), S. 111–135. Ich biete die Stelle nach der von Gottsched besorgten Übersetzung; Gottsched bezog sich auf die bereits erweiterte Ausgabe von 1740; Bayle (Gottsched). Bd. 3 (1743), S. 652 Anm. C: »Der Bischof von Namur ließ 1655 eine Beurtheilung des Buches, von den Präadamiten kund machen, welches Peyrerius, doch ohne seinen Namen, gemacht, weil es sich nicht desselben Urheber genennet, ob man es gleich mehr als zu wohl wußte. Allein es wurde wegen eben dieser Sache gar bald weit härter gegen ihn verfahren, da er im Hornunge, 1656, zu Brüssel war. Dreyßig bewaffnete Mann drangen mit Gewalt in seine Kammer, und bemächtigten sich seiner Person; dann führten sie ihn endlich durch lange und verschiedene Umwege der Straßen zu Brüssel, und warfen ihn endlich, und zwar mit Genehmhaltung des

53 Bayle beläßt es jedoch nicht dabei, schon hier gehörige Zweifel an der Erfolgsgeschichte der Konversion zu streuen, sondern bietet zudem in Anmerkung G (bis 1720 Anm. F) eine andere Version, die er wie folgt einleitet: Comme je me fie peu a` Pierre de St. Romuald, j’ai voulu sc¸avoir d’un Gentilhomme de beaucoup de me´rite, qui e´toit alors chez Mr. le Prince de Conde´, si ce bon Feuillant narre bien la chose. Voici la Re´ponse qui m’a e´te´ faite. ›Je crois vous pouvoir parler juste sur ce que vous me demandez, parce que Mr. de la Peirere e´toit fort de mes amis. Il fut arreˆte´ a` Bruxelles dans le temps que votre Auteur raporte: Mais l’anecdote de cela est que feu Monsr. le Prince entra dans cette affaire, par le moyen d’un Je´suite son Confesseur, qui aimoit Mr. de la Peirere, a` sa Religion pre`s, dont il vouloit qu’il changeaˆt.‹106

Der Autor dieses Briefs evoziert mit seinem ersten Satz eine solide Authentizitätsfiktion, wenn er betont, mit La Peyre`re befreundet gewesen zu sein. Auch Bayle ist durch seine einleitenden Worte sehr bemüht, hier den unparteilichen und gut informierten »Gentilhomme de beaucoup de me´rite« gegen den nicht sonderlich vertrauenswürdigen »bon Feuillant« aufzustellen. Diese quellenkritische Operation entlarvt sich im Verlauf dieses Briefes ungewollt von selbst. Denn der Edelmann aus Anm. G bestätigt mehr die Aussagen des Franziskaners aus Anm. C, als daß er diese wirklich widerlegt. Sieht man von dem Jesuiten einmal ab, so ist es die gleiche Geschichte, die man aus Anm. C bereits kennt. Zudem ist der Edelmann bei weitem polemischer im Ton, so daß sich seine Parteilichkeit, und indirekt damit diejenige von Bayle, kaum verbergen kann: »›On remua donc la machine du Preadamite; on l’arreˆta, & on lui fit craindre les suites de ce livre, s’il ne changeoit de Religion. Le bon homme, qui n’e´toit pas obstine´ sur ce qui s’apelle Religion, en changea bien-toˆt, & son maıˆtre lui donna de quoi aller querir son absolution a`

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Erzherzoges Leopold, in den Thurm zu Turemberg. Man sagte zu ihm, daß dieses auf Befehl des Großvicarius des Erzbischofs von Mecheln geschehe. Endlich, nachdem er einige Zeit in diesem Thurme gesessen hatte, kam er auf den Vorspruch seines Herrn, des Prinzen von Conde´, heraus, und ging so gleich nach dessen Rathe nach Rom, dem Papste zu Füssen zu fallen, und sich und sein Buch seinem Willen gänzlich zu unterwerfen, und durch dieses Mittel ward er mit allem erwünschten Erfolge, ein Papist. Dies hat er selbst in seiner Bittschrift an den Papst Alexandern den VII erzählet.« Bayle (Gottsched). Bd. 3 (1743), S. 652 Anm. G: »Weil ich dem P. von S. Romuald wenig traue, so habe ich von einem sehr verdienten Edelmanne, der damals bey dem Prinzen von Conde´ gewesen, wissen wollen: ob dieser gute Franziscaner die Sache recht erzählet hat. Er hat mir folgende Antwort gegeben: ›Ich glaube, daß ich euch richtig auf eure Frage antworten kann, weil de la Peirere mein sehr guter Freund gewesen. Er ist zu Brüssel in der Zeit in Verhaft genommen worden, die euer Schriftsteller meldet: allein die geheime Nachricht ist, daß sich der Prinz von Conde´, vermittelst eines Jesuiten, seines Beichtvaters, in die Sache gemenget, welcher den de la Peirere, bis auf seine Religion, geliebet, die er gerne verändern gesehen hätte.‹«

54 Rome, dont il ne faisoit pas grand cas. Il revint chez son maıˆtre qui a touˆjours eu de l’amitie´ pour lui, & qui l’a entretenu depuis son retour en France, chez les Peres de l’Oratoire a` Paris.‹«107 Die Rolle Conde´s ist in dieser Version sehr viel aktiver. Nicht nur erwirkt er das Einlenken der Inquisition, überhaupt erscheint das Ganze als eine Art abgekartetes Spiel. Dieses Theater wird zudem nicht mit einem frommen Hugenotten, sondern vielmehr mit einem Naivling gespielt. Darüber hinaus endet der Brief: »›Je l’ai vu la` souvent, & trouve´ peu Papiste: mais fort enteˆte´ de son ide´e des Preadamites, sur quoi il a e´crit & parle´ a` ses amis en secret jusques a` sa mort. Le Procureur General de cet Ordre, qui est de mes amis, & qui l’aimoit, m’a donne´ a` dıˆner avec lui, & lui fit avoue¨r qu’il e´crivoit toujours des Livres, qu’il m’assuˆra tout bas qui seroient bruˆlez de`s que le bon homme seroit mort.‹«108 Bei More´ri klingt das noch ganz anders: Er beurteilt das hinterlassene Werk als ein »manuscrit conside´rable« und attestiert seinem Autor »beaucoup d’esprit et de sc¸avoir«.109 Von »bon homme« ist bei More´ri keine Rede. Auch das leicht zweideutige Zeugnis als Papist, wie es der »gute Franciscaner« in Anm. C gegeben hatte, wird hier endgültig ad absurdum geführt. Neben Conde´ und dessen Beichtvater sind es in dem von Bayle herangezogenen Brief nämlich auch die Oberen des Oratoriums, die mit dem armen Toren La Peyre`re ihr doppeltes Spiel treiben. Die geringe Aussagekraft eines Beitritt zu den Oratorianern für La Peyre`res Katholizität hatte Bayle schon in Anmerkung F (bis 1720 Anm. D) aus einer Stelle der Menagiana abgeleitet: »Ce bon homme demeuroit 107

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Bayle (Gottsched). Bd. 3 (1743), S. 652 Anm. G: »›Man hat also die Maschine des Präadamiten in Bewegung gebracht; man hat ihn in Verhaft genommen, und die Folgen von diesem Buche fürchterlich vorgestellt, wenn er die Religion nicht veränderte. Der ehrliche Mann, der in demjenigen, was man Religion nennet, nicht hartnäckigt war, hat sie gar bald verändert, und sein Herr hat ihm die Reisekosten gegeben, seine Loszählung in Rom zu holen, woraus er sich nicht viel machte. Er ist zu seinem Herrn zurückgekommen, welcher beständig Freundschaft gegen ihn gehabt, und ihn, seit seiner Zurückkunft in Frankreich, bey den PP. Oratorii zu Paris unterhalten hat.‹« Bayle (Gottsched). Bd. 3 (1743), S. 652 Anm. G: »›Ich habe ihn daselbst oft besucht, und ihn als einen schlechten Papisten, aber von seinem Begriffe der Präadamiten beständig eingenommen gefunden, worüber er seinen Freunden bis zu seinem Tod in geheim geschrieben, und mit ihnen davon gesprochen hat. Der Generalprocurator des Ordens, der mein Freund ist, und ihn geliebet, hat mich, nebst ihm, zur Mittagsmahlzeit behalten, und ihn zu dem Geständnisse vermocht: daß er beständig Bücher schriebe, welche, wie er mich versichert, so bald der gute Mann gestorben wäre, so gleich verbrennt werden würden.‹« Vgl. More´ri. Bd. 2 (51688), S. 804. Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 137, verweist hier auf die fast gleichlautende Einschätzung in den Me´moires von Michel des Marolles (1600–1681). Diese findet sich allerdings nur im Bd. 3 der Claude-Pierre Goujet zugeschiebenen Neuausgabe Amsterdam 1755, S. 355. Noch zu Marolles’ Lebzeiten waren nur die ersten zwei Bde. in Paris 1656 u. 1657 erschienen.

55 en pension a` Nostre-Dame-des-Vertus chez les Pe`res de l’Oratoire. Il e´tait touˆjours enteˆte´ de ses Pre´adamites, et aparemment qu’il est mort dans cette fantaisie.«110 Der von More´ri evozierte Zusammenhang von Calvinismus und präadamitischen Gedankenspielen wird hier schon dadurch entkräftet, daß La Peyre`re auch nach seiner Konversion weiterhin diesen Gedanken angehangen haben soll. Daß die Kompilatoren der Menagiana, wie wir im letzten Unterkapitel bereits gesehen haben, ansonsten die Sache mit den Präadamiten, die allenfalls noch als Bonmot bei Hofe taugen mögen, eher herunterspielen, läßt Bayle durch sein verkürztes Zitat weg. Auch die ab 1720 ergänzte Anmerkung D läßt La Peyre`res Konversion in einem schalen Licht erscheinen. Zwar habe La Peyre`re, wie es üblich sei, die Motive seines Übertritts publiziert, die Konversion verliere jedoch an Glaubwürdigkeit schon dadurch, daß selbst Katholiken über sie gespottet hätten:111 L’Auteur du Livre des Pre´adamites [...] est ici de retour de Rome. Il a fait imprimer un petit livre in 4, dans lequel il rend raison de son changement de religion (on appelle cela en termes d’Ecole: Abjurer son He´re´sie), & il a desavoue´ son Livre des Pre´adamites. J’ay vuˆ ce Livre, mais il ne se vend pas bien. On dit que le Pape luy a donne´ une petite Abbaye, que le Mazarin luy encore promis quelque nouvelle faveur du Ciel, ou du Purgatoire. Il est ici attendant cette graˆce, aussi avidement que vous pouvez l’imaginer d’un Gascon, qui a peur de mourir de faim, & qui n’a change´ de Religion que pour faire fortune & meilleure che`re, aux de´pens de qui il appartiendra. Il se produit ici comme s’il e´toit grand faiseur de miracles, ou de´biteur de pardons ... Un Gascon, savant, courtisan, huguenot converti qui vient de Rome, est fort propre a` ce badinage, & a` joue¨r une telle Come´die.112 110

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Bayle (Gottsched). Bd. 3 (1743), S. 652 Anm. F: »Dieser ehrliche Mann wohnet als Kostgänger zu Noˆtre-Dame des Vertus, bey den PP. des Oratorii. Er hat allezeit seine Präadamiten im Kopf gehabt, und ist vermuthlich in dieser Phantasey auch gestorben.« Vgl. bereits die Additions & Corrections. In: Bayle. Bd. 2 (1697), S. 1329, wo Bayle in die Marge ergänzt sehen will: »voyez comment Guy Patin se moque de lui a` ce sujet dans sa lettre 117. p. 454. 455. du I. tome.« Aus dieser Stelle ist die neue Anmerkung D entstanden, die er einleiten läßt: »Il [sc. La Peyre`re] publia selon la coutume les Motifs de son changement. Il y eut des catholiques qui s’en moque´rent (D).« Bayle (Gottsched). Bd. 3 (1743), S. 652 Anm. D: »Der Urheber des Buches, von den Präadamiten, [...] ist hier von Rom wieder angekommen. Er hat ein kleines Buch in 4 drucken lassen, worinnen er Rechenschaft von seiner Religionsveränderung giebt, (man nennet dieses, in den Redensarten der Schule, seine Ketzereyen abschwören,) und sein Buch, von den Präadamiten, widerruft. Ich habe dieses Buch gesehn; allein es geht nicht gut ab. Man saget: es habe ihm der Papst eine kleine Abtey gegeben, und Mazarin überdies noch irgend eine neue Wohlfahrt von dem Himmel, oder dem Fegefeuer versprochen. Er wartet allhier so begierig auf diese Gnade, als ihr es von einem Gasconier einbilden könnet, welcher sich fürchtet, vor Hungers zu sterben, und die Religion nur verändert hat, Glück und ein besser Leben, auf Unkosten dessen zu erlangen, zu dem er sich schlug. Er hat sich hier ausgegeben, als wenn er ein großer Wunderthäter und Ablaßverkäufer wäre

56 Es ist kein anderer als der illustre Arzt Guy Patin (1601–1672), aus dessen posthumer Briefsammlung von 1691 hier zitiert wird.113 Durch die Auslassungspunkte wird allerdings ein Halbsatz ausgespart, der die Aufschneiderei des Gascon ein wenig entschärft. Dort heißt es in voller Länge: »Notre grand ville de Paris est un the´aˆtre fort propre a` cela; car il s’y rencontre beaucoup de sots et de curieux, et parallelement d’ignorants, qui s’e´tonnent aise´ment de ce qu’ils ne connoissent point; et de plus un Gascon [...]«.114 Nicht nur werden die Briefe wo nötig beschnitten, überhaupt werden die verschiedenen Aussagen über La Peyre`re nur höchst selektiv verwandt. So hätte Bayle etwa wiederum Patin bemühen können, der in einem anderen Brief, der auf den 11. Mai 1655 datiert ist, über die PraeAdamitae (1655) bemerkt: »Je tiens pour certain que c’est ce meˆme traite´ dont parle M. Cl. Sarrau en ses e´pitres, page 74.«115 Selbst wenn Bayle diesen Brief Patins nicht gekannt haben sollte, waren ihm die genannten Briefe des Pariser Hugenotten Claude Sarraus (1600–1651) bestens vertraut, wie man an anderen Artikeln seines Dictionnaire leicht nachweisen kann.116 Sarrau berichtet dort in einem Brief an den Leidener Gelehrten Claude Saumaise (1596–1653) aus dem November 1643 von dem Plan La Peyre`res, einen Text mit dem Titel Somnium Nobilis Aquitani de PraeAdamitis drucken lassen zu wollen.117 In diesem Zusammenhang steht

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... Ein gelehrter höflicher Gasconier, ein bekehrter Hugenotte, der von Rom kömmt, ist zu dieser Kurzweil und zu solcher Comödie sehr geschickt.« Ein Gascon gilt allgemein als verschlagen und als Aufschneider, vgl. Furetie`re. Bd. 2 (1727), der es in seiner Definition nicht an Deutlichkeit mangeln läßt: »fanfaron, hableur, querelleur«. Auch Zedler. Bd. 10 (1735), Sp. 317, weiß zu berichten: »Man giebt ihnen Schuld, daß sie manchmal allzu ruhmräthig sind, und darinnen denen Spaniern, ihren Nachbarn nachahmen.« Patin an Falconet vom 9. April 1658; bereits abgedruckt in: Lettres choisies de Feu Mr. Guy Patin. Frankfurt 1683, S. 228f. Bayle verweist in seinem Dictionnaire auf eine dreibändige Ausgabe »Gene`ve 1691«; vgl. dazu die Nouvelles de la Re´publique des lettres (Mars & Avril 1718), S. 267, wo ebenfalls von einer dreibändigen Ausgabe aus Genf die Rede ist; es handelt sich offenbar um die Ausgabe Coloniae 1691. Van Lieshout: The Making of Pierre Bayle’s Dictionaire (2001) nennt auf der beigelegten CD-ROM kritiklos »Geneve 1691 in 12«. Lettres choisies de Feu Mr. Guy Patin. Frankfurt 1683, S. 229; übersetzt lautet er: »Unsere großartige Stadt Paris ist ein dafür nur zu sehr geeignetes Theater, denn hier trifft er auf viele Dumme wie Neugierige, doch zugleich Unkundige, die sich leicht beeindrucken lassen von etwas, was sie nicht kennen; und überdies ist ein Gascon, gebildet, höflich, als bekehrter Hugenotte, der aus Rom heimkehrt, nur zu sehr geschickt zu solcher Kurzweil und zum Spielen einer solchen Komödie.« Patin an Spon vom 11. Mai 1655. Gedruckt erschien dieser Brief erstmals 1718 als Nr. XCV in den Nouvelles Lettres de feu M. Gui Patin. Bd. 2, S. 192–196. Vgl. Van Lieshout: The Making of Pierre Bayle’s Dictionaire (2001); vgl. Anm. L zu Art. Jean Adam. In: Bayle. Bd. 1 (1740) = Anm. I. In: Bayle. Bd. 1 (1697). Bayle benutzte die spätere Ausgabe Utrecht 1697. Der genannte Brief entspricht dort der Nr. 52. Claudii Serravii Epistolae. Opus posthumae. Arausioni 1654, S. 74: »Convenit ho-

57 auch die erste Widerlegung der Präadamitenhypothese durch keinen geringeren als Hugo Grotius (1583–1645), ebenfalls aus dem Jahr 1643.118 Diese Vorgeschichte zur Publikation der Prae-Adamitae (1655) findet bei Bayle keine Erwähnung – zumindest nicht im Artikel zu La Peyre`re. Dabei war sie ihm durchaus nicht unbekannt. Denn im Artikel zu Grotius benennt Bayle diesen Konnex zwischen Grotius und La Peyre`re, um ihn weitestgehend zu entkräften.119 Es ist ein typischer Fall, in dem ein solcher Querverweis innerhalb des Bayleschen Dictionnaire nicht geboten wird.120 Im ganzen Artikel zu »La Peyre`re« gibt es nur einen einzigen expliziten Verweis, nämlich zu dem Eintrag über den Islandforscher »Jonas Arngrimus«, wo Bayle La Peyre`res Islandbeschreibung erwähnt und aus ihr zitiert.121 Zwar führt das Register des Dictionnaire zusätzlich noch zum Artikel »Cain«, doch fehlt etwa im Artikel »Adam«, wo zumindest ein Verweis auf die Präadamitenthese oder zu La Peyre`re naheliegen würde, jegliche Erwähnung.122 Eine inhaltliche, theologische Auseinandersetzung mit den Präadamiten findet bei Bayle also kaum statt, und erst recht nicht im Artikel zu »La Peyre`re«. Wenn schon nicht im Artikel »Adam«, so geht Bayle zumindest im Artikel »Cain« auf die Präadamiten ein.123 Ebenfalls reflektiert er die These indirekt im Artikel »Sadeur«.124 Diese Erwähnung ist jedoch, wie auch schon im Fall des

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die Peyrerius, dixitque velle se edere opusculum illud suum, quo docere conatur ante Adamum existisse alios homines: consiliumque suum illud tibi inscribendi, sub hoc titulo, Somnium Nobilis Aquitani de Prae-Adamitis, allusione scilicet facta ad scomma Grotii.« Vgl. Hugo Grotius: De origine gentium Americanarum. dissertatio altera. Paris 1643, S. 15. Art. Grotius Anm. G. In: Bayle I (1697), S. 1310: »Du Maurier nous trompe plus d’une fois dans les paroles que l’on va lire: ›Pendant cette longue ambassade de douze ans, M. Grotius fit divers ouvrages, entre autres une dissertation latine contre de la Perre`re, qui avait e´crit des Pre´adamites.‹« Bayles abschließendes Urteil lautet: »Je crois bien que la Peyre`re est de´signe´ dans ses paroles; mais je persiste a` maintenir que l’e´crit des Pre´adamites n’e´tait pas alors imprime´. Grotius savait les sentimens de ce personnage; et c’est ce fit qu’il en dit un mot par occasion. Ce n’est point ce qu’on appelle re´futer l’ouvrage d’un homme.«. In der Ausgabe von 1720 wird hier auch der genannte 52. Brief von Sarrau angegeben. Vgl. Louis Aubery du Maurier: Me´moires pour servir a` l’histoire de Hollande, et des autres Provinces Unies. Paris 1680, S. 417f Vgl. Neumeister: Unordnung als Methode (1995), S. 188–199. Vgl. Bayle. Bd. 2 (1697), Anm. C (ab 1720 Anm. E); Art. Jonas (Arngrimus). In: Bayle. Bd. 2 (1697), S. 176f. Art. Cain. In: Bayle. Bd. 1 (1697), S. 717. Anm. A bietet dort ein »Examen de quelques difficultez des Preadamites«. Dieses Fehlen eines expliziten Rekurses im Art. Adam mag der Grund dafür sein, daß Kurt Flasch in seinem instruktiven Artikel La Peyre`re ausspart, vgl. Ders., Historisierung des Anfangs (2007), S. 29–44. Vgl. Art. Sadeur. In: Bayle. Bd. 2 (1697), S. 989f: »Si la Peyre`re se fuˆt servi de ce tour, il se seroit e´pargne´ bien des affaires.« Dazu ausführlicher Achim Aurnhammer: Androgynie. Studien zu einem Motiv in der europäischen Literatur. Köln u.a 1986, S. 137–153.

58 Artikels zu »Grotius«, nicht über Querverweise oder das Register zu finden. Was die übrigen Werke La Peyre`res anbelangt, ergänzt Bayle More´ris Auskunft um die Relation de l’Islande (1663) und nennt zusätzlich seine diplomatische Reise mit dem französischen Gesandten La Thuillerie nach Skandinavien.125 Bayle unterstreicht das politische Moment der Schriften La Peyre`res, indem er in Anmerkung E (bis 1720 Anm. C) dessen klienteläre Verbindung zum Haus Conde´ nochmals hervorhebt. Zum einen erwähnt er die Widmung der Relation de l’Islande (1663) an seinen Patron, zum anderen mutmaßt Bayle, auch die Schlachtbeschreibung La Bataille de Lents (1649) zu Ehren des Prinzen von Conde´ sei von La Peyre`re.126 So sehr hier auch Bayle die politischen Aspekte im Werk von La Peyre`re betont, fällt besonders ins Auge, daß in der eklatanten allgemeinen Herabwürdigung des theologischen Moments zudem jegliche Nennung einer Aussage über die Juden fehlt: Obwohl More´ri das hinterlassene Manuskript über Erwählung, Verwerfung und Rückruf der Juden mit vollem Titel nennt,127 erwähnt Bayle diese Handschrift, wie auch den Rappel des Juifs (1643) an keiner Stelle. Bayle scheint es in erster Linie um eines gegangen zu sein, nämlich den Eindruck abzuwehren, die Präadamitenthese sei womöglich ein Ausbund der reformierten Theologie, wie es der Konvertit La Peyre`re selbst oder etwa der preˆtre More´ri darzustellen versuchten. Um dies zu untermauern, erschien es ihm ratsam, den Schwerpunkt derart auf die Konversion zu lenken, daß man abschließend den Eindruck gewinnen mußte, La Peyre`re sei nicht nur aus recht unlauteren Absichten zum katholischen Glauben übergetreten, er habe vielmehr das deshalb tun können, weil er sowieso nicht eben viel glaubte. So läßt er den Artikel enden mit den Worten seines Briefkorrespondenten in Anmerkung G (bis 1720 F): »›La Peirere e´toit le meilleur homme du monde, le plus doux, & qui tranquillement croyoit fort peu de chose‹«.128 Bayle nennt hier interessanterweise seinen Informanten nicht beim Namen, sondern weist diesen »Gentilhomme de beaucoup de me´rite« nur nach seiner Funktion als Klient von Conde´ aus und tut zudem so, 125

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More´ri. Bd. 2 (51688), S. 804: »La Perere a aussi e´crit un Histoire de Groe¨land qu’il fit imprimer a` Paris en 1647.« Bayle. Bd. 3 (1720), S. 1216 Anm. E: »Il a de´dia a` Mr. le Prince de Conde´; & il te´moigne dans l’Epitre De´dicatoire qu’il a dessein d’e´crire la Vie de ce He´ros. Je pense qu’il est Auteur de la Relation de la Bataille de Lens.« More´ri. Bd. 2 (51688), S. 804: »Il a laisse´ en mourant un manuscrit conside´rable de l’e´lection, du rejet & du rapel des Juifs.« Es ist aufschlußreicherweise dieser eine Satz, der aus dem Kontext gerissen noch über hundert Jahre später zur alleinigen Charakterisierung benutzt wird, vgl. Art. Lapeyre`re. In: Sylvain Mare´chal: Dictionnaire des athe´es anciens et modernes. 2. Aufl. Bruxelles 1833, S. 146.

59 als ob er hier ein Fragment zitieren würde. Diese Authentizitätsbemühungen gehen so weit, daß man fast glauben könnte, man habe es hier mit einer reinen Fiktion zu tun und es habe diesen Brief nie gegeben. Doch er hat sich erhalten: Er befindet sich in der Königlichen Bibliothek von Kopenhagen und ist mit Morin unterzeichnet.129 Elisabeth Labrousse hat den Korrespondenzpartner als einen gewissen Franc¸ois Morin du Sandat (1630–1716) identifiziert, der in Diensten von Conde´ stand.130 Ein pikantes Detail läßt Bayle somit ebenfalls weg, denn dieser Morin war Hugenotte. Bayle, der ehemalige Professor der hugenottischen Akademie von Sedan, entgeht somit nicht dem eigenen Verdikt gegen More´ri, hier als Kontroverstheologe geschrieben zu haben, der einen »vray Sermon de Croisade« predige.131 Dieser Eindruck einer nur vorgeschobenen biographischen Genauigkeit verstärkt sich, wenn man hinzunimmt, daß es sich bei den beiden genannten Kleinigkeiten, die Bayle explizit im Vergleich zu More´ri verändert sehen wollte, um Punkte handelt, die eigentlich nur die von Bayle benutzte Ausgabe betreffen. Bayle gibt selber in seinem Vorwort darüber Auskunft, die ältere fünfte Auflage aus Lyon von 1688 als Referenz zu benutzen. Dort, doch auch nur dort findet sich der Druckfehler »1555«, und bereits vor Erscheinen des Bayleschen Wörterbuchs war auch der Name in »Perere, ou Peyrere« in den Amsterdamer Ausgaben des More´ri von 1691 und 1694 verändert worden. Hinzukommt, daß ausgerechnet zur Zeit der Abfassung des Bayleschen Dictionnaire historique et critique der Artikel zu La Peyre`re bei More´ri insgesamt verändert wurde und dadurch in erheblichem Maße eine Akzentverschiebung erfuhr: Der Eintrag zu La Peyre`re wurde in erster Linie gekürzt und die Causa La Peyre`re entschärft.132 Zudem wurde das posthum er129

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Kopenhagen, KB Thott 1208 4° c. Morin an Bayle vom 6. April 1696. Bayle leitet Anm. G ein: »Le fragment de Lettre que je produirai aprenda quelques circonstances bien curieuses«. Abgesehen von einer kurzen Schlußformel bietet Bayle allerdings den ganzen Brief. Vgl. Elisabeth Labrousse: Inventaire critique de la correspondance de Pierre Bayle. Paris 1961. Nr. 1.043, S. 239 u. 385. Zu Franc¸ois Morin du Sandat vgl. Katia Be´guin: Les princes de Conde´. Rebelles, courtisans et me´cenes dans la France du Grand Sie`cle. Seyssel 1999, S. 431. Die Stelle bei Bayle sei hier noch einmal und länger zitiert: Projet et fragmens d’un Dictionaire critique. Rotterdam 1682, Abschnitt IX, o.S: »j’userai de la meˆme liberte´ & de meˆme honnetete´ envers les Auteurs, de quelque nation & de quelque Religion qu’ils soient. [...] Il n’y a rien de plus ridicule qu’un Dictionaire ou` l’on fait le Controversiste. C’est un de plus grands defauts de celuy de Mr. Moreri; on y trouve cent endroits qui semblent eˆtre detachez d’un vray Sermon de Croisade.« Nicht nur steht bereits ab der nächsten Auflage More´ri. Bd. 4 (61694), S. 129, anstelle von »& mal prouve´« dann »Ou` il veut prouver qu’il y a eu des hommes avant Adam«; auch das Urteil über die Prae-Adamitae (1655) wurde gekürzt um »dans le fond, se refute de luy-meˆme par ses fausses conclusions, par ses contraritez continuelles & sur tout par ses explications force´es & badines.«

60 stellte Supplement (1689), in dem sich ein Artikel zu den Pre´-Adamites findet, in den Dictionnaire von More´ri eingebaut. Bayle wußte sehr wohl um die Schwächen der Lyoneser Ausgabe von 1688, begründete aber seine Wahl mit der Verbreitung bei seiner intendierten Leserschaft in Frankreich.133 Bei allen Unterschieden zwischen den beiden vorgestellten biographischen Kompilationen gibt es allerdings deutlich strukturelle Ähnlichkeiten. Sowohl bei More´ri wie auch bei Bayle wird mit der Strategie der Banalisierung gearbeitet – wenn auch in unterschiedlicher, sogar diametraler Richtung: Bei More´ri (und das vor allem in den späteren Ausgaben als der von Bayle konsultierten 5. Auflage von 1688) gewinnt La Peyre`res Präadamitenthese die ausschließliche Funktion als indirekter Steigbügelhalter für dessen Konversion. Bei Bayle hingegen wird La Peyre`re (auch schon vor den umfangreichen posthumen Erweiterungen von 1720) heruntergespielt als »bon homme«, der nahezu Züge des ›armen Toren‹ des Psalmisten (Ps 14,1) trägt, der gar nichts glaubt. 2.2. Nicerons Fama Wie es auch immer um die Rechtgläubigkeit La Peyre`res bestellt gewesen sein mag, auch der Barnabitenpater Jean-Pierre Niceron (1685–1738) stellte sich 1730 in seinem Artikel für seine Me´moires pour servir a` l’Histoire des Hommes Illustres dans la Re´publique des Lettres diese Frage.134 Wieder ist es also ein Katholik, der schon einiges mehr als More´ri aufbieten muß, um die von Bayle vorgebrachte Konstruktion der Figur La Peyre`re parieren zu können. Dazu nahm er die Diskussion von Bayle auf, der im Vergleich zu La Peyre`res apologetischen Schriften die Umstände der Konversion als »un tour un peu different« darstelle.135 Niceron zitiert wörtlich das diffamierende Brieffragment des Hugenotten Morin du Sandat aus Bayles Anmerkung G, um jedoch resümierend festzustellen: »Que ce recit soit vrai, ou faux, il est suˆr que la Peyrere 133

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Bayle. Bd. 1 (1697), S. 10: »Je me regle´ a` l’e´dition de Lion 1688. qui est la cinquie´me & la derniere que l’on ait donne´ en France. Je n’ignore point que les e´ditions de Hollande sont beaucoup meilleures; mais j’ai cru qu’il falloit proportionner mes corrections a` celle-la`, en faveur d’une infinite´ de gens qui ne servent que des e´ditions de France, & qui encore aujourd’hui les recherchent & les achetent preferablement a` la sixie´me & a` la septie´me.« Er garniert diese Aussage mit der hübschen Begründung: »Ce sont des Catholiques passionnez, qui ont ouı¨ dire que les e´ditions Hollande ont souvent reprime´ le ze´le de Mr. Moreri.« Vgl. Niceron. Bd. 12 (1730), S. 65–84; Nachträge und Korrekturen finden sich in Niceron. Bd. 20 (1732), S. 42–44. Niceron. Bd. 12 (1730), S. 66f: »C’est ainsi qu’il raconte lui-meˆme cette affaire. Un Gentilhomme qu’il avoit connu, & que M. Bayle consulta pour en sc¸avoir la verite´, y donne dans son Dictionnaire un tour un peu different.«

61 voulut faire sa retractation a` Rome, & qu’il y alla pour ce sujet.«136 Er entkräftet damit den Vorwurf, die Konversion sei nicht aufrichtig gewesen, wie er von reformierter Seite von Morin du Sandat oder Bayle erhoben worden war. Doch auch Niceron kennt Bedenken an La Peyre`res Katholizität. Er zitiert dazu aus einem Brief des katholischen Bibelgelehrten und Oratorianers Richard Simon (1638–1712), der eine Erzählung von La Peyre`res Sterbeszene und mithin seine letzten Worte bietet: »J’ai appris qu’etant a` l’article de la mort, un Theologien de l’Oratoire, qui se nommoit, ce me semble, le P. Fauconnier, le pressa un peu vivement sur ses Pre´adamites, & sur son Rappel des Juifs. Ce Pere, dit-on, voulut l’obliger a` retracter sincerement ce qu’il avoit avance´ sur ces matie`res; mais il e´vita de le faire, & comme il se vit un peu presse´, il dit a` celui qui le pressoit de la sorte ces paroles de l’Epıˆtres de S. Jude: Hi quaecumque ignorant blasphemant.«137 Laut Simon war es also ein Oratorianer, der von La Peyre`re bei dessen Tod eine Lebensbeichte forderte, die dieser verwehrte. Diese Stelle ist einem Brief entnommen, den Simon 1704 im zweiten Band seiner Lettres choisies drucken ließ. Er soll in Paris 1688 verfaßt und an einen gewissen »Z.S.« gerichtet gewesen sein, hinter dem man Simons späteren Biographen Ze´pharin Sanson vermuten darf.138 Wie der Überschrift zu entnehmen ist, bietet Simon darin eine Lebensbeschreibung La Peyre`res: »Quelques particularite´s touchant l’Auteur & l’Ouvrage des Pre´adamites«.139 Dieser Brief kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden für die Konstruktion und indirekt für die Bewertung von La Peyre`res Lebenslauf. Daran wird man Niceron maßgeblichen Anteil zusprechen müssen. Denn bei genauem Vergleich hat Niceron sehr von dieser Beschreibung Simons profitiert. Bis auf wenige Ausnahmen ist die gesamte Biographie bei Niceron nicht nur kompilierende Paraphrase, sondern sogar wortwörtliches Zitat des besagten Briefes von Simon. Allerdings weist er das 136 137

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Niceron. Bd. 12 (1730), S. 67. Niceron. Bd. 12 (1730), S. 69. Niceron gibt als Quelle den 3. Brief aus dem zweiten Band der Briefe von Simon. Es ist allerdings der vierte Brief. Vgl. dazu Fausto Parente: Isaac de La Peyre`re e Richard Simon. In: La geografia dei saperi. Scritti in memoria di Dino Pastine. Hgg. v. Dominico Ferraro, Gianna Gigliotti. Firenze 2000, S. 161–182, bes. 163. Ein Inventar der Korrespondenz von Richard Simon bleibt ein Forschungsdesiderat. Mir ist daher nicht bekannt, ob zu diesem Brief ein Autograph existiert. In diesem Fall ist es quellenkritisch irrelevant, da Simon noch zu Lebzeiten den Brief veröffentlichte. Es ist somit eine Lebensbeschreibung für ein breites Publikum, die sich lediglich der Form als Brief bedient, um möglichst authentisch zu wirken. Lettres choisies de Mr. Simon ou` l’on trouve un grand nombre de faits anecdotes de Literature. Nouvelle e´dition. Bd. 2. Rotterdam 1704, S. 23–28. »Nouvelle e´dition« bezieht sich hierbei mehr auf den ersten Bd., der wirklich bei Erscheinen des zweiten Bandes eine Neuauflage erlebte.

62 Zitat als solches nur beim genannten Lebensende aus. Trotz aller Abhängigkeit ist es jedoch eine Art Kontrafaktur der Beschreibung von Simon. Zum einen hat Niceron nur rund ein Viertel des Briefes benutzt. Zum anderen hat er vor allem pikante Details weggelassen und insgesamt ein wenig geglättet. Bei Simon lesen wir beispielsweise, La Peyre`re habe behauptet, er sei gar nicht der Urheber der Präadamiten, vielmehr habe er das Werk aus dem Gedächtnis eines ›Bruders‹, der in England verstorben sei, verfaßt.140 Niceron hingegen läßt sich auf diese Diskussion nicht ein und läßt dieses Detail einfach weg. Die beiden Biographen unterscheiden sich vor allem in der Beurteilung der Rolle, die Conde´ bei La Peyre`res Konversion zugekommen sei: Simon betont, daß der Prinz trotz aller Anstrengung nicht La Peyre`re habe befreien können. Im Gegenteil spricht Niceron Conde´ eine aktivere Rolle zu und nähert sich somit der Version von Morin, wie sie Bayle in seiner Anmerkung G bietet.141 Auch den Aufenthalt in Rom gestaltet Niceron anders: »Le Pape Alexandre VII. le rec¸uˆt tre´s-bien« – so steht es bei beiden. Simons Folgesatz, der ein vielsagendes Bonmot bietet, das hier dem Papst in den Mund gelegt wird, läßt Niceron jedoch weg: »De´s que Sa Saintete´ le vit e´tant accompagne´e de quelques Cardinaux, elle dit en souˆriant: embrassons ce´t homme qui est avant Adam.«142 Einige Details hat Niceron aber durchaus so belassen und durch seinen sonst nüchternen Ton ›objektiviert‹. Das gilt in besonderer Weise für Simons vernichtendes Urteil über La Peyre`res wissenschaftliche Qualitäten. »Pour ce qui est de son e´rudition elle e´toit fort borne´e.« – heißt es übereinstimmend bei Simon und Niceron – »Il ne savoit ni grec ni hebreu; & cependent il se meˆloit de donner de nouveaux sens a` plusieurs passages de la Bible. Il se piquoit de savoir bien le latin; mais a` la reserve de quelques poe¨tes qu’il avoit luˆs, il n’e´toit pas habile dans cette lan140

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Vgl. Lettres choisies de Mr. Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 4, S. 24: »Je me souviens qu’un de mes amis lui reprocha en ma presence qu’il n’e´stoit le ve´ritable pere de cet Ouvrage. Il pre´tendoit qu’il avoit compose´ sur les memoires d’un de ses freres qui e´toit mort en Angleterre.« Vgl. zu dieser kryptischen Aussage William Poole: Seventeenth-Century Preadamism, and an Anonymous English Preadamist. In: The Seventeenth Century 19 (2004), S. 1–35. Lettres choisies de Mr. Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 4, S. 24: »Tout le credit de Mr. le Prince ne puˆt le tirer de leurs mains.« Vgl. hingegen Niceron. Bd. 12 (1730), S. 66: »Il demeura quelque tems en prison, dont il sortit par le credit du Prince de Conde´.«, um kurz darauf hinzuzusetzen, »C’est ainsi qu’il [sc. La Peyre`re] raconte lui-meˆme cette affaire.« Lettres choisies de Mr. Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 4, S. 24. Interessanterweise findet sich eine ähnliche Beschreibung in den Aufzeichnungen von Christiaan Huygens: Le se´jour de Christian Huygens a` Paris. Hg. von H.L. Brugmans, Paris 1935, S. 154: »J’y trouvay la Peirere le Preadamite qui conta de son audience aupres du Pape. le general de Jesuites luy avoit dit, Ego et Sanctissismus multum risimus de tuo libro.«

63 gue.«143 Unabhängig davon, ob dies der beschränkten Bildung La Peyre`res entsprochen haben mag oder nicht, wird hier die von More´ri wie Bayle begonnene Banalisierung La Peyre`res auf die Spitze getrieben. Allerdings konterkariert die ausführliche Behandlung bei Simon und Niceron gleichzeitig die vermeintliche Irrelevanz eines derart halbseidenen Gelehrten. In der Gesamtanlage von Simons Lettres choisies ist zudem dessen eigenes Interesse an der Kabale kaum zu übersehen: Nicht von ungefähr stellt Simon seinem vierten Brief über La Peyre`res Biographie drei Schreiben voran, die er an La Peyre`re in dessen letzten Lebensjahren gerichtet haben will. Alle diese Briefe werden nicht müde, zu betonen, wie sehr Simon sich bemüht habe, seinen armen Mitbruder von dessen kuriosen Ideen kurieren zu wollen – ein nach Simon freilich erfolgloses Unterfangen. Diese Konstruiertheit der Publikation der Lettres choisies ist bereits den Zeitgenossen aufgefallen, so urteilt 1722 Abbe´ Bonardy: »Plusieurs personnes de la connaissance de M. Simon assurent que ses lettres imprime´es n’ont jamais e´te´ adresse´es a` personne, et qu’il y a bien de choses qu’il n’avait apprises que plusieurs anne´es apre`s la date pre´tendue.«144 Die exponierte Stellung direkt am Anfang des zweiten Bandes der Lettres choisies unterstreicht die Brisanz La Peyre`res auch noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts.145 Schließlich konnte es dem durchaus selbst nicht unumstrittenen Bibelgelehrten Simon keineswegs recht sein, in die unrühmliche Nähe des ›Präadamiten‹ La Peyre`re gestellt zu werden, die sich schon deshalb bei seinen zahlreichen Gegnern anbieten mußte, weil beide im Umkreis der Oratorianer wahrgenommen wurden. Es ist letztlich auch nur folgerichtig, daß Niceron bei der Auflistung der Erwiderungen auf die Prae-Adamitae (1655) auch diese Briefe von Simon nennt.146

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Lettres choisies de Mr. Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 4, S. 27; Niceron. Bd. 12 (1730), S. 70 Bibliothe`ques des e´crivains de la Congre´gation de l’Oratoire; Archives de l’Ora´ tude toire, ms. 4° 20, fol. 769. Zitiert in: Paul Auvray: Richard Simon 1638–1712. E bio-bibliographique avec des textes ine´dites. Paris 1974 (Le mouvement des ide´es au XVIIe sie`cle 8), S. 144. Auvray nennt in diesem Zusammenhang explizit die Briefe an La Peyre`re. Vgl. Lettres choisies de Mr. Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 1–3, S. 1–23; sowie aus Bd. 3 (1704). Nr. 7–9, S. 36–45. Vgl. Niceron. Bd. 12 (1730), S. 79–81: »Voici la liste des Livre qui ont e´te´ publiez contre le sien. [...] Ajouˆtez a` cela trois Lettres de M. Simon adresse´es a` la Peyrere meˆme, qui se trouvent a` la teˆte du second volume de ses Lettres.« Vgl. allgemein zu der Querelle um Richard Simon: Auvray: Richard Simon (1974); Jean Steinmann: Richard Simon et les origines de l’exe´ge`se biblique. Bruges 1960; Sascha Müller: Kritik und Theologie. Christliche Glaubens- und Schrifthermeneutik nach Richard Simon (1638–1712). St. Ottilien 2004 (Münchener Theologische Studien 66).

64 In den Kontext einer bleibenden Brisanz La Peyre`res fällt wohl auch das dritte Zitat, das Niceron an das Ende seiner Biographie stellt. Denn noch 1703 war in den Nouvelles de la Republique des Lettres ein Brief veröffentlicht worden, der unter anderem auch von La Peyre`re handelt, von seinem Aufenthalt in Spanien und von der Vorliebe für mathematische Fragen. Das Motiv des ›Träumens‹, das Grotius im Zusammenhang mit dem ursprünglichen Titel der Präadamitenthese genannt hatte, wird wieder aufgenommen. Hier soll es allerdings eine Proposition von Euclid gewesen sein, die La Peyre`re fast in den Tod getrieben haben soll. Auch in dieser Hinsicht sei später sein Aufenthalt in Rom heilsam gewesen – folgt man der Beschreibung dieses Briefes: »M. la Peyre`re [...] avoit fait un voyage en Espagne, ou` dans le chemin il avoit continuellement reˆve´ sur une proposition d’Euclide, & l’avoit fait avec une si forte application d’esprit, qu’il en tomba malade & pensa mourir. Cependant plusieurs anne´es apre`s, & sur tout e´tant a` Rome, la pense´e lui en revint dans l’esprit, & il souhaita de s’en e´claircir avec quelque habile Mathematicien«147 Dieses Detail, daß Niceron in Zusammenhang mit La Peyre`res Diensten bei Conde´ rückt, wird weder bei More´ri noch bei Bayle oder Patin erwähnt. Allen außer More´ri ist allerdings gemeinsam, daß sie die Bedeutung der Patronage für die Werke La Peyre`res hervorheben. Nach der biographischen Annäherung folgt bei Niceron ein Katalog von La Peyre`res Werken. Niceron ist dabei auffallend gut informiert: alle neun gedruckten Werke finden Erwähnung. Besonderes Gewicht legt Niceron nicht nur auf die Prae-Adamitae (1655), sondern interessanterweise auch auf den Rappel des Juifs (1643). Niceron hält den letzteren für derart unbekannt, daß er eine knappe Zusammenfassung des Inhalts bietet. In bezug auf die beiden ›geographischen‹ Schriften Relation du Groenland (1647) und Relation de l’Islande (1663) schließt er sich dem Urteil Simons an, diese seien im Vergleich zu den anderen Werken »nullement visionnaire«.148 Eine Schwierigkeit übergeht Niceron allerdings. Schon im Zitat der Sterbeszene, wie er sie Richard Simon entnommen hat, war expressis verbis vom Rappel des Juifs die Rede gewesen. Simon behauptet in einer 147

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Niceron. Bd. 12 (1730), S. 71. Es mag eine Replik sein auf La Peyre`res Apologie. Paris 1663, S. 23: »Et i’admire tous les iours ce que i’ay leu autrefois comme auec enchantement, dans la demonstration de la 12. du 9. d’Euclide, qui prouue qu’vne chose est, parce qu’elle n’est pas. Qui pose qu’elle est noire, pour prouuer qu’elle est blanche. Et pas vn raisonnement plus qu’humain, qui tire la lumiere des tenebres, & l’Estre du non Estre.« Vgl. Lettres choisies de Mr. Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 4, S. 28: »Il a fait une histoire de Groenland qui est estime´e, & qui fait connoıˆtre que l’auteur des Pre´adamites n’estoit pas un visionnaire, comme on le pourroit croire si nous n’avions de lui que son livre des Pre´adamites.«

65 längeren Passage seines Briefes, die Niceron nicht benutzt, dieses Werk sei nie gedruckt worden, sondern ihm lediglich zur Vorzensur gegeben worden.149 Niceron scheint diesen Rappel des Juifs mit dem gedruckten Werk gleichen Titels aus dem Jahr 1643 gleichzusetzen. Nimmt man jedoch noch den zweiten Brief von Simon aus dessen Lettres choisies, den er am 27. Mai 1670 La Peyre`re geschrieben haben will, hinzu, so wird deutlich, daß Simon hier an das Manuskript denkt, das bereits More´ri am Ende seines Eintrags zu La Peyre`re genannt hatte: De l’e´lection, du rejet & du rapel des Juifs. Es befinde sich, so Simon dort, in der Bibliothek des Prinzen von Conde´.150 Insgesamt betrachtet zeigt sich bei Niceron ein recht disparates Bild. Zwar ist La Peyre`re letztlich wie bei Bayle ein dummer Tor, der bis an sein Lebensende an seinen Phantasien festgehalten habe, gleichzeitig soll seine Konversion doch im größeren Maße seinem eigenen Wunsch entsprochen haben: »la Peyrere voulut faire sa retractation a` Rome, & qu’il y alla pour ce sujet.«151 Die späteren Ergänzungen aus dem Jahr 1732 bestätigen diese Ambivalenz: Zum einen präsentiert Niceron hier einen Auszug aus dem Sterberegister, der La Peyre`res Katholizität unterstreicht. Ein zweites Mal distanziert sich hiermit Niceron von Richard Simons Erzählung der Sterbeszene. Zum anderen berichtet er über die recht heterodoxen Aktivitäten aus den letzten Lebensjahren. Niceron nennt ein weiteres Manuskript, das eine recht rüde Antwort auf die Refutatio Fabulae Prae-adamitae (1656) des Hugenotten Samuel Desmarets sei, und er erinnert nochmals daran, daß es in erster Linie Protestanten gewesen seien, die sich an La Peyre`res Bibelumgang gestoßen hätten.152 Gleichzeitig gibt aber Niceron neue Indizien, woran La Peyre`re, der allzeit von seinen präadamitischen Gedanken besessen gewesen sei, in seinen letzten Lebensjahren gearbeitet habe: 1671 sei in Paris eine Bibelübersetzung von Abbe´ Michel de Marolles (1600–1681) erschienen, deren Anmerkungen von La Peyre`re stammten.153 Dieses Übersetzungs149

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Vgl. Lettres choisies de Mr. Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 4, S. 25f: »il composa sur ce sujet un asse´s gros livre sous le titre de Rappel des Juifs, qui n’a e´te´ jamais imprime´. Il me le donna pour le lire, & pour lui en marquer mon sentiment: ce que je fis.« Vgl. Lettres choisies de Mr. Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 4, S. 26: »L’auteur qui craignoit qu’apre´s sa mort les Peres de l’Oratoire ne fissent de son ouvrage un sacrifice a` Vulcain, comme ils l’auroient sans doute fait, le mit tre´s bien e´crit de sa main dans la Bibliotheque de Mr. le Prince, ou` je crois qu’il est encore presentement.« Vgl. ebd. Nr. 2, S. 12–17. Niceron. Bd. 12 (1730), S. 67. Vgl. Niceron. Bd. 20 (1732), S. 42–44. Beide Mss. befinden sich heute noch in Chantilly. Zumindest in seinen Memoires nennt Marolles den anonymen Autor nur einen »bel esprit« und zeigt sich recht zurückhaltend gegenüber den Präadamiten: Bd. 1 (1656), S. 243; in Bd. 2 (1657), S. 248, betont er, er habe die Erwiderung von Desmarets »tout du long auec vn singulier plaisir« gelesen.

66 projekt endet bereits im Buch Leviticus, nachdem es im Auftrag des Erzbischofs von Paris von dem Konvertiten Guillaume Martin untersucht und von Kanzler Se´guier daraufhin verboten worden sei.154 Die in diesem Bibelprojekt gebotenen Anmerkungen zur Schöpfungsgeschichte enthalten durchaus präadamitische Anklänge. So wird dort zum Vers über die Geburtsschmerzen der Frauen nach dem Sündenfall (Gen 3,16) bemerkt, daß die Isländerinnen nicht unter Schmerzen gebären. Der dänische Staatsmann Corfitz Ulfeld (1606–1664) hatte dies 1663 La Peyre`re in seinen Briefen berichtet.155 Eine Verwendung dieses Arguments läßt sich im Werk La Peyre`res, wie es sich in der Relation de l’Islande (1663) angeboten hätte, ansonsten nicht nachweisen, obwohl er diese Information für eine erbsündenfreie und somit präadamitische Bevölkerung hätte nutzten können. Es muß also mehr als fraglich bleiben, ob diese Anmerkungen wirklich von La Peyre`re stammen oder ob hier nicht jemand in Anlehnung an La Peyre`re schrieb. Niceron beschließt seine Biographie mit dem diffamierenden Epigramm über La Peyre`res verstörende Multikonfessionalität. Er führt es mit dem Hinweis ein, im Wörterbuch von Richelet sei dieses Epigramm »mal rapporte´e«.156 Überhaupt steht dieses nach Pierre Richelet benannte Dictionnaire stärker in der Tradition von More´ri und benutzte mit Vorliebe La Peyre`res Apologie (1663), um diesen »savant homme« als blütenreinen Katholiken darzustellen und alles weitere seinem ursprünglichen Calvinismus anzulasten.157 Niceron distanziert sich doppelt von dieser Konstruktion der Figur La Peyre`re, indem er das Epigramm, das La Peyre`res Gleichgültigkeit allem Religiösen gegenüber verspottet, ansonsten unkommentiert abdruckt: La Peyre`re ici gıˆt, ce bon Israe¨lite, Huguenot, Catholique, enfin Pre´adamite.

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Zu diesem Guillaume Martin vgl. La France protestante (Haag, Haag). Bd. 7 (1857), S. 300. Vgl. [Michel de Marolles:] Le livre de la Gene`se en Hebreu Beresith. Paris 1671, S. 5: »C’est vne des peines que Dieu donne a` la femme pour son peche´. Il y a neantmoins des femmes, a` ce qu’on dit, en quelques paı¨s, comme en Islande, qui enfantent sans peine & sans trauail.« Corfitz Ulfeld an La Peyre`re vom 25. Juni 1663. In: Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 317. Vgl. ebenfalls Dino Pastine: Le origini del poligenismo e Isaac Lapeyre`re. In: Miscellanea seicento I (1971), S. 198f. So auch noch in Richelet. Bd. 2 (1732), S. 468: »Ici gıˆt la Peyrere, ce bon Israe¨lite, Catholique, Huguenot, enfin Pre´-Adamites«. Vgl. Richelet. Bd. 2 (1732), S. 468: »Son Epitaphe ne dit vrai, car il ne fut jamais Huguenot & Catholique a` la fois. A la fin de sa vie il se convertit, il fit une retractation de son livre, & mourut saintement dans une maison des Preˆtres l’Oratoire pre`s Paris. [...] Il seroit inutile de de´tailler davantage son Apologie; je crois qu’elle fut bonne foi, quoique quelques-uns en ayant pense autrefois.«

67 Quatre Religions lui pluˆrent a` la fois; Et son indifference e´toit si peu commune, Qu’apre`s quatre-vingt ans qu’il eut a` faire un choix, Le bon-homme partit, & n’en choisit pas une.158

Interessanterweise findet man dieses Epigramm nicht in Zedlers Universal-Lexicon in dem entsprechenden Artikel zu »La Peyre`re« aus dem Jahr 1741 zitiert, obwohl der Zedler als Quellen die Briefe Simons, die Menagiana, Bayle und eben auch Niceron angibt.159 Ähnlich manifestiert sich etwa auch in der englischen Biographia Gallica (1752) ein aus Bayle und Simon kompiliertes Lebensbild La Peyre`res.160 Hundert Jahre nach den Ereignissen hatte sich somit aus den anfänglich sehr divergierenden Bildern ein Destillat ergeben, das eine Quintessenz aus den verschiedenen Konstruktionen darstellt. Die gröbsten Spitzen wurden beigeschliffen und es präsentiert sich nunmehr quasi der ›gemeinsame Nenner‹ der verschiedenen biographischen Entwürfe eines More´ri, Simon, Patin, Bayle und Niceron. Die anfänglich deutlicheren Interessen traten dabei immer mehr in den Hintergrund und verblichen. Zurückblieb aber ein durchaus schillerndes Bild einer Figur, die sich weiterhin jeder voreiligen Einordnung entzieht. Damit verfestigte sich eine Tendenz, die nicht erst posthum entstand, sondern auch schon zu seinen Lebzeiten existierte: La Peyre`re selbst erzählt die explizite Verwendung von Diffamierungsstrategien während seines Aufenthalts bei einer Mission in Spanien, die er 1653 für den Prinzen Conde´ unternahm. Dort hatte man anscheinend versucht, ihn – den Hugenotten mit präadamitischen Gedanken – seinen Gesprächspartnern unmöglich zu machen, kurz man habe ihn dargestellt als eine Art Fabelwesen, als »animal fantastique«.161 2.3. Fragmente eines Gelehrtenlebens Auch die modernen Biographen haben aufgrund der mangelnden Quellen nicht zu einem konziseren Bild finden können. Weiterhin gilt das Hauptinteresse dem Präadamitenskandal, und sei es auch nur, weil dar-

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Niceron. Bd. 12 (1730), S. 70f. Vgl. Zedler. Bd. 27 (1741), Sp. 1183. Vgl. Biographia Gallica: or, the lives of the most eminent French writers of both sexes. Bd. 1. London 1752, S. 233–235. Chantilly, Muse´e Conde´, Ms. P XV, fol. 347v–348r. La Peyre`re an Conde´ vom 8. Oktober 1655: »Mrs vos Ministres pour tascher de me rendre odieux aux Espagnols de la maison de M. Dom Louis de Hara, en disant que j’estoit huguenot et preadamite: cela donnoit la curiosite´ a beaucoup d’autres de m’accoster et de m’entendre partir, croyans que je fusse quelque animal fantastique.«

68 über noch am meisten überliefert ist. Die moderne Forschungsliteratur kann nur wenig zu den frühneuzeitlichen Lebenskizzen ergänzen. Auch sie hantiert das Dutzend Mosaiksteinchen aus Briefen, die dürre Aussagen über den Lebensweg liefern. Überhaupt ist auffällig, wie wenig seine Biographen auf die Zeit vor dem Präadamitenskandal von 1655 des bereits knapp sechzigjährigen La Peyre`re rekurrieren. Zu nennen wäre etwa seine 1624 in Montauban geschlossene und wohl nur kurze Ehe mit einer gewissen Suzanne Petit. Da La Peyre`re in dem Ehedokument als »docteur et advocat en la cour« von Bordeaux geführt wird, darf wohl vermutet werden, daß er eine juristische Ausbildung an der Akademie von Montauban, der ältesten, wenn auch im Vergleich zu Sedan und Saumur kleinsten hugenottischen Akademie erhalten hat.162 Einige wenige erhaltene Akten aus seiner Zeit in Bordeaux ergänzen dieses spärliche Bild.163 Der Rest bleibt Spekulation. Gleichwohl läßt sich festhalten: Gegen Ende des 16. Jahrhunderts, vieles spricht für 1596, als ältestes Sohn einer angesehenen hugenottischen Familie in Bordeaux geboren, tritt er nach Aufenthalten in Montauban, wo er 1624 die Ehe schließt, um 1640 in die Dienste der Prinzen Conde´.164 Über dessen Leibarzt Pierre Michon, genannt Abbe´ Bourdelot (1610–1685), bekommt er Anschluß an die gelehrten Kreise von Paris.165 In diese Zeit fallen auch seine ersten Werke, die er auf Intervention von Kardinal Richelieu nicht publiziert.166 1643 erscheint denn doch, wenn auch anonym, Du Rappel des Juifs.167 Parallel kursiert unter den euro162

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Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 348; sowie Lapeyre`re a` Montauban, S. 31–47. Allgemein sei für Montauban und seine hugenottische Akademie verwiesen auf MarieJose´ Lacava: L’e´dit de Nantes. Suˆrete´ et e´ducation. Montauban 1999. Am ausführlichsten weiterhin die unveröffentlichte Arbeit von Oddos: Lapeyre`re [1974], besonders die documents sur la vie et l’oeuvre d’Isaac de Lapeyre`re, S. 206–382; empfehlenswert Quennehen: »L’Auteur des Pre´adamites« (2006), S. 349–373. Vgl. Philippe Tamizey de Larroque, A. Communay: Isaac de la Peyre`re et sa famille. In: Revue critique d’histoire et litte´rature 19 (1885), S. 136–137. Vgl. drei Schreiben von La Peyre`res Vater an die Maison Conde´ aus dem Jahr 1640: Chantilly, Muse´e Conde´, M. XIX, fol. 163, 209 u. 244. Zu Abbe´ Bourdelot vgl. Be´guin: Les princes de Conde´ (1999), S. 405. Bourdelot, der 1651 an den Hof von Christina von Schweden wechselte und der erst nach dem Pyrenäenfrieden 1659 wieder in die Dienste von Conde´ zurückkehrte, hielt seit 1642 eine eigene Akademie im Hause Conde´ ab, vgl. dazu Rene´ Talon. In: Ueberweg. 17. Jh. Bd. 2/2 (1993), S. 603f. Vgl auch Pierre Le Gallois: Conversations tire´es de l’Acade´mie de monsieur l’abbe´ Bourdelot, aus den Jahren 1672 und 1674. Vgl. Vatikan, BAV, Barb. Lat. 6471, fol. 22r. Naude´ an Barbarini vom 16. Mai 1642. Ich danke Holger Gzella für die freundliche Anfertigung einer ersten Transkription dieses Briefes zu Beginn meiner Beschäftigung mit La Peyre`re. Rivet hatte in einem Brief an Sarrau nach dem Autor des Rappel des Juifs gefragt (Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 2. Nr. CLXXI, S. 81) und erhielt wenig später von diesem die Antwort, es handle sich um La Peyre`re (Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 2. Nr. CLXXIII, S. 87). Etwa zeitgleich auch der Brief von Patin

69 päischen Gelehrten eine frühe Version seiner Präadamitenschrift als clandestines Manuskript.168 1644 reist er auf Vermittlung von Abbe´ Bourdelot mit dem französischen Gesandten Gaspard Coignet La Thuillerie (1594–1653) nach Skandinavien und nimmt dort an den Friedensverhandlungen zwischen Dänemark und Schweden teil, die 1645 mit dem Frieden von Brömsebro enden.169 1646 nach Paris zurückgekehrt, stellt er sich wieder in die Dienste des Hauses Conde´, nach dem Tod von Heinrich II., unter dessen Sohn Ludwig II., besser bekannt als der Grand Conde´.170 In den Wirren der Fronde folgt La Peyre´re seinem Patron ins Exil und unternimmt für ihn Missionen nach England (1653) und nach Spanien (1654). In den südlichen Niederlanden soll er die Verbindung zu Christina von Schweden aufbauen.171 1655 folgt mit der Veröffentlichung seiner Prae-Adamitae endgültig der Skandal, der zu seiner Verhaftung durch die Inquisition führt und auf Betreiben des Prinzen Conde´ im Mai 1657 in der Konversion in Rom bei Papst Alexander VII. Chigi gipfelt. Mehrere apologetische Texte sollen seine Rechtgläubigkeit in den folgenden Jahren unterstreichen: neben seinem Konversionsbericht Epistola ad Philotimum (Rom 1657, Paris 1657 und Frankfurt 1658) seine stark überarbeitete Apologie (1663) sowie mehrere Briefsammlungen an den Comte de la Suze pour l’obliger par raison a` se faire Catholique (1660–1662). In Ergänzung seiner Relation du Groenland (1647) erscheint zudem die Relation de

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an Spon vom 14. September 1643. In: Lettres de Gui Patin (Reveille´-Parise). Bd. 1. Nr. CLXIX, S. 296f. Vgl. dazu Patin an Spon vom 14. September 1643. In: Lettres de Gui Patin (Reveille´-Parise). Bd. 1. Nr. CLXIX, S. 296f. Vgl. Sarrau an Rivet vom 19. März 1644. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 2. Nr. CCXXVIII, S. 230: »Est parti auiourd huy de cette ville pour Calais afin d’embarquer pour la Haye un gentilhomme de Languedoch nomme´ la Peyrere qui est personnage d’un bel et agreable esprit. Il s’en va avec Mr de la Tuillerie en Dannemarch.« Holger Rørdam: Fra den franske Gesandt de la Thuilleries’s Ophold i Norden 1644–1645. In: Ders.: Historiske Samliger og studier. Bd. 2. Kjøbenhavn 1896, S. 494, nennt ihn einen »Conseiller de M. l’Ambassadeur«. Er war in der Terminologie der »second class diplomats« von William James Roosen kein »secretary of ambassy«, sondern ein »secretary of ambassador«, vgl. Ders.: The Age of Louis XIV. The Rise of Modern Diplomacy. Cambridge (Mass.) 1976, S. 91–94. La Thuillerie war von 1640–1648 Botschafter in Den Haag gewesen, vgl. Anuschka Tischer: Französische Diplomatie und Dipomaten auf dem Westfälischen Friedenskongress. Außenpolitik unter Richelieu und Mazarin. Münster 1999, S. 57. Vgl. Mersenne an Rivet vom 18. Oktober 1646. In: Correspondance de Mersenne. Bd. 14. Nr. 1537, S. 549: »Monsieur de la Peyre`re qui est icy arriue´ depuis peu de jours.« Vgl. Conde´ an Fiesque vom Januar 1655. In: Henri d’Aumale: Histoire des princes de Conde´. Bd. 6. Paris 1892, S. 699: »j’establis la Peyre`re de re´sidence ordinaire aupre`s d’elle.«

70 l’Islande (1663). Bis an sein Lebensende als Bibliothekar mit dem Haus Conde´ verbunden, lebt er seine letzten Lebensjahre bei den Oratorianern in Aubervilliers in der Nähe von Paris, wo er am 30. Januar 1676, im hohen Alter von wohl achtzig Jahren stirbt.

II. La Peyre`re und der libertinage e´rudit La Peyre`re läßt sich allgemein in den Wandel der Gelehrsamkeit im 17. Jahrhundert einordnen, der unter dem Schlagwort der Neuen Wissenschaft firmiert. Speziell für Frankreich zeichnete sich dieser Wandel in der Errichtung der Acade´mie franc¸aise (1634) und in der Gründung weiterer ›privater‹ wissenschaftlicher Zirkel ab: etwa das Cabinet (1610) der Brüder Pierre (1582–1651) und Jacques Dupuy (1591–1656) oder auch die Acade´mie Bourdelot (1642) im Umfeld des Prinzen Conde´. Ausgangspunkt und Versammlungsort solcher Akademien waren in der Regel Bibliotheken. Etwa auch die Gründung der ersten ›öffentlichen‹ Bibliothek Frankreichs, der Bibliothe`que Mazarine, die Gabriel Naude´ (1600–1653) als ihr erster Bibliothekar ab 1643 für den Kardinalminister ausbaute, fällt in diese Zeit. Als Mittelpunkt dieser neuen wissenschaftlichen Netzwerke, die weit über Frankreich hinauswirkten, und entsprechend als ›Sekretär des gelehrten Europa‹ gilt der Minoritenpater Marin Mersenne (1588–1648), der selber einige Berühmtheit in Fragen der Mathematik sowie der Musiktheorie erlangte und zudem einen umfangreichen Briefwechsel hinterließ.1 La Peyre`res Präadamitenthese oder sein Rappel des Juifs (1643) dürfen als direktes Produkt dieser veränderten Bedingungen durch die Akademien und somit als Ausdruck der daraus resultierenden neuen Praktiken der Gelehrsamkeit gelten. Die neue Gelehrtenrichtung, welche die herkömmliche universitäre Wissenschaft zu sprengen scheint und welche das freie Denken auszeichnen soll, wird in der Forschung mit Pintard als Libertinage e´rudit gefaßt.2 Für die These eines gelehrten Libertinismus spricht allein schon der Umstand, daß man in den Quellen den zeitgenössischen Vorwurf des libertin oder des libertinage häufig im Zusammenhang mit Gelehrten finden kann – in der vielleicht bekanntesten Variante der L’impie´te´ des de´istes, athe´es et libertins de ce temps (1624) ausgerechnet von besagtem 1

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Vgl. den Abschnitt: Der Aufbruch der Wissenschaft in Frankreich. In: Ueberweg. 17. Jh. Bd. 2/2 (1993), S. 591–708, Re´ne´ Taton dort speziell zu den Akademien, S. 596–621; Pierre Costabel zu Mersenne, S. 637–648. Die kritische Edition der Correspondance de Mersenne umfaßt beeindruckende 17 Bde. Vgl. Rene´ Pintard: Le libertinage e´rudit dans la premie`re moitie´ du XVIIe sie`cle. Paris 1983 (um ein Vorwort erweiterter Nachdruck Paris 1943).

72 Pater Mersenne. Deshalb wird genauer nach dem Verhältnis von dem libertinage zu den neuen wissenschaftlichen Netzwerken und zu ihrem ›Sekretär‹ Pater Mersenne zu fragen sein. Vor allem ist dabei der Frage nach dem Verhältnis von Neuer Wissenschaft und Religiosität im bikonfessionellen Frankreich nachzugehen. Anders formuliert wird zu klären sein, wie sich der libertinage zu Skeptizismus, Heterodoxie und Atheismus verhält. Darüber werden sich auch die Vorzüge und Nachteile näher bestimmen lassen, La Peyre`re zu diesem libertinage e´rudit zu zählen. Wie wir gesehen haben, wurde bereits von den Zeitgenossen gegen La Peyre`re der Vorwurf der religiösen Indifferenz erhoben. Das genannte posthume Epigramm hatte ihm kurzerhand mehrere Konfessionen zuerkannt und ihm damit eine quasi Religionslosigkeit attestiert. Es findet sich ein ähnlicher Vorwurf auch schon zu seinen Lebzeiten in einem vertraulichen Schreiben an seinen Patron, wie wir am Ende von Kapitel I gesehen haben. Die Unterstellung nimmt allerdings auch einen deutlichen Raum in La Peyre`res apologetischen Schriften nach seiner Konversion ein. Bereits zu Beginn seiner Apologie aus dem Jahr 1663 stellt La Peyre`re fest: »ie passe dans l’opinion des plus fauorables, pour vn homme a` qui toutes Religion sont indiferantes; & dans la croyance des plus seueres, pour vn Impie & pour vn Ate´e.«3 Der Erfolg der biographischen Verengung als letztlich ›armer Tor‹ (Bayle) oder aber als schlechter Wissenschaftler (Simon), wie das letzte Kapitel gezeigt hat, tat ein übriges und mußte fast unweigerlich in die Fahrwasser des modernen Forschungskonzeptes eines libertin e´rudit führen, wie ihn Rene´ Pintard geprägt hat. Auf den ersten Blick liegt nichts näher als das, kann man doch schon allein aufgrund von zeitgenössischen Briefen und Tagebüchern seine Verbindungen zu den aufblühenden gelehrten Zirkeln von Paris rekonstruieren. Etwa die Gebrüder Dupuy, Gabriel Naude´ und Guy Patin gehörten zu seinen Gesprächspartnern, die spätestens seit Pintard das Elysium des Zweifelns bevölkern. Allerdings hat Richard H. Popkin dieses Argument schon seit den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts dahingehend zu entkräften versucht, daß es meist auch nicht viel mehr als dieses Argument der Bekanntschaft unter den Gelehrten gewesen sei, was zu der Zuordnung zu dem hehren Kern des libertinage e´rudit geführt habe.4 Deshalb gilt es, 3 4

Apologie de la Peyrere. Paris 1663, S. 2. Vgl. Richard H. Popkin: The History of Scepticism from Erasmus to Spinoza. Berkeley u. a. 1979, S. 87–109, 105f. »The long tradition of assuming that there must have been duplicity in the writings and actions of the libertins e´rudits depends, it seems to me, on the supposition that no other explanation of their views can be offered. [...] In the absence of completely decisive evidence as to the real intentions of these men, why should we assume the worst (or the best?), that they were

73 hier die Forschungsgeschichte zu dem Konzept eines gelehrten Libertinismus noch einmal aufzurollen und die herangezogenen Stellen in der zeitgenössischen Wahrnehmung genauer unter die Lupe zu nehmen, um das Bedeutungsfeld des Libertin klarer fassen zu können.

1. Bekenntnishafte Freiheiten des Denkens Pintard charakterisiert La Peyre`re in seiner Studie zum libertinage e´rudit als einen Provinzler, der mittels seiner Freundschaft zu Abbe´ Bourdelot (1610–1685), dem Leibarzt von Conde´ und späteren Vertrauten Christinas von Schweden, sowohl bei Conde´ als auch bei Christina Gehör fand, prestigeträchtige Kontakte zu anderen Gelehrten (etwa zu Claude Saumaise oder Andre´ Rivet) aufbauen konnte und den französischen Gesandten La Thuillerie nach Skandinavien begleiten durfte.5 Über La Peyre`res wissenschaftliche Aktivitäten urteilt Pintard: »Il met dans la recherche un ze`le si ardent et si originel qu’il semble ne pouvoir se satisfaire que dans le paradoxe ou l’he´re´sie.«6 Diese Tendenz zum »l’incorregible he´re´siarque«7 sieht Pintard auch schon lange Jahre vor der Publikation von La Peyre`res skandalumwitterten Schriften in einem Prozeß präfiguriert, der 1626 auf der hugenottischen Synode von Castres gegen einen Menschen namens La Peyre`re angestrengt wurde und den bereits die Gebrüder Haag im 19. Jahrhundert auf Isaac de La Peyre`re gedeutet hatten.8 Dieser Vorfall, von dem wir nur über zwei Briefe an den Repräsentanten des Königs auf der reformierten Synode überhaupt wissen, läßt gerade einmal soviel erkennen: Ein gewisser La Forcade habe einen La Peyre`re des Atheismus und des Unglaubens angeklagt.9 Allerdings

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engaged in a consciracy against Christendom. [...] And one of the basic sources of the suspicion of libertinage in each case has been the friendship with the others; Naude´ was a friend od La Mothe Le Vayer and Gassendi; Gassendi was a friend of Naude´ and La Mothe Le Vayer, etc. If we knew definitely (a) that at least one of these men was a genuine libertin trying to undermine Christendom, and (b) that the others accepted his friendship because of (a), then the argument of guilt-by-association might be significant.« Speziell zu La Peyre`re vgl. Pintard: Le libertinage e´rudit (1983), S. 358–362, 379f., 420–424. Pintard: Le libertinage e´rudit (1983), S. 359. Pintard: Le libertinage e´rudit (1983), S. 423. Vgl. Pintard: Le libertinage e´rudit (1983), S. 359; La France protestante (Haag, Haag). Bd. 6 (1856), S. 306. Vgl. BnF, Fonds franc¸ais 15827 (Affaires des Protestants 1626), fol. 149. Dugonne an Galland vom 24. September 1626. Vieles spricht dafür, daß es sich hier um Isaac de La Peyre`re handelt. Er wird hier »fils aıˆne´ de monsieur de lapeyrere« genannt. Vgl. zur Geschwisterfolge Philippe Tamizey de Larroque, A. Communay: Isaac de la Peyre`re et sa famille. In: Revue critique d’histoire et litte´rature 19 (1885), S. 136–137.

74 hätte, so das zweite Schreiben von Jean Alba10, die beachtliche Anzahl von sechzig Pastoren gegen diesen ungeheuerlichen Vorwurf und zur Unschuld des Beklagten aufgeboten werden können.11 Näheres ist nicht zu erfahren, die Akten der Synode schweigen zu der Causa La Peyre`re. Anscheinend konnte die Angelegenheit im Vorfeld ausgeräumt werden.12 Mag man auch noch verstehen, daß La Peyre`re selbst zu dieser kompromittierenden Angelegenheit schwieg, ist es schon mehr als erstaunlich, daß sich seine zahlreichen Gegner diesen brisanten Fall entgehen ließen und auch die frühe Rezeption darüber schweigt. Pintard wägt in der Fußnote kurz ab, ob hier überhaupt Isaac, oder nicht vielleicht doch sein jüngerer Bruder Abraham de La Peyre`re (1598–1680) gemeint sein könnte. Dessen Name findet sich im Jahr zuvor ausgerechnet in den Akten zum Prozeß gegen The´ophile de Viau (1590–1626), dem vielleicht prominentesten Opfer des libertinage-Vorwurfes in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Ein gewisser Jean Millot hatte am 25. März 1625 ausgesagt, daß »ung nomme´ Abraham de Lape´re`re, advocat de Bordeaux« mit dem beschuldigten The´ophile Umgang gehabt habe; The´ophile des Viaux bestritt dies in der Gegenüberstellung jedoch vehement.13 Vor dem Hintergrund dieser recht brüchigen Kontextualisierung ist es durchaus interessant, daß Pintard vierzig Jahre nach dem Erscheinen seines Werkes einen Forschungsrückblick auf den libertinage e´rudit verfaßt hat und darin auch auf La Peyre`re und speziell auf die weiterführenden Verdienste von Richard H. Popkin zu sprechen kommt. Pintard räumt Mängel in seiner Interpretation ein und gesteht, ihm hätten damals schlicht die Mittel gefehlt. Er hoffe aber, daß man eines Tages La

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Vgl. BnF, Fonds franc¸ais 15827 (Affaires des Protestants 1626), fol. 162. Alba an Galland vom 30. September 1626. Zu Jean Alba vgl. La France protestante (Haag, Haag). Bd. 1 (1846), S. 21. Vgl. Elisabeth Quennehen: »L’Auteur des Pre´adamites«, Isaac Lapeyre`re. Essai ˆ ge classique. Autour biographique. In: Dissidents, excentriques et marginaux de l’A de Carano de Bergerac (FS Madeleine Alcover). Hgg. v. Partricia Harry u. a. Paris 2006 (Colloques, congre`s et confe´rences sur le Classicisme 10), S. 357: »Soixante pasteurs, c’est conside´rable, et si ces manifestations de soutien ne sont sans doute pas une garantie absolue de la stricte orthodoxie, calviniste, de Lapeyre`re, elles montrent en tout cas la haute estime dont jouissait sa famille dans la communaute´ re´forme´e, et confortent le sentiment d’un solide enracinement.« Sowohl in den handschriftlichen wie auch in den gedruckten Akten gibt es keine Erwähnung, vgl. Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 41f. Zur Synode von Castres vgl. Jean Aymon: Tous les synodes nationaux des e´glises reforme´es de France, auxquelles on a joint des mandemens royaux, et plusieurs lettres politiques. Bd. 2. La Haye 1710, S. 328–445. Vgl. Pintard: Le libertinage e´rudit (1983), S. 632; zum Prozeß gegen The´ophile de Viau vgl. Fre´de´ric Lache`vre: Le libertinage au XVIIe sie`cle. Bd. 1. Paris 1909, S. 496–499; Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 26.

75 Peyre`re besser in die Gesamtsituation des frühen 17. Jahrhunderts werde einordnen können.14 1.1. Libertinage und Atheismus Es war allerdings nicht erst die Forschungsliteratur, die eine inhaltliche Nähe zwischen Ungenauigkeit in religiösen Dingen einerseits und Unglauben andererseits nahelegt. Auch schon La Peyre`re bekennt in der eingangs zitierten Stelle aus seiner Apologie, daß seine Gegner ihn als religiös indifferenten Menschen oder gar als einen Atheisten wahrgenommen hätten. Diese eklatante Nähe des Libertinismus zum Atheismus wirft die Frage auf, ob es einen solchen ›schon‹ in der Frühen Neuzeit gegeben habe. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß zeitgleich mit Pintard die wirkmächtige Studie von Lucien Febvre entstanden war, der am Beispiel von Rabelais die Existenz von Unglauben für das 16. Jahrhundert vehement bestritt.15 Ähnlich hat später Alan Kors 1990 den Atheismus im heutigen Sinne für das 17. Jahrhundert zu einem, wenn auch häufig bemühten Phantom erklärt. Seine Studie beginnt entsprechend auch mit der sprechenden Kapitelüberschrift »Atheists without Atheism«.16 14

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Rene´ Pintard: Les Problemes de l’histoire du libertinage, notes et re´flexions. Erstmals erschienen in: XVIIe sie`cle 127 (1980), S. 131–167; fungiert 1983 als Vorrede zum Nachdruck von Ders.: Le libertinage e´rudit (1983), S. XIII–XLIII; über die frühe Bibelkritik und speziell La Peyre`re heißt es ebd, S. XXVII: »Je ne chercherai pas d’excuses – elles seraient de toute fac¸on mauvaises – dans l’insuffisance des instruments bibliographiques d’il y a cinquante ans, qui compromit mon initiation au ›syste`me‹ d’Isaac Lapeyre`re. Non plus dans l’ironie avec laquelle ceux dont l’opinion pre´valait dans les ce´nacles savants ont d’abord traite´ l’auteur des Pre´adamites, a` leurs yeux aventurier peu estimable et inventeur d’un paradoxe ridicule. Leur aveuglement, affecte´ ou non, n’aurait duˆ me dissimuler ni l’inte´reˆt que Pascal accorda a` son hypothe`se ni l’inquie´tude de quelques the´ologiens. [...] Il faudrait aujourd’hui se poser en termes nouveaux – en quelque sens qu’on duˆt le re´soudre – le proble`me des rapports de Lapeyre`re avec la pense´e libertine. [...] un jour ou l’autre il faudra marquer mieux sa place dans le concert, bien tempe´re´ mais accessible a` des curiosite´s fort diverses, du libertinage e´rudit.« Lucien Febvre: Le proble`me de l’incroyance au XVIe sie`cle. La religion de Rabelais. Paris 1942; dt. Stuttgart 2002. Jüngst ist aus mediävistischer Sicht diese Debatte noch einmal grundlegend aufgearbeitet worden, vgl. Dorothea Weltecke: »Der Narr spricht: Es ist kein Gott«. Atheismus, Unglauben und Glaubenszweifel vom 12. Jahrhundert bis zur Neuzeit. Frankfurt a.M., New York 2010 (Campus Historische Studien 50). Vgl. Alan Charles Kors: Atheism in France. 1650–1729. Bd. 1. Princeton 1990, dessen quellengesättigte Arbeit mit den sympatischen Worten eingeleitet wird, Preface, S. XI: »I wanted to read everything, but when there were choices to be made, I always chose to read primary sources with my own mind’s eyes rather than profit from the labors of others.« Auf La Peyre`re kommt Kors nur summarisch mit Bodin und Richard Simon im Kontext von Reimmanns Historia Universalis Atheismsi et Atheorum falso & merito suspectorum (1725) kurz zu sprechen, vgl. ebd, S. 236.

76 Wollte man La Peyre`re schon allein aufgrund des zitierten Epigramms, das ihm religiöse Indifferenz vorwirft, in die Nähe des Atheismus stellen, mag man an ein vergleichbares Epigramm erinnern, das von Gilles Me´nage (1613–1692) über Grotius veröffentlicht wurde. Me´nage geht darin so weit, Grotius nicht nur vier, sondern ganze sechs (wenn auch innerchristliche) Standpunkte zugleich zuzusprechen, was vergleichbar sei mit den divergierenden Zuschreibungen der Heimat Homers: Smyrna, Rhodos, Colophon, Salamin, Pylos, Argos, Athenae Siderei certant Vatis de patria Homeri. Grotiadae certant de Religione Socinus, Arrius, Arminius, Calvinus, Roma, Lutherus.17

Die Kompilatoren der Menagiana lassen es sich nicht nehmen, dieses Epigramm lakonisch mit den Worten einzuleiten: Man täte Grotius sehr Unrecht, wollte man sagen, ihm fehle es an Religion; Me´nage habe ihm ja gleich sechs davon zugeschrieben. Ähnlich schwierig gelagert wie die Frage nach der Existenz von Atheismus in der Frühen Neuzeit ist die inhaltliche Füllung des Terminus libertin, zumal für das Frankreich des 17. Jahrhunderts. Als Quellenbegriff verstärkt ab dem 16. Jahrhundert belegt, fungiert der libertin ab dem 19. Jahrhundert als Forschungsterminus. Er ist jedoch in seiner konkreten begrifflichen Füllung bis heute sehr umstritten.18 Sein Erfolg mag gerade in der fast bis zur Unkenntlichkeit reichenden Mehrdeutigkeit liegen. In Anlehnung an die pejorative Aufladung, die er seit dem 16. Jahrhundert besaß, soll er all jene Phänomene beinhalten, wo in Gedanken, Worten und Werken von der gesellschaftlichen Norm abgewichen wurde. Verschiedene Modelle haben versucht, Kategorisierungen innerhalb dieses weiten Feldes vorzunehmen, deren bekannteste die Unterscheidung zwischen dem libertinage d’esprit (also einem theoretischen Libertinismus) und dem libertinage des mœurs (einem praktischen Libertinismus) ist. Seinen Siegeszug trat der Begriff freilich schon seit Calvin als Fremdbezeichnung an: erst als Denunziation, später als Adelung un-

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Menagiana. Bd. 4 (1729), S. 182: »On auroit grand tort de dire que Grotius manquoit de Religion. M. Me´nage lui en attribue six«. Vgl. weiterhin Gerhard Schneider: Der Libertin. Zur Geistes- und Sozialgeschichte des Bürgertums im 16. und 17. Jahrhundert. Stuttgart 1970, das 2000 ein Reprint erlebte. Einen Forschungsüberblick zu aktuellen Tendenzen bietet Jean-Pierre Cavaille´: Libertinage, irre´ligion, incroyance, athe´isme dans l’Europe de la premie`re modernite´ (XVIe–XVIIe sie`cles). Une approche critique des tendences actuelles de la recherche (1998–2002) vom Februar 2003. URL: http://dossiersgrihl.revues.org/279.html (26. Juni 2011).

77 konformistischer Gedanken (libertinage d’esprit) wie auch unkonventioneller Lebensführung (libertinage des mœurs).19 1.2. Debatte um Pintards Libertinage La Peyre`re ist in der Forschungsliteratur nicht erst 1943, seit dem epochemachenden Werk von Pintard, im Kontext der ›freidenkerischen‹ Gelehrtenkreise von Paris verortet worden. Auch schon Franc¸oisTommy Perrens oder aber Fre´de´ric Lache`vre taten dies rund fünfzig Jahre vor ihm.20 Pintard konnte also auf eine breite Forschung zum Libertinismus zurückgreifen, die er jedoch grundlegend neu interpretierte: Ihm verdanken wir die Positivierung des Begriffs libertin, die im Zuge des 20. Jahrhunderts umso verlockender scheinen mußte, als sie die Pluralisierung der eigenen Zeit, wenn auch in Ansätzen und nur in einer elitären Gruppe von ›Intellektuellen‹ des frühen 17. Jahrhunderts, vermeintlich antizipierend widerspiegelte.21 Pintard löste somit die ältere Forschungsmeinung ab, die in den libertins allenfalls eine Marginalerscheinung des glorreichen Grand sie`cle als dem sie`cle des saints erblicken wollte, deren subversive Wirkung jedoch erschreckend groß war und schnurstraks in den politischen und gesellschaftlichen Umsturz, kurz in die Französische Revolution habe münden müssen. Diese Umdeutung gelang Pintard umso besser, als er sich in seiner Darstellung des libertinage e´rudit weitgehend auf den theoretischen libertinage d’esprit konzentrierte.22 Allerdings hat auch bei Pintard diese Positivierung ihre Grenzen: bei ihm sind es libertins e´ru19

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Mit dieser Unterscheidung vergleichbar ist schon die Trennung bei Zedler. Bd. 17 (1738), Sp. 794, in einen »Libertinismus theoreticus« und einen »Libertinismus practicus«. Zur Abgrenzungsproblematik des libertinage e´rudit vgl. Franc¸oise Charles-Daubert: Le »libertinage e´rudit«. Proble`mes de de´finition. In: Libertinage et philosophie au XVIIe sie`cle 1 (1996), S. 11–25, sowie Ste´phane Van Damme: Libertinage de moeurs / libertinage e´rudit. Le travail de la distinction. In: Libertinage et philosophie au XVIIe sie`cle 8 (2004), S. 161–179. Vgl. Franc¸ois-Tommy Perrens: Les libertins en France au XVIIe sie`cle. Paris 1896, S. 164f; Fre´de´ric Lache`vre: Le libertinage au XVIIe sie`cle. Bd. 1. Paris 1909, S. 497. Hartmut Stenzel: Ein Gelehrter zwischen humanistischer Tradition, Politik und Öffentlichkeit: Gabriel Naude´ und die Probleme des »libertinage e´rudit«. In: Intellektuelle in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Jutta Held. München 2002, S. 176: »Sicher ist es so, dass in der die Position Pintards prägenden Entwicklung der Libertinismusforschung die laizistischen Traditionen der dritten Republik eine wichtige Rolle gespielt haben. Aus den für den Laizismus zentralen Erkenntisinteressen resultiert jedenfalls der für die Auseinandersetzungen um das sogenannte ›klassische‹ 17. Jh. in Frankreich bezeichnende Versuch, in das Jahrhundert gegen dessen religiös-monarchistische Deutung eine kohärente Eintwicklungslinie einzuschreiben, deren freigeistige, irreligiösen Tendenzen als eine Art Vorgeschichte des bürgerlichen Denkens gedacht werden sollen.« Auch Pintard bleibt bei seiner Definition recht unklar, vgl. Ders.: Le Libertinage e´rudit (1983), S. XVII: »A de´faut d’une appellation que j’aurais aime´ trouver dans

78 dits, nicht aber savants libertins.23 Es ist also eine Gruppe von nur leidlich Gebildeten in und um Paris gemeint, deren Projekt bereits mit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gescheitert sei. Schon aus diesem Grunde geht es bei Pintard um den französischen libertinage e´rudit in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Es ist also nicht eine Beschränkung auf diesen Zeitraum aufgrund der enormen Quellenfülle, sondern weil Pintard dieses Phänomen nur für diese Periode annehmen wollte.24 Gegen diese lokalen und zeitlichen Beschränkungen hat es in Folge Einspruch gegeben, schließlich handle es sich beim libertinage e´rudit keineswegs um einen französischen Sonderweg. Vielmehr habe Pintard hier nur den Ausschnitt eines gesamteuropäischen Phänomens beschrieben.25 Auch der von Pintard veranschlagte Zeitraum sei weiter zu fassen und die Wirkmächtigkeit dieser Geistesbewegung stärker zu veranschlagen.26 Es hat zum Phänomen des Libertinismus – vor allem im romanischen Raum – eine rege Forschung eingesetzt, Überblicksdarstellungen und Anthologien stehen mittlerweile zur Verfügung, Periodika nehmen sich der Thematik an.27 Jean-Pierre Cavaille´ hat jüngst endlich gezeigt, wie sehr ideologisch dieser Forschungsbegriff ist, wie sehr spezifisch französisch und Teil

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le vocabulaire du XVIIe sie`cle, je me re´signe´ a` ›libertinage e´rudit‹, en m’efforc¸ant de compenser le vague (et l’insolite) de cette e´tiquette ge´ne´rale par une analyse aussi minutieuse que possible des e´le´ments tre`s varie´s qu’elle recouvrait.« Perrens sprach etwa bezüglich der gleichen Personengruppe von »savants libertins« in Abgrenzung zu den »libertins des moeurs«, vgl. Ders.: Les libertins (1896). Vgl. zur Materialfülle die allein über 500 Handschriftenbestände und die darauf folgenden 600 frühen Drucke, die Pintard in seinem Quellenverzeichnis aufführt. So vor allem der Einwand von italienischer Seite, vgl. Tullio Gregory u. a. (Hgg.): Richerche su letteratura libertina e letteratura clandestina nel seicento. Firenze 1981. ˆ ge classique: un Vgl. dazu Didier Foucault: Le libertinage de la Renaissance a` l’A territorien pour l’historien? (9 juin 2007). URL: http://dossiersgrihl.revues.org/293 (26. Juni 2011), Abschnitt 39, der auf Pintard aufbauend diesen Aspekt stärker betont: »Longtemps me´connus et ne´glige´s, ces penseurs sont aujourd’hui rede´couverts avec inte´reˆt et re´e´dite´s. Leurs oeuvres constituent en effets des jalons essentiels pour comprendre la lente gestation souterraine des ide´es qui e´cloront au grand jour au sie`cle des Lumie`res.«. Neben Pintard sei verwiesen auf die mittlerweile zweibändige Anthologie Libertins du XVIIe sie`cle. Hg. v. Jacques Pre´vot. 2 Bde. Paris 1998 u. 2004, sowie auf die Zeitschriften: Libertinage et philosophie au XVIIe sie`cle sowie auf La Lettre Clandestine. Vgl. allgemein Sergio Zoli: L’Europa libertina (secc. XVI–XVII). Bibliografia generale. Firenze 1997, sowie die Bibliographia Clandestina. Bibliographie de la litte´rature philosophique he´te´rodoxe et clandestine de l’aˆge classique von Gianluca Mori und Alain Mothu vom Juni 1997. URL: http://www.vc.unipmn.it/ ∼mori/e-texts/bibclan.htm (26. Juni 2011). In der von Cavaille´ geführten Bibliographie zu Libertinage, libre pense´e, irre´ligion, athe´isme, anticle´ricalisme werden aktuell (14. Juni 2011) an die 2200 Forschungsarbeiten aufgelistet. URL: http://dossiersgrihl.revues.org/632 (26. Juni 2011).

79 letztlich einer innerfranzösischen Diskussion.28 Zwar hat der libertinismo erudito auch in der italienischen Forschung Widerhall gefunden, welche die europäische Dimension des Phänomens betont, jedoch gerade für die deutsche Geschichtswissenschaft gibt es kein adäquates Pendant. Selbst die für die deutsche Forschung bahnbrechende Studie von Martin Mulsow über die radikale Aufklärung, die er 1680 bis 1720 ansetzt, spricht häufig weiterhin vom libertinage e´rudit.29 Vorausgegangen war die Arbeit des Romanisten Gerhard Schneider aus dem Jahr 1970, die mangels Alternative ein frühes Reprint erleben durfte. Schneiders Studie zum Libertin zeigt ihre Verwobenheit mit der französischen Diskussion bereits darin, daß er ein deutsches Äquivalent schuldig bleibt und die libertins mal als Libertiner (für das 16. Jahrhundert), mal auch als Freigeister (für das Ende des 17. Jahrhunderts) im Deutschen wiedergibt. Alles in allem ist es auch bei ihm eine Rekapitulation der französischen Diskussion.30 Die Schärfe, mit der auch weiterhin in Frankreich über die Deutungshoheit über dieses Phänomen gestritten wird, läßt davor zurückschrekken, in diese Diskussion tiefer einzusteigen, zumal hier mehr als bereits angesprochen zu behandeln wäre: es ginge um eine politische, instititionelle wie ideengeschichtliche Einordnung des französischen Positivismus und seiner wissenschaftlichen Folgen und Antworten, was hier nicht geleistet werden kann und soll.31 Der Befund von Cavaille´ hat 28

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Vgl. dazu die exzellente Analyse von Jean-Pierre Cavaille´: Les libertins. L’envers du Grand sie`cle. In: Libertinage et philosophie au XVIIe sie`cle 7 (2003), S. 291–319. Vgl. Martin Mulsow: Moderne aus dem Untergrund. Radikale Frühaufklärung in Deutschland 1680–1720. Hamburg 2002; ebenso Ders.: Libertinismus in Deutschland? Stile der Subversion im 17. Jahrhundert zwischen Politik, Religion und Literatur. In: ZHF 31 (2004), S. 37–71; Ders.: Die unanständige Gelehrtenrepublik. Wissen, Libertinage und Kommunikation in der Frühen Neuzeit. Stuttgart, Weimar 2007. Der Titel verspricht mehr, als er hält. Man wird sich hier Cavaille´ anschließen müssen, vgl. Ders.: Libertinage, irre´ligion (2003). URL: http://dossiersgrihl.revues.org/279 (26. Juni 2011), Anm. 32: »car il ne s’agit au fond que d’une histoire, certes tre`s informe´e, des mots ›libertin‹, ›libertinisme‹, ›libertinage‹. On ne le re´pe`tera jamais assez: l’histoire sociale du libertinage reste a` faire.« Ich verweise beispielhaft auf die Kontroverse um die Deutungshoheit zwischen den Herren Fumaroli und Cavaille´, die in Schärfe, Form wie auch sprachlicher Eleganz an frühneuzeitliche Polemik gemahnt: Marc Fumaroli: La Re´publique des Lettres, l’universite´ et la grammaire. In: Revue d’histoire litte´raire de la France 104 (2004), S. 463–474, und die entsprechende Erwiderung von Jean-Pierre Cavaille´: Le paladin de la Re´publique des lettres. Contre l’e´pouvantail des sciences sociales. Un re´ponse a` Marc Fumaroli (fe´vrier 2005). In: Les dossiers du Grihl 2007–02. URL: http://dossiersgrihl.revues.org/278 (26. Juni 2011). Allein die Titel und Veröffentlichungsmedien zeigen an, daß es in dieser Auseinandersetzung zwischen dem Acade´micien Fumaroli und Cavaille´ von der EHESS um eine ganz andere Debatte geht. Als Kostprobe dieser Neuauflage einer gediegenen ›querelle des anciens et des

80 allerdings zur Folge, nur bedingt eine Hilfe von dieser Forschungsliteratur erwarten zu dürfen. Der libertin erscheint dort bei allen internen Divergenzen im einzelnen als ein illustres Potpourri all jener, die nicht streng rechtgläubig waren.32 1.3. Heterodoxien und Orthodoxien Angesichts einer Bi- oder besser Multikonfessionalität im 17. Jahrhundert stellt sich allerdings in erster Linie die Frage, worin diese nur unscharf evozierte ›Orthodoxie‹ bestanden haben soll, von der sich die libertins unterschieden, besser formuliert: an welcher Orthodoxie hier diese ›Kehrseite des Grand Sie`cle‹ gemessen werden soll. Im speziellen Falle von La Peyre`re kommt noch hinzu, daß er durch seine Reisen und Korrespondenzen nicht nur im Vergleich zu einer wie auch immer zu bestimmenden französischen Orthodoxie gesehen werden muß. In einem solchen – und nehmen wir nur einmal den Pariser – Potpourri werden die Vergleiche nahezu beliebig: Will man La Peyre`re nun mit Hobbes, dem heterodoxen Anglikaner, oder aber mit Grotius, dem der Dordrechter Orthodoxie fernstehenden Reformierten, oder aber mit Franc¸ois La Mothe Le Vayer, dem nicht gerade lupenreinen französischen Katholiken, vergleichen wollen? Wenn denn Hobbes, Grotius, La Mothe Le Vayer und La Peyre`re mit Pintard zum libertinage e´rudit gezählt werden, so muß dies ein überaus dehnbarer Begriff sein, der seine konzise Bedeutung bereits von seiner Prägung an eingebüßt hat. Und doch wird man Pintard soweit recht geben können, daß Hobbes, Grotius, La Mothe Le Vayer und La Peyre`re nicht nur ihre wissenschaftliche Aktivität sowie ihre zeitliche wie räumliche Nähe verbindet, sondern etwa auch ihre je unterschiedliche Verbundenheit mit dem französischen Hof. In dieser Weise mögen sie Teil des gelehrten Libertinismus sein. Doch ist es gerade diese politische Konformität, die es nur sehr bedingt erlaubt, hier ein ›mouvement souterrain‹ zu vermuten, der den

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modernes‹ mag genügen, daß sich Cavaille´ einleitend (Abschnitt 5) darüber mokiert, daß Fumaroli überhaupt eine Onlinepublikation zur Kenntnis nehme, um anzuschließen: »je ne saurais trop remercier M. Fumaroli d’avoir donne´ un e´cho pole´mique a` ce petit travail, meˆme s’il ne´glige d’en signaler la re´fe´rence, sans doute parce que les publications en ligne lui paraissent d’une souveraine indignite´.« Vermittelnd haben versucht einzugreifen: Hans Bots, Pierre Leroy: De l’acceptation de la foi au refus des dogmes. Le doute des libertins au XVIIe sie`cle. In: XVIIe sie`cle 57 (2005), S. 731–745. Vgl. Stenzel: Gabriel Naude´ (2002), S. 170–192, 175: »Bei der Verwendung dieses Begriffs, dessen historische wie inhaltliche Reichweite höchst umstritten ist, wird man sich allerdings vor jenem Substantialismus hüten müssen, mit dem er – mehr im Anschluß an Pintard denn von diesem selbst – als systematisierende Bezeichnung für eine philosophisch wie personell als klar umrissen erscheinende Gruppierung verwendet wird.«

81 Weg in die Moderne ebne. Wieder ist es die stärkere Beachtung von Patronageverhältnissen, die davor bewahrt, einer kontextlosen Genieästhetik zu huldigen. Grundsätzlich wird man sich einerseits sicher nicht den Teilen der französischen Debatte anschließen wollen, die dafür plädieren, die libertins ausschließlich zu einem Produkt der Apologetik, gar zu einem bloßen Phantom des zeitgenössischen Diskurses zu erklären.33 Andererseits wird man ebensowenig Jacques Pre´vot das Wort reden wollen, dessen Kreis der libertins aufgrund seiner großzügigen Zuerkennung selbst noch Pintards Panoptikum übersteigt; kurzum: die libertins werden sich auf dieser Ebene nicht fassen lassen.34 Bei aller Schwierigkeit mit dem modernen Forschungsbegriff bleibt auch der Quellenbegriff des libertin seltsam unbestimmt, wiewohl man gerade für die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts beinahe schon von einer Textgattung Contre les libertins sprechen kann.35 Nimmt man auch nur die Titel etwa der Werke des Jesuiten Garasse (1623), des Menoriten Mersenne (1624) oder des Lyoniser Geistlichen Arroy (1634), so fällt bereits bei dieser oberflächlichen Betrachtung auf, daß die Begrifflichkeiten zwischen den beaux esprits, de´istes, athe´es, esprits forts und den libertins munter hin und her changieren. All diese Pejorative konstruieren sich in erster Linie als Gegenbegriff zum eigenen Bekenntnis dieser Katholiken. Auch diese Texte lassen es nicht zu, ein konzises Bild des libertin im frühen 17. Jahrhundert zu eruieren, zumal diese Texte selten konkrete ›Libertiner‹ explizit beim Namen nennen.36 Man wird zudem daran erinnern müssen, daß sich innerhalb von zweihundert Jahren die Bedeutungsspanne des Begriffes libertin von einem Spiritualisten wie Pocquet aus dem 16. Jahrhundert bis zu etwa Marquis de Sade im 33

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Vgl. zu dieser häufig kritisierten These Louise Godard de Donville: L’invention du »libertin« en 1623 et ses conse´quences sur la lecture des textes. In: Libertinage et philosophie au XVIIe sie`cle 6 (2002), S. 7–17; ausführlicher Dies.: Le libertin des origines a` 1665. Un produit des apologe`tes. Paris u. a. 1989. Die Nähe zum Befund von Kors über den Atheismus liegt auf der Hand. Es gehört zu den allerorten wieder gern vorgebrachten Bonmots der Forschergruppe um Cavaille´, Pre´vot vorzuwerfen, nach seiner Definition könne man selbst Mersenne als libertin fassen. Vgl. etwa Le saint Libertin ora pro nobis. In: Cavaille´: Libertinage, irre´ligion (2003). URL: http://dossiersgrihl.revues.org/279 (26. Juni 2011), Abschnitt 14. Franc¸ois Garasse: La doctrine curieuse des beaux esprits de ce temps, ou pretendus tels. Paris 1623; Marin Mersenne: L’impie´te´ des de´istes, athe´es et libertins de ce temps. Paris 1624. Zu nennen wäre auch Besian Arroy: Les solides veritez de la sagesse. Contre les erreurs des libertins de ce temps, appelle´s Esprits forts. Paris 1634. Garasse steht im Kontext des Prozesses gegen The´ophile de Viaux; Mersenne wiederum nennt Namen, allerdings nur von Toten (Cardanus, Giordano Bruno, Charron); und Arroy verzichtet gänzlich auf eine Spezifizierung durch Nennung von Gegnern.

