Internationales Vertragsrecht [9. neu bearbeitete Auflage] 9783504387228

Das internationale Vertragsrecht bringt vielfältige Herausforderungen mit sich. Mit EU-Recht, internationalen Abkommen w

339 99 21MB

German Pages 2304 [2396] Year 2021

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Internationales Vertragsrecht [9. neu bearbeitete Auflage]
 9783504387228

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Reithmann . Martiny

Internationales Vertragsrecht

.

Internationales Vertragsrecht Das internationale Privatrecht der Schuldverträge begründet von

Dr. Christoph Reithmann herausgegeben von

Prof. em. Dr. Dieter Martiny

9. neu bearbeitete Auflage

2022

.

Bearbeiter Prof. Dr. Boris Dostal

Prof. Dr. Oliver L. Knöfel

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht in Freiburg Honorarprofessor an der Universität des Saarlandes

Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder

Prof. Dr. Peter Limmer

Universität München

Notar in Würzburg Honorarprofessor an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Dr. Philine Fabig

Prof. Dr. Leander D. Loacker, M. Phil.

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Internationales Wirtschaftsrecht in Hamburg

Universität Zürich Of Counsel in Zürich

Prof. Dr. Anatol Dutta, M. Jur. (Oxford)

Prof. Dr. Peter Mankowski Prof. Dr. Robert Freitag, Maître en droit (Bordeaux)

Universität Hamburg

Universität Erlangen-Nürnberg Richter am OLG Nürnberg

Prof. em. Dr. Dieter Martiny

Prof. Dr. Stephan R. Göthel, LL.M. (Cornell)

Europa-Universität Viadrina Frankfurt/Oder

Prof. Dr. Eva Inés Obergfell

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator in Hamburg BSP Business and Law School in Berlin und Hamburg

Humboldt-Universität zu Berlin

Prof. Dr. Pascal Grolimund, LL.M. (Edinburgh)

Bundesnotarkammer Brüssel

Advokat in Basel Titularprofessor an den Universitäten Basel und Zürich

Prof. Dr. Reinhold Thode

Dr. Peter Stelmaszczyk, Maître en droit (Paris 1 – Panthéon-Sorbonne)

Richter am Bundesgerichtshof a.D. Honorarprofessor an der Universität Konstanz

Prof. em. Dr. Rainer Hausmann Universität Konstanz Rechtsanwalt in München

PD Dr. Martin Zwickel, Maître en droit (Rennes 1)

Dr. Martin Hiestand

Akademischer Oberrat an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Oberstaatsanwalt beim BGH Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Berlin

Zitiervorschlag: Bearbeiter in Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 9. Aufl. 2022, Rz. … .

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-45157-8 © 2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: PMGi – Agentur für intelligente Medien GmbH, Hamm Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Vorwort Bei der Gestaltung und rechtlichen Beurteilung von Verträgen mit Auslandsberührung stellen sich vielfältige Probleme, für deren Bewältigung die neue Auflage dieses Werkes Hilfestellung leisten will. Wichtigste Rechtsquelle ist nach wie vor die Rom I-Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht. Daneben trägt die Neuauflage auch zahlreichen anderen Vorschriften, Änderungen und Entwicklungen des internationalen und europäischen sowie des nationalen in- und ausländischen Rechts Rechnung. Ebenso wurde die nationale und internationale, insbesondere die europäische Rechtsprechung ausgewertet. Beispielhaft erwähnt seien hier u.a. die EU-Vorschriften zur Digitalisierung und ihren Folgen, die Rechtsprechung des EuGH im Polbud-Urteil, die Neuregelung der Arbeitnehmerentsendung, von Güterrecht und Insolvenzrecht sowie der Brexit. Der zweiteilige Aufbau des Werkes ermöglicht einen schnellen Zugriff auf das Wesentliche. Im Vordergrund steht der Praxisnutzen: Zahlreiche Handlungsanleitungen und Zusammenfassungen sowie Checklisten am Ende größerer Abschnitte sollen die Aufmerksamkeit des Lesers auf besonders wichtige Punkte lenken. Die neue Gliederung des Werkes und auch die Verlinkung von Entscheidungen erleichtern einen intuitiven Zugriff auch bei einer Online-Benutzung. Das Handbuch enthält im ersten Teil Kapitel zu Grundlagen der Vertragsgestaltung, Bestimmung und Geltungsbereich des Vertragsstatuts, zu außervertraglichen Schuldverhältnissen (jeweils Martiny), zu Vertretungsverhältnissen sowie zu Gerichtsständen und Schiedsrecht (jeweils Hausmann). Das fünfte Kapitel (zwingende Vorschriften) behandelt die Herangehensweise an die zahlreichen in- und ausländischen zwingenden Bestimmungen (neu bearbeitet von Zwickel). Eingegangen wird auch auf die für viele Staaten nach wie vor relevanten Devisenvorschriften (Thode). Ein eigener Abschnitt widmet sich den Formvorschriften. Dabei wird auch erörtert, wieweit ausländische Beurkundungsverfahren hinsichtlich der inländischen Formvorschriften unterliegenden Zwecke als gleichwertig angesehen werden können (neu bearbeitet von Stelmaszczyk). Der zweite Teil des Werkes widmet sich in 31 Kapiteln einzelnen Vertragstypen. Der besseren Zugänglichkeit wegen folgt die Gliederung nunmehr einer alphabetischen Reihenfolge. Autorenwechsel hat es in der 9. Auflage gegeben im Kapitel zum Handelsvertreter- und zum Vertragshändlervertrag (neu bearbeitet von Fabig), zum Leasingvertrag (wieder aufgenommen und neu bearbeitet von Dostal) sowie zum Versicherungsvertrag (Grolimund und – neu als Co-Autor hinzugetreten – Loacker). Das Werk erscheint weiterhin auch unter dem Namen von Christoph Reithmann, der sich von der Mit-Herausgeberschaft zurückgezogen hat. Seit der noch von ihm allein verfassten ersten Auflage von 1963 und trotz der Fülle nationaler, internationaler und europäischer Rechtsänderungen hat das Grundanliegen des Werkes, die Bewältigung der unterschiedlichen Vertragstypen mit Auslandsbezug vor dem Hintergrund zwingender Normen, nichts von seiner Aktualität verloren. Anregungen, Hinweise und konstruktive Kritik sind stets eine große Hilfe. Diese können dem Verlag gern unter [email protected] übermittelt werden. Im September 2021

Dieter Martiny

VII

VIII

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite VII

Vertragstypenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XV

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIX

Teil 1 Vertragsgestaltung und rechtliche Einordnung §1

Grundlagen und Vertragsgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

§2

Bestimmung des Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

§3

Geltungsbereich des Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

175

§4

Außervertragliche Schuldverhältnisse und Verschulden bei Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

282

§5

Eingriffsnormen (international zwingende Bestimmungen), Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften, Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

303

§6

Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

450

§7

Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

958

Teil 2 Die Vertragstypen und ihre Gestaltung §8

Anlagenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1215

§9

Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1217

§ 10

Anwaltsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1226

§ 11

Arbeitsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1279

§ 12

Architektenverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1364

§ 13

Bankverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1373

§ 14

Bauverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1402

§ 15

Beförderungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1406

§ 16

Bürgschaft, Garantie, Patronatserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1546

§ 17

Darlehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1564

§ 18

Verträge über Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1576 IX

Inhaltsübersicht

§ 19

Finanzmarktverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seite 1587

§ 20

Franchiseverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1640

§ 21

Grundstückskaufverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1662

§ 22

Grundstücksmiet- und Grundstückspachtverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1724

§ 23

Handelsvertreterverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1745

§ 24

Joint Venture . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1800

§ 25

Kaufverträge über bewegliche Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1826

§ 26

Kauf durch Versteigerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1898

§ 27

Kommissionsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1900

§ 28

Leasingverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1902

§ 29

Lizenzverträge/gewerbliche Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1961

§ 30

Maklervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1985

§ 31

Speditionsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1988

§ 32

Timesharingvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2006

§ 33

Unternehmenskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2030

§ 34

Urheberrechtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2067

§ 35

Verbraucherverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2152

§ 36

Versicherungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2199

§ 37

Vertragshändlerverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2229

§ 38

Werkverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2282

Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2287

X

Vertragstypenübersicht Vertragstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Seitenzahl

Anlagenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1215

Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1217

Anwaltsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1226

Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1279

Architektenvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1364

Asset Deal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2051

Bankvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1373

Bauvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1402

Beförderungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1406

Binnenschiffsfrachtvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1515

Brokervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1622

Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1546

Chartvertrag s. Gütertransport CISG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1830

Darlehensvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1564

Datenbankvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2133

Depotgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1396

Dienstleistungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1576

Diskontgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1398

Eisenbahngütertransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1457

Eisenbahnpersonenbeförderungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1539

Factoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1398

Filmvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2118

Finanzmarktvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1587

Fonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1619

Forfaitierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1396

Frachtvertrag s. Binnenschiffsfrachtvertrag; Seefrachtvertrag; Gütertransport Franchisevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1640

Garantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1551

XI

Vertragstypenübersicht Gewerbliche Schutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1961

Grundstückskaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1662

Grundstücksmietvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1724

Grundstückspachtvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1724

Gütertransport (Bahn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1457

Gütertransport (multimodal) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1519

Gütertransport (Straße) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1447

Handelsvertretervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1745

Internetvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2135

Joint Venture . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1800

Kaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1826

Kommissionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1900

Konnossement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1471

Künstlervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2138

Leasingvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1902

Lizenzvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1961

Luftchartervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1467

Maklervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1985

Mietvertrag s. Grundstücksmietvertrag Multimodaler Gütertransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1519

Pachtvertrag s. Grundstückspachtvertrag Patronatserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1559

Personenbeförderung (Bahn) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1539

Personenbeförderung (Luft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1532

Personenbeförderung (Schiff) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1541

Personenbeförderung (Straße) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1545

Seefrachtvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1469

Seepersonenbeförderungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1541

Share Deal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2033

Softwarevertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2128

Speditionsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1988

Straßengütertransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1447

Subunternehmervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2284

XII

Vertragstypenübersicht Timesharing-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2006

Unternehmenskauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2030

Urheberrechtsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2067

Verbrauchervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2152

Verlagsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2110

Versicherungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2199

Versteigerungskaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1898

Vertragshändlervertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2229

Vertriebsvertrag s. Handelsvertretervertrag; Vertragshändlervertrag Warenkaufvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1830

Werkvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2282

Wertpapiergeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1399

Zahlungsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1388

XIII

XIV

Abkürzungsverzeichnis

a.A. a.a.O. ABGB abgedr. Abk. abl. ABl.EG ABl.EU Abs. abw. A.C. AcP Acta.Jur. Actes bzw. Actes et documents ADSp a.E. AEDIPr AEG AEntG AEUV aF AFG Afr.J.Int.Comp.L. AfS AG AGB AGBG AGBGB AGG AGS AHKBl. AHKG Air L. AKB AktG All E.R. allg. a.M. aM

anderer Ansicht am angegebenen Ort Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) abgedruckt Abkommen ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz abweichend Law Reports, Appeal Cases (England) Archiv für die civilistische Praxis Acta Juridica Academiae Scientiarum Hungaricae (Ungarn) Actes et documents de la Conférence de La Haye de droit international privé Allgemeine deutsche Spediteurbedingungen am Ende Anuario Español de Derecho Internacional Privado Allgemeines Eisenbahngesetz Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vom 20.4.2009 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union idF vom 9.5.2008 alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz African Journal of International and Comparative Law Arkiv for Sjørett (Norwegen) Aktiengesellschaft, Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Ausführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Anwaltsgebühren Spezial – Zeitschrift für das gesamte Gebührenrecht und Anwaltsmanagement Amtsblatt der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland Gesetz der Alliierten Hohen Kommission für Deutschland Air Law Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung Aktiengesetz The All England Law Reports (Großbritannien) allgemein am Main anderer Meinung XV

Abkürzungsverzeichnis

A.M.C. Am.J.Comp.L. Am.J.Int.L. Am.Rev.Int.Arb. Am.U.L.Rev. An.Der.Int. An.der.mar. AnfG Anh. Anl. Anm. Ann.dr. Liège Ann.Fac. Istanbul Ann.fr.dr.int. Ann.Inst.Dr.int. AnwBl. AO AöR AP ApoR App. ArbG Arb.Int. Arb.J. ArbPlSchG ArbuR Arch.Phil.Dr. arg. Ariz.J.Int.Comp.L. ARSt. Art. Asp.Mar.Law Cas. AsylVerfG AÜ Aufl. Aufs. AÜG ausf. Ausl. AuslInvestmG Avi. AVRAG XVI

American Maritime Cases The American Journal of Comparative Law (USA) American Journal of International Law The American Revue of International Arbitration (USA) American University Law Review Anuario Español de Derecho Internacional (Spanien) Anuario de derecho marítimo (Spanien) Gesetz betreffend die Anfechtung von Rechtshandlungen eines Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens Anhang Anlage Anmerkung Annales de Droit de Liège Annales de la faculté de droit d´Istanbul Annuaire français de droit international (Frankreich) Annuaire de l´Institut de Droit International Anwaltsblatt Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts (bis 1954 Zeitschrift: Arbeitsrechtliche Praxis) Apotheke und Recht Cour d´appel; Corte d´appello Arbeitsgericht Arbitration International (England) Arbitration Journal (USA) Arbeitsplatzschutzgesetz Arbeit und Recht Archive de philosophie de droit argumentum Arizona Journal of International and Comparative Law (USA) Arbeitsrecht in Stichworten Artikel Aspinall´s Reports of Maritime Law Cases (1870–1940; Großbritannien) Asylverfahrensgesetz Athener Übereinkommen von 1974 über die Beförderung von Reisenden und ihrem Gepäck auf See Auflage Aufsatz Arbeitnehmerüberlassungsgesetz ausführlich Ausland Gesetz über den Vertrieb ausländischer Investmentanteile und über die Besteuerung der Erträge aus ausländischen Investmentanteilen CCH Aviation Cases (USA) Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (Österreich)

Abkürzungsverzeichnis

AWD AWG AWV AWZ BAG BAGE Banca, Borsa BAnz. BauGB BauR BayObLG BayObLGZ BayZ BB BBahn BBauG BBG BBl. Bd. BEEG begr. Begr. Beil. Bek. Bekl. belg. BenshS BerDGesVölkR bes. bestr. betr. BetrAVG BetrVG BeurkG bfai-RI BFH BG BGB BGBl. BGE BGH BGHZ BinSchG BJM BKartA BKR

Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftsverordnung Ausschließliche Wirtschaftszone Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Banca, borsa e titoli di credito (Italien) Bundesanzeiger Baugesetzbuch Baurecht Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Zeitschrift für Rechtspflege in Bayern Der Betriebs-Berater Die Bundesbahn Bundesbaugesetz Bundesbeamtengesetz Bundesblatt (Schweiz) Band Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz begründet Begründung Beilage Bekanntmachung Beklagte(r) belgisch Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte, verlegt bei Bensheimer Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht besonders bestritten betreffend, betreffs Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Beurkundungsgesetz Bundesstelle für Außenhandelsinformation: BfA-Rechtsinformation Bundesfinanzhof Schweizerisches Bundesgericht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Binnenschifffahrtsgesetz Basler Juristische Mitteilungen Bundeskartellamt Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht XVII

Abkürzungsverzeichnis

BlIntPR BlStSozArbR BlZüRspr. BMWI BNotO BörsG BRAGO BRAK-Mitt. BRAO BR-Drucks. BRD Brit.Yb.Int.L. Brüssel I-VO Brüssel Ia-VO Brüssel IIa-VO Brüssel IIb-VO

BSchVG BSG Bsp. BT-Drucks. BtG BTL BtPrax BuB Bull. ASA Bull.EG Bull.transp. Bus.Lawyer Bus.L.Rev. BVerfG BVerfGE BVFG B.W. BWNotZ bzw. c. C.A. CA Cah.dr.europ. Cal.L.Rev. Can.Bar.Rev. Cass. XVIII

Blätter für internationales Privatrecht (1926–1931) Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Blätter für Zürcherische Rechtsprechung Bundeswirtschaftsministerium Bundesnotarordnung Börsengesetz Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Bundesrepublik Deutschland The British Yearbook of International Law s. EuGVO Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen s. EuEheVO Verordnung (EU) 2019/1111 des Rates vom 25.6.2019 über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und über internationale Kindesentführungen (Neufassung) Binnenschiffsverkehrsgesetz Bundessozialgericht Beispiel Bundestags-Drucksache Betreuungsgesetz Bulletin des Transports et de la Logistique Betreuungsrechtliche Praxis Bankrecht und Bankpraxis, Loseblattwerk, 3 Bände, 1979 ff. Bulletin d´Association Suisse de l´Arbitrage Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Bulletin des transports The Business Lawyer (USA) Business Law Review (Großbritannien) Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge Burgerlijk Wetboek (Niederlande) Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg beziehungsweise Chapter Court of Appeal (England), Court of Appeals (USA) Cour d´appel; Copyright Act Cahiers de droit européen California Law Review (USA) The Canadian Bar Review (Kanada) Cour de cassation; Corte di cassazione

Abkürzungsverzeichnis

Cass. civ. c.c. c.com. CCZ CFILR ch. Ch.com. c.i.c. cif CIFL CFL.Q. CILSA CIM Cir. CISG CLC C.L.E. Clunet CMI CML Rev. c. mon. fin. CMNi CMR Colum.J.Transnat.L. Colum.L.Rev. Comp.Lab.L.J. Cornell Int.L.J. Cornell L.Rev. COTIF COVuR C.pr.c. CR Cri Ct. App C.trav. D. DAB DAR DAVorm. DB DCFR DdA DDR Denver J.Int.L.& Policy DepotG

Cour de cassation, chambre civile Code civil; Codice civile; Código civil Code de commerce; Côdigo di comercio Corporate Compliance Zeitschrift Company Financial and Insolvency Law Review Chapter Chambre commerciale culpa in contrahendo cost, insurance, freight Unidroit Convention on International Leasing Child and Family Law Quarterly Comparative and International Law Journal of South Africa Einheitliche Regeln über den Internationalen Eisenbahnfrachtverkehr Circuit United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods vom 11.4.1980 Commercial Law Cases Commercial Laws of Europe (England) Journal du droit international (Frankreich) Comité Maritime International Common Market Law Review Code monétaire et financier Budapester Übereinkommen über den Vertrag über die Güterbeförderung in der Binnenschifffahrt Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr The Columbia Journal of Transnational Law (USA) Columbia Law Review (USA) Comparative Labor Law Journal (USA) Cornell International Law Journal Cornell Law Review (USA) Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr COVID-19 und alle Rechtsfragen zur Corona-Krise Code de procédure civile; Codice di procedura civile Computer und Recht Copyright Resources on the Internet Court of Appeal Code du travail Dalloz; Recueil Dalloz/Sirey (Frankreich) Deutsches Architektenblatt Deutsches Autorecht Der Amtsvormund Der Betrieb Draft Common Frame of Reference Droit d´auteur (Frankreich) Deutsche Demokratische Republik Denver Journal of International Law and Policy Depotgesetz XIX

Abkürzungsverzeichnis

ders. DesignG DEuFamR dh. Die AG dies. DIP Dir.com.int. Dir.com.scambi int. Dir.int. Dir.mar. DiRUG DSM-Richtlinie Disp.prel. Diss. DIZPR DJ D.L.R. DM DNotI-Report DNotZ Dok. DÖV D.P.C.I. DPJZ DR DRiZ Dr. prat. com. int. D.S. DSGVO

DStR DStRE DSWR Dt. Denkschr. DtZ DVO DWW DZWiR EAG ebd. EBOR

XX

derselbe Designgesetz Deutsches und Europäisches Familienrecht das heißt Die Aktiengesellschaft dieselbe Droit International Privé Diritto commerciale internazionale Diritto comunitario e degli scambi internazionali (Italien) Diritto internazionale (Italien) Diritto marittimo (Italien) Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie Richtlinie (EU) 2019/790 vom 17. April 2019 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt Disposizioni preliminari (Italien) Dissertation Deutsches Internationales Zivilprozessrecht Deutsche Justiz Dominion Law Reports (Kanada) Deutsche Mark Informationsdienst des Deutschen Notarinstituts Deutsche Notar-Zeitschrift Dokument Die Öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Droit et pratique du commerce international (Frankreich) Deutsch-Polnische Juristen-Zeitschrift Deutsches Recht Deutsche Richterzeitung Droit et pratique du commerce international Recueil Dalloz/Sirey (Frankreich) Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.4. 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/ EG (Datenschutz-Grundverordnung) Deutsches Steuerrecht Deutsches Steuerrecht Entscheidungsdienst Datenverarbeitung in Steuer, Wirtschaft und Recht Deutsche Denkschrift Deutsch-deutsche Rechts-Zeitschrift Durchführungsverordnung Deutsche Wohnungswirtschaft Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Einheitliches Gesetz über den Abschluß von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen ebenda European Business Organization Law Review

Abkürzungsverzeichnis

EBRG ECC ECE ECFR ECLI E.D. EFZG EG EGBGB EGHGB EGInsO EGV EGZGB EJCCL EKG ELJZ EMLR Eng. engl. Ent.LR Entw. EPÜ ERA ERA Forum ErbStDV ER/CIM Erg. ErgLfg. ERI ErwG/ErwGr. ErwSÜ, ESÜ ESZB ETR EU EuBagatellVO EuBeweisVO

Gesetz vom 28.10.1996 über Europäische Betriebsräte (Europäisches Betriebsräte-Gesetz) European Commercial Cases Economic Commission for Europe European Company and Financial Law Review European Case Law Identifier Eastern District (Federal Courts, USA) Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall vom 26.5.1994 Europäische Gemeinschaften; EG-Vertrag Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzverordnung vom 5.10.1994 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft vom 25.3.1957 idF vom 26.2.2001 Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch European Journal of Commercial Contract Law Einheitliches Gesetz über den internationalen Kauf beweglicher Sachen Juristische Zeitschrift für Elsaß-Lothringen Entertainment & Media Law Reports England englisch Entertainment Law Review Entwurf Europäisches Patentübereinkommen Einheitliche Richtlinien und Gebräuche für Dokumenten-Akkreditive Scripta iuris europaei – Europäische Rechtsakademie Trier Erbschaftsteuer-Durchführungsverordnung Einheitliche Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Gütern Ergebnis Ergänzungslieferung Einheitliche Richtlinien für das Inkasso von Handelspapieren Erwägungsgrund Haager Übereinkommen vom 13.1.2000 über den internationalen Schutz von Erwachsenen Europäisches System der Zentralbanken Europäisches Transportrecht (Belgien) Europäische Union Verordnung (EG) Nr. 861/2007 vom 11.7.2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen Verordnung Nr. 1206/2001/EG vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen

XXI

Abkürzungsverzeichnis

EuEheVO

EuErbVO

EuG EuGH EuGüVO

EuGVO

EuGVÜ EuInsÜ EuInsVO EuInsVO 2000 EuLF EuMahnVO EuPartVO

EuR Eur.Rev.Priv.L. Eur.Transp.L. EuÜ EuUntVO

euvr

XXII

Verordnung Nr. 1347/2000/EG vom 29.5.2000 über die Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten Verordnung (EU) Nr. 650/2012 vom 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates vom 24.6.2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands EG-Verordnung Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen s. GVÜ EG-Übereinkommen über Insolvenzverfahren vom 21.11.1995 Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.5. 2015 über Insolvenzverfahren Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren The European Legal Forum Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates vom 24.6.2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften Europarecht European Review of Private Law (Niederlande) European Transport Law (Belgien) Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.1961 Verordnung (EG) Nr. 4/2009 vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen Zeitschrift für Europäisches Unternehmens- und Verbraucherrecht.

Abkürzungsverzeichnis

EuVTVO EuZ EuZA EuZustVO

EuZW EVO EVÜ EWG EWGV EWiR EWIV EWIV-AusfG EWIV-VO EWR EWRA EWS EzA EZB EZVerbrR f. F.2d FamFG FamGB FamRÄndG FamRB FamRBint FamRZ F.Cas. FernabsRL FernUSG Festg. Festschr. ff. FF

Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21.4.2004 zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen Zeitschrift für Europarecht Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Eisenbahnverkehrsordnung Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung Gesetz zur Ausführung der EWG-Verordnung über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2.5.1992 Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Entscheidungen zum Arbeitsrecht, hrsg. von Stahlhacke Europäische Zentralbank Europäische Zeitschrift für Verbraucherrecht für; folgende Federal Reporter, Second Series (USA) Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Familiengesetzbuch Familienrechtsänderungsgesetz Familienrechts-Berater Familienrechts-Berater international Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Federal Cases (USA) Richtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (Fernunterrichtsschutzgesetz) Festgabe Festschrift folgende Forum Familien- und Erbrecht XXIII

Abkürzungsverzeichnis

FG FGG FGPrax FinG FinVermV FIU FKVO Fla.Int.L.J. FLF F.L.OGH FlRG Fn. fob Foro it. Forum Int. R. FPR Franchise L.J. frz. FS FSR F.Supp. FuR GA Ga.J.Int.Comp.L. Gaz.Pal. GBG GBl. GBO GebrMG GEK gem. Geo J. Legal Ethics GeoblockingVO

German Yb.Int.L. GesRZ GewO GG ggf.

XXIV

Festgabe Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgericht Verordnung über die Finanzanlagenvermittlung (Finanzanlagenvermittlungsverordnung) Financial Intelligence Unit Fusionskontrollverordnung Florida Journal of International Law Finanzierung Leasing Factoring Fürstlich Liechtensteinischer Oberster Gerichtshof Flaggenrechtsgesetz Fußnote free on board Foro italiano Forum Internationales Recht Familie Partnerschaft Recht Franchise Law Journal Französisch Festschrift Fleet Street Reports Federal Supplement (USA) Familie und Recht; Film und Recht Goltdammer´s-Archiv, Generalanwalt Georgia Journal of International and Comparative Law (USA) Gazette du Palais (Frankreich) Grundbuchgesetz (Österreich) Gesetzblatt Grundbuchordnung Gebrauchsmustergesetz Gemeinsames Europäische Kaufrecht gemäß Georgetown Journal of Legal Ethics Verordnung (EU) 2018/302 vom 28.2.2018 über Maßnahmen gegen ungerechtfertigtes Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarkts und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 2006/2004 und (EU) 2017/2394 sowie der Richtlinie 2009/22/EG German Yearbook of International Law Der Gesellschafter (Zeitschrift für Gesellschafts- und Unternehmensrecht) (Österreich) Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls

Abkürzungsverzeichnis

GGV Giur.it. GIW GMAA GmbH GmbHG GmbHR/GmbHRdsch. GMV GPR GR-Charta grds. GrEStDV GrEStG griech. Gruchot GRUR GRUR Int. GRUR-RR GS GSV gtai GuG GüKG GVBl. GVG GVÜ GWB GwG HalblSchG Hansa HansRGZ Harv.Int.L.J. Harv.L.Rev. HausTWG HAVE

Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster vom 12.12.2001 (Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung) Giurisprudenza italiana Gesetz über internationale Wirtschaftsverträge (GBl. 1976 I 61; DDR) German Marine Arbitration Association Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates über die Gemeinschaftsmarke vom 26.2.2009 (Gemeinschaftsmarkenverordnung) Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 7.12.2000 grundsätzlich Durchführungsverordnung zum Grunderwerbsteuergesetz Grunderwerbsteuergesetz griechisch Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begr. v. Gruchot (1857–1933) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR, Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rechtsprechungs-Report Gedächtnisschrift Verordnung (EG) Nr. 2100/94 vom 27.7.1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz (Gemeinschaftssortenschutzverordnung) Germany Trade and Invest – Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH Grundstücksmarkt und Grundstückswert Güterkraftverkehrsgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.9.1968 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Geldwäschegesetz Halbleiterschutzgesetz Hansa, Zentralorgan für Schiffahrt, Schiffbau, Hafen Hanseatische Rechts- und Gerichtszeitschrift Harvard International Law Journal (USA) Harvard Law Review (USA) Gesetz über den Widerruf von Haustürgeschäften Haftung und Versicherung (Zeitschrift) XXV

Abkürzungsverzeichnis

HbgR Heidelb. Jb. HGB HGÜ H.L. h.M. HmbSchRZ HOAI H.R. HR HRR hrsg. HS/Halbs. HVR HW IATA IBR ICC I.C.L.F.Rev. I.C.L.Q. ICSID i.d.F. IDR i.d.R. i.E. i.e.S. I.F.L.Rev. IHK IHR IIC IIR IJVO I.L.M. I.L.Pr I.L.R. InsO InsV Int.Am.L.R. Int. ArbR Int.Arb.Rep. XXVI

United Nations Convention on the Carriage of Goods by Sea (Hamburg, 1978) (Hamburg Rules) Heidelberger Jahrbücher Handelsgesetzbuch Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30.5.2005 House of Lords (England) herrschende Meinung Hamburger Zeitschrift für Schifffahrtsrecht Honorarordnung Architekten und Ingenieure Hoge Raad (Niederlande) Internationales Abkommen vom 25.8.1924 zur Vereinheitlichung von Regeln über Konnossemente (Haager Regeln) Höchstrichterliche Rechtsprechung herausgegeben Halbsatz Rechtsprechungssammlung zum Handelsvertreter- und Vertriebsrecht Haus und Wohnung International Air Transport Association Immobilien- & Baurecht International Chamber of Commerce; The International Contract – Law and Finance Review (1980 ff.; Schweiz) The International and Comparative Law Quarterly (Großbritannien) International Centre for the Settlement of Investment Disputes in der Fassung Journal of International Dispute Resolution in der Regel im Ergebnis im engeren Sinne International Financial Law Review (England) Internationale Handelskammer Internationales Handelsrecht International Review of Industrial Property and Copyright Law Internationales Insolvenzrecht Internationale Juristenvereinigung Osnabrück International Legal Materials (USA) International Litigation Procedure International Law Reports Insolvenzordnung vom 5.10.1994 EG-Verordnung Nr. 1346/2000 vom 29.5.2000 über Insolvenzverfahren International American Law Review (USA) Internationales Arbeitsrecht International Arbitration Report (USA)

Abkürzungsverzeichnis

Int.Bus.Lawyer Int. Bus. L. J. Int. Comp.L.Q. Int.Constr.L.Rev. Int.Encycl.Comp.L. Int. Insolv. Rev. Int. J. L. & Info. Tech. Int.Lawyer IPO IPG IPR IPRax IPRG IPRspr. i.R.d. i.S. i.S.d. IStR i.S.v. ital. i.Ü i.V.m. IWB IWF IWRZ IZ IZPR IzRspr. JA JahrbIntR JbItalR Jb.J.ZivRWiss J.B.L. JBl. JbOstR JbPraxSchG J.Contemp.L. J.C.P. J.dr.aff.int. J.Fam.L. JFG JIBFL J.Int.Arb.

International Business Lawyer (England) International Business Law Journal s. I.C.L.Q. The International Construction Law Review (England) International Encyclopedia of Comparative Law International Insolvency Review International Journal of Law and Information Technology The International Lawyer (USA) Initial public offer Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Gesetz über das Internationale Privatrecht Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts im Rahmen des/der im Sinne im Sinne des Internationales Steuerrecht im Sinne von italienisch im Übrigen in Verbindung mit Internationales Steuer- und Wirtschaftsrecht (früher: Internationale Wirtschaftsbriefe) Internationaler Währungsfond Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht Zeitschrift für den internationalen Eisenbahnverkehr (Schweiz) Internationales Zivilprozessrecht Sammlung der deutschen Entscheidungen zum interzonalen Privatrecht Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für Internationales Recht Jahrbuch für Italienisches Recht Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler Journal of Business Law (Großbritannien) Juristische Blätter (Österreich) Jahrbuch für Ostrecht Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit Journal of Contemporary Law (USA) Juris-Classeur Périodique (Frankreich) Journal de droit des affaires internationales (Frankreich) Journal of Family Law Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Journal of International Banking and Financial Law Journal of International Arbitration (Schweiz) XXVII

Abkürzungsverzeichnis

J.Int.Bank.L. J.Int.L.& Policy J.M.L.C. JNPÖ J.O. JÖR J. PIL JR J.T. JurA JurBüro jurisPR-InsR JuS JVEG

JW J.W.T.L. JZ KAGB Kap. KapVStG KB KG KGJ King´s Coll.L.J. Kl. KO Komm KonsG KostO K&R KRG KrG krit. KSchG KSÜ

KTS KultgSchG KVO XXVIII

Journal of International Bank Law (England) Journal of International Law and Policy Journal of Maritime Law and Commerce (USA) Jahrbuch für neue politische Ökonomie Journal Officiel Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Journal of Private International Law Juristische Rundschau Journal des Tribunaux (Belgien) Juristische Analysen Das juristische Büro juris PraxisReport Insolvenzrecht Juristische Schulung Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz) Juristische Wochenschrift Journal of World Trade Law (Schweiz, früher Großbritannien) Juristenzeitung Kapitalanlagegesetzbuch Kapitel Kapitalverkehrssteuergesetz Kings Bench Division (England) Kammergericht Berlin Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts Berlin King´s College Law Journal Kläger Konkursordnung Kommentar Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) Kostenordnung Kommunikation & Recht Kontrollratsgesetz Kreisgericht kritisch Kündigungsschutzgesetz Haager Übereinkommen vom 19.10.1996 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung, Vollstreckung und Zusammenarbeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung und der Maßnahmen zum Schutz von Kindern Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kulturgüterschutzgesetz Kraftverkehrsordnung

Abkürzungsverzeichnis

KWG LAG LES Lfg. LFMR LFZG LG liecht. LIEI li. Sp. LJZ Lloyd´s Rep. LM LMCLQ L.Pol.Int.Bus. L.Q.R. LS LSG LuftVG LugÜ LZ MaBV MAD MAR MarkenG Marq. L. Rev. m.a.W. McGill L. J. MDR mE Mich. State J. Int. L. MiFID

MiFIR MiLoG Minn. L. Rev. MitbestG Mitt.

Gesetz über das Kreditwesen Landesarbeitsgericht; Lastenausgleichsgesetz Liechtensteinische Entscheidungssammlung Lieferung Law and Financial Markets Review Gesetz über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfalle (Lohnfortzahlungsgesetz) Landgericht liechtensteinisch Legal Issues of European Integration (Niederlande) linke Spalte Liechtensteinische Juristen-Zeitung Lloyd´s Law Reports (England) Das Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, hrsg. v. Lindenmaier und Möhring Lloyd´s Maritime and Commercial Law Quarterly (England) Law and Policy in International Business Law Quarterly Review Leitsatz Landessozialgericht Luftverkehrsgesetz Übereinkommen von Lugano über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 3.10.2007 Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht (1907–1933) VO über die Pflichten der Makler, Darlehens- und Anlagenvermittler, Bauträger und Baubetreuer (Makler- und Bauträgerverordnung) Market Abuse Directive, Marktmissbrauchs-Richtlinie Market Abuse Regulation, Marktmissbrauchsverordnung Markengesetz Marquette Law Review mit anderen Worten McGill Law Journal (Kanada) Monatsschrift für Deutsches Recht meines Erachtens Michigan State Journal of International Law. Markets in Financial Instruments Directive, Richtlinie 2004/ 39/EG vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente und Richtlinie 2014/65/EU vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente Verordnung (EU) Nr. 600/2014 vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (Marktmissbrauchsverordnung) Mindestlohngesetz vom 11.8.2014 Minnesota Law Review Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) Mitteilungen XXIX

Abkürzungsverzeichnis

MittBayNotV MittEuGH MittRheinNotK MMR Mod.L.Rev. MoMiG MRG MR-Int MSA MTO MÜ MUV m.w.N. Nachw. NAG N.C.J.Int.L.Com.Reg. NCPC NdsRpfl. Ned. Jur. nF NiemZ

N.I.L.R. NIPR N.J. NJOZ NJW NJW-RR NLCC Nordic J.Int.L. Nordisk TIR NotBZ Nr. NStG NStZ-RR NSW NTIR XXX

Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins Mitteilungen über den EuGH Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Multimedia und Recht The Modern Law Review (England) Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 28.10.2008 Militärregierungsgesetz Medien & Recht International Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961 Multimodal Transport Operator Montrealer Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr v. 28.5.1999 Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanvertrag) mit weiteren Nachweisen Nachweis Bundesgesetz, betreffend die zivilrechtlichen Verhältnisse der Niedergelassenen und Aufhalter (Schweiz) North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation (USA) Nouveau Code de procédure civile (Frankreich) Niedersächsische Rechtspflege Nederlandse Jurisprudentie neue Fassung Zeitschrift für internationales Recht (1891–1901 – Zeitschrift für internationales Privat- und Strafrecht; 1902–1909 – Zeitschrift für internationales Privat- und Öffentliches Recht; begr. von Böhm, ab 1901 hrsg. v. Niemeyer) Netherlands International Law Review (1975 ff.) Nederlands Internationaal Privaatrecht Nederlandse Jurisprudentie Neue Juristische Online Zeitschrift Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Le Nuove Leggi Civili Commentate Nordic Journal of International Law (ab 1986; Dänemark) Nordisk Tidsskrift for International Ret (bis 1985; Dänemark) Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Nummer Nachrichten der Studiengesellschaft für privatrechtliche Auslandsinteressen Neue Zeitschrift für Strafrecht – Rechtsprechungsreport Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofes Nederlands Tijdschrift voor Internationaal Recht (bis 1974)

Abkürzungsverzeichnis

Nw.J.Int.L. & Bus. N.Y.S., N.Y.S.2d NZA NZG NZI NZV o.ä. ÖBA OER OGAW OGH/öOGH OGHBrZ OGHZ ÖH OHG oJ ÖJZ OLG OLGE OLG-NL OLGR OLGZ ÖNotZ ÖNZ op. cit. OR ORG ÖRiZ öst. öst. IPRG OZöR ÖZW P Parker Sch.J.E.Eur.L. PatG PECL PharmR PHI poln. poln. IPR-G

Northwestern Journal of International Law and Business (USA) West´s New York Supplement Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht oder ähnlich Zeitschrift für das gesamte Bank- und Börsenwesen (Österreich) Osteuropa Recht Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Zivilsachen Österreichische Hefte für die Praxis des internationalen und ausländischen Rechts (1956–1959) Offene Handelsgesellschaft ohne Jahr Österreichische Juristen-Zeitung Oberlandesgericht Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiete des Zivilrechts OLG-Rechtsprechung Neue Länder OLG-Report Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen (1965–1994) Österreichische Notarzeitung Österreichische Notariatszeitung opere citato Bundesgesetz über das Obligationenrecht (Schweiz) Oberstes Rückerstattungsgericht Österreichische Richterzeitung österreichisch Bundesgesetz vom 15.6.1978 über das internationale Privatrecht – IPR-Gesetz (Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich 1978, 1729) Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Probate, Divorce and Admiralty (Law Reports; Großbritannien) Parker School Journal of East European Law Patentgesetz Principles of European Contract Law Pharma Recht (Zeitschrift) Produkthaftung International polnisch Gesetz vom 4.2.2011: Internationales Privatrecht XXXI

Abkürzungsverzeichnis

port. Pressemitt. preuß. ProdHaftG PSD PucheltsZ PVÜ Quartalshefte Q.B. QBD RabelsZ RADG RAG RAGE RAGebO RAnwG

Rass.arb. Rb RBerG RBÜ RdA RDG RdTW RdW Rec. des Cours Recht RegBegr. re. Sp. resp. Rev.arb. Rev.belge dr.int. Rev. Centr. East. European L. Rev.crit.d.i.p. Rev.dr.aff.int. Rev. dr. banc. fin. Rev.dr.int.dr.comp. Rev. dr. transp. Rev.dr.unif. Rev.gén.dr.civil belge XXXII

portugiesisch Pressemitteilung preußisch Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte (Produkthaftungsgesetz) vom 15.12.1989 Payment Services Directive Zeitschrift für französisches Zivilrecht, begr. von Puchelt Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums Quartalshefte der Girozentrale und Bank der österreichischen Sparkassen Queen´s Bench Division (Law Reports) Queens Bench Division (England) Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (1927 ff.) Rechtsanwaltsdienstleistungsgesetz Reichsarbeitsgericht Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts s. BRAGO Gesetz über die Anwendung des Rechts auf internationale zivil-, familien- und arbeitsrechtliche Beziehungen sowie auf internationale Wirtschaftsverträge (Rechtsanwendungsgesetz) (GBl. 1975 I 748; DDR) Rassegna dell arbitrato (Italien) Rechtbank Rechtsberatungsgesetz Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und der Kunst Recht der Arbeit Gesetz über außergerichtliche Rechtsdienstleistungen (Rechtsdienstleistungsgesetz) Recht der Transportwirtschaft Österreichisches Recht der Wirtschaft Recueil des Cours de l´Académie de droit international (Niederlande) Das Recht Begründung des Regierungsentwurfs rechte Spalte respektive Revue de l´arbitrage (Frankreich) Revue belge de droit international Review of Central and East European Revue critique de droit international privé (Frankreich) Revue de droit des affaires internationales (Frankreich) Revue de droit bancaire et financier Revue de droit international et de droit comparé (Belgien) Revue de droit des transports Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (Italien) Revue générale de droit civil belge

Abkürzungsverzeichnis

Rev.gén.dr.int.pub. Rev.hell.dr.int. Rev.int.dr.comp. Rev.jur.com. Rev.Lamy dr.aff. Rev.Marché Commun Rev. Ord. Advog. Rev.Soc.L. Rev.trim.dr.civ. Rev.trim.dr.com. Rev.trim.dr.europ. RFH RG RGBl. RGZ RheinZ RiA

Riv. arb. Riv.dir.civ. Riv.dir.com. Riv.dir.com.int. Riv.dir.int. Riv.dir.int.priv.proc. Riv.dir.proc. RiW RIW RKT RL RNotZ Rom I-VO Rom II-VO ROW Rpfleger RRa Rs. Rspr. RVG RVO

Revue générale de droit international public (Frankreich) Revue hellénique de droit international (Griechenland) Revue internationale de droit comparé (Frankreich) Revue de jurisprudence commerciale (Frankreich) Revue Lamy Droit des affaires Revue du Marché Commun (Frankreich) Revista da Ordem dos Advogados (Portugal) Review of Socialist Law (Niederlande) Revue trimestrielle de droit civil (Frankreich) Revue trimestrielle de droit commercial et de droit économique (Frankreich) Revue trimestrielle de droit européen Reichsfinanzhof Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rheinische Zeitschrift für Zivil- und Prozeßrecht des In- und Auslandes AW-Recht im Außenhandel (seit 1973 Beil. zu „DDR-Außenwirtschaft“; bis 1967 Beil. zu „Außenhandel“; 1968–1973 „Recht in der Außenwirtschaft“ Beil. zu „Sozialistische Außenwirtschaft“; DDR) Rivista dell´ arbitrato (Italien). Rivista di diritto civile (Italien) Rivista del diritto commerciale e del diritto generale delle obbligazioni (Italien) Rivista di diritto del commercio internazionale (Italien) Rivista di diritto internazionale (Italien) Rivista di diritto internazionale privato e processuale (Italien) Rivista di diritto processuale (Italien) Recht der internationalen Wirtschaft (1956–57) Recht der internationalen Wirtschaft/Außenwirtschaftsdienst des Betriebs-Beraters (1975 ff.) Reichskraftwagentarif Richtlinie Rheinische Notar-Zeitschrift Verordnung (EG) Nr. 593/2008 vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) Verordnung (EG) Nr. 864/2007 vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) Recht in Ost und West Der deutsche Rechtspfleger ReiseRecht aktuell Rechtssache Rechtsprechung Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) Reichsversicherungsordnung XXXIII

Abkürzungsverzeichnis

Rz. RzW S. s. s.a. SA SaBl. SAE SBZ ScheckG SchiedsVZ SchlHA SchVG SchwbG Schweiz. AG schweiz. IPRG-Entw. SchweizJahrbIntR SchwJZ schwz. S.Ct. s.d. sec. SeeArbG SeemannsG SeuffArch. SEW SFS SGB SHSG SJZ Slg. s.o. sog. SortSchG span. Spiegelstr. SpuRt SRZ S&S StAZ StBerG Stbg st. Rspr. StuW XXXIV

Randzahl Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht Satz, Seite siehe, section siehe auch s. SeuffArch. Sammelblatt für Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Sowjetisch besetzte Zone Scheckgesetz Zeitschrift für Schiedsverfahren Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schuldverschreibungsgesetz Schwerbehindertengesetz Schweizerische Aktiengesellschaft Botschaft zum Bundesgesetz über das IPR (IPR-Gesetz) (BBl. 1983 I 263) Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht Schweizerische Juristenzeitung schweizerisch Supreme Court siehe dort section Seearbeitsgesetz vom 20.4.2013 Seemannsgesetz vom 26.7.1957 Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Sociaal-Economische Wetgeving – Tijdschrift voor Europees en economisch recht Svensk författningssamling Sozialgesetzbuch Seehandelsschiffahrtsgesetz (DDR; GBl. 1976 I 109) Süddeutsche Juristen-Zeitung Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes siehe oben sogenannter Sortenschutzgesetz spanisch Spiegelstrich Zeitschrift für Sport und Recht Saarländische Rechts-Zeitschrift Schip en Schade Das Standesamt Steuerberatungsgesetz Die Steuerberatung ständige Rechtsprechung Steuer und Wirtschaft (Zeitschrift)

Abkürzungsverzeichnis

S.U. s.u. Sydney L. Rev. SZ SZIER SZR SZW/RSDA Tex. Int. L.J. TranspR TranspR-IHR Trav.Com.fr.d.i.p. TRG Trib.com. Trib.gr.inst. TRIPS tschech. tschech.IPRG TT-GVO Tul.L.Rev. TVR TzBfG TzWrG u.a. u.ä. UAbs. Übk. UCC UFITA UfR U.Ill.L.Rev. UINL UmstG UMV UNCITRAL ung. UNIDO UNIDROIT Unif.L.Rev. Unterabs.

Sezioni Unite siehe unten Sydney Law Review Entscheidungen des österreichischen Obersten Gerichtshofes in Zivil- und Justizverwaltungssachen Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Zeitschrift für Schweizerisches Recht Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaft- und Finanzmarktrecht Texas International Law Journal Transportrecht Internationales Handelsrecht – Beilage zur Zeitschrift Transportrecht Travaux du Comité français de droit international privé Gesetz zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz) vom 25.6.1998 Tribunal de commerce (Frankreich) Tribunal de grande instance Übk. vom 15.4.1994 über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums tschechisch/tschechoslowakisch Gesetz Nr. 91/2012 über das Internationale Privatrecht Verordnung (EU) Nr. 316/2014 vom 21.3.2014 über die Anwendung von Art. 101 Abs. 3 AEUV auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen Tulane Law Review (USA) Tijdschrift Vervoer & Recht Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz) Gesetz über die Veräußerung von Teilnutzungsrechten an Wohngebäuden und andere(s); unter anderem und ähnliche(s) Unterabsatz Übereinkommen Uniform Commercial Code Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht Ugeskrift for Retsvæsen (Dänemark) University of Illinois Law Review (USA) Internationale Union des Lateinischen Notariats Umstellungsgesetz Unionsmarkenverordnung United Nations Commission on International Trade Law ungarisch United Nations Industrial Development Organization International Institute for the Unification of Private Law Uniform Law Review Unterabsatz XXXV

Abkürzungsverzeichnis

UNTS UNÜ unveröff. URDG UrhG US USD UStG usw. u.U. UWG v. v.a. VAG Va.J.Int.L. Va.J.Transnat.L. Var. VBlBW VEB VerbrKrG VermAnlG VermG VersPrax VersR vgl. vH VO VOB Vorbem. VRÜ VSSR VuR VVG VW WA WährG WarnRspr. WBl. WCT WG WGO WGO-MfOR XXXVI

United Nations Treaties Series UN-Übk. über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958 unveröffentlicht ICC Uniform Rules for Demand Guarantees Urheberrechtsgesetz United States Reports US-Dollar Umsatzsteuergesetz und so weiter unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von; vom; versus vor allem Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (Versicherungsaufsichtsgesetz) Virginia Journal of International Law Vanderbilt Journal of Transnational Law (USA) Variante Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg Volkseigener Betrieb Verbraucherkreditgesetz Gesetz über Vermögensanlagen Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Vermögensgesetz) Die Versicherungspraxis Versicherungsrecht vergleiche vom Hundert Verordnung Verdingungsordnung für Bauleistungen Vorbemerkung Verfassung und Recht in Übersee Vierteljahresschrift für Sozialrecht Verbraucher und Recht Versicherungsvertragsgesetz Versicherungswirtschaft Warschauer Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderungsbedingungen im internationalen Luftverkehr Gesetz zur Neuregelung des Geldwesens (Währungsgesetz) Rechtsprechung des Reichsgerichts, hrsg. v. Warneyer Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich) WIPO Copyright Treaty (WIPO-Urheberrechtsvertrag) Wechselgesetz Die wichtigsten Gesetzgebungsakte in den Ländern Ost- und Südosteuropas und in den ostasiatischen Volksdemokratien (1959 ff.) Monatshefte für Osteuropäisches Recht

Abkürzungsverzeichnis

WiB WIPO WiRO WiVerw W.L.R. w. Nachw. WM WPg WpHG WPNR WpPG WPPT WpÜG WRP WuB WuW WuW/E WvK WZG Yale L.J. Yb.Com.Arb. Yb.Eur.L. Yb. Mar. L. Yb.PIL ZA ZAG ZAkDR ZaöRV ZAP ZAR ZAS z.B. ZBB ZBinnSch. ZBl. ZBlJR ZErb ZESAR ZEuP ZEuS ZfA ZfBR

Wirtschaftsrechtliche Beratung World Intellectual Property Organization Wirtschaft und Recht in Osteuropa Wirtschaft und Verwaltung The Weekly Law Reports (Großbritannien) weitere Nachweise Wertpapier-Mitteilungen (1947 ff.) Die Wirtschaftsprüfung (Zeitschrift) Gesetz über den Wertpapierhandel (Wertpapierhandelsgesetz) Weekblad voor Privaatrecht, Notariaat en Registratie (Niederlande) Wertpapierprospektgesetz WIPO Performances and Phonograms Treaty (WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger) Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Wettbewerb in Recht und Praxis Wirtschafts- und Bankrecht, Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb. Entscheidungssammlung zum Kartellrecht (1957 ff.) Wetboek van Koophandel (Niederlande) Warenzeichengesetz The Yale Law Journal (USA) Yearbook Commercial Arbitration (Niederlande) Yearbook of European Law (England) Yearbook Maritime Law Yearbook of Private International Law Zentralamt Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz; Zusatzabkommen von Guadalajara Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (1929 ff.) Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik (1982 ff.) Zeitschrift für Arbeitsrecht und Sozialrecht (Österreich) zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zeitschrift für Binnenschifffahrt und Wasserstraßen Zentralblatt für die juristische Praxis (Österreich) Zentralblatt für Jugendrecht und Jugendwohlfahrt Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für europäisches Sozial- und Arbeitsrecht Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht XXXVII

Abkürzungsverzeichnis

ZfgesK, ZfK ZfIR ZfRV ZG ZG ZGB ZGR ZGS ZHK ZHR ZIAS Ziff. ZInsO ZIP zit. ZLR ZLW ZMR ZNotP ZPO ZRP ZSR z.T. ZUM ZUM-RD zust. ZustG ZVersWiss. ZVertriebsR ZVG ZVglRW/ZVglRWiss ZVormW ZVP ZZP ZZPInt z.Zt. ZZZ

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Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Immobilienrecht Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, früher: Zeitschrift für Rechtsvergleichung (Österreich) Zivilgericht (Schweiz) Zollgesetz Zivilgesetzbuch (DDR; Schweiz) Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Vertragsgestaltung, Schuld- und Haftungsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Konkursrecht (bis 1961) Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht (ab 1962 ff.) Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (bis 1982: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis) zitiert Zeitschrift für Luftrecht Zeitschrift für Luftrecht und Weltraumrechtsfragen (1960 ff.) Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für die Notarpraxis Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht zum Teil Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht – Rechtsprechungsdienst zustimmend Zustimmungsgesetz Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft Zeitschrift für Vertriebsrecht Gesetz über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Vormundschaftswesen (Schweiz) Zeitschrift für Verbraucherpolitik Zeitschrift für Zivilprozess Zeitschrift für Zivilprozess International zur Zeit Schweizerische Zeitschrift für Zivil- und Zwangsvollstreckungsrecht

Literaturverzeichnis Die hier aufgeführten Werke werden – soweit nicht anders angegeben – nur mit Verfassername und Seite bzw. Randzahl zitiert. I. Deutschland 1. Gesamtdarstellungen Chr. v. Bar/P. Mankowski, Internationales Privatrecht, Bd. I, 2. Aufl. (2003), Bd. II (2019) Drobnig, American-German Private International Law (1972) Ferid, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. (1986) Frankenstein, Internationales Privatrecht, Bd. I (1926), Bd. II (1929), Bd. III (1934), Bd. IV (1935) Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. (2020) Hausmann, Das Internationale Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 3. Aufl. (2017) v. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. (2007) Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. (2004) Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch des Internationalen Wirtschaftsrechts, 2. Aufl. (2017) Kropholler, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. (2006) Lewald, Das deutsche Internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung (1931) Linke/Hau, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. (2021) Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Handbuch des Internationalen Zivilver-fahrensrechts, Bd. I (1982), Bd. II/1 (1994), Bd. III/1 (1984), Bd. III/2 (1984) Melchior, Die Grundlagen des deutschen Internationalen Privatrechts (1932) Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. (2020) Neuhaus, Die Grundbegriffe des Internationalen Privatrechts, 2. Aufl. (1976) Neumeyer, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. (1930) Neumeyer, Internationales Verwaltungsrecht, Bd. I-IV (1910-1936) Niemeyer, Das in Deutschland geltende Internationale Privatrecht (1894) Nußbaum, Deutsches Internationales Privatrecht unter besonderer Berücksichtigung des österreichischen und schweizerischen Rechts (1932) Nußbaum, Grundzüge des Internationalen Privatrechts unter besonderer Berücksichtigung des amerikanischen Rechts (1952) Pirrung, Internationales Privat- und Verfahrensrecht nach dem Inkrafttreten der Neuregelung des IPR (1987)

XXXIX

Literaturverzeichnis

Raape, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. (1977) Raape/Sturm, Internationales Privatrecht, Bd. I, 6. Aufl. (1977) Rauscher, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. (2017) Riezler, Internationales Zivilprozessrecht und prozessuales Fremdenrecht (1949) v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. VIII, 2. Aufl. (1849) Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 8. Aufl. (2021) Schütze, Deutsches Internationales Zivilprozessrecht unter Einschluss des Europäischen Zivilprozessrechts, 2. Aufl. (2005) Siehr, Internationales Privatrecht (2001) Wolff, Das Internationale Privatrecht Deutschlands, 3. Aufl. (1954) Zitelmann, Internationales Privatrecht, Bd. I (1887), Bd. II (1912) 2. Kommentare Bamberger/Roth/Hau/Poseck (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. V, 4. Aufl. (2020) (zit.: Bearbeiter in BRHP) Beck-online. Grosskommentar zum Zivilrecht (zit.: Bearbeiter in BeckOGK) Beck’scher Online-Kommentar BGB (BeckOK BGB) siehe Bamberger/Roth/Hau/Poseck Erman, Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. II, 16. Aufl. (2020) Ferrari/Kieninger/Mankowski/Otte/Saenger/Schulze/Staudinger, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl. (2018) (zit.: Bearbeiter in Ferrari, IntVertragsR bzw. Bearbeiter in Ferrari/Kieninger/Mankowski) Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. (2020) Juris Praxiskommentar BGB, Bd. 6, Internationales Privatrecht und UN-Kaufrecht, 9. Aufl. (2020) Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl. (2011) Looschelders, Internationales Privatrecht (2004) Magnus/Mankowski (Hrsg.), Rome I Regulation, 2017 (zit.: Bearbeiter in Magnus/Mankowski) Magnus/Mankowski, European Commentaries on Private International Law: ECPIL, Bd. I-IV, 2015 ff. Münchener Kommentar, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Bd. 12, 8. Aufl. (Internationales Privatrecht I, Europäisches Kollisionsrecht, Art. 1-24 EGBGB) (2020); Bd. 13, 8. Aufl. (Internationales Privatrecht II, Interna-tionales Wirtschaftsrecht, Art. 25-248 EGBGB) (2020) (zit.: Bearbeiter in MünchKomm)

XL

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Graf von Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, 3 Bde. (Stand November 2020) 4. Textausgaben Jayme/Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 20. Aufl. (2020) Makarov, Quellen des Internationalen Privatrechts – Nationale Kodifikationen, 3. Aufl. (1978), bearbeitet von Kropholler, Neuhaus und Waehler Zweigert/Kropholler, Quellen des Internationalen Einheitsrechts, Bd. I (1971), Bd. II (1972), Bd. III (1973) II. England Cheshire/North/Fawcett, Private International Law, 15. Aufl. (2017) Dicey/Morris/Collins, On the Conflict of Laws, 2 Bde., 15. Aufl. (2012) Ferrari (Hrsg.), Concise commentary on the Rome I Regulation, 2. Aufl. (2020) Plender/Wilderspin, The European private international law of obligations, 5. Aufl. (2020) III. Frankreich Ancel/Deumier/Laazouzi, Droit des contrats internationaux, 2. Aufl. (2020) Audit/d'Avout, Droit international privé, 8. Aufl. (2018) Batiffol/Lagarde, Traité de droit international privé, Bd. I, 8. Aufl. (1993), Droit international privé, Bd. II, 7. Aufl. (1983) Loussouarn/Bourel/de Vareilles-Sommières, Droit international privé, 11. Aufl. (2020) Mayer/Heuzé/Rémy, Droit international privé, 12. Aufl. (2019) IV. Niederlande Calliess/Renner (Hrsg.), Rome Regulations, 3. Aufl. (2020) V. Österreich Czernich/Heiss (Hrsg.), EVÜ – Das Europäische Schuldvertragsübereinkommen (Wien 1999) Koziol/Bydlinksi/Bollenberger (Hrsg.), ABGB, 5. Aufl. (2017) Lurger/Melcher, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. (2020) Rummel (Hrsg.), Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch, 3. Aufl., Bd. I (2000), Bd. II (2004) XLII

Literaturverzeichnis

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XLIII

XLIV

Teil 1 Vertragsgestaltung und rechtliche Einordnung §1 Grundlagen und Vertragsgestaltung A. Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . I. Einheitliches Sach- und Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einheitliches Sachrecht und Grundregeln . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheitliches Kollisionsrecht . . . II. EG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 1. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Räumlicher Anwendungsbereich des EVÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Intertemporales Recht . . . . . . . . 4. Anwendung des Übereinkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auslegungsprotokolle zum EVÜ III. Europäisches Privatrecht . . . . . . . . 1. Europäisches Vertragsrecht . . . . 2. Primäres Unionsrecht . . . . . . . . a) Vorrang des Unionsrechts . . b) Unionsrechtsakte und Abschluss von Staatsverträgen . c) Verhältnis zum nationalen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . d) Verhältnis zu nationalen Sachnormen . . . . . . . . . . . . . 3. Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . 4. Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unionsrechtliche Richtlinien aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Fehlende Umsetzung . . b) Einzelne Richtlinien . . . . . . aa) Verbraucherrecht . . . . . bb) Dienstleistungen . . . . . . cc) Time-Sharing . . . . . . . . dd) Versicherungsrecht . . . . ee) Arbeitsrecht . . . . . . . . . ff) Handelsvertreterrecht . . gg) Anwaltsrecht . . . . . . . . . 5. Gemeinsamer Referenzrahmen und optionales Instrument . . . .

1.1 1.1 1.1 1.3 1.4 1.4 1.6 1.10 1.14 1.15 1.17 1.17 1.18 1.18 1.21 1.23 1.24 1.25 1.27 1.27 1.27 1.31 1.35 1.35 1.39 1.40 1.41 1.42 1.43 1.44 1.45

IV. Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Grundregeln (Principles) . . . . . . . . B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung . . . . . . . . . . . . . I. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unionsrechtliche Regelung . . . . . . 1. Vorrang der Verordnung . . . . . 2. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Räumlicher Anwendungsbereich und Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . IV. Universelle Anwendung (Art. 2 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Sachlicher Anwendungsbereich (Art. 1 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertragliche Schuldverhältnisse 3. Zivil- und Handelssachen . . . . . 4. Verbindung zum Recht verschiedener Staaten (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausnahmen des Art. 1 Rom IVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz der Nichtanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Analoge Anwendung . . . . . . c) Öffentlich-rechtliche Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ausgeschlossene Materien (Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . a) Personenstand, Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit (Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . b) Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis (Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom I-VO) . . . . c) Schuldverhältnisse aus ehelichen Güterständen, Testamenten und Erbrecht (Art. 1 Abs. 2 lit. c Rom I-VO) . . . .

1.46 1.47 1.48 1.48 1.52 1.52 1.55 1.60 1.64 1.65 1.65 1.66 1.78 1.79 1.83 1.83 1.87 1.91 1.92

1.92 1.93

1.97

Martiny | 1

§ 1 Rz. | Grundlagen und Vertragsgestaltung d) Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren Wertpapieren (Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO) . . . . . . . . . 1.98 e) Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO) . . . . . . . . . 1.105 f) Gesellschaftsrecht, Vereinsrecht und Recht der juristischen Personen (Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO) . . . . . . . . . 1.109 g) Vertreter (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . 1.111 h) Gründung von „Trusts“ (Art. 1 Abs. 2 lit. h Rom IVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.114 i) Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Vertragsabschluss (Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . 1.120 j) Versicherungsverträge (Art. 1 Abs. 2 lit. j Rom I-VO) . . . . 1.121 k) Beweis und Verfahren (Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO) . . . . . . . . 1.123 VI. Verhältnis zu anderen Unionsrechtsakten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.125 1. Weitergeltung anderen Unionsrechts (Art. 23 Rom I-VO) . . . . 1.125 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . 1.127 3. Einheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 1.128 4. Kollisionsnormen in Verordnungen und Richtlinien . . . . . . . . . 1.129

VII. VIII. IX. C. I. II. III.

IV.

a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 1.129 b) Verordnungen . . . . . . . . . . . 1.130 c) Richtlinien . . . . . . . . . . . . . 1.131 5. Versicherungsverträge . . . . . . . 1.138 Beziehung zum Übereinkommen von Rom (Art. 24 Rom I-VO) . . . . 1.139 Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen (Art. 25 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.141 Inkrafttreten und zeitliche Anwendbarkeit (Art. 29 Rom I-VO) . 1.145 Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung . . . . . . . 1.149 Informationsbeschaffung . . . . . . . 1.149 Abschluss des Vertrages . . . . . . . . 1.156 Inhalt und Wirksamkeit des Vertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.159 1. Wirksamkeit des Vertrages . . . 1.159 2. Gesellschaftsrechtliche Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.161 3. Vertragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . 1.162 4. Form- und Beweisfragen . . . . . 1.171 5. Geschäftspartner . . . . . . . . . . . 1.174 6. Vertrags- und Verhandlungssprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.176 7. Anwendbares Recht . . . . . . . . . 1.181 8. Sicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . 1.184 Vertragsdurchsetzung und Streiterledigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.185

A. Rechtsvereinheitlichung I. Einheitliches Sach- und Kollisionsrecht Quellen: Wiggers (Hrsg.), International commercial law – Source materials, 2. Aufl. (The Hague 2007). Literatur (Auswahl): Berger, Formalisierte oder „schleichende“ Kodifizierung des internationalen Wirtschaftsrechts (1996); Berger, International Arbitral Practice and the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, Am.J.Comp.L. 46 (1998), 129; Berger, Die Musterklauseln für die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, FS Wegen (2015), S. 377; Blaurock, Übernationales Recht des Internationalen Handels, ZEuP 1993, 247; Blaurock, The Law of Transnational Commerce in Ferrari (Hrsg.), The Unification of International Commercial Law (1998), S. 9; Boele-Woelki, Die Anwendung der UNIDROIT-Principles auf internationale Handelsverträge, IPRax 1997, 161; Bonell, The UNIDROIT Principles and Transnational Law, Unif.L.Rev. 5 (2000), 199; Bonell, Do We Need a Global Commercial Code?, Unif.L.Rev. 5 (2000), 469; Bonell, An International Restatement of Contract Law, 3. Aufl. (Ardsley, NY, 2005); Bonell, Model Clauses for the Use of the Unidroit Principles of International Commercial Contracts, Unif.L.Rev. 18 (2013), 473; Bonell, The

2 | Martiny

A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.2 § 1 law governing international commercial contracts and the actual role of the Unidroit Principles, Unif. L.Rev. 23 (2018), 15; Brödermann, UNIDROIT Principles of international commercial contracts (2018); Brödermann, UNIDROIT Principles in Mankowski (Hrsg.), Commercial law (2019), S. 462; Dennis, Modernizing and harmonizing international contract law, Unif.L.Rev. 19 (2014), 114; Ferrari (Hrsg.), The Unification of International Commercial Law (1998); Jansen/Zimmermann (Hrsg.), Commentaries on European contract laws (2018); Kronke, International uniform commercial law Conventions: advantages, disadvantages, criteria for choice, Unif.L.Rev. 5 (2000), 13; Mankowski (Hrsg.), Commercial Law (2019); Michaels, Privatautonomie und Privatkodifikation – Zu Anwendbarkeit und Geltung allgemeiner Vertragsrechtsprinzipien, RabelsZ 62 (1998), 580; Schwenzer, Global unification of contract law, Unif.L.Rev. 21 (2016), 60; Vogenauer (Hrsg.), Commentary on the UNIDROIT principles of international commercial contracts, 2. Aufl. (Oxford 2015); Weidemann, Lückenergänzung und richterliche Rechtsfortbildung nach Art. 1.6 II der UNIDROIT-Principles for international commercial contracts (2001); Wichard, Die Anwendung der UNIDROIT-Prinzipien für internationale Handelsverträge durch Schiedsgerichte und staatliche Gerichte, RabelsZ 60 (1996), 269.

1. Einheitliches Sachrecht und Grundregeln Das materielle Vertragsrecht wird immer mehr vereinheitlicht oder zumindest angeglichen. Dies geschieht zum einen auf der Ebene der EU (s. näher Rz. 1.17 ff.). Für einzelne Vertragstypen bestehen auch internationale staatsvertragliche Regeln, etwa im Kaufrecht (s. Rz. 25.4 ff.) und im Transportrecht (Rz. 15.100 ff.). In vielen Bereichen existieren überdies branchenspezifische einheitliche Vertragsbedingungen1.

1.1

Das Internationale Institut für Privatrechtsvereinheitlichung (UNIDROIT) hat seit 1994 Grundregeln für Internationale Handelsverträge (Principles of International Commercial Contracts; PICC) aufgestellt und diese weiterentwickelt. Die letzte Fassung ist von 20162. Die Prinzipien sind auf rechtsvergleichender Basis ausgearbeitet worden. Sie sind unterteilt in elf Kapitel, die das allgemeine Vertrags- und Schuldrecht weitgehend abdecken und kommen dann zur Anwendung, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben (vgl. Rz. 2.51). Sie können auch dann herangezogen werden, wenn es um die Anwendung allgemeiner Rechtsprinzipien, Lücken im nationalen Recht oder die Auslegung von Einheitsrecht geht. Die Prinzipien genießen aber nicht den Charakter staatlichen oder staatsvertraglichen Rechts. Zu den europäischen Grundregeln s. Rz. 1.17. Andere Grundregeln haben regionale, teils praktische, aber vor allem wissenschaftliche Bedeutung, s. zu den Europäischen Grundregeln Rz. 1.47. Die Organisation pour l'harmonisation en Afrique du droit des affaires (OHADA) treibt die Harmonisierung des Wirtschaftsrechts, insb. des Handels- und Kaufrechts, in Afrika voran3. Es gibt auch Bemühungen um Principles of Asian Contract Law (PACL)4 sowie Prin-

1.2

1 Dennis, Unif.L.Rev. 19 (2014), 114 ff.; Schwenzer, Unif.L.Rev. 21 (2016), 60 ff. 2 Text: https://www.unidroit.org/instruments/commercial-contracts/unidroit-principles-2016. Deutsche Übersetzung bei Schulze/Zimmermann, Europäisches Privatrecht – Basistexte, 6. Aufl. 2020, III 35. 3 Dazu Organisation pour l'harmonisation en Afrique du droit des affaires, Traité et actes uniformes commentés et annotés (2018); Fontaine, L'harmonisation du droit des contrats dans les pays de l'OHADA, FS Kronke (2020), S. 803; Monsenepwo, Vereinheitlichung des Wirtschaftsrechts in Afrika durch die OHADA, RabelsZ 84 (2020), 97. – Zum OHADA-Kaufrecht s. Magnus ZEuP 2020, 645 (647 ff.). 4 Dazu Lee, Anwendungsvoraussetzungen und -bereich des Common European Sales Law: Im Vergleich mit dem UN-Kaufrecht und den Principles of Asian Contract Law (2017).

Martiny | 3

§ 1 Rz. 1.2 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

ciples of Latin American Contract Law (PLACL)1. Ferner enthält Grundregeln das Restatement of Nordic Contract Law (2016)2.

2. Einheitliches Kollisionsrecht 1.3

Auch das Kollisionsrecht ist teilweise vereinheitlicht worden. Dies geschieht zum einen auf europäischer Ebene in Form von Verordnungen und Richtlinien (s. allgemein Rz. 1.25 ff.), zum anderen durch Staatsverträge. Die Haager Konferenz hat in einzelnen Bereichen das Kollisionsrecht ebenfalls vereinheitlicht (s. Rz. 1.46).

II. EG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.6.1980 Materialien: Giuliano/Lagarde, Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, abgedruckt insbesondere ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 1 ff. Im Folgenden zitiert nach BT-Drucks. 10/503, S. 33 ff. = BR-Drucks. 224/83, S. 33 ff. = Pirrung, Internationales Privat- und Verfahrensrecht nach dem Inkrafttreten der Neuregelung des IPR (1987), S. 342. Literatur zum Übereinkommensentwurf (Auswahl): Lando, The EC Draft Convention on the Law Applicable to Contractual and Noncontractual Obligations – Introduction and Contractual Obligations, RabelsZ 38 (1974), 6; Lando/von Hoffmann/Siehr (Hrsg.), European Private International Law of Obligations – Acts and Documents of an International Colloquium on the European Preliminary Draft Convention on the Law Applicable to Contractual and Non-Contractual Obligations held in Copenhagen on April 29–30, 1974 (1975); Siehr, Zum Vorentwurf eines EWG-Übereinkommens über das Internationale Schuldrecht, AWD 1973, 569. Literatur zum Übereinkommen vom 19.6.1980 (Auswahl): Kommentare: Czernich/Heiss, EVÜ – Das Europäische Schuldvertragsübereinkommen (Wien 1999); Kaye, The New Private International Law of Contract of the European Community (Aldershot 1993); Pålsson, Romkonventionen (Stockholm 1998). Monografien und Aufsätze: Ballarino (Hrsg.), La Convenzione di Roma sulla legge applicabile alle obbligazioni contrattuali, Bd. 2 (Mailand 1994); Calvo Caravaca/Fernández de la Gándara (Hrsg.), Contratos internacionales (Madrid 1997); Ehle, Wege zu einer Kohärenz der Rechtsquellen im Europäischen Kollisionsrecht der Verbraucherverträge (2002); Fetsch, Eingriffsnormen und EG-Vertrag (2002); Firsching, Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (IPR-VertragsÜ) vom 11.6.1980, IPRax 1981, 37; Foyer, Entrée en vigueur de la Convention de Rome du 19 juin 1980 sur la loi applicable aux obligations contractuelles, Clunet 118 (1991), 601; Gaudemet-Tallon, Le nouveau droit international privé européen des contrats, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215; Gaudemet-Tallon, La Convention de Rome de 1980 sur la loi applicable aux obligations contractuelles, Rev.int.dr.comp. – Numéro special Vol. 7 (1985), 287; Juenger, The European Convention on the Law Applicable to Contractual Obligations – Some Critical Observations, Va.J.Int.L. 22 (1981), 123; Juenger, Parteiautonomie und objektive Anknüpfung im EG-Übereinkommen zum Internationalen Vertragsrecht, RabelsZ 46 (1982), 57; Junker, Die einheitliche europäische Auslegung nach dem EG-Schuldvertragsübereinkommen, RabelsZ 55 (1991), 674; Kassis, Le nouveau droit européen des contrats internationaux (Paris 1993); Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge zwischen Römer-EVÜ und EG-Richtlinien (2002); Klauser, EuGVÜ und EVÜ (Wien 1999); Kresbach, Das europäische Schuldvertragsübereinkommen (Wien 1999); Lagarde, The European Convention on the Law Applicable to Contractual Obligations – An Apologia, Va.J.Int.L. 22 (1981), 91; Lagarde, The Scope of Applicable Law in the E.E.C. Convention in North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam/

1 de la Maza Gazmuri/Vidal Olivares, The Principles of Latin American Contract Law (PLACL), ZEuP 2020, 418. 2 S. Håstad, Introduction to the Contributions on Nordic Contract Law, ERPL 28 (2020), 541.

4 | Martiny

A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.5 § 1 New York/Oxford 1982), S. 49; Lagarde, Le nouveau droit international privé des contrats après l´entrée en vigueur de la Convention de Rome du 19 juin 1980, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287; Martiny, Das Römische Vertragsrechtsübereinkommen vom 19. Juni 1980, ZEuP 1993, 298; Morse, The EEC Convention on the Law Applicable to Contractual Obligations, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107; H. B. Müller, Die Umsetzung der europäischen Übereinkommen von Rom und Brüssel in das Recht der Mitgliedstaaten – Dargestellt am Beispiel Deutschlands und Dänemarks (1997); North, The E.E.C. Convention on the Law Applicable to Contractual Obligations (1980) in North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam/ New York/Oxford 1982), S. 3; Ost, EVÜ und fact doctrine – Konflikte zwischen europäischer IPR-Vereinheitlichung und der Stellung ausländischen Rechts im angelsächsischen Zivilprozess (1996); Pirrung, Die Einführung des EG-Schuldvertragsübereinkommens in die nationalen Rechte in von Bar (Hrsg.), Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht (1991), S. 21; Sacerdoti (Hrsg.), La Convenzione di Roma sul diritto applicabile ai contratti internazionali, 2. Aufl. (Mailand 1994); Villani, La Convenzione di Roma sulla legge applicabile ai contratti, 2. Aufl. (Bari 2000); Wilderspin, Die Vergemeinschaftung des internationalen Schuldrechts (Rom I, Rom II) in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002), S. 77. S. auch die Literatur vor Rz. 1.17, Rz. 1.48.

1. Entstehung Im Jahre 1972 hat die EG-Kommission den „Vorentwurf eines Übereinkommens über das auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht“ vorgelegt1. Dieser Vorentwurf wurde in einem Bericht von Giuliano/Lagarde und van Sasse van Ysselt erläutert2. Später wurde das „Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ von 19803 fertig gestellt. Hierzu wurde ein erläuternder Bericht von Giuliano und Lagarde mitgeliefert (dazu Rz. 1.58). Das EVÜ wurde am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegt.

1.4

Die Übernahme des EVÜ in das deutsche Recht erfolgte im Rahmen der (Teil-)Reform des IPR von 19864. Der Bundestag beschloss die Reform, durch die das EVÜ als Art. 11, 12, 27–37 EGBGB inkorporiert, d.h. übernommen wurde, mit Gesetz vom 25.7.19865. Am gleichen Tag wurde das Ratifikationsgesetz verabschiedet6. Das neue Kollisionsrecht trat am 1.9.1986 in Kraft. Der Beitritt zum EVÜ erfolgte am 8.1.1987. Das EVÜ selbst war nicht direkt anwendbar7.

1.5

1 Deutscher Text: RabelsZ 38 (1974), 211; französ.: Rev.crit.d.i.p. 72 (1973), 209; engl.: Am.J.Comp. L. 21 (1973), 583. 2 Französ. Text: Riv.dir.int.priv.proc. 9 (1973), 198 ff. = Lando/von Hoffmann/Siehr, S. 241 ff. = La Convenzione di Roma, S. 507 ff. 3 Text: ABl. EG 1980 Nr. L 266, S. 1 = RabelsZ 46 (1982), 196 (deutsch-engl.) = BGBl. II 1986, 810 (deutsch-engl.-französ.) = Pirrung, S. 306 ff. (sechs Sprachen). Konsolidierte Fassung ABl. EU 2005 Nr. C 334, S. 1. 4 Dazu Böhmer, RabelsZ 50 (1986), 646 ff.; Pirrung in von Bar (Hrsg.), EG-Recht und IPR (1991), S. 21 (46 ff.). 5 BGBl. I 1986, 1142 = IPRax 1986, 322 = RabelsZ 50 (1986), 663. 6 Gesetz zu dem Übk. v. 19.6.1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 25.7.1986, BGBl. II 1986, 809. 7 Anders nur, ohne Begründung: OLG Karlsruhe v. 19.9.2013 – 12 U 85/13, IPRax 2014, 534 (m. abl. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2014, 499).

Martiny | 5

§ 1 Rz. 1.6 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

2. Räumlicher Anwendungsbereich des EVÜ 1.6

Das EVÜ gilt für das europäische Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten einschließlich des gesamten Hoheitsgebiets der Französischen Republik1. Das Übereinkommen ist am 1.4.1991 in Kraft getreten. Bereits seit Inkrafttreten gilt es für Belgien, Dänemark, Deutschland2, Frankreich, Griechenland3, Italien, Luxemburg und das Vereinigte Königreich4. Ferner ist das Übereinkommen in Kraft getreten für Irland (1.1.1992)5, die Niederlande (1.9.1991)6 sowie für Portugal (1.10.1994) und Spanien (1.9.1993)7. Außerdem gilt es für Finnland (1.4.1999)8, Österreich (1.12.1998)9 und Schweden (1.10.1998)10.

1.7

Die zehn anlässlich der Ost-Erweiterung der EU am 1.5.2004 beigetretenen Mitgliedstaaten waren verpflichtet, dem EVÜ beizutreten11. Trotz der in Form einer Verordnung zu erwartenden Reform ist es am 15.4.200512 und anlässlich des EU-Beitritts von Bulgarien und Rumänien erneut zu einem staatsvertraglichen Beitritt gekommen13. Dementsprechend ist das EVÜ in Kraft getreten für Bulgarien (15.1.2008)14, Estland (1.10.2006)15, Lettland (1.5.2006)16,

1 Zur Streichung des früheren Art. 27 EVÜ s. Pirrung, FS Lorenz, S. 399 (402). 2 S. Bek. v. 12.7.1991, BGBl. II 1991, 871. Erklärt wurde der Vorbehalt, Art. 7 Abs. 1 EVÜ nicht anzuwenden. 3 Luxemburger EWG-Übk. v. 10.4.1984 über den Beitritt Griechenlands zum EWG-Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht v. 19.6.1980, ABl. EG 1984 Nr. L 146, S. 1 = Pirrung, S. 369 = Rev.crit.d.i.p. 74 (1985), 178. Deutsche Ratifikation durch Gesetz v. 6.6.1988, BGBl. II 1988, 562. 4 Zur Anwendung in England Plender in Lando/Magnus/Novak-Stief, Angleichung des materiellen und des internationalen Privatrechts in der EU (2003), S. 25 ff.; Hartley, FS Jayme Bd. I, S. 297 ff.; Hill, I.C.L.Q. 53 (2004), 325 ff. 5 Bek. v. 9.7.1992, BGBl. II 1992, 550. 6 Bek. v. 9.7.1992, BGBl. II 1992, 550. 7 Übk. von Funchal v. 18.5.1992 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik zu dem am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EG 1992 Nr. L 333, S. 1; BGBl. II 1995, 306; Rev.crit.d.i.p. 82 (1993), 118. 8 BGBl. II 1999, 503. 9 Text ABl. EG 1997 Nr. C 15, S. 10 = BGBl. II 1998, 1422. 10 Text ABl. EG 1997 Nr. C 15, S. 10 = BGBl. II 1998, 1422. 11 Art. 5 Abs. 2 Beitrittsakte, BGBl. II 2003, 1418. – Übk. über den Beitritt v. 15.4.2005, ABl. EU 2005 Nr. C 169, S. 1. 12 Übk. über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zu dem am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie zu dem Ersten und dem Zweiten Protokoll über die Auslegung des Übk. durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften v. 14.4.2005, ABl. EG 2005 Nr. C 169, S. 1; BGBl. II 2006, 348. Dazu Wagner, NJW 2005, 1754 (1755). 13 Beschluss des Rates v. 8.11.2007 über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens, ABl. EU 2007 Nr. L 347, S. 1. – Dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1 (21). 14 BGBl. II 2008, 775. 15 BGBl. II 2007, 638. 16 BGBl. II 2007, 638.

6 | Martiny

A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.12 § 1

Litauen (1.12.2006)1, Malta (1.1.2007)2, Polen (1.8.2007)3, Rumänien (15.1.2008)4, Slowakei (1.8.2006)5, Slowenien (1.5.2006)6, Tschechien (1.7.2006)7, Ungarn (1.6.2006)8 und Zypern (1.11.2006)9. Das am 1.4.1991 in Kraft getretene Übereinkommen beansprucht keine Rückwirkung10. Es ist nach seinem Art. 17 auf Verträge anzuwenden, die geschlossen worden sind, nachdem das EVÜ für den jeweiligen Vertragsstaat in Kraft getreten ist. Da das EVÜ keinen einheitlichen Zeitpunkt des Inkrafttretens kennt, muss das Inkrafttreten für jeden Staat gesondert beurteilt werden11.

1.8

Für die Mitgliedstaaten der Rom I-VO ist diese an die Stelle des EVÜ getreten (Art. 24 Rom IVO), s. Rz. 1.139. Der Gedanke, das EVÜ, das nie förmlich aufgehoben wurde, nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs ihm gegenüber wieder anzuwenden, hat keinen Anklang gefunden12 (zum Brexit Rz. 1.62).

1.9

3. Intertemporales Recht Das deutsche „Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts“ vom 25.7.1986 ist am 1.9.1986 in Kraft getreten13. Es hat erstmals das Internationale Vertragsrecht kodifiziert. Dabei wurden die Bestimmungen des EVÜ als Art. 11, 12, 27–37 EGBGB in das deutsche Recht eingefügt (dazu Rz. 1.5).

1.10

Eine eigene Übergangsbestimmung für vertragliche Schuldverhältnisse enthält das EGBGB nicht. Somit gilt die allgemeine Vorschrift des Art. 220 Abs. 1 EGBGB:

1.11

„Auf vor dem 1. September 1986 abgeschlossene Vorgänge bleibt das bisherige internationale Privatrecht anwendbar.“ Als abgeschlossener Vorgang gilt im Internationalen Vertragsrecht im Allgemeinen der Vertragsschluss. Dies ergibt sich auch aus Art. 17 EVÜ, der ausdrücklich auf den Abschlusszeitpunkt abstellt und eine Rückwirkung des Übereinkommens ausschließt. Dementsprechend ist ein vor dem 1.9.1986 geschlossener und abgewickelter Vertrag unzweifelhaft ein abgeschlossener Vorgang14. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14

BGBl. II 2007, 638. BGBl. II 2007, 638. BGBl. II 2007, 638. BGBl. II 2008, 775. BGBl. II 2007, 638. BGBl. II 2007, 638. BGBl. II 2007, 638. BGBl. II 2007, 638. BGBl. II 2007, 638. BGH v. 25.10.2005 – XI ZR 353/04, BGHZ 164, 361 = IPRax 2007, 43 (m. Aufs. Freitag, IPRax 2007, 24); BGH v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, BGHZ 165, 248 = ZIP 2006, 1016 = IPRspr. 2005 Nr. 13b. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 70. Dazu Mankowski, EuZW 2020, Sonderausgabe Brexit, 3 (6 f.). Art. 7 § 2 des Gesetzes, BGBl. I 1986, 1142. BGH v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, IPRspr. 1989 Nr. 3 = NJW-RR 1990, 248; BGH v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01, ZIP 2002, 1155 = WM 2002, 1186 (Freistellungsvereinbarung); OLG Koblenz v. 15.12.1987 – 18 U 8/87, IPRspr. 1987 Nr. 24A = NJW-RR 1989, 367 (Darlehen); OLG Koblenz v.

Martiny | 7

1.12

§ 1 Rz. 1.13 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

1.13

Grundsätzlich gilt Entsprechendes, wenn das Geschäft noch nicht abgewickelt wurde. Haben die Parteien für einen vor dem 1.9.1986 geschlossenen Vertrag eine Rechtswahl getroffen, so gilt eine einmal wirksame Vereinbarung weiter, auch wenn gegen sie nach den jetzigen Art. 3 ff. Rom I-VO Bedenken bestehen. Bei objektiver Anknüpfung kommt es gleichfalls zu keiner Anknüpfungsänderung. Die Bestimmung des ursprünglichen Vertragsstatuts richtet sich vielmehr weiterhin nach altem Recht. Dagegen unterliegt eine erst nach dem 1.9.1986 getroffene Rechtswahl neuem Recht. Fallen nämlich der Abschluss des materiell-rechtlichen Vertrages und die Rechtswahl auseinander, so ist jeder Vertragsschluss gesondert zu beurteilen. – Zu Dauerschuldverhältnissen s. 8. Aufl., Rz. 1.14, 1.15.

4. Anwendung des Übereinkommens 1.14

Die einheitliche Auslegung der Art. 27 ff. EGBGB, d.h. letztlich des EVÜ, wurde in Deutschland in Art. 36 EGBGB geregelt, der auf Art. 18 EVÜ zurück ging1. Ebenso wie heute die Rom I-VO beansprucht das EVÜ als „loi uniforme“ für sämtliche Vertragsverhältnisse, die in ihren Anwendungsbereich fallen, universelle Geltung (Art. 2 EVÜ), vgl. Rz. 1.64.

5. Auslegungsprotokolle zum EVÜ Literatur: Dutta/Volders, Was lange währt, wird endlich gut?, EuZW 2004, 556; Kropholler, Eine Auslegungskompetenz des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften für das Internationale Schuldvertragsrecht in Stoll (Hrsg.), Stellungnahmen und Gutachten zum Europäischen Zivilverfahrens- und Versicherungsrecht (1991), S. 171; Pirrung, Zur Auslegung der Anknüpfungsnormen für Schuldverhältnisse in FS Lorenz ‘80 (2001), S. 399.

1.15

Um eine einheitliche Auslegung des EVÜ zu sichern, haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, dem Europäischen Gerichtshof eine Auslegungszuständigkeit zu übertragen2. Ein erstes Protokoll v. 19.12.1988 regelt das Verfahren der einheitlichen Auslegung (EVÜ-Auslegungsprot.)3. Danach steht die Vorlage an den EuGH im Ermessen des nationalen Gerichts (Art. 2). Das zweite Protokoll v. 19.12.1988 (EVÜ-Ausl.-Zust.-Prot.)4 überträgt dem EuGH die entsprechende Zuständigkeit. Das Verfahren des Gerichtshofs wurde ähnlich ausgestaltet wie das bei der Auslegung des damaligen GVÜ, welches seinerseits dem Vorabentscheidungsverfahren

1 2 3

4

7.7.1989 – 2 U 1176/85, IPRspr. 1989 Nr. 46 = RIW 1989, 815 (Akkreditiv); OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRspr. 1988 Nr. 163 = RIW 1989, 221 (Alleinvertrieb); OLG Karlsruhe v. 15.12.1987 – 18 U 8/87, IPRspr. 1987 Nr. 24A = NJW-RR 1989, 367 (Darlehen); OLG München v. 5.7.1989 – 7 U 5947/88, IPRspr. 1989 Nr. 63 = RIW 1989, 743 (Transportvertrag); OLG Celle v. 24.10.1989 – 16 U 77/87, IPRspr. 1989 Nr. 196 = RIW 1990, 320 (Grundstückskauf); OLG Frankfurt v. 3.12.1996 – 11 U 58/94, IPRspr. 1996 Nr. 122 = GRUR 1998, 141 (Schenkung). Näher zur Entstehung der Norm 5. Aufl., Rz. 22. S. die Gemeinsame Erklärung ABl. EG 1980 Nr. L 266, S. 17; BGBl. II 1986, 824. Näher Pirrung in von Bar (Hrsg.), Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR (1991), S. 64 ff. Erstes Protokoll betreffend die Auslegung des am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG 1989 Nr. L 48, S. 1 = BGBl. II 1995, 916; Rev.crit.d.i. p. 78 (1989), 414 Anm. Lagarde. – Neue Fassung ABl. EG 2005 Nr. C 334, S. 1. – Vgl. Jayme/ Kohler, IPRax 1989, 337 (343). Zweites Protokoll zur Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung des am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG 1989 Nr. L 48, S. 17 = BGBl. II 1995, 923. – Neue Fassung ABl. EU 2005 Nr. C 334, S. 1.

8 | Martiny

A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.16 § 1

des Art. 267 AEUV ähnelte. Die einheitliche Auslegung wird in einem Bericht von Tizzano erläutert1. Deutschland hat beide Auslegungsprotokolle ratifiziert2. Der EuGH hat im Jahr 2004 die Zuständigkeit zur Auslegung erhalten3. Als zuständige deutsche Stelle, welche eine Entscheidung des Gerichtshofs bei divergierenden nationalen Entscheidungen beantragen kann4, wurde das Bundesamt für Justiz bestimmt5. Zur einheitlichen Auslegung näher Rz. 1.55 ff.

III. Europäisches Privatrecht Quellen: von Bar/Zimmermann (Hrsg.), Grundregeln des europäischen Vertragsrechts – Teile I und II (2002); Magnus (Hrsg.), Europäisches Schuldrecht (2002); Schulze/Zimmermann (Hrsg.), Europäisches Privatrecht – Basistexte, 6. Aufl. 2020. Literatur zur europäischen Vertragsrechtsvereinheitlichung und -angleichung: Arnold (Hrsg.), Grundlagen eines europäischen Vertragsrechts (2014); Basedow (Hrsg.), Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht (2000); Basedow, Europäische Wirtschaftsverfassung und europäisches Privatrecht in Liber amicorum Buxbaum (London, The Hague 2000), S. 13; Basedow, EU Private Law (Cambridge 2021); Berger, The Principles of European Contract Law and the Concept of the „Creeping Codification“ of Law, Eur.Rev.Priv.L. 9 (2001), 21; Blase, Die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts als Recht grenzüberschreitender Verträge (2001); Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Loseblatt); K. Fischer, Die Entwicklung des europäischen Vertragsrechts, 2. Aufl. 2016; Gandolfi (Hrsg.), Code européen des contrats: Avant-projet (Mailand 2001); Gandolfi, Der Vorentwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs, ZEuP 2002, 1; Gebauer/Wiedmann (Hrsg.), Europäisches Zivilrecht, 3. Aufl. 2021; Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Bd. IV Sekundärrecht – Verbraucher- und Datenschutzrecht (Loseblatt); Grundmann, Europäisches Schuldvertragsrecht, 2. Aufl. 2012; Grundmann (Hrsg.), Systembildung und Systemlücken in Kerngebieten des Europäischen Privatrechts – Gesellschafts, Arbeits- und Schuldvertragsrecht (2000); Grundmann, General Principles of Private Law and Ius Commune Modernum as Applicable Law? in Liber Amicorum Buxbaum (London, The Hague, Boston 2001), S. 213; Grundmann, Harmonisierung, Europäischer Kodex, Europäisches System der Vertragsrechte, NJW 2002, 393; van Hoecke/Ost (Hrsg.), The harmonisation of European private law (Oxford 2000); Jamin/ Mazeaud (Hrsg.), L´harmonisation du droit des contrats en Europe (Paris 2001); Jansen/Zimmermann (Hrsg.), Commentaries on European contract laws (2018); Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen im Europäischen Binnenmarkt (2002); Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015; Kuipers, EU Law and Private International Law: The Interrelationship in Contractual Obligations (Leiden 2012); Kuipers, Bridging the Gap – The Impact of the EU on the Law Applicable to Contractual Obligations, RabelsZ 76 (2012) 562; Lando, The principles of European contract law and the lex mercatoria in Liber Amicorum Siehr (The Hague 2000), S. 391; Lando/Beale (Hrsg.), Principles of European Contract Law I, II (2000); Lando/Clive/Prüm/Zimmermann (Hrsg.), Principles of European Contract Law III (The Hague 1 Bericht über die Protokolle betreffend die Auslegung des am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, ABl. EG 1990 Nr. C 219, S. 1. 2 Gesetz zu den Protokollen v. 19.12.1988 betreffend die Auslegung des Übk. v. 19.6.1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften sowie zur Übertragung bestimmter Zuständigkeiten für die Auslegung dieses Übk. auf den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften v. 16.11.1995, BGBl. II 1995, 914. Vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481 (492). 3 S. Martiny, ZEuP 2006, 60 (92 ff.). 4 S. Art. 3 des Gesetzes zu den Protokollen v. 16.11.1995. 5 Anordnung zur Bestimmung der zuständigen Stelle nach Art. 3 des Ersten Protokolls betreffend die Auslegung des am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften v. 12.12.2006, BGBl. II 2006, 1340.

Martiny | 9

1.16

§ 1 Rz. 1.16 | Grundlagen und Vertragsgestaltung 2003); Lippstreu, Wege der Rechtsangleichung im Vertragsrecht (2014); Lurger, Grundfragen der Vereinheitlichung des Vertragsrechts in der Europäischen Union (2002); Lurger, Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht (2020); Pfeiffer, Von den Principles of European Contract Law zum Draft Common Frame of Reference, ZEuP 2008, 679; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. (Wien 2009); Remien, Zwingendes Vertragsrecht und Grundfreiheiten des EG-Vertrages (2003); Riesenhuber, EU-Vertragsrecht (2013); Schulte-Nölke (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht (2002); Schulte-Nölke/ Schulze (Hrsg.), Europäische Rechtsangleichung und nationale Privatrechte (1999); Schulze/Schulte-Nölke/ Bernardeau, Abgeleitetes Gemeinschaftsrecht und gemeinsames Vertragsrecht in Europa (2002); Schulze/ Zoll, Europäisches Vertragsrecht, 3. Aufl. 2020; Sonnenberger, Privatrecht und Internationales Privatrecht im künftigen Europa, RIW 2002, 489; Stürner, Europäisches Vertragsrecht (2021); Wurmnest, Common Core, Grundregeln, Kodifikationsentwürfe, Acquis-Grundsätze, ZEuP 2003, 714; Zimmermann, Die „Principles of European Contract Law“, Teil 1, ZEuP 1995, 731; Zimmermann, Die „Principles of European Contract Law“, Teile I und II, ZEuP 2000, 391; Zimmermann, Die „Principles of European Contract Law“, Teil III, ZEuP 2003, 707; Zimmermann, European contract law: general report, EuZW 2007, 455. Literatur zum Europäischen Internationalen Privatrecht: Basedow, Die Harmonisierung des Kollisionsrechts nach dem Vertrag von Amsterdam, EuZW 1997, 609; Basedow, Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts nach dem Vertrag von Amsterdam in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002), S. 19; Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht (1994); Bruinier, Der Einfluss der Grundfreiheiten auf das internationale Privatrecht (2003); Dohrn, Die Kompetenzen der Europäischen Gemeinschaft im Internationalen Privatrecht (2004); Drasch, Das Herkunftslandprinzip im internationalen Privatrecht (1997); von Hein/Kieninger/ Rühl (Hrsg.), How European is European Private International Law? (2019); Kadner Graziano, Gemein-europäisches Internationales Privatrecht (2002); Kieninger/Remien (Hrsg.), Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung (2012); Kreuzer/Wagner/Reder, Europäisches Internationales Privatrecht in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (2019) Kap. R; Kropholler, Die Auslegung von EG-Verordnungen zum Internationalen Privat- und Verfahrensrecht in FS Max-Planck-Institut (2001), S. 583; Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013); Mankowski, Binnenmarkt-IPR in FS Max-Planck-Institut (2001), S. 595; Mansel (Hrsg.), Vergemeinschaftung des europäischen Kollisionsrechts (2001); Nehne, Methodik und allgemeine Lehren des europäischen Internationalen Privatrechts (2012); Paefgen, Kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz im Internationalen Vertragsrecht und europäisches Gemeinschaftsrecht, ZEuP 2003, 266; Remien, European Private International Law, CML Rev. 38 (2001), 53; Roth, Der Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts auf das IPR, RabelsZ 55 (1991), 623; Roth, Die Freiheiten des EG-Vertrages und das nationale Privatrecht, ZEuP 1994, 5; Roth, Der Einfluss der Grundfreiheiten auf das Internationale Privat- und Verfahrensrecht in Baur/Mansel (Hrsg.), Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht (2002), S. 47; Roth, Europäische Kollisionsrechtsvereinheitlichung, EWS 2011, 314; Roth, Öffentliche Interessen im internationalen Privatrechtsverkehr, AcP 220 (2020) 458; Schmitz, Die Rechtswahlfreiheit im europäischen Kollisionsrecht (2017); Sonnenberger, Randbemerkungen zum Allgemeinen Teil eines europäischen IPR in FS Kropholler (2008), S. 227; Staudinger, Die ungeschriebenen kollisionsrechtlichen Regelungsgebote der Handelsvertreter-, Haustürwiderrufs- und Produkthaftungsrichtlinie, NJW 2001, 1974; Stone, EU Private International Law, 4. Aufl. (Cheltenham 2018). – S. auch die Literatur vor Rz. 1.4.

1. Europäisches Vertragsrecht 1.17

Obwohl vielfach die Schaffung eines europäischen Schuldvertragsrechts verlangt wird, ist das Vertragsrecht innerhalb der Europäischen Union regelmäßig noch nationales Recht. Das Unionsrecht steht der Unterschiedlichkeit nationaler Privatrechte grundsätzlich nicht entgegen1. 1 EuGH v. 24.1.1991 – C-339/89, ECLI:EU:C:1991:28 (Alsthom Atlantique), Slg. 1991, I-107 (124) (Gewährleistung); EuGH v. 18.5.1993 – C-126/91, ECLI:EU:C:1993:191 (Yves Rocher), Slg. 1993, I-2361 (2386 ff.) = ZIP 1993, 1028 (unlauterer Wettbewerb); EuGH v. 13.10.1993 – C-93/92, ECLI: EU:C:1993:838 (CMC Motorradcenter), Slg. 1993, I-5009 (5021 f.) = ZIP 1993, 1818 (culpa in contrahendo).

10 | Martiny

A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.18 § 1

Nationale Normen können jedoch auf Grund des Vorrangs der Grundfreiheiten unanwendbar sein (vgl. Rz. 1.19). Zwar hat man gemeinsame Prinzipien des Vertragsrechts zu ermitteln und zusammenzustellen begonnen1, gleichwohl entwickelt sich ein europäisches Vertragsrecht nur langsam. Verordnungen greifen nur vereinzelt ein, etwa für Online-Vermittlungsdienste und Online-Suchmaschinen (zur Platform-to-Business VO Rz. 18.10) sowie das Transportrecht (s. Rz. 15.302). Bislang erfolgte die Angleichung der nationalen Rechte weitgehend durch Richtlinien auf dem Gebiet des Verbraucherrechts (s. Rz. 1.35 ff.). Die auf wissenschaftlicher Ebene entwickelten einheitlichen Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts (sog. Lando-Principles) enthalten eine ausführliche Regelung des allgemeinen Vertragsrechts. Sie haben jedoch keinen verbindlichen Charakter (vgl. Rz. 2.51). Ferner besteht ein privater Vorentwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs2. Eine Mitteilung der Kommission zum Europäischen Vertragsrecht von Juli 20013 und eine weitere Mitteilung von März 20034 lassen eine weitergehende Vereinheitlichung als möglich erscheinen. Auch Resolutionen des Europäischen Parlaments unterstützen eine weitere Vereinheitlichung des Vertragsrechts5. Ferner liegen Ergebnisse der sog. Acquis-Group und für einen Gemeinsamen Referenzrahmen vor, s. Rz. 1.45. Zurückgezogen wurde ein Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht von 2011. Der VO-Vorschlag enthielt neben der eigentlichen Regelung der VO in einem Anhang das optionale „Gemeinsame Europäische Kaufrecht“ (GEK)6. Die Digitalisierung vertraglicher Beziehungen will eine Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen erfassen7 (s. Rz. 18.9).

2. Primäres Unionsrecht a) Vorrang des Unionsrechts

Das primäre Unionsrecht hat Vorrang. Der Vertrag über die Europäische Union (EUV)8 enthält aber ebenso wie der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

1 S. die Grundregeln des europäischen Vertragsrechts der Kommission für Europäisches Vertragsrecht bei Lando/Beale I, II (deutsche Übersetzung ZEuP 2000, 675 ff.) sowie Lando/Clive/Prüm/ Zimmermann, Principles III (deutsche Übersetzung ZEuP 2003, 895 ff.); vgl. auch Riesenhuber, Europäisches Vertragsrecht, S. 353 ff. 2 Französ. Text in Gandolfi, Code Européen des Contrats (2001); deutsche Übersetzung ZEuP 2002, 138 (365) sowie Schulze/Zimmermann, III 18. – Vgl. Sonnenberger, RIW 2001, 409 ff. – Zu einem Vertragsgesetzbuch auch Lippstreu, S. 323 ff. 3 ABl. EG 2001 Nr. C 255, S. 1 = EuZW 2001, Beil. zu Heft 16 = ZEuP 2001, 963. – Dazu von Bar, ZEuP 2001, 799 ff.; Leible, EWS 2001, 471 ff.; Sonnenberger, RIW 2002, 489 ff.; Staudenmayer, Eur. Rev.Priv.L. 10 (2002), 249 ff. 4 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Ein kohärentes europäisches Vertragsrecht, ABl. EG 2003 Nr. C 63, S. 1. – Dazu Schmidt-Kessel, RIW 2003, 481 ff. 5 Dazu Entschließung v. 3.9.2008, ZEuP 2009, 421 m.w.N. – S. auch von Bar, ZEuP 2002, 629 ff. 6 S. Stürner, Europ. VertragsR, § 3 Rz. 24 ff. sowie Stürner in der 8. Aufl., Rz. 6.187 ff. 7 Richtlinie (EU) 2019/770 v. 20.5.2019 über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen, ABl. EU 2019 Nr. L 136, S. 1. – Dazu Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen v. 25.6.2021, BGBl. 2021 I 2123. 8 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Europäische Union, ABl. EU 2016 Nr. C 202, S. 49. – Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 13.12.2007, ABl. EU 2007 Nr. C 306, S. 1; BGBl. II 2008, 1039.

Martiny | 11

1.18

§ 1 Rz. 1.18 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

(AEUV)1 keine kollisionsrechtlichen Bestimmungen zum Internationalen Vertragsrecht2. Insofern gilt das Gleiche wie unter dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG)3. Nach wohl h.M. kann man dem EU-Vertrag auch – vom Gesellschaftsrecht einmal abgesehen – keine versteckten Kollisionsnormen entnehmen4. Das Unionsrecht zwingt auch nicht dazu, das Herkunftslandprinzip zur Grundlage einer kollisionsrechtlichen Regelung zu machen5. Gleichwohl hat sowohl das unmittelbar von den Organen der Europäischen Union erlassene Recht als auch das nationale Kollisionsrecht den Geboten des EU-Vertrags zu entsprechen6. Dazu gehört vor allem der reibungslos funktionierende Binnenmarkt7. Einzelne Grundrechte der Europäischen Grundrechtecharta finden auch auf die Beziehungen unter Privaten Anwendung8.

1.19

Im Unionsrecht kommen in Betracht das Verbot der Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV) sowie die – nach h.M. vorrangigen – einzelnen Grundfreiheiten des EG. Dabei handelt es sich um die Warenverkehrsfreiheit (Art. 34 AEUV), den freien Personenverkehr mit der Freizügigkeit (Art. 45 AEUV) und der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) sowie die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV). Die Grundfreiheiten werden zunehmend dafür herangezogen, um Beschränkungen des Dienstleistungsverkehrs im Binnenmarkt entgegenzuwirken. Dies gilt auch für das Arbeitsrecht (s. Rz. 11.2 ff.).

1.20

Der Grundsatz der Parteiautonomie (Art. 3 Rom I-VO) ist mit dem Unionsrecht vereinbar9. Aus dem Unionsrecht folgt aber nicht, dass ein bestimmtes unionsrechtliches Prinzip zur generellen Grundlage des Kollisionsrechts gemacht werden müsste. Dies gilt insbesondere für das Herkunftslandprinzip10. Vertreten wurde, aus den Produktfreiheiten – der Warenverkehrs- und der Dienstleistungsfreiheit – folge nicht nur das Herkunftslandprinzip11, sondern auch das Günstigkeitsprinzip. Das Recht des Herkunftslandes müsse respektiert werden, zugleich müsse die Berufung auf günstigeres Recht des Bestimmungslandes grundsätzlich gewährleistet sein. Die Regelanknüpfung nach europäischem Kollisionsrecht entspreche dem

1 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl. EU 2012 Nr. C 326, S. 47. 2 Die Streitfrage, ob Art. 54 AEUV (ex-Art. 48 EGV) über die Gleichstellung von Gesellschaften hinaus kollisionsrechtlichen Gehalt hat, dürfte im positiven Sinn geklärt sein, s. EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 (Überseering/Nordic Construction), Slg. 2002, I-9919 = ZIP 2002, 2037 = GmbHR 2002, 1137 = NJW 2002, 3164 = IPRax 2003, 65 (m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2003, 117). 3 Vertrag v. 25.3.1957 in der Fassung des Vertrages von Nizza v. 26.2.2001 (konsolidierte Fassung ABl. EU 2016 Nr. C 202, S. 15). 4 Näher Sonnenberger, ZVglRW 95 (1996), 3 (8 ff.); von Hein in MünchKomm, Art. 3 EGBGB Rz. 29 ff., 91 ff. 5 Dazu Wilderspin in Baur/Mansel, S. 77 (83 ff.); von Hein in MünchKomm, Art. 3 EGBGB Rz. 113. 6 von Hein in MünchKomm, Art. 3 EGBGB Rz. 29 ff. – Nachw. bei Paefgen, ZEuP 2003, 270 ff. für den Verbraucherschutz. 7 Dazu Roth, AcP 220 (2020) 458 (480 f.). 8 Rspr.-Nachw. bei Kohler/Seyr/Puffer-Mariette, ZEuP 2020, 366 (369 ff.). 9 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (27 f.); von Wilmowsky, RabelsZ 62 (1998), 19 f. 10 Roth, AcP 220 (2020) 458 (473 f.); Wilderspin in Baur/Mansel, S. 77 (84 ff.). – S. auch Fezer/Koos, IPRax 2000, 349 (350); Ahrens, CR 2000, 835 (838); Ohly, GRUR-Int. 2001, 899 (901); Paefgen, ZEuP 2003, 271 f. 11 In diesem Sinne Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (13); Grundmann, RabelsZ 64 (2000), 460; Drasch, Herkunftslandprinzip, S. 244 ff.

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A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.23 § 1

aber; die Rechtswahlbeschränkungen für Verbraucher seien vom Schutz des Allgemeininteresses abgedeckt1. Selbst wenn man diesen Ausgangspunkt akzeptiert, ändert daher der Vorrang des Unionsrechts nichts an den Anknüpfungen der Rom I-VO. b) Unionsrechtsakte und Abschluss von Staatsverträgen Es besteht eine Kompetenz zum Erlass von Unionsrechtsakten zur „Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden Kollisionsnormen“ nach Art. 81 AEUV2. Sie beruht auf dem Lissabonner Vertrag3. Früher war der Erlass von Verordnungen für das Internationale Vertragsrecht kaum von Bedeutung; dies hat sich jedoch mit der Reform des internationalen Schuldrechts geändert (s. Rz. 1.25).

1.21

Ursprünglich sah der EG-Vertrag in Art. 293 EG (ex-Art. 220 EGV) nur den Abschluss von Staatsverträgen insbesondere zur Ausübung der Rechte Einzelner (Unterabs. 1), zum Internationalen Gesellschaftsrecht (Unterabs. 3) und zur Erleichterung der Urteilsanerkennung (Unterabs. 4) vor. Diese Bestimmung war Grundlage bei der Ausarbeitung des EVÜ. Die Endfassung der Präambel des EVÜ nimmt allerdings bewusst nicht auf Art. 220 EGV Bezug4. Vielfach wurde daher angenommen, das EVÜ sei kein Übereinkommen i.S.d. Art. 293 EG (ex-Art. 220 EGV)5.

1.22

c) Verhältnis zum nationalen Kollisionsrecht Im Verhältnis zum jeweiligen nationalen Kollisionsrecht genießt das Unionsrecht Vorrang6. Grundsätzlich akzeptiert das Unionsrecht das Bestehen und die Verschiedenheit der nationalen Sach- und Kollisionsrechte. Die Anknüpfungen des nationalen Kollisionsrechts müssen einer unionsrechtlichen Überprüfung standhalten7. Sie dürfen insbesondere nicht im Widerspruch zu den Grundfreiheiten stehen. Die Unionsrechtskonformität für das deutsche Internationale Schifffahrtsregister wurde bejaht8. Der nationale ordre public (Art. 6 EGBGB) muss den Vorgaben des Unionsrechts ebenfalls Rechnung tragen9. Im internationalen Schuldrecht sind die ordre public-Klauseln in Art. 21 Rom I-VO und Art. 26 Rom II-VO zu beachten, vgl. Rz. 2.316.

1 Näher zum EVÜ Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (27 ff.). 2 Näher Leible in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 81 AEUV Rz. 29 ff. 3 Zum vorangegangenen Art. III-170 des Entwurfs eines Vertrags über eine Verfassung für Europa v. 18.7.2003 (ABl. EG 2003 Nr. C 169) näher Jayme/Kohler, IPRax 2003, 485 ff. 4 Dies halten für unzulässig Schwartz/Mölls in von der Groeben/Schwarze, Kommentar zum Vertrag über die EU und zur Gründung der EG, 6. Aufl. 2004, Art. 293 EG Rz. 20, 71. 5 Pirrung in von Bar, Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR, S. 34 ff. 6 Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3681); Brödermann in Brödermann/Iversen, Rz. 6 ff., 419 ff. 7 Basedow, RabelsZ 59 (1995), 1 (27 ff.); Remien, RabelsZ 62 (1998), 627 (630 ff.). 8 EuGH v. 17.3.1993 – verb. C-72/91 u. 73/91, ECLI:EU:C:1993:97 (Sloman Neptun Schifffahrts AG), Slg. 1993, I-887 = EuZW 1993, 288 = IPRax 1994, 199 (m. Aufs. Magnus, IPRax 1994, 178) (Die Regelung des Seearbeitsrechts in § 21 Abs. 4 Flaggenrechtsgesetz zum Internationalen Schifffahrtsregister bedeutet keine staatliche Beihilfe i.S.d. Art. 92 Abs. 1 EG. Auch Art. 117 EG steht nicht entgegen). 9 Näher Martiny, Gemeinschaftsrecht, ordre public, zwingende Bestimmungen und Exklusivnormen in von Bar (Hrsg.), EG-Recht und IPR (1991), S. 211 ff.; Sonnenberger, ZVglRW 95 (1996), 3 (40 ff.).

Martiny | 13

1.23

§ 1 Rz. 1.24 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

d) Verhältnis zu nationalen Sachnormen

1.24

Primäres Unionsrecht setzt sich kraft seines Vorrangs gegenüber nationalem Sachrecht unmittelbar durch1. Auch nicht durch EU-Recht angeglichene Rechtsmaterien haben dem höherrangigen Unionsrecht zu entsprechen. Dies gilt namentlich für eigene zwingende Vorschriften in den nationalen Sachnormen2. Auch hier kommen Verstöße gegen die Grundfreiheiten des EG-Vertrags und das Diskriminierungsverbot in Betracht. Das bloße Bestehen strengerer Voraussetzungen nach einem nationalen Recht als nach anderen Rechtsordnungen macht es aber noch nicht unionsrechtswidrig3. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob ein Verstoß gegen Unionsrecht vorliegt4. Die Tragweite der Grundfreiheiten für das nationale Privatrecht ist freilich noch vielfach ungeklärt5.

3. Verordnungen 1.25

Verordnungen der EU gelten unmittelbar in jedem Mitgliedstaat der Gemeinschaft (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Soweit einheitliches europäisches Sachrecht eingreift, braucht ein auf nationales Recht verweisendes Vertragsstatut nicht mehr ermittelt zu werden. Im Übrigen bilden sie die Ausnahme, sind aber auch im Internationalen Vertragsrecht durchaus vorhanden6. Im Transportrecht spielt vor allem die Verordnung über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste eine große Rolle (s. Rz. 15.302 ff.)7. Zu erwähnen ist auch der gesetzliche 1 St. Rspr. seit EuGH v. 15.7.1964 – Rs. 6/64, ECLI:EU:C:1964:66 (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1251; Remien, JZ 1994, 349 (352); Stürner, Europ. VertragsR § 7 Rz. 2 ff.; Magnus in Staudinger, Einl. Rom I Rz. 9. 2 Basedow, EU Private Law, S. 175 ff. 3 Wilderspin in Baur/Mansel, S. 77 (84). 4 Dazu Roth, ZEuP 1994, 5 ff.; Mülbert, ZHR 159 (1995), 2 ff. 5 S. EuGH v. 24.10.1978 – Rs. 15/78, ECLI:EU:C:1978:184 (Société Générale Alsacienne de Banque/ Koestler), Slg. 1978, 1971 (Deutsche Regeln über Termingeschäfte waren nicht diskriminierend und vereinbar mit Art. 59, 60 EGV a.F.); EuGH v. 24.1.1991 – C-339/89, ECLI:EU:C:1991:28 (Alsthom Atlantique/Sulzer), Slg. 1991, I-107 (Sachmängelgewährleistung des Verkäufers. Unabdingbarkeit nach französ. Recht war wegen bestehender Rechtswahlfreiheit keine verbotene Maßnahme gleicher Wirkung i.S.d. Art. 29 EG [ex-Art. 34 EGV]); EuGH v. 30.3.1993 – C-168/91, ECLI: EU:C:1993:115 (Christos Konstantinidis), Slg. 1993, I-1191 = IPRax 1994, 113 (m. Aufs. Böhmer, IPRax 1994, 80 und Benicke/Zimmermann, IPRax 1995, 141) = ZEuP 1995, 89 Anm. Pintens (Transliterationsverpflichtung des deutschen Rechts bei Namensführung eines griech. Gewerbetreibenden war gemeinschaftsrechtswidrig im Hinblick auf Art. 43 EG [ex-Art. 52 EGV]); EuGH v. 1.7.1993 – C-20/92, ECLI:EU:C:1993:280 (Hubbard/Hamburger), Slg. 1991, I-3777 = IPRax 1994, 203 (m. Aufs. Kaum, IPRax 1994, 180) (Verpflichtung des Ausländers zur Stellung von Prozesskostensicherheit [§ 110 ZPO a.F.] war Verstoß gegen Art. 12, 49, 50 EG [ex-Art. 6, 59, 60 EGV]); EuGH v. 10.2.1994 – C-398/92, ECLI:EU:C:1994:52 (Mund & Fester/Hatrex Internationaal Transport), Slg. 1994, I-467 = IPRax 1994, 439 (m. Aufs. Geiger, IPRax 1994, 415) = ZEuP 1995, 250 Anm. Schlosser = NJW 1994, 1271 (Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des Arrestgrundes der Auslandsvollstreckung [§ 917 Abs. 2 ZPO a.F.] unter Berufung auf Art. 12 EG [ex-Art. 6 EGV] i.V.m. Art. 293 EG [ex-Art. 220 EGV] und das EuGVÜ); EuGH v. 10.5.1995 – C-384/93, ECLI:EU:C:1995:126 (Alpine Investments/Minister van Financien), Slg. 1995, I-1141 = EuZW 1995, 404 Anm. Reich (niederländ. Verbot der Telefonwerbung [cold calling] für Finanzdienstleistungen kein Verstoß gegen Art. 49 Abs. 1 EG [ex-Art. 59 Abs. 1 EGV – Dienstleistungsfreiheit]). 6 Näher Brödermann in Brödermann/Iversen, Rz. 304 ff. 7 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 v. 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, ABl. EU 2004 Nr. L 46, S. 1.

14 | Martiny

A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.27 § 1

Forderungsübergang im Zusammenhang mit Leistungen der Sozialen Sicherheit (s. Rz. 3.304). In Vorbereitung ist eine gesonderte Verordnung über die Drittwirkungen der Forderungsabtretung1 (s. Rz. 3.294). Besondere Verordnungen betreffen das Geoblocking2 (s. Rz. 35.54), Crowdfunding (Schwarmfinanzierung)3, Online-Plattformen (Online-Vermittlungsdienste)4 (s. Rz. 18.10) sowie die Portabilität5. Im Übrigen sind Verordnungen bislang vor allem im Internationalen Verfahrensrecht erlassen worden (vgl. den extensiv ausgelegten Art. 81 AEUV)6. Verordnungskollisionsrecht genießt Vorrang vor nationalen Kollisionsnormen (vgl. auch Art. 3 Nr. 1 EGBGB)7. Das EU-Kollisionsrecht für das internationale Schuldrecht findet sich aufgeteilt vor allem in mehreren Verordnungen, die jeweils untereinander abzugrenzen sind. Das Schuldrecht ist insbesondere in zwei Verordnungen geregelt, der Rom I-VO (s. Rz. 1.48 ff.) und der Rom II-VO (s. Rz. 4.1 ff.). In der Wissenschaft ist die Schaffung einer Rom 0-VO zur einheitlichen Regelung von Grundfragen – bislang folgenlos – diskutiert worden8.

1.26

4. Richtlinien a) Unionsrechtliche Richtlinien aa) Allgemeines Die Privatrechtsangleichung innerhalb der EU erfolgt bisher hauptsächlich durch Richtlinien9. Heute wird die Rom I-VO von zahlreichen in nationales Recht umzusetzenden Richtlinien (vgl. Art. 115 AEUV), insbesondere solche verbraucherschützender Natur (vgl. Art. 169 AEUV), flankiert. Kollisionsrechtliche Fragestellungen werden dadurch nicht obsolet, da es einer nationalen Umsetzung bedarf. Einheitlichkeit tritt nur in begrenztem Umfang ein; zum einen werden in bestimmtem Umfang höhere nationale Schutzstandards nicht berührt und zum anderen können die Richtlinien selbst mehrere Optionen zulassen10 (vgl. Rz. 5.51 f.). Möglich ist auch, dass ein Mitgliedstaat den Anwendungsbereich des Schutzes ausdehnt und dies als Eingriffsnorm auch gegenüber anderen Mitgliedstaaten durchgesetzt wird11. 1 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht COM (2018) 96 final. 2 Verordnung (EU) 2018/302 v. 28.2.2018 über Maßnahmen gegen ungerechtfertigtes Geoblocking und andere Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder des Ortes der Niederlassung des Kunden innerhalb des Binnenmarkts und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 2006/2004 und (EU) 2017/2394 sowie der Richtlinie 2009/22/EG, ABl. EU 2018 Nr. L I 60, S. 1. 3 Verordnung (EU) 2020/1503 v. 7.10.2020 über Europäische Schwarmfinanzierungsdienstleister für Unternehmen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/1129 und der Richtlinie (EU) 2019/ 1937, ABl. EU 2020 Nr. L 347, S. 1. – Dazu Freitag/Wolf, WM 2021, 1009 ff. 4 Verordnung (EU) 2019/1150 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten v. 20.6.2019, ABl. EU 2019 Nr. L 186, S. 57. 5 Verordnung (EU) 2017/1128 zur Gewährleistung der grenzüberschreitenden Portabilität von Online-Inhaltediensten im Binnenmarkt v. 14.6.2017, ABl. EU 2017 Nr. L 168, S. 1. 6 Übersicht bei Leible in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 81 AEUV Rz. 22 ff. 7 S. von Hein in MünchKomm, Art. 3 EGBGB Rz. 45. 8 S. nur Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013); Leible, Auf dem Weg zu einer Rom 0-Verordnung?, FS Martiny (2014), S. 429. 9 S. die Übersichten bei Leible in Schulte-Nölke/Schulze, S. 353 ff.; Grundmann, NJW 2000, 14 ff.; Stürner, Europ. VertragsR, § 8 Rz. 1 ff. 10 Vgl. von Hoffmann, ZfRV 36 (1995), 45 (46 ff.); Jayme/Kohler, Rev.crit.d.i.p. 84 (1995), 4 ff. 11 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), RIW 2013, 874 = IPRax 2014, 174 (m. Aufs. Lüttringhaus, IPRax 2014, 146) (Bulgarisches Handelsvertreterrecht gegenüber Belgien).

Martiny | 15

1.27

§ 1 Rz. 1.28 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

1.28

Eine Reihe dieser Richtlinien beschränkt sich auf das Sachrecht und enthält keine eigenen Kollisionsnormen. Bei ihnen stellt sich dann vor allem die Frage nach den Konsequenzen einer fehlenden Umsetzung. Allerdings hat der EuGH im Ingmar-Fall auch die zwingenden sachrechtlichen Bestimmungen der Handelsvertreterrichtlinie von 1986 durchgesetzt und ihnen damit kollisionsrechtliche Bedeutung beigemessen (s. Rz. 5.47 ff.). EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar GB Ltd./Eaton Leonard Technologies Inc.), Slg. 2000, I-9305 = EuZW 2001, 51 Anm. Reich = IPRax 2001, 225 (m. Aufs. Jayme, IPRax 2001, 191) = RIW 2001, 133 (m. Aufs. Freitag/Leible, RIW 2001, 287) = ZIP 2000, 2108: Handelsvertretervertrag zwischen engl. Handelsvertreter mit Niederlassung in England und kaliforn. Unternehmen über Vertrieb im Vereinigten Königreich und Irland. Trotz Wahl kaliforn. Rechts den in der Handelsvertreterrichtlinie festgeschriebenen Ausgleichsanspruch wegen des Schutzes des Handelsvertreters, der Wettbewerbsgleichheit und des „starken Gemeinschaftsbezuges“ zugebilligt.

1.29

Diese Lösung ist auf vielfache Kritik gestoßen1. Soweit das Ergebnis hingenommen wird, wird teilweise eine eigene Kategorie (ungeschriebenen) europäischen Kollisionsrechts angenommen2. Von anderen wird eine Sonderanknüpfung als international zwingendes Recht für zulässig gehalten3. Wieder andere wollen den Mindeststandard der jeweiligen Richtlinie gegen die Wahl eines Drittstaatenrechts durchsetzen, wenn der Vertrag einen engen Zusammenhang mit dem Gebiet eines Mitgliedstaates aufweist4. Zur Schließung der Schutzlücke wird z.T. eine Analogie zu Art. 46b EGBGB (früher Art. 29a EGBGB) vorgeschlagen5 (s. näher Rz. 35.113).

1.30

Andere Richtlinien betreffen ausdrücklich auch das Kollisionsrecht. Dies war insbesondere im Versicherungsrecht der Fall. Hier geht nunmehr freilich Art. 7 Rom I-VO vor (s. Rz. 36.8). Eine ganze Reihe von Richtlinien will hingegen in erster Linie eine sachrechtliche Angleichung herbeiführen. Gleichzeitig enthalten sie jedoch einseitig ausgerichtete Kollisionsnormen, welche das Verhältnis zum Recht eines Drittstaates regeln6. Gesichert werden soll insbesondere, dass ein Verbraucher den in der Richtlinie vorgesehenen Schutz nicht verliert, wenn drittstaatliches Recht vereinbart wird. Die fehlende Abstimmung solcher Regeln mit den bilateralen Kollisionsnormen des EVÜ – insbesondere mit dem für Verbraucherverträge geltenden Art. 5 EVÜ (Art. 29 EGBGB) – wurde mit Recht kritisiert7. Nunmehr ist zwar Art. 6 Rom I-VO weiter gefasst. Konflikte mit dem nach Art. 23 Rom I-VO vorrangigen Richtlinienrecht sind aber nicht völlig ausgeschlossen, s. Rz. 5.98 ff., Rz. 35.96 ff. bb) Fehlende Umsetzung

1.31

Sind die Richtlinien der EU vom nationalen Gesetzgeber nicht fristgerecht in nationales Recht umgesetzt worden, so stellt sich die Frage, ob sie gleichwohl zur Anwendung kommen. Dies wurde früher vor allem für Verbraucherverträge praktisch (s. Rz. 5.52). Grundsätzlich kann einzelnen Richtlinienvorschriften in den Mitgliedstaaten eine unmittelbare Wirkung zu1 S. nur Freitag/Leible, RIW 2001, 287 ff.; Schwarz, ZVglRW 101 (2002), 45 ff.; Sonnenberger, IPRax 2003, 104 (109 f.); Kühne in FS Wegen (2015), S. 451 (456 ff.). – Vgl. auch Roth, AcP 220 (2020), 458 (504 f.). 2 Dazu Pfeiffer in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2004), S. 25 ff.; Leible in NK, Art. 9 Rom I Rz. 13. 3 Vgl. zu Art. 34 EGBGB Staudinger, NJW 2001, 1974 ff. 4 Nemeth/Rudisch, ZfRV 42 (2001), 179 (182 f.) 5 Leible in NK, Art. 46b EGBGB Rz. 54. 6 Vgl. von Hoffmann, ZfRV 1995, 45 (47 f.); Martiny, ZEuP 1995, 67 (69 ff.). 7 S. Jayme/Kohler, IPRax 1994, 401 (407); Jayme/Kohler, Rev.crit.d.i.p. 84 (1995), 11 ff.

16 | Martiny

A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.33 § 1

kommen, wenn sie unbedingt und „hinreichend bestimmt“ sind und sie keiner nationalen Ausführungsbestimmung bedürfen1. Zwar haben deutsche Gerichte in der Vergangenheit verschiedentlich Verbraucherschutzrichtlinien unmittelbare Wirkungen beigemessen2 und auch im Schrifttum fand diese Auffassung z.T. Beifall3. Nach Auffassung des EuGH entfalten jedoch Richtlinien unter Privaten keine unmittelbare, sog. „horizontale“ Drittwirkung4. Dies gilt insb. für nicht umgesetzte Richtlinien5. Der Gerichtshof hat lediglich Schadensersatzansprüche gegen den Staat zugelassen. Voraussetzung dafür ist, dass die Richtlinie dem Einzelnen Rechte verleiht, die Vorschriften inhaltlich bestimmbar sind und ein Kausalzusammenhang zwischen der Nichtumsetzung und dem entstandenen Schaden besteht6.

1.32

Damit scheidet eine unmittelbare Durchsetzung von Richtlinien aus7. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob gegenüber einer richtlinienwidrigen Rechtsordnung die Richtlinie kollisionsrechtlich als zwingendes Recht durchgesetzt werden kann. Dies wurde teilweise bejaht. Der

1.33

1 W. Schneider in Streinz, EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 288 AEUV Rz. 91. 2 S. jeweils zur Richtlinie über Haustürwiderrufsgeschäfte von 1985 (§§ 312 ff. BGB), etwa OLG Celle v. 28.8.1990 – 20 U 85/89, IPRspr. 1990 Nr. 41 = EuZW 1991, 401 (m. Aufs. Herber) = IPRax 1991, 334 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 1991, 305); LG Wiesbaden v. 14.8.1990 – 8 S 74/90, IPRspr. 1990 Nr. 40 = MDR 1991, 156; LG Weiden v. 27.10.1995 – 2 O 816/95, IPRspr. 1995 Nr. 35 = NJW-RR 1996, 438; LG Dresden v. 23.6.1998 – 10 O 4115/97, IPRspr. 1998 Nr. 146 = NZM 1998, 825.– Abl. etwa LG Düsseldorf v. 12.4.1994 – 10 O 513/93, IPRspr. 1994 Nr. 33 = RIW 1995, 415 = VuR 1994, 262 Anm. Tonner (Time-Sharing-Vertrag); Mankowski, RIW 1995, 364 (368 f.); Sonnenberger, ZvglRW 95 (1996), 3 (34 f.); Klauer, S. 150 ff. 3 So etwa Reich, VuR 1989, 158 ff.; Reich, EuZW 1991, 203 (209); Reich, VuR 1992, 189 (190). Näher dazu Iversen in Brödermann/Iversen, Rz. 830 ff. m.w.N. 4 EuGH v. 26.2.1986 – Rs. 152/84, ECLI:EU:C:1986:84 (Marshall/Southampton Health Authority), Slg. 1986, 723 = NJW 1986, 2178 = RIW 1986, 739 (Frauendiskriminierung wegen unterschiedlichen Rentenalters. Anwendung der Richtlinie über Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts gegenüber engl. staatlicher Stelle). 5 EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, ECLI:EU:C:1994:292 (Faccini Dori/Recreb Srl), Slg. 1994, I-3325 = EuZW 1994, 498 = JZ 1995, 149 Anm. Heß = ZIP 1994, 1187 (Fernunterrichtsvertrag in Italien. Richtlinie über Haustürgeschäfte v. 20.12.1985 entfaltete keine horizontale Direktwirkung); EuGH v. 7.3.1996 – C-192/94, ECLI:EU:C:1996:88 (El Corte Inglés), Slg. 1996, I-1296 = NJW 1996, 1401 = ZIP 1996, 870 (Verbraucherkredit in Spanien. Verbraucherkreditrichtlinie v. 22.12.1986 hatte mangels Umsetzung keine Wirkung gegenüber Kreditgeber); EuGH v. 19.11.1991 – C-6/90 u. C-9/ 90, ECLI:EU:C:1991:428 (Francovich, Bonifaci/Italienische Republik), Slg. 1991, I-5357 = ZIP 1991, 1610 = NJW 1992, 165 (Nichtumsetzung der Richtlinie über den Arbeitnehmerschutz bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers von 1980 in Italien. Keine direkte Anwendung); EuGH v. 8.10.1996 – C-178/94, ECLI:EU:C:1996:375 (Dillenkofer/Deutschland), Slg. 1996, I-4845. 6 EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, ECLI:EU:C:1994:292 (Faccini Dori/Recreb Srl), Slg. 1994, I-3325 = EuZW 1994, 498 = JZ 1995, 149 Anm. Heß = ZIP 1994, 1187 (Fernunterrichtsvertrag in Italien. Richtlinie über Haustürgeschäfte v. 20.12.1985 entfaltete keine horizontale Direktwirkung); EuGH v. 7.3.1996 – C-192/94, ECLI:EU:C:1996:88, (El Corte Inglés), Slg. 1996, I-1296 = NJW 1996, 1401 = ZIP 1996, 870 (Verbraucherkredit in Spanien. Verbraucherkreditrichtlinie v. 22.12.1986 hatte mangels Umsetzung keine Wirkung gegenüber Kreditgeber); EuGH v. 19.11.1991 – C-6/90 u. C-9/ 90, ECLI:EU:C:1991:428, (Francovich, Bonifaci/Italienische Republik), Slg. 1991, I-5357 = ZIP 1991, 1610 = NJW 1992, 165 (Nichtumsetzung der Richtlinie über den Arbeitnehmerschutz bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers von 1980 in Italien. Schadensersatzhaftung des Staates wegen Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Verpflichtungen); EuGH v. 8.10.1996 – C-178/94, ECLI: EU:C:1996:375 (Dillenkofer/Deutschland), Slg. 1996, I-4845. 7 Stürner, Europ. VertragsR, § 8 Rz. 123 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 46b EGBGB Rz. 32.

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§ 1 Rz. 1.33 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

Forumstaat soll sich gegenüber dem ausländischen Recht auf die eigene Umsetzung berufen können. Im Wege einer sog. mittelbaren Anwendung soll das richtlinienkonforme Recht und damit der Inhalt der Richtlinie als zwingende Norm des Forumstaates (früher Art. 34 EGBGB, Art. 7 Abs. 2 EVÜ) durchgesetzt werden1. Auf diese Weise wird zugleich eine mittelbare horizontale Richtlinienwirkung erreicht. Dies wurde verschiedentlich für die Richtlinie über Haustürgeschäfte angenommen (näher Rz. 35.89 ff.). Diese Lösung widerspricht jedoch der nur eingeschränkten unionsrechtlichen Richtlinienwirkung und könnte zudem dazu führen, dass die Einstufung als Eingriffsnorm uneinheitlich erfolgt (s. aber Rz. 5.45 ff.).

1.34

Andere haben lediglich eine Überprüfung anhand des ordre public (Art. 6 EGBGB) zugelassen. Der inländische Richter würde gegen seine Verpflichtung zur Unionstreue verstoßen, wenn er richtlinienwidriges mitgliedstaatliches Recht anwenden würde2. Auch dieser Weg, welcher die Verletzung von Grundwerten des inländischen Rechts voraussetzt bzw. einen „europäischen ordre public“ durchsetzen will, ist aber fragwürdig. Art. 21 Rom I-VO bietet jedenfalls keinen Anhaltspunkt für ein solches Vorgehen. b) Einzelne Richtlinien aa) Verbraucherrecht

1.35

Zur Schaffung eines Europäischen Verbraucherrechts ist eine Reihe von Richtlinien ergangen, die auch für grenzüberschreitende Verträge Bedeutung erlangt haben:

1.36

– Die zum 13.6.2014 aufgehobene Richtlinie über den Verbraucherschutz von außerhalb Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen von 19853 enthielt keine kollisionsrechtlichen Vorgaben. Vgl. Rz. 35.2. – Die Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen von 19934 war bis 31.12.1994 in nationales Recht umzusetzen. Nach Art. 6 Abs. 2, der in Deutschland in Art. 46b EGBGB umgesetzt wurde, darf dem Verbraucher nicht der in der Richtlinie vorgesehene Schutz vorenthalten werden, indem das Recht eines Drittlandes vereinbart wird5. Vgl. Rz. 35.3. Missbrauchsverbot und Transparenzgebot der Richtlinie werden auch auf die Rechtswahl nach der Rom I-VO bezogen (Rz. 35.83). – Ferner gilt eine Richtlinie zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter vom 25.5.19996. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie, der in Deutschland über Art. 46b EGBGB umgesetzt wird, schützt den Verbraucher vor der Wahl drittstaatlichen Rechts (s. Rz. 35.3). 1 S. insb. Jayme, IPRax 1990, 220 (222); Jayme, RabelsZ 55 (1991), 303 (325). Ferner Deinert, Jb.J. ZivRWiss 1997, 257 ff.; Krebber, ZvglRW 97 (1998), 132 ff. 2 So Iversen in Brödermann/Iversen, Rz. 1019 ff., 1076 ff. Anders etwa LG Düsseldorf v. 12.4.1994 – 10 O 513/93, IPRspr. 1994 Nr. 33 = RIW 1995, 415 (m. Aufs. Mankowski, RIW 1995, 364) = VuR 1994, 262 Anm. Tonner (Time-Sharing-Vertrag). 3 Richtlinie 2005/29/EG, Text ABl. EG 1985 Nr. L 372, S. 31. – Kommentar von Micklitz in Grabitz/ Hilf, A 2. 4 Richtlinie 93/13/EWG, ABl. EG 1993 Nr. L 95, S. 29. Geändert durch Art. 1 VerbraucherschutzRichtlinie (EU) 2019/2161 v. 27.11.2019, ABl. EU 2019, L 328, S. 7. – Kommentiert in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 7. Aufl. 2020, S. 2433 ff. 5 Vgl. Jayme/Kohler, IPRax 1994, 405 (407); Jayme/Kohler, Rev.crit.d.i.p. 84 (1995), 19 ff. 6 Richtlinie 1999/44/EG, Text ABl. EG 1999 Nr. L 171, S. 12. – Kommentar von Magnus in Grabitz/ Hilf, A 15.

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A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.39 § 1

– Art. 12 Abs. 2 der aufgehobenen Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen vom 17.6.2002 schützte den Verbraucher vor der Vereinbarung drittstaatlichen Rechts1 (vgl. Rz. 35.3). – Art. 22 Abs. 4 der Richtlinie über Verbraucherkreditverträge vom 23.4.20082 erfasst den Konsumentenkredit (vgl. Rz. 35.3). Ihr Vorgänger, die Verbraucherkreditrichtlinie von 1986 i.d.F. von 19903, äußerte sich nicht zum anwendbaren Recht. Die „Omnibus-Richtlinie“ v. 27.11.2019 hat das Verbraucherrecht modernisiert4. Sie enthält aber keine Kollisionsnormen, da die kollisionsrechtlichen Funktionen inzwischen von Art. 6 Rom I-VO erfüllt werden. Das gilt auch für die vorangegangene Verbraucherrechte-Richtlinie 2011/83/EU vom 25.10.20115.

1.37

Die Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz vom 20.5.1997 zielte hauptsächlich auf eine Angleichung des Sachrechts ab6. Sie ist mit Wirkung vom 13.6.2014 aufgehoben worden7. Nach ihrem Art. 12 Abs. 2, der sich in Deutschland in Art. 46b EGBGB niedergeschlagen hatte, verliert der Verbraucher nicht den durch die Richtlinie gewährten Schutz, indem das Recht eines Drittlandes vereinbart wird (s. Rz. 35.2). Eine Richtlinie v. 25.11.2015 hat eine Änderung des Pauschalreiserechts herbeigeführt (vgl. § 651a BGB)8. Kollisionsrechtlich findet Art. 46c EGBGB über den Schutz der Reisenden gegenüber Vermittlern ohne Niederlassung in der EU oder im EWR Anwendung (s. Rz. 15.88).

1.38

bb) Dienstleistungen Die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr vom 17.7.20009 will zwar keine zusätzlichen Kollisionsnormen schaffen (Art. 1 Abs. 4 E-Commerce-RL), statuiert jedoch das Herkunftslandprinzip (Art. 3 E-Commerce-RL). Sie ist in §§ 1 ff. TMG umgesetzt worden10. Die Vorschriften für Verbraucherverträge werden allerdings vom Herkunftslandprinzip des 1 ABl. EG 2002 Nr. L 271, S. 16. – Vgl. dazu Jayme/Kohler, IPRax 2002, 461 (463 f.); Heiss, IPRax 2003, 100. 2 Richtlinie 2008/48/EG, ABl. EU 2008 Nr. L 133, S. 66. 3 Richtlinie 87/102/EWG, ABl. EG 1987 Nr. L 42, S. 48 und ABl. EG 1990 Nr. L 61, S. 14. 4 Richtlinie (EU) 2019/2161 v. 27.11.2019 zur Änderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinien 98/6/EG, 2005/29/EG und 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union, ABl. EU 2019 Nr. L 328, S. 7. 5 Die Richtlinie 2011/83/EU betrifft die Rechte der Verbraucher, die Abänderung der Richtlinie 93/ 13/EWG (missbräuchliche Klauseln) und der Richtlinie 1999/44/EG (Verbrauchsgüterkauf) sowie die Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG (Haustürgeschäfte) und der Richtlinie 97/7/EG (Fernabsatz von Finanzdienstleistungen), ABl. EU 2011 Nr. L 304, S. 64. – Geändert durch Art. 4 Verbraucherschutz-Richtlinie (EU) 2019/2161 v. 27.11. 2019, ABl. EU 2019, L 328, S. 7. 6 Richtlinie 97/7/EG, Text ABl. EG 1997 Nr. L 144, S. 19. – Kommentar von Micklitz in Grabitz/Hilf, A 3. 7 Art. 31 Abs. 1 RL 2011/83/EU v. 25.10.2011, ABl. EU 2011 Nr. L 304, S. 64. 8 Richtlinie (EU) 2015/2302 v. 25.11.2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, ABl. EU 2015 Nr. L 326, S. 1. 9 Richtlinie 2000/31/EG, Text: ABl. EG 2000 Nr. L 178, S. 1. – Kommentar von Marly in Grabitz/ Hilf, A 4. 10 Dazu näher Martiny in MünchKomm, nach Art. 9 Rom I-VO Anh. III, Telemediengesetz Rz. 1 ff.

Martiny | 19

1.39

§ 1 Rz. 1.39 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

§ 3 Abs. 1 und 2 TMG ausgenommen (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 TMG). Die Dienstleistungsrichtlinie1 soll am bestehenden kollisionsrechtlichen Zustand nichts ändern. Dies ordnet ihr Art. 3 Abs. 2 ausdrücklich an. Vgl. auch Rz. 18.6 ff. Zwar besteht eine Richtlinie betreffend die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen von 2019 (s. Rz. 18.9). Für den digitalen Binnenmarkt werden aber zunehmend Verordnungen erlassen, s. Rz. 1.25. cc) Time-Sharing

1.40

Dem Verbraucherschutz beim Time-Sharing dient die Richtlinie vom 14.1.2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen2. Danach kommt es für den Schutz vor Nicht-EU-Recht bei Immobilien auf die Belegenheit, im Übrigen auf die Ausübung bzw. Ausrichtung der Tätigkeit des Unternehmers an (Art. 12 Abs. 2 Time-Sharing-RL). Dem Erwerber soll der durch die Richtlinie gewährte Schutz nicht durch die Vereinbarung ausländischen Rechts vorenthalten werden, wenn die Immobilie in einem Mitgliedstaat belegen ist (Art. 9 Time-Sharing-RL)3. Dies wird in Deutschland über Art. 46b Abs. 4 EGBGB durchgesetzt. Vgl. Rz. 32.47 ff. dd) Versicherungsrecht

1.41

Eine ganze Reihe von Richtlinien hat nicht nur sachrechtliche, sondern auch kollisionsrechtliche Auswirkungen. So hat die Zweite Direktversicherungsrichtlinie vom 22.6.1988 auch das Internationale Versicherungsrecht in der EU vereinheitlicht. Die deutsche Regelung fand sich in Art. 7–14 EGVVG, die durch Art. 7 Rom I-VO ersetzt worden sind (s. näher Rz. 36.10 ff.). ee) Arbeitsrecht

1.42

Bisherige Richtlinien betreffen u.a. den Betriebsübergang und die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrats (s. Rz. 11.141, Rz. 11.150 ff.). Die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern will sicherstellen, dass dem Arbeitnehmer nicht die Arbeitsbedingungen versagt werden, welche an dem Ort, an dem die Arbeitsleistung vorübergehend erbracht wird, für Tätigkeiten der gleichen Art gelten4 (vgl. Rz. 11.24). ff) Handelsvertreterrecht

1.43

Das Handelsvertreterrecht ist durch die Richtlinie zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbstständigen Handelsvertreter vom 18.12.1986 angeglichen worden (s. Rz. 23.7).

1 Richtlinie 2006/123/EG v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EU 2006 Nr. L 376, S. 36. – Näher Kampf, IPRax 2008, 101 ff. 2 Richtlinie 2008/122/EG vom 14.1.2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilzeitnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen, ABl. EU 2009 Nr. L 33, S. 10. 3 Richtlinie 2008/122/EG, ABl. EU 2009 Nr. L 33, S. 10. 4 Art. 3 Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen v. 16.12.1996, in der durch die Richtlinie (EU) 2018/957 v. 28.6.2018 geänderten Fassung, ABl. EU 2018 L 173, S. 16.

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A. Rechtsvereinheitlichung | Rz. 1.46 § 1

gg) Anwaltsrecht Das Anwaltsrecht ist im Zuge der Liberalisierung der Dienstleistungen angeglichen worden (vgl. Rz. 10.1 ff.).

1.44

5. Gemeinsamer Referenzrahmen und optionales Instrument In welcher Rechtsform ein Gemeinsamer Referenzrahmen (Common Frame of Reference) mit einheitlichen vermögensrechtlichen Regeln geschaffen werden könnte, ist noch offen1. Zwar wurde ein wissenschaftlicher Entwurf erstellt2. Ihm folgten jedoch keine Taten. Das Verhältnis zur Rom I-VO, das in Art. 22 Rom I-VO Entw. 2005 noch angesprochen wurde, ist weiterhin ungeklärt3. Dies gilt auch für das ursprünglich geplante sog. optionale Instrument4. Erwägungsgrund 14 stellt lediglich fest, dass dann, wenn die Gemeinschaft in einem geeigneten Rechtsakt Regeln des materiellen Vertragsrechts, einschließlich vertragsrechtlicher Standardbestimmungen, festlegen sollte, in einem solchen Rechtsakt vorgesehen werden kann, dass die Parteien entscheiden können, diese Regeln anzuwenden.

1.45

IV. Staatsverträge Einzelne Staatsverträge behandeln Teilbereiche und -aspekte des Internationalen Vertragsrechts. Typisch sind Übereinkommen, welche bestimmte Sachgebiete mithilfe materiell-rechtlicher Regeln vereinheitlichen. Solche Staatsverträge, welche in erster Linie Einheitsrecht schaffen und in unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht umgesetzt werden (s. Rz. 1.1), genießen auf Grund der allgemeinen Regel des Art. 3 Nr. 2 EGBGB Vorrang vor dem nationalen Kollisionsrecht5 und auch vor der Rom I-VO (zu Art. 25 Rom I-VO s. Rz. 1.141). Die Anwendbarkeit des Staatsvertrages und von Einheitsrecht darf daher nicht mit der Ermittlung des Vertragsstatuts vermischt werden6. Kollisionsrechtliche Probleme entstehen dabei vor allem im Anwendungsbereich der Übereinkommen und bezüglich des Verhältnisses von Staatsvertrag und nationalem Recht, insb. bei der Lückenfüllung. Solche Lücken sind, sofern die

1 S. Entschließung des Europäischen Parlaments zum CFR v. 3.9.2008, ZEuP 2009, 421 f. Näher Kötz, S. 13 ff. 2 S. von Bar/Clive/Schulte-Nölke (Hrsg.), Principles, definitions and model rules of European private law – Draft Common Frame of Reference (DCFR) (Interim Outline Edition 2008; Outline Edition 2009). – Dazu Eidenmüller ua., Der Gemeinsame Referenzrahmen für das Europäische Privatrecht, JZ 2008, 529; Zimmermann/Jansen, Was ist und wozu der DCFR?, NJW 2009, 3401. 3 S. Mankowski, CFR und Rechtswahl in Schmidt-Kessel (Hrsg.), Der gemeinsame Referenzrahmen (2009), S. 389; Martiny, Common Frame of Reference und Internationales Vertragsrecht, ZEuP 2007, 212 ff. – Vgl. auch Remien, Zweck, Inhalt, Anwendungsbereich und Rechtswirkung des Gemeinsamen Referenzrahmens, GPR 2008, 124; Stürner, Europ. VertragsR, § 3 Rz. 14. 4 Leible, NJW 2008, 2561 f.; Wagner, IPRax 2008, 377 (380); Leible, Rom I und Rom II, S. 36 ff. – Zum Optionalen Instrument s. Busch, Kollisionsrechtliche Weichenstellungen für ein optionales Instrument im europäischen Vertragsrecht, EuZW 2011, 655; Fornasier, „28.“ vs. „2. Regime“ – kollisionsrechtliche Aspekte eines optionalen europäischen Vertragsrechts, RabelsZ 76 (2012) 401; Gebauer, Europäisches Vertragsrecht als Option, GPR 2011, 227 ff.; Herresthal, Ein europäisches Vertragsrecht als Optionales Instrument, EuZW 2011, 7; Stürner, Kollisionsrecht und Optionales Instrument, GPR 2011, 236; Lippstreu, S. 306 ff. 5 Vgl. Blaurock, Übernationales Recht des Internationalen Handels, ZEuP 1993, 247 (253 ff.); Kegel/ Schurig, S. 74 ff. m.w.N. 6 So aber z.B. noch zu Art. 27 ff. EGBGB OLG Jena v. 26.5.1998 – 8 U 1667/97 (266), IPRspr. 1999 Nr. 25 = TranspR-IHR 2000, 25 Anm. Herber (CISG).

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1.46

§ 1 Rz. 1.46 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

Konvention nicht auf eine bestimmte nationale Rechtsordnung verweist, grundsätzlich unter Zuhilfenahme der Rom I-VO zu schließen. Die einzelnen, von der Haager Konferenz, UNCITRAL und UNIDROIT ausgearbeiteten Staatsverträge werden im jeweiligen Zusammenhang behandelt.

V. Grundregeln (Principles) 1.47

Nicht bindende Grundregeln (Principles) sind auf dem Gebiet des Vertragsrechts vor allem von UNIDROIT entwickelt worden (s. Rz. 1.2), sie bestehen jedoch für das Sachrecht auch auf europäischer Ebene (s. Rz. 1.17). Kollisionsrechtliche Grundregeln gibt es nur ausnahmsweise. Dazu gehören die nicht bindenden Haager „Principles on the Choice of Law in International Commercial Contracts“ vom 19.3.20151. Sie sollen, soweit ihre Heranziehung zweckmäßig ist, gegenüber der Rom I-VO als Ergänzung wirken.

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung Literatur zur Verordnung (Auswahl): Ancel/Deumier/Laazouzi, Droit des contrats internationaux, 2. Aufl. 2020; Bonomi, The Rome I Regulation on the Law Applicable to Contractual Obligations, Yb. PIL 10 (2008), 165; Boschiero (Hrsg.), La nuova disciplina comunitaria della legge applicabile ai contratti (Roma I) (Turin 2009); Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européen „Rome I“ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles (Zürich 2008); Clausnitzer/Woopen, Internationale Vertragsgestaltung: die neue EG-Verordnung für grenzüberschreitende Verträge (Rom IVO), BB 2008, 1798; Einsele, Auswirkungen der Rom I-Verordnung auf Finanzdienstleistungen, WM 2009, 289; Ferrari (Hrsg.), Concise commentary on the Rome I Regulation, 2. Aufl. (Cambridge 2020); Francq, Le règlement „Rome I“ sur la loi applicable aux obligations contractuelles, Clunet 136 (2009), 41; Garcimartín Alférez, The Rome I Regulation, EuLF 2008, I-77; Guinchard (Hrsg.), Rome I and Rome II in Practice (Cambridge 2020); Kenfack, Le règlement (CE) no. 593/2008 du 17 juin 2008 sur la loi applicable aux obligations contractuelles („Rome I“), Clunet 136 (2009), 3; Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. (2017); Kühne, Rechtswahl und Eingriffsnormen in der Rechtsprechung des EuGH, FS Wegen (2015), S. 451; Lagarde/Tenenbaum, De la convention de Rome au règlement Rome I, Rev.crit.d.i.p. 97 (2008), 727; Lando/Nielsen, Rom I-forordningen, UfR 2008, 234; Lando/Nielsen, The Rome I Regulation, CML Rev. 45 (2008), 1687; Leible, Rom I und Rom II (2009); Leible/Lehmann, Die Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse an1 Text: http://www.hcch.net sowie RabelsZ 79 (2015), 654. – S. Basedow, Soft Law im Kollisionsrecht - Anmerkungen zu den Haager Grundsätzen über die Rechtswahl, FS Schnyder (2018), S. 3; BoeleWoelki, Party autonomy in litigation and arbitration in view of the Hague principles on choice of law in international commercial contracts, Rec. des cours 379 (2015), 35; Girsberger, Die Haager Prinzipien über die Rechtswahl in internationalen kommerziellen Verträgen, SZIER 2014, 545; Kadner Graziano, Solving the Riddle of Conflicting Choice of Law Clauses in Battle of Forms Situations: The Hague Solution, Yb.PIL 14 (2012), 71; Lando, The Draft Hague Principles on the Choice of Law in International Contracts and Rome I in A Commitment to Private International Law – Essays in honour of van Loon (Antwerpen 2013), S. 299; Neels, The Nature, Objective and Purposes of the Hague Principles on Choice of Law in International Contracts, Yb.PIL 15 (2013/ 2014), 45; Martiny, Die Haager Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts, RabelsZ 79 (2015), 624; Pfeiffer, Die Haager Prinzipien des internationalen Vertragsrechts, FS Magnus (2014), S. 499; Rühl, Die Haager Grundregeln über Rechtswahlklauseln in internationalen Handelsverträgen, FS Kronke (2020), S. 485; Schwartze, Weltweit einheitliche Standards für die Wahl des Vertragsstatuts, FS Kirchner (2014), S. 315; Symeonides, The Hague Principles on Choice of Law for International Contracts: Some Preliminary Comments, Am.J.Comp.L. 61 (2013), 873.

22 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.48 § 1 zuwendende Recht („Rom I“), RIW 2008, 528; Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013); Magnus, Die Rom I-Verordnung, IPRax 2010, 27; Magnus, Rom I und der EuGH – für die Auslegung der Rom I-VO bereits relevante EuGH-Rechtsprechung, FS Coester-Waltjen (2015), S. 555; Mankowski, Die Rom I-Verordnung, IHR 2008, 133; Mankowski, Interessenpolitik und europäisches Kollisionsrecht: rechtspolitische Überlegungen zur Rom I- und zur Rom II-Verordnung (2011); Martiny, Neues deutsches internationales Vertragsrecht, RIW 2009, 737; Martiny, Neuanfang im Europäischen Internationalen Vertragsrecht mit der Rom I-Verordnung, ZEuP 2010, 747; Martiny, Europäisches Internationales Schuldrecht – Rom I- und Rom II-Verordnungen in der Bewährung, ZEuP 2015, 838; Martiny, Europäisches Internationales Schuldrecht : Feinarbeit an Rom I- und Rom II-Verordnungen, ZEuP 2018, 218; McParland, The Rome I Regulation on the Law Applicable to Contractual Obligations (Oxford 2015); Nourissat u.a., Le nouveaux droit des contrats internationaux, Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 61; Pfeiffer, Neues Internationales Vertragsrecht, EuZW 2008, 622; Plender/Wilderspin, The European private international law of obligations, 5. Aufl. (London 2020); Reiher, Der Vertragsbegriff im europäischen Internationalen Privatrecht (2010); Rieländer, Treuhandverträge über Geschäftsanteile, IPRax 2020, 224; Rudolf, Europäisches Kollisionsrecht für vertragliche Schuldverhältnisse – Rom I-VO, ÖJZ 2011, 149; Schilling, Materielles Einheitsrecht und Europäisches Schuldvertrags-IPR, EuZW 2011, 776; Solomon, The Private International Law of Contracts in Europe, Tul.L.Rev. 82 (2008), 1709; Solomon, Die Rom I-Verordnung in der deutschen ordentlichen Gerichtsbarkeit, ZVglRWiss 115 (2016), 586; Ubertazzi, Il regolamento Roma I sulla legge applicabile alle obbligazioni contrattuali (Mailand 2008); Wagner, Der Grundsatz der Rechtswahl und das mangels Rechtswahl anwendbare Recht (Rom-I-Verordnung), IPRax 2008, 377; Wagner, Normenkonflikte zwischen den EG-Verordnungen Brüssel I, Rom I und Rom II und transportrechtlichen Rechtsinstrumenten, TranspR 2009, 103; Wurmnest, European private international law and member state treaties with third states (2019). Literatur zum Grünbuch und zum Verordnungsentwurf (Auswahl): Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa – Der Vorschlag für eine Rom I-Verordnung (2007); Franzina (Hrsg.), La legge applicabile ai contratti nella proposta di regolamento „Roma I“ (Mailand 2006); Kieninger, Der Rom-I-Vorschlag, EuZ 2007, 22; Lagarde, Remarques sur la proposition de règlement de la Commission européenne sur la loi applicable aux obligations contractuelles (Rome I), Rev.crit.d. i.p. 95 (2006), 331 (auch in Schulze [Hrsg.], New Features in Contract Law [2007], S. 277); Lando/ Nielsen, The Rome I Proposal, J.PIL 3 (2007), 29; Magnus/Mankowski, The Green Paper on a Future Rome I Regulation – on the Road to a Renewed European Private International Law of Contracts, ZvglRW 103 (2004), 131; Mankowski, Das Grünbuch zur Rom I-Verordnung, ZEuP 2003, 483; Mankowski, Der Vorschlag für die Rom-I-Verordnung, IPRax 2006, 101; Martiny, Europäisches Internationales Vertragsrecht in Erwartung der Rom I-Verordnung, ZEuP 2008, 79; Max Planck Institute for Comparative and International Private Law, Comments on the European Commission´s Proposal for a Regulation of the European Parliament and the Council on the law applicable to contractual obligations (Rome I), RabelsZ 71 (2007), 225; Roth, On the way to a Rome I Regulation, CML Rev. 43 (2006), 913.

I. Entstehung Das EVÜ war vor allem wegen der inzwischen erfolgten materiell-rechtlichen, aber auch internationalverfahrensrechtlichen Rechtsangleichung und -vereinheitlichung in der Gemeinschaft reformbedürftig1. An verschiedenen Stellen waren auch Klarstellungen und Nachbesserungen notwendig geworden. Ferner sind die Rechtswahlbeschränkungen und Anknüpfungen des Richtlinienrechts vielfach andere Wege gegangen als das Übereinkommen, so dass Spannungen unter den einzelnen Lösungen entstanden waren (vgl. Rz. 1.17 ff.). Einzelne Reform-

1 Vgl. Wagner, IPRax 2008, 377 (378). S. bereits Sonnenberger, ZVglRW 100 (2001), 107 (117 ff.); Martiny, ZEuP 2001, 308 (332 ff.).

Martiny | 23

1.48

§ 1 Rz. 1.48 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

vorschläge lagen seit längerem vor1. Ferner sollte der Inhalt des EVÜ entsprechend dem Unionsrecht in eine Verordnung überführt werden, so dass in Zukunft keine schwerfälligen Ratifikationsverfahren mehr notwendig sind und eine einheitliche Auslegung erfolgen kann2 (vgl. Rz. 1.55).

1.49

Die Revision des EVÜ wurde zunächst durch ein Grünbuch von Januar 2003 vorbereitet3, zu dem eine Reihe von Stellungnahmen einging. Ein Vorschlag für eine Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) wurde am 15.12.2005 von der EU-Kommission vorgelegt4. Die Originalsprache des Entwurfs war französisch. Dazu ergingen zahlreiche Stellungnahmen. Die zuständige Brüsseler Arbeitsgruppe nahm ihre Arbeit im ersten Halbjahr 2006 auf5. In den Verhandlungen des Rats wurde die endgültige Fassung ausgearbeitet.

1.50

Im April 2007 wurde eine politische Einigung über zahlreiche Vorschriften erzielt. In der zweiten Hälfte des Jahres 2007 fand eine Abstimmung mit dem Europäischen Parlament statt. Schließlich wurde die VO in erster Lesung vom Europäischen Parlament angenommen6 und eine legislative Entschließung verabschiedet7. Am 29.11.2007 hat das Parlament 70 Änderungen zum ursprünglichen Kommissionsvorschlag angenommen8. Der Rat Justiz und Inneres hat den Kompromiss am 7.12.2007 politisch gebilligt. In der ersten Hälfte 2008 wurde der Text redaktionell überarbeitet. Die englische Ursprungsfassung wurde in die anderen Sprachen der Mitgliedstaaten übersetzt. Der Rat hat der Verordnung am 6.6.2008 förmlich zugestimmt. Die Verordnung wurde am 17.6.2008 vom Präsidenten des Europäischen Rats und des Europäischen Parlaments unterschrieben und trägt daher dieses Datum9. 1 Europäische Gruppe für Internationales Privatrecht, Vorschläge für eine Revision des Europäischen Schuldvertragsübereinkommens, IPRax 2001, 64 f. (französ. Fassung) = Rev.crit.d.i.p. 89 (2000), 929. – Vgl. auch Jayme/Kohler, IPRax 2002, 461 (470). 2 Kessedjian, Liber Amicorum Siehr, S. 329 (334 f.); Jayme/Kohler, IPRax 2002, 461 (470). – S. Aktionsplan des Rates und der Kommission v. 3.12.1998, ABl. EG 1999 Nr. C 19, S. 1 = IPRax 1999, 288. Vgl. dazu Jayme/Kohler, IPRax 2000, 454 (456). 3 Grünbuch über die Umwandlung des Übk. von Rom aus dem Jahr 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in ein Gemeinschaftsinstrument sowie über seine Aktualisierung (KOM[2002], 654 endgültig v. 14.1.2003). – S. dazu Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum internationalen Vertragsrecht (2004), mit Text als Anh. II; Mankowski, ZEuP 2003, 483 ff.; Martiny, ZEuP 2003, 590 ff. 4 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), KOM(2005), 650 endgültig v. 15.12.2005, IPRax 2006, 193. Text auch bei Ferrari/Leible, S. 245 ff. 5 Zum Folgenden s. Wagner, IPRax 2008, 377 f. 6 Standpunkt des Europäischen Parlaments festgelegt in erster Lesung am 29.11.2007 im Hinblick auf den Erlass der Verordnung (EG) Nr. .../2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) – Erste Lesung (15832/07). 7 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments v. 29.11.2007 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (KOM[2005]0650 – C6-0041/2005 – 2005/0261 [COD]) (Verfahren der Mitentscheidung: erste Lesung). 8 S. Rechtsausschuss – Bericht über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (KOM[2005]0650 – C6-0041/2005 – 2005/0261 [COD]) v. 21.11.2007 (A6-0450/2007) Berichterstatter C. Dumitrescu. 9 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 v. 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2008 Nr. 177, S. 6; Berichtigung der Verordnung, ABl. EU 2009 Nr. L 309, S. 87.

24 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.54 § 1

Der Entwurf hatte eine lebhafte Debatte ausgelöst1. Im Vergleich zum Entwurf wurde eine ganze Reihe von Änderungen vorgenommen, so bezüglich der Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) sowie der objektiven Anknüpfung (Art. 4 Rom I-VO). Ursprünglich nicht vorgesehene Regeln für Beförderungsverträge (Art. 5 Rom I-VO) und Versicherungsverträge (Art. 7 Rom I-VO) wurden entwickelt. Beim Verbrauchervertrag wurde die Rechtswahl zugelassen (Art. 6 Rom IVO). Keinen Anklang fanden die Vorschriften des Entwurfs über die rechtsgeschäftliche Stellvertretung, die gestrichen wurden. Die Bestimmungen über die Eingriffsnormen wurden tiefgreifend verändert.

1.51

II. Unionsrechtliche Regelung 1. Vorrang der Verordnung Die VO ist direkt anwendbar und verdrängt in ihrem Anwendungsbereich das nationale Kollisionsrecht (vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV; Art. 29 Rom I-VO)2. Dieses kann daher grundsätzlich nicht weiter bestehen. Anderes gilt nur für nicht von der Verordnung abgedeckte Fragen3. Wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit der Rom I-VO war eine entsprechende Änderung des deutschen Internationalen Vertragsrechts notwendig. Die zuvor geltenden Art. 27–37 EGBGB wurden zum 17.12.2009 aufgehoben4. Die der Umsetzung von Richtlinien dienende Vorschrift des Art. 29a EGBGB wurde durch Art. 46b EGBGB ersetzt.

1.52

Allerdings lässt Art. 7 Rom I-VO in zwei Fällen für Versicherungsverträge zu, dass der nationale Gesetzgeber eine ergänzende Regelung bezüglich des anwendbaren Rechts trifft. Dies gilt zum einen für Art. 7 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO. Ferner enthält Art. 7 Abs. 4 lit. b Rom I-VO noch eine besondere Regelung für die Pflichtversicherung. Danach kann ein Mitgliedstaat ganz allgemein vorschreiben, dass auf den Versicherungsvertrag das Recht des Mitgliedstaats anzuwenden ist, der die Versicherungspflicht verlangt. Da auch die Art. 7–15 EGVVG beseitigt wurden, fand der zuvor in Art. 12 EGVVG geregelte Pflichtversicherungsvertrag in Art. 46d (früher Art. 46c) EGBGB einen neuen Standort (s. Rz. 36.56 ff.).

1.53

Die Kompetenz zum Erlass der Verordnung lässt sich auf Art. 81 Abs. 2 lit. c AEUV (exArt. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 lit. b EGV) stützen5. Danach besteht zwar nur eine Zuständigkeit zur Förderung der „Vereinbarkeit der Kollisionsnormen“, doch wird dies überwiegend weit ausgelegt6. Während das EVÜ als loi uniforme auch Sachverhalte mit Drittstaatsbezug erfasst hat, könnte man daran denken, die Kompetenz zum Verordnungserlass nur für ein Binnenmarktkollisionsrecht anzunehmen. Allerdings geht die Kommission zutreffend davon aus, dass auch eine Außenkompetenz der EU für Drittstaatensachverhalte besteht7. Dementsprechend kann, wie schon bislang, das Internationale Vertragsrecht durch universell geltende Kollisionsnormen gestaltet werden, vgl. Rz. 1.65.

1.54

1 S. nur Mankowski, IPRax 2006, 101 (110 ff.); Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007). 2 Pfeiffer, EuZW 2008, 622. 3 Zu Italien Malatesta, Riv.dir.int.priv.proc. 2018, 318 ff.; zu Österreich Heindler, ZfRV 2019, 264 ff. 4 Art. 1, 3 Gesetz zur Anpassung der Vorschriften des Internationalen Privatrechts an die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 v. 25.6.2009, BGBl. I 2009, 1574. 5 Wagner, IPRax 2008, 377 (378). 6 Zur Problematik näher Jayme, IPRax 2001, 65; Remien, CML Rev. 38 (2001), 53 (73 ff).; Ehle, S. 102 ff.; Plender/Wilderspin, Rz. 1–018 ff. 7 In diesem Sinne auch schon Basedow in Baur/Mansel, S. 38 ff.; Ehle, S. 109 ff. (226 f.).

Martiny | 25

§ 1 Rz. 1.54 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

2. Auslegung Literatur: Coester-Waltjen, Einige Überlegungen zum Gebot der übergreifenden systematischen Auslegung nach Erwägungsgrund 7 Rom I-VO, IPRax 2020, 385; Kadner Graziano/Reymond, Court of Justice of the European Union in Guinchard (Hrsg.), Rome I and Rome II in Practice (Cambrigde 2020), S. 11; Kieninger, Die Rolle des EuGH nach Inkrafttreten der „Rom“-Verordnungen, FS Scheuing (2011), S. 110; Köck, Die einheitliche Auslegung der Rom I-, Rom II- und Brüssel I-Verordnung im europäischen internationalen Privat- und Verfahrensrecht (2014); Lemaire, Interrogations sur la portée juridique du préambule du règlement Rome I, D. 2008, 2157; Lüttringhaus, Übergreifende Begrifflichkeiten im europäischen Zivilverfahrens- und Kollisionsrecht, RabelsZ 77 (2013), 31; Würdinger, Das Prinzip der Einheit der Schuldrechtsverordnungen im Europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, RabelsZ 75 (2011), 102.

1.55

Für die Auslegung der Rom I-VO gelten die allgemeinen Grundsätze für die Auslegung von Verordnungen. Vielfach wird es einer Klärung durch den EuGH bedürfen. Vorlageberechtigt sind Gerichte, die eine Klärung für erforderlich halten. Zur Vorlage verpflichtet sind Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden können (Art. 267 AEUV)1.

1.56

Die VO sagt nichts dazu, nach welchen Grundsätzen sie im Einzelnen auszulegen ist und wie Lücken zu füllen sind. Dabei kann in erheblichem Umfang an die Auslegung des EVÜ angeknüpft werden. Häufig stellt der EuGH auch klar, dass seine Auslegung des Übereinkommens auch für die Rom I-VO Geltung beansprucht. In erster Linie ist eine autonome Auslegung vorzunehmen. Die Rom I-VO ist losgelöst von den Regeln eines nationalen Rechts auszulegen2. Im Übrigen sind die Grundsätze der grammatischen, systematischen, historischen und teleologischen Auslegung in der gemeinschaftlichen Ausprägung anzuwenden3. Gibt die VO selbst nicht genügend Aufschluss, so ist gleichwohl eine autonome Qualifikation der Begriffe auf rechtsvergleichender Grundlage erstrebenswert4.

1.57

Der Zusammenhang mit anderen europäischen Kollisionsnormen ist zu wahren. Viele Begriffe tauchen auch in der Rom II-VO auf; unnötige Divergenzen und Widersprüche sollten vermieden werden. Über die jeweiligen Ausschlusstatbestände hinaus sollten möglichst keine Lücken eintreten. Soweit die gleichen Begriffe wie in der Brüssel Ia-VO verwendet werden, ist zu prüfen, ob der Inhalt des in prozessrechtlichem Zusammenhang verwendeten Begriffs auch für die Rom I-VO herangezogen werden kann5. Dies ist insbesondere bei aufeinander abgestimmten Regelungen wie Art. 6 Rom I-VO (früher Art. 29 EGBGB bzw. Art. 5 EVÜ) und Art. 17 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 15 EuGVO, zuvor Art. 13 GVÜ) zum Verbrauchervertrag der Fall6. Es handelt sich vor allem um Begriffe wie „vertraglicher Anspruch“7 (s. Rz. 1.66),

1 Dazu Wagner, IPRax 2008, 377 (386); Pfeiffer, EuZW 2008, 622. 2 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 Rz. 28-29 (Nikiforidis) = NZA 2016, 1389 = RIW 2016, 811 Anm. Mankowski = IPRax 2018, 207 (m. Aufs. W-H. Roth, IPRax 2018, 177). S. auch Martiny, ZEuP 2013, 838 (840 ff.). 3 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 f.; von Hein in Rauscher, Einl. Rom I-VO Rz. 57 ff. 4 Näher zum EVÜ Reinhart, RIW 1994, 445 (447 ff.). 5 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-62); Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31 (36 ff.) – Ebenso bereits zum EVÜ BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 (384), NJW 1994, 262 = IPRax 1994, 449 (m. Aufs. W. Lorenz, IPRax 1994, 429) = JZ 1994, 363 Anm. Fischer. 6 Anders zum Begriff der „Dienstleistung“, OLG Düsseldorf v. 14.1.1994 – 17 U 129/93, IPRspr. 1994 Nr. 23 = NJW-RR 1994, 1132 = RIW 1994, 420 m. abl. Anm. Mankowski. 7 Vgl. EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 (Granarolo), NJW 2016, 3087 = JZ 2017, 96 Anm. Klöpfer/Wendelstein = IPRax 2017, 396 (m. Aufs. P. Huber, IPRax 2017, 356).

26 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.59 § 1

„Dienstleistung“1 (s. Rz. 18.1 ff.), „dingliches Recht“2 (s. Rz. 21.1 ff.) „Verbraucher“3 (s. Rz. 35.34 ff.) und „Ausrichten“4 (s. Rz. 35.42 ff.). Allerdings darf keine schematische Übernahme von Ergebnissen erfolgen. Funktion und Schutzzweck der jeweiligen kollisionsrechtlichen und zuständigkeitsrechtlichen Regelungen sind zu beachten. Dies gilt erst recht für Einzelheiten und gesetzliche Ausnahmen5. Die Intentionen des Verordnungsgebers gehen teilweise aus den vorangestellten Erwägungsgründen hervor. Besondere Bedeutung besitzt nach wie vor der „Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ von M. Giuliano und P. Lagarde6. Dieser Bericht gibt Auskunft über die Intentionen der Schöpfer der Konvention und soll den Gerichten der Vertragsstaaten die Anwendung des EVÜ erleichtern7. Er ist als Auslegungshilfe gedacht, obwohl er keine bindende Wirkung hat. Der Bericht ist daher für unverändert gebliebene Reglungen, selbst wenn man ihm im Detail nicht immer folgt, doch eine Quelle ersten Ranges8 und ein wesentliches Hilfsmittel für die historische Auslegung9. Ein weiterer Bericht erläutert die Änderungen anlässlich des Beitritts von Österreich, Finnland und Schweden10. Zu der Rom I-VO gibt es keinen solchen Bericht. Soweit sich die Rechtsprechung in den Nachbarländern geäußert hat, ist auch diese bei der Auslegung heranzuziehen11. Entsprechendes gilt für das ausländische Schrifttum12.

1.58

Inhaltlich sollte sich die Auslegung stets an den zwei großen Aufgaben des internationalen Vertragsrechts – Konfliktlösung und Konfliktvermeidung – orientieren13. Erstere setzt klare und handhabbare Regeln für die Streitentscheidung durch den Richter und Schiedsrichter voraus. Letzteres heißt, den Parteien bei der Vertragsgestaltung Einheitlichkeit, Kalkulierbarkeit der Ri-

1.59

1 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 (Kerr) Rz. 39 ff., NJW 2019, 2991 = IPRax 2020, 40 (m. Aufs. Thomale, IPRax 2020,18); Coester-Waltjen, IPRax 2020, 385 (388 f.). 2 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 (Kerr) Rz. 37 f., NJW 2019, 2991 = IPRax 2020, 40 (m. Aufs. Thomale, IPRax 2020,18). 3 Coester-Waltjen, IPRax 2020, 385 (389 ff.). 4 Coester-Waltjen, IPRax 2020, 385 (390 ff.). 5 S. EuGH 3.10.2019 – C-208/18, ECLI:EU:C:2019:825 (Petruchová) Rz. 62-66, RIW 2019, 810 Anm. Mankowski = Anm. Pfeiffer LMK 2020, 425951 (Verbraucher und Finanzinstrumente). 6 ABl. EG 1980 Nr. C 282, S. 1 ff. Ebenfalls in BT-Drucks. 10/503, 33 ff. = BR-Drucks. 224/83, 33 ff. = Pirrung, S. 342 ff. Die griech. Fassung des Berichts findet sich in ABl. EG 1987 Nr. C 199, die span. und portugies. Fassung in der span. bzw. portugies. Ausgabe von ABl. EG 1992 Nr. C 327. 7 Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 22. 8 Vgl. von Hein in Rauscher, Einl. Rom I-VO Rz. 60. 9 Junker, RabelsZ 55 (1991), 674 (680 f.). 10 Erläuternder Bericht über das Übk. über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden zu dem am 19.6.1980 in Rom zur Unterzeichnung aufgelegten Übk. über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht sowie zu dem Ersten und Zweiten Protokoll über die Auslegung des Übk. durch den Gerichtshof, ABl. EG 1997 Nr. C 191, S. 11. 11 von Hein in Rauscher, Einl. Rom I-VO Rz. 66. – Ebenso schon zum EVÜ Siehr, BerDGesVölkR 27 (1986), 126; Reinhart, RIW 1994, 445 (450, 452). 12 S. die Rspr.-Länderberichte in Guinchard S. 41 ff. sowie Hinweise in den Berichten von Martiny, ZEuP 2018, 218 ff. (zuletzt). 13 Vgl. Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (110).

Martiny | 27

§ 1 Rz. 1.59 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

siken und Voraussehbarkeit der Ergebnisse zu sichern. Dementsprechend ist auf die Vorhersehbarkeit des Rechts und die Rechtssicherheit in den Vertragsbeziehungen zu achten1.

III. Räumlicher Anwendungsbereich und Mitgliedstaaten 1.60

Der territoriale Anwendungsbereich der VO erstreckt sich auf die Mitgliedstaaten. Er ist jedoch enger als der des EVÜ. Art. 24 Abs. 1 Rom I-VO stellt klar, dass es bezüglich der Anwendbarkeit der VO auf Art. 299 EU-Vertrag (ersetzt durch Art. 355 AEUV) ankommt. Die Rom I-VO gilt dementsprechend für die französischen überseeischen Departements, die Azoren, Madeira und die Kanarischen Inseln (vgl. Art. 355 Abs. 1 AEUV). Für die in Anh. II zum EU-Vertrag aufgeführten überseeischen Länder und Hoheitsgebiete gilt lediglich das besondere Assoziierungssystem. Der EU-Vertrag gilt für die Ålandinseln (Art. 355 Abs. 4 AEUV), nicht jedoch für die Färöer (Art. 355 Abs. 5 lit. a AEUV).

1.61

Nicht alle der nunmehr 27 Mitgliedstaaten der EU werden automatisch von der Rom I-VO erfasst. Im Sinne der Rom I-VO bezeichnet der Begriff „Mitgliedstaat“ nur die Mitgliedstaaten, auf die die Verordnung anwendbar ist (Art. 1 Abs. 4 S. 1 Rom I-VO)2. Zu den Mitgliedstaaten, auf die die VO anwendbar ist, zählt entsprechend dem Protokoll über die Position Dänemarks3 dieser Staat nicht. Dänemark ist daher grundsätzlich kein Mitgliedstaat i.S.d. VO4. Es kommt daher zu einer differenzierten Integration, d.h. einer räumlich eingeschränkten Geltung kollisionsrechtlicher Unionsakte nach Art. 81 AEUV5. Für die kollisionsrechtlichen Regelungen in den der Rechtsangleichung dienenden Richtlinien gibt es dagegen keine Einschränkungen6. Irland hat sich, gestützt auf seine opt in-Möglichkeit, gleichfalls an der VO beteiligt7.

1.62

Das Vereinigte Königreich, das während seiner EU-Mitgliedschaft eine Sonderstellung genoss8, hatte von seiner opt in-Möglichkeit Gebrauch gemacht9. Es war daher Mitgliedstaat i.S.d. Rom I-VO. Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU („Brexit“) endete allerdings die Anwendung der Rom I-VO durch das Vereinigte Königreich mit dem Ende der Übergangsphase zum 31.12.202010. Nach dem Austritt findet die Rom I-VO noch für Verträge 1 Zu Art. 4 EVÜ EuGH v. 6.10.2009 – C-133/08, ECLI:EU:C:2009:617 (ICF), Slg. 2009, I-9687 = IPRax 2010, 236 (m. Aufs. Rammeloo, IPRax 2010, 215) = TranspR 2009, 491 Anm. Mankowski u. Aufs. Martiny, GPR 2011, 48) (Beförderungsvertrag); EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU: C:2014:2320 (Haeger & Schmidt), RdTW 2014, 437 = RIW 2015, 221 (Speditionsvertrag). 2 Art. 1 Abs. 4 Rom II-VO nennt hingegen alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks. 3 Art. 2 Protokoll (Nr. 22) über die Position Dänemarks zum AEUV. 4 S. Erwägungsgrund 46. 5 Näher Dohrn, S. 159 ff. (179 ff.). 6 Lando/Nielsen, J. PIL 3 (2007), 29 (49 f.). 7 S. Erwägungsgrund 44. 8 Protokoll (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands zum AEUV. 9 S. Entscheidung der Kommission v. 22.12.2008 über den Antrag des Vereinigten Königreichs auf Annahme der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I), ABl. EU 2009 Nr. L 10, S. 22. 10 Art. 126 Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft v. 17.10.2019, ABl. EU 2019 Nr. C I 384, S. 1.– Dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2020, 97 (99 f.); Terhechte, Strukturen und Probleme des Brexit-Abkommens, NJW 2020, 425 (426). – Zur Zukunft Rüscher, Vertragsanpassungen als Reaktion auf den Brexit nach deutschem, englischem, französischem, italienischem und spanischem Recht sowie nach UN-Kaufrecht, EuZW 2018, 937; Rühl, Im Schatten des Brexit-Abkommens, NJW 2020, 443; Wagner, IPRax 2021, 2 (9). – S. auch von Hein in MünchKomm, Art. 3 EGBGB Rz. 57.

28 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.66 § 1

Anwendung, die vor dem Ablauf der Übergangszeit (31.12.2020) abgeschlossen wurden1. Inhaltlich gilt die Rom I-VO im Vereinigten Königreich freilich mit Änderungen als nationales „retained EU law“ weiter2. Die Beschränkung auf Mitgliedstaaten i.S.d. VO im Gegensatz zum größeren Kreis der EUMitgliedstaaten macht Probleme, soweit es auf den Bezug zu einem Mitgliedstaat ankommt. Art. 1 Abs. 4 S. 2 Rom I-VO enthält daher eine Erweiterung für die das unabdingbare Unionsrecht schützende Rechtswahlbeschränkung des Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO. Dort bezeichnet der Begriff alle Mitgliedstaaten. Auch bezüglich des belegenen Risikos i.S.d. Art. 7 Rom I-VO ist eine Erweiterung erfolgt.

1.63

IV. Universelle Anwendung (Art. 2 Rom I-VO) Art. 2 Rom I-VO enthält den Grundsatz der universellen Anwendung. Das nach dieser Verordnung bezeichnete Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist. Im Interesse des Handels und des Privatrechtsverkehrs auch mit Drittstaaten kann ebenfalls das Recht von Nicht-EU-Staaten vereinbart werden, es kann aber auch wegen der engen Verbindung des Sachverhalts mit dieser Rechtsordnung zur Anwendung kommen3. Der Sachverhalt braucht überhaupt keine Beziehung zu einem anderen EU-Staat aufzuweisen und kann sich allein auf Nichtmitgliedstaaten beziehen4. Für die Anwendbarkeit der VO kommt es folglich nicht darauf an, ob es sich um einen Mitgliedstaat handelt5. Insofern hat der Brexit aus deutscher Sicht nichts geändert6.

1.64

V. Sachlicher Anwendungsbereich (Art. 1 Rom I-VO) 1. Allgemeines Die Art. 3 ff. Rom I-VO zielen auf schuldrechtliche Austauschverträge ab. Nach Erwägungsgrund 7 sollen der materielle Anwendungsbereich und die Bestimmungen der Verordnung mit der Brüssel I-VO und der Rom II-VO im Einklang stehen. Wegen der nur lückenhaften Rechtsprechung und der anderen Problemlage in der Brüssel Ia-VO bzw. EuGVO ist dieser Hinweis allerdings nur von beschränkter Bedeutung7.

1.65

2. Vertragliche Schuldverhältnisse Die Vorschriften der Rom I-VO sind auf vertragliche Schuldverhältnisse (contractual obligations; obligations contractuelles) anzuwenden. Vorausgesetzt wird nur, dass es sich um einen Sachverhalt handelt, der eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweist (Art. 1

1 Art. 66 lit. a Austrittsabkommen (vorige Fn.). Dazu Mankowski, Brexit und Internationales Privatund Zivilverfahrensrecht, EuZW 2020, Sonderausgabe Brexit, 3 (6). 2 The Law Applicable to Contractual Obligations and Non-Contractual Obligations (Amendment etc) (EU Exit) Regulations 2019, Statutory Instruments 2019 Nr. 834. 3 S. etwa im Verhältnis zur Schweiz BAG v. 24.6.2020 – 5 AZR 55/19 (A) Rz. 78, RIW 2021, 151 = ZIP 2020, 2359. 4 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-62). – So bereits zum EVÜ Deutsche Denkschrift, BTDrucks. 10/503, 23 f.; Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (112); Ehle, S. 32 f. 5 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (529); Bonomi, IPRax 2017, 184. 6 Wagner, IPRax 2021, 2 (9). 7 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (529).

Martiny | 29

1.66

§ 1 Rz. 1.66 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

Abs. 1 Rom I-VO)1. Eine Möglichkeit einer Abwahl der kollisionsrechtlichen Regelung der Rom I-VO durch Parteivereinbarung ist nicht vorgesehen2. Auf die Staatsangehörigkeit oder den gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien kommt es ebenso wenig an wie auf die von der VO berufene lex causae (vgl. Rz. 1.65).

1.67

Die Rom I-VO verwendet den Vertragsbegriff in zweierlei Weise. Zum einen geht es um den (sachrechtlichen) Hauptvertrag, zum anderen um den (kollisionsrechtlichen) Verweisungsvertrag. Eine eigentliche Definition des Vertrages findet sich jedoch nicht3. Der Begriff des vertraglichen Schuldverhältnisses ist autonom auszulegen4. Insoweit gilt das Gleiche wie für Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO5. Qualifikationsprobleme sind bislang nur vereinzelt aufgetreten, da der Anwendungsbereich des Vertragsstatuts im Einzelnen umschrieben und weit gefasst wird (Art. 12 Rom I-VO). Auch die Folgen nichtiger Verträge werden erfasst. Für die sachenrechtliche Einigung nach deutschem Recht gilt die Rom I-VO jedoch nicht, da es sich dabei um kein Schuldverhältnis handelt6. Die VO lässt erkennen, dass ein Vertrag regelmäßig auf einer bindenden Willenseinigung der Parteien beruht (Art. 10 Rom I-VO). Es muss sich nach den Maßstäben des europäischen Zuständigkeitsrechts (Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO; ex-Art. 5 Nr. 1 EuGVO) um eine freiwillige privatautonome Selbstbindung handeln7. Dass das nationale Sachrecht einen stillschweigend geschlossenen Vertrag fingiert, genügt nicht8. Dass der Vertrag nicht wirksam sein muss, ergibt sich schon daraus, dass auch die Voraussetzungen und Folgen solcher Vereinbarungen von der Verordnung erfasst werden9. Im Einzelnen ist freilich zweifelhaft, inwieweit sich der Vertragsbegriff des Internationalen Verfahrensrechts und der des Internationalen Vertragsrechts wirklich decken10 (zur Auslegung Rz. 1.57).

1.68

Bei der Übertragung durch Blockchain geht es um Datensätze für virtuelle Gegenstände oder um solche der realen Welt. Die Einordnung der vielgestaltigen Transaktionen macht Schwierigkeiten. Häufig kommt keine Anwendung der Regeln der Rom I-VO, sondern derjenigen des Internationalen Sachenrechts bzw. des sich immer mehr entwickelnden Internationalen Digitalrechts in Betracht11.

1 2 3 4 5 6 7

8 9 10 11

Ebenso früher Art. 1 Abs. 1 EVÜ. – Zum VO-Entwurf Lehmann in Ferrari/Leible, S. 17 ff. Vgl. zum EVÜ Hogan, Contracting out of the Rome Convention, L.Q.R. 108 (1992), 12. Näher Micklitz in Schulte-Nölke, S. 64 ff.; Abel, S. 68 ff. Lehmann in Ferrari/Leible, S. 17 (22 ff.). – So bereits Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (292 f.); Mankowski, IPRax 2003, 127 (128 ff.). Dazu EuGH v. 24.11. 2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) Rz. 25 = NJW 2021, 144 Anm. R. Wagner = IPRax 2021, 369 m. Aufs. Wurmnest, IPRax 2021, 341. – Vorlage durch BGH v. 11.12.2018 – KZR 66/17, RIW 2019, 227 = ZIP 2019, 1140. Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 22. S. EuGH v. 5.2.2004 – C-265/02, ECLI:EU:C:2004:77 (Frahuil/Assitalia), Slg. 2004, I-1543 Rz. 24 = EuZW 2004, 351; EuGH v. 21.1.2016 – C-359/14, ECLI:EU:C:2016:40, Rz. 44 (Ergo), NJW 2016, 1005 = IPRax 2017, 400 (m. Aufs. Martiny, IPRax 2017, 360); EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559, Rz. 24 (Granarolo), NJW 2016, 3087 = IPRax 2017, 396 (m. Aufs. P. Huber IPRax 2017, 356); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624); EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C448/16, ECLI:EU:C:2018:160 Rz. 60 (flightright), NJW 2018, 2105 = IPRax 2019, 421 (m. Aufs. Lobach, IPRax 2019, 391); Dutta, IPRax 2009, 294 ff. – Krit. Voß, IPRax 2021, 236 (237 f.). Mansel, Liber amicorum Portale (2019), S. 56 (70 ff.) zum transaktionsvorbereitenden Beratungsvertrag. Ebenso Lehmann in Ferrari/Leible, S. 17 (31). Dazu m.w.N. Voß, IPRax 2021, 236 (237 ff.). Dazu Lehmann in MünchKomm, IntFinanzMarktR Rz. 603; Paulus in BeckOGK, Art. 1 Rom IVO Rz. 40 ff. (Stand 1.6.2021).

30 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.72 § 1

Blockchain-Netzwerke in dezentralisierten Datenbanken unterfallen den Regeln für Schuldverträge1. Dies gilt auch für offene Netzwerke, wie sie bei Kryptowährungen (z.B. Bitcoins) verwendet werden2. Smart Contracts, sich selbst ausführende Programme, werden in Bezug auf digitale Güter sowie Finanztransaktionen verwendet. Sie können selbst Verträge darstellen (sog. echte smart contracts), die von Art. 1 Rom I-VO erfasst werden3. Der Vertragsabschluss und die -durchführung durch automatisiert abgeschlossene Verträge unterfallen dem Vertragsstatut4.

1.69

Vertragliche Schuldverhältnisse sind nicht nur solche aus dem vereinbarten Leistungsaustausch zwischen den Parteien wie Erfüllungsansprüche. Sie umfassen auch Sekundäransprüche aus Vertrag5, etwa auf Vertragsauflösung, Schadensersatz wegen Vertragsverletzung, Rückerstattung des zu viel gezahlten Kaufpreises nach Minderung oder Vertragsstrafe6. Einen umfangreichen Katalog enthält Art. 12 Rom I-VO, der den Geltungsbereich des auf den Vertrag anzuwendenden Rechts klarstellt. Das Zustandekommen und die Wirksamkeit des Vertrages sind keine Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Verordnung7. Die Rückabwicklung nichtiger Verträge ordnet die Rechtsprechung zum Europäischen Prozessrecht als vertragliche Streitigkeit ein (Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO). Im Kollisionsrecht ergibt sich eine Überlappung zwischen Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO und Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO (s. Rz. 3.99).

1.70

Einseitige Verpflichtungen werden in der VO nicht angesprochen8. Es ist jedoch anzunehmen, dass auch einseitige Rechtsgeschäfte mit verpflichtender Wirkung erfasst werden9. Grundsätzlich fällt jede schuldvertragliche Verpflichtung unter die Rom I-VO, soweit die Verordnung ihre Anwendbarkeit nicht ausdrücklich ausschließt10 (vgl. Rz. 1.83 ff.).

1.71

Die Einordnung der Gewinnzusage nach § 661a BGB sowie nach § 5j österreichisches KSchG hat die Rechtsprechung mehrfach beschäftigt11. Der EuGH hat für die vertragliche Zuständig-

1.72

1 A.S. Zimmermann, IPRax 2018, 566 (570 ff.). Vgl. auch Wendehorst in MünchKomm, Art. 43 EGBGB Rz. 304 ff. 2 Bertoli, Riv. dir. int. priv. proc. 2018, 581 (599); Martiny, IPRax 2018, 553 (558 f.). 3 Rühl in Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts (2019), S. 147 (153); Stürner, Europ. VertragsR, § 32 Rz. 66 ff.; Paulus in BeckOGK, Art. 1 Rom I-VO Rz. 42 (Stand 1.6.2021). 4 Lehmann in MünchKomm, IntFinanzMarktR Rz. 551. 5 EuGH v. 8.3.1988 – Rs. 9/87, ECLI:EU:C:1988:127 (Arcado), Slg. 1988, 1539 = NJW 1989, 1424 = RIW 1988, 987 (m. Anm. Schlosser, RIW 1989, 139) = IPRax 1989, 227 (m. Aufs. Mezger, IPRax 1989, 207). 6 EuGH v. 15.6.2017 – C-249/16, ECLI:EU:C:2017:472 (Kareda), NJW 2018, 845 = ZIP 2017, 1734; Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 37. 7 Bitter, IPRax 2008, 96 (98); von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 9. 8 Zur Anwendbarkeit auf einseitige Leistungsversprechen wie Patronatserklärungen Reuter, RIW 2018, 339 (343 f.). 9 Lehmann in Ferrrari/Leible, S. 17 (30 f.). – Ebenso schon Mankowski, IPRax 2003, 127 (129). – Anders C. U. Wolf, IPRax 2000, 477 (479). 10 So schon für das EVÜ Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (241); Briggs, Choice of Choice of Law?, LMCLQ 2003, 12 (25 ff.). 11 Dazu Blobel/Rösler, Internationale Zuständigkeit und anwendbares Recht bei Gewinnmitteilungen aus dem Ausland, JR 2006, 441 ff.; Jordans, Zur rechtlichen Einordnung von Gewinnzusagen, IPRax. 2006, 582 ff.; Lorenz, Gewinnmitteilungen aus dem Ausland: Kollisionsrechtliche und internationalzivilprozessuale Aspekte von § 661a BGB, NJW 2000, 3305; Martiny, Einseitige verpflichtende Rechtsgeschäfte und Gewinnzusagen im Internationalen Privat- und Prozessrecht in Rozprawy prawnicze – Księga pamiątkowa Profesora Maksymiliana Pazdana (Krakau 2005), S. 189; Mörsdorf-Schulte, Autonome Qualifikation der isolierten Gewinnzusage, JZ 2005, 770;

Martiny | 31

§ 1 Rz. 1.72 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

keit nach Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO (ex-Art. 15 Abs. 1 lit. c EuGVO) verlangt, dass der Unternehmer eine rechtliche Verpflichtung eingeht, indem er ein verbindliches Angebot macht, das hinsichtlich seines Gegenstands und seines Umfangs so klar und präzise ist, dass eine Vertragsbeziehung entstehen kann1. Das Schrifttum nimmt häufig eine vertragliche Qualifikation unter der Rom I-VO an2. Der BGH hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der Klägerin mehrere Gewinnmitteilungen i.S.d. § 661a BGB aus Österreich zugegangen waren3. Eine vertragliche Qualifikation scheiterte nach Ansicht des Gerichts daran, dass die Haftung nicht an ein Versprechen des Versenders, der sich ja in Wirklichkeit nicht binden will, anknüpft. Auch eine Annahme der „Zusage“ der Leistung ist nicht vonnöten4. Letztlich gehe es um die Haftung aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis, das durch eine geschäftsähnliche Handlung begründet wurde5. Deliktisch sei die Haftung – anders als früher in Einklang mit einem erheblichen Teil des Schrifttums erwogen6 – indes nicht7. Zwar solle wettbewerbswidriges Verhalten unterbunden werden. Doch bestehe eine Nähe zu einseitigen Rechtsgeschäften. Ferner würden Erfüllungsansprüche begründet. Die Gewinnzusage sei kollisionsrechtlich eigentlich ebenso zu behandeln wie einseitige Rechtsgeschäfte. Für diese würden die damaligen Art. 3, 4 EVÜ8 an sich entsprechend gelten9. Die Anwendung vertragsrechtlicher Grundsätze auch auf § 661a BGB würde aber – so das Gericht – wegen der Rechtswahlmöglichkeit zu gänzlich unangemessenen Ergebnissen führen; eine Haftung nach § 661a BGB läge dann praktisch in den Händen des Versenders, der sich durch die Gestaltung der Gewinnzusage – Berufung nichtdeutschen (oder nichtösterreichischen) Rechts – freizeichnen könnte. Vielmehr komme eine Einordnung als international zwingende Norm in Betracht (s. Rz. 5.107). Der Anwendung

1 2 3 4

5 6 7 8 9

Oberhammer/Slonina, Grenzüberschreitende Gewinnzusagen im europäischen Prozess- und Kollisionsrecht, FS Yessiou-Faltsi (2007), S. 419 ff.; Schäper, Gewinnzusagen: materiell-rechtliche, international verfahrensrechtliche und kollisionsrechtliche Untersuchung des Anspruchs aus § 661a BGB (2010); Slonina, Haftung aus Gewinnzusagen in IPR und IZPR zwischen Verbraucherschutz und Lauterkeitsrecht, RdW 2006, 748; Tamm/Gaedtke, Rechtsdurchsetzungschancen bei Ansprüchen aus Gewinnzusagen, IPRax 2006, 584 ff.; Schwartze, Die Bestimmung des auf grenzüberschreitende Gewinnzusagen anwendbaren Rechts nach Rom I und Rom II, FS Koziol (Wien 2010), S. 407. – W. Nachw. bei Martiny, ZEuP 2006, 60 (64 ff.). EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 (Ilsinger), Slg. 2009, I-3961 = EuZW 2009, 489 Anm. Berg/Reuß = RIW 2009, 485 = IHR 2010, 36 (m. Aufs. Bach, IHR 2010, 17). Heiderhoff in Rauscher, Art. 6 Rom I-VO Rz. 39; Spickhoff in BRHP, Art. 4 Rom I-VO Rz. 63. BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 = NJW 2006, 230 (m. zust. Aufs. S. Lorenz, NJW 2006, 472) = IPRax 2006, 602 (m. Aufs. Jordans, IPRax 2006, 582) = JZ 2006, 519 Anm. Schäfer. Damit hatte der EuGH für seine Qualifikation als vertraglich i.S.d. Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ argumentiert. S. dazu EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33 (Engler), Slg. 2005, I-481 = IPRax 2005, 239 (m. Aufs. Lorenz/Unberath, IPRax 2005, 219) = NJW 2005, 811. Vgl. auch Martiny, ZEuP 2006, 60 (65); Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481 (488). BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 = NJW 2006, 230 (m. zust. Aufs. S. Lorenz, NJW 2006, 472) = IPRax 2006, 602 (m. Aufs. Jordans, IPRax 2006, 582) = JZ 2006, 519 Anm. Schäfer. So etwa Leible, IPRax 2003, 28 (33); Felke/Jordans, IPRax 2004, 409 (411 f.). Für außervertraglich auch Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 34; Leible in NK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 163; von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 8. Anders insofern BGH v. 28.11.2002 – III ZR 102/02, BGHZ 153, 82 (90 ff.) = ZIP 2003, 685 bezüglich Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ. Bzw. Art. 27, 28 EGBGB, heute Art. 3, 4 Rom I-VO. BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 = NJW 2006, 230 (m. zust. Aufs. S. Lorenz, NJW 2006, 472) = IPRax 2006, 602 (m. Aufs. Jordans, IPRax 2006, 582) = JZ 2006, 519 Anm. Schäfer.

32 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.75 § 1

deutschen zwingenden Rechts entnimmt das Gericht sodann auch die Bestimmung des beim Verbraucher liegenden Erfüllungsorts (vgl. §§ 269, 270 BGB). Grundsätzlich finden sich die lediglich auf die Parteien bezogenen Wirkungen vertraglicher Beziehungen auch im internationalen Vertragsrecht wieder. Die Rechtswahl bezieht sich auf die Parteien; vertragsfremde Dritte sind nicht einbezogen. Dementsprechend bedarf es für Forderungsabtretung und gesetzlichen Forderungsübergang eigener Kollisionsregeln (s. Art. 14, 15 Rom I-VO). Gleichwohl gibt es zahlreiche Konstellationen, in denen Dritte zumindest in die Auswirkungen vertraglicher Vereinbarungen der Parteien mit einbezogen sind. Schwierigkeiten machen auch Direktansprüche von Dritten, die sie gegen eine der Vertragsparteien richten können. Hier ist dann zunächst eine Entscheidung zwischen einer vertraglichen und einer außervertraglichen Einordnung zu treffen.

1.73

Durchgriffsansprüche bei Vertragsketten werfen besondere Probleme auf1. Problematisch ist die Einordnung des Regresses des Letztverkäufers wegen Vertragswidrigkeit gegenüber dem in der Verkaufskette vorhergehenden Verkäufer. In Umsetzung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie ist er unterschiedlich ausgestaltet worden (vgl. § 478 BGB). Eine Einordnung als vertragsrechtlich oder als deliktisch kommt in Betracht2. Im Anschluss an die EuGH-Rechtsprechung zur internationalen Zuständigkeit für die Produkthaftung, die auch für die französische vertragsrechtliche Konstruktion3 den Deliktsgerichtsstand für maßgeblich hielt4, wird auch materiell-rechtlich für eine deliktische Qualifikation plädiert5. Daran kann man aber zweifeln, da die Abgrenzung der Gerichtsstände nach Art. 7 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 EuGVO) nicht unbedingt mit dem Anwendungsbereich des EVÜ gleichzusetzen ist. Vertragsrechtlich eingeordnet wird der Direktanspruch des Subunternehmers6.

1.74

Außer vertraglichen können auch gesetzliche Ansprüche entstehen (s. Rz. 1.70). Folge einer Vertragsverletzung können insb. neben vertraglichen Ansprüchen auch deliktische Ansprüche sein, es kann aber auch ganz generell um die Einordnung eines Verhaltens bzw. eines Anspruchs gehen7. Dann stellt sich die nicht einfach zu beantwortende Frage nach dem Verhältnis zwischen der Zuständigkeit in vertraglichen Angelegenheiten (Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO) und der für deliktische Ansprüche (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO). So hat der EuGH etwa einen Schadensersatzanspruch wegen des Abbruchs einer Geschäftsbeziehung als vertraglich bewertet8. Eine zu weite Auslegung des Vertragsbegriffs im Zuständigkeitsrecht kann zu einer Überdehnung der Vertragszuständigkeit und zu Lasten der Zuständigkeit in Deliktsachen gehen (allgemein zur Auslegung s. Rz. 1.55). Die vielfachen Bemühungen des EuGH zur Abgrenzung der Zuständigkeiten sind daher nicht nur wegen der Unsicherheit bezüglich der Ab-

1.75

1 Dazu Martiny, ZEuP 2008, 70 (83 f.); Martiny, FS Magnus, S. 483 (493 ff.). 2 Vertraglich, Gebauer, FS Martiny, S. 336 ff.; von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 10. – Vgl. Wind, Der Lieferanten- und Herstellerregress im deutsch-italienischen Rechtsverkehr (2006). 3 Zu dieser s. Sonnenberger/Dammann, Franz. Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, Rz. VI 63. 4 EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91, ECLI:EU:C:1992:268 (Handte), Slg. 1992, I-3967 = JZ 1995, 90 m. Anm. Pfeifer. 5 Dutta, ZHR 171 (2007), 79, 94 ff.; Weller in Calliess/Renner, Art. 1 Rome I Rz. 17. 6 von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 10. 7 Zur deliktischen Haftung des Halters für ungarische Mautgebühren Zwirlein/Forschner, IPRax 2021, 221 (226). – Vgl. auch AG München v. 3.4.2020 – 191 C 8294/19, MDR 2020, 726. 8 So zu Art. L 442-6 franz. c. comm., EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 (Granarolo), NJW 2016, 3087 = JZ 2017, 96 Anm. Klöpfer/Wendelstein = IPRax 2017, 396 (m. Aufs. P. Huber, IPRax 2017, 356).

Martiny | 33

§ 1 Rz. 1.75 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

grenzungskriterien problematisch1. Nach Ansicht des Gerichts hat eine Klage schon dann einen „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ zum Gegenstand, wenn eine Auslegung des Vertrags der Parteien unerlässlich erscheint, um zu klären, ob das Verhalten, das der Kläger dem Beklagten vorwirft, rechtmäßig oder vielmehr widerrechtlich ist2. Dies ist u.a. der Fall bei einer Klage wegen der Verletzung eines Wettbewerbsverbots, das auf den Bestimmungen eines Vertrags oder auf Rechtsvorschriften beruht, welche aufgrund dieses Vertrags anwendbar sind3. Beruft sich der Kläger hingegen auf die gesetzlichen Regeln über die Haftung aus unerlaubter Handlung oder einer ihr gleichgestellten Handlung, d.h. auf einen Verstoß gegen die gesetzliche Verpflichtung, und ist es nicht unerlässlich, den Inhalt des mit der anderen Partei geschlossenen Vertrags zu prüfen, um zu beurteilen, ob das vorgeworfene Verhalten rechtmäßig oder rechtswidrig ist, da diese Verpflichtung unabhängig vom Vertrag besteht, so besteht eine eigenständige Haftung. Die unerlaubte Handlung oder eine ihr gleichgestellte Handlung bzw. Ansprüche aus einer solchen Handlung können dann Gegenstand der Klage im Sinne von Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO sein4. Dies ist bei einem kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch wegen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung der Fall5.

1.76

Eine eindeutige Abgrenzung zwischen vertraglichen und außervertraglichen Ansprüchen, die von Art. 2 Rom II-VO erfasst werden, ist bislang nicht herausgearbeitet worden. Insbesondere sind die Konsequenzen aus der Zuständigkeitsabgrenzung noch nicht deutlich6. Im Hintergrund der Gerichtsstandsfrage steht daher auch die Frage, wie weit internationales Zivilverfahrensrecht und Internationales Vertragsrecht vom selben Begriff der vertraglichen Angelegenheit ausgehen können7.

1.77

Sachenrechtliche Verträge werden nicht von Art. 1 Rom I-VO erfasst8. Hier geht es im Allgemeinen um Rechtsverhältnisse mit dinglichen Wirkungen, die Rechte und Rechtspositionen – oft auch mit Wirkungen gegenüber Dritten – begründen, übertragen, beseitigen oder verändern. So wird etwa der nach Auslandsrecht allein aufgrund Kaufvertrages erfolgende Eigentumsübergang nicht erfasst9. Das Gleiche gilt für die dinglichen Wirkungen des Treuhandvertrages10. Abgrenzungsfragen können bei Vereinbarungen unter Miteigentümern auftauchen11. 1 Dazu näher J. F. Hoffmann, Die Gerichtsstände der EuGVVO zwischen Vertrag und Delikt, ZZP 128 (2015), 465; Mankowski, Ein eigener Vertragsbegriff für das europäische Internationale Verbraucherprozessrecht?, GPR 2020, 281; Pfeiffer, Deliktsrechtliche Ansprüche als Vertragsansprüche im Brüsseler Zuständigkeitsrecht, IPRax 2016, 111; Rieländer, Zur Qualifikation außervertraglicher Ansprüche zwischen Vertragsparteien im europäischen IZVR und IPR, RIW 2021,103. 2 EuGH v. 24.11.2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) Rz. 32 = NJW 2011, 144 Anm. R. Wagner. – Inhaltlich einschränkend zur früheren Entscheidung EuGH v. 13.3.2014 – C548/12, EU:C:2014:148 (Brogsitter) Rz. 25 = RIW 2014, 305 = IPRax 2016, 149 (m. Aufs. Pfeiffer, IPRax 2016, 111). 3 EuGH v. 24.11.2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) Rz. 32. Im Anschluss an EuGH v. 15.6.2017 – C-249/16, EU:C:2017:472 (Kareda) Rz. 30-33 = RIW 2017, 504. 4 EuGH v. 24.11.2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) Rz. 33. 5 S. EuGH v. 24.11.2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) Rz. 33. 6 Dazu Rieländer, RIW 2021,103 (111 f.). 7 Dazu Mankowski, GPR 2020, 281 ff. 8 Ferrari in Ferrari, IntVertragsR Art. 3 Rom I-VO Rz. 4; Magnus in Stadinger, 2016, Art. 1 Rom IVO Rz. 28. 9 Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 28. 10 Wilhelm, IPRax 2012, 392 (393). 11 Dazu EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 (Kerr), RIW 2019, 364 = IPRax 2020, 40 (m. Aufs. Thomale, IPRax 2020, 18); Mansel/Thorn/Wagner IPRax 2019, 85; Scraback, Die Wohnungseigentümergemeinschaft zwischen Brüssel Ia- und Rom I-VO, GPR 2020, 13.

34 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.80 § 1

3. Zivil- und Handelssachen Es muss sich um eine Zivil- und Handelssache handeln. Auch hierbei geht es um einen autonom auszulegenden Begriff1. Zu den Handelssachen gehört das zivilrechtliche Privatrecht mit wirtschaftlichen Bezügen2. Insoweit besteht Übereinstimmung mit Art. 1 Brüssel Ia-VO und Art. 1 Rom II-VO3. Von der Rom I-VO sind solche Schuldverhältnisse ausgenommen, die im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse entstehen, selbst wenn sie vor Zivilgerichten zu verhandeln sind4. Entscheidend ist, ob auch ein Privater die betreffende Tätigkeit ausüben könnte oder nicht5. Werden Behörden fiskalisch oder nicht-hoheitlich tätig, sind für hieraus entstehende vertragliche und außervertragliche Ansprüche die Vorschriften der Rom I-VO bzw. der Rom II-VO anwendbar. Das Beziehen vertraglicher Leistungen durch staatliche Stellen ist regelmäßig privatrechtlich einzuordnen6. Das Eingreifen einer staatlichen Gebührenordnung ändert nichts an der zivilrechtlichen Natur7. Auch die Beitreibung der Tagesparkscheingebühr durch eine Gesellschaft für einen gekennzeichneten Parkplatz auf einer öffentlichen Verkehrsfläche ist noch zivilrechtlich8.

1.78

4. Verbindung zum Recht verschiedener Staaten (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO) Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO sieht die Anwendung der VO vor für Sachverhalte, die eine Verbindung zum Recht verschiedener Staaten aufweisen (in any situation involving a choice between the laws of different countries; dans les situations comportant un conflit de lois)9. Wie sich vor allem aus der englischen und französischen Fassung der VO ergibt, bedarf es aber keiner besonderen Umstände, die als „Verbindung“ anzusehen sind. Entscheidend ist vielmehr, dass überhaupt in Frage steht, welche Rechtsordnung anzuwenden ist. Auch eine „internationale Situation“ wird – anders als noch von Art. 1 EVÜ-Entw. 197210 – nicht verlangt, vgl. auch Rz. 2.137 ff. Ein Streit, ob schottisches oder englisches Recht gilt, ist nicht ausgeschlossen11.

1.79

Die Rom I-VO ist ebenso wie das EVÜ großzügiger als Art. 1 des Haager Übk. v. 15.6.1955 (Rz. 25.88). Danach genügt die bloße Erklärung der Parteien über die Anwendung eines Rechts oder die Zuständigkeit eines Richters noch nicht, um einem Vertrag internationalen

1.80

1 2 3 4

5

6 7 8 9 10 11

Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-62). Vgl. Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 17. Vgl. Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (529 f.). Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 1 Rom I-VO Rz. 3. – Zum EuGVÜ EuGH v. 16.12.1980 – Rs. 814/79, ECLI:EU:C:1980:291 (Niederlande/Rüffer), Slg. 1980, 3807 = RIW 1981, 711 = IPRax 1981, 169 (m. Aufs. Schlosser, IPRax 1981, 154); EuGH v. 14.11.2002 – C-271/00, ECLI:EU: C:2002:656 (Steenbergen/Baten), Slg. 2002, I-10489 = IPRax 2004, 237 (m. Aufs. Martiny, IPRax 2004, 195). Zu Art. 1 Abs. 1 S. 2 EuGVÜ EuGH v. 21.4.1993 – C-172/91, ECLI:EU:C:1993:97 (Sonntag/Waidmann), Slg. 1993, I-1963 = NJW 1993, 2091 = IPRax 1994, 37 (m. Aufs. Heß, IPRax 1994, 10) = ZEuP 1995, 846 m. Anm. Kubis; BGH v. 26.6.2003 – III ZR 245/98, BGHZ 155, 270 (279) = NJW 2003, 3488. Weller in Calliess/Renner, Art. 1 Rome I Rz. 10, 11; Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 1 Rom I-VO Rz. 4; Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 20. OLG Hamburg v. 18.5.2017 – 4 U 194/16, IPRspr. 2017 Nr. 55 = NJW-RR 2017, 1465 (Rechtsanwaltsgebühr). EuGH v. 25.3.2021 – C-307/19, ECLI:EU:C:2021:236 (Obala i lučice) Rz. 73. Vgl. allgemein de Nova, Wann ist ein Vertrag „international“?, FS Ferid (1978), S. 307; Delaume, What is an International Contract?, I.C.L.Q. 28 (1979), 258. Dazu Siehr, AWD 1973, 569 (571 f.). Vgl. zum EVÜ Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (231 f.).

Martiny | 35

§ 1 Rz. 1.80 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

Charakter zu geben. Die Wahl ausländischen Rechts ist nur dann zulässig, wenn das Rechtsverhältnis eine Auslandsberührung enthält1, d.h. Elemente, die eine Verbindung zu einer ausländischen Rechtsordnung aufzeigen. In reinen Inlandsfällen ohne räumliche oder persönliche Anknüpfung mit dem Ausland soll daher keine Rechtswahl zulässig sein.

1.81

Hingegen wird man annehmen dürfen, dass als Auslandsberührung für die Art. 1 ff. Rom IVO die Wahl eines ausländischen Rechts ausreicht2. Die Vorschrift des Art. 3 Abs. 3 Rom IVO (früher Art. 27 Abs. 3 EGBGB), die in solchen Fällen inländische zwingende Normen durchsetzen will, setzt nämlich eine gültige Rechtswahl voraus3. Ferner lässt sich dieser Vorschrift im Umkehrschluss eine großzügige Haltung gegenüber der Auslandsberührung entnehmen4, vgl. Rz. 2.137 ff.

1.82

Die einfachste Form des Auslandsbezuges ist, wenn jede Vertragspartei ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Geschäftsniederlassung in einem anderen Staat hat. Der Auslandsbezug kann aber in vielfältiger Weise erscheinen5. Präzise Formeln für eine Auslandsberührung und insbesondere für ihr Fehlen konnte man bislang nicht finden. Die Auslandsberührung kann außer im Abschlussort in der Person der Vertragspartner liegen (Staatsangehörigkeit), ferner in objektiven vertragsimmanenten Kriterien, insbesondere darin, dass bei Vertragserfüllung Wertbewegungen ausgelöst werden, die den Bereich einer Rechtsordnung überschreiten6. Ferner kann im Ausland belegenes Vermögen betroffen sein. Schließlich kann das eigentliche Geschäft auch mit Verträgen zusammenhängen, die ihrerseits mit dem Ausland verbunden sind7. Es genügt auch, wenn der Auslandsbezug erst nach Vertragsabschluss eintritt8.

5. Ausnahmen des Art. 1 Rom I-VO a) Grundsatz der Nichtanwendung

1.83

Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO9 zählt eine Reihe von Angelegenheiten auf, für welche die VO nicht gilt. Eine ähnliche Vorschrift findet sich in Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO.

1.84

Bestimmte Bereiche sind vom Anwendungsbereich der besonderen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse ausgenommen. Dabei handelt es sich um Rechtsverhältnisse, die trotz ihres Bezugs zum vertraglichen Schuldrecht anderen Rechtsgebieten zuzuordnen sind oder aufgrund ihrer besonderen Natur anderen kollisionsrechtlichen Regeln unterliegen10. 1 Vgl. Wagner, ZZP 131 (2018), 183 (196 ff.). 2 Vgl. Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 22; Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (111 f.); Thorn in Palandt, Art. 1 Rom I-VO Rz. 5; Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 10. 3 Vgl. auch Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (232 f.) 4 Sandrock, RIW 1986, 841 (847). 5 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-64). – Vgl. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 42; Sandrock, RIW 1986, 841 (846). 6 S. näher Simitis, JuS 1966, 211 ff.; Trinkner, Anm. zu LAG Düsseldorf v. 16.5.1972 – 8 Sa 126/72, AWD 1973, 31 (33 f.). 7 Vgl. von Hoffmann in North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam 1982), S. 221 (223). – S. schon OLG Hamburg v. 2.6.1965 – 5 U 87/64, IPRspr. 1964/65 Nr. 46 (Kaufvertrag über Ware aus Übersee. Zwei Hamburger Kaufleute vereinbarten ein engl. Schiedsgericht und engl. Recht [Bedingungen der London Cattle Food Trade Association]: „Die Vereinbarung des engl. Rechts überschreitet nicht die Grenzen, die der Parteiautonomie gesteckt sind, wenn ein Vertragsstatut festgelegt wird.“). 8 Näher Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (234). 9 Ähnlich früher Art. 37 EGBGB in Anlehnung an Art. 1 Abs. 2–4 des EVÜ. 10 So zu Art. 37 EGBGB BT-Drucks. 10/504, 84.

36 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.89 § 1

Die Aufzählung der ausgeschlossenen Materien in Art. 1 Rom I-VO hat zur Wirkung, dass die Verordnung hierauf nicht anzuwenden ist. Die Vorschrift hat insoweit den Charakter einer „Ausschlussnorm“1. Für die genannten Materien ist grundsätzlich das nationale Kollisionsrecht einschlägig, soweit nicht einzelne Staatsverträge oder andere unionsrechtliche Regeln eingreifen. Solche ausdrücklichen Bestimmungen bestehen z.B. im internationalen Wertpapierrecht (vgl. Rz. 1.98). Der Ausschluss bedeutet also nur, dass diese Sonderbestimmungen auch weiterhin heranzuziehen sind. Besondere Kollisionsnormen bestehen auch für die familien- und erbrechtlichen Fragen (Rz. 1.193 ff.) sowie für die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit (Rz. 1.92, Rz. 6.1057 ff.).

1.85

Die Bestimmungen der Verordnung können auch in ausgeschlossenen Materien angewendet werden. Dass damit die Regeln unionsrechtlichen Ursprungs auch außerhalb der Verordnung liegende Sachverhalte erfassen können, ist vom Standpunkt der Verordnung aus unbedenklich. Der Bericht Giuliano/Lagarde bezeichnet ein solches Verfahren für das EVÜ als möglich2.

1.86

b) Analoge Anwendung Greifen für den Ausschlusstatbestand keine besonderen Vorschriften ein, so stellt sich die Frage nach den anstelle der Art. 3 ff. Rom I-VO anzuwendenden Regeln. Als Lösung bieten sich vor allem an die Weitergeltung der bisher von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze oder eine analoge Anwendung der Rom I-VO.

1.87

Bei auftretenden Lücken kommt eine analoge Anwendung einzelner Bestimmungen der VO in Betracht. Zu einem Analogieschluss kann es dann kommen, wenn auch bei Anwendung der anerkannten Auslegungsgrundsätze eine anders nicht zu schließende, unbeabsichtigte Lücke bleibt. Eine Analogie ist im Rahmen der Grundsätze des europäischen Rechts möglich.

1.88

Unter dem EVÜ wurde teilweise die analoge Anwendung anderer Übereinkommensbestimmungen abgelehnt3. Dies hatte besondere Bedeutung in den sog. Gran Canaria-Fällen, in denen die wirtschaftlichen Verbindungen auf das Land des Verbrauchers hindeuteten (vgl. Rz. 35.53). Hier wurde für bestimmte Vertriebsgestaltungen eine analoge Anwendung des verbraucherschützenden Art. 5 Abs. 2 EVÜ (Art. 29 Abs. 1 EGBGB) vorgeschlagen4. Man konnte annehmen, dass sich eine Analogie wegen der damaligen staatsvertraglichen Herkunft der Norm verbot. Tatsächlich enthielt das EVÜ aber kein Analogieverbot5. Auch das ganze Auslegungsinstrumentarium des EuGH, mit dem er bislang dem dynamischen Charakter des Unionsrechts zu entsprechen versucht hat, sprach gegen eine solche methodische Beschränkung. Mit Recht hatte sich daher die Auffassung durchgesetzt, dass ein Analogieschluss grundsätzlich möglich ist6. Das gilt erst recht für die Rom I-VO7. Eine solche Analogie muss allerdings

1.89

1 Zum alten Recht Jayme, IPRax 1986, 265 (266). 2 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 45. 3 So Taupitz, BB 1990, 642 (648 f.); Mankowski, IPRax 1991, 305 (309); Junker, IPRax 1993, 1 (8); Sonnenberger, ZEuP 1996, 382 (389). 4 So z.B. Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz (1993), S. 166 ff.; Klingsporn, WM 1994, 1093 (1095 f.); Klauer, S. 227 ff. S. auch Martiny, ZEuP 1993, 298 (301 f.). 5 Dazu näher Klauer, S. 227 ff. 6 So etwa Kohte, EuZW 1990, 150 (156); Klingsporn, WM 1994, 1093 (1100); Reinhart, RIW 1994, 445 (450). 7 Magnus in Staudinger, Art. 6 Rom I-VO Rz. 125.