82 18. Jahrhundert erstreckt.37 Angesichts dieses recht breiten Bedeutungsspektrums stellt sich noch drängender die Frage, ob und wenn ja wo auf dieser Skala die sogenannten libertins – und nehme man auch nur die e´rudits unter ihnen – des frühen 17. Jahrhunderts anzusiedeln sind. 1.4. La Peyre`re als gelehrter Libertin Um den Fall La Peyre`re und dessen Zuschreibung als libertin zu präzisieren, lohnt es sich, nochmals auf seine Apologie (1663), die er nach seiner Konversion publizierte, zurückzukommen, in der er eine inhaltliche Nähe zwischen den Vorwürfen des konfessionellen Indifferentismus und des Atheismus herstellt. Dabei ist es sicher kein Zufall, daß er dies in seiner Apologie tut. Denn es gehört bekanntlich zu den Gattungsmerkmalen einer Apologie, daß hier auf Angriffe und Unterstellungen reagiert wird. Es wird allerdings nicht nur auf explizite Vorwürfe geantwortet. Vielmehr ist es eine besonders elegante Variante, wenn in einer solchen Verteidigungsschrift denkbare Einwände und Diffamierungspotentiale möglicher Gegner antizipiert werden, um aus diesem ›vorauseilenden Gehorsam‹ möglichst viel argumentatives Kapital für die eigene Position zu schlagen.38 Genau diese Argumentationsfigur finden wir in La Peyre`res Apologie. Es ist zudem die einzige Stelle im Werk von La Peyre`re, wo er das Wortfeld des libertinage deutlich anspricht. In einer für ihn so typischen argumentativen Pirouette kontert er dabei den impliziten Indifferentismusvorwurf seiner protestantischen Gegner. Gleichzeitig gelingt es ihm, seine umstrittene Konversion zum katholischen Glauben zu rechtfertigen. Die Protestanten hätten schließlich selbst das Argument geliefert, man hätte La Peyre`re nach seiner Abkehr von den Hugenotten nur noch dem libertinen Lager zurechnen können, ja wäre er nicht zum katholischen Glauben übergetreten: »Et publierent entr’eux, que n’aprouuant

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Vgl. zu Pocquet allgemein: »Libertin« als Sektenbezeichnung. In: Schneider, Der Libertin (1970), S. 45–93. Zu verweisen ist hier auf die Indifferentismusforschung, die in Folge der Arbeiten von Barth und Gierl auch die verschiedenen ›Streitstile‹ in den theologischen Kontroversen untersucht; vgl. Markus Friedrich: Der Streit um das Streiten. Wahrnehmung von Dissens um 1600. Das Beispiel des Helmstedter Hofmannstreites. In: Autorität der Form – Autorisierungen – Institutionelle Autoritäten. Hgg. v. Wulf Oesterreicher u. a. Münster u. a. 2003 (Pluralisierung & Autorität 1), S. 293–308. Vgl. ebenfalls Martin Mulsow: Mehrfachkonversion, politische Religion und Opportunismus im 17. Jahrhundert. Ein Plädoyer für die Indifferentismusforschung. In: Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Hgg. v. Kaspar von Greyerz u. a. Gütersloh 2003 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 201), S. 132–150.

83 pas leur reformation, & ne me faisant pas Catolique, je n’afectais qu’vne vie libertine, a` n’auoir aucune religion.«39 Zwar nennt La Peyre`re hier explizit die Unterstellung des Libertinismus, er distanziert sich aber gleichzeitig im doppelten Sinne von diesem Vorwurf. Indem er nämlich seinen protestantischen Gegnern die Konversion als das geringere Übel im Vergleich zum Libertinismus anbietet, schüttert er hier bewußt das Kind mit dem Bade aus und bedient somit die beschriebene Gattungsregel der Apologetik. Während diese Gegner gerade hatten beweisen wollen, daß La Peyre`re eben kein guter Katholik, sondern ein gottloser Libertin sei, kann er von deren Argumentation profitieren und diese zugleich umdrehen: wie es die Protestanten letztlich selber nahelegt hätten, sei er keineswegs ein Libertin, sondern eben Katholik. Hier fächert sich losgelöst vom Einzelfall die grundsätzliche Gradation innerhalb der theologischen Klassifizierung auf: der anfängliche Heterodoxieverdacht steigert sich zu dem Makel des konfessionellen Indiffentismus und kulminiert schließlich in dem unglaublichen Zustand der Religionslosigkeit.40 Wenn auch in diesem kurzen Zitat aus der Apologie (1663) bereits eine erste zeitgenössische Klärung des Begriffs libertin im Sinne einer Religionslosigkeit vorzuliegen scheint, so zeigt sich ebenso deutlich, daß der ›Libertin‹ ein Begriff der theologischen Rede ist, also in den Bereich der theologischen Polemik gehört und entsprechend interpretiert werden muß. Genauso wie es unsinnig wäre, Grotius aufgrund der Zuschreibungen von Me´nage zuzusprechen, er sei katholisch, lutherisch und calvinistisch zugleich gewesen, erscheint es vorschnell, aus jedem Libertinismusvorwurf gleich auf den Befund des Atheismus zu schließen. Vielmehr wird man es häufig den Bedürfnissen der Polemik zuschreiben müssen, daß hier auf starke Abgrenzung gesetzt wird, um eine heterodoxe Position als solche zu entlarven. Dem ›Libertin‹ wird deshalb suggeriert, daß seine heterodoxen Gedanken das Maß der religiösen wie sozialen Inklusion nach innen und überhaupt die tolerablen Grenzen theologischen Redens derart strapazierten, daß er sich gleichsam nicht mehr innerhalb der christlichen Rede, sondern bereits außerhalb wähnen müsse. Der Libertin in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts erscheint somit als ein relationaler Begriff in dem Spannungsfeld zwischen den ver39 40

Apologie de la Peyrere (1663), S. 159. Eine ähnliche Formulierung findet sich in seiner Apologie (1663) in der Erzählung über seine Initiation in die Pariser Gelehrtenwelt, ebd. S. 66f.: »De´s que i’eus la liberte´ de voir le monde, & de connoıˆtre les Esprits qui y sont; Paris qui est vn abrege´ du monde, m’enfournit de toutes sortes. I’y trouuay des Esprits transc¸andans en toutes les sciances. Les vns adonnez a` la piete´. D’autres indiferans pour elle. Et plusieurs qui extrauaguoient dans l’impiete´.«

84 schiedenen Orthodoxien in einem multikonfessionellen Europa und den entsprechenden Heterodoxien der frühneuzeitlichen Debatte. Die moderne Forschungsliteratur läuft zuweilen Gefahr, daraus eine Bezeichnung einer ›substantialisierten‹ kohärenten Gruppe zu formen, zu dem Preis, die bestehenden Differenzen im einzelnen zugunsten einer vermeintlichen Distanz zum Christentum als solchem zu glätten. Allen Forschungsaporien zum Trotz wird man in dieser Studie an späterer Stelle auf den Terminus noch ein weiteres Mal zurückkommen müssen.

2. La Mothe Le Vayer und die Tugend der Heiden Bei aller Kritik an der Forschungsthese als solcher sind La Peyre`res Verbindungen zu Personen, die allgemein zum libertinage e´rudit gezählt werden, kaum zu übersehen. So lassen sich etwa direkte Verbindungen zu Franc¸ois La Mothe Le Vayer (1588–1672) nachweisen, der zusammen mit Gabriel Naude´, Pierre Gassendi und Elie Diodati die sogenannte Te´trade bildete, die mit Pintard als Keimzelle dieses so viel beschworenen gelehrten Libertinismus gilt.41 Es verwundert deshalb auch kaum, daß La Mothe Le Vayer in der jüngst besorgten Anthologie zu den Libertins du XVIIe sie`cle vertreten ist und zwar mit seinem Traktat De la vertu des payens, den er 1641 verfaßte.42 Bekannt war La Mothe Le Vayer schon damals vor allem für seine um 1633 gedruckten Quatre dialogues faits a` l’imitation des anciens par Orasius Tubero.43 Zudem war er häufiger Diskutant in dem Cabinet der Brüder Dupuy und anderen wissenschaftlichen Zirkeln von Paris, ab 1639 zählte er zudem zu den Mitgliedern der Acade´mie franc¸aise. Von 1647 an war er Erzieher des Herzogs von Anjou, des Bruders von Ludwig XIV., ab 1651 sogar Präzeptor des Dauphin. Ähnlich wie La Peyre`re galt auch La Mothe Le Vayer in religiösen Dingen als unsicherer Kandidat. So diskutiert Bayle in seinem Dictionnaire historique et critique, inwieweit La Mothe Le Vayers skeptische Texte Anteil an der anfänglichen Vorsicht des Hofes gehabt haben könnten, ihn mit einer derart einflußreichen Stelle als Prinzenerzieher zu betrauen. Bayle erinnert in Anmerkung B daran, man habe oft La Mothe Le Vayer unterstellt, daß er gar keine Religion gehabt habe, und belegt dies mit einem Zitat aus einem Brief von Guy Patin.44 Der Vorwurf der 41 42

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Vgl. Pintard: Le libertinage e´rudit (1983), S. 127–177. Vgl. Libertins du XVIIe sie`cle. Hg. v. Jacques Pre´vot. Bd. 2. Paris 2004. Dort ist die zweite Auflage von 1647 ediert. Die wohl zwischen 1630–1633 entstandenen Quatre dialogues weisen laut Titelblatt der Erstausgabe 1604 aus. Allgemein zu La Mothe Le Vayer vgl. Roger Zuber: Die humanistische Tradition. In: Ueberweg. 17.Jh. Bd. 2/1, S. 119–141, bes. 124–126. Artikel Vayer Anm. B. In: Bayle. Bd. 2 (1697), S. 1194, wo Bayle aus dem Brief von

85 religiösen Skepsis war aber keineswegs der einzige Bezugspunkt zwischen La Mothe Le Vayer und La Peyre`re. Vielmehr gibt es noch weitere persönliche Berührungspunkte sowie vor allem inhaltliche Überschneidungen in ihren Werken, die einige Klärungen bringen werden. 2.1. La Mothe Le Vayer und La Peyre`re 1644, nur kurz nach dem Erscheinen des Rappel des Juifs (1643), brach La Peyre`re zu einer Reise nach Skandinavien auf, auf der er den französischen Gesandten La Thuillerie zu den Friedensverhandlungen zwischen Dänemark und Schweden begleiten durfte. Entstanden sind dabei La Peyre`res sogenannten geographischen Schriften über Island und Grönland, die er in Briefform an niemand anderen als Franc¸ois La Mothe Le Vayer verfaßte. Motivieren ließ sich diese Zueignung schon allein aufgrund von dessen Interesse an fremden Ländern.45 Neben dieser recht allgemeinen Interdependenz zwischen dem Werk von La Mothe Le Vayer und La Peyre`re und der zeitlichen Nähe zwischen dem Erscheinen von La Mothe Le Vayers De la vertu des payens (1642) und La Peyre`res Du Rappel des Juifs (1643) gibt es einen weiteren Punkt, der einen näheren Vergleich nahelegt. Denn La Mothe Le Vayer widmete sein Werk Kardinal Richelieu, also demjenigen, dem auch La Peyre`re ursprünglich seine Werke dedizieren wollte, der allerdings daraufhin die Publikation unterbunden haben soll.46 Das ist umso interessanter, weil es auch auf der inhaltlichen Ebene größere Übereinstimmungen zwischen der Frage nach der Tugend der Heiden und La Peyre`res Du Rappel des Juifs und der Präadamitenthese gibt, als es den ersten Anschein haben mag.

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Patin an Falconet vom 13. Juni 1649 zitiert: »Patin sera mon temoin, ›Monsieur de la Mothe le Vayer a e´te´ depuis peu apelle´ a` la Cour, & y a e´te´ installe´ Pre´cepteur de Monsieur le duc d’Anjou, frere du Roy. Il est aˆge´ d’environ 60. ans, de me´diocre taille, autant Stoı¨que qu’homme du monde, homme qui veut eˆtre loüe´ & ne loue¨ jamais personne, fantasque & capricieux, & soupc¸onne´ d’un vice d’esprit, dont e´toient atteints Diagoras & Protagoras.‹« Die Anspielung auf Diagoras von Melos und Protagoras sind deutliche Anzeichen für den Vorwurf des Atheismus. Die Relation de l’Islande, erst 1663 gedruckt in Paris erschienen, sei am 18. Dezember 1644 in Kopenhagen verfaßt, die Relation du Groenland, gedruckt in Paris 1647, am 18. Juni 1646 in Den Haag. Zu Beginn der Relation de l’Islande (1663), S. 1f, heißt es: »Vous m’avez prie´ de vous escrire de ce paı¨s du Nort, ou` nous errons depuis quelque temps, ce que i’ay peuˆ apra`ndre de l’Islande, & du Groenland. Ie n’ay point de plus grande passion au monde, que de vous seruir, & de vous plaire.« Zu La Mothe Le Vayers Vorliebe für Beschreibungen exotischer Erdteile vgl. Pintard: Le libertinage e´rudit (1983), S. 139f. Vgl. dazu den Brief von Gabriel Naude´ an Kardinal Barberini vom 15. Mai 1642. BAV, Barb. Lat. 6471, fol. 22v; vgl. dazu genauer Kapitel III.

86 2.2. Verteidigung der Tugendhaftigkeit der Heiden La Mothe Le Vayer geht in De la vertu des payens (1642) der Frage nach, inwieweit die antiken Heiden tugendhaft sein konnten. Diese Frage ist nicht so sehr einem humanistischen Ideal geschuldet als vielmehr der theologischen Fragestellung, inwieweit auch Heiden das christliche Heil erlangen können, indem sie tugendhaft gelebt haben. Allgemein geht es in diesem Werk also um die Akkommodation antiker Autoren für die christliche Diskussion. Diese eher traditionelle Fragestellung hatte durch die zeitgenössische Debatte neue Impulse erhalten. Letztlich ging es darum, ob und wie Ungläubige überhaupt Gutes tun konnten, obwohl die allgemeine theologische Überzeugung herrschte, daß der Mensch Gutes nur mithilfe von Gott, eben mittels seiner Gnade tun könne. Wie also mochte sich Gottes Gnade zu denen, die nicht an ihn glauben, verhalten, zumal gleichzeitig betont wurde, daß nur gerettet werde, wer an den Gottessohn Jesus Christus glaube? Man befindet sich also mit diesem Text mitten im Streit über die Gnade, um die zeitgleich nicht nur mit den reformatorischen Gruppierungen, sondern vor allem auch innerhalb der katholischen Kirche bitter gerungen wurde.47 De la vertu des payens (1642) wird vor diesem Hintergrund auch als ein Auftragswerk von Kardinal Richelieu gegen die in Frankreich aufkeimende Gruppierung der Jansenisten interpretiert.48 Auffälligerweise werden zwar weder Cornelius Jansen (1585–1638), Bischof von Ypern und Verfasser des Augustinus (1640), noch seine Anhänger von La Mothe Le Vayer explizit genannt. Die Jansenisten haben sich aber durchaus angegriffen gefühlt: Ihr Sprachrohr Antoine Arnauld (1610–1694) verfaßte umgehend als Reaktion einen Traktat über die ne´cessite´ de la foi en Jesus Christ für die Erlangung des Heils. Auf diese Auseinandersetzung zwischen La Mothe Le Vayer und den Jansenisten geht der Herausgeber der berühmten Gesamtausgabe von Arnaulds Werken im 18. Jahrhunderts ausführlich ein.49 Arnaulds Erwiderung war freilich erst 1701 pu47

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Ich kann den sogenannten Gnadenstreit hier nur als Stichwort nennen, vgl. einleitend Leo Scheffczyk: Art. Gnadenstreit. In: LThK3. Bd. 4 (1995), Sp. 797f. Die 1607 noch unter Papst Paul V. gefundene Scheinlösung eines expliziten Verbots, die gegnerische Position zu kritisieren, hatte ganze dreißig Jahre später wieder zu einer heftigen Diskussion in dieser umstrittenen Frage geführt. Vgl. die Einleitung von Pre´vot. In: Libertins du XVIIe sie`cle. Bd. 2 (2004), S. 1443–1457; zudem April G. Shelford: Franc¸ois de La Mothe Le Vayer and the Defence of Pagan Virtue. In: The Seventeenth Century 20 (2000), S. 67–89. Der vollständige Titel lautet: De la ne´cessite´ de la foi en Jesus Christ, pour eˆtre sauve´: Ou` on examine si les Payens & les Philosophes, qui ont eu la connoissance d’un Dieu, & qui ont moralement bien ve´cu, ont pu eˆtre sauve´s, sans avoir la Foi en Jesus Christ. 1701 publizierte der Herausgeber Ellies Dupin den laut Vorwort 1641 entstandenen Text von Arnauld; Vgl. Ders.: Oeuvres. Bd. 10 (1777), S. VIII–XIV.

87 bliziert worden, also erst nach dem Tod der beiden Kontrahenten. Dennoch informierte Mersenne schon 1642 in einem Brief an Andre´ Rivet über den Konflikt: »Nous avons icy un livre qui fait bien de bruit de la Vertu des Payens, qui essaye a` sauver Zenon, et plusieurs autres philosophes, par une foy implicite qu’on leur attribue, contre quoy [...] les Janseniens se remuent icy bien fort.«50 Auch die später einsetzende projansenistische Me´moiresliteratur nimmt sich dieser Frontstellung an.51 Ohne auch nur den Versuch einer tiefergehenden Interpretation des Werkes oder gar der Figur La Mothe Le Vayer bieten zu wollen, fällt die Konventionalität nicht nur der Fragestellung, sondern auch der Behandlung seiner Thematik im Fall von De la vertu des payens (1642) ins Auge. Womöglich war das mehr Kardinal Richelieu, dem politischen spiritus rector des Traktates, geschuldet als dem Autor La Mothe Le Vayer selbst. Richard H. Popkin hat jedoch schon 1979 in seiner Geschichte des Skeptizismus dafür plädiert, La Mothe Le Vayer eher als christlichen Skeptiker zu titulieren.52 Und auch Jacques Pre´vot schließt sich in seiner Neuausgabe von De la vertu des payens (1642) diesem Urteil an.53 2.3. Biblische Epochenlehre De la vertu des payens teilt sich in zwei Teile. Im ersten Teil wird die grundsätzliche Frage der Tugendhaftigkeit von Heiden ausführlich vorgestellt und diskutiert, bevor im zweiten Teil das Problem an Einzelpersonen der Antike durchgespielt wird. Diese Fragestellung habe neue 50

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Mersenne an Rivet vom 16. Januar [1642]. In: Correspondance de Mersenne. Bd. 11. Nr. 1056, S. 2. Ähnlich hatte Mersenne an Rivet am 25. November 1641. In: ebd. Bd. 10. Nr. 1045, S. 798, nach Den Haag informiert: »Il y a icy un nouveau livre de la Vertu des payens qui commence a` bien faire du bruit.« Noch genauer weist er seine Gegner aus in einem Schreiben an Rivet vom 9. Mai 1642. In: ebd. Bd. 11. Nr. 1095, S. 147: »Mr. de la Mothe le Vayer [...] a fait un volume de mesme grandeur et grosseur ou plus de la Vertu des payens, qui a icy fait du bruit parmi ceux qui suivent les sentiments de l’Augustinus Jansenii.« Besonders scharf etwa bei Godefroi Hermant: Me´moires sur l’histoire eccle´siastique du XVIIe sie`cle (1630–1663). Hg. v. A. Gazier. Bd. 1. Paris 1905, S. 146–149: »Il semblait que tout le monde fuˆt de´chaıˆne´ contre la doctrine de Saint Augustin. [...] il [sc. La Mothe Le Vayer] donna la liberte´ a` son esprit de confondre le me´rite de ces idolaˆtres avec celui des fide`les, et de croire que l’homme, depuis sa chute, trouve assez de force en lui-meˆme pour ope´rer son salut sans le secours de J.-C., qui est notre unique me´diateur.« Richard H. Popkin: The History of Scepticism from Erasmus to Spinoza. Berkeley u. a. 1979, S. 95. Vgl. Pre´vot. In: Libertins du XVIIe sie`cle. Bd. 2 (2004), S. 1447, der ihn einen »sceptique chre´tienne« nennt. Die Kritik von Cavaille´ ließ nicht lange auf sich warten; vgl. Ders.: Libertinage, irre´ligion. URL: http://dossiersgrihl.revues.org/279 (26. Juni 2011), Abschnitte 68f.

88 Bedeutung erhalten durch die Thesen des Löwener Theologen Michel Bajus (1513–1589), der von La Mothe Le Vayer aufgrund seines quasi ›Protojansenismus‹ in die Nähe der Protestanten gestellt wird, weil dieser urteile, daß »toutes les œuures des Payens n’estoient que des pechez, & les vertus des ces anciens Philosophes que de vices.«54 Es geht also nicht nur um die Möglichkeit, als Heide tugendhaft zu handeln, sondern allgemeiner um die Frage, ob auch Ungläubige das Heil erlangen können.55 Zur Verdeutlichung der Problematik führt La Mothe Le Vayer eine »distinction ordinaire de tout le temps« ein, die uns auch noch bei La Peyre`re ausführlich beschäftigen wird, nämlich die Einteilung der Geschichte in drei heilsgeschichtliche Zeitalter.56 Die erste Epoche geht von der Erschaffung der Welt bis zur Erwählung des Gottesvolkes Israel, die zweite Epoche geht bis zur Menschwerdung Christi, was die dritte einläutet. Dadurch entsteht die heilsgeschichtliche Matrix: sub natura, sub lege und sub gratia. Diese vor allem historisch rückwärtig gewandte Fragestellung, die eine theologische Spitzfindigkeit der konfessionellen Polemik des 17. Jahrhunderts auf die Spitze zu treiben scheint, gewann ihre Brisanz nicht zuletzt durch die Bedeutung, die bis in das bestehende dritte Zeitalter sub gratia reichte. Die Heiden waren nämlich keineswegs nur ein Phänomen der Antike gewesen, sondern sie ließen sich weiterhin etwa in der ›Neuen Welt‹ finden. La Mothe Le Vayer führt einen »pauure Americain«57 als Protagonisten ein und läßt dieses ›arme Heidenkind‹ ein Gebet zu seinem Schöpfer sprechen: »Excusez mon ignorance, & me faites connoistre vos sainctes volontez, afin que ie les suyue de toutes la force que vous m’auez donne´e, desirant plustost mourir, que de faire iamais aucune action qui vous puisse desplaire.«58 54

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De la vertu des Payens (1642), S. 12: »Aussi contient-elle l’opinion expresse de Luther, de Caluin, & de pluspart des autres Heretiques de ce temps.« In der Marge wird dazu Calvins Institutio religionis christianae II, 3 (Que la nature de l’homme corrompue ne produit rien qui ne me´rite condamnation) angegeben. De la vertu des Payens (1642), S. 16f: »Mon dessin est donc de le diuiser en deus parties, & de considerer en general dans la premiere ce que nous pouuons penser Chrestiennement du salut des Payens qui ont este´ vertueus, & que nous tenons auoir moralement bien vescu.« De la vertu des Payens (1642), S. 17. De la vertu des Payens (1642), S. 51f: »Comment peut-on donc s’imaginer qu’vn pauure Americain qui n’auoit iamais oüy parler de la vraye religion il y a deus cens ans, ne peust deslors en nulle fac¸on e´uiter de peines eternelles, encore qu’il vescust moralement bien, & qu’il resemblast aus bons Payens, dont nous auons parle´, qui se laissant guider pas la lumiere naturelle de nostre raison, adoroient vn seul Dieu Createur de toutes choses, & viuoient sans Idolaˆtrie.« De la vertu des Payens (1642), S. 54, das ganze Gebet lautet: »Mon Dieu qui connoissez le plus secret de mon Ame, j’implore vostre misericorde, & vous supplie de me conduire a` la fin pour laquelle vous m’avez cre´e. Si i’auois assez de lumiere

89 Es ist diese Ambivalenz des Terminus ›Heide‹, die für die weitere Analyse der Werke La Peyre`res noch sehr wichtig sein wird. Auf den ersten Blick scheint alles recht klar und eindeutig: Heiden sind Ungläubige – Nichtheiden entsprechend die Gläubigen. Das Kriterium für die Definition eines Heiden liegt bei La Mothe Le Vayer sowohl für den antiken Philosophen Zenon als auch für den zeitgenössischen »pauure Americain« in dessen »ignorance«. Wenn die Heiden also diejenigen sind, die nichts von Gott gehört haben, so besteht die Gegengruppe aus denjenigen, die an der Offenbarung Gottes teilhaben. Wie sich zeigt, hat das aber weitreichende Folgen, nicht zuletzt für die Frage nach den Juden.

3. Heiden und Nichtheiden – la question juive Wenn man zu dieser Definition eines ›Heiden‹ noch die Epochenlehre hinzunimmt, zeigt sich allerdings ein folgenschwerer Unterschied zwischen Zenon und dem »pauvre Americain«: Mag in der heilsgeschichtlichen Epoche sub lege, also von der Erwählung des Gottesvolkes bis zu Christus, mit den Gläubigen eindeutig die Gruppe der Israeliten gemeint gewesen sein, ist dies seit der Menschwerdung Christi nicht mehr so klar zu bestimmen. Offenbarung und den Glauben besaßen seit dem ›Neuen Bund‹ nicht mehr allein die Israeliten, sondern potentiell eben auch Nichtisraeliten. Ähnlich doppeldeutig wie der Terminus ›Heide‹ ist also auch sein Gegenbegriff, nämlich die Definition der Gläubigen, die in der christlich theologischen Tradition entweder ›Kirche‹ genannt werden oder aber ›Israel‹ in Anlehnung an das Gottesvolk. Man wird die ›Nichtheiden‹ eben nicht einfach auf die Israeliten und entsprechend auf die Juden deuten können. Vielmehr stehen gerade die Juden post Christi natum aus einer christlichen Perspektive betrachtet in einem dialektischen Verhältnis zu dem Terminus Israel. Zwar konnte Israel in der christlich theologischen Diskussion entweder für das Gottesvolk des Alten Bundes stehen oder es konnte damit auch die konkrete soziale Gruppe der Menschen jüdischen Glaubens gemeint sein – meist wurde ›Israel‹ allerdings allgemeiner gefaßt: Es stand für die Gläubigen oder für die Erwählten Gottes, und somit also nicht für seine Nachfahren, sondern gerade für pour m’y porter de moy-mesme, il n’y a rien que ie ne voulusse faire pour y arriuer, & pour me rendre agreable a` vostre diuine Majeste´, que ie reuere auec la plus profonde humilite´ que ie puis. Excusez mon ignorance, & me faites connoistre vos sainctes volontez, afin que ie les suyue de toutes la force que vous m’auez donne´e, desirant plustost mourir, que de faire iamais aucune action qui vous puisse desplaire.«

90 die legitimen Erben des alttestamentlichen Israel. Wenn also in Abgrenzung zu den Heiden all diejengen gemeint sein sollten, die Teilhabe an der Offenbarung Gottes hatten, so waren das in der dritten Epoche sub gratia nicht so sehr die Menschen jüdischen Glaubens, sondern eben gerade auch die Nichtjuden oder ehemaligen Heiden, die den christlichen Glauben empfangen hatten. 3.1. Juden und Völker im Römerbrief Bereits in frühchristlicher Zeit war über das nicht ganz spannungsfreie Verhältnis zwischen Juden einerseits und andererseits Christen, seien es ›Judenchristen‹ oder ›Heidenchristen‹, gestritten worden. Der Apostel Paulus beschrieb das vor allem in seinem Brief an die Gemeinde in Rom, der zu den frühesten Zeugnissen einer sich ausbildenden christlichen Systematisierung gezählt werden kann. Der Römerbrief (Röm) gehört daher zu den wichtigsten Bezugsgrößen in der christlichen theologischen Tradition. Das Verhältnis zwischen Juden und Christen und entsprechend zwischen Gesetz und Evangelium, Altem und Neuem Bund ist nur eines, aber das in seiner Wirkungsgeschichte vielleicht wichtigste der vielen Themen, die Paulus im Römerbrief reflektierte.59 Generell umreißt Paulus die Bedrohung des Menschen durch seinen Fall und die Hoffnung auf seine Rettung am Ende der Zeiten. Nicht umsonst beziehen sich so gewichtige theologische Schlagwörter wie Erbsünde, Rechtfertigung, Gnade, Prädestination (also Erwählung und Verwerfung des Menschen) sowie die Lehre von der Wiederkunft Christi auf diesen Brief – weshalb er besonders in den protestantischen Theologien eine derart einzigartige Bedeutung erlangen konnte.60 Die christliche Frage nach dem rechten Verständnis der legitimen Erben des alttestamentlichen Gottesvolkes Israel mußte sich in Zeiten einer nachreformatorischen Multikonfessionalität zu einer brennenden Frage verschärfen. Fortan wurden nicht nur die Juden, sondern eben59

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Vgl. einleitend die Artikel von Michael Theobald zum Römerbrief. In: LThK3. Bd. 8 (1999), Sp. 1281–1285, und RGG4. Bd. 7 (2004), Sp. 611–618; Art. Israel. 2. Neues Testament. In: LThK3. Bd. 5 (1996), Sp. 648–651, und Art. Rest, heiliger. III. Neues Testament. In: LThK3. Bd. 8 (1999), Sp. 1127f. Ausführlicher JeanBaptiste Colon: Art. Romains (Epitre aux). In: DThC. Bd. 13 (1937), Sp. 2847–2895. Man denke nur an die Bedeutung etwa von Luthers Auslegung des Römerbriefes für die gesamte Reformation oder aber dessen Vorrede in seiner Bibelübersetzung, die noch weit in die Erweckungsbewegung des 19. Jahrhundert außerordentliche Wirkung entfalten konnte. Zu nennen wäre aber auch etwa die übergroße Wirkmacht der beiden Römerbriefkommentare von Karl Barth (1919 u. 1922) für die gesamte Theologie des 20. Jahrhunderts.

91 falls die konkurrierenden Christen zu einem Problem bei der Bestimmung der ›wahren‹ Kirche und der Gruppe der Erwählten.61 Der Römerbrief avancierte deshalb im 16. und 17. Jahrhunderts nicht von ungefähr zum meistinterpretierten und umkämpftesten Text der Bibel. Es ist deshalb auch nicht weiter verwunderlich, daß La Mothe Le Vayer in seiner Vertu des payens (1642) neben dem doctor angelicus Thomas von Aquin, mit dem er seine katholische Autorität zu unterstreichen suchte, und dem Kirchenvater Augustinus, den er in seiner ›richtigen‹ Interpretation gegen die Jansenisten in Stellung brachte, gerade auch mit Stellen aus dem Römerbrief argumentiert. 3.2. Ölbaumbild (Röm 11,13–24) Der für die theologische Diskussion so wichtige Terminus ›Israel‹ ist jedoch auch schon im Römerbrief nicht völlig eindeutig. Zwar meint Paulus damit in erster Linie die Gruppe der Menschen jüdischen Glaubens, doch macht er in den zentralen Kapiteln 9 bis 11, die das Verhältnis von Juden und Christen beleuchten, kurz hintereinander zwei Aussagen über die Erwähltheit der Juden, die sich nicht ohne weiteres miteinander in Einklang zu bringen scheinen. In Röm 9,27 heißt es, daß von Israel ›nur ein Rest‹ gerettet werde. Dies ist eine innerbiblische relecture der Stellen aus Jesaja und der Elijaerzählung, wo es heißt, daß nur der ›Rest von 7000‹ gerettet werde, die nicht die Knie vor Baal gebeugt hätten (vgl. Jes 10,22; 1 Kön 19,18). Röm 11,26 hingegen betont, daß am Ende der Welt ›ganz Israel‹ gerettet werde. Es ist hier also nicht nur die Frage der Offenbarung, welche die Menschheit in Juden und Nichtjuden, also in Juden und Heiden beziehungsweise in ›das Volk‹ und ›die Völker‹ trennt. Neben die Offenbarung tritt die Erwählung, die in der reformierten Theologie als ein ewiges Dekret Gottes vor Erschaffung der Welt gedacht wird, was eine zeitliche Entwicklung der Erwählung ausschließt.62 Dadurch verschärft sich die Kluft zwischen dem ›Rest von Israel‹ (Röm 9,27) und ›ganz Israel‹ (Röm 11,26), anders formuliert: Israel muß in beiden Versen unterschiedliche Bedeutungen besitzen. Eine Konziliation der beiden Verse kann dadurch erreicht werden, daß ›ganz Israel‹ nicht mit dem ›Rest‹ gleichgesetzt wird. Schon zu Beginn von Kapitel 9 wird eine Distinktion in der Bedeutung von ›Israel‹ eingeführt, wenn es bei Paulus heißt: ›Denn nicht alle, die aus Israel stammen, sind Israel.‹ (Röm 9,6) 61

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Zur zeitgenössischen hugenottischen Diskussion vgl. Rene´ Voeltzel: Vraie et fausse e´glise selon les the´ologiens protestants franc¸ais du XVIIe sie`cle. Paris 1956 (Etudes d’histoire et de philosopies religieuses 44). Vgl. überblickshaft Theodor Mahlmann: Art. Prädestination. In: TRE. Bd. 27 (1997), S. 130–132; sowie Jean Calvin: Institutio religionis christianae. Hg. v. Matthias Freudenberg. Neukirchen-Vluyn 2008, bes. Inst. [1559] III, 21,1–7.

92 Das paulinische Gleichnis vom Ölbaum (Röm 11,13–24) unterstreicht diese Unterscheidung: Wenn aus dem Ölbaum die verdorrten Zweige ausgerissen wurden, um neue Triebe aufzupfropfen, so hatte Paulus damit ein Bild geschaffen für die neue Annahme der Heiden anstelle des Volkes Israel. Der Ölbaum kann hier einerseits für ›ganz Israel‹ im Sinne der Erwählten stehen, während die ausgerissenen Zweige die verworfenen Teile des ehemaligen Gottesvolkes symbolisieren, so daß gleichzeitig vom ›Rest‹ gesprochen werden kann. Dieses Ölbaumbild war gerade auch in den reformatorischen Schriften sehr präsent, man denke etwa nur an die verschiedenen Druckervignetten, die es zeigen. An diesen emblemhaften Darstellungen läßt sich freilich die Bandbreite der möglichen Interpretationsakzente demonstrieren, denn diese Vignetten waren in der Regel mit einem erklärenden Spruchband versehen. Häufig findet sich der Vers: ›Die Zweige wurden ausgebrochen, damit ich eingepfropft werde‹ (Röm 11,19) als Betonung der Erwählung der Christen anstelle der Juden, die von Gott verworfen sind. Es gibt aber auch Beispiele mit dem mahnenden Vers: ›Seid nicht übermütig‹ (Röm 11,21), der den Respekt gegenüber den Juden einfordert und stärker die jüdischen Wurzeln des Christentums betont.63 Die theologisch-systematische Frage nach der Möglichkeit der Erlösung der Heiden, die bereits Paulus im Römerbrief anspricht, gewinnt an Schärfe durch die Verknüpfung mit der historischen Dimension der Geschichte als einer Heilsgeschichte, wie wir es etwa auch bei La Mothe Le Vayer finden. Die Frage nach einer Erlösung in Christus verschärft sich abermals, wenn man diese als ein historisches Ereignis in Kreuzigung und Auferstehung versteht. Durch die Projektion überzeitlicher Dekrete Gottes auf eine konkrete zeitliche Abfolge entsteht der garstige breite historische Graben zwischen dem Fall des Menschen durch das Essen vom Apfel des Baums der Erkenntnis im Paradies und seiner Erlösung durch die Heilstat Jesu Christi. Plötzlich geraten in dieser christlich-theologischen Diskussion nicht nur die sogenannten Heiden, sondern in gleicher Weise auch die Israeliten zum Problem. Denn was ist mit den vor Christus Gestorbenen, die ihn gar nicht kennen konnten? Zwar hatten die Israeliten eine Offenbarung, aber hatten sie Christus? Dies ist letztlich die Kehrseite der von La Mothe Le Vayer aufgeworfenen Frage der Möglichkeit eines ›impli63

Vgl. Achim Detmers: Reformation und Judentum. Israel-Lehren und Einstellungen zum Judentum von Luther bis zum frühen Calvin. Stuttgart 2001 (Christentum und Judentum 8), Abb. 44, 49 und 50. Auch die bis heute gebräuchliche Druckervignette des Verlages Elzevier steht in dieser Tradition, vgl. L.L.E. Schlüter, P.J. Vinken: Het Elzevier Non solus-drukkermerk. In: Boekverkopers van Europa. Het 17de-eeuwe Nederlandse uitgeverhuis Elsevier. Hgg. v. B.P.M. Dongelmans u. a. Zutphen 2000, S. 299–314, bes. 302.

93 ziten Glaubens‹ an Christus, der die explizite Kenntnis des historischen Jesus Christus nicht notwendig voraussetze. 3.3. Adamiten und Präadamiten Von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt zu dem, was La Peyre`re so skandalös machte und sich im Präadamitenskandal 1655 endgültig entlud. Die Unterscheidung zwischen Juden (bzw. Israeliten) und Heiden (bzw. die Völker) war mehr als konventionell.64 Wenn nun die Juden von der Person ›Adam‹ aus Genesis 2 abstammen sollen, die übrigen Menschen jedoch von dem Menschen ›Adam‹ aus Genesis 1, so historisiert La Peyre`re hier nur die geläufige Dichotomie zwischen Juden und Heiden. Er projiziert ein theologisch-systematisches Problem auf die Heilsgeschichte und erreicht gleichzeitig eine Konziliation innerhalb der ambigen biblischen Erzählung. War man auch im 17. Jahrhundert von einer Quellentheorie als Erklärungsmodell für die Entstehung des Pentateuchs, wie sie später Jean Astruc (1684–1766) oder erst recht Julius Wellhausen (1844–1918) vorlegten, weit entfernt, so war doch das Problem zweier Schöpfungsberichte durchaus bereits virulent.65 Nicht zuletzt Rabbi Menasse ben Israel (1604–1652) hatte 1632 mit seinem Conciliador das Auseinanderdriften unterschiedlicher Aussagen in der Bibel so gering wie möglich halten wollen. In allein acht fraglichen Punkten widmet er sich den beiden Schöpfungsberichten aus Gen 1 und 2.66 Diesen bekannten und in den theologischen Traktaten viel diskutierten Unterschieden innerhalb der biblischen Erzählung weicht La Peyre`re nicht etwa aus. Vielmehr verschärft er sie und baut sie zum Kern seiner Hypothese einer Menschheit vor Adam aus. So versteht La Peyre`re Õdah (Adam/ der Mensch) aus Gen 1,27 im Sinne eines Gattungsbegriffs, denn ›als Mann und Frau schuf Gott sie‹. Dasselbe hebräische Wort in Gen 2,15ff aber faßt er als den konkreten Mann Adam auf, aus dessen 64

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Im Gegensatz zu La Mothe Le Vayer spricht La Peyre`re nicht von »payens« (Heiden), sondern von »gentils« (Völker); im Rappel des Juifs (1643) unterscheidet er zwischen »Juifs« und »gentils«, in den Prae-Adamitae (1655) entsprechend zwischen »Judaei« und »gentiles«. Vgl. Hans-Joachim Kraus: Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments. Neukirchen-Vluyn 31982, bes. S. 96f; Michael Tietzmann: Herausforderungen der biblischen Hermeneutik in der Frühen Neuzeit: Die neuen Diskurse der Wissenschaft und der Philosophie. In: Geschichte der Hermeneutik und die Methodik der textinterpretierenden Disziplinen. Hgg. v. Jörg Schönert, Friedrich Vollhardt. Berlin 2005 (Historia Hermeneutica 1), S. 119–156, bes. 147–149. Vgl. die Questiones 1–8, bes. aber Questio 8, in der Gen 1,27 mit Gen 2,21f in Einklang gebracht werden. In: Menasse ben Israel: Conciliador. Francfurti 1632, S. 1–23; Ders.: Primo Questionum in Genesis. Constantinopolus 1641, S. 1–15.

94 Rippe Eva erschaffen wurde. Die Menschen aus Gen 1 seien der Ursprung der übrigen Weltbevölkerung oder in seiner Terminologie der Präadamiten, denn von dem Mann namens Adam spreche erst Gen 2.67 Von diesem Adam und seiner Frau Eva aus Gen 2 spreche bekanntlich die Bibel im folgenden, es habe den Sündenfall begangen (Gen 3). Es sei das Urpaar, von dem die Juden ihren besonderen Ursprung nähmen. La Peyre`re profitiert bei dieser Unterscheidung davon, daß schon die Septuaginta Gen 1,27 mit αÍ νθρωπος (Mensch) übersetzt, Gen 2,16 hingegen mit Αδαμ (Adam). Zudem will La Peyre`re Genesis 2 schon aus dem einfachen Grund nicht als detailfreudigere Beschreibung derselben Schöpfung verstehen, weil diese mit der hebräischen Konjunktion u beginne, die einen deutlichen Erzählanfang markiere.68 Auch die unterschiedlich berichtete Erschaffungsart kann er so noch fruchtbar machen: die Menschen der ersten Schöpfung, also die Präadamiten oder Heiden, seien ›auf das Wort hin‹ (Gen 1,26) erschaffen; Adam hingegen und mit ihm die zweite Schöpfung, also die Adamiten oder Juden, ›durch Gottes Hand geformt‹ (Gen 2,8).69 In diesem Sinne kennt La Peyre`re sehr wohl einen Polygenismus, also einen mehrfachen Ursprung der Menschen. Doch ist dies keineswegs ein Polyphylismus, also eine qualitative Gradation zwischen verschiedenen Menschentypen, was ihn im übrigen schon auf dieser Ebene vor der späteren Vereinnahmung durch die Rassentheorien des 19. Jahrhunderts

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Es ist offensichtlich, daß gerade das Vorkommen des Wortes ›Adam‹ in Gen 1,27 seinen Kritikern leichtes Spiel ließ, vgl. Questio II. Hominem Gen. 1 eundem esse cum Gen. 2. In: Samuel Desmarets: Refutatio Fabulae Prae-Adamiticae, editio altera. Groningen 1656, S. 75–151. Vgl. Systema theologicum (1655). Buch III 2, S. 122: »Et formavit Deus hominem, Geneseos 2. Hominem, id est, Adamum. Sed enim, quia narratio haec per Et incipit, creditur vulgo formationem hanc Adami patris primi Iudaeorum, specialiorem fuisse explanationem creationis illius hominis in specie, de qua egerat Moses capite I. ubi dixit, Faciamus hominem, etc. Sed non advertunt qui haec autumant, particulam Et, principium fuisse rei novae apud Hebraeos, non seriem ante actae: qualia frequentissime reperias narrationum principia apud omnes auctores sacros. Prophetiae Ezechielis principium hoc est.« Vgl. Systema theologicum (1655). Buch II 10, S. 101f: »Iudaei filii Dei sunt, electione & formatione. Electione, quae mystica generatio fuit. Formatione, quae ad naturam propius accessit. [...] Creaverat nempe Deus gentiles primo, & primae creationis homines. Formavit deinceps Iudaeos, promissionis & secundae filios. Consideratione dignum est, quod primae creationis homines, (qui ex mea hypothesi gentiles sunt) sicut & mundus totus, creati fuere Verbo. Notavit illud expressim caput primum Geneseos; quod primae creationis caput est [...] Dixit, faciamus. Et verbo fecit. At non verbo, sed manu, & lutum manibus subigendo, effinxit Deum Adamum, capite 2 Geneseos«. Am Beginn des Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 5, heißt es hingegen: »Nous ne nions pas que Dieu ayant cre´e tous les hommes par sa Parole; que les hommes ne puissent tous selon ce sens estre dits Enfans de Dieu.«

95 hätte bewahren müssen.70 Die Einheit der Menschheit ist nirgends in Frage gestellt, La Peyre`re betont vielmehr, daß alle Menschen mit Verweis auf einen neutestamentlichen Vers ›von einem Blut‹ (Apg 17,26) seien, ohne deshalb notgedrungen biologisch von dem einen Menschen Adam abstammen zu müssen.71 Es wäre sogar hervorzuheben, daß La Peyre`re diese Einheit der Spezies Mensch bis in seine Erlösungslehre durchhalten kann. Er macht sogar eine verblüffende Parallele zwischen Schuld und Erlösung auf: In gleicher Weise wie die Gruppe der Erwählten ihr Heil von dem Gottmenschen Jesus Christus erhalten könne, ohne von diesem genetisch abstammen zu müssen, bekämen alle Menschen die Sünde des Menschen Adam angerechnet, ohne mit ihm verwandt zu sein. La Peyre`re geht es also bei seiner Historisierung der theologischsystematischen Distinktion von Juden und Völkern keineswegs um die Postulierung von unterschiedlichen Menschengattungen. Noch weniger geht es ihm bei der Theorie von Präadamiten aber um eine Spekulation über Vorwelten, wie es etwa die Kabbalisten in der bekanntesten Form damit begründen, daß die Bibel im tiwarb (Im Anfang) mit dem zweiten hebräischen Buchstaben b beginne, was eine frühere, erste Welt wahrscheinlich mache. Bei La Peyre`re leben hingegen die Präadamiten zu70

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Vgl. dazu Markus Vogt: Art. Präadamiten. In: LThK3. Bd. 8 (1999), Sp. 464, der nicht sauber zwischen La Peyre`re und seinen Nachfolgern unterscheidet. Auch Karl Rahner: Sämtliche Werke. Bd. 8. Zürich u. a. 1998, S. 197, nennt zwar explizit La Peyre`re, behandelt ihn aber im Sinne einer bestimmten späteren Rezeption, besonders der von Alexander Wintchell aus dem 19. Jahrhundert. Zu Wintchell vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 127 und 163. Die Kunde vom Polygenismus war, mittlerweile salonfähig, auch nach Weimar gedrungen, allerdings schon in einer korrumpierten Version; vgl. das Gespräch vom 8. Oktober 1828. In: Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke. Bd. 19. München 1986, S. 259: »Die heilige Schrift, erwiderte Goethe, redet allerdings nur von Einem Menschenpaare, das Gott am sechsten Tage erschaffen. Allein die begabtesten Männer, welche das Wort Gottes aufzeichneten, das uns die Bibel überliefert, hatten es zunächst mit ihrem ausgewählten Volke zu tun, und so wollen wir auch diesem die Ehre der Abstammung von Adam nicht streitig machen. Wir anderen aber, so wie auch die Neger und Lappländer, und schlanke Menschen, die schöner sind als wir alle, hatten gewiß auch andere Urväter, wie denn die werte Gesellschaft gewiß zugeben wird, daß wir uns von den echten Abkömmlingen Adams auf gar mannigfaltige Weise untersheiden, und daß sie, besonders was das Geld betrifft, es uns allen zuvortun.« Vgl. Prae-Adamitae (1655). Kap. XXV, S. 68: »Ubi dixit, Fecit ex uno sanguine totam hominum gentem. Deinde conclusit, Progenies ergo Dei cum simus. Non dixit, Progenies Adami cum simus. Quippe qui alloquebatur, non Judaeos, sed Athenienses gentiles: et respiciebat, non particularem illam creationem Adami, qua Deus Iudaeos in Adamo sibi peculiariter finxit et efformavit filios: sed generalem illam, qua Deus naturam ipsam, et omnes homines ad sui imaginem creavit: et secundum quam imaginem dicuntur indistincte omnes homines progenies Dei.« Eine Anmerkung zeigt, wie La Peyre`re noch ein wenig hat nachhelfen müssen: »Vulgata editio vertit, ex uno, simpliciter. Sed in autographo Graeco legitur expressim εÆ ξ εë νοÁ ς αιÏματος. Ex uno sanguine.«

96 sammen mit den Adamiten in ein und derselben Schöpfung, so daß man hier nur von verschiedenen Stadien ein und derselben Welt reden kann.72 3.4. Biblische Chronologie und Neue Welt Weitere strittige Frage aus der Genesis schienen sich mit der Annahme von Präadamiten besser erklären zu lassen: Vor wem nämlich sollte Kain nach seinem Brudermord Angst gehabt haben (wenn doch in der Bibel nur zwei weitere Menschen, Adam und Eva, explizit genannt werden), woher nahm Kain seine Frau und vor allem mit wem gründete er eine Stadt? Schon die Kirchenväter hatten sich dieser Frage angenommen und festgestellt, wie es Benito Pereyra in seinem Commentariorum et disputationum in Genesim (1601) zusammenfaßt, daß sich Kain nicht etwa vor wilden Tieren, sondern nur vor anderen Menschen fürchten könne. Begründet wird dies mit der Ankündigung Gottes, er werde, sollte Kain ermordet werden, diese Bluttat siebenfach rächen wollen (Gen 4,15). Eine Rache Gottes setze aber grundsätzlich eine Sünde voraus. Zu einer Sünde seien freilich nur Menschen fähig, Tiere hingegen nicht.73 Um dies plausibler erscheinen zu lassen, wurde in den entsprechenden Traktaten häufig darauf verwiesen, daß der Brudermord etwa anno mundi 130 stattgefunden habe. Dies ziehe eine bis dahin genügend große Weltbevölkerung nach sich, die neben Kains Angst auch den Ursprung seiner Frau wie auch die Bevölkerung seiner Stadt erklären könne.74 Der Katholik Philippe Le Prieur stellte in seinen Animadversiones in Librum Praeadamitarum (1656) eine interessante Berechnung auf, die ihn für anno mundi 126 auf allein 2.396.744 Nachkommen Kains kommen ließ.75 72

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Vgl. Hans-Joachim Schoeps: Philosemitismus im Barock. Religions- und Geistesgeschichtliche Untersuchungen. Tübingen 1952, S. 15f, der eine ganze Reihe solcher kabbalistischer Vorstellungen einer Pluralität der Welten in die Nähe der Hypothese La Peyre`res stellt und darauf hinweist, daß La Peyre`re diese aus den De Creatione Problemata XXX (1635) von Menasse ben Israel habe kennen können. Vgl. Benito Pereyra: Commentariorum et disputationum in Genesim. Köln 1601, S. 340: »illud autem, Omnis qui me invenerit, non ad bestias refertur, sed ad homines. Siquidem proxime` subiungitur, Omnis qui occiderit Cain, septiplum punietur: quod non in bestias, sed in homines competit.« Menasse ben Israel hingegen urteilte anders; vgl. sein ursprünglich 1651 veröffentlichtes Buch in der dt. Übersetzung von 1724: Gloria Adami oder Die Herrlichkeit des ersten Menschen. Übers. v. Daniel Springern. Breslau 1724, S. 32: »Kajin fürchtet die Thiere«. Vgl. Pereyra: In Genesim (1601); auch die Erwiderungen auf La Peyre`re bedienen sich dieser Argumentation, vgl. etwa den Art. Praeadamiten. In: Zedler. Bd. 29 (1741), Sp. 19: »Darum ists kein Wunder, daß im Jahre der Welt 129, als Cain (wie manche meynen) den Abel erschlug (...) schon mehr Leute auf der Welt gewesen seyn, und noch vielmehr hernach, als Cain die Stadt Hanoch bauete, welches lange nach dem geschehen ist.« Eusebius Romanus [sc. Philippe Le Prieur]: Animadversiones in librum Praeada-

97 Derartige chronologische Hilfsargumente wollte La Peyre`re augenscheinlich umgehen. Vielmehr scheint er die zu seiner Zeit betriebene biblische Chronologie sogar explizit abzulehnen. Diese hatte 1594 in dem Werk De emendatione temporum des Leidener Gelehrten Joseph Scaliger (1540–1609) einen neuen Höhepunkt erlebt, gleichzeitig aber durch die Entdeckungen und Berichte aus den unbekannten Erdteilen ihre größte Herausforderung erfahren.76 Wollte man weiterhin an dem biblisch errechneten ›wahren‹ Alter der Welt festhalten, mußte man schon einiges aufbieten, warum die ›dummen‹, da jeder Offenbarung ledigen Heiden auf derart abenteuerlich höhere Jahreszahlen kamen – es sei denn, man wollte sie schlichtweg für ebenso verdorben wie verlogen erachten. La Peyre`re selbst spricht von 5617 Jahren, was 3953 Jahre vor Chr. entspräche, während etwa Platon im Timaios von allein 9000 Jahren vor Solon spricht.77 Neben den Historiographen des alten Ägypten und Chinas, waren es vor allem die Berichte aus Amerika, welche die biblischen Berechnungen ins Wanken geraten ließen. Diese sogenannte Neue Welt hatte mit ihrer ›Entdeckung‹ 1492 ein Problem aufgegeben, das lange Zeit nicht gelöst schien. Die Urbewohner waren zwar 1537 auf das heftige Betreiben des Dominikaners Las Casas hin von Papst Paul III. Farnese zu gleichwertigen Menschen erklärt worden. Doch damit war die theologische Debatte um sie noch lange nicht beendet, sie erhielt vielmehr neuen Auftrieb:78 Wenn die ›Indianer‹ also nicht wilde Tiere, sondern Menschen waren, so wurde erhitzt gefragt, wann und wie sie nach Amerika hatten gelangen können? Denn daß sie spätestens nach der Sintflut, wenn nicht sogar vom Paradies her, so doch auf alle Fälle aus der Alten Welt stammen mußten, galt nach dem biblischen Bericht als sicher. Etwa mit der sogenannten Atlantisthese versuchte man diese Schwierigkeit wortwörtlich zu überbrücken. Da der Seeweg als zu weit, ein Landweg aber als unbekannt galt, erinnerte man an die bekannte Erzählung aus den Dialogen Platons von der wundersamen Insel Atlantis, die untergegangen war.79 Dabei spielte es eine nachrangige Rolle, ob

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mitarum. Paris 1656, S. 53: »Hac ratione, antequam Abel occideretur, in sola Caini stirpe erant homines 2396744, anno mundi 126.« Vgl. einleitend Anthony Grafton: Defenders of the Text. The Tradition of Scholarship in an Age of Science, 1450–1800. Cambridge (Mass.), London 1991, S. 104–144. Vgl. Systema theologicum (1655). Buch II 6, S. 81; Platon: Timaios 23d. Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 33; ebenso DH 1495. Allgemein auch Anthony Grafton: New Worlds, Ancient Texts. The Power of Tradition and the Shock of Discovery. Cambridge (Mass.), London 1992, S. 75–91; 132–148, der in großen Zügen die Hintergründe und Verstrickungen nachzeichnet. Vgl. Platons Timaios 24c–25d und Kritias 113c ff. Zu den hier wichtigen Rezeptionen zur Zeit La Peyre`res vgl. allgemein Pierre Vidal-Naquet: Athen – Sparta –

98 Atlantis entweder mit Amerika gleichgesetzt oder aber als eben jene untergegangene Landbrücke zwischen Alter und Neuer Welt verstanden wurde. In beiden Fällen änderte dies freilich nichts daran, daß man dem divino Platon aufgrund seines Status als Heide die völlige Kenntnis der Dinge absprach, um mögliche Inkongruenzen zwischen dessen fabula und den Berichten über die Neue Welt besser ausgleichen zu können.80 Als sei das noch nicht genug, brachte diese Debatte um den Ursprung der Amerikaner eine Wiederbelebung der Frage nach dem Verbleib der Zehn Stämme Israels mit sich, also jener Stämme, deren Rückkehr aus dem babylonischen Exil im Gegensatz zu den judäischen Stämmen Juda und Benjamin biblisch nicht belegt ist und welche an so unterschiedlichen Orten wie hinter dem kaspischen Meer oder aber im Herzen Afrikas vermutet wurden (IV Esra 13,39ff).81 Ein Jude namens Antonio de Montezinos war 1644 nach Amsterdam gekommen und hatte berichtet, er habe Indianer getroffen, die ihn mit dem Schema Israel begrüßt hätten.82 Insgesamt versuchte Montezinos mit seinem Bericht, die Annahme zu erhärten, daß die zehn Stämme in Amerika zu finden seien. Menasse ben Israel druckte diesen Bericht 1650 zu Beginn seines Hope of Israel ab, um im folgenden selber zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Der englischen Übersetzung des spanisch verfaßten Werkes ist zu entnehmen, daß er einige Amerikaner für einen Teil der verlorenen zehn Stämme hielt.83 Gerade in England ent-

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Atlantis. Die griechische Demokratie von außen gesehen. München 1993, S. 63–94, der dort auch kurz auf La Peyre`re zu sprechen kommt. Vgl. allgemein Peter G. Bietenholz: Historia and Fabula. Myths and Legends in Historical Thought from Antiquity to the Modern Age. Leiden u. a. 1994 (Brill’s studies in intellectual history 59). Vgl. Thomas Thorowgood: Iewes in America, or Probabilities that the Americans are of that Race. London 1650, S. 3–6, der zahlreiche Alternativen auflistet. Vgl. allgemein zu den zehn Stämmen Bernhard Levy: Art. Zehn Stämme. In: Jüdisches Lexikon. Bd. 4/2 (1930), S. 625–7; ausführlicher noch Louis I. Rabowitz: Art. Ten Lost Tribes. In: Encyclopedia Judaica. Bd. 15 (1971), Sp. 1003–1006. Menasse ben Israel: The Hope of Israel. London 1650, S. 9: »Then those two men comming each side of Montezinos, they spoke in Hebrew, the fourth Verse of Deut. 6. Semah Israel, adonai Elohenu adonai ehad; that is, Heare O Israel, the Lord our God is one God.« Ein identischer Bericht findet sich am Ende des Werks von Thomas Thorowgood: Iewes in America, or Probabilities that the Americans are of that Race. London 1650, S. 129–132. Die neuere Forschung zu Menasse ben Israel wird immer vorsichtiger in ihrer Bewertung, da die Übersetzungen vom Original in wohl nicht unbedeutendem Maße divergieren, vgl. etwa das Vorwort von Henry Me´choulan zu dessen Neuausgabe von The Hope of Israel. Oxford 1987, S. 63: »The purpose of the Hope of Israel, as we will show in our introduction, is to prove that the American Indians are definately not the descendants of the Ten Lost Tribes, and yet we find in the Latin text ›Mihi ex parte probanda videtur Hispanorum in India habitantium sententia, qui communi consensu astrunt a X tribubus procedere. Nec sane in totam falluntur‹ (p. 21).«

99 brannte darum eine große Diskussion, als deren Hauptvertreter und Kontrahenten Thomas Thorowgood und Sir Hamon l’Estrange gelten.84 3.5. Grotius’ Kritik Gerade gegen die These von Juden in Amerika hatte sich auch Hugo Grotius (1583–1645), damals schwedischer Gesandter in Paris, in seinem De origine gentium Americanarum (1642) ausgesprochen. Grotius plädierte im Gegenteil für eine Besiedlung Nordamerikas durch die Skandinavier, die über Grönland dorthin gelangt seien; Südamerika wiederum sei von Asiaten über den Seeweg von China aus in Besitz genommen worden.85 Durch Kultur- wie Sprachähnlichkeiten versuchte Grotius seiner These Nachdruck zu verleihen. Johannes de Laet (1582–1649), der jegliche Ähnlichkeit in Kultur und Sprache zwischen den genannten Völkern bestritt, schrieb eine bittere Replik, die Grotius 1643 zu einer Dissertatio Altera nötigte, in der er auch auf La Peyre`re zu sprechen kommt.86 Zwar nennt Grotius dort La Peyre`re nicht mit Namen, doch gibt der Beklagte selbst zwölf Jahre später in seinem Systema theologicum (1655) über den Vorfall ausführlich Auskunft.87 Grotius habe von einem Bekannten – vieles spricht hier für Mersenne – eine Vorarbeit zu den Prae-Adamitae (1655) erhalten, die Anlaß zu seinem Kommentar war.88 Diese Vorform der Prae-Adamitae muß, folgt man den Briefen der Zeit, in den Pariser Kreisen kursiert sein.89 Sie soll 84

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Thorowgood: Iewes in America (1650); Sir Hamon l’Estrange: Americans no Iewes, or improbabilities that the Americans are of that race. London 1652; vgl. Don Cameron Allen: The Legend of Noah. Renaissance Rationalism in Art, Science, and Letters. Urbana 1963, S. 125–128. Vgl. Allen: Legend of Noah (1963), S. 123f; Joan-Pau Rubie´s: Hugo Grotius’s Dissertation on the Origin of the American Peoples and the Use of Comparative Methods. In: Journal of the History of Ideas 52 (1991), S. 221–244. Rubie´s hat auf die eminent politischen Implikationen der Debatte hingewiesen, sie jedoch wieder im Vergleich zu der Interpretation von Gliozzi zugunsten einer theologischen Debatte entschärft, vgl. Gliozzi: Adamo e il nouvo mondo. La nascita dell’antropologia come ideologia coloniale: dalle genealogie bibliche alle teorie razziali (1500–1700), Firenze 1977, S. 446–454. Hugo Grotius: De origine gentium Americanarum. dissertatio altera. Paris 1643, S. 15. Bereits am Ende von der Relation du Groenland (1647), S. 273, spielt La Peyre`re auf diesen Vorfall an. Vgl. Systema theologicum (1655). Buch IV 14, S. 251–255; siehe dazu auch Popkin, La Peyre`re (1987), S. 6. Vgl. Patin an Spon vom 14. September 1643. In: Lettres de Gui Patin (Reveille´Parise). Bd. 1. Nr. CLXIX, S. 297; Mersenne an Rivet vom 7.November 1643. In: Correspondance de Mersenne. Bd. 15. Nr. 1230, S. 364. Schon philologische Gründe verbieten es, diese Vorform mit den Prae-Adamitae gleichzusetzen, haben wir doch nur die gedruckte Fassung von 1655. Vgl. Systema theologicum (1655). Buch IV 14, S. 252. La Peyre`re selbst nennt dort sein Werk, wie es Grotius vorge-

100 den Titel getragen haben: Somnium Nobilis Aquitani de Prae-Adamitis.90 La Peyre`re zitiert dazu wörtlich aus der Dissertatio Altera von Grotius, in der Grotius die Träumereien eines Franzosen in eine Reihe mit den heidnischen fabulae eines Aristoteles, der Spartaner oder eines Homer gestellt hatte.91Nach einer kurzen Zusammenfassung von Grotius’ These holt La Peyre`re 1655 zu deren Widerlegung aus. Schließlich konnte sich La Peyre`re mittlerweile als ein ausgewiesener Spezialist für die Landeskunde von Grönland präsentieren, der zudem in seiner Relation du Groenland (1647) mit Vehemenz die Existenz einer grönländischen Urbevölkerung, der »Skreglingres«, verteidigt hatte.92 In einer rhetorischen Retourkutsche stellt La Peyre`re denn auch die kühne These auf, daß auch der seit einigen Jahren verstorbene Grotius (†1645) aufgrund des neuen Wissenstandes um besagte Skreglingres nun sicher zur Präadamitenthese neigen würde.93 Doch benennt La Peyre`re im selben Zusammenhang auch den Grund für Grotius’ ursprüngliche Bedenken an den Präadamiten: Es sei die Furcht vor der Unvereinbarkeit dieser Hypothese mit der Erbsündenlehre gewesen.94

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legen haben soll, nur ein :»exercitatiunculam de Prae-Adamitis, indigestam & palimsesto relatum«. Vgl. dazu auch den Brief von Chapelain an Heinsius vom 18. August 1655. In: Jean Chapelain: Les lettres authentiques a` Nicolas Heinsius (1649–1672). Une amitie´ e´rudite entre France at Hollande. Hg. von Bernard Bray. Paris 2005, Nr. 54, S. 170f: »Celle du livre de La Peyre`re des Pre´adamites a` Amsterdam fait grand bruit. Il me l’a autrefois communique´ Manuscrit mais de moitie´ moins ample qu’il n’est.« Ähnlich urteilt auch Mersenne an Rivet vom 15. Februar 1647. In: Correspondance de Mersenne. Bd. 15. Nr. 1600, S. 98: »le traite´ lequel ie croy que vous auez vuˆ, de Mr de la Perere, des Preadamites m’estant tombe´ entre les mains, ie l’ay trouue´ amplifie´.« Vgl. Sarrau an Saumaise aus dem November 1643. In: Claudii Serravii Epistolae. Arausioni 1654, S. 74. Ein Autograph dieses Briefes hat sich nicht erhalten, allerdings erschien diese posthume Briefsammlung noch vor La Peyre`res Veröffentlichung von 1655. La Peyre`re selbst erzählt es später ein wenig anders: La Peyre`re an Wormius vom 9. September 1661. In: Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 289: »J’aurois intituler le livre que je luy [sc. Saumaise] voulois de´dier, Endiminionis somnium, de Pre´adamitis.« Vgl. Systema theologicum (1655). Buch IV 14, S. 252: »Quodsi, inquit, Americani Germanici non sunt: (Germanici & Norvagici, perinde illi fuerunt) jam a` nulla gente orti fuerunt. Cui consequens est ut credantur; aut ab aeterno fuisse, cum Aristotele; aut ex terris orti, ut de Spartanis fabula est; aut ex Oceano, ut voluit Homerus; aut aliquos ante Adamum fuisse conditos homines, ut nuper aliquis in Gallia somniavit. Si haec credantur, pergit ille, magnum video periculum pietati.«. Vgl. Relation du Groenland (1647), S. 41–45. Vgl. Systema theologicum (1655). Buch IV 14, S. 255: »Quid vero haberet quod diceret Grotius, si viveret, & legeret in Chronico Groenlandico, Schlegringos Groenlandiam habitavisse antequam Norvagi ad illam adventarent? Qui genus, unde domo, conjiceret homines illos? Statueretne; vel ab aeterno fuisse, vel ex Groenlandia ipsa ortos, vel ab Oceano in terram illam ejectos, vel ab alio quam Adamo conditos?« Vgl. Systema theologicum (1655). Buch IV 14, S. 255: »Periculum autem magnum illud quod vidit, in hoc praecipue fuit; quod inde putavit eversum iri funditus

101 Auch eine andere theologische Prämisse, die in diesem Zusammenhang implizit vorausgesetzt wird, will La Peyre`re anders verstanden wissen: die Universalität der biblischen Sintflut. Wie man nicht aufgrund eines angeblich chinesischen Bootsrestes in Südamerika darauf schließen dürfe, daß die Bewohner von Peru chinesischen Ursprungs wären, sei es ebenso unsinnig, daß die europäischen Völker ihren Ursprung in den Söhnen und Enkeln Noahs suchen würden. In diesem Sinne hatten die Nationen eine möglichst edle Abstammung zu ergattern versucht, wie z. B. die Franzosen ihren Ursprung von Gomer, dem erstgeborenen Enkel Noahs, annahmen.95 Als ob dort, so wettert La Peyre`re, nicht schon vor der Sintflut Menschen gewesen wären. Eine derartige Argumentation komme einem Kurpfuscher gleich, der dem Kranken erkläre, er habe wohl einen Esel verspeist, weil dessen Lastkörbe unter dem Kankenbett hervorluken würden.96 La Peyre`re fügt hierfür der Kontroverse nichts Neues hinzu, vielmehr gelingt es ihm, das Vorhandene anders zu akzentuieren. Denn auch er hat Platons Timaios gelesen und verweist auf die Fluten, die der ägyptische Priester dort im Kontext von Atlantis erwähnt, um seine These der Beschränkung der biblischen Sintflut auf das Gebiet des Heiligen Landes zu untermauern.97 Auch La Peyre`re gesteht hier Platon nur eine bedingte Kenntnis der Ereignisse zu.98 Doch weiß er gerade daraus wieder Kapital für seine Hypothese zu schlagen. Man werde den Heiden eine große Kenntnis

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peccati Adamici rationem: quia, non nisi ex traduce Adami potuisse in omnes homines pervadere & omnibus hominibus imputari peccatum illud, vulgatus est Theologorum omnium consensus.« Guillaume Postel ging hundert Jahre vor La Peyre`re sogar so weit, daß den Franzosen als Gallim und somit halbjüdischer Nation eine Sonderrolle in Europa zukäme, vgl. Marion L. Kuntz: Guillaume Postel. Prophet of the Restitution of All Things. His Life and Thought. The Hague u. a. 1981 (Archives internationales d’histoire des ide´es 98), S. 60. Vgl. Systema theologicum (1655). Buch IV 14, S. 251f: »Omnibus hic mos est qui origines Gentium exquirunt, deducere illas a` diluvio ex Noaci nepotibus [...]. Quasi vero Franci, auctores & primi patres totius gentis Gallicae putandi sint, neque ante Francos Galli fuerint; quia Franci Galliam occupaverunt; & nomen Provinciae mutaverunt, Franciamque ex Gallia fecerunt. [...] Qui talia conjiciunt, similes mihi videntur diobolari Medico illi, qui aegrotum quem curabat, comedisse asinum conjiciebat: nimirum, quia clitellas asini subter lecto aegroti deprehenderat.« Vgl. Systema theologicum (1655). Buch IV 9, S. 231f: »Particulares porro datos fuisse regionum cataclysmos, testatur Ogygae diluvium, quod Boeotiam totam inundavit: nec non Deucalionea illuvio, quae Thessaliam totam hausit; quamque plures alias, illasque particulares, praecessisse retulit Plato, ex Sacerdote Aegyptio, in Timaeo. Cataclysmum quin etiam suum jactant Sinenses, suum Americani: utrumque vero, ex eorundem computo, a` Noacini diluvii temporibus longe distantem. Quidni autem & suam particularem concedemus Palaestinae illuvionem?« Vgl. Systema theologicum (1655). Buch III 7, S. 156: »Esto etiam, attexuerit Plato, cognomento licet Divinus, quamplurimas Philosophiae suae fabulas.«

102 etwa in der Astronomie nicht absprechen können. Diese Kenntnis setze jedoch gerade ohne die Hilfe der Offenbarung eine umso längere Zeit für die Beobachtung der Gestirne voraus, als es die biblische Erzählung errechne.99 Sei es nicht sogar ziemlich wahrscheinlich, daß schon Adam von dem älteren Wissen profitiert habe, wenn doch allgemein angenommen werde, daß sein Geist durch den Sündenfall depraviert sei.100 Ja, sei es nicht schon aufgrund der bemerkenswerten Übereinstimmung der heidnischen Historiographen viel wahrscheinlicher, von einem viel längeren Weltalter auszugehen, als es die biblische Chronologie glauben machen wolle?101 Zwei Lösungen für die Chronologiefrage boten sich ihm an: Entweder lügen alle Heiden und die biblischen Berechnungen sollte doch recht behalten – oder aber die Heiden hatten, wenn vielleicht auch nicht in allen Punkten, recht, und man müßte das Projekt der biblischen Chronologie ad acta legen. La Peyre`re ging einen dritten Weg: Keineswegs fing er an, die Jahreszahlen des Alten Testaments in Frage zu stellen oder sie allegorisch auszudeuten. Die Daten sollten stimmen, allerdings mit der gewissen Einschränkung, daß sie eben erst ab Adam gelten sollten und dieser nicht der Anfang der Schöpfung sei, sondern der Stammvater des Gottesvolkes Israel. In dieser Weise konnte La Peyre`re gut protestantisch an einer wörtlichen Bibellektüre festhalten, ohne der wachsenden Infragestellung der Chronologie ausgeliefert zu sein. 99

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Vgl. Systema theologicum (1655). Buch III 7, S. 158: »Gentilibus vero, absconditus & incognitus fuit Deus idem. [...] Aegyptiorum porro sapientiam commendavit D. Stephanus, Actorum 7. Neque fabulam idcirco putavit omnem illorum humanam scientiam.« Ebd. III 8, S. 164: « Sed si rem diligentius attendimus; quorum omnium quae vel minima & minutissima videbuntur, non nisi exacta, repetita, & longissima disquisitione, deprehensa, & cognita fuerunt. Quinimo, ut concatenatae sunt disciplinae omnes; quae non nisi perfecta in primis Arithmeticae & Geometricae cognitione, ab exquisitissimis scientiarum illarum, & plurium seculorum magistris, demonstrari potuerunt.« Vgl. Systema theologicum (1655). Buch IV 1, S. 182f: »Sed enim, si Adamus, quatenus homo; imo perfectione formationis suae integra, vel ante peccatum (quod idem est;) non potuit nisi paulatim & succesione temporis, scientias, artes, & disciplinas aspisci: longiore sane temporis intervallo comparare illas, post lapsum & peccatum suum, valuit: Ex illorum praesertim hypothesi, qui volunt, animum Adami, post peccatum, tenebris fuisse obductum, & rerum ignorantia hebetatum.« Ähnlich argumentiert La Peyre`re über den Ackerbau und Viehzucht der Kinder Adams oder etwa über die Navigation als Voraussetzung für das Steuern der Arche. Vgl. Systema theologicum (1655). Buch III 7, S. 160: »Prodigiosa insuper visa est Scaligero Sinarum periodus: Iuxta quam, ait ille, hic annus Christi 1594 (quo emendationem temporum scribebat), est, a` conditu rerum, octingenties octagies millesimus septuagesimus tertius. In secula itidem innumera recurrit Americanorum de origine mundi computum: Atque innumera dubio procul deprehenderemus tempora, de eadem origine, apud Australes homines, si terra eorum nobis esset cognita. Nempe in illis seculorum millibus, quibus numerantur rerum initia, mirus est consensus populorum nuper cognitorum, cum Chaldaeis, Aegyptiis, Scythis, Phoenicibus, Gallis, &c. populis ab antiquis temporibus perlustratis, & cognitis.«

103 Der endgültige Beweis für diese These von Menschen vor Adam mußte freilich – ebenfalls gut protestantisch – ein biblischer sein, und La Peyre`re will ihn in Röm 5,12–14 gefunden haben.102 Dabei ging es vor allem um den Gesetzesbegriff in Vers 13: ›Denn bis zum Gesetz war die Sünde in der Welt. Doch die Sünde wurde nicht angerechnet, solange das Gesetz nicht existierte.‹ Faßte man hier ›Gesetz‹, wie allgemein üblich, als den Mosaischen Dekalog auf, dann hieße der Vers, daß vor Mose zwar die Sünde in der Welt war, jedoch nicht angerechnet wurde, da der Dekalog noch nicht existierte. Doch La Peyre`re kann dieser Interpretation zum einen entgegensetzen, daß der Dekalog nicht das erste von Gott gegebene Gesetz gewesen sei. Zum anderen führt er aus, daß durchaus auch schon vor Mose eine Anrechnung stattgefunden haben müsse. Beides kann er an der Person Abrahams verdeutlichen, denn einerseits habe dieser lange vor Mose gelebt und Gottes Vorschriften und Gebote gehalten, andererseits sei ihm und seinen Nachfahren gerade dies angerechnet worden.103 Er nennt als solche Gebote die Sabbatheiligung und die Beschneidung. Auch das Gesetz, wie es dann durch Mose kodifiziert worden sei, habe durchaus schon Geltung besessen.104 Es gehe vielmehr bereits auf Adam zurück, wie aus Röm 5,12 klar hervorgehe: Adam habe als erster das Gesetz Gottes gebrochen, und seitdem werde diese Übertretung jedem angerechnet.105 Um dies weiter zu untermauern, benutzt La Peyre`re ein literarkritisches Argument und unterstellt, daß sich ein Schreiber in Röm 5,13a geirrt habe und hier im Griechischen nicht ein Präsens, sondern ein Imperfekt gestanden haben müsse.106 102

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Vgl. Systema theologicum (1655), Prooemium, o.S.: »Illa eadem & mihi olim inciderat suspicio; cum puer adhuc vel audirem, vel legerem historias Genesios. [...] Sed quamvis haec animo meo insideret dubitatio; nihil tamen de illa audebam proferre, quod non saperet receptam opinionem de Adamo primo omnium hominum creato: donec incidi in versus, duodecimum, decimum tertium, & decimum quartum, cap. 5. Epistolae D. Pauli ad Romanos«. Vgl. Prae-Adamitae (1655). Kap. II, S. 10: »Imo et leges Dei varias indictas fuisse Iudaeis, longe ante legem datam Mosi, constat ex Genesi ipsa, cap. 26. ubi Deus Isaacum affatur his verbis. Benedicentur in semine tuo omnes Gentes terrae, eo quod obedierit Abrahamus voci meae, et custodierit praecepta et mandata mea, et ceremonias legesque servaverit.« Vgl. Prae-Adamitae (1655). Kap. II, S. 9–12. Man mag hier auch an die Tradition der Noachidischen Gebote denken, auf denen La Peyre`re implizit aufbaut. Vgl. Prae-Adamitae (1655). Kap. II, S. 12: »Sed scriptum est disertissime et conceptissime; peccatum intravisse in Mundum, per legem perruptam ab Adamo: Imputatam fuisse transgressionem legis illius omnibus hominibus: et per transgressionem legis illius mortem pervasisse in omnes homines. Unde innotescat, legem datam Adamo, tanquam generalissimam, et legem legum, Legem simpliciter dici et audiri debuisse hoc loco.« Vgl. Prae-Adamitae (1655). Kap. X, S. 33: »Legendum vero est hoc loco: Peccatum non imputabatur; quamvis recentiores versiones habeant, Peccatum non imputa-

104 Diese Operation hat Auswirkungen über den behandelten Bibeltext hinaus, denn La Peyre`re kommt somit zu einer deutlich veränderten Aufteilung der Weltzeitalter. Das erste Zeitalter, sub natura, gilt nicht von Adam bis Mose, sondern eben gerade in der nicht weiter bestimmbaren Zeit vor Adam. Unter sub lege versteht La Peyre`re die Zeit von Adam bis Christus, worauf ganz konventionell sub gratia folgt, welches von sub gloria bei Christi Wiederkunft abgelöst wird.107 La Peyre`re probiert sich also an einer ganz eigenen Rekonziliation zwischen historia sacra und historia profana.108 Sein philologischer Schachzug der elementaren Unterscheidung der beiden Schöpfungsberichte und die daraus resultierende Disambiguierung der biblischen Erzählung steht zudem in dem größeren Kontext einer Missionierung zum christlichen Glauben. Am Ende der Prae-Adamitae (1655) gibt er als Ziel seiner bibelkritischen Operation an, daß die Heiden, und kämen selbst die gescheitesten unter den Präadamiten, ja käme selbst Aristoteles, keinen Anstoß mehr an der biblischen Erzählung nähmen und sich sofort zum christlichen Glauben bekennen würden.109 3.6. Bibelkritik und christlicher Missionswillen Ähnlich wie in La Mothe Le Vayers De la vertu des payens (1642) geht es also auch in La Peyre`res Präadamitenhypothese um eine Akkommodation von Philosophie mit der biblischen Heilsgeschichte.110 Ausgehend

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tur. Vetus enim et vulgata versio legit expressim, Imputabatur. Graecos codices ita conceptos fuisse[...] Incuria vero Notariorum, qui prima pedem literae μ,adverbii μηÁ , continua serie scripserant cum verbo εÆ λλογειÄτο: reliquum vero literae ejusdem μ, longiuscule, et disjunctum a primo pede: accidisse ut εÆ λλογειÄτoι primum corruptius, deinde εÆ λλογειÄται repositum fuerit: quamvis vere scribendum fuisset εÆ λλογειÄτo: quod postulat brevior et genuina magis hujus loci sententia.« Vgl. Prae-Adamitae (1655). Kap. III, S. 13–15. Vgl. dazu Adalbert Klempt: Die Säkularisierung der universalgeschichtlichen Auffassung im 16. und 17. Jahrhundert. Göttingen u. a.1960, S. 89–96; Klempt kommt dort recht ausführlich, im Detail jedoch leider manchmal ungenau auf La Peyre`re zu sprechen. Vgl. auch Herbert Jaumann: Critica. Untersuchungen zur Geschichte der Literarkritik zwischen Quintilian und Thomasius Leiden u. a. 1995 (Brill’s studies in intellectual history 62), S. 138–157. Vgl. Prae-Adamitae (1655). Kap. XXVI, S. 69f: »Itaque si venerint Chaldaei ipsi, vetustissimi illi Astronomi, penes quos erant rationes cursus syderum, a multis retro centenis annorum millibus (ut aiunt) compositae et confectae: si venerint antiquissimi Aegyptiorum Chronologi, cum antiquissimis Regum suorum dynastiis, si venerit Aristoteles ipse: si venerint cum Aristotele Sinenses, philosophi et chronologi fortasse an eximii: vel si qui olim reperientur sagaces apud Australes et Septentrionales incognitos: quibus, sicut et Sinensibus, Aegyptiis, et Chaldaeis, suae sibi sint epochae, a pluribus annorum myriadibus traditae et cognitae: Accipiant ultro illi omnes expositione hac historiam Genesios, et fiant lubentius Christiani.« Das wird La Peyre`re auch vehement in seiner Antwort auf die Angriffe des Hu-

105 von den Kapiteln 9–11 des Römerbriefes geht es um das Problem des Volkes Gottes post Christi adventum und entsprechend ebenfalls um das Heil der Menschen ante Christi adventum. Folgt man der von Achim Detmers vorgeschlagene Unterscheidung in eine primäre Israel-Lehre für die Zeit ante Christi adventum und in eine sekundäre Israel-Lehre für die Zeit post Christi adventum, so geht es bei La Peyre`re also in erster Linie um ›sekundäre Israel-Lehre‹, die trotz aller Nähe von der Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Juden unterschieden werden muß, da post Christi adventum bzw. in der Epoche sub gratia die Rede von Israel nicht automatisch als Rede über die Juden gleichgesetzt werden kann.111 Dieses Tableau zu La Peyre`res Präadamitenthese, deren Verschränkung zum Rappel des Juifs (1643) noch zu zeigen ist, mag zudem genügen, um die eminent hohe Verstrickung des theologischen Autodidakten La Peyre`re in die zeitgenössische theologische Debatte aufzuzeigen. Will man La Peyre`res Thesen nicht vorschnell als schlichte Persiflage auf diese Debatte lesen, so mag man sie als einen vielleicht ungenügenden Lösungsversuch ansehen. Deutlich ist aber auf alle Fälle, daß hier unter den verschärften Bedingungen einer biblischen Theologie in Kombination mit einer wörtlichen Lektüre der Heiligen Schrift versucht wird, ein Beitrag zu den eklatanten Problemlagen in bezug auf die Vereinbarkeit von historia profana und historia sacra zu leisten. Wie relevant das Problem der Zeitlichkeit von überzeitlichen Dekreten Gottes besonders in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts geworden war, zeigt nicht nur die Chronologiedebatte, sondern etwa auch die unter den Reformierten stark diskutierte Lehre von der Prädestination. Vor allem die Frage, in welchem Zusammenhang die konkrete zeitliche Tat Adams am Baum der Erkenntnis im Paradies zum überzeitlichen Dekret Gottes von der ewigen Erwählung und Verwerfung der Menschen gedacht werden kann und muß, stand im Zentrum der Debatten und Polemiken. Wann mochte Gott die Menschwerdung seines Sohnes beschlossen haben, losgelöst vom Fall des Menschen (Supralapsarismus) oder doch in einer gewissen temporären wie kausalen Abhängigkeit (Infralapsarismus)?112

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genotten Desmarets formulieren. Vgl. Reˆponse aux calomnies de Des Mareis. Chantilly, Muse´e Conde´, Ms. 193, fol. 13f.: »Je n’ai donc pas e´te´ l’autheur des Pre´adamites en ce sens-la`. Et l’invention n’en pas nouvelle. Ce qui est de moi dans cette nouveaute´, est d’avoir taˆche´ d’accommoder l’histoire et la philosophie des sie`cles passe´s a` l’histoire de la Gene`se, et a` la the´ologie chre´tienne.« Vgl. Detmers: Reformation und Judentum (2001), S. 3–7. Diese Frage kulminiert in der Auseinandersetzung der Anhänger von Arminius und Gomarus in der großen reformierten Synode von Dordrecht, vgl. Johannes P. van Dooren: Art. Dordrechter Synode (1618/19). In: TRE 9 (1982), S. 140–147. Zur weitreichenden französischen Rezeption und Wirkmächtigkeit der Beschlüsse

106 Wie wird man nun La Peyre`res Bibelkritik in bezug auf den libertinage e´rudit bewerten müssen? Es sei in diesem Zusammenhang nochmals ein Vergleich mit Guy Patin erlaubt. Das Vorwort zu der dreibändigen Briefsammlung von Patin aus dem Jahr 1691 hielt es für nötig, zu dem Vorwurf Stellung zu nehmen, Patin sei »un peu libertin« gewesen. Die Herausgeber wiegeln dies mit den Worten ab: »La ve´rite´ est qu’il ne pouvoit soufrir la bigoterie, la superstition & la farfanterie«, vielmehr habe Patin »l’aˆme droite & le coeur bien place´«.113 La Peyre`re spielt in seiner Apologie (1663) auf einen ähnlichen Vorwurf an: »J’ay touˆjours eu de l’horreur pour l’impiete´, & de l’auersion pour la bigoterie, qui est superstition.«114 Der Konvertit La Peyre`re schafft es, dies mit einem weiteren Vorwurf gegen die Hugenotten zu verbinden, indem er diesen ›fälschlichen Glauben‹ als »l’opiniatrete´ du schisme« konkretisiert. Dieses Thema der Spaltung innerhalb der Christenheit, das hier als der wahre Libertinismus gedeutet wird, wird im Verlauf dieser Studie noch eine große Rolle spielen. Betrachtet man abschließend nochmals den Fall La Mothe Le Vayer, so spricht also vieles dafür, sich Popkins Urteil anzuschließen und hier von einem christlichen Skeptizismus zu sprechen. Weiter zu klären bleibt die Frage, warum dieses Urteil nicht auch für La Peyre`re gelten soll, sondern Popkin in diesem Fall von einer marranischen Theologie spricht. Bevor das in Kapitel IV besser geklärt werden kann, soll in einem folgenden Schritt der Begriff ›Jude‹ in La Peyre`res Werk näher beleuchtet werden und zu diesem Zweck allgemein seine These vom Rückruf der Juden. Ähnlich wie bei La Mothe Le Vayer geht es bei La Peyre`re noch eindeutiger um das Verhältnis von Frankreich und den Juden. Es wird dabei nicht nur um die Analyse von panegyrischen Traditionen der französischen Könige gehen, sondern auch um Patronagebeziehungen bei Hofe: Während La Mothe Le Vayer sein De la vertu des Payens (1642) für Kardinal Richelieu schrieb, stand La Peyre`re im Näheverhältnis zu dem Bourbonenprinzen Conde´.

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der Synode, an der die französische Delegation bekanntermaßen aufgrund eines königlichen Beschlusses nicht hatte teilnehmen dürfen, bis hin zur Debatte um Cameron und Amyraut vgl. etwa Frans P. van Stam: The Controversy over the Theology of Saumur, 1635–1650. Disrupting Debates among the Huguenots in Complicated Circumstances. Amsterdam, Maarssen (SIB 19), bes. S. 17–21 und passim. Avis au lecteur. In: Lettres choisies de feu Mr. Guy Patin. Bd. 1. Cologne 1691, o.S. Apologie de la Peyre`re (1663), S. 156. Es heißt dort weiter: »Et quoy que les Caluinistes ne croyent pas estre bigots superstitieux, ils ne laissent pas de l’estre, & d’vne maniere tres dangereuse, puis qu’ils le sont dans l’opiniatrete´ du schisme.«

III. Ludwig XIV. – un roi juif et un roi des Juifs Die Sakralisierung der französischen Monarchie hat eine lange Tradition und findet ihren besonderen Ausdruck etwa in den ›wundertätigen Königen‹.1 Es ist nur eines der zahlreichen Beispiele für eine religiöse Überhöhung des französischen Königs, der seit dem Mittelalter die Titel ›allerchristlichster König‹ (roi tre`s chre´tien) und ›ältester Sohn der Kirche‹ (fils aıˆne´ de l’Eglise) trug. Gerade auch für das 17. Jahrhundert kann man viele Fälle anführen, die den König als image vivante de Dieu beschreiben.2 Besonders drastisch formulierte es der Bischof von Chartres auf der Generalversammlung des Klerus von 1625: »les Roys sont ordonnez de Dieu, & non cela seulement, mais qu’eux-mesmes sont Dieux.«3 Das Motiv des ›Gottesgnadentum‹ und die biblizistische Imago-Dei-Lehre für den Monarchen wird hier auf die Spitze getrieben: er ist nicht nur Stellvertreter Gottes, er ist vielmehr divinisiert. Gleichwohl nahm der Bischof diese Einschätzung wieder zurück, wenn er präzisiert, daß die Könige nicht Götter »par essence« seien, sondern vielmehr »par grace« und »pour certain temps«.4 1

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Klassisch dazu die erstmals 1924 erschienene Studie von Marc Bloch: Les rois thaumaturges. Etude sur le caracte`re surnaturel attribue´ a` la puissance royale en France et en Angleterre. Nouvelle e´dition. Paris 1983; entsprechend dt.: München 1998. Zahlreiche Belege für die Zeit der ersten Bourbonen bei Georges LacourGayet: L’Education politique de Louis XIV. Paris 1898. Von der neueren Literatur wäre zu nennen: Alexandre Y. Haran: Le lys et le globe. Messianisme dynastique et reˆve impe´rial en France a` l’aube des temps modernes. Seyssel 2000. Vgl. Bloch: Die wundertätigen Könige (1998), S. 369–385. Assemble´e ge´ne´rale du Clerge´ von 1625. Publiziert in: Mercure franc¸ois. Bd. 11 (1626), S. 1072. Zitiert bei Jean Meyer: La naissance de Louis XIV. Bruxelles 1989, S. 93. Allgemein zu den Hintergründen vgl. Pierre Blet: Le clerge´ du Grand Sie`cle en ses assemble´es. 1615–1715. Paris 1995; ausführlicher Ders.: Le Clerge´ de France et la Monarchie. Etude sur les Assemble´es Ge´ne´rales du Clerge´ de 1615–1666. Bd. 1. Rome 1959 (Analecta Gregoriana 106), S. 335–369. Man fühlt sich an den englischen Königs Jakob I. erinnert: The Kings Maiesties speach to the Lords and Commons of his present Parliament at Whitehall, on Wednesday the xxj. of March anno Dom. 1609. London 1609, o.S.: »Kings are not onely Gods Lieutenants vpon earth, and sit vpon Gods throne, but euen by God himselfe they are called Gods. [...] Kings are iustly called Gods«. Mercure franc¸ois. Bd. 11 (1626), S. 1072: »Pourtant il s’ensuit que ceux qui sont appellez Dieux, le soient, non par essence, mais par participation, non par nature, mais par grace, non pour tousiours, mais pour certain temps, comme estans les

108 Dennoch haben die gesalbten Könige Frankreichs häufig messianische Züge. Als 1638 endlich ein Dauphin geboren wurde, dichtete ein anonymer Panegyriker: »La naissance de Christ est toute figure´e, En celle de Dauphin« und wenige Zeilen später heißt es: »Il est fils d’une Vierge, il est fils de Marie, / Fils de Dieu par qui nostre playe est guarie.«5 Im Rappel des Juifs (1643) heißt es ebenfalls, daß der französische König ein König der Juden »au rang des Dieux ou des Anges« sei.6 Wie im folgenden ausführlicher zu zeigen ist, steht La Peyre`res Rappel des Juifs also deutlich in der Tradition französischer Herrscherpanegyrik. Das erstaunt umso weniger, wenn man bedenkt, daß La Peyre`res Patron Teil dieser Herrscherfamilie ist. Wenn bei La Peyre`re der roi tre`s chre´tien sowohl ein König der Juden und sogar ein jüdischer König genannt wird, treffen wir wieder auf das Verhältnis von Religion und Politik, das hier in den Termini von Kirche und Israel verhandelt wird.7

1. Du Rappel des Juifs Im Sommer 1643 lag Du Rappel des Juifs gedruckt vor. Obwohl auf dem Titelblatt nichts außer dem Titel und dem Erscheinungsjahr vermerkt ist, mutmaßte Guy Patin im September dieses Jahres, daß das Buch in Paris bei Morel gedruckt worden sein müsse. Zu denken ist hier an Gilles Morel, der seit 1640 Imprimeur ordinaire du Roy war.8 Weitere erste Nennungen finden sich, wie wir schon weiter oben gesehen haben, in den zeitgenössischen Korrespondenzen der Gelehrten. So schrieb etwa Hugo Grotius bereits Anfang August 1643 von einem Buch, hinter dem

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vrays Lieutenants du Dieu tout Puissant, & qui par l’imitation de sa divine Majeste´, representant icy bas son Image«. [Anom.:] Imitation et amplification de l’eglogue faite en latin par le Pere Campanelle, sur la naissance de Monseigneur le Dauphin, S. 9. Das zugrundeliegende Gedicht von Campanella kennt diese Zeilen nicht, vgl. Fra Tommaso Campanella ne’ Castelli di Napoli in Roma ed in Parigi. Hg. v. Luigi Amabile. Bd. 2. Napoli 1887, S. 347–355. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 94. Vgl. zu den Traditionen Aryeh Graboı¨s: Un mythe fondamentale de l’histoire en France au Moyen Age: le roi David pre´curseur du roi tre`s chre´tien. In: Revue historique 287 (1992), S. 11–31. Patin an Spon vom 14. September 1643. In: Lettres de Gui Patin (Triaire). Nr. XCV, S. 328: »Le ›Rappel des Juifs‹ m’a e´te´ donne´ depuis huit jours [...] il n’y a nom d’imprimeur ni l’autheur; c’est ne´anmoins Morel qui l’a imprime´.« Der Brief erschien erstmals in der Amsterdamer Edition von 1718, ein Autograph hat sich nicht erhalten. Zu Claude Morel: vgl. Jean de La Caille: Histoire de l’imprimerie et de la librairie. Paris 1689, S. 294; zur Druckerfamilie Morel vgl. Henri-Jean Martin: Livre, pouvoirs et socie´te´ a` Paris au XVIIe sie`cle (1598–1701). Bd. 1. Gene`ve 1969 (Histoire et civilisation du livre 3), S. 302f.

109 sich Du Rappel des Juifs verbirgt, ohne jedoch schon den Verfasser La Peyre`re identifiziert zu haben.9 1.1. Verbreitung und erste Reaktionen Ähnlich wie Grotius erging es auch dem Haager Hofprediger Andre´ Rivet (1572–1651). Anscheinend hatten sowohl Grotius als auch Rivet Du Rappel des Juifs vom ›Sekretär des gelehrten Europa‹, dem Pariser Minoritenpater Marin Mersenne (1588–1648), zugeschickt bekommen. Allerdings sind leider die entsprechenden Begleitschreiben Mersennes nicht erhalten.10 Anstatt sich nun bei Pater Mersenne zu erkundigen, bittet Rivet jedoch seinen reformierten Glaubensbruder Claude Sarrau (um1600–1651) in Paris um weitere Informationen: »Sc¸ave´z vous qui est l’auteur du Rappel des Juifs, que le Pere Mersenne m’a envoye´?« Rivet wolle – so schreibt er vielsagend an Sarrau weiter – kaum annehmen, daß das Werk von Mersenne selbst verfaßt sei. Vielmehr will er den Hugenotten Philippe Codurc (1580–1660) als Autor ausgemacht haben: »Je ne croy pas qu’il soit de luy, et me semble y recognoistre quelques traces de Codur.«11 Rivets Korrespondenzpartner Sarrau kann die wahre Autorschaft schnell lüften: »C’est ne pas Mr Codurc qui est l’autheur du livre qui a pour titre Du Rappel des Juifs, c’est un honeste homme de Languedoch appelle´ Lapeyrere«.12 In Paris scheint die Verfasserfrage also schon Anfang September 1643 ein offenes Geheimnis gewesen zu sein: Nicht nur Sarrau, auch Patin weiß zu dieser Zeit um La Peyre`re.13 In einem Brief nach Den Haag vom 7. November 1643 geht Mersenne noch einen Schritt weiter: Er kündigt Rivet an, es gebe vom selben Autor noch ein weiteres Werk, was er ihm gern abschreiben wollte, hätte er doch nur eine bessere Handschrift. In diesem Schreiben nennt Mersenne auch den Autor La Peyre`re beim Namen und weist explizit auf seine reformierte Konfession hin: »Si j’estois bon escrivain, je vous envoyrois copie d’un traite´ par lequel le mesme auteur du Rappel pretend prouver en latin qu’avant Adam il y avoit des hommes de temps im9

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Vgl. Grotius an J. de Wicquefort, wohl vom 8. August 1643. In: BW Grotius. Bd. 14. Nr. 6356, S. 457; kurze Zeit darauf kommt Grotius am 29. August 1643 nochmals auf das Werk von La Peyre`re zu sprechen, ebd. Nr. 6393, S. 503. So zumindest La Peyre`re an La Mare vom 9. September 1661. In: Oddos, Lapeyre`re [1974], S. 288: »Le Pe`re Mersenne le fit voir [...] a` feu Monsieur Grotius«. Rivet an Sarrau vom 28. August 1643. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 2. Nr. CLXXI, S. 81. Sarrau an Rivet vom 4. September 1643. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 2. Nr. CLXXIII, S. 87. Vgl. Patin an Spon vom 14. September 1643. In: Lettres de Gui Patin (Triaire). Nr. XCV, S. 331.

110 memorial et ce par la force de l’epitre de St Paul ad Romanos. Quo posito, il donne clarte´ a` plusieurs lieux de l’Escriture; il se nomme Mr. de La Perere et est des vostres. Il travaille fort pour le rapel des Juifs en France.«14 Auffällig häufig wird schon in den Korrespondenzen aus dieser Zeit La Peyre`res Schrift über die Präadamiten genannt, obwohl diese erst zwölf Jahre später gedruckt erschien. Im Frühjahr des darauf folgenden Jahres 1644 machte Rivet dann auch die persönliche Bekanntschaft mit La Peyre`re, als dieser auf seinem Weg nach Skandinavien Station in Den Haag machte. Sarrau hatte im Vorfeld diese Begegnung mit einer Art Empfehlungsschreiben für La Peyre`re geebnet. In diesem Brief ging auch Sarrau explizit auf die Präadamiten ein. Sarrau muß die Inakzeptanz dieser These für Rivet, den Hüter der reformierten Orthodoxie, vorausgesehen haben. Doch wußte Sarrau sie geschickt abzumildern, indem er in seinen Brief einflocht, La Peyre`re sei wegen seiner Präadamiten von Rivets Erzfeind Grotius heftig angegegangen worden.15 Rivet urteilte nach der Begegnung mit La Peyre`re im April 1644 in einem Schreiben an Sarrau, La Peyre`re »tire l’escriture par les cheveux«16 und nannte die These von Menschen vor Adam ein »grand paradoxe«.17 Zwei Jahre später, als La Peyre`re auf dem 14

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Mersenne an Rivet vom 7. November [1643]. In: Correspondance de Mersenne. Bd. 12. Nr. 1230, S. 364. Vgl. Sarrau an Rivet vom 19. März 1644. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 2. Nr. CCXXVIII, S. 230: »Vous m’obligere´s de lui [sc. La Peyre`re] temoigner vostre bienveillance ordinaire envers les personnes de lettres et de merite. C’est celui que Mr l’Ambassadeur de Suede [sc. Grotius] picquotte dans son livret contre Mr de Laet [sc. Dissertatio altera de origine gentium Americanarum] pour un petit escrit qu’il avoit fait ou il traictoit la question des Praeadamites.« Vgl. zur immensen Bedeutung derartiger Bitt- und Empfehlungsschreiben den Beitrag von Stefan Hächler, der dies an der Korrespondenz aus dem 18. Jahrhundert verdeutlicht: Ders.: »Suppliken« der Gelehrtenrepublik. Bitt- und Empfehlungsschreiben in der Korrespondenz Albrecht von Hallers (1708–1777). In: Forme della comunicazione politica in Europa nei seculi XV–XVIII. Suppliche, gravamina, lettere = Formen der politischen Kommunikation in Europa vom 15. bis 18. Jahrhundert. Bitten, Bechwerden, Briefe. Hgg. v. Cecilia Nubola, Andreas Würgler. Bologna, Berlin 2004 (Annali dell’istituto storico italo-germanico in Trento 14), S. 383–402. Rivet an Sarrau vom 4. April 1644. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 2. Nr. CCXXXII, S. 242: »Nous avons ici Monsieur de la Peyrere, qui me vint voir vendredi,et hier communia avec nous. Il m’a apporte´ une lettre de Monsr Mestrezat, et une du Pere Mersenne, qui me dit qu’il est l’auteur du Rappel des Juifs, qui est un escrit extravagant, et qui tire l’escriture par les cheveux.« Sarrau selbst war nicht so erfolgreich wie Mestrezat und Mersenne, vgl. Sarrau an Rivet vom 19. März 1644. In: ebd. Nr. CCXXVIII, S. 230: »Est parti auiourd huy de cette ville pour Calais afin de s’embarquer pour la Haye un gentilhomme de Languedoch nomme´ la Peyrere qui est personnage d’un bel et agreable esprit. Il s’en va avec Mr de la Tuillerie en Dannemarch et fait estat de vous saluer en passant. Je luy [auroy] aussi donne´ lettres a cet effect, mais il ne m’a pas donne´ de loisir de ce faire, tant son voyage a este´ precipite´.« Rivet an Sarrau vom 4. April 1644. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 2. Nr.

111 Rückweg von Skandinavien wieder seine Reise in Den Haag unterbrach, konnte Rivet nach Paris erleichtert melden: »Nous avons ici Mons. de la Peyrere [...] qui [...] ne me parle plus des Praeadamites.«18 Wieso die Prae-Adamitae (1655) bereits im Umfeld der Publikation von Du Rappel des Juifs (1643) häufig genannt werden, wird aus der ersten Erwähnung, die wir überhaupt besitzen, vom 22. Mai 1642 deutlich, die sich in einem Schreiben von Gabriel Naude´, dem ehemaligen Bibliothekar der Barberini, an seinen alten Patron nach Rom findet.19 Schon zu dieser Zeit, so erfahren wir aus diesem Brief, versuchten anscheinend die Gelehrten von Paris, eine Abschrift von beiden Werken La Peyre`res zu bekommen. Hintergrund für dieses große Interesse war die Reaktion von Kardinal Richelieu, dem die Schriften vorgelegt worden waren und der die Publikation kurzerhand unterbunden haben soll.20 Leider wissen wir nicht Genaueres über dieses Publikationsverbot und auch nichts über eine direkte Reaktion des Prinzen Conde´ darauf.21 Daß Du Rappel des Juifs (1643) nicht annähernd für einen derarten Wirbel gesorgt hat wie zeitgleich und erst recht später seine Prae-Adamitae (1655), mag gerade mit dem frühen Umlauf dieser scheinbar provokanteren Schrift zu tun haben. Nur Bourdelot berichtet aus Paris »le

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CCXXXII, 242: »Il m’a dit qu’il me feroit voir ce qu’il a escrit des Preadamites, qui me semble un grand Paradoxe. Je ne l’ay pas beaucoup entretenu encore, mais je luy ai faict offre de tout ce qui despendra de moy.« Rivet an Sarrau vom 30. April 1646. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 3. Nr. CCCCXXV, S. 397. Der Brief von Rivet an Sarrau vom 11. September 1645. In: ebd. Nr. CCCLXVII, S. 211, zeigt, daß es während seines Aufenthaltes in Skandinavien einen Briefwechsel zwischen La Peyre`re und Rivet gegeben haben muß, der sich allerdings nicht erhalten hat. Die fühere Identifizierung eines Reflexes auf die Schriften von La Peyre`re, wie es die Herausgeber der Correspondance de Mersenne für einen Brief an Rivet vom 16. Januar 1642 vornehmen, wird man als Fehlzuschreibung werten müssen. BAV Barb. Lat. 6471, fol. 22r–23v. Naude´ an Barberini, fol. 22v: »Fu` presentato un manoscritto alcuni mesi fa` a detta sua E.za il cui Auttore pretende hauer demonstrato con testi espressi della Sacra Scrittura e` Massimamente del nuouo Testamento, che il Mondo era non solamente creato, ma` anche habbitato da moltiss.mi Huomini auanti Adamo, il quale non fu` creato da Dio, se non quando egli uolse per mezzo suo dar principio, et origine alla Gente Hebrea per farne il Popolo suo eletto. E perche cosı` fatta Propositione portaua seco la sua condannatione, il detto Sig.e Card.le prohibı` subbito all’Autore di farla stampare, e` cosı` adesso tutti li Curiosi fanno a` gara per poter hauer Copia di detto Manoscritto.« In den Aufzeichnungen von Naude´ findet sich bereits vom 19. März 1642 folgender Hinweis: »la Peirere a fait vn liure qui n’est pas encore imprime´ dans lequel il prouue qu’Adam n’a pas este´ le premier homme«. Wien, ÖNB, Ms 7071 ›Naudenana‹, fol 29r. Zitiert nach Noel Malcolm: Aspects of Hobbes. Oxford 2002, S. 393. Anders Mark Bannister: Conde´ in Context. Ideological Change in SeventeenthCentury France. Oxford 2000, S. 62, der nämlich angibt: »as a faithful supporter of the Cardinal, Henri de Bourbon ensured that it remained unpublished in his lifetime.«

112 rapel des juifs a fait icy du bruit«.22 Ansonsten wiegelt etwa auch Patin, wie bereits gesehen, die Aufregung seines Briefpartners ab: »Le titre du livre intitule´: Du rappel des Juifs, qui vous semble scandaleux, n’est pas ce que vous pensez; il entend par la` le rappel des Juifs a` l’Eglise, etc., et y conte de fort belles chansons, qui vous pitie´ quand vous verrez. Il y a ne´anmoins aussi quelque chose de bon. Sunt bona, sunt quædam mediocria, sunt mala multa, etc.«23 Neben Rivet und Grotius hatte Mersenne La Peyre`res Du Rappel des Juifs (1643) auch dem Reformierten Jacques de Valois (1582–1654) zu lesen gegeben. Dieser schrieb daraufhin nach Paris zurück: »J’ay lu vostre livre du Rappel des Juifs. C’est un homme fort docte en theologie et fort curieux qui l’a faict, et si je ne trompe, son desseing n’est pas tant de rappeller les Juifs, comme de reunir tous les Chrestiens en une mesme croyance.«24 Wenn man auch das Kompliment über La Peyre`res Bildung in diesem Brief weitgehend als Ausdruck einer Höflichkeitsrhetorik interpretieren muß, steht es doch im direkten Widerspruch zu dem vernichtenden Verdikt des Bibelgelehrten Richard Simon, der La Peyre`res Sprachkenntnisse in Zweifel zog.25 Die »belles chansons«, wie Patin allgemein La Peyre`res Gedankenergüsse charakterisiert, finden ihre Entsprechung in einer Briefpassage bei Mersenne, der 1643 über die Präadamiten urteilt, man könne mit ihnen einige Ungereimtheiten der Hl. Schrift besser erklären. Auch Mersenne bleibt dabei ähnlich undeutlich wie Patin, wenn er sich zudem – wie es nur die Gattung Brief ermöglicht – darauf besinnt, ihm fehle Zeit und Möglichkeit, diese Mängel genauer darzustellen. »Il est vray que si cette hypothese de plusieurs hommes independants d’Adam se pouuoit admettre, il semble que plusieurs lieux de l’Ecriture soient plus faciles a` estre entendus. [...] Mais il y a certains inconueniens en ceste hypothese qu’il me seroit trop long de reporter.«26 Über das genauere Verbreitungsausmaß von Du Rappel des Juifs (1643) kann man allerdings nur spekulieren. De Valois antwortet jeden22 23

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BAV Barb. Lat. 6524 fol. 33r. Bourdelot an Barberini vom 24. Juni 1644,. Patin an Spon vom 26. Oktober 1643. In: Lettres de Gui Patin (Triaire). Nr. XCVII, S. 335. Auch dieser Brief ist erst ab der Amsterdamer Ausgabe von 1718 erhalten. Triaire bemerkt dazu: »Lettre e´crite en deux reprises et probablement remanie´e par les pre´ce´dents e´diteurs. Les deux passages relatifs au ›pulvis nabathinus‹ ne laissent aucun doute a` ce sujet.« De Valois an Mersenne vom 11. Oktober 1643. In: Correspondance de Mersenne. Bd. 16. Nr. 1220, S. 339. Vgl. den oben in Kapitel I ausführlich diskutierten Brief von Simon: Lettres choisies de Mr. Simon ou` l’on trouve un grand nombre de faits anecdotes de Literature. Nouvelle e´dition. Bd. 2. Rotterdam 1704. Nr. 4, S. 27. Mersenne an Rivet vom 15. Februar 1647. In: Correspondance de Mersenne. Bd. 15. Nr. 1600, S. 99.

113 falls an Mersenne: »Je vous suis bien oblige´ de ceste piece, car je la trouve fort bonne et fort divertissante, et l’ay fait lire a` quelques-uns de mes amis.«27 Neben Mersenne ist es Abbe´ Bourdelot, der Du Rappel des Juifs (1643) auch nach Rom geschickt hat, und zwar erst an Cassiano Dal Pozzo, der in Diensten der Barberini stand, und später direkt an Kardinal Barberini. Über diesen Weg kann etwa auch Christoph Dupuy in Rom davon Kenntnis nehmen, der nach Paris über: »un livre intitule´ le Rappel des Juifs, que j’ay vu icy par le moyen de M. le Cavalier Del Pozzo« schreibt.28 Im November 1643 verspricht Bourdelot, ein zweites Exemplar nach Rom schicken zu wollen, begründet die Schwierigkeit dieses Vorhabens jedoch mit der Begrenztheit der Auflage.29 Festzuhalten bleibt allerdings bereits auf dieser Ebene, daß mit Richelieu, dem Haager Hofprediger Rivet sowie dem Kardinalnepoten Francesco Barberini in Rom einflußreiche Stellen mit der Lektüre von Du Rappel des Juifs (1643) versorgt wurden. 1.2. Gattungsüberlegungen Neben diese äußeren Faktoren, wie die Verbreitung und die spezifischen Informationsströme innerhalb der Gelehrtenrepublik, treten innere Kriterien des Textes. Ähnlich wie auch La Peyre`res geographische Schriften über Grönland und Island steht sein Du Rappel des Juifs (1643) deutlich in religiösen und theologischen Kontexten. Der theologische Autodidakt La Peyre`re benutzt dafür aber keineswegs eine klassische theologische Textgattung wie etwa den Kommentar.30 Anders als etwa in den Prae-Adamitae (1655) oder seinen anderen Werken kommt im Fall von Du Rappel des Juifs (1643) für eine Interpretation erschwerend hinzu, daß La Peyre`re hier im wahrsten Wortsinn rein sola scriptura argumentiert. Dieser tractatus politico-theologicus stellt sich somit gut protestan27

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De Valois an Mersenne vom 11. Oktober 1643. In: Correspondance de Mersenne. Bd. 16. Nr. 1220, S. 339. Paris, BnF, Fonds francois 9778, fol. 33v. Chr. Dupuy an Boulliau vom 5. Januar 1646. Rom, Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei, Dal Pozzo 31, fol. 116r. Bourdelot an Dal Pozzo vom 6. November 1643. Ausführlicher dazu s. u. Kapitel VI. Vgl. etwa G.H.M. Posthumus Meyjes: Protestants irenisme in de 16de en eerste helft van de 17de eeuw. In: Nederlands theologisch tijdschrift 36 (1982), S. 205–222, 217: »De burgers van de republiek der letteren vormden een groep van sterk gelijkgestemde, internationaal georie¨nteerde, enkelingen, die doorgaans tot de regenten-, de diplomaten- of geleerdenstand behoorden. Theologen waren er slechts weinigen onder hen. Qua vorming waren het meestal juristen, classici en historici, in theologisch opzicht autodidakt.« In diesem Punkt unterscheidet sich La Peyre`re jedoch auch etwa von Grotius, der einen der einflußreichsten Bibelkommentare des 17. Jahrhunderts verfaßt hat.

114 tisch in eine Tradition theologischer und biblischer Herrschaftslegitimation. Er gibt aber keine Interpretationshilfen mittels Bennenung möglicher direkter Bezüge. Diese Geste, die sich der Nennung möglicher – im wortwörtlichen Sinne – Kontexte bzw. zeitgenössischer Diskurse verweigert, erinnert an das berühmte, von aller wissenschaftlichen Tradition losgelöste Sinieren am Ofen, wie sich Descartes in seinen Meditationes (1641) inszenierte.31 Wenn La Peyre`re im Rappel des Juifs (1643) biblisch argumentiert, so läßt er in der Regel seine biblischen Referenzen, die mehr Paraphrasen als direkte Zitate biblischer Verse sind, kursiv drucken und macht sie dadurch als solche kenntlich. In sehr geringer Anzahl und nach nur schwer zu eruierenden Gründen setzt er das biblische Buch als Referenzort hinzu und manchmal auch noch das entsprechende Kapitel. Nun darf La Peyre`re bei seinen Zeitgenossen sicher eine solide Kenntnis der Hl. Schriften voraussetzen und schon deshalb gibt es bei ihm wohl Stellen, an denen er bewußt damit spielt, durch ein direktes Zitat die biblische Stelle zu seinen Gunsten zu akzentuieren beziehungsweise seinem Leser anzuzeigen: sehen sie doch, das steht selbst bei Paulus. Trotz aller fast schon scholastischen Pedanterie seiner Argumentationsstränge und Syllogismen, die an seine juristische Ausbildung erinnern, enthält der Text eine derartige Sättigung biblischer Sprache und Bilder, die über eine strikte Auslegung religiöser Texte auf ihre politische Handlungsebene hinausreicht, so daß man hier von einer biblisch inspirierten political language sprechen mag.32 1.3. Inhalt Du Rappel des Juifs (1643) teilt sich in fünf etwa gleich lange Bücher auf, die von einem den Inhalt zusammenfassenden Vorwort und einem kurzen abschließenden Nachwort gerahmt werden. Fast noch auffälliger als die Anonymität ist das Fehlen einer Widmung, die einen weiteren Hinweis auf das Selbstverständnis der Schrift nahelegen würde. Zwölf Jahre später wird La Peyre`re seinen ebenfalls anonym veröffentlichten PraeAdamitae (1655) eine Widmung ›an alle Juden der Welt‹ hinzusetzen, was zumindest eine erste Verortung seines Werkes bietet.33 Das Nach31

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Vgl. das »foco assidere« in der ersten Meditation, Rene´ Descartes: Meditationes de prima philosophia. In: Oeuvres. Hgg. v. Charles Adam, Paul Tannery. Bd. 7. Paris 1907, S. 19. Vgl. zu dieser Fragestellung im Anschluß an Skinner und Pocock den Sammelband: Die Bibel als politisches Argument. Voraussetzungen und Folgen biblizistischer Herrschaftslegitimation in der Vormoderne. Hgg. v. Andreas Pecˇar, Kai Trampedach. München 2007 (HZ Beihefte, N.F. 43), bes.S. 1–18. Synagogis Iudaeorum universis, quotquot sunt per totum Terrarum urbem sparsae ist mit dem Systema theologicum (1655) veröffentlicht worden, in der englischen

115 wort zu Du Rappel des Juifs (1643) bietet jedoch zumindest die übliche captatio benevolentiae, es handle sich bei den vorliegenden knapp 400 Seiten nur um einen ersten dürftigen Versuch, der später verfeinert auf Latein erscheinen solle und zwar unter dem veränderten Titel Synopsis doctrinae Christianae ad usum Iudaeorum et Gentium.34 Darüber hinaus wird der Titel Du Rappel des Juifs weiter eingeordnet, indem La Peyre`re von den drei Stadien der Erwählung, Verwerfung und dem Rückruf der Juden spricht, die er alle drei in dem neuen Werk ausführlich darstellen wolle.35 Über dem Rappel des Juifs (1643) scheint allgemein der Vers aus dem Römerbrief zu stehen: ›Wenn aber schon durch ihr Versagen die Welt und durch ihr Verschulden die Völker reich werden, dann wird das erst recht geschehen, wenn ganz Israel zum Glauben kommt‹ (Röm 11,12).36 Insgesamt ist Du Rappel des Juifs (1643) in erster Linie eine Auslegung der Kapitel 9–11 des Römerbriefes. Das legt nahe, daß es in diesem Werk um die Frage nach der Erlangung des Heils geht und daß es das Heil aus christlicher Sicht nicht ohne die Juden geben könne.37 Allerdings wird gleich zu Beginn betont, daß die Konversion der Juden zum Christentum das Ziel habe, den ›Völkern‹ – und somit also den Christen – das volle Heil zu erwirken.38 Bereits 1643 betont La Peyre`re im Rappel des Juifs also den Unterschied zwischen Juden (»Juifs«) und Völkern (»gentils«): Die Juden sind für ihn, und zwar bis hin zu Adam (sic!), die ›Kinder Gottes‹ (»Enfans de Dieu«), die ›Völker‹ hingegen die ›Kinder der Menschen‹ (»Enfans des hommes«, vgl. Gen 6,2).39 Da die Juden das erwählte Volk Gottes sind,

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Fassung aus dem Folgejahr 1656 wird es allerdings den Prae-Adamitae (1655) verangestellt. Du Rappel des Juifs (1643), S. 373: »Ce petit Traitte´ n’est qu’vn Essay & un Extraict d’un plus grand Desseing que i’ay conceu; intitule´ Synopsis doctrinæ Christianæ ad vsvm Ivdaeorum et Gentium. Je l’escris en Latin, parce que le Latin est plus Vniuersel, & que son Stile Didascalique a plus de force que le Franc¸ois.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643), S. 374: »Ie fonde tout mon Desseing sur ces trois Points, de l’Election des Juifs, de leur Reiection, & de leur Rappel. Et comme ie fay venir sous ces Trois Estats des Iuifs tout ce qui nous est Reuele´ de la Loy, de l’Euangile, & de cette Plene Connoissance qui nous a este´ Promise en la Plene effusion de l’Esprit que Dieu respandra sur toute Chair, au Rappel des Iuifs.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 51, wo La Peyre`re an herausgehobener Stelle diesen Vers zitiert. Zu dieser Einschätzung vgl. J.S. Preus: The Rise and Fall of the Bible. In: Religion 28 (1998), S. 15–27, bes. 26. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 39f: »Il nous faut considerer deux choses en ce´t endroit! La premiere; Que les Iuifs seront Rappellez. La seconde; Que les Gentils, que nous auons pose´s imparfaictement benits & appellez sous l’Euangile en la Reiection des Iuifs; Qu’ils seront Plenement Benits & Appellez au Rappel des Iuifs. Et pour en parler comme sainct Paul en a parle´; Que le Rappel des Iuifs sera la Plenitude des Gentils.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 10f: »Quand ie parle icy des Iuifs; ie

116 werden die ›Völker‹ erst durch Christus zu dieser Erwählung adoptiert, was La Peyre`re am Ölbaumbild aus Röm 11 veranschaulicht.40 Durch diese Adoption würden die ›Völker‹ zu geistigen Juden (»Iuifs selon l’Esprit«) und zu Kindern Abrahams gemäß der Verheißung, daß in Abraham alle Völker gesegnet seien (Röm 4).41 Juden und ›Völker‹, fortan vereinigt in ihrem Ruf und verbunden in der Adoption zu den Juden der Erwählung, sind aufgerufen, eine gemeinsame Universalkirche zu bilden.42 Diese Auferstehung der Kirche (»ressurection de l’Eglise«) sei die ›erste Auferstehung‹ hier auf Erden, der die Auferstehung der Erwählten zum ewigen Leben erst als ›zweite Auferstehung‹ folge.43 Prototyp einer solchen ersten Auferstehung ist für La Peyre`re die Totenheilung Elijas in Serepta aus dem Alten Testament (1 Kön 17). Diese Totenheilung weiß La Peyre`re mit philologischen Mitteln auf Frankreich zu beziehen, so daß er neben anderen Schriftbeweisen folgern kann, daß sich die Juden genau genommen in Frankreich unter dessen König sammeln sollen.44 Überhaupt komme eine derart edle Auf-

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n’entends pas seulement parler de ces Iuifs descendans d’Abraham, d’Isaac, & de Iacob, qui sont creus & tenus des tous pour les Peres des Iuifs. I’entens parler aussi de ces Iuifs Predecesseurs mesmes des ces Peres, iusques au premier Pere Adam; entant qu’ils ont perseuere´ dans la purete´ du seruice [...]; & que n’ayans par idolatre´ comme les Gentils, qu’ils ont tousiours este´ censez de la Famille de Dieu; [...]. A cause de quoy aussi lang temps deuant Abraham & du temps du Deluge, Dieu les appellez ses Enfans, & les auoit formellement distinguez des Gentils, que la Genese appelle nomme´ment en ce´t endroit, les Enfans des hommes.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 16f: »Mais disons aussi auec le mesme S. Paul; Que les Iuifs ont estre Retranchez en partie, comme parle ce S. Apostre, a` cause de nous Gentils, pour nous Receuoir nous Chrestiens, & nous Anter sur ce Tronc & sur cette Souche des Iuifs en la place des Branches retranche´es.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 26f: »Adoption qui est aux Gentils vne nouuelle Creation, dans laquelle ils changent non seulement de Nom [...]; mais dans laquelle ils changent mesme de Nature, pour estre faits de Gentils veritablemement Iuifs; non pas Iuifs selon la Chair, mais Iuifs selon l’Esprit. [...] En vn mot; pour estre faits Iuifs, & veritables Enfans d’Abraham selon la Promesse«. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 53f: »Pour faire voir, dis-je, qu’ils seront Tous & en Corps, Iuifs & Gentils, Reünis en ce Rappel, pour se resjoüir Tous ensemble, pour loüer Dieu les vns auec les autres, & pour ne composer qu’vn seul Corps d’Election & de Benediction. Pour ne composer qu’vn seule Eglise, qui sera l’Eglise veritablement Catholique, dont Iesus-Christ sera le Chef.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 151f: »Comme il nous faut distinguer precisement la Resurrection premiere de l’Eglise, d’auec la Resurrection seconde des Eleus, qui sera la Redemption Finale de nos corps mortels.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 137: »Serepta qui signifie, la France. Et qui doit faire penser aux Iuifs que la Premiere Resurrection qu’Elie fit en Serepta, n’a este´ qu’vne Figure mystique de cette Seconde Resurrection que l’Esprit de Iesus Christ, le veritable Elie qui doit reuenir en Sarepta, fera quelque iour en France. C’est a` dire; Que ce sera en France [...], ou` se fera leur lieu d’Assemble´e, & d’ou` ils partiront pour la Conqueste de la Terre Saincte.«

117 gabe nur dem ›allerchristlichsten König‹ zu, dem es als ›ältestem Sohn der Kirche‹ gelingen werde, das Erstlingsrecht der Juden als Kinder Gottes zu neuer Blüte zu bringen.45 Da im Rappel des Juifs (1643) wie auch später in den Prae-Adamitae (1655) die Wiederkunft Christi in spiritu gedacht wird, soll in der Zwischenzeit bis zur ›zweiten Auferstehung‹ der französische König als Universalkönig auf Erden dem Messias in Jerusalem zur Seite stehen.46 Um dies vorzubereiten, sollen die verstockten Juden zum Glauben gebracht werden, also zur Kirche – und das werde »le Triomphe de l’Eglise Chrestienne & tres proprement dite Catholique« sein.47 Schon aus Gründen der christlichen Caritas seien die Christen dazu angehalten, die Juden zum christlichen Glauben zu bringen.48 Gewalt könne zu diesem Zweck aber auf gar keinen Fall als Mittel eingesetzt werden. Zwar hätten die Juden Jesus Christus gekreuzigt, doch träfe sie dafür keine Strafe, weil sie damals aus Unwissenheit gehandelt hätten. Strafen sei zudem ausschließlich eine Angelegenheit Gottes, und die Verstoßung der Juden sei wahrlich Strafe genug. Überdies gebe es ja, wie Paulus ausführt, selbst unter den Juden einen Rest von 7000 Erwählten (Röm 11,4). Wer von den Juden allerdings zu diesem ›Rest‹ gehöre, wisse nur Gott allein. Explizit versteht La Peyre`re unter diesem ›Rest‹ nicht die offen zum Christentum übergetretenen »Christianos Nuevos«, also die Gruppe der Marranen.49 Vielmehr sei – so der Gipfel von La Peyre`res Argumenta45

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Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 117: »Mais! quel Roy de la terre entreprenda de faire les Iuifs Chrestiens si ce n’est vn Roy tres-Chrestien? Et quel Roy du monde entreprendra de faire reconnoistre le droit d’Ainesse des Iuifs, si ce n’est vn Roy qui sera luy mesme Fils Aine, Fils Aine´ de tous les Roys Chrestiens? Mais! quel sera ce Roy, si ce n’est vn Roy de France, a` qui ces deux qualitez, & tres-Chrestien, & de Fils Aisne’ de l’Eglise Chrestienne, sont attribue´es par excellence, & par d’vn droict qui ne peut estre conteste´ aux Roys de France de pas vn Roy du Monde.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 45: »Nous posons cette Seconde Venue¨ de Iesus Christ Spiritvelle«. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch III, S. 155. Zur Doppeldeutigkeit des Begriffs »Catholique« siehe unten. Vgl. allgemein Buch III, dessen Zusammenfassung zu Beginn des Rappel des Juifs lautet: »Le Troisiesme Liure Exhorte les Chrestiens de faire tout ce qui leur sera possible pour obliger les Iuifs de se faire Chrestiens; A quoy les Chretiens sont exhortez, & sollicitez par les deuoirs de la Charite´ Chrestienne; Et par la consideration de leur propre Interest.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch III, S. 178: »Ne croyons pas que ce Residu dont parle S. Paul, & dont nous entendons parler, soit vn Residu de ces Iuifs seulement que nous voyons convertis a` la Foy Chrestienne, & que les Espagnols appellent Christianos Nvevos. Le Residu est aussi de ces Iuifs que l’Apostre S. Paul appelle Juifs au dedans, & Juifs dans le cache´. Ce Residu a` proprement parler, ne se void point, & n’est connu que de Dieu seul, qui fonde les Reins & qui est le seul Scrutateur des cœur des hommes. C’est vn Residu que nous ne pouuons main-

118 tion – eine Gewalttat gegen einen Juden, da er womöglich zu diesen 7000 Erwählten gehört und somit im Besitz von Christi Geist wäre, eine schwere Sünde und käme einer weiteren Kreuzigung Christi gleich. Es existiere »vn Parallele des Pechez entre le Peche´ que les Gentils commettent contre les Iuifs, & le Peche´ que les Iuifs ont commis contre Iesus Christ.«50 Und man habe ja gesehen, daß die Sünde der Juden zu deren Verwerfung geführt habe. Wenn also das iberische Modell der Zwangsbekehrung, das die Marranen beziehungsweise Conversos hervorgebracht hatte, als Lösungsmöglichkeit wegfällt, die Juden aber nötig sind für das eigene christliche Heil, so muß christlicherseits strategisch wie didaktisch anders verfahren werden. La Peyre`re wählt dazu einen Weg, den man in modernen Termini einen Versuch der Inkulturation nennen könnte und der einer sanften Konversion gleichkommt. Er schlägt vor, den Juden eine Art Proselytenkirche einzurichten. Man brauche eine ›judaisierte‹ Version der christlichen Kirche, welche die Juden nicht abschrecken könne. Diese Kirche solle sich an der Urgemeinde orientieren und überdies den Skandal der Schismen innerhalb des Christentums überwinden helfen, der die Juden doch von einem Glaubensübertritt nur abschrecken könne. Denn gerade die Spaltungen hätten zu der unglückseligen Anhäufung von christlichen Dogmen und Glaubensartikeln geführt, so daß die Juden gegen ihre Konversion einwenden könnten: »Vos Canons, oˆ Chrestiens! & vos Articles de Foy sont plus difficiles a` comprendre, que les Regles & les Ceremonies de Moyse ne sont difficiles a` obseruer.«51 Diese neue Urkirche (»Eglise Primitiue«) soll deshalb nur noch über die beiden wichtigsten und aus der Zeit der Apostel stammenden Sakramente verfügen, nämlich Taufe und Abendmahl, die aber den Juden in Termini des Alten Testaments als Äquivalente der Beschneidung und des Pesachritus erläutert werden sollen.52 Überdies sollen besondere Kir-

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tenant ny voir ny connoistre, non plus qu’Elie & S. Paul ne l’ont ny veu ny connu en leur temps.« Vgl. Du Rappel des Iuifs (1643). Buch III, S. 168. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 331; kurz davor heißt es, S. 329f: »Ie sc¸ay que l’Eglise Chrestienne ne establissant cette Multitude de Canons & d’Articles de Foy, dont les Synodes & les Conciles sont remplis; Qu’elle l’a faict par vne grande Prudence, pour arrester la licence effrene´e de ces Chrestiens qui faisoient tous les iours de nouuelles Sectes & de nouueaux Schismes sur les Opinions particulieres [...] Mais les Iuifs n’ayans nulle connoissance du Christianisme; & n’estans pas capables en l’estat ou` ils sont de se former de sensables opinions«. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 332f: »Il seroit absolument requis de Reduire en faueur des Iuifs les choses Chrestiennes a` ce Principe & a` ce Premier estat auquel elles estoient du temps des Apostres. Ou pour les plus! De ne leur Proposer a` croire que ce que l’Eglise Primitiue croyoit, deuant qu’elle fut infecte´e d’Erreurs,& d’Heresies. [...] Ie ne repugnerois pas a` ce que d’entre les Sacrements de l’Eglise, le sainct Baptesme & la Saincte Eucharistie, comme les plus Importans &

119 chenräume für die zu konvertierenden Juden und Heiden eingerichtet werden, die gänzlich auf alle Art von falschem Glauben gereinigt werden. Bilder sollen entfernt und vorzugsweise ornamentalen Mustern weichen.53 Doch ist dieser Proselytenzustand – anders als es häufig in Folge der Interpretation von Popkin dargestellt wird – keineswegs für immer gedacht, sondern nur ein Zwischenstadium.54 Denn der normale Ritus soll ebenfalls beibehalten werden, so daß es in der einen Kirche zwei Sorten Tempel geben soll, in denen zwei verschiedene Arten des Gottesdienstes begangen werden. Mit der Zeit sollen die Neuchristen nach genügender Katechese aufsteigen dürfen, »pour croire a` la fin, Tout ce l’Eglise croit«.55 Dies gilt für die Juden wie auch für die Heiden und gleichfalls für alle Christen in der Welt, die verstreut sind. Sie sollen alle nach Belieben zu einem der beiden Tempel gehen: »Pour y faire vne Profession de Foy telle que la saincte Eglise la Proposeroit; Et pour y Seruir Dieu, comme cette bonne Mere l’ordonneroit. Soit que le Seruice diuin qu’elle auroit prescrit, fut pour l’vsage des Chrestiens Catholiques seulement. Soit qu’il fut pour l’Vsage des Iuifs & des Gentils, auec lesquels tous les Chrestiens en general s’accommoderoient aussi sans contredit.«56 Auffällig bleibt, wie sehr La Peyre`re eine ›judaisierte‹ Kirche präferiert, die langsam in das Arkanum der »Eglise Chrestienne & vraiment dite Catholique« einführen soll. Es wäre allerdings sicher vorschnell, den Terminus »catholique« an dieser Stelle mit römisch-katholisch gleichzusetzen. Auch etwa Calvin spricht im vierten Buch seiner Institutio religionis Christianae, wo er über das Thema Kirche handelt, ex-

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les plus Essentiels du Christianisme, fussent aussi Proposez aux Iuifs plus particulierement que les autres.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 358–360: »Ie supplierois l’Eglise que dans toute l’estendue¨ de sa Republique elle fit bastir de Nouueaux Temples, & qu’elle le Consacrast A la conversion des Ivifs et des Gentils. [...] Ie remontrerois par mesme moyen a` cette douce & bonne Mere. Que les Iuifs sont encore attachez a` cette vieille Auersion de ne souffrir d’Images dans leurs Synagoges. [...] Que ces Temples Consacrez a` la Conuersion des Iuifs & des Gentils ne fussent ornez que de simples embelissiments de l’Architecture, & ne fussent parez que de ces Tapisseries qui sont trauaille´es de diuerses couleurs en forme de Fleurs ou Coquilles [...] Que nous sc¸auons tous [...] que les Images ne sont point de l’Essence & du Corps de la Religion Chrestienne.« Eine genauere Auseinandersetzung folgt unten in Kapitel IV. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 370: Es gebe »deux sortes de Temples pour y faire ces deux sortes de seruices; Qu’ils ne feroient qu’vn mesme Corps, & vne mesme Bergerie, pour ne composer qu’vne mesme Eglise. A quoy nous pouuons adiouster que les Nouueaux Chrestiens qui iroient a` ces Nouueaux Temples; qu’ils s’instruiroient peu a` peu dans les connoissances plus Particulieres & plus Parfaictes du Christianisme, pour Monter comme de Classe, & pour croire a` la fin, Tout ce que l’Eglise croit.« Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 369.

120 plizit von der ›katholischen Kirche‹.57 Das »vraiment dite Catholique« aus der Feder eines Hugenotten entspricht also in gewisser Weise schon eher der von katholischer Seite benutzten diffamierenden Bezeichnung für die Hugenotten als ’e´glise pretendue re´forme´e’. Denn das »vraiment dite« unterstellt, daß es die katholische Kirche noch nicht hinlänglich gibt. Insgesamt fällt bei der Lektüre von Du Rappel des Juifs (1643) auf, wie häufig La Peyre`re von »nous Chrestiens« spricht und fast gebetsmühlenartig ein »faisons voir aux Iuifs« bemüht, um die Juden zu überzeugen. Dennoch zeigt sich recht deutlich, daß dies mehr rhetorischer Art ist. Noch deutlicher ist allerdings, daß es hier keineswegs um ein Hochlied auf die Marranen geht, geschweige denn um eine marranische Theologie, wie es Popkin immer wieder betont hat.58 Besonders gilt dies, wenn man La Peyre`res Nachwort zum Rappel des Juifs (1643) liest, wo er den Rückruf der Juden in Zusammenhang mit der Reünion des Chrestiens bringt und damit sein Werk enden läßt. Daß es ihm nämlich hier wohl um eine wie auch immer genauer zu bestimmende Restauration der ›allgemeinen‹ christlichen Kirche und nur zu diesem Zweck um ein Interesse an den Juden geht, zeigt allein das in Aussicht gestellte verbesserte Buch, das den Titel tragen soll: Synopsis doctrinae Christianae ad usum Iudaeorum et Gentium.59 Bereits dieser kurze Abriß des Inhalts von Du Rappel des Juifs (1643) dürfte hinlänglich gezeigt haben, daß sich ein ganzes Bündel von Fragen zur besseren Kontextualisierung des Werks anschließen. Zu nennen wäre die heilsgeschichtliche Relevanz der französischen Monarchie, die genauere Verortung der Rolle der Juden im göttlichen Heilsplan und nicht zuletzt die diffusen konfessionellen Marker in diesem Werk, wie sie etwa in dem Terminus »Eglise Chrestienne & vraiment dite Catholique« 57

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Inst. IV, 1,2. In: Johannes Calvin: Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae religionis. Neukirchen-Vluyn 61997, S. 684: »Deshalb heißt die Kirche »katholisch« oder »allgemein«; denn man könnte nicht zwei oder drei »Kirchen« finden,ohne daß damit Christus in Stücke gerissen würde – und das kann doch nicht geschehen!« Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 24f: »From La Peyre`re’s perspective in the midseventeenth century it would be better to be a Marrano in the Messianic Age than to be either a Jew or an old Christian, because a Jew could always become a Marrano whereas an old Christian could not, since he or she was of Jewish origins, could possibly be one of the elect, whereas an old Christian with no Jewish roots could not. [...] Thus the Marrano should want to be authentically what he or she is, namely a Jewish Christian.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643), S. 373: »Ce petit Traitte´ n’est qu’vn Essay & vn Extraict d’vn plus grand Desseing que i’ay conceu; intitule´ Synopsis doctrinæ Christianæ ad vsvm Ivdæorum et Gentium. Je l’escris en Latin, parce que le Latin est plus Vniuersel, & que son Stile Didascalique a plus de force que le Franc¸ois.«

121 vorliegen. In diesem Kapitel soll aber erst einmal die erste dieser Fragen interessieren, nämlich wie es um die besondere Aufmerksamkeit für den französischen König bestellt ist. Wie ordnet sich etwa La Peyre`res Herrscherpanegyrik in den allgemeinen zeitgenössischen Diskurs ein. Dabei muß darüber hinaus beachtet werden, daß La Peyre`re als Klient der französischen Herrscherfamilie nicht nur für den König, sondern vor allem auch für dessen Cousin, den Prinzen Conde´, schreibt. Erst in einem weiteren Schritt soll dann eine vertiefte Analyse des zweiten Buches von Du Rappel des Juifs (1643) folgen, in dem La Peyre`re seine Sicht auf das Verhältnis von verheißenem König und den Juden genauer ausführt.

2. Messianismus und reˆve impe´rial en France Popkin hatte 1987 bei La Peyre`re von einem französisch eingefärbten Messianismus gesprochen, wobei sein Hauptvergleichspunkt die englischen Texte des Interregnum waren. Dieser Vergleich mußte sich schon deshalb anbieten, weil der Amsterdamer Rabbi Menasse ben Israel (1604–1657) explizit mit Du Rappel des Juifs (1643) in den 1650er Jahren bei seinen Verhandlungen um die Wiederzulassung der Juden in England argumentierte.60 Und so sehr auch La Peyre`res Thesen vielleicht auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, gibt es eine breite Tradition und zeitgenössische Auseinandersetzung um die besondere Rolle der französischen Monarchie, auf die er aufbauen konnte und von der er profitierte. Einige Beispiele dafür aus dem frühen 17. Jahrhundert hatten wir bereits am Beginn dieses Kapitels gesehen. Selbst in den politisch unruhigen Zeiten der Fronde (1648–1653) war die Stellung des Königs wenig bestritten, wenn man auch in den vielen Traktaten der Mazarinades häufig unverhohlene Kritik an der konkreten Politik des Monarchen finden kann. Das Erstaunen darüber war so groß, daß der Engländer John Evelyn (1620–1706) als intimer Kenner der französischen Verhältnisse 1652 diese Verehrung als Blasphemie brandmarkte: »The French are the sole Nation in Europe that do idolize their Soveraign«.61 Die Frage nach dem Machtanspruch des französischen Königs war freilich weit über die Grenzen von Frankreich hinaus virulent. Denis Simon de Marquement, der Erzbischof von Lyon, endete etwa seine Rede vor den Generalständen im Jahr 1614 mit den glühenden Worten an Ludwig XIII., er wünsche: »tous [ses] sujets unis au giron de l’Eglise 60 61

Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 60–68. Siehe ausführlich unten Kapitel IV. Zitiert nach der englischen Fassung: The State of France. As it stood in the IXth yeer of this present Monarch Lewis XIII. Written to a Friend. London 1652, ´ tat. Essai sur le de´bat S. 105f. Vgl. allgemein Hubert Carrier: Le Labyrinthe de l’E politique en France au temps de la Fronde (1648–1653). Paris 2004.

122 [...] tout l’Orient vaincu et dompte´ par [ses] armes [...] et de [remettre] la sainte et triomphante croix sur les murailles de Je´rusalem«.62 Hier deutet sich schon an, was etwa zur gleichen Zeit ein gewisser Claude Villette formulierte: »Car comme la Prestise souveraine de Rome a succede´ a` la premie`re Prestise du monde establie au Temple de Syon, aussi la couronne de France a succede´ a` la couronne Royalle de Hierusalem pour estre la fortresse de l’Eglise Catholique en terre iusques a` la fin de la deniere heure«.63 Alexandre Haran hat deshalb nicht nur von einer translatio imperii, sondern gleichfalls von einer translatio electionis Israels auf Frankreich gesprochen. Denn es heißt bei Villette weiter: »La France est la terre de promission de l’Eglise Catholique, et nos Roys en sont les Iosuez, c’est la centre de la Chrestiente´, le Palais de l’amour de Dieu, l’heritage de benediction du fils aisne´ de l’Eglise, le coeur vivant de la terre habitee.«64 Es sind Traditionen der sogenannten Religion de Reims, die hier wiederaufgenommen werden und in besonderer Weise die Erwähltheit der französischen Monarchie zurück in alttestamentliche Zeiten zurückverfolgen. Die herausgehobene Abstammung der Franzosen vom ältesten Sohn Noahs, wie es etwa Guillaume Postel (1510–1581) nachgewiesen haben wollte, konnte hierfür wichtige Argumente liefern.65 Dieser Traum von einer französischen Universalmonarchie mußte zu Konflikten mit anderen Prätendenten auf einen solchen Anspruch führen, wie etwa dem Kaiser oder aber dem spanischen König.66 Zwar versuchte gerade die spanisch-französische Doppelhochzeit von 1615, die Spannungen zwischen diesen beiden Monarchien so gering wie möglich zu halten. Jedoch hatte man dadurch nicht nur die französischen Vorbehalte gegen Habsburg gezügelt, sondern gleichsam neue Argumentationsgrundlagen für die französischen Ansprüche auf die spanische 62 63

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Zitiert nach Blet: Le Clerge´ de France et la Monarchie (1959), S. 5. Claude Villette: Annales de l’Eglise Catholique, Apostolicque et Romaine marie´s avec l’Histoire de France en seize siecles. Paris 1616, S. 959. Vgl. Alexandre Y. Haran: L’ide´e de translatio electionis des juifs aux franc¸ais au XVIIe sie`cle. In: XVIIe sie`cle 194 (1997), S. 105–127; als Vorabdruck seiner umfassenden Studie Ders.: Le lys et le globe (2000). Vgl. auch Richard A. Jackson: Anzeichen der Vergöttlichung des französischen Königs. In: Herrscherweihe und Königskrönung im frühneuzeitlichen Europa. Hg. v. Heinz Duchhardt. Wiesbaden 1983, S. 96–102. Vgl. Claude-Gilbert Dubois: La mythologie des origines chez Guillaume Postel. De la naissance a` la nation. Orle´ans 1994. Vgl. zum Begriff der Universalmonarchie und ihrer unterschiedlichen Füllung Franz Bosbach: Monarchia universalis. Ein politischer Leitbegriff der frühen Neuzeit. Göttingen 1988. Zur Benutzung in der antihabsburgischen Polemik Rainer Babel: Frankreichs Gegner in der politischen Publizistik der Ära Richelieu. In: Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuzeit. Hg. v. Franz Bosbach. Köln u. a. 1992, S. 95–116.

123 Krone wie auch auf die Kaiserkrone gelegt, wie es etwa auch noch der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1714) zeigen sollte, wo Ludwig XIV. mit seiner habsburgischen Mutter argumentieren konnte. Der erbittert geführte Kampf um die Präzedenz zeigt anschaulich diese Konfliktlinie.67 Während immer wieder herausgestellt worden ist, daß gerade die Hugenotten in den Zeiten des Toleranzediktes von Nantes (1598–1685) fast schon erstaunlich große Verfechter der französischen Monarchie waren, gab es hingegen im katholischen Lager durchaus schwere Auseinandersetzungen im einzelnen.68 Das betraf besonders die Situation im Jahr 1635 nach dem Eintritt der französischen Krone in den Dreißigjährigen Krieg. Dabei waren es vor allem die Jansenisten als theologische Rigoristen, die sich gegen eine auch nur politische Koalition mit der protestantischen Krone Schwedens aussprachen. Den Jansenisten wurden daraufhin von der Gegenseite zersetzende, eben spanische Tendenzen vorgeworfen.69 Diese nicht zuletzt innerkatholischen Auseinandersetzungen endeten nicht etwa mit dem Tod Richelieus im Dezember 1642 oder Ludwigs XIII. im folgenden Mai 1643. Vielmehr verschärften sie sich durch die neue Machtkonstellation. Die Publikation von Du Rappel des Juifs fällt direkt in diese Zeit: in die prekäre Lage der Minorität Ludwigs XIV., während das Haus Conde´ einerseits den Sieger der Schlacht von Rocroi präsentieren konnte und sich andererseits den Gefahren der Cabale des Importants ausgesetzt sah. Gründe, um sich bei Hofe ins rechte Licht rücken zu lassen, gab es also genügend.

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Es sei etwa erinnert an Antoine Aubery: De la preeminence de nos Roys. Paris 1649; Ders.: Des justes pre´tentions du Roi sur l’Empire. Paris 1667; vgl. zu Frankreich Etienne Thuau: Raison d’Etat et pense´e politique a` l’e´poque de Richelieu. Athe`nes 1966, S. 281–293; vgl. allgemein Barbara Stollberg-Rilinger: Die Wissenschaft der feinen Unterschiede. Das Präzedenzrecht und die europäischen Monarchien vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. In: Majestas 10 (2002), S. 125–150. Hartmut Kretzer: Calvinismus und französische Monarchie im 17. Jahrhundert. Die politische Lehre der Akademien Sedan und Saumur, mit besonderer Berücksichtigung von Pierre Du Moulin und Pierre Jurieu. Berlin 1975 (Historische Forschungen 8). Ich komme auf die Debatte um den Mars gallicus in Kapitel V näher zu sprechen. Zu diesem Streitpunkt zwischen den de´vots und den bons franc¸ais Christoph Kampmann: Arbiter und Friedensstiftung. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedrichter im Europa der Frühen Neuzeit. München u. a. 2001, S. 140–183.

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3. Der König und sein Cousin 1663, also ganze zwanzig Jahre nach dem Rappel des Juifs (1643), erschien in Paris nicht nur La Peyre`res Apologie, sondern ebenso seine Relation de l’Islande. Wie die Relation du Groenland (1647) ist auch diese Landesbeschreibung Islands als ein Brief an La Mothe Le Vayer verfaßt, der am Ende des Werks mit dem 18. Dezember 1644 datiert ist. Relation de l’Islande (1663) gibt somit vor, zu einem Zeitpunkt geschrieben zu sein, als sich La Peyre`re in Skandinavien aufhielt. Die lange Zeitspanne zwischen angeblicher Entstehung und Publikation ist dabei schon erstaunlich. Allerdings zirkulierte wohl ein Manuskript der Relation de l’Islande in Paris schon kurz nach ihrem Entstehen, glaubt man La Peyre`res Brief an den dänischen Gelehrten Olaf Worm (1588–1654) aus dem April 1645: »A Paris, ma Relation d’Islande a e´te´ accueillie avec bienveillance par mes amis, qui fe´licitent mon Worm, dont la participation a e´te´ importante, tre`s importante meˆme.«70 Dieser Brief fügt sich in La Peyre`res Erklärung, die Relation de l’Islande sei die erste der beiden Landesbeschreibungen, die er auf Wunsch von La Mothe Le Vayer verfasst habe. Gleichwohl lag seine Relation du Groenland bereits seit 1647 gedruckt vor.71 Im Fall der Relation de l’Islande (1663) sucht man zwar den Namen des Autors auf dem Titelblatt vergeblich. Doch anders als bei Du Rappel des Juifs (1643) und den Prae-Adamitae (1655) steht dort sowohl der Name des Druckers Thomas Iolly als auch der Hinweis »avec permission«. Der Auszug dieser »permission« am Ende des Werks nennt zudem La Peyre`re als Autor, der sich ebenfalls am Ende des Werks und am Schluß der Widmung zu erkennen gibt. Anders als in der Relation du Groenland (1647) nutzt La Peyre`re 1663 seine Beschreibung Islands auch für ein weiteres publizistisches Ziel, wenn er dem Ganzen ein recht ausführliches Widmungsschreiben an seinen Patron, den Prinzen Conde´, voranstellt.72 Diese Widmung an Conde´ von 1663 fällt umso mehr ins Auge, weil diese Dedikation in der

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Ich zitiere die französische Version nach Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 216. Das entspricht Nr. 1300 in der dänischen Ausgabe: Breve fra og til Ole Worm. Bd. III (1644–1654). Hg. v. H.D. Schepelern. Munksgaard 1968, S. 94. Schepelern hat darin die lateinische Edition der Briefe von 1728 mit den Manuskripten in der KB Kopenhagen verglichen. Relation de l’Islande (1663), S. 1f: »Vous m’auez prie´ de vous escrire de ce paı¨s du Nort [...]. Ie comma`ncerez la premiere de deux Relations, que ie vous ay destine´es, par cele de l’Islande«. Ähnlich findet sich ein Widmungsschreiben an seinen Patron in der Apologie aus demselben Jahr 1663.

125 zeitnahen, wohl früheren Publikation des Werks in dänischer Übersetzung hingegen fehlt.73 3.1. Conde´ als Patron der Familie La Peyre`re Ein solches Dedikationsschreiben des Klienten La Peyre`re ist nicht weiter verwunderlich, gehört doch der Prinz Conde´ zu den herausragenden Patronen und Mäzenen des 17. Jahrhunderts. Zudem zählte nicht nur Isaac de La Peyre`re zu dessen Klientel, vielmehr weist seine Familie gleich mehrere Verbindungen zum Hause Navarra auf, dem auch die Prinzen Conde´ entstammten.74 Isaacs Mutter, Marthe Malet, war die Tochter eines Tre´sorier Ge´ne´ral de la Maison de Navarre, sein Vater Bernard wie später drei seiner Brüder waren Controleur des guerres en Guyenne, so daß die Familie La Peyre`re seit 1638 im brieflichen Kontakt mit der Maison Conde´ stand.75 Diese Korrespondenz wurde durch La Peyre`res Cousin Jean Dalie`s erleichert, der sich bereits in den Diensten Conde´s befand, als Isaac dies zu erreichen suchte.76 Die Quellenlage läßt leider nur recht ungenaue Angaben zu La Peyre`res konkreter Funktion in der Maison Conde´ zu, das gilt vor allem für die Frühphase. Popkins Bezeichnung als »secretary« trifft es nur sehr ungenau; schon Zedler formulierte 1741 vage: »Er begab sich annoch sehr jung bey dem Printzen von Conde in Dienste, worin er auch beständig verblieben«.77 Es hat sich ein Empfehlungsschreiben seines Vaters vom April 1640 erhalten, das es wahrscheinlich macht, daß der bereits über Vierzigjährige La Peyre`re kurze Zeit darauf in die Dienste von Heinrich II. von Bourbon-Conde´ (1588–1646) trat. Unter dessen Sohn, Ludwig II. von Bourbon (1621–1686), wird er als gentilhomme ordinnaire geführt, seit der Restitution von Conde´ (1659) nach den Jah73

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Historiske Beskrivelse om Island, o.J. Das Erscheinungsjahr läßt sich nicht eruieren; vgl. Niceron. Bd. 12 (1730), S. 77, wo es nur ungenau heißt, die dänische Version sei »quelque anne´es apres« erschienen. Vgl. Katia Be´guin: Les princes de Conde´. Rebelles, courtisans et me´cenes dans la France du Grand Sie`cle. Seyssel 1999. Be´guin bietet am Ende ihres Werkes eine Prosopographie der Klientel, siehe zu La Peyre`re S. 425. Mark Bannister: Conde´ in Context. Ideological Change in Seventeenth-Century France. Oxford 2000, S. 62f. Vgl. Philippe Tamizey de Larroque, A. Communay: Isaac de la Peyre`re et sa famille. In: Revue critique d’histoire et litte´rature 19 (1885), S. 136–137; sowie Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 9–12. Zu Jean Dalies, der häufig auch d’Alie`s geschrieben wird, vgl. Be´guin: Les princes de Conde´ (1999), S. 415. Vgl. allgemein zu der verwandtschaftlichen Verflechtung der Familie La Peyre`re mit anderen einflußreichen hugenottischen Familien das Schaubild bei Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 33. Zedler. Bd. 27 (1741), Sp. 1183; vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 5. Allerdings nennt ihn auch Lucien Be´ly: La socie´te´ des princes. XVIe–XVIIIe sie`cle. Paris 1999, S. 444: »le secre´taire de Conde´«.

126 ren der Fronde als dessen Bibliothekar.78 Der Grand Conde´, wie Ludwig II. aufgrund seiner militärischen Erfolge genannt wurde, argumentierte 1656 mit dieser langjährigen klientelären Verbundenheit bei seinen Bemühungen um eine Befreiung La Peyre`res aus der Gefangenschaft der Inquisition in den Südlichen Niederlanden: »La Peyrere est un homme qui a este´ longtemps domestique de feu Mr mon Pere, et qui est deuenu le mien, apres la mort de Mr Mon Pere«.79 Neben La Peyre`res Engagement in den Zeiten der Fronde80 (1648–1653) wurde er von seinem Patron auch auf diplomatische Reisen 1653 nach Spanien und 1654 nach England geschickt.81 Nur wenige Zeugnisse sind erhalten geblieben, die eine genauere Beurteilung erlauben: vor allem die sogenannten Me´moire de Namur aus dem Herbst 1655 und drei weitere Briefe La Peyre`res an Conde´ aus den späten Lebensjahren.82 Von Conde´s Seite finden sich in erster Linie das erwähnte Schreiben nach Rom aus dem Jahr 1656 und weitere kleinere Erwähnungen La Peyre`res in der Korrespondenz: zum einen in einem Brief an den Grafen Fiesque, den Vertreter Conde´s in Madrid, und zu anderen in einem Schreiben nach Rom an Lukas Holstenius aus dem Umfeld von La Peyre`res Konversion im Jahr 1657.83 Das ist eine schmale Quellenbasis, und es ist deshalb nachvollziehbar, daß La Peyre`re in der entsprechenden Forschungsliteratur bei Be´guin und Bannister nur am Rande Erwähnung findet.84

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Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 78: »Heureusement, graˆce a` l’intervention de Bourdelot, il a de nouveau les faveurs de l’Hoˆtel Conde´, et rendre a` la fin de l’anne´e 1647 au service avec le titre de ›gentilhomme ordinaire‹.« Vgl. Katja Be´guin: Patrons et me´ce`nes au Grand Sie`cle. Les princes de Conde´ (1630–1709). The`se de doctorat Paris 1997 [unveröffentlicht], Annex 30. Be´guin wertet hier Listen aus den Jahren 1644, 1647, 1660 und 1664 aus. La Peyre`re wird sowohl 1647 als auch 1660 genannt. ASV Segr. Stato Fiandra 40, fol. 156r–157v. Conde´ an Saller vom 12. April 1656 (Zitat 156r). ˚ kerman: Queen Christina of Sweden and her Circle. The TransformaSusanna A tion of a Seventeenth-Century Philosophical Libertine. Leiden u. a. 1991 (Brill’s Studies in intellectual history 21), S. 213, spricht La Peyre`res Engagement in der Fronde; vgl. dazu Helmut Kötting: Die Orme´e (1651–1653). Gestaltende Kräfte und Personenverbindungen der Bordelaiser Fronde. Münster 1983, S. 199, der zumindest eine namensgleiche Person aus Bordeaux nennt. Vgl. Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 84–89. Vgl. Chantilly, P XV, fol. 347–354. Me´moire de Namur vom 8. Oktober 1655. Darüber hinaus Briefe vom 23. August 1664, 29. Oktober 1667 und 29. August 1674. Ediert in: Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 325–330. Conde´ an Comte de Fiesque o.D. [Januar 1655?]. In: Henri D’Aumale: Histoire des Princes de Conde´ pendant les XVIe`me et XVIIe`me sie`cles. Bd. 6. Paris 1892, S. 698–708; Conde´ an Lukas Holstenius vom 14. April 1657. In: Euge`ne Müntz: Les archives des arts. Paris 1890, S. 89f. Vgl. Be´guin: Les princes de Conde´ (1999), S. 425; Bannister: Conde´ (2000), S. 62f.

127 3.2. Aufstieg und Fall der Prinzen Conde´ Be´guin und Bannister beschreiben den rasanten Aufstieg der Familie Conde´, die mittels Heiratspolitik und militärischer Erfolge ab der ersten Hälfte des 17. Jahrhundert die erste Rangstellung erlangen konnte, die ihnen aufgrund der engen verwandtschaftlichen Bindung zum ersten Bourbonen auf Frankreichs Thron zustand: Heinrich I. von BourbonConde´ (1552–1588) war ein Cousin von König Heinrichs IV. (1553–1610). Ihr gemeinsamer Großvater war Karl von Bourbon-Vendoˆme (1489–1537), dessen Sohn Ludwig I. von Bourbon-Conde´ (1530–1569) das Haus Conde´ begründet hatte. Im 16. Jahrhundert waren die Prinzen Conde´ die großen Anführer der Hugenotten in den Religionskriegen gewesen. Im Zusammenhang mit der Bartholomäusnacht (1572) war zwar auch Heinrich I. von Bourbon-Conde´ zum Katholizismus übergetreten, konnte aber später fliehen und wechselte wieder die Konfession. Doch erst ein halbes Jahr nach dessen Tod wurde sein Sohn Heinrich II. von Bourbon-Conde´ (1588–1646) geboren. König Heinrich IV. nutzte diese Chance und ließ den jungen Prinzen Conde´ katholisch erziehen.85 Das schien schon deshalb geboten, weil Heinrich II. nicht irgendein Prinz von Geblüt war. Vielmehr war er ein potentieller Thronfolger und führte aufgrund der engen verwandtschaftlichen Nähe seit 1595 den Titel premier prince du sang. Und in der Tat hatte er als ältester männlicher Sproß der direkten Seitenline der Bourbonen lange Zeit Aussichten, französischer König zu werden. Erst die Geburten Ludwigs XIII. (1601) und seines Bruders Gaston (1608) ließen ihn auf den dritten Platz in der Thronfolge zurückfallen. Nicht nur Heinrich II., auch sein Sohn Ludwig II. von BourbonConde´ (1621–1686), der spätere Grand Conde´, konnte lange auf Königswürden hoffen, blieb doch die Ehe von Ludwig XIII. (1601–1643) und Anna von Österreich (1601–1666) lange Jahre kinderlos. Erst im dreiundzwanzigsten Ehejahr wurde 1638 Ludwig XIV. geboren und wenig später noch ein weiterer Sohn, so daß der Thron in direkter männlicher Linie gesichert war. Dennoch war der Prinz Conde´ 1643 beim Tode von Ludwig XIII. von großem Einfluß: Der Dauphin war noch nicht einmal fünfjährig und Gaston d’Orle´ans (1608–1660), Bruder Ludwigs XIII. und in der Thronfolge eigentlich noch vor Conde´ rangierend, hatte im Jahr zuvor auf Betreiben von Kardinal Richelieu auf seine Thronaspiration verzichten müssen. Grund dafür war Gastons Verstrickung in die Affaire um den 85

Be´guin sieht dies im Zusammenhang der Zugeständnisse an Rom für eine päpstliche Anerkennung von Heinrich IV., vgl. Dies.: Les princes de Conde´ (1999), S. 26.

128 Favoriten Cinq-Mars (1620–1642), der wegen Hochverrats und Konspiration gegen Richelieu zum Tode verurteilt worden war.86 Den materiellen wie politischen Einfluß des Hauses Conde´ hatte Heinrich II. unter anderem durch seine lukrative Heirat mit CharlotteMargarethe von Montmorency (1594–1650) im Jahr 1609 abgesichert. Zwar wurde deren Bruder Heinrich II. von Montmorency 1632 des Hochverrats bezichtigt und hingerichtet, was zur Folge hatte, daß dessen Besitz der Krone zufiel. Doch es gelang Heinrich II. von BourbonConde´ Teile des Besitzes seines Schwagers Montmorency wieder an sich zu ziehen, und 1643 überschrieb ihm die Regentin Anna von Österreich zudem das Schloß Chantilly, das Montmorency gehört hatte. Anders als etwa Gaston d’Orle´ans war Conde´ nicht in eine offene Opposition zu Richelieu getreten. Vielmehr gelang es ihm, unter dem Kardinalminister seine Position zu festigen. Im Gegenzug führte diese Allianz dazu, daß Conde´ im Februar 1641 der Mesalliance seines Sohnes mit einer Cousine von Richelieu zustimmte. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß diese Hochzeit von Ludwig II. und Claire-Cle´mence de Maille´-Bre´ze´ (1628–1694) gerade rein materiell betrachtet ein voller Erfolg war. Neben den materiellen Zuwächsen gelang es dem Haus Conde´, ihre Klientel mit deren des Hauses Montmorency und später der Maille´Bre´ze´ zu einem großen Netzwerk auszubauen. Die vormals vornehmlich hugenottische Klientel wurde dadurch deutlich ›katholisiert‹.87 Die Stellung bei Hofe sicherten nicht zuletzt auch die militärischen Erfolge, die der junge Herzog von Enghien, wie der spätere Grand Conde´ bis zum Tode seines Vaters 1646 hieß, etwa in den Schlachten von Rocroi (1643) und Lens (1648) erringen konnte. Doch gerade die Nähe zu Richelieu machte Conde´ zu einer Zielscheibe von Hofintrigen. So hatten nach dem Tod des Kardinals die ehemaligen Gegner wieder fußgefaßt und versuchten ihren ehemaligen Mitwidersacher zu stürzen. In der so genannten Cabale des Importants entlud sich im Sommer 1643 diese Wucht, die allerdings zu Ungunsten der Importants ausging, so daß Conde´s Stellung danach sogar noch gefestigter war. Conde´ war neben der Regentin Anna von Österreich und ihrem Ersten Minister Mazarin (1602–1661) die wichtigste Stimme im Conseil. Guy Patin schreibt im September 1643 im selben Brief, in dem er zum ersten Mal La Peyre`res Du Rappel des Juifs (1643) erwähnt, über 86

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Die Bestimmungen gegen Gaston wurden zwar schon durch das Testament Ludwig XIII. wieder aufgehoben, er erhielt den Titel des Lieutenant ge´ne´rale du royaume, doch das Angebot des Parlement, die Regentschaft zu übernehmen, lehnte er ab; vgl. Christian Bouyer: Gaston d’Orle´ans (1608–1660). Se´ducteur, frondeur et me´ce`ne. Paris 1999, S. 183–206. Be´guin: Les princes de Conde´ (1999), S. 42–47.

129 die Stellung des Prinzen Conde´: »Le Cardinal [Mazarin] et M. le Prince [sc. Conde´] ont tout le cre´dit du conseil. Le pauvre Gaston [sc. duc d’Orle´ans] y est, nudum et insane nomen, sine vi et potentiaˆ.«88 Doch gerade auch das Verhältnis zu Mazarin führte zu Spannungen. Rückschläge in dem ansonsten kontinuierlichen Ausbau der Macht gab es vor allem in den Zeiten der Fronde (1648–1653), als der Grand Conde´ in der Fronde des princes (1650–1653) gefangengesetzt und später nach dem Scheitern der sogenannten Fronde conde´enne (1651–1653) sogar ins Exil gehen mußte, was eine gewisse Parallele zu den Jahren hat, die sein Vater zwischenzeitlich in Brüssel verbracht hatte.89 Als im Januar 1649 der Hof aus Angst vor den Unruhen der Fronde parlementaire über Nacht Paris verlassen hatte, war es noch Conde´ gewesen, der mit seiner militärischen Aktion die baldige Rückkehr der Königsfamilie und Mazarins ermöglicht hatte: »Apre`s Rocroi et Lens, il vient de sauver le thoˆne pour la troisie`me fois.«90 Doch kam es schon bald danach zum Bruch mit Mazarin, der ihn im Januar 1650 zusammen mit seinem Bruder, dem Prinzen Conti (1629–1666), und seinem Schwager, dem Herzog von Longueville (1595–1663), gefangen setzen ließ: die Fronde parlementaire (1648–1649) weitete sich zur Fronde des Princes (1650–1653) aus. Doch selbst in dieser ›Fronde der Prinzen‹ ging der Einfluß des Prinzen Conde´ weit genug, um auch während des Jahres seiner Inhaftierung (1650/1651) einige Pamphlete in seinem Sinne in Umlauf zu bringen.91 Die Gefangenen kamen im Februar 1651 frei, und nun floh Mazarin nach Brühl, von wo aus er freilich weiterhin Einfluß auf den Hof ausübte. Ohne das direkte Feindbild Mazarin zerbrach jedoch sehr bald die brüchige Koalition zwischen den Parlamentariern und den Prinzen. Aus Furcht vor einer erneuten Gefangennahme zog sich Conde´ in die Gu88

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Patin an Spon vom 14. September 1643. In: Lettres de Gui Patin (Triaire). Nr. XCV, S. 331. Heinrich II. Conde´ hatte nach seiner Hochzeit erst seine Gattin und dann sich selbst in Sicherheit gebracht, nachdem die Taktik des Königs Heinrich IV. nicht aufgegangen war, die Dame, auf die er selbst ein Auge geworfen hatte, mit seinem Cousin zu verheiraten, da Conde´ in diesen Dingen als ein typischer Vertreter des französischen Hochadels und somit als ›ungefährlich‹ galt; Tallemant des Re´aux jedenfalls wird nicht müde, Conde´s Eskapaden mit jungen Männern zu beschreiben, vgl. Historiettes. Hg. v. Antoine Adam. Bd. 1. Paris 1960, S. 417–422. Zum spannungsreichen Verhältnis zwischen König und Adel vgl. allgemein Jean-Marie Constant: Der Adel und die Monarchie in Frankreich vom Tode Heinrichs IV. bis zum Ende der Fronde (1610–1653). In: Der europäische Adel im Ancien Re´gime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (ca. 1600–1789). Hg. v. Ronald G. Asch. Köln u. a. 2001, S. 129–150. Jean-Franc¸ois Solnon: Art. Conde´ (Louis II de Bourbon). In: Dictionnaire du Grand Sie`cle. Hg. v. Franc¸ois Blunche. Paris 1990, S. 381–383 (Zitat 382). Vgl. Carrier: Le Labyrinthe de l’E´tat (2004), S. 97–101.

130 yenne zurück, als im September 1651 Ludwig XIV. mit 13 Jahren seine Volljährigkeit verkündete. Es folgte die sogenannte Fronde conde´enne (1651–1653): Conde´ versuchte erneut, in Paris einzuziehen, entging in der Vorstadt SainteAntoine aber im Juli 1652 nur knapp der völligen Niederlage gegen die königlichen Truppen unter Turenne, so daß er nach einem kurzen Pariser Intermezzo ins Exil in die Spanischen Niederlanden ging. Im Oktober 1652 kehrten Anna von Österreich und Ludwig XIV. nach Paris zurück, Mazarin folgte ihnen im Februar 1653, was das offizielle Ende der Fronde markiert. Bereits am 12. November 1652 wurde Conde´ mit königlichem Beschluß seiner Ämter enthoben, und seine Besitztümer wurden konfisziert, am 27. März 1654 verurteilte ihn das Parlement de Paris in Abwesenheit zum Tode. Es folgte für den Prinzen Conde´ die langen Jahre des Exils, in die etwa auch die Publikation von La Peyre`res Prae-Adamitae (1655) fällt. Erst nach zähen Verhandlungen wurde im Pyrenäenfrieden von 1659 nicht nur ein Waffenstillstand zwischen Frankreich und Spanien geschlossen, sondern ebenso die Restituierung des Prinzen Conde´ in alle seine Ämter und Güter besiegelt.92 3.3. Conde´ und der Kampf mit den Wörtern Zu den Besonderheiten der Fronde gehören die zahlreichen Pamphlete, in denen sich der Unmut gegen die Krone nicht so sehr über den minderjährigen Ludwig XIV. oder aber über die Regentin Anna von Österreich, sondern in erster Linie über deren Minister Mazarin entlud. Diese Mazarinades waren Teil der Fronde des mots.93 Wie bereits angedeutet, war auch Conde´ ein bedeutender Auftraggeber in dieser ›Propagandamaschinerie‹. La Peyre`re taucht in diesem Zusammenhang allerdings nicht besonders in Erscheinung. In der umfangreichen Bibliographie von Moreau wird er nur einmal aufgeführt.94 In Le Temple de la Deesse 92

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An den Vorverhandlungen, die dafür auch mit dem Papst geführt wurden, war eben jener de Saller beteiligt, der auch in den Bemühungen um eine Freilassung von La Peyre`re in den Jahren 1656 und 1657 in Rom beteiligt war. Wir wissen über de Saller nicht viel: er war für Conde´ zwischen 1654 und 1659 in Rom tätig und kehrte nach dem Pyrenäenfrieden (1659) wieder zurück nach Frankreich, vgl. d’Aumale: Histoire des princes de Conde´. Bd. 6 (1892), S. 709–710. Erstaunlicherweise erwähnt ihn Be´guin an keiner Stelle. Vgl. allgemein Christian Jouhaud: Mazarinades. La Fronde des mots. Paris 1985. Ebenso Hubert Carrier: La presse de la Fronde (1648–1653). Les Mazarinades. 2 Bde. Paris 1989–1991 (Histoire et civilisation du livre 19–20); sowie Ders.: Le Labyrinthe de l’E´tat (2004). Ce´lestin Moreau: Bibliographie des Mazarinades. Bd. 1, S. 177, führt als Nr. 577 La bataille de Lents auf, das eigentlich nicht eine Mazarinade im klassischen Sinne ist.

131 Bourbonie, einem anonymen Pamphlet der fronde des princes aus dem Jahr 1651, wird mit »monsieur de la Perere, honore´ de l’office de Flamenborbonial, croniquera subtillement les antiquitez de ce Temple« allerdings wohl auf La Peyre`re angespielt.95 Die deutlichen klientelären Abhängigkeiten für La Peyre`res publizistische Tätigkeit zeigen sich vor allem in der Schlachtbeschreibung La bataille de Lents, die er 1649 publizierte. Hier rühmte La Peyre`re nicht nur die militärischen Erfolge des Grand Conde´, sondern gleichermaßen die Vorzüge von Christina von Schweden (1626–1689), die zu diesem Zeitpunkt noch schwedische Königin (1632–1654) war. Die spiegelbildlich angeordneten beigefügten Kupferstiche der beiden unterstreichen diese auffällige Parallelisierung. Dieses Werk muß im Kontext des Versuchs einer Heiratsanbahnung zwischen Conde´ und Christina von Schweden gesehen werden, aus der jedoch nicht wurde – Christina von Schweden lehnte ab.96 In ähnlicher Weise wird man auch die Briefe von 1661 an Ismae¨l Boulliau werten müssen, in denen La Peyre`re für seinen Patron die Chancen auf den polnischen Thron austarieren sollte.97 Ismae¨l Boulliau (1605–1694), mit La Peyre`re aus Pariser Tagen vertraut, war damals mit dem Hof in Polen verbunden.98 La Peyre`re nutzte also die Wege der Gelehrtenrepublik, um seinem Patron zu helfen. Auch argumentierte er vordergründig nicht zuletzt mit seiner eigenen Angst, um Frankreich verlassen zu wollen. Er erinnerte dabei an seine Probleme im Umfeld der Präadamitenpublikation und stellt diese in eine Reihe mit den ›Teufeln von Loudun‹ um Urbain Grandier (1590–1634). Patin hatte Richelieus ›Schauprozeß‹ gegen Grandier aus dem Jahr 1634 kommentiert als »une fourberie du cardinal tyran pour faire bruˆler un pauvre preˆtre qui valait mieux que lui.«99 La Peyre`re konnte wohl schon deshalb auf diese beiden Ereignisse besonders gut rekurrieren, weil Boulliau aus Loudun stammte, selbst ein Konvertit und auch mit dem Präadamitenskandal mehr als vertraut war. Boulliau war nämlich derjenige, den der Lutheraner Ursinus in 95

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Le temple de la deesse Bourbonie, o.O. 1651, S. 6. Abgedruckt auch in: Choix de Mazarinades. Hg. v. Ce´lestin Moreau. Bd. 2. Paris 1853, S. 201–207 (Zitat 205). ˚ kerman: Queen Christina of Sweden (1991), S. 204. A Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 303: »Marie de Gonzague, Reine de Pologne, cherche a` imposer a` son mari et a` la noblesse polonaise, la candidature, a` la couronne polonaise, du duc d’Anghien ou de Conde´ lui-meˆme. Le 4 Mai 1661 va se re´unir la Die`te de Pologne, qui doit poser ce de´licat proble`me de succession. Lapeyre`re cherche donc a` s’informer aupre`s de Boulliau des dispositions a` la Cour polonaise.« Vgl. Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 303–309. Patin an Spon vom 16. November 1643. In: Lettres de Gui Patin (Triaire). Nr. XCIX, S. 344.

132 seiner Erwiderung auf die Präadamiten mit dem vernichtenden Urteil zitieren konnte: »Ab illa enim absurda opinione totus sum alienus, quia Christianus &c.«100 Diese Briefe an Boulliau wie auch La bataille de Lents (1649) zeigen deutlich, wie sehr La Peyre`re hier im Auftrag seines Patrons gehandelt hat. Wie hoch mag man nun Conde´s Anteil an La Peyre`res anderen Werken veranschlagen? Wie eingangs erwähnt, nutzte La Peyre`re 1663 bei seiner Publikation über die Geschichte Islands die Möglichkeit eines Widmungsschreibens an seinen Patron und stellte somit eine Verbindung zwischen seinem Werk und dem Prinzen her. Und was auch immer La Peyre`re letztlich bewogen haben mag, seine Relation de l’Islande neunzehn Jahre nach ihrer Entstehung und zumindest sechzehn Jahre nach der Relation du Groenland (1647) zu publizieren, interessant ist allemal die vorangestellte Dedikation an Conde´ in zweierlei Hinsicht. An ihr läßt sich zum einen der Anteil der Patronage für sein Schreiben besonders gut zeigen. Zum anderen nahm La Peyre`re hier zwei Jahrzehnte später und mittlerweile vom Calvinisten zum Katholiken gewandelt Fragen und Argumentationen wieder aufnahm, die er bereits 1643 im Rappel des Juifs ausgeführt hatte. 3.4. Grönland und die Sonderstellung Frankreichs und Conde´s Ganz im Sinne von La Mothe Le Vayers De la vertu des payens (1642) steht auch La Peyre`res Beschreibung fremder Länder im Zeichen eines Bekehrungseifer zum christlichen Glauben. So heißt es in der Widmung an Conde´: »Ie ne doute pas, MONSEIGNEVR, que tant de Peuples inconnus, ne soient quelque iour connus, pour auoir la connoissance de Dieu, & cele du mistere de son Fils, mort pour nos ofa`nces, & resuscite´ pour noˆtre iustification.«101 La Peyre`re bietet drei Verse aus dem Alten Testament, welche die Prophezeiung unterstreichen, daß eines Tages alle Völker auf Erden zum Glauben kommen und über ihnen Gottes Geist ausgegossen wird.102 Diese Heilstat ist allerdings nicht nur ein Werk Gottes, sondern auch eine sehr konkrete weltliche Angelegenheit. Gott werde dafür einen Uni100

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Brief von Boulliau vom 3. Dezember 1655. Abgedruckt in: Johann Heinrich Ursinus: Novus Prometheus Praeadamitarum plastes: ad Caucasum relegatus et religatus, Schediasma. Frankfurt 1656, S. 173. Relation de l’Islande (1663), o.S. In diesen späteren Schriften verwendet La Peyre`re seine phonetische Orthographie. Vgl. Relation de l’Islande (1663), o.S.: »Que tous Peuples, que toutes Nations, & que toutes Langues, adoreront Dieu, et le seruiront. [Daniel 7,14] Que Dieu versera de son Esprit sur tout les hommes de la terre. [Joel 2,28] Et que tous les hommes de la terre connoitront Dieu, depuis le plus grand iusques au plus petit. [Jeremia 31,34]« Die entsprechenden Bibelstellen finden sich ohne Versangabe in der Marge.

133 versalkönig bestellen, wie La Peyre`re eine Stelle aus dem Buch Jesaja (Jes 55,5) interpretiert: »La mesme Escriture Sainte nous enseigne, que Dieu establira vn Roy, pour estre le Conducteur, & le Souuerain, de tous les Peuples de l’Vniuers«.103 Dieser von Gott herausgehobene Weltenherrscher ist für La Peyre`re niemand anderes als der französische König: »Ie ne croy pas, MONSEIGNEVR, que l’on doiue trouuer estrange le zele que i’ay, estant nay Franc¸ois, si ie dis que la Profetie se doit enta`ndre d’vn Roy de France.« Und er kann dies noch weiter zuspitzen auf den mittlerweile volljährigen und regierenden Ludwig XIV.104 Bei aller Eingebundenheit in panegyrische Traditionen schränkt La Peyre`re diese heilsgeschichtliche Qualität des noch jungen aufstrebenden Roi Soleil jedoch sofort wieder ein. Ein derart großes Unternehmen wie die Eroberung der Welt könne vielleicht doch nicht von Ludwig allein geschultert werden. Vielmehr werde die Vollendung eines derart ambitionierten Plans seinem Nachfolger vorbehalten sein.105 In diesem Zusammenhang erinnert La Peyre`re an die Rolle, die der Cousin des Königs, eben der Prinz Conde´, in diesem Szenario spielen soll. Dem für seine militärischen Erfolge berühmten Grand Conde´ werden biblische Attribute als großer Staatsmann und Stratege verliehen.106 Der knapp siebzigjährige La Peyre`re beschließt diese Widmung mit den Worten: »Ie n’ay pas assez de vie pour voire de si grandes choses. Mais i’ay toute la passion qu’il faut pour les souhaiter.« Dieses Interesse für die Belange seines Patrons sind nicht ungewöhnlich und dürfen für eine derartige Widmung geradezu als topisch gelten. Es demonstriert aber zugleich die spezifische Nähe, die Conde´ wie etwa 103

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Relation de l’Islande (1663), o.S., und es heißt dort weiter: »& pour respa`ndre la Predication de son Euangile dans toutes les contre´es du monde. Dieu parlant a` ce Roy par son Profete Isaie, luy dit ces paroles, tres considerables a` ce propos. Tu apeleras la Nation que tu ne connoissois pas; & la Nation qui ne te connoissoit pas, te disirera, & coura apres toy. Ce sera a`-cause de moy, qui suis ton Seigneur, & ton Dieu; & a`-cause de mon SAINT, qui est le Saint de mon peuple Israel. C’est pour cela que ie t’ay exalte´, & c’est pour cela que ie t’ay glorifie´.« Vgl. Relation de l’Islande (1663), o.S.: »Il me sufira de dire, que toutes les coniectures, & toutes les apara`nces, me font presumer que la Profetie regarde nostre GRAND ROY. Car il a toutes les qualitez, de Maieste´, de Iustice, & de Valeur, que l’Escriture Sainte atribue¨ a` ce Roy Profetique.« Vgl. Relation de l’Islande (1663), o.S.: »S’il n’a pas tout le temps qui sera requis, pour acheuer vne si vaste entreprise, qu’est la conqueste du Monde; il ouurira sans doute, & aplanira vn grand chemin a` son GLORIEUX SUCESSEVR, pour l’assuiettir de bout en bout.« Vgl. Relation de l’Islande (1663), o.S.: »Ce qui me fortifie dans cete croyance, est, que pour seconder les hauts desseins de nostre VICTORIEUX MONARQVE, le Ciel luy a donne´ vn Prince de son sang, tel que VOVS, MONSEIGNEVR, dont les Conseils peuuent estre apelez, CONSEILS DE DIEV, comme l’Histoire Sainte qualifie les conseils des graˆns Politiques: Et dont L’ESPE’E aura la mesme vertu, qu’auoit cele de GIDEON, contre les enemis du nom Chrestien.«

134 auch Gaston d’Orle´ans einerseits für die Krone auszeichnen, sie andererseits auch schnell zur Gefahr werden ließen. In dieser Widmung für den Prinzen Conde´ zu der Relation de l’Islande (1663) zeigt sich also das recht delikate Machtgefüge zwischen dem jungen Ludwig XIV. und seinen engsten Verwandten: Zwar wird hier dem König die herausragende Rolle des Weltenherrschers zugestanden, andererseits werden die Machtbedürfnisse seines Cousins, des Prinzen Conde´, überdeutlich artikuliert. Anspruch und Grenzen der absoluten Monarchie Frankreichs werden hier zugleich formuliert und in Frage gestellt. Dieser Befund fügt sich in die verstärkt seit den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts erfolgte Neubewertung des Absolutismus in der Forschung, die immer stärker die Eingebundenheit und Abhängigkeit des absoluten Monarchen von anderen politischen Akteuren betont.107

4. Der König und die Juden »L’Escriture Saincte qui parle de ce Roy asseure qu’il sera le Liberateur & Restaurateur des Iuifs. [...] Elle le faict par consequent Roy des Roys, Roy Vniuersel, Roy de tout le monde, & Roy veritablement Catholique.«108 In allen Farben einer biblisch bukolischen Idylle schildert La Peyre`re in Buch II seines Rappel des Juifs (1643) die unvergleichliche Regierung unter diesem Pantokrator, der hier jedoch nicht Jesus Christus, auch nicht der spanische Rey catolico, sondern eben der wahrhaft katholische König, der Roi Soleil sein soll. »Et pour coronner ces grands Eloges, que le reputation de ce grand Roy, & des merueilles qu’il aura faites, durera perpetuellement, pour ne finir qu’auec le Temps, & auec le Soleil qui est le Pere mesme du Temps.«109 La Peyre`re kann dabei von der traditionellen Imago-Dei-Lehre profitieren, wenn er das Verhältnis zwischen Gott und dem von ihm eingesetzten König bestimmt: »Roy Temporel; qui sera le Portraict & la Figure en Terre de ce dont le Roy Spirituel est le Patron & l’Architype dedans le Ciel.«110 Bei aller Kon107

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Zur Diskussion um den Terminus Absolutismus vgl. Martin Wrede: Art. Absolutismus. In: Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 1 (2005), Sp. 24–34; Heinz Duchhardt: Absolutismus – Abschied von einem Epochenbegriff. In: HZ 258 (1994), S. 113–122; Ronald G. Asch, Heinz Duchardt (Hgg.): Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550–1700). Köln u. a. 1996; sowie Dagmar Freist: Absolutismus. Darmstadt 2008 (Kontroversen um die Geschichte); Lothar Schilling (Hg.): Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz. München 2008 (Pariser Historische Studien). Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 85f. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 86f. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 88.

135 ventionalität dieses Aspektes zeichnet La Peyre`re hier ein recht eigenwilliges bibelhermeneutisches Prinzip. Die Argumentation von Buch II teilt sich in zwei Teile: Im ersten etabliert La Peyre`re die Unterscheidung zwischen dem Roy Temporel und dem Roy Spirituel, um im zweiten Teil zu untermauern, daß dieser weltliche König niemand anderes als der französische König ist. La Peyre`re hantiert dabei Bibelstellen des Alten Testaments, die für gewöhnlich in der christlichen Auslegung auf Jesus Christus bezogen werden und somit als Ankündigungen des Messias verstanden werden. Doch versucht La Peyre`re zu zeigen, daß eine solche Interpretation nur bedingt möglich ist. Vielmehr müsse im Szenario des Rückrufes der Juden eben zwischen zwei voneinander verschiedenen Königen unterschieden werden. Die Unterscheidung zwischen weltlichem und geistigem König sieht La Peyre`re schon in der alttestamentlichen Prophetie im Buch Sacharja (Sach) präfiguriert, wo von der Wiederaufrichtung des Hauses Juda, eben vom Rückruf der Juden die Rede ist. Gott werde in dieser schweren Zeit seinem Volk beistehen und ein jeder werde wie David sein und das Haus Davids wie Gott (Sach 12,8): »Le Prophete Zacharie parlant de ce Roy Temporel, lequel il appelle La Maison de David, parce qu’en effet il tirera son origine de la Maison de David. Il dit. Que ce Roy sera Comme Diev ov comme l’Ange dv seignevr en la presence des Iuifs.«111 Wenn hier explizit vom Haus Davids als dem Königsgeschlecht gesprochen wird, setzt das einen König der Juden auch zur Zeit der Wiedererrichtung Jerusalems voraus. Dieser König könne aber schon deshalb nicht Jesus Christus sein, weil dieser nicht ›wie Gott‹, sondern eben Gott selbst ist. Schon deshalb müsse zwischen Jesus Christus als dem Roy Spirituel und einem weiteren, dem temporalen König unterschieden werden.112 Dieser Roy Temporel sei vielmehr mit Mose zu vergleichen, den Gott selbst seinem Volk ›als Gott‹ eingesetzt habe: »Fac¸on de parler qui n’est pas nouuelle, ny sans exemple dans L’Escriture saincte. Car Moyse Eleu de Dieu pour estre le Conducteur & le Prince Temporel des Iuifs en leur Rappel Temporel d’Egypte en Chanaan: Il a este´ appelle´ Comme Dieu, de la propre bouche de Dieu mesme. Aaron, luy dit il, te sera pour Prophete, Et tu luy seras Povr Diev, ou Comme Dieu.«113 111

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 93. Sach 12[!],8. In der Marge gibt La Peyre`re hier Sach 22 an. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 94: »ce passage ne peut estre entendu de Iesus-Christ qui est le Roy Spirituel. Car Iesus Christ n’estant pas tenu Comme Dieu, mais estant en effet le vray Dieu mesme.« Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 95. Vgl. Ex 7,1 und ähnlich Ex 4,16. Hier wird en passant die Situation Moses in Ägypten vor dem Auszug ins Gelobte Land parallelisiert mit dem Rappel der Juden in Frankreich vor dem Zug nach Jerusalem.

136 Ähnlich verfährt La Peyre`re mit der Auslegung von Psalm 45, wo von den ›Gefährten des Königs‹ (Ps 45,8) gesprochen wird. Auch diese Stelle lasse sich nicht ohne weiteres auf Jesus Christus beziehen, denn Jesus Christus sei einzigartig und habe keine ›Gefährten‹ unter den Menschen, selbst nicht unter den Engeln.114 La Peyre`res Einwand wiegt schwer: Denn wollte man diese Bibelstelle, die als tieferen Sinn die Ankündigung des Messias habe, auf Jesus Christus deuten, hätte das letztlich zur Folge, die Göttlichkeit des »HommeDieu« Jesus Christus in Frage zu stellen. An zwei weiteren Schriftstellen demonstriert La Peyre`re die Stichhaltigkeit seiner Unterscheidung. La Peyre`re profitiert dabei von einer Undeutlichkeit in Psalm 110. Während in Vers 1 Gott den König auffordert, sich ›zu seiner Rechten‹ zu setzen, wird hingegen in Vers 5 ausgesagt, Gott sei ›zur Rechten des Königs‹, was bedeuten würde, daß sich hier der König zur Linken Gottes befindet. Daraus schließt La Peyre`re, daß in den zwei Versen nur zwei voneinander verschiedene Könige gemeint sein können. In Vers 1 Jesus Christus als der Roy Spirituel, der im Himmel zur Rechten des Vaters sitzt; in Vers 5 hingegen der weltliche König, der eine imago Dei, eben das Abbild Christi sei. Ursprünglich hatte La Peyre`re das mit einer Spiegelmetapher unterstützt, die aber schon laut der Corrigendaliste am Ende der Inhaltsangabe zu streichen sei. Danach sei der Himmel der Spiegel, der den weltlichen König auf Erden im wortwörtlichsten Sinne als das Bild des wahren Königs im Himmel erscheinen lasse, was auch die Spiegelverkehrtheit der Anordnung in den Versen 1 und 5 erkläre.115 Ohne es eigens auszuführen, kommt jedoch auch La Peyre`re nicht umhin, Ps 110,1 auf Jesus Christus zu beziehen, denn es ist laut Neuem Testament Jesus Christus selbst, der diesen Vers auf sich bezieht (Mt 22,41–46 par). Doch braucht La Peyre`re gar nicht an der Wahrhaftigkeit dieser Herrenworte zu deuteln, vielmehr unterstreichen sie scheinbar seine Hypothese der Rede von zwei unterschiedlichen Herrschern innerhalb desselben Psalms. Denn gegen alle christliche exegetische Tradition, die natürlich auch Vers 5 auf Jesus Christus bezieht, gibt es für diesen

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 125: »Dieu a oinct ce Roy par dessus les autres Roy ses Consorts ou ses Compagnons. Et cecy ne peut estre entendu Litteralement de Iesus Christ entant que Roy & Sovverain. Parce qu’en cette qualite´ Iesus-Christ ne peut auoir de Compagnon, ny parmy les Hommes, ny parmy les Anges.« Du Rappel des Juifs (1643). Buch II , S. 98: »Pose´ que le Ciel soit pris comme vn Miroir. Pose´ que la Terre soit prise, comme receuant par reflexion l’image de ce qui se fait dedans le Ciel. Et pose´, comme nous l’auons montre´, que le Roy Temporel soit l’image en Terre du Roy spirituel qui est dedans le Ciel.« Nur der erste Satz ist gestrichen.

137 Vers keine explizite neutestamentliche Bezugnahme, die es La Peyre`re verbieten würde, hier eine Differenz aufzubauen. Diese Unterscheidung sieht La Peyre`re bestätigt durch sein zweites Beispiel, das den Rahmen des Alten Testaments überschreitet. Denn der Apostel Paulus nimmt in seinem Brief an die Epheser (Eph) einen Vers aus Psalm 68 wieder auf. Doch zitiert Paulus diesen nicht, vielmehr verändert er ihn in nicht unwesentlichem Maße: Während es im Psalm heißt: ›du hast Geschenke der Menschen erhalten‹ (Ps 68,19), interpretiert Paulus: ›du hast Geschenke den Menschen gegeben‹ (Eph 4,8). La Peyre`re versucht nicht etwa, diese beiden Verse in Einklang zu bringen, obwohl er zugeben muß, daß dies der übliche Weg wäre. Vergleichbar mit den beiden Schöpfungsberichten in seiner Präadamitenthese, weicht La Peyre`re nicht der Differenz zwischen den beiden Bibelstellen aus, sondern benutzt sie gerade für seine These. In Ps 68,19 und Eph 4,8 manifestiere sich laut La Peyre`re die doppelte Lektüre des biblischen Textes a` la lettre und en Esprit. Psalm 68 spreche wörtlich vom weltlichen König, Paulus jedoch geistlich vom spirituellen König.116 Eine genauere Analyse von Psalm 68 bringt La Peyre`re dazu, hier eine Aussage über den Rückruf der Juden zu sehen: »Il ne se peut nier qu’il ne soit icy parle´ d’vn Roy des Juifs, qui a triomphe´ , ou triomphera, par parole de Prophetie, ou de futur.«117 Dabei benutzt La Peyre`re, wenn er über die Restitution der Juden im Hl. Land und die Wiedererrichtung des Jerusalemer Tempels spekuliert, den Litteralsinn des Psalms, den er keineswegs in der christlichen Kontrafaktur durch Paulus aufgehoben sehen will. Denn so sehr Paulus von dem Roy Spirituel spreche, könne in Psalm 68 – aufgrund der besagten Bedeutungsdifferenz zwischen Altem und Neuem Testament – nur vom Roy Temporel die Rede sein. Insgesamt spreche der Psalm wörtlich von einem jüdischen König für die Juden. Die jüdische Verheißung erfüllt sich laut La Peyre`re also in doppelter Weise: zum einen in der mystischen Form, die Paulus im Epheserbrief beschreibt, und zum anderen in der wörtlichen Bedeutung des künftigen Königs der Juden. Allerdings treibt es auch La Peyre`re schließlich so weit, Psalm 68 ebenfalls auf Jesus Christus zu beziehen. Denn dem Menschen sei es angemessen zu empfangen, und Gott sei es angemessen zu geben. Entsprechend habe der Gott-Mensch Jesus Christus als kleines Menschenkind in Bethlehem Geschenke empfangen, während er später 116

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 101: »Le sens naturel de ces deux passages ne peut estre entendu, qu’en disant; Que le Prophete a voulu parler a` la lettre, ou selon le sens historique & litteral du Roy des Iuifs, que nous auons Pose´ Temporel; & que l’Apostre a voulu parler en Esprit, ou selon le sens mystique & Spirituel, de Iesus Christ, qui est le Roy des Iuifs, mais qui est leur Roy Spirituel.« Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 104.