Martiny | 37

§ 1 Rz. 1.89 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

im Einzelfall geboten und mit einer einheitlichen europäischen Auslegung vereinbar, d.h. auch für die anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaaten akzeptabel sein.

1.90

Die Lösung muss sich an Sinn und Zweck der Ausschlussregelung orientieren. Das nationale Recht darf sich an den Grundsätzen der Verordnung orientieren, soweit dies geboten ist. Eine inhaltliche Missbilligung ist mit dem Ausschluss der vertragsrechtlichen Regeln in Art. 1 Rom I-VO nicht stets verbunden; allerdings kann ebenso wenig behauptet werden, die Art. 3 ff. Rom I-VO würden immer die richtige Lösung ermöglichen. Daher ist nach der Materie zu differenzieren. Insbesondere in dem Internationalen Vertragsrecht zuzuordnenden Bereichen kommt dann, wenn die Art. 3–22 Rom I-VO zur Lösung der jeweiligen Sachfrage inhaltlich geeignet scheinen, eine analoge Anwendung dieser Normen in Betracht. Dies gilt vor allem dort, wo sie allgemeine kollisionsrechtliche Prinzipien wie den Grundsatz der Parteiautonomie zum Ausdruck bringen1. c) Öffentlich-rechtliche Angelegenheiten

1.91

Ausgenommen sind nach Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 2 Rom I-VO (ebenso Art. 1 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO) Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten. Für die Abgrenzung kann man sich an den für die Brüssel Ia-VO verwendeten Kriterien orientieren. Entscheidend ist die Rechtsbeziehung der Parteien, nicht die gerichtliche Zuständigkeit2. Die Beteiligung einer staatlichen Stelle schließt die zivilrechtliche Natur noch nicht aus3.

6. Ausgeschlossene Materien (Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO) a) Personenstand, Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit (Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO)

1.92

Nach Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO4 ist die Verordnung nicht anzuwenden auf den Personenstand sowie die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit von natürlichen Personen, vorbehaltlich des Art. 13 (dazu Rz. 6.1140 ff., Rz. 6.1236 ff.). Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit werden gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich nach dem Personalstatut des Betroffenen beurteilt; näher Rz. 6.1057 ff., Rz. 6.1190 ff.

1.93

Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom I-VO5 schließt vertragliche Schuldverhältnisse bezüglich familienrechtlicher Fragen vom Anwendungsbereich der Verordnung aus (ähnlich Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom IIVO). Nach Erwägungsgrund 8 umfassen Familienverhältnisse die Verwandtschaft in gerader Linie, die Ehe, die Schwägerschaft und die Verwandtschaft in der Seitenlinie. Ähnlich wie beim EVÜ sollte das gesamte Familienrecht aus dem Anwendungsbereich ausgeklammert werden6.

b) Schuldverhältnisse aus einem Familienverhältnis (Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom I-VO)

1 Vgl. BGH v. 15.12.1986 – II ZR 34/86, BGHZ 99, 207 = NJW 1987, 1145 = IPRax 1988, 26 (m. Aufs. Basedow, IPRax 1988, 15) = RIW 1987, 215 (trotz des Ausschlusses in Art. 37 Nr. 1 EGBGB wurden die allgemeinen Grundsätze auf die Gültigkeit von Rechtswahl- und Gerichtsstandsklausel in einem Orderkonnossement angewendet). 2 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-62). 3 Garcimartín Alférez, EuLF, 2008, I-61 (I-63). 4 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. a EVÜ. Ähnlich Art. 2 Abs. 2 EuGVO/LugÜ. 5 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. b EVÜ. 6 So zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 42.

38 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.98 § 1

Entgegen Art. 1 Abs. 2 EVÜ-Entw. 1972 sind Schenkungen nicht generell ausgeschlossen. Auch Schenkungen innerhalb der Familie werden erfasst, soweit diese nicht unter das Familienrecht fallen.

1.94

Die Bezugnahme in Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom I-VO auf Verhältnisse, die mit der Ehe oder anderen Familienverhältnissen vergleichbare Wirkungen entfalten, zielt auf gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften ab1. Ob ihnen tatsächlich solche Wirkungen zukommen, soll nach Erwägungsgrund 8 nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem sich das angerufene Gericht befindet, ausgelegt werden. Dies deutet auf die lex fori hin2.

1.95

Nach der herkömmlichen Systematik des deutschen IPR werden vertragliche Vereinbarungen dem jeweiligen Statut der geregelten Sachfrage zugeordnet, also z.B. der Güterrechtsvertrag dem Ehegüterstatut (s. Art. 27 lit. d EuGüVO), der Erbvertrag dem Erbstatut (s. Art. 25 EuErbVO)3, ein die gesetzliche Unterhaltspflicht konkretisierender Unterhaltsvertrag dem Unterhaltsstatut des Haager Unterhaltsprotokolls4. Folglich sind die Art. 3 ff. Rom I-VO auf diese Verhältnisse nicht anzuwenden, auch soweit keine besondere Ausschlussbestimmung vorhanden ist. Soweit in familien- und erbrechtlichen Fragen Parteiautonomie zugelassen ist, haben dies der europäische und der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich angeordnet (z.B. in Art. 14 Abs. 2–4, 15 Abs. 2, 25 Abs. 2 EGBGB). Es ist nicht ausgeschlossen, sich bei Auslegung dieser Kollisionsnormen in einzelnen Fragen (z.B. Gültigkeit der Rechtswahl) an den Lösungen zu orientieren, die im Internationalen Vertragsrecht entwickelt wurden.

1.96

c) Schuldverhältnisse aus ehelichen Güterständen, Testamenten und Erbrecht (Art. 1 Abs. 2 lit. c Rom I-VO) Nach Art. 1 Abs. 2 lit. c Rom I-VO gilt die Verordnung nicht für Schuldverhältnisse aus ehelichen Güterständen, aus Güterständen aufgrund von Verhältnissen, die nach dem auf diese Verhältnisse anzuwendenden Recht mit der Ehe vergleichbare Wirkungen entfalten, und aus Testamenten und Erbrecht. Ausgeschlossen sind daher Eheverträge sowie die entsprechenden Vereinbarungen im Rahmen von Lebenspartnerschaften iS der EuGüVO sowie der EuPartVO (dazu Rz. 6.781 ff.). Auch Vereinbarungen im Rahmen von nichtehelichen Lebensgemeinschaften, die als familienrechtlich zu qualifizieren sind, fallen nicht unter die Verordnung5. Erbverträge werden gleichfalls nicht erfasst. Für sie gilt Art. 25 EuErbVO.

1.97

d) Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren Wertpapieren (Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO) Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO6 betrifft wertpapierrechtliche Verpflichtungen; er schließt aus dem Anwendungsbereich Verpflichtungen aus Wechseln, Schecks und Eigenwechseln aus (ebenso Art. 1 Abs. 2 lit. c Rom II-VO). Der Bericht Giuliano/Lagarde nennt dafür mehrere Gründe: Zum einen eigneten sich die Bestimmungen des EVÜ nicht für diese Art von Schuldverhältnissen. Zum anderen sei der größte Teil dieser Materie bereits in den Genfer Abkom1 2 3 4 5 6

Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (530). Näher Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (623). Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (530). Thorn in Palandt, Art. 25 EuErbVO Rz. 2. Staudinger in MünchKomm, Art. 1 HUP Rz. 35. Anders Spickhoff in BRHP, Art. 1 Rom I-VO Rz. 36; Thorn in Palandt, Art. 14 EGBGB Rz. 1. Früher Art. 1 Abs. 2 lit. c EVÜ bzw. Art. 37 Nr. 1 EGBGB (ähnlich Art. 1 Abs. 2 lit. b Rom IIVO). Vgl. auch Born, Europäisches Kollisionsrecht des Effektengiros (2014).

Martiny | 39

1.98

§ 1 Rz. 1.98 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

men geregelt, denen mehrere EU-Mitgliedstaaten angehören. Schließlich würden diese Verbindlichkeiten z.T. als außervertragliche Schuldverhältnisse angesehen1.

1.99

Zu den bestehenden internationalen Regelungen gehören vor allem die Genfer Abkommen vom 7.6.1930 und 19.3.1931 über das einheitliche Wechsel- und Scheckrecht und über Bestimmungen auf dem Gebiet des internationalen Wechsel- und Scheckprivatrechts2. Schlechthin ausgenommen sind allerdings nur Wechsel (bills of exchange; lettres de change), Schecks (cheques; chèques) und Eigenwechsel (promissory notes; billets à ordre). Für sie gelten die eigenständigen Kollisionsnormen in Art. 91–98 WG sowie Art. 60–66 ScheckG3. Eine Absage an die Parteiautonomie liegt im Ausschluss durch Art. 1 Rom I-VO nicht4.

1.100

Verpflichtungen aus Inhaberpapieren und Orderpapieren („anderen handelbaren Wertpapieren“ [other negotiable instruments; instruments négociables]) sind dagegen nur insoweit ausgeschlossen, als die Verpflichtungen aus der Handelbarkeit entstehen. Ob ein Dokument als handelbares Papier einzustufen ist oder nicht, wird nicht von der Rom I-VO geregelt. Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten sind auch insoweit uneinheitlich. Bei der Normanwendung wird man zu unterscheiden haben. Für die Definition der Handelbarkeit selbst ist eine einheitliche Auslegung möglich; hierfür könnte der EuGH einen einheitlichen Begriff entwickeln5. Im Kern geht es um Umlauffähigkeit6 bzw. ob die verbriefte Forderung mit der Übertragung des Papiers übergeht7. Nach dem EVÜ sollte über die Einordnung des einzelnen Papiers das am Gerichtsstand geltende Recht einschließlich des dort geltenden Kollisionsrechts entscheiden8. Nunmehr dürfte es allein auf die Rom I-VO ankommen9. Keine handelbaren Wertpapiere sind Kryptowährungen wie etwa Bitcoins10.

1.101

In Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom I-VO sind die Auswirkungen der spezifisch wertpapierrechtlichen Funktionen dieser Papiere gemeint. Darunter sind nach der Begründung zum früheren Art. 37 EGBGB „alle schuldrechtlichen Verpflichtungen aus dem Wertpapier zu verstehen, die im Interesse der Verkehrsfähigkeit besonders ausgestaltet sind, etwa die durch die Übertragung des Papiers zustande kommenden Verpflichtungen sowie der weitgehende Ausschluss von Einwendungen“. Die Handelbarkeit hat zur Folge, dass das Recht beim Orderpapier durch Indossament, beim Inhaberpapier durch Besitzübergabe übertragen werden kann. Verträge über den Kauf solcher Papiere unterliegen aber der Rom I-VO11. 1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 43. 2 RGBl. II 1933, 377 (444) und 537 (594). 3 Näher dazu Magnus in Staudinger, Art. 1 Anh. I Rom I-VO; Martiny in MünchKomm, Art. 1 Rom I-VO Rz. 35 ff. 4 BGH v. 5.10.1993 – XI ZR 200/92, IPRspr. 1993 Nr. 43 = RIW 1994, 419 = IPRax 1994, 452 (m. Aufs. Straub, IPRax 1994, 432) (zu Art. 37 Nr. 1 EGBGB). 5 von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 32. – So schon zum EVÜ Schultsz, The Concept of Characteristic Performance and the Effect of the E. E. C. Convention on Carriage of Goods in North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam, New York, Oxford 1982), S. 185 (188). – Anders Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse, (1995), S. 128 f. 6 Mankowski, TranspR 2008, 417 (421 f.). 7 Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 65. 8 So wohl auch Bericht Giuliano/Lagarde, BT-Drucks. 10/503, 43; Nemeth in Czernich/Heiss, Art. 1 EVÜ Rz. 33; von Hoffmann in Soergel, Art. 37 EGBGB Rz. 35. – Krit. Morse, Yb. Europ. L. 2 (1982), 107 (113). 9 Mankowski, TranspR 2008, 417 (418 ff.); Magnus in Staudinger, Art. 1 Rom I-VO Rz. 67. 10 Stürner, Europ. VertragsR, § 32 Rz. 74. 11 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-63).

40 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.106 § 1

Für handelbare Wertpapiere ist für die genannten Verpflichtungen eine direkte Anwendung der Art. 3 ff. Rom I-VO ausgeschlossen. Diese gelten insbesondere nicht für Wertpapiere (Ladeschein, Lagerschein und Konnossement). Da für diese keine besonderen gesetzlichen Kollisionsnormen vorhanden sind, unterliegen sie weiterhin den Grundsätzen, die von Rechtsprechung und Lehre entwickelt worden sind1. Es ist aber zulässig, in der Rom I-VO enthaltene allgemeine Grundsätze heranzuziehen2. Zu Rekta- und Namenspapieren s. Rz. 15.163 ff.

1.102

Nach Erwägungsgrund 9 sollen unter Schuldverhältnisse aus Wechseln, Schecks, Eigenwechseln und anderen handelbaren Wertpapieren auch Konossemente fallen, soweit die Schuldverhältnisse aus dem Konnossement aus dessen Handelbarkeit entstehen. Dazu Rz. 15.158 ff.

1.103

Die Abtretung eines nicht in handelbarer Urkunde verkörperten Anspruchs richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften der Art. 3 ff., insb. Art. 14 Rom I-VO. Ist nämlich ein Anspruch übertragbar, das Dokument, aus dem er sich ergibt, jedoch nicht handelbar, so sind Verträge über dieses Dokument nicht ausgeschlossen. Daraus ergibt sich nach dem Bericht Giuliano/Lagarde, dass Konnossemente und ähnliche, i.V.m. Beförderungsverträgen ausgestellte Dokumente, Schuldverschreibungen, Schuldscheine, Bürgschaften, Indemnitätsbriefe, Hinterlegungsscheine, Lagerscheine und Lagerempfangsscheine nur soweit ausgeschlossen werden, als sie als handelbare Papiere angesehen werden können3.

1.104

e) Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO) Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen sind nach Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO4 ebenfalls vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgeschlossen5. Vgl. Rz. 7.1 ff. Der Ausschluss von Gerichtsstands- und Schiedsklauseln ist vom deutschen Standpunkt aus richtig, weil solche Klauseln in den Zusammenhang des Internationalen Verfahrensrechts gehören. Die Zulässigkeit und Form von Gerichtsstandsvereinbarungen unterliegt weiterhin Art. 25 Brüssel IaVO (früher Art. 23 EuGVO). Für die Problematik des Zustandekommens und der Wirksamkeit (dazu Rz. 7.41 ff., Rz. 7.292 ff.) bedeutet der Ausschluss nichts. Die Verordnung verbietet nicht, die Gerichtsstandsvereinbarung weiterhin (auch) als materiell-rechtlichen Vertrag anzusehen und zur Bestimmung des auf ihn anzuwendenden Rechts auf die Kollisionsnormen für Schuldverhältnisse zurückzugreifen6.

1.105

Entsprechendes gilt für Schiedsklauseln. Ihr Ausschluss betrifft nach dem Bericht Giuliano/ Lagarde nicht nur die verfahrensrechtlichen Aspekte, sondern auch das Zustandekommen, die

1.106

1 S. bereits BGH v. 15.12.1986 – II ZR 34/86, BGHZ 99, 207 = NJW 1987, 1145 = RIW 1987, 215 = WuB VII A. § 38 ZPO 1.87 abl. Anm. Abraham (Streitig war, ob Rechtswahl- und Gerichtsstandsklauseln in im Kleindruck wiedergegebenen Konnossementsbedingungen des Verfrachters wirksam waren. Die Art. 27 ff. EGBGB wurden nicht direkt angewendet, da es sich – angeblich – um Verpflichtungen i.S.d. Art. 37 Nr. 1 EGBGB handelte: „Hierzu gehören zweifellos jene Verpflichtungen, die aus der Übertragungsfunktion des Indossaments eines Orderkonnossements folgen, wie die Verpflichtung des Verfrachters zur Herausgabe der Güter oder zur Leistung von Schadensersatz gem. § 606 HGB wegen Verlustes oder Beschädigung der Güter.“ Gleichwohl den allgemeinen Rechtsgedanken des Art. 31 Abs. 1 EGBGB (heute Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO) angewendet; Recht von Sri Lanka für maßgeblich gehalten). 2 Leible in NK, Art. 1 Rom I-VO Rz. 59. 3 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 43. 4 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. d EVÜ. 5 Dazu krit. Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1692 ff.). 6 S. schon Sandrock, RIW 1986, 841 (845 f.).

Martiny | 41

§ 1 Rz. 1.106 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

Rechtsgültigkeit und die Wirkungen dieser Vereinbarungen1. Der Ausschluss nach Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO steht auch einer analogen Anwendung der Rom I-VO entgegen2. Ist die Schiedsklausel Bestandteil eines Vertrages, so erstreckt sich der Ausschluss vom Anwendungsbereich der Verordnung nur auf die Klausel selbst und nicht auf den gesamten Vertrag. Dieser Ausschluss hindert aber nicht, Zustandekommen und Wirksamkeit nach vertragsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen (näher dazu Rz. 7.41 ff.), und auch nicht, die genannten Klauseln bei stillschweigender Rechtswahl zu berücksichtigen (dazu Rz. 2.86 ff.).

1.107

Auch ein Schiedsgericht muss das in der Sache anwendbare Recht bestimmen (näher Rz. 7.438 ff.)3. Im Bericht Giuliano/Lagarde heißt es dazu, der Ausschluss in Art. 1 Abs. 2 lit. d EVÜ (nunmehr Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO) betreffe lediglich die Schiedsvereinbarung und nicht den Hauptvertrag selbst4. Der bei der Reform der deutschen Internationalen Schiedsgerichtsbarkeit neu gefasste § 1051 Abs. 1 ZPO gestattet ausdrücklich eine subjektive Rechtswahl. Bei der objektiven Anknüpfung soll das Recht desjenigen Staates zum Zuge kommen, mit dem der Gegenstand des Verfahrens die „engsten Verbindungen“ aufweist. Im Laufe der Gesetzgebungsarbeiten setzte sich – entgegen dem Ausgangspunkt der Reformkommission – eine Bezugnahme auf die damaligen Art. 3 ff. EGBGB durch5; das Schiedsverfahrensrecht sollte mit ihnen übereinstimmen. Dies hat sich freilich im Gesetz selbst nicht bzw. nur ansatzweise niedergeschlagen6. Folglich besteht Unsicherheit, ob ein Schiedsgericht im Rahmen der ZPO alle7 bzw. nur einige Vorschriften der Art. 3 ff. Rom I-VO direkt oder entsprechend heranzuziehen hat oder ob sie den Schiedsrichter gar nicht binden8. Entgegen der Begründung des Regierungsentwurfs9 bezieht sich die Äußerung im Bericht Giuliano/Lagarde nur auf die

1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 44. 2 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, RIW 2021, 233 = SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 50. 3 S. Basedow, Vertragsstatut und Arbitrage nach neuem IPR, JbPraxSchG 1 (1987), 3; Handorn, Das Sonderkollisionsrecht der deutschen internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (2005); Junker, Deutsche Schiedsgerichte und Internationales Privatrecht, FS Sandrock (2000), S. 443; Kulpa, Das anwendbare (materielle) Recht in internationalen Handelsschiedsgerichtsverfahren (2005); Martiny, Die Bestimmung des anwendbaren Sachrechts durch das Schiedsgericht in FS Schütze (1999), S. 529; Sandrock, Die objektive Anknüpfung von Verträgen nach § 1051 Abs. 2 der deutschen ZPO in der Fassung des SchiedsVG von 1997, Mélanges Sturm II (Liège 1999), S. 1645; Sandrock, Die objektive Anknüpfung von Verträgen nach § 1051 Abs. 2 ZPO, RIW 2000, 321; Schütze, Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Schiedsverfahren und die Feststellung seines Inhalts in Law of International Business and Dispute Settlement – Liber Amicorum Böckstiegel (2001), S. 715; Solomon, Das vom Schiedsgericht in der Sache anzuwendende Recht nach dem Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrechts, RIW 1997, 981; Vocke, Die Bestimmung des anzuwendenden materiellen Rechts in internationalen Handelsschiedsverfahren im Lichte des deutschen Schiedsverfahrensrechts v. 1.1.1998 (2002); Wagner, Rechtswahlfreiheit im Schiedsverfahren, FS. Schumann (2002), S. 535. 4 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 44. 5 S. BT-Drucks. 13/5274, 53 = Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit – The New German Arbitration Law (1998), S. 260 f. – Dazu Berger, Das neue deutsche Schiedsverfahrensrecht, DZWiR 1998, 45 (52); Berger, Das neue Recht, Entstehungsgeschichte und Leitlinien des neuen deutschen Schiedsverfahrensrechts in Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (1998), S. 21 f. 6 Vgl. Solomon, RIW 1997, 981 ff.; Kulpa, Das anwendbare (materielle) Recht in internationalen Handelsschiedsgerichtsverfahren (2005), S. 340 ff. 7 So Weigand, Das neue deutsche Schiedsverfahrensrecht, WiB 1997, 1273 (1276). 8 So Kronke, Internationale Schiedsverfahren nach der Reform, RIW 1998, 257 (262 f.). 9 S. bei Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (1998), S. 260 ff.

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B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.108 § 1

Beurteilung des Vertrages durch ein staatliches Gericht1. Die Kollisionsregeln des EVÜ beanspruchten daher für ein Schiedsverfahren keine Anwendung2. Das Gleiche gilt für die Rom IVO (näher Rz. 7.443 ff.)3. Nach der Gesetzesbegründung liegt hingegen in der Maßgeblichkeit der „engsten Verbindung“ eine Bezugnahme auf die damaligen Art. 3 ff. EGBGB, auf welche die gesetzliche Regelung „der Sache nach“ abstelle4. Folglich sei die engste Verbindung nach dem Maßstab des Art. 28 EGBGB (heute Art. 4 Rom I-VO) zu bestimmen5. Diese Bestimmung beschränkt sich jedoch nicht auf die Niederlegung eines Prinzips, sondern enthält eine differenzierende Regelung. Daher ist zweifelhaft, ob lediglich das Grundprinzip der engsten Verbindung i.S.d. damaligen Art. 28 Abs. 1 EGBGB (nunmehr Art. 4 ff. Rom I-VO) gemeint ist6 oder auch die Konkretisierungen sowie die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO heranzuziehen sind7. Insbesondere die Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung wird bejaht8. Andere ziehen die

1 Anders BT-Drucks. 13/5274, 53 = Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (1998), S. 261. 2 Basedow, JbPraxSchG 1 (1987), 4; Sandrock, RIW 1992, 785 ff.; Schlosser, Bald neues Recht der Schiedsgerichtsbarkeit in Deutschland?, RIW 1994, 723 (727); Solomon, RIW 1997, 986 ff.; Junker, FS Sandrock (2000), S. 443 (451 ff.); Kessedjian, Liber Amicorum Siehr, S. 329 (338 f.); Martiny, ZEuP 1999, 246 (247 ff.); Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (1998), S. 22 f. – Anders Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 4. Aufl. (2007), Rz. 175. Unentschieden Kronke, RIW 1998, 257 (262); Sandrock, RIW 2000, 321 ff. 3 S. etwa Thorn/Thon, Der Auslandsbezug im IPR in FS Kronke (2020), S. 569 (576 ff.).– Näher Babić, Rome I Regulation: binding authority for arbitral tribunals in the European Union?, J. PIL 13 (2017), 71; Bělohlávek, Determining the law governing obligations in arbitration and the applicability of the Rome I Regulation, NIPR 2020, 634; Grimm, Applicability of the Rome I and II Regulations to International Arbitration, SchiedsVZ 2012, 189; Hausmann, Anwendbares Recht vor deutschen und italienischen Schiedsgerichten in FS von Hoffmann (2011), S. 977; Mayer, Le choix de loi dans la jurisprudence arbitrale in Corneloup/Joubert (Hrsg.), Le règlement communautaire „Rome I“ et le choix de loi dans les contrats (Paris 2011), S. 423 (428 f.); Nueber, Nochmals: Schiedsgerichtsbarkeit ist vom Anwendungsbereich der ROM I-VO nicht erfasst, SchiedsVZ 2014, 186; Schack, Sonderkollisionsrecht für private Schiedsgerichte? in FS. Schütze (2014), S. 511; Schilf, Römische IPR-Verordnungen: kein Korsett für internationale Schiedsgerichte, RIW 2013, 678; Plender/Wilderspin, Rz. 5.035 (für England); Brödermann/Wegen in PWW, Art. 1 Rom I Rz. 21; von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I Rz. 40. – Anders Mankowski, Schiedsgerichte und die Rom I-VO, RIW 2018, 1; McGuire, Grenzen der Rechtswahlfreiheit im Schiedsverfahrensrecht?, SchiedsVZ 2011, 262; Czernich, Die Bestimmung des anwendbaren Rechts im Schiedsverfahren, WiBl 2013, 554. 4 BT-Drucks. 13/5274, 53 = Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtbarkeit (1998), S. 262; Berger, DZWiR 1998, 45 (52). 5 Berger, DZWiR 1998, 45 (52 f.9; Lörcher in Lörcher/Lörcher, Das Schiedsverfahren – national/international – nach neuem Recht, 2. Aufl. (2001), Rz. 196. – Dagegen Vocke, Die Bestimmung des anzuwendenden materiellen Rechts in internationalen Handelsschiedsgerichtsverfahren (2002), S. 137 ff. 6 So wohl Solomon, RIW 1997, 984. 7 Zu Art. 28 EGBGB für Letzteres BT-Drucks. 13/5274, 53 = Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtsbarkeit (1998), S. 262; Weigand, WiB 1997, 1273 (1277); Lörcher in Lörcher/Lörcher, Rz. 196 ff. – Dagegen Kronke, RIW 1998, 257 (263). 8 So Begr. RegE, BT-Drucks. 13/5274, 52 (53) = Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtbarkeit (1998), S. 262; Weigand, WiB 1997, 1273 (1277); Osterthun, Das neue deutsche Recht der Schiedsgerichtsbarkeit, TranspR 1998, 177 (183); Lörcher in Lörcher/Lörcher, Rz. 197 ff. – Anders Kronke, RIW 1998, 257 (263).

Martiny | 43

1.108

§ 1 Rz. 1.108 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

internationalvertragsrechtliche Anknüpfungsregel hingegen nur zur Konkretisierung des schiedsrichterlichen Ermessens heran1. Da sich der Wortlaut des § 1051 Abs. 2 ZPO lediglich auf die Nennung der engsten Verbindung beschränkt und eine Verweisung auf die gesetzlichen Kollisionsnormen weder vorgeschrieben noch inhaltlich geboten ist, besteht keine unbedingte Bindung an diese Normen2. Ein Schiedsgericht kann sich daher zwar an diesen Maßstäben orientieren, ist aber nicht in jedem Fall an sie gebunden3. f) Gesellschaftsrecht, Vereinsrecht und Recht der juristischen Personen (Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO)

1.109

Die Rom I-VO gilt nicht für das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht der juristischen Personen, wie z.B. die Errichtung, die Rechts- und Handlungsfähigkeit, die innere Verfassung und die Auflösung von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen sowie die persönliche gesetzliche Haftung der Gesellschafter und der Organe für die Schulden der Gesellschaft, des Vereins oder der juristischen Person (Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO4). Insoweit ist die Anwendung auf verschiedene Fragen bezüglich juristischer Personen und Vereinigungen ohne Rechtspersönlichkeit ausgeschlossen5. Damit wird vor allem auf das internationale Gesellschaftsrecht verwiesen6, dazu näher Rz. 6.1 ff. Eine Parallelvorschrift findet sich in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom II-VO.

1.110

Der Ausschluss gilt für alle jene Rechtsakte (Verträge, Verwaltungsakte, Registrierung), die zum Gesellschaftsrecht – das autonom zu verstehen ist7 – gehören. Gemeint sind die „organisatorischen Aspekte“8, nicht das Innenverhältnis einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Hingegen fallen nach dem Bericht Giuliano/Lagarde alle Rechtshandlungen oder Vorverträge, deren einziges Ziel in der Begründung von Verpflichtungen zwischen den interessierten Parteien (den Gründern) im Hinblick auf die Errichtung einer Gesellschaft besteht, in den Anwendungsbereich9. Treuhandverträge werden regelmäßig erfasst10. Treuhandverträge über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft (Treuhandbeteiligungsverträge) sind nicht vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen11. Eine vertragsrechtliche Einordnung gilt idR für Blockchain-Netzwerke ohne eigene Gesellschaftsgründung12. 1 Berger (Hrsg.), Das neue Recht der Schiedsgerichtbarkeit (1998), S. 22 f. 2 Ebenso Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (623). Im gleichen Sinne für Art. 27 ff. EGBGB Kulpa, Das anwendbare (materielle) Recht in internationalen Handelsschiedsgerichtsverfahren (2005), S. 346 f. (351 f.). 3 Ebenso im Erg. Kulpa (vorige Fn.), S. 353. 4 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. e EVÜ, der als Art. 37 Nr. 2 EGBGB übernommen wurde. Parallelvorschrift in Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom II-VO. 5 Früher Art. 37 Nr. 2 EGBGB bzw. Art. 1 Abs. 2 lit. e EVÜ. 6 Vgl. BGH v. 21.9.1995 – VII ZR 248/94, IPRspr. 1995 Nr. 1 = RIW 1995, 1027 = EWiR 1995, 1187 (Geimer). 7 Lehmann in Ferrari/Leible, S. 17 (32 f.). – S. Renner/Hesselbarth, Unternehmensverträge und die Rom I-Verordnung, IPRax 2014, 117; Rödter, Das Gesellschaftskollisionsrecht im Spannungsverhältnis zur Rom I- und II-VO (2014). 8 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 (Kerr) Rz. 33, NJW 2019, 2991 = IPRax 2020, 40 (m. Aufs. Thomale, IPRax 2020, 18). 9 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 44. 10 Wilhelm, IPRax 2012, 392 (394). 11 EuGH v. 3.10.2019 – C-272/18, ECLI:EU:C:2019:827 (VKI./.TVP), IPRax 2020, 246 (m. Aufs. Rieländer, IPRax 2020, 224 u. Aufs. Mock, ZEuP 2020, 672). 12 A.S. Zimmermann, IPRax 2018, 566 (570 ff.).

44 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.115 § 1

g) Vertreter (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO) Nach Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO1 ist aus dem Anwendungsbereich der VO die Frage ausgeklammert, ob ein Vertreter die Person, für deren Rechnung er vorgibt zu handeln, oder ob das Organ einer Gesellschaft, eines Vereins oder einer juristischen Person diese Gesellschaft, diesen Verein oder diese juristische Person gegenüber Dritten binden kann2.

1.111

Die Stellvertretung ist nach der herkömmlichen deutschen Systematik keine vertragsrechtliche Frage, sondern gehört zur allgemeinen Rechtsgeschäftslehre (vgl. Art. 8 EGBGB). Gegenstand des Ausschlusses ist aber nur der genannte Teilaspekt aus dem Verhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Dritten.

1.112

Die vertraglichen Beziehungen unter den Parteien (also insb. das Grundverhältnis zwischen Geschäftsherrn bzw. Vertretenem und Stellvertreter) werden von dem Ausschluss nicht erfasst, weil sie gegenüber anderen vertraglichen Schuldverhältnissen keine wesentlichen Besonderheiten aufweisen3. Zur Vertretungsmacht s. Rz. 6.1 ff.; zur Vollmacht näher Rz. 6.381 ff.

1.113

h) Gründung von „Trusts“ (Art. 1 Abs. 2 lit. h Rom I-VO) Literatur: de Barros Fritz, Die Anwendung der Rom I-VO auf die Errichtung eines „express inter vivos trust“, RIW 2020, 734; Czermak, Der express trust im IPR (1986); Kötz, Zur Anknüpfung des unter Lebenden errichteten trust, IPRax 1985, 205; Kötz, Die 15. Haager Konferenz und das Kollisionsrecht des trust, RabelsZ 50 (1986), 562; Leithold, Die kollisionsrechtliche Qualifikation des zur Nachlassplanung verwendeten inter vivos trust, FamRZ 2015, 709; Merkel, Die Qualifikation des englischen Trusts im deutschen internationalen Privatrecht (2020); Pirrung, Zur Ratifikation des TrustÜbereinkommens, FS Heldrich (2005), S. 925; Rauscher, Konten deutscher Erblasser bei Banken in New York, FS Lorenz ´80 (2001), S. 525; Schütt, Vorweggenommene Erbfolge unter der Rom I-Verordnung (2018); Wittuhn, Das IPR des trust (1987).

Ausgeschlossen sind ferner die Gründung von „Trusts“ sowie die dadurch geschaffenen Rechtsbeziehungen zwischen den Verfügenden, den Treuhändern und den Begünstigten (Art. 1 Abs. 2 lit. h Rom I-VO)4. Gemeint ist der „trust“ i.S.d. Common-Law-Länder. Die gleichartigen Institutionen des kontinentalen Rechts fallen dagegen unter die Rom I-VO, da sie normalerweise vertraglichen Ursprungs sind. Der Richter hat allerdings die Möglichkeit, sie den Institutionen des Common Law gleichzustellen, soweit sie die gleichen Merkmale aufweisen5. Wegen des Ausschlusses des trust nahm man unter dem EVÜ vielfach an, dass die bisherigen Grundsätze weiter galten6. Inzwischen wird bezüglich der schuldrechtlichen Aspekte für eine entsprechende Anwendung der Grundsätze der Rom I-VO plädiert7.

1.114

Ein trust inter vivos bzw. living trust zeichnet sich dadurch aus, dass ein „settlor“ durch Rechtsgeschäft unter Lebenden – theoretisch durch einseitigen Willensakt, in der Praxis regel-

1.115

1 Früher Art. 1 Abs. 2 lit. f EVÜ bzw. Art. 37 Nr. 3 EGBGB. 2 Näher zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 45. – Zwar wäre eine Erweiterung des Anwendungsbereichs der Rom I-VO um die Stellvertretung wünschenswert gewesen (Martiny, ZEuP 2001, 308 (334 ff.)). Der Vorschlag der Kommission in Art. 7 des Entwurfs konnte jedoch nicht überzeugen; näher Mankowski, IPRax 2006, 101 (108 f.); Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 ff.; Spellenberg in Ferrari/Leible (2007), S. 151 (153 ff.). 3 Begr. BT-Drucks. 10/504, 84 f.; Stürner in Erman, Art. 1 Rom I-VO Rz. 11. 4 Für die Anwendung auf die Vermögensübertragung bei Gründung de Barros Fritz, RIW 2020, 734 ff. 5 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 45. 6 Jayme, IPRax 1986, 265 (266). 7 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 313.

Martiny | 45

§ 1 Rz. 1.115 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

mäßig durch Vertrag – einen Dritten, den „trustee“, berechtigt und verpflichtet, das trust-Gut zugunsten eines Begünstigten (beneficiary) oder bestimmter Zwecke zu verwalten bzw. darüber zu verfügen. Unter der Fülle der Gestaltungen ist vor allem der Totten trust zu erwähnen, der einem Bankvertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall entspricht1. Der trust ist dem deutschen Recht nicht bekannt. Man kann jedoch gewisse Parallelen zu juristischen Personen (Stiftungen) ziehen und ihn in einen Zusammenhang mit gesellschaftsrechtlichen Institutionen stellen (vgl. Art. 7 Nr. 6 Brüssel Ia-VO). Dementsprechend qualifiziert man den trust häufig gesellschaftsrechtlich2. Die funktionelle Verwandtschaft mit der Treuhand dürfte jedoch größer sein, so dass eher eine schuldrechtliche Qualifikation des trust inter vivos in Betracht kommt3. Auch die Rechtsprechung hat den trust mehrfach schuldrechtlich qualifiziert, insb. den Totten trust des US-Rechts4.

1.116

Das für die Verpflichtung des trustee maßgebliche Recht kann durch Rechtswahl bestimmt werden5. Mangels einer Rechtswahl ist in entsprechender Anwendung des Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO auf die charakteristische Leistung des trustee abzustellen. Dies führt zum Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts bzw. seiner geschäftlichen Niederlassung6. Für die engste Verbindung kommen auch der Ort der trust-Verwaltung sowie die Belegenheit des trust-Vermögens in Betracht7.

1.117

Für den Fall, dass eine trust-Bestellung deutschem Recht unterliegt, hat der BGH in einem obiter dictum die Unwirksamkeit der trust-Bestellung angenommen; allerdings hielt er eine Umdeutung in eine Treuhandvereinbarung nach deutschem Recht für möglich8.

1.118

Im Einzelnen können sich beim trust schwierig abzugrenzende Beziehungen unter den Beteiligten ergeben. Das Verhältnis zwischen Begünstigtem und trustee ist jedenfalls schuldrecht1 Rauscher, FS Lorenz ‘80, S. 542 ff.; Czermak, S. 82 ff. (140 ff.). 2 Nachw. bei Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 309. 3 Leithold, FamRZ 2015, 709 (712); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 312. – So auch Czermak, S. 149 ff. (204 ff.); Wittuhn, S. 120 ff. m.w.N. 4 BGH v. 15.4.1959 – V ZR 5/58, IPRspr. 1958/59 Nr. 49 = RabelsZ 25 (1960), 313 Anm. Knauer = NJW 1959, 1317 (Amerikan. Erblasserin hatte in New York Banksparkonten mit Vermerk „in trust for ...“ angelegt. Für die Frage, ob der Begünstigte die Forderung erworben oder behalten hatte, war nach allen denkbaren Anknüpfungspunkten – Parteiwille, Schuldnerwohnsitz, Erfüllungsort, Heimatstaat der Erblasserin oder der Bank – das New Yorker Recht maßgebend); BGH v. 10.6.1968 – III ZR 15/66, IPRspr. 1968–69 Nr. 160 = WM 1968, 1170 (Amerikan. Erblasserin hatte durch Sparvertrag mit New Yorker Bank Totten trust begründet. Ob dieses Guthaben der Erblasserin im Todeszeitpunkt zustand und einen Nachlassgegenstand darstellte, wurde nach dem am Banksitz geltenden Recht beurteilt, dem sich die Erblasserin mit Abschluss des Sparvertrages unterworfen habe). 5 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 310. 6 Zu Art. 28 EGBGB Wittuhn, S. 139. 7 Dafür primär unter Berufung auf Art. 4 Abs. 1 lit. b und lit. c Rom I-VO, Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 314. 8 BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, ZIP 1984, 1405 = GmbHR 1985, 86 = IPRax 1985, 221 (m. Aufs. Kötz, IPRax 1985, 205). Vgl. auch schweiz. BG v. 29.1.1970, BGE 96 II, 79 = Clunet 103 (1976), 695 Anm. Lalive = SchweizJahrbIntR 27 (1971), 223 Anm. Vischer (US-Amerikaner errichtete Trust durch Übertragung von Wertpapieren auf schweiz. Bank. Begünstigter war seine geschiedene Ehefrau. Im Todesfall sollten seine Kinder erben. Die Vereinbarung enthielt aus schweiz. Sicht Elemente des Auftrags, der Vereinbarung über eine fiduziarische Eigentumsübertragung, der Schenkung sowie des Vertrages zugunsten Dritter und wurde als gemischter schuldrechtlicher Vertrag qualifiziert. Wegen engster räumlicher Beziehung zum schweiz. Recht dieses angewendet).

46 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.122 § 1

lich einzuordnen und folgt dem trust-Statut1. Für das Verhältnis zwischen settlor (Erblasser) und Begünstigtem ist nach den Regeln über die Schenkung zu verfahren2. Sachenrechtliche Fragen unterstehen der lex rei sitae3. Das Haager „Übereinkommen über das auf trusts anzuwendende Recht und über ihre Anerkennung“ vom 1.7.19854 gilt seit dem 1.1.1992 für Australien, Italien und das Vereinigte Königreich, ferner für Kanada (1.1.1993), Liechtenstein (1.4.2006), Luxemburg (1.1.2004), Malta (1.3.1996), Monaco (1.9.2008), die Niederlande (1.2.1996), Panama (1.12.2018), die Schweiz (1.7.2007) sowie Zypern (1.6.2017). Es bezieht sich auf trusts inter vivos und auf solche, die durch letztwillige Verfügung errichtet wurden, wenn sie bestimmte Merkmale erfüllen (Art. 2). Der trust muss freiwillig errichtet und schriftlich bestätigt worden sein (Art. 3). Das anwendbare Recht wird in erster Linie durch Rechtswahl (Art. 6), hilfsweise durch die engste Verbindung (Art. 7) bestimmt. Nach den Regeln der Konvention geschaffene trusts sind anzuerkennen (Art. 11)5.

1.119

i) Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Vertragsabschluss (Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO) Schuldverhältnisse, die aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags entstehen, fallen unter Art. 12 der Rom II-VO. Sie sind daher vom Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen worden (Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO)6. S. Rz. 4.39 ff.

1.120

j) Versicherungsverträge (Art. 1 Abs. 2 lit. j Rom I-VO) Die Rom I-VO gilt grundsätzlich für Versicherungsverträge. Es besteht jedoch ein Ausschluss nach Art. 1 Abs. 2 lit. j Rom I-VO für einen speziellen Fall der betrieblichen Altersversorgung. Sie betrifft Versicherungsverträge aus von anderen Einrichtungen als den in Art. 2 der Richtlinie 2002/83/EG über Lebensversicherungen von 20027 genannten Unternehmen durchgeführten Geschäften. Dabei geht es um Geschäfte, deren Zweck darin besteht, den unselbstständig oder selbstständig tätigen Arbeitskräften eines Unternehmens oder einer Unternehmensgruppe oder den Angehörigen eines Berufes oder einer Berufsgruppe im Todes- oder Erlebensfall oder bei Arbeitseinstellung oder bei Minderung der Erwerbstätigkeit oder bei arbeitsbedingter Krankheit oder Arbeitsunfällen Leistungen zu gewähren.

1.121

Der deutsche Gesetzgeber hat davon abgesehen, für diesen Fall, der auf einen Wunsch Schwedens zurückgeht, eine nationale Kollisionsnorm zu schaffen, s. Rz. 36.60.

1.122

1 2 3 4

Czermak, S. 210. Näher Czermak, S. 157 ff. (166 ff., 210 ff.). Czermak, S. 212 ff. Engl. u. französ. Text: RabelsZ 50 (1986), 698; deutsche Übersetzung: IPRax 1987, 52 sowie bei Schulze/Zimmermann, II 30. 5 Zum Inhalt näher Kötz, RabelsZ 50 (1986), 564 ff. 6 So auch Erwägungsgrund 10. Näher Lehmann in Ferrari/Leible, S. 17 (34 ff.). – Krit. zum Entwurf Mankowski, IPRax 2006, 101. 7 Richtlinie 2002/83/EG v. 5.11.2002 über Lebensversicherungen, ABl. EG 2002 Nr. L 345, S. 1. Nicht mehr in Kraft seit 31.12.2015.

Martiny | 47

§ 1 Rz. 1.123 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

k) Beweis und Verfahren (Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO)

1.123

Vorbehaltlich des Art. 18 Rom I-VO ist die Verordnung auch nicht auf den Beweis und auf das Verfahren anwendbar (Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO)1. Vgl. Rz. 3.176 ff. Eine Parallelvorschrift findet sich in Art. 1 Abs. 3 Rom II-VO.

1.124

Dies wirft hinsichtlich des Verfahrens keine Zweifelsfragen auf, da Verfahrensfragen ohnehin nicht dem Vertragsstatut unterliegen. Der Ausschluss des Beweises erfolgte sowieso vorbehaltlich des Art. 18 Rom I-VO, der bestimmte Beweisfragen regelt. Somit gelten die Normen des Internationalen Vertragsrechts für den Beweis, soweit dies angeordnet ist.

VI. Verhältnis zu anderen Unionsrechtsakten 1. Weitergeltung anderen Unionsrechts (Art. 23 Rom I-VO) 1.125

Das Verhältnis zu anderen Unionsrechtsakten wird von Art. 23 Rom I-VO geregelt2. Mit Ausnahme von Art. 7 berührt die Rom I-VO nicht die Anwendung von unionsrechtlichen Vorschriften, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten. Die gesonderte Nennung des Art. 7 stellt klar, dass die Rom I-VO insoweit das frühere Richtlinienrecht in Versicherungssachen abgelöst hat, s. Rz. 1.41. Eine Liste der Unionsrechtsakte enthält die VO – anders als noch der Entwurf von 2005 – nicht3. Eine Parallelvorschrift findet sich in Art. 27 Rom II-VO.

1.126

Erwägungsgrund 40 betont, dass die Aufteilung der Kollisionsnormen auf zahlreiche Rechtsakte sowie Unterschiede zwischen diesen Normen vermieden werden sollten. Die Rom I-VO sollte jedoch der Aufnahme von Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse in unionsrechtlichen Vorschriften über besondere Gegenstände nicht entgegenstehen4. Sie soll die Anwendung anderer Rechtsakte nicht ausschließen, die Bestimmungen enthalten, die zum reibungslosen Funktionieren des Binnenmarktes beitragen, soweit sie nicht in Verbindung mit dem Recht angewendet werden können, auf das die Regeln der Verordnung verweisen. Die Anwendung der Vorschriften im anzuwendenden Recht, die durch die Bestimmungen der Rom I-VO berufen wurden, soll auch nicht die Freiheit des Waren- und Dienstleistungsverkehrs, wie sie in der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr5 ausgestaltet ist, beschränken.

2. Entstehungsgeschichte 1.127

Vorläufer der Bestimmung ist Art. 20 EVÜ über den Vorrang des Unionsrechts6. Danach berührt das EVÜ nicht die Anwendung der Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse auf besonderen Gebieten, die in Rechtsakten der Organe der Europäischen Gemeinschaften oder in dem in Ausführung dieser Akte harmonisierten innerstaatlichen Recht enthalten sind oder enthalten sein werden. In Deutschland wurde dies in der allgemeinen Vorschrift des Art. 3 Abs. 2 S. 2 EGBGB a.F. (nunmehr Art. 3 Nr. 1 EGBGB) umgesetzt. Danach blieben 1 Früher Art. 14 EVÜ. 2 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65). Vorläufer ist Art. 20 EVÜ. 3 Zu Art. 22 lit. a Rom I-VO-Entw. i.V.m. Anh. I s. Mankowski, IPRax 2006, 101 (112); Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531). 4 So auch Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-66). 5 ABl. EG 2000 Nr. L 178, S. 1. 6 Vgl. auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531).

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B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.129 § 1

Regelungen in Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaften unberührt. Bei der Reform des EVÜ war zunächst gem. Art. 23 Rom I-VO-Entw. 2005 ein Verzeichnis der Rechtsakte in einem Anhang I vorgesehen1. In der endgültigen Fassung der Rom I-VO wurde zwar auf eine solche Aufzählung aus Praktikabilitätsgründen verzichtet, dennoch kann sie einen Anhaltspunkt dafür bilden, welche Rechtsakte von Art. 23 Rom I-VO erfasst werden sollen2. Allerdings haben die ursprünglich nicht genannten Verbraucherschutzrichtlinien durch die spätere Zulassung der Rechtswahl in Art. 6 Rom I-VO besondere Bedeutung gewonnen.

3. Einheitsrecht Es wird vorausgesetzt, dass materielles Einheitsrecht Vorrang hat. Die Anwendung von Einheitsrecht kann sich aus internationalen Übereinkommen (s. Rz. 1.142) oder aus europäischen Verordnungen (s. Rz. 1.130) ergeben. Dass in Staatsverträgen niedergelegtes Einheitsrecht Vorrang hat, hat namentlich für das Recht des Warenkaufs und das Transportrecht Bedeutung. Auch unionsrechtliche Verordnungen haben Vorrang. Dies gilt etwa für das Transportrecht.

1.128

4. Kollisionsnormen in Verordnungen und Richtlinien a) Grundsatz Verordnungen und Richtlinien gehören zum sekundären Unionsrecht (Art. 288 AEUV). Beide stehen im Rang unter dem primären Unionsrecht. Verordnungen und Richtlinien sind als gleichwertig anzusehen. Kollisionen innerhalb des sekundären Unionsrechts werden grds. nach der lex specialis- und der lex posterior-Regel gelöst. Das heißt, speziellere Normen gehen den allgemeinen (lex specialis derogat legi generali), das später gesetzte Recht geht dem früher gesetzten (lex posterior derogat legi priori) vor. Die Rom I-VO regelt die Beziehung der Rom I-VO zu den übrigen Verordnungen bzw. Richtlinien jedoch in Art. 23 Rom I-VO selbst. Danach berührt die Rom I-VO grundsätzlich die Anwendung von Vorschriften des Unionsrechts nicht, die in besonderen Bereichen (particular matters; domaines particuliers) Kollisionsnormen (conflict-of-law rules; règlent les conflits de lois) für vertragliche Schuldverhältnisse (contractual obligations; en matière d’obligations contractuelles) enthalten. Es gilt der Vorrang des spezielleren Rechts3. Insofern sanktioniert die Vorschrift aber auch die bestehende kollisionsrechtliche Zersplitterung, insbesondere durch die unterschiedliche nationale Umsetzung von Richtlinien4. Ähnlich wie bei Art. 25 Rom I-VO ist umstritten, ob einheitliche Sachnormen (z.B. transportrechtliche Verordnungen) ohne weiteres direkt anwendbar5 oder ob ihre statutistischen Anwendungsnormen als Kollisionsregeln anzusehen sind6. 1 Darin waren enthalten: Richtlinie 93/7/EWG v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern; Richtlinie 96/71/EG v. 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen; Zweite Richtlinie „Schadenversicherung“ (Richtlinie 88/357/EWG v. 22.6.1988, geändert und ergänzt durch die Richtlinien 92/49/EWG und 2002/13/EG); Zweite Richtlinie „Lebensversicherung“ (Richtlinie 90/619/EWG v. 8.1.1990, geändert und ergänzt durch die Richtlinien 92/96/ EWG und 2002/12/EG). 2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531). 3 Wagner, TranspR 2009, 103 (106); Thorn in Rauscher, Art. 23 Rom I-VO Rz. 1. 4 Krit. Thorn in Rauscher, Art. 23 Rom I-VO Rz. 2. 5 Leible in NK, Art. 23 Rom I-VO Rz. 4. Verneinend offenbar Hoffmann in Calliess/Renner, Art. 25 Rome I Rz. 4. 6 Mankowski in Magnus/Mankowski, Art. 23 Rome I Rz. 11; Schulze/Fervers in BeckOGK, Art. 23 Rom I-VO Rz. 18 (Stand 1.12.2020).

Martiny | 49

1.129

§ 1 Rz. 1.130 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

b) Verordnungen

1.130

Art. 23 Rom I-VO spricht von „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ und meint damit in erster Linie die unmittelbar wirkenden europäischen Verordnungen. Die Rom I-VO regelt das Verhältnis zur Rom II-VO nicht im Speziellen. Eine solche Regelung erscheint letztlich auch nicht notwendig. Die von der Rom II-VO erfassten Gegenstände fallen grds. nicht in den Anwendungsbereich der Rom I-VO, deren sachlicher Anwendungsbereich gem. Art. 1 lediglich „vertragliche Schuldverhältnisse in Zivil- und Handelssachen“ einbezieht. Für die c.i.c. ist nun geklärt, dass diese der Rom II-VO und nicht der Rom I-VO unterfallen soll, s. Rz. 4.39 ff. Die c.i.c wird nicht nur in Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO aufgeführt, sondern darüber hinaus nimmt Art. 1 Abs. 2 lit. i Rom I-VO auch „Schuldverhältnisse aus Vertragsverhandlungen vor Abschluss eines Vertrages“ ausdrücklich vom Anwendungsbereich der Rom I-VO aus. Die sachlichen Anwendungsbereiche beider Verordnungen überschneiden sich somit nicht, soweit die Rom II-VO reicht. c) Richtlinien

1.131

Vom Begriff „Vorschriften des Gemeinschaftsrechts“ in Art. 23 Rom I-VO sind auch Richtlinien erfasst1. Das wirkt sich vor allem für das Verbraucherrecht aus, das noch eine Reihe von Richtlinien-Kollisionsnormen enthält2 (vgl. Rz. 1.35 ff.). Hierbei handelt es sich um Richtlinien, welche in Art. 46b Abs. 3 EGBGB aufgezählt bzw. in Art. 46b Abs. 4 EGBGB genannt werden (näher Rz. 35.111 ff.). Die Klauselrichtlinie ist auch für die Kontrolle von Rechtswahlklauseln herangezogen worden, s. Rz. 2.23 ff.

1.132

Im Einzelnen geht es um: – die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen3; – die Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.5.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter4; – die Richtlinie 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher und zur Änderung der Richtlinie 90/619/EWG des Rates und der Richtlinien 97/7/EG und 98/27/EG5; – die Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23.4.2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates6; – die Richtlinie 2008/122/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14.1.2009 über den Schutz der Verbraucher im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Teilnutzungsverträgen, Verträgen über langfristige Urlaubsprodukte sowie Wiederverkaufs- und Tauschverträgen7. 1 Vgl. Mankowski, IPRax 2006, 101 (112 f.). 2 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-66). – Zum Rückgang des Richtlinienkollisionsrechts Roth, AcP 220 (2020) 458 (488 f.). 3 ABl. EG 1993 Nr. L 95, S. 29. 4 ABl. EG 1999 Nr. L 171, S. 12. 5 ABl. EG 2002 Nr. L 271, S. 16. 6 ABl. EU 2008 Nr. L 133, S. 66. 7 ABl. EU 2009 Nr. L 33, 10. Sie trat an die Stelle der Richtlinie 94/47/EG v. 26.10.1994 zum Schutz der Erwerber im Hinblick auf bestimmte Aspekte von Verträgen über den Erwerb von Teilzeitnutzungsrechten an Immobilien, ABl. EG 1994 Nr. L 280, S. 83.

50 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.135 § 1

Gestrichen wurde die Richtlinie 97/7/EG vom 20.5.1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz1. Im Anhang I des Rom I-VO-Entw. 2005 wurde u.a. die Kulturgüterrichtlinie2 genannt. Diese sieht in Art. 3 einen Anspruch auf Rückgabe von unrechtmäßig verbrachten Kulturgütern vor. Allerdings hat nicht der Eigentümer einen solchen Anspruch, sondern lediglich der Staat, so dass das Vorliegen eines „vertraglichen Schuldverhältnisses“ eher fraglich und eine öffentlich-rechtliche Qualifikation des Anspruchs nahe liegender erscheint. Dies hätte zur Folge, dass der Anspruch aus Art. 3 der Kulturgüterrichtlinie von vornherein nicht vom Anwendungsbereich der Rom I-VO erfasst wäre3, vgl. Rz. 5.94 f.

1.133

Der Anhang I zum Rom I-VO-Entw. 2005 nannte auch die inzwischen reformierte Richtlinie 96/71/EG von 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen4. Danach sind nach h.M. die Mitgliedstaaten verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern der Mindestschutz auf den in der Richtlinie genannten arbeitsrechtlichen Gebieten zuteil wird. Hierbei handelt es sich nach h.M. um zwingende Bestimmungen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO5, deren Anwendung von der Kollisionsnorm des Art. 8 Rom I-VO unberührt bleiben soll. Eine solche Sichtweise untermauert auch Erwägungsgrund 34, der das Verhältnis von Art. 8 Rom I-VO und den Eingriffsnormen des Staates, in dem Arbeitnehmer im Einklang mit der Entsenderichtlinie seine Arbeit grenzüberschreitend verrichtet, zugunsten der betroffenen Eingriffsnormen regelt, indem er festlegt, dass die Anwendung der letzteren von Art. 8 Rom I-VO unberührt bleiben soll, näher Rz. 11.25. Der Erlass der Entsenderichtlinie steht im Einklang mit Art. 23 Rom IVO6.

1.134

Die E-Commerce-Richtlinie7 wurde im Anhang I des Rom I-VO-Entw. 2005 genannt8. Nach Art. 3 dieser Richtlinie hat jeder Mitgliedstaat dafür zu sorgen, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden Vorschriften innerstaatlichen Vorschriften entsprechen. Umstritten ist, ob es sich hierbei um eine Kollisionsnorm handelt9. Dies ist

1.135

1 ABl. EG 1997 Nr. L 144, S. 19. 2 Richtlinie 93/7/EWG v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern, ABl. EG 1993 Nr. L 74, S. 74. – Nunmehr Richtlinie 2014/60/EU v. 15.5.2014 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 (Neufassung), ABl. EU 2013 Nr. L 159, S. 1. 3 So auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531). 4 Richtlinie 96/71/EG v. 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EG 1997 Nr. L 18, S. 1. Geändert durch Richtlinie (EU) 2018/957 v. 28.6.2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EU 2018 Nr. L 173, S. 16. – S. Weller in Calliess/Renner, Art. 23 Rome I Rz. 5. 5 Vgl. Erwägungsgrund 34. 6 EuGH v. 8.12.2020 – C-620/18, ECLI:EU:C:2020:1001 (Ungarn/Parlament und Rat), NZA 2021, 113 Rz. 178. 7 Richtlinie 2000/31/EG v. 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. EG 2000 Nr. L 178, S. 1. 8 Diese wird auch als Beispiel für die Parallelvorschrift des Art. 27 Rom II-VO im Erwägungsgrund 35 der Rom II-VO genannt. 9 Vgl. ausführlich Drexl in MünchKomm, Art. 6 Rom II-VO Rz. 66 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Anh. III Telemediengesetz.

Martiny | 51

§ 1 Rz. 1.135 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

jedoch abzulehnen; die Richtlinie will keine zusätzlichen Regelungen des Internationalen Privatrechts hinsichtlich des anwendbaren Rechts schaffen1. Folglich ist sie nicht unter Art. 23 Rom I-VO zu subsumieren, da dieser Kollisionsnormen auf einem speziellen Gebiet voraussetzt.

1.136

Auch die Bedeutung der Dienstleistungsrichtlinie2 ist zu klären (vgl. dazu auch Rz. 18.6). Nach Art. 3 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie betrifft sie nicht die Regeln des internationalen Privatrechts, insbesondere die Regeln des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts, einschließlich der Bestimmungen, die sicherstellen, dass die Verbraucher durch die im Verbraucherrecht ihres Mitgliedstaats niedergelegten Verbraucherschutzregeln geschützt sind. Dem Wortlaut der Vorschrift nach greift die Richtlinie daher nicht in das Internationale Vertragsrecht ein. Dies wird auch von Art. 17 Nr. 15 der Dienstleistungsrichtlinie gestützt, wonach Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie auf Bestimmungen betreffend vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse, einschließlich der Form von Verträgen, die nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts festgelegt werden, keine Anwendung findet.

1.137

Besonders geregelt ist die Durchsetzung der Pauschalreiserichtlinie (Art. 46c EGBGB)3. Dabei geht es um die Haftung von Reiseveranstaltern und Vermittlern (s. Rz. 15.88 ff.).

5. Versicherungsverträge 1.138

Art. 23 Rom I-VO nennt den die Versicherungsverträge betreffenden Art. 7 Rom I-VO ausdrücklich als Ausnahme (Rz. 1.125). Er berührt daher die Anwendung von Vorschriften des Unionsrechts, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten. Im Anhang I des Rom I-VO-Entw. 2005 wurden sowohl die Zweite Richtlinie „Schadenversicherung“4 als auch die Zweite Richtlinie „Lebensversicherung“5 genannt. Für diese kehrt die letzte Fassung der Rom I-VO in Art. 23 das Vorrangverhältnis für Art. 7 Rom I-VO jedoch um. Schließlich heißt es dort: „Mit Ausnahme von Art. 7 berührt diese Verordnung nicht die Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts ...“. Daher setzt sich die VO gegen das bedeutungslos gewordene Richtlinien-IPR durch6.

1 EuGH v. 25.10.2011 – C-509/09 und C-161/10, ECLI:EU:C:2011:685 (eDateAdvertising), Slg. 2011, I-10269 = ZIP 2011, 2224 = IPRax 2013, 247 (m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2013, 215) = NJW 2012, 137 (m. Aufs. Brand, NJW 2012, 127) = EuZW 2011, 962 (m. Aufs. Heinze, EuZW 2011, 947). 2 Richtlinie 2006/123/EG v. 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EU 2006 Nr. L 376, S. 36. 3 Richtlinie (EU) 2015/2302 v. 25.11.2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates, ABl. EU 2015 Nr. L 326, S. 1. 4 Richtlinie 88/357/EWG v. 22.6.1988, geändert und ergänzt durch die Richtlinien 92/49/EWG und 2002/13/EG, ABl. EG 1988 Nr. L 172, S. 1. 5 Richtlinie 90/619/EWG v. 8.1.1990, geändert und ergänzt durch die Richtlinien 92/96/EWG und 2002/12/EG, ABl. EG 1990 Nr. L 330, S. 50. 6 Perner, IPRax 2009, 218 (219); Schulze/Fervers in BeckOGK, Art. 23 Rom I-VO Rz. 7 (Stand 1.12.2020).

52 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.141 § 1

VII. Beziehung zum Übereinkommen von Rom (Art. 24 Rom I-VO) Art. 24 Rom I-VO regelt die Beziehung zum Übereinkommen von Rom (EVÜ). Danach tritt die Rom I-VO in den Mitgliedstaaten an die Stelle des Übereinkommens, außer hinsichtlich der Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten, die in den territorialen Anwendungsbereich dieses Übereinkommens fallen und für die aufgrund der Anwendung von Art. 355 AEUV (exArt. 299 EGV) die Rom I-VO nicht gilt (Art. 24 Abs. 1 Rom I-VO). Wegen der universellen Anwendbarkeit der Rom I-VO wenden sie die Mitgliedstaaten auch im Verhältnis zu Dänemark an1. Art. 24 Rom I-VO und die frühere völkerrechtliche Verpflichtung gegenüber Dänemark stehen nicht entgegen2. Dagegen ist umgekehrt mit einer Weiteranwendung des EVÜ durch dänische Gerichte zu rechnen3, vgl. Rz. 1.61. Der Gedanke, nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs ihm gegenüber das EVÜ wieder anzuwenden, hat keinen Anklang gefunden4 (zum Brexit Rz. 1.62).

1.139

Soweit die Rom I-VO die Bestimmungen des Übereinkommens von Rom ersetzt, gelten Bezugnahmen auf dieses Übereinkommen als Bezugnahmen auf die Rom I-VO (Art. 24 Abs. 2 Rom I-VO).

1.140

VIII. Verhältnis zu bestehenden internationalen Übereinkommen (Art. 25 Rom I-VO) Art. 25 Rom I-VO betrifft das Verhältnis der Verordnung zu bestehenden internationalen Übereinkommen (vgl. Rz. 1.146). Die Rom I-VO berührt nicht die Anwendung der internationalen Übereinkommen, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme dieser Verordnung angehören und die Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten (Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO). Nach Erwägungsgrund 41 sind die internationalen Verpflichtungen, welche die Mitgliedstaaten eingegangen sind, zu wahren. Die Verordnung darf sich nicht auf internationale Übereinkommen auswirken, denen ein oder mehrere Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Annahme der Rom I-VO angehören5. Staatsverträge mit Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse („lay down conflict-of-law rules relating to contractual obligations“; „règlent les conflits de lois en matière d´obligations contractuelles“) sind solche, welche die Rechtsanwendung regeln. Praktische Bedeutung hat dies für andere Mitgliedstaaten etwa für das Haager Kaufrechts-Übk. von 1955 (Rz. 25.88) und das Haa-

1 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (532); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (623); Spickhoff in BRHP, Art. 24 Rom I-VO Rz. 2; Hoffmann in Calliess/Renner, Art. 24 Rome I Rz. 3; Leible in NK, Art. 24 Rom IVO Rz. 4; von Hein in Rauscher, Art. 1 Rom I-VO Rz. 72; Schulze/Fervers in BeckOGK, Art. 24 Rom I-VO Rz. 2 (Stand 1.12.2020). – Im Ergebnis ebenso aus Praktikabilitätsgründen Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1689 f.). Anders OLG Koblenz v. 19.9.2012 – 2 U 1050/11, IPRax 2015, 255 (m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2015, 222 [224]) = IHR 2014, 65 abl. Anm. Piltz = IPRspr. 2012 Nr. 53. 2 Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1689 f.); Schulze/Fervers in BeckOGK, Art. 24 Rom IVO Rz. 8 (Stand 1.12.2020). – Anders Brödermann/Wegen in PWW, Art. 25 Rom I-VO Rz. 2. 3 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-62); Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (532); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (623); Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1689 f.). 4 Wagner, IPRax 2021, 2 (9); Schulze/Fervers in BeckOGK, Art. 25 Rom I-VO Rz. 11 (Stand 1.12.2020). Dazu auch Mankowski EuZW 2020, Sonderausgabe Brexit, 3 (6 f.). 5 Um den Zugang zu den Rechtsakten zu erleichtern, soll die Kommission anhand der Angaben der Mitgliedstaaten ein Verzeichnis der betreffenden Übk. im Amtsblatt der EU veröffentlichen.

Martiny | 53

1.141

§ 1 Rz. 1.141 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

ger Vertreter-Übk. von 1978 (Rz. 6.381, Rz. 23.120), die unter den Vertragsstaaten weiter gelten1. Dies gilt auch für innereuropäische Fälle2.

1.142

Es besteht ein Vorrang des materiellen Einheitsrechts. Übereinkommen, welche nur bezüglich ihres Anwendungsbereichs Kollisionsnormen, im Übrigen aber Einheitsrecht enthalten, wie das CISG, das Factoring-Übereinkommen sowie die transportrechtlichen Staatsverträge, sind nach einer Auffassung in Art. 25 Rom I-VO ebenfalls gemeint3. Den Normen, welche den räumlichen Anwendungsbereich sachrechtlich vereinheitlichender Staatsverträge (etwa im Transportrecht) definieren, wird eine kollisionsrechtliche Natur zugeschrieben4. Für bestehende Staatsverträge gelangt die Gegenauffassung, welche Art. 25 Rom I-VO nur für eigentlich kollisionsrechtliche Regelungen, welche zur Anwendung des Rechts eines Staates führen, heranziehen will5, letztlich zum gleichen Ergebnis6. Materielles Einheitsrecht, dessen Anwendung von sog. statutistischen Kollisionsnormen abhängt, soll danach auch ohne besonderen Anwendungsbefehl, also unabhängig von den Vorschriften der Rom I-VO, zur Anwendung kommen7. Allerdings führt letztere Auffassung dazu, dass es für künftige Staatsverträge weiterhin bei einer nationalstaatlichen Kompetenz bleibt8, während die weitere Auffassung die Rechtssetzungskompetenz der EU auch für Einheitsrecht untermauert9.

1.143

Die Rom I-VO hat jedoch in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten Vorrang vor den ausschließlich zwischen zwei oder mehreren Mitgliedstaaten geschlossenen Übereinkommen, soweit diese Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind (Art. 25 Abs. 2 Rom IVO). Diese Bestimmung ist allerdings enger als es zunächst scheint, da sie schon dann keine Anwendung findet, wenn auch andere Staaten Vertragsstaaten sind.

1.144

Es besteht eine eigene Verordnung, nach welchen Verfahren und unter welchen Bedingungen die Mitgliedstaaten in Einzel- und Ausnahmefällen in eigenem Namen Übereinkünfte mit Drittländern über sektorspezifische Fragen aushandeln und abschließen dürfen, die Bestimmungen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht enthalten (vgl.

1 Cavalier, Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 65 (66); Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65); Leible/ Lehmann, RIW 2008, 528 (531 f.); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624); Dostal, ZVertriebsR 2019, 207. 2 von Hein in Rauscher, Art. 25 Rom I-VO Rz. 8, 10. – Krit. und für eine teleologische Reduktion Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227 (233). 3 OLG Köln v. 17.2.2017 – 19 U 101/16, IPRspr. 2017 Nr. 113 = IHR 2018, 71 (74); Garcimartín Alférez, ELF 2008, I-61 (I-65); Jayme/Nordmeier, IPRax 2008, 503 (507 f.); Magnus, IPRax 2010, 30 f.; von Hein in Rauscher, Art. 25 Rom I-VO Rz. 3; Spickhoff in BRHP, Art. 25 Rom I-VO Rz. 2; Stürner in Erman, Art. 25 Rom I-VO Rz. 1; Schulze in Ferrari, IntVertragsR, Art. 25 Rom I-VO Rz. 4; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 5 Rom I-VO Rz. 12; Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 13. – Unentschieden Leible in NK, Art. 25 Rom I-VO Rz. 7. 4 So Thorn in Rauscher, Art. 5 Rom I-VO Rz. 10. 5 Wagner, TranspR 2009, 103 (107); Schilling, EuZW 2011, 778 ff.; Dostal, ZVertriebsR 2019, 207 f.; Nehne, S. 160; Brödermann/Wegen in PWW, Art. 1 Rom I-VO Rz. 9; Hoffmann in Calliess/Renner, Art. 25 Rome I Rz. 4. – Anders Kampf, RIW 2009, 299 (Vorrang der Rom I-VO). 6 von Hein, Konflikte zwischen völkerrechtlichen Übereinkommen und europäischem Sekundärrecht auf dem Gebiet des Internationalen Privatrechts in FS Schröder (2012), S. 29 (35 ff.). 7 Wagner, TranspR 2009, 103 (107) m.w.N. 8 Wagner, TranspR 2009, 103 (107). 9 So Thorn in Rauscher, Art. 5 Rom I-VO Rz. 10.

54 | Martiny

B. Internationales Vertragsrecht der Rom I-Verordnung | Rz. 1.147 § 1

auch Erwägungsgrund 42)1. Für künftige Staatsverträge der Mitgliedstaaten ist die Kompetenz zum Abschluss auf die Gemeinschaft übergegangen2. Nach Art. 26 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO hatten die Mitgliedstaaten der Kommission bis spätestens 17.6.2009 die weiter geltenden Übereinkommen nach Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO zu übermitteln3. Nach Art. 26 Abs. 1 S. 2 Rom IVO besteht auch eine Mitteilungspflicht der Mitgliedstaaten für Kündigungen.

IX. Inkrafttreten und zeitliche Anwendbarkeit (Art. 29 Rom I-VO) Das Inkrafttreten und die Anwendbarkeit werden von Art. 29 Rom I-VO geregelt4. Nach Unterabs. 1 tritt die Rom I-VO am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft. Unterabs. 2 bestimmt, dass die Rom I-VO ab 17.12.2009 gilt, mit Ausnahme des Art. 26, der ab dem 17.6.2009 gilt.

1.145

Art. 28 Rom I-VO beschäftigt sich mit der zeitlichen Anwendbarkeit der VO. Danach wird die Rom I-VO auf Verträge angewandt, die ab dem 17.12.2009 geschlossen werden. Das „ab“ ersetzt infolge einer Berichtigung das ursprüngliche „nach“5. Inhaltlich entspricht diese Regelung Art. 17 EVÜ. Zur Regelung in der Übergangsvorschrift des Art. 220 EGBGB, der für die Rom I-VO nicht zur Anwendung kommt, s. Rz. 1.11. Art. 28 Rom I-VO gilt auch für Dauerschuldverhältnisse wie Arbeits- oder Mietverträge6. Dementsprechend unterliegt etwa ein früher geschlossener Verbrauchervertrag weiterhin Art. 29 EGBGB a.F.7, ein Arbeitsvertrag Art. 30 EGBGB a.F.8. Eine Rechtswahl richtet sich nach Art. 27 EGBGB a.F.9.

1.146

Eine Regelung des Abschlusszeitpunkts findet sich in der Verordnung nicht. Dies spricht an sich für die Maßgeblichkeit des jeweiligen (nationalen) Sachrechts. Dafür wollte man z.T., um eine Rückwirkung des neuen Rechts auszuschließen, das Vertragsstatut noch nach den alten Regeln des EVÜ bestimmen10. Die hM strebte dagegen eine möglichst einheitliche Auslegung an und wollte die als solche bereits in Kraft getretene Rom I-VO (Art. 10) heranziehen11. Der

1.147

1 Verordnung (EG) Nr. 662/2009 v. 13.7.2009 zur Einführung eines Verfahrens für die Aushandlung und den Abschluss von Abkommen zwischen Mitgliedstaaten und Drittstaaten über spezifische Fragen des auf vertragliche und außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts, ABl. EU 2009 Nr. L 200, S. 25. 2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531 f.). 3 Mitteilungen nach Art. 26 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) – Verzeichnis der Übereinkommen, ABl. EU 2010 Nr. C 343, S. 3. – Dazu näher Martiny, ZEuP 2013, 838 (861). 4 Zum Entwurf Mankowski, IPRax 2006, 101 (113). 5 Berichtigung in ABl. EU 2009 Nr. L 309, S. 87. – Dazu näher Freitag in Rauscher, Art. 28/29 Rom I-VO Rz. 3. 6 BAG v. 25.4.2013 – 2 AZR 960/11, NZA 2014, 280 (LS); LAG Nürnberg v. 25.9.2013 – 2 Sa 172/ 12, IPRspr. 2013 Nr. 72; LAG Hamm v. 3.4.2014 – 17 Sa 999/13, IPRspr. 2014 Nr. 75 (LS); Leible/ Lehmann, RIW 2008, 528 (531); Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 5 Rom I-VO Rz. 17. 7 Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 6 Rom I-VO Rz. 12. 8 BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 698/15, IPRspr. 2017 Nr. 103 = NZA 2017, 1051; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 8 Rom I-VO Rz. 9; von Hein in Rauscher, Art. 8 Rom I-VO Rz. 16. – Dies verkennt Thume, VersR 2009, 1342 f. 9 BAG v. 12.12.2017 – 3 AZR 305/16 Rz. 27-29, RIW 2018, 456 = NZA 2018, 1499. 10 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (531); Bruck/Möller/Dörner, VVG (9. Aufl. 2013), Art. 28 Rom IVO Rz. 2. Ebenso noch Leible in NK, Art. 28 Rom I-VO Rz. 3. – Für das EVÜ wollte auf die lex fori abstellen Kaye, The new private international law of contract of the European Community (1993), S. 353. Unentschieden Czernich/Heiss, Art. 17 EVÜ Rz. 5. 11 Dazu noch Pfeiffer, EuZW 2008, 622.

Martiny | 55

§ 1 Rz. 1.147 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

EuGH hält Art. 10 Rom I-VO freilich nicht für einschlägig1. Dafür, wie eine sachrechtlich einheitliche Bestimmung des Abschlusszeitpunkts, die von einigen schon früher ebenfalls befürwortet wurde2, erfolgen soll, gibt es allerdings wenig Anhaltspunkte3. Der EuGH befand, dass ein vor dem 17.12.2009 begründetes Arbeitsverhältnis nur dann in den Anwendungsbereich der Rom I-VO fällt, wenn es durch gegenseitiges Einvernehmen der Vertragsparteien, das sich ab diesem Zeitpunkt manifestiert hat, in einem solchen Umfang geändert wurde, dass davon auszugehen ist, dass ab diesem Zeitpunkt ein neuer Arbeitsvertrag geschlossen wurde4. Das zu prüfen, ist Aufgabe des vorlegenden Gerichts. Im gegebenen Fall verneinte das BAG eine solche Vertragsänderung, da es lediglich zu Vertragsverlängerungen gekommen war, und blieb bei der Anwendung des alten Rechts5.

1.148

Unter dem Vertragsschluss ist der Konsens der Parteien zu verstehen6. Auf den Zeitpunkt von Genehmigungsvorbehalten oder aufschiebende sowie auflösende Bedingungen kommt es im Interesse von Rechtsklarheit und Vertrauensschutz nicht an7. Entsprechendes gilt für eine fakultative Beurkundung.

C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung Literatur: von Bernstorff, Vertragsgestaltung im Auslandsgeschäft, 7. Aufl. 2012; von Bernstorff, Der Exportvertrag mit praxisnahen Erläuterungen zu Vertragsklauseln Deutsch – Englisch, 4. Aufl. 2020; von Bernstorff (Hrsg.), Praxishandbuch Internationale Geschäfte (2020); Bortolotti, Drafting and Negotiating International Commercial Contracts – A Practical Guide, 3. Aufl. (ICC Publication No. 788E, 2017); Brenner, Vertragsgestaltung für Exporteure (2017); Brödermann, Risikomanagement in der internationalen Vertragsgestaltung, NJW 2012, 971; Cordero-Moss (Hrsg.), Boilerplate Clauses, International Commercial Contracts and the Applicable Law (Cambridge 2011); Däubler, Auslandsarbeit unter deutschem Recht, FS Birk (2008), S. 27; Detzer, Fallstricke bei Verträgen mit ausländischen Vertriebspartnern, FS Thume (2008), S. 23; DiMatteo, International contracting: law and practice, 4. Aufl. (Alphen aan den Rijn 2016); DiMatteo/Janssen/Magnus/Schulze (Hrsg.), International Sales Law: Contract, Principles & Practice, 2. Aufl. 2021; Döser, Anglo-amerikanische Vertragsstrukturen in deutschen Vertriebs-, Lizenz- und sonstigen Vertikalverträgen, NJW 2000, 1451; Döser, Einführung in die Gestaltung internationaler Wirtschaftsverträge, JuS 2000, 246, 456, 663, 773, 1075, 1178, JuS 2001, 40; Döser, Vertragsgestaltung im internationalen Wirtschaftsrecht (2001); Fontaine/de Ly, Drafting international contracts: an analysis of contract clauses (Leiden 2006); Göthel, Vertragsgestaltung bei internationalen Joint Ventures, BB 2014, 1475; Hök, Zur Vertragsredaktion und -auslegung im grenzüberschreitenden Geschäft, ZAP 2007, 1361; Holler, Vertragsgestaltung gegenüber tschechischen

1 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 Rz. 30 (Nikiforidis) = NZA 2016, 1389 = RIW 2016, 811 Anm. Mankowski = IPRax 2018, 207 (m. Aufs. W-H. Roth, IPRax 2018, 177). – Vorlage von BAG v. 25.2.2015 – 5 AZR 962/13 (A), IPRspr. 2015 Nr. 62 = RIW 2015, 313 = NZA 2015, 542. 2 Spickhoff in BRHP, Art. 28 Rom I-VO Rz. 2 (Zeitpunkt der Annahmeerklärung); Thorn in Palandt, Art. 28 Rom I-VO Rz. 2. 3 Krit. Lehmann/Ungerer, YbPIL 19 (2017/2018) 53 (58 f.). 4 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 Rz. 32-39 (Nikiforidis), NZA 2016, 1389. 5 BAG v. 2.3.2017 – 2 AZR 698/15, IPRspr. 2017 Nr. 103 = NJW 2017, 3547 = NZA 2017, 1051 Rz. 20; BAG v. 26.4.2017 – 5 AZR 962/13, IPRspr. 2017 Nr. 105 = RIW 2017, 611 = IPRax 2018, 86 (m. Aufs. Siehr IPRax 2018, 44). 6 Thorn in Palandt, Art. 28 Rom I-VO Rz. 2. 7 Schulze/Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 28 Rom I-VO Rz. 3; Thorn in Palandt, Art. 28 Rom I-VO Rz. 2.– Anders Brödermann/Wegen in PWW, Art. 28 Rom I-VO Rz. 2.

56 | Martiny

C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.149 § 1 Geschäftspartnern, WiRO 2007, 353; International Trade Centre, Cross-border contracting (2018); Kinsella (Hrsg.), Digest of Commercial Laws of the World – Forms of Commercial Agreements, Bd. I u. II (Dobbs Ferry, N.Y.; Loseblatt); Kornicker, Risiken bei der Gestaltung von Verträgen im internationalen Wirtschaftsrecht: unter besonderer Berücksichtigung der Risiken angelsächsischer Vertragsgestaltung in Kornicker, Risiko und Recht (Basel 2004), S. 57; Kötz, Der Einfluss des Common Law auf die internationale Vertragspraxis, FS Heldrich (2005), S. 771; Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch Internationalen Wirtschaftsrechts, 2. Aufl. 2017; Lembcke, Mindestanforderungen an die Vertragsgestaltung bei osteuropäischen Großbauprojekten der Weltbankgruppe, WiRO 2006, 321; Lundmark, Die detaillierte Natur anglo-amerikanischer Kaufverträge, FS Sandrock (2000), S. 623; Lundmark, Common law-Vereinbarungen – Wortreiche Verträge, RIW 2001, 187; Maier-Reimer, Englische Vertragssprache bei Geltung deutschen Rechts, AnwBl. 2010, 13; Maier-Reimer, Vertragssprache und Sprache des anwendbaren Rechts, NJW 2010, 2545; Mallmann, Rechtswahlklauseln unter Ausschluss des IPR, NJW 2008, 2953; Mankowski, Überlegungen zur sach- und interessengerechten Rechtswahl für Verträge des internationalen Wirtschaftsverkehrs, RIW 2003, 2; Nienaber, Vertragsgestaltung bei internationalem Industrie- und Anlagenbau (2004); Ostendorf, International sales terms, 4. Aufl. 2022; Ostendorf, Englisches Recht in der Vertragsgestaltung (2021); Ostendorf/Kluth (Hrsg.), Internationale Wirtschaftsverträge, 2. Aufl. 2017; Pfeiffer, Flucht ins schweizerische Recht? Zu den AGB-rechtlichen Folgen der Wahl schweizerischen Rechts, FS von Westphalen (2012), S. 555; Piltz, Gestaltung internationaler Lieferverträge in Piltz (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Internationales Wirtschaftsrecht (2017), S. 1414; Piltz/Heckeroth/Wiebusch, Vertragsgestaltung im Exportgeschäft (2011); Pinnells/Eversberg, Internationale Kaufverträge optimal gestalten (1997); Salger, Grundlegende Hinweise mit Formulierungsvorschlägen zur Gestaltung internationaler Verträge, in Piltz (Hrsg.), Münchener Anwaltshandbuch Internationales Wirtschaftsrecht (2017), S. 1364; Sandrock (Hrsg.), Handbuch der Internationalen Vertragsgestaltung I, II (1980); Schäuble, Internationales Schuldvertragsrecht in der notariellen Praxis, BWNotZ 2015, 2; Schütze (Hrsg.), Münchener Vertragshandbuch Bd. II: Wirtschaftsrecht I, 7. Aufl. 2015; Schütze (Hrsg.), Münchener Vertragshandbuch Bd. III: Wirtschaftsrecht II, 7. Aufl. 2015; Schütze/Weipert/Rieder (Hrsg.), Münchener Vertragshandbuch Bd. IV: Wirtschaftsrecht III (englischsprachig), 8. Aufl. 2018; Tauber, Kreditsicherheiten im Auslandsgeschäft, Bank-Praktiker 2008, 186; Triebel/Vogenauer, Englisch als Vertragssprache, 4. Aufl. 2021; Vorpeil, Exportverträge in der Praxis, IWB 2015, 65; Vorpeil, Rechtswahlklauseln bei internationalen Verträgen, IWB 2020, 438; Voser/Boog, Die Wahl des Schweizer Rechts: was man wissen sollte, RIW 2009, 126; Waehler, Gedanken zur Vertragsgestaltung in Lange/Prollius (Hrsg.), Praxis des Ostwesthandels (1977), S. 149; Walz, Angloamerikanische Vertragsgestaltung und deutsches Recht, Notar 2015, 111; von Westphalen, Von den Vorzügen des deutschen Rechts gegenüber anglo-amerikanischen Vertragsmustern, ZVglRW 102 (2003), 53; Yelpaala/Rubino-Sammartano/Campbell, Drafting and Enforcing Contracts in Civil and Common Law Jurisdictions (Deventer 1986). S. auch die Literaturangaben vor den einzelnen Randnummern dieses Teils sowie vor den anderen Kapiteln.

I. Informationsbeschaffung Der Abschluss und die Abwicklung von Rechtsgeschäften mit ausländischen Partnern werfen in der Praxis häufig bestimmte Probleme auf. Viele Risiken, etwa der Zahlungssicherung, sind zunächst einmal nicht anders als bei Inlandsgeschäften. Vor Schematismus ist aber zu warnen, mit Neuem und Unbekanntem ist stets zu rechnen, etwa in Bezug auf Wirksamkeitsvoraussetzungen und Kreditsicherheiten. Wegen der Vielfalt der Rechtsordnungen, Branchen, Inhalte und Zielsetzungen von Verträgen können hier nur einige Punkte genannt werden, die bei den Vertragsverhandlungen und der Vertragsgestaltung beachtet werden sollten. Die wichtigsten Fragen sind, um welche Art von Geschäft (Vertragstyp) es geht (Rz. 1.162), welche ausländische Rechtsordnung berührt wird (Rz. 1.152 f., Rz. 1.169) und welche Rechtsfragen betroffen sind (Rz. 1.159 ff.). Einige allgemeine Aspekte werden hier vorweg behandelt; wegen der Einzelheiten und der einschlägigen Fachliteratur wird auf die Ausführungen zum jeweiligen Vertragstyp bzw. Einzelproblem verwiesen. Martiny | 57

1.149

§ 1 Rz. 1.150 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

1.150

Kommt es auf Auslandsrecht an, so ist die ausländische Rechtslage sorgfältig zu ermitteln. Das gilt vor allem dann, wenn das ausländische Recht das Vertragsstatut stellt, aber auch, wenn sich ausländisches zwingendes Recht entgegen einer Rechtswahl auswirken kann. Stets ist die Möglichkeit von Rechtsänderungen zu beachten. Kommt inländisches Recht zur Anwendung, so ist zu prüfen, wie weit bei Auslandssachverhalten Modifikationen der Rechtslage eintreten bzw. zusätzliche Vereinbarungen notwendig sind. Dies ist etwa bei der Auslandsarbeit der Fall1.

1.151

Informationen zum ausländischen Recht und zur Gestaltung von Außenhandelsverträgen sind von einer Reihe von Institutionen und Verbänden erhältlich2. Sie sind oft nicht nur in gedruckter Form, sondern auch im Internet zugänglich. Insofern sind zu Fragen des Einheitsrechts und des internationalen Handelsrechts internationale Organisationen zu nennen, wie die UNKommission für internationales Handelsrecht (United Nations Commission on International Trade Law, UNCITRAL)3, vgl. Rz. 25.4. Von Bedeutung sind auch die Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (Economic Commission for Europe, ECE)4 sowie das International Trade Centre (ITC)5. Von Bedeutung für einzelne Verträge und Klauseln ist vor allem die Internationale Handelskammer in Paris (International Chamber of Commerce, ICC)6. Auch eine Reihe internationaler Verbände spielt eine Rolle, so etwa für Bauvorhaben der Internationale Dachverband der beratenden Ingenieure (International Federation of Consulting Engineers, Fédération Internationale des Ingénieurs-Conseils, FIDIC)7. Ein reichhaltiges Informationsangebot liefert ebenfalls der europäische Verband der Maschinen-, Elektro-, Elektronikund Metallwarenindustrie Orgalime (Organisation de liaison des industries métalliques et électroniques Européennes; European Engineering Industries Association) in Brüssel8.

1.152

Umfangreiche Angebote liefern auch nationale Institutionen und Verbände. In Deutschland findet man Informationen zur Exportkontrolle und zum Import beim Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA)9. Informationen und Publikationen zu den Auslandsmärkten, aber auch zum Auslandsrecht und einzelnen Vertragstypen (Länderberichte und Länderinformationen) bietet die Germany Trade and Invest – Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH (GTAI; Nachfolger der Bundesagentur für Außenwirtschaft; bfai)10 an.

1.153

Vor allem länderspezifische Informationen erhält man bei den deutschen Auslandshandelskammern (AHK). Sie bestehen in allen Ländern, die für die deutsche Wirtschaft von besonderem Interesse sind11. Auch einzelne inländische Industrie- und Handelskammern (IHK) verfügen über Material. Branchenspezifische Rechtsinformationen liefern die jeweiligen nationalen Fachverbände wie der VDMA (Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbauer)12. Ein1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Vgl. Däubler, FS Birk, S. 27 ff. Zur Informationsbeschaffung s. auch Ostendorf/Kluth, § 1 C. http://www.uncitral.org/. http://www.unece.org/. https://www.intracen.org/. – S. Cross-border contracting (2018). http://www.iccwbo.org/. http://www.fidic.org/. http://www.orgalime.org/. http://www.bafa.de/bafa/de/. http://www.gtai.de/. – S. die jeweiligen Länderinformationen, insb. zu Vertragsrecht und Sicherungsmitteln, in der Reihe „Recht kompakt“. 11 Übersicht: http://www.ahk.de/. 12 http://www.vdma.org/.

58 | Martiny

C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.157 § 1

zelne wissenschaftliche Institutionen und Universitätsinstitute und -lehrstühle bieten ebenfalls Informationen an. Fachbibliotheken ermöglichen häufig auch online-Recherchen zu Rechtsfragen, z.B. die Peace Palace Library in den Haag1. Hauptinformationsquelle ist zunehmend das Internet, in dem eine Vielzahl von Informationen zugänglich ist. Auch hier kommt es auf den Anbieter an. Insoweit kommen die genannten internationalen, europäischen und nationalen Stellen in Betracht. Größere Einrichtungen bieten entweder über das Internet selbst frei oder gegen Bezahlung Materialien in unterschiedlichen Sprachfassungen vollständig oder in Auszügen an oder informieren jedenfalls, wo sie erhältlich sind. Auch hier wird die Recherche erleichtert, wenn man sich auf die einzelnen Ebenen, Branchen und Vertragstypen konzentriert. So verfügt die Internationale Handelskammer in Paris (ICC) für einzelne Geschäftstypen über umfangreiche Anleitungen (guides), Regeln (rules), Formulare (model forms) und Musterverträge (model contracts; model clauses). Zahlreiche Vertragsbedingungen für Bauverträge sind bei der FIDIC zugänglich. Muster und Führer für unterschiedliche Im- und Exportgeschäfte bietet auch Orgalime an.

1.154

Länderinformationen zum Dienstleistungs- und Verbraucherrecht der EU- und EWR-Staaten sind im Internet zugänglich in einem „Portal 21“ der Bundesministerien für Wirtschaft und Energie sowie der Justiz und für Verbraucherschutz2.

1.155

II. Abschluss des Vertrages Es versteht sich von selbst, dass zuverlässige Informationen bereits vor Vertragsverhandlungen von großem Wert sind3. Eine Reihe von Rechtsfragen stellt sich schon in diesem Stadium. Gegebenenfalls ist bereits eine Geheimhaltungsvereinbarung (non-disclosure agreement; NDA) angebracht. Damit wird Stillschweigen über Vertragsverhandlungen, Verhandlungsergebnisse oder vertrauliche Unterlagen vereinbart4.

1.156

In manchen Rechtsordnungen darf vorvertragliche Korrespondenz nicht zur Vertragsauslegung herangezogen werden. Teilweise ist auch der Nachweis einer nicht im schriftlichen Vertrag enthaltenen mündlichen Nebenabrede vor Gericht unzulässig. Die parol evidence rule des anglo-amerikanischen Rechts verbietet grundsätzlich den Nachweis von Nebenabreden und kann damit einschneidende Folgen haben5 (vgl. Rz. 3.111). In der anglo-amerikanischen Vertragspraxis werden zudem häufig sog. merger clauses oder entire agreement clauses (Vollständigkeitsklauseln) verwendet6, um die Vollständigkeit und Endgültigkeit einer schriftlichen Vereinbarung abzusichern. Teilweise wird der eigentliche Vertragsabschluss („closing“) gesondert betrachtet7.

1.157

1 http://www.ppl.nl/. 2 Informationsangebot zu Dienstleistungen in Europa, http://www.portal21.de/. Das Internetportal wurde nach Art. 21 der Dienstleistungsrichtlinie benannt und wird vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und von Germany Trade & Invest betrieben. 3 Vgl. Grau/Markwardt, Internationale Verträge (2011), S. 53 ff.; Heussen/Pischel (Hrsg.), Handbuch Vertragsgestaltung und Vertragsmanagement, 5. Aufl. 2021. 4 S. etwa International Trade Center, https://www.intracen.org/. 5 Dazu Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 30. 6 Dazu Vorpeil, IWB 2018, 188 (198); DiMatteo, Merger clauses, in DiMatteo/Janssen/Magnus/ Schulze (Hrsg.), International Sales Law, 2. Aufl. 2021, S. 793; Ostendorf/Kluth, § 11 B. – S. auch Art. 2.1.17 UNIDROIT-Principles 2016. 7 Zum closing in der anglo-amerikanischen Praxis Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 42e ff.

Martiny | 59

§ 1 Rz. 1.158 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

1.158

Mit einer Absichtserklärung (Letter of Intent) drücken die Vertragsparteien oder auch nur eine von ihnen ihr Interesse an Verhandlungen und am Abschluss eines Vertrages aus. Inhalt und Umfang sind recht verschieden1. Ein Letter of Intent, der lediglich eine Ankündigung und eine Zusammenfassung geklärter Punkte enthält, entfaltet keine Bindungswirkung2. Werden jedoch Erklärungen mit Bindungswillen, z.B. die Festlegung von Zeitplänen oder eine Kostenübernahme, und die Verpflichtung zum Abschluss eines Hauptvertrages vereinbart, dann entfaltet der Letter of Intent Bindungswirkung (zur Anknüpfung s. Rz. 33.83 ff.). Bei Großaufträgen geht der Vertragsunterzeichnung oft eine solche Absichtserklärung voraus, bzw. ist sie Teil einer Due-Diligence-Prüfung (s. Rz. 33.3 ff.). Handelt der Geschäftspartner für einen anderen, so ist auch die Vertretungsmacht zu überprüfen (vgl. Rz. 6.381 ff.).

III. Inhalt und Wirksamkeit des Vertrages 1. Wirksamkeit des Vertrages 1.159

Zu überprüfen ist nicht nur der zivilrechtliche Vertragsabschluss, sondern auch die öffentlichrechtliche Zulässigkeit, insb. welche behördlichen Genehmigungen nach in- und/oder ausländischem Recht erforderlich sind3. Insofern wird des Öfteren die Erfüllung bestimmter rechtlicher Voraussetzungen gesondert bestätigt4 (zur Third Party Legal Opinion s. Rz. 10.33 ff.). Unterschiedliche zwingende europäische und/oder ausländische Normen können zu beachten sein. So spielen kartellrechtliche Beschränkungen für Vertriebsverträge eine erhebliche Rolle. Zoll- und Steuerrecht sind gegebenenfalls zu berücksichtigen.

1.160

Das Devisenrecht hat zwar innerhalb der EU an Bedeutung verloren. Im Übrigen kann jedoch mit devisenrechtlichen Beschränkungen zu rechnen sein (dazu Rz. 5.156 ff.). Beim Erwerb von Betrieben, Teilen von Betriebsvermögen sowie Geschäftsanteilen (Aktien) ist stets zu prüfen, ob ein solches Geschäft kartellrechtlich unbedenklich ist oder einer Genehmigung bzw. Benachrichtigung einer ausländischen Wettbewerbsbehörde bedarf (vgl. Rz. 5.121). Bei Ausbleiben der erforderlichen Genehmigung bzw. der Benachrichtigung kann das Geschäft später von der Wettbewerbsbehörde in Frage gestellt werden; möglicherweise drohen noch andere Sanktionen.

2. Gesellschaftsrechtliche Genehmigungen 1.161

Bei Geschäften mit Gesellschaften ist nicht nur die Vertretungsmacht ihrer Organe zu überprüfen (dazu Rz. 6.141 ff.). In manchen Rechtsordnungen gelten Rechtsgeschäfte, deren Wert einen bestimmten Prozentsatz der Bilanzaktiva einer juristischen Person überschreitet, als Großgeschäfte und bedürfen der Zustimmung der Gesellschafterversammlung (Aktionärsversammlung) bzw. in bestimmten Fällen des Aufsichtsrates der Gesellschaft. Unterbleibt eine solche förmliche im Voraus abgegebene Zustimmung, so kann das Geschäft später von den 1 Dazu Ostendorf/Kluth, § 17 C. 2 Vgl. Döser, JuS 2000, 246 (253 f.). 3 S. zu Eingriffsnormen Rz. 5.1 ff. sowie bei den einzelnen Vertragstypen. – Zu den jeweiligen außenhandelsrechtlichen, unions- und völkerrechtlichen Regeln für die einzelnen Geschäftszweige und Transaktionen s. auch Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2017. 4 Zur Vorlage einer Legal Opinion bzw. Opinion of Counsel vgl. Döser, JuS 2000, 456 (459); MaierReimer, Nochmals: Third Party Legal Opinion und das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, NJW 2014, 2613 ff. – Zur vorgeschriebenen Registrierung von Vertriebspartnern Detzer, FS Thume, S. 23 (26).

60 | Martiny

C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.165 § 1

Gesellschaftern (Aktionären) gerichtlich angefochten werden. Um dieses Risiko auszuschließen, sollte die Vorlage entsprechender Dokumente verlangt werden.

3. Vertragsinhalt Je nach Vertragsgegenstand und -typ stellen sich unterschiedliche Rechtsfragen und sind unterschiedliche Hilfsmittel zugänglich. Die Quellen zu manchen Vertragstypen – insbesondere Kauf- und Vertriebsverträgen – sind verhältnismäßig gut erschlossen. Über einzelne Institutionen und spezielle Handbücher ist ein schneller Zugriff auf Informationen möglich. Vielfach stehen Formulare (model forms, standard forms), Allgemeine Geschäftsbedingungen (general conditions), Vertragsmuster (model contracts) oder Musterklauseln (model contract clauses) zur Verfügung, die nach entsprechender Überprüfung in Gänze, teilweise oder jedenfalls für die Vorbereitung eines individuellen Vertrages herangezogen werden können1. Auch einzelne IHK bieten fremdsprachige Musterverträge an. Gedruckt findet man sie vielfach in Werken zur Vertragsgestaltung (z.B. Münchener Handbuch der Vertragsgestaltung), in Handbüchern zu bestimmten Vertragstypen oder einer Branche. Teilweise sind auch Verzeichnisse dieser Muster veröffentlicht worden2.

1.162

Internationale, europäische und nationale Institutionen sowie Verbände und deutsch-ausländische Handelskammern bieten häufig Regelwerke für einzelne Vertragstypen oder Klauseln selbst oder über einen Verlag an (vgl. Rz. 1.151 ff.). Zu nennen ist etwa das International Trade Centre (ITC)3 sowie die Internationale Handelskammer in Paris (ICC). Für Bauvorhaben sind insbesondere die Muster der FIDIC zu erwähnen (s. Rz. 14.1). Hierbei handelt es sich um Allgemeine Bedingungen, wobei die auf das konkrete Projekt zugeschnittenen Vereinbarungen noch in „Besonderen Bedingungen“ festzuhalten sind.

1.163

Zu den Anbietern unter den europäischen Verbänden gehört orgalime, zu den nationalen Verbänden etwa der VDMA. Auch manche Verlage bieten spezielle Muster für Auslandsverträge an, z.B. der Deutsche Fachverlag (Fachmedien Recht und Wirtschaft) in der Serie „Heidelberger Musterverträge“4. Ferner finden sich Vertragsformulare in den Datenbanken kommerzieller Anbieter (z.B. LexisNexis, Westlaw). Einzelne Vertragsmuster sind über das Internet zugänglich5. Auch hier gilt, dass Qualität ihren Preis hat. Überprüfungen der Terminologie sind anhand von deutsch-ausländischen Übersetzungen und Vertragsmustern in Büchern oder Artikeln, teilweise auch über das Internet möglich.

1.164

Zwar gibt es bestimmte Üblichkeiten für den Aufbau internationaler Wirtschaftsverträge6. Was im Einzelnen geregelt werden muss, bestimmt sich aber vor allem nach dem individuellen Vertrag und dem Vertragstyp. Schon die Überschrift des Vertrages kann eine Klarstellung enthalten, worum es gehen soll7 (z.B. Handelsvertretervertrag und nicht nur „Vertriebsver-

1.165

1 Nachw. bei Detzer, FS Thume, S. 23 f. – Krit. von Westphalen, ZVglRW 102 (2003), 53 ff. 2 Zu den in gedruckter Form und im Internet vorhandenen Vertragsmustern s. den Leitfaden „Fundstellen von Musterverträgen für den Geschäftsverkehr mit dem Ausland“, 2. Aufl. 2009, der Industrie- und Handelskammer zu Lübeck, Geschäftsbereich International. 3 International Trade Centre, Model Contracts for Small Firms (2010); International Trade Centre, Cross-border contracting (2018), S. 23 ff. 4 Z.B. Stadler, Internationale Lieferverträge, Heidelberger Musterverträge, 4. Aufl. 2014. 5 S. etwa bei International Trade Centre, http://www.tradeforum.org/Juris-International-Web-Site/. 6 Dazu Ostendorf/Kluth, § 2. 7 Zur Präambel (Recitals) Döser, JuS 2000, 456 f.; Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 32.

Martiny | 61

§ 1 Rz. 1.165 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

trag“, damit deutlich wird, dass es sich nicht um einen Eigenhändlervertrag handelt); in vielen Ländern gibt es mehrere Arten von Handelsvertretern (vgl. Rz. 23.89 ff.). Es ist klarzustellen, was gewollt ist. Spezifische Risiken verlangen spezifische Klauseln, z.B. Fragen des Im- und Exports, Preis und Zahlungsbedingungen, Währungsfragen. Eine salvatorische Klausel (saving clause bzw. severability clause), wonach der restliche Vertragsinhalt trotz Unwirksamkeit eines Teils gültig sein soll, empfiehlt sich regelmäßig1. Eine Klausel über die Auslegung des Vertrages selbst kann angebracht sein.

1.166

In der internationalen Vertragspraxis werden bestimmte englischsprachige Standardklauseln (Boilerplate Clauses) immer wieder verwendet2. Diese entstammen vielfach dem anglo-amerikanischen Recht. Zu beachten ist, dass bei ihrer Auslegung ihre Herkunft zu berücksichtigen ist. Welche Wirkung sie letztlich haben, bestimmt allerdings das jeweils maßgebliche Vertragsstatut3.

1.167

Die Rechte und Pflichten der Parteien sollten möglichst genau beschrieben werden. Dies gilt bei Lieferung und Werkvertrag auch für die Abnahme. Eine Klarstellung bezüglich Gewährleistung und Haftung ist angebracht4. Die Voraussetzungen und Folgen von Pflichtverletzungen (z.B. Verzug) können im Einzelnen geregelt werden. Dazu gehören etwa der Rücktritt vom Vertrag und Ansprüche auf Schadensersatz (gegebenenfalls Vertragsstrafen)5. Auch die Produkthaftung sollte gegebenenfalls näher geregelt werden.

1.168

Die Laufzeit des Vertrages sollte, wenn möglich, bestimmt werden. Bei unbefristeter Vertragsdauer sind gegebenenfalls Einschränkungen durch zwingende Vorschriften über die Kündigung zu beachten. Die Rechtsfolgen einer Vertragsbeendigung sollten geregelt werden. Bei einzelnen Verträgen, wie bei Vertriebshändlern (insbesondere Handelsvertretern) kann unabdingbar ein Ausgleichsanspruch vorgeschrieben sein. Hier sollte ein noch verbleibender Regelungsspielraum ausgenutzt werden (vgl. Rz. 23.160 ff.). Vertragliche Wettbewerbsabreden sollten auf ihre Zulässigkeit hin überprüft und präzisiert werden.

1.169

Nach Möglichkeit sollten länderspezifische Klauseln verwendet werden6. Des Öfteren werden Vertragstexte, die für inländische Verhältnisse entwickelt wurden, auch für Auslandsverträge verwendet. Dagegen ist nichts einzuwenden, solange außenwirtschaftliche und länderspezifische Besonderheiten berücksichtigt werden. Insbesondere ist das Bestehen in- und vor allem ausländischen zwingenden Rechts zu prüfen. Im Übrigen verlangen bestimmte länderspezifische Risiken Vorsorge. Daher wurden vielfach besondere Lieferbedingungen für das Ausland verwendet. Aber auch für Auslandsverträge entwickelte Verträge und Muster sind nicht pauschal und ohne Änderungen in allen Ländern verwendbar. Häufig besteht eine besondere Fas1 Vgl. Döser, JuS 2000, 663 (664); Ostendorf/Kluth, § 11 D; Triebel/Vogenauer S. 148 f. – S. aber zur möglichen Unwirksamkeit Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 40. 2 International Trade Centre, Cross-border contracting (2018), S. 105 ff. – Dazu auch Ostendorf/ Kluth, § 2A II. 3 Dazu DiMatteo, S. 59 ff. – S. die länderspezifischen Untersuchungen der Klauseln zu: Entire agreement, No waiver, No oral amendments, Severability, Conditions/essential terms, Sole remedy, Subject to contract, Material adverse change, Liquidated damages, Indemnity, Representations and warranties, Hardship und Force majeure bei Cordero-Moss (Hrsg.), Boilerplate Clauses (Oxford 2011). 4 International Trade Centre, Cross-border contracting (2018), S. 97 ff.– Zu anglo-amerikanischen Haftungserklärungen Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 33 ff. 5 Triebel/Vogenauer, S. 134 ff. – Zu Leistungsstörungen vgl. Döser, JuS 2000, 663 f. 6 Zu „gefährlichen Ländern“ beim Vertrieb Detzer, FS Thume, S. 23 (29 ff.).

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C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.173 § 1

sung für die Verwendung in EU/EWR-Staaten. In jedem Fall ist zumindest eine Überprüfung des Vertragsentwurfs notwendig. Anglo-amerikanische Verträge sind regelmäßig besonders umfangreich. Es werden (im Hinblick auf dominierendes Fallrecht und weit reichende Vertragsfreiheit) alle Eventualitäten geregelt1. Eine Klausel über die Vertragsauslegung kann angebracht sein (vgl. auch Rz. 3.106 ff.). Zu beachten ist, dass äußere Umstände für die Vertragsauslegung oft nicht oder nur sehr begrenzt herangezogen werden dürfen. Wenn die Vertragsformulierung keine Zweifel aufwirft, wird der Vertrag nach der „four corners“ rule des Common Law aus sich selbst heraus ausgelegt.

1.170

4. Form- und Beweisfragen Das ausländische Recht stellt des Öfteren strengere Anforderungen an die Form als das deutsche Recht (vgl. Rz. 5.102; zum Warenkauf Rz. 25.54). Darüber hinaus haben sich bei einigen ausländischen Behörden – vor allem Zoll- und Steuerbehörden – in der Praxis Abläufe entwickelt, welche bestehende Formvorschriften noch weiter verschärften. Auch wenn eine solche Behördenpraxis keine Rechtsquelle im eigentlichen Sinne darstellt, ist sie doch für eine schnelle und konfliktlose Geschäftsabwicklung (z.B. die Zollfreigabe) von Bedeutung. In manchen Ländern bedürfen viele Arten von Verträgen zwischen deutschen und ausländischen Unternehmen grundsätzlich der Schriftform. Die Nichtbeachtung der Schriftform hat die Unwirksamkeit des außenwirtschaftlichen Geschäftes zur Folge. Ferner können negative steuerliche Folgen eintreten.

1.171

Der Austausch von Mitteilungen per E-Mail ist zwar weit verbreitet. Regelmäßig ersetzt er aber die Schriftform nur, wenn dabei speziell registrierte Digitalsignaturen verwendet werden. Es empfiehlt sich deshalb, bei Geschäften mit dem ausländischen Partner den Vertrag (auch) in herkömmlicher Papierform zu erstellen, unterschreiben zu lassen und Originalausfertigungen des Vertrages auszutauschen. Zweifelsfragen können durch eine vertragliche Klarstellung vermieden werden2. Der Vertrag kann vorsehen, dass die Kommunikation bei seiner Abwicklung auch per E-Mail oder über andere elektronische Kommunikationsmittel erfolgen kann.

1.172

Die notarielle Form der Verträge spielt vor allem für Immobiliengeschäfte (vgl. Rz. 21.39 ff.) und gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen eine Rolle (vgl. Rz. 5.202 ff.). Manchmal findet sie aber im Ausland seltener Anwendung als in Deutschland. Beispielsweise können Geschäftsanteile an Gesellschaften mit beschränkter Haftung oder Immobilien ohne Heranziehung eines Notars veräußert bzw. belastet werden. Bei dieser Art von Verträgen kann die einfache Schriftform genügen. Die Wirksamkeit des Vertrages bzw. des Eigentumsüberganges aufgrund Vertrages kann von der Eintragung des Geschäftes durch eine Behörde oder ein Gericht abhängen. Eine solche Eintragung kann für die Übertragung von Geschäftsanteilen und bei Immobiliengeschäften notwendig sein.

1.173

1 Dazu Lundmark, FS Sandrock, S. 623 ff.; Lundmark, RIW 2001, 187 ff.; Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 27 ff. 2 Zu Schriftformvereinbarungen Ostendorf/Kluth, § 11 C. – S. auch Art. 2.1.218 UNIDROIT-Principles 2016.

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§ 1 Rz. 1.174 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

5. Geschäftspartner 1.174

Die Feststellung der Identität des Geschäftspartners, d.h. der Person und eine genaue Bestimmung des Geschäftspartners bei Abschluss eines außenwirtschaftlichen Vertrages ist an sich eine Selbstverständlichkeit. Name (genaue handelsrechtliche Firmenbezeichnung), Anschrift, Rechtsform, gesetzlicher Vertreter (Überblick über die Handelsgesellschaften Rz. 6.187 ff.), Sitz und Niederlassung sollten aufgeführt werden. Das kann in einer eigenen Vertragsbestimmung, die Begriffe wie Vertragsparteien, Käufer und Verkäufer, näher bezeichnet, geschehen. Vollmachten bedürfen der Überprüfung (Rz. 6.381 ff.). Das ausländische Firmenrecht lässt teilweise zu, dass mehrere Gesellschaften mit ähnlichen Firmennamen bestehen. Folglich können dieselben oder miteinander bekannte Personen Inhaber mehrerer Gesellschaften sein, deren Firmennamen sich nur unwesentlich voneinander unterscheiden. Sollen Ansprüche aus einem gestörten Vertragsverhältnis durchgesetzt werden, so ist entscheidend, mit welcher Gesellschaft der Vertrag tatsächlich abgeschlossen wurde. Unliebsame Überraschungen können auch drohen, wenn nicht beachtet wird, ob im gegebenen Fall mit der Mutter- oder der Tochtergesellschaft bzw. mit welcher Tochtergesellschaft in welchem Land kontrahiert wurde.

1.175

Bei staatlichen Partnern können besondere Beschränkungen (Einschränkungen der Rechtsstellung, Genehmigungserfordernisse, Fehlen der Gerichtsbarkeit) in Betracht kommen, welche die Wirksamkeit oder Durchsetzbarkeit des Geschäfts gefährden.

6. Vertrags- und Verhandlungssprache 1.176

Die Verwendung einer oder mehrerer Sprachen kann vereinbart werden. Die Wahl der Verhandlungssprache kann Bedeutung für das Zustandekommen von vertraglichen Vereinbarungen und für die Vertragsauslegung haben1 (vgl. Rz. 3.3 ff., Rz. 3.113). Der Vertrag kann in einer oder mehreren Sprachen abgefasst werden (Vertragssprache). Bestehen mehrere Sprachfassungen, so ist festzulegen, welcher Wortlaut gelten soll. Das kann die deutsche Fassung sein. Möglich ist aber auch eine Festlegung, dass beide Fassungen gleichberechtigt gelten sollen (vgl. Rz. 3.114). Andernfalls ist klarzustellen, welche Fassung das Original und welche die Übersetzung sein soll.

1.177

Bei der Verwendung von Fremdsprachen sind exakte Übersetzungen und der richtige Gebrauch der ausländischen Terminologie von größter Bedeutung2. Des Öfteren stehen mehrsprachige Fassungen oder zuverlässige Übersetzungen zur Verfügung. Bereits vorliegende Formulare und Musterverträge in fremder Sprache können herangezogen werden. Ist eine Übersetzung aus dem Deutschen anzufertigen, so ist zunächst zu überprüfen, welche Terminologie in der Ausgangssprache benutzt worden ist (deutsche, österreichische, schweizerische oder auch europarechtliche Terminologie). Das deutsche Wort muss nicht immer dasselbe bedeuten. Auch in der Zielsprache kommen häufig mehrere Alternativen in Betracht (z.B. englische, US-amerikanische oder europarechtliche Terminologie).

1.178

Die tatsächliche Verwendung der ausländischen Terminologie in Rechts- und Vertragspraxis kann heute mithilfe des Internets wesentlich leichter überprüft werden als früher. Auch

1 Germain/DiMatteo, Language and translation issues, in DiMatteo/Jansssen/Magnus/Schulze, S. 16 ff. – Nachw. zur Sprachproblematik bei Döser, JuS 2000, 246 (247 ff.); Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 12 ff. 2 Walz, Notar 2015, 111 ff.– Zu Fehlerquellen Triebel/Vogenauer, S. 23 ff.

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C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.182 § 1

Rechtswörterbücher in der Zielsprache können eine gute Hilfe sein. Ohne Fach- bzw. Rechtskenntnisse ist der Übersetzer oder Dolmetscher regelmäßig nicht in der Lage, eine richtige Übersetzung zu liefern. Es ist sicher zu stellen, dass nicht nur „translatorese“ produziert wird, das im Konfliktfall nicht stand hält1. Zahlreiche Bücher über deutsch-ausländische Rechtssprachen mit Übersetzungsbeispielen stehen zur Verfügung. Die Verlässlichkeit der Angaben in deutsch-ausländischen Rechtswörterbüchern ist freilich nicht immer gegeben. Amtliche Übersetzungen von Staatsverträgen, andere Sprachfassungen von Verordnungen und Richtlinien sind manchmal eine Hilfe. Auch eine Überprüfung über das europäische System IATE (Inter Active Terminology for Europe) des Übersetzungszentrums der EU in Luxemburg2 kann hilfreich sein.

1.179

Allerdings ist Vorsicht gegenüber fremdsprachigen Standardklauseln angebracht (s. Rz. 1.166). Über die richtige Auslegung eines fremdsprachigen Ausdrucks entscheidet letztlich das Vertragsstatut (die lex causae)3.

1.180

7. Anwendbares Recht Teilweise gilt Einheitsrecht bereits kraft Gesetzes (z.B. CISG, Transportrechtskonventionen). Ist das der Fall, so bedarf es keiner Vereinbarung. Stattdessen ist zu prüfen, ob die Geltung des Einheitsrechts ausgeschlossen werden soll und kann (opting out; vgl. Rz. 25.40 ff. zum CISG). Allerdings kann die Anwendung des Einheitsrechts über seinen Anwendungsbereich hinaus vereinbart werden4. Im Übrigen ist regelmäßig eine Rechtswahlklausel angebracht5. Sie kann im Konfliktfall langwierige Streitigkeiten über das anwendbare Recht und erhebliche Nachteile vermeiden. Zur Zweckmäßigkeit der Wahl einer bestimmten Rechtsordnung ist jedoch keine generelle Aussage möglich. Sie muss in jedem Einzelfall analysiert werden6. Vor der Wahl einer Rechtsordnung, von der man nur eine vage Vorstellung hat (etwa als „neutrales“ Recht), ist zu warnen7. Das gilt auch für das schweizerische Recht8. Auch die Tücken des deutschen AGB-Rechts sind zu bedenken9.

1.181

Zunächst einmal ist festzustellen, ob freie Rechtswahl möglich und erlaubt ist (Parteiautonomie). Das ist vom inländischen Standpunkt aus meist der Fall, allerdings können einzelne zwingende Vorschriften zu beachten sein. Wenn Wirksamkeit ebenfalls aus der Sicht des Auslands angestrebt wird, ist die Zulässigkeit der Rechtswahl und das Bestehen von zwingendem Recht auch aus der Sicht des jeweiligen ausländischen Rechts zu prüfen. Entscheidend ist, ob die konkrete Vertragsgestaltung nach der gewählten Rechtsordnung wirksam und sinnvoll ist (s. etwa für Handelsvertreter- und Vertragshändlerverträge Rz. 23.1 ff., Rz. 37.1 ff.).

1.182

1 S. auch Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 17. 2 https://iate.europa.eu/. 3 Näher Magnus, Fremdsprachige Verträge unter deutschem Vertragsstatut – Auslegungsregeln für internationale Verträge, FS Schwenzer (Bern 2011), S. 1153 ff. 4 Vorpeil, IWB 2020, 438 (446 f.) zum CISG. 5 International Trade Centre, Cross-border contracting (2018), S. 114 ff. 6 Näher dazu Mankowski, RIW 2003, 2 ff.; Mallmann, NJW 2008, 2953 ff. 7 Vorpeil, IWB 2020, 438 (440). 8 Vorpeil, IWB 2020, 438 (441). – Dazu Pfeiffer, FS von Westphalen, S. 555 ff.; Voser/Boog, RIW 2009, 126 ff. 9 Vorpeil, IWB 2020, 438 (440).

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§ 1 Rz. 1.183 | Grundlagen und Vertragsgestaltung

1.183

Die Wahl des anzuwendenden Rechts ist mit der Vertragssprache und dem verwendeten rechtlichen Begriffsapparat sinnvoll zu verknüpfen. Beim Zugrundelegen deutscher Vertragsmuster oder -vorlagen ist ihre Verwendbarkeit für Fälle mit Auslandsberührung unbedingt zu prüfen. Insbesondere solche Rechtsinstitute wie die Einbeziehung von AGB, Eigentumsvorbehalt und Pfandrechte haben im ausländischen Recht teilweise andere Inhalte und Folgen als im deutschen Recht.

8. Sicherheiten 1.184

Welche Sicherheiten in Betracht kommen, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Dazu gehören die Art des zu sichernden Geschäfts, die Art der Sicherung sowie die Rechtsordnung, vor der sie Bestand haben sollen. Im allgemeinen sind dingliche und persönliche Sicherheiten zu unterscheiden1. Bei Mobiliarsicherheiten ist zu prüfen, ob sie im Ausland anerkannt werden und insolvenzfest sind (vgl. Rz. 25.140 ff.). Teilweise ist Eintragung erforderlich. Persönliche Sicherheiten wie Bürgschaften und Garantien sind auch bei Geschäften mit Auslandsberührung häufig (vgl. Rz. 16.1 ff.). Besondere Sorgfalt ist notwendig für die Formulierung des Sicherungszwecks, die Durchsetzbarkeit (z.B. „auf erstes Anfordern“), für Formfragen, aber auch im Hinblick auf mögliche Beschränkungen für die Abgabe wirksamer Erklärungen durch verheiratete Personen (z.B. Ehegattenbürgschaften, vgl. Rz. 6.792).

IV. Vertragsdurchsetzung und Streiterledigung 1.185

Auch für den Konfliktfall ist Vorsorge zu treffen2. Hier kommt es darauf an, ob noch die Erfüllung bzw. eine Durchführung des Vertrages gesichert werden soll oder es nur um eine Regelung zur Absicherung für Sekundäransprüche wie Schadensersatz gehen soll. Verhandlungsklauseln sichern die Pflicht zu Verhandlungen etwa bei Änderungen oder Schwierigkeiten.

1.185a

Sowohl das europäische, das deutsche als auch das ausländische Recht lassen bei grenzüberschreitenden Verträgen im Allgemeinen zu, dass der Gerichtsstand für mögliche Streitigkeiten im Vertrag bestimmt wird (vgl. die Klauselbeispiele Rz. 7.198 ff.). Gesetzliche Beschränkungen bestehen vielfach für Verbraucher, Versicherungsnehmer und Arbeitnehmer, teilweise auch für Vertriebsmittler (vgl. Rz. 7.121 ff.). Die Gerichtsstandswahl ist eine entscheidende Weichenstellung dafür, ob eine Rechtswahlklausel am Gerichtsort überhaupt honoriert wird. Die Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstands ist zwar grundsätzlich vorteilhaft. Allerdings sind die Konsequenzen für einen effektiven Rechtsschutz zu überlegen3. Möglicherweise können inländische Gerichtsentscheidungen im Staat des Vertragspartners nicht oder nur schwer anerkannt und vollstreckt werden4. Die inländische Partei kann auch bei einer Klage gegen die ausländische Partei vor einem deutschen Gericht zunächst mit möglicherweise zeitraubenden Problemen der Zustellung der Klageschrift und anderer Prozessdokumente konfrontiert sein. Die Vereinbarung eines ausschließlichen inländischen Gerichtsstandes kann der deutschen Partei zudem den Zugang zu den ausländischen Gerichten versperren. Ist eine Gerichtsstandsvereinbarung unzweckmäßig und unterblieben, so kann jede der Parteien bei Not1 Vgl. Tauber, Bank-Praktiker 2008, 186 ff. 2 Zu Streiterledigungsklauseln International Trade Centre, Cross-border contracting (2018), S. 114 ff.; Ostendorf/Kluth, § 14. – Umfassender Überblick bei Bachofner/Grolimund u.a., Streitbeilegung, in Kronke/Melis/Kuhn (Hrsg.), Handbuch Internationales Wirtschaftsrecht, S. 1091 ff. 3 Vgl. auch Döser, JuS 2000, 663 (665 f.). – Zur möglichen Unbeachtlichkeit nach ausländischem Recht Detzer, FS Thume, S. 23 (25 f.). 4 Näher Schütze, Rechtsverfolgung im Ausland, RIW 2007, 801 ff. m.w.N.

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C. Grundsätze und praktische Hinweise zur Vertragsgestaltung | Rz. 1.188 § 1

wendigkeit gegen die andere Partei im Heimatland des Beklagten klagen und im Falle des Obsiegens vollstrecken. Eine Schiedsvereinbarung kann in Form einer selbständigen Vereinbarung (Schiedsabrede) oder in Form einer Klausel in einem Vertrag (Schiedsklausel) geschlossen werden (vgl. § 1029 Abs. 2 ZPO; Klauselbeispiele in Rz. 7.498 ff.). Für Schiedsgerichtsklauseln bestehen vielfache Muster. Zugang zu ihnen findet man regelmäßig in der gleichen Weise wie zu anderen Vertragsmustern. Schiedsgerichte können nach den Regeln des Schiedsgerichtshofs der Internationalen Handelskammer (International Court of Arbitration) gebildet werden. Schiedsgerichte bestehen häufig auch bei Außenhandelskammern, so z.B. das Schiedsgericht der DeutschPolnischen Industrie- und Handelskammer. In der Schiedsvereinbarung kann sogleich auf die jeweilige Schiedsordnung Bezug genommen werden. Die Schiedsvereinbarung erlaubt regelmäßig einen Einfluss auf den Ort des Verfahrens, die Zusammensetzung des Gerichts und das Verfahren. Auch hier sind aber Beschränkungen zugunsten der schwächeren Vertragspartei zu beachten (s. Rz. 19.131 ff. [Finanzmarktverträge], Rz. 7.377 ff. [Verbraucherverträge]).

1.186

Schiedssprüche können sowohl im Ausland als auch in Deutschland aufgrund von entsprechenden völkerrechtlichen Verträgen (insb. des New Yorker Abkommens von 1958) anerkannt und vollstreckt werden, vgl. Rz. 7.227 ff.

1.187

Zunehmend finden auch Schlichtung (conciliation) und Mediation Verbreitung. Eine entsprechende Vereinbarung kann geschlossen werden (s. Rz. 7.216 ff.). Hierfür bestehen Muster internationaler, bilateraler, aber auch nationaler Organisationen1.

1.188

1 S. etwa die mehrsprachigen Mediationsklauseln der ICC, http://www.iccwbo.org/. Zugang zu Klauseln auch über das International Mediation Institute.

Martiny | 67

§2 Bestimmung des Vertragsstatuts A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) . . . 2.1 I. Parteiautonomie . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 1. Grundsatz der Parteiautonomie 2.1 2. Rechtswahl der Parteien . . . . . . 2.8 3. Rechtswahlvereinbarung . . . . . 2.15 a) Grundlage des Verweisungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . 2.15 b) Zustandekommen des Verweisungsvertrages (Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO) . . . . . . . . 2.20 c) Inhalts- und Transparenzkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . 2.23 d) Form des Verweisungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.32 4. Mangel objektiver Beziehung . . 2.34 5. Teilweise Rechtswahl . . . . . . . . 2.38 6. Veränderung des gewählten Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.46 7. Wahl außerstaatlichen Rechts . 2.47 a) Kollisionsrechtliche Unzulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.47 b) Allgemeine Rechtsgrundsätze, Vertragsgrundregeln . . . . . . 2.49 c) Lex Mercatoria . . . . . . . . . . 2.53 d) „Rechtsordnungslose Verträge“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.63 e) Verweisung auf Völkerrecht 2.64 8. Stabilisierungs- und Versteinerungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . 2.66 a) Art der Klauseln . . . . . . . . . 2.66 b) Kollisionsrechtliche Wirkung 2.72 9. Offenlassen der Rechtswahl im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.75 II. Stillschweigende Rechtswahl . . . . . 2.77 1. Maßgeblichkeit des Parteiwillens 2.77 2. Hinweise auf den stillschweigenden Willen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.82 a) Indizwirkung . . . . . . . . . . . 2.82 b) Gerichtsstandsklausel . . . . . 2.86 c) Schiedsklausel . . . . . . . . . . . 2.92 d) Verhalten im Rechtsstreit . . 2.100 e) Einheitlicher Erfüllungsort . 2.108 f) Bezugnahme auf ein Recht . 2.111 g) Vertragssprache . . . . . . . . . 2.116 h) Formulare und Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . 2.117 i) Vertragspraxis der Parteien 2.124

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III. Nachträgliche Rechtswahl . . . . . . . 2.126 1. Änderung der Rechtswahl . . . . 2.126 2. Formgültigkeit und Rechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.131 IV. Zwingende Vorschriften . . . . . . . . 2.135 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 2.135 2. Fehlender Auslandsbezug . . . . 2.137 3. Binnenmarktsachverhalt . . . . . 2.141 4. Andere Vorschriften . . . . . . . . . 2.145 V. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.147 B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) . . . . 2.155 I. System der objektiven Anknüpfung 2.155 II. Vertragsspezifische Anknüpfung . 2.157 1. Auflistung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.157 2. Warenkauf (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . 2.159 3. Dienstleistungsverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) . . . . . . 2.160 4. Grundstücksverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO) . . . . . . 2.161 5. Kurzfristige Miet- und Pachtverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. d Rom IVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.163 6. Franchiseverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. e Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . 2.165 7. Vertriebsverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . 2.166 8. Kauf durch Versteigerung (Art. 4 Abs. 1 lit. g Rom I-VO) . . . . . . 2.167 9. Multilaterales System (Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO) . . . . . . 2.168 III. Gemischte Verträge . . . . . . . . . . . . 2.170 1. Arten der gemischten Verträge 2.170 2. Vertrag mit andersartiger Nebenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.173 3. (Typen-) Kombinationsvertrag 2.174 4. Austauschvertrag mit anderstypischer Gegenleistung . . . . . . 2.175 5. Typenverschmelzungsvertrag . 2.176 IV. Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.177

Bestimmung des Vertragsstatuts | § 2 1. Herstellung der engsten Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.179 a) Begriff der charakteristischen Leistung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.179 b) Zeitpunkt des Vertragsabschlusses . . . . . . . . . . . . . . 2.188 2. Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . 2.189 3. Lokalisierung der charakteristischen Leistung . . . . . . . . . . . . . . 2.192 4. Einzelne Fälle der charakteristischen Leistung . . . . . . . . . . . . . . 2.193 5. Gemischte Verträge im Rahmen von Art. 4 Abs. 2 Alt. 1 Rom IVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.200 a) Einordnung des Vertrages . . 2.200 b) Vertrag mit andersartiger Nebenleistung . . . . . . . . . . . . . . 2.201 c) (Typen-) Kombinationsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.202 d) Austauschvertrag mit anderstypischer Gegenleistung . . . 2.203 e) Typenverschmelzungsvertrag 2.205 6. Nichtbestimmbarkeit der charakteristischen Leistung . . . . . . . . . 2.206 7. Mehrfach erfasste Verträge (Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO) . . . . . . 2.211 a) Arten der Verträge . . . . . . . . 2.211 b) Vertrag und Vertragsbestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.213 c) Maßgeblicher Beurteilungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . 2.214 d) Vertragstyp und charakteristische Leistung . . . . . . . . . . . 2.216 e) Anknüpfung nach der engsten Verbindung . . . . . . . . . . 2.217 f) Arten mehrfach erfasster gemischter Verträge . . . . . . . . 2.218 aa) Einordnung gemischter Verträge . . . . . . . . . . . . . 2.218 bb) Vertrag mit andersartiger Nebenleistung . . . . . . . . 2.219 cc) (Typen-) Kombinationsvertrag . . . . . . . . . . . . . . 2.220 dd) Verträge mit anderstypischer Gegenleistung . . . 2.221 ee) Typenverschmelzungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . 2.222 V. Engere Verbindung (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.223 1. Funktion der engeren Verbindung 2.223 2. Ausweichklausel . . . . . . . . . . . . 2.226 3. Zusammenhängende Verträge . 2.231 a) Mehrere Verträge . . . . . . . . . 2.231

b) c) d) e) f)

VI.

VII. VIII. C. I. II.

III.

Vertragsverbindung . . . . . . . 2.233 Zusammengesetzte Verträge 2.234 Angelehnte Verträge . . . . . . 2.235 Sicherungsverträge . . . . . . . 2.236 Ausfüllen von Rahmenverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.237 g) Vorbereitung des Hauptvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.239 4. Gemischte Verträge . . . . . . . . . . 2.242 Engste Verbindung (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.243 1. Maßgeblichkeit der engsten Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.243 a) Begriff der engsten Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.243 b) Gesamtheit der Umstände . 2.249 2. Abtrennbarkeit eines Vertragsteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.251 3. Hinweise auf die engste Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.252 a) Indizwirkung . . . . . . . . . . . . 2.252 b) Gewöhnlicher Aufenthalt, Niederlassung . . . . . . . . . . . 2.256 c) Staatsangehörigkeit . . . . . . . 2.259 d) Beteiligung der öffentlichen Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.263 e) Währung . . . . . . . . . . . . . . . 2.264 f) Abschlussort . . . . . . . . . . . . 2.265 g) Mitwirkung eines Notars oder Richters . . . . . . . . . . . . 2.270 h) Mitwirkung eines Maklers . 2.272 i) Favor negotii . . . . . . . . . . . . 2.273 j) Hypothetischer Parteiwille . 2.274 k) Recht der Flagge . . . . . . . . . 2.275 Revisibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.276 Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.277 Gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 19 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.285 Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.285 Gewöhnlicher Aufenthalt von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . 2.287 Gewöhnlicher Aufenthalt natürlicher Personen (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . 2.290 1. Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts . . . . . . . . . . . . 2.290 2. Geschäftliche Tätigkeit . . . . . . . 2.291 3. Hauptniederlassung . . . . . . . . . 2.293

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§ 2 | Bestimmung des Vertragsstatuts 4. Nicht berufliche Tätigkeit . . . . IV. Andere Niederlassung (Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . V. Zeitpunkt (Art. 19 Abs. 3 Rom IVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Rück- und Weiterverweisung (Art. 20 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . .

2.295 2.297 2.299

E. Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (Art. 22 Rom I-VO) . . . . I. Rechtsspaltung . . . . . . . . . . . . . . . . II. Innerdeutsches Kollisionsrecht . . . F. Ordre public (Art. 21 Rom I-VO)

2.305 2.305 2.311 2.316

2.300

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) I. Parteiautonomie 1. Grundsatz der Parteiautonomie 2.1

Die Beziehungen zwischen den Parteien eines schuldrechtlichen Vertrages werden grundsätzlich nach dem Recht beurteilt, von dessen Regelungen die Parteien ausgingen (Vertragsstatut). Das Prinzip der freien Rechtswahl findet sich in Art. 3 Rom I-VO. Parteiautonomie besteht auch für außervertragliche Schuldverhältnisse (Art. 14 Rom II-VO; dazu Rz. 4.5 ff.) sowie in eingeschränkter Form im Güterrecht (Art. 22 EuGüVO), für die Ehescheidung (Art. 5 Rom III-VO), ferner im Erbrecht (Art. 22 EuErbVO)1. Wenngleich die Rechtswahlfreiheit un1 Näher Arnold, Gründe und Grenzen der Parteiautonomie im Europäischen Kollisionsrecht in Arnold (Hrsg.), Grundfragen des Europäischen Kollisionsrechts (2016), S. 23 ff.; Maultzsch, Parteiautonomie im Internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht, in von Hein/Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016), S. 153; Hilbig-Lugani, Parteiautonomie im Zusammenspiel des neueren Europäischen Kollisionsrechts, DNotZ 2017, 739 ff.

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.5 § 2

terschiedlich stark ausgeprägt ist, kann man von einem allgemeinen Grundsatz des europäischen Kollisionsrechts sprechen1. Nach Art. 3 Rom I-VO muss die Rechtswahl ausdrücklich erfolgen oder sich eindeutig aus den Vertragsbestimmungen oder aus anderen Umständen ergeben. Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil treffen (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO). Die Rechtswahl ist abänderbar. Die Formgültigkeit des Vertrags und Rechte Dritter werden durch eine nach Vertragsschluss erfolgende Änderung der Bestimmung des anzuwendenden Rechts aber nicht berührt (Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO).

2.2

Die aus einem Vertrag entspringenden Rechtsbeziehungen entstehen deshalb, weil sie gewollt sind. Inhalt und Umfang der vertraglichen Bindung werden durch die Vereinbarung der Parteien bestimmt. Die einzelnen Rechtsordnungen geben den Parteien in ihrem materiellen Recht weiten Spielraum. Die sachrechtliche Parteifreiheit (Privatautonomie) wird zwar durch zwingende Vorschriften eingeschränkt. Solche Einschränkungen sind aber doch die Ausnahme; die Regel bildet die Parteifreiheit. Davon ist auch im Kollisionsrecht auszugehen. Die dort herrschende Freiheit der Rechtswahl wird allgemein als (kollisionsrechtliche) Parteiautonomie bezeichnet2.

2.3

Die Rechtsfolgen einer vertraglichen Abmachung sind nach der jeweiligen Rechtsordnung oft sehr verschieden; die unterschiedlichen Regelungen beruhen nicht nur auf einer anderen Bewertung von Parteiinteressen, sondern auch – und dies häufiger – auf einer „langen Rechtsgeschichte ohne alle Absicht, heutige Interessen zu beurteilen“3. Auf solche Regelungen stellen sich die Vertragsparteien ein, danach treffen sie ihre Kalkulationen und richten die Vertragsklauseln ein.

2.4

Bei ausschließlicher Inlandsberührung gehen die Parteien von den Regelungen des inländischen Rechts aus. Bei Auslandsberührung tun sie dies nicht in jedem Fall. Die Anwendung des Inlandsrechts ist nicht mehr selbstverständlich. Sie wird den Vertragsparteien nur dann gerecht, wenn sie bei ihren vertraglichen Abmachungen davon ausgingen. Sonst muss das Recht Anwendung finden, dessen Vorschriften die – oft nicht bewusste – Grundlage der vertraglichen Abmachungen bildeten, dessen Auswirkungen auf ihre vertraglichen Beziehungen sie voraussehen konnten. „Jede Rechtswahl ist ein Stück kaufmännischer Kalkulation, häufig genug Grundlage der Verteilung der Versicherungslast, damit Spiegelbild wirtschaftlicher Gegebenheiten“4. Die Anwendung des vereinbarten Rechts dient dem Gesichtspunkt der „Gerechtigkeit der einzelnen im Verhältnis zueinander“5. Folglich gibt die Parteiautonomie den Vertragspartnern die Möglichkeit, eine individuelle Lösung für die Rechtsanwendung zu finden6. Sie ist mehr als eine Verlegenheitslösung7.

2.5

1 Schmitz, S. 108 ff. 2 Kroll-Ludwigs, S. 48 f. – Vgl. Junker, IPRax 1993, 1 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 26 ff. 3 Basedow, RabelsZ 75 (2011) 32 ff. 4 Gamillscheg, AcP 157 (1958/59), 303 (316). 5 BGH v. 17.12.1959 – VII ZR 198/58, BGHZ 31, 367 (371). 6 Rühl, FS Kropholler, S. 187 (188). – Vgl. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 62; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 28. 7 Anders aber Kegel/Schurig, S. 653, weil ein allgemein einleuchtender Ausgleich der Parteiinteressen nicht möglich sei. – S. dazu auch Kühne, Liber amicorum Kegel (2002), S. 65 (66 f.); Leible, FS Jayme I, S. 485 ff.

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§ 2 Rz. 2.6 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.6

Nach Erwägungsgrund 11 bildet die freie Rechtswahl der Parteien einen der Ecksteine des Systems des internationalen Schuldvertragsrechts. Ihre Rechtfertigung findet die Parteiautonomie darin, dass sie nicht nur Partei- und Verkehrsinteressen dient, sondern regelmäßig auch die Rechtssicherheit schafft, die vor allem im internationalen Handel notwendig ist1. Die Versuche ausschließlich zwingender objektiver Anknüpfungen sind gescheitert. Generelle Anknüpfungsregeln können nicht alle denkbaren Interessen und Fallgestaltungen erfassen und schließlich ist der Wunsch, etwa ein besonders weit entwickeltes oder vertrautes Recht zu wählen, legitim2. Der Parteiautonomie sind allerdings Grenzen gesetzt. So ist etwa einer Rechtswahl dann die Beachtung zu versagen, wenn sie offensichtlich dem Missbrauch der wirtschaftlich übermächtigen Partei dient3. Die Auswirkungen einer Rechtswahl sind insoweit begrenzt, als sie viele Bereiche nicht erfassen können (etwa entgegenstehendes international zwingendes Recht, sachenrechtliche oder prozessuale Regeln) und die praktische Rechtsdurchsetzung noch nicht garantieren4. Eine Rechtswahl darf aber nicht deshalb unbeachtet bleiben, weil sich eine der Parteien nachträglich von ihr lösen möchte und auch das Gericht die ursprüngliche Wahl ausländischen Rechts für unzweckmäßig hält5.

2.7

Der Schutz der schwächeren Vertragspartei hat auch Eingang in das IPR gefunden. Hier muss zwar grundsätzlich die lex causae den Schutz des Schwächeren übernehmen. In einigen Fällen, insbesondere bei Verbrauchern und Arbeitnehmern, ist es jedoch geboten, auch die Rechtswahlfreiheit bzw. deren Folgen zu begrenzen. Das geltende Recht enthält daher Sonderregelungen für den Arbeitsvertrag (Art. 8 Rom I-VO), für bestimmte Verbraucherverträge (Art. 6 Rom I-VO, Art. 46b EGBGB), aber auch für Transportverträge (Art. 5 Rom I-VO) sowie Versicherungsverträge (Art. 7 Rom I-VO)6. Die Grenzen der Rechtswahl ergeben sich also aus den Art. 5 ff. Rom I-VO. Im Übrigen hat sich keine generelle kollisionsrechtliche Lösung für den Schutz der schwächeren Vertragspartei herausgebildet7. Allerdings können zwingende inländische und europäische Normen bei fehlender Auslandsberührung ohnehin nicht ausgeschaltet werden (Art. 3 Abs. 3, 4 Rom I-VO). Ferner wird international zwingendes Inlandsrecht auch gegen ein ausländisches Vertragsstatut nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO durchgesetzt (s. Rz. 5.59 ff.). Ähnliche Tendenzen finden sich ebenfalls in anderen Rechtsordnungen8.

2. Rechtswahl der Parteien 2.8

Art. 3 Rom I-VO geht vom Grundsatz der Parteiautonomie aus und befindet sich insoweit in Übereinstimmung mit der früheren deutschen Rechtsprechung. Die Vorschrift folgt insoweit

1 Roth, AcP 220 (2020), 458 (487 f.). 2 Näher zu den Parteierwartungen Vogenauer, Eur.Rev.Priv.L. 2013, 13 ff. 3 Simitis, JuS 1966, 209 (214 f.); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 27 ff. (Stand 1.6.2021) 4 Vgl. Oschmann, Faktische Grenzen der Rechtswahl, Festg. Sandrock (1995), S. 25 ff. 5 Anders LG Karlsruhe v. 8.6.1999 – O 12/98 KfH I, IPRspr. 1999 Nr. 32A = IPRax 2002, 532 abl. Anm. Jayme. 6 Vgl. Junker, IPRax 1993, 3 ff.; Schmitz, S. 271 ff.; Campo Comba, The law applicable to cross-border contracts involving weaker parties in EU private international law (2021). 7 Krit. zur Wahl der unterschiedlichen Ansätze Boskovic, D. 2008, 2175 ff. – S. auch schon Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57 (68). 8 Zu eigenen schweiz. zwingenden Normen s. Mächler-Erne/Wolf-Mettier in Basler Komm, Art. 18 IPRG Rz. 1 ff., zu fremden Mächler-Erne/Wolf-Mettier in Basler Komm, Art. 19 IPRG Rz. 1.– S. auch Mindach, Russische Föderation: Weitere Teilnovelle des Zivilgesetzbuches ändert IPR, WiRO 2014, 53 ff.

74 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.12 § 2

Art. 3 EVÜ. Das Prinzip der freien Rechtswahl war schon zuvor in den Rechten der EU-Mitgliedstaaten1 und in anderen Rechtsordnungen anerkannt2. Haben die Parteien eine Rechtswahl getroffen, so ist das vereinbarte Recht Vertragsstatut. Für die Schiedsgerichtsbarkeit ist dieser Grundsatz in § 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO niedergelegt (s. Rz. 7.452). Von zentraler Bedeutung sind die in der Praxis verwendeten Rechtswahlklauseln3. Diese Klauseln lassen sich nach Inhalt und Umfang in unterschiedlicher Weise systematisieren4. Zu nennen ist die Art des Zustandekommens durch Individualvereinbarung oder AGB (s. Rz. 2.15 ff.), ihr umfassender oder nur teilweiser Geltungsanspruch (Rz. 2.38 ff.), ihr Zeitpunkt (Rz. 2.126 ff.) sowie die Art der gewählten Rechtsordnung (Rz. 2.305). Wichtige Fragen sind dabei das wirksame Zustandekommen (Rz. 2.220 ff.) sowie teilweise auch die Form (Rz. 2.32 ff.). Bezüglich Zweckmäßigkeit und Gültigkeit ist der beabsichtigte Vertrag bzw. Vertragstyp von besonderer Bedeutung (s. dazu in Teil 2 sowie die Handlungsanleitung in Rz. 2.147 ff.).

2.9

Die Rechtswahl geht auf ein bestimmtes Recht als maßgebliche Rechtsordnung. Anerkannt ist, dass es sich dabei um eine kollisionsrechtliche Verweisung handelt. Die (kollisionsrechtliche) Parteiautonomie verleiht den Parteien die Befugnis, das auf einen internationalen Schuldvertrag anwendbare Recht zu bestimmen, und zwar im Grundsatz unter Einschluss der zwingenden Normen des Privatrechts5 (vgl. Rz. 2.122 ff.). Die Parteien wählen eine bestimmte Rechtsordnung und treffen nicht etwa nur eine „räumliche Einordnung“ bzw. legen einen Ort fest6.

2.10

Über die Zulässigkeit der Rechtswahl entscheidet nicht ein nach objektiven Gesichtspunkten bestimmtes primäres Schuldstatut, sondern das Kollisionsrecht des Forums. Diese Kollisionsnormen – heute Art. 3 ff. Rom I-VO – gestatten den Parteien also, die Rechtsordnung zu wählen, nach der ihr Vertrag beurteilt werden soll7. Das gewählte Recht ist den Parteien somit nicht objektiv vorgegeben, sondern nur anwendbar, weil sie es wollen. Damit ist die Annahme überwunden, eine an sich zuständige Rechtsordnung, das „primäre Statut“, solle über die Rechtswahl entscheiden8. Auch die Auffassung von einer nur materiell-rechtlichen Verweisung ist heute überwunden9. Gleiches gilt für die Annahme, es sei etwa nach dem „Gesetz der charakteristischen Leistung“ zunächst zu ermitteln, welche Rechtsordnung über die Rechtswahl in casu zu entscheiden habe. Sie, nicht die lex fori, sei zu befragen, ob der Parteiwille zu respektieren sei10.

2.11

Die Parteien dürfen sich über eine gesamte Rechtsordnung hinwegsetzen und sich einer anderen zuwenden. Dagegen besteht die materiell-rechtliche Vertragsfreiheit lediglich in der Befugnis, nachgiebige Bestimmungen des materiellen Rechts durch eine abweichende Vertrags-

2.12

1 Dazu Bericht Giuliano/Lagarde, S. 47 f. 2 Rechtsvergleichend Basedow, RabelsZ 75 (2011), 32 (33 ff.); Basedow, Rec. des Cours 360 (2013), 165 ff. S. auch Symeonides, Liber Amicorum Siehr, S. 513 ff.; Symeonides, Codifying choice of law around the world (New York 2014); Übersicht ferner bei Vischer/Huber/Oser, Rz. 41 ff. 3 Beispiele für zweckmäßige Rechtswahlklauseln bei Kindler in Czernich/Geimer, S. 3 (25 f.); Ostendorf/Kluth, § 13. 4 S. Mankowski, FS Martiny, S. 449 ff.; Vorpeil, IWB 2020, 438 ff. 5 Wagner, IPRax 2008, 377 (378); Roth, AcP 220 (2020) 458 (508 f.). 6 Junker, IPRax 1993, 2. Anders aber Mincke, IPRax 1985, 313 (316 f.). 7 Jayme, FS W. Lorenz (1991), S. 435 (438 f.); E. Lorenz, RIW 1992, 697 (700 f.). 8 Vgl. Lewald, S. 200 ff. 9 Vgl. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 64. 10 Schnitzer, Bd. I S. 175; Bd. II S. 629.

Martiny | 75

§ 2 Rz. 2.12 | Bestimmung des Vertragsstatuts

abrede zu ersetzen. Würde nur sie anerkannt, so müsste zuvor gesagt werden, welche Rechtsordnung dafür maßgeblich ist.

2.13

Zwar können die Parteien auch eine materiell-rechtliche Verweisung im Rahmen der maßgebenden Rechtsordnung vornehmen1, nur sind sie regelmäßig nicht darauf beschränkt. Grundsätzlich ist ihre Verweisung kollisionsrechtlich zu verstehen. In einer Reihe von Fällen wird man der Parteivereinbarung aber nur materiell-rechtliche Wirkungen zubilligen können, so beim Ausschluss künftiger Bestimmungen des gewählten Rechts (Rz. 2.66). In diesen Fällen können sich die Parteien somit von vornherein nicht den entsprechenden zwingenden Vorschriften durch eine Rechtswahl entziehen.

2.14

Die Parteien können sich darauf beschränken, dass eine oder mehrere Rechtsordnungen nicht zur Anwendung kommen sollen (negative Rechtswahl)2. Das Vertragsstatut ist dann im Wege einer objektiven Anknüpfung zu bestimmen. Ist die Rechtsordnung abgewählt worden, welche nach den Anknüpfungsregeln des Art. 4 Abs. 1, 2 Rom I-VO zur Anwendung käme, so ist das Vertragsstatut nach den übrigen Kriterien der engsten Verbindung (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO) zu ermitteln3.

3. Rechtswahlvereinbarung Literatur: Baumert, Abschlusskontrolle bei Rechtswahlvereinbarungen, RIW 1997, 805; Heiss, Inhaltskontrolle von Rechtswahlklauseln in AGB nach europäischem Internationalem Privatrecht?, RabelsZ 65 (2001), 634; Jayme, Inhaltskontrolle von Rechtswahlklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, FS W. Lorenz (1991), S. 435; Mankowski, Rechtswahlklauseln in Luftbeförderungs-AGB auf dem Prüfstand, RRa 2014, 118; Rieländer, Die Inhalts- und Transparenzkontrolle von Rechtswahlklauseln im EU-Kollisionsrecht, RIW 2017, 28; Rieländer, Treuhandverträge über Geschäftsanteile, IPRax 2020, 224; Rühl, The unfairness of choice-of-law clauses, CML Rev. 55 (2018) 201; Tiedemann, Kollidierende AGB-Rechtswahlklauseln im österreichischen und deutschen IPR, IPRax 1991, 424.– Weitere Literatur vor Rz. 3.1.

a) Grundlage des Verweisungsvertrages

2.15

Zu trennen sind der beabsichtigte oder geschlossene (Haupt-)Vertrag und der Verweisungsvertrag (vgl. Art. 3 Abs. 1, 5 Rom I-VO). Angelpunkt der subjektiven Anknüpfung ist der Verweisungsvertrag. Obwohl dies nicht ausdrücklich bestimmt ist, hängt die Gültigkeit der einen Vereinbarung nicht von der anderen ab4. Das gilt auch wenn – wie regelmäßig – die Rechtswahl nur als Klausel des (Haupt-)Vertrages auftritt5. Hat jede der Vertragsparteien ihr Recht für anwendbar erklärt (etwa in AGB oder auf einem Briefbogen), so kollidieren die Klauseln und führen zu keiner Rechtswahl. Doch kann darin i.d.R. nicht das Zustandekommen des Hauptvertrages scheitern. Es fehlt nur an einer gültigen Rechtswahl; das anwendbare Recht ist dann nach objektiven Kriterien zu bestimmen6, näher Rz. 2.22. 1 2 3 4

Näher dazu Kondring, IPRax 2007, 241 (243 f.). S. schon Wengler, ZfRV 23 (1982), 11 (14). Vischer/Huber/Oser, Rz. 147; Amstutz/Wang/Silvan Gohari in Basler Komm, Art. 116 IPRG Rz. 19. Vgl. Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 67. Diese „severability“ stellt ausdrücklich klar Art. 7 Hague Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts von 2015. 5 Meyer-Sparenberg, RIW 1989, 347 (349); E. Lorenz, RIW 1992, 697 (698); von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 27; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 166. – Krit. zur Trennung von Rechtswahl und Hauptvertrag Micklitz in Schulte-Nölke/Schulze (2002), S. 39 (71 ff.). 6 Kost, S. 60; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 37. – Bejahend Hau in Wolf/Lindacher/ Pfeiffer, IntGV Rz. 26 ff.

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.18 § 2

An Zustandekommen und Wirksamkeit des Verweisungs- und des Hauptvertrages werden grundsätzlich die gleichen Anforderungen gestellt (Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO; früher Art. 3 Abs. 4 EVÜ, Art. 27 Abs. 4 EGBGB. – Zum Zustandekommen des Hauptvertrages s. Rz. 3.3 ff.; zur Wirksamkeit des Verweisungsvertrages Rz. 2.23 ff.). Allerdings bestehen schon aufgrund der VO Beschränkungen für die Wirkungen der Rechtswahl in Verträgen mit Reisenden, Konsumenten, Versicherungsnehmern und Arbeitnehmern, weil hier ein Schutz der schwächeren Partei notwendig ist (Art. 5–8 Rom I-VO). Die für die sachrechtliche Privatautonomie bestehenden Einschränkungen wirken sich für den internationalen Vertrag häufig als Beschränkung der Parteiautonomie oder als besondere objektive Anknüpfung aus. Dabei besteht Unsicherheit, wieweit die für das Sachrecht entwickelten Schutzinstrumente auch auf die Ebene des kollisionsrechtlichen Verweisungsvertrages übertragen werden dürfen1 (vgl. Rz. 3.3 ff.). Das Richtlinienrecht will die Problematik mit einer Rechtswahlbeschränkung in den Griff bekommen (Art. 46b EGBGB), s. Rz. 35.96 ff.

2.16

Da die Rechtswahl Vertragscharakter hat (vgl. Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO) und die gewählte Rechtsordnung über die Gültigkeit des Verweisungsvertrages entscheiden soll (dazu Rz. 3.87), muss der bloße Anschein, „die Erklärung als Faktum“2, zu dieser Rechtsordnung führen. Sodann ist nach ihr zu prüfen, ob eine gültige Verweisung zustande gekommen ist3. Aus der rechtlichen Selbständigkeit von Verweisungs- und Hauptvertrag folgt, dass eine gültige Rechtswahl auch dann vorliegen kann, wenn der Hauptvertrag nach der vereinbarten Rechtsordnung nichtig ist4. Für den Fall der Ungültigkeit der Rechtswahl kann vereinbart werden, dass das gewählte Recht gleichwohl durch (materiell-rechtliche) Verweisung einbezogen oder dies ausgeschlossen wird5.

2.17

Der Verweisungsvertrag darf unter einer Bedingung geschlossen werden6. Das anzuwendende Recht kann auch von einem Dritten – sogar durch Los7 – bestimmt werden. Ferner ist es möglich, die Bestimmung des anzuwendenden Rechts einer der Vertragsparteien zu überlassen (optionale oder alternative Rechtswahl)8. In der Praxis wird eine solche Wahl häufig mit einer Gerichtsstandsklausel (vgl. Rz. 7.115) oder einer Schiedsgerichtsvereinbarung (dazu Rz. 7.397 ff.) verbunden9.

2.18

1 Vgl. Micklitz in Schulte-Nölke/Schulze, S. 39 (64 ff.). 2 Kropholler, IPR, S. 295 f. Ähnlich von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 79 („Faktum einer Rechtswahl“). Vgl. auch Tiedemann, IPRax 1991, 424 (425 f.). 3 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 166 f. 4 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 166. – Ebenso schon OLG Köln v. 29.10.1958 – 2 U 73/58, IPRspr. 1958–59 Nr. 42 = RzW 1959, 46 (Für Rechtsanwaltsvertrag deutsches Recht vereinbart. Rechtswahl trotz Nichtigkeit der Honorarvereinbarung beachtlich); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 37. – S. näher Marsch, S. 57 ff. 5 Vorpeil, IWB 2020, 438 (445 f.), 6 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (452). 7 Kegel/Schurig, S. 653. Vgl. BGH v. 3.10.1956 – IV ZR 210/54, IPRspr. 1956/57 Nr. 197 = WM 1956, 1432 (1434). 8 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (452); Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–055; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 54. 9 S. OLG München v. 27.3.1974 – 7 U 1406/73, IPRspr. 1974 Nr. 26 (Kaufvertrag. Engl. Recht sollte gelten bei Anrufen des Schiedsgerichts durch den deutschen Käufer, deutsches Recht hingegen bei Anrufen durch den engl. Verkäufer); Rösler in Dutta, S. 277 (281 f.).

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§ 2 Rz. 2.19 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.19

Die englische Rechtsprechung hat solchen „floating choice-of-law clauses“, mit denen das Vertragsstatut erst später bestimmt wird, zwar früher mehrfach die Anerkennung versagt1. Tatsächlich bleibt die Frage des anwendbaren Rechts aber gar nicht vollständig offen2. Bis zur Ausübung des Wahlrechts ist das Vertragsstatut nämlich nach den Grundsätzen der objektiven Anknüpfung zu bestimmen (Art. 4 ff. Rom I-VO)3. Eine Klausel, wonach das Recht des jeweiligen Beklagten gelten soll, führt dazu, dass die Frage der Rechtsanwendung bis zur Verfahrenseinleitung offen bleibt. Nach der Wahl gelten die Regeln für die nachträgliche Rechtswahl, auch für den Schutz Dritter4. Ob die Rechtswahl auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurückwirkt, ist eine Frage der Auslegung5. b) Zustandekommen des Verweisungsvertrages (Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO)

2.20

Die lex fori bestimmt, wieweit eine Rechtswahl der Parteien überhaupt zulässig ist. Das Zustandekommen des Verweisungsvertrages ist aber nicht einfach der lex fori zu unterwerfen. Diese steht im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht fest und wäre zudem vielfach eine ungeeignete Anknüpfung. Ferner könnten dann, wenn man Haupt- und Verweisungsvertrag unterschiedlichen Regeln unterstellt, zusammengehörige Vorgänge auseinander gerissen werden, indem das Zustandekommen des einen Vertrages bejaht, das des anderen hingegen verneint würde. Daher muss die Frage grundsätzlich gleich beantwortet werden, ob es sich nun um den Verweisungs- oder den Hauptvertrag handelt6 (s. Rz. 2.15 ff.).

2.21

Klarheit für das Zustandekommen will Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO schaffen. Danach sind auf das äußere Zustandekommen (existence) und die innere Wirksamkeit der Einigung (validity of the consent; validité du consentement des parties) der Parteien über das anzuwendende Recht Art. 10 Rom I-VO (Einigung und materielle Wirksamkeit), Art. 11 Rom I-VO (Form von Rechtsgeschäften) und Art. 13 Rom I-VO (Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit) anzuwenden. Somit beurteilt sich das Zustandekommen der Rechtswahl oder einer ihrer Bestimmungen nach dem Recht, das anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Bestimmung wirksam wäre (Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO)7. Ergibt sich jedoch aus den Umständen, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung des Verhaltens einer Partei nach diesem Recht zu bestimmen, so kann sich diese Partei für die Behauptung, sie habe der Rechtswahl nicht zugestimmt, auf das Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts berufen (Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO). Insofern gelten also die gleichen Regeln wie für den Hauptvertrag8. Für eine Reihe anderer Fragen fehlt es jedoch an einer solchen Anordnung. Insofern bietet sich an, Art. 3

1 S. Danilowicz, „Floating“ Choice-of-Law Clauses and their Enforceability, Int.Lawyer 20 (1986), 1005; Beck, Floating Choice of Law Clauses, LMCLQ 1987, 523; Pierce, Post-formation Choice of Law in Contract, Mod.L.Rev. 50 (1987), 176. 2 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (453). – So auch Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–054. – Anders Wengler, ZfRV 23 (1982), 11 (25). 3 Rösler in Dutta, S. 277 (285). 4 Rösler in Dutta, S. 277 (285). 5 Kropholler, IPR, S. 465. 6 Unter Betonung der besonderen Stellung der AGB-Rechtswahlklausel verlangt eine positive Klauselkenntnis, Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 23 f. 7 OLG Celle v. 26.7.2001 – 17 U 28/95, IPRspr. 2001 Nr. 31 = ZIP 2001, 1724; LG Nürnberg-Fürth v. 22.4.2016 – 16 O 8856/12, IPRax 2021, 284 mit Aufs. Schlosser, IPRax 2021, 267; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 167; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 11. 8 S. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 89; Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 19; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 171; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 34.

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.23 § 2

Rom I-VO als kollisionsrechtliche Entscheidungsnorm anzusehen, also die Lösung dieser Vorschrift selbst zu entnehmen1. Besondere Probleme werfen kollidierende Rechtswahlklauseln auf, wenn an sich eine Rechtswahl zustande gekommen ist, die Vertragsklauseln bzw. AGB der Parteien aber zu unterschiedlichen Rechten führen (zur Verwendung von AGB s. Rz. 3.42 ff.). Hat jede der Vertragsparteien ihr Recht für anwendbar erklärt, so widersprechen sich die Klauseln. Mangels einer speziellen Regelung ist die Lösung solcher Fälle umstritten2. Nach einer Auffassung findet eine Einzelbetrachtung der jeweiligen Klauseln nach den von ihr bezeichneten Rechtsordnungen statt. Es setzt sich diejenige durch, nach der eine Rechtswahl zustande gekommen ist3. Dies würde freilich diejenige Rechtsordnung bevorzugen, welche der sog. Theorie des letzten Wortes folgt. Andere wollen daher eine Gesamtbetrachtung vornehmen4. Nach diesem Ansatz der h.M. kommt es vor allem wegen fehlender Rechtssicherheit mangels Konsenses zu keiner Rechtswahl5; das anwendbare Recht ist dann nach objektiven Kriterien zu bestimmen6. Eine weitere Auffassung will es dabei nicht bewenden lassen und nach dem objektiv bestimmten Recht (i.d.R. Art. 4 Rom I-VO) prüfen, ob nach dieser Rechtsordnung nicht doch eine Verweisung zustande gekommen ist7. Hierfür kann man sich sowohl auf das Prinzip der engsten Verbindung als auch auf das Vertrauen der Parteien in ihre Rechtswahl berufen. Gilt danach die Restgültigkeitstheorie und ist keine der Rechtswahlklauseln wirksam einbezogen worden, bleibt es bei der objektiven Anknüpfung.

2.22

c) Inhalts- und Transparenzkontrolle Eine Rechtswahl kann auch durch AGB erfolgen8. Da der Verweisungsvertrag seinerseits ein Vertragsverhältnis bildet, stellt sich bei einer durch AGB erfolgenden Rechtswahl die Frage nach einer Einschränkung bzw. Überprüfung der AGB-Verwendung (vgl. dazu Rz. 3.42 ff. zum Sachrecht). Beispielsweise kann eine Rechtswahlklausel so verschleiert sein, dass dies nicht mehr mit dem sachrechtlichen Transparenzgebot (vgl. die Unklarheitenregel in § 305c Abs. 2 BGB) vereinbar ist. Die Rechtswahlklausel könnte auch eine überraschende Klausel darstellen (vgl. § 305c Abs. 1 BGB) oder im Lichte der Generalklausel des § 307 BGB als unangemessene Benachteiligung der anderen Vertragspartei erscheinen. Für eine Überprüfung

1 Vgl. E. Lorenz, RIW 1992, 697 ff.; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 90. – S. auch Stankewitsch, S. 415 ff. 2 In erster Linie auf die Übereinstimmung der Lösungen in den Rechtsordnungen, auf die verwiesen wird, stellt ab Art. 6 Abs. 1 lit. b Hague Principles on the Choice of Law in International Contracts 2015. – Dazu Kadner Graziano, Yb.PIL 14 (2012), 71 ff.; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 47. 3 S. Meyer-Sparenberg, RIW 1989, 347 (348); Tiedemann, IPRax 1991, 424 (426). 4 C. A. Schneider, S. 326 ff. 5 Bomsdorf/Finkelmeier, RIW 2021, 350 (359); Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 47; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 293 (Stand 1.6.2021); C. A. Schneider, S. 326 ff. für die direkte Kollision. 6 Dazu Bomsdorf/Finkelmeier, RIW 2021, 350 (359); Leible in NK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 74; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 174; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 44; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 204. – So wohl auch von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 43. 7 Dutta, ZVglRW 104 (2005), 461 (471 ff.); Möll, S. 232. 8 Roth, IPRax 2013, 515 (519 ff.); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 285 (Stand 1.6.2021).

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2.23

§ 2 Rz. 2.23 | Bestimmung des Vertragsstatuts

der Rechtswahl kommen mehrere Wege in Betracht. Bezüglich der richtigen Anknüpfung solcher Einschränkungen besteht erhebliche Unsicherheit.

2.24

Denkbar wäre, auf die Rechtswahlklausel stets die nationalen Normen über AGB als Vorschriften der lex fori anzuwenden. Folglich wäre dann auch die Vereinbarung ausländischen Rechts regelmäßig an den inländischen Schutzvorschriften des BGB zu messen. Damit könnten das Überraschungsverbot (§ 305c Abs. 1 BGB)1, die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB2 und die Inhaltskontrolle nach § 307 BGB3 stets durchgesetzt werden und einer Rechtswahl Grenzen setzen. Hiergegen spricht aber, dass es sich insoweit um Sachnormen eines internen Rechts handelt, welche bei einer Vereinbarung ausländischen Rechts grundsätzlich nicht zum Zuge kommen. Ferner enthalten die Art. 3 ff. Rom I-VO durchaus eigene Wertungen, wann eine Rechtswahl zulässig sein soll. Diese dürfen nicht durch die genannten nationalen Sachnormen korrigiert werden4. Immer wieder auftauchenden Tendenzen, auf Auslandsrecht verweisende Klauseln einer vorgeschalteten generellen Inhaltskontrolle nach deutschem Recht zu unterwerfen, ist daher grundsätzlich nicht zu folgen5. Das die Rechtswahl erlaubende Unionskollisionsrecht ist gegenüber dem nationalen Sachrecht vorrangig und kann von diesem nicht eingeschränkt werden. Bedenklich ist auch, einen formularmäßigen Ausschluss des Ausgleichsanspruchs des ausländischen Handelsvertreters bei Anwendung deutschen Rechts (§ 92c HGB) einer Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB zu unterwerfen6. Das deutsche Sachrecht kann nicht die kollisionsrechtlich angeordnete Anwendbarkeit deutschen Rechts in Frage stellen.

2.25

Eine eigenständige Missbrauchs- und Transparenzkontrolle auf unionsrechtlicher Basis hat sich bezüglich der Rechtswahl jedenfalls für Verbrauchersachen nach der sog. AmazonRechtsprechung durchgesetzt7 (s. Rz. 35.83). Sie wird gestützt auf der Klauselrichtlinie vom 5.4.19938. Freilich wirft die Kombination von Rom I-VO und Klauselrichtlinie erhebliche 1 So etwa zum früheren § 3 AGBG OLG Düsseldorf v. 14.1.1994 – 17 U 129/93, ZIP 1994, 288 = IPRspr. 1994 Nr. 23 = RIW 1994, 420 abl. Anm. Mankowski; OLG Düsseldorf v. 11.4.2001 – 15 U 162/00, IPRspr. 2001 Nr. 22b. – S. auch OLG Düsseldorf v. 8.3.1996 – 17 U 179/95, IPRspr. 1996 Nr. 144 = IPRax 1997, 118 (m. Aufs. Thorn, IPRax 1997, 98) = RIW 1996, 681 (m. Aufs. Mankowski, RIW 1996, 1001) (Börsentermingeschäft). 2 So wohl Schütze, DWiR 1992, 89 (92) zu § 5 AGBG. 3 So zu § 9 AGBG OLG Frankfurt v. 1.6.1989 – 6 U 76/88, IPRspr. 1989 Nr. 41 = RIW 1989, 646 = IPRax 1990, 236 (m. Aufs. Lüderitz, IPRax 1990, 216); OLG Düsseldorf v. 11.4.2001 – 15 U 162/ 00, IPRspr. 2001 Nr. 22b. – Ebenso für das Transparenzgebot des § 9 AGBG, LG Stuttgart v. 23.5.1990 – 5 S 427/89, IPRspr. 1990 Nr. 36 = NJW-RR 1990, 1394 (Kauf auf Freizeitveranstaltung auf Gran Canaria). Wohl auch Schütze, DWiR 1992, 92. 4 Junker, RIW 1999, 809 (817); Rieländer, RIW 2017, 28 ff.; C. Rühl, Rechtswahlfreiheit und Rechtswahlklauseln in AGB (1999), S. 198 ff.; Schmitz, S. 154 ff. 5 Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (208 f.). Dazu auch Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 35, 176 f. m.w.N. 6 OLG München v. 20.11.2002 – 7 U 5609/01, NJW-RR 2003, 471 = EWiR 2002, 485 (Emde). – Dazu näher Eberl, RIW 2002, 305 ff.; Mankowski, MDR 2002, 1352 ff.; Wauschkuhn/Meese, RIW 2002, 301 ff. 7 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612 (Verein für Konsumenteninformation/Amazon) Rz. 71, NJW 2016, 2727 = RIW 2016, 681 m. Anm. Breckheimer; EuGH v. 3.10.2019 – C272/18, ECLI:EU:C:2019:827 Rz. 58 (VKI./.TVP), IPRax 2020, 246 (m. Aufs. Rieländer, IPRax 2020, 224 u. Aufs. Mock, ZEuP 2020, 672) (Wahl deutschen Rechts); zust. Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 288.5 (Stand 1.6.2021). 8 Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.25 § 2

Schwierigkeiten bezüglich ihrer Rechtfertigung, ihrer Konsequenzen und Grenzen auf1. Der Spezialitätsgrundsatz des Art. 23 Rom I-VO kann für ein Eingreifen der Richtlinie angeführt werden (s. Rz. 1.125). Allerdings beschäftigt sich die Richtlinie selbst mit sachrechtlichen Klauseln und nicht mit Rechtswahlklauseln2. Der EuGH nimmt an, dass eine Rechtswahl in AGB zwar grundsätzlich zulässig ist, jedoch einer Einzelfallprüfung (Art. 4 Abs. 1 Klauselrichtlinie) unterliegt3. Die Rechtswahl darf daher nicht missbräuchlich sein (Art. 3 Abs. 1 Klauselrichtlinie)4. Ferner besteht das Gebot der Transparenz (Art. 5 Klauselrichtlinie)5. Folglich kann eine in einem zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher abgeschlossenen Vertrag enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das Recht des Unternehmers anwendbar ist, missbräuchlich sein. Das ist dann der Fall, wenn sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht dieses Mitgliedstaats anzuwenden, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. 6 Abs. 2 Rom I-VO auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre. Dies wurde für einen Online-Kaufvertrag angenommen6. Entsprechend wurde für einen Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung verfahren7. Die Tragweite dieser Rechtsprechung für andere Fälle des Abschlusses mit schutzbedürftigen Parteien (z.B. Arbeitnehmern) ist noch ungeklärt8. Ein weiterer Kontrollgesichtspunkt kommt ins Spiel, wenn AGB spezielle Rechtslagen der Union nicht nennen. So ist teilweise auch Rechtswahlkauseln im Bereich der Rom I-VO für die Flugbeförderung die Wirksamkeit versagt worden (s. Rz. 15.63). Beanstandet wird unter anderem, wenn eine Rechtswahlkausel nur auf internationale Übereinkommen, nicht aber auch auf die Fluggastrechte-VO Bezug nimmt9. Dabei stellt sich allerdings noch die Frage nach den Grundlagen und Grenzen einer kollisionsrechtlichen Informationspflicht, die in der Rom I-VO nicht vorgesehen ist10. 1 Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (207 ff.); Calliess in Calliess/Renner, Art. 3 Rome I Rz. 29b ff.; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 49 ff. 2 Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (216 f.); Rieländer, IPRax 2020, 224 (230); Calliess in Calliess/Renner, Art. 3 Rome I Rz. 29b. 3 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612 (Verein für Konsumenteninformation/Amazon) Rz. 64. 4 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612 (Verein für Konsumenteninformation/Amazon) Rz. 67. 5 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612 (Verein für Konsumenteninformation/Amazon) Rz. 68. 6 EuGH v. 28.7.2016 – C-191/15, ECLI:EU:C:2016:612 (Verein für Konsumenteninformation/Amazon), IPRax 2017, 483 (m. Aufs. W.H. Roth, IPRax 2017, 449) = NJW 2016, 2727 = RIW 2016, 681 m. Anm. Breckheimer. – Ähnlich auch für die ausschließliche Vereinbarung niederländischen Rechts unter Ausschluss des CISG, BGH v. 19.7.2012 – I ZR 40/11, RIW 2013, 309 = IPRax 2013, 557 (m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2013, 515) (für Arzneimittelkaufvertrag bei niederländischer Versandapotheke). 7 EuGH v. 3.10.2019 – C-272/18, ECLI:EU:C:2019:827 (VKI./.TVP), IPRax 2020, 246 (m. Aufs. Rieländer, IPRax 2020, 224; m. Aufs. Mock ZEuP 2020, 672). 8 Dazu Rieländer, IPRax 2020, 224 (231); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 27d. 9 OLG Köln v. 29.1.2021 – 9 U 184/20, NZV 2021, 196 m. zust. Anm. Staudinger = VuR 2021, 263 m. zust. Anm. Tonner (Ryanair); LG Frankfurt a.M. v. 3.7.2020 – 2-24 O 100/19, NZV 2020, 532 (LS) Anm. Ebling; LG Köln v. 17.7.2020 – 25 O 212/19, NZV 2020, 617 (LS) Anm. Plottek.– Zurückhaltender aber OLG Frankfurt v. 13.12.2018 – 16 U 15/18, TranspR 2019, 358 = IPRax 2019, 241 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 2019, 208) (easyjet). 10 Krit. daher Mankowski, NJW 2016, 2705 ff.; Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (219 ff.); Calliess in Calliess/Renner, Art. 3 Rome I Rz. 29c; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 52.

Martiny | 81

§ 2 Rz. 2.26 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.26

Da eine Verankerung der Missbrauchs- und Transparenzkontrolle in der Grundnorm des Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO nicht erfolgt ist, wird bezweifelt, dass diese Bestimmung Grundlage für den EuGH-Ansatz bilden kann1.

2.27

Eine weitere Möglichkeit zur Rechtfertigung einer Klauselkontrolle besteht darin, die Bezugnahme auf in- oder ausländische AGB auch im Hinblick auf die Rechtswahl nach dem gewählten in- oder ausländischen Sachrecht (d.h. der beabsichtigten lex causae) zu beurteilen. Bei einer Vereinbarung deutschen Rechts käme dann § 307 BGB zum Zuge2; Verweisungsvertrag und Hauptvertrag würden insofern gleichgeschaltet3. Damit würde der Ansatz des Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO erweitert4. Freilich bezieht sich die Rom IVO lediglich auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der „Einigung“ der Parteien5. Der öst. OGH hat im Amazon-Fall argumentiert, die Wirksamkeit der Rechtswahlklausel sei zwar grundsätzlich nach dem gewählten luxemburgischen Recht zu beurteilen. Dieses Recht ist aber, da Luxemburg EU-Staat ist, richtlinienkonform auszulegen. Das Fehlen eines Hinweises auf den Schutz durch die zwingenden Bestimmungen des Verbraucherrechts führt daher auch nach diesem Recht zur Qualifikation der Klausel als missbräuchlich. Dies hatte zur Folge, dass die Klausel - als „unverbindlich“ bzw. „nichtig“ - nicht anzuwenden war6.

2.28

Denkbar wäre auch, Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO – wonach sich der Kunde für das Zustandekommen des Vertrages auf das Recht seines Aufenthaltsorts berufen kann – über den Wortlaut der Vorschrift hinaus heranzuziehen7. Auf diese Weise könnte dann die inhaltliche Wirksamkeit einer Rechtswahlklausel bei einem deutschen gewöhnlichen Aufenthalt des Kunden einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterworfen werden8. Allerdings bezieht sich die Vorgabe der Rom I-VO auf die Einigung der Parteien und stellt keine Grundlage für eine AGBKontrolle dar9.

2.29

Richtigerweise ist die Überprüfung von AGB grundsätzlich in Einklang mit den allgemeinen kollisionsrechtlichen Grundsätzen vorzunehmen. Dementsprechend ist zu unterscheiden. Soweit es um die Frage geht, welche inhaltlichen Anforderungen an das äußere Zustandekommen einer stillschweigenden Rechtswahlvereinbarung zu stellen sind, ist die „eindeutige“ (clearly demonstrated) stillschweigende Rechtswahl – und damit auch die Transparenz einer

1 Mankowski, NJW 2016, 2705 ff.; Rieländer, RIW 2017, 28 ff.; Rühl in BeckOGK, Art. 6 Rom I-VO Rz. 249 (Stand 1.7.2019). 2 So schon Wolf, ZHR 153 (1989), 300 (302). 3 S. BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 = ZIP 1993, 1881 = NJW 1994, 262 = IPRax 1994, 449 (m. Aufs. W. Lorenz, IPRax 1994, 429) = JZ 1994, 363 Anm. Fischer (Wirksamkeit der Vereinbarung österreich. Rechts wurde nach diesem Recht [§ 864a ABGB] geprüft). 4 Dazu Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (210 ff.). 5 Rieländer, IPRax 2020, 224 (230). 6 ÖOGH v. 14.12.2017 – 2 Ob 155/16g, JBl 2018, 464 = VuR 2018, 225. 7 Dagegen auch Roth, IPRax 2013, 515 (521); Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 198; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 291 (Stand 1.6.2021). – S. Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (212 f.). 8 So etwa zum früheren § 9 AGBG OLG Düsseldorf v. 14.1.1994 – 17 U 129/93, ZIP 1994, 288 = IPRspr. 1994 Nr. 23 = RIW 1994, 420 abl. Anm. Mankowski. Ähnlich OLG Düsseldorf v. 26.5.1995 – 17 U 240/94, IPRspr. 1995 Nr. 145 = IPRax 1997, 115 (m. Aufs. Thorn, IPRax 1997, 98) RIW 1995, 769; OLG Düsseldorf v. 11.4.2001 – 15 U 162/00, IPRspr. 2001 Nr. 22b, wo die Geltung deutschen Sachrechts zunächst mit Art. 29 EGBGB begründet wurde. 9 Rühl, CML Rev. 55 (2018) 201 (212 f.).

82 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.31 § 2

Rechtswahlklausel – nach bislang h.M. allein nach der speziellen kollisionsrechtlichen Regelung, nämlich dem Maßstab des Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO, zu beurteilen1. Diese Norm muss entscheiden, ob die Rechtswahlklausel noch kollisionsrechtlich honoriert werden kann. Soweit es allerdings um die Art und Weise der Einbeziehung von AGB (Einbeziehungskontrolle i.S.d. §§ 305 Abs. 2 – 306 BGB), also das eigentliche Zustandekommen der Vereinbarung geht, ist zunächst einmal das Vertragsstatut Ausgangspunkt. Das gewählte Recht muss dementsprechend entscheiden, ob eine Rechtswahlklausel in AGB wirksam in die Rechtswahlvereinbarung einbezogen wurde (Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO)2. Dies gilt auch im elektronischen Rechtsverkehr3. Sodann kommt für die Einbeziehungskontrolle (etwa für die Überraschungskontrolle nach § 305c Abs. 1 BGB) aber auch die Sonderanknüpfung nach Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO zum Zuge (vgl. Rz. 3.3 ff.)4. Ein Kunde kann sich gegen die Einbeziehung überraschender Rechtswahlklauseln auf das entgegenstehende Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts berufen. Eine Rechtswahl kommt hier gar nicht erst zustande (s. Rz. 3.21). Freilich ist eine Rechtswahlklausel bei Auslandsbezug im Allgemeinen nicht überraschend5. Bei fehlendem oder zu vernachlässigendem Auslandsbezug wird bei der Vereinbarung ausländischen Rechts jedoch häufig eine überraschende Klausel angenommen6. Soweit man eine Rechtswahl an den Transparenzanforderungen für AGB (§ 305c Abs. 1 BGB) hat scheitern lassen7, ist die Zulässigkeit einer solchen Kontrolle bezweifelt worden und eine Rechtswahl zudem nicht als intransparent angesehen worden8.

2.30

Die inhaltliche Angemessenheit einer Vereinbarung ausländischen Rechts richtet sich allein nach den Art. 3 ff. Rom I-VO bzw. sonstigen einschlägigen Kollisionsnormen. Insbesondere der in den Art. 6, 8 Rom I-VO vorgeschriebene Günstigkeitsvergleich zeigt, dass dort eine wirksame Rechtswahl vorausgesetzt wird9. Weitere Beschränkungen ergeben sich aus Art. 6 Rom I-VO. Eine für den Arbeitnehmer oder Verbraucher nachteilige Rechtswahl sollte daher nicht schon über § 307 BGB oder eine entsprechende ausländische Sachnorm ausgeschaltet werden. Vor der Amazon-Rspr. dominierte daher die Auffassung, dass eine zusätzliche Inhalt-

2.31

1 Jayme, FS W. Lorenz, S. 435 (438 f.); W. Lorenz, IPRax 1994, 429 (431); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 35; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 198. – Anders LG Stuttgart v. 23.5.1990 – 5 S 427/89, IPRspr. 1990 Nr. 36 = NJW-RR 1990, 1394. 2 LG Nürnberg-Fürth v. 22.4.2016 – 16 O 8856/12, IPRax 2021, 284 m. Aufs. Schlosser, IPRax 2021, 267; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 80. – Anders AG Langenfeld v. 30.4.1998 – 18 C 260/96, IPRspr. 1998 Nr. 31 = NJW-RR 1998, 1524 (lex fori). 3 Mankowski, RabelsZ 63 (1999), 203 (210); Junker, RIW 1999, 809 (817). 4 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 176; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 90. 5 BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 (383) = ZIP 1993, 1881 = IPRspr. 1993 Nr. 37 = NJW 1994, 262; OLG Düsseldorf v. 4.10.2018 – I-12 I 46/17, RdTW 2018, 473 = ZIP 2018, 2378 = IPRspr. 2018 Nr. 341 (poln. Spediteur); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 176; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 32. – Anders LG Hamburg v. 2.9.2014 – 327 O 187/14, IPRax 2015, 348 (m. Aufs. Pfeiffer, IPRax 2015, 320) (Wahl englischen Rechts durch Luxemburger Paypal-Online-Bezahldienst überraschend). 6 Nachw. bei Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 288 (Stand 1.6.2021). 7 BGH v. 19.7.2012 – I ZR 40/11, RIW 2013, 309 = IPRax 2013, 557 (m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2013, 515) (für Arzneimittelkaufvertrag bei niederländischer Versandapotheke); AG Bremen v. 5.12.2013 – 9 C 337/13, RRa 2014, 95 (Luftbeförderung). 8 Mankowski, RRa 2014, 118 (121 ff.). 9 Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 51, 52; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 286 (Stand 1.6.2021).

Martiny | 83

§ 2 Rz. 2.31 | Bestimmung des Vertragsstatuts

skontrolle der Rechtswahl selbst nicht geboten ist1. Sie kann auch nicht auf das Recht am Aufenthaltsort einer schweigenden Partei (Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO) gestützt werden2 (s. aber Rz. 2.16). d) Form des Verweisungsvertrages

2.32

Für die Form verweist Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO auf Art. 11 Rom I-VO. Die Form der Rechtswahl ist unabhängig von der des Hauptvertrages zu beurteilen3. Anders als das EGBGB und die europäischen Verordnungen in Familien- und Erbsachen sehen die Art. 3 ff. Rom I-VO keine besondere Form für die Rechtswahl vor4. Dies gilt auch für Arbeits-, Versicherungs- und Verbraucherverträge5. Eine Rechtswahl kann auch durch Erklärungen im elektronischen Geschäftsverkehr erfolgen. Insbesondere mit der Zulässigkeit der stillschweigenden Rechtswahl wäre eine Formbedürftigkeit nicht zu vereinbaren. Die Verweisung auf Art. 11 Rom I-VO zeigt, dass es ausreicht, wenn die Form der lex loci actus oder der lex causae eingehalten wird6. Sieht nur das Recht des Abschlussortes für eine Rechtswahl eine besondere Form vor, so ist das unbeachtlich. Der Grundsatz der Freiheit der Rechtswahl muss – außer für Verbraucherverträge (Rz. 35.94) – Vorrang haben.

2.33

Schon früher war anerkannt, dass der kollisionsrechtliche Verweisungsvertrag auch dann keiner besonderen Form bedarf, wenn der Hauptvertrag formbedürftig ist7. Das Gleiche ist für Art. 3 Rom I-VO anzunehmen8. Dies hat vor allem für Grundstückskaufverträge Bedeutung, für die im Sachrecht häufig besondere Formvorschriften bestehen (vgl. § 311b BGB).

1 Jayme, FS W. Lorenz, S. 435 (438 f.); Meyer-Sparenberg, RIW 1989, 347; Grundmann, IPRax 1992, 1 f.; Mankowski, MDR 2002, 1352 (1354); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 98. – Anders etwa OLG Düsseldorf v. 26.5.1995 – 17 U 240/94, IPRspr. 1995 Nr. 145 = IPRax 1997, 115 (m. Aufs. Thorn, IPRax 1997, 98) = RIW 1995, 769 (m. Aufs. Mankowski, RIW 1996, 1001). – Für eine „allgemeine Missbrauchskontrolle“, offenbar nach dem Maßstab der lex causae, Heiss, RabelsZ 65 (2001), 634 ff. Offenbar ebenfalls für eine Inhaltskontrolle Klauer, Das europäische Kollisionsrecht der Verbraucherverträge (2002), S. 296 ff. 2 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 94, 98. 3 BGH v. 22.1.1997 – VIII ZR 339/95, IPRax 1998, 479 (m. Aufs. Spickhoff, IPRax 1998, 462) = WM 1997, 1713 (interlokal); Rühl, FS Kropholler, S. 187 (198 f.); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 179. 4 von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 44; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 180. – Formfreiheit der Rechtswahl sieht auch Art. 5 der Haager Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts von 2015 vor. 5 S. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 9. 6 Vgl. OLG Celle v. 26.7.2001 – 17 U 28/95, IPRspr. 2001 Nr. 31 = ZIP 2001, 1724 = EWiR 2001, 1051 (Eckert) (Isle of Man). 7 BGH v. 6.2.1970 – V ZR 158/66, BGHZ 53, 189 (191), IPRspr. 1970 Nr. 10 = MDR 1970, 404 (für Kaufvertrag über niederländ. Eigentumswohnung formlos deutsches Recht gewählt. Gültige Rechtswahl; Formnichtigkeit des Hauptvertrages); BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69, BGHZ 57, 337 (338 f.) IPRspr. 1971 Nr. 11 = MDR 1972, 403 (Kaufvertrag über italien. Grundstück formlos deutschem Recht unterstellt. Danach war er formnichtig); BGH v. 9.3.1979 – V ZR 85/77, BGHZ 73, 391 = IPRspr. 1979 Nr. 7 = NJW 1979, 1773 (Kaufvertrag über span. Grundstück stillschweigend deutschem Recht unterstellt). 8 Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 33; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I Rz. 9; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 179.

84 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.36 § 2

4. Mangel objektiver Beziehung Die Parteien können ein neutrales Recht wählen, zu dem keine Bezüge räumlicher, wirtschaftlicher oder rechtlicher Art bestehen1. Z.B. können ein deutsches und ein türkisches Unternehmen schweizerisches Recht vereinbaren2. Zur Gültigkeit der Rechtswahl ist auch nicht erforderlich, dass etwa der Gerichtsstand oder der Sitz des Schiedsgerichts in diesem Land liegt. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Maßgeblichkeit der Parteivereinbarung zu machen, wenn objektive Beziehungen (z.B. Abschluss- oder Erfüllungsort, Wohnsitz oder Staatsangehörigkeit der Kontrahenten) zum gewählten Recht fehlen, ist daher nicht gerechtfertigt3.

2.34

Früher sprach man hier z.T. von „missbräuchlicher Anknüpfung“ und verweigerte der Rechtswahl die Beachtung4. Doch handelt es sich in den dafür zitierten Fällen meistens um die Anwendung zwingender Vorschriften, die weitgehend unabhängig vom Schuldstatut zu beurteilen sind (s. Rz. 5.5 ff.). Soweit aber eine Einschränkung der Parteifreiheit gemacht wird, muss ohnehin eingeräumt werden, dass eine wirtschaftliche Beziehung zum gewählten Recht ausreichend ist und etwa räumliche Kriterien nicht ausschlaggebend sein können5. Diese wirtschaftliche Beziehung kann aber sehr verschieden sein und ist oft nicht ohne weiteres erkennbar. Bei Kettenverträgen des internationalen Handels kann es für den Verkäufer angebracht sein – um Ansprüchen des Käufers nur so weit ausgesetzt zu sein, als er selbst Rückgriff gegen seinen Lieferanten nehmen kann –, das Recht zu vereinbaren, nach dem sich der Kaufvertrag mit seinem Lieferanten richtet. In diesem Vertrag kann wiederum das Recht des Vormannes des Lieferanten vereinbart sein; so kann ein wirtschaftliches Interesse an der Vereinbarung eines Rechts bestehen, zu dem der letzte Vertrag der Kette nicht die geringsten Beziehungen hat. Für Transportverträge wiederum kann ein Interesse bestehen, das Recht zu wählen, nach dem sich die Transportversicherung richtet. Ferner kann es sinnvoll sein, ein nationales Recht zu vereinbaren, das besonders gut ausgebildet ist oder das als Grundlage für die internationalen Formularbedingungen diente, die dem Vertrag zugrunde gelegt wurden6. Ein gefordertes „anerkennenswertes Interesse“ am vereinbarten Recht7 wird daher nur selten fehlen.

2.35

Auch in anderen Ländern hat man häufig ein „intérêt légitime“, „bona fide intention“, „a real connection with the contract“ gefordert. Auch hier handelt es sich meistens darum, zwingende Rechtssätze zur Anwendung zu bringen. Rabel nennt dies im Zusammenhang mit der Gesetzesumgehung „a crude method of protection of some true or imagined domestic public interest by the theory of fraud“8. Vor Inkrafttreten des IPRG erkannte das schweizerische Bundesgericht die Wahl der Parteien „auf jeden Fall dann an, wenn ihr ein vernünftiges Interesse

2.36

1 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-68); Rühl, FS Kropholler, S. 187 (192 f.); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 42. – Ebenso schon E. Lorenz, RIW 1987, 569; Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (301); Mankowski, RIW 2003, 2 (4 f.). 2 OLG München v. 18.12.1985 – 7 U 4049/84, IPRspr. 1985 Nr. 35 = IPRax 1986, 178 (LS) Anm. Jayme. – Zur Vereinbarung des Rechts der Isle of Man für Time-Sharing-Verträge in Spanien LG Düsseldorf v. 12.4.1994 – 10 O 513/93, IPRspr. 1994 Nr. 33 = RIW 1995, 415 = VuR 1994, 262 Anm. Tonner; Mankowski, RIW 1995, 364 (366). 3 Vgl. schon Simitis, JuS 1966, 209 (212 f.). 4 Für eine „Missbrauchskontrolle“ auch Heiss, RabelsZ 65 (2001), 634 (651 f.). 5 Vgl. dazu Vischer/Huber/Oser, Rz. 81 ff. 6 Sandrock, RIW 1986, 841 (850); Mankowski, RIW 2003, 2 (6 f.). 7 So noch Bendref, RIW 1980, 388; Kegel in Soergel, 11. Aufl., vor Art. 7 EGBGB Rz. 332. 8 Rabel, II 2 S. 402.

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§ 2 Rz. 2.36 | Bestimmung des Vertragsstatuts

an der Anwendung des gewählten Rechts zugrunde liegt“1. Nach dem geltenden Internationalen Vertragsrecht mit seiner differenzierten Anerkennung der Parteiautonomie ist jedenfalls kein „anerkennenswertes Interesse“ mehr notwendig2.

2.37

Eine Begrenzung der Rechtswahl durch das Verbot der Gesetzesumgehung (fraus legis) spielt praktisch keine Rolle3. Die deutsche Rechtsprechung war mit der Annahme einer missbräuchlichen Rechtswahl schon bislang zurückhaltend. Insbesondere können Ausländer, die ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik haben und hier einen Vertrag schließen, die Anwendung deutschen Rechts vereinbaren, selbst wenn sie damit in ihrem Heimatstaat geltendes zwingendes Recht umgehen4.

5. Teilweise Rechtswahl Literatur: Aubart, Die Behandlung der dépeçage im europäischen Internationalen Privatrecht (2013); Ekelmans, Le dépeçage du contrat dans la Convention de Rome in Mélanges Vander Elst I (1986), S. 243; Klumb, Teilrechtswahl in standardisierten Kreditverträgen, ZBB 2012, 449; Lagarde, Le dépeçage dans le droit international privé des contrats, Riv.Dir.Int. Priv.Proc. 11 (1975), 649.

2.38

Die Parteien können die Rechtswahl für ihren ganzen Vertrag oder nur für einen Teil davon treffen (Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO). Nach dieser auf Art. 3 Abs. 1 S. 3 EVÜ zurückgehenden Regel dürfen die Parteien von ihrer Rechtswahl Teile der vertraglichen Beziehungen oder auch nur einzelne Teilfragen herausnehmen (sog. dépeçage). Das Vertragsstatut des Teils, für den keine Rechtswahl getroffen wurde, wird aufgrund objektiver Anknüpfung (Art. 4 Rom I-VO) bestimmt5. Die Parteien können aber auch für abtrennbare Teile des Vertrages die Anwendung verschiedener Rechtsordnungen vereinbaren6, so etwa für den Ablauf ihrer Beziehungen (Zustandekommen und Erfüllung)7 und die verschiedenen Elemente des Vertrages, z.B. die Form (s. aber Rz. 5.225)8. Auch für Schadensersatzansprüche kann nachträglich noch ein anderes Recht vereinbart werden als dasjenige, welches für die Wirksamkeit des Vertrages gilt9. Da die teilweise Rechtswahl sich nicht auf die Fälle ausdrücklicher Rechtswahl beschränkt und

1 Schweiz. BG v. 23.3.1965, BGE 91 II, 44 = RabelsZ 1966, 329 = AWD 1965, 480; schweiz. BG v. 30.3.1976, BGE 102 II, 143 (146). Zust. Schnitzer, Rec. des Cours 1968, I, 541 (587 f.). Gegen dieses Erfordernis Amstutz/Wang/Silvan Gohari in Basler Komm, Art. 116 IPRG Rz. 27; Kren Kostkiewicz in ZürchKomm, Art. 116 IPRG Rz. 14. 2 Leible, FS Jayme I, S. 485 (486 ff.); von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 27; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 42. Vgl. auch Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 7 (Rechtswahl indiziert Interesse). 3 Näher Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 42. 4 BGH v. 15.11.1976 – VIII ZR 76/75, MDR 1977, 221 = NJW 1977, 1011 Anm. Jochem = JZ 1977, 438 Anm. Kühne (Geltung deutschen Rechts für die Bürgschaft eines in Deutschland ansässigen Niederländers vereinbart). 5 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 192 (Stand 1.6.2021). – Zu Art. 27 EGBGB OLG Hamm v. 13.11.1995 – 22 U 170/94, IPRspr. 1995 Nr. 36 = NJW-RR 1996, 1145 (Wahl span. Rechts für Grundstückskauf nur auf Form bezogen). 6 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (458 ff.) (gespaltene Rechtswahl). – S. von Hoffmann, IPRax 1989, 261 (262); Kondring, IPRax 2007, 241 (244); Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 10. 7 von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 39; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 104, 109. 8 Offen gelassen in BGH v. 4.7.1969 – V ZR 69/66, BGHZ 52, 239 (242) = NJW 1969, 1760 (Anm. Wengler, NJW 1969, 2237; Samtleben, NJW 1970, 378). 9 OLG Frankfurt v. 13.2.1992 – 16 U 229/88, IPRspr. 1992 Nr. 31 = IPRax 1992, 314 m. Aufs. Bungert (Grundstückskauf).

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.40 § 2

eine stillschweigende Rechtswahl möglich ist1, kann der Vertrag auch in Bezug auf bestimmte Wirksamkeitsvoraussetzungen stillschweigend verschiedenen Rechten unterstellt werden2. Doch ist hier Vorsicht geboten. Der Parteiwille wird sich im Allgemeinen darauf richten, nur ein Recht zu vereinbaren und eine Spaltung zu vermeiden3. Aus der Zulässigkeit der teilweisen Rechtswahl folgt, dass aus ihrem Vorliegen nicht ohne weiteres auf eine Rechtswahl für den ganzen Vertrag geschlossen werden darf. Haben sich die Parteien nämlich über das anwendbare Recht nur in einer Einzelfrage geeinigt, so darf man ihnen nicht die Möglichkeit nehmen, es für den Rest bei einer objektiven Anknüpfung nach Art. 4 Rom I-VO zu belassen4. Gleichwohl wird man häufig aus der teilweisen Rechtswahl auf das für den Rest geltende Recht schließen dürfen, wenn es genügend Anhaltspunkte für einen dahin gehenden stillschweigenden Parteiwillen gibt5. Hinzu kommt, dass im Interesse einheitlicher Vertragsabwicklung und -beurteilung die Aufspaltung des Vertragsverhältnisses eher die Ausnahme bilden sollte.

2.39

Voraussetzung einer teilweisen Rechtswahl ist stets, dass die Teilfrage abspaltbar ist. Dies setzt eine gewisse Selbständigkeit voraus. Die einzelnen Fragen dürfen nur dann verschiedenen Rechtsordnungen unterworfen werden, wenn keine widersprüchlichen Ergebnisse eintreten und sich die jeweiligen Teile sachgerecht – notfalls durch Anpassung – miteinander verbinden lassen6. Es ist zwar nicht generell verboten, die jeweiligen Pflichten der Vertragsparteien unterschiedlichen Rechten (z.B. dem ihres Sitzes) zu unterwerfen7. Widersprüchliche Ergebnisse würden aber etwa dann eintreten, wenn die Auflösung eines gegenseitigen Vertrages zwei verschiedenen Rechtsordnungen unterworfen wird8. Teilweise wird eine Unzulässigkeit bereits für synallagmatische Verpflichtungen (z.B. Lieferung und Zahlung) angenommen9. Ist eine teilweise Rechtswahl ungültig, so kommt es für die Folgen auf die konkrete Gestaltung an. Wurde eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen und nur ein Teil unzulässig abgespalten, so bleibt es bei dieser Rechtswahl, die nunmehr den ganzen Vertrag erfasst. Erst dann, wenn keinerlei gültige Rechtswahl vorliegt, ist auf eine objektive Anknüpfung nach Art. 4 ff. Rom I-VO zurückzugreifen10. In der Rechtsprechung spielte die teilweise Rechtswahl bislang nur selten

2.40

1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. 2 Vgl. BGH v. 27.3.1968 – I ZR 163/65, IPRspr. 1968/69 Nr. 170 = DB 1968, 844. 3 S. etwa BGH v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, IPRspr. 1989 Nr. 3 = NJW-RR 1990, 248 (Grundstückskauf. Die Klausel „Käufer und Vermittler erklären diesen Vertrag nach den in Spanien geltenden Gesetzen auch ohne notarielle Beurkundung als für beide Seiten rechtsverbindlich und unwiderruflich“ bezog sich nicht nur auf die Form, sondern den gesamten Vertrag); Kropholler, IPR, S. 462; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 193 (Stand 1.6.2021). 4 Vgl. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. 5 Vgl. Gamillscheg, ZfA 14 (1983), 307 (328). 6 Schmitz, S. 238 ff. – Vgl. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. 7 Spickhoff in BRHP, Art. 3 Rom I-VO Rz. 30; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 109. Ebenso schon W. Lorenz, IPRax 1987, 269 (272); Vischer/Huber/Oser, Rz. 97. – Anders aber Jayme, FS Kegel (1987), S. 253 (263). 8 Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (302); Ferid, Rz. 6–26. 9 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 169 f. 10 Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 21 (für Fall der Perplexität). Vgl. auch Lagarde, Rev.crit.d. i.p. 80 (1991), 287 (302).

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§ 2 Rz. 2.40 | Bestimmung des Vertragsstatuts

eine Rolle. Gelegentlich wurde jedoch die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses1 oder das Formstatut abgespalten2.

2.41

Da es sich um unterschiedliche Rechtsfragen und zwei selbständige Verträge handelt, können Gerichtsstands- und Rechtswahlvereinbarung auf verschiedene Rechtsordnungen Bezug nehmen3. Ebenso können Haupt- und Schiedsvertrag verschiedenen Rechten unterworfen werden4.

2.42

Sind für einen Vertrag zwei Rechtsordnungen vereinbart worden, so ist die Parteierklärung auszulegen. Dabei wird man im Zweifel nur eine Rechtswahl und eine damit verbundene materiell-rechtliche Verweisung anzunehmen haben5. Auch hierfür spricht die Vermeidung von Zersplitterungen. Eine kollisionsrechtliche Verweisung in der Teilfrage ist zwar aufgrund der Parteiautonomie möglich, doch können zwingende gesetzliche Bestimmungen dadurch nicht umgangen werden, da deren Anwendung überwiegend nicht vom vereinbarten Recht abhängt (vgl. Art. 3 Abs. 3, 4, Art. 9 Rom I-VO). Damit fehlt der Teilverweisung die einschneidende Bedeutung. Früher wollte man z.T. der Teilverweisung nur materiell-rechtliche Wirkung zubilligen mit der Folge, dass die zur Beantwortung der Teilfrage berufene Rechtsordnung sich nur insoweit entfalten kann, als das primär gewählte Vertragsstatut dies zulässt6. Eine solche Einschränkung verlangt Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO jedoch nicht.

2.43

Im Zusammenhang mit der Teilverweisung wird oft eine weitere Unterscheidung getroffen, nämlich zwischen „Rechtswahl“ und „Vereinbarung von Einzelbestimmungen eines bestimmten Rechts“. Während im ersteren Fall das vereinbarte Recht als Ganzes anwendbar sei, handle es sich im letzteren Fall lediglich um die Aufnahme von Einzelbestimmungen eines Gesetzes in den Vertrag, wie wenn diese Bestimmungen in die Vertragsurkunde hineingeschrieben worden wären. Diese Unterscheidung begegnet auch in anderen Ländern häufig, z.B. zwischen „reference“ und „incorporation“ im englischen Recht. Ihre Handhabung ist schwierig, weil zu ermitteln ist, was die Parteien gewollt haben. So liegt denn die praktische Bedeutung der „incorporation“ vorwiegend darin, dass die ausländische Regelung Bestandteil des Vertrages bleibt, auch wenn sie geändert oder aufgehoben wird7.

2.44

Die Parteien treffen manchmal Vereinbarungen, wonach die zwingenden Vorschriften einer auf das Rechtsverhältnis anzuwendenden Rechtsordnung beachtet werden sollen. Dabei han-

1 BAG v. 23.4.1998 – 2 AZR 489/97, IPRspr. 1998 Nr. 52 = NZA 1998, 813. 2 BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69, BGHZ 57, 337 (338) = IPRspr. 1971 Nr. 11 = NJW 1972, 395 (Anm. Jayme, NJW 1972, 1618) (Grundstückskauf deutschem Recht aufgrund stillschweigender Rechtswahl unterstellt. Italien. Ortsform [Art. 11 Abs. 1 EGBGB] angeblich stillschweigend ausgeschlossen); OLG Hamburg v. 9.1.1975 – 6 U 11/72, IPRspr. 1975 Nr. 27 = VersR 1975, 826 (Wahl mehrerer Rechtsordnungen im Konnossement); OLG Hamm v. 13.11.1995 – 22 U 170/94, IPRspr. Nr. 36 = NJW-RR 1996, 1145 (Grundstückskauf); LG Aurich v. 11.7.1973 – 2 O 751/70, IPRspr. 1973 Nr. 10 = AWD 1974, 282 (Grundstückskauf. Formelles Zustandekommen des Vertrages kanad. Wirksamkeit hingegen deutschem Recht unterstellt). Die Maßgeblichkeit des Ortsformstatuts hält überhaupt für unabdingbar E. Lorenz, RIW 1992, 697 (704 f.) m.w.N. 3 OLG Hamburg v. 8.3.1973 – 6 U 171/72, IPRspr. 1973 Nr. 131 = AWD 1974, 278 (Vereinbarung der Zuständigkeit libanes. Gerichte und der Anwendung engl. Rechts); Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 10. 4 BGH v. 28.11.1963 – VII ZR 112/62, BGHZ 40, 320 (323) = NJW 1964, 591. 5 Kropholler, IPR, S. 463 f. Unentschieden Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 110. 6 Simitis, JuS 1966, 209 (213). – Nunmehr für Zulässigkeit Vischer/Huber/Oser, Rz. 94 ff. 7 Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32-056 ff.; Plender/Wilderspin, Rz. 6–010.

88 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.46 § 2

delt es sich regelmäßig um Fälle, in denen davon ausgegangen wird, dieses Recht komme (möglicherweise) zwingend zur Anwendung. Ein solches Zurückweichen vor zwingendem Recht bedeutet regelmäßig keine Vereinbarung der Rechtsordnung, welcher diese Rechtsnormen angehören1. Zwingendes Recht wird ohnehin weitgehend nach anderen Grundsätzen als nach dem Parteiwillen angeknüpft2. Die Bedeutung einer solchen Vereinbarung erschöpft sich häufig allein darin, dass bei Vertragsschluss auf das Bestehen solcher Vorschriften aufmerksam gemacht wurde und man bei Teilnichtigkeit wenigstens die nicht betroffenen Teile des Geschäfts weitergelten lassen möchte. So kommt z.B. eine Verweisung auf schweizerisches Recht auch dann zum Tragen, wenn es einschränkend heißt, „soweit nicht deutsches Recht zwingend vorgeschrieben ist“3. Wird deutsches Recht vereinbart, gleichzeitig aber eine Klausel eingefügt, „soweit nicht US-amerikanisches Recht zwingend entgegensteht“, so schränkt dies eine Rechtswahl im Allgemeinen nicht ein4. Vereinbaren die Parteien, dass trotz der Geltung einer bestimmten (z.B. deutschen) Rechtsordnung die Beachtung eines anderen ausländischen zwingenden Rechts vorgehen soll, so ist fraglich, ob damit nur solche Vorschriften gemeint sind, die international zwingend sind, also sich gegenüber einer Rechtswahl durchsetzen, oder auch solche erfasst werden, die im ausländischen internen Recht nicht dispositiv sind. Wegen der Vereinbarung eines grundsätzlich maßgeblichen Rechts als Vertragsstatut ist im Zweifel Ersteres anzunehmen. Damit setzt sich die Rechtswahl so weit durch, wie das nach der zwingende Normen enthaltenden Rechtsordnung kollisionsrechtlich möglich ist. Auf jeden Fall bleibt es bei der Anwendung des vereinbarten Rechts, wenn die andere Rechtsordnung in Wirklichkeit keine zwingenden Normen enthält5.

2.45

6. Veränderung des gewählten Rechts Die kollisionsrechtliche Verweisung unterwirft die Parteien einer geltenden Rechtsordnung mit allen ihren zukünftigen Änderungen6, einschließlich ihrer intertemporalen Vorschriften7. Soll im Einzelfall eine bestimmte Regelung unverändert gelten, so muss sie durch materiellrechtliche Verweisung in das Rechtsgeschäft aufgenommen werden8, d.h. die intertemporalen Normen des gewählten Rechts entscheiden über die Möglichkeit des Ausschlusses von späteren Änderungen. Zwar spricht der Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit gegen die Anwendung der geänderten Vorschriften, da die Parteien nicht von ihnen, sondern von den früher geltenden ausgegangen sind. Doch würde dann eine Rechtswahl bestehen bleiben, die auf ein Recht

1 Vgl. BAG v. 26.2.1985 – 3 AZR 1/83, WM 1985, 1378 = AP Nr. 23 IPR-Arbeitsrecht. 2 Näher Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S. 81 ff.; von Hein in MünchKomm, Einl. IPR Rz. 302 ff. 3 Vgl. BGH v. 23.10.1980 – III ZR 62/79, ZIP 1981, 158 = IPRspr. 1980 Nr. 3 für ein Darlehen. 4 OLG München v. 15.2.1980 – 23 U 3398/79, IPRspr. 1981 Nr. 13 = IPRax 1983, 120 (Anm. Jayme, IPRax 1983, 105) für einen Händlervertrag; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 107. 5 S. LG München I v. 19.12.1982 – 24 O 4056/78, IPRspr. 1982 Nr. 11 (LS) = IPRax 1983, 244 (LS) Anm. Jayme (Für Anstellungsvertrag mit Geschäftsführer einer malays. Gesellschaft sollte das „zwingende anwendbare und nicht abdingbare Recht des Staates Malaysia“ gelten; im Übrigen deutsches Recht. Mangels zwingenden malays. Kündigungsschutzrechts nur Anwendung deutschen Rechts). 6 Rühl, FS Kropholler, S. 187 (194). – Ebenso schon Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (300). S. auch Vischer, FS Keller, S. 547 ff. 7 Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (302); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 44. 8 Sumampouw, RabelsZ 1966, 334 (343); Kropholler, IPR, S. 443.

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2.46

§ 2 Rz. 2.46 | Bestimmung des Vertragsstatuts

geht, das nicht (mehr) in Geltung ist (vgl. Rz. 2.66 ff.). Zudem läge dem die Vorstellung zugrunde, dass die gewählten Vorschriften stets zu einem Teil des Vertrages würden. Das ist aber nicht der Fall; die Vertragsparteien wählen eine Rechtsordnung. Wollen die Parteien einzelne Vorschriften als Vertragsklauseln in ihren Vertrag aufnehmen, so können sie das zwar tun, ob sie aber künftigen Gesetzesänderungen entgehen, bestimmt das gewählte Recht. Schließlich dient es in der Regel auch den Interessen der Parteien, neue Gesetzgebungsakte und in der Wirkung ähnliche Ergebnisse der Rechtsprechung zu berücksichtigen. Nur wenn bei revolutionären Umgestaltungen des gewählten Rechts oder bei einem Souveränitätswechsel radikale Änderungen eintreten, sind die Parteien nicht an ihrer Rechtswahl festzuhalten1.

7. Wahl außerstaatlichen Rechts Literatur: Bälz, Islamic Law as Governing Law under the Rome Convention, Rev.dr.unif. NS 6 (2001), 37; Bälz, Das islamische Recht als Vertragsstatut?, IPRax 2005, 44; Bälz, Islamische Finanzierungen in Deutschland? in Schneider/Hanstein (Hrsg.), Leipziger Beiträge zur Orientforschung – Beiträge zum Islamischen Recht V (2006), S. 225 ff.; Basedow, Lex Mercatoria und Internationales Schuldvertragsrecht, FS Horn (2006), S. 229; Basedow, Lex mercatoria and the Private International Law of Contracts in Economic Perspective in Basedow/Kono, An Economic Analysis of Private International Law (2006), S. 57; Berger, The Creeping Codification of the Lex Mercatoria, 2. Aufl. (Alphen aan den Rijn 2010); Berger, Formalisierte oder „schleichende“ Kodifizierung des transnationalen Wirtschaftsrechts – zu den methodischen und praktischen Grundlagen der Lex Mercatoria (1996); Berger, Lex Mercatoria Online, RIW 2002, 256; Berger, Die Musterklauseln für die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, FS Wegen (2015), S. 377; Blase, Die Grundregeln des Europäischen Vertragsrechts als Recht grenzüberschreitender Verträge (2001); Blaurock, Übernationales Recht des internationalen Handels, ZEuP 1993, 247; Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen (1971); Böckstiegel, Das anwendbare Recht bei öffentlich-rechtlich geprägten Staatsaufträgen, AWD 1973, 117; Booysen, Völkerrecht als Vertragsstatut internationaler privatrechtlicher Verträge, RabelsZ 59 (1995), 245; Catranis, Probleme der Nationalisierung ausländischer Unternehmen vor internationalen Schiedsgerichten, RIW 1982, 19; P. Fischer, Bemerkungen zur Lehre von Alfred Verdross über den „quasi-völkerrechtlichen Vertrag“ im Lichte der neuesten Entwicklung, FS Verdross (1980), S. 379; Goldman, The Applicable Law: General Principles of Law – The Lex Mercatoria in Lew (Hrsg.), Contemporary Problems in International Arbitration (London 1986), S. 113; Goldman, Nouvelles réflexions sur la Lex Mercatoria in Études de droit international en l´honneur de Lalive (Basel 1993), S. 241; Grundmann, General principles of private law and ius commune modernum as applicable law? in Liber Amicorum Buxbaum (London, The Hague 2000), S. 213; von Hoffmann, „Lex mercatoria“ vor internationalen Schiedsgerichten, IPRax 1984, 106; von Hoffmann, Grundsätzliches zur Anwendung der „lex mercatoria“ durch internationale Schiedsgerichte, FS Kegel (1987), S. 215; Juenger, Lex mercatoria und Eingriffsnormen, FS Rittner (1991), S. 233; Kappus, „Lex mercatoria“ in Europa und Wiener UN-Kaufrechtskonvention 1980 (1990); Kappus, „Lex mercatoria“ als Geschäftsstatut vor staatlichen Gerichten im deutschen internationalen Schuldrecht, IPRax 1993, 137; Kipp/Zweigert, Verträge zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Partnern, BerDGesVölkR Heft 5 (1964), 133, 217; Kondring, Nichtstaatliches Recht als Vertragsstatut vor staatlichen Gerichten – oder Privatkodifikationen in der Abseitsfalle?, IPRax 2007, 241; Lagarde, Approche critique de la lex mercatoria in Etudes Goldman (Paris 1982), S. 125; Leible/Wilke, Funktionale Überlegungen zur kollisionsrechtlichen Wahl nichtstaatlicher Regelwerke, FS Kronke (2020), S. 297; W. Lorenz, Die Lex Mercatoria – Eine internationale Rechtsquelle?, FS Neumayer (1985), S. 407; Mann, The Theoretical Approach Towards the Law Governing Contracts Between States and Private Firms, Rev.belge dr.int.

1 Calliess in Calliess/Renner, Art. 3 Rome I Rz. 35; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 53 (früheres Recht gilt weiter). – Mit der Störung der kollisionsrechtlichen Geschäftsgrundlage argumentieren Lüderitz, FS Keller, S. 459 (469 f.); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 117 (Stand 1.6.2021).

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.48 § 2 11 (1975), 562; Nueber, Lex Mercatoria und internationales Schiedsverfahren in Binder/Eichel (Hrsg.), Internationale Dimensionen des Wirtschaftsrechts (2013), S. 261; Reimann, Zur Lehre vom „rechtsordnungslosen“ Vertrag (1970); Roth, Zur Wählbarkeit nichtstaatlichen Rechts, FS Jayme I (2004), S. 757; Schäfer, Die Wahl nichtstaatlichen Rechts nach Art. 3 Abs. 2 des Entwurfs einer Rom I VO, GPR 2006, 54; Schilf, Allgemeine Vertragsgrundregeln als Vertragsstatut (2005); Schinkels, Die (Un-) Zulässigkeit einer kollisionsrechtlichen Wahl der UNIDROIT Principles nach Rom I, GPR 2007, 106; Schlesinger/Gündisch, Allgemeine Rechtsgrundsätze als Sachnormen in Schiedsgerichtsverfahren, RabelsZ 28 (1964), 4; Spickhoff, Internationales Handelsrecht vor Schiedsgerichten und staatlichen Gerichten, RabelsZ 56 (1992), 116; Stein, Lex mercatoria – Realität und Theorie (1995); J. Stoll, Vereinbarungen zwischen Staat und ausländischen privaten Investoren, RIW 1981, 808; J. Stoll, Vereinbarungen zwischen Staat und ausländischem Investor (1982); Teichert, Lückenfüllung im CISG mittels UNIDROIT-Prinzipien (2007); Toth, Lex mercatoria in theory and practice (Oxford 2014); Triebel/Petzold, Grenzen der lex mercatoria in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, RIW 1988, 245; Verdross, Gibt es Verträge, die weder dem innerstaatlichen Recht noch dem Völkerrecht unterliegen?, ZfRV 6 (1965), 129; Wälde, Transnationale Investitionsverträge, RabelsZ 42 (1978), 28; Wegen/ Asbrand, Nichtstaatliches Recht als Gegenstand einer Rechtswahlklausel?, RIW 2016, 557; Weick, Zur Problematik eines „transnationalen Rechts“ des Handels- und Wirtschaftsverkehrs, FS Traub (1994), S. 451; Weise, Lex mercatoria (1990); Woitge, Die Wählbarkeit nichtstaatlicher Regelwerke europäischen Ursprungs im internationalen Vertragsrecht (2015); Zumbansen, Lex mercatoria – Zum Geltungsanspruch transnationalen Rechts, RabelsZ 67 (2003), 637. – S. auch Literatur vor Rz. 7.438.

a) Kollisionsrechtliche Unzulässigkeit Vor allem im Rahmen der „Internationalisierung“ von Verträgen stellt sich die Frage, wieweit Schuldverträge außerstaatlichem Recht unterstellt werden können. Praktisch wird die Frage insbesondere für Verträge zwischen staatlichen und privaten Parteien, für die der Staat häufig sein Recht durchzusetzen versucht. Dabei handelt es sich regelmäßig um Verträge über größere Investitions- oder Entwicklungsvorhaben bzw. Verträge über Rohstoffabbau. Da der Staat als Gesetzgeber die Rechtsordnung seinen Interessen anpassen kann, wird versucht, solchen Verträgen erhöhten Bestandsschutz zu sichern und sie den Fesseln des nationalen IPR, des materiellen Privatrechts oder überhaupt einer Rechtsordnung zu entziehen1. Hier bestehen unterschiedliche, facettenreiche Ansätze, die vor allem in der Schiedsgerichtspraxis Widerhall gefunden haben2. Vor die staatlichen Gerichte gelangen entsprechende Streitigkeiten selten. Allerdings wird die Zulassung der Wahl nichtstaatlichen Rechts zunehmend auch für andere Verträge gefordert.

2.47

Ob die Rechtswahl sich auch auf religiöses Recht beziehen darf, hat die englische Rechtsprechung für das islamische Recht thematisiert und verneint. Der Court of Appeal versagte einer unbestimmten Bezugnahme auf die Sharia zutreffend den Charakter einer eigenständigen Rechtswahl, die zur Anwendung zweier Rechtsordnungen geführt hätte3. Vertragsstatut war lediglich das englische Recht. In England war auch darüber zu befinden, ob eine Schiedsvereinbarung, die eine Beth Din-Schiedsgerichtsbarkeit vorsah, der Halacha (jüdischem Recht)

2.48

1 Beispiele bei Böckstiegel, AWD 1973, 117 (118 f.); Wälde, RabelsZ 42 (1978), 28 (82 f.). 2 Vgl. Kondring, IPRax 2006, 425 (426 f.). 3 Shamil Bank of Bahrain v. Beximco Pharmaceuticals Ltd., [2004] 1 W.L.R. 1784 (CA) (Kreditgeschäft zwischen einer Bank aus Bahrain und einer pakistan. Gesellschaft mit folgender Klausel: „Subject to the principles of the Glorious Sharia’a, this agreement shall be governed by and construed in accordance with the laws of England“). – S. auch Bälz, IPRax 2005, 44 ff. – Vgl. ferner Mankowski, RIW 2005, 481 (491).

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§ 2 Rz. 2.48 | Bestimmung des Vertragsstatuts

unterstellt werden konnte. Dies wurde verneint; das EVÜ gestatte lediglich die Wahl des Rechts eines Landes1. b) Allgemeine Rechtsgrundsätze, Vertragsgrundregeln

2.49

Die Parteien eines internationalen Vertrages verweisen häufig auf allgemeine Rechtsgrundsätze (general principles of law)2. Wird ein nationales Recht gewählt und (als Korrektiv) zusätzlich auf allgemeine Rechtsgrundsätze Bezug genommen, so ist das unbedenklich. Eine solche (materiell-rechtliche) Verweisung kann sich nur im Rahmen dieses Rechts entfalten. Es geht dabei auch nicht so sehr um die Lösung einzelner Rechtsfragen, als vielmehr um die Grundsätze der Bindung an den Vertrag. Für zulässig – zumal in Verträgen zwischen Staaten und Privaten – wird aber auch eine kollisionsrechtliche Verweisung auf allgemeine Rechtsgrundsätze gehalten, welche die Anwendung der nationalen Rechtsordnungen ausschaltet3. Nach anderer Ansicht handelt es sich lediglich um eine materiell-rechtliche Verweisung4.