138 als auferstandener Gottessohn den Menschen Geschenke erworben habe.118 In einem zweiten Schritt geht La Peyre`re der Frage nach, wer dieser Roy Temporel sei: »quel Roy de la terre entreprendra cette Reconciliation des Iuifs & des Gentils, que ce Roy qui donnera cette saincte jalousie aux Iuifs, d’embrasser la Religion des Gentils, & de se faire Chrestiens?«119 Die Antwort ist für ihn leicht gefunden, könne es sich doch bei diesem König nur um einen ›allerchristlichsten‹ König handeln. Ebenso werde nur derjenige König das Erstlingsrecht der Juden anerkennen, der selbst ›der älteste Sohn der Kirche‹ ist. »Mais! quel sera ce Roy, si ce n’est vn Roy de France, a` qui ces deux qualitez, & Tres-Chrestien, & de Fils aisne’ de l’Eglise Chrestienne, sont attribue´es par excellence, & d’vn droict qui ne peut estre conteste´ aux Roys de France de pas vn Roy du Monde.«120 Zusätzlich zu diesen Titeln des französischen Monarchen nimmt La Peyre`re die Tradition des wundertätigen Königs auf, die den französischen Monarchen dazu prädestiniere, neben den körperlichen auch die seelischen Gebrechen der Juden zu heilen: »la raison est puissante de presumer que si les Roys de France ont cette vertu de guerir ces maladies malignes qui affligent les Iuifs en leur corps. Qu’vn Roy de France aura cette vertu de guerir les Maladies inuertere´es qui possedent les Iuifs en leur ame; comme sont leur Incrudelite´, & l’auersion obstine´e qu’ils ont contre le Christianisme«121 Eine aufwendige Exegese der Bedeutung der Lilie im Alten und Neuen Testament bestätigt La Peyre`re in der Annahme einer besonderen Rolle des französischen Königs in der Heilsgeschichte, denn »la Fleur de Lys, que Dieu s’est choisie d’entre toutes les Fleurs du Monde sera vn Roy de France, vn Roy Eleu & choisi de Dieu d’entre tous les Roys de la terre pour la diliurance de son Peuple, & pour la Felicite´ de tous les

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 113f: »La raison de ce changement est, Que l’Apostre parlant de Iesus Christ qui est Dieu; qu’il ne s’est peu seruir de mesmes termes dont le Prophete s’estoit serui parlant d’vn Homme. Car tout ainsi que le propre de Dieu est de Donner, & que le propre de l’Homme est de Receuoir; l’Apostre nous a represente´ vn Dieu Donnant, comme le Prophete nous auoit represente´ vn Homme Receuant. Et comme le Prophete nous auoit represente´ vn Homme Receuant des Presens des hommes; l’Apostre nous a represente´ vn Dieu Homme Donnant des Dons aux hommes, lors qu’il est Ressuscite´ & monte´ au Ciel; dans la Gloire de sa Resurrection & son Triomphe. Tout ainsi que ce mesme Dieu Homme auoit Receu des Dons des hommes, lors qu’il estoit descendu en terre; dans l’Abbaissement de sa Naissance, & dans l’Aneantissement de son extreme infirmite´.« Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 116f. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 117. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 118f.

139 hommes.«122 Wieder kann er das an einer Psalmstelle verdeutlichen, die vom Verfasser des Hebräerbriefes im Neuen Testament wieder aufgenommen wurde. Auch hier unterscheidet La Peyre`re die wörtliche alttestamentliche von der spirituellen neutestamentlichen Lektüre. La Peyre`re profitiert hier von der Ambiguität im Hebräischen. Denn in Psalm 45 wird davon gesprochen, daß Gott seinen König salbe (Ps 45,8). La Peyre`re erinnert daran, daß auch die französischen Könige mit dem Öl der Hl. Ampulle gesalbt werden und daß bei der Taufe des ersten christlichen französischen König eine Lilie vom Himmel gefallen sei.123 Psalm 45, der bekanntlich nach der Weise Lilie zu singen sei, spricht von einem speziellen Öl, das für gewöhnlich als Freudenöl wiedergegeben werde. Doch sei das Wort für Freude (Sasun) und für Lilie (Susan) im Hebräischen dasselbe, nur die Vokalisation unterscheide die beiden Worte. Gegen diese Interpretation spricht, daß bereits die Septuaginta (εÍ λαιον αÆ γαλλια σεως) und auch die Vulgata (oleo laetitiae) diese Psalmstelle mit »Freudenöl« übersetzt. Zudem zitiert auch das Neue Testament diese Stelle im Hebräerbrief als Freudenöl (εÍ λαιον αÆ γαλλια σεως). Doch für La Peyre`re ist das eher eine Bestätigung als eine Widerlegung seiner Annahme: »Cette Huyle de Lys Materielle, dont le Pseaume a parle´, ayant des Rapports si precis & si intimes auec l’Huyle de Ioye Spirituelle, dont l’Epitre aux Hebreux a fait mention. [...] L’auteur de cette excellente Epitre ne pouuoit auec plus d’adresse & de delicatesse tirer le Sens Spirituel du Sens litteral de ce Pseaume excellent«.124 Im »Sens Spirituel« bezeichne der Hebräerbrief Jesus Christus, die Psalmstelle hingegen spreche im »Sens litteral« von einem französischen König.125 La Peyre`re profitiert hier von der zeitgenössischen Debatte um die Glaubwürdigkeit der Punktierung des Hebräischen, die nicht zuletzt durch die Werke von Louis Cappel (1585–1658) ausgelöst worden war und daraufhin nicht nur von Hugenotten scharf debattiert wurde.126 Da122 123 124 125

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 121f. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 119. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 132. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 134: »l’Aucteur de l’Epistre aux Hebreux a peu faire vne petite allusion en la langue saincte du mot de Ioye; a` celuy de Lys; Applicant spirituellement a` Iesus Christ que l’Escriture nous represente Oinct la` haut au Ciel d’Huyle de Joye ce que [le] Pseaume attribue litteralement a` vn Roy Temporel qui sera oinct icy bas en terre, d’Huyle de Lys, c’est a` dire qui sera vn Roy de France«. Noch anonym erschien 1624 Arcanum Punctationis Revelatum, 1650 dann Cappels Critica sacra. Vgl. Franc¸ois Laplanche: L’Ecriture, le sacre´ et l’histoire. Erudits et politiques protestants devant la Bible en France au XVIIe sie`cle. Amsterdam, Maarssen 1986 (SIB 12), S. 211–234; Frans P. van Stam: The Controversy over the Theology of Saumur, 1635–1650. Disrupting Debates among the Huguenots in Complicated Circumstances. Amsterdam, Maarssen (SIB 19), S. 257–261;

140 bei ging es nicht nur um die Vokalisation des Hebräischen, sondern w /s/ oder als letztlich auch um die Zuschreibung des Konsonanten w als Ê Ï w /sˇ/. Entsprechend konnte die hebräische Konsonantenfolge s-s-n sowohl als Freude /sasun/ wie auch als Lilie /sˇusˇan/ gelesen werden. Vergleichbare Diskussionen über die semantische Möglichkeit der Lilie finden sich auch in zeitgenössischen Kommentaren, wie etwa in den Annotationes in Vetus Testamentum (1644) von Hugo Grotius, wobei Grotius gewiß dabei nicht im entferntesten an den französischen König gedacht haben wird.127 Zusammenfassend kann also festgehalten werden, daß der hier vorgestellte Roy Temporel ein David Redivivus und ein Mose Redivivus in einem ist. Obwohl auch Psalm 68 mystisch Jesus Christus präfiguriere, ist der gleiche Psalm litteral verstanden eine Ode auf David, den glorreichen Roy Temporel, der seine Entsprechung finde in dem Roy Temporel, der kommen werde, um das Werk an den Juden fortzusetzen und zu vollenden. »Le Cantique mesme n’a este´ compose´ que pour les Lys. C’est a` dire; Pour vn Roy de France le plus Beau de tous les Hommes & le plus Vaillant de tous les Roys. [...] ce Roy Temporel & Vniversel; ce Roy Victorieux & Triomphant; ce Roy plus Magnifique & plus Pompeux que n’a este´ Salomon en toute sa Gloire.«128 Jesus Christus ist dabei die Zwischenstufe, aber auch Garant für die fortschreitende Entwicklung in der (Heils-)Geschichte. Das Ganze kulminiert in der Vereinigung der Juden und Heiden im Glauben an Jesus Christus. Es schließen sich entsprechend zwei Fragen an: Wie sieht es mit der Abgeschlossenheit der Offenbarung in Christus aus, wenn hier derart stark auf eine weitere Heilsstufe gehofft wird? Zweitens geht es nochmals um den französischen König. Die wörtliche Lektüre des Alten Testaments ist es also, die La Peyre`re auf den König von Frankreich kommen läßt. Richard Simon wird ihm deshalb später vorhalten, er interpretiere »trop litterale, et Juive«.129 Bevor wir in Kapitel V wieder auf den König zurückkommen, soll daher der letztgenannte Punkt, nämlich wie jüdisch La Peyre`res Denken ist, näher beleuchtet werden.

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zum Konflikt zwischen Cappel und Buxtorf vgl. Hans-Joachim Kraus: Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments. Neukirchen-Vluyn 3 1982, 47–50. Vgl. Hugo Grotius: Opera omnia theologica. Bd. 1. London 1679, S. 230. Grotius erwägt das hier allerdings für die Psalmüberschrift »Õinww ly«: »Significant haec vox & lilia, sed origo est a` ww, quod sex significat.« Auch Grotius unterscheidet hier w /s/ und Ï w /sˇ/. nicht zwischen Ê Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 127. Vgl. Richard Simon an La Peyre`re vom 27. Mai 1670. In: Lettres choisies de Mr Simon. Bd. 2. Rotterdam 1704. Nr. 2, S. 12.

IV. La Peyre`re und der Philosemitismus Es ist kein Zufall, daß die Richard H. Popkin gewidmete Festschrift den Titel trägt: Sceptics, Millenarians and Jews.1 Es war diese Trias, die den amerikanischen Philosophiehistoriker zeitlebends beschäftigt hat, und es war diese ›dritte Kraft‹, die ihn jenseits der ausgetretenen Pfade der klassischen Ideengeschichte interessierte. Popkin wollte jene Intellectual History befördern, die nicht wie die hergebrachte Ideengeschichte in der Gefahr stand, das 17. Jahrhundert einerseits auf den kontinentalen, vornehmlich cartesianischen Rationalismus und andererseits auf den britischen Empirismus zu reduzieren.2 Es ist deshalb auch nicht weiter erstaunlich, daß die ihm gewidmete Festschrift mehrmals auf diese ›Third Force‹ und speziell auf das Paradebeispiel La Peyre`re – der nach Popkins Interpretation ja gerade Skeptiker, Millenarist und Jude in einem gewesen sein soll – zu sprechen kommt: So wird dort erörtert, ob La Peyre`res Präadamitenthese eine Schlüsselrolle zukam bei dem Ausschlußverfahren gegen Spinoza aus der Amsterdamer Synagoge, das zeitnah zur Publikation der Prae-Adamitae im Jahr 1655 verhandelt wurde. Ähnlich wird versucht, La Peyre`res Einfluß auf eine so schillernde Figur wie Christina von Schweden genauer zu bestimmen.3 Es geht bei der Frage nach dem frühneuzeitlichen Philosemitismus und speziell nach seinem Hauptgewährsmann La Peyre`re also um eine Gemengelage aus Argumentationen, die sich letztlich auf drei Hauptstränge zusammenfassen lassen: Erstens sind die durchaus diffamierenden Zuschreibungen durch die Zeitgenossen und La Peyre`res Reaktion darauf zu nennen. Zweitens kommen seine Bezüge zu Marranen, allen 1

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David S. Katz, Jonathan I. Israel (Hgg.): Sceptics, Millenarians and Jews (FS Richard H. Popkin). Leiden u. a. 1990 (Brill’s studies in intellectual history 17). Dazu vor allem Richard H. Popkin: The Third Force in Seventeenth-Century Thought: Scepticisme, Science and Millenarianism. In: Ders.: The Third Force in Seventeenth Century Thought. Leiden u. a. 1992 (Brill’s studies in intellectual History 22), S. 90–119; ebenso Ders.: The Religious Background of SeventeenthCentury Philosophy. In: The Cambridge History of Seventeenth-Century Philosophy. Hgg. v. Daniel Graber u. a. Bd. 1. Cambridge 1998, S. 393–422. Vgl. Asa Kasher, Shlomo Biderman: Why was Baruch de Spinoza Excommunicated? In: Sceptics, Millenarians and Jews (1990), S. 98–141, bes. 138–140. Vgl. ˚ kerman: Queen Christina of Sweden and Messianic Thought. In: ebenso Susanna A ebd, S. 142–160.

142 voran zu Rabbi Menasse ben Israel und etwa zu Baruch de Spinoza, hinzu. Indirekt hängen damit auch seine Verbindungen zu christlichen ›Judenfreunden‹ wie Christina von Schweden und etwa Paul Felgenhauer zusammen. Drittens werden werkimmanente Augumente angeführt, die vor allem auf dem Rappel des Juifs (1643) fußen und der Widmung ›an alle Juden‹ zu seinen späteren Prae-Adamitae (1655), in der Argumente für den bevorstehenden Rückruf der Juden wieder aufgenommen werden. So entwirft La Peyre`re 1655 in diesem Widmungsschreiben ›an alle Juden‹ auf der Grundlage des Römerbriefes ein weiteres Mal die Vorstellung, daß die Juden nur aus dem einzigen Grund Jesus Christus gekreuzigt hätten, weil Gott ihnen die Sinne verblendet hatte (Röm 16,25 sowie Joh 12,40), ›ganz Israel‹ aber gerettet werde, wenn der Erlöser vom Zion kommen werde (Röm 11,26). Deshalb habe der Gekreuzigte gebetet: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Christus, der das Königreich der Juden zerstörte, als er im Fleische (in carne) kam, werde die Juden in ihren Rechten restituieren, wenn er im Geiste (in spiritu) wiederkommt.4 Bemerkenswert ist, mit welcher Verve La Peyre`re den Juden jegliche Schuld am Kreuzestod Christi abspricht und zudem mit Paulus ihre Verwerfung bei der Wiederkunft Christi aufgehoben sehen will. Seine eklatante Gleichsetzung von der Parusie Christi mit dem Erscheinen des jüdischen Messias ist freilich keine singuläre Idee in der Mitte des 17. Jahrhunderts. Eine ähnliche Formulierung findet sich etwa in einem Brief von Henry Oldenburg (1618–1677), dem späteren Sekretär der Royal Society, an Menasse ben Israel in Amsterdam, der wie Uriel da Costa, die Familie Spinoza und wie so viele iberische Juden nach Holland geflohen war und der dort den sephardischen Juden vorstand.5

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Synagogis Iudaeorum universis (1655), S. 4: »Nempe illud fuit, quod Iesvs ipse, quo momento crucifigebatur a` patribus vestris: & adprime sciens, illos nescire eum, & peccare ignorantia: haec animitus pro illis & pro vobis oravit Deum. Pater ignosce illis: nesciunt enim quid faciunt. Quin & Iesvs idem a` vobis crucifixus, se vobis de coelo exeret. Et qui regnum vestrum everit, cum venit in carne: regnum ille idem vestrum vobis restituet, cum veniet in spiritu.« Oldenburg an Menasse ben Israel vom 25. Juli 1657. In: Correspondence of Oldenburg. Bd. 1. Nr. 55, S. 124: »Adventum dico, ut vos quidem putatis, primum; at ut nos persuasum habemus, secundum«. Vgl. allgemein Yosef Kaplan, Henry Me´choulan, Richard H. Popkin (Hgg.): Menasseh ben Israel and his World. Leiden u. a. 1989 (Brill’s studies in intellectual history 15); besonders Henry Me´choulan: Menasseh ben Israel and the World of the Non-Jew. In: ebd, S. 83–97; zu Oldenburg vgl. Jean-Pierre Vittu: Henry Oldenburg. »Grand Interme´diaire«. In: Les grands interme´diaires culturels de la Re´publique des Lettres. E´tudes de re´seaux de correspondances du XVIe au XVIIIe sie`cles. Hgg. v. Christiane Berkvens-Stevelinck u. a. Paris 2005 (Les dix-huitie`mes sie`cles 91), S. 184–209.

143 Dieses theologische Entgegenkommen in der Juden und Christen trennenden Messiasfrage wie auch die wohl persönliche Bekanntschaft La Peyre`res mit Menasse ben Israel, der selber einen marranischen Hintergrund hatte, legen die Vermutung nahe, La Peyre`res judenfreundliche Thesen nicht nur als christlichen Philosemitismus zu deuten, sondern sie vielmehr dadurch motiviert zu sehen, daß La Peyre`re selbst Marrane gewesen sei.6 Diese Annahme impliziert wiederum, es handle sich bei dem Hugenotten La Peyre`re nicht nur um einen schlecht konvertierten ›Neu-Christen‹. Vielmehr habe man es mit einem Kryptojuden, um nicht zu sagen mit einem Juden zu tun, dessen bisweilen wenig jüdisch anmutenden Gedanken gerade diesem marranischen Schicksal einer seit Generationen unterjochenden Verfolgungssituation geschuldet seien. Ja, selbst das, was der Marranenthese augenscheinlich zu widersprechen scheint, müsse als Ausdruck einer internalisierten dissimulatio gelesen werden. Schließlich liege die ›wahre‹ Botschaft derart ambiger Texte bekanntlich »zwischen den Zeilen« – um das Diktum von Leo Strauss über Persecution and the Art of Writing zu bemühen.7

1. Hermeneutik der Verstellung Forschungsgeschichtlich betrachtet war es vor allem die klassisch zu nennende Studie über den Philosemitismus im Barock von Hans-Joachim Schoeps aus dem Jahr 1952, die La Peyre`res Hermeneutik der Verstellung aufgrund seiner marranische Wurzeln herausgestellt hat.8 Der 6

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Vgl. Richard H. Popkin: Menasseh ben Israel and Isaac La Peyre`re. In: Studia Rosenthaliana 8 (1974), S. 59–63; Ders.: Menasseh ben Israel and Isaac La Peyre`re II. In: Studia Rosenthaliana 18 (1984), S. 12–20. Wir wissen nichts Genaues über ein Treffen, Popkin stellt es aber als sehr wahrscheinlich dar. Vgl. dazu A.K. Offenberg: Menasseh ben Israel’s visit to Christina of Sweden at Antwerp, 1654. In: Lias 16 (1989), S. 265–273. Zu diesem Zusammenhang zwischen Verstellung und Verfolgungssituation der Juden vgl. die klassische Studie von Leo Strauss: Persecution and the Art of Writing. Glencoe 1952; und in Nachfolge ebenfalls Perez Zagorin: Ways of Lying. Dissimulation, Persecution, and Conformity in Early Modern Europe. Cambridge (Mass.) u. a. 1990. Strauss schreibt ebd, S. 25: »Persecution [...] gives rise to a peculiar technique of writing, and therewith to a peculiar type of literature, in which the truth about all crucial things is presented exclusively between the lines. That literature is addressed, not to all readers, but to truthworthy and intelligent readers only. It has all the advantages of private communication without having its greatest disadvantage – that it reaches only the writer’s acquaintances. It has all the advantages of public communication without having its greatest disadvantage – capital punishment for the author.« Hans Joachim Schoeps: Philosemitismus im Barock. Religions- und Geistesgeschichtliche Untersuchungen. Tübingen 1952. Als Reprint auch in: Hans-Joachim Schoeps: Gesammelte Schriften. Abt. 1 Bd. 3. Hildesheim u.a 1998.

144 bereits 1947 aus dem schwedischen Exil zurückgekehrte und mittlerweile wissenschaftlich rehabilitierte Schoeps (1909–1980) faßte in diesem Werk seine Arbeiten aus der Exilzeit zusammen, die er vorab 1948 in der von ihm gegründeten Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte veröffentlicht hatte.9 Das erste Kapitel behandelt »Isaak de la Peyre`re«, auf den er im Kontext von Christina von Schweden gestoßen war.10 Auf Vermittlung von Schalom Ben-Chorin (1913–1999) war dieses Kapitel in leicht veränderter Form schon 1946 unter dem Titel Der erste Zionist – im Dreißigjährigen Krieg in Tel Aviv in der deutschsprachigen Zeitung Jedioth Chadaschoth erschienen.11 In einem Brief an Ben-Chorin hatte Schoeps dazu bemerkt: »Heute schicke ich Ihnen in der Anlage einen besonderen Leckerbissen. Es ist der popularisierte Auszug aus einem Kapitel meiner Geschichte des Philosemitismus im 17. Jahrh. und behandelt den ersten Zionisten, der gerade 350. Geburtstag hat. Kein Mensch kennt ihn, und ich meine, das muß doch gerade etwas für Palästina sein.«12 1.1. Forschungsüberblick zum Philosemitismus Unter Philosemitismus versteht Schoeps das Phänomen, daß mit dem 17. Jahrhundert verstärkt »christliche Stimmen pro Judaeis« aufkommen.13 Seine Studie verstand Schoeps nicht zuletzt als bewußte Gegenstimme zu den Geschichten des Antisemitismus: »Denn daß hier unbekannten christlichen Philosemiten das Augenmerk zugewandt wird, mag alle die mit Genugtuung erfüllen, die im Antisemiten nicht den reprä9

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Vgl. Der Philosemitismus des 17. Jahrhunderts (Religions- und geistesgeschichtliche Untersuchungen) I: Isaak de la Peyre`re. In: ZRGG 1 (1948), S. 19–30. Vgl. Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), S. 3–18. Jedioth Chadaschoth. Neueste Nachrichten vom 4.10.1946. Hg. v. Siegfried Blumenthal. Eine vergleichbare Textfassung findet sich in Hans-Joachim Schoeps: Barocke Juden – Christen – Judenchristen. Bern 1965, S. 15–24, das eine popularisierte Fassung seines Buches Philosemitismus im Barock darstellt. So sehr auch Schoeps in den wissenschaftlichen Artikeln den »Zionisten« La Peyre`re als Anachronismus kenntlich macht, bleibt diese Charakterisierung doch aufschlußreich. Julius H. Schoeps (Hg.): Auf der Suche nach einer jüdischen Theologie. Der Briefwechsel zwischen Schalom Ben-Chorin und Hans-Joachim Schoeps. Frankfurt a.M. 1989, S. 33. Sein Sohn Julius H. Schoeps hat den Briefwechsel aus den Jahren 1934–79 im Stil von Zenturien herausgegeben. Zitiert ist hier aus dem 22. Brief vom 15. August 1946. Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), S. 1. Vgl. allgemein die vorzügliche Überblicksdarstellung von Wolfram Kinzig: Philosemitismus. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 105 (1994), S. 202–228 u. 361–383. Vgl. den Überblick von Heinz Schreckenberg: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches Umfeld (13.–20. Jh.). Frankfurt a.M. u. a. 1994, S. 664f, der dort kurz auf La Peyre`re zu sprechen kommt und ihn zu den »Philosemiten, Chiliasten und Zionisten« zählt.

145 sentanten Typus christlichen Verhaltens erblicken möchten«14 – so der ›letzte preußische Jude‹, wie sich Schoeps selbst verstand.15 Dabei prägte Schoeps den Begriff ›Philosemitismus‹ nicht etwa neu. Gleichwohl verhalf er ihm zur paradigmatischen Durchsetzung für die Beschreibung des christlich-jüdischen Verhältnisses in der Neuzeit und in erster Linie zu dessen Positivierung. Vor Schoeps waren nämlich die Begriffe ›Philojudaismus‹ oder ›Philosemitismus‹ seit ihrer Prägung im 19. Jahrhundert durchweg pejorativ gebraucht worden.16 Ein besonders abschreckendes Beispiel für diesen früheren abwertenden Gebrauch ist ein Artikel von Wilhelm Grau, der bezeichnenderweise 1942 in einer Zeitschrift mit dem vielsagenden Titel Weltkampf. Die Judenfrage in Geschichte und Gegenwart erschien. Grau spricht darin La Peyre`re eine bedeutende (wenngleich nach Graus nationalsozialistischer Ideologie entsprechend negativ konnotierte) Rolle auf dem Weg zur Emanzipation des Judentums zu.17 Auch Grau griff die Diskussion auf, ob La Peyre`re wohl Marrane gewesen sei, und resümiert: »Wäre die jüdische Abstammung Peyrerius’ zweifelsfrei, so könnte man in seinen Gedanken eine Fortsetzung des uralten jüdischen Weltherrschaftstraumes wiedererkennen, den das Judentum im Getto nie verloren hat und den es auch unterm Taufwasser nicht preisgab. Ist er aber dem Blute nach Franzose, dann ist seine Lehre kein Zeichen fortwirkender jüdi14

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Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), o.S. Es heißt dort weiter: »Freilich sind die modernen Versuche zur jüdisch-christlichen Annäherung aber gar nicht so modern, wie mit diesem Buch aufgezeigt wird.« Vgl. auch ebd, S. 1: »Die Geschichte des Antisemitismus ist schon wiederholt geschrieben worden, die des Philosemitismus noch nie.« Vgl. Ben-Chorin: In memoriam Hans-Joachim Schoeps. In: Schoeps: Suche (1989), S. 162; ebenso Brief 42 von Schoeps an Ben-Chorin vom 18. März 1950. In: ebd., S. 58. Es sei aber auch auf eine Briefpassage über den jungen Schoeps verwiesen, die einem Brief von Hans Blüher an Schoeps vom 28. November 1932 entnommen ist. In: ebd, S. 3: »Bei Ihrem Abschiedsbesuch fragte ich Sie, wie und wodurch Sie denn zur Synagoge zurückgekehrt seien, darauf kam prompt und klar die Antwort: durch Karl Barth! Wir haben dann sogar noch darauf angestoßen, weil dieser Zusammenhang eben sehr lehrreich ist und meine paradoxe Behauptung ›Karl Barth würde mehr Juden in die Synagoge als in die Kirche zurückbringen‹ plötzlich bewahrheitete.« Vgl. zur Begriffsgeschichte Kinzig: Philosemitismus (1994), S. 202–228. Vgl. Wilhelm Grau: Die innere Auflösung des europäischen Antijudaismus in den Jahrhunderten vor der Emanzipation. 1. Strömungen im christlichen Denken. In: Weltkampf. Die Judenfrage in Geschichte und Gegenwart Nr. 1 (1942), S. 1–16, 9: »Aber sie [sc. die Lehre von den Präadamiten] ist eines der bemerkenswertesten Symptome jener Entwicklung des religiösen und philosophischen europäischen Denkens, die immer stärker von einer ursprünglich judengegnerischen Haltung zu einer dem Judentum sich angleichenden Stellung führt.« Grau sieht La Peyre`res dogmatische Lehre vor allem » z u g u n s t e n des Judentums.« Vgl. dazu auch Martin Friedrich: Zwischen Abwehr und Bekehrung. Die Stellung der deutschen evangelischen Theologie zum Judentum im 17. Jahrhundert. Tübingen 1988 (Beiträge zur historischen Theologie 72), S. 10–13.

146 scher Substanz, sondern einer gefahrenschwangeren geistigen Situation des Abendlandes.«18 Graus ideologische Lesart stellt eine Extremvariante dar. Sie soll hier nicht weiter interessieren. Sie mag jedoch als Gegenfolie für die Umdeutung des Terminus Philosemitismus dienen, die Schoeps in der Nachkriegszeit präsentierte. 1.2. Untertypen des Philosemitismus Schoeps nimmt in seiner Studie über den frühneuzeitlichen Philosemitimus eine Klassifizierung in fünf Untertypen vor, um das breite Spektrum dieser recht vagen Charakterisierung besser fassen zu können.19 Der Philosemitismus reicht vom (1) christlich-missionarischen Typus, der nur um der leichteren Missionierung der Juden zum Christentum willen eine gewisse Freundlichkeit an den Tag legt, über den (2) biblischchiliastischen Typus, der sich von einer Annäherung das baldige Weltende erhofft, über den (3) utilitaristischen Typus, der meist aus wirtschaftlichen Erwägungen so handelt, über den (4) liberal-humanitären Typus, dessen religiöse Toleranz Schoeps erst mit der Aufklärung ansetzt, bis hin zum (5) religiösen Typus, »der aus einer Glaubensüberzeugung heraus die Annäherung und sogar den Übertritt zum Judentum vollzieht.«20 Anders als seine Nachfolger, die zwar Schoeps’ Überlegungen geradezu ›gebetsmühlenartig‹ referieren, um im weiteren den Begriff des Philosemitismus meist ohne jede weitere Differenzierung zu gebrauchen, gibt Schoeps hier eine differenzierte Klassifikation an die Hand, die er nur wenige Seiten später auf seinen Musterfall La Peyre`re anwendet. Schoeps beendet seine Analyse der Schriften La Peyre`res mit der für ihn einzig möglichen Erklärung: »La Peyre`re ist Marrane gewesen.«21 Auch er zählt ihn also zu denjenigen Juden, die im Spätmittelalter aufgrund des äußeren Druckes der Spanischen Inquisition zum Christentum übergetreten waren, denen aber zugleich unterstellt wurde, weiterhin an einem Kryptojudentum festzuhalten. Seiner eigenen Typologie zu Folge wäre La Peyre`re also eigentlich kein christlicher Philosemit mehr und ließe sich allenfalls zum letzten Typus (Religiöser Typus) rechnen, denn Schoeps interpretiert: »Die jüdische Religion als solche hat keine 18

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Man muß es schon infam nennen, daß Grau dazu in seiner Fußnote das »Jüdische Lexikon IV (Berlin 1930), 852« bemüht; vgl. Grau: Innere Auflösung (1942), S. 8–10 (Zitat 10). Schoeps war nicht der erste und einzige, der Klassifikationen vornahm, jedoch ist seine Einteilung am meisten rezipiert worden; vgl. Kinzig: Philosemitismus (1994), S. 227f. Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), S. 1. Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), S. 14.

147 Anfechtung für ihn bedeutet.«22 Doch er fährt fort, La Peyre`re stelle »eine Verbindung des ersten (christlich-messianisch) und des zweiten (biblisch-chiliastischen) Typus dar.«23 Stillschweigend verändert hier Schoeps die Klassifizierung »missionarisch« in das mehr phonetisch als semantisch verwandte »messianisch«. Dadurch verwischt er die von ihm einige Seiten zuvor eingeführte Binnendifferenzierung zwischen den beiden Untergruppen des Philosemitismus, nämlich zwischen einem christlich-missionarischen und einem biblisch-chiliastischen Typus. Vor allem aber bereitet Schoeps damit die argumentative Verschiebung vor, die Popkin, der auf Schoeps explizit Bezug nahm, später zu perfektionieren scheint, wenn er im Fall von La Peyre`re von einer marranischen Theologie spricht und dessen Bekehrungseifer der Juden zum Christentum weitestgehend ignoriert.24 1.3. Grundlegung einer marranischen Theologie Bereits Leo Strauss hatte 1930 in seiner Analyse von La Peyre`res Schriften den Spagat vollbracht, in La Peyre`re einerseits einen erweiterten Sozinianer auszumachen und ihn andererseits als Juden zu entlarven.25 Wie sollte das nun zusammengehen können, gleichzeitig Christ und Jude zu sein, zumal der Sozianismus eine Variante des Christentums darstellt, deren Kritik am mosaischen Gesetz eine Grundfeste des Judentums antastet?26 Den Schlüssel für diese Operation bot die besondere Verfolgungssituation der Marranen. Das Marranentum oder besser die Conversos entstanden im Umfeld der Unterdrückung der Juden in Spanien und Portugal des 14. Jahrhunderts. Sie erfuhren die Vertreibung am Ende des 15. Jahrhunderts und 22

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Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), S. 18. Es heißt dort weiter: »Seine singuläre Stellung in der Geschichte des christlichen Eintretens für Israel zu Beginn der neuen Zeit bestimmt der Umstand, daß er nicht nur Philosemit, sondern so gut wie sicher – selber Semit gewesen ist.« Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), S. 18; vgl. den Vorabdruck. In: ZRGG 1 (1948), S. 34, sowie Ders.: Barocke Juden (1965), S. 24. In allen drei Fällen verändert Schoeps stillschweigend »christlich-missionarisch« in »christlichmessianisch«. Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 21 u. 171; s. bereits Ders., The Marrano Theology of Isaac La Peyre`re. In: Studi Internazionali di Filosofia 5 (1973), S. 98. Vgl. Leo Strauss: Die Religionskritik Spinozas als Grundlage seiner Bibelkritik. Untersuchungen zu Spinozas Theologisch-politischem Traktat. Berlin 1930, S. 34: »Das theologische System La Peyre`res ist als Weiterführung des Socinianismus zu interpretieren«; wenig später, S. 60: »Wenn er nun Jahrzehnte hindurch in dem Gedanken an die Wieder-Aufrichtung des jüdischen Reichs lebt, so scheint uns diese Tatsache nur unter der Voraussetzung verständlich zu sein, daß La Peyre`re Marrane war.« Vgl. Strauss: Religionskritik Spinozas (1930), S. 34: »Der religions-kritische Sinn des Socianismus wird offenbar in seiner Kritik am Mosaischen Gesetz.«

148 versuchten im Verlauf des 17. Jahrhunderts, nicht zuletzt in den Niederlanden, sich wieder an ihre jüdischen Wurzeln zu erinnern.27 Es entstand daraus eine spezielle Form des Judentums, denn in den über hundert Jahren ihrer Zwangschristianisierung und Verfolgung war ein Amalgam aus Juden- und Christentum entstanden, so daß sich die Marranen von ihrem ursprünglichen Judentum in gewissem Maße entfernt hatten.28 Dieses Marranentum hatte sich der christlichen Theologie geöffnet und sich mit dieser in eine angeregte Diskussion begeben. Bestes Beispiel ist etwa besagter Rabbi Menasse ben Israel (1604–1657), der ursprünglich auf den portugiesischen Namen Manoel Dias Soeiro getauft war, sich jedoch später den jüdischen Namen zulegte. Er konnte als ehemaliger Converso etwa ein Buch über die Erbsünde verfassen, dessen Referenzen aufhorchen lassen, denn neben jüdischen sind hier in großer Zahl auch christliche Autoritäten vertreten.29 Carl Gebhardt hatte 1922 im Kontext von Uriel da Costa (1585–1640), der zusammen mit Menasse ben Israel und Baruch de Spinoza sozusagen das ›Dreigestirn‹ der holländischen Marranen im 17. Jahrhundert bildet, bei den Marranen von einer Spaltung des Bewußtseins gesprochen. Formelhaft charakterisierte Gebhardt sie als folgt: »Der Marrane ist ein Katholik ohne Glauben und Jude ohne Wissen, doch Jude im Willen.«30 Diese Formulierung mag schon Leo Strauss 27

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Vgl. aus der jüngeren Forschung Hiltrud Wallenborn: Bekehrungseifer, Judenangst und Handelsinteresse. Amsterdam, Hamburg und London als Ziele sefardischer Migration im 17. Jahrhundert. Hildesheim u. a. 2003 (Haskala 27). Wallenborn weist zu Recht darauf hin, daß man den Begriff des Marranen vermeiden sollte. Ich belasse ihn jedoch bei, weil er in der Debatte um La Peyre`re etabliert ist. Ebenso wäre es korrekter, nicht von Philosemitismus, sondern von Philojudaismus zu sprechen, wie es etwa die niederländische Forschung tut. Doch auch dieser Begriff ist nicht zuletzt über die Arbeiten von Schoeps in der deutschen Forschung eingeführt. Vgl. neben den Arbeiten von Popkin etwa Cecil Roth: A History of the Marranos. ´ tudes Juives 118 Philadephia 1932; Israel S. Re´vah: Les Marranes. In: Revue des E (1959–60), S. 29–77; Yosef Kaplan: The Portuguese Jews in Amsterdam. From Forced Conversion to a Return to Judaism. In Studia Rosenthaliana 15 (1981), S. 37–51; sowie The Marranos and Crypto-Judaism. In: Zagorin: Ways of Lying (1990), S. 38–62. Henry Me´choulan hat in seiner Einleitung zu den »jüdischen Denkern in Amsterdam« (Ueberweg. 17. Jh. Bd. 2/2, S. 879–881) zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß man im Sinne einer sachlichen Differenzierung auf den pejorativen Begriff Marrane besser verzichten solle; doch auch er beschreibt den enormen Einfluß der Verfolgungssituation auf das Denken dieser Juden. Vgl. Menasse ben Israel: De fragilitate humana ex lapsu Adami. Amsterdam 1642, bes. S. 11–16. Ähnlich verhält es sich in Ders.: The Hope of Israel. London 1650, S. 1–4, wo die Autoren »of other Nations« von den jüdischen unterschieden werden. Carl Gebhardt (Hg.): Die Schriften des Uriel da Costa. Amsterdam 1922 (Bibliotheca Spinozana 2), S. XIX. Bei allem Einfluß ist diese These nicht ohne Kritik geblieben, vgl. dazu Yirmijahu Yovel: Spinoza. Das Abenteuer der Immanenz. Göttingen 1996, S. 63–115.

149 durch den Kopf gegangen sein, als er La Peyre`re trotz seiner Kritik an der Thora zu einem Marranen erklärte. Popkin jedenfalls verweist explizit auf diese Charakterisierung, um sie auf den Franzosen anzuwenden.31 In seiner Monographie über La Peyre`re heißt es: »Whether he was or was not a Marrano, his theory, I believe, is best explained as a vision of the world for the Marranos. It is said in Spain that the Marranos were like Mohammed’s horse, who was neither horse, nor bird, nor other kind of animal. The Marranos were neither Jewish nor Christian.«32 Popkin kommt in seiner Monographie aus dem Jahr 1987, die nicht nur La Peyre`res Leben und Werk, sondern auch in einem wahren ›Parforceritt‹ die Rezeption abhandelt, resümierend im Schlußkapitel auf La Peyre`res Erbe im 20. Jahrhundert zu sprechen.33 Popkin unterscheidet in diesem Kapitel zwei Lager, eines für und eines gegen La Peyre`re. Als moderate Befürworter seien die Katholiken anzusehen und als Kronzeuge wird ausgerechnet Papst Pius XII. (1939–1956) und dessen Enzyklika Humani generis aus dem Jahr 1950 herangezogen.34 Pius XII., so weiß Popkin die New Catholic Encyclopedia zu befragen, habe den Polygenismus nicht als häretisch oder falsch verurteilt, sondern lediglich als eine hypothetische, wenngleich auch nicht katholische Meinung beurteilt.35 Wie Popkin einem weiteren Artikel derselben Enzyklopädie entnimmt, sei es im übrigen katholische Auffassung, daß weder die Bibel noch die Lehre der Kirche die Möglichkeit von Präadamiten leugnen würden.36 Andere Artikel theologischer Lexika führen Popkin zu der Erkenntnis, daß sich dies bei den Protestanten anders verhalte.37 Er führt zur 31

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Vgl. Popkin: Marrano Theology (1973), S. 98: »The peculiar feature of La Peyre`re’s outlook, I shall try to show, is that it is a Marrano theology. [...] Carl Gebhardt had defined a Marrano as a Catholic without faith and a Jew without knowledge, yet a Jew by will and desire.« Popkin: La Peyre`re (1987), S. 23. Vgl. Kapitel XI. La Peyre`re’s Legacy in the Twentieth Century. In: Popkin: La Peyre`re (1987), S.166–176:. Vgl. zum Polygenismus: § 37 der Enzyklika Humani generis = DH 3897. Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 169: »Pius XII. insisted that polygenicism was not an acceptable Catholic view. He called polygenicism a conjectural view rather than a false or heretical one, however.« Die NCE formuliert ein wenig verfänglich: O.W. Garrigan: Art. Poligenism. In: NCE. Bd. 11 (1969), S. 539: »Since 1950, therefore, polygenism has not been tolerated as a free opinion in the Church. The language that declared polygenism inadmissible was relatively restrained. Polygenism was called a ›conjectural opinion‹, not labeled false or heretical. Excluded from that statement was any comment on preadamites.« Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 169: »›Neither Scipture nor the teachings of the Church denies the possibility of preadamites‹«; so wörtlich O.W. Garrigan: Art. Preadamites. In: NCE. Bd. 11 (1969), S. 702. Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 169: »If Catholic theology shows traces in the current world of still being haunted by La Peyre`re’s theses in a modern form (after

150 Stützung dieser These Beispiele aus dem deutlich fundamentalistischen protestantischen Lager in den USA an, die sich vehement gegen jede Form des Polygenismus oder der Evolutionstheorie wenden.38 Auch flicht Popkin in diese Argumentation die Anekdote ein, er habe einmal über La Peyre`re vor orthodoxen Juden in Jerusalem einen Vortrag gehalten, der mit einer Art Eklat endete.39 Eine unheilvolle Allianz von Protestanten und Juden sieht Popkin durch eine Konferenz in Jerusalem bestätigt, die 1983 auf Einladung des israelischen Wissenschaftsministeriums und der israelischen Akademie der Wissenschaften jüdischorthodoxe Forscher und eben jene fundamentalistischen amerikanischen Gruppierungen aus dem protestantischen Lager zusammengeführt habe, um gemeinsam die biblische Erzählung gegen die Evolution zu verteidigen.40 Es drängt sich daher die Frage auf, ob es nicht nach Popkin ebenso spiegelbildlich eine Koalition mit den so erstaunlich fortschrittlich geschilderten Katholiken gebe oder geben könne. Popkin jedenfalls – so der Schlußsatz seiner Monographie – hoffe, daß die fruchtbaren Aspekte La Peyre`res weiterhin zu der Entwicklung des modernen Geistes beitragen mögen.41 Will man diesen Satz nicht nur als eine amerikanische Stilblüte des von seinem Thema affizierten Autors abtun, so läßt sich mutmaßen, daß Popkin hier La Peyre`re weiterhin eine Aktualität zumißt. Diese Bedeutung wird sich gleichwohl weder auf die fundamentalistischen Protestanten noch auf die orthodoxen Juden, jedoch auch nur bedingt auf die Katholiken beziehen lassen. Die konstatierte Aktualität gewinnt an Brisanz und erklärt sich zugleich durch eine Fußnote im selben Kapitel, in der sich Popkin als jüdischer Forscher zu erkennen gibt.42 Welche Re-

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all they do discuss pre-Adamism as a living issue), there is less overt sign of this among the Protestants.« Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 170. Explizit führt Popkin das Concordia Seminary der Missouri Synod Lutheran Church an und das Creation Research Center im kalifornischen El Cajon. Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 171: »At the end of the talk, a rabbi who had been sitting direktly in front of me, got up and said, ›I don’t know who this professor Popkin is, or who this La Peyre`re was. But if there was such a person, and if he really said that Adam was not the first man and that Moses did not write the Pentateuch, then this La Peyre`re should be forgotten and should never be mentioned again.‹« Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 170. Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 176: »One can hope that the racist transformation of his views will disappear before too long and the other fruitful aspects of his vision will go on aiding in the development of the modern mind.« Vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 170: »La Peyre`re was, as we have seen, most conserned about how he was considered by the Jews. On one level he is an object of interest among Jewish scholars.«; Anm. 16: »Including such scholars as Le´on Poliakov, R. H. Popkin, Ira Robinson, H. P. Salomon, Hans Joachim Schoeps, Leo Strauss, and Miriam Yardeni.«

151 levanz könnte also La Peyre`re für einen amerikanischen Juden außerhalb von Jerusalem bis zum heitigen Tag haben? Welche Verbindung mag man hier zwischen dem 17. und 20. Jahrhundert ziehen? Eher beiläufig kommt Popkin in einem der vorangehenden Kapitel seiner Monographie auf das Schicksal der Marranen zu sprechen und auf deren Bedürfnis nach theologischer Deutung ihrer Situation. »If people can write so much now about where God was when people were sent off to Auschwitz to be tormented and killed«, so folgert Popkin dort, »it seems only too easy to imagine people asking where was God when the Spanish Inquisition began.«43 In der Fußnote verweist Popkin hierbei auf ein kurzes Statement, das er 1967 auf einem Symposium über Jewish Values in the Post-Holocaust Future gehalten hat.44 Popkin spricht sich darin dafür aus, die Antwort für die Zukunft nicht in der direkten Zeit vor dem Holocaust zu suchen. Vielmehr müsse man daran erinnern, daß das Judentum bereits einen anderen Holocaust überlebt habe, nämlich die spanische Inquisition.45 Es bestehe jedoch ein großer Unterschied zwischen der Gegenwart und den frühneuzeitlichen Erfahrungen im Spanien des 15./16. und in den Niederlanden des 17. Jahrhundert.46 Diesen Unterschied gelte es in der Weise zu nutzen, daß man sich nicht wieder aus Furcht in eine statische Orthodoxie flüchte. Man solle sich deshalb nicht an dem ›spanischen Typus‹ orientieren, sondern vielmehr an dem weltzugewandten ›amerikanischen‹.47 Im Studium der Vergangenheit solle man die Hilfe für die Zukunft finden.48 Immerhin habe das 43 44

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Popkin: La Peyre`re (1987), S. 95. Vgl. Richard H. Popkin: Jewish Values in Post-Holocaust Future. In: Judaism 16 (1967), S. 273–276. Diese von Popkin hier vertretene Parallelisierung hat ihren Niederschlag etwa auch im literarischen Feld gefunden, so in dem 2001 veröffentlichten Roman von Robert Menasse: Die Vertreibung aus der Hölle, wo auf mehreren Erzählebenen das Schicksal von Menasse ben Israel in Beziehung gesetzt wird zu einem verfolgten Juden in Zeiten des Holocausts . Vgl. Popkin: Jewish Values (1967), S. 274: »I think in our situation the catastrophe has been so great that no one dared to see it in sixteenth-century terms. We try to see it in terms of European history. I think we have as yet been unable to come to grips with the Holocaust because we cannot understand how European civilization could have marched triumphantly trough Enlightenment to the Holocaust.« Vgl. Popkin: Jewish Values (1967), S. 275: »In stressing the importance of Spain and Holland as possible indications of what we are up against and what we may be going towards, one has, of course, to realize the monumental differences between our present situation and the previous ones.« Vgl. Popkin: Jewish Values (1967), S. 275f: »In Spain, after the forced conversions, the Jews partook in society unwillingly. [...] In Holland they refused to become part of the Dutch world, refused to become precusors of an American-type of experience, but insisted on carrying on a Spanish-type of American experience.« Vgl. Popkin: Jewish Values (1967), S. 276: »Perhaps it is possible that we can also find the other side, through restudying of our past and finding the teachers who can help us now. Our future will be formed in part from what meaningful roots we can find in our heritage.«

152 Judentum nicht immer aus einer Gruppe rigider Orthodoxer bestanden, die an einer weltfremden Tradition festgehalten habe.49 »Perhaps in the freedom that America and Israel allow in the free exploration and development of Judaism, we can again find creative and vital fusion in which Judaism will become, in a new form, the beacon light to the nations«, so Popkin 1967 am Vorabend des Sechstagekrieges. Dies gelte vor allem: »If one accepts, as I do, Judah Halevi’s view, that Jewish history is the ›inner core‹ of world history, what we are and what we are going to be may become crucial not just for our own future but for a universal future.«50 Wenn man auch sicher die Bedeutung eines solchen Statements nicht zu hoch bewerten möchte, so bleibt doch zu konstatieren, daß Popkin in La Peyre`re eben einen solchen »teacher« gefunden zu haben meint, »who can help us now«.51 Zumindest versteht Popkin seine Studien als späte Rehabilitierung einer Zentralfigur in »the making of the modern mind«, und er fügt die Hoffnung hinzu: »Maybe my evidence will convince people and he [sc. La Peyre`re] will again be given the prominent place he occupied in the intellectual worlds from the 17th to the 19th century.«52 Laut Popkin zeigt La Peyre`re, wie anmaßend und gefährlich der Antijudaismus ist. Wenn La Peyre`re betont, daß die Juden bereits gebüßt hätten, so kann dadurch die bedrohliche theologische Frage nach einer potentiellen Mitschuld der Juden am Holocaust abgewendet werden. Darüber hinaus scheint Popkin das simplifizierte Christenjudentum, wie er La Peyre`re interpretiert, mutatis mutandis als Prototyp für ein säkularisiertes Judentum im Sinne des American type aufzufassen. Besonders wichtig ist Popkin aber die Tatsache, daß nach La Peyre`re das Heil durch die Juden kommt. »This view«, so interpretiert Popkin La Peyre`re schon 1973, »is something like Judah Halevi’s conception of Jewish history as the inner core of world history, the heart through which the world beats.«53 Dabei übersieht Popkin, daß La Peyre´re hier deutlich in 49

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Vgl. Popkin: Jewish Values (1967), S. 274: »Judaism has not always been a rigid group of Orthodox people, maintaining a tradition, apart from the world.« Popkin: Jewish Values (1967), S. 276. Popkin spielt hier auf den religiösen Denker des spanischen Mittelalters Halevi (ca. 1075–1140) an, vgl. H.-G. v. Mutius: Art. Jehuda ha-Levi (Halevi). In: Lexikon des Mittelalters 5 (2002), Sp. 347: »Die Endzeiterwartung J[ehuda]s weist universalist[ische] Züge auf: am messian[ischen] Heil wird die ganze Menschheit teilhaben.« Popkin: Jewish Values (1967), S. 276. Roads beyond Judaism and Christianity. In: Popkin: Third Force (1992), S. 352. Popkin: Marrano Theology (1973), S. 105: »La Peyre`re`s most famous opus, PraeAdamitae, sets forth the first part of his theorie, by arguing that the Bible is only the history of the Jews. [...] The Divine Drama began with Adam, and is played on by the descents of Adam, the Jews. At the conclusion of the Drama, everyone will be saved, but it is only the Jews who are actors in the play. This view is something like

153 älteren panegyrischen Traditionen einer translatio electionis steht, die, wie oben in Kapitel III gesehen, Frankreich diese Qualität zuschreiben: »La France est la terre de promission de l’Eglise Catholique, et nos Roys en sont les Iosuez, c’est la centre de la Chrestiente´, le Palais de l’amour de Dieu, l’heritage de benediction du fils aisne´ de l’Eglise, le coeur vivant de la terre habitee.«54 Die These einer marranischen Theologie, wie sie in nuce seit Leo Strauss vorgetragen, bei Schoeps untermauert und von Popkin geradezu kanonisiert wurde, nahm ihren Ursprung nicht zuletzt in den Forschungskonzepten des 20. Jahrhunderts. Nach diesem kurzen Forschungsabriß wird man im Folgenden nochmals nach Berührungspunkten zwischen christlicher und jüdischer Messiaslehre im 17. Jahrhundert fragen müssen, genauer nach dem Verhältnis von Millenarismus und Messianismus, das sich auch in dem eingangs genannten Briefwechsel zwischen Henry Oldenburg und Menasse ben Israel niederschlägt, wo die Wiederkunft Christi mit dem Erscheinen des jüdischen Messias gleichgesetzt wird.55 Dieser Vergleich erscheint umso nötiger, weil La Peyre`res Prae-Adamitae ausgerechnet 1655 in Amsterdam erschienen und sich allein durch das Vorwort ›an alle Juden‹ in den Kontext des christlich-jüdischen Dialogs seiner Zeit stellen. Zudem nahm der Amsterdamer Rabbi Menasse ben Israel als einer der bekanntesten Protagonisten dieses Dialogs mehrfach expressis verbis Bezug auf La Peyre`res Idee eines bevorstehenden ›Rückrufs der Juden‹.56

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Jehudah Halevi’s conception of Jewish history as the inner core of world history, the heart through which the world beats.« Vgl. eine ähnliche Formulierung in Ders.: La Peyre`re (1987), S. 58f. Claude Villette: Annales de l’Eglise Catholicque, Apostolicque et Romaine marie´s avec l’Histoire de France en seize siecles. Paris 1616, S. 959. Vgl. Alexandre Y. Haran: L’ide´e de translatio electionis des juifs aux franc¸ais au XVIIe sie`cle. In: XVIIe sie`cle 194 (1997), S. 105. Oldenburg an Menasse ben Israel vom 25. Juli 1657. In: Correspondence of Oldenburg. Bd. 1. Nr. 55, S. 124: »Adventum dico, ut vos quidem putatis, primum; at ut nos persuasum habemus, secundum«. Zur Bedeutung von Menasse ben Israel vgl. Daniel Lindenberg: Figures d’Israe¨l. L’identite´ juive entre marranisme et sionisme (1648–1998). Paris 1997, S. 47–94, dessen Kapitel über Menasse ben Israel den bezeichnenden Untertitel »le rappel des Juifs« trägt, der sich hier auf die Zulassung der Juden in England bezieht. Das Buch von Sina Rauschenbach über Menasse ben Israel, das parallel zu diesem Buch erscheinen wird, lag mir noch nicht vor.

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2. Millenarismus und Messianismus Richard Simon sprach zu Beginn des 18. Jahrhunderts davon, es habe in Amsterdam um 1655 für kurze Zeit sogar eine eigene Sekte der Präadamiten gegeben.57 La Peyre`re selbst erwähnt, man habe ihm dort gleichsam das Manuskript aus den Händen gerissen, so sehr hätten sich die Verleger, von denen es ja in dieser Stadt bekanntlich viele gebe, darum gerissen. So zumindest wird La Peyre`re es Papst Alexander VII. Chigi zwei Jahre später in seiner Konversionsschrift erklären.58 Trotz aller erwartbaren Bescheidenheitstopik des Autors, die hier schon wieder durch das »incideram in turbam typographorum« ins Komische parodiert wird, paßt diese Anekdote in das Bild Amsterdams im Gouden Eeuw, das auch der Engländer Andrew Marvell (1621–1678) lakonisch zeichnet: Hence Amsterdam Turk-Christian-Pagan-Iew, Staple of Sects, and Mint of Schism grew. That Bank of Conscience, where not one so strange Opinion, but finds Credit and Exchange. In vain for Catholics our selves we beare, The Universal Church is onely There.59

Nicht nur einen Drucker, sondern auch eine Leserschaft konnte La Peyre`re also in diesem Amsterdam erwarten, wenn er 1655 den Prae-Adamitae eine Widmung ›an alle Juden‹ beifügt.60 Im selben Jahr erschienen in Amsterdam zudem zwei weitere Texte, die ebenfalls eine Naherwartung des Messias für die Juden proklamieren: zum einen das Bonum 57

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Vgl. Lettres choisies de Mr Simon. Bd. 2 (1704), S. 24: »Il s’e´leva en Hollande une espece de secte sous le nom de Preadamites. Mais outre que ces Sectaires e´toient en trop petit nombre pour former un corps, ils disparurent aussi-toˆt.« Vgl. Epistola ad Philotimum (1658), S. 26: »Et impetrata venia a` Serenissimo Principe Domino meo, Amstelodamum veneram. Incideramque in turbam Typographorum, qui plurimi sunt in illa urbe: quique me certatim omnes sollicitabant darem illis codicem Prae-Adamitarum incorum: quia noverant me illum attulisse.« Andrew Marvell: The Character of Holland. London 1665, S. 5. Vgl. Peter van Rooden: Sects, heterodoxies, and the diffusion of knowledge in the Republic of letters. In: Commercium litterarium. La Communication dans la Re´publique des Lettres. 1600–1750. Hgg. v. Hans Bots, Franc¸oise Waquet. Amsterdam, Maarsen 1994, S. 51–64; Hans Bots: De Elzeviers en hun relatie met Frankrijk. In: Boekverkopers van Europa. Het 17de-eeuwe Nederlandse uitgeverhuis Elsevier. Hgg. v. B.P.M. Dongelmans u. a. Zutphen 2000, S. 165–181. In der Regel befindet sich dieses Synagogis Iudaeorum universis quotquot sunt per totum Terrarum urbem sparsae hinter dem Systema theologicum (1655), also am Ende des Werkes. In der englischen Version steht es hingegen am Anfang des Doppelwerkes, nämlich als Teil der Exercitatio (1655). In beiden Fällen bezieht es sich auf das Systema theologicum (1655): »Quod expressim notavi in hac parte mei Systematis. Quodque expressim demonstrandum mihi erit in sequenti.« La Peyre`re spielt hier auf den Umstand an, daß er das Systema theologicum (1655), das laut Titelblatt nur der erste Teil eines größer angelegten Werkes sei, als noch nicht abgeschlossen ansah.

155 Nuncium Israeli des böhmischen christlichen Millenaristen Paul Felgenhauer (1593–1677), der dieses Buch dem jüdischen Messianisten Menasse ben Israel widmete; zum anderen die Piedra Gloriosa von Rabbi Menasse ben Israel selbst.61 Es ist diese Diskussion von Christen und Juden über das nahende Heil, die so typisch ist für die Mitte des 17. Jahrhunderts in Holland. Charakteristisch ist sie aber vor allem auch für die Auseinandersetzung bestimmter christlicher Gruppen mit den Juden in England.62 2.1. The Calling of the Iewes In England gibt es seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts wahrlich eine Vielzahl an christlichen Werken, die bereits in ihren Titeln auf die Thematik eines Calling of the Iewes – also dem englischen Pendant eines Rappel des Juifs – anspielen.63 Durch ihren Rekurs auf den Römerbrief stehen alle diese Werke in einer expliziten Endzeiterwartung, die einhergeht mit der Wiederkunft des Messias und der Annahme des christlichen Glaubens durch die Juden: ›Verstockung liegt auf einem Teil von Israel, bis die Heiden in voller Zahl das Heil erlangen; dann wird ganz Israel gerettet werden, wie es in der Schrift heißt: Der Retter wird aus Zion kommen, er wird alle Gottlosigkeit von Jacob entfernen.‹ (Röm 11,25f). Umstrittener war hingegen die konkrete Umsetzung: So verkündigte etwa der Royalist Arise Evans (um 1607–1665) selbst in Zeiten des englischen Interregnums, daß der Erlöser aus dem Haus Stuart kommen werde, um die »Elect Jewes« aus der »power of darknesse« zu befreien.64 Thomas Tany (1608–1659) hingegen, der sich nach einem Erweckungs61

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Paul Felgenhauer: Bonum Nuncium Israeli Quod offertur Populo Israeli & Iudae in hisce temporibus novissimis de Messiah. Amsterodami 1655. Menasse ben Israel: Piedra Gloriosa o de la estatua de Nebuchadnesar. Amsterdam 5415 [sc. 1655]; dieses Werk sollte ursprünglich mit Radierungen von Rembrandt versehen sein. Vgl. Johannes van den Berg, E.G.E. van der Wall (Hgg.): Jewish-Christian Relations in the Seventeenth Century. Dordrecht u. a. 1988 (Archives internationales d’histoire des ide´es 119); entsprechend etwa auch Richard H. Popkin (Hg.): Millenarianism and Messianism in English Literature and Thought. 1650–1800. Leiden u. a. 1988; Ders., Gordon M. Weiner (Hgg.): Jewish Christians and Christian Jews. From the Renaissance to the Enlightenment. Dordrecht u. a. 1994 (Archives internationales d’histoire des ide´es 138); Wallenborn: Bekehrungseifer (2003), bes. S. 120–233. Etwa Thomas Drake: The Worlds Resurrection, Or The generall calling of the Iewes. London 1608; gefolgt von [Henry Finch:] The Worlds Great Restauration. Or The Calling of The Iewes, and (with them) of all the Nations and Kingdomes of the earth, to the faith of Christ. o.O. 1621. Vgl. Arise Evans: A Voice from Heaven, to the Common-wealth of England. o.O. 1652, S. 11, wo er mit Bezug auf Röm 11,25f in der Marge erklärt: »our deliverer, or Redeemer, Charles the Son of Charles Stuart by name, comes to the Elect Jewes,

156 erlebnis im November 1649 zum Propheten und Hohepriester berufen fühlte und sich fortan nur noch »TheaurauJohn Taniahhh« nannte, hatte durchaus selbst den Anspruch, dieser weltlich-soteriologische Herrscher zu sein, wie er es im Juni 1654 eindrücklich einzufordern wußte.65 Tany bekannte in seinem News for Hierusalem (1653) von sich: »I am a Jew of the Tribe of Reuben«; sein Auftreten grenzt also fast schon an Sabbatai Zwi (1626–1676), der ab 1648 und erst recht im Jahr 1665 in ganz Europa als Messiasprätendent von sich Reden machte.66 Diese Texte stehen in einer Tradition der christlichen Auseinandersetzung um das Erbe des Alten Bundes, die nicht nur umfangreich war, sondern auch ein durchaus breites Spektrum abdecken konnte. Was dabei die christliche und die jüdische Messiashoffnung zusammenhielt, war die in diesen eschatologischen Programmen vorherrschende Vorstellung, daß mit dem Ruf der Juden auch ihre Restitution im Hl. Land einhergeht. Daraus ergaben sich Überschneidungen und boten sich Anknüpfungspunkte zum jüdischen Warten auf den Messias, zumal auf christlicher Seite vor allem alttestamentlich argumentiert wurde.67 Neben der Vielzahl von christlichen Texten, die sich zum Teil – zumindest in ihrer Rhetorik – an die Juden wenden, gibt es auch jüdische Schriften, die sich in diesen Diskurs einfügen, und da besonders diejenigen von Menasse ben Israel: angefangen mit dessen The Hope of Israel (1650), über die genannte Piedra Gloriosa (1655) bis hin zur Vindiciae Iudaeorum (1656). Sie entstehen alle im Umfeld einer Diskussion, die 1655 in der sogenannten Whitehall-Konferenz gipfelte, wo unter dem Lord-Protector Cromwell über die offizielle Wiederzulassung der Juden in England debattiert wurde, nachdem diese seit Ende des 13. Jahrhun-

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to deliver them from the power of darknesse; and to bring thme to Jesus Christ and eternall life.« Vgl. ThauRam Tanjah his Speech in his Claim, verbatim. [London] 1654: »I do demand the Crown of FRANCE, as lineally descended from Charles of Castile, who was son-of-law unto Charles the Great. Next, I demand the Crown of REME and ROME, from my ancient Parent Pope Nicolas of the House of AUSTRIA, who married the Flamina of Flandriah; in whose RIGHT lies included the TITLE unto NAPLES, SISSILIAH, and JERUSALEM, THE INHERITANCE OF ALL MY BRETHREN the Jews.« High News for Hierusalem. [London 1653], S. 1: »I Proclaim from the Lord of Hosts, the return of the Jewes from their Captivity, and the building of the Temple in glory in their Land.« Vgl. Ariel Hessayon: »Gold Tried in the Fire«. The Prophet TheaurauJohn Tany and the English Revolution. Aldershot 2007, bes. S. 131–161. Vgl. Klaus S. Davidowicz, Art. Sabbatai Zwi (1626–1676)/Sabbatianer. In: TRE. Bd. 29 (1998), S. 533–539; Ders.: Art. Sabbatai Zewi. In: LThK3. Bd. 8 (1999), Sp. 1405f. Vgl. dazu die Bibelstellenkonkordanzen in Buch V von Thomas Fuller: A PisgahSight of Palestine and the Confines thereof. London 1651, S. 196; [Samuel Lee:] Israel Redux: Or the Restauration of Israel. London 1677, S. 90f.

157 derts auch in diesem Territorium nicht geduldet waren.68 Auch schon im Vorfeld dieser Konferenz wurden daher die Vorteile eines derart heilsgeschichtlich bedeutsamen Szenario für England betont. 1642 benennt etwa der anomyme Traktat Englands Thankfulnesse die Aufgabe »to make Christianity lesse offensive, and more knowne for the Jewes«.69 Ähnlich hebt 1648 Edward Nicholas in seiner Apology for the honorable Nation of the Jews die Bedeutung der Kinder Israels für das Wohl Englands hervor.70 Allerdings gab es auch von anderer Seite recht harsche Kritik an diesem Vorhaben. So antwortete etwa Sir Edward Spencer, Mitglied des englischen Parliament, in einer kurzen Druckschrift Menasse ben Israel. In einem Brief an dessen englischen Übersetzer Moses Wall ließ Spencer zudem über The Hope of Israel wissen: »Ben Israels Booke gives very small hope of his conversion«.71 Es war also nicht nur der Interpretationsrahmen der vorwiegend englischsprachigen Forschung, der dafür sorgte, La Peyre`re in diesem englisch-holländischen Kontext zu verorten. Allein der Umstand, daß die Prae-Adamitae in Amsterdam gedruckt wurden und kurz darauf auch – anders als sein Rappel des Juifs – ins Englische übertragen wurden, legt diesen Vergleich mehr als nah.72 Hinzukommt, daß bereits die frühe Rezeption diese Fährte gelegt hat, wenn Richard Simon behauptet, La Peyre`re habe in seinem Beisein die Autorschaft geleugnet und eingestanden, die Prae-Adamitae vielmehr gedanklich einem in England verstorbenen Bruder zu verdanken.73 68

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Die jüngere Forschung hat durchaus gezeigt, daß es trotz dieses Ausschlusses inoffizielles jüdisches Leben gegeben hat; vgl. David S. Katz: The Jews in the History of England. 1485–1850. Oxford 1994, S. 107–144; ausführlicher Ders.: PhiloSemitism and the Readmission of the Jews to England, 1603–1655. Oxford 1982. Insgesamt sei verwiesen auf Jonathan I. Israel: European Jewry in the Age of Mercantilism, 1550–1750. Oxford 1985. Englands Thankfulnesse, Or An humble Remembrance Presented to the Committee for Religion in the High Court of Parliament. London 1642, S. 9, wo neben der Frage nach dem Umgang mit den Katholiken auch die Vorbereitungen für die Konversion der Juden erörtert werden. Edward Nicholas: An Apology for the honorable Nation of the Jews, And all Sons of Israel. London 1648. Vgl. [Edward Spencer:] A Breife Epistle to the Learned Manasseh Ben Israel, In Answer to his, Dedicated to the Parliament. London 1650. Brief zitiert nach Hessayon: Gold Tried in the Fire (2007), S. 149. Neben Spencer wäre vor allem William Prynne zu nennen, der mit seinem Short Demurrer to the Jewes (1656) antwortete. Es handelt sich sogar um zwei verschiedene Ausgaben aus dem Folgejahr 1656. Interessanterweise wird in beiden die Dedikation ›An alle Juden‹ hier an den Anfang gestellt. Ebenfalls auffällig ist die unterschiedliche Hervorhebung im Druck. Ist in der lateinischen Fassung der Prae-Adamitae (1655) jeweils Jesus Christus betont, ist es in der englischen Fassung das Wort Adam. Simon gibt diese vage wie kryptische Auskunft in dem bereits zitierten vierten Brief in den Lettres choisies de Mr Simon. Bd. 2 (1704), S. 24: »Je me souviens qu’un de mes amis lui reprocha en ma presence qu’il n’e´toit point le ve´ritable pere de cet

158 2.2. La Peyre`res Amillenarismus Es sei nochmals auf den bereits erwähnten Brief von Henry Oldenburg an den Amsterdamer Rabbi verwiesen, in dem die Parusie Christi mit dem Erscheinen des jüdischen Messias gleichgesetzt wird. Oldenburg – Schwiegersohn des Schottischen Reformierten John Dury (1596–1680), der in einem Atemzug mit Samuel Hartlib (um 1600–1662) und anderen Millenaristen der Zeit genannt wird – berichtet Menasse ben Israel in diesem Brief von einem Werk, in dem auf der Grundlage der biblischen Prophezeiungen aus dem Danielbuch den Juden die Restitution im gelobten Land unter ihrem Messias angekündigt wird.74 Auch andere Millenaristen, die fest an das baldige Beginnen dieses fünften, tausend Jahre währenden Reiches unter dem Messias glaubten, kennen diese Gleichsetzung.75 Etwa Robert Maton (1607–1653?) gehört zu diesen Fifth Monarchy Men.76 Sein 1642 veröffentlichter Traktat Israel’s Redemption blieb allerdings nicht ohne Kritik. Vielmehr forderte er die bittere Erwiderung von Alexander Petrie (1594?–1662), Prediger der schottischen Exilgemeinde in Rotterdam, heraus, was den aufgebrachten Maton dazu veranlaßte, dieser Erwiderung eine scharfe Kommentierung seinerseits folgen zu lassen. 1655 erschienen nochmals alle Stadien dieser Polemik unter dem sprechenden Titel A Treatise of the Fifth Monarchy. or, Christ’s Personall Reigne on Earth, One Thousand Years with his Saints.77

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Ouvrage. Il pre´tendoit qu’il l’avoit compose´ sur les memoires d’un de ses freres qui e´toit mort en Angleterre.« Vgl. dazu William Poole: Seventeenth-Century Preadamism, and an Anonymous English Preadamist. In: The Seventeenth Century 19 (2004), S. 1–35. Es handelt sich dabei wohl um ein nicht weiter identifiziertes Werk von Ludovicus Lambermontius. Oldenburg beschreibt seinen Inhalt wie folgt, vgl. Correspondence of Oldenburg. Bd. 1. Nr. 55, S. 124: »sub quo [sc. Kommen des Messias] magnifica illa et amplissima de gloriosa Judicorum in terram suam restitutione vaticinia pondus et complementum habitura ostendit; tempusque insuper, circa quod hoc ipsum sit eventurum ex prophesia Danielis enucleat.« Vgl. weiterhin Paul Christianson: Reformers and Babylon: English Apocalyptic Visions from the Reformation to the Eve of the Civil War. Toronto u. a. 1978. Vgl. zu dieser in England einflußreichen Gruppierung B.C. Capp: The Fifth Monarchy Men. A Study in Seventeenth-century English Millenarianis. London 1972, S. 14: »The Fifth Monarchists were a political and religious sect expecting the imminent Kingdom of Christ on earth, a theocratic regime in which the saints would establish a godly discipline over the unregenerate masses and prepare for the Second coming.« Robert Maton: Israel’s Redemption, Or the Propheticall History of our Saviours Kingdom on Earth, That is , Of the Church Catholicke, and Triumphant. London 1642; Alexander Petrie: Chiliasto-mastix, Or, the Prophesies in the Old and Nevv Testament concerning the kingdome of our saviour Iesus Christ, Vindicated from misinterpretationes of the Millenaries, and especially of Mr. Maton in his Book called Israels redemption. Rotterdam 1644; Robert Maton: Israel’s Redemption Redeemed, Or, The Jewes generall and miraculous conversion to the faith of the Gospel, and returne into their owne Land: And our Saviours personall Reigne on

159 Die signifikante Häufung von millenaristischen Texten im Veröffentlichungsjahr der Prae-Adamitae (1655) erklärt sich allein dadurch, daß dieses Jahr in den Berechnungen mancher Millenaristen für das ersehnte Weltende eine besondere Rolle spielt. So prätendierte etwa die von Hartlib und Dury veröffentlichte Clavis apocalyptica (1651), zeigen zu können that the Prophetical Numbers com to an end with the Year of our Lord 1655.78 Einige errechneten mit einem Verweis auf die Sintflut, die allgemein anno mundi 165679 angenommen wurde, entsprechend das Jahr 1656 für die Wiederkunft Christi; andere wiederum mit anderen Argumentationen das Jahr 1666.80 La Peyre`res Hoffnung auf eine baldige Restitution der Juden, wie er sie 1655 in seiner Dedikation ›an alle Juden‹ zum Ausdruck bringt, könnte also in diesem Kontext gesehen werden.81 Es ist jene tausendjährige Zwischenzeit unter dem Messias, die namensgebend für alle millen[ni]aristischen bzw. chiliastischen Programme ist. Diese tausend Jahre stehen nicht nur im Verhältnis zur Parusie Christi, sondern haben auch eine starke apokalyptische Note, weil sie im Zusammenhang mit dem Jüngsten Gericht stehen. Dabei divergieren die Vorstellungen über den genauen Ablauf der heilsrelevanten Ereignisse durchaus sehr weit voneinander. Grob unterscheidet man in der Forschung zwischen dem ›Prämillenarismus‹, also die Vorstellung eines realen Reiches Christi mit seinen Heiligen auf Erden und somit die Idee der Parusie Christi vor den tausend Jahren, und dem ›Postmillenarismus‹,

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Earth, cleerly proved. London 1646; Robert Maton: A Treatise of the Fifth Monarchy. or, Christ’s Personall Reigne on Earth, One Thousand Years with his Saints. London 1655. Vgl. die wohl von Abraham v. Frankenburg geschriebene und auf Vermittlung von Comenius nach England gelangte, dort von Samuel Hartlib übersetzte und zusammen mit John Dury herausgegebene Clavis Apocalyptica: Or, the Revelation Revealed: in which the great Mysteries in the Revelation of St. John, and the Prophet Daniel are opened; It beeing made apparent that the Prophetical Numbers com to an end with the Year of our Lord 1655. London 1651. Der Titel allein verweist auf das gleichnamige Werk von Joseph Mede, vgl. Capp: Fifth Monarchy Men (1972), S. 29–37; Jeffrey K. Jue: Heaven upon Earth. Joseph Mede (1586–1638) and the Legacy of Millenarianism. Dordrecht 2006 (Archives internationales d’histoire des ide´es 194). Dies gilt allerdings nur für den hebräischen Text, nach der griechischen LXX sind es hingegen 2242 Jahre zwischen Adam und der Sintflut, vgl. z. B. Louis Cappel: Chronologia sacra. Abgedruckt in der Londoner Polyglottbibel: Brian Walton: Biblia Sacra Polyglotta. Bd. 6. Graz 1965 [ND London 1657], S. 1. Vgl. allgemein Christopher Hill: Till the Conversion of the Jews. In: Popkin (Hg.): Millenarianism and Messianism (1988), S. 12–36, der zahlreiche Beispiele für derartige Berechnungen nennt. Synagogis Iudaeorum universis (1655), S. 1f: »Multo majora sunt quae de vobis dicam in sequenti; ubi agam de Restauratione vestra. Quam futuram esse certo scio. Et, si quid Deus agit secretis cogitationibus apud nos, quam brevi futuram spero & confido.«

160 wo die Wiederkunft erst nach dieser Zeit erwartet wird.82 In beiden Fällen setzt die tausendjährige Zwischenzeit dem Reich des Antichristen, der nun herrsche und welcher in der Regel mit dem Papst oder etwa dem osmanischen Herrscher gleichgesetzt wird, ein Ende.83 Die biblische Grundlage für eine derartige Spekulation, auf der meist eindrucksvoll die herrschende politische Situation in Europa diskutiert wird, speist sich biblisch zum einen aus der Weltreichlehre aus dem Danielbuch (Dan 2 und 7) und zum anderen aus der Offenbarung des Johannes (Offb 20).84 Miriam Yardeni hat allerdings zu Recht darauf aufmerksam gemacht, daß die Hauptquelle der Schriftbeweise in den beiden Hauptwerken La Peyre`res, im Rappel des Juifs (1643) wie auch später in den Prae-Adamitae (1655), die Paulusbriefe sind und vor allem der an die Römer.85 Fausto Parente spitzt es sogar noch weiter zu, wenn er formuliert: »Il est [...] vray que les deux ouvrages ne sont qu’un commentaire au chapitre XI de l’E´pıˆtre aux Romains de Paul.«86 Besonders im Rappel des Juifs (1643) gibt es trotz der reichen Sättigung an biblischen Zitaten keine einzige Bezugnahme auf das Danielbuch und die Offenbarung des Johannes. La Peyre`re kennt in seinen Schriften entsprechend auch keinen Antichristen, der überwunden werden muß; es gibt auch 82

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Es sei auf die Artikel verwiesen, die in der deutschen Forschung häufiger unter ›Chiliasmus‹ zu finden sind: Richard Bauckham. In: TRE. Bd. 7 (1981), S. 737–745; Volker Leppin. In: RGG4. Bd. 2 (1999), Sp. 139–140. Bereits Christianson: Reformers and Babylon (1978), S. 7, beklagte »the confusion of concepts«. Vgl. z. B. die Clavis Apocalyptica (1651), in der seitenlang gezeigt wird, daß die Prophezeiungen aus dem Danielbuch und der Offenbarung des Johannes dasselbe aussagen, nämlich daß nach 3,5 Zeiten (»a time, times, and half a time, which are determined for the fourth Beast, Dan. 7. vers. 15«, ebd, S. 4) es zur »great Revolution both in Church and State, within and without Europe« (ebd, To the Reader, o.S.) kommen werde. Vgl. Clavis Apocalyptica (1651), S. 90f: »[Offb 11] Vers 15. And the Seventh Angel sounded. [...] The great joie, which ariseth in the Evangelical Church. 1. Becaus they have gotten an Evangelical head. Vers 11.2. Becaus the Citie of Rome is destroied, and Germanie is fallen away from the Papal State.vers 13.3. Becaus the Turkish Empire is com to an end. Vers 14.4. Becaus the Son of God hath taken possession of the Kingdoms of the world and useth his geat power, and reigneith. v. 15,16,17. This joie is also descriped in the 19. chapter vers 17.« Myriam Yardeni: La religion de La Peyre`re et »Le Rappel des Juifs«. In: Revue d’Histoire et de Philosophie Religieuses 51 (1971), S. 249: »La demonstration de La Peyre`re est faite a` partir des donne´es qu’il trouve dans le Nouveau Testament et non pas dans l’Ancien. Sa grande source d’inspiration est Saint Paul et sourtout l’Epıˆtre aux Romains.« Fausto Parente: »Du tort qu’ont les Chrestiens de perse´cuter les Juifs«. Quelques observations a` propos du »philosemitisme« d’Isaac de la Peyre`re. In: Les textes jude´ophobes et jude´ophiles dans l’Europe chre´tienne a` l’e´poque moderne. Hg. v. Daniel Tollet. Paris 2000, S. 55; Ders.: Isaac de La Peyre`re interpre`te de Paul: pourquoi Le rappel des Juifs a-t-il e´te´ presque entie`rement de´truit au moment de sa ´ tudes juives 167 (2008), S. 169–186. publication? In: Revue des E

161 keine Angabe über die Dauer des messianischen Reiches. Der einzige Berührungspunkt mit den Millenaristen liegt in dem Wunsch der Konversion der Juden und deren Restitution in Jerusalem. Wenn etwa Hartlib in seiner Dedikation zur Clavis apocalyptica (1651) von: »the hope which wee have to partake of the Salvation of Israe¨l, which shall com out of Sion by a Gospel-Reformation of this Age and Common wealth« spricht, ist das vergleichbar mit La Peyre`res Hoffnung auf eine Teilhabe am Heil der Juden, wie es der Römerbrief formuliert: ›Wenn aber schon durch ihr Versagen die Welt und durch ihr Verschulden die Heiden reich werden, dann wird das erst recht geschehen, wenn ganz Israel zum Glauben kommt‹ (Röm 11,12). Dieser letzte Punkt wird im Fall von Du Rappel des Juifs (1643) auf den Triumph der französischen Monarchie konkretisiert, da der Messias nur noch in spiritu erwartet wird.87 Im besten Fall könnte man bei La Peyre`re von einem ›sanften Chiliasmus‹ (Chiliasmus subtilis) oder aber besser von einem ›Amillenarismus‹ sprechen, also jener Unterform apokalyptischeschatologischer Szenarien, die darauf verzichtet, die tausend Jahre litteral zu lesen und als konkrete Zeitangabe zu verstehen.88 Sehr zu Recht hat Yardeni auf die große inhaltliche Kohärenz zwischen Du Rappel des Juifs (1643) und Prae-Adamitae (1655) hingewiesen. Man wird sich allerdings nur bedingt ihrer Analyse der intendierten Leserschaft beider Werke anschließen können.89 Yardeni verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß Du Rappel des Juifs allein schon deshalb weniger für Juden geschrieben sei, weil dieses Werk auf französisch 87 88

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Hartlib an Oliver St. John. In: Clavis Apocalyptica (1651), o.S. So die Unterscheidung von Paul Althaus, Art. Eschatologie. In: RGG3. Bd. 2 (1958), Sp. 687: »Die Erwartung der Vor-Vollendung, eines endgeschichtlichen Reiches Christi zwischen der jetzigen Geschichte und dem ewigen Reich, hat verschiedene Gestalten. Der strenge Chiliasmus erwartet auf Grund der isolierten aus der jüdischen Apokalyptik stammenden Stelle Apk 20 die Abfolge: Herrliche Wiederkunft Christi in dieser Geschichte hinein, Auferstehung bzw. Verwandlung der Gemeinde, Herrschaft Christi mit den Seinen auf Erden, letzter Ansturm des Bösen, allgemeine Auferweckung und Weltgericht; der milde Chiliasmus spricht von ›geistiger Wiederkunft Christi‹, großer Missions-, Segens- und Blütezeit der Kirche, christlicher Durchdringung aller Ordnung und Kultur.« Zum Begriff des Amillenarismus vgl. Bryan Ball: A Great Expectation. Eschatological Thought in English Protestantism to 1660. Leiden 1975 (Studies in the History of Christian Thought 12), S. 160f. Zur Kritik daran Christianson: Reformers and Babylon (1978), S. 7. Yardeni: La religion de La Peyre`re (1971), S. 252: »On pourrait meˆme dire, que la diffe´rence essentielle entre le Rappel des Juifs et les Prae-Adamitae consiste dans le fait que le premier e´tait de´stine´ aux Franc¸ais, et uniquement a` eux, tandis que le second l’e´tait aux Juifs. Ce qui expliquerait aussi pourquoi le premier fut e´crit en franc¸ais, et le second en latin. Ce sont les meˆmes faits, les meˆmes interpre´tations, les meˆmes the`ses que La Peyre`re expose dans les deux, sous une pre´sentation diffe´rente.«

162 erschien. Es ist also davon auszugehen, daß La Peyre`re dieses Werk 1643 für Franzosen konzipierte und erst in zweiter Linie für die Respublica Litteraria et Christiana, die erst gegen Ende des Jahrhunderts das Französische zur allgemeinen europäischen Gelehrtensprache erhebt. Wenn Yardeni allerdings vermutet, daß die Prae-Adamitae für die Juden verfaßt seien, mag das zwar die Dedikation ›an alle Juden‹ nahelegen. Es bleibt jedoch dann weiterhin erklärungsbedürftig, warum dieses Werk auf Lateinisch und eben nicht auf Spanisch, Portugiesisch oder Hebräisch abgefaßt wurde.90 2.3. Menasse ben Israel, Paul Felgenhauer und La Peyre`re Menasse ben Israel richtete sich mit seinen englischen Schriften jedenfalls eindeutig an Christen. Im Umfeld der Whitehall-Konferenz (1655) konnte er seine Argumentation ausgehend von der Annahme aufbauen, daß zumindest ein Teil der Bevölkerung Amerikas Juden, eben von den verloren geglaubten zehn Stämmen Israel seien. Er nahm damit direkt Bezug auf die englische Diskussion eines Thomas Thorowgood um den Verbleib der Ten Lost Tribes, die wir bereits in Kapitel II kurz angesprochen haben. Vor diesem Hintergrund konnte Menasse ben Israel mit Hinweis auf die Weissagung aus dem Danielbuch (Dan 12,7) argumentieren, daß die Juden nur noch in das letzte, ihnen verschlossen Land, nämlich die britische Insel, zugelassen werden müßten, damit endlich der Messias kommen werde.91 Zwar scheiterte letztlich die Whitehall-Konferenz, doch Menasse ben Israel wiederholte im Folgejahr seine Überzeugung eines bevorstehenden Kommen des Messias. Am Ende des zweiten Teils seiner Vindiciae 90

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Diese Differenz in der intendierten Leserschaft hat die Forschung vor allem bei den Werken von Menasse ben Israel bemerkt, der durchaus andere Akzente setzt, ob er nun für die marranischen bzw. jüdischen Leser in deren vertrauten Sprachen der iberischen Halbinsel und Hebräisch oder für ein christliches Publikum auf Niederländisch oder Latein schreibt; vgl. Me´choulan in seinem Vorwort zu dessen Neuausgabe des Hope of Israel (1987), S. 63. Vgl. Menasse ben Israel: To His Highness the Lord Protector. The humble Addresses in behalfe of the Jewish Nation [1655], o.S.: »The second Motive is, because the opinion of many Christians and mine doe concurre herein, that we both believe that the restoring time of our Nation into their Native Countrey, is very near at hand [...] Now we know, how our Nation at the present is spread all about, and hath its seat and dwelling in the most flourishing parts of all Kingdoms, and Countreys of the World, as well in America, as in the other three parts thereof; except onely in this considerable and mighty Island. And therefore this remains onely in my judgement, before the MESSIA come and restore our Nation, that first we must have out seat here likewise.« Vgl. zur englischen Reaktion etwa die Henry Jessey zugeschriebene A Narrative of the Late Proceeds at White-Hall concerning the Jews. London 1656.

163 Judaeorum (1656) spielt Menasse ben Israel dabei eindeutig auf La Peyre`re an, wenn er schreibt: as a most learned Christian of our time hath written, in a French book, which he calleth the Rappel of the Iewes (in which he makes the King of France to be their leader, when they shall return to their country,) the Iewes, saith he, shall be saved, for yet we expect a second coming of the same Messias; and the Iewes believe that that coming is the first, and not the second, and by that faith they shall be saved; for the difference consists onely in the circumstance of the time.92

Der Royalist Arise Evans, einer der schillerndsten Figuren Englands zu dieser Zeit,93 berichtet in seinem Light for the Jews (1656?) von einem Gespräch mit Menasse ben Israel, in dem dieser 1650 eine ähnliche Ansicht geäußert haben muß. Menasse ben Israel versuchte der Sache anscheinend dadurch Nachdruck zu verleihen, daß er betonte, wenn sich nicht England dieser wichtigen Aufgabe annähme, werde es eben der französische König tun. Spitzfindig bemerkt Evans dazu, daß Menasse ben Israel recht habe, jedoch der wahre französische König bekanntlich seit Edward III. (1312–1377) in England zu finden sei.94 Nicht nur die millenaristische Clavis apocalyptica (1651) sah es als gegeben an, daß the Prophetical Numbers com to an end with the Year of our Lord 1655, auch Paul Felgenhauer kennt eine solche Naherwartung in seinem Bonum Nuncium Israeli (1655). Felgenhauer, dessen Werk Schoeps als »das wohl für die Geschichte des Philosemitismus im 17. Jahrhundert bedeutsamste Dokument«95 ausmacht, entwirft darin ein Dreiepochenschema messianischer Zeiten. Bis zur Geburt Christi sei der Messias nur in spiritu anwesend gewesen, dann bis zu dessen Kreu92

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Menasse ben Israel: Vindiciae Judaeorum. London 1656, S. 18. Es gibt eine dt. Übersetzung von Moses Mendelssohn: Menasseh ben Israel Rettung der Juden nebst einer Vorrede. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. 8. Stuttgart u. a. 1983, S. 1–72, die zitierte Stelle S. 46. Vgl. die sehr unterschiedliche Bewertung bei Christopher Hill: Change and Continuity in 17th Century England. London, New York 1971, S. 58, der Evans für verrückt erklärt; und hingegen bei Popkin: La Peyre`re (1987), S. 101, dessen Beurteilung wohl zu Recht bei weitem moderater ausfällt. Vgl. Light For the Jews. London 1664, S. 5: »Then said I to the Interpreter, Menasseh Ben-Israel will not believe me; yet tell him from me, that the Glory of the Protector and King of Swedland will soon vanish away; and concerning the King of France, he is mistaken; the French King is not the King of France, it being conquered near three hundred years ago by King Edward 3d.« Evans spielt hier auf die englische Thronprätention an, die seit dem Tod des letzten Kapetinger auf Frankreichs Thron bestand. Schon aufgrund seiner unverhohlen monarchistischen Argumentation ist dieser Text, der laut Titelblatt aus dem Jahr 1656 stammen soll, wohl doch erst nach der Restitution der Stuarts 1664 gedruckt worden, wie ein zweites Titelblatt preisgibt. Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), S. 21. Cecil Roth: A Life of Menasseh ben Israel. Rabbi, Printer and Diplomat. Philadelphia 1945, S. 156, urteilt allerdings: »one of the maddest rhapsodies ever written«.

164 zigung in carne und nun werde er wiederkommen. Felgenhauer läßt dabei offen, wie man sich diese Wiederkunft vorstellen muß, ob nun fleischlich oder rein geistlich. Parallel zu diesen drei Epochen gebe es drei Elija; schon Johannes der Täufer sei ein Elija redivivus gewesen und nun werde der dritte Elija erscheinen, der das Evangelium aeternum verkünden werde.96 Felgenhauer schwebt ein drittes Zeitalter des Geistes vor Augen, das allein in seiner Wortwahl eines Evangelium aeternum (Offb 14,6) seine implizite Abhängigkeit zu den mittelalterlichen DreiReiche-Lehren zu erkennen gibt, die auf Joachim von Fiore (um 1130–1202) zurückgehen.97 Auch Felgenhauer ist von dem Gedanken überzeugt, daß dies die Wiedererwählung der Juden bedeute und ein Zusammenfallen der beiden Religionen. Felgenhauer widmet sein Bonum Nuncium Israeli (1655) nicht nur dem Amsterdamer Rabbi, sondern zitiert zur Stützung seiner Naherwartung zudem am Ende einen Brief von Menasse ben Israel vom Februar 1655. Darin sind dessen christliche Zeugen für das baldige Kommen des Messias aufführt, darunter Abraham von Frankenburg und »ex Galliaˆ Autorem Libelli Gallico idiomate editi, Du rappel des Iuifs«. Überdies gebe es zahlreiche Beispiele »ex Angliaˆ«.98 Felgenhauer führt zudem einen Brief von Abraham von Frankenburg aus dem Jahr 1643 an. Mit diesen beiden Briefen befinden wir uns also nicht nur direkt in der Erscheinungszeit von Du Rappel des Juifs (1643) und den PraeAdamitae (1655), sondern Menasse ben Israel nimmt überdies ein weiteres Mal explizit Bezug auf La Peyre`re. Allerdings hat Schoeps bereits 1952 in seiner Studie über den Philosemitismus darauf hingewiesen, daß Menasse ben Israel in seinem Brief bei aller Freundlichkeit eine deutliche Distanz zu Felgenhauer aufbaut: Er meidet zum einen alle millenaristischen Gedanken und betont zum anderen, daß ein möglicher dritter Elija schon ein jüdischer sein müsse.99 Es geht bei aller gegenseitiger Bezugnahme und Vereinnahmung eben doch nur um eine brüchige Koalition und keineswegs um eine wirkliche theologische Übereinstimmung. 96

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Vgl. Paul Felgenhauer: Bonum Nuncium Israeli Quod offertur Populo Israeli & Iudae in hisce temporibus novissimis de Messiah. Amsterodami 1655, S. 45. Vgl. zur weitverzweigten Joachimrezeption in der Frühen Neuzeit einleitend Robert E. Lerner: Art. Joachim von Fiore. In: TRE. Bd. 17 (1988), S. 84–88; Andreas Speer: Art. Joachim v. Fiore. In: LThK3. Bd. 5 (1996), Sp. 853f. Felgenhauer: Bonum Nuncium Israeli (1655), S. 90. Vgl. Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), S. 20, über die Einschätzung im abgedruckten Brief: »In dem entscheidenden Punkt freilich ist sie recht diplomatisch. Manasseh begrüßt freudig die projüdischen Sympathien, geht aber auf die chiliastischen Spekulationen Felgenhauers nicht ein. [...] Aber – sagt er nachdrücklich auf Felgenhauers versteckte Andeutung hin, selber Elias zu sein – Elias könne nur ein Mann aus jüdischem Stamme sein und noch ist er nicht erschienen.«

165 Erheblich deutlicher fiel die Demontage einer Gleichsetzung von jüdischem Messias und christlicher Wiederkunft Christi in der Debatte zwischen dem Millenaristen Robert Maton und seinem Gegenspieler Alexander Petrie aus. Petrie entlarvt dies 1644 als einen plumpen Vereinahmungswunsch: »It was never yet heard, that the Jewes doe believe, that Christ Iesus shall come as a King: they sayd, away with him; wee will not have him to reigne over us. They say, that the Messias shall come, bot they speak not of his coming twyce or thrice: look all the Iewish Rabbies, and ask them who ar alive: they will say, bot once: This conceit of Christs Coming to reigne on earth, is neither Christian nor Iewish, seing Christianes believe not such a coming, nor doe the Iewes believe in Christ.«100 Vor einer vorschnellen Gleichsetzung zwischen diesen letztlich sehr divergenten Programmen eines La Peyre`re, eines Felgenhauer oder erst recht eines Menasse ben Israel warnt allein der Umstand, daß eben jener Felgenhauer eine Anti-PraeAdamita (1656) verfaßte. Felgenhauer gab als Grund für diese Publikation an, er habe in Amsterdam vorgehabt, mit La Peyre`re zu disputieren, »wie ich mit Herrn A.B. damals zwey Colloquia gehalten«,101 wohinter sich der christliche Hebraist Adam Boreel (1593–1677) verbirgt, der zusammen mit Jacob Jehuda Leon (1602–1675) an der Rekonstruktion des Jerusalemer Tempels arbeitete.102 La Peyre`re hatte jedoch anscheinend eine derartige Disputation abgelehnt, wie Felgenhauer schreibt: »Da hat er solches recusiret.« Vergleichbares gilt auch für Menasse ben Israel, der in seiner Vindiciae Iudaeorum (1656) zwar auf La Peyre`re anspielt, jedoch am Ende dieses Werks in einem »Books ready for the press« unter anderem seinen Lesern ein neues Buch in Aussicht stellt mit dem Titel: Refutatio libri cui titulus Praeadamitae.103 Dieses Buch ist nicht überliefert, und es ist frag100

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Petrie: Chiliasto-mastix (1644), S. 1, stellt die These von Maton voran: »That Christ is alreadie come [...] is the faith of the Chreistianes, and the infidelities of the Iewes: bot that he shall come as a King to reigne on earth, and restore again the Monarchie of Israel, is the faith of the Iewes, and infidelitie of Christianes.« Paul Felgenhauer: Anti-PraeAdamita. Prüfung Über das Lateinische in Truck ausgegangene Buch dessen Titul ist PraeAdamitae Daß vor Adam auch sollen Menschen gewesen seyn. Amsterdam 1659, S. 89. Vgl. Ernestine van der Wall: The Dutch Hebraist Adam Boreel and the Mishnah Project. Six unpublished Letters. In: Lias 16 (1989), S. 239–263; A.K. Offenberg: Jacob Jehuda Leon (1602–1675) and his Model of the Temple. In: Jewish-Christian Relations in the Seventeenth Century. Hgg. v. Johannes van den Berg, E.G.E. van der Wall. Dordrecht u. a. 1988 (Archives internationales d’histoire des ide´es 119), S. 95–115. In diesem Sinn hatte Dury am 31. August 1646 an Hartlib geschrieben: »The Jewe wch hee [sc. Boreel] made use of is one Called Judah Leon who at his cost did build the Moddell of the temple of Jerusalem«. Zitiert nach Ernestine van der Wall: »Without Partialitie Towards all Men«. John Durie on the Dutch Hebraist Adam Boreel. In: ebd, S. 147. Menasse ben Israel: Vindiciae Judaeorum. o.O. 1656, S. 41.

166 lich, ob es überhaupt jemals geschrieben wurde. Man wird über einen möglichen Inhalt nur spekulieren können, doch fußt die Argumentation von Menasse ben Israel ja gerade darauf, daß in Amerika Teile der 10 Stämme Israels zu finden seien. Dies lehnte La Peyre`re jedoch in seinen Prae-Adamitae (1655) vehement ab, schließlich sollten die Bewohner Amerikas keine Adamiten, sondern Präadamiten sein. Obwohl Menasse ben Israel mehrfach explizit auf den Rappel des Juifs (1643) anspielt, kann sich sein Wohlwollen in bezug auf dessen Prae-Adamitae (1655) höchstens auf die Widmung ›an alle Juden‹ bezogen haben. Doch auch La Peyre`res Dedikation ›an alle Juden‹ wird man in eine Tradition einreihen können, die nur bedingt ›judenfreundlich‹ ist. Nicht nur Arise Evans schrieb sein Light for the Jews Or, The Means to convert them (1656?) als einen Brief To the Jews Nation.104 Auch schon Thomas Tany, besser TheaurauJohn Taniahhh, ließ 1652 ein Brief Unto all the Jewes the whole earth over verbreiten.105 Zwar ging der Hohepriester und Prophet Tany im selben Werk so weit, von sich zu bekennen: »I am a Jew of the Tribe of Reuben«.106 Doch selbst Tany konnte ganz im Sinne des Neuen Testaments sagen, er sei von »the seed of Abraham«, also »a Jew, begotten by the Gospel, Circumcised both in flesh and spirit.«107 Bereits 1621 schrieb Henry Finch in seinem The Worlds Great Restauration, Or The Calling of the Iewes eine Dedikation an die Juden, in der es heißt, es sei Gottes Wille: »to bring thee home again, & to marry thee to himselfe by faith for euermore [...] To be the ioy of the earth, the most noble Church that euer eye did see.«108 Auch hier geht es also um die »Church Catholicke, and Triumphant«, wie es Maton auf seinem Titelblatt von Israel’s Redemption (1642) nennt, zu der die Juden konvertiert werden sollen.Thomas Brightman (1562–1607) formuliert in A Revelation of the Revelation (1615) über »the Iewes, whose Ancestours did lift Christ vpon the Crosse, and gored his side with a speare, these men beinge dispersed every where amonge all Nations, shalbe at last converted to the true faith, and shall mourne with an earnest sorrowe, 104

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Light For the Jews. London 1664, S. 3. Schon aufgrund seiner unverhohlen monarchistischen Argumentation ist dieser Text, der laut Titelblatt aus dem Jahr 1656 stammen soll, wohl doch erst nach der Restitution der Stuarts 1664 gedruckt worden, wie ein zweites Titelblatt preisgibt. Abgedruckt am Ende von High News for Hierusalem. [London 1653], S. 10–12. High News for Hierusalem [1653], S. 1: »I Proclaim from the Lord of Hosts, the return of the Jewes from their Captivity, and the building of the Temple in glory in their Land.« Vgl. allgemein Hessayon, Gold Tried in the Fire (2007). Theous Ori Apokolipikal: Or, Gods Light declared in Mysteries. London 1651, S. 9; Second Part of Theous-Ori Apokolipikal: Or, God’s Light declared in Mysteries. London 1653, S. 80, in Auslegung von Röm 2,28–29. To all the Seed of Iacob, farre and wide dispersed. In: [Finch:] The Worlds Great Restauration. (1621), o.S.

167 both for their forefathers horrible wickednes, as also for theire owne so longe obstinacy.«109 Sir Edward Spencer (1595–1656) reagierte denn auch auf »my dear brother« Menasse ben Israel und ließ ihn gleichwohl wissen, es sei eine überaus »glorious action, if wee can convert your Nation of the Jewes to the fulnesse of true beliefe.« Im übrigen sei er davon überzeugt, England sei »the likelyest Nation under Heaven to doe it.«110 Und selbst der Autor, der sich das Pseudonym »J.J. Philo-Judaeus« gibt, läßt in seiner Schrift The Resurrection of Dead Bones, Or, the Conversion of the Jewes (1655) keinen Zweifel daran aufkommen, wofür die Suche nach den Stämmen Israels gut ist, nämlich für die Erlösung der gesamten Menschheit bei der Wiederkunft Christi, der die Konversion der Juden vorangeht.111 Das hindert ihn freilich nicht, seinem Text eine Widmung »Omnibus Hebraeis per totum orbem in dispersione« vorauszuschicken, die mit einem »Mi fratres« beginnt. Wir geraten somit immer näher an die Leistungsgrenzen des Terminus Philosemitismus, speziell für das 17. Jahrhundert, wie es etwa Allison Coudert für die gelehrte Auseinandersetzung der christlichen Hebraisten mit den Juden dieser Zeit beschrieben hat: »As a number of scholars has pointed out, the vast majority of those Christians who have been described as philosemitic did not like Jews as Jews but only as potential converts to Christianity.«112 Diese späte Korrektur der Forschung wird man nur bedingt der Leistung von Schoeps anlasten können, der bekanntlich den Typus des »liberal-humanitären« Philosemiten, der den Juden als Juden anerkennt, erst für das 18. Jahrhundet ansetzt.113 Und doch suggeriert der 109

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Thomas Brightman: A Revelation of the reuelation that is The Revelation of St.John opened clearly. Amsterdam 1615. Interessanterweise wird hier der römische Soldat zu einem Juden erklärt. Vgl. allgemein Ronald G. Asch: The Revelation of the Revelation. Die Bedeutung der Offenbarung des Johannes für das politische Denken in England im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. In: Die Bibel als politisches Argument. Voraussetzungen und Folgen biblizistischer Herrschaftslegitimation in der Vormoderne. Hgg. v. Andreas Pecˇar, Kai Trampedach. München 2007 (Beihefte der HZ Beih 43), S. 315–331. [Edward Spencer:] A Breife [!] Epistle to the Learned Manasseh Ben Israel, In Answer to his, Dedicated to the Parliament. London 1650. J.J. Philo-Judaeus: The Resurrection of Dead Bones, Or, the Conversion of the Jewes. London 1655. Allison P. Coudert: Seventeenth-Century Christian Hebraists: Philosemitics or Antisemitics?’, in: Judeo-Christian Intellectual Culture in the Seventeenth Century. A Celebration of the Library of Narcissus Marsh (1638–1713). Hgg. v. Allison P. Coudert u. a. Dordrecht u. a. 1999 (Archives internationales d’histoire des ide´es 163), S. 43–69 (Zitat 45). Man muß sogar deutlich betonen, daß die Forschung zum Philosemitismus sehr interessante Befunde hervorgebracht hat. Denn die Grenzen zwischen Juden und Christen waren in der frühen Neuzeit durchaus fließend, so gab es etwa auch

168 Terminus ›Philosemit‹ – zumal wenn man ihn ohne eine Spezifizierung als ›christlich-missionarisch‹ oder als ›biblisch-chiliastisch‹ gebraucht – häufig bereits mehr, als er nach Schoeps’ Klassifikation implizieren soll. Es bleibt deshalb zu fragen, ob es glücklich ist, diejenigen als Philosemiten zu benennen, die letztlich keine im engen Wortsinn sind. Man wird sich hier Coudert anschließen können, die in diesem Zusammenhang an das Plädoyer von Ernestine van der Wall erinnert, diesen Terminus nur äußerst restriktiv zu gebrauchen. Dabei ist es besonders hervorhebenswert, daß Van der Wall in ihrer Studie über den mystischen Millenaristen Petrus Serrarius (1600–1669) einen der wenigen Fälle untersucht hat, wo man womöglich wirklich von einem christlichen Philosemiten im Vollwert des Wortes sprechen mag.114 2.4. La Peyre`re Iudaizans Es ist im übrigen ebenfalls Van der Wall, die als Spezialistin für den jüdisch-christlichen Dialog im 17. Jahrhundert darauf hingewiesen hat, daß sich in den theologischen Debatten der Vorwurf des ›Judaisierens‹ ähnlich häufig findet wie der des Atheismus. ›Judaisieren‹ gehört zum normalen Diffamierungsarsenal der Zeit und dieser Vorwurf läßt sich recht vielseitig einsetzen.115 Man wird nochmals an das Diktum von Hans-Martin Barth erinnern müssen, daß die Theologie des 17. Jahrhunderts eine kämpfende Theologie war.116 Auch schon die protestan-

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Konversionen zum Judentum; vgl. Martin Mulsow, Richard H. Popkin (Hgg.): Secret Conversions to Judaism in Early Modern Europe. Leiden u. a. 2004 (Brill’s studies in intellectual history 122); Jutta Braden, Rotraut Ries (Hgg.): Juden – Christen – Judenchristen. Konversionen in der Frühen Neuzeit. Tübingen 2006 (Aschkenas 15); Jan. N. Bremmer u. a. (Hgg.): Cultures of Conversions. Leuven u. a. 2006 (Groningen Studies in Cultural Change 18). Vgl. E.G.E. van der Wall: De mystieke chiliast Petrus Serrarius (1600–1669) en zijn wereld. Dordrecht 1987, die vor einem undifferenzierten und inflationären Gebrauch des Begriffs sehr zu Recht in ihren ›Stellingen‹ warnt: »Het begrip philojudaı¨sme is van betrekkelijke waarde en dient met kritische reserve te worden gehanteerd.« Ernestine van der Wall: Ways of Polemicizing: The Power of Tradition in Christians Polemics. In: Religious Polemics in Context. Hgg. v. T.L. Hettema, A. van der Kooij. Assen 2004 (Studies in Theology and Religion 11), S. 408f: »To accuse one’s adversary of dreaming ›Jewish dreams‹, of believing ›Jewish Fables‹, was a way of denouncing Christian milleniarism. We find it in every debate on this subject. Islam lent itself well to such a strategy, too. Radical Christians, such as the anti-trinitarian Socinians, were called ›Turks‹. The ›otherness‹ of other religions and cultures, which implied that these religions were ›bad‹ religions, provided a popular device.« Sie weitet diesen Befund auch auf die frühen Geschichten des Atheismus aus, die um 1700 einsetzen. Vgl. aber auch Ro´bert Da´n: »Judaizare« – the Career of a Term. In: Antitrinitarianism in the Second Half of the 16th Century. Hgg. v. Dems., Antal Pirna´t. Budapest, Leiden 1982 (Studia Humanitatis 5), S. 25–34. Vgl. Hans-Martin Barth: Atheismus und Orthodoxie: Analysen und Modelle

169 tische Theologie des 16. Jahrhunderts kannte den Vorwurf, sich zu stark für die Belange der Juden zu interessieren oder aber zu sehr im Sinne des Alten Testaments zu argumentieren. Der Calvinus Judaizans machte die Runde, und dieser Verdacht findet sich insgesamt häufig gegen Reformierte vorgebracht.117 Für den englischen Kontext sei zudem an den Streit um die Observanz des Sabbat erinnert, der sich etwa bei John Traske (1585–1636) und seinem Umkreis manifestierte.118 Die Lektüre des Alten Testaments hatte Traske davon überzeugt, weiterhin eine Heiligung des siebten Tages der Woche und eben nicht des ersten Tages als dem Herrentag zu beachten. Traske sah sich in Folge genötigt, in einem Treatise of Libertie From Iudaisme (1620) seinen ›orthodoxen‹ Glauben unter Beweis zu stellen, nachdem er, wie er von sich selbst bereits auf dem Titelblatt verrät: »late stumbling, now happily running againe in the Race of Christianitie«. König Jakob I. sah sich zeitnah sogar veranlaßt, selbst der allzu strengen ›judaisierenden‹ Auslegung des Sonntagsgebots Einhalt zu gebieten, indem er betonte, es sei durchaus erlaubt und erwünscht, nach dem Gottesdienstbesuch an Sonn- und Feiertagen körperliche Ertüchtigung zu treiben. Jakob wandte sich in seinem Book of Sports (1618) damit gegen »some puritans & precise people«.119 Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, daß Moses Wall (um 1611–1661), der englische Übersetzer von Menasse ben Israel, es für angebracht hielt, zu The Hope of Israel (1650) ein eigenes »The Translater to the Reader« beizugeben, worin er den erwartbaren Vorwurf seiner christlichen Leser auszuräumen bemüht war, es gehe ihm darum zu ›judaisieren‹.120Auch im Kontext von La

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christlicher Apologetik im 17. Jahrhundert. Göttingen 1971. Vgl. auch die Art. Polemische Schreibart und Polemische Theologie. In: Zedler. Bd. 28 (1741), Sp. 1079–1100. Vgl. Thomas Kaufmann: Die theologische Bewertung des Judentums im Protestantismus des späteren 16. Jahrhunderts (1530–1600). In: Archiv für Reformationsgeschichte 91 (2000), S. 191–237, bes. 194f; Martin Friedrich: Zwischen Abwehr und Bekehrung (1988); Peter Vogt (Hg.): Zwischen Bekehrungseifer und Philosemitismus. Texte zur Stellung des Pietismus zum Judentum. Leipzig 2007 (Kleine Texte des Pietismus 11). John Traske: A Treatise of Libertie From Iudaisme, or An Acknowledgement of true Christian Libertie. London 1620. Vgl. David S. Katz: Sabbath and Sectarianism in Seventeenth-Century England. Leiden u. a. 1988 (Brill’s studies in intellectual history 10), bes. S. 1–20. Diese ›Sabbatarianer‹, die weiterhin den Sabbat ehren, sind zu unterscheiden von den ›Sabbatianern‹, also den Anhängern des Messiasprätendenten Sabbatai Zwi (1626–1676). [Jakob I. von England:] The Kings Maiesties Declararion to His Subiects, concerning lawfull Sports to be vsed. London 1618, S. 1f.; ausgenommen sollten bleiben »Beare and Bullbeatings, Interludes, and at all times in the meaner sort of People of Law prohibited, Bowling.« (Ebd, S. 7f.) Vgl. Menasseh ben Israel: The Hope of Israel. London 1650; Wall in seinem »The Translater to the Reader«, o.S.: »Doe not think that I ayme by this translation to

170 Peyre`re finden wir diesen Vorwurf. Das Manuskript Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s, an dem La Peyre`re in seinen späten Lebensjahren arbeitete, hatte er anscheinend Richard Simon zu lesen gegeben. Simon gibt daraufhin zu bedenken, La Peyre`re werde dafür keine Druckerlaubnis bekommen, da er dem Anschein nach den ›Judaimus‹ in Frankreich einführen wolle, schließlich interpretiere er die altestamentlichen Prophetenstellen »trop litterale et Juive«.121 In ähnlicher Weise legt auch das Verbotsplakat, das der Bischof von Namur Anfang 1656 gegen La Peyre`res Prae-Adamitae (1655) aufhängen ließ, diesen Verdacht nahe: »Author huius imprimis a` veritate auditum auertit, dum infantes & adultos non nisi per imputationem peccauisse declarans se Caluinianum ostendit: & per dictas litteras, vbi se optat vnum ex Iudaeis, se Iudaismo affectum asserit.«122 Hier wird wieder auf seine Dedikation ›an alle Juden‹ angespielt und es im Sinne eines drohenden Judaismus verstanden. Auch Philippe Le Prieur tituliert 1656 in seiner Schrift gegen die PraeAdamitae (1655) den anonymen Autor La Peyre`re als »immodicus Iudaeorum encomiastes« und als »Iudaeorum amasius«.123 Man wird es ebenfalls in diesem Zusammenhang des Judaisierens sehen müssen, daß bereits zu Lebzeiten vermutet wurde, La Peyre`re sei vielleicht doch eher ein Jude und weniger ein Protestant. Nicht nur das diffamierende Epigramm, das posthum auf seine konfessionelle Ambiguität anspielt, nannte ihn einen »bon Israe¨lite«.124 Es gibt vielmehr eine ganze Reihe von Fremdaussagen, die anscheinend bereits zu Lebzeiten derart vehement vorgetragen wurden, daß sich La Peyre`re genötigt sah, dazu Stellung zu nehmen.

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propagate, or commend Iudaisme (which is no wonder if the Author doth so much favour [...]) no, Grace I have better learned the truth, as it is in Jesus: but to give some discovery of what apprehensions, and workings there are at this day in the hearts of the Iews«. Me´choulan hat 1987 in seiner Neuausgabe dieser Übersetzung von The Hope of Israel auf diese erklärenden Worte von Wall verzichtet und druckt sie nicht mit ab. Richard Simon an La Peyre`re vom 27. Mai 1670. In: Lettres choisies de Mr Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 2, S. 12–17 (Zitat 12), 16f.: »Comme vous songez a` avoir une approbation doctorale pour le faire imprimer, il est bon que je vous avertisse de ne le point mettre entre les mains des Docteurs dans l’e´tat ou` il est, car ils en seroient assure´ment scandalise´s, & ils publieroient par tout que vous voule´s e´tablir le Judaı¨sme en France.« ASV Segr. Stato Fiandra 40, fol. 70. Eusebius Romanus [=Philippe Le Prieur]: Animadversiones in librum Praeadamitarum. Paris 1656, S. 37 u. 38. Vgl. Niceron. Bd. 12 (1730), S. 70.

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3. La Peyre`re – ce bon Israe¨lite Der Refugie´ Pierre Jurieu (1637–1713) etwa spricht in seiner Histoire critique des dogmes et des cultes (1704) in bezug auf La Peyre`res Thesen kurzerhand von der »reverie du Juif la Peyre`re«.125 Guy Patin beläßt es 1656 bei vielsagenden Vermutungen über den Autor der Prae-Adamitae (1655), die zumindest soviel erkennen lassen, daß Patin bei La Peyre`re nicht zuletzt Tendenzen des Judaisierens diagnostiziert: L’auteur est un gentilhomme gascon, nomme´ Lapeyre`re, huguenot par provision et en apparence; mais quelques-uns le soupc¸onnent juif, au moins a-t-il bien du judaı¨sme dans la teˆte. Meˆme il a fait par ci-devant un livre Du rappel des Juifs, et est vrai que ejusmodi recutitorum genti maxime favet.126

Auch Christophe Dupuy (1580–1654), der dritte der Gebrüder Dupuy, der zwar in Rom lebte, aber nicht zuletzt über seine beiden Brüder Pierre und Jacques über die Pariser Verhältnisse bestens unterrichtet war, stellt 1646 in Rom nach der Lektüre des Rappel des Juifs (1643) ähnliche Vermutungen an: »Cet homme monstre savoir quelque choses en ces matieres de Rabinisme, mais en beaucoup de lieux il donne des extravagances, et nomement quand il parle des Rois de France. Cet homme est filz, a` mon avis, de quelque espagnol, et son nom me le fait ainsi croire.«127 Dupuy kommt also trotz der Hervorhebung des französischen Königs auf einen marranischen Hintergrund und begründet dies mit La Peyre`res Namen.

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Laut Popkin: La Peyre`re (1987), S. 201 Anm. 56, so bei Pierre Jurieu im Vorwort zu dessen Histoire critique des dogmes et des cultes. Mir lag nur die englische Übersetzung vor, Pierre Jurieu: A critical history of the doctrines and worships (both good and evil) of the Church from Adam to our Saviour Jesus Christ. Bd. 1. London 1705, o.S.: »the Phantosms of Pereyra«, vgl. ebd, Part I, XXVI, S. 253–261. Man mag die Hispanisierung des Namens im Sinne eines impliziten Marranenvorwurfs werten. Patin an Salins vom 20. November 1656. In: Libertins du XVIIe sie`cle. Hg. von Jacques Pre´vot. Bd. 2. Paris 2004, S. 485; ganz ähnlich in einem Brief an Charles Spon vom 28. November 1656. In: ebd, S. 487: »le sieur de Lapeyre`re, gentilhomme gascon, et pre´t[endu] re´f[orme´] (s’il n’est pas juif, car plusieurs l’en souc¸onnent)«. BnF Fonds Fr. 9778, fol. 33. Christophe Dupuy an Ismae¨l Boulliau vom 5. Januar 1646. Zitiert nach Schoeps: La Peyre`re und Island (1948), S. 167. Auch Chr. Dupuy weiß um La Peyre`res hugenottische Wurzeln, wenn er kurz darauf schreibt: »L’on m’a dit qu’il estoit de la religion«; BnF Collection Dupuy 730, fol. 155. Dort findet sich eine ähnliche Formulierung in dem Brief von Christophe Dupuy an seinen Bruder Jacques vom 1. Mai 1644;. Noch am 20. Dezember 1649 vermutet er allerdings in einem Brief spanische Vorfahren. Siehe Brief 83. In: Humanisme et politique. Lettres romaines de Christophe Dupuy a` ses fre`res. Hgg. v. Kathryn Willis Wolfe, Phillip J. Wolfe. Bd. 2 (1646–1649). Paris u. a. 1997 (Biblio 17 103), S. 239: »Je croy que il [sc. La Peyre`re] est issu de quelque Espagnol, car ce nom le demonstre.«

172 Richard Simon will sogar La Peyre`re direkt mit diesem Vorwurf konfrontiert haben, wie man einem Brief an »mon cher Pre´adamite« aus dem Jahr 1670 entnehmen kann, den Simon 1704 in seinen Lettres choisies publizieren läßt. Simon ist es zwar nicht selbst, der hier diese Vermutung anstellt. Seine Unterstellung gewinnt aber besondere Bedeutung dadurch, daß er mit Jona Salvador eben einen italienischen Jude aus dem Umkreis des Messiasprätendenten Sabbatai Zwi aufbieten kann, der La Peyre`res wahre Religion entlarvt haben will.128 Es heißt dort: »Il [sc. Jona Salvador] ne peut pas s’imaginer qu‹apre´s toutes les loüanges que vous ave´s donne´es a` la Nation Juive a` la fin de vos Pre´adamites, vous ne soye´s de la race de quelque Marane; & ce qui le confirme dans cette pense´e, c’est qu‹on lui a dit a` l’hoˆtel de Conde´, que vous eˆtes de Bordeaux ou` il croit qu’il y a plusieurs Juifs qui cachent leur Religion in petto.«129 Simon läßt dabei von der Widmung ›an alle Juden‹ her argumentieren und spielt hier neben Gerüchten aus der Maison Conde´ am greifbarsten die biographische Karte aus, indem er Geburtsort und Namen als Indiz für einen kryptojüdischen Hintergrund nimmt, der La Peyre`res auffälliges Interesse an den Juden motivieren soll.130 Nicht nur bei Simon werden La Peyre`res judenfreundliche Thesen – sowohl die Entschuldung der Juden, sie hätten nur deshalb Jesus Christus nicht als ihren Messias erkannt, weil Gott sie verblendet habe, als auch die freundliche, da nur sanfte Konversion zum Christentum aus der Dedikation ›an alle Juden‹ – gern mit biographischen Details korreliert. Allein der Vorname Isaac sei ein Indiz, der Familienname La Peyre`re spreche zudem für ein französisiertes Pereira und schließlich sei Bordeaux als Hafenstadt bekannt für seine aus der iberischen Halbinsel exilierten Juden.131 Die Diskussion um die möglichen iberischen Einflüße seines Namens ist genaugenommen recht müßig, weil bekanntermaßen die mütterliche Linie über sein Jude-Sein entscheiden würde. Jüngst hat Elisabeth Quennehen nochmals alle Anhaltspunkte zusammengetragen: Wenn La Peyre`res Großmutter mütterlicherseits, eine gewisse Catherine de Terrague, wirklich Nachfahrin von Gabriel de Terre´ga ist, der wo128

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Im selben Brief heißt es einleitend: Lettres choisies de Mr Simon. Bd. 2 (1704), Nr. 2, S. 13: »Il [sc. Salvador] est souvent che´s Monsieur le Prince, ou` on lui parle´ de vous.« Simon mutmaßt, La Peyre`re werde sehr von einer Begegnung profitieren »si vous songe´ touˆjours a` faire re´üssir voˆtre rappel des Juifs«. Vgl. Bertram Eugene Schwarzbach: Le te´moignage de Jona Salvador sur les juifs de Paris au XVIIe ´ tudes Juives 155 (1996), S. 469–478. sie`cle. In: Revue des E Richard Simon an La Peyre`re vom 27. Mai 1670. In: Lettres choisies de Mr Simon II (1704), Nr. 2, S. 16; u. Nr. 3 vom 4. Juni 1670. In: ebd, S. 20. Zu Bordeaux als südfranzösische Hafenstadt mit einer jüdischen Gemeinde vgl. Ge´rard Nahon: Juifs et Judaı¨sme a` Bordeaux. Bordeaux 2003. Zu ›Pereira‹ als Indiz für einen Marranen vgl. Anita Novinsky: The Myth of the Marrano Names. In: Revue des E´tudes Juives 165 (2006), S. 445–456.

173 möglich 1494 deshalb nach Bordeaux übersiedelte, weil er als »Neuchrist« vor der Spanischen Inquisition floh, dann bleibt weiterhin die Frage bestehen, ob La Peyre`re, der wie Schoeps zu Recht feststellt, immer als Christ argumentiert, seine ›philosemitische‹ Seite seinen vermeintlich jüdischen Wurzeln verdankt.132 Zumindest zählt La Peyre`re, der an mehreren Stellen seines Werks mögliche Einwände von Gegnern inszeniert und dabei häufiger einen Christen als einen Juden bemüht, sich selbst stets zu den »nous Chrestiens«. Wenn man auch nicht gänzlich ausschließen kann, daß La Peyre`re womöglich jüdische Vorfahren hatte, so bleibt die Frage, wieviel originär ›Jüdisches‹ in seinen Werken zu finden ist. Man mag es aufschlußreich nennen, daß La Peyre`re in dem bereits erwähnten Bericht an Conde´ aus dem direkten Vorfeld des eigentlichen Präadamitenskandals, wo er an seinen Spanienaufenthalt im Jahr 1653 im Auftrag des Prinzen Conde´ erinnert und wo diese Schilderung in der hübschen Formulierung des »animal fantastique« kulminiert, zwar zwei durchaus ernstzunehmende Vorwürfe gegen seine Person explizit beim Namen nennt, nämlich daß er Hugenotte und Praeadamit sei. Anscheinend war er jedoch im Ursprungsland der Marranen eben nicht als solcher enttarnt worden.133 An anderer Stelle hat La Peyre`re zu dieser Fragestellung direkter Stellung bezogen, so vor allem in seinen apologetischen Schriften nach seiner Konversion im Jahr 1657, die man quellenkritisch natürlich nicht von einer gewissen ›autobiographischen Chamäleontik‹ wird freisprechen können.134 Im Recueil des lettres escrites a` Monsieur le Comte de la Suze pour l’obliger par raison a` se faire Catholique aus dem Jahr 1661 läßt er den »Docteur inconnu«, einen wohl rein fiktiven Gegner, auftreten, der La Peyre`res Position wie folgt zusammenfaßt: »Il y a long132

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Vgl. Schoeps: Isaac de la Peyre`re (1948), S. 34: »daß er als Christ auf die Juden gesehen hat, ist zweifellos«. Elisabeth Quennehen: L’auteur des Pre´adamites«, Isaac Lapeyre`re. Essai biographique. In: Dissidents, excentriques et marginaux de ˆ ge classique. Autour de Cyrano de Bergerac (FS Madeleine Alcover). Hgg. v. l’A Patricia Harry u. a. Paris 2006 (Colloques, congre`s et confe´rences sur le Classicisme 10), bes. S. 354f, 356: »La vraie question qui se pose est bien plus redoutable: en admettant que l’origine juive ou crypto-juive de son anceˆtre soit ave´re´e, permettrait-elle d’expliquer, ou meˆme seulement d’e´clairer, la de´marche jude´ophile de Lapeyre`re?« Chantilly, Muse´e Conde´, P XV, fol. 347v–348r. La Peyre`re an Conde´ vom 8. Oktober 1655: »M.rs vos Ministres pour tascher de me rendre odieux aux Espagnols de la maison de M. Dom Louis de Hara, en disant que j’estoit huguenot et preadamite: cela donnoit la curiosite´ a beaucoup d’autres de m’accoster et de m’entendre partir, croyans que je fusse quelque animal fantastique.« Enenkel hat diesen Ausdruck der ›autobiographischen Chamäleontik‹ im Kontext der Selbstbiographisierung des Mehrfachkonvertiten Lipsius geprägt, vgl. Karl A.E. Enenkel: Die Erfindung des Menschen. Die Autobiographik des frühneuzeitlichen Humanismus von Petrarca bis Lipsius. Berlin 2008, S. 777–822.

174 temps qu’il est fort bon amy des Iuifs, & qu’il souhaite auec passion d’estre adopte´ dans quelqu’vne de leurs familles, pour auoir part aux felicite´s de leur Messie qui doit estre bien tost reuele´, pour abaisser la gloire des Chrestiens & de leur Christ, qui selon luy n’est que le Messie des seuls Gentils.«135 Diesen ›ungenannten Hugenotten‹ läßt La Peyre`re hier also mit dem Mißverständnis auftreten, La Peyre`re zu Folge sei es schon deshalb sehr attraktiv, zu den Juden gezählt zu werden, weil die baldige Wiederkunft Christi zu einer Herabwürdigung der Christen führen werde – als ob die Wiedererwählung der Juden die Verwerfung der Christen bedeute. Indirekt wird hier wieder auf die Widmung der PraeAdamitae (1655) angespielt, in der La Peyre`re mit seinem »nescio quis« auf jemanden anspielt, der zu den Juden gezählt werden wolle: »Salutem vestram vobis precatur, nescio quis: atque utinam ex Vobis unus.«136 Man hat hinter diesem »nescio quis« häufig den anonymen Autor La Peyre`re selbst vermutet und es als Eingeständnis seiner jüdischen Wurzeln interpretieren wollen. La Peyre`re gibt zumindest 1661 in seinen Briefen an La Suze eine andere apologetische Erklärung, die er zugleich zu einer deutlichen Abgrenzung zu seinen hugenottischen Wurzeln nutzt. Denn er habe sehr wohl bewußt seine Konfession verschleiern wollen, was nicht zuletzt an seiner konfessionellen Borniertheit auf den Calvinismus gelegen habe: »Il est vray que n’ayant pas mis mon nom dans mes Preadamites, & que ne voulant pas que l’on connuˆt de quelle Religion j’estois, ma souˆmission estoit equiuoque, lors que ie l’escriuis; parce que ie ne croyois pas en ce temps-la` qu’il y euˆt d’autre Eglise Orthodoxe que la Caluiniste.«137 Auch eine andere Stelle aus der Widmung ›an alle Juden‹ (1655) wird als Indiz herangeführt, um zu zeigen, La Peyre`re habe sich hier indirekt als Jude zu erkennen gegeben. Der Klient La Peyre`re, der seinem Patron Conde´ im Unfeld der Fronde ins Exil gefolgt war, gibt zu bedenken: eines verbinde ihn mit den Juden, nämlich daß er ein unstetes Leben (»vita erratica«) führe, wenig geeignet für die Mußestunden des Nachdenkens und Schreibens.138 La Peyre`re spielt hier abermals auf den Topos des ›juif errant‹, also des ›ewigen Juden‹ an, den er schon implizit im Titel der Widmung (›Synagosis Iudaeorum universis, Quotquot sunt per totum Terrarum orbem sparsae‹) bedient hat. Allerdings zieht er diese Parallele in Kombination mit der Unbill des Exilantendaseins des ge135

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Recueil de lettres escrites a` Monsieur le Comte de la Suze. Pour l’obliger par raison a` se faire Catholique. Paris 1661, S. 32. Synagogis Iudaeorum universis (1655), S. 1: Recueil de lettres (1661), S. 63. Synagogis Iudaeorum universis (1655), S. 8: »Hoc mihi certe cum Vobis commune est: quod vitam duco erraticam; quaeque parum convenit cum otio meditantis & scribentis.«

175 lehrten Amateurs schon wieder ins Lächerliche.139 Es folgt eine Erläuterung, wie La Peyre`re sein Verhältnis zu dem evozierten »Euch« der Juden verstanden sehen will: »At, si vivo vitam vestram; moriar morte vestra; & Moriar morte Iustorum; quae vestra est.« Schon Hans-Joachim Schoeps hat in diesem Zusammenhang auf die Anspielung auf den Heiden Bileam aus dem Alten Testament hingewiesen, der Israel segnet anstatt es zu verfluchen (Num 23).140 Der Seher Bileam endet dort seinen Orakelspruch über das Volk Israel mit den Worten: ›Oh, könnte ich den Tod der Gerechten sterben, und wäre mein Ende den seinen gleich.‹ (Num 23,10) Man sollte hier vielleicht nicht übersehen, daß sich La Peyre`re mit dem Heiden und somit Präadamiten Bileam gleichsetzt und dessen Hoffnung auf die Zurechnung zu den Gerechten geradezu in eine Heilsgewißheit wendet. La Peyre`re geht 1661 sogar noch einen Schritt weiter. Er erwidert auf die genannte Unterstellung des »doctor inconnu«, zu den Juden zu gehören: Ganz falsch sei diese nicht, schließlich sei er ein Jude, wenn auch nicht in der Weise, wie es ihm vorgeworfen werde. Denn es gereiche ihm zur Ehre, ein Jude zu sein, nämlich einer im Sinne von Paulus. Und es sei schon erstaunlich, daß ausgerechnet ein hugenottischer Pastor als ministre de la parole de Dieu das habe falsch verstehen können: Noˆtre Docteur inconnu dit que ie suis Iuif. Ie ne le suis pas de la maniere qu’il l’entend: Mais ie fay gloire de l’estre, comme S. Paul l’a entendu & l’a e´crit. Et ie ne me puis assez estonner que ce que j’ay dit des Iuifs, apres Saint Paul, ayt scandalise´ vn Ministre qui pretend ne parler qu’Ecriture-Sainte, qui ne se vante que de l’Ecriture-Sainte, & qui se fait tout resplandissant de l’Ecriture-Sainte.141

Auch an anderer Stelle ist La Peyre`re recht schlagfertig im Umgang mit seinem Gegner. Dieser habe ihn einen Juden, vorzugsweise einen SemiJuden gescholten. Nun sei es allerdings gute polemische Tradition, sich unter der halben die noch viel schrecklichere Variante vorstellen zu müssen, man denke nur an die Semipelagianer oder Semilutheraner – so La Peyre`re.142 139

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Vgl. zur Beliebtheit dieses Topos Elisabeth Frenzel: Stoffe der Weltliteratur. Stuttgart 1990, S. 16–20. In ihrem Art. Ahasver nennt sie u. a. explizit The Wandring Jew or the shoemaker of Jerusalem (1626). Vgl. die noch deutlichere Bezugnahme in Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 42f: »Car il est constant qu’en ce temps la` proprement les Iuifs commenc¸oient d’estre Reiettez de cette grande Reiection, de laquelle nous les voyons encore Espars & Vagabonds par tout le Monde.« Schoeps: Philosemitismus im Barock (1952), S. 13. Recueil de lettres (1661), S. 74f. Recueil de lettres (1661), S. 73f.: »Notre Docteur de´concerte´, ne pouuant re´pondre a` mes raisons, & ne sc¸achant a` qui s’en prendre, apres auoir de´charge´ les vapeurs de sa rate sur mes Preadamites, s’en prend maintenant aux Iuifs: Et croit me faire vn grand de´plaisir & vn grand affront, en m’appellant tantost Iuif (Pag. 3 num. 5), tantost demy Iuif (pag 24 num. 5): comme si d’estre demy-Iuif estoit vne grande infamie que destre Iuif. I’ay connu vn Docteur aussi habile homme & aussi sage

176 Der in den Niederlanden lehrende Hugenotte Samuel Desmarets hatte 1656 in seiner Reaktion auf die Prae-Adamitae (1655), die als schärfste Erwiderung des reformierten Lagers gelten kann, La Peyre`re nicht nur Judaismus vorgeworfen, sondern ihm gleich mehr als hundert verschiedene Häresien attestiert.143 La Peyre`re, der sich deshalb als ein »monstre d’heresie« verunglimpft sieht, erwidert in seiner Antwort, die gleichwohl nie gedruckt wurde, in doppelter Weise. Zum einen untergräbt er die Autorität seines Kontrahenten, indem er den für seine Polemiken bekannten Desmarets als einen notorischen Ismael hinstellt, von dem bereits die Bibel sage: ›Er wird ein Mensch sein wie ein Wildesel. Seine Hand gegen alle, die Hände aller gegen ihn.‹ (Gen 16,12)144 Sich selbst hingegen stilisiert La Peyre`re in die Rolle von David, der schuldlos in die Fänge von Gegnern gerät (Ps 35). Da David in den Psalmen bekanntlich Christus präfiguriere, kann La Peyre`re wagen zu formulieren: »Jesus Christ rec¸ut des Scribes, et de Farisiens, les meˆmes iniures que Des Marais m’a dites.«145 Damit nicht genug, beläßt es La Peyre`re nicht beim biblischen Vers (Ps 35,15), sondern zitiert hier die gerade bei Hugenotten beliebte und durch die Vertonung bekannte Psalmparaphrase von Cle´ment Marot und Theodor Beza, die es an Drastik nicht mangeln läßt.146 La Peyre`re ist also nicht nur das arme Opferlamm, sein Gegner Desmarets wird zu einem Zerrbild aus illegitimen Verfechter der wahren Religion und Schriftgelehrten. Bereits dieses kleine Beispiel frühneuzeitlicher Polemik sollte einen davon abhalten, etwa besagten Desmarets aufgrund des Vergleichs mit Ismael kurzer-

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que cettuy-cy, qui croyoit que les Semipelagien estoient plus grands Heretiques que les Pelagiens; parce que le mot de Semipelagien estoit plus grand que celuy de Pelagien.« Samuel Desmarets: Refutatio Fabulae Prae-Adamiticae, editio altera. Groningen 1656, S. XIV: »Totum illius Opus, praeter palmarium errorem de Praeadamitis, Systema est, sive potius Cento variarum haereseon, quas eum adaptisse ex ignorantia magis quam malitia, libenter crederim.« Chantilly, Muse´e Conde´, Ms. 193. Reˆponse de Lapeyre`re, aux calomnies de Des Marais, Ministre de Groningue; Kapitel III ist ediert in Alessandro Dini: La teoria preadamitica e il libertinismo di La Peyre`re (1594–1676). In: Annali dell’instituto di filosofia, Universita` di Firenze 1 (1979), S. 227–230, 227: »Quand on me dit que Des Marais ecrivoit contre les Preadamites, je n’en fus pas surpris. Je n’ignorais pas ce que l’on disoit de luy en Holande et ailleurs, qu’il estoit l’Ismae¨l de sa contre´, de qui il est eˆcrit: Erat ferus homo: manus eius contra omnes, et manus omnium contra eum.« Reˆponse de Lapeyre`re. Zitiert nach Dini: La teoria preadamitica (1979), S. 228. Reˆponse de Lapeyre`re. Zitiert nach Dini: La teoria preadamitica (1979), S. 228: »Et de fait, Marot que les Calvinistes chantent, l’a rendu en franc¸ois de cete sorte: Les plus Marans [Maraus!] a mon desseu / M’ont machine´ ce qu’ils ont peu. Bucanan a suyvi Marot dans sa parafrase latine: Proscindunt avida me petulantiaˆ, / Scurrae cum Balatronibus.« Vgl. Cle´ment Marot / Theodor Beza: Les pseaumes mis en rime franc¸oise. [Genf] 1563, S. 65; George Buchanan: Psalmorum Davidis paraphrasis poetica. nunc prima edita. [Genf 1566], S. 61.

177 hand zu einem Marranen oder Juden zu erklären, wie es das obige Beispiel mit Bileam nahelegen wollte. Gleichwohl wird es kein Zufall sein, daß sich La Peyre`re hier für die negative Charakterisierung Desmarets gerade aus dem Repertoire der biblischen Protagonisten des Alten Testaments bedient. Am Ende seiner Apologie (1663) gebraucht La Peyre`re ein biblisches Bild, um seinen idealen Leser zu umreißen, das auf den ersten Blick eine gewisse Ambiguität enthält. Denn er appelliert dort an die Rechtgläubigkeit eines ›wahren Nathanael‹ und somit ›wahren Christen‹.147 Er spielt hier mit Nathanael auf einen Apostel aus dem Neuen Testament an, um dessen Identität im 17. Jahrhundert heftig gestritten wurde.148 Im Johannesevangelium heißt es über Nathanael, Jesus habe ihn als einen der ersten mit den Worten berufen: ›Siehe, ein rechter Israelit, ein Mann ohne Falschheit‹; worauf Nathanael nach einer Zwischenfrage bekennt: ›Rabbi, du bist Gottes Sohn, du bist der König von Israel.‹ (Joh 1,45–49) La Peyre`re spielt hier also auf die Rechtgläubigkeit seiner Leser an. Wieder ist es der ›rechte Israelit‹, der den wahren Christen ausmacht. Es wird also nochmals um die Semantik von ›Israel‹ und ›Juden‹ im Kontext der Christen gehen müssen. So sehr auch Popkin recht hat, daß La Peyre`re eher ›messianisch‹ als ›millenaristisch‹ ist, schließt diese ›messianische‹ Hoffnung keineswegs automatisch den stark ›missionarischen‹ Aspekt seines Werkes aus. In diesem Sinne ist La Peyre`re eine Verbindung von ›christlich-missionarischem‹ und bedingt ›biblisch-chiliastischem‹ Typus – wenn man La Peyre`re trotz des Amillenarismus einmal zu diesem Typus zählen möchte. Vielleicht wäre es aber sinnvoller, hier nicht von Philosemitismus zu sprechen, sondern daran zu erinnern, daß bereits das 18. Jahrhundert für einen – wenn auch durchaus pejorativ gemeinten – Judenfreund einen anderen Begriff geprägt hat, nämlich den »Judentzer«. Zu diesen zählte der lutherische Theologe und Orientalist Johann Jacob Schudt (1664–1722) La Peyre`re in seinen Jüdischen Merckwürdigkeiten (1715). Schudt druckt nicht nur das Vorwort ›an alle Juden‹ sowohl auf Latein und Deutsch ab, sondern bemerkt dazu, man habe es ebenfalls ins Hebräische übersetzt und es habe sich in dieser Form auch im Reich unter den Juden besonderer Beliebtheit er147

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Apologie (1663), S. 167: »L’aprobation que ie demande, est cele d’vn homme de bien, d’vn veritable Nathanael, & d’vn veritable chrestien. C’est a` dire, qui est sans fraude, & sans superstition. Du coeur comme de la bouche.« Vgl. Art. Nathanael. In: Zedler. Bd. 23 (1740), Sp. 897–899, 899: »Nun waren aber nicht alle Israeliten, die von Israel sind, Rom. IX,6, massen wahre Israeliten nicht nur müssen stammen von Israel, sondern es gehöret auch darzu Israels Sinn und Geist: weil nun dieser bey Nathanael anzutreffen, und er dem Wercke nach ein Israeliter war, so giebt ihm auch der Heyland das Lob, daß er sey ein rechter Israeliter, in welchem kein falsch sey.«

178 freut.149 Diesen letzten Punkt wird man allerdings wohl Schudts polemischer Überspitzung zurechnen müssen.150 Resümierend läßt sich also festhalten: Es ist naheliegend anzunehmen, es gehe in La Peyre`res Werk vornehmlich um Juden, weil diese Gruppe allein im Titel von Du Rappel des Juifs (1643) und später in der Dedikation ›an alle Juden‹ zu den Prae-Adamitae (1655) genannt wird. Es würde sich allerdings in Analogie ebenso anbieten, aus dem Titel seines sogenannten Hauptwerkes – den Prae-Adamitae – zu folgern, es gehe La Peyre`re in erster Linie um die Präadamiten, also um die Nichtjuden. Denn wenn die Juden den Glauben der ›Völker‹ annehmen sollen, um eben Christen zu werden und somit ihrer wahren Bestimmung zu entsprechen, gibt es offensichtlich auch bei La Peyre`re eine deutliche Gradation zwischen Judentum und Christentum. Der eigentliche Jude ist keiner mehr, sondern hat im Glauben an Jesus Christus das Christentum anerkannt. Äußeres Judentum und inneres Judentum werden gegeneinander ausgespielt, Altes und Neues Israel. In diesem Neuen Israel – der Kirche – geht es aber vor allem um die Annahme der ›Völker‹ mittels der göttlichen Adoption zu den Kindern Gottes und somit zu den Erwählten. La Peyre`re kann entsprechend formulieren: »il est vray que les Gentils par leur Adoption sont deuenus vrays Iuifs, & veritablement freres des Iuifs.«151 Von den Juden hingegen heißt es: »Les Iuifs ne sc¸auroient non plus estre vrays Iuifs s’ils ne tombent, selon leur Prophete, dans la croyance des Chrestiens.«152

4. Echte Juden und wahre Juden Nicht umsonst beginnt Du Rappel des Juifs mit den Worten Jesu Christi aus dem Johannesevangelium: »Le salvt est des Ivifs«153 (Joh 4,22) Damit ist nicht nur das Hauptthema bereits angeschnitten, nämlich das Verhältnis von Juden und ›den Völkern‹, sondern auch die Rolle dieser beiden Gruppen in und für die Heilsgeschichte und zudem die Stellung Jesu Christi im soteriologischen Szenario. In diesem ›Das Heil kommt von den Juden‹ liegt indirekt die Begründung für den Rückruf der Juden. Gleichzeitig zeigt sich in diesem Bibelvers die nur schwer auszuräu149

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Vgl. darin zu La Peyre`re Johann Jacob Schudt: Jüdische Merckwürdigkeiten. Franckfurt, Leipzig 1715. Buch V. Kap. 16, S. 538–542. Schudt hatte dies aus den Werken von Johann Christoph Wagenseil entnommen; vgl. dazu Peter Blastenbrei: Johann Christoph Wagenseil und seine Stellung zum Judentum. Erlangen 2004, S. 122, der den vermeintlichen Übersetzer als einen gewissen Leo Winckler identifiziert. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 57. Du Rappel des Juifs (1643). Buch IV, S. 248. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 1.

179 mende Notwendigkeit, als Christ über die Juden sprechen zu müssen. Dieses Diktum Jesu Christi muß einer biblisch verpflichteten christlichen Theologie auf den ersten Blick ein Ärgernis, um nicht zu sagen als eine Torheit erscheinen, schließt es doch scheinbar alle Nichtjuden, also ›die Völker‹, vom Heil aus. La Peyre`re kombiniert allerdings diese Worte Christi des Neuen Testaments mit der Verheißung aus verschiedenen Stellen des Alten Testaments, die diese Aussage Christi über die herausgehobene Erwähltheit der Juden dahingehend relativieren, daß dereinst alle – und eben nicht nur die Juden – in den Nachkommen Abrahams gesegnet seien. Auch schon im Johannesevangelium ist diese Perikope der Punkt, wo ›die Völker‹ als Außengruppe eingeführt werden, denn Jesus Christus spricht zu der Samariterin, einer »femme Estrange & Gentile«154, diese Worte: »Le salut est des Juifs«. Wenn also schon auf dieser Ebene ausgeschlossen ist, aus dieser Bibelstelle zu folgern, das Heil sei ausschließlich für die Juden, so muß noch geklärt werden, was es bedeuten soll, es komme ›von den Juden‹. Die Begründung für diese These bilden die Verheißungen an die Stammväter Israels, daß ›in ihrem Samen‹ (»en leur semence«) alle Nationen, Stämme und Geschlechter der Erde gesegnet seien, also nicht nur das Volk Israel, sondern auch die übrigen ›Völker‹.155 Besondere Bedeutung bekommt dabei Stammvater Abraham zu. La Peyre`re betont, daß wer in diesem Sinne »de la semence d’Abraham« sei, noch lange nicht »veritables Enfans d’Abraham«, also ein Jude, sein müsse (vgl. Röm 4 u. 9,7). Zudem sei diese Verheißung an Abraham über seine Nachkommen noch vor seiner Beschneidung ergangen, und im übrigen sei hier Abraham figurativ für Christus zu verstehen.156 La Peyre`re kann also schlußfolgern: Die Erwählten sind »en la semence des Iuifs« gesegnet, doch ist dieser ›Samen der Juden‹ niemand anders als Jesus Christus selbst. Der »Homme Juif« Jesus Christus ist sowohl Ursprung der Juden (»la semence des Iuifs«) als auch selbst Jude, weil er bei seiner Menschwerdung ebenfalls ›vom Samen der Juden‹ (»de la semence des Iuifs«) war. Das ›Heil kommt von den Juden‹ läßt sich also genauer fassen im Sinne von: das Heil kommt von und durch Christus. Schon zu Beginn der Argumentation in Buch I seines Rappel des Juifs (1643) hat La Peyre`re betont, es stehe außer Frage, daß das Heil zu allen Zeiten allein durch Christus sowohl für die Juden wie für die ›Völker‹ erwirkt ist. Der Unterschied für 154

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 1. La Peyre`re gibt in der Marge 2 Kön 17 als Beleg an, um die Samariter als abtrünnige Verehrer Jahwes und somit als gentils stärker zu unterstreichen; vgl. zum Verhältnis von Juden zu Samaritern: Joh 4,9. La Peyre`re gibt in der Marge drei Stellen aus der Genesis an: Gen 18,18 (Nationen), Gen 28,14 (Stämme), Gen 12,3 (Geschlechter). Gen 28 bezieht sich allerdings auf den Stammvater Jakob, die anderen beiden Stellen auf Abraham. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 29.

180 diese beiden Gruppen liege allerdings in der zeitlichen Verheißung.157 Denn erst in der Verwerfung der Juden weitet sich die Verheißung auch auf die ›Völker‹ aus. In dieser Weise kommt das Heil für die ›Völker‹ von den Juden, indem jene anstelle von den Juden zu den Kindern Gottes gerechnet werden. Zwar seien alle Menschen Geschöpfe Gottes. Zu vollwertigen »Enfans de Dieu« würden die Menschen aber erst »selon le droict de Recreation, ou de Regeneration en Iesus Christ«.158 Diese Wiedergeburt in Jesus Christus mache sie zu »Kindern der Erwählung und der Gnade« (»Enfans d’Election et de Grace«).159 Das werde man durch Adoption zum Haus Israel. Die Juden waren die ersten, die zu diesem Heil ›aufgepfropft‹ (»antez«) wurden. Doch sei dieses Heil letztlich allen Menschen in Jesus Christus verheißen: »Promis a` tous les hommes en Iesus-Christ«.160 Wenn La Peyre`re hier von ›aufpfropfen‹ spricht, ist es also wieder das Bild vom Ölbaum aus dem Römerbrief, das in seiner Darstellung benutzt (Röm 11,13–24). Jesus Christus ist die Wurzel dieses Ölbaums und auf diesen Stumpf werden die Erwählten aufgepfropft. Gegen Ende von Buch I gibt La Peyre`re an, den Rückruf der Juden nicht mit alttestamentlichen Stellen belegen zu wollen, schließlich spreche das Alte Testament kaum von etwas anderem. La Peyre`re verlegt sich deshalb auch hier explizit auf den Römerbrief und besonders auf das elfte Kapitel.161 Wenn also Jesus Christus im Bild des Ölbaums der Stumpf ist, auf den zu allen Zeiten der erwählte Mensch als Zweig aufgepfropft wird und es zudem schon seit Abraham die Verheißung dieses Heils auch für die ›Völker‹ gibt, ist es nur konsequent, daß La Peyre´re annimmt, daß es auch schon vor der Menschwerdung Christi, also in der heilsgeschichtlichen Epoche sub lege, Erwählte aus den ›Völkern‹ gab: Nous ne deuons pas trouuer estrange [...] que de toutes les Familles de la Terre, il y ayt eu des Eleus Appellez & Antez dans la Famille des Iuifs, pour ne composer tous ensemble qu’vn seul Corps d’Eglise & d’Election mesle´ & confondu dans le Corps des Iuifs162 157

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 2:»Et generalement parlant de la Redemption du Genre humain; Que le Salut ne soit d’vn seul Jesvs Christ pour les Iuifs, comme pour les Gentils. Mais nous disons que Dieu a voulu conferer ce Salut qui est d’vn seul Iesus Christ, aux Iuifs Premierement & directement; Et que les Gentils ne l’ont receu que par Deriuation & Participation des Iuifs.« Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 6. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 9. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 14. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 40: »Povr prouuer le Rappel des Iuifs; laissons tout le vieux Testament, qui ne parle presque d’autre chose, & n’en disons que ce que l’Euangile nous en a appris. S. Paul se fait luy mesme cette question au chap. xi. de l’Epitre aux Romains.« Allerdings gibt auch La Peyre`re auf den vorangegangenen Seiten etwa die viel bemühten Stellen: Jer 31, 34; Ez 11,19 u. 36,26. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 3f.

181 Die Erwählten bilden also alle zusammen die Kirche und somit die ›Juden‹. Um am Heil teilhaben zu können, werden selbst nach der Kreuzigung Christi die ›Völker‹ zum Judentum konvertiert. Sie werden regelrecht zu Juden, doch nicht zu »Juifs selon des hommes«, sondern zu »Juifs selon Dieu« – also nicht zu ›äußeren Juden‹, sondern zu ›inneren Juden‹ im Sinne von Paulus.163 Der wahre Gläubige in Jesus Christus ist nach La Peyre`re also der ›wahre‹ Jude, da ›innerer Jude‹ – ein ›echter‹ Jude ist hingegen vielleicht nur ›äußerer Jude‹. So sehr La Peyre`re eine Entschuldung der Juden vorantreibt, so deutlich ist auch, daß es bei ihm eine Vereinnahmungsstrategie ist, um den ›Völkern‹ das ›wahre‹ Heil zu ermöglichen. Nicht nur kommt das Heil von den Juden, sondern die ›Völker‹ haben es bislang nur in Ansätzen. La Peyre`re kann deshalb mit Paulus formulieren, die ›Völker‹ vertragen nur Milch, noch kein Fleisch (1 Kor 2,3).164 Gleichwohl gilt, daß der ›innere Jude‹ bereits ein Christ ist und der legitime Erbe des Gottesvolkes Israel des Alten Bundes.165 Neben der Samariterin (Joh 4,22) baut La Peyre`re denn auch den Hauptmann von Karfanaum (Mt 8,11) und die Kanaaniterin (Mt 15,24) ein, also allesamt ›heidnische‹ Figuren aus den Evangelien, die für die frühe Annahme der ›Völker‹ stehen. Wenn er zudem Abraham quasi zum erwählten ›Protoheiden‹ stilisiert, wird deutlich, wie sehr er hier seine Argumentation für Christen aufbaut. Zwei naheliegende Haupteinwände, auf die La Peyre`re jedoch antizipierend eingeht, weisen in die gleiche Richtung: Er diskutiert erstens die Frage, wie das Heil der ›Völker‹ ausgerechnet von den verworfenen Juden abhängen soll, und zweitens die Problematik des ›bereits‹ und ›noch nicht‹ der christlichen Erlösung. Die Frage nach den noch nicht am Heil partizipierenden ›Völkern‹ projiziert La Peyre`re vor allem heilsgeschichtlich zurück: Genauso wie es auch schon vor der Menschwerdung Christi, also sub lege, unter den Juden des Alten Bundes Erwählte gab, die »Jesus Christ au dedans« 163

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 26f: »Cette verite´ est si certaine & si ferme, qu’il a fallu que les Gentils ayent este´ Conuertis en Iuifs, pour auoir part aux benedictions Iuiues, & au Salut qui vient des Iuifs. Conuersion des Gentils en Iuifs qui a este´ faite & qui se fait par la force & la vertu de cette Adoption merueilleuse en Iesus Christ Homme Iuif. Adoption qui est aux Gentils vne nouuelle Creation, dans laquelle ils changent non seulement de Nom, comme il se pratique aux Adoptions vulgaires; mais dans laquelle ils changent mesme de Nature, pour estre faits de Gentils veritablement Iuifs; non pas Iuifs selon la Chair, mais Iuif selon l’Esprit. Pour estre faits; non pas Iuifs selon des Hommes, mais Iuifs selon Dieu. Pour estre faits; non pas Iuifs au dehors, mais Iuifs au dedans.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 36. Ganz nebenbei gelingt es La Peyre`re durch die starke Abgrenzung der Heilsepochen und der entsprechenden Offenbarung, daß die Völker erst mit Christus an der Offenbarung teilhaben und somit auch eine Geschichte des vorausgegangenen Abfalls von Gott hinfällig wird.

182 hatten, so gab es auch unter den ›Völkern‹ einige, die zu den ›Juden‹ gerechnet wurden. Diese Erwählten waren »Juifs au dedans« und besaßen ebenfalls »Jesus Christ au dedans«. Für die besondere Erwählung der Juden gebe es keine weitere Begründung als die, daß Gott es so gewollt habe.166 In ähnlicher Weise wird La Peyre`re am Ende seines Werkes im Advis au Lecteur darauf aufmerksam machen, daß nur Gott allein um den Zeitpunkt des Rückrufes der Juden wissen könne.167 Mit dieser Konstruktion des ›inneren Juden‹ steht La Peyre`re freilich nicht allein, auch in England wurde im 17. Jahrhundert stark paulinisch argumentiert. Von John Dury gibt es etwa eine Predigt vor dem englischen Parliament mit dem Titel Israels Call to March out of Babylon unto Jerusalem. In dieser Predigt über Jesaja 42,11 geht es nicht mehr um die Juden, sondern nur noch im übertragenen Fall über England in der Babylonischen Gefangenschaft, aus der es sich befreien soll.168 Diese Predigt ist ein typisches Beispiel für die translatio electionis Israeli auf England. Margaret Fell (1614–1702), eine der Gründungsfiguren der Quäker, verwandte dieselbe Bibelstelle bei dem Versuch, Menasse ben Israel zu überzeugen, nicht nur ihn, sondern auch die anderen Juden zum Christentum bekehren zu können. Das kurze Pamphlet von 1656 hat den sprechenden Titel: For Menasseth Ben Israel. The Call of the Jews out of Babylon. Sie versuchte Menasse ben Israel darin nahezulegen, daß es wahrlich an der Zeit sei, aus der Gefangenschaft der Verwerfung zu entfliehen und die Juden zu sammeln »from the four corners of the earth«.169 Sie argumentierte dabei ausschließlich mit alttestamentlichen Stellen, interpretierte diese aber im Sinne des Neuen Bundes: »Now here you may see where the Lord will be worshipped, not in outward Temples, or outward Synagogues made with hands; But the time is come, that the Lord will be worshipped in Spirit, in the inward man.«170 Fell nimmt hier implizit Bezug auf das Johannesevangelium, wo Jesus der Samariterin erklärt: ›Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet. [...] Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit.‹ (Joh 4,21.23) Ähnlich betont sie am Ende, daß es ein innerer Tempel sei 166 167

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 4. Du Rappel des Juifs (1643), S. 375: »Ie sc¸ay que le Rappel des Iuifs & la Reünion des Chrestiens sont purement Ouurages de Dieu qui ne peuuent estre aduancez par aucun discours ou Raisonnement humain. Ie sc¸ay que l’vn & l’autre ne sera qu’au Temps que Dieu a decrete´ de toute Eternite´; & par des Moyens qui ne sont Connus que de luy seul.« John Dury: Israels Call to March out of Babylon unto Jerusalem. London 1646. Margaret Fell: For Menasseth Ben Israel. The Call of the Jews out of Babylon. London 1656, S. 3. Fell: For Menasseth Ben Israel (1656), S. 14.

183 wie auch die Beschneidung nur eine innere sei. »And so that you may not onely be the Jew outwardly, and that you may be the Jew inwardly, whose praise is not of men but of God.«171 Auch Popkin betont in einem Artikel über die jüdisch-christlichen Beziehungen im 17. Jahrhundert, daß die Quäker und besonders George Fox (1624–1691) propagierten, »to be a Jew externally is nothing; to be a Jew internally is everything« und führt aus, dies sei eine Paraphrase aus dem Römerbrief.172 Allerdings zieht Popkin daraus nicht die nötigen Konsequenzen, nämlich daß der ›innere Jude‹ der paulinische Ausdruck für den Christen ist. So kann Popkin auch über La Peyre`re urteilen: »La Peyre`re is much more Jewish than Christian in his conception. [...] Perhaps, because La Peyre`re put Christianity back into Jewish history, he was able to be so universalist, unlike almost all of his contemporaries, he could see Adam’s sin not as a cosmic disaster, but as a genuine benefit for all mankind, since it started Jewish history.«173 Popkin scheint die christlich-theologische Rede von der ›felix culpa‹ nicht zu kennen, welche die Sünde Adams natürlich nicht als Beginn der jüdischen Geschichte, sondern in Relation zur Menschwerdung Christi setzt und darin das daraus resultierende Heil postuliert. Es ist diese ›glückliche Schuld‹, die der Osterhymnus besingt: »O wahrhaft heilbringende Sünde des Adams, du wurdest uns zum Segen, da Christi Tod dich vernichtet hat. O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden.«174 So heißt es auch bei La Peyre`re in seiner Dedikation ›an alle Juden‹: »Felix culpa fuit patris primi vestri Adami, quae me meruit redemptorem«. Und La Peyre`re läßt Christus auftreten und zu seinen Lesern sprechen: »Felicior culpa fuit patrum vestrorum; quae me morte mea, vestri & totius generis humani redemptorem fecit«.175 Gleichwohl nimmt La Peyre`re hier eine eigenwillige Umdeutung des christlichen Theologoumenons vor, denn bei ihm liegt die ›felix culpa‹ nicht so sehr im Sündenfall als vielmehr in der Verwerfung des Messias durch die Juden. Diese ›glücklichere Schuld‹ hebt nicht nur durch Tod und Auferstehung Christi den Sündenfall auf, sondern beruft vor allem auch ›die Völker‹ in die Erwählung. Somit steht La Peyre`re vor allem in der Tradition des Völkerapostels Paulus. 171 172

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Fell: For Menasseth Ben Israel (1656), S. 20. Christian Jews and Jewish Christians in the 17th Century. In: Popkin, Weiner (Hgg.): Jewish Christians and Christian Jews (1994), S. 63. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 58f. Im Exsultet heißt es: »O certe necessarium Adae peccatum, quod Christi morte deletum est. O felix culpa, quae talem ac tantum meruit habere Redemptorem.« Vgl. Hans Martin Weikmann: Art. Exsultet. II. Hymnologisch. In: LThK3. Bd. 3 (1995), Sp. 1134. Synagogis Iudaeorum universis (1655), S. 4f.

184 Besonders deutlich tritt Popkins enger Interpretationsansatz 1994 in einem Artikel zu Christian Jews and Jewish Christians in the 17th Century zutage, in dem Popkin La Peyre`res messianische Thesen aus dem Rappel des Juifs (1643) gewagt in wenigen Zeilen wie folgt zusammenfaßt: La Peyre`re said that a Messiah had arrived in the first century who was the Messiah for the Gentiles. Now there would be a second Messianic episode for the Jews. The first was Jesus in the spirit [sic!], the second would be Jesus in the flesh [sic!], the Jews expected political Messiah. To prepare for his coming, La Peyre`re urged that the Jews be recalled to France, that anti-semitism be made illegal, that the Jews be Christianized to the extend that they would have a Jewish Christian church (to which only Jews could belong [sic!]) that would have no doctrines or practises that were offensive to Jews.176

Allerdings haben wir schon gesehen, daß die Annahme des Messias Jesus Christus Grundvoraussetzung dieser von La Peyre`re geforderten »Jewish Christian church« ist. Und wenn La Peyre`re auch, wie es durchaus topisch in der theologischen Diskussion ist, die Taufe als Beschneidung und das Abendmahl als Pessach erklärt, so ist dies bereits eine ›Proselytenkirche‹, die ins Arkanum des christlichen Glaubens eingeführt hat und vor allem auch nicht nur Juden offenstehen soll. Man wird zudem sagen müssen, daß hier Popkin unterschlägt, daß diese zweite messianische Episode nicht nur für die Juden, sondern in entscheidendem Maße auch für die ›Völker‹ Bedeutung hat. Wenn Popkin allerdings resümiert, Christus sei damals nur in spiritu gekommen und werde nun in carne erscheinen, dreht er die Argumentation La Peyre`re schlicht um. Natürlich spielt La Peyre`re offen mit der jüdischen Messiaserwartung, letztlich muß er diese aber bitterlich dahingehend enttäuschen, daß Christus nurmehr in spiritu kommen und der politische Messias im Rappel des Juifs nur sein Stellvertreter auf Erden, eben der französische König sein soll. Antony Grafton schrieb bereits über Popkins Monographie: »Popkin’s book is the deepest exploration we have of La Peyre`re’s work and world, but it does not quite touch bottom.«177 Popkin geht 1987 in dem Eingangskapitel seiner Monographie, das sich biographisch La Peyre`re zu nähern versucht, auf die Kritik ein, die seit seinem Artikel zur Marrano Theology (1973) an der These, La Peyre`re sei selbst Marrane gewesen, geübt worden ist. Auch Popkin muß zugeben, daß es eigentlich keine Evidenz dafür gibt.178 Neben den üblichen biographischen Argu176

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Christian Jews and Jewish Christians in the 17th Century. In: Popkin, Weiner (Hgg.): Jewish Christians and Christian Jews (1994), S. 57–72 (Zitat 62). Anthony Grafton: A vision of the past and future. In: The Times Literary Supplement, Nr. 4,428 (1988), S. 152. Diese Rezension erschien drei Jahre später um diesen Satz gekürzt und um einige kleinere Eingriffe verändert als Kapitel in seinem Sammelband Defenders of the Text. The Traditions of Scholarship in an Age of Science, 1450–1800. Cambridge (Mass.), London 1992, S. 204–213. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 22f. »My own view is that the most likely explanation

185 menten zum Autor La Peyre`re und der Dedikation ›an alle Juden‹ aus den Prae-Adamitae (1655) will Popkin im Rappel des Juifs (1643) die Bestätigung für seine These einer marranischen Theologie gefunden haben. Es ist vor diesem Hintergrund nur allzu verständlich, daß er sich seit seinem Artikel über die vermeintlich marranische Theologie La Peyre`res mit dem Gedanken trug, den Rappel des Juifs zu edieren, wozu es leider nicht gekommen ist.179

5. Marrano theology revisited Als Hauptargument für eine marranische Theologie verweist Popkin auf eine Stelle im dritten Buch des Rappel des Juifs, wo La Peyre`re über Juden spricht, die zum Heil erwählt sind. Für La Peyre`re gibt es nämlich mit Verweis auf Paulus selbst unter den Juden einen Rest von Erwählten (Röm 11,7), der sich allerdings nicht mit der Gruppe der öffentlich zum Christentum konvertierten Neuchristen deckt. Vielmehr gibt es eine weitere Anzahl von Juden, die – obwohl nach äußeren Kriterien Juden – eben doch ›innere Christen‹ und somit Erwählte sind. Der Deutlichkeit halber sei diese Stelle im Wortlaut zitiert: Ne croyons pas que ce Residu dont parle S. Paul, & dont nous entendons parler, soit vn Residu de ces Iuifs seulement que nous voyons convertis a` la Foy Chrestienne, & que les Espagnols appellent Christianos Nvevos. Le Residu est aussi de ces Iuifs que l’Apostre S. Paul appelle Juifs au dedans, & Juifs dans le cache´. Ce Residu a` proprement parler, ne se void point, & n’est connu que de Dieu seul, qui fonde les Reins & qui est le seul Scrutateur des cœur des hommes.180

La Peyre`re jongliert hier zwei Gegensatzpaare: sichtbar/unsichtbar sowie innerlich/äußerlich. Nach La Peyre`re weiß und sieht nur Gott allein,

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of La Peyre`re’s outlook was that he was of Jewish origins. The evidence, as we have seen, is not overwhelming.« Vgl. Popkin: Marrano Theology (1973), S. 121. Das Reprint sollte in der Serie ›Texts in Early Modern Philosophy‹ erscheinen. Leider ist es dazu nie gekommen. Pikanterweise dankt allerdings Pintard 1983 in seinem Vorwort zur Neuauflage seines Libertinage e´rudit, S. XXVII, bereits Popkin für diese Leistung: »Quant a` l’importance que reveˆtait en elle-meˆme la nouvelle the´orie, elle est atteste´e par le mouvement de vive curiosite´, parfois d’admiration, qui s’est de´veloppe´ depuis le de´but de notre sie`cle et dont la re´e´dition, par R.H. Popkin, du Rappel des Juifs et d’une traduction anglaise des Pre´adamites est, entre autres, un important te´moignage«. Du Rappel des Juifs (1643). Buch III, S. 178. ›Wir wollen nicht annehmen, daß dieser Rest, von dem Paulus spricht und von dem wir sprechen wollen, ein Rest ausschließlich von jenen Juden ist, die wir zum christlichen Glauben konvertiert sehen und die die Spanier Neu-Christen nennen. Der Rest besteht außerdem aus den Juden, die der Apostel Paulus Innere Juden und Juden im Verborgenen nennt. Diesen Rest, genau genommen, sieht man nicht, und er ist nur Gott allein bekannt, der als einziger der Menschen Herz und Nieren erforscht.‹

186 wer von den Juden zu dem ›Rest der 7000‹ und somit zu den Erwählten gehört. Die äußerliche Zwangskonversion zum Christentum ist dabei kein zwingendes Kriterium zur Unterscheidung zwischen erwähltem und verworfenem Juden. Fast bekommt man den Eindruck, Popkin müsse hier im ersten Satz das »pas« überlesen haben, denn er interpretiert im Sinne eines »Ne croyons que ce Residu«. Popkin identifiziert nämlich den ›Rest‹ mit den Marranen – anstatt zu differenzieren, daß der besagte Rest sowohl aus Zwangsgetauften wie auch aus anderen Juden besteht. Schon 1973 faßte Popkin diese Stelle in seinem Artikel zur Marrano Theology falsch zusammen, indem er die Gruppe der Marranen von einer weiteren Gruppe, dem ›Rest der 7000‹, unterscheidet: »Those who will be recalled are the converts (and it is interesting that La Peyre`re used the term ›Christianos nuevos‹, the Spanish term that was equivalent with ›Marrano‹ at the time, and another group, a secret elect of Jews, 7,000 of them, who are known to God.«181 Dabei ist es wahrlich interessant, daß La Peyre`re hier explizit den Begriff »Christianos nuevos« benutzt. Dieser Ausdruck untermauert jedoch die Kritik des Franzosen La Peyre`re an der spanischen Religionspolitik und an ihm demonstriert er besonders augenfällig die Differenz zwischen der Praxis der Zwangsmission durch die Spanische Inquisition und der paulinischen Theologie. Laut La Peyre`re sind nicht alle Juden und eben auch nicht alle christianisierten Juden, sondern nur der ›Rest von 7000‹ zum Heil prädestiniert. Mit Rekurs auf Röm 9,5 zeigt sich das gut protestantische sola gratia im Handeln Gottes, das nicht durch eine oberflächliche äußere Christianisierung, sondern nur im Verständnis eines von Gott geschenkten inneren Glaubens (sola fide) verstanden werden kann. 5.1. La Peyre`re als Kryptojude Es ist jedoch nicht nur Popkin gewesen, der La Peyre`re in dieser Weise interpretiert hat. Nathan Wachtel ist etwa vor kurzem angetreten, die Analyse von Popkin zu verfeinern. Im Gegensatz zu Popkin geht Wachtel sogar soweit, die genannte Textstelle aus dem Rappel des Juifs wörtlich zu zitieren, doch auch er übersieht in seiner Interpretation das »aussi«, das eine Dichotomie aufmacht zwischen den (Teilen der) »Cristianos nuevos« und den »Juifs au dedans«, die zusammen den Rest der Erwählten ausmachen.182 Zwar profitiert auch Wachtel von Popkins In181

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Popkin: Marrano Theology (1973), S. 101; vgl. ebenfalls Ders.: La Peyre`re (1987), S. 55. Nathan Wachtel: Histoire et anthropologie des socie´te´s me´so- et sud-ame´ricaines. Re´sume´ des cours 2003–2004. In: Annuaire du Colle`ge de France 104 (2004),

187 terpretation, er legt aber seinen Akzent nicht so sehr auf die »Cristianos nuevos«, sondern auf die »Juifs au dedans«.183 Wenn nach La Peyre`re Juden und ›Völker‹ zusammen Gott loben werden, versteht Wachtel wie Popkin darunter eine Nivellierung der Unterschiede zwischen beiden Religionen zugunsten der Juden. Er konstatiert zudem einen Unterschied zu den Millenaristen des 17. Jahrhunderts, denn bei La Peyre`re gehe es nicht um die Konversion der Juden zum Christentum. Vielmehr würden nach ihm gerade Juden als ›Juden im Geheimen‹ gerettet: der ›Rest von Israel‹ bestehe bei La Peyre`re eben aus nur schlecht oder sogar aus gar nicht Konvertierten. Wachtel faßt hier die »Juifs au dedans« im Sinne von Kryptojuden auf. Entsprechend wäre es nicht nur eine marranische, sondern besser eine jüdische Theologie, die La Peyre`re bewegen würde.184 La Peyre`re hingegen spielt, wie wir bereits gesehen haben, mit der Wendung ›innere Juden‹ auf Röm 2,29 an, wo Paulus den wahren Gläubigen als den inneren Gläubigen ausmacht. Paulus geht es um die wahre Observanz des Gesetzes, die sich nicht am Äußerlichen festmachen lasse: ›Jude ist nicht, wer es nach außen ist, und Beschneidung ist nicht, was sichtbar am Fleisch geschieht, sondern Jude ist, wer es im Verborgenen ist und Beschneidung ist, was am Herzen durch den Geist, nicht durch

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S. 647–656, dort heißt es S. 647: »L’on a consacre´ une se´rie de cours a` l’e´tude de l’œuvre de Isaac La Peyre`re, en revenant bien e´videmment a` l’examen direct des textes afin de comple´ter (et rafraichir) les analyses par ailleurs remarquables de Richard H. Popkin.« Wachtel: Histoire et anthropologie (2004), S. 648: »Il est a` pleine besoin de ›lire entre les lignes‹, comme le sugge`re Leo Strauss a` propos de ce genre de litte´rature (le ›masque‹ e´tant ici celui de saint Paul), pour percevoir de manie`re tre`s plausible une allusion a` ›la foi du souvenir‹ transmise clandestinement depuis plusieurs ge´ne´rations de´ja` parmi les crypto-juifs du monde iberique«. Wachtel spielt an auf Strauss: Persecution (1952), S. 25: »Persecution [...] gives rise to a peculiar technique of writing, and therewith to a peculiar type of literature, in which the truth about all crucial things is presented exclusively between the lines«; das Buch erschien 1989 auch auf französisch und gewann großen Einfluß auf die französische Diskussion. Vgl. Wachtel: Histoire et anthropologie (2004), S. 648: »La Peyre`re s’attache a` re´duire autant que possible la distance entre les deux religions, juive et chre´tienne, – en quoi il se distingue clairement du philose´mitisme des mille´naristes anglais ou hollandais de la meˆme e´poque, qui conc¸oivent ne´anmoins la conversion des Juifs comme le triomphe final du christianisme – , au point d’insister sur le fait que les nouveaux-chre´tiens ne sont pas les seul agents providentiels de l’histoire: ceux-ci comprennent bel et bien des Juifs, un ›residu‹ dans les temps pre´sents de sept mille Juifs non convertis (ou non since´rement convertis, le texte est suffisamment riche et ambigu pour autoriser plusieurs sens), non convertis donc et cependant toujours e´lus, assure´s de leur salut, qui depuis le Christ se perpe´tuent ›cache´s‹, connus de Dieu seul.« Die Kritik an Popkin mag hier auch in der Ablehnung der providentiellen Rolle der Juden im Sinne von Jehuda Halevi bestehen.

188 den Buchstaben geschieht.‹ (Röm 2,29)185 La Peyre`re baut die Differenz auf von ›wir sehen‹ zwar die Konvertiten, aber ›wir sehen und erkennen nicht‹ den Rest der Erwählten; es geht also gerade bei den ›inneren Juden‹ nicht um eine menschliche, sondern um die göttliche Perspektive. »Juifs au dedans« bedeutet entsprechend, daß es weder Außenstehenden möglich ist, den wahren Glauben zu erkennen, selbst dem Gläubigen ist es nur bedingt möglich. »Juifs au dedans« ist nicht der Marrane, der nur im Geheimen Jude ist, sondern eben der wahre Gläubige, den Gott dazu prädestiniert hat. Da interpretiert La Peyre`re ganz im Sinne der Anmerkung der Genfer Bibel zu dieser Stelle.186 Mit Verweis auf Kol 2,11 ist es die innere Beschneidung, die Beschneidung des Herzens, die Gott bewirkt. Überhaupt formuliert La Peyre`re im Rappel des Juifs (1643) in Anlehnung an Röm 9,6–8: »le Rappel ne sera pour toute sorte de Iuifs; mais pour ces Iuifs seulement qui sont Iuifs & selon la Chair & selon la Promesse.«187 Natürlich weiß auch La Peyre`re um die Ambiguität seiner These dieses quasi ›anonymen Christentums‹ und nimmt den christlichen Einwand vorweg, wie denn der ›Rest von Israel‹ gerettet werden könne, ohne Christ zu sein: »Si le Residu n’est pas [seulement] de ce Iuifs qui se sont Chrestiens, d’ou` vient qu’il est escrit; que ce Residu sera sauue´?«188 Impliziere das nicht Christus, besser seinen Geist, also die Kenntnis des Evangeliums als die Kenntnis vom menschgewordenen Jesus Christus, und überhaupt die offen gelebte christliche Glaubenspraxis? Doch bereits die Formulierung dieses Einwandes ist gut gewählt, weil La Peyre`re mit Verweis auf Röm 8,9 den Geist Christi ins Spiel gebracht hat. Wenn nämlich – wie in der christlichen Theologie allgemein angenommen – die Patriarchen und Propheten des Alten Bundes sehr wohl 185

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Röm 2,28–29 nach der Übersetzung der Bible de Gene`ve: »Car celui-la` n’est point Juif qui l’est par dehors, & par la circoncision n’est point celle qui est faite par dehors en la chair. Mais celui-la` est Juif, qui l’est au dedans, & la circoncision est celle du coeur en esprit, non point en la lettre: duquel Iuif la loüange n’est point des hommes, mais de Dieu.« Die Anmerkung der Bible de Gene`ve zum »au dedans« präzisiert dort: »D’autres, en secret & comme en cachette, entant que la disposition interieure de l’ame est cache´e aux hommes, & n’est connue¨ qu’a` Dieu seul.« Du Rappel des Juifs (1643). Buch III, S. 177f. Röm 9,6b–8 nach der Bible de Gene`ve: »car tous ceux qui sont d’Israe¨l, ne sont pas pourtant Israe¨l. Et pour estre la semence d’Abraham, ils ne sont pas tous enfans: mais en Isaac te sera appelle´e semence. C’est a` dire ce ne sont pas ceux qui sont enfans de Dieu: mais ceux qui sont enfans de la promesse, sont re´putez pour semence.« Du Rappel des Juifs (1643). Buch III, S. 178f. Das »seulement« ist ergänzt nach den Corrigenda am Anfang des Werkes. Weiter heißt es dort: »Et qui est ce qui peut estre sauue´ que celuy qui est de Christ? Et qui est ce qui est de Christ, que celuy qui a l’Esprit de Christ? Et qui a l’Esprit de Christ que celuy qui a la connoissance de l’Euangile, qui est de Iesus Christ Incarne´, & qui faict Profession ouuerte du Christianisme?«

189 gerettet sind, ohne Jesus Christus gekannt zu haben, sondern nur durch den Besitz seines Geistes, erlaube dies auch, für den ›Rest von Israel‹ ähnliches anzunehmen: »Mais ie dy aussi qu’il n’est pas incompatible d’auoir l’Esprit de Christ, & de ne pas auoir vne entiere connoissance des Mysteres des Iesus Christ incarne´, ou telle mesme qu’il la faut auoir pour faire Profession ouuerte du Christianisme.«189 Wie Jesus Christus zu allen Zeiten ein und derselbe sei (Hebr 13,8), so müsse in logischer Konsequenz auch schon Abraham ein und denselben Geist Christi, also ›Jesus Christus im Innern‹ gehabt haben.190 Schon deshalb ist Wachtel nicht zuzustimmen, hier »Foy d’Abraham« kurzerhand im Sinne von »Loi de Moı¨se« zu verstehen, weil in der Gesamtkonzeption des Rappel des Juifs der Glaube Abrahams eine zentrale Rolle spielt und zwar in der Verheißung der Erlösung nicht für die Juden, sondern gerade für die ›Völker‹.191 Es geht hier also wieder um die Frage nach einem ›impliziten Glauben‹, wie wir es schon im Verlauf dieses Kapitels und bereits in der kurzen Darstellung von La Mothe Le Vayers De la vertu des payens in Kapitel II gesehen haben. Auch hier zeigt sich wieder sein reformierter Hintergrund, denn La Peyre`re kombiniert die Frage nach einem impliziten Glauben mit der Frage der Prädestination: der Rest werde erlöst aufgrund der Wahl, und diese Wahl finde vor der Geburt des Menschen statt, so daß sein Heil unabhängig sei von der Offenbarung Christi.192 5.2. La Peyre`re als eschatologischer Weichensteller Ebenfalls im Fahrwasser einer marranischen Theologie bewegt sich ˚ kerman über Christina von Schweden auch die Arbeit von Susanna A (1626–1689). Schon Schoeps war ja über Christina auf die Schriften La Peyre`res gestoßen, die als große Mäzenatin der Gelehrten im 17. Jahr189 190

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch III, S. 179. Du Rappel des Juifs (1643). Buch III, S. 180f: »Il n’y a nul non plus qui ne m’auoue¨; Que la Foy d’Abraham qui vivoit souz la Loy, ne fust la mesme Foy de Iesus Christ que nous auons souz l’Euangile. Et puis qu’il est certain que nous sommes sauuez en la Foy d’Abraham, comme il est certain que nous sommes sauuez en la Foy de Iesus Christ. [...] que tous les anciens Peres qui viuoient souz la Loy, & qui auoient la mesme Foy d’Abraham; Qu’ils auoient le mesme Iesus Christ au dedans d’eux que le Pere Abraham auoit au dedans de luy.« Vgl. Wachtel: Histoire et anthropologie (2004), S. 649: »L’on peut dire que les ›choses‹ ici sont parfaitement claires, sans meˆme que l’on ait besoin de lire entre les liens, encore que l’on ne puisse pas ne pas entendre derrie`re l’expression ›Foi d’Abraham‹ celle de ›Loi de Moı¨se‹ (alors courante, mais avec bien d’autres connotations, aussi bien en millieu marrane que dans le vocabulaire des Inquisiteurs)«. Du Rappel des Juifs (1643). Buch III, S. 205: »Il s’ensuit que ce Residu sera sauve´ par Iesus Christ. Or il est constant que l’Election ne prend pas seulement son Origine du moment de la Connoissance que les Eleus ont de Iesus Christ Incarne´: mais qu’elle tire son origine de deuant la naissance des Eleus, & de deuant la Fondation des siecles, d’vn Principe indetermine´ & Eternel.«

190 hundert gilt – in diesem Punkt vergleichbar mit ihrem kaum älteren Idol, dem Grand Conde´ (1621–1686). Sie vermochte etwa Hugo Grotius, Claude Saumaise und Rene´ Descartes an ihren Hof zu binden.193 Weitere Verbindungen speziell nach Frankreich bestanden über Gabriel Naude´ und etwa über Abbe´ Bourdelot, Conde´s ehemaligen Leibarzt und Förderer La Peyre`res. Bourdelot folgte, anders als La Peyre`re, nicht dem Prinzen Conde´ ins Exil, sondern zog während der Fronde eine Stellung bei Christina vor. Allein über diese Verbindung ist es nicht weiter erstaunlich, daß in Christinas Bibliothek auch die Schriften von La Peyre`re zu finden sind.194 Zudem hatte La Peyre`re 1649 die Schlachtbeschreibung La bataille de Lents Christina gewidmet. Persönliche Bekanntschaft allerdings machten La Peyre`re und Christina wohl erst in der gemeinsamen Zeit in den Südlichen Niederlanden.195 Einziger Beleg in Conde´s Papieren ist die lapidare Festellung in einem Brief an seinen Vertrauten in Madrid aus dem Beginn des Jahres 1655, er habe La Peyre`re bei Christina untergebracht.196 Dieser nicht weiter ungewöhnlichen Vernetzungsstrategie zweier Adliger mittels von Klienten waren außerordentliche Dinge vorausgegangen: Christina von Schweden, die Tochter von König Gustav II. Adolf und nach dessen Tod offiziell seit 1644 Königin von Schweden, dankte 1654 kurzerhand ab, verließ ihr Land und reiste über Hamburg und Münster nach Brüssel, wo sie am 24. Dezember 1654 im Beisein des Erzherzogs Leopold das katholische Bekenntnis ablegte und auf dem Weg nach Rom am 3. November 1655 offiziell in Innsbruck zum Katholizismus konvertierte. Diese Konfessionswechsel hat eine gewisse Parallelität zur Konversion von La Peyre`re nur anderthalb Jahre später in Rom unter demselben Papst Alexander VII. Chigi. 193

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Zum Verhältnis von Christina und Conde´ vgl. Otto Gerhard Oexle: Christina von Schweden, der Grand Conde´ und die Revolution der Wissenschaft im 17. Jahrhundert. In: Höfe – Salons – Akademien. Kulturtransfer und Gender im Europa der Frühen Neuzeit. Hgg. v. Gesa Stedmann, Margarete Zimmermann. Hildesheim u. a. 2007, S. 145–186. BAV, Barb. Lat. 8171, fol. 17. Der von Isaac Vossius erstellte Katalog ihrer Antwerpener Bibliothek verzeichnet explizit den Rappel des Juifs; vgl. Popkin: Menasseh ben Israel and Isaac La Peyre`re II (1984), S. 13. Vgl. auch den Brief abgedruckt in: Philippe Tamizey de Larroque: Quelques lettres ine´dites d’Isaac de la Peyre`re a` Boulliau. Paris, Bordeaux 1878 (Plaquettes Gontaudaises 2), S. 47–50. Popkin spricht von einem Wiedersehen, als ob La Peyre`re die Königin bereits 1644–46 während seiner Friedensmission in Skandinavien kennengelernt hätte; vgl. Popkin: La Peyre`re (1987), S. 10. Doch auch in der besagten Widmung macht er keine Anspielung auf diese Begegnung. Vgl. Conde´ an Fiesque vom Januar 1655. In: Henri d’Aumale: Histoire des princes de Conde´. Bd. 6. Paris 1892, S. 699: »j’establis la Peyre`re de re´sidence ordinaire aupre`s d’elle.« Vgl. auch Lucien Be´ly: La socie´te´ des princes. XVIe–XVIIIe sie`cle. Paris 1999, S. 441–448.

191 Recht ausführlich sind wir unterrichtet über die Aufzeichungen des kaiserlichen Admirals Raimondo Montecuccoli (1608/9–1680/81).197 Montecuccoli, der zu dieser Zeit kaiserlicher Gesandter bei Christina war, beschreibt nicht nur die Szene von Christinas Konversion beim Erzherzog, er nennt auch häufiger in seinen Aufzeichnungen aus dem Umfeld der Konversion einen gewissen »Perera« als seinen Gesprächs˚ kerman geht sogar soweit, Christina habe Conde´s Pläne mit partner.198 A dessen Sekretären Lenet und La Peyre`re besprochen. Bei Montecuccoli werden hingegen nur Pierre Lenet und vor allem Pierre Viole, die beide später 1656 eine entscheidende Rolle bei La Peyre`res Freilassung aus der Gefangenschaft der Inquisition spielen, genannt.199 Allerdings scheint der in zeremoniellen Dingen versierte und seinen Bericht darauf konzentrierende Montecuccoli grundsätzlich an anderen Dingen interessiert. So beschreibt er etwa in aller Ausführlichkeit, wie am 15. Dezember 1654, Lenet und Viole helfen mußten, einen weiteren Konflikt zu umschiffen. Denn Conde´ bestand als premier prince du sang darauf, in gleicher Weise empfangen zu werden, wie es Christina für den Erzherzog Leopold getan hatte, was diese jedoch ablehnte.200 Es kam aber durchaus zu einer Begegnung, ohne sich nur incognito oder etwa außerhalb der Stadt zu treffen. Gleichwohl mußte man einen Trick anwenden, indem Conde´ »nella folla« seiner Getreuen derart plötzlich ins Audienzzimmer der Königin gelangt war, daß es zu keinem Fauxpas bei der Ankunft 197

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Vgl. Viaggio in Fiandra, 1654–1655. In: Raimondo Montecuccoli: I viaggi. opera inedita. Hg. v. Adriano Gimorri. Modena 1924, S. 37–118. Vgl. auch Carl Burenstam: La reine Christine de Sue`de a` Anvers et Bruxelles. Stockholm 1891, S. 96, der Montecuccoli einen »ambassadeur de l’empereur aupre`s de la reine« nennt. Burenstam beschriebt dort, S. 53, daß Conde´ bereits während seiner Gefangennahme 1650 Christina ersucht habe, sich bei Mazarin und der Regentin Anna von Österreich für ihn zu verwenden. La Peyre`re findet allerdings bei Burenstam keine Erwähnung. Montecuccoli, I viaggi (1924), S. 91: »Alli 31 [Dezember 1654] vado a vedere il Perera, il quale ha composto un libro per provare che vi sonno de’ Preadamiti, cioe` uomini creati prima di Adamo, fondato sull’Epistola 3a [sic!] di S. Paolo ai Romani al verso 13, 14, 15, e questo libro a` ripiene di questioni curiosissime.« ˚ kerman: Queen Christina of Sweden and her Circle. The TransformaSusanna A tion of a Seventeenth-Century Philosophical Libertine. Leiden u. a. 1991 (Brill’s studies in intellectual history 21), S. 204: »In 1654, Montecuccoli describes how Christina discussed the plans of Conde´ with his secretaries Lenet and La Peyre`re.« Viole, den Montecuccoli als »favorito e factotum del Conde´«, S. 42, vorstellt, war seit 1652 für Conde´ in Bruxelles, vgl. Katia Be´guin: Les princes de Conde´. Rebelles, courtisans et me´cenes dans la France du Grand Sie`cle. Seyssel 1999, S. 440. Sven Stolpe: Königin Christine von Schweden. Frankfurt a.M. 1962, S. 211, schreibt dazu noch ohne jedes Verständnis: »Ebenso rätselhaft ist es, daß eine förmliche Begegnung mit dem vergötterten Helden sozusagen durch einen Streit um die Etikette verhindert wurde: Conde´ verlangte, mit den gleichen Zeremonien empfangen zu werden wie Erzherzog Leopold, der Sohn des Kaisers war – was Christina ablehnen mußte.«

192 hatte kommen können.201 Auch in den Folgetagen konnte man sich zeremoniell nicht einigen, was allerdings diverse Folgetreffen nicht verhinderte, mehrfach heißt es: »Il Principe di Conde´ viene a visitare la Regina, la quale lo riceve senz’alcuna ceremonia.«202 Daß bei solchen Zusammenkünften womöglich auch La Peyre`re anwesend war, können wir nicht ausschließen, Quellen darüber haben wir aber keine. Grundsätzlich wäre es zudem sehr naheliegend gewesen, Christinas häufig attackierte Katholizität durch einen Verweis auf ihre Nähe zu La Peyre`re weiter in Zweifel zu ziehen. Doch auch für die in der modernen Sekundärliteratur allseits kolportierte Anekdote, sie habe ihn zum Druck seines Buches gedrängt, fehlt in der zeitgenössischen Publizistik jede Spur.203 Nur in den unpublizierten Me´moires von Philibert de La Mare (1615–1687) findet sich diese brisante Information. La Mare, der sich als Biograph des Gelehrten Claude Saumaise an La Peyre`re gewandt hatte, um Informationen über Saumaise in Erfahrung zu bringen, hatte vor allem erreicht, daß La Peyre`re in diesen Briefen nicht zuletzt über sich selbst Auskunft gibt.204 Auch in den uns erhaltenen Briefen von La Peyre`re an La Mare fehlt eine Anspielung auf Christinas Rolle, wir finden sie ausschließlich in dessen Me´moires. Dort vermerkt La Mare, Christina habe La Peyre`re nach der Lektüre des Manuskripts zur Publikation gedrängt und »on dit mesme qu’elle fournir largent pour l’impression.«205 Zwei Fragen sind in der Forschung immer wieder aufgeworfen worden: Was mag Christina dazu bewogen haben, La Peyre`re zum Druck seiner Prae-Adamitae (1655) zu bewegen? Erheblich kontroverser wurde seit jeher diskutiert, was Christina denn dazu habe bringen können, auf die Krone zu verzichten und zudem zum Katholizismus (1654) zu kon201

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Montecuccoli: I viaggi (1924), S. 81: »entrano nella solita camera di Audienza della Regina, il Presidente la Violet, e Laine´, e Budweil, e Beauvais, ed altri [sc. La Peyre`re?], che la Violet da` a conoscere alla Regina, e gli s’inchinano, poi nella folla viene anche il Principe, il quale fa il suo complimento alla Regina«. Montecuccoli: I viaggi (1924), S. 85. Noch am Vortrag notiert er, S. 84: »Il Principe di Conde´ sta tuttavia sulle pretensioni di essere trattato dalla Regina come l’Archiduca, quando ella sia bene informata com’egli e` trattato in Francia.« In der Regel wird hier zurückverwiesen bis zu Pintard: Le libertinage e´rudit (1943), S. 399. Vgl. dazu die entsprechende Christinaliteratur, etwa Stolpe: Königin Christine (1962), S. 155; oder Franc¸oise Kermina: Christine de Sue`de. Paris 1995, S. 155. Arckenholtz kennt diese Episode nicht, vgl. Johann Arckenholtz: Historische Merkwürdigkeiten, die Königinn Christina von Schweden betreffend. 4 Bde. Leipzig 1751–1760. Die neun überlieferten Briefe von La Peyre`re an La Mare, verfaßt zwischen 1660–1663. In: Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 282–299. Dijon, Bibliothe`que Municipale, Ms 839bis (1676), fol. 48. Me´moires de Philibert de La Mare: »Cest la Reyne Christine de Suede qui estant a Bruxelles et ayant leu le Ms des Preadamites de Mr de la Peyrere le pressa de le porter en Hollande et le faire imprimer, on dit mesme qu’elle fournir largent pour impression.«

193 ˚ kerman verfolgt in ihrer Studie die These, daß diese beiden vertieren. A Ereignisse in direktem Zusammenhang ständen.206 Man müsse sogar La Peyre`re einen gewichtigen Anteil daran zusprechen, Christinas Überzeugung zu schüren, sie spiele eine gewichtige Rolle in einem heilsgeschichtlich bedeutenden Szenario.207 Schließlich habe La Peyre`re die PraeAdamitae im Jahr 1655 publiziert, für das ein bevorstehendes eschatologisches Ereignis mit der Begründung erwartet wurde, daß die Sintflut ˚ kerman sieht zudem das Geanno mundi 1656 stattgefunden habe. A burtsjahr 1588 von La Peyre`res verstorbenen Patron, Heinrich II. von Conde´, als Anhaltspunkt für einen millenaristischen Hintergrund bei La Peyre`re.208 So sehr also schon wegen der Koinzidenz mit dem Jahr 1588 La Peyre`re im Rappel des Juifs kaum Ludwig XIV., sondern vielmehr ˚ kereigentlich Conde´ gemeint haben müsse, so plausibel erscheint es A man, daß La Peyre`re, wenn er die Wiederkunft Christi nur spirituell annehme und gleichzeitig einen temporalen König propagiere, hier von der rabbinischen Unterscheidung eines Messias aus dem Stamme Davids und eines weiteren aus dem Stamme Josefs inspiriert sei.209 Zudem habe Christina durch ihre Abdankung einem männlichen Thonfolger als ›König des Nordens‹ aus dem Danielbuch Platz machen wollen, der das Millenium näher bringe.

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˚ kerman: Queen Christina (1991), S. XIV: »For some years he [sc. Popkin] had A been struck by the oddity of the fact that a famous convert, the Swedish Queen, shortly after her abdiction in 1654 emerges as the only known financial backer of the book on Bible criticism, Men before Adam, written by the heretic millenarian Isaac La Peyre`re.« Vgl. dazu auch: Richard H. Popkin: Christina and Isaac La Peyre`re. In: Nouvelles de la Re´publique des Lettres (1991), S. 103–109. ˚ kerman: Queen Christina (1991), S. 196–224. Man wird sich allgemein der Vgl. A Rezension von Christa Mercier anschließen müssen. In: Journal of the History of Philosophy 31 (1993), S. 289–291, 291: »Akerman’s style itself is often inpenetrable, there are many misprints, and many important points are not properly documented.« ˚ kerman: Queen Christina (1991), S. 202f: »A traditon had evolved that, although A ›the King of France‹ seemingly indicated Louis XIV, one ought to consider that at the time expected, 1655, Louis would only be about eighteen years old, one ought instead to turn to Louis’s elder cousin who tried to seize France for himself, the military genius Le Grand Conde´, Prince Louis II of Bourbon. It was especially telling that Conde´’s father, the late Henri of Conde´, had been born in 1588 – a year calculated to prestage the final dawn.« Dieser Einwand ist freilich alt und führt schon auf Richard Simon zurück, bleibt aber bei der Lektüre des Rappel des Juifs (1643) sowie für die Prae-Adamitae (1655) ohne jeden Rückhalt. Vgl. Lettres choisies de Mr Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 2, S. 12: »Permette´s-moi de vous dire que ce double Messie de la maniere que vous le pose´s ne peut venir que de voˆtre imagination. Cela ne peut s’accorder avec l’Ecriture tant du vieux que du nouveau Testament. Car il n’y est parle´ que d’un seul Messie qui devoit eˆtre envoye´, premierement aux Juifs, & que les Apoˆtres devoient ensuite annoncer aux Gentils.«

194 ˚ kerman argumentiert neben textinternen Argumenten mit der BeA deutung der Bekanntschaft mit anderen Zeitgenossen, die sich für die jüdischen Belange stark gemacht haben, um La Peyre`res philosemitische Grundintention zu unterstreichen. Wieder ist es Menasse ben Israel, der hier ins Spiel gebracht wird: »We know that her [sc. Christinas] meetings that fall in Antwerp with Isaac La Peyre`re and Menasseh ben Israel highlighted and confirmed her providential beliefs.«210 Über eine Beeinflussung von seiten La Peyre`res oder aber von Menasse ben Israels können wir allerdings nur spekulieren, wie es auch sonst höchst schwierig ist, den Firnis der durchaus offen kontroverstheologisch konnotierten Literatur über Christina abzutragen, wie er nicht nur in den oft zitierten Ausführungen etwa eines Arckenholtz aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zutage tritt. Wie auch immer also Christina, die im Besitz von Du Rappel des Juifs (1643) und sicher auch der Prae-Adamitae (1655) war, La Peyre`res Thesen rezipiert haben mag, La Peyre`re hat an keiner Stelle einen Hinweis auf das Jahr 1655 oder 1588 gelegt und auch jegliche Verweise auf den König des Nordens aus dem Danielbuch fehlen bei ihm. Bei La Peyre`re fehlen auch insgesamt deutlichere Hinweises auf prä- oder postmillenaristische Gedankenspiele. Überdies haben wir die Brüchigkeit einer Argumentation, die eine Bekanntschaft unter frühneuzeitlichen Gelehrten als Beweis für deren inhaltliche Übereinstimmung nimmt, hinlänglich widerlegt. 5.3. La Peyre`re als Paulusinterpret Popkins große Leistung liegt sicher darin, daß er den theologischen Aspekt in La Peyre`res Werk in der Nachfolge von Strauss und Schoeps neu zur Sprache gebracht hat. Leider ähnlich groß ist jedoch auch das Defizit seiner Analyse. La Peyre`res theologisches System bewegt sich, wenn auch vielleicht in schwerer Schieflage, in den Bahnen christlicher, um nicht zu sagen protestantischer Pauluslektüre. Hier präsentiert sich kein diffuses christlich-jüdisches Einerlei, das man seinen marranischen Wurzeln zurechnen könnte. Vielmehr wird aus christlicher Sicht eine gewisse Nivellierung den Juden gegenüber in Kauf genommen, um den ›Völkern‹ und somit den Christen das ›volle‹ Heil zu ermöglichen. Das Heil stellt zwar die Lektüre des Johannesevangeliums für diese Gruppe erst einmal in Frage, doch schon die Verheißung des Römerbriefes für alle in Aussicht. Wenn allen Menschen nach La Peyre`re mystisch die Erbsünde des Juden Adam angerechnet wird, so gewinnen alle Erwählten mystisch in dem Juden Jesus-Christus die Rechtfertigung und durch den Gottmenschen Jesus-Christus die Heiligung geschenkt. 210

˚ kerman: Queen Christina (1991), S. 227. A

195 Mag auch La Peyre`re womöglich marranische Wurzeln gehabt haben, so formuliert er jedoch auf keinen Fall eine Theologie für Marranen. Dazu ist seine Skepsis gegenüber ihrer Erwählung und überhaupt seine Kritik an der spanischen Zwangstaufe zu deutlich formuliert. Hätte La Peyre`re marranische Wurzeln, so wäre er überdies ein Beispiel für eine gelungene Konversion zum Christentum. La Peyre`re ist nämlich keineswegs ein ›Neu-Christ‹, der schon deshalb für die Juden kämpft, weil er selbst einer wäre. Vielmehr ist laut ihm der wahre Christ ein Nathanael oder – um es in Analogie zu formulieren – ein ›Judı´o-Nuevo‹. Bei einem solchen ›Neu-Juden‹ fallen ›innerer Jude‹ und wahre Erlösung in eins und er darf hoffen, durch die Adoption zu den Kindern Gottes zu den ›Alt-Juden‹ im Sinne des erwählten Volkes Gottes gezählt zu werden. In diesem Sinne wird ›ganz Israel‹ als die »Eglise proprement dite Catholique« gerettet, nämlich als die Gruppe der von Gott Erwählten. Wenn das 20. Jahrhundert La Peyre`re zu einem Philosemiten erklärte und das 18. Jahrhundert ihn einen Judentzer schimpfte, so mag die Einschätzung seines Landsmannes Bonaventure d’Argonne am Ende des 17. Jahrhunderts es am besten treffen. Dort wird La Peyre`res Buhlen um die Juden nur als Mittel zum Zweck enttarnt: »C’est pour cela qu’il y flate les Juifs, & les apelle civilement a` son e´cole.«211

211

Vigneul-Marville [Bonaventure d’Argonne]: Me´langes d’histoire et de litte´rature. 2. Aufl. Bd. 1. Rouen 1700, S. 145.