2.50

Obwohl diese allgemeinen Rechtsgrundsätze keinen hohen Konkretisierungsgrad aufweisen, handelt es sich doch um eine Rechtsordnung, wenn auch keine nationale. Für Privatpersonen werden allerdings Einschränkungen verlangt5. In Verträgen unter Privaten besteht wegen der Möglichkeit, auf ein neutrales Recht auszuweichen, regelmäßig kein Bedürfnis für eine Verweisung auf solche Rechtsgrundsätze, zumal hier nicht der Vorteil der staatlichen Seite kompensiert zu werden braucht6.

2.51

In neuerer Zeit sind mehrfach allgemeine Grundregeln des Vertragsrechts aufgezeichnet worden. Verweisen die Parteien auf solche Prinzipien, so ergänzen sie das anwendbare nationale Recht. Dieses wird von den jeweiligen Grundsätzen verdrängt, soweit es keine entgegenstehenden zwingenden Normen enthält7. Für die Vereinbarung derartiger Regeln stellt sich die Frage, ob dies in Form einer kollisionsrechtlichen Verweisung möglich ist. Bezüglich der UNIDROIT-Principles (Rz. 1.2), die eine Vereinbarung durch die Parteien ausdrücklich vorsehen8, wurde unter der Herrschaft des EVÜ eine kollisionsrechtliche Verweisung teilweise befürwortet9 (zur Schiedsgerichtsbarkeit Rz. 7.474). Andere haben wegen des nichtstaatlichen, unverbindlichen Charakters und der Lückenhaftigkeit der Grundsätze lediglich eine materiellrechtliche Verweisung angenommen10. Ferner wird ein praktisches Bedürfnis für eine kollisi-

1 Halpern v. Halpern, [2007] All ER 478 (CA) = ZEuP 2008, 618 Anm. Heidemann. – Zust. Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 102.3 (Stand 1.6.2021). 2 Zum Begriff Kötz, RabelsZ 34 (1970), 663 (671 f.). 3 von Hoffmann in Soergel, Art. 27 EGBGB Rz. 28. – Vgl. ablehnend Wengler, ZfRV 23 (1982), 11 (24 ff.); Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–049. 4 Heiss in Czernich/Heiss, Art. 3 EVÜ Rz. 45. 5 Näher Zweigert, BerDGesVölkR 5 (1964), 194 (199 ff.). 6 Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 548 ff. 7 Vgl. Michaels, RabelsZ 62 (1998), 580 ff. 8 S. Preamble UNIDROIT-Principles 2016; Bonell, Model Clauses for the Use of the Unidroit Principles of International Commercial Contracts, Unif. L.Rev.18 (2013), 473. 9 Zum alten Recht Boele-Woelki, IPRax 1997, 166 ff.; Boele-Woelki in von Hoffmann (Hrsg.), European Private International Law (1998), S. 67 (81); Leible, ZVglRW 97 (1998), 286 (312 ff.); Leible, FS Jayme I, S. 485 (490 f.); Wichard, RabelsZ 60 (1996), 282 ff.; Vischer/Huber/Oser, Rz. 120 ff. – Für die Schiedsgerichtsbarkeit Bonell, ZfRV 37 (1996), 156 f. 10 Kessedjian, Rev.crit.d.i.p. 84 (1995), 657 f.; Teichert, S. 186 ff.; von Bar/Mankowski, I § 2 Rz. 77.

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.52 § 2

onsrechtliche Verweisung verneint. Es ist allerdings möglich, zu vereinbaren, dass die UNIDROIT-Principles ergänzend etwa zum CISG gelten sollen1. Auch die Grundregeln des europäischen Vertragsrechts (Rz. 1.17) können von den Parteien vereinbart werden. Darin wurde z.T. gleichfalls eine kollisionsrechtliche Vereinbarung gesehen2. Letztlich handelt es sich aber bei solchen Prinzipien lediglich um eine private Aufzeichnung. Andere argumentieren hier daher ebenfalls, dass Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO (anders als § 1051 Abs. 1 S. 1 ZPO für die Schiedsgerichtsbarkeit; dazu Rz. 7.455) nur die Wahl staatlichen Rechts gestatte3. Der Verordnungsentwurf wollte noch eine Rechtswahl für anerkannte Regeln grundsätzlich zulassen (Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO-Entw.)4. Danach hätten die UNIDROIT-Vertragsrechtsregeln sowie die Europäischen Vertragsrechtsregeln, nicht aber die Grundsätze der lex mercatoria gewählt werden können5. Die Endfassung der VO enthält jedoch – nicht zuletzt wegen der drohenden Abgrenzungsschwierigkeiten – keine solche Aussage mehr6. Erwägungsgrund 13 stellt lediglich fest, dass die Verordnung die Parteien nicht daran hindert, in ihrem Vertrag auf ein nichtstaatliches Regelwerk oder ein internationales Übereinkommen Bezug zu nehmen („incorporate by reference“). Zugelassen ist mithin auch weiterhin eine materiell-rechtliche Verweisung7. Entsprechendes gilt für eine Vereinbarung des Draft Common Frame of Reference (DFCR)8, vgl. Rz. 1.45. Auch eine direkte kollisionsrechtliche Rechtswahl von im gegebenen Fall nicht anwendbarem staatsvertraglichen Einheitsrecht (z.B. CISG) ist – anders als nach den Haager Principles9 – nicht möglich10. Keine kollisionsrechtliche Wahl liegt folglich in der Vereinbarung des CISG als Vertragsstatut11 (vgl. Rz. 25.26). In Erdölkonzessionsverträgen ist häufig eine mehrstufige Rechtswahlvereinbarung getroffen worden. Nach der entsprechenden Klausel gelten in erster Linie die Grundsätze des Rechts des Konzessionsstaates, soweit sie mit den Grundsätzen des Völkerrechts übereinstimmen; hilfsweise kommen die allgemeinen Rechtsgrundsätze zur Anwendung, so wie sie von internatio-

1 Vorpeil, IWB 2020, 438 (447). 2 Krit. Busch/Hondius, ZEuP 2001, 223 (225 ff.). 3 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 87 (Stand 1.6.2021). – Für eine Erweiterung de lege ferenda Leible/Wilke, FS Kronke, S. 297 ff. 4 Näher dazu Mankowski, IPRax 2006, 101 (102); Schäfer, GPR 2006, 54 ff.; Kondring, IPRax 2007, 241 (244 f.); Martiny, ZEuP 2007, 212; Lando/Nielsen, J. PIL 2007, 29 (34); Wagner, IPRax 2008, 377 (380 f.). – Krit. auch Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 95 (2006), 331 (335 f.). 5 Dagegen sogar für die kollisionsrechtliche Wählbarkeit der lex mercatoria, Lando/Nielsen, J. PIL 2007, 29 (30 ff.). 6 Dazu Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (533); Mankowski, IHR 2008, 133 (136); Wagner, IPRax 2008, 377 (379 f.). – Krit. zur Streichung Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1696 ff.). 7 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-67); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624); Wagner, IPRax 2008, 377 (380); Rühl, FS Kropholler, S. 187 (189 f.); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 15; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 56; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 87 (Stand 1.6.2021). 8 Leible, Rom I und Rom II, S. 31. Vgl. auch Pfeiffer, ZEuP 2008, 679 (681 f.). 9 Art. 3 Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts von 2015. – Krit. dazu Schmitz, S. 226 ff. 10 Ughetto, Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 63 (64); Wegen/Asbrand, RIW 2016, 557 (559); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 62. 11 Kroll-Ludwigs, S. 58; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 188.

Martiny | 93

2.52

§ 2 Rz. 2.52 | Bestimmung des Vertragsstatuts

nalen Schiedsgerichten angewendet werden. Internationale Schiedsgerichte haben diese Klausel für wirksam gehalten, ihr aber unterschiedliche Wirkungen beigemessen1. c) Lex Mercatoria

2.53

Verschiedentlich wird davon ausgegangen, der internationale Handelsverkehr unterliege heute nicht mehr den Normen des nationalen Rechts, sondern einem außerstaatlichen internationalen Handelsrecht bzw. transnationalem Recht2. Dies gilt vor allem für die Lehre von der lex mercatoria, die freilich in den Einzelheiten sehr umstritten ist (zu autonomistischen Theorien s. auch Rz. 7.466). Den Inhalt der lex mercatoria bilden einheitliche Regeln, die im internationalen Handel zur Anwendung kommen. Was außer internationalen Handelsbräuchen im Einzelnen dazu gehört, wird nicht einheitlich bestimmt. Herangezogen werden nach einer weiten Auffassung auch Einheitsrecht schaffende Staatsverträge, allgemeine Rechtsgrundsätze, Völkerrecht, die Vertrags-Formularpraxis, Regeln internationaler Organisationen und international übliche Klauseln3. Nach einer engeren Auffassung besteht die lex mercatoria aus allgemeinen Grundsätzen und Gebräuchen, die im Rahmen des internationalen Handels spontan entstehen oder entwickelt werden, ohne dass dabei auf ein spezielles nationales Recht Bezug genommen wird4. Die Rechtssatzqualität dieses vor allem von Schiedsgerichten formulierten „droit en formation“ ist angesichts mangelnder staatlicher Fundierung sowie der Lückenhaftigkeit und Problematik der Rechtssetzung umstritten5. Hinzu kommt die z.T. fragwürdige Ableitung konkreter und kohärenter Rechtsregeln6.

1 British Petroleum Co. (BP) v. Libya, v. 10.10.1973/1.8.1974 (Schiedsrichter Lagergren), I.L.R. 53 (1979), 293 = Yb.Com.Arb. 5 (1980), 143 (Verstaatlichung in Libyen. Dän. Kollisionsrecht angewendet, da Ort des Schiedsverfahrens in Dänemark. Rechtswahlklausel gültig. In erster Linie Anwendung der Grundsätze des libyschen Rechts, soweit vereinbar mit Grundsätzen des Völkerrechts; wenn nicht, Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze. Die libysche Enteignungsgesetzgebung verletzte den Konzessionsvertrag. Libyen wurde zu Schadensersatz verurteilt); Texaco Overseas Petroleum Co. (TOPCO) and California Asiatic Oil Co. (CALASIATIC) v. Libya, v. 19.1.1977 (Schiedsrichter Dupuy), I.L.R. 53 (1979), 389 = Yb.Com.Arb. 4 (1979), 177 = Clunet 104 (1977), 350 = RIW 1977, 502 (Zusammenfassung) (Verstaatlichung in Libyen. Die Gültigkeit der Rechtswahl für einen „internationalized contract“ regelte das internationale öffentliche Recht. Libysches Recht war mit den Grundsätzen des internationalen Rechts zu kombinieren. Stabilisierungsklausel als wirksam angesehen. Die Enteignungsgesetzgebung verletzte den Konzessionsvertrag, der als weiterbestehend angesehen wurde. Libyen wurde zur „restitutio in integrum“ verurteilt); Libyan American Oil Co. (LIAMCO) v. Libya, v. 12.4.1977 (Schiedsrichter Mahmassani), I. L.R. 62 (1982), 140 = Yb.Com.Arb. 6 (1981), 89 = I.L.M. 20 (1981), 1 (Verstaatlichung in Libyen. Rechtswahlklausel gültig. Libysches Recht umfasste die libysche Gesetzgebung, islam. Recht, Gewohnheitsrecht, Naturrecht und Billigkeit. Die Nationalisierung wurde nicht als rechtswidrig angesehen und verletzte den Konzessionsvertrag nicht. Libyen wurde lediglich zur Zahlung einer Entschädigung verurteilt). – W. Nachw. bei Catranis, RIW 1982, 19 ff. 2 Berger, RIW 2002, 256 ff. 3 Vgl. dazu Lando, I.C.L.Q. 34 (1985), 748 ff. 4 Goldman in Lew, S. 113 (116). Einheitsrecht schließt auch aus Kappus, IPRax 1993, 137 (138). 5 Bejahend etwa Goldman, Études en l’honneur de Lalive, S. 247 ff.; Blaurock, ZEuP 1993, 247 (262 ff.) Zumindest für eine Ähnlichkeit Gaillard, Arb.Int. 17 (2001), 65 ff. – Gegen die Einordnung als eigenständige Rechtsordnung Spickhoff, RabelsZ 56 (1992), 116 (125 ff.9; Mankowski, RIW 2003, 2 (12 f.); von Bar/Mankowski, I § 2 Rz. 75 ff.; Kegel/Schurig, S. 127 f. Als Teil des Völkerrechts ordnet sie ein Booysen, RabelsZ 59 (1995), 245 (252 f.). 6 Näher Lorenz, FS Neumayer, S. 407 ff.

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.58 § 2

In der Frage, welchen Rang die lex mercatoria im Verhältnis zu den anderen Rechtsquellen einnimmt, lassen sich trotz aller Unklarheiten und Nuancen drei Hauptrichtungen unterscheiden1. Nach der weitestgehenden Auffassung ist die lex mercatoria ein eigenständiges Regelsystem, das über den nationalen Rechtsordnungen steht und für internationale Sachverhalte Vorrang beansprucht oder doch – sozusagen als lex fori des internationalen Schiedsrichters – mangels anderer Parteivereinbarung gilt. Für die Lückenfüllung, die dann notwendig wird, wenn sich noch keine internationalen Handelsbräuche bzw. Rechtssätze der lex mercatoria gebildet haben, wird nicht auf nationales Recht zurückgegriffen; vielmehr sind allgemeine Rechtsgrundsätze anzuwenden2.

2.54

Eine zweite Möglichkeit besteht darin, der lex mercatoria gleichen Rang wie den staatlichen Rechtsordnungen einzuräumen. Die lex mercatoria steht dann gleichberechtigt neben den nationalen Rechten, ist wählbares „Recht“ i.S.d. Art. 3 ff. Rom I-VO3. Bei der Lückenfüllung kann durch kollisionsrechtliche Anknüpfung auf nationales Recht, d.h. ein so bestimmtes Vertragsstatut, zurückgegriffen werden. Dagegen lässt die restriktivste Auffassung die nationalen Rechtsordnungen dominieren. Die für internationale Transaktionen entwickelten Bräuche und Einheitsregeln dienen danach lediglich zur Füllung von Lücken des nationalen Rechts. Sie sind subsidiärer Natur und kommen bei Widerspruch zu zwingendem staatlichen Recht nicht zum Zuge.

2.55

Für die Rechtswahl ist zunächst zu beantworten, ob überhaupt noch ein (nationales oder supranationales) Kollisionsrecht vorgeschaltet werden muss oder ob man auf direktem Wege („voie directe“) zur lex mercatoria vorstoßen kann. Wird Letzteres bejaht, so kommt es auf die Anwendungsvoraussetzungen der lex mercatoria an. Ferner ist ein Problem, ob allein die lex mercatoria als lex causae anzusehen ist. Schwierigkeiten macht dabei, dass die lex mercatoria auf der einen Seite – anders als nationales Recht – nicht räumlich begrenzt ist und sich daher schlecht den üblichen Anknüpfungsmethoden unterwerfen lässt, auf der anderen Seite aber inhaltlich lückenhaft ist4.

2.56

Nach der Vorrangtheorie gilt die lex mercatoria per se für internationale Sachverhalte. Sie findet direkte Anwendung, ohne dass ein Kollisionsrecht befragt werden müsste. Grundlage dafür ist entweder die Rechtswahl durch die Parteien oder die Rechtsanwendung durch ein Schiedsgericht5. Ein anwendbares nationales Recht ist für einen solchen „direct approach“ nicht mehr zu ermitteln. Diese Auffassung ist für die staatliche Gerichtsbarkeit inakzeptabel, weil sie das nationale materielle Recht und das Kollisionsrecht einfach beiseite schieben würde6. Auch für die internationale Schiedsgerichtsbarkeit ist sie bedenklich.

2.57

Nach der Gleichstellungstheorie ist die Vereinbarung der lex mercatoria als Vertragsstatut möglich; andere Rechtsordnungen gelten dann nicht7. Es bestehen lediglich ähnliche Schranken (ordre public; Sonderanknüpfung) wie allgemein bei der Anwendung fremden Rechts. Bei Fehlen ei-

2.58

1 Vgl. Nachw. bei Martiny, RabelsZ 50 (1986), 730 ff. (Rezension). 2 Ähnlich IHK-Schiedsspruch Nr. 3540/1980, Yb.Com.Arb. 7 (1982), 124 = Clunet 108 (1981), 914 Anm. Derains, wo allerdings die Rechtslage nach den berührten Rechtsordnungen ebenfalls geprüft wurde. 3 Für Letzteres Kappus, IPRax 1993, 137 (139 ff.). 4 Vgl. Lagarde, Études offertes à Goldman, S. 125 (143 ff.); Bucher in Schwind, S. 49 ff. 5 Vgl. Goldman in Lew, S. 113 (116 f.); Goldman, Études en l’honneur de Lalive, S. 241 (252 ff.). 6 Vgl. Lagarde, Études offertes à Goldman, S. 125 (145). 7 So z.B. Coing, La détermination de la loi contractuelle en droit international privé allemand in Klein/Vischer (Hrsg.), Colloque de Bâle sur la loi régissant les obligations contractuelles (Basel/ Frankfurt 1983), S. 29 (49 ff.); Weise, S. 141.

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§ 2 Rz. 2.58 | Bestimmung des Vertragsstatuts

ner ausdrücklichen Vereinbarung ist auch an eine stillschweigende Wahl der lex mercatoria zu denken1. Keine Klarheit besteht freilich darüber, ob mangels einer Parteiabrede die lex mercatoria auch aufgrund objektiver Anknüpfung Vertragsstatut sein kann2. Würde man dies uneingeschränkt bejahen, so träte die gleiche Folge wie nach der Vorrangtheorie ein; das nationale Recht würde verdrängt. Denkbar wäre aber auch – ähnlich wie bei internationalen Staatsverträgen –, einen eigenständigen Anwendungsbereich in sachlicher und persönlicher Hinsicht zu definieren. Innerhalb dieses Anwendungsbereichs käme dann die lex mercatoria zur Geltung und wäre vom nationalen Recht abgrenzbar. Schließlich könnte man neben der lex mercatoria ein nationales Recht ermitteln und dieses dann durch die lex mercatoria ergänzen oder korrigieren3.

2.59

Während diese verschiedenen Lösungswege mit Unsicherheiten belastet sind, ist die Rechtslage nach der Subsidiaritätstheorie klar: Die lex mercatoria kann sich nicht gegen zwingendes nationales Recht durchsetzen. Vertragsstatut ist stets ein nationales, staatliches Recht4. Die Vereinbarung der lex mercatoria hat nur die Bedeutung einer materiell-rechtlichen Verweisung5. Die Parteien müssen sich innerhalb der vom Vertragsstatut vorgegebenen Grenzen bewegen. Für das EVÜ wurde dementsprechend vertreten, das Übereinkommen erlaube eine Vereinbarung nichtstaatlichen Rechts nicht. Folglich sollen auch bei einer solchen Vertragsgestaltung die für eine objektive Anknüpfung geltenden Regeln zur Anwendung kommen. Die so bestimmte Rechtsordnung entscheidet sodann, welche Wirkung der Vereinbarung zukommt6.

2.60

Diese restriktive Auffassung lässt sich aber nicht vollständig halten, da internationale Schiedsgerichte zunehmend statt eines nationalen Rechts die lex mercatoria anwenden, und zwar auch dann, wenn sie keinen Billigkeitsschiedsspruch, sondern eine Entscheidung nach Rechtsgrundsätzen zu fällen haben (s. Rz. 7.466 ff.). Insbesondere Schiedsgerichte der IHK haben mehrfach in dieser Weise entschieden7 (s. Rz. 7.471). Hinzu kommt, dass immer mehr Rechtsordnungen aufgrund internationaler Staatsverträge und nationaler Vorschriften bereit sind, solche Schiedssprüche hinzunehmen (vgl. § 1051 Abs. 1 ZPO). Es ist daher damit zu rechnen, dass derartige Schiedssprüche von den staatlichen Gerichten nicht aufgehoben, sondern für vollstreckbar erklärt werden (vgl. § 1061 ZPO). Dies ist in Österreich8, aber auch in Frankreich geschehen9. 1 So etwa Kappus, IPRax 1993, 137 (141). 2 Bejahend Kappus, IPRax 1993, 137 (141 f.). Ähnlich für „besondere Umstände“ wie Verträge mit staatlichen Partnern Weise, S. 140 ff. 3 Vgl. Bucher in Schwind (1996), S. 11 (53). 4 von Bar/Mankowski, I § 2 Rz. 77. 5 Diedrich, RIW 2009, 384; von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 59; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 59 f.; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 95 (Stand 1.6.2021). – Ebenso Veltins, Umfang und Grenzen von Rechtswahlklauseln, JbPraxSchG 3 (1989), 126; Mankowski, RIW 2003, 2 (13 f.); von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 28. 6 In diesem Sinne Rigaux, Cah.dr.europ. 1988, 306 (318 f.); Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (300 f.). S. auch Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–049 f. 7 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 96 (Stand 1.6.2021). Nachw. bei Lorenz, FS Neumayer, S. 407 (410 ff.). 8 ÖOGH v. 18.11.1982 – 8 Ob 520/82, RIW 1983, 868 Anm. Seidl-Hohenveldern = IPRax 1984, 97 (Anm. von Hoffmann, IPRax 1984, 106) = Yb.Com.Arb. 9 (1984), 159 Anm. Melis (Türk. Gesellschaft war Handelsvertreter der französ. Gesellschaft „Norsolor“ für die Türkei. Schiedsgericht der IHK sprach dem Handelsvertreter wegen unrechtmäßiger Vertragsauflösung Schadensersatz zu. Der Schiedsspruch, der sich auf die lex mercatoria und den Grundsatz von Treu und Glauben stützte, war wirksam). 9 S. etwa den Fall „Compania Valenciana“, in dem die von den Parteien gebilligte Anwendung der lex mercatoria hingenommen wurde, Cass. civ. 22.10.1991, Rev.arb. 1992, 457 Anm. Lagarde =

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.63 § 2

Damit wird mittelbar ein Sonderrecht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit akzeptiert. Auf der anderen Seite lebt dieses Sonderrecht von der staatlichen Anerkennung der Schiedsgerichtsbarkeit und der Parteiautonomie. Ferner steht die Bewährungsprobe, nämlich der zu erwartende Konflikt mit zwingenden Normen des nationalen Rechts noch aus1. Welchen Weg man auch immer einschlagen mag, dem staatlichen Richter kann man eine direkte Anwendung der lex mercatoria aufgrund objektiver Anknüpfung nicht gestatten. Er hat sich an das Kollisionsrecht der lex fori zu halten2.

2.61

Dieses Kollisionsrecht kann jedoch eine Parteivereinbarung honorieren. Es ist daher nicht von vornherein ausgeschlossen, sich jedenfalls bei der Einschaltung der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit eine Verweisung auf Regeln der lex mercatoria vorzustellen. Der internationale Schiedsrichter wird aufgrund einer Schiedsklausel, also einer Vereinbarung der Parteien, tätig. Diese ermächtigt ihn nicht ohne weiteres dazu, die lex mercatoria durchzusetzen; liegt aber eine Parteivereinbarung im Hinblick auf die Rechtsanwendung und die Geltung der lex mercatoria vor, so ist die Anwendung der lex mercatoria hinzunehmen3.

2.62

d) „Rechtsordnungslose Verträge“ Es gibt Fälle, in denen die Vertragsparteien alle Fragen, die sich aus dem Vertrag ergeben, vertraglich regeln oder etwa noch offene Fragen nach einem (nationalen) Handelsbrauch beantwortet wissen wollen. Für sie ist angenommen worden, ein Schuldstatut liege überhaupt nicht vor4. Der allein maßgebende Satz „pacta sunt servanda“ werde der lex fori entnommen. Anderen erscheint dies, den Vertrag selbst, unabhängig von jedem positiven Recht, als Rechtsquelle anzusehen, ein Unding5. Tatsächlich würde der Abschluss „rechtsordnungsloser Verträge“6 freie, nicht an ein objektives Recht gebundene Parteivereinbarungen voraussetzen. Verträge außerhalb jeder Rechtsordnung gibt es jedoch nicht, auch soweit sie auf international übliche Handelsklauseln Bezug nehmen7. Der Abschluss rechtsordnungsloser Verträge ist daher abzulehnen8. Die Rechtswahl kann sich nach h.M. nur auf eine Rechtsordnung beziehen, die etwai-

1

2

3 4 5 6 7 8

Rev.crit.d.i.p. 81 (1992), 113 Anm. Oppetit = Clunet 119 (1992), 177 Anm. Goldman; Cour d’appel Paris v. 13.7.1989, Rev.crit.d.i.p. 79 (1990), 305 m. abl. Anm. Oppetit = Clunet 117 (1990), 431 m. zust. Anm. Goldman. Dazu Spickhoff, RabelsZ 56 (1992), 116 (128 f.); Berger, Lex mercatoria in der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, IPRax 1993, 281 ff. – S. auch Blaurock, ZEuP 1993, 247 (264 ff.); Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3678); Weise, S. 148 ff. Zu zwei Lösungsmöglichkeiten, nämlich der Entwicklung eines Mindeststandards von internationalisierungsfähigen Eingriffsnormen sowie der Beachtung nationaler staatlicher Normen durch die Schiedsgerichte s. Juenger, FS Rittner, S. 233 (246 ff.). Vgl. auch Lando, I.C.L.Q. 34 (1985), 763 ff. Spickhoff, RabelsZ 56 (1992), 116 (133 f.); Blaurock, ZEuP 1993, 247 (264); von Bar/Mankowski, I § 2 Rz. 77; von Hein in MünchKomm, Einl. Rz. 292; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 60. Vgl. Lagarde, Études offertes à Goldman, S. 125 (144). Anders Goldman, Études en l’honneur de Lalive, S. 241 (255). S. Spickhoff, RabelsZ 56 (1992), 116 (134) ff. m.w.N. Wengler, ZVglRW 54 (1941), 168 (121). Vgl. Sumampouw, Anm. zu BGE 91 II 44, RabelsZ 30 (1966), 334 (347). Vgl. Kipp, BerDGesVölkR 5 (1964), 154 ff. Bonell, RabelsZ 42 (1978), 494 ff.; J. Stoll, RIW 1981, 808 (809); Sandrock/Steinschulte in Sandrock, I Rz. A 202; Kropholler, IPR, S. 443 f. Mankowski, RIW 2005, 481 (492); Roth, Internationales Versicherungsvertragsrecht, S. 548 ff.; Merkt, S. 125 ff.; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 4.

Martiny | 97

2.63

§ 2 Rz. 2.63 | Bestimmung des Vertragsstatuts

ge Vertragslücken ergänzt und deren zwingende Vorschriften gelten1. Entsprechendes gilt für die Auffassung, der auf der Maxime „pacta sunt servanda“ beruhende Vertrag schaffe unter bestimmten Voraussetzungen eine eigenständige „lex contractus“2. Art. 3 Rom I-VO äußert sich nicht ausdrücklich zu diesen Fragen. Auch für das früher geltende EVÜ wurde aber vertreten, dass rechtsordnungslose Verträge unzulässig seien3; die Abwahl staatlichen Rechts wird einer fehlenden Rechtswahl gleichgestellt4. e) Verweisung auf Völkerrecht

2.64

In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage der Zulässigkeit einer kollisionsrechtlichen Verweisung auf das internationale öffentliche Recht bzw. das Völkerrecht. Verträge des Staates mit ausländischen Privatpersonen unterliegen grundsätzlich dem Internationalen Vertragsrecht. Insbes. Investitionsverträge zwischen Staaten und Privatunternehmen werden aber teilweise Völkerrecht unterstellt. Erreicht werden soll, dass solche „quasi-völkerrechtlichen“5, „beschränkt völkerrechtlichen“6 oder „völkerrechtlichen Verträge besonderer Art“7 nicht einseitig geändert werden können8. Die Gesetzesänderung bzw. die Nichtberücksichtigung des Vertrages durch den staatlichen Vertragspartner wäre eine Völkerrechtsverletzung. Diese Theorien haben zwar in einigen internationalen Schiedsgerichtsurteilen Zustimmung (vgl. Rz. 7.466), jedoch auch Widerspruch gefunden9. Sie stehen vor dem Problem, befriedigend erklären zu müssen, ob und in welchem Umfang Private als Völkerrechtssubjekt auftreten können10 und wie es zu der angestrebten Maßgeblichkeit von Völkerrechtsnormen kommen soll11. Die Wirkung einer Verweisung auf Völkerrecht bzw. internationales öffentliches Recht ist daher zweifelhaft12. Soweit die Verweisung auf Völkerrechtssätze kollisionsrechtlich keinen Bestand hat, kann sie aber als materiell-rechtliche Verweisung Beachtung finden13.

2.65

Fehlt eine Rechtswahl, so folgt der Vertrag mit einem Staat den allgemeinen Regeln des internationalen Schuldrechts (vgl. Rz. 2.263), wenn er einen rein privatrechtlichen Inhalt hat. Weist 1 Zweigert, BerDGesVölkR 5 (1964), 194 (209); Simitis, JuS 1966, 209 (213); Mann, Rev.belge dr.int. 11 (1975), 562 (566); Reimann, S. 42 ff.; Vischer/Huber/Oser, Rz. 148. – Für eine „Koexistenz“ des internationalisierten Vertrages mit nationalen Rechtsregeln tritt ein Weick, FS Traub, S. 451 (463 ff.). 2 So aber Verdross, ZfRV 6 (1965), 129 (131). 3 Vgl. näher Carbone, Riv.dir.int.priv.proc. 19 (1983), 279 ff.; zum EVÜ-Entw. 1972 Foyer, Clunet 103 (1976), 597 ff. 4 So Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (301); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 110 (Stand 1.6.2021): rechtliches nullum. 5 So Verdross, ZfRV 6 (1965), 129 ff. 6 Dazu Böckstiegel, S. 295 ff. (303 ff.). 7 Fischer, FS Verdross, S. 379 (397). 8 Mann, Rev.belge dr.int. 11 (1975), 562 (564 f.). 9 Simitis, JuS 1966, 209 (213); Sornarajah, The Myth of International Contract Law, J.W.T.L. 15 (1981), 187 (202 ff.). 10 Bejahend Kipp, BerDGesVölkR 5 (1964), 150 f.; Verdross, ZfRV 6 (1965), 129 (130). Abl. Stoll, RIW 1981, 810. 11 Die Vereinbarung von Völkerrecht hält möglich, weil das Völkerrecht auch ein „privatrechtliches Standbein“ habe, Booysen, RabelsZ 59 (1995), 252 ff. – Abl. Catranis, RIW 1982, 22 ff. 12 Schlesinger/Gündisch, RabelsZ 28 (1964), 4 (25); Simitis, JuS 1966, 209 (213); für die Zulässigkeit bei Verträgen zwischen Staat und Privaten Mann, Rev.belge dr.int 11 (1975), 562 (564 f.); für die Zulässigkeit von Vereinbarungen Privater Schröder/Wenner, Rz. 81 ff. 13 Böckstiegel, FS Beitzke (1979), S. 443 (455); von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 64.

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.68 § 2

er auch öffentlich-rechtliche Elemente auf, so kommt auch das Recht der beteiligten Staaten, ferner die Berücksichtigung allgemeiner Rechtsgrundsätze und des Völkerrechts in Betracht1.

8. Stabilisierungs- und Versteinerungsklauseln Literatur: N. David, Les clauses de stabilité dans les contrats pétroliers, Clunet 113 (1986), 79; Fiedler, Stabilisierungsklauseln und materielle Verweisung im internationalen Vertragsrecht (2001); Merkt, Investitionsschutz durch Stabilisierungsklauseln (1990); W. Peter, Arbitration and Renegotiation of International Investment Agreements (Dordrecht 1986); Sandrock, „Versteinerungsklauseln“ in Rechtswahlvereinbarungen für internationale Handelsverträge, FS Riesenfeld (1983), S. 211; Sandrock, Internationales Wirtschaftsrecht in Theorie und Praxis (1995), S. 29; Titi, Les clauses de stabilisation dans les contrats d´investissement, Clunet 141 (2014), 541; Vischer, Veränderungen des Vertragsstatuts und ihre Folgen, FS Keller (Zürich 1989), S. 547; Weil, Les clauses de stabilisation ou intangibilité insérées dans les accords de développement économique in Mélanges Rousseau (1974), S. 301.

a) Art der Klauseln Ist in einem Vertrag zwischen einem Privaten und einem staatlichen Partner die Anwendung der Rechtsordnung des staatlichen Partners ganz oder teilweise vorgesehen, so kann dieser später das geltende Recht (sogar rückwirkend) modifizieren und damit die Rechtsstellung der anderen Partei einseitig verschlechtern. Dagegen versuchen sich private Vertragsparteien des Öfteren durch Vertragsklauseln zu sichern. Solche Klauseln sind von großer Vielfalt. Sie lassen sich nach ihrer Technik unterscheiden in solche, die auf eine „Versteinerung“ bzw. ein „Einfrieren“ des Rechtszustandes oder eine Nichtanwendung oder sogar den Nichterlass von Änderungen abzielen2.

2.66

In Versteinerungsklauseln (freezing clauses; clauses de gel de la loi) wird festgelegt, dass das vereinbarte Recht mit dem Inhalt gilt, den es zu einem bestimmten Zeitpunkt (insbesondere bei Vertragsabschluss) hat3. Spätere Änderungen des gewählten Rechts sollen unbeachtlich sein. Dies gilt auch für Rechtsänderungen, die sich Rückwirkung beilegen. Solche Klauseln sind als materiell-rechtliche Verweisung innerhalb der Grenzen der lex causae unbedenklich4. Die Parteien können z.B. im Rahmen des Vertragsstatuts festlegen, dass das Warenkaufrecht in seiner Fassung vor Inkrafttreten des UN-Kaufrechts gelten soll (s. Rz. 25.41). Die Übergangsbestimmungen der lex causae entscheiden darüber, ob die frühere Vereinbarung honoriert wird. Solange keine zwingenden Normen dieses Rechts verletzt werden, steht der Wirksamkeit nichts entgegen. Jedenfalls für Geschäfte unter Privaten ist eine materiell-rechtliche Verweisung auch ein ausreichendes Mittel zur Wahrung der Parteiinteressen.

2.67

In einer sog. Stabilisierungsklausel (stabilization clause; clause de stabilisation) wird vereinbart, dass vertraglich eingeräumte Rechte nicht einseitig verändert werden dürfen und dass spätere Rechtsänderungen den Vertrag bzw. die Konzession nicht betreffen5. Nichtanwen-

2.68

1 S. näher Böckstiegel, AWD 1973, 117 (120 f.). 2 S. umfassend Merkt, S. 39 ff., der „Stabilisierungsklauseln“ als Oberbegriff verwendet. Zu anderen Einteilungen Fiedler, S. 76 ff. Zu weiteren Techniken s. Ebenroth/Bader, Wirksame Staatenbindung in internationalen Investitionsverträgen, WM 1991, 661 ff. 3 Merkt, S. 41; Fiedler, S. 59. Klauselbeispiel bei Sandrock/Steinschulte in Sandrock, I Rz. A 35. 4 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (462); Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 10. 5 Klauselbeispiele bei Merkt, S. 255 f. sowie bei Sandrock, FS Riesenfeld, S. 211 (217 f.). – Vgl. auch Mankowski, FS Martiny, S. 449 (462 ff.).

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§ 2 Rz. 2.68 | Bestimmung des Vertragsstatuts

dungsklauseln (non-application clauses; clauses de inopposabilité) bestimmen, dass nachträgliche Rechtsänderungen nicht auf den Vertrag anzuwenden sind1.

2.69

Teilweise wird der Begriff der Stabilisierungsklausel nur auf das „Einfrieren“ der staatlichen Gesetzgebung und die Souveränitätseinschränkung bezogen2, während der Schutz der privaten Vertragspartei vor den Auswirkungen der Gesetzgebung als Unberührbarkeitsklausel (clause of nonintervention; clause d’intangibilité) bezeichnet wird3. Der Unterschied zu einer einfachen Versteinerungsklausel besteht darin, dass keine pauschale Verweisung auf einen bestimmten Rechtszustand erfolgt, sondern bereits bestimmte Rechtsänderungen ausgeschlossen werden. Doch sind die Übergänge fließend4.

2.70

Stabilisierungsklauseln finden sich vor allem in Verträgen über die Rohstofferschließung, hingegen kaum in internationalen Kreditverträgen5. Die Problematik der Zulässigkeit und Wirkungen solcher Klauseln (Vertretungsmacht der Staatsvertreter, Einschränkung der staatlichen Handlungsfreiheit und Souveränität) kann hier nicht näher vertieft werden. Einigkeit dürfte jedoch darüber bestehen, dass über die Wirksamkeit von Stabilisierungsklauseln grundsätzlich die lex causae entscheidet6. Ist lediglich das Recht des staatlichen Partners anwendbar, so bestimmt allein diese Rechtsordnung7. Werden – wie meist – gleichzeitig allgemeine Rechtsgrundsätze oder völkerrechtliche Grundsätze für anwendbar erklärt, so kommt es zunächst darauf an, ob man eine kollisionsrechtliche Verweisung auf solche Prinzipien für zulässig hält (dazu Rz. 2.47 ff.). Bejaht man dies, so gelangt man auf dieser Grundlage im Allgemeinen zur Gültigkeit der Stabilisierungsklauseln.

2.71

Stabilisierungsklauseln finden im Regelfall vor den Gerichten des rechtsetzenden Staates keine Anerkennung. Wurde aber ein internationales Schiedsgericht vereinbart, so besteht die Aussicht auf Schadensersatz, zumindest aber auf Entschädigung, da diese Klauseln mehrfach als wirksam angesehen wurden8.

1 Näher Merkt, S. 43 f.; Fiedler, S. 65 f. 2 Nur für Verträge zwischen Privaten und Staat, Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 115 (Stand 1.6.2021). 3 Weil, Mélanges Rousseau, S. 301 (308 ff.); Fiedler, S. 62 f. 4 Vgl. Merkt, S. 44 ff.; Peter, S. 137 f. (140 f.). 5 U. Bosch, Vertragliche Regelungen in internationalen Kreditverträgen als risikopolitisches Instrument in Krümmel (Hrsg.), Internationales Bankgeschäft (1985), S. 117 (124 f.). 6 David, Clunet 113 (1986), 79 (83); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 116 (Stand 1.6.2021). 7 David, Clunet 113 (1986), 79 (84); Peter, S. 142 f. 8 S. Saudi Arabia v. Arabian American Oil Co. (ARAMCO), v. 29.8.1958, I.L.R. 27 (1963), 117 (Konzessionsvertrag. Nichts stehe dem entgegen, dass der Staat im Rahmen seiner Souveränität unentziehbare Konzessionsrechte verleihe); Texaco Overseas Petroleum Co. (TOPCO), California Asiatic Oil Co. (CALASIATIC) v. Libya, v. 19.1.1977 (Schiedsrichter Dupuy), I.L.R. 53 (1979), 389 = Yb. Com.Arb. 4 (1979), 177 (Konzessionsvertrag mit Libyen. Die Stabilisierungsklausel verletzte nicht die Souveränität); Libyan American Oil Co. (LIAMCO) v. Libya, v. 12.4.1977 (Schiedsrichter Mahmassani), I.L.R. 62 (1982), 40 = Yb.Com.Arb. 6 (1981), 89 (Konzessionsvertrag mit Libyen. Die Stabilisierungsklausel befand sich im Einklang mit der Unverletzlichkeit des Vertrages und der Nicht-Rückwirkung von Gesetzen); Agip S.p.a. v. Gouvernement de la République Populaire du Congo, v. 30.11.1979 (ICSID), Yb.Com.Arb. 8 (1983), 133 = Rev.crit.d.i.p. 71 (1982), 92 (Verstaatlichung. Stabilisierungsklausel verletzte nicht die Souveränität und war wirksam); Kuwait v. American Independent Oil Co. (AMINOIL), v. 24.3.1982 (Schiedsrichter Reuter), I.L.R. 66 (1984), 518 = I.L.M. 21 (1982), 976 (Stabilisierungsklausel im Konzessionsvertrag anerkannt).

100 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.75 § 2

b) Kollisionsrechtliche Wirkung Nach einer Resolution des Institut de droit international soll bei einem Versteinerungswillen der Parteien das abgeänderte oder aufgehobene Recht grundsätzlich als Vertragsbestimmung weitergelten, es sei denn, dass die Abänderung oder Aufhebung durch zwingende Normen erfolgt wäre1.

2.72

Problematisch ist aber, ob sich die Parteien auch weitergehend von den Fesseln der staatlichen Rechtsordnung befreien können, d.h. ob die „Versteinerung“ auch als kollisionsrechtliche Verweisung möglich ist2. Dabei wird die bezeichnete Rechtsordnung lediglich in ihrem „versteinerten“ Rechtszustand gewählt, was später erlassene Vorschriften der lex causae bestimmen, soll unerheblich sein. Hierfür spricht die von Art. 3 Rom I-VO in größtmöglicher Weise gewährte Freiheit der Rechtswahl. Allerdings konzentriert sich bei der Versteinerung die Rechtswahl nur auf eine Rechtsordnung. Ein bestimmter Ausschnitt aus ihr soll auf kollisionsrechtlichem Wege intertemporal fixiert werden. Anders als bei der nachträglichen Rechtswahl geht es nicht um die Wahl unter mehreren Rechtsordnungen. Es werden auch nicht, wie bei der Teilverweisung für verschiedene Rechtsfragen, einzelne Rechtsregeln unterschiedlicher Herkunft ausgeschlossen oder miteinander kombiniert. Stattdessen findet eine Art Teilung innerhalb der gewählten Rechtsordnung statt. Die Gleichwertigkeit der Rechtsordnungen, welche das Fundament für die nachträgliche und teilweise Rechtswahl bildet, kann daher kaum als Argument ins Feld geführt werden. Vielmehr wird der Vertrag über das Gesetz gestellt. Das Kollisionsrecht würde eine Lösung ermöglichen, die in keiner der berührten Rechtsordnungen so zulässig wäre. Auch die Freiheit der Rechtswahl ist aber, wie Art. 3 Abs. 3 und 4 Rom I-VO zeigen, nicht grenzenlos. Die Versteinerungsklausel kann sich daher nur materiell-rechtlich im Rahmen der lex causae auswirken.

2.73

Auch eine Stabilisierungsklausel ist vielfach nicht als kollisionsrechtliche Rechtswahl angesehen worden. Die lex causae, d.h. gegebenenfalls das aufgrund objektiver Anknüpfung bestimmte Recht, entscheidet über ihre Wirkung3. Eine gewisse Eingrenzung wird dann erreicht, wenn man die Stabilisierungsklausel in erster Linie als intertemporale Rechtswahl (sog. statische kollisionsrechtliche Verweisung) versteht4. Zunächst wird eine ausländische Rechtsordnung als lex causae gewählt. Das intertemporale, nicht das internationale Privatrecht dieser lex causae entscheidet sodann über die Zulässigkeit der Verweisung. Ist die Stabilisierung aber nach dieser Rechtsordnung zulässig, so soll es dabei trotz etwaiger späterer Rechtsänderungen bleiben.

2.74

9. Offenlassen der Rechtswahl im Prozess Da das Kollisionsrecht nach deutscher Auffassung in allen Verfahrensstadien von Amts wegen anzuwenden ist, gilt dies auch für die Art. 3 ff. Rom I-VO5. Es gibt allerdings Fälle, in denen 1 Art. 8 Baseler Resolution des Institute de Droit international von 1991, IPRax 1991, 429 m. Bericht Jayme = RabelsZ 56 (1992), 560 (547) (Bericht Rigaux) = Ann.Inst.Dr.int. 64 II (1992), 382. Krit. Bericht Schwind, ZfRV 33 (1992), 101 (106). 2 So Sandrock, FS Riesenfeld, S. 211 (220 ff.); Leible in NK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 27. – Ablehnend von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 201; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 51; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 114 (Stand 1.6.2021). 3 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 202.– Abl. für das EVÜ Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (303). Anders Leible in NK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 28. 4 S. Merkt, S. 186 ff. 5 Vgl. BGH v. 7.4.1993 – XII ZR 266/91, NJW 1993, 2305 = EWiR 1993, 671 (Otte); BGH v. 21.9.1995 – VII ZR 248/94, IPRspr. 1995 Nr. 1 = RIW 1995, 1027; BGH v. 14.1.1999 – VII ZR 19/ 98, IPRspr. 1999 Nr. 27 = IPRax 2001, 333 (m. Aufs. Pulkowski, IPRax 2001, 306) = NJW-RR 1999, 813; OLG München v. 9.1.1996 – 25 U 4605/95, IPRspr. 1996 Nr. 26 = RIW 1996, 329.

Martiny | 101

2.75

§ 2 Rz. 2.75 | Bestimmung des Vertragsstatuts

auf die Ermittlung des Schuldstatuts deshalb verzichtet werden kann, weil alle in Betracht kommenden Rechtsordnungen zum gleichen Ergebnis führen. Ein Gericht darf aber selbstverständlich nur dann feststellen, nach deutschem und ausländischem Recht greife etwa ein Anspruch nicht durch, wenn das ausländische materielle Recht auch wirklich ermittelt und geprüft worden ist1.

2.76

Ist eines der in Betracht kommenden Rechte das deutsche, so hält die Rechtsprechung eine wahlweise Feststellung für die Berufungsinstanz für unzulässig2. Grund dafür ist die für Auslandsrecht ausgeschlossene Revisibilität (vgl. §§ 545, 560 ZPO)3. Dagegen ist bei rechtlichen oder tatsächlichen Zweifeln das Offenlassen in erster Instanz unbedenklich und bei den Revisionsgerichten häufig4. Ebenso ist es zulässig, die Frage, welche von zwei Kollisionsnormen anzuwenden ist, offen zu lassen, wenn beide zum gleichen Recht führen5.

II. Stillschweigende Rechtswahl 1. Maßgeblichkeit des Parteiwillens 2.77

Fehlt ein ausdrücklich geäußerter Parteiwille, so kann gleichwohl eine stillschweigende Rechtswahl vorliegen, an die dann anzuknüpfen ist (Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO)6. Sie ist vertraglicher Natur und erfordert eine tatsächliche Willensübereinkunft (d.h. einen realen Parteiwillen), während bei der objektiven Anknüpfung gerade keine rechtsgeschäftliche Einigung vorliegt7. Folglich geht es hier um eine ergänzende Vertragsauslegung, nicht um eine objektive Interessenabwägung8.

2.78

Die stillschweigende Rechtswahl kann als anfängliche Rechtswahl bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses oder später als nachträgliche Rechtswahl getroffen werden. In beiden Fällen ergibt sie sich aus besonderen Umständen des Einzelfalles oder aus typischen Umständen. Zur Ermittlung des tatsächlichen Willens sind alle Umstände in Betracht zu ziehen9. Für eine bestimmte Rechtswahl spricht insbesondere eine Häufung aussagekräftiger Indizien. Da diese teilweise die gleichen sind wie die bei der objektiven Anknüpfung, sind die Grenzen zwischen

1 BGH v. 16.6.1969 – VII ZR 119/67, IPRspr. 1968/69 Nr. 3 = WM 1969, 1140. 2 Zu dieser Streitfrage von Hein in MünchKomm, Einl. IPR Rz. 328. 3 Dazu BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, BGHZ 198, 14 = ZIP 2013, 2173 = NJW 2013, 3656; BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 692/19, RIW 2020, 702 Anm. Mankowski (m. Aufs. Benecke, RdA 2020, 366). – Krit. von Hein in MünchKomm, Einl. IPR Rz. 335 f. 4 Z.B. BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, IPRspr. 1980 Nr. 41 = ZIP 1981, 31 = WM 1981, 32 (Gläubigeranfechtung); BGH v. 25.1.1991 – V ZR 258/89, IPRspr. 1991 Nr. 3 = NJW 1991, 2214 (Grundstückskauf). 5 von Hein in MünchKomm, Einl. IPR Rz. 328. 6 Stillschweigende Rechtswahl erkennt auch an Art. 5 der Haager Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts von 2015. 7 Wagner, IPRax 2008, 377 (378). – Zum EVÜ Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (309). – Erklärungsbewusstsein verlangt Hartenstein, Die Privatautonomie im IPR (2000), S. 116 ff. 8 von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 32. 9 BGH v. 28.1.1997 – XI ZR 42/96, IPRspr. 1997 Nr. 27 = RIW 1997, 426; BGH v. 14.1.1999 – VII ZR 19/98, IPRspr. 1999 Nr. 27 = RIW 1999, 537 = IPRax 2001, 333 (m. Aufs. Pulkowski, IPRax 2001, 306); BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, IPRspr. 2000 Nr. 133 = NJW 2001, 1936. – S. zu einer sachrechtlichen Vereinbarung im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 (Granarolo), NJW 2016, 3087 = JZ 2017, 96 Anm. Klöpfer/Wendelstein = IPRax 2017, 396 m. Aufs. P. Huber, IPRax 2017, 356.

102 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.81 § 2

beiden fließend1. Früher wurde oft nicht ernsthaft geprüft, ob die Parteien überhaupt einen bewussten Rechtswahlwillen hatten und diesen auch äußern wollten2. Dagegen verlangt Art. 2 des Haager Kaufrechtsabk. vom 15.6.1955, dass sich der stillschweigende Parteiwille aus „éléments décisifs“ oder „unzweifelhaft“ aus den Umständen ergibt. Art. 116 Abs. 2 schweiz. IPRG fordert sogar, dass die Rechtswahl „eindeutig“ ist. Nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO muss sich die Rechtswahl „eindeutig“ (clearly demonstrated; de façon certaine; früher nur mit „reasonable certainty“ bzw. „hinreichender Sicherheit“) „aus den Bestimmungen des Vertrages oder aus den Umständen des Falles ergeben“3. Daher genügen vage Anhaltspunkte nicht; vielmehr muss sich die Rechtswahl mit Bestimmtheit ergeben4. Die Berücksichtigung eines bloß hypothetischen, nicht zum Ausdruck gelangten Willens ist ausgeschlossen5. Es müssen konkrete Umstände ersichtlich sein, die für einen realen Parteiwillen sprechen6. Nur durch eine Prüfung sowohl der objektiven Umstände als auch der subjektiven Voraussetzungen kann verhindert werden, dass eine stillschweigende Vereinbarung – die allzu oft auf die lex fori bezogen wird – vorschnell bejaht wird. Nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO dürfte eine nahezu absolute Sicherheit erforderlich sein. Der Wortlaut der Vorschrift lässt auch zu, dass sich die Umstände aus Fakten ergeben, die außerhalb des Vertrages liegen7.

2.79

Die Maßstäbe für die Auslegung des stillschweigenden Parteiwillens sind direkt aus Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO zu entwickeln. Insofern kommt es zu keinem Vorgriff auf die (möglicherweise) vereinbarte Rechtsordnung oder zu einem Rückgriff auf die Sachnormen der lex fori8. Fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten für eine stillschweigende Rechtswahl, so ist das Vertragsstatut aufgrund objektiver Anknüpfung nach Art. 4 Rom I-VO zu ermitteln. Eine Zwischenstufe ist nicht vorgesehen9. Die Ermittlung des konkludenten Parteiwillens darf auch nicht mit der Anwendung der Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO vermischt werden10.

2.80

Eine stillschweigende Vereinbarung einer Rechtsordnung, nach welcher der Vertrag nichtig ist, ist nicht grundsätzlich auszuschließen11. Kennen die Vertragsparteien diese Folge, so gilt dies jedenfalls dann, wenn sie auf die Einhaltung der beiderseitigen Verpflichtungen vertraut haben. Das kommt vor allem dann in Betracht, wenn den Parteien die Formungültigkeit des Hauptvertrages bewusst war12. Hierfür spricht, dass der Verweisungsvertrag nicht von den

2.81

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Vgl. Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (116 f.). Vgl. Kreuzer, IPR des Warenkaufs, S. 54 ff. Dazu Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798 (1799); Wagner, IPRax 2008, 377 (379). Dies betonte schon Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (303 f.). Wagner, IPRax 2008, 377 (378). – Ebenso bereits Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (243); Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (309 f.); Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 13. Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (532); Solomon, ZVglRW 115 (2016), 586 (588). Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 137 ff. (Stand 1.6.2021). S. schon OLG Hamburg v. 4.10.2001 – 6 U 122/99, IPRspr. 2001 Nr. 45 = TranspR 2002, 120; BAG v. 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, NZA 2008, 761 = RIW 2008, 644. – Vgl. Jayme, FS Lorenz (1991), S. 435 (438); E. Lorenz, RIW 1992, 697 ff. von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 32. Krit. Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57 (80). Dies verkennt etwa OLG Celle v. 26.5.1999 – 2 U 267/95, IPRspr. 1999 Nr. 31. Ebenso OLG Nürnberg v. 22.2.1996 – 8 U 2932/95, IPRspr. 1996 Nr. 31 = NJW-RR 1997, 1484 (Grundstückskauf). BGH v. 6.2.1970 – V ZR 158/66, BGHZ 53, 189 (193) = IPRspr. 1970 Nr. 10 (Vorvertrag über den Verkauf einer in den Niederlanden gelegenen Eigentumswohnung zwischen zwei Deutschen. Deutsches Recht wegen stillschweigender Vereinbarung angewendet; Vertrag formnichtig wegen

Martiny | 103

§ 2 Rz. 2.81 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Nichtigkeitsgründen des Hauptvertrages berührt wird (Rz. 2.15), die oftmals dem Schutz einer Partei dienen. Denn „wer ein Recht wählt, wählt dessen Schutz“1.

2. Hinweise auf den stillschweigenden Willen a) Indizwirkung

2.82

Da die stillschweigende Rechtswahl gerade nicht ausdrücklich erfolgt ist, muss sie bestimmten tatsächlichen Umständen (Indizien) entnommen werden. Solche Hinweise können sich einmal aus einzelnen Vertragsbestimmungen, also Formulierungen, Klauseln etc., zum anderen aber auch aus sonstigen Tatsachen, z.B. dem Verhalten der Parteien, sowie bestimmten Begleitumständen des Vertragsschlusses bzw. der Vertragsabwicklung ergeben2. Der VO-Entw. 2005 nannte das Verhalten der Parteien noch gesondert. Da es aber ohnehin umfasst wird und diese Erweiterung zu neuen Zweifeln führen könnte, wurde sie wieder gestrichen3. Gewisse äußere Umstände haben als Hinweis auf den stillschweigenden Parteiwillen in der Rechtsprechung seit langem besondere Bedeutung erlangt4. Als typische Umstände, die auch nach geltendem Recht bedeutsam sind, sind anerkannt:

2.83

– Die Vereinbarung eines einheitlichen Gerichtsstandes oder Schiedsgerichts sowie eines gemeinsamen Erfüllungsortes (s. Rz. 2.86 ff. bzw. Rz. 2.92 f.); – übereinstimmendes Prozessverhalten hinsichtlich des anzuwendenden Rechts (Rz. 2.100 ff.); – Verweisung auf Vorschriften eines bestimmten Rechts oder Bezugnahme auf Usancen (Rz. 2.111); – die Benutzung von AGB oder Formularen, die auf einer Rechtsordnung aufbauen (Rz. 2.117 f.).

2.84

Auch dass die Parteien ihre Beziehungen früher einem bestimmten Recht unterworfen haben, kann als Indiz für ihren Willen berücksichtigt werden (Rz. 2.124). Ferner kommen, meist in Zusammenhang mit anderen Hinweisen auf eine Rechtsordnung, als schwache Indizien der Ort des Vertragsabschlusses5, die Vertragswährung6 und -sprache in Betracht. Die lex rei sitae kann bei Grundstücksgeschäften von Bedeutung sein. – Über Relevanz und Gewicht dieser Hinweise im Einzelnen s. bei Rz. 2.252 ff.

1 2 3 4 5 6

§ 311b [früher § 313] BGB); BGH v. 9.3.1979 – V ZR 85/77, BGHZ 73, 391 = NJW 1979, 1773 (Privatschriftlicher Kauf eines span. Grundstücks. Stillschweigende Wahl deutschen Rechts angenommen, wonach Formnichtigkeit des Kaufvertrages eintrat, die jedoch in analoger Anwendung von § 311b Abs. 1 S. 2 [früher § 313 S. 2] BGB geheilt wurde). Kegel/Schurig, S. 657. – Einschränkend aufgrund der lex validitatis-Regel Abend, S. 297 ff. Dazu Wagner, IPRax 2008, 377 (379). Wagner, IPRax 2008, 377 (378). – Krit. zur Streichung Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1698 ff.). Näher dazu Steiner, S. 81 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-VO Rz. 49 ff.; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 141 ff. (Stand 1.6.2021). BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, IPRspr. 2000 Nr. 133 = NJW 2001, 1936 (1937); BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 44 = RIW 2017, 233 = NZA 2017, 502 (Arbeitsvertrag); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 174 (Stand 1.6.2021). BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 46 = RIW 2017, 233 = NZA 2017, 502 (Arbeitsvertrag).

104 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.86 § 2

Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob eine stillschweigende Rechtswahl rechtsfehlerhaft angenommen wurde. Hierfür ist insbesondere die Verletzung anerkannter Auslegungsregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze oder die Außerachtlassung wesentlichen Auslegungsstoffs von Bedeutung1. Ist dagegen eine solche Auslegung des Vertrages möglich, so bindet sie das Revisionsgericht2.

2.85

b) Gerichtsstandsklausel

Während der VO-Entwurf noch ausdrücklich (und zu weitgehend) anordnete, dass die Vereinbarung eines Gerichtsstandes in einem Mitgliedstaat die Wahl seines Rechts vermuten lasse3, heißt es nunmehr nur noch im Erwägungsgrund 12, dass eine Vereinbarung zwischen den Parteien, dass ein Gericht oder mehrere Gerichte eines Mitgliedstaats für Streitigkeiten aus einem Vertrag ausschließlich zuständig sein sollen, bei der Feststellung, ob eine Rechtswahl eindeutig getroffen wurde, einer der zu berücksichtigenden Faktoren sein sollte4 (näher zu Gerichtsstandsvereinbarungen Rz. 7.1 ff.). Die vertragliche Vereinbarung eines einheitlichen und ausschließlichen Gerichtsstandes ist ein sehr starker Hinweis – aber auch nicht mehr – auf das Recht dieses Gerichts5. Die Parteien gehen normalerweise davon aus, das als zuständig vereinbarte Gericht werde am besten sein eigenes Recht anwenden und sie beabsichtigen daher auch die Geltung dieses Rechts oder rechnen doch damit. Eine Gerichtsstandsvereinbarung spricht daher regelmäßig für eine stillschweigende Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO6. Dabei sollte es keinen Unterschied machen, ob sich der Gerichtsstand in einem Mitgliedstaat befindet oder nicht7. Fakultativer oder optionaler Gerichtsstand reichen nicht aus8. Es genügt

1 BGH v. 14.1.1999 – VII ZR 19/98, IPRspr. 1999 Nr. 27 = NJW-RR 1997, 686. 2 BGH v. 27.3.1968 – I ZR 163/65, IPRspr. 1968/69 Nr. 170 = NJW 1968, 1572; BGH v. 3.3.1976 – VIII ZR 251/74, IPRspr. 1976 Nr. 134 = RIW 1976, 447 (448); BGH v. 9.3.1979 – V ZR 85/77, BGHZ 73, 391 = IPRspr. 1979 Nr. 7 = NJW 1979, 1773; BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = JZ 2000, 1115 Anm. Sandrock; BAG v. 10.4.1975 – 2 AZR 128/74, IPRspr. 1975 Nr. 30b = RIW 1975, 521. 3 Vgl. Lando/Nielsen, J. PIL 2007, 29 (34 f.); Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (532 f.); Mankowski, IHR 2008, 133 (134). – Krit. dazu Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 95 (2006), 331 (335). 4 Dazu Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-67); Wagner, IPRax 2008, 377 (379). 5 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 142 f. (Stand 1.6.2021). – Art. 5 S. 2 der Haager Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts von 2015 stellt ausdrücklich klar, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung einer Rechtswahl nicht gleich kommt. 6 BGH v. 4.2.1991 – II ZR 52/90, IPRspr. 1991 Nr. 171 = NJW 1991, 1420 (Konnossement); BGH v. 13.6.1996 – IX ZR 172/95, IPRspr. 1996 Nr. 36 = IPRax 1998, 108 (m. Aufs. Ahrens IPRax 1998, 93) = ZIP 1996, 1291 = NJW 1996, 2569; OLG Hamburg v. 15.10.1992 – 6 U 229/91, IPRspr. 1992 Nr. 67 = TranspR 1993, 111; OLG Frankfurt v. 18.3.1997 – 5 U 229/95, ZIP 1997, 1782 = IPRspr. 1997 Nr. 33 = RIW 1998, 477; BAG v. 10.4.2014 – 2 AZR 741/13, RIW 2014, 691 = IPRax 2015, 342 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 2015, 309); Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (310 f.); Ughetto, Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 63 (64); Kropholler, IPR, S. 460; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 7. Ebenso Plender/Wilderspin, Rz. 6.039; Heiss in Czernich/Heiss, Art. 3 EVÜ Rz. 10. – Vgl. auch Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. Eine Gerichtsstandsklausel allein lässt nicht ausreichen E. Lorenz, RIW 1992, 697 (702). Zusätzliche Indizien verlangt auch Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (303). 7 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624). 8 Mankowski, IHR 2008, 133 (135); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 149 (Stand 1.6.2021).

Martiny | 105

2.86

§ 2 Rz. 2.86 | Bestimmung des Vertragsstatuts

auch nicht, wenn der Gerichtsstand nicht vereinbart, sondern nur auf einer Rechnung benannt wird1.

2.87

Überhaupt muss eine Vereinbarung vorliegen. Ist sie nicht oder nicht gültig zustande gekommen, so kann sie bei der Ermittlung des Parteiwillens nicht berücksichtigt werden2. Daher bedeutet es keinen Hinweis auf die Geltung deutschen Rechts, wenn der Kläger in Deutschland Klage erhebt, obwohl er nach einer (nicht ausschließlichen) Gerichtsstandsvereinbarung auch im Ausland hätte klagen können3. Man wird aber die Ursache der Unwirksamkeit nicht außer Acht lassen können. Ist noch ein Konsens vorhanden, so kann Indizwirkung bestehen4.

2.88

Zu beachten ist, dass eine Gerichtsstandsklausel stets nur ein Hinweis auf den stillschweigenden Parteiwillen ist5. Sprechen andere Bestimmungen des Vertrages oder die Gesamtheit der Umstände dagegen, so kann die Gerichtsstandsvereinbarung durchaus einmal außer Betracht bleiben6. Die Rechtsprechung hat einer Gerichtsstandsvereinbarung insbesondere dann keine Bedeutung zugemessen, wenn sie erst nach Vertragsschluss erfolgte7.

2.89

Fraglich ist, ob die Parteien mit der Änderung einer ursprünglich getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung auch eine Änderung des gewählten Rechts durch nachträgliche Rechtswahl vornehmen8. Man wird dies von den Umständen des Einzelfalles abhängig machen. Grundsätzlich ist es aber möglich, weil hier die gleichen Erwägungen wie für die ursprüngliche Vereinbarung gelten.

2.90

Wird vereinbart, dass eine Partei wahlweise an einem von mehreren Gerichtsständen klagen könne, dann ist dies kein Indiz für das anzuwendende Recht. Es muss vielmehr – mangels anderer Anhaltspunkte für einen stillschweigenden Parteiwillen – der Schwerpunkt des

1 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 77. – Ebenso schon BGH v. 7.5.1969 – VIII ZR 142/68, IPRspr. 1968/69 Nr. 31 = DB 1969, 1053 (Lieferung [Holz] von Brüssel nach Deutschland. Ein nur formularmäßiger Gerichtsstandsvermerk [„lieu de juridiction“] auf Fakturen des Verkäufers genügt nicht). 2 OLG Hamm v. 26.2.2004 – 2 U 195/02, IPRspr. 2004 Nr. 36 (formungültige Gerichtsstandsvereinbarung); Mankowski, IPRax 2015, 309 (310 f.). – Ebenso für fehlende Indizwirkung von Schiedsklauseln von Hülsen, AWD 1967, 267. Berücksichtigt, obwohl ohne rechtl. Wirkung von Hessisches LAG v. 19.12.2012 — 6 Sa 728/12, IPRspr. 2012 Nr. 70. 3 Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 14; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 78. – Anders offenbar BGH v. 15.1.1986 – VIII ZR 6/85, ZIP 1986, 366 = IPRax 1986, 292 (m. abl. Aufs. Schack, IPRax 1986, 272). 4 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 145 (Stand 1.6.2021). 5 S. BAG v. 5.5.1955 – 2 AZR 55/53, IzRspr. 1954–57 Nr. 115 = JZ 1955, 512 (Arbeitsvertrag mit Kaliwerkleiter in der DDR; Gerichtsstand Berlin; Anwendung der Berliner Pensionsbestimmungen als am Gerichtsort geltendes Recht kommt nicht in Betracht, „weil die Parteien zur Zeit des Vertragsabschlusses an eine Spaltung des Rechts in Deutschland noch gar nicht gedacht haben“.). 6 KG v. 22.6.1994 – Kart U 939/94, IPRspr. 1994 Nr. 21b = VuR 1995, 35 (Gerichtsstand Hamburg, AGB dän. Ferienhausanbieters). S. auch Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. 7 So schon vor dem EVÜ BAG v. 13.5.1959 – 1 AZR 258/57, BAGE 7, 362 = IPRspr. 1958/59 Nr. 51 (Leiter der Regensburger Zweigstelle der österreich. Donaudampfschifffahrtsgesellschaft; nachträgliche Gerichtsstandsvereinbarung [Wien] nicht berücksichtigt); OLG Düsseldorf v. 29.9.1970 – 6 U 230/69, IPRspr. 1970 Nr. 15 = WM 1971, 168 (170) (Stahlblechlieferung aus den USA nach Deutschland; spätere Vereinbarung der Zuständigkeit der Düsseldorfer Gerichte. US-amerikan. Recht angewendet). 8 Vgl. Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (120).

106 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.92 § 2

Rechtsverhältnisses ermittelt werden1. Entsprechend ist es, wenn die Gerichte am Sitz des jeweiligen Beklagten zuständig sein sollen2. Gerichtsstandsvereinbarungen können auch mit einem Wahlrecht eines Teiles hinsichtlich des anwendbaren Rechts verbunden sein3. Dass die Parteien ihre vertraglichen Beziehungen dem Recht unterstellen wollen, das in dem Land gilt, in dem die für ihre Streitigkeiten gewählte rechtsprechende Gewalt ihren Sitz hat, nimmt auch die schweizerische Rechtsprechung an4. Allerdings wird die Gerichtsstandsvereinbarung vielfach nur als eines unter mehreren Indizien angesehen5.

2.91

c) Schiedsklausel Literatur: Lüthge, Die kollisionsrechtliche Funktion der Schiedsgerichtsvereinbarung (1975); Thomas, Arbitration Agreements as a Signpost of the Proper Law, LMCLQ 1984, 141.

Große Bedeutung kommt der Vereinbarung eines Schiedsgerichts zu (näher zur Vereinbarung Rz. 7.202 ff.). Häufig stellen (nationale und internationale) Verbände ständige Schiedsgerichte zur Verfügung. In solchen Fällen besteht ein starker Hinweis auf das am Sitz des Schiedsgerichts geltende Recht, der regelmäßig die Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl rechtfertigt6. Im Hinblick darauf wird im internationalen Handel häufig auf eine ausdrückliche Rechtswahl verzichtet7.

1 S. bereits BGH v. 3.7.1959 – I ZR 184/57, IPRspr. 1958/59 Nr. 53 (Filmauswertungsvertrag; Gerichtsstand des Kl. nach Wahl in Rom oder München; deutsches Recht wegen übereinstimmenden Prozessverhaltens angewendet); LG Freiburg v. 6.12.1966 – 7 O 83/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 34A (Alleinvertriebsvertrag. Zuständigkeit französ., aber nach Wahl des Kl. auch deutschen Gerichts; es komme darauf an, bei welchem Gerichtsstand das Schwergewicht liege; französ. Recht angewendet). 2 OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, IPRspr. 1993 Nr. 35 = RIW 1993, 934. 3 S. etwa OLG Bremen v. 16.11.1967 – 2 U 82/67, IPRspr. 1966/67 Nr. 221 (Frachtvertrag, dessen eine Klausel lautete: „Alle Streitigkeiten sind nach finn. oder deutschem Recht durch die Gerichte des betreffenden Landes nach Wahl des Verfrachters zu entscheiden.“). 4 Amstutz/Wang/Silvan Gohari in Basler Komm, Art. 116 IPRG Rz. 41; Kren Kostkiewicz in ZürchKomm, Art. 116 IPRG Rz. 58. 5 Schweiz. BG v. 11.2.2005, BGE 131 III 289 (292 f.); Vischer/Huber/Oser, Rz. 172. 6 S. BGH v. 19.12.1968 – VII ZR 83 u. 84/66, IPRspr. 1968/69 Nr. 254 = AWD 1970, 31; OLG Düsseldorf v. 19.3.1996 – 20 U 178/94, IPRspr. 1996 Nr. 121 = ZUM 1998, 61 (Lizenzvertrag; deutsches Recht); OLG Hamburg v. 22.9.1978 – 14 U 76/77, IPRspr. 1978 Nr. 189 = RIW 1979, 482 Anm. Mezger (Geschäftsbedingungen des Waren-Vereins der Hamburger Börse e.V. und Hinweis auf das Schiedsgericht des Waren-Vereins); OLG Hamm v. 25.1.1993 – 8 U 250/91, IPRspr. 1993 Nr. 30 = NJW-RR 1993, 1445 (poln. Schiedsgericht; poln. Recht); BAG v. 4.10.1974 – 5 AZR 550/ 73, IPRspr. 1974 Nr. 42b = DB 1975, 63 (Arbeitsvertrag mit malays. Tochtergesellschaft; Vereinbarung Hamburger Schiedsgericht; stillschweigende Wahl deutschen Rechts); Deutsches Seeschiedsgericht v. 9.9.1976, IPRspr. 1976 Nr. 26 = VersR 1977, 447 (Bergelohnvereinbarung; deutsches Recht); Schiedsgericht Hamburger freundschaftliche Arbitrage v. 29.12.1998, IPRspr. 1998 Nr. 214 = RIW 1999, 394; SchiedsG Handelskammer Hamburg v. 21.3.1996 – ((k.Az.)), IPRspr. 1996 Nr. 212a = NJW 1996, 3229; Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (310 f.); von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 131; Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 15; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom IVO Rz. 7. Ebenso Plender/Wilderspin, Rz. 6.032 ff.; vgl. auch Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. Zurückhaltender E. Lorenz, RIW 1992, 697 (702). 7 Vgl. Deutscher Rat für IPR, RabelsZ 1959, 151 ff. – Art. 5 S. 2 der Haager Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts von 2015 stellt aber ausdrücklich klar, dass eine Schiedsvereinbarung einer Rechtswahl nicht gleich kommt.

Martiny | 107

2.92

§ 2 Rz. 2.93 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.93

Grund dafür ist, dass nationale institutionelle Schiedsgerichte häufig das Recht ihres Tagungsortes anwenden. Da das den Parteien regelmäßig bekannt ist, kann der Schiedsklausel eine stillschweigende Rechtswahl entnommen werden. Nach a.A. ist dies eine Fiktion. Die Schiedsklausel soll keine Bedeutung für den Parteiwillen haben, sondern nur subsidiär zu berücksichtigen sein, wenn auch eine anderweitige objektive Anknüpfung des Vertrages nicht möglich ist1. Diese Auffassung findet jedoch in den Art. 3 ff. Rom I-VO keine Stütze. Richtiger als die Schiedsklausel lediglich als subsidiären objektiven Anknüpfungspunkt zu beachten, dürfte sein, in ihr einen starken Hinweis auf eine (subjektive) Rechtswahl zu sehen und nachzuprüfen, ob dem der tatsächliche Parteiwille entspricht2. Nach deutschem Zivilprozessrecht hat das Schiedsgericht mangels Rechtswahl auf die engste Verbindung abzustellen (§ 1051 Abs. 2 ZPO; vgl. Rz. 7.462).

2.94

Die Vereinbarung eines bestimmten Schiedsgerichts kann jedoch andere Gründe haben als die stillschweigende Wahl des Rechts des Forums. Daher wird diese Regel dann durchbrochen, wenn die Schiedsklausel keinen Zusammenhang mit den sonstigen Vertragsmodalitäten oder der Frage des anwendbaren Rechts erkennen lässt. Dies ist u.U. der Fall, wenn das streitige Rechtsverhältnis zu einem anderen Land eine sehr starke, zum Recht des Schiedsverfahrens aber sonst keine Beziehung hat3. Dafür gibt es aber kaum Beispiele4.

2.95

Eine Rechtswahl ist nicht anzunehmen, wenn der Tagungsort des Schiedsgerichts im Ermessen der Parteien oder des Schiedsgerichts liegt, wenn mehrere Orte zur Wahl stehen oder das schiedsgerichtliche Verfahren jeweils am Sitz der beklagten Partei stattfinden soll5. Keinen Hinweis gibt auch die Vereinbarung der Zuständigkeit der IHK in Paris6. Das Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer in Paris entscheidet die ihm unterbreiteten Rechtsstreitigkeiten nicht nach französischem Recht, sondern dem aufgrund der Grundsätze des IPR zu ermittelnden nationalen Recht7.

2.96

Die von der IHK empfohlene Standard-Schiedsklausel sieht vor, dass die sich aus dem Vertrag ergebenden Streitigkeiten nach der Vergleichs- und Schiedsgerichtsordnung der IHK von einem oder mehreren Schiedsrichtern endgültig entschieden werden (s. Rz. 7.500). Hinsichtlich der „bei der Sachentscheidung anwendbaren Rechtsregeln“ bestimmt die IHK-Schiedsgerichtsordnung von 2012 idF von 2021 in Art. 21 Abs. 1: „Die Parteien können die Rechtsregeln, die das Schiedsgericht bei der Entscheidung in der Sache über die Streitigkeit anwenden soll, frei vereinbaren. Fehlt eine solche Vereinbarung, so wendet das Schiedsgericht diejenigen Rechtsregeln an, die es für geeignet erachtet.“ 1 Lüthge, S. 158 ff. 2 Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–064 (je nach den Umständen). 3 Mezger, AWD 1964, 204; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 154 (Stand 1.6.2021). – Zum engl. Recht Thomas, LMCLQ 1984, 141 ff.; Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–062 ff. 4 S. Compagnie Tunisienne de Navigation S.A. v. Compagnie d’Armement Maritime S.A., [1971] A. C. 572, 590, 600, HL (1970) (Öltransportvertrag zwischen tunes. und französ. Gesellschaft. Die vorgenommene Wahl eines Schiedsgerichts in London allein hätte noch nicht die Anwendung französ. Rechts ausgeschlossen, zu dem der Vertrag die engsten Beziehungen aufwies. Wegen ausdrücklicher Rechtswahl französ. Recht angewendet). 5 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 81. 6 Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32-064; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 81. – Ebenso für das Schiedsgericht der deutsch-französ. Handelskammer OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, IPRspr. 1989 Nr. 181 = NJW 1990, 652; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 158 (Stand 1.6.2021). 7 S. OLG Stuttgart v. 23.5.1960 – 2 U 3/60, IPRspr. 1960/61 Nr. 25 = AWD 1960, 246.

108 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.100 § 2

Der Schiedsrichter ist also nicht an die Art. 3 ff. Rom I-VO gebunden, vielmehr wendet er das Recht an, welches er für geeignet (appropriate; appropriée) hält. Die angewendete Kollisionsnorm wird häufig aufgrund einer vergleichenden Betrachtung des internationalen Vertragsrechts der im konkreten Fall berührten Länder sowie der Staatsvertragspraxis ermittelt1. Im Einzelnen sind viele Fragen des anwendbaren materiellen Rechts und Kollisionsrechts in der Schiedsgerichtsbarkeit noch ungelöst2 (vgl. Rz. 7.438 ff.).

2.97

Nehmen die Parteien auf einen Vertrag Bezug, den eine von ihnen mit einem Dritten geschlossen hat, und ist in diesem eine Schiedsklausel enthalten, so soll diese Klausel ihre Indizwirkung für eine stillschweigende Rechtswahl auch zwischen ihnen entfalten. Die stillschweigende Rechtswahl wird inkorporiert3.

2.98

Der Schiedsklausel kommt diese Bedeutung jedenfalls dann nicht zu, wenn sie zwischen den (zweiten) Vertragspartnern unwirksam ist4. Entscheidend für die stillschweigende Rechtswahl ist nämlich ihre Schiedsvereinbarung. Ist sie aber ungültig, dann ist sie auch nicht zu berücksichtigen. Wollte man anders entscheiden, so käme es nicht auf die Vereinbarung an, sondern auf das bloße Faktum der Bezeichnung in- oder ausländischer Schiedsrichter5.

2.99

d) Verhalten im Rechtsstreit Literatur: Buchta, Die nachträgliche Bestimmung des Schuldstatuts durch Prozessverhalten im deutschen, österreichischen und schweizerischen IPR (1986); Mansel, Kollisions- und zuständigkeitsrechtlicher Gleichlauf der vertraglichen und deliktischen Haftung, ZVglRW 86 (1987), 1; Schack, Keine stillschweigende Rechtswahl im Prozess!, IPRax 1986, 272.

Gehen die Parteien während des Rechtsstreits übereinstimmend von der Anwendung eines bestimmten Rechts aus, so ist das ein starker Hinweis auf dieses Recht6. Dies gilt nicht nur für 1 Umfangreiche Nachw. bei Lorenz, FS Neumayer, S. 407 (414 ff.). Zu Bestrebungen, den Schiedsrichtern genauere Regeln an die Hand zu geben, s. Lando, Conflict-of-Law Rules for Arbitrators, FS Zweigert (1981), S. 157. 2 S. dazu etwa Derains, Possible Conflict of Laws Rules and the Rules Applicable to the Dispute in Sanders (Hrsg.), UNCITRAL’s Project for a Model Law on International Commercial Arbitration (Deventer 1984), S. 169; Lando, The Law Applicable to the Merits of the Dispute in Lew (Hrsg.), Contemporary Problems in International Arbitration (London 1986), S. 101 = Arb.Int. 2 (1986), 104; Blackaby in Redfern and Hunter on international arbitration, 6. Aufl. (Oxford 2015); Wagner, Rechtswahlfreiheit im Schiedsverfahren, FS Schumann (2001), S. 535. 3 BGH v. 5.12.1966 – II ZR 232/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 41b = AWD 1967, 108 (Anspruch des engl. Verfrachters gegen den deutschen Empfänger auf Liegegeld. Verfrachter und Befrachter schlossen einen Chartervertrag, in dem u.a. ein Londoner Schiedsgericht vereinbart wurde. Auf den Chartervertrag nahmen die Konnossemente in vollem Umfang Bezug. Da dadurch die Rechtsbeziehungen des Verfrachters zum Empfänger entsprechend denen zwischen Verfrachter und Befrachter gestaltet wurden, wurde engl. Recht angewendet). 4 S. von Hülsen, AWD 1967, 267 (268); a.A. wohl BGH v. 5.12.1966 – II ZR 232/64 (vorige Fn.). Fehlende Indizwirkung nur bei Willensmängeln nach Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 156 (Stand 1.6.2021). 5 Anders als hier auch OLG Hamburg v. 8.5.1969 – 6 U 189/68, IPRspr. 1971 Nr. 158a = WM 1969, 709 (711): Vereinbarung eines jugoslaw. Schiedsgerichts war auch ohne gültigen Schiedsvertrag eine stillschweigende Rechtswahl. 6 BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 47 = RIW 2017, 233 = NZA 2017, 502 (Arbeitsvertrag); E. Lorenz, RIW 1992, 697 (703); Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 17. Anders von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 37, die dem Prozessverhalten lediglich eine das Vorbringen einschränkende Präklusionswirkung zugestehen.

Martiny | 109

2.100

§ 2 Rz. 2.100 | Bestimmung des Vertragsstatuts

die lex fori1, spielt aber hauptsächlich für die Anwendung deutschen Rechts eine Rolle. Insbesondere aus einer Argumentation auf dem Boden des BGB bzw. des HGB wird häufig der Schluss gezogen, dass die Parteien die Geltung deutschen Rechts vereinbart haben2. Eine solche Rechtswahl ist möglich, muss sich allerdings „eindeutig“ aus den Umständen ergeben3. Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Parteien die Anwendbarkeit deutschen Rechts während des Rechtsstreits „übereinstimmend und ohne Vorbehalt“4 zugrunde gelegt haben. Dritte kann sie jedenfalls nicht binden5.

2.101

Die Bezugnahme kann in der ausdrücklichen Erklärung liegen, dieses Recht solle anwendbar sein, aber auch im bloßen Anführen von Vorschriften einer Rechtsordnung. So herrschend diese Regel auch ist, so dürftig erscheint oft die übliche Begründung, dass im Prozessverhalten ein starker Hinweis auf den anfänglichen (oder nachträglichen) Willen der Parteien liege, sich diesem Recht zu unterstellen6. Im Anwaltsprozess ist dies – selbst wenn die Prozessvollmacht die Begründung und Aufhebung von Vertragsverhältnissen deckt7 – zuweilen eine reine Fiktion8. Bei der Vertretung durch einen Anwalt im Prozess hängt die Wirksamkeit einer stillschweigenden Rechtswahl nämlich auch von der Vertretungsmacht ab9.

2.102

Nach geltendem Recht genügt das Prozessverhalten als solches nicht für eine objektive Anknüpfung. Es begründet keine enge Verbindung i.S.d. Art. 4 Rom I-VO10. Demnach kann das Prozessverhalten lediglich für eine stillschweigende und damit rechtsgeschäftliche Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO von Bedeutung sein11. Z.T. wird verlangt, dass die Rechts1 BGH v. 17.1.1966 – VII ZR 54/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 5 (französ. Recht); OLG Hamburg v. 10.11.1989 – 14 U 111/88, IPRspr. 1989 Nr. 233b (niederländ. Recht); OLG Hamm v. 13.10.1998 – 19 U 59/98, IPRspr. 1998 Nr. 158 = RIW 1999, 787 (Minnesota). 2 ZB BGH v. 18.1.1988 – II ZR 72/87, BGHZ 103, 84 (86) = IPRspr. 1988 Nr. 18 = ZIP 1988, 358 = NJW 1988, 1592 (Edelmetallkauf); BGH v. 12.12.1990 – VIII ZR 332/89, IPRspr. 1990 Nr. 44 = NJW 1991, 1292 (Warenkauf); BGH v. 28.1.1992 – XI ZR 149/91, IPRspr. 1992 Nr. 30 = NJW 1992, 1380 = ZIP 1992, 475 (Scheck); BGH v. 5.10.1993 – XI ZR 200/92, IPRspr. 1993 Nr. 43 = ZIP 1993, 1706 = IPRax 1994, 452 (m. krit. Aufs. Straub, IPRax 1994, 432) (Wechsel); BGH v. 20.9.1995 – VIII ZR 52/94, BGHZ 130, 371 = IPRspr. 1995 Nr. 31; BGH v. 9.12.1998 – IV ZR 306/97, BGHZ 140, 167 = IPRspr. 1998 Nr. 48 = MDR 1999, 355 m. Anm. van Bühren = NJW 1999, 950; OLG Düsseldorf v. 11.11.1993 – 18 U 102/93, IPRspr. 1993 Nr. 46; OLG Düsseldorf v. 11.11.1993 – 18 U 44/93, RIW 1994, 774 = IPRax 1995, 402 Bericht Kronke (Straßengütertransport); LG Berlin v. 19.3.1996 – 102 O 261/95, IPRspr. 1996 Nr. 32 = IPRax 1998, 97 (m. Aufs. Gebauer, IPRax 1998, 79). 3 Zum früheren Recht Sandrock, RIW 1986, 841 (847 f.); E. Lorenz, RIW 1992, 697 (703). 4 So BGH v. 6.3.1995 – II ZR 37/94, IPRspr. 1995 Nr. 143 = IPRax 1996, 264 (m. Aufs. Schack, IPRax 1996, 247) = WM 1995, 859 (861) (Zeitchartervertrag); OLG Hamburg v. 1.12.2016 – 6 U 145/14, IPRspr. 2016 Nr. 94 = TranspR 2018, 395 (Seefrachtvertrag). Dagegen verlangt grundsätzlich ein Abweichen von einer früheren ausdrücklichen Rechtswahl oder einen früheren gerichtlichen Hinweis Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (313). 5 BAG v. 23.3.2016 – 5 AZR 767/14, IPRspr. 2016 Nr. 95b = NJW 2016, 2285 (Vertrag zugunsten Dritter). 6 Vgl. Flessner, RabelsZ 34 (1970), 547 (566); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 82. 7 Mansel, ZVglRW 86 (1987), 1 (13). 8 Ein zu geringes Problembewusstsein konstatiert OLG Köln v. 2.10.1992 – 19 U 28/92, ZIP 1992, 1482 = IPRax 1994, 213 (m. zust. Aufs. Piltz, IPRax 1994, 191). 9 Dazu Schack, NJW 1984, 2736 (2739); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 83. 10 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 162. 11 Piltz, IPRax 1994, 191 (193). Vgl. OLG Düsseldorf v. 4.6.1992 – 6 U 235/91, ZIP 1992, 1460 = IPRspr. 1992 Nr. 35 (LS) = WM 1992, 1898 (abweichende nachträgliche Rechtswahl). S. auch Mansel, ZVglRW 86 (1987), 1 (8 f.).

110 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.106 § 2

anwendung im Prozess ausdrücklich zur Sprache gekommen ist1. Wünschenswert ist jedenfalls, dass die Frage der Rechtsanwendung dem Gebot richterlicher Aufklärung entsprechend (vgl. § 139 ZPO) zur Sprache gebracht wird. Zurückhaltend ist auch das Schweizerische Bundesgericht, das in der übereinstimmenden Berufung der Parteien auf ein Recht eine stillschweigende Rechtswahl nur dann sieht, wenn weitere Umstände eine solche Schlussfolgerung rechtfertigen2. Notwendig nach ihm ist insbesondere – wie auch sonst für eine Rechtswahl –, dass beide Parteien im Bewusstsein, dass die Frage des anwendbaren Rechts sich stellt, den Willen äußern, ihre Beziehungen einem bestimmten Recht zu unterwerfen. Dies kommt einer nachträglichen Rechtswahl (Rz. 2.126) gleich.

2.103

Da die Berufung auf ein bestimmtes Recht nicht selten aus Unkenntnis oder aufgrund der Annahme der zwingenden Geltung dieses Rechts erfolgt, ist bedeutsam, ob sich das Gericht auch über übereinstimmendes Prozessverhalten der Parteien hinwegsetzen kann. Dies ist immer dann möglich, wenn die Einigung nicht bindend ist. Bindend ist sie aber nur, wenn sie nicht nur Ausdruck der Überzeugung, sondern des Willens der Parteien ist3. Liegt ein Wille der Parteien vor, so handelt es sich um eine reale Rechtswahl. Andernfalls ist nur eine – möglicherweise irrige – Rechtsansicht geäußert worden4.

2.104

Einen zuverlässigen Schluss aus dem Prozessverhalten kann man auch nur dann ziehen, wenn die Frage des anwendbaren Rechts überhaupt nicht streitig gewesen ist und die Parteien, „ohne den mindesten Zweifel zu äußern“, von der Anwendung eines Rechts ausgingen. Ist einmal Streit darüber entstanden, so wird man – außer wenn es später zu einer wirklichen Einigung kommt – das Prozessverhalten der Parteien nicht mehr berücksichtigen können5. Eine vorsorgliche Argumentation auf der Basis deutschen Rechts genügt für eine stillschweigende Rechtswahl keinesfalls6.

2.105

Praktische Bedeutung gewinnt das Prozessverhalten vor allem dann, wenn die Parteien an der widerspruchslosen Hinnahme der Anwendung eines bestimmten (meist des deutschen) Rechts festgehalten werden. Früher hat man für die Revisionsinstanz vielfach angenommen,

2.106

1 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (532). 2 S. schweiz. BG v. 27.4. 2004, BGE 130 III 417 (423). – Vgl. auch Amstutz/Wang/Silvan Gohari in Basler Komm, Art. 116 IPRG Rz. 44; Kren Kostkiewicz in ZürchKomm, Art. 116 IPRG Rz. 50 ff. 3 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 82; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 179 (Stand 1.6.2021). 4 BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = NJW-RR 2000, 1002 = JZ 2000, 115 Anm. Sandrock („beiderseitiger Gestaltungswille“ für nachträgliche Änderung der Rechtswahl verlangt); OLG Köln v. 26.6.1986 – 1 U 12/86, NJW 1987, 1151 (Erörterung der Forderungsabtretung nach deutschem Recht in der ersten Instanz nicht als Rechtswahl – die aber ohnehin nicht wirksam gewesen wäre – gewertet. Französ. Recht angewendet); OLG Düsseldorf v. 18.12.2008 – 5 U 88/08, 5 U 88/08, NJW-RR 2009, 1380 (Argumentation mit deutschem Recht für in Türkei abgegebenes Schuldanerkenntnis); E. Lorenz, RIW 1992, 697 (702); Kropholler, IPR, S. 300, 460. – Näher Schack, NJW 1984, 2736 (2737 ff.). 5 S. BGH v. 7.5.1969 – VIII ZR 142/68, IPRspr. 1968/69 Nr. 31 = WM 1969, 772; LG Freiburg v. 6.12.1966 – 7 O 83/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 34A, S. 113 f. 6 Mansel, ZVglRW 86 (1987), 1 (11 ff.). – Anders BGH v. 15.1.1986 – VIII ZR 6/85, NJW-RR 1986, 456 = ZIP 1986, 366 = IPRax 1986, 292 (m. abl. Aufs. Schack, IPRax 1986, 272) (Obwohl in der Berufungsbegründung gerügt wurde, dass nicht – wie vereinbart – österreich. Recht angewendet worden war, stillschweigende Wahl deutschen Rechts durch Prozessverhalten angenommen).

Martiny | 111

§ 2 Rz. 2.106 | Bestimmung des Vertragsstatuts

die Parteien hätten sich von Anfang an oder doch im Laufe des Rechtsstreits auf die Anwendung deutschen Rechts geeinigt1. Bei Fehlen einer wirklichen Rechtswahl ist es aber vor dem Tatrichter selbst noch möglich, sich auf ein anderes Recht zu berufen2. Mangels entsprechender Parteivereinbarung kann das Berufungsgericht daher ein anderes Recht anwenden als das erstinstanzliche Gericht3.

2.107

Manchmal hat man einer Partei aber bereits in der Berufungsinstanz verwehrt, sich nunmehr auf eine andere Rechtsordnung zu stützen4. e) Einheitlicher Erfüllungsort

2.108

Nach Art. 3 ff. Rom I-VO kann die Vereinbarung eines gemeinsamen Erfüllungsortes oft als stillschweigende Wahl des dort geltenden Rechts gewertet werden5 (zur Erfüllungsortvereinbarung s. Rz. 7.65). Haben die Parteien einen bei gegenseitigen Verträgen einheitlichen Erfüllungsort vereinbart, so ist nämlich daran zu denken, dass sie damit eine Vereinbarung über das anwendbare Recht treffen wollten6. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn weitere Umstände in dieselbe Richtung weisen7. Gleiches gilt, wenn der vereinbarte Erfüllungsort mit dem Ort, an dem tatsächlich geleistet werden soll, nichts zu tun hat. Hat z.B. eine Berliner Baufirma den Bau eines Tunnels in Rumänien übernommen und ist dabei Berlin als Erfüllungsort vereinbart, so ist darin eine Rechtswahl zu sehen8. Deutsches Recht ist dann Schuldstatut, nicht wegen subsidiärer Anknüpfung an den Erfüllungsort, sondern an den stillschweigenden Parteiwillen9. Zur Bestimmung des Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO s. Rz. 3.195 ff.

2.109

Als selbständiger Anknüpfungspunkt kommt der Erfüllungsort nicht mehr in Frage10. Er kann allenfalls als Einzelumstand für die enge Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO in Betracht kommen.

2.110

Dagegen war der Erfüllungsort früher nach ständiger Rechtsprechung ein eigenständiger, subsidiärer Anknüpfungspunkt, wenn sich ein hypothetischer Parteiwille nicht ermitteln ließ,

1 S. BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, IPRspr. 1984 Nr. 121 = NJW 1984, 2762 = ZIP 1984, 1405 = IPRax 1985, 221 (Anm. Kötz, IPRax 1985, 205). 2 OLG Frankfurt v. 4.4.1973 – 7 U 122/67, IPRspr. 1973 Nr. 6 = AWD 1973, 558 (In erster Instanz wurde auf der Basis deutschen Rechts argumentiert. Berufungsgericht wandte US-amerik. Recht an). 3 OLG München v. 9.1.1996 – 25 U 4605/95, IPRspr. 1996 Nr. 26 = RIW 1996, 329. 4 OLG Hamburg v. 2.10.1969 – 6 U 10/69, IPRspr. 1968/69 Nr. 48A = VersR 1970, 1125 (einseitiger Übergang von deutschem zu belg. Recht nicht mehr gestattet); OLG Hamburg v. 21.7.1977 – 6 U 30/77, IPRspr. 1977 Nr. 40 = VersR 1978, 918 (Bezugnahme auf deutsches Recht in der ersten Instanz wurde als bindend angesehen). Unklar: OLG Köln v. 12.5.1975 – 1 U 183/74, OLGZ 1975, 454 = IPRspr. 1975 Nr. 12 = RIW 1976, 373 (trotz Versuchs, von deutschem zu italien. Recht zu kommen, auf ursprüngliche Wahl deutschen Rechts geschlossen). 5 Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 7. Bedenklich ist es, der bloßen Versendung eines Gutachtens in das Land des Auftraggebers Bedeutung beizumessen, so aber OLG Köln v. 26.8.1994 – 19 U 282/93, IPRspr. 1994 Nr. 37 = RIW 1994, 970 (Vertrag mit schweiz. Werkunternehmer). 6 Kropholler, IPR, S. 460. – Unentschieden von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 35. 7 von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 34; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 96. 8 Beispiel aus Raape, S. 485. Zust. insoweit Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (311). 9 Vgl. auch Kreuzer, IPR des Warenkaufs, S. 203 ff. 10 Schröder, IPRax 1987, 90 (91).

112 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.112 § 2

d.h. ein Überwiegen eines von mehreren widersprechenden Hinweisen nicht feststellbar war1. Diese Rechtsprechung ist überholt. f) Bezugnahme auf ein Recht Die Verwendung von juristisch-technischen Klauseln deutet auf das Recht hin, auf das diese Klauseln abgestellt sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn bestimmte Rechtsbegriffe oder für ein Recht typische Klauseln verwendet werden2. Weisen die Formulierungen jedoch nicht auf typische ausländische Rechtseinrichtungen hin, sondern können sie ebenso gut als analoger sprachlicher Ausdruck für auch dem deutschen Recht geläufige Einrichtungen angesehen werden, so haben sie keine Aussagekraft3. Gleiches gilt, wenn der Klausel nur eine isolierte Bedeutung zukommt4.

2.111

Nehmen die Parteien auf einzelne Vorschriften eines bestimmten Rechts Bezug, so wird im Regelfall eine stillschweigende Rechtswahl anzunehmen sein5. Dies gilt auch bei der Verwendung von AGB6. Allerdings wird insofern teilweise die „Eindeutigkeit“ der Rechtswahl bezweifelt7. Doch kann die Bezugnahme auf die deutsche VOB eine stillschweigende Wahl deutschen Rechts sein8. Darin kann eine Vereinbarung deutschen Rechts für das gesamte Vertragsverhältnis und nicht nur für die Gewährleistung liegen9. Ähnlich deutet die Bezugnahme auf ein-

2.112

1 Näher zur Überwindung dieser auf Savigny zurückgehenden Auffassung Schwander, Zur heutigen Rolle des Erfüllungsortes im IPR, Conflits et harmonisation – Mélanges von Overbeck (Fribourg 1990), S. 681 ff. 2 BGH v. 10.4.2003 – VII ZR 314/01, IPRspr. 2003 Nr. 30 = NJW 2003, 2605 = ZIP 2003, 1388 (Begriffe deutschen Bürgschaftsrechts); OLG Köln v. 8.1.1993 – 19 U 123/92, IPRspr. 1993 Nr. 29 = RIW 1993, 415 (Kauf niederländ. Grundstücks in von niederländ. Notar angefertigtem Kaufvertragsformular dem niederländ. Recht unterstellt). 3 BGH v. 22.11.1955 – I ZR 218/53, BGHZ 19, 110 = IPRspr. 1954/55 Nr. 22. 4 OLG Hamburg v. 4.10.2001 – 6 U 122/99, IPRspr. 2001 Nr. 45 = TranspR 2002, 120 (US-amerikan. Versicherungsbedingungen und engl. „to-follow“-Klausel. Deutsches Recht angewendet). 5 BGH v. 10.5.1996 – V ZR 154/95, IPRspr. 1996 Nr. 34 = NJW-RR 1996, 1034 (deutsches WEG); BGH v. 14.1.1999 – VII ZR 19/98, IPRspr. 1999 Nr. 27 = RIW 1999, 537 = EWiR 1999, 353 (Wenner) (deutsche VOB); OLG Düsseldorf v. 26.10.1995 – 18 U 27/95, IPRspr. 1995 Nr. 54 = TranspR 1996, 152; OLG Saarbrücken v. 11.06.2015 – 4 U 109/14, IPRspr. 2015 Nr. 29 (Darlehen; franz. Verbraucherrecht); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 91 (nur bei Eindeutigkeit). 6 BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, IPRspr. 1996 Nr. 160 = NJW 1997, 397 = ZIP 1996, 2184 (deutsches Bürgschaftsformular); Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 12. – Die Rechtsprechung hat mehrfach dän. Ferienhaus-AGB nach deutschem Recht beurteilt, da diese Bedingungen den Anforderungen des deutschen Rechts genügen wollten; s. AG Rostock v. 4.2.1997 – 45 C 114/ 95, IPRspr. 1997 Nr. 30 = RRa 1997, 163; AG Hamburg v. 7.7.1999 – 17A C 88/99, IPRspr. 1999 Nr. 121 = NJW-RR 2000, 352. 7 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 93. – Eine nur „beiläufige“ Nennung einer slowakischen Bestimmung hielt für nicht ausreichend OLG Oldenburg v. 28.2.2012 – 13 U 67/10, IHR 2013, 63 Anm. Magnus = IPRax 2014, 434 (m. krit. Aufs. Sonnenberger, IPRax 2014, 400) = IPRspr. 2012 Nr. 29. Nicht genügend Hinweis in AGB auf deutsche Beförderungsbedingungen, öOGH v. 24.4.2020 – 7 Ob 184/19p, ZfRV 2020, 182 m. zust. Anm. Ofner. 8 BGH v. 14.1.1999 – VII ZR 19/98, IPRspr. 1999 Nr. 27 = IPRax 2001, 333 (m. Aufs. Pulkowski, IPRax 2001, 306) = RIW 1999, 537; BGH v. 10.4.2003 – VII ZR 314/01, IPRspr. 2003 Nr. 30 = NJW 2003, 2605 = ZIP 2003, 1388; OLG Hamm v. 20.1.2004 – 21 U 102/02, IPRspr. 2004 Nr. 18 = NJOZ 2004, 1357; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 12. 9 BGH v. 20.11.2014 – IX ZR 13/14, ZIP 2015, 42 = WM 2015, 53 = NJW-RR 2015, 302.

Martiny | 113

§ 2 Rz. 2.112 | Bestimmung des Vertragsstatuts

zelne Artikel des Code civil auf die Wahl französischen Rechts hin1. Wird deutsches Tarifvertragsrecht zugrunde gelegt, spricht dies für die Geltung deutschen Arbeitsrechts2.

2.113

Dies gilt dann nicht, wenn sich die angezogenen Normen ohnehin zwingend durchsetzen und ihre Erwähnung die Frage nach dem privatrechtlichen Vertragsstatut unberührt lässt3. Dies ist etwa bei einer Bezugnahme auf zwingende Preisvorschriften4 oder auf deutsches Mutterschutzrecht5 der Fall.

2.114

Vor allem in englischer Sprache abgefasste Verträge enthalten häufig eine Interpretationsklausel, wonach der Vertrag im Sinne einer bestimmten Rechtsordnung ausgelegt werden soll (sog. construction clause). Formulierungen wie „shall be construed in accordance with German law“, „are to be construed in accordance with English law“ haben nicht nur (sachrechtliche) Bedeutung für die Auslegung des Vertrages, sondern weisen auf die Rechtsordnung hin, welcher der Vertrag kollisionsrechtlich unterstehen soll. Im Regelfall ist daher die in Bezug genommene Rechtsordnung anzuwenden, ohne dass noch zusätzliche Hinweise auf eine Wahl dieses Rechts vorliegen müssten6.

2.115

Jedenfalls im Verhältnis zu England und den USA dürfte eine solche „construction clause“ wohl stets eine ausdrückliche Rechtswahl bedeuten7 und nicht bloß eine stillschweigende Vereinbarung darstellen8. g) Vertragssprache

2.116

Die Sprache allein, in der die Vertragsverhandlung geführt und ein schriftlicher Vertrag abgeschlossen worden ist, gibt nur einen schwachen Hinweis auf die Rechtsordnung, in deren Geltungsbereich diese Sprache Vertragssprache ist9. Regelmäßig kann dem Gebrauch der deut1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. S. auch BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = NJW-RR 2000, 1002 = JZ 2000, 1115 Anm. Sandrock („Vergleich i.S.d. Art. 2044 ff. Code civil“; französ. Recht). 2 S. BAG v. 7.7.1960 – 2 AZR 483/59, IPRspr. 1960/61 Nr. 26 = AP Nr. 2 zu § 124 GewO (Zimmerpolier in Indien); BAG v. 4.8.1960 – 2 AZR 447/58, IPRspr. 1960/61 Nr. 27 (Bezugnahme auf die deutsche Tarifordnung für Filmschaffende). – Entsprechend für die stillschweigende Vereinbarung US-amerikan. Rechts BAG v. 12.12.2001 – 5 AZR 255/00, IPRspr. 2001 Nr. 52 = IPRax 2003, 258 (m. Aufs. Franzen, IPRax 2003, 239) = NZA 2002, 734. 3 Vgl. BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, IPRspr. 2000 Nr. 133 = NJW 2001, 1936 (Nichtvereinbarung von HOAI irrelevant); von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 146 (Sozialrecht). 4 Wenner, Internationale Architektenverträge, Baurecht 1993, 257 (269). 5 BAG v. 9.5.1959 – 2 AZR 474/58, BAGE 7, 357 = IPRspr. 1958/59 Nr. 50 (SAS-Angestellter in Deutschland; Bezugnahme auf deutsches Mutterschutzrecht, Sozialversicherungs- und Feiertagsrecht unmaßgeblich). 6 Schröder, Auslegung und Rechtswahl, IPRax 1985, 131 f. 7 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 89; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 160 (Stand 1.6.2021). – Ebenso zum engl. Recht W. Lorenz, IPRax 1989, 24. Eine ausdrückliche Wahl kaliforn. Rechts nimmt auch an OLG München v. 25.2.1988 – 29 U 2759/86, IPRspr. 1988 Nr. 155 = IPRax 1989, 42 (m. zust. Aufs. W. Lorenz, IPRax 1989, 22). 8 So E. Lorenz, RIW 1992, 697 (703); Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 7. – S. aber OLG München v. 22.6.1983 – 7 U 5522/82, IPRspr. 1983 Nr. 129b = IPRax 1984, 319 (m. zust. Anm. Jayme, IPRax 1984, 303) (Liefervertrag. „This agreement shall be construed under the laws of the State of Iowa“ (nur) als stillschweigende Vereinbarung des Rechts von Iowa gewertet). 9 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 98. – Bedeutungslos für die objektive Anknüpfung nach LG Baden-Baden v. 14.2.1997 – 2 O 348/95, IPRspr. 1997 Nr. 31; LG Hamburg v. 18.2.1999 – 302 S 146/98, IPRspr. 1999 Nr. 30 = RIW 1999, 391.

114 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.117 § 2

schen Sprache kein stillschweigender Parteiwille entnommen werden1, insb. dann, wenn die Sprache am Sitz beider Parteien gesprochen wird2. Zwar führen die Gerichte die Vertragssprache häufig unterstützend an3. Selbst für die objektive Anknüpfung ist der Wert dieses Kriteriums aber begrenzt4. Zudem kann bei Berücksichtigung der Sprache leicht die Grenze zur Philologie überschritten werden (vgl. OLG Düsseldorf 29.9.1970: „Die Parteien haben den Vertrag in englischer Sprache geschlossen und sich dabei der amerikanischen Rechtschreibung [favor] bedient“5). h) Formulare und Allgemeine Geschäftsbedingungen

Bei Formularen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen treffen verschiedene Umstände zusammen: die Benutzung einer Sprache sowie für ein Recht typischer Klauseln, Verwendung und Aufstellung des Formulars durch einen Vertragspartner oder eine Organisation. Häufig hat die Partei, die ein Formular für ihre Vertragsabschlüsse bereithält (etwa eine Versicherungsgesellschaft), dieses Formular selbst entworfen. Die Verwendung dieses Formulars kann dann die stillschweigende Vereinbarung des am Niederlassungsort geltenden Rechts bedeuten6. Oft stammt das Formular aber auch von einer Handelskammer oder einem Verband und baut auf einer nationalen Rechtsordnung auf. Dann deutet die Verwendung des Formulars auf das Recht dieses Verbandes hin7. Im Übrigen wird häufig angenommen, das am Ort des Unternehmens geltende Recht sei auch als Vertragsrecht gewollt8. In der Regel wird daher eine stillschweigende Rechtswahl anzunehmen sein9. Das gilt

1 OLG Koblenz v. 8.9.2000 – 11 U 288/00, IPRspr. 2000 Nr. 130 = VuR 2001, 257 Anm. Mankowski; KG v. 6.3.2003 – 2 U 198/01, ZIP 2003, 1538 = IPRspr. 2003 Nr. 43 = WM 2003, 2093. 2 BAG v. 23.3.2016 – 5 AZR 767/14, IPRspr. 2016 Nr. 95b = NJW 2016, 2285; BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 43 = RIW 2017, 233 = NZA 2017, 502 (Arbeitsvertrag). 3 So etwa für die stillschweigende Rechtswahl BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = JZ 2000, 1115 Anm. Sandrock (Vergleich in französ. Sprache); OLG Nürnberg v. 22.2.1996 – 8 U 2932/95, IPRspr. 1996 Nr. 31 = NJW-RR 1997, 1484; OLG Karlsruhe v. 21.2.2006 – 15 U 5/04, IPRspr. 2006 Nr. 8 (LS) = TranspR 2007, 203; KG v. 21.2.2008 – 19 U 60/07, NJW-RR 2009, 195 (Teppichkauf in deutscher Sprache). 4 Vgl. Siehr in Reichelt, S. 69 (75); von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 59 f., 64. 5 WM 1971, 168 (170) = IPRspr. 1970 Nr. 15. 6 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. Ebenso OLG Hamm v. 28.6.1994 – 19 U 179/93, IPRspr. 1994 Nr. 140 = RIW 1994, 877 (Warenkauf); Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32-060. Zurückhaltender Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (312). 7 AG Rostock v. 4.2.1997 – 45 C 114/95, IPRspr. 1997 Nr. 30 = RRa 1997, 163; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 144; von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 34. Grundsätzlich ablehnend und nur bei zusätzlichen Indizien Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 16. 8 S. von Hoffmann, AWD 1970, 247 (248). 9 OLG Karlsruhe v. 30.3.1979 – 15 U 153/78, IPRspr. 1979 Nr. 159 = RIW 1979, 642 (LS) (Bestellung des ausländ. Käufers auf Formular des deutschen Verkäufers. Stillschweigende Vereinbarung deutschen Rechts); OLG Hamburg v. 30.12.1985 – 11 U 159/85, IPRspr. 1985 Nr. 36 = RIW 1986, 462 (Österreich. Verkäufer schließt Vertrag mit deutschem Käufer auf der Grundlage der Auftragsbedingungen des Verbandes deutscher Exporteure. Deutsches Recht angewendet). Anders OLG Hamburg v. 29.10.1958 – 5 U 25/58, IPRspr. 1958/59 Nr. 43 = AWD 1958, 249 (deutschfranzös. Kauf [Graugerste]). Aus der Verwendung eines bestimmten Formulars [deutsch-niederländ. Vertrag Nr. 3] allein könne kein Schluss auf das anwendbare Recht gezogen werden. Wegen deutschen Schiedsgerichts deutsches Recht angewendet).

Martiny | 115

2.117

§ 2 Rz. 2.117 | Bestimmung des Vertragsstatuts

auch dann, wenn die AGB ihrerseits auf die Geschäftsbedingungen eines nationalen Verbandes verweisen1.

2.118

Werden die deutschen Allgemeinen Spediteurbedingungen (ADSp) vereinbart (dazu näher Rz. 31.8 ff.), so spricht das für eine stillschweigende Wahl deutschen Rechts2. Wird dagegen auf ausländische Speditionsbedingungen Bezug genommen, so kommt ausländisches Recht zur Anwendung3. Von Bedeutung kann auch die Bezugnahme auf Standards wie die deutschen DIN-Normen sein4. Zu beachten ist allerdings, dass es sich um technische Standards handeln kann, welche ohnehin als Erfüllungsmodalitäten i.S.d. Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO oder Sicherheitsregeln nach Art. 17 Rom II-VO einzuhalten sind. Dann ist die Bezugnahme auf sie nur ein schwaches Indiz für eine stillschweigende Rechtswahl5.

2.119

Teilweise gleiche Ergebnisse werden erzielt, wenn eine stillschweigende Rechtswahl zwar nicht, wohl aber eine objektive Kollisionsnorm des Inhalts angenommen wird, dass Massenverträge dem Recht des Sitzes des Unternehmens unterstehen, welches sie ständig abschließt6. Solche auf Uniformität gerichteten Erwägungen finden zwar ihren Platz bei der objektiven Anknüpfung, können aber eine stillschweigende Rechtswahl nicht ausschließen.

2.120

Genügen kann auch eine formularmäßige Bezugnahme auf einen anderen Vertrag zwischen einer Partei und einem Dritten. Eine in diesem Vertrag liegende stillschweigende Rechtswahl wird damit in die nunmehrigen vertraglichen Beziehungen inkorporiert7. 1 OLG Köln v. 26.6.1986 – 1 U 12/86, IPRspr. 1986 Nr. 38 = NJW 1987, 1151 (Bezugnahme auf AGB, die ihrerseits auf die Richtlinien der französ. Damenbekleidungsindustrie verwiesen. Stillschweigende Vereinbarung französ. Rechts). – S. bereits BGH: v. 29.11.1961 – VIII ZR 146/60, IPRspr. 1960/61 Nr. 40 = JZ 1963, 167 (Für Kauf [Aprikosenkerne] Formular der General Produce Broker’s Association verwendet. Engl. Recht angewendet); BGH v. 19.12.1968 – VII ZR 83 u. 84/66, IPRspr. 1968/69 Nr. 254 = AWD 1970, 31 (Warenlieferung ins Ausland aufgrund Geschäftsbedingungen des Warenvereins der Hamburger Börse. Vereinbarung deutschen Rechts angenommen); BGH v. 3.3.1976 – VIII ZR 251/74, IPRspr. 1976 Nr. 134 = RIW 1976, 447 (Alleinverkauf von Deutschland nach Belgien. Vereinbarung deutschen Rechts wegen AGB des deutschen Unternehmers). 2 BGH v. 25.10.1995 – I ZR 230/93, IPRspr. 1995 Nr. 53 = TranspR 1996, 118; OLG München v. 29.10.1982 – 23 U 2110/82, RIW 1983, 957; OLG Hamburg v. 28.9.1989 – 6 U 88/89, 6 U 89/89, IPRspr. 1989 Nr. 193 = RIW 1991, 61; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 161 (Stand 1.6.2021). – Nach ADSp 2017 Nr. 30.1 gilt ausdrücklich deutsches Recht. 3 LG Frankfurt v. 14.6.1968 – 3/3 O 24/68, IPRspr. 1968/69 Nr. 41 = AWD 1969, 233 (schweiz. Recht); LG München I v. 24.11.1998 – 16 HKO 21973/97, IPRspr. 1998 Nr. 50 = TranspR 1999, 300 (österreich. Recht). 4 Pulkowski, IPRax 2001, 306 (309); anders Freitag in Messerschmidt/Voit, Privates Baurecht, 2. Aufl. 2012, Rz. P 17. 5 Mankowski in Leible, Grünbuch, S. 63 (77 f.); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 162 (Stand 1.6.2021). 6 Vgl. Vischer/Huber/Oser, Rz. 200. 7 RG v. 24.11.1928 – I 68/28, RGZ 122, 316 = IPRspr. 1929 Nr. 61 (Anspruch des engl. Verfrachters gegen den Empfänger auf außergewöhnliche Löschkosten. Im Konnossement wurde Bezug genommen auf die Bestimmungen des Chartervertrages zwischen Befrachter und Verfrachter. Da auf diesen Vertrag engl. Recht anzuwenden war, sollte es auch für die Haftung des Empfängers gegenüber dem Verfrachter gelten); BGH v. 5.12.1966 – II ZR 232/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 41b = AWD 1967, 267 (Liegegeldanspruch des Verfrachters gegen den Empfänger. Wegen Bezugnahme auf den Chartervertrag im Konnossement, für den stillschweigend engl. Recht galt, auch auf die Beziehungen zwischen Verfrachter und Empfänger engl. Recht angewendet). Vgl. von Hülsen, AWD 1967, 267.

116 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.125 § 2

Sind mehrere Verträge wirtschaftlich verbunden und liegen einem von ihnen Allgemeine Geschäftsbedingungen zugrunde, so bedeutet dies noch nicht notwendig einen Hinweis auch auf das Recht des anderen Vertrages (zum angelehnten Vertrag s. Rz. 2.235). Gelten etwa Lieferbedingungen für Einzellieferungen im Rahmen eines Alleinvertriebsvertrages, so lässt sich für den zugrunde liegenden und vorher geschlossenen Vertriebsvertrag aus den Lieferbedingungen allein noch nichts folgern1. Ob nämlich angesichts eines unerwünschten Zerreißens der gegenseitigen Beziehungen dem Kauf oder dem agenturähnlichen Verhältnis2 für die erstrebte einheitliche Anknüpfung das Übergewicht zugemessen wird, ist eine davon unabhängige Wertungsfrage3, näher Rz. 37.150 ff.

2.121

Der Schluss aus der Verwendung von Formularen und Allgemeinen Geschäftsbedingungen darf also nicht dazu dienen, weitergehende kollisionsrechtliche Erwägungen zu verdecken.

2.122

Die Regel, dass das Recht der Partei maßgeblich ist, welche allgemein aufgrund des Formulars kontrahiert, passt nicht auf Formulare von internationalen Organisationen. Das Gleiche gilt, wenn es sich um international gebräuchliche Formulare handelt wie im Seeverkehr4. In diesen Fällen sagt das Formular nichts über das anwendbare Recht aus5. Entsprechendes gilt, wenn die international verwendeten Bedingungen die Frage des anwendbaren Rechts gerade offen lassen wie die IATA-Beförderungsbedingungen6.

2.123

i) Vertragspraxis der Parteien Die Tatsache, dass die Parteien einen früheren Vertrag einer bestimmten Rechtsordnung unterstellt oder ihn nach diesem Recht abgewickelt haben, kann ebenfalls einen Hinweis auf das Vertragsstatut des späteren Vertragsverhältnisses geben. Aus der früheren Vertragspraxis kann der Richter dann, wenn die tatsächlichen Umstände keine Änderung der Haltung der Parteien erkennen lassen, annehmen, ihr Vertrag solle dem gleichen Recht unterliegen wie früher7.

2.124

Ein weiterer Umstand ist die ausdrückliche Wahl des anzuwendenden Rechts für Rechtsbeziehungen ähnlicher Art zwischen den gleichen Parteien. Hier kann man annehmen, der in Fra-

2.125

1 Graupner, AWD 1970, 55. 2 Für letzteres Kren Kostkiewitsch in ZürchKomm, Art. 117 IPRG Rz. 193. 3 Anders OLG Frankfurt v. 21.3.1961 – 5 U 137/60, IPRspr. 1960/61 Nr. 33 = AWD 1961, 236 (französ. Eigenhändler eines deutschen Unternehmens. Wegen der den Lieferungen zugrunde liegenden deutschen Lieferbedingungen deutsches Recht ohne weiteres auf den Eigenhändlervertrag angewendet). 4 S. von Hoffmann, AWD 1970, 247 (249); a.A. Vischer/Huber/Oser, Rz. 201 bei regelmäßiger Verwendung der Formularbedingungen. 5 So schon LG Hamburg v. 23.4.1954 – 62 O 31/54, IPRspr. 1954/55 Nr. 34 = MDR 1954, 422 (Seefrachtvertrag. Verwendung eines engl.-amerikan. Formulars und die Benutzung der engl. Sprache belanglos). Vgl. auch Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 92. 6 LG Hamburg v. 7.9.1977 – 5 O 24/77, IPRspr. 1977 Nr. 33 = RIW 1977, 652. 7 BGH v. 14.11.1996 – I ZR 201/94, IPRspr. 1996 Nr. 38 = NJW 1997, 1150; BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, IPRspr. 2000 Nr. 133 = NJW 2001, 1936 (Architektenvertrag folgt der konkludenten Wahl im Bauvertrag); von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 152; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 13; Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49; Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32-061. – Einschränkend, falls die frühere Rechtswahl keine ausdrückliche war, Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (312).

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§ 2 Rz. 2.125 | Bestimmung des Vertragsstatuts

ge stehende Vertrag habe stillschweigend der gleichen Rechtsordnung unterstellt werden sollen1. Dies gilt insbesondere dann, wenn auf den früheren Vertrag ausdrücklich verwiesen wird2. Einzellieferungsverträge, die zur Ausfüllung eines Rahmenvertrages geschlossen werden, können ebenfalls dem für den Rahmenvertrag gewählten Recht unterstehen3.

III. Nachträgliche Rechtswahl Literatur: U. Bauer, Grenzen nachträglicher Rechtswahl durch Rechte Dritter im Internationalen Privatrecht (1992); Jaspers, Nachträgliche Rechtswahl im internationalen Schuldvertragsrecht (2002); Möllenhoff, Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Dritter (1993); Spickhoff, Nachträgliche Rechtswahl, IPRax 1998, 462.

1. Änderung der Rechtswahl 2.126

Die Wahl des anzuwendenden Rechts durch die Parteien kann sowohl im Augenblick des Vertragsabschlusses als auch zu jedem späteren Zeitpunkt erfolgen. Die Rechtswahl kann jederzeit durch eine Vereinbarung der Parteien geändert werden (ebenso wie das EVÜ Art. 3 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO)4.

2.127

Kommen die Vertragsparteien überein, ihre Rechtsbeziehungen nicht mehr nach dem ursprünglich von ihnen vereinbarten, sondern nach einem anderen Recht zu beurteilen, so liegt darin eine Änderung der Rechtswahl. Eine solche Vertragsänderung ist wie jede andere Änderung des materiellen Vertragsinhalts auch im Rahmen der Parteiautonomie zuzulassen5. Da die Grenzen der Parteiautonomie betroffen sind, entscheiden, wie aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 Rom IVO zu entnehmen ist, über die Zulässigkeit der Änderung die Kollisionsnormen der lex fori (Art. 3 Abs. 2 Rom I-VO). Die Änderung der Rechtswahl braucht daher weder vom Kollisionsrecht des ursprünglich noch von dem des später vereinbarten Rechts akzeptiert zu werden6.

2.128

Die nachträgliche Rechtswahl kann gem. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO ausdrücklich, aber auch stillschweigend erfolgen7. Sie ist mit ex nunc- oder mit ex tunc-Wirkung möglich8. Gewollt ist

1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 49. Ebenso für sukzessive Verträge Schnelle, S. 139 f. Vgl. auch Mankowski, FS Martiny, S. 449 (467). 2 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 170 (Stand 1.6.2021). 3 OLG Hamburg v. 5.10.1998 – 12 U 62/97, IPRspr. 1998 Nr. 34; LG Karlsruhe v. 10.11.1998 – O 149/97 KfH I, IPRspr. 1998 Nr. 35 = NJW-RR 1999, 1284; Mankowski, FS Martiny, S. 449 (466 f.). 4 Wagner, IPRax 2008, 377 (380); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 202 (Stand 1.6.2021). 5 So schon vor dem EVÜ BGH v. 6.12.1956 – VII ZR 39/56, IPRspr. 1956/57 Nr. 23c = WM 1957, 132; OLG München v. 3.11.1988 – 24 U 814/87, IPRspr. 1988 Nr. 31 = RIW 1989, 650; Raape, Nachträgliche Vereinbarung des Schuldstatuts, FS Boehmer (1954), S. 111 ff.; Schnitzer, Rec. des Cours 1968 I, 541 (568 f.). 6 von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 119; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 119. – S. auch Bericht Giuliano/Lagarde, S. 50. 7 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 208 (Stand 1.6.2021). So schon BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = JZ 2000, 115 Anm. Sandrock; OLG Stuttgart v. 11.10.2006 – 5 U 108/06, IPRspr. 2006 Nr. 15 (LS) = WM 2007, 447. 8 Rückwirkung bejahten z.B. BGH v. 12.12.1990 – VIII ZR 332/89, IPRspr. 1990 Nr. 44 = NJW 1991, 1292 (Kaufvertrag); OLG München v. 22.9.1993 – 7 U 2175/93, IPRspr. 1993 Nr. 48 = TranspR 1993, 433 (Seefrachtvertrag). – Zulässigkeit einer ex tunc-Vereinbarung verneinend von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 176.

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A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.130 § 2

im Allgemeinen, dass die nachträgliche Rechtswahl auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurückwirkt1. Dies ist auch die einfachste Lösung, welche eine intertemporale Rechtsspaltung nach Möglichkeit vermeidet und die Probleme des Statutenwechsels auf ein Minimum reduziert. Dass damit nachträglich Rechte und Pflichten der Parteien geändert werden können, ist grundsätzlich hinzunehmen und zwingt nicht dazu, der Vereinbarung keine kollisionsrechtliche, sondern nur eine materiell-rechtliche Bedeutung beizumessen2. Allerdings ist eine Klarstellung in der Rechtswahlklausel nützlich, ob eine Rückwirkung (insb. auf den ursprünglichen Vertragsschluss) beabsichtigt ist3. Eine nachträgliche Rechtswahl ist auch dann zulässig, wenn die Parteien bei Vertragsschluss eine Rechtswahl nicht getroffen haben und dies erst nachträglich tun. Auch insoweit gestattet Art. 3 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO eine Vereinbarung. Es handelt sich entweder um eine Klarstellung der Rechtsordnung, von der die Parteien bei Abschluss des Vertrages ausgegangen sind, oder um eine wirkliche Neuvereinbarung, eine Vertragsänderung4. In beiden Fällen ist die nachträgliche Rechtswahl zu beachten und wirkt regelmäßig auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses zurück5. Eine solche Vereinbarung unterliegt den allgemeinen Voraussetzungen für das Zustandekommen von Verträgen (s. Rz. 2.20 ff.), berührt aber eng die Berücksichtigung des Prozessverhaltens der Parteien (s. Rz. 2.100 f.). Es gelten die gleichen Vorschriften wie für eine ursprüngliche Rechtswahl (Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO)6. Eine nachträgliche Rechtswahl erkennt auch das schweizerische Recht an (Art. 116 Abs. 3 schweiz. IPRG).

2.129

Welche Wirkungen die nachträgliche Rechtswahl für den Hauptvertrag äußert, lässt die Rom I-VO ebenso offen wie die Frage der Rückwirkung7. Ist der Hauptvertrag unter dem zuerst gewählten Recht ungültig, dagegen nach dem später vereinbarten gültig, so besteht bis zur späteren wirksamen Rechtswahl kein rechtsgültiger Vertrag. Sollte die nachträgliche Rechtswahl ex tunc erfolgt sein, so ist der Vertrag aber als von Anfang an gültig zu behandeln. Wird der Vertrag hingegen nach dem später gewählten Recht ungültig, so beeinträchtigt dies die Wirksamkeit der Rechtswahl selbst nicht. Mit der nachträglichen Rechtswahl wird aber der Hauptvertrag hinfällig8.

2.130

1 BGH v. 22.1.1997 – VIII ZR 339/95, IPRax 1998, 479 (m. Aufs. Spickhoff, IPRax 1998, 462) = WM 1997, 1713 (interlokal); Thorn, IPRax 2002, 349 (361); Lüderitz, FS Keller, S. 459 (462); Steiner, S. 71 f.; von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 95; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 124; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 214 (Stand 1.6.2021). – Ebenso Art. 116 Abs. 3 S. 2 schweiz. IPRG. Anders OLG Frankfurt v. 13.2.1992 – 16 U 229/88, IPRspr. 1992 Nr. 31 = IPRax 1992, 314; LG Essen v. 20.6.2001 – 44 O 144/00, IPRspr. 2001 Nr. 29 = RIW 2001, 943 = IPRax 2002, 396 (m. Aufs. Krapfl, IPRax 2002, 380); W. Lorenz, IPRax 1987, 269 (273). 2 von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 95; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 115; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 202 (Stand 1.6.2021). – Anders aber von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 176. 3 Vorpeil, IWB 2020, 438 (446). 4 Vgl. OLG Hamburg v. 25.4.1996 – 6 U 208/95, IPRspr. 1996 Nr. 149 = TranspR 1996, 430. 5 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 214 (Stand 1.6.2021). Ebenso bereits nach altem Recht Gamillscheg, AcP 157 (1958/59), 303 (314); BAG v. 27.8.1964 – 5 AZR 364/63, IPRspr. 1964/65 Nr. 68 = NJW 1965, 319; OLG Bremen v. 26.8.1976 – 2 U 71/76, IPRspr. 1976 Nr. 8 = VersR 1978, 277. 6 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 50. 7 Vgl. Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1982), 215 (245 f.) 8 Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (121).

Martiny | 119

§ 2 Rz. 2.131 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2. Formgültigkeit und Rechte Dritter 2.131

Eine besondere Regelung ist für die Formgültigkeit des Vertrages nach Art. 11 Rom I-VO und die Rechte Dritter notwendig. Beide werden durch eine Änderung der Bestimmung des anzuwendenden Rechts nach Vertragsabschluss nicht berührt (Art. 3 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO). Insoweit wird der Rechtszustand nach dem alten Statut respektiert. Der Vorbehalt bezüglich der Form wird dann bedeutsam, wenn die neue lex causae die Formgültigkeit abweichend von dem früher geltenden Recht beurteilt. Die nachträgliche Rechtswahl soll daher Zweifeln an der Formgültigkeit des Vertrages vor der Vereinbarung entgegenwirken1. Stellt also das später vereinbarte Recht strengere Anforderungen, so wird der Vertrag nicht nachträglich formnichtig2. War hingegen der Vertrag ursprünglich wegen Formmangels nichtig, so kann ihm die nachträgliche Rechtswahl rückwirkend Wirksamkeit verleihen, wenn die neue lex causae geringere Anforderungen stellt; es kommt zu einer Heilung durch Statutenwechsel3.

2.132

Aufgrund des ursprünglichen Vertrages der Parteien können Dritte bereits Rechte erworben haben (z.B. der Begünstigte aus einem Vertrag zugunsten Dritter, Bürge). Solche Rechtspositionen (rights of third parties; droits des tiers) sollen – ähnlich wie nach Art. 116 Abs. 3 S. 2 schweiz. IPRG – durch eine spätere Änderung der Rechtswahl nicht beeinträchtigt werden4. Dies ist nach h.M. als Beeinträchtigungs- bzw. Verschlechterungsverbot zu verstehen5. Wie es sich auswirkt, sagt die VO allerdings nicht. Für die Beurteilung ist zunächst ein Vergleich zwischen der Rechtsstellung des Dritten nach der früher und nach der später vereinbarten Rechtsordnung vorzunehmen. Genießt der Dritte nach der nachträglich vereinbarten Rechtsordnung eine schlechtere Rechtsstellung als nach dem früher vereinbarten Recht, so bleibt für sein Verhältnis zu den Vertragsparteien das frühere Vertragsstatut maßgeblich; gegebenenfalls hat die spätere Rechtswahl nur Wirkungen inter partes. Ihre Wirkungen werden kollisionsrechtlich auf die Parteien des Hauptvertrages beschränkt6. Maßgeblich dafür ist der Gedanke, dass sich die Position des Dritten nicht ohne seine Mitwirkung verschlechtern darf. Für den Vergleich der Rechtspositionen stellen sich ähnliche Fragen wie nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. 8 Rom I-VO (s. Rz. 11.43).

2.133

Zwar ist unbestritten, dass die Rechtsposition des Dritten unter Rückgriff auf das jeweilige Sachrecht zu bestimmen ist, doch ist weitgehend ungeklärt, wie sich kollisions- und sachrechtlicher Schutz im Einzelnen zueinander verhalten. Auch welche Rechtspositionen Dritter geschützt sind, ist nicht näher bestimmt. In Betracht kommen vor allem solche, welche sich direkt aus einem Hauptvertrag ergeben (beispielsweise aus einem echten Vertrag zugunsten Dritter7), aber auch solche, welche zwar auf einem eigenständigen Rechtsverhältnis beruhen, jedoch vom Hauptvertrag beeinflusst werden (z.B. Bürge und Pfandgläubiger8). 1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 50. 2 Kropholler, IPR, S. 465; von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 98; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 126. 3 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 217 (Stand 1.6.2021). 4 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 50. 5 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 223 (Stand 1.6.2021). – S. zum EVÜ W. Bauer, S. 115; Möllenhoff, S. 51 ff. 6 W. Bauer, S. 159; Möllenhoff, S. 134; Kropholler, IPR, S. 465. 7 Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 221 (Stand 1.6.2021). – Für unentziehbare Rechtspositionen W. Bauer, S. 65 f. (110). 8 Die Beispiele des Bürgen und des Pfandgläubigers nennt Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (304 f.). S. auch W. Bauer, S. 67 f. Dagegen weisen den Schutz des Bürgen allein dem Sachrecht zu St. Lorenz, RabelsZ 59 (1995), 320 (324) (Rezension); Kegel/Schurig, S. 656.

120 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.137 § 2

Rechte Dritter können auch dann berührt werden, wenn es zu einer Abtretung gekommen ist. Klagt nämlich ein Zessionar eine Kaufpreisforderung ein, die ihm zur gerichtlichen Geltendmachung abgetreten worden ist, so gestattet man ihm noch im Prozess mit dem Käufer zu vereinbaren, welcher Rechtsordnung der mit dem Zedenten geschlossene Kaufvertrag unterliegen soll1. Der Zessionar nimmt also als Rechtsnachfolger eine nachträgliche Rechtswahl vor. Diese darf aber nicht dazu führen, dass die Rechtsstellung des Verkäufers nachträglich geschmälert wird2.

2.134

IV. Zwingende Vorschriften 1. Allgemeines Durch die Rechtswahl geben die Vertragsparteien zu erkennen, dass sie von den Regeln der gewählten Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit ausgehen (soweit nicht teilweise Rechtswahl vorliegt; s. Rz. 2.25). Dabei ist zunächst gleichgültig, ob diese vereinbarten Rechtsnormen vertraglich abbedungen werden können oder ob ihnen zwingender Charakter zukommt. Die Parteien wollen diese Rechtsregeln ja nicht ausschließen, sondern legen sie, oft ohne nach ihrer (zwingenden oder dispositiven) Rechtsnatur zu fragen, ihren Dispositionen zugrunde, s. Rz. 5.1 ff.

2.135

Der zwingende Charakter einer Rechtsnorm wird jedoch deutlich, wenn die Parteien sie abbedingen oder ohne ausdrückliche Abbedingung etwas anderes vereinbaren. Hier (also bei der Anwendung der zwingenden Vorschrift gegen den Parteiwillen) hat die Frage nach der Anwendung international zwingender Normen im Internationalen Privatrecht ihre größte Bedeutung (s. näher Rz. 5.14 ff.). In erster Linie drängen bestimmte zwingende Vorschriften der lex fori ohne Rücksicht auf das für den Vertrag anwendbare Recht zur Anwendung. Dies ist in Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO für Eingriffsnormen gesetzlich geregelt (dazu Rz. 5.59 ff.). Der ordre public (Art. 21 Rom I-VO) kommt bei untragbaren inhaltlichen Abweichungen des ausländischen Rechts zum Tragen. Er spielt aber im Internationalen Vertragsrecht eine vergleichsweise geringe Rolle. Die Rechtswahl selbst kann jedenfalls nicht am ordre public scheitern3.

2.136

2. Fehlender Auslandsbezug Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO will auch einfachen zwingenden, d.h. nicht dispositiven Normen in sog. Binnensachverhalten zur Durchsetzung verhelfen4. Danach ist zwar eine Rechtswahl nicht ausgeschlossen, wenn der Vertrag bereits in einem Land offensichtlich lokalisiert ist. Sie ist jedoch in ihren Wirkungen beschränkt5. Die Parteien können die Bestimmungen, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann, d.h. zwingende Bestimmungen, nicht abbedingen. Das gilt etwa für das zwingende deutsche AGB-Recht (§§ 305-310 BGB)6.

1 OLG Frankfurt v. 14.8.1984 – 5 U 14/84, ZIP 1985, 107 = IPRspr. 1984 Nr. 26 = RIW 1984, 919. 2 Vgl. auch Möllenhoff, S. 82 ff. 3 BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (139 f.) = IPRax 1998, 285 (m. Aufs. Ebke, IPRax 1998, 263 = NJW 1997, 1697; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 4; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 23. – Anders LG Berlin v. 9.11.1994 – 22 O 319/94, IPRspr. 1994 Nr. 42 = NJW-RR 1995, 754. 4 So Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 227 (Stand 1.6.2021). – Zweifel am Konzept bei Böhle, ZEuP 2019, 72 (81 ff.). 5 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (534). – S. zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 50 f. 6 Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 19.

Martiny | 121

2.137

§ 2 Rz. 2.137 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Eine Parallelvorschrift findet sich in Art. 14 Abs. 2 Rom II-VO1. Eine die kollisionsrechtliche Verweisung ermöglichende, ausreichende Auslandsberührung wird also allein durch die Vereinbarung des ausländischen Rechts noch nicht hergestellt. Die Parteien bleiben auch an das einfache zwingende Recht des Staates, zu dem das Rechtsverhältnis allein Beziehungen aufweist, gebunden2. Sie können sich lediglich in diesem Rahmen bewegen; es kommt zu einem „law mix“3. Die Verweisung auf das fremde Recht hat insoweit nur die Wirkung einer materiell-rechtlichen Verweisung4. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO stellt somit einen Kompromiss dar zwischen der strengen Auffassung, die bei Inlandssachverhalten überhaupt keine Rechtswahl zulassen will, und der großzügigeren, wonach auch in solchen Fällen eine Rechtswahl unbeschränkt möglich sein soll5. Die Vorschrift ist allseitiger Natur6. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Rechtswahl7.

2.138

Für die Beurteilung der Lokalisierung liefern vor allem die Umstände wichtige Hinweise, welche nach den Art. 4 ff. Rom I-VO für die objektive Anknüpfung maßgeblich sind (wie z.B. Aufenthaltsort und Niederlassung)8. Auch bei einem Internet-Auftritt kommt es insoweit auf die realen Verhältnisse an9. Welche Umstände eine ausreichende Verbindung zur gewählten Rechtsordnung herstellen, hängt vor allem von der Art des abgeschlossenen Geschäfts ab. Jedenfalls sind solche Elemente ausreichend, die im Rahmen der objektiven Anknüpfung nach Art. 4 Rom I-VO heranzuziehen sind, wie insbesondere der gewöhnliche Aufenthalt des Leistenden sowie grenzüberschreitende Dienstleistungen bzw. Güterbewegungen10. Allerdings genügt nicht schon der geplante Export der Kaufsache11. Nicht ausreichend ist auch – obwohl dies nicht mehr im Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO erscheint – die Vereinbarung eines ausländischen Gerichtsstandes12. Im internationalen Handel muss genügen, wenn das abgeschlossene Geschäft seinerseits mit einem internationalen Vertrag eng zusammenhängt („Ver-

1 Näher Wagner, IPRax 2008, 377 (380). 2 Von einem „Einbettungsstatut“ sprechen Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 25, 26a; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 131, 145. 3 Rühl, FS Kropholler, S. 187 (204 f.); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624 f.). 4 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-64 f.); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 143; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 242 (Stand 1.6.2021). Für eine „Zwischenstellung“ Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624 f.). – Eine „beschränkt kollisionsrechtliche Verweisung“ nimmt an Fiedler, Stabilisierungsklauseln (2001), S. 202. Für eine materiell-rechtliche Verweisung bereits Gamillscheg, ZfA 14 (1983), 307 (327); Sandrock, RIW 1986, 841 (846). 5 Vgl. Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 24. 6 Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–046; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 134. 7 R. Magnus, ZEuP 2018, 507 (535 f.); von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 118; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 142. 8 S. etwa BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 (384) = IPRspr. 1993 Nr. 37 = IPRax 1994, 449 (m. Aufs. W. Lorenz, IPRax 1994, 429) (Sitz der Parteien sowie Vertragsleistungen in Deutschland und Österreich); BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (130) = IPRspr. 1997 Nr. 34 = IPRax 1998, 285 (m. Aufs. Ebke, IPRax 1998, 263) (Abschlussort und Wohnanlage in Spanien, Sitz der Parteien Isle of Man und Deutschland). 9 Dazu Magnus in Graf/Paschke/Stober, S. 19 (25). 10 LG Hamburg v. 31.5.1990 – 302 O 113/90, IPRspr. 1990 Nr. 37 = RIW 1990, 1020 (Auftrag zur Vornahme von Devisentermingeschäften an Gesellschaft mit faktischem Inlandssitz. Vereinbarung engl. Rechts unwirksam); Thorn/Thon, FS Kronke (2020), S. 569 (573). 11 OLG Nürnberg v. 22.2.2017 – 12 U 812/15, IPRspr. 2017 Nr. 87 = TranspR 2017, 382; Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 5. 12 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 137.

122 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.139 § 2

tragskette“)1. Es muss jedoch einen aktuellen Bezug geben2. Ausreichen kann die Verknüpfung eines inländischen Kreditvertrages mit „Back-to-back“-Swaps mit ausländischen Banken3. Ein bloßes Interesse an der Anwendung eines ausländischen Rechts – weil dieses z.B. besonders gut entwickelt ist – genügt hingegen nicht4. Das gleiche gilt für die bloße Verwendung eines internationalen englischsprachigen Formulars5. Problematisch ist, wenn die gesamten oder nahezu alle Bezüge eines Vertragsverhältnisses auf das Inland hinweisen, der Abschlussort hingegen im Ausland liegt. Solche Fälle betreffen vor allem eine ausländische Vertragsanbahnung, etwa bei einem ausländischen Vertragsschluss, aber anschließender Vertragsabwicklung im Inland, z.B. in einem Vertrag mit deutschen Touristen (frühere Gran Canaria-Fälle). Ob dann der Abschlussort allein ausreicht, ist umstritten6. Man könnte die Schranke des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO eingreifen lassen7. Eine andere Ansicht lehnt eine Beschränkung ab, weil der Auslandsbezug als ausreichend angesehen wird8. Vermittelnd wird die Vorschrift jedenfalls dann angewendet, wenn „der Einklang von Abschlussort und Rechtswahl bewusst herbeigeführt worden ist“9. Für eine liberalere Auslegung des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO spricht, dass sich ein ausreichender räumlicher Bezug nur schwer definieren lässt. Auch die Festlegung des Ortes, der rechtlich als Abschlussort gelten soll, kann Schwierigkeiten aufwerfen und zu Ungereimtheiten führen (z.B. Abschluss nur durch Boten oder Stellvertreter). Zudem zeigen verschiedene Vorschriften, dass der Abschlussort durchaus nicht irrelevant ist (Art. 11 Abs. 1–3 Rom I-VO). Ferner ist Ansatzpunkt der besonderen Schutzvorschriften für Arbeitnehmer, Versicherungsnehmer und Verbraucher (Art. 6–8

1 Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 60 (72 f.); Thorn/Thon, FS Kronke (2020), S. 569 (574 f.); Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 21. – Einschränkend für Verbraucherverträge Mäsch, Rechtswahlfreiheit und Verbraucherschutz, 1993, 107 ff. 2 Er soll bei einer erst später eintretenden Syndizierung fehlen, so Wenzel, Rechtsfragen internationaler Konsortialkreditverträge, 2006, 406 ff. 3 Dexia Crediop SpA v. Comune di Prato, [2017] EWCA Civ 428 m. insoweit zust. Aufs. Ostendorf, IPRax 2018, 630. 4 Ostendorf, IPRax 2018, 630 (632); Spickhoff in BRHP, Art. 3 Rom I-VO Rz. 34. – Vgl. auch Dias, ZEuP 2019, 603 (615 ff.). 5 Thorn/Thon, FS Kronke (2020), S. 569 (573 f.). Anders Dexia Crediop SpA v. Comune di Prato, [2017] EWCA Civ 428 m. insoweit abl. Aufs. Ostendorf, IPRax 2018, 630 (Finanztransaktion unter italienischen Parteien; Zinsswap nach ISDA Master Agreement). – Zust. Böhle, ZEuP 2019, 72 (78, 90). Abl. Mansel, FS Grunewald (2021), S. 731 (736 f.); krit. Hartley, FS Kohler (2018) S. 171 (176); s. auch Martiny, ZEuP 2018, 218 (226). 6 Verneinend von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 30. 7 R. Magnus, ZEuP 2018, 507 (532 f.); von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 206.– S. z.B. für Art. 27 EGBGB OLG Frankfurt v. 1.6.1989 – 6 U 76/88, NJW-RR 1989, 1018 = IPRax 1990, 236 (m. Aufs. Lüderitz, IPRax 1990, 216) (Verkaufsveranstaltung in Spanien, inländ. Auftragsbestätigung); LG Hamburg v. 21.2.1990 – 2 S 82/89, IPRspr. 1990 Nr. 29 = IPRax 1990, 239 (m. Aufs. Lüderitz, IPRax 1990, 216) (Verkaufsveranstaltung auf Gran Canaria, inländ. Auftragsbestätigung); LG Hamburg v. 29.3.1990 – 2 S 85/89, IPRspr. 1990 Nr. 30 = NJW-RR 1990, 695 (Verkaufsveranstaltung auf Gran Canaria, inländ. Auftragsbestätigung). 8 So etwa OLG Celle v. 28.8.1990 – 20 U 85/89, IPRspr. 1990 Nr. 41 = RIW 1991, 421 = IPRax 1991, 334 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 1991, 305) (Kauf auf Freizeitveranstaltung in Spanien); LG Hildesheim v. 11.2.1991 – v. 11.12.1991 – 7 S 236/91, IPRspr. 1992 Nr. 28 = IPRax 1993, 173 (m. Aufs. Langenfeld, IPRax 1993, 155) (Kauf während Ausflugsfahrt auf Gran Canaria); Taupitz, BB 1990, 642 (648); von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 111; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 139. 9 Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 26.

Martiny | 123

2.139

§ 2 Rz. 2.139 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Rom I-VO) nicht der Ausschluss der Rechtswahl selbst, sondern ein Günstigkeitsvergleich bzw. die Beschränkung des Art. 46b EGBGB.

2.140

Die Staatsangehörigkeit soll nach manchen für den Auslandsbezug ebenfalls nicht genügen1. Die Staatsangehörigkeit ist im Internationalen Vertragsrecht kein Anknüpfungspunkt. Es kommt im Allgemeinen nur auf den gewöhnlichen Aufenthalt an. Folgt man dem, so ist zwar zwei in Deutschland wohnenden Ausländern der Rückgriff auf ihr Heimatrecht nicht verwehrt. Sie können sich jedoch nicht den deutschen zwingenden Vorschriften entziehen.

3. Binnenmarktsachverhalt 2.141

Eine besondere Absicherung unionsrechtlicher Standards gegenüber der Wahl drittstaatlichen Rechts enthält Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO2. Diese Binnenmarkt- oder auch Drittstaatenklausel ist nach dem Vorbild des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO formuliert worden, vgl. Rz. 2.137 ff. Es geht dabei um Binnenmarktsachverhalte (sog. reine Binnenmarktkollisionsfälle), also Verträge, welche lediglich mehrere Mitgliedstaaten, d.h. das Unionsgebiet berühren. Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem oder mehreren Mitgliedstaaten belegen, so berührt die Wahl des Rechts eines Drittstaats durch die Parteien nicht die Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts – gegebenenfalls in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form –, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann. Die Vorschrift greift nur dann ein, wenn das Recht eines Drittstaats vereinbart wird, also eines Nichtmitgliedstaats der Rom I-VO (vgl. Rz. 1.62). Allerdings zählt Dänemark hier zu den Mitgliedstaaten3 (Art. 1 Abs. 4 Rom I-VO).

2.142

Es genügt nicht irgendein Bezug, vielmehr kommt es darauf an, dass alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem einzigen oder in mehreren Mitgliedstaaten belegen sind. Ebenso wie in Art. 14 Abs. 2 Rom II-VO sind EU-interne Sachverhalte gemeint4. Die Vorschrift greift auch dann ein, wenn die Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in mehreren Mitgliedstaaten belegen sind. Die Mitgliedstaaten der EU werden daher ähnlich wie ein einziger Staat behandelt5. Bei Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO handelt es sich wegen der Begrenzung auf „alle anderen Elemente des Sachverhalts“ um eine verhältnismäßig enge Bestimmung, die auf die fehlende Drittstaatenbeziehung reagiert. Gemeint sind Bestimmungen des Unionsrechts, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen

1 So von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 30; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 140 (i.d.R. allein nicht ausreichend); Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 20. Die ausländ. Staatsangehörigkeit nur einer der Parteien lassen nicht genügen E. Lorenz, RIW 1987, 569 (575); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 237 (Stand 1.6.2021). Zurückhaltend von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 206. 2 Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO-Entw. 2005 war noch weiter gefasst. Danach sollte die Anwendung der zwingenden Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts von der Wahl des Rechts eines Drittstaats durch die Parteien unberührt bleiben, wenn diese Bestimmungen im konkreten Fall anwendbar wären. Daher entstand die Frage, wieweit das „Richtlinienkollisionsrecht“ auf diesem Wege durchgesetzt werden könnte. Näher Mankowski, IPRax 2006, 101 (102 f.); Solomon, Verbraucherverträge in Ferrari/Leible S. 89 (106 ff.). 3 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65); Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–046; Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 262 (Stand 1.6.2021). 4 Thorn in Palandt, Art. 1 Rom I-VO Rz. 19. – Dazu Wagner, IPRax 2008, 377 (380). 5 Mankowski, IHR 2008, 133 (135).

124 | Martiny

A. Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) | Rz. 2.146 § 2

werden kann. Es geht also um nichtdispositive Vorschriften1, etwa aufgrund von Handelsvertreter-, Zahlungsverzug- oder Pauschalreiserichtlinie2. Die Rechtsfolge des Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO ist eindeutig. Die Rechtswahl ist an sich gültig. Es kommt aber zu einer Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts, bei Richtlinien in der von dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts umgesetzten Form. Maßgeblich ist daher das Umsetzungsrecht der jeweiligen lex fori3. Es braucht sich also nicht um den Staat zu handeln, mit dem der Sachverhalt am engsten verbunden ist4. Angesichts der Tatsache, dass die jeweilige Umsetzung der Richtlinie zumindest ähnlich sein dürfte, dient diese Lösung der Vereinfachung. Eine überschießende Umsetzung der Richtlinie, die beispielsweise mehr Schutz gewährt, wird von Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO nicht mehr abgedeckt5.

2.143

Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO bezieht sich auf alle Arten von Verträgen, nicht etwa nur auf Verbraucherverträge i.S.d. Art. 6 Rom I-VO oder Arbeitsverträge i.S.d. Art. 8 Rom I-VO6. Im Unterschied zu den kollisionsrechtlichen Regeln der Richtlinien, welche bei der Wahl eines drittstaatlichen Rechts im Allgemeinen auf einen „engen Zusammenhang“ abstellen, ist Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO die engere Vorschrift7. Sie kommt lediglich dann zur Anwendung, wenn es überhaupt keinen Auslandsbezug gibt. Die Normen des Richtlinienrechts sind daher unberührt geblieben8. Die Vorschrift weist insofern Anklänge an die Ingmar-Entscheidung auf, als sie Unionsrecht gegen eine Wahl drittstaatlichen Rechts durchsetzt (vgl. Rz. 5.47 ff.). Allerdings hat der EuGH in der „Ingmar“-Entscheidung das Unionsrecht sogar durchgesetzt, obwohl im gegebenen Fall ein Zusammenhang mit dem gewählten US-amerikanischen Recht der ausländischen Partei bestand9. Das genaue Verhältnis von Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO zu Art. 9 sowie zu Art. 25 Rom I-VO ist noch ungeklärt10.

2.144

4. Andere Vorschriften Bestimmten zwingenden Schutzvorschriften wollen die Art. 6 Rom I-VO, Art. 49b EGBGB (Verbraucherverträge), Art. 7 Rom I-VO, Art. 49c EGBGB (Versicherungsverträge) und Art. 8 Rom I-VO (Arbeitsvertrag) Geltung verschaffen. Erwägungsgrund 23 erläutert, dass bei Verträgen, bei denen die eine Partei als schwächer angesehen wird, die schwächere Partei durch Kollisionsnormen geschützt werden sollte, die für sie günstiger sind als die allgemeinen Regeln. Hierauf ist bei den einzelnen Vertragstypen einzugehen.

2.145

Nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO kann auch bestimmten international zwingenden Normen eines anderen Staates Wirkung verliehen werden, wenn und soweit diese Eingriffsnormen nach dem Recht dieses Staates anzuwenden sind, auch wenn es nicht das Vertragsstatut ist (vgl. Rz. 5.124 ff.).

2.146

1 Mankowski, IHR 2008, 133 (135 f.). 2 Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 22. 3 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65); Mankowski, IHR 2008, 133 (135); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (625). 4 Mankowski, IHR 2008, 133 (135); Rühl, FS Kropholler, S. 187 (204 f.). 5 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (625); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 267 (Stand 1.6.2021). 6 Mankowski, IHR 2008, 133 (135); Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 27. 7 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65). 8 Mankowski, IHR 2008, 133 (135 f.). 9 Mankowski, IPRax 2006, 101 (103); Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65). 10 Vgl. Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-65).

Martiny | 125

§ 2 Rz. 2.147 | Bestimmung des Vertragsstatuts

V. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung 2.147

Die Prüfung einer Rechtswahlvereinbarung hängt davon ab, welche Bestimmungen für sie gelten, sodann kommt es auf die Zulässigkeit und die Wirksamkeit der Vereinbarung an.

2.148

a) Zunächst ist zu klären, ob es sich um eine Materie handelt, für welche eine Rechtswahl nach den Art. 3 ff. Rom I-VO gestattet ist. Dafür ist zu prüfen, ob für den Fragenkomplex Einheitsrecht (wie etwa das UN-Kaufrecht) vorgeht (Art. 3 Nr. 2 EGBGB) oder ob die Materie von Art. 1 Rom I-VO ausgeschlossen ist. In diesen Fällen kommen die Art. 3 ff. Rom I-VO gar nicht bzw. nicht unmittelbar zur Anwendung. Ferner können Modifikationen eintreten für Beförderungs-, Verbraucher- und Arbeitsverträge (Art. 5, 6 und 8 Rom IVO). Letzteres gilt auch für Versicherungsverträge, außer für die Rückversicherung (Art. 7 Rom I-VO).

2.149

b) Im Anwendungsbereich der Art. 3 ff. Rom I-VO stellt sich vor allem die Frage, ob eine ausdrückliche Rechtswahl der Parteien vorliegt (Art. 3 Rom I-VO). Dafür genügt etwa die Klausel „Es gilt deutsches Recht“. Sodann ist zu prüfen, ob die Rechtswahl nach dem in Aussicht genommenen Recht zustande gekommen ist (Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO) oder ob sich die andere Partei bezüglich ihres Verhaltens (vor allem des Schweigens) auf entgegenstehendes Recht ihres gewöhnlichen Aufenthaltsortes berufen kann (Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO). Die innere Gültigkeit des Vertragsschlusses (etwa Irrtum) richtet sich allein nach dem gewählten Recht. Eine Rechtswahlklausel in AGB muss einer Missbrauchs- und Transparenzkontrolle standhalten.

2.150

c) Wurde keine ausdrückliche Rechtswahl getroffen, so kann gleichwohl eine stillschweigende Rechtswahl „eindeutig“ getroffen worden sein (Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO). Erforderlich ist neben darauf hindeutenden äußeren Umständen ein entsprechender rechtsgeschäftlicher Wille.

2.151

Als Hinweise kommen insbesondere in Betracht: – eine Gerichtsstandsvereinbarung, – eine Schiedsklausel, – das übereinstimmende Prozessverhalten der Parteien, – eine Erfüllungsortvereinbarung, – die Bezugnahme auf ein Recht, – ein Vertragsschluss nach Formularen oder Allgemeinen Geschäftsbedingungen, welche auf einer bestimmten Rechtsordnung aufbauen.

2.152

d) Ist die Rechtswahl anfänglich oder nachträglich erfolgt (Art. 3 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO)? Beides ist möglich; doch ist zu entscheiden, ab welchem Zeitpunkt die Rechtswahl eingreift.

2.153

e) Betrifft die Rechtswahl das ganze Vertragsverhältnis oder nur einen Teil davon (Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO)? Eine teilweise Rechtswahl ist bei Abtrennbarkeit der Frage zulässig.

2.154

f) War der Sachverhalt im Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verbunden? Wenn ja, dann bleiben trotz anders lautender Rechtswahl die zwingenden Bestimmungen jenes Staates, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann, unberührt (Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO). Handelt es sich um einen bloßen Binnenmarktsachverhalt i.S.d. Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO? 126 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.156a § 2

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) I. System der objektiven Anknüpfung Die Rom I-VO will das richtige Vorgehen bei der Bestimmung des Vertragsstatuts klarstellen1. Sie hat zwar die komplizierte Struktur des vorherigen Art. 4 EVÜ vereinfacht. Inhaltlich sollte sich aber nichts daran ändern, dass das Recht zur Anwendung kommt, mit welchem der Sachverhalt am engsten verbunden ist2. Die engste Verbindung ist daher keineswegs nur eine Leerformel3. Erwägungsgrund 16 stellt fest, dass die Kollisionsnormen ein hohes Maß an Berechenbarkeit aufweisen sollten, um zum allgemeinen Ziel dieser Verordnung, nämlich zur Rechtssicherheit im europäischen Rechtsraum, beizutragen. Dennoch sollten die Gerichte über ein gewisses Ermessen verfügen, um das Recht bestimmen zu können, das zu dem Sachverhalt die engste Verbindung aufweist. Gesondert genannt werden in Art. 4 Rom I-VO der Warenkauf (Abs. 1 lit. a), Dienstleistungen (Abs. 1 lit. b), Miete und Pacht unbeweglicher Sachen (Abs. 1 lit. c, d), Franchiseverträge (Art. 1 lit. e), Vertriebsverträge (Abs. 1 lit. f), der Kauf auf Versteigerungen (Abs. 1 lit. g) sowie Verträge über Finanzinstrumente (Abs. 1 lit. h). Zumeist handelt es sich dabei um Konkretisierungen bzw. Festlegungen der charakteristischen Leistung4. Der Lageort unbeweglichen Vermögens und der Schutz des Schwächeren spielen ebenfalls eine Rolle. Die charakteristische Leistung als solche wird erst an zweiter Stelle genannt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO). Danach folgt hilfsweise die Anknüpfung nach der engsten Verbindung (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO). – Zur Schiedsgerichtsbarkeit s. Rz. 7.462 ff.

2.155

Zu bestimmen ist, ob vom Vorliegen nur eines einzigen Vertrages ausgegangen werden kann oder ob mehrere vertragliche Verpflichtungen bestehen5. Zwar richtet sich nach dem Vertragsstatut, ob ein Vertrag zustande gekommen ist, und damit letztlich nach dem anwendbaren Sachrecht (Art. 10 Rom I-VO). Gleichwohl sollten die Voraussetzungen dafür, ob nur ein einziger Vertrag gegeben ist oder ob mehrere anzunehmen sind, einheitlich bestimmt werden. Die Tatsache, dass mehrere Verpflichtungen in einer Urkunde enthalten sind, reicht noch nicht aus, von einem einzigen Vertrag auszugehen. Sind die einzelnen Verpflichtungen aber miteinander verknüpft und aufeinander bezogen, so spricht das für nur einen einzigen Vertrag. Im Einzelnen können hier schwierige Abgrenzungsfragen entstehen6. Der Zusammenhang zweier Verträge kann nach Art. 4 Abs. 3 Rom-I-VO berücksichtigt werden (s. Rz. 2.231 ff.).

2.156

Das EVÜ erlaubte bei komplexen Vertragsverhältnissen eine ausnahmsweise kollisionsrechtliche Abspaltung (dépeçage) einzelner Bestandteile (Art. 4 Abs. 1 S. 2 EVÜ; Art. 28 Abs. 1 S. 2 EGBGB). Als Beispiel wurden aus mehreren Verpflichtungen und Ansprüchen zusammengesetzte Vertragsverhältnisse genannt7. Allerdings blieb die Tragweite dieser Ausnahme

2.156a

1 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (534 f.); Wagner, IPRax 2008, 377 (381 f.). – Rechtsvergleichend Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 6 ff. 2 Wagner, IPRax 2008, 377 (380 f.). 3 Anders aber Mankowski, IPRax 2006, 101 (103). 4 Mankowski, IPRax 2006, 101 (103 f.); Wagner, IPRax 2008, 377 (382). 5 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 96. – Vgl. auch Lando/Nielsen, C.M.L. Rev. 45 (2008), 1687 (1703 f.). 6 Vgl. zu Verträgen über geistiges Eigentum Torremans, J.PIL 4 (2008), 397 (406 ff.); Fawcett/Torremans, Rz. 14.55 ff. 7 Bericht Giuliano/Lagarde über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. 1980, Nr. C 282, S. 1 (23).

Martiny | 127

§ 2 Rz. 2.156a | Bestimmung des Vertragsstatuts

unklar1. Eine Abspaltung ist nach der Rom I-VO nicht vorgesehen und nicht zulässig2 (s. auch Rz. 2.251).

II. Vertragsspezifische Anknüpfung 1. Auflistung 2.157

Soweit die Parteien keine Rechtswahl gem. Art. 3 Rom I-VO getroffen haben, bestimmt sich das auf den Vertrag anzuwendende Recht unbeschadet der Art. 5 bis 8 nach Art. 4 Rom I-VO. In erster Linie kommt es auf die Liste in Abs. 1 an, die acht „spezifizierte Verträge“ (specified; catégories définies) in einer „Aufzählungslösung“ nennt3. Eine solche Auflistung findet sich auch in ausländischen Gesetzen4. Zwar wird der maßgebliche Zeitpunkt nicht ausdrücklich genannt. Aus der Regelung bezüglich des gewöhnlichen Aufenthalts in Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO ergibt sich jedoch, dass es auch hier auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ankommen muss5, s. Rz. 2.299. Im Entwurf von 2005 war auch eine Anknüpfung für Verträge über geistiges Eigentum vorgesehen, die aber aufgrund der dagegen gerichteten Kritik wieder gestrichen wurde6. Die ursprünglich vorgesehene Regelung für Beförderungsverträge ist entfallen, da dafür in Art. 5 Rom I-VO eine eigene Regelung geschaffen wurde7.

2.158

Zweck der typisierten Regelanknüpfungen ist es, mehr Rechtssicherheit zu schaffen8. Der Preis für die Sicherheit einer Anknüpfungsliste ist allerdings das Auftreten zahlreicher Qualifikationsprobleme9. Diese müssen ernst genommen werden, da teilweise erhebliche Anknüpfungsunterschiede bestehen. Die Regeln für spezifische Verträge kommen dann nicht zur Anwendung, wenn es für den konkreten Vertrag keine gesonderte Kollisionsnorm gibt sowie in Fällen, in denen mehrere spezifische Kollisionsnormen in Betracht kommen10. Offenbar soll dann, wenn es um „Elemente“ eines Vertrages geht, zunächst die charakteristische Leistung (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO) zu ermitteln sein, wenn für den Zusammenhang mehrerer Verträge sogleich nach der engsten Verbindung gesucht werden darf11. Wird in einem Vertragsverhält-

1 S. nur EuGH v. 6.10.2009 – C-133-08, ECLI:EU:C:2009:617 (Intercontainer Interfrigo/Balkenende Oosthuizen), Slg. 2009, I-9687 = IPRax 2010, 236 (m. Aufs. Rammeloo, IPRax 2010, 215) = Rev. crit. dr. i. p. 99 (2010), 199 Anm. Lagarde = TranspR 2009, 491 Anm. Mankowski = IHR 2010, 128 (m. Aufs. Mankowski, IHR 2010, 89) = GPR 2011, 48 Anm. Martiny. 2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536); Strikwerda, NIPR 2009, 411 (415); Nourissat in Corneloup/Joubert (2011), S. 205 (208 ff.); Mansel, FS Grunewald (2021), S. 731 (732); Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 96; Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 21. – Anders Mankowski, IHR 2010, 89 (90 ff.); Mankowski, FS Spellenberg, S. 261 (267 ff.); Wilhelmi, RIW 2016, 253 (258) (für Derivate). 3 Vgl. Wagner, IPRax 2008, 377 (382). – Zum Entwurf Mankowski, IPRax 2006, 101 (103 f.). 4 S. etwa Art. 1211 Abs. 2 russ. ZGB III; Art. 117 Abs. 2 schweiz. IPRG. 5 Wagner, IPRax 2008, 377 (385). 6 Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-VO Entw. 2005. – Näher European Max-Planck Group for Conflict of Laws in Intellectual Property (CLIP), Intellectual Property and the Reform of Private International Law, IPRax 2007, 284 ff.; Wagner, IPRax 2008, 377 (385) sowie Max-Planck-Institut, RabelsZ 71 (2007), 225 (263 ff.). 7 Näher Wagner, TranspR 2008, 221 (222 f.) 8 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (625); Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1700 ff.). 9 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (534 f.); Wagner, IPRax 2008, 377 (382). 10 Wagner, IPRax 2008, 377 (382). 11 Lando/Nielsen, CML Rev. 45 (2008), 1687 (1703).

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B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.162 § 2

nis ein „smart contract“ verwendet (s. Rz. 1.69), so ist auch hier zu prüfen, ob eine Zuordnung zu einem der spezifizierten Vertragsverhältnisse möglich ist1.

2. Warenkauf (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO) Kaufverträge über bewegliche Sachen unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Verkäufer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO). Dazu Rz. 25.108 ff. Andere Kaufverträge werden hiervon nicht erfasst2.

2.159

3. Dienstleistungsverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) Dienstleistungsverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO; s. Rz. 18.1 ff.). Nach Erwägungsgrund 17 sollten die Begriffe „Erbringung von Dienstleistungen“ und „Verkauf beweglicher Sachen“ so ausgelegt werden, wie bei der Anwendung von Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 44/ 2001, d.h. der EuGVO (nunmehr Art. 7 Brüssel Ia-VO), soweit der Verkauf beweglicher Sachen und die Erbringung von Dienstleistungen unter jene Verordnung fallen. Franchiseverträge und Vertriebsverträge sind zwar Dienstleistungsverträge, unterliegen jedoch besonderen Regeln. Dazu unten Rz. 20.1 ff., Rz. 37.1 ff.

2.160

4. Grundstücksverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO) Verträge, die ein dingliches Recht an unbeweglichen Sachen sowie die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen zum Gegenstand haben, unterliegen dem Recht des Staates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO)3. Während das Recht des Belegenheitsortes (die lex rei sitae) für die Anknüpfung von Schuldverträgen über Mobilien grundsätzlich unerheblich ist, spielt es für Verträge über dingliche und obligatorische Rechte an Grundstücken eine bedeutende Rolle. Soweit der Vertrag nämlich ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache (a contract relating to a right in rem in immovable property; le contrat ayant pour objet un droit réel immobilier) oder Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen (a tenancy of immovable property; un bail d’immeuble) zum Gegenstand hat, so weist er die engsten Verbindungen zu dem Staat aus, in dem das Grundstück belegen ist. Dies gilt auch und gerade für Verpflichtungsgeschäfte4.

2.161

Grund dafür ist neben der Unverrückbarkeit des Grundstücks vor allem, dass die Leistung im Belegenheitsland (i.d.R. unter Beachtung seiner Form-, Register- und Bodenverkehrsvorschriften) erbracht wird und damit das gleiche Recht wie für sachenrechtliche Vorgänge zur Anwendung kommen soll. Dies gilt insbesondere für den Grundstückskauf (Rz. 21.1 ff.), aber auch für Grundstücksmiete und -pacht (Rz. 22.1 ff.). Ebenso ist für die Grundstücksschenkung zu entscheiden5. Dagegen gilt die Regel des Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO nach h.M. nicht

2.162

1 Rühl in Braegelmann/Kaulartz, S. 147 (159); Stürner, Europ. VertragsR, § 32 Rz. 72. 2 Wagner, IPRax 2008, 377 (382). 3 Im Anschluss an Art. 4 Abs. 3 EVÜ, der seinerseits auf Art. 6 EVÜ-Entw. 1972 zurückgeht (vgl. auch Art. 119 schweiz. IPRG). 4 OLG Frankfurt v. 24.6.1992 – 9 U 116/89, IPRspr. 1992 Nr. 40 = NJW-RR 1993, 182 (notarieller Grundstückskauf unter Deutschen in Italien unterlag deutschem Recht); Schröder, IPRax 1985, 145 (147). 5 S. zum EVÜ OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436 (m. Aufs. Koch, IPRax 2008, 417).

Martiny | 129

§ 2 Rz. 2.162 | Bestimmung des Vertragsstatuts

für Verträge über die Errichtung und Instandsetzung von Gebäuden, auch nicht, soweit sie einen Anspruch auf Einräumung einer Sicherungshypothek begründen (Rz. 14.1 ff.). Das gleiche gilt für Zahlungsverpflichtungen der Miteigentümer eines Wohngebäudes1. Im Übrigen kann die gesetzliche Anknüpfungsregel widerlegt sein, wenn sonstige Umstände eine Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung nahe legen2. Dass eine Partei ihre Niederlassung in einem anderen Staat hat, reicht dafür nicht aus3.

5. Kurzfristige Miet- und Pachtverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. d Rom I-VO) 2.163

Ungeachtet des Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO unterliegt die Miete oder Pacht unbeweglicher Sachen für höchstens sechs aufeinander folgende Monate zum vorübergehenden privaten Gebrauch dem Recht des Staates, in dem der Vermieter oder Verpächter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Mieter oder Pächter eine natürliche Person ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hat (Art. 4 Abs. 1 lit. d Rom I-VO). Ähnlich wie bei der Zuständigkeitsregel des Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO soll hier angesichts der Kürze der Vertragsdauer nicht die Belegenheit den Ausschlag geben4. Dazu Rz. 22.10 ff.

2.164

Die Anwendung ausländischen Mietrechts erscheint wegen des nur schwachen Auslandsbezuges unangemessen5. Während früher als Abhilfe die Anwendung der Ausweichklausel vorgeschlagen wurde (s. Rz. 2.211), wurde nach altem Recht nach dem Muster der Zuständigkeitsvorschrift in Art. 22 Nr. 1 EuGVO (nunmehr Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) eine teleologische Reduktion gefordert6. Der Belegenheit einer Forderung kommt für die Bestimmung des Schuldstatuts keine Bedeutung zu7.

6. Franchiseverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. e Rom I-VO) 2.165

Franchiseverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Franchisenehmer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 lit. e Rom I-VO). Insoweit handelt es sich um die Klarstellung einer umstrittenen Frage8. Näher dazu Rz. 20.12 ff.

7. Vertriebsverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-VO) 2.166

Vertriebsverträge unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Vertriebshändler seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I-VO). Dies war unter dem EVÜ umstritten9. Näher zum Handelsvertreter in Rz. 23.1 ff., zum Vertragshändler (Eigenhändler) s. Rz. 37.1 ff.

1 EuGH v. 8.5.2019 – C-25/18, ECLI:EU:C:2019:376 (Kerr) Rz. 38, NJW 2019, 2991 = IPRax 2020, 40 (m. Aufs. Thomale, IPRax 2020,18). 2 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 53. 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 20.3.1997 – 24 U 102/94, IPRspr. 1997 Nr. 37 = NJW-RR 1998, 1159. 4 Vgl. Max-Planck-Institut, RabelsZ 71 (2007), 225 (263). 5 Vgl. Wagner, IPRax 2008, 377 (383). 6 So von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 55; von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 164. 7 LG München I v. 11.2.1965 – 6 O 803/62, IPRspr. 1964/65 Nr. 43 = RzW 1965, 375 (Vereinbarung eines Erfolgshonorars für in Deutschland lokalisierte Wiedergutmachungsansprüche). 8 Wagner, IPRax 2008, 377 (383). 9 Dazu Wagner, IPRax 2008, 377 (383).

130 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.170 § 2

8. Kauf durch Versteigerung (Art. 4 Abs. 1 lit. g Rom I-VO) Verträge über den Kauf beweglicher Sachen durch Versteigerung unterliegen dem Recht des Staates, in dem die Versteigerung abgehalten wird, sofern der Ort der Versteigerung bestimmt werden kann (Art. 4 Abs. 1 lit. g Rom I-VO). Dazu Rz. 26.1 ff.

2.167

9. Multilaterales System (Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO) Eine Sonderregel besteht für Verträge, die innerhalb eines multilateralen Systems geschlossen werden, das die Interessen einer Vielzahl Dritter am Kauf und Verkauf von Finanzinstrumenten i.S.v. Art. 4 Abs. 1 Nr. 17 der Richtlinie 2004/39/EG nach nicht diskretionären Regeln und nach Maßgabe eines einzigen Rechts zusammenführt oder das Zusammenführen fördert. Solche Verträge unterliegen diesem Recht (Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO). Dies führt regelmäßig zum Recht des Börsenplatzes bzw. des Staates, der die Aufsicht über dieses System führt1. Dazu Rz. 19.63 ff.

2.168

Nach Erwägungsgrund 18 sollten unter multilateralen Systemen solche Systeme verstanden werden, in denen Handel betrieben wird, wie die geregelten Märkte und multilateralen Handelssysteme i.S.d. Art. 4 der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente2, und zwar ungeachtet dessen, ob sie sich auf eine zentrale Gegenpartei stützen oder nicht.

2.169

III. Gemischte Verträge 1. Arten der gemischten Verträge Gemischte Verträge sind im Kollisionsrecht – ähnlich wie im Sachrecht3 – solche, bei denen zwar nur ein einheitlicher Vertrag vorliegt, sich aber mindestens eine der Parteien zu mehreren verschiedenartigen (gleichwertigen) Hauptleistungen bzw. (mindestens) einer Nebenleistung verpflichtet oder die Leistung und die Gegenleistung verschiedenen Vertragsarten angehören oder aber mehrere Vertragstypen miteinander verschmolzen werden4. Des Öfteren ist zweifelhaft, ob man für atypische und gemischte Vertragsverhältnisse noch eine charakteristische Leistung ermitteln kann oder auf die engere oder engste Verbindung ausweichen muss. Daher wird das gleiche Ergebnis oft auf unterschiedliche Weise begründet. Auch die Übergänge zu zusammenhängenden Verträgen sind fließend (vgl. Rz. 2.231 ff.). Die im Sachrecht verbreitete Kombinationsmethode, die zur Anwendung unterschiedlicher Regeln auf den Vertrag führt5, ist im internationalen Vertragsrecht, wo sie sogar die Anwendung unterschiedlicher Rechtsordnungen zur Folge haben kann, von zweifelhaftem Wert. Die angestrebte einheitliche

1 Wagner, IPRax 2008, 377 (384 f.). Näher Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-69); Garcimartín Alférez, The Special Provisions on Financial Market Contracts in Cashine Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européen „Rome I“ relatif à la loi applicable aux obligations contractuelles (Genf 2008), S. 161 ff. 2 ABl. EU 2004 Nr. L 145, S. 1. Geändert durch Richtlinie 2008/10/EG, ABl. EU 2008 Nr. L 76, S. 33. Inzwischen aufgehoben durch RL 2014/65/EU vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. EU 2014 L Nr. 173, S. 349. 3 S. Martiny, FS von Hoffmann, S. 283 (292 ff.). 4 Dazu von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 329; von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 35 ff. 5 S. Martiny, FS von Hoffmann, S. 283 (285 ff.).

Martiny | 131

2.170

§ 2 Rz. 2.170 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Anknüpfung mit möglichst einheitlicher Rechtsanwendung lässt vielmehr eine weitgehende Verwendung der Absorptionsmethode als plausibel erscheinen.

2.171

Bei der gesetzestechnischen Einordnung gemischter Verträge lassen sich im Wesentlichen drei unterschiedliche Konstellationen unterscheiden. (1) Es handelt sich um einen spezifizierten Vertragstyp i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO. Hinzu kommt aber noch ein nicht-spezifizierter Vertragsbestandteil. (2) Weitere Fälle betreffen mehrere Bestandteile, die unterschiedlichen spezifizierten Vertragstypen zuzuordnen sind (s. Rz. 2.218 ff.). (3) Schließlich kann es um Bestandteile nicht in Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO genannter Vertragstypen bzw. Verträge gehen (s. Rz. 2.188 ff.).

2.172

Der Fall, dass ein Vertragsbestandteil vom Katalog des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO erfasst wird, der andere hingegen nicht, ist nicht besonders gesetzlich geregelt. Auch hier dürfte auf das Schwergewicht des Vertrages abzustellen sein (vgl. Rz. 2.177). Liegt es auf dem spezifizierten Vertragsbestandteil, so kommt es zu einer Anknüpfung daran. Scheitert diese Anknüpfung, so ist grundsätzlich die charakteristische Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zu ermitteln1. Ist das nicht möglich, so ist die engste Verbindung nach anderen Kriterien festzustellen (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO). Möglicherweise wird sich noch eine unionsrechtliche Systematik gemischter Verträge entwickeln. In Anlehnung an sachrechtliche Einteilungsversuche lassen sich die Verträge jedenfalls in mehreren Gruppen zusammenfassen.

2.173

Beim Vertrag mit andersartiger (atypischer oder vertragstypischer) Nebenleistung werden etwa zusätzlich zu einem Verkauf einer beweglichen Sache noch erhebliche Dienstleistungen erbracht. Gehört die von einer Partei zu erbringende Hauptleistung einem in Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO genannten Vertragstyp an, hat sie daneben aber noch eine andersartige Nebenleistung zu erbringen, so darf die unselbständige Nebenleistung nicht entscheiden. Maßgeblich ist (insoweit mit dem Absorptionsprinzip übereinstimmend) allein das Statut der bedeutenderen Hauptleistung2; eine Subsumtion unter Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO ist nicht ausgeschlossen (s. Rz. 2.243 ff.). Die Übergänge zu anderen gemischten Verträgen sind fließend3.

2. Vertrag mit andersartiger Nebenleistung

3. (Typen-) Kombinationsvertrag 2.174

Beim (Typen-) Kombinationsvertrag schuldet eine Partei mehreren Vertragstypen entsprechende und im Wesentlichen gleichwertige Hauptleistungen. Hier wird die vom Schuldner zu erbringende Leistung zumeist auch die charakteristische sein, also auf nur eine Rechtsordnung hinweisen4. Man wird aber regelmäßig nicht mehr nach Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO anknüpfen können, da es sich um eigene Bestandteile des Vertrages handelt und Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO anzuwenden haben (s. Rz. 2.111). Weist der Vertrag zu mehreren Rechtsordnungen Bezüge auf, so ist eine Abweichung von Abs. 1 möglich. Es ist die engste Beziehung für das gesamte Vertragsverhältnis individualisierend zu ermitteln5. Überwiegt freilich eine der Leistungen deutlich, so bleibt eine Anknüpfung nach Abs. 2 möglich6. Als mehreren Typen ent1 2 3 4 5 6

Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 104. Vgl. zum alten Recht von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 38. Vgl. Stimmel, GRUR-Int. 2010, 783 (785). von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 331; von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 39. S. schon Kreuzer, FS von Caemmerer, S. 705 (732). Vgl. Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I Rz. 80; von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 41.

132 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.177 § 2

sprechender Vertrag, der dem Recht des Gastwirts unterliegt, wird etwa der Beherbergungsvertrag angesehen1, der allerdings als Dienstleistung (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) einzustufen sein dürfte.

4. Austauschvertrag mit anderstypischer Gegenleistung Tauschen die Parteien Leistungen aus, welche verschiedenen typischen Verträgen zuzurechnen sind (sog. Austauschverträge mit anderstypischer Gegenleistung), so greift Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO ein, wenn eine Leistung einem spezifizierten Vertrag entspricht. Steht die andere außerhalb des Katalogs, so kommt die Ermittlung der charakteristischen Leistung in Betracht. Bei einem Kauf dürfte es auch bei der Inzahlungnahme eines Gebrauchtwagens beim Kraftfahrzeugkauf bleiben2. Häufig wird aber ein Fall einer Mehrfacherfassung nach Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO vorliegen (s. Rz. 2.211). Überwiegt keine der Vertragsleistungen, so ist individualisierend die engste Verbindung für das gesamte Vertragsverhältnis zu bestimmen (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO). Entsprechendes gilt, wenn beide Leistungen dem gleichen Vertragstyp angehören; eine Vertragsspaltung scheidet aus3.

2.175

5. Typenverschmelzungsvertrag Für den Typenverschmelzungsvertrag ist zu prüfen, ob eine der Parteien die für das Vertragsverhältnis nach Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO maßgebende Leistung und die andere nur eine farblose Geldleistung erbringt4. Das wird bei Dienstleistungen häufig der Fall sein; das Recht des Dienstleistungserbringers gilt. Greift Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO nicht ein, so ist die charakteristische Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zu ermitteln. Lässt sie sich nicht feststellen, so ist die engste Verbindung des Vertragsverhältnisses nach anderen Kriterien zu suchen (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO).

2.176

IV. Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO) Nach der Rom I-VO ist, wie Erwägungsgrund 19 klarstellt, das anzuwendende Recht zunächst nach der für die Vertragsart spezifizierten Regel des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO zu bestimmen5. Kann der Vertrag nicht einer dieser Vertragsarten zugeordnet werden oder sind die Bestandteile des Vertrags durch mehr als eine der spezifizierten Vertragsarten abgedeckt, so soll der Vertrag dem Recht des Staates unterliegen, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO). Besteht ein Vertrag aus einem Bündel von Rechten und Verpflichtungen, die mehr als einer der spezifizierten Vertragsarten zugeordnet werden können, so soll die charakteristische Leistung des Vertrags nach ihrem Schwerpunkt bestimmt werden. Der Grundsatz der charakteristischen Leistung gilt daher für alle Verträge, welche in den Anwendungsbereich der Art. 3 ff. Rom I-VO fallen, d.h. nicht von Art. 1 Rom I-VO ausgeschlossen sind, und für die nicht die speziellen Regeln des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO bzw. die besonderen Vorschriften

1 Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I Rz. 80 („typengemischt“). – Ebenso nach Art. 28 EGBGB LG Hamburg v. 30.1.1991 – 5 O 335/87, IPRspr. 1991 Nr. 33. 2 von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 149. 3 Anders noch LG Dortmund v. 8.4.1988 – 12 O 477/87, IPRax 1989, 51 m. Anm. Jayme (gegenseitige Vertriebsrechte). 4 Leible in NK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 64. 5 Ebenso Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (535 f.).

Martiny | 133

2.177

§ 2 Rz. 2.177 | Bestimmung des Vertragsstatuts

der Art. 5–8 Rom I-VO eingreifen1. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO hat insofern die Funktion einer Auffangregel.

2.178

Bei den spezifizierten Verträgen kommt eine Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung dann in Betracht, wenn – wie bei einem gemischten Vertrag – mehrere der aufgezählten Anknüpfungen zur Anwendung kämen. Nicht zulässig wäre es freilich, einzelne gesondert geregelte Vertragstypen (z.B. Vertriebsverträge) unter Berufung auf die generellere Kategorie (z.B. Dienstverträge) der spezielleren Anknüpfungsregel zu entziehen2. Auch hier kann aber auch eine engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO in Betracht kommen. Lässt sich bei einem solchen Vertrag keine charakteristische Leistung bestimmen, so ist die engste Verbindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO maßgeblich.

1. Herstellung der engsten Verbindung a) Begriff der charakteristischen Leistung

2.179

Nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO weist ein Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat auf, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. ihre Hauptverwaltung hat. Der Grundsatz der charakteristischen Leistung soll also die engste Verbindung konkretisieren und objektivieren3.

2.180

Der Begriff der charakteristischen Leistung (the performance which is characteristic of the contract; la prestation caractéristique) wird nicht definiert. Der Bericht Giuliano/Lagarde zum EVÜ lässt aber keinen Zweifel daran, dass damit das Konzept der Vertragstypenlehre gemeint ist, wie es seit längerem von Lehre und Rechtsprechung zahlreicher Länder entwickelt wurde4. Führend war dabei das schweizerische Bundesgericht, das sich erstmals im Jahre 1945 auf dieses Konzept stützte5, das vor allem von F. A. Schnitzer entwickelt worden ist6. Nach dieser Lehre ist auf einen Vertrag das Recht der Partei anzuwenden, welche die charakteristische Leistung erbringt. Grundgedanke ist, dass nicht äußere Umstände, die – wie Abschlussort oder Staatsangehörigkeit – nichts mit der Natur des Schuldverhältnisses zu tun haben, die Rechtsanwendung bestimmen sollen. Vielmehr soll die Eigenart des jeweiligen Rechtsverhältnisses, genau genommen die charakteristische Verpflichtung, den Ausschlag geben. Das Anknüpfungsmerkmal ist dem Vertrag selbst zu entnehmen7. Maßgeblich ist das, was für einen Vertrag typisch ist.

2.181

Die Bestimmung des Charakteristikums des Vertragsverhältnisses führt zur Bildung bestimmter vertragstypischer Anknüpfungen. Dies bietet gegenüber einer individualisierenden Anknüpfung den Vorteil größerer Einfachheit, Klarheit und Voraussehbarkeit der Ergebnisse. Während die Differenzierung nach der Eigenart der Verträge der Einzelfallgerechtigkeit dient, nützt das Aufstellen fester Kollisionsregeln der Rechtssicherheit. 1 2 3 4 5

Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 97. Azzi, D. 2008, 2169 (2172). Bericht Giuliano/Lagarde, S. 53. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52 ff. Schweiz. BG v. 27.2.1945, SchweizJahrbIntR 5 (1948), 113 (114). – Näher Kren Kostkiewicz in ZürchKomm, Art. 117 IPRG Rz. 12 ff. 6 Dazu Gunst, S. 60 ff. – S. auch den Überblick über die Rspr. bei Lipstein, Nw.J.Int.L. & Bus. 3 (1981), 402 (406 ff.). 7 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52.

134 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.184 § 2

Die charakteristische Leistung wird häufig berufsmäßig erbracht; der Leistende ist i.d.R. stärker betroffen1. Sie führt daher regelmäßig zu der Rechtsordnung, mit der das Vertragsverhältnis am engsten verbunden ist. Die charakteristische Leistung knüpft nämlich an die Funktion an, welche die fragliche Rechtsbeziehung im wirtschaftlichen und sozialen Leben kennzeichnet2. Da im Ergebnis die Geschäfte und Leistungen eines gewerblichen Unternehmens nach dem Recht seiner Niederlassung beurteilt werden, wird ferner erreicht, dass – mangels Rechtswahl – alle von ihm mit seinen Kunden geschlossenen Verträge grundsätzlich einer einzigen Rechtsordnung unterliegen3. Dieses sog. Uniformitätsinteresse4 wurde früher schon häufiger unter dem Aspekt des „Massenvertrages“, also des massenweisen Abschlusses durch eine Partei, herangezogen5.

2.182

Charakteristisch ist für einen Schuldvertrag diejenige Leistung (z.B. von Waren oder Diensten), die ihn von anderen Verträgen unterscheidet6. Regelmäßig gibt diese Leistung dem Vertrag seinen Namen. Die charakteristische Leistung wird i.d.R. entgeltlich erbracht. Die Geldleistung ist hingegen unspezifisch und wenig aussagekräftig, nämlich nur das Entgelt für bestimmte, sehr verschiedenartige Leistungen7. Stehen sich eine Geld- und eine Natural-(Nichtgeld-)Leistung gegenüber, so wird das Vertragsverhältnis i.d.R. durch die Leistung der Partei charakterisiert, welche die Naturalleistung zu erbringen hat8. Nicht entscheidend ist dagegen, welche Leistung rechtlich stärker normiert ist oder leichter zu Rechtsstreitigkeiten Anlass geben kann. Zwar trifft dies auf die charakteristische Leistung teilweise zu. Die vertragliche Regelung der charakteristischen Leistung als die verwickeltere bedarf vielfach der Ergänzung durch die Rechtssätze am Niederlassungsort des Leistenden9. Die Regelungsintensität in einem der zur Auswahl stehenden materiellen Rechte kann aber für die kollisionsrechtliche Frage nicht maßgeblich sein. Ferner wäre dieses Argument bei gleicher Regelungsintensität nur eine Bestätigung des Satzes, dass jede Partei i.d.R. an der Anwendung ihres Rechts interessiert ist10.

2.183

Die Abgrenzung nach der Geldleistung genügt aber dann nicht, wenn nur Geldleistungen (entgeltliches Darlehen) oder Sachleistungen (Tausch) ausgetauscht werden. Ferner können die gegenseitigen Leistungspflichten sehr komplex sein oder es werden Geld- und Nichtgeldleistungen nebeneinander erbracht. Hier ist dann der Inhalt der Verpflichtungen in Bezug auf berufliche Typizität, Risikotragung und größeres wirtschaftliches Gewicht näher zu untersuchen. Wird Geld gegen Geld hingegeben, tritt also die Leistung, die nur das Entgelt für eine andere spezifische Leistung bildet, zurück11. Bei unentgeltlichen Verträgen erbringt i.d.R. nur eine Seite eine (Haupt-) Leistung, z.B. bei der Gebrauchsleihe. Folglich gilt das Recht dieser Partei (ebenso für die Leihe z.B. Art. 20 Nr. 9 jugosl. IPRG von 1982). In einseitig verpflich-

2.184

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (308). Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52. Vgl. Schnitzer, Festg. Schönenberger, S. 387 (392 f.). Zum Begriff Weitnauer, S. 165 ff. Vgl. LG Karlsruhe v. 21.1.1955 – 2 T 174/54, IPRspr. 1956/57 Nr. 28a (Bankdarlehen aufgrund schweiz. Bank-AGB). Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (307 f.). Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52. Wagner, IPRax 2008, 377 (381). – Zum EVÜ Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (308). Vgl. Lipstein, Nw.J.Int.L. & Bus. 3 (1981), 402 (410). Weitnauer, S. 164 f. Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 152 (Stand 1.2.2021). – Vgl. C. Schulze, Kodifikation des Vertragsstatuts (1980), S. 106 f.

Martiny | 135

§ 2 Rz. 2.184 | Bestimmung des Vertragsstatuts

tenden Verträgen ist grundsätzlich nur der Schuldner zu einer charakteristischen Leistung verpflichtet; diese ist es folglich, die das Vertragsverhältnis prägt1.

2.185

Die von Art. 4 Rom I-VO verlangte Anknüpfung an das Charakteristikum des Vertragstyps ermöglicht es, bestimmte Regeln für einzelne Vertragstypen im Voraus aufzustellen. Verträge der gleichen Funktion und mit der gleichen Interessenlage teilen folglich das gleiche kollisionsrechtliche Schicksal; ihre Besonderheiten prägen die Kollisionsregel2. Voraussetzung ist allerdings, dass auf die richtige Leistung abgestellt wird und die Vertragskategorien genügend differenzieren. Gegebenenfalls lassen sich innerhalb des einzelnen Vertragstyps (z.B. beim Kauf) wieder Untertypen bilden. Die Einordnung des Vertragstyps unterliegt für diesen kollisionsrechtlichen Zweck dem IPR der lex fori (dazu Rz. 2.189).

2.186

Die Lehre von der charakteristischen Leistung ist nicht ohne Kritik geblieben3. Sie ist heute aber in vielen kontinentaleuropäischen Kodifikationen verankert. Diese enthalten häufig detaillierte Anknüpfungskataloge (z.B. Art. 1211 russ. ZGB III; Art. 117 Abs. 2 schweiz. IPRG). Auch darf das Konzept nicht schematisch angewendet werden. Zwar ist eine ihrer Begründungen, jedes Rechtsverhältnis erfülle eine bestimmte gesellschaftliche Funktion, so dass das Recht dessen gelte, der diese Funktion ausübe (funktionelle Anknüpfung), nicht grundsätzlich falsch. Die Annahme, dies sei stets das Recht des Leistenden, insbesondere des Verkäufers, nicht aber das des Kunden, kann aber nicht befriedigen, wenn das Kriterium des Leistens andere Gesichtspunkte (z.B. Art der Gegenleistung, Schutz) völlig verdrängen würde. Die charakteristische Leistung bevorzugt nämlich die Nicht-Geldleistung und benachteiligt deshalb bestimmte Vertragsparteien wie Verbraucher, weil diese stets die Geldleistung erbringen4. Daher bedarf es dann, wenn es – wie bei Verbraucherverträgen – inopportun ist, die gewerbliche Leistung generell zu bevorzugen, einer anderen Anknüpfung, wie sie nunmehr von Art. 6 Rom I-VO zur Verfügung gestellt wird. Anderes gilt auch dann, wenn die sog. Ausweichklausel (Rz. 2.226) zum Zuge kommt. Dann ist zu berücksichtigen, dass andere Umstände als die Leistung eine engere Verbindung begründen (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO). Ferner ist oft unbefriedigend, wenn die charakteristische Leistung nur für einen einzelnen Schuldvertrag bestimmt wird. Dies ist vor allem dann unzweckmäßig, wenn der Vertrag in einem engeren Zusammenhang mit einem anderen Vertragsverhältnis steht (s. Rz. 2.231 ff.).

2.187

Nach früherem Recht war der Grundsatz der charakteristischen Leistung als Vermutung für die engste Verbindung ausgestaltet. Das Konzept einer widerlegbaren Vermutung hat sich jedoch letztlich als inhaltsleer erwiesen5. Art. 4 Rom I-VO ist daher nicht mehr als Vermutung, sondern als gewöhnliche Kollisionsregel ausgestaltet worden. Folglich ist einfach zu prüfen, welches die charakteristische Leistung ist. Dabei sind Umstände, die im Übrigen eine enge Verbindung herstellen können (Rz. 2.252 ff.), für die Bestimmung der charakteristischen Leistung nicht heranzuziehen. Dies gilt jedoch nur so lange, als diese Umstände nicht das Übergewicht erlangen und auf eine noch engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO hinweisen6. Ferner kann die charakteristische Leistung dann nicht maßgeblich sein, wenn sich eine solche Leistung nicht ermitteln lässt, s. Rz. 2.206. 1 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52; vgl. auch Schnitzer, Festg. Schönenberger, S. 387 (392 f.). 2 Vgl. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52 f. 3 S. insbesondere Jessurun d’Oliveira, Am.J.Comp.L. 25 (1977), 303 ff.; Gunst, S. 103 ff. W. Nachw. bei Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (127 ff.); Kaye, S. 187 ff. 4 Vgl. Gunst, S. 115 ff.; Weitnauer, S. 197 ff. 5 Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 14 Rome I Rz. 172. Vgl. Ferrari in Ferrari/Leible, S. 65 ff. 6 Zum EVÜ Ferid, Rz. 6–47.

136 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.190 § 2

b) Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Das aufgrund objektiver Anknüpfung anzuwendende Recht ist – wie bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift hervorgeht – für den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu ermitteln (vgl. Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO), vgl. Rz. 2.2991. Spätere, für eine objektive Anknüpfung relevante Veränderungen beeinflussen die Verpflichtung zur charakteristischen Leistung und damit das Schuldstatut nicht. Ein Statutenwechsel scheidet aus, das Vertragsstatut ist grundsätzlich unwandelbar2. Andernfalls wäre die objektive Anknüpfung durch einen drohenden Statutenwechsel stets gefährdet3. Verlegt lediglich eine die charakteristische Leistung erbringende Partei ihren gewöhnlichen Aufenthalt in ein anderes Land, so führt dies ebenso wenig zu einer Änderung des Vertragsstatuts wie ein Staatsangehörigkeitswechsel4. Schon bislang wurde angenommen, dass, wenn Vertragsbeziehungen jahrzehntelang auf der Grundlage des Rechts des Niederlassungsortes abgewickelt wurden, eine Sitzverlegung das Vertragsstatut nicht ohne weiteres ändert5.

2.188

2. Qualifikation Auch die Anknüpfung an die charakteristische Leistung kann Qualifikationsprobleme aufwerfen. So ist zu bestimmen, ob es sich um einen Vertragstyp handelt, auf den die jeweilige Art der Anknüpfung überhaupt Anwendung findet6. Zum anderen ist zu ermitteln, was die charakteristische Leistung des konkreten Vertragsverhältnisses ist. Dies ist häufig ohne den Rückgriff auf eine bestimmte Rechtsordnung nicht möglich.

2.189

Für die Anwendung der speziellen Kollisionsnormen (Art. 5–8 Rom I-VO) auf den einzelnen Vertrag ist von der lex fori aus, also von den Art. 3 ff. Rom I-VO aus, zu qualifizieren, welcher Kollisionsnorm der Vertrag zu unterstellen ist7, z.B. ob ein Arbeits- oder ein Handelsvertretervertrag vorliegt8. Sind in inländischen Kollisionsnormen Rechtsbegriffe enthalten, so sind diese so weit zu fassen, dass auch stark abweichende ausländische materiell-rechtliche Regelungen darunter fallen9. Im Übrigen gilt das Gebot der einheitlichen Auslegung der Kollisionsnormen auch hier. Es kommt daher auf die verordnungsautonome europäische Auslegung der Begriffe, nicht etwa auf ihren Gehalt nach nationalem Sachrecht an10.

2.190

1 2 3 4

5 6 7 8 9 10

So wohl auch Wagner, IPRax 2008, 377 (385). Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 24. – Vgl. Mansel, ZVglRW 86 (1987), 1 (8 f.). Vgl. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 53. OLG Hamm v. 21.3.1994 – 2 U 103/92, IPRspr. 1994 Nr. 2 = IPRax 1996, 33 (m. Aufs. Otto, IPRax 1996, 22) = RIW 1994, 513 (Auftragsverhältnis in Mauretanien); Lüderitz, FS Keller, S. 459 (468 f.); Merschformann, S. 141. Ebenso für den nicht geplanten „zufälligen“ Aufenthaltswechsel Schnelle, S. 137. Im gleichen Sinne für Art. 117 schweiz. IPRG, schweiz. BG v. 21.11.2006, BGE 133 III, 90 (94 ff.). BGH v. 7.12.1979 – I ZR 157/77, IPRspr. 1979 Nr. 175 = GRUR-Int. 1980, 230 (Verlagsvertrag. Verlegung des Verlagssitzes änderte nichts am deutschen Vertragsstatut). Vgl. BGH v. 21.9.1995 – VII ZR 248/94, IPRspr. 1995 Nr. 1 = RIW 1995, 1027 = EWiR 1995, 1187 (Geimer) (Garantie- oder Gesellschaftsvertrag); BGH v. 30.4.2003 – III ZR 237/02, NJW-RR 2003, 1582 (Warenkauf, Geschäftsbesorgung oder Kommission). S. auch schweiz. BG v. 3.12.1962, BGE 88 II, 471 (Alleinvertretungsvertrag); schweiz. BG v. 3.7.2001, BGE 127 III, 553 (556) (Überweisungsauftrag). Anders OLG Saarbrücken v. 3.8.1966 – 3 U 135/63, IPRspr. 1966/67 Nr. 55a. Vgl. Gamillscheg, JZ 1958, 747; Sandrock, RIW 1986, 841 (850 f.). S. Kegel/Schurig, S. 346 ff. Vgl. Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 26, 111.

Martiny | 137

§ 2 Rz. 2.191 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.191

In engem Zusammenhang hiermit steht die Frage, welches Recht im Rahmen der objektiven Anknüpfung die Regeln für die Ermittlung des vertraglich Gewollten zur Verfügung stellt. Denn nicht immer liegen die tatsächlichen Verhältnisse offen zutage. Auch für diese – bloß kollisionsrechtlich bedeutsame – Auslegung soll die lex fori gelten1. Widersprüche zum letztlich maßgeblichen Schuldstatut sollten aber vermieden werden.

3. Lokalisierung der charakteristischen Leistung 2.192

Die charakteristische Leistung wird im Staat des gewöhnlichen Aufenthalts der Partei, die diese Leistung zu erbringen hat, lokalisiert. Damit ist dieser Ort der eigentliche Anknüpfungspunkt. Die charakteristische Leistung dient lediglich dazu, den Ort zu bestimmen und irrelevante Verbindungen auszuschalten2. Das Recht dieses Staates beansprucht grundsätzlich den Vorrang gegenüber dem Staat, in dem die Leistung tatsächlich zu erbringen ist, bzw. in dem der Vertrag erfüllt wird. Auf den Erfüllungsort für die charakteristische Leistung kommt es mithin nicht an3. Der gewöhnliche Aufenthalt gilt in erster Linie für Verträge von Privatpersonen, da für Berufs- und Gewerbetätigkeit die Niederlassung maßgeblich ist. Der gewöhnliche Aufenthalt (habitual residence; résidence habituelle) wird von Art. 19 Rom I-VO näher beschrieben, s. Rz. 2.285 ff.

4. Einzelne Fälle der charakteristischen Leistung 2.193

Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO enthält, anders als noch Art. 4 EVÜ (Art. 28 EGBGB) einen Katalog von Vertragstypen und legt für diesen fest, welches Recht jeweils maßgeblich ist. Vielfach ist das maßgebliche Recht das der charakteristischen Leistung. Die Anknüpfung einer ganzen Reihe einzelner Vertragstypen wird in Teil 2 (Rz. 8.1 ff.) detailliert dargestellt4. An dieser Stelle sollen nur einige Leitlinien und Beispiele wiedergeben werden. Die Bestimmung der charakteristischen Leistung hat Schnitzer einmal anschaulich zusammengefasst5: „Es ist nun sehr einfach, festzustellen, welche Partei die charakteristische Leistung übernimmt. Das ist diejenige, die verkauft, vermittelt, versichert, die einen Dienst oder einen Transport übernimmt. Die Gegenseite zahlt bei allen diesen Vertragskategorien ein Entgelt. Die Geldleistung ist also nicht charakteristisch für die einzelne Vertragskategorie. Bei unentgeltlichen Verträgen übernimmt nur die eine Seite eine Leistung. Bei einseitigen Leistungsversprechen ist dieses das Kriterium der Rechtskategorie ... Diese Leistung wird dort übernommen, wo die betreffende Person ihren Wohnsitz, ihre gewerbliche Niederlassung hat. Auf diese Weise werden auch für diejenigen, die gewerbsmäßig oder berufsmäßig eine solche Tätigkeit ausüben, alle ihre Akte einheitlich demselben Recht unterstellt.“

2.194

Danach bildet für Veräußerungsverträge die Veräußerung die charakteristische Leistung. Dazu gehört insbesondere der nunmehr allerdings gesondert geregelte Fahrniskauf (Rz. 25.106). Entsprechendes gilt für den Kauf von Rechten6, für bestimmte Verträge über gewerbliche Schutzrechte und den Know-how-Vertrag7, s. unten Rz. 29.1 ff., Rz. 34.12 ff. Bei

1 S. BGH v. 21.10.1964 – Ib ZR 22/63, IPRspr, 1964/65 Nr. 180 = AWD 1965, 455 (Übertragung eines Zeichenrechts oder Lizenzgewährung). 2 Vgl. Lipstein, Nw.J.Int.L. & Bus. 3 (1981), 402 (404). 3 Solomon, Tul.L.Rev. 82 (2008), 1709 (1714 f.). 4 Weitere Vertragstypen bei Martiny in MünchKomm Art. 4 Rom I-VO Rz. 174 ff. 5 Schnitzer, Festg. Schönenberger, S. 387 (392 f.). 6 Wagner, IPRax 2008, 382 (386). 7 Näher Martiny in MünchKomm, Art. 4 Rom I-VO Rz. 249 ff.

138 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.196 § 2

Verträgen auf Gebrauchsüberlassung ist die Leistung der den Gebrauch überlassenden Partei vertragstypisch, z.B. bei Mobiliarmiete1 und Leihe2. Der einfache Leasingvertrag (operating leasing) über Mobilien untersteht mangels Rechtswahl dem Recht des Leasinggebers, da dieser die vertragstypische Leistung der Gebrauchsüberlassung erbringt3 (Rz. 28.115 ff.). Charakteristisch für auf Erbringen von Dienstleistungen oder Tätigkeiten gerichtete Verträge ist die Leistung des zum Tätigwerden Verpflichteten4. Dieser Gesichtspunkt ist maßgeblich für Makler (Rz. 30.1), Kommissionäre (Rz. 27.1) Handelsvertreter (Rz. 23.1 ff.), Eigenhändler (Rz. 37.1), nach früher umstrittener Auffassung auch für den Franchisenehmer (Rz. 20.1) sowie für Geschäftsbesorgung5 und Werkvertrag (Rz. 38.1). Entsprechendes gilt für das Abhalten von Kursen, Lehrgängen oÄ6. Verträge auf Sicherung oder die Übernahme eines Risikos sind gekennzeichnet durch die Leistung des Sicherers oder der Partei, die das Risiko trägt. Hierzu gehören auch Bürgschaft und Garantie (Rz. 16.1 ff.). Beim Verwahrungsvertrag erbringt die charakteristische Leistung der Verwahrer. Daher gilt aus diesem Grund, wenn nicht schon Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO eingreift7, grundsätzlich das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. am Niederlassungsort des Verwahrers8. Entsprechendes gilt für die Hinterlegung und Lagerhaltung sowie ähnliche Vertragsgestaltungen9.

2.195

Da die charakteristische Leistung vom Gastwirt oder Hotelier erbracht wird, richtet sich der Gastaufnahme- bzw. Beherbergungsvertrag nach dem Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. Betriebssitzes10. Das ergibt sich aber regelmäßig schon aus Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO (Dienstleistung)11. Das Recht des Betriebssitzes gilt auch für die Haftung des Gastwirts hinsichtlich eingebrachter Sachen12. Bei Pauschalreisen kann Art. 6 Rom I-VO (Verbraucherverträge) zum Zuge kommen (s. Rz. 15.75 ff.). Diese Vorschrift gilt jedoch nicht für die bloße Beherbergung in ausländischen Hotels (vgl. Art. 6 Abs. 4 lit. a Rom I-VO).

2.196

1 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 300 (Stand 1.2.2021). 2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (535 f.). 3 Brödermann/Wegen in PWW, Art. 4 Rom I Anh. Rz. 42; Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 315 (Stand 1.2.2021). 4 S. BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, WM 1995, 124 = WuB IV B. Art. 34 EGBGB 1.95 (Anm. Mankowski) (Beratervertrag); schweiz. BG v. 14.7.2006, BGE 132 III, 609 (615) (Recht des Angewiesenen). 5 BGH v. 30.4.2003 – III ZR 237/02, NJW-RR 2003, 1582 (Verwertung von Gurken); OLG Frankfurt v. 17.12.1997 – 13 U 81/96, IPRspr. 1997 Nr. 45 = RRa 1998, 78 (Hotelverwaltung und -repräsentanz für Anlage auf Mauritius). 6 AG Heidelberg v. 13.7.1984 – 26 C 104/83, IPRax 1987, 25 (Anm. Boll, IPRax 1987, 11). 7 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 8. 8 LG Aachen v. 9.9.1998 – 4 O 479/97, IPRspr. 1998 Nr. 38 = RIW 1999, 304 (Anlage von Termingeld); österreich. OGH v. 18.1.2007 – 6 Ob 276/06s, ZfRV 2007, 71; Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 428 (Stand 1.2.2021). – Vgl. auch Art. 117 Abs. 3 lit. d schweiz. IPRG. 9 S. schon KG v. 16.7.1985 – 5 U 6165/83, IPRspr. 1985 Nr. 30 (LS) = ZUM 1986, 550 (Vertrag über die Archivierung des Nachlasses eines ausländ. Schriftstellers in einem deutschen Archiv unterstand deutschem Recht. Klage des Erben auf Herausgabe von Manuskripten blieb erfolglos). 10 LG Hamburg v. 30.1.1991 – 5 O 335/87, IPRspr. 1991 Nr. 33 (italien. Recht für Hotelaufenthalt in Italien); Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 431 (Stand 1.2.2021). 11 Spickhoff in BRHP, Art. 4 Rom I-VO Rz. 25; Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 10. 12 Österreich. OGH v. 24.9.1975 – 1Ob161/75, ÖJZ 1976, 208.

Martiny | 139

§ 2 Rz. 2.197 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.197

Die Schenkung beweglicher Sachen unterliegt der Rechtsordnung am Aufenthaltsort des Schenkers1, jedenfalls, solange es nicht um die eherechtlichen Schranken unter Ehegatten geht2. Der Schenker erbringt die charakteristische Leistung i.S.d. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO3. Auch andere Rechtsordnungen stellen auf das Recht des Schenkers ab (z.B. Art. 1211 Abs. 2 Nr. 2 russ. ZGB III). Bei der Grundstücksschenkung ist der auf die Belegenheit hinweisende Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO zu beachten (vgl. Rz. 2.161).

2.198

Die Schenkung auf den Todesfall, bei der die Zuwendung erst nach dem Erbfall vollzogen werden soll, untersteht nach h.M. dem Erbstatut4. Dies gilt auch für die EuErbVO (Erbvertrag i.S.d. Art. 3 Abs. 1 lit. b EuErbVO)5. Das Erbstatut entscheidet auch, ob eine Schenkung von Todes wegen überhaupt zulässig ist6.

2.199

Bei Gefälligkeitsverhältnissen liegt der Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses am Aufenthaltsort des Gefälligen, da dieser die charakteristische Leistung erbringt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO)7. Für den (entgeltlichen oder unentgeltlichen) Auftrag, der freilich häufig schon unter Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO fallen wird8, gilt daher das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Beauftragten9.

5. Gemischte Verträge im Rahmen von Art. 4 Abs. 2 Alt. 1 Rom I-VO a) Einordnung des Vertrages

2.200

Bei der Anknüpfung gemischter Verträge nach der charakteristischen Leistung ist zu unterscheiden. Für nicht von Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO erfasste Verträge ist grundsätzlich nur die charakteristische Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Alt. 1 Rom I-VO zu ermitteln10. Ist das nicht möglich, so ist die engste Verbindung nach anderen Kriterien festzustellen (Art. 4 Abs. 4

1 Spickhoff in BRHP, Art. 4 Rom I-VO Rz. 74. – Ebenso schon OLG Düsseldorf v. 7.7.1983 – 21 W 20/83, IPRspr. 1983 Nr. 49 = IPRax 1984, 270 (m. abl. Aufs. Fudickar, IPRax 1984, 253) = FamRZ 1983, 1229 (Schenkung des türk. Bräutigamvaters an türk. Brautvater. Deutsches Recht als Aufenthaltsrecht angewendet). – Zur Schenkung nach katalanischem Recht IPG 2012-14 Nr. 20 (Hamburg), rumän. Recht IPG 2009-11 Nr. 17 (Hamburg). 2 Zu Letzteren Nordmeier, Schenkungen unter Ehegatten im Internationalen Privatrecht, IPRax 2014, 411. S. auch Kühne, FamRZ 1969, 371; Abel, S. 120. 3 OLG Köln v. 8.4.1994 – 20 U 226/92, IPRspr. 1994 Nr. 32 = NJW-RR 1994, 1026 (Brautgeld); Gunst, S. 174; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 311; Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 24; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 246. 4 Lorenz in BRHP Art. 25 a.F. EGBGB Rz. 42; Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 292 (Stand 1.2.2021). – Zum alten Recht Abel, Die Qualifikation der Schenkung (1997), S. 143. Offen gelassen in BGH v. 23.2.1983 – IVa ZR 186/81, IPRspr. 1983 Nr. 16 = WM 1983, 411 = IPRax 1984, 330 (LS) Anm. Firsching. 5 Dutta in MünchKomm, Art. 3 EuErbVO Rz. 10. 6 OLG Düsseldorf v. 16.8.1996 – 7 U 209/95, IPRspr. 1996 Nr. 118 = NJW-RR 1997, 109 (Italien). 7 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 401. 8 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 8. – Anders wegen Unentgeltlichkeit Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 427 (Stand 1.2.2021). 9 BGH v. 4.11.2004 – III ZR 172/03, ZIP 2004, 2324 = GmbHR 2005, 53 m. Anm. Kleinert = RIW 2005, 144 (m. Aufs. Dutta, RIW 2005, 98) = IPRspr. 2004 Nr. 22 (Treuhandvertrag); OLG Hamm v. 21.3.1994 – 2 U 103/92, IPRspr. 1994 Nr. 2 = RIW 1994, 513 = IPRax 1996, 33 (m. Aufs. Otto, IPRax 1996, 22); OLG Hamm v. 29.1.1997 – 31 U 145/96, IPRspr. 1997 Nr. 28 = NJW-RR 1997, 1007 (Platzierung von Fußballwetten); Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 378. 10 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 98.

140 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.204 § 2

Rom I-VO); s. Rz. 2.243 ff. Ferner kann auf eine engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO abzustellen sein. Auch für die Anknüpfung außerhalb des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO stehender Verträge ist ihre Einteilung in mehrere Gruppen nützlich. Für von Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO mehrfach erfasste Verträge besteht eine besondere Regelung in Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO, s. Rz. 2.211 ff. b) Vertrag mit andersartiger Nebenleistung Gehört bei einem Vertrag mit andersartiger Nebenleistung (Rz. 2.173) die von einer Partei zu erbringende Hauptleistung einem nicht von Abs. 1 erfasste Vertragstyp an, hat sie daneben aber noch eine andersartige (atypische oder vertragstypische) Nebenleistung zu erbringen, so gilt allein das Statut der bedeutenderen Hauptleistung1. Beispielsweise kann die Übertragung von Know-how untergeordneter Teil eines Patentlizenzvertrages sein2. Anzuknüpfen ist nach Art. 4 Abs. 2–4 Rom I-VO.

2.201

c) (Typen-) Kombinationsvertrag Schuldet bei einem (Typen-)Kombinationsvertrag (s. Rz. 2.174) eine Partei mehreren Vertragstypen entsprechende und im Wesentlichen gleichwertige Hauptleistungen, so wird die vom Schuldner zu erbringende Leistung auch die charakteristische sein, also auf nur eine Rechtsordnung verweisen3. Vor allem dann, wenn eine der Leistungen deutlich überwiegt, bleibt eine Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO möglich4. Selbst bei Bezügen zu mehreren Rechtsordnungen ist gleichwohl die engste Beziehung für das gesamte Vertragsverhältnis zu ermitteln5.

2.202

d) Austauschvertrag mit anderstypischer Gegenleistung Beim Austauschvertrag mit anderstypischer Gegenleistung (s. Rz. 2.175) liefert etwa ein Lizenznehmer, statt Geld zu zahlen, in Lizenz hergestellte Waren liefern. Auch wenn sich letzteres unter Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO subsumieren lässt, dürfte das Vertragsverhältnis insgesamt außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO stehen. Dann ist die Vertragsleistung maßgeblich, die (wie hier die Patentlizenz) überwiegt (Art. 4 Abs. 2 Rom IVO)6. Die andere hat eher Entgeltcharakter und könnte auch durch eine Geldleistung ersetzt werden.

2.203

Überwiegt keine der Vertragsleistungen, so ist individualisierend die engste Verbindung für das gesamte Vertragsverhältnis zu bestimmen (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO)7. Auch dann, wenn beide Leistungen dem gleichen Vertragstyp angehören, kommt es zu keiner Vertragsspaltung8.

2.204

1 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 98. – S. Ancel in Cashin Ritaine/Bonomi, Nr. 165; auch von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 38. 2 S. schon Kreuzer, FS von Caemmerer, S. 705 (730 f.). 3 Vgl. von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 39. 4 S. für das alte Recht von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 41. 5 Vgl. Kreuzer, FS von Caemmerer, 1978, S. 705 (732). 6 In diesem Sinne Schweiz. BG v. 1.10.1968, BGE 94 II 355 = AWD 1970, 130 (Zusammenfassung); von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 48, 505. 7 Ebenso für das alte Recht von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 49. 8 Anders noch LG Dortmund v. 8.4.1988 – 12 O 477/87, IPRax 1989, 51 m. Anm. Jayme (gegenseitige Vertriebsrechte).

Martiny | 141

§ 2 Rz. 2.204 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Ein Beispiel dafür ist, dass die Parteien gegenseitig Vertriebspflichten für ihre Produkte übernehmen1. Genannt sei auch der Lizenztausch, bei dem als Gegenleistung für die Einräumung einer Lizenz eine andere Lizenz überlassen wird2. e) Typenverschmelzungsvertrag

2.205

Beim Typenverschmelzungsvertrag (s. Rz. 2.176) ist zu prüfen, ob gleichwohl eine der Parteien die das Vertragsverhältnis charakterisierende Leistung und die andere nur eine farblose Geldleistung erbringt3. Andernfalls ist die engste Verbindung des Vertragsverhältnisses nach anderen Kriterien zu suchen. Bei der gemischten Schenkung beweglicher Sachen kommt es darauf an, ob die Unentgeltlichkeit überwiegt. Dann ist die Leistung des Schenkenden die charakteristische4. Überwiegt hingegen das Element des Kaufs, dann finden die dafür geltenden Regeln Anwendung5. Freilich deuten das Recht des Schenkers und das Recht des Verkäufers regelmäßig in die gleiche Richtung. Für die Schenkung von Grundstücken und dinglichen Rechten daran ist hingegen die lex rei sitae maßgeblich (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO), sofern kein anderes Recht vereinbart wurde6. Dies gilt auch für die gemischte Schenkung, wenn das Schenkungselement überwiegt7.

6. Nichtbestimmbarkeit der charakteristischen Leistung 2.206

Die Regeln der Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO sind nicht anzuwenden, wenn kein spezifizierter Vertragstyp vorliegt und sich auch keine charakteristische Leistung bestimmen lässt. Nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO gilt dann die Generalklausel. Es ist daher das Recht anzuwenden, zu dem der Vertrag die engste Verbindung aufweist8. Fälle, in denen das anwendbare Recht nicht bestimmt werden kann (cannot be determined; ne peut être déterminée) sind solche, in denen eine Untersuchung des konkreten Vertragsinhalts nicht erkennen lässt, welcher Leistung wegen ihres charakteristischen Inhalts der Vorrang gegeben werden kann. Ein solches Ergebnis ist einmal möglich bei gewissen Vertragstypen, vor allem aber bei atypischen, individuell gestalteten Verträgen9 (zu letzteren auch Rz. 2.170 ff.).

2.207

Daher spricht man auch von einer individualisierenden Schwerpunktbestimmung10. In diesen Fällen ist auf andere Umstände als auf die in den Vermutungen genannten zurückzugreifen wie z.B. den Erfüllungsort. Auch eher marginale Kriterien wie Abschlussort oder Vertragssprache können eine Rolle spielen11. Da die Parteien im Allgemeinen nicht gezwungen sind, 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Geisler, S. 191 f. Geisler, S. 192 f. von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 45. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 331; Looschelders, IPR, Art. 28 EGBGB Rz. 31. Looschelders, IPR, Art. 28 EGBGB Rz. 31. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 263. – Zu Art. 28 EGBGB OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436 (m. Aufs. Koch, IPRax 2008, 417). von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 160, 161. Wagner, IPRax 2008, 377 (386). – Ebenso schon Bericht Giuliano/Lagarde, S. 54. S. etwa OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, IPRspr. 1989 Nr. 181 = NJW 1990, 1012 (Deutsches und französ. Unternehmen übertrugen sich gegenseitig den Vertrieb ihres jeweiligen Fertigungsprogramms im anderen Land). So LG Amberg v. 17.3.1980 – 2 O 371/78, IPRax 1982, 29 (LS) Anm. Jayme (Tausch deutschen Grundbesitzes gegen brasilian. Ländereien durch Vertrag vor deutschem Notar vereinbart. Deutsches Recht angewendet); von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 64. S. von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 64.

142 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.211 § 2

sich bestimmter Vertragstypen zu bedienen, können sie einen Vertrag sui generis schließen. Auch in einem solchen Fall ist die kollisionsrechtliche Bedeutung der einzelnen Verpflichtungen zu ermitteln. Möglicherweise lässt sich feststellen, welches die charakteristische (insb. die nicht in Geld bestehende) Leistung ist. Dann ist nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zu verfahren. Lässt sich jedoch keine charakteristische Leistung ermitteln, so kommt es auf die engste Verbindung i.S.d. Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO an1. Schwierigkeiten ergeben sich auch dann, wenn die charakteristische Leistung von zwei oder mehr Vertragsparteien erbracht wird, ohne dass diese sich zu einer höheren Organisationsform (Gesellschaft) zusammengeschlossen haben. So ist etwa denkbar, dass zwei Personen als Verkäufer oder Werkunternehmer auftreten und ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten besitzen. In diesen Fällen ist eine gespaltene Anknüpfung des Vertrages nach Möglichkeit zu vermeiden. Vielmehr ist dann die engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zu suchen2. Ebenso ist beim Spiel unter Privatpersonen zu verfahren. Dies führt regelmäßig zum Ort der Durchführung3.

2.208

Beim Tausch stehen sich zwei gleichartige Leistungen gegenüber, so dass die Leistung einer Partei die der anderen nicht von vornherein überwiegt. Eine charakteristische Leistung nur einer Partei lässt sich folglich nicht feststellen4. Gleichwohl ist der Vertrag nicht in Einzelverpflichtungen aufzuspalten, vielmehr ist nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO auf die engste Verbindung des Vertrages abzustellen5. Teilweise lässt sie sich nach dem Gewicht der Leistungen ermitteln6. Bildet nämlich eine Leistung die Hauptleistung und die andere lediglich das Entgelt, so gilt das Recht dessen, der diese Leistung erbringt.