V. Ludwig XIV. – un roi de´coratif Wie wir bereits gesehen haben, nimmt La Peyre`re nicht nur in seinen Prae-Adamitae (1655) mit der Dedikation ›an alle Juden‹ Gedanken wieder auf, die er bereits 1643 im Rappel des Juifs formuliert hat. Auch im Vorwort zur Relation de l’Islande aus dem Jahr 1663 rekapituliert er Argumentationen aus seinen früheren Werken. Allerdings kennt wiederum auch schon sein Rappel des Juifs (1643) eine verschleierte Präadamitenthese, wenn er dort die Juden bis auf Adam zurückverfolgt.1 Dies alles steht deutlich im Dienst seiner strikten Trennung zwischen den ›Juden‹ auf der einen und den ›Völkern‹ auf der anderen Seite. Selbst seine Landesbeschreibungen von Grönland (1647) und Island (1663) fügen sich in dieses Unternehmen ein, da sie ebenso argumentieren helfen, daß es in der ›Neuen Welt‹ keineswegs Juden gebe, sondern ausschließlich Präadamiten und somit ›Völker‹. Im Grunde geht es La Peyre`re immer um die eine Frage, die besondere heilsgeschichtliche Bedeutung der Juden in den drei heilgeschichtlichen Epochen ihrer Erwählung, Verwerfung und ihrem bevorstehenden Rückruf zu ergründen. Es ist deshalb auch nur konsequent, daß sein spätes Manuskript den Titel trägt Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s (um 1673). Man kann also schon auf dieser Ebene eine Art ›Kernbestand‹ von La Peyre`res Position ausmachen, der sich durch sein Gesamtwerk zieht. Vor diesem Hintergrund stellt sich freilich von neuem die Frage nach der Bedeutung anderer Motive in seinem Werk. So zum Beispiel etwa nach der Rolle des französischen Königs, dem im Rappel des Juifs (1643), wie oben in Kapitel III gesehen, eine derart tragende Aufgabe zukommt. Dort wurde diesem Monarchen das allein von seiner Länge umfangreichste Buch II gewidmet. Man wird deshalb dieses Motiv nochmals mit den Folgewerken abgleichen müssen, genauer mit La Peyre`res Prae-Adamitae (1655), seinem Konversionschreiben Epistola ad Philotimum (1657), seiner Apologie (1663) sowie dem Vorwort zu seiner Relation de l’Islande (ebenfalls 1663) und natürlich mit dem Manuskript 1

Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 10f: »Quand ie parle icy des Iuifs, ie n’entends pas seulement parler de ces Iuifs descendans d’Abraham, d’Isaac, & de Iacob, qui sont creus & tenus des tous pour les Peres des Iuifs. I’entends parler aussi de ces Iuifs Predecesseurs mesmes des ces Peres, iusques au premier Pere Adam; entant qu’ils ont perseuere´ dans la purete´ du seruice«.

197 Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s aus den letzten Lebensjahren. Gehört der französische Monarch also ebenfalls zum ›Kernbestand‹ oder doch eher zu den Variablen, die je nach Veröffentlichungskontext unterschiedlich akzentuiert werden? Sollte der König jedoch nur zu den Nebensächlichkeiten in La Peyre`res Gedankengebäude gehören, so wäre in einem Folgeschritt der Frage nachzugehen, welche Konsequenzen dieser Befund für seinen Cousin, den Prinzen Conde´, hätte? Denn man wird Conde´ als La Peyre`res Patron nicht nur ein grundsätzliches Interesse an den Schriften seines Klienten unterstellen müssen. Dieses Interesse wird erst recht tangiert, wenn darin sein naher Verwandter, der französische König, behandelt wird.

1. Kontinuität und Diskontinuität in La Peyre`res Werk Wenn La Peyre`re im zweiten Buch des Rappel des Juifs (1643) die besondere Bedeutung des französischen Königs im heilsgeschichtlichen Szenario beschreibt, scheint er geradezu idealtypisch eine biblisch-theologische Legitimation der französischen Monarchie zu etablieren: der König ist der prophezeite Roi temporel, der mit keinem anderen weltlichen Herrscher vergleichbar ist und dem deshalb die außerordentliche Rolle zukommt, durch die Missionierung der Juden den ›Völkern‹ das uneingeschränkte Heil zu bringen. Doch es lassen sich bereits in dieser Argumentation Gegentendenzen finden, die es nicht erlauben, hier ausschließlich eine theologisierende Nachrationalisierung von politischen Machtansprüchen zu vermuten. Wie wir bereits oben in Kapitel III gesehen haben, nimmt La Peyre`re nicht zuletzt eine biblisch fundierte Exegese der Lilie vor. In dieser aufwendigen Allegorese der Lilie, die als Königsblume dem französischem Monarchen fast uneingeschränkte Macht und Herrscherfülle einzuräumen scheint, darf allerdings nicht übersehen werden, daß die dort apostrophierte »beaute´ du Lys« keineswegs ausschließlich der Ruhm des Königshauses ist, sondern auch die »beaute´ de l’Eglise«.2 Schon hier zeichnet sich eine gewisse Untergeordnetheit des Königs ab, die natürlich selbst in der königsfreundlichsten Theologie, will sie orthodox blei2

Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, 122f: »Disons que la Beaute´ de l’Eglise a este´ compare´e a` la Beaute´ du Lys, parce que l’Eglise ne sera iamais Belle, qu’en sa Plenitude. C’est a` dire, lors que les Iuifs & les Gentils Vnis ensemble en composeront le Corps. Qui sera lors que l’Eglise paroistra Pompeuse & Magnifique ayant ses beaux habits dorez, & qu’elle Triomphera de doubles Victoires, Spirituelles & Temporelles. Qu’elle Triomphera des Victoires de son Epovx, & des Victoires de son Fils Aine’, qui sera ce Roy de France, cette fleur de Lys Mystique, a` la beaute´ de laquelle la beaute´ de l’Eglise este´ compare´e.«

198 ben, gewahrt bleiben muß. Letztlich kann auch der König nur ein Handlanger der Pläne Gottes bleiben und wird bei aller Herausgehobenheit unter den Menschen und selbst unter den anderen Monarchen nur ein Werkzeug Gottes sein dürfen.3 Viel entscheidender ist jedoch die grundsätzliche Diskrepanz zu den anderen Werken La Peyre`res. Es ist ein auffälliger Befund, daß La Peyre`re 1643 in seinem Rappel des Juifs dieser Fragestellung ein Fünftel seines Werkes widmet, während er hingegen in den folgenden Werken den französischen König schlichtweg beinahe unerwähnt läßt. 1.1. Ludwig XIV. und Epistola ad Philotimum (1657) Ein eklatantes Beispiel für diese Unterschiede ist etwa seine Konversionsschrift aus dem Jahr 1657.4 Die Epistola ad Philotimum (1657) teilt sich in zwei Teile: im ersten Teil stellt La Peyre`re seine Konversion als geradezu logische Folge seiner falschen These von Präadamiten dar, die er als eine Folge seiner calvinistischen Gesinnung darzustellen bemüht ist. Im zweiten Teil, der den Untertitel Deprecatio Isaaci Peyrerii ad Papam Alexandrum VII. trägt, geriert sich La Peyre`re nicht nur in der Büßerhaltung, sondern nutzt die Gelegenheit dazu, sein von diesen ›falschen‹ Voraussetzungen gereinigtes politico-theologisches Grundsatzprogramm dem Papst vorzustellen und zu erläutern. Die Präadamiten stellt La Peyre`re hier nur noch als ein bloßes Beiwerk hin, auf das er gern verzichten mag, obwohl er sie in Anlehnung an eine klassische Redewendung mehr als seine Augen geliebt haben will.5 Umso flammender widmet er sich wieder seinem Anliegen, das er bereits 1643 in Du Rappel des Juifs formuliert hatte. Auffällig sind die fast parallelen Formulierungen und schon bekannten Argumentationen, die vor allem auf den Kapiteln neun bis elf des Römerbriefes aufbauen. Auch der erste Satz des Rappel des Juifs (1643) wird hier mit seinem Rekurs auf das Johannesevangelium wiederholt, wenn es heißt: »NIHIL certiu`s est, Pater Sanctissime, Christianos omnes Gentiles Salutem suam debere Judaeis, Christo scilicet ex Judaeis orto. Quod docemur ore ipso dicentis Samaritanae: A Iudaeis Salus est.«6 So hatte ja bereits der 3

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Vgl. zu diesem Grunddilemma christlicher wie biblischer Herrschaftslegitimierung meine Ausführungen am Beispiel eines Traktats der Mazarinades: Andreas Pietsch: Zwischen Gottesebenbildlichkeit und Höllensturz. Das Bild des französischen Königs in Zeiten der Fronde. In: Die Bibel als politisches Argument. Voraussetzungen und Folgen biblizistischer Herrschaftslegitimation in der Vormoderne. Hgg. v. Andreas Pecˇar, Kai Trampedach. München 2007 (Beihefte der HZ 43), S. 333–348. Dieses Werk erlebte zwei Ausgaben in Rom 1657; ich zitiere allerdings nach der Frankfurter Ausgabe aus dem Folgejahr 1658. Epistola ad Philotimum (1658), S. 19f.: »Non defugio, Philotime, quin Prae-Adamitas meos plu`s oculis meis quondam amaverim.« Epistola ad Philotimum (1658), S. 31.

199 Rappel des Juifs (1643) begonnen: »Iesus Christ parlant a` la Samaritaine, luy dit formellement. Le salvt est des Jvifs.«7 Diese Worte Christi (Joh 4,22) werden wieder in Bezug gesetzt mit der Hoffnung auf das Heil für die ›Völker‹ (Röm 11,11) und mit der Zuversicht, daß ›ganz Israel‹ wieder hergestellt werde, wenn der Messias wiederkehrt (Röm 11,26). Insgesamt betrachtet gleicht die Argumentation einer Kurzfassung des Rappel des Juifs (1643). Dabei fällt auf, daß der französische König in seiner Konversionsschrift nur noch für eine kurze Bemerkung taugt. Wieso La Peyre`re ausgerechnet als Hugenotte ursprünglich dem französischen König eine derart herausgehobene Rolle zugedacht habe, versucht er seinen wohl hauptsächlich katholischen Lesern mit der besonderen Kirchenorganisation der Reformierten zu begründen. Schließlich müsse man über die Anhänger Calvins sagen: »Corpus enim Secta illius sine capite est.« La Peyre`re geht sogar noch einen Schritt weiter und formuliert in Anlehnung an das biblische Wort von Christus als dem einen Haupt seiner Kirche, das die vielen Glieder zusammenhält (1 Kor 12,20): »Aut potiu`s, corpus anomalum est, cui plura sunt capita qua`m membra.« An wen habe er, La Peyre`re, sich da halten sollen? Etwa an die zerstrittenen niederländischen Calvinisten, oder etwa an die englischen Puritaner, an die deutschen oder schweizerischen Reformierten? Und selbst um die französischen Hugenotten stehe es nicht gut. Da habe er sich eben an den französischen Monarchen gewandt.8 Bei aller Berechnung dieser Darstellung gelingt es La Peyre`re, hier gleich mehrere Klippen zu umschiffen. Er bedient die katholischen Ressentiments gegen die ›Unkirche‹ der Reformierten und das perfiderweise auch noch gut protestantisch, indem er quasi rein sola scriptura argumentiert. Gleichzeitig motiviert La Peyre`re von dorther jegliche Anklänge an gallikanische Freiheiten in seinem Rappel des Juifs (1643), die in Rom natürlich für Konfliktstoff sorgen würden. Aus römischer Sicht muß jedoch selbst der roi tre`s chre´tien und fils aıˆne´ de l’e´glise besser klingen als irgendein ›Häretiker‹ oder eine hugenottische Synode. Und wenn dies aus der ›Verblendung‹ des ›falschen‹ Glaubens heraus passiert war, so hat sich La Peyre`re geschickt indirekt vom Vorwurf des Gallikanismus salviert – zumal er hier einen anderen Stellvertreter Christi auf Erden an die Stelle des französischen Königs setzt. 7 8

Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 1. Epistola ad Philotimum (1658), S. 17: »Quorum vero` Calvinistarum auctoritate submittam? Anne Calvinistarum Batavorum? Sed illi, mille trahunt varias adversis sententiis opiniones. An Puritanorum Anglicanorum? Apage vero` monstrum dissensionis & confusionis horrendum, quod hodie` regnat in Babele illa. Anne ad Germanos, anne ad Helvetios me convertam? Sed nihil mihi cum Germanis, nihil cum Helvetiis est. An vero` ad meos Reformatos, quos vocat, & quos habet mea Gallia, me conferam? Sed neque illis bene` convenit.«

200 Denn an die Stelle des Roi temporel, der als Stellvertreter Christi auf Erden den Rückruf der Juden initiieren und unterstützen soll, rückt 1657 in der Epistola ad Philotimum kurzerhand Papst Alexander VII. Chigi (1655–1667). Allein sein Name spreche für diese Mission: Einem Alexander dem Großen gleich werde er die Reiche unter sich vereinen und die an den Sabbat gemahnende Zahl Sieben stehe für die Ruhe und den Frieden, die der Papst der im Glauben geeinten Welt bringen werde.9 Dabei geht es natürlich nicht nur um die Juden, sondern um das Sammeln aller Menschen unter einen Glauben und unter die Obhut der römisch-katholischen Kirche. In dieser Vision einer durch das Christentum geeinten Welt um das Zentrum Rom spielt freilich Jerusalem keine herausragende Rolle mehr, auch die Restitution der Juden in ihrem Tempel wird nicht mehr erwähnt. Ein quasi augustäisches Friedenszeitalter wird evoziert, das vom Papst als wahrem Stellvertreter Christi regiert wird: »Deus enim cum illa [sc. Sanctitas Sua], & a` dextris ejus erit.«10 Und somit wird 1657 in der Epistola ad Philotimum wiederum Rekurs genommen – wenn auch nur implizit – auf den Königsspalm 110, den La Peyre`re 1643 im Rappel des Juifs auf den französischen König als Roi temporel et universel angewandt hatte.11 1.2. Ludwig XIV. und Relation de l’Islande (1663) Während also La Peyre`re 1657 deutlich den Papst an die Stelle des französischen Monarchen setzt, hindert ihn das jedoch nicht, in seinem letzten gedruckten Werk, der Relation de l’Islande (1663), wieder munter Rekurs auf den französischen König zu nehmen. Auch hier kennt La Peyre`re, wie wir weiter oben in Kapitel III gesehen haben, eine deutliche Reformulierung von Argumenten aus seinem Rappel des Juifs (1643), die damit endet, es sei kaum erstaunlich, wenn er als Franzose hier den französischen König als Weltenherrscher vorhersage: »que l’on doiue trouuer estrage le zele que j’ay, estant nay Franc¸ois, si ie dis que la Profetie se doit enta`ndre d’vn Roy de France.«12 Freilich kommt er 1663 ohne die Philippika auf die Autodispersionskräfte der Reformierten aus, und auch dem Papst wird hier nicht explizit eine derart wichtige Rolle zuerkannt wie 1657. Und so sehr er auch den verheißenen Roy de France sogar explizit auf Ludwig XIV. konkretisiert, betont er hier – anders als noch 1643 im Rappel des Juifs – explizit die herausragende Rolle von Conde´, der helfe, diese glorreiche Aufgabe 9 10 11 12

Epistola ad Philotimum (1658), S. 35. Epistola ad Philotimum (1658), S. 36. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 97. Widmung an Conde´ zu Beginn von Relation de l’Islande (1663), o.S.

201 überhaupt erst händeln zu können. Dieses Widmungsschreiben kann also als Versuch interpretiert werden, Conde´s Ansprüche auf eine tragende politische Rolle zu formulieren, die nach seiner Restitution in Frankreich unter den veränderten Bedingungen einer Selbstregierung Ludwigs XIV. erneut auszuloten waren. 1.3. Ludwig XIV. und Prae-Adamitae (1655) Einen besonderen Fall bildet freilich La Peyre`res Prae-Adamitae (1655). Zwar liegt die Erklärung geradezu auf der Hand, daß zwischenzeitlich schon aus politischen Gründen die Rolle des französischen Königs abnimmt, während La Peyre`res Patron, der Prinz Conde´, zu diesem auf Distanz geht. Wie sollte Conde´ dulden können, daß hier 1655 ausgerechnet der Person gehuldigt wird, die ihm seine Besitzungen entzogen und ihn in absentia zum Tode verurteilt hatte. Es bleibt aber bemerkenswert, daß La Peyre`re 1655 in den Prae-Adamitae nicht einmal einen Ersatz dafür einbauen muß. 1.4. Ludwig XIV. und Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s (1673?) In ähnlicher Weise sucht man auch im Manuskript Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s, das in den letzten Lebensjahren entstanden ist, die La Peyre`re in räumlicher Distanz zu Conde´ bei den Oratorianern verbracht hat, vergeblich irgendeinen weltlichen Herrscher. Der 1643 im Rappel des Juifs noch so gerühmte Roi temporel scheint also zu denjenigen Variablen in La Peyre`res Gedankengebäude zu gehören, die nicht nur unterschiedlich akzentuiert werden können, sondern selbst gänzlich wegfallen können, ohne das Gedankengebäude grundsätzlich in Frage zu stellen.13 Andere Aspekte scheinen zentraler zu stehen, wie zum Beispiel die Missionierung der Juden. Und das formuliert La Peyre`re aus der rückwärtigen Perspektive seiner Apologie (1663) sogar für seine umstrittenen Präadamiten so: Le principal dessin que ie m’estois propose´ dans l’ouurage total des Preadamites, estoit, l’vnion des Chrestiens & des Iuifs: En obligeant les Chrestiens a` persuader le Christianisme aux Iuifs: Et les Iuifs, a` receuoir l’Euangile des Chrestiens. Pour obliger les Chrestiens a` cete charite´ enuers les Iuifs: il me sambloit que ie ne me pouuois seruir d’vn meilleur expediant, que de faire connoıˆtre aux Chrestiens, qu’ils sont originairement Gentils. Et leur faire connoıˆtre en mesme temps, la veritable distinction qui est entre les Gentils, & les Iuifs. Distinction, qui est ex13

Auf die sonstige Parallelität hat bereits Yardeni hingewiesen, vgl. Myriam Yardeni: La religion de La Peyre`re et »Le Rappel des Juifs«. In: Revue d’Histoire et de Philosophie Religieuses 51 (1971), S. 252: »Ce sont les meˆmes faits, les meˆmes interpre´tations, les meˆmes the`ses que La Peyre`re expose dans les deux, sous une pre´sentation diffe´rente.«

202 presse, & formele, dans l’Escriture sainte: mais dont l’origine est tres-obscure, & tres-confuse, dans l’vn & dans l’autre Testament. Cete distinction est expresse & formele dans l’Escriture sainte, en ce qu’il est constant par elle, que le salut de tous les hommes, qui ne sont pas Iuifs, est des Iuifs.14

Auffällig ist hier nicht nur die Wiederaufnahme dieser Argumentationen, die wir bereits im Rappel des Juifs (1643) gesehen haben, sondern auch die explizite Verteidigung der Distinktion zwischen den Juden und ›Völkern‹, mithin der deutliche Bekehrungseifer aller Menschen zum Christentum sowie die nochmalige Betonung der Abhängigkeit des Heils für die ›Völker‹ von den Juden. Das hier vorgestellte Programm erinnert insgesamt an den Titel des 1643 am Ende vom Rappel des Juifs in Aussicht gestellten Werks einer Synopsis doctrinae christianae ad usum Judaeorum et Gentium und fügt sich somit in La Peyre`res Gesamtwerk ein.15 Man wird also als erstes Zwischenfazit festhalten können, daß das Motiv roi universel und seine Füllung im direkten Zusammenhang mit La Peyre`res Patronage steht. Die Stellung des französischen Königs in den Schriften La Peyre`res kann dabei geradezu als Seismograph für das Verhältnis zwischen dem König und seinem Cousin, dem Prinzen Conde´, genommen werden. Jedoch geht es bei La Peyre`re eben nicht nur um Weltherrschaftsprätentionen, sondern auch um die Einigung aller Menschen unter einen Glauben (»l’vnion des Chrestiens & des Iuifs«). Es geht dabei um die Überwindung der trennenden theologischen und konfessionellen Grenzen, die sich besonders im Kirchen- und Sakramentenverständnis manifestieren. 1.5. Nachträgliche Vereindeutigungen Vergleicht man nochmals eingehender die Argumentationen aus der Epistola ad Philotimum (1657) mit denen aus dem Rappel des Juifs (1643), so fällt nicht nur die frappante Ähnlichkeit beider Texte auf, sondern vor allem auch, daß La Peyre`re einige ambivalente Züge seines früheren Werkes hier nun eindeutiger zu formulieren bemüht ist. Hauptbindeglied zwischen beiden Werken ist nicht nur die Sonderstellung der Juden und die Neuakzentuierung des Stellvertreters Christi, sondern auch seine starken irenischen, also kircheneinigenden Bestrebungen. Schon im Rappel des Juifs (1643) hatte La Peyre`re in Buch V eine Sakramentenlehre vertreten, die Elemente protestantischer wie katholischer Positionen aufgreift und diese im irenischen Sinne verarbeitet. Besonders bei seinem Abendmahlsverständnis wird dies deutlich. Ohne auf 14 15

Apologie de la Peyre`re (1663), S. 26f. Du Rappel des Juifs (1643), S. 373.

203 die vielen Implikationen im einzelnen eingehen zu können und zu wollen, soll hier ein kurzer Eindruck geboten werden: Die Argumentation ist dort als Erläuterung für die Juden aufgebaut, denen man das Abendmahl als erneuertes Pesachopfer erklären müsse. Verglichen mit dem Pesachopfer sei das Opfer Christi für die Sünden der Menschen einmalig, und in diesem Sinne müsse man den Juden gut erklären, daß die Abendmahlsfeier die wiederholte Erinnerung wie Danksagung für dieses Opfer sei, weshalb auch schon die frühe Kirche das Abendmahl ›Eucharistie‹ genannt habe.16 So sehr hier La Peyre`re zwar gut protestantisch die Einmaligkeit des Opfers Christi betont, so sehr fällt allein in seiner Wortwahl auf, daß er hier nicht von Ce`ne spricht, sondern von Eucharistie, wie es auch die katholische Theologie täte. Bemerkenswert ist jedoch vor allem La Peyre`res Erklärung über Gebrauch und Wirkung der Eucharistie: Man müsse, so fährt La Peyre`re fort, den Juden erklären, daß die Eucharistie nicht nur Erinnerung und Danksagung sei, sondern ein göttliches Geheimnis, in dem der Gläubige an Christus teilhat.17 Während die Juden des Alten Bundes im Manna und im Wasser in der Wüste Christus nur »en Figure« zu sich genommen hätten, würden die Christen »non pas en Figure, mais Re´e´lement le Corps & le Sang de Iesus Christ au Sainct Sacrement de l’Eucharistie« essen und trinken.18 Deutlich ist hier, daß sich La Peyre`re von den sogenannten Sakramentariern absetzt, die dem Sakrament jegliche Wirkung absprachen. Und auch von den Zwinglianern distanziert er sich, die das Abendmahl ausschließlich als reine Dank- und Erinnerungsfeier begingen. Interpretationswürdig ist aller16

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Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 344–346: »Il seroit a` propos de leur faire connoistre; Que les Sacrifice de la Loy tesmoignoient en cela leur foiblesse, leur peu d’efficace; Qu’il les falloit reı¨terer a` tous Moments. Mais que le Sacrifice de Iesus Christ immole´ souz l’Euangile, tesmoigne en cela bien clairement sa force & sa vertu; Que Iesus Christ n’a este´ Sacrifie´ qu’vne seule fois [...] & par cette seule Mort, ayant Plenement & parfaictement satisfait a` la Loy de Dieu [...]. Il seroit a` propos de faire entendre par la` aux Iuifs; [...] Que Iesus Christ & ses Apostres ont ordonne´ a` leurs Disciples d’en Reı¨terer la Commemoration, pour n’oublier iamais vn si grand Bien faict; mais pour luy en rendre incessament Actions de graces; a cause de quoy l’Eglise Primitiue a principalement qualifie´ ce sainct Sacrement de ce beau nom d’Eucharistie.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 348f: »Il seroit donc important de faire entendre aux Iuifs.Que le sainct Sacrement de l’Eucharistie n’emporte pas seulement vne simple Commemoration de la Mort du Seigneur; ou de simples Actions de graces de ce que le Seigneur est Mort pour nous. Mais que les vertus de ce Diuin mystere s’entendrent plus auant. Que nous sommes par iceluy rendus Conformes a` Iesus-Christ, pour ne faire qu’vn Corps & vne Chair auec luy. Que mangeans le Corps de Christ & beuuants son Sang; il se fait vne Communion si estroitte de Iesus Christ auec nous, & de nous auec Iesus Christ. Que Iesus Christ se Nourrit en nous, & que nous sommes Nourris en Iesus Christ par Iesus Christ mesme.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 349f.

204 dings die Bezeichnung »Re´e´lement«. Man mag hier zwar auf eine Realpräsenz schließen, doch läßt es sich ebenso als eine unio cum Christo lesen und selbst als eine manducatio spiritualis, wie sie Calvin und seine Anhänger vertraten.19 Doch gerade die folgende Forderung einer häufigen, nämlich täglichen Wiederholung der Eucharistie spricht gegen eine ausschließlich protestantische Lesart.20 Zwar plädiert selbst Calvin durchaus für ein regelmäßiges Abendmahl, von einer täglichen Feier wird aber nirgends gesprochen.21 La Peyre`re meidet hier wohl sehr bewußt eine explizite Diskussion um die Transsubstantiation, doch kann er gleichwohl hoffen, daß seine Ausführungen über die Eucharistie – nicht zuletzt von Conde´ – als ›katholisch‹ (miß)verstanden werden. Zudem bedient er gegen Ende von Du Rappel des Juifs (1643) die irenische Semantik katholischer Provenienz zur Reokkupation der Protestanten, wenn er postuliert, hier die Mittel für »la revnion de tous les Chrestiens qui sont separez du Corps & de l’Vnion des l’Eglise« bereitszustellen.22 Man kann also schon auf dieser Ebene die nachträglichen Umdeutungspotentiale erkennen, die La Peyre`re 1657 in seiner Epistola ad Philotimum zu nutzen wußte. In dem Bittschreiben an den Papst vermag er 19

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Vgl. Hans Jorissen: Art. Abendmahlsstreit. In: LThK3. Bd. 1 (1993), Sp. 38; Joachim Staedtke: Art. Abendmahl III/3. In: TRE. Bd. 1 (1977), S. 106–122; vgl. auch Jean Calvin: Institution de la religion chrestienne. Hg. von Jean-Daniel Benoit. Bd. 4. Paris 1961, vor allem Inst. IV, 17,15–19. Jean Cardier formuliert: »Calvin croit a` une pre´sence re´elle du Christ dans la Ce`ne, offerte par le Saint-Esprit a` la foi du fide`le et rec¸ue par cette foi, qui est elle-meˆme une oeuvre du Saint-Esprit«. Zitiert nach Joachim Rogge: Virtus et Res. Um die Abendmahlswirklichkeit bei Calvin. Stuttgart 1965, S. 25; zur stärkeren Kontextualisierung der calvinistischen Position vgl. Wim Janse: Calvin’s Eucharistic Theology: Three Dogma-Historical Observations. In: Calvinus sacrarum literarum interpres. Hg. v. Herman J. Selderhuis. Göttingen 2008 (Reformed Historical Theology 5), S. 37–69. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 353f: »Il seroit important de faire voir par la` aux Iuifs, que c’est auec grande raison que l’Eglise Chrestienne a recommande´ la Reiteration frequente du Sainct Sacrement de l’Eucharistie; [...] Que l’Eglise Chrestienne presentant Tous les iours aux Fidelles le sainct Sacrement de l’Eucharistie; Qu’elle ne sc¸auroit faire Action plus digne de sa Grandeur & de la Magnificence que de tenir Tous le iour Table ouuerte a` tous les Fideles venants & demandans d’estre Repeus du Corps de Iesus Christ, & d’estre Abbreuuez de son Sang.« Das »tous les Fideles« spricht allerdings wieder für eine reformierte Verwerfung einer manducatio impiorum. Vgl. Calvin: Institution (Benoit). Bd. 4 (1961), Inst. IV, 17,43: »Laissant tous ces amas de pompes et ce´re´monies, la saincte Ce`ne pouvoit ainsi estre administre´e bien convenablement, si bien souvent, et pour le moins une fois en chacune sepmaine«. Diese Forderung hat sich nicht durchsetzen können, so daß in der Regel vier Mal im Jahr das Abendmahl gefeiert wurde. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 366. Noch 1651 wurde posthum unter dem Namen Richelieu ein Traktat zu dieser Thematik publiziert: Traitte´ qui contient la me´thode la plus facile et la plus asseure´e pour convertir ceux qui se sont separez de l’Eglise. Paris 1651.

205 nämlich diese konfessionellen Ambiguitäten zugunsten einer katholischen Überzeugung einzuschränken. Zudem profitiert La Peyre`re von seinen eigenen früheren ›Fehlern‹, um diese allgemein den Hugenotten anzulasten. Zwei Hauptfehler der Calvinisten in ihrer Sakramentenlehre brandmarkt La Peyre`re: Zum einen würden sie schon in der Taufe gegen den Einheitsgedanken des Epheserbriefes (Eph 4,3) verstoßen, zum anderen hätten sie ein derart abgeschwächtes Abendmahlsverständnis, daß sie den Fehler begingen, eine Eucharistie ohne eigentliche Eucharistie zu begehen.23 Zwar liege, so schreibt La Peyre`re an exponierter Stelle in der Epistola ad Philotimum, seine theologische Verirrung nur an seiner calvinistischen Herkunft. Gleichwohl sei ja allgemein bekannt, wie sehr er sich schon immer für die Einheit der Ecclesia Catholica eingesetzt habe.24 Selbst von dem Begriff der Katholizität, der im Rappel des Juifs (1643) keineswegs so eindeutig war, weiß er hier geschickt zu profitieren und ihn nun zu seinen Gunsten zu vereindeutigen. Ähnlich wie schon 1643 im Rappel des Juifs, wo La Peyre`re sein theologisches Programm durch die Überbetonung des französischen Köngs verbrämt, versucht er also 1657 in der Epistola ad Philotimum sein Projekt durch eine papsttreue und gut katholische Umkleidung zu kaschieren. Allerdings ist diese Strategie nicht gänzlich aufgegangen. Denn dieses Regierungsprogramm, das La Peyre`re in seiner Epistola ad Philotimum Papst Alexander VII. Chigi vorschlägt, hat in Rom nicht nur ungeteilte Sympathie hervorgerufen. Nachdem seine Konversionsschrift erstmals 1657 in Rom in der Offizin der Kongregation für die Glaubensverbreitung erschienen war, hat sich aus dem Herbst 1657 in den Akten der Propaganda Fide ein Eintrag erhalten, der zeigt, daß in der Audienz vom 3. November 1657 anscheinend Kritik daran geübt wurde. Alexander VII. beschloß daraufhin, zwar die Epistola ad Philotimum weiterhin in dieser Offizin drucken zu lassen, jedoch ohne die übliche Druckervignette der Propaganda. Leider läßt sich die Begründung für diesen Schritt nicht weiter eruieren. Im Index zu den Beständen dieses römischen Dikasterions heißt es nur lapidar »per alcuni riflessi« 23

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Vgl. Epistola ad Philotimum (1658), S. 15: »Edixerat enim S. Paulus Ephes.4. [...] Vnus Dominus, una Fides, unum Baptisma. Vnus DEVS, & Pater omnium. At Calvinus sollicitus fuit solvere unitatem spiritus gladio Schismatis. Divisit ille Corpus Ecclesiae: divisit ille spem vocationis nostrae: divisit ille Dominum nostrum. [...] Atqui benedictio & consecratio Eucharistiam faciunt. Ergo, quando Calvinus Eucharistiam suam sine benedictione & consecratione instituit: Eucharistiam ipsam (quod monstrum est) sine Eucharistia celebravit.« Vgl. Epistola ad Philotimum (1658), S. 16: »Sed quia falso` existimabam licitum mihi fore perseverare in Ecclesia Schismatica, & male` reformata, in qua natus eram: procurando vel saltem expectando tempus in potestate Dei positum, quo reditus universalis fierit Schismaticorum omnium ad Ecclesiam Catholicam. Et tute` scis, Philotime, qua`m maxime` illud in votis semper habuerim.«

206 und auch die recht knappen Aktennotizen zu besagter Audienz geben außer dem genannten Ausgang keinen weiteren Aufschluß.25 Zumindest die Umsetzung dieses Beschusses läßt sich aber durchaus nachweisen. So gibt es Ausgaben dieses Werks, auf dessen Titelblatt neben dem Druckort Rom die Druckerei der Propaganda nicht mehr genannt wird. Allerdings prankt weiterhin sehr wohl darauf das Papstwappen Alexanders VII. und ist dort ein Permissu superiorum vermerkt.26 1.6. Patronage als Schlüssel für Akzentverschiebungen Wenn La Peyre`re 1657 in seiner Konversionsschrift nicht nur sich selbst, sondern ebenfalls den Prinzen Conde´ mit einer Salvationsklausel bedacht hat, so wird abermals nach der Motivation von Conde´ an La Peyre`res Schriften gefragt werden müssen.27 Es sind nämlich vor allem die unterschiedlichen Kontexte von La Peyre`res Schriften, die zu den geschilderten unterschiedlichen Gewichtungen führen. Sobald Conde´s Ruf in Rom tangiert war, mußte es im Interesse des Prinzen liegen, daß sich sein Klient 1657 in dessen Konversionsschrift als geläuterter bon catholique und frei von jeder gallikanischen Freiheit in Rom zu präsentieren wußte. Sobald es hingegen um Conde´s Namen in Paris ging, war es mehr als opportun, daß La Peyre`re im Rappel des Juifs (1643) wie auch in der Widmung zur Relation de l’Islande (1663) dem französischen König schmeichelte und ein gewisses Maß an Gallikanismus propagierte. Darüber hinaus fallen besonders im Rappel des Juifs (1643) die irenischen Tendenzen im Sinne eines ›la France toute Catholique‹ ins Auge. Das mag an das Motto ›un roi, une loi, une foi‹ erinnern. Doch neben den eminent politischen Interessen eines solchen Programms wird auch nach den religiösen Aspekten gefragt werden müssen und genauer da25

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Vgl. APF, Indice Generale 1657–1664 [E], unter dem Stichwort ›Stampa‹: »Il Papa ordine, che alla ritrattazione dell’autore dell’opera dei Preadamiti stampata in questa stamparia per alcuni riflessi non si metta nel Frontespizio ea Typis S.C. 1657«; zur Audienz vom 3. November 1657, ebd, Acta 1657 [26], pag. 485f. Diese erste Ausgabe findet sich beispielsweise in den Beständen der römischen Glaubenskongregation, ACDF, F 126, mit dem handschriftlichen Vermerk: »S.R. et Un[iversal]is Inq[uisitio]nis ex dono autoris«; die zweite Ausgabe etwa in BAV, Barberini G. II. 72. Ich zitiere nach der Frankfurter Ausgabe von 1658. La Peyre`re betont eigens, daß er seinem Amsterdamer Drucker das Versprechen abgenommen habe, die Prae-Adamitae (1655) keinesfalls in die südlichen Niederlande auszuliefern, um Conde´ nicht zu brüskieren, vgl. Epistola ad Philotimum (1658), S. 27: »Hoc etiam inprimis caveram, Pater Sanctissime, ut Typographus meus se mihi fide religiosissima obstringeret, nullum exemplum libri illius mussurum in Belgium. Ne scilicet Princeps Dominus meus, in cujus fide eram apud Belgas, conquerentem Balgam audire posset, vel de religione quam profitebar, vel de opinione nova, quam in Belgium desseminare voluissem.«

207 nach, inwieweit sich die wechselseitigen Bedürfnisse von Klient und Patron ausschließlich auf der eher politischen Ebene finden lassen oder ob La Peyre`re und Conde´ darüber hinaus womöglich auch religiöse Absichten teilen.28 Zu fragen ist also nach der Religionspolitik des Hauses Conde´. Die neuere Forschung zeichnet für Heinrich II. von Conde´ ein recht deutliches Bild: »He insisted on the strictest religious observance in his own household and made sure that all his servants attended mass every week.«29 In der Korrespondenz zwischen Heinrich II. und seinem Sohn Ludwig II. findet sich im Erscheinungsjahr des Rappel des Juifs der wiederholte väterliche Rat, sich nicht allzu sehr mit Hugenotten einzulassen. Vielmehr möge Ludwig häufig beichten, er solle täglich die Messe hören, seinen Soldaten gegenüber ein Exempel für die entschiedene Observanz des eucharistischen Geheimnisses sein und vor allem nicht vergessen, daß es der Katholizismus ist, der das Haus Conde´ schütze: »Serues Dieu Confesses vous souuent oies tous les jours la Messe serues dexample a armee de deuotion au St Sacrement le visitant souuant quand il est expose. Haisses la hugenoterie et soies zele Catholique et croies que ce seul point conserue nostre maison depuis long temps et nous attire sans merite les benedictions de Dieu.«30 In einem zweiten Schreiben schärft er ihm nochmals den Haß auf die Hugenotten ein: »aimant mieux la mort quun hugenot ches moy ny ches vous.«31 Man mag vielleicht auf den ersten Blick erstaunt sein, daß überhaupt und in welch großer Zahl Hugenotten im Gefolge von Conde´ waren. Doch das hängt nicht zuletzt mit der longue dure´e von Klientelbeziehungen zum Haus Conde´ zusammen, die noch in die Zeit zurückreichten, bevor der Halbwaise Heinrich II. von seiner Geburt an katholisch erzogen wurde und somit 1588 die Konversion seiner ganzen Maison einläutete.32 Es ist jüngst zudem festgestellt worden, daß zeitgleich im 28

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Be´guin spricht in ihrer Studie über die Klientel der Prinzen Conde´ von der »le´gitimation re´ciproque« zwischen Patron und Klient, vgl. Dies.: Les princes de Conde´. Rebelles, courtisans et me´cenes dans la France du Grand Sie`cle. Seyssel 1999, S. 372–375. So Mark Bannister: Conde´ in Context. Ideological Change in Seventeenth-Century France. Oxford 2000, S. 60. Bannister gibt dafür leider keine Belege. Chantilly, Muse´e Conde´, M. XXVIII, fol. 508r. Conde´ an d’Enghien vom 18. Juli 1643. Chantilly, Muse´e Conde´, M. XXIX, fol. 3v. Conde` an d’Enghien vom 20. Juli 1643: »Pour vostre exuier je nay rien a vous dire puisque me mandes quen prendres un et puis que me le manderes prenes le quel il vous plaira tous mesont bon pourveu que bons Catholiques cest la seule Condition que je requers aimant mieux la mort quun hugenot ches moy ny ches vous«. Vgl. dazu Be´guin: Les princes de Conde´ (1999), S. 42–46, die diesen Punkt nicht quantitativ auswertet. Sie nennt aber die Bindung an die sogenannten de´vots, um den kompromitierenden Anzahl an Protestanten auszugleichen.

208 Falle des reformierten Stadhouders Willem Frederik (1613–1664) durchaus auch Katholiken zu dessen Klientel gehörten.33 Die konfessionellen Grenzen waren hier also fließender als vielleicht angenommen, zumal wenn ein Klient wie La Peyre`re derart irenische Gedanken spinnt. In der zeitgenössischen Wahrnehmung war es nicht zuletzt Tallemant des Re´aux in seinen Historiettes, der – wie es diese letztlich obszöne Literatur erfordert wie erlaubt – ein recht schillerndes Bild von Heinrich II. von Conde´ malt.34 Auch er äußert sich zu dessen Religionspolitik: Parlons a` cette heure de sa politique. On a cru qu’il s’estoit engage´, a` Rome, a` tourmenter les Huguenots; d’autres disent que de peur qu’on ne crust qu’il voulust brouiller avec eux comme son grand-pere et son pere, il tesmoignoit plus de haine pour eux qu’il n’en avoit. Il escrivit je ne sc¸ay quoy contre les Janssenistes, et fit estudier ses deux filz aux Jesuites.35

Der Hugenotte Tallemant war also durchaus skeptisch gegenüber Conde´s Beweggründen und unterstellt ihm weitgehend Opportunismus. Das fügt sich ins recht negative Gesamtbild, das er vom tumben Conde´ zeichnet, das er etwa dadurch garniert, Conde´ habe einen berühmten Schriftsteller fälschlicherweise für einen Bildhauer gehalten.36 Hier werden jedoch bereits Punkte benannt, die uns im weiteren näher beschäftigen werden: zum einen der ›Neukatholik‹ Conde´ und sein Verhältnis zu den Hugenotten sowie zum anderen seine Haltung in der Kontroverse zwischen Jansenisten und Jesuiten.

2. Conde´ und die Irenik der he´notiques Kaum war der Rappel des Juifs 1643 erschienen, war es, wie wir bereits gesehen haben, Pater Mersenne, der dieses anonyme Werk vorzugsweise an Reformierte sandte. Die überlieferten Reaktionen zeigen einmal mehr die Praktiken der Gelehrtenrepublik, nämlich das Bestreben, diesen Text zu verorten und das Lager auszumachen, aus dem er stammt. 33

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Vgl. Geert H. Janssen: Political Brokerage in the Dutch Republic. The Patronage Networks of William Frederick of Nassau-Dietz (1613–1664). In: Your Humble Servant. Agents in Early Modern Europe. Hgg. v. Hans Cools u. a. Hilversum 2006, S. 65–80, bes. 71f. Vgl. den Abschnitt in Ge´de´on Tallemant des Re´aux: Historiettes. Hg. von Antoine Adam. Bd. 1. Paris 1960, S. 417–422, bzw. die um einige Schlüpfrigkeiten gereinigte Version in der Erstausgabe Paris 1834. Bd. 2, S. 180–185. Hier wird Henri II de Conde´ vor allem mit seinen sexuellen Eskapaden und als Geizhals dargestellt. Tallemant des Re´aux: Historiettes (Adam). Bd. 1 (1960), S. 420. Tallemant des Re´aux: Historiettes (Adam). Bd. 1 (1960), S. 420: »Il sc¸avoit si peu qui estoient les beaux esprits, qu’un jour ayant trouve´ Mme de Longueville, sa fille, a` table, M. Chapelain disnoit avec elle, elle se leva, il luy vouloit dire quelque chose; apre`s il luy demanda: ›Qui est ce petit noireau? – C’est M. Chapelain,‹ dit elle. – ›Qui est-il? – C’est lui qui fait la Pucelle. – Ah!‹ dit-il, ›c’est donc un statuaire?’«

209 Als Jacques de Valois (1582–1654), Hugenotte aus Grenoble, Pater Mersenne für die Zusendung des Rappel des Juifs (1643) dankte, äußerte er sogleich die Vermutung über die Intention des anonymen Autors: »si je ne me trempe, son desseing n’est pas tant de rappeller les Juifs, comme de reunir tous les Chrestiens en une mesme croyance.«37 2.1. Interkonfessionelle Irenik Bereits in der frühen Rezeption ist also der Punkt aufgefallen, daß die Juden womöglich nur ein Vorwand sind und es hier vor allem um innerchristliche irenische Bestrebungen geht. Artig pariert De Valois diese gelehrte Finte und räumt dem Katholiken Mersenne durchaus einige Erfolgschancen in bezug auf dieses irenische Ansinnen ein, wollte man dem Rappel des Juifs (1643) folgen und die christliche Theologie auf das Glaubensbekenntnis, das Vaterunser und den Dekalog reduzieren, »sans entrer plus avant en des curieuses questions quomodo et semblables.« De Valois bedient hier einerseits die auf der Urkirche basierende protestantische Theologie sowie andererseits den verbreiteten Topos der Urkirche als Remedium des innerchristlichen Schismas.38 La Peyre`re hatte im Rappel des Juifs (1643) für eine Besinnung auf die Grundlagen der frühen Urkirche plädiert, noch bevor die schismatischen Bewegungen die Kirche entzweit hätten. Der Logik seiner Inszenierung folgend, hatte La Peyre`re dort einem Juden den erwartbaren Einwand in den Mund gelegt, sein Übertritt zum Christentum werde durch die unübersichtliche dogmatische Vielfalt und Zerstrittenheit innerhalb der Christenheit erschwert, so daß er besser Jude bleiben könne: »Vos Canons, oˆ Chrestiens! & vos Articles de Foy sont plus difficiles a` comprendre, que les Regles & les Ceremonies de Moyse ne sont difficiles a` obseruer.«39. 37

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De Valois an Mersenne vom 11. Oktober 1643. In: Correspondance de Mersenne. Bd. 12. Nr. 1220, S. 339. Vgl. etwa Irena Backus: The Early Church as a Model of Religious Unity in Sixteenth Century: Georg Cassander and Georg Witzel. In: Conciliation and Confession. The Struggle for Unity in the Age of Reform, 1415–1648. Hgg. v. Howard P. Louthan, Randall C. Zachman. Notre Dame 2004, S. 106–133; Andreas Merkt: Die Alte Kirche als remedium Schismati. Zum Typus der sogenannten altkatholischen Irenik. In: Union – Konversion – Toleranz. Dimensionen der Annäherung zwischen den christlichen Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert. Hgg. v. Heinz Duchhardt, Gerhard May. Mainz 2000, S. 1–19. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 331; kurz davor heißt es, S. 329f: »Ie sc¸ay que l’Eglise Chrestienne ne establissant cette Multitude de Canons & d’Articles de Foy, dont les Synodes & les Conciles sont remplis; Qu’elle l’a faict par vne grande Prudence, pour arrester la licence effrene´e de ces Chrestiens qui faisoient tous les iours de nouuelles Sectes & de nouueaux Schismes sur les Opinions particulieres [...] Mais les Iuifs n’ayans nulle connoissance du Christianisme; & n’estans pas capables en l’estat ou` ils sont de se former de sensables opinions«.

210 Das wohlwollende Urteil aus der Feder des Hugenotten De Valois erstaunt allerdings insofern, als La Peyre`res konkrete Vorschläge zu einer Sakramentenlehre in Buch V des Rappel des Juifs (1643) recht weit gehen. Zwar will man gern glauben, daß die Proselytenkirche ohne jeglichen Schmuck auch noch den härtesten Ikonoklasten erfreuen dürfte. Auch die Beschränkung der Sakramente auf Taufe und Abendmahl ist durchaus gut reformatorisch gedacht, ebenso wie La Peyre`res allgemeine Skepsis gegenüber der kirchlichen Tradition und ihren Erweiterungen der christlichen Urkirche. Darüber hinaus darf es sicher als absolut topisch gelten, Taufe und Abendmahl als christliche Erneuerung von Beschneidung und Pesach zu erklären. Doch Taufe und erst recht die Eucharistie gehörten bereits in der Urkirche zum Arkanum, und schon deshalb präsentiert sich diese von La Peyre`re propagierte Proselytenkirche geradezu als protestantische Kirche.40 Doch bleibt diese im Rappel des Juifs (1643) eben nicht die Endstufe. Vielmehr ist sie nur eine Art Schrumpfkirche, ersonnen für die skeptischen Anfänger, die erst langsam in das Arkanum des ganzen Glaubens eingeführt werden sollen. La Peyre`re betont zwar, daß die beschränkte Liturgie der Proselytenkirche ausreicht und heilswirksam ist. Dennoch zeigt sich sehr deutlich, daß hier nur eine bedingte Kritik an den übrigen Zeremonien, die weiterhin ihre Berechtigung haben und keineswegs abgeschafft werden sollen, formuliert wird. Ihnen wird sogar eine Höherwertigkeit zuerkannt, wenn am Ende alle glauben und praktizieren sollen, was die wahrhaft katholische Kirche lehrt.41

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Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 358–360: »Ie supplierois l’Eglise que dans toute l’estendue¨ de sa Republique elle fit bastir de Nouueaux Temples, & qu’elle le Consacrast A la conversion des Ivifs et des Gentils. [...] Ie remontrerois par mesme moyen a` cette douce & bonne Mere. Que les Juifs sont encore attachez a` cette vieille Auersion de ne souffrir d’Images dans leurs Synagoges. [...] Que ces Temples Consacrez a` la Conuersion des Iuifs & des Gentils ne fussent ornez que de simples embelissiments de l’Architecture, & ne fussent parez que de ces Tapisseries qui sont trauaille´es de diuerses couleurs en forme de Fleurs ou Coquilles [...] Que nous sc¸auons tous [...] que les Images ne sont point de l’Essence & du Corps de la Religion Chrestienne.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 370: Es gebe »deux sortes de Temples pour y faire ces deux sortes de seruices; Qu’ils ne feroient qu’vn mesme Corps, & vne mesme Bergerie, pour ne composer qu’vne mesme Eglise. A quoy nous pouuons adiouster que les Nouueaux Chrestiens qui iroient a` ces Nouueaux Temples; qu’ils s’instruiroient peu a` peu dans les connoissances plus Particulieres & plus Parfaictes du Christianisme, pour Monter comme de Classe, & pour croire a` la fin, Tout ce que l’Eglise croit.«

211 2.2. Richelieu, Conde´ und die konfessionellen Unionsbestrebungen Dieser Punkt war aber durchaus auch dem Hugenotten Jacques de Valois aufgefallen, wenn man sich die längere Briefpassage anschaut, in der er 1643 auf Mersennes Zusendung von La Peyre`res Werk reagiert: »J’ay lu vostre livre du Rappel des Juifs. C’est un homme fort docte en theologie et fort curieux qui l’a faict, et si je ne me trompe, son desseing n’est pas tant de rappeller les Juifs, comme de reuinir tous les Chrestiens en une mesme croyance. C’est un de ceux que feu S.E. [sc. Richelieu] avoit voulu employer pour la conciliation des religions«.42 De Valois gibt hier mit dem kurz zuvor verstorbenen Richelieu eine erste Antwort auf die Verortung von Du Rappel des Juifs. Er vermutet La Peyre`res Schrift in den Fahrwassern der von Richelieu unterstützten Wiedervereinigungsversuche von Hugenotten mit den Katholiken, den sogenannten he´notiques. 43 In eine ähnliche Richtung weist auch die zeitgleiche Vermutung des reformierten Andre´ Rivet, der ebenfalls das Werk ohne Nennung des Autors von Mersenne zugeschickt bekommen hatte. Rivet mutmaßte daraufhin, der anonyme Rappel des Juifs könne womöglich von dem Hebraisten Philippe Codurc (um 1660 gest.), der an der hugenottischen Akademie von Nıˆmes gelehrt hatte, stammen.44 Codurc, der des öfteren in Rivets Korrespondenz mit Claude Sarrau auftaucht, wird dort häufig in die Nähe von Hugo Grotius (1588–1545) oder von einem gewissen The´ophile Brachet de La Milletie`re (1596?–1665) gestellt. Codurc wird also zu denjenigen Reformierten gezählt, die explizit eine Annäherung der Hugenotten an die Katholiken befürworten würden.45 Über Codurc heißt es in einem Brief von Sarrau: »C’est un bon homme que les guerres de Languedoch et la ruine de l’Academie de Nismes ont beaucoup incommode´ en ses affaires domestiques. Il avoit este´ empaume´ par les Henotistes qui tournoient mer et terre pour faire un proselyte.«46 Wenn Rivet also unterstellt, Codurc könne der Autor 42

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De Valois an Mersenne vom 11. Oktober 1643. In: Correspondance de Mersenne. Bd. 12. Nr. 1220, S. 339. Vgl. Pierre Blet SJ: Le plan de Richelieu pour la re´union des protestants. In: Gregorianum 48 (1967), S. 100–129; Hans Bots, Pierre Leroy: La mort de Richelieu vue par les protestants. Andre´ Rivet et ses correspondants. In: Lias 4 (1977), S. 85–97. Rivet an Sarrau vom 24. August 1643. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 2. Nr. CLXXI, S. 81. Zur Irenik von Grotius vgl. Hans Bots, Pierre Leroy: Hugo Grotius et la re´union des chre´tiens: entre le savoir et l’inquie´tude. In: XVIIe sie`cle 35 (1983), S. 451–469; Henk Nellen: Hugo de Groot. Een leven in strijd om de vrede. 1583–1645. Amsterdam 2007, S. 487–491; zu La Milletie`re vgl. R.J.M. van de Schoor: De irenische theologie van The´ophile Brachet de La Milletie`re (1588–1665). Nijmegen 1991. Sarrau an Rivet vom 9. August 1642. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 1. Nr. LXVII, S. 213.

212 sein, so stellt auch er einen Zusammenhang her zwischen Du Rappel des Juifs (1643) und dem Vorhaben Kardinal Richelieus, die Protestanten wieder in die katholische Kirche zurückzuführen. Auch Rivet interpretiert La Peyre`res Werk also als einen Rappel des Protestants im Sinne der he´notiques. In Anlehnung an die spätantiken irenischen Bemühungen Kaiser Zenons und dessen Henoticon aus dem Jahr 482 wurden diese Gruppe als he´notiques und ihre Anhänger als he´notistes benannt. Wir finden diese Ausdrücke fast ausschließlich in den Korrespondenzen der Zeit. Daß dies jedoch nicht nur eine Fiktion der sich bedrängt fühlenden Hugenotten war, zeigt ein Dokument, in dem eben jener Philippe Codurc bereits 1624 Kardinal Richelieu die Mittel zur besseren Zersetzung der Hugenotten anrät: Zerschlagung der hugenottischen Nationalsynode als der einigenden Instanz unter den Reformierten Frankreichs.47 Dazu ist es allerdings vorerst nicht gekommen. Es ist aber wohl kaum ein Zufall, daß es um die Fama von besagtem Codurc gerade unter Hugenotten nicht gut bestellt war: »Que mesmes un parent de Mr Codurc avoit dit que S.E. [sc. Richelieu] l’avoit mande´ et mesmes lui avoit fait advancer de l’argent pour s’acheminer de deca.«48 Hier wird der rein materielle Nutzen der Patronage für den Klienten selten deutlich formuliert. Diese Aussage hat eine doppelte Dimension: nicht nur werden hier die Hintergründe und Codurcs niedrige Beweggründe aufgezeigt, gleichzeitig desavouiert ihn allein dieses ›Judasgeld‹ als schlechten Calvinisten.49 2.3. Richelieu und La Peyre`re Vor dem Hintergrund der irenischen Bestrebungen ist es umso naheliegender, daß sich La Peyre`re ursprünglich mit seinen Werken ausgerechnet an Richelieu wandte. Daß dieser die Publikation dann allerdings verbot, wird sicher mit den präadamitischen Gedankenspielen zusammenhängen. Doch fiel in diese Monate vor seinem Tod auch Richelieus 47

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Me´moire adressee´ a` Richelieu par le ministre Codur. Fagniez hat dieses Dokument auf 1624 datiert und abgedruckt in: Bulletin de la Socie´te´ de l’histoire du protestantisme franc¸ais 39 (1890), S. 418–432. Wir wissen über Codurc sehr wenig, vgl. La France protestante (Haag, Haag). Bd. 3 (1852), S. 506–508. Allerdings hatte ihn die Nationalsynode von Charenton wohl 1623 zeitweilig ausgeschlossen. Dennoch wird er auch noch Jahre später als ihr ministre geführt. Sarrau an Rivet vom 15. November 1642. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 1. Nr. XCIV, S. 310. Das berichtet selbst Tallemant des Re´aux, vgl. Ders.: Historiettes (Adam). Bd. 1 (1960), S. 260: »Par ambition, le Cardinal vouloit accommoder les religions, et meditoit cela de longue main. Il avoit desja` corrumpu quelques ministres en Languedoc: ceux qui estoient mariez avec l’argent«.

213 steigende Skepsis gegenüber den Unionsgedanken und somit die Niederlage der he´notiques.50 Noch im November 1641 schreibt zwar der Leidener Gelehrte Claude Saumaise an seinen hugenottischen Glaubensbruder Ismae¨l Boulliau: »Vous trouvere´s des εë νωτικοι qui firent tout leur possible pour recoudre le schisme, sans aucune effect que de se rendre ennemis des deux partis.«51 Doch bereits im Februar 1642 kann Saumaise in einem Brief an Rivet aus Paris Entwarnung melden, denn Kardinal Richelieu hatte sich anscheinend von dem Plan distanziert: »Monsieur Sarrau vous aura escrit sans doubte comme le dessin des He´notiques est renverse´ et que Monsr le Cardinal n’en veult plus ouir parler. Il me semble vous avoir escrit comme Monsr le Prince m’en demanda mon avis, et que ie lui fis advouer que la chose estoit tout a` fait impossible. Voila` des gens bien estonne´s.«52 Rivet, der in Den Haag von seinem Pariser Dauerbriefpartner Sarrau noch nichts davon gehört hat, erhält von diesem wenig später die befreiende Antwort von der »defaite des Henotiques«.53 2.4. Conde´ als neues Haupt der Unionsbestrebungen Als Richelieu im Dezember 1642 stirbt, weiß Claude Sarrau kurz darauf zu berichten, Richelieu habe vor seinem Tod drei Dinge bedauert, darunter auch das Nichtzustandekommen der Wiedervereinigung der Konfessionen in Frankreich. Im gleichen Brief nach Den Haag benennt er jedoch neue Gefahren für die Hugenotten, denn mit dem Tod Richelieus 50

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Vgl. BAV, Barb. Lat. 6471, fol. 22r–23v. Naude´ an Barberini, fol. 22v: »Fu` presentato un manoscritto alcuni mesi fa` a detta sua E.za il cui Auttore pretende hauer demonstrato con testi espressi della Sacra Scrittura e Massimamente del nuouo Testamento, che il Mondo era non solamente creato, ma` anche habbitato da moltiss.mi Huomini auanti Adamo, il quale non fu` creato da Dio, se non quando egli uolse per mezzo suo dar principio, et origine alla Gente Hebrea per farne il Popolo suo eletto. E perche cosı` fatta Propositione portaua seco la sua condannatione, il detto Sig.e Card.le prohibı` subbito all’Autore di farla stampare, e` cosı` adesso tutti li Curiosi fanno a` gara per poter hauer Copia di detto Manoscritto.« Saumaise an Boulliau vom 28. Dezember 1641. In: Pierre Leroy: Le denier voyage a` Paris et en Bourgogne, 1640–1643, du re´forme´ Claude Saumaise. Amsterdam, Maarssen 1983, S. 241. Saumaise an Rivet vom 25. Februar 1642. In: Correspondance Saumaise–Rivet. Nr. CXVII, S. 274. Rivet an Sarrau vom 3. März 1642. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 1. Nr. XXVI, S. 87: »Monsieur de Saumaise croid que vous m’avez mande´ que Mons. le Card[inal] ne veut plus ouı¨r parler du dessin des Henotiques, et vous m’en ave´z rien dit.« Sarrau an Rivet vom 14. März 1642. In: ebd. Nr. XXVIII, S. 91: »Mais, Monsieur, ne vous ay ie point mande´ la Defaite des Henotiques? Ie me suis donc bien oublie´. car ie vous asseure que ie croyois l’avoir fait.« Im folgenden schildert er das Scheitern des für seine Predigten bekannten Pater Franc¸ois Ve´ron vor Richelieu.

214 sei die Sache nicht ausgestanden. Vielmehr formiere sich eine neue Unionierungsfront unter der Leitung des Prinzen Conde´: »A present c’est Monsieur le Prince qui se fait chef du parti des Conciliateurs«.54 Die darauf folgenden Charakterisierungen von Heinrich II. von Conde´ lassen keinen Zweifel an dessen Entschlossenheit zum Durchgreifen: »un persecuteur ouvert et puissant de touts les fidelles« wird er dort genannt, und weiter heißt es: »C’est le plus cruel ennemi que nous ayans dans tout le Royaume. D[ieu] nous en delivera, s’il lui plaist, en ses temps et cependant le faut prier de nous fortifier dans ses rudes espreuves.«55 Man wird in diesem Zusammenhang sicher auch die neuen Publikationsmöglichkeiten für La Peyre`re im Jahr 1643 sehen müssen, die dann im Rappel des Juifs konkrete Gestalt annehmen. Die Korrepondenzen unter den Reformierten jedenfalls nennen immer wieder das Wiedererstarken der he´notiques unter Conde´. Im Februar 1643 berichtet Sarrau nach Den Haag über Codurc, daß sich dieser lieber bei Conde´ aufhalte als bei den Hugenotten in Charenton und sich auffällig schweigsam zeige: »Codurc est tousjours en ville, sans venir a Charenton ni hanter pas un des nostres et ne bouge de l’hostel de Conde´. Il y a environ six semaines que m’estant venu veoir ie le voulus un peu presser et questionner; mais il feignit estre sur le poinct de s’en aller qu’il me venoit dire adieu et depuis n’a eu garde d’y venir.«56 Eine ähnliche Charakterisierung Codurcs gibt etwa zeitgleich Samuel Petit, sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl in Nıˆmes, in einem Brief an Rivet: »il m’a tousjours cache´ ses intentions«.57Ähnliches wird von La Milletie`re berichtet; auch Grotius wird in diesem Zusammenhang genannt. Hier zeigen sich die bekannten Risse im Toleranzedikt von Nantes, die in gewisser Weise bereits Vorformen des Widerrufs von 1685 sind: Monsieur Grotius et luy [sc. La Milletie`re] avec Monsieur Codurc travaillent a` ce que Monsieur le Prince de Conde´ succe`de a` Monsieur le Cardinal en ce dessein: Mais nous e´sperons que ce sera avec peu de succes pour diverses considerations. Ainsi voyons nous un soing special que Dieu a de nos Eglises; ce qui nous fait esperer encore a` l’advenir son support; bien que la haine qu’on nous porte soit en

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Sarrau an Rivet vom 15. Januar 1643. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 1. Nr. CXI, S. 373. Direkt davor heißt es: »Il est vrai (et de´s le lendemain de sa mort, il estoit constant) que peu devant que de mourir il [sc. Richelieu] dit au Roy qu’il avoit regret de n’avoir paracheve´ trois choses: de n’avoir rendu la paix a l’estat, decharge´ le peuple, et reuni les religions de France.« Sarrau an Rivet vom 2. Januar 1643. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 1. Nr. CVII, S. 358. Sarrau an Rivet vom 14. Februar 1643. In: Correspondance Rivet–Sarrau. Bd. 1. Nr. CXVIII, S. 400. Leiden UB, BPL 301, fol. 152r. Petit an Rivet vom 29. April 1643.

215 un hault poinct, et que plusieurs Eglises particulieres gemissent sous les intractions de l’Edict.58

So wahrscheinlich es auch ist, daß sich La Milletie`re nach dem Tod von Richelieu unter den Schutz von Conde´ begibt, hat sich darüber in der Korrespondenz des Prinzen Conde´ nichts erhalten. Wohl findet sich ein Brief an seinen Sohn, den Herzog von Enghien, aus dem Jahr 1644, doch ist dessen Inhalt rein militärischer Art.59 2.5. Konversionen im Umfeld von Conde´ 1645, also im selben Jahr, in dem Grotius stirbt, werden sowohl Codurc wie La Milletie`re zum Katholizismus konvertieren. Vorausgegangen war im Fall von La Milletie`re eine langwierige und komplizierte Debatte um das Verhältnis zwischen Reformierten und Katholiken, aus der nur einige Schlaglichter hier genannt werden sollen.60 Bereits 1634 versuchte La Milletie`re wichtige Vertreter der hugenottischen Akademie von Sedan, darunter Pierre Du Moulin (1568–1658) und Andre´ Rivet, vom Kirchenfrieden mittels einer Union mit den Katholiken zu überzeugen.61 1642 erneuerte La Milletie`re diese Forderung in Hinblick auf die Akademie von Saumur. La facilite´ de reunir et de reformer l’Eglise war in Briefform an Moy¨se Amyraut (1596–1664), das Oberhaupt der Akademie von Saumur, gerichtet. La Milletie`re nutzte hierbei vor allem das Potential gemeinsamer Feinde, wie etwa Amyrauts Skepsis gegenüber den englischen Republikanern.62 Als La Milletie`re dann 1645 an die reformierte Synode von Charenton eine Vorlage über des causes neces58

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Leiden UB, BPL 301, fol. 70r. Mestrezat an Rivet vom 6. März 1643. Zitiert nach: Bots, Leroy: La mort de Richelieu (1977), S. 93. Vgl. Chantilly, Muse´e Conde´, M. XXXI, fol. 311. La Milletie`re an d’Enghien vom 8. Oktober 1644. Vgl. Van de Schoor: De irenische theologie (1991); diese Dissertation ist mittlerweile auch auf Englisch erschienen: Ders.: The Irenical theology of The´ophile Brachet de La Milletie`re (1588–1665). Leiden u. a. 1994 (Studies of the history of Christian thought 59); vgl. ebenso Hans Bots, Pierre Leroy: Conversion politique ou conversion since`re? Le cas de The´ophile Brachet de la Milletie`re. In: La conversion au XVIIe sie`cle. Actes du XIIe colloque du C.M.R. Marseille 1983, S. 191–199. The´ophile Brachet de La Milletie`re: Discours des moyens d’establir vne paix en la chrestiente´ par la reunion de l’Eglise pretendue¨ reformee a` l’Eglise Romaine. Paris 1635. The´ophile Brachet de La Milletie`re: La facilite´ de reunir et de reformer l’Eglise. Paris 1642, S. 11: »la defence de la doctrine, sur le subiet de la divinite´ & de la satisfaction de Iesus-Christ, contre Socin«; ebd, S. 26: »le peuple d’Angleterre, qui rec¸oit dans son sein, par cette impression, les semences d’une miserable faction contre son Roy, que Dieu oinct sur eux, & auquel il a imprime´ l’image de son authorite´ souueraine.« Amyraut formuliert diese Ablehnung am deutlichsten erst in Ders.: Du regne de mille ans ou prosperite´ de l’Eglise. Saumur 1654.

216 saires de leur reunion a` l’Eglise Catholique, in denen er explizit mit den sieben Sakramenten und der Transsubstantiation argumentierte, sandte, führte das endgültig zum Bruch und zum Auschluß aus der hugenottischen Kirche.63 Vergleichbar mit La Peyre`res Konversionsschrift erschien daraufhin 1645 La Milletie`res Declaration des causes de sa conversion a` la foy catholique, & de son entree en la Communion de l’Eglise.64 Im Folgejahr publizierte er dann nochmals in aller Ausführlichkeit eine Abhandlung über die Rückführung in den Schoß der katholischen Kirche, deren Argumentation um das eucharistische Opfer kreiste und eine ausgreifende Erläuterung der Messfeier beinhaltete.65 Darüber debattierte La Milletie`re abermals mit dem Reformierten Charles Drelincourt (1595–1669), der diesen Disput als Traitte´ des iustes causes de la separation des protestans d’auec l’Eglise Romaine (1649) herausgab.66 Die Einwände gegen La Milletie`res ›katholische‹ Theologie kamen jedoch nicht nur von protestantischer Seite. So sah sich der Katholik Jean Binard 1644 berufen, sich an die Regentin Anna von Österreich zu wenden, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Er ist dabei sehr bemüht, La Milletie`re als einen »pretendu Pacificateur«, »Pacificateur nouueau« und »frauduleux Pacificateur« bloßzustellen.67 Solcherart Unionsbestrebungen, so warnt Binard die Regentin, machten vor nichts halt: »On pourroit de mesme fac¸on vnir non seulement les Protestans auec les Orthodoxes & Catholiques, mais aussi les Iuifs & les Turcs, & toutes les Sectes du monde en vne mesme Religion & Societe´«68 Binard fühlt sich in diesem Zusammenhang an ein Werk namens Du Rappel des Juifs erinnert, dessen Autor auf abenteurliche Weise eines zu kaschieren versuche, nämlich daß er aus Katholiken Protestanten machen wolle.69 Hier zeigt sich nochmals La Peyre`res konfessionelle Am63

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Discours du sieur de la Milletie`re au synode des Eglise reformees de France. Contenenat la proposition des causes necessaires de leur reunion a` l’Eglise Catholique. o.O. 1645. Declaration du sieur de La Milletiere, des causes de sa conversion a` la Foy Catholique, & de son entree en la Communion de l’Eglise. Paris 1645. The´ophile Brachet de La Milletie`re: Instruction a` tout protestant, qui a le iugement sain, & la conscience droicte, pour le reduire a` la Communion de l’Eglise Catholique. Paris 1646. Charles Drelincourt: Traite´ des iustes causes de la separation des protestans d’auec l’Eglise Romaine. Paris 1649. Jean Binard: Decouuerte du dessein de The´ophile Brachet de la Milletie`re Touchant son pretendu moyen de Paix et d’Vnion des Protestans auec les Catholiques. Paris 1644. Diese diffamierenden Epitheta finden sich vor allem im hinteren Drittel. Ähnlich skeptisch äußert sich auch Michel de Marolles: Me´moires. Bd. 2. Paris 1657, S. 241f. Binard: Decouuerte (1644), S. 35. Vgl. Binard: Decouuerte (1644), S. 35f: »l’Autheur de ce Liure demandant que l’on vnisse toutes les creances en vne par des Symboles communs; Qu’il y ayant des

217 biguität aus einer anderen Perspektive. So wie der Hugenotte Rivet letztlich unterstellt, La Peyre`re wolle aus Hugenotten Katholiken machen, wird hier katholischerseits, nur vice versa, der gleiche Vorwurf formuliert. Wenn auch die He´notiques den Versuch darstellten, gewisse Potentiale zur Zusammenführung der christlichen Konfessionen in Frankreich zu bündeln, bildeten diese jedoch nicht eine geschlossene Phalanx. Nicht nur waren deren Texte derart ambig gehalten, daß sie unterschiedlich ausgelegt werden konnten, wie wir am Beispiel von La Milletie`re und La Peyre`re gesehen haben. Auch waren sich diejenigen, die zu dieser Gruppe von den Zeitgenossen gezählt wurden, nicht wirklich untereinander einig. Grotius etwa, dessen irenische Züge Patin kurzerhand als »plaisante maladie« diagnostizierte,70 hatte nicht nur aufgrund der Erbsündenlehre gewisse Reserven gegen das Werk von La Peyre`re, wie wir in Kapitel II gesehen haben. Ebenfalls finden sich in Grotius’ Korrespondenz eher skeptische Töne in bezug auf La Milletie`re.71 Das Urteil des Leidener Gelehrten Claude Saumaise über die he´notiques fiel im Vergleich zu Patins Diktum über Grotius’ Krankheit deutlich vernichtender aus: »Certes c’est un bel expedient pour oster touts les differents de religion que de mettre touts ces poincts dans l’indifference. C’est un bon

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Eglises ou` l’on mettre des Images, & aux autres non; Que l’on ne contraigne personne de croire que ce qu’il voudra, ou pourra croire; Qui est proprement le dessin de ces accommodeurs de Religion de nostre temps, au moins en la pluspart des points, & le but de tous ces grands efforts & contentions d’esprit qu’ils font parestre tous les iours soustenant que l’on doit charger les Chrestiens de peu d’articles de foy; Retrancher toutes les questions de l’Ecole, regarder precisement, ainsi que dit ce Reformateur, ce qui a este´ creu du temps des Apostres, & ce qui paroistra n’auoir este´ creu dans ces premiers ciecles le bannir & retrancher comme vn abus & vne chose profane en la Religion.« Die Argumentation endet mit den Worten, S. 37: »Ses paroles & ses effets temoignent assez que son dessin est de faire les Catholiques Huguenots s’il pouuoit, & non pas les Huguenots Catholiques.« Patin an Spon vom 28. März 1643. In: Lettres de Gui Patin (Triaire). Nr. LXXXI, S. 276: »Nous avons icy un livre tout nouveau venu de Hollande de M. Rivet, Animadversionum Hugonis Grotii. Ce Grotius est malade d’une plaisante maladie. Il pre´tend avoir des moyens d’accorder les deux religions contraires qui sont en France; mais cela est impossible: ante gryphaei jungentur equis, etc. Jamais le pape ne se [de´pouillera] de sa puissance et les moynes ne quitteront jamais l’article du purgatoire, qui leur a tant apporte´ de commoditez; c’est pourquoy cet accord pre´tendu doibt estre re´pute´ chime´rique.« Diese nachgeschobene Erklärung fehlt in der Ausgabe von Reveille´-Parise. Bd. 1. Nr. CLXIII, S. 281. Zur Irenik von Grotius vgl. Bots, Leroy: Hugo Grotius (1983), S. 451–469; Nellen: Hugo de Groot (2007), S. 487–491. Grotius an W. de Groot vom 12. Januar 1641. In: BW Grotius. Bd. 12. Nr. 5005, S. 21: »Cardinalis Riceliacus reconciliationem ecclesiarum plane putat fieri posse et strenue in eo laborat Mileterius.« Vgl. Van de Schoor: De irenische theologie (1991), S. 148–153.

218 moyen d’accoistre le nombre des Athe´es et de faire qu’on ne soit ni chair ni poisson, ni catholique ni huguenot.«72 Das mag nicht zuletzt apologetischer Natur gewesen sein, denn es war auch Saumaise, der beschreibt, wie sehr Conde´ versucht habe, ihn davon zu überzeugen, zum Katholizismus zu konvertieren: Il [sc. Conde´] me tint une grande heure dans son cabinet et me parla de plusieurs choses, mais principalement de religion et sur tout de cette reconciliation que l’on veut faire. Je lui fis advouer qu’on ne pouvoit parvenir a` cette pretendue reunion qu’en obstant le pape,ou la faisant par lui, et que l’un et l’aultre estoit esgalement impossible. Il en demeura d’accord, mais qu’il y avoit un troisiesme moyen de nous recognoistre la verite´ des dogmes catholiques. Nous entrasmes la` dessus fort avant en dispute. La conclusion fust qu’il demanda enfin quels estoient les poincts sur lesquels ie m’arrestois le plus. Je me reduis a` quatre, a` la puissance du pape, a` la transsubstantiation, au sacrifice de la messe et au purgatoire.73

Saumaise benennt hier die wichtigten Streitpunkte zwischen den Konfessionen: Neben der Stellung des Papstes liegen sie in der Sakramentenlehre und dort vor allem in der Lehre vom Meßopfer und der Verwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Als weitere Punkte werden die Soteriologie und besonders die Vorstellung vom Fegfeuer als Konfliktfelder ausgemacht. Es blieb allerdings nicht nur bei diesen direkten Gesprächen zwischen dem Prinzen und dem Gelehrten. Vielmehr gab es ein jahrelanges Bemühen, um mit Saumaise einen ›öffentlichkeitswirksamen‹ Konvertiten zu gewinnen und ihn zudem zur Rückkehr nach Frankreich zu bewegen. Als Vermittler zwischen Conde´ und Saumaise war ein gewisser Paul Dumay (1585–1645) tätig, den Saumaise in seiner innerprotestantischen Korrespondenz einfach nur »l’homme de Monsr le Prince«74 nennt. Aber auch katholischerseits ist dieser Plan Gesprächsstoff. So berichtet Abbe´ Bourdelot an Cassiano dal Pozzo nach Rom, sein Patron wolle Saumaise nach Frankreich zurückholen.75 Selbst noch im November 1651 werden im prestigeträchtigen Fall Saumaise weiterhin Vorverhandlungen geführt. Dieses Mal ist es La Peyre`re, der in diese Angelegenheit eingebunden wird.76 Das bot sich wohl schon deshalb an, weil La Peyre`re 72

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Saumaise an Boulliau vom 30. November 1641. In: Leroy: Le denier voyage (1983), S. 237. Saumaise an Rivet vom 24. Januar 1642, in: Correspondance Saumaise–Rivet. Nr. CXVI, S. 272. Vgl. auch Saumaise an Sarrau. Extrait XXXIII vom 11. Januar 1642. In: Leroy: Le denier voyage (1983), S. 164: »Il [Conde´] me parla fort de Religion et sur tous les points je lui re´pondis de sorte que je me deffendis et lui tins teste, sans l’offenser.« Saumaise an Rivet [Juni 1637]. In: Correspondance Saumaise–Rivet. Nr. XXXIII, S. 78. Zu Philippe Du May vgl. Leroy: Le denier voyage (1983), S. 111 u. 226. Bourdelot an Cassiano dal Pozzo vom 19. Dezember 1642. In: Correspondance du P. Marin Mersenne. Bd. 11, S. 362. La Peyre`re an Saumaise vom 11. November 1651. In: Oddos: Lapeyre`re [1974],

219 mit Saumaise bereits in Kontakt stand. La Peyre`re wird sogar aus der rückwärtigen Perspektive Saumaise als den eigentlichen Urheber seiner Idee von Präadamiten ausmachen. Saumaise habe ihm nämlich die nötigen Argumente dafür geliefert, daß die Sintflut eben doch kein Weltgeschehen gewesen sei, sondern nur ein geographisch auf Palästina beschränktes Ereignis.77 In einem weiteren Brief an Saumaises Biographen nennt er ihn die Hebamme seiner Präadamiten »qui a fort contribue´ a` leur naissance.« Ihm habe er zudem ursprünglich sein Werk über die Menschheit vor Adam widmen wollen.78 Doch letztlich blieb auch dieser Versuch, der sich der Netzwerke der Gelehrtenrepublik bediente, um die Konversion und Rückkehr von Saumaise zu erreichen, ohne Erfolg. Saumaise blieb in Leiden und starb 1653 in Spa. 2.6. Henotisten im Kontext französischer Irenik Im größeren Kontext getrachtet sind die he´notiques keineswegs eine völlige Ausnahmeerscheinung im 17. Jahrhundert. Vielmehr wird man wahrlich von einer Flut irenischer Texte für diese Zeit sprechen können.79 Zwar versteht sich die Irenik gewissermaßen als Gegenbegriff zur Polemik, doch sind die Genzen fließend. Allen gemeinsam ist der Eifer für die Einheit der Christenheit, wie er nicht zuletzt im Epheserbrief (Eph 4,3) formuliert ist. Daß dies in der Frühen Neuzeit nicht eine rein kirchliche Angelegenheit sein kann, zeigt etwa das große Colloquium Charitativum, das 1645 in Thorn unter Einberufung des polnischen Königs tagte – wenn auch ohne durchschlagenden Erfolg.80

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S. 279: »Et vous manday comme Mons. le Pre´sident Perrault m’avoit donne´ charge expresse de vous engager aupre`s de luy, avec les mesmes avantages des appointement et du logement que vous avez en Hollande.« Zu Jean Perraults Verbindung zu Conde´ vgl. Be´guin: Les princes de Conde´ (1999), S. 433. La Peyre`re an La Mare vom 2. Juli 1660. In: Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 286: »Et M. Saumaise me respondit qu’il avoit de´monstration pour cela, et de quoy prouver comme deux et deux font quatre, que le de´luge de Noe´ n’avoit este´ qu’un de´luge particulier. Et par malleur je ne l’ay peu voir depuis pour le prier de me dire ces raisons, dont je me serois servi au traitte´ que j’ay fait de ma mesme question dnas mes Pre´adamites, et pour faire valoir ces raisons, je n’aurois pas obmis un si grand nom que le sien.« La Peyre`re an La Mare vom 9. September 1661. In: Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 287–291 (Zitat 288). Vgl. Axel Hilmar Swinne (Hg.): Bibliographia irenica 1500–1700. Internationale Bibliographie zur Friedenswissenschaft: Kirchliche und politische Einigungs- und Friedensbestrebungen, Oekumene und Völkerverständigung. Hildesheim 1977 (Studia irenica 10), bes. S. 140–143. Dabei fällt die Häufung allein von Titeln oder Pseudonymen für das 17. Jahrhundert auf. Das suggeriert bereits der Titel von Christoph Böttigheimer: Zwischen Polemik und Irenik. Die Theologie der einen Kirche bei Georg Calixt. Münster 1996 (Stu-

220 Doch wie groß diese Welle an Reunionsbestrebungen auch war, ähnlich groß war auch die Skepsis, die in allen Lagern geäußert wird. Wie wir gesehen haben, machte sich der Katholik Patin über die Pläne von Grotius lustig und nannte diese schlicht eine »plaisante maladie«; der Protestant Saumaise hielt ein solches Unterfangen ebenfalls für unmöglich. Und auch Jean Binard witterte darin in erster Linie eine Art Vereinnahmungstaktik. Diese Bestrebungen, die es ab dem Moment der Spaltung der westlichen Christenheit als Gegenreaktion geben mußte, sind also zusätzlich von anderen Überlegungen beeinflußt. Man sollte daher nicht nur fragen, wer hier mit wem sich verbünden möchte, sondern erst recht, wer und wo der jeweils gemeinsame Gegner ist. Grob lassen sich drei Modelle ausmachen: Es gibt den Versuch der Zusammenführung aller Protestanten, um gegen die Anfeindungen der papistischen Kirche besser gewappnet zu sein, die derart verdorben sei, daß sie als Verbrüderungsoption ausfällt. Das ist der Fall etwa bei John Dury.81. Speziell für das Frankreich des 17. Jahrhunderts gibt es noch zwei weitere Typen der Irenik: Es gibt zur Stärkung der französischen, um nicht zu sagen gallikanischen Kirche den Vorstoß, alle Franzosen in einem Glauben zu einen. Denn je weniger ›Häretiker‹ es in Frankreich gibt, desto weniger Einflußnahme sei von außen, und d. h. vor allem aus Rom, zu befürchten. Das war das Anliegen der so genannten Politiques oder auch Bons franc¸ais. Hierzu sind wohl im weitesten Sinne auch die he´notiques zu rechnen. Das dritte Modell ist die Einigung aller Christen unter Rom unter geringer Wahrung der gallikanischen Freiheiten. Das war wiederum zu dieser Zeit dasjenige, was die De´vots propagierten.82 Interessanterweise konnte diese letzte Variante zwei verfeindeten innerkatholischen Lagern gleichermaßen unterstellt werden, nämlich den Jesuiten wie auch den Jansenisten.83

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dien zur systematischen Theologie und Ethik 7); Zur Irenik vgl. Hans-Joachim Müller: Irenik als Kommunikationsreform. Das Colloquium Charitativum von Thorn 1645. Göttingen 2004, S. 29–58; ebenso G.H.M. Posthumus Meyjes: Protestants irenisme in de 16de en eerste helft van de 17de eeuw. In: Nederlands theologisch tijdschrift 36 (1982), S. 205–222. Vgl. Anthony Milton: »The Unchanged Peacemaker«? John Dury and the politics of irenicism in England 1628–1643. In: Samuel Hartlib and Universal Reformation. Studies in Intellectual Communication. Hgg. v. Mark Greengrass u. a. Cambridge 1994, S. 95–117; Sebastian Barteleit: Toleranz und Irenik im England der 1650er Jahre. Grenzen und Möglichkeiten. In: Union – Konversion – Toleranz. Dimensionen der Annäherung zwischen den christlichen Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert. Hgg. v. Heinz Duchhardt, Gerhard May. Mainz 2000, S. 83–103. Vgl. Etienne Thuau: Raison d’Etat et pense´e politique a` l’e´poque de Richelieu. Athe`nes 1966, S. 103–152 Zu der späteren größeren Vereinbarkeit von französischen Interessen und Jansenismus im Verlauf des 18. Jahrhunderts vgl. Wolgang Mager: Jansenistische Wurzeln der politischen Nationsbildung in Frankreich. In: Jansenismus, Quietismus, Pietismus. Hgg. v. Hartmut Lehmann u. a. Göttingen 2002 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 42), S. 239–271.

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3. Conde´ und der Jansenismus Wenn Conde´ also hoffte, mit Hilfe von La Peyre`res Rappel des Juifs (1643) sein Projekt einer Kircheneinigung voranzutreiben, so stellt sich neben den he´notiques die Frage nach Conde´s Haltung gegenüber einer weiteren Gruppe innerhalb des Katholizismus. Denn auch die Jansenisten sahen sich als katholisches Bollwerk gegen den protestantischen Norden, das gegen die falsche Inanspruchnahme des Bischofs von Hippo durch die Reformatoren den ›wahren‹ Augustinus in Stellung zu bringen suchten.Schon früh kam es zu einer Ausweitung der ursprünglich Löwener Debatte auf den französischen Raum, was sich für die Mitte des 17. Jahrhunderts in den Personen Jean Duvergier de Hauranne, genannt Abbe´ Saint-Cyran (1581–1638), Antonie Arnauld (1612–1694) und Pierre Nicole (1625–1695) manifestiert.84 Die jansenistische Haltung in der Gnadenfrage ließ nicht nur den Gnadenstreit innerhalb der Kirche des 16. Jahrhunderts wiederaufflammen. Vielmehr zeigte sich hier sogar eine gewisse Nähe zum protestantischen Gegner, welche die konfessionelle Demarkation verschwimmen und unklar werden ließ. Zwar war das eine ähnliche Taktik, wie sie die Jesuiten mit ihrer sprichwörtlichen Laxheit auch seit jeher probierten. Doch mußte gerade diese strategische wie methodische Nähe – aber doch nicht Übereinstimmung – zwischen diesen beiden katholischen Gruppen dazu führen, daß sich die Front innerhalb des katholischen Feldes zwischen Jesuiten und Jansenisten verhärtete. Dieses Distinktionsbedürfnis resultierte wohl nicht zuletzt aus befürchteten Kompromittierungspotentialen, sowohl in Frankreich als auch in Rom. Der Jesuit Etienne Deschamps ließ es sich deshalb auch nicht nehmen zu berichten, daß der streitbare Hugenotte Samuel Desmarets den Jansenisten den Ritterschlag der reformierten Orthodoxie erteilt hatte.85

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Vgl. Albert de Meyer: Les premie`res controverses janse´nistes en France (1640–1649). Louvain 1917; Jean Orcibal: Jean Duvergier de Hauranne, abbe´ de Saint-Cyran et son temps (1581–1638). Louvain, Paris 1947 (Bibliothe`que de la Revue d’histoire eccle´siastique 26); Ders.: Janse´nius d’Ypres (1585–1638). Paris 1989. Etienne Deschamps: Tradition de l’Eglise catholique et de L’Eglise des he´re´tiques du denier sie`cle: sur la doctrine de Janse´nius touchant le libre arbitre et la graˆce. Paris 1688, ›Avertissement‹, o.S.: »Samuel des Marez Ministre de Groningue, dans la Pre´face de sa traduction de leur Catechisme de la grace. Les Jansenistes, dit-il, en cette controverse de la grace, croyent en effet le mesme qu’il a este´ de´cide´ par les Canons du Synode national de Dordrecht. Voila` une tradition de l’Eglise des he´re´tique.«

222 3.1. Streit um Häufigkeit der Eucharistie War es anfänglich die richtige Auslegung des Kirchenvaters Augustinus, die den Hauptstreitpunkt bildete, spitzte sich die Debatte im Jahr 1643 auf die Frage nach dem angemessenen Empfang der Eucharistie und nach der vorangegangenen Bußpraxis zu. Auch diese Fragestellung war keineswegs neu, doch das Trienter Konzil hatte neue Akzente verliehen, indem dort selbst für die Laien eine Kommunion bei jedem Meßvollzug gefordert wurde.86 Anfänglich waren auch die Jesuiten äußerst zurückhaltend in der Einschätzung der häufigen Kommunion bei den Laien. Allerdings verschob sich das im 17. Jahrhundert immer mehr zu einer laxeren Praxis, nachdem die Jansenisten, die eine rigoristischere Haltung favorisierten, den Jesuiten Pierre de Sesmaisons (1588–1648) wegen seines Eintretens für die häufige Kommunion heftig attackiert hatten. Auslöser soll der Streit gewesen sein, der von zwei Hofdamen ausgegegangen war: Marquise de Sable´ und der Prinzessin von Gue´mene´, die ihre nicht zuletzt höfische Kabale auch auf den Schauplatz ihrer Beichtväter, Pater Sesmaisons SJ auf der einen und den Jansenisten Abbe´ Saint-Cyran auf der anderen, auszuweiten wußten. Es erschien daraufhin von jansenistischer Seite im August 1643 – also in direkter zeitlicher Nähe zum Rappel des Juifs – eine umfangreiche Studie, die von der Urkirche über die gesamte Patristik bis zum Trienter Konzil die Frage des häufigen Empfangs der Euchristie verfolgte: Arnaulds De la fre´quente Communion (1643) spricht sich dabei – anders als es vielleicht der Titel vermuten läßt – gegen die häufige Kommunion aus.87 Nicht nur deutet sich hier bereits eine erste Diskrepanz zu La Peyre`res Forderung in seinem Rappel des Juifs (1643) nach einer häufigen, ja täglichen Kommunion ab. Auch haben wir schon bei Tallemant des Reaux gesehen, daß Conde´ selbst in die Debatte um den Jansenismus eingriff und seine Nähe zu den Jesuiten manifestierte: »Il escrivit je ne sc¸ay quoy contre les Janssenistes, et fit estudier ses deux filz aux Jesuites.«88 86

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Vgl. E. Dublanchy: Art. Communion eucharistique (fre´quente). In: DThC 3 (1938), Sp. 515–552, bes. 533–539. Das Trienter Konzil hatte das in Kapitel 6 der 22. Sitzung vom 17. September 1562 über das Meßopfer formuliert, vgl. DH 1747. Zur sich wandelnden Praxis im Verlauf des 17. Jahrhundert vgl. Richard Cadoux: Spiritualite´ sacerdotale et pratique fre´quente de l’eucharistie en France aux XVIIe et XVIIIe sie`cles. In: La Maison-Dieu 242 (2005), S. 45–67. De la fre´quente Communion, ou les sentimens des Peres, des Papes et des Conciles, touchant l’usage des sacremens de Penitence et d’Eucharistie, sont fidelement exposez: pour servir d’adresse aux personnes qui pensent serieusement a` se convertir a` Dieu; et aux pasteurs et confesseurs zelez pour les bien des ames, par M. Antoine Arnauld, Prestre, docteur en the´ologie de la Maison de Sorbonne. Paris 1643. Abgedruckt in: Arnauld: Oeuvres. Bd. 27, S. 71–673. Allein das Vorwort ist schon länger als der gesamte Rappel des Juifs. Zur Entstehungsgeschichte vgl. den Pre´face historique et critique. In: Bd. 26, S. XXII–XXVIII. Tallemant des Re´aux: Historiettes (Adam). Bd. 1 (1960), S. 420.

223 Arnaulds Werk gegen die häufige Kommunion war bereits die Instruction sur la frequente Communion vorausgegangen, die dem genannten Jesuiten Sesmaisons zugeschrieben wird und die im Folgejahr 1644 unter dem Titel Remarques iudicieuses sur le Livre intitule´ De la frequente Communon neu aufgelegt wurde.89 Parallel zu der Kontroverse zwischen Sesmaisons und Arnauld erschienen eine Vielzahl anderer Werke. Zu den vielen Reaktionen auf Arnaulds Werk aus demselben Jahr gehören auch die anonym publizierten Remarques chrestiennes et catholiques (1644), die sich auf wenigen Seiten deutlich für den häufigen Empfang des Sakramentes aussprechen.90 Das Lager, aus dem dieser Text stammte, wurde schnell ausgemacht und Conde´ als verdeckter Autor entlarvt.91 Somit unterstützte Conde´ die Position der Jesuiten. Godefroi Hermant (1617–1690), der eine glühende Apologie der Jansenisten verfaßte, weist auf den Umstand hin, daß die Veröffentlichungsart bereits den Autor verrät.92 Bemerkenswert ist, daß Conde´ – oder welcher seiner Klienten auch immer diesen Text letztlich für ihn verfaßt haben mag – Arnauld aufgrund von dessen expliziten Eintreten für die Bußpraxis der Alten Kirche attestiert, er handle »en faueur des Athe´es & Libertins«.93 Arnauld führe Neuerungen im Umgang mit den Sakramenten ein und ziehe sich daher das Anathem zu, wie es das Trienter Konzil formuliert habe.94 Zudem habe dieses Konzil gelehrt, daß die Gläubigen bei jeder Messe an

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Die Instruction sur la frequente Communion, Contenant la question, s’il vaut mieux communier souuent que rarement befinden sich am Ende von [Pierre de Sesmaisons:] Remarques iudicieuses sur les livre intitule´ De la frequente Communion, par Monsieur Arnauld, Docteur en Theologie. Paris 1644. Vgl. weiterhin Meyer: Les premie`res controverses (1917), S. 222–243. Vgl. Saumaise an Rivet vom 2. Februar 1644. In: Correspondance Saumaise–Rivet. Nr. CLIII, S. 234: »On me mande aussi de Paris que le Prince de Conde´ se mesle d’escrire en faveur des Jesuites et que le Sr Arnauld lui repondra.« Vgl. Godefroi Hermant: Me´moires sur l’histoire eccle´siastique du XVIIe sie`cle (1630–1663). Hg. v. A. Gazier. Bd. 1. Paris 1905, S. 288–290. Nachdem Hermant allgemein die wichtigen Gegner behandelt hat, kommt er auch auf Conde´ zu sprechen, ebd, S. 289: »A la verite´ le nom de M. le Prince n’e´tait pas exprime´ dans cet ouvrage; mais comme le titre meˆme portait qu’il e´tait imprime´ par commandement, cette forme extraordinaire, qui le distinguait du commun des livres, en fit bientoˆt connaıˆtre l’auteur, qui de sa part ne le de´savoua point. Mais comme il ne disait rien de nouveau, on se tint dans les bornes du respect et du silence sans lui re´pliquer, et on ne s’en est servi que pour faire voir qu’il avait e´te´ plus e´quitable que les Je´suites en ne jugent de M. de Saint-Cyran, apre`s sa mort, que d’une manie`re assez favorable.« Vgl. [Heinrich II. von Conde´:] Remarques Chrestiennes et Catholiques sur le livre de la Frequente Communion. Paris 1644, S. 10f, ausführlicher S. 35–38. Remarques Chrestiennes (1644), S. 29f. Conde´ zitiert hier Kanon 13 der 7. Sitzung vom 3. März 1547 über die Sakramente, vgl. DH 1613.

224 der Eucharistie teilnehmen sollten.95 Daher verbreite Arnaulds Buch »la vray doctrine des Libertins«, also die Lehre eben jener grassierenden Gruppe, die auf falsche Wege geraten sei, Gott leugne und im Widerspruch zur Tradition und Lehre der Kirche nicht nur selten die Eucharistie empfange, sondern ebenso selten zur Beichte gehe.96 Am Ende führt Conde´ zur Stützung seiner Forderung einer häufigen Kommunion noch eine ganze Reihe von Konzilien und französischen Synoden an, die zusammen mit dem leuchtenden Vorbild der Regentin Anna von Österreich die häufige Kommunion propagieren sollen.97 Einen zweiten Anhaltspunkt für die Haltung des Hauses Conde´ in dieser Angelegenheit bietet ein weiteres Werk aus dem Jahr 1646. Heinrich II. von Conde´, der, wie wir schon gesehen haben, der erste Katholik seiner Linie und von den Jesuiten geformt worden war, ließ seine Kinder ebenfalls bei den Jesuiten erziehen. Unter den Schülern befand sich auch der eingangs genannte Etienne Deschamps (1613–1701), der 1630 den Jesuiten beitrat, später der Beichtvater von Conde´ wurde sowie mit der theologischen Ausbildung von dessen jüngstem Sohn, Armand (1629–1666), Prinz von Conti, betraut wurde. Der Jesuit Deschamps veröffentlichte unter dem Namen Ricardus Antonius mehrere Werke gegen die Jansenisten, darunter 1645 eine Defensio censurae facultatis theologiae parisiensis lata XXVII junii anno M.DLX, seu disputatio theologica de libero arbitrio, die er Conde´ mit den Worten widmete: »contre le de´tracteur des rois de France, Jansenius, et [contre] les ennemis spirituels du jeune prince«.98 Als dieses Werk 1646 bei Cramoisy in Paris überarbeitet erschien, stellte man ihm einen kurzen Traktat seines theologischen Zöglings voran.99 Diese The`ses the´ologiques de la graˆce et de l’eucharistie (1646) des Prinzen von Conti waren bewußt auf französisch erschienen, »pour satisfaire a` la curiosite´ des princesses et des dames de la cour, qui s’in95

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Remarques Chrestiennes (1644), S. 60. Conde´ verweist hier auf Kapitel 6 der 22. Sitzung vom 17. September 1562 über das Meßopfer, vgl. DH 1747. Remarques Chrestiennes (1644), S. 35–38, 37: »telle doctrine est libertine & dangereuse, & elle etablit vn faux repos de conscience, & dit Paix, ou` il n’y a point de Paix puis que telles gens n’auront iamais de repos, ayant dit en leur coeur, Diev n’est point, & les sectateurs de telles doctrines experimenteront ce que Diev en a predit«. Remarques Chrestiennes (1644), S. 74–84, 83f: »Arnauld ne s’est pas souuenu de tant de Conciles, non plus que de la Piete´ du feu Roy Louis le Iuste de glorieuse memoire, & de la deuotion incomparable de la Reyen Regente, dont l’exemple signale´ est seul capable de confirmer les bons Catholiques dans le frequent vsage des Sacremens«. Vgl. dazu Meyer: Les premie`res controverses (1917), S. 198f. Das Werk findet Erwähnung sowohl in den projansenistischen Me´moires von Hermant. Bd. 1, S. 328 u. 401, wie in den projesuitischen Me´moires von Rene´ Rapin SJ. Bd. 1, S. 166. Später wurde es nochmals publiziert als: De haeresi janseniana ab apostolica sede merito proscripta libri tres ad SS. Papam Innocentium X. Paris 1654.

225 teressent aussi dont tout ce qui est advantageux a` la maison de Bourbon, de qui la gloire ne doit eˆtre enconnue a` aucun sexe.«100 Im Vorwort an seinen Vater hebt Conti nochmals die Besonderheit hervor, daß er nun Prinz und Theologe in einem sei. Wie sein älterer Bruder zur Verteidigung des Landes berufen sei, sei er es zur Verteidigung der Religion.101 Zwar betont auch Conti in der auf die Widmung folgenden Sakramentenlehre neben einer klassischen Transsubstantiationslehre die Notwendigkeit der Beichte vor dem Empfang der Eucharistie, er verwahrt sich allerdings explizit gegen eine öffentliche Buße, wie es Arnauld im Falle von Todsünden gefordert hatte.102 Über die Häufigkeit des Emfangs des Sakraments äußert er sich wie folgt: »Il est mieux, de soy, d’approcher plus souuent de la Communion, que rarement.«103 Auch hier finden wir also 1646 wieder das Argument für eine häufige Kommunion, wie wir es sowohl 1644 in den Remarques seines Vaters als auch bereits 1643 im Rappel des Juifs des Klienten La Peyre`re gesehen haben. Natürlich wird man den Rappel des Juifs (1643) nicht einen jesuitischen Traktat nennen können, doch in dem Kräftefeld zwischen Jesuiten und Jansenisten zeichnet sich Du Rappel des Juifs doch stärker durch eine Ferne zu den Jansenisten aus und somit durch gewisse theologische Schnittmengen mit den Jesuiten. 3.2. Streit um Freiheiten des französischen Königs Eine höfische, um nicht zu sagen politische Komponente hatte die jansenistische Kontroverse jedoch nicht erst durch die beiden Protagonistinnen erhalten, die Anlaß für Arnaulds De la fre´quente communion (1643) gewesen sein sollen. Schon einige Jahre zuvor hatte der Ypener 100

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The`ses the´ologiques de la graˆce et de l’eucharistie signe´es et approuve´es par monsieur le coadjuteur de Paris et par le syndic de la faculte´, et soutenues par monseigneur le prince de Conty. Paris 1646, S. 3. Epistre Dedicatoire. In: The`ses the´ologiques de la graˆce et de l’eucharistie (1646), S. 4–11, 7: »ayant destine´ Monsieur mon Frere a` la defence de l’Estat, & moy au maintien de la Religion«, S. 9: »c’est a` moy, Monsieur mon Pere, d’employer la science que vous m’auez procure´e, a` deffendre la Religion contre ses ennemis«. Armand de Bourbon (1619–1666) schlug jedoch später eine weltliche, militärische Karriere ein, spielte neben seinen Geschwistern eine entscheidende Rolle in der Fronde und heiratete 1654 Anna-Maria Martinozzi, eine Nichte Mazarins. Vgl. The`ses the´ologiques de la graˆce et de l’eucharistie (1646), S. 21. Vgl. dazu auch [Heinrich II. von Conde´:] Remarques Chrestiennes et Catholiques (1644), S. 17: »La premiere preparation pour dignement Communier, est la Contrition«. Vgl. The`ses the´ologiques de la graˆce et de l’eucharistie (1646), S. 23. Allerdings schränkt Conti diese These wieder ein: »Encore qu’on ne puisse pas donner vne regle generale pour tout le monde, il est neantmoins a` propos que chacun se porte d’auantage a` s’en approcher plus souuent, que moins; & il ne faut point attendre pour le frequente communion, qu’on ayt l’esprit & l’imagination purifie´e de toutes les mauvaises habitudes«.

226 Bischof Jansen selbst (1585–1638) durch seine unnachgiebige Haltung in der Frage, inwieweit es dem ›ältesten Sohn der Kirche‹ erlaubt sei, mit den ›häretischen‹ Territorien des Reichs und Schweden Koalitionen schmieden zu dürfen, für Unmut gesorgt.104 Unter Pseudonym erschien daraufhin 1635 der Mars Gallicus, Seu de Iustitia Armorum, Et Foederum Regis Galliae. Dabei verstand sich der Mars gallicus (1635) als Antwort auf die Questions decide´es (1634) eines gewissen Bezian Arroy (1590–1677), Kanoniker aus Lyon.105 Während Arroy dem französischen König allein aufgrund seiner Herausgehobenheit als fils aıˆne´ de l’Eglise und als roi tre`s chre´tien sehr weitgehende Rechte und Koalitionsmöglichkeiten einräumte, versuchte hingegen Jansen den Monarchen aufgrund seiner Titel zu großer Demut und Zurückhaltung in diesen Punkten zu bewegen. Arroy wiederum antwortete auf den Mars gallicus (1635) mit seinem Mercure Espagnol (1639), worin er die jansenistische Attacke als habsburgisch-spanisches Machwerk abzuwehren suchte.106 Die vermeintliche Parteinahme für Spanien kam nicht von ungefähr, war doch der Mars gallicus (1635) wohl eine Gemeinschaftsarbeit von Jansen und Pierre Roose, dem Presidenten des Geheimen Rats in Brüssel.107 Das hatte bereits Fabio Chigi, damals Nuntius in Köln und somit auch für die Südlichen Niederlande zuständig, vermutet.108 104

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Vgl. allgemein Thuau: Raison d’Etat (1966), S. 129–140; Christoph Kampmann: Arbiter und Friedensstiftung. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedrichter im Europa der Frühen Neuzeit. München u. a. 2001, S. 140–183. Bezian Arroy: Questions decide´es, Sur la Iustice des Armes des Rois de France, sur les Alliances auec les heretiques ou infidelles, & sur la conduite de la Conscience des gens de guerre. Paris 1634. Jansen schrieb unter Pseudonym: Alexandri Patricii Armacani, Theologi, Mars Gallicus, Seu de Iustitia Armorum, Et Foederum Regis Galliae, Libri Duo. o.O. 1635. Das Buch erlebte viele Auflagen und wurde 1637 von Charles Hersent ins Französische übertragen; anders die Zuschreibung bei Orcibal: Janse´nius d’Ypres (1989), S. 239; Oricibal vermutet Jean Hugues Doroz, einen ehemaligen Oratorianer, als Übersetzer. Vgl. Thuau: Raison d’Etat (1966), S. 131–133. Le Mercure Espagnol ou Discours contenans les responses faites a` un libelle intitule´ Mars Franc¸ois, fabrique´ par un sujet des Espagnols, se donnant les nom suppose´ d’Alexandre Patrice Armacan, & a faux le tiltre de Theologien: Ensemble les remarques de la Religion, pretexte des Espagnols, dans l’avant discours, & un rapport entre les Franc¸ois & les Espagnols, a` la fin de ce livre. o.O. 1639. Es ist umso erstaunlicher, daß Arroy in den Geschichten des Jansenismus weitestgehend unerwähnt bleibt. Zu Arroy vgl. L. Bertrand: Be´sian Arroy. The´ologal de l’Eglise de Lyon. In: Bulletin historique et arche´ologique du Dioce`se de Lyon 3 (1902), S. 29–40. Vgl. Rene´ Rapin: Histoire du janse´nisme depuis son origine jusqu’en 1644. Hg. v. l’abbe´ Domenich. Paris o.J, S. 295; Orcibal: Janse´nius d’Ypres (1989), S. 235–243. Vgl. Albert de Meyer: Jansenius et Roose, auteurs du Mars gallicus. In: Miscellanea historica in honorem Leonis van der Essen. Bd. 2. Bruxelles 1947, S. 831–836. Fabio Chigi an Kardinal Barberini vom 25. Mai 1641. In: La correspondance antijanse´niste de Fabio Chigi nonce a` Cologne plus tard Pape Alexandre VII. Hgg.

227 Die Diskussion um die Rechte der französischen Krone fügen sich in eine große Debatte um die gallikanischen Freiheiten ein, die mit der Publikation über die Libertez de l’Eglise gallicane gegen Ende des 16. Jahrhunderts neuen Auftrieb bekam. 1639 erschien neben dem Mercure espagnole zudem ein Commentaire sur le Traite´ des libertez de l’Eglise gallicane von Pierre Dupuy. Dupuy ging darin besonders auf die französischen Ansprüche auf Regalienrechte ein, die in der Pragmatischen Sanktion von Bourges (1438) unter Karl VII. formuliert und durch das Konkordat von Bologna (1516), das Franz I. mit Papst Leo X. schloß, wieder eingeschränkt worden waren.109 Ebenso deutliche gallikanische Züge wies der Traktat von Daniel de Priezac mit dem Titel Vindiciae gallicae aus dem Jahr 1638 auf.110 Charles Hersent darf hingegen wohl nicht nur als der Übersetzer des Mars gallicus (1635) ins Französische gelten. Vielmehr reagierte Hersent auf Arroy, Priezac und Dupuys Erneuerung der gallikanischen Forderungen, indem er 1640 unter dem vielsagenden Pseudonym Optatus Gallus in die Diskussion eingriff und für eine größere Katholizität im Sinne eines größeren römischen Einflußes in Frankreich plädierte.111 Gegen eine zu große Einflußnahme von Rom verwahrte sich wiederum Isaac Habert, Bischof von Vabres, als er 1641 auf den Optatus Gallus reagierte: »il y a des hommes qui sous pretexte de la liberte´ Ecclesiastique, veulent que le Pape comme Monarque souuerain de tout le monde, non seulement au spirituel, mais aussi au temporel, commande aux Empereurs & aux Roys.«112 Diese Debatte um den Gallikanismus war also aufs engste mit der um die Jansenisten verwoben und mit der Frage nach der Tolerierung der Hugenotten, denn Jansen – wie später Charles Hersent als Optatus Gallus – prangerten neben den Allianzen mit ›häretischen‹ Territorien auch die Duldung der Reformierten im ei-

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v. Aime´ Legrand, Lucien Ceyssens. Bruxelles, Rome 1957 (Bibliothe`que de l’Institut historique belge de Rome 8), Nr. 30: Jansen »col Presidente Rosa fu l’autore delle opere dell’Armacano contro il Re` di Francia et contro Sua Eminenza«. Vgl. Gabriel Adria´nyi: Art. Gallikanismus. In: TRE. Bd. 12 (1984), S. 17–21; Pierre Blet: Art. Gallicanisme. In: Dictionnaire Du Grand Sie`cle. Hg. v. Franc¸ois Blunche. Paris 1990, S. 639–641. [Daniel de Priezac:] Defence des droits et prerogatiues des Roys de France contre Alexandre Patrice Armacan, Theologien. Ecritte en latin sous le tiltre de Vindiciae Gallicae. Paris 1639, S. 254: »Pourquoy donc Armacan oses-tu blamer le Roy TresChrestien, de ce qu’il permet a ceux de a Religion pretendue¨ Reformee de vivre en secrete´ dans ses Estats?« [Cornelius Jansen, Charles Hersent:] Le Mars franc¸ois, ou la guerre de France, En laquelle sont examine´es les raisons de la Iustice pretendue des Armes & des Alliances du Roi de France. o.O. 1637; [Ders.:] Optati Galli de Cavendo schismate ad illustrissimos ac reverendissimos Ecclesiae gallicanae primate, archiepiscopos, episcopos, liber paraneticus. o.O. 1640. Isaac Habert: De l’union de l’Eglise avec l’Etat, ouvrage compose´ en latin contre le livre d’Optatus Gallus. Paris 1641, S. 194.

228 genen Land an. Charles Hersent ließ 1644 eine weitere Schrift folgen und appelliert in seinem Vorwort an Kardinal Mazarin, doch ein französisches Nationalkonzil einzuberufen, um die Streitigkeiten beizulegen.113 Wie nah hier die beiden Fragen nach dem Jansenismus und der Irenik zusammenhängen, verdeutlicht die rigoristische Reserviertheit der Jansenisten sowohl gegenüber einer Duldung der Hugenotten als auch gegenüber einer halbherzigen Unionspolitik. Interessanterweise suggeriert Tallemant des Re´aux in seinen Historiettes, die Verhaftung des Jansenisten Saint-Cyrans habe im Zusammenhang mit der irenischen Religionspolitik Richelieus gestanden.114 Die zeitgenössische Wahrnehmung mag dem Bild des Kardinals als eines kalten Machttaktikers recht geben. So schreibt Partin über Richelieu: »Le Cardinal de Richelieu lisoit et pratiquoit fort Tacite: aussi e´toit-il un terrible homme. Machiavel est un autre pe´dagogue de tels ministres d’Etat, mais il n’est qu’un diminutif de Tacite«.115 Allerdings entdeckt die jüngere Forschung neben dem Meisterschüler der Staatsräson durchaus auch den theologisch denkenden Kronkardinal wieder.116 Ähnliches läßt sich auch für Conde´ feststellen, vergleicht man einmal das Urteil eines Tallemant des Re´aux mit der genannten jüngeren Forschung. Sicher sollte man La Peyre`res Rappel des Juifs (1643) nicht ausschließlich als Argumentationsarsenal des 113

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Charles Hersent: De la frequente Communion et du legitime usage de la penitence. Paris 1644, o.S.: »Je prendray la hardiesse, MONSEIGNEVR, de joindre mes treshumble prieres a` celles d’une infinite´ de gens de bien, pour conjurer vostre Eminence d’employer son credit qui est tres-grand, aupres de sa Sainctete´, & de nostre bonne Reyne & de Meßeigneurs le Duc d’Orleans & Prince de Conde´, pour obtenir la permißion d’un Concile National dans ce Royaume, pour rallaint les esprits diuisez dans une mesme Compagnie & dans un mesme dessin, semble estre en ce temps un remede tres-necessaire pour regler par l’Esprit, par l’Escriture & la tradition, non seulement ces differents, mais bien d’autres encores, qui ne sont pas de moindre consequence, dans la matiere de la grace, de la Hierarchie, du Sacrement de Confirmation, de l’etat & condition de Reguliers dans l’Eglise, & dans beaucoup d’articles concernans la discipline de l’Eglise«. Vgl. Tallemant des Re´aux, Historiettes (Adam). Bd. 1 (1960), S. 260; als Richelieu Saint-Cyran in die Sache einbinden will, soll dieser geantwortet haben: »il estoit oblige´ en conscience de luy dire que ce n’estoit point la voye du Saint-Esprit; que c’estoit plustost le voye de la chair et du sang, et qu’il ne falloit convertir les here´tiques que par les bons examples qu’on leur donnera. Le Cardinal ne gousta nullement cette remonstrance, et ce fut la veritables cause de la prison de SaintCyran.« Vgl. Franc¸oise Hildesheimer: Richelieu et le janse´nisme, ou ce que l’attrition veut dire. In: Jansenismus, Quietismus, Pietismus. Hgg. v. Hartmut Lehmann u. a. Göttingen 2002 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 42), S. 11–39, 19: »L’histoire n’est raporte´e par aucune autre source et semble relever d’une confusion.« Allgemein zu der Causa Saint-Cyran vgl. Orcibal: Jean Duvergier de Hauranne (1947), S. 477–517. Lettres de Gui Patin (Reveille´-Parise). Bd. 3, S. 255. Vgl. allgemein Thuau: Raison d’Etat (1966). Vgl. Hildesheimer: Richelieu et le janse´nisme (2002), S. 11–39; ausführlicher Dies.: Richelieu. Paris 2004.

229 Prinzen für die Jesuiten und gegen die Jansenisten überinterpretieren. Es lassen sich aber hier durchaus Punkte finden, auf die La Peyre`re unter Berücksichtigung der Interessen seines Patrons setzen konnte und die es ihm erlaubten, seine These vom Rückruf der Juden zu publizieren. Die auffällig harsche Reaktion auf die Prae-Adamitae (1655), wie sie 1656 der Erzbischof von Aix, Girolamo Kardinal Grimaldi (1597–1685), zeigte, läßt sich wohl ebenfalls im Lichte einer jansenistischen Opposition zum Hause Conde´ und somit zu La Peyre`re deuten.117 Grimaldi, seit 1648 von Mazarin und der Regentin ins Amt gehoben und erst 1655 darin von päpstlicher Seite bestätigt, ließ für seine Diözese ein Verbotsplakat von La Peyre`res Werk drucken, das als einziges seiner Art bekannt ist.118 In der Zeit als Nuntius in Paris (1641–1644) galt Grimaldi als Freund der Jansenisten und somit als Gegenspieler in Rom zu Francesco Albizzi und dem Kölner Nuntius Fabio Chigi, dem späteren Alexander VII.119 Ebenso wird man an die durchaus zynischen, aber doch letztlich wohlwollenden Worte des Jesuitengenerals erinnern können, wie sie La Peyre`re kolportierte: General Oliva habe La Peyre`re mit den Worten zu seiner Konversion gratuliert, er sei recht froh über diesen Entschluß, denn er hätte beim besten Willen nicht gewußt, wie er auf dessen präadamitische Gedankenspiele hätte angemessen reagieren können.120

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Erst Alexander VII. bestätigte den Nachfolger von Michele Mazzarini, dem Bruder Kardinal Mazarins, am 31. August 1655 in seinem Amt; vgl. Joseph H. Albane`s: Gallia christiana novissima. Histoire des archeveˆche´s, e´veˆche´s & abbayes de France. Bd. 1. Montbe´liard 1899, S. 141–144; Robert Albert in Dictionnaire d’histoire et de ge´ographie eccle´siastiques. Bd. 22 (1988), Sp. 245–249. Paris, BnF, Coll. Balluze 325, fol. 63–68; vgl. Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 103. Das Buch sei im Juni 1656 in Aix öffentlich verbrannt worden. Zur Nomination von Grimaldi vgl. Sharon Kettering: Patrons, Brokers, and Clients in SeventeenthCentury France. New York u. a. 1986, S. 162: »Mazarin nominated an old Roman friend.« Vgl. Marcel Albert: Nuntius Fabio Chigi und die Anfänge des Jansenismus 1639–1651. Ein römischer Legat in theologischen Auseinandersetzungen. Rom u. a. 1988, S. 41–45. Dijon, Bibliothe`que Municipale, Ms 839 (1673). Me´moires de Philibert de La Mare, fol. 18: »Mr dela Peyrere dit qu’apres quil eu abiure´ a Rome le Caluinisme et lopinion quil avoit publie´ touchant les Praeadamites le p. Oliua apresent General des Jesuites apres luy auoir tesmoigne´ la ioye quil avoit de le voir quitter tant de mauuaises opinions, luy dit ces mots, profecto, si rationibus tecum nobis agendum fuisset, nescio quid tibi respondissemus«.

VI. La Peyre`re und die libertas christiana Bischof Räß ließ 1868 in seiner Darstellung von La Peyre`res Konversion kein gutes Haar an den früheren Versuchen: »Seine Biographen geben fast insgesammt vor, er habe vor seiner Entlassung aus dem brüsseler Gefängnisse versprechen müssen, sein Buch zu widerrufen und den Calvinismus abzuschwören. Diese Aussage beruht auf keinem geschichtlichen Belege und die Annahme einer solchen conditio sine qua non steht mit dem etwas bizarren Charakter la Peyre`re’s durchaus im Widerspruche.«1 Seit der Öffnung des Vatikanischen Geheimarchivs im Jahr 1881 wird man diesen letzten Satz korrigieren müssen. Denn aus den römischen Akten läßt sich klar zeigen, daß es einiger diplomatischer Vorarbeiten bedurfte, bis La Peyre`re unbeschadet nach Rom zu seiner Konversion und Abschwörung aufbrechen durfte. In diesen Akten findet sich zudem ein explizites Abschwörungsschreiben des Delinquenten La Peyre`re aus dem September 1656, also noch bevor er sich im folgenden Frühjahr nach Rom aufmachte, um dort im März 1657 offiziell zu widerrufen und zu konvertieren.2 Hans-Joachim Schoeps vermutete wie so viele, daß La Peyre`re dieses letztlich getan habe, um nicht als Märtyrer zu enden.3 Bei aller Voreingenommenheit, die man, wie in Kapitel I gesehen, der frühen Rezeption attestieren muß, war der Hugenotte Pierre Bayle am Ende des 17. Jahrhunderts gut informiert, wenn er einen entscheidenden Anteil am Gelingen dieses Coups nicht zuletzt dem Wunsch und den Möglichkeiten des Prinzen Conde´ als La Peyre`res Patron zusprach. Für diese Interpretation spricht, daß Conde´ sein Engagement in dieser Angelegenheit seinem Mittelsmann in Rom im Juni 1656 wie folgt erläuterte: »Cette heresie ayant faict un grand bruit dans le monde, sa conversion faicte aux pieds du pape fera un merveilleux esclat.«4 1

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Andreas Räß: Die Convertiten seit der Reformation nach ihrem Leben und ihren Schriften dargestellt. Bd. 7. Freiburg i.B. 1868, S. 115. Eine Kopie und das entsprechende Begleitschreiben aus Brüssel befindet sich im ASV, Segr. Stato Fiandra 40, fol. 351–354. Hans-Joachim Schoeps: Philosemitismus im Barock. Religions- und Geistesgeschichtliche Untersuchungen. Tübingen 1952, S. 7: »bis er sich – um nicht Märtyrer zu werden – zum Widerruf vor der Inquisition entschloß«. Paris, BnF, Fonds franc¸ois 6728 (Papiers Lenet), Nr. 20. Conde´ an Saller vom 10. Juni 1656.

231 Während La Peyre`re also vom politischen Einfluß seines Patrons profitierte, stellt sich dennoch weiterhin die Frage nach dem, was Räß seinen »etwas bizarren Charakter« nannte. Hatte sich La Peyre`re wirklich nur aus Opportunismus dem Katholizismus geöffnet und war seine Konversion nur ein Beweis seiner dissimulatio? Oder gab es womöglich Tendenzen in seiner Lehre, die es ihm erleichterten zu konvertieren? Betrachtet man nochmals La Peyre`res theologisches Programm, so fällt auf, daß seine Lieblingsperikope aus dem Johannesevangelium zwar damit beginnt, daß das Heil von den Juden komme. Doch sie endet gerade mit den Worten Christi an die Samariterin, daß Gott selbst Geist sei und fortan ›im Geist und in der Wahrheit‹ zu verehren sei (Joh 4,24). Es stellt sich also die Frage nach der Rolle des Geistes in und für La Peyre`res Theologie.5 Welche Funktion spielt der Geist etwa für seine Bibelinterpretation? Darüber klärt sich nicht zuletzt, wie La Peyre`re die libertas christiana faßt. Besteht die ›christliche Freiheit‹ nur in der Losgelöstheit vom Alten Gesetz des Judentums oder aber offenbart sich ihm eine größere Freiheit, die sogar die Grenzen der christlichen Konfessionen der Frühen Neuzeit sprengt? Dann würde allerdings La Peyre`re ›libertinistische‹ Züge zeigen. Es muß deshalb eingangs geklärt werden, wie es um die Zuschreibung bestellt ist, La Peyre`re sei mit seiner Konversion ein Katholik geworden.

1. La Peyre`re – le catholique »Je croy, si cet homme se convertit, comme il y a de l’aperance, qu’il en tirera plus de deux cent avec luy.« So zitiert Pintard in seiner Studie zum Libertinage e´rudit aus einem Brief Bourdelots an den in Rom tätigen Gelehrten Cassiano dal Pozzo (1588–1657) aus dem Jahr 1642.6 Wäre dieser Satz, wie Pintard 1943 vermutet, auf La Peyre`re zu beziehen, wäre dies ein wirklich frühes Zeugnis seines Konversionswillens, ganze fünfzehn Jahre vor jenem 11. März 1657, an dem La Peyre`re im Beisein der Kardinäle Barberini und Albizzi im Kapitelsaal von St. Peter seine Widerrufung verkündete.7 Allerdings ist aus den vorangehenden Sätzen 5

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Zur Verwendung dieser Bibelstelle vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 143, wo La Peyre`re diesen Vers sogar wörtlich zitiert. Rom, Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei, Archivio Dal Pozzo XXXIV (31), fol. 55r. Bourdelot an Dal Pozzo vom 31. Oktober 1942; Rene´ Pintard: Le libertinage e´rudit dans la premie`re moitie´ du XVIIe sie`cle. Paris 1983 [ND Paris 1943], S. 359. Im Recueil de Lettres e´crites a` Monsieur le Comte de la Suze pour l’obliger par raison a` se faire Catholique, Paris 1661, S. 91–100, hat er später dieses Abschwörungsdokument nochmals abdrucken lassen; ACDF, Decreta SO 1659, fol. 216v. Dort findet sich ein entsprechender Eintrag am 8. November 1659 zur Erstellung

232 dieses Briefes, die Pintard ebenfalls zitiert, schnell deutlich, daß es hier um jemand anderen geht, nämlich um Claude Saumaise – ebenfalls ein Hugenotte, um den Conde´ in der Hoffnung buhlte, er möge zum Katholizimus konvertieren.8 Gleichwohl schreibt Bourdelot schon 1640 an eben jenen Dal Pozzo nach Rom: »Il y a un fort honeste homme a` Bourdeaux tres sc¸auant, nome´ la Peirere, qui ira peut estre bien tost en Italie.«9 Also schon 1640 sah der Katholik Bourdelot ein gewisses Potential bei dem Hugenotten La Peyre`re zu dessen Konversion. 1.1. Römische Vorgeschichte Es war ebenfalls Bourdelot, der den Rappel des Juifs (1643) bereits im November desselben Jahres in Rom zu lancieren versuchte, um abschätzen zu können, ob es theologisch etwas zu beanstanden gäbe: »ie vous prie de m’escrire le Iugement qu’on en sera a Rome et si on ne l’y censurera point.«10 Bourdelot nahm dazu wiederum Kontakt zu Dal Pozzo auf, der nicht nur wissenschaftlich mit Bourdelot im Kontakt stand, sondern auch zur famiglia von Francesco Kardinal Barberini (1597–1679) gehörte.11 Uns ist keine Antwort aus Rom überliefert, doch gibt es einen zweiten Brief aus dem Folgejahr, der zeigt, daß Bourdelot mit seinem ersten Vorstoß anscheinend wenig Erfolg hatte. Noch im Dezember 1643 hatte Bourdelot Dal Pozzo angekündigt, ein zweites Exemplar des raren Rappel des Juifs ergattern und es nach Rom schikken zu wollen.12 Ein halbes Jahr später wählte er allerdings eine andere Strategie und schrieb im Juni 1644 nicht Dal Pozzo, sondern direkt an Kardinal Barberini. Das bot sich nicht nur an, weil die Barberini ein gutes Verhältnis zu Frankreich unterhielten und sich deshalb Bourdelot an diesen Kardinal wenden konnte. Es kam hinzu, daß Barberini sowohl Mitglied der Indexkongregation als auch ab 1629 sogar Sekretär des Heiligen Offiziums war und schon deshalb als Spezialist für die theologische Beurteilung

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einer Kopie »in forma Authentica« auf Wunsch von La Peyre`re; vgl. auch Paris, BnF, Moreau 845, fol. 144r–145r. Vgl. Pierre Leroy: Le denier voyage a` Paris et en Bourgogne, 1640–1643, du re´forme´ Claude Saumaise. Amsterdam, Maarssen 1983. Rom, Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei, Archivio Dal Pozzo XXXIV (31), fol. 33v. Bourdelot an Dal Pozzo vom 7. August 1640. Rom, Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei, Archivio Dal Pozzo XXXIV (31), fol. 116r. Bourdelot an Dal Pozzo vom 6. November 1643, Vgl. Markus Völkel: Römische Kardinalshaushalte des 17. Jahrhunderts. Borghese – Barberini – Chigi. Tübingen 1993 (Bibliothek des DHI Rom 74), S. 419f. Vgl. Rom, Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei, Archivio Dal Pozzo XXXIV (31), fol. 116r und 119r. Briefe vom 6. November 1643 und 25. Dezember 1643,

233 von Büchern gelten durfte. In erster Linie war Francesco Barberini jedoch der Kardinalnepot unter dem Pontifikat seines Onkels, Papst Urban VIII. Barberini (1623–1644).13 Wenn auch vielleicht nicht direkt auf Betreiben Conde´s, so doch zumindest unter dessen Schutz wandte sich hier also der Klient Conde´s über die Wege der Gelehrtenrepublik letztlich an den Papst. Unter dem Vorwand, Kardinal Barberini ein Buch über die Geschichte Sienas zusenden zu wollen, schickte Bourdelot also den Rappel des Juifs nach Rom. Interessanterweise nennt Bourdelot nicht den Namen von La Peyre`re, obwohl er natürlich um den Autor wußte, sondern läßt dessen Identität im Dunkeln: »un livre Imprime´ sans nom dautheur et dimprimeur apele´ le rapel des Juifs a fait icy du bruit pour la nouueaute et bizarrerie de ses pense´es.«14 Sicher ging es ihm dabei darum, La Peyre`re vor den möglichen Folgen einer römischen Mißbilligung zu schützen, vielleicht sogar auch seinen Patron, den Prinzen Conde´. Das Exemplar des Rappel des Juifs, das sich heute im Besitz der Biblioteca Vaticana befindet, ist dieses Exemplar, wie im Einband vermerkt ist.15 Doch auch auf diese zweite Offerte ist keine Reaktion überliefert. Allerdings berichtet schon im Mai 1644, also noch vor Bourdelots zweitem Versuch, Christophe Dupuy aus Rom an seinen Bruder nach Paris von diesem Schachzug.16 Dupuy berichtet, er habe den Rappel des Juifs (1643) an Dal Pozzo zurückgeben müssen, den dieser bekommen habe, um ihn Kardinal Barberini zu zeigen. Kurz darauf starb am 29. Juli 1644 Urban VIII., was die Mächteverhältnisse in Rom radikal veränderte. Die direkten Nutznießer des verstorbenen Papstes flohen daraufhin aus Angst aus Rom, und bezeichnenderweise wählten die Kardinäle Barberini für ihr Exil Frankreich.17 13

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Zur Bedeutung des Kardinalnepoten vgl. Birgit Emich: Bürokratie und Nepotismus unter Paul V. (1605–1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Rom. Freiburg i.B. 2001 (Päpste und Papsttum 30), S. 9–49; grundlegend Wolfgang Reinhard: Freunde und Kreaturen. »Verflechtung« als Konzept und Erforschung historischer Führungsgruppen. In: Ders.: Ausgewählte Abhandlungen. Berlin 1997 (Historische Forschungen 60), S. 289–310. BAV, Barb. Lat. 6524, fol. 33rv. Bourdelot an Kardinal Barberini vom 24. Juni 1644. BAV, Barberini G. I. 111: »Mand.o a S. Em.a da Mons. Bourdelot«. Ebenso vorhanden ist in diesem Bestand der BAV ein Exemplar der Epistola ad Philotimum aus dem Jahr 1657. Abgesehen von einigen Schwärzungen, welche die zu Beginn von Du Rappel des Juifs (1643) angemerkten Corrigenda und einige vernachlässigbare stilistische Streichungen aufweisen, die mit denen in dem Pariser Exemplar der BnF übereinstimmen und somit wohl schon in Paris vorgenommen wurden, finden sich in diesem Exemplar keine Randbemerkungen oder andere Hinweise auf eine römische Rezeption. Paris, BnF, Collection Dupuy 730, fol. 155r. Christophe Dupuy an Jacques Dupuy vom 1. Mai 1644. Vgl. Ulrich Köchli: Nepoten, Pfründen und Klienten. Die Krise der Familie Bar-

234 Das Ausbleiben einer frühen römischen Beurteilung des Rappel des Juifs (1643) im Jahr 1644 ist womöglich allein diesem Machtwechsel zuzuschreiben. Es bleibt aber bemerkenswert, daß Du Rappel des Juifs (1643) dreizehn Jahre später im Zusammenhang mit der Konversion nicht wieder explizit auftauchte. Obwohl dieses Werk in Rom bekannt war und unter den Gelehrten kursierte, hatte es anscheinend dort nicht für eine ähnliche Unruhe aufgrund der Neuigkeit seiner Gedanken gesorgt, wie Bourdelot es für Paris beschrieb. Wie wir in Kapitel V bereits gesehen haben, widerrief La Peyre`re 1657 seine Theorie der Präadamiten, nicht aber seine Theorie des Rückrufs der Juden um des Heiles der Völker willen. Ganz im Gegenteil wußte er 1657 die Gelegenheit zu nutzen, um Papst Alexander VII. sein theologisches Programm vorzustellen – und zumindest der Papst hatte sich dieses selbst gegen interne Widerstände gefallen lassen. 1.2. Erneuerung der Klientelbeziehung Die Causa La Peyre`re nahm also letztlich einen glücklichen Ausgang. Allerdings war das im Sommer 1655, kurz nach der Publikation seiner Prae-Adamitae noch nicht so klar ausgemacht. »Et je demeuray six mois paisible a` Namur, avant que Mons. l’Evesque n’eust censure´ mon livre.«18 So zumindest beschrieb La Peyre`re 1662 aus der rückwärtigen Perspektive die zweite Hälfte des Jahres 1655, bevor der Bischof von Namur am Weihnachtstag desselben Jahres seine Zensur gegen die PraeAdamitae (1655) bekanntgab. Ganz so friedlich erlebte La Peyre`re diese Monate anscheinend nicht, denn er suchte Zuflucht bei seinem Patron. Dazu schickte er Conde´ ein Schreiben, das in der Forschungsliteratur als Me´moire de Namur bezeichnet wird.19 Er erneuerte darin die Klientelbeziehung, indem er an seine für das Haus Conde´ geleisteten Dienste erinnerte, und empfahl sich zugleich Conde´ erneut für gesandtschaftliche Angelegenheiten. Bereits seine Reise nach Skandinavien, die er noch unter dessen Vater, Heinrich II. von Conde´, unternommen und während der er in den Jahren 1644–1646 an den Friedensverhandlungen zwischen Schweden und Dänemark teilgenommen hatte, habe ihn vieles gelehrt und weise ihn als erfolgversprechenden Kandidaten aus. La Peyre`re konnte auf eine gängige Praxis im gesandtschaftlichen Verkehr aufbauen, wenn er seine eigentliche Unprofessionalität als Ge-

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berini nach dem Tod Urban VIII. In: Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, Hgg. v. Arne Karsten, Hillard von Thiessen. Göttingen 2006, S. 163–180. La Peyre`re an La Mare vom 30. Mai 1662. In: Oddos: Lapeyre`re [1974], S. 294. Chantilly, Muse´e Conde´, P. XV, fol. 347–357. La Peyre`re an Conde´ aus Namur am 8. Oktober 1655.

235 sandter ins Vorteilhafte wendete.20 Im Grunde sei der Friede von Brömsebro (1645) keineswegs nur das Ergebnis des Botschafters La Thuillerie gewesen, der sehr versiert war auf dem diplomatischen Parkett Europas. Vielmehr habe er, der eigentlich nur als Sekretär mitgereist sei, sich im Gegensatz zu La Thuillerie weniger in das Korsett des diplomatischen Zeremoniells zwängen müssen und habe deshalb freier reden und handeln können, was sehr zum Erfolg der Friedensschlusses beigetragen habe.21 Zwar muß La Peyre`re gestehen, daß seine Person zwei Konfliktpotentiale, nämlich seine reformierte Konfession und seine These von den Präadamiten, in sich berge und er deshalb zuweilen, wie 1653 in Madrid geschehen, als ein »animal fantastique« angesehen worden war. Doch habe das seiner Mission keinen Abbruch getan. Und um seine weitreichende Kompetenz auch performativ unter Beweis zu stellen, wechselt er in seinem Schreiben in eine Chiffrierung.22 20

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Vgl. zu diesen »second class diplomats« William James Roosen: The Age of Louis XIV. The Rise of Modern Diplomacy. Cambridge (Mass.) 1976, S. 91, der bei den Sekretären von den »secretaries of ambassador who were private individuals picked and paid by the ambassador with no official position of their own« spricht. Ähnlich definiert sich La Peyre`re, wenn er Conde´ an seine früheren Reisen erinnert. Chantilly, Muse´e Conde´, P. XV, fol. 347r: »feu M. de la Thuillerie qui fit l’Ambassadeur du Nord, pour la paix de Suede et Danemarc, et auec qui ie fit en ce vouage, sans autre attachement que celuy de ma bonne volonte´«. Roosen erläutert eine solche Funktion, ebd., S. 93f: »he was essentially a clerk who performed the drudgery of actually writing letters and other documents by hand. He also served as a messenger to carry documents to and from the host government, attended his master at ceremonies, helped in the household«. Vgl. zur späteren Ausdifferenzierung des Gesandtschaftswesen allgemein Milosˇ Vec: »Technische« gegen »symbolische« Verfahrensformen? Die Normierung und Ausdifferenzierung der Gesandtenränge nach der juristischen und politischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts. In: Vormoderne politische Verfahren. Hg. v. Barbara Stollberg-Rilinger. Berlin 2001 (ZHF, Beiheft 25), S. 559–587. Chantilly, Muse´e Conde´, P. XV, fol. 347r: »Et feu M. de la Thuillerie qui fit l’Ambassadeur du Nord, pour la paix de Suede et Danemarc, et auec qui ie fit en ce vouage, sans autre attachement que celuy de ma bonne volonte´; m’employoit a cela fort utilement. Je portois les paroles qu’il faisoit porter aux Ambassadeurs des deux courans. [...] Car dans chaleur de la conversation particuliere, je faisois quelques fois de moy mesme des propositions, sans y engager M. nostre Ambassadeur. Et ces propositions estoient quelques fois mieux receues que les autres; parce qu’elles se faisoient moins de ceremonie; moins de precaution; et moins d’ombrages que les autres. Et comme la chose me reussissoit, je faisois aussi des propositions concerte´es auec M. Lambassadeur, que ie mettois en auant comme de moy mesme, et qui auoient le mesme succ¸ez.« Chantilly, Muse´e Conde´, P. XV, fol. 347r: »Mais comme ils uoyoient que ie raisonnois comme les autres hommes, et que ie sc¸aurois mesme des choses que les autres qui me vouloient descrier ni sc¸auoient pas; j’aquerois de l’estime parmi eux; et y a aurois aquis asseurement le credit qu’il faict pour y seruir Utilement U. A. Ser.mi qui ne peut estre bien seruir en ce paı¨s la qui par la voye que ie dis. Par par exemple 56. 88«. Hier folgt eine lange Zahlenkolonne, die leider nicht dekodiert

236 Uns ist keine Antwort von Seiten Conde´s und auch keine erneute Reise La Peyre`re in gesandtschaftlicher Absicht überliefert, die ihn vor einer direkten Verfolgung wegen seiner Prae-Adamitae (1655) hätte schützen können. Doch als La Peyre`re trotz seines Näheverhältnisses zu Conde´ im Februar 1656 in den südlichen Niederlanden von der Inquisition gefangengesetzt wurde, hat sich Conde´ vehement für seinen Klienten eingesetzt und dabei nicht zuletzt versucht, Kapital aus dessen Konversion zur eigenen Positionierung in Rom zu schlagen. 1.3. Gefangennahme durch die Inquisition Bereits im Februar 1656 nennen die in Rom eintreffenden Nuntiaturberichte aus Brüssel die Causa La Peyre`re und legen ein Schreiben von Johannes von Wachtendonk, dem Bischof von Namur, und dessen gedruckte Verurteilung bei.23 Im Begleitschreiben des Internuntius vom 19. Februar 1656, ganze drei Tage nach La Peyre`res Verhaftung, wird explizit schon die Befürchtung geäußert, daß Conde´ alles daransetzen werde, »un si pernicioso scrittore« zu befreien, den man schon deshalb habe gefangennehmen müssen, weil er zur besseren Verbreitung seiner Thesen, das Buch ins Französische habe übersetzen wollen »per renderlo famigliare alle donne«. Conde´ werde sich sicher an den Erzherzog als weltliche Instanz wenden, dieser werde aber betonen, daß sich La Peyre`re in den Händen der kirchlichen Justiz befinde.24 Es folgen mehrere Berichte aus Brüssel, die jedes Mal betonen, wie sehr Conde´ versuche, hier einzugreifen. Besonders hervorhebenswert ist hierbei der nach Rom transferierte Brief aus Brüssel vom 12. April 1656, in dem Conde´ um Vermittlung beim Papst bittet. Er weist darin seinen Mittler in Rom, einen gewissen de Saller an, bei nächster Gelegenheit beim Papst Fürsprache in dieser Angelegenheit einzulegen. Er, Conde´, teile La Peyre`res Ansichten keineswegs, aber La Peyre`re sei seit langem Klient seines Hauses, und daher

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ist. Gegen Ende, fol. 354v, kommt er auch noch kurz auf seinen Aufenthalt in London zu sprechen. ASV, Segr. Stato Fiandra 40, fol. 69r–70r. Die Verurteilung wurde auch abgedruckt in: Eusebius Romanus [=Philippe Le Prieur]: Animadversiones in librum Praeadamitarum. Paris 1656, S. 3. Es handelt sich also um bischöfliche Inquisition. Zu den drei unterschiedlichen Inquisitionen vgl. Aline Goosens: Les inquisitions modernes dans les Pays-Bas me´ridionaux. 1520–1623. Bd. 1. Bruxelles 1997 (Spiritualite´s et pense´es libres), S. 10f. ASV, Segr. Stato Fiandra 40, fol. 71rv, 71v: »Il che da me sentito, e temendo [...] ch’il Sig.re Prencipe di Conde` venisse a far instanza per la liberatione d’un si pernicioso scittore, a non compiacerlene, potendosi S.A. [sc. Erzherzog] facilm[en]te scusare con dire ch’egli si troua in mano della guistizia Ecclesiastica«. In diesem Schreiben wird auch das Datum der Verhaftung auf »mercoledi mattina« konkretisiert, was dem 16. Februar 1656 entspricht.

237 seien Conde´s Rechte verletzt worden. Denn es sei ihm von spanischer Seite zugesichert worden, daß seine Klienten im spanischen Exil wie in Frankreich behandelt würden, weshalb sie schon deshalb nicht von der Inquisition belangt werden dürften: »mes droicts, et mes privileges [...] se trouuent tous a faict viole´s en cette occasion, Puis que par mon traicte´ tous les francois qui sont auec Moy doibuent auoir Jcy la mesme liberte´ de conscience que celles quils ont en france, et ne sont subject a aucune jnquisition«.25 In diesem Sinne sei dem Papst nahezulegen, La Peyre`res Befreiung zu erwirken. Als das anscheinend wenig fruchten wollte, veranlaßte Conde´ mittels Pierre Lenet seinen Klienten La Peyre`re, sich direkt an den Papst zu wenden. Parallel zu diesem Ersuchen La Peyre`res an den Papst vom 10. Juni 1656 erklärte Conde´ in seinem Schreiben nach Rom an Saller dieses Geheimunternehmen zu einer Angelegenheit nicht nur seines Klienten, sondern seines Hauses, um nicht zu sagen der Kirche – und betont die nötige Verschwiegenheit für das Gelingen dieses Plans: Depuis la depeche que ie vous ay faicte ce matin, je vous diray qu’enfin je suis venu a` bout d’un dessin que j’ay conduict avec grand secret par Mr Lenet, qui est la conversion de Laperaire, dont il m’a donne´ les dernieres asseurances, et a` Mr l’Internonce qui en rendra compte par sa depesche au Pape. [...] Vous la rendre´s au pape et en pressere´s l’effect comme de la chose du monde que je desire le plus s’agissant de la conversion d’un domestique que j’affectionne et que j’estime de la gloire de Dieu et de l’avantage de l’Eglise [...] Il ne fault parler de ceste affaire a` personne, car il est necessaire qu’elle soit plus tost faicte que sceue. Je prendray toutes les precautions que le pape pourra souhecter pour la conduitte dudt Sr de La Peraire a` Rome, et pour l’accomplissement sincere de sa parolle, qu’il donne au pape dans la supplique [...] Faictes moy scavoir l’estat de cette affaire le plus tot que vous pourre´s.26

La Peyre`re hatte in seiner Supplik an den Papst die Abschwörung seiner These und zudem seine Konversion in Aussicht gestellt. Dieses Schreiben ist über die Wege der Nuntiatur nach Rom geschickt worden und dort kurz darauf an die Inquisition überstellt worden.27 Es wurde dar25

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ASV, Segr. Stato Fiandra 40, fol. 156r–157v. Conde´ an Saller vom 12. April 1656: »La Peyre`re est un homme qui a este longtemps domestique de feu Mr mon Pere, et qui est deuenu le mien apres la mort de Mr Mon Pere. [...] Ce n’est pas que Je pretends le proteger en cela , Car au contraire Je condamme tout a faict Son erreur comme vne chose que ne peut estre approuue´ ny du Pape ny de l’Eglise. Et si lon a faict cognoistre a S.S. que je me vouloire rendre sur ce poinct l’appuy de la Peyrere Je vous pris de l’en desabuser, et de luy dire que Je suis trop attache´ a L’Interest du S.t Siege, et que J’ay trop zele pour la religion pour me rendre le Protecteur d’vne herezie comme celle la«. Wir wissen über de Saller nicht viel: Er war für Conde´ wohl zwischen 1654 und 1659 in Rom tätig und kehrte nach dem Pyrenäenfrieden (1659) wieder zurück nach Frankreich, vgl. Henri d’Aumale: Histoire des princes de Conde´. Bd. 6. Paris 1892, S. 709–710. Paris, BnF, Fonds Franc¸ais 6728 (Papiers Lenet) Nr. 20. Conde´ an Saller vom 20. Juni 1656. ASV, Segr. Stato Fiandra 40, fol. 234–238. Kopie der Supplik vom 10. Juni 1656

238 aufhin beschlossen, die nötigen Vorbereitungen in Brüssel vorzunehmen, unter der Maßgabe, daß La Peyre`re dann nach Rom kommen werde. Noch kurz davor wurde die Befüchtung geäußert, La Peyre`re könne ansonsten womöglich fliehen wollen »senz’ hauer dato prima la douuta sodisfatione, et abirrato il suo errore«.28 Die Befreiung aus der Inquisition erfolgte am 2. September 1656, nachdem La Peyre`re bekannt hatte: »Ego Isaacus Peyrerius firma fide credo, et profiteor omnia, et singula, quae continentur in symbolo fidei, quo Sancta Romana Ecclesia utitur«29 Nach diesem Bekenntnis, das sich an der Confessio Fidei Tridentinae orientiert, folgt die Abschwörung seiner Präadamitenthese. La Peyre`re traf daraufhin im Januar 1657 in Rom ein und legte am 11. März 1657 offiziell seine Konversion und seine Abschwörung in Rom ab. Einen Monat später bedankte sich Conde´ bei Lukas Holstenius für dessen Intervention für La Peyre`re.30 Holstenius (1596–1661), selbst ein berühmter Konvertit seiner Zeit und Bibliothekar des Papstes, wird auch in den Akten des Heiligen Offiziums genannt, als La Peyre`re nach Vollendung seiner Konversionsschrift im Oktober 1657 darum bat, zu Conde´ zurückkehren zu dürfen.31 Zeitnah ist uns ein Schreiben von Saller überliefert, der sich bei Conde´ über die Kosten, die ihm La Peyre`res Aufenthalt in Rom verursache, beklagt.32 Einen Monat später läßt sich La Peyre`re zudem versichern, daß ihm trotz seiner calvinistischen Vergangenheit der geistliche

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und das entsprechende Begleitschreiben aus Brüssel; es wird aufgegriffen in der Sitzung vom 12. Juli 1656, ACDF, Decreta SO 1656, fol. 100v–101r. ASV, Segr. Stato Fiandra 142, fol. 69. Schreiben an den Internuntius vom 3. Juni 1656. Eine Kopie befindet sich in: ASV, Segr. Stato Fiandra 40, fol. 351r–354v. Handschriftlich ist darauf vermerkt: »L’originale di questa scritt.ra fu` mandata al S.o Off.o a` 23. Settre 1656«. Conde´ an Holstenius vom 14. April 1657. In: Euge`ne Müntz: Les archives des arts. Paris 1890, S. 89f: »J’ay este´ informe´ par le s.r de la Peyrere des faveurs qu’il a receües de vous depuis qu’il est a` Rome. Je me flatte que son me´rite n’est pas le seul motif de la bonne volonte´ que vous avez pour luy, et que ma conside´ration y contribue de quelque chose, c’est pour cela que je prends encores plus de part aux obligations qu’il vous a, et que je me sens plus oblige´ de vous en remercier comme je fais de tout mon coeur«. Zur Rolle von Holstenius bei Konversionen vgl. Markus Völkel: Lukas Holstenius (1596–1661) und die deutschen Konvertiten im Umkreis der Kurie. In: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 67 (1987), S. 221–280. Vgl. ACDF, Decreta SO 1657, fol. 154r: »Facta R.P.D. Assessorem relatione Sanct.mo, quod Isaac Pereira intendebat discedere Roma, et reverti in Belgium, quo euocabatur a` Principe Condeo Domino suo«. Chantilly, Muse´e Conde´, P. XVII, fol. 541. Saller an Conde´ vom 29. September 1657: »Je croy que V.A. n’aura pas peine a` croire ce que je dis s’il luy plaist conside´rer le long temps qu’il y a j’ay Lapeyrere et son valet sur les bras quy me coustent un escu par jour et voici le neufviesme mois qu’il est issy«.

239 Stand offenstehe und er ein Benefizium erhalten könne.33 Das ist nicht weiter ungewöhnlich: Nachdem etwa Samuel de Sorbie`re drei Jahre zuvor zum Katholizismus konvertiert war, hatte dieser auf Pfründe sowie auf Zuwendungen des französischen Klerus rechnen können.34 La Peyre`re zog es jedoch vor, zu Conde´ zurückzukehren, obwohl man ihn anscheinend durchaus finanziell habe unterstützen wollen. Guy Patin konnte jedenfalls im Frühjahr 1658 die Rückkehr von La Peyre`re in Paris süffisant kommentieren: La Peyre`re sei zurückgekehrt, nachdem er alles Nötige getan habe; allein seine Konversionschrift verkaufe sich schlecht. Der Papst habe ihm eine Abtei übertragen wollen und Kardinal Mazarin habe ihm eine neue Chance auf den Himmel sowie aufs Fegefeuer versprochen. Im Grunde sei es aber reiner Opportunismus gewesen, wie es bei ihm, einem Mann aus der Gascogne, auch kaum anders zu erwarten gewesen sei: »Un Gascon, savant, courtisan, huguenot converti qui vient de Rome, est fort propre a` ce badinage, & a` joue¨r une telle Come´die.«35 Wie sehr hier auch Patin, den Regeln des gelehrten Diskurses folgend, einiges übertrieben haben mag, wäre es wohl zu diesem Ausgang ohne das Eingreifen seines Patrons nie gekommen. Auf die große Bedeutung solcher Suppliken in der päpstlichen Strafjustiz hat etwa Peter Blastenbrei hingewiesen. Auch er kommt zu dem Schluß: »Eine Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens im Gnadenweg war in der päpstlichen Kriminaljustiz allenfalls als Folge der Intervention eines verbündeten Fürsten für einen Klienten denkbar.«36 1.4. La Peyre`re und der Index der verbotenen Bücher Aber nicht nur La Peyre`re kam mit dem Leben davon. Bereits Franz Heinrich Reusch hielt es in seiner Abhandlung über die Geschichte der römischen Buchzensur für geboten zu erwähnen, daß es doch erstaunlich sei, La Peyre`re und dessen Prae-Adamitae (1655) nicht auf dem 33

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Vgl. ACDF, Decreta SO 1657. Eintrag zur Sitzung vom 22. November 1657, fol. 184v: »Isaaci Perierij nup[er] ad fidem Catholicam conuersi petentis dispensari ad ordines, et beneficia quaecumque, non obstante quod sit natus et educatus in haeresibus Caluini; lecto mem.si S.mus concessit facultatem Oratori accipiendi Ordines Sacros ac etiam Sacerdotium, et sospitiendi Beneficia simplicia. Quoad alia, quando sibi conferantur, dispensabitur.« Vgl. Niceron. Bd. 4 (1728), S. 86. Patin an Falconet vom 9. April 1658. In: Lettres choisies de Feu Mr. Guy Patin. Frankfurt 1683, S. 228f. Peter Blastenbrei: Funktion und Bedeutung von Suppliken in der päpstlichen Strafjustiz um 1600. In: Forme della comunicazione politica in Europa nei seculi XV–XVIII. Suppliche, gravamina, lettere = Formen der politischen Kommunikation in Europa vom 15. bis 18. Jahrhundert. Bitten, Beschwerden, Briefe. Hgg. v. Cecilia Nubola, Andreas Würgler. Bologna, Berlin 2004 (Annali cell’istituto storico italo-germanico in Trento 14), S. 53–72 (Zitat 58f.).

240 Index der verbotenen Bücher zu finden.37 Hingegen stand sein Namensvetter, der Pariser jüdische Bankier Isaac Pereire (1806–1880), selbst noch nach der grundlegenden Revision des Index im Jahr 1900 unter Papst Leo XIII. weiterhin auf dem römischen Index librorum prohibitorum.38 Es läßt sich aufgrund der Aktenlage im Archiv der Glaubenskongregation aber durchaus erkennen, daß anfänglich ein Verfahren gegen La Peyre`res Prae-Adamitae (1655) angestrengt worden war. So findet sich in den Aufzeichnungen des Sekretärs der Indexkongregation zu der Sitzung vom 12. Juni 1656 zumindest der Auftrag zur Begutachtung dieses Buches.39 Dieser erging an Carlo Emanuele Vizzano (1617–1661), der seit kurzem Konsultor der Indexkongregation war und zwischen 1656 und 1661 Assessor der römischen Inquisition.40 Im Diarium des Sekretärs der Indexkongregation Libellus blieb es jedoch bei dieser einmaligen Nennung. Die Causa La Peyre`re taucht dort nicht wieder auf, und auch in den übrigen Akten der Indexkongregation findet sich dieses Gutachten nicht wieder. Der Eintrag in den Decreta des Heiligen Offiziums nennt freilich die Zusammenlegung verschiedener Akten zum Fall La Peyre`re, doch auch in den Beständen der Inquisition, soweit sie uns auch heute noch nach der Verschleppung der Archive unter Napoleon erhalten sind, findet sich kein weiterer Eintrag.41 Es bleibt letztlich fraglich, ob das Gutachten jemals geschrieben 37

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Franz Heinrich Reusch: Der Index der verbotenen Bücher. Ein Beitrag zur Kirchen- und Literaturgeschichte. Bd. 2. Aalen 1967 [ND Bonn 1885], S. 131. Reusch nennt La Peyre`res Konversion, zudem die Epistola ad Philotimum (1657) und setzt hinzu: »Auch sein Buch Du rappel des juifs, 1643, enthält wunderliche Dinge.« Vgl. zur Bedeutung des Altkatholiken Reusch an dieser Reform Hubert Wolf: Die »deutsche« Reform des römischen Index der verbotenen Bücher (1900). In: Inquisition, Index, Zensur. Wissenskulturen der Neuzeit im Widerstreit. Hg. v. Hubert Wolf. Paderborn u. a. 22003 (Römische Inquisition und Indexkongregation 1), S. 23–41. Vgl. zu Isaac Pereire den Eintrag zum 14. Februar 1837. In: Systematisches Repertorium zur Buchzensur 1814–1917. Hg. v. Hubert Wolf. Bearb. v. Sabine Schratz, Jan Dirk Busemann u. Andreas Pietsch. Bd. 1 (Indexkongregation). Paderborn 2005, S. 192. Vgl. ACDF, Index Diarium VI (1655–1664), fol. 33r: »Secretarius obtulit Sacrae congregationi nouum libellum inscriptum PraeAdamitae sive exercitatio super Versibus 12. 13. et 14 Capitis v. epistoli D. Pauli ad Romanos quibus inducuntur primi homines ante Adamum conditi Anno salutis 1655. eum p. c[ens]urendum tradidit D. Emanuel Vizanio.« Ich danke Herman H. Schwedt für die freundliche Auskunft aufgrund der noch nicht veröffentlichten Vorarbeiten zur Prosopographie der Mitarbeiter in der römischen Inquisition und Indexkongregation im 17. Jahrhundert. Die Überführung ins Sanctum Offizium nennt der Eintrag vom 11. Juli 1657, ACDF, Decreta SO 1657, fol. 103v: »Fuerunt relatae l.rae Abbatis Montis Realis datis Bruxellis 26. Maij, quibus mittit acta facta circa Carcerationem Isaei Perierae Authorem libri Praeadamitae, et dictum, ut procuretur exemplum libri, ad effectus retinendi in Archiuio S.Officij.« Die Aufforderung zur Überstellung nennt das

241 wurde, denn zeitgleich begannen, wie wir gesehen haben, die Versuche Conde´s aus Brüssel, das Verfahren durch eine Abschwörung und Konversion des Autors zu beenden. Interessanterweise findet sich in den Akten im Gegenteil ein Widerhall auf die zahlreiche Reaktion auf La Peyre`res Prae-Adamitae (1655), die nicht zuletzt von protestantischer Seite kam. So hat sich ein Denunziationsschreiben aus dem August 1656 erhalten, in dem aus Frankfurt auf eine Neuerscheinung hingewiesen wurde.42 Der Titel des zu beanstandenen Werkes wird nur angedeutet mit »PraeAdamitarum Plastem relegatum«, wohinter sich wohl die Widerlegung von La Peyre`res Werk durch den Lutheraner Johann Heinrich Ursinus (1608–1667) mit dem Titel Novus Prometheus Praeadamitarum plastes: ad Caucasum relegatus et religatus verbirgt, die 1656 in Frankfurt erschienen war. Ganz vergleichbar ist der handschriftliche Katalog des Seminars von Saint-Sulpice in Paris, an dessen Ende eine Abteilung für die verbotenen Bücher vorbehalten war. Dort ist über Seiten eine Rubrik für Praeadamiticae, Iudae, Talmudici, Cabalista eingerichtet, worunter neben Ausgaben von La Peyre`res eigenem Werk vor allem die protestantischen Antworten aufgelistet sind.43 Obwohl es also nicht zu einer offiziellen römischen Verurteilung kam, die La Peyre`res Prae-Adamitae (1655) auf den Index der verbotenen Bücher gebracht hätte, wurde La Peyre`res Buch freilich nicht nur in

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Schreiben vom 28. April und den Eingang dieser Akten bestätigt dasjenige vom 16. Juni 1656, ASV, Segr. Stato Fiandra 142, fol. 162r u. 162v. Das erwähnte Exemplar der Prae-Adamitae (1655) ist nicht im Buchbestand des ACDF vorhanden, dort findet sich nur das bereits erwähnte Exemplar der Epistola ad Philotium (1657). Die entsprechende Rubricella sowie die Serie Censurae Librorum kennt keinen Fall La Peyre`re. Auch das mittlerweile in Dublin befindliche Liber sententiarum et abjurationum für das Jahr 1657, enthält keine Dokumente, vgl. Dublin, Trinity College, Ms. 1235; vgl. zu den Beständen allgemein Francis X. Blouin: Vatican Archives. An Inventary and Guide to Historical Documents of the Holy See. Supplement 1: The Archives of the Congregation for the Doctrine of the Faith. Ann Arbor 2003, S. 3–6; Francesco Beretta: Die frühneuzeitlichen Bestände des Archivs der Glaubenskongregation. Wesentliche Aspekte ihrer Geschichte und Forschungspersektiven. In: Verbotene Bücher. Zur Geschichte des Index im 18. und 19. Jahrhundert. Hg. v. Hubert Wolf. Paderborn u. a. 2008 (Römische Inquisition und Indexkongregation 11), S. 181–208; speziell zu den Beständen in Dublin: John Tedeschi: Die Inquisitionsakten im Trinity-College, Dublin. In: Inquisition, Index, Zensur. Wissenskulturen der Neuzeit im Widerstreit. Hg. v. Hubert Wolf. Paderborn u. a. 22003 (Römische Inquisition und Indexkongregation 1), S. 71–87. ACDF, Index Prot. KK (IIa 33), S. 762. Das Schreiben an Libellus ist unterzeichnet von »fr. Guilielmus Pnijlb«, der sich als »Praesentatus et Prior Francofurtensis« ausweist. Catalogus Bibliothecae Seminarii St.i Sulpitii materiarum ordine dispositus. 5 Bde.; Paris, Bibliothe`que Mazarine, Mss Nr. 4179–4183; vgl. dazu auch Elisabeth ` propos des Pre´adamites. Deux manuscrits des Archives Nationales. Quennehen: A In: La Lettres Clandestine 3 (1994), S. 305–310.

242 Paris zu den verbotenen Büchern gezählt. Auch die spätere ›Hausbibliothek‹ der Inquisition hat ähnlich gehandelt. So zog man es in der römischen Biblioteca Casanatense vor, das Exemplar der Prae-Adamitae besser auf die Empore und somit ins sogenannte inferno der verbotenen Bücher zu stellen. Ein bibliotheksinterner Vermerk im Einband machte kenntlich, daß die Nutzung nur nach vorangegangenem Dispens durch den Präfekten der Bibliothek erfolgen durfte. Doch nicht nur die PraeAdamitae (1655) wurde dadurch ausgemustert, auch die angebundene katholische Widerlegung von Philippe Le Prieur wurde in die Buchkategorie der verbotenen Schriften überführt.44 1.5. Protestanten auf dem Index Allerdings wird man es ohnehin eine Besonderheit nennen können, daß hier ein theologisches Werk eines Protestanten in Rom verhandelt wurde. Zumindest in der Theorie gab es dafür bereits seit der Entstehungszeit des römischen Index keinen Anlaß, denn die zweite der sogenannten Tridentinischen Regeln für die Buchzensur sah vor, daß Schriften von ›Häretikern‹, die ausdrücklich von der Religion handeln, per se verboten seien.45 Die Praxis der römischen Buchzensur zeigt jedoch, daß diese Regel keineswegs davon abhielt, weiterhin auch theologische Werke von Protestanten und anderen Nichtkatholiken eigens zu untersuchen. So finden sich in den Akten der Indexkongregation zeitnah Gutachten etwa über Hugo Grotius, Pierre du Moulin, Gerard und Isaac Vossius und selbst über Menasse ben Israel.46 Wie weit das Spektrum römischer Behandlung von Protestanten gehen konnte, zeigt eindrücklich der Fall Grotius: Obwohl dessen erste Werke bereits 1610 verboten wurden, war wegen seiner irenischen Haltung viel über eine vermeintliche Nähe zu Rom spekuliert worden. Die 44

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Im Einband finden sich die charakteristischen zwei Kreuze. Ansonsten weist das Exemplar keine sonstigen Gebrauchsspuren auf, die Schlüsse auf eine römische Rezeption zulassen würden. Zur Bedeutung der Biblioteca Casanatense vgl. Margherita Palumbo: Inquisition und Indexkongregation in der Sammlung »Editti e Bandi« der Biblioteca Casanatense (16.–18. Jahrhundert). In: Verbotene Bücher. Zur Geschichte des Index im 18. und 19. Jahrhundert. Hg. v. Hubert Wolf. Paderborn u. a. 2008 (Römische Inquisition und Indexkongregation 11), S. 229–244. Vgl. Regel 2 der unter Pius IV. formulierten Regeln für das Verbot von Büchern, die von der Konstitution Dominici gregis custodiae vom 24. März 1564 bestätigt wurde, s. DH 1852. Vgl. ACDF, Index Prot. FF–LL (IIa 28–34). Grotius’ Mare liberum war erstmals 1610 verboten worden, viele Verfahren folgten; die Dissertationes tres de tribus symbolis von Gerard Vossius 1652 und die Chronologie seines Sohnes 1663; De resurrectione mortuorum von Menasse ben Israel im Jahr 1656; vgl. Je´sus M Bujanda: Index librorum prohibitorum 1600–1966. Montre´al, Gene`ve 2002 (Index des livres interdits XI).

243 Menagiana meldeten sogar, der Jesuit Pe´tau sei so fest vom innerlichen Übertritt zum Katholizismus überzeugt gewesen, daß er nach Grotius’ plötzlichem Tod eine Messe für ihn gelesen habe.47 Doch zählt diese kleine Sottise sicher zu der reichhaltigen kontroverstheologischen Debatte um Grotius, die 1642 in dem Pamphlet Grotius papizans des Amsterdamer Predikanten Jacob Laurentius gipfelte.48 Konrad Repgen konnte allerdings sogar schon lange vor Öffnung des Archivs der Glaubenskongregation nachweisen, daß der Kardinalnepot und Sekretär der Inquisition Francesco Barberini 1641 die antijansenistische Haltung von Grotius schätzte und eine Untersuchung in Paris anstrengte, um herauszufinden, wie es um die Katholizität von Grotius bestellt sei. Der Jesuit Johannes de Lugo beurteilte dies positiv, während er ein vernichtendes Urteil über Grotius’ Kontrahenten Andre´ Rivet verfertigte.49 Vor diesem Hintergrund war es wohl besonders geschickt von Bourdelot, La Peyre`res Rappel des Juifs aufgrund seiner quasi antijansenistischen Forderung einer häufigen Kommunion ausgerechnet Barberini zuspielen zu wollen. Jedoch barg eine solche konziliante Haltung Roms gegenüber den Protestanten auch wieder Gefahren in sich. Denn sie wurde von der Gegenseite argwöhnisch beäugt. Ein Jahr nach La Peyre`res Apologie (1663) und als Antwort auf Richelieus Traitte´ pour convertir ceux qui se sont separez de l’Eglise, der posthum erstmals 1651, dann 1657 und ebenfalls 1663 ein weiteres Mal publiziert wurde, erschien eine Verteidigungsschrift der Hugenotten, die sich in die Tradition der Justes causes de la seperation des protestans d’auec l’Eglise romaine stellt.50 Dieser Schrift war ein Vorwort von Samuel Desmarets vorangestellt, der die Autorität der römischen Kirche schon dadurch diskreditiert sah, daß diese eine derart windige Person wie La Peyre`re, den »impie Defenseur des Praeadamites«, scheinbar problemlos in ihren Schoß wieder aufgenommen

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Vgl. Menagiana ou les bons mots, les remarques critiques, historiques, morales & d’e´rudition de Monsieur Me´nage, recueillies par ses amis, nouvelle edition. Bd. 4. Paris 1729, S. 181f. Teile dieser weitläufigen Debatte um De Antichristo von Grotius habe ich bereits in der Kapitel I. 1. kurz dargestellt. Vgl. Konrad Repgen: Grotius »papizans«. In: Reformata reformanda (FS Hubert Jedin). Hgg. v. Konrad Repgen, Erwin Iserloh. Münster 1965, S. 370–400; Konrad Repgen: Francesco Barberini, Hugo Grotius und die römische Vorgeschichte der Bulle In eminenti. In: Römische Quartalschrift 58 (1963), S. 105–132. Vgl. dazu etwa Charles Drelincourt: Traitte´ des iustes causes de la seperation des protestans d’auec L’Eglise Romaine. Et particilierement de l’Adoration de la Croix, de l’Adoration du Sacrement, & de la Transsubstantiation. Paris 1649. Der Richelieu zugeschriebene Text heißt mit vollem Titel: Traitte´ qui contient la me´thode la plus facile et la plus asseure´e pour convertir ceux qui se sont separez de l’Eglise. Paris 1651.

244 hatte.51 Gleichwohl konnte auch Desmarets sein Vorwort mit dem Wunsch um eine Einigung der Kirchen unter dem französischen König beschließen – wenn auch natürlich in anderer Weise als in dem von ihm beanstandeten Traktat vorgeschlagen: »Dieu vueille l’empecher par sa saincte Grace, combler de Roy de ses meilleures Benedictions, & se seruit de ce Sage, de ce Victorieux & de ce Triumphant Loys, pour reformer l’Eglise au Chef & aux membres, y re´tablir la purete´ de son service, & reünir tous les Chre´tiens en la Verite´. Amen.«

2. Doppelte Bibellektüre Der Katholik Richard Simon bescheinigte dem Konvertiten La Peyre`re, seine Auslegung des Alten Testaments gerate »trop litterale et Juive«, nachdem er dessen Manuskript aus den letzten Lebensjahren begutachtet hatte, das Simon kurz »Du Rappel des Juifs« nannte.52 In der Version dieses nie veröffentlichten Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s, wie es uns in Chantilly vorliegt, stellt La Peyre`re seinem dritten Teil, der vom Rückruf der Juden handelt, ein »Avis au lecteur« voran, das genauere Beachtung verdient. 2.1. Wörtliche und allegorische Auslegung In diesem Vorwort verteidigt La Peyre`re explizit seine Methode, auch diejenigen Stellen litteral für die Juden zu erklären, die seit Beginn des Christentums allegorisch ausgelegt worden sind.53 Denn der übertragene 51

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Vgl. Vorwort in: R. de la Ruelle [= The´odore Maimbourg]: Reponse sommaire au livre de Monsieur le Cardinal de Richelieu, intitule´ Traitte´ pour convertir ceux qui se sont separez de l’Eglise. Groningen 1664, o.S.: »Car au reste il n’y a rien que Rome n’admette, pourveu qu’on se souˆmette a` son Authorite´; & n’y a` pas longtemps qu’elle a caresse´ l’impie Defenseur des Praeadamites, parce que prosterne a` ses pieds il renonc¸oit a` la Communion des Reforme´s, en laquelle il ne pouvoit e´tre souffert a` cause de ses opinions extravagantes & de son liure pernicieux. Peut e´stre nous accordoit-elle, comme autrefois aux Sclavons, le service en noˆtre langue, comme aux Bohemiens la communion sous les deux especes, comme aux Grecs le pain leve´ en l’Eucharistie, la rejection du Purgatoire, & le mariage de nos Ministres, pourveu que du reste nous souscrivissions a` l’Authorite´ & Domination qu’elle cherche.« Vgl. Richard Simon an La Peyre`re vom 27. Mai 1670, in: Lettres choisies de Mr Simon, ou` l’on trouve un grand nombre de faits anecdotes de Literature. Nouvelle e´dition. Bd. 2. Rotterdam 1704, Nr. 2, S. 12. Vgl. Chantilly, Muse´e Conde´, Ms. 191. Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s. Nach dem zweiten Teil, o.S.: »On ne doit pas imputer a presomption la Liberte´ que ie praˆns dans la suite de cet Ouurage, d’expliquer a la letre en faueur de Iuıˆs, quantite´ passages de l’Ecriture S.te, que les S.ts Peres ont interpretez alegoriquement en faueur des Chreˆtiens.« La Peyre`re wendet auch hier seine phonetische Orthogra-

245 Sinn zerstöre nicht grundsätzlich den wörtlichen: »le sans alegorique ne detruit pas touiours le literal«: Wenn Paulus im übertragenen Sinne vom ›Sinai‹, ›Jerusalem‹ oder etwa dem ›Roten Meer‹ spreche, so ändere das noch lange nichts an dem Umstand, daß es sich dabei weiterhin um reale Orte handle und die Begriffe eine wörtliche Bedeutung besäßen. Wenn dann die Kirchenväter die an die Juden ergangenen Verheißungen allegorisch auf Christus deuteten, so blieben die wörtlichen Ankündigungen für die Juden weiterhin gültig. Selbst wenn ein Jude zum Christentum konvertiere, zeige sich die Verheißung für den Juden wörtlich, jedoch für den neugewonnenen Christen allegorisch, denn die Christen seien »pas moins l’Israel de Dieu qu’estoient les Juıˆs auant leur malediction.« Selten deutlich formuliert La Peyre`re an dieser Stelle seine translatio electionis der Juden auf die Christen als Gottes erwähltes Volk. La Peyre`res zweifache Exegese muß im größeren Kontext der unterschiedlichen Praxis der biblischen Auslegungsmethoden gesehen werden, die sich nicht zuletzt konfessionell verteilte: Während sich die Protestanten grob gesprochen gegen eine altgläubige allegorische Exegese entschieden, stellten sich die Katholiken weiterhin in die mittelalterliche Tradition eines mehrfachen Schriftsinnes. Sie befragten eine Bibelstelle neben ihrer wörtlichen Bedeutung (sensus litteralis) zudem im übertragenen Sinne (sensus spiritualis) nach ihrer Aussage für den Glauben (sensus allegoricus), nach ihrer Relevanz für das christliche Handeln (sensus tropologicus) und auf die Hoffnung der zu erwartenden Dinge hin (sensus anagogicus). Protestantischerseits hielt man sich vorzugsweise an den wörtlichen Sinn einer Bibelstelle und wollte allenfalls eine typologische Deutung im Sinne einer Ankündigung des Heils in Christus akzeptieren.54 Wenn Simon also La Peyre`re vorwirft, zu wörtlich zu lesen, ist das eine implizite Infragestellung seiner Katholizität, zumal die Gefährlichkeit dieser ›falschen‹ Bibelinterpretation durch den Vorwurf des Judaisierens unterstrichen wird. La Peyre`re muß diesen Punkt vorhergesehen haben, denn er führt in seinem Vorwort einen »Lecteur scrupuleux« ein. Er läßt ihn den Einwand formulieren, wenn man so argumentiere, laufe man Gefahr, im Sinne der »visionnaires« und aller Juden die biblischen Verheißungen

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phie an, die er erstmals 1662 zu Beginn von Suite de letres a` M. de la Suze pour l’obliger par raison a` se faire Catolique propagierte. Vgl. zu den divergierenden Bibelhermeneutiken einleitend Hans-Joachim Kraus: Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments. Neukirchen-Vluyn 31982, S. 35–38; Franc¸ois Laplanche: L’Ecriture, le sacre´ et l’histoire. Erudits et politiques protestants devant la Bible en France au XVIIe sie`cle. Amsterdam, Maarssen 1986 (SIB 12), S. 54–56, 196–208; besonders zu Calvin vgl. Gary Hansen: John Calvin’s Nonliteral Exegesis. In: Calvinus sacrarum literarum interpres. Hg. v. Herman J. Selderhuis. Göttingen 2008 (Reformed Historical Theology 5), S. 27–36.

246 derart wörtlich zu lesen, daß man unweigerlich bei der Restitution der Juden im Heiligen Land und der Wiedererrichtung des Tempels lande. La Peyre`re versucht diesen Einwand geradezu psychologisch mit der Enttäuschung der Kirchenväter über die Ablehnung des Christentums durch die Juden zu erklären und erläutert mit Bezug auf den Römerbrief, daß in der Erwählung einzelner Juden aufgrund des Glaubens ihrer Väter (Röm 11,28) der ewige Zorn Gottes (1 Thess 2,6) aufgehoben sei. Schon deshalb dürfe man hier die weltliche und die geistliche Interpretation nur bedingt gegeneinander ausspielen. So sehr auch der Vers aus dem Johannesevangelium gelte: »Die Worte, die ich zu euch gesprochen habe, sind Geist und sind Leben« (Joh 6,63), und gleichermaßen die Aufforderung Christi aus der Bergpredigt (Mt 6,33) für die Christen gelte: »Jesus Christ nous exhorte de chercher premierement le Regne de Dieu et sa Justice«, so hingen weltliche und geistliche Dinge in der Tat zusammen. Denn den Gläubigen sei neben dem jenseitigen auch das hiesige Leben verheißen (1 Tim 4,8). Auch in diesem späten Manuskript betont La Peyre`re also weiterhin das Zusammenfallen von Konversion der Juden zur Kirche und Missionierung aller Heiden zum Glauben (Röm 11,26). Um 1673 soll es allerdings weder der französische König noch explizit der Papst, sondern vielmehr die Kirche sein, die ihren Sieg feiern und Frieden und Versöhnung für die erwählten Kinder Gottes bringen werde: »Les Elus ses aˆnfans n’auront combatre non plus que leur mere, ni contre les Violences tamporeles, ni contre les Malices Spiritueles, qui troublent les repos, et qui peruertissent les jnclinations des hommes. Il n’y aura plus d’iniustice ni de tyraˆnie sur la terre.« Wichtig bleibt aber auch hier, daß »cete reünion sera tamporele, qu’elle se fera sur la terre, et que toute la terre sera en ce taˆns la remplie de la connoissance de Dieu«.55 La Peyre`re verweist in diesem Zusammenhang auf die alttestamentliche Verheißung: ›Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg; denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.‹ (Jes 11,9) 2.2. Auslegung für Juden und Auslegung für Christen Vergleicht man diese Vision (um 1673) mit den Vorstellungen aus seinem Rappel des Juifs aus dem Jahr 1643, so fällt auf, daß La Peyre`re die erhoffte endgeschichtliche Erfüllung weiterhin als eine sehr irdische Angelegenheit postuliert. Darüber hinaus finden wir hier aber auch seine bibelhermeneutische Konstruktion wieder, daß die Hl. Schrift zweifach 55

Chantilly, Muse´e Conde´, Ms. 191. Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s. Nach dem zweiten Teil, o.S.

247 ausgelegt werden kann und muß. Allerdings ist das nicht ein Differenzieren zwischen unterschiedlichen sensus, die aufeinander aufbauen, wie es etwa der vierfache Schriftsinn lehrt. Vielmehr wird hier stark unterschieden, wer die Bibel liest. Tatsächlich gibt es zwei Gruppen und entsprechend zwei Verfahren. Zwar verteidigt La Peyre`re vehement die wörtliche Lektüre, doch gilt diese nur und ausschließlich für die Juden. Die Christen hingegen sollen und müssen die Verheißungen des Alten Bundes im übertragenen Sinne verstehen. Es geht hier also nicht um einen zweifachen Schriftsinn, sondern eher um eine doppelte Lektüre der Bibel, die eine doppelte Glaubenswahrheit in sich birgt. Schon deshalb ist Haran nur bedingt zuzustimmen, der La Peyre`res christliche Lektüre als sensus anagogicus analysiert und somit mit dem letzten der vier Schriftsinne identifiziert.56 La Peyre`re hatte bereits im Rappel des Juifs (1643), wie in Kapitel III gesehen, mehrere alttestamentliche Verheißungen und ihre konkrete Reinterpretation im Neuen Testament miteinander verglichen und dabei die Unterscheidung von zwei Lektüren herausgestellt. Er hatte somit nicht nur eine Rekonziliation zwischen divergierenden Bibelstellen erreicht, sondern auf diese bibelhermeneutische Unterscheidung sein ganzes Programm eines Rückrufs der Juden aufgebaut. Diese Vorannahme hatte La Peyre`re etwa in der Gegenüberstellung von Ps 68,19 und Eph 4,8 zu der Unterscheidung zwischen einem Roy Temporel und einem Roy Spirituel geführt, denn es gehe darum »de deuelopper le sens Mystique du sens Litteral de ce Cantique; c’est a` dire de distinguer tousiours le Roy Spirituel d’auec le Roy Temporel«.57 Der Psalmdichter David habe in Ps 68 »a` la lettre, ou selon le sens historique« gesprochen, der Apostel Paulus hingegen in Eph »en Esprit, ou selon le sens mystique & Spirituel«.58 In dieser Weise habe auch Paulus, als er diese Stelle spirituell auf Jesus Christus bezogen habe, das Verb von ›erhalten‹ (Receuoir) in ›geben‹ (donner) verändern können.59 Ähnlich unterscheidet La Peyre`re die Bedeutungsverschiebung zwischen Ps 45,7 und dem neutestamentlichen 56

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Alexandre Y. Haran: Le lys et le globe. Messianisme dynastique et reˆve impe´rial en France a` l’aube des temps modernes. Seyssel 2000, S. 173. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 100. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 101f: »Que le Prophete a voulu parler a` la lettre, ou selon le sens historique & litteral du Roy des Iuifs, que nous auons pose´ Temporel; & que l’Apostre a voulu parler en Esprit, ou selon les sens mystique & Spirituel, de Iesus Christ, qui est le Roy des Iuifs, mais qui est leur Roy Spirituel«; und kurz darauf, S. 112: »L’Apostre S. Paul voulant tirer le sens Spirituel de ce passage, a approprie´ dans son Epistre aux Ephesiens ce que le Roy Prophete a dit litteralement du Triomphe du Roy Temporel«. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 133f: »Car comme S. Paul voulant parler spirituellement de Iesus Christ a peu changer dans son Epitre aux Ephesiens le mot de Receuoir, que le Roy Prophete attribue litteralement dans son Cantique au Roy Temporel«.

248 Hebräerbrief (Hebr 1,9). Christlich verstanden »selon le Sens Mystique« stehe er für die Vermählung zwischen Christus und seiner Kirche. Für die Juden verheiße er hingegen »selon le sens litteral« ihren König auf Erden.60 Das Konzept eines Rückrufs der Juden ist schon deshalb so wichtig, weil dadurch die zwei auseinanderdriftenden Lesarten wieder zusammenfallen werden. Zwar sei die spirituelle Verheißung bereits in Jesus Christus erfüllt, sie werde sich aber bei der Erfüllung der wörtlichen Verheißung an die Juden komplettieren. Modern gesprochen geht es La Peyre`re um die Auflösung des ›eschatologischen Vorbehalts‹, die Verschmelzung des ›schon‹ und des ›noch nicht‹ der Erlösung in einem »Renouuellement du Monde & de la Nature au Rappel des Iuifs.«61 Es werde dann ein »Changement uniuersel de toutes choses« geben – noch vor dem Jüngsten Tag und dem Ende der Welt.62 Diese Vorstellung finden wir auch in La Peyre`res Sakramentenlehre wieder. Hier betont er, daß der Christ zwar durch die Taufe »plenement« gerechtfertigt sei. Jedoch ist er noch nicht geheiligt, was sich allein daran zeige, daß auch der Getaufte weiterhin sündige.63 Der HommeDieu Jesus Christus ist durch seine Auferstehung Garant für diese Sanktifikation, denn Christus ist »la Plene & Parfaicte Stature de l’homme Parfaict« im Himmel.64 Erst im Himmel werden deshalb auch die Erwählten »Hommes parfaits en Iesus Christ« sein, doch auch schon auf Erden erfolgt die Sanktifikation, allerdings nur »pas a` pas«.65 Diese schrittweise christliche Heiligung übertreffe sowohl die »Iustice des Oeuures« der Juden als auch »l’Exercice constant & perpetuel de la Vertu« der Philosophen. Damit nimmt La Peyre`re implizit die Diskussion um die Rolle der Tugenden für das Heil, wie wir sie bei La Mothe Le Vayer in Kapitel II gesehen haben, wieder auf: »la Sanctification Chrestienne, telle que nous l’auons 60

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Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 124f: »Ie sc¸ay que ce Pseaume selon le Sens Mystique est vn Epithalame pour le Mariage Spirituel de Iesus Christ auec son Eglise Spirituelle. Mais il ne se peut pas nier que selon le sens litteral, il ne soit aussi parle´ dasn ce Cantique, d’vn Roy Temporel, Victorieux & Triomphant Temporellement.« Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 151. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 148. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 338: »nous sommes Plenement Iustifiez par le Baptesme [...]. Mais [...] nous ne sortons pas Plenement Sanctifiez du Baptesme; En ce qu’il n’est point de Chrestien au monde qui ne peche, & que ce seroit se seduire soy mesme, que de dire que nous sommes sans peche´ apres que nous auons este´ Baptizez.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 340f; so auch schon I, 36, wo Christus als »Homme parfait« tituliert wird. Durch die Betonung »au Ciel« findet sich hier nochmals das typisch reformierte Theologoumenon in Abgrenzung etwa zur lutherischen Ubiquitätslehre. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 341f.

249 pose´e, part d’vn Principe plus solide, & se propose vne Fin plus Glorieuse que la Iustice des Iuifs, & la Vertu des Philosophes.«66 In dieser Weise bewegt sich La Peyre`re klassisch in einem protestantischen simul iustus et peccator, also eines Gerechtfertigten, der jedoch weiterhin der Heiligung bedarf. 2.3. Deifikation der Kreatur Es gibt aber auch Elemente in La Peyre`res Lehre, die diesen reformatorischen Rahmen deutlich übersteigen. La Peyre`re erinnert etwa daran, daß alle Erwählten Gottes das gemeinsame Dilemma teilten, aus den zwei Teilen von Körper und Geist zu bestehen: »les Eleus de Dieu sont composez d’Esprit & de Corps; d’vne partie haute, & d’vne partie basse«67 Aus diesem »miserable estat« befreie sie Gott und führe sie durch seine Gnade zur Heiligung und zur Glorifikation. Gott erschaffe sie dafür neu: »de la Creation, a` la Recreation qui est la Regeneration.«68 In diesem Sinne interpretiert La Peyre`re den Geist der Heiligung, von dem der Römerbrief spricht (Röm 1,4). Der zur Sünde neigende Mensch wird verwandelt »en la Nature de Dieu«, und in diesem Sinne imitiere der erwählte Mensch die Natur Christi.69 Zusammenfassend kann deshalb La Peyre`re den Kreuzestod Christi als Ursache der Rechtfertigung aller Menschen interpretieren, während er die endgültige Sanktifikation bei der Wiederkunft Christi in spiritu postuliert: Effectiue Expiation des pechez de tous les hommes, tant Iuifs que Gentils, opere´e par la Mort de Iesus Christ venu en Chair; & qui a precede´ la Sanctification du Genre Humain, & l’abolition de nos pechez qui sera opere´e par la venue¨ de Iesus Christ en Esprit70

In diesem Sinne werde Christus sein bereits perfektes Opfer als Opferlamm am Kreuz »Plus parfaictement« bei seiner Parusie verbessern und »Tres-Parfaictement« am Jüngsten Tag vollenden.71 Bereits jetzt kom66 67

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Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 343. Du Rappel des Juifs (1643). Buch IV, S. 254, und weiter heißt es dort: »Souuenons nous qu’ils sont Composez de toutes sortes d’Hommes; d’Hommes Pauures, & d’Hommes Riches; d’Hommes Petits & d’Hommes Grands; d’Hommes eleuez sur les Gibets, & d’Hommes eleuez sur des Thrones.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch IV, S. 256: »pour accomplir le Salut & la beautitude des Eleus, [...] les Eleus montassent de l’Innocence a` la Sanctification & a` la Gloire, & de la Creation, a` la Recreation qui est la Regeneration.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch IV, S. 260: »C’est en vn mot par l’Efficace & par la vertu de ce mesme Esprit de Sanctification & de Ressurection que nous Changeons, & que nous sommes Conuertis, comme en la Nature de Dieu, qui nous Recre´e, qui nous Ree´ngendre, ou nous Regenere en Nouueaute´ de vie«; S. 261: »Suiuons la Nature de Iesus Christ«. Du Rappel des Juifs (1643). Buch IV, S. 273. Du Rappel des Juifs (1643). Buch IV, S. 280: »Iesus Christ accomplira ce Diuin

250 munizierten die Gläubigen mit Christus in der Eucharistie, die deshalb, wie schon in Kapitel V gesehen, häufig stattfinden soll: »nous sommes par iceluy [sc. die Eucharistie] rendus Conformes a` Iesus Christ, pour ne faire qu’vn Corps & vne Chair auec luy [...] nous sommes Nourris en Iesus Christ par Iesus Christ mesme«.72 Doch heißt es dort auch: »Iesus Christ se nourrit en nous«.73 La Peyre`re erklärt zwar in guter reformierter Tradition, daß Christus nach seiner Auferstehung im Himmel ist. Christus lebe aber in seinen Gläubigen hier auf Erden fort. Das klang schon zu Beginn von Buch II des Rappel des Juifs (1643) an, wo La Peyre`re die Intention der Menschwerdung Christi darin sieht, die Schwäche des menschlichen Körpers zu beseitigen: »Dieu a pris vn Corps pour Purifier, & s’il faut parler pour Spiritualizer les Corps, engloutissant ce qui est de sensible, & de mortel en eux, pour les rendre Immortels en les rendant Spirituel.«74 Schon auf Erden werde der Körper des Menschen durch die Spiritualisierung gereinigt, um dereinst im Himmel glorifiziert zu werden.75 Die Erwählten seien Kinder Gottes durch die Wiedergeburt in Christus, und dieser habe sie berufen »pour les Deı¨fier«.76 Bei La Peyre`re geht es also nicht nur um eine Rechtfertigung und Heiligung des Menschen, sondern um seine Vergöttlichung, die hier auf Erden beginnt. Es ist dieser spiritualistische Zug seiner Theologie, der ihn von der Reformation abhebt.

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office Plus parfaictement, lors qu’il Reuiendra en Esprit, au Rappel des Iuifs, & en la Plenitude des Gentils pour Sanctifier son Eglise. Et nous remarquerons aussi que le mesme Iesus Christ acheuera ce mesme Diuin office Tres-parfaictement, lors qu’il Baptisera son Eglise de Feu au iugement final, & que l’ayant Purifie´e & rendue¨ Saincte, comme il est Sainct, (ou a` proposition) qu’il l’introduira dedans le Ciel au throne de la Gloire de son Pere.« Du Rappel des Juifs (1643). Buch V, S. 348f. Wieder finden wir hier eine Übersteigerung der calvinistischen Lehre, vgl. Jean Calvin: Institution de la religion chrestienne. Hg. von Jean-Daniel Benoit. Bd. 4. Paris 1961, vor allem Inst. IV,17, 2, wo es heißt: »Nos aˆmes peuvent prendre et recueillir de ce Sacrement une grande douceur et fruict de confiance: c’est que nous recognoissions Iesus Christ estre tellement incorpore´ en nous, et nous aussi en luy, que tout ce qui est sien, nous le pouvons appeller nostre«. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 64. Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch II, S. 66: »C’est pour cela qu’il est escrit; Que la Piete´ ne contient pas seulement les Promesses de la vie Spirituelle; mais qu’elle contient aussi les Promesses se la vie que nous deuons mener icy bas, selon laquelle nostre Corps doit estre Purifie´ en Terre, pour estre Glorifie´ dadans le Ciel.« Vgl. Du Rappel des Juifs (1643). Buch I, S. 6.

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3 La Peyre`re – un libertin spirituel War also La Peyre`res Konversion, wie Richard Simon andeutet, letztlich nur eine Form von Dissimulation? War es um seine Katholizität trotz seiner Bibellektüre, die gerade auch allegorisch lesen will, derart schlecht bestellt? Die zeitgenössische Wahrnehmung war jedenfalls stark bemüht, ihn als einen doch nur leidlich guten Katholiken darzustellen. So kolportiert etwa Schudt über diesen »Schein-Catholiken«, der »im Herzen der Reformierten Religion / ohngeachtet daß er die Römisch-Catholische öffentlich angenommen / mehr zugethan gewesen« eine Anekdote, die er aus der Hoffnung Israels von Johann Christoph Wagenseil (1633–1705) entnimmt.77 Dieser will von Jean Daille´ (1594–1670), dem Prediger der Pariser Hugenottengemeinde von Charenton, erfahren haben, daß La Peyre`re nach seiner Konversion in Rom beim Anblick einer Monstranz in den Straßen von Paris öffentlich niedergekniet sei. Daraufhin soll er von Daille´ zur Rede gestellt worden sein: ob es möglich sey / daß er ernstlich glaube man habe da den wahren wesentlichen GOTT in einer Monstranze eingeschlossen vorüber getragen? Er antworte nein / das glaube ich nicht / sondern wann ein Priester mit dem Venerabili mir begegnet / so weiß ich / daß er zu einem Krancken gehet / derohalben knie ich nieder / und bitte GOtt / daß er diesem seine Sünden verzeihe / und gute Gesundheit / oder einen seeligen Abschied aus unserem Leben verleyhe.78

Wieder finden wir hier also den Vorwurf, La Peyre`re habe nur dissimuliert. Schließlich zeige La Peyre`re nach außen etwas anderes als er eigentlich glaube. Nach Schudt ist La Peyre`re bei aller zur Schau gestellten Katholizität im Inneren weiterhin ein Calvinist. Gegen diese These spricht, daß La Peyre`res Sakramentenlehre zwar durchaus auf Traditionen einer Rechtfertigung und Heiligung aufbaut, wie sie auch bei Calvin vorhanden sind. Doch letztlich geht La Peyre`re über den Rahmen der calvinistischer Theologie hinaus. Das zeigt sich nicht nur in der Betonung der häufigen, ja täglichen Kommunion, sondern vor allem 77

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Vgl. Peter Blastenbrei: Johann Christoph Wagenseil und seine Stellung zum Judentum. Erlangen 2004, S. 97: »Noch weniger läßt sich über die heterodoxen Einflüsse auf Wagenseil von seiten des französischen Juristen und Schöpfers der Theorie von Menschen vor Adam (Präadamiten), Isaac La Peyre`re, aussagen. Wagenseil hat dessen von beiden Konfessionen scharf verurteilte Lehre seit den 1650er Jahren gekannt, eine persönliche Begegnung in Paris liegt nahe, da La Peyre`re zu dieser Zeit Bibliothekar Conde´s war. Mögliche geistige Berührungspunkte können in La Peyre`res Messianismus, seiner Forderung nach guter Behandlung der Juden als Voraussetzung für ihre Massenbekehrung und in seiner Bereitschft zur Entdogmatisierung des Christentums zum selben Zweck zu suchen sein, vielleicht such in Wagenseils Formel vom Adamischen Bruder.« Johann Jacob Schudt: Jüdische Merckwürdigkeiten. Franckfurt, Leipzig 1715, S. 539. Vgl. Hans-Joachim Schoeps: Philosemitismus im Barock. Religions- und Geistesgeschichtliche Untersuchungen. Tübingen 1952, S. 12.