2.209

Beim Grundstückstausch ist Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO nicht anwendbar, da kein Vertrag an nur einem Grundstück vorliegt; die Hinweise auf die lex rei sitae heben sich gegenseitig auf7. Doch kann man den Schwerpunkt im Zweifel beim beurkundenden Notar suchen8.

2.210

7. Mehrfach erfasste Verträge (Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO) a) Arten der Verträge Eine Sonderregelung besteht für mehrfach erfasste Verträge, bei denen die Bestandteile eines Vertrages durch mehrere zum Katalog der spezifizierten Leistungen gehörende Elemente, d.h. 1 Vgl. schon OLG Köln v. 29.2.1984 – 13 U 228/83, IPRspr. 1984 Nr. 23b = RIW 1985, 495; LG Köln v. 27.7.1983 – 23 O 400/81, IPRspr. 1984 Nr. 23a = IPRax 1984, 161 (LS) Anm. Jayme (Deutsches Unternehmen sicherte im Libanon ansässigem Geschäftsmann zu, er werde Verkaufsleiter einer in Saudi-Arabien zu gründenden Firma. Auf Gehaltsansprüche nach Nichtgründung der Firma deutsches Recht angewendet, da Absicherung von Deutschland aus geplant war). 2 Dörner, Anm. zu BGH v. 9.10.1986, JR 1987, 201. 3 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 520; Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 162. – Näher Martiny, Spiel und Wette im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, FS Lorenz ‘80 (2001), S. 375 (383). 4 Gunst, S. 187 ff.; Geisler, S. 187 f.; von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 63 f. – Zu Kompensationsgeschäften s. näher Geisler, S. 189 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 4 Rom I-VO Rz. 346. 5 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536); Wagner, IPRax 2008, 377 (386); Azzi, D. 2008, 2169 (2174). 6 Cavalier, Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 65 (67). Für eine Gesamtabwägung Stürner in Erman, Art. 4 Rom I-VO Rz. 47. 7 Geisler, S. 189 (für Art. 28 Abs. 3 EGBGB). 8 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 31; von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 129.

Martiny | 143

2.211

§ 2 Rz. 2.211 | Bestimmung des Vertragsstatuts

mehr als einen der Buchstaben a-h des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO, abgedeckt werden. Hier droht bei gleichzeitiger Anwendung unterschiedlicher, sich teilweise widersprechender Regeln, eine Überlappung. Daher kommen die Regeln für spezifische Verträge in Fällen, in denen Bestandteile des Vertrages (elements of the contract, éléments du contrat) von mehreren spezifischen Kollisionsnormen erfasst werden, nicht zur Anwendung (Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom IVO)1. Dies ist insbesondere bei gemischten Verträgen der Fall (s. Rz. 2.170 ff.). Insofern kommt es nicht auf das Ergebnis der Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO an, sondern es genügt bereits eine Mehrfacherfassung des Vertrages. Die bloße Tatsache, dass ein Vertrag innerhalb des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO einmal unter eine allgemeinere Kategorie und des Weiteren unter eine noch speziellere der gleichen Vorschrift – beispielsweise Dienstleistung und Vertrieb – fällt, ist aber sicherlich nicht gemeint2. Hier ist lediglich auf die speziellere abzustellen und nur diese, also etwa für den Vertrieb, heranzuziehen (Rz. 2.173).

2.212

Gemäß Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO ist die charakteristische Leistung zu ermitteln. Besteht ein Vertrag aus einem „Bündel von Rechten und Verpflichtungen“, die mehr als einer der spezifizierten Vertragsarten zugeordnet werden können, so ist die charakteristische Leistung des Vertrags nach ihrem Schwerpunkt zu bestimmen (Erwägungsgrund 19)3. Dies wird etwa für einen Vertrag über die Herstellung und Lieferung patentierter Ware angenommen4. Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO stellt also nicht sogleich auf die engste Verbindung des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO ab5.

2.213

Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO setzt voraus, dass ein Vertrag vorliegt. Insofern gelten die gleichen Maßstäbe wie bei einer einfachen Anwendung des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO (s. Rz. 2.156). Es kommt allerdings auf die „Bestandteile des Vertrags“ an. Der Zusammenhang der Bestimmung lässt erkennen, dass es um die Teile des Vertrages geht, welche die für die Anknüpfung des Vertrages relevanten Leistungsverpflichtungen i.S.d. Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO betreffen. Dabei wird es sich regelmäßig um die Hauptpflichten der Parteien handeln. Ähnlich wie für Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO können beliebige Nebenpflichten nicht genügen. Andernfalls würde nahezu jede Nebenpflicht den Vertrag der alleinigen Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 Rom IVO entziehen6 (s. Rz. 2.201). Handelt es sich um mehrere Verträge im Rechtssinne, dann greift – falls Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO angewendet werden kann – Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO nicht ein. Der Zusammenhang dieser mehreren Verträge kann aber über Art. 4 Abs. 3 Rom IVO als engere Verbindung berücksichtigt werden (dazu Rz. 2.231 ff.).

b) Vertrag und Vertragsbestandteile

c) Maßgeblicher Beurteilungsgegenstand

2.214

Bei der Überwindung einer an den einzelnen Bestandteilen eines Vertrages orientierten Beurteilung kommt es darauf an, was an ihre Stelle treten soll. Eine isolierte Anknüpfung der einzelnen Leistungen mit Vertragsspaltung ist nicht zulässig (s. Rz. 2.156a). Denkbar wäre – etwa für einen Kaufvertrag, der auch Dienstleistungselemente enthält –, sich einfach für die am 1 Wagner, IPRax 2008, 377 (382). 2 Azzi, D. 2008, 2169 (2172): Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 49; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 17, 30, 100. 3 S. Lando/Nielsen, C.M.L.Rev. 45 (2008), 1687 (1703). 4 de Miguel Asensio, Yb.PIL 10 (2008), 199 (209). 5 Krit. Kessedjian in Basedow/Baum/Nishitani, S. 105 (122). 6 Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 31.

144 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.216 § 2

aussagekräftigsten gehaltene Anknüpfung des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO, also entweder die Kauf- oder Dienstleistung, zu entscheiden. Dann käme es nur auf eine der Anknüpfungen an. Man wird aber annehmen müssen, dass zwar so für untergeordnete Nebenpflichten verfahren werden darf (s. Rz. 2.201), sich Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO im Übrigen aber kein solcher vorgeschalteter Schwergewichtstest entnehmen lässt1. Als stattdessen maßgebliches Kriterium drängt sich die engste Verbindung auf2. Dies ist freilich nicht die Lösung des Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO, der auf die charakteristische Leistung abstellt. Nach Erwägungsgrund 19 kann dann, wenn ein Vertrag aus einem Bündel von Rechten und Verpflichtungen (a bundle of rights and obligations, un faisceaux de droits et obligations) besteht, die mehr als einer der spezifizierten Vertragsarten zugeordnet werden können, die charakteristische Leistung des Vertrags nach ihrem Schwerpunkt (having regard to its centre of gravity, par rapport à son centre de gravité) bestimmt werden. Dementsprechend dürfte auf den dominierenden Teil des Vertragsverhältnisses abzustellen sein; der weniger wichtige Teil bleibt außer Betracht3. Als Maßstab bieten sich der Umfang der Leistungen und ihr wirtschaftlicher Wert an4. Folgt man diesem Ansatz, so wird sich im Ergebnis oft eines der in Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO spezifizierten Vertragsverhältnisse durchsetzen. Auch hier kann aber wohl mangels charakteristischer Leistung noch Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO in Betracht kommen (s. Rz. 2.223 ff.).

2.215

d) Vertragstyp und charakteristische Leistung Zwar werden viele, keineswegs aber alle Verträge des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO nach der charakteristischen Leistung angeknüpft. Art. 4 Abs. 1 lit. c (Grundstücksgeschäfte), lit. g (Versteigerungskauf) und lit. h Rom I-VO (multilaterale Systeme) stellen auf andere Anknüpfungspunkte ab (Belegenheit, Versteigerungsort, Recht des multilateralen Systems)5. Daher ist es nicht ganz einleuchtend, dass, obwohl für einen Vertragstyp eine Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung im Grundsatz als ungeeignet angesehen wird, dies anders sein soll, nur weil ein weiteres Element hinzutritt. Dies zeigt das folgende Beispiel: Ein Grundstücksverkäufer verpflichtet sich zugleich, auf dem Grundstück vor Übergabe noch bestimmte, nicht ganz unerhebliche Arbeiten vorzunehmen6. Dann führt die Anknüpfung des Grundstücksgeschäfts zum Lageort des Grundstücks (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO), während für die Dienstleistung der gewöhnliche Aufenthalt des Dienstleistenden (Verkäufers) maßgeblich ist (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO). Befinden sich gewöhnlicher Aufenthalt des Verkäufers und Grundstück in unterschiedlichen Staaten, so fallen die Anknüpfungsergebnisse auseinander. Angesichts dessen wollte der Verordnungsgeber auf einen dritten, allgemeineren Anknüpfungspunkt ausweichen. Das allgemeinere Element ist allerdings die engste Verbindung7 (Rz. 2.177). Man könnte daher annehmen, dass in den Fällen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO, 1 Möglicherweise anders Tang, MLR 71 (2008), 785 (794); Tang, J.PIL 4 (2008), 35 (54). 2 In diesem Sinne für das schweizerische Recht Kren Kostkiewicz, Liber Amicorum Siehr (2000), S. 361 (373). – Ebenso Art. 1211 Abs. 10 russ. ZGB III. 3 So Magnus in Ferrari/Leible, Rome I, S. 27 (45). – Anders wohl Villani in Boschiero (2009), S. 149 (170 f.). – Zweifelnd Kenfack, Clunet 136 (2009), 3 (26). 4 So Magnus in Ferrari/Leible, Rome I, S. 27 (47). 5 Bonomi, Yb.PIL 10 (2008), 165 (174). 6 Nach Lando/Nielsen, C.M.L. Rev. 45 (2008), 1687 (1703). – Dazu auch Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 31, 101. 7 S. auch Magnus in Ferrari/Leible, Rome I, S. 27 (46). – Für einen „proper law“ oder „center of gravity approach“ Kessedjian in Basedow/Baum/Nishitani, S. 105 (122).

Martiny | 145

2.216

§ 2 Rz. 2.216 | Bestimmung des Vertragsstatuts

denen nicht das Konzept der charakteristischen Leistung zugrunde liegt, die Regel des Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO erst gar nicht herangezogen wird. Eine solche teleologische Reduktion der Vorschrift wäre freilich sehr weitgehend. Im Regelfall dürfte wohl eine Schwerpunktbetrachtung (Rz. 2.212) ausreichen, um ein sachgerechtes Ergebnis zu erzielen. Im Beispiel der Grundstücksarbeiten wird man daher allein auf die Grundstücksbelegenheit abstellen können1. e) Anknüpfung nach der engsten Verbindung

2.217

Auch für Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO steht bei Scheitern der Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung noch die engste Verbindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zur Verfügung2. Entsprechendes gilt für die engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO. f) Arten mehrfach erfasster gemischter Verträge aa) Einordnung gemischter Verträge

2.218

Gemischte Verträge im sachrechtlichen Sinne können unter Art. 4 Abs. 2 Alt. 1 Rom I-VO (Nichterfassung) oder unter die einschränkend auszulegende Alt. 2 (Mehrfacherfassung; s. Rz. 2.211 ff.) fallen. Die Einordnung unter eine der Alternativen ist insoweit nicht von Belang, als für beide die gleiche Rechtsfolge, nämlich eine Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung, angeordnet wird. Für beide müssen aber sachgerechte Lösungen gefunden werden. Dies setzt eine genauere Analyse voraus. Die Verordnung unterscheidet auch für Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO nicht zwischen den Arten der gemischten Verträge. bb) Vertrag mit andersartiger Nebenleistung

2.219

Ein Beispiel für einen Vertrag mit andersartiger Nebenleistung sind erhebliche Dienstleistungen zusätzlich zu einem Verkauf einer beweglichen Sache (vgl. Rz. 2.173). Verweisen beide auf den gleichen Schuldner, so kommt es auf dessen Leistung an. Wenn hier noch eine Subsumtion des Vertrages unter eine einzige der Alternativen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO möglich ist, so kommt Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO gar nicht erst zum Zuge (Rz. 2.212). Andernfalls ist eine Schwerpunktbetrachtung erforderlich. cc) (Typen-) Kombinationsvertrag

2.220

Für den (Typen-)Kombinationsvertrag (Rz. 2.174) dürfte regelmäßig Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO über mehrfach abgedeckte Verträge heranzuziehen sein. Die Lösung ist unproblematisch, wenn die charakteristischen Leistungen auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Schuldners verweisen3. Das ist etwa beim Kauf einer beweglichen Sache mit Montageverpflichtung (Dienstleistung) der Fall (Art. 4 Abs. 1 lit. a, b Rom I-VO)4. Bei unterschiedlicher Anknüpfung bedarf es hingegen einer genaueren Untersuchung. Verkauft etwa der Unternehmer im Rahmen eines einzigen, nicht abtrennbaren Vertriebsvertrages auch Fremdwaren an seinen Händler, so unterliegt der Vertrieb dem Recht des Händlers (Art. 4 Abs. 1 lit. f Rom I1 2 3 4

Magnus, IPRax 2010, 27 (34). Strikwerda, NIPR 2009, 411 (415). Leible in NK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 64. Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536); Tang, J.PIL 4 (2008), 35 (54); Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 56.

146 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.223 § 2

VO), während es für den Kauf auf das Recht des Unternehmers (Verkäufers) ankommt (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO)1. Auch hier dürfte freilich für die Anknüpfung eine Schwerpunktbetrachtung vorgenommen werden2. Die charakteristische Lösung ist dann regelmäßig die des Händlers, nur selten die des Unternehmers. dd) Verträge mit anderstypischer Gegenleistung Bei Verträgen mit anderstypischer Gegenleistung (Rz. 2.175) ist die Vertragsleistung maßgeblich, die überwiegt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO)3. Die andere hat eher Entgeltcharakter und könnte auch durch eine Geldleistung ersetzt werden4. Ein Beispiel ist ein Warenkauf, dessen Gegenleistung in der Erbringung von Diensten besteht. Dies führt zunächst einmal für den Kauf zum Recht des Verkäufers (lit. a), für die Dienstleistung hingegen zum Recht des Käufers (lit. b)5. Hier ist nach Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO nach der charakteristischen Leistung für den ganzen Vertrag zu fragen. Für die Anknüpfung muss eine Schwerpunktbetrachtung erfolgen6.

2.221

ee) Typenverschmelzungsvertrag Sind die Bestandteile eines Typenverschmelzungsvertrages (dazu Rz. 2.176) unter mehrere Anknüpfungsfälle des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO zu subsumieren, so ist nicht ausgeschlossen, dass Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO zum Zuge kommt. Dann ist bei der Anknüpfung eine Schwerpunktbildung vorzunehmen7. Die charakteristische Leistung sowie gegebenenfalls die engste Verbindung sind zu bestimmen. Freilich wird häufig die weite Kategorie der Dienstleistung (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) zur Anwendung kommen (vgl. Rz. 2.160).

2.222

V. Engere Verbindung (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO) 1. Funktion der engeren Verbindung Erwägungsgrund 20 stellt klar, dass dann, wenn ein Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem in Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO genannten Staat aufweist, diese Anknüpfungen nicht gelten. Maßgeblich ist die Gesamtheit der Umstände (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO). Diese Vorschrift, die auf Art. 4 Abs. 5 S. 2 EVÜ zurückgeht8, schränkt also die Regeln über die spezifizierten Verträge sowie die anderen Anknüpfungskriterien (gewöhnlicher Aufenthalt des Schuldners, charakteristische Leistung, Grundstücksbelegenheit) ein. 1 Beispiel von B. Ancel in Cashin Ritaine/Bonomi, S. 77 (92). 2 Leible in NK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 64. Vgl. auch Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 56. – Mit dem Schutz des Händlers argumentiert Magnus, IPRax 2010, 25 (34); Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 32. 3 S. auch öOGH v. 9.3.1993 – 4 Ob 512/93, ZfRV 34 (1993) 213 (LS) = ZfRV 35 (1994) 32 Anm. Hoyer; von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 49 (Darlehen überwiegt Bierbezugsverpflichtung). 4 Auf Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO stellen ab von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 363. 5 Plender/Wilderspin, Rz. 7–057. 6 Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 57. 7 Ringe in jurisPK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 56; Leible in NK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 64. 8 Dazu EuGH v. 6.10.2009 – C-133/08, ECLI:EU:C:2009:617 (ICF), Slg. 2009, I-9687 = IPRax 2010, 236 (m. Aufs. Rammeloo, IPRax 2010, 215) = TranspR 2009, 491 Anm. Mankowski = IHR 2010, 128 m. Aufs. Mankowski, IHR 2010, 89 = GPR 2011, 48 Aufs. Martiny (Beförderungsvertrag); EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU:C:2014:2320 (Haeger & Schmidt), RdTW 2014, 437 = TranspR 2015, 37 (Speditionsvertrag).

Martiny | 147

2.223

§ 2 Rz. 2.223 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Entsprechende Regelungen enthalten Art. 5 Abs. 3 Rom I-VO für Beförderungsverträge (dazu Rz. 15.66 ff.), Art. 7 Abs. 2 Unterabs. 2 S. 2 Rom I-VO für Versicherungsverträge (s. Rz. 36.36) sowie Art. 8 Abs. 4 Rom I-VO für Arbeitsverträge (vgl. Rz. 11.72 ff.), nicht hingegen Art. 6 Rom I-VO für Verbraucherverträge1.

2.224

Grund für diese Norm ist, dass die gewöhnlichen Anknüpfungsregeln nicht für alle in Betracht kommenden Vertragsgestaltungen zum richtigen Ergebnis führen können. Dies liegt zum einen an der Fülle der möglichen vertraglichen Vereinbarungen und tatsächlichen Umstände, zum anderen an den unterschiedlichen Bedingungen, in die sich solche Vereinbarungen einfügen. Daher muss dem Gericht ein ausreichender Spielraum bleiben, um im Einzelfall von den genannten Anknüpfungen abweichen zu können2. Von der Grundregel kann daher dann abgewichen werden, wenn sie ihren Zweck, auf die Rechtsordnung hinzuweisen, zu der die engste Verbindung besteht, nicht mehr erfüllt3. Somit ist Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO von entscheidender Bedeutung. Wird die Vorschrift nämlich weit ausgelegt, so schränkt dies die Reichweite der Anknüpfungen nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO erheblich ein. So findet z.B. das Konzept der charakteristischen Leistung umso weniger Anwendung, je eher der Richter eine engere Verbindung konstatiert4. Wird sie dagegen zu eng angewandt, kann dies wegen der starren Anknüpfungen zu unzuträglichen Anknüpfungen führen5. Der ursprüngliche VOEntwurf wollte ganz auf eine Ausweichklausel verzichten. Dies stieß jedoch wegen des drohenden Mangels an Flexibilität auf lebhaften Widerspruch6. Nunmehr ist zwar wieder eine Ausweichklausel enthalten, es ist aber mit dem Zusatz „offensichtlich“ verdeutlicht worden, dass sie wirklich nur ausnahmsweise zum Zuge kommen soll7. In erster Linie erfolgt eine Prüfung der Anknüpfungen nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO. Die für die Ausweichklausel sprechenden Umstände müssen daher besonderes Gewicht haben8.

2.225

Maßgeblich ist die Gesamtheit der Umstände (the circumstances as a whole; l’ensemble des circonstances)9. Welche Umstände in Betracht kommen, sagt die Verordnung nicht. Sicher ist jedenfalls, dass es andere Umstände sein müssen als die, auf denen die jeweilige Regelanknüpfung beruht. Gemeint sind mithin konkrete Indizien für das einzelne Rechtsverhältnis10. Zweckmäßig dürfte es sein, auf die gleichen Kriterien zurückzugreifen, die auch für die engste Verbindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO Verwendung finden (dazu Rz. 2.243 ff.). Aus 1 Rspr.-Länderübersicht zur Anwendung der Auseichklauseln bei Guinchard in Guinchard (Hrsg.), Rome I and Rome II in practice (Cambridge 2020), S. 625 (649 ff.). 2 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 54 f. 3 Vgl. allgemein Kreuzer, Zur Funktion von kollisionsrechtlichen Berichtigungsnormen, ZfRV 33 (1992), 168 (175 f., 183 f.); Kreuzer, FS Zajtay, S. 295 (316 f.). 4 Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (130); Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32-078 ff. 5 Vgl. Kaye, S. 183, 187. 6 Dazu Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 95 (2006), 331 (338 ff.); Mankowski, IPRax 2006, 101 (104 f.); Lando/ Nielsen, J. PIL 2007, 29 (35 ff.); Max-Planck-Institut, RabelsZ 71 (2007), 225 (256 ff.); Wagner, IPRax 2008, 377 (381 f.). 7 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-70); Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 95 (2006), 331 (338); Leible/ Lehmann, RIW 2008, 528 (536); Mankowski, IHR 2008, 133 (136 ff.). 8 Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (625 f.). 9 Zu Art. 4 Abs. 5 EVÜ EuGH v. 6.10.2009 – C-133/08, ECLI:EU:C:2009:617 (ICF), Slg. 2009, I9687 = IPRax 2010, 236 (m. Aufs. Rammeloo, IPRax 2010, 215) = TranspR 2009, 491 Anm. Mankowski = IHR 2010, 128 m. Aufs. Mankowski, IHR 2010, 89 = GPR 2011, 48 Aufs. Martiny (Beförderungsvertrag); EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU:C:2014:2320 (Haeger & Schmidt), RdTW 2014, 437 = TranspR 2015, 37 (Speditionsvertrag). 10 Vgl. Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-70).

148 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.227 § 2

diesen Umständen muss sich ergeben, dass die engere Verbindung besteht, während zu der Rechtsordnung, auf welche die Regelanknüpfung hinweist, nur schwächere – z.B. flüchtigere, den wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht entsprechende – Beziehungen vorhanden sind. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Ausweichklausel für die Rechtsprechung häufig das Einfallstor für eine Anknüpfung nach früher maßgeblichen Anknüpfungspunkten und -maximen (z.B. Erfüllungsort, Akzessorietät) ist1. Erfolgt die Erfüllung des Vertrages in einem anderen Land als dem des gewöhnlichen Aufenthalts des die spezifizierte oder charakteristische Leistung Erbringenden, so rechtfertigt dies allein noch keine Abweichung von der Regelanknüpfung2. In einem Fall, in dem es um die Urheberrechte eines deutschen Fotografen an Werbefotos ging, wurde allerdings argumentiert, der Vertrag weise engere Verbindungen zu Frankreich auf, da die Fotos dort hergestellt und veröffentlicht wurden3.

2. Ausweichklausel Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO erkennt an, dass der Vertrag mit einer anderen Rechtsordnung enger verbunden sein kann als durch die vertragsspezifische Anknüpfung oder die charakteristische Leistung. Diese Regelung geht zurück auf die Rechtsprechung des schweizerischen BG. Danach ist die charakteristische Leistung nur so lange der entscheidende Gesichtspunkt, als nicht „konkrete Umstände die räumliche Verknüpfung mit einem anderen Recht nahe legen“4. Die Ausweichklausel soll dann zum Zuge kommen, wenn die Umstände des Falles auf ein anderes Recht hindeuten, zu dem offensichtlich eine noch engere Verbindung besteht5. Diese Umstände haben größeres Gewicht als das Anknüpfungsmerkmal der jeweiligen Anknüpfung6. Schon früh hat man versucht, subjektive und objektive Ausnahmen von der Regelanknüpfung herauszuarbeiten7. Heute enthält das schweizerische IPRG in Art. 15 eine generelle „Ausnahmeklausel“8.

2.226

Die Ausweichklausel (escape clause; clause d’échappement) des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO dient als Korrektur der Regelanknüpfungen9. Bei ihrer Anwendung gibt es Fälle, in denen die individualistische Methode die richtige ist. So ist insbesondere dann zu verfahren, wenn keine Interessen feststellbar sind, die zu typischen Anknüpfungen drängen10. Freilich ist es keineswegs ausgeschlossen, auch einzelne Fallgruppen zu entwickeln und für sie wieder typische Anknüpfungsregeln zu entwerfen11. Dafür besteht schon angesichts der begrenzten Reichweite der Anknüpfungen des Art. 4 Rom I-VO ein dringendes Bedürfnis. Andere meinen dagegen,

2.227

1 Näher Blaurock, FS Stoll (2001), S. 463 ff. (zu England und Frankreich); Mankowski, ZEuP 2002, 804 (819 ff.); Mankowski, IPRax 2003, 464 (466 ff.); Siehr in Reichelt, S. 69 (73 ff.). 2 Nachw. bei Martiny in Calvo Caravaca/Carrascosa Gonzaléz, S. 11 ff.; Siehr in Reichelt, S. 69 (76). 3 Noch zu Art. 28 Abs. 5 EGBGB BGH v. 24.9.2014 – I ZR 35/11, NJW 2015, 1690 = GRUR-Int. 2015, 375 m. Anm. Katzenberger – Hi Hotel II. 4 Schweiz. BG v. 10.6.1952, BGE 78 II, 190 (191). 5 Zum Begriff näher Merschformann, S. 178 ff. Zum europäischen Kollisionsrecht Remien in Leible/ Unberath, S. 223 ff. Zur geschichtlichen Entwicklung Nadelmann, Am.J.Comp.L. 33 (1985), 297 ff. 6 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 338; Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–078 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 128. 7 S. Vischer/Huber/Oser, Rz. 264 ff. Dazu auch Gunst, S. 71 ff. Für die Herausarbeitung von Fallgruppen ebenfalls Merschformann, S. 208 ff. 8 Zum EVÜ näher Geisler, S. 98 ff. 9 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 159 (Stand 1.2.2021). Vgl. Kreuzer, FS Zajtay, S. 295 (303). 10 Vgl. Solomon, Tul.L.Rev. 82 (2008), 1709 (1719). – Ferner Sandrock, RIW 1986, 841 (851). 11 Vgl. Kreuzer, FS Zajtay, S. 295 (324 f.); Blaurock, FS Stoll (2001), S. 477 f.

Martiny | 149

§ 2 Rz. 2.227 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO erlaube nur eine einzelfallbezogene Abwägung der Anknüpfungspunkte1.

2.228

Von der Regelanknüpfung sowie der Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung kann etwa dann abgewichen werden, wenn bestimmte Verträge mit Angehörigen ausländischer Streitkräfte geschlossen werden (s. Rz. 2.262). Die Grundstücksbelegenheit kann z.B. bei einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien in einem anderen Staat als maßgeblicher Gesichtspunkt für einen Mietvertrag zurücktreten (vgl. Rz. 22.6 ff.). Auch ein Beförderungsvertrag kann von anderen Elementen als der Rechtsordnung des Niederlassungsorts geprägt sein. In den Niederlanden ging man dann zu Art. 4 Abs. 5 EVÜ über, wenn der Sitz der die charakteristische Leistung erbringenden Partei keinen „reellen Anknüpfungswert“ mehr hat2.

2.229

Ferner soll die Einschaltung Dritter im Lande des Vertragspartners darauf hinweisen, dass zu diesem die engste Verbindung besteht. Auf diese Weise wird bei inländischer Vertragsabwicklung das inländische Recht berufen, ohne dass auf eine inländische Zweigniederlassung abgestellt wird. So wurde etwa dann argumentiert, wenn die Voraussetzungen für Verbraucherverträge im Übrigen nicht erfüllt sind3. In anderen Fallgestaltungen deuten die sonstigen Umstände eher auf die Belegenheit hin4.

2.230

Auch für die engere Verbindung nennt die Verordnung keinen Zeitpunkt. Da die Ausweichklausel den Grundsatz der engsten Verbindung durchsetzen soll, scheint eine gleiche Haltung wie gegenüber Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO geboten (vgl. Rz. 2.157, Rz. 2.188). Nach dem EVÜ wurde die nachträgliche Veränderung auch hier für berücksichtigungsfähig gehalten5. Danach könnten bei den Anknüpfungen – insbesondere nach der charakteristischen Leistung – nachträgliche Veränderungen vor allem dann in Betracht kommen, wenn sich die für die Regelanknüpfung maßgeblichen Umstände ändern6. Allerdings spricht auch hier der in Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO genannte Zeitpunkt für den Vertragsschluss, s. Rz. 2.299.

3. Zusammenhängende Verträge a) Mehrere Verträge

2.231

Die Geschäftsbeziehungen unter den Parteien brauchen nicht stets der gleichen Rechtsordnung zu unterstehen. So kann beispielsweise bei Bankgeschäften unter zwei Banken inländi1 Schulte, ZEuP 2021, 460 (471). Krit. auch Stürner in Erman, Art. 4 Rom I-VO Rz. 45. – Vgl. zum EVÜ Mankowski, VersR 2002, 1177 (1183 f.); Mankowski, ZEuP 2002, 804 (811 ff.). 2 So im Balenpers-Arrest niederländ. H.R. v. 25.9.1992, N.J. 1992 Nr. 750. Dazu Rammeloo, Die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 und Abs. 5 EVÜ, IPRax 1994, 243; Vlas, IPRax 1995, 194 (196). – W. Nachw. bei Mankowski, IPRax 2003, 464 (469). 3 S. Kohte, EuZW 1990, 150 (151 f.). 4 LG Köln v. 22.1.1992 – 26 O 142/91, IPRspr. 1992 Nr. 29 = VuR 1992, 156 (Vermietung niederländ. Ferienwohnungen deutschem Recht unterstellt); KG v. 22.6.1994 – Kart U 939/94, IPRspr. 1994 Nr. 21b = VuR 1995, 35 (Dän. Ferienhausanbieter bediente sich seines deutschen Tochterunternehmens [das einen ähnlichen Namen hatte] für die „Abwicklung“ von Ferienhausverträgen. Deutsches Recht wegen engerer Verbindung angewendet). – Dagegen nicht für den Bauvertrag, BGH v. 25.2.1999, IPRspr. 1999 Nr. 110 = IPRax 2001, 331 (m. Aufs. Pulkowski, IPRax 2001, 306). 5 Merschformann, S. 141. Ebenso Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (310 f.), der zwar grundsätzlich analog Art. 4 Abs. 2 EVÜ vom Abschlusszeitpunkt ausgeht, aber Veränderungen etwa von Lieferungs- oder Zahlungsort für relevant hält. 6 Schnelle, S. 137 f.

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B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.233 § 2

sches Recht gelten, wenn die inländische Bank tätig wird, während sie in einem anderen Fall nur Auftraggeber ist und folglich mit der Anwendung ausländischen Rechts rechnen muss (vgl. Rz. 13.20 ff.). Auch in Geschäftsbeziehungen unter Spediteuren kann es zum Rollentausch kommen1. Gleichwohl besteht hier kein Anlass zum Abweichen von den Regeln der Art. 4 Abs. 1 (spezifizierte Verträge) und Abs. 2 (charakteristische Leistung) bzw. Art. 5 Abs. 1 Rom I-VO; für die aufeinander folgenden Verträge gilt eben unterschiedliches Recht, weil die Leistungen verschieden sind. Ein Abweichen von der für die einzelne Vertragsart maßgeblichen Regelanknüpfung und ein Abstellen auf die engere Verbindung (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO) kann aber dann in Betracht kommen, wenn Verträge untereinander in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen2. Dies ist insb. dort der Fall, wo die Einzelverträge der Parteien ein größeres Ganzes bilden. Bereits bei Zweipersonenverhältnissen kann die Anknüpfung an die charakteristische Leistung, die grundsätzlich nur den Einzelvertrag im Auge hat, zur Anwendung verschiedener Rechte führen. Sind aber, wie in modernen Vertragsverhältnissen und Finanzierungsformen (Anlagenbau, Leasing, Factoring, Garantie), drei oder noch mehr Personen durch mehrere Einzelverträge zu einem einheitlichen wirtschaftlichen Zweck verbunden, so führt eine unterschiedliche Anknüpfung fast zwangsläufig zu Spannungen und Anpassungsproblemen. Ein Teil der Probleme kann sicherlich nur mit den Mitteln des anwendbaren Rechts gelöst werden. Der Beitrag des Kollisionsrechts besteht darin, Zusammenhänge nicht zu zerreißen. Erwägungsgrund 20 nennt ausdrücklich die enge Verbindung mit einem anderen Vertrag3. Eine solche Kette von Verträgen (chaîne de contrats) kann etwa dann vorliegen, wenn ein Speditionsvertrag von einem Hauptspediteur mit einem anderen Spediteur abgeschlossen wird4. Im Einzelnen ist zu unterscheiden:

2.232

b) Vertragsverbindung Bei der bloß äußerlichen Vertragsverbindung besteht das Vertragsverhältnis in Wirklichkeit aus mehreren selbständigen Verträgen. Sind sie rechtlich voneinander unabhängig, so ist das Vertragsstatut grundsätzlich für jeden Vertrag gesondert zu bestimmen. Dies gilt insbesondere für Verträge, die lediglich gleichzeitig in einer Urkunde geschlossen werden5. Ist kein Wille der Parteien feststellbar, Verträge einer einzigen Rechtsordnung zu unterwerfen, so ist ihr äußeres Zusammentreffen allein kein Grund, sie international-privatrechtlich einheitlich zu behandeln. Eine solche rechtliche Selbständigkeit wird vielfach bei Gegengeschäften bestehen. So kann ein Exportvertrag unabhängig vom gleichzeitig abgeschlossenen Gegenkauf abgewickelt werden6.

1 OLG Frankfurt v. 16.12.1986 – 5 U 28/86, WM 1987, 355 = RIW 1987, 217. 2 Corneloup in Corneloup/Joubert (2011), S. 285 (293 ff.); Kessedjian in Basedow/Baum/Nishitani, S. 105 (122). – Zur Rolle des Art. 28 Abs. 5 EGBGB s. Mankowski, IPRax 2003, 464 (471); Geisler, S. 260 ff. (285). 3 Ebenso Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536). 4 Dazu EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU:C:2014:2320 (Haeger & Schmidt), RdTW 2014, 437 = TranspR 2015, 37 (Speditionsvertrag). – Problematisch ist freilich, wie weit das auch für Verträge mit Dritten gilt. Hier wird man darauf abstellen müssen, dass diese vertragliche Beziehung mit einbezogen ist; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2015, 1 (30). 5 Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (319). 6 Vgl. Niggemann, Gestaltungsformen und Rechtsfragen bei Gegengeschäften, RIW 1987, 169 (177).

Martiny | 151

2.233

§ 2 Rz. 2.234 | Bestimmung des Vertragsstatuts

c) Zusammengesetzte Verträge

2.234

Werden mehrere zwar rechtlich selbständige Verträge geschlossen, die aber von den Parteien dergestalt miteinander verknüpft wurden, dass sie ein einheitliches Ganzes bilden, so ist auf den Zweck des zusammengesetzten Vertrages abzustellen und eine Aufspaltung nach den einzelnen Leistungen möglichst zu vermeiden. Meist wird eine qualitative Bewertung der einzelnen Vertragsverhältnisse ermöglichen, den engsten Zusammenhang der gesamten Vertragsbeziehung zu einer Rechtsordnung zu finden1. d) Angelehnte Verträge

2.235

Verträge, die lediglich untergeordnete Hilfsfunktionen erfüllen und zur Vorbereitung, notwendigen Ergänzung, Erfüllung oder Abänderung des Hauptvertrages dienen (angelehnte Verträge), unterstehen i.d.R. dem Recht des Hauptvertrages2. Dies gilt insbesondere für Auftrag und Geschäftsbesorgung. Eine Ruhegehaltsvereinbarung wurde früher regelmäßig dem Statut des Arbeitsvertrages unterstellt3. Eine Option in einem Verlagsvertrag untersteht seinem Recht4. Selbständig zu beurteilen sind jedoch die Ausführungsgeschäfte des Kommissionärs (vgl. Rz. 27.5), die vermittelten Verträge des Handelsvertreters (s. Rz. 23.133) und die des Maklers (vgl. Rz. 30.6). e) Sicherungsverträge

2.236

Verträge, welche die Erfüllung von Verbindlichkeiten aus einem anderen Vertrag sichern und einen engen Zusammenhang mit dem gesicherten Geschäft aufweisen, sind i.d.R. demselben Recht zu unterstellen. Dies gilt etwa für das Vertragsstrafeversprechen (Rz. 3.173), aber auch für eine Nebenabrede, mit der die Verpflichtung zur Beibringung einer Bankgarantie übernommen wird5. Sind jedoch Dritte beteiligt, wie bei Bürgschaft und Garantie, so bestimmt das Statut der Hauptverpflichtung regelmäßig nicht mehr das Statut des von ihnen geschlossenen Sicherungsvertrages6 (Rz. 16.1 ff.). Ob die Rückversicherung dem Recht der Erstversicherung folgt (s. Rz. 36.54), ist umstritten. f) Ausfüllen von Rahmenverträgen

2.237

Werden die Beziehungen der Parteien in einem Rahmenvertrag allgemein geregelt, erfolgt die Abwicklung des Vertragsverhältnisses aber durch Einzelverträge, so erleichtert es die Rechtsanwendung, wenn beide Vertragsverhältnisse demselben Recht unterliegen7. Folglich ist der Zusammenhang zwischen den Vertragsverhältnissen vielfach dazu benutzt worden, um eine bestimmte Anknüpfung zu rechtfertigen. Stellt man in den Vordergrund, dass der Rahmenvertrag den Hauptzweck des Vertrages vorgibt, so spricht dies dafür, dem dafür maßgeblichen Recht Übergewicht zu geben. Insbesondere gilt dann im Interesse einer einheitlichen Anknüpfung das Statut des Rahmenvertrages grundsätzlich auch für später abgeschlossene Einzelver1 Vgl. Kreuzer, FS von Caemmerer, S. 705 (733). 2 Vgl. Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (318 f.); Kegel/Schurig, S. 665; Vischer/Huber/Oser, Rz. 271. 3 BAG v. 18.12.1967 – 3 AZR 458/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 52 = DB 1968, 713 (Ruhegeldvereinbarung an Arbeitsvertrag angelehnt). 4 BGH v. 22.11.1955 – I ZR 218/53, BGHZ 19, 110 (113) = IPRspr. 1954–55 Nr. 22. 5 Finger, AWD 1969, 486 (489); Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 151. 6 S. Siehr in Reichelt, S. 69 (75); Geisler, S. 236 ff. 7 Mankowski, FS Martiny, S. 449 (466 f.).

152 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.241 § 2

träge. Einzellieferungen an Vertragshändler unterliegen aus dieser Sicht dem Recht des Rahmenvertrages1 (näher Rz. 37.146 ff.). Doch kann dann, wenn der Rahmenvertrag eine große Nähe zum Kaufvertrag aufweist, die Lieferung auch Verkäuferrecht unterworfen werden2. Ferner kann Einheitskaufrecht eingreifen, s. Rz. 25.8. Aber auch umgekehrt kann man die Leistung des Einzelvertrages (die Lieferung) in den Vordergrund stellen. Die für ihn maßgebliche Rechtsordnung beherrscht dann ebenfalls den Rahmenvertrag3. Regelmäßig ist aber eine getrennte Anknüpfung von Rahmen- und Ausführungsvertrag geboten4. Dem Zusammenhang unter den Verträgen ist lediglich auf der Ebene des Sachrechts Rechnung zu tragen.

2.238

g) Vorbereitung des Hauptvertrages Des Öfteren schließen die Parteien einen Vertrag zur Vorbereitung eines späteren Vertragsverhältnisses. Fehlt es an einer Rechtswahl hierfür, so kommt es für die objektive Anknüpfung darauf an, ob zwischen diesen Geschäften ein enger Bezug besteht oder der zunächst geschlossene Vertrag isoliert angeknüpft werden kann. So wurde für den Vorvertrag hinsichtlich eines – nicht zustande gekommenen – Grundstückskaufs auf das Statut des geplanten Grundstücksgeschäfts kein Bezug genommen5.

2.239

Ein Vorvertrag wird aber regelmäßig genauso angeknüpft wie der beabsichtigte Hauptvertrag6. Anders ist es, wenn er in den einzelnen Verpflichtungen wesentliche Abweichungen vom beabsichtigten Hauptvertrag aufweist oder in engem Zusammenhang mit anderen Verträgen unter den Parteien steht. Bei Grundstücksgeschäften ist der Hinweis auf die lex rei sitae nicht so stark wie sonst7.

2.240

Auch bei der Absichtserklärung (Letter of Intent) kommt eine Anknüpfung an das Statut des geplanten Geschäfts in Betracht8 (s. Rz. 33.18 zum Unternehmenskauf, Rz. 33.83 zum Asset Deal). Dies gilt auch für Ansprüche aus culpa in contrahendo9 (Art. 12 Rom II-VO). Ebenso zu verfahren ist bei Vorvereinbarungen zur Sicherung der Vertraulichkeit.

2.241

1 OLG Hamburg v. 5.10.1998 – 12 U 62/97, IPRspr. 1998 Nr. 34 = TranspR-IHR 1999, 37 (stillschweigende Rechtswahl); LG Karlsruhe v. 10.11.1998 – O 149/97 KfH I, IPRspr. 1998 Nr. 35 = NJW-RR 1999, 1284. – Für grundsätzliche Unabhängigkeit hingegen Schurig, IPRax 1994, 27 (29 f.). 2 S. IPG 1984 Nr. 18 (Köln), S. 156 f. 3 So für den Vertriebsvertrag Cass. civ. v. 15.5.2001, Rev.crit.d.i.p. 91 (2002), 86 m. zust. Anm. Lagarde. 4 OLG Düsseldorf v. 11.7.1996 – 6 U 152/95, IPRspr. 1996 Nr. 37 = NJW-RR 1997, 822 (Vertragshändlervertrag); Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 190 (Stand 1.2.2021). 5 BGH v. 23.6.1967 – V ZR 109/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 28 = WM 1967, 1042 (Anzahlung auf einen nicht zustande gekommenen Kaufvertrag über französ. Grundstück unter Deutschen. Bereicherungsansprüche deutschem Recht aufgrund hypothetischen Parteiwillens unterstellt). 6 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 192 (Stand 1.2.2021). Vgl. OLG Hamm v. 8.3.1993 – 8 U 251/90, IPRspr. 1993 Nr. 20; OLG Frankfurt v. 10.1.2001 – 23 U 77/95, IPRspr. 2001 Nr. 23 (Grundstückskauf). – Zurückhaltender bei Anwendung der Ausweichsklausel Geiben, S. 375 ff. 7 Für regelmäßige Anknüpfung nach der Grundstücksbelegenheit Geiben, S. 358 f. 8 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 174.– Zum engl. und niederl. Sachrecht Visser, EJCCL 2020, 31 (35 f.). 9 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 174.

Martiny | 153

§ 2 Rz. 2.242 | Bestimmung des Vertragsstatuts

4. Gemischte Verträge 2.242

Bei gemischten Verträgen (Rz. 2.170 ff.) können die Regeln über spezifizierte Verträge (Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO) zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, so dass es nach Art. 4 Abs. 2 Alt. 2 Rom I-VO auf die charakteristische Leistung ankommt (s. Rz. 2.211 ff.). Auch im Übrigen ist grundsätzlich die charakteristische Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO zu ermitteln. Ist das nicht möglich, ist die engste Verbindung nach anderen Kriterien festzustellen (s. Rz. 2.243 ff.). Ferner kann eine engere Verbindung nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO zu berücksichtigen sein. Dies gilt für typische (Austausch-)Verträge mit andersartiger Nebenleistung (Rz. 2.201). Ebenso ist es beim (Typen-)Kombinationsvertrag (Rz. 2.202) sowie beim Typenverschmelzungsvertrag (Rz. 2.205).

VI. Engste Verbindung (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO) 1. Maßgeblichkeit der engsten Verbindung a) Begriff der engsten Verbindung

2.243

Art. 4 Rom I-VO liegt der Grundsatz der engsten Verbindung zugrunde1. Die engste Verbindung spielt nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO allerdings nur noch eine Rolle als Auffangregel bzw. als „Lückenbüßer“2. Es kommt auf sie lediglich dann an, wenn weder ein spezifizierter Vertragstyp vorliegt, noch die charakteristische Leistung bestimmt werden kann. Dagegen hatte das EVÜ das Prinzip der engsten Verbindung durch mehrere Vermutungen zu konkretisieren versucht3. Griffen sie nicht ein, so war die Generalklausel anzuwenden4. Dieses Vorgehen führte teilweise zu Verwirrung.

2.244

Der Begriff der engsten Verbindung (the law of the country with which the contract is most closely connected; la loi du pays avec lequel le contrat présente les liens les plus étroits) wird vom Gesetz nicht näher erläutert und bleibt vage5. Der Text macht nur deutlich, dass es auf die Verbindungen ankommt, die der Vertrag aufweist. Ferner lässt das Gesetz erkennen, dass ein Vertrag enge Verbindungen zu mehreren Rechtsordnungen haben kann. Weggefallen ist die Regelung des Falles, wonach ein Teil noch engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweisen kann (s. Rz. 2.156a). Erforderlich ist also die Suche nach den betreffenden Kriterien, ihre Abwägung und Bewertung. Die engste Verbindung führt dann zu dem Recht des Landes, in dem der Vertrag bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalles seinen Schwerpunkt hat6. Dabei geht es letztlich nicht um den Zusammenhang mit einem Gebiet oder Raum, sondern um die Bezüge zu einer Rechtsordnung7.

2.245

Die engste Verbindung in Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO muss zu einem Resultat führen. Eine weitere Stufe der Anknüpfung ist nicht vorhanden. Auch die Ausweichklausel kommt nicht mehr zum Zuge8. In einem „primären Bereich“ erfasst sie solche Verträge mit Auslandsberührung, 1 So zu Art. 4 EVÜ EuGH v. 23.10.2014 – C-305/13, ECLI:EU:C:2014:2320 (Haeger & Schmidt), RdTW 2014, 437 = TranspR 2015, 37 (Speditionsvertrag). 2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536). – Vgl. auch Wagner, IPRax 2008, 377 (382). 3 Der Grundsatz der engsten Verbindung des Art. 28 Abs. 1 EGBGB, der auf Art. 4 Abs. 1 EVÜ beruhte, fand sich bereits in Art. 4 EVÜ-Entw. 1972. 4 Kropholler, IPR, S. 446, 451; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 140. 5 Krit. Juenger, RabelsZ 46 (1982), 57 (72 ff.); Horlacher/Cornell, Int.L.J. 27 (1994), 173 (184 ff.). 6 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 30. 7 Vgl. Schnitzer, Rec. des Cours 1968 I, 541 (572). 8 Cavalier, Rev.Lamy dr.aff. 29 (2008), 65 (67); Wagner, IPRax 2008, 377 (381 f.).

154 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.248 § 2

für die keine besondere gesetzliche Regelung besteht. Diese Rechtsverhältnisse, z.B. Tauschverträge, unterliegen von vornherein der Prüfung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO. Die Vorschrift hat insofern die Funktion eines Auffangtatbestandes. Verträge, die einer der Anknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO unterliegen, werden nur dann nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO beurteilt, wenn eine noch engere Beziehung zu einer anderen Rechtsordnung besteht. Insofern besteht für das Konzept der engen Verbindung ein „sekundärer Anwendungsbereich“1. Der Grundsatz der engeren Verbindung wirkt dann als weitere Stufe der Anknüpfung und als Korrektiv (Rz. 2.227). Während Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO nämlich eine Regelanknüpfung vorschreiben, kann über die enge Verbindung bei bestimmten Gestaltungen oder auch nur im Einzelfall eine andere Anknüpfung gewählt werden. Die Vorschrift kommt aber nur dann zur Anwendung, wenn die Verordnung nicht selbst – wie für Beförderungsverträge (Art. 5 Rom I-VO), Verbraucherverträge (Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO), Versicherungsverträge (Art. 7 Rom I-VO) und Arbeitsverträge (Art. 8 Abs. 2 Rom I-VO) – das anwendbare Recht näher bestimmt.

2.246

Die Rom I-VO hat den Stellenwert der engsten Verbindung präzisiert. Von ihr ist nicht auszugehen. Erst dann, wenn – wie Erwägungsgrund 21 erläutert – das bei Fehlen einer Rechtswahl anzuwendende Recht weder aufgrund der Zuordnung des Vertrags zu einer der spezifizierten Vertragsarten noch als das Recht des Staates bestimmt werden kann, in dem die Partei, welche die für den Vertrag charakteristische Leistung zu erbringen hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, soll der Vertrag dem Recht des Staates unterliegen, zu dem er die engste Verbindung aufweist. Bei der Bestimmung dieses Staates soll u.a. berücksichtigt werden, ob der betreffende Vertrag in einer sehr engen Verbindung zu einem oder mehreren anderen Verträgen steht, vgl. auch Rz. 2.231 ff.

2.247

Bemerkenswert ist, dass die gesetzliche Regelung den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nur in Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO (früher Art. 28 Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 EGBGB) nennt, hingegen nicht allgemein für die Bestimmung der engsten Verbindung, vgl. Rz. 2.299. Dementsprechend erwähnt der Bericht Giuliano/Lagarde zum EVÜ, dass für die Ermittlung der engsten Verbindung auch nach Vertragsschluss eingetretene Umstände berücksichtigt werden können2. Früher hat man z.T. angenommen, dass auch eine nachträgliche Veränderung der maßgeblichen Umstände im Rahmen der objektiven Anknüpfung zu berücksichtigen ist3. Gleichwohl wird man im Allgemeinen einen Statutenwechsel infolge veränderter Umstände ausschließen können4. Dafür lassen sich die Bindung an den Vertrag und die Verhinderung von Manipulationen anführen5. Aufgrund einer Gesamtabwägung ist nach Möglichkeit einheitlich anzuknüpfen6. Bei einer tiefgreifenden Änderung der Umstände kann aber – insb. bei langfristigen Verträgen – ein Bedürfnis für eine Änderung des anwendbaren Rechts entstehen. Der Schutz des Vertrauens der Parteien kann bei unterlassener Rechtswahl nicht den höchsten Rang erhalten; eine vertragliche Bindung liegt hier nur bezüglich des Hauptvertrages vor.

2.248

1 2 3 4

Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–072. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 52. Lüderitz, FS Keller, S. 459 (465, 471); Merschformann, S. 84 ff. Ausdrücklich für Vertragsschluss Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 218 (Stand 1.2.2021) m.w.N. 5 Buchta, Die nachträgliche Bestimmung des Schuldstatuts durch Prozessverhalten (1986), S. 21. 6 Merschformann, S. 87 f.

Martiny | 155

§ 2 Rz. 2.249 | Bestimmung des Vertragsstatuts

b) Gesamtheit der Umstände

2.249

Welchen Umständen die engste Verbindung i.S.d. Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zu entnehmen ist, sagt das Gesetz nicht. Aus dem Katalog des Art. 4 Abs. 1 sowie aus Abs. 2 Rom I-VO geht hervor, dass wesentliche Umstände die charakteristische Leistung sowie die Grundstücksbelegenheit sind. Nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO kann es noch andere Umstände geben. In Betracht kommen vor allem Eigenheiten des Vertrages und Verhältnisse der Parteien. Es muss sich also um Hinweise von einigem Gewicht handeln (dazu Rz. 2.252 ff.). Sie müssen ferner – im Unterschied zu Art. 3 Rom I-VO – außerhalb des Willens der Parteien liegen. Nicht ein vermuteter Parteiwille ist maßgeblich, sondern die objektiven Gegebenheiten entscheiden1. Ein einzelner Hinweis wird häufig nicht ausreichen. Dementsprechend ist anzunehmen, dass es auch für Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO auf die Gesamtheit der Umstände (the circumstances as a whole; l’ensemble des circonstances) ankommt2. Die Grenzen der Kriterien für die engste Verbindung zur stillschweigenden Rechtswahl sind dabei fließend3.

2.250

Die Interessen der Parteien sind zu ermitteln und abzuwägen4. Die Interessen, die dabei abzuwägen sind, sind allein solche international-privatrechtlicher Natur. Das Sachrecht hat hier grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Das Parteiinteresse muss auf die Anwendung einer Rechtsordnung ohne Rücksicht auf ihren jeweiligen Inhalt gerichtet sein5.

2. Abtrennbarkeit eines Vertragsteils 2.251

Die Abtrennbarkeit eines Vertragsteils wird von der Rom I-VO nicht mehr ausdrücklich geregelt (vgl. Rz. 2.156a). Als Beispiel für die nach Art. 4 Abs. 1 S. 2 EVÜ (Art. 28 Abs. 1 S. 2 EGBGB) ausnahmsweise erlaubte Abspaltung (dépeçage) einzelner Bestandteile waren insbesondere aus mehreren Verpflichtungen und Ansprüchen zusammengesetzte Vertragsverhältnisse genannt worden6. Eine Abspaltung ist zwar eine denkbare Lösung für gemischte Verträge; sie führt aber zur Anwendung mehrerer Rechtsordnungen, damit zu Reibungen und zu potentiellen Widersprüchen7. Sie ist von der Rom I-VO auch für gemischte Verträge nicht vorgesehen und nicht zulässig (s. Rz. 2.156a)8. Das nach Art. 4 Rom I-VO ermittelte Recht ist für den ganzen Vertrag maßgeblich.

3. Hinweise auf die engste Verbindung a) Indizwirkung

2.252

Bei der Ermittlung der engsten Verbindung handelt es sich um eine objektive, d.h. vom Parteiwillen unabhängige Anknüpfung. Gleichwohl werden für diese Anknüpfung vielfach die 1 2 3 4 5

Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–073; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 146. Ebenso Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 147. Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 199 (Stand 1.2.2021). Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (318 f.); Stürner in Erman, Art. 4 Rom I-VO Rz. 46. Henrich, JZ 1961, 262; a.A. Marsch, S. 80 ff. – Anders auch BGH v. 19.10.1960 – VIII ZR 27/60, IPRspr. 1960/61 Nr. 28 = NJW 1961, 25 (Lieferung [Wein] von Bordeaux nach Deutschland. Da die Parteien mit den Bestimmungen des deutschen Weingesetzes rechnen mussten, nach dem die Einfuhr von nicht verkehrsfähigen Weinen verboten war, wurde deutsches Recht angewendet). 6 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 55. 7 Eine ausnahmsweise Entflechtung bewerten positiv Vischer/Oser, Rz. 257. 8 Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (536); Strikwerda, NIPR 2009, 411 (415); Nourissat in Corneloup/Joubert, S. 208 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I, Rz. 96. – Anders Mankowski, IHR 2010, 89 (90 ff.); Mankowski, FS Spellenberg, S. 261 (267 ff.).

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B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.255 § 2

gleichen Faktoren herangezogen, welche auch für eine stillschweigende Rechtswahl von Bedeutung sind1. Das geltende Recht legt jedoch eine genauere Trennung von stillschweigender Rechtswahl und objektiver Anknüpfung nahe. In der folgenden – hauptsächlich an der Rechtsprechung orientierten – Übersicht sind daher im Wesentlichen nur noch die Hinweise aufgeführt, die für eine objektive Anknüpfung in Frage kommen. Soweit Einzelumstände eine stillschweigende Rechtswahl rechtfertigen können, sind sie in Rz. 2.82 ff. aufgezählt. In jedem Einzelfall treffen zahlreiche Hinweise zusammen, die auf den Zusammenhang mit einer bestimmten Rechtsordnung hindeuten. Ihre Häufung wird meist eine klare Bestimmung des Vertragsstatuts ermöglichen. Die Hinweise sind aber nicht schematisch aneinander zu reihen, vielmehr auf ihre Relevanz hin zu untersuchen. Die Beziehungen zum Vertrag und den damit verfolgten Zwecken sind letztlich ausschlaggebend. Daher sind für bestimmte Vertragstypen einzelne Umstände von besonderer Bedeutung; man kann dies mit der „kollisionsrechtlichen Eigenart“ solcher Verträge begründen2. Solche typischen Hinweise sind z.B. beim Arbeitsvertrag der Arbeitsort, beim Anwaltsvertrag der Ort der Zulassung des Anwalts, beim Lizenzvertrag das Land, in dem die Lizenz ausgeübt werden soll (s. darüber im Teil 2 bei den einzelnen Vertragstypen). Weitere Hinweise, die bei anderen Verträgen von großer Wichtigkeit sind, müssen u.U. hinter die typischen zurücktreten.

2.253

Deuten mehrere Umstände – sich widersprechend – auf verschiedene Rechtsordnungen, so müssen die Hinweise einander gegenübergestellt und nach den Einzelheiten des Falles gegeneinander abgewogen werden3. Von Bedeutung ist dafür, dass einige Umstände als starkes oder nur schwaches Indiz angesehen werden. Von überragender Bedeutung sind für Schuldverträge Gerichtsstands- oder Schiedsklauseln, die Vereinbarung eines gemeinsamen Erfüllungsortes sowie ein eindeutiges Prozessverhalten der Parteien. Insbesondere das Prozessverhalten setzt sich meist gegenüber anderen Hinweisen durch. Diese Hinweise kommen für eine stillschweigende Rechtswahl in Betracht (Rz. 2.82 ff.). Von minder großer Bedeutung sind vor allem Abschlussort, Vertragssprache und -währung sowie die gemeinsame Staatsangehörigkeit. Sie und andere Umstände werden als zuverlässiges Indiz meist nur dann angesehen, wenn sie durch andere unterstützt werden.

2.254

Unter dem EVÜ wurde vorgeschlagen, bezüglich der Art der Hinweise und der jeweiligen objektiven Anknüpfung zu differenzieren4. Geht es um das Eingreifen der Ausweichklausel, also die Ermittlung einer von den Vermutungen abweichenden engeren Beziehung (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO), so sollen nur „objektive“, auf den Leistungsaustausch bezogene Umstände zählen. Dagegen will man z.T. „subjektive“ Kriterien (Abschlussort, Staatsangehörigkeit, Vertragssprache) insoweit unberücksichtigt lassen5. Letztere sollen nur dann Beachtung finden, wenn es um die im Einzelfall notwendige Ermittlung der engsten Verbindung geht (Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO). Die Tendenz, auf diese Weise die Regelanknüpfungen zu verstärken, ist sicherlich billigenswert. Insbesondere dürfen die Anknüpfungen nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO nicht durch eine Aneinanderreihung letztlich irrelevanter Gesichtspunkte beiseite geschoben werden. Bedenklich an dieser Vorgehensweise ist freilich die drohende Gefahr von Wertungswidersprüchen zwischen Fällen innerhalb und solchen außerhalb der regelmäßigen Anknüpfungen sowie das Risiko eines zu schematischen Vorgehens.

2.255

1 2 3 4 5

Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 148. Gamillscheg, AcP 157 (1958), 303 (340). Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 200 (Stand 1.2.2021). So von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 59 f., 64. Anders etwa Stürner in Erman, Art. 4 Rom I-VO Rz. 46.

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§ 2 Rz. 2.256 | Bestimmung des Vertragsstatuts

b) Gewöhnlicher Aufenthalt, Niederlassung

2.256

Der gewöhnliche Aufenthalt (bei gewerblicher oder beruflicher Tätigkeit die Niederlassung) gibt einen Hinweis auf das an diesem Ort geltende Recht. Seine Relevanz ergibt sich auch daraus, dass ihm das Gesetz nicht nur für einzelne spezifizierte Verträge (Art. 4 Abs. 1 Rom IVO) sowie die charakteristische Leistung (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO), sondern in anderen Vorschriften ebenfalls Bedeutung beimisst (Art. 5, 6 und 7 Rom I-VO, Art. 46b Abs. 2 Nr. 1 EGBGB). Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Parteien kann zur Anwendung des Aufenthaltsrechts führen und sich gegen andere Kriterien durchsetzen1. Dies ist beispielsweise bei der Miete einer ausländischen Ferienwohnung der Fall, wenn beide Vertragsparteien ihren Aufenthalt im Inland haben2.

2.257

Haben die Parteien ihren Aufenthalt in verschiedenen Ländern, so widersprechen sich die Hinweise. Dies kann aber i.d.R. nicht dazu führen, auf die jeweiligen Verbindlichkeiten der Vertragsparteien verschiedenes Recht anzuwenden. Die sich widersprechenden Hinweise heben sich vielmehr auf, es sei denn, der Hinweis auf den Aufenthaltsort (die Niederlassung) eines Vertragspartners überwiegt. Letzteres ist regelmäßig der Fall, wenn eine der Parteien die für den Vertrag charakteristische Leistung erbringt (s. dazu Rz. 2.177 ff.).

2.258

Hierher gehören z.B. Verträge, die die Berufstätigkeit eines Kontrahenten betreffen und einer staatlichen oder standesrechtlichen Kontrolle unterliegen, also Verträge mit Ärzten (s. Rz. 18.19), Apothekern, Rechtsanwälten (s. Rz. 10.1 ff.) und Architekten (s. Rz. 12.1 ff.). Gebührenforderungen von Notaren unterliegen ebenfalls dem Recht ihrer Niederlassung3. Oft wird freilich schon die Einordnung als Dienstleistung (Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) zu einer Lösung führen (s. Rz. 18.1 ff.). c) Staatsangehörigkeit Literatur: Kraatz, Durchsetzbarkeit zivilrechtlicher Forderungen und Schuldtitel aus Vertrags- und Schadenersatzrecht gegen Mitglieder der Stationierungsstreitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland, NJW 1987, 1126.

2.259

Die Staatsangehörigkeit ist zwar ein Umstand für die engste Verbindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO. Doch müssen sich andere Umstände von einigem Gewicht gegen die gemeinsame Staatsangehörigkeit durchsetzen. Allerdings wird oft eine stillschweigende Rechtswahl vorliegen4 und braucht die Lösung für alle Vertragstypen nicht die gleiche zu sein. Vor allem das Reichsgericht hat der Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien noch erhebliche Bedeutung zugemessen5.

1 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 203 (Stand 1.2.2021); Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 152. Unterstützend für stillschweigende Rechtswahl angeführt von OLG Nürnberg v. 22.2.1996 – 8 U 2932/95, IPRspr. 1996 Nr. 31 = NJW-RR 1997, 1484. 2 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 53. 3 S. IPG 1976 Nr. 11 (Heidelberg): Gebührenforderung eines schweiz. Notars für die Beurkundung unterlag schweiz. Recht. 4 Gemeinsame Staatsangehörigkeit unterstützend angeführt von OLG Nürnberg v. 22.2.1996 – 8 U 2932/95, IPRspr. 1996 Nr. 31 = NJW-RR 1997, 1484. 5 Nachw. 3. Aufl. Rz. 67.

158 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.262 § 2

Heute verleiht man diesem Gesichtspunkt oft kein entscheidendes Gewicht mehr oder erklärt ihn überhaupt für unmaßgeblich1. Die Kollisionsnormen des internationalen Vertragsrechts stellen statt auf die Staatsangehörigkeit auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab; das Unionsrecht untersagt sogar eine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV). Nunmehr unterliegt die Miete unbeweglicher Sachen für höchstens sechs aufeinander folgende Monate zum vorübergehenden privaten Gebrauch dem Recht des Staates, in dem der Vermieter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Mieter eine natürliche Person ist und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat hat (Art. 4 Abs. 1 lit. d Rom I-VO)2. Die Berücksichtigung der gemeinsamen Staatsangehörigkeit scheint am ehesten berechtigt, wenn Privatleute untereinander Geschäfte abschließen (z.B. Auftrag, Darlehen3, Vorverträge über die Veräußerung oder die Miete von Ferienwohnungen4) oder eine gewisse persönliche Verbundenheit oder doch wenigstens ein stark personales Element vorhanden ist (u.U. bei Arbeits-, Handelsvertreter- und Maklerverträgen)5. Beispielsweise wird man einen Vertrag über die Miete einer österreichischen Ferienwohnung unter zwei Deutschen dem deutschen Recht unterstellen, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben6. Darüber hinaus sollte die gemeinsame Staatsangehörigkeit im internationalen Geschäftsverkehr nicht den Ausschlag geben7.

2.260

Ein Abstellen auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit gibt auch nur dann Sinn, wenn noch eine signifikante Beziehung der Staatsangehörigen zum Heimatstaat besteht, insbesondere wenn sich der gewöhnliche Aufenthalt im Heimatstaat befindet. Fehlt dagegen eine solche Beziehung zum Heimatstaat, so kommt der gemeinsamen Staatsangehörigkeit nur geringes Gewicht zu. Die Rechtsprechung knüpft daher bei in Deutschland lebenden Ausländern häufig allein an den gewöhnlichen Aufenthalt an8.

2.261

Häufig werden Angehörigen der in Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte besondere Leistungen, z.B. Versicherungen, angeboten. In diesen Fällen sind die Verträge oft auf deren besondere Verhältnisse zugeschnitten. Vertragspartner ist regelmäßig eine Gesellschaft aus einem Entsendestaat, die Vertragsparteien besitzen häufig die Staatsangehörigkeit

2.262

1 Vgl. OLG Hamm v. 28.1.1994 – 29 U 147/92, IPRspr. 1994 Nr. 136 = NJW-RR 1995, 187 (Praxisübernahme unter niederländ. Zahnärzten nach deutschem Recht); OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436; Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 143. 2 Im Anschluss an die Zuständigkeitsvorschrift des Art. 24 Nr. 1 Brüssel Ia-VO. 3 Dazu näher Geisler, S. 232 f. – Unbeachtlich aber in KG v. 6.3.2003 – 2 U 198/01, ZIP 2003, 1538 = IPRspr. 2003 Nr. 43 = WM 2003, 2093. 4 Vgl. OLG Köln v. 12.9.2000 – 3 U 16/00, IPRspr. 2000 Nr. 26 (Eigenheim in Niederlanden). 5 OLG Frankfurt v. 30.11.1994 – 13 U 180/93, IPRspr. 1994 Nr. 67 = RIW 1995, 1033 Anm. Mankowski (Time-Sharing-Vertrag). S. aber OLG Frankfurt v. 24.6.1992 – 9 U 116/89, IPRspr. 1992 Nr. 40 = NJW-RR 1993, 182 (Grundstückskauf). 6 So über Art. 28 Abs. 5 EGBGB Kropholler, IPR, S. 473. 7 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 210 (Stand 1.2.2021) (untergeordnete Bedeutung). Nach von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 59 f., 64 relevant nur für die engste Verbindung, nicht aber die Ausweichklausel (nach altem Recht). 8 S. bereits OLG Düsseldorf v. 7.7.1983 – 21 W 20/83, IPRspr. 1983 Nr. 49 = FamRZ 1983, 1229 = IPRax 1984, 270 (m. abl. Aufs. Fudickar, IPRax 1984, 253) (Schenkung des türk. Bräutigamvaters an türk. Brautvater. Deutsches Recht als Aufenthaltsrecht angewendet); LG Hamburg v. 15.10.1975 – 5 O 67/75, IPRspr. 1975 Nr. 14 (Darlehensvertrag zwischen zwei in der BRD ansässigen Portugiesen. Deutsches Recht angewendet). Dies gilt erst recht bei unterschiedlicher Staatsangehörigkeit, wo es bei der Regelanknüpfung bleibt, vgl. auch OLG Celle v. 29.4.1987 – 9 U 84/86, IPRspr. 1987 Nr. 18 (LS) = NJW-RR 1987, 1190 (türk.-griech. Darlehen).

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§ 2 Rz. 2.262 | Bestimmung des Vertragsstatuts

der jeweiligen Mutterländer. Hier bestehen so geringe Bezugspunkte zur deutschen Rechtsordnung, dass ein Abweichen von der Regelanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt in Betracht kommen kann. In den entsprechenden Fällen ist daher ausländisches Recht anzuwenden1. d) Beteiligung der öffentlichen Hand Literatur: von Hoffmann, Staatsunternehmen im IPR, BerDGesVölkR 25 (1984), 35.

2.263

Heute wird zunehmend für eine strikte Gleichbehandlung von Staatsunternehmen und Privatunternehmen plädiert. Die Beteiligung eines Staatsunternehmens stellt keine engere Verbindung i.S.d. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO dar und ändert nichts an der üblichen Vertragsanknüpfung2. Früher nahm man bei Verträgen mit dem Staat und öffentlichen Körperschaften regelmäßig einen Hinweis auf die Rechtsordnung, von dem dieser öffentliche Verband seine Rechtsfähigkeit herleitet, an. Dieser Hinweis auf die engste Verbindung war aber bei rein privatrechtlichen Geschäften nicht zwingend und musste in jedem Fall gegen die anderen vorhandenen Hinweise abgewogen werden3. Nach anderen unterlagen diese Verträge grundsätzlich dem Recht des Staates4. Die ältere Rechtsprechung entschied von Fall zu Fall5. e) Währung

2.264

Die Vereinbarung, dass Geldleistungen in einer bestimmten Währung bemessen oder gezahlt werden sollen, bedeutet nur einen schwachen Hinweis auf das Recht dieser Währung6. Die Wahl der Währung wird häufig von Fragen der Wertbeständigkeit, der Konvertibilität und von sonstigen Devisenbestimmungen beeinflusst. Aus der vereinbarten Währung lassen sich 1 LG Frankfurt v. 3.7.1964 – 3/3 O 33/63, IPRspr. 1964–65 Nr. 39 (Kanad. Handelsvertreter verkaufte für amerikan. Unternehmen Lebensmittel an amerikan. Soldaten in Spanien. Amerikan. Recht angewendet); LG Zweibrücken v. 1.2.1983 – 3 S 91/82, IPRspr. 1983 Nr. 23 = RIW 1983, 454 (Gesellschaft in Ramstein schloss Kreditkaufverträge mit amerikan. Soldaten. Trotz Gerichtsstandsvereinbarung amerikan. Recht angewendet); IPG 1980/81 Nr. 10 (Freiburg) (Französ. Unteragent mit Niederlassung in Konstanz vermittelte für französ. Versicherer Kfz-Versicherungen an französ. Soldaten. Französ. Recht für maßgeblich gehalten). 2 KG v. 16.1.1996 – 15 U 161/95, IPRspr. 1996 Nr. 25 = IPRax 1998, 280 (283) (Beteiligung des russ. Fiskus unerheblich); von Hoffmann, BerDGesVölkR 25 (1984), 35 (57 f.); Merschformann, S. 235 f.; Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 211 (Stand 1.2.2021). 3 Vgl. Borchers, Verträge von Staaten mit ausländischen Privatpersonen (1966), S. 35 ff.; Gamillscheg, RabelsZ 27 (1962/63), 585 (591). 4 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 30. 5 KG v. 26.11.1954 – 6 U 1199/54, IPRspr. 1954/55 Nr. 28 (Mietvertrag über ein Auto mit einer Dienststelle der deutschen Luftwaffe in Paris. Deutsches Recht angewendet); OLG Hamburg v. 8.5.1969 – 6 U 189/68, IPRspr. 1971 Nr. 158a = WM 1969, 709 (711) (Schiedsvertrag mit jugoslaw. staatlichen Unternehmen. Unter anderem deswegen jugoslaw. Recht angewendet); OLG Koblenz v. 10.10.1972 – 6 U 520/68, IPRspr. 1974 Nr. 1a = OLGZ 1975, 379 (Vermittlung von Waffenkäufen an die Republik Portugal. Auf Maklervertrag portugies. Recht angewendet); OLG Frankfurt v. 18.1.1979 – 1 U 227/77, IPRspr. 1979 Nr. 10b (Patronatserklärung durch Körperschaft des öffentlichen Rechts. Deutsches Recht angewendet). 6 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 212 (Stand 1.2.2021). Unerheblich etwa die Vereinbarung Schweizer Franken in deutsch-französ. Vertrag, OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, IPRspr. 1989 Nr. 181 = NJW 1990, 652. S. auch LG Baden-Baden v. 14.2.1997 – 2 O 348/95, IPRspr. 1997 Nr. 31; LG Hamburg v. 18.2.1999 – 302 S 146/98, IPRspr. 1999 Nr. 30 = RIW 1999, 391.

160 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.267 § 2

daher nur unter besonderen Umständen Rückschlüsse auf das anzuwendende Recht ziehen1. Es ist auch fragwürdig, einem späteren Übergang von einer ausländischen zur inländischen Währung besondere Bedeutung beizumessen2. Gleichwohl wird die Vereinbarung einer bestimmten Währung teilweise sogar für den Nachweis einer stillschweigenden Rechtswahl mit herangezogen3. f) Abschlussort Hat sich der Abschlussort – insbesondere bei einem Distanzvertrag – so weit verflüchtigt, dass seine Bestimmung Schwierigkeiten macht, so kann er einen Hinweis auf das Recht, von dem die Parteien ausgegangen sind, nicht geben. Erst recht gilt dies für den Vertragsschluss im Flugzeug oder im fahrenden Zug. Auch bei einem Vertragsschluss auf hoher See kann der „Abschlussort“ i.d.R. keinen Hinweis auf das Schuldstatut geben.

2.265

Als selbständiger Anknüpfungspunkt spielt der Abschlussort in Deutschland schon seit langem keine Rolle mehr. Da er keinen Aufschluss über die Niederlassung der Parteien oder die Abwicklung des Vertrages gibt, gilt er als „äußerlicher, oft durch Zufälligkeiten bestimmter Nebenumstand“4. In anderen Ländern dient der Abschlussort dagegen häufig als subsidiärer Anknüpfungspunkt, wenn die den Vertragsinhalt charakterisierende Leistung nicht festgestellt werden kann.

2.266

Während nun einige Entscheidungen den Abschlussort überhaupt nicht berücksichtigen wollen5, nehmen zahlreiche Urteile – im Zusammenhang mit anderen Umständen – auf den Ort der Vertragsverhandlungen und des Vertragsabschlusses Bezug6. Im Allgemeinen beseitigt ein ausländischer Abschlussort die Maßgeblichkeit des Rechts der charakteristischen Leistung

2.267

1 Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999), S. 95 f. – Vgl. etwa OLG Hamm v. 28.1.1994 – 29 U 147/92, IPRspr. 1994 Nr. 136 = NJW-RR 1995, 187; LG Baden-Baden v. 14.2.1997 – 2 O 348/ 95, IPRspr. 1997 Nr. 31. 2 Anders aber OLG Köln v. 26.8.1994 – 19 U 282/93, IPRspr. 1994 Nr. 37 = RIW 1994, 970 (Vertrag mit schweiz. Werkunternehmer). 3 So etwa OLG Nürnberg v. 22.2.1996 – 8 U 2932/95, IPRspr. 1996 Nr. 31 = NJW-RR 1997, 1484; OLG Frankfurt v. 14.9.1999 – 5 U 30/97, IPRspr. 1999 Nr. 34 = TranspR 2000, 260; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 160; BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 46 = RIW 2017, 233 = NZA 2017, 502 (Arbeitsvertrag). – Anders BGH v. 26.10.1989 – VII ZR 153/88, IPRspr. 1989 Nr. 172 = NJW-RR 1990, 183 (deutsches Recht trotz Schweizer Franken); OLG Celle v. 26.5.1999 – 2 U 267/95, IPRspr. 1999 Nr. 31 (US-Dollar); OLG Brandenburg v. 29.11.2000 – 13 U 110/00, IPRspr. 2000 Nr. 28 = NJ 2001, 257 Anm. Ehlers (DM). 4 So schon RG v. 12.10.1905 – VI 3/05, RGZ 61, 343 (345) (Rückbürgschaft. Keine Anknüpfung an den luxemburg. Abschlussort). S. auch RAG v. 20.7.1935 – RAG 61/35, RAGE 15, 247 = IPRspr. 1935–44 Nr. 142 = JW 1935, 3665 (Vertrag über Dienstleistung in den USA. Abschlussort muss „als unerheblich außer Betracht bleiben“; amerikan. Recht angewendet). 5 ZB BGH v. 30.3.1976 – VI ZR 143/74, IPRspr. 1976 Nr. 2 = NJW 1976, 1581 (Luftbeförderung zwischen Zypern und der Türkei durch türk. Fluggesellschaft. Abschlussort in der BRD als „rein zufällig“ außer Betracht gelassen); OLG Düsseldorf v. 4.8.1961 – 2 U 66/61, IPRspr. 1960/61 Nr. 152 = AWD 1961, 295 (Lizenzvertrag; Abschlussort in Deutschland; französ. Recht angewendet); OLG Frankfurt v. 30.11.1994 – 13 U 180/93, IPRspr. 1994 Nr. 67 = RIW 1995, 1033 Anm. Mankowski (Time-Sharing-Vertrag; Abschlussort in Spanien; deutsches Vertragsstatut). 6 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 207 (Stand 1.2.2021) (schwaches Kriterium). Nach von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 59 f., 64 relevant nur für die engste Verbindung, nicht aber für die Ausweichklausel (nach altem Recht).

Martiny | 161

§ 2 Rz. 2.267 | Bestimmung des Vertragsstatuts

nicht1. Für die stillschweigende Rechtswahl ist die Bedeutung erst recht zweifelhaft2, obwohl der Abschlussort auch dafür manchmal herangezogen wird3.

2.268

Nunmehr enthält Art. 4 Abs. 1 lit. g, h Rom I-VO eine eigene Regelung für Finanztransaktionen (s. Rz. 19.1 ff.). Im Übrigen gibt der Ort des Vertragsschlusses dann einen starken Hinweis auf das dort geltende Recht, wenn der Vertrag an einer Börse geschlossen wurde4. Art. 3 Abs. 3 des Haager Abkommens vom 15.6.1955 unterstellt dementsprechend Börsengeschäfte und Käufe auf Versteigerungen dem Recht des Landes, in dem die Börse sich befindet oder die Versteigerung erfolgt.

2.269

Das Gleiche galt für Vertragsabschlüsse auf Märkten und Messen. Der Hinweis auf das Recht des Markt-(Messe-)Ortes verliert jedoch immer mehr an Gewicht5. Schon das Reichsgericht befand, er gehe „zurück auf die kleineren Verhältnisse früherer Zeiten“6. Er kann sich regelmäßig nicht gegen die Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung durchsetzen7. g) Mitwirkung eines Notars oder Richters

2.270

Kommt der Vertrag unter Mitwirkung einer amtlichen Stelle zustande, so liegt darin ein Hinweis auf das Recht, auf dem die amtliche Eigenschaft dieser Stelle beruht8. Allerdings wird dies eher für eine stillschweigende Rechtswahl als für die engste Verbindung i.S.d. Art. 4 Rom I-VO in Betracht kommen. Dies gilt für Rechtsgeschäfte, die vor dem Richter vorgenommen werden, wie gerichtliche Vergleiche9. Ebenso gilt dies für Verträge, die von einem Richter oder einem Notar beurkundet werden, nicht aber für Verträge, bei denen lediglich die Unterschriften vom Richter oder Notar beglaubigt werden10.

1 S. BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, WM 1995, 124 = WuB IV B. Art. 34 EGBGB 1.95 (Anm. Mankowski) (Beratervertrag; westdeutsches Recht trotz Vertragsschluss in DDR angewendet); Siehr in Reichelt, S. 69 (75). 2 Nicht berücksichtigt von OLG Celle v. 26.5.1999 – 2 U 267/95, IPRspr. 1999 Nr. 31 (Dominikan. Republik). 3 OLG München v. 22.1.1997 – 7 U 4121/96, IPRspr. 1997 Nr. 55 = RIW 1997, 507 (Schuldanerkenntnis; „bewusst alles auf Deutschland abgestellt“); BAG v. 15.12.2016 – 6 AZR 430/15, IPRspr. 2016 Nr. 103 Rz. 44 = RIW 2017, 233 = NZA 2017, 502 (Arbeitsvertrag; unterstützend). 4 Merschformann, S. 214 f. 5 Schnitzer, Festg. Schönenberger (1968), S. 387 (399 f.). 6 RG v. 27.5.1924, WarnRspr. 1925 Nr. 32. 7 LG Aachen v. 3.4.1990 – 41 O 198/89, IPRspr. 1990 Nr. 31 = RIW 1990, 491. S. auch BGH v. 19.10.1960 – VIII ZR 27/60, IPRspr. 1960/61 Nr. 28 = NJW 1961, 25; LG Hamburg v. 6.6.1972 – 80 O 300/71, IPRspr. 1972 Nr. 10 = AWD 1973, 557 (Kauf. Fachmesse in Frankfurt). Für eine Berücksichtigung nur bei sofortiger Abwicklung Merschformann, S. 213. 8 von Hoffmann/Thorn, § 10 Rz. 60. 9 Roden, Zum Internationalen Privatrecht des Vergleichs (1994), S. 95. 10 OLG Köln v. 8.1.1993 – 19 U 123/92, IPRspr. 1993 Nr. 29 = RIW 1993, 415 (Deutsch-niederländ. Grundstückskauf vor niederländ. Notar. Niederländ. Recht stillschweigend gewählt). Vgl. auch OLG Frankfurt v. 24.6.1992 – 9 U 116/89, IPRspr. 1992 Nr. 40 = NJW-RR 1993, 182 (vor italien. Notar geschlossener Vertrag unterlag italien. Recht). Ebenso schon LG Hamburg v. 20.4.1977 – 5 O 13/77, IPRspr. 1977 Nr. 16 = RIW 1977, 787 (Grundstückskauf vor span. Notar; span. Recht angewendet); LG Amberg v. 17.3.1980 – 2 O 371/78, IPRax 1982, 29 (LS) Anm. Jayme (Deutschbrasilian. Grundstückstausch vor deutschem Notar; deutsches Recht angewendet). Gegen dieses Indiz aber Hegmanns, Probleme mit Kaufverträgen über im Ausland gelegene Grundstücke, MittRheinNotK 1987, 1 (2 f.).

162 | Martiny

B. Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht (Art. 4 Rom I-VO) | Rz. 2.274 § 2

Zusammen mit anderen Umständen kann wohl auch die Zuziehung eines Rechtsanwalts zum Vertragsschluss von Bedeutung sein1.

2.271

h) Mitwirkung eines Maklers Die Einschaltung von Maklern kann u.U. auf das Recht des Orts hindeuten, an dem der Makler seine Berufstätigkeit ausübt2. Das gilt freilich nicht für Gelegenheitsmakler. Der Hinweis ist umso stärker, je größere wirtschaftliche Bedeutung der Einschaltung des Maklers zukommt, und ist bei solchen Geschäften besonders stark, die üblicherweise oder nach gesetzlichen Bestimmungen nur unter Einschaltung von Maklern abgeschlossen werden3.

2.272

i) Favor negotii Bei der objektiven Anknüpfung ist grundsätzlich außer Acht zu lassen, ob der geschlossene Vertrag nach dem Vertragsstatut gültig ist4. Art. 4 Rom I-VO stellt lediglich auf die kollisionsrechtlich maßgebliche engere Verbindung und nicht auf den Inhalt bestimmter Sachnormen, geschweige denn auf die Wirksamkeit des einzelnen Rechtsgeschäfts ab. Es besteht auch kein Anlass, die Unwirksamkeitsgründe des gewöhnlich zur Anwendung kommenden Rechts durch eine Änderung der Anknüpfung zu konterkarieren5. Die Rechtsprechung hat unter altem Recht zuweilen auf den Inhalt der beteiligten Rechtsordnungen abgestellt und diejenige bevorzugt, nach der das Rechtsgeschäft Bestand hat6.

2.273

j) Hypothetischer Parteiwille Der hypothetische Parteiwille war bis zur Reform von 1986 nach h.M. maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die objektive Anknüpfung. Nach geltendem Recht ist er kein Anknüpfungspunkt mehr7. Insbesondere darf die Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung nicht mit der Begründung beiseite geschoben werden, dies entspreche dem mutmaßlichen Willen der 1 OLG Köln v. 19.4.1963 – 9 U 137/61, IPRspr. 1962/63 Nr. 26 = AWD 1965, 94 (Auseinandersetzung über Vermögenswerte. Unter anderem wegen Hinzuziehens eines schwed. Rechtsanwalts schwed. Recht angewendet). Unerheblich in OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, IPRspr. 1989 Nr. 181 = NJW 1990, 652. – Für stillschweigende Rechtswahl berücksichtigt das Aushandeln durch französ. Anwälte BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = JZ 2000, 1115 Anm. Sandrock. 2 OLG Köln v. 12.9.2000 – 3 U 16/00, IPRspr. 2000 Nr. 26 (deutscher Makler für niederländ. Grundstück). 3 OLG Hamburg v. 22.9.1978 – 14 U 76/77, IPRspr. 1978 Nr. 189 = RIW 1979, 482 Anm. Mezger (Verkauf von Fruchtkonserven aus Italien nach Hamburg unter Einschaltung italien. Maklers. Deutsches Recht angewendet); LG Hamburg v. 10.6.1974 – 62 O 165/73, IPRspr. 1974 Nr. 154 (Verkauf von Bohnen nach Frankreich unter Einschaltung französ. Maklers. Deutsches Recht angewendet). 4 Thorn in Palandt, Art. 4 Rom I-VO Rz. 30; Stürner in Erman, Art. 4 Rom I-VO Rz. 46. 5 S. auch Schnelle, S. 106 f. zu Art. 28 Abs. 5 EGBGB. Dagegen für ein Eingreifen der lex-validitatisRegel im Rahmen der General- und der Ausweichklausel des Art. 28 EGBGB Abend, S. 314 ff. 6 BGH v. 27.4.1977 – VIII ZR 184/75, IPRspr. 1977 Nr. 17 = WM 1977, 793 (794) (Kaufvertrag). Ebenso Marsch, S. 77 f., 94. 7 Steinle, ZVglRW 93 (1994), 300 (320); Stürner in Erman, Art. 3 Rom I-VO Rz. 13. Übersehen von OLG Frankfurt v. 30.11.1994 – 13 U 180/93, IPRspr. 1994 Nr. 37 = RIW 1995, 1033 m. krit. Anm. Mankowski (Time-sharing-Vertrag). Terminologisch unrichtig auch OLG Köln v. 16.10.1992 – 19 U 118/92, IPRax 1994, 210 (m. krit. Aufs. Piltz, IPRax 1994, 191) = RIW 1993, 143.

Martiny | 163

2.274

§ 2 Rz. 2.274 | Bestimmung des Vertragsstatuts

Parteien. Der subjektive mutmaßliche Wille der Parteien begründet auch keine engere Verbindung i.S.d. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO1. Auf der anderen Seite darf aber bei der Bestimmung der engen bzw. engeren Verbindung auch die Interessenlage der Parteien in Betracht gezogen werden (s. Rz. 2.250). k) Recht der Flagge

2.275

Bei Verträgen über Schiffe gibt das Recht der Flagge einen starken Hinweis, aber nur für Verträge, welche die Veräußerung oder Belastung des Schiffes zum Gegenstand haben, nicht für Charterverträge und Frachtverträge (s. Rz. 15.246). – Zum Seearbeitsrecht s. Rz. 11.83 ff.

VII. Revisibilität 2.276

Die Bestimmung des anwendbaren Rechts aufgrund objektiver Anknüpfung unterliegt als Rechtsfrage der Nachprüfung des Revisionsgerichts2. Es handelt sich um die richtige Anwendung der Art. 4–8 Rom I-VO. Dabei sind Tat- und Rechtsfrage zu trennen. Nur die „Vorfrage“, worauf der rechtsgeschäftliche Wille der Vertragsparteien überhaupt gerichtet war, ist nach der Rechtsprechung weitgehend dem Tatrichter vorbehalten, der durch Anwendung der Auslegungsregeln des deutschen Rechts zu entscheiden habe3. Dagegen gehöre zwar nicht die Ermittlung der tatsächlichen Umstände, wohl aber die Überprüfung der aus den einzelnen Umständen im Hinblick auf das anzuwendende Recht zu ziehenden Schlüsse zu den Aufgaben des Revisionsgerichts4. Der revisionsgerichtlichen Nachprüfung unterliegt nach neuerer Rechtsprechung auch, ob die Vorinstanz alle Umstände berücksichtigt hat, welche für die Bestimmung des vertraglichen Schwerpunktes von Bedeutung sein können. Das Revisionsgericht kann daher beanstanden, wenn das Berufungsgericht die Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung außer Acht lässt5.

VIII. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung 2.277

a) In erster Linie ist zu untersuchen, ob für den Fragenkomplex Einheitsrecht (wie etwa das UN-Kaufrecht) vorgeht (Art. 25 Abs. 1 Rom I-VO; Art. 3 Nr. 2 EGBGB) oder ob die Materie von Art. 1 Rom I-VO ausgeschlossen ist. In solchen Fällen kommen die Art. 3 ff. Rom I-VO nicht unmittelbar zur Anwendung.

2.278

b) Liegt keine ausdrückliche und auch keine stillschweigende Rechtswahl der Parteien vor (s. Hinweise Rz. 2.82 ff.), so empfiehlt sich für die objektive Anknüpfung im Allgemeinen folgende Vorgehensweise:

2.279

Fällt das Vertragsverhältnis unter die allgemeine Vorschrift des Art. 4 Rom I-VO? Das ist der Fall, wenn es sich um einen Schuldvertrag handelt, der keinen Sonderregeln wie Art. 5 (Beförderungsvertrag), Art. 6 (Verbraucherverträge), Art. 7 (Versicherungsvertrag) oder Art. 8 Rom I-VO (Arbeitsvertrag) unterliegt. 1 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 217 (Stand 1.2.2021). Anders wohl Gamillscheg, ZfA 14 (1983), 307 (330 ff.). 2 Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 38 (Stand 1.2.2021). 3 BGH v. 21.10.1964 – Ib ZR 22/63, IPRspr. 1964/65 Nr. 180 = AWD 1965, 455. 4 BGH v. 27.3.1968 – I ZR 163/65, IPRspr. 1968/69 Nr. 170. 5 Vgl. bereits BGH v. 9.10.1986 – II ZR 241/85, ZIP 1987, 175 – RIW 1987, 148 = JR 1987, 198 Anm. Dörner.

164 | Martiny

C. Gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 19 Rom I-VO) | Rz. 2.285 § 2

Maßgeblich ist das Recht, zu dem der Vertrag die engste Verbindung aufweist. Zur Ermittlung der engsten Verbindung ist zunächst zu prüfen, ob eine der Regeln des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO eingreift:

2.280

– Verträge im Rahmen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO führen im Allgemeinen zum Recht des charakteristisch Leistenden.

2.281

– Grundstücksverträge (Art. 4 Abs. 1 lit. c Rom I-VO): Grundsätzlich gilt das Recht des Belegenheitsortes. – Sonst kommt es auf die charakteristische Leistung an (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO): Grundsätzlich gilt das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort bzw. der Niederlassung derjenigen Partei, welche diese Leistung erbringt. Hilfsweise gilt das Recht der engsten Verbindung des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO.

2.282

c) Sind die Voraussetzungen einer der Anknüpfungen der Art. 4 Abs. 1 und 2 Rom I-VO erfüllt, so gilt grundsätzlich die von ihnen bezeichnete Rechtsordnung. Weist der Vertrag jedoch engere Verbindungen mit einem anderen Staat auf (Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO), so gilt das Recht dieses Staates.

2.283

Greifen dagegen die Anknüpfungen des Art. 4 Abs. 1 Rom I-VO nicht ein und lässt sich auch keine charakteristische Leistung bestimmen (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO), so kommt es nach der Generalklausel des Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO auf die engste Verbindung des Vertragsverhältnisses an. Dafür werden die Interessen der Parteien und die näheren Umstände des Vertragsverhältnisses herangezogen.

2.284

C. Gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 19 Rom I-VO) Literatur: Baetge, Auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Verständnis des gewöhnlichen Aufenthalts, FS Kropholler (2008), S. 77; Hilbig-Lugani, Divergenz und Transparenz: Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts der privat handelnden natürlichen Person im jüngeren EuIPR und EuZVR, GPR 2014, 8; Mansel, Gesellschaften, Unternehmen und Kaufleute und ihr Niederlassungsaufenthalt im internationalen Vertragsrecht, FS Prütting (2018), S. 51.

I. Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts Die Rom I-VO stellt vielfach auf den gewöhnlichen Aufenthalt (habitual residence; résidence habituelle) ab, so insb. in Art. 4 Rom I-VO (mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht), Art. 5 Rom I-VO (Beförderungsverträge), Art. 6 Rom I-VO (Verbraucherverträge), Art. 7 Rom I-VO (Versicherungsverträge) und Art. 11 Rom I-VO (Form). Der gewöhnliche Aufenthalt wird in Art. 19 Rom I-VO definiert. Art. 23 Rom II-VO enthält eine entsprechende Regelung1. Die Verordnung unterscheidet insoweit zwischen natürlichen Personen und anderen Personen sowie einer beruflichen und nichtberuflichen Tätigkeit. Der gewöhnliche Aufenthalt wird auch für Unternehmen als Oberbegriff verwendet, ähnlich wie das die Brüssel Ia-VO bezüglich des Wohnsitzes tut (Art. 62, 63 Brüssel Ia-VO)2. Darüber hinaus wird er von Art. 19 Rom I-VO nicht näher definiert. Der gewöhnliche Aufenthaltsort von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen ist der Ort ihrer Hauptverwaltung (Art. 19 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO). Der ge1 Vgl. Wagner, IPRax 2008, 377 (385). 2 Früher Art. 59, 60 EuGVO. – Vgl. Mankowski, IPRax 2006, 101 (104).

Martiny | 165

2.285

§ 2 Rz. 2.285 | Bestimmung des Vertragsstatuts

wöhnliche Aufenthaltsort einer beruflich tätigen natürlichen Person ist der Ort ihrer Hauptniederlassung (Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO).

2.286

Wird der Vertrag im Rahmen des Betriebs einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung geschlossen oder sind diese für die Erfüllung gemäß dem Vertrag verantwortlich, so steht der gewöhnliche Aufenthaltsort dem Ort gleich, an dem sich die Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung befindet (Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO). Ferner wird der Zeitpunkt für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts festgelegt; der Zeitpunkt des Vertragsschlusses ist maßgebend (Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO).

II. Gewöhnlicher Aufenthalt von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 Rom I-VO) 2.287

Für die Zwecke der Verordnung ist der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts von Gesellschaften, Vereinen und juristischen Personen (companies and other bodies) der Ort ihrer Hauptverwaltung (Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO). Dies deckt sich inhaltlich mit der früheren Regelung in Art. 4 Abs. 2 S. 1 EVÜ bzw. Art. 28 Abs. 2 S. 1 EGBGB. Auf die Hauptverwaltung kommt es auch in Art. 63 Abs. 1 lit. b Brüssel Ia-VO (u.a.) an1.

2.288

Art. 19 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO enthält – ähnlich wie Art. 63 Brüssel Ia-VO, der sich auf den Sitz von Gesellschaften und juristischen Personen bezieht2 – keine Definition, was unter Gesellschaft, Verein und juristischer Person zu verstehen ist. Dass die Aufzählung untechnisch zu verstehen ist, ergibt sich bereits aus dem Wortlaut. Während z.B. die französische Fassung ebenso wie die deutsche „société, associaton ou personne morale“ nennt, spricht die englische lediglich von „a body corporate or incorporate“. Für eine weite Auslegung des Gesellschaftsbegriffs spricht auch der Zweck der Vorschrift3. Jede Personenvereinigung oder Vermögensmasse, die sich selbst vertraglich verpflichten kann, muss nämlich irgendwo lokalisiert werden, damit eine Anknüpfung nach der charakteristischen Leistung vorgenommen werden kann.

2.289

Auch bei der Bestimmung des Ortes der Hauptverwaltung (place of central administration; le lieu où elle a établi son administration centrale) ist zu berücksichtigen, dass es um die Ermittlung der engsten Verbindung eines Vertragsverhältnisses geht. Es entscheidet der effektive Verwaltungssitz4. Dies ist im Allgemeinen der Ort, an dem die Willensbildung und die geschäftliche Oberleitung durch den oder die gesetzlichen Vertreter erfolgt5.

III. Gewöhnlicher Aufenthalt natürlicher Personen (Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 1 Rom I-VO) 1. Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts 2.290

Der gewöhnliche Aufenthalt einer natürlichen Person, die im Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handelt (acting in the course of his business activity; l’exercice de son 1 2 3 4 5

Vgl. auch Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-69). Dazu Staudinger in Rauscher, Art. 60 Brüssel Ia-VO Rz. 1 ff. Stürner in Erman, Art. 19 Rom I-VO Rz. 3. Mankowski, IHR 2008, 133 (139). Thorn in Rauscher, Art. 19 Rom I-VO Rz. 9. – S. zu Art. 60 EuGVO BGH v. 27.6.2007 – XII ZB 114/06, GmbHR 2007, 1048 m. Anm. Römermann = MDR 2007, 1333 = NJW-RR 2008, 551; BAG v. 23.1.2008 – 5 AZR 60/07, NJW 2008, 2797.

166 | Martiny

C. Gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 19 Rom I-VO) | Rz. 2.293 § 2

activité professionnelle), ist der Ort ihrer Hauptniederlassung (principal place of business; établissement principal; Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 Rom I-VO). Auf die Hauptniederlassung kommt es auch in Art. 63 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO (ex-Art. 60 Abs. 1 lit. c EuGVO) für Gesellschaften an. Die frühere Regelung in Art. 4 Abs. 2 S. 1 EVÜ bzw. Art. 28 Abs. 2 S. 1 EGBGB stellte zunächst auf den gewöhnlichen Aufenthalt ab. Für in Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit einer Partei geschlossene Verträge kam es auf den Staat an, in dem sich die Hauptniederlassung dieser Partei befindet (Art. 28 Abs. 2 S. 2 EGBGB = Art. 4 Abs. 2 S. 2 EVÜ).

2. Geschäftliche Tätigkeit Für die geschäftliche Tätigkeit ist in erster Linie die Hauptniederlassung maßgeblich; hilfsweise entscheidet die Niederlassung, von der aus die Leistung zu erbringen ist. Tritt eine Partei im Internet auf und wird der Vertrag im elektronischen Geschäftsverkehr geschlossen, so ändert das grundsätzlich nichts an der Maßgeblichkeit des Rechts des Aufenthaltsortes1. Es kommt auf die realen Verhältnisse an, nicht auf den Ort, an dem eine Internetseite in das Netz gestellt oder wahrgenommen wird. Auch das Verwenden einer „deutschen“ InternetAdresse führt noch nicht zur Anwendung deutschen Rechts2. Denkbar ist allerdings, dass das Angebot aus anderen Gründen eine engste Beziehung zur deutschen Rechtsordnung aufweist3.

2.291

Was als berufliche Tätigkeit zu verstehen ist, bestimmt Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO nicht näher. Auf die berufliche bzw. gewerbliche Tätigkeit stellen auch die Zuständigkeitsvorschrift des Art. 17 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 15 Abs. 1 EuGVO/LugÜ4) sowie die für das anzuwendende Recht maßgebliche Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 Rom I-VO ab (dazu Rz. 35.34 ff.). Diese Vorschriften bezwecken den Schutz des Letztverbrauchers und weichen zu diesem Zweck von den gewöhnlichen Zuständigkeits- bzw. Anknüpfungsregeln ab. Bei Art. 4 ff. Rom I-VO geht es ebenfalls um die Abgrenzung von geschäftlicher und Privatsphäre. Sinn und Zweck der Bestimmung ist die richtige Anknüpfung der Geschäftstätigkeit. Nicht der Aufenthalt der Vertragspartei soll entscheiden, sondern der Mittelpunkt der geschäftlichen Tätigkeit. Dementsprechend ist der Begriff der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit untechnisch zu verstehen. Alles, was nicht der Privatsphäre zugerechnet werden kann, fällt unter die geschäftliche Tätigkeit (s. näher Rz. 35.34 ff.).

2.292

3. Hauptniederlassung Bei beruflicher oder gewerblicher Tätigkeit ist grundsätzlich das Recht am Ort der Hauptniederlassung (principal place of business; principal établissement) maßgeblich. Der Begriff der Niederlassung wird bislang z.B. im Einheitskaufrecht (Art. 1 Abs. 1, Art. 10 CISG) und in Zuständigkeitsvorschriften verwendet (vgl. § 21 ZPO; Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO [ex-Art. 5 Nr. 5 EuGVO/LugÜ])5. Hier geht es darum, für eine berufliche, geschäftliche oder sonstige wirtschaftliche Tätigkeit die engste Verbindung eines Vertragsverhältnisses zu einer bestimm-

1 Junker, RIW 1999, 809 (818); Sonnenberger, ZVglRW 100 (2001), 107 (129); Magnus in Graf/ Paschke/Stober, S. 26. – Vgl. auch Martiny, ZEuP 1999, 246 (259). 2 Vgl. Pfeiffer, NJW 1997, 1207 (1214); Mehrings, CR 1998, 613 (617). 3 Vgl. Pfeiffer, NJW 1997, 1207 (1214); Mehrings, CR 1998, 613 (617). 4 Dazu Geimer in Geimer/Schütze, Art. 17 EuGVO Rz. 35 ff. 5 Dazu näher Geimer in Geimer/Schütze, Art. 7 EuGVO Rz. 367 ff.

Martiny | 167

2.293

§ 2 Rz. 2.293 | Bestimmung des Vertragsstatuts

ten Rechtsordnung zu ermitteln. Somit ist eine weite Auslegung des Niederlassungsbegriffs angebracht.

2.294

Von einer Niederlassung kann man im Allgemeinen dann sprechen, wenn eine solche sachliche Ausstattung vorliegt, die eine nach außen gerichtete geschäftliche Tätigkeit ermöglicht (z.B. Geschäftsräume). Die Niederlassung muss eine Geschäftsführung besitzen und insbesondere Geschäfte abschließen können. Ferner muss sie für eine gewisse Dauer bestehen; eine nur kurzfristige Präsenz (z.B. Messebesuch) genügt nicht. Sind mehrere Niederlassungen vorhanden, so ist diejenige von ihnen die Hauptniederlassung, die den Mittelpunkt der geschäftlichen Tätigkeit bildet1. Kennzeichnend dafür ist, dass von hier aus die Aufsicht und Leitung erfolgen.

4. Nicht berufliche Tätigkeit 2.295

Mehrfach kommt es in der VO auch auf den gewöhnlichen Aufenthalt von natürlichen Personen an, welche nicht beruflich tätig sind, insbesondere von Verbrauchern und Versicherungsnehmern. Der gewöhnliche Aufenthalt gilt in erster Linie für Verträge von Privatpersonen, da für Berufs- und Gewerbetätigkeit die Niederlassung maßgeblich ist (dazu Rz. 2.290 ff.). Der Begriff wird vor allem von den Haager Übereinkommen und anderen international-privatrechtlichen Staatsverträgen als Anknüpfungspunkt verwendet. Er findet sich auch in Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel I-VO (Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO [ex-Art. 5 Nr. 5 EuGVO]), der Brüssel IIa-VO sowie im Einheitskaufrecht (Art. 10 lit. b CISG).

2.296

Bei seiner Auslegung ist zu beachten, dass hier nicht das Personalstatut einer Person zu bestimmen, sondern die engste Verbindung für ein Vertragsverhältnis zu ermitteln ist. Dafür kann man sich aber an dem aus den tatsächlichen Verhältnissen ersichtlichen Daseinsmittelpunkt der Vertragspartei orientieren2. Zu verlangen ist also, dass der Aufenthalt – im Gegensatz zum bloß schlichten Aufenthalt – auf eine gewisse Dauer angelegt ist. Ein Messebesuch oder ein Ferienaufenthalt genügen grundsätzlich nicht. Tatsächliche Umstände, wie z.B. das Anmieten einer Wohnung, geben Hinweise darauf, wie eng die Verbindung der Person mit ihrem Aufenthaltsort ist. Die Anwendung des Rechts des gewöhnlichen Aufenthalts hat früher die Kritik hervorgerufen, es werde möglicherweise ein Recht angewendet, das überhaupt keine Verbindung mit dem Vertrag aufweise3. Dem kann aber über Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO begegnet werden.

IV. Andere Niederlassung (Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO) 2.297

Wird der Vertrag im Rahmen des Betriebs einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung (operations of a branch, agency or any other establishment; dans le cadre de l’exploitation d’une succursale, d’une agence ou de tout autre établissement) geschlossen oder ist für die Erfüllung (performance is the responsibility; la prestation doit être fournie) gemäß dem Vertrag eine solche Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung verantwortlich, so steht der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts dem Ort gleich, an dem sich die Zweigniederlassung, Agentur oder sonstige Niederlassung befindet (Art. 19 Abs. 2 Rom IVO). Die erste Alternative dieser Bestimmung („Abschluss im Betrieb“) ist ähnlich gefasst wie Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 Nr. 5 EuGVO). Die Brüssel Ia-VO kennt in ihren 1 Stürner in Erman, Art. 19 Rom I-VO Rz. 3. – Vgl. auch Mankowski, IPRax 2006, 101 (112). 2 Vgl. Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (I-69). 3 Vgl. Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (131); Weitnauer, S. 198.

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D. Rück- und Weiterverweisung (Art. 20 Rom I-VO) | Rz. 2.299 § 2

Zuständigkeitsvorschriften Zweigniederlassungen und „sonstige Niederlassungen“, z.B. für die Zuständigkeit der Niederlassung (Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO). Ebenso ist es in Versicherungssachen (Art. 11 Abs. 2 Brüssel Ia-VO) und in Verbrauchersachen (Art. 17 Abs. 2 Brüssel IaVO). Auch das Haager Kaufrechts-Übk. von 1955 (Rz. 25.21) enthält in Art. 3 Abs. 2 eine Vorschrift, die auf die Zweigniederlassung abstellt. Im UN-Kaufrecht findet sich eine entsprechende Bestimmung in Art. 10 lit. a CISG (Rz. 25.88). Inhaltlich deckt sich die zweite Alternative des Art. 19 Abs. 2 Rom I-VO („Verantwortlichkeit für die Erfüllung“) mit der bisherigen Regelung in Art. 4 Abs. 2 S. 2 EVÜ bzw. Art. 28 Abs. 2 S. 2 EGBGB. Die Zweigniederlassung muss für die Erfüllung verantwortlich sein (performance is the responsibility of such a branch; la prestation doit être fournie). Auch der Begriff der „sonstigen Niederlassung“ wird nicht definiert. Die Auslegung muss sich vor allem am Zweck der Vorschrift orientieren. Es soll vermieden werden, dass Verträge dem Recht der Hauptniederlassung unterworfen werden, obwohl die geschäftliche Aktivität an einem anderen Ort erfolgt1. Oft ist der anderen Vertragspartei gar nicht bekannt, wo sich die Hauptniederlassung befindet; sie rechnet dementsprechend auch nicht mit der Anwendung des Rechts dieses Ortes. Auf der anderen Seite muss verhindert werden, dass jede vorübergehende Tätigkeit, z.B. im Zusammenhang mit einem Vertragsabschluss, bereits zu einer Lokalisierung an diesem Ort führt. Daher sind hauptsächlich Zweigniederlassungen gemeint, auf die anstelle der Hauptniederlassung abgestellt wird. Die Zweigniederlassung setzt einen Mittelpunkt geschäftlicher Tätigkeit voraus, der auf Dauer als Außenstelle eines Stammhauses hervortritt. Dieser Mittelpunkt muss eine Geschäftsführung haben und sachlich so ausgestattet sein, dass er in der Weise Geschäfte mit Dritten betreiben kann, dass diese sich nicht unmittelbar an das Stammhaus zu wenden brauchen2.

2.298

V. Zeitpunkt (Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO) Die VO legt auch den maßgeblichen Zeitpunkt fest. Für die Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts ist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (time of the conclusion of the contract; le moment de la conclusion du contrat) maßgebend (Art. 19 Abs. 3 Rom I-VO). Der gewöhnliche Aufenthalt ist wiederum der beherrschende Anknüpfungspunkt. Daraus ist zu schließen, dass es in den jeweiligen Bestimmungen, die auf den gewöhnlichen Aufenthalt abstellen, auf diesen Zeitpunkt ankommt, s. Rz. 2.157, Rz. 2.188, Rz. 2.227, Rz. 2.248.

D. Rück- und Weiterverweisung (Art. 20 Rom I-VO) Literatur: von Hein, Der Renvoi im europäischen Kollisionsrecht in Leible/Unberath (Hrsg.), Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung? (2013), S. 341; Mallmann, Rechtswahlklauseln unter Ausschluss des IPR, NJW 2008, 2953; Rugullis, Die Rechtswahl nach Art. 27 Abs. 1 EGBGB – Sachnorm oder Gesamtverweisung?, ZVglRW 106 (2007), 217; Sandrock, Rück- und Weiterverweisungen im internationalen Schuldvertragsrecht, FS Kühne (2009), S. 881.

1 Vgl. OLG Nürnberg v. 18.2.1993 – 12 U 1663/92, IPRspr. 1993 Nr. 31. Daher wird z.T. argumentiert, in Wirklichkeit entscheide hier nicht mehr die charakteristische Leistung, sondern die Marktbezogenheit, so Gunst, S. 171 ff. (179 f.). 2 Zu Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO EuGH v. 25.2.2021 – C-804/19, ECLI:EU:C:2021:134 (Markt24) Rz. 47 = NJW 2021, 1152 = RIW 2021, 297; EuGH v. 20.5.2021 – C-913/19, ECLI:EU:C:2021:399 Rz. 52 (CNP) = NJW 2021,1863 = RIW 2021, 425.

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2.299

§ 2 Rz. 2.300 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.300

In Art. 20 Rom I-VO heißt es, dass unter dem nach der VO anzuwendenden Recht eines Staates die in diesem Staat geltenden Sachvorschriften zu verstehen sind, soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist1. Eine parallele Vorschrift enthält Art. 24 Rom II-VO. Die Regelung des deutschen nationalen Kollisionsrechts in Art. 4 EGBGB kommt nicht zur Anwendung (zur Schiedsgerichtsbarkeit s. Rz. 7.452).

2.301

Art. 20 Rom I-VO ordnet eine Sachnormverweisung an2. Ausdrücklicher und stillschweigender Parteiwille beziehen sich mithin nur auf das gewählte materielle Recht. Auch andere Kodifikationen ordnen ausdrücklich einen Ausschluss des renvoi an, so etwa Art. 1190 Abs. 1 russ. ZGB, Art. 14, 116 ff. schweiz. IPRG. Das Haager Kaufrechts-Übereinkommen vom 15.6.1955 bezieht die Rechtswahl ebenfalls nur auf die Sachnormen (loi interne) des gewählten Rechts (Art. 2 Abs. 1). Eine vertragliche Vereinbarung, wonach die Regeln des IPR „ausgeschlossen sind“, ist im Rahmen der Rom I-VO überflüssig3. Erfolgt sie gleichwohl, so ist sie im Allgemeinen dahin gehend auszulegen, dass sich die Rechtswahl lediglich auf die Sachnormen beziehen soll4.

2.302

Zwar ist denkbar, dass die Parteien ausdrücklich vereinbaren, ihr Vertrag solle dem Recht unterstehen, das ein Gericht in dem von ihnen bestimmten Staat anwenden würde, also eine Gesamtverweisung auch auf das Kollisionsrecht des bezeichneten Staates vornehmen5. Die Haager Principles on Choice of Law in International Commercial Contracts von 2015 gestatten dies ausdrücklich (Art. 8). Im Regelfall liegt den Parteien freilich nichts ferner als das, weil sie die materiellen (sachrechtlichen) Bestimmungen des gewählten Rechts zur Anwendung bringen wollen6.

2.303

Für die Rom I-VO wird vielfach angenommen, die Parteien könnten wegen der Unbeachtlichkeit des renvoi nicht auf Kollisionsnormen, sondern nur unmittelbar auf die Sachnormen des gewählten Rechts verweisen7. Andere wollen hingegen kein Verbot einer ausdrücklichen Vereinbarung auch des Kollisionsrechts annehmen8, da die schuldvertragliche Gesamtverweisung keine Missbräuche erwarten lässt. Die Vereinbarung eines bestimmten Kollisionsrechts kann sogar geboten sein, wenn die Regelung vertraglicher Streitigkeiten einem internationalen Schiedsgericht überlassen wird, das – anders als ein staatliches Gericht – über kein per se anwendbares Kollisionsrecht der lex fori verfügt9, vgl. Rz. 7.438 ff. Auf der anderen Seite sieht man vielfach keine Notwendigkeit für eine solche Rechtswahl vor den staatlichen Gerichten. Ferner lege die heutige Fassung des Art. 20 Rom I-VO ebenfalls nahe, dass nur Sachnormen gewählt werden können10. 1 2 3 4 5 6 7

Früher galten die inhaltlich gleichen Art. 15 EVÜ bzw. Art. 35 Abs. 1 EGBGB. Rühl, FS Kropholler, S. 187 (195); Magnus in Staudinger, Art. 20 Rom I Rz. 4. Vorpeil, IWB 2020, 438 (444). Näher Mankowski, RIW 2003, 2 (7 f.). Vischer/Huber/Oser, Rz. 140. Bericht Giuliano/Lagarde, S. 69. So Rugullis, ZVglRW 106 (2007), 217 ff.; Mallmann, NJW 2008, 2953 ff.; Rühl, FS Kropholler, S. 187 (195); von Hein in Leible/Unberath, S. 368 f.; Nehne, S. 311; Schmitz, S. 247 ff.; Spickhoff in BRHP, Art. 20 Rom I-VO Rz. 3; Leible in NK, Art. 20 Rom I-VO Rz. 5; von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 65; Stürner in Erman, Art. 20 Rom I-VO Rz. 2. – Unentschieden Mankowski, IHR 2008, 133 (135). 8 Sandrock, FS Kühne, S. 881 (893); Freitag in Rauscher, Art. 20 Rom I-VO Rz. 2; Hausmann in Staudinger, Art. 20 Rom I Rz. 12; Jarass in Calliess/Renner, Art. 20 Rome I Rz. 14. – S. auch Kropholler, IPR, S. 170 (441). 9 Schröder, IPRax 1987, 90 (92). 10 Dagegen für die Zulässigkeit Brödermann/Wegen in PWW, Art 3 Rom I-VO Rz. 7, Art. 20 Rom IVO Rz. 3; Hausmann in Staudinger, Art. 20 Rom I Rz. 12.

170 | Martiny

E. Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (Art. 22 Rom I-VO) | Rz. 2.306 § 2

Rück- und Weiterverweisung sind auch bei objektiver Anknüpfung eindeutig ausgeschlossen1. Nach Art. 4 Rom I-VO wird die Rechtsordnung ermittelt, mit welcher der Vertrag die engsten Beziehungen aufweist. Enthalten die Kollisionsnormen dieser Rechtsordnung andere Anknüpfungspunkte als die Rom I-VO, so könnte es zu einem renvoi kommen. Dies würde aber dem Sinn der objektiven Anknüpfung widersprechen, eine auch im Einzelfall angemessene Zuordnung des Vertrages zu einer bestimmten Rechtsordnung zu finden. Rück- und Weiterverweisung sind nach schweizerischem Recht ebenfalls ausgeschlossen (Art. 14 Abs. 1, 116 ff. schweiz. IPRG).

2.304

E. Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (Art. 22 Rom I-VO) I. Rechtsspaltung Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO2 betrifft Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (sog. Rechtsspaltung). Grundsatz ist die Verselbständigung der Gebietseinheit. Umfasst nämlich ein Staat mehrere Gebietseinheiten, von denen jede für vertragliche Schuldverhältnisse ihre eigenen Rechtsnormen hat, so gilt jede Einheit als Staat. Das Kollisionsrecht des ausländischen Staates ist im Gegensatz zu Art. 4 Abs. 3 EGBGB ebenso ausgeschaltet wie sein interlokales Recht. Folglich kann bei ausdrücklicher oder stillschweigender Rechtswahl das Recht der jeweiligen Gebietseinheit gewählt werden, z.B. englisches Recht3. Entsprechendes gilt für die objektive Anknüpfung nach Art. 4 Rom I-VO. Hat die Vertragspartei, welche die charakteristische Leistung erbringt, ihren gewöhnlichen Aufenthalt beispielsweise in Schottland, so wird davon ausgegangen, dass der Vertrag seine engsten Verbindungen mit dem schottischen Recht aufweist4. Ebenso ist mit Nichtvertragsstaaten, z.B. den Einzelstaaten der USA, zu verfahren. Führt daher etwa die Anknüpfung eines Anwaltsvertrages zum Recht von New York, so ist nicht mehr zu prüfen, ob dieses Recht eine interlokale Weiterverweisung auf das Recht eines anderen Einzelstaates ausspricht5.

2.305

Eine Rechtswahl, die sich lediglich auf das Recht des Gesamtstaats (z.B. „US-amerikanisches“ Recht) bezieht, obwohl in der Materie nur einzelstaatliches Recht besteht, ist unklar6. In erster Linie ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob gleichwohl ein bestimmter Einzelstaat ausdrücklich oder stillschweigend gemeint war7, s. Rz. 3.103. Ist das nicht der Fall, könnte man die Vereinbarung als unwirksam betrachten und objektiv anknüpfen8. Zweckmäßiger ist es jedoch, den Parteiwillen so weit wie möglich zu honorieren und die engste Verbindung zu suchen. Diese kann sich z.B. aus dem gewöhnlichen Aufenthalt einer Partei ergeben9. Dementsprechend kann man ähnlich wie nach (dem nicht anwendbaren) Art. 4 Abs. 3 S. 1 EGBGB

2.306

1 Schröder, IPRax 1987, 90 (91 f.) 2 Früher Art. 35 Abs. 2 EGBGB, der Art. 19 Abs. 1 EVÜ entsprach. Parallelvorschrift in Art. 25 Abs. 1 Rom II-VO. 3 Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798 (1806); Spickhoff in BRHP, Art. 22 Rom I-VO Rz. 3. 4 Hausmann in Staudinger, Art. 22 Rom I Rz. 9. Ebenso schon Bericht Giuliano/Lagarde, S. 71. 5 Vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 22 Rom I Rz. 4. 6 Zur Problematik der Vereinbarung „amerikanischen“ Rechts OLG München v. 15.2.1980 – 23 U 3398/79, IPRspr. 1981 Nr. 13 = IPRax 1983, 120 (m. Aufs. Jayme, IPRax 1983, 105). 7 Heinze, FS Kropholler, S. 105 (120); Spickhoff in BRHP, Art. 22 Rom I-VO Rz. 3. 8 So Staudinger, IPRax 2005, 129 f.; Leible in NK, Art. 22 Rom I-VO Rz. 10; Thorn in Palandt, Art. 22 Rom I-VO Rz. 3. 9 Gebauer in Calliess/Renner, Art. 22 Rome I Rz. 6 (ggf. auch Erfüllungsort).

Martiny | 171

§ 2 Rz. 2.306 | Bestimmung des Vertragsstatuts

zunächst nach dem ausländischen interlokalen Privatrecht – soweit vorhanden – eine Zuordnung vornehmen1. Die Anwendung des interlokalen Privatrechts der gewählten Rechtsordnung lässt sich als konkludent zum Ausdruck gekommener Parteiwille rechtfertigen2. Fehlt ein interlokales Privatrecht, so ist ähnlich wie nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 EGBGB die engste Verbindung festzustellen3. Für die Ermittlung der jeweiligen Teilrechtsordnung können die Wertungen der Art. 4, 5, 6 Abs. 2 und 8 Abs. 2 bis 4 Rom I-VO herangezogen werden4. Denkbar ist auch, die engste Beziehung allein auf der Grundlage der VO zu ermitteln.

2.307

Eine Gebietseinheit (territorial unit; unité territoriale) ist ein Teil innerhalb des Staates. Besondere Voraussetzungen wie eigene Gesetzgebungsorgane oder Rechtsprechung (wie z.B. bei den australischen Einzelstaaten) bestehen an sich nicht, sprechen aber für das Vorliegen einer solchen Einheit. Entscheidend ist eine funktionale Betrachtung: Es soll das Recht zur Anwendung kommen, das in diesem Teil des Staates tatsächlich gilt.

2.308

Erforderlich ist, dass die Gebietseinheit über eigene „Rechtsnormen“ (rules of law in respect of contractual obligations; règles en matière d’obligations contractuelles; norme in materia d’obbligazioni contrattuali) verfügt. Es müssen keine gesetzlichen Vorschriften vorhanden sein. Vielmehr genügt es, wenn das Vertragsrecht auf Richterrecht beruht. Einer selbständigen Behandlung der Gebietseinheit steht auch nicht entgegen, wenn im ausländischen Staat in einigen Einzelfragen einheitliches Recht (z.B. US-amerikanisches Bundesrecht) gilt.

2.309

Nach Art. 4 Abs. 3 EGBGB, der allgemeinen Vorschrift über die Rechtsspaltung, wird bei einer Verweisung auf das Recht eines Staates mit mehreren Teilrechtsordnungen dieses Recht befragt, welche der Teilrechtsordnungen anzuwenden ist. Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO ist demgegenüber eine Sonderregelung für vertragliche Schuldverhältnisse, welche der allgemeinen Vorschrift vorgeht5. Für Schuldverträge, die nicht den Art. 3 ff. Rom I-VO unterstehen, ist die Regelung des Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO analog anzuwenden, da sie sachnäher ist als die des Art. 4 Abs. 3 EGBGB.

2.310

Nach Art. 22 Abs. 2 Rom I-VO ist ein Staat, in dem verschiedene Gebietseinheiten ihre eigenen Rechtsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse haben, nicht verpflichtet, die VO auf Kollisionen zwischen den Rechtsordnungen dieser Gebietseinheiten anzuwenden6. Eine Parallelvorschrift findet sich in Art. 25 Abs. 2 Rom II-VO. Erfasst werden Situationen, in denen Verbindungen mit mehreren Gebietseinheiten desselben Staates (z.B. England und Schottland), aber mit keinem anderen ausländischen Staat bestehen. Hier ergeben sich lediglich interlokale Rechtsanwendungsprobleme; der Vertragsstaat ist folglich nicht verpflichtet, die Kollision durch die Anwendung des EVÜ zu lösen7. Für Deutschland hat diese Vorschrift keine Bedeutung8.

1 Vgl. Heinze, FS Kropholler, S. 105 (120 f.). 2 Gebauer in Calliess/Renner, Art. 22 Rome I Rz. 7; Hausmann in Staudinger, Art. 22 Rom I Rz. 8. 3 Spickhoff in BRHP, Art. 22 Rom I-VO Rz. 3; Brödermann/Wegen in PWW, Art. 22 Rom I-VO Rz. 2; Hausmann in Staudinger, Art. 22 Rom I Rz. 8. – Anders Staudinger, IPRax 2005, 129 f. 4 Spickhoff in BRHP, Art. 22 Rom I-VO Rz. 3. – Vgl. auch Eichel in Leible/Unberath (2013), S. 397 (408 f.). 5 Hausmann in Staudinger, Art. 22 Rom I Rz. 12. – So bislang schon Kropholler, IPR, S. 459. 6 Ebenso Art. 19 Abs. 2 EVÜ, der nicht in das EGBGB übernommen worden war. 7 Bericht Giuliano/Lagarde, S. 71. 8 S. von Hoffmann, IPRax 1984, 10 (12).

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E. Staaten ohne einheitliche Rechtsordnung (Art. 22 Rom I-VO) | Rz. 2.313 § 2

II. Innerdeutsches Kollisionsrecht Infolge der Wiedervereinigung (3.10.1990) und der (Wieder-)Einführung des BGB im Gebiet der früheren DDR (Art. 230 EGBGB) bestehen zwischen Ost- und Westdeutschland nur noch in wenigen Fällen Rechtsunterschiede (vgl. Art. 232 EGBGB). In ihnen stellt sich die interlokale Frage, ob das ost- oder das westdeutsche Recht anzuwenden ist1. Eine besondere gesetzliche Regelung besteht hierfür nicht. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass der Einigungsvertrag nicht zwei verschiedene, sondern lediglich ein einheitliches interlokales Privatrecht voraussetzt. Hierfür gelten heute – soweit dies überhaupt noch praktisch werden sollte – grundsätzlich die Art. 3 ff. Rom I-VO in entsprechender Anwendung2. Folglich kommen die Vorschriften über die Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO) ebenso zur Anwendung wie die spezifizierte Anknüpfung und der Grundsatz der Maßgeblichkeit der charakteristischen Leistung (Art. 4 Rom I-VO)3. Gleiches gilt für die Sonderregelung für Verbraucherverträge (Art. 6 Rom I-VO). Die Bestimmung über Arbeitsverhältnisse in Art. 8 Rom I-VO gilt ebenfalls analog4. Zwingendes westdeutsches Recht wird in entsprechender Anwendung des Art. 9 Rom IVO durchgesetzt5.

2.311

Für vor dem Einigungsvertrag geschlossene Verträge (sog. Altfälle) stellt sich die grundsätzliche Frage, welches Kollisionsrecht anzuwenden ist. Nach der Lehre vom gespaltenen Kollisionsrecht haben die Gerichte der neuen Bundesländer aus Gründen des Vertrauensschutzes weiterhin die bisherigen Kollisionsnormen, d.h. das Rechtsanwendungsgesetz der DDR (§§ 12 ff. RAG), anzuwenden. Dagegen will die Lehre vom einheitlichen Kollisionsrecht die vor der Wiedervereinigung entwickelten (westdeutschen) interlokalen Regeln heranziehen6. Die Rechtsprechung tendiert ebenfalls dazu, die oben geschilderten neuen Grundsätze auch auf bereits vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten geschlossene Verträge anzuwenden7.

2.312

Die analoge Anwendung der Art. 3 ff. Rom I-VO (früher Art. 27 ff. EGBGB) bedeutet aus westdeutscher Sicht keine Änderung. Folgt man der Lehre vom einheitlichen Kollisionsrecht, so ist lediglich dann, wenn die Art. 3 ff. Rom I-VO in Fällen mit Auslandsberührung zum früheren Recht der ehemaligen DDR führen, die intertemporale Norm des Art. 236 § 1 EGBGB zu beachten8.

2.313

1 Vgl. Fischer, Deutsch-deutsche Vertragsschlüsse zwischen Wende und Einheit, IPRax 1995, 161. 2 Zu Art. 3 ff. EGBGB s. BGH v. 1.12.1993 – IV ZR 261/92, BGHZ 124, 270 (272 f.) = NJW 1994, 582 = JZ 1994, 468 Anm. Thode = IPRax 1995, 114 (m. Aufs. Dörner, IPRax 1995, 89) (zum Erbrecht). 3 Zu Art. 28 EGBGB BGH v. 9.11.1994 – VIII ZR 41/94, BGHZ 127, 368 (370 f.) = NJW 1995, 318. 4 Vgl. Magnus in Staudinger, Art. 8 Rom I Rz. 31. Bei weiterhin bestehenden Unterschieden stellt die Rechtsprechung auf den tatsächlichen Arbeitsort ab. 5 Zu Art. 34 EGBGB BGH v. 9.11.1994 – VIII ZR 41/94, BGHZ 127, 368 (374) = NJW 1995, 318. 6 Offen gelassen von OLG Rostock v. 13.5.1993 – 1 U 247/92, OLG-NL 1994, 12 (14). 7 BGH v. 9.11.1994 – VIII ZR 41/94, BGHZ 127, 368 = NJW 1995, 318 (Handelsvertretervertrag von 1988/1989 mit DDR-Außenhandelsbetrieb dem GIW unterstellt. Wegen fehlender westdeutscher devisenrechtlicher Genehmigung aber nichtig); BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, WM 1995, 124 = WuB IV B. Art. 34 EGBGB 1.95 (Anm. Mankowski) (Im Januar 1990 geschlossener Beratervertrag mit DDR-Hochschule. Westdeutsches Recht angewendet. Außenhandelsmonopol der DDR nicht beachtet.); OLG Naumburg v. 14.10.1993 – 2 U 129/92, ZIP 1993, 1732 = IPRax 1995, 172 (m. Aufs. Fischer, IPRax 1995, 161) (Verkauf zwischen Bonner Verkäufer und DDRKonsumgenossenschaft westdeutschem Recht unterstellt. Anknüpfung dahingestellt. Außenhandelsmonopol der DDR nicht beachtet.). So wohl auch Fischer, IPRax 1995, 161 f. 8 So allgemein Thorn in Palandt/Archiv, Art. 236 EGBGB Rz. 6, 7.

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§ 2 Rz. 2.314 | Bestimmung des Vertragsstatuts

2.314

Danach bleibt für vor dem Wirksamwerden des Beitritts abgeschlossene Vorgänge das bisherige Internationale Privatrecht maßgeblich. Das anzuwendende Recht ist nach den Regeln des Rechtsanwendungsgesetzes zu ermitteln. Nur in diesen Fällen wird also ein kollisionsrechtlicher Vertrauensschutz gewährt.

2.315

Zur Rechtslage vor der IPR-Reform (1.9.1986) s. 6. Aufl., Rz. 204 ff.

F. Ordre public (Art. 21 Rom I-VO) 2.316

Art. 21 Rom I-VO betrifft die öffentliche Ordnung im Staat des angerufenen Gerichts. Die Anwendung einer Vorschrift des nach dieser Verordnung bezeichneten Rechts kann im Einzelfall versagt werden, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung („ordre public“) des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist1. Insofern ist zu beachten, dass parallele Vorschriften in Art. 26 Rom II-VO sowie im internationalen Verfahrensrecht vorhanden sind (insbesondere Art. 45 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO [ex-Art. 34 Nr. 1 EuGVO])2. Zwar darf der einzelne Mitgliedstaat von seinem nationalen ordre public Gebrauch machen, doch setzt ihm hierbei das Unionsrecht Grenzen3. Im Ergebnis spielt der ordre public im Internationalen Vertragsrecht nur eine sehr untergeordnete Rolle4.

1 Roth, AcP 220 (2020) 458 (509 f.). 2 Vgl. Rühl, FS Kropholler, S. 187 (207 f.). 3 EuGH v. 11.5.2000 – C-38/98, ECLI:EU:C:2000:225 (Renault), Slg. 2000, I-2973 = NJW 2000, 2185 = IPRax 2001, 338 (m. Aufs. Heß, IPRax 2001, 301) (zum GVÜ). – Näher Thoma, Die Europäisierung und die Vergemeinschaftung des nationalen ordre public (2007). 4 Kasuistik bei Thorn in Rauscher, Art. 21 Rom I-VO Rz. 17 ff. – Rspr.-Länderübersicht bei Guinchard in Guinchard (Hrsg.), Rome I and Rome II in practice (Cambridge 2020), S. 625 (656 ff.).

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§3 Geltungsbereich des Vertragsstatuts A. Zustandekommen des Vertrages . . . 3.1 I. Einheitsrecht und Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 II. Zustandekommen des Hauptvertrages (Art. 10 Rom I-VO) . . . . . . . . . . 3.3 1. Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 2. Bewertung des Schweigens . . . . . 3.7 3. Bestätigungsschreiben . . . . . . . . 3.19 4. Sprachrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . 3.24 5. Zeitpunkt und Ort des Vertragsschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.36 6. Vertragliche Regelung des Zustandekommens . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.40 III. Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.42 1. Rechtsvereinheitlichung und -angleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.42 2. Bezugnahme auf AGB bei Auslandsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . 3.43 3. Anwendbares Recht . . . . . . . . . . 3.51 a) Einbeziehung von AGB . . . . 3.51 b) Sonderanknüpfung der Annahme von AGB . . . . . . . . . 3.53 c) Inlandsgeschäfte . . . . . . . . . 3.57 d) Andere Fälle . . . . . . . . . . . . . 3.59 aa) Bestehender Vertrag . . . 3.59 bb) Kenntnis der AGB und ihrer Geltung . . . . . . . . . 3.61 cc) Laufende Geschäftsverbindung . . . . . . . . . . . . . 3.63 dd) Vertragsschluss im Drittstaat . . . . . . . . . . . . . . . . 3.64 4. Einbeziehung von AGB nach deutschem Sachrecht . . . . . . . . . 3.65 5. Inhaltskontrolle von AGB . . . . . 3.73 6. Ungewöhnlichkeit einzelner Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.77 7. Auslegung, Form . . . . . . . . . . . . . 3.80 B. Materielle Wirksamkeit . . . . . . . . . . 3.83 I. Wirksamkeit des Vertrages . . . . . . . 3.83 II. Wirksamkeit des Verweisungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.87 III. Wirksamkeit des Hauptvertrages . . 3.91 IV. Gläubigeranfechtung . . . . . . . . . . . . 3.101

C. Vertragsauslegung . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Hauptvertrag (Art. 12 Abs. 1 lit. a Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . D. Vertragsinhalt, Nebenansprüche . . I. Schuldrechtliche Wirkungen . . . . . . II. Vertragstyp . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Handelsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Währung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Schuldner-, Gläubigermehrheit . . . VI. Vertrag zugunsten Dritter . . . . . . . . VII. Auskunftsanspruch . . . . . . . . . . . . . E. Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Voraussetzungen der Leistungsstörungen (Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom IVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unmöglichkeit, Verzug . . . . . . . . 2. Störung der Geschäftsgrundlage 3. Mahnung, Fristsetzung . . . . . . . . 4. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einzelne Folgen der Leistungsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schuldbefreiung, Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rücktritt und Vertragsauflösung 3. Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . 4. Zinsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . 5. Einreden, Zurückbehaltungsrecht 6. Vertragsstrafe . . . . . . . . . . . . . . . F. Beweis und gesetzliche Vermutungen (Art. 18 Rom I-VO) . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Beweisgegenstand und Beweislast (Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO) . . . . . . . III. Beweismittel für den Beweis von Rechtsgeschäften (Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Erlöschen des Schuldvertrages . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3.103 3.103 3.106 3.113 3.116 3.116 3.120 3.122 3.126 3.130 3.132 3.133 3.134 3.134 3.137 3.137 3.143 3.144 3.145 3.146 3.146 3.152 3.153 3.161 3.168 3.173 3.176 3.176 3.177 3.181 3.185 3.185 3.189

Martiny | 175

§ 3 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

III.

IV. V. H. I.

II. III. J. I. II. III. IV. K. I. II. III.

1. Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts (Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom IVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.189 2. Erfüllungsort . . . . . . . . . . . . . . . 3.192 a) Materiell-rechtliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.192 b) Prozessuale Bedeutung . . . . 3.195 aa) Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung . . . . 3.195 (1) Zuständigkeit am Erfüllungsort . . . . . . . . . . . . 3.197 (2) Warenkauf . . . . . . . . . . 3.199 (3) Dienstleistungen . . . . . . 3.201 bb) Kollisionsrechtliche Erfüllungsortbestimmung 3.204 cc) Internationale Zuständigkeit nach nationalem Recht . . . . . . . . . . . . . . . 3.215 3. Erfüllungsmodalitäten (Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . 3.216 4. Währung, Ersetzungsbefugnis . . 3.223 Aufrechnung (Art. 17 Rom I-VO) . 3.225 1. Gleiches Schuldstatut . . . . . . . . . 3.225 2. Verschiedene Statute . . . . . . . . . 3.226 3. Verschiedene Währungen . . . . . 3.231 Hinterlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.233 Erlass, Aufhebung . . . . . . . . . . . . . . 3.234 Verjährung, Ausschlussfrist, Verwirkung (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom IVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.236 Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.236 1. Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.236 2. Hemmung und Neubeginn . . . . 3.239 Ausschlussfrist . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.240 Verwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.241 Umgestaltung des Schuldverhältnisses, Schuldanerkenntnis und Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.242 Bloße Abänderung . . . . . . . . . . . . . . 3.242 Ersetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.243 Schuldanerkenntnis . . . . . . . . . . . . . 3.245 Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.248 Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.249 Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . 3.249 Ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . 3.250 Anknüpfung der Forderungsübertragung (Art. 14 Rom I-VO) . . . . . . 3.253

176 | Martiny

1. 2. 3. 4.

IV. V. VI. L. I. II. III. M. I. II. III. IV. N. O. I.

II.

Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.253 Anwendungsbereich . . . . . . . . . 3.256 Verhältnis Zedent – Zessionar . . 3.258 Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts für das Verhältnis Zessionar – Drittschuldner . . . . . . . . . 3.261 a) Zweck des Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . 3.261 b) Geltungsbereich des Forderungsstatuts . . . . . . . . . . . . 3.262 5. Übertragung zu Sicherungszwecken, Sicherungsrechte . . . . . . . 3.271 a) Übertragung zu Sicherungszwecken . . . . . . . . . . . . . . . . 3.271 aa) Sicherungsabtretung . . 3.271 bb) Vorausabtretung . . . . . 3.274 cc) Globalabtretung . . . . . . 3.276 b) Pfandrechte und andere Sicherungsrechte . . . . . . . . . . 3.277 Zession dinglich gesicherter Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.278 Einziehungsermächtigung . . . . . . . 3.286 Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.287 Drittwirkungen der Forderungsabtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.288 Rom I-VO und Zessionswirkungen 3.288 Drittwirkungen und Mehrfachabtretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.290 Drittwirkungs-VO . . . . . . . . . . . . . . 3.294 Gesetzlicher Forderungsübergang (Art. 15 Rom I-VO) . . . . . . . . . . . . . 3.295 Ausländisches Recht . . . . . . . . . . . . 3.295 Maßgeblichkeit des Zessionsgrundstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.296 Subsidiäre Verpflichtungen . . . . . . 3.299 Ablösungsrecht eines Dritten . . . . . 3.307 Mehrfache Haftung (Art. 16 Rom IVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.308 Schuld- und Vertragsübernahme . . 3.312 Schuldübernahme . . . . . . . . . . . . . . 3.312 1. Privative Schuldübernahme . . . . 3.315 a) Befreiung . . . . . . . . . . . . . . . 3.315 b) Altschuldner und Übernehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.317 c) Gläubiger und Übernehmer 3.318 2. Schuldbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . 3.319 Vertragsübernahme . . . . . . . . . . . . . 3.320

A. Zustandekommen des Vertrages | § 3

A. Zustandekommen des Vertrages Literatur zur Rechtsvereinheitlichung und -angleichung: Hennemann, Zugang von Erklärungen im europäischen Vertragsrecht, ZEuP 2013, 565; Jansen/Zimmermann, Vertragsschluss und Irrtum im europäischen Vertragsrecht: Textstufen transnationaler Modellregelungen, AcP 210 (2010), 196; Luig, Der internationale Vertragsschluss (2003); Schlechtriem, Kollidierende Geschäftsbedingungen im internationalen Vertragsrecht in Festg. Herber (1999), S. 36; Troiano, Formation of Contracts under ECDirectives in Schulte-Nölke (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht (2002), S. 97; Wittwer, Vertragsschluss, Vertragsauslegung und Vertragsanfechtung nach europäischem Recht (2004). Literatur zum Internationalen Privatrecht: K. F. Beckmann, Die Bedeutung der Vertragssprache im internationalen Wirtschaftsverkehr, RIW 1981, 79; Dreißigacker, Sprachenfreiheit im Verbrauchervertragsrecht (2002); Ebenroth, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im internationalen Handelsverkehr, ZVglRW 77 (1978), 161; G. Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht (1990); Freitag, Sprachenzwang, Sprachrisiko und Formanforderungen im IPR, IPRax 1999, 142; Gade, Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen und europäischen Privatrecht (2014); von Hoffmann, Vertragsannahme durch Schweigen im Internationalen Schuldrecht, RabelsZ 36 (1972), 510; Jayme, Sprachrisiko und IPR beim Bankverkehr mit ausländischen Kunden, FS Bärmann (1975), S. 509; Kieninger, AGB-Kontrolle von grenzüberschreitenden Geschäften im unternehmerischen Verkehr, FS Blaurock (2013), S. 177; Kling, Sprachrisiken im Privatrechtsverkehr (2009); Kondring, Flucht vor dem deutschen AGB-Recht bei Inlandsverträgen: Gedanken zu Art. 3 Abs. 3 Rom-I-VO und § 1051 ZPO, RIW 2010, 184; Kost, Konsensprobleme im internationalen Schuldvertragsrecht (1995); Kröll/Hennecke, Kaufmännische Bestätigungsschreiben beim internationalen Warenkauf, RabelsZ 67 (2003), 448; Lagarde, The Scope of the Applicable Law in the E.E.C. Convention in North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam, New York, Oxford 1982), S. 49; Linke, Sonderanknüpfung der Willenserklärung?, ZVglRW 79 (1980), 1; Lorenz, Konsensprobleme bei international-schuldrechtlichen Distanzverträgen, AcP 159 (1960/61), 193; Petzold, Das Sprachrisiko im deutsch-italienischen Rechtsverkehr, JbItalR 2 (1989), 77; Pfeiffer, Rechtswahlvereinbarung und Transparenzkontrolle, FS E. Lorenz (2014), S. 843; Reinhart, Verwendung fremder Sprachen als Hindernis beim Zustandekommen von Kaufverträgen, RIW 1977, 16; Reinhart, Zum Sprachenproblem im grenzüberschreitenden Handelsverkehr, IPRax 1982, 226; Schlechtriem, Das „Sprachrisiko“ – ein neues Problem?, FS Weitnauer (1980), S. 129; Schlechtriem, Deutsche Grundsätze zum „Sprachrisiko“ als „Datum“ unter italienischem Vertragsstatut, IPRax 1996, 184; Schwarz, Das „Sprachrisiko“ im internationalen Geschäftsverkehr – ein deutsch-portugiesischer Fall, IPRax 1988, 278; Spellenberg, Fremdsprache und Rechtsgeschäft, FS Ferid (1988), S. 463; Spellenberg, Doppelter Gerichtsstand in fremdsprachigen AGB, IPRax 2007, 98; Stankewitsch, Entscheidungsnormen im IPR als Wirksamkeitsvoraussetzungen der Rechtswahl (2003); Suttorp, Vertragsabschluss im internationalen elektronischen Rechtsverkehr: unter besonderer Berücksichtigung von AGB (2013); Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 12. Aufl. 2016; Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 7. Aufl. 2020. Literatur zur Rechtsvergleichung/zum ausländischen Recht: Basse, Das Schweigen als rechtserhebliches Verhalten im Vertragsrecht – Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter Berücksichtigung von England, Schottland und Deutschland (1986); Becker, International Telex Contracts, J.W.T.L. 17 (1983), 106; Bierekoven, Der Vertragsabschluss via Internet im internationalen Wirtschaftsverkehr (2001); Bischoff, Der Vertragsschluss beim verhandelten Vertrag (2001) (betr. USA); Bülow, Das kaufmännische Bestätigungsschreiben im amerikanischen Recht, AWD 1974, 519; Doerfert, How to conclude a contract – Bemerkungen zum Vertragsschluss nach deutschem und englischem Recht, JA 1998, 435; Ehricke, Das Recht des Vertragsschlusses im dänischen Recht, RIW 1989, 178; Feldhaus, Angebot und Annahme im englischen Versicherungsrecht, VersR 1982, 928; International Chamber of Commerce, Formation of Contracts and Precontractual Liability (Paris 1990); Jayme/Götz, Vertragsschluss durch Telex – Zum Abschlussort bei internationalen Distanzverträgen, IPRax 1985, 113; Knetsch, Der Vertragsschluss im neuen französischen Schuldrecht in Bien/Borghetti (Hrsg.), Die Reform des französischen Vertragsrechts (2018), S. 61; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015; Lewis, The Formation and Repudiation of Contracts by International Telex, LMCLQ 4 (1980), 433;

Martiny | 177

§ 3 Rz. 3.1 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts von Mehren, The Formation of Contracts, Int.Encycl.Comp.L. Vol VII Ch. 9 (1992); Neumayer, Vertragsschluss durch Kreuzofferten?, FS Riese (1964), S. 309; Owsia, Formation of Contract – A Comparative Study under English, French, Islamic and Iranian Law (London 1993); Pfister, Rechtswirkungen des kaufmännischen Bestätigungsschreibens nach österreichischem Recht, RIW 1977, 530; Schlesinger (Hrsg.), Formation of Contracts, 2 Bde. (New York/London 1968); J. Schmidt, Der Vertragsschluss: ein Vergleich zwischen dem deutschen, französischen, englischen Recht und dem CESL (2013); Schulze, Formation of contract, in DiMatteo/Janssen/Magnus/Schulze (Hrsg.), International Sales Law, 2. Aufl. 2021, S. 255; Smits, Contract law, 2. Aufl. 2017, S. 41.

I. Einheitsrecht und Rechtsangleichung 3.1

Fehleinschätzungen bezüglich des Zustandekommens des Vertrages resultieren nicht zuletzt daraus, dass die einzelnen Rechtsordnungen erhebliche Unterschiede hinsichtlich des Zustandekommens aufweisen und dies von den Parteien nicht in Betracht gezogen wird. Einheitliches Recht besteht bisher lediglich im UN-Kaufrecht (Rz. 25.1, Rz. 25.49 ff.). Eine weitere Vereinheitlichung der Regeln über den Vertragsabschluss wird von UNIDROIT angestrebt (vgl. Rz. 1.2)1. Eine Regelung findet sich in Art. 2.1.1. ff. UNIDROIT-Principles 2016; Art. 2:101 ff. PECL; Art. II.-4:101 ff. DCFR. Das UN-Übereinkommen über den elektronischen Vertragsschluss bei internationalen Verträgen von 2005 ist am 1.3.2013 in Kraft getreten2.

3.2

Das europäische Privatrecht hat den Vertragsschluss in mehrfacher Weise angeglichen. Dies gilt vor allem für mit Verbrauchern außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge, Vertragsabschlüsse im Fernabsatz sowie den Verbraucherschutz im Fernabsatz (s. Rz. 1.35 ff.). Ferner sind die Regeln über den elektronischen Geschäftsverkehr (E-Commerce)3 und die Bestimmungen für elektronische Signaturen4 angeglichen worden.

1 Luig, S. 7 ff. 2 UN Convention on the Use of Electronic Communications in International Contracts v. 23.11.2005. Vertragsstaaten sind Aserbaidschan (1.4.2019), Bahrain (1.1.2021), Benin (1.6.2020), Dominikan. Republik (1.3.2013), Fidschi (1.1.208), Honduras (1.3.2013), Kamerun (1.5.2018), Kiribati (1.11.2020), Kongo (1.8.2014), Mongolei (1.7.2021), Montenegro (1.4.2015), Paraguay (1.2.2019), Russland (1.8.2014), Singapur (1.3.2013) und Sri Lanka (1.2.2016). – Dazu Hettenbach, Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Verwendung elektronischer Mitteilungen bei internationalen Verträgen (2008); Messinger, Rechtsunsicherheiten bei internationalen elektronischen Handelsgeschäften: ihre Reduktion unter Berücksichtigung des deutschen, US-amerikanischen und internationalen Vertragsrechts (2014). 3 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 8.6.2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“), ABl. EG 2000 Nr. L 178, S. 1. – In Deutschland umgesetzt durch das Telemediengesetz (TMG) v. 26.2.2007 (BGBl. I 2007, 179 mit Änderungen). – Vgl. Martiny in MünchKomm, nach Art. 9 Rom I-VO, Anh. III – Telemediengesetz. 4 Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.12.1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABl. EG 2000 Nr. L 13, S. 12. – In Deutschland umgesetzt durch das Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen (Signaturengesetz – SigG) v. 16.5.2001 (BGBl. I 2002, 876).

178 | Martiny

A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.6 § 3

II. Zustandekommen des Hauptvertrages (Art. 10 Rom I-VO) 1. Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts Ob ein Vertrag wirklich zustande gekommen ist, wird im internationalen Geschäftsverkehr oft zu wenig beachtet. Dabei geht es regelmäßig um den äußeren Vertragsabschlusstatbestand, d.h. das zum Vertragsabschluss führende oder den Vertragsabschluss modifizierende Verhalten der Parteien1. In Frage steht das Zustandekommen zweier Verträge, des Verweisungsvertrages (vgl. Rz. 2.20 ff.) und des Hauptvertrages. Verbunden damit sind häufig Schwierigkeiten um die Geltung von AGB, das Zustandekommen von Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsverträgen.

3.3

Mit der Einigung und der materiellen Wirksamkeit des Vertrages beschäftigt sich Art. 10 Rom I-VO. Für das Zustandekommen des Hauptvertrages stellt Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO in erster Linie auf das Recht ab, welches anzuwenden gewesen wäre, wenn der Vertrag wirksam wäre (sog. hypothetisches oder präsumtives Vertragsstatut). Nur dann, wenn es nach den Umständen nicht gerechtfertigt wäre, die Wirkung des Verhaltens einer Partei nach diesem Recht zu bestimmen, kann sich diese Partei nach dem Recht des Staates ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts darauf berufen, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt (Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO).

3.4

Das Zustandekommen des Vertrages oder einer seiner Bestimmungen beurteilt sich grundsätzlich nach dem Vertragsstatut, d.h. dem Recht, das anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Bestimmung wirksam wäre. Entstehung und Wirkung unterliegen daher dem gleichen Recht. Vertragsstatut ist das nach den Regeln über die Ermittlung des Vertragsstatuts (Art. 3–8 Rom I-VO) geltende Recht. Diese Rechtsordnung kann aufgrund ausdrücklicher oder stillschweigender Rechtswahl der Parteien, aber auch aufgrund objektiver Anknüpfung berufen sein2, s. Rz. 2.1 ff. Eine Rechtswahlvereinbarung (Verweisungsvertrag) braucht also nicht zustande gekommen zu sein. Wurde jedoch eine solche Vereinbarung getroffen oder angetragen, so kommt es auf das darin vorgesehene Recht an. Es genügt daher, wenn die ein Vertragsangebot machende Partei in ihr Angebot eine Rechtswahlklausel aufnimmt, damit dieses Recht angewendet wird3.

3.5

Das Vertragsstatut bestimmt, wer als Vertragspartei in Betracht kommt4. Es gilt ferner für die Regeln über Angebot und Annahme (§§ 145 ff. BGB). Das Vertragsrecht entscheidet daher etwa über eine schlüssige Annahme5, die Rechtzeitigkeit der Annahme6 und den Dissens7. Dazu gehört auch die Frage, ob jemand einen Vertrag im eigenen oder im fremden Namen

3.6

1 Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 5. 2 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 12. 3 KG v. 21.1.1998 – 11 U 6378/97, IPRspr. 1998 Nr. 138 = VuR 1999, 138 Anm. Mankowski; Lagarde in North, S. 50 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 33. Anders LG Duisburg v. 17.4.1996 – 45 (19) O 80/94, IPRspr. 1996 Nr. 148 = RIW 1996, 774 (775). – Krit. zur „bootstraps rule“ Kaye, The New Private International Law of Contract of the European Community (Aldershot 1993), S. 270 ff. 4 Näher Mankowski, IPR in Spindler/Wiebe, Internet-Auktionen und Elektronische Marktplätze, 2. Aufl. 2005, Rz. 24. 5 OLG Köln v. 15.5.1996 – 27 U 99/95, IPRspr. 1996 Nr. 35 = RIW 1996, 778; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 17. 6 OLG Hamburg v. 6.2.1998 – 12 U 16/96, IPRspr. 1998 Nr. 175 = IPRax 1999, 168 (m. Aufs. Geimer, IPRax 1999, 152) (Schweden). 7 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 15 m.w.N.

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§ 3 Rz. 3.6 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

geschlossen hat1. Ihm unterliegen bereits vorkonsensuale Fragen wie die Bindungswirkung des Angebots (vgl. § 145 BGB)2 sowie die freie Widerruflichkeit des noch nicht angenommenen Angebots nach Common Law3. Das Erfordernis einer vertraglichen Gegenleistung (consideration) nach Common Law wird zwar vielfach als Frage der materiellen Wirksamkeit angesehen4. Da es aber letztlich nicht auf den inneren Konsens abzielt, dürfte es jedoch lediglich als Frage des Zustandekommens einzuordnen sein5. Andere zählen es nur zur Form6. Das Widerrufsrecht des Verbrauchers steht dagegen einem Rücktrittsrecht näher und ist zur Wirksamkeit des Vertrages zu zählen (s. Rz. 3.91). Zu Zeitpunkt und Ort s. Rz. 3.46 ff.

2. Bewertung des Schweigens 3.7

Ob einem bestimmten Verhalten rechtsgeschäftliche Bedeutung zukommt, wird von den einzelnen Rechtsordnungen unterschiedlich beantwortet. Nach deutschem Recht gilt Stillschweigen u.U. als Annahme. Geht einem Kaufmann, dessen Gewerbebetrieb die Besorgung von Geschäften für andere mit sich bringt, ein Antrag über die Besorgung solcher Geschäfte von jemand zu, mit dem er in Geschäftsverbindung steht, so ist er nach § 362 Abs. 1 S. 1 HGB verpflichtet, unverzüglich zu antworten. Sein Schweigen gilt als Annahme des Antrages.

3.8

Anders ist es im französischen Recht, wo ein „silence circonstancié“ vorliegen muss, um eine Annahme zu bejahen7. Nach englischem Recht gelten nur unbedeutende Ausnahmen von der Grundregel, dass Schweigen den Adressaten nicht bindet8. Wegen dieser Unterschiede ist von großer Bedeutung, welches Recht hierfür maßgeblich ist.

3.9

Wenn etwa ein französischer Spediteur auf ein Angebot eines Deutschen nicht antwortet, so wird er nicht verpflichtet; es kommt kein Vertrag zustande9. Allerdings sind hier Ausnahmen denkbar, etwa dann, wenn der Spediteur ständige Geschäftsbeziehungen zu einem deutschen Kunden unterhält, für die geschlossenen Verträge stets deutsches Recht vereinbart wurde und das unbeantwortete Angebot zeitlich und sachlich in den Bereich dieser ständigen Geschäftsbeziehung fällt.

1 OLG Hamburg v. 23.2.1995 – 6 U 252/94, IPRspr. 1995 Nr. 25 = RIW 1997, 70 (Speditionsvertrag); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 16. 2 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 16. 3 OLG Celle v. 26.7.2001 – 17 U 28/95, IPRspr. 2001 Nr. 31 = ZIP 2001, 1724 = EWiR 2001, 1051 (Eckert) (Isle of Man). 4 OLG München v. 25.1.2001 – 6 U 2684/96, IPRspr. 2001 Nr. 25 = RIW 2001, 864 = ZUM 2001, 439; OLG Celle v. 26.7.2001 – 17 U 28/95, IPRspr. 2001 Nr. 31 = ZIP 2001, 1724; Mankowski, RIW 1996, 382 (383); Kost, S. 113 f. 5 Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32–107 ff.; Gebauer in BeckOGK, Art. 11 Rom I-VO Rz. 60 (Stand 1.6.2021); Remien in PWW, Art. 10 Rom I-VO Rz. 7; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 20. 6 Kreße, RIW 2014, 96 (101 ff., 106); Leible in NK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 12; Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 172 (Seriositätsindiz). 7 Vgl. Sonnenberger/Dammann, Französ. Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, Rz. II 20 ff.; Kost, S. 188 f. 8 S. Marsh, Comparative Contract Law – England, France, Germany (Aldershot 1994), S. 69; Kost, S. 184 ff. 9 Vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 21.

180 | Martiny

A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.14 § 3

Grundsätzlich entscheidet das Vertragsstatut auch über die Bedeutung des Schweigens1. Das Verhalten einer Partei wird aber unter gewissen Voraussetzungen nach dem Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts beurteilt (Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO). Dabei handelt es sich um eine einzelfallweise Sonderanknüpfung im Wege einer Mitberücksichtigung aus Billigkeitsgründen2. Mit der Wirkung des Verhaltens (effect of his conduct; l’effet du comportement) meint Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO den Erklärungswert und vor allem die Folgen des Schweigens für den äußeren Vertragsabschlusstatbestand. Allerdings bezieht sich der Ausdruck „Verhalten“ nicht nur auf das Schweigen, sondern auf das gesamte aktive und passive Verhalten der betreffenden Partei3.

3.10

Von der Beurteilung des Schweigens nach dem Vertragsstatut wird eine Ausnahme gemacht, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die lex causae anzuwenden (it appears from the circumstances that it would not be reasonable ...; s’il résulte des circonstances qu’il ne serait pas raisonnable ...). Dann kann sich die Partei, die das Zustandekommen bestreitet, für die Behauptung, sie habe dem Vertrag nicht zugestimmt, auf das Aufenthaltsrecht berufen (rely; se référer)4.

3.11

Somit gilt für die Frage, ob eine Annahme vorliegt, wenn eine Partei auf einen Antrag nur geschwiegen hat, gegebenenfalls das Recht des Adressaten (d.h. regelmäßig das Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts bzw. seiner gewerblichen Niederlassung)5. Steht also das hypothetische Vertragsstatut (das oft das Recht des Absendenden ist) auf dem Standpunkt, unter den gegebenen Umständen sei das Schweigen des Adressaten als Annahme zu deuten, so kommt bei einer abweichenden Haltung des Rechts des Schweigenden – seinem „Umweltrecht“ – kein Vertrag zustande.

3.12

Dieses Umweltrecht des Schweigenden, nicht jedoch sein „Heimatrecht“6, ist maßgeblich. Rück- und Weiterverweisung sind bei der Sonderanknüpfung – wie auch sonst (Rz. 2.230 ff.) – ausgeschlossen.

3.13

Zu beachten ist jedoch stets der Vorrang des Vertragsstatuts. Führt bereits nach diesem Recht das Schweigen nicht zu einer rechtsgeschäftlichen Bindung, so bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO; die Vorschrift besitzt lediglich Veto-Wirkung7. Auf keinen Fall genügt es für die Wirksamkeit eines Vertrages, wenn er lediglich nach dem Recht des Aufenthaltsortes, nicht aber nach dem des Vertragsstatuts zustande gekommen ist8. Nur dann,

3.14

1 Zum Schweigen nach marokkan. Recht KG v. 2.2.2006 – 2 U 101/01, ZIP 2006, 1579 = IPRspr. 2006 Nr. 6 = RIW 2006, 865. Zum niederl. Recht IPG 2002 Nr. 1 (Köln); zum österreich. Recht IPG 2000/2001 Nr. 2 (Passau). 2 So treffend Linke, ZVglRW 79 (1980), 1 (54). 3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 239; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 45 ff. 4 Die Aufnahme einer solchen Bestimmung in das EVÜ erfolgte nicht ohne Schwierigkeiten; für Art. 2 Abs. 4 EVÜ-Entw. 1972 hatten noch zwei Alternativen zur Wahl gestanden. Dazu Siehr, AWD 1973, 569 (574 f.); Linke, ZVglRW 79 (1980), 1 (51 ff.) m.w.N. Eine ähnliche Regelung enthält Art. 123 schweiz. IPRG. 5 Zur Gleichstellung von Aufenthalt und Sitz Fischer, S. 343 f. 6 So aber noch missverständlich BGH v. 7.7.1976 – I ZR 51/75, IPRspr. 1976 Nr. 8 = RIW 1976, 534. 7 Schwenzer, IPRax 1988, 86, (88); Spellenberg in MünchKomm Art. 10 Rom I-VO Rz. 256; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 4. 8 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 60.

Martiny | 181

§ 3 Rz. 3.14 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

wenn das Zustandekommen nach dem Vertragsstatut zu bejahen ist, kommt es zu der kumulativen Anwendung von Vertragsstatut und Aufenthaltsrecht1.

3.15

„Gerechtfertigt“ ist die Anwendung des Aufenthaltsrechts, wenn sie unter Abwägung der Interessen der Parteien und des Rechtsverkehrs angemessen ist. Dabei kommt es auf den Einzelfall, insbesondere auf die Umstände von Vertragsanbahnung und Vertragsschluss2, die bisherigen Gepflogenheiten und Geschäftsbeziehungen der Parteien3, aber auch international übliche Handelsusancen an4. Die Berufung auf das Recht des Aufenthaltsortes ist umso mehr gerechtfertigt, je weniger Bezüge zu der das Vertragsstatut bildenden Rechtsordnung bestehen5. Letztlich beruht die Entscheidung dieser Frage auf Billigkeitsgründen6. Dementsprechend ist eine Sonderanknüpfung an das Recht des Schweigenden in erster Linie beim internationalen Distanzvertrag gerechtfertigt7. Dort ist es billig, dass das Verhalten des Adressaten nach seinem Umweltrecht und nicht nach einem Recht, das er weder kannte, noch kennen musste, beurteilt wird. Allerdings kann ein solches Vertrauen bei internationaler Tätigkeit nicht schützenswert sein8.

3.16

Anderes gilt insbesondere für Inlandsgeschäfte. Tritt eine Partei bei Abschluss eines Geschäfts (also nicht bloß anlässlich von Vorverhandlungen) gegenüber der anderen Vertragspartei in dem Staat geschäftlich auf, in dem diese ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort (bzw. ihre geschäftliche Niederlassung) besitzt, oder in einem Drittstaat, so kann sie sich grundsätzlich nicht auf ihr Aufenthaltsrecht berufen9. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn eine Partei bei einem Vertragsabschluss, bei dem beide anwesend sind, schweigt10. Als Auftreten im Inland ist aber noch nicht anzusehen, wenn die ausländische Partei ein Angebot ins Inland sendet11.

3.17

Fraglich ist, ob sich die Wirkungen des Schweigens in einem solchen Fall nur nach dem Vertragsstatut bestimmen oder – im Interesse der Sicherheit des inländischen Rechtsverkehrs – nach dem Recht des Landes, in dem das Geschäft getätigt wird. Jedenfalls dann, wenn deutsches Recht die lex causae ist und sich beide Parteien während des zu bewertenden Verhaltens im Inland befinden, ist deutsches Recht maßgeblich. Dies kann für Verkehrsgeschäfte mit einer Analogie zu Art. 13 Rom I-VO begründet werden12.

1 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 57. 2 Dazu Kost, S. 236 ff. 3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 277 f. (der hauptsächlich danach unterscheidet, ob eine Rechtswahl getroffen wurde oder nicht); Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 16; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 4. – Vgl. zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 60; OLG Köln v. 15.5.1996 – 27 U 99/95, IPRspr. 1996 Nr. 35 = NJW-RR 1997, 182; Kost, S. 246 ff. 4 Kost, S. 251 ff.; Leible in NK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 30. 5 Vgl. Weller in BeckOGK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 40, 55 (Stand 1.10.2020). 6 Vgl. Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 29. 7 So auch Remien in PWW, Art. 10 Rom I-VO Rz. 12. 8 Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 31. 9 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 72. – Großzügiger Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 253, 268 f., für den im Vordergrund steht, ob der Kunde die Internationalität des Geschäfts erkennen konnte. 10 Vgl. Buchmüller, NJW 1977, 501 (Anm.). 11 S. Jayme, FS Bärmann, S. 509 (514); Hepting, RIW 1975, 457 (460); Drobnig, FS Mann, S. 591 (602 f.). – Anders BGH v. 13.7.1973 – I ZR 72/72, IPRspr. 1973 Nr. 25 = NJW 1973, 2154 (Italien. Kunde aus Rom beauftragte schriftlich deutschen Spediteur. Abschlussort in Deutschland angenommen; ADSp angewendet). 12 Vgl. bereits Jayme, FS Bärmann, S. 509 (514).

182 | Martiny

A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.21 § 3

Der Schweigende muss nach Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO behaupten, er habe nicht zugestimmt. Er braucht sich nicht ausdrücklich auf Rechtsvorschriften seines gewöhnlichen Aufenthaltsortes zu „berufen“, muss aber geltend machen, dass sein Verhalten nicht als Zustimmung angesehen werden kann1. Es genügt, wenn er sich für seinen Standpunkt, dass der Vertrag nicht zustande gekommen ist, auf diese Rechtsordnung stützen kann2.

3.18

3. Bestätigungsschreiben Nach deutschem Recht besteht u.U. die Pflicht, einem kaufmännischen Bestätigungsschreiben zu widersprechen. Erfolgt kein Widerspruch, so gilt der bestätigte Vertragsinhalt selbst dann, wenn mündlich etwas anderes vereinbart wurde. Das Schweigen hat also modifizierende Wirkungen. Andere Rechtsordnungen und internationale Übereinkommen kennen diesen Rechtsgrundsatz nicht oder messen ihm häufig nur geringere Bedeutung zu3. Wird der ausländischen Vertragspartei eines deutschen Kaufmannes ein solches Bestätigungsschreiben übersandt und schweigt sie dazu, so ist zu entscheiden, welche Rechtsordnung für die Bedeutung des Schweigens gilt. In Betracht kommt das Vertragsstatut oder eine Sonderanknüpfung, insb. an das Recht am Niederlassungs- bzw. Aufenthaltsort der schweigenden Partei. Fallen beide Rechtsordnungen zusammen oder kommen beide zur selben Lösung, so entsteht im Ergebnis kein Konflikt. Anders ist es jedoch, wenn eine Differenz besteht.

3.19

Das geltende deutsche Recht enthält keine ausdrückliche Bestimmung zum Bestätigungsschreiben. Auch insoweit ist zunächst vom Vertragsstatut auszugehen (Art. 10 Abs. 1 Rom IVO)4. Doch ist anzunehmen, dass sich die Vorschrift des Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO über die Wirkungen des Verhaltens einer Partei auch auf das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben bezieht5. Entsprechendes gilt, wenn das ausländische Recht – weitergehend als das deutsche – auch den Privatmann an ein Bestätigungsschreiben bindet6.

3.20

Die Billigung einer nachträglichen einseitigen Vertragsänderung (etwa durch die Beilage vertragsändernder AGB) durch Schweigen wird im Ausland teilweise als mindestens ebenso ungewöhnlich empfunden wie die Wertung von Schweigen als Zustimmung beim Vertragsschluss selbst. Auch in diesen Fällen ist eine Abweichung vom Vertragsstatut zugunsten des Umweltrechts angebracht. Ferner steht das Vertragsstatut häufig nicht zweifelsfrei fest, son-

3.21

1 OLG Düsseldorf v. 20.6.1997 – 7 U 196/95, IPRspr. 1997 Nr. 40 = RIW 1997, 780; BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), RIW 2014, 534 (Arbeitsvertrag); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 60. 2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 255. – Vgl. Stürner in Erman, Art. 10 Rom IVO Rz. 11; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 4. 3 Näher Kröll/Hennecke, RabelsZ 67 (2003), 477 ff. Vgl. auch Art. 2.1.12 UNIDROIT-Principles 2016, Art. 2:210 PECL; dazu Luig, S. 160 ff. Ferner Art. II.-4:210 DCFR. 4 BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (137) = ZIP 1997, 848 = NJW 1997, 1697; Remien in PWW, Art. 10 Rom I-VO Rz. 7; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 106. 5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 286; Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 14; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 5; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 107; H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. § 305 BGB Rz. 18; Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 20. – S. bereits Deutsche Denkschrift zum EVÜ, BT-Drucks. 10/503, 29. Ebenso OLG Karlsruhe v. 11.2.1993 – 4 U 61/92, IPRspr. 1993 Nr. 136 = DZWiR 1994, 70 Anm. ChillaganoBusl = EWS 1994, 365 (Schweigen des italien. Käufers band ihn); OLG Köln v. 15.5.1996 – 27 U 99/95, IPRspr. 1996 Nr. 35 = NJW-RR 1997, 182. 6 OLG Schleswig v. 19.9.1989 – 3 U 213/86, IPRspr. 1989 Nr. 48 (Deutscher Kunde schwieg gegenüber dän. Werft).

Martiny | 183

§ 3 Rz. 3.21 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

dern ist ungewiss. Schließlich zeigt gerade das Bestätigungsschreiben, dass es sich um keinen eindeutig abgeschlossenen Vorgang handelt. Eine Unterscheidung zwischen vertragsbegründendem und -modifizierendem Bestätigungsschreiben wäre wiederum kaum praktikabel. Die isolierte Anknüpfung an das Recht der schweigenden Partei kommt insbesondere dann in Betracht, wenn ihr das Bestätigungsschreiben im Lande ihrer Niederlassung zugegangen ist.

3.22

In anderen Fällen – vor allem bei Inlandsgeschäften – kann diese Rechtsordnung nicht zum Zuge kommen. Wenn etwa die schweigende Partei gegenüber der anderen Partei in dem Staat, in dem diese ihre Niederlassung besitzt, beim Vertragsabschluss auftritt und ihr dort das Bestätigungsschreiben zugeht, gilt das Vertragsstatut.

3.23

Fraglich ist, ob man die Berufung auf das heimatliche Recht auch noch in anderen Fällen ausschließen muss, so etwa wenn sich die Parteien in laufenden Geschäftsbeziehungen befunden und ihre Vertragsbeziehungen stets einem ausdrücklich oder mutmaßlich vereinbarten Recht unterworfen haben1. Schließlich ist möglich, dass der Schweigende während der Vertragsverhandlungen zum Ausdruck gebracht hat, über die Handelsbräuche im anderen Land unterrichtet zu sein. Auch dann ist eine Sonderanknüpfung zweifelhaft.

4. Sprachrisiko 3.24

Unter dem „Sprachrisiko“ versteht man im Allgemeinen die Frage, wer die Folgen zu tragen hat, wenn bei einer rechtsgeschäftlichen Erklärung oder der Hinnahme von AGB eine Partei den Inhalt der jeweiligen Erklärung aus sprachlichen Gründen nicht versteht oder missversteht2. Dieses Problem taucht im internationalen Geschäftsverkehr, aber auch im Inland bei vertraglichen Beziehungen mit sprachunkundigen Ausländern auf. Dabei ist danach zu unterscheiden, welche Rechtsordnung über die Folgen von Missverständnissen oder des Nichtverstehens zu befinden hat und welche Regeln dieses Sachrecht – namentlich das deutsche3 – für diese Fälle aufstellt.

3.25

Wer das Sprachrisiko trägt, entscheidet grundsätzlich die Rechtsordnung, die über das Zustandekommen des Vertrages und die Wirksamkeit der Willenserklärung entscheidet, d.h. das Vertragsstatut4. Allerdings kann Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO zum Zuge kommen5. Vertreten wird freilich auch, das Sprachrisiko sei ebenso wie das Schweigen generell gesondert anzuknüpfen6. Auch bei deutschem Vertragsstatut sei daher das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort (bzw. der geschäftlichen Niederlassung) des Sprachunkundigen maßgebend, wenn dieser außerhalb des Landes liegt, in dem die Parteien auftraten und den Vertrag schlossen. 1 Dafür Ebenroth, ZVglRW 77 (1978), 161 (186); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 73. 2 Freitag, IPRax 1999, 148 ff.; Dreißigacker, S. 17 ff.; Kling passim. 3 Überblick bei Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 71 ff. m.w.N. – Zum ital. Recht IPG 2007/2008 Nr. 4 (Köln). 4 BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), NZA 2014, 1076 = RIW 2014, 534 (Arbeitsvertrag); OLG Stuttgart v. 16.6.1987 – 2 U 291/86, RIW 1989, 56 = IPRax 1988, 293 (m. Aufs. Schwarz, IPRax 1988, 278); AG Langenfeld v. 30.4.1998 – 18 C 260/96, IPRspr. 1998 Nr. 31 = NJW-RR 1998, 1524 (niederländ. AGB); Schlechtriem, FS Weitnauer, S. 134 ff.; Rott, ZVglRW 98 (1999), 382 (393 f.); Dreißigacker, S. 45 ff.; Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 47; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 112; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 79. 5 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 115. 6 Schurig, IPRax 1994, 27 (32); Fischer, S. 342 f.; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 799. Grundsätzlich auch Petzold, JbItalR 2 (1989), 77 (95 f.). Anklänge auch bei BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), RIW 2014, 534 = IPRax 2015, 562 Rz. 64 (Arbeitsvertrag).

184 | Martiny

A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.27 § 3

Entsprechendes gelte für Distanzverträge1. Bei Inlandsgeschäften, d.h. wenn der Sprachunkundige in der Bundesrepublik auftritt und die lex causae deutsches Recht ist, besteht allerdings weitgehend Einigkeit, dass aus Gründen des Verkehrsschutzes in jedem Fall deutsches Recht gelten muss2. Die Lehre vom „Sprachenstatut“ würde freilich in anderen Fällen zu einer weiteren Zersplitterung der Regeln über den Vertragsabschluss führen und Verkehrsinteressen nicht genügend berücksichtigen; sie hat sich daher mit Recht nicht durchgesetzt3. Für eine Sonderanknüpfung wird zwar angeführt, ähnlich wie beim Schweigen könne dem Erklärenden nicht zugemutet werden, dass ein strengeres Recht als das seines Aufenthaltsortes seiner Erklärung weitergehende Wirkungen beilege4. Die Abspaltung der Sprachproblematik dürfte jedoch zu schwierigen Abgrenzungs- und Eingrenzungsfragen führen, die dafür sprechen, die dabei auftauchenden Fragen allein auf der Ebene des Sachrechts zu lösen. Die Frage der sprachlichen Verständigung ist nach den jeweiligen Regeln des Vertragsstatuts zu lösen5. Das Richtlinienrecht beschäftigt sich nur teilweise mit der Sprachenfrage6. Z.T. wird lediglich verlangt, der Anbieter müsse die Sprache der maßgeblichen Informationen und Vertragsbedingungen angeben7, gelegentlich findet sich aber auch eine detaillierte Regelung über die zu verwendende Sprache. Dies gilt insbesondere für Time-Sharing-Verträge (§§ 483 ff. BGB)8. Der Zwang zur Benutzung einer bestimmten Sprache wird als Formerfordernis i.S.d. Art. 11 Rom I-VO eingeordnet9.

3.26

Soweit AGB verwendet werden, wird für die Beurteilung der Sprachenfrage auch das sachrechtliche Transparenzgebot (vgl. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB) fruchtbar gemacht10. Das deutsche Sachrecht enthält insoweit keine allgemeine gesetzliche Regelung. Grundsätzlich unterfällt das Sprachrisiko den Sachnormen über Angebot und Annahme, die Auslegung sowie über den Irrtum. Insofern besteht eine Parallele zur Unterschrift unter eine nicht gelesene Urkunde11.

3.27

1 Näher Jayme, FS Bärmann, S. 509 (514 ff.); a.A. Stoll, FS Beitzke, S. 759 (767). 2 So auch Kling, S. 127 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 115. Gegen eine „Theorie der Ortssprache“ jedoch Spellenberg, IPRax 2007, 98 (102). 3 Vgl. Beckmann, S. 154 ff. (158 ff.); Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 105 ff. 4 Rott, ZVglRW 98 (1999), 382 (396); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 115. 5 Spellenberg, IPRax 2007, 98 (99). – Vgl. OLG Köln v. 8.1.1993 – 19 U 123/92, IPRspr. 1993 Nr. 29 = RIW 1993, 415 (Deutscher unterschrieb niederländ. Grundstückskaufvertrag). 6 Näher Downes/Heiss, Sprachregulierungen im Vertragsrecht – Europa- und internationalprivatrechtliche Aspekte, ZVglRW 98 (1999), 28; Freitag, Sprachenzwang, Sprachrisiko und Formanforderungen im IPR, IPRax 1999, 142; Kallenborn, Das Sprachproblem bei Vertragsabschlüssen mit ausländischen Verbrauchern (1997); Mankowski, Verbraucherschutzrechtliche Widerrufsbelehrung und Sprachrisiko, VuR 2001, 359; Micklitz, Zum Recht des Verbrauchers auf die eigene Sprache, ZEuP 2003, 635; Rott, Informationspflichten in Fernabsatzverträgen als Paradigma für die Sprachenproblematik im Vertragsrecht, ZVglRW 98 (1999), 382. 7 Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. g RL Fernabsatz von Finanzdienstleistungen. – S. dazu Heiss, Die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher aus Sicht des IPR und des IZVR, IPRax 2003, 100 (103 f.). 8 Umsetzung von Art. 4 Time-Sharing-RL v. 29.10.1994. Ebenso Art. 4 Abs. 3 Time-Sharing-RL v. 14.1.2009. 9 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 74. 10 Vgl. Rott, ZVglRW 98 (1999), 382 (405 ff.); Wurmnest in MünchKomm, § 307 BGB Rz. 64. 11 Vgl. OLG München v. 16.11.1987 – 3 W 3109/87, WM 1988, 1408 (keine Anfechtung bei nicht verstandener Bürgschaftserklärung). Einschränkend Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom IVO Rz. 216.

Martiny | 185

§ 3 Rz. 3.27 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Allerdings trägt der Ausländer nicht stets das Sprachrisiko. Insbesondere kann sich nach Treu und Glauben eine Aufklärungspflicht ergeben, wenn der deutschsprachige Geschäftspartner erkennt, dass der andere wegen seiner Sprachunkundigkeit Erklärungen nicht verstand oder nicht von einer Einbeziehung von AGB ausgehen musste. Es kommt auf die Umstände des einzelnen Falles an. Entscheidend ist, wie der Ausländer auftritt1. Die Rechtsprechung lässt häufig genügen, wenn sich der Ausländer in zumutbarer Weise Kenntnis vom Inhalt der AGB verschaffen konnte2.

3.28

Greifen die §§ 305 ff. BGB ein, so muss grundsätzlich ein Hinweis auf die AGB gegeben werden und die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestehen (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2 BGB). Hier genügt nicht immer ein Hinweis in deutscher Sprache. Musste der AGB-Verwender erkennen, dass der Ausländer die deutsche Sprache nicht oder nicht hinreichend beherrscht, so muss der Hinweis in einer Art und Weise erfolgen, die dem ausländischen Kunden verständlich ist. Doch genügt i.d.R. ein Hinweis in der tatsächlich verwendeten Verhandlungssprache3. Ebenso ist es grundsätzlich bei der Widerrufsbelehrung des Verbrauchers (vgl. § 355 Abs. 2 BGB)4.

3.29

Die Möglichkeit der Kenntnisnahme kann durch eine Übersetzung, die Erläuterung durch einen Dolmetscher oder eine andere Person geschaffen werden. Es reicht jedoch aus, wenn der AGB-Text in der Verhandlungssprache abgefasst ist5. Für die Geltung von AGB im Rahmen des § 305 BGB kann der ausländische Kunde auch dann, wenn ihm das Verständnis der Geschäftsbedingungen Schwierigkeiten bereitet, keine Übersetzung verlangen. Insbesondere dann, wenn die deutsche Sprache als Verhandlungs- und Vertragssprache gewählt wurde, muss sich der Kunde die AGB entgegenhalten lassen.

3.30

Wählen die Parteien die deutsche Sprache, „so akzeptiert der ausländische Partner damit den gesamten deutschsprachigen Vertragsinhalt einschließlich der zugrunde liegenden AGB. Alsdann ist es ihm zuzumuten, sich vor Abschluss des Vertrages selbst die erforderliche Überset-

1 LG Köln v. 16.4.1986 – 10 O 10/86, WM 1986, 821 (Bürgschaftsvertrag. Dass der griech. Bürge nur mit Mühe Deutsch verstand sowie weder in deutscher noch in griech. Sprache lesen und schreiben konnte, genügte nicht für die Anfechtung [wegen Irrtums] seiner in deutscher Sprache abgefassten und von ihm unterschriebenen Bürgschaftserklärung). – Näher Jayme, FS Bärmann, S. 509 (517 f.) 2 So OLG München v. 20.3.1975 – 24 U 314/75, IPRspr. 1975 Nr. 11 = RIW 1976, 446 (Darlehen; Geltung der AGB der Banken. Der sprachunkundige griech. Kunde habe sich den ihm inhaltlich unbekannten AGB unterworfen, weil sie im Inland branchenüblich seien und er sich Kenntnis von ihrem Inhalt hätte verschaffen können). – Anders OLG Koblenz v. 16.1.1992 – 5 U 534/91, IPRspr. 1992 Nr. 72 = IPRax 1994, 46 (m. abl. Aufs. Schurig, IPRax 1994, 27) = RIW 1992, 1019 (Lieferung eines Motorkreuzers von niederländ. Hersteller an seinen deutschen Alleinvertriebshändler. Hinweis auf Eigentumsvorbehalt in niederländ. Sprache genügte nicht, da Händlervertrag in deutscher Sprache abgefasst). 3 Mankowski, VuR 2001, 359 (364 ff.); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 120; Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 38. Vgl. OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 – 9 U 204/01, NJW-RR 2002, 1722 (ADSp galten für italien. Kunden). Gegen eine „Theorie der Verhandlungssprache“ jedoch Spellenberg, IPRax 2007, 98 (103). 4 LG Köln v. 8.3.2002 – 32 S 66/01, VuR 2002, 250 = EWiR 2002, 801 (Anm. Mankowski) (Verhandlungen auf Poln.; Widerrufsbelehrung in deutscher Sprache genügte nicht). 5 S. dazu H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. zu § 305 BGB Rz. 13 ff.; Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 38. Gegen eine „Theorie der Vertragssprache“ Spellenberg, IPRax 2007, 98 (102 f.).

186 | Martiny

A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.33 § 3

zung zu verschaffen. Andernfalls muss er den nicht zur Kenntnis genommenen Text der Geschäftsbedingungen gegen sich gelten lassen“1. Tritt für den Sprachunkundigen ein Bevollmächtigter auf, der die deutsche Sprache beherrscht oder diesen Eindruck erweckt, so muss sich der Sprachunkundige dessen Verhalten zurechnen lassen2. Dies gilt auch, wenn ein Sprachkundiger als Dolmetscher tätig wird. Allerdings kann der Ausländer seine Willenserklärung dann wegen Inhaltsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB), wenn diese auf einer Täuschung durch den Dolmetscher beruht3.

3.31

In diesen Zusammenhang gehört auch die Frage der Verhandlungs- und Vertragssprache. Auch hierfür gelten die Regeln des Vertragsstatuts4. Vertragssprache ist die Sprache, in der der Vertrag geschlossen wurde; Verhandlungssprache diejenige, in der Verhandlungen mündlich oder schriftlich geführt wurden. Haben sich die Parteien auf eine bestimmte Sprache geeinigt, so sind Erklärungen regelmäßig in dieser Sprache abzugeben. Benutzt eine Partei eine andere Sprache, so kann sich die andere darauf berufen, dass sie die Erklärung bzw. ihr übersandte AGB nicht verstanden hat5.

3.32

Anderes gilt dann, wenn der Geschäftspartner diese Sprache ebenfalls verstand6. Ferner wird man im internationalen Handel auch die Kenntnis der Weltsprache Englisch (sowie gegebenenfalls Französisch oder Spanisch) voraussetzen können7. Andere lehnen zwar eine Oblie-

3.33

1 So BGH v. 10.3.1983 – VII ZR 302/82, BGHZ 87, 112 (115) = RIW 1983, 454 = WM 1983, 527 (Ausländ. Kunden traten vom Kauf eines Fertighauses zurück. Gegen die aufgrund der AGB verlangte Abstandszahlung wendeten sie erfolglos Sprachschwierigkeiten ein). Entsprechend BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), RIW 2014, 534 (Arbeitsvertrag). Eine „Sprachobliegenheit“ lehnt ab Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 107 ff. 2 OLG Bremen v. 22.6.1973 – 1 U 40/73, IPRspr. 1973 Nr. 8 = AWD 1974, 104 (Iraner eröffnete Depotkonto bei deutscher Bank; Bevollmächtigter verhandelte in deutscher Sprache; Unterwerfung unter Bank-AGB angenommen; Iraner berief sich erfolglos auf Unkenntnis der deutschen Sprache); Jayme, FS Bärmann, S. 509 (522); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 117; Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 38. 3 BGH v. 27.10.1994 – IX ZR 168/93, NJW 1995, 190; BGH v. 15.4.1997 – IX ZR 112/96, NJW 1997, 3231 (Bürgschaftserklärung von Iranerin); Mankowski, VuR 2001, 359 (365 f.). 4 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 111 ff., 131. 5 So schon: OLG Frankfurt v. 28.4.1981 – 5 U 119/80, ZIP 1981, 630 = RIW 1981, 411 = NJW 1982, 1949 (LS) (Kaufvertrag. Verhandlungssprache war Deutsch. Abweichendes Bestätigungsschreiben in italien. Sprache nach dem EAG nicht berücksichtigt); OLG Frankfurt v. 28.1.1987 – 17 U 64/85, IPRspr. 1987 Nr. 15 = EWiR 1987, 631 (Anm. Thamm) (Deutsch-engl. Warenkauf; Verhandlungssprache Engl. Deutschsprachige AGB nicht berücksichtigt.); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 118. Ebenso für CISG OLG Düsseldorf v. 21.4.2004 – 15 U 88/03, IPRspr. 2004 Nr. 24 = IHR 2005, 24 (Verhandlungssprache Englisch, deutschsprachiger Hinweis auf deutsche AGB). 6 Schütze, DB 1978, 2305. Vgl. auch Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 110. 7 Vgl. Reinhart, RIW 1977, 16 (20); Drobnig, FS Mann, S. 591 (595); Schütze, DWiR 1992, 90; Stadler, S. 86. – S. aber OLG Düsseldorf v. 2.11.1973 – 16 U 68/73, IPRspr. 1973 Nr. 136 = AWD 1974, 103 (Gerichtsstandsklausel in AGB des deutschen Käufers. Verhandlungssprache mit dem niederländ. Verkäufer waren Deutsch und Niederländ. Auf Rückseite des Auftragsscheins waren AGB des Käufers in Engl., Französ. und Italien. abgedruckt. AGB nicht berücksichtigt, da nicht in den Verhandlungssprachen abgefasst). Gegen eine „Theorie der Weltsprache“ jedoch Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 38 f.; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 115. Anders auch Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 121 (nur wenn branchentypisch). Abl. für Verbraucher Mankowski, VuR 2001, 359 (363).

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§ 3 Rz. 3.33 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

genheit ausreichender Fremdsprachenkenntnisse ab1. Doch muss sich die Vertragspartei auch nach dieser Auffassung zurechnen lassen, wenn sie den Anschein genügender Sprachkenntnisse erweckt hat2.

3.34

Die Rechtsprechung nimmt teilweise auch eine Erkundigungspflicht an3 oder lässt es genügen, dass in der Verhandlungssprache auf anderssprachige Geschäftsbedingungen hingewiesen wurde4.

3.35

Wurde in einer anderen Sprache verhandelt und später nur ein auf Deutsch abgefasster Vertrag unterzeichnet, so steht das einem wirksamen Zustandekommen nicht entgegen5. Allerdings werden Zusätze, die nicht Verhandlungsgegenstand waren, nicht zum Vertragsgegenstand6. Ist ein Vertrag zweisprachig abgefasst, so sind (mangels anderweitiger Festlegung) für den Vertragsinhalt beide Sprachen in gleicher Weise maßgeblich7. Liegen zweisprachige, inhaltlich voneinander abweichende AGB-Fassungen vor, so kann angenommen werden, dass nur die mit der Verhandlungssprache übereinstimmende Fassung Vertragsinhalt geworden ist8.

3.36

Grundsätzlich bestimmt das Vertragsstatut, ob ein Angebot vorliegt und ob es angenommen wurde. Dies gilt auch bei einem Vertragsschluss durch elektronische Kommunikationsmittel9. Wird ausnahmsweise isoliert angeknüpft, so ist nach dem Recht des Antrags zu beurteilen, ob ein Angebot vorliegt. Nach dem Recht der Annahme richtet sich dann, ob das Angebot angenommen wurde. Damit ist die Frage beantwortet, ob ein Vertrag vorliegt, aus dem die Parteien verpflichtet sind.

5. Zeitpunkt und Ort des Vertragsschlusses

1 Näher Kling, S. 538 ff. 2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 82 ff. 3 OLG Hamm v. 8.2.1995 – 11 U 206/93, IPRspr. 1995 Nr. 40 = NJW-RR 1996, 1271 = IPRax 1996, 197 (m. Aufs. Schlechtriem, IPRax 1996, 184) (Vertragssprache Italien.; Abtretungsanzeige auf Engl. und Französ. nach italien. Recht berücksichtigt). 4 OLG München v. 4.4.1974 – 24 U 930/73, IPRspr. 1974 Nr. 151 = NJW 1974, 2181 (Gerichtsstandsklausel; Verhandlungssprache war Italien; italien. Kunde bestätigte in italien. Sprache gehaltenen Hinweis, dass die – beigefügten, aber nicht übersetzten – AGB der deutschen Vertragspartei gelten sollten); OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/87, IPRax 1991, 324 (m. Aufs. Kohler, IPRax 1991, 299) (Gerichtsstandsklausel); OLG Karlsruhe v. 11.2.1993 – 4 U 61/92, IPRspr. 1993 Nr. 136 = DZWiR 1994, 70 Anm. Chillagano-Busl (Deutscher Verkäufer bestätigte gegenüber italien. Abnehmer mit der engl. Klausel „General Conditions P.T.O.“ und vermerkte auf seinen Rechnungen „We delivered at terms of payment and delivery of the convention of the cotton weavers trade – Basic terms of the German Textile Industry – actually valid“. Erfüllungsortregelung der auf der Rückseite in Deutsch abgedruckten AGB kam zur Anwendung). – Ebenso für den kaufmännischen Verkehr, Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 38. 5 BAG v. 19.3.2014 – 5 AZR 252/12 (B), RIW 2014, 534 = IPRax 2015, 562 Rz. 51 (Arbeitsvertrag). 6 OLG Stuttgart v. 16.6.1987 – 2 U 291/86, RIW 1989, 56 = IPRax 1988, 293 (m. Aufs. Schwarz, IPRax 1988, 278) (Deutsch-portugies. Kauf; Verhandlungssprache Engl.). 7 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 37. – Zum versteckten Dissens bei mehrsprachigen Schiedsklauseln OLG Hamburg v. 16.1.1981 – 11 U 86/79, ZIP 1981, 170 = IPRspr. 1981 Nr. 200 = IPRax 1981, 180 (LS) Anm. von Hoffmann = RIW 1982, 283. 8 BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, IPRspr. 1996 Nr. 147 = NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Aufs. Koch, IPRax 1997, 406) (Deutsch-engl. AGB; Verhandlungssprache Engl., das maßgeblich war). 9 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 19.

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A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.40 § 3

Nicht entschieden ist damit, durch welchen Akt der Vertrag im Einzelnen perfekt wurde, etwa durch die Unterschrift des Annahmebriefes, durch die Abgabe des Annahmebriefes bei der Post, dadurch, dass der Postbote den Brief in den Briefkasten des Antragenden wirft oder dass dieser den Brief liest. Auch über diese Frage gehen die Rechtsordnungen sehr auseinander: Nach deutschem Recht ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Annahmeerklärung dem Antragenden zugeht (§ 130 Abs. 1 BGB), d.h. in dessen Briefkasten oder elektronische Mailbox gelangt. Nach englischem Recht gilt dagegen der Zeitpunkt, in dem die Annahmeerklärung zur Post gegeben wird, als Zeitpunkt des Vertragsschlusses1. Auch das US-amerikanische Recht folgt der „mailbox rule“2. Wo es auf diesen Zeitpunkt ankommt, etwa für den Beginn der Verjährungsfrist, ist stets auf das Schuldstatut des Vertrages abzustellen.

3.37

Von der Frage, durch welchen Einzelakt der Vertrag perfekt geworden ist, wird teilweise auch die Bestimmung des Orts des Vertragsschlusses (locus contractus) abhängig gemacht. Diese Ortsbestimmung kann von Bedeutung für die Anwendung von Formvorschriften sein. Die Einhaltung der Form der lex loci actus genügt nach Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 Rom I-VO (wie nach den meisten Rechtsordnungen).

3.38

Für den Vertragsschluss unter Personen, die sich in verschiedenen Staaten befinden (Distanzverträge), enthält Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO eine besondere Bestimmung. Ein solcher Vertrag ist formgültig, wenn er die Formerfordernisse des Rechts, welches auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts eines der Staaten der Vertragsparteien erfüllt. Danach genügt also entweder die Einhaltung der lex causae oder des Rechts der jeweiligen Vertragspartei. Die Vertragspartei braucht keinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat zu haben; schlichter Aufenthalt, ein Sichbefinden genügt. Rück- und Weiterverweisung sind auch hier ausgeschlossen3, s. Rz. 5.244 ff.

3.39

6. Vertragliche Regelung des Zustandekommens Die Parteien können, soweit dies das maßgebliche materielle Recht zulässt, selbst vereinbaren, wann der Vertrag geschlossen ist. So bestimmen etwa die ECE-Bedingungen (Rz. 25.102) Nr. 730 in Art. 2: „Der Vertrag gilt als geschlossen, wenn der Verkäufer nach Eingang einer Bestellung, gegebenenfalls innerhalb der vom Käufer gesetzten Frist, eine schriftliche Annahmeerklärung abgesandt hat. Hat der Verkäufer bei Abgabe eines schriftlichen Angebots eine Annahmefrist gesetzt, so gilt der Vertrag als geschlossen, wenn der Käufer vor Fristablauf eine schriftliche Annahmeerklärung abgesandt hat.“

Maßgeblich ist also die „Entäußerungstheorie“. Dagegen gilt nach den ECE-Formularbedingungen Nr. 188 und Nr. 574 für den Verkäufer nur dann die „Entäußerungstheorie“, wenn er in der Position des Annehmenden ist, nicht aber, wenn er der Offerent ist. In diesem letzteren Falle gilt zu seinen Gunsten die „Empfangstheorie“4. 1 Marsh, Comparative Contract Law – England, France, Germany (Aldershot 1994), S. 69; vgl. auch Triebel/Illmer/Ringe/Vogenauer/Ziegler, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2012, Rz. III 19. 2 S. zum Kauf § 2–204 ff. UCC; vgl. ferner Elsing/Van Alstine, US-Amerikanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1999, Rz. 189. 3 Thorn in Palandt, Art. 11 Rom I-VO Rz. 2; Weller in BeckOGK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 11 (Stand 1.10.2020). 4 Vgl. Lorenz, AcP 159 (1960), 193 (221 f.); Lorenz, ZHR 126 (1964), 152.

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3.40

§ 3 Rz. 3.41 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.41

Ist der Vertrag aber noch nicht geschlossen, so sind diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen nur anwendbar, wenn die Parteien über ihre Geltung eine entsprechende Vereinbarung getroffen haben. Die Problematik verschiebt sich bei solchen Formularen also nur dahin gehend, nach welchem Recht sich das Zustandekommen einer vereinbarungsgemäßen Verweisung auf den im Formular vorgesehenen Modus des Vertragsschlusses richtet. Das Kollisionsrecht der lex fori muss beantworten, wie es zu einer Verweisung auf das Formular kommt.

III. Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen Literatur zum Internationalen Privatrecht: Aden, Auslegung und Revisibilität ausländischer AGB am Beispiel der Schiedsverfahrensordnung der internationalen Handelskammer, RIW 1989, 607; Atzpodien/Müller, Die FIDIC-Standardbedingungen als Vorlage für europäische AGB im Bereich des Industrieanlagen-Vertragsrechts, RIW 2006, 331; Berger, Die Einbeziehung von AGB in internationale Kaufverträge, FS Horn (2006), S. 3; Boll, Ausländische AGB und der Schutz des inländischen kaufmännischen Kunden, IPRax 1987, 11; Bomsdorf/Finkelmeier, Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen Handel, RIW 2021, 350; Dannemann, The „Battle of the Forms“ and the Conflict of Laws in Essays in Honour of F. Reynolds (London 2000), S. 199; Drobnig, AGB im internationalen Handelsverkehr, FS Mann (1977), S. 591; Dutta, Kollidierende Rechtswahlklauseln in allgemeinen Geschäftsbedingungen, ZVglRW 104 (2005), 461; Hau, AGB im internationalen Geschäftsverkehr (IntGV) in Wolf/Lindacher/Pfeiffer (Hrsg.), AGB-Recht, 7. Aufl. 2020, S. 25; Hepting, Die ADSp im internationalen Speditionsverkehr, RIW 1975, 457; Kieninger, AGB-Kontrolle von grenzüberschreitenden Geschäften im unternehmerischen Verkehr, FS Blaurock (2013), S. 177; Kröll/Hennecke, Kollidierende Allgemeine Geschäftsbedingungen in internationalen Kaufverträgen, RIW 2001, 736; Kronke, Zur Verwendung von AGB im Verkehr mit Auslandsberührung, NJW 1977, 992; Landfermann, AGBGesetz und Auslandsgeschäfte, RIW 1977, 445; Leuschner (Hrsg.), AGB-Recht im unternehmerischen Rechtsverkehr (2021); Maidl, Ausländische AGB im deutschen Recht (2000); Müller/Otto, Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen Wirtschaftsverkehr (1994) (auch zu Frankreich, Belgien, Schweiz, Luxemburg, Italien, Spanien, Portugal, Österreich, England); Nörenberg, Internationale Verträge und AGB, NJW 1978, 1082; Otto, AGB und IPR (1984); C. Rühl, Rechtswahlfreiheit und Rechtswahlklauseln in AGB (1999); Schütze, Praktizierte Lieferbedingungen im internationalen Geschäftsverkehr, DWiR 1992, 89; Sieg, Allgemeine Geschäftsbedingungen im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr, RIW 1997, 811; Sieg, Internationale Gerichts- und Schiedsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, RIW 1998, 102; Stadler, Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen Handel (2003); Staudinger, Die Kontrolle grenzüberschreitender Versicherungsverträge anhand des AGBGB, VersR 1999, 401; Stoll, Internationalprivatrechtliche Probleme bei Verwendung Allgemeiner Geschäftsbedingungen, FS Beitzke (1979), S. 759; Ungnade, Die Geltung von AGB der Kreditinstitute im Verkehr mit dem Ausland, WM 1973, 1130; Weller, Stillschweigende Einbeziehung der AGB-Banken im internationalen Geschäftsverkehr?, IPRax 2005, 428; M. Wolf, Auslegung und Inhaltskontrolle von AGB im internationalen kaufmännischen Verkehr, ZHR 153 (1989), 300; Wuschkoschitz, Rechtswahlklauseln in AGB in Dach-Schriftenreihe; Rechtswahlklauseln (2005), S. 27. S. auch oben vor Rz. 3.1 sowie unten vor Rz. 35.1 (Verbraucherschutz). Literatur zum ausländischen Recht: Mehrere Länder/Rechtsvergleichung: Aden, Battle of forms: konkurrierende AGB im multilateralen Rechtsvergleich (2021); Baier, Europäische Verbraucherverträge und missbräuchliche Klauseln: die Umsetzung der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in Deutschland, Italien, England und Frankreich (2004); Hellwege, Allgemeine Geschäftsbedingungen in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 28; Jacobs, The Battle of the Forms – Standard Term Contracts in Comparative Perspective, I.C.L.Q. 34 (1985), 297; Leuschner, Grenzen der Vertragsfreiheit im Rechtsvergleich, ZEuP 2017, 335; Leuschner (Hrsg.), AGB-Recht im unternehmerischen Rechtsverkehr (2021); Magnus, Incorporation of standard terms, in DiMatteo/Janssen/Magnus/Schulze (Hrsg.), International Sales Law, 2. Aufl. 2021, S. 295; Marter, Die abstrakte Klauselkontrolle in Deutschland, England und Frankreich (2017); Schlechtriem, Die Kollision von Standardbedingungen beim Vertragsschluss, FS Wahl (1973), S. 67.

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A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.41 § 3 Einzelne Länder: Belgien: Reichard/De Vel, Vereinbarung und Inhalt von Lieferbedingungen in Belgien, AWD 1973, 184. China: Liu, Die Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen und formularmäßigen Vertragsklauseln im deutsch-chinesischen Vergleich (2016). England: Bodenheimer, Allgemeine Geschäftsbedingungen im Unternehmensverkehr im englischen und deutschen Recht (2012); Heine, Die Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen im englischen und deutschen Recht (2005); Horler, Die Entwicklung der Rechtsprechung zum Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen: ein Vergleich des englischen und deutschen Rechts (2012); Ponick, Die Richtlinien über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen und ihre Umsetzung im Vereinigten Königreich (2003); Schmitz, Haftungsausschlussklauseln in AGB nach englischem und internationalem Privatrecht (1977); Sobich, AGB-Kontrolle in Großbritannien, RIW 2000, 675; Sobich, Verfahrensrechtliche Kontrolle „unfairer“ AGB in Großbritannien, RIW 1998, 684. Frankreich: Barfuss, Die Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen in den Vertrag nach französischem Recht, RIW 1975, 319; Gardette, Die Behandlung der „unangemessenen“ Klauseln nach dem französischen „AGB“-Gesetz (2005); Gräser, Missbräuchliche Vertragsklauseln im unternehmerischen Geschäftsverkehr in Frankreich und Deutschland (2013); Niggemann, Zustandekommen des Kaufvertrages, Einbeziehung und Inhaltskontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Witz/ Bopp (Hrsg.), Französisches Vertragsrecht für deutsche Exporteure (1989), S. 20; Niggemann, AGBKontrolle im kaufmännischen Geschäftsverkehr nach der Reform des französischen Code Civil?, RIW 2018, 658; Schmidt/Niggemann, Die Vereinbarung von AGB durch stillschweigende Annahme nach französischem Recht, AWD 1974, 309; Sonnenberger, Das französische Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (conditions générales), RIW 1990, 165; Witz/Wolter, Missbräuchliche Vertragsklauseln auf dem Prüfstand der französischen Gerichte, ZEuP 1993, 360. Italien: Bonell, Die AGB nach italienischem Recht, ZVglRW 78 (1979), 1; Kieninger, Die Kontrolle von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im kaufmännischen Verkehr, ZEuP 1996, 468; Patti, Die Umsetzung der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in Deutschland und in Italien in Klauselrichtlinie, Mobiliarsicherheiten, Strafverfolgung (2005), S. 3; Rausch, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Italien (2004); Scarso, Unternehmer als Vertragsparteien, ZEuP 2001, 379; Scheerer, Die AGB im deutsch-italienischen Rechtsverkehr unter besonderer Berücksichtigung der AGB der Kreditinstitute, AWD 1974, 181; Wurmnest, Die Fortentwicklung des italienischen AGB-Rechts vor dem Hintergrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben, ZEuP 2004, 971. Niederlande: Nieper, Algemene voorwaarden, ZEuP 1999, 732. Österreich: Höss, Die Einbeziehung von AGB beim Vertragsabschluss im Internet: Grundlagen für den österreichisch-deutschen Online-Rechtsverkehr (2007); Lehofer/Mayer, Geschäftsbedingungen in Österreich und in der Europäischen Union (1998). Polen: Harłacz, Die Bedeutung Allgemeiner Geschäftsbedingungen im Handelsverkehr zwischen Deutschland und Polen nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union (2012); Heidenhain, Das Verbraucherschutzrecht in Polen und in der Europäischen Union (2001); Karasek-Wojciechowicz, Die Sanktionierung missbräuchlicher Vertragsklauseln sowie die Vertragsrückabwicklung am Beispiel Polens, OER 2020, 129; Zoll/Diemer-Benedict, Das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Polen, RIW 1997, 1001. Russland: Aladyev/Aden, Vertragsabschluss, AGB und "Battle of Forms" nach russischem Recht, RIW 2016, 497. Schweiz: Kramer/Probst/Perrig, Schweizerisches Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Bern 2016); Perrig, Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) – Zugänglichkeitsregel in Brunner/Schnyder/Eisner-Kiefer (Hrsg.), Allgemeine Geschäftsbedingungen nach neuem Schweizer Recht (Zürich 2014), S. 169. Spanien: Albiez Dohrmann, Einbeziehungsvoraussetzungen von Allgemeinen Geschäftsbedingungen im spanischen Recht beim Vertragsschluss zwischen Unternehmern, FS Westermann (2008), S. 31;

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§ 3 Rz. 3.41 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts Cabanas/Vestweber, Das neue spanische Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen, ZVglRW 97 (1998), 454; Fischer, Das neue Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen in Spanien und die Umsetzung der EU-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, RIW 1998, 689; Hettich, Spaniens Gesetz über Allgemeine Geschäftsbedingungen (2007). Tschechische Republik: Wefing, Allgemeine Geschäftsbedingungen in der Tschechischen Republik, WiRO 1995, 451. Türkei: Aydin, Die Berücksichtigung des Verbraucherschutzes bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen im deutschen und türkischen Recht (2007); Bozbel, Allgemeine Geschäftsbedingungen im türkischen Recht, RIW 2004, 183; Süzel/Aden, „Battle of Forms“ im türkischen AGB-Recht, RIW 2017, 111; Uslubaş, Das türkische AGB-Recht im Unternehmensverkehr, IWRZ 2017, 163. USA: Bülow, Die Konkurrenz von Standardbedingungen beim Vertragsschluss im amerikanischen Recht, AWD 1973, 510; von Hippel, Zur richterlichen Kontrolle unlauterer Geschäftsbedingungen in den Vereinigten Staaten, RabelsZ 33 (1969), 564; Munz, Allgemeine Geschäftsbedingungen in den USA und Deutschland im Handelsverkehr (1992); Petzinger, „Battle of Forms“ und Allgemeine Geschäftsbedingungen im amerikanischen Recht, RIW 1988, 673.

1. Rechtsvereinheitlichung und -angleichung 3.42

Einheitliche Regeln für Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) gelten insbesondere im Rahmen des UN-Kaufrechts (Rz. 25.49 ff.). Direkt anwendbar sind die Vorgaben der EU-VO zu Online-Vermittlungsdiensten1. Ferner sind die nationalen Vorschriften durch EU-Richtlinien für Verbraucherverträge angeglichen worden2 (näher Rz. 35.1 ff.). Einzelne Bestimmungen zu AGB enthalten auch die Europäischen Grundregeln des Vertragsrechts3 sowie der Draft Common Frame of Reference4.

2. Bezugnahme auf AGB bei Auslandsgeschäften 3.43

Allgemeine Geschäftsbedingungen finden im internationalen Handel weite Verbreitung. Entsteht ihretwegen Streit, so regelmäßig darüber, ob sie für den geschlossenen Vertrag gelten. Die deutsche Rechtsprechung ist in dieser Frage bekanntlich großzügig. Meist wird eine „stillschweigende Unterwerfung“, eine Unterwerfung kraft Handelsbrauchs oder bei gewissen Verträgen trotz Unkenntnis der AGB angenommen, der Kunde habe wissen müssen, dass der Vertrag nur unter Zugrundelegung der üblichen AGB abgeschlossen werde. Andere Rechtsordnungen stellen hingegen z.T. strengere Anforderungen an den Nachweis, dass die AGB Vertragsbestandteil geworden sind5.

3.44

Belgien: Nach belgischem Recht erfolgt die Einbeziehung von AGB durch Bekanntgabe an den Vertragspartner sowie die Annahme der Einbeziehung durch den Verwender6. Unter 1 Art. 3 ff. Verordnung (EU) 2019/1150 zur Förderung von Fairness und Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Vermittlungsdiensten v. 20.6.2019, ABl. EU 2019 Nr. L 186, S. 57. 2 Stempel, Der lange Weg zur Teilvereinheitlichung der AGB-Kontrolle in Europa, ZEuP 2017, 102. – Überblick bei Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, Einl. Rz. 87 ff. 3 Insb. Art. 2:209, 4:110. 4 S. Art. II.-1:109, II.-4:209, II.-8:103. 5 Vgl. Nörenberg, NJW 1978, 1082 (1084 ff.). – Rechtsvergleichend zu ausländ. Schutzvorschriften vor unbilligen AGB Kost, S. 180 ff.; Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. (Wien 2009), S. 333 ff.; Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 1 ff.; Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen, Einl. Rz. 105 ff. m.w.N. – Zur Einbeziehung nach niederländ. Recht IPG 2005/2006 Nr. 5 (Osnabrück), nach dem Recht von New South Wales IPG 2012-14 Nr. 3 (Hamburg). 6 Dazu IPG 2009-11 Nr. 7 (Köln).

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A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.50 § 3

Kaufleuten bedeutet das Schweigen auf eine Auftragsbestätigung oder Faktur grundsätzlich Einverständnis mit den abgedruckten AGB1. Auf ungewöhnliche Klauseln muss jedoch hingewiesen werden; ein bloßes Mitsenden genügt nicht2. England: Dem Kunden müssen die AGB vor oder bei Vertragsschluss so zugänglich gemacht werden, dass er die Möglichkeit hatte, von ihnen Kenntnis zu nehmen3.

3.45

Frankreich: Die AGB müssen vom Vertragspartner ausdrücklich angenommen werden. Gleichgestellt wird zuweilen der Fall, dass der Kunde sie bei ordentlicher Sorgfalt hätte kennen müssen4.

3.46

Italien: Einseitig von einer Partei vorbereitete AGB werden Vertragsinhalt, sobald der Kunde sie vor dem Abschluss kannte oder bei Anwendung ordentlicher Sorgfalt gekannt haben müsste (Art. 1341 Abs. 1 c.c.). Einige besonders lästige und gefährliche Abreden bedürfen jedoch einer schriftlichen Billigung (Art. 1341 Abs. 2 c.c.)5. Hierunter fallen z.B. Haftungsbeschränkungen6.

3.47

Österreich: AGB werden dann Vertragsinhalt, wenn vor Vertragsschluss auf sie Bezug genommen wurde und der Geschäftspartner die Möglichkeit gehabt hat, vom Inhalt der Bedingungen Kenntnis zu nehmen (vgl. § 863 ABGB). „Wissen müssen“ genügt regelmäßig nicht7. Ungewöhnliche Bestimmungen, auf die nicht besonders hingewiesen wurde, werden nicht Vertragsinhalt, wenn der Kunde mit ihnen nicht zu rechnen brauchte (§ 864a ABGB)8.

3.48

Schweiz: Nach schweizerischer Auffassung beruhen AGB grundsätzlich auf rechtsgeschäftlicher Übereinkunft9. Ein Hinweis auf die AGB genügt regelmäßig, wenn er im Angebot erfolgt. Bei Branchenüblichkeit von AGB gelten gegenüber Kaufleuten geringe Anforderungen10.

3.49

Angesichts der Rechtsunterschiede und Unklarheiten sollte der deutsche Vertragspartner nach Möglichkeit eine ausdrückliche Vereinbarung seiner AGB anstreben. Erfolgt keine ausdrückliche Abrede, so muss er damit rechnen, dass sich der ausländische Geschäftspartner auf ihm günstigeres ausländisches Recht beruft.

3.50

1 Nachw. in IPG 1979 Nr. 10 (Hamburg), S. 118. 2 Näher dazu Reichard/DeVel, AWD 1973, 184 ff. 3 Triebel/Illmer/Ringe/Vogenauer/Ziegler, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, Rz. III 30 f. Zur Kontrolle Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 2 ff. Zur Haftungsbeschränkung Leuschner, ZEuP 2017, 335 (351). 4 Sonnenberger, RIW 1990, 167. Zur Kontrolle Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 18 ff. Zur Haftungsbeschränkung Leuschner, ZEuP 2017, 335 (345). 5 Dazu IPG 2007/2008 Nr. 3 (Köln). – S. Bonell, ZVglRW 78 (1979), 8 ff. 6 Vgl. Pfister, AWD 1965, 221 ff. 7 S. Riedler in Schwimann (Hrsg.), ABGB, 4. Aufl. (Wien 2014), § 864a ABGB Rz. 12. Differenzierend Stadler, S. 163 ff. – Schweigen zu AGB auf Rechnungen ließ nicht genügen OLG Karlsruhe v. 9.10.1992 – 15 U 67/92, IPRspr. 1992 Nr. 199 = NJW-RR 1993, 567. 8 Näher Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 33 f. Zur Haftungsbeschränkung Leuschner, ZEuP 2017, 335 (357). 9 Kramer/Probst/Perrig, Rz. 3. 10 Zur Kontrolle Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 44 ff. Zur Haftungsbeschränkung Leuschner, ZEuP 2017, 335 (364).

Martiny | 193

§ 3 Rz. 3.51 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3. Anwendbares Recht a) Einbeziehung von AGB

3.51

Für die Einbeziehung von AGB in den Vertrag ist zunächst das anwendbare Recht zu bestimmen. Bereits auf dieser Stufe kann die Bedeutung von AGB für die Rechtswahl zu prüfen sein (s. Rz. 2.23). Wurde die Geltung von AGB ausdrücklich vereinbart, so gilt für das Aufstellen und die Einbeziehung der Geschäftsbedingungen das Vertragsstatut1. Dies ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO.

3.52

Hat eine Partei zu den Geschäftsbedingungen der anderen geschwiegen, so ist ebenfalls zu unterscheiden, welches Recht für ihre Einbeziehung gilt und ob auch die AGB nach dem anzuwendenden Recht gelten. b) Sonderanknüpfung der Annahme von AGB

3.53

Widerspricht eine Partei der Einbeziehung von AGB in den Vertrag nicht, so ist auch hier Ausgangspunkt das Vertragsstatut (Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO)2. Doch kann sich die schweigende Partei bezüglich der Wertung ihres Verhaltens nach Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO auf das Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts berufen3.

3.54

Ob das Schweigen einer Partei zu den AGB der anderen deren Einbeziehung herbeiführt, bestimmt also nicht immer das Vertragsstatut. Wird der Vertrag im Korrespondenzweg (also als sog. Distanzvertrag) geschlossen, so ist das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort der nicht widersprechenden Partei zu berücksichtigen. Diese Sonderanknüpfung erfasst den häufigsten Fall, dass ein ausländischer Kunde von seiner ausländischen Niederlassung aus eine deutsche Vertragspartei beauftragt oder von ihr beliefert wird. Dann ist zwar regelmäßig deutsches Recht Vertragsstatut; die AGB des deutschen Teils gelten jedoch dann nicht, wenn das Recht am Niederlassungsort des Ausländers entgegensteht4.

3.55

Nicht völlig geklärt ist dabei freilich, welche konkreten Fragen das ausländische Recht zu beantworten hat. Man wird wohl darauf abstellen müssen, ob nach ihm eine Pflicht zum Widerspruch gegenüber den AGB bestand und ob der Kunde wissen musste, dass er hätte widersprechen müssen. Kann jedoch verlangt werden, dass der Kunde eine stillschweigende Einbeziehung der AGB kraft Verkehrssitte kennen musste, so kann er sich regelmäßig auch nicht auf eine Sonderanknüpfung nach Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO berufen5.

3.56

Hat der AGB-Verwender die Geschäftsbedingungen einem Bestätigungsschreiben beigefügt, so gelten die Regeln über das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben (Rz. 3.19 ff.).

1 Bomsdorf/Finkelmeier, RIW 2021, 350 (357); Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 3; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 22. 2 Weller, IPRax 2004, 428 (429 f.); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 80. 3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 244; Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 14; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 4. 4 S. Hepting, RIW 1975, 457 (462); Drobnig, FS Mann, S. 591 (604 f.); Kronke, NJW 1977, 992 f.; Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (121 f.); abschwächend als bloße „Berücksichtigung“ Schütze, DB 1978, 2301. Differenzierend Stoll, FS Beitzke, S. 759 (763 ff.): Für AGB ohne Rechtswahlklauseln gelte nur das Vertragsstatut; bei Rechtswahlklauseln komme es hingegen zu einer Sonderanknüpfung. 5 Weller, IPRax 2005, 428 (430) (für Bank-AGB).

194 | Martiny

A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.60 § 3

c) Inlandsgeschäfte Da Art. 10 Rom I-VO vom Vorrang des Vertragsstatuts ausgeht, kommt es nicht stets zu einer Sonderanknüpfung an das Aufenthaltsrecht. Die für eine gesonderte Anknüpfung maßgeblichen Fallgruppen müssen präzisiert werden, da das anzuwendende Recht voraussehbar sein muss und nicht vollständig Einzelfallentscheidungen überlassen bleiben kann1. Die Rechtsprechung fragte früher danach, ob der Ausländer nach den Umständen des Einzelfalles damit rechnen durfte, sein Verhalten werde nach den Regeln seines „Heimatrechts“ beurteilt2.

3.57

Das Aufenthaltsrecht einer Partei, der gegenüber die AGB gelten sollen, bleibt nach wohl h.M. dann unberücksichtigt, wenn ein Inlandsgeschäft geschlossen wurde3. Ein solches Geschäft liegt vor, wenn der Vertrag, in den die AGB einbezogen werden sollen, in dem Staat abgeschlossen wird, in dem der Verwender der AGB seine geschäftliche Niederlassung hat. Tritt der Kunde regelmäßig im Inland geschäftlich auf, so muss er mit einer Bewertung seines Verhaltens nach dem Recht des Abschlussortes rechnen. Das Verkehrsinteresse setzt sich hier analog Art. 13 Rom I-VO gegenüber dem Individualinteresse des Kunden durch4. Der Abschlussort liegt aber noch nicht deshalb im Inland, weil hier das Angebot bzw. der Auftrag des Kunden eintrifft5.

3.58

d) Andere Fälle aa) Bestehender Vertrag Außer Inlandsgeschäften sind noch weitere Fälle denkbar, in denen sich der Kunde für die Einbeziehung von AGB in den Vertrag nicht auf sein Aufenthaltsrecht berufen kann. Hierüber besteht im Schrifttum jedoch keine Einigkeit.

3.59

Vertragsänderungen und insb. die nachträgliche Einbeziehung von AGB in einen abgeschlossenen Vertrag sind nach vielfach vertretener Ansicht allein nach dem Statut des bestehenden Vertrages zu beurteilen6. Dies wird teilweise auf Fälle beschränkt, in denen im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses Einzelvereinbarungen geschlossen werden7. Die Rechtsprechung macht diese Einschränkung regelmäßig nicht8. Tatsächlich ist die Interessenlage ähnlich wie im vorkonsensualen Stadium. Deshalb wird auch hier eine Sonderanknüpfung geboten sein9.

3.60

1 Leible in NK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 28 ff. 2 BGH v. 13.7.1973 – I ZR 72/72, IPRspr. 1973 Nr. 25 = NJW 1973, 2154; BGH v. 7.7.1976 – I ZR 51/75, IPRspr. 1976 Nr. 8 = RIW 1976, 534. 3 Drobnig, FS Mann, S. 591 (605); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 125 m.w.N. 4 Vgl. Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (121); Hepting, RIW 1975, 457 (463); Buchmüller, NJW 1977, 501. 5 Weitergehend möglicherweise OLG Frankfurt v. 16.1.1979 – 5 U 125/78, IPRspr. 1979 Nr. 29 = RIW 1979, 278 (Schweiz. Spediteur beauftragte die beklagte deutsche Spedition). 6 So insb. Drobnig, FS Mann, S. 591 (606) m.w.N. 7 Hepting, RIW 1975, 457 (463). 8 S. BGH v. 22.9.1971 – VIII ZR 259/69, BGHZ 57, 72 = IPRspr. 1971 Nr. 133 = NJW 1972, 391 Anm. Geimer, Schmidt-Salzer; OLG Nürnberg v. 11.10.1973 – 8 U 22/72, IPRspr. 1973 Nr. 12A = AWD 1974, 405 mit krit. Anm. Linke; LG Mainz v. 10.12.1971 – HO 46/71, IPRspr. 1971 Nr. 135 = AWD 1972, 298 Anm. Ebsen/Jayme. 9 Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (122 Fn. 84).

Martiny | 195

§ 3 Rz. 3.61 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

bb) Kenntnis der AGB und ihrer Geltung

3.61

Auch wenn ein Distanzvertrag geschlossen wird, kann einer Partei allgemein bekannt sein, dass die AGB einer bestimmten Branche gelten und das Schweigen darauf nach dem Vertragsstatut zu ihrer Einbeziehung in den Vertrag führt. In diesen Fällen lässt die Rechtsprechung das Recht am Aufenthaltsort des Kunden regelmäßig außer Acht1.

3.62

Weiß eine Partei im Einzelfall, dass ihr Vertragspartner Verträge nur auf der Grundlage bestimmter AGB abzuwickeln pflegt, so ist fraglich, ob man von der Sonderanknüpfung abweichen und somit das Verhalten nach dem Vertragsstatut bewerten soll2 oder ob man gleichwohl das Schweigen nach dem Aufenthaltsrecht der Partei bewerten soll, der gegenüber die AGB verwendet wurden3. Für die erste Lösung spricht die Kenntnis des Kunden. cc) Laufende Geschäftsverbindung

3.63

Eine laufende Geschäftsverbindung kann gegen eine Sonderanknüpfung sprechen4. Sie wird aber nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass der Kunde einmal im Lande des AGB-Verwenders geschäftlich aufgetreten ist oder dort gelegentlich geschäftliche Kontakte hatte. Die daraus zu ziehenden Folgen sollte man dem Recht seines gewöhnlichen Aufenthalts überlassen. Das bloße Bestehen einer laufenden Geschäftsverbindung schließt eine Sonderanknüpfung gleichfalls nicht grundsätzlich aus5. dd) Vertragsschluss im Drittstaat

3.64

Gibt die Partei, der gegenüber die AGB verwendet werden, ihre Erklärung in einem anderen als ihrem Aufenthalts- bzw. Niederlassungsstaat ab, so kann sie sich auf eine Sonderanknüpfung an ihr Recht nicht berufen. Dies gilt insbesondere für Vertragsschlüsse in Drittstaaten6. Hier kann der Kunde billigerweise nicht mehr erwarten, sein Verhalten werde nach seinem Recht beurteilt. Schließt etwa ein italienischer Kaufmann mit einem deutschen Spediteur ein Speditionsgeschäft in Belgien ab, so kann er sich weder auf das belgische Recht des Abschlussortes noch auf das italienische Recht seines Niederlassungsortes berufen, sondern unterliegt dem Vertragsstatut, das hier regelmäßig das deutsche Recht sein wird. Das deutsche materielle Recht hat dann zu entscheiden, ob die ADSp gelten.

4. Einbeziehung von AGB nach deutschem Sachrecht 3.65

Ist für die Einbeziehung der AGB deutsches Sachrecht maßgeblich, so finden grundsätzlich die dafür entwickelten Regeln der deutschen Rechtsordnung Anwendung7. Danach ist zunächst zu unterscheiden, ob die vor allem Verbraucher schützenden §§ 305 ff. BGB gelten 1 2 3 4

Nachw. bei Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 73 ff. Offen gelassen in BGH v. 7.7.1976 – I ZR 51/75, NJW 1976, 2075. Dafür Hepting, RIW 1975, 457 (463 f.); wohl auch Buchmüller, NJW 1977, 501. Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 73; Leible in NK, Art. 10 Rom I-VO Rz. 35; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 72. 5 OLG Frankfurt v. 12.10.1982 – 5 U 25/82, ZIP 1982, 1331 = IPRspr. 1982 Nr. 18 = RIW 1983, 59 (Österreich. Käufer, deutscher Verkäufer. Einbeziehung der AGB nach österreich. Recht geprüft und bejaht. Längere Geschäftsbeziehungen lediglich für das Kennenmüssen berücksichtigt). 6 Vgl. auch Fischer, S. 347 f. 7 Überblick bei Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 72 ff.; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 212 ff.

196 | Martiny

A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.68 § 3

oder nicht (vgl. § 310 BGB)1. Falls das zu bejahen ist, unterliegt das Einbeziehen § 305 Abs. 2 BGB. Danach sind ein Hinweis (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 BGB), die Möglichkeit der Kenntnisnahme (§ 305 Abs. 2 Nr. 2 BGB) und Einverständnis erforderlich. Für den kaufmännischen Geschäftsverkehr gelten ähnliche Grundsätze. Bei ausdrücklicher Anerkennung der AGB durch den ausländischen Kunden sind sie im Allgemeinen wirksam vereinbart2.

3.66

Hat der ausländische Kunde die AGB nicht ausdrücklich angenommen, so ist für die Rechtsprechung entscheidender Gesichtspunkt für das Einbeziehen von AGB die Kenntnis oder das Kennenmüssen3. Weiß der Kunde, dass die AGB gelten, so ist er grundsätzlich ebenso wie eine deutsche Vertragspartei zu behandeln. Mangels Widerspruchs gelten die AGB im Geschäftsverkehr unter den allgemeinen Voraussetzungen4. Auch eine frühere ständige Verwendung in einer laufenden Geschäftsbeziehung kann genügen5.

3.67

Ist dem Kunden die Existenz und die Geltung der AGB nicht bekannt, so ist grundsätzlich darauf Rücksicht zu nehmen, dass es sich um einen Ausländer handelt6. Insbesondere kann er nicht stets wie ein Deutscher behandelt werden. Ist der ausländische Vertragspartner branchenfremd, z.B. nicht Spediteur, so ist nicht ohne weiteres davon auszugehen, er müsse etwa wissen, dass deutsche Spediteure ausschließlich nach den ADSp arbeiten. Es bedarf in vielen Fällen vielmehr eines ausdrücklichen Hinweises, dass die ADSp Inhalt des Vertrages sein sollen7 (näher zum Speditionsvertrag unter Rz. 31.1 ff.). Auch dann, wenn ein Vertrag aufgrund detaillierter Ausschreibungsbedingungen geschlossen wird, werden die AGB nicht kraft Unterwerfung Vertragsinhalt8.

3.68

1 Nörenberg, NJW 1978, 1082 (1086 f.); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 41. 2 Näher Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 30; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 213 f. 3 BGH v. 13.7.1973 – I ZR 72/72, IPRspr. 1973 Nr. 25 = NJW 1973, 2154 (Italien. Spediteur beauftragte schriftlich deutschen Spediteur, der stets auf die ADSp verwiesen hatte. Die ADSp galten); OLG Hamm v. 19.5.2015 – 7 U 26/15, IPRspr. 2015 Nr. 205 = RdTW 2016, 219 = EWiR 2015, 623 Anm. Mankowski (Hinweis auf AGB genügte). Vgl. OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 – 9 U 204/01, NJW-RR 2002, 1722 (Italien. Kunde wurde auf ADSp hingewiesen); LG München I v. 29.5.1995 – 21 O 23363/94, IPRspr. 1995 Nr. 146 = IPRax 1996, 266 (m. Aufs. Trunk, IPRax 1996, 249) = NJW 1996, 401. 4 BGH v. 10.3.1971 – I ZR 87/69, IPRspr. 1971 Nr. 21b = VersR 1971, 619 (Türk. Kaufmann lagerte Kühlaggregate bei deutschem Spediteur ein und wusste aus Geschäftsbeziehungen, dass die ADSp zugrunde liegen. ADSp galten); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 86. 5 BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, IPRax 2006, 594 (m. Aufs. Leible/Sommer, IPRax 2006, 568) = NJW-RR 2005, 1518 (m. Aufs. Berg, NJW 2006, 3035) (Erfüllungsortklausel). 6 Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 42. 7 BGH v. 7.7.1976 – I ZR 51/75, IPRspr. 1976 Nr. 8 = RIW 1976, 534 = NJW 1976, 2075 (Anm. Buchmüller, NJW 1977, 501) (Belg. Kunde eines deutschen Spediteurs); OLG Saarbrücken v. 22.7.1953 – 3 U 10/53, IPRspr. 1952/53 Nr. 39 = NJW 1953, 1832 (Deutsche Speditionsfirma handelte im Auftrag einer französ. Firma; Vertrag saarländ. Recht unterstellt. Wegen fehlenden Hinweises auf die ADSp diese nicht angewendet); OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRspr. 1998 Nr. 162 (Frachtführer); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 89. 8 BGH v. 16.1.1981 – I ZR 84/78, IPRspr. 1981 Nr. 152 = IPRax 1981, 218 (LS) Anm. von Hoffmann = NJW 1981, 1905 (Deutscher Spediteur beteiligte sich an Ausschreibung über Seetransport nach Italien. Das Geschäft wurde für die italien. Interventionsstelle abgewickelt; ADSp galten nicht).

Martiny | 197

§ 3 Rz. 3.69 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.69

Die AGB werden aber ohne Kenntnis ihres Inhalts und ohne besonderen Hinweis kraft stillschweigender Unterwerfung Vertragsbestandteil, wenn der Vertragspartner des Spediteurs wissen muss, dass dieser ausschließlich nach branchenüblichen AGB, insbesondere den ADSp arbeitet. Dies gilt insbesondere für einen im Inland ansässigen Kaufmann. Aber auch ausländische Spediteure mit eigener Niederlassung in Deutschland, die hier Aufträge vergeben, müssen sich die ADSp entgegenhalten lassen1.

3.70

Für ausländische Spediteure, die vom Ausland aus Geschäftsbeziehungen mit deutschen Spediteuren unterhalten, nimmt die Rechtsprechung das Gleiche an. Auch bei internationaler Ausrichtung einer Spedition gelten die ADSp2. Es wird vorausgesetzt, dass ihr bekannt ist, dass Speditionsgeschäften regelmäßig AGB zugrunde liegen3. Entsprechendes gilt für ausländische Spediteur-Bedingungen4.

3.71

Während auf einige besonders verbreitete AGB nach deutschem Recht nicht aufmerksam gemacht werden muss, ist bei anderen mangels einer ausdrücklichen Vereinbarung oft ein Hinweis auf ihre Geltung notwendig5. Dies gilt nicht nur im Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB. Ob die widerspruchslos hingenommene Verweisung auf die AGB zu ihrer Einbeziehung führt, hängt von der Branchenüblichkeit, der Deutlichkeit des Hinweises, der Art der Vertragsbeziehung und dem Verhalten des Kunden ab.

3.72

Entsprechend verfährt man mit den deutschen Bank-AGB. Im Geschäftsverkehr zwischen inund ausländischen Banken ist mit ihrer Geltung zu rechnen. Eine ausländische Bank muss sich daher die deutschen Bedingungen entgegenhalten lassen6. Banken, die häufig geschäftliche Kontakte mit deutschen Banken unterhalten, erklären daher stillschweigend ihr Einverständnis, dass die verkehrsüblichen AGB in die Geschäftsbeziehungen mit einbezogen sind7 (näher zum Bankvertrag unter Rz. 13.1 ff.). 1 BGH v. 5.6.1981 – I ZR 64/79, IPRspr. 1981 Nr. 40 = RIW 1982, 55 = IPRax 1982, 77 (LS) Anm. von Hoffmann (Schweiz. Speditionsfirma mit eigener Spedition in der BRD, die Aufträge in die BRD vergab, musste mit Geltung der ADSp rechnen). 2 OLG München v. 30.10.1974 – 7 U 4596/73, IPRspr. 1974 Nr. 35 = VersR 1975, 129 (Ausländ. Transportunternehmen beauftragte deutschen Spediteur; ADSp angewendet); OLG Düsseldorf v. 21.6.1990 – 18 U 59/90, IPRspr. 1990 Nr. 172 = RIW 1990, 752. – Vgl. auch Kost, S. 155 f. 3 OLG Frankfurt v. 23.4.1980 – 17 U 105/79, IPRspr. 1980 Nr. 46 = RIW 1980, 666 (Speditionsauftrag brit. Unternehmens an deutschen Spediteur; ADSp galten); OLG Hamburg v. 31.10.1985 – 6 U 117/85, TranspR 1986, 440 = VersR 1986, 808 Anm. Lau (Inhaber italien. Spedition mit internationaler Geschäftsausrichtung musste wissen, dass der deutsche Empfangsspediteur auf der Grundlage der ADSp tätig wird); OLG Hamburg v. 23.2.1995 – 6 U 252/94, TranspR 1996, 40 = RIW 1997, 70 (niederländ. Spediteur); OLG Schleswig v. 25.5.1987 – 16 U 27/87, IPRspr. 1987 Nr. 129 = NJW-RR 1988, 283 (dän. Spedition); OLG Düsseldorf v. 4.10.2018 – I-12 I 46/17, RdTW 2018, 473 = ZIP 2018, 2378 = IPRspr. 2018 Nr. 341 (poln. Spediteur); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 43; Hausmannn in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 87. Abl. als zu weitgehend Fischer, Verkehrsschutz, S. 339 f. 4 S. OLG Köln v. 29.10.1993 – 3 U 8/93, RIW 1994, 599 = IPRax 1994, 465 (LS) m. krit. Bericht Kronke; OLG Bremen v. 11.5.1995 – 2 U 133/94, IPRspr. 1995 Nr. 49 = VersR 1996, 868. 5 Für grundsätzliche Verpflichtung zur Zugänglichmachung im internationalen Handel Bomsdorf/ Finkelmeier, RIW 2021, 350 (357). Wohl auch Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 30. 6 Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 43; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 88. 7 BGH v. 4.3.2004 – IX ZR 185/02, IPRspr. 2004 Nr. 23 = IPRax 2005, 446 m. zust. Aufs. Weller (Angolan. Nationalbank musste deutsche Bank-AGB gegen sich gelten lassen). Ebenso schon BGH v. 18.6.1971 – I ZR 83/70, IPRspr. 1971 Nr. 15 = NJW 1971, 2126 abl. Anm. Schmidt-Salzer; NJW 1972, 681 zust. Anm. Pleyer/Ungnade = JR 1972, 25 Anm. Kollhosser (Deutsche Bank über-

198 | Martiny

A. Zustandekommen des Vertrages | Rz. 3.76 § 3

5. Inhaltskontrolle von AGB Vorschriften, die den schwächeren Vertragsteil gegen wirksam einbezogene Formularbedingungen schützen, welche die stärkere Partei festsetzt, betreffen nicht mehr das Zustandekommen, sondern die Wirksamkeit des Vertrages1. Sie unterliegen dem dafür maßgeblichen Recht, d.h. dem Vertragsstatut (vgl. Rz. 35.24 ff. zu Art. 6 Rom I-VO).

3.73

Nach deutschem Recht sind solche Klauseln z.T. an besonderen Vorschriften (§§ 305 ff. BGB) zu messen. Auch im Übrigen werden sie nur anerkannt, wenn sie mit Treu und Glauben (§ 242 BGB) vereinbar sind. Die Gerichte prüfen, ob die AGB eine angemessene und sachgerechte Regelung der Vertragsbeziehungen enthalten. Führt die richterliche Inhaltskontrolle zum Ergebnis, dass eine Klausel eine grob einseitige Regelung trifft, so wird sie nicht beachtet und das Vertragsverhältnis ohne sie abgewickelt. Hierbei handelt es sich um materielle Regeln des Vertragsstatuts2.

3.74

Das deutsche Recht sieht eine Inhaltskontrolle nach § 307 BGB auch für den nichtkaufmännischen Bereich vor (vgl. § 310 BGB). Die Begründung einer solchen Kontrolle auch mit der verfassungsrechtlichen Privatautonomie (Art. 2 Abs. 1 GG) rechtfertigt es jedoch noch nicht, § 307 BGB als stets anzuwendende inländische Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO einzustufen3. Ein deutsches Gericht hat auch entsprechende ausländische gesetzliche Bestimmungen (z.B. § 879 österreich. ABGB4) zu beachten5. Gleiches gilt für von der Rechtsprechung aufgestellte Regeln, etwa bei Geltung englischen Rechts für die Unwirksamkeit von Freizeichnungen entwickelte „fundamental breach doctrine“6. Im internationalen Geschäftsverkehr sind bei der Inhaltskontrolle nach §§ 307, 310 Abs. 1 BGB auch die jeweiligen Gewohnheiten und Gebräuche des kaufmännischen Verkehrs für den einzelnen Geschäftszweig maßgeblich7.

3.75

Auf der Grundlage ausländischen Rechts formulierte AGB, die von einem ausländischen Unternehmen im Inland verwendet werden, sind nach der Rechtsprechung nicht revisibel, da sie

3.76

1 2 3 4 5

6 7

sandte niederländ. Bank regelmäßig Depotauszüge mit Hinweis auf deutsche Bank-AG. Da die niederländ. Bank sich nach den Geschäftsbedingungen erkundigen und gegebenenfalls hätte widersprechen müssen, Geltung der AGB angenommen.); BGH v. 9.3.1987 – II ZR 238/86, ZIP 1987, 693 = WM 1987, 530 = IPRspr. 1987 Nr. 16 (Überweisungsauftrag einer französ. Bank an eine deutsche Bank. Vertragsstatut deutsches Recht. Deutsches Recht aufgrund Nr. 26 der damaligen Bank-AGB angewendet). Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 94; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 175 f.; Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 6, 8. S. Jayme, Anm. zu BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69, NJW 1972, 1618 (1619); Drobnig, FS Mann, S. 591 (596); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 49; H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. § 305 BGB Rz. 33. Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 96; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 24. Dazu Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 35 ff. Boll, IPRax 1987, 11 (12); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 59; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 96. – Dabei ist jeweils zu prüfen, wie weit die Inhaltskontrolle geht. Dies gilt etwa für das engl. Recht (Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 2 ff.), das franz. Recht (Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 18 ff.), das niederländ. Recht (IPG 2000/2001 Nr. 7 [Passau]), das schweiz. Recht (Rieländer in Leuschner, Länderberichte Rz. 49 ff.). Zu Art. 8 schweiz. UWG vgl. Scheffler, IPRax 1995, 20 (22). Dazu Wathes (Western) Ltd. v. Austins (Menswear) Ltd., [1976] 1 Lloyd’s Rep. 14 (C. A.) = RIW 1976, 592. S. auch Stoll, FS Beitzke, S. 759 (772 f.). Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 95; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 80.

Martiny | 199

§ 3 Rz. 3.76 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

als Bestandteil einer ausländischen Rechtsordnung angesehen werden1. Die Gerichte prüfen jedoch, ob ein Verstoß gegen den deutschen ordre public (Art. 21 Rom I-VO) vorliegt2. Der revisionsgerichtlichen Prüfung unterliegt ferner, ob es sich um in- oder ausländische AGB handelt3. Dass die Bedingungen ausländische sind, wird vermutet, wenn ausländische Verwender sie formulieren und benutzen4. Außerdem müssen die Tatsacheninstanzen eine verfahrensrechtlich nicht zu beanstandende Auslegung vorgenommen haben. Das Ergebnis der Auslegung ist allerdings ebenso wie ausländisches Recht der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht entzogen (vgl. § 545 Abs. 1, § 560 ZPO)5.

6. Ungewöhnlichkeit einzelner Klauseln 3.77

Nach deutscher Rechtsprechung ist zwar eine Einigung dahin gehend, dass die von einem Vertragspartner aufgestellten AGB gelten sollen, genügend, ohne dass der andere Vertragsteil sie im Einzelnen zu kennen braucht6. Der „Unterwerfungswille“ bezieht sich aber nur auf solche Bedingungen, mit denen er billiger- und gerechterweise rechnen konnte. Diese „Ungewöhnlichkeits-Regel“, die auch andere Rechte kennen (vgl. § 864a österreich. ABGB), könnte man dem Umweltrecht des Kunden oder dem Vertragsstatut unterstellen. Ist der Kunde etwa Franzose, so kann aber das, was inhaltlich ungewöhnlich ist, sinnvoll nur vom vereinbarten (deutschen) Recht beantwortet werden. Die Ungewöhnlichkeitsregel dient insofern einer indirekten Kontrolle von Klauseln und hat somit mehr mit der Gültigkeit von AGB zu tun als mit der „Unterwerfung“ unter sie.

3.78

Soweit aber die Regel, dass überraschende Klauseln nicht in den Vertrag einbezogen werden (§ 305c Abs. 1 BGB), in erster Linie auf die Transparenz, die Art und Weise der Einbeziehung abzielt, geht es um das Zustandekommen des Vertrages7. Folglich gehört eine solche „Überraschungskontrolle“ als Teil der Einbeziehungskontrolle zu den Fragen, für die sich eine Partei auf das Recht ihres gewöhnlichen Aufenthaltsorts berufen kann (Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO; vgl. Rz. 2.30)8. 1 BGH v. 21.1.1971 – II ZR 147/68, IPRspr. 1971 Nr. 1 = AWD 1971, 294 (keine Revisibilität der AGB eines französ. Frachtführers); BGH v. 11.6.1986 – VIII ZR 153/85, NJW-RR 1987, 43 = WM 1986, 1115 (AGB eines DDR-Außenhandelsbetriebes); BGH v. 22.2.1994 – VI ZR 309/93, IPRspr. 1994 Nr. 1 = NJW 1994, 1408 (Chartervertrag). – A.A. Jayme, ZHR 142 (1978), 105 (122 f.); Teske, EuZW 1991, 149 ff. unter Hinweis auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung. 2 Vgl. BGH v. 3.2.1966 – II ZR 19/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 1 = DB 1966, 936 (Freizeichnungsklauseln in den Konnossementsbedingungen des Centraal Bureau voor de Rijn-en Binnenvaart verneint; kein Verstoß gegen Art. 30 EGBGB a.F.). 3 BGH v. 19.9.1990 – VIII ZR 239/89, BGHZ 112, 204 (210) = IPRax 1991, 329 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 1991, 305) = IPRspr. 1990 Nr. 2. 4 Näher BGH v. 6.11.1991 – VIII ZR 241/90, IPRspr. 1991 Nr. 5 = NJW 1992, 1032. 5 BGH v. 14.1.1986 – X ZR 54/84, DB 1986, 1063 = ZIP 1986, 653; BGH v. 19.9.1990 – VIII ZR 239/89, BGHZ 112, 204 (210) = IPRax 1991, 329 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 1991, 305) = IPRspr. 1990 Nr. 2; BGH v. 22.2.1994 – VI ZR 309/93, IPRspr. 1994 Nr. 1 = NJW 1994, 1408 = EWiR 1994, 453 (Anm. Thode). 6 Z.B. BGH v. 9.2.1970 – VIII ZR 97/68, AWD 1970, 182. 7 Mankowski, RIW 1993, 454 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 103. 8 OLG Düsseldorf v. 14.1.1994 – 17 U 129/93, ZIP 1994, 288 = RIW 1994, 420 m. insoweit zust. Anm. Mankowski = WiB 1994, 650 m. insoweit zust. Anm. Lenz (Vereinbarung engl. Rechts in einem Börsentermingeschäft mit einem deutschen Kunden war überraschend und unwirksam); Thorn, IPRax 1997, 98 (104); Pfeiffer, NJW 1997, 1207 (1211); Junker, RIW 1999, 809 (817); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 13; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 103.

200 | Martiny

B. Materielle Wirksamkeit | Rz. 3.82 § 3

Handelt es sich nur darum, dass der Kunde sich über die Tragweite des Geschriebenen geirrt hat oÄ, so liegt ein Willensmangel vor, für den ohnehin das Schuldstatut maßgeblich ist (Rz. 3.94).

3.79

7. Auslegung, Form Die Auslegung von AGB folgt dem Vertragsstatut1. Die sog. Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB), wonach Unklarheiten von Klauseln – insbesondere von Haftungsausschlüssen – zu Lasten des Aufstellers gehen2 (England: contra proferentem rule; Italien: Art. 1370 c.c.; Österreich: aus § 915 ABGB abgeleitet), ist also dem Recht zu entnehmen, das für den Inhalt des Hauptvertrages gilt3.

3.80

Geht es um die Auslegung einer Rechtswahlklausel, stellt sich zunächst einmal eine kollisionsrechtliche Frage. Folglich ist auch hier die maßgebliche Regelung die des Art. 3 Rom I-VO, nicht eine in- oder ausländische Sachnorm. Folgt man dem, so kann § 305c Abs. 2 BGB insoweit nicht zum Zuge kommen4. Allerdings bedarf es dann einer anderen Regelung, um einen entsprechenden Schutz zu gewährleisten.

3.81

Soweit einzelne Rechtsordnungen eine bestimmte Form für besonders belastende Klauseln vorsehen (Italien: Art. 1341 c.c.), ist dies, wie auch sonst (Rz. 3.80 sowie Rz. 5.202 ff.), als Frage der Form nach Art. 11 Rom I-VO zu behandeln5.

3.82

B. Materielle Wirksamkeit Literatur: Belser, Die Inhaltskontrolle internationaler Handelsverträge durch internationales Recht – Ein Blick auf die Schranken der Vertragsfreiheit nach UNIDROIT principles, Jb.J.ZivRWiss 1998, 73; G. Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht (1990); Girsberger/Mráz, Sittenwidrigkeit der Finanzierung von internationalen Waffengeschäften, IPRax 2003, 545; Goltz, Motivirrtum und Geschäftsgrundlage im Schuldvertrag – Rechtsvergleichende Untersuchung unter Berücksichtigung des französischen, schweizerischen, italienischen und deutschen Rechts (1973); Harke, Das Irrtumsrecht des portugiesischen Código Civil, ZEuP 2003, 541; Jurcova/Csach, Unfair Contract Terms Protection in Slovakia, OER 2020, 163; Karasek-Wojciechowicz, Die Sanktionierung missbräuchlicher Vertragsklauseln sowie die Vertragsrückabwicklung am Beispiel Polens, OER 2020, 129; Kötz, Die Ungültigkeit von Verträgen wegen Gesetz- und Sittenwidrigkeit – Eine rechtsvergleichende Skizze, RabelsZ 58 (1994), 209; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015; Kramer, Der Irrtum beim Vertragsschluss (Zürich 1998); Lagarde, The Scope of the Applicable Law in the E.E.C. Convention in North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam, New York, Oxford 1982), S. 49; Lebrecht, Richterliche

1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 193. 2 Eine contra proferentem rule enthalten auch Art. 4.6 UNIDROIT-Principles 2016 sowie Art. II.8:103 DCRF. 3 von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 808; Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 25. – S. bereits OLG München v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88, IPRspr. 1989 Nr. 240 = RIW 1990, 585 (Schiedsklausel nach schweiz. Recht); Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 63; H. Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen, Anh. § 305 BGB Rz. 32. 4 Hau in Wolf/Lindacher/Pfeiffer, IntGV Rz. 63. 5 LG Zweibrücken v. 5.3.1974 – 3 S 135/73, IPRspr. 1974 Nr. 148 = NJW 1974, 1060 (AGB des deutschen Kunden wurden nicht Vertragsbestandteil, weil der italien. Verkäufer die Gerichtsstandsklausel nicht schriftlich bestätigt hatte; vgl. aber nunmehr Art. 25 Brüssel Ia-VO).

Martiny | 201

§ 3 Rz. 3.82 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts Vertragsgerechtigkeitskontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr: Eine Studie zum französischen und zum deutschen Recht (2020). – Vgl. auch die Literatur vor Rz. 3.1.

I. Wirksamkeit des Vertrages 3.83

Die materielle Wirksamkeit des Vertrages unterliegt im Allgemeinen nationalem Recht. Das Einheitskaufrecht spart die Frage aus (s. Rz. 25.30 ff.). Sie wird jedoch von den UNIDROITPrinzipien 2016 (Rz. 3.1) angesprochen1, ferner gibt es Überlegungen dazu im Rahmen eines künftigen europäischen Vertragsrechts2. Die Zulässigkeit bestimmter Vertragsklauseln ist für Verbraucherverträge durch eine nach Art. 46b EGBGB zu beachtende europäische Richtlinie angeglichen worden (s. Rz. 35.97).

3.84

Die materielle Wirksamkeit des Vertrages oder einer seiner Bestimmungen beurteilen sich nach dem Recht, das nach der Rom I-VO anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die Bestimmung wirksam wäre (Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO).

3.85

Mit materieller Wirksamkeit (material validity; validité au fond) ist der gesamte Bereich des Vertragsschlusses gemeint, welcher nicht als Frage des Zustandekommens oder der Form eingeordnet werden kann. Zu diesem „inneren Konsens“ gehören insb. Willensmängel wie Irrtum, Drohung oder arglistige Täuschung. Auch ob ein Scheingeschäft vorliegt, entscheidet das Schuldstatut3.

3.86

Zu beachten ist auch hier, dass Verweisungs- und Hauptvertrag zwei selbständige Verträge sind (vgl. Rz. 2.15 ff.). Die Wirksamkeit des einen hängt nicht von der des anderen ab4.

II. Wirksamkeit des Verweisungsvertrages 3.87

Zur Wirksamkeit des Verweisungsvertrages heißt es in Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO: „Auf das Zustandekommen und die Wirksamkeit der Einigung der Parteien über das anzuwendende Recht finden die Artikel 10, 11 und 13 Anwendung.“

3.88

Die Verweisung in Art. 3 Abs. 5 Rom I-VO, der Art. 3 Abs. 4 EVÜ entspricht, bezüglich der Wirksamkeit der Einigung der Parteien (validity of the consent of the parties; validité du consentement des parties) führt zu Art. 10 Rom I-VO. Diese Vorschrift erklärt ihrerseits für den Hauptvertrag das Vertragsstatut für maßgeblich. Somit unterliegt insoweit auch die Rechtswahlvereinbarung diesem Statut5. Dies gilt etwa für eine Anfechtung wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung6. Dabei ist unerheblich, ob die Rechtswahl nur eine Vertragsklausel des Hauptvertrages bildet oder unabhängig von ihm geschlossen wird7. – Zum Zustandekommen des Verweisungsvertrages s. Rz. 2.20 ff.

1 Art. 3.1.1 ff. UNIDROIT-Prinzipien 2016. – S. Belser, Jb.J.ZivRWiss 1998, 73 ff. 2 Dazu Art. II.-7:201 ff. DCFR. – S. schon Storme, Harmonisation of the law on (substantive) validity of contracts (illegality and immorality), FS Drobnig (1998), S. 195 ff. 3 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 24. 4 Leible in NK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 45; Rieländer in Leuschner, Rechtswahl Rz. 25. 5 OLG Celle v. 26.7.2001 – 17 U 28/95, IPRspr. 2001 Nr. 31 = ZIP 2001, 1724 = EWiR 2001, 1051 (Anm. Eckert) (Isle of Man); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 294 (Stand 1.6.2021). 6 E. Lorenz, RIW 1992, 697 (701); Wendland in BeckOGK, Art. 3 Rom I-VO Rz. 294 (Stand 1.6.2021). 7 Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 1.

202 | Martiny

B. Materielle Wirksamkeit | Rz. 3.93 § 3

Die Regelung des Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO kann analog anzuwenden sein, wenn es sich um einen Verweisungsvertrag auf einem anderen Gebiet, aber in einer von Art. 1 Rom I-VO ausgeschlossenen Materie handelt (vgl. Rz. 1.87). So hat die Rechtsprechung schon früher die nicht ausdrücklich zugelassene Rechtswahl für Order-Konnossemente gestattet1.

3.89

Welche Kriterien für eine stillschweigende Rechtswahl entscheidend sind, ist dagegen eine Frage, die dem Kollisionsrecht der lex fori überlassen bleibt. Sie ist in Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom IVO geregelt2, s. Rz. 2.282 ff.

3.90

III. Wirksamkeit des Hauptvertrages Die Wirksamkeit des Hauptvertrages unterliegt dem Recht, das anzuwenden wäre, wenn der Vertrag oder die in Frage stehende Vertragsklausel wirksam wäre, also dem Vertragsstatut. Dies gilt gleichermaßen für Irrtum3, Drohung und arglistige Täuschung4. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO erfasst auch Fälle, in denen die Rechtsgültigkeit nur einer Vertragsklausel angefochten wird5. Zur Wirksamkeit des Vertrages zählt auch das Widerrufsrecht des Verbrauchers. Es wird – vorbehaltlich der Sondervorschriften für Verbrauchergeschäfte – von Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO erfasst6.

3.91

Die Anwendung der Vorschriften des Vertragsstatuts dient dem Entscheidungseinklang und der Praktikabilität, weil sie gestattet, diese Frage nach dem gleichen Recht zu beurteilen, nach dem auch die Vertragswirkungen und die Vertragsauslegung beurteilt werden. Den Vertragsparteien wird die Anwendung der Vorschriften des Vertragsstatuts am ehesten gerecht. Auch jemandem, der gegen seinen Willen in einen Vertrag hineingeraten ist, ist zuzumuten, sich zumindest in der Art und Weise der Beseitigung (Anfechtung) des Hauptvertrages nach dem Recht dieses Vertrages zu richten7.

3.92

Eine Korrektur durch das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erklärenden erfolgt nicht. Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO zielt auf Fälle ab, in denen das äußere Verhalten einer Person betroffen ist. Die Vorschrift gilt daher lediglich für die Frage, ob überhaupt eine rechts-

3.93

1 BGH v. 15.12.1986 – II ZR 34/86, BGHZ 99, 207 = NJW 1987, 1145 = RIW 1987, 215 (Wirksamkeit der Rechts- und Gerichtsstandsklausel dem Recht Sri Lankas unterstellt). 2 E. Lorenz, RIW 1992, 697 (701); Thorn in Palandt, Art. 3 Rom I-VO Rz. 6 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 9.6.1994 – 13 U 173/92, IPRspr. 1994 Nr. 35A = NJW-RR 1995, 1396 (Irrtum nach türk. Recht); LG Bonn v. 20.1.1999 – 16 O 32/97, IPRspr. 1999 Nr. 29 = RIW 1999, 879; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 69.– Zum Irrtum nach belg. Recht, IPG 200911 Nr. 11 (Köln). 4 OLG Hamburg v. 5.10.1998 – 12 U 62/97, IPRspr. 1998 Nr. 34 = TranspR-IHR 1999, 37. Vgl. für die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach span. Recht AG Wuppertal v. 12.6.1992 – 32 C 410/90, IPRspr. 1992 Nr. 36 = VuR 1993, 55 Anm. J. Schröder (zu wenig Kaschmir im Gewebe). 5 Vgl. zu Art. 8 EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 60. 6 BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (138) = ZIP 1997, 848 = IPRspr. 1997 Nr. 34; Mankowski, RIW 1996, 386; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 24. 7 Kost, Konsensprobleme, S. 105 ff. – Ebenso schon OLG Frankfurt v. 24.6.1964 – 7 U 213/61, IPRspr. 1964/65 Nr. 37 (Irrtumsanfechtung nach austral. Recht); OLG Oldenburg v. 5.11.1975 – 8 U 31/74, IPRspr. 1975 Nr. 15 (Nichtigerklärung des Vertrages nach niederländ. Bürgschaftsstatut); LG Aurich v. 11.7.1973 – 2 O 751/70, IPRspr. 1973 Nr. 10 = AWD 1974, 282 (Anfechtung wegen Irrtums nach deutschem Vertragsstatut).

Martiny | 203

§ 3 Rz. 3.93 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

geschäftliche Erklärung erfolgt ist, nicht für ihre Gültigkeit1. Zwar ist für Verträge mit Verbrauchern früher verschiedentlich anders argumentiert worden, insbesondere um ein Widerrufsrecht für Haustürgeschäfte zu begründen2. Die Wirksamkeit eines Vertrages kann jedoch nicht unter Berufung auf das Umweltrecht in Frage gestellt werden3. – Zum Sprachrisiko Rz. 3.24.

3.94

Die Regeln des deutschen Rechts über die Anfechtung wegen Irrtums (§ 119 BGB) und wegen Täuschung und Drohung (§ 123 BGB) sind zwingendes Recht, hinter dem starke Billigkeitsgrundsätze stehen. Auf die Anwendung der §§ 119, 123 BGB in Fällen, in denen fremdes Recht vereinbart ist, kann der deutsche Richter aber verzichten4.

3.95

Im Einzelnen bestehen bzgl. der Willensmängel freilich Unterschiede. Das englische Recht ist z.B. trotz des Misrepresentation Act 1967 (c. 7) hinsichtlich der Beachtung des Geschäftsirrtums erheblich zurückhaltender als das deutsche Recht5. Das US-amerikanische Recht lässt im Allgemeinen eine Lösung vom Vertrag wegen falscher Angaben (misrepresentation) und Arglist (fraud) zu6. Nach einigen Rechtsordnungen wird der Vertrag nicht schon durch einseitige Willenserklärung, sondern grundsätzlich erst durch Gerichtsurteil vernichtet (vgl. Art. 1441 ff. ital. c.c.)7. Ein solches Gestaltungsurteil kann auch ein deutsches Gericht erlassen, da es sich um ein materiell-rechtliches Erfordernis handelt8.

3.96

Wenn das Vertragsstatut entsprechende Bestimmungen nicht kennt, so ist ausnahmsweise der Einfluss von Irrtum, Drohung und Täuschung nach inländischem Recht zu beurteilen. Gleiches gilt, wenn das fremde Recht keine Vorschriften enthält, die den Mindesterfordernissen zum Schutz des Bedrohten oder arglistig Getäuschten entsprechen. Die Anfechtung wegen Drohung hängt, „auch bezüglich der Frage, welch einzelne Tatbestände durch sie erfasst wer1 Fischer, Verkehrsschutz, S. 341 f.; Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 247; Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 15. Dagegen auch für die Bedeutung von Willensmängeln Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 5. 2 S. etwa LG Gießen v. 14.12.1994 – 4 O 528/93, IPRspr. 1994 Nr. 28 = IPRax 1995, 395 (m. abl. Aufs. Mäsch, IPRax 1995, 371) = NJW 1995, 406 (m. abl. Aufs. Beise, NJW 1995, 1724) (Widerruf eines Time-Sharing-Vertrages); LG Stuttgart v. 13.7.1995 – 19 O 21/95, IPRspr. 1995 Nr. 30 = RIW 1996, 425 (m. abl. Anm. Mankowski, RIW 1996, 382) (Time-Sharing-Vertrag); LG Dortmund v. 31.1.1996 – 5 O 15/95, IPRspr. 1996 Nr. 28 = VuR 1996, 208 (m. Aufs. Mankowski, VuR 1996, 392) (Time-Sharing-Vertrag); Reich, VuR 1989, 158 (161). Abl. dazu Mankowski, RIW 1995, 364 (366). 3 BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (138) = IPRspr. 1997 Nr. 34 = IPRax 1998, 285 (m. Aufs. Ebke, IPRax 1998, 263); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 45; Stürner in Erman, Art. 10 Rom I-VO Rz. 5, 13, 15. – Anders OLG Frankfurt v. 1.6.1989 – 6 U 76/88, NJWRR 1989, 1018 = IPRax 1990, 236 (m. Aufs. Lüderitz, IPRax 1990, 216) (Verkauf von Bettwäsche in Spanien nach span. Recht an deutsche Touristen. Das damalige AGBG angewendet). 4 So schon Wahl, Das Zustandekommen von Schuldverträgen und ihre Anfechtung wegen Willensmangel, RabelsZ 3 (1929), 775 (788 f.). 5 Vgl. Giesen, Zur Konstruktion englischer Vertragsvereinbarungen, JZ 1993, 16 ff.; Goodhart, Mistake and Frustration in English Contract Law, FS Simonius (1955), S. 99. Zur „innocent misrepresentation“ nach kanad. Recht s. IPG 1984 Nr. 9 (Freiburg). 6 S. IPG 1975 Nr. 6 (Köln). Zu Irrtum und Täuschung in Florida s. IPG 1985/86 Nr. 13 (Passau). 7 Zu arglistiger Täuschung und Irrtum nach span. Recht s. IPG 1985/86 Nr. 9 (Freiburg); IPG 2003/ 2004 Nr. 1 (Jena). 8 LG Hamburg v. 30.11.1977 – 5 O 104/77, IPRspr. 1977 Nr. 23 = RIW 1980, 517 (Erbbaurechtsvertrag, Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach italien. Recht); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 25.

204 | Martiny

B. Materielle Wirksamkeit | Rz. 3.98 § 3

den, als Einrichtung zum Schutz des freien Willens so sehr mit den sittlichen Anschauungen des heimischen Rechts zusammen, dass eine nicht unerhebliche Abweichung eines fremden Rechts unerträglich erscheint“1. Art. 21 Rom I-VO greift aber nur dann ein, wenn die Behandlung der Willensmängel nach ausländischem Recht zu Ergebnissen führt, die mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sind2. Grundsätzlich bestimmt das Vertragsstatut auch über die Zulässigkeit des Vertragsinhalts (zu zwingenden Normen, insb. im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 und 4 und Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO, s. aber Rz. 2.137 ff., Rz. 5.59 ff.). Dies ergibt sich aus Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO, der ganz allgemein auf die Wirksamkeit des Vertrages abstellt. Als Nichtigkeitsgründe kommen vor allem solche des Zivilrechts in Betracht3. Dies können etwa sein ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot4, Sittenwidrigkeit5, Übervorteilung (Läsion)6 oder Formmängel. Die Sittenwidrigkeit wegen Missbrauchs der Privatautonomie betrifft in erster Linie das Verhältnis der Vertragsparteien zueinander und ist auch anderen Rechtsordnungen bekannt; § 138 BGB ist keine Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO7, vgl. Rz. 5.14 ff. Die Vorschrift ist früher aber teilweise als Grundlage für eine materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischen Eingriffsrechts herangezogen worden8.

3.97

Ein auf Bestechung gerichteter Vertrag kann nach dem Vertragsstatut nichtig sein9. Bei der Sittenwidrigkeitsprüfung nach deutschem Recht (§ 138 BGB) ist gegebenenfalls zu berücksichtigen, dass es sich um einen Auslandssachverhalt handelt, also die ausländischen sozialen Ver-

3.98

1 Wahl, RabelsZ 3 (1929), 775 (788). 2 Stürner/Hemler in BeckOGK, Art. 21 Rom I-VO Rz. 53 (Stand 1.10.2020). – Vgl. zum alten Recht LAG Düsseldorf v. 6.12.1985 – 4 Sa 89/82, RIW 1987, 61 (Anfechtung eines Vergleichs mit dem saudi-arab. Arbeitgeber wegen Drohung mit Ausweisung. Ordre public-Verstoß dahingestellt, da widerrechtliche Drohung nicht bewiesen). 3 Zur Nichtigkeit nach franz. Recht Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (42 ff.). 4 Vgl. OLG Celle v. 24.10.1989 – 16 U 77/87, IPRspr. 1989 Nr. 196 = RIW 1990, 320 (Angabe falschen Rechtsgrundes gem. Art. 1276 span. c.c.); Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 157 ff. – S. auch OLG Köln v. 27.11.1991 – 2 U 23/91, IPRspr. 1991 Nr. 48 = OLGZ 1993, 193 (Weiterverkauf von Fußballkarten). 5 BGH v. 24.7.2003 – IX ZR 131/00, NJW 2003, 3486 = IPRax 2005, 150 (m. Aufs. Spickhoff, IPRax 2005, 125; Staudinger, IPRax 2005, 129) = IPRspr. 2003 Nr. 200 (Anwaltshonorar); Kegel/Schurig, S. 611; BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 92/17, NJW 2018, 2412 = ZIP 2018, 1455 (Grundstücksgeschäft); Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 149; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 3. – Zu den Grundsätzen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nach poln. Recht IPG 2007/ 2008 Nr. 7 (Köln). 6 LG Baden-Baden v. 14.2.1997 – 2 O 348/95, IPRspr. 1997 Nr. 31 (Türkei); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 30.– Zum Lösungsrecht nach italien. Recht IPG 2012-14 Nr. 6 (München), nach Art. 21 schweiz. OR, IPG 2012-14 Nr. 14 (Hamburg). 7 Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 226 (Stand 1.2.2021).– So zu Art. 34 EGBGB BGH v. 19.3.1997 – VIII ZR 316/96, BGHZ 135, 124 (139) = IPRspr. 1997 Nr. 34 = IPRax 1998, 285 (m. Aufs. Ebke, IPRax 1998, 263) = NJW 1997, 1697 = Rev.crit.d.i.p. 87 (1998), 610 Anm. Lagarde = RIW 1997, 875 (Time-Sharing-Vertrag nach dem Recht der Isle of Man). 8 Dazu Roth, AcP 220 (2020) 458 (521 f.). 9 OLG Hamburg v. 8.2.1991 – 1 U 134/87, NJW 1992, 635 = RIW 1993, 327 (strafbare Bestechung nach syr. Recht). S. auch Piehl, Bestechungsgelder im internationalen Wirtschaftsverkehr (1991); Kalin, Verhaltensnorm und Kollisionsrecht: eine Studie zu den rechtsgeschäftlichen Auswirkungen der Korruption im internationalen Rechtsverkehr (2014); Weller, Perspektiven des Europäischen Kollisionsrechts: private enforcement durch internationales Privatrecht? Wirkungen von Korruption auf internationale Verträge, GewArch Beilage WiVerw Nr. 2/2014, S. 130.

Martiny | 205

§ 3 Rz. 3.98 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

hältnisse anders sind1. Diese Berücksichtigung der ausländischen Rechtswirklichkeit ist freilich kein Freibrief für vom deutschen Recht gedeckte Korruption2. Der BGH hat versucht, der Vermittlung von Regierungsaufträgen durch Bestechungsgelder dadurch einen Riegel vorzuschieben, indem er die entsprechende Vereinbarung für nichtig erklärte. Das Fordern und Entgegennehmen von Bestechungsgeldern durch ausländische Amtsträger sei jedenfalls insoweit zu missbilligen, als diese dadurch gegen die Rechtsordnung ihres Heimatlandes verstießen. Die Verletzung solcher Rechtsnormen bedeute auch eine Verletzung allgemein gültiger sittlicher Grundsätze3. Nunmehr ist zu berücksichtigen, dass die Regeln zur Korruptionsbekämpfung verschärft worden sind4.

3.99

Die Nichtigkeitsfolgen unterliegen nach Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO ebenfalls dem Vertragsstatut (zur Bereicherung s. Rz. 4.17 ff.). Dieses Recht regelt daher auch die Rückabwicklung eines Schuldverhältnisses5. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob es sich um vertragsrechtliche oder außervertragliche Ansprüche handelt6. Es ist anzunehmen, dass die Rom I-VO insoweit im Verhältnis zur Rom II-VO lex specialis ist, s. Rz. 4.20.

3.100

Ist eine bestimmte Vertragsgestaltung nach dem Vertragsstatut unwirksam, so richtet sich die Möglichkeit einer Umdeutung in ein erlaubtes Geschäft bzw. zulässigen Vertragstyp nach den Regeln dieses Rechts7. Es bestimmt auch, ob die Unwirksamkeit einzelner Klauseln den ganzen Vertrag nichtig macht8.

IV. Gläubigeranfechtung Literatur: Hohloch, Gläubigeranfechtung international, IPRax 1995, 306; Jung, Die nationale und internationale Gläubigeranfechtung nach deutschem und französischem Recht (2005); Koch, Gläubigeranfechtung der Schenkung eines ausländischen Grundstücks, IPRax 2008, 417; Kubis, Internationale Gläubigeranfechtung, IPRax 2000, 501; Schmidt-Räntsch, Die Anknüpfung der Gläubigeranfechtung außerhalb des Konkursverfahrens (1984); Schwind, Auf der Suche nach einem allgemeinen Anfechtungsstatut, IPRax 1986, 249.

1 OLG Hamburg v. 5.10.1979 – 11 U 190/78, IPRspr. 1979 Nr. 2A = ZIP 1980, 1088 (Die von einem Schiedsgericht angenommene Verpflichtung, im Iran Schmiergelder einzusetzen, um einen vorzeitigen Löschplatz zu erhalten, verstieß nicht gegen den deutschen ordre public). 2 S. nunmehr auch das OECD-Übk. zur Bekämpfung der Bestechung ausländ. Amtsträger v. 17.12.1997 und das deutsche Gesetz zur Bekämpfung internationaler Bestechung (IntBestG) v. 10.9.1998, BGBl. II 1998, 2327. – Dazu Krause/Vogel, Bestechungsbekämpfung im internationalen Geschäftsverkehr, RIW 1999, 488; Raeschke-Kessler, Korruption und internationales Vertragsrecht, FS Lüer (2008), S. 39. 3 BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 138/83, BGHZ 94, 268 = RIW 1985, 653 (abl. Anm. Knapp, RIW 1986, 999) = IPRax 1987, 110 (Anm. Fikentscher/Waibl, IPRax 1987, 86) (Provisionsvereinbarung über die Vermittlung von Regierungsaufträgen in Nigeria für sittenwidrig erklärt). 4 S. Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen v. 31.10.2003 gegen Korruption v. 27.10.2014, BGBl. II 2014, 762. 5 Vgl. Stürner in Erman, Art. 12 Rom I Rz. 17. 6 Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (328); Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 78. 7 Vgl. BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, ZIP 1984, 1405 = RIW 1985, 154 (Umdeutung des Trust in Treuhänderbestellung). Die Maßgeblichkeit von Art. 10 Rom I-VO im Zusammenhang mit Willensmängeln betont Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 4. 8 BGH v. 23.7.1997 – VIII ZR 134/96, IPRspr. 1997 Nr. 43 = NJW 1997, 3309 (Kartellrechtsverstoß); OLG Hamm v. 15.11.1994 – 29 U 70/92, IPRspr. 1995 Nr. 185 = RIW 1995, 681 (682).

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C. Vertragsauslegung | Rz. 3.102 § 3

Bei der Gläubigeranfechtung nach dem AnfG und entsprechenden Einrichtungen des ausländischen Rechts (actio pauliana) geht es zum einen um die Benachteiligung des Gläubigers, zum anderen aber um ein bestimmtes rechtsgeschäftliches Handeln des Schuldners gegenüber Dritten1. Nach § 19 AnfG kommt es auf das Recht an, dem die Wirkungen der angefochtenen Rechtshandlung unterliegen. Dies entspricht dem Statut des angefochtenen Erwerbsaktes2. Rück- und Weiterverweisung dürften nicht ausgeschlossen sein3.

3.101

Soweit für den Eigentumserwerb an beweglichen Sachen auf das dingliche Geschäft abgestellt wird und zudem ein späterer Statutenwechsel berücksichtigt werden soll4, führt dies im Ergebnis zur jeweiligen Belegenheit. Da das Anfechtungsrecht aber vom Bestehen einer geschützten Forderung abhängt und deren Befriedigung dient, war nach a.A. das für den Anspruch des Gläubigers maßgebliche Recht signifikanter5. Früher nannte die Rechtsprechung als möglichen Anknüpfungspunkt neben der Gläubiger-Schuldner-Beziehung noch den Sitz des Schuldners, der den Mittelpunkt seines Vermögens bildet6, oder stellte auf die „wesentlichen Verhältnisse“ ab7. In Österreich wurde auf den Ort der Befriedigungsverletzung abgestellt8. – Zur Insolvenzanfechtung s. § 339 InsO.

3.102

C. Vertragsauslegung Literatur: Andrews, „The devil is in the detail“: Procedural and substantive aspects of the interpretation of written contracts in England, FS Gottwald (2014), S. 23; Baaij/Cabrelli/Macgregor (Hrsg.), Interpretation of commercial contracts in European private law (2020) (England, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Niederlande, Polen, Portugal, Schottland, Schweden, Spanien, Südafrika); Ferrari, Le juge national et l´interprétation des contrats internationaux, Rev.int.dr.comp. 53 (2001), 29; von Hoffmann, Zur Auslegung von Formularbedingungen des internationalen Handelsverkehrs, AWD 1970, 247; Kötz, Vertragsauslegung – eine rechtsvergleichende Skizze in FS Zeuner (1994), S. 219; Lando, The Interpretation of Contracts in the Conflict of Laws, RabelsZ 38 (1974), 388; Magnus, Fremdsprachige Verträge unter deutschem Vertragsstatut in FS Schwenzer (2011), S. 1153;

1 Näher Junker in MünchKomm, Art. 1 Rom II-VO Rz. 19 f. – Zum französ. Recht IPG 2005/2006 Nr. 1 (Saarbrücken). 2 OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436 (m. Aufs. Koch, IPRax 2008, 417) (Grundstücksschenkung und -übertragung nach österreich. Recht); Kubis, IPRax 2000, 506; Schmidt-Räntsch, S. 129 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 1 Anh. III Rom I Rz. 19. – S. auch OLG Düsseldorf v. 25.8.1999 – 12 U 186/94, IPRspr. 1999 Nr. 33 = IPRax 2000, 534 (m. Aufs. Kubis, IPRax 2000, 501) (Deutscher Darlehensnehmer übertrug Grundstück auf Ibiza nach span. Recht auf seinen Sohn. Gläubigeranfechtung nach span. Recht beurteilt). 3 OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436. 4 So Hohloch, IPRax 1995, 306 (309). 5 So auch LG Berlin v. 22.6.1994 – 28 O 588/93, IPRspr. 1994 Nr. 42 = NJW-RR 1994, 1525 = IPRax 1995, 323 (m. abl. Aufs. Hohloch, IPRax 1995, 306). 6 S. näher BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318 (322) = IPRspr. 1980 Nr. 41 = IPRax 1981, 130 (m. Aufs. Großfeld, IPRax 1981, 116); Hanisch, ZIP 1981, 569 ff. Unentschieden auch LG Hamburg v. 11.7.1991 – 302 O 83/91, IPRspr. 1991 Nr. 56 = ZIP 1991, 1507 = EWiR 1992, 315 (Henckel); IPG 1987/88 Nr. 50 (Passau). 7 BGH v. 17.12.1998 – IX ZR 196/97, IPRspr. 1998 Nr. 229 = NJW 1999, 1395 (1396). 8 ÖOGH v. 27.2.1985 – 3 Ob 584/84, ÖJZ 1985, 724 = IPRax 1986, 244 (m. Aufs. Schwind, IPRax 1986, 249) (Unter Berufung auf die stärkste Beziehung des § 1 IPRG auf den Ort der Liegenschaft abgestellt. Trotz deutschen Wohnsitzes der Beteiligten österreich. Recht angewendet). Auf den Ort des Schaden verursachenden Verhaltens stellt ab Schwind, IPRax 1986, 251.

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§ 3 Rz. 3.102 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts Maier-Reimer, Vertragssprache und Sprache des anwendbaren Rechts, NJW 2010, 2545; Sandrock, Zur ergänzenden Vertragsauslegung im materiellen und internationalen Schuldvertragsrecht (1966); Schmitz, Haftungsausschlussklauseln in AGB nach englischem und internationalem Privatrecht (1977); Schulze (Hrsg.), Auslegung europäischen Privatrechts und angeglichenen Rechts (1999); Smits, Contract law, 2. Aufl. 2017, S. 121; Spagnolo, Contract interpretation, in DiMatteo/Janssen/Magnus/ Schulze (Hrsg.), International Sales Law, 2. Aufl. 2021, S. 739; Triebel, Auslegung von Rückversicherungsbedingungen in englischer Sprache bei Geltung deutschen Rechts in Liber amicorum Winter (2007), S. 619; Triebel/Balthasar, Auslegung englischer Vertragstexte unter deutschem Vertragsstatut, NJW 2004, 2189; Triebel/Vogenauer, Englisch als Vertragssprache, 4. Aufl. 2021; Vogenauer, Auslegung von Verträgen in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 135; Weick, Zur Auslegung von internationalen juristischen Texten in Freundesgabe Söllner (1990), S. 607.

I. Rechtswahl 3.103

Auf die Auslegung des Verweisungsvertrages (Rz. 2.15 ff.) selbst ist nicht das von Art. 12 Abs. 1 lit. a Rom I-VO bezeichnete Recht (lex causae) anzuwenden, da es ja gerade um dessen Geltung geht. Eine Lösung besteht darin, die lex fori anzuwenden, soweit es sich um die Frage handelt, auf welches Recht überhaupt verwiesen wird, weil in diesem Fall das Vertragsstatut noch nicht feststeht1. Vorzugswürdig ist allerdings – soweit möglich – die Entwicklung einheitlicher Auslegungsmaßstäbe, die auf Parteiwille und Üblichkeit Rücksicht nehmen, aus der Rom I-VO heraus2.

3.104

Wie die Rechtsprechung schon früher annahm3, sind die Regeln der lex fori insoweit anzuwenden, als es um die Frage geht, ob eine Rechtswahl vorliegt und auf welches Recht überhaupt verwiesen wurde4. Für die Art. 3 ff. Rom I-VO ist aber ein einheitlicher Auslegungsmaßstab zu entwickeln5. Richtet sich eine Rechtswahl auf „europäisches“ Recht, obwohl dieses bezüglich des Vertragsgegenstandes noch nicht vereinheitlicht wurde, so ist die am nächsten berührte Rechtsordnung gewählt. Das kann auch das deutsche Recht sein6. Bezieht sich die Rechtswahl lediglich auf „amerikanisches“ Recht, ohne die jeweilige Teilrechtsordnung zu bezeichnen (vgl. Art. 22 Abs. 2 Rom I-VO), so ist die Rechtswahl deswegen nicht nichtig, sondern auslegungsfähig (Rz. 2.306)7.

3.105

Für die Auslegung des Verweisungsvertrages gilt im Übrigen der Grundsatz, dass ein schuldrechtlicher Vertrag hinsichtlich sämtlich damit zusammenhängender Fragen möglichst einer einzigen Rechtsordnung zu unterwerfen ist. Zu einer Teilverweisung (Rz. 2.38 ff.) kommt es nur ausnahmsweise8. 1 v. Hoffmann in Soergel, Art. 27 EGBGB Rz. 34. – Anders v. Bar, IPR II (1991) Rz. 539 Fn. 596 (die möglicherweise gewählte lex causae). – Unentschieden OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934. 2 Leible in Ferrari/Leible, S. 41 (42 f.). – Allein für verordnungsautonome Auslegung von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 9; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 66. 3 RG v. 20.2.1929 – I 203/28, IPRspr. 1929 Nr. 35 (Seeversicherung. Das Formular verwies auf italien., ein handschriftlicher Zusatz auf französ. Recht. Deutsches Recht entschied, dass der Zusatz [und mithin französ. Recht] galt). 4 Ferrari in Magnus/Mankowski, Art. 12 Rome I Rz. 12; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 28. 5 Dicey/Morris/Collins, II Rz. 32–048; Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 66. 6 OLG Hamburg v. 5.10.1998 – 12 U 62/97, IPRspr. 1998 Nr. 34 (deutsch-chines. Vertriebsvertrag). 7 OLG Frankfurt v. 1.3.2000 – 9 U 83/99, IPRspr. 2000 Nr. 175 = NJW-RR 2000, 1367. Dazu auch Jayme/Kohler, IPRax 2001, 512. – Vgl. auch Magnus in Staudinger, Art. 3 Rom I Rz. 48. 8 von Hein in Rauscher, Art. 3 Rom I-VO Rz. 74 ff. – S. bereits BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69, BGHZ 57, 337 = IPRspr. 1971 Nr. 11 = NJW 1972, 385 (Anm. Jayme, NJW 1972, 1618).

208 | Martiny

C. Vertragsauslegung | Rz. 3.111 § 3

II. Hauptvertrag (Art. 12 Abs. 1 lit. a Rom I-VO) Zur Auslegung bestimmt Art. 12 Abs. 1 lit. a Rom I-VO1, dass das nach der Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht insb. für seine Auslegung maßgebend ist.

3.106

Die Auslegung eines Schuldvertrages gehört zum Geltungsbereich des auf den Vertrag anzuwendenden Rechts (lex causae)2. Die Vereinbarung eines eigenständigen Auslegungsstatuts durch teilweise Rechtswahl ist zwar möglich, aber nur ausnahmsweise anzunehmen3. Ein deutsches Gericht ist gehalten, die Vorschriften und Grundsätze des ausländischen Rechts von Amts wegen zu ermitteln (§ 293 ZPO). Wendet es stattdessen einfach die Grundsätze der deutschen lex fori an oder lässt es nicht erkennen, ob es deutschem oder ausländischem Recht folgt, so liegt ein Revisionsgrund vor4. Die in- und ausländischen Auslegungsmethoden sind nicht immer deckungsgleich. Abweichungen bestehen insbesondere hinsichtlich der Bindung an den Wortlaut einer Erklärung sowie bezüglich des Heranziehens von außerhalb einer Urkunde liegenden Umständen.

3.107

Folgt die Auslegung einer Urkunde ausländischem Recht, so unterliegt dessen Auslegung und Anwendung allerdings nicht der revisionsgerichtlichen Überprüfung (§ 545 Abs. 1, § 560 ZPO)5. Wohl aber kann sich aus deutschem Verfahrensrecht eine Pflicht des Gerichts ergeben, sich bei der Auslegung einer in einer fremden Sprache abgefassten Vertragsklausel sachverständig beraten zu lassen. Beruht ein Urteil auf einem entsprechenden Verfahrensmangel, kann das zur Aufhebung führen6.

3.108

Bei der Auslegung ist zu berücksichtigen, dass „Auslegungsregeln“ häufig nicht lediglich der Erforschung des wahren Parteiwillens dienen. Englische Gerichte lieben es z.B., bestimmte Rechtsfolgen, die sie an Verträge zu knüpfen für richtig halten, als von den Parteien stillschweigend vereinbart anzusehen (implied terms)7. Dies wird als Auslegungsregel ausgegeben, in Wirklichkeit handelt es sich um Fragen der Vertragswirkung8.

3.109

Im englischen Recht werden der „ejusdem-generis-Regel“ folgend allgemein gefasste Haftungsausschlussklauseln (wie z.B. „causes of any kind“) sehr eng ausgelegt; so werden die Parteien – oder derjenige, der das Formular entwirft – zu genauer Aufzählung gezwungen.

3.110

Wenn weiterhin das englische Recht nicht gestattet, einen vorvertraglichen Briefwechsel zur Auslegung einer Vertragsurkunde heranzuziehen, so zwingt es die Parteien, sich in der Ur-

3.111

1 Dies entspricht Art. 10 Abs. 1 lit. a EVÜ bzw. Art. 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB. 2 OLG München v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88, IPRspr. 1989 Nr. 240 = RIW 1990, 585 (Schiedsgerichtsvereinbarung); AG Geldern v. 17.8.2011 – 4 C 27/09, IPRspr. 2011 Nr. 44 = IHR 2012, 190 Anm. Piltz (Preisabrede nach niederl. Recht); AG Langenfeld v. 30.4.1998 – 18 C 260/96, IPRspr. 1998 Nr. 31 = NJW-RR 1998, 1524 (niederländ. AGB); Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 14. 3 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 35. 4 BGH v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, IPRspr. 1989 Nr. 3 = NJW-RR 1990, 248. 5 BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, ZIP 2013, 2173 = NJW 2013, 3656. 6 BGH v. 16.10.1986 – III ZR 121/85, NJW 1987, 591. 7 Vgl. Giesen, Zur Konstruktion englischer Vertragsvereinbarungen, JZ 1993, 16 (19). 8 S. Joseph Constantine S. Line v. Imperial Smelting Corp., [1942] AC 154 (House of Lords): „In short, in ascertaining the meaning of the contract and its application to the actual occurences, the court has to decide, not what the parties actually intended, but what as reasonable men they should have intended.“

Martiny | 209

§ 3 Rz. 3.111 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

kunde selbst vollständig und klar auszudrücken1. Auch die Reichweite der US-amerikanischen parol evidence-Rule unterliegt dem Vertragsstatut2. Danach dürfen zur Auslegung eines Schriftstücks außerhalb der Urkunde liegende Umstände nicht berücksichtigt werden, wenn das Schriftstück die vollständigen Abreden enthält und der Wortlaut unzweideutig ist (s. Rz. 1.157).

3.112

Die gleichen „Auslegungsregeln“ können allgemeine Lieferbedingungen enthalten. Hiernach muss der Vertrag schriftlich geschlossen sein. Die gesamte vorvertragliche Korrespondenz wird ungültig und darf nicht zur Auslegung unklarer Vertragsbedingungen herangezogen werden3. Dem Vertragsstatut folgt auch die Regel, wonach Unklarheiten zu Lasten des Verfassers einer formularmäßigen Vertragsbestimmung gehen4 (vgl. Rz. 3.80). – Es gibt auch Bestrebungen, die Regeln über die Auslegung internationaler Schuldverträge zu vereinheitlichen5.

III. Sprachgebrauch 3.113

Ist ein bestimmtes Recht Schuldstatut, so heißt dies noch nicht, dass sich die Bedeutung einer Wortfassung notwendigerweise nach dem Sprachgebrauch im Geltungsbereich dieses Rechts beurteilt. Die gleichen Worte können in verschiedenen Gebieten durchaus Verschiedenes bedeuten. So heißt „to ship“ im englischen Sprachgebrauch „to place on board“, im amerikanischen aber sowohl „to load on a train“ als auch „to place on board“6.

3.114

Insbesondere kann dann, wenn in Vertragsbedingungen aus einer anderen Rechtsordnung stammende Begriffe verwendet werden, dieser fremde Hintergrund berücksichtigt werden7. Das Reichsgericht hat wiederholt in Fällen, in denen es den Vertrag nach deutschem Recht beurteilte, die Bedeutung bestimmter englisch-sprachiger Klauseln zutreffend nach englischem Wortgebrauch beurteilt8. 1 St. Pierre v. South American Stores, [1937] 3 All E.R. 349 (C.A.) (Engl. Gesellschaft schloss mit einem in Paris domizilierten Chilenen einen Pachtvertrag über chilen. Grundstücke und unterstellte diesen Vertrag chilen. Recht („all parties to the lease elected domicile in Chile“). Mit Recht wurde in diesem Fall die erwähnte „Auslegungsregel“ nicht angewandt und die Verwendung vorvertraglicher Korrespondenz zugelassen, wie dies auch das chilen. Recht erlaubt. 2 OLG München v. 25.1.2001 – 6 U 2684/96, IPRspr. 2001 Nr. 25 = RIW 2001, 864 (kaliforn. Recht); OLG Düsseldorf v. 24.1.2006 – 20 U 59/05, IPRspr. 2006 Nr. 93 = ZUM 2006, 326 (Urheberrechtsvertrag nach New Yorker Recht); Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 20. 3 Pfuhl, ROW 1958, 1 (2). 4 OLG München v. 7.4.1989 – 23 U 6310/88, IPRspr. 1989 Nr. 240 = RIW 1990, 585 (Schiedsklausel nach schweiz. Recht). 5 S. Art. 4.1 ff. UNIDROIT-Principles 2016. 6 Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 11. 7 OLG Hamburg v. 22.12.1994 – 6 U 71/94, IPRspr. 1994 Nr. 57 = VersR 1996, 229 („condition“ nach engl. Versicherungsrecht); LG Hamburg v. 23.4.1954 – 62 O 31/54, IPRspr. 1954/55 Nr. 34 = MDR 1954, 422 (Schiffsmaklervertrag deutschem Recht unterstellt. Das in engl. Sprache gehaltene Vertragsformular wurde aber nach engl. Recht ausgelegt); Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom IVO Rz. 30; Weller in BeckOGK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 13 (Stand 1.10.2020). 8 RG v. 22.5.1897 – I 451/96, RGZ 39, 65 (67) (Penalty clause in Chartervertrag Warnemünde-London. Verpflichtung des Charterers unterlag deutschem Recht, aber: „Gerade dieser Satz aber nötigt dazu, für die Ermittlung der Bedeutung und Tragweite der einzelnen Klauseln der Charterpartie auf die englische Rechtsauffassung zurückzugehen.“); RG v. 24.3.1909 – I 196/08, RGZ 71, 9 (Kohlentransport von Schottland nach Frankreich. Das Recht des französ. Bestimmungshafens beherrschte die Konnossemente. Die Klausel „current price“ aber wurde nach engl. Sprachgebrauch ausgelegt. Ebenso wurde für die Klausel „freight and all other conditions as per charterparty“ der

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D. Vertragsinhalt, Nebenansprüche | Rz. 3.119 § 3

Der Grundsatz, dass fremdsprachige Begriffe im Lichte einer fremden Rechtsordnung zu verstehen sind, wird dann durchbrochen, wenn die Vertragsparteien mit dem Begriff übereinstimmend etwas anderes verbunden haben1. Bei der Wahl der englischen Sprache (etwa in einem Formular) ist problematisch, dass die Parteien möglicherweise nicht Begriffsinhalte des englischen Rechts inkorporieren wollen, sondern nur Vorstellungen insb. des deutschen Rechts in der Fremdsprache Englisch ausdrücken wollen. Daher ist Zurückhaltung geboten, wenn die Vertragspartner aus einem anderen als dem anglo-amerikanischen Rechtskreis stammen2. Für das deutsche Recht wird teilweise dafür plädiert, bei der Auslegung vorrangig den Hintergrund und die Sprachkenntnisse der Parteien zu berücksichtigen3. Auf diesem Wege sollte aber keine zusätzliche Unsicherheit geschaffen werden.

3.115

D. Vertragsinhalt, Nebenansprüche I. Schuldrechtliche Wirkungen Das Vertragsstatut regelt den Inhalt des Vertrages, bestimmt also die Rechte und Pflichten der Parteien. Grundsätzlich beansprucht das für den ganzen Vertrag bzw. den maßgeblichen Teil geltende Vertragsstatut umfassende Geltung. Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO, der einige Fragen besonders nennt, enthält – wie aus der Formulierung „insbesondere“ deutlich wird – nur eine beispielhafte Aufzählung4. Das Vertragsstatut bestimmt grundsätzlich,

3.116

– was zu leisten ist (vertragsgemäße Erfüllung),

3.117

– wer zu leisten hat (richtiger Schuldner), – an wen zu leisten ist (richtiger Gläubiger), – wann zu leisten ist (Fälligkeit), – an welchem Ort zu leisten ist (Erfüllungsort). Vielen Rechtsordnungen ist die deutsche Einteilung in kausale und abstrakte Rechtsgeschäfte unbekannt oder sie wird dort im Einzelfall anders getroffen. Daher muss das Schuldstatut darüber entscheiden, ob ein Rechtsgeschäft kausal oder abstrakt ist5.

3.118

Soweit ein Vertrag auch sachenrechtliche Wirkungen äußert, bestimmen sie sich grundsätzlich nach der lex rei sitae (s. Rz. 25.140 ff., Rz. 21.28 ff.). Die vertragliche Rechtswahl gilt grundsätzlich nur für das Verpflichtungsgeschäft. Dagegen kann das Erfüllungsgeschäft (ins-

3.119

1 2 3 4 5

engl. Sprachgebrauch herangezogen); RG v. 7.11.1928 – I 159/28, RGZ 122, 233 = IPRspr. 1929 Nr. 32 (Auf Seeversicherungsvertrag deutsches Recht angewendet. Die „Institute Time Clauses“ wurden aber nach der engl. Praxis ausgelegt). OLG München v. 22.9.1993 – 7 U 2175/93, IPRspr. 1993 Nr. 48 = TranspR 1993, 433 („Indemnity clause“ in Seefrachtvertrag). Vgl. auch OLG Frankfurt v. 10.1.2001 – 23 U 77/95, IPRspr. 2001 Nr. 23 („Caparra confirmatoria“ als Anzahlung). Näher Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 33 ff. Triebel/Vogenauer, Rz. 560 ff.; Krümmel in Röhricht/von Westphalen/Haas, INT Rz. 42l ff. Ebenso Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 4; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 21. So etwa Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 7. Ebenso Kegel/Schurig, S. 761 für die Schuldübernahme.

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§ 3 Rz. 3.119 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

besondere eine Rechtsübertragung) als solches einer anderen Rechtsordnung unterliegen als das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft1.

II. Vertragstyp 3.120

Ist das anwendbare Recht bestimmt, so entscheidet das Vertragsstatut auch, welchem Vertragstyp die Vereinbarung sachrechtlich zuzuordnen ist2. Danach ist beispielsweise zu ermitteln, ob es sich um Kauf, Werkvertrag oder Werklieferungsvertrag handelt3.

3.121

Die Ermittlung des Vertragstyps setzt oft eine Auslegung des Vertrages voraus (dazu Rz. 3.103 ff.). Von der Bestimmung des Vertragstyps nach dem anzuwendenden Recht ist die Qualifikation im Rahmen der objektiven Anknüpfung zu unterscheiden (s. Rz. 2.189 ff.).

III. Handelsrecht Literatur zur Rechtsvereinheitlichung und -angleichung: Magnus, Die Gestalt eines Europäischen Handelsgesetzbuches, FS Drobnig (1998), S. 57; Unidroit, Principles of International Commercial Contracts (Rom 2016). Literatur zum ausländischen Recht/zur Rechtsvergleichung: Assmann/Bungert, Handbuch des USamerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts I (2001); Baum (Hrsg.), Handbuch japanisches Handels- und Wirtschaftsrecht (2011); Elsing/Van Alstine, US-amerikanisches Handelsund Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1999; Fischer/Fischer, Spanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2005; Fischler/Vogel, Schwedisches Handels- und Wirtschaftsrecht mit Verfahrensrecht, 3. Aufl. 1978; Gotzen, Niederländisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2000; Heinemann/Peeters, Belgisches Handels- und Wirtschaftsrecht (1999); Kindler, Italienisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2014; Kort, Zum Begriff des Kaufmanns im deutschen und französischen Handelsrecht, AcP 193 (1993), 453; Kuglarz, Handels- und Unternehmensrecht in Polen in Horn/Pleyer (Hrsg.), Handelsrecht und Recht der Kreditsicherheiten in Osteuropa (1997), S. 6; Löber/Wicke/Huzel, Handelsund Wirtschaftsrecht in Spanien, 2. Aufl. 2008; Marek/Bohata, Quellen des tschechischen Handelsrechts, WiRO 2003, 39; Nelson, (Hrsg.), Digest of Commercial Laws of the World, 7 Bde. (Dobbs Ferry, N.Y.; Loseblatt); Scheftelowitz, Israelisches Handels- und Wirtschaftsrecht (1984); Schmidt-Tedd, Kaufmann und Verbraucherschutz in der EG (1987); Schütze, Handels- und Wirtschaftsrecht von Singapur und Malaysia (1987); Schwarz/Pálinkás, Neues tschechisches Handelsgesetzbuch in der Praxis, RIW 2001, 273; Sester, Brasilianisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2021; Sonnenberger/ Dammann, Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008; Vogenauer (Hrsg.), Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 4. Aufl. 2021; Wagner/Demühl/Plüss, Handels- und Wirtschaftsrecht in der Schweiz und in Liechtenstein, 3. Aufl. 2006; Wagner/Mann, Die Kaufmannseigenschaft ausländischer Parteien im Zivilprozess, IPRax 2013, 122; Weber/Barbukova/Geiling, Tschechisches Handelsrecht, 6. Aufl. (Prag 1996).

1 BGH v. 21.10.1964 – Ib ZR 22/63, IPRspr. 1964/65 Nr. 180 = AWD 1965, 455 (Auf Übertragung eines Warenzeichens französ., auf das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft deutsches Recht angewendet). Vgl. Merkt, Internationaler Unternehmenskauf durch Erwerb der Wirtschaftsgüter, RIW 1995, 533 (534 f.). 2 Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 7. 3 S. etwa BGH v. 27.4.1977 – VIII ZR 184/75, IPRspr. 1977 Nr. 17 = WM 1977, 793 (794) (Kauf oder Kommissionsvertrag nach türk. Recht); OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRspr. 1988 Nr. 163 = MDR 1989, 360 = IPRax 1990, 105 (m. Aufs. Prinzing, IPRax 1990, 83) (Kaufoder Werklieferungsvertrag nach schweiz. Recht); LG Karlsruhe v. 28.5.1982 – 7 O 429/80, IPRspr. 1982 Nr. 15A = RIW 1982, 668 (französ. Vertragsstatut; Handelsvertreter- oder Vertragshändlervertrag); LG Aschaffenburg v. 5.7.1983 – 1 HKO 162/80, IPRspr. 1983 Nr. 44 = TranspR 1984, 82 Anm. Trappe (italien. Vertragsstatut; Löschen einer Ladung durch Seehafenspediteur).

212 | Martiny

D. Vertragsinhalt, Nebenansprüche | Rz. 3.125 § 3

Nach dem Vertragsstatut richtet sich grundsätzlich, ob handelsrechtliche Sondervorschriften anzuwenden sind1. In der EU verfügen einige Länder wie Deutschland über eine eigenständige Handelsrechtskodifikation (Belgien, Frankreich, Griechenland, Luxemburg). In Österreich gilt seit 1.1.2007 das Unternehmensgesetzbuch (UGB). Andere Staaten haben eine ursprünglich vorhandene eigene Kodifikation aufgegeben (Italien, Niederlande) bzw. sind auf dem Wege dazu. Schließlich besitzen manche Länder keine gesonderte Handelsrechtskodifikation (Dänemark, Großbritannien, Polen, Schweiz, Ungarn)2. Trotz Fehlens einer handelsrechtlichen Kodifikation kann aber gleichwohl der Kaufmannsbegriff Verwendung finden3. In den Vereinigten Staaten gilt der Uniform Commercial Code, der – mit mehr oder weniger großen Abweichungen – von allen Einzelstaaten (außer Louisiana) übernommen worden ist4. Er hat insbesondere für das Kaufrecht und die Kreditsicherung Bedeutung.– Zu ausländischen Handelsgesellschaften s. Rz. 6.187 ff.

3.122

Setzen handelsrechtliche Vorschriften die Kaufmannseigenschaft voraus, so ist zu entscheiden, wie diese anzuknüpfen ist. Diese Frage ist außerordentlich umstritten5. Vielfach wird ein eigenes Sachstatut gebildet und es wird auf das Recht am Ort der gewerblichen Niederlassung des Betroffenen abgestellt6.

3.123

Diese Anknüpfung ist insofern zweifelhaft, als es um die Anwendung besonderer Rechtssätze des Vertragsstatuts geht und sich die Kaufmannsbegriffe der verschiedenen Rechtsordnungen keineswegs entsprechen. Abweichende Maßstäbe des Niederlassungsrechts können zu Spannungen mit dem Vertragsstatut führen. Daher kann man nicht einfach dem Handelsrecht eines bestimmten Sachrechts den Kaufmannsbegriff einer anderen Rechtsordnung vorschalten. Schließlich würde niemand an eine Sonderanknüpfung denken, wenn eine Rechtsordnung bestimmte Aktivitäten – ohne Verwendung des Kaufmannsbegriffs – einfach beschreibt und besonderen Regeln unterwirft. Daher dürfte vom Vertragsstatut auszugehen und sodann zu prüfen sein, ob die Kaufmannseigenschaft des Niederlassungsortes derjenigen der lex causae entspricht7. Bei ausländischer Eintragung im Handelsregister muss das Vertragsstatut entscheiden, ob dies einer von ihm verlangten Eintragung funktional äquivalent ist8. Andernfalls wird die Berufs- oder Gewerbeausübung nach der lex causae beurteilt. Auch dies wird jedoch bezweifelt; eine einheitliche Regel für die Anknüpfung der Kaufmannseigenschaft lasse sich nicht ermitteln9.

3.124

Zum Handelsbrauch vgl. Rz. 25.99.

3.125

1 Augenhofer in Calliess/Renner, Art. 12 Rome I Rz. 21; Leible in NK Art. 12 Rom I-VO Rz. 14. 2 Näher dazu Vékás, Über das europäische Verbrauchervertragsrecht und die Herausforderungen bei der Umsetzung, FS Kronke (2020), S. 1273 (1279 f.); Schmidt-Tedd, S. 214 ff. 3 Zum dän. Recht IPG 1980/81 Nr. 9 (Hamburg). 4 Vgl. Harrer/Wiegmann in Assmann/Bungert, I Rz. 3 ff.; Elsing/Van Alstine, S. 83. 5 Nachw. bei van Venrooy, S. 1 ff.; Krimphove in Soergel, IHR Rz. 74 ff.– Zum Kaufmann nach französ. Recht IPG 2005/2006 Nr. 11 (Köln). 6 LG Hamburg v. 12.11.1957 – 2 OH 5/56, IPRspr. 1958–59 Nr. 22 (Schiedsvertrag. Kaufmannseigenschaft eines Unternehmens nach französ. Recht seiner gewerblichen Niederlassung beurteilt); LG Essen v. 20.6.2001 – 44 O 144/00, IPRspr. 2001 Nr. 29 = IPRax 2002, 396 = RIW 2001, 943; Wolff, S. 149; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 217. 7 Wegen Nichtabtrennbarkeit allein für das Vertragsstatut Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 14; Krimphove in Soergel, IHR Rz. 79, 105, 110 (Sachrecht der Hauptfrage). 8 Remien in PWW, Art. 12 Rom I-VO Rz. 14 (Substitution). 9 van Venrooy, S. 28 ff. unterscheidet nach den einzelnen Sachnormen und unterstellt dem Recht am Niederlassungsort §§ 346, 354, 355 Abs. 1, §§ 358, 366 Abs. 1, § 369 Abs. 1 S. 1 HGB; der lex causae § 347 Abs. 1, §§ 348, 349, 350, 352, 353, 362, 368 Abs. 1, § 369 Abs. 1 S. 1 HGB; der lex cartae sitae § 363 Abs. 1 S. 1 und 2 HGB. Die Bestimmung des § 367 Abs. 1 S. 1 HGB soll nur für deutsche Kaufleute gelten.

Martiny | 213

§ 3 Rz. 3.126 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

IV. Währung Literatur: Alberts, Der Einfluss von Währungsschwankungen auf Zahlungsansprüche nach deutschem und englischem Recht (1986); Black, Foreign currency claims in the conflict of laws (Oxford 2009); W. Braun, Vertragliche Geldwertsicherung im grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr (1982); Breckheimer/Zeidler, Absicherung von Währungs- und Inflationsrisiken in langfristigen Verträgen angesichts der anhaltenden Euro-Krise, BB 2012, 2902; Fuchs, Zur rechtlichen Behandlung der Eurodevisen, ZVglRW 95 (1996), 283; Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999); Gruber, Geldwertschwankungen und handelsrechtliche Verträge in Deutschland und Frankreich (2002); Maier-Reimer, Fremdwährungsverbindlichkeiten, NJW 1985, 2049; Mastrandrea, The impact of currency exchange fluctuations on construction claims, Int. Constr. L. Rev. 2012, 293; Reinhuber, Grundbegriffe und internationaler Anwendungsbereich von Währungsrecht (1995); Remien, Die Währung von Schaden und Schadensersatz, RabelsZ 53 (1989), 245; Robertz, Wertsicherungs- und Preisanpassungsklauseln im Außenwirtschaftsverkehr (1985); Roth, Aufwertung und Abwertung im IPR, BerDGesVölkR 20 (1979), 87; Vorpeil, Kurs- und Wertsicherungsklauseln im grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr, IWB 4 Deutschland Gr. 6 (1992), S. 267.

3.126

Grundsätzlich bestimmt das Schuldstatut, in welcher Höhe und in welcher Währung eine Geldschuld geschuldet wird1. Indem das Schuldstatut festlegt, in welcher Währung geschuldet wird, verweist es (durch materiell-rechtliche Verweisung) auf das Währungsrecht des eigenen oder eines fremden Staates. Dieses maßgebliche Recht ist das Währungsstatut2. Für währungspolitische Vorschriften gelten jedoch vielfach Besonderheiten, dazu Rz. 5.115 ff.

3.127

Ist deutsches Recht Währungsstatut, so kann die Schuldwährung im internationalen Handel grundsätzlich frei vereinbart werden3. Ist eine Schuldwährung nicht vereinbart worden, so kommt es bei vertraglichen Ansprüchen grundsätzlich auf den Zahlungsort an. Ist die Schuld in der Bundesrepublik zu zahlen, so ist mangels anderer Bestimmung in deutscher Währung, d.h. in Euro zu zahlen. Ist eine ausländische Währung vereinbart, so kann § 244 BGB eingreifen (s. Rz. 3.223).

3.128

Wird ein in ausländischer Währung vereinbarter Kaufpreis mit einem in Euro umgerechneten Betrag eingeklagt und tritt der Schuldner dem nicht entgegen, so bleibt dieser Betrag nach der Rechtsprechung auch dann maßgeblich, wenn der Devisenkurs inzwischen gefallen ist4.

3.129

Ist im Ausland zu erfüllen, so wird unter Berufung auf den Erfüllungsort angenommen, dass mangels anderer Vereinbarung mit den Zahlungsmitteln des Erfüllungsortes zu leisten ist (vgl. §§ 269, 270 BGB, § 361 HGB)5.

1 So OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRspr. 1988 Nr. 163 = MDR 1989, 360 = IPRax 1990, 105 (m. Aufs. Prinzing, IPRax 1990, 83); Reinhuber, S. 72 f.; Grothe, S. 96 ff.; Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 142; Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 6. 2 Darunter versteht man grundsätzlich die Normen, welche ein Geldschuldverhältnis nicht schuldrechtlich, sondern geld- und währungsrechtlich ausgestalten. – Zur uneinheitlichen Verwendung dieses Begriffs Grothe, S. 97 ff. sowie Martiny in MünchKomm, nach Art. 9 Rom I-VO Anh. I Rz. 4. 3 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 111. – Die frühere Genehmigungspflicht für Fremdwährungsverbindlichkeiten nach § 3 WährungsG, § 49 AWG ist beseitigt worden (Art. 9 §§ 1, 13 Euro-Einführungsgesetz v. 9.6.1998, BGBl. I 1998, 1242). 4 Vgl. bereits LG Hamburg v. 24.5.1978 – 17 S 179/77, RIW 1980, 64. 5 Deutsches Seeschiedsgericht v. 9.9.1976, IPRspr. 1976 Nr. 26 = VersR 1977, 447 (Bergelohn unterlag deutschem Recht, war aber in Kopenhagen in dän. Kronen zu zahlen).

214 | Martiny

D. Vertragsinhalt, Nebenansprüche | Rz. 3.132 § 3

V. Schuldner-, Gläubigermehrheit Sowohl auf der Schuldner- als auch auf der Gläubigerseite können mehrere Personen beteiligt sein1. Im Allgemeinen wird es dem Parteiwillen entsprechen, dass die Verpflichtungen aller dem gleichen Recht unterliegen2. Das für die Verpflichtung maßgebende Statut bestimmt, wie die Rechtsstellung eines von mehreren Gesamtschuldnern zu beurteilen ist3. Es regelt etwa die Verpflichtung des Schuldners gegenüber dem Gläubiger und wie weit seine Verpflichtung von der eines anderen Schuldners abhängt4. Entsprechendes gilt für die Gläubigermehrheit5.

3.130

Das Vertragsstatut regelt auch, welche Wirkung die Leistung hat, wenn nur einer der Gesamtschuldner die Schuld tilgt. Soweit Rückgriffsansprüche gegen die anderen bestehen, unterliegen sie, wie nunmehr Art. 16 Rom I-VO bestimmt, grundsätzlich dem Recht der getilgten Schuld (dazu näher Rz. 3.321). Das gilt auch, soweit sie auf Bereicherungsrecht (Rückgriffskondiktion) gestützt werden6. Zu Bereicherungsansprüchen näher Rz. 3.308.

3.131

VI. Vertrag zugunsten Dritter Beim echten Vertrag zugunsten Dritter räumt der Hauptvertrag (das Deckungsverhältnis) zwischen dem Gläubiger (Versprechensempfänger) und dem Schuldner (Versprechender) einem Dritten (Begünstigten) ein eigenes Forderungsrecht ein7 (vgl. Art. 5.2.1 ff. UNIDROITPrinciples 2016). Im Verhältnis zwischen Gläubiger und Drittem entsteht ein Valutaverhältnis. Die Zulässigkeit und die Wirkung einer solchen Drittbegünstigung richten sich nach dem Statut des Hauptvertrages8. Mangels Rechtswahl ist nach der charakteristischen Leistung zu fragen (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO)9. Erhält etwa ein Dritter einen Anspruch auf Lieferung einer Kaufsache, so ist dafür das Statut des Kaufvertrages maßgeblich. – Zum Bereicherungsausgleich s. Rz. 4.31 ff.

1 Rechtsvergleichend Meier, Gläubigermehrheiten in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 761. 2 Stoll, FS Müller-Freienfels, S. 631 (646). 3 Ebenso für akzessorische Haftung für Rechtsanwaltshonorar OLG Hamburg v. 18.5.2017 – 4 U 194/16, IPRspr. 2017 Nr. 55 = NJW-RR 2017, 1465. 4 Näher Mankowski, IPRax 1998, 122 (124). 5 BGH v. 6.5.1997 – IX ZR 136/96, IPRspr. 1997 Nr. 37 = NJW 1997, 2233; OLG Celle v. 16.9.1998 – 14a (6) U 281/96, IPRspr. 1998 Nr. 76 = IPRax 1999, 113 (LS) Bericht Jayme (Oder-Konto). 6 Vgl. Hay, Ungerechtfertigte Bereicherung im internationalen Privatrecht (1978), S. 32. 7 Vgl. von Bernstorff, Großbritannien – Neues Gesetz zum Vertrag zugunsten Dritter, RIW 2000, 435; W. Lorenz, Reform des englischen Vertragsrechts, JZ 1997, 105; H.-F. Müller, Die Einführung des Vertrages zugunsten Dritter in das englische Recht, RabelsZ 67 (2003), 140; Smits, Contract law, 2. Aufl. 2017, S. 245 ff.; Vogenauer, Vertrag zugunsten Dritter in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts II (2009), S. 1681. 8 W. Lorenz, FS Zweigert (1981), S. 199 (218); Weller in BeckOGK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 25 (Stand 1.10.2020). 9 BAG v. 23.3.2016 – 5 AZR 767/14, IPRspr. 2016 Nr. 95b = NJW 2016, 2285 (Haftung für Vergütungsansprüche von Arbeitnehmern); KG v. 18.2.2019 – 22 U 138/17, VersR 2019, 748 (Mitversicherung).

Martiny | 215

3.132

§ 3 Rz. 3.133 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

VII. Auskunftsanspruch 3.133

Der Anspruch auf Auskunft unterliegt derselben Rechtsordnung wie der Hauptanspruch, den er betrifft. Dies gilt auch für Ansprüche auf Rechnungslegung1.

E. Leistungsstörungen Literatur zu Rechtsvereinheitlichung und -angleichung: Brunner, Force majeure and hardship under general contract principles (Austin ua. 2009); Fischer, Die Unmöglichkeit der Leistung im internationalen Kauf- und Vertragsrecht (2001); Leible, Die Regelung des Leistungsverzugs im gemeinschaftlichen Sekundärrecht in Schulte-Nölke (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht (2002), S. 151; Lein, Die Verzögerung der Leistung im europäischen Vertragsrecht (2014); Remien, Folgen von Leistungsstörungen im europäischen Vertragsrecht der EG-Richtlinien und Verordnungen in Schulte-Nölke/Schulze (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht (2002), S. 139; Vogenauer, Hardship clauses und verwandte Klauseln in internationalen Handelskäufen, IWRZ 2021, 3, 57, 118; Weick, Force Majeure, ZEuP 2014, 281. Literatur zum Internationalen Privatrecht: Bälz, Ausländische Wirtschaftssanktionen als Leistungshindernis in internationalen Verträgen, NJW 2020, 878; Berger, Force Majeure Clauses and their Relationship with the Applicable Law, General Principles of Law and Trade Usages, in Bortolotti (Hrsg.), Hardship and force majeure in international commercial contracts (2018), S. 137; Birk, Schadensersatz und sonstige Restitutionsformen im IPR (1969); Böckstiegel, Vertragsklauseln über nicht zu vertretende Risiken im internationalen Wirtschaftsverkehr, RIW 1984, 1; Gössl, In- und ausländische CoronaRegelungen im grenzüberschreitenden Handel, ZVglRW 120 (2021), 23; von Hoffmann, Staatsunternehmen im IPR, BerDGesVölkR 25 (1984), 35; Jayme/Gebauer, Zahlung einer „caparra“ nach italienischem Recht als Verzugsschaden iSd. § 286 Abs. 1 BGB, IPRax 1994, 98; Khadjavi-Gontard/Hausmann, Zurechenbarkeit von Hoheitsakten und subsidiäre Staatshaftung bei Verträgen mit ausländischen Staatsunternehmen, RIW 1980, 533; Kost, Konsensprobleme im internationalen Schuldvertragsrecht (1995); Lagarde, The Scope of Applicable Law in the E.E.C. Convention in North (Hrsg.), Contract Conflicts (Amsterdam, New York, Oxford 1982), S. 49; Maier-Reimer, Fremdwährungsverbindlichkeiten, NJW 1985, 2049; Mann, Staatsunternehmen in internationalen Handelsbeziehungen, RIW 1987, 186; N. C. Neumann, Internationale Handelsembargos und privatrechtliche Verträge (2001); Nolting, Hoheitliche Eingriffe als Force Majeure bei internationalen Wirtschaftserträgen mit Staatsunternehmen?, RIW 1988, 511; Pédamon, Hardship in transnational commercial contracts (Zutphen 2013); Plate, Force Majeure und Hardship in grenzüberschreitenden Langzeitverträgen (2005); Plate, Die Gestaltung von „force majeure“-Klauseln in internationalen Wirtschaftsverträgen, RIW 2007, 42; Säcker, Die kollisionsrechtliche Verweisung auf Prinzipien europäischen oder internationalen Vertragsrechts in grenzüberschreitenden Schuldverträgen in ihrer Bedeutung für vertragliche Hardship-Klauseln, FS Beys (Athen 2003), S. 1391; Schmitz, Haftungsausschlussklauseln in AGB nach englischem und internationalem Privatrecht (1977); Schnyder, IPR der Leistungsstörungen in Koller (Hrsg.), Leistungsstörungen (St. Gallen 2008), S. 101; Schwenzer/Muñoz, Duty to Re-negotiate and contract adaptation in case of hardship, Unif.L.Rev. 24 (2019), 149 = IHR 2020,150; Spahl, Die positive Forderungsverletzung und der Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte im internationalen Privatrecht und internationalen Zivilprozessrecht (2001); Wagner, Anwendbares Recht für zivilrechtliche Schadensersatzansprüche aufgrund von Virusinfektionen, COVuR 2020, 738. Literatur zur Rechtsvergleichung/zum ausländischen Recht: Bälz, Force Majeure im internationalen Wirtschaftsrecht – Lehren aus dem Arabischen Frühling, FS Wegen (2015), S. 355; Berman, Force Majeure and the Denial of an Export Licence under Soviet Law: A Comment on Jordan Investments Ltd.

1 BGH v. 7.11.1963 – VII ZR 188/61, IPRspr. 1962/63 Nr. 172 = WM 1964, 83 (Auskunftsanspruch nach Statut eines Bereicherungsanspruchs beurteilt). Näher Martiny, IPRax 1981, 118 (119). Für hilfsweise Gewährung nach der lex fori Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 7a.

216 | Martiny

E. Leistungsstörungen | Rz. 3.135 § 3 v. Soiuznefteksport, RabelsZ 24 (1959), 449; Bollenberger, Gewinnabschöpfung bei Vertragsbruch, ZEuP 2000, 893 (Eng.); Caytas, Der unerfüllbare Vertrag – Anfängliche und nachträgliche Leistungshindernisse und Entlastungsgründe im Recht der Schweiz, Deutschlands, Österreichs, Frankreichs, Italiens, Englands, der Vereinigten Staaten, im Völkerrecht und im internationalen Handelsrecht (Wilmington 1984); Draetta, Force Majeure Clauses in International Trade Practice, Rev.dr.aff.int. 1996, 547; Flessner, Befreiung vom Vertrag wegen Nichterfüllung, ZEuP 1997, 255; Flessner, Geldersatz und Naturalherstellung im europäischen Vertragsrecht in FS Max-Planck-Institut (2001), S. 141; Friedmann, Specific Performance or Damages, FS Mestmäcker (1996), S. 1025; Gesang, Force majeure und ähnliche Entlastungsgründe im Rahmen der Lieferungsverträge über Gattungsware (1980); Horn (Hrsg.), Adaption and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance (Deventer 1985); Horn/Fontaine/Maskow/Schmitthoff, Die Anpassung langfristiger Verträge (1984); Inzitari, Nochmals zum Inflationsschaden beim Verzug mit Geldschulden in der italienischen Rechtsprechung, RIW 1979, 741; Kaden, Zufall und höhere Gewalt im deutschen, schweizerischen und französischen Recht, RabelsZ 31 (1967), 606; Klauss-Hartung, Mitverschulden bei Vertragsbruch im US-amerikanischen, englischen und deutschen Recht (1991); Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015; Krämer, Die Berechnung des Nichterfüllungsschadens bei der Sachmängelhaftung im amerikanischen Recht des Warenkaufs, RIW 1994, 123; Kurkela, (Hrsg.), Comparative Report on Force Majeure in Western Europe (Jyväsylässä 1982); Leuschner, Die Zulässigkeit vertraglicher Haftungsbeschränkungen in Deutschland und Polen, OER 2016, 206; Leuschner, Grenzen der Vertragsfreiheit im Rechtsvergleich, ZEuP 2017, 335; Magnus, Comparative Report on the Law of Damages in Magnus (Hrsg.), Unification of Tort Law – Damages (The Hague 2001), S. 185; Mankowski, Die Behandlung von Kosten außergerichtlicher Rechtsverfolgung im Internationalen Privatrecht, RIW 2011, 420; Philippe/Herring, Vertragsanpassungs- und Härteklauseln in Langzeitverträgen – belgisches Recht im internationalen Vergleich, RIW 2001, 270; Rauh, Legal Consequences of Force Majeure under German, Swiss, English and United States´ Law, Denver J.Int.L.&Policy 25 (1996), 151; Reiter, Vertrag und Geschäftsgrundlage im deutschen und italienischen Recht (2002); Remien, Leistungsstörungen nach der Réforme du droit des contrats in deutscher und europäischer Sicht, in Bien/Borghetti (Hrsg.), Die Reform des französischen Vertragsrechts (2018), S. 181; Rusch, Gewinnabschöpfung bei Vertragsbruch, ZEuP 2002, 122 (Eng.); Schackel, Der Anspruch auf Ersatz des negativen Interesses bei Nichterfüllung von Verträgen, ZEuP 2001, 248; Schlechtriem, Schadensersatz und Schadensbegriff, ZEuP 1997, 232; Schmid, Die positive Vertragsverletzung im System des schweizerischen und des europäischen Privatrechts in FS Max-Planck-Institut (2001), S. 1021; Smits, Contract law, 2. Aufl. 2017, S. 209 ff.; Trost, Anpassung langterminierter Außenhandelsverträge durch ein Schiedsverfahren nach Einheitlichen Richtlinien der Internationalen Handelskammer, ZVglRW 79 (1980), 290; Vaagt, Vertragsverletzung – Grundzüge des dänischen Schuldrechts, RIW 1990, 887.

I. Allgemeines In Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO, der den Geltungsbereich des auf den Vertrag anzuwendenden Rechts umreißt, heißt es, dass das nach der Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht maßgebend ist. Dies gilt insbesondere für die Folgen der vollständigen oder teilweisen Nichterfüllung dieser Verpflichtungen, in den Grenzen der dem angerufenen Gericht durch sein Prozessrecht eingeräumten Befugnisse, einschließlich der Schadensbemessung, soweit diese nach Rechtsnormen erfolgt (Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO).

3.134

Ausgangspunkt für die Behandlung der Leistungsstörungen ist das Vertragsstatut. Die Parteien können durch entsprechende Vertragsklauseln Vorsorge treffen1. Zu zwingenden Normen (insb. im Rahmen des Art. 9 Rom I-VO) s. Rz. 5.1 ff. Im Einzelfall können auch Ansprüche

3.135

1 Dazu Berger in Bortolotti, S. 137 ff.; Vorpeil, Force Majeure und Hardship-Klauseln in internationalen Verträgen, IWB 2019, 898 ff.

Martiny | 217

§ 3 Rz. 3.135 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

aus Deliktsrecht und aus anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen entstehen. Insoweit stellen sich Abgrenzungsfragen zu den vertraglichen Ansprüchen, s. Rz. 1.73, Rz. 1.75, Rz. 4.1.

3.136

Die Corona- bzw. COVID-19-Pandemie von 2020 berührt nahezu alle Lebensbereiche und hat zu einer Unzahl staatlicher Beschränkungen und rechtlicher Regelungen geführt1. Diese sowie ihre Folgen wirken sich häufig auf vertragliche Beziehungen aus, insb. als Leistungsstörungen (Unmöglichkeit, Wegfall der Geschäftsgrundlage, force majeure)2. Dabei ist einzugrenzen, wieweit sie nach den Regeln des Vertragsrechts im Rahmen der gewöhnlichen Anknüpfungen nach Art. 3 ff. Rom I-VO beurteilt werden können. In Betracht kommt auch eine Einordnung als inländische Eingriffsnorm nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO3, ferner als ausländische Eingriffsnorm iSd. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO4. Einer Einordnung bedarf es auch im Einheitsrecht, insbesondere dem CISG (s. Rz. 25.61). Die vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie in Art. 240 EGBGB sind zwingendes Recht; von ihnen kann nicht zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden (Art. 240 § 1 Abs. 5 EGBGB). Die Leistungsverweigerungsrechte und Kündigungsbeschränkungen des Art. 240 EGBGB gelten für Verträge nach deutschem Recht. Ob diese Schuldnerschutzbestimmungen als Frage der Leistungsstörungen einzuordnen sind (so zutreffend Rz. 5.75) oder als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Rom I-VO angesehen werden können5, ist umstritten.

II. Voraussetzungen der Leistungsstörungen (Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO) 1. Unmöglichkeit, Verzug 3.137

Das Recht der Leistungsstörungen (nach deutschem Recht Pflichtverletzung, insbesondere Unmöglichkeit und Verzug) ist weitgehend unvereinheitlicht6. Allerdings findet sich eine eigene einheitsrechtliche Regelung im UN-Kaufrecht (s. Rz. 25.65 ff.). Ferner sind die Vorschriften über den Verzug in der EU teilweise angeglichen worden7.

3.138

Die Voraussetzungen und grundsätzlich auch die Wirkungen der Leistungsstörungen richten sich nach dem Vertragsstatut8. Dazu gehört etwa die Voraussetzung des Verschuldens9. Dies ergibt sich aus Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO.

1 2 3 4 5 6

S. Gössl, ZVglRW 120 (2021), 23 (25 ff.); Michaels, www.conflictoflaws.net/corona. Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017. – Vgl. auch Wagner, COVuR 2020, 738 (740). Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017. Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017; Gössl, ZVglRW 120 (2021), 23 (35 ff.). Dafür Gössl, ZVglRW 120 (2021), 23 (34). Zu „breach of contract“ nach kaliforn. Recht IPG 2012-14 Nr. 9 (Köln). Zum Verzug nach türk. Recht, IPG 2012-14 Nr. 8 (Hamburg). 7 Richtlinie 2011/7/EU v. 16.2.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr (Neufassung), ABl. EU 2011 Nr. L 48, S. 1. – Dazu Schauer/Gruber in Mankowski (Hrsg.), Commercial Law, 2019, S. 1303 ff. 8 BGH v. 14.7.1993 – I ZR 204/91, BGHZ 123, 200 (207) = RIW 1994, 66 = MDR 1994, 675 (Straßengütertransport, positive Vertragsverletzung); OLG Köln v. 8.1.1993 – 19 U 123/92, MDR 1993, 315 = RIW 1993, 415 (Verzug nach niederländ. Recht); OLG München v. 9.1.1996 – 25 U 4605/ 95, IPRspr. 1996 Nr. 26 = RIW 1996, 329 (Verzug nach österreich. Recht); LG Bonn v. 20.1.1999 – 16 O 32/97, IPRspr. 1999 Nr. 29 = RIW 1999, 879 (Unmöglichkeit nach engl. Recht); Kost, S. 105 f.; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 816; Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 7. 9 BGH v. 29.6.2006 – I ZR 168/03, NJW-RR 2006, 1694 = RIW 2006, 948; BGH v. 25.10.2007 – I ZR 151/04, NJW-RR 2008, 840.

218 | Martiny

E. Leistungsstörungen | Rz. 3.143 § 3

Wegen der vielfältigen Risiken im internationalen Handel wird die Haftung insbesondere bei Kaufverträgen häufig beschränkt, z.B. durch die Klausel „Richtige und rechtzeitige Selbstbelieferung vorbehalten“1. Ob ein solcher Haftungsausschluss wirksam vereinbart wurde, entscheidet das Schuldstatut2.

3.139

Grundsätzlich hat sich jede Partei rechtzeitig um etwa notwendige behördliche Genehmigungen zu bemühen3. Erhält ein Importeur keine Einfuhrgenehmigung nach deutschem Außenwirtschaftsrecht und kann er daraufhin einen Kaufvertrag gegenüber seinem Abnehmer nicht erfüllen, so ist der Vertrag nach deutschem Recht gleichwohl gültig, solange nicht die verbotene Einfuhr als solche Vertragsgegenstand ist. Auch objektive Unmöglichkeit (§ 275 Abs. 1 BGB) liegt nicht vor4.

3.140

Die Schiedsgerichtspraxis geht im Allgemeinen ebenfalls davon aus, dass jede Partei verpflichtet ist, die für die Erfüllung ihrer Vertragspflichten erforderlichen Genehmigungen (z.B. für Im- und Export) zu beschaffen. Die Versagung dieser Genehmigungen stellt grundsätzlich keinen Fall höherer Gewalt dar5. Ein auf instabilen politischen Verhältnissen beruhendes zeitweiliges Erfüllungshindernis kann jedoch einer dauernden Unmöglichkeit gleichstehen6.

3.141

Nach spanischem Recht kann eine endgültige Zahlungsverweigerung zu einer Vertragsauflösung führen7. Nach US-amerikanischem Recht kann Schadensersatz bereits bei sich abzeichnender Vertragsverletzung verlangt werden (anticipatory breach; § 2–610 UCC). Es kann die eigene Leistung verweigert und Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangt werden, wenn die andere Partei ganz offensichtlich mit der Erfüllung in Verzug geraten wird8.

3.142

2. Störung der Geschäftsgrundlage Geschäftsgrundlage sind nach st. Rspr. die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Partei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung aufbaut (vgl. § 313 BGB). Ob eine Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht kommt, ent-

1 Dazu Liesecke, WM 1978 Beil. 3, 46 f. – Nach deutschem Recht als auflösende Bedingung einzuordnen, Westermann in MünchKomm, § 158 BGB Rz. 14. 2 OLG Hamburg v. 9.1.1975 – 6 U 11/72, IPRspr. 1975 Nr. 27 = Hansa 1976, 1659 (Chartervertrag; Haftungsausschluss nach deutschem Recht); Birk, S. 28. 3 Vgl. Art. 6.1.14 und 6.1.15 UNIDROIT-Principles 2016. 4 S. BGH v. 8.6.1983 – VIII ZR 77/82, ZIP 1983, 1088 = WM 1983, 841 = IPRax 1984, 91 (Anm. W.-H. Roth, IPRax 1984, 76) (Einfuhrkontingent für Hemden aus Korea erschöpft. Schadensersatzanspruch des deutschen Käufers gegen deutschen Importeur wegen dauernden subjektiven Unvermögens bejaht). 5 Vgl. Böckstiegel, RIW 1984, 1 (7); Nolting, RIW 1988, 511 (512 f.) je m.w.N. 6 Vgl. BGH v. 11.3.1982 – VII ZR 357/80, BGHZ 83, 197 = ZIP 1982, 704 = RIW 1982, 441 (Werklieferungsvertrag über Tierkörperverwertungsanlage. Wegen der andauernden Unruhen im Iran wurde die deutsche Seite von ihrer Montagepflicht wegen Unmöglichkeit frei [§ 275 BGB a.F.]. Anspruch auf Restpreis für Materiallieferung auf Analogie zu § 645 Abs. 1 S. 1 BGB gestützt). 7 OLG Hamm v. 9.11.2000 – 22 U 32/00, IPRspr. 2000 Nr. 132 = RIW 2001, 867. 8 Vgl. auch Harrer/Wiegmann in Assmann/Bungert, Handbuch des US-amerikanischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts I (2001), Rz. 62 ff.; Elsing/van Alstine, US-amerikanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1999, S. 94 ff.

Martiny | 219

3.143

§ 3 Rz. 3.143 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

scheidet das Vertragsstatut1. Ihm unterliegt etwa, welche Folgen eine nachträgliche Änderung der Kalkulationsgrundlage hat. Auch eine grundlegende Umwälzung im Ausland mit Importverboten kann eine Störung der Geschäftsgrundlage herbeiführen2.

3. Mahnung, Fristsetzung 3.144

Ob und wie gemahnt werden muss, regelt das Vertragsstatut3. Gleiches gilt für eine etwaige Fristsetzung. Sind für gewisse Rechtshandlungen Fristen einzuhalten, so richtet sich die Fristberechnung ebenfalls nach dem Vertragsstatut.

4. Verschulden 3.145

Ob Verschulden Voraussetzung für einen Anspruch wegen einer Leistungsstörung ist, bestimmt das Schuldstatut4. Es regelt auch, welcher Verschuldensgrad beachtlich ist, bzw. welche Sorgfaltspflichten bestehen. Die Berücksichtigung von Mitverschulden unterliegt ebenfalls dem Schuldstatut5.

III. Einzelne Folgen der Leistungsstörungen 1. Schuldbefreiung, Vertragsanpassung 3.146

Ob eine Leistungsstörung schuldbefreiende Wirkung hat, entscheidet grundsätzlich das Schuldstatut. Nach ihm richtet sich auch, wer die Leistungsgefahr trägt (s. Rz. 6.125). - Hardship-Klauseln

3.147

Die Abwicklung langfristiger internationaler Verträge kann in Frage gestellt sein, wenn das ursprüngliche Gleichgewicht der Verpflichtungen durch nicht vorhersehbare, spätere tiefgreifende Veränderungen gestört wird, die außerhalb der Einwirkungsmöglichkeiten der Parteien liegen (vgl. Art. 6. 2. 1 ff. UNIDROIT-Principles 2016). Durch Umstände wie Geldwertänderungen, Einfuhrbeschränkungen, Zollerhöhungen usw. wird die Vertragserfüllung oft zwar nicht unmöglich, wohl aber für einen Teil außergewöhnlich kostspielig. Ferner kann die Gegenleistung entwertet sein. Einige Rechtsordnungen lassen dann eine Auflösung oder gerichtliche Anpassung des Vertrages wegen veränderter Geschäftsgrundlage zu (z.B. Art. 1467 ital. c.c.; Art. 388 griech. ZGB). Auch in das französische Recht hat die „clause de hardship“ Eingang gefunden.

1 LG Bonn v. 20.1.1999 – 16 O 32/97, IPRspr. 1999 Nr. 29 = RIW 1999, 879 (engl. Recht); IPG 1976 Nr. 7 (Bonn) (Kaufvertrag; höhere Gewalt und Wegfall der Geschäftsgrundlage nach niederländ. Recht). 2 BGH v. 8.2.1984 – VIII ZR 254/82, ZIP 1984, 452 = IPRax 1986, 154 (Anm. Mülbert, IPRax 1986, 140) = NJW 1984, 1746 (Deutsche Brauerei hatte iran. Importeur Dosenbier geliefert. Wegen der mangelhaften Lieferung verpflichtete sich die Brauerei in einem Vergleich, der deutschem Recht unterlag, zu Schadensersatz. Insbesondere räumte sie für künftige Bierlieferungen einen Vorzugspreis ein. Nach der islam. Revolution wurde jedoch die Alkoholeinfuhr verboten. Im Ergebnis wurde eine Anpassung des Vertrages vorgenommen; das Risiko aus den nicht mehr durchführbaren Importen wurde unter den Vertragsparteien zur Hälfte aufgeteilt). S. auch BGH v. 7.3.1962 – VIII ZR 9/61, IPRspr. 1962/63 Nr. 18 = AWD 1962, 112 (Warenkauf; Wegfall der Geschäftsgrundlage nach deutschem Schuldstatut geprüft). Vgl. Wieling, JuS 1986, 272 ff. 3 Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 9. 4 S. von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 817. Vgl. Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (156). 5 Ebenso schon OLG Düsseldorf v. 29.9.1970 – 6 U 230/69, IPRspr. 1970 Nr. 15, S. 55.

220 | Martiny

E. Leistungsstörungen | Rz. 3.151 § 3

Im internationalen Handel sind Hardship-Klauseln üblich, die im Allgemeinen folgende Möglichkeiten vorsehen1: In erster Linie eine Anpassung des Vertrages durch Parteiverhandlungen, bei Nichteinigung Vertragsanpassung mit Hilfe eines Dritten (auch des Schiedsrichters) und schließlich die Aufhebung des Vertrages2. Die Wirksamkeit solcher Klauseln richtet sich nach dem Schuldstatut. Derartige Klauseln sind in vielen international verbreiteten Formularen enthalten3. Verfahrensmäßig wird häufig vereinbart, dass zunächst Neuverhandlungen der Parteien stattfinden müssen, ehe ein Schiedsrichter eingeschaltet werden kann4. Andere Anpassungsklauseln betreffen spezielle Situationen für einzelne Vertragstypen5.

3.148

- Force majeure Einige Rechte kennen einen eigenen Begriff der höheren Gewalt (force majeure)6. § 293 Abs. 1 DDR-GIW sah Umstände als „unabwendbare Gewalt“ an, „wenn sie bei Vertragsabschluss weder voraussehbar waren noch bei Beachtung der im internationalen Handel üblichen Sorgfalt abgewendet werden konnten“7. Rechtsfolgen sind, soweit noch eine Beseitigung des Hindernisses in Betracht kommt, zunächst ein Ruhen der Leistungspflichten, sodann nach den Umständen Freiwerden, Kündigungs- und Rücktrittsrechte. Zum CISG s. Rz. 25.61.

3.149

Wenn ein Schiedsgericht der IHK zu entscheiden hat, ist zu beachten, dass es u.U. besonders streng am Grundsatz pacta sunt servanda festhalten wird. Ein Ereignis rechtfertigt nur dann eine schuldbefreiende „force majeure“, wenn es unvorhersehbar (d.h. im Zeitpunkt seines Eintretens gab es keinen besonderen Grund zur Annahme, dass es eintreten würde) und „irrésistible“ (unabwendbar) war, d.h. für den Schuldner war es absolut unmöglich, den Vertrag zu erfüllen8. Viele internationale Wirtschaftsverträge enthalten eigene Force majeure-Klauseln9, die die Hinderungsgründe aufzählen10.

3.150

Exportverbote werden häufig angeführt, um damit eine „force majeure“ für den Verkäufer zu begründen. Ist er ein Staatsunternehmen, so stellt sich die Frage, ob er sich – wie ein Privatunternehmen – auf Staatseingriffe seines Heimatstaates berufen kann oder sie sich zurechnen lassen muss11. Ausländische Gerichte und Schiedsgerichte haben beim Wegfall von Exportgenehmigungen mehrfach eine Leistungsbefreiung angenommen12.

3.151

1 Dazu Vorpeil, IWB 2019, 898 ff.; Vogenauer, IWRZ 2021, 57 ff. 2 Vgl. auch Art. 6.2.3 UNIDROIT-Principles 2016. – Dazu Vogenauer, IWRZ 2021, 3 (8 f.), 3 Beispiele für Klauseln auch D.P.C.I. 1 (1975), 512 ff.; International Trade Centre, Cross-border contracting (2018), S. 93 ff.– Zu den FIDIC-Vertragsbedingungen für Ingenieurarbeiten sowie zum ORGALIME-Wartungsvertragsmuster Böckstiegel, RIW 1984, 1 ff. 4 Zur entsprechenden Klausel der IHK s. Böckstiegel, RIW 1984, 1 (5 f.). 5 Zu Material Adverse Changes Vogenauer, IWRZ 2021, 112 (115 ff.). 6 Zu Art. 1218, 1231-1 franz. c.c. Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (54). 7 Vgl. auch Art. 7.1.7 UNIDROIT-Principles 2016. 8 Dazu Schiedssprüche Nr. 2216 und 2139 aus 1974, Clunet 102 (1975), 917 (929). Zur höheren Gewalt bei Staatseingriffen in Staatshandelsländern s. Böckstiegel, NJW 1975, 1577 (1580 f.), m.w.N. 9 Dazu International Trade Centre, Cross-border contracting (2018) S. 95 ff.; Ostendorf/Kluth § 10. 10 S. „ICC-Klausel über höhere Gewalt“. – Zur long form Vogenauer, IWRZ 2021, 112 (114 f.). 11 Grundsätzlich für Ersteres von Hoffmann, BerDGesVölkR 25 (1984), 35 (60 ff.). 12 S. Czarnikow Ltd. v. Rolimpex, [1978] 2 All ER 1043 (House of Lords 1978) (Poln. Außenhandelsunternehmen Rolimpex verkaufte an engl. Käufer Zucker. Nach Missernte in Polen wurde die Exportgenehmigung widerrufen. Rolimpex wurde von seiner Leistungspflicht frei und brauchte nicht Schadensersatz wegen Vertragsbruchs zu leisten); Jordan Investments Ltd v. Sojusnefteksport, RabelsZ 24 (1959), 540 = I.C.L.Q. 8 (1959), 416 = Am.J.Int.L. 53 (1959), 800 (Sowjet. Außenhandels-

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§ 3 Rz. 3.152 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

2. Rücktritt und Vertragsauflösung Literatur: Hornung, Die Rückabwicklung gescheiterter Verträge nach französischem, deutschem und nach Einheitsrecht (1998); Huzel, Vertragsauflösung wegen Nichterfüllung im spanischen Recht (1993); Kleinschmidt, Einheit und Vielfalt im romanischen Rechtskreis am Beispiel der Vertragsaufhebung, FS Kronke (2020), S. 989; Kurzynsky-Singer, Rücktritt und Vertragsaufhebung nach russischem Recht, WiRO 2009, 138; Seifert, Rücktritt wegen Nichterfüllung nach dem Vertragsrecht arabischer Staaten, RIW 1998, 464.

3.152

Das Vertragsstatut bestimmt, ob und unter welchen Voraussetzungen ein vertraglich vereinbarter oder gesetzlicher Rücktritt vom Vertrag möglich ist1. Das Gleiche gilt für eine fristlose Kündigung2. Manche Rechte, insbesondere das belgische und das französische Recht3, verlangen statt der Ausübung eines einseitigen Rücktrittsrechts eine richterliche Vertragsauflösung4. Soweit nach dem Schuldstatut eine solche Vertragsauflösung notwendig ist, kann sie auch ein deutsches Gericht durch Gestaltungsurteil aussprechen5. Dies kommt etwa in Betracht für eine Vertragsauflösung nach französischem6 oder spanischem Recht7.

3. Schadensersatz - Art und Umfang

3.153

Nach dem Schuldstatut richtet sich gem. Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO, ob wegen einer Leistungsstörung Schadensersatz verlangt werden kann. Dazu gehört auch die Frage, welche Art von Schäden ausgeglichen werden sollen (z.B. Folgeschäden) und worauf der Anspruch gerichtet ist, z.B. auf Naturalherstellung, Geldersatz, Ersatz des immateriellen Schadens8. Auch die Schadensbemessung (assessment of damages; l’évaluation du dommage) richtet sich nach dem Vertragsstatut9. Dies gilt allerdings nur, soweit sie nach Rechtsnormen (rules of law; règles de droit) erfolgt, in den Grenzen der dem jeweiligen Gericht durch sein Prozessrecht eingeräumten Befugnisse. Diese Bestimmung stellt einen Kompromiss dar, weil nach einigen Rechtsordnungen Fragen der Schadensbemessung zum Prozessrecht gezählt werden (z.B. bei

1 2 3 4 5 6 7

8 9

schiedskommission v. 19.6.1958) (Sowjet. Staatsunternehmen Sojusnefteksport verkaufte Rohöl an israel. Käufer. Nach israel. Angriff auf Ägypten zog das sowjet. Außenhandelsunternehmen die Exporterlaubnis zurück. Schadensersatzanspruch des Käufers abgelehnt; höhere Gewalt angenommen). von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 818. – Zu Art. 1224 ff. franz. c.c. Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (56 f.). OLG München v. 8.2.2006 – 7 U 3800/04, IPRspr. 2006 Nr. 30 = RIW 2006, 706 (jugoslaw. Vertragshändler). Zu 1178 franz. c.c. (Art. 1184 a.F.) Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (42 f.). Vgl. Landfermann, S. 31 ff.; IPG 1999 Nr. 10 (Hamburg). Helmreich, S. 145 ff.; Kost, S. 119; Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 10; IPG 1967/68 Nr. 3 (München). S. etwa LG Freiburg v. 6.12.1966 – 7 O 83/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 34A. S. OLG Celle v. 31.3.1987 – 16 U 96/84, IPRspr. 1988 Nr. 17 = RIW 1988, 137 (Grundstückskauf); OLG Hamm v. 9.11.2000 – 22 U 32/00, IPRspr. 2000 Nr. 132 = RIW 2001, 867 (Grundstückskauf); LG Hamburg v. 10.4.1974 – 5 O 67/73, IPRspr. 1974 Nr. 14 = RIW 1975, 351; LG Hamburg v. 20.4.1977 – 5 O 13/77, IPRspr. 1977 Nr. 16 = RIW 1977, 787 (Grundstückskauf). OLG München v. 8.2.2006 – 7 U 3800/04, IPRspr. 2006 Nr. 30 = RIW 2006, 706; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 822. Zur Vereinbarung von pauschalem Schadensersatz nach ital. Recht, IPG 2012-14 Nr. 4 (Tübingen).

222 | Martiny

E. Leistungsstörungen | Rz. 3.156 § 3

der Festsetzung durch eine Jury)1. Für einen in Deutschland anhängigen Schadensersatzprozess setzt die Vorschrift offenbar keine Schranken2. Ein deutsches Gericht ist zwar an die prozessualen Vorschriften der §§ 286, 287 ZPO gebunden3, hat im Übrigen aber zunächst einmal die lex causae anzuwenden. Ist dies das ausländische Recht, so ist festzustellen, ob es Regeln des materiellen Rechts enthält, die auch in Deutschland angewendet werden können (z.B. ein Höchstbetrag). In diesem Rahmen kann auch unter der Herrschaft eines ausländischen Rechts die Schadensbemessung erfolgen. - Verzugsschaden Auch die Bemessung des Verzugsschadens richtet sich nach dem Vertragsstatut4. Der Schaden wird häufig in Form von Verzugszinsen pauschaliert, ohne dass der Schaden im Einzelnen nachgewiesen werden muss. So ist es im deutschen Recht, ähnlich in Frankreich, Italien, Österreich und der Schweiz5. Die Vorschriften über den Zahlungsverzug sind durch eine Richtlinie angeglichen worden6.

3.154

Ob der Schuldner für eine Geldentwertung oder den Kursschaden, den der Gläubiger bei Währungsveränderungen nach Eintritt der Fälligkeit erleidet, einstehen muss, entscheidet ebenfalls das Vertragsstatut7. Anders als in manchen anderen Rechten gehören nach deutschem und schweizerischem Recht zum Verzugsschaden auch diejenigen Vermögensnachteile, die dem Gläubiger während des Verzuges durch eine eintretende Geldentwertung entstehen8. Voraussetzung ist allerdings, dass es dem Gläubiger bei rechtzeitiger Zahlung voraussichtlich gelungen wäre, den erhaltenen Geldbetrag wertbeständig anzulegen9.

3.155

Ob etwa eine Kaufpreisforderung in inländischer Währung bemessen war oder in einer ausländischen Währung, ist gleichgültig. „Dass sich der Schaden in fremder Währung ausgewirkt hat, kommt nur als Maßstab für die Bemessung der Höhe der Schuld des Ersatzpflichtigen in Frage. Die in der Fremdwährung ermittelten Schadensbeträge bilden Rechnungsfaktoren für die Feststellung des vom Schuldner in der Währung seines Landes zu leistenden Schadensersatzes“10. Entscheidend ist nur, dass diese Währung in der Zeit zwischen Eintritt des Zahlungsverzuges und tatsächlicher Zahlung einen Wertverlust erlitten hat. Der Wertverlust zwischen Abschluss des Vertrages und Eintritt der Zahlungsfälligkeit bleibt hierbei aber außer

3.156

1 Vgl. zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 65; Morse, Yb.Eur.L. 2 (1982), 107 (154 f.). – Für die Schadenshöhe (quantification) halten die Anwendung der lex fori für möglich Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32–154. 2 Näher Siehr, BerDGesVölkR 27 (1986), 45 (114 f.). 3 LG Saarbrücken v. 9.3.2012 – 13 S 51/11, IPRax 2014, 180 (m. zust. Aufs. Eichel, 156 ff.); Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 11. 4 Sandrock, JbPraxSchG 3 (1989), 64 (81 f.); Weller in BeckOGK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 30 (Stand 1.10.2020). 5 S. nur Art. 1231-6 n.F. franz. c.c. 6 Richtlinie 2011/7/EU v. 16.2.2011 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, ABl. EU 2011 Nr. L 48, S. 1. – Dazu Schauer/Gruber in Mankowski (Hrsg.), Commercial Law, 2019, S. 1303 ff. Länderinformationen zur Umsetzung u.a. bei http://www.gtai.de/. 7 Vischer/Huber/Oser, Rz. 973. 8 Vgl. die Nachw. bei Maier-Reimer, NJW 1985, 2049 (2051 f.). 9 S. auch RG v. 22.11.1923 – I 102/23, RGZ 107, 212; RG v. 24.9.1924 – I 586/23, RGZ 109, 16 (21); RG v. 4.1.1938 – I 128/37, JW 1938, 946. Ferner schweiz. BG v. 10.10.1934, BGE 60 II, 340. 10 BGH v. 11.2.1958 – VIII ZR 34/57, WM 1958, 533.

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§ 3 Rz. 3.156 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Betracht. Nach deutschem Recht kommt daher ein Schadensersatzanspruch in Betracht, wenn während des Schuldnerverzuges der Geldwert der geschuldeten Währung gesunken ist1. - Währung

3.157

Welche Schuldwährung für Schadensersatzansprüche aus Vertragsverletzungen gilt, ist nicht völlig geklärt2. Teils geht man vom Schuld-(Vertrags)statut aus3. Das Schuldstatut kann aber anordnen, dass in anderer als in der vereinbarten (Schuld-)Währung zu leisten ist4.

3.158

So nimmt man die Währung des Staates, in dessen Gebiet der Vermögensschaden tatsächlich eingetreten ist, zum Ausgangspunkt5. Die UNIDROIT-Principles lassen eine alternative Schadensberechnung entweder in der Währung zu, in der die Zahlungspflicht ausgedrückt war, oder in der Währung, in welcher der Schaden erlitten wurde6. Nach deutschem Recht steht es den Parteien grundsätzlich frei zu vereinbaren, ob der Schadensersatz in in- oder ausländischer Währung geleistet werden soll. Fehlt eine solche Vereinbarung, so tendiert die Rechtsprechung dazu, Schadensersatz in inländischer Währung zuzusprechen, auch wenn sie nicht die Schuldwährung war7.

3.159

Vertragliche Schadensersatzansprüche gehören nach der deutschen Rechtsprechung nicht zu den Forderungen, die von vornherein auf eine bestimmte Währung lauten. Geschuldet wird nicht ein bestimmter Währungsbetrag, sondern Wertersatz8.

3.160

Dass sich der Schaden in einer fremden Währung ausgewirkt hat, kommt nur als Maßstab für die Bemessung der Schuld in Betracht. Die in fremder Währung ermittelten Schadensbeträge bilden lediglich Rechnungsfaktoren für die Feststellung des zu gewährenden Schadensersatzes. So kann ein Geschädigter, obwohl der Schaden in fremder Währung entstanden ist, auch dann Zahlung in deutscher Währung verlangen, wenn sich der Schuldner nicht dagegen gewendet hat9. 1 S. BGH v. 18.2.1976 – VIII ZR 162/74, RIW 1976, 229 (Kursverlust bei einer Dollarschuld). Ebenso zum niederländ. Recht H.R. v. 8.12.1972, N.J. 1973 Nr. 377, Anm. Czapski, AWD 1974, 49 (Kursverlust bei einer Kaufpreisforderung in französ. Francs). 2 Vgl. Nachw. bei Maier-Reimer, NJW 1985, 2049 (2054 f.); Remien, RabelsZ 53 (1989), 245 (264 ff.). 3 So auch Vischer/Huber/Oser, Rz. 972. – Dagegen für eine Gleichbehandlung vertraglicher und außervertraglicher Ansprüche Grothe, S. 323 ff. (Währung des Schadens). 4 LG Hamburg v. 16.11.1973 – 66 O 16/73, IPRspr. 1973 Nr. 20 = AWD 1974, 410 (Schadensersatzanspruch aus Verletzung einer Lieferverpflichtung, die griech. Recht unterlag, in griech. Währung bemessen, obwohl Kaufpreis in US-Dollar ausgedrückt war). – Dafür, dass vertraglicher Schadensersatz u.U. auch in anderer Währung zu leisten ist, auch Vischer/Monnier in ZürchKomm, Art. 147 IPRG Rz. 13. 5 Vischer/Huber/Oser, Rz. 972. 6 Vgl. Art. 7.4.12 UNIDROIT-Principles 2016. – Dazu Grothe, S. 318 f. S. auch Art. III.-3:713 DCFR. 7 S. Remien, RabelsZ 53 (1989), 245 (253 ff.); Drobnig, S. 256 m.w.N. – S. bereits RG v. 8.4.1921 – II 497/20, RGZ 102, 60 (62) (Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des in Deutschland ansässigen dän. Verkäufers unterlag deutschem Recht. Schuldwährung waren dän. Kronen. Schadensersatz in deutscher Währung bemessen). 8 BGH v. 10.7.1954 – VI ZR 102/53, BGHZ 14, 212 (217) = JZ 1955, 161 Anm. Kegel. – Von der Währung des Gläubigervermögens geht aus Remien, RabelsZ 53 (1989), 245 (266 ff.). 9 BGH v. 9.2.1977 – VIII ZR 149/75, IPRspr. 1977 Nr. 11 = WM 1977, 478 (479) (Schadensersatzanspruch wegen Handelns ohne Vertretungsmacht unterlag deutschem Recht. Schaden war in französ. Währung entstanden. „Obgleich der Schaden in Frs entstanden ist, kann der Kläger jedenfalls dann Zahlung in deutscher Währung verlangen, wenn, wie hier, der Schuldner keine Einwendungen erhebt.“).

224 | Martiny

E. Leistungsstörungen | Rz. 3.161 § 3

4. Zinsanspruch Literatur: Bachner/Lemanska, Zinsen bei Zahlungsverzug nach der Umsetzung der Richtlinie 2000/ 35/EG in Deutschland, Österreich und Polen in Liebscher (Hrsg.), Harmonisierung des Wirtschaftsrechts in Deutschland, Österreich und Polen (2008), S. 151; Bälz, Zinsverbote und Zinsbeschränkungen im internationalen Privatrecht, IPRax 2012, 306; Berger, Der Zinsanspruch im Internationalen Wirtschaftsrecht, RabelsZ 61 (1997), 313; Bilda, Zinsrecht in Spanien und Deutschland (1994); Bonsau/Feuerriegel, Die Probleme der Bestimmung von Fälligkeitszinsen im UN-Kaufrecht, IPRax 2003, 421; Brand, Das internationale Zinsrecht Englands (2002); Faust, Zinsen bei Zahlungsverzug, RabelsZ 68 (2004), 511; Grothe, Der Verzugszins bei Fremdwährungsforderungen nach griechischem und deutschem Recht, IPRax 2002, 119; Grube, Verzugszinsen in Spanien, RIW 1992, 634; Gruber, Die kollisionsrechtliche Anknüpfung der Verzugszinsen, MDR 1994, 759; Grunsky, Anwendbares Recht und gesetzlicher Zinssatz in FS Merz (1992), S. 147; Hau, Richterrecht, Gesetzesrecht, Europarecht – Zur Fortentwicklung des englischen Vertragsrechts am Beispiel des gesetzlichen Zinsanspruchs, ZVglRW 98 (1999), 260; Kindler, Zur Anhebung des gesetzlichen Zinssatzes in Italien, RIW 1991, 304; Königer, Die Bestimmung der gesetzlichen Zinshöhe nach dem deutschen Internationalen Privatrecht – Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der Art. 78 und 84 I UN-Kaufrecht (CISG) (1997); Krüger, Zur Zinsproblematik nach türkischem Recht, WM 2000, 1469; Krüger, Zum islamischen Zinsverbot in Vergangenheit und Gegenwart, FS Welser (Wien 2004), S. 579; Maiwald, Das Zinsverbot des Islam und die islamischen Banken, RIW 1984, 521; Mann/Kurth, Haftungsgrenzen und Zinsansprüche in internationalen Übereinkommen, RIW 1988, 251; Ostendorf, Verzugszinsen im englischen Recht, RIW 2020, 93; Rau, Flexibler gesetzlicher Zinsfuß und Zinstableau in Spanien, RIW 1984, 654; Rauscher, Sonderregelungen zum Verzugszins im spanischen Recht, RIW 1997, 879; Sandrock, Verzugszinsen vor internationalen Schiedsgerichten: insbesondere Konflikte zwischen Schuldund Währungsstatut, JbPraxSchG 3 (1989), 64; Sandrock, Internationales Wirtschaftsrecht in Theorie und Praxis (1995), S. 495; Schmitz, Zinsrecht – Eine Studie zum Recht der Zinsen in Deutschland und in Mitgliedstaaten der Europäischen Union (1994); Strömer/Le Fevre, Gesetzliche Zinsen in Frankreich, EuZW 1992, 210; Szécsényi, Verzugszinsen nach Verurteilung zur Leistung in Fremdwährung, IPRax 1997, 196 (Ung.); Vogler, Zinsrecht in den Niederlanden (2002); Wessels, Zinsrecht in Deutschland und England (1992).

Verzugszinsen sind materiell-rechtlich zu qualifizieren1. Welches Recht für die Entstehung und die Höhe des Zinsanspruchs gilt, ist jedoch umstritten. Nach h.M. folgen vertragliche Forderungen dem Schuldstatut2. Das gilt insbesondere für Fälligkeitszinsen3 (vgl. § 353 HGB) und Verzugszinsen4 (vgl. §§ 288, 247 BGB). Beispielsweise wird der Zinssatz nach ita-

1 Sandrock, JbPraxSchG 3 (1989), 64 (79) m.w.N. So auch Cerina, Interest as Damages in International Commercial Arbitration, Am.Rev.Int.Arb. 4 (1993), 255 (262 ff.). 2 Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 24; Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 90. – Vgl. auch OLG Hamm v. 8.3.1991 – 12 UF 308/90, IPRspr. 1991 Nr. 78 = FamRZ 1991, 1319 (Morgengabe nach iran. Recht). 3 LG Frankfurt/M. v. 12.1.1994 – 3/8 O 208/91, IPRspr. 1994 Nr. 22 = RIW 1994, 778. 4 OLG Frankfurt v. 19.12.1996 – 16 U 47/95, IPRspr. 1996 Nr. 10 = NJW-RR 1997, 810 (Schweiz); Grube, RIW 1992, 637; Grothe, IPRax 2002, 119 (120); Bonsau/Feuerriegel, IPRax 2003, 421 (424); Königer, S. 66 ff.; Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 23; Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 12. Ebenso schon BGH v. 30.6.1964 – VI ZR 88/63, WM 1964, 879 (881) (Verzugszinsen nach Vertragsstatut beurteilt); OLG Hamburg v. 2.6.1965 – 5 U 87/64, IPRspr. 1964/65 Nr. 46, S. 160 (Zinsanspruch aus Kaufvertrag nach engl. Recht, das auf deutschen Handelsbrauch verwies); OLG Karlsruhe v. 15.12.1965 – 1 U 30/65, IPRspr. 1964/65 Nr. 194 = WM 1966, 1312 (Abstraktes Schuldversprechen in Brasilien. Höchstgrenze der Monats- und Verzugszinsen nach brasilian. Recht bestimmt).

Martiny | 225

3.161

§ 3 Rz. 3.161 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

lienischem Recht durch Dekret festgesetzt1. Die Rechtsprechung greift auch auf das Vertragsstatut zurück, um die Zinshöhe nach Art. 78 CISG zu bestimmen2 (s. Rz. 25.78).

3.162

Lautet die Vertragswährung auf eine harte Währung, ist Vertragsstatut aber das Recht eines Landes mit hoher Inflationsrate, so kann Letzteres auch einen erhöhten Zinssatz vorsehen. Dann besteht die Gefahr, dass dem Verzugsschuldner eine übermäßige Last auferlegt wird und der Gläubiger einen ungerechtfertigten Gewinn macht, wenn er den wirtschaftlichen Bedingungen des Inflationslandes gar nicht ausgesetzt ist. Freilich treten diese Spannungen nicht auf, wenn die ausländische Rechtsordnung (wie z.B. das türkische Recht) dann, wenn nicht die heimische, sondern eine ausländische Währung vereinbart wurde, einen wesentlich niedrigeren Zinssatz als für Verbindlichkeiten in heimatlicher Währung vorsieht. Hier trifft bereits das Sachrecht eine Vorkehrung gegen eine übermäßige Belastung. Ferner kann der gesamte Verzugsschaden nach der lex causae liquidierbar sein.

3.163

Allerdings wird verschiedentlich auch eine andere kollisionsrechtliche Anknüpfung vorgeschlagen; die Höhe der Verzugszinsen soll sich nach dem Recht der Vertragswährung richten3. Dieser Ansatz führt jedoch zu anderen Nachteilen. So würden trotz ihres inneren Zusammenhanges Leistungsstörungen, Schadensberechnung und Verzugszins unterschiedlichen Rechten unterworfen4. Ferner können Schwierigkeiten bei der Bestimmung der maßgeblichen Währung auftreten.

3.164

Eine vermittelnde Auffassung will es daher grundsätzlich bei der Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts belassen, auch wenn dieses einen höheren oder einen niedrigeren Zinssatz als das Recht der geschuldeten Währung vorsieht. In bestimmten Konstellationen soll jedoch das Recht der geschuldeten Währung das Ergebnis des Vertragsstatuts korrigieren5. Zu einer Herabsetzung auf das Niveau des Rechts der geschuldeten Währung kommt es dann, wenn der Gläubiger im Geltungsbereich dieses Rechts lebt oder unternehmerisch tätig ist und sich zu niedrigeren Kosten als im Geltungsbereich des Vertragsstatuts refinanzieren kann. Dagegen soll eine Heraufsetzung auf das Niveau des Rechts der geschuldeten Währung erfolgen, wenn der niedrigere Zinssatz und die Schadensersatzregelung des Vertragsstatuts nicht zum Ersatz des Verzugsschadens führen.

3.165

Auch Prozesszinsen wegen Rechtshängigkeit (vgl. § 291 BGB) wird man nach dem Vertragsstatut zu bestimmen haben, weil die Rechtshängigkeit zwar den Anspruch auslöst, aber nichts

1 Art. 1284 c.c. – Zu anderen Staaten Bonsau/Feuerriegel, IPRax 2003, 424 f. Zu England, Frankreich und New York, s. Sandrock, JbPraxSchG 3 (1989), 64 (72 ff.). Ferner Angaben zum gesetzlichen Zinssatz bei Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr im Internetangebot von Germany Trade & Invest (gtai). 2 OLG Frankfurt v. 16.12.1986 – 5 U 28/86, IPRspr. 1986 Nr. 42 = IPRax 1988, 99 (m. zust. Aufs. Schwenzer, IPRax 1988, 86) (Speditionsvertrag. Verzugszinsen nach engl. Vertragsstatut zugesprochen); OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRspr. 1988 Nr. 163 = IPRax 1990, 105 (m. Aufs. Prinzing, IPRax 1990, 83) = RIW 1989, 221 (Alleinvertriebsvertrag. Verzugszinsen nach schweiz. Recht). 3 Grunsky, FS Merz, S. 147 (152); Berger, RabelsZ 61 (1997), 313 (326 ff.); Königer, S. 135 f. – Dagegen Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 7. 4 Nur Schadensersatz, nicht aber Verzugszinsen will in grenzüberschreitenden Fällen gewähren Gruber, MDR 1994, 759 (760). 5 Näher Sandrock, JbPraxSchG 3 (1989), 64 (81 ff.).

226 | Martiny

E. Leistungsstörungen | Rz. 3.170 § 3

an seiner materiell-rechtlichen Natur ändert1. Nach a.A. handelt es sich um eine der lex fori folgende prozessuale Frage2. Die englische Rechtsprechung hat jedenfalls vor Ratifikation des EVÜ daran festgehalten, dass das Bestehen des Zinsanspruches vom Schuldstatut, seine Höhe jedoch von der lex fori bestimmt wird3.

3.166

Die Vorschriften über Zinsansprüche sind in den einzelnen Rechtsordnungen sehr verschieden gefasst. UU können auch Ansprüche auf Zinseszinsen entstehen4. Dagegen geht das islamische Recht von einem grundsätzlichen Zinsverbot aus.

3.167

5. Einreden, Zurückbehaltungsrecht Literatur: Eujen, Die Aufrechnung im internationalen Verkehr zwischen Deutschland, Frankreich und England (1975); Magnus, Zurückbehaltungsrecht und IPR, RabelsZ 38 (1974), 440.

Ob einer Forderung materiell-rechtliche Einreden entgegenstehen, bestimmt grundsätzlich das für sie geltende Statut. So richtet sich die Einrede des nichterfüllten Vertrages nach dem Vertragsstatut5.

3.168

Für die Einrede der Vorausklage gilt das Bürgschaftsstatut (dazu Rz. 16.12). Einreden sind auch für die Aufrechnung von Bedeutung. Unterstehen Haupt- und Gegenforderung verschiedenen Rechtsordnungen (s. Rz. 3.238), so bestimmt das Recht der Hauptforderung, ob eine einredebehaftete Forderung aufgerechnet werden kann. Dagegen ist das Statut der Gegenforderung dafür maßgeblich, ob ihr eine Einrede entgegensteht6.

3.169

Bei schuldrechtlichen Zurückbehaltungsrechten geht es darum, ob der Schuldner die Erfüllung unter Berufung auf einen eigenen Gegenanspruch verweigern kann. Solche Zurückbehaltungsrechte unterliegen dem Schuldstatut. Gilt für beide Ansprüche dasselbe Recht, so ist das gemeinsame Statut anwendbar7.

3.170

1 Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 12; IPG 1978 Nr. 4 (Göttingen) zum kanad. Recht. – Vgl. auch Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 24. 2 S. LG Aschaffenburg v. 7.7.1953 – O 249/51, IPRspr. 1952/53 Nr. 38 (Deliktischer Schadensersatzanspruch nach luxemburg. Recht; Prozesszinsen nach deutschem Recht); LG Frankfurt/M. v. 12.1.1994 – 3/8 O 208/91, IPRspr. 1994 Nr. 22 = RIW 1994, 778 (Maklervertrag nach dän. Recht beurteilt; Prozesszinsen nach deutschem Recht). 3 Miliangos v. George Frank (Textiles) Ltd. (Nr. 2), [1976] 3 W.L.R. 477 (Q.B.) = RIW 1977, 168 (Kauf nach schweiz. Recht. Zinshöhe nach engl. Recht bestimmt; dabei jedoch auf die schweiz. Verhältnisse abgestellt). – Dazu auch Königer, S. 69 f. – Gegen ein Weitergelten offenbar Kaye, The new private international law of contract of the European Community (Aldershot 1993), S. 300. 4 Zum belg. Recht s. IPG 1975 Nr. 2 (München), S. 15 ff. Zu Verzugszinsen nach span. Recht s. IPG 1973 Nr. 11 (Hamburg). Keinen ordre public-Verstoß sieht hierin OLG Hamburg v. 26.1.1989 – 6 U 71/88, IPRspr. 1990 Nr. 236 = RIW 1991, 152 (Schiedsspruch). 5 IPG 1980/81 Nr. 14 (Freiburg) zum französ. Recht. S. bereits RG v. 25.5.1928 – II 578/27, IPRspr. 1928 Nr. 13 = JW 1928, 2013 (Kauf von Gesellschaftsanteilen; Einrede der Nichterfüllung nach deutschem Vertragsstatut). 6 OLG Frankfurt v. 4.7.1967 – 5 U 202/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 35 (Hauptforderung unterstand deutschem, Gegenforderung niederländ. Recht. Nach niederländ. Recht stand der Forderung die Einrede des gerichtlich eingeräumten Zahlungsaufschubs entgegen). 7 OLG München v. 13.10.2016 – 23 U 1848/16, IHR 2017, 120 = IPRax 2019, 314 (317); IPG 1975 Nr. 5 (München) (Grundstückskauf span. Recht unterstellt. Zurückbehaltungsrecht nach span. Schuldrecht); Kegel/Schurig, S. 755; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 778.

Martiny | 227

§ 3 Rz. 3.171 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.171

Unterliegt jeder der beiden Ansprüche einem anderen Recht, so kommt es nach h.M. auf das Recht desjenigen Anspruchs an, dessen Erfüllung verweigert wird (Hauptforderung). Bereits das RG hat – ebenso wie bei der Aufrechnung – zutreffend auf das Recht des Hauptanspruchs abgestellt1.

3.172

Nach der Gegenansicht soll aus Gründen des Schuldnerschutzes das Recht der Aktivforderung (Gegenforderung) maßgeblich sein2. Vertreten wurde auch, das Recht am Niederlassungsort des Zurückbehaltenden solle entscheiden3.

6. Vertragsstrafe Literatur: Berger, Vertragsstrafen und Schadenspauschalierungen im Internationalen Wirtschaftsvertragsrecht, RIW 1999, 401; Berger, Vertragsstrafenklauseln im englischen Recht, RIW 2016, 321; Brendler, Die Vertragsstrafe und ihre Grenzen – Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen und englischen Rechts (2019); Cannarsa, Contractual Penalties in French Law, Eur.Rev.Priv.L. 23 (2015), 283; DiMatteo, Behavioural Case for Contractual Penalties under the Common Law, Eur. Rev.Priv.L. 23 (2015), 327; Doralt, Penalty Clauses in Commercial Contracts, FS Koziol (Wien 2020), S. 17 (England, Frankreich, Italien, Österreich); Gebauer/Huber (Hrsg.), Rechtsdurchsetzung durch Vertragsstrafe und Aufrechnung (2018) (China, Common Law, Frankreich, Polen); Jaffe/Jaffe, Stipulated Damage Provisions in France and the United States, Am.J.Comp.L. 33 (1985), 637; Kronke, Vertragsstrafe, pauschalierter Schadensersatz und Verwandtes im transnationalen Vertragsrecht, FS Lindacher (2017), S. 253; Le Goff, Die Vertragsstrafe in internationalen Verträgen zur Errichtung von Industrieanlagen (2005); Leible, Die richterliche Herabsetzung von Vertragsstrafen im spanischen Recht, ZEuP 2000, 322; Matthies, Die Vertragsstrafe im französischen, deutschen und englischen Recht mit Blick auf die Angleichung der Rechtssysteme (2000); Patti, Penalty Clauses in Italian Law, Eur.Rev.Priv.L. 23 (2015), 309; Steltmann, Die Vertragsstrafe in einem europäischen Privatrecht (2000) (betr. Frankreich, England, Schweden).

3.173

Die Vertragsstrafe untersteht dem Statut der Hauptverpflichtung, deren vertragsgemäße Erfüllung sie sichern soll, da sie – selbst bei nachträglicher Vereinbarung – nur eine besondere Vertragsklausel darstellt4. Dies gilt insbesondere für die Gültigkeit des Strafversprechens, seine Voraussetzungen und Wirkungen5. Zum Verbrauchervertrag s. Rz. 35.1 ff.

3.174

Selbst dort, wo keine Vertragsstrafe zulässig ist, wird doch regelmäßig eine Schadensersatzpauschalierung (z.B. „liquidated damages“ nach amerikanischem Recht, vgl. § 2–718 UCC) gestattet. Auch der pauschalierte Schadensersatz unterliegt der lex causae6.

1 RG v. 14.3.1908, LZ 1908, 451 Nr. 38 (Kaufvertrag); RG v. 26.6.1913 – II 189/13, LZ 1914, 283 (Liefervertrag). Ebenso Kegel/Schurig, S. 755; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 778. 2 So Magnus, RabelsZ 38 (1974), 440 (447). 3 So Eujen, S. 130. 4 OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, IPRspr. 1989 Nr. 181 = NJW 1990, 1012; Lagarde, Rev. crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (333); Berger, RIW 1999, 401 (402); Stürner in Erman, Art. 12 Rom I Rz. 12. 5 Ebenso schon OLG Koblenz v. 3.6.1976 – 9 U 795/75, IPRspr. 1976 Nr. 139 (Grundstückskauf. Span. Recht galt für Vertragsstrafevereinbarung); LG Aachen v. 7.2.1984 – 41 O 200/83, IPRax 1985, 45 (LS) Anm. Jayme (Warenkauf; Konventionalstrafe des belg. Verkäufers i.H.v. 20 % der Rechnungssumme für wirksam gehalten, aber fälschlich nicht nach belg. Recht geprüft); IPG 1976 Nr. 7 (Köln) (Vertragsstrafe nach niederländ. Recht). Zu den Niederlanden auch IPG 2002 Nr. 3 (Osnabrück). 6 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 95.

228 | Martiny

F. Beweis und gesetzliche Vermutungen (Art. 18 Rom I-VO) | Rz. 3.177 § 3

Ist die Höhe der Vertragsstrafe übermäßig, so kann sie nach den meisten Rechtsordnungen herabgesetzt werden (etwa Art. 1231-5 Abs. 2 n.F. franz. c.c.; Art. 1384 italien. c.c.; Art. 1154 span. c.c.)1. Die Herabsetzung unangemessener Vertragsstrafen gem. § 343 BGB, § 348 HGB ist, da sie wegen ihres zwingenden Schutzzweckes zum deutschen ordre public (Art. 21 Rom I-VO) zu rechnen ist, aber auch dann möglich, wenn das Schuldstatut sie nicht kennt2. Voraussetzung ist allerdings, dass die Vertragsstrafe wesentlich höher ist als etwa eine nach deutschem Recht mögliche Schadensersatzpauschale3.

3.175

F. Beweis und gesetzliche Vermutungen (Art. 18 Rom I-VO) Literatur: Blanchard, Die prozessualen Schranken der Formfreiheit – Beweismittel und Beweiskraft im EG-Schuldvertragsübereinkommen in deutsch-französischen Vertragsfällen (2002); Coester-Waltjen, Internationales Beweisrecht (1983); Eichel, Die Anwendbarkeit von § 287 ZPO im Geltungsbereich der Rom I- und der Rom II-Verordnung, IPRax 2014, 156; Frey, Anwendung ausländischer Beweismittelvorschriften durch deutsche Gerichte, NJW 1972, 1602; Heinemann, Die Beweislastverteilung bei positiven Forderungsverletzungen – Eine rechtsvergleichende Untersuchung unter Berücksichtigung des französischen Rechts (1988); Mankowski, Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatbestände des Internationalen Verbraucherprozess- und Verbrauchervertragsrechts, IPRax 2009, 474; Thole, Anscheinsbeweis und Beweisvereitelung im harmonisierten europäischen Kollisionsrecht, IPRax 2010, 285.

I. Allgemeines Das Vertragsstatut ist auch insoweit maßgeblich, als es für vertragliche Schuldverhältnisse gesetzliche Vermutungen aufstellt oder die Beweislast verteilt, so Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO4. Grundsätzlich sind die Vorschriften der Rom I-VO auf den Beweis und das Verfahren (evidence and procedure; la preuve et la procédure) nicht anzuwenden (Art. 1 Abs. 3 Rom I-VO), vgl. Rz. 1.123. Art. 18 Rom I-VO ist somit eine Ausnahmevorschrift, die keine umfassende Regelung der Beweislast oder der Beweismittel beabsichtigt. Vielmehr wurden nur einige für vertragliche Schuldverhältnisse besonders wichtige Fragen herausgegriffen. Im Übrigen geht die Rom I-VO davon aus, dass Beweisfragen in weitem Umfang der lex fori unterliegen5. Allerdings enthält Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO noch eine Erweiterung der zulässigen Beweisarten. Grundsätzlich sind nämlich auch alle Beweisarten nach einem der in Art. 11 Rom I-VO bezeichneten Rechte, nach denen das Rechtsgeschäft formgültig ist, zulässig.

3.176

II. Beweisgegenstand und Beweislast (Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO) Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO erklärt für gesetzliche Vermutungen und die Beweislast das Vertragsstatut für maßgeblich. Allerdings wird dies nur für Fragen hinsichtlich vertraglicher 1 Der Europarat hat mit Entschließung v. 20.1.1978 eine Angleichung des Rechts der Vertragsstrafe empfohlen. S. Rev.dr.unif. 1978 II, 222. 2 Nußbaum, IPR, S. 235; Wolff, S. 66; Raape/Sturm, I S. 213; Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 12; a.A. Frankenstein, II S. 232; Rau, RIW 1978, 23 (26). 3 OLG Hamburg v. 23.12.1902 – Lorenzen/Kelly, NiemZ 14 (1904), 79 = OLGE 6 (1903), 231 (Dän. Recht Vertragsstatut. Ermäßigung der Vertragsstrafe nach der lex fori). 4 Die Vorschrift entspricht Art. 14 Abs. 1 und 2 EVÜ, der seinerseits auf Art. 19 EVÜ-Entw. 1972 zurückgeht. 5 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68.

Martiny | 229

3.177

§ 3 Rz. 3.177 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Schuldverhältnisse angeordnet, d.h. es muss sich grundsätzlich um Bestimmungen im Vertragsrecht handeln1. Außervertragliche Schuldverhältnisse werden also grundsätzlich nicht erfasst (vgl. dazu Art. 22 Rom II-VO). Freilich muss das Gleiche wie für Verträge auch dann gelten, wenn etwa Bereicherungsansprüche nach Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO geltend gemacht werden. Dies verlangt eine einheitliche Abwicklung des Schuldverhältnisses.

3.178

Gesetzliche Vermutungen (presumptions of law; présomptions légales) sind solche, die aufgrund gesetzlicher Anordnung bestimmte Sachverhalte unwiderleglich oder widerlegbar für vertragliche Schuldverhältnisse annehmen2. Gleichgestellt sind richterrechtliche Regeln3. Solche Regeln haben materiell-rechtlichen Gehalt und legen damit die Vertragspflichten der Vertragsparteien fest. Dazu gehört z.B. Art. 1731 franz. c.c., wonach vermutet wird, dass der Mieter die Mietsache „en bon état“ erhalten und sie in diesem Zustand zurückzugeben hat4. Entsprechendes gilt für Fiktionen; auch sie unterstehen dem Vertragsstatut5.

3.179

Die Beweislast (burden of proof; charge de la preuve) betrifft vor allem die Frage, wen das Risiko der Nichtnachweisbarkeit einer Tatsache betrifft. Ausländische Rechte enthalten ebenso wie das deutsche Recht eine Reihe von Bestimmungen über die Beweislast hinsichtlich des Verschuldens oder der Nichterfüllung (vgl. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB). Dem Vertragsstatut unterliegt z.B. die Regel des Art. 1231-1 n.F. franz. c.c., wonach der Schuldner zu Schadensersatz verpflichtet ist, wenn er nicht nachweist, dass die Nichterfüllung der Verpflichtung auf einem ihm nicht anzulastenden Grund beruht6. Auch die Beweislast, dass zum Zwecke der Erfüllung geleistet wurde, richtet sich nach dem Schuldstatut7. Es entscheidet ferner darüber, ob als Erfüllung angenommen wurde8. Der Anscheinsbeweis betrifft die Frage, wann ein bestimmtes Geschehen den Schluss auf weitere Tatsachen erlaubt. Er wird zwar teilweise als Frage der Beweiswürdigung angesehen und dementsprechend der lex fori unterstellt9. Wegen seiner engen Verknüpfung mit dem materiellen Recht ist er jedoch nach dem Vertragsstatut zu beurteilen10.

3.180

Art. 18 Abs. 1 Rom I-VO meint jedoch nur materiell-rechtliche Beweislastregeln. Davon zu unterscheiden sind Beweisvorschriften verfahrensrechtlicher Art, insb. solche, welche die Auswirkungen des prozessualen Verhaltens der Parteien betreffen11. Dazu gehört z.B. die Antwort auf die Frage, ob nichtbestrittenes Vorbringen als zugestanden gilt. Solche Regeln sind

1 Vgl. zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68. 2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 18 Rom I-VO Rz. 25. 3 Brödermann/Wegen in PWW, Art. 18 Rom I-VO Rz. 2; Spellenberg in MünchKomm, Art. 18 Rom I-VO Rz. 25. 4 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68. 5 Stürner in Erman, Art. 18 Rom I-VO Rz. 4. 6 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68; IPG 1980/81 Nr. 14 (Freiburg), S. 122 f.; GaudemetTallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (282). 7 OLG Hamm v. 9.11.2000 – 22 U 32/00, IPRspr. 2000 Nr. 132 = RIW 2001, 867 (span. Recht). – Vgl. IPG 1970 Nr. 3 (Hamburg), S. 21. 8 OLG Kiel v. 25.5.1903, OLGE 7, 154 (Verkauf von Stroh nach England; Beweislast, dass Annahme nicht als Erfüllung gem. § 363 BGB gelten sollte, nach Vertragsstatut [damals: Verkäuferrecht] beurteilt). 9 Thole, IPRax 2010, 285 (287); Stürner in Erman, Art. 18 Rom I-VO Rz. 4. 10 Brödermann/Wegen in PWW, Art. 18 Rom I-VO Rz. 6. – Ebenso Coester-Waltjen, Rz. 353 f.; Magnus in Staudinger, Art. 18 Rom I Rz. 25. 11 So ausdrücklich Art. 19 Abs. 1 EVÜ-Entw. 1972.

230 | Martiny

F. Beweis und gesetzliche Vermutungen (Art. 18 Rom I-VO) | Rz. 3.184 § 3

der lex fori zu entnehmen1. Ausländische Beweislastregeln sind aber selbst dann materiellrechtlich zu qualifizieren, wenn das ausländische interne Recht sie prozessual einordnet2.

III. Beweismittel für den Beweis von Rechtsgeschäften (Art. 18 Abs. 2 Rom IVO) Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO beschäftigt sich speziell mit dem Beweis eines Vertrages oder eines anderen Rechtsgeschäfts. Zulässig sind danach nicht nur alle Beweisarten (modes of proof; modes de preuve) der lex fori, sondern grundsätzlich auch der für die Form maßgeblichen Rechtsordnung3. Damit kann der Beweis alternativ auf die lex fori oder das Formstatut (nach Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO grundsätzlich lex causae und lex loci actus bzw. für Verbraucherverträge Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO) gestützt werden. Dies steht in Einklang mit der die Parteierwartungen schützenden französischen Lehre vom „maximum des preuves“.

3.181

Folglich kann für die Beweisbarkeit eines Rechtsgeschäfts im Allgemeinen auf diejenige Rechtsordnung zurückgegriffen werden, nach deren Formvorschriften es errichtet wurde. Voraussetzung dieser Erleichterung ist allerdings, dass das Rechtsgeschäft nach dem Formstatut gültig ist4. Daher muss der inländische Richter auch ausländische Beweisarten akzeptieren, die in seinem Recht nicht oder nicht so vorgesehen sind. Dies gilt beispielsweise für den Zeugen- oder Urkundenbeweis5. Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO zielt aber lediglich auf eine Erleichterung des Beweises ab; es dürfen nicht strengere Beweisvorschriften des Formstatuts angeführt werden, um einen der lex fori genügenden Nachweis auszuräumen.

3.182

Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO beschränkt jedoch die alternative Anwendung des Formstatuts im Interesse der lex fori. Vorausgesetzt wird nämlich, dass der Beweis in dieser Art vor dem angerufenen Gericht erbracht werden kann (can be administered; puisse être administré). Es kommt darauf an, ob das Beweismittel nach der lex fori zulässigerweise in der Beweisaufnahme verwendet werden kann. Ausgeschlossen ist es dann, wenn das Beweisverfahrensrecht der lex fori entgegensteht. So kann z.B. in Deutschland eine Partei nicht als Zeuge, wohl aber als Partei vernommen werden (§ 445 ZPO)6. Ausgeschlossen ist ferner, dass innerhalb einer bestimmten Verfahrensart, die – wie der deutsche Urkundenprozess nur bestimmte Beweismittel zulässt (vgl. § 595 ZPO) – nach der lex fori unzulässigen Beweismittel eingeführt werden7. Werden Rechte in öffentliche Register eingetragen, so kann die mit der Registerführung betraute Stelle solche Beweisarten zurückweisen, die in ihrem eigenen Recht nicht vorgesehen sind8.

3.183

Die Rom I-VO regelt die Beweiskraft der Rechtsgeschäfte nicht (s. Rz. 5.299 ff.). Die Frage, in welchem Maße eine Urkunde ein hinreichender Beweis für die darin enthaltenen Verpflichtungen ist, sowie das Problem der zulässigen Beweisarten gegen die Richtigkeit und Vollständigkeit einer Urkunde, ist damit offen geblieben9.

3.184

1 2 3 4 5 6 7 8 9

Ebenso zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68. von Hein in Rauscher, Art. 18 Rom I-VO Rz. 1; Magnus in Staudinger, Art. 18 Rom I Rz. 23. Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (624). Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 69. Akzeptierte Rechnung nach belg. Recht, OLG Köln v. 15.5.1996 – 27 U 99/95, IPRspr. 1996 Nr. 35 = NJW-RR 1997, 182. Leible in NK, Art. 18 Rom I-VO Rz. 11. BT-Drucks. 10/504, 82. Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 69. Anders noch Art. 19 EVÜ-Entw. 1972. – Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 69.

Martiny | 231

§ 3 Rz. 3.185 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

G. Erlöschen des Schuldvertrages I. Allgemeines 3.185

Bezüglich des Erlöschens des Schuldverhältnisses heißt es in Art. 12 Abs. 1 Rom I-VO1, dass das nach dieser Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht insbesondere maßgebend ist für die verschiedenen Arten des Erlöschens der Verpflichtungen sowie die Verjährung und die Rechtsverluste, die sich aus dem Ablauf einer Frist ergeben (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom IVO). Ferner gilt dieses Recht für die Folgen der Nichtigkeit des Vertrags (Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO).

3.186

Mithin bestimmt grundsätzlich das Vertragsstatut über die Tatbestände, die das Erlöschen eines Anspruchs oder des gesamten Schuldverhältnisses herbeiführen. Dazu gehören insbesondere die vier Erlöschensgründe des BGB, nämlich: Erfüllung (die allerdings in Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I-VO gesondert erwähnt wird), Hinterlegung, Aufrechnung und Erlass. Unterliegen die Verpflichtungen verschiedenen Rechtsordnungen, so gilt für ihr Erlöschen das Recht, dem die jeweilige Verpflichtung untersteht.

3.187

Soweit nach dem Vertragsstatut einseitige rechtsgeschäftliche Aufhebungsakte möglich sind, gehören sie ebenfalls in diesen Zusammenhang. Zu nennen sind die Anfechtung bei Willensmängeln (Rz. 3.94 ff.), die Wandlung im Gewährleistungsrecht (Rz. 25.130 ff.), der Rücktritt (Rz. 3.152) und die Kündigung2. – S. aber zum arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz Rz. 11.136 ff.

3.188

Bei der Konfusion unterliegen i.d.R. nur die Folgen dem Schuldstatut. Ob sich Gläubiger und Schuldner in einer Person vereinigen, bestimmt das für das betreffende Verhältnis maßgebliche Ehe-, Erb- oder Gesellschaftsrecht3.

II. Erfüllung Literatur: Atamer, Erfüllung und ihre Surrogate in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 432; Bajons, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes, FS Geimer (2002), S. 15; Buchwitz, Handelsklauseln und Erfüllungsort im materiellen Recht und IZVR, IHR 2013, 108; Emde, Heimatgerichtsstand für Handelsvertreter und andere Vertriebsmittler?, RIW 2003, 505; Gsell, Autonom bestimmter Gerichtsstand am Erfüllungsort nach der Brüssel I-Verordnung, IPRax 2002, 484; Hau, Die Kaufpreisklage des Verkäufers im reformierten europäischen Vertragsgerichtsstand, JZ 2008, 974; Hau, Gerichtsstandsvertrag und Vertragsgerichtsstand beim innereuropäischen Versendungskauf, IPRax 2009, 44; Heß, Vertragspflichten ohne Erfüllungsort?, IPRax 2002, 376; Junker, Der Gerichtsstand für internationale Verträge nach der Brüssel I-Verordnung im Licht der neueren EuGH-Rechtsprechung, FS Martiny (2014), S. 761; Kadner Graziano, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes in Art. 7 Nr. 1 EuGVVO n.F., RIW 2016, 14; Magnus, Die Vertragsmäßigkeit der Leistung in Schulte-Nölke (Hrsg.), Europäisches Vertragsrecht im Gemeinschaftsrecht (2000), S. 113; Magnus, Das UN-Kaufrecht und die Erfüllungsortzuständigkeit in der neuen EuGVO, IHR 1 Früher Art. 10 EVÜ bzw. Art. 32 EGBGB. 2 BGH v. 14.11.1996 – I ZR 201/94, IPRspr. 1996 Nr. 38 = NJW 1997, 1150 (Kündigung von Verlagsvertrag nach deutschem Recht); OLG München v. 15.2.1980 – 23 U 3398/79, IPRspr. 1980 Nr. 13 = IPRax 1983, 120 (Anm. Jayme, IPRax 1983, 105) (Kündigung eines Importeurvertrages mit amerikan. Kfz-Importeur unterlag deutschem Recht entsprechend dem Vertragsstatut); LG München I v. 11.2.1965 – 6 O 803/62, IPRspr. 1964/65 Nr. 43 = RzW 1965, 375 (nach amerikan. Recht konnte ein Rechtsberatungsvertrag jederzeit gekündigt werden). 3 Ferrari in Magnus/Mankowski, Art. 12 Rome I Rz. 26.

232 | Martiny

G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.192 § 3 2002, 45; Mankowski, Ein Erfüllungsortsbegriff unter Art. 5 Nr. I lit. b EuGVVO – ein immer größer werdendes Rätsel?, IHR 2009, 46; Markus, Tendenzen beim materiellrechtlichen Vertragserfüllungsort im internationalen Zivilverfahrensrecht (Basel 2009); Mumelter, Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes im europäischen Zivilprozessrecht (Wien 2007); Ostendorf, Internationale Zuständigkeit durch Erfüllungsortvereinbarung in AGB (2015); Smits, Contract law, 2. Aufl. 2017, S. 193 ff.; Wais, Der Europäische Erfüllungsgerichtsstand für Dienstleistungsverträge (2013); Wipping, Der europäische Gerichtsstand des Erfüllungsortes (2008).

1. Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts (Art. 12 Abs. 1 lit. b Rom I-VO) In der den Geltungsbereich des Vertragsstatuts regelnden Vorschrift des Art. 12 Rom I-VO heißt es:

3.189

„(1) Das nach dieser Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend für a) ... b) die Erfüllung der durch ihn begründeten Verpflichtungen ... (2) In Bezug auf die Art und Weise der Erfüllung und die vom Gläubiger im Falle mangelhafter Erfüllung zu treffenden Maßnahmen ist das Recht des Staates, in dem die Erfüllung erfolgt, zu berücksichtigen.“

Nach dieser Regelung, gilt für die Erfüllung grundsätzlich das Vertragsstatut. Dieses bestimmt etwa, ob eine Zahlung als schuldtilgende Leistung anzusehen ist1. Es gilt ferner für die Leistungszeit, insb. die Fälligkeit (vgl. § 271 BGB)2. Die Stundung unterliegt ebenfalls dem Vertragsstatut3. – Zu Ansprüchen „aus Vertrag“ s. Rz. 1.66 ff.

3.190

Das Vertragsstatut entscheidet auch, ob der Schuldner die Gefahr der Versendung (s. § 270 BGB) trägt4. Das Vertragsstatut ist ferner zu befragen, ob Teilleistungen zulässig sind. Gleiches gilt für die Frage, ob der Schuldner persönlich zu leisten hat oder ob auch die Erfüllung durch einen Dritten befreiende Wirkung hat5. Die Haftung für die Hilfsperson richtet sich ebenfalls nach dem Schuldstatut6.

3.191

2. Erfüllungsort a) Materiell-rechtliche Bedeutung

Nach der für das Vertragsstatut geltenden Rechtsordnung richtet sich ebenfalls, wie der Erfüllungsort bestimmt wird7. Findet auf einen internationalen Warenkauf die CISG Anwendung, so

1 BGH v. 13.5.1997 – IX ZR 129/96, IPRspr. 1997 Nr. 38 (LS) = NJW 1997, 2322. 2 BGH v. 14.4.1969 – III ZR 66/68, IPRspr. 1968/69 Nr. 1 = AWD 1969, 329 (Darlehen; Fälligkeit nach schweiz. Darlehensstatut). 3 OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRspr. 1988 Nr. 163 = RIW 1989, 221. 4 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 36. 5 Siehr, AWD 1973, 569 (583). Wohl auch BGH v. 23.1.2020 – IX ZR 94/19, WM 2020, 466 = ZIP 2020, 426. 6 So bereits BGH v. 27.3.1968 – VIII ZR 10/66, BGHZ 50, 32 = IPRspr. 1968/69 Nr. 26 (Versendungskauf. Haftung des Erfüllungsgehilfen dem deutschen Vertragsstatut unterstellt). 7 BGH v. 30.4.2003 – III ZR 237/02, WM 2003, 2157; BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, IPRspr. 2005 Nr. 109 = NJW-RR 2005, 1518 = IPRax 2006, 594 (m. Aufs. Leible/Sommer, IPRax 2006, 568); Mankowski, IPRax 2003, 464 (468).

Martiny | 233

3.192

§ 3 Rz. 3.192 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

wird der Erfüllungsort nach Einheitsrecht ermittelt (s. Rz. 3.199 f., Rz. 25.65 ff., Rz. 25.76). Der Leistungsort liegt nach Art. 6.1.6 UNIDROIT-Principles 2016 für Zahlungsverpflichtungen am Niederlassungsort des Gläubigers, sonst beim Schuldner (vgl. auch Art. III.-2:101 DCFR).

3.193

Nach deutschem Recht ist der Erfüllungsort für die Verpflichtungen jedes Vertragsteils gesondert zu bestimmen. Dies gilt auch für gegenseitige Verträge, so dass sich für die wechselseitigen Verpflichtungen je nach Sachlage unterschiedliche Erfüllungsorte ergeben können. Der Erfüllungsort für Schadensersatzansprüche richtet sich nach der zugrunde liegenden Vertragspflicht, aus deren Verletzung die Schadensersatzpflicht erwachsen sein soll1.

3.194

Der Erfüllungsort einer Geldschuld ist mangels anderweitiger Vereinbarung grundsätzlich die gewerbliche Niederlassung des Schuldners (§§ 269, 270 Abs. 4 BGB)2. So ist es ebenfalls nach dem Recht Belgiens und Luxemburgs. Nach englischem, französischem (Art. 1343-4 c.c.), italienischem (Art. 1182 Abs. 3, 1498 Abs. 3 c.c.) und niederländischem Recht kommt es jedoch auf den Sitz des Gläubigers an3. Ebenso ist es in der Schweiz (Art. 74 Abs. 2 Nr. 1 schweiz. OR)4. – Zur Erfüllungsortvereinbarung Rz. 7.65. b) Prozessuale Bedeutung aa) Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung

3.195

Der Erfüllungsort besitzt auch besondere Bedeutung für die internationale Zuständigkeit.

3.196

Eine eigenständige Regelung der Erfüllungsortzuständigkeit enthält die EU-Verordnung Nr. 1215/2012 vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel Ia-VO)5. Art. 7 Brüssel Ia-VO Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden: 1. a) wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre; b) im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes vereinbart worden ist – ist der Erfüllungsort der Verpflichtung – für den Verkauf beweglicher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen; – für die Erbringung von Dienstleistungen der Ort in einem Mitgliedstaat, an dem sie nach dem Vertrag erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen; c) ist Buchstabe b) nicht anwendbar, so gilt Buchstabe a); ...

1 OLG Hamburg v. 9.7.1976 – 1 U 138/75, IPRspr. 1976 Nr. 125b m.w.N. 2 BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, NJW 1993, 2753 = IPRax 1994, 115 (m. Aufs. Geimer, IPRax 1994, 82) (Erfüllungsort für Provisionsanspruch des deutschen Handelsvertreters gegen italien. Unternehmer in Italien). 3 Spellenberg, ZZP 91 (1978), 38 (59); Schack, Erfüllungsort, Rz. 259, 267 f., 287. 4 Näher Markus, S. 16 ff. 5 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU 2012 Nr. L 351, S. 1. Zuvor galt die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 v. 22.12.2000 (EuGVO).

234 | Martiny

G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.199 § 3

(1) Zuständigkeit am Erfüllungsort Nach Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVO) besteht eine Zuständigkeit am Erfüllungsort. Der Erfüllungsort wird für zwei Fälle, den Warenkauf und Dienstleistungen, näher umschrieben. Grundgedanke ist, dass dem Kläger ein Wahlgerichtsstand am Ort der vertragscharakteristischen Leistung zur Verfügung stehen soll1. Dies gilt für alle vertraglichen Ansprüche; die gesonderte Erfüllungsortbestimmung für jede einzelne streitige Verpflichtung ist entfallen2. Die Regelung in Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 Nr. 1 lit. b EuGVO) definiert den Erfüllungsort und ersetzt die Lösung der Rechtsprechung, welche diesen Ort früher nach der lex causae bestimmt hat (s. Rz. 3.204). Auf das Vertragsstatut kommt es nicht mehr an3. Außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO bleibt es allerdings bei der bisherigen, bereits unter dem EuGVÜ entwickelten, Lösung4.

3.197

Der Begriff der vertraglichen Streitigkeiten ist, wie bereits nach dem EuGVÜ (s. Rz. 3.216), einheitlich auszulegen5. Vorausgesetzt wird, dass die Leistung „nach dem Vertrag“ (en vertu du contrat) erbracht wird. Die VO erläutert nicht, wie diese Formulierung zu verstehen ist. Bei der erforderlichen einheitlichen Auslegung ist zu bestimmen, was als Vertrag i.S.d. Vorschrift angesehen werden kann. Dies ist grundsätzlich eine Willenseinigung der Parteien; die Selbstbindung einer Partei kann aber genügen (s. Rz. 1.66 ff.). Für Klagen, die nach nationalem Recht deliktsrechtlicher Natur sind (z.B. bei einem Wettbewerbsverstoß), kann gleichwohl die Zuständigkeit des Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO in Anspruch genommen werden, wenn das vorgeworfene Verhalten als Verstoß gegen die vertraglichen Verpflichtungen angesehen werden kann, wie sie sich anhand des Vertragsgegenstands ermitteln lassen6.

3.198

(2) Warenkauf Der Begriff des Warenkaufs (vente de marchandises) ist einheitlich i.S.d. Verordnung zu bestimmen. Hierfür kann vergleichend die Definition von Art. 1 CISG herangezogen werden; die VO macht allerdings nicht die Einschränkungen des UN-Kaufrechts7. Der Verbraucherkauf wird daher erfasst, soweit nicht die Art. 17 ff. Brüssel Ia-VO eingreifen. Für den Warenkauf kommt es in erster Linie auf den Ort an, an dem die Ware geliefert worden ist (Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO). Damit ist der tatsächliche Lieferort gemeint, d.h. der Ort, an dem

1 OLG Köln v. 14.3.2005 – 16 U 89/04, IPRspr. 2005 Nr. 102 = RIW 2005, 778; Hau, IPRax 2000, 358 f.; Bajons, FS Geimer, S. 15 (42 f.). 2 Gsell, IPRax 2002, 484 (485); Magnus, ZEuP 2002, 523 (541); Piltz, NJW 2002, 793. 3 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, MDR 2006, 1063 = NJW 2006, 1806. 4 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 (Falco), Slg. 2009, I-3327 = NJW 2009, 1865 = IPRax 2009, 509 (m. Aufs. Brinckmann, IPRax 2009, 487). – Ebenso BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, IPRax 2006, 594 (m. Aufs. Leible/Sommer, IPRax 2006, 568) = NJW-RR 2005, 1518 (m. Aufs. Berg, NJW 2006, 3035); Eltzschig, IPRax 2002, 492; Magnus, ZEuP 2002, 523 (541). Krit. Hau, IPRax 2000, 359 f. 5 EuGH v. 14.7.2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 (Granarolo) Rz. 19, NJW 2016, 3087 = JZ 2017, 96 Anm. Klöpfer/Wendelstein = IPRax 2017, 396 (m. Aufs. P. Huber, IPRax 2017, 354 [356]); Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 14. 6 EuGH v. 13.3.2014 – C-548/12, ECLI:EU:C:2014:148 (Brogsitter), ZIP 2014, 843 = EuZW 2014, 383 m. Anm. Sujecki = NJW 2014, 1648. Näher Wendenburg/Schneider, NJW 2014, 1633 ff. S. auch EuGH v. 24.11. 2020 – C-55/19, ECLI:EU:C:2020:950 (Wikingerhof) = NJW 2021, 144 Anm. R. Wagner. 7 Magnus, IHR 2002, 45 (47 f.); Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 58.

Martiny | 235

3.199

§ 3 Rz. 3.199 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

der Käufer die Ware als vertragsgemäße (wenngleich möglicherweise mängelbehaftete) Leistung tatsächlich annimmt1. Ist (noch) nicht geliefert worden, so entscheidet der vertraglich vereinbarte Erfüllungsort2. Diese Regel gilt jedoch nur dann, wenn sich der Erfüllungsort in einem Mitgliedstaat i.S.d. EuGVO befindet. Ist das nicht der Fall, so greift die Grundregel des Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO wieder ein3. Der Begriff des Lieferortes (place of delivery; lieu de livraison des biens) ist i.S.d. Verordnung einheitlich zu bestimmen4. Dafür ist nicht auf die lex causae5 und auch nicht auf die lex fori zurückzugreifen6. Vielmehr ist ein Begriff des Lieferortes i.S.d. Verordnung zu entwickeln. Angesichts fehlender inhaltlicher Vorgaben des Unionsrechts und unterschiedlicher Fallgestaltungen werden freilich sehr unterschiedliche Lösungen vertreten7.

3.200

Einigkeit dürfte darüber bestehen, dass bei einem vertraglichen Bereitstellen der Ware beim Verkäufer (Holschuld) sich der Erfüllungsort dort befindet8. Hat der Verkäufer die Ware zum Käufer zu transportieren (Bringschuld), liegt der Erfüllungsort bei diesem9. Schwierigkeiten macht vor allem die vereinbarte Versendung (Schickschuld). Hier war umstritten, wieweit für dem Einheitskaufrecht unterliegende Käufe eine abweichende Lösung entwickelt werden kann. Teilweise wollte man die maßgeblichen Bestimmungen des CISG mit heranziehen. Erschöpft sich die Verpflichtung des Verkäufers mit der Übergabe an den Beförderer bzw. die Transportperson, so sei dies dann der Lieferort (vgl. Art. 31 lit. a CISG)10; bei weitergehenden Verpflichtungen könne der Lieferort auch beim Käufer liegen11. Der EuGH hat jedoch den Erfüllungsort auch bei Versendungskäufen nach dem Ort bestimmt, an dem der Käufer die tatsächliche Verfügungsgewalt über die gelieferte Sache erlangt oder sie nach dem Vertrag hätte erlangen müssen (Bestimmungsort)12. Dies führt i.d.R. zu einem Gerichtsstand am Sitz

1 BGH v. 22.4.2009 – VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606; Thorn, IPRax 2004, 356. 2 Magnus, IHR 2002, 45 (47 f.); Magnus, ZEuP 2002, 523 (541). 3 BGH v. 22.4.2009 – VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606; Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 93. 4 Gsell, IPRax 2002, 484 (486 ff.). 5 Anders LG München II v. 23.3.2004 – 1 O 6972/02, IPRax 2005, 143 (m. krit. Aufs. Kienle, IPRax 2005, 113). – Für die lex causae bei Nichtlieferung Geimer in Geimer/Schütze, Art. 7 EuGVO Rz. 118. 6 Die CISG-Regeln (Art. 31) zieht heran Magnus, ZEuP 2002, 523 (541). – Vgl. auch Rauscher, FS Heldrich, S. 943 ff. 7 Näher Mankowski, IHR 2009, 46 ff., der eine Anlehnung an Art. 31 CISG empfiehlt; Markus, S. 155 ff. 8 Hau, JZ 2008, 974 (975 m.w.N.). 9 Hau, JZ 2008, 974 (975 f. m.w.N.). 10 OLG München v. 17.4.2008 – 23 U 4589/07, IPRax 2009, 69 (m. abl. Aufs. Hau, IPRax 2009, 44); OLG Stuttgart v. 5.11.2007 – 5 U 99/07, IPRax 2009, 64 (m. abl. Aufs. Hau, IPRax 2009, 44); italien. Cass. v. 27.9.2006 – Nr. 20887, ZEuP 2008, 165 Anm. Rüfner, italien. Cass. v. 14.6.2007 – n. 13891, IHR 2009, 74; Bajons, FS Geimer, S. 15 (52, 64); Piltz, IHR 2006, 53 (56); Mumelter, S. 184. – Grds. für Niederlassungsort des Verkäufers Gsell, IPRax 2002, 484 (491). 11 Hau, IPRax 2000, 354 (358). 12 EuGH v. 25.2.2010 – C-381/08, ECLI:EU:C:2010:90 (Car Trim/Key Safety Systems), Slg. 2010, I1255 = NJW 2010, 1059 Anm. Piltz = ZIP 2010, 1194; BGH v. 9.7.2008 – VIII ZR 184/07, NJW 2008, 3001 = ZfRV 2008, 165 m. zust. Anm. Ofner (Vorlagebeschluss); Hau, JZ 2008, 974 (977 ff.); Junker, FS Martiny, S. 761 (771 ff.); Wipping, S. 108 ff.; Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 80.

236 | Martiny

G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.202 § 3

des Käufers1. Bei Verwendung der FOB-Klausel ist vertraglich vereinbarter Lieferort der Verschiffungshafen2. Bei mehrfachen Lieferorten kommt es auf die „Hauptlieferung“ an3. (3) Dienstleistungen Für Dienstleistungen kommt es in erster Linie auf den tatsächlichen, in zweiter Linie auf den vertraglichen Erbringungsort an (Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO). Auch hier wird vorausgesetzt, dass sich dieser Ort in einem Mitgliedstaat befindet. Der Begriff der Dienstleistung (fourniture de services) wird von der VO nicht näher erläutert. Er ist einheitlich i.S.d. Verordnung zu bestimmen4. Das Unionsrecht verwendet diesen Begriff häufig (vgl. nur Art. 57 AEUV; ex-Art. 50 EGV). Auf diesen sehr weiten Gebrauch kann hier allerdings nur sehr begrenzt Bezug genommen werden. Dienstleistungen sind Tätigkeiten, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden5, wenngleich nicht notwendig als Geldzahlung6 (s. auch Rz. 18.14). Dazu gehören gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten7, etwa die des Rechtsanwalts8. Als Dienstleistung ist auch ein Werkvertrag9 oder ein Vertriebsvertrag einzuordnen10. Ein Lizenzvertrag, mit dem der Inhaber eines Immaterialgüterrechts seinem Vertragspartner das Recht zu einer entgeltlichen Nutzung einräumt, ist kein Vertrag über die Erbringung von Dienstleistungen11.

3.201

Der Erbringungsort (lieu de fourniture des services) ist i.S.d. Verordnung einheitlich zu bestimmen12. Dafür ist weder auf die lex causae noch auf die lex fori abzustellen. Vielmehr ist ein Erbringungsortbegriff im Rahmen der Verordnung zu entwickeln. Man wird auf den Ort abzustellen haben, an dem die Dienstleistung nach dem Vertrag erbracht worden ist oder hät-

3.202

1 Krit. Hausmann in Staudinger, IntVertrVerfR Rz. 87b. 2 BGH v. 22.4.2009 – VIII ZR 156/07, NJW 2009, 2606, 2007; Ferrari, IPRax 2007, 61 (66). 3 EuGH v. 3.5.2007 – C-386/05, ECLI:EU:C:2007:262 (Color Drack/Lexx International), Slg. 2007, I-3699 = EuZW 2007, 370 Anm. Leible/Reinert = NJW 2007, 1799 Anm. Piltz; Junker, FS Martiny, S. 761 (771 ff.). 4 OLG Köln v. 14.3.2005 – 16 U 89/04, IPRspr. 2005 Nr. 102 = RIW 2005, 778; Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 66. 5 EuGH v. 14. 7. 2016 – C-196/15, ECLI:EU:C:2016:559 (Granarolo) Rz. 37-40, NJW 2016, 3087 = JZ 2017, 96 Anm. Klöpfer/Wendelstein = IPRax 2017, 396 (m. Aufs. P. Huber, IPRax 2017, 356); Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 67. 6 EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860 (Corman-Collins), EuZW 2014, 181 m. zust. Anm. Lenzing = RIW 2014, 145. – Dazu Wais, GPR 2014, 165 ff. – S. auch Hau, ZVertriebsR 2014, 79 ff. 7 Vgl. Hau, IPRax 2000, 354 (359); Bajons, FS Geimer, S. 15 (64). 8 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806 (m. Aufs. Berg, NJW 2006, 3035) = EuZW 2006, 318. 9 Gsell, IPRax 2002, 484 (485). 10 EuGH v. 11.3.2010 – C-19/09, ECLI:EU:C:2010:137 (Wood Floor), Slg. 2010, I-2121 = NJW 2010, 1189 (Handelsvertreter); EuGH v. 19.12.2013 – C-9/12, ECLI:EU:C:2013:860 (Corman-Collins), EuZW 2014, 181 m. zust. Anm. Lenzing; Bajons, FS Geimer, S. 15 (55 f.); Kindler, FS Sonnenberger, S. 433 (441); Hau, ZVertriebsR 2014, 80 f. 11 EuGH v. 23.4.2009 – C-533/07, ECLI:EU:C:2009:257 (Falco), NJW 2009, 1865. 12 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, IPRspr. 2006 Nr. 109 = NJW 2006, 1806 (m. Aufs. Berg, NJW 2006, 3035) = EuZW 2006, 318; vgl. Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 73.

Martiny | 237

§ 3 Rz. 3.202 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

te erbracht werden müssen1. Dies führt regelmäßig zu dem Ort, an dem der Dienstleistende seine Tätigkeit ausübt2, z.B. zum Ort der Kanzlei des Rechtsanwalts3.

3.203

Ist eine Dienstleistung in mehreren Mitgliedstaaten zu erbringen, so kommt es auf den Ort an, an dem der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt4. Beim Lufttransport kann auf mehrere Teilstrecken abgestellt werden5. Ist die streitige vertragliche Verpflichtung eine geographisch unbegrenzt geltende Unterlassungsverpflichtung, so kann nach Ansicht des EuGH ein Erfüllungsort nicht bestimmt werden6. Dann soll – wenig überzeugend – die besondere Zuständigkeitsregel des Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 Nr. 1 EuGVO) überhaupt nicht zur Anwendung kommen. bb) Kollisionsrechtliche Erfüllungsortbestimmung

3.204

Im Luganer Übereinkommen von 2007 wird der Erfüllungsort ebenso bestimmt wie in Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO7. Die frühere kollisionsrechtliche Erfüllungsortbestimmung ist damit grds. überwunden.

3.205

Zwar wurden die Begriffe „Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag“ (matière contractuelle) von der Rechtsprechung autonom interpretiert8; dies galt jedoch nicht für den Erfüllungsort selbst.

3.206

Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes steht dem Kläger auch dann zur Verfügung, wenn das Zustandekommen des Vertrages, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, zwischen den Parteien streitig ist9. 1 Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 74. – Unentschieden zu einer möglichen Rangfolge zwischen rechtlichem und tatsächlichem Erfüllungsort, BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806. 2 Vgl. Bajons, FS Geimer, S. 15 (64); Gsell, IPRax 2002, 484 (491) (Niederlassungsort). 3 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806 (m. krit. Aufs. Berg, NJW 2006, 3035). 4 BGH v. 2.3.2006 – IX ZR 15/05, NJW 2006, 1806 (Rechtsanwalt; Terminwahrnehmung oder sonstige Tätigkeit). 5 EuGH v. 7.3.2018 – C-274/16, C-447/16 und C-448/16, ECLI:EU:C:2018:160 (flightright) Rz. 73, NJW 2018, 2105 = IPRax 2019, 421 (m. Aufs. Lobach, IPRax 2019, 391); BGH v. 12.5.2020 – X ZR 10/19, RIW 2020, 701 = TranspR 2021, 23. 6 Noch zum EuGVÜ EuGH v. 19.2.2002 – C-256/00, ECLI:EU:C:2002:99 (Besix/Wasserreinigungsbau), Slg. 2002, I-1699 = NJW 2002, 1407 = IPRax 2002, 392 (m. Aufs. Heß, IPRax 2002, 376) = EWiR 2002, 519 (abl. Mankowski). 7 Luganer Übk. über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 30.10.2007, ABl. EU 2007 Nr. L 339, S. 3. 8 EuGH v. 22.3.1983 – Rs. 34/82, ECLI:EU:C:1983:87 (Peters/ZNAV), Slg. 1983, 987 (1002) = IPRax 1984, 85 (m. Aufs. Schlosser, IPRax 1984, 65); EuGH v. 8.3.1988 – Rs. 9/87, ECLI:EU:C:1988:127 (Arcado/Haviland), Slg. 1988, 1539 (1554) = NJW 1989, 1424 = IPRax 1989, 227 (m. Aufs. Mezger, IPRax 1989, 207). Nach a.A. ist die lex causae maßgeblich, so Holl, WiB 1995, 463 m.w.N. Nicht als „von einer Partei gegenüber einer anderen freiwillig eingegangene Verpflichtung“ wird die Direktklage des Endabnehmers gegen den Hersteller nach französ. Recht angesehen; EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91, ECLI:EU:C:1992:268 (Handte/TMCS), Slg. 1992, I-3967 = JZ 1995, 90 Anm. Peifer. 9 EuGH v. 4.3.1982 – 38/81, ECLI:EU:C:1982:79 (Effer), Slg. 1982, 825 = IPRax 1983, 31 (Anm. Gottwald, IPRax 1983, 13) = RIW 1982, 280 (Patentanwaltsvertrag. Erfüllungsort in der BRD); BGH v. 13.5.1982 – III ZR 1/80, IPRspr. 1982 Nr. 139 = NJW 1982, 2733 = IPRax 1983, 67 (Anm. Stoll, IPRax 1983, 52) (Abschlussentscheidung zu EuGH v. 4.3.1982, Patentanwaltsvertrag deutschem Recht unterstellt. Erfüllungsort in Deutschland).

238 | Martiny

G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.210 § 3

- Maßgebliche Verpflichtung Auch soweit sich der Erfüllungsort nach Einheitsrecht richtet, ist dies für die Gerichtsstandsbestimmung nach dem Grundtatbestand des Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO, der freilich i.d.R. nicht mehr eingreift, maßgeblich1 (vgl. Rz. 25.75 ff.). Dabei wird in Kauf genommen, dass dies den Kläger begünstigt und zu seiner Niederlassung führt2.

3.207

Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO bezieht sich jedoch nicht auf jede beliebige vertragliche Verpflichtung. Vielmehr ist die Verpflichtung heranzuziehen, welche dem vertraglichen Anspruch entspricht, auf den der Kläger seine Klage stützt. Handelt es sich um Verpflichtungen, die an die Stelle weggefallener oder verletzter Pflichten getreten sind, so ist der Erfüllungsort der ursprünglichen Verpflichtung maßgeblich.

3.208

Macht der Kläger z.B. Ansprüche auf Schadensersatz geltend oder beantragt er die Vertragsauflösung aus Verschulden des Gegners, so ist maßgebliche Verpflichtung weiterhin diejenige, deren Nichterfüllung behauptet wird (die sog. Primärverpflichtung)3. Wird die Klage auf mehrere Verpflichtungen gestützt, die sich aus einem einzigen Vertrag ergeben, so ist zunächst zu beachten, dass es auf die Primärverpflichtung ankommt. Im Übrigen richtet sich die Zuständigkeit nach dem Grundgedanken, dass Nebensächliches der Hauptsache folgt. Bei mehreren streitigen Verpflichtungen entscheidet die Hauptpflicht4.

3.209

Für Arbeitnehmer besteht ein einheitlicher Gerichtsstand für Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag5 (Art. 20, 21 Brüssel Ia-VO). Der Arbeitnehmer kann am Ort des ge-

3.210

1 Zum alten Recht BGH v. 11.12.1996 – VIII ZR 154/95, ZIP 1997, 519 = IPRspr. 1996 Nr. 171 = NJW 1997, 870; BGH v. 30.4.2003 – III ZR 237/02, NJW-RR 2003, 1582 (Kaufpreisklage); OLG Celle v. 11.11.1998 – 9 U 87/98, IPRspr. 1998 Nr. 160 = IPRax 1999, 456 (m. Aufs. Gebauer, IPRax 1999, 432); OLG München v. 3.12.1999 – 23 U 4446/99, IPRspr. 1999 Nr. 151 = RIW 2000, 712; LG München I v. 29.5.1995 – 21 O 23363/94, IPRspr. 1995 Nr. 146 = IPRax 1996, 266 (m. Aufs. Trunk, IPRax 1996, 249). 2 EuGH v. 29.6.1994 – C-288/92, ECLI:EU:C:1994:268 (Custom Made Commercial/Stawa), Slg. 1994 I-2913 = IPRax 1995, 31 (m. abl. Aufs. Jayme, IPRax 1995, 13) = JZ 1995, 244 (zust. Anm. Geimer, NJW 1995, 183) (Deutsch-engl. Werklieferungsvertrag. Erfüllungsort für die Kaufpreiszahlung nach Art. 59 Abs. 1 Einheitliches Kaufgesetz bestimmt. Danach war Erfüllungsort für diese Verpflichtung die Niederlassung des deutschen Verkäufers). 3 EuGH v. 6.10.1976 – Rs. 14/76, ECLI:EU:C:1976, 134 (De Bloos), Slg. 1976, 1497 = NJW 1977, 470 (Klage belg. Alleinvertriebshändlers gegen französ. Lieferanten auf gerichtliche Auflösung des Vertrages und Schadensersatz. Maßgebend für die Zuständigkeit waren die ursprünglichen Pflichten des Lieferanten). Ebenso OLG Koblenz v. 23.2.1990 – 2 U 1795/89, ZIP 1991, 1098 = IPRspr. 1990 Nr. 228 = IPRax 1991, 241 (m. Aufs. Hanisch, IPRax 1991, 215); OLG München v. 3.12.1999 – 23 U 4446/99, IPRspr. 1999 Nr. 151 = RIW 2000, 712. 4 EuGH v. 15.1.1987 – 266/85, ECLI:EU:C:1987:11 (Shenavai/Kreischer), Slg. 1987, 239 = RIW 1987, 213 = NJW 1987, 1131 zust. Anm. Geimer (Honorarklage eines Architekten aus Deutschland gegen den in den Niederlanden wohnhaften Auftraggeber. Für den Erfüllungsort war die vertragliche Verpflichtung maßgeblich, die konkret den Gegenstand der Klage bildete, also die am Wohnsitz des Beklagten zu erfüllende Geldschuld. Auf den Ort der Architektenleistung kam es nicht an); EuGH v. 5.10.1999 – Rs. 420/97, ECLI:EU:C:1999:483 (Leathertex/Bodetex), Slg. 1999, I-6747 = NJW 2000, 721 = IPRax 2000, 402 (m. Aufs. Hau, IPRax 2000, 354) (Der belg. Handelsvertreter Bodetex verlangte von der italien. Leathertex Provisionen sowie Entschädigung wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist. Unterschiedliche Erfüllungsorte in Belgien (Entschädigung) und Italien (Provision) wurden in Kauf genommen); BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, IPRax. 1994, 115 (m. Aufs. Geimer, IPRax 1994, 82) = NJW 1993, 2753 = RIW 1993, 846. 5 Näher Junker, Internationale Zuständigkeit für Arbeitssachen nach der Brüssel I-Verordnung in Grenzüberschreitungen – FS Schlosser (2005), S. 299 ff.

Martiny | 239

§ 3 Rz. 3.210 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

wöhnlichen Arbeitsorts klagen; in Ermangelung dessen am Ort der einstellenden Niederlassung. Im Anschluss an die frühere Rechtsprechung fällt unter diese Regelung auch der angestellte Handelsvertreter (Reisende)1. Diese Zuständigkeitskonzentration zum Schutz des sozial Schwächeren ist ausdrücklich als Ausnahme eingestuft und nicht auf Ansprüche auf Zahlung eines Architektenhonorars ausgedehnt worden2. - Erfüllungsortvereinbarung

3.211

Zweifelhaft ist, ob für die Erfüllungsortvereinbarung die spezielle Erfüllungsortfestlegung des Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO nicht gilt, und es vielmehr bei der allgemeinen kollisionsrechtlichen Bestimmung des Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO bleibt3. Trotz der Gefahr einer Umgehung der Formerfordernisse für Gerichtsstandsvereinbarungen (Art. 25 Brüssel Ia-VO) geht die h.M. davon aus, dass eine bloße Erfüllungsortvereinbarung auf einer anderen Konzeption als eine Zuständigkeitsvereinbarung beruht4. Der Erfüllungsort i.S.d. Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 5 Nr. 1 EuGVO) kann daher formfrei vereinbart werden, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO gewahrt werden müssten5.

3.212

Ob dies auch dann gilt, wenn nicht der Ort bestimmt wird, an welchem der Schuldner die ihm obliegende Leistung zu erbringen hat, sondern ein bestimmter Gerichtsstand festgelegt werden soll, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO (ex-Art. 23 EuGVO) vorliegen (sog. abstrakte Erfüllungsortvereinbarung), war lange streitig. Nunmehr ist anerkannt, dass lediglich prozessual gemeinte, „abstrakte“ Erfüllungsortvereinbarungen, die nicht den Ort festlegen, an dem der Schuldner die ihm obliegende Leistung tatsächlich zu erbringen hat, sondern nur einen Gerichtsstand bestimmen sollen, nicht formlos möglich sind. Sie müssen vielmehr den Formerfordernissen des Art. 25 Brüssel Ia-VO entsprechen6.

3.213

Vorausgesetzt wird jedenfalls, dass das Vertragsstatut eine solche Vereinbarung gestattet7. Verlangt es seinerseits eine bestimmte Form, so genügt freilich auch die Wahrung der Ortsform (Art. 11 Abs. 1, 2 Rom I-VO). Zu beachten ist, dass nach deutschem Recht eine Erfüllungsortvereinbarung durch stillschweigende Unterwerfung unter AGB erfolgen kann, wenn in diesen eine Festlegung des Erfüllungsortes enthalten ist8. 1 S. EuGH v. 26.5.1982 – Rs. 133/81, ECLI:EU:C:1982:199 (Ivenel/Schwab), Slg. 1982, 1891 = IPRax 1983, 173 (m. Aufs. Mezger, IPRax 1983, 153). 2 EuGH v. 15.1.1987 – Rs. 266/85, ECLI:EU:C:1987:11 (Shenavai/Kreischer), Slg. 1987, 251 = RIW 1987, 213. 3 So BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, MDR 2006, 46 = IPRax 2006, 594 (m. Aufs. Leible/Sommer, IPRax 2006, 568) = NJW-RR 2005, 1518 (m. krit. Aufs. Berg, NJW 2006, 3055). 4 Vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Art. 7 EuGVO Rz. 73 ff. 5 Noch zum GVÜ EuGH v. 17.1.1980 – Rs. 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 (Zelger), Slg. 1980, 89/97 = IPRax 1981, 89 (Anm. Spellenberg, IPRax 1981, 75) = WM 1980, 720 zust. Anm. Schütze = RIW 1980, 726 (Deutsch-italien. Darlehensvertrag. Mündliche Vereinbarung deutschen Erfüllungsortes); BGH v. 7.7.1980 – III ZR 15/82, IPRspr. 1980 Nr. 137b = IPRax 1981, 93 (Anm. Spellenberg, IPRax 1981, 75) = RIW 1980, 725 (Folgeentscheidung zu EuGH v. 17.1.1980 – Zelger). 6 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG), Slg. 1997, I-911 = NJW 1997, 1431 = IPRax 1999, 31 (m. Aufs. Kubis, IPRax 1999, 10) = JZ 1997, 839 Anm. Koch = RIW 1997, 415 Anm. Holl; Abschlussentscheidung BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37/94, IPRspr. 1997 Nr. 150 = IPRax 1999, 34 (Erfüllungsortvereinbarung in deutsch-französ. Zeitchartervertrag). 7 Gottwald in MünchKommZPO, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 42. – Vgl. auch Eltzschig, IPRax 2002, 494. 8 BGH v. 17.10.1984 – I ZR 130/82, IPRspr. 1984 Nr. 146 = MDR 1985, 467 = NJW 1985, 560 (Klage deutschen Speditionsunternehmens gegen niederländ. Firma. Stillschweigende Unterwerfung unter die ADSp angenommen, die in § 65 a.F. einen inländ. Erfüllungsort vorsahen); OLG Hamm v. 19.5.2015 – 7 U 26/15, IPRspr. 2015 Nr. 205 = RdTW 2016, 219.

240 | Martiny

G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.217 § 3

Ferner nimmt die Rechtsprechung zuweilen eine stillschweigende Erfüllungsortvereinbarung an und schafft damit über einen einheitlichen Leistungsort im Ergebnis einen Klägergerichtsstand. Dies gilt z.B. für Bauverträge1. Entsprechende Ergebnisse werden erzielt, indem etwa bei einem Architektenvertrag ein gemeinsamer Erfüllungsort am Ort der Baustelle und Bauaufsicht angenommen wird2. Teilweise wird sogar bei Zug-um-Zug-Leistung aus der Natur des Schuldverhältnisses ein gemeinsamer Erfüllungsort abgeleitet3.

3.214

cc) Internationale Zuständigkeit nach nationalem Recht Die nach dem IPR der lex fori erfolgende Bestimmung des Erfüllungsortes für die einzelne Verpflichtung ist nach h.M. auch für die internationale Zuständigkeit nach deutschem Recht (vgl. § 29 ZPO) maßgeblich4. Dort, wo nach kollisionsrechtlich oder einheitsrechtlich bestimmtem materiellen Recht zu leisten ist, besteht auch eine Zuständigkeit.

3.215

3. Erfüllungsmodalitäten (Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO) Trotz der grundsätzlichen Geltung des Vertragsstatuts für die Erfüllung ist dieses Statut für einige Fragen nicht die geeignete Anknüpfung. Nach Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO ist in Bezug auf die Art und Weise der Erfüllung und die vom Gläubiger im Falle mangelhafter Erfüllung zu treffenden Maßnahmen das Recht des Staates, in dem die Erfüllung erfolgt, zu berücksichtigen (ähnlich Art. 125 schweiz. IPRG). Sinn dieser – nach ihrem systematischen Standort für alle Verträge geltenden5 – Bestimmung ist es, Konflikte zwischen der lex causae und dem davon abweichenden Recht des Erfüllungsortes zu vermeiden6.

3.216

Was unter „Art und Weise der Erfüllung“ (manner of performance; les modalités d’exécution) zu verstehen ist, wird gesetzlich nicht näher erläutert. Dieser Begriff ist im Interesse des Entscheidungseinklanges möglichst einheitlich für alle Mitgliedstaaten zu bestimmen. Die Tatsache, dass die Rom I-VO keine eigenständige Definition enthält, ist kein Argument dafür, den Begriff einfach nach der jeweiligen lex fori auszulegen7. Im Anschluss an das frühere Recht wird man darunter insbesondere solche Handlungen zu verstehen haben, die nach dem Vertrag oder dem auf ihn anzuwendenden Recht zur Erfüllung notwendig sind. Die Erfül-

3.217

1 OLG Köln v. 23.2.1983 – 16 U 136/82, IPRspr. 1983 Nr. 133 = RIW 1984, 314 (Werklohnanspruch deutschen Unternehmers gegen niederländ. Kunden. Stillschweigende Erfüllungsortvereinbarung auf den in der BRD gelegenen Ort des Bauvorhabens). 2 BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, IPRspr. 2000 Nr. 133 = NJW 2001, 1936 = EWiR 2001, 625 (Wenner). 3 S. OLG Stuttgart v. 12.2.1981 – 10 U 195/80, IPRspr. 1981 Nr. 157 = NJW 1982, 529 = RIW 1982, 591 (Kaufpreisanspruch gegen den französ. Käufer. Stuttgart sei der gemeinsame Erfüllungsort für beide Vertragsparteien, „denn hier ist die vertragstypische Leistung der Übergabe der Kaufsache zu erbringen, Zug um Zug gegen Leistung des Kaufpreises“). 4 BGH v. 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 (347) = IPRspr. 1992 Nr. 229 = IPRax 1994, 204 (m. Aufs. Basedow, IPRax 1994, 183) = MDR 1993, 473; BGH v. 7.11.2012 – VIII ZR 108/12, ZIP 2013, 44 = NJW-RR 2013, 309; BAG v. 17.7.1997 – 8 AZR 328/95, IPRspr. 1997 Nr. 154 = NZA 1997, 1182; Magnus, ZEuP 2002, 523 (541). Anders Schack, Erfüllungsort, Rz. 223 ff. 5 Junker, Int.ArbR im Konzern (1992), S. 295. 6 Sachnorm für internationale Sachverhalte, Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 194. 7 E. Lorenz, RdA 1989, 220 (224); Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 184. Anders aber zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 65.

Martiny | 241

§ 3 Rz. 3.217 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

lungsmodalitäten betreffen also weniger den Inhalt der Verpflichtung als vielmehr lediglich die „äußere Abwicklung der Erfüllung“1.

3.218

Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO kommt es nicht auf den vereinbarten, sondern auf den tatsächlichen Erfüllungsort an. Die jeweiligen Handlungen sind also im Hinblick auf das Recht des Ortes auszuführen, an dem sie tatsächlich vorgenommen werden (ebenso Art. 125 schweiz. IPRG)2.

3.219

Zu den Erfüllungsmodalitäten gehören insbesondere die Einzelheiten der Prüfung der Ware und die im Falle einer Zurückweisung der Ware zu treffenden Maßnahmen (the steps to be taken; les mesures à prendre); beispielsweise die Aufbewahrung nicht angenommener Lieferungen (vgl. auch Rz. 25.134 ff.). Dagegen gehört der Inhalt der Verpflichtung wie der Haftungsmaßstab nicht dazu3. Auch Schritte wie die Mahnung zum In-Verzug-Setzen, das Erheben der Einrede der Nichterfüllung sind nicht gemeint; insoweit bleibt es beim Vertragsstatut4.

3.220

Wohl aber gehören die Regelung von Geschäftszeiten sowie die Auswirkungen von Feiertagsregelungen auf die Erfüllung hierher5. Es ist jedoch nicht an Erfüllungshindernisse gedacht, die sich z.B. aus Preis-, Devisen- oder Bewirtschaftungsvorschriften ergeben können. Solche zwingenden Vorschriften kann der Richter nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO und den Grundsätzen für die Beachtung ausländischer international zwingender Normen berücksichtigen6. Besonderheiten gelten etwa für Ablieferungsmodalitäten beim Speditionsvertrag oder die Löschung bei Seefrachtverträgen. Handelsbräuche am Erfüllungsort sind zu beachten (Rz. 25.99). Zu den Erfüllungsmodalitäten wird teilweise auch die Frage gerechnet, in welcher Währung zu zahlen ist7 (zur grundsätzlichen Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts s. Rz. 3.126). Mangels einer besonderen Abrede wird regelmäßig in der Währung des Ortes zu zahlen sein, an dem die Schuld zu begleichen ist8. Dies bestimmen manche Rechte ausdrücklich, so z.B. Art. 84 schweiz. OR9. Zur Ersetzungsbefugnis s. Rz. 3.223.

3.221

Das Recht des Erfüllungsortes ist nach Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO nicht anzuwenden, sondern lediglich zu „berücksichtigen“ (regard shall be had; on aura égard). Die VO erläutert nicht näher, was damit gemeint ist. Nach dem Bericht Giuliano/Lagarde bedeutet es, dass das Gericht prüfen kann, ob dieses Recht für die Art und Weise der Vertragserfüllung maßgeblich ist, und dass es dieses Recht ganz oder teilweise anwenden kann10. Im Verordnungstext ist freilich von Ermessen keine Rede; die Berücksichtigung des Rechts des Erfüllungsortes ist 1 BGH v. 29.6.2006 – I ZR 168/03, IPRspr. 2006 Nr. 12 = NJW-RR 2006, 1694; BGH v. 25.10.2007 – I ZR 151/04, IPRspr. 2007 Nr. 43 = NJW-RR 2008, 840. 2 Ebenso etwa von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 836; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 82; Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 8. 3 BGH v. 29.6.2006 – I ZR 168/03, IPRspr. 2006 Nr. 12 = NJW-RR 2006, 1694. 4 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 90. 5 BGH v. 29.6.2006 – I ZR 168/03, IPRspr. 2006 Nr. 12 = NJW-RR 2006, 1694. – Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 66; Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (333). 6 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 85, 87. – Anders Kegel/Schurig, S. 613. 7 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 86 (für Zahlungs-, nicht für Schuldwährung). – Ebenso Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (333) mit dem Bedauern, dass das EVÜ keine besondere Bestimmung wie Art. 147 schweiz. IPRG enthält. 8 Art. 6.1.10 UNIDROIT-Principles 2016; Dasser in Basler Komm, Art. 147 IPRG Rz. 18. 9 Dazu Vischer/Huber/Oser, Rz. 874. 10 Ferrari in Ferrari, Art. 12 Rom I-VO Rz. 31.– Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 66.

242 | Martiny

G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.223 § 3

zwingend vorgeschrieben1. Grundsätzlich ist jedenfalls vom Vertragsstatut auszugehen. Doch sind die danach geltenden Regeln im Hinblick auf die Sachrechtsvorschriften des Erfüllungsorts zu modifizieren, soweit diese für die Rechte und Pflichten der Parteien anderes bestimmen2. Man kann ferner annehmen, dass es den Parteien weiterhin freisteht, die Art und Weise der Erfüllung einem bestimmten Recht, und zwar als sog. Nebenstatut, auch einer anderen Rechtsordnung als dem Vertragsstatut zu unterstellen3.

3.222

4. Währung, Ersetzungsbefugnis Literatur: Birk, Die Umrechnungsbefugnis bei Fremdwährungsforderungen im IPR, AWD 1973, 425; Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999); Grothe, Das währungsverschiedene Substitutionsrecht in Euro, ZBB 2002, 1; Maier-Reimer, Fremdwährungsverbindlichkeiten, NJW 1985, 2049; Rennpferdt, Die internationale Harmonisierung des Erfüllungsrechts für Geldschulden (1993).

Die meisten Rechtsordnungen erlauben, dass nicht nur in der vereinbarten fremden Währung (Schuldwährung; money of account), sondern auch in einer anderen Währung (Zahlungswährung; money of payment) gezahlt werden kann4. So gestattet § 244 Abs. 1 BGB dem Schuldner (vorbehaltlich ausdrücklicher abweichender Vereinbarung) die Zahlung von Geldschulden in Euro5. Die Einordnung dieser Vorschrift, welche dem Schuldner, nicht aber dem Gläubiger6, ein Wahlrecht einräumt, ist umstritten. Nach früher h.M. ist sie unabhängig vom Schuldstatut auf alle in der Bundesrepublik zu zahlenden Geldschulden anzuwenden. Es handelt sich danach um eine versteckte Kollisionsnorm7 oder doch um eine unmittelbar anwendbare Sachnorm8, deren Zweck die Erleichterung und Regulierung des Zahlungsverkehrs ist. Es hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass es hier lediglich um den Inhalt der Verpflichtung geht. Daher gelangt § 244 BGB nur dann zur Anwendung, wenn deutsches Recht Schuldstatut ist9. Lehnt man die Durchsetzung als international zwingende Norm ab, so stellt sich die

1 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 93. 2 Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 41 (Ermessen bezüglich Art und Weise). – Vgl. Junker, Int. ArbR im Konzern (1992), S. 299 f.; Thorn in Palandt, Art. 12 Rom I-VO Rz. 5. 3 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 98. – Vgl. BGH v. 7.7.1980 – III ZR 76/78, IPRspr. 1980 Nr. 137b = IPRax 1981, 93 (zust. Anm. Spellenberg, IPRax 1981, 75). 4 Näher zu den Begriffen, die sich nicht völlig decken, Grothe, S. 6 f., der für den Umfang der geschuldeten Währungseinheiten noch den Begriff der Berechnungswährung einführt. 5 In Frankreich ist Zahlungswährung für die Geldsummenschuld grds. der Euro (Art. 1343-3 n.F. c. c.) 6 LG Braunschweig v. 15.1.1985 – 6 S 218/84, WM 1985, 394 = MDR 1985, 495. 7 LG Stuttgart v. 14.3.1957 – 10 O 228/53, IPRspr. 1956/57 Nr. 29 (Darlehensstatut niederländ. Recht. § 244 BGB angewendet). Ebenso König, EuR 1975, 305; Drobnig, S. 258; Kegel/Schurig, S. 1120. Anders Schnelle, Die objektive Anknüpfung von Darlehensverträgen im deutschen und amerikanischen IPR (1992), S. 154 ff.: An den Sitz des Gläubigers gesondert anzuknüpfende Frage. 8 Gegen diesen Ansatz Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 51. 9 Birk, AWD 1973, 425 (434); Maier-Reimer, NJW 1985, 2049 (2050 f.); Grothe, S. 133 ff. (148 f.); Grothe, ZBB 2002, 1 ff.; Reinhuber, Grundbegriffe und internationaler Anwendungsbereich von Währungsrecht (1995), S. 101 f.; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 813; Grothe in BRHP, § 244 BGB Rz. 51; Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 9; Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 18; Spickhoff in BRHP, Art. 12 Rom I-VO Rz. 23.

Martiny | 243

3.223

§ 3 Rz. 3.223 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Frage, ob sie wenigstens als Erfüllungsmodalität i.S.d. Art. 12 Abs. 2 nach dem Recht des Erfüllungsortes Beachtung finden kann1. Auch dies wird weitgehend abgelehnt2.

3.224

Für den Währungskurs maßgeblicher Zeitpunkt ist die tatsächliche Zahlung, nicht die Fälligkeit3. Während man früher auf eine Geldschuld, deren Erfüllungsort im Ausland liegt, § 244 BGB nicht angewendet hat4, wird heute bei einem ausländischen Zahlungsort in der EuroZone eine Anwendung befürwortet5.

III. Aufrechnung (Art. 17 Rom I-VO) Literatur: Badelt, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit unter besonderer Berücksichtigung des deutsch-spanischen Rechtsverkehrs (2005); Berger, Der Aufrechnungsvertrag (1996); Birk, Aufrechnung bei Fremdwährungsforderungen und IPR, AWD 1969, 12; Dageförde, Aufrechnung und internationale Zuständigkeit, RIW 1990, 873; Gäbel, Neuere Probleme zur Aufrechnung im IPR (1983) (betr. USA); Gebauer/Huber (Hrsg.), Rechtsdurchsetzung durch Vertragsstrafe und Aufrechnung (2018) (China, Common Law, Frankreich, Polen); Gottwald, Die Prozessaufrechnung im europäischen Zivilprozess, IPRax 1986, 10; Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999); Gruber, Die Aufrechnung von Fremdwährungsforderungen, MDR 1992, 121; Gruschinske, Das europäische Kollisionsrecht der Aufrechnung unter besonderer Beachtung des Insolvenzfalles (2008); Heinrich, Rechtsvergleichende Aspekte der Verrechnung als Kreditsicherheit, SZW/RSDA 1990, 266; Hellner, Set-off in Ferrari/ Leible (Hrsg.), Rome I Regulation (2009), S. 251; von Hoffmann, Aufrechnung und Zurückbehaltungsrecht bei Fremdwährungsforderungen, IPRax 1981, 155; Janert, Die Aufrechnung im internationalen Vertragsrecht (2002); Jud, Die Aufrechnung im internationalen Privatrecht, IPRax 2005, 104; Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1998); Lieder, Die Aufrechnung im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht, RabelsZ 78 (2014), 809; Magnus, Internationale Aufrechnung in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2004), S. 209; Magnus, Aufrechnung und Gesamtschuldnerausgleich in Ferrari/Leible (Hrsg.), Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007), S. 201; Magnus, Set-off and the Rome I Proposal, Yb. PIL 8 (2006), 113; Vorpeil, Aufrechnung bei währungsverschiedenen Forderungen, RIW 1993, 529; Vorpeil, Aufrechnungsausschlussklauseln nach englischem Recht, RIW 1993, 718; Zimmermann, Aufrechnung in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 19.

1. Gleiches Schuldstatut 3.225

Die Aufrechnung bewirkt das Erlöschen zweier Forderungen, nämlich der Forderung, mit der aufgerechnet wird (Aktiv- oder Gegenforderung) und der Forderung, gegen die aufgerech1 So etwa Grundmann in MünchKomm, § 245 BGB Rz. 97 (Erfüllungsmodalität); Spickhoff in BRHP, Art. 12 Rom I-VO Rz. 23. Mit Einschränkungen Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 189. 2 So Grothe in BRHP, § 244 BGB Rz. 51; Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 142; Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 18. 3 BGH v. 22.5.1958 – II ZR 281/56, IPRspr. 1958/59 Nr. 100 = NJW 1958, 1390 (Fremdwährungsschuld in niederländ. Währung); OLG Köln v. 5.2.1971 – 3 U 165/70, IPRspr. 1971 Nr. 117 = AWD 1971, 485 (Anspruchshöhe in belg. Währung beziffert. Umrechnung nicht nach Verzugs-, sondern Zahlungszeitpunkt). Ebenso schon RG v. 24.1.1921 – II 13/20, RGZ 101, 312 (315). So auch Birk, AWD 1973, 425 (429). 4 OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, IPRspr. 1993 Nr. 35 = RIW 1993, 934 (936); Deutsches Seeschiedsgericht v. 9.9.1976, IPRspr. 1976 Nr. 26 = VersR 1977, 447 (Bergelohnvereinbarung deutschem Recht unterstellt. Zu zahlen war in Kopenhagen in dän. Kronen). – Anders Kegel/Schurig, S. 1120. 5 So Grothe, ZBB 2002, 1 ff.

244 | Martiny

G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.228 § 3

net wird (Passiv- oder Hauptforderung). Das Bestehen der Forderungen wird nach ihrem jeweiligen Statut beurteilt. Gilt für beide das gleiche Schuldstatut, so entscheidet dieses1. Das folgt aus Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO, der das Erlöschen der Verpflichtungen dem Vertragsstatut unterwirft. Die Aufrechnung ist stets materiell-rechtlich einzuordnen2. Nur die prozessuale Zulässigkeit der Aufrechnung richtet sich nach der lex fori3. Die Voraussetzung der „Entscheidungsreife“ des italienischen Rechts (Art. 1243 c.c.) dürfte materiell-rechtlich einzuordnen sein4.

2. Verschiedene Statute Art. 17 Rom I-VO Aufrechnung Ist das Recht zur Aufrechnung nicht vertraglich vereinbart, so gilt für die Aufrechnung das Recht, dem die Forderung unterliegt, gegen die aufgerechnet wird.

Die materiell-rechtliche Zulässigkeit der Aufrechnung richtet sich nach dem Schuldstatut der Forderung, die zum Erlöschen gebracht werden soll5. Art. 17 Rom I-VO hat der Auffassung, dass die Aufrechnung nach den Statuten beider Forderungen zulässig sein muss (sog. Kumulationstheorie)6 eine Absage erteilt. Schon bislang hatte man im Interesse des Gläubigerschutzes ganz überwiegend auf das Statut der Passiv- oder Hauptforderung abgestellt7.

3.226

Danach wird beurteilt, ob der Schuldner aufrechnen kann statt bar zu zahlen. Dieses etwaigen Vorteils wegen kann ihm zugemutet werden, sich nach einem anderen Recht als nach dem für seine Forderung maßgeblichen zu richten. Bestand, Höhe und Fälligkeit der Aktivforderung betreffen Vorfragen. Sie werden daher nach ihrem eigenen Statut beurteilt8. Für die Anwendbarkeit des Art. 17 Rom I-VO ist nicht erforderlich, dass beide Forderungen schuldvertraglicher Natur sind. Es reicht aus, wenn die Hauptforderung einem Schuldverhältnis entstammt9.

3.227

Welches Recht den Aufrechnungsvertrag beherrscht, wird nicht von Art. 17 Rom I-VO geregelt und ist weitgehend ungeklärt. Rechtswahl ist möglich10. Häufig wird ein solcher Vertrag im Rahmen anderer Vertragsverhältnisse (z.B. eines Kontokorrentverhältnisses) abgeschlossen und ist dann akzessorisch anzuknüpfen11. Für den isolierten Aufrechnungsvertrag sind meh-

3.228

1 BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, IPRspr. 1993 Nr. 139 = IPRax 1994, 115 (m. Aufs. Geimer, IPRax 1994, 82) = NJW 1993, 2753; Kegel/Schurig, S. 754. 2 Magnus in Ferrari/Leible, S. 201 (207 f.). 3 BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, IPRspr. 1979 Nr. 162 = NJW 1979, 2477; Lieder, RabelsZ 78 (2014), 809 (836 f.). Zur Aufrechnung im Insolvenzfall s. § 338 InsO. 4 OLG Düsseldorf v. 28.5.2004 – 17 U 20/02, IHR 2004, 203 = IPRspr. 2004 Nr. 37 m.w.N. 5 S. nur BGH v. 13.7.2006 – IX ZR 152/04, IPRspr. 2006 Nr. 13 = ZIP 2006, 1740 = NJW 2006, 3631. – Dem gleichen Prinzip folgt etwa Art. 148 Abs. 2 schweiz. IPRG. 6 So EuGH v. 10.7.2003 – C-87/01, ECLI:EU:C:2003:400 (Kommission/CCRE), Slg. 2003, I-7617 (eine Forderung unterstand belg. Recht, die andere Unionsrecht); vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2003, 485 (493); Martiny, ZEuP 2006, 60 (83); Martiny, ZEuP 2008, 79 (102). 7 Gäbel, S. 32 ff.; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 915; Kegel/Schurig, S. 753; Spellenberg in MünchKomm, Art. 17 Rom I-VO Rz. 2. 8 LG Saarbrücken v. 2.7.2002 – 8 O 49/02, IHR 2003, 27; Doehner in NK, Art. 17 Rom I-VO Rz. 8. 9 Magnus in Staudinger, Art. 17 Rom I-VO Rz. 15; Thorn in Palandt, Art. 17 Rom I-VO Rz. 1. – Anders Spellenberg in MünchKomm, Art. 17 Rom I-VO Rz. 9. 10 Magnus in Ferrari/Leible, S. 201 (213). 11 Magnus in Ferrari/Leible, S. 201 (214).

Martiny | 245

§ 3 Rz. 3.228 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

rere Lösungen denkbar. Man könnte an die engste Verbindung nach Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO denken1. Aber auch die Anwendung des Rechts der Forderung, die wirtschaftlich überwiegt, nämlich derjenigen, mit der auch eine einseitige Aufrechnung vollzogen werden könnte2 oder aber eine distributive Beurteilung jeder der Forderungen nach ihrem eigenen Recht3 wird vorgeschlagen. Sind beide Forderungen nicht durchsetzbar, so ist nach anderen Kriterien zu suchen, welche die engste Verbindung begründen (vgl. Art. 148 Abs. 3 schweiz. IPRG). Allein auf das Recht dessen abzustellen, der die Aufrechnung initiiert hat4, dürfte nicht ausreichen.

3.229

Das Recht der Hauptforderung entscheidet grundsätzlich auch darüber, wie die Aufrechnung erfolgt und welche Wirkung sie hat. Im deutschen Recht ist eine besondere Aufrechnungserklärung erforderlich (§ 388 BGB)5. Ebenso ist es im schweizerischen Recht (Art. 124 OR). Diese Aufrechnungserklärung ist erforderlich, wenn deutsches oder schweizerisches Recht Schuldstatut der Forderung ist, gegen die aufgerechnet wird. Das französische Recht verlangt nunmehr auch für die Legalaufrechnung (compensation légale) eine Aufrechnungserklärung (Art. 1347 Abs. 2 n.F. c.c.)6. Eine Legalaufrechnung kennt auch das kalifornische Recht7. Das italienische Recht unterscheidet eine (materiell-rechtlich einzuordnende) gerichtliche und eine gesetzliche Aufrechnung8. Hier ist näher zu bestimmen, gegen welche Forderung aufgerechnet wird. Erfolgt die Aufrechnung durch richterlichen Gestaltungsakt, so kann man darauf abstellen, wer einen entsprechenden Antrag auf Aufrechnung stellt. Die Forderung des Gegners ist dann die Passivforderung, auf die es ankommt9. Bei der reinen Legalkompensation ist danach zu fragen, wer sich zuerst auf die Aufrechnung beruft bzw. damit verteidigt; die Forderung des anderen Teils (regelmäßig die Klageforderung) ist die maßgebliche Passivforderung10.

3.230

In den Rechten, in denen eine Aufrechnungserklärung materiell-rechtlich nicht erforderlich ist, muss doch im Prozess geklärt werden, dass aufgerechnet wird. Im anglo-amerikanischen Recht wird die Aufrechnung (set-off) als Einrichtung des Prozessrechts angesehen11. Sie unterliegt daher vom angelsächsischen Standpunkt aus der lex fori12. Trotzdem müssen die Rechtsregeln über die Aufrechnung von deutschen Gerichten stets materiell-rechtlich qualifiziert werden. Solche Aufrechnungsvorschriften finden Anwendung, wenn für die Forderung, gegen die aufgerechnet wird, englisches Recht als Schuldstatut gilt; dabei bleiben rein technische Verfahrensvorschriften (z.B. über die Art und Weise des Vorbringens im Prozess) außer Betracht13. Der prozessualen Einordnung der Aufrechnung wurde teilweise eine „hypothetische“ Rück1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (629); Magnus in Ferrari/Leible, S. 201 (213 f.). Gäbel, S. 197 f. So zum alten Recht Berger, S. 453 ff. (469 ff.). So aber Gäbel, S. 199 f. Ebenfalls Art. 8.3 UNIDROIT-Principles 2016, Art. 13:104 PECL, Art. III.-6:105 DCFR. Sonnenberger, ZEuP 2017, 778 (849 f.). Näher Gäbel, S. 107 ff. (125 ff.). Dazu BGH v. 14.5.2014 – VIII ZR 266/13, ZIP 2014, 1883 = NJW 2014, 3156 = RIW 2014, 526 = JZ 2015, 46 (Anm. Mankowski) = EWiR 2014, 775 (Anm. Schroeter/Nemeczek); Kannengießer, S. 3 ff. – Zur Legalaufrechnung IPG 2009-11 Nr. 8 (Köln). Mankowski, IHR 2008, 151. Magnus, Yb. PIL 8 (2006), 113 (119); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (629); von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 917; Spellenberg in MünchKomm, Art. 17 Rom I-VO Rz. 15. Dazu Kannengießer, S. 57 ff. (engl. Recht); IPG 1969 Nr. 4 (Köln); zur Abgrenzung vom „counterclaim“ Habscheid, FS Neumayer (1986), S. 264 ff. Anders für die Rom I-VO Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32–160. Stürner in Erman, Art. 17 Rom I-VO Rz. 3; Thorn in Palandt, Art. 17 Rom I-VO Rz. 1.

246 | Martiny

G. Erlöschen des Schuldvertrages | Rz. 3.232 § 3

verweisung des Common Law entnommen1. Unterliegt die Hauptforderung etwa US-amerikanischem Recht, wäre mithin eine Rückverweisung auf die deutsche lex fori anzunehmen. Das dürfte aber nicht sachgerecht sein2. Heute steht auch Art. 20 Rom I-VO, der Rück- und Weiterverweisung ausdrücklich ausschließt, entgegen. Daher ist auch in Deutschland der materiell-rechtliche Gehalt des ausländischen Rechts anzuwenden.

3. Verschiedene Währungen Gelten für Haupt- und Gegenforderung verschiedene Währungen und ist deutsches Recht Schuldstatut der Hauptforderung, so fehlt es nach h.M. grundsätzlich an der Gleichartigkeit i.S.d. § 387 BGB3. Andere lassen dagegen bei frei konvertiblen Währungen eine Aufrechnung zu4. Die Gleichartigkeit entfalle nicht wegen der unterschiedlichen Bezeichnung (vgl. Art. 8.2 UNIDROIT-Principles 2016). Dies wird auch in Österreich5 und der Schweiz6 angenommen. Vor allem angesichts der Kapitalverkehrsfreiheit des Unionsrechts (Art. 63 AEUV, ex-Art. 56 EGV) beginnt sich diese großzügigere Auffassung durchzusetzen.

3.231

Hat der Schuldner die Ersetzungsbefugnis nach § 244 BGB (Rz. 3.223), so entfällt die Ungleichartigkeit in jedem Fall. Er kann dann gegen eine Forderung in Inlandswährung mit einer Forderung in Auslandswährung ebenso aufrechnen, wie er eine Schuld in Auslandswährung in deutscher Währung zahlen könnte7. Da die Aufrechnungsbefugnis erst mit der Aufrechnungserklärung entsteht, erfolgt die Umrechnung nach dem Kurs im Zeitpunkt des Zuganges der Aufrechnungserklärung8. Soweit der Schuldner von der ihm durch § 244 BGB gleichfalls

3.232

1 Habscheid, FS Neumayer (1985), S. 268 ff.; Kegel/Schurig, S. 754. 2 S. Gäbel, S. 134 ff.; Kannengießer, S. 129 f.; Magnus in Staudinger, Art. 17 Rom I Rz. 16. 3 KG v. 29.6.1988 – 24 U 6446/87, IPRspr. 1988 Nr. 140 = NJW 1988, 2181 (Keine Aufrechnung mit Forderung in US-Dollar oder Schweizer Franken gegen DM-Forderung); KG v. 6.3.2003 – 2 U 198/01, ZIP 2003, 1538 = IPRspr. 2003 Nr. 43 = WM 2003, 2093 (Peseten gegen DM zugelassen wegen Übergangs zum Euro); OLG Hamm v. 9.10.1998 – 33 U 7/98, NJW-RR 1999, 1736; LG Hamburg v. 16.11.1973 – 66 O 16/73, IPRspr. 1973 Nr. 20 = AWD 1974, 410 (Wegen Ungleichartigkeit von Drachmen und US-Dollars keine Aufrechnung nach deutschem Recht); LG Hamburg v. 19.6.1980 – 21 O 10/80, IPRspr. 1980 Nr. 19 = IPRax 1981, 174 (Anm. von Hoffmann, IPRax 1981, 155) (im Ausland zu zahlende echte Valutaschuld in argentin. Pesos war einem DM-Zahlungsanspruch nicht gleichartig und somit nicht aufrechenbar); Spickhoff in BRHP, Art. 17 Rom IVO Rz. 5; Schlüter in MünchKomm, § 387 BGB Rz. 32; Grüneberg in Palandt, § 387 BGB Rz. 9. 4 So etwa OLG Koblenz v. 3.5.1991 – 2 U 1645/87, IPRspr. 1991 Nr. 174 = RIW 1992, 59 (Aufrechnung mit DM-Forderung gegen Lire-Forderung gestattet); Birk, AWD 1969, 15 f.; Kegel/Schurig, S. 652; Wagner in Erman, § 387 BGB Rz. 12. Differenzierend Maier-Reimer, NJW 1985, 2049 (2051); von Hoffmann, IPRax 1981, 156 (Gleichartigkeit, wenn am Erfüllungsort beider Forderungen volle Konvertibilität besteht); Frigge, Externe Lücken und Internationales Privatrecht im UNKaufrecht (1994), S. 104 (Umrechnungskurs zum Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung); Doehner in NK, Art. 17 Rom I-VO Rz. 9; Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 121. 5 ÖOGH v. 21.3.2001 – 3 Ob 172/00s, ZfRV 43 (2002), 75. 6 Für die Gleichartigkeit nach Art. 120 OR: schweiz. BG v. 26.10.1937, BGE 63 II 383 (391 f.) (Gegen Forderung in Schweizer Franken Aufrechnung mit Peseten und engl. Pfunden für zulässig gehalten). 7 Grothe, S. 575; Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 121. Vgl. OLG Frankfurt v. 27.10.1966 – 11 U 42/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 33 = NJW 1967, 501; OLG Hamburg v. 7.12.1978 – 6 U 62/78, VersR 1979, 833 (834). Einen inländ. Erfüllungsort verlangt OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, IPRspr. 1993 Nr. 35 = RIW 1993, 934. 8 BGH v. 7.4.1992 – X ZR 119/90, IPRax 1994, 366 (m. Aufs. Grothe, IPRax 1994, 46) = WM 1993, 2011 (Beklagter rechnet gegen Dollar-Forderung mit DM-Forderung auf). Ebenso Meyer-Collings, ZAkDR 1942, 235 f.; Vorpeil, RIW 1993, 529 (534); Omlor in Staudinger, § 244 BGB Rz. 127.

Martiny | 247

§ 3 Rz. 3.232 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

eröffneten Möglichkeit Gebrauch macht, gegenüber einer unechten Valutaschuld mit einer auf Euro lautenden Schuld aufzurechnen, gilt für die Umrechnung der Kurs im Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung.

IV. Hinterlegung 3.233

Ob und mit welcher Wirkung der Schuldner schuldbefreiend hinterlegen kann, entscheidet das Schuldstatut1. Das Recht des Hinterlegungsortes ist jedoch für die Modalitäten der Hinterlegung heranzuziehen.

V. Erlass, Aufhebung 3.234

Wird eine Forderung erlassen, so richtet sich die Frage, ob ein einseitiger Verzicht des Gläubigers möglich oder – wie nach deutschem Recht (§ 397 BGB) – als Erlöschensgrund ein Vertrag erforderlich ist, nach dem Recht, das die erlassene Forderung beherrscht2. Im Übrigen kann der Erlassvertrag aufgrund einer Rechtswahl einem eigenen Statut unterstehen3. Fehlt sie, so ist regelmäßig das Statut der bisherigen Verpflichtung maßgebend4. Doch folgt das Geschäft, das den Grund für den Erlass abgibt – etwa eine Schenkung –, seinem eigenen Statut5.

3.235

Mangels einer entgegenstehenden Rechtswahl unterliegt auch ein Vertrag, der einen früheren aufhebt (Aufhebungsvertrag), dem ursprünglichen Schuldstatut. Das gilt jedenfalls dann, wenn durch ihn keine neuen Verpflichtungen der Parteien begründet werden sollen6 (vgl. Rz. 3.243).

H. Verjährung, Ausschlussfrist, Verwirkung (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO) I. Verjährung Literatur (Auswahl): Internationales Privatrecht: Budzikiewicz, Unterbrechung der Verjährung durch Auslandsklage, ZEuP 2010, 415; Hay, Die Qualifikation der Verjährung im US-amerikanischen Kollisionsrecht, IPRax 1989, 197; Kegel, Die Grenze von Qualifikation und Renvoi im internationalen Verjährungsrecht (1962); Leible, Verjährung im Internationalen Vertragsrecht in Liber amicorum Berg

1 OLG Stettin v. 1.12.1925 – 4 U 30/25, IPRspr. 1926/27 Nr. 38 = JW 1926, 385 (Darlehen. Wirkung der Hinterlegung bei einem poln. Gericht nach deutschem Schuldstatut beurteilt); Raape, S. 531; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 62. – Gegen das Vertragsstatut möglich nach Art. 12 Abs. 2 Rom I-VO; Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 11. 2 OLG Hamm v. 23.2.1999 – 19 U 146/98, IPRspr. 1999 Nr. 43 = RIW 1999, 621; von Bar/Mankowski, IPR II, § 1 Rz. 824; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 74. – Offen geblieben in BGH v. 25.1.1991 – V ZR 258/89, IPRspr. 1991 Nr. 3 = NJW 1991, 2214. 3 BGH v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01, ZIP 2002, 1155 = WM 2002, 1186. – Als Folge von Art. 148 Abs. 3 schweiz. IPRG wird allein das für das Erlassgeschäft geltende Recht für maßgeblich gehalten, Girsberger in ZürchKomm, Art. 148 IPRG Rz. 68, 70. 4 OLG Karlsruhe v. 15.12.1987 – 18 U 8/87, IPRspr. 1987 Nr. 24A = NJW-RR 1989, 367. 5 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 440. 6 OLG Hamburg v. 6.2.1998 – 12 U 16/96, IPRspr. 1998 Nr. 175 = IPRax 1999, 168 (170); Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 3. – Anders öOGH v. 11.5.1976 – 5 Ob 531/76, ÖJZ 1976, 518 (Aufhebung eines engl. Recht unterstehenden Vertrages über die Miete von Rennwagen österreich. Recht unterworfen).

248 | Martiny

H. Verjährung, Ausschlussfrist, Verwirkung (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO) | Rz. 3.237 § 3 (2011), S. 234; Linke, Die Bedeutung ausländischer Verfahrensakte im deutschen Verjährungsrecht, FS Nagel (1987), S. 209; Looschelders, Anpassung und Substitution bei der Verjährungsunterbrechung durch unzulässige Auslandsklage, IPRax 1998, 296; Oppermann, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit und Verjährung (2009); Otte, Verfolgung ohne Ende – ausländische Verjährungshemmung vor deutschen Gerichten, IPRax 1993, 209; Sandrock, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und Verjährung nach deutschem Recht in Liber Amicorum Böckstiegel (2001), S. 671; Schack, Wirkungsstatut und Unterbrechung der Verjährung im IPR durch Klageerhebung, RIW 1981, 301; Schütze, Probleme der Hemmung der Verjährung durch Erhebung einer Klage im Ausland vor einem staatlichen Gericht oder Schiedsgericht im deutschen internationalen Privat- und Prozessrecht, FS G. H. Roth (2011), S. 791; Wolf, Verjährungshemmung auch durch Klage vor einem international unzuständigen Gericht?, IPRax 2007, 180. Rechtsvergleichung/Ausländisches Recht: Asam, Rechtsfragen der Verjährung kaufvertraglicher Ansprüche im deutsch-italienischen Rechtsverkehr, JbItaIR 5 (1992), 59; Asam, Die Verjährung kaufrechtlicher Ansprüche im italienischen Recht, RIW 1992, 798; Bohata, Neugestaltung des tschechischen Zivilrechts – Verjährung und Präklusion, WiRO 2012, 105; Conrads, Verjährung im englischen Recht (1996); Fötschl, Das neue dänische Verjährungsrecht, RIW 2011, 696; Kleinschmidt, Das neue französische Verjährungsrecht, RIW 2008, 590; Lichtenstein, Die zivilrechtliche Verjährung nach dem Recht der VR China RIW 2009, 824; Remien (Hrsg.), Verjährungsrecht in Europa (2011); Zimmermann, Verjährung in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts II (2009), S. 1637; Zoll, Die Abdingbarkeit der Verjährung im polnischen Gewährleistungsrecht in Tuora-Schwierskott (Hrsg.), Rechtsentwicklung im Rahmen der deutsch-polnischen Beziehungen (2015), S. 160.

1. Anknüpfung Das Einheitliche Kaufrecht regelt die Verjährung von Kaufpreisforderungen nicht1. Das anwendbare Recht richtet sich daher nach den Kollisionsnormen der lex fori, d.h. dem nach den Art. 3 ff. Rom I-VO bestimmten Vertragsstatut2 (s. Rz. 25.35). Doch kann im Ausland die UN-Verjährungskonvention von 1974 eingreifen, s. Rz. 25.84.

3.236

Kollisionsrechtlich gilt für die Verjährung Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO3. Die Verjährung eines Anspruchs ist eine materiell-rechtliche Frage und richtet sich nach der lex causae, d.h. dem Statut, das das Rechtsverhältnis beherrscht4. Im Internationalen Vertragsrecht gilt das den Anspruch beherrschende Vertragsstatut für die gesamte Ausgestaltung der Verjährung5. Ungewöhnlich lange oder zu kurze Verjährungsfristen können den ordre public (Art. 21 Rom I-VO) berühren6.

3.237

1 ÖOGH 10.5.2017 – 30b55/17k, IHR 2017, 147. 2 Dagegen will mangels Rechtswahl auf das Recht der Schuldnerniederlassung abstellen Stoll, FS Ferid (1988), S. 495 (507 ff.). 3 Früher Art. 10 Abs. 1 lit. d EVÜ bzw. Art. 32 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB. 4 OLG Frankfurt v. 16.12.1986 – 5 U 28/86, RIW 1987, 217 = IPRax 1988, 99 (m. Aufs. Schwenzer, IPRax 1988, 86); OLG Brandenburg v. 29.11.2000 – 13 U 110/00, IPRspr. 2000 Nr. 28 = NJ 2001, 257 Anm. Ehlers (österreich. Recht); Schack, RIW 1981, 301 ff.; Stürner in Erman, Art. 12 Rom IVO Rz. 13. – Zur Verjährung nach schweiz. Recht IPG 2012-14 Nr. 12 (Hamburg). 5 BGH v. 7.6.1960 – VIII ZR 109/59, IPRspr. 1960–61 Nr. 23 = NJW 1960, 1720. 6 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 124 f. – Zu Art. 134 Abs. 1 Nr. 6 schweiz. OR s. Otte, IPRax 1993, 209 ff.

Martiny | 249

§ 3 Rz. 3.238 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.238

Das Vertragsstatut gilt auch, wenn das Ausland die Verjährung (wie nach Common Law)1 verfahrensrechtlich einordnet und der dortigen lex fori unterwirft2. Die ausländische verfahrensrechtliche Einordnung ist unerheblich; ihr kann keine versteckte Rückverweisung auf das inländische Recht entnommen werden, die zudem nach Art. 20 Rom I-VO unzulässig wäre3.

2. Hemmung und Neubeginn 3.239

Nicht nur Beginn und Dauer, sondern auch die Hemmung und der Neubeginn der Verjährung unterliegen in ihren Voraussetzungen und Wirkungen diesem Statut4. Nach materiellem Recht kann die Verjährung infolge von Prozesshandlungen wie die Klageerhebung gehemmt werden (vgl. § 204 Abs. 1 BGB). Wird die Klage in einem anderen Staat erhoben als in demjenigen, dessen Recht die lex causae bildet, so taucht ein Substitutionsproblem auf. Es ist umstritten, wann die ausländische Prozesshandlung ausreicht. Nach deutschem Recht wird vielfach verlangt, dass das zu erwartende ausländische Urteil nach europäischem Zivilprozessrecht oder § 328 ZPO voraussichtlich im Inland anerkannt werden wird5. Entsprechendes gilt für die Unterbrechungswirkung ausländischer Urteile6 und von Beweissicherungsverfahren7. Nach anderer, vordringender Auffassung besteht kein solches Erfordernis8 oder es werden geringere Anforderungen an die Anerkennung gestellt9. Als Mindesterfordernisse werden insb. genannt, die Zustellung der Klage an den Beklagten, die Zuständigkeit des ausländischen Gerichts nach seinem Recht sowie keine Verstöße gegen den verfahrensrechtlichen ordre public10.

3.240

Möglich ist, dass ein Schuldverhältnis durch nichtrechtsgeschäftliche Tatbestände erlischt. Für sie gilt im Grundsatz ebenfalls das Vertragsstatut, so z.B. für Zeitablauf und Präklusionsfristen (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO). Mit den Rechtsverlusten, die sich aus dem Ablauf von Fristen

II. Ausschlussfrist

1 England folgt seit einiger Zeit jedoch dem kontinentalen lex causae-Ansatz im Foreign Limitation Periods Act 1984 (c. 16), Dicey/Morris/Collins, II Nr. 32–161. Zu Tendenzen in den USA zur Überwindung der prozessualen Qualifikation Hay, IPRax 1989, 197 ff. 2 RG v. 6.7.1934 – II 102/34, RGZ 145, 121 (128 f.) = IPRspr. 1934 Nr. 29; Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 14. – Zur Verjährung einer Honorarforderung nach span. Recht IPG 2007/2008 Nr. 2 (Bayreuth). 3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 126; Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 71. Anders Kegel/Schurig, S. 409 f. (637). 4 Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 32; Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 131. 5 RG v. 8.7.1930 – II 542/29, RGZ 129, 385 (389) (Klageerhebung in Norwegen genügte nicht); OLG Düsseldorf v. 9.12.1977 – 16 U 48/77, IPRspr. 1977 Nr. 8 = NJW 1978, 1752 (Klageerhebung in Belgien genügte); LG Deggendorf v. 24.11.1981 – O 411/81, TranspR 1983, 46 = IPRax 1983, 125 (m. abl. Aufs. Frank, IPRax 1983, 108) (Klageerhebung in Österreich); Kegel/Schurig, S. 636. 6 Stürner in Erman, Art. 12 Rom I-VO Rz. 14. Näher dazu Martiny in Hdb. IZVR, III 1 Rz. 427 ff. – Zum schweiz. Zahlungsbefehl BGH v. 17.4.2002 – XII ZR 182/00, MDR 2002, 1142 = NJW-RR 2002, 937. 7 LG Hamburg v. 15.9.1998 – 410 O 44/95, IPRax 2001, 45 (m. krit. Aufs. Spickhoff, IPRax 2001, 37) (keine Wirkung wegen ausschließender inländ. Zuständigkeit). 8 Frank, IPRax 1983, 109 f.; Linke, FS Nagel, S. 209 (221 ff.); Budzikiewicz, ZEuP 2010, 415 (433) (wirksame Klageerhebung und Möglichkeit der Verteidigung); Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 139 ff. (mit Einschränkungen für Zustellung und Klageerhebung). 9 Nur, soweit es um den Schutz von Individualinteressen geht (insb. die Zustellung und Ladung), Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 33; Spickhoff in BRHP, Art. 12 Rom I-VO Rz. 12. 10 Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 67.

250 | Martiny

J. Umgestaltung des Schuldverhältnisses, Anerkenntnis, Vergleich | Rz. 3.242 § 3

ergeben (Art. 12 Abs. 1 lit. d Rom I-VO), ist, wie der englische Wortlaut des Art. 12 Abs. 1 lit. d EVÜ erkennen lässt, vor allem die ähnlich wie eine Ersitzung konzipierte „prescription“ des englischen Rechts gemeint, die von der „limitation of actions“ (Verjährung) zu unterscheiden ist.

III. Verwirkung Literatur: Girsberger, Verjährung und Verwirkung im internationalen Obligationenrecht (1989); Kegel, Verwirkung, Vertrag und Vertrauen in FS Pleyer (1986), S. 513; Will, Verwirkung im IPR, RabelsZ 42 (1978), 211.

Auch ob ein Anspruch wegen Verwirkung nicht mehr geltend gemacht werden kann, bestimmt grundsätzlich das Vertragsstatut1. Zwar wurde verlangt, man müsse bei der Bewertung des Verhaltens der Parteien ihr Umweltrecht in Betracht ziehen2. Hiergegen wird freilich zutreffend eingewandt, dies habe auf sachrechtlicher Ebene zu geschehen, so dass allein die lex causae gelte3. Eine Berücksichtigung auch auf kollisionsrechtlichem Wege ist in Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO nicht vorgesehen. Sie würde zudem zu einer Sonderanknüpfung und damit zu einer weiteren Zersplitterung führen. Das Umweltrecht ist daher allein auf der Ebene des materiellen Rechts zu berücksichtigen. Einer ausländischen verfahrensrechtlichen Einordnung der Verwirkung kann auch hier keine versteckte Rückverweisung auf das inländische Recht entnommen werden4. Dem Vertragsstatut unterliegt gleichfalls der Rechtsmissbrauch5.

3.241

J. Umgestaltung des Schuldverhältnisses, Schuldanerkenntnis und Vergleich Literatur: Berger, Neuverhandlungs-, Revisions- und Sprechklauseln im internationalen Wirtschaftsvertragsrecht, RIW 2000, 1; Berger, Internationale Investitionsverträge und Schiedsgerichtsbarkeit – Äquivalenzstörungen, Neuverhandlungsklauseln und Vertragsanpassung, ZVglRW 102 (2003), 1; Berger/Arntz, Die Anerkennung von Verhandlungsklauseln durch die englische Rechtsprechung, RIW 2015, 25; Geldsetzer, Einvernehmliche Änderung und Aufhebung von Verträgen (1993); Hoyer, Die Novation im österreichischen IPR, ZfRV 1968, 288; Jarrosson, Le contrat de transaction dans les relations commerciales internationales, Rev.crit.d.i.p. 86 (1997), 657; Roden, Zum Internationalen Privatrecht des Vergleichs (1994); Schulte, Die Anknüpfung von Schuldanerkenntnissen nach der Rom-I-VO, ZEuP 2021, 460; Wittwer, Außergerichtliches Schadensanerkenntnis: eine kollisionsrechtliche und rechtsvergleichende Betrachtung der OGH-Entscheidung vom 16.5.2018, 2 Ob 71/18g in FS C. Huber, 2020, S. 571.

I. Bloße Abänderung Wird der ursprüngliche Vertrag von den Parteien in Einzelheiten abgeändert (z.B. Kaufpreishöhe), soll er im Übrigen aber weiterbestehen, so gilt – mangels einer anderen Rechtswahl – das ursprüngliche Vertragsstatut6. 1 OLG Frankfurt v. 24.6.1981 – 17 U 139/79, IPRspr. 1981 Nr. 20 = RIW 1982, 914; AG Traunstein v. 2.11.1973 – C 338/72, IPRspr. 1973 Nr. 13; Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 170. Vgl. auch OLG Hamburg v. 22.11.1988 – 3 U 249/87, IPRspr. 1988 Nr. 32 = Bericht IPRax 1989, 247. 2 Näher Will, RabelsZ 42 (1978), 222 ff. 3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 171. So auch für die Schweiz Girsberger in ZürchKomm, Art. 148 IPRG Rz. 76. Krit. zu einer analogen Anwendung des früheren Art. 31 Abs. 2 EGBGB Frigge, Externe Lücken und Internationales Privatrecht im UN-Kaufrecht (1994), S. 140 ff. 4 Anders Kegel/Schurig, S. 409 f. (637). 5 Schütze, WM 1982, 226 (228). Vgl. Hemler in BeckOGK, Art. 21 Rom I-VO Rz. 54 (Stand 1.6.2021). 6 ÖOGH v. 14.9.1955 – 1 Ob 297/55, SZ 28 Nr. 200 (Änderung eines Vertretervertrages durch Vergleich nach österreich. Recht); öOGH v. 11.5.1976 – 5 Ob 531/76, ÖJZ 1976, 518 (Erweiterung der

Martiny | 251

3.242

§ 3 Rz. 3.243 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

II. Ersetzung 3.243

Wird ein Vertrag geschlossen, der das alte Schuldverhältnis ersetzt, so ist zu unterscheiden. Ob das alte Vertragsverhältnis aufgrund der Novation untergegangen ist, bestimmt nach überwiegender Auffassung das Statut des ursprünglichen Vertrages1.

3.244

Für das neu vereinbarte Schuldverhältnis kann ein anderes Recht vereinbart werden als das für den ursprünglichen Vertrag geltende. Fehlt es an einer ausdrücklichen Rechtswahl, so kann das Statut der alten Verbindlichkeit kraft stillschweigender Rechtswahl weitergelten. Ist auch ein stillschweigender Wille nicht ersichtlich, so ist das Schuldstatut der neuen Verbindlichkeit selbständig zu bestimmen2.

III. Schuldanerkenntnis 3.245

Das Schuldanerkenntnis ist ein Vertrag, durch den das Bestehen eines Schuldverhältnisses anerkannt wird (§ 781 BGB)3. Dafür ist nach deutschem Recht grundsätzlich (vgl. aber § 350 HGB) Schriftform erforderlich4. Nach französischem Recht ist die besondere Form des Art. 1376 n.F. c.c. einzuhalten5. Das Schuldbekenntnis gem. Art. 17 OR der Schweiz verlangt hingegen keine besondere Form6. Nach türkischem Recht kommt jedoch die Beweisvorschrift des Art. 288 ZPO zum Zuge7.

3.246

Auch für das Schuldversprechen bzw. Schuldanerkenntnis (vgl. §§ 780 ff. BGB) ist eine Rechtswahl zulässig8. Das bloß kausale Schuldversprechen bezieht sich auf die Verpflichtung aus einem bestimmten Geschäft und wird von der h.M. regelmäßig akzessorisch angeknüpft (Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO)9. Es folgt insbesondere dem Forderungsstatut10. Andere wollen hingegen grundsätzlich auf die charakteristische Leistung des Anerkennenden abstellen11. Das abstrakte (konstitutive) Schuldversprechen begründet unstreitig eine selbständige Verpflichtung12. Diese richtet sich – mangels engerer Verbindung (Art. 4 Abs. 3

1 2 3 4 5 6 7 8 9

10 11 12

Miete eines Rennwagens nach engl. Schuldstatut). – Ebenso der inzwischen aufgehobene § 45 S. 2 österreich. IPRG. Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 181. OLG Hamburg v. 6.2.1998 – 12 U 16/96, IPRspr. 1998 Nr. 175 = IPRax 1999, 168 (170) (Loan Facility Agreement); Rabel, II 2 S. 446 f.; Hoyer, ZfRV 1968, 291 f.; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom I-VO Rz. 3. Zum ital. Recht IPG 2007/2008 Nr. 4 (Köln). Zur Schriftform in Western Australia IPG 2015-17 Nr. 3 (Hamburg). IPG 1980/81 Nr. 10 (Freiburg). IPG 1980/81 Nr. 21 (München). IPG 1979 Nr. 16 (Hamburg). Köhler in BeckOGK, Art. 4 Rom I-VO Rz. 529 (Stand 1.2.2021). OLG Düsseldorf v. 14.1.2003 – 4 U 158/01 – I-4 U 158/01, IPRspr. 2003 Nr. 26 = VersR 2003, 1324; OLG München v. 18.1.2018 – 23 U 57/17, NJOZ 2018, 1390 = IPRspr. 2018 Nr. 54 (österreich. Recht); IPG 1980–81 Nr. 10 (Freiburg) (Schuldanerkenntnis aus Handelsvertretervertrag, französ. Recht unterworfen). OLG Düsseldorf v. 14.1.2003 – 4 U 158/01, VersR 2003, 1324; LG Hamburg v. 23.8.1994 – 302 O 138/94, NJW-RR 1995, 183 = IPRspr. 1994 Nr. 142; Spickhoff in BRHP, Art. 4 Rom I-VO Rz. 75; Thorn in Palandt, Art. 1 Rom I-VO Rz. 119. Schulte, ZEuP 2021, 460 (471). Eine kollisionsrechtliche Unterscheidung zwischen kausalem und abstraktem Anerkenntnis lehnen für die Regulierungszusage einer Versicherung ab, öOGH v. 16.5.2018 – 2 Ob 71/18g, ZfRV 2018, 189 = ZEuP 2021, 460 m. zust. Anm. Schulte; Wittwer, FS C. Huber, S. 571 (574 ff.).

252 | Martiny

K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.248 § 3

Rom I-VO)1 – nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Schuldners (Abs. 2)2. Das Schuldstatut entscheidet über die Bedeutung der Erklärung3. Da das Schuldanerkenntnis nicht der gleichen Rechtsordnung zu unterliegen braucht wie die anerkannte Forderung, kann bei einem deklaratorischen Schuldanerkenntnis vereinbart werden, auf Einwendungen aus dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis ein anderes Recht anzuwenden. Das ist auch für einen Kaufvertrag möglich, der nach ausländischem Recht gleichzeitig das dingliche Erfüllungsgeschäft bildet4.

3.247

IV. Vergleich Der Vergleich beseitigt einen Streit oder eine Unsicherheit bezüglich der Verpflichtungen der Parteien. Wegen dieses Zusammenhanges gilt mangels einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Rechtswahl5 das ursprüngliche Schuldstatut grundsätzlich auch für den Vergleich6. Für Prozessvergleiche, denen nach deutschem Recht eine Doppelnatur zukommt, gilt bezüglich der schuldrechtlichen Seite des Vergleichs das Forderungsstatut, bezüglich der prozessualen die lex fori7.

K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO Literatur zur Rechtsvereinheitlichung und -angleichung: Böhm, Die Sicherungsabtretung im UNICITRAL-Konventionsentwurf „Draft convention on assignment in receivables financing“ (2000); Danielewsky/Lehmann, Die UNCITRAL-Konvention über internationale Forderungsabtretungen und ihre Auswirkungen auf Asset-Backed-Securities-Transaktionen, WM 2003, 221; Ferrari, The Uncitral Draft Convention on Assignment in Receivables Financing in Liber amicorum Siehr (The Hague

1 OLG München v. 2.5.2012 – 7 U 4830/11, IPRspr. 2012 Nr. 32 (LS) (Umdeutung formnichtigen Wechsels); Solomon, ZVglRW 115 (2016), 586 (599 f.).– So auch für die Regulierungszusage Wittwer, FS C. Huber, S. 571 (574 ff.). 2 Wenzel, Rechtsfragen internationaler Konsortialkreditverträge (2006), S. 430; Thorn in Rauscher, Art. 4 Rom I-VO Rz. 119. 3 OLG Düsseldorf v. 18.12.2008 – 5 U 88/08, 5 U 88/08, NJW-RR 2009, 1380. – S. bereits LG München I v. 22.12.1980 – 32 O 3400/78, IPRspr. 1980 Nr. 13A = IPRax 1982, 117 (LS) Anm. Jayme (Erklärung gegenüber New Yorker Anwalt [„Den Rest Deiner Rechnungen werde ich so bald als möglich begleichen“] als Schuldversprechen nach New Yorker Recht gewertet). 4 S. schon BGH v. 30.10.1970 – V ZR 58/67, IPRspr. 1970 Nr. 17 = NJW 1971, 320 (Verkauf belg. Grundstücks. Schuldanerkenntnis über in Wirklichkeit höheren Kaufpreis aufgrund stillschweigender Rechtswahl deutschem Recht unterstellt). 5 Dazu BGH v. 19.1.2000 – VIII ZR 275/98, IPRspr. 2000 Nr. 20 = IPRax 2002, 37 (m. Aufs. Hohloch/Kjelland, IPRax 2002, 30) = NJW-RR 2000, 1002 = JZ 2000, 1115 Anm. Sandrock; OLG München v. 22.1.1997 – 7 U 4121/96, IPRspr. 1997 Nr. 55 = RIW 1997, 507; LG Aachen v. 14.5.1993 – 43 O 136/92, IPRspr. 1993 Nr. 141 = RIW 1993, 760; Roden, S. 86 ff. 6 OLG Schleswig v. 19.9.1989 – 3 U 213/86, IPRspr. 1989 Nr. 48; OLG Köln v. 21.11.2012 – 16 U 126/11, IPRspr. 2012 Nr. 272 = IHR 2014, 140 Anm. Eckardt; Roden, S. 93 ff. (angelehnter Vertrag gem. Art. 28 Abs. 1 EGBGB); Geisler, Die engste Verbindung im IPR (2001), S. 197 f.; Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 182. – Dagegen für akzessorische Anknüpfung an das dem Vergleich zugrunde liegende Geschäft von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 53. Eher für Selbständigkeit Magnus in Staudinger, Art. 12 Rom I Rz. 74. 7 Roden, S. 96. Vgl. dazu auch OLG München v. 30.10.1974 – 7 U 2263/73, IPRspr. 1974 Nr. 10b; IPG 1974 Nr. 39 (München), S. 404 ff.

Martiny | 253

3.248

§ 3 Rz. 3.248 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts 2000), S. 179; Heine, Das Kollisionsrecht der Forderungsabtretung: UNCITRAL-Abtretungskonvention und Rom I-Verordnung (2012); Kieninger, Die Vereinheitlichung des Kollisionsrechts der Abtretung in Basedow/Remien/Wenckstern (Hrsg.), Europäisches Kreditsicherungsrecht (2010), S. 147; Kuhn, Materielle Rechtsvereinheitlichung und IPR – Das internationale Zessionsrecht im UNICITRAL-Übereinkommen über die Forderungsabtretung, FS Siehr (Zürich 2001), S. 93; Rudolf, Einheitsrecht für internationale Forderungen (2006); H. Schmidt, Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Abtretung von Forderungen im Internationalen Handel, IPRax 2005, 93; Schütze, Zession und Einheitsrecht (2005); Selke, Ein optionales europäisches Zessionsrecht? (2014); Stoll, Kollisionsrechtliche Aspekte des Übereinkommens der Vereinten Nationen über Abtretungen im internationalen Handel, FS Sonnenberger (2004), S. 695. Literatur zum Internationalen Privatrecht: Aubin, Zur Qualifikation der „signification“ (Art. 1690 C.c.) im deutschen IPR, FS Neumayer (1985), S. 31; von Bar, Abtretung und Legalzession im neuen deutschen IPR, RabelsZ 53 (1989), 462; F. 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Recht des Zedentensitzes, IPRax 2012, 298; Mann/Nagel, Zession und Drittwirkung im internationalen Kreditsicherungsgeschäft, WM 2011, 1499; Mäsch, Abtretung und Legalzession im Europäischen Kollisionsrecht in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2004), S. 193; Schwenke, Factoring im deutsch-französischen Rechtsverkehr (2006); Sonnenberger, Affacturage (Factoring) und Zession im deutsch-französischen Handelsverkehr, IPRax 1987, 221; Sonnenberger, Die internationalprivatrechtliche Behandlung der Zession einer Kaufpreisforderung aus einem CISG unterliegenden Kaufvertrag und der anschließenden Legalzession im grenzüberschreitenden Verhältnis Käufer-Verkäufer-Factor-Warenkreditversicherung, IPRax 2014, 400; Stadler, Der Streit um das Zessionsstatut – eine endlose Geschichte?, IPRax 2000, 104; Stoll, An-

254 | Martiny

K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.249 § 3 knüpfung bei mehrfacher Abtretung derselben Forderung, IPRax 1991, 223; Struycken, The Proprietary Aspects of International Assignment of Debts and the Rome Convention, Art. 12, LMCLQ 24 (1998), 345; Thiede, Internationale Mehrfach- und Sicherungszessionen nach der Rom I-Verordnung, Bank-Archiv 2012, 645; de Visser, The law governing the voluntary assignment of claims under the Rome I Regulation, NIPR 2011, 461; Weller, Persönliche Sicherheiten in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch des internationalen Wirtschaftsrechts, 2. Aufl. 2017, S. 1054; von Westphalen, Rechtsprobleme der Exportfinanzierung, 3. Aufl. 1987; von Wilmowsky, Europäisches Kreditsicherungsrecht (1996); Zweigert, Das Statut der Vertragsübernahme, RabelsZ 23 (1958), 643. Literatur zum ausländischen Recht: Battafarano, Allgemeine und spezielle Regelung der Forderungsabtretung im deutschen und italienischen Recht (2011); von Bernstorff, Abtretung von Forderungen nach angloamerikanischem Recht, RIW 1984, 508; von Bernstorff, Die Forderungsabtretung in den EU-Staaten, RIW 1994, 542; Bette, Vertraglicher Abtretungsausschluss im deutschen und grenzüberschreitenden Geschäftsverkehr, WM 1994, 1909; Derleder/Knops/Bamberger (Hrsg.), Deutsches und europäisches Bank- und Kapitalmarktrecht II, 3. Aufl. 2017, S. 2113 ff.(Länderberichte); Franck, Die Abtretung und Verpfändung von Forderungen in Belgien nach dem Gesetz vom 6. Juli 1994, RIW 1995, 598; Fülbier, Die Doppeltreuhand bei Forderungen im französischen Recht, RIW 1990, 445; Goergen, Das Pactum de non cedendo (2000); Hadding/Schneider (Hrsg.), Die Forderungsabtretung, insbesondere zur Kreditsicherung, in der Bundesrepublik Deutschland und in ausländischen Rechtsordnungen (2013); Heer, Die Abtretung von Darlehensforderungen durch Banken zu Refinanzierungszwecken: eine Untersuchung nach deutschem und amerikanischem Recht (2011); Hollweg-Stapenhorst, Sicherungsabtretung zugunsten des Geldkreditgebers und Factoring nach deutschem und französischem Recht (1991); Kieninger, Die Forderungsabtretung – Eine Würdigung des neuen französischen Rechts vor dem Hintergrund des deutschen Rechts und der Principles of European Contract Law in Bien/Borghetti (Hrsg.), Die Reform des französischen Vertragsrechts (2018), S. 217; Klein, Die Abtretung von Forderungen nach englischem Recht, WM 1978, 390; Kötz, Europäisches Vertragsrecht, 2. Aufl. 2015; Kötz, Abtretung in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 9; Krumme, Die Besicherung von Krediten deutscher Kreditinstitute durch Zession von in der Schweiz oder Österreich belegenen Forderungen sowie durch Bürgschaften von Schweizern und Österreichern (1973); de Ly, Les clauses de cession dans les contrats commerciaux internationaux, Rev.dr.aff.int. 1996, 799; D. Mühl, Sicherungsübereignung, Sicherungsabtretung und Eigentumsvorbehalt im italienischen Recht (1980); Mummenhoff, Vertragliches Abtretungsverbot und Sicherungszession im deutschen, österreichischen und US-amerikanischen Recht, JZ 1979, 425; Orkun Akseli, Assignment, delegation and third-party rights, in DiMatteo/Janssen/Magnus/Schulze (Hrsg.), International Sales Law, 2. Aufl. 2021, S. 840 ff.; Paul, Die Sicherungsabtretung im deutschen und amerikanischen Recht (1988); Rosch, Pactum de non cedendo im französischen Recht, RIW 2001, 604; Siegmundczyk, Abtretbarkeit von Auslandsforderungen (2001); Szilágyi, Das Zessionsrecht im neuen Zivilgesetzbuch Ungarns, ZEuP 2015, 52; Troiano, Das italienische Gesetz zur Regelung der Securitization (legge 30 aprile 1999, n. 130), ZEuP 2001, 337; Werner/Rinnewitz, Zur Sicherungszession nach österreichischem Recht, RIW 1984, 357; M. Wolff, Die Übertragung von Forderungen aus Rektapapieren, RabelsZ 1933, 791; Wulfken/Berger, Internationaler Forderungshandel vor dem Hintergrund der Verschuldungskrise, RIW 1988, 585. – S. auch die Literatur zur Forderungssicherung vor Rz. 25.140, Rz. 16.1.

I. Rechtsvereinheitlichung Das Abtretungsrecht ist im UNCITRAL-Übereinkommen über die Forderungsabtretung vom 31.1.2002 vereinheitlicht worden1. Die (noch) nicht in Kraft getretene Konvention ist auf in1 Uncitral Convention on the Assignment of Receivables in International Trade v. 12.12.2001 (CARIT); engl. Text ZEuP 2002, 782 ff.; I.L.M. 41 (2002), 776 sowie bei Bode, nach S. 326; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Anh. II. Deutsche Übersetzung bei Schulze/Zimmermann, Europäisches Privatrecht II, 6. Aufl. (2020) II.35. Kommentierung bei Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Anh. II.

Martiny | 255

3.249

§ 3 Rz. 3.249 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

ternationale Abtretungen sowie auf internationale vertragliche Forderungen anwendbar. Sie enthält Sachnormen über die Wirksamkeit der Abtretung (Art. 8, 9 UNCITRAL-Übk.), den Übergang von Sicherheiten (Art. 10 UNCITRAL-Übk.), das Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar (Art. 11–13 UNCITRAL-Übk.), die Rechte und Pflichten des Schuldners (Art. 15– 21 UNCITRAL-Übk.) sowie die Rechte Dritter (Art. 22–25 UNCITRAL-Übk.). Ferner enthält das Übereinkommen eigene Kollisionsnormen für Forderungen, für welche die Konvention nicht gilt, die aber in ihren Anwendungsbereich fallen (Art. 26–28 UNCITRAL-Übk.). – Im Übrigen besteht Einheitsrecht für den Factoringvertrag, s. Rz. 13.73. Die Forderungsabtretung ist auch in Art. 9.1.1 ff. UNIDROIT-Principles 2016 geregelt1.

II. Ausländisches Recht 3.250

Die Forderungsabtretung weist in den einzelnen Rechtsordnungen zahlreiche Unterschiede auf2. Die Abtretung ist regelmäßig nicht wie nach deutschem Recht abstrakt (sog. Trennungssystem), vielmehr bilden Abtretung und Grundgeschäft eine Einheit3. So ist die Abtretung (cession des créances) nach französischem Recht nicht abstrakt (vgl. Art. 1321, 1689 ff. c.c.). Nach englischem Recht erfolgt ein assignment. Zahlreiche Rechte, insbesondere das französische und das luxemburgische, verlangen eine förmliche Benachrichtigung des Schuldners (signification, Art. 1690 c.c.), die mangels in öffentlicher Urkunde erfolgter Abtretung als Abtretungsanzeige durch den Gerichtsvollzieher (huissier) zu erfolgen hat4. Die „signification“ – ursprünglich als eine Art Übertragungsakt für Forderungen gedacht – ist nach heutiger französischer Auffassung ein Publizitätserfordernis5. Eine Ausnahme vom Erfordernis der „signification“ besteht bei der Kreditgewährung an Unternehmen. Für die Abtretung zugunsten eines Kreditinstituts genügt die Eintragung in eine zu übergebende Liste (bordereau)6. Ob diese Erleichterung auch zugunsten deutscher Kreditinstitute eingreift, ist ungeklärt7. Das belgische Recht verlangt nur noch eine Mitteilung an den Schuldner oder eine Anerkennung durch ihn (Art. 1690 c.c.)8. Das niederländische Recht verlangt ebenfalls eine Anzeige an den Schuldner (Art. 3:94 N.B.W.)9. Ebenso ist es in Italien (Art. 1264 Abs. 1 c.c.)10. Nach schweizerischem Recht ist die Notifikation der Zession hingegen keine Wirksamkeitsvoraussetzung11.

1 Dazu Brödermann, RIW 2004, 721 (733 f.); Courdier-Cuisinier, Clunet 136 (2009), 471 ff. – Zu „assigment of rights“ s. auch Art. III.-5.101 ff. DCFR. 2 S. Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. (Wien 2009), S. 1183 ff. – Zur Abtretung nach kaliforn. Recht IPG 2012-14 Nr. 9 (Köln). 3 Dazu Mangold, S. 85 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 15; Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 13 (Stand 1.2.2021). 4 Dazu F. Bauer, S. 69 ff. 5 Dazu Blaise/Desgorces in Hadding/Schneider, S. 245 (253). 6 Art. L 313–23 ff. C.mon.fin. (früher Loi Dailly v. 2.1.1981, dazu Mezger, RIW 1981, 213 ff.). – Näher F. Bauer, S. 74 f.; Sonnenberger/Dammann, Französ. Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, Rz. VII 101 ff. 7 Gerth, WM 1984, 793 (794). 8 Ob Schriftform erforderlich ist, ist umstritten. Verneinend Roels, La cession et la mise en gage de créances en droit belge suite à la loi du 6 juillet 1994, Rev.dr.aff.int. 1995, 31 (34 f.). Bejahend Foriers/Grégoire in Hadding/Schneider, S. 135 (139). – Näher zur Zession IPG 2012-14 Nr. 5 (Hamburg). 9 Zur Anzeige s. Reehuis in Hadding/Schneider, S. 469 (472). 10 Dazu OLG Hamm v. 8.2.1995 – 11 U 206/93, IPRspr. 1995 Nr. 40 = IPRax 1996, 197 (m. Aufs. Schlechtriem, IPRax 1996, 184) = NJW-RR 1996, 1271. 11 Stauder/Stauder-Bilicki in Hadding/Schneider, S. 767 (773 f.).

256 | Martiny

K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.253 § 3

Während die Zession nach BGB grundsätzlich keiner bestimmten Form bedarf, ist in zahlreichen ausländischen Rechten Schriftform vorgeschrieben (z.B. Frankreich, Art. 1322 c.c.; für das „legal assignment“ in England1). Das Schriftformerfordernis des Art. 165 Abs. 1 schweiz. OR bezieht sich lediglich auf die Erklärung des Zedenten2. Das italienische Recht verlangt grundsätzlich keine Form3. Ebenso ist es in Österreich4.

3.251

Die Sicherungszession ist auch nach ausländischen Rechten im Allgemeinen zulässig. Sie ist jedoch häufig beschränkt5:

3.252

– Die Abtretung künftiger Forderungen ist zuweilen untersagt6. – Der Globalabtretung aller aus dem Geschäftsbetrieb entstandenen Forderungen sind oft dadurch Schranken gesetzt, dass die übertragenen Forderungen genau bezeichnet werden müssen7. – Der Abspaltung von Verfügungsbefugnis und Einziehungsrecht vom Gläubigerrecht sind gelegentlich Grenzen gesetzt.

III. Anknüpfung der Forderungsübertragung (Art. 14 Rom I-VO) 1. Anknüpfung Art. 14 Rom I-VO betrifft ein komplexes Mehrpersonenverhältnis8. Die Forderungsabtretung ist aber nicht umfassend geregelt. Vielmehr beschäftigt sich Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO explizit nur mit dem Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar, während Abs. 2 einige Fragen aufzählt, für welche es im Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner auf das Forderungsstatut ankommt. Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO unterstellt das Verhältnis zwischen Zedent und Zessionar aus der Übertragung einer Forderung gegen den Schuldner dem Recht, das für den Vertrag zwischen Zedent und Zessionar gilt. Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO stellt klar, dass die „Übertragung“ die vollkommene Übertragung von Forderungen ebenso wie die Übertragung von Forderungen zu Sicherungszwecken sowie von Pfandrechten oder anderen Sicherungsrechten an Forderungen umfasst. Das Recht, dem die übertragene Forderung unterliegt (Forderungsstatut), bestimmt ihre Übertragbarkeit, das Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner, die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung dem Schuldner entgegengehalten werden kann sowie die befreiende Wirkung einer Leistung durch den Schuldner (Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO). Nicht angesprochen werden die Wirkungen der Abtretung gegenüber Dritten, namentlich anderen Gläubigern9; zur Drittwirkung Rz. 3.288. Im Hintergrund der Kontroversen steht, dass nach ausländischem Sachrecht vielfach die Forderung bereits mit Abschluss des schuldrechtlichen Abtretungsvertrages vom Zedenten auf den Zessionar übergeht 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Carl in Hadding/Schneider, S. 197 (201). Nachw. in IPG 1984 Nr. 18 (Köln), S. 159. Dolmetta/Portale in Hadding/Schneider, S. 339 (344). Apathy in Hadding/Schneider, S. 509 (514) (anders bei formbedürftigem Grundgeschäft). Nachw. bei Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 83. – Zum russ. Recht, IPG 2009-11 Nr. 10 (Hamburg). S. zu den Niederlanden Joustra, The Voluntary Assignment of Future Claims, IPRax 1994, 395 (396); Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 14.1 (Stand 1.2.2021). Zur Bestimmbarkeit nach poln. Recht IPG 2007/2008 Nr. 6 (Köln). Hervorgegangen aus Art. 12 EVÜ, in Deutschland Art. 33 Abs. 1, 2 EGBGB. Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (78); Leible/Lehmann, RIW 2008, 540; Mankowski, IHR 2008, 133 (150); F. Bauer, S. 29 ff., 301; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 9.

Martiny | 257

3.253

§ 3 Rz. 3.253 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

(kausale Forderungszession). Da das deutsche Recht auch hier Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft trennt, war dagegen aus seiner Sicht eine Konzentration auf die Verfügung, d.h. die Abtretung selbst, nahe liegend. Dem stand auch der Wortlaut des EVÜ nicht entgegen, das sich in Art. 12 Abs. 1 auf die „Verpflichtungen“ zwischen Zedent und Zessionar beschränkte1. Für andere Ansätze verläuft hingegen die Grenzlinie nicht so sehr oder gar nicht zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft, als vielmehr zwischen der der Parteiautonomie zugänglichen (obligatorischen und dinglichen) Beziehung zwischen Zedent und Zessionar (Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO) sowie den Wirkungen gegenüber dem Schuldner (Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO) und sonstigen Dritten2.

3.254

Art. 14 Rom I-VO ist nur schwer ein schlüssiges Gesamtkonzept zu entnehmen, da die Vorschrift nicht nur auf die Beziehung zwischen Zedent und Zessionar sowie das Forderungsstatut, mithin unterschiedliche Statute, abstellt, sondern sich außerdem noch bezüglich der Drittwirkungen, welche Bezüge zur Übertragung der Forderung aufweist, nicht festlegt (dazu Rz. 3.288). Je nachdem, ob man sich hierfür auf das Forderungsstatut oder auf andere Gesichtspunkte – namentlich den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten – stützt, ergeben sich unterschiedliche Folgen und Spannungen zwischen den einzelnen Anknüpfungen.

3.255

Nach der Überprüfungsklausel des Art. 27 Abs. 2 Rom I-VO sollte die Kommission bis zum 17.6.2010 einen Bericht dazu vorlegen, ob die Übertragung einer Forderung Dritten entgegengehalten werden kann, und über den Rang dieser Forderung gegenüber einem Recht einer anderen Person3. Dem Bericht sollte gegebenenfalls ein Vorschlag zur Änderung der VO sowie eine Folgenabschätzung der einzuführenden Bestimmungen beigefügt werden. Diese Frist ist nicht eingehalten worden. Stattdessen hatte die Kommission ein Gutachten des British Institute of International and Comparative Law (BIICL) in Auftrag gegeben, das mehrere Alternativen vorschlug4. Inhaltlich geht es vor allem darum, ob der Parteiautonomie größerer Raum zu gewähren ist oder das Forderungsstatut oder aber der gewöhnliche Aufenthaltsort des Zedenten eine größere bzw. die ausschlaggebende Rolle spielen sollte5. Erst 2018 folgte ein VOVorschlag zur Drittwirkung, Rz. 3.294.

2. Anwendungsbereich 3.256

Art. 14 Rom I-VO bezieht sich auf die Forderungsübertragung. Dies umfasst, wie sich aus dem englischen und dem französischen Wortlaut ergibt, auch die vertragliche Subrogation (voluntary assignment and contractual subrogation; cession de créances et subrogation conventionnelle). Die Vorschrift gilt daher auch für die vertragliche Subrogation des französischen Rechts, bei welcher der Forderungsübergang auf den leistenden Dritten eine Erklärung des Gläubigers voraussetzt (Art. 1346-1 n.F. c.c.)6.

1 So auch bei deutschem Zessionsgrundstatut Mangold, S. 216 f. 2 Näher Einsele, ZVglRW 90 (1991), 1 (17 ff.); Stadler, S. 700 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 11 ff. 3 Dazu Flessner, FS Kühne, S. 703 ff.; Einsele, RabelsZ 74 (2010), 91 ff.; Leible/Müller, IPRax 2012, 491 ff. 4 Dazu Kieninger, IPRax 2012, 289 ff.; Martiny, ZEuP 2013, 838 (855). 5 S. Reformvorschläge des Deutschen Rats für IPR Sonnenberger, IPRax 2012, 370 f. (englisch IPRax 2012, 371 f.); Sonnenberger, Rev. crit. dr. int. pr. 101 (2012), 676 f. (französische Fassung, 678 f.). 6 Labonté, S. 132; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 36, 92; Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3.

258 | Martiny

K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.258 § 3

Der Begriff „Übertragung“ umfasst die „vollkommene“ Übertragung von Forderungen (outright transfer of claims; transfert de créances purs et simples). Aus dem deutschen Recht wird damit die Forderungsabtretung (§ 398 BGB) erfasst1. Abgedeckt ist auch eine Übertragung von Forderungen als Sicherheit (transfer of claims by way of security; transfert de créances à titre de garantie). Dies ergibt sich aus Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO; s. näher Rz. 3.271. Erfasst werden auch Pfandrechte an Forderungen, s. Rz. 3.277. Die abgetretene Forderung braucht nicht rechtsgeschäftlichen Ursprungs zu sein. Auch Ansprüche aus gesetzlichen Schuldverhältnissen (z.B. Delikt, ungerechtfertigte Bereicherung) werden schon aus Praktikabilitätsgründen erfasst2.

3.257

3. Verhältnis Zedent – Zessionar Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO erfasst „das Verhältnis“ (relationship; relations) von Zedent und Zessionar. Der Begriff „Verhältnis“ stellt klar, dass die Vorschrift auch auf die dinglichen Aspekte (the property aspects; aspects de droit réel) des Vertrages anwendbar ist, wenn eine Rechtsordnung (wie die deutsche) dingliche bzw. verfügungsrechtliche und schuldrechtliche Aspekte trennt. Beide fallen einheitlich unter Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO3. Insofern kann man von einem Abtretungsstatut4 bzw. genauer von einem Zessionsgrundstatut sprechen5. Allerdings meint „Verhältnis“ nach Erwägungsgrund 38 nicht jedes beliebige, zwischen dem Zedenten und dem Zessionar bestehende Verhältnis. Insbesondere soll sich der Begriff nicht auf die der Übertragung einer Forderung vorgelagerten Fragen erstrecken, sondern sich ausschließlich auf die Aspekte beschränken, die für die betreffende Forderungsübertragung unmittelbar von Bedeutung sind. Nach Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO ist bei Abtretung einer Forderung für die Verpflichtungen zwischen dem bisherigen und dem neuen Gläubiger das Recht maßgeblich, dem der Vertrag zwischen ihnen unterliegt. Die Verpflichtung zwischen Zedent und Zessionar, das Grundgeschäft (z.B. ein Forderungskauf, aber auch eine Schenkung oder ein Gesellschaftsvertrag), unterliegt also nicht dem Forderungsstatut, sondern untersteht ihrem eigenen Recht6. Das Verpflichtungsgeschäft kann auch ein Sicherungsvertrag sein, der einer Forderungsabtretung zur Sicherheit zugrunde liegt7. Art. 14 Rom I-VO beschäftigt sich lediglich mit der Abtretung selbst. Das für ein der Abtretung zugrunde liegende Kausalgeschäft maßgebliche Recht ist nach den Art. 3 ff. Rom I-VO, d.h. aufgrund Rechtswahl oder objektiver Anknüpfung, zu ermitteln8. Beispielsweise kann es sich um einen Forderungskauf handeln, für den dann die Regeln des internationalen Kaufrechts gelten. Diese Rechtsordnung regelt insbesondere die Haftung des Zedenten für Verität und Bonität der abgetretenen Forde1 Flessner, IPRax 2009, 35 (37). 2 OLG Düsseldorf v. 19.7.2018 – 6 U 122/16, IPRspr. 2018 Nr. 27; Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 29; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 3a; Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 10 (Stand 1.2.2021); Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 5. – Zum Entwurf Max Planck Institut, RabelsZ 71 (2007), 225 (321 ff.). – Ebenso schon von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (467); Mangold, S. 124 f. 3 S. Erwägungsgrund 38; Flessner, IPRax 2009, 35 (37). 4 Flessner, IPRax 2009, 35 (38): Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 6 f. 5 F. Bauer, S. 103; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I-VO Rz. 43 ff. 6 Kaiser, S. 179; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I-VO Rz. 34. 7 Lorenz in Czernich/Heiss, Art. 12 EVÜ Rz. 14; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I-VO Rz. 34, 88. 8 Öst. OGH v. 17.7.2018 – 1 Ob 63/18y, ZfRV 2018, 238; Flessner, IPRax 2009, 35 (41). – Zu Art. 33 EGBGB BGH v. 26.7.2004 – VIII ZR 273/03, ZIP 2004, 2007 = NJW-RR 2005, 206 = WM 2004, 2066.

Martiny | 259

3.258

§ 3 Rz. 3.258 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

rung. Entsprechendes gilt auch für die Abtretung nichtvertraglicher, insbesondere deliktischer Forderungen1.

3.259

Auch für die Verfügungswirkung der Abtretung kommt es auf das für das Verhältnis von Zedent und Zessionar maßgebliche Vertragsstatut an, das nach den Art. 3 ff. Rom I-VO zu bestimmen ist2. Damit hat sich im Ergebnis die schon bislang von einer Mindermeinung vertretene Auffassung, wonach der Begriff der „Verpflichtungen“ (obligations) nicht nur das Kausalgeschäft, sondern das gesamte Innenverhältnis zwischen Zedent und Zessionar umfasst, durchgesetzt. Folglich wird davon dann inter partes auch der Forderungsübergang als solcher erfasst3. Der auf das Forderungsstatut abstellende Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO ist nur noch ein Ausnahmetatbestand für die dort speziell genannten Fragen4.

3.260

Nicht durchgesetzt hat sich die Ansicht, wonach die Übertragung der Forderung als solche nicht von Art. 14 Rom I-VO erfasst wird. Danach soll Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO lediglich die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Zedent und Zessionar erfassen. Die Übertragung durch Forderungsabtretung soll als solche hingegen einem eigenen Übertragungsstatut, nämlich dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Vollrechtsinhabers der Forderung (d.h. nicht notwendigerweise des Zedenten) unterliegen5. Die bislang h.M. in Deutschland beschränkte den Anwendungsbereich des Abs. 1 auf das Verpflichtungsgeschäft6 (6. Aufl., Rz. 326 ff.). Dagegen wurde für die Art und Weise der Übertragung der Forderung das Forderungsstatut herangezogen7. Dieses Statut entschied auch, ob der Zessionar überhaupt Inhaber der Forderung geworden ist8, ferner, welche Auswirkungen die Unwirksamkeit des Kausalgeschäfts auf die Abtretung hat, also wie weit das Abstraktionsprinzip reicht9. Welche Reichweite nunmehr das Verhältnis von Zedent und Zessionar nach Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO im Einzelnen hat, ist noch ungeklärt. 1 OLG Hamm v. 8.2.1995 – 11 U 206/93, NJW-RR 1996, 1271; OLG Koblenz v. 19.10.1995 – 6 U 1441/92, RIW 1996, 151 = IPRspr. 1995 Nr. 34; OLG Düsseldorf v. 13.5.1998 – 11 U 24/97, VersR 2000, 460 = IPRspr. 1998 Nr. 54 (Bereicherungsanspruch); AG München v. 8.12.1992 – 242 C 16867/92, IPRspr. 1992 Nr. 63; von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (469); Stürner in Erman, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I Rz. 3. 2 Zu den „dinglichen Aspekten“ in Erwägungsgrund 38 Flessner, IPRax 2009, 35 (38). 3 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (78); Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (540); Mankowski, IHR 2008, 133 (150); Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 36; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 35. – Zum EVÜ Einsele, ZVglRW 90 (1991), 1 ff.; Kaiser, S. 219 f.; Stadler, S. 714 f. 4 Einsele, RabelsZ 60 (1996), 417 (430). 5 F. Bauer, S. 292 f. (301 ff.). Primär soll es auf den Mittelpunkt der Interessen nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ankommen. 6 Ebenso von Hoffmann/Höpping, IPRax 1993, 302 (303 f.); Peltzer, RIW 1997, 893 ff.; Kropholler, IPR, § 52 VIII 1. 7 OLG Karlsruhe v. 28.1.1993 – 9 U 147/91, RIW 1993, 505 = IPRspr. 1993 Nr. 25; Mangold, S. 215. 8 BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, ZIP 1999, 101 = NJW 1999, 940 = IPRax 2000, 128 (m. Aufs. Stadler, IPRax 2000, 104) = JZ 1999, 404 m. Anm. Kieninger = IPRspr. 1998 Nr. 39 (Sittenwidrigkeit der Globalzession); BGH v. 26.7.2004 – VIII ZR 273/03, ZIP 2004, 2007 = NJW-RR 2005, 206 = RIW 2004, 857 (m. insoweit zust. Aufs. Freitag, RIW 2005, 25) = IPRax 2005, 342 (m. Aufs. Unberath, IPRax 2005, 308) (hypothekarisch gesicherte Darlehensforderung); von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (470 f.). 9 BGH v. 26.11.1990 – II ZR 92/90, ZIP 1991, 98 = NJW 1991, 1414 = IPRax 1992, 43 (m. Aufs. von Bar, IPRax 1992, 20) = EWiR 1991, 161 (Ebenroth) = IPRspr. 1990 Nr. 49; von Hoffmann/Höpping, IPRax 1993, 302 (303); Mangold, S. 215; Mangold in Hommelhoff/Jayme/Mangold, S. 90 f.; Kropholler, IPR, § 52 VIII 1.

260 | Martiny

K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.263 § 3

4. Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts für das Verhältnis Zessionar – Drittschuldner a) Zweck des Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO Nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO gilt das Recht der abgetretenen Forderung (Forderungsstatut) für das Verhältnis Zessionar – Drittschuldner; die Vorschrift führt insoweit eine Reihe von Einzelfragen auf. Sie nennt insb. das Verhältnis zwischen neuem Gläubiger und Schuldner, ferner die Voraussetzungen, unter denen die Übertragung dem Schuldner entgegengehalten werden kann sowie die befreiende Wirkung einer Leistung des Schuldners. Die Forderungsübertragung hat insoweit zu keinen Veränderungen geführt, vielmehr gilt für die Forderung das für sie maßgebliche Recht weiter. Man kann daher insofern von einer „rechtsobjektbezogenen Anknüpfung“ sprechen1.

3.261

b) Geltungsbereich des Forderungsstatuts Die Übertragbarkeit der Forderung wird, wie Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO für die Wirkung gegenüber dem Schuldner ausdrücklich anordnet, nach dem (Schuld-)Statut der abgetretenen Forderung beurteilt2. Unstreitig fällt hierunter die Frage, ob dem Schuldner gegenüber überhaupt eine Wirkung eintreten kann3. Die Übertragbarkeit wird aber nicht näher erläutert4. Als Stütze für eine generelle Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts kann der Begriff nicht (mehr) verwendet werden. Eine einengende Auslegung will ihn auf Gründe beschränken, in denen eine Veränderung der Gläubigerstellung zu einer für den Schuldner nicht tragbaren Veränderung seiner Leistungspflicht führt oder sein Vertrauen darauf, mit wem er auf die Forderung einwirken darf, in Frage steht5.

3.262

Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO kann nicht generell für Abtretungsverbote herangezogen werden. Vielmehr dürfte eine differenzierende Betrachtung geboten sein. Wenn ein Abtretungsverbot zwischen Gläubiger und Schuldner vereinbart wurde, bezweckt es in erster Linie den Schutz des Schuldners gegen unwillkommenen Gläubigerwechsel6. Es ist deshalb grundsätzlich nach dem Forderungsstatut zu beurteilen7. Dies gilt an sich für vertragliche Abtretungsverbote nach § 399 BGB sowie deren Beschränkungen (vgl. § 354a HGB)8. Soweit das vertragliche Abtretungsverbot aber auch „dingliche“ Wirkung besitzt, indem es – wie § 399 BGB – die verbotswidrige Abtretung schlechthin für unwirksam erklärt, wird vertreten, diese Wirkung nicht mehr nach Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO, dem Abtretungsstatut, eintreten zu lassen9.

3.263

1 von Bar/Mankowski, I § 7 Rz. 41. 2 Bericht Giuliano/Lagarde, BT-Drucks. 10/503, 67; OLG Hamburg v. 28.4.1992 – 7 U 59/91, IPRspr. 1992 Nr. 56 = NJW-RR 1993, 40 (Abtretung scheiterte an § 67 Abs. 2 VVG); OLG München v. 5.11.1997 – 7 U 2989/97, NJW-RR 1998, 549 = IPRspr. 1997 Nr. 52; öOGH v. 28.4.2011 – 1 Ob 58/11b, ÖJZ 2011, 836 = IPRax 2012, 364 (m. Aufs. Kieninger, IPRax 2012, 366); Bette, WM 1994, 1909 (1913). 3 Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 43. 4 Erfolglose Ergänzungsvorschläge bei Max Planck Institut, RabelsZ 71 (2007), 321 ff. Gegen das Konzept überhaupt F. Bauer, S. 134 ff. 5 F. Bauer, S. 137. 6 Näher zu Abtretungsverboten Ostendorf/Kluth, § 12. 7 Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 32; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 44; Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 20 (Stand 1.2.2021). – In diesem Sinne auch Kieninger/Sigman in Ferrari/Leible, S. 179 (191 f.). 8 Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 45. 9 Flessner, IPRax 2009, 35 (42).

Martiny | 261

§ 3 Rz. 3.264 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.264

Wollen gesetzliche Abtretungshindernisse verhindern, dass die Abtretung den Inhalt der geschuldeten Leistung verändert (so § 399 Alt. 1 BGB), so können sie ebenfalls dem kollisionsrechtlichen Schuldnerschutz nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO und dem Forderungsstatut zugeordnet werden1. Bezwecken sie dagegen, dem Gläubiger den Vermögenswert der Forderung, also letztlich der geschuldeten Leistung, zu sichern (so bei Lohn-, Unterhalts- und Schmerzensgeldansprüchen), so spielt der Schuldnerschutz keine Rolle. Solche Beschränkungen unterstehen nach einer Auffassung dem Abtretungsstatut des Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO2. Nach a.A. entscheidet das Forderungsstatut3. Für Letzteres spricht, Veränderungen der Forderungszuordnung zu beschränken4. Die Abtretbarkeit einer Lohnforderung wurde in einem Entsendungsfall dem Recht des Aufnahmelandes unterstellt5.

3.265

Soweit Abtretungshindernisse einem öffentlichen Interesse entspringen, ist die Einordnung zum Abtretungs- oder zum Forderungsstatut zweifelhaft, so etwa bei berufs- und datenschutzrechtlichen Abtretungsverboten für Honorarforderungen (z.B. die Einschränkung nach § 49b Abs. 4 S. 2 BRAO). Für diese Abtretungsverbote soll sogar eine Qualifikation als „Eingriffsnormen“ nach Art. 9 Rom I-VO in Betracht kommen6 (vgl. Rz. 5.15 ff.). Damit würde sich das Abtretungsverbot als Eingriffsnorm des eigenen Rechts durchsetzen (Art. 9 Abs. 2 Rom IVO)7.

3.266

Der Inhalt der Forderung bestimmt sich nach der Zession ebenso wie vorher nach dem Schuldstatut der abgetretenen Forderung (Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO). Die Zession ändert den Inhalt der Forderung nicht8. Was der Zessionar vom Schuldner fordern kann, richtet sich daher weiterhin nach dem Statut der abgetretenen Forderung9. Dazu gehört nicht nur die Fälligkeit sowie das Vorhandensein von Einreden10, sondern auch, ob der Schuldner dem Zessionar die Bereicherungseinrede (§ 821 BGB) entgegenhalten kann11.

3.267

Das Forderungsstatut regelt ferner, ob der Zessionar vom Schuldner nur den Betrag verlangen darf, den er selbst dem Zedenten für die Forderung bezahlt hat (lex Anastasiana)12. Der

1 2 3 4 5 6 7 8

9 10 11 12

Flessner, IPRax 2009, 35 (42); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 45. Flessner, IPRax 2009, 35 (42); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 45. Kaye, S. 323; Lorenz in Czernich/Heiss, Art. 12 EVÜ Rz. 22 f. Krit. dazu F. Bauer, S. 135 ff. Für das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsor des Zedenten Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom IVO Rz. 33. EuGH v. 12.2.2015 – C-396/13, ECLI:EU:C:2013:811 (Sähköalojen ammattiliitto), EuZW 2015, 308 m. Anm. Bayreuther = NZA 2015, 345 = ZEuP 2016, 708 krit. Anm. Perner. – Dazu auch Martiny, ZEuP 2015, 838 (851). Flessner, IPRax 2009, 35 (42); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 45; Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 22 (Stand 1.2.2021); Renner/Kindt in Calliess/Renner, Art. 14 Rome I Rz. 31. Flessner, IPRax 2009, 35 (42); F. Bauer, S. 154 f. (157). OLG Hamburg v. 4.5.2017 – 6 U 133/16, IPRspr. 2017 Nr. 98 = TranspR 2018, 149. – Zu Art. 33 EGBGB BGH v. 28.9.2000 – VII ZR 460/97, ZIP 2000, 2103 = MDR 2001, 84 m. Anm. Hahn = NJW-RR 2001, 307; OLG Stuttgart v. 20.3.1989 – 5 U 156/88, RIW 1991, 159 = IPRax 1990, 233 (m. Aufs. Ackmann/Wenner, IPRax 1990, 209). OLG Stuttgart v. 20.3.1989 – 5 U 156/88, IPRspr. 1989 Nr. 253 = IPRax 1990, 233 (m. Aufs. Ackmann/Wenner, IPRax 1990, 209) = RIW 1991, 159; LG Hamburg v. 1.8.1991 – 302 O 269/90, IPRspr. 1991 Nr. 57. Zu den Einreden des Schuldners nach italien. Recht IPG 2005/2006 Nr. 9 (Bochum). W. Lorenz, FS Zweigert (1981), S. 199 (220). Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 48.

262 | Martiny

K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.270 § 3

Schuldner kann sich durch die Zahlung der Erwerbssumme an den Zessionar von seiner Schuld befreien. Alt- und Neugläubiger können nicht ohne Mitwirkung des Schuldners durch nachträgliche Rechtswahl vereinbaren, dass die Forderung gegen Letzteren einem anderen Recht unterliegen soll1. Ein Eingriff Dritter in ein Schuldverhältnis, der weitreichende Auswirkungen auf den Forderungsinhalt und zudem eine Verschlechterung des Schuldnerschutzes zur Folge haben kann, ist nicht möglich2. Hingegen kann dann, wenn der Zessionar vom Zedenten entsprechend ermächtigt wurde, im Einziehungsprozess gegen den Schuldner noch eine andere Rechtsordnung vereinbart werden. Die bloße Befugnis zur gerichtlichen Geltendmachung genügt hierfür aber i.d.R. nicht3.

3.268

Das Publizitätserfordernis einer förmlichen Benachrichtigung des Schuldners (s. Rz. 3.250) ist ein Wirksamkeitserfordernis. Es wird nicht als Formerfordernis eingeordnet4. Daher gilt nicht der Satz „locus regit actum“ (Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO), sondern allein das Wirkungsstatut5. Da es sich um eine Voraussetzung handelt, unter der die Abtretung dem Schuldner entgegengehalten werden kann, fällt sie unter Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO6. Die Schuldnerbenachrichtigung unterliegt folglich dem Forderungsstatut7. Hat die Benachrichtigung durch den Gerichtsvollzieher zu erfolgen, so richtet sich das einzuschlagende Verfahren nach dem Recht desjenigen Staates, dessen Organe tätig werden sollen8.

3.269

Die befreiende Wirkung einer Leistung des Schuldners an den alten Gläubiger (vgl. § 407 BGB) dient dem Schuldnerschutz. Sie erfolgt daher nach dem Schuldstatut der abgetretenen Forderung (Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO)9. Bei der Aufrechnung mit einer dem Schuldner gegen den Zedenten zustehenden Forderung gegenüber dem Zessionar handelt es sich ebenfalls um eine den Schuldnerschutz betreffende Frage10.

3.270

1 von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (468); Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO Rz. 6; Stürner in Erman, Art. 14 Rom I-VO Rz. 4, 5a. 2 BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, IPRax 1985, 221 (Anm. Kötz, IPRax 1985, 205) = RIW 1985, 154 = ZIP 1984, 1405; BGH v. 26.9.1989 – XI ZR 178/88, BGHZ 108, 353 (360, 362) = ZIP 1990, 569 = IPRspr. 1989 Nr. 59 = IPRax 1991, 338 (m. Aufs. Kronke/Berger, IPRax 1991, 316); OLG Köln v. 26.6.1986 – 1 U 12/86, NJW 1987, 1151 = IPRax 1987, 239 (m. Aufs. Sonnenberger, IPRax 1987, 221). 3 Anders OLG Frankfurt v. 14.8.1984 – 5 U 14/84, ZIP 1985, 107 = RIW 1984, 919. 4 OLG Köln v. 25.5.1994 – 2 U 143/93, IPRax 1996, 270 (m. Aufs. Thorn, IPRax 1996, 257) = ZIP 1994, 1791. Anders Koziol, DZWiR 1993, 356. 5 Aubin, FS Neumayer, S. 31 (40); von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 11; Beuttner, S. 94; Mangold, S. 135 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 49. 6 Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 35; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 49. – Dagegen für das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Forderungsinhabers F. Bauer, S. 296 („Übertragungsstatut“). 7 OLG Hamm v. 8.2.1995 – 11 U 206/93, NJW-RR 1996, 1271 = RIW 1997, 153 (italien. Recht); Aubin, FS Neumayer, S. 31 (44); Kieninger, Mobiliarsicherheiten, S. 109; Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO Rz. 9; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I-VO Rz. 5. 8 Aubin, FS Neumayer, S. 31 (40 ff.); Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 23 (Stand 1.2.2021). 9 Moshinsky, L.Q.R. 109 (1992), 621; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 51; Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 24 (Stand 1.2.2021). – Vgl. von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (471). 10 OLG Oldenburg v. 28.2.2012 – 13 U 67/10, IHR 2013, 63 Anm. Magnus = IPRax 2014, 434 (m. Aufs. Sonnenberger, IPRax 2014, 400) = IPRspr. 2012 Nr. 29.

Martiny | 263

§ 3 Rz. 3.271 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

5. Übertragung zu Sicherungszwecken, Sicherungsrechte a) Übertragung zu Sicherungszwecken aa) Sicherungsabtretung

3.271

Bei der Sicherungszession wird eine Forderung zur Sicherheit abgetreten. Manche Rechtsordnungen verbieten insbesondere eine Vorausabtretung zu Sicherungszwecken entweder ganz oder schränken sie ein bzw. unterwerfen sie besonderen Förmlichkeiten (s. Rz. 3.252). Die einer Sicherungszession zugrunde liegende Sicherungsabrede berührt das Verhältnis zwischen altem und neuem Gläubiger und unterliegt dem für ihr Verhältnis geltenden Recht (Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO)1. Nach Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO umfasst der Begriff „Übertragung“ auch die Übertragung von Forderungen zu Sicherungszwecken (transfers of claims by way of security and; transferts de créances à titre de garantie). Die Vorschrift will eine kollisionsrechtliche Gleichbehandlung von Abtretung, Sicherungsabtretung und Sicherungsrechten erreichen2. Dementsprechend ist die Sicherungsabtretung des deutschen Rechts erfasst3.

3.272

Die mit einer Sicherungsabtretung zusammenhängenden Fragen waren schon bislang umstritten. Auch hier stellte sich zunächst einmal die Frage nach dem für den Forderungsübergang als solchen maßgeblichen Recht. Ferner wurde diskutiert, ob und in welchem Umfang es in diesen Fällen einer Sonderanknüpfung bedarf. Im Wesentlichen wurden drei unterschiedliche Meinungen vertreten. Eine erste Auffassung argumentierte: Da bei der Vorausabtretung das Statut der abgetretenen Forderung im Allgemeinen noch nicht endgültig feststeht und zudem eine einheitliche Behandlung aller abgetretenen Forderungen (insb. aus Weiterverkauf) erreicht werden müsse, sei auf das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Niederlassungsort des Zedenten abzustellen4. Diese Rechtsordnung soll dann für die Wirksamkeit der Forderungsübertragung gelten. Zum Teil wird auch der Vorrang zwischen mehreren konkurrierenden Zessionaren dem Niederlassungsrecht des Zedenten unterworfen. Eine zweite Meinung ging hingegen vom Verhältnis Zedent-Zessionar aus (Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO); sie beurteilte dann auch die Zulässigkeit der Sicherungsabtretung wie die genügende Bestimmtheit des Zessionsgegenstandes nach diesem Recht. Es ergab sich mithin eine Übereinstimmung mit dem für die Sicherungsabrede maßgeblichen Recht5. Für die überwiegende Meinung in Deutschland war dagegen die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Forderung zur Sicherung abgetreten werden kann, ein Problem der „Übertragbarkeit“ der Forderung. Diese richtete sich aber nach dem Schuldstatut der abgetretenen Forderung (Forderungsstatut)6. Nur für den Schuldnerschutz sollte – wie von Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO vorgesehen – das Forderungsstatut gelten7.

3.273

Hiergegen spricht außer der Änderung durch Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO, dass Beschränkungen der Sicherungsabtretung sowie besondere Publizitätserfordernisse das Vermögen des Abtretenden transparent und für die Gläubiger zugänglich halten sollen. Schuldnerinteressen sind 1 Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 43 (Stand 1.2.2021); Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I Rz. 3. 2 F. Bauer, S. 32. 3 Flessner, IPRax 2009, 35 (42); Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 2. 4 Kaiser, S. 105 (224 ff.). – S. auch Stoll, IPRax 1991, 225 ff.; Moshinsky, L.Q.R. 109 (1992), 609 ff. 5 Stadler, IPRax 2000, 104 (107). 6 BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, ZIP 1999, 101 = NJW 1999, 940 = IPRax 2000, 128 (m. Aufs. Stadler, IPRax 2000, 104) = JZ 1999, 404 m. Anm. Kieninger = IPRspr. 1998 Nr. 39 (Sittenwidrigkeit der Globalzession); von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (474 f.); Kaiser, S. 206 m.w.N.; von Westphalen, Exportfinanzierung, S. 220; Kieninger, S. 110. 7 Kaiser, S. 207, 222.

264 | Martiny

K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.275 § 3

nicht betroffen. Gibt man die Anknüpfung an das Forderungsstatut auf, so ist freilich nicht eindeutig, worauf abzustellen ist. Teilweise will man das Abtretungsstatut, d.h. das Statut der Sicherungsabrede (Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO) befragen1. Nach a.A. ist das Forderungsstatut (Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO) maßgeblich2. Nach einer weiteren Auffassung soll das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Vollrechtsinhabers der Forderung entscheiden3. Bezüglich der Drittwirkungen kommt auch hier das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Zedenten in Betracht (s. Rz. 3.288). bb) Vorausabtretung

Die Zulässigkeit der Vorausabtretung künftiger Forderungen wurde vor der Rom I-VO überwiegend nach dem Forderungsstatut beurteilt, da sie zur „Übertragbarkeit“ i.S.d. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO gezählt wurde4. Soweit Vorausabtretungen eingeschränkt werden, geschieht dies im Interesse des Rechtsverkehrs und des Abtretenden selbst. Die Gläubiger des Zedenten sollen, was dessen Außenstände als Haftungsobjekte angeht, nicht von vornherein chancenlos sein; der Abtretende soll vor einer Weggabe künftigen Vermögens geschützt werden. Der Schuldner der Forderung wird mit der Forderung erst ab ihrer Entstehung konfrontiert und gegen Ungewissheit über den wahren Forderungsinhaber (seinen Gläubiger) nach Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO geschützt. Die Zulässigkeit der Vorausabtretung wird z.T. deshalb nunmehr nach dem Abtretungsstatut (Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO) beurteilt5. Andere stellen dagegen auf den Übertragungsakt und den gewöhnlichen Aufenthalt des Vollrechtsinhabers der Forderung ab6. Auch hier ist bezüglich der Drittwirkungen an den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten zu denken.

3.274

Der verlängerte Eigentumsvorbehalt mit Vorausabtretung der Forderungen aus Weiterveräußerung stellt für den Verkäufer dann eine Kreditsicherheit dar, wenn der Eigentumsvorbehalt selbst nach dem Situsrecht der Ware erlischt. Da die Abtretbarkeit künftiger Forderungen nicht von allen Rechtsordnungen gestattet wird7, ist die Anknüpfung des verlängerten Eigentumsvorbehalts von erheblicher praktischer Bedeutung. Auch insoweit wurde zum Teil eine gesonderte Anknüpfung an den Schuldnerwohnsitz vertreten8. Man gelangte dann zum Recht des Niederlassungsorts des Vorbehaltskäufers (Zedent). Vorteil ist eine einheitliche Anknüpfung, die nicht vom jeweiligen Forderungsstatut abhängt und daher voraussehbar ist. Andere hielten gleichwohl an der Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts (aus dem Verhältnis Vorbehaltsverkäufer zum Käufer) fest9. Anzustreben ist eine gleiche Anknüpfung wie bei der Vorausabtretung überhaupt.

3.275

1 Flessner, IPRax 2009, 35 (42); von Bar/Mankowski, IPR II, § 3 Rz. 887. – Ebenso Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 88. Wohl auch Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 42 (Stand 1.2.2021). 2 Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 34. 3 F. Bauer, S. 166 („Übertragungsstatut“). 4 Kieninger, RabelsZ 62 (1998), 678 (699). – Vgl. auch Kieninger/Sigman in Ferrari/Leible, S. 190 f. 5 Flessner, IPRax 2009, 35 (43); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 89; Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 44 (Stand 1.2.2021). 6 F. Bauer, S. 163 f. („Übertragungsstatut“). 7 Zur Nichtzulässigkeit nach italienischem Recht s. IPG 2015-17 Nr. 26 (Köln). 8 LG Hamburg v. 20.11.1980 – 5 O 521/79, IPRspr. 1980 Nr. 53; Stoll, IPRax 1991, 225 ff. (auch für die Globalzession); Kaiser, S. 202 ff. 9 BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, BGHZ 111, 376 (380 ff.) = MDR 1991, 145 = IPRax 1991, 248 (m. insoweit abl. Aufs. Stoll, IPRax 1991, 223 [obiter]); Basedow, ZEuP 1997, 615 (620 f.); von Bar/Mankowski, IPR II, § 3 Rz. 60; Thorn in Palandt, Art. 43 EGBGB Rz. 8. Unentschieden Kieninger, S. 108 f.

Martiny | 265

§ 3 Rz. 3.276 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

cc) Globalabtretung

3.276

Auch die richtige Anknüpfung der Globalabtretung ist problematisch (vgl. Rz. 3.252). Wo sachrechtliche Einschränkungen für die Globalabtretung gelten, sollen sie der Offenhaltung des Vermögens für alle Gläubiger dienen und den Abtretenden davor schützen, sich mit seinem Vermögen einem einzigen Gläubiger auszuliefern. Die Zulässigkeit der Globalabtretung war nach überwiegender Meinung in Deutschland zu Art. 12 EVÜ (Art. 33 EGBGB) eine Frage der „Übertragbarkeit“ der Forderung i.S.d. Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO und dem Forderungsstatut unterworfen1. Heute wird z.T. allein Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO (Abtretungsstatut) für maßgeblich gehalten2. Andere stellen auch hier auf den Übertragungsakt und den gewöhnlichen Aufenthalt des Vollrechtsinhabers der Forderung ab3. b) Pfandrechte und andere Sicherungsrechte

3.277

Nach Art. 14 Abs. 3 Rom I-VO umfasst die „Übertragung“ auch eine Übertragung von Pfandrechten oder anderen Sicherungsrechten an Forderungen (pledges or other security rights over claims; les nantissements ou autres sûretés sur les créances). Aus dem deutschen Recht wird daher die Verpfändung der Forderung (§ 1279 BGB) erfasst4. Dass von einer „Übertragung“ und nicht von einer „Bestellung“ von Rechten die Rede ist, steht nicht entgegen5. Auch die Bestellung eines Nießbrauchs an der Forderung (§§ 1068, 1074 BGB) wird wegen des engen Zusammenhanges erfasst, obwohl sie keine eigentliche Sicherung darstellt6.

IV. Zession dinglich gesicherter Forderungen 3.278

Wird eine dinglich gesicherte Forderung abgetreten, so ist zu unterscheiden: Für die Übertragung der Forderung kommt es auf das nach Art. 14 Rom I-VO maßgebliche Recht an, für den Übergang des dinglichen Rechts auf die Rechtsordnung des belasteten Grundstücks (lex rei sitae)7.

3.279

Ist der Schuldner im Ausland (etwa in Frankreich) wohnhaft und unterliegt die Forderung französischem Recht, ist die Forderung aber auf einem deutschen Grundstück dinglich gesichert, so gibt es keine Schwierigkeiten, wenn die Forderung durch eine Grundschuld gesichert ist. Die Forderung wird nach französischem Sachrecht (mit Signifikation) abgetreten, die Grundschuld nach deutschem Recht durch schriftliche Abtretungserklärung und Briefübergabe (§§ 1192, 1154 BGB). Es handelt sich um zwei selbständige Verfügungsgeschäfte8.

3.280

Schwieriger ist es, wenn die Forderung durch eine Hypothek gesichert ist, Forderungs- und Hypothekenstatut aber auseinander fallen. Hier gilt der materiell-rechtliche Grundsatz der Akzessorietät. Nach § 1153 BGB geht mit der Forderungsübertragung die Hypothek auf den

1 S. OLG Hamburg v. 22.5.1996 – 5 U 278/95, WM 1997, 1773 = IPRspr. 1996 Nr. 43. – Vgl. auch BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, NJW 1999, 940 = IPRax 2000, 128 (m. Aufs. Stadler, IPRax 2000, 104) = IPRspr. 1998 Nr. 39. 2 Flessner, IPRax 2009, 35 (42); Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 46 (Stand 1.2.2021). 3 F. Bauer, S. 166 („Übertragungsstatut“). 4 Flessner, IPRax 2009, 35 (37); Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 2. 5 Flessner, IPRax 2009, 35 (37). 6 Flessner, IPRax 2009, 35 (37); Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 20. 7 Vgl. zum alten Recht von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (473); Ferid, Rz. 7–46. 8 Vgl. auch von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 3 (15 f.).

266 | Martiny

K. Forderungsübertragung nach Art. 14 Rom I-VO | Rz. 3.286 § 3

Zessionar über. Wenn die Forderungsabtretung nach dem maßgeblichen Sachrecht zwar keiner Form, wohl aber der Benachrichtigung des Schuldners bedarf, so bewirkt die Zession zwar den Übergang der Forderung, aber nicht den Übergang der Hypothek. Nach deutschem Sachenrecht geht das dingliche Recht nur dann mit der Forderung über, wenn die Zession die Sacherfordernisse des § 1154 BGB wahrt. Erfüllt die Forderungsabtretung diese Anforderungen (schriftliche Erteilung der Abtretungserklärung und Briefübergabe) nicht, so geht mangels wirksamer Abtretung das dingliche Recht nicht auf den Zessionar über. Die Vorschrift des § 1153 BGB kann hier nicht angewendet werden. Die Hypothek wird zur Eigentümergrundschuld1. Da es aber unbillig wäre, wenn der Eigentümer diese behalten dürfte, ist er schuldrechtlich verpflichtet, sie in gehöriger Form abzutreten. Andere wollen hier mit einer Anpassung helfen und lassen die unwirksam abgetretene Hypothek übergehen, sei es in entsprechender Anwendung der § 401 Abs. 1, § 412 BGB2, sei es, indem § 1153 BGB Vorrang eingeräumt wird3.

3.281

Sind umgekehrt die Erfordernisse der inländischen lex rei sitae gewahrt, aber nicht die des ausländischen Forderungsstatuts (z.B. mangels signification), so kann die Hypothek nicht übergehen, da die Forderung nicht wirksam übertragen wurde4. Nach a.A. erwirbt der Zessionar die persönliche Forderung gleichwohl in analoger Anwendung des § 1138 BGB5.

3.282

Ist der Schuldner in Deutschland wohnhaft, die Forderung aber auf einem ausländischen (z.B. französischen) Grundstück dinglich gesichert, so gilt Folgendes:

3.283

Die Forderungsabtretung unterliegt dem Forderungsstatut und ist i.d.R. nach deutschem Recht zu beurteilen. Die hypothekenrechtliche Vorschrift des § 1154 BGB (Schriftform der Abtretungserklärung und Briefübergabe) kann aber nicht gelten, da sie auf den Fall einer durch eine Hypothek auf einem inländischen Grundstück gesicherten Forderung abstellt. Eine bestimmte Form ist also für die Zession nicht erforderlich.

3.284

Ob durch eine solche Zession auch das dingliche Recht an dem ausländischen Grundstück übergeht, bestimmt die jeweilige lex rei sitae6. Deshalb ist es ratsam, für die Zession die Erfordernisse des Rechts des belasteten Grundstücks einzuhalten.

3.285

V. Einziehungsermächtigung Bei einer Einziehungsermächtigung wird dem Ermächtigten (etwa einer Bank) die Befugnis zur Einziehung im eigenen Namen übertragen. Es geht nur um einen Forderungsausschnitt; Inhaber der Forderung selbst bleibt der ursprüngliche Gläubiger. Kollisionsrechtlich wird diese Abspaltung eines Gläubigerrechtes wie eine Abtretung behandelt, so dass für die Erteilung

1 M. Wolff/Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl. 1957, S. 666. 2 Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 634 (Anpassung). 3 S. von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (474). – Unentschieden von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 3 (16); Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 634. 4 von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 3 (16); M. Wolff/Raiser, Sachenrecht, 10. Aufl. 1957, S. 666; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 82. Im Ergebnis auch von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (474). 5 Kreuzer in MünchKomm, 3. Aufl. 1998, nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rz. 47; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 635. 6 Kreuzer in MünchKomm, 3. Aufl. 1998, nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rz. 47.

Martiny | 267

3.286

§ 3 Rz. 3.286 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

der Einziehungsermächtigung nach früher h.M. ebenfalls das Forderungsstatut galt1. Die Befugnis zur Ermächtigungserteilung kann dagegen einem anderen Recht unterliegen2. Im Übrigen ist das Statut des der Einziehungsermächtigung zugrunde liegenden Vertrages maßgeblich3. Als Teilberechtigung wird die Einziehungsermächtigung jedenfalls inter partes von Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO erfasst4, s. oben Rz. 3.258. Für die Drittwirkungen kommt auch hier das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Ermächtigenden in Betracht.

VI. Form 3.287

Die Form der Forderungsabtretung unterliegt Art. 11 Rom I-VO. Nach Art. 11 Abs. 1 Rom IVO genügt anstelle der Form der lex causae5 auch die Beachtung der lex loci actus, soweit nicht über dingliche Rechte verfügt wird6. Bezüglich der lex causae wirken sich die Meinungsunterschiede bezüglich der richtigen Anknüpfung der Abtretung aus. Während nach der bislang h.M. insoweit das Forderungsstatut maßgeblich war7, stellen andere Auffassungen vor allem auf das für das Verhältnis von Zessionar und Zedenten geltende Recht (Grundgeschäft)8 oder auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten ab. Teilweise wird zur Vermeidung von Qualifikationsschwierigkeiten eine alternative Anknüpfung abgelehnt und nur auf das für die Übertragung maßgebliche Recht abgestellt9.

L. Drittwirkungen der Forderungsabtretung Literatur: Dickinson, Tough Assignments: the European Commission’s Proposal on the Law Applicable to the Third-Party Effects of Assignments of Claims, IPRax 2018, 337; Einsele, Die Forderungsabtretung nach der Rom I-Verordnung: sind ergänzende Regelungen zur Drittwirksamkeit und Priorität zu empfehlen?, RabelsZ 74 (2010), 91; Hemler, Der Verordnungsvorschlag über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht, GPR 2018, 185; L. Hübner, Die Drittwirkungen der Abtretung im IPR, ZEuP 2019, 41; Kieninger, Das Statut der Forderungsabtretung im Verhältnis zu Dritten, RabelsZ 62 (1998), 678; Kieninger, Das auf die Drittwirkungen der Abtretung anwendbare Recht, NJW 2019, 3353; Leible/Müller, Die Anknüpfung der Drittwirkung von Forderungsabtretungen in der Rom I-Verordnung, IPRax 2012, 491; Lengersdorf/Wernert, Kollisionsrechtliche Implikationen bei der Mehrfachabtretung von Forderungen, EWS 2020, 30; Mankowski, Der Kommissionsvorschlag zum Internationalen Privatrecht der Drittwirkung von Zessionen, RIW 2018, 488; Stefer, Drittwirkung der Abtretung, IPRax 2021, 155; Zahn, Das auf die Drittwirkung von Forderungsabtretungen anwendbare Recht, GPR 2020, 218. 1 BGH v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, NJW-RR 1990, 250; BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 = ZIP 1994, 547 = NJW 1994, 2549 = IPRax 1995, 168 (m. Aufs. Gottwald, IPRax 1995, 157) = EWiR 1994, 401 (Anm. Hanisch); OLG Koblenz v. 14.1.2004 – 9 U 677/00, IPRspr. 2004 Nr. 35 = JbItalR 17 (2004), 282; Kropholler, IPR, § 52 VIII 1. 2 BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (205) = ZIP 1994, 547 (Konkursverwalter); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 91. 3 Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 91. 4 Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 23. 5 OLG Koblenz v. 19.10.1995 – 6 U 1441/92, RIW 1996, 151 = EWiR 1996, 305 (Anm. Otte); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 77. 6 von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (472 f.); von Hoffmann/Höpping, IPRax 1993, 302 (304); Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 47 (Stand 1.2.2021). 7 von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (472 f.). 8 So Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 78. 9 F. Bauer, S. 297 ff. (305).

268 | Martiny

L. Drittwirkungen der Forderungsabtretung | Rz. 3.289 § 3

I. Rom I-VO und Zessionswirkungen Bei der Drittwirkung geht es um die Verfügungswirkung der Forderungsübertragung und die Frage nach der Gläubigerstellung, die vor allem bei der Mehrfachabtretung praktisch wird (zur Forderungsabtretung Rz. 3.249). Die Materie ist komplex, da sie die Beziehungen mehrerer Beteiligter, nämlich die Dreiecksbeziehung von Gläubiger (Abtretender), Zessionar (Abtretungsempfänger) und Schuldner, sowie unterschiedliche Zeitpunkte und Wirkungen auch für weitere Betroffene und Interessierte (insb. Gläubiger des Zedenten, weitere Zessionare) betrifft. Für die Anknüpfung zur Auswahl stehen vor allem das zwischen Zedent und Zessionar geltende Recht (Vertrags- bzw. Abtretungsstatut), ferner das auf die abgetretene Forderung anwendbare Recht (Forderungsstatut), und schließlich das am Aufenthaltsort des Zedenten geltende Recht oder gar das Wohnsitzrecht des Schuldners (debitor cessus)1. Teilweise hat man jedenfalls die Wirkung der Abtretung gegenüber Dritten nach derjenigen Rechtsordnung beurteilt, welcher der zwischen Zessionar und Zedent abgeschlossene Abtretungsvertrag unterliegt (Zessionsgrundstatut)2.

3.288

Die nicht gesondert geregelte Drittwirkung der Forderungsabtretung fällt nach h.M. nicht in den Anwendungsbereich des Art. 14 Rom I-VO. Vielmehr ist die Frage bislang auf europäischer Ebene ungeregelt geblieben3. Die einstweilen bestehende Lücke ist mit nationalem Kollisionsrecht zu füllen4. Für diese Auslegung des Art. 14 Rom I-VO können die mangelnde Einigung im Rat sowie der Überprüfungsauftrag des Art. 27 Abs. 2 Rom I-VO angeführt werden. Nach der abgelehnten a.A. wird die Frage der Drittwirkungen hingegen von Art. 14 Rom IVO erfasst5. Gegenstand einer EuGH-Vorlage war, ob die Rom I-VO auf die Zessionswirkungen gegenüber Dritten bei einer Mehrfachabtretung überhaupt anwendbar ist6. Hier war eine luxemburgischem Recht unterliegende Forderung zur Sicherheit zuerst an eine deutsche, sodann aber nochmals – nach luxemburgischem Recht ordnungsgemäß angezeigt – an eine luxemburgische Bank abgetreten worden. Nach dem EuGH-Urteil gilt für die Drittwirkungen der Abtretung und somit auch für die Wirksamkeit einer Mehrfachbetretung einstweilen nationales, deutsches IPR weiter.

3.289

1 Sinay-Cyterman, Rev.crit.d.i.p. 81 (1992), 35 (42); Pardoel, S. 357 und passim. 2 So Flessner/Verhagen, S. 32 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 71 ff. – Abl. etwa Mäsch in Leible, S. 193 (198 ff.). 3 Lagarde/Tenenbaum, Rev.crit.dr.int.pr. 97 (2008), 727 (776 f.); Sonnenberger, FS Kropholler, S. 227 (230 ff.); Garcimartín Alférez in Ferrari/Leible, S. 217 (247); Bauer in Calliess, Art. 14 Rome I Rz. 42; Kieninger in Ferrari, Art. 14 Rom I-VO Rz. 11; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I-VO Rz. 3. S. EuGH v. 9.10.2019 – C-548/18, ECLI:EU:C:2019:848 (BGL BNP Paribas) Rz. 38, NJW 2019, 3368 (m. zust. Aufs. Kieninger NJW 2019, 3353) = RIW 2019, 725 m. Anm. Mankowski = EuZW 2019, 939 Anm. C. Schmitt = IPRax 2021, 173 (m. Aufs. Stefer IPRax 2021, 155); zust. Lengersdorf/ Wernert EWS 2020, 30 ff. 4 Garcimartín Alférez, EurLegForum 2008, I-61 (I-78;); Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (629;); Magnus, IPRax 2010, 27 (42); Leible/Müller, IPRax 2012, 414; Labonté, Forderungsabtretung International, 2015, S. 127; Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 14 Rom I-VO Rz. 11, 12; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I-VO Rz. 1. 5 Flessner, IPRax 2009, 35 (38 f.); Einsele, RabelsZ 74 (2010), 91; Mann/Nagel, WM 2011, 1499 (1500 ff.); Freitag in Rauscher, Art. 14 Rom I-VO Rz. 38 ff. 6 OLG Saarbrücken v. 8.8.2018 – 4 U 109/17, ZIP 2019, 437 = WM 2018, 2323 = EWiR 2018, 735 m. Anm. Mankowski. Abschlussentscheidung OLG Saarbrücken v. 20.2.2020 – 4 U 109/17, ZIP 2020, 1315 = WM 2020, 982 m. Anm. Cranshaw, EWiR 2020, 415. – Näher Hübner, ZEuP 2019, 41 (51 f.).

Martiny | 269

§ 3 Rz. 3.290 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

II. Drittwirkungen und Mehrfachabtretung 3.290

Von einer Mehrfachabtretung spricht man dann, wenn der Gläubiger seine Forderung mehrfach abgetreten hat. Dann stellt sich zunächst einmal die Frage, ob und wann die erste Abtretung wirksam geworden ist. Ferner ist insb. für Prioritätskonflikte zu entscheiden, wieweit die folgenden Abtretungen wirksam bzw. unwirksam sind. Die Unwirksamkeit der nachfolgenden Abtretung ergibt sich regelmäßig aus dem Prioritätsgrundsatz des nationalen Zessionsrechts. Für die Beurteilung der Mehrfachzession, welche die Wirksamkeit der Übertragung der Forderung betrifft, wirken sich die unterschiedlichen Auffassungen zur Anknüpfung der Forderungsabtretung aus.

3.291

Für die früher auf Art. 14 Abs. 1 Rom I-VO abstellende Auffassung war eine Entscheidung zwischen mehreren Statuten notwendig, wenn nämlich unterschiedliche Rechtsordnungen zwischen Zedent und Zessionar(-en) vereinbart worden sind. Insofern wurde für die Mehrfachabtretung auf das davon unberührt gebliebene Forderungsstatut ausgewichen1. Die auf den Zedentenwohnsitz abstellende Meinung wollte die danach maßgebliche Rechtsordnung auch hier heranziehen2. Für die Auffassung, welche auf ein eigenes Übertragungsstatut, nämlich das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Vollrechtsinhabers der Forderung abstellt, soll dies auch hier gelten3. Für die bisher h.M. war die Mehrfachabtretung und das Verhältnis der miteinander konkurrierenden Zessionare ein Problem der „Übertragbarkeit“ der Forderung. Das Rangverhältnis unter konkurrierenden Abtretungen, insbesondere die Frage, ob bei einer mehrfachen Zession die Erste gültig ist, wurde folglich (allein) vom Statut der abgetretenen Forderung bestimmt4. Auch der Schuldnerwohnsitz zur Zeit der ersten gültigen Zession sollte außer Betracht bleiben5.

3.292

Obwohl die deutsche Vorschrift des den Art. 12 EVÜ umsetzenden Art. 33 a.F. EGBGB mit Inkrafttreten der Rom I-VO aufgehoben worden ist, kann sie gleichwohl als früheres deutsches Kollisionsrecht herangezogen werden6. Allerdings war die Frage der Mehrfachabtretung nicht eindeutig geregelt und umstritten7. Dieser Meinungsstreit setzt sich nach der EuGHEntscheidung von 2019 fort. Die Meinungen hierzu entsprechen teilweise den in der Vergangenheit bezüglich der Forderungsübertragung als solcher vertretenen Auffassungen. Eine Auffassung will grundsätzlich die am Aufenthaltsort des Zedenten geltende Rechtsordnung he-

1 Stadler, IPRax 2000, 104 (109); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I Rz. 75 (wenn anders keine Lösung erreicht werden kann). 2 Kieninger, RabelsZ 62 (1998), 678 (703.). 3 F. Bauer, S. 292 f. (301 ff.). Primär soll es auf den Mittelpunkt der Interessen nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ankommen. 4 BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, ZIP 1999, 101 = MDR 1999, 369 = NJW 1999, 940 = IPRax 2000, 128 (m. Aufs. Stadler, IPRax 2000, 104) = JZ 1999, 404 m. Anm. Kieninger = IPRspr. 1998 Nr. 39; von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (470); von Hoffmann/Höpping, IPRax 1993, 302 (303); Kropholler, IPR, § 52 VIII 1. Ebenso Vischer/Huber/Oser, Rz. 1056. Ebenso schon vor dem EVÜ BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, BGHZ 111, 376 = ZIP 1990, 1080 = MDR 1991, 145 (380 ff.) = IPRax 1991, 248 (m. insoweit zust. Aufs. Stoll, IPRax 1991, 223) = NJW 1991, 637 = IPRspr. 1990 Nr. 48. 5 Anders Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 80 (1991), 287 (336 f.); Sinay-Cyterman, Rev.crit.d.i.p. 81 (1992), 35 (40 ff.); Kaiser, S. 208 ff. (224 ff.) (Niederlassung des Zedenten); Kassis, Le nouveau droit européen des contrats internationaux (Paris 1993), S. 423. 6 Krit. Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 32 (Stand 1.2.2021). 7 Dazu Einsele, RabelsZ 74 (2010), 91 ff.; Mann/Nagel, WM 2011, 1500 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I-VO Rz. 55 ff.; Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 38 ff. (Stand 1.2.2021).

270 | Martiny

L. Drittwirkungen der Forderungsabtretung | Rz. 3.293 § 3

ranziehen1 und spricht sich für die Anwendung des Zedentenstatuts im Zeitpunkt der Verfügung aus2. Dafür werden die Voraussehbarkeit und Transparenz der Rechtsanwendung angeführt. Nach Aufhebung des Art. 33 Abs. 2 a.F. EGBGB bestehe keine Bindung mehr an diese Vorschrift und die zu ihr ergangene Rspr3. Da sich die Frage der Forderungsinhaberschaft häufig in der Insolvenz des Zedenten stelle, bringe die Anknüpfung an das Sitzrecht des Zedenten zudem einen harmonischen Gleichlauf mit dem Insolvenzstatut, das gemäß Art. 3, 7 EuInsVO im Regelfall der Übereinstimmung von Sitz und Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen4 (dazu Rz. 6.686) ebenfalls zu diesem Recht führt5. Die h.M. unter dem EGBGB hatte am Ausgangspunkt einer Verfügung über die Forderung festgehalten und knüpfte die Verfügung über die Forderung insgesamt an das Statut der abgetretenen Forderung an. Auch für die Drittwirkungen sollte daher das Forderungsstatut gelten6. Die h.M. zu Art. 33 Abs. 2 a.F. EGBGB erfasste nicht nur das Verhältnis zum Schuldner, sondern auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Zession sonstigen Dritten, insbesondere Gläubigern des Zedenten, entgegengehalten werden konnte7. Dementsprechend greift man auch heute auf den Rechtsgedanken des Art. 33 Abs. 2 a.F. EGBGB bzw. die Grundsätze der aufgestellten Rspr. zurück8 und stützt sich auf das Forderungsstatut9. Eine Anknüpfung an das Forderungsstatut ermöglicht eine einheitliche Beurteilung aller Drittwirkungen für die einzelne Forderung. Dagegen spricht für eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Zedenten die Übereinstimmung dieser Lösung mit der UNCITRAL-Konvention. Ferner ermöglicht sie es, im Falle einer Abtretung mehrerer Forderungen ein einziges Recht anzuwenden, das für Dritte ermittelbar und vorhersehbar ist10. Ferner ist eine Festlegung des anwendbaren Rechts zum Zeitpunkt einer Vorausabtretung möglich. Zu Schwierigkeiten kann aber die Abspaltung von Fragen der Drittwirkungen führen; sie können einem anderen Recht unterstehen als die Forderung selbst. Ferner deckt sich auch nach dieser

1 In diesem Sinne bereits Rabel, Conflict of Laws Bd. III, S. 413 ff.; Kieninger, RabelsZ 62 (1998), 678 (702 ff.); Kieninger/Schütze, IPRax 2005, 200 (202 ff.); Struycken, LMCLQ 24 (1998), 345 ff.; Mäsch in Leible, S. 193 (202 ff.). 2 Kieninger, NJW 2019, 3353 (3356); Hübner, ZEuP 2019, 41 (52); Keller, WuB 2020, 51 (53); Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 37 (Stand 1.2.2021). Wohl auch Mankowski, RIW 2019, 728 (729). 3 Hübner, ZEuP 2019, 41 (52). 4 Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 37 (Stand 1.2.2021). – S. auch Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 14. 5 Mankowski, IPRax 2012, 298 (300 ff.); Mankowski NIPR 2018, 26 (43 ff.). 6 von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 12; Kaiser, S. 223; Kieninger, S. 109 f.; Bode, S. 291 ff. 7 BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/89, BGHZ 111, 376 (379 f.) = NJW 1991, 637; BGH v. 26.7.2004 – VIII ZR 273/03, NJW-RR 2005, 206 (208); v. Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (467 f.); v. Hoffmann/ Höpping, IPRax 1993, 302 (303 f.); Basedow, ZEuP 1997, 615 (623). Vgl. auch OLG Saarbrücken v. 8.8.2018 – 4 U 109/17, ZIP 2019, 437 = WM 2018, 2323 (2326). 8 Schroeter/Maier-Lohmann, EWiR 2020, 33 (34); i.E. auch Reuter, GWR 2020, 32: analoge Anwendung von Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO. 9 OLG Saarbrücken v. 20.2.2020 – 4 U 109/17, ZIP 2020, 1315 = WM 2020, 982 (985 ff.) m. Anm. Cranshaw, EWiR 2020, 415. Im Anschluss an BGH v. 23.2.1983 – IVa ZR 186/81, BGHZ 87, 19 (21); BGH v. 11.04.1988 – II ZR 272/87, BGHZ 104, 145 (149); BGH v. 20.6.1990 – VIII ZR 158/ 89, BGHZ 111, 376 (378); BGH v. 26.11.1990 – II ZR 92/90, NJW 1991, 1414 = ZIP 1991, 98; BGH v. 8.12.1998 – XI ZR 302/97, NJW 1999, 940 = ZIP 1999, 101. – In Bezug auf Schiedsvereinbarungen auch BGH v. 8.5.2014 – III ZR 371/12, SchiedsVZ 2014, 151 Rz. 23. 10 Für bestimmte Finanztransaktionen wird dies jedoch bestritten, dazu Lagarde/Tenenbaum, Rev. crit.d.i.p. 97 (2008), 727 (777.).

Martiny | 271

3.293

§ 3 Rz. 3.293 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Auffassung das auf die schuldrechtlichen Beziehungen zwischen Zedent und Zessionar anwendbare Recht nicht mit dem für die Abtretungswirkungen maßgeblichen Recht, so dass auch insoweit Spannungen auftreten können. Hält man eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Zedenten für hinnehmbar, so führt dies bei der ersten Abtretung regelmäßig zum gleichen Ergebnis wie eine Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Forderungsrechtsinhabers.

III. Drittwirkungs-VO 3.294

Nach ganz überwiegender Auffassung wird das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anwendbare Recht nicht von der Rom I-VO erfasst (s. Rz. 3.289). Zur Schließung dieser Lücke des Unionskollisionsrechts hat die Kommission 2018 einen Verordnungsvorschlag über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht vorgelegt1, der vom Rat im Juni 2021 mit Änderungen gebilligt worden ist2. Inhaltlich entscheidet sich der Drittwirkungs-VO-E nicht für eine einzige Anknüpfung, sondern präsentiert eine Kompromisslösung mit einer Mischung aus drei unterschiedlichen Anknüpfungen. Vorgesehen ist eine Grundanknüpfung der Drittwirkung an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Zedenten (Art. 4 Abs. 1 VO-E), ferner aber auch sektoriell die Maßgeblichkeit des Forderungsstatuts für bestimmte Forderungen (Art. 4 Abs. 2 VO-E) und in bestimmtem Umfang die Geltung des ausdrücklich gewählten Rechts (Art. 4 Abs. 3 VO-E)3. Der Drittwirkungs-VO-E soll universell anwendbar sein (Art. 3 VO-E). Der Geltungsbereich des anwendbaren Rechts wird definiert (Art. 5 VO-E). Eingriffsnormen sind zu beachten (Art. 6). Vom Anwendungsbereich des Entwurfs sind ausgeschlossen die Übertragung von Finanzinstrumenten, einschließlich Wertpapieren und Derivaten (Art. 1 Abs. 1 lit. a VO-E), die Übertragung von Kryptowerten (Art. 1 Abs. 1 lit. ab VO-E) sowie die Übertragung von Forderungen in nicht immaterieller Form, die jedoch in einem Zertifikat verbrieft oder im Effektengiro verbucht sind (Art. 1 Abs. 1 lit. aa VO-E). Forderungen aus allen Kryptowerten in fallen den Anwendungsbereich der Verordnung, mit Ausnahme von Forderungen aus Kryptowerten, die als übertragbare Wertpapiere (Art. 1 Abs. 2 lit. g VO-E), Geldmarktinstrumente oder Anteile an einem Organismus für gemeinsame Anlagen gelten (Art. 1 Abs. 2 lit. h VO-E). Der Vorrang bei einer Mehrfachübertragung derselben Forderung, bei der die Drittwirkung der einen Übertragung dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Zedenten und die Drittwirkung der anderen Übertragung dem Recht der übertragenen Forderung unterliegt, bestimmt sich nach dem Recht, das auf die Drittwirkung der Forderungsübertragung anzuwenden ist, die als Erste nach dem Recht der übertragenen Forderung Dritten gegenüber wirksam wurde (Art. 1 Abs. 4 VO-E).

1 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf die Drittwirkung von Forderungsübertragungen anzuwendende Recht, COM(2018) 96 final. – Dazu Hübner in BeckOGK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 53 ff. (Stand 1.2.2021). 2 S. Presidency, Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council on the law applicable to the third-party effects of assignments of claims - General approach, 28.5.2021. 3 Näher Hemler, GPR 2018, 185 ff.; L. Hübner, ZEuP 2019, 41 ff.; Mankowski, RIW 2018, 488 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 14 Rom I-VO Rz. 50 ff.; Renner/Kindt in Calliess/Renner, Art. 14 Rome I Rz. 59 ff.

272 | Martiny

M. Gesetzlicher Forderungsübergang (Art. 15 Rom I-VO) | Rz. 3.298 § 3

M. Gesetzlicher Forderungsübergang (Art. 15 Rom I-VO) Literatur: von Bar, Abtretung und Legalzession im neuen deutschen IPR, RabelsZ 53 (1989), 462; Beemelmans, Das Statut der cessio legis, der action directe und der action oblique, RabelsZ 29 (1965), 511; C. H. Behrens, Gesamtschuldnerausgleich und sonstige Regressansprüche im Europäischen Kollisionsrecht nach der Rom I-, Rom II- und EG-Unterhaltsverordnung (2013); Birk, Die Einklagung fremder Rechte (action oblique, azzione surrogatoria, acción subrogatoria) im IPR, ZZP 82 (1969), 70; Birk, Lohnfortzahlungsgesetz und Auslandsbeziehungen, DB 1973, 1551; Eichenhofer, Internationales Sozialrecht und Internationales Privatrecht (1987); Klein, Das Verhältnis der Kollisionsnormen in der VO (EG) 1408/71 zum Internationalen Arbeitsrecht in EGBGB und EVÜ (2005); Posch, Zur Anknüpfung der notwendigen Zession bei der Forderungseinlösung gem. § 1422 ABGB, IPRax 1986, 188; Schack, Subrogation und Prozessstandschaft, Ermittlung ausländischen Rechts im einstweiligen Verfügungsverfahren, IPRax 1995, 158; Stoll, Rechtskollisionen bei Schuldnermehrheit in FS Müller-Freienfels (1986), S. 631; Wandt, Zum Rückgriff im IPR, ZVglRW 86 (1987), 272.

I. Ausländisches Recht Der gesetzliche Forderungsübergang (cessio legis), bei dem ein anderer Gläubiger einrückt, ist auch anderen Rechtsordnungen bekannt (legal subrogation; subrogation légale)1. Auslöser ist meist die Zahlung einer fremden Schuld, insb. durch den Versicherer, s. §§ 116 ff. SGB X, § 86 VVG (früher § 67 VVG); vgl. zur Subrogation Art. 1252 franz. c.c., Art. 1205 italien. c.c.

3.295

II. Maßgeblichkeit des Zessionsgrundstatuts Der gesetzliche Forderungsübergang wird von Art. 15 Rom I-VO geregelt2. Hier hat eine Person („Gläubiger“) eine vertragliche Forderung gegen eine andere Person („Schuldner“) und ein Dritter ist verpflichtet, den Gläubiger zu befriedigen, oder hat ihn befriedigt. Das für die Verpflichtung des Dritten gegenüber dem Gläubiger maßgebende Recht (Zessionsgrundstatut bzw. Drittleistungsstatut) bestimmt, ob und in welchem Umfang der Dritte die Forderung des Gläubigers gegen den Schuldner nach dem für deren Beziehung maßgebenden Recht geltend machen kann.

3.296

Dies bezieht sich auf vertragliche Forderungen (contractual claims; des droits en vertu d’un contrat)3. Für den Übergang nichtvertraglicher – insb. deliktischer – Forderungen gilt Art. 19 Rom II-VO. Nunmehr wird ausdrücklich nicht nur die Verpflichtung zur Befriedigung (duty to satisfy; l’obligation de désintéresser le créancier), sondern auch die Schuldtilgung selbst, die Erfüllungswirkung, genannt.

3.297

Art. 16 Rom I-VO will Fälle erfassen, in denen die Verpflichtung des den Gläubiger befriedigenden Schuldners den Verbindlichkeiten der anderen Schuldner gegenüber gleichrangig ist. Ist die Verpflichtung des Dritten hingegen gegenüber der des (Haupt-)Schuldners subsidiär, so greift Art. 15 Rom I-VO ein4. Dies gilt etwa für die Bürgschaft (s. Rz. 16.14). Die Gleichoder Nachrangigkeit ist nach dem Statut der in Frage stehenden Verbindlichkeit (Hauptforderung) zu beurteilen5.

3.298

1 Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 9 (Stand 1.2.2021). 2 Der Vorläufer in Art. 13 EVÜ (Art. 33 Abs. 3 S. 1 EGBGB) ist seinerseits aus Art. 17 EVÜ-Entw. 1972 (dazu Siehr, AWD 1973, 569 [583]) hervorgegangen. 3 Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 67. 4 So Stoll, FS Müller-Freienfels, S. 631 (634, 656); Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 3 (Stand 1.2.2021). 5 Freitag in Rauscher, Art. 15/16 Rom I-VO Rz. 15; Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 3 (Stand 1.2.2021).

Martiny | 273

§ 3 Rz. 3.299 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

III. Subsidiäre Verpflichtungen 3.299

Für die Berechtigung des Dritten (d.h. des Neugläubigers) zur Geltendmachung der Forderung ist nach Art. 15 Rom I-VO die Rechtsordnung maßgeblich, die für die Verpflichtung des Dritten gegenüber dem alten Gläubiger maßgeblich ist (Zessionsgrundstatut bzw. Drittleistungsstatut). Ein gesetzlicher Forderungsübergang ist also dann zu beachten, wenn er vom Zessionsgrundstatut (auch Drittleistungs- oder Kausalstatut genannt) angeordnet wird1. Auf das Recht der Forderung, die von der Legalzession ergriffen wird (Forderungsstatut), kommt es insoweit nicht an.

3.300

Tilgt beispielsweise ein Versicherer die Schuld aufgrund eines Versicherungsvertrages mit dem Schuldner, so erfolgt zum Ausgleich ein gesetzlicher Forderungsübergang auf ihn nach dem Recht, dem der Versicherungsvertrag unterliegt2. Ein weiterer Anwendungsfall des gesetzlichen Forderungsübergangs ist die Zahlung des Bürgen (s. Rz. 16.14). Hier ist also die vertragliche Beziehung Gläubiger-Dritter maßgeblich3. Das Zessionsgrundstatut ist maßgeblich für die Frage, ob und in welchem Ausmaß der Dritte zur Geltendmachung der Forderung berechtigt ist4. Auch die Möglichkeit eines teilweisen gesetzlichen Forderungsübergangs bzw. einer Subrogation ist nach dem auf den Forderungsübergang anzuwendenden Recht zu beurteilen5.

3.301

Welchen Inhalt die übergegangene Forderung hat, bestimmt das Forderungsstatut, d.h. das für die Beziehung zwischen ursprünglichem Gläubiger und Schuldner geltende Recht6. Diese Rechtsordnung entscheidet beispielsweise darüber, ob dem neuen Gläubiger die Einrede der Verjährung entgegengehalten werden kann7. Der gesetzliche Forderungsübergang greift nicht in den Bestand der Forderung ein8.

3.302

Der Dritte kann gegenüber dem Gläubiger, aber auch – wie der Haftpflichtversicherer – gegenüber dem Schuldner zur Leistung verpflichtet sein9. Dritter, auf den eine Forderung übergegangen ist, kann auch ein Sozialversicherungsträger oder der Staat als Dienstherr sein10; dass der Forderungsübergang von einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift angeordnet wurde, schadet nicht11. Dies entspricht dem bisherigen Rechtszustand12.

3.303

Während bei der Forderungsabtretung über Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO Schuldnerschutzvorschriften nach dem Forderungsstatut zum Zuge kommen können, ist davon in Art. 15 Rom I1 Einsele, WM 2009, 289 (298 f.); Doehner in NK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 2. 2 BGH v. 12.2.1998 – I ZR 5/96, IPRspr. 1998 Nr. 46 = NJW 1998, 3205; Thorn in Palandt, Art. 15 Rom I-VO Rz. 4. 3 Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (276). 4 Doehner in NK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 7. – Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 67. 5 Spickhoff in BRHP, Art. 15 Rom I-VO Rz. 3.– Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 67. 6 Behrens, S. 158 ff. – Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 67. 7 Thorn in Palandt, Art. 15 Rom I-VO Rz. 5. 8 H. Keller, S. 164. 9 Wandt, ZVglRW 86 (1987), 272 (279). 10 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 17a. 11 Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 12 (Stand 1.2.2021). Vgl. von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (479 f.). 12 BGH v. 26.4.1966 – VI ZR 211/64, IPRspr. 1966/67 Nr. 31b = NJW 1966, 1620 (nach französ. Recht eingetretener Übergang der Ansprüche auf die französ. Streitkräfte); OLG Oldenburg v. 18.11.1983 – 6 U 53/83, IPRspr. 1983 Nr. 34 = NdsRpfl. 1984, 69 (Ersatzpflicht deutscher Verkehrsteilnehmer für im Bundesgebiet verletzten niederländ. Soldaten; Übergang auf niederländ. Staat).

274 | Martiny

M. Gesetzlicher Forderungsübergang (Art. 15 Rom I-VO) | Rz. 3.304 § 3

VO nicht ausdrücklich die Rede. Früher hatte man im Allgemeinen die Übertragbarkeit der Forderung und den Schuldnerschutz (Bestimmungen wie § 407 BGB, Erforderlichkeit einer Anzeige an den Schuldner) nach dem Forderungsstatut beurteilt1. Nach geltendem Recht kann man sich darauf stützen, dass die Forderung nach dem für die Beziehung von Gläubiger und Schuldner geltenden Recht geltend zu machen ist. Im Übrigen kommt eine (Teil-)Analogie zu Art. 14 Abs. 2 Rom I-VO in Betracht. Der Wortlaut des Art. 15 Rom I-VO, der die Berechtigung des Dritten in den Vordergrund stellt, steht jedenfalls einer Berücksichtigung des Schuldnerschutzes nach dem Forderungsstatut nicht entgegen2. Auch die Übertragbarkeit der Forderung ist eine Frage des Forderungsstatuts3. Nach a.A. kann auch das Zessionsgrundstatut eine Forderung verfügbar machen4. - EU-Regelung für die Soziale Sicherheit Für den Forderungsübergang im Zusammenhang mit Leistungen der Sozialen Sicherheit gilt innerhalb der EU die Sonderregelung in Art. 85 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit5. Art. 85 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 Ansprüche der Träger (1) Werden nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Leistungen für den Schaden gewährt, der sich aus einem im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eingetretenen Ereignis ergibt, so gilt für etwaige Ansprüche des verpflichteten Trägers gegen einen zum Schadenersatz verpflichteten Dritten folgende Regelung: a) Sind die Ansprüche, die der Leistungsempfänger gegen den Dritten hat, nach den für den verpflichteten Träger geltenden Rechtsvorschriften auf diesen Träger übergegangen, so erkennt jeder Mitgliedstaat diesen Übergang an; b) hat der verpflichtete Träger gegen den Dritten einen unmittelbaren Anspruch, so erkennt jeder Mitgliedstaat diesen Anspruch an. (2) Werden nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats Leistungen für einen Schaden gewährt, der sich aus einem im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eingetretenen Ereignis ergibt, so gelten gegenüber der betreffenden Person oder dem zuständigen Träger die Bestimmungen dieser Rechtsvorschriften, in denen festgelegt ist, in welchen Fällen die Arbeitgeber oder die von ihnen beschäftigten Arbeitnehmer von der Haftung befreit sind. Abs. 1 gilt auch für etwaige Ansprüche des verpflichteten Trägers gegenüber einem Arbeitgeber oder den von diesem beschäftigten Arbeitnehmern, wenn deren Haftung nicht ausgeschlossen ist. (3) ...

1 Vgl. Beemelmans, RabelsZ 29 (1965), 511 ff.; Kegel/Schurig, S. 758 f.; IPG 1965/66 Nr. 7 (Hamburg). Auch Art. 17 Abs. 2 EVÜ-Entw. 1972 hatte die Übertragbarkeit sowie die Rechte und Pflichten des Schuldners dem Forderungsstatut überlassen. 2 So auch von Hoffmann in Hadding/Schneider, S. 3 (21 f.); Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom IVO Rz. 17 (Stand 1.2.2021). 3 Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 21 (Stand 1.2.2021); Stürner in Erman, Art. 15 Rom I-VO Rz. 6. 4 Freitag in Rauscher, Art. 15/16 Rom I-VO Rz. 24 ff. – Vgl. von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (478 f.). 5 ABl. EU 2004 Nr. L 166, S. 1, ber. ABl. EU Nr. L 2004, S. 1 und ABl. EU 2007 Nr. L 204, S. 30.

Martiny | 275

3.304

§ 3 Rz. 3.305 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

3.305

Art. 85 Koordinierungs-VO ist unmittelbar geltendes Unionsrecht1. Die Vorschrift geht nach Art. 23 Rom I-VO den allgemeinen internationalvertragsrechtlichen Regeln, aber auch dem nationalen IPR vor2. Sie regelt Fälle, in denen ein Träger Leistungen für einen Schaden (Invalidität, Tod) gewährt hat, der sich aus einem in einem anderen EU-Staat eingetretenen Ereignis (z.B. Arbeits- oder Verkehrsunfall) ergibt. Die Vorschrift erfasst nicht nur Arbeitnehmer und Selbständige, sondern auch Beamte und ihnen gleichgestellte Beschäftigte (Art. 2 Abs. 2 Koordinierungs-VO). Allerdings ist die Anwendung auf Sondersysteme für Beamte und ihnen gleichgestellte Beschäftigte ausgeschlossen3. Der sachliche Anwendungsbereich beschränkt sich im Übrigen auf die in Art. 4 Koordinierungs-VO näher umschriebenen Leistungen der Sozialen Sicherheit.

3.306

Art. 85 Koordinierungs-VO gestattet dem leistenden Träger, gegen Dritte (Schädiger) vorzugehen. Sind Schadensersatzansprüche des Leistungsempfängers gegen den Dritten auf den Träger übergegangen, so richtet sich der Übergang nach dem sog. Sozialrechtsstatut, d.h. dem Recht des Trägers (z.B. französischem Sozialversicherungsrecht)4. Auch hier gilt mithin die das Verhältnis zwischen Gläubiger und leistendem Träger regelnde Rechtsordnung, also das Zessionsgrundstatut5. Ein solcher Übergang ist in allen EU-Staaten anzuerkennen (Art. 85 Abs. 1 Koordinierungs-VO)6. Der Schädiger und sein Versicherer können sich aber nicht darauf berufen, ein Regress sei nach dem auf den Schadensersatzanspruch anwendbaren Recht (Forderungsstatut) ausgeschlossen oder beschränkt7. Ebenso ist es, wenn dem Träger Direktansprüche gegen den Dritten zustehen. Art. 85 Abs. 2 Koordinierungs-VO lässt dieses Recht auch über Haftungsbefreiungen entscheiden8. Der Schadensersatzanspruch selbst unterliegt seinem eigenen Recht, z.B. dem Deliktsstatut9. Der Forderungsübergang kann daher nur die entstandenen Schadensersatzansprüche erfassen, führt also zu keinem Mehr an Ansprüchen10.

1 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 20; Junker in MünchKomm, Art. 19 Rom II-VO Rz. 19 ff. m.w.N. – Ebenso zum früheren Art. 93 VO Nr. 1408/71 BGH v. 7.11.2006 – VI ZR 211/ 05, NJW 2007, 1754; BGH v. 15.7.2008 – VI ZR 105/07, BGHZ 177, 237 = NJW 2009, 916. 2 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 20. 3 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 20. – Vgl. BGH NJW 1966, 1620 = IPRspr. 1966–67 Nr. 31 (zu Art. 52 EWG-VO Nr. 3). 4 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 20 ff. 5 EuGH v. 2.6.1994 – C-428/92, ECLI:EU:C:1994:222 (DAK/Lærerstandens Brandforsikring), Slg. 1994, I-2259 = JZ 1994, 1113 Anm. Fuchs (dän. Regressbeschränkung; zu § 116 SGB X); Kegel/ Schurig, § 18 VII 2; IPG 1978 Nr. 7 (Köln); IPG 1979 Nr. 14 (Köln). 6 Zum Rückgriff des Krankenversicherungsträgers nach belg. Recht IPG 2000/2001 Nr. 40 (Köln). 7 S. EuGH v. 2.6.1994 – C-428/92, ECLI:EU:C:1994:222 (DAK/Lærerstandens Brandforsikring), Slg. 1994, I-2259 = JZ 1994, 1113. 8 BGH v. 7.11.2006 – VI ZR 211/05, NJW 2007, 1754 (Österreich); BGH v. 15.7.2008 – VI ZR 105/ 07, BGHZ 177, 237 = MDR 2008, 1210 = VersR 2008, 1358 (Niederlande). – Zu § 4 LFZG s. LG München I v. 10.4.1981 – 9 O 3473/78, IPRspr. 1981 Nr. 32 = IPRax 1982, 78 (LS) Anm. Jayme; Birk, DB 1973, 1554 f. 9 von Hoffmann in Soergel, Art. 33 EGBGB Rz. 25. – Anders Eichenhofer, Internationales Sozialrecht, 1987, S. 201. 10 Hübner in BeckOGK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 27 (Stand 1.2.2021). – So zu Art. 52 EWG-VO Nr. 3 BGH v. 10.11.1977 – III ZR 79/75, IPRspr. 1977 Nr. 29 = VersR 1978, 231 (in BGHZ 70, 7 nicht abgedruckt).

276 | Martiny

N. Mehrfache Haftung (Art. 16 Rom I-VO) | Rz. 3.309 § 3

IV. Ablösungsrecht eines Dritten In bestimmten Fällen eines drohenden Rechtsverlustes ist ein Dritter berechtigt, anstelle des Schuldners den Gläubiger zu befriedigen (§ 268 BGB). Als Folge seiner Drittleistung kommt es zu einem gesetzlichen Forderungsübergang. Ähnliche Befugnisse bestehen auch nach ausländischem Recht wie die Einlösung mit nachfolgendem gesetzlichem Forderungsübergang gem. Art. 110 OR1 und die eine Mittelstellung einnehmende notwendige Zession nach § 1422 ABGB2. Solche Fälle werden nicht von Art. 15 Rom I-VO erfasst3. Hier besteht keine besondere Beziehung zwischen dem ablösenden Dritten und dem Altgläubiger, an die angeknüpft werden könnte. Folglich untersteht die Legalzession allein dem Recht, welchem die erfüllte Forderung unterliegt4. Sieht das Forderungsstatut keine Legalzession vor, so kann für den Rückgriff des Drittleistenden gegen den Schuldner das Recht herangezogen werden, welches für ihre Beziehungen gilt5.

3.307

N. Mehrfache Haftung (Art. 16 Rom I-VO) Literatur: C.H. Behrens, Gesamtschuldnerausgleich und sonstige Regressansprüche im Europäischen Kollisionsrecht nach der Rom I-, Rom II- und EG-Unterhaltsverordnung (2013); Kühn, Die gestörte Gesamtschuld im Internationalen Privatrecht (2014); Magnus, Aufrechnung und Gesamtschuldnerausgleich in Ferrari/Leible, Ein neues Internationales Vertragsrecht (2007), S. 201; S. Meier, Schuldnermehrheiten im europäischen Vertragsrecht, AcP 211 (2011), 435; Stoll, Rechtskollisionen bei Schuldnermehrheit in FS Müller-Freienfels (1986), S. 631.

Verschiedentlich haften mehrere Personen für dieselbe Forderung zusammen als Schuldner (Schuldnermehrheit)6. Begleicht eine von ihnen die Schuld, so rückt sie kraft Gesetzes in die Gläubigerstellung ein (vgl. § 426 Abs. 2 BGB für den Gesamtschuldner). International-privatrechtlich ist dann zu entscheiden, nach welcher Rechtsordnung ein Übergang der Forderung stattfindet bzw. eine Berechtigung des Zahlenden entsteht und wie der Ausgleich unter den Schuldnern durchzuführen ist.

3.308

Art. 16 S. 1 Rom I-VO stellt klar, dass sich der Forderungsübergang ebenfalls nach dem Statut richtet, das für die Verpflichtung des in Anspruch Genommenen gegenüber dem Gläubiger maßgeblich ist7. Häufig kann offen bleiben, ob ein Forderungsübergang nach Art. 15 oder Art. 16 Rom I-VO erfolgt. Art. 16 Rom I-VO verlangt, dass mehrere Personen „dieselbe“ For-

3.309

1 Sie folgt nach schweiz. Auffassung dem Recht, dem die zu tilgende Forderung unterliegt (Art. 146 Abs. 1 Halbs. 2 IPRG). S. Dasser in Basler Komm, Art. 146 IPRG Rz. 10. 2 S. Posch, Zur Anknüpfung der notwendigen Zession bei der Forderungseinlösung gem. § 1422 ABGB, IPRax 1986, 188 ff. Zu weiteren Fällen, in denen keine Verpflichtung zur Tilgung, sondern nur ein Interesse daran besteht (Art. 1346 n.F. [früher 1251 Nr. 1, 4] franz. c.c.; Art. 1203-3 italien. c.c.), s. Gaudemet-Tallon, Rev.trim.dr.europ. 17 (1981), 215 (276 f.). 3 Behrens, S. 147; Doehner in NK, Art. 15 Rom I-VO Rz. 2. 4 Hausmann in Staudinger, Art. 15 Rom I Rz. 19. – Ebenso zum alten Recht Wandt, ZVglRW 86 (1987), 272 (301); von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (482 f.). Nach a.A. entscheidet die Rechtsordnung, welche den Dritten zur freiwilligen Leistung veranlasst (Recht der betreffenden Sicherheit), Freitag in Rauscher, Art. 15/16 Rom I-VO Rz. 37. 5 Vgl. von Bar, RabelsZ 53 (1989), 462 (483). 6 Dazu auch Art. 11.1.1 ff. UNIDROIT-Principles 2016. 7 Ebenso Art. 20 Rom II-VO. – Art. 13 Abs. 2 S. 2 EVÜ bzw. Art. 33 Abs. 3 S. 2 EGBGB verwies lediglich auf die allgemeine Regelung der Legalzession.

Martiny | 277

§ 3 Rz. 3.309 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

derung (the same claim; la même obligation) zu erfüllen haben. Damit ist wohl nicht gemeint, dass die verschiedenen Schuldner aus demselben Rechtsgrund haften müssen1.

3.310

Unterliegen die Verpflichtungen aller Schuldner der gleichen Rechtsordnung, so ist regelmäßig das Innenverhältnis der Schuldner dem gleichen Recht zu unterwerfen wie das Außenverhältnis zum Gläubiger. Der Rückgriff des leistenden Schuldners gegen einen Mitschuldner unterliegt daher dem Schuldstatut des Leistenden2. Er kann einen Teil der ihm von dieser Rechtsordnung auferlegten Bürde regressweise nach der gleichen Rechtsordnung wieder abwälzen. Bislang machte man eine Ausnahme, wenn die Mitschuldner durch ein besonderes Rechtsverhältnis (insbesondere eine vertragliche Beziehung wie Auftrag oder Dienstvertrag) miteinander verbunden waren. Dann soll sich der Forderungsübergang nach dem für dieses Rechtsverhältnis maßgeblichen Recht richten3. Hier besteht nämlich eine engere Beziehung zu dem Rechtsverhältnis unter den Schuldnern als zu der getilgten Forderung. Daher ist der Forderungsübergang in diesen Zusammenhang einzuordnen. Art. 16 Rom I-VO enthält allerdings keine solche Ausnahme, so dass ungeklärt ist, ob eine Abweichung möglich ist.

3.311

Gelten für die Verpflichtungen der Schuldner verschiedene Rechte, so ist Art. 16 Rom I-VO gleichwohl anwendbar4. Welche Einwendungen die anderen Schuldner erheben können, ist nunmehr in Art. 16 S. 2 Rom I-VO ausdrücklich geregelt5. Sie dürfen bei der sog. gestörten Gesamtschuld dem Regress nehmenden Schuldner diejenigen Verteidigungsmittel (defences; les droits) entgegenhalten, die ihnen gegenüber dem Gläubiger zugestanden haben6. Dazu gehört etwa eine Aufrechnung7. Voraussetzung ist, dass dies gemäß dem auf ihre Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger anzuwendenden Recht zulässig (to the extent allowed; dans la mesure prévue par la loi) wäre. Die Geltendmachung erfolgt durch eine Einrede8.

O. Schuld- und Vertragsübernahme Literatur: von Bar, Kollisionsrechtliches zum Schuldbeitritt und zum Schuldnerwechsel, IPRax 1991, 197; Baum, Schuldübernahme in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts II (2009), S. 1377; Braun, Der Schuldbeitritt zu Sicherungszwecken nach türkischem und deutschem Recht (2014); Girsberger, Übernahme und Übergang von Schulden im schweizerischen und deutschen IPR, ZVglRW 88 (1989), 31; Juhász, Die Vertragsübernahme im neuen ungarischen Bürgerlichen Gesetzbuch, Jb. OstR 2017, 43; Selke, Die Anknüpfung der rechtsgeschäftlichen Vertragsübernahme, IPRax 2013, 205; Siedel, Kollisionsrechtliche Anknüpfung vertraglicher und gesetzlicher Schuldübernahme (1995); Weller, Persönliche Sicherheiten, in Kronke/Melis/Kuhn, Handbuch Internationales Wirtschaftsrechts, 2. Aufl. 2017, S. 1054; Zweigert, Das Statut der Vertragsübernahme, RabelsZ 23 (1958), 643. 1 Zum EVÜ Stoll, FS Müller-Freienfels (1986), S. 631 (633). 2 Behrens, S. 172 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 16 Rom I Rz. 8 (für selbständige Ausgleichsansprüche); Hübner in BeckOGK, Art. 16 Rom I-VO Rz. 27 (Stand 1.2.2021); Thorn in Palandt, Art. 16 Rom I-VO Rz. 4. 3 Stoll, FS Müller-Freienfels, S. 631 (643); vgl. auch Meyer, Der Regress im Internationalen Privatrecht (Zürich 1982), S. 31, 58. 4 Garcimartín Alférez, EuLF 2008, I-61 (78 f.). 5 Die Parallelvorschrift des Art. 20 Rom II-VO enthält keinen solchen Zusatz. 6 Hausmann in Staudinger, Art. 16 Rom I Rz. 9. – Vgl. Mankowski, IPRax 2006, 101 (111). 7 Lagarde, Rev.crit.d.i.p. 95 (2006), 331 (346); Hausmann in Staudinger, Art. 16 Rom I Rz. 9. 8 Magnus in Ferrari/Leible, S. 201 (221); Mankowski, IHR 2008, 133 (151); Hausmann in Staudinger, Art. 16 Rom I Rz. 9.

278 | Martiny

O. Schuld- und Vertragsübernahme | Rz. 3.315 § 3

I. Schuldübernahme Die Rom I-VO hat die Schuldübernahme (transfer of obligations; cession de dettes) ebenso wie das EVÜ ungeregelt gelassen1, so dass es an einer speziellen Kollisionsnorm fehlt. Daher ist eine Lösung im Einklang mit den Art. 3 ff. Rom I-VO zu entwickeln.

3.312

Infolge der Schuldübernahme tritt ein Schuldnerwechsel oder lediglich ein Schuldbeitritt ein. Durch eine solche Schuldübernahme ändert sich das Statut der übernommenen Schuld nicht2. Dagegen kann die Schuldübernahme selbst einem anderen Recht als dem des ursprünglichen Vertrages unterliegen. Ihr Statut entscheidet, ob sie kausal oder abstrakt ist3. Das einer Schuldübernahme zugrunde liegende Geschäft folgt seinem eigenen Recht4.

3.313

Besondere Anknüpfungsprobleme wirft der Direktanspruch des Subunternehmers gegen den Auftraggeber auf, wie er vom französischen Recht (action directe) gewährt wird5. Zwar wird der Direktanspruch z.T. als Recht sui generis qualifiziert, doch ist von einer Beurteilung nach der Rom I-VO auszugehen6. Grundlage des Anspruchs ist der Subunternehmervertrag selbst. Möglich wäre, allein auf das Vertragsverhältnis zwischen General-/Hauptunternehmer und Subunternehmer abzustellen und letzterem stets einen Anspruch zu geben, wenn das für seinen Vertrag maßgebliche Recht ihn gewährt7. Man kann aber nicht allein auf den Subunternehmervertrag abstellen, da der Auftraggeber an ihm nicht beteiligt ist und er andernfalls mit einem für ihn fremden Recht konfrontiert werden könnte. Eine weitere Lösung besteht darin, das für den Hauptvertrag geltende Recht, das Generalunternehmervertragsstatut, entscheiden zu lassen8. Zwar könnte dann ein Dritter, der Subunternehmer, berechtigt sein, aber doch nach einem Recht, das auch sonst für die Verpflichtungen des Auftraggebers gilt und ihn nicht überraschen kann. Vertreten wird aber auch eine Einschränkung. Daher kommt ein Direktanspruch nur dann in Betracht, wenn ihn das Statut des Subunternehmervertrages gewährt, aber auch das für den Hauptvertrag maßgebliche Recht einen solchen Anspruch kennt9.

3.314

1. Privative Schuldübernahme a) Befreiung Durch die privative Schuldübernahme tritt ein neuer Schuldner (Übernehmer) an die Stelle des Altschuldners, der dadurch befreit wird (so z.B. Art. 1327-2 franz. c.c.). Nach deutschem 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Hausmann in Staudinger, Art. 16 Anh. Rom I Rz. 1. – Zum EVÜ Bericht Giuliano/Lagarde, S. 68. von Bar, IPRax 1991, 197 (199 f.); Stürner in Erman, Art. 14 Rom I-VO Rz. 11. Kegel/Schurig, S. 761. Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I-VO Rz. 7. Zum französ. Gesetz v. 31.12.1975 s. Pulkowski, Subunternehmer und internationales Privatrecht – der Subunternehmer als Quasi-Verbraucher im europäischen Kollisionsrecht (2004), S. 87 ff.; Hök, Handbuch des internationalen und ausländischen Baurechts, 2. Aufl. 2012, § 36 II Rz. 94 ff. Piroddi, International Subcontracting in EC Private International Law, Yb. PIL 7 (2005), 289 ff.; Pulkowski, Subunternehmer und internationales Privatrecht (2004), S. 189 ff. So, aber vorbehaltlich Zulassung nach der lex fori Piroddi, Yb. PIL 7 (2005), 289 (322). – S. auch Martiny, FS Magnus, S. 483 (496 f.). Pulkowski, Subunternehmer und internationales Privatrecht (2004), S. 229 ff. (321 f.). – Offenbar für eine akzessorische Anknüpfung des Subunternehmeranspruchs, wenn das Recht des Hauptvertrages (ebenfalls) zu einem Anspruch führt, Piroddi, Yb. PIL 7 (2005), 316 ff. Jayme, Subunternehmervertrag und Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ), FS Pleyer (1986), S. 371 (378). S. auch die Diskussion in Hök, Handbuch des internationalen und ausländischen Baurechts, 2. Aufl. 2012, § 14 II Rz. 7 ff.

Martiny | 279

3.315

§ 3 Rz. 3.315 | Geltungsbereich des Vertragsstatuts

Recht kann sie extern durch Vertrag zwischen Gläubiger und Übernehmer (§ 414 BGB) oder intern zwischen Altschuldner und Übernehmer (§ 415 BGB) erfolgen.

3.316

In beiden Fällen entscheidet das Statut der übernommenen Schuld darüber, ob der Altschuldner durch das Übernahmegeschäft frei wird, ob es dazu einer Genehmigung des Gläubigers bedarf und was der Neuschuldner an den Gläubiger zu leisten hat1. Insoweit ist die privative Schuldübernahme auch international-privatrechtlich passives Gegenstück der Abtretung2. b) Altschuldner und Übernehmer

3.317

Soweit es bei der internen Schuldübernahme um das Verhältnis zwischen Alt- und Neuschuldner geht, also insbesondere um die Verpflichtung des Neuschuldners, die Schuld zu begleichen, ist grundsätzlich selbständig an das Statut des Vertrages anzuknüpfen, aufgrund dessen die Schuldübernahme erfolgt3. Besteht kein Zusammenhang damit, so gilt mangels Rechtswahl das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. der Niederlassung des Neuschuldners4. Die Verpflichtung des eintretenden Neuschuldners ist die den Vertrag prägende typische Leistung. c) Gläubiger und Übernehmer

3.318

Die externe Schuldübernahme zwischen Gläubiger und Neuschuldner untersteht wegen der neuen selbständigen Verpflichtung grundsätzlich ihrem eigenen Vertragsstatut5. Daher ist mangels Rechtswahl grundsätzlich das Recht des Ortes der Niederlassung des Übernehmers maßgeblich6. Möglich ist aber auch, dass im Einzelfall eine so enge Beziehung zur übernommenen Schuld besteht, dass deren Statut gilt. Nach anderen unterliegt die externe Schuldübernahme grundsätzlich dem Statut der übernommenen Schuld7.

2. Schuldbeitritt 3.319

Durch eine kumulative Schuldübernahme (Schuldbeitritt) tritt dem bestehenden Schuldverhältnis ein neuer Schuldner bei, der eine selbständige Verpflichtung übernimmt. Rechtswahl ist zulässig8. Die Verpflichtung des Altschuldners richtet sich weiterhin nach dem bisherigen Schuldstatut9. Da die Verpflichtung des Beitretenden eine Art vertragliche Garantie durch ein1 LG Hamburg v. 26.9.1990 – 5 O 543/88, IPRspr. 1990 Nr. 42 = IPRax 1991, 400 (Anm. Reinhart, IPRax 1991, 376). In diesem Sinne auch Stürner in Erman, Art. 14 Rom I-VO Rz. 12; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom I-VO Rz. 7. 2 S. bereits RG v. 13.6.1932 – IV 111/32, JW 1932, 3810 (3811) („In der Tat unterliegt die Schuldübernahme als Schuldnerwechsel demjenigen Recht, das für die Schuld selbst maßgebend ist.“). 3 Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO Rz. 13. – Zum EVÜ Girsberger, ZVglRW 88 (1989), 31 (38); Möllenhoff, Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Dritter (1993), S. 96. 4 von Bar, IPRax 1991, 197 (199 f.); Leible in NK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 29. 5 Girsberger, ZVglRW 88 (1989), 31 (36 f.); Möllenhoff, Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Dritter (1993), S. 91; Vischer/Huber/Oser, Rz. 1081. 6 Leible in NK, Art. 14 Rom I-VO Rz. 29. 7 Vgl. von Bar, IPRax 1991, 197 (199). 8 OLG Koblenz v. 10.10.1991 – 5 U 795/90, IPRspr. 1991 Nr. 44 = RIW 1992, 491; OLG Köln v. 21.3.1997 – 19 U 180/96, IPRspr. 1997 Nr. 36 = RIW 1998, 148 (niederländ. Ehegatte; vgl. dazu Martiny, ZEuP 1999, 246 [254]); von Bar, IPRax 1991, 197 (198); Möllenhoff, Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Dritter (1993), S. 97 f. 9 Weller in Kronke/Melis/Kuhn, Rz. H 696.

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O. Schuld- und Vertragsübernahme | Rz. 3.322 § 3

seitig verpflichtenden Vertrag darstellt, ist für die objektive Anknüpfung (entsprechend Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO) maßgeblich das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts bzw. der Niederlassung des beitretenden Schuldners1. Doch kann hier wegen eines engen Zusammenhanges im Einzelfall das Statut der übernommenen Schuld auch für den Übernahmevertrag gelten (entsprechend Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO)2.

II. Vertragsübernahme Die rechtsgeschäftliche Vertragsübernahme bzw. Abtretung des Vertrages (assignment of contract; cession des contrat), bei der ein Dritter vollständig in die Stellung einer Vertragspartei einrückt, ist in einigen Ländern gesetzlich geregelt3. Sie ist kollisionsrechtlich grundsätzlich nicht in Abtretung und privative Schuldübernahme aufzuspalten, sondern einheitlich anzuknüpfen4. Fehlt es an einer Rechtswahl (die wie immer möglich ist)5, so folgt sie dem Recht, das für den übernommenen Vertrag gilt6. Diese Rechtsordnung entscheidet, ob eine Vertragsübernahme überhaupt möglich und wirksam ist.

3.320

Das meist zugrunde liegende Kausalgeschäft ist dagegen selbständig nach den Regeln über Schuldverträge anzuknüpfen. Ob überhaupt ein wirksames Kausalgeschäft vorliegen muss, entscheidet jedoch das Statut des Übernahmevertrages. Kennt die Rechtsordnung, welcher der zu übertragende Vertrag unterliegt, das Institut der Vertragsübernahme nicht, so bleibt es bei einer Anknüpfung an die übernommene Schuld; die Lösung ist dem Sachrecht zu überlassen7. Auch der gesetzliche Vertragsübergang unterliegt grundsätzlich dem Recht des übernommenen Vertrages8. Dafür spricht das Vertrauen in das Vertragsstatut.

3.321

Durch die Vertragsübernahme ändert sich das Schuldstatut des übernommenen Vertrages nicht9. Ob die Vertragsübernahme Wirkungen auf den übernommenen Vertrag hat, unterliegt dessen Statut. Zur Vertragsübernahme im Arbeitsrecht s. Rz. 11.141.

3.322

1 BGH v. 11.11.2010 – VII ZR 44/10, ZIP 2011, 338 = NJW-RR 2011, 130 = IPRspr. 2010 Nr. 44; OLG München v. 18.1.2018 – 23 U 57/17, NJOZ 2018, 1390; Weller in Kronke/Melis/Kuhn, Rz. H 698; Hausmann in Staudinger, Art. 16 Anh. Rom I Rz. 3a. 2 OLG Rostock v. 27.11.1996 – 6 U 113/96, IPRspr. 1996 Nr. 161 = TranspR 1997, 113 (Ablader beim Seetransport); Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO Rz. 13. 3 S. Art. 1216–1216-3 franz. c.c. (dazu Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 [53]), Art. 1406–1410 italien. c. c., Art. 6.2.3.14 niederländ. B.W. S. auch Art. 9.3.1 ff. UNIDROIT-Principles 2016. 4 Eine gesetzliche Regelung fehlt, Selke, IPRax 2013, 205 (211). 5 S. von Bar, IPRax 1991, 197 (200). 6 S. von Bar, IPRax 1991, 197 (200); Kegel/Schurig, S. 761 f.; Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO Rz. 15; Stürner in Erman, Art. 14 Rom I-VO Rz. 13. 7 von Hoffmann in Soergel, Art. 33 EGBGB Rz. 47. Ebenso Vischer/Huber/Oser, Rz. 1090; Dasser in Basler Komm, Erg. zu Art. 146 IPRG Rz. 17. 8 LAG Köln v. 6.4.1992 – 3 Sa 824/91, IPRspr. 1992 Nr. 69a = RIW 1992, 933; von Bar, IPRax 1991, 197 (200 f.); Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom I-VO Rz. 15. 9 Selke, IPRax 2013, 205 (210).

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§4 Außervertragliche Schuldverhältnisse und Verschulden bei Vertragsverhandlungen A. Anknüpfung der außervertraglichen Schuldverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 B. Rechtswahl (Art. 14 Rom II-VO) . . . 4.5 I. Zulässigkeit und Voraussetzungen der Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 II. Inlands- und Binnenmarktsachverhalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.9 III. Rechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.11 C. Objektive Anknüpfung . . . . . . . . . . . 4.12 I. Gemeinsame Grundsätze . . . . . . . . . . 4.12 1. Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.12 2. Akzessorische Anknüpfung . . . . . 4.13 3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 12 Abs. 2 lit. b Rom IIVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.15 4. Offensichtlich engere Verbindung (Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO) . . 4.16 II. Ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 10 Rom II-VO) . . . . . . . . . . . . . 4.17 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.17 2. Akzessorische Anknüpfung . . . . . 4.19 3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.22 4. Objektive Anknüpfung der ungerechtfertigten Bereicherung . . . . . 4.23 5. Mehrpersonenverhältnisse . . . . . . 4.24 6. Engere Verbindung . . . . . . . . . . . . 4.32

III. Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11 Rom II-VO) . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Akzessorische Anknüpfung . . . . . 3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ort der Geschäftsführung . . . . . . 5. Engere Verbindung . . . . . . . . . . . IV. Verschulden bei Vertragsverhandlungen (Art. 12 Rom II-VO) . . . . . . . . . . 1. Einordnung als außervertragliches Schuldverhältnis . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . 3. Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anknüpfung nach Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO . . . . . . . . D. Reichweite des für außervertragliche Schuldverhältnisse maßgeblichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Geltungsbereich des anzuwendenden Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Gesetzlicher Forderungsübergang und mehrfache Haftung . . . . . . . . . .

4.33 4.33 4.34 4.36 4.37 4.38 4.39 4.39 4.40 4.46 4.46 4.49 4.53 4.53 4.55 4.56 4.57 4.58

Allgemeine Literatur: Brière, Le règlement (CE) no. 864/2007 du 11 juillet 2007 sur la loi applicable aux obligations non contractuelles („Rome II“), Clunet 135 (2008), 31; DiMatteo/Janssen/Magnus/ Schulze (Hrsg.), International Sales Law, 2. Aufl. 2021; Dutta, Das Statut der Haftung aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte, IPRax 2009, 293; Freitag, Rom I, Rom II – tertium est datur im Kollisionsrecht der Schuldverhältnisse!, FS Spellenberg (2010), S. 169; Guinchard (Hrsg.), Rome I and Rome II in practice (Cambridge 2020); Heiss/Loacker, Die Vergemeinschaftung des Kollisionsrechts der außervertraglichen Schuldverhältnisse durch Rom I, JBl. 2007, 613; N. Hoffmann, Die Koordination des Vertrags- und Deliktsrechts in Europa (2006); Jacobs, Die Notwendigkeit der Wahl des auf außervertragliche Ansprüche anwendbaren Rechts in internationalen Wirtschaftsverträgen, IPRax 2015, 293; Kadner Graziano, Das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht nach Inkrafttreten der Rom II-Verordnung, RabelsZ 73 (2009), 1; Knieper, Die Abgrenzung der außer-vertraglichen

282 | Martiny

Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c. | § 4 von den vertraglichen Schuldverhältnissen, WiRO 2017, 225; B. A. Koch, Rechtswahl im Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse in Czernich/Geimer (Hrsg.), Handbuch der Streitbeilegungsklauseln im Internationalen Vertragsrecht (2017), S. 151; Leible, Der Beitrag der Rom II-Verordnung zu einer Kodifikation der allgemeinen Grundsätze des Europäischen Kollisionsrechts in Reichelt (Hrsg.), Europäisches Gemeinschaftsrecht und IPR (Wien 2007), S. 31; Leible, Rechtswahl im IPR der außervertraglichen Schuldverhältnisse nach der Rom II-Verordnung, RIW 2008, 257; Leible/Lehmann, Die neue EG-Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), RIW 2007, 721; Martiny, Zur Einordnung und Anknüpfung der Ansprüche und der Haftung Dritter im Internationalen Schuldrecht, FS Magnus (2014), S. 483; Ostendorf, (Kollisionsrechtliche) Stolpersteine bei Haftungsansprüchen gegen deutsche Unternehmen für Menschenrechtsverletzungen ihrer ausländischen Zulieferer, IPRax 2019, 297; Rieländer, Zur Qualifikation außervertraglicher Ansprüche zwischen Vertragsparteien im europäischen IZVR und IPR, RIW 2021,103; Späth, Die gewerbliche Erbensuche im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr (2008); Vogeler, Die freie Rechtswahl im Kollisionsrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse (2013); Vorpeil, Rechtswahlklauseln bei internationalen Verträgen, IWB 2020, 438; G. Wagner, Die neue Rom II-Verordnung, IPRax 2008, 1. Literatur zur ungerechtfertigten Bereicherung: Internationales Privatrecht: T. Behrens, Bereicherungsrechtliche Mehrpersonenverhältnisse im Internationalen Privatrecht (2011); Busse, Internationales Bereicherungsrecht (1998); Busse, Die geplante Kodifikation des Internationalen Bereicherungsrechts, RIW 1999, 16; Chong, Choice of law for unjust enrichment/restitution and the Rome II Regulation, I.C.L.Q. 57 (2008), 863; Einsele, Das Kollisionsrecht der ungerechtfertigten Bereicherung, JZ 1993, 1025; G. Fischer, Ungerechtfertigte Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag im europäischen Internationalen Privatrecht, FS Spellenberg (2010) S. 151; Hay, Ungerechtfertigte Bereicherung im IPR (1978); Jayme, Grenzüberschreitende Banküberweisungen und Bereicherungsausgleich nach der IPR-Novelle von 1999, FS W. Lorenz ´80 (2001), S. 315; W. 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Meier, Bereicherungsanspruch, Dreipersonenverhältnis und Wegfall der Bereicherung im englischen Recht, ZEuP 1993, 365; S. Meier, Bereicherungsrechtliche Abwicklung nichtiger Verträge in England, ZEuP 1998, 716; Meier, Bereicherungsrecht in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 182; Rademacher, Verkehrsschutz im englischen Privatrecht : Zur Beständigkeit von Erwerbsvorgängen nach englischem Sachen-, Stellvertretungs-, Abtretungs- und Bereicherungsrecht (2016); Ranieri, Europäisches Obligationenrecht, 3. Aufl. (Wien 2009); Riesenhuber, Englisches Restitutionsrecht „in einer Nussschale“, Jura 2002, 657; Schlechtriem, Restitution und Bereicherungsaus-

Martiny | 283

§ 4 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c. gleich in Europa I (2000), II (2001); Schlechtriem, Unjust enrichment by interference with property rights, Int.Encycl.Comp.L. ch. 10: Restitution – unjust enrichment and negotiorum gestio (2007); Schlechtriem/Coen/Hornung, Restitution and Unjust Enrichment in Europe, Eur.Rev.Priv.L. 2001, 377; Swadling (Hrsg.), The Limits of Restitutionary Claims: A Comparative Analysis (London 1997). Literatur zur Geschäftsführung ohne Auftrag: G. Fischer, Ungerechtfertigte Bereicherung und Geschäftsführung ohne Auftrag im europäischen Internationalen Privatrecht, FS Spellenberg (2010), S. 151; Jansen, Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio) in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 707; Looschelders, Die Rechtsstellung des gewerblichen Erbensuchers im deutsch-österreichischen Rechtsverkehr, IPRax 2014, 406; Nehne, Die Internationale Geschäftsführung ohne Auftrag nach der Rom II-Verordnung, IPRax 2012, 136; Rademacher, Die Geschäftsführung ohne Auftrag im europäischen Privatrecht, Jura 2008, 87; Wendelstein, Das Statut der Geschäftsführung ohne Auftrag in Nothilfefällen, GPR 2014, 46. Literatur zum Verschulden bei Vertragsverhandlungen: Internationales Privatrecht: Ehrecke, Die Haftung wegen Abbruchs der Vertragsverhandlungen im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr: auf der Grundlage des deutschen, französischen, englischen und UN-Kaufrechts (2007); Ersoy, Die culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrecht (2020); G. Fischer, Culpa in contrahendo im europäischen Internationalen Privatrecht, FS Kühne (2009), S. 689; von Hein, Die Culpa in contrahendo im europäischen Privatrecht: Wechselwirkungen zwischen IPR und Sachenrecht, GPR 2007, 54; Henk, Die Haftung für culpa in contrahendo im IPR und IZVR (2007); Hocke, Der Anknüpfungsgegenstand von Art. 12 Rom II-VO, IPRax 2014, 305; Jakob/Picht, Art. 12 Rom II-VO – Die kollisionsrechtliche Beurteilung vorvertraglicher Pflichtverletzungen aus europäischer und schweizerischer Sicht, FS Schwenzer (Bern 2011), S. 869; Junker, Culpa in contrahendo im Internationalen Privat- und Prozessrecht, FS Stürner II (2013), S. 1043; Junker, Vorvertragliche Haftung im deutschen und europäischen Recht, FS Köhler (2014), S. 327; Kocher, Diskriminierende Vertragsverweigerung als vorvertragliche Pflichtverletzung – Zum internationalen Privatrecht des Diskriminierungsschutzes, FS Martiny (2014), S. 411; Kurt, Culpa in contrahendo im europäischen Kollisionsrecht der vertraglichen und außervertraglichen Schuldverhältnisse (2009); Lüttringhaus, Das internationale Privatrecht der culpa in contrahendo nach den EG-Verordnungen „Rom I“ und „Rom II“, RIW 2008, 193; Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz (2010); Mansel, Zum Kollisionsrecht der Eigenhaftung des Vertreters und des Vertragsabschlusshelfers wegen Verletzung von Informationspflichten, FS Schlosser (2005), S. 545; W.-H. Roth, Informationspflichten über das anwendbare Recht, FS Martiny (2014), S. 543; Schinkels, „Dritthaftung“ von Gutachtern in Deutschland und England im Lichte der Verordnung Rom II, JZ 2008, 272; Sprenger, Internationale Expertenhaftung (2008); Volders, Culpa in Contrahendo in the Conflict of Laws, Yb. PIL 9 (2007), 127; Wojtas, Die Haftung für culpa in contrahendo in Polen und in Deutschland : Eine Analyse im Kontext des europäischen und internationalen Privatrechts (2017). Literatur zum Verschulden bei Vertragsverhandlungen: Ausländisches Recht/Rechtsvergleichung: Alunaru (Hrsg.), Haftung aus Verschulden beim Vertragsabschluss in Zentral- und Osteuropa (Wien 2012); Czarnecki, Vertragsauslegung und Vertragsverhandlungen (2016); DiMatteo, Pre-contractual Liability in the Common Law, in DiMatteo/Jansssen/Magnus/Schulze, S. 114; Fages, Die Vertragsverhandlungen im neuen französischen Schuldrecht in Bien/Borghetti (Hrsg.), Die Reform des französischen Vertragsrechts (2016), S. 13; Fuglinszky, Precontractual liability in the Civil law, in DiMatteo/ Jansssen/Magnus/Schulze, S. 39; Gsell, Die Neuregelungen zu den Vertragsverhandlungen nach der Reform des französischen Schuldrechts in Bien/Borghetti (Hrsg.), Die Reform des französischen Vertragsrechts (2016), S. 31; Tröger, Culpa in Contrahendo in Basedow/Hopt/Zimmermann (Hrsg.), Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts I (2009), S. 290; Visser, Should international commercial parties take pre-contractual liability into consideration?, EJCCL 2020, 31.

284 | Martiny

A. Anknüpfung der außervertraglichen Schuldverhältnisse | Rz. 4.3 § 4

A. Anknüpfung der außervertraglichen Schuldverhältnisse Im Zusammenhang mit vertraglichen Beziehungen können auch außervertragliche Schuldverhältnisse entstehen, die nicht nur materiell-rechtlich, sondern auch bezüglich der Zuständigkeit anderen Regeln unterliegen (zur Abgrenzung Rz. 1.75). Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung dienen dem Ausgleich von unberechtigten Vermögensverschiebungen, Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio) sind in erster Linie auf den Ausgleich freiwilliger Vermögensopfer („Aufwendungen“) gerichtet. Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) entstehen als Folge von Pflichtverletzungen. Soweit sie nicht durch Art. 1 Abs. 2 Rom II-VO ausgeschlossen sind (vgl. zu Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO Rz. 1.92 ff.), werden seit dem 11.1.2009 alle außervertraglichen Schuldverhältnisse von der Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht erfasst1. Intertemporal kommt es auf das schadensbegründende Ereignis (Handlung, Ursache), nicht auf den Eintritt der Rechtsverletzung an2. Der Begriff des Schadens ist verordnungsautonom zu verstehen. Nach der Rom II-VO umfasst er sämtliche Folgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, einer Geschäftsführung ohne Auftrag oder eines Verschuldens bei Vertragsverhandlungen (Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO). Diese Zusammenfassung recht unterschiedlicher Schuldverhältnisse ist freilich vor allem ein „semantischer Kunstgriff“3, um sie in einer gesetzlichen Regelung bündeln zu können. Die Verordnung gilt für alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks (Art. 1 Abs. 4 Rom II-VO)4. Nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU hat die Rom II-VO noch für schadensbegründende Ereignisse Anwendung gefunden, die vor dem Ablauf der Übergangszeit (31.12.2020) eingetreten waren5. Die VO ist universell anwendbar; das von ihr bezeichnete Recht ist auch dann anzuwenden, wenn es nicht das Recht eines Mitgliedstaats ist (Art. 3 Rom II-VO).

4.1

Abgesehen von Art. 14 Rom II-VO, der die Rechtswahl betrifft, umschreiben die „gemeinsamen Vorschriften“ der Art. 15 bis 22 Rom II-VO die Anknüpfung sowie die Reichweite und Grenzen des nach den Art. 3 bis 13 Rom II-VO auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendenden Rechts6. Einzelaspekte unterliegen danach besonderen Anknüpfungen. Einige Fragen nach dem Umfang des Statuts stellen sich gleichermaßen für vertragliche Schuldverhältnisse. Die Rom II-VO ist daher den entsprechenden Bestimmungen des EVÜ nachgebildet worden und entspricht insofern weitgehend der Rom I-VO.

4.2

Bei den Verweisungen der Rom II-VO handelt es sich um Sachnormverweisungen (Art. 24 Rom II-VO; Parallelvorschrift: Art. 20 Rom I-VO), vgl. Rz. 2.300 ff. Der Ausschluss von Rückund Weiterverweisung vereinfacht die Bestimmung des anwendbaren Rechts und sichert die in den eigenen Anknüpfungsregeln zum Ausdruck kommenden Wertungen gegenüber abwei-

4.3

1 Näher G. Wagner, IPRax 2008, 1 (17). 2 EuGH v. 17.11.2011 – C-412/10, ECLI:EU:C:2011:747 (Homawoo), Slg. 2011, I-11622 = NJW 2012, 441; von Hein, ZEuP 2009, 6 (11). 3 Junker in MünchKomm, Art. 2 Rom II-VO Rz. 4. 4 Rspr.-Länderberichte in Guinchard, S. 41 ff. 5 Art. 66 lit. b Austrittsabkommen (Rz. 1.62). Dazu Mankowski, EuZW 2020, Sonderausgabe Brexit, 3 (7). 6 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. EU 2007 Nr. L 199, S. 40.

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§ 4 Rz. 4.3 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

chenden Anknüpfungen anderer Rechtsordnungen ab. Die Vereinbarung auch des Kollisionsrechts des gewählten Rechts dürfte hier ebenfalls unzulässig sein1 (vgl. Rz. 2.203).

4.4

Art. 25 Abs. 1 Rom II-VO entspricht dem Art. 22 Abs. 1 Rom I-VO und bewirkt eine kollisionsrechtliche „Verselbständigung“ von Gebietseinheiten, vgl. Rz. 2.305 ff. Das jeweilige staatliche interlokale Privatrecht ist daher ausgeschlossen. Die Vorschrift gilt sowohl für eine Rechtswahl der Parteien als auch für die objektive Anknüpfung. Art. 25 Abs. 2 Rom II-VO nimmt rein interlokale Konflikte vom Anwendungsbereich der Rom II-VO aus (ebenso Art. 22 Abs. 2 Rom I-VO). Sachverhalte, die nur Verbindungen zu mehreren Gebietseinheiten desselben Staates aufweisen, unterstehen damit allein den interlokalen Kollisionsregeln des betreffenden Staates.

B. Rechtswahl (Art. 14 Rom II-VO) I. Zulässigkeit und Voraussetzungen der Rechtswahl 4.5

Art. 14 Rom II-VO gestattet es den Beteiligten eines außervertraglichen Schuldverhältnisses, das anwendbare Recht selbst zu bestimmen2. Nur im Bereich des Wettbewerbsrechts (Art. 6 Abs. 4 Rom II-VO) sowie des geistigen Eigentums (Art. 8 Abs. 3 Rom II-VO) ist keine Rechtswahl zulässig. Als subjektive Anknüpfung ist die Rechtswahl im Zusammenhang mit den objektiven Anknüpfungen der Art. 4 ff. Rom II-VO zu sehen. Letztere kommen zum Zuge, wenn die Parteien das anwendbare Recht nicht vereinbart haben. Die Rechtswahl geht demnach allen anderen Anknüpfungen vor und kann – auch für einen Gleichlauf von vertraglichen und außervertraglichen Verpflichtungen – zweckmäßig sein3. Eine vertragliche Rechtswahlklausel kann sich auch auf außervertragliche Schuldverhältnisse bzw. Streitigkeiten beziehen4 oder diese ausdrücklich ausschließen5.

4.6

Bei der Rechtswahl handelt es sich um einen kollisionsrechtlichen Verweisungsvertrag6. Die Vereinbarung außerstaatlichen Rechts ist möglich, hat jedoch nur die Wirkung einer materiell-rechtlichen Verweisung im Rahmen des gewählten staatlichen Rechts7. Nach welchem Recht sich Zustandekommen und Wirksamkeit der Rechtswahlvereinbarung richten, regelt die Rom II-VO nicht ausdrücklich. Es empfiehlt sich eine inhaltliche Anlehnung an Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Rom I-VO, nach denen für die vertragliche Beziehung das gewählte Recht zugleich das Statut der Rechtswahlvereinbarung ist8 (s. Rz. 2.15 f.). Eine Anknüpfung an die lex fori scheidet damit aus9.

4.7

Die Parteien können die Rechtswahl ausdrücklich oder stillschweigend treffen. Bei der stillschweigenden Rechtswahl muss das Parteiverhalten (zumeist im Prozess) zweifelsfrei den 1 Spickhoff in BRHP, Art. 24 Rom II-VO Rz. 2. – Anders Boscheinen-Duursma in Soergel, Art. 24 Rom II-VO Rz. 222; Junker in MünchKomm, Art. 24 Rom II-VO Rz. 9. 2 Näher zur Rechtswahl B. A. Koch in Czernich/Geimer, S. 151 ff. 3 Näher Jacobs, IPRax 2015, 293 ff. 4 Dazu Vorpeil, IWB 2020, 438 (439, 445). 5 Vorpeil, IWB 2020, 438 (448). 6 Junker in MünchKomm, Art. 14 Rom II-VO Rz. 14 ff. 7 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (9 f.); Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II-VO Rz. 5. 8 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (13); Schaub in PWW, Art. 14 Rom II Rz. 3; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II Rz. 11. 9 Junker in MünchKomm, Art. 14 Rom II-VO Rz. 25 f.

286 | Martiny

B. Rechtswahl (Art. 14 Rom II-VO) | Rz. 4.11 § 4

Rechtswahlwillen erkennen lassen1. Insofern gelten die zu Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO2 entwickelten Maßstäbe auch hier, vgl. Rz. 2.64 ff. Teilweise wird für eine restriktivere Haltung plädiert3. Die Rechtswahl kann grundsätzlich nur nachträglich, d.h. durch eine Vereinbarung nach Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses, erfolgen (Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. a Rom II-VO). Dann, wenn alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen, ist sie jedoch auch vor Eintritt des schadensbegründenden Ereignisses möglich (Art. 14 Abs. 1 S. 1 lit. b Rom IIVO). Voraussetzung ist eine nicht präzisierte „frei ausgehandelte Vereinbarung“ (agreement freely negotiated; par un accord librement négocié)4. Im Interesse der Praktikabilität sollte eine Rechtswahl auch durch AGB möglich sein5. Die überwiegende Auffassung verneint hier jedoch unter Berufung auf Art. 3 Abs. 2 Klausel-Richtlinie ein freies Aushandeln und schließt eine Rechtswahl per AGB aus6. Im Übrigen kann eine vorherige Rechtswahl für vertragliche Ansprüche auch lediglich mittelbar – über die akzessorische Anknüpfung nach der Rom IIVO (s. Rz. 4.16) – für außervertragliche Ansprüche Bedeutung erlangen.

4.8

II. Inlands- und Binnenmarktsachverhalte Besteht der nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 Rom II-VO erforderliche Auslandsbezug allein in der Wahl eines fremden Rechts (und einer etwaigen Gerichtsstandsvereinbarung), handelt es sich im Übrigen aber um einen reinen Inlandssachverhalt, so erfasst die Vereinbarung nur die dispositiven Vorschriften der gewählten Rechtsordnung. Art. 14 Abs. 2 Rom II-VO gesteht der Rechtswahl lediglich eine materiell-rechtliche Wirkung zu. Diese Regelung entspricht Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO (vgl. Rz. 2.137 ff.). Die (intern) zwingenden Vorschriften des durch objektive Anknüpfung ermittelten Statuts bleiben anwendbar7.

4.9

Bei reinen Binnenmarktsachverhalten kann die Wahl eines Drittstaatenrechts die (zwingenden) Vorschriften des Unionsrechts nicht ausschalten (Art. 14 Abs. 3 Rom II-VO), vgl. Rz. 2.141 ff. Dies entspricht Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO. Für zwingende Bestimmungen in umgesetzten Richtlinien stellt sich die Frage, welche Vorschriften anzuwenden sind. In Betracht kommt eine Anwendung der Umsetzungsvorschriften der lex fori8, beispielsweise bezüglich der Produkthaftungsrichtlinie9.

4.10

III. Rechte Dritter Als Vereinbarung zwischen den Beteiligten eines außervertraglichen Schuldverhältnisses darf die Rechtswahl nicht zu Lasten Dritter wirken, Art. 14 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO. Parallelvor1 Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II Rz. 6. Eine Rechtswahl durch Prozessverhalten schließt ganz aus Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (6 f.). 2 Früher Art. 3 Abs. 1 S. 2 EVÜ; Art. 27 Abs. 1 S. 2 EGBGB. 3 Schaub in PWW, Art. 14 Rom II-VO Rz. 5. 4 Vgl. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (13 f.); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (7 f.); Wendelstein in Soergel, Art. 14 Rom II-VO Rz. 21. 5 Junker in MünchKomm, Art. 14 Rom II-VO Rz. 36; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II-VO Rz. 9 (Einzelfallprüfung angebracht). 6 Leible, RIW 2008, 257(260); von Hein, ZEuP 2009, 6 (29); Schaub in PWW, Art. 14 Rom II-VO Rz. 4; Wendelstein in Soergel, Art. 14 Rom II-VO Rz. 22. 7 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (14); Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II-VO Rz. 13. 8 Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II-VO Rz. 14. 9 Schaub in PWW, Art. 14 Rom II-VO Rz. 9.

Martiny | 287

4.11

§ 4 Rz. 4.11 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

schrift ist insoweit Art. 3 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO (vgl. Rz. 2.131 ff.). Der wichtigste Fall betrifft die Pflicht des Haftpflichtversicherers, den vom Versicherten geschuldeten Schadensersatz zu leisten1. Hierfür ist das Statut des Versicherungsvertrags maßgeblich. Auch ein Direktanspruch nach Art. 18 Rom II-VO kann durch nachträgliche Rechtswahl nicht begründet werden2. Die Vorschrift gilt aber auch für andere außervertragliche Schuldverhältnisse.

C. Objektive Anknüpfung I. Gemeinsame Grundsätze 1. Anknüpfung 4.12

Die objektive Anknüpfung der einzelnen außervertraglichen Schuldverhältnisse ist für die jeweiligen Ansprüche gesondert geregelt. Allerdings kann es von der insoweit maßgeblichen Grundanknüpfung Abweichungen geben. Dies ist für die ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 10 Rom II-VO), die Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11 Rom II-VO) und das Verschulden bei Vertragsverhandlungen (Art. 12 Rom II-VO) teilweise in gleicher Weise geregelt. Die dafür maßgeblichen Gesichtspunkte (Akzessorietät, gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt und engere Verbindung) werden daher vorweg behandelt.

2. Akzessorische Anknüpfung 4.13

Ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis ist nach Art. 10 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO ein verbindlicher Anknüpfungspunkt. „Rechtsverhältnisse“ (relationships; relations) in diesem Sinn sind nicht nur Schuldverträge, sondern auch gesetzliche Sonderbeziehungen bzw. Schuldverhältnisse3. Was unter einem „bestehenden“ Rechtsverhältnis (existing relationship; relation existante) zu verstehen ist, ergibt sich nicht unmittelbar aus dem Wortlaut. Aus der Regelung der VO und dem Erwägungsgrund 10 geht aber hervor, dass ein schuldvertragliches Rechtsverhältnis unabhängig von einem (wirksamen) Vertragsschluss bestehen kann. Es entsteht, sobald sich Pflichten – d.h. nicht notwendig (Primär-)Leistungspflichten – für die Parteien ergeben. Es dauert an, solange Pflichten zwischen den Parteien fortbestehen. Damit sind vor- und nachvertragliche Verhältnisse sowie nichtige Verträge abgedeckt4.

4.14

Dem Anliegen der Rom II-VO, der akzessorischen Anknüpfung für Art. 10 Rom II-VO möglichst große Bedeutung einzuräumen, kommt diese weite Auslegung entgegen. Ob eine Einschränkung in zeitlicher Hinsicht besteht, ist umstritten. Die akzessorische Anknüpfung kann erfolgen, wenn das maßgebliche Rechtsverhältnis gleichzeitig entsteht5.

1 Junker in MünchKomm, Art. 14 Rom II-VO Rz. 49. 2 Leible, RIW 2008, 257 (262); Spickhoff in BRHP, Art. 14 Rom II-VO Rz. 7; Thorn in Palandt, Art. 14 Rom II-VO Rz. 12. 3 Brière, Clunet 135 (2008), 31 (50); Fehrenbacher in PWW, Art. 10 Rom II-VO Rz. 2 f. 4 Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 18. 5 Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 18. – Anders Wendelstein in Soergel, Art. 10 Rom II-VO Rz. 27.

288 | Martiny

C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.17 § 4

3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt (Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 12 Abs. 2 lit. b Rom II-VO) Haben die Parteien bei Entstehung des Schuldverhältnisses – d.h. im Zeitpunkt des die Vermögensverschiebung auslösenden Ereignisses oder des „schadensbegründenden Ereignisses“ (der Geschäftsvornahme) – ihren gewöhnlichen Aufenthalt (habitual residence; résidence habituelle) i.S.d. Art. 23 Rom II-VO in demselben Staat, kommt nach Art. 10 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO dessen Recht zur Anwendung.

4.15

4. Offensichtlich engere Verbindung (Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4, Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO) Die Anknüpfungen außervertraglicher Schuldverhältnisse – akzessorische Anknüpfung, gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt und Grundanknüpfung – stehen unter dem Vorbehalt einer offensichtlich engeren Verbindung (manifestly more close connection; des liens manifestement plus étroits) zu dem Recht eines anderen Staates. Zwar ist die Formulierung dieser Berichtigungsklausel nicht so restriktiv wie in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO (s. Rz. 2.215). Doch sind die Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO im Interesse einer einheitlichen und vorhersehbaren Rechtsanwendung ebenfalls eng auszulegen1. Da die VO die akzessorische Anknüpfung – als wichtigen Fall der Auflockerung – schon bei den einzelnen Grundanknüpfungen gesondert regelt, dürften die Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO nur wenige Fälle erfassen. In Betracht kommt etwa eine akzessorische Anknüpfung der freiwilligen Tilgung fremder Schulden an das Statut dieser Verbindlichkeit (s. Rz. 4.38). Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO ist in diesem Fall nicht anwendbar, weil das „Rechtsverhältnis“ zwischen dem Geschäftsherrn und einem Dritten (Zahlungsempfänger, und nicht dem zahlenden Geschäftsführer) besteht2.

4.16

II. Ungerechtfertigte Bereicherung (Art. 10 Rom II-VO) 1. Allgemeines Die ungerechtfertigte Bereicherung (unjust enrichment; enrichissement sans cause) gleicht Vermögensverschiebungen aus (§§ 812 ff. BGB)3. Im Einzelnen bestehen freilich nach Voraussetzungen und Umfang erhebliche Unterschiede4. Die Verordnung bestimmt: Art. 10 Rom II-VO Ungerechtfertigte Bereicherung (1) Knüpft ein außervertragliches Schuldverhältnis aus ungerechtfertigter Bereicherung, einschließlich von Zahlungen auf eine nicht bestehende Schuld, an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis – wie einen Vertrag oder eine unerlaubte Handlung – an, das eine enge Verbindung mit dieser ungerechtfertigten Bereicherung aufweist, so ist das Recht anzuwenden, dem dieses Rechtsverhältnis unterliegt. (2) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Abs. 1 bestimmt werden und haben die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses, das die ungerechtfertigte Bereicherung zur Folge hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden. 1 LG München I v. 18.4.2013 – 10 O 6084/12, IPRax 2014, 438 (m. Aufs. Looschelders, IPRax 2014, 406) (Erbensucher); Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 31. 2 Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 22. 3 Als „unjust enrichment“ geregelt in Art. VII.-1:101 ff. DCFR. 4 Zu den Formen des französischen Rechts Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (64 ff.).

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4.17

§ 4 Rz. 4.17 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c. (3) Kann das anzuwendende Recht nicht nach den Abs. 1 oder 2 bestimmt werden, so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem die ungerechtfertigte Bereicherung eingetreten ist. (4) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das außervertragliche Schuldverhältnis aus ungerechtfertigter Bereicherung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Abs. 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.

4.18

Es besteht eine dreistufige Anknüpfungsleiter mit akzessorischer Anknüpfung, gemeinsamem gewöhnlichen Aufenthalt und Bereicherungseintritt1. Korrekturen finden bei einer engeren Verbindung statt. Der Begriff der „ungerechtfertigten Bereicherung“ ist verordnungsautonom auszulegen2.

2. Akzessorische Anknüpfung 4.19

Als ersten Fall nennt die VO, dass ein außervertragliches Schuldverhältnis aus ungerechtfertigter Bereicherung, einschließlich Zahlungen auf eine nicht bestehende Schuld, an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis wie einen Vertrag oder eine unerlaubte Handlung anknüpft. Weist dieses Rechtsverhältnis eine enge Verbindung mit der ungerechtfertigten Bereicherung auf, so ist das Recht anzuwenden, dem das Rechtsverhältnis unterliegt (Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO).

4.20

Die Leistungskondiktion ist grundsätzlich akzessorisch anzuknüpfen3. Auf Grund von Art. 27 Rom II-VO gilt für nichtige Verträge vorrangig Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO, mithin das Vertragsstatut4, s. Rz. 3.99. Eine eigenständige Bedeutung hat Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO aber in Bezug auf Altfälle für Italien und das Vereinigte Königreich sowie für die Staaten, die der Europäischen Union am 1.5.2004 beigetreten sind und einen Vorbehalt gegen Art. 10 Abs. 1 lit. e EVÜ eingelegt hatten.

4.21

Eine deliktsakzessorische Anknüpfung der Eingriffskondiktion ist ebenfalls möglich, obwohl der (schuldhafte) Eingriff in fremde Rechtsgüter das Schuldverhältnis der unerlaubten Handlung und das der ungerechtfertigten Bereicherung gleichzeitig entstehen lässt5. Dem Zweck der Vorschrift entsprechend ist von einem (vor-)bestehenden Rechtsverhältnis i.S.d. Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO auszugehen6. Im Übrigen werden der Ort des Bereicherungseintritts (Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO) und der Ort des Schadenseintritts (Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO) regelmäßig zusammenfallen, so dass auch über die Grundanknüpfung Gleichklang erzielt wird7.

3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt 4.22

Kann das anzuwendende Recht nicht nach Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO bestimmt werden und haben die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses, das die ungerechtfertigte Be1 Vgl. Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (641); G. Wagner, IPRax 2008, 1 (10 f.). 2 Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 8 (Stand 1.8.2018); Wendelstein in Soergel, Art. 10 Rom II-VO Rz. 4. 3 Ebenso Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (641); Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7. 4 Sendmeyer, IPRax 2010, 500 (vertragliche Qualifikation); Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 5; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 4. – Vgl. auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 531; G. Wagner, IPRax 2008, 1 (11). 5 Stürner in Erman, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7; Jakob/Picht in Rauscher, Art. 10 Rom II-VO Rz. 31. 6 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (11); Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 8. 7 Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 19.

290 | Martiny

C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.25 § 4

reicherung zur Folge hat, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden (Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO), s. Rz. 4.15.

4. Objektive Anknüpfung der ungerechtfertigten Bereicherung Das deutsche internationale Bereicherungsrecht in Art. 38 EGBGB orientiert sich am deutschen materiellen Bereicherungsrecht. Art. 10 Rom II-VO geht hingegen nicht von den Unterscheidungen des deutschen Sachrechts aus. Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO unterwirft Bereicherungsansprüche vielmehr einheitlich dem Recht des Ortes, an dem die Bereicherung eingetreten ist (country in which the unjust enrichment took place; pays dans lequel l’enrichissement s’est produit). Der Wortlaut lässt offen, ob hierunter der Ort der vermögensverschiebenden Handlung zu verstehen ist oder der Ort, an dem die Vermögensverschiebung eintritt1. Insgesamt drängt die Rom II-VO den Handlungsort als Anknüpfungspunkt zurück. Daher ist Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO im Sinne einer Anknüpfung an den Ort des Bereicherungseintritts zu verstehen2. Dieser Ort fällt häufig mit dem Aufenthaltsort des Bereicherungsschuldners zusammen. Ob bei der Eingriffskondiktion eine Anknüpfung an den Belegenheitsort des betroffenen Rechtsguts oder Vermögens möglich ist, ist ungeklärt3.

4.23

5. Mehrpersonenverhältnisse Eine besondere Regelung für Mehrpersonenverhältnisse enthält die Rom II-VO nicht. Daher sind die einzelnen Beziehungen nach einer der Anknüpfungen des Art. 10 Rom II-VO zu beurteilen. Bei der Beteiligung mehrerer kommt es in erster Linie auf das Leistungsstatut (Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO) an, vorausgesetzt, eine Zuwendung kann einer bereits bestehenden Leistungsbeziehung zugeordnet werden. Im Übrigen kommt bei Fehlen eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts (Art. 10 Abs. 2 Rom II-VO) im Allgemeinen – vorbehaltlich der Ausweichklausel – das Recht am Ort des Bereicherungseintritts zur Anwendung (Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO)4. Erfasst wird auch der Verwendungsanspruch des § 1041 österreich. ABGB5.

4.24

Bei Zahlung auf eine fremde Schuld entscheidet über deren Bestand und Höhe, aber auch ihre Tilgung, das Statut dieser Schuld (Rz. 3.190). Dabei ist nach den einzelnen Ausgleichsund Rückgriffsansprüchen zu unterscheiden. Mangels einer cessio legis (vgl. Art. 19 Rom IIVO) können Bereicherungsansprüche des Dritten gegen den befreiten Schuldner entstehen. Der Anspruch des Zahlenden gegen den Schuldner unterliegt gem. Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO dem Statut der getilgten Forderung6. Zahlt ein Dritter auf eine vermeintlich eigene Schuld, so ist der Bereicherungsanspruch gegen den wirklichen Schuldner nach dem Statut der beglichenen (vermeintlichen) Schuld zu beurteilen7 (Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO). Begleicht ein Dritter

4.25

1 Zum Zusammenhang mit dem Deliktsrecht G. Wagner, IPRax 2008, 1 (11). 2 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (66 f.); Späth, S. 324; Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 28; Fehrenbacher in PWW, Art. 10 Rom II-VO Rz. 5; Wendelstein in Soergel, Art. 10 Rom II-VO Rz. 44 (für nichtgegenständliche Bereicherung). 3 Dazu Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (641 f.); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (66 f.). 4 Spickhoff in BRHP, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7; Junker in MünchKomm, Art. 10 Rom II-VO Rz. 21 ff. 5 Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (641). 6 Jakob/Picht in Rauscher, Art. 10 Rom II-VO Rz. 47 f.; Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 43 (Stand 1.8.2018); Spickhoff in BRHP, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9. 7 Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9. – Unentschieden Jakob/Picht in Rauscher, Art. 10 Rom II-VO Rz. 49.

Martiny | 291

§ 4 Rz. 4.25 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

demgegenüber freiwillig und bewusst fremde Schulden, so richten sich auch Bereicherungsansprüche des auf die fremde Schuld zahlenden Dritten gegen den Gläubiger in erster Linie nach dem zwischen beiden bestehenden oder angenommenen Schuldverhältnis, weil es sich dabei um eine Sonderbeziehung handelt. Dies gilt auch für vertragliche Ansprüche. Im Übrigen folgen sie dem Recht, das auf die vermeintlich getilgte Verbindlichkeit anwendbar ist1.

4.26

In Anweisungsfällen weist der Anweisende den Angewiesenen an, an einen Dritten zu leisten. Dies ist insb. bei der Banküberweisung der Fall. Auch kollisionsrechtlich ist nach der Art des Mangels das Deckungsverhältnis zwischen Anweisendem („Zahler“) und Angewiesenem (Zahlungsdienstleister bei einem Bankvertrag), das Valutaverhältnis zwischen Anweisendem und Begünstigtem (z.B. ein Kauf) sowie das Zuwendungsverhältnis zwischen (vermeintlich) Angewiesenem und Begünstigtem zu unterscheiden.

4.27

Über Ansprüche aus einem fehlerhaften Deckungsverhältnis zwischen Anweisendem und Angewiesenem (z.B. einem Zahlungsdienstevertrag nach §§ 657f ff. BGB) entscheidet das hierfür maßgebliche Recht, d.h. das zwischen den Parteien geltende Vertragsstatut2. Beim Akkreditiv (Rz. 13.57) ist das i.d.R. das Recht der angewiesenen Akkreditivbank, d.h. das Statut des zugrunde liegenden Geschäftsbesorgungsvertrages3.

4.28

Entsprechendes gilt für die Beziehung des Anweisenden gegenüber dem bereicherten Dritten (Anweisungsbegünstigtem) im Valutaverhältnis4. Auch hier findet der Bereicherungsausgleich nach dem unter den Beteiligten geltenden Recht statt. Z.B. kann der Akkreditivauftraggeber (Käufer) gegen den Begünstigten (Verkäufer) nach dem Recht des zugrunde liegenden Warengeschäfts, also des von ihnen geschlossenen Kaufvertrages vorgehen5.

4.29

Praktisch wichtig, aber umstritten ist die Behandlung der Ansprüche im Zuwendungsverhältnis zwischen (vermeintlich) Angewiesenem und Begünstigtem. Dabei geht es regelmäßig darum, ob der Angewiesene einen direkten Zugriff gegen den Begünstigten (Zahlungsempfänger) hat. Solche Ansprüche des Angewiesenen gegen den bereicherten Anweisungsbegünstigten richten sich bei bestehender abstrakter Verpflichtung nach dem Statut dieser Verpflichtung, also dem Deckungsverhältnis6, z.B. für die Akkreditivbank (Käuferbank) nach dem Akkreditivstatut7.

4.30

Wird bei fehlender oder fehlerhafter Anweisung lediglich gezahlt oder geliefert (z.B. bei irrtümlicher Zuvielüberweisung), so kann man auch hier das Deckungsverhältnis für maßgeblich halten, d.h. auf das Recht der Verpflichtung des Angewiesenen abstellen8. Der Zahlungsempfänger wäre dann allerdings einem für ihn fremden Recht ausgesetzt. Nach a.A. handelt es sich hier um keine Leistungskondiktion mehr, sondern um eine bloße Wertverschiebung,

1 Spickhoff in BRHP, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7. – Vgl. Einsele, JZ 1993, 1025 (1026). 2 Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 48 (Stand 1.8.2018); Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9. 3 So zum alten Recht Martinek, Hdb. Schuldrecht (1983), S. 793. 4 Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9. 5 So zum alten Recht Martinek, Hdb. Schuldrecht (1983), S. 792 f.; Lorenz in Staudinger, § 812 BGB Rz. 125. 6 Vgl. Jakob/Picht in Rauscher, Art. 10 Rom II-VO Rz. 54: Über Art. 10 Abs. 4 Rom II-VO. 7 Näher Lorenz, FS Zweigert, S. 199 (223 f.); Martinek, Hdb. Schuldrecht (1983), S. 793; v. Hoffmann/Fuchs in Staudinger, Art. 38 EGBGB Rz. 27. 8 Vgl. Schlechtriem in von Caemmerer, S. 75.

292 | Martiny

C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.33 § 4

für welche die Grundsätze der „Bereicherung in sonstiger Weise“ gelten sollen1. Dementsprechend wird auf den Ort des Bereicherungseintritts nach Art. 10 Abs. 3 Rom II-VO abgestellt2. Im Falle eines echten Vertrages zugunsten Dritter (dazu Rz. 3.132) kommt es darauf an, welches der Rechtsverhältnisse fehlerhaft ist. Dementsprechend entscheidet das Deckungsverhältnis die Frage, ob der Versprechensempfänger (Gläubiger) einer Kondiktion des Versprechenden (Schuldners) ausgesetzt ist3. Das zwischen Gläubiger und begünstigtem Drittem bestehende Valutaverhältnis bestimmt, ob der Dritte (Begünstigter) die faktische Leistung des Versprechenden an den Versprechensempfänger herauszugeben hat4. Für die Direktkondiktion des Versprechenden im Falle der Unwirksamkeit des Deckungsverhältnisses ist ebenfalls das anwendbare Recht zu bestimmen. Ansprüche gegen den Dritten als faktischen Leistungsempfänger unterliegen dem Statut des Deckungsverhältnisses5. Grund dafür ist, dass die Begünstigung des Dritten auf diesem Vertragsverhältnis beruht und der Bereicherungsausgleich ihm folgen muss.

4.31

6. Engere Verbindung Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das außervertragliche Schuldverhältnis aus ungerechtfertigter Bereicherung eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Abs. 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden (Art. 10 Abs. 4 Rom II-VO), s. Rz. 4.16. So wurde etwa für die Hinterlegung des Betrages aus einer mehrfach abgetretenen Forderung argumentiert. Die den Bereicherungsanspruch begründende Hinterlegung war durch eine deutsche Treuhänderin in einem deutschen Insolvenzverfahren bei einem deutschen Amtsgericht erfolgt6. Daher wurde deutsches statt luxemburgisches Recht angewendet.

4.32

III. Geschäftsführung ohne Auftrag (Art. 11 Rom II-VO) 1. Allgemeines 4.33

Art. 11 Rom II-VO Geschäftsführung ohne Auftrag (1) Knüpft ein außervertragliches Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis – wie einen Vertrag oder eine unerlaubte Handlung – an, das eine enge Verbindung mit dieser Geschäftsführung ohne Auftrag aufweist, so ist das Recht anzuwenden, dem dieses Rechtsverhältnis unterliegt.

1 So zum alten Recht: BGH v. 25.9.1986 – VII ZR 349/85, ZIP 1986, 1375 = IPRax 1987, 186 m. abl. Aufs. Jayme = NJW 1987, 185; BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315 (1316). 2 Leible/Lehmann, RIW 2007, 372; Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 49 (Art. 10 Abs. 2 oder 3) (Stand 1.8.2018); Spickhoff in BRHP, Art. 10 Rom II-VO Rz. 7; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9. 3 Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 51 (Stand 1.8.2018); Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9. 4 Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9. 5 Schinkels in BeckOGK, Art. 10 Rom II-VO Rz. 51 (Stand 1.8.2018); Spickhoff in BRHP, Art. 10 Rom II-VO Rz. 8; Thorn in Palandt, Art. 10 Rom II-VO Rz. 9. 6 OLG Saarbrücken v. 20.2.2020 – 4 U 109/17, ZIP 2020, 1315 = WM 2020, 982 m. Anm. Cranshaw, EWiR 2020, 415.

Martiny | 293

§ 4 Rz. 4.33 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c. (2) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Abs. 1 bestimmt werden und haben die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden. (3) Kann das anzuwendende Recht nicht nach den Abs. 1 oder 2 bestimmt werden, so ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem die Geschäftsführung erfolgt ist. (4) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das außervertragliche Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Abs. 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.

Die Geschäftsführung ohne Auftrag (negotiorum gestio; gestion d’affaires) spielt auch in anderen Rechtsordnungen als Regressinstrument eine Rolle (vgl. §§ 677 ff. BGB)1. Insbesondere können Aufwendungsersatzansprüche des Geschäftsführers entstehen2. Der Begriff der Geschäftsführung ohne Auftrag ist verordnungsautonom auszulegen. Von Art. 11 Rom II-VO werden sowohl die berechtigte als auch die unberechtigte Geschäftsführung erfasst3. Eine Rechtswahl ist möglich (s. Rz. 4.5). Art. 11 Rom II-VO nennt mehrere Stufen der objektiven Anknüpfung, nämlich eine akzessorische Anknüpfung (Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO), eine Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt (Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO) sowie an den Ort der Geschäftsführung (Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO). Ferner enthält die Vorschrift in Abs. 4 eine Ausweichklausel4. In erster Linie ist nach einer Anknüpfung an ein bestehendes Rechtsverhältnis zu suchen. In zweiter Linie kommt es auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien in demselben Staat an. Umfasst werden grundsätzlich alle bei einer Geschäftsführung ohne Auftrag möglichen Ansprüche5.

2. Akzessorische Anknüpfung 4.34

Knüpft ein außervertragliches Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag an ein zwischen den Parteien bestehendes Rechtsverhältnis wie einen Vertrag oder ein deliktisches Schuldverhältnis an, das eine enge Verbindung mit dieser Geschäftsführung ohne Auftrag aufweist, so ist das Recht anzuwenden, dem dieses Rechtsverhältnis unterliegt (Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO), s. Rz. 4.12. Bei der Geschäftsführung ohne Auftrag kommt eine akzessorische Anknüpfung etwa dann in Betracht, wenn der Geschäftsführer seine Befugnisse aus einem bestehenden Auftragsverhältnis überschreitet6. Das Schuldverhältnis darf aber nicht erst durch die Geschäftsführung begründet werden7. Ein bloß hypothetisches Vertragsverhältnis genügt nicht8.

4.35

Anders als nach Art. 39 Abs. 2 EGBGB ist der Rückgriff des leistenden Dritten gegen den Schuldner bei der freiwilligen Tilgung einer fremden Schuld ungeregelt geblieben. Im Hinblick

1 Dazu Ranieri, S. 1782 ff. – Als „benevolent intervention in another’s affairs“ geregelt in Art. V.1:101 ff. DCFR. Zum französischen Recht Sonnenberger, ZEuP 2017, 6 (62 ff.). 2 Zum Aufwendungsersatzanspruch nach österr. Recht s. IPG 2015-17 Nr. 5 (Konstanz), nach türkischem Recht s. IPG 2000/2001 Nr. 16 (Hamburg). 3 Jakob/Picht in Rauscher, Art. 11 Rom II-VO Rz. 7. 4 Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom II-VO Rz. 43 f. (Stand 1.8.2018).– Vgl. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (11). 5 Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (643 f.). 6 Brière, Clunet 135 (2008), 31 (50); Thorn in Palandt, Art. 11 Rom II-VO Rz. 5. 7 Späth, S. 276. 8 LG München I v. 18.4.2013 – 10 O 6084/12, IPRax 2014, 438 (m. zust. Aufs. Looschelders, IPRax 2014, 406) (Erbensucher); Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom II-VO Rz. 24 (Stand 1.8.2018).

294 | Martiny

C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.38 § 4

auf die Tilgungswirkung der Leistung liegt eine Anknüpfung an die getilgte Schuld nahe1. Da man hierfür wegen der fehlenden Parteiidentität Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO wohl nicht heranziehen kann2, wird teilweise eine erweiternde Auslegung vorgeschlagen3. Andere denken an die Ausweichklausel des Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO4. Allerdings wird teilweise vorrangig auf den Vornahmeort des Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO abgestellt5.

3. Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt Kann das anzuwendende Recht nicht nach Art. 11 Abs. 1 Rom II-VO bestimmt werden und haben die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses6 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat, so ist das Recht dieses Staates anzuwenden (Art. 11 Abs. 2 Rom II-VO), s. Rz. 4.15.

4.36

4. Ort der Geschäftsführung Bei der Geschäftsführung ohne Auftrag ist bei der objektiven Anknüpfung im Übrigen nach Art. 11 Abs. 3 Rom II-VO grundsätzlich das Recht am Ort der Geschäftsvornahme (country in which the act was performed; pays dans lequel la gestion d’affaires s’est produite) anzuwenden7. Hierbei wird man auf den Beginn der Geschäftsführung, d.h. den ersten Geschäftsführungsort, abzustellen haben8. Bei Auseinanderfallen von Handlungs- und Erfolgsort ist fraglich, ob ein „Haupterfolgsort“ ermittelt werden kann9. Die Hilfeleistung auf hoher See ist – anders als noch nach dem Rom II-VO-Vorschlag – ungeregelt geblieben10.

4.37

5. Engere Verbindung Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das außervertragliche Schuldverhältnis aus Geschäftsführung ohne Auftrag eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Abs. 1, 2 und 3 bezeichneten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden (Art. 11 Abs. 4 Rom II-VO), s. Rz. 4.16. Dies wird für die Tilgung fremder Schulden angenommen11, s. Rz. 4.25. 1 Stürner in Erman, Art. 11 Rom II-VO Rz. 13. 2 Thorn in Palandt, Art. 11 Rom II-VO Rz. 6. 3 Nehne, IPRax 2012, 136 (139); Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom II-VO Rz. 31 (Stand 1.8.2018); Stürner in Erman, Art. 11 Rom II-VO Rz. 13. 4 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12); Fischer, FS Spellenberg, S. 151 (165); Thorn in Palandt, Art. 11 Rom II-VO Rz. 6. 5 LG München I v. 18.4.2013 – 10 O 6084/12, IPRax 2014, 438 (m. abl. Aufs. Looschelders, IPRax 2014, 406) (Erbensucher); Junker in MünchKomm, Art. 11 Rom II-VO Rz. 8, 27 („geschäftsführerfreundlich“). 6 Für den Zeitpunkt der Geschäftsführung Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (65). Für den Zeitpunkt der gemachten Aufwendungen G. Wagner, IPRax 2008, 1 (11). 7 Für den Handlungsort Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (643). 8 Junker in MünchKomm, Art. 11 Rom II-VO Rz. 18; Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom II-VO Rz. 39 (Ort des Erfolgs der Geschäftsführung) (Stand 1.8.2018); Thorn in Palandt, Art. 11 Rom IIVO Rz. 8. 9 Vgl. Späth, S. 266 f. – Für den Erfolgsort Looschelders, IPRax 2014, 406 (410); Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom II-VO Rz. 40 (Stand 1.8.2018); Thorn in Palandt, Art. 11 Rom II-VO Rz. 8. 10 Dazu Junker in MünchKomm, Art. 11 Rom II-VO Rz. 21 ff.; Schinkels in BeckOGK, Art. 11 Rom II-VO Rz. 42 (Stand 1.8.2018). 11 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12). – Vgl. auch Sonnentag, ZVglRW 105 (2006), 305.

Martiny | 295

4.38

§ 4 Rz. 4.39 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

IV. Verschulden bei Vertragsverhandlungen (Art. 12 Rom II-VO) 1. Einordnung als außervertragliches Schuldverhältnis 4.39

Art. 12 Rom II-VO Verschulden bei Vertragsverhandlungen (1) Auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags, unabhängig davon, ob der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde oder nicht, ist das Recht anzuwenden, das auf den Vertrag anzuwenden ist oder anzuwenden gewesen wäre, wenn er geschlossen worden wäre. (2) Kann das anzuwendende Recht nicht nach Abs. 1 bestimmt werden, so ist das anzuwendende Recht a) das Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist, unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind, oder, b) wenn die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat haben, das Recht dieses Staates, oder, c) wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass das außervertragliche Schuldverhältnis aus Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Buchstaben a oder b bezeichneten Staat aufweist, das Recht dieses anderen Staates.

Es muss sich um ein außervertragliches Schuldverhältnis handeln1. Die Rom II-VO ordnet das Verschulden bei Vertragsverhandlungen (culpa in contrahendo) als außervertragliches Schuldverhältnis ein und enthält spezifische Anknüpfungsregeln. Die allgemeinen Vorschriften der Rom II-VO für die Ermittlung und den Geltungsbereich des anwendbaren Rechts (Art. 15 Rom II-VO) kommen ebenfalls zur Anwendung. Diese Regelung erfolgte im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH zur Zuständigkeit nach Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ (nunmehr Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO). In der Sache „Tacconi“ ordnete der EuGH nämlich den Abbruch von Vertragsverhandlungen deliktisch ein2. Dies entspricht der Tendenz vieler Rechtsordnungen, solche Ansprüche in ihrem Sachrecht nicht als vertragsähnlich, sondern deliktsrechtlich anzusehen3. Die in Deutschland zuvor vorherrschende Unterscheidung zwischen den dem Vertragsstatut unterstellten transaktionsbezogenen Pflichten (insb. Informations- und Beratungspflichten) und deliktisch verstandenen Schutzpflichtverletzungen (Schutzund Obhutspflichten) hat sich in der VO nicht niedergeschlagen4. Zweifel an dieser Einordnung können aber letztlich zurückstehen, da die Rom II-VO für die Anknüpfung in weitem Umfang wieder auf das Vertragsstatut Bezug nimmt5. Die Haftung des Gutachters gegenüber Dritten ist nicht genannt, wird aber z.T. hier ebenfalls eingeordnet (s. Rz. 4.48). 1 Zum ausländischen Recht von Hein, GPR 2007, 54 ff.; Ranieri, S. 1345 ff. 2 EuGH v. 17.9.2002 – C-334/00, ECLI:EU:C:2002:499 (Tacconi), Slg. 2002, I-7357 = NJW 2002, 3159 = IPRax 2003, 143 (m. Aufs. Mankowski, IPRax 2003, 127) = EuZW 2002, 655. 3 Dazu Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (639); G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12 f.); Ersoy, S. 76 ff. – Für die internationale Zuständigkeit wurde Verbrauchervertragsakzessorität angenommen. Die Klage eines Verbrauchers aus deliktischer zivilrechtlicher Haftung für die Verletzung vorvertraglicher Beratungs- und Warnpflichten fiel für die Bestimmung des zuständigen Gerichts unter die Verbrauchersachen, wenn sie untrennbar mit einem zwischen dem Verbraucher und dem Gewerbetreibenden tatsächlich geschlossenen Vertrag verbunden war (EuGH v. 2. 4. 2020 – C-500/18, ECLI:EU:C:2020:264 (Reliantco Investment und Reliantco Investments LTD Limassol Sucursala Bucureşti), RIW 2020, 353 = IPRax 2021, 268 m. Aufs. Voß IPRax 2021, 236). 4 Näher von Hein, GPR 2007, 54 ff. m.w.N. 5 Leible/Lehmann, RIW 2008, 530 („Pirouette“); G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12).

296 | Martiny

C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.42 § 4

2. Begriff des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen Das „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“ ist als autonomer Begriff zu verstehen und kann daher, wie bereits Erwägungsgrund 30 hervorhebt, nicht zwangsläufig im Sinne eines nationalen Rechts ausgelegt werden1. Es geht um Schuldverhältnisse aus Verhandlungen vor Abschluss. Ein vertragliches Schuldverhältnis kann man regelmäßig mit dem Zustandekommen des Vertrages annehmen. Vorausgesetzt werden Verhandlungen vor Vertragsabschluss. „Verhandlungen“ („dealings“, „tractations“) ist als autonomer Begriff zu verstehen2. Würde man an die Aufnahme von Verhandlungen keine strengen Maßstäbe stellen, so würde bereits ein bloßer geschäftlicher Kontakt genügen. Art. 12 Rom II-VO soll aber nur für außervertragliche Schuldverhältnisse gelten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit den Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrags stehen (Erwägungsgrund 30).

4.40

Inhaltlich soll die Haftung nach Art. 12 Rom II-VO die Verletzung von Aufklärungs- und Offenlegungspflichten sowie den Abbruch von Vertragsverhandlungen einschließen (Erwägungsgrund 30). Der treuwidrige Abbruch von Vertragsverhandlungen ist daher erfasst3. Auch der Verrat von während der Verhandlungen preisgegebenen Geheimnissen ist abgedeckt4. Die Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten ist nicht ausgeschlossen5; nach anderen ist hier eine vertragliche Einordnung möglich6.

4.41

Die Vertragsverhandlungen müssen nicht unbedingt zwischen dem Anspruchsteller und dem Anspruchsgegner stattgefunden haben. Auch Verhandlungen mit Dritten können genügen. Vorausgesetzt wird jedoch, dass die Verhandlungen dem Anspruchsgegner zugerechnet werden können. Ob dies letztlich der Fall war, muss dann das anwendbare Recht entscheiden. Für die Eigenhaftung von Vertretern, Sachwaltern und anderen am Vertragsschluss beteiligten, aber letztlich vertragsfremden Personen (vgl. § 311 Abs. 3 BGB) könnte man an eine akzessorische Anknüpfung an den verhandelten Vertrag denken7. Wegen der Eigenständigkeit des insoweit bestehenden Schuldverhältnisses kommt eine Anknüpfung nach Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO wohl nicht in Betracht8; es wird jedoch für eine selbständige Anknüpfung nach Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO (Schadenseintritt bzw. gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt) plädiert9. Eine auf die Ausweichklausel (Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO) gestützte Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts wird angenommen, wenn der Dritte aktiv an den Verhandlungen bzw. am Vertragsschluss beteiligt war und ihm das insoweit anzuwendende Recht zugerechnet werden kann10.

4.42

1 Schinkels in BeckOGK, Art. 12 Rom II-VO Rz. 18 (Stand 1.8.2018). Näher Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (195 ff.). 2 Leible/Lehmann, RIW 2008, 530. 3 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733); Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 16. 4 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733). 5 Garcimartín, EuLF 2007, I-77 (I-89); von Hein, GPR 2007, 54 (59); Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (195 f.); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (64); Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 12. – Anders Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733). 6 Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733). 7 Krit. dazu Mansel, FS Schlosser, S. 545 (553). 8 Schinkels in BeckOGK, Art. 12 Rom II-VO Rz. 53 f. (Stand 1.8.2018). – Vgl. Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 19. 9 Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (198); Thorn in Palandt, Art. 12 Rom II-VO Rz. 5. 10 Schinkels in BeckOGK, Art. 12 Rom II-VO Rz. 55 (Stand 1.8.2018); Thorn in Palandt, Art. 12 Rom II-VO Rz. 5. Im Ergebnis ähnlich Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 28, 32.

Martiny | 297

§ 4 Rz. 4.43 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

4.43

Es geht um Verhandlungen vor Abschluss eines Vertrages, unabhängig davon, ob der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde oder nicht. Dabei ist das Recht anzuwenden, das auf den Vertrag anzuwenden ist oder anzuwenden gewesen wäre, wenn er geschlossen worden wäre (Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO).

4.44

Verstöße Privater gegen Antidiskriminierungsvorschriften können in recht unterschiedlichen Zusammenhängen und in verschiedener Weise erfolgen sowie eine Fülle unterschiedlicher Sanktionen nach sich ziehen1. Bei der vorvertraglichen Vertragsverweigerung kommt eine Einordnung als culpa in contrahendo2, aber auch eine Unterstellung unter das Vertragsstatut3 oder das Deliktstatut4 in Betracht. Bei der Diskriminierung im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses bietet sich eine Zuordnung zum Vertragsstatut an. Betroffen sind insb. Arbeitsverhältnisse5 sowie Dienstleistungs-, Verbraucher- und Versicherungsverträge. Allerdings ist wegen des grundlegenden Charakters des Nichtdiskriminierungsgebots auch eine Einordnung als Eingriffsnorm nicht ausgeschlossen6. Bezüglich ausländischen Sachrechts sind ordre public-Verstöße möglich.

4.45

Der Schaden ist als autonomer Begriff zu verstehen, s. Rz. 4.1. Er bezieht sich auf sämtliche Folgen eines Verschuldens einer culpa in contrahendo (Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO)7. Erfasst wird in erster Linie der Vermögensschaden. Nach dem Wortlaut sind Personenschäden nicht ausgeschlossen. Doch sollen in den Fällen, in denen einer Person während der Vertragsverhandlungen ein Personenschaden zugefügt wird, Art. 4 Rom II-VO oder andere einschlägige Bestimmungen dieser Verordnung zur Anwendung gelangen (Erwägungsgrund 30). Damit wird eine Körperverletzung im Rahmen der Vertragsanbahnung (z.B. Ausrutschen im Kaufhaus) nicht von Art. 12 Rom II-VO erfasst, sondern deliktisch eingeordnet8. Hier geht es um das Integritätsinteresse und die Verletzung von Obhuts- und Verhaltenspflichten9.

3. Anknüpfung a) Maßgeblichkeit des Vertragsstatuts

4.46

Auch bei der culpa in contrahendo besteht eine mehrstufige Anknüpfungsleiter10. Anzuwenden ist in erster Linie das Recht, das auf den Vertrag anzuwenden ist oder anzuwenden gewesen wäre (Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO). Folglich kommt es grundsätzlich zu einer akzessorischen Anknüpfung11; das Vertragsstatut ist maßgeblich. Dieses ist regelmäßig nach den Art. 3 ff. Rom I-VO zu ermitteln12.

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Kocher, FS Martiny, S. 411 ff.; Lüttringhaus, S. 11 ff. Dazu Kocher, FS Martiny, S. 411 (423 ff.). Kocher, FS Martiny, S. 411 (423 ff.). So bei mangelndem Transaktionsbezug Lüttringhaus, S. 115. Dazu Lüttringhaus, S. 154 ff. Kocher, FS Martiny, S. 411 (414 ff.); Lüttringhaus, S. 191 ff. S. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (14); Schinkels in BeckOGK, Art. 12 Rom II-VO Rz. 92 (Stand 1.8.2018). Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733); Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (196 ff.); Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (64); Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 18, 33. Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (64); Thorn in Palandt, Art. 12 Rom II-VO Rz. 2. S. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12). Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (64 f.); Späth, S. 248 (für Erbensuche). Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733); Lüttringhaus, RIW 2008, 193 (198); Thorn in Palandt, Art. 12 Rom II-VO Rz. 5.

298 | Martiny

C. Objektive Anknüpfung | Rz. 4.50 § 4

Es kommt nicht darauf an, ob der Vertrag tatsächlich geschlossen wurde oder nicht (Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO). Er braucht überhaupt nicht zustande gekommen und kann auch unwirksam gewesen sein. Vor allem beim Abbruch von Vertragsverhandlungen ist das Statut des intendierten Vertrages, d.h. ein hypothetisches Vertragsstatut, zu ermitteln1. Der Verhandlungsort ist nicht entscheidend2. Problematisch ist es, eine hypothetische Rechtswahl für das intendierte Vertragsverhältnis anzunehmen, wenn diese noch nicht erfolgt war. Insoweit kann nur eine objektive Anknüpfung in Betracht kommen3. Sie wird vielfach zum Recht am Aufenthaltsort der die charakteristische Leistung erbringenden Partei führen4.

4.47

Die Einordnung der Haftung des Gutachters gegenüber vertragsfremden Dritten ist umstritten5. Eine vertragsrechtliche Qualifikation könnte sie akzessorisch dem Vertragsverhältnis zwischen Gutachter und Auftraggeber zuweisen6. Eine nichtvertragliche Qualifikation dürfte sich vor allem deshalb durchsetzen, da die deutsche Rechtsfigur des Vertrages mit Schutzwirkungen für Dritte dem Ausland regelmäßig unbekannt ist7. In Betracht kommt eine deliktische Einordnung der Haftung8. Vorgeschlagen wird auch, die Gutachterhaftung als der c.i.c. nahe stehendes, außervertragliches, unmittelbares Schuldverhältnis zwischen Gutachter und Drittem anzusehen. Maßgeblich soll das nach Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO bestimmte hypothetische Vertragsverhältnis sein9. – Zur außervertraglichen Haftung für eine Legal Opinion s. Rz. 10.33 ff.

4.48

b) Anknüpfung nach Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO Wenn das anzuwendende Recht nicht nach Art. 12 Abs. 1 Rom II-VO bestimmt werden kann, so ist es nach anderen Kriterien zu ermitteln (Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO). Daraus folgt, dass die Bestimmung nach Abs. 1 Vorrang haben soll. Gemeint sind offenbar Fälle, in denen kein Vertragsstatut ermittelt werden kann10; freilich ist noch ungeklärt, welche Fälle im Einzelnen erfasst werden sollen11. Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO nennt drei Anknüpfungsregeln; das Verhältnis der Unterabsätze zueinander ergibt sich aus der Vorschrift12.

4.49

In erster Linie ist das anzuwendende Recht die Rechtsordnung des Staates, in dem die Parteien zum Zeitpunkt des Eintritts des schadensbegründenden Ereignisses ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 12 Abs. 2 lit. b Rom II-VO), s. Rz. 4.15. Der Eintritt des

4.50

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12

Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (640); Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733). Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733). Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733). Thorn in Palandt, Art. 12 Rom II-VO Rz. 5. Nachw. bei Martiny, FS Magnus, S. 483 (492 f.). S. auch Ebke, Das Internationale Privatrecht der Haftung des gesetzlichen Abschlussprüfers nach der Rom I-VO und der Rom II-VO, ZvglRW 109 (2010), 397. Dem Vertragsstatut wird entnommen, ob Dritte als Leistungsempfänger einbezogen sind, s. Leible in NK, Art. 12 Rom I-VO Rz. 15. Schinkels, JZ 2008, 274 ff. Näher Dutta, IPRax 2009, 297 ff. – Für den sog. Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wurde schon früher weitgehend eine deliktische Qualifikation vorgeschlagen; s. von Bar/Mankowski, I § 4 Rz. 557. Schinkels in BeckOGK, Art. 12 Rom II-VO Rz. 57 (Stand 1.8.2018). Leible/Lehmann, RIW 2007, 721 (733). – Krit. dazu Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 30. Näher Junker in MünchKomm, Art. 12 Rom II-VO Rz. 29 ff. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12).

Martiny | 299

§ 4 Rz. 4.50 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

schadensbegründenden Ereignisses (the event giving rise to the damage; le fait générateur du dommage) ist als autonomer Begriff zu verstehen. Auch der gewöhnliche Aufenthalt ist autonom auszulegen (s. Art. 23 Rom II-VO, der Art. 19 Rom I-VO entspricht).

4.51

In zweiter Linie ist das Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist, maßgeblich (Art. 12 Abs. 2 lit. a Rom II-VO). Dies ist nach dem Wortlaut unabhängig davon, in welchem Staat das schadensbegründende Ereignis oder indirekte Schadensfolgen eingetreten sind. „Schaden“ ist als autonomer Begriff zu verstehen (s. Rz. 4.1). Gemeint ist der Erfolgsort1.

4.52

Ferner besteht eine Ausweichklausel. Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass das außervertragliche Schuldverhältnis eine offensichtlich engere Verbindung mit einem anderen als dem in den Buchstaben a oder b bezeichneten Staat aufweist, so gilt das Recht dieses anderen Staates (Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO). Die Verbindung muss offensichtlich enger sein, vgl. Rz. 4.16. Es kommt auf die Gesamtheit der Umstände an, die eine offensichtlich engere Verbindung zu dem Staat aufweisen2. Die Ausweichklausel des Art. 12 Abs. 2 lit. c Rom II-VO bezieht sich nicht auf die vertragsakzessorische Anknüpfung nach Abs. 1.

D. Reichweite des für außervertragliche Schuldverhältnisse maßgeblichen Rechts I. Geltungsbereich des anzuwendenden Rechts 4.53

Ebenso wie Art. 12 Rom I-VO umschreibt Art. 15 Rom II-VO die sachliche Reichweite des nach Art. 4 bis 14 Rom II-VO zur Anwendung kommenden Rechts (vgl. Rz. 3.116 f.). Die Vorschrift erfasst alle außervertraglichen Schuldverhältnisse. Angesichts der unterschiedlichen Qualifikation einzelner Rechtsfragen (etwa der Verjährung) in den Mitgliedstaaten soll die (nicht abschließende) Auflistung in Art. 15 lit. a-h Rom II-VO eine einheitliche Anwendung der Vorschriften gewährleisten.

4.54

Der Geltungsbereich des Schuldstatuts ist umfassend3. Zu ihm gehören sowohl die anspruchsbegründenden (Art. 15 lit. a Rom II-VO) als auch die anspruchsausschließenden und -beschränkenden Voraussetzungen (Art. 15 lit. b Rom II-VO), die Rechtsfolgen des außervertraglichen Schuldverhältnisses, insb. Gegenstand, Umfang und Art der geschuldeten Leistung (Art. 15 lit. c Rom II-VO) einschließlich der gerichtlichen Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung (Art. 15 lit. d Rom II-VO), die Übertragbarkeit des Anspruchs (etwa im Wege der Erbfolge oder Abtretung) (Art. 15 lit. e Rom II-VO), die Person des Anspruchsberechtigten und des Anspruchsgegners (Art. 15 lit. f Rom II-VO), die Haftung für andere (Art. 15 lit. g Rom IIVO) sowie das Erlöschen des Anspruchs, einschließlich der Verjährung und Verfristung (Art. 15 lit. h Rom II-VO). Soweit in Art. 15 Rom II-VO von Schaden die Rede ist, bezieht sich dieser Begriff auch hier auf alle außervertraglichen Schuldverhältnisse (Art. 2 Abs. 1 Rom II-VO).

1 G. Wagner, IPRax 2008, 1 (12). 2 Dazu Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (64). 3 Näher Junker in MünchKomm, Art. 15 Rom II-VO Rz. 4 ff.

300 | Martiny

E. Gesetzlicher Forderungsübergang und mehrfache Haftung | Rz. 4.58 § 4

II. Form Art. 21 Rom II-VO über die Form einseitiger Rechtsgeschäfte entspricht Art. 11 Abs. 3 Rom I-VO (vgl. Rz. 5.252 ff.). Für einseitige Rechtshandlungen1, die ein außervertragliches Schuldverhältnis betreffen (z.B. begründen oder beenden), gilt das nach den Art. 4 bis 14 Rom II-VO anwendbare Recht (lex causae) oder das Recht des Vornahmeortes (lex loci actus). Diese alternative Anknüpfung soll die Formgültigkeit begünstigen2. Freilich ist die praktische Bedeutung von Art. 21 Rom II-VO gering.

4.55

III. Beweis Die Regelung über den Beweis in Art. 22 Rom II-VO ist Art. 18 Rom I-VO nachgebildet (vgl. Rz. 3.176 ff.). Gesetzliche Beweisvermutungen und die Verteilung der Beweislast richten sich grundsätzlich nach dem gem. Art. 4 bis 14 Rom II-VO ermittelten Recht (Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO). Mit dieser materiell-rechtlichen Qualifikation ergänzt Art. 22 Abs. 1 Rom II-VO die allgemeine Bestimmung des Art. 15 Rom II-VO. Art. 22 Abs. 2 Rom II-VO betrifft nur die zum Beweis von Rechtshandlungen – nicht von Tatsachen – zulässigen Beweisarten, d.h. Beweismittel3. Der Vorbehalt zugunsten der lex fori begrenzt die alternative Anknüpfung.

4.56

IV. Eingriffsnormen Die Bestimmung des Art. 16 Rom II-VO entspricht Art. 9 Abs. 1 und 2 Rom I-VO. Die Vorschrift betrifft nur Eingriffsnormen (overriding mandatory provisions; dispositions impératives dérogatoires) der lex fori. „Zwingend“ i.S.d. Art. 16 Rom II-VO sind im Anschluss an die EuGH-Rechtsprechung4 „nationale Vorschriften [...], deren Einhaltung als so entscheidend für die Wahrung der politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation des betreffenden Mitgliedstaats angesehen wird, dass ihre Beachtung für alle Personen, die sich im nationalen Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats befinden, und für jedes dort lokalisierte Rechtsverhältnis vorgeschrieben ist“5, s. Rz. 5.1 ff. Die Beachtung ausländischer Eingriffsnormen ist – anders noch als im Entwurf der Rom II-VO – ungeregelt geblieben6. Wie diese Lücke zu füllen ist, ist noch ungeklärt7. Der ordre public ist in Art. 26 Rom II-VO gesondert geregelt8.

4.57

E. Gesetzlicher Forderungsübergang und mehrfache Haftung Befriedigt eine Person die Forderung des Gläubigers, ohne hierzu verpflichtet zu sein, handelt es sich um einen Fall der Geschäftsführung ohne Auftrag, und für Aufwendungsersatzansprüche greift Art. 11 Rom II-VO ein (Rz. 4.33 ff.). Besteht für den Dritten hingegen eine Ver1 Weiter zu verstehen als „Rechtsgeschäft“, Gebauer in BeckOGK, Art. 21 Rom II-VO Rz. 3 (Stand 1.2.2021). 2 Junker in MünchKomm, Art. 21 Rom II-VO Rz. 1. 3 Junker in MünchKomm, Art. 22 Rom II-VO Rz. 12. 4 Rz. 30 des Urteils EuGH v. 23.11.1999 – verb. C-369/96 und 376/96, ECLI:EU:C:1999:575 (Arblade und Leloup), Slg. 1999, I-8453 = NJW 2000, 1553. – Näher Junker in MünchKomm, Art. 16 Rom II-VO Rz. 10 ff. 5 Dazu Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (71 f.). 6 S. Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (644); G. Wagner, IPRax 2008, 1 (15). 7 Näher Junker in MünchKomm, Art. 16 Rom II-VO Rz. 23 ff. 8 Vgl. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (16).

Martiny | 301

4.58

§ 4 Rz. 4.58 | Außervertragliche Schuldverhältnisse und c.i.c.

pflichtung, den Gläubiger zu befriedigen, gilt für seine Berechtigung zum Rückgriff gegen den Schuldner der Art. 19 Rom II-VO über den gesetzlichen Forderungsübergang („subrogation“). Der wichtigste Anwendungsfall des Art. 19 Abs. 1 Rom II-VO ist der Rückgriff des Versicherers gegen den Ersatzpflichtigen (vgl. § 86 VVG, § 116 SGB X)1. Das Statut des Versicherungsvertrags (Zessionsgrundstatut) bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die Forderung des Geschädigten gegen den Ersatzpflichtigen auf den Versicherer übergeht2. Der Inhalt der Forderung, ihre Übertragbarkeit und Schuldnerschutzvorschriften richten sich nach dem gem. Art. 4 bis 14 Rom II-VO ermittelten Recht (Forderungsstatut). Eine gleich lautende Parallelvorschrift findet sich in Art. 15 Rom I-VO3, s. Rz. 3.295 ff.

4.59

Art. 20 Rom II-VO enthält eine besondere Regelung für den Ausgleich zwischen gleichrangig Verpflichteten (multiple liability; responsabilité multiple), etwa Mittätern einer unerlaubten Handlung. Art. 20 Rom II-VO entspricht Art. 16 S. 1 Rom I-VO4, vgl. Rz. 3.308.

1 S. G. Wagner, IPRax 2008, 1 (15 f.); Hübner in BeckOGK, Art. 19 Rom I-VO Rz. 4 (Stand 1.2.2021). Zu anderen Fällen Junker in MünchKomm, Art. 19 Rom II-VO Rz. 4 f. 2 Kadner Graziano, RabelsZ 73 (2009), 1 (71); Thiede in Soergel, Art. 19 Rom II-VO Rz. 11. 3 Dazu Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (638). 4 Früher Art. 13 EVÜ (Art. 33 Abs. 3 EGBGB). Vgl. Heiss/Loacker, JBl. 2007, 613 (638); G. Wagner, IPRax 2008, 1 (16).

302 | Martiny

§5 Eingriffsnormen (international zwingende Bestimmungen), Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften, Formvorschriften A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entstehungsgeschichte des Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Überblick über den Regelungsgehalt des Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . IV. Beschränkung der Bindungswirkung des Art. 9 Rom I-VO auf staatliche Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz der restriktiven Auslegung und Anwendung des Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anwendungsbereich des Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definition der „Eingriffsnorm“ gem. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO . . . a) Regelungsprogramm des Art. 9 Rom I-VO . . . . . . . . . b) Internationaler Geltungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz qualifizierter öffentlicher Interessen . . . . . . . . . . d) Einwirkung auf vertragliche Schuldverhältnisse . . . . . . . . 2. Zwingende Privatrechtsvorschriften als Eingriffsnormen . . . . . . . a) Ausnahmsweise Berücksichtigung zwingenden Sonderprivatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorrang kollisionsrechtlicher Sondervorschriften . . . . . . . c) Kriterien für die Berücksichtigung privatrechtlicher Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . 3. Geltung des Art. 9 Rom I-VO auch für Eingriffsnormen des Vertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Abgrenzungsfragen und Konkurrenzen im Übrigen . . . . . . . . . . . a) Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO . . b) Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO . . . c) Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO . . .

5.1 5.1 5.5 5.11

III. IV.

5.13 5.14 5.14

V.

5.15 5.15 5.15 5.16 5.17 5.18 5.19 5.19 5.21 5.22 5.23 5.25 5.25 5.26 5.28

VI. VII.

d) Art. 6 und Art. 8 Rom I-VO e) Art. 23 Rom I-VO . . . . . . . . f) Verhältnis zur Rom II-VO, insb. Art. 16 Rom II-VO . . . Rechtsfolgen des Art. 9 Rom I-VO . Sperrwirkung des Art. 9 Rom I-VO und materiell-rechtliche Berücksichtigung von Eingriffsnormen . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materiell-rechtliche Berücksichtigung der Eingriffsnormen . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . Vorgaben des Primärrechts für die Anwendung des Art. 9 Rom I-VO . 1. Primärrechtliche Grenzen der Anwendung von Eingriffsnormen . 2. Unionsrechtliche Pflicht zur Durchsetzung von Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verpflichtung zur Durchsetzung unionsrechtlicher Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . b) Keine Verpflichtung zur Anwendung der Eingriffsnormen anderer EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Insbesondere: Eingriffsnormen und Unionsprivatrecht . . . . . . . . a) Einführung . . . . . . . . . . . . . b) Verpflichtung zur Anwendung von Vorschriften des Unionsprivatrechts nach den Grundsätzen der „IngmarEntscheidung“ des EuGH . . c) Mindestharmonisierung und internationale Durchsetzung strengeren nationalen Rechts d) Keine Durchsetzung der lex fori bei richtlinienwidriger lex causae . . . . . . . . . . . . . . . Art. 9 Rom I-VO und Völkerrecht . Eingriffsnormen und Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5.29 5.30 5.34 5.35 5.36 5.36 5.37 5.37 5.39 5.40 5.40 5.41 5.41

5.44 5.45 5.45

5.47 5.51 5.52 5.53 5.54

Zwickel/Thode/Stelmasczcyk | 303

§ 5 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften 1. Beweislastverteilung . . . . . . . . . . 2. Bedeutung für die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsabreden . . . . . . 3. Inländische Eingriffsnormen und Anerkennung von Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen . . . . . . C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsvoraussetzungen . . a) Allgemeine Voraussetzungen b) Erfordernis hinreichenden Inlandsbezugs . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen der Anwendung von Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO . . . . . . . II. Einzelne Eingriffsnormen des deutschen Rechts (A–Z) . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines Vertragsrecht . . . . . 2. Außenhandel, Embargomaßnahmen, Finanzsanktionen . . . . . . . 3. Bank- und Kapitalmarktrecht, Anlegerschutz . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . b) Überweisungsvertrag . . . . . c) Wertpapier-, Depot- und Börsengeschäfte . . . . . . . . . d) Geldwäsche . . . . . . . . . . . . . 4. Corona: Bestimmungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Diskriminierungsschutz . . . . . . . 7. Erwerbs- und Berufstätigkeit . . . a) Allgemein . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsanwälte und Steuerberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Architekten und Ingenieure d) Bauträger . . . . . . . . . . . . . . . e) Öffentliches Preisrecht für Arzneimittel . . . . . . . . . . . . 8. Grundstücksbezogene Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Regelungen des Grundstücksverkehrs, Verwertungsregelungen . . . . . . . . . . . . . . b) Soziales Mietrecht . . . . . . . . 9. Handelsvertreterverträge . . . . . . 10. Kulturgüterschutz . . . . . . . . . . . . 11. Medienrecht, Mobilfunk . . . . . .

304 | Zwickel/Thode/Stelmasczcyk

5.54 5.56 5.58 5.59 5.59 5.59 5.60 5.60 5.61 5.62

D.

5.63 5.63

I.

5.64 5.66 5.66 5.67 5.69 5.74 5.75 5.77 5.78 5.79 5.79 5.80 5.86 5.87

II.

5.89 5.90 5.90 5.92 5.93 5.94 5.96

III.

12. Schutz des schwächeren Vertragsteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.98 a) Arbeitsverträge . . . . . . . . . . 5.98 b) Verbraucherverträge . . . . . . 5.106 aa) Allgemeines . . . . . . . . . 5.106 bb) Gewinnzusagen gem. § 661a BGB . . . . . . . . . 5.107 cc) Fernunterricht . . . . . . . 5.108 dd) Pauschalreisen . . . . . . . 5.109 13. Sozialrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.110 14. Transport- und Beförderungsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.111 15. Urhebervertragsrecht . . . . . . . . . 5.113 16. Versicherungsverträge . . . . . . . . 5.114 17. Währungs- und Devisenrecht . . 5.115 18. Wettbewerbs- und Kartellrecht . 5.121 Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO . . . . . . . . . 5.124 Regelungskonzept und Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO 5.124 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.124 a) Regelungskonzept . . . . . . . . 5.124 b) Rechtspolitische Einordnung und Perspektiven des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO . . . . . . . . 5.126 2. Anwendungsvoraussetzungen . . 5.127 a) Allgemeine Voraussetzungen 5.127 b) Keine Beschränkung auf Verbotsnormen . . . . . . . . . . . . 5.128 c) Eingriffsnormen des „Erfüllungsortes“ . . . . . . . . . . . . . 5.131 d) Kompatibilität der ausländischen Wertung mit inländischen policy-Erwägungen . 5.137 3. Rechtsfolgen der Anwendung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO . . . . . . . 5.140 4. Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.143 In der Regel mit inländischen Wertungen verträgliche ausländische Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . 5.144 1. Bodenverkehrsvorschriften . . . . 5.144 2. Erwerbs- und Berufstätigkeit . . . 5.145 3. Regelungen des Bank- und Kapitalmarktrechts . . . . . . . . . . . . . . 5.146 4. Kartellrechtliche Vorschriften . . 5.147 5. Außenhandelsrecht . . . . . . . . . . 5.148 6. Schutz ausländischer Kulturgüter 5.151 7. Devisenrecht . . . . . . . . . . . . . . . 5.153 Mit inländischen Wertungen unverträgliche ausländische Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.154

Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften | § 5 E. Checkliste zur Prüfung von Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.155 F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . 5.156 I. Das deutsche Internationale Devisenrecht: ein Überblick . . . . . . . . . . 5.156 II. Das IWF-Abkommen . . . . . . . . . . . . 5.158 1. Rechtsquelle . . . . . . . . . . . . . . . . 5.158 2. Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten des IWF . . . . . . . . . 5.160 III. Auslegung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen in der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . 5.161 1. Devisenkontrakt (exchange contract) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.161 a) Begriffsbestimmung in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . 5.161 b) Kreis der erfassten Geschäfte 5.165 c) Abkommenskonforme Begriffsbestimmung . . . . . . . . 5.171 2. Berührung der Währung eines Mitgliedstaates . . . . . . . . . . . . . . 5.172 3. Devisenkontrollbestimmungen . 5.176 4. Abkommenskonformität . . . . . . 5.180 5. Verstoß gegen abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.181 6. Unklagbarkeit (unenforceability) 5.182 a) Problemübersicht . . . . . . . . 5.182 b) Bisherige Rechtsprechung: Einordnung als Sachurteilsvoraussetzung . . . . . . . . . . . 5.184 IV. Reformvorschlag: Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit . . . 5.189 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.189 2. Maßgeblicher Zeitpunkt der Unklagbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.190 3. Berücksichtigung im Prozess . . . 5.191 4. Darlegungs- und Beweislast . . . . 5.192 5. Verjährungshemmung im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.193 6. Akzessorische Sicherungsrechte . 5.194 V. Autonomes Recht . . . . . . . . . . . . . . . 5.195 1. Anwendungsvoraussetzungen . . 5.195 2. Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.196 VI. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.198 1. Anwendbares internationales Devisenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.198

G. I.

II.

III.

IV.

2. Voraussetzungen des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolge des Art. VIII Abschn. 2 (b) IWF-Abkommen . 4. Autonomes internationales Devisenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . Form des Rechtsgeschäfts . . . . . . . . 1. Formerfordernisse i.S.d. Art. 11 Rom I-VO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beurkundung als Formerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . Verpflichtungsverträge . . . . . . . . . . 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Form des Schuldstatuts . . . . . . . a) Bestimmung durch Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teilrechtswahl . . . . . . . . . . . c) Nichtigkeit als Folge der Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . 3. Form des Ortes (lex loci actus) . a) Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO . . b) Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO (Distanzverträge) . . . . . . . . c) Art. 11 Abs. 3 Rom I-VO (einseitige Rechtsgeschäfte) d) Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO (Verbraucherverträge) . . . . . e) Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO („Sofern-Klausel“) . . . . . . . . 4. Heilung formnichtiger Verträge . Verfügungsgeschäfte . . . . . . . . . . . . 1. Anwendung von Art. 11 EGBGB 2. Verfügungsgeschäfte über in Deutschland belegene Grundstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . c) Entwicklungen . . . . . . . . . . d) Konsequenzen für die Praxis 4. Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . Beweiskraft der Vertragsurkunde . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Regeln des Urkundenrechts . . . . 3. Echtheit der Urkunde . . . . . . . . . 4. Protokollurkund . . . . . . . . . . . . .

5.199 5.200 5.201 5.202 5.202 5.203 5.206 5.213 5.219 5.219 5.221 5.221 5.225 5.234 5.239 5.239 5.244 5.252 5.255 5.256 5.260 5.270 5.270 5.278 5.279 5.279 5.284 5.288 5.289 5.294 5.299 5.299 5.301 5.303 5.310

Zwickel/Thode/Stelmasczcyk | 305

§ 5 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften a) Wahrheitsvermutung (§ 415 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.310 b) Urkundlich bezeugter Vorgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.319 5. Vermerkurkunden . . . . . . . . . . . 5.323 a) Erscheinungsformen . . . . . . 5.323 b) Beglaubigungsvermerk . . . . 5.325 c) „Öffentlich beglaubigte Form“ (§ 129 BGB) . . . . . . . 5.327 d) „Einbringung der Urkunde“ in das inländische Verfahren 5.336 e) Notarielle Prüfpflicht und Einreichungszuständigkeit (§ 378 Abs. 3 FamFG, § 15 Abs. 3 GBO) . . . . . . . . . . . . 5.340 f) Online-Handelsregisteranmeldungen nach dem DiRUG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.344 V. Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.347 1. Methode der Substitution . . . . . 5.347 a) Ausgangspunkt . . . . . . . . . . 5.347 b) Zweistufige Prüfung . . . . . . 5.350 c) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs der Substituierbarkeit (1. Stufe) . . . . . . . . . . . . 5.353 d) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs der Gleichwertigkeit (2. Stufe) . . . . . . . . . . . . 5.356 aa) Allgemein . . . . . . . . . . . 5.356 bb) Status der Urkundsperson . . . . . . . . . . . . . . . . 5.358 cc) Verfahren der Mitwirkung des Notars . . . . . . 5.359 2. Auslegung von Formerfordernissen des materiellen Rechts . . 5.362 a) Verfügungsgeschäfte über in Deutschland belegene Grundstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.362

b) Statusrelevante Maßnahmen im Gesellschaftsrecht . . . . . 5.373 c) Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen . . . . . . . . . . 5.374 aa) Ausgangspunkt . . . . . . 5.374 bb) Obiter dicta des BGH im Beschluss v. 13.2.2020 . 5.378 cc) Frühere Rechtsprechung des BGH . . . . . . . . . . . . 5.380 dd) Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 5.382 ee) Beschluss des BGH vom 17.12.2013 . . . . . . . . . . 5.384 ff) Historische Formzwecke des § 15 Abs. 3 GmbHG 5.387 gg) Normativ-dynamische Auslegung im Lichte aktueller Entwicklungen . 5.388 hh) Konsequenzen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . 5.403 3. Nachweis des Vertrags im Rechtsverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.404 4. Verwendung der Urkunde im inländischen Verfahren . . . . . . . . . 5.412 5. Nachweiserleichterung durch Bescheinigungen . . . . . . . . . . . . . . 5.417 a) Grundsätze . . . . . . . . . . . . . 5.417 b) Erweiterung des § 21 BNotO 5.420 c) Rechtliche Würdigung der Vertretungsmacht durch den ausstellenden Notar . . . . . . 5.422 d) Bescheinigungen ausländischer Notare . . . . . . . . . . 5.425 VI. Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.429

Literatur zu Art. 9 Rom I-VO: Ahrens, Grenzüberschreitendes Inkasso – Das Rechtsdienstleistungsgesetz als Eingriffsnorm des Art. 9 Rom I-VO, FS Geimer (2017), S. 1; d´Avout, Le sort des règles impératives dans le règlement Rom I, D. 2008, 2165; Bälz, Ausländische Wirtschaftssanktionen als Leistungshindernis in internationalen Verträgen, NJW 2020, 878; Basedow, Zuständigkeitsderogation, Eingriffsnormen und ordre public, FS Magnus (2014), S. 337; Bayreuther, Ist die Lohnwucherrechtsprechung international-privatrechtlich zwingend?, NZA 2010, 1157; Benzenberg, Die Behandlung ausländischer Eingriffsnormen im Internationalen Privatrecht (2008); Beulker, Die Eingriffsnormenproblematik in internationalen Schiedsverfahren (2005); Bitterich, Kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz, Eingriffsnormen und Binnenmarktstandard: Bestandsaufnahme und Ausblick auf den Rom IVorschlag, GPR 2006, 161; Bonomi, Le régime des règles impératives et des lois de police dans le Règlement Rome I sur la loi applicable aux contrats in Cashin Ritaine/Bonomi (Hrsg.), Le nouveau règlement européen Rome I releatif à la loi applicable aux obligations contractuelles (2008), 217; Chong, The Public Policy and Mandatory Rules of Third Countries in International Contracts, J. PIL 2006,

306 | Zwickel/Thode/Stelmasczcyk und Zwickel

Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften | § 5 27; Commandeur/Gößling, The determination of mandatory rules of law in International Arbitration – An attempt to set out criteria, SchiedsVZ 2014, 12; Deinert, Eingriffsnormen, Entsenderecht und Grundfreiheiten, FS Martiny (2014), S. 277; Dicey/Morris/Collins (Hrsg.), The Conflict of Laws, Second Supplement to the Fourteenth Edition (2008); Dickinson, Third-Country Mandatory Rules in the Law Applicable to Contractual Obligations: So Long, Farewell, Auf Wiedersehen, Adieu?, J. PIL 2007, 53; Dutson, The Law Applicable to Contracts – Amendments to Undermine Common Sense and the Attractiveness of European Courts, JIBFL 2006, 301; Einsele, Kapitalmarktrecht und Internationales Privatrecht, RabelsZ 81 (2017), 783; Fetsch, Eingriffsnomen und EG-Vertrag (2002); Ferrari/ Leible, Ein neues Internationales Vertragsrecht für Europa (2007); Freitag, Ausländische Eingriffsnormen vor deutschen Gerichten, NJW 2018, 430; Freitag, Einfach und international zwingende Normen – Anmerkungen zu einem restatement des Art. 7 EVÜ in einem künftigen Gemeinschaftsinstrument über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht, in Leible (Hrsg.), Das Grünbuch zum Internationalen Vertragsrecht (2004), S. 167; Freitag, Die kollisionsrechtliche Behandlung ausländischer Eingriffsnormen nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, IPRax 2009, 109; Freitag, Halbseitig ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen unter der Brüssel I-VO, FS Magnus (2014), S. 419; Gernert, Vertragskündigungen iranischer Geschäftsbeziehungen aufgrund US-Sanktionen und ein möglicher Verstoß gegen die EU-Blocking-Verordnung und § 7 AWV, IPRax 2020, 329; Gräfe/Giesa, Von Ingmar zu Unamar, ZVertriebsR 2014, 29; Hellner, Third Country Overriding Mandatory Rules in the Rome I Regulation: Old Wine in New Bottles?, JPIL 2009, 447; Hemler, Die Methodik der „Eingriffsnorm“ im modernen Kollisionsrecht (2019); James, Rome I – Shall we dance?, LFMR 2008, 113; Kieninger, Der grenzüberschreitende Verbrauchervertrag zwischen Richtlinienkollisionsrecht und Rom I-Verordnung, FS Kropholler (2008), S. 499; Kleinheisterkamp, Overriding mandatory laws in international arbitration, ICLQ 67 (2018), 903; Kocher, Diskriminierende Vertragsverweigerung als vorvertragliche Pflichtverletzung – Zum internationalen Privatrecht des Diskriminierungsschutzes, FS Martiny (2014), S. 411; Kohler, Parteiautonomie, zwingendes Recht und loyale Zusammenarbeit in der EU, FS Kronke (2020), S. 253; Kokott/Rosch, Eingriffsnormen und ordre public im Lichte der Rom I-VO, der Rom II-VO, der EuGVVO und der EU-InsVO, FS Kronke (2020), S. 265; Kuckein, Die „Berücksichtigung“ von Eingriffsnormen im deutschen und englischen internationalen Vertragsrecht (2008); Kunda, Internationally Mandatory Rules of a Third Country in European Contract Conflict of Laws (2007); Leible, Rom I und Rom II: Neue Perspektiven im Europäischen Kollisionsrecht (2009); Leible/ Lehmann, Die Verordnung über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), RIW 2008, 528; Lieberknecht, Die Blocking-Verordnung: Das IPR als Instrument der Außenpolitik, IPRax 2018, 573; Loacker, Der Verbrauchervertrag im internationalen Privatrecht (2006); Lüttringhaus, Eingriffsnormen im Internationalen Unionsprivat- und Prozessrecht: Von Ingmar zu Unamar, IPRax 2014, 146; Magnus/Mankowski, The Green Paper on a Future Rome I Regulation – on the Road to a Renewed European Private International Law of Contracts, ZVglRWiss 103 (2004), 131; Mankowski, Der Vorschlag für die Rom I-Verordnung, IPRax 2006, 101; Mankowski, Verbraucherkreditverträge und europäisches IPR: Internationale Zuständigkeit und Eingriffsrecht, ZEuP 2008, 845; Mankowski, Die Rom I-Verordnung – Änderungen im europäischen IPR für Schuldverträge, IHR 2008, 133; Mankowski, Die Rom I-Verordnung, EuZ 2009, 2; Mankowski, Politik und missliebige drittstaatliche Eingriffsnormen, RIW 2019, 180; Mankowski, Rom I-VO und Schiedsverfahren, RIW 2011, 30; Mankowski, Schiedsgerichte und die Verordnungen des europäischen Internationalen Privat- und Verfahrensrechts, FS von Hoffmann (2011), S. 1012; Mansel/Thorn/Wagner, Europäisches Kollisionsrecht 2008: Fundamente der Europäischen IPR-Kodifikation, IPRax 2009, 1; Max Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Comments on the European Commission´s Green Paper on the conversion of the Rome Convention of 1980 on the law applicable to contractual obligations into a Community instrument and its modernisation, RabelsZ 68 (2004), 1; Max Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Comments on the European Commission´s Proposal for a Regulation of the European Parliament and the Council on the law applicable to contractual obligations (Rome I), RabelsZ 71 (2007), 225; Maultzsch, Forumsfremde Eingriffsnormen im Schuldvertragsrecht zwischen Macht- und Wertedenken, FS Kronke (2020), S. 363; Maultzsch, Griechische Spargesetze und Internationales Privatrecht der Rom I-Verordnung, EuZA 2017, 241; Maultzsch, Rechtswahl und ius cogens im Internationalen Schuldvertragsrecht, RabelsZ 75 (2011), 60; Melcher in Gössl (Hrsg.), Politik und Internationales Privatrecht (2017), S. 129 (140 ff.); Pfeiffer, Neues

Zwickel | 307

§ 5 Rz. 5.1 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften Internationales Vertragsrecht – Zur Rom I-Verordnung, EuZW 2008, 622; Prieß/Schaper, Erfüllung oder Nichterfüllung – Zur Durchsetzbarkeit vertraglicher Ansprüche bei entgegenstehendem ausländischem Embargo, in Ehlers/Wolffgang (Hrsg.), Recht der Exportkontrolle (2015), (2015), S. 267; Remien, Drittstaatliche Handelsvertreter und die Richtlinie 86/653 in den Fängen der nationalen selbstbeschränkten Sachnorm und der Eingriffsnormenregelung des Art. 9 Rom I-VO – Bemerkungen zu EuGH Rs. C-507/15 – AGRO, FS Kronke (2020), S. 459; Renner, Ordre public und Eingriffsnormen: Konvergenzen und Divergenzen zwischen IPR und IZVR, in von Hein/Rühl (Hrsg.), Kohärenz im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Union (2016), S. 359; W.-H. Roth, Öffentliche Interessen im internationalen Privatrechtsverkehr, AcP 220 (2020), 458; Rühl, Die Wirksamkeit von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen im Lichte der Ingmar-Entscheidung des EuGH, IPRax 2007, 294; Schacherreiter, Der missglückte Legal Transplant des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO – Eine Kritik an der Regelung fremder Eingriffsnormen im europäischen internationalen Vertragsrecht, ZEuP 2015, 497;Schnyder, Keine Berührungsangst des Schweizerischen Bundesgerichts im Umfang mit Eingriffsnormen, FS Siehr (2010), S. 87; Siehr, Deutsche Arbeitsverträge mit der Republik Griechenland und Gehaltskürzungen nach griechischem Recht, RdA 2014, 206; Thon, Forumfremde Eingriffsnormen und Außenpolitik im IPR, IPRax 2019, 301; Thon, Transnationaler Datenschutz: Das Internationale Datenprivatrecht der DS-GVO, RabelsZ 84 (2020), 24; Thorn/Grenz, The Effect of overriding mandatory rules on the arbitration agreement, in Ferrari/Kröll (Hrsg.), Conflict of Laws in International Arbitration (2010), S. 187; Weller/Thomale/Zwirlein, Brexit: Statutenwechsel und Acquis communautaire, ZEUP 2018, 892; Wilderspin, The Rome I Regulation: Communitarisation and modernisation of the Rome Convention, ERA Forum 2008, 259.

A. Einführung I. Grundlagen 5.1

Art. 9 Rom I-VO regelt die Berücksichtigung zwingender Normen, die unabhängig vom Vertragsstatut Anwendung finden. Auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite bestehen hinsichtlich der kollisionsrechtlichen Behandlung solcher „international zwingender Bestimmungen“ oder „Eingriffsnormen“ (im Folgenden ist mit Art. 9 Rom I-VO nur von „Eingriffsnormen“ zu sprechen) erhebliche Unklarheiten. Eingriffsnormen sind vom sog. einfach zwingenden Recht i.S.d. sachrechtlichen ius cogens zu unterscheiden. Dieses ist ausschließlich dem Vertragsstatut zu entnehmen und kann von den Parteien abgewählt werden. Solche unabdingbaren Vorschriften dienen primär dem privaten Interessenausgleich und setzen der Privatautonomie Schranken. Demgegenüber sind Eingriffsnormen nur solche Vorschriften, die vom Erlassstaat aus allgemeinen wirtschaftlichen, sozialen oder sonstigen politischen Erwägungen für so bedeutsam gehalten werden, dass er sie auch im konkreten Vertragsverhältnis durchsetzen will und dies gerade unabhängig von und ggf. entgegen dem auf den Vertrag anwendbaren Recht (vgl. auch die Legaldefinition der Eingriffsnormen in Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, dazu Rz. 5.15 ff.).

5.2

Naturgemäß fiel es den Gerichten im In- und Ausland seit jeher leicht, Eingriffsnormen des eigenen Rechts gegen das Vertragsstatut zur Anwendung zu bringen und so inländischen Gerechtigkeitsvorstellungen zur Durchsetzung zu verhelfen. Es versteht sich von selbst, dass die Staaten ihre eigenen fundamentalen öffentlichen Interessen unabhängig von der Frage des auf die privatrechtlichen Beziehungen der Parteien anwendbaren Rechts schützen wollen und dass eine gänzliche Loslösung der Parteien von grundlegenden staatlichen Wertungen allein aufgrund Rechtswahl Gerechtigkeitsdefizite verursachen kann.

308 | Zwickel

A. Einführung | Rz. 5.4 § 5

Demgegenüber stieß die Berücksichtigung ausländischer bzw. forumsfremder Eingriffsnormen (auch solcher des Vertragsstatuts, dazu Rz. 5.23 ff.) schon immer auf Bedenken; die Zahl der Gerichtsentscheidungen, die ausländischen Eingriffsnormen im Inland echte Rechtswirkungen zugesprochen haben, ist dementsprechend gering. Für das deutsche Recht sind namentlich die Entscheidungen des BGH in Sachen „Borax“1, „Borsäure“2 und „nigerianische Masken“3 zu nennen, vergleichbare Entscheidungen der Gerichte anderer EU-Mitgliedstaaten sind rar4. Die deutsche Rechtsprechung begründet ihre bisherige grundsätzliche Weigerung, ausländische Eingriffsnormen als Recht anzuwenden, traditionell mit dem Territorialitätsprinzip, wonach kein Staat ausländisches öffentliches Recht anwenden müsse5. Diese Sichtweise, die an der Qualifikation von Eingriffsnormen als Vorschriften des öffentlichen Rechts ansetzt, greift freilich zu kurz, da es allein um die Anerkennung der zivilrechtlichen Wirkungen ausländischer Normen geht, die etwa im deutschen Recht über den Hebel der Generalklausel des § 134 BGB herbeigeführt werden können. Diese privatrechtlichen Wirkungen der Eingriffsnormen aber, die sich aus einem kombinierten zivil- und öffentlich-rechtlichen Gesamttatbestand ergeben, sind nach herkömmlichen Ansätzen zur Abgrenzung von privatem und öffentlichem Recht dem Zivilrecht im weiteren Sinne zuzurechnen6. Entscheidend ist, dass ausländische Eingriffsnormen rechtspolitische Interessen ihres Erlassstaates transportieren, die mit den inländischen nicht zwingend übereinstimmen und diesen auch widersprechen können7. Das zeigt besonders plastisch der Fall der früheren einseitigen Handelsembargen der USA gegenüber Libyen, dem Iran und Kuba, die extraterritoriale Wirkung auch für nicht-amerikanische (und damit auch für europäische) Unternehmen zeitigen sollten und die die EU mit der gegenläufigen VO 2271/968 konterte, mit der sie die Befolgung der US-Embargos ihrerseits untersagte (Nachw. Rz. 5.149).

5.3

Vor dem Hintergrund der kollisionsrechtlichen Dispositivität des einfachen ius cogens und der unabdingbaren Natur von Eingriffsnormen und der unterschiedlichen Behandlung beider Normgruppen bedarf es naturgemäß der in Erwägungsgrund 37 zur Rom I-VO angesprochenen Abgrenzung zwischen einfach und international zwingenden Vorschriften. Diese ist schon deswegen nicht einfach, weil staatliches Recht stets öffentliche Interessen verfolgt. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich spätestens seit dem Inkrafttreten der Rom I-VO ferner daraus, dass die Rom I-VO ein möglichst einheitliches, unionsrechtliches Anknüpfungssystem schaffen will. Dieses aber wird in Frage gestellt, soweit über Art. 9 Rom I-VO und entgegen der lex causae nationale Standards durchgesetzt werden. Jede Derogation vom europäisch be-

5.4

1 BGH v. 21.12.1960 – VIII ZR 1/60 (Borax), BGHZ 34, 169 (177) = NJW 1961, 822. 2 BGH v. 24.5.1962 – II ZR 199/60 (Borsäure), NJW 1962, 1436 (1437) = MDR 1962, 719 Anm. Sieg. 3 BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70 (nigerianische Masken), BGHZ 59, 82 (85) = NJW 1972, 1575 (Anm. Mann, NJW 1972, 2179). 4 Vgl. die Nachw. bei Kunda, Internationally Mandatory Rules of a third country in the European contract conflict of laws (2007), S. 64 ff. 5 Etwa BGH v. 11.2.1953 – II ZR 51/52, BGHZ 9, 34; BGH v. 22.11.1953 – V ZR 86/52, BGHZ 12, 79; BGH v. 17.12.1959 – VII ZR 198/58, BGHZ 31, 367 (371); BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183; BGH v. 4.6.2002 – XI ZR 301/01, NJW 2002, 2389 (2390). 6 Wie hier etwa von Bar/Mankowski, I § 4 Rz. 52 ff.; Benzenberg, S. 60 f.; Kuckein, S. 29 ff., 32 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 12, jew. m.w.N. zur Gegenauffassung. 7 Nachw. vorstehende Fn. sowie etwa Beulker, S. 25 ff. 8 VO (EG) Nr. 2271/96 des Rates v. 22.11.1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl. EG 1996 Nr. L 309, 1.

Zwickel | 309

§ 5 Rz. 5.4 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

stimmten Vertragsstatut stellt einen aus unionsrechtlicher Sicht grundsätzlich unerwünschten Störfaktor dar, der dem Vereinheitlichungsgedanken der Verordnung zuwiderläuft. Art. 9 Rom I-VO ist daher restriktiv auszulegen und anzuwenden. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der 2013 ergangenen Entscheidung „Unamar“1 zu, die sich zwar noch auf das EVÜ bezieht2, vom EuGH indes explizit auch mit Sicht auf die Rom I-VO erlassen wurde3. Insbesondere hat der EuGH in Übereinstimmung mit der bereits vorliegenden nationalen Rechtsprechung4 und dem ganz überwiegenden Schrifttum5 den Grundsatz der restriktiven Anwendung von Eingriffsnormen bereits mehrfach bestätigt6 (näher Rz. 5.14).

II. Entstehungsgeschichte des Art. 9 Rom I-VO 5.5

Das i.R.d. Vorbereitung der Schaffung der Rom I-VO (hierzu auch Rz. 1.48 ff.) von der Kommission als Konsultationsgrundlage vorgelegte Grünbuch aus dem Jahre 20037 enthielt mehrere Fragen zu Erwünschtheit und Ausgestaltung spezieller Regelungen über Eingriffsnormen in einem künftigen europäischen Instrument8.

5.6

Nach Beendigung des Konsultationsprozesses hielt die Kommission eine Regelung der Thematik für erforderlich und präsentierte 2005 in ihrem ersten Vorschlag für die Rom I-VO9 mit Art. 8 VO-E einen ersten, an Art. 7 EVÜ angelehnten Entwurf, der bereits die gleiche Gliederung wie die endgültige Fassung des Art. 9 Rom I-VO10 enthielt. Die Definition der Eingriffsnormen in Art. 8 Abs. 1 des ersten VO-E, die derjenigen des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO fast wörtlich entspricht, entnahm die Kommission bewusst11 dem Urteil des EuGH vom 23.11.1999 in Sachen „Arblade und Leloup“12. Art. 8 Abs. 2 VO-E entsprach weitgehend Art. 7 Abs. 2 EVÜ und dem späteren Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO und sollte die „Anwendung“ der Eingriffsnormen der lex fori gestatten. Art. 8 Abs. 3 des Vorschlags schließlich befasste

1 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 (m. Anm. Lüttringhaus, IPRax 2014, 146). 2 Zur Rechtslage nach dem EVÜ s. 8. Aufl., Rz. 5.5 f. 3 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 (m. Anm. Lüttringhaus, IPRax 2014, 146) Rz. 48. 4 Ausdrücklich BGH v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, BGHZ 165, 248 = ZIP 2006, 1016 (257 f.). 5 von Hoffmann, IPRax 1989, 261 (265); Taupitz, BB 1990, 642 (649); Sonnenberger, FS Fikentscher (1998), S. 283 ff.; Sonnenberger, IPRax 2003, 104 ff.; Freitag/Leible, ZIP 1999, 1296 (1299); Freitag, NJW 2018, 430; Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (368); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (49); Pfeiffer, FS Geimer (2002), S. 821 (829); Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 (171); Bitterich, GPR 2006, 161 (163); von Hoffmann in Soergel, Art. 34 EGBGB Rz. 16. 6 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 (m. Anm. Lüttringhaus, IPRax 2014, 146) Rz. 49; EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141 m. Aufs. W.-H. Roth, IPRax 2018, 177. 7 KOM(2002), 654 endgültig. 8 Speziell zur Eingriffsnormenproblematik insb. Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 ff. 9 KOM(2005), 650 endgültig. Hierzu etwa Chong, J. PIL 2006, 27; Dickinson, J. PIL 2007, 53; Dutson, JIBFL 2006, 300; Mankowski, IPRax 2006, 101; Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 71 (2007), 225; Thorn in Ferrari/Leible, S. 129. 10 Zur Begründung des Vorschlags vgl. KOM(2005), 650 endgültig, S. 8. 11 Vgl. die Begründung des Vorschlags, KOM(2005), 650 endgültig, S. 8. 12 Rz. 30 des Urteils EuGH v. 23.11.1999 – verb. C-369/96 und 376/96, ECLI:EU:C:1999:575 (Arblade und Leloup), NZA 2000, 85.

310 | Zwickel

A. Einführung | Rz. 5.9 § 5

sich mit forumsfremden Eingriffsnormen und entsprach fast wörtlich dem bisherigen Art. 7 Abs. 1 EVÜ1. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren wurden die Definition der Eingriffsnormen und die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Anwendung eigener Eingriffsnormen praktisch allgemein anerkannt, während es sich bei der Thematik der Behandlung ausländischer Eingriffsnormen (neben der Anknüpfung von Zessionen) um die wohl umstrittenste Regelung der geplanten Rom I-VO handelte. Die diesbezüglichen Kontroversen zwischen Kommission und den im Rat vertretenen Mitgliedstaaten haben nicht nur den Erlass der Verordnung erheblich verzögert; die Existenz des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ist auch einer der zentralen Gründe, die das Vereinigte Königreich dazu veranlasst hatten, den „Beitritt“ zur Rom I-VO zunächst in Frage zu stellen2 – und dies trotz des Umstandes, dass Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO auf Druck Großbritanniens im Wesentlichen auf englischen Vorbildern beruht.

5.7

Die Kommission hatte Art. 8 Abs. 3 VO-E damit begründet, nur die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen könne bei alternativen Gerichtsständen die Rechtseinheit in der Union wahren. Zudem rechnete sie mit weitgehender Akzeptanz der Regelung, weil selbst solche Mitgliedstaaten, die Vorbehalt gegen Art. 7 Abs. 1 EVÜ eingelegt hatten, ausländische Eingriffsnormen keineswegs generell unberücksichtigt ließen (zum deutschen und engl. Recht s. 8. Aufl., Rz. 5.5). Schließlich erschien es der Kommission in einem „echten europäischen Rechtsraum als wesentlich“, Eingriffsnormen zumindest anderer Mitgliedstaaten zu berücksichtigen, ohne dass sich indes eine derartige Beschränkung im Vorschlag niedergeschlagen hätte.

5.8

Der Vorschlag stieß bei manchen Mitgliedstaaten (v.a. Vereinigtes Königreich3, aber auch Deutschland und Luxemburg) auf erbitterten Widerstand. Teils sollten Beschränkungen der Parteiautonomie durch Eingriffsnormen begrenzt werden, teils wurden Einbußen an Rechtssicherheit befürchtet4. In der Folge enthielt das erste „Kompromisspaket“ des Rates aus dem Frühjahr 2007 keinen konkreten Vorschlag für eine Regelung der Problematik ausländischer Eingriffsnormen, da man sich unter den Mitgliedstaaten nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnte5. Später präsentierten der deutsche Vorsitz des Rates für das erste Halbjahr 2007 und der portugiesische Vorsitz für das zweite Halbjahr 2007 gemeinsam einen Vermerk über die im Ausschuss des Rates für Zivilrecht gefundenen Ergebnisse6, der lediglich einen vorläu-

5.9

1 „Weist der Sachverhalt eine enge Verbindung zu einem anderen Staat auf, kann den Eingriffsnormen dieses Staates ebenfalls Wirkung verliehen werden. Bei der Entscheidung, ob diesen Normen Wirkung zu verleihen ist, berücksichtigt das Gericht Art und Zweck dieser Normen nach Maßgabe der Begriffsbestimmung in Abs. 1 sowie die Folgen, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung für das mit der betreffenden Eingriffsnorm verfolgte Ziel sowie für die Parteien ergeben würden.“ 2 Nachträglich hatte die Kommission die Rom I-VO auf Antrag des Vereinigten Königreichs auf dieses erstreckt (vgl. die Entscheidung v. 22.12.2008, ABl. EU 2009 Nr. L 10, 22). Zur Situation nach dem Brexit s. Rz. 1.62 f. 3 Kritisch insb. Dickinson, J. PIL 2007, 53 ff.; Dutson, JIBFL 2006, 300 (301 f.); James, LFMR 2008, 113. Den Kommissionsvorschlag begrüßend etwa Stone, EU Private International Law, 2006, 310 f.; Chong, J. PIL 2006, 27 ff. Vgl. auch Dicey/Morris/Collins, Nachtrag 2008 zur 14. Aufl., Rz. 32–132. 4 Corneloup, J.C.P. G 2008, I 205, 21 (24) sowie Dickinson, J. PIL 2007, 53 ff.; Dutson, JIBFL 2006, 300 (301 f.); James, LFMR 2008, 113. 5 Vgl. Ratsdokument 8022/07 ADD 1 v. 30.3.2007, endgültige überarbeitete Fassung v. 13.4.2007, Ratsdokument 8022/07 ADD 1 REV 1. 6 Dokument 11150/07.

Zwickel | 311

§ 5 Rz. 5.9 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

figen und nicht näher begründeten Vorschlag für einen Art. 8 Abs. 3 enthielt, der mehrere Formulierungsvarianten zur Auswahl stellte1. Hinzu kamen unterschiedliche Kompromissvorschläge einzelner Mitgliedstaaten, insbesondere Schwedens, die aber im Ausschuss des Rates für Zivilrecht keine Zustimmung fanden. Auch im Europäischen Parlament wurde die Problematik ausländischer Eingriffsnormen kontrovers behandelt. Zunächst verzichtete auch der Berichterstatter des Rechtsausschusses2 auf einen eigenen Regelungsvorschlag, um einen Kompromiss mit dem Rat zu ermöglichen. Der endgültige Bericht des Rechtsausschusses3 sah demgegenüber eine vollständige Streichung des Art. 8 Abs. 3 und damit der Regelung über die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen vor, um Übereinstimmung mit der Parallelnorm des Art. 16 Rom II-VO zu erzielen. Die legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 29.11.20074 enthält – offenbar nach Abstimmung zwischen Parlament und Rat – den endgültigen Verordnungswortlaut.

5.10

Bedauerlicherweise werden die genauen Hintergründe der endgültigen Textfassung wohl dauerhaft unklar bleiben, da sie weder in den Gesetzgebungsunterlagen noch in den Erwägungsgründen erörtert werden. Doch fällt auf und folgt aus der Entstehungsgeschichte der Norm, dass sich Art. 9 Rom I-VO im Wesentlichen am englischen Vorbild orientiert. Dieses ist insbesondere5 durch die berühmte „Ralli-Entscheidung“ des Court of Appeal aus dem Jahre 19206 geprägt. Die zentrale Aussage dieses Urteils, wonach ein Vertrag unwirksam sei, wenn seine Durchführung dem Recht des Erfüllungsorts widerspricht7, ist fast wörtlich in den Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO eingeflossen. Trotz aller Nähe zum englischen Recht ist die Rom I-VO als Unionsrechtsakt autonom anhand der Auslegungsgrundsätze des europäischen Rechts zu interpretieren. Dem englischen Vorbild kommt gleichwohl erhebliche Bedeutung für das Normverständnis zu.

III. Überblick über den Regelungsgehalt des Art. 9 Rom I-VO 5.11

Art. 9 Rom I-VO regelt die Behandlung in- und ausländischer Eingriffsnormen für das Internationale Vertragsrecht8 unionsweit (mit Ausnahme Dänemarks) einheitlich.

5.12

Die Binnensystematik des Art. 9 Rom I-VO ergibt sich bereits aus der Reihenfolge seiner Absätze: Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO definiert einheitlich für die gesamte Bestimmung den Begriff der Eingriffsnormen. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO gestattet den Mitgliedstaaten die Durchsetzung 1 „Den Eingriffsnormen des Staates, in dem der Vertrag [die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen] erfüllt werden soll [sollen] oder erfüllt worden ist [sind], [oder des Staates, in dem die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,] kann Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen den Vertrag [die Erfüllung des Vertrages] unrechtmäßig werden lassen. Bei der Entscheidung, ob diesen Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser Normen (...) sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung (...) ergeben würden.“ 2 Vorläufiger Bericht v. 28.8.2007, PE 393.566v01-00, S. 23. 3 Endgültiger Bericht v. 21.11.2007, Dokument A6-0450/2007. 4 Dokument P6_TA(2007)0560. 5 Ausf. zum engl. Recht Kuckein (2008); Lehmann/Ungerer, YbPIL 19 (2017/2018), 53, 62 f. 6 Ralli Bros. v. Compania Naviera Sota y Aznar [1920] 2 K.B. 287 (C.A.). 7 „A contract [...] is [...] invalid in so far as [...] the performance of it is unlawful by the law of the country where the contract is to be performed [...].“ 8 Für außervertragliche Schuldverhältnisse enthält Art. 16 Rom II-VO eine Parallelvorschrift, die allerdings ausschließlich die Anwendung international zwingender Bestimmungen der lex fori gestattet.

312 | Zwickel

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.14 § 5

der Eingriffsnormen ihres eigenen Rechts, d.h. der lex fori, auch gegen ein ausländisches Vertragsstatut. Dagegen regelt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO die Voraussetzungen, unter denen Eingriffsnormen des am Erfüllungsort geltenden Rechts „Berücksichtigung finden“ können. Die Behandlung von Eingriffsnormen des Vertragsstatuts wird von Art. 9 Rom I-VO nicht explizit angesprochen, doch lassen Historie, Telos und Systematik des Art. 9 Rom I-VO sowie Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO insoweit allein den Schluss zu, dass derartige Eingriffsnormen nur unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO (bei Identität von lex fori und lex causae) bzw. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO (bei Geltung des Vertragsstatuts am vertraglichen Erfüllungsort) berufen werden (ausf. dazu Rz. 5.23 f.).

IV. Beschränkung der Bindungswirkung des Art. 9 Rom I-VO auf staatliche Gerichte Unbestritten können die staatlichen Gerichte der EU-Mitgliedstaaten in- und ausländischen Eingriffsnormen über Art. 9 Rom I-VO zur Durchsetzung verhelfen. Problematisch erscheint die Beachtlichkeit des Art. 9 Rom I-VO für nichtstaatliche Spruchkörper, insbesondere für Schiedsgerichte. Die Diskussion hängt freilich nur scheinbar mit der generellen Frage zusammen, ob der Anwendungsbefehl der Rom I-VO generell allein für staatliche Gerichte oder aber auch für nichtstaatliche Spruchkörper gilt (dazu ausf. Rz. 7.443 ff.). Auf diese Frage kommt es in Bezug auf Eingriffsnormen deswegen nicht an, weil nicht Art. 9 Rom I-VO, sondern der jeweilige Erlassstaat darüber entscheidet, ob eine Bestimmung als international zwingend anzusehen ist (dazu Rz. 5.17). In Bezug auf Eingriffsnormen des deutschen Rechts (Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO) ist § 1051 ZPO die Wertung zu entnehmen, dass der deutsche Gesetzgeber im sachlichen Anwendungsbereich des § 1051 ZPO den Eingriffsnormen des deutschen Rechts vor inländischen Schiedsgerichten gerade keinen international zwingenden Anwendungsbefehl zuschreibt (wie hier Rz. 7.446). Eine solchermaßen reduzierte Bedeutung der inländischen Eingriffsnormen in Abhängigkeit von der staatlichen oder nichtstaatlichen Natur des Spruchkörpers ist deswegen tragbar, weil die Bundesrepublik diejenigen Bestimmungen, die ihr besonders wichtig sind, weiterhin öffentlich-rechtlich durchsetzen wird. Eingriffsnormen anderer Rechte als der lex fori müssen nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO selbst von staatlichen Gerichten nicht beachtet werden, so dass Schiedsgerichte ohne weiteres entscheiden können, diese generell außer Acht zu lassen.

5.13

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO I. Grundsatz der restriktiven Auslegung und Anwendung des Art. 9 Rom I-VO Bei Anwendung des Art. 9 Rom I-VO ist nach allg.M. im Schrifttum1 sowie nach der deutschen obergerichtlichen Judikatur2 äußerste Zurückhaltung geboten. So weist Erwägungsgrund 37 zur Rom I-VO ausdrücklich auf das Gebot der restriktiven Anwendung des Art. 9 Rom I-VO hin. Der EuGH hat mehrfach, zuletzt in der Rechtssache Nikiforidis, das Gebot

1 Mankowski, IPRax 2006, 101 (109 f.); Mankowski, IHR 2008, 133 (147); d’Avout, D. 2008, 2165 (2167 f.); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 2; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 2; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 6. 2 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 14.

Zwickel | 313

5.14

§ 5 Rz. 5.14 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

der restriktiven Anwendung und Auslegung des Art. 9 Rom I-VO betont1. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Die Berücksichtigung in- oder ausländischer Eingriffsnormen stellt neben der Berufung auf den Vorbehalt des ordre public (Art. 21 Rom I-VO) ein zentrales Einfallstor für rechtspolitische Wertungen der Mitgliedstaaten in das einheitliche Kollisionsrecht der Rom IVO dar2. Bei Art. 9 Rom I-VO handelt es sich zwar um eine Öffnungsklausel, die es den Mitgliedstaaten (bzw. deren Gerichten) ermöglicht, das an sich einheitliche Anknüpfungssystem zugunsten der Wertungen des nationalen Rechts einzuschränken. Die Anwendung von Art. 9 Rom I-VO trägt aber den Keim der Rechtszersplitterung und -unsicherheit in sich. Zugleich schränkt Art. 9 Rom I-VO die durch Art. 3 Rom I-VO grundsätzlich gewährte Parteiautonomie ein.

II. Anwendungsbereich des Art. 9 Rom I-VO 1. Definition der „Eingriffsnorm“ gem. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO a) Regelungsprogramm des Art. 9 Rom I-VO

5.15

Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO definiert Eingriffsnormen als Vorschriften, „deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden sind, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“ Diese auf den Kommissionsvorschlag (dazu Rz. 5.6) und damit auf die EuGH-Entscheidung in Sachen „Arblade und Leloup“ (Nachw. in Rz. 5.6) zurückgehende Fassung fordert das Vorliegen eines „öffentlichen Interesses“ des Erlassstaates an der international zwingenden Durchsetzung der betreffenden Norm. Die Formulierung stimmt damit in begrüßenswerter Weise3 mit dem bisherigen Verständnis der Eingriffsnormen im deutschen Kollisionsrecht (ehemals Art. 34 EGBGB) überein (Nachw. in der 8. Aufl., Rz. 5.5). Ferner beendet die Verordnung durch die Verwendung des Begriffs „Eingriffsnorm“ die unter dem EVÜ bestehende Begriffswirrung zwischen einfach und international zwingenden Bestimmungen4. Daraus folgt auch für die Rom I-VO unzweifelhaft, dass nicht alle einfach zwingenden Vorschriften zugleich zu den Eingriffsnormen zählen, was auch Erwägungsgrund 37 verdeutlicht. Hinsichtlich der Anforderungen, die an die Qualifikation von Eingriffsnormen zu stellen sind, folgt Art. 9 Rom I-VO – auch nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 EVÜ5 – einem zweistufigen Regelungsprogramm6.

1 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141; noch zum EVÜ: EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 Rz. 49; zustimmend Mankowski, EWiR 2014, 11. 2 Die Parallelität beider Vorschriften stellt auch Erwägungsgrund 37 der Rom I-VO heraus. 3 So auch Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 103 (2004), 131 (178); Mankowski, IPRax 2006, 101 (109); Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, RabelsZ 71 (2007), 225, (314 [Rz. 139]); krit. Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (135). Anders etwa Wilderspin, ERA Forum 2008, 259 (272). 4 Dazu Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 (172 ff.). 5 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 Rz. 46-48. 6 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141 Rz. 41; Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 (176); Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (136).

314 | Zwickel

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.18 § 5

b) Internationaler Geltungsanspruch In einem ersten Schritt ist anhand des nationalen Rechts (im Fall des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO der lex fori, im Fall des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO des Rechts des ausländischen Erlassstaates) festzustellen, ob die in Betracht kommende Vorschrift überhaupt i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom IVO international zwingende Anwendung begehrt, d.h. Geltung unabhängig vom Vertragsstatut beansprucht.

5.16

c) Schutz qualifizierter öffentlicher Interessen Bejahendenfalls ist sodann in einem zweiten Schritt auf der Ebene des Unionsrechts zu prüfen, ob die von der Vorschrift verfolgten öffentlichen Interessen so gewichtig sind, dass die betreffende Vorschrift die Öffnungsklausel des Art. 9 Rom I-VO passieren kann1. Die Mitgliedstaaten haben bei der Bestimmung des Charakters einer Vorschrift als Eingriffsnorm einen erheblichen Ermessensspielraum, während der EuGH nur dazu in der Lage ist, allgemeine Grenzen des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO festzulegen und Missbräuche zu verhindern2. Allerdings ist erneut darauf hinzuweisen, dass Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO grundsätzlich eng auszulegen ist und daher keinesfalls leichtfertig einfach zwingende Vorschriften zu Eingriffsnormen „hochstilisiert“ werden dürfen (dazu bereits Rz. 5.14).

5.17

Im Übrigen setzt die Legaldefinition des Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO grundsätzlich beim Zweck der betreffenden Bestimmung an, indem sie darauf abstellt, ob die Vorschrift „entscheidend für die Wahrung des öffentlichen Interesses“ ihres Erlassstaates ist. Diese Formulierung entspricht weitgehend dem bisherigen Meinungsstand im deutschen Recht (Nachw. in der 8. Aufl., Rz. 5.5), wo ebenfalls darauf abgestellt wurde, ob die betreffende Vorschrift primär allgemein ordnungspolitische Interessen verfolge oder in erster Linie den Interessenausgleich Privater bezwecke. d) Einwirkung auf vertragliche Schuldverhältnisse Art. 9 Rom I-VO dient der Einwirkung auf vertragliche Schuldverhältnisse, nicht aber dazu, Ansprüche oder Rechte ohne vertraglichen Geltungsgrund i.S.d. Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO zu begründen oder durchzusetzen. Sollen einer Partei eines Vertrages daher ex lege Ansprüche oder Rechte gegenüber einem Dritten zugewiesen werden, die ihr nach der lex causae nicht zustehen bzw. soll umgekehrt der Dritte aus einem für ihn fremden Vertrag berechtigt werden, ist primär zu klären, ob die gewünschte „Drittwirkung“ überhaupt als „vertraglich“ i.S.d. Art. 1 Rom I-VO eingeordnet werden kann. Verneinendenfalls kommt nicht in Betracht, außervertragliche Schuldverhältnisse über den Hebel des Art. 9 Rom I-VO in den Anwendungsbereich des Europäischen Internationalen Vertragsrechts zu ziehen. Insoweit ist vielmehr eine Anknüpfung der betreffenden Ansprüche bzw. Rechte und Pflichten nach der Rom II-VO oder – soweit der sachliche oder zeitliche Anwendungsbereich der Rom II-VO nicht eröffnet ist – nach nationalem Recht vorzunehmen. Das gilt namentlich für Ansprüche aus Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte3, die ebenso unter die Rom II-VO fallen wie solche aus culpa in contrahendo (Art. 12 Rom II-VO). Verfehlt ist daher etwa die Rechtsprechung der französi1 Näher Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 (174 ff.); Mankowski, IPRax 2006, 321 (331); Bitterich, GPR 2006, 161 (164); Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (136). 2 Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (136). Für eine vollständige unionsrechtliche Kontrolle Bitterich, GPR 2006, 161 (165). 3 Dutta, IPRax 2009, 293.

Zwickel | 315

5.18

§ 5 Rz. 5.18 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

schen Cour de Cassation1, wonach ein Subunternehmer (sous-traitant) von dem im Ausland ansässigen Auftraggeber eines in Frankreich zu errichtenden Bauwerkes (maître d’ouvrage) unabhängig von dem auf General- und Subunternehmervertrag anwendbaren Recht Erfüllung seiner gegen den Generalunternehmer gerichteten Forderungen nach den französischen Subunternehmerschutzbestimmungen2 verlangen kann (sog. „action directe“). Der nach französischem Recht bestehende Anspruch des Subunternehmers gegen den Auftraggeber beruht nicht auf einer vertraglichen Willenseinigung dieser Parteien, sondern auf (wenn auch ungeschriebener) gesetzlicher Anordnung. Bei der action directe kann es sich daher allenfalls um einen (außervertraglichen) Anspruch sui generis handeln, der nach der Rom II-VO anzuknüpfen ist3, falls man ihn nicht gar prozessrechtlich einordnet4. In Bezug auf § 661a BGB, der einen Anspruch aus Gewinnzusagen anordnet, spricht ebenfalls viel für eine Zuordnung zur Rom II-VO und, bei vorliegendem Vertrag zwischen den Parteien, für vertragsakzessorische Anknüpfung i.S.d. Art. 4 Abs. 3 S. 2 Rom II-VO (näher dazu Rz. 5.107).

2. Zwingende Privatrechtsvorschriften als Eingriffsnormen a) Ausnahmsweise Berücksichtigung zwingenden Sonderprivatrechts

5.19

Art. 9 Rom I-VO erfasst damit in erster Linie öffentlich-rechtliche Normen mit Privatrechtswirkung5. Probleme bereitet aber auch unter Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO die im bisherigen Recht insbesondere zu den Widerrufsrechten des deutschen Rechts6 sowie im Verbraucherkreditrecht (das von der französischen Cour de Cassation7 anders als vom BGH8 als international zwingend angesehen wurde)9 abundant diskutierte Frage10, ob auch Vorschriften des Privatrechts als Eingriffsnormen qualifiziert werden können.

5.20

Im Schrifttum wird vereinzelt vertreten, privatrechtliche Bestimmungen seien vom Anwendungsbereich des Art. 9 Rom I-VO generell ausgeschlossen, da es insoweit an dem von Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO besonders betonten „öffentlichen“ Interesse des Erlassstaates fehle11. Dem 1 Französ. Cass., ch. mixte, v. 30.11.2007 – 06-14006, IBR 2008, 428 (Anm. Berlioz J.C.P. É 2008 Nr. 1201, 23; d’Avout, J.C.P. G Nr. II 10000, 31). 2 Gesetz n° 75-1334 v. 31.12.1975 relative à la sous-traitance. 3 Wie hier Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 13.1 (Stand 1.2.2021); ausf. Pulkowski, Subunternehmer und Internationales Privatrecht (2004), S. 189 ff. m.w.N.; d’Avout, J.C.P. G 2008 Nr. II 10000, 31 (33 f.); Boyault/Lemaire, D. 2008, S. 753 ff. 4 Hök, ZfBR 2008, 741 ff. Unentschieden Martiny, BauR 2008, 241 (249 f.). 5 Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 26 (Stand 1.2.2021). 6 Dazu insb. BGH v. 26.10.1993 – XI ZR 42/93, BGHZ 123, 380 = ZIP 1993, 1881 = MDR 1994, 248. 7 Etwa französ. Cass. v. 23.5.2006 – 03-15.637, Rev.crit.d.i.p. 96 (2007), 85 (m. Anm. Mankowski, ZEuP 2008, 845). 8 BGH v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, BGHZ 165, 248 = ZIP 2006, 1016. Zustimmend insb. Mankowski, RIW 2006, 321. 9 Die Qualifikation des Verbraucherkreditrechts als Eingriffsnorm befürwortend Loacker, Der Verbrauchervertrag im internationalen Privatrecht (2006), S. 179 f.; Hoffmann/Primaczenko, IPRax 2007, 173 ff.; ablehnend Mankowski, ZEuP 2008, 845, jew. m.w.N. 10 Nachw. zur Rom I-VO in den vorigen Fn., zum bisherigen Recht vgl. 6. Aufl. Rz. 403 ff. sowie 8. Aufl. Rz. 5.5. 11 Benzenberg, S. 170; Lecourt, J.C.P. G 2008, I 161, 29; d’Avout, D. 2008, 2165 (2167). Ähnlich Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 (178 f.).

316 | Zwickel

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.21 § 5

ist zu widersprechen und davon auszugehen, dass – wenn auch nur in ganz seltenen Ausnahmefällen – auch Vorschriften des Privatrechts zu den Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zählen können, soweit sie fundamentale öffentliche Interessen verfolgen1. Aus Wortlaut und Historie des Art. 9 Rom I-VO folgt, dass Vorschriften des einfachen Privatrechts, die ausschließlich den Interessenausgleich Privater bezwecken, nicht zu den Eingriffsnormen zählen2. Vorschriften des Privatrechts können aber ausnahmsweise weitergehende, allgemeine öffentliche Interessen transportieren. Öffentlich- und privatrechtliche Instrumentarien sind nicht allein im Wirtschaftsrecht, sondern ganz allgemein häufig austauschbar und eng miteinander verschränkt. Zunehmend wird das Privatrecht selbst zum Instrument wertbezogener, ordnungspolitischer Steuerung (sog. Materialisierung des Privatrechts)3. Das Wirtschaftsprivatrecht dient so, gemeinsam mit dem öffentlichen Wirtschaftsrecht, der Konstituierung der Wirtschaftsordnung eines Staates. Schließlich wird gerade im europäischen Recht häufig nicht ähnlich trennscharf zwischen privatem und öffentlichem Recht differenziert wie im deutschen, so dass die aus dem deutschen Recht bekannten Demarkationslinien auf die autonom auszulegende Rom I-VO von Vornherein nicht übertragbar sind4. Deutlich zeigt sich dies z.B. an der Arbeitnehmer-Entsende-Richtlinie5, die zugunsten entsandter Arbeitnehmer auch genuin privatrechtliche Materien wie Mindestlöhne für verbindlich erklärt6 (Rz. 5.103). b) Vorrang kollisionsrechtlicher Sondervorschriften Allerdings ist in systematischer Hinsicht zu bedenken, dass die Art. 6 und Art. 8 Rom I-VO für die dort normierten Bereiche des Arbeitnehmer- und Verbraucherschutzrechts einen aus Sicht des Unionsgesetzgebers offenbar als ausreichend erachteten kollisionsrechtlichen Schutz bestimmter Parteien sicherstellen und auch die Art. 5 und Art. 7 Rom I-VO für die dort geregelten Materien kollisionsrechtliche Sondervorschriften vorsehen, die den Interessen der Parteien Rechnung tragen sollen. Soweit diese Bestimmungen eingreifen, muss ein Rückgriff auf Art. 9 Rom I-VO daher ausscheiden und es bedarf eines solchen auch nicht7. Anderes gilt außerhalb des Anwendungsbereichs dieser Normen. Die EU hat dort gerade keinen Handlungsbedarf gesehen und daher auf die Schaffung typisierender Schutznormen verzichtet. Das schließt jedoch im Einzelfall den Rückgriff auf Art. 9 Rom I-VO zur Durchsetzung nationaler Standards nicht aus, falls die typisierenden Schutzmechanismen der Rom I-VO nicht ausreichen, um solche Vorschriften des nationalen Rechts gegen das Vertragsstatut zu implementie-

1 Wie hier etwa Mankowski, IPRax 2006, 101 (109 f.) (zu Art. 8 des Kommissionsvorschlags); Mankowski, IHR 2008, 133 (147); Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (132 ff.). 2 So zu Art. 9 Rom I-VO explizit auch BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 14 m. Nachw. zur früheren Rechtsprechung. 3 Canaris, AcP 200 (2000), 273; Wagner, AcP 206 (2006), 352 (422 ff.); Auer, Materialisierung, Flexibilisierung, Richterfreiheit (2003), S. 10 ff.; Hager, Strukturen des Privatrechts in Europa (2012), S. 11 ff.; zur Materialisierung der Eingriffsnormen Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 60 (81). 4 Wie hier Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 12. 5 Richtlinie 96/71/EG v. 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EG 1997 Nr. L 18, 1 geändert durch Richtlinie 2018/957/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.6.2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EU 2018 Nr. L 173, 16. 6 Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 34 (Stand 1.2.2021). 7 Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 13; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 23; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 3; wohl auch Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 16.

Zwickel | 317

5.21

§ 5 Rz. 5.21 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

ren, die von den nationalen Gesetzgebern als konstituierende Bestandteile der öffentlichen Ordnung verstanden werden1. Insbesondere ist zu beachten, dass Art. 9 Rom I-VO gerade eine Durchbrechung der sonstigen Anknüpfungen der Rom I-VO gestattet, was letztlich zu einem relativen Vorrang des Art. 9 Rom I-VO führt. c) Kriterien für die Berücksichtigung privatrechtlicher Eingriffsnormen

5.22

Auch wenn hinsichtlich der restriktiven Grundlinie einer Berücksichtigung von Privatrechtsvorschriften als Eingriffsnormen mittlerweile weitgehend Einigkeit herrscht2, sind die Kriterien, die zu einer zwingenden Durchsetzung privatrechtlicher Vorschriften im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO führen können, noch immer unklar. Aktuell lassen sich drei Meinungsrichtungen unterscheiden. Die wohl überwiegende Meinung3 stellt auf den Primärzweck der Norm ab. Nur, wenn die Norm lediglich sekundär den individuellen Schutz der Vertragsparteien im Blick hat, vorrangig aber öffentlichen Interessen dient, kommt eine Qualifikation als Eingriffsnorm in Frage. Großzügiger ist die Auffassung, die – auf der Linie des BGH zur Qualifikation von Verbraucherschutzvorschriften4 und des BAG zur Qualifikation zwingenden Arbeitsvertragsrechts als Eingriffsnormen5 – lediglich danach fragt, ob die Privatrechtsnormen nicht nur im Reflex auch öffentliche Interessen schützen6. Zudem wird vorgeschlagen, sich für die Abgrenzung einfach zwingenden Privatrechts zu privatrechtlichen Eingriffsnormen an der sog. Sonderrechtstheorie zu orientieren und nur solche Vorschriften als von Art. 9 Rom I-VO umfasst anzusehen, die einem Hoheitsträger „besondere Durchsetzungsbefugnisse verleihen“7.

5.22a

Die Rechtsprechung des EuGH ist im Hinblick auf die Abgrenzungskriterien zwingenden Privatrechts von privatrechtlichen Eingriffsnormen nur mäßig erhellend. In der Rechtssache Ingmar8 interpretierte der EuGH die vertragsrechtliche Vorschrift des Handelsvertreterausgleichs, aufgrund des dahinterstehenden Zwecks der Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen, als Eingriffsnorm. In der Entscheidung „Unamar“ hat es der EuGH für möglich gehalten, Normen des privaten, über die Vorgaben der Handelsvertreterrichtlinie hinausgehenden belgischen Handelsvertreterrechts gegebenenfalls zu den Eingriffsnormen zu zählen. Freilich hat er die Schwelle hierfür zu Recht sehr hoch gelegt, indem er verlangt, dass „das 1 Wie hier Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 25 ff.; Staudinger in Schulze, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8. A.A. Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (140). 2 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2004, 174 Rz. 52; Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 19 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 12 ff.; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 58 ff.; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 5. 3 Doralt/Nietner, AcP 215 (2015), 855 (857); Mankowski, IPRax 1996, 405 (409); W.-H. Roth AcP 220 (2020), 458 (511); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 20; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 59 ff.; Ringe in jurisPK BGB, Art. 9 Rom I-VO Rz. 13; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 14; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8. 4 BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 Rz. 30 ff = MDR 2006, 737. 5 BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 692/19, NZA 2021, 225; BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 18-21. 6 Brand IPRax 2013, 12; Remien in PWW, Art. 9 Rom I-VO Rz. 3 ff.; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8. 7 Maultzsch, RabelsZ 75 (2011), 60 (90). 8 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar GB), ZIP 2000, 2108; EuGH v. 26.6.2001 – C-381/99, ECLI:EU:C:2001:358, NJW 2001, 2007 = IPRax 2001, 225.

318 | Zwickel

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.24 § 5

angerufene Gericht substantiiert feststellt, dass der Gesetzgeber des Staates dieses Gerichts es im Rahmen der Umsetzung dieser Richtlinie [der Handelsvertreterrichtlinie] für unerlässlich erachtet, dem Handelsvertreter in der betreffenden Rechtsordnung einen Schutz zu gewähren, der über den in der genannten Richtlinie [der Handelsvertreterrichtlinie] vorgesehenen hinausgeht, und dabei die Natur und den Gegenstand dieser zwingenden Vorschriften berücksichtigt“1.Immerhin klingt mit dem Wort „unerlässlich“ aber an, dass öffentliche Interessen ganz im Vordergrund stehen müssen und es nicht ausreichend sein kann, wenn diese „nicht nur als Reflex“ mitverfolgt werden. Zu eng, weil zu stark an der allgemeinen und für Art. 9 Rom I-VO nicht maßgeblichen Abgrenzung2 von öffentlichem und privatem Recht orientiert, erscheint angesichts der oben beschriebenen Überlappungen von öffentlichem und privatem Recht die Auffassung, die sich an die Sonderrechtstheorie anlehnen will. Im Ergebnis verbleibt, soweit sich keine Anhaltspunkte im Wortlaut oder den Gesetzesmaterialien finden, mithin nur eine Prüfung darauf, ob vorrangiges Telos der Norm die Verfolgung öffentlicher Interessen v.a. politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Art ist.3

3. Geltung des Art. 9 Rom I-VO auch für Eingriffsnormen des Vertragsstatuts Umstritten ist, ob die allgemeinen Kollisionsnormen der Rom I-VO nicht nur das einfach zwingende Recht der lex causae berufen, sondern auch die dort geltenden Eingriffsnormen4, oder ob das Eingriffsrecht der lex causae ebenfalls nur unter den Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO angewandt bzw. berücksichtigt werden darf5. Dieser Streit bestand bereits unter Geltung von EGBGB und EVÜ6: So hatten Teile des deutschen Schrifttums, insbesondere aber die überwiegende Meinung in England, Frankreich und Belgien die sog. Schuldstatutund Kumulationstheorie (zu dieser 6. Aufl., Rz. 472 m.w.N.) vertreten. Danach sollen bereits die einfachen Kollisionsnormen des Internationalen Privatrechts die lex causae in ihrer Gesamtheit einschließlich ihrer Eingriffsnormen berufen. Demzufolge wären die Eingriffsnormen einer ausländischen lex causae folglich auch dann anzuwenden, wenn die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO nicht vorliegen. Demgegenüber wurde für das bisherige Recht jedenfalls in Deutschland ganz überwiegend angenommen, dass Eingriffsnormen von den Verweisungsvorschriften des einfachen Kollisionsrechts von vornherein nicht erfasst werden und Eingriffsnormen der lex causae im Inland folglich nur unter denselben Bedingungen beachtlich sind wie solche von Drittstaaten.

5.23

Für die grundsätzlich ausschließliche Anwendung des Art. 9 Rom I-VO auf Eingriffsnormen gleich welcher Provenienz – und damit gegen die Geltung der Schuldstatuttheorie im Rahmen der Rom I-VO – sprechen bereits Wortlaut und Systematik des Art. 9 Rom I-VO. Die Vorschrift erwähnt in Abs. 2 die Eingriffsnormen „des Rechts des angerufenen Gerichts“ (d.h.

5.24

1 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 Rz. 52; zustimmend Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 (147 f.). 2 Stürner in Erman, Art. 9 Rom I-VO Rz. 12. 3 In diesem Sinne für Art. 16 Rom II-VO auch EuGH v. 31.1.2018 – C-149/18, ECLI:EU:C:2019:84 (da Silva Martins), EuZW 2019, 134: „Wortlaut, allgemeine Systematik, Telos, Entstehungszusammenhang“. 4 So Lando/Nielsen, CMLR 2008, 1719; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 129 ff.; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 35; Ringe in jurisPK BGB, Art. 9 Rom I-VO Rz. 42. 5 So (noch zum Kommissionsentwurf) Mankowski, IPRax 2006, 101 (110); Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (145 f.); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 4; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom IVO Rz. 42 f.; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 15. 6 Umfassende Nachw. in der 7. Aufl., Rz. 646.

Zwickel | 319

§ 5 Rz. 5.24 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

der lex fori), in Abs. 3 diejenigen „des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind“. Eine weitere, dritte Kategorie von Eingriffsnormen ist nicht vorgesehen. Das ist auch nicht verwunderlich, sondern konsequent: Der europäische Gesetzgeber wollte den Einfluss des Eingriffsrechts durch Art. 9 Rom I-VO – zu Recht – eindämmen und hat bereits für Eingriffsnormen am Erfüllungsort bewusst enge Voraussetzungen aufgestellt und lediglich der lex fori einen vergleichsweise weiten Spielraum eröffnet. Die Anwendung von Eingriffsnormen sonstiger Staaten führte zu einer weiteren unbotmäßigen Einflussnahme auf das an sich einheitlich zu bestimmende Vertragsstatut und die Rechtswahlfreiheit. Zudem sind Eingriffsnormen von den Verweisungsnormen der Rom I-VO allenfalls dann umfasst, wenn sie privatrechtlicher Natur sind und damit gleichsam eine einfach und international zwingende Doppelnatur aufweisen. Öffentlich-rechtliche Normen unterliegen dagegen von Vornherein nicht dem Anknüpfungssystem der Rom I-VO, da diese nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 1 explizit nicht auf öffentliches Recht anzuwenden ist. Auch ist zu bedenken, dass die Eingriffsnormen der lex causae jedenfalls dann, wenn das anwendbare Recht im Wege der Rechtswahl festgelegt wurde, häufig keinen anerkennenswerten Bezug zum Vertrag aufweisen. Im Fall der Rechtswahl wird ihre Geltung von den Parteien auch kaum je gewollt sein, da die Parteien für die lex causae in der Regel nicht wegen ihrer öffentlich-rechtlichen Vorgaben, sondern aus anderen Gründen optieren, ganz abgesehen davon, dass öffentlich-rechtliche (Eingriffs-)Normen von Vornherein nicht zur Wahl der Parteien stehen. Objektiv bestünde für eine Berufung der Eingriffsnormen der lex causae allenfalls Anlass, wenn ein enger Bezug des Sachverhalts zu ihnen vorliegt, der indes durch Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO näher und abschließend konkretisiert wird.

4. Abgrenzungsfragen und Konkurrenzen im Übrigen a) Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO

5.25

Eine gegenüber Art. 9 Rom I-VO vorrangige Spezialregelung enthält Art. 11 Abs. 5 Rom IVO in Bezug auf international zwingende Formvorschriften für schuldrechtliche Grundstücksverträge1. Formvorschriften der lex rei sitae für Immobilienverträge, die unabhängig von dem auf den Vertrag anwendbaren Recht Geltung beanspruchen, sind gem. Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO entgegen den die Formanforderungen grundsätzlich erleichternden Anknüpfungen des Art. 11 Rom I-VO zwingend zu beachten. Für die international zwingende Durchsetzung derartiger Formanforderungen bedarf es nicht des Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 9 Rom I-VO2. Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO lässt den internationalen Geltungswillen der Formvorschrift deswegen genügen, weil die von der Rom I-VO nicht umfassten sachen- und grundbuchrechtlichen Bestimmungen der lex rei sitae im Zweifel ohnedies die Nichteinhaltung der für das schuldrechtliche Geschäft geltenden Formanforderungen sanktionieren werden. b) Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO

5.26

Kumulativ anzuwenden sind die Art. 9 Rom I-VO und Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO, wobei denklogisch die Anwendung von Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO gegenüber derjenigen des Art. 9 Rom IVO vorrangig ist3. Nach Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO können die Parteien bei Sachverhalten, die objektive Bezüge allein zu einem einzigen Staat aufweisen (sog. homonom verknüpfte Sachverhalte), nicht von den einfach zwingenden Bestimmungen des Rechts desjenigen Staates ab1 Wie hier Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 29. 2 Ebenso Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 29. 3 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 18.

320 | Zwickel

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.29 § 5

weichen, zu dem der Sachverhalt die objektiven Bezüge aufweist. In derartigen Konstellationen unterliegt das Schuldverhältnis zwingend kraft objektiver Anknüpfung (gem. Art. 4, 5, 6, 7 oder 8 Rom I-VO) dem Recht des betreffenden Staates. Einer gleichwohl getroffenen „Rechtswahl“ kommt lediglich die Wirkung einer sachrechtlichen Verweisung zu, die zwar vom dispositiven Recht, nicht aber vom ius cogens des objektiv ermittelten Vertragsstatuts derogieren kann. Soweit privatrechtliche Vorschriften (i.S.d. Definition des Anwendungsbereichs der Rom I-VO gem. deren Art. 1) des objektiven Vertragsstatuts zugleich als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zu qualifizieren sein sollten (zur ausnahmsweisen Anwendbarkeit von Art. 9 Rom I-VO auf schuldrechtliche Vorschriften Rz. 5.19 f.), setzen sie sich folglich bereits gem. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO gegen die „Rechtswahl“ durch, ohne dass es auf das Vorliegen der Voraussetzungen der Art. 9 Abs. 2, Abs. 3 Rom I-VO ankäme1. Anders liegt es, wenn der reine Binnensachverhalt in einem (aus inländischer Sicht) ausländischen Staat lokalisiert ist und folglich dessen Recht kraft objektiver Anknüpfung gilt. Hier erlaubt Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO die Berufung von Eingriffsnormen der lex fori2. Dennoch wird es hierzu praktisch nie kommen, da bei Sachverhalten, die einen ausschließlichen Bezug zu einem fremden Staat aufweisen, i.d.R. schon kein inländisches Forum bestehen wird. Jedenfalls aber hat das Inland wohl nie ein überragendes Interesse an einem Eingriff in einen ausschließlich im Ausland belegenen Vertrag. Bei einem reinen Inlandssachverhalt mit Bezug allein zum deutschen Recht kommt eine Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen über Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO nicht in Betracht, da der Erfüllungsort hierfür im Ausland liegen müsste, was indes die Anwendung des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO ausschließen würde. Sonstige, nicht schuldvertragsrechtliche Bestimmungen des Rechts des Staates, der gem. Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO das Vertragsstatut stellt, d.h. Vorschriften seines öffentlichen Rechts im weitesten Sinne, wie auch die Eingriffsnormen der lex fori oder dritter Staaten, kann hingegen gem. Art. 9 Rom I-VO Wirkung verliehen werden; insoweit gelten keine Besonderheiten.

5.27

c) Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO gestaltet die zivilrechtlichen Mindeststandards des Unionsprivatrechts bei reinen Binnenmarktsachverhalten, die ausschließlich Bezüge zum Recht von EU-Mitgliedstaaten haben3, rechtswahlfest aus. Zur Durchsetzung des Unionsprivatrechts bedarf es daher keines Rückgriffs auf Art. 9 Rom I-VO, so dass dieser ausgeschlossen ist. Dagegen kann auch in einem reinen Binnenmarktsachverhalt unabhängig von den bereits durch das Unionsprivatrecht normierten Aspekten – insbesondere im Fall der Mindestharmonisierung – nationales Recht gegen die lex causae durchgesetzt werden; näher dazu Rz. 5.48 ff.

5.28

d) Art. 6 und Art. 8 Rom I-VO Zum Konkurrenzverhältnis s. bereits allgemein Rz. 5.21 sowie speziell zum kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzrecht (Art. 6 Rom I-VO) Rz. 35.24 ff., zum kollisionsrechtlichen Arbeitnehmerschutzrecht (Art. 8 Rom I-VO) Rz. 11.19 ff.

1 Allg. M., Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 6; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 18. 2 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 18. 3 Gemäß Art. 1 Abs. 4 Rom I-VO kommt es insoweit nicht darauf an, ob die Rom I-VO auch in dem betreffenden Mitgliedstaat gilt.

Zwickel | 321

5.29

§ 5 Rz. 5.30 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

e) Art. 23 Rom I-VO

5.30

Gemäß Art. 23 Rom I-VO lässt die Rom I-VO die Anwendung sonstiger Vorschriften des Unionsrechts unberührt, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten. Diese zweifelhafte1 Regelung soll den Vorrang spezieller Kollisionsnormen des Unionsrechts in Form von Verordnungen und Richtlinien vor dem allgemeinen Regime der Rom I-VO sicherstellen.

5.31

Nach ganz herrschender Ansicht schreibt Art. 23 Rom I-VO auch den Fortbestand der Kollisionsnormen der in Art. 46b Abs. 3 EGBGB genannten Verbraucherschutzrichtlinien fest2. Soweit das mitgliedstaatliche Kollisionsrecht in Umsetzung der genannten Richtlinienkollisionsnormen den gemeineuropäischen Standard rechtswahlfest ausgestaltet, tritt Art. 9 Rom IVO hinter die speziellen Richtlinienkollisionsnormen zurück. Liegen die in Art. 46b EGBGB genannten Voraussetzungen für die international zwingende Anwendung der Richtlinien nicht vor und führen auch Art. 6 Rom I-VO sowie Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO nicht zur Geltung des Richtlinienrechts, kann dieses nicht über Art. 9 Rom I-VO gegen ein ausländisches Vertragsstatut durchgesetzt werden, da die Art. 3, Art. 6 und Art. 23 Rom I-VO (i.V.m. den betreffenden Richtlinien) abschließend regeln, unter welchen Voraussetzungen das Richtlinienrecht gegen eine ausländische lex causae durchzusetzen ist.

5.32

Seit der Entscheidung des EuGH in Sachen „Ingmar GB“3 ist unklar, ob Art. 23 Rom I-VO auch ungeschriebene Richtlinienkollisionsnormen i.S.d. „Ingmar GB“-Rechtsprechung bzw. die in Umsetzung dieser Vorgaben explizit oder implizit geschaffenen mitgliedstaatlichen Kollisionsnormen erfasst. Auch das Urteil „Unamar“4 hat keine Klarheit gebracht, da es sich allein mit der international zwingenden Durchsetzung des überschießenden nationalen Rechts befasste. Allerdings spricht einiges dafür, dass insoweit nicht Art. 23 Rom I-VO, sondern Art. 9 Rom I-VO anzuwenden ist5.

5.33

Die neueren Richtlinien des Unionsprivatrechts, die nach Inkrafttreten der Rom I-VO erlassen worden sind, enthalten keine speziellen Kollisionsnormen mehr. Insoweit ist davon auszugehen, dass das „normale“ Anknüpfungssystem der Rom I-VO, namentlich die Art. 3 Abs. 4 und Art. 6 Rom I-VO, abschließend sein soll und – vorbehaltlich expliziter kollisionsrechtlicher Sonderregelungen – insbesondere eine auf Art. 9 Rom I-VO gestützte Durchsetzung der Richtlinien gegenüber drittstaatlicher lex causae ausscheidet6. Für die Verbraucherrechterichtlinie7 hat der europäische Gesetzgeber diesen Grundsatz in den Erwägungsgründen 10 und 58 zur Richtlinie sogar explizit festgeschrieben. Die Hypothekarkredit-Richtlinie8 ent-

1 Krit. etwa auch Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2009, 1 (7, 21). 2 Wie hier Leible in NK, Art. 23 Rom I-VO Rz. 9; Magnus in Staudinger (2016), Art. 23 Rom I Rz. 18 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 23 Rom I-VO Rz. 8; Thorn in Rauscher, Art. 23 Rom I-VO Rz. 9; Thorn in Palandt, Art. 23 Rom I-VO Rz. 1; Brödermann/Wegen in PWW, Art. 23 Rom I-VO Rz. 1. 3 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar GB), ZIP 2000, 2108, Slg. 2000, I9325; EuGH v. 26.6.2001 – C-381/99, ECLI:EU:C:2001:358, NJW 2001, 2007 = IPRax 2001, 225. 4 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174. 5 Ebenso Leible in NK, Art. 23 Rom I-VO Rz. 4; Magnus in Staudinger (2016), Art. 23 Rom I Rz. 15; Thorn in Rauscher, Art. 23 Rom I-VO Rz. 6. 6 Ausführlich wie hier Magnus in Staudinger (2016), Art. 23 Rom I Rz. 29. 7 Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher etc., ABl. Nr. L 304/64. 8 Richtlinie 2014/17/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.2.2014 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher etc., ABl. Nr. L 60/34.

322 | Zwickel

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.36 § 5

hält weder eine Regelung noch eine Erläuterung ihres internationalen Anwendungsbereichs. Art. 41 der Richtlinie ordnet lediglich an, dass die Richtlinienvorgaben nicht zu Lasten der Verbraucher abbedungen werden dürfen. Sowohl die Formulierung der Norm als auch der Vorrang der Rom I-VO sprechen dafür, dass der Regelung allein sachrechtlicher Gehalt zukommt. f) Verhältnis zur Rom II-VO, insb. Art. 16 Rom II-VO Keine ernstlichen Abgrenzungsprobleme bestehen zwischen Art. 9 Rom I-VO und der Rom II-VO. Dies gilt insbesondere für die international-deliktsrechtliche Parallelnorm des Art. 16 Rom II-VO, die für den Anwendungsbereich der Rom II-VO die Beachtlichkeit von Eingriffsnormen – wenn auch nur solcher der lex fori – normiert. Gegenstand der Einwirkung der Eingriffsnorm ist im Rahmen des Art. 9 Rom I-VO ein schuldvertraglicher Anspruch bzw. ein schuldvertragliches Recht. Art. 16 Rom II-VO befasst sich hingegen mit Eingriffen in das Deliktsstatut. Demzufolge können über Art. 9 Rom I-VO keinesfalls Ansprüche begründet werden, die aus Sicht des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO nicht schuldvertraglicher Natur sind, vgl. bereits Rz. 5.18.

5.34

III. Rechtsfolgen des Art. 9 Rom I-VO Hinsichtlich der Rechtsfolgen unterscheiden Art. 9 Abs. 2, Abs. 3 Rom I-VO zwischen der „Anwendung“ (application) von Eingriffsnormen der lex fori und der „Wirkungsverleihung“ (effect may be given; effet pourra être donné) forumsfremder Eingriffsnormen. Auf die Auswirkungen dieser bewussten Differenzierung ist im Zusammenhang mit den Einzelerläuterungen des Art. 9 Abs. 2 bzw. Abs. 3 Rom I-VO (s. Rz. 5.59 ff. sowie Rz. 5.124 ff.) einzugehen.

5.35

IV. Sperrwirkung des Art. 9 Rom I-VO und materiell-rechtliche Berücksichtigung von Eingriffsnormen 1. Grundsatz Art. 9 Rom I-VO gestattet die Anwendung bzw. Wirkungsverleihung von Eingriffsnormen nur ausnahmsweise unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen. Liegen diese nicht vor, weil die Eingriffsnorm weder der lex fori noch dem Recht des Erfüllungsortes entstammt, entfaltet Art. 9 Rom I-VO grundsätzlich Sperrwirkung. Eingriffsnormen, die nicht die Voraussetzungen des Art. 9 Rom I-VO erfüllen, kann nicht durch eine Sonderanknüpfung „Wirkung verliehen“ werden1. Die Sperrwirkung betrifft, wie in Rz. 5.23 f. ausführlich erläutert, grundsätzlich auch und insbesondere öffentlich-rechtliche Eingriffsnormen des Vertragsstatuts.

1 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141; d’Avout, D. 2008, 2165 (2168); Mankowski, IHR 2008, 133 (148); Mankowski, EuZ 2009, 2 (10); Staudinger, AnwBl. 2008, 8 (12); Leible, Rom I und Rom II, S. 66; Freitag, IPRax 2009, 109 (115) m.w.N.; Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 52; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 123 f.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 113 f.; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 30; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 42 f.; von Hein in MünchKomm, Einl. IPR Rz. 313; a.M. wohl Siehr, RdA 2014, 206 (209); Köhler, Eingriffsnormen – Der „unfertige Teil“ des europäischen IPR (2013), S 264 ff.; a.A. für Handelsvertreterverträge Rz. 23.174.

Zwickel | 323

5.36

§ 5 Rz. 5.37 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

2. Materiell-rechtliche Berücksichtigung der Eingriffsnormen a) Grundlagen

5.37

Handelt es sich weder um eine Eingriffsnorm der lex fori noch um eine solche des Erfüllungsorts oder ist ihre Anwendung mit inländischen Wertungen inkompatibel, ist eine Anwendung derselben als Rechtsvorschrift unzulässig1. In der Rechtssache Nikiforidis2 hat der EuGH aber bestätigt, dass eine materiell-rechtliche Berücksichtigung von Eingriffsnormen weiterhin zulässig ist. Die Rom I-VO harmonisiere nur das Kollisionsrecht und nicht die Sachrechte der Mitgliedsstaaten.

5.38

Im Grundsatz ist der EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Nikiforidis zuzustimmen. Zweifel sind aber im Hinblick auf die Reichweite einer solchen materiell-rechtlichen Berücksichtigung forumsfremder Eingriffsnormen angebracht3. So wird man, in Abweichung zur Rechtsprechung des EuGH, davon auszugehen haben, dass Art. 9 Rom I-VO im Grundsatz auch eine materiell-rechtliche Berücksichtigung forumsfremder Eingriffsnormen sperrt4. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO beinhaltet bereits ein Ermessen hinsichtlich der Wirkungsverleihung forumsfremder Eingriffsnormen. Auch eine materiell-rechtliche Berücksichtigung kann daher Rechtsfolge des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO sein5. Dem würde aber eine stets gegebene Möglichkeit zu materiell-rechtlicher Berücksichtigung zuwiderlaufen6. Eine materiell-rechtliche Berücksichtigung ist daher nur möglich soweit sich das betreffende Eingriffsrecht tatsächlich auf die Möglichkeit der Vertragserfüllung auswirkt. So sind behördliche Maßnahmen anderer Staaten aufgrund von Eingriffsgesetzen als Leistungshindernisse im Unmöglichkeitsrecht (tatsächliche Unmöglichkeit) und im Rahmen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) auf tatsächlicher Ebene des materiellen Sachrechts zu berücksichtigen. Voraussetzung hierfür ist aber stets, dass der anzuwendenden forums- und statutsfremden Rechtsordnung ausreichender tatsächlicher Einfluss auf die Vertragserfüllung zukommt. Es muss folglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit einer Rechtsdurchsetzung vorliegen7. b) Einzelfälle

5.39

– In der Rechtssache Nikiforidis8, in der einem an einer griechischen Schule in Deutschland tätigen Lehrer die Vergütung auf Grundlage der griechischen Spargesetze gekürzt werden sollte, spielte sich die Sachverhaltskonstellation ausschließlich in Deutschland ab, so dass

1 Freitag, NJW 2018, 430; Führich, MDR 2019, 1285 (1286); Mäsch, JuS 2019, 386; Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (368); Tonner/Führich, RRa 2018, 58 (60). 2 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141; Vorlage des BAG: Beschl. v. 25.2.2015 – 5 AZR 962/13, NZA 2015, 542 = RIW 2015, 313. 3 Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (368). 4 Freitag, NJW 2018, 430; Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (368); a.A. Mankowski, IPRax 2016, 485 (489 ff.). 5 W.-H. Roth, AcP 220 (2020), 458 (522). 6 Wie hier Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 155 (Stand 1.2.2021); Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (369); a.A. W.-H. Roth, AcP 220 (2020), 458 (520 ff.). 7 Freitag, NJW 2018, 430, 433; Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (370); Maultzsch, EuZA 2017, 241, 254 f. 8 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141.

324 | Zwickel

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.41 § 5

ein hinreichender faktischer Einfluss Griechenlands auf die betroffenen Arbeitsverträge nicht feststellbar war1. – Auch für das argentinische Zahlungsmoratorium für Staatsanleihen hat der BGH ein Leistungsverweigerungsrecht mangels Möglichkeit der Durchsetzung der entsprechenden Bestimmungen verneint2. – Für den Fall der Nichtbeförderung eines israelischen Staatsangehörigen durch eine arabische Fluggesellschaft wird im deutschen Recht, das die Wertungen des Eingriffsrechts nicht teilt, von der Rechtsprechung hingegen, wegen eines Zwischenstopps in Kuwait und des damit verbundenen Einflusses des Boykottgesetzes Kuwaits, ein Fall der tatsächlichen Unmöglichkeit angenommen3. – Umstritten ist, ob sog. blocking statutes (Rz. 5.149) des Forumstaates eine materiell-rechtliche Berücksichtigung der faktischen Durchsetzung blockierter Normen ausschließen können4.

V. Vorgaben des Primärrechts für die Anwendung des Art. 9 Rom I-VO 1. Primärrechtliche Grenzen der Anwendung von Eingriffsnormen Der EuGH hat in der Entscheidung „Unamar“5 den bereits zuvor anerkannten Grundsatz6 bestätigt, dass das Unionsrecht die Befugnis der Mitgliedstaaten begrenzt, bei Binnenmarktsachverhalten, d.h. im Rechtsverkehr zwischen EU-Mitgliedstaaten, in- oder ausländische Eingriffsnormen gegenüber dem aufgrund objektiver oder subjektiver Anknüpfung berufenen Vertragsstatut durchzusetzen. Diese Einschränkungen resultieren insbesondere aus den Grundfreiheiten des AEUV sowie den (europäischen) Grundrechten. Bei Binnenmarktsachverhalten darf auf Art. 9 Rom I-VO nur insoweit zurückgegriffen werden, als das Ergebnis der Anwendung der Eingriffsnorm im zwingenden Interesse des Gemeinwohls desjenigen Mitgliedstaates liegt, dessen Gerichte in den Vertrag eingreifen, was in jedem Einzelfall sehr sorgfältig zu prüfen ist.

5.40

2. Unionsrechtliche Pflicht zur Durchsetzung von Eingriffsnormen a) Verpflichtung zur Durchsetzung unionsrechtlicher Eingriffsnormen Es versteht sich von selbst, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Eingriffsnormen des EURechts gegen das Vertragsstatut durchzusetzen; ein Ermessen der Mitgliedstaaten besteht insoweit nicht. Im Hinblick auf die Art und Weise der Durchsetzung ist allerdings nach der Rechtsqualität der europäischen Eingriffsnorm zu differenzieren: 1 So auch die Anschlussentscheidung BAG v. 26.4.2017 – 5 AZR 962/13, IPRax 2018, 86 und Siehr, IPRax 2018, 44; W.-H. Roth, IPRax 2018, 177. 2 BGH v. 24.2.2015 – XI ZR 193/14, NJW 2015, 2328; Müller, RIW 2015, 294; Sandrock, RIW 2016, 549 (552 f.); Weller/Grotz, JZ 2015, 989. 3 OLG Frankfurt v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591 m. Aufs. Thon, IPRax 2019, 301 und Mankowski, RIW 2019, 180; OLG München v. 24.6.2020 – 20 U 6415/19, MDR 2020, 1368; krit. Weller/Lieberknecht, JZ 2019, 317, 318. 4 Abl. Bälz, NJW 2020, 878 (880); Mankowski, IPRax 2016, 485 (491); zust. Gernert, IPRax 2020, 329 (332); diff. Lieberknecht, IPRax 2018, 573 (576). 5 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 Rz. 46. 6 So auch BGH v. 27.2.2003 – VII ZR 169/02, BGHZ 154, 110 (119) = MDR 2003, 683. Ausf. Fetsch, S. 87 ff.; Freitag in Leible (Hrsg.), Grünbuch, S. 167 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom IVO Rz. 29.

Zwickel | 325

5.41

§ 5 Rz. 5.42 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.42

Soweit die betreffende Eingriffsnorm des Unionsrechts in einer unmittelbar geltenden Verordnung oder Entscheidung enthalten ist, ist sie zugleich Bestandteil der innerstaatlichen Ordnung derjenigen Mitgliedstaaten, an die sie adressiert ist. Sie ist daher über Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 Rom I-VO als Eingriffsnorm der lex fori durchzusetzen. Das gilt insbesondere für die europäischen Embargovorschriften und Finanzsanktionen (dazu Rz. 5.64 f.) sowie für die Preisregelungen im Bereich der Bankenentgelte sowie des Roamings (dazu Rz. 5.97).

5.43

Ist eine unionsrechtliche Eingriffsnorm lediglich in einer Richtlinie oder in einer ausnahmsweise ausfüllungsbedürftigen Verordnung (etwa in der EU-Kulturgüterschutzverordnung1, die die unionsweite Durchsetzung nationalen Kulturgüterschutzrechts bezweckt2) enthalten, bedarf sie der Umsetzung in das nationale Recht. Dem unbedingten internationalen Geltungsanspruch der betreffenden europäischen Vorgabe ist hier durch Qualifikation der einschlägigen mitgliedstaatlichen Umsetzungsnorm als Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO Rechnung zu tragen. Dabei hängt es vom Einzelfall ab, ob die betreffende Eingriffsnorm als solche der lex fori über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO oder als forumsfremde gem. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO berufen wird. b) Keine Verpflichtung zur Anwendung der Eingriffsnormen anderer EUMitgliedstaaten

5.44

Gelegentlich wird eine allgemeine Verpflichtung zur Anwendung der Eingriffsnormen anderer EU-Mitgliedstaaten postuliert3. Die These wird mit dem Binnenmarktprinzip, dem Grundsatz der Unionstreue bzw. dem gegenseitigen Respekt der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 3 EUV) und dem Gedanken einer „akzessorischen Funktionssicherung“ der international-zivilprozessualen Vorschriften der Brüssel I-VO bzw. Brüssel Ia-VO begründet. Dem ist mit großen Teilen der Literatur4 und dem EuGH5 zu widersprechen. Bei Art. 9 Rom I-VO handelt es sich um eine Öffnungsklausel, die vom Unionsgesetzgeber für Ausnahmefälle geschaffen wurde, um den Mitgliedstaaten die Durchsetzung ihrer Eingriffsnormen zu ermöglichen. Aus der 1 Früher Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 des Rates v. 9.12.1992 über die Ausfuhr von Kulturgütern, ABl. EG 1992 Nr. L 395, 1, nunmehr Verordnung (EG) Nr. 116/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Ausfuhr von Kulturgütern (kodifizierte Fassung), ABl. EU 2009 Nr. L 39, 1. 2 Während die Art. 1 ff. der Verordnung die Ausfuhr geschützten Kulturgutes vom Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung abhängig machen und deren Einzelheiten und die gemeinschaftsweite Wirkung derartiger Entscheidungen regeln, überlässt Art. 9 die effektive Umsetzung der VO im Übrigen – und damit auch diejenige der zivilrechtlichen Folgen von Verstößen – der Regelung durch die Mitgliedstaaten. Näher dazu in Rz. 5.94. 3 Armbrüster, VersR 2006, 1 (4); Bonomi, Yb. PIL 1 (1999), 215 (240); Steindorff, EuR 1981, 426 (428); Mestmäcker, RabelsZ 52 (1988), 205 (237); Roth, RabelsZ 35 (1991), 623 (663); Struycken, Rec. des Cours 232 (1992), 260 (339 ff.); Höpping, Auswirkungen der Warenverkehrsfreiheit auf das IPR (1997), S. 256; Fetsch, S. 319 ff.; Wördemann, International zwingende Normen im internationalen Privatrecht des europäischen Versicherungsvertrages (1997), S. 363 f.; für Pflicht zur Rücksichtnahme W.-H. Roth, IPRax 2018, 177 (186). 4 Wie hier etwa Engel, RabelsZ 52 (1988), 271 (295); Becker, RabelsZ 60 (1996), 691 (736); von Wilmowski, RabelsZ 62 (1998), 1 (26 ff.); Mankowski, VersR 1999, 821 (824); Beulker, S. 142 ff.; Kuckein, S. 62 f.; von Bar/Mankowski, I § 4 Rz. 117 f.; Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 140 (Stand 1.2.2021); Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 32; Sonnenberger in MünchKomm (5. Aufl. 2010), Einl. IPR Rz. 216; unklar Royla, Grenzüberschreitende Finanzmarktaufsicht in der EG (2000), S. 159. 5 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141 m. Aufs. W.H. Roth, IPRax 2018, 177.

326 | Zwickel

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.47 § 5

Entstehungsgeschichte des Art. 9 Rom I-VO, insbesondere des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO folgt unzweifelhaft, dass der Gesetzgeber die Norm möglichst eng ausgelegt wissen will und allenfalls die Eingriffsnormen der lex fori sowie diejenigen des am Erfüllungsort geltenden Rechts als „Störfaktoren“ zulässt. Vor diesem Hintergrund muss eine Anwendung des Art. 9 Rom IVO ausscheiden, die letztlich zu einer Kumulation denkbarer Eingriffsnormen sämtlicher EUMitgliedstaaten führte. Eine Pflicht zur Anwendung der Eingriffsnormen eines anderen Mitgliedstaats kann nur in der zwischen Art. 9 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO liegenden Fallkonstellation gelten, in der die Eingriffsnormen der lex fori und die forumsfremden Eingriffsnormen inhaltlich vergleichbare Regelungen enthalten, es aber für eine Anwendung des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO am Inlandsbezug (s. Rz. 5.61) fehlt1.

3. Insbesondere: Eingriffsnormen und Unionsprivatrecht a) Einführung Besondere Grundsätze bei der Anwendung von Eingriffsnormen gelten für diejenigen Bereiche des Vertragsrechts, die Gegenstand von Harmonisierungsmaßnahmen der EU sind. Zunächst ist zu beachten, dass es auf Art. 9 Rom I-VO nach dem Gesagten (Rz. 5.25 ff.) nur ankommt, wenn der betreffende europäische Rechtsakt nicht bereits durch Art. 3 Abs. 4, Art. 6 Rom I-VO oder spezielle Kollisionsnormen durchgesetzt wird. Im Übrigen sind drei Problemstellungen zu unterscheiden. Erstens ist zu klären, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, über Art. 9 Rom I-VO die einfach zwingenden Vorschriften privatrechtsangleichender Richtlinien, die keine speziellen Kollisionsnormen enthalten, international durchzusetzen. Zweitens geht es um die Frage, ob im Anwendungsbereich einer zivilrechtsangleichenden Richtlinie, die dem Konzept der Mindestharmonisierung folgt, ein Mitgliedstaat befugt ist, seine richtlinienkonforme lex fori gegen eine ebenfalls richtlinienkonforme lex causae durchzusetzen. Drittens ist fraglich, ob die Mitgliedstaaten zur Durchbrechung einer von einem anderen Mitgliedstaat gestellten lex causae gar verpflichtet sind, wenn letztere die unionsrechtlichen Vorgaben zu Unrecht nicht oder nicht korrekt umsetzt.

5.45

Vorauszuschicken ist den folgenden Ausführungen der Hinweis, dass die geschilderten Probleme, die in der Vergangenheit eine ganze Flut an Gerichtsentscheidungen und wissenschaftlichen Stellungnahmen hervorgerufen hatten2, zwischenzeitlich ganz erheblich an praktischer Bedeutung verloren haben.

5.46

b) Verpflichtung zur Anwendung von Vorschriften des Unionsprivatrechts nach den Grundsätzen der „Ingmar-Entscheidung“ des EuGH Die in Art. 46b Abs. 3 EGBGB genannten Richtlinien des europäischen Verbraucherschutzrechts enthalten spezielle Kollisionsnormen, die die internationale Anwendung des harmonisierten Rechts sicherstellen sollen, wenn weder die allgemeine verbraucherschützende Kollisionsnorm des Art. 6 Rom I-VO noch die Binnenmarktklausel des Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO eingreift. Voraussetzung der Durchsetzung der Richtlinien ist jeweils, dass der Vertrag in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt und einen „engen Zusammenhang“ zum Gebiet der Union oder des EWR aufweist und die Parteien das Recht eines Drittstaates gewählt haben. In

1 Remien, FS Kronke (2020), S. 459 (465); Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 142.1 (Stand 1.2.2021). 2 Nachw. 6. Aufl., Rz. 417 ff. sowie Fetsch, S. 87 ff.

Zwickel | 327

5.47

§ 5 Rz. 5.47 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

Bezug auf diese Sonderregelungen, die nach Art. 23 Rom I-VO auch nach Inkrafttreten der Rom I-VO fortgelten und Art. 9 Rom I-VO vorgehen, ist auf Rz. 5.30 zu verweisen.

5.48

Demgegenüber fehlen entsprechende ausdrückliche Kollisionsregelungen in einigen älteren zivilrechtsharmonisierenden Richtlinien, namentlich in der Handelsvertreter-Richtlinie1. Für derartige Richtlinien stellt sich die Frage, ob ihnen trotz Ermangelung ausdrücklicher Kollisionsnormen ein ungeschriebenes Prinzip der zwingenden Anknüpfung zugrunde liegt. Dies hätte zur Folge, dass auch der durch diese Richtlinien geschaffene unionsrechtliche Mindeststandard durch die Wahl eines drittstaatlichen Rechts nicht abbedungen werden könnte. Der EuGH hat diese Frage in der Sache „Ingmar GB“2 für die Handelsvertreter-Richtlinie für den Fall bejaht, dass der Handelsvertreter in der Union ansässig bzw. tätig ist und die Parteien die Geltung eines drittstaatlichen Rechts vereinbart haben3. In derartigen Konstellationen sei es nicht gestattet, durch Wahl eines drittstaatlichen Rechts von den zwingenden Vorschriften der dem Schutz des Handelsvertreters dienenden Normen der Richtlinie abzuweichen. Begründet wurde diese Entscheidung zum einen mit der (äußerst zweifelhaften) Schutzbedürftigkeit des Handelsvertreters, zum anderen mit dem Wunsch des europäischen Gesetzgebers, Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt zu vermeiden4. Im Ergebnis führt dies zu einer zwingenden Anknüpfung des nicht-dispositiven unionsrechtlichen Mindeststandards bei einem substantiellen Bezug des Vertrages zum Gebiet der EU5.

5.49

Diese Rechtsprechungsgrundsätze gelten auch nach Inkrafttreten der Rom I-VO fort6. Zwar enthält die Rom I-VO insbesondere mit Art. 3 Abs. 4 sowie Art. 6 und Art. 8 bereits Vorschriften, die sich mit der internationalen Durchsetzung zwingender Standards des richtlinienbasierten Unionsprivatrechts befassen. Dennoch stehen diese Regelungen der EuGH-Rechtsprechung nicht entgegen, da letztere nur solche Fälle erfasst, in denen nach Auffassung des EuGH kollisionsrechtliche Schutzlücken existieren. Es ist im Einzelfall durch den EuGH zu ermitteln, ob einer Bestimmung des Unionsprivatrechts tatsächlich fundamentale öffentliche Bedeutung zukommt, was im Zweifel seit Inkrafttreten der Rom I-VO nicht der Fall sein wird. Insbesondere für die jüngeren Richtlinien des Privatrechts wird man davon ausgehen müssen, dass der europäische Gesetzgeber für diese eine spezielle Kollisionsnorm geschaffen hätte, wenn er der Auffassung gewesen wäre, dass die Rom I-VO insoweit nicht hinreichende Gewähr für die Durchsetzung des Unionsrechts bietet.

1 Richtlinie 86/653/EWG des Rates v. 18.12.1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter, ABl. EG 1986 Nr. L 382, 17. 2 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar GB), ZIP 2000, 2108; EuGH v. 26.6.2001 – C-381/99, ECLI:EU:C:2001:358, NJW 2001, 2007 = IPRax 2001, 225. 3 Nemeth/Rudisch, ZfRV 42 (2001), 182 f.; Michaels/Kamann, EWS 2001, 309; Freitag/Leible, RIW 2001, 291 ff.; Staudinger, NJW 2001, 1974 ff.; Reich, EuZW 2001, 52; Pfeiffer, FS Geimer (2002), S. 821 (831 f.); Kreuzer/Wagner in Dauses (Hrsg.), Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Bearb. 2001), Rz. R 213. Teilw. a.M. Backert, Kollisionsrechtlicher Verbraucherschutz im Mosaik der Sonderanknüpfungen des deutschen internationalen Schuldvertragsrechts (2000), S. 203 ff. 4 Krit. Michaels/Kamann, EWS 2001, 305; Freitag/Leible, RIW 2001, 291 ff. 5 Etwa Freitag/Leible, RIW 2001, 291 ff.; vgl. auch OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, IPRax 2007, 322 (m. Anm. Rühl, IPRax 2007, 294 und Anm. Thume, IHR 2006, 169). 6 EuGH v. 16.2.2017 – C-507/15, ECLI:EU:C:2017:129 (Agro), IWRZ 2017, 229; wie hier insb. auch Kieninger, FS Kropholler (2008), S. 499 ff.; Martiny, ZEuP 2010, 777; Schacherreiter, ZEuP 2015, 497; W.-H. Roth, FS Spellenberg (2010), 317 ff.; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 40; kritisch Fabig, IHR 2019, 1 (3).

328 | Zwickel

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.51 § 5

Fraglich ist im Übrigen, ob die Umsetzung der Vorgaben des EuGH i.R.d. Art. 9 Rom I-VO dergestalt zu erfolgen hat, dass das die betreffenden Richtlinienbestimmungen umsetzende nationale Recht als Eingriffsnorm qualifiziert wird1 oder ob von der Öffnungsklausel des Art. 23 Rom I-VO zugunsten spezieller Richtlinienkollisionsnormen Gebrauch zu machen ist. Dabei sprechen die besseren Argumente dafür, die Problematik außerhalb des Art. 9 Rom IVO zu lösen. So geht der EuGH ersichtlich davon aus, dass diejenigen privatrechtsangleichenden Richtlinien, die keine expliziten Kollisionsnormen enthalten, zumindest implizit i.R.d. Definition ihres räumlichen Anwendungsbereichs auch ihren internationalen Geltungswillen festlegen2. Diese ungeschriebenen Kollisionsnormen aber entsprechen ihrer Struktur nach gerade den durch Art. 46b EGBGB umgesetzten ausdrücklichen Richtlinienkollisionsnormen, nicht aber derjenigen des Art. 9 Rom I-VO. Denn während Eingriffsnormen strukturell unilateralistisch der Durchsetzung der Interessen ihres Erlassstaates dienen, geht es in den „Ingmar“-Konstellationen um die Schaffung eines marktabgrenzenden, allseitigen Kollisionsrechts i.S.v. Rechtswahlbeschränkungen bei substantiellem Unionsbezug3. So sollte etwa auf den Handelsvertretervertrag stets diejenige der Umsetzung der Richtlinie dienende mitgliedstaatliche Rechtsordnung Anwendung finden, zu der der Sachverhalt den engsten Bezug aufweist. Das wird zwar i.d.R. die lex fori sein, ohne dass dies freilich zwingend wäre, da etwa auch vor deutschen Gerichten über den Ausgleichsanspruch des englischen Handelsvertreters gegen seinen amerikanischen Auftraggeber gestritten werden kann. Diese Rechtsfolge aber lässt sich nur durch Analogie zu Art. 46b EGBGB erreichen. Qualifizierte man die der Umsetzung der materiell-rechtlich zwingenden Richtlinienvorschriften dienenden Bestimmungen des nationalen Rechts als Eingriffsnormen, so wären sie je nachdem, ob der Vertrag einen engen Bezug zur lex fori oder aber zu einem anderen Mitgliedstaat aufweist, entweder über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO oder über Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO durchzusetzen. Letzteres aber erscheint auch deswegen äußerst problematisch, weil Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO an sich auf Verbotsgesetze zugeschnitten ist und die Anwendung ausländischen Eingriffsrechts in das Ermessen des Gerichts stellt. Schließlich steht der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen, dass die Kommission in Art. 3 Abs. 5 ihres Entwurfs eine möglicherweise für „Ingmar“-Konstellationen gedachte spezielle marktabgrenzende Sonderregelung vorgeschlagen hatte, die nicht in die Endfassung der Rom I-VO übernommen wurde. Diese von der Kommission als „Umgehungsverbot“4 bezeichnete Regelung dürfte gerade den Zweck verfolgt haben, die geschriebenen und ungeschriebenen Richtlinienkollisionsnormen zu ersetzen. Demzufolge erscheint es plausibel, dass mit Streichung des zunächst als abschließend gedachten Katalogs der von der Rom I-VO aufgehobenen speziellen Richtlinienkollisionsnormen auch Art. 3 Abs. 5 des ursprünglichen Kommissionsentwurfs entfallen ist.

5.50

c) Mindestharmonisierung und internationale Durchsetzung strengeren nationalen Rechts Zahlreiche, insbesondere ältere Richtlinien des Unionsprivatrechts, aber etwa auch die Hypothekarkredit-Richtlinie, folgen dem Konzept der Mindestharmonisierung. Umstritten war, ob ein Mitgliedstaat, der den Richtlinienstandard in zulässiger Weise überbietet, die strengeren 1 So explizit OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, IPRax 2007, 322 (m. Anm. Rühl, IPRax 2007, 294 und Anm. Thume, IHR 2006, 169). 2 Ausf. Freitag/Leible, RIW 2001, 291 ff. 3 Zu dieser Charakterisierung insb. Sonnenberger, IPRax 2003, 108 (111); vgl. auch Freitag/Leible, RIW 2001, 291 ff. 4 KOM(2005), 650 endgültig, S. 6.

Zwickel | 329

5.51

§ 5 Rz. 5.51 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

nationalen Normen als Eingriffsnormen gegen eine weniger weitgehende, mit dem Richtlinienstandard aber ebenfalls vereinbare lex causae eines anderen Mitgliedstaates durchsetzen darf. Für eine solche Befugnis spricht entscheidend, dass die mindestharmonisierenden Richtlinien den Mitgliedstaaten gerade die Möglichkeit einräumen, strengere innerstaatliche Vorschriften zu erlassen. Damit liegt die Kompetenz zur Setzung weitergehender nationaler Schutzstandards bei den Mitgliedstaaten, womit auch das Recht verbunden ist, die strengere innerstaatliche Vorschrift bei grenzüberschreitenden Sachverhalten als Eingriffsnorm durchzusetzen1. Der EuGH hat die Befugnis der Mitgliedstaaten in der Entscheidung „Unamar“ (wenn auch noch zu Art. 7 EVÜ, Art. 34 EGBGB) im Grundsatz ausdrücklich anerkannt2. Die Gestattung, strengere nationale Schutzstandards auch international zwingend durchzusetzen, unterliegt freilich den bereits geschilderten Begrenzungen durch die Grundfreiheiten und -rechte (Rz. 5.40) und wird sich im Bereich des harmonisierten Zivilrechts nur selten rechtfertigen lassen3. Eine Rechtfertigung wäre nur möglich, wenn die beschränkende Maßnahme zur Wahrung wichtiger Interessen des Allgemeinwohls des betreffenden Mitgliedstaates zwingend erforderlich ist. Hierfür aber müsste letzterer nachweisen, dass der von der Union gesetzte Mindeststandard unzureichend ist und im Interesse der geschützten Partei zwingend die weitergehenden nationalen Schutzstandards einzuhalten und international durchzusetzen sind. Nun hat der Unionsgesetzgeber in der betreffenden Richtlinie bereits entschieden, welches Regelungsniveau auf europäischer Ebene unabdingbar ist, wobei er regelmäßig von einem hohen Schutzniveau ausgeht4. Vor diesem Hintergrund wird es dem Mitgliedstaat kaum gelingen, die überragende Wichtigkeit und Bedeutung seiner über diesen Standard hinausgehenden Regelungen darzulegen5. Hinzu kommt, dass Vorschriften des Privatrechts überhaupt nur ausnahmsweise zu den Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zählen, wenn sie besondere öffentliche Belange verfolgen. Das indes ist bei den meisten rein verbrauchervertraglichen Vorschriften nicht der Fall (ausf. bereits Rz. 5.19 f.). d) Keine Durchsetzung der lex fori bei richtlinienwidriger lex causae

5.52

Die Durchsetzung nationalen Rechts gegenüber anderen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kommt auch dann nicht in Betracht, wenn das nach der Rom I-VO bestimmte Vertragsstatut unionsrechtswidrig ist, weil der ausländische Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht bzw. nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat6. Eine zwingende Durchsetzung der richtlinienkonformen lex fori verstieße hier gegen das Verbot der horizontalen Drittwirkung des Unionsrechts zwischen Privatpersonen. Der EuGH verweigert in ständiger Rechtsprechung den Unionsbürgern in zivilrechtlichen Streitigkeiten mit anderen Privatpersonen die unmittelbare Berufung auf 1 BGH v. 13.12.2005 – XI ZR 82/05, BGHZ 165, 248 (258 f.) = ZIP 2006, 1016; Freitag, Der Einfluss des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das internationale Produkthaftungsrecht (2000), S. 418 ff.; Bitterich, Die Neuregelung des Internationalen Verbrauchervertragsrechts in Art. 29a EGBGB (2003), S. 283 (289); Nemeth/Rudisch, ZfRV 2001, 179 (182); Pfeiffer, FS Geimer (2002), S. 821 (835); Schwarz, ZVglRWiss 101 (2002), 45 (71); Lüttringhaus, IPRax 2014, 146 (148). 2 EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU:C:2013:663 (Unamar), IPRax 2014, 174 Rz. 41 ff. 3 Leible/Sosnitza, K&R 1998, 284 (288 f.); Pfeiffer, NJW 1999, 3674 (3679 f.); Michaels/Kamann, EWS 2001, 307 f. Weitergehend Grundmann, RabelsZ 64 (2000), 471 ff. 4 Vgl. für den Verbraucherschutz Art. 114 Abs. 3 AEUV Allerdings handelt es sich hierbei wohl um politische Programmsätze, die außerhalb von Fällen offensichtlichen Ungenügens der unionsrechtlichen Regulierung kaum justiziabel sein dürften. 5 Sehr zurückhaltend daher auch die Formulierung in EuGH v. 17.10.2013 – C-184/12, ECLI:EU: C:2013:663 (Unamar), Rz. 52, IPRax 2014, 174. 6 Wie hier Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 43.

330 | Zwickel

B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.53 § 5

Richtlinienrecht1, weil dies „bedeutete, dass der Gemeinschaft die Befugnis zuerkannt würde, mit Richtlinien unmittelbare Wirkung zu Lasten des Bürgers Verpflichtungen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist“. Diese Position wurde vom EuGH in der Entscheidung „El Corte Inglès“ ausdrücklich für den Bereich des Verbraucherschutzrechts bestätigt2. Gerechtigkeitslücken entstehen durch die hier vertretene Auffassung nicht: Soweit diejenige Partei, die durch die Richtlinie begünstigt werden sollte, nach dem Gesagten zivilrechtlich schutzlos gestellt wird, stehen ihr unionsrechtlich begründete Schadensersatzansprüche gegen denjenigen Mitgliedstaat zu, der die betreffende Richtlinie nicht oder nicht ordnungsgemäß umgesetzt hat3. Für die hier vertretene Ansicht spricht auch das systematische Argument, dass Art. 16 der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen eine eigenständige Regelung der Problematik enthält: Danach dürfen „die Mitgliedstaaten auf Anbieter, die in einem Mitgliedstaat niedergelassen sind, der diese Richtlinie noch nicht umgesetzt hat und nach dessen Recht keine den Verpflichtungen dieser Richtlinie entsprechenden Verpflichtungen bestehen, nationale Bestimmungen anwenden, die den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen“. Nach dieser speziellen Vorschrift dürfen die Mitgliedstaaten ein richtliniengemäßes mitgliedstaatliches Recht (im Wege der Sonderanknüpfung) berufen4. Außerhalb des Anwendungsbereiches dieser Richtlinie bleibt es bei den dargelegten Grundsätzen.

VI. Art. 9 Rom I-VO und Völkerrecht Grundsätzlich nach den gleichen Prinzipien wie das Unionsrecht (dazu Rz. 5.40 ff.) kann das Völkerrecht die Anwendung bzw. Wirkungsverleihung von Eingriffsnormen positiv oder negativ beeinflussen; insoweit gelten die betreffenden Ausführungen entsprechend. Insbesondere verpflichtet Art. VIII Abschn. 2b des Abkommens über den Internationalen Währungsfonds5 seine Mitgliedstaaten zur Durchsetzung ausländischer Devisenvorschriften, während Art. 3 des UNESCO-Kulturgüterabkommens6 seine Mitgliedstaaten anhält, Im- und Export ausländischen Kulturguts weitestgehend zu untersagen (dazu Rz. 5.94 f.). In beiden Fällen wurde mit Inkrafttreten des jeweiligen Ratifikationsgesetzes eine inländische Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO geschaffen, die die inländischen Gerichte dazu verpflichtet, ausländische Devisen- bzw. Aus- oder Einfuhrverbote unabhängig von dem auf den Vertrag anwendbaren Recht zu beachten. Eines Rückgriffs auf Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO bedarf es insoweit nicht. In Art. 25 Rom I-VO hat der europäische Gesetzgeber explizit den Vorrang der völkerrechtlichen Verträge kollisionsrechtlichen Gehalts der EU-Mitgliedstaaten anerkannt.

1 EuGH v. 14.7.1994 – C-91/92, ECLI:EU:C:1994:292, Rz. 22 ff. (Facchini Dori/Recreb), ZIP 1994, 1187 = EuZW 1994, 498. 2 EuGH v. 7.3.1996 – C-192/94, ECLI:EU:C:1996:88, ZIP 1996, 870 (El Corte Inglès), NJW 1996, 1401. 3 Auf diesen Ausweg verweisen auch Michaels/Kamann, JZ 1997, 607; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 43. 4 Vgl. Jayme/Kohler, IPRax 2002, 462 (463). 5 Übereinkommen v. 30.4.1976 über den Internationalen Währungsfonds, BGBl. II 1978, 13. 6 Übereinkommen v. 14.11.1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, BGBl. II 2007, 626, für Deutschland in Kraft getreten am 29.2.2008.

Zwickel | 331

5.53

§ 5 Rz. 5.54 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

VII. Eingriffsnormen und Verfahrensrecht 1. Beweislastverteilung 5.54

Weder Art. 9 Rom I-VO noch die Erwägungsgründe zur Verordnung oder die Gesetzgebungshistorie geben Aufschluss über die mit der „Wirkungsverleihung“ von Eingriffsnormen verbundenen prozessualen Probleme, d.h. insbesondere der objektiven und subjektiven Beweislast und des Beweismaßes. Auch Art. 18 Rom I-VO hilft nicht weiter, da die Bestimmung ihrem Wortlaut nach nur Rechtsfragen des Beweises in Bezug auf die nach der Rom I-VO ermittelte lex causae normiert, während Eingriffsnormen gerade nicht vom Verweisungsumfang der einfachen Kollisionsnormen der Rom I-VO umfasst werden. Im Ergebnis sind die Antworten auf die aufgeworfenen prozessualen Fragen daher im Grundsatz der jeweiligen lex fori zu entnehmen.

5.55

Im deutschen Recht sind Eingriffsnormen sowohl der lex fori als auch ausländischer Rechte von Amts wegen zu beachten. Ihre Beachtlichkeit hängt nicht von entsprechendem Parteivortrag ab1. Allerdings setzt die Beachtung ausländischer Eingriffsnormen durch das Gericht voraus, dass dieses überhaupt Kenntnis von der Existenz der betreffenden Bestimmung hat, die es nur aufgrund eigener Sachkunde oder entsprechenden Parteivortrags erlangen kann. Im Hinblick auf die Ermittlung des Inhalts der Eingriffsnorm sowie ihrer tatsächlichen Voraussetzungen gelten gem. § 293 ZPO Amtsermittlungsgrundsatz und Freibeweisverfahren, d.h. das Gericht hat sich vom Vorliegen der Norm und ihren Voraussetzungen nach pflichtgemäßem Ermessen zu überzeugen. Dabei kann es sich der Hilfe derjenigen Partei bedienen, die in Bezug auf die betreffende Eingriffsnorm die objektive Beweislast trägt und diese zur Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung auffordern. Die objektive Beweislast für die (Un-)Erweislichkeit der Existenz einer ausländischen Eingriffsnorm und des Vorliegens ihrer Tatbestandsvoraussetzungen trägt nach allgemeinen Grundsätzen diejenige Partei, die von den Rechtsfolgen der Eingriffsnorm materiell-rechtlich profitiert. Die Frage nach der Revisibilität der Anwendung ausländischen Rechts (§ 545 Abs. 1 ZPO) und damit der Anwendung forumsfremder Eingriffsnormen ist umstritten2. Der BGH lässt die Verfahrensrüge nur für die fehlerhafte Ermittlung ausländischen Rechts, nicht aber eine Revision der richtigen Anwendung desselben zu3.

2. Bedeutung für die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsabreden 5.56

Inländische Eingriffsnormen, die sich auf einen konkreten Vertrag auswirken, werden in der Praxis unzweifelhaft nur von inländischen staatlichen Gerichten durchgesetzt. Eine derartige Durchsetzung erfordert eine Internationale Zuständigkeit im Inland, die entweder auf den gesetzlichen Zuständigkeitsregeln, insb. denjenigen der Brüssel Ia-VO oder auf Parteiabrede beruhen kann. Aus inländischer Sicht problematisch ist dagegen die Vereinbarung der (ausschließlichen) Zuständigkeit eines ausländischen Gerichts, wenn eine objektive gesetzliche Zuständigkeit im Inland besteht und möglich, absehbar bzw. gar sicher ist4, dass das prorogierte 1 Wie hier Kunda, S. 249 ff. (264); Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 126. 2 Abl. Sturm, JZ 2011, 74; Heßler in Zöller, § 545 ZPO Rz. 8; befürwortend Hess/Hübner, NJW 2009, 3132. 3 BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, NJW 2013, 3656; BGH v. 14.1.2014 – II ZR 192/13, NJW 2014, 1244. 4 Zum Streit vgl. Rühl, IPRax 2007, 294 ff; für einschränkende Auswirkung der Eingriffsnormen auf Fälle der „bezweckten, missbräuchlichen Gesetzesumgehung“: Basedow, FS Magnus (2014), 337 (352).

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B. Allgemeine Fragen der Anwendung des Art. 9 Rom I-VO | Rz. 5.58 § 5

ausländische Gericht sich seinerseits über die inländischen Eingriffsnormen hinwegsetzen wird. Hier fragt sich, ob die inländische Eingriffsnorm zur Unwirksamkeit der Gerichtsstandsabrede führt, bei der es sich gem. Art. 25 Abs. 5 Brüssel Ia-VO um einen eigenständigen prozessualen Vertrag handelt. Die Beachtlichkeit der inländischen Eingriffsnormen für die Gerichtsstandsabrede richtet sich jedenfalls nicht nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO, da Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO Gerichtsstandsvereinbarungen (ebenso wie Schiedsabreden) vom sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO insgesamt ausnimmt. Auch die für Gerichtsstandsabreden grundsätzlich maßgebliche Brüssel Ia-VO normiert nur Mindestvoraussetzungen der Wirksamkeit von Prorogationen und gestattet in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO in Bezug auf die „materielle Unwirksamkeit“ der Abrede explizit den Rückgriff auf das nationale Recht1. Die deutsche Rechtsprechung nimmt insoweit (auf ungeklärter rechtlicher Grundlage) an, dass Gerichtsstandsabreden, die dazu führen, dass inländische Eingriffsnormen in concreto vom ausländischen Gericht voraussichtlich nicht beachtet werden, unwirksam sind, so dass die objektiven, gesetzlichen Zuständigkeitsnormen eingreifen2. In Bezug auf die Bedeutung von Eingriffsnormen für die (Un-)Wirksamkeit von Schiedsabreden ist entsprechend dem in Rz. 5.56 Gesagten davon auszugehen, dass auch eine Schiedsabrede, die bewirkt, dass ein Schiedsgericht über den Streit entscheidet, das die inländische Eingriffsnorm nicht beachtet, unwirksam ist mit der Folge, dass die staatlichen Gerichte nach den für sie einschlägigen Zuständigkeitsregeln angerufen werden können und müssen3.

5.57

3. Inländische Eingriffsnormen und Anerkennung von Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen Eingriffsnormen können sich auch auf die Anerkennungsfähigkeit ausländischer Entscheidungen bzw. von Schiedssprüchen auswirken. Denkbar ist zum einen, dass dem ausländischen Urteil bzw. Schiedsspruch die Anerkennung deswegen zu verweigern ist, weil das Gericht bzw. Schiedsgericht international zwingende Bestimmungen des Anerkennungsstaates nicht angewandt hat. Zum anderen könnte ein Verstoß gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public des Anerkennungsstaates daraus folgen, dass das ausländische staatliche Gericht bzw. Schiedsgericht zwingende Bestimmungen eines anderen Staates berücksichtigt hat, die mit den Wertvorstellungen des Anerkennungsstaates unvereinbar sind. Insoweit ist auf die einschlägige international-zivilprozessuale bzw. schiedsverfahrensrechtliche Fachliteratur zu verweisen4.

1 Ausführlich zu der Thematik Freitag, FS Magnus (2014), 419 ff. 2 BGH v. 12.3.1984 – II ZR 10/83, ZIP 1984, 1461 = MDR 1984, 1006 = NJW 1984, 2037 (zu Gerichtsstandsvereinbarung); BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, BB 2012, 3103 Rz. 4 (zu Gerichtsstandsvereinbarung). 3 Ausf. zuletzt Commandeur/Gößling, SchiedsVZ 2014, 12; s. auch Rühl, IPRax 2007, 294 ff. und (mit pragmatischem Ansatz der gerichtlichen Modifikation der Schiedsklauseln) Kleinheisterkamp, ICLQ 67 (2018), 903 (922 ff.). 4 Ausf. Becker, RabelsZ 60 (1996), 691 ff.; Beulker, Die Eingriffsnormenproblematik in internationalen Schiedsverfahren (2005).

Zwickel | 333

5.58

§ 5 Rz. 5.59 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO I. Allgemeines 1. Grundlagen 5.59

Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO berechtigt die Mitgliedstaaten, die Eingriffsnormen ihres eigenen Rechts gegen das Vertragsstatut durchzusetzen. Eine Verpflichtung, Eingriffsnormen vorzuhalten, besteht außerhalb unions- und völkerrechtlicher Verpflichtung (dazu Rz. 5.41 ff., Rz. 5.53) hingegen nicht, so dass es sich bei Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO um eine Öffnungsklausel handelt, die den Mitgliedstaaten die Option eröffnet, das einheitliche Anknüpfungssystem der Rom I-VO ausnahmsweise zugunsten nationaler öffentlicher Interessen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zu durchbrechen.

2. Anwendungsvoraussetzungen a) Allgemeine Voraussetzungen

5.60

Allgemeine Voraussetzungen der Anwendung des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO sind neben der Eröffnung des Anwendungsbereichs der Rom I-VO gem. Art. 1 Rom I-VO das Vorliegen einer Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO (dazu ausf. Rz. 5.15 ff.), die der lex fori entstammt. b) Erfordernis hinreichenden Inlandsbezugs

5.61

Der Wortlaut des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO macht (ebenso wenig wie früher Art. 34 EGBGB und Art. 7 Abs. 2 EVÜ, anders dagegen der frühere Art. 7 Abs. 1 EVÜ) die Anwendung von Eingriffsnormen der lex fori nicht ausdrücklich vom Vorliegen eines engen Bezugs des Vertrages zum Gebiet des Gerichtsstaates abhängig. Im früheren Recht entsprach das Erfordernis eines derartigen Inlandsbezugs der ganz überwiegenden Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung1. Auch unter der Rom I-VO ist nach ganz h.M. von einer Fortgeltung dieses Erfordernisses auszugehen2. Zwar schreibt die Rom I-VO dieses Erfordernis nicht vor. Aufgrund der Funktion des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO als Öffnungsklausel obliegt es (vorbehaltlich der Erfüllung der sonstigen Kriterien der Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 Rom I-VO) freilich dem deutschen Recht, festzulegen, ob und in welchen Konstellationen es seine Vorschriften international durchsetzen will3. Das deutsche Recht kann folglich den internationalen Geltungswillen seiner Eingriffsnormen vom Vorliegen eines hinreichenden Inlandsbezugs abhängig machen. Eine gewisse Indizwirkung für das Vorliegen eines Inlandsbezugs entfalten die Zuständigkeitsregeln der Brüssel Ia-VO (Art. 4 ff.), die die Zuständigkeit des mitgliedstaatlichen Gerichts begründen4.

1 Nachw. 7. Aufl., Rz. 563 ff. 2 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 18; Bitterich, GPR 2006, 161 (165); Kohler, FS Kronke (2020), 253 (258); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 24; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 82; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 124 ff.; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 15; gegen eine derartige Anforderung im EUKollisionsrecht Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 232 (Stand 1.2.2021). 3 Zur Bedeutung der Auslegung in diesem Zusammenhang Hoffmann/Bierlein ZEuP 2020, 47 (64 f.); Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 124. 4 Magnus, IPRax 2010, 27 (41) Fn. 213; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 11.

334 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.64 § 5

Des Inlandsbezugs bedarf es insbesondere für eine sinnvolle Eingrenzung des Art. 9 Rom IVO sowie für die Vorhersehbarkeit des Rechts; dies dürfte auch völkerrechtlich geboten sein1.

3. Rechtsfolgen der Anwendung von Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO Gemäß Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO sind Eingriffsnormen der lex fori „anzuwenden“. Diese Formulierung stellt klar, dass das Gericht die Eingriffsnormen in Einklang mit den Vorgaben des inländischen Gesetzgebers befolgen muss. Diese Rechtsfolge ist unproblematisch und selbstverständlich, da der Befehl zur Befolgung der Eingriffsnorm von der auch für das erkennende Gericht zuständigen und für dieses verbindlichen Legislativinstanz stammt. Da forumeigene Eingriffsnormen insgesamt vom Anwendungsbereich des Vertragsstatuts ausgenommen sind, bestimmt die lex fori auch über die Rechtsfolgen der Anwendung der Eingriffsnorm, d.h. bei sog. unvollständigen Eingriffsnormen, die nur Ge- oder Verbote enthalten, über deren Auswirkungen auf den Vertrag bzw. einzelne seiner Bestandteile etwa im Sinne der Nichtigkeit, Reduktion etc2. Soweit Eingriffsnormen nur zu einem teilweisen Eingriff in den Vertrag führen, insb. indem sie die Teilunwirksamkeit oder -undurchführbarkeit anordnen, ergibt sich aus dem Vertragsstatut, wie sich dieser Umstand auf den Vertrag insgesamt auswirkt3.

5.62

II. Einzelne Eingriffsnormen des deutschen Rechts (A–Z) 1. Allgemeines Vertragsrecht Eine abschließende Auflistung aller Eingriffsnormen des deutschen Rechts ist nicht möglich. Besonders bedeutsam sind aber die nachfolgend genannten international zwingenden Normen.

5.63

Grundsätzlich nicht zu den Eingriffsnormen zählen die allgemeinen, individualschützenden Regeln des Vertragsrechts, namentlich die §§ 138, 242 und 313 BGB. Gleiches gilt für verbraucherschützende Widerrufs- oder Rückgaberechte sowie die AGB-Kontrolle (§§ 305 ff. BGB)4.

2. Außenhandel, Embargomaßnahmen, Finanzsanktionen Das Außenhandelsrecht enthält öffentlich-rechtliche Regelungen der Ein- und Ausfuhr von Waren, Dienstleistungen und Kapital. Die allgemeinen deutschen Bestimmungen des Außenwirtschaftsrechts finden sich in §§ 4 ff. des 2013 grundlegend reformierten Außenwirtschaftsgesetzes (AWG)5, den Ausführungsbestimmungen der §§ 74 ff. der (ebenfalls 2013 neu gefassten) Außenwirtschaftsverordnung (AWV)6 sowie dem Kriegswaffenkontrollgesetz7. Diese Vorschriften werden durch das Außenwirtschaftsrecht der EU überlagert und ergänzt, das zahlreiche handels- und fiskalpolitische Sanktionen in Form von Embargen gegen Staaten und/oder Finanzsanktionen gegen Staaten, Personen und Organisationen erlassen hat; stetig 1 Dazu Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 15. 2 So auch Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 87 f.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 51 ff. 3 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 87 a.E.; a.A. Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom IVO Rz. 88 (Stand 1.2.2021). 4 Pfeiffer, NJW 2012, 1169. 5 In der Fassung des Außenwirtschaftsgesetzes v. 6.6.2013, BGBl. I 2013, 1482. 6 In der Fassung der Außenwirtschaftsverordnung v. 2.8.2013, BGBl. I 2013, 2865. 7 Ausführungsgesetz zu Art. 26 Abs. 2 des Grundgesetzes (Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen).

Zwickel | 335

5.64

§ 5 Rz. 5.64 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

aktualisierte Auflistungen der einschlägigen Verordnungen und Rechtsakte finden sich insb. auf den Internetseiten der Deutschen Bundesbank (Finanzsanktionen)1 sowie des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Finanzsanktionen, Embargen)2. Für den Bereich der Kriegswaffenkontrolle ist ferner die „Dual Use-Verordnung“ zu nennen, die die Ausfuhr von Gütern mit zivilem und militärischem Verwendungszweck regelt3.

5.65

Die betreffenden EU-Verordnungen enthalten öffentlich-rechtliche Verbote, deren Verletzung vom deutschen Sachrecht i.d.R. zivilrechtlich über § 134 BGB sanktioniert wird4. Ferner sind Verträge, die nach den Bestimmungen des AWG der Genehmigung durch die zuständigen Behörden bedürfen, gem. § 15 Abs. 1 AWG bis zur Erteilung der Genehmigung schwebend unwirksam, bei Verweigerung der erforderlichen Genehmigung wird die Unwirksamkeit endgültig5. Es entspricht allgemeiner Ansicht, dass die in §§ 4 ff. AWG, §§ 74 ff. AWV und den einschlägigen EU-Regelungen enthaltenen Verbote geradezu idealtypische Eingriffsnormen darstellen6.

3. Bank- und Kapitalmarktrecht, Anlegerschutz a) Allgemeines

5.66

Die Diskussion um die Bedeutung von Eingriffsnormen im privaten Bankvertragsrecht hat infolge der weitgehenden Sachrechtsharmonisierung durch die EU im Bereich der Verbrauchergeschäfte sowie der Ausweitung des sachlichen und situativen Anwendungsbereichs des kollisionsrechtlichen Verbraucherschutzes durch Art. 6 Rom I-VO, der nunmehr unzweifelhaft auch isolierte Darlehensverträge erfasst, sowie durch die Binnenmarktklausel des Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO und die gem. Art. 23 Rom I-VO fortbestehenden speziellen Richtlinienkollisionsnormen im Verbraucherschutzrecht dramatisch an Bedeutung verloren. Insbesondere stellt nach dem in Rz. 5.19 ff. Gesagten das private Verbraucherdarlehensvertragsrecht kein Eingriffsrecht dar. Im Übrigen wird, wie im Folgenden darzulegen ist, für sonstige Bereiche des privaten Bankvertragsrechts teilweise der Eingriffsnormcharakter einzelner Vorschriften des deutschen Rechts bejaht, doch ist auch hier erhebliche Zurückhaltung geboten. Zur eingriffsrechtlichen Behandlung der im Bankvertragsrecht besonders bedeutsamen Vorschriften des Währungs- und Devisenrechts vgl. Rz. 5.115 ff., zu derjenigen von Außenhandels- und Finanzembargos und Finanzsanktionen vgl. Rz. 5.64 f.

1 https://www.bundesbank.de/de/service/finanzsanktionen/finanzsanktionen-609138. 2 https://www.bafa.de/DE/Aussenwirtschaft/Ausfuhrkontrolle/Embargos/embargos_node.html. 3 Verordnung (EG) Nr. 428/2009 des Rates v. 5.5.2009 über eine Gemeinschaftsregelung für die Kontrolle der Ausfuhr, der Verbringung, der Vermittlung und der Durchfuhr von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck, Abl. EU Nr. L 134, 1. 4 Vgl. zum früheren Recht Metschkoll, Eingriffe in Außenhandelsverträge (1992), S. 77 ff.; Neumann, Internationale Handelsembargos und privatrechtliche Verträge (2001), S. 222 ff.; Bittner, RIW 1994, 459; Oeter, IPRax 1996, 76 m.w.N. 5 Näher Metschkoll, Eingriffe in Außenhandelsverträge (1992), S. 77 ff.; Neumann, Internationale Handelsembargos und privatrechtliche Verträge (2001), S. 228. 6 BGH v. 23.10.1980 – III ZR 62/79, ZIP 1981, 158 = RIW 1981, 194 = IPRax 1982, 116 (LS) Anm. von Hoffmann = IPRspr. 1980 Nr. 25; Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 28; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 183 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 65; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 35 ff.

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C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.69 § 5

b) Überweisungsvertrag Art. 3 der Verordnung über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft1 verpflichtet in der EU ansässige Zahlungsdienstleister, für grenzüberschreitende Zahlungen in Euro bis zu einem Betrag von 50 000 Euro „die gleichen Gebühren zu erheben wie für entsprechende Zahlungsvorgänge, die es innerhalb des Mitgliedstaates, in dem es niedergelassen ist, in Euro tätigt“. Diese Regelung des öffentlichen Preisrechts gilt unabhängig davon, welches Recht auf den Vertrag Anwendung findet. Allerdings bedarf es insoweit keines Rückgriffs auf Art. 9 Rom I-VO und Art. 3 ist daher als Eingriffsnorm zu qualifizieren, soweit das Zahlungsinstitut in einem Mitgliedstaat ansässig ist. Auf drittstaatliche Institute ist die Verordnung von vornherein nicht anwendbar, so dass auch insoweit ihre Berufung über Art. 9 Rom I-VO ausscheidet.

5.67

Die Direkthaftung (§ 675z S. 4 BGB) des schadensverursachenden zwischengeschalteten Instituts ist nach der Rom II-VO anzuknüpfen, da es sich entweder von vornherein um eine gesetzliche Haftung im engere Sinne handelt2 bzw. um eine solche aus Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte3, die gleichfalls nicht unter die Rom I-VO fällt4.

5.68

c) Wertpapier-, Depot- und Börsengeschäfte Die wertpapierrechtlichen Wohlverhaltensregeln nach §§ 63 ff. WpHG, die insb. die unionsrechtlichen Vorgaben der MiFID-Richtlinien5 umsetzen, sind im Rahmen des vertraglichen Finanzkommissionsgeschäfts zwischen Finanzdienstleistungsunternehmen und ihren Kunden zwingend zu beachten. Bei den einschlägigen Bestimmungen handelt es sich primär um aufsichts-, d.h. öffentlich-rechtliche Vorgaben, die der Herstellung bzw. Sicherung eines funktionierenden Kapitalmarktes dienen sollen. Die Regelungen haben indes unbestritten auch erhebliche privatrechtliche Implikationen für Finanzkommissionsgeschäfte über Wertpapiere. So sind die von den Parteien bei Abschluss eines Vertrages abgegebenen Erklärungen im Lichte der aufsichtsrechtlichen Normen auszulegen und die Finanzdienstleister haben sich bei Ausführung der Verträge zumindest aufsichtsrechtlich an die Vorgaben des WpHG zu halten, so dass öffentlich-rechtliche Pflichtenverstöße bei Geltung deutschen Vertragsrechts im Zweifel als vertragliche Pflichtverletzungen anzusehen sein werden6. Zum Teil wird daher vertreten, bei den Wohlverhaltensregeln handele es sich um Eingriffsnormen, die unabhängig vom

1 Verordnung (EG) Nr. 924/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.9.2009 über grenzüberschreitende Zahlungen in der Gemeinschaft und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2560/2009, ABl. EG 2009 Nr. L 266, 11. 2 So Zetzsche in MünchKomm, § 675z BGB Rz. 27. 3 So Omlor in Staudinger (2016), § 675z BGB Rz. 22. 4 Ausf. Dutta, IPRax 2009, 293 (294 ff.); Martiny in MünchKomm, Art. 1 Rom I-VO Rz. 17; a.A. etwa Magnus in Staudinger (2016), Art. 1 Rom I-VO Rz. 38. 5 Vgl. die Richtlinien MiFID I (Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.4.2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG, ABl. Nr. L 145, S. 1) sowie MiFID II (Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.5.2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. Nr. L 173, S. 349). 6 Näher dazu Rothenhöfer in Schwark/Zimmer (Hrsg.), Kapitalmarktrechts-Kommentar, 5. Aufl. 2020, Vor §§ 63 ff. WpHG Rz. 10 ff.

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5.69

§ 5 Rz. 5.69 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

Vertragsstatut anzuwenden seien1. Diese Sichtweise ist abzulehnen, den §§ 63 ff. WpHG kommt nicht die Eigenschaft von Eingriffsnormen zu. Jedenfalls der europäische Gesetzgeber erachtet es ausweislich der einschlägigen Vorgaben von MiFID I und MiFID II 2 lediglich als erforderlich, dass die Mitgliedstaaten die unionsrechtlichen Vorgaben aufsichts- und ggf. strafrechtlich umsetzen und absichern; privatrechtliche Sanktionen sieht das Unionsrecht bei Verstößen gegen die Wohlverhaltensregeln gerade nicht vor. Zwar hindert das Fehlen einer unionsrechtlichen Pflicht die Mitgliedstaaten nicht daran, dennoch vertragsrechtliche Sanktionen vorzusehen, die der Sache nach auch geboten sind. Zudem entscheidet das nationale Recht grundsätzlich selbst, welche seiner Bestimmungen es für so bedeutend erachtet, dass es sie als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1, Abs. 2 Rom I-VO ansieht. Freilich fehlt es insoweit an einem erkennbaren Willen des nationalen Gesetzgebers, die §§ 63 ff. WpHG mit einer zwingenden privatrechtlichen Wirkung zu versehen, deren Ausarbeitung letztlich Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen blieb. All dies spricht dafür, im internationalen Kontext mit dem Gesetzgeber auf die Wirkmacht des Aufsichtsrechts zu vertrauen und den Individualschutz dem Vertragsstatut zu überlassen.

5.70

Vertreten wird ferner, dass es sich bei dem Insiderhandelsverbot der Art. 14 i.V.m. Art. 8–11 MAR3 um eine Eingriffsnorm handelt4. Auch dem ist zu widersprechen. Die einschlägigen Vorgaben des europäischen Sekundärrechts verlangen keinerlei zivilrechtliche Konsequenzen, sondern sehen allein verwaltungs- und strafrechtliche Sanktionen vor. Auf der Ebene des deutschen Privatrechts sind die vertragsrechtlichen Konsequenzen von Verstößen gegen Art. 14 MAR zudem außerordentlich unklar und schließen eine zwingende Durchsetzung aus: Im vertraglichen Bereich relevant werden können die Verstoßfolgen wohl primär im Anwendungsbereich des Art. 14 lit. a MAR, der das Tätigen von Insidergeschäften verbietet. In praktischer Hinsicht zu bedenken ist, dass der Vertragspartner des Insiders an der Börse regelmäßig nicht zu ermitteln sein wird und sich die Frage des Eingriffscharakters der Normen daher in praxi kaum stellt. Zudem kommt im Vertragsverhältnis zwischen dem Insider und seinem Vertragspartner nicht ernstlich in Betracht, bei einem Verstoß gegen Art. 14 MAR die Nichtigkeit des Vertrages anzunehmen, da es sich um ein einseitiges Verbotsgesetz handelt, das sich allein an den Insider wendet. Der Fall der Kollusion von Insider und Vertragspartner dürfte vertragsrechtlich wenig bedeutsam sein, weil dann jedenfalls keine Schädigung des Vertragspartners in Rede steht, sondern allenfalls die vom Insiderhandelsverbot rechtlich getrennt (in Art. 12 MAR) geregelte Frage der Marktmanipulation. Insbesondere aber greift Art. 14 MAR in diesen Fällen von Vornherein nicht ein, da sein Schutzzweck nicht berührt ist und kein Geschäft „unter Verwendung der Insiderinformation“ vorliegt. Eine Anordnung der Nichtigkeit gem. § 134 BGB wäre hier auch wenig hilfreich, weil § 817 S. 2 BGB im Zweifel die Rückabwicklung ausschlösse. Welche Bestimmungen damit überhaupt international durchgesetzt werden sollen, ist nicht ersichtlich. 1 Lehmann in MünchKomm, IntFinanzMarktR Rz. 569; Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 41; Floer, Internationale Reichweite der Prospekthaftung (2002), S. 107; nach altem Recht evtl. auch Einsele, JZ 2008, 477 (487 f.), die von einer „Sonderanknüpfung“ der §§ 31 ff. WpHG a.F. spricht. 2 Art. 51 MiFID I, Art. 70 MiFID II. 3 Marktmissbrauchsverordnung „MAR“, Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 16.4.2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchs-Verordnung) etc., ABl. Nr. L 173, 1; vgl. auch die flankierende Marktmissbrauchsrichtlinie „MAD“ (Richtlinie 2014/ 57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.4.2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchs-Richtlinie), ABl. Nr. L 173, S. 179. 4 Einsele, RabelsZ 81 (2017), 783 (795); Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 77; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 176.

338 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.75 § 5

Für das Verbot der Marktmanipulation gem. Art. 15 i.V.m. Art. 12 ff. MAR kommt eine Qualifikation als Eingriffsnorm ebenfalls nicht in Betracht, da hier in der Praxis ausschließlich eine außervertragliche Haftung des Manipulators, nicht aber die Beeinflussung vertraglicher Abreden in Betracht kommt1.

5.71

Im Hinblick auf den internationalen Anwendungsbereich des Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen (WpÜG) und damit auch hinsichtlich der Voraussetzungen und des Inhaltes freiwilliger Übernahmeangebote und von Pflichtangeboten sind zunächst die §§ 1 und 2 WpÜG zu beachten. Danach gelten die Bestimmungen des WpÜG für alle Angebote zum Erwerb von Wertpapieren, die von Aktiengesellschaften oder Kommanditgesellschaften auf Aktien mit Sitz im Inland ausgegeben wurden und die an einer Börse innerhalb des EWR gehandelt werden. Damit ist das WpÜG unabhängig von dem für das Übernahmeangebot bzw. den Erwerbsvertrag maßgeblichen Recht als Eingriffsrecht anzuwenden2. Das Gleiche muss auch für die im WpÜG statuierten Verhaltenspflichten gelten.

5.72

Gemäß § 5 Abs. 1 DepotG darf ein Verwahrer von Wertpapieren i.S.d. § 1 Abs. 1 DepotG, die zur Sammelverwahrung zugelassen sind, derartige Wertpapiere einer Wertpapiersammelbank zur (Weiter-)Verwahrung anvertrauen, falls der Hinterleger nicht Sonderverwahrung verlangt. Dem Verwahrer steht nach § 5 Abs. 4 DepotG diese Befugnis zur Weitergabe der Papiere zur Sammelverwahrung jedoch nicht zu, soweit sich die Sammelverwahrstelle im Ausland befindet und sie nicht den besonderen Erfordernissen des § 5 Abs. 4 Nr. 1–4 DepotG genügt. Diese Regelung gilt unabhängig von dem auf den Depotvertrag zwischen Hinterleger und Verwahrer anwendbaren Recht und ist damit als Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO anzusehen3.

5.73

d) Geldwäsche Das Geldwäschegesetz (GwG)4 sieht für Verpflichtete i.S.d. § 2 ein Risikomanagement (§§ 4 ff. GwG) sowie Sorgfalts-, Melde-, Mitwirkungs- und Verschwiegenheitspflichten vor (§§ 10 ff., 43 ff., 52 ff. GwG). Diese Verpflichtungen gelten unabhängig vom Vertragsstatut und sind als Eingriffsnormen über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO durchzusetzen5. Die in § 18 ff. GwG vorgesehene Pflicht zur Eintragung ins Transparenzregister trifft hingegen nur Unternehmen mit Sitz im Inland6.

5.74

4. Corona: Bestimmungen zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie Die COVID-19-Pandemie wirkt sich vielfach auch auf das Vertragsrecht aus (s. Rz. 3.136)7. Hinsichtlich der Zuordnung der entsprechenden Rechtsregeln zu den Eingriffsnormen lässt 1 A.A. Einsele, RabelsZ 81 (2017), 783 (795); Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 78. 2 So bereits zum alten Recht Hahn, RIW 2002, 743 f.; Schuster, Die internationale Anwendung des Börsenrechts (1996), S. 559 ff.; a.A. wohl Dürig, RIW 1999, 748 ff. Zu Art. 9 Rom I-VO vgl. Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 41; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 177. 3 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 175. 4 Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GWG) v. 23.6.2017, BGBl. 2017 I S. 1822. 5 Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 78. 6 Kieninger, ZfPW 2018, 121 (127). 7 Gössl, ZVglRWiss 120 (2021), 23 (25 ff.); Michaels/Olbing, https://conflictoflaws.net/2020/corona/.

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5.75

§ 5 Rz. 5.75 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

sich zwischen öffentlich-rechtlichen Vorschriften mit ordnungspolitischen Zwecken und privatrechtlichen Rechtsregeln unterscheiden: Die deutschen öffentlich-rechtlichen Regeln und Maßnahmen zur unmittelbaren Seuchenbekämpfung in der COVID-19-Pandemie (Rechtsakte nach §§ 28, 28a, 28b InfektionsschutzG1) verfolgen unmittelbar öffentliche Belange. Sie stellen, soweit sie (z.B. durch Veranstaltungsverbote, usw.) Auswirkungen auf Verträge haben, Eingriffsnormen dar und führen regelmäßig zu Leistungsstörungen2. Diese folgen aber dem Vertragsstatut (s. Rz. 3.136).

5.76

Schwieriger ist die Frage zu beurteilen, ob auch die in Art. 240 EGBGB enthaltenen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie als Eingriffsnormen anzusehen sind. Art. 240 EGBGB beinhaltet spezielle Leistungsverweigerungs- und Kündigungsrechte, von denen nicht zum Nachteil des Schuldners abgewichen werden darf (Art. 240 § 1 Abs. 5 EGBGB). Trotz ihres zwingenden Charakters dienen diese Vorschriften aber ausschließlich dem Interessenausgleich unter Privatpersonen. Fundamentale öffentliche Interessen, wie sie im Ausnahmefall hinter Privatrechtsnormen stehen können (s. Rz. 5.19 ff.), sind nicht erkennbar, dient Art. 240 EGBGB doch lediglich der Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Pandemie3 und nicht unmittelbar deren Beendigung selbst. Soweit in der Gesetzesbegründung4 darauf abgestellt wird, Ziel der zivilrechtlichen Regelungen des Art. 240 EGBGB sei es, Verbraucher und Kleinstunternehmer nicht von Leistungen der Grundversorgung abzuschneiden5, ist dies allenfalls ein Reflex der Anwendung besonderer zivilrechtlicher Instrumente zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie. Die Vorschrift hat nicht die „Umsetzung staatlicher Gewährleistungspflicht im Bereich der Daseinsvorsorge“ zum Ziel6. Auch der beschränkte persönliche Anwendungsbereich der einzelnen Instrumente des Art. 240 EGBGB7 spricht gegen einen internationalen Geltungsanspruch derselben und damit auch gegen eine Einordnung des Art. 240 EGBGB als Eingriffsnorm8.

5. Datenschutz 5.77

Zu den Eingriffsnormen sind die Bestimmungen über den Datenschutz zu zählen9. Dies gilt insbesondere für die Verbote der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO)10. Die DSGVO regelt in Art. 3 ihren Anwendungsbereich unabhängig vom Vertragsstatut (Sonderkollisionsnorm)11 in Anknüpfung an das Niederlassungs- und an das Marktortprinzip. Das weite Marktortprinzip des Art. 3 Abs. 2 DSGVO12 führt auch für Datenverarbeitungen nicht in der

1 Infektionsschutzgesetz v. 20.7.2020 (BGBl. I S. 1045). 2 Baldus/Fuenteseca Degeneffe/Jansen et. al., GPR 2020, 258 (268); Thume, BB 2020, 1419 (1421); Weller/Lieberknecht/Habrich, NJW 2020, 1017. 3 BT-Drs. 19/18110, S. 1: „wirtschaftliche Unterstützungsmaßnahmen“. 4 BT-Drs. 19/18110, S. 1 f. 5 BT-Drs. 19/18110, S. 2, 4. 6 So aber Gössl, ZVglRWiss 120 (2021), 23 (32). 7 S. dazu im Detail Scholl, WM 2020, 773. 8 Wie hier Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 226.1 (Stand 1.2.2021); Stürner in Erman, Art.9 Rom I-VO Rz. 17; a.A. Gössl, ZVglRWiss 120 (2021), 23 (25 ff.); S. Lorenz in Schmidt, COVID-19 – Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2020, § 1 Rz. 65; ähnlich für die italienischen Bestimmungen Piovesani, IPRax 2021, 401 (405). 9 Remien in PWW, Art. 9 Rom I-VO Rz. 16, 29; kritisch Steinrötter, MMR 2013, 691 (693). 10 Kettgen-Hahn, Datenschutz im nationalen sowie grenzüberschreitenden Kontext 2020, 187 f. 11 Lüttringhaus, ZVglRWiss 117 (2018), 50 (72 f.); Thon, RabelsZ 84 (2020), 35 (39 f.). 12 S. dazu ausführlich Ernst in Paal/Pauly, DS-GVO – BDSG, 3. Aufl. 2021, Art. 3 DS-GVO Rz. 13 ff.

340 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.80 § 5

Union niedergelassener Verantwortlicher oder Auftragsverarbeiter zu einem weit ausgedehnten zwingenden Anwendungsbereich der DSGVO. Die Normen der DSGVO sind jedoch schon über Art. 23 Rom I-VO vorrangig anzuwenden. Eines Rückgriffs auf Art. 9 Rom I-VO bedarf es nicht1. Die zum Teil – auch aufgrund zahlreicher Öffnungsklauseln der DSGVO – weiter maßgeblichen Regeln des BDSG (s. § 1 Abs. 4, 5 BDSG)2 sind aber, bei Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO, Eingriffsnormen3.

6. Diskriminierungsschutz § 19 AGG (zivilrechtliches Benachteiligungsverbot) und § 21 AGG (Ansprüche des Benachteiligten) sind doppelfunktionale Vorschriften, die zugleich öffentliche und private Belange verfolgen. Vorrangig haben sie aber das v.a. auch grundrechtlich verankerte Ziel der Vermeidung von Diskriminierungen. Es handelt sich mithin um Eingriffsnormen4. Das Erfordernis des Inlandsbezugs ist in diesem Bereich weit auszulegen, um jegliche, vom deutschen Territorium ausgehende Diskriminierung zu vermeiden. Ein Inlandsbezug liegt daher immer dann vor, wenn entweder in Deutschland tatsächlich gehandelt wird, wenn das Verhalten eine ökonomische Chance in Deutschland betrifft oder in Zusammenhang mit einem auf Deutschland ausgerichteten Markverhalten steht5. Eine Anknüpfung über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO kommt aber nur für den Teil der Umsetzungsvorschriften in Betracht, der über die dem AGG zugrundeliegenden Richtlinien hinausgeht; für den Bereich der Übereinstimmung mit den Richtlinien ist Art. 23 Rom I-VO maßgeblich (s. Rz. 5.30 ff.).

5.78

7. Erwerbs- und Berufstätigkeit a) Allgemein Viele Berufe und Dienstleistungen unterliegen öffentlich-rechtlichen, den Beruf oder das Gewerbe regelnden Vorschriften, die entweder die Aufnahme der Berufstätigkeit oder ihre Ausführung betreffen. Gewerberechtliche Vorschriften dienen als ordnungspolitische Regelungen der Durchsetzung eines bestimmten wirtschaftspolitischen Ziels und sind nach allg.M. daher auf Gewerbetreibende, die im Inland ihr Gewerbe ausüben, als zwingende Vorschriften anwendbar6.

5.79

b) Rechtsanwälte und Steuerberater International zwingend war nach früher h.M. Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG, der die rechtsberatende Tätigkeit im Inland von der Erteilung einer Erlaubnis abhängig machte und bei Verstößen

1 Melcher in Gössl, Politik und Internationales Privatrecht (2017), 129 (140 ff.); Thon, RabelsZ 84 (2020), 35 (38 ff.); Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 227 (Stand 1.2.2021); a.A. Piltz in Gola, Datenschutz-Grundverordnung (2017), Art. 3 DSGVO Rz. 40. 2 Däubler, RIW 2018, 405 (411). 3 Piltz in Gola, Datenschutz-Grundverordnung (2017), Art. 3 DSGVO Rz. 43 ff. 4 Hoffmann/Bierlein, ZEuP 2020, 47 (63 f.); Weller/Lieberknecht, JZ 2019, 317 (323); Thon IPRax 2019, 301 (305); Kocher, FS Martiny (2014), 411 (415); Lüttringhaus, Grenzüberschreitender Diskriminierungsschutz – Das internationale Privatrecht der Diskriminierung, 2020, S. 275 ff.; a.A. Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 227 (Stand 1.2.2021). 5 Hoffmann/Bierlein, ZEuP 2020, 47 (66). 6 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 32; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 130; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 42.

Zwickel | 341

5.80

§ 5 Rz. 5.80 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

die zivilrechtliche Unwirksamkeit des betreffenden Vertrages bewirkte1. Durch das RDG2 wurde das Berufsrecht der Rechtsdienstleistungen indes erheblich dereguliert. Danach ist hinsichtlich der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten zwischen gerichtlichen und außergerichtlichen Dienstleistungen zu differenzieren. In Bezug auf außergerichtliche Rechtsdienstleistungen folgt aus § 3 RDG, dass diese nur in dem durch das RDG gesetzten Rahmen gestattet, im Übrigen aber verboten sind. Da gem. § 1 Abs. 1 S. 2 RDG der Zweck des RDG darin besteht, „die Rechtsuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen“, sind die Verbote des RDG ebenso wie die früheren des RBerG als Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO zu qualifizieren3. Voraussetzung ist aber ein hinreichender Inlandsbezug. Das RDG ist nach seinem § 1 Abs. 2 auf Rechtsdienstleistungen, die ausschließlich aus einem anderen Staat erbracht werden, international nur anwendbar, wenn ihr Gegenstand deutsches Recht ist. § 1 Abs. 1 S. 1 RDG stellt auf die Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen in der Bundesrepublik Deutschland ab4. Für Rechtsdienstleister wie z.B. Inkassobüros oder Legal Tech-Anbieter ist daher maßgeblich, ob sie einen inländischen Sitz haben oder eine Beratung zum deutschen Recht leisten5.

5.81

Unmittelbare Einschränkungen der Zulässigkeit gerichtlicher Rechtsdienstleistungen ergeben sich nur noch aus den §§ 78 ff. ZPO, die in Verfahren vor den LG oder höheren Instanzen die Einschaltung eines Rechtsanwalts verlangen (§ 78 ZPO) bzw. im Parteiprozess die Vertretungsbefugnis auf einen engen Personenkreis beschränken (§ 79 ZPO). Auch wenn diese Vorschriften verfahrensrechtlich zu qualifizieren sind, da sie allein die Vertretungsbefugnis der Rechtsdienstleister regeln und regeln sollen6, folgt doch aus einer Gesamtschau von RDG und §§ 78 ff. ZPO sowie aus einem Erst-Recht-Schluss zu den Verboten des RDG, dass die schuldrechtlichen Verträge, die der Erbringung prozessualer Rechtsdienstleistungen zugrunde liegen und die gegen die §§ 78 ff. ZPO verstoßen, jedenfalls im Umfang des Verstoßes nichtig sind. Diese ungeschriebene Verbotsnorm in Bezug auf gerichtliche Rechtsdienstleistungen ist ebenfalls als Eingriffsnorm zu qualifizieren. Anwendbar sind die betreffenden Eingriffsnormen aufgrund des auf den deutschen Rechtsverkehr bezogenen Schutzzwecks des RDG ausschließlich auf Rechtsdienstleistungen, die im Inland zu erbringen sind.

5.82

Soweit das ehemalige RBerG die Inkassotätigkeit i.S.d. gerichtlichen Beitreibung von Forderungen im Inland zugelassenen Anwälten vorbehielt und damit ausländische Inkassobüros vom inländischen Markt ausschloss, war dies nach der Entscheidung des EuGH „Reisebüro Broede“ mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar7. Unproblematisch unionsrechtskonform ist jedenfalls die Regelung der § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG, § 79 Abs. 2 Nr. 4 ZPO, die die Zulassung zum inländischen Inkassogeschäft allein von einer Registrierung abhängig macht. International zwingend sind die Vorschriften freilich nur insoweit, als sie die Ausübung der Tätigkeit auf deutschem Boden untersagen, wobei darauf abzustellen ist, von wo aus die Inkassotätigkeit 1 Implizit OLG Hamm v. 15.6.1999 – 4 U 10/99, RIW 2000, 58 (Anm. Budzikiewicz, IPRax 2001, 218; Armbrüster, RIW 2000, 583); Spellenberg in MünchKomm, vor Art. 11 EGBGB Rz. 165; Magnus in Staudinger, Art. 38 EGBGB Rz. 91. 2 Vgl. Art. 20 S. 1 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, BGBl. I 2007, 2840. 3 Ahrens, FS Geimer (2017), 1 (14); Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I-VO Rz. 159; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 43. 4 Zum Zusammenspiel der beiden Regelungen s. ausf. de Barros Fritz, IPRax 2020, 499 (502 ff.). 5 Differenzierend de Barros Fritz, IPRax 2020, 499 (502 ff.). 6 Vgl. RegBegr. zum Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsgesetzes, BT-Drucks. 16/3655, 33. 7 EuGH v. 12.12.1996 – C-3/95, ECLI:EU:C:1996:487 (Reisebüro Broede), EuZW 1997, 53.

342 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.85 § 5

tatsächlich ausgeübt wird. Nicht relevant sind hingegen der Wohnsitz bzw. gewöhnliche Aufenthalt des Schuldners und der handels- bzw. gesellschaftsrechtliche Sitz des Inkassounternehmens. Das durch § 4a RVG eingeschränkte Verbot von Erfolgshonorarvereinbarungen für die Tätigkeit von Rechtsanwälten gem. § 49b Abs. 2 BRAO zählt nach ganz h.M. ebenfalls zu den Eingriffsnormen1. Ebenso wird man im Hinblick auf die Tätigkeit von Steuerberatern auch für die Parallelvorschrift des § 9a StBerG entscheiden müssen. Auch das für gerichtlich tätige Anwälte geltende Gebührenunterbietungsverbot des § 49b Abs. 1 BRAO dürfte zu den Eingriffsnormen zählen.

5.83

Erforderlich für die Anwendung dieser Eingriffsnormen ist wie stets ein hinreichender Inlandsbezug des Sachverhalts. Dieser wird durch den inländischen Ort der Zulassung bzw. der Ausübung der Berufstätigkeit und damit den Anwendungsbereich des betreffenden Standesrechts vermittelt. Bei Mehrfachzulassungen in verschiedenen Staaten entscheidet der Ort der konkreten Berufsausübung im Einzelfall. Vereinbart daher ein sowohl in den USA als auch in Deutschland zugelassener Rechtsanwalt mit seinem Mandanten die Zahlung eines Erfolgshonorars in dem kraft Rechtswahl amerikanischem Recht unterliegenden Mandatsvertrag, so ist § 49b Abs. 2 BRAO gleichwohl anzuwenden, wenn die geschuldete anwaltliche Tätigkeit in Deutschland zu erbringen ist2. Umstritten ist die Anwendung des Art. 9 Rom I-VO auf deutsche Rechtsanwälte, die ein Mandat mit Auslandsbezug ausüben, insbesondere indem sie vor ausländischen Gerichten oder in Bezug auf eine sonst im Ausland anhängige oder zu verortende Streitigkeit tätig werden. Auch wenn das deutsche Standesrecht die Tätigkeit sämtlicher inländischer Berufsträger reguliert, soll es doch allein die Rechtspflege im Inland normieren. Inländische Tätigkeiten mit Bezug zu einer fremden Jurisdiktion sollten daher allein dem Recht des betreffenden ausländischen Staates unterliegen3.

5.84

Mit der Vereinbarkeit der berufsrechtlichen Honorarregelungen mit dem EU-Kartellrecht hat sich der EuGH in den Entscheidungen „Gebhard“4 und „Arduino“5, mit der Vereinbarkeit von Mindesthonorarregeln mit der Dienstleistungsfreiheit in der Sache „Cipolla“6 befasst. Demzufolge beschränken international zwingende Mindesthonorarregelungen die Niederlassungsfreiheit, wenn sie für sämtliche Anwaltsdienstleistungen gelten, die zugunsten von im Erlassstaat ansässigen Mandanten erbracht werden, denn durch die betreffenden Regelungen werde es ausländischen Berufsträgern erschwert, im Wege des Preiswettbewerbs auf dem betreffenden Markt zu konkurrieren. Derartige Beschränkungen könnten indes gerechtfertigt sein, soweit sie aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls geboten und auch geeignet sind, das erstrebte Ziel zu erreichen und keine unverhältnismäßigen Folgen zeitigen. Dies hält der

5.85

1 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 33; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 160; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 43; a.A. Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 28. 2 Vgl. OLG Frankfurt v. 1.3.2000 – 9 U 83/99, IPRax 2002, 399 (Anm. Krapfl, IPRax 2002, 380) = JuS 2001, 818 Anm. Hohloch. 3 Etwa Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 20; a.A. (noch zu Art. 34 EGBGB) Heß, NJW 1999, 2485 (2486); Krapfl, IPRax 2002, 380 (382); anders Bendref, AnwBl. 1998, 309 (310); von Hoffmann in Soergel, Art. 34 EGBGB Rz. 47. 4 EuGH v. 30.11.1995 – C-55/94, ECLI:EU:C:1995:411 (Gebhard), NJW 1996, 579. 5 EuGH v. 19.2.2002 – C-35/99, ECLI:EU:C:2002:97 (Arduino), NJW 2002, 882. 6 EuGH v. 5.12.2006 – verb. Rs. C-94/04 und C-202/04, ECLI:EU:C:2006:758 (Cipolla), NJW 2007, 281 = BB 2007, 462. Dazu u.a. Mailänder, NJW 2007, 883; Lange, EWS 2007, 170; Wolf, DStR 2007, 131; Lörcher, BRAK 2008, 2; Kern, ZEuP 2008, 413.

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§ 5 Rz. 5.85 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

EuGH für den Fall der Mindesthonorare für denkbar, da Mindesthonorare einen ruinösen Preiswettbewerb der Anwälte auf Kosten der Qualität der Rechtsdienstleistungen und damit zu Lasten der Verbraucher verhindern können. Allerdings habe das jeweilige nationale Gericht das Vorliegen dieser Voraussetzungen jeweils im Einzelfall sorgfältig zu überprüfen1. Der EuGH geht in der Entscheidung „Cipolla“ von der unionsrechtlichen Zulässigkeit des Verbots von Erfolgshonoraren aus. c) Architekten und Ingenieure

5.86

Der BGH hat die Bestimmungen der HOAI2 über die Vergütung von Architekten und Ingenieuren früher als „zwingendes Preisrecht des öffentlichen Rechts“ und damit als Eingriffsnormen durchgesetzt3. Die Literatur hatte den Eingriffsnormcharakter teilweise mit dem Argument abgelehnt, die Regelungen dienten primär dem privaten Interessensausgleich4. Nach geltendem Recht kommt eine Durchsetzung der HOAI-Vorschriften als Eingriffsnormen nicht mehr in Betracht. Der EuGH hat 2019 Mindest- und Höchstsätze der HOAI für mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar erklärt5, so dass schon daran die Durchsetzung als Eingriffsnorm der lex fori scheitert6. Mit Wirkung vom 1.1.2021 wurde daher die HOAI neu gefasst7. Sie enthält jetzt keinerlei zwingendes Preisrecht mehr, sondern unverbindliche Honorarempfehlungen8. Als Eingriffsnormen kommen die Regelungen der HOAI daher künftig nicht mehr in Frage. d) Bauträger

5.87

Für den Vertrag über den Erwerb neu zu errichtender Häuser und Eigentumswohnungen spielt die aufgrund von § 34c GewO erlassene Makler- und Bauträgerverordnung (MaBV) eine wichtige Rolle. Die §§ 3, 7 MaBV untersagen dem Bauträger, während der Bauphase vom Erwerber Anzahlungen ohne Sicherheit entgegenzunehmen. Ferner ist dem Bauträger gem. § 12 MaBV verboten, von den §§ 2–8 MaBV abweichende Vereinbarungen zu treffen. Gegen die §§ 3, 7, 12 MaBV verstoßende Vereinbarungen des Bauträgers sind wegen Verstoßes gegen § 134 BGB nichtig9. 1 EuGH v. 5.12.2006 – verb. Rs. C-94/04 und C-202/04, ECLI:EU:C:2006:758, Rz. 68 f. (Cipolla), NJW 2007, 281 = BB 2007, 462. 2 Verordnung über die Honorare für Leistungen der Architekten und der Ingenieure v. 17.9.1976, BGBl. I 1976, 2805 (3616). 3 BGH v. 27.2.2003 – VII ZR 169/02, BGHZ 154, 110 = MDR 2003, 683 (Anm. Quack, ZfBR 2003, 419; Anm. Wenner, ZfBR 2003, 421; Anm. Kilian/Müller, IPRax 2003, 436). Zuvor bereits BGH v. 7.12.2000 – VII ZR 404/99, MDR 2001, 686 = NJW 2001, 1936 (1937); a.A. insb. Kilian/Müller, IPRax 2003, 436 ff. 4 S. dazu ausführlich die 8. Aufl. in Rz. 5.69 ff. m.w.N. 5 EuGH v. 4.7.2019 – C-377/17, ECLI:EU:C:2019:562, NJW 2019, 2529; Wessel, MDR 2019, 1349; zur zeitlichen Fortgeltung der HOAI für Altfälle Kluth, NJW 2020, 1471. 6 OLG Celle v. 17.7.2019 – 14 U 188/18, NJW 2019, 3593; a.A. OLG Hamm v. 23.7.2019 – 21 U 24/ 18, NJW 2020, 247; s. auch den Vorlagebeschluss des BGH: BGH v. 14.5.2020 – VII ZR 174/19, NJW 2020, 2328. 7 Erste Verordnung zur Änderung der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure v. 2.12.2020, BGBl. I 2020, 2636. 8 BR-Drucks. 539/20, S. 1. 9 Vgl. BGH v. 22.12.2000 – VII ZR 310/99, BGHZ 146, 250 (257 f.) = ZIP 2001, 245 = MDR 2001, 503 = NJW 2001, 818; BGH v. 22.3.2007 – VII ZR 268/05, BGHZ 171, 364 = ZIP 2008, 322 = MDR 2007, 882 = NJW 2007, 1947 Rz. 19.

344 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.89 § 5

Die überwiegende Meinung zum bisherigen Recht hielt die Vorschriften der MaBV für international zwingend i.S.d. Art. 34 EGBGB1, unter Art. 9 Rom I-VO ist die Rechtslage umstritten2. Schwierig zu beurteilen ist die Frage, welcher Anknüpfungspunkt für die Feststellung des notwendigen Inlandsbezugs maßgeblich ist. Da die MaBV mit ihren Regelungen auf der GewO beruht, spricht viel dafür, wie bei allen anderen gewerblichen Vorschriften den maßgeblichen Anknüpfungspunkt in der gewerblichen Niederlassung des Bauträgers im Inland zu sehen3. Umstritten ist allerdings, ob kumulativ weitere Voraussetzung ist, dass das Bauvorhaben im Inland durchgeführt wird. Das OLG Hamm ist davon ausgegangen, die MaBV sei auf alle Bauträger mit Sitz im Inland anwendbar, gleich ob das Bauvorhaben im In- oder Ausland durchgeführt wird4. Diese Entscheidung ist abzulehnen; die besseren Argumente sprechen dafür, die §§ 3, 7, 12 MaBV nur dann als international zwingend anzusehen, wenn das Bauvorhaben im Inland ausgeführt werden soll5. Die MaBV ist aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 34c GewO erlassen worden und soll mit gewerberechtlichen Mitteln dazu beitragen, Missstände im Bauträgergeschäft zu beseitigen und hierdurch den Erwerber zu schützen6. Demzufolge ist die MaBV nach ihrem § 1 nur für inländische Gewerbetreibende maßgeblich. Aufgrund des dem öffentlichen Recht zugrundeliegenden Territorialitätsprinzips kann die MaBV zudem lediglich die Gewerbeausübung im Inland regeln, während die gewerbliche Tätigkeit inländischer Unternehmen im Ausland vom betreffenden ausländischen Gewerberecht geregelt wird. Vor diesem Hintergrund kommt eine international zwingende Durchsetzung der MaBV auf Gewerbetätigkeit im Ausland (erst recht) nicht in Betracht. Umgekehrt findet die MaBV Anwendung, soweit ein ausländischer Bauträger im Inland gewerblich tätig wird.

5.88

e) Öffentliches Preisrecht für Arzneimittel Das öffentliche Preisrecht der § 78 AMG, §§ 1, 3 AMPreisVO bindet nach Ansicht des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes auch ausländische Anbieter, soweit diese im Inland Arzneimittel abgeben7, was auch in § 78 Abs. 1 S. 4 AMG klargestellt ist. Verstöße gegen die AMPreisV führen bei Geltung deutschen Vertragsstatuts über § 134 BGB zur Teilnichtigkeit rechtswidriger Preisabreden8, soweit diese die zulässigen Höchstpreise überschreiten, nicht indes, soweit eine Unterschreitung der Preiskorridore nach der AMPreisV vorliegt9. Der 1. Zivilsenat des BGH hatte in seiner Vorlageentscheidung an den GmS-OGB – wenn auch recht apodiktisch – für eine Einstufung der AMPreisV als „einseitige Kollisionsnor-

1 Nachw. 6. Aufl., Rz. 426. 2 Für international zwingenden Charakter etwa Stürner in Erman, Art. 9 Rom I-VO Rz. 14; a.A. Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 25. 3 So auch Reithmann in Reithmann/Meichssner/von Heymann, Kauf vom Bauträger, 7. Aufl. 1995, Rz. A 63 ff.; Brych/Pause, Bauträgerkauf und Baumodelle, 4. Aufl. 2004, Rz. 80. 4 OLG Hamm v. 7.2.1977 – 22 U 93/76, NJW 1977, 1594 = RIW 1977, 781 Anm. Ahrens = MittBayNot 1977, 1982 Anm. Lichtenberger: Sitz des Bauträgerunternehmens in Bremen, Bauvorhaben in Spanien, Werbung des Bauträgers um deutsche Kunden im Inland. 5 Wie hier Rz. 14.5 sowie Lichtenberger, MittBayNot 1977, 183 ff.; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 168. A.A. Reithmann, FS Ferid (1988), S. 363 (367 ff.); von Hoffmann in Soergel, Art. 34 EGBGB Rz. 50 (zur früheren Rechtslage). 6 BR-Drucks. 179/75, 4. 7 GmS-OGB v. 22.8.2012 – GmS-OGB 1/10, NJW 2013, 1424 ff. 8 LG Hamburg v. 28.12.2010 – 313 O 214/10, BeckRS 2012, 08427. 9 OLG Köln v. 22.6.2012 – 20 U 27/12, VersR 2013, 1300 (1301).

Zwickel | 345

5.89

§ 5 Rz. 5.89 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

men“ plädiert1, so dass auch fremdem Recht unterliegende Preisabreden unwirksam sind, wenn sie die öffentlich-rechtlichen Vorgaben missachten.

8. Grundstücksbezogene Vorschriften a) Regelungen des Grundstücksverkehrs, Verwertungsregelungen

5.90

Inländische zwingende Vorschriften über den Grundstücksverkehr gelten für schuldrechtliche Verträge, die ein inländisches Grundstück zum Gegenstand haben, unabhängig davon, welchem Recht diese Verträge unterliegen. Zu den über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO aufgrund ihrer Belegenheit gesondert anzuknüpfenden Vorschriften gehören vor allem die Vorschriften des Baugesetzbuches2 und des Grundstücksverkehrsgesetzes. Die Begründung für die Sonderanknüpfung, die meist als selbstverständlich empfunden wird, liegt vor allem in der ordnungspolitischen Steuerung des Bodenverkehrs und dem durch die Belegenheit im Inland gebotenen notwendigen Inlandsbezug3. Der Belegenheitsgrundsatz und der Schutz des innerstaatlichen Bodenverkehrs verbietet zugleich die Anwendung der inländischen Regelungen des Grundstücksverkehrs auf im Ausland belegene Grundstücke.

5.91

Zum in § 1149 BGB enthaltenen Verbot von Verfallvereinbarungen in Zusammenhang mit der Bestellung von Hypotheken und Grundschulden wird vertreten, es handele sich hierbei um eine international zwingende Vorschrift, die unabhängig von dem auf die Verfallvereinbarung anwendbaren Recht gelte, falls das betreffende Grundstück im Inland belegen sei4. Dem ist jedenfalls im Ergebnis zuzustimmen. Schon die Nähe des § 1149 BGB zu den Vorschriften über die Verwertung von Grundpfandrechten gebietet es, die Vorschrift entsprechend Art. 43 Abs. 1 EGBGB rechtswahlfest an die lex rei sitae anzuknüpfen, obwohl Verfallvereinbarungen schuld- und keine sachenrechtlichen Rechtsgeschäfte darstellen5. Das entspricht dem Willen des historischen Gesetzgebers, der § 1149 BGB als notwendige Ergänzung der dinglichen Verwertungsregelungen des BGB sah6. b) Soziales Mietrecht

5.92

Zentrale Vorschriften des deutschen Rechts zum Schutz von Mietern können über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO unabhängig von dem auf den Mietvertrag anzuwendenden Recht durchgesetzt werden, soweit der Vertrag sich auf inländischen Wohnraum bezieht7. Zu nennen sind die Kündigungsregeln des BGB-Mietrechts, die BGB-Vorschriften über die Mieterhöhung (§§ 557–561 BGB), die sog. „Mietpreisbremse“ (§§ 556d–556g BGB), das Wohnungsbindungsgesetz, und wohl auch Vorkaufsrechte nach § 577 BGB, § 57 SchuldRAnpG, § 20 1 So auch Dettling, PharmR 2003, 401 (408); Mand, PharmR 2008, 582 (583 ff.). 2 Insbesondere Genehmigungsvorschriften, öffentlich-rechtliche Vorkaufsrechte etc. 3 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 31; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 152; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 94; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 24. 4 Insb. Reithmann, DNotZ 2003, 463; wohl auch Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 53; unentschieden Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 31; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 154. 5 Unstr., vgl. Lieder in MünchKomm, § 1149 BGB Rz. 2. 6 Mot. III S. 680 (bei Mugdan, Bd. 3, S. 379 f.). 7 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 38; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 155; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 94; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 24; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 26; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 54.

346 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.94 § 5

VermG, etc. Zwar dienen solche Vorschriften auch dem Schutz des schwächeren Vertragsteils, so dass z.T. an der Qualifikation als Eingriffsnorm gezweifelt wird1. Gleichwohl sind gerade im sozialen Mietrecht ordnungspolitische und verbraucherschützende Zwecke eng miteinander verwoben und können nicht getrennt werden. Der deutsche Gesetzgeber verfolgt das allgemeine wirtschafts- und sozialpolitische Ziel der Versorgung der Bevölkerung mit angemessenem bzw. angemessen bepreistem Wohnraum in weiten Teilen mit privatrechtlichen Mitteln. Im Übrigen bedarf es des Rückgriffs auf Art. 9 Rom I-VO, weil der gebotene Mieterschutz in vielen Fällen nicht bereits über Art. 6 Rom I-VO sichergestellt wird: Zum einen ist Art. 6 Rom I-VO auf den passiven Verbraucher zugeschnitten, während es im Mietrecht tendenziell um aktive Verbraucher geht, die sich zu Wohnzwecken in einen anderen Staat auf den dortigen Wohnungsmarkt begeben. Zum anderen ist die Beschränkung des Art. 6 Rom IVO auf B2C-Geschäfte im Mietrecht unangemessen, da sie dem Umstand keine Rechnung trägt, dass insb. Mietverträge häufig auf C2C-Basis abgeschlossen werden. Der internationale Geltungswille der erfassten Vorschriften ist auf inländische Wohnräume beschränkt, während Verträge über Wohnräume im Ausland vom deutschen Gesetzgeber nicht reguliert werden sollten2. Im Übrigen entspricht es dem Schutzzweck der genannten Bestimmungen, sie nur dann zur Geltung zu berufen, wenn die lex causae nicht bereits für einen hinreichenden Schutz sorgt, so dass in Parallele zu den Art. 6, Art. 8 Rom I-VO von der Geltung des Günstigkeitsprinzips auszugehen ist3.

9. Handelsvertreterverträge Nach der an anderer Stelle (Rz. 5.47 ff. und Rz. 23.156 ff.) näher erörterten Rechtsprechung des EuGH zum internationalen Anwendungsbereich der Handelsvertreter-Richtlinie sind die in das nationale (deutsche) Recht umgesetzten Bestimmungen der Richtlinie, jedenfalls soweit sie den Schutz des Handelsvertreters bezwecken und nicht dispositiv sind, über Art. 23 Rom I-VO gegenüber dem Recht eines Drittstaates außerhalb von EU und EWR auch gegen das gewählte Recht anzuwenden (s. Rz. 5.47). Dies betrifft insbesondere den nachvertraglichen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gem. § 89b HGB. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass dieser Anspruch nicht durch die Wahl eines Drittstaatenrechts entzogen wird, sofern der Sachverhalt hinreichend eng mit dem Binnenmarkt verknüpft ist4.

5.93

10. Kulturgüterschutz Der Kulturgüterschutz soll sicherstellen, dass für die kulturelle Identität eines Staates besonders bedeutsame Güter nicht oder nicht ohne Genehmigung der zuständigen Behörden frei gehandelt und insb. nicht außer Landes geschafft werden. Wie allgemein im Außenhandelsrecht wird der Kulturgüterschutz primär öffentlich-rechtlich gewährleistet. Die Ein- und Ausfuhr von Kulturgütern ist mittlerweile zu großen Teilen durch unmittelbar anwendbares EURecht geregelt: Die VO (EG) 116/20095 schützt das in den Anwendungsbereich der Verord1 Schubert, RIW 1987, 729 (731); neuerdings auch Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 258 (Stand 1.2.2021). 2 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 38; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 155; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 94; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8. 3 Lurger, IPRax 2001, 55 f.; Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 38 Fn. 79; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 155. 4 Staudinger, NJW 2001, 1974; zu diesen Voraussetzungen s. im Einzelnen Rz. 23.148 ff. 5 Verordnung (EG) Nr. 116/2009 des Rates v. 18.12.2008 über die Ausfuhr von Kulturgütern (kodifizierte Fassung), ABl. EU 2009 Nr. L 39, 1.

Zwickel | 347

5.94

§ 5 Rz. 5.94 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

nung fallende nationale Kulturgut der Mitgliedstaaten durch ein unionsweites Ausfuhrverbot. Durch die VO (EU) 2019/8801 wird die Einfuhr von Kulturgut, das illegal aus Herkunftsstaaten ausgeführt wurde, geregelt. Weitere Verordnungen regeln die Ein- bzw. Ausfuhr von syrischen2 und irakischen3 Kulturgütern. Im deutschen Recht ist der Schutz inländischer Kulturgüter im 2016 neu gefassten Kulturgüterschutzgesetz (KultgSchG)4 geregelt, das zugleich die EU-Kulturgüterrückgaberichtlinie5 umsetzt. Die entsprechenden Ausfuhrverbote im Kulturgüterschutzrecht sind als Eingriffsnormen ohne Rücksicht auf das den Ausfuhrvertrag beherrschende Recht durchzusetzen6.

5.95

Auch das von Deutschland ratifizierte UNESCO-Kulturgüterschutzabkommen von 19707 wurde durch das KultgSchG umgesetzt. Es ordnet in seinem Art. 3 u.a. an, dass Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut als rechtswidrig gelten, wenn sie im Widerspruch zu den Bestimmungen stehen, die von den Vertragsstaaten in dem Übereinkommen angenommen worden sind. Auch diese Vorgaben sind Eingriffsnormen.

11. Medienrecht, Mobilfunk 5.96

Im Medienrecht wurde die Pflicht zur Löschung rechtswidriger Inhalte i.S.v. § 1 NetzDG als Eingriffsnorm angesehen8. Das Herkunftslandprinzip für den freien Verkehr von Telemedien der §§ 3 Abs. 1 und 2 TMG hat der EuGH nicht als Eingriffsnorm qualifiziert9.

5.97

Die EU hat im Bereich des Mobilfunks öffentliches Preisrecht erlassen, das selbstverständlich unabhängig vom Vertragsstatut gelten soll und von inländischen Gerichten daher über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO durchzusetzen ist. Das betrifft die Roaming-Verordnung (EU) Nr. 531/ 2012 vom 13.6.2012 über das Roaming in öffentlichen Mobilfunknetzen in der Union (Neufassung)10, deren Art. 7 ff. zwingende Höchstbeträge für Roaming-Entgelte anlässlich des innereuropäischen Einsatzes von Mobiltelefonen enthalten. 1 Verordnung (EU) 2019/880 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17.4.2019 über das Verbringen und die Einfuhr von Kulturgütern, ABl. EU Nr. L 151, 1. 2 Verordnung (EU) Nr. 1332/2013 des Rates v. 13.12.2013 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 36/2012 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Syrien, ABl. EU 2013 Nr. L 335, 3. 3 Verordnung (EG) Nr. 1210/2003 des Rates v. 7.7.2003 über bestimmte spezifische Beschränkungen in den wirtschaftlichen und finanziellen Beziehungen zu Irak und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2465/1996, ABl. EG 2003 Nr. L 169, 6. 4 Gesetz zur Neuregelung des Kulturgutschutzrechts v. 31.7.2016, BGBl. I 2016, 1914; zur Reform des KultgSchG Elmenhorst/Heimann, NJW 2016, 3398. 5 Richtlinie (EU) Nr. 2014/60 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 15.5.2014 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012, ABl. EU 2014 Nr. L 159, 1. 6 Vgl. Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes (1994), S. 95 ff.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970 (2008), S. 210 ff.; Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 29; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 184. 7 Übereinkommen v. 14.11.1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut, BGBl. II 2007, 626, für Deutschland in Kraft getreten am 29.2.2008. 8 LG Frankenthal v. 8.3.2019 – 6 O 56/19, BeckRS 2019, 17928. 9 EuGH v. 29.10.2010 – C-161/10, C-509/09, ECLI:EU:C:2010:656, BeckRS 2012, 80039; ausf. Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 272 m.w.N. 10 ABl. 2012 Nr. L 172, S. 10.

348 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.100 § 5

12. Schutz des schwächeren Vertragsteils a) Arbeitsverträge Es ist grundsätzlich denkbar, über Art. 8 Rom I-VO hinaus gem. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO arbeitsrechtliche Vorschriften des deutschen Rechts anzuwenden. In Betracht kommt dies nach den in Rz. 5.19 ff., Rz. 11.102 ff. geschilderten Grundsätzen indes nur ausnahmsweise, falls der betreffenden arbeitsrechtlichen Bestimmung über den reinen Privatausgleich hinaus ein weitergehender ordnungspolitischer Charakter zukommt, dessen Vorliegen durch die Existenz behördlicher Durchsetzungsmechanismen indiziert wird1.

5.98

International zwingend (umfassende Darstellung Rz. 11.114 ff. und Rz. 11.139) sind die Regelungen über Massenentlassungen gem. §§ 17 ff. KSchG, den besonderen Kündigungsschutz für Betriebsverfassungsorgane sowie den Mutter- und Schwerbehindertenschutz2. Im letztgenannten Bereich hat das BAG jedoch § 168 SGB IX nicht als international zwingend angesehen3. Ebenso gelten die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes betreffend Höchstarbeitszeiten für sämtliche Tätigkeiten im Inland4, im Anwendungsbereich des SeeArbG ist die Frage umstritten5. Eingriffsrechtlich zu qualifizieren ist auch der Anspruch auf Elternzeit gem. §§ 15 ff. BEEG6. Der besondere Kündigungsschutz des § 18 BEEG ist laut BAG jedenfalls dann keine Eingriffsnorm, wenn der die Elternzeit beanspruchende Arbeitnehmer seinen gewöhnlichen Arbeitsort nicht im Inland hat7. International zwingend ist § 20 MuSchG betreffend den Zuschuss des Arbeitgebers zum Mutterschaftsgeld.

5.99

Hinsichtlich der Ansprüche der Arbeitnehmer auf Entgeltfortzahlung nach dem EFZG ist zu differenzieren. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 Abs. 1 EFZG zählt nach Ansicht des BAG zu den Eingriffsnormen8. Der gebotene Inlandsbezug soll indes nur bestehen, wenn auf das Arbeitsverhältnis deutsches Sozialversicherungsrecht anwendbar ist, da die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Entgeltfortzahlung im Wesentlichen der Entlastung der Sozialkasse diene9. Maßgeblich ist demzufolge, ob der Arbeitnehmer im konkreten Fall Anspruch auf Sozialleistungen hätte, falls es nicht zur Lohnfortzahlung nach § 3 EFZG

5.100

1 Vgl. BAG v. 24.8.1989 – 2 AZR 3/89, BAGE 63, 17 (32) = MDR 1990, 1042; BAG v. 24.3.1992 – 9 AZR 76/91, ZIP 1992, 1158 = NZA 1992, 1129; BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, ZIP 1993, 850 = MDR 1993, 1213 = IPRax 1994, 123 (Anm. Mankowski, IPRax 1994, 88); Junker, IPRax 1989, 69 (74); Mankowski, RabelsZ 53 (1989), 487 (512 f.); Mankowski, IPRax 1996, 409. 2 So zu Art. 34 EGBGB BAG v. 24.8.1989 – 2 AZR 3/89, BAGE 63, 17 (32) = MDR 1990, 1042; ebenso zu Art. 9 Rom I-VO etwa Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 35; Magnus in Staudinger (2011), Art. 8 Rom I-VO Rz. 197 f.; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 50. 3 BAG v. 22.10.2015 – 2 AZR 720/14, NZA 2016, 473. 4 So zu Art. 34 EGBGB und zum ehem. SeemannsG BAG v. 12.12.1990 – 4 AZR 238/90, NZA 1991, 386 (387). 5 Franzen, Anm. zu BAG v. 3.5.1995 – 5 AZR 15/94, EzA Art. 30 EGBGB Nr. 3 m.w.N. 6 So zum früheren BErzG auch LAG Hessen v. 16.11.1999 – 4 Sa 463/99, AR-Blattei ES 920 Nr. 7 Internationales Arbeitsrecht Anm. Mankowski; Junker, RIW 2001, 94 (104); a.A. Oetker in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht (2021), § 13 Rz. 120. 7 BAG v. 7.5.2020 – 2 AZR 692/19, NZA 2021, 225. 8 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 18–21. Ebenso bereits zu Art. 34 EGBGB BAG v. 12.12.2001 – 5 AZR 255/00, MDR 2002, 950 = NZA 2002, 735 = SAE 2002, 253 (krit. Anm. Junker, SAE 2002, 258). A.M. noch Vorinstanz LAG Hessen v. 16.11.1999 – 4 Sa 463/99, IPRax 2001, 461 (krit. Anm. Benecke, IPRax 2001, 449) = AR-Blattei ES 920 Nr. 7 Internationales Arbeitsrecht krit. Anm. Mankowski, zust. Junker, RIW 2001, 94 (103 f.). 9 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 18 ff.

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§ 5 Rz. 5.100 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

kommt. Für Arbeitnehmer aus anderen EU-Mitgliedstaaten sind insoweit die Vorgaben des europäischen Sozialversicherungsrechts maßgeblich. Dagegen hält das BAG § 2 EFZG, der den Arbeitnehmern auch an gesetzlichen Feiertagen einen Lohnanspruch verschafft, nicht für eine Eingriffsnorm1. Es fehle an der für die Qualifizierung als Eingriffsnormen erforderlichen Ausrichtung der Norm an Allgemeininteressen, da der Feiertagsschutz bereits durch das Feiertagsrecht gewährleistet werde. § 2 EFZG diene daher allein dem privaten Interessenausgleich.

5.101

Keinen international zwingenden Charakter haben die deutschen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem KSchG sowie nach §§ 65 ff. SeeArbG (zu Art. 9 Rom I-VO etwa Rz. 11.138)2. Ebenfalls nicht international zwingend sind die Vorschriften über die Urlaubsabgeltung3 sowie den Überstundenausgleich4. Das BAG hat zudem die international zwingende Durchsetzung der Bestimmungen des ehemaligen SeemannsG betreffend die Höhe der Heuer, die Urlaubsvergütung und das Verpflegungsgeld für den Urlaub abgelehnt5.

5.102

Umstritten ist die international zwingende Anwendung des § 613a BGB betreffend den Betriebsübergang. Das BAG hat § 613a für nicht international zwingend gehalten, da die Vorschrift im Wesentlichen den Interessenausgleich zwischen Privaten regele6.

5.103

Das die Entsende-Richtlinie7 umsetzende Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG)8 gestaltet zahlreiche Vorschriften des deutschen Arbeitsrechts unter der Voraussetzung, dass der betroffene Arbeitnehmer ins Inland entsandt wird, so aus, dass für die entsandten Arbeitnehmer zwingend ein „harter Kern“ arbeitnehmerschützender Vorschriften des Aufnahmestaats gilt9. Die Entsende-Richtlinie verweist für die Durchsetzung auf die nationalen Umsetzungsvorschriften (Art. 3). Diese Umsetzungsvorschriften haben Eingriffscharakter und genießen Vorrang vor dem Arbeitsvertragsstatut des Art. 8 Rom I-VO. Ob die Vorschriften zu allgemeinen Arbeitsbedingungen (§ 2 AEntG), tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen (§ 3 AEntG) sowie ggf. zusätzlichen Arbeitsbedingungen (§ 13b AEntG) als Eingriffsnormen der lex fori (Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO) zu behandeln sind oder ob ihnen (teilweise) nach Art. 23 Rom I-VO Vor1 BAG v. 18.4.2012 – 10 AZR 200/11, MDR 2012, 1171 = NZA 2012, 1152 Rz. 17. 2 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 36; Magnus in Staudinger (2016), Art. 8 Rom I Rz. 202; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 51. Noch zum alten Recht zum allg. Kündigungsschutz BAG v. 24.8.1989 – 2 AZR 3/89, BAGE 63, 17 (32) = MDR 1990, 1042; zu § 63 SeemannsG BAG v. 24.8.1989 – 2 AZR 3/89, BAGE 63, 17 (32) = MDR 1990, 1042. 3 BAG v. 21.3.1985 – 6 AZR 565/82, NZA 1986, 25. 4 Vgl. Mankowski, IPRax 1996, 409. 5 BAG v. 3.5.1995 – 5 AZR 15/94 u.a., MDR 1995, 1241 = IPRax 1996, 416 (Anm. Mankowski, IPRax 1996, 405) = EzA Art. 30 EGBGB Nr. 3 Anm. Franzen. 6 BAG v. 29.10.1992 – 2 AZR 267/92, ZIP 1993, 850 = MDR 1993, 1213 = IPRax 1994, 123 (Anm. Mankowski, IPRax 1994, 88). 7 Richtlinie 96/71/EG v. 16.12.1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EG 1997 Nr. L 18, 1, geändert durch Richtlinie 2018/957/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 28.6.2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen, ABl. EU 2018 Nr. L 173, 16. 8 Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen v. 20.4.2009, BGBl. I 2009, 799. 9 Grundlegend noch zum alten Recht BAG v. 25.6.2002 – 9 AZR 405/00, BAGE 101, 357. Zur Rom I-VO vgl. etwa Magnus in Staudinger (2016), Art. 8 Rom I Rz. 200 f.; Martiny in MünchKomm, Art. 8 Rom I-VO Rz. 117; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 50.

350 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.104 § 5

rang zukommt, ist streitig (dazu ausführlich Rz. 11.25 m.w.N. und Rz. 5.30 ff.). Der EuGH hat mit Verweis auf den kollisionsrechtlichen Gehalt des Art. 3 Entsende-Richtlinie zu Recht angenommen1, es komme ausschließlich Art. 23 Rom I-VO zur Anwendung. Teils wird für eine Anwendung des Art. 9 Rom I-VO plädiert2 oder eine Kombination dergestalt für richtig gehalten, dass Art. 23 Rom I-VO die Entsenderichtlinie erfasst und eine Durchsetzung der Eingriffsnormen über Art. 9 Rom I-VO erzwingt3. Viel spricht jedoch dafür, Art. 23 Rom I-VO für die Entsende-Richtlinie in Ansatz zu bringen und Art. 9 Rom I-VO nur für eine überschießende Durchsetzung der Eingriffsnormen des AEntG anzuwenden4. Infolge der aus der international zwingenden Anwendung des AEntG resultierenden Einschränkung der unionsrechtlichen Dienstleistungsfreiheit ist jedenfalls eine restriktive Anwendung des Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO geboten. Insbesondere hat der EuGH in der Entscheidung „Bundesdruckerei“ festgehalten, dass es unverhältnismäßig wäre, auch die Entlohnung solcher Arbeitnehmer dem deutschen Recht zu unterstellen, die von ihrem ausländischen Arbeitgeber rein vorübergehend im Inland beschäftigt werden und für die deswegen die hier herrschenden allgemeinen Lebenshaltungskosten ohne Relevanz sind5. Das zum 1.1.2015 in Kraft getretene Mindestlohngesetz (MiLoG)6 zählt zweifellos zu den Eingriffsnormen (ebenso Rz. 11.123)7. Nach § 20 MiLoG trifft die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns explizit Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland in Bezug auf ihre im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die Regierungsbegründung hält insoweit fest, dass diese zu den international zwingenden Bestimmungen i.S.d. § 2 Nr. 1 AEntG zähle8. Auch insoweit ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei rein vorübergehender Beschäftigung im Inland zu beachten (ebenso Rz. 11.124)9. Im Hinblick auf die allgemeinen zivilrechtlichen Anforderungen an Mindestlöhne ist Art. 9 Rom I-VO dagegen nicht anzuwenden10: Das BAG hält Vergütungsabreden, nach denen der Arbeitnehmer nicht wenigstens 2/ des in der betreffenden Branche üblichen Entgelts erhalten soll, für sittenwidrig i.S.d. § 138 3 Abs. 2 BGB (sog. Lohnwucher)11. Die zivilrechtliche Sittenwidrigkeit, die über § 291 Abs. 1 Nr. 3 StGB auch strafrechtlich sanktioniert ist, kann nicht gegen ausländischem Recht unter-

1 EuGH v. 8.12.2020 – C-620/18, ECLI:EU:C:2020:1001 Rz. 178 (Ungarn/Parlament und Rat), NZA 2021, 113; EuGH v. 8.12.2020 – C-626/18, ECLI:EU:C:2020:1000, Rz. 133 (Polen/Parlament und Rat), BeckRS 2020, 33946. 2 Krebber, IPRax 2013, 474 (476 f.). 3 Generell für eine Kombination Deinert, FS Martiny (2014), S. 277 (291); Knöfel in BeckOGK, Art. 8 Rom I-VO Rz. 71 (Stand 1.2.2021). 4 Für Vorrang des Art. 23 Rom I-VO auch Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 232 (Stand 1.2.2021); in diesem Sinne auch EuGH v. 8.12.2020 – C-626/18, ECLI:EU:C:2020:1000, Rz. 130 ff. (Polen/Parlament und Rat), BeckRS 2020, 33946. 5 EuGH v. 18.9.2014 – C-549/13, ECLI:EU:C:2014:2235, Rz. 24 ff., 34 (Bundesdruckerei GmbH/ Stadt Dortmund), NZA 2014, 1129. 6 Mindestlohngesetz v. 11.8.2014, BGBl. I 1348. 7 FG Berlin-Brandenburg v. 16.1.2019 – 1 K 1161/17, NZA-RR 2019, 230 m. Anm. Sura; Sittard, NZA 2015, 78 f. 8 BT-Drucks. 18/1558, 42. 9 Ausf. Sittard, NZA 2015, 78 ff. 10 Näher Bayreuther, NZA 2010, 1157 ff. 11 BAG v. 22.4.2009 – 5 AZR 436/08, BAGE 130, 338 = MDR 2009, 1117 = NZA 2009, 837 Rz. 17; vgl. auch BAG v. 17.10.2012 – 5 AZR 792/11, BAGE 143, 212 = ZIP 2013, 474 = MDR 2013, 471 = NZA 2013, 266 Rz. 19.

Zwickel | 351

5.104

§ 5 Rz. 5.104 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

liegende Arbeitsverträge eingewandt werden, weil die Entsende-Richtlinie abschließend die Anforderungen an Eingriffsnormen im Entsendebereich normiert.

5.105

Nicht zu den Eingriffsnormen zählt nach Auffassung des BAG der Anspruch auf Teilzeitarbeit nach § 8 TzBfG1. b) Verbraucherverträge aa) Allgemeines

5.106

Der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz wird überwiegend durch Art. 6 Rom I-VO sowie durch mehrere Richtlinienkollisionsnormen sichergestellt, die gem. Art. 23 Rom I-VO auch nach Inkrafttreten der Rom I-VO fortgelten (dazu Rz. 5.19 ff., Rz. 5.30). Insoweit ist grundsätzlich auf die betreffende Erläuterung insb. der Art. 6, Art. 23 Rom I-VO zu verweisen (näher Rz. 35.1 ff.), nachstehend sind nur einige Restfragen zu erörtern. bb) Gewinnzusagen gem. § 661a BGB

5.107

Gemäß § 661a BGB hat ein Unternehmer, der Gewinnzusagen oder vergleichbare Mitteilungen an Verbraucher sendet und durch die Gestaltung dieser Zusendungen den Eindruck erweckt, dass der Verbraucher einen Preis gewonnen hat, dem Verbraucher diesen Preis zu leisten. Diesbezüglich ist bereits streitig, ob Gewinnzusagen überhaupt dem Anwendungsbereich der Rom I-VO unterfallen. Materiell-rechtlich qualifiziert der BGH den Anspruch aus der Gewinnzusage als Anspruch aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis, das an eine geschäftsähnliche Handlung anknüpft2. Der EuGH hat in seiner Entscheidung in der Sache „Engler“ festgestellt, dass Ansprüche aus Gewinnzusagen zu den vertraglichen Ansprüchen i.S.d. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ zählen3. In der Rechtssache „Ilsinger“4 hat der EuGH diesen Grundsatz für die Brüssel Ia-VO bestätigt und bei tatsächlicher Warenbestellung den Verbrauchergerichtsstand des Art. 17 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO bejaht. Will man dieser nicht unkritischen vertraglichen Qualifikation der Gewinnzusagen5 folgen, stellt sich weiter die Frage, ob § 661a BGB als international zwingende Norm anzusehen ist. Kollisionsrechtlich hatte sich der BGH vor Inkrafttreten der Rom I-VO aber zudem dafür ausgesprochen, Ansprüche aus § 661a BGB gem. Art. 34 EGBGB durchzusetzen6. Viel spricht aber dafür, davon auszugehen, dass § 661a BGB gerade keine Eingriffsnorm darstellt7. Die Vorschrift schützt, wie sich an der Rechtsfolge der Verpflichtung zur Leistung des Preises zeigt, hauptsächlich Individualinteressen8. Der zugleich 1 BAG v. 13.11.2007 – 9 AZR 134/07, BAGE 125, 24 = MDR 2008, 694 = NZA 2008, 761 Rz. 76 ff. 2 BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 Rz. 26 = MDR 2006, 737 (Jordans, IPRax 2006, 582; Anm. Lorenz, NJW 2006, 472; Schäfer, JZ 2006, 522). 3 EuGH v. 20.1.2005 – C-27/02, ECLI:EU:C:2005:33, Rz. 44 ff. (Engler), NJW 2005, 811. 4 EuGH v. 14.5.2009 – C-180/06, ECLI:EU:C:2009:303 (Ilsinger), RIW 2009, 485 = EuZW 2009, 489 m. Anm. Reuß/Beig. 5 Für Tendenz zu (ggf. auch vertragsakzessorischer) deliktischer Anknüpfung auch Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 34. 6 BGH v. 1.12.2005 – III ZR 191/03, BGHZ 165, 172 Rz. 30 ff = MDR 2006, 737 = IPRax 2006, 602 (Anm. Jordans, IPRax 2006, 582; Anm. Lorenz, NJW 2006, 472; Schäfer, JZ 2006, 522). 7 Bergmann in Staudinger (2016), § 661a BGB Rz. 65; Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO, Rz. 283; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8; a.A. Lorenz IPRax 2002, 192, 196; Lorenz, NJW 2006, 472 (474); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 39; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I-VO Rz. 180; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 19. 8 Gegen eine Qualifikation als Eingriffsnorm auch Fetsch, RIW 2002, 936 (939); Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 93; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 48.

352 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.111 § 5

verfolgte wettbewerbsrechtliche Zweck der Unterbindung unlauterer Gewinnzusagen ist bloßes gesetzgeberisches Motiv, das sich im Tatbestand der Vorschrift nicht niedergeschlagen hat. cc) Fernunterricht Die Bestimmungen des Gesetzes zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (FernUSG)1 sind nicht international zwingend2. Der die zwingende internationale Durchsetzung der Verbraucherschutzvorschriften des FernUSG früher regelnde § 11 FernUSG wurde durch Art. 2 des Gesetzes zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 29.5.19993 ersatzlos gestrichen. Anders als früher z.T. behauptet4 handelt es sich bei der Aufhebung des § 11 FernUSG nicht um ein Versehen. In der Regierungsbegründung zum Entwurf des IPR-Gesetzes von 1999 heißt es ausdrücklich, die Verbraucher seien im Bereich des FernUSG kollisionsrechtlich ausreichend über Art. 29 EGBGB (nunmehr durch Art. 6 Rom I-VO) geschützt5. Diese Position wurde auch nach der diesbezüglichen Rückfrage des Bundesrates6 ausdrücklich beibehalten und zudem auf die Bedeutungslosigkeit des § 11 FernUSG in der Rechtspraxis verwiesen7.

5.108

dd) Pauschalreisen Bei den §§ 651a ff. BGB handelt es sich nicht um Eingriffsnormen. Vielmehr stellen diese, ebenso wie die Rspr. zur Ferienhausmiete im Ausland8, lediglich privatschützendes Verbraucherprivatrecht dar.

5.109

13. Sozialrecht Auch Vorschriften des Sozialrechts können auf privatrechtliche Verträge, insb. auf Arbeitsverträge einwirken. Zu nennen sind etwa die Bestimmungen des deutschen Rechts zum Lohnabzugsverfahren in § 28e Abs. 1 S. 1, § 28g S. 2–4 SGB IV, die das BAG freilich zu Unrecht auch zugunsten ausländischer Sozialversicherungsträger anwenden wollte9. Zu den Einzelheiten zwingenden Rechts im Rahmen von Arbeitsverträgen Rz. 11.114 ff.

5.110

14. Transport- und Beförderungsverträge Art. 5 Rom I-VO enthält für Beförderungsverträge lediglich eine gegenüber Art. 4, z.T. auch gegenüber Art. 3 Rom I-VO vorrangige Spezialregelung für die objektive und subjektive Anknüpfung bestimmter Verträge. Die Bestimmung sperrt damit keinesfalls den Rückgriff auf Art. 9 Rom I-VO, der indes nur zurückhaltend anzuwenden ist. So enthält das Transportrecht 1 Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht v. 24.8.1976, BGBl. I 1976, 2525, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes v. 20.9.2013, BGBl. I 2013, 3642. 2 Wie hier Magnus in Staudinger (2016), Art. 4 Rom I Rz. 315; Martiny in MünchKomm, Art. 4 Rom I-VO Rz. 80. 3 BGBl. I 1999, 1026. 4 Magnus in Staudinger (2002), Art. 34 EGBGB Rz. 92; anders nunmehr Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 315. 5 BT-Drucks. 14/343, 19. 6 Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drucks. 14/343, 20 f. 7 Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/343, 22. 8 Staudinger, NZM 2011, 257 (251 f.). 9 BAG v. 12.10.1977 – 5 AZR 443/76, NJW 1978, 1766.

Zwickel | 353

5.111

§ 5 Rz. 5.111 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

des HGB in den § 449 Abs. 4, § 451h Abs. 3 sowie § 466 Abs. 5 HGB mehrere Eingriffsnormen1. Gemeinsame Voraussetzung aller drei Vorschriften ist das Vorliegen eines Verbrauchervertrages, bei dem der Ort der Aufnahme des Gutes und derjenige seiner Ablieferung im Inland liegen. In diesem Fall kann im Interesse des Verbrauchers nicht von den zwingenden Bestimmungen der jeweiligen Transportrechtsmaterie abgewichen werden. Bezweckt wird mit den Regelungen zum einen der kollisionsrechtliche Verbraucherschutz der deutschen Auftraggeber. Zum anderen werden Wettbewerbsverzerrungen zwischen in- und ausländischen Spediteuren bei Transporten im Inland vermieden, indem auch für Kabotagetransporte ausländischer Transporteure in Deutschland die zwingenden deutschen Vorschriften gelten. Soweit die § 449 Abs. 4, § 451h Abs. 3, § 466 Abs. 5 HGB vertragliche Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Spediteure betreffen, sind der Vorrang des Art. 6 Rom I-VO und ggf. der Art. 23 Rom I-VO, Art. 46b EGBGB (dazu Rz. 5.19 ff., Rz. 5.30 f.) zu beachten2.

5.112

Eine weitere international zwingende Regelung enthält § 452d Abs. 3 HGB in Bezug auf multimodale Transportverträge, für die die §§ 452 ff. HGB erstmals gesetzliche Regelungen enthalten. Danach sind Vereinbarungen in multimodalen Transportverträgen, die die für eine Teilstrecke zwingend geltenden Vorschriften eines von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierten internationalen Übereinkommens ausschließen sollen, unwirksam. Die Vorschrift soll nach Ansicht des Gesetzgebers den Vorrang völkerrechtlicher Abkommen der Bundesrepublik wahren, der aufgrund von § 452d Abs. 2 HGB andernfalls gefährdet wäre3. Art. 6 EGHGB in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Seehandelsrechts von 20134 ist, wie sich insbesondere an der Rechtswahlmöglichkeit des Art. 6 Abs. 1 a.E. EGHGB zeigt, eine Sonderkollisionsregelung des deutschen Rechts, die nicht dem Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 2 Rom IVO unterfällt5.

15. Urhebervertragsrecht 5.113

Für Nutzungsverträge über Urheberrechte enthält § 32b UrhG eine Eingriffsnorm6. Die Vorschrift sieht vor, dass die §§ 32, 32a UrhG zwingende Anwendung finden, wenn auf den urheberrechtlichen Nutzungsvertrag mangels einer Rechtswahl deutsches Recht anzuwenden wäre oder der Vertrag maßgebliche Nutzungshandlungen im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes zum Gegenstand hat. Damit sind bei Vorliegen des in § 32b UrhG legaldefinierten Inlandsbezuges die Bestimmungen über die angemessene Vergütung des Urhebers für die Einräumung von Nutzungsrechten bzw. die Erlaubnis der Werknutzung (§ 32 Abs. 1 S. 1 UrhG), den Anspruch des Urhebers auf Anpassung des Vertrages bei nicht angemessener Vergütung (§ 32 Abs. 1 S. 3 UrhG) und über die weitere Beteiligung i.S.d. § 32a UrhG international zwingend ausgestaltet. Aus § 32b Nr. 1 UrhG folgt insbesondere, dass Nutzungsverträge, die sowohl Nutzungshandlungen im In- wie auch im Ausland umfassen, insgesamt, d.h. ebenfalls bezüglich der ausländischen Nutzungshandlungen, zwingend dem deutschen Recht 1 Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 42; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 170; Thorn in Palandt, Art. 9 Rom I-VO Rz. 10. 2 Ausf. Staudinger, IPRax 2001, 186 ff. 3 RegBegr. zum TRG, BT-Drucks. 13/8445, 105; näher Basedow, TranspR 1999, 58; Looks, VersR 1999, 31; Rabe, TranspR 2000, 189. 4 BGBl. I 2013, 831. 5 Magnus in Staudinger (2016), Art. 5 Rom I Rz. 170; Martiny in MünchKomm, Art. 5 Rom I-VO Rz. 116. 6 Vgl. Obergfell, K&R 2003, 118 ff.; von Welser in Wandtke/Bullinger, UrhR, 5. Aufl. 2019, § 32b UrhG Rz. 1 ff.

354 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.116 § 5

unterliegen, falls der Vertrag aufgrund seiner engen Bezüge zum deutschen Recht diesem bei objektiver Anknüpfung unterläge1. Umgekehrt sichert § 32b Nr. 2 UrhG zwingend die Anwendung deutschen Rechts auf die vertragliche Vereinbarung von Nutzungshandlungen in Deutschland2. Näher zu Eingriffsnormen im internationalen Urhebervertragsrecht vgl. Rz. 34.121 ff.

16. Versicherungsverträge Zunächst ist zu beachten, dass eine unbesehene und ausufernde Anwendung des Art. 9 Rom I-VO auf Direktversicherungen über Risiken innerhalb von EU und EWR das durch Art. 7 Rom I-VO gebildete Schutzkonzept konterkarieren würde3. Entsprechendes gilt für das Verhältnis des Art. 9 Rom I-VO zu Art. 6 Rom I-VO im Hinblick auf den Verbraucherschutz, da sich dieser im Versicherungsvertragsrecht außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 7 Rom I-VO nach Art. 6 Rom I-VO richtet. Man wird daher allenfalls drittschützende und primär öffentlichen Interessen dienende Vorschriften der Sonderanknüpfung zuführen können4, zu den Einzelheiten ausf. Rz. 36.65 ff.

5.114

17. Währungs- und Devisenrecht Währungs- und devisenrechtliche Vorschriften zählen nach allg.M. zu den paradigmatischen Eingriffsnormen5. Gleichwohl ist ihre Bedeutung aus Sicht des Inlands seit langer Zeit infolge der relativen Stabilität der inländischen Währung sowie der einschlägigen unionsrechtlichen Vorgaben äußerst gering. Zur praktisch bedeutsameren Frage der Beachtlichkeit ausländischen Devisenrechts ausführlich Rz. 5.156.

5.115

Gegenstand des Devisenrechts ist die Behandlung ausländischer Währungen im Inland6. Im Kern geht es dabei um Beschränkungen bzw. Verbote der Ein- bzw. Ausfuhr ausländischer Währungen, die amtliche Festlegung von Wechselkursen etc. Art. 63 AEUV gewährleistet für den EU-Binnenmarkt sowie gegenüber Drittstaaten in Gestalt der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit grundsätzlich den ungehinderten grenzüberschreitenden Geldfluss. Diese Freiheiten können zwar gem. Art. 64–66 AEUV zum Schutz der öffentlichen Ordnung ausnahmsweise beschränkt werden, doch sind entsprechende Eingriffe aus deutscher Sicht rar. § 1 Abs. 1 S. 1 AWG postuliert die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs und die §§ 54 ff. AWV enthalten nur geringfügige Ausnahmen. Zu nennen sind namentlich das Londoner Schuldenabkommen von 19537 sowie der flankierende § 54 AWV, die die Altschulden der Bundesrepublik aus der Zeit vor Ende des Zweiten Weltkriegs einer international zwingenden Regelung

5.116

1 So zum alten Recht Obergfell, K&R 2003, 118 (125). 2 Einschränkend Obergfell, K&R 2003, 118 (125), für den Fall, dass die Nutzungshandlung in Deutschland lediglich ein bloßer „Reflex“ eines zahlreiche Länder umfassenden Nutzungsvertrages ist. 3 Vgl. Roth, IPRax 1994, 164 (167); Roth, Dienstleistungsfreiheit und Allgemeininteresse im europäischen und internationalen Versicherungsvertragsrecht, in Reichert-Facilides (Hrsg.), Aspekte des internationalen Versicherungsvertragsrechts im europäischen Wirtschaftsraum (1994), S. 1 (37). 4 Hahn, Die „europäischen“ Kollisionsnormen für Versicherungsverträge (1992), S. 104 ff. 5 BGH v. 9.11.1994 – VIII ZR 41/94, BGHZ 127, 368 = MDR 1995, 348 (374) = NJW 1995, 318. (jeweils zum Devisenrecht). Vgl. auch Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 30; Ebke in Staudinger (2016), Anh. Art. 9 Rom I Rz. 2; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 19. 6 Schefold in Schimansky/Bunte/Lwoswki (Hrsg.), Bankrechtshandbuch, 5. Aufl. 2017, § 117 Rz. 2. 7 Abkommen v. 27.2.1953 über deutsche Auslandsschulden, BGBl. 1953 II, 333.

Zwickel | 355

§ 5 Rz. 5.116 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

zuführen. Im Übrigen verpflichtet Art. VIII Abschnitt (2) des IWF-Übereinkommens die Mitgliedstaaten des Internationalen Währungsfonds dazu, zulässige Devisenbeschränkungen anderer Vertragsstaaten auch im Inland zu berücksichtigen, dazu näher Rz. 5.156 ff.

5.117

Unter dem Begriff des Währungsrechts ist die Summe sämtlicher öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu verstehen, die die Geldverfassung eines Währungsgebietes konstituieren1. Hierzu zählen namentlich Kompetenzregeln, Bestimmungen über die äußerliche und innerliche Ausgestaltung von Geldmünzen und -scheinen (im Sinne ihrer Stückelung, ihres Aussehens und Materials), etc. Insoweit ist zu beachten, dass im Eurogebiet die Zuständigkeit für währungspolitische Maßnahmen gem. Art. 3 Abs. 1 lit. c, Art. 119 Abs. 2 AEUV exklusiv bei der Union liegt, wobei die Art. 127 ff. AEUV die Kompetenzen der EU sowie der Mitgliedstaaten und ihrer jeweils zuständigen Organe normieren, während die Art. 282–284 AEUV Zuständigkeiten und Organisation der Europäischen Zentralbank (EZB) näher ausführen. Die insoweit einschlägigen Bestimmungen sind im Internationalen Vertragsrecht weitestgehend ohne Relevanz. Anderes gilt für diejenigen geschriebenen oder ungeschriebenen Bestimmungen des Währungsrechts, die sich auf vertraglich begründete Geldschulden auswirken, da diese notwendig in einer bestimmten Währung denominiert sein müssen (sog. Schuldwährung), die gemeinsam mit dem Betrag der Schuld den Umfang der zu verschaffenden Kaufkraft definiert. In diese Kategorie fallen insbesondere die anlässlich von Währungsumstellungen erlassenen Bestimmungen. Regelmäßig wird – wie auch anlässlich der Einführung des Euro2 – angeordnet, dass sämtliche Verbindlichkeiten, die in der alten Währung denominiert sind, automatisch unter Zugrundelegung eines bestimmten Wechselkurses in die neue Währung überführt werden und dass die Währungsumstellung die Geldschulden im Übrigen nicht berührt, insbesondere nicht in Fortfall kommen lässt (sog. rekurrenter Anschluss)3. Die einschlägigen Bestimmungen knüpfen notwendig an die Währung, nicht an das für die Geldschuld maßgebliche Recht an und sind damit als Eingriffsnormen zu qualifizieren, wobei freilich die Euroeinführungsverordnungen den kollisionsrechtlichen Vorgängerregelungen des Art. 9 Rom IVO als leges speciales vorgingen.

5.118

Währungsrechtlich motiviert sind auch Vorschriften, die die physischen Ausprägungen einer Währung in Form der amtlich emittierten gesetzlichen Zahlungsmittel mit einem gesetzlichen Annahmezwang versehen mit der Folge, dass der Geldschuldner eine in der betreffenden Währung denominierte Verbindlichkeit im jeweiligen Währungsgebiet stets bar durch Leistung von Geldmünzen bzw. -scheinen erfüllen darf. Im Eurogebiet ist ein derartiger Annahmezwang in Bezug auf die Euro-Banknoten nicht explizit normiert, doch schreiben Art. 128 AEUV und die Euro-Einführungsverordnung 974/984 fest, dass die Euro-Banknoten, in vermindertem Umfang auch die Euro-Geldmünzen5, im Eurogebiet „gesetzliche Zahlungs-

1 Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten (1999), S. 12 ff.; Hahn/Häde, Währungsrecht, 2. Aufl. 2010, § 2 Rz. 2; Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte (2010), S. 78 f.; K. Schmidt in Staudinger (1997), Vorbem. §§ 244 ff. BGB Rz. A 48. 2 Insbesondere durch die Verordnung (EG) 1103/97 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro v. 17.6.1997, ABl. Nr. L 162, S. 1. 3 Die Euroeinführungsverordnung 1103/97 hatte die Vertragskontinuität allerdings in die Disposition der Parteien gestellt. 4 Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates v. 3.5.1998 über die Einführung des Euro, ABl. Nr. L 139, S. 1. 5 Diese werden überhaupt nur in Art. 11 S. 2 der Euro-Einführungsverordnung 974/98 (nicht dagegen im AEUV) als gesetzliche Zahlungsmittel genannt und Art. 11 S. 3 der Verordnung begrenzt die Annahmepflicht auf höchstens fünfzig Stück.

356 | Zwickel

C. Eingriffsnormen der lex fori, Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO | Rz. 5.120 § 5

mittel“ sind. Aus der Eigenschaft der amtlichen Euro-Geldmittel als gesetzliche Zahlungsmittel wird ganz überwiegend ein Annahmezwang abgeleitet1. Allerdings steht der Annahmezwang unzweifelhaft zur Disposition der Parteien, die (selbstverständlich) auch unbare Zahlung oder Zahlung in fremder oder gar privater Währung verabreden dürfen. Darüber hinaus sind die Grenzen von Treu und Glauben zu beachten, so dass ein Gläubiger aufgrund von Praktikabilitätserwägungen und Diebstahlsgefahren keineswegs unbegrenzt Zahlung großer Geldbeträge in Geldscheinen akzeptieren muss. Infolge der Abdingbarkeit des Annahmezwangs wird man diesen nicht als Eingriffsnorm einstufen können.

Entgegen früher häufig vertretener Ansicht2 ist die in § 244 BGB normierte Ersetzungsbefugnis bei nicht effektiven Fremdwährungsschulden nicht als Eingriffsnorm zu qualifizieren; diese erfordert vielmehr die Geltung deutschen Rechts als lex causae3. Eine eingriffsrechtliche Qualifikation des § 244 BGB käme insb. in Betracht, wenn die Norm währungsrechtlicher Natur wäre und den geschilderten Annahmezwang zugunsten von physischen Euro-Geldmitteln absichern sollte. Eine solche Fundierung der deutschrechtlichen Norm erscheint bereits in Anbetracht der ausschließlichen währungsrechtlichen Kompetenz der Union sehr fragwürdig. Jedenfalls aber kann § 244 BGB zum Schutz der inländischen Währung nicht ernstlich beitragen. Denn die Ersetzungsbefugnis steht noch weiter zur Disposition der Parteien als der für amtliche EuroGeldmittel geltende Annahmezwang, da die Parteien durch Vereinbarung effektiver Fremdwährungsschulden oder sonstiger Festlegungen der Zahlungswährung auch im Inland den Euro gänzlich abbedingen und damit „schwächen“ können. Auch kann § 244 BGB kaum ernstlich den Schutz der inländischen Zahlungsbilanz bewirken, weil dieser sich nur durch zwingende öffentlich-rechtliche Transferbeschränkungen bewerkstelligen lässt. Die Norm als reine Schuldnerschutzregelung international zwingend durchzusetzen kommt ebenso wenig in Betracht.

5.119

Den meisten modernen Währungen und auch dem Unionsrecht liegt das Prinzip des (währungsrechtlichen) Nominalismus zugrunde, wonach der Umfang einer Geldschuld grundsätzlich im Zeitpunkt der Begründung der Schuld beziffert wird und sich spätere Veränderungen des Geldwertes infolge Inflation (oder Deflation) nicht auf den Umfang der Zahlungspflicht auswirken, sondern allenfalls über Sekundäransprüche (über das Verzugsrecht, Schadensersatzansprüche oder die Störung der Geschäftsgrundlage) berücksichtigungsfähig sind. Das PrKG setzt diesen schuldrechtlichen Grundsatz voraus, indem es ein System des grundsätzlichen Verbots mit Legalausnahmen4 von vertraglichen Wertsicherungsabreden etabliert5. Auch

5.120

1 Vgl. Ohler, JZ 2008, 317 (321); Grundmann in MünchKomm, § 245 BGB Rz. 50; Herrmann, Währungshoheit, Währungsverfassung und subjektive Rechte, 2010, S. 314 ff. 2 OLG München v. 16.9.1987 – 24 W 117/87, IPRax 1988, 291; LG Braunschweig v. 15.1.1985 – 6 S 218/84, MDR 1985, 495 = NJW 1985, 1169; Böse, Der Einfluss zwingenden Rechts auf internationale Anleihen, 1963, S. 69; Tassikas, Dispositives Recht und Rechtswahlfreiheit als Ausnahmebereiche der EG-Grundfreiheiten, 2004, S. 71; Kegel/Schurig, IPR § 23 III 4. 3 Wie hier OLG Frankfurt v. 27.10.1966 – 11 U 42/66, NJW 1967, 501 (503); Reinhuber, Grundbegriffe und internationaler Anwendungsbereich von Währungsrecht, 1995, S 101 f.; Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, 1999, S. 134 f.; Birk, RIW 1973, 425 (434); von Hoffmann, FS Firsching (1985), S. 125 (140); Maier-Reimer, NJW 1985, 2049 (2050 f.); Grothe, ZBB 2002, 1 (2 f.); Gruber, MDR 1992, 121 f.; von Bar/Mankowski, IPR I, 2003, § 4 Rz. 11; Ferrari in Ferrari, IntVertragsR, Art. 12 Rom I-VO Rz. 37; Freitag in Rauscher, Art. 12 Rom I-VO Rz. 18; Grothe in BRHP, § 244 BGB Rz. 51; Omlor in Staudinger (2016), § 244 BGB Rz. 142; Leible in NK, Art. 12 Rom IVO Rz. 15 a.E.; Magnus in Staudinger (2016), Art. 12 Rom I Rz. 117; Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 189; Spickhoff in BRHP, Art. 12 Rom I-VO Rz. 23. 4 Kirchhoff, DNotZ 2007, 913. 5 Omlor in Staudinger (2016), § 244 BGB Rz. 104.

Zwickel | 357

§ 5 Rz. 5.120 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

wenn die Norm nicht unmittelbar das währungspolitische, sondern das allgemeine wirtschaftspolitische Ziel inländischer Preisstabilität verfolgt1, handelt es sich dabei dennoch um ein übergeordnetes, stabilitätsförderndes Interesse. Die Bestimmungen des PrKG sind daher Eingriffsnormen i.S.d. § 9 Abs. 2 Rom I-VO2.

18. Wettbewerbs- und Kartellrecht 5.121

Die Vorschriften zum Schutz des Wettbewerbs dienen dem Ziel der Durchsetzung fundamentaler wirtschafts- und ordnungspolitischer Zwecke des jeweiligen Marktstaates. Soweit sie daher bestimmte vertragsrechtliche Verhaltensweisen untersagen, weil sie kartell- oder fusionskontrollrechtlich bedenklich oder gar verbindlich untersagt sind oder sonst zu einer unzulässigen Beschränkung des Wettbewerbs führen, sind sie in aller Regel international zwingend. Bei den öffentlich-rechtlichen Kartellverbotsnormen handelt es sich um geradezu prototypische Eingriffsnormen3. Im Binnenmarkt gelten vorrangig das unionsrechtliche Kartellverbot (Art. 101 AEUV) und das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (Art. 102 AEUV) als unabhängig von der Rom I-VO anwendbare Eingriffsnormen. Art. 101 Abs. 2 AEUV schreibt die Nichtigkeit vertraglicher Kartellabsprachen für das unionsrechtliche Kartellverbot explizit vor, eine Parallelregelung gilt im Bereich der Zusammenschlusskontrolle gem. Art. 7 Abs. 4 FKVO. Diese europäischen Anordnungen sind von den inländischen Gerichten als Bestandteil der hiesigen lex fori gem. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO durchzusetzen4. Zu beachten sind die jeweiligen Anwendungsvoraussetzungen der einschlägigen Bestimmungen, die im Regelfall eine spürbare Binnenmarktrelevanz im Sinne einer Auswirkung auf den EU-Binnenmarkt voraussetzen, vgl. Art. 101, 102 AEUV, Art. 1 ff. FKVO.

5.122

Bei Vorliegen einer Inlandsauswirkung ohne spürbare Binnenmarktrelevanz erfolgt die Durchsetzung der deutschen Kartellverbote über die Sonderkollisionsnorm des § 185 Abs. 2 GWB5. Diese beinhaltet mit dem sog. Auswirkungsprinzip, das überwiegend als sachgerechte Anknüpfung für internationale Kartellsachverhalte angesehen wird6, die Vorgabe, dass das nationale Kartellrecht bei allen Wettbewerbsbeschränkungen Anwendung findet, die sich auf dem deutschen Markt auswirken. Unerheblich ist dabei, dass die Veranlassung des Kartellverstoßes in einem Drittstaat lag7.

5.123

Zu den Eingriffsnormen zählen auch die Bestimmungen des GWB im Bereich des Vergaberechts8, die sich unabhängig von dem im Anschluss an die Vergabe geschlossenen Vertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer durchsetzen9.

1 S. dazu die 8. Aufl., Rz. 5.85. 2 Grothe in BRHP, § 244 BGB Rz. 19; Magnus in Staudinger (2016), Art. 12 Rom I Rz. 112; Martiny in MünchKomm, Anh. I zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 24; Omlor in Staudinger (2016), § 1 PrKG Rz. 44; Grothe, WM 2002, 22 (27 ff.). 3 Allg. M., vgl. Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 182. 4 Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 31 f. 5 Zur Abgrenzung von Art. 101 f. AEUV und deutschem Kartellrecht s. § 22 GWB. 6 EuGH v. 6.9.2017 – C-413/14, ECLI:EU:C:2017:632 (Intel/Kommission), EuZW 2017, 850; Becker/ Kammin, EuZW 2011, 503 (506); Junker, NJW 2007, 3675 (3679). 7 BGH v. 29.5.1979 – KVR 2/78, BGHZ 74, 322 (324 ff.) = NJW 1979, 2613. 8 Remien, BauR 2019, 893 (896). 9 OLG Düsseldorf v. 14.5.2008 – VII-Verg 27/08, BauR 2008, 1503.

358 | Zwickel

D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.126 § 5

D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO I. Regelungskonzept und Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO 1. Grundlagen a) Regelungskonzept Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO normiert die Voraussetzungen, unter denen Eingriffsnormen ausländischer Staaten Wirkung verliehen werden kann. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift (dazu Rz. 5.5 ff.) ergibt sich, dass der Verordnungswortlaut im Wesentlichen darauf abzielt, die Bedeutung forumsfremder Eingriffsnormen möglichst weitgehend einzuschränken, um die rechtspolitischen Interessen der lex fori zu wahren und weitergehende Störungen des einheitlichen Anknüpfungssystems der Verordnung sowie Eingriffe in die Parteiautonomie zu begrenzen.

5.124

Obwohl eindeutige Aussagen der an der Gesetzgebung beteiligten Organe über das seit jeher umstrittene dogmatische Konzept der Berücksichtigung forumsfremder Eingriffsnormen nicht vorliegen, ist davon auszugehen, dass Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO jedenfalls in den Grundzügen auf der bisher für überwunden geglaubten „Machttheorie“ beruht1, die ausländische Eingriffsnormen nur insoweit berücksichtigen will, wie diese vom Erlassstaat auch tatsächlich durchgesetzt werden können2.

5.125

b) Rechtspolitische Einordnung und Perspektiven des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, der an die Stelle von Art. 7 Abs. 1 EVÜ und der im deutschen Recht zu der Problematik entwickelten ungeschriebenen Grundsätze tritt, zählt zu den rechtspolitisch umstrittensten3 und redaktionell unklarsten der gesamten Rom I-VO (vgl. auch Rz. 5.9)4. Kritisiert wird insbesondere, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO führe durch eine Anlehnung an die „Machttheorie“ zu inakzeptablen Folgen, ermögliche den Mitgliedstaaten durch Berufung auf inländische Policy-Erwägungen eine beliebige Handhabung forumsfremder Eingriffsnormen5 und stehe im Widerspruch zu den nationalen Kollisionsrechten der Anwendung international zwingender Vorschriften6. Die im Vergleich zu Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO restriktivere Ausgestaltung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO behindert überdies den angestrebten internationalen Entscheidungseinklang7. Die Vorschrift ist insgesamt letztlich ein Rückschritt hinter eine gegenüber ausländischen Wertungen tolerantere bisherige Praxis. Es ist daher nicht verwunderlich, dass teilweise versucht wird, den Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO zu erweitern, etwa indem auf EU-Ebene eine Pflicht der Mitgliedstaaten zur Anwendung forumsfremder Eingriffsnormen (s. dazu Rz. 5.44)8 oder eine Sonderan1 Wie hier Freitag, IPRax 2009, 109 (116); Mankowski, IHR 2008, 133 (148); Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (365). 2 Vgl. Kegel, FS Lewald (1953), S. 259 (279). 3 Wie hier etwa Mankowski, IHR 2008, 133 (148 f.); Freitag, IPRax 2009, 109 (116); d’Avout, D. 2008, 2165 (2167); Kohler, FS Kronke (2020), S. 253; Fabig, IHR 2019, 1 (3). 4 Ausf. Freitag, IPRax 2009, 109 (110). 5 Mankowski, IHR 2008, 133 (148 f.); Freitag, IPRax 2009, 109 (116). 6 Schacherreiter, ZEuP 2015, 497 (515). 7 Erwägungsgrund 6 der Rom I-VO. S. dazu Freitag, IPRax 2009, 109 (113); W.-H. Roth, AcP 220 (2020), 458 (527); Maultzsch in BeckOGK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 92 (Stand 1.2.2021). 8 Pfeiffer, EuZW 2008, 622, 625.

Zwickel | 359

5.126

§ 5 Rz. 5.126 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

knüpfung1 forumsfremder Eingriffsnormen befürwortet wird. Dem ist jedoch zu widersprechen, würde eine solche Auffassung doch eindeutig der Entstehungsgeschichte und dem Telos der Norm entgegenstehen (s. Rz. 5.5 ff.). Die derzeitige Fassung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO hat freilich den unbestreitbaren Vorteil, die Anzahl der beachtlichen Eingriffsnormen zu reduzieren und damit dem einheitlichen Kollisionsrecht sowie dem Parteiwillen (im Fall der Rechtswahl) zur Durchsetzung zu verhelfen. Allerdings wirft die verunglückte Formulierung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO mit einer Kombination aus einem engen Tatbestand bei weitem Rechtsfolgeermessen2 und dem problematischen Begriff des Erfüllungsorts zahlreiche Zweifelsfragen auf, die zu Rechtsunsicherheit führen. Ob sich der Brexit, wegen „Wegfalls der politischen Geschäftsgrundlage“, unmittelbar und ohne Tätigkeit des Unionsgesetzgebers auf die restriktive Auslegung des Art. 9 Abs. 3 Rom-IVO auswirken kann3, erscheint aus Gründen der Gewaltenteilung zweifelhaft4. Es muss daher, trotz aller Kritik, bei den engen Anwendungsvoraussetzungen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO bleiben.

2. Anwendungsvoraussetzungen a) Allgemeine Voraussetzungen

5.127

Voraussetzung der Wirkungsverleihung zugunsten forumsfremder Eingriffsnormen sind zunächst die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Rom I-VO sowie die Qualifikation der betreffenden ausländischen Vorschrift als Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO (dazu Rz. 5.15 ff.). Darüber hinaus schränkt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO die Zulässigkeit der Wirkungsverleihung weitergehend ein, indem er nur Eingriffsnormen des Rechts des Erfüllungsortes erfasst und auch nur solche, die die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen. Zusätzlich kommt nur die Beachtung solcher Eingriffsnormen in Betracht, deren Wertungen mit den inländischen Wertvorstellungen kompatibel sind. b) Keine Beschränkung auf Verbotsnormen

5.128

Nach Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO kann in Abweichung vom Vorschlag der Kommission, der eine derartige Beschränkung nicht vorgesehen hatte (zur Genese der Vorschrift s. Rz. 5.5 ff.), dafür aber in wörtlicher Anlehnung an die englische „Ralli“-Rechtsprechung (Nachw. in Rz. 5.10), nur solchen forumsfremden Eingriffsnormen Wirkung verliehen werden, „die die Erfüllung des Vertrages unrechtmäßig werden lassen“5. Nach dem Wortlaut der Vorschrift scheint die Beachtlichkeit forumsfremder Eingriffsnormen damit auf Verbotsnormen reduziert, da nur dann, wenn ein Vertrag ganz oder teilweise unwirksam ist, auch seine Erfüllung unrechtmäßig erscheint.

1 Remien, FS Kronke (2020), S. 459 (466) und Remien, FS v. Hofmann (2011), S. 334 (342 ff.); Weller/Thomale/Zwirlein, ZEUP 2018, 892 (911 f.). 2 Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (365 f.). 3 Weller/Thomale/Zwirlein, ZEUP 2018, 892 (911 f.). 4 Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (370); für geringe Auswirkungen des Brexit auf die Rom IVO auch Ungerer, NJW 2021, 1270. 5 In der französ. Sprachfassung: „lois de police qui rendent l’exécution du contrat illégale“, in der engl. Version: „mandatory provisions [which] render the performance of the contract unlawful“.

360 | Zwickel

D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.132 § 5

Nicht anzuwenden ist Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO nach seinem Wortlaut jedenfalls auf Bestimmungen, die nicht unmittelbar erfüllungsrelevante Informationspflichten, Lösungsrechte und Sekundäransprüche zugunsten einer Vertragspartei vorsehen1.

5.129

Unklar ist demgegenüber die Behandlung von Eingriffsnormen, die die Erfüllung des Vertrages nicht deswegen untersagen, weil sie den Vertrag als solchen für unwirksam erklären, sondern allein die Erfüllung wegen ihres Umfangs oder ihrer Art für rechtswidrig erklären, d.h. den Vertrag modifizieren. Allerdings wird man annehmen können, dass die Durchführung eines Vertrages in unmodifizierter Form im Zweifel zu einer partiellen Unrechtmäßigkeit der Erfüllung führt. Probleme bereiten gleichwohl Vorschriften zu Höchstarbeitszeiten, Mindestlöhnen etc. Insoweit scheint Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO aufgrund seiner Formulierung eine Unterscheidung nach zwingenden Höchst- und Mindeststandards zu erfordern. Denn nur diejenige Partei, die mehr leistet, als sie von Rechts wegen leisten darf, nimmt eine unrechtmäßige Erfüllungshandlung vor, während derjenige, der weniger leistet als gesetzlich geschuldet, überhaupt nicht und damit auch nicht unrechtmäßig erfüllt. Eine derartige Differenzierung ist freilich abzulehnen und Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO in allen Fällen anzuwenden, in denen die Vertragserfüllung positiv bzw. negativ gegen eine Eingriffsnorm verstößt2. Andernfalls zeitigte Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO willkürliche und sinnwidrige Ergebnisse, indem er untersagte, der schutzwürdigen Partei die ihr nach der betreffenden Eingriffsnorm zustehenden Rechte bzw. Ansprüche zu gewähren.

5.130

c) Eingriffsnormen des „Erfüllungsortes“

Gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO sind nur die Eingriffsnormen „des“ Staates zu beachten, in dem „die Verpflichtungen“ der Parteien zu erfüllen sind bzw. bereits erfüllt wurden3. Diese Anknüpfung dürfte einerseits insbesondere die englische Rechtsprechung aufnehmen, die bislang nur ausländische Eingriffsnormen des Erfüllungsortes überhaupt berücksichtigt hat4 und andererseits an Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO angelehnt sein, der für die Zwecke des Zuständigkeitsrechts ebenfalls an den vertraglichen Erfüllungsort anknüpft und diesen für Leistung und Gegenleistung einheitlich am Ort der Sach- bzw. Dienstleistung verortet. Die Bestimmung des Erfüllungsortes i.S.d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO wirft im Wesentlichen zwei zentrale Fragen auf, die eng miteinander verschränkt sind: Erstens gilt es zu klären, nach welchen Maßstäben der Erfüllungsort zu bestimmen ist, zweitens darum, wie mit Fällen multipler Erfüllungsorte umzugehen ist.

5.131

Zum Teil wird angenommen, der Erfüllungsort i.S.d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO sei nicht autonom-unionsrechtlich, sondern unter Rückgriff auf die lex causae zu ermitteln5; denkbar wäre

5.132

1 Etwa Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 45; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 112 f.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 119. 2 Wie hier Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 45; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 112; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 67; a.A. Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom IVO Rz. 119. 3 Engl. Fassung: „law of the country where the obligations arising out of the contract have to or have been performed“, französ. Fassung: „lois de police du pays dans lequel les obligations découlant du contrat doivent être ou ont été exécutées“. 4 Grundlegend die Entscheidung des Court of Appeal in Sachen „Ralli“: Ralli Bros. v. Compania Naviera Sota y Aznar [1920] 2 K.B. 287 (C.A.), ausf. Analyse auch der späteren Rechtsprechung bei Kuckein, S. 238 ff. 5 Harris in Ferrari/Leible (Hrsg.), Rom I Regulation, 269 (315 ff.); grundsätzlich auch Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 29.

Zwickel | 361

§ 5 Rz. 5.132 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

freilich auch, an die lex fori oder gar an das Verständnis der Rechtsordnung anzuknüpfen, der die anzuwendende Eingriffsnorm entstammt1. Der Rückgriff insbesondere auf das Vertragsstatut scheint deswegen nahezuliegen, weil der Begriff des Erfüllungsortes letztlich nur unter Rückgriff auf ein nationales Sachrecht zweifelsfrei und kohärent bestimmt werden kann – die Probleme der Auslegung des Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO, der bekanntlich einem autonomen Begriffskonzept folgt, sind zahlreich. Freilich liegen den Vorschriften über den Erfüllungsort in den nationalen Rechten z.T. rein sachrechtliche Gerechtigkeitserwägungen zugrunde, insb. indem die Gefahrtragung in Bezug auf Verzögerungs- und Verlustrisiken inter partes verteilt wird, z.T. werden auch prozessuale Ziele verfolgt, weil viele nationale Rechte ebenfalls eine Zuständigkeit am Erfüllungsort kennen. Für die Zwecke der Rom I-VO kann es auf beides nicht ankommen: Zuständigkeitsrechtliche Erwägungen sind aus der Rom I-VO schon deswegen auszublenden, weil sie bereits Gegenstand der Brüssel Ia-VO sind. Privatrechtliche Gefahrtragungsregeln sind für Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO deswegen irrelevant, da sie sich gem. Art. 12 Rom I-VO nach dem Vertragsstatut bestimmen. Hinzu kommt die Selbstverständlichkeit, dass Tatbestandsmerkmale unionsrechtlicher Normen grundsätzlich unionsrechtlich-autonom zu interpretieren sind. Hinzu treten die hinter Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO stehenden rein faktischen Aspekte der tatsächlichen Durchsetzbarkeit von Eingriffsnormen durch ihren Erlassstaat i.S.d. Machttheorie (dazu Rz. 5.125).

5.133

Demzufolge bedarf es eines autonom unionsrechtlichen Verständnisses des Erfüllungsortes i.S.d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, das freilich seinerseits Gegenstand unterschiedlicher Deutungen ist. Denkbar wäre insbesondere, sich für die Zwecke des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO an Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO zu orientieren2, zumal Erwägungsgrund 7 zur Rom I-VO einen weitgehenden Gleichlauf zwischen EuIPR und EuIZPR fordert. Ein solches Verständnis des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO überzeugt insbesondere deswegen nicht, weil es Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel IaVO primär darum geht, die Prüfung der internationalen Zuständigkeit im Interesse der Rechtssicherheit und der Verfahrensbeschleunigung von komplexen sach- und kollisionsrechtlichen Erwägungen und Beweisfragen zu entlasten, die erst auf der nachgelagerten materiellrechtlichen Prüfungsebene thematisiert werden sollen. Eine derartige Vermischung zwischen zuständigkeits- und materiell-rechtlicher Ebene droht i.R.d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO gerade nicht. Darüber hinaus handelte man sich mit einer Übertragung des Art. 7 Nr. 1 Brüssel IaVO sämtliche Probleme ein, die die Erfüllungsortzuständigkeit mit sich bringt. Namentlich bestehen zum einen teils dramatische Unsicherheiten bei Anwendung des Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel Ia-VO, zum anderen käme man zu einem gespaltenen Verständnis des Erfüllungsortes in Abhängigkeit davon, ob man sich im Anwendungsbereich des Art. 7 Nr. 1 lit. b Brüssel IaVO (Kauf- und Dienstleistungsverträge) oder des Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO (sonstige Verträge sowie Verträge, für die lit. b nicht passt) bewegt3.

5.134

Entscheidend müssen freilich Telos und Historie des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO sein, der im Wesentlichen auf der „Machttheorie“ beruht (Rz. 5.125). Mit anderen Worten sollen nur solche Eingriffsnormen beachtlich sein, bei denen der Erlassstaat tatsächlich die Vertragserfüllung verhindern oder erschweren kann. Das spricht dafür, bei bereits erfolgter Erfüllung grundsätzlich den tatsächlichen Erfüllungsort für maßgeblich zu erachten. Bei noch ausstehender Erfüllung wiederum kann es nur darum gehen, zu ermitteln, wo die Erfüllung nach 1 Vgl. zu diesen Möglichkeiten Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 100. 2 So Ringe in jurisPK BGB, Art. 9 Rom I-VO Rz. 29; evtl. auch Leible/Lehmann, RIW 2008, 528 (543). 3 Wie hier etwa Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 118; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.

362 | Zwickel

D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.137 § 5

dem Vertrag, d.h. nach der lex causae, tatsächlich vorzunehmen sein wird1. Wenn z.T. angenommen wird, bei noch nicht erfülltem Vertrag sei der Rückgriff auf das Vertragsstatut tunlichst zu vermeiden und vorrangig der Vertrag bzw. seine Auslegung zu beachten2, so geht das schon deswegen fehl, weil die Vertragsauslegung eine rechtliche Operation ist, die gem. Art. 12 Abs. 1 lit. a Rom I-VO nach dem Vertragsstatut zu erfolgen hat. Bei der Vertragsauslegung ist primär zu ermitteln, wo der Schuldner seine relevante Erfüllungshandlung tatsächlich vornehmen wird, was im Zweifel gerade am rechtlichen Erfüllungsort der Fall sein dürfte. Das hier vertretene Verständnis des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO kann zu einer Mehrzahl von Erfüllungsorten führen, da im Zweifel für jede Verpflichtung getrennt der tatsächliche, ggf. auch der rechtliche Erfüllungsort zu ermitteln ist3. So kann etwa bei einem Flug auch auf den Ort der Zwischenlandung abgestellt werden4.

5.135

Wie in Rz. 5.23 f. ausführlich dargelegt spielt die Herkunft der Eingriffsnormen keine Rolle, d.h. auch Eingriffsnormen des forumsfremden Vertragsstatuts sind nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO anzuknüpfen.

5.136

d) Kompatibilität der ausländischen Wertung mit inländischen policy-Erwägungen Gemäß Art. 9 Abs. 3 S. 1 Rom I-VO „kann“ ausländischen Eingriffsnormen unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen Wirkung verliehen werden. Diese Formulierung stellt die Wirkungsverleihung in das Ermessen der nationalen Gerichte oder Gesetzgeber, wofür auch andere Sprachfassungen5 des ersten Satzes sprechen. Andererseits scheint der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO auch eine Verpflichtung zur Wirkungsverleihung nahezulegen, da bei der Entscheidung darüber, ob der ausländischen Eingriffsnorm Wirkung zu verleihen „ist“, ihre Natur, Rechtsfolgen wie auch die Folgen der Berücksichtigung bzw. NichtBerücksichtigung zu beachten „sind“6. Hintergrund dieser Diskrepanz dürfte sein, dass Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO ein zweistufiges Regelungsprogramm enthält: Bei der Entscheidung über das „Ob“ der Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen sind die in Art. 9 Abs. 3 S. 2 Rom I-VO genannten Umstände zwingend zu berücksichtigen, während das Gericht, wenn es dieser Verpflichtung ordnungsgemäß nachgekommen ist, über ein weites rechtsfolgenseitiges Ermessen bei der Beurteilung der Verträglichkeit der ausländischen Eingriffsnorm mit

1 Freitag, IPRax 2009, 109 (114); Schacherreiter, ZEuP 2015, 497 (510); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 46; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 62 ff., 64; im Grundsatz auch Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 103 ff. Wohl auch Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom IVO Rz. 118. 2 So Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 105. 3 Freitag, IPRax 2009, 109 (114); Hellner, JPIL 2009, 447 (465); Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 47; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 106 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 118. 4 OLG Frankfurt v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591; Freitag, NJW 2018, 430 (432); Mankowski, RIW 2019, 180. 5 Engl. Fassung: „effect may be given“, französ. Fassung: „effet pourra être donné“. 6 Französ. Fassung: „Pour décider si effet doit être donné à ces lois de police, il est tenu compte de leur nature et de leur objet, ainsi que des conséquences de leur application ou de leur non-application.“ Weniger deutlich die engl. Fassung: „In considering whether to give effect to those provisions, regard shall be had to their nature and purpose and to the consequences of their application or non-application“.

Zwickel | 363

5.137

§ 5 Rz. 5.137 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

den inländischen Wertungen und damit auch hinsichtlich der Anwendung überhaupt verfügt1.

5.138

Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Gericht „Art und Zweck der Eingriffsnorm sowie die Rechtsfolgen ihrer Berücksichtigung bzw. Nichtberücksichtigung“ zu bedenken. Diese dem Art. 7 Abs. 1 EVÜ entnommene Formulierung stellt zunächst klar, dass die Wirkungsverleihung keinem Automatismus folgt, sondern auf einer wertenden Entscheidung des Gerichts beruht, bei der die für und gegen die Wirkungsverleihung sprechenden Argumente umfassend abzuwägen sind. Auch wenn der Wortlaut des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO insoweit nicht eindeutig ist, kommt eine Wirkungsverleihung immer dann in Betracht, wenn das inländische Gericht die ausländische Wertentscheidung teilt2. An einer derartigen Konkordanz fehlt es insbesondere, wenn der inländische oder europäische Gesetzgeber explizite Abwehrregelungen getroffen hat, wie sie namentlich im Recht der Außenhandelsembargen in Form der EU-Blocking-Regulation sowie des § 7 AWV bestehen (dazu Rz. 5.149).

5.139

Keine eindeutige Aussage enthält Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO zu der Frage, ob das Gericht die Entscheidung über die Verträglichkeit oder Unverträglichkeit der ausländischen Eingriffsnorm nach nationalen Maßstäben oder aufgrund einer genuin europäischen policy-Wertung vorzunehmen hat. Insoweit ist zu differenzieren. Aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts und dessen Geltung in sämtlichen Mitgliedstaaten sind selbstverständlich zwingende Vorgaben des Unionsrechts zu beachten. Demgegenüber kann und muss der Richter seine Entscheidung über die Anwendung oder Nichtanwendung ausländischer Eingriffsnormen dort, wo es an unionsrechtlichen Wertungen fehlt, auf nationalstaatliche policy-Erwägungen stützen. Insoweit verfügen die nationalen Gerichte über einen europarechtlich nicht überprüfbaren Ermessensspielraum3.

3. Rechtsfolgen der Anwendung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO 5.140

Anders als Eingriffsnormen der lex fori, die gem. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO „anzuwenden“ sind, ist forumsfremden Eingriffsnormen lediglich „Wirkung zu verleihen“. Diese Regelung erklärt sich daraus, dass das erkennende Gericht an forumsfremde Eingriffsnormen a priori nicht gebunden ist, sondern nach seinem Ermessen zu entscheiden hat, ob es die ausländischen Eingriffsnormen überhaupt berücksichtigt (Rz. 5.124 f.). Demzufolge darf die lex fori darüber entscheiden, ob die Eingriffsnorm im Inland ebenso anzuwenden ist wie in ihrem Erlassstaat oder ob bzw. in welcher Art und Weise sie im Inland zu modifizieren ist. So erläutert der Bericht von Giuliano/Lagarde zu Art. 7 Abs. 1 EVÜ, der in Bezug auf forumsfremde Eingriffsnormen ebenfalls den Begriff der „Wirkungsverleihung“ verwendet hatte, dass „die Worte ‚Wirkung verleihen‘ den Richter vor die sehr schwierige Aufgabe stellen, die zwingenden Bestimmungen mit dem Recht in Einklang zu bringen, das bei dem gegebenen Sachverhalt normalerweise auf den Vertrag anzuwenden ist“4. 1 Wie hier Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (628). Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (144); Benzenberg, S. 150 f.; Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 50 f.; Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 116 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 120 ff.; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 31; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 48 f. 2 Freitag, IPRax 2009, 109 (111); Mankowski, IPRax 2016, 485 (486); Maultzsch, FS Kronke (2020), S. 363 (366); OLG Frankfurt v. 25.9.2018 – 16 U 209/17, NJW 2018, 3591. 3 Dickinson, J. PIL 2007, 53 (63 ff.); Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (144), jew. zu Art. 8 Abs. 3 Rom I-VO i.d.F. des Kommissionsvorschlags. 4 ABl. EG 1980 Nr. C 282, 1, 26.

364 | Zwickel

D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.142 § 5

In jedem Fall verlangt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, dass die ausländische Eingriffsnorm als Rechtsnorm beachtet wird, d.h. ihr sind Rechtswirkungen selbst dann zuzuerkennen, wenn sie von ihrem Erlassstaat nicht effektiv durchgesetzt wird1. Denkbar sind insoweit im Wesentlichen zwei Ansätze zur Berücksichtigung anwendbarer ausländischer Eingriffsnormen im Inland: Zum einen können diese im Wege der Sonderanknüpfung (direct application) berufen und damit auch im Inland so angewandt werden wie im Erlassstaat, zum anderen kommt eine materiell-rechtliche Berücksichtigung (indirect application) dergestalt in Betracht, dass die vom Inland geteilten Wertungen der Eingriffsnorm im Rahmen der Anwendung des Vertragsstatuts, d.h. auf der Ebene des Sachrechts durchgesetzt werden. Zwischen beiden Ansätzen hatten die Mitgliedstaaten nach einhelliger Auffassung zum EVÜ die Wahl2. Während das Schrifttum zum früheren deutschen Recht überwiegend eine Sonderanknüpfung befürwortet hatte, präferierten die deutsche und englische Rechtsprechung eine rein sachrechtliche Berücksichtigung3. So ging der BGH davon aus, dass Verstöße gegen ausländische Eingriffsnormen, deren Wertungen vom Inland geteilt werden, (bei deutschem Vertragsstatut) zur Sittenwidrigkeit des Vertrages gem. § 138 BGB führen können. Dies sei der Fall, wenn die betreffende ausländische Vorschrift mittelbar auch deutsche Interessen schützt4, wenn es um Vorschriften geht, die Interessen schützen, die allgemein von allen Völkern geteilt werden5, oder wenn eine Verletzung allgemein gültiger sittlicher Grundsätze vorliegt6.

5.141

Zum Teil wird auch für die Rom I-VO den Gerichten ein freies Wahlrecht eingeräumt7, für das spricht, dass Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO dem Rechtsanwender ein Ermessen einräumt. Freilich soll das Gericht zwischen beiden Möglichkeiten der Wirkungsverleihung abwägen und wie folgt differenzieren: Wird die ausländische Eingriffsnorm vollinhaltlich akzeptiert, weil das inländische Recht die ausländische Wertungen teilt, sprechen die besseren Gründe für eine echte Sonderanknüpfung, bei der auch die Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Eingriffsnorm dem Recht des Erlassstaates zu entnehmen sind, soweit dieses entsprechende Regelungen enthält8. Anders liegt es, wenn die ausländische Norm nur modifiziert angewandt wird oder sie im Inland gar für unerträglich gehalten wird, sich die Nichtbeachtung ihrer praktischen Durchsetzung durch den Erlassstaat aber verbietet. Hier kommt nur eine – ggf. modifizierte – Anwendung i.R.d. lex causae in Betracht.

5.142

1 2 3 4 5 6

7 8

Ebenso Pfeiffer, EuZW 2008, 622 (628). Ebenso Thorn in Ferrari/Leible, S. 129 (144 f.). Nachw. 7. Aufl., Rz. 651. BGH v. 21.12.1960 – VIII ZR 1/60 (Borax), BGHZ 34, 169 (177) = NJW 1961, 822 = AWD 1960, 102. BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70 (nigerianische Masken), BGHZ 59, 82 (85) = NJW 1972, 1575 (Anm. Mann, NJW 1972, 2179). BGH v. 8.5.1985 – IVa ZR 138/83 (Bestechung), BGHZ 94, 268 = MDR 1985, 825 = NJW 1985, 2405 = IPRax 1987, 110 (Anm. Fikentscher/Waibel, IPRax 1987, 86); OLG Hamburg v. 8.2.1991 – 1 U 134/87, NJW 1992, 635 (Sittenwidrigkeit eines Kaufvertrages, der unter Bestechung eines syr. Beamten zustande kommen sollte). Etwa Doehner in NK, Art. 9 Rom I-VO Rz. 51; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 123; Staudinger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 9 Rom I-VO Rz. 49; Spickhoff in BRHP, Art. 9 Rom I-VO Rz. 32. Ebenso etwa Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 121; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 78 ff., 80.

Zwickel | 365

§ 5 Rz. 5.143 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

4. Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO 5.143

Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO gestattet die Wirkungsverleihung nur ausnahmsweise unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen. Liegen diese nicht vor, ist von einer Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO auszugehen (dazu Rz. 5.36). Zulässig ist die Berücksichtigung forumsfremder Eingriffsnormen i.R.d. des Vertragsstatuts auf materiell-rechtlicher Ebene (dazu Rz. 5.37 f.) stets, soweit der Erlassstaat sein Eingriffsrecht tatsächlich durchsetzt und damit faktisch die Vertragserfüllung verhindert oder erschwert1. So sind behördliche Maßnahmen anderer Staaten aufgrund von Eingriffsgesetzen als tatsächliche Leistungshindernisse materiell-rechtlich zu berücksichtigen.

II. In der Regel mit inländischen Wertungen verträgliche ausländische Eingriffsnormen 1. Bodenverkehrsvorschriften 5.144

Vorschriften, die den Grundstücksverkehr regeln, haben zumeist agrar-, siedlungs- oder lenkungspolitische bzw. -rechtliche Funktionen. Wenn das betroffene Grundstück in dem Land liegt, dessen Eingriffsnormen in Frage stehen und die mit der Vorschrift geschützten Interessen bzw. Wertungen auch von der Bundesrepublik Deutschland geteilt werden, kommt eine Anwendung von Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO auf schuldrechtliche Verträge in Betracht, die sich auf die betreffenden ausländischen Immobilien beziehen. Dies dürfte bei Vorschriften der Fall sein, bei denen entweder vergleichbare Regelungen im Inland vorhanden sind (etwa Grundstücksverkehrsgesetz, BauGB) oder ein sonstiger Zweck verfolgt wird, der aus Sicht der lex fori anerkennenswert erscheint2.

2. Erwerbs- und Berufstätigkeit 5.145

Ausländischen zwingenden Vorschriften über die Aufnahme und Ausübung eines Berufes kann Wirkung verliehen werden, wenn die Berufsausübung im Ausland erfolgen soll, da der Erfüllungsort i.S.d. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO dann dort belegen ist und jeder Staat grundsätzlich ein legitimes Interesse an der Regelung des Berufsrechts hat3. Eine Wirkungsverleihung kommt selbstverständlich nicht in Betracht, wenn die ausländische Vorschrift gegen die Grundfreiheiten des AEUV verstößt oder sonst auf im Inland nicht akzeptierten, grundlegend verfehlten Wertungen beruht. Ebenso wenig kann ausländischen Eingriffsnormen im Bereich des Arbeitsrechts Wirkung verliehen werden, wenn dadurch im Inland tätigen Arbeitnehmern der zwingende Schutz des deutschen Rechts entzogen werden soll (näher Rz. 5.154). 1 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 121; Thorn in Rauscher, Art. 9 Rom I-VO Rz. 78 ff. 2 LG Amberg v. 17.3.1980 – 2 O 371/78, IPRax 1982, 29 (Tauschvertrag über brasilian. Grundstück; brasilian. Verfügungsbeschränkung über Grundstücke begründe einen Rechtsmangel, so dass der Käufer Rücktritt erklären könne). AM IPG 1980/81 (1980) Nr. 4 (München), S. 40: Keine Anwendung der schweiz. Genehmigungsvorschriften von Kauf und Übereignung schweiz. Grundstücke bei einem deutschen Recht unterliegenden Kaufvertrag zwischen deutschen Vertragsparteien, da der Schweiz die Möglichkeit fehle, die Regelung in Bezug auf das schuldrechtliche Geschäft durchzusetzen. Näher Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S. 49; Lorenz, RIW 1987, 580. 3 OLG Stuttgart v. 30.11.1969, IPRspr. 1969/61 Nr. 213 (Rechtsberatungsverbot des Rechts von New York angewendet und Honorarklage mangels Gültigkeit des Mandatsvertrages abgewiesen); Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S. 49.

366 | Zwickel

D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.148 § 5

3. Regelungen des Bank- und Kapitalmarktrechts Ausländische Vorschriften zur Regelung des Börsenverkehrs sind unabhängig von der lex causae auf die Geschäfte an ausländischen Börsen anzuwenden. Anknüpfungspunkt ist die Börse1. Friktionen ergeben sich hieraus nur selten, da das Börseninnengeschäft gem. Art. 4 Abs. 1 lit. h Rom I-VO im Zweifel dem Recht des Börsenplatzes unterliegt und eine Rechtswahl hier ungebräuchlich ist. Auch ausländische Anlegerschutzvorschriften können anzuwenden sein, wenn die Erfüllung des Geschäftes in dem Land erfolgt (bzw. erfolgen soll), dessen Vorschriften angewendet werden sollen, und der mit der Anlegerschutzvorschrift verbundene Interessenschutz auch von der lex fori geteilt wird. Dies gilt etwa für Regelungen im ausländischen Recht, die dem Anleger verbieten, seinen Wertpapiererwerb mit Fremdmitteln zu finanzieren2, und für die Anknüpfung von Verhaltens- und Lauterkeitsregelungen des USamerikanischen Rechts3.

5.146

4. Kartellrechtliche Vorschriften Ob ausländische kartellrechtliche Vorschriften, die ebenso wie Art. 101 Abs. 2 AEUV und Art. 7 Abs. 4 FKVO4 die Unwirksamkeit kartellrechtswidriger Absprachen oder nicht genehmigter bzw. genehmigungsfähiger Zusammenschlüsse anordnen, von inländischen Gerichten im Rahmen der Entscheidung über vertragsrechtliche Streitigkeiten angewendet werden können, war früher umstritten5. Hebel für eine Berücksichtigung ausländischer Kartellrechtsverbote ist nunmehr Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO, dessen Voraussetzungen (insb. das Vorliegen des Erfüllungsortes im ausländischen Staat der einschlägigen kartellrechtlichen Norm) im Einzelfall zu prüfen sind6. Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO entfaltet Sperrwirkung für die Heranziehung ausländischer Kartellrechtsnormen außerhalb seines Anwendungsbereiches7. Es ist daher auch nicht denkbar, § 185 Abs. 2 GWB, wie teilweise gefordert8, als allseitige Kollisionsnorm auszubauen. Möglich bleibt allein eine Anwendung ausländischen Kartellrechts als tatsächliche Einwirkung auf Verträge nach den in Rz. 5.37 ff. dargestellten Grundsätzen.

5.147

5. Außenhandelsrecht Der BGH hat ausländische Handelsverbote vor Inkrafttreten der Rom I-VO zwar nicht durch Sonderanknüpfung angewendet, aber im Einzelfall im Rahmen des deutschen Sachrechts über §§ 138, 242, 826 BGB berücksichtigt9. In manchen Fällen hat die Rechtsprechung die Berück1 Seit RG v. 10.5.1884 – Rep. I. 114/84, RGZ 12, 34; RG v. 4.4.1928, IPRspr. 1929 Nr. 31. 2 So Linder, ZHR 142 (1978), 342 (359 ff.); Martiny in MünchKomm, 4. Aufl. 2006, Art. 34 EGBGB Rz. 102; vgl. auch Stürmer, RIW 1984, 239. 3 Göthel, IPRax 2001, 411 ff. 4 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen („EG-Fusionskontrollverordnung“), ABl. Nr. L 24, 1. 5 S. 8. Aufl., Rz. 5.135. 6 Magnus in Staudinger (2016), Art. 9 Rom I Rz. 123 f. 7 Fezer/Koos in Staudinger (2019), Int. WirtschaftsR, Rz. 67. 8 Martinek, Das internationale Kartellprivatrecht (1987), S. 94. 9 BGH v. 21.12.1960 – VIII ZR 1/60 (Borax), BGHZ 34, 169 (177) = NJW 1961, 822 = AWD 1960, 102: US-Embargo; BGH v. 24.5.1962 – II ZR 199/60 (Borsäure), NJW 1962, 1436 (1437) = MDR 1962, 719 Anm. Sieg: US-Embargo; BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70 (nigerianische Masken), BGHZ 59, 82 (85) = NJW 1972, 1575 (Anm. Mann, NJW 1972, 2179): nigerianisches Ausfuhrverbot für Kulturgüter; BGH v. 29.3.2001 – I ZR 182/98 (russisches Außenhandelsmonopol), BGHZ 147, 178 = MDR 2002, 49.

Zwickel | 367

5.148

§ 5 Rz. 5.148 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

sichtigung ausländischer Verfügungsverbote indes auch abgelehnt1. Maßgeblich für die jeweilige Entscheidung im Einzelfall war stets die konkrete Vereinbarkeit der ausländischen Eingriffsnorm mit deutschen Wertvorstellungen. Teilte das deutsche Recht die durch die ausländische Norm geschützten Interessen nicht, so kam allenfalls eine Berücksichtigung der ausländischen Einfuhr- oder Ausfuhrbestimmungen im Rahmen des materiellen Rechts in Betracht, insb. im Rahmen der §§ 275, 313 BGB. Diese setzte allerdings voraus, dass die ausländische Vorschrift auch durchgesetzt werden konnte.

5.149

Ausländische Wirtschaftssanktionen, die extraterritoriale Anwendung beanspruchen, sind zwar in der Regel international zwingendes Recht. Ihre Anwendung im Rahmen des Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO scheitert jedoch oft schon am Fehlen einer Rechtsnorm, etwa wenn die Sanktion ausschließlich auf Basis eines politischen Beschlusses erfolgt. Auch haben ausländische Wirtschaftssanktionen, mangels Geltung am Erfüllungsort, vielfach keine Auswirkung auf die Erfüllung des Vertrags2 bzw. stehen im Widerspruch zu inländischen Wertungen3.Eine Anerkennung der US-Embargen aus den Jahren 1996 gegen Kuba4, den Iran und Libyen5 sowie der seit 2012 gegen den Iran bestehenden und 2018 wiederaufgelebten Sanktionen6, die auch nicht-amerikanischen Unternehmen den Geschäftsverkehr mit den genannten Ländern untersagen und bei Verstößen z.T. drastische Sanktionen in den USA vorsehen (Einfrieren von Geldern, Bußgelder, etc.), scheidet innerhalb der EU bereits infolge der VO (EG) Nr. 2271/96 (sog. Blocking-Regulation)7 aus. Gemäß Art. 4 der Verordnung werden die aufgrund der im Anh. zu Art. 1 der VO genannten Maßnahmen der USA innerhalb der EU nicht anerkannt. Art. 5 der VO untersagt mitgliedstaatlichen Unternehmen die Befolgung der USEmbargen. Auch diese Gegenmaßnahmen (sog. blocking statutes) verlangen von den mitgliedstaatlichen Gerichten die international zwingende Anwendung unabhängig von dem auf den Außenhandelsvertrag anwendbaren Recht. Ob Art. 5 der Blocking-VO ein striktes Befolgungsverbot8 der US-Embargen beinhaltet oder wie im Rahmen von Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO

1 BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73 (August Vierzehn), BGHZ 64, 183 (188 ff.); OLG Hamburg v. 6.5.1993 – 6 U 3/93, RIW 1994, 686 Anm. Mankowski; OLG Naumburg v. 19.5.1993 – 2 U 495/92, WM 1994, 906: Außenhandelsmonopol der DDR; BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, MDR 1995, 427 = WM 1995, 124: Ausfuhrmonopol der DDR. 2 OLG Hamburg v. 6.6.2019 – 11 U 257/18, IPRax 2020, 359; LG Hamburg v. 28.11.2018 – 319 O 265/18, IPRax 2020, 631 m. Aufs. Gernert, IPRax 2020, 329; LG Hamburg v. 3.12.2014 – 401 HKO 7/14, VersR 2015, 1024 m. Anm. Looschelders = RIW 2015, 458 m. Aufs. Mankowski, RIW 2015, 405. 3 Bälz, NJW 2020, 878 (882 f.). 4 Cuban Liberty and Democratic Solidarity (LIBERTAD) Act, vgl. United States Code, Title 22, ch. 32, sec. 6021 ff., sog. „Helms-Burton-Act“. Dazu Gebauer, IPRax 1997, 145 ff.; Gernert, IPRax 2020, 170 ff.; Griessbach, RIW 1997, 275 ff.; Kress/Herbst, RIW 1997, 630 ff. 5 Iran and Libya Sanctions Act of 1996, vgl. ch. 31, sec. 535, 550, 560 Code of Federal Regulations. 6 S. die in der Delegierten VO (EU) Nr. 2018/1100 v. 6.6.2018 zur Änderung des Anhangs der Verordnung (EG) Nr. 2271/96 des Rates zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl. EU 2018 Nr. LI 199, 1 bezeichneten Rechtsakte; s. Karpenstein/Sangi, EuZW 2019, 309. 7 VO (EG) Nr. 2271/96 des Rates v. 22.11.1996 zum Schutz vor den Auswirkungen der extraterritorialen Anwendung von einem Drittland erlassener Rechtsakte sowie von darauf beruhenden oder sich daraus ergebenden Maßnahmen, ABl. EG 1996 Nr. L 309, 1. 8 Gernert, IPRax 2020, 170 (177); Lieberknecht, IPRax 2018, 573 (576); Mankowski, IPRax 2016, 485 (489); Mankowski, RIW 2019, 184; Plath, EuZW 2020, 375.

368 | Zwickel

D. Forumsfremde Eingriffsnormen, Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO | Rz. 5.150 § 5

eine materiell-rechtliche Berücksichtigung1 tatsächlicher Auswirkungen ausländischer Eingriffsnormen zulässt, ist streitig. Darüber hinaus erklärt § 7 AWV in der Fassung von 2013 (Nachw. in Rz. 5.64) sog. BoykottErklärungen für nichtig2. Damit soll vertraglichen Absprachen zwischen der AWV unterliegenden Unternehmen und ausländischen Staaten gegengesteuert werden, aufgrund derer sich die Unternehmen zur Beachtung von Ausfuhrverboten und sonstigen Sanktionen des betreffenden ausländischen Staates verpflichten, mit denen dieser einen Drittstaat oder dortige Unternehmen bzw. Personen sanktionieren will. So verlangen beispielsweise US-amerikanische Kreditinstitute von ihren ausländischen Geschäftspartnern, die über sie den Zahlungsverkehr in US-Dollar abwickeln wollen, dass diese die Einhaltung der Vorgaben des Office for Foreign Asset Control (OFAC) betreffend Finanzsanktionen gegenüber bestimmten Staaten, Organisationen und Personen einhalten und dies auch im Sinne einer Garantie zusichern. Faktisch führt dies zu einer Beachtung der US-amerikanischen Finanzsanktionen auch durch nichtamerikanische Banken und damit zu einer Ausweitung des Anwendungsbereiches der USSanktionen. Die Nichtigkeitsfolge des § 7 AWV ist richtiger Ansicht nach international zwingend auch gegen das Vertragsstatut durchzusetzen3. Unstreitig dürfte sein, dass derartige Unterwerfungsklauseln grundsätzlich i.R.d. auf den jeweiligen Vertrag anwendbaren Sachrechts zu beachten und entsprechend zu behandeln sind4. Damit variieren je nach Ausgestaltung der konkreten Klausel auch die Rechtsfolgen. Soweit etwa die EU Gegenmaßnahmen gegen USEmbargen erlassen hat oder das ausländische Eingriffsrecht zwingenden Bestimmungen der lex fori widerspricht, ist eine Unterwerfungsklausel unabhängig von dem auf den Vertrag anwendbaren Recht unwirksam. Im Übrigen sind derartige Klauseln auszulegen. So kann die Einhaltung der Ausfuhr- oder Embargobestimmungen eines betroffenen Landes zur Bedingung für das Zustandekommen bzw. die Durchführung des Geschäftes gemacht werden. Das dürfte unproblematisch zulässig sein5. Ebenso kann wie in dem geschilderten Beispiel einer Vertragspartei einseitig das Risiko des Verstoßes gegen die betreffenden ausländischen Vorschriften mit entsprechenden haftungsrechtlichen Folgen zugewiesen werden. Das ist nur so lange akzeptabel, wie die Beachtung des betreffenden ausländischen Außenhandelsrechts nicht gegen § 138 BGB (bei deutschem Vertragsstatut) oder den inländischen ordre public (bei ausländischer lex causae) verstößt6. Dies wird nur der Fall sein, wenn die ausländischen Bestimmungen ganz erheblich von den inländischen Wertvorstellungen abweichen, nicht dagegen, wenn es lediglich an einem positiven Wertungsgleichklang zwischen in- und ausländischem Recht fehlt.

1 Bälz, EuZW 2020, 416 (417). 2 Ausf. Bälz, NJW 2020, 878 (882 f.); Abicht, Die Parteiautonomie im Schatten der Unterwerfungsklauseln (1991); Forwick, Extraterritoriale US-amerikanische Exportkontrollen (1993), S. 158 ff.; Hentzen, US-amerikanische Exportkontrollen (1988), S. 150 ff.; Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten (1986), S. 89 ff. 3 Prieß/Schaper in Ehlers/Wolffgang (Hrsg.), Recht der Exportkontrolle (2015), S. 267, 276; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 65, 68. 4 Nachw. etwa bei Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 303. 5 Vgl. Mankowski, RabelsZ 61 (1997), 214 (218 f.). 6 Wie hier Leible, ZVglRWiss 97 (1998), 303.

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5.150

§ 5 Rz. 5.151 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

6. Schutz ausländischer Kulturgüter 5.151

Der Schutz ausländischer Kulturgüter wird im Allgemeinen auch im Inland als schützenwertes Interesse angesehen, so dass ein Wertungsgleichklang besteht. Ausländische Vorschriften zum Schutz der eigenen Kulturgüter, etwa Ausfuhrverbote, etc. sind daher auch im Inland anzuwenden, wenn eine hinreichend enge Beziehung zu dem Erlassstaat besteht1.

5.152

Auf europäischer Ebene wird der Kulturgüterschutz durch die EU-Kulturgüterschutzverordnung geregelt (Nachw. Rz. 5.94). Da diese unmittelbar in sämtlichen Mitgliedstaaten gilt und zudem in Art. 2 Abs. 3 vorsieht, dass Entscheidungen des zuständigen Mitgliedstaates über die Ausfuhr im gesamten Unionsgebiet anzuerkennen sind, handelt es sich um eine über Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO durchzusetzende (inländische) Eingriffsnorm.

7. Devisenrecht 5.153

Art. VIII Abschnitt 2b IWF-Übereinkommen2 sieht vor, dass Ansprüche aus Devisenkontrakten, die gegen die Devisenbestimmungen eines Mitglieds des IWFÜ verstoßen, in den anderen Mitgliedstaaten des IWFÜ nicht „klagbar“ bzw. durchsetzbar sind. Es handelt sich damit um eine völkervertragliche Verpflichtung zur Anerkennung ausländischer Devisenvorschriften. Zu den Einzelheiten Rz. 5.156 ff.

III. Mit inländischen Wertungen unverträgliche ausländische Eingriffsnormen 5.154

Soweit eine ausländische Eingriffsnorm mit inländischen Wertungen inkompatibel ist, kann sie nach dem Rz. 5.124 ff. Gesagten nicht über Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO gegen das Vertragsstatut durchgesetzt werden. So liegt es namentlich im Anwendungsbereich expliziter Abwehrvorschriften im Außenhandelsrecht in Bezug auf die EU Blocking-Regulation (dazu Rz. 5.149) sowie § 7 AWV (dazu Rz. 5.150). Darüber hinaus ist es ausländischen Staaten, die sich in einer schwierigen finanziellen Situation befinden, nicht gestattet, die Erfüllung ihrer Zahlungspflichten aus privatrechtlichen Verträgen, die sie im Rahmen ihres fiskalischen Handelns geschlossen haben, unter Berufung auf den Staatsnotstand oder im Wege der gesetzlichen oder administrativen Enteignung zu verweigern. Die deutsche Rechtsprechung hat diese Grundsätze mit Bezug auf fremdem Recht unterliegende Anleihen mehrfach anerkannt, da sich ein Staat in Ermangelung eines neutralen Staateninsolvenzrechts nicht einseitig von seinen Verbindlichkeiten befreien dürfe (näher Rz. 9.21 m.w.N.). In Bezug auf andere Verträge, insb. auch Arbeitsverträge, gilt nichts anderes3.

1 BGH v. 22.6.1972 – II ZR 113/70 (nigerianische Masken), BGHZ 59, 82 (85) = NJW 1972, 1575 (Anm. Mann, NJW 1972, 2179): Ausfuhrverbot von Nigeria im Rahmen von § 138 BGB angewendet. Vgl. auch Sandrock in Sandrock (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht in Theorie und Praxis (1995), S. 191 ff. Zur Rechtsprechung in Österreich Reichelt/Smolka, IPRax 1997, 290 ff. 2 Übk. v. 30.4.1976 über den Internationalen Währungsfonds, BGBl. II 1978, 13. 3 EuGH v. 18.10.2016 – C-135/15, ECLI:EU:C:2016:774 (Nikiforidis), NJW 2017, 141.

370 | Zwickel

E. Checkliste zur Prüfung von Eingriffsnormen | Rz. 5.155 § 5

E. Checkliste zur Prüfung von Eingriffsnormen 5.155

Schritt 1: Prüfung des Vorliegens berücksichtigungsfähiger Eingriffsnormen Allgemeine Voraussetzungen?

– Zwingender Charakter? – Internationaler Geltungsanspruch? [Rz. 5.16] – Schutz qualifizierter öffentlicher Interessen? [Rz. 5.17] – Einwirkung auf vertragliche Schuldverhältnisse? [Rz. 5.18]

Privatrechtsvorschriften?

Nur in ganz seltenen Ausnahmefällen [Rz. 5.19 ff.].

Vorschriften des Vertragsstatuts?

Ausschließliche Anwendung des Art. 9 Rom I-VO auf Eingriffsnormen gleich welcher Provenienz [Rz. 5.23 f.].

Schritt 2: Klärung von Vorrangfragen [Rz. 5.25 ff.]

– Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO – Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO – Art. 3 Abs. 4 Rom I-VO – Art. 6 und 8 Rom I-VO – Art. 23 Rom I-VO – Art. 16 Rom II-VO

Schritt 3: Berücksichtigung der Eingriffsnorm

Eingriffsnorm der lex fori? [Rz. 5.59 ff.]

Forumsfremde Eingriffsnorm? [Rz. 5.124 ff.]

Materiell-rechtliche Berücksichtigung? [Rz. 5.36 ff.]

Besondere Voraussetzungen?

Inlandsbezug [Rz. 5.61]

Ausschließlich Eingriffsnormen des Erfüllungsortes [Rz. 5.131 ff.] Kompatibilität mit inländischen policy-Erwägungen [Rz. 5.137 ff.]

Grundsatz: Sperre durch Art. 9 Rom I-VO Ausnahme: Tatsächlicher Einfluss des Erlassstaates

Rechtsfolgen?

Anwendung als Rechtsvorschrift:

Wirkungsverleihung:

Berücksichtigung im Rahmen der Anwendung lex causae [Rz. 5.36 ff.].

– Sonderanknüpfung [Rz. 5.141 f.] – Rechtsfolgen bestimmen sich – Materiell-rechtliche Benach der lex rücksichtigung fori [Rz. 5.62] [Rz. 5.141] – Ausnahme Auswirkung der lex fori nur für einen Vertragsteil: Lex causae bestimmt über Auswirkung auf Gesamtvertrag [Rz. 5.62].

Zwickel | 371

§ 5 Rz. 5.155 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften Literatur zum Devisenrecht: Ebke, Internationales Devisenrecht (1991), zit.: Ebke, IntDevR; Sandrock, Internationale Kredite und die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, Teil I, WM 1994, 405; Teil II, WM 1994, 445; umfangreiche Nachw. bei Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I-VO vor Rz. 1 sowie bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO vor Rz. 1. Literatur zum IWF-Abkommen: Ebenroth/Müller, Der Einfluss ausländischen Devisenrechts auf zivilrechtliche Leistungsverpflichtungen unter besonderer Berücksichtigung des IWF-Abkommens, RIW 1994, 269; Ebenroth/Woggon, Keine Berücksichtigung ausländischer Kapitalverkehrsbeschränkungen über Art. VIII Abschnitt 2 (b) IWF-Abkommen, IPRax 1994, 276; Ebke, Kapitalverkehrskontrollen und Internationales Privatrecht nach der Bulgarien-Entscheidung des Bundesgerichtshofs, WM 1994, 1357; Fuchs, Auf dem Weg zur engen Auslegung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWFAbkommen, IPRax 1995, 82; umfangreiche Nachw. bei Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I-VO vor Rz. 1 sowie bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO vor Rz. 9.

I. Das deutsche Internationale Devisenrecht: ein Überblick 5.156

Das Internationale Devisenrecht umfasst die Kollisionsnormen des autonomen und des internationalen Einheitsrechts, die darüber bestimmen, ob, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Rechtsfolgen Beschränkungen des laufenden internationalen Zahlungsverkehrs und des internationalen Kapitalverkehrs auf Verfügungs- und Verpflichtungsgeschäfte im internationalen Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr anzuwenden sind1 (Näheres in Rz. 5.195 ff.). Von besonderer praktischer Bedeutung vor allem im Verhältnis zu Staaten, die nicht Mitglieder der EU sind2, ist das Abkommen über den Internationalen Währungsfonds (IWF-Abkommen)3, dem nach dem Beitritt einiger mittel- und osteuropäischer Staaten nach der Auflösung des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe 190 Staaten angehören4. Das IWFAbkommen hat als internationales Einheitsrecht Vorrang vor den autonomen Regelungen des Internationalen Devisenrechts. Devisenkontrollbestimmungen sind nur in den Fällen nach dem autonomen Internationalen Devisenrecht5 zu beurteilen, in denen die Beachtung ausländischer Devisenkontrollbestimmungen in Frage steht, die von Nichtmitgliedstaaten des IWF erlassen worden sind oder die nicht dem IWF-Abkommen unterliegen6 (vgl. hierzu auch Rz. 5.195 ff.). 1 Ebke, JZ 1991, 336; Ebke, IntDevR, S. 35, 312–334; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17–19. 2 Zu den rechtlichen Besonderheiten des Zahlungs- und Kapitalverkehrs innerhalb der EU vgl. etwa Ebke, IntDevR, S. 102–116; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 3a, Martiny in MünchKomm. Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 51-52. 3 Für die BRD in Kraft seit dem 14.8.1952 (BGBl. II 1952, 728); Zustimmungsgesetz v. 18.7.1952 (BGBl. II 1952, 637, 645), Änderungsgesetz v. 23.12.1968 (BGBl. II 1968, 1225), Änderungsgesetz v. 9.1.1978 (BGBl. II 1978, 13); auch Abk. von Bretton Woods genannt. 4 Vgl. hierzu www.imf.org. 5 Zu den autonomen Regelungen vgl. Ebke, IntDevR, S. 312–324; Unteregge, S. 59–153; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 5 ff.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 1 f., 5, 81 ff.; Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 48 ff. 6 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12; mit einem Fall dieser Art musste sich das hanseatische OLG nach der sog. Bulgarien-Entscheidung des BGH (BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.94; Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665) befassen; vgl. dazu Ebke, RIW 1993, 626; Ebke, WM 1994, 1363; Ebenroth/Müller, RIW 1994, 272–275.

372 | Thode

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.159 § 5

Während Altverträge weiterhin den Regelungen des EGBGB unterliegen, erlangt für Verträge nach dem 17.12.2009 Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO im Bereich der Europäischen Union besondere Bedeutung. Anstelle einer allgemeinen Umschreibung der zwingenden Vorschriften in Art. 34 EGBGB enthält Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO eine Legaldefinition der zwingenden Vorschriften (vgl. Rz. 5.15 f.)1. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO gestattet die Anwendung der Eingriffsnormen der lex fori unabhängig vom Vertragsstatut (vgl. Rz. 5.1 f.). Nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO steht es im Ermessen des Gerichts, Eingriffsnormen eines Staates Wirkung zu verleihen, sofern die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen in diesem erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind und diese Normen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen (vgl. Rz. 5.27 ff.).

5.157

II. Das IWF-Abkommen 1. Rechtsquelle Die maßgebliche Vorschrift des IWF-Abkommens, Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 lautet in ihrer völkerrechtlich allein verbindlichen Fassung2 wie folgt:

5.158

Exchange contracts which involve the currency of any member and which are contrary to the exchange control regulations of that member maintained or imposed consistently with this agreement shall be unenforceable in the territories of any member ...3

Diese Vorschrift ist sowohl einheitsrechtliche Kollisionsnorm als auch Sachnorm4. Als kollisionsrechtliche Sonderanknüpfungsregel verpflichtet sie Gerichte und Verwaltungsbehörden eines Mitgliedstaates, abkommenskonformen Devisenkontrollbestimmungen eines anderen Mitgliedstaates in der Weise Geltung zu verschaffen, dass sie nicht bei der Durchsetzung von Verpflichtungen mitwirken, die gegen abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen verstoßen5. Sie ist auch Sachnorm, weil sie selbst die Rechtsfolge (shall be unenforceable; vgl. Näheres zur dieser Rechtsfolge in Rz. 5.182 ff.) unabhängig von der Sanktion des ausländischen Rechts und des maßgeblichen Vertragsstatuts für den Fall anordnet, dass ihre Voraussetzungen vorliegen6. Ihre Geltung kann in der Bundesrepublik nicht deshalb ausgeschlossen werden, weil sie nicht Teil des gewählten (Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO) oder des objektiv angeknüpften Schuldstatuts ist (Art. 4 Rom I-VO)7. Abkommenskonforme Devisenkontrollbestim1 Martiny in MünchKomm, Art. 9 Rom I-VO Rz. 8 f.; Ebke in Staudinger, Art. 9 Rom I Rz. 45 ff. 2 BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, BGHZ 116, 77 (83) = MDR 1992, 180 = IPRax 1992, 377 (m. Anm. Fuchs, IPRax 1992, 361; Anm. Thode, WuB VII A. § 38 ZPO 2.92); BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2). 3 Die deutsche Übersetzung hat folgenden Wortlaut: „Aus Devisenkontrakten, welche die Währung eines Mitglieds berühren und den von diesem Mitglied in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen aufrechterhalten oder eingeführten Devisenkontrollbestimmungen zuwiderlaufen, kann in den Hoheitsgebieten der Mitglieder nicht geklagt werden ...“, BGBl. II 1978, 13 (34–35). 4 Ebke, JZ 1991, 337; Ebke, IntDevR, S. 177–180; Unteregge, S. 31 f.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 16 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 11. 5 Ebke, JZ 1991, 337; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 10; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 10. 6 Ebke, JZ 1991, 337; Ebke, RIW 1991, 2; Ebke, IntDevR, S. 177–180; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 16; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 11. 7 Vgl. Pfeiffer, EuZW 2008, 622; Leible/Lehmann, RIW 2008, 525 und Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798; noch zu Art. 27 und Art. 28 EGBGB: Ebke, JZ 1991, 337; Ebke, IntDevR, S. 181; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 10, 16; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom IVO Rz. 10.

Thode | 373

5.159

§ 5 Rz. 5.159 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

mungen können nicht mithilfe des kollisionsrechtlichen ordre public (Art. 6 EGBGB, Art. 21 Rom I-VO) in ihrer Geltung eingeschränkt werden1. Art. 8 Abschn. 2 (b) IWF-Abkommen wird auch in der Schiedsgerichtsbarkeit angewendet2.

2. Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten des IWF 5.160

Die vom IWF mit Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen erstrebte Vereinheitlichung des internationalen Devisenrechts ist weitgehend missglückt3. Die Mitgliedstaaten, die bei der Auslegung und Anwendung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen keiner wirksamen Kontrolle durch den IWF unterliegen4, haben teilweise erheblich divergierende Auslegungsgrundsätze entwickelt (vgl. Rz. 5.182 ff.). Die Gerichte wichtiger kapitalexportierender Mitgliedsländer, wie beispielsweise die Gerichte New Yorks und Großbritanniens, haben durch die restriktive Auslegung des Begriffs „exchange contracts“ die Anwendung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen auf grenzüberschreitende Handels- und Kreditverträge nahezu vollständig ausgeschlossen5. Mit dieser Auslegung haben sie den Anwendungsbereich der Vorschrift, die in erster Linie die Zahlungsbilanzen der Erlassstaaten schützt, zurückgedrängt und sich die Möglichkeit eröffnet, das dem Gläubiger durchweg günstigere autonome Kollisionsrecht anzuwenden6. Im Unterschied zu dieser Rechtsprechung wird der Begriff „exchange contracts“ von den deutschen Gerichten weit ausgelegt7, so dass ausländische abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen im Regelfall von deutschen Gerichten zu Lasten der Gläubiger durchgesetzt werden8. Durch zwei Entscheidungen hat der BGH9 die Anwendung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen auf Zahlungen für laufende Transaktionen beschränkt und einen durch die bisherige Rechtsprechung der deutschen Gerichte bedingten Wettbewerbsnachteil Deutschlands beseitigt10. Die aufgezeigten Auslegungsdivergenzen bereiten in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten bei der Einschätzung des devisenrechtlichen Risikos grenzüberschreitender Handels- und Kreditverträge. Vertragsparteien und Rechtsanwälte müssen bei der Vertragsgestaltung und im Streitfall dieses Risiko 1 Die Einzelheiten sind umstritten, vgl. Ebke, JZ 1991, 337; Ebke, IntDevR, S. 181–184; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 14; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 10 ff. 2 Vgl. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 13; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 21. 3 Ebke, RIW 1991, 3 ff.; Ebke, JZ 1992, 785; Ebke, RIW 1993, 614; Ebke, WM 1994, 1358; Ebke, IntDevR, S. 206–228; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 624 f.; Ehricke, RIW 1991, 366–369; Sandrock, WM 1994, 409–411. 4 Ebke, RIW 1991, 7 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12. 5 Vgl. Ebke, RIW 1991, 7 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12, 15 sowie Seuß, S. 20–30. 6 Ebke, RIW 1993, 614 m.w.N.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 15. 7 Vgl. BGH v. 11.3.1970 – VIII ZR 147/68, NJW 1970, 1002 und BGH v. 21.12.1976 – III ZR 83/74, WM 1977, 332; vgl. auch BGH v. 17.2.1971 – VIII ZR 84/69, BGHZ 55, 334 (337) = WM 1971, 411; BGH v. 8.3.1979 – VII ZR 48/78, NJW 1980, 520; Ehricke, RIW 1991, 368. 8 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12. 9 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2) sowie BGH v. 22.2.1994 – XI ZR 16/93, ZIP 1994, 524 = MDR 1994, 681 = NJW 1994, 1868 = WM 1994, 581 (m. Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.94; und Anm. Ebenroth/Woggon, EWiR 1994, 471); Geimer, LM Internationaler Währungsfonds, Abk. üb. Nr. 9 (8/1994) sowie Fuchs, IPRax 1995, 82; Näheres zu diesen Entscheidungen vgl. Rz. 5.163. 10 Ebke, WM 1994, 1358 (1368) m.w.N.

374 | Thode

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.163 § 5

auf der Grundlage der Rechtsprechung und Rechtspraxis der Mitgliedstaaten zu Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen abschätzen, die im Streitfall international zuständig sein können.

III. Auslegung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen in der Bundesrepublik Deutschland 1. Devisenkontrakt (exchange contract) a) Begriffsbestimmung in der Rechtsprechung Durch die von den Gerichten entwickelten Auslegungsgrundsätze und durch die Diskussion in der Literatur hat sich in der Bundesrepublik folgende Rechtslage entwickelt:

5.161

Die traditionelle Rechtsprechung der deutschen Gerichte legt den Begriff des Devisenkontrakts im Hinblick auf den Schutzzweck des Abkommens, den Devisenbestand oder die Währung eines Mitgliedstaates zu schützen1, weit aus2 (zur Weiterentwicklung der ursprünglichen Auslegung durch den BGH vgl. Rz. 5.163). So werden von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWFAbkommen sämtliche vertraglichen Verpflichtungen erfasst, die sich auf die Zahlungsbilanz des Erlassstaates auswirken3. Für die Anwendbarkeit des Abkommens genügt es, dass auf Grund der vertraglichen Vereinbarung der Parteien Zahlungen oder Transfers in fremder oder in eigener Währung vorgesehen waren4, ohne Unterscheidung zwischen Verträgen des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs und Verträgen über Zahlungen für laufende Transaktionen. So wurden beispielsweise internationale Kreditverträge unabhängig von ihrer Laufzeit und Höhe als Devisenkontrakte aufgefasst (vgl. hierzu Rz. 5.170).

5.162

In zwei Entscheidungen hat der BGH in Übereinstimmung mit der Judikatur anderer wichtiger kapitalexportierender Länder5 den Anwendungsbereich der Vorschrift unter zwei Gesichtspunkten eingeschränkt. In der sog. Bulgarien-Entscheidung6 hat der II. Zivilsenat des BGH den Anwendungsbereich der Vorschrift auf Zahlungen für laufende Transaktionen i.S.v. Art. XXX (d) IWF-Abkommen7 beschränkt und damit einen im neueren Schrifttum beklagten8, durch die bisherige Rechtsprechung bedingten Wettbewerbsnachteil Deutschlands beseitigt9. Der XI. Zivilsenat des BGH hat die Entscheidung des II. Senates dahingehend er-

5.163

1 BGH v. 17.2.1971 – VIII ZR 84/69, BGHZ 55, 334 (337) = WM 1971, 411; BGH v. 8.3.1979 – VII ZR 48/78, NJW 1980, 520; Ehricke, RIW 1991, 368. 2 Vgl. etwa Ebke, IntDevR, S. 229; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 23 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12, jeweils m.w.N. 3 Ebke, IntDevR, S. 229; Unteregge, S. 34; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 10 jeweils m.w.N. 4 Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 14. 5 Ebke, WM 1994, 1358; Fuchs, IPRax 1995, 85; von Bar/Mankowski, Rz. 116. 6 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2 – 1.94; Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665). 7 Nach Art. XXX (d) IWF-Abkommen sind Zahlungen für laufende Transaktionen Zahlungen, die „nicht der Übertragung von Kapital dienen“, vgl. Ebke, IntDevR, S. 231; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 25–27. 8 Ebke, JZ 1991, 342; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, ZVglRW 92 (1993), 116; Ebke, WM 1994, 1358; Ehricke, RIW 1991, 366 f.; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 624; Ebenroth/Woggon, IPRax 1993, 153; Fuchs, IPRax 1995, 85. 9 Ebke, WM 1994, 1358; Fuchs, IPRax 1995, 85; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 4.

Thode | 375

§ 5 Rz. 5.163 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

gänzt, dass ausländische Kapitalverkehrskontrollen nicht von der Vorschrift erfasst werden. Der II. Senat, dem der XI. Senat gefolgt ist, hat im Unterschied zu der traditionellen Auslegung der Vorschrift erstmals den Versuch einer systematischen und teleologischen Auslegung der Vorschrift unternommen1. Nach der einschränkenden Auslegung der beiden Senate ist Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen auf Kapitalverkehrsverträge und auf Verträge des laufenden Zahlungsverkehrs, die von einer Kapitalverkehrskontrollvorschrift des Erlassstaates erfasst werden, nicht anwendbar2.

5.164

Die Abgrenzung3 zwischen Geschäften des laufenden Zahlungsverkehrs und Geschäften des Kapitalverkehrs ist durch die Entscheidung des II. Senates nur teilweise geklärt4. Der Senat hat „Auslandsinvestitionen“, die den Charakter „größerer langfristiger Kapitalanlagen“ haben, dem Kapitalverkehr5 zugeordnet6. b) Kreis der erfassten Geschäfte

5.165

Über den Kreis der erfassten Geschäfte besteht in der Praxis und Wissenschaft keine Einigkeit7. Auf der Grundlage der extensiven Auslegung des Merkmals „exchange contracts“ hat die Rechtsprechung mehrere Fallgruppen gebildet, auf die das Abkommen anwendbar ist8: Leistungen von Waren und Dienstleistungen gegen Zahlungsmittel, Austausch von Zahlungsmitteln gegen andere Zahlungsmittel, unentgeltliche Zuwendung von Waren und Dienstleistungen sowie Zahlungsmitteln, Sicherungen der genehmigungspflichtigen Hauptschuld9, Verpflichtungen aus Wertpapieren10 und außervertragliche schuldrechtliche Ansprüche, die im Ergebnis der Erfüllung des genehmigungspflichtigen Geschäftes gleichkommen.

5.166

Danach ist das Abkommen praktisch auf den gesamten internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr anwendbar11. Die Geltung des Abkommens ist beispielsweise bejaht worden für Warenkaufverträge, Grundstückskaufverträge, Lizenzverträge, Handelsverträge12, Scheck-13

1 Vgl. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 277 mit zustimmender Würdigung sowie Ebke, WM 1994, 1359 ff. mit zutreffender Kritik Thode, WuB VII B 2. – 1.94. 2 Thode, WuB VII B 2. – 1.94; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 4, 26. 3 Brauchbare Abgrenzungskriterien für die Praxis bietet die beispielhafte Aufzählung der Zahlungen für laufende Transaktionen in Art. XXX (d) Nr. 1–4 IWF-Abkommen. 4 Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 25–27. 5 Vgl. Ebke, IntDevR, S. 229: Aufnahme langfristiger Kredite im Ausland (vgl. Rz. 5.170), Transfers von Bankguthaben ins Ausland zu Investitionszwecken, Direktinvestitionen, portfolio investments sowie den Abschluss von Lebensversicherungen. 6 Ebke, WM 1994, 1358 (1367); Fuchs, IPRax 1995, 85; Thode, WuB VII B 2. – 1.94. 7 Ebke, IntDevR, S. 229; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 31; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 12 bis 17. 8 Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619 mit der unzutreffenden Fallgruppe der Tauschgeschäfte; eine Erläuterung der Fallgruppen findet sich bei Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 28–32; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17–19. 9 Vgl. die Nachw. bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17. 10 Vgl. die Nachw. bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 18. 11 Ebke, IntDevR, S. 229 f.; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619; weitere Beispiele finden sich bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17–19. 12 Vgl. zu den einzelnen Verträgen: Ebke, IntDevR, S. 230; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17 jeweils m.w.N. 13 Vgl. Ebke, IntDevR, S. 230; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 18 jeweils m.w.N.

376 | Thode

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.169 § 5

und Wechselverbindlichkeiten1 sowie für die klassische Form des Devisengeschäfts, den Austausch von Zahlungsmitteln gegen Zahlungsmittel2. Kaufpreissichernde Bürgschaften und Garantien werden von dem Abkommen erfasst, wenn sie mit der genehmigungspflichtigen Hauptschuld eng verbunden sind3. In der Bulgarien-Entscheidung4 hat der BGH klargestellt, dass ein Vertrag über die Erhöhung einer Kommanditeinlage und damit eine Gesellschaftsbeteiligung ein „exchange contract“ sein kann, wenn es sich nicht um eine langfristige Beteiligung handelt5. Tausch- und Gegengeschäfte werden von der Vorschrift nicht erfasst6. Die Frage, ob der Schuldner gegen die Forderung seines Gläubigers mit einer Gegenforderung, die abkommenskonformen Devisenkontrollbestimmungen widerspricht, wirksam die Aufrechnung erklären kann, ist höchstrichterlich nicht entschieden. Das LG Karlsruhe7 hat die Aufrechnung im Ergebnis zutreffend als unzulässig angesehen8. Eine Prozessaufrechnung mit einer unklagbaren Gegenforderung ist deshalb unzulässig, weil die Aufrechnung im Hinblick auf die fehlende Sachurteilsvoraussetzung unzulässig ist9.

5.167

Das in Erfüllung eines „exchange contracts“ Geleistete kann nicht nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung zurückgefordert werden, weil kein rechtsgrundloser Erwerb vorliegt. Auf Grund der prozessualen Qualifikation der Unklagbarkeit liegt kein rechtsgrundloser Erwerb vor10.

5.168

Außervertragliche Ansprüche gelten als „exchange contracts“, wenn sie im Ergebnis zu einer Erfüllung des verbotenen Geschäftes führen. So sind Ansprüche aus unerlaubter Handlung wegen Nichterfüllung des verbotenen Geschäftes und Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, mit denen das auf ein verbotenes Geschäft Geleistete zurückgefordert wird, nicht durchsetzbar (Näheres zur Rechtsfolge vgl. Rz. 5.168)11. Nicht erfasst werden von dem Ab-

5.169

1 BGH v. 22.2.1994 – XI ZR 16/93, ZIP 1994, 524 = MDR 1994, 681 = NJW 1994, 1868 = WM 1994, 581 m. Anm. Thode, WuB VIII B 2 – 1.94; Ebenroth/Waggon, EWIR 1994, 471; Geimer, LM Internationaler Währungsfonds, Abk. üb. Nr. 9 (8/1994) sowie Fuchs, IPRax 1995, 82. 2 OLG Düsseldorf v. 28.9.1989 – 6 U 258/88, ZIP 1989, 1387 = WM 1989, 1842 (Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.90: ägypt. Pfund gegen DM-Scheck). 3 Vgl. die Nachw. der Rspr. bei Ebke, IntDevR, S. 230; bei Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 29 sowie bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17, 27; mit begründeter Kritik an den bisherigen Versuchen, die akzessorischen Sicherungsrechte mit der Rechtsfigur der Unklagbarkeit als Sachurteilsvoraussetzung zu erfassen Ebke, IntDevR, S. 288–292. 4 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2 – 1.94; Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665). 5 Ebke, WM 1994, 1360 (1367); damit hat der BGH die hierzu im Schrifttum vertretene Ansicht bestätigt, vgl. Ebke, IntDevR, S. 230; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 26 und Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 17. 6 Ebke, IntDevR, S. 230; a.A. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 19; unzutreffend Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619. 7 LG Karlsruhe v. 24.8.1984 – O 15/84 KfH II, RIW 1986, 385 m. zust. Anm. Lober. 8 Vgl. die berechtigte Kritik in der Begründung der Entscheidung bei Ebke, IntDevR, S. 292; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 33. 9 Ebke, IntDevR, S. 292 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 42. 10 Vgl. etwa BGH v. 21.12.1976 – III ZR 83/76, IPRspr. 1976, Nr. 118, 341 (343) = WM 1977, 332; vgl. hierzu Ebke, IntDevR, S. 286 m.w.N. der Entscheidungen von Instanzgerichten; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 34. 11 Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 35; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 21.

Thode | 377

§ 5 Rz. 5.169 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

kommen die der lex rei sitae unterliegenden dinglichen Rechtsgeschäfte, wie die Auflassung und die Bestellung von Grundpfandrechten, da die Rechtswirkungen unmittelbar eintreten1.

5.170

Internationale Kreditverträge hat die Rechtsprechung bisher unabhängig von ihrer Höhe und Laufzeit als „exchange contracts“ eingeordnet2; die gewichtigen Einwände des Schrifttums3 gegen diese Rechtsprechung haben die Gerichte bisher nicht berücksichtigt. Nach der Bulgarien-Entscheidung des BGH4, die langfristige Auslandsinvestitionen dem Kapitalverkehr zugeordnet und diese Geschäfte aus dem Anwendungsbereich des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommens ausgenommen hat, ist das Abkommen auf langfristige Kredite nicht mehr anwendbar5. Dieser Auffassung hat sich auch das OLG Frankfurt in einem Prozess über Inhaberschuldverschreibungen des argentinischen Staates angeschlossen, in denen der argentinische Staat sich unter Berufung auf einen Staatsnotstand (Zahlungsunfähigkeit) weigerte, die Ansprüche eines Privatgläubigers auf Rückzahlung zu erfüllen6. Erfasst werden von dem Abkommen allerdings Zahlungen auf Kreditzinsen und Zahlungen in mäßiger Höhe für Tilgungen von Krediten7. c) Abkommenskonforme Begriffsbestimmung

5.171

Maßgebliche Stimmen im neueren Schrifttum schlagen auf der Grundlage einer vertragsautonomen Auslegung des Abkommens vor, die bisherige Deutung des Begriffes „exchange contracts“ als Devisenkontrakt durch die Auslegung als Austauschvertrag zu ersetzen, um eine dem Zweck des Abkommens entsprechende Einschränkung des Anwendungsbereichs des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen zu erreichen8. Nach dieser zutreffenden Auslegung werden von dem Merkmal „exchange contracts“ gegenseitige Verträge sowie Vertragsverhältnisse erfasst, in denen Leistung und Gegenleistung in einer finalen oder kausalen

1 Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 22. 2 Vgl. OLG München v. 25.1.1989 – 15 U 4470/87, WM 1989, 1282 (Anm. Thode WuB VII B 2. – 1.89, Besprechungsaufsatz Ebke, JZ 1991, 335); weitere Nachw. aus der Rspr. bei Ebke, IntDevR, S. 230 f. sowie differenzierend Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 16. 3 Vgl. etwa Ebke, JZ 1991, 339 f.; Ebke, RIW 1993, 622 f.; Ebke, JZ 1992, 784; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 619 ff.; Ebke, IntDevR, S. 230 f. (243 f.) m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 25. 4 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2). 5 Ebke, WM 1994, 1368; Fuchs, IPRax 1995, 85; Thode, WuB VII B 2 – 1.94; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 25 f., 31. 6 OLG Frankfurt v. 13.6.2006 – 8 U 107/03, ZIP 2006, 1902 = WM 2007, 929 = IPRax 2007, 331 (m. Anm. Cranshaw, DZWiR 2007, 133); Cranshaw, JurisPR-InsR 26/2006 Anm. 3; Mankowski, WuB VII C Art. VIII IWF-Übereinkommen 1.07; Schefold, Moratorien ausländischer Staaten und ausländisches Devisenrecht, IPRax 2007, 313; zur Frage der Wiederherstellung eines status quo ante nach Wegfall eines Staatsnotstands, der ex ante nicht erkennbar war, vgl. Sester, NJW 2006, 2891; AG Frankfurt v. 5.4.2007 – 31 C 1721/06 (Verurteilung Argentiniens zur Zahlung von Verzugszinsen wegen Annahmeverzugs hinsichtlich der Zinscoupons) (vgl. hierzu Kolling, BKR 2007, 481 [486]). 7 BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, MDR 1992, 180 = WM 1992, 87 (Anm. Thode, WuB VII A. § 38 ZPO 2.92); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 31; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 16. 8 Ebke, IntDevR, S. 240–243; Ebke, RIW 1993, 610 f.; Ebke, WM 1994, 1360; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 36 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 15; Ebenroth/Woggon, IPRax 1993, 153.

378 | Thode

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.173 § 5

Wechselbeziehung zueinander stehen1. Danach ist es für einen „exchange contract“ ausreichend, wenn der Leistungsempfänger etwas aufwendet, um die Leistung zu erhalten oder weil er die Leistung erhalten hat. Die Auslegung des Begriffes „exchange contracts“ als Austauschvertrag hat zur Folge, dass unentgeltliche Zuwendungen von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen nicht erfasst werden2.

2. Berührung der Währung eines Mitgliedstaates Das Merkmal „involves the currency of any member“ ist unpräzise, eine offizielle Stellungnahme des Exekutivdirektoriums des IWF liegt nicht vor3. Die Auslegung des Begriffes in der deutschen Rechtsprechung ist nicht einheitlich. Vornehmlich die ältere Rechtsprechung4 hat sich der von F. A. Mann5 vertretenen Mindermeinung angeschlossen. Nach dieser Ansicht ist die Währung eines Mitgliedstaates nur dann berührt, wenn die gerichtliche Durchsetzung eines „exchange contracts“ nachteilige Wirkungen für die Zahlungsbilanz eines Mitgliedstaates hat6. Nach dieser Auslegung werden Devisenkontrollvorschriften, die nicht den Abfluss von Devisen regeln, sondern dem Devisenzufluss dienen, wie beispielsweise Zwangsumtauschvorschriften, von dem Abkommen nicht erfasst7.

5.172

Nach der im Schrifttum herrschenden Ansicht8, der sich deutsche Gerichte zunehmend angeschlossen haben9, wird die Währung eines Mitgliedstaates stets dann berührt, wenn die vereinbarte Transaktion sich auf die Zahlungsbilanz in irgendeiner Weise, sei es negativ oder positiv, auswirkt10. Danach werden von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen auch Devisenkontrollbestimmungen erfasst, die den Devisenzufluss regeln11. Diese Ansicht steht im Unterschied zu der Mindermeinung im Einklang mit dem Schutzzweck des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen, der auch den Schutz derartiger Bestimmungen bezweckt12. Nach dieser Auffassung kommt es weder auf die im Vertrag gewählte Schuld- oder Zahlungswährung noch auf die Staatsangehörigkeit des Schuldners an. Nach zutreffender Ansicht ist es unerheblich, ob eine der Parteien des „exchange contracts“ in dem Erlassstaat ansässig ist (vgl. Rz. 5.175). Maßgeblich ist die wirtschaftliche Verknüpfung des Sachverhalts

5.173

1 Ebke, RIW 1993, 617; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 36. 2 Zur Anwendbarkeit des Abk. nach der traditionellen kontinentaleuropäischen Begriffsbestimmung vgl. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 14; zur Unanwendbarkeit nach der Auslegung als Austauschvertrag vgl. Ebke, IntDevR, S. 241 und Ebke, RIW 1993, 617; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 36 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 19. 3 Ebke, IntDevR, S. 246. 4 Vgl. die Nachw. bei Ebke, IntDevR, S. 247; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 38. 5 Vgl. z.B. F. A. Mann, Der Internationale Währungsfonds und das Internationale Privatrecht, JZ 1953, 442 (444); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 38; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 34. 6 Ebke, IntDevR, S. 246 m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 38. 7 Ebke, IntDevR, S. 247. 8 Vgl. etwa Ebke, IntDevR, S. 247; eingehend Seuß, S. 48–72; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 38 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 23. 9 Vgl. die Nachw. bei Ebke, IntDevR, S. 248; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 39. 10 Ebke, IntDevR, S. 248; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 39; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 23–24, jeweils m.w.N. 11 Ebke, IntDevR, S. 248. 12 Ebke, IntDevR, S. 248.

Thode | 379

§ 5 Rz. 5.173 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

und der Vertragsparteien mit dem Währungsgebiet eines Mitgliedstaates. Die Währung eines Mitgliedstaates ist dann berührt, wenn der „exchange contract“ aus dem Erlassstaat erfüllt wird oder wenn der Gläubiger Leistung aus einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat verlangt, die den Devisenkontrollbestimmungen dieses Staates über den Devisenzufluss unterliegt1.

5.174

Umstritten ist die Beurteilung der Fälle, in denen in einem Erlassstaat ansässige Gläubiger oder Schuldner Transaktionen vereinbaren, die weder aus einem noch in einen Erlassstaat erfolgen sollen2. Nach einer Ansicht, die ausschließlich auf die Auswirkungen der Transaktion auf die Zahlungsbilanz eines Mitgliedstaates und nicht auf die Gebietsansässigkeit einer der Parteien in diesem Staat abstellt, greift das IWF-Abkommen in diesen Fällen nicht ein3. Soll beispielsweise der in einem Erlassstaat ansässige Schuldner nur mit dem Vermögen außerhalb des Erlassstaates haften, ist nach dieser Ansicht die Währung des Erlassstaates nicht berührt4. Nach einer anderen Ansicht ist es unerheblich, aus welchem Vermögen der „exchange contract“ erfüllt werden soll, maßgeblich für die Anwendbarkeit des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen ist allein, ob der Schuldner oder der Gläubiger im Erlassstaat ansässig ist5. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen, weil die Gebietsansässigkeit einer der Vertragsparteien in einem Erlassstaat als Abgrenzungskriterium nicht geeignet ist. Vereinbaren die Parteien, von denen eine in einem Erlassstaat ansässig ist, dass ein „exchange contract“ nur außerhalb des Erlassstaates zu erfüllen ist, dann wirkt sich die Transaktion nicht auf dessen Zahlungsbilanz aus. Schließt dagegen ein Staatsangehöriger eines Erlassstaates, der im Ausland ansässig ist, mit einem Angehörigen dieses Staates einen „exchange contract“, der aus dem Erlassstaat erfüllt werden soll oder zumindest erfüllt werden darf, wirkt sich die Erfüllung aus dem Erlassstaat auf dessen Zahlungsbilanz aus6.

5.175

Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen erfasst nicht Devisenkontrollbestimmungen von Staaten, die nicht oder nicht mehr Mitglied des IWF sind7. Mitgliedstaaten müssen allerdings Devisenkontrollbestimmungen anerkennen, die ein anderer Mitgliedstaat mit Wirkung für einen Nichtmitgliedstaat erlassen hat8. Devisenkontrollbestimmungen eines IWF-Mitgliedstaates, der es entgegen seiner Verpflichtung aus Art. XX 2 (a) IWF-Abkommen unterlassen hat, Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen in sein nationales Recht zu transformieren, sind von den anderen Mitgliedstaaten ebenfalls zu beachten9. Nicht anwendbar ist Art. VIII

1 Ebke, IntDevR, S. 248; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 40; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 23. 2 Zum Stand der Diskussion vgl. etwa Unteregge, S. 38 f. sowie Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 25 und Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 40. 3 Ebke, IntDevR, S. 248 f. 4 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 25 m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 40. 5 Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 25. 6 Eine derartige Fallkonstellation lag möglicherweise der Entscheidung des OLG München v. 25.1.1989 – 15 U 4470/87, WM 1989, 1282 (m. Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.89), zugrunde: Kreditaufnahme in der Bundesrepublik Deutschland durch einen österreich. Deviseninländer; das OLG hatte nicht geklärt, ob der Kredit aus Mitteln in der Bundesrepublik oder aus Mitteln in Österreich zurückgeführt werden sollte. 7 Ebke, IntDevR, S. 258; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 5, 6, 81. 8 Ebke, IntDevR, S. 258; ein Bsp. sind die alliierten Devisengesetze, die auf Grund des Deutschlandvertrages als Bundesrecht weitergelten. 9 Ebke, IntDevR, S. 259; als Beispiele nennt Ebke Australien, Mexiko und Schweden; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 15, 19.

380 | Thode

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.178 § 5

Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen auf Devisenkontrollbestimmungen von Mitgliedstaaten, wenn der Gerichtsstaat selbst nicht Mitglied des IWF ist1.

3. Devisenkontrollbestimmungen Das Abkommen definiert den Begriff der Devisenkontrollbestimmungen (exchange control regulations) nicht; die übrigen Vorschriften enthalten keine brauchbaren Hinweise auf seine Bedeutung2. Gewichtige Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffes enthält die Entscheidung des Exekutivdirektoriums des IWF aus dem Jahre 19603. Der maßgebliche Passus lautet in deutscher Übersetzung wie folgt4:

5.176

Leitlinie für die Beurteilung der Frage, ob eine Maßnahme eine Beschränkung von Zahlungen und Transfers für laufende Transaktionen gem. Art. VIII Abschnitt 2 darstellt, ist, ob sie eine unmittelbare staatliche Beschränkung der Verfügbarkeit oder des Gebrauchs von Devisen als solchen beinhaltet.

Durch diese Entscheidung ist klargestellt, dass Devisenkontrollbestimmungen i.S.d. Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen nur Beschränkungen sind, die die allgemeine Verfügbarkeit oder die konkrete Verwendung von Devisen betreffen5. Danach sind Handelsbeschränkungen keine Beschränkungen des laufenden internationalen Zahlungsverkehrs, unabhängig davon, ob sie unmittelbar dem Schutz der Devisenbestände des Erlassstaates dienen sollen6. Währungsrechtliche Bestimmungen, wie beispielsweise Regelungen über gesetzliche Zahlungsmittel oder das Verbot, effektive Fremdwährungsschulden zu vereinbaren, gehören nicht zu Beschränkungen des laufenden internationalen Zahlungsverkehrs7. Entsprechendes gilt für sog. cours-forceRegelungen und prescription-Vorschriften sowie Preiskontrollen8. Bestimmungen, die die Erfüllung von Importverträgen aus devisenrechtlichen Gründen von einer Preisprüfung abhängig machen, werden von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen erfasst9.

5.177

Umstritten ist die Frage, ob Beschränkungen aus Gründen der nationalen oder internationalen Sicherheit als Beschränkungen des laufenden internationalen Zahlungsverkehrs i.S.d. Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen anzusehen sind10. Nach der in der deutschen Kommentarliteratur vertretenen Ansicht, dass Devisenkontrollbeschränkungen i.S.d. Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen nur Vorschriften sind, die die Bewegung von Geld, Vermögen oder Dienstleistungen zum Schutz der Zahlungsbilanz eines Landes zwingend regeln11,

5.178

1 2 3 4 5 6 7 8

9 10 11

Ebke, IntDevR, S. 259 f. Ebke, IntDevR, S. 252 mit einer Analyse der relevanten Vorschriften des Abkommens. Ebke, IntDevR, S. 252 f. m. Nachw. der Fundstelle. Übernommen von Ebke, IntDevR, S. 252. Ebke, IntDevR, S. 253; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 41. Ebke, IntDevR, S. 253; Seuß, S. 107–109 m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 42; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 29. Ebke, IntDevR, S. 253; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 42; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 34, jeweils m.w.N. Ebke, IntDevR, S. 58 f. (S. 253); Seuß, Exterritoriale Geltung von Devisenkontrollbestimmungen. Art. VIII 2b S. 1 des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds (1991), S. 90 f.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 42; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 34. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 30. Vgl. Ebke, IntDevR, S. 253–255; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 33, jeweils m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 42. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 29; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 42.

Thode | 381

§ 5 Rz. 5.178 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

fallen politisch motivierte Beschränkungen aus Gründen der nationalen oder internationalen Sicherheit nicht unter das Abkommen1. Die Gegenansicht vertritt hingegen eine weite Auslegung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen. Danach gehören neben währungsund wirtschaftspolitisch motivierten Beschränkungen auch Beschränkungen des laufenden internationalen Zahlungs- und Überweisungsverkehrs, die aus Gründen der nationalen oder internationalen Sicherheit erlassen worden sind, zu den Beschränkungen i.S.d. Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen, wenn diese Vorschriften auch dazu bestimmt sind, die Zahlungsbilanz des Erlassstaates zu schützen2.

5.179

Die im Schrifttum umstrittene Frage, ob Beschränkungen des grenzüberschreitenden Kapitalverkehrs Beschränkungen i.S.d. Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen sind3, hat der BGH dahin gehend entschieden, dass derartige Vorschriften von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen nicht erfasst werden4.

4. Abkommenskonformität 5.180

Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen erfasst nur Devisenkontrollbestimmungen, die in Übereinstimmung mit dem Abkommen nach dem Beitritt des Erlassstaates aufrechterhalten oder später nach dem Beitritt mit Genehmigung des IWF eingeführt worden sind5. Das Abkommen schützt abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen auch dann, wenn sie mit anderen internationalen Abkommen und Regelungen unvereinbar sind6. Die Frage, ob die mit Devisenkontrollvorschriften befassten Gerichte die Abkommenskonformität einer Vorschrift selbst beurteilen dürfen oder ob sie eine Stellungnahme des IWF einholen müssen, ist umstritten7. Das Abkommen enthält keine Ermächtigung für die Organe des IWF, Auslegungsfragen in Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen zu klären. Es fehlt auch eine Befugnis der Organe, das IWF-Abkommen verbindlich für die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden auszulegen8. Im Hinblick auf diese Regelungslage sind die Gerichte und Verwaltungsbehörden zwar nicht verpflichtet, allerdings berechtigt, eine Auskunft des IWF einzuholen9. Da die Beurteilung der Abkommenskonformität regelmäßig beachtliche Schwierigkeiten bereitet und mit hinreichender Verlässlichkeit durch den nationalen Richter kaum möglich ist, sollten die Gerichte im Regelfall eine Stellungnahme des IWF auch dann einholen, wenn sie nach nationalem Recht nicht dazu verpflichtet sind10. Ob und unter welchen Voraussetzungen deutsche Gerichte nach nationalem Recht dazu verpflichtet sind, eine Stellungnahme einzuholen, ist bisher ungeklärt.

1 Ebke, IntDevR, S. 254; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 33. 2 Ebke, IntDevR, S. 255. 3 Vgl. etwa Ebke, IntDevR, S. 256–258; Seuß, S. 91–94; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 31. 4 BGH v. 22.2.1994 – XI ZR 16/93, ZIP 1994, 524 = MDR 1994, 681 = NJW 1994, 1868 = WM 1994, 581 (m. Anm. Thode WuB VII B 2 – 1.94 und Anm. Ebenroth/Woggon), EWiR 1994, 471; Geimer, LM Internationaler Währungsfonds, Abk. üb. Nr. 9 (8/1994) sowie Fuchs, IPRax 1995, 82. 5 Ebke, IntDevR, S. 264; Seuß, S. 94; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 16. 6 Ebke, IntDevR, S. 265 m.w.N. 7 Vgl. Ebke, IntDevR, S. 265–268 m.w.N. 8 Ebke, IntDevR, S. 268 m.w.N. 9 Ebke, IntDevR, S. 268. 10 Ebke, IntDevR, S. 268–273; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 44 f. unter Hinweis auf die für den nationalen Richter kaum überwindlichen Schwierigkeiten, die Abkommenskonformität verlässlich zu beurteilen.

382 | Thode

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.183 § 5

5. Verstoß gegen abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen Die Voraussetzungen des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen sind dann erfüllt, wenn der „exchange contract“ gegen eine abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmung verstößt; auf das Verschulden der Parteien oder ihre Kenntnis der Bestimmung kommt es nicht an1. Die in Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen vorgesehene Rechtsfolge tritt unabhängig davon ein, welche Sanktionen der Erlassstaat bei Verstößen gegen die Bestimmung vorgesehen hat2. Ob der „exchange contract“ gegen eine Devisenkontrollbestimmung verstößt, ist nach dem Recht des Erlassstaates zu beurteilen und nicht nach dem Recht des Forums3. Die Frage, ob die Devisenkontrollbestimmung mit dem IWF-Abkommen vereinbar ist, beurteilt sich nach dem IWF-Abkommen und dem sekundären Recht des IWF4.

5.181

6. Unklagbarkeit (unenforceability) a) Problemübersicht Die in Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen angeordnete Rechtsfolge „unenforceable“ des allein maßgeblichen englischen Textes (vgl. Rz. 5.158) ist in der im Bundesgesetzblatt abgedruckten deutschen Übersetzung mit „unklagbar“ übersetzt worden. Die Einordnung des auf den aktionsrechtlichen Vorstellungen des anglo-amerikanischen Rechtskreises beruhenden Begriffes der „unenforceability“5 in die kontinentalen Rechtsordnungen hat sich nicht nur in Deutschland als schwierig erwiesen6. Nach dem traditionellen anglo-amerikanischen Rechtsverständnis ist „unenforceability“ als Verteidigung (defense) ein prozessuales Gestaltungsrecht, das nicht von Amts wegen, sondern auf die Einrede der Partei hin zu berücksichtigen ist, die aus der Einrede Rechte herleiten will7. Danach folgt die Rechtsfolge im Unterschied zu der herkömmlichen Rechtsprechung der deutschen Gerichte nicht schon aus einem objektiven Verstoß des „exchange contracts“ gegen eine abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmung, sie tritt erst ein, wenn der Schuldner unter den Voraussetzungen des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen das prozessuale Gestaltungsrecht ausübt.

5.182

Die prozessuale Einordnung dieser Rechtsfigur als Sachurteilsvoraussetzung durch die deutsche Rechtsprechung8 ist im Schrifttum auf beachtliche Kritik gestoßen (Näheres hierzu in Rz. 5.189 ff.)9, weil diese Rechtsprechung vor allem den Gläubiger im Vergleich zur Rechtsprechung des anglo-amerikanischen Rechtskreises prozessual erheblich benachteiligt und weil zahlreiche Folgeprobleme mit der Einordnung als Sachurteilsvoraussetzung nicht oder nur unzureichend gelöst werden können (Näheres dazu in Rz. 5.189). In zwei Entscheidungen ha-

5.183

1 Ebke, IntDevR, S. 275; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 44 f. 2 Ebke, IntDevR, S. 275; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 47. 3 Ebke, IntDevR, S. 276; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 47; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 37. 4 Ebke, IntDevR, S. 276; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 47; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 37. 5 Vgl. Ehricke, RIW 1991, 370; Ebke, IntDevR, S. 276–277; Seuß, S. 114–117; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 48. 6 Ebke, IntDevR, S. 278; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 48 f. 7 Ebke, IntDevR, S. 276 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39. 8 Vgl. die Nachw. bei Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49–51; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39. 9 Vgl. etwa Ebke, WM 1994, 1172 ff. mit eingehender Darstellung des Diskussionsstandes; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.

Thode | 383

§ 5 Rz. 5.183 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

ben der II. Zivilsenat1 und der IX. Zivilsenat2 des BGH unter Hinweis auf die kritischen Stellungnahmen im Schrifttum angedeutet, dass sie ihre bisherige Rechtsprechung zur Einordnung der Rechtsfolge „unenforceable“ als Sachurteilsvoraussetzung zukünftig überprüfen werden, wenn die Frage entscheidungserheblich sein sollte3. Die bisherige Rechtsprechung der deutschen Gerichte begründet im internationalen Vergleich einen wesentlichen Nachteil für Deutschland als Forum für internationale Finanzierungsverträge und sonstige „exchange contracts“4. Die dem Gläubiger nachteiligen Folgen der bisherigen Rechtsprechung sind ein entscheidendes Hindernis für eine Gerichtsstandsvereinbarung oder für eine Schiedsgerichtsvereinbarung in „exchange contracts“ zugunsten des Forums Deutschland. b) Bisherige Rechtsprechung: Einordnung als Sachurteilsvoraussetzung

5.184

Nach der ganz überwiegenden Auffassung im Schrifttum und einhelliger Ansicht in der Rechtsprechung berührt der Verstoß eines „exchange contract“ gegen eine abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmung die Wirksamkeit des Vertrages nicht5. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH6, der die Instanzgerichte folgen7, bedeutet „Unklagbarkeit“ das Fehlen einer Sachurteilsvoraussetzung, die von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens einschließlich der Revisionsinstanz zu beachten ist8, unabhängig davon, ob sich eine Partei darauf beruft9. Soweit die Voraussetzungen der Unklagbarkeit vorliegen, ergeht kein Sachurteil, die Klage ist als unzulässig abzuweisen10.

1 BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.94; Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665). 2 BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, MDR 1992, 180 = WM 1992, 87 = IPRax 1992, 377 (m. Anm. Fuchs, IPRax 1992, 361; Anm. Thode, WuB A § 38 ZPO 2.92 sowie Anm. Ebke, WM 1993, 1169). 3 Vgl. Thode, WuB VII B 2. – 1.94 (Anm. zur Entscheidung des II. Senates II ZR 216/92); Thode, WuB VII A. § 38 ZPO 2.92 (Anm. zur Entscheidung des IX. Senates IX ZR 250/90). 4 Näheres hierzu Ebke, WM 1993, 1170–1172; Ebke, IntDevR, S. 319–321. 5 Vgl. Ebke, IntDevR, S. 279; Ebke, WM 1994, 1169; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39, jeweils m.w.N. der Rspr. und Literatur. 6 BGH v. 31.1.1991 – III ZR 150/88, MDR 1991, 800 = WM 1991, 1009 = NJW 1991, 3095 (Anm. Roth, ZZP 104 [1991], 458–466 und Anm. Thode, WuB VII B 1. Art. 5 EuGVÜ 1.91); BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, MDR 1992, 180 = WM 1992, 87 = IPRax 1992, 377 (m. Anm. Fuchs, IPRax 1992, 361; Anm. Thode, WuB VII A § 38 ZPO 2.92 sowie Anm. Ebke, WM 1993, 1169); BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2); die beiden letztgenannten Entscheidungen distanzierend zur bisherigen Rspr., vgl. Rz. 5.182; zum Nachw. der älteren Rspr. vgl. etwa Ebke, IntDevR, S. 279 f.; Ebke, RIW 1993, 624; Ebke, WM 1994, 1170; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39. 7 Vgl. die Nachw. bei Ebke, IntDevR, S. 279; Ebke, WM 1994, 1009; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 51. 8 Ebke, WM 1993, 1169 (1175). 9 Grundlegend BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, NJW 1970, 1507 = IPRspr. Nr. 101, S. 329 (330); bestätigt BGH v. 31.1.1991 – III ZR 150/88, MDR 1991, 800 = WM 1991, 1009 = NJW 1991, 3095 Anm. Roth; Ebke, IntDevR, S. 283; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39. 10 Ebke, IntDevR, S. 268 (283); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39.

384 | Thode

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.186 § 5

Die Prüfung von Amts wegen bedeutet keine Amtsermittlung, sie beschränkt sich auf den von den Parteien unterbreiteten oder offenkundigen Prozessstoff1. Die Partei, die sich mit dem Einwand der Unklagbarkeit nach Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen gegen einen Anspruch verteidigen will, muss schlüssig darlegen, dass der Anspruch mit den Devisenkontrollbestimmungen eines anderen Mitgliedstaates unvereinbar ist2. Anschließend obliegt es dem Gläubiger, seinerseits durch eine schlüssige Gegendarstellung Zweifel an der Vereinbarkeit des Anspruchs mit den Devisenkontrollbestimmungen auszuräumen3. Das Gericht hat die Parteien gem. § 139 Abs. 2 ZPO auf Bedenken hinzuweisen4.

5.185

Im kontradiktorischen Verfahren trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Sachurteilsvoraussetzung. Verbleiben Zweifel an der Zulässigkeit der Klage, trägt der Kläger den Nachteil daraus, dass er die Voraussetzungen des von ihm erstrebten Sachurteils nicht darzulegen oder zu beweisen vermochte5. Dieses Ergebnis widerspricht der Rechtsprechung der Mitgliedstaaten des anglo-amerikanischen Rechtskreises und dem Wortlaut der maßgeblichen englischen Fassung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen, die dem Schuldner die Darlegungs- und Beweislast für seine Voraussetzungen auferlegt6. Die Rechtsprechung nimmt auf der Grundlage der prozessualen Einordnung der Unklagbarkeit konsequent als maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen oder das Fehlen der Sachurteilsvoraussetzung den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an; die letzte mündliche Verhandlung kann auch die Verhandlung in der Revisionsinstanz sein7. Unerheblich sind der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses8, der Zeitpunkt der Klageerhebung9, der Zeitpunkt der Erfüllung des Anspruchs10 oder der Zeitpunkt der Vollstreckung11. Diese Grundsätze haben zur Folge, dass ein ursprünglich im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unklagbarer Vertrag klagbar wird, wenn im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ein Verstoß gegen abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen nicht mehr vorliegt12. Diese Situation

5.186

1 Ebke, IntDevR, S. 268 (283); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 49; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39. 2 BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, NJW 1970, 1507 = IPRspr. Nr. 101, S. 329 (330); Ebke, IntDevR, S. 283. 3 BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, NJW 1970, 1507 = IPRspr. Nr. 101, S. 329 (330); Ebke, IntDevR, S. 283. 4 BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, NJW 1970, 1507 = IPRspr. Nr. 101, S. 329 (330); BGH v. 31.1.1991 – III ZR 150/88, MDR 1991, 800 = WM 1991, 1009 = NJW 1991, 3095 Anm. Roth; Ebke, IntDevR, S. 283. 5 Ebke, IntDevR, S. 283 f. 6 Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, JZ 1991, 338; Ebke, WM 1993, 1171. 7 BGH v. 8.3.1979 – VII ZR 48/78, NJW 1980, 520; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 53; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44; Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke, WM 1993, 1170. 8 Grundlegend BGH v. 17.2.1971 – VIII ZR 84/69, BGHZ 55, 334 (337 f.) = NJW 1971, 983 = IPRspr. 1971 Nr. 116b, S. 362 (363 f.); Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 53 f.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44, beide m.w.N. 9 Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke, WM 1993, 1169 (1170); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 53; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44. 10 Ebke, WM 1993, 1169 (1170); Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 53. 11 Ebke, WM 1993, 1169 (1170); Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 53. 12 BGH v. 17.2.1971 – VIII ZR 84/69, BGHZ 55, 334 (337 f.) = NJW 1971, 983 = IPRspr. 1971 Nr. 116b, S. 362 (363 f.); Ebke, RIW 1991, 7; Ebke, RIW 1993, 624; Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44.

Thode | 385

§ 5 Rz. 5.186 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

kann dadurch eintreten, dass die ausländische Devisenkontrollbestimmung vor der letzten mündlichen Verhandlung entfällt1, der Vertrag bis zu diesem Zeitpunkt nachträglich genehmigt wurde2 und der Gläubiger oder der Schuldner in devisenrechtlich erheblicher Weise seine Staatsangehörigkeit wechselt oder seinen Wohnsitz verlegt3. Nicht anders ist der Fall zu beurteilen, in dem der Erlassstaat zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Mitglied des IWF war und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung dem IWF nicht mehr angehört4. Tritt der ausländische Gläubiger im laufenden Gerichtsverfahren den Anspruch gegen seinen Schuldner an einen Gebietsansässigen im Lande des Schuldners ab, ist Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen nicht anwendbar5.

5.187

Höchstrichterlich nicht entschieden und im Schrifttum umstritten ist die Frage der nachträglichen Unklagbarkeit eines Vertrages, der zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unbedenklich war, jedoch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung gegen abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmungen verstößt6. Auf Grund der prozessualen Konzeption der Unklagbarkeit, die bisher von den deutschen Gerichten vertreten wird, kann es nicht darauf ankommen, ob der Vertrag bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unklagbar war. Maßgeblich ist auch in diesem Fall der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung7. Dieser Grundsatz führt dazu, dass auch Verträge von Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen erfasst werden, die vor dem Beitritt eines Staates zum IWF abgeschlossen worden sind und auf Grund von abkommenskonformen Devisenkontrollbestimmungen dieses Staates nachträglich unklagbar werden8. Dieses Ergebnis begründet vor allem für Vertragsparteien, deren Vertrag von einer Rechtsordnung eines der Staaten der ehemaligen Sowjetunion erfasst wird, ein unkalkulierbares Risiko, weil viele Staaten der ehemaligen Sowjetunion dem IWF beigetreten sind oder beitreten werden9.

5.188

Die Einordnung der Unklagbarkeit als Sachurteilsvoraussetzung hat unmittelbar Folgen für die Hemmung der Verjährung in einem internationalen Zivilprozess. Die Frage, ob die Klage vor einem Gericht der Bundesrepublik Deutschland die Verjährung hemmen kann und welche Folgen der Stillstand des Verfahrens vor einem innerstaatlichen Gericht hat, richtet sich nach deutschem Recht10. Das für die Forderung maßgebliche Vertragsstatut11 entscheidet darüber, ob die 1 Ebke, WM 1993, 1170 m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44. 2 Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44. 3 Ebke, IntDevR, S. 281; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44. 4 Ebke, IntDevR, S. 282 m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55. 5 BGH v. 8.3.1979 – VII ZR 48/78, NJW 1980, 520 = IPRspr. 1979 Nr. 139, S. 473 (474); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55. 6 Ebke, WM 1993, 1169 (1170) m.w.N.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44, jeweils m. Nachw. des Diskussionsstandes im Schrifttum. 7 So auch Ebke, JZ 1991, 339; Ebke, RIW 1991, 7; Ebke, WM 1993, 1169 (1170); Ebke, IntDevR, S. 282; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 55; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44. 8 Vgl. Ebke, WM 1993, 1169 (1171); Ebke, IntDevR, S. 282 m.w.N. 9 Ebke, WM 1993, 1171; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 57. 10 Ebke, IntDevR, S. 284 f.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 79. 11 Art. 12 Abs. 1 lit. d Alt. 1 Rom I-VO, vgl. hierzu Rz. 3.236; sowie Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 Rom I-VO Rz. 101.

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F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.189 § 5

nach deutschem Recht eingetretenen Hemmungswirkungen die Verjährung hemmen können1. Aufgrund der prozessualen Einordnung der Unklagbarkeit ergeht im deutschen Zivilprozess ein klagabweisendes Prozessurteil2. In der Literatur wird die Ansicht vertreten, dass eine Unterbrechung der Verjährung nach § 209 Abs. 1 BGB a.F. eintritt3. Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB würde eine Hemmung der Verjährung die Folge der Unklagbarkeit der Forderung sein4.

IV. Reformvorschlag: Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit 1. Einführung In der seit 1990 erschienenen Literatur ist die Einordnung des Merkmals „unenforceable“ auf wachsende Kritik gestoßen5. In der obergerichtlichen Rechtsprechung sind erste Hinweise enthalten, die auf eine mögliche Änderung der bisherigen Rechtsprechung hindeuten6. Zwei Senate des BGH7 haben sich in obiter dicta von der bisherigen Rechtsprechung distanziert und auf eine mögliche Korrektur der Rechtsprechung i.S.d. Vorschläge von Ebke8 hingewiesen9. Von der Literatur wird vor allem beanstandet, dass die sich aus der prozessualen Einordnung ergebenden Konsequenzen hinsichtlich des maßgeblichen Zeitpunktes der Unklagbarkeit10, der Berücksichtigung von Amts wegen11, der Darlegungs- und Beweislast12, der Verjäh-

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Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 41. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39. Vgl. die Nachw. bei Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 41. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 41. Vgl. etwa Bross, WM 1993, 83 f.; Ebke, IntDevR, S. 202–311; Ebke, JZ 1991, 335; Ebke, RIW 1991, 2; Ebke, WM 1993, 1169; Ebke, WM 1994, 1357; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 48 ff.; Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 624; Fuchs, IPRax 1992, 362; Seuß, S. 114 passim; Thode, ZBB 1993, 53 (54); Thode, RabelsZ 56 (1992), 382 (385); Martiny, Int.Lawyer 26 (1992), 255 (257); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 63 ff.; Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 39. OLG Hamburg v. 9.10.1992 – 11 U 109/92, ZIP 1993, 37 = WM 1992, 1941 (1943) (Anm. Reithmann, WuB VII B 2. – 1.93); zu den Einzelheiten dieser Entscheidung s. Ebke, RIW 1993, 631, die Revision gegen diese Entscheidung hat zu der sog. Bulgarien-Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 geführt, NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.94; Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665). BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, MDR 1992, 180 = WM 1992, 87 = IPRax 1992, 377 (m. Anm. Fuchs, IPRax 1992, 361; Anm. Thode, WuB VII A § 38 ZPO 2.92 sowie Anm. Ebke, WM 1993, 1169); BGH v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = MDR 1994, 1156 = NJW 1994, 390 = IPRax 1994, 298 (m. Anm. Ebenroth/Woggon, IPRax 1994, 276 und Anm. Thode, WuB VII B 2. – 1.94; Besprechungsaufsatz K. Schmidt, ZGR 1994, 665); zur Entscheidung des Berufungsgerichts (OLG Hamburg v. 9.10.1992 – 11 U 109/92, ZIP 1993, 37 = WM 1992, 1941 [1943]) vgl. Anm. Reithmann, WuB VII B 2. – 1.93. Ebke, IntDevR, S. 276 ff. (283 ff.); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 74 ff. Ebke, WM 1993, 1169; Thode, WuB VII B 2. – 1.94. Ebke, IntDevR, S. 296–305; Ebke, RIW 1991, 6 f.; Ebke, JZ 1991, 339; Ebke, WM 1993, 1169 (1175 f.); Ebenroth/Weiss, RIW 1991, 624; Seuß, S. 120–125; der tendenziell polemische Versuch von Gehrlein, die herkömmliche prozessuale Einordnung gegen die fundierte Kritik zu verteidigen, ist insgesamt missglückt: Ausschluss der Klagbarkeit einer Forderung kraft IWF-Übereinkommen, DB 1995, 129; zu den Folgen der prozessualen Einordnung vgl. Rz. 5.185; zum Reformvorschlag vgl. Rz. 5.189 ff. Ebke, IntDevR, S. 276–283; Ebke, RIW 1991; Ebke, WM 1993, 1174 f. Ebke, IntDevR, S. 284; Ebke, JZ 1991, 338; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1172); zu den Folgen der prozessualen Einordnung vgl. Rz. 5.185 f.; zum Reformvorschlag vgl. Rz. 5.192.

Thode | 387

5.189

§ 5 Rz. 5.189 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

rung1 und der akzessorischen Sicherungsrechte2 zu einer international uneinheitlichen Auslegung vor allem im Vergleich zu den wichtigen kapitalexportierenden Staaten des anglo-amerikanischen Rechtskreises führt3. Die Literatur beklagt zu Recht, dass diese Konsequenzen, die sich im Vergleich mit der anglo-amerikanischen Rechtsprechung insgesamt gläubigerfeindlich und damit nachteilig für die kapitalexportierenden Staaten auswirken, einen beachtlichen Wettbewerbsnachteil der Bundesrepublik als Finanzplatz und als Forum für Streitigkeiten aus „exchange contracts“ begründen4. Der Reformvorschlag, den Begriff „unenforcable“ materiell-rechtlich als unvollkommene Verbindlichkeit und prozessual als Einrede einzuordnen, führt zu der wünschenswerten Angleichung der Rechtslage nach deutschem Recht an die Rechtsprechung der Gerichte des anglo-amerikanischen Rechtskreises5.

2. Maßgeblicher Zeitpunkt der Unklagbarkeit 5.190

Der auf Grund der prozessualen Einordnung maßgebliche Zeitpunkt, die letzte mündliche Verhandlung, benachteiligt vor allem den Gläubiger in den Fällen, in denen ein Staat nach Abschluss eines „exchange contracts“ und vor der letzten mündlichen Verhandlung eine abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmung erlässt oder dem IWF-Abkommen beitritt6. Dagegen erlaubt die Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit im Gegensatz zur traditionellen prozessualen Einordnung eine differenzierende Lösung, die das berechtigte Vertrauen des Gläubigers auf die Durchsetzbarkeit eines Anspruchs aus einem „exchange contract“ schützt, der beim Abschluss des Vertrages devisenrechtlich unbedenklich war7. Wird die bei Abschluss des Vertrages dem Anspruch entgegenstehende abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmung aufgehoben, der Vertrag nachträglich genehmigt oder tritt der Erlassstaat nachträglich aus dem IWF aus, entfällt der Mangel der Unklagbarkeit mit der Folge, dass der Gläubiger aus dem „exchange contract“ erfolgreich klagen kann, sofern der Vertrag wirksam ist und dem Anspruch nicht andere Einwendungen oder Einreden entgegenstehen8. Wird hingegen nach Abschluss eines „exchange contracts“ von einem Mitgliedstaat eine abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmung eingeführt oder wird der Erlassstaat Mitglied des IWF, wird das begründete Vertrauen des Gläubigers auf die Durchsetzbarkeit seines Anspruchs nach der traditionellen Rechtsprechung der deutschen Gerichte nicht geschützt (vgl. Rz. 5.186 f.). Das für einen Gläubiger in dieser Situation untragbare Ergebnis lässt sich mithilfe der Rechtsfigur der unvollkommenen Verbindlichkeit in der Weise vermeiden, dass in diesen Fällen als maßgeblicher Zeitpunkt nicht die letzte mündliche Verhandlung, sondern der

1 Ebke, IntDevR, S. 284 f.; Ebke, JZ 1991, 338 f.; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1177); zu den Folgen der prozessualen Einordnung vgl. Rz. 5.185 f.; zum Reformvorschlag vgl. Rz. 5.193. 2 Ebke, IntDevR, S. 288–292; Ebke, WM 1993, 1169 (1172); zum Reformvorschlag vgl. Rz. 5.194. 3 Ebke, RIW 1991, 7; Ebke, WM 1993, 1169 (1172). 4 Vgl. BGH v. 27.4.1970 – II ZR 12/69, NJW 1970, 1507 = IPRspr. Nr. 101, S. 329 (330); Ebke, IntDevR, S. 283. 5 Ebke, RIW 1991, 7; Ebke, WM 1993, 1169 (1177 f.); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 74 ff. 6 Ebke, RIW 1991, 7; Ebke, JZ 1991, 339; Ebke, WM 1993, 1169 (1170 f., 1173, 1176); Ebenroth/ Neiss, RIW 1991, 624 f.; lediglich Gehrlein, DB 1995, 129 (133 f.) wertet dieses Ergebnis als sachgerecht. 7 Ebke, IntDevR, S. 303 f.; Ebke, WM 1993, 1169 (1176); Ebke, RIW 1991, 6 f. 8 Ebke, IntDevR, S. 303 f.; Ebke, WM 1993, 1169 (1176); Ebke, RIW 1991, 6 f.

388 | Thode

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.193 § 5

Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zugrunde gelegt wird1. Diese Lösung ist, wie Ebke nachgewiesen hat, mit dem IWF-Abkommen vereinbar2.

3. Berücksichtigung im Prozess Die wünschenswerte Angleichung der deutschen Rechtsprechung an die Praxis der IWF-Mitgliedstaaten des anglo-amerikanischen Rechtskreises3 wird nur dadurch erreicht, dass die Unklagbarkeit als unvollkommene Verbindlichkeit im Prozess als verzichtbare Einrede der Unzulässigkeit der Klage angesehen wird4. Diese Lösung eröffnet dem Schuldner die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, ob er sich auf das Gegenrecht der Unklagbarkeit berufen oder ob er den „exchange contract“ trotz eines Verstoßes gegen eine abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmung gegen sich gelten lassen will.

5.191

4. Darlegungs- und Beweislast Die Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit, die im Prozess nur auf die Einrede des Schuldners zu berücksichtigen ist5, führt zu einer Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zu Lasten des Schuldners, die dem Wortlaut des Abkommens und der Rechtspraxis in den USA entspricht6. Bei einer Einordnung als prozesshindernde Einrede ist die Unklagbarkeit im Prozess nur zu beachten, wenn der Schuldner als Beklagter oder im Falle der Prozessaufrechnung mit einer unklagbaren Forderung der Kläger die Einrede geltend macht. Der Schuldner trägt nach deutschem Prozessrecht die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der von ihm erhobenen Einrede, verbleibende Zweifel an dem Vorliegen dieser Voraussetzungen gehen zu seinen Lasten7.

5.192

5. Verjährungshemmung im Prozess Die Einordnung der Unklagbarkeit als unvollkommene Verbindlichkeit führt auch hinsichtlich der Verjährungshemmung im Prozess zu einer im Vergleich mit den Folgen der traditionellen Rechtsprechung (vgl. Rz. 5.188) günstigeren Rechtsposition des Klägers, die zu einer international einheitlicheren Auslegung des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen beiträgt8. Die Einrede führt, wenn der Schuldner die Einrede der Unklagbarkeit erfolgreich geltend macht, zu einer Abweisung der Klage als derzeit unbegründet mit der Folge, dass die Klage die Verjährung gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB hemmt. Diese verjährungsrechtlichen Folgen ent1 OLG Hamburg v. 9.10.1992 – 11 U 109/92, ZIP 1993, 37 = WM 1992, 1941 (1943) in einem obiter dictum; Ebke, IntDevR, S. 304 f.; auf der Grundlage der prozessualen Einordnung Ebenroth/Neiss, RIW 1991, 614 und Unteregge, S. 54–56 sowie Gehrlein, DB 1995, 129 (132 ff.); vgl. hierzu die berechtigte Kritik von Ebke, WM 1993, 1173, dass der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses mit der prozessualen Einordnung unvereinbar ist. 2 Ebke, IntDevR, S. 233–237 (302 f.); Ebke, RIW 1991, 5–7; Ebke, WM 1993, 1169 (1176); Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I-VO Rz. 44; a.A. nur Gehrlein, DB 1995, 129 (133). 3 Ebke, JZ 1991, 338 m.w.N. 4 Ebke, IntDevR, S. 277; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1174). 5 Ebke, IntDevR, S. 283 f.; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1174); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 59. 6 Ebke, IntDevR, S. 283 f.; Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1174); Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 59 f.; a.A. lediglich Gehrlein DB 1995, 129 (133). 7 Ebke, WM 1993, 1169 (1174); Fuchs, IPRax 1992, 362; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 59 f. 8 Ebke, RIW 1991, 6; Ebke, WM 1993, 1169 (1171).

Thode | 389

5.193

§ 5 Rz. 5.193 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

sprechen der Zielsetzung des Abkommens; der Gläubiger soll nur daran gehindert werden, seinen Anspruch während der Dauer eines Verstoßes gegen eine abkommenskonforme Devisenkontrollbestimmung durchzusetzen. Da die Unklagbarkeit typischerweise zeitlich begrenzt ist1, wird dem berechtigten Interesse des Gläubigers an der Hemmung der Verjährung und der späteren Durchsetzung seines Anspruchs nach dem Wegfall der Unklagbarkeit nur genügt, wenn die Klage durch Sachurteil als derzeit unbegründet abgewiesen wird2.

6. Akzessorische Sicherungsrechte 5.194

Der traditionellen Rechtsprechung ist es bisher nicht gelungen, auf der Grundlage der prozessualen Einordnung des Begriffes „unenforceable“ eine tragfähige Begründung dafür zu entwickeln, dass akzessorische Sicherungs- und Hilfsgeschäfte sowie dingliche Sicherheiten3, die der Sicherung einer unklagbaren Forderung dienen, ebenfalls nicht durchsetzbar sind4. Nach dem Sinn und Zweck des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen sind auch derartige Geschäfte, die zur Sicherung einer unklagbaren Forderung dienen, unklagbar i.S.d. Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen5. Die prozessuale Einordnung bietet für dieses abkommenskonforme Ergebnis im Unterschied zur Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit keine tragfähige Grundlage. Die Unklagbarkeit als Sachurteilsvoraussetzung bezieht sich nur auf den der Klage zugrunde liegenden „exchange contract“. Eine Erstreckung der Sachurteilsvoraussetzung dieser Klage auf die Klage auf der Grundlage einer Sicherung für einen „exchange contract“ lässt sich deshalb nicht begründen, weil die Sicherungs- und Hilfsgeschäfte selbst keine „exchange contracts“ sind. Die Einordnung als unvollkommene Verbindlichkeit führt unmittelbar dazu, dass Sicherungs- und Hilfsgeschäfte, die der Sicherung einer derartigen Verbindlichkeit dienen, nicht durchsetzbar sind, weil die Unvollkommenheit der gesicherten Forderung einer Durchsetzung der zu ihrer Sicherung begründeten Forderung entgegensteht6.

V. Autonomes Recht 1. Anwendungsvoraussetzungen 5.195

Die Beachtung ausländischer Devisenvorschriften7, die nicht dem IWF-Abkommen unterliegen, richtet sich nach dem autonomen internationalen Devisenrecht (vgl. Rz. 5.156)8. Von dem Abkommen nicht erfasst werden Devisenvorschriften von Nichtmitgliedstaaten des IWF9 (vgl. Rz. 5.156), Regelungen eines Mitgliedstaates zur Kontrolle von Kapitalbewegungen (vgl. Rz. 5.162, Rz. 5.169), Geschäfte des Kapitalverkehrs (vgl. Rz. 5.162, Rz. 5.170) und erbrecht1 Ebke, WM 1993, 1177. 2 Ebke, WM 1993, 1169 (1171); zur vergleichbaren Situation einer Abweisung einer Klage auf Grund mangelnder Fälligkeit vgl. BGH v. 27.10.1994 – VII ZR 217/93, MDR 1995, 469 = NJW 1995, 399 m.w.N. sowie BGH v. 11.2.1999 – VII ZR 399/97, MDR 1999, 671 = NJW 1999, 1867. 3 Hierzu gehören: Schuldanerkenntnisse, Schuldversprechen, Schuldübernahmen, Vereinbarungsdarlehen, Wechsel- und Scheckverbindlichkeiten, Bürgschaften, Garantieverträge, Sicherungsübereignungen, Grundschulden, Hypotheken u.a.; vgl. Ebke, IntDevR, S. 288–292, 306 m.w.Bsp. 4 Ebke, IntDevR, S. 288–292; Ebke, WM 1993, 1172; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 62; a.A. lediglich Gehrlein, DB 1995, 129 (133). 5 Ebke, IntDevR, S. 306. 6 Ebke, IntDevR, S. 305–308. 7 Zur Begriffsbestimmung vgl. Martiny in MünchKomm, Anh. II zu Art. 9 Rom I Rz. 48; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 81 f. 8 Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 81 f. 9 Ebke, IntDevR, S. 312 f.; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 81.

390 | Thode

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.198 § 5

liche Ansprüche1 sowie familienrechtliche Unterhaltsansprüche2. Soweit die Anwendung des IWF-Abkommens eröffnet ist, hat Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen Vorrang vor dem autonomen internationalen Devisenrecht (vgl. Rz. 5.156, Rz. 5.195). Ausländisches Devisenrecht, das nicht vom IWF-Abkommen erfasst wird, ist nur zu beachten, wenn eine geschriebene oder ungeschriebene Kollisionsnorm des autonomen Rechts deren Beachtung vorschreibt. Der internationale Geltungsanspruch einer ausländischen Norm genügt allein nicht für eine Anwendung der ausländischen Norm im Inland oder für ihre materiell-rechtliche Berücksichtigung im internen Vertragsrecht in den Fällen, in denen als Vertragsstatut das deutsche Recht berufen ist.

2. Rom I-VO Die kollisionsrechtliche Beachtlichkeit ausländischer und inländischer Devisenvorschriften nach dem autonomen internationalen Devisenrecht unterliegt für Verträge nach dem 17.12.2009 den Regelungen der Rom I-VO. Die bis dahin weitgehend ungeklärte3 kollisionsrechtliche Beachtlichkeit ausländischer und inländischer zwingender Devisenvorschriften wird durch Art. 9 Rom I-VO geregelt (vgl. Rz. 5.26 f.).

5.196

Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 des IWF-Abkommens ist eine Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO (vgl. Rz. 5.66, Rz. 5.153). Mit dem Inkrafttreten des Ratifikationsgesetzes zum IWFAbkommen wurde eine inländische Eingriffsnorm i.S.d. Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO geschaffen (vgl. Rz. 5.66, Rz. 5.153). Die Regelung verpflichtet die inländischen Gerichte, ausländische Devisenverbote unabhängig von dem Recht zu beachten, das auf den Vertrag anwendbar ist.

5.197

VI. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung 1. Anwendbares internationales Devisenrecht a) Bei Verträgen, die grenzüberschreitende Transaktionen vorsehen, ist die Frage zu klären, ob (s. Rz. 5.156, Rz. 5.195) – das vorrangig vor dem autonomen internationalen Devisenrecht geltende IWF-Abkommen (unten 2., 3.) oder – das autonome internationale Devisenrecht anwendbar ist (unten 4.). b) Das IWF-Abkommen ist nur anwendbar unter folgenden Voraussetzungen: – Devisenkontrollbestimmungen eines Mitgliedstaates des IWF (s. Rz. 5.156, Rz. 5.172 ff.); – Devisenbestimmungen, die dem IWF-Abkommen unterliegen (s. Rz. 5.172 ff.); – Berührung der Währung eines Mitgliedstaats des IWF (s. Rz. 5.172). c) Das autonome internationale Devisenrecht ist anwendbar unter folgenden Voraussetzungen: – Devisen- oder Kapitalkontrollbestimmungen eines Staates, der nicht oder nicht mehr Mitglied des IWF ist (s. Rz. 5.173, Rz. 5.175); – Kapitalkontrollbestimmungen eines Mitgliedstaates (s. Rz. 5.176); 1 Ebke, IntDevR, S. 313; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 81. 2 Ebke, IntDevR, S. 313; Ebke in Staudinger, Anh. zu Art. 9 Rom I Rz. 81. 3 Hierzu grundlegend Ebke, IntDevR, S. 312–334 sowie Unteregge, S. 59–153.

Thode | 391

5.198

§ 5 Rz. 5.198 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

– Geschäfte des Kapitalverkehrs (s. Rz. 5.195); – erbrechtliche Ansprüche (s. Rz. 5.195); – familienrechtliche Ansprüche (s. Rz. 5.195).

2. Voraussetzungen des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen 5.199

a) Devisenkontrakt aa) Grundsatz: ein Devisenkontrakt liegt vor, wenn es sich um einen Austauschvertrag (2) handelt, der Zahlungen für laufende Transaktionen (1) vorsieht. (1) Die Vereinbarung über Zahlungen oder den Transfer von Valuta: – Vereinbarung der Parteien über die Zahlung oder den Transfer in ausländischer oder eigener Währung (s. Rz. 5.162); – Zahlungen für laufende Transaktionen im Unterschied zu Geschäften des Kapitalverkehrs (s. Rz. 5.162 f.). (2) Der Austauschvertrag: – gegenseitiger Vertrag oder – ein Vertragsverhältnis, in dem Leistung und Gegenleistung in einer finalen oder kausalen Wechselbeziehung stehen (s. Rz. 5.165, Rz. 5.171). bb) Einem Devisenkontrakt stehen gleich: – Ansprüche aus unerlaubter Handlung wegen Nichterfüllung des verbotenen Geschäftes; – Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung, mit denen das auf ein verbotenes Geschäft Geleistete zurückgefordert wird (s. Rz. 5.169). cc) Keine Devisenkontrakte sind: – dingliche Rechtsgeschäfte, deren Rechtswirkungen unmittelbar eintreten (s. Rz. 5.169); – langfristige Kreditverträge und Verträge über langfristige Auslandsinvestitionen (s. Rz. 5.170). b) Berührung der Währung eines Mitgliedstaates aa) Die vereinbarte Transaktion wirkt sich auf die Zahlungsbilanz eines Mitgliedstaates positiv oder negativ aus (s. Rz. 5.173); bb) unerheblich ist die Schuld- oder Zahlungswährung, die Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien und die Gebietsansässigkeit einer Partei im Erlassstaat der Devisenkontrollbestimmung (s. Rz. 5.173 f.). c) Devisenkontrollbestimmungen aa) Devisenkontrollbestimmungen liegen vor, wenn sie unmittelbar die allgemeine Verfügbarkeit oder die konkrete Verwendung von Devisen beschränken (s. Rz. 5.176). bb) Umstritten sind Bestimmungen aus Gründen der nationalen oder internationalen Sicherheit (s. Rz. 5.178). cc) Keine Devisenkontrollbestimmungen sind Beschränkungen des internationalen Kapitalverkehrs (s. Rz. 5.179). 392 | Thode

F. Berücksichtigung ausländischer Devisenvorschriften | Rz. 5.200 § 5

d) Abkommenskonformität der Devisenkontrollbestimmungen aa) Die Abkommenskonformität ist gegeben, wenn (s. Rz. 5.180) – Devisenkontrollbestimmungen nach dem Beitritt des Erlassstaates zum IWF in Übereinstimmung mit dem Abkommen aufrechterhalten werden oder wenn – Devisenkontrollbestimmungen nach dem Beitritt mit Genehmigung des IWF eingeführt werden. bb) Die Feststellung der Abkommenskonformität lässt sich in Zweifelsfällen verlässlich nur auf Grund einer Auskunft des IWF treffen (s. Rz. 5.180). e) Verstoß gegen abkommenskonforme Kontrollbestimmungen (s. Rz. 5.181) aa) Beurteilungsgrundlage: das Recht des Erlassstaates; bb) objektiver Verstoß unabhängig vom Verschulden oder der Kenntnis der Parteien; cc) die Sanktion des Abkommens tritt ein unabhängig von den Sanktionen des Erlassstaates.

3. Rechtsfolge des Art. VIII Abschn. 2 (b) IWF-Abkommen a) Die Rechtsfolge wird durch die Rechtsprechung bisher als Sachurteilsvoraussetzung eingeordnet (vgl. aber unten c) (s. Rz. 5.183). b) Die Einordnung als Sachurteilsvoraussetzung hat folgende Konsequenzen: – die Voraussetzung ist von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen; – im kontradiktorischen Verfahren trägt der Kläger die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abk. nicht vorliegen; – bei einem Verzichtsurteil und bei einem Versäumnisurteil gegen den Kläger trägt der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast (s. Rz. 5.186); – der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorliegen oder Fehlen der Sachurteilsvoraussetzung ist die letzte mündliche Verhandlung und nicht der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (s. Rz. 5.186); – die Hemmung durch das klagabweisende Prozessurteil endet sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung (s. Rz. 5.188). c) Hingegen hat die Einordnung der Rechtsfolge als prozessuale Einrede einer unvollkommenen Verbindlichkeit (Tendenz der neueren BGH-Rspr.) folgende Konsequenzen (s. Rz. 5.189): – die Voraussetzungen des Art. VIII Abschn. 2 (b) S. 1 IWF-Abkommen sind nur auf die Einrede des Schuldners hin zu prüfen (s. Rz. 5.191); – der Schuldner trägt in allen Verfahren die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen (s. Rz. 5.192); – der maßgebliche Zeitpunkt für das Vorliegen oder Fehlen der Voraussetzungen ist der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (s. Rz. 5.190); – die Klage führt, wenn sie auf Grund der Einrede als derzeit unbegründet abgewiesen wird, zur Hemmung der Verjährung (s. Rz. 5.193). Thode | 393

5.200

§ 5 Rz. 5.200 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

4. Autonomes internationales Devisenrecht 5.201

a) Das autonome internationale Devisenrecht ist nur anwendbar, soweit das IWF-Abkommen nicht gilt (vgl. oben 1.c) (s. Rz. 5.195). b) Die kollisionsrechtliche Beachtlichkeit ausländischer Devisenvorschriften unterliegt Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO (s. Rz. 5.196 ff.).

G. Formvorschriften Literatur (allgemein): Armbrüster/Preuß/Renner, BeurkG, 8. Aufl. 2020; Frenz/Miermeister, BNotO, 5. Aufl. 2020; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020; Goette, Auslandsbeurkundungen im Kapitalgesellschaftsrecht, DStR 1996, 709; Goette, Auslandsbeurkundung im Kapitalgesellschaftsrecht, in FS Boujong (1996), S. 131; Heckschen, Die Gründung der GmbH im Ausland, DB 2018, 685; Herrler, Wirksamkeit der Auflassungserklärung nur vor einem inländischen Notar, NotBZ 2020, 391; Hertel in Staudinger, BeurkG (2017); Hertel in Staudinger, BGB, Buch 1: Allgemeiner Teil: §§ 125 – 129 BGB (2017); Hertel in Meikel, GBO, Einl. G, Internationale Bezüge im Grundbuchverkehr, 12. Aufl. 2021; Huber in Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl. 2020, zu § 415 ZPO; König/Steffes-Holländer, Beurkundung der Gründung einer deutschen GmbH durch Schweizer Notar, DB 2018, 625; Lehmann/Krysa, Anwendbarkeit von Formvorschriften nach IPR – zwingende Anwesenheit der Beteiligten vor deutschen Notaren bei Auflassung über Grundstück im Inland, RIW-Kommentar, RIW 2020, 464; Lieder, Zur Auslandsbeurkundung im Grundstücks- und Gesellschaftsrecht, NZG 2020, 1081; Lieder, Beurkundung der Gesellschaftsgründung durch einen schweizerischen Notar, ZIP 2018, 805; Lieder, Zur Beurkundung der Gründung einer deutschen GmbH durch Baseler Notar, EWiR 2018, 743; Mansel in Staudinger, EGBGB/IPR: Internationales Sachenrecht (2015), zu Art. 43 EGBGB; Mayer/Barth, Wirksamkeit der Gründung einer deutschen GmbH in der Schweiz, IWRZ 2018, 128; Preuß in Prütting/Gehrlein, ZPO, 12. Aufl. 2020, zu § 415 ZPO; Ransiek, Erfüllung der Formerfordernisse einer Auflassung vor einem nicht in Deutschland bestellten Notar, jurisPR-IWR 4/2020 Anm. 3; Reithmann, Beurkundung, Beglaubigung, Bescheinigung durch inländische und ausländische Notare, DNotZ 1995, 360; Reithmann, Bauträgervertrag und Bauherrenmodelle im IRP in FS Ferid (1988), S. 363; Reithmann, Substitution bei Anwendung der Formvorschriften des GmbHG, NJW 2003, 385; Reithmann, Registeranmeldungen aus dem Ausland, ZNotP 2007, 167; Reithmann, Urkunden und elektronische Dokumente, ZNotP 2007, 370; Reithmann, Formvorschriften und Beweisregeln, ZNotP 2011, 377; Reithmann, Beweiskraft der Zeugnisurkunde, ZNotP 2012, 82; Reithmann, Vertrag und Vertragsurkunde in FS Martiny (2014), S. 515; Schäuble in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 7 Form von Rechtsgeschäften, 3. Aufl. 2017; Schaub in Bauer/Schaub, GBO, Allgemeiner Teil, K. Internationale Bezüge im Grundstücksrecht, 4. Aufl. 2018; Schreiber in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, zu § 415 ZPO; Schulze in Ferrari/Kieninger/Mankowski/Otte/Saenger/Schulze/Staudinger, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl. 2018, zu Art. 11 Rom I-VO; Spellenberg in Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, zu Art. 11 EGBGB; Spellenberg in Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 13, 8. Aufl. 2021, zu Art. 11 Rom IVO; Stürner in Erman, BGB, Bd. II, 16. Aufl. 2020, zu Art. 11 EGBGB; Stelmaszczyk, Beurkundung einer GmbH-Gründung im Ausland, GWR 2018, 103; Stelmaszczyk/Kienzle, Die Onlinegründung der GmbH nach dem DiRUG, GmbHR 2021, 849; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbH digital – Online-Gründung und Online-Verfahren für Registeranmeldungen nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum DiRUG, ZIP 2021, 765; Stürner, Die notarielle Urkunde im europäischen Rechtsverkehr, DNotZ 1995; Süß in Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2015; v. Hein in Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einleitung zum Internationalen Privatrecht; J. Weber, GmbH-Gründung und Auslandsbeurkundung, MittBayNot 2018, 215; Wicke, Auslandsbeurkundung: Eintragung einer deutschen GmbH nach Beurkundung der Gründung durch schweizerischen Notar aus dem Kanton Bern, GmbHR-Kommentar, GmbHR 2018, 380; Winkler, BeurkG, 19. Aufl. 2019; Winkler von Mohrenfels in Staudinger, EGBGB/IPR: Internationales Recht der natürli-

394 | Thode und Reitmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.201 § 5 chen Personen und der Rechtsgeschäfte (2019), zu Art. 11 EGBGB; Winkler von Mohrenfels in Staudinger, EGBGB/IPR: Internationales Vertragsrecht 2 (2016), zu Art. 11 Rom I-VO. Literatur zur GmbH-Geschäftsanteilsabtretung: An deutschen Gesellschaften: Abrell, Die Schweiz ermöglicht privatschriftliche Verfügungen über Geschäftsanteile, NZG 2007, 60; Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021; Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl. 2019; Bayer, Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen im Ausland nach der MoMiG-Reform, GmbHR 2013, 897; Böttcher/Blasche, Die Übertragung von Geschäftsanteilen deutscher GmbHs in der Schweiz vor dem Hintergrund der Revision des Schweizer Obligationenrechts, NZG 2006, 76; Bungert, Der internationale Anwendungsbereich von § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG, DZWiR 1993, 494; Großfeld/Berndt, Die Übertragung deutscher GmbHAnteile im Ausland, RIW 1996, 632; Heckschen, Auslandsbeurkundung: Ausländischer Notar kann unter eingeschränkten Voraussetzungen Gesellschafterliste einreichen, BB-Kommentar, BB 2014, 466; Herrler, Zuständigkeit des ausländischen Notars zur Einreichung der Gesellschafterliste – (k)ein Vehikel zur Klärung der Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung, GmbHR 2014, 225; Herrler, Offene Fragen rund um die Gesellschafterliste: Einreichungszuständigkeit, registergerichtliches Prüfungsrecht und Publizitätswirkungen, GmbHR 2013, 617; Kindler, Geschäftsanteilsabtretungen im Ausland und notarielle Pflicht zur Einreichung der Gesellschafterliste, RIW 2011, 257; König/Götte/Bormann, Das Formstatut für die dingliche Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen nach geltendem und künftigem Recht, NZG 2009, 881; Kort, Gesellschafterliste, Gesellschafterstellung und gutgläubiger Anteilserwerb, GmbHR 2009, 172; Lieder/Ritter, Neues aus Karlsruhe zur Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung?, notar 2014, 187; Link, Formerfordernisse des § 15 GmbHG bei internationalen Transaktionen, BB 2014, 579; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020; Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG, 3. Aufl. 2017; Münchener Kommentar zum GmbHG, Bd. 1, 3. Aufl. 2018; Odendahl, Die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen vor ausländischen Notaren RIW 2014, 189; Peters, Ist die Beurkundung von GmbH-Geschäftsanteilsübertragungen in der Schweiz Rechtsgeschichte?, DB 2010, 97; Reithmann, Mitwirkung des ausländischen Notars bei der Geschäftsanteilsabtretung nach dem MoMiG (Form des Verpflichtungs- und des Verfügungsgeschäfts), GmbHR 2009, 699; Schervier, Beurkundung GmbH-rechtlicher Vorgänge im Ausland, NJW 1992, 593; Scholz, GmbHG, Bd. 1, 12. Aufl. 2018; Süß, Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen vor dem Basler Notar, DNotZ 2011, 414; Süß in Süß/Wachter (Hrsg.), Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2015; Wicke, GmbHG, 4. Aufl. 2020; Wicke, Einreichung der GmbH-Gesellschafterliste durch ausländischen Notar?, DB 2013, 1099; Wicke, Die Bedeutung der Beurkundung im GmbH-Recht ZIP 2006, 977; Winkler, Übertragung eines GmbH-Geschäftsanteils, Rpfleger 1978, 44; Wolfsteiner, Auslandsbeurkundung der Abtretung von Geschäftsanteilen an einer deutschen GmbH, DNotZ 1978, 532. An ausländischen Gesellschaften: Bungert, Der internationale Anwendungsbereich von § 15 Abs. 3 und 4 GmbHG, DZWiR 1993, 494; Depping, Beurkundungspflicht bei der Übertragung von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften, GmbHR 1994, 386; Dutta, Formfragen bei Schuldverträgen über ausländische Gesellschaftsanteile, RIW 2005, 98; Gätsch/Schulte, Notarielle Beurkundung bei der Veräußerung von Anteilen an ausländischen Gesellschaften mbH in Deutschland, ZIP 1999, 1909; Kalss, Grenzüberschreitendes zur Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen, in FS Priester (2007), S. 353; Kralik, Auslandsbeurkundung bei Abtretung von österreichischen Geschäftsanteilen, IPRax 1990, 255; Link, Formerfordernisse des § 15 GmbHG bei internationalen Transaktionen, BB 2014, 579; Merkt, Vertragsform beim Kauf von Anteilen an einer ausländischen Gesellschaft, ZIP 1994, 1417; Reithmann, Formerfordernisse bei Verträgen über Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften für Grundstücke im Ausland, NZG 2005, 873; Schönherr, Kann ein deutscher Notar die Übertragung von Geschäftsanteilen einer österreichischen GmbH rechtswirksam beurkunden?, GesRZ 1985, 60; Wagner, Abtretung von Geschäftsanteilen einer österreichischen GmbH, DNotZ 1985, 80; Wrede, Zur Beurkundungspflicht bei der Übertragung von Anteilen an einer ausländischen Kapitalgesellschaft, GmbHR 1995, 365. Literatur zu umwandlungsrechtlichen Strukturmaßnahmen: Herrler, Beurkundung von statusrelevanten Rechtsgeschäften im Ausland, NJW 2018, 1787; Hushahn, Grenzüberschreitende Formwechsel im EU/EWR-Raum – die identitätswahrende statuswechselnde Verlegung des Satzungssitzes in der notariellen Praxis, RNotZ 2014, 137; Klein, Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften, RNotZ 2007, 565; Kleba, Die grenzüberschreitende Spaltung von Kapitalgesellschaften aus

Reitmann/Stelmaszczyk | 395

§ 5 Rz. 5.201 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften deutscher Sicht, RNotZ 2016, 273; Lieder, Auslandsbeurkundung umwandlungsrechtlicher Strukturmaßnahmen, ZIP 2018, 1517; Limmer, Grenzüberschreitende Umwandlungen, ZNotP 2007, 242; Stelmaszczyk, Grenzüberschreitende Spaltungen de lege lata und de lege ferenda – Teil 1; Der Konzern 2021, 1; Stelmaszczyk, Grenzüberschreitende Spaltungen de lege lata und de lege ferenda – Teil 2, Der Konzern 2021, 48; Stelmaszczyk, Der grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach geltendem und künftigem Recht – Teil 1, notar 2021, 107; Stelmaszczyk, Der grenzüberschreitende Formwechsel von Kapitalgesellschaften nach geltendem und künftigem Recht – Teil 2, notar 2021, 146; Stelmaszczyk, Beurkundung einer inländischen Verschmelzung im Ausland, RNotZ 2019, 177; Tebben, Zur Substitution der notariellen Beurkundung bei Umwandlungsvorgängen, GmbHR 2018, 1190.

I. Form des Rechtsgeschäfts 5.202

Erfordernisse, die an ein Rechtsgeschäft zu stellen sind, sind in den materiellen Vorschriften der nationalen Rechte begründet. Dort ist auch deren Durchsetzung, z.B. mit der Sanktion der Nichtigkeit nach § 125 BGB, begründet. Die Rom I-VO begründet weder Formvorschriften noch die Sanktion bei Nichtanwendung, sondern schränkt dies bei solchen Erfordernissen ein, die in Art. 11 Rom I-VO als „Formvorschriften“ bezeichnet werden. Diese Vorschrift ist autonom und damit unionsrechtlich auszulegen1.

1. Formerfordernisse i.S.d. Art. 11 Rom I-VO 5.203

Es geht darum, welche Erfordernisse „europaübergreifend“ als weniger wichtig (oder doch als austauschbar) erscheinen. Darunter fallen Erfordernisse, welche die schriftliche Abfassung der Erklärung und die Beiziehung einer Urkundsperson verlangen. Es geht um den Schutz des Erklärenden vor Übereilung und Irrtum, aber auch um die Sicherung des Rechtsverkehrs. Diese Erfordernisse fallen jedenfalls unter Art. 11 Rom I-VO. Sie sind an die Abgabe der Erklärung gebunden und zu unterscheiden von Erfordernissen, von denen der Zugang der abgegebenen Erklärung abhängig gemacht wird, oder auch das Zustandekommen eines Vertrages durch mehrere Erklärungen.

5.204

Die Meinung2, Formvorschriften seien (jedenfalls bei Verträgen mit Auslandsberührung) grundsätzlich abdingbar, wird gerade durch die Existenz des Art. 11 Rom I-VO widerlegt. Diese Vorschrift will die Anwendung von Formvorschriften nicht grundsätzlich ausschließen, sondern detailliert regeln: Sollen alle Vertragserfordernisse eines Vertrages oder eines Teils des Vertrages durch Rechtswahl abbedungen werden, so schließt dies auch die Formerfordernisse des ausgeschlossenen Rechts ein. Was Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO unter „Teil eines Vertrages“ versteht, regelt die Rom I-VO nicht. Jedenfalls muss es sich um einen abspaltbaren Teil des Vertrages handeln (s. Rz. 5.226).

5.205

Es geht aber immer um den Vertrag (oder einen Teil desselben), nicht um den Teil einer gewählten oder abgewählten Rechtsordnung. Art. 11 Rom I-VO bedeutet keinesfalls eine grundsätzliche Negierung von Erfordernissen, wenn diese als „Formerfordernisse“ bezeichnet werden. Vielmehr lässt diese Bestimmung eines von mehreren Formerfordernissen genügen. Anstelle des Erfordernisses des einen Rechts kann die Erfüllung des Erfordernisses des anderen Rechts genügen, unter den Voraussetzungen des Art. 11 Rom I-VO.

1 Schulze in Ferrari, IntVertragsR, Art. 11 Rom I-VO Rz. 8; eingehend zur unionsautonomen Auslegung der ROM I-VO Martiny in MünchKomm, Vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 24 ff. 2 Schulze in Ferrari, IntVertragsR, Art. 11 Rom I-VO Rz. 6.

396 | Reitmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.211 § 5

2. Beurkundung als Formerfordernis Das Erfordernis der notariellen Beurkundung (vgl. § 128 BGB) verlangt das materielle Recht für einzelne Vertragstypen, z.B. für den schuldrechtlichen Vertrag, der zur Übertragung eines Grundstücks (§ 311b Abs. 1 S. 1 BGB) oder eines GmbH-Geschäftsanteils (§ 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG) verpflichtet, indem es „notarielle Beurkundung“ (§ 311b Abs. 1 S. 1 BGB) oder „notarielle Form“ (§ 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG) verlangt1. Den Inhalt dieser „Form“ bestimmt das BGB nicht selbst (auch nicht in § 128 BGB), sondern nimmt auf das Beurkundungsgesetz Bezug.

5.206

In diesen Bestimmungen ist die materiell-rechtliche Wirkung der Beurkundung geregelt. Dem Verfahren der Beurkundung kommt darüber hinaus auch beweisrechtliche Bedeutung zu: Die im Verfahren der Beurkundung erstellte Urkunde erbringt nach § 415 ZPO „vollen Beweis“ über Abschluss und Inhalt des beurkundeten Vertrages.

5.207

Den Begriff der „Beurkundung“ enthielten schon die Landesgesetze und dem folgend das Reichsrecht (FGG von 1879) und meinten damit das Verfahren der Niederlegung von wahrgenommenen Tatsachen in einem Protokoll (§§ 168 ff. FGG).

5.208

Die Durchführung dieses Verfahrens blieb bis Ende 1969 (teilweise) landesrechtlich geregelt. Das Beurkundungsgesetz brachte eine bundesweite Verfahrensregelung, folgte aber der bisherigen Unterscheidung darin, dass es das Verfahren der Beurkundung von „Willenserklärungen“ (im 2. Abschnitt des Gesetzes) getrennt von der Beurkundung „anderer Erklärungen als Willenserklärungen“ und „sonstiger Tatsachen oder Vorgänge“ im 3. Abschnitt regelte.

5.209

In beiden Fällen wird eine „Niederschrift“ über den wahrgenommenen Vorgang von der Urkundsperson aufgenommen. Handelt es sich um Willenserklärungen, ist eine „Verhandlung“ vorgeschrieben und muss eine „Niederschrift über die Verhandlung“ aufgenommen werden (§ 8 BeurkG).

5.210

Durch das Gesetz der Bundesregierung zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie2 (DiRUG)3 wird mit Wirkung zum 1.8.2022 erstmals eine notarielle Distanzbeurkundung von Willenserklärungen in das deutsche Recht eingeführt (sog. „Beurkundung mittels Videokommunikation“). Dafür wird der neu geschaffene Unterabschnitt 3 in den die Beurkundung von Willenserklärungen regelnden Abschnitt 2 des BeurkG eingefügt. Zentrale Norm ist § 16b BeurkG n.F., der die originär „elektronische Niederschrift“ einführt und dabei in Abs. 1 S. 2 die subsidiäre Anwendbarkeit der Vorschriften über die (papiergebundene) Niederschrift

5.211

1 Oder auch „notariell aufgenommen“ in § 55 Abs. 1 GmbHG. Diese Bestimmung verlangt, dass die Übernahmeerklärung bei der Kapitalerhöhung einer GmbH „notariell aufgenommen“ ist, lässt aber auch die „notariell beglaubigte Erklärung“ genügen. Dies ist einer der wenigen Fälle, in denen Beglaubigung statt Beurkundung im Vertragsrecht genügt. 2 Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht, ABl. EU 2019 Nr. L 186, S. 80. 3 BGBl. 2021 I, 3338. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG-RegE) ist abgedruckt unter BT-Drucks. 19/28177. Der DiRUG-RegE wurde am 10.6.2021 mit nur geringfügigen Änderungen vom Deutschen Bundestag verabschiedet (vgl. Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 19/30523). Nachdem der Bundesrat am 25.6.2021 beschlossen hatte, von der Anrufung des Vermittlungsausschusses abzusehen (vgl. BRDrucks. 524/21 (Beschluss)), konnte das Gesetz am 13.8.2021 im Bundesgesetzblatt verkündet werden.

Reithmann/Stelmaszczyk | 397

§ 5 Rz. 5.211 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

anordnet. Der Gesetzgeber hat sich damit bewusst für die Beibehaltung der bewährten Grundsätze des notariellen (Präsenz-) Beurkundungsverfahrens entschieden und überführt diese in den §§ 16a bis 16e BeurkG n.F. funktionsäquivalent in die digitale Welt1.

5.212

Zur Anwendung kommt das Online-Verfahren nach § 2 Abs. 3 S. 1 GmbHG n.F. i.V.m. § 16a Abs. 1 BeurkG n.F. allerdings nur bei der Beurkundung des Gesellschaftsvertrags zur Gründung einer GmbH und einer UG (haftungsbeschränkt) sowie bei im Rahmen der Gründung der Gesellschaft gefassten Gesellschafterbeschlüssen (wie z.B. Beschlüsse zur Bestellung der ersten Geschäftsführer). Dass das Online-Verfahren auch verfahrensrechtlich nach § 16a Abs. 1 BeurkG n.F. nur bei Gründungsverfahren nach § 2 Abs. 3 S. 1 GmbHG n.F. zulässig ist, unterstreicht die bewusste Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine allgemeine Öffnung des Online-Verfahrens für alle notariellen Verfahren2. Angesichts divergierender Zwecke der notariellen Form, die in anderen Rechtsgebieten, wie z.B. dem Erb-, Familien- und Immobilienrecht, durch ein Online-Verfahren nicht in gleichem Maße gewährleistet werden könnten, ist diese Entscheidung sachgerecht3.

3. Verhandlung 5.213

Im Laufe der Rechtsentwicklung wird immer deutlicher, dass es bei der Beurkundung als Formerfordernis nicht nur um die Speicherung eines Vorgangs geht (Beweisfunktion). Ist der wahrgenommene Vorgang eine Willenserklärung, so kommt es nicht nur auf die Äußerung der Erklärung an, sondern auch darauf, dass diese Erklärung mit rechtsgeschäftlichem Willen geäußert wurde. Dies verlangt der in § 8 BeurkG genannte Begriff der „Verhandlung“.

5.214

Zur Mitwirkung der Notarin oder des Notars4 in der Verhandlung gehört zunächst, (im Regelfall) die mündlich geäußerte Erklärung in den schriftlichen Ausdruck umzuwandeln. Die mündliche Verhandlung birgt Unsicherheiten, die Schriftsprache andererseits hat den Nachteil, dass sie den wirklichen Willen verdecken oder verfälschen kann5. Das Beurkundungsverfahren zielt darauf, die Vorzüge der mündlichen und der schriftlichen Äußerung zu verbinden und die Nachteile beider zu vermeiden. Damit soll eine Diskrepanz zwischen dem Willen des Erklärenden und seiner Erklärung vermieden werden.

5.215

Darüber hinaus geht es darum, ob die mit der Erklärung erstrebte Rechtsfolge eintritt. Das Beurkundungsgesetz bringt dies dadurch zum Ausdruck, dass es den Notar gem. § 17 BeurkG dazu verpflichtet, „den Willen der Beteiligten zu erforschen und ... die Beteiligten über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren“ (Beratungs- und Belehrungsfunktion). Dies gilt bei der Beurkundung von Willenserklärungen (§ 8 BeurkG) sowohl für Verträge, die Verpflichtungen unter den Vertragsteilen begründen (Verpflichtungsverträge; dazu Rz. 5.219 ff.) wie für Verträge, die auf die unmittelbare Zurechnung eines Rechts gehen (Verfügungsverträge; Rz. 5.270 ff.). 1 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 112 ff.; dazu Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849 Rz. 37 sowie Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (766). 2 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 113. 3 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 113; zust. Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (766); ausführlich zum Anwendungsbereich des neuen Online-Verfahrens Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849 Rz. 12 ff. 4 Sofern nachfolgend von „Notar“ oder „Notaren“ gesprochen wird, sind damit gleichermaßen die weiblichen Urkundspersonen sowie solche des dritten Geschlechts gemeint. 5 Im Einzelnen Reithmann/Albrecht, Handbuch der notariellen Vertragsgestaltung, 8. Aufl. 2001, Rz. 2 ff.

398 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.220 § 5

Wie die Belehrung im Einzelnen zu erfolgen hat, welche Rechtsfolgen eintreten (oder nicht eintreten), muss dem Einzelfall überlassen bleiben. Beurkundung verlangt aber stets ein Verfahren, das dem Erklärenden Gelegenheit gibt, Fragen zu stellen und der Urkundsperson Gelegenheit bietet, diese zu beantworten; dies ist in § 8 BeurkG als „Verhandlung“ bezeichnet1.

5.216

Dieses im Laufe der Rechtsentwicklung geprägte Verständnis der Beurkundung als „Verhandlung“ wird mit der Einführung der Online-Beurkundung von Willenserklärungen durch das DiRUG ausdrücklich bestätigt und zugleich in das digitale Zeitalter überführt. Denn die Online-Beurkundung der GmbH-Gründung ist gem. § 16a Abs. 1 BeurkG n.F. ausschließlich über das von der Bundesnotarkammer betriebene Videokommunikationssystem zulässig, dessen wichtigste Eigenschaft die Ermöglichung einer sicheren Videokommunikation zwischen dem Notar und den Beteiligten ist (§ 78p Abs. 2 Nr. 1 BnotO n.F.)2.

5.217

Allein mithilfe der Videokommunikation lassen sich, so die Gesetzesbegründung, „die Formzwecke der Beurkundungspflicht auch in einem digitalen Beurkundungsverfahren ohne körperliche Anwesenheit der Beteiligten weitgehend funktionsäquivalent abbilden“3. Und weiter heißt es in der Begründung: „[A]uch zur Durchführung der Verlesung der Niederschrift (§ 13 BeurkG) und der damit untrennbar verbundenen persönlichen Beratung und Belehrung der Beteiligten durch die Notarin oder den Notar sind andere Formen der Fernkommunikation nicht gleichermaßen geeignet. Entsprechendes gilt für die sorgfältige Erforschung des Willens der Beteiligten und die umfassende Ermittlung des der Beurkundung zugrundeliegenden Sachverhalts (§ 17 Abs. 1 BeurkG), die notwendige Voraussetzung einer interessengerechten Umsetzung des Willens der Beteiligten in der notariellen Urkunde sind.“4

5.218

II. Verpflichtungsverträge 1. Grundsatz Bei der Rechtsberatung über Verträge mit Auslandsberührung ist zu bedenken, ob Formvorschriften beachtet werden müssen. Nach weit über Europa hinausgehender Rechtstradition wird einerseits auf das Recht, dem der Vertrag unterliegt (Schuldstatut), abgestellt, andererseits auf das Recht des Ortes, an dem der Vertrag geschlossen wird (lex loci actus).

5.219

In Bezug auf Verpflichtungsverträge ist dieser Grundsatz für den deutschen Richter (und ebenso für die Richter der Mitgliedstaaten der Rom I-VO) als bindendes Recht der Rom I-VO konkretisiert. Auszugehen ist zunächst vom Schuldstatut, das durch Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO), oder mangels einer Rechtswahl nach Art. 4 ff. Rom I-VO, bestimmt wird.

5.220

1 Die über die Verhandlung aufgenommene Niederschrift bezeugt, dass eine Verhandlung stattfand, nicht aber notwendig den Gang der Verhandlung im Einzelnen. 2 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 115 f.; dazu Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849 Rz. 40; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (769). 3 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 113; zust. Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (769); weitergehend zum Videokommunikationssystem Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849 Rz. 38 ff. 4 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 115.

Reithmann/Stelmaszczyk | 399

§ 5 Rz. 5.221 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

2. Form des Schuldstatuts a) Bestimmung durch Rechtswahl

5.221

Das Schuldstatut kann bei schuldrechtlichen Verträgen durch Rechtswahl bestimmt werden. Eine Rechtswahl ist unverzichtbar bei Unternehmensverträgen, die oft Verpflichtungen der unterschiedlichsten Art begründen, für die ohne Rechtswahl unterschiedliches Schuldstatut gelten könnte mit unterschiedlichen Formerfordernissen. Darüber hinaus wird die Rechtswahl oft eingesetzt, um Formvorschriften zu vermeiden.

5.222

Neben Sonderregelungen bei einzelnen Vertragstypen (Art. 5 ff. Rom I-VO) setzt Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO der freien Rechtswahl Grenzen: „Sind alle anderen Elemente des Sachverhalts zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem anderen als demjenigen Staat belegen, dessen Recht gewählt wurde, so berührt die Rechtswahl der Parteien nicht die Anwendung derjenigen Bestimmungen des Rechts dieses anderen Staates, von denen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann“. Dies entspricht dem früheren Art. 27 Abs. 3 EGBGB a.F.1.

5.223

Fraglich kann allerdings sein, was unter „alle anderen Elemente“ zu verstehen ist. Für reine Inlandsverträge ist Rechtswahl jedenfalls nicht möglich.

5.224

Bei Verträgen mit Auslandsberührung wird häufig eine Rechtswahlvereinbarung mit dem Zusatz „unter Ausschluss des internationalen Privatrechts“ eingefügt. Zwar ist die Befürchtung, dass eine Rück- oder Weiterverweisung zu unübersichtlichen Folgen führen könnte, unbegründet. Der deutsche Richter hat den Vertrag nach dem gewählten Sachrecht zu entscheiden; Gleiches gilt für Richter anderer Mitgliedstaaten der Rom I-VO. Aber auch, wenn der Vertrag zur Entscheidung außerhalb der Mitgliedstaaten kommt, wird in aller Regel aufgrund weithin geltender (geschriebener und ungeschriebener) kollisionsrechtlicher Grundsätze nichts anderes gelten2. b) Teilrechtswahl

5.225

Die Rechtswahl kann „für den ganzen Vertrag oder für einen Teil desselben“ (Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO) getroffen werden. Es geht um die Wahl einer Rechtsordnung für das Schuldstatut, die ihre Formvorschriften auf den Vertrag (oder einen Teil des Vertrages) zur Geltung bringt. Dies kann praktisch dazu führen, Teile des Vertrages vom Formerfordernis zu befreien.

5.226

Voraussetzung ist aber, dass dieser Teil abspaltbar ist. Art. 11 Rom I-VO definiert den Begriff „Teil des Vertrages“ nicht. Ob ein abspaltbarer „Teil des Vertrages“ vorliegt, ist durch verordnungsautonome Auslegung zu ermitteln. Nach einer verbreiteten Formel zu Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO dürfen einzelne Teile oder bestimmte Fragen eines Vertrags verschiedenen Rechtsordnungen unterworfen werden, wenn sie sich in einer Weise miteinander verbinden 1 Art. 27 Abs. 3 EGBGB a.F. sah vor: „Ist der sonstige Sachverhalt im Zeitpunkt der Rechtswahl nur mit einem Staat verbunden, so kann die Wahl des Rechts eines anderen Staates – auch wenn sie durch die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Gerichts eines anderen Staates ergänzt ist – die Bestimmungen nicht berühren, von denen nach dem Recht dieses Staates durch Vertrag nicht abgewichen werden kann (zwingende Bestimmungen)“. 2 Die Tatsache, dass „mittlerweile die Mehrzahl von Verträgen mit internationalen Bezügen solche Klauseln (auch in Formularbüchern) enthalten“, bringt wohl mehr eine allgemeine kritische Tendenz dem Kollisionsrecht gegenüber zum Ausdruck, Mallmann, NJW 2008, 2953.

400 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.229 § 5

lassen, dass keine widersprüchlichen Ergebnisse eintreten1. Einzelheiten sind gleichwohl ungeklärt2. Da es bei der Teilrechtswahl des Schuldstatus im Hinblick auf Art. 11 Rom I-VO in der Sache darum geht, durch die Wahl einer bestimmten Rechtsordnung deren Formvorschriften auf einzelne Teile oder bestimmte Fragen eines Vertrags zur Anwendung zu bringen, dürften vor allem die Parteiautonomie, aber auch die Rechtssicherheit und Voraussehbarkeit3 für die Beurteilung der Abspaltbarkeit maßgeblich sein. Schuldrechtliche Verträge umfassen vertraglich übernommene Verpflichtungen oft sehr unterschiedlicher Art, sowohl zwischen den Vertragsparteien untereinander als auch gegenüber Außenstehenden. Häufig sind neben Verpflichtungen im gleichen Vertragswerk auch Verfügungsgeschäfte enthalten. Diese sind zwar mit Verpflichtungen oft kausal verbunden, sind aber (nach dem im deutschen Recht geltenden Trennungs- und Abstraktionsprinzip) trennbar. Auch Verpflichtungsgeschäfte untereinander bilden nicht stets eine untrennbare Einheit. Dies ist nur dann der Fall, wenn sie nach dem Willen der Vertragsteile miteinander „stehen und fallen“ sollen4. Zwar kann diese von der deutschen Rechtsprechung5 entwickelte Formel zur Bestimmung des Umfangs der Beurkundungspflicht aufgrund der verordnungsautonomen Auslegung nicht unbesehen auf die Möglichkeit einer Teilrechtswahl im Hinblick auf Art. 11 Rom I-VO übertragen werden. Doch dürfte bei einer solchen Verknüpfungsabrede der maßgebliche Parteiwille in aller Regel auf ein einheitliches Schuldstatut und die durch dieses Schuldstatut bestimmte Form des Rechtsgeschäfts gerichtet sein, was der Annahme einer Teilrechtswahl entgegensteht.

5.227

Praktisch wird dies im Falle des Kaufs eines Unternehmens. Handelt es sich um den Erwerb eines Unternehmens, das in der Form der GmbH & Co. KG errichtet ist, so soll in aller Regel mit dem Anteil an der Kommanditgesellschaft auch der Geschäftsanteil an der (persönlich haftenden) GmbH erworben werden. Es kann dann grds. nicht davon ausgegangen werden, dass die Parteien für die Verpflichtung zur Übertragung des GmbH-Geschäftsanteils ein anderes Schuldstatut vereinbaren wollten als für die Verpflichtung zur Übertragung des Kommanditanteils. Wegen der erstgenannten Verpflichtung unterliegt der ganze Verpflichtungsvertrag bei deutschem Schuldstatut der Beurkundungspflicht nach § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG. Enthält das anzuwendende Schuldstatut eine Nichtigkeitssanktion (wegen Nichterfüllung des Formerfordernisses), so ist diese Sanktion auf alle in dem Vertrag vereinbarten Verpflichtungen anzuwenden.

5.228

Verfügungsgeschäfte bilden mit dem Verpflichtungsgeschäft (und auch untereinander) i.d.R. keine rechtliche Einheit; jedoch kann dies vereinbart werden etwa durch Einfügung einer Bedingung, welche die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäfts vom Verpflichtungsgeschäft

5.229

1 Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-VO Rz. 69 m.w.N. 2 Vgl. Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-VO Rz. 70; Wendland in BeckOGK, 1.6.2021, Art. 3 Rom I-VO Rz. 198; Kropholler, IPR § 52 II 3b. 3 Martiny in MünchKomm, Vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 28. 4 So bildet in einem Grundstückskaufvertrag die Verpflichtung, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen, mit der Verpflichtung, den Kaufpreis zu bezahlen, eine untrennbare Einheit, nicht aber immer ein in der gleichen Urkunde niedergelegter Mietvertrag. Im Einzelnen Reitmann/Albrecht, Handbuch der notariellen Vertragsgestaltung, 8. Aufl. 2001, Rz. 81 ff. 5 BGH v. 6.12.1979 – VII ZR 313/78, BGHZ 76, 43 (49) = NJW 1980, 829; BGH v. 6.11.1980 – VII ZR 12/80, BGHZ 78, 348 = NJW 1981, 274; BGH v. 11.11.1983 – V ZR 211/82, BGHZ 89, 41 = NJW 1984, 973; BGH v. 22.7.2010 – VII ZR 246/08, BGHZ 186, 345 = DNotZ 2011, 196; vgl. Grziwotz in Erman, § 311b BGB Rz. 51 ff.; Ruhwinkel in MünchKomm, § 311b BGB Rz. 55 f.

Reithmann/Stelmaszczyk | 401

§ 5 Rz. 5.229 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

abhängig macht. Hinsichtlich der Übertragung des Eigentums an einem Grundstück ist dies ausgeschlossen; die Auflassung unter Bedingung wäre unwirksam (§ 925 Abs. 2 BGB).

5.230

Die Rechtswahl auf Formvorschriften dergestalt zu beschränken, dass die Parteien isoliert für die Form ein Recht wählen, das von dem durch das Schuldstatut bestimmten Formstatut abweicht, wurde von der Rechtsprechung abgelehnt1. Eine gespaltene Rechtswahl für die Form des Vertrages einerseits und für seinen Inhalt und seine Durchführung andererseits würde nach Auffassung des BGH der natürlichen Betrachtungsweise widersprechen2. Tatsächlich wird man bei einer stillschweigenden Rechtswahl kaum annehmen können, dass die Parteien eine vom Schuldstatut abweichende, isolierte Wahl des Formstatuts wollen3. Gleiches gilt erst recht, wenn die Partien das Schuldstatut durch ausdrückliche Rechtswahl bestimmen. Gegen eine direkte, von den Möglichkeiten des Art. 11 Rom I-VO unabhängige Wahl des Formstatuts sprechen aber auch systematische und teleologische Erwägungen. Art. 11 Rom I-VO ermöglicht bereits die Anwendung zweier verschiedener Formstatute, so dass die gesonderte Rechtswahl eines dritten Formstatuts im Rahmen von Art. 11 Rom I-VO abzulehnen ist. Zudem steht der Gedanke der Einheit des Rechtsgeschäfts einer Trennung von Form und Inhalt, die über die von Art. 11 Rom I-VO ausdrücklich zugelassene Trennung hinausgeht, entgegen4. Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO lässt die Trennung von Wirkungsstatut und Formstatut lediglich als gesetzliche Folge der tatsächlichen Vornahme des Rechtsgeschäfts an einem bestimmten Ort zu; darüber hinaus ist die Vereinbarung eines gesonderten Formstatuts unwirksam. Sie kann auch nicht mit der Zulässigkeit einer Teilrechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO begründet werden5.

5.231

Der BGH6 hat trotz Vereinbarung italienischen Schuldstatuts deutsches Formrecht angewendet (und kam damit zur Unwirksamkeit des Vertrags). Im vom BGH entschiedenen Fall wurde auf einen privatschriftlichen Vorvertrag zwar italienisches Ortsrecht (das keine Beurkundung verlangt) angewendet, aber in der Klausel „Für die in dieser Bestellung übernommenen Verpflichtungen gilt deutsches Recht“ die Abwahl des Ortsstatuts gesehen7.

1 BGH v. 4.11.2004 – III ZR 172/03, ZIP 2004, 2324 = GmbHR 2005, 53 m. Anm. Kleinert = DNotZ 2005, 306 (308); BGH v. 4.7.1969 – V ZR 69/66, BGHZ 52, 239 = NJW 1969, 1760 (Anm. Samtleben, NJW 1970, 378): Der BGH ließ die Frage, ob die Parteien, auch wenn sie ihre Rechtsbeziehung allgemein dem deutschen Recht unterwerfen, die Form abbedingen können, allerdings im Ergebnis mangels Entscheidungserheblichkeit offen; vgl. auch BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69, BGHZ 57, 337 = NJW 1972, 385 (Anm. Jayme, NJW 1972, 1618); LG Aurich v. 11.7.1993 – 2 G 751/70, IPRspr. 1973 Nr. 10; OLG Hamm v. 13.11.1995 – 22 U 170/94, DNotI-Report 1996, 55. 2 BGH v. 4.11.2004 – III ZR 172/03, ZIP 2004, 2324 = GmbHR 2005, 53 m. Anm. Kleinert = DNotZ 2005, 306 (308). 3 Vgl. Martiny in MünchKomm, Art. 3 Rom I-VO Rz. 75; Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 78. 4 Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 208 und Art. 11 Rom I-VO Rz. 101. 5 Ebenso Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art 11 Rom I Rz. 101; a.A. Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 77; Gebauer in BeckOGK, 1.6.2021, Art. 11 Rom I-VO Rz. 116 f. 6 BGH v. 3.12.1971 – V ZR 126/69, BGHZ 57, 337 = NJW 1972, 385 (Costruzione Lago Maggiore). 7 Dazu mit Recht kritisch Jayme, NJW 1972, 1618; Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art 11 Rom I Rz. 105; Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 78 ff. BGH v. 4.7.1969 – V ZR 69/66, BGHZ 52, 239 (242) = NJW 1969, 1760 lässt diese Frage offen, weil eine entsprechende Vereinbarung nicht behauptet war (krit. Anm. von Wengler, NJW 1969, 2337 und Samtleben, NJW 1970, 378).

402 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.238 § 5

Dem Bestreben, inländische Formvorschriften durch Teilrechtswahl zu umgehen, setzt jedenfalls bei reinen Binnensachverhalten Art. 3 Abs. 3 Rom I-VO Grenzen. Die beratende Praxis vermeidet diese Frage und sucht andere Wege.

5.232

Wird die Rechtswahl aus Gründen der Übersichtlichkeit einheitlich auf schweizerisches Recht getroffen (gerade wenn Gesellschaftsbeteiligungen oder Grundstücke in mehreren Ländern betroffen sind), so kommt auf die Verpflichtung zur Übertragung der Geschäftsanteile (auch an einer deutschen GmbH) Schweizer Recht zur Anwendung, anders auf das Verfügungsgeschäft (s. Rz. 5.270 f.).

5.233

c) Nichtigkeit als Folge der Rechtswahl Die Wahl des Schuldstatuts kann auch zu Rechtsfolgen führen, die von den Vertragsparteien nicht beabsichtigt sind. Als allseitige Kollisionsnorm verlangt Art. 11 Rom I-VO (wenn nicht der Form der lex loci actus genügt ist) die Anwendung der Formvorschrift des Schuldstatuts auf Schuldverträge, gleich ob das Objekt der schuldvertraglichen Verpflichtung sich im Inland oder im Ausland befindet.

5.234

Das gewählte (aber auch das ohne Rechtswahl nach Art. 4 ff. Rom I-VO anwendbare) Schuldstatut bringt auch dessen Formvorschriften zur Anwendung. Die Formvorschrift des § 311b Abs. 1 S. 1 BGB z.B. gilt für Grundstücke, wo auch immer belegen, ebenso die Vorschrift des § 311b Abs. 3 BGB für die Verpflichtung, „sein gegenwärtiges Vermögen oder einen Bruchteil seines gegenwärtigen Vermögens zu übertragen“ ohne Rücksicht darauf, wo dieses Vermögen belegen ist. So kann die Verpflichtung zur Verschmelzung oder zur Umwandlung nach dieser Vorschrift beurkundungspflichtig sein, wenn deutsches Schuldstatut vereinbart ist1.

5.235

In der deutschen Rechtsprechung geht es um die Anwendung des § 311b Abs. 1 S. 1 BGB auf Verträge über ausländische Grundstücke. Ist deutsches Schuldstatut vereinbart, die vorgeschriebene Form aber nicht eingehalten, so kann diese Vereinbarung (wenn der Vertrag im Inland geschlossen wurde) zur Nichtigkeit des Vertrages nach § 125 S. 1 BGB führen. Dies hat der BGH2 hinsichtlich von Grundstücken in Spanien, Italien und den Niederlanden mehrmals entschieden, ebenso das OLG Düsseldorf und das OLG München3.

5.236

Zu bedenken ist dabei auch, dass durch die Wahl des deutschen Schuldstatuts zugleich die Sicherung von Leistung und Gegenleistung erreicht werden soll. Bei Tauschverträgen kann es z.B. darum gehen, den lastenfreien Eigentumsübergang nicht nur am inländischen, sondern auch am eingetauschten ausländischen Grundstück zu sichern.

5.237

Anders ist es aber wohl bei umfangreichen Vertragswerken, die (trotz zahlreicher Auslandsbeziehungen) deshalb dem inländischen Schuldstatut unterstellt werden, weil die Rechtsfolgen nach ausländischen Rechtsordnungen in der Eile der Schlussverhandlungen nicht in allen Einzelheiten übersehen werden können. Wenn dabei eine Beteiligung an einer ausländischen Ge-

5.238

1 Dies alles kann nur für das Verpflichtungsgeschäft gelten. Das Verfügungsgeschäft ist jedenfalls für jede einzelne Gesellschaft nach deren Gesellschaftsstatut zu beurteilen (s. Rz. 5.294). 2 BGH v. 4.7.1969 – V ZR 69/66, BGHZ 52, 239 = NJW 1969, 1760 (Spanien); BGH v. 22.12.1971 – V ZR 130/68, NJW 1972, 715 (Italien); BGH v. 6.2.1970 – V ZR 158/66, BGHZ 53, 189 = NJW 1970, 999 (Niederlande). 3 Für Eigentumswohnungen OLG Düsseldorf v. 14.8.1980 – 23 U 205/79, NJW 1981, 529 (Spanien); OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, IPRax 1990, 320 (Spanien).

Reithmann/Stelmaszczyk | 403

§ 5 Rz. 5.238 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

sellschaft1 oder ein ausländisches Betriebsgrundstück eine nur untergeordnete Rolle spielt, wird manchmal erwartet, dass schon durch den Eigentumsübergang im Ausland eventuelle Schwierigkeiten behoben werden. Wenn sich aber ein Vertragsteil vor Eintritt der Heilung vom Vertrag lösen will, muss der Vertrag nach kollisionsrechtlichen Grundsätzen (wenigstens vom deutschen Richter) für nichtig erklärt werden.

3. Form des Ortes (lex loci actus) a) Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO

5.239

Entsprechend der rechtshistorischen Entwicklung und mit Rücksicht auf zahlreiche fremde Rechtsordnungen mit ähnlichen Bestimmungen gelten Formerfordernisse des Schuldstatuts bei Auslandsberührung oft nicht: Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO erklärt den Vertrag für „formgültig“, wenn er „die Formerfordernisse des Rechts des Staates, in dem er geschlossen wird, erfüllt“; es genügt neben der Form des Schuldstatuts bei Verträgen zwischen Personen, die sich „zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses in demselben Staat befinden“, die Form des Abschlussortes.

5.240

Mit Berufung darauf werden Formvorschriften für schuldrechtliche Verpflichtungsverträge durch den „Gang in das Ausland“ umgangen. Allerdings tritt damit nicht Formfreiheit ein. Vielmehr sind die Formvorschriften der ausländischen lex loci actus anzuwenden. Der Gang in das Ausland wird zumeist mit der Einsparung von Beurkundungskosten begründet, aber auch damit, dass die im Beurkundungsverfahren in Deutschland vorgeschriebene Vorlesung oft erhebliche Zeit in Anspruch nimmt. Bei umfangreichen Vertragswerken mit zahlreichen „Anlagen“ könne der inländische Notar das Vorlesungserfordernis der §§ 13 ff. BeurkG nur schwer einhalten.

5.241

Ist nach Art. 11 Rom I-VO die Form der lex loci actus kollisionsrechtlich ausreichend, so erübrigt sich zu fragen, ob diese Form „gleichwertig“ der nach deutschem Recht vorgeschriebenen Form ist. So kann sogar Schriftlichkeit genügen, obwohl das inländische Recht Beurkundung vorschreibt.

5.242

Jedoch gilt dies nur für Verpflichtungsgeschäfte, nicht für Verfügungsgeschäfte (s. dazu Rz. 5.270 ff.). So unterliegt die Form der Verfügung über GmbH-Geschäftsanteile nach § 15 Abs. 3 GmbHG dem autonomen Kollisionsrecht. Art. 11 Rom I-VO ist nach ganz herrschender Auffassung auf die Anteilsübertragung nicht anwendbar2. Zwar ist die Begründung nicht ganz einheitlich: Teilweise wird darauf verwiesen, dass die Rom I-VO grundsätzlich keine Verfügungsgeschäfte erfasse (vgl. Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO)3. Teilweise wird angenommen, dass

1 Handelt es sich um die Beteiligung an einer ausländischen Gesellschaft, so ist allerdings fraglich, ob der Verpflichtungsvertrag über diese Beteiligung unter § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG fällt. Während § 311b Abs. 1 S. 1 BGB Grundstücke in aller Welt ohne Rücksicht auf ihre Belegenheit umfasst, ist § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG nur mit Einschränkung anzuwenden (auf Geschäftsanteile an „ähnlichen Gesellschaften“). 2 Gebauer in BeckOGK, 1.6.2021, Art. 11 Rom I-VO Rz. 34 ff., 40; Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 11; Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 1 Rom I-VO Rz. 20; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I-VO Rz. 226; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 536 ff.; 592 ff.; Servatius in Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 22a; Süß, DNotZ 2011, 414 (415 in Fn. 4); vgl. auch Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art 11 Rom I Rz. 138. 3 Süß, DNotZ 2011, 414 (415 in Fn. 4); vgl. auch Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art 11 Rom I Rz. 138.

404 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.247 § 5

sich der Ausschluss des Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO für das Gesellschaftsrecht auch auf Verfügungsgeschäfte über GmbH-Geschäftsanteile erstrecke1. Ferner wird dieses Ergebnis auf eine teleologische Auslegung der Art. 11 und Art. 14 Rom I-VO gestützt2. Einigkeit besteht jedenfalls darin, dass Anteilsübertragungen aus dem Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen sind. Voraussetzung für die Anwendung der lex loci actus auf das Verpflichtungsgeschäft ist, dass die in Frage kommende Rechtsordnung das genannte Rechtsgeschäft kennt; andernfalls spricht man von Formenleere3.

5.243

b) Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO (Distanzverträge) Bei „Verträgen zwischen Personen ..., die oder deren Vertreter zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses (sich) in verschiedenen Staaten befinden“ wird, um Schwierigkeiten einer Bestimmung des Abschlussortes zu vermeiden, darauf abgestellt, wo sich die Vertragsteile (und zwar jeder Einzelne von ihnen) „befinden“ (also auf den schlichten Aufenthalt), alternativ auf den gewöhnlichen Aufenthalt. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in Art. 19 Rom I-VO definiert. In Frage kommt somit das Recht aller Staaten, in denen eine der Vertragsparteien (oder deren Vertreter) ihren gewöhnlichen oder auch ihren schlichten Aufenthalt (zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses) hat. Es kommen danach als leges loci actus mindestens so viele Rechte in Frage als Vertragspartner am Distanzvertrag beteiligt sind. Wenn nur der Formvorschrift eines der in Frage kommenden Staaten genügt ist, gilt der Vertrag als formgültig. Damit ist die Durchsetzung von Formvorschriften bei Distanzverträgen sehr eingeschränkt, und auch der Schutz eines minder erfahrenen Vertragspartners ausgehebelt.

5.244

- Vertragsparteien Art. 11 Rom I-VO stellt dabei ab auf Personen, zwischen denen ein Vertrag geschlossen wird und nennt sie „Vertragsparteien“. „Vertragspartei“ ist, wer mit Rechtsfolgewillen eine rechtsgeschäftliche Erklärung abgibt, gleich ob er damit eine Verpflichtung eingeht oder die Verpflichtung eines anderen entgegennimmt.

5.245

Wo das Sachrecht die Einhaltung von Formvorschriften verlangt, stellt es auf den Gegenstand der eingegangenen Verpflichtung ab, so in § 311b Abs. 1 S. 1 BGB auf die Verpflichtung, „das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben“, in § 518 Abs. 1 S. 1 BGB darauf, ob eine „Leistung schenkungsweise versprochen wird“, in § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG „auf die Verpflichtung eines Gesellschafters zur Abtretung eines Geschäftsanteils“.

5.246

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Verpflichtungserklärung im eigenen oder in fremdem Namen abgegeben wird. Art. 11 Abs. 1 und 2 Rom I-VO4 stellen alternativ sowohl auf den Geschäftsherrn als auch auf den Vertreter ab, sowohl auf den Aufenthalt des Vertretenen als auch auf den Aufenthalt des Vertreters. Die Alternativanknüpfung ist damit (anders die frühere Regelung des EGBGB) erweitert.

5.247

1 Kieninger in Ferrari, IntVertragsR, Art. 1 Rom I-VO Rz. 20; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 226; Servatius in Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 22a. 2 Gebauer in BeckOGK, 1.6.2021, Art. 11 Rom I-VO Rz. 36 ff., 40. 3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 150. 4 Nach Art. 11 Abs. 3 EGBGB dagegen bleibt der Aufenthaltsort des Vertretenen außer Betracht. Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 165; Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 149; Stürner in Erman, Art. 11 EGBGB Rz. 31.

Reithmann/Stelmaszczyk | 405

§ 5 Rz. 5.248 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.248

Es ist aber nicht jeder, der ein Vertragswerk unterschrieben hat, als „Vertragspartei“ unter Art. 11 Rom I-VO zu fassen. Ein in einer einheitlichen Urkunde niedergelegtes Vertragswerk enthält neben vertraglichen Regelungen oft auch Bestimmungen anderer Art, z.B. Eintragungsbewilligungen zum Grundbuch oder Anmeldungen zum Handelsregister, dazu vollstreckungsrechtliche Rechtsgeschäfte (z.B. Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung), aber auch Erklärungen tatsächlicher Art. Als Vertragspartei i.S.d. Art. 11 Rom I-VO können nur solche Personen gelten, die an der Begründung oder Änderung schuldrechtlicher Verpflichtungen mitwirken. - „Favor negotii“

5.249

Vertragspartei ist nicht nur derjenige, der eine Verpflichtung eingeht, sondern auch derjenige, welcher sie entgegennimmt. Wo das Sachrecht Formbedürftigkeit nicht nur für eine Verpflichtung, sondern für den „Vertrag“ anordnet, geht es nicht nur um den Schutz dessen, der eine Verpflichtung eingeht (favor gerentis), sondern auch um den Schutz desjenigen, der eine Verpflichtung entgegennimmt. Beide Vertragsteile sollen sich „problemlos über die Voraussetzungen und die Folgen des Vertrags informieren können“1. Dies (favor negotii) wird als eine (ungeschriebene) allgemeine Regel des Kollisionsrechts angesehen.

5.250

Bedenken dagegen können bestehen bei Formvorschriften, die ausschließlich den Schutz eines der Vertragsteile bezwecken wie beim Schenkungsversprechen den Schutz des Schenkers vor Übereilung. Hält sich der Empfänger des Schenkungsversprechens im Ausland auf, so verbietet eine auf favor negotii gestützte Auslegung des Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO, einem Schenker, der das Versprechen übereilt abgegeben hat, den Schutz des § 518 BGB zu gewähren, wenn das Recht des Staates, in dem der Beschenkte sich gerade aufhält, für den Schenkungsvertrag eine Form nicht vorschreibt, obwohl das Recht des Aufenthalts des Schenkers diesen Schutz vorsieht.

5.251

Ähnliche Bedenken bestehen hinsichtlich einer Bürgschaftserklärung, für die § 766 S. 1 BGB die Schriftform vorschreibt, während die Annahmeerklärung des anderen Vertragsteils formfrei möglich ist2. c) Art. 11 Abs. 3 Rom I-VO (einseitige Rechtsgeschäfte)

5.252

Während Art. 11 EGBGB von „Rechtsgeschäften“ schlechthin spricht, enthält Art. 11 Abs. 3 Rom I-VO eine gesonderte Vorschrift über „einseitige Rechtsgeschäfte, die sich auf einen geschlossenen oder zu schließenden Vertrag beziehen.“ Wenn es dessen Formerfordernisse erfüllt, ist das einseitige Rechtsgeschäft formgültig. Daneben genügt es aber auch, wenn das Formerfordernis der lex loci actus erfüllt ist, also das Erfordernis „des Rechts des Staates, in dem dieses Rechtsgeschäft vorgenommen worden ist“ oder in dem „die Person, die das Rechtsgeschäft vorgenommen hat, zu diesem Zeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte.“

1 Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 31. 2 BGH v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, ZIP 1993, 424 = MDR 1993, 532 = NJW 1993, 1126, hat (unter der Geltung des Art. 11 EGBGB) im Falle einer von einem deutschen Notar beurkundeten Bürgschaftserklärung, von der eine Kopie an den ausländischen Wohnsitz des anderen Vertragsteils per Telefax übermittelt wurde, zwar die Übermittlung per Telefax als nicht der Form des § 766 BGB genügend angesehen, die Entscheidung aber an das OLG zurückverwiesen, um eine Formgültigkeit nach der lex loci actus zu prüfen.

406 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.259 § 5

Damit sind alle in Frage kommenden Möglichkeiten umfasst. Auch auf den schlichten Aufenthalt („Befinden“) abzustellen, wie in Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO, scheint hier nicht erforderlich.

5.253

Art. 11 Abs. 3 Rom I-VO betrifft materiell-rechtliche Erklärungen, insbesondere Vertragsangebot, Vertragsannahme, auch Mahnung, Fristsetzung, Kündigung, aber nicht Verfahrenserklärungen, z.B. im Grundbuch- oder Registerverfahren, die häufig im Zusammenhang mit vertraglichen Erklärungen zu deren Durchführung abgegeben werden. Hierfür gilt die lex fori.

5.254

d) Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO (Verbraucherverträge) Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO stellt für Verbraucherverträge (Definition in Art. 6 Rom I-VO) auf das Recht des Staates ab, „in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.“ Im Grunde geht es dabei um den Schutz des schwächeren Vertragsteils, der meist „Verbraucher“ ist; der Schutz des schwächeren Vertragsteils sollte aber weiter gehen. Auch über das Verbraucherrecht hinaus sollte jeder geschützt werden, der einmal im Leben ein Haus oder eine Eigentumswohnung erwirbt. Im deutschen Sachrecht ist dies über den Verbraucherschutz hinaus durch die Beurkundungspflicht des § 311b Abs. 1 S. 1 BGB gesichert, vor allem aber durch die strenge Anwendung der (Belehrungs-) Pflichten des Notars in § 17 BeurkG und in den dazu ergangenen Richtlinien der Notarkammern.

5.255

e) Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO („Sofern-Klausel“) Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO schließt die Form der lex loci actus aus für „Verträge, die ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache oder die Miete oder Pacht an einer unbeweglichen Sache zum Gegenstand haben“; die angefügte „Sofern-Klausel“ nimmt dieser Bestimmung aber (zumindest nach ihrer Auslegung im deutschen Kollisionsrecht) die praktische Bedeutung.

5.256

Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO weist auf Formvorschriften der lex rei sitae hin („Formvorschriften des Staates, in dem die unbewegliche Sache belegen ist“), unter der Beschränkung: „sofern diese Vorschriften nach dem Recht dieses Staates a) unabhängig davon gelten, in welchem Staat der Vertrag geschlossen wird oder welchem Recht dieser Vertrag unterliegt, und b) von ihnen nicht durch Vereinbarung abgewichen werden kann.“

5.257

Hier kommt § 311b Abs. 1 S. 1 BGB (für Grundstückskaufverträge) sowie § 550 BGB (für Mietverträge über Wohnraum, die für längere Zeit als ein Jahr geschlossen werden), in Frage. Im ersten Fall