252 in der Übersteigerung einer calvinistischen communio cum Christo in der Spiritualisierung des Gläubigen mittels der Eucharistie, die zu einer Entkörperung des Menschen und somit zu seiner Vergeistigung und Vergötterung führen soll.79 Andererseits paßt La Peyre`re mit diesem Verständnis der Wirkkraft des Sakraments auch nicht in ein katholisches Eucharistieverständnis. Dort ist es Hilfe und Stärkung des Gläubigen, das mittels der Kirche gespendet wird. Das hat aber mit einer quasi schrittweisen Umwandlung des Menschen in eine Gottgleichheit nichts zu tun. Vielmehr sprengt La Peyre`re dieses Schema einer konfessionellen Zweipoligkeit.80 Denn La Peyre`re bedient zwar Teilaspekte der distinktiven konfessionellen Überzeugungen, überhöht sie aber vor allem in ein neues drittes, nämlich in ein spirtualistisches Verständnis. La Peyre`re fällt somit in die Kategorie der Transkonfessionalität, und zieht sich den frühneuzeitlichen Vorwurf des sogenannten Nikodemismus zu.81 3.1. Nikodemismus und Libertinage Nikodemismus ist wie Libertiner oder Atheist eine Fremdzuschreibung, die nur schwer ein konzises Bild einer Gruppe erbringen kann.82 Die Bezeichnung geht auf die schillernde Figur des Nikodemus aus dem 79

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Vgl. zur calvinistischen unio cum Christo und ihrer Bedeutung für die Heiligung des Menschen sowie der Abgrenzung zum spirituellen Perfektionismus Tjarko Stadtland: Rechtfertigung und Heiligung bei Calvin. Neukirchen-Vluyn 1972, S. 118–131, bes. 127f; ebenso Wim Janse: Calvin’s Eucharistic Theology: Three Dogma-Historical Observations. In: Calvinus sacrarum literarum interpres. Hg. v. Herman J. Selderhuis. Göttingen 2008 (Reformed Historical Theology 5), S. 37–69. Die Theosis hat eine lange Tradition in der Ostkirche. Die sogenannte finnische Lutherschule hat seit den 1980er Jahren diese Tradition bis in die Lehre Luthers nachzuweisen versucht, vgl. dazu Tuomo Mannermaa: Theosis als Thema der finnischen Lutherforschung. In: Luther und Theosis. Hg. v. Joachim Heubach. Erlangen 1990, S. 11–26, 11: »Der Terminus deificatio bzw. Vergöttlichung kommt in den Texten Luthers sogar häufiger vor als der Terminus theologia crucis.«; entsprechend auch Reinhard Flogaus: Theosis bei Palamas und Luther. Ein Beitrag zum ökumenischen Gespräch. Göttingen 1997 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie 78), S. 438, der gleichwohl eine »fundamentale ontologische Differenz« zwischen Luther und Palamas ausmacht. Besonders die deutsche Lutherforschung hat die Theosis bei Luther vehement widerlegt, vgl. Albrecht Beutel: Antwort und Wort. Zur Frage nach der Wirklichkeit Gottes bei Luther. In: Protestantische Konkretionen. Studien zur Kirchengeschichte. Hg. v. Albrecht Beutel. Tübingen 1998, S. 28–44; Volker Leppin: Transformationen spätmittelalterlicher Mystik bei Luther. In: Gottes Nähe unmittelbar erfahren. Mystik im Mittelalter und bei Martin Luther. Hgg. v. Berndt Hamm, Volker Leppin. Tübingen 2007 (Spätmittelalter und Reformation N.R. 36), S. 165–185. Vgl. dazu die Einleitung von Thomas Kaufmann. In: Ders. u.a.: (Hgg.): Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese. Gütersloh 2003 (SVRG 201), S. 9–15. Vgl. Mirjam van Veen: »Verschooninghe van de roomse afgoderye«. De polemiek

253 Johannesevangelium zurück, die dort an drei Stellen erwähnt wird: Zum einen ist er derjenige, der nur in der Nacht zu Jesus kommt, also nicht offen seinen Glauben lebt (Joh 3,1). Zum anderen setzt er sich im Hohen Rat von Jerusalem für Jesus ein (Joh 7,50f) und bestattet ihn nach der Kreuzigung ehrenvoll zusammen mit Josef aus Arimathäa (Joh 19,39). Jean Calvin warf der Gruppe der Nikodemisten rituelle Indifferenz vor, wenn sie weiterhin der altgläubigen Eucharistie beiwohnen, wiewohl das dem Jerusalemer Tempeldienst entspreche, Gott aber im Geist und in der Wahrheit verehrt werden wolle (Joh 4,26). Seit der Reformation war dieser Vers immer wieder gegen die falschen Riten und die falsche Verehrung der Altgläubigen herangezogen worden. Man denke nur an die Kritik der Dogmen und Lehrsätze, wie sie im sechzehnten Jahrhundert von allen Anhängern der Reformation vorgetragen wurde. Hier werden die römischen Zeremonien eine neue Form des Judaismus, nämlich eine zu weltliche Form der Verehrung.83 Andererseits will auch Calvin nicht so weit gehen, auf jede Form von Gottesdienst zu verzichten, um nicht in eine völlige Entkirchlichung zu gleiten. Denn Calvin achtete darauf, nicht etwa die Kirche als Institution zu verlieren.84 Leszek Kolakowski hat entsprechend für die konfessionell Indifferenten des 17. Jahrhundert den Begriff der Chre´tiens sans E´glise geprägt.85 Neben dieser Indifferenz in rituellen Dingen fällt aber vor allem La Peyre`res Betonung des Geistes auf. Auch laut La Peyre`re ist Gott zu verehren im Geist und in der Wahrheit (Joh 4,26). Interessanterweise hat Heinrich Graetz in seiner Geschichte des Judentums La Peyre`re einen Schwärmer genannt, und somit den Ausdruck verwendet, den Luther für die Spiritualisten gebraucht.86 Die Spirituelz tauchen ebenfalls in der

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van Calvijn met nicodemieten in het beijzonder met Coornheert. ’t Goy-Houten 2001, S. 12–21. Vgl. Van Veen: »Verschooninghe van de roomse afgoderye« (2001), S. 73. Van Veen zitiert hier aus Calvins Deux traictez touchant la reformation de l’Eglise Chrestienne. Gene`ve 1559, S. 22. Zur Ekklesiologie von Calvin vgl. allgemein Willem Nijenhuis: Art. Calvin. 2.6. Ekklesiologie. In: TRE. Bd. 7 (1981), S. 584–586, speziell zur hugenottischen Diskussion im 17. Jahrhundert Rene´ Voeltzel: Vraie et fausse e´glise selon les the´ologiens protestants franc¸ais du XVIIe sie`cle. Paris 1956 (Etudes d’histoire et de philosophies religieuses 44). ´ glise. La conscience religieuse et le lien Vgl. Leszek Kolakowski: Chre´tiens sans E confessionnel au XVIIe sie`cle. Paris 1969, S. 9–68. Kolakowki nennt La Peyre`re nicht, führt aber am Beispiel des eine Generation jüngeren Jean de Labadie einen ähnlichen Fall einer übersteigerten Calvinrezeption aus. Heinrich Graetz: Geschichte der Juden von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart. Bd. 10. Leipzig 1897, S. 84f. Vgl. etwa zur Fortwirkung schwärmerischer Bewegungen im 17. Jahrhundert Benjamin J. Kaplan: Calvinists and Libertines. The Reformation in Utrecht 1578–1618. Ph.D. Harvard 1989; Caroline Gritschke: »Via media«: Spiritualistische Lebenswelten und Konfessionalisierung. Das süd-

254 Polemik von Calvin auf, nämlich in einem Traktat, der parallel zu seiner Auseinandersetzung um den Nikodemismus erscheint: Contre la secte phantastique et furieuse des libertins qui se nomment spirituelz aus dem Jahr 1545.87 Wir kehren somit zu der Libertinagedebatte zurück, die wir schon in Kapitel II angeschnitten haben. Zwar ist der Begriff des Libertins auch schon für das 16. Jahrhundert schwer zu fassen, weil die Verwendung selbst unter den Schweizer Reformatoren divergiert und wir die dogmatischen Ansätze dieser Libertin nur über die Polemik ausmachen können.88 Doch lassen sich Übereinstimmungen mit der Lehre La Peyre`res erkennen. Denn es war gerade die Bedeutung des Geistes, die Calvin bei diesen ›Libertinern‹, die sich selbst ›Spirituelz‹ nannten, monierte. Das zeige sich schon im Umgang mit der Bibel: Auf diese Weise wollen die Libertiner zweierlei erreichen: Erstens möge man sich nicht mehr an den einfachen Sinn der Schrift halten, sondern vielmehr mit allegorischen Auslegungen herumspielen. Zweitens soll man nicht bei dem bleiben, was geschrieben steht und sich auch nicht damit begnügen, sondern höher spekulieren und neue Offenbarungen suchen.89

Neben Calvins Zurückhaltung gegenüber übertragenenen Auslegungsmethoden der Bibel deutet sich das Problem an, daß hier die Abgeschlossenheit der Offenbarung in Frage gestellt wird. Es ist diese schwärmerische Übersteigerung in der sogenannten ›radikalen Reformation‹, gegen die der Reformator Calvin sich wandte.90 Insgesamt zeige sich bei

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deutsche Schwenckfeldertum im 16. und 17. Jahrhundert. Berlin 2006 (Colloquia augustana 22). Dieser Text ist jüngst neu herausgegeben: Jean Calvin: Opera Omnia. Abt. IV Scripta didactica et polemica. Bd. 1. Hg. v. Mirjam van Veen. Gene`ve 2005, S. 43–195. In deutscher Übersetzung liegt er vor in: Jean Calvin: Calvin-Studienausgabe. Hgg. v. Eberhard Busch u. a. Bd. 4. Neukirchen-Vluyn 2002, S. 235–355. So erfeulich das Gesamtprojekt dieser Studienausgabe in seiner zweisprachigen Anlage der Werke ist, umso bedauerlicher bleibt es, daß der Bearbeiter Gottfried Wilhelm Locher nur einen Teil des Textes präsentiert und dieses auch nur ungenügend in seiner Einleitung benennt. Ich zitiere nach der Calvin-Studienausgabe. Calvin, Opera Omnia. Abt. IV. Bd. 1 (2005), S. 11: »It seems to me that the obscurity among modern scolars about the nature of libertinism reflects the vagueness concerning libertinism among Calvin’s own contemporaries. Sexteenth century writers did not use clear-cut definitions, and even the descriptions of libertines provided by Calvin and his fellow-reformers Guillaume Farel and Pierre Viret cannot be reduced to one univocal definition.« Contre les libertins (1545). In: Calvin-Studienausgabe. Bd. 4, S. 295, 292ff: »Or par cela ilz tendent a` double fin: c’est premierement qu’on ne se tienne point au simple sens de l’Ecriture, mais qu’on s’en ioue par expositions allegoriques: secondement, qu’on ne se arreste pas a` ce qui est escrit, pour y acquiescer du tout, mais qu’on specule plus haut, et qu’on cherche revelations nouvelles.« Vgl. George Huntston Williams: The Radical Reformation. Philadelphia 1962, dort speziell zu der Auseinandersetzung zwischen Calvin und den Libertins, S. 598–605.

255 dieser Gruppe eine Überbetonung des Geistes: »Zusätzlich zum soeben Gesagten sollte man zur Kenntnis nehmen, daß die Libertiner kein Thema anschneiden können, ohne daß sogleich das Wort ›Geist‹ fällt, und daß sie keine zwei Sätze machen können, ohne es zu wiederholen.«91 Das führe aber vor allem zu einer Verdrehung der Bedeutung des ›Geistes‹, die darin kulminiert, den Menschen weiszumachen »sie seien allesamt spirituell und göttlich und beinahe so bezaubernd wie die Engel.«92 In dieser Übertreibung liege laut Calvin die Verdrehung der libertas christiana, die ein sittenloses Leben nach sich ziehe. es [ist] für alle aufrichtigen Menschen scandalös [...], eine solche Menge wankelmütiger Leute zu sehen, die das Wort Gottes ihren eigenen Gefühlen unterwerfen und damit die christliche Freiheit derart verdrehen, daß sie zu einer schrankenlosen Zügellosigkeit des Fleisches verkommt. Oder aber sie plaudern unverbindlich vom Evangelium, während sie ein scheinheiliges Leben führen, und lästern Gott durch ihre Werke, während sie ihn mit ihren Mündern loben (Tit 1,16).93

In diesem Vorwurf der Sittenlosigkeit ist bereits das Konzept des libertinage de moeurs vorgezeichnet, das für das 17. Jahrhundert entwickelt wurde.94 Zwar sollte man nicht die Ideen diese Gruppierungen des 16. Jahrhunderts kritiklos auf das 17. Jahrhundert applizieren, doch wenn man La Peyre`re einen libertin nennen wollte, so wird er am ehesten ein libertin spirituel genannt werden müssen.95 3.2. Französische Spiritualisten des 17. Jahrhunderts Man wird La Peyre`re also in die vielfältigen Bewegungen des 17. Jahrhunderts einordnen müssen, die der Ausbildung der konfessionellen Or91

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Contre les libertins (1545). In: Calvin-Studienausgabe. Bd. 4, S. 299, 298: »Outre ce que nous venons de dire, il est a` noter, qu’ilz ne sauroyent entamer un propos, que ce mot d’esprit ne soit incontinent par les rancs, et ne sauroyent a` grand peine continuer deux clausules, qu’il n’y soit reitere´.« Contre les libertins (1545). In: Calvin-Studienausgabe. Bd. 4, Kapitel X (Que les Libertins abusent en plusierus sortes du mot d’Esprit, lequel ilz ont touiours en la bouche), S. 299: »Ich will jetzt nicht alle Weisen aufzählen, deren sich die Libertiner bedienen, das wäre endlos. [...] Weiter muß beachtet werden, daß die Libertiner das Wort ›Geist‹ auf alles anwenden, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Indem sie Dinge vermischen, die auseinderzuhalten sind, bringen sie Urteilsvermögen ihrer Zuhörer durcheinander und betören sie noch dazu, indem sie ihnen einreden,.« Contre les libertins (1545). In: Calvin-Studienausgabe. Bd. 4, S. 301. Vgl. Gerhard Schneider: Der Libertin. Zur Geistes- und Sozialgeschichte des Bürgertums im 16. und 17. Jahrhundert. Stuttgart 2000 [ND Stuttgart 1970], S. 45–72, bes. 56. Vgl. dazu den beißenden Kommentar von Jean-Pierre Cavaille´: Libertinage, irre´ligion, incroyance, athe´isme dans l’Europe de la premie`re modernite´ (XVIe-XVIIe sie`cles). Une approche critique des tendences actuelles de la recherche (1998–2002) (fe´vrier 2003). URL: http://dossiersgrihl.revues.org/document279.html (26. Juni 2011), Anm. 60: »La charite´ m’interdit ici de citer quelques uns de nos auteurs qui confondent purement et simplement les ›libertins‹ vilipende´s par Calvin avec ceux que Garasse poursuit de ses foudres.«

256 thodoxien entgegenlaufen und die sich etwa im Puritanismus Englands, dem frühen Pietismus im Reich und in der nadere reformatie in den Niederlanden Bahn brechen.96 Wie sehr diese Bewegungen miteinander verzahnt waren, zeigt das Beispiel von Jean de Labadie (1610–1674), der als Jesuit begann, später – zeitnah zu La Peyre`re – zum Calvinismus konvertierte und an der hugenottischen Akademie von Montauban lehrte, dann in die Niederlande ging und im Umfeld des Messiasprätendenten Sabbatai Zwi eine Schrift mit dem Titel Jugement charitable et juste sur l’e´tat pre´sent des Juifs (1667) veröffentlichte. Gleichwohl konnte auch Labadie sich auch in den Niederlanden wegen seiner dezidiert mystischen Tendenzen, die ebenfalls das Konzept einer Deifikation des Menschen kennen, nur schwerlich halten.97 Wieder finden wir hier konfessionelle Indifferenz gepaart mit einem besonderen Interesse an den Juden, einen Hang zur spiritualistischen Vergöttlichung des Menschen und nicht zuletzt ein großes Unverständnis auf seiten der zeitgenössischen Orthodoxie. Jean de Labadie bildet bei aller Nähe zu La Peyre`re sozusagen eine Art gegenläufige Biographie zu dessen tubulentem Lebensweg. Auch bei Labadie wird man nur eine brüchige Koalition mit der jeweiligen offiziellen Konfession vermuten dürfen, was die Konversion und die häufigen Ortswechsel bei Labadie erklärt. Sein Spiritualismus begünstigte diese Wechsel in zweierlei Hinsicht. Denn dieser bot ihm Überschneidungsmengen mit den einzelnen Lagern der Katholiken und Protestanten, hob aber gleichzeitig vieles, was sonst hätte trennend wirken müssen, aus spiritualistischer Sicht ins Unwichtige auf. In die Nähe zu den Spiritualisten ist La Peyre`re auch schon zu Lebzeiten gerückt worden, und zwar von den Jansenisten. Wieder ist es der biographische Brief IV aus den Lettres choisies von Richard Simon, der hier in Andeutungen Auskunft erteilt. Simon berichtet von einem Zusammentreffen, als der Jansenist Pierre Nicole einen Bekannten in dem 96

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Zu Pietismus, Puritanismus und nadere reformatie vgl. Martin Brecht (Hg.): Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Göttingen 1993 (Geschichte des Pietismus 1); zum durchaus auch interkonfessionellen Vergleich vgl. Hartmut Lehmann u.a (Hgg.): Jansenismus, Quietismus, Pietismus. Göttingen 2002 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 42). Zu Jean de Labadie und dem Einfluß der Labadisten vgl. Johannes van den Berg: Die Frömmigkeitsbestrebungen in den Niederlanden. In: Der Pietismus vom siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert. Hg. v. Martin Brecht. Göttingen 1993 (Geschichte des Pietismus 1), S. 57–112; vgl. ebenso Ernestine G.E. van der Wall: A Precursor of Christ or a Jewish Impostor? Petrus Serrarius and Jean de Labadie around Sabbatai Sevi. In: Pietismus und Neuzeit 14 (1988), S. 109–124. Zum Abendmahlsverständnis vgl. Kolakowski: Chrestiens sans Eglise (1969), S. 738: »L’ide´e de de´ification par l’Eucharistie, l’ide´e de commerce expe´rientiel, quasi sensoriel avec la personne du Christ, est de´ja` inde´pendente de ces principes, et ses sources sont mystiques et non protestantes.«

257 Oratorianerkonvent Des Vertus in der Nähe von Paris besucht habe, wo La Peyre`re seine letzten Lebensjahre verbracht hat. La Peyre´re, den Simon ansonsten als einen verträglichen Menschen schildert, habe sich bei dem zufälligen Zusammentreffen zu einer spitzen Bemerkung hinreißen lassen, die Nicole sehr erbost haben soll. So sehr hier Simon eine gewisse Opposition zu den Jansenisten nur in dieser Anekdote andeutet, gibt er eine erklärende Bemerkung hinzu. Simon vermutet, daß Arnaulds deutliche Kritik an dem Präadamiten La Peyre`re hier zu diesem verbalen Ausfall geführt habe.98 Arnauld hatte sich nicht etwa in den großen Reigen der Widerleger der Präadamiten eingereiht. Er nennt La Peyre`re vielmehr an exponierter Stelle in seinen Remarques zu einem Buch eines gewissen Nicolas Charpy de Sainte-Croix (1610–1670). Dieser hatte 1657 ein Werk mit dem Titel L’Ancienne Nouueaute´ de l’Escriture Sainte, ou l’E´glise triomphante en terre anonym veröffentlicht.99 Er gab sich nur als Kryptonym »N.C.D.S.C.« am Ende der vorangestellten Dedikation zu erkennen, die er im übrigen niemand geringerem als Jesus Christus selbst widmete. Erst 1665 erschienen Arnaulds Remarques sur les principales erreurs, die laut dem Pierre Nicole zugeschriebenen Vorwort jedoch bereits zeitnah 1657 verfaßt worden seien.100 Das legt auch die Besprechung im neu gegründeten Journal des Sc¸avans nahe: »vn sc¸auant Homme, qui n’a pas voulu se faire connoistre, fit la mesme anne´e [sc. 1657] des Remarques sur ce liure, lesquelles, ayant longtemps couru manuscrites, furent enfin imprime´es l’anne´e precedente«.101 Die Werkausgabe von Arnauld aus dem 18. Jahrhundert bietet eine spätere Fassung von 1735, die der damalige Herausgeber nach dem Manuskript ergänzt haben will. In diesen Ergänzungen findet sich ein Vergleich der Thesen von Charpy de SainteCroix mit denen von La Peyre`re, den Arnauld freilich nicht beim Namen 98

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Simon an Z.S. aus dem Jahr 1688. In: Lettres choisies de Mr. Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 4, S. 27: »Mr. Nicole e´tant venu au Seminaire des Vertus pour y voir un de ses amis; de´s que la Peyrere l’apperc¸uˆt il se mit a` reciter je ne sai quels vers ou` il e´toit parle´ de Dame Nicole. Ce qui de´plut fort a` Mr. Nicole lors qu’il le sc¸uˆt. Du reste il se pre´cautionnoit ordinairement pour ne blesser personne dans la conversation. Mais il y a de l’apparence qu’il e´toit de´meure´ quelque ressentiment des emportemens que Mr. Arnauld avoit fait paroıˆtre contre lui dans un de ses ouvrages. Ce Docteur ignoroit alors que l’auteur des Pre´adamites se fut fait Catholique.« [Nicolas Charpy de Sainte-Croix:] L’Ancienne Nouueaute´ de l’Escriture Sainte, ou l’E´glise triomphante en terre. o.O. 1657. Antoine Arnauld: Remarques sur les principales erreurs d’un livre intitule´, L’Ancienne Nouveaute´ de l’Ecriture Sainte, ou l’Eglise triomphante en terre. In: Arnauld: Oeuvres. Bd. 5, S. 325–363. Die Approbation der ersten Auflage ist auf den 18. Februar 1664 datiert. Trotzdem waren ursprünglich sowohl dieses Buch wie das Vorwort anonym erschienen. Journal des Sc¸avans (Mars 1666), S. 103–105 (Zitat 104).

258 nennt, sondern nur als den Autor der Prae-Adamitae ausweist. Arnauld verweist darauf, daß sowohl Charpy de Sainte-Croix als auch La Peyre`re auf der Grundlage von Röm 11,26 einen Retter der Juden postulieren, der die Juden im Hl. Land restituieren werde. Allerdings ist Arnaulds Beurteilung von La Peyre`re recht wohlwollend, wenn er hinzusetzt, daß dieser später in den Schoß der katholischen Kirche zurückgekehrt sei »par une conversion qui a e´difie´ toute l’Eglise«. Zudem gelte, obwohl La Peyre`re beim Verfassen seines Werks zwar der »he´re´sie de Calvin« angehangen habe, noch lange nicht, daß alles, was ein Häretiker publiziere, automatisch häretisch oder falsch sein müsse.102 Diese Einschätzung ist umso interessanter, weil Richard Simon in seinen Lettres choisies betont, Arnaulds Urteil wäre sicher sanfter ausgefallen, wenn Arnauld um La Peyre`res Konversion gewußt hätte.103 Anscheinend lag hier Simon eine andere Manuskriptfassung vor oder vielleicht reagieren sogar die Ergänzungen »sur le Manuscrit« in Arnaulds Textfassung aus dem Jahr 1735 bereits auf diesen Kommentar von Simon aus dem Jahr 1704. Sowohl das Nicole zugeschriebene Vorwort zu Arnaulds Remarques (1657?) als auch die folgende Besprechung im Journal des Sc¸avans (1666) nennen darüber hinaus einen weiteren Vergleichspunkt zu Charpy de Sainte-Croix. Arnauld deutet nur an, daß es bereits vor »environ douze ans« in Paris eine Gruppe gegeben habe, die dieselben Phantasien von einem hiesigen Reich Christi auf Erden verbreitet hätten.104 Der Rezensent im Journal des Sc¸avans präzisiert diese Zeitangabe auf das Jahr 1645 und auf die sogenannte »Secte des Apocalyptiques«. Nicht nur treffen wir hier wieder auf den Millenarismus, dieses Mal in seiner seltenen französischen Spielart, sondern auch auf den damit verbundenen Vorwurf des Judaismus: En effet cette doctrine tient beaucoup du Judaı¨sme: Car elle est establie sur les mesmes passages, dont les Iuifs abusent pour prouuer le regne temporel du Messie qu’ils attendent, Elle a aussi quelque rapport auec l’heresie des Millenaires, qui s’imaginoient que Iesus Christ deuoit reuenir sur la terre, & qu’il combleroit les fidelles pendant mille ans de toutes sortes de biens temporels. Et elle adiouste a` ces anciennes erreurs les extrauagences d’vne nouuelle Secte, qui s’e´leua en l’anne´e 1645. & qui fut appelle´e la Secte des Apocalyptiques, parce qu’elle estoit principalement fonde´e sur des passages de l’Apocalypse.105 102 103

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Arnauld: Oeuvres. Bd. 5, S. 337. Lettres choisies de Mr. Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 4, S. 27: »Ce Docteur [sc. Arnauld] ignoroit alors que l’auteur des Pre´adamites se fut fait Catholique.« Arnauld: Oeuvres. Bd. 5, S. 336: »On fait de plus qu’une certaine personne, qui d’ailleurs paroissent simple & e´loigne´e de l’esprit de fourberie, a publie´ long-temps dans Paris, il y a environ douze ans, ces meˆmes fantaisies du regne temporel de Jesus Christ qui devoit bientoˆt arriver, & qu’il avoit des sectateurs qui expliquoient l’Apocalypse selon ses lumie`res.« Journal des Sc¸avans (Mars 1666), S. 103–105 (Zitat 105).

259 Die Pre´face historique zu Arnaulds Werkausgabe aus dem 18. Jahrhundert ergänzt wiederum diese Aussage um Namen. Zum einen um Simon Morin (1623–1663), der bereits im Vorwort von Nicole aus dem Jahr 1665 genannt wird, zum anderen um Desmarets de Saint-Sorlin (1595–1676), der zum Umfeld von Morin zählt.106 Der »fameux visionnaire & fanatique« Simon Morin jedenfalls wurde schließlich wegen seiner Ideen angeklagt und am 14. März 1663 öffentlich hingerichtet.107 Dieser für das Jahr 1663 außerordentliche Vorfall spiegelt sich nicht nur bei Bayle oder Niceron wider, sondern auch in einer Erwähnung im Theatrum Europaeum.108 Es war also nicht ganz ungefährlich, spiritualistische Gedanken zu verbreiten. Vielleicht muß man es sogar im direkten Zusammenhang sehen, daß La Peyre`re fast zur gleichen Zeit, als Morin auf der Place de Gre`ve öffentlich hingerichtet wurde, nochmals 1663 seine Rechtgläubigkeit in seiner Apologie zum Ausdruck brachte.109 Besonders die formale wie inhaltliche Nähe von Charpy de SainteCroix zu La Peyre`res Ausführungen ist kaum zu übersehen. L’Ancienne Nouueaute´ de l’Escriture Sainte, ou l’E´glise triomphante en terre (1657) präsentiert sich wie schon La Peyre`res Rappel des Juifs (1643) ohne Angabe des Autors und ohne jede explizite Bezugnahme zu einer Diskussion oder zu anderen Werken der Zeit. Neben diesen formalen Parallelen gibt es aber auch eine inhaltliche Nähe. Auch Charpy de SainteCroix kennt einen »Roy Vniversel«, der nicht mit Christus identisch ist, sondern sein Stellvertreter hier auf Erden sein soll.110 Ihm kommt eine ähnliche Aufgabe wie im Rappel des Juifs (1643) zu: Wiederherstellung der Würde der Kirche, Überwindung all ihrer Feinde, Konvertierung 106

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Vgl. Hugh Gaston Hall: Richelieu’s Desmarests and the Century of Louis XIV, Oxford 1990; als Beispiel seiner Eingebundenheit auch über Richelieus Tod hinaus vgl. Sven Externbrink: Das Selbstportrait eines Diplomaten im 17. Jahrhundert. Guistiniano Priandis Memorandum für Desmarets de Saint-Sorlin aus dem Jahr 1644. In: Formen internationaler Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Frankreich und das Alte Reich im europäischen Staatensystem (FS Klaus Malettke). Hgg. v. Sven Externbrink, Jörg Ulbert. Berlin 2001 (Historische Forschungen 71), S. 227–243. Vgl. zu dieser Spielart des französischen Spiritualismus und speziell zum Fall Morin: Richard M. Golden: Religious Extremism in the Mid-Seventeenth Century: the Parisian Illumine´s. In: European Studies Review 9 (1979), S. 195–210; Claude Quetel: Fallait-il bruˆler Simon Morin? In: La vie, la mort, la foi, le temps (FS Pierre Chaunu). Hgg. v. Jean-Pierre Bardet, Madeleine Foisil. Paris 1993, S. 369–378. Theatrum Europaeum. Bd. 9 (1672), S. 1096f. Zu Morin vgl. Bayle. Bd. 2 (1697), S. 613–615; Niceron. Bd. 27 (1734), S. 34–71, zu Desmarets de Saint-Sorlin vgl. Bayle. Bd. 2 (1697), S. 550–554; Niceron. Bd. 35 (1735), S. 140–158. Seine Apologie erhielt die Approbaton ganze zehn Tage vor der Hinrichtung von Morin. [Nicolas Charpy de Sainte-Croix:] L’Ancienne Nouueaute´ de l’Escriture Sainte, ou l’E´glise triomphante en terre. o.O. 1657, S. 87: »Le Roy Vniversel dont nous parlons, sera le Vicaire de Iesvs-Christ, & non point Iesvs-Christ luy-mesme.«

260 der Juden und Wiedererrichtung Jerusalems und seines Tempels. Ziel sei die richtige Verehrung Gottes und Resultat werde eine große Friedenszeit aller Gläubigen sein.111 Fast meint man La Peyre`res Rappel des Juifs (1643) zu lesen, wenn es hier bei Charpy de Sainte-Croix 1657 heißt: Les Iuifs ont donc entez sur Iesvs-Christ, Fils de Dieu naturel, & les Gentils sur Iesvs-Christ, Fils de l’Homme, & fait Iuifs, touˆjours le mesme Sauveur pour les uns et les autres; ceux-la` estant par leur adoption faits de petits dieux, & ceux-cy par la leur, se changeant en Iuifs spirituels, circoncis sans oeuvre de main, & enfans & heritier selon la promesse, pour succeder en la place des enfans devenus indignes de la promesse; parce que (comme dit S. Paul) elle luy fut faite avant la Circoncision, qui ne luy fut donne´e que comme un signe & une marque de la iustice de sa foy, & pour differentier ses de´cendans des autres nations, qui estant infidelles ne seroient point le peuple de Dieu. Ainsi nous sommes la veritable semence d’Abraham, non charnelle, a` qui la promesse n’estoit point faite: mais spirituelle, heritiere de la foy, croyant en Iesvs-Christ venu, comme il a cruˆ en Iesvs-Christ a` venir.112

Und doch gibt es auch deutliche Unterschiede. Der Roy Vniversel ist hier keineswegs der französische König, sondern Charpy de Sainte-Croix betont an mehreren Stellen: »Il est certain que ce Roy Vniversel sera Iuif originellement«.113 Zwar wird auch hier also ganz im Sinne von Paulus und durchaus auch in den Bahnen von La Peyre`re argumentiert. Doch der Roy Vniversel soll eben kein Jude im übertragenen Sinne sein und auch kein zu den Juden adoptierter Christ, sondern vielmehr ein Jude per Abstammung. Zu einem ganz ähnlichen Befund führt der Vergleich von La Peyre`re zu Desmarets de Saint-Sorlin (1595–1676). Dieser stellt sich im gleichen Jahr 1657 mit seinem heroischen Gedicht Clovis, ou la France chrestienne deutlich in eine panegyrische Tradition, die wohl auch stark von La Peyre`re profitiert. Auch bei Desmarets de Saint-Sorlin sind die französischen Könige seit Clovis »protecteurs de son Eglise & les exterminateurs des Heresies«.114 Der König ist hier wieder das Spiegelbild Christi auf Erden und seine Aufgabe besteht darin: »a` re´ünir les troupeaux separez« und »a` re´tablir la Religion en plusieurs lieux«. Allerdings rezipiert Desmarets de Saint-Sorlin im Gegensatz zu La Peyre`re sehr stark 111

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[Nicolas Charpy de Sainte-Croix:] L’Ancienne Nouueaute´ de l’Escriture Sainte, ou l’E´glise triomphante en terre. o.O. 1657, S. 89f: »Ce Prince donc qui regnera pour luy, brisera la statue¨ des puissances humaines, restablira l’Eglise en sa splendeur, de´truira par raison ou par force tous ses ennemis, convertira tous les Juifs a` la Foy, sera rebastir Ierusalem, & le temple ou` Dieu sera adore´ par Iesus-Christ en esprit & en verite´, affirmira la paix & L’abondance, & comblera de biens tous les fidelles.« [Nicolas Charpy de Sainte-Croix:] L’Ancienne Nouueaute´ de l’Escriture Sainte, ou l’E´glise triomphante en terre. o.O. 1657, S. 121f. [Nicolas Charpy de Sainte-Croix:] L’Ancienne Nouueaute´ de l’Escriture Sainte, ou l’E´glise triomphante en terre. o.O. 1657, S. 84, ganz ähnlich etwa S. 147: »un Prince de la Race de David«. Dedikation an Ludwig XIV. In: Jean Desmarets de Saint-Sorlin: Clovis, ou la France chrestienne. Poeme heroique, Paris 1657, o.S.

261 das biblische Danielbuch und kennt entsprechend sowohl eine explizite Fünf-Reiche-Lehre als auch einen Antichristen.115 3.3. Offensive und defensive Polemik Die beiden Vergleichstexte von Charpy de Sainte-Croix und Desmarets de Saint-Sorlin aus dem Jahr 1657 gehören allerdings schon zur Rezeption von La Peyre`res Thesen. Sie zeigen einmal mehr, daß inhaltliche wie formale Nähe im 17. Jahrhundert durchaus und fast regelhaft eine dezidiert konträre Position erwarten lassen dürfen, was die Kontextualisierung solcher Werke erheblich erschwert. Es ist dieses bewußte oder auch inszenierte ›Mißverstehen‹, was die These des Textes, auf den Bezug genommen wird, entweder verändert oder manchmal sogar bewußt ad absurdum führt. Allerdings ist bei aller Eleganz der Argumentation ein solches Vorgehen immer auch ein Zeichen für eine letztlich schwache Position, die hier verteidigt werden soll. Anders verhält es sich etwa bei Arnaulds Antwort auf Charpy de Sainte-Croix, der bereits im Titel ankündigt, daß hier eine Erwiderung, zumal nur auf die gravierendsten Fehler seines Gegners folgen soll. Wir haben es hier folglich mit zwei Formen der Polemik zu tun, die man als defensive (Charpy de SainteCroix, Desmarets de Saint-Sorlin) und als offensive (Arnauld) Polemik bezeichnen könnte. Hatte Simon also recht, daß es diese offensive Kritik von Arnauld war, die La Peyre`re beim Anblick des Jansenisten Nicole zu seinem verbalen Ausfall reizte? Was aber war an der jansenistischen Polemik so gefährlich? Hätte Arnauld durch das Aufzeigen eines Konnex zwischen einem visionnaire wie Charpy de Sainte-Croix oder Morin und der Theologie La Peyre`res einen völlig abwegigen Vergleich angestellt, so hätte La Peyre`re diesen abtun können. Anscheinend hatte er aber damit den Kern von La Peyre`res Position getroffen, und das war für diesen umso ärgerlicher, hatte er doch seit seinem Rappel des Juifs (1643) so vieles darangesetzt, seinen Spiritualismus zu kaschieren: Er hatte den König von Frankreich bemüht und später eine augustäisches Friedenzeit unter dem Papst evoziert, er hatte nicht zuletzt seinem Patron das ein oder andere panegyrische Sandkorn ins Auge gestreut – ja und war selbst nicht einmal davor zurückgeschreckt, seinen Leser die Existenz von Menschen vor dem biblischen Adam zuzumuten. Aber selbst Richard Simon, ansonsten nicht um scharfe Urteile verlegen, benennt diesen Umstand eher en passant. Auch hier haben wir es wieder mit defensiver Polemik zu tun. Nur im Kontext von La Peyre`res 115

Zitate aus dem für die Neuausgabe des Clovis von 1673 ergänzten unpag. Epıˆtre de´dicatoire, vgl. Haran: Le lys et le globe (2000), S. 263–265.

262 ›geographischen‹ Schriften nennt er diese »nullement visionnaire« und kennt somit ex negativo den Vorwurf.116 Auch La Peyre`re selbst hatte ja im Vorwort zum dritten Teil seines Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s den potentiellen »Lecteur scrupuleux« auftreten lassen, der als Inbegriff der falschen Bibelhermeneutik die visionnaires und die Juden zusammendachte. Aus der katholischen Sicht eines Richard Simon fielen allzu wörtliche Bibellektüre, Judaisieren und selbst Anklänge an einen übersteigerten Protestantismus zusammen. Protestantischerseits bestand daher ein großes Bedürfnis, sich von einer solchen Gleichsetzung zu distanzieren. Das erklärt, wieso bereits Calvin im 16. Jahrhundert den Spirituelz so ablehend gegenüberstand. Daß eine spiritualistische Haltung schon deshalb nicht in den Rahmen der klassischen Bikonfessionalität paßt, sondern vielmehr eher das bedient, was Calvin im 16. Jahrhundert als Nikodemismus brandmarkte, zeigt sich in La Peyre`res Sakramentenlehre wie auch in seiner Ekklesiologie. Seine doppelte Kirchenlehre einer ›Proselytenkirche‹ für die neuen Christen und einer ›Vollkirche‹ für die Fortgeschrittenen versöhnt nicht nur die beiden konfessionellen Lager in einem irenischen Kirchenfrieden, sondern hebt gleichzeitig diese beiden Lager zugunsten einer sichtbaren Gemeinschaft der Erwählten, der Eglise proprement dite Catholique auf. La Peyre`res kircheneinigende Irenik entpuppt sich also als konfessioneller Indifferentismus und somit als theologische Indifferenz zugunsten einer Form des Christentums, die aus Chre´tiens sans E´glise besteht. La Peyre`res Vorstellung einer Deifikation des Gläubigen sprengt nämlich nicht nur den Rahmen des ›Gesetzes‹ des Alten Bundes, sondern läuft sogar Gefahr, die libertas christiana des Evangeliums zugunsten einer Privatspiritualisierung aufzuheben. Es gab also gute Gründe auf Seiten von Katholiken oder Protestanten, gegen den Spiritualismus eines La Peyre`re zu sein. Es gab aber noch bessere Gründe, die tieferliegenden theologischen Schwierigkeiten nicht zu benennen, sondern die Auseinandersetzung auf der Oberfläche zu führen. Diese Oberfläche bestand aus Präadamiten und anderen biblischen Spielereien, die viel leichter zu parieren waren als etwa La Peyre`res Christologie oder seine Erlösungslehre. La Peyre`re wußte für seinen Rappel des Juifs (1643) den Eifer zur Bekehrung der Juden als quasi ›kleinsten gemeinsamen Nenner‹ der konfessionellen Polemik im 17. Jahrhunderts gut zu instrumen116

Vgl. Lettres choisies de Mr Simon. Bd. 2 (1704). Nr. 4, S. 27: »Il a fait une histoire de Groenland qui est estime´e, & qui fait connoıˆtre que l’auteur des Pre´adamites n’estoit pas un visionnaire, comme on le pourroit croire si nous n’avions de lui que son livre des Pre´adamites.« Zur Bedeutungsbreite von »visionnaires« vgl. Furetie`re. Bd. 3 (1690), o.S.: »Qui est sujet a` des visions, a` des extravagances, a` de mauvais raisonnements.«

263 talisieren. Dieser Eifer bot La Peyre`re sicher gute Möglichkeiten, um auf dieser Folie seine spiritualistischen Gedanken zu präsentieren. Seine anschließende Verbildlichung der heilsgeschichtlichen Dichotomie in Juden und ›Völker‹ als Adamiten und Präadamiten in seinen Prae-Adamitae (1655) bot hingegen vor allem seinen Gegnern eine willkommene Angriffsfläche, um ihm nur auf dieser Ebene begegnen zu müssen.

VII. Fazit Abschließend soll ein kurzes Fazit gezogen werden, in dem in sechs Punkten die Hauptergebnisse dieser Studie thesenhaft zusammengefaßt werden. In diesen Thesen werden vor allem die Themen Bibelkritik, Philosemitismus und Patronage nochmals eingehender rekapituliert. Grundsätzlich lassen sich aber schon eingangs zwei wichtige Punkte deutlich festhalten, die zu einer Neubewertung von La Peyre`res Werk und Person führen. Wenn man ›die Juden‹ in La Peyre`res Du Rappel des Juifs (1643) im Sinne der modernen Begriffsbedeutung des 19. und 20. Jahrhunderts auffaßt, so ist es naheliegend, im Fall des Autors La Peyre`re einen marranischen Hintergrund zu wittern und ihn selbst zu den Juden zu zählen. Betrachtet man hingegen die Chiffre ›Jude‹, wie sie für die Kontroversen der Gelehrtenrepublik des 16. und 17. Jahrhunderts typisch ist, so wurde deutlich, daß es hier um die Auslegung des Römerbriefes geht und somit um die Frage, was die ›wahre‹ christliche Kirche ist und wie man das ewige Seelenheil erlangt. Wir befinden uns also mit diesem Werk mitten in der christlichen Kontroverse und nicht etwa außerhalb. Darüber hinaus ist deutlich geworden, daß ein Konfessionalisierungsmodell, das für Frankreich zu Zeiten des Ediktes von Nantes von zwei starren Lagern aus Katholiken und Protestanten ausgeht, eine Figur wie La Peyre`re nicht fassen kann. Vielmehr muß man ihn dann entweder ins atheistische Feld verbannen oder ihn zu den Juden zählen. Das differenzierte Bild der konfessionellen Vielfalt Europas im 17. Jahrhundert, wie es diese Studie aufgezeigt hat, vermag in La Peyre`re hingegen einen christlichen Spiritualisten auszumachen, dessen konfessionelle Indifferenz gerade Ausdruck seines spezifisch christlichen Bekenntnisses ist.

1. Desiderate der bisherigen Forschung Die bisherige Forschung kennt vor allem zwei Zuschreibungen für den animal fantastique La Peyre`re. Im ersten Fall sind seine recht heterodoxen Freiheiten im Umgang mit der Bibel Anzeichen für seinen ›gelehr-

265 ten Libertinismus‹, um nicht zu sagen für einen eklatanten Atheismus. Im zweiten Fall wird sein auffälliges Interesse an den Juden als Philosemitismus gedeutet und als unterschwelliges Eingeständnis gewertet, selbst ein halber Jude zu sein. Beide von der Forschung vertretenen Deutungsmuster als libertin e´rudit oder als Philosemit bedingen sich, wie wir gesehen haben, aus ihrem jeweiligen Forschungskontext. Obwohl sich beide Deutungen inhaltlich gegenseitig ausschließen, sind die wissenschaftgeschichtlichen Parallelen der Forschungskontexte geradezu frappant: Beide Begriffe bildeten sich im 19. Jahrhundert heraus und wurden pejorativ gebraucht. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts wurden beide jedoch ins Positive gewendet: Der libertin war nicht länger der Wegbereiter der französischen Revolution und damit des politischen Umsturzes, sondern wurde als Vorläufer der Aufklärung im Sinne einer klassischen Ideengeschichte als Fortschrittsgeschichte gesehen. Der Philosemit verlor ebenfalls seine negative Aufladung und bekam den fortschrittlichen Anstrich des in religiösen Dingen Toleranten. Beide Begriffe sind dennoch sehr diffus und sicher schon deshalb so erfolgreich gewesen. Denn die durchaus schwierige Einordnung von La Peyre`res Position schien erreicht, zumal in beiden Fällen der von seinen Zeitgenossen Verschmähte eine späte Rehabilitierung erfuhr, indem er zu einem zaghaften Vorkämpfer späterer Entwicklungen avancierte. Erst in der Synthese, wie sie Popkin vorgeschlagen hat, wurde der Widerspruch überwunden, der in der gegensätzlichen Zuschreibung als libertin und Philosemit zu liegen scheint. Dabei hatte Popkin zu Recht auf die theologischen Implikationen hingewiesen, die den frühneuzeitlichen Skeptizismus prägen. In der Wiederaufnahme der Definition des Marranen, wie sie Gebhardt vorgelegt hatte, bot sich Popkin die Möglichkeit, die Heterodoxie des Libertinismus mit der Nähe zum Jüdischen eines Philosemiten zu verbinden. Faßte man La Peyre`re nun als Marranen auf, so war es nicht weiter verwunderlich, daß in seinen Schriften höchst auffällige und seltsame theologische Ideen vorgetragen werden. Diese theologischen Inkongruenzen waren vielmehr durch diese Zuschreibung quasi schon erklärt und bedurften keiner weiteren Klärung. Es schien nämlich auszureichen, darauf aufmerksam zu machen, daß die Betonung des Jüdischen bei La Peyre`re ein Reflex auf die innerjüdische Tradition eines Jehuda Halevi sei und La Peyre`res jüdisches Denken unterstreiche. Eine Verortung in den christlichen Debatten des 17. Jahrhunderts blieb somit allerdings aus. Gerade durch diese scheinbare Theologisierung der Debatte um den Libertinismus wurde also eine Immunisierung gegenüber dem christlich Theologischen erreicht. In dieser Weise ist die Marranenthese Popkins ebenfalls eine Sackgasse in der Kontextualisierung der Werke von La Peyre`re. Alle bisherigen Ansätze der Forschung begehen zudem den Fehler, in einer Art Genieästhetik die

266 Möglichkeiten eines Gelehrten des 17. Jahrhunderts losgelöst von seiner sozialen Eingebundenheit in Patronagenetzwerke zu betrachten.

2. Chancen und Grenzen frühneuzeitlicher Patronage Diese Arbeit hebt die Patronagebeziehungen für das gelehrte Agieren von La Peyre`re hervor und bewegt sich in den Bahnen der neueren Kulturgeschichte des Wissens. Dadurch konnte gezeigt werden, wie sehr La Peyre`res publizistisches Wirken in direktem Zusammenhang mit seiner Verbundenheit zu den Prinzen Conde´ steht, für den er Bordeaux verließ. Paris brachte La Peyre`re nicht nur die Möglichkeit, mit anderen Gelehrten in Kontakt zu treten, es setzen sogar zeitgleich auch die frühesten Zeugnisse seiner Schriften ein. Die Zugehörigkeit zu der mächtigen Maison Conde´ bot ihm dafür nicht nur die ideellen wie materiellen Bedingungen, sie sicherte ihm auch die körperliche Unversehrtheit. Das zeigt sich besonders deutlich im Zusammenhang mit seinen skandalösen Veröffentlichungen in den 1650er Jahren. Nicht nur lassen sich viele Motive in La Peyre`res Du Rappel des Juifs (1643) über dessen Klientelbeziehung erklären. Es lassen sich sogar zahlreiche der zu konstantierenden Diskontinuitäten in La Peyre`res Gesamtwerk über die Veränderungen in Conde´s Lebensweg erstmals schlüssig motivieren. Allerdings gehört es zu der gegenseitigen Legitimation frühneuzeitlicher Patronagebeziehungen, daß der Klient zwar die Interessen seines Patrons verfolgen mußte, aber sein Werk darin nicht aufgeht. La Peyre`re war also nicht nur ein Rädchen in der ›Propagandamaschinerie‹ Conde´s, sondern wußte die ihm über seinen Patron gebotenen Veröffentlichungschancen einerseits zu bedienen, sie gleichzeitig aber auch für seine eigenen Belange zu nutzen. Es ist sogar der Kernbestand von La Peyre`res Konzepten, der nicht in den Zielen seines Patrons aufgeht. Zwar gibt es hier klare Überschneidungen, etwa in den irenischen Bemühungen um eine Kircheneinigung oder in der Opposition zu den Jansenisten. Doch bereits die Betonung der Rolle des Königs oder des Papstes gehört zu den Motiven in seinen Schriften, die zeitgebunden so oder eben anders gefüllt werden.Erst recht gilt dies aber für La Peyre`res Interesse an den Juden, das sich nicht ausschließlich über die ›henotischen‹, irenischen Interessen Conde´s herleiten läßt. Letztlich konnte La Peyre`re 1643 in Du Rappel des Juifs unter der Obhut des Prinzen Conde´, des »plus cruel ennemi« der Hugenotten, sehr wohl protestantische Gedanken propagieren und auch 1655 in den Prae-Adamitae seine sehr spezielle Lösung eines im Grunde aus dem Erbe der radikalen Reformation inspirierten Projektes vortragen.

267 Ein Gelehrter des frühen 17. Jahrhunderts profitierte also von seinem Patron, dieser konnte ihm womöglich selbst das Leben retten, er erlaubte ihm aber auch eine gewisse wissenschaftliche Selbständigkeit. Natürlich mußte der Klient dazu bisweilen das Mittel der Dissimulation gebrauchen und ambige Schreibpraktiken verwenden, gerade auch die Strategie der anonymen Veröffentlichung bot sich ihm an. Diese Maßnahmen waren jedoch nicht nur Mittel, um die eigene Nichtgläubigkeit zu kaschieren, sondern boten sich eben auch dazu an, theologische Randpositionen umso erfolgreicher in Umlauf zu bringen.

3. La Peyre`res Interesse an den Juden Die Auslegung des neutestamentlichen Römerbriefes bildet den Rahmen von La Peyre`res theologischem Gebäude. La Peyre`res grundsätzliche Frage ist diejenige nach dem ›Heil der Ungläubigen‹. Wenn aufgrund der Lektüre von Röm 9–11 und dem Johannesevangelium (Joh 4,22) die Überlegung brennend vor Augen stand, daß das Heil eigentlich den Juden zukomme, so muß die Frage nach dem salut des infidelles im Sinne La Peyre`res präzisiert werden als die Frage nach dem salut des pre´adamites, mithin nach dem salut des chre´tiens. Besonders deutlich wird dies im Rappel des Juifs (1643), wo im Gegensatz zu Prae-Adamitae (1655) und den Schriften zu Grönland (1647) und Island (1663) die heilsgeschichtliche Perspektive nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft gerichtet wird. Die nur mittelbare Erlösung der ›Völker‹ respektive Präadamiten werde durch die Wiedererwählung der Juden respektive Adamiten ihre Vollendung erfahren in der Ausgießung des Geistes (Joel 2,29). Die Konstante in La Peyre`res Gesamtwerk ist diese Frage nach dem Verhältnis von Juden und ›Völkern‹, und diese läßt sich bis in seine späten Schriften verfolgen. Sie kulminiert dort am deutlichsten in der doppelten Lektüre der Heiligen Schrift, wie sie La Peyre`re auch schon in seinem Rappel des Juifs (1643) praktizierte. Er favorisiert damit den bibelhermeneutischen Spagat, einerseits sehr wohl eine wörtliche Lektüre für die Juden zu haben und dennoch eine zweite mystische Lektüre für die Christen fordern zu können. Es ist seine Lösung, das Alte Testament für das Christentum zu retten, Alten Bund mit Neuem Bund zu vereinen und konkret die Aufhebung bei gleichzeitiger Nichtaufhebung des (jüdischen) Gesetzes im (christlichen) Evangelium durchzubuchstabieren. La Peyre`re kommt so zu einer Rekonziliation von Judentum und Christentum, die von dem Glauben lebt, daß im und durch den ›Rückruf der Juden‹ der Triumph der Kirche eingeläutet wird, an dessen Ende ›ganz Israel‹ gerettet werde.

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4. Konfessionalisierung und Indifferenz Die Frage nach La Peyre`res Interesse an den Juden verbindet sich mit der Klärung des Begriffs ›Jude‹ in seinem Werk. Ganz im Sinne einer christlichen Römerbriefexegese kennt La Peyre`re letztlich zwei Bedeutungen von ›Juden‹, wörtlich gelesen als direkte Nachkommen ihres Stammvaters Abraham, im übertragenen Sinne als die Gruppe der erwählten Kinder Gottes, als »Juifs au dedans«. Im Verlauf seines Rappel des Juifs (1643) verkehrt sich entsprechend der johanneische Vers ›Das Heil kommt von den Juden‹ in ein »le Salut des Iuifs sera des Gentils« (Buch IV, S. 289). Der wahre Christ ist ein ›innerer Jude‹ und entsprechend müssen die Juden ebenfalls ›innere Juden‹, also Christen, werden, um gerettet zu werden. Deutlich erkennt man die reformierten Wurzeln seiner Argumentationen, die selbst in seinen späteren Werken nach seiner Konversion schärfer zutage treten als etwa katholische Beeinflussungen. Das zeigt sich schon an seiner ausschließlich biblischen Argumentation (sola scriptura) in Du Rappel des Juifs (1643). La Peyre`res starke Dichotomie der Weltbevölkerung in Juden und die übrigen ›Völker‹ ist durchdrungen von einer Prädestinationslehre. Sein Konzept der Erwählung bewegt sich zudem in Bahnen eines protestantischen ›allein durch den Glauben‹ (sola fide) sowie ›allein durch die Gnade‹ (sola gratia). Darüber hinaus gilt auch für die Juden die Erwählung und Erlösung in und durch Christus (solus Christus). Deshalb betont La Peyre`re die Möglichkeit eines ›impliziten Glaubens‹, den Gott auch demjenigen schenkt, der Christus nicht kennen konnte und kann. La Peyre`re zeigt jedoch auch deutliche Anzeichen einer übersteigerten Calvinrezeption. Er steht somit nicht nur in der Auseinandersetzung um das Erbe Calvins, sondern auch in der Nachfolge der ›Schwärmer‹, der ›radikalen Reformation‹ und damit der konfessionell Indifferenten. Diese Tradition ist es auch, die La Peyre`re über den Konfessionen stehen läßt, jedoch nicht über der christlichen Religion – wie es sowohl die Forschungsrichtungen des libertinage e´rudit oder auch einer Marranenthese nahelegen würden. Im Vergleich zu Felgenhauer, Charpy de Sainte-Croix oder Morin ist allerdings La Peyre`re nur ein vergleichsweise gemäßigter Spiritualist. Die hier vorgestellte Neuverortung La Peyre`res als libertin spirituel führt somit zu einer Entmystifizierung seiner Thesen und entzieht ihm den Nimbus des obskuren Denkers.

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5. Polemik in der Gelehrtenrepublik Es hat sich gezeigt, daß die frühe Rezeption, die sich vor allem an La Peyre`res Bibelkritik abarbeitete, wie er sie in seiner Präadamitenthese vertrat, nicht als Beweis für die übergroße Relevanz dieses Punktes für La Peyre`res Werk mißverstanden werden darf. Vielmehr ist deutlich, daß sich seine Gegner wohl hauptsächlich dieses Punktes bedienten, weil er am leichtesten zu widerlegen war. Zwar traf La Peyre`res freier Umgang mit der Bibel besonders auf protestantischer Seite aufgrund der Prämisse der sola scriptura einen gewichtigen theologischen Sachverhalt. Dennoch war diesem Punkt leichter zu begegnen als etwa La Peyre`res Christologie oder seiner Erlösungslehre. Denn es war aus der Perspektive des 17. Jahrhunderts leichter, der Vorstellung von Präadamiten zu begegnen als etwa dem Konzept einer Deifikation des Gläubigen. Wollte man den Fall La Peyre`re einmal als Leseanleitung für die gelehrte Auseinandersetzung im Rahmen der Gelehrtenrepublik insgesamt auffassen, so ließe sich zugespitzt für die frühneuzeitliche Polemik formulieren: Hier wird nicht der eigentliche Punkt benannt, vielmehr wird ein leicht ausräumbarer Nebenschauplatz explizit angesprochen, um auf den eigentlichen Punkt, der eine größere Schwachstelle bloßgelegt und einen viel empfindlicheren Nerv getroffen hätte, gar nicht erst eingehen zu müssen. Für die defensive Polemik läßt sich das allemal feststellen, doch selbst in der offensiven Polemik belassen es die frühneuzeitlichen Gelehrten, soweit es ihnen möglich scheint, dabei, ein Scheinproblem zu verhandeln, während sie den eigentlichen Konfliktherd gar nicht erst benennen.

6. La Peyre`re und das 17. Jahrhundert Der Anteil der Patronage am Werk eines Gelehrten, die differenziertere Sicht auf das Spektrum der Bekenntnisse im 17. Jahrhundert und die spezifischen Mechanismen in den Praktiken der gelehrten Auseinandersetzung, wie sie hier vorgestellt wurden, haben Konsequenzen für die allgemeine Verortung La Peyre´res in der Geistesgeschichte des 17. Jahrhunderts. Es sei deshalb nochmals an den griffigen Dreiklang von Journet, La Peyre`re und Bayle erinnert, der quasi über dieser Studie stand. Anthony Grafton hatte damit die Entwicklung innerhalb der Wissenschaft charakterisieren wollen und La Peyre`re dabei geradezu revolutionäre Bedeutung zugeschrieben.1 1

Anthony Grafton: Defenders of the Text. The Tradition of Scholarship in an Age of Science, 1450–1800. Cambridge (Mass.), London 1991, S. 205.

270 Natürlich gab es in dieser Zeit allgemeine und bisweilen dramatische Umbrüche in Theologie und Wissenschaft, doch hinkt letztlich Graftons Vergleich. Zwar sind Journet, La Peyre`re und Bayle alle drei französische Reformierte. Allerdings publizierte bereits La Peyre`re in Amsterdam und der Refugie´ Bayle hatte sogar Frankreich für immer verlassen. Sicher markieren diese drei Gelehrten die Zeit vor, während und nach dem Toleranzedikt von Nantes (1589–1685) und stehen somit idealtypisch für drei verschiedene Stadien der französischen Konfessionsgeschichte. Doch versteht sich diese Arbeit als ein Plädoyer gegen derart simplifizierende Modelle einer gradlinigen Entwicklung des modernen Geistes, wie sie letztlich auch Grafton insinuiert. Und das nicht nur, weil allein die Hinrichtung des Spiritualisten Simon Morin in Paris im Jahr 1663 Graftons Dreiklang ins Moll verfärbt: Morin ereilte das gleiche Schicksal wie Journet 81 Jahre nach dessen Hinrichtung im Jahr 1663 und 34 vor dem Erscheinen des Bayleschen Dictionnaire historique et critique im Jahr 1697 – aber eben selbst noch sieben Jahre nach dem Erscheinen der Prae-Adamitae im Jahr 1655. Man wird La Peyre`res Anteil »in the making of the modern mind« entsprechend geringer ansetzen müssen. Bereits Patin urteilte in einem Brief an Spon im September 1643 über Du Rappel des Juifs, indem er schrieb, La Peyre`re erzähle dort »de fort belles chansons qui vous feront pitie´ quand vous les verrez. Il y a ne´anmoins aussi quelque chose de bon. Sunt bona, sunt quaedam mediocria, sunt mala multa etc.«.2

2

Lettres de Gui Patin (1630–1672). Nouvelle e´dition collationne´e sur les manuscripts autographes, publie´e avec l’addition des lettres ine´dites, la restauration des textes retranche´s ou altere´s, et des notes biographiques, bibliographiques, et historiques. Hg. v. Paul Triaire. 1 Bd. Paris 1907, Nr. XCVII, S. 335.

VIII. Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Abkürzungen (Abkürzungen biblischer Bücher orientieren sich an der Einheitsübersetzung. Frühneuzeitliche Wörterbücher haben ihren Namensgeber als Sigle.) ACDF AJS APF ASV BAV BnF BW DH DThC FS HZ KB LThK NCE RGG SIB SVRG TRE UB Ueberweg ZHF

Archiv der Glaubenskongregation, Vatikanstadt Association for Jewish Studies Archiv der Propaganda Fide, Vatikanstadt Vatikanisches Geheimarchiv, Vatikanstadt Vatikanische Bibliothek, Vatikanstadt Französische Nationalbibliothek, Paris Briefwechsel Denzinger, Hünermann: Kompendium der Glaubensbekenntnisse Dictionnaire de The´ologie Catholique Festschrift Historische Zeitschrift Königliche Bibliothek Lexikon für Theologie und Kirche New Catholic Encyclopedia Religion in Geschichte und Gegenwart Studies of the Institute Pierre Bayle, Nijmegen Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Theologische Realenzyklopädie Universitätsbibliothek Ueberweg. Geschichte der Philosophie Zeitschrift für Historische Forschung

272

2. Unveröffentlichte Quellen Chantilly Muse´e Conde´ Ms. 191 Ms. 192 Ms. 193 M. XIX, fol. 163, 209 u. 244 M. XXVIII, fol. 508 M. XXIX, fol. 3 M. XXXI, fol. 311 P. XV, fol. 347–354 P. XVII, fol. 29 P. XVII, fol. 541

Des Iuifs elus, rejete´s et rapele´s Du rappel des Juifs (Fragment) Reˆponse de Lapeyre`re, aux calomnies de Des Marais, Ministre de Groningue B. de La Peyre`re an Perraut 1640 Conde´ an d’Enghien 18. Juli 1643 Conde` an d’Enghien 20. Juli 1643 La Milletie`re an d’Enghien 8. Oktober 1644 Me´moire de Namur = Me´moire et lettre adresse´es par La Peyre`re a` Conde´, Namur, 8. Oktober 1655 Marigny an Conde´ 17. Februar 1657 De Saller an Conde´ 29. September 1657

Dijon Bibliothe`que Municipale Ms 839 (1670) Ms 839 (1673) Ms 839bis (1676) Ms 839bis (1682)

Me´moires de Philibert de La Mare. 1670–1682

Paris Bibliothe`que Nationale de France (BnF) Coll. Balluze 325, fol. 63–68 Coll. Dupuy 730, fol. 155 Fonds franc¸ois 6728, Nr. 20 Fonds fr. 9778, fol. 33 Fonds fr. 15827, fol. 149 Fonds fr. 15827, fol. 162 Moreau 845, fol. 144–145

Verurteilung der Prae-Adamitae in Aix Chr. an J. Dupuy 1. Mai 1644 Conde´ an Saller 10. Juni 1656 Chr. Dupuy an Boulliau 5. Januar 1646 Dugonne an Galland 24. September 1626 Alba an Galland 30. September 1626 Abschwörung von La Peyre`re

Bibliothe`que Mazarine Mss Nr. 4179–4183

Catalogus Bibliothecae Seminarii St. i Sulpitii materiarum ordine dispositus

Dublin Trinity College Ms 1235

Liber sententiarum et abjurationum, 1657

Kopenhagen Det Kongelige Bibliotek (KB) Thott 1208 4° c

Morin du Sandat an Bayle

6. April 1696

273 Leiden Universiteitsbibliotheek (UB) BPL 301 fol. 152

Petit an Rivet

29. April 1643

Rom Biblioteca dell’Accademia Nazionale dei Lincei Dal Pozzo 31, fol. 31 Dal Pozzo 31, fol. 116 Dal Pozzo 31, fol. 119

Bourdelot an Dal Pozzo Bourdelot an Dal Pozzo Bourdelot an Dal Pozzo

7. August 1640 6. November 1643 25. Dezember 1643

Vatikanstadt Archivio Storico della Congregazione per l’Evangelizzazione del Popoli o »de Propaganda Fide« (APF) Acta 1657 Indice Generale 1657–1664

Akten der Kongregation

Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede (ACDF) Index Diarium VI Akten der römischen Indexkongregation Index Prot. FF–LL (IIa 28–34) S.O. Decreta 1657 Akten der römischen Inquisition S.O. Decreta 1659 Archivio Secreto Vaticano (ASV) Segr. Stato Fiandra 40 Segr. Stato Fiandra 142

Nuntiaturakten

Biblioteca Apostolica Vaticana (BAV) Barb. Lat. 6471, fol. 22 Barb. Lat. 6524, fol. 33

Naude´ an Barberini Bourdelot an Barberini

16. Mai 1642 24. Juni 1644

274

3. La Peyre`res gedruckte Werke Du Rappel des Juifs (1643)

[Anonym:] Du Rappel des Juifs. o.O. 1643.

Relation du Groenland (1647) [Anonym:] Relation du Groenland. Paris 1647. La bataille de Lents (1649)

[Lapeyrere:] La bataille de Lents. Paris 1649.

Prae-Adamitae (1655)

[Anonym:] Prae-Adamitae sive exercitatio super versibus duodecimo, decimotertio et decimoquarto, capitis quinti Epistolae D. Pauli ad Romanos quibus inducuntur primi homines ante Adamum conditi. o.O. 1655.

Systema theologicum (1655)

[Anonym:] Systema theologicum ex Praeadamitarum hypothesi. Pars Prima. o.O. 1655.

Epistola ad Philotimum

I. Peyrerii epistola ad Philotimum, qua exponit rationes propter quas ejuravit sectam calvini, quam profitebatur, et librum de Praeadamitis quem ediderat. Rom 1657. I. Peyrerii epistola ad Philotimum, qua exponit rationes propter quas ejuravit sectam calvini, quam profitebatur, et librum de Praeadamitis quem ediderat. Frankfurt 1658. Lettre de la Peyre`re a` Philotime dans laquelle il expose les raisons qui l’ont oblige´ a` abjurer la secte de Calvin qu’il professoit, et le livre des Pre´adamites qu’il avoit mis au jour. Paris 1658.

[La Peye`re:] Lettre a` M. le Comte de la Suze pour l’obliger par raison a` se faire Catholique. Paris 1660. Recueil de lettres (1661)

[La Peye`re:] Recueil de lettres escrites a` M. le Comte de la Suze. Pour l’obliger par raison a` se faire Catholique. Paris 1661.

Suite de letres (1662)

[La Peye`re:] Suite de letres a` M. le Comte de la Suze pour l’obliger par raison a` se faire Catolique. Paris 1662.

Apologie de la Peyre`re (1663)

Apologie de la Peyrere. Paris 1663.

Relation de l’Islande (1663)

[La Peyre`re:] Relation de l’Islande. Paris 1663.

Eine Beteiligung La Peyre`res wird zugeschrieben zu: [Michel de Marolles:] Le livre de la Gene`se en Hebreu Beresith. Paris 1671.

275

4. Werke bis 1800 (Quelleneditionen neueren Datums werden ebenfalls hier eingeordnet.) Amyraut, Moy¨se: Du regne de mille ans ou prosperite´ de l’Eglise. Saumur 1654. Arckenholtz, Johann: Historische Merkwürdigkeiten, die Königinn Christina von Schweden betreffend. 4 Bde. Leipzig 1751–1760. Arnauld, Antoine: Oeuvres. 43 Bde. Bruxelles 1964–67 [ND Paris 1775–83]. Arroy, Besian: Les solides veritez de la sagesse. Contre les erreurs des libertins de ce temps, appelle´s Esprits forts. Paris 1634. – Questions decide´es, Sur la Iustice des Armes des Rois de France, sur les Alliances auec les heretiques ou infidelles, & sur la conduite de la Conscience des gens de guerre. Paris 1634. [Arroy, Bezian:] Le Mercure Espagnol ou Discours contenans les responses faites a` un libelle intitule´ Mars Franc¸ois, fabrique´ par un sujet des Espagnols, se donnant les nom suppose´ d’Alexandre Patrice Armacan, & a faux le tiltre de Theologien: Ensemble les remarques de la Religion, pretexte des Espagnols, dans l’avant discours, & un rapport entre les Franc¸ois & les Espagnols, a` la fin de ce livre. o.O. 1639. Aubery du Maurier, Louis: Me´moires pour servir a` l’histoire de Hollande, et des autres Provinces Unies. Paris 1680. Aubery, Antoine: De la preeminence de nos Roys. Paris 1649. – Des justes pre´tentions du Roi sur l’Empire. Paris 1667. Aymon, Jean: Tous les synodes nationaux des e´glises reforme´es de France, auxquelles on a joint des mandemens royaux, et plusieurs lettres politiques. Bd. 2. La Haye 1710. [Bayle, Pierre:] Projet et fragmens d’un Dictionaire critique. Rotterdam 1692. Bayle, Pierre: Dictionaire historique et critique. 2 Bde. Rotterdam 1697. – Dictionaire historique et critique. 4 Bde. Rotterdam 1720. Bible de Gene`ve = La Sainte Bible, qui contient le vieux et le nouveau Testament. Edition nouvelle, faite sur la Version de Gene`ve, reveue¨, & corrige´e. Amsterdam 1679. Biographia Gallica: or, the lives of the most eminent French writers of both sexes. 2 Bde. London 1752. Bruys, Franc¸ois: Me´moires historiques, critiques et litte´raires. 2. Bde. Paris 1751. Buchanan, George: Psalmorum Davidis paraphrasis poetica. nunc prima edita. [Genf 1566]. Calvin, Jean: Institution de la religion chrestienne. Hg. v. Jean-Daniel Benoit. 4 Bde. Paris 1957–1961. – Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae religionis. Neukirchen-Vluyn 61997. – Calvin-Studienausgabe. Hgg. v. Eberhard Busch u. a. 5 Bde. Neukirchen-Vluyn 1994–2007. – Opera Omnia. Abt. IV. Scripta didactica et polemica. Bd. 1. Hg. v. Mirjam van Veen. Gene`ve 2005. Fra Tommaso Campanella ne’Castelli di Napoli in Roma ed in Parigi. Hg. v. Luigi Amabile. Bd. 2. Napoli 1887. Cappel, Louis: Critica sacra, sive de variis quae in sacris veteris Testamenti libris occurunt lectionibus. Libri Sex. Paris 1650. Chapelain, Jean: Les lettres authentiques a` Nicolas Heinsius (1649–1672). Une amitie´ e´rudite entre France et Hollande. Hg. v. Bernard Bray. Paris 2005 (Bibliothe`ques des correspondances, me´moires et journaux 22). [Charpy de Sainte-Croix, Nicolas:] L’Ancienne Nouueaute´ de l’Escriture Sainte, ou l’E´glise triomphante en terre. o.O. 1657

276 Chigi, Fabio: La correspondance antijanse´niste. Hg. v. Aime´ Legrand, Lucien Ceyssens. Bruxelles, Rome 1957 (Bibliothe`que de l’Institut historique belge de Rome 8). [Conde´, Heinrich II. von:] Remarques Chrestiennes et Catholiques sur le livre de la Frequente Communion. Paris 1644. [Conti, Armand de Bourbon, Prinz:] The`ses the´ologiques de la graˆce et de l’eucharistie signe´es et approuve´es par monsieur le coadjuteur de Paris et par le syndic de la faculte´, et soutenues par monseigneur le prince de Conty. Paris 1646. Die Schriften des Uriel da Costa. Hg. v. Carl Gebhardt. Amsterdam 1922 (Bibliotheca Spinozana 2). Clavis Apocalyptica: Or, the Revelation Revealed: in which the great Mysteries in the Revelation of St. John, and the Prophet Daniel are opened; It beeing made apparent that the Prophetical Numbers com to an end with the Year of our Lord 1655. London 1651. Descartes, Rene´: Oeuvres. Hgg. v. Charles Adam, Paul Tannery. Bd. 7. Paris 1907. Deschamps, Etienne: Tradition de l’Eglise catholique et de l’eglise des he´re´tiques du denier sie`cle: sur la doctrine de Janse´nius touchant le libre arbitre et la graˆce. Paris 1688. Desmarets, Samuel: Refutatio Fabulae Prae-Adamiticae, editio altera. Groningen 1656. Desmarets de Saint-Sorlin, Jean: Clovis, ou la France chrestienne. Poeme heroique. Paris 1657. Drake, Thomas: The Worlds Resurrection, Or The generall calling of the Iewes. London 1608. Drelincourt, Charles: Traitte´ des iustes causes de la separation des protestans d’auec l’Eglise Romaine. Paris 1649. Dury, John: Israels Call to March out of Babylon unto Jerusalem. London 1646. Dupuy, Christophe: Humanisme et politique. Lettres romaines de Christophe Dupuy a` ses fre`res. Hgg. v. Kathryn Willis Wolfe, Phillip J. Wolfe. Bd. 1 (1636–1645) u. 2 (1646–1649). Paris u. a. 1988–1997 (Biblio 17 39 u. 103). Englands Thankfulnesse, Or An humble Remembrance Presented to the Committee for Religion in the High Court of Parliament. London 1642. Eusebius Romanus [=Philippe Le Prieur]: Animadversiones in librum Praeadamitarum. Paris 1656. Evans, Arise: A Voice from Heaven, to the Common-wealth of England. o.O. 1652. – Light for the Jews Or, The Means to convert them. London 1664. Evelyn, John: The State of France. As it stood in the IXth yeer of this present Monarch Lewis XIII. Written to a Friend. London 1652. Felgenhauer, Paul: Bonum Nuncium Israeli Quod offertur Populo Israeli & Iudae in hisce temporibus novissimis de Messiah. Amsterodami 1655. – Anti-PraeAdamita. Prüfung Über das Lateinische in Truck ausgegangene Buch dessen Titul ist PraeAdamitae Daß vor Adam auch sollen Menschen gewesen seyn. Amsterdam 1659. Fell, Margaret: For Menasseth Ben Israel. The Call of the Jews out of Babylon. London 1656. [Finch, Henry:] The Worlds Great Restauration. Or The Calling of The Iewes, and (with them) of all the Nations and Kingdomes of the earth, to the faith of Christ. London 1621. Fuller, Thomas: A Pisgah-Sight of Palestine and the Confines thereof. London 1651. Furetie`re, Antonie: Dictionaire universel. 3 Bde. Gene`ve 1984 [ND Den Haag 1690]. – Dictionnaire universel. 4 Bde. Hildesheim u. a. 1972 [ND Den Haag 1727]. Garasse, Franc¸ois: La doctrine curieuse des beaux esprits de ce temps, ou pretendus tels, Paris 1623. Goethe, Johann Wolfgang: Sämtliche Werke. Bd. 19. München 1986. Le Grand Dictionnaire des Arts et des Sciences par M. de l’Academie Franc¸oise. 4 Bde. Paris 1695.

277 Grotius, Hugo: De origine gentium Americanarum. dissertatio altera. Paris 1643. – Opera omnia theologica, Bd. 1, London 1679. Briefwisseling van Hugo Grotius. Hgg. v. P.C. Molhuysen u. a. 17 Bde. Den Haag 1928–2001. Habert, Isaac: De l’union de l’Eglise avec l’Etat, ouvrage compose´ en latin contre le livre d’Optatus Gallus. Paris 1641. Hermant, Godefroi: Me´moires sur l’histoire eccle´siastique du XVIIe sie`cle (1630–1663). Hg. v. A. Gazier. Bd. 1. Paris 1905. [Hersent, Charles:] Optati Galli de Cavendo schismate ad illustrissimos ac reverendissimos Ecclesiae gallicanae primate, archiepiscopos, episcopos, liber paraneticus. o.O. 1640 Hersent, Charles: De la frequente Communion et du legitime usage de la penitence. Paris 1644. Huygens, Christiaan: Oeuvres comple`tes. 22 Bde. La Haye 1888–1950. Le se´jour de Christian Huygens a` Paris et ses relations avec les milieux scientifiques franc¸ais. Hg. v. Henri L. Brugmans. Paris 1935. [Anonym:] Imitation et amplification de l’eglogue faite en latin par le Pere Campanelle, sur la naissance de Monseigneur le Dauphin. o.O. o.D. [Jakob I. von England:] The Kings Maiesties speach to the Lords and Commons of his present Parliament at Whitehall, on Wednesday the xxj. of March. Anno Dom. 1609. London 1609. – The Kings Maiesties Declararion to His Subiects, concerning lawfull Sports to be vsed, London 1618. [Jansenius, Cornelius:] Alexandri Patricii Armacani, Theologi, Mars Gallicus, Seu de Iustitia Armorum, Et Foederum Regis Galliae, Libri Duo. o.O. 1635. – Le Mars Franc¸ois ou la Guerre de France, En laquelle sont examine´es les raisons de la Iustice pretendue des Armes, & des Alliances du Roi de France. Mises au jour par Alexander Patricius Armacanus Theologien; Et traduites de la troisieˆme Edition, par C.H.D.P.D.E.T.B. [sc. Charles Hersent]. o.O. 1637. [Jessey, Henry:] A narrative of the late Proceeds at White-Hall concerning the Jews, London 1656. Jöcher, Christian Gottlieb: Allgemeines Gelehrten-Lexicon. 4 Bde. u. 7 Supp.-Bde. Hildesheim 1960–61 [ND Leipzig 1750–1897]. Jurieu, Pierre: A critical history of the doctrines and worships (both good and evil) of the Church from Adam to our Saviour Jesus Christ. 2 Bde. London 1705. Knuttel, W.P.C.: Catalogus van de pamfletten-verzameling berustende in de Koninklijke Bibliotheek. 9 Bde. ’s-Gravenhage 1978. La Caille, Jean de: Histoire de l’imprimerie et de la librairie. Ou` l’on voit son origine & son progre´s, jusqu’en 1689. Paris 1689. La Milletie`re, The´ophile Brachet de: Discours des moyens d’establir vne paix en la chrestiente´ par la reunion de l’Eglise pretendue¨ reformee a` l’Eglise Romaine. Paris 1635. – La facilite´ de reunir et de reformer l’Eglise. Paris 1642. – Discours au synode des Eglise reformees de France. Contenenat la proposition des causes necessaires de leur reunion a` l’Eglise Catholique. o.O. 1645. – Declaration des causes de sa conversion a` la Foy Catholique, & de son entree en la Communion de l’Eglise. Paris 1645. – Instruction a` tout protestant, qui a le iugement sain, & la conscience droicte, pour le reduire a` la Communion de l’Eglise Catholique. Paris 1646. La Mothe Le Vayer, Franc¸ois: De la vertu des Payens. Paris 1642. [Lee, Samuel:] Israel Redux: Or the Restauration of Israel. London 1677. Me´moires de Pierre Lenet. Hg. v. Champoulion Figeac. Paris 1838 (Nouvelles collection des me´moires III/2). Le Gallois, Pierre: Conversations tire´es de l’Acade´mie de monsieur l’abbe´ Bourdelot. Paris 1674.

278 [Le Prieur, Philippe:] Animadversiones in librum Prae-Adamitarum. Paris 1656. Le Prieur, Philippe: Epistola ad clarissiumum virum Isaacum Peyrerium. Paris 1658. l’Estrange, Sir Hamon: Americans no Iewes, or improbabilities that the Americans are of that race. London 1652. Libertins du XVIIe sie`cle. Hg. v. Jacques Pre´vot. 2 Bde. Paris 1998 u. 2004. Marolles, Michel de: Me´moires. 2 Bde. Paris 1656–57. – Me´moires, 3 Bde. Amsterdam 1755. [Marolles, Michel de:] Le livre de la Gene`se en Hebreu Beresith. Paris 1671. Marot, Cle´ment, Theodor Beza: Les pseaumes mis en rime franc¸oise. [Genf] 1563. Martialis, Marcus V.: Epigrammata. Hg. v. Paul Barie´. Düsseldorf u.a 2002 (Sammlung Tusculum). Marvell, Andrew: The Character of Holland. London 1665. Maton, Robert: Israel’s Redemption, Or the Propheticall History of our Saviours Kingdom on Earth, That is , Of the Church Catholicke, and Triumphant. London 1642. – Israel’s Redemption Redeemed, Or, The Jewes generall and miraculous conversion to the faith of the Gospel, and returne into their owne Land: And our Saviours personall Reigne on Earth, cleerly proved. London 1646. – A Treatise of the Fifth Monarchy. or, Christ’s Personall Reigne on Earth, One Thousand Years with his Saints. London 1655. Choix de Mazarinades. Hg. v. Ce´lestin Moreau. 2 Bde. Paris 1853. Menagiana ou les bons mots, les pense´es critiques, historiques, morales & d’erudition de Monsieur Me´nage, recuellies par ses amis. Bd. 2. 2. Aufl. Paris 1694. Menagiana ou les bons mots, les remarques critiques, historiques, morales & d’e´rudition de Monsieur Me´nage, recueillies par ses amis, nouvelle edition. 4 Bde. Paris 1729. Menasse ben Israel: Conciliador. Francfurti 1632. – De Creatione Problemata XXX. Amstelodami 1635. – Primo Questionum in Genesis. Constantinopolus 1641. – De fragilitate humana ex lapsu Adami. Amstelodami 1642. – The Hope of Israel. London 1650. – The Hope of Israel. The English Translation by Moses Wall, 1652. Hgg. v. Henry Me´choulan, Ge´rard Nahon. Oxford 1987. – Piedra Gloriosa o de la estatua de Nebuchadnesar. Amsterdam 5415 [sc. 1655]. – To His Highness the Lord Protector. The humble Addresses in behalfe of the Jewish Nation. [1655]. – Vindiciae Judaeorum. o.O. 1656. – Gloria Adami oder Die Herrlichkeit des ersten Menschen. Übers. v. Daniel Springern. Breslau 1724. Mendelssohn, Moses: Gesammelte Schriften. Bd. 8. Stuttgart u. a. 1983. Mercure franc¸ois, ov, l’histoire de nostre temps, Sous le Regne du Tres-Chrestien Roy de France & de Navarre, Lovys XIII. Bd. 11. Paris 1626. Mersenne, Marin: L’impie´te´ des de´istes, athe´es et libertins de ce temps. Paris 1624. Correspondance du P. Marin Mersenne. Hgg. v. Cornelis de Waard u. a. 17 Bde. Paris 1932–1988. Mirus, August Georg: Vitam et fata Isaaci Peyrerii famosi praeadamitarum patroni maxime ex scriptis ipsius raris instaurat. Helmstedt 1764. Montecuccoli, Raimondo: Ausgewählte Schriften. 4 Bde. Wien, Leipzig 1899–1900. – I viaggi. Opera inedita. Hg. v. Adriano Gimorri. Modena 1924. Me´moires de Mlle de Montpensier. Hg. v. A. Che´ruel. Bd. 1. Paris 1858. More´ri, Louis: Le grand dictionnaire historique ou le me´lange curieux de l’histoire sacre´e et profane. 2 Bde. 5.Aufl. Lyon 1688. Me´moires de Mme de Motteville sur Anne d’Autriche et sa cour. Hg. v. Francis Maria Riaux. Bd. 1. Paris 1904.

279 Naudaeana et Patiniana, ou singularite´s remarquables prises des conversations de MM. Naude´ et Patin. 2. Aufl. Amsterdam 1703. Niceron, Jean-Pierre: Me´moires pour servir a` l’histoire des hommes illustres dans la Re´publique des Lettres. 6 Bde. Gene`ve 1971 [ND Paris 1729–1745]. Nicholas, Edward: An Apology of the honorable Nation of the Jews. London 1648. Nouvelles de la Re´publique des Lettres. 10 Bde. Gene`ve 1966 [ND Amsterdam 1684–1718]. Correspondence of Oldenburg = The Correspondence of Henry Oldenburg. Hgg. v. A. Rupert Hall, Marie Boas Hall. Bd. 1. Amsterdam 1965. Lettres choisies de Feu Mr. Guy Patin. Frankfurt 1683. Lettres choisies de feu Mr. Guy Patin. 3 Bde. Cologne 1691. Nouvelles Lettres de feu M. Gui Patin tire´es du cabinet de M. Charles Spon contenant l’histoire du tems et des particularitez sur la vie et les savans de son sie`cle. 2 Bde. Amsterdam 1718. Lettres de Gui Patin. Nouvelle e´dition augmente´e de lettres ine´dites, pre´cede´e d’une notice biographiques et litte´raires. Hg. v. J.-H. Reveille´-Parise. 3 Bde. Paris 1846. Lettres de Gui Patin (1630–1672). Nouvelle e´dition collationne´e sur les manuscripts autographes, publie´e avec l’addition des lettres ine´dites, la restauration des textes retranche´s ou altere´s, et des notes biographiques, bibliographiques, et historiques. Hg. v. Paul Triaire. 1 Bd. Paris 1907. Les Lettres de Guy Patin a` Charles Spon. Janvier 1649 – fe´vrier 1655. Hg. v. Laure Jestaz. 2 Bde. Paris 2006 (Bibliothe`que des correspondances, me´moires et journaux 21). Pereyra, Benito: Commentariorum et disputationum in Genesim, tomi quatuor. Köln 1601. Petrie, Alexander: Chiliasto-mastix, Or, the Prophesies in the Old and Nevv Testament concerning the kingdome of our saviour Iesus Christ, Vindicated from misinterpretationes of the Millenaries, and especially of Mr. Maton in his Book called Israels redemption. Rotterdam 1644. Philo-Judaeus, J.J.: The Resurrection of Dead Bones, Or, the Conversion of the Jewes. London 1655. Platon: Werke. Hg. v. Gunther Eigler. Bd. 7 (Timaios, Kritias, Philebos). Darmstadt 1972. Pre´vost, Antoine-Franc¸ois: Le pour et contre. Ouvrage pe´riodique d’un gouˆt nouveau. Bd. 20. La Haye 1740. [Priezac, Daniel de:] Defence des droits et prerogatiues des Roys de France contre Alexandre Patrrice Armacan, Theologien. Ecritte en latin sous le tiltre de Vindiciae Gallicae. Paris 1639. Prynne, William: A Short Demurrer to the Jewes long discontinued barred Remitter into England. London 1656. Rapin, Rene´: Me´moires sur l’e´glise et la socie´te´, la cour, la ville et le janse´nisme. Hg. v. Le´on Aubineau. 3 Bde. Farnborough 1972 [ND Lyon, Paris 1865]. – Histoire du janse´nisme depuis son origine jusqu’en 1644. Hg. v. l’abbe´ Domenich. Paris o.J. Reimmann, Jacob Friedrich: Historia Universalis Atheismi et Atheorum falso & merito suspectorum. Hildesheim 1725. Richelet, Pierre: Le nouveau dictionnaire franc¸ois. 2 Bde. Lyon 1719. – Dictionnaire de la langue franc¸oise ancienne et moderne. 2 Bde. Amsterdam 1732. – Dictionnaire de la langue franc¸oise, ancienne et moderne. 3 Bde. Basle 1735. Richelieu, Armand Jean du Plessis Cardinal de: Traitte´ qui contient la me´thode la plus facile et la plus asseure´e pour convertir ceux qui se sont separez de l’Eglise. Paris 1651 Correspondance inte´grale d’Andre´ Rivet et de Claude Sarrau 1641–1650. Hgg. v. Hans Bots, Pierre Leroy. 3 Bde. Amsterdam 1978–1982.

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Personenverzeichnis (In der Regel wurden nur frühneuzeitliche Personen aufgenommen. Ergänzt wurden einige biblische Figuren, sofern sie für die Kontextualisierung von La Peyre`res Argumentation von besonderer Bedeutung sind.) Abraham 29, 103, 116, 166, 179–181, 189, 268 Adam SJ, Jean 36f, 56 Adam 57, 93–96, 102–105, 115, 183, 194 Alba, Jean 74 Albizzi, Francesco, Kardinal 229, 231 Alexander VII. Chigi, Papst 2, 14, 52, 62, 69, 154, 190, 198–200, 205, 226, 229, 234 Amyraut, Moy¨se 215 Anna von Österreich, Regentin nach dem Tod von Ludwig XIII. 36, 45, 127f, 130, 216, 224, 229 Anjou, Philippe de Bourbon, Herzog v. 84 Arckenholtz, Johan 194 d’Argonne, Bonaventure 195 Aristoteles 100 Arnauld, Antoine 86, 221–225, 257–259, 261 Arngrimus, Jonas 57 Arroy, Besian 81, 226f Augustinus, Bischof v. Hippo 44, 91, 221 Barberini, Francesco, Kardinal 111–113, 206, 231–233, 243 Bajus, Michel 88 Bayle, Pierre 19, 33, 41–43, 47f, 49–63, 67, 71, 84, 230, 259, 269f Beza, Theodor 176 Bileam 175, 177 Binard, Jean 216, 220 Blount, Charles 6 Boreel, Adam 165 Boulliau, Ismae¨l 46, 113, 131f, 171, 190, 213, 218 Bourdelot s. Michon, Pierre Brightman, Thomas 166f

Cain 57, 96f Calvin, Jean 20, 76, 88, 91f, 119, 169, 199, 204, 245, 251, 253–255, 262 Campanella, Tommaso 108 Cappel, Louis 139 Casaubon, Isaac 25, 34 Charpy de Sainte-Croix, Nicolas 257–261, 268 Chapelain, Jean 100 Cherbury, Herbert of 4 Chigi, Fabio s. Alexander VII. Chigi Christina, Königin v. Schweden 2, 10, 15, 69, 73, 131, 141f, 144, 189–194 Cinq-Mars, Henri Coiffier de Ruze´ d’Effiat, Marquis de 128 Codurc, Philippe 109, 211–215 Conde´, Prinzen 1, 11, 14, 18, 21, 68, 71, 73, 106, 172, 197, 230, 266 Conde´, Heinrich II. de Bourbon, Prinz 69, 111, 125–128, 192, 207, 213–219, 221–225, 228, 234 Conde´, Ludwig II. de Bourbon, gen. Grand Conde´ 44, 52–54, 58, 62, 64, 69, 124–134, 173, 190–193, 200f, 207, 215, 225, 236–238 Conti, Armand de Bourbon, Prinz 129, 224f Costa, Uriel da 142, 148 Courcelles, Etienne de 40 Cromwell, Oliver 156 Dannhauer, Johann Konrad 50 Darwin, Charles 19 Dalie`s, Jean 125 Daille´, Jean 251 Descartes, Rene´ 18, 40, 114, 190 Deschamps SJ, Etienne 221, 224 Desmarets, Samuel 15, 38–39, 50, 65, 176, 221, 243 Desmarets de Saint-Sorlin, Jean 260–262

300 Diodati, Elie 84 Drelincourt, Charles 216 Dumay, Paul 218 Du Moulin, Pierre 215, 242 Dupuy, Christophe 113, 171, 233 Dupuy, Jacques 71, 84 Dupuy, Pierre 71, 84, 227 Dury, John 158f, 182, 220 Duvergier de Hauranne, Jean, gen. Abbe´ Saint-Cyran 221f, 228 Edward III., König v. England 14, 163 d’Enghien, Herzog s. Conde´, Ludwig II. Episcopius, Simon 40 d’Estampes de Valenc¸ay, Le´onor, Bischof v. Chartres 107 Euclid 64 Eusebius Romanus s. Le Prieur, Philippe Evans, Arise 155, 163, 166 Evelyn, John 121 Fauconnier, Jean 61 Felgenhauer, Paul 142, 155, 163f, 268 Fiesque, Charles-Le´on, Comte de 15, 69, 126, 190 Finch, Henry 166 Fell, Margaret 182 Fox, George 183 Frankenburg, Abraham von 164 Furetie`re, Antoine 37, 44, 56, 262 Garasse, Franc¸ois 81 Gassendi, Pierre 84 Gonzague, Louise-Marie de, Königin v. Polen 131 Gue´mene´, Anne de Rohan, Prinzessin 222 Gue´mene´, Louis de Rohan, Prinz 36 Goethe, Johann Wolfgang v. 95 Grandier, Urbain 131 Grimaldi, Girolamo, Erzbischof v.Aix, Kardinal 229 Grotius, Hugo 20, 25, 27, 29, 38–42, 57, 64, 76, 80, 83, 99–101, 108, 110, 140, 190, 211, 215, 217, 220, 242f Habert, Isaac, Bischof v. Vabres 227 Halevi, Jehuda 152, 265 Haro y Sotomayor, Luis Me´ndez de 67, 173 Hartlib, Samuel 158f, 161 Heinrich IV., König v. Frankreich 25 Heinsius, Daniel 25 Heinsius, Nicolaas 100

Hermant, Godefroi 223 Hersent, Charles 227f Hilpert, Johannes 50 Hobbes, Thomas 4, 18, 80 Holstenius, Lukas 126, 238 Homer 76, 100 Huet, Pierre Daniel 7, 42 Hulsius, Antonius 50f Huygens, Christiaan 15, 46 Ismael

176

Jacob I., König v. England 169 Jansen, Cornelius 86, 224, 226 Journet, Joe¨l 19, 269f Jurieu, Pierre 171 l’Estrange, Hamon 99 Labadie, Jean de 256 Laet, Johannes de 99 La Mare, Philibert de 15, 192, 229 La Milletie`re, The´ophile Brachet de 211, 214–217 La Mothe Le Vayer, Franc¸ois 21, 80, 84–93, 124, 132, 189 La Peyre`re, Abraham de 74 La Peyre`re, Bernard de 125 La Peyre`re, Jacob de 125 La Suze, Gaspard de Champagne, Comte de 14, 69 La Thuillerie, Gaspard Coignet de 58, 69, 85, 235 Las Casas, Bartolome´ de 97 Laud, William 33 Laurentius, Jacob 243 Le Prieur, Philippe 50f, 96, 170, 236, 242 Lenet, Pierre 191, 237 Leo XIII. Pecci, Papst 240 Leon, Jacob Jehuda 165 Leopold Wilhelm v. Österreich, Erzherzog 52, 190 Libellus, Hyacinthus, Sekr. der Indexkongregation 240f Lipsius, Justus 23 Longueville, Heinrich II. d’Orle´ans, Herzog v. 129 Ludwig XIII., König v. Frankreich 44f, 121, 123 Ludwig XIV., König v. Frankreich 1, 84, 108, 123, 130, 134, 198–202, 244 Lugo SJ, Johannes de 243

301 Maille´-Bre´ze´, Claire-Cle´mence de 128 Marlet, Marthe 125 Marolles, Michel de 54, 65f, 216 Marot, Cle´ment 176 Marquement, Denis Simon de, Erzbischof v. Lyon 121 Martial 25 Martin, Guillaume 66 Marvell, Andrew 154 Maton, Robert 158, 165f Mazarin, Jules, Kardinal 22, 36, 55, 71, 121, 125, 128–130, 228f, 239 Me´nage, Gilles 37, 76, 83 Menasse ben Israel 9, 93, 98, 121, 142f, 148, 153, 155f, 158, 162–167, 169, 182f, 194, 242 Mersenne, Marin 18, 71f, 81, 87, 99, 112, 208–211 Me´trezat, Jean 214f Michon, Pierre, gen. Abbe´ Bourdelot 15, 37, 68f, 71, 73, 111, 113, 126, 190, 218, 231–234, 243 Millot, Jean 74 Montecuccoli, Raimondo 191f Montezinos, Antonio de 98 Montmorency, Charlotte-Margarethe v. 128 Montmorency, Heinrich II., Herzog v. 128 Montpensier, Anne-Marie-Louise d’Orle´ans, Herzogin v. 44 Morel, Gilles 108 More´ri, Louis 49–51, 54, 58–60, 63f, 67 Morin, Jean Baptiste 51 Morin, Simon 259, 261, 268f Morin du Sandat, Franc¸ois 59–61 Motteville, Franc¸oise Bertaut, dame de Langlois de 45 Nathanael 177, 195 Naude´, Gabriel 36, 67, 71f, 77, 80, 84, 111, 190, 213 Niceron, Jean-Pierre 48, 60–67, 259 Nicolas, Edward 157 Nicole, Pierre 221, 256–259 Nikodemus 252f Nipho, Ferdinand, Internuntius in Brüssel 236 Oldenburg, Henry 142, 153, 158 Oliva, Giovanni Paolo, Jesuitengeneral 229 Orle´ans, Gaston-Jean-Baptiste, Herzog v. 127f, 134 Ovid 37

Pascal, Blaise 75 Patin, Guy 25, 28–36, 55–56, 71, 84, 106, 108, 112, 128, 171, 217, 228, 270 Paul III. Farnese, Papst 97 Paulus, Apostel 90–92, 114, 117, 137, 142, 160, 175, 181, 183, 185–188, 245, 260 Pereire, Isaac 240 Pereyra, Benito 96 Perrault, Jean 219 Pe´tau SJ, Denis 243 Petit, Samuel 214 Petit, Suzanne 68 Petrie, Alexander 158, 165 Peyrare`de, Jean de 45 Pius XII. Pacelli, Papst 149 Platon 97f, 101 Pocquet, Antoine 81 Postel, Guillaume 101, 122 Pozzo, Cassiano dal 113, 218, 231f Priezac, Daniel de 227 Pythius, Johannes 50f Rabelais, Franc¸ois 75 Reigersberg, Nicolas van 41 Richelet, Pierre 47, 66 Richelieu, Armand-Jean Du Plessis, Herzog v., Kardinal 2, 22, 84–87, 106, 111, 113, 123, 128, 211–215, 228 Rivet, Andre´ 31, 38–42, 73, 87, 109f, 211–213, 215, 217, 243 Roose, Pierre 226 Sable´, Madeleine de Souvre´, Marquise de 222 Sade, Donatien Alphonse Franc¸ois, Marquis de 81 Sadeur, Jacques 57 Saint-Cyran s. Duvergier de Hauranne, Jean Saint-Romuald, Pierre de 52–54 Saller 230, 236, 238 Salvador, Jona 172 Samaritanerin 179, 181f, 198, 231 Sanson, Ze´pharin 61 Sarrau, Claude 31, 38–40, 56, 109f, 211–214 Saumaise, Claude 20, 25, 56, 73, 190, 192, 213, 217–220, 232 Scaliger, Joseph 25, 34, 97 Schudt, Johann Jacob 177, 251 Se´guier, Pierre 66

302 Seiffert, Johannes 39 Serrarius, Petrus 168 Sesmaisons SJ, Pierre de 222–224 Simon, Richard 28, 48, 61–65, 67, 72, 112, 140, 154, 157, 170, 172, 244, 256f, 258 Soeiro, Manoel Dias s. Menasse ben Israel Sorbie`re, Samuel de 239 Spinoza, Baruch de 4, 8, 18, 141f, 148 Spencer, Edward 157, 167 Spon, Charles 25, 29, 270 Spon, Jacques 30 St. Romuald, Pierre de 52f

Ulfeldt, Corfitz 15 Urban VIII. Barberini, Papst 233 Ursinus, Johann Heinrich 50, 131, 241

Tallemant des Re´aux, Ge´de´on 45, 208, 212, 222, 228 Tany, Thomas 155, 166 Terrague, Catherine de 172 Terre´ga, Gabriel de 172 Thomas v. Aquin 91 Thomasius, Jacobus 4 Thorowgood, Thomas 99, 162 Traske, John 169 Trinius, Johann Anton 47, 50

Wachtendonk, Johannes von, Bischof v. Namur 170, 234, 236 Wagenseil, Johann Christoph 251 Wall, Moses 157, 169 Wolf, Johann Christoph 34 Wormius, Olaf 15, 124

Valois, Jacques de 112f, 209–211 Viau, The´ophile de 74 Vico, Giambattista 6 Vigneul-Marville s. d’Argonne, Bonaventure Villette, Claude 122 Viole, Pierre 191f Vizzano, Carlo Emanuele 240 Vossius, Gerard 39, 242 Vossius, Isaac 242

Zedler, Johann Heinrich 38, 47, 56, 67, 77, 96, 125, 177 Zwi, Sabbatai 156, 172, 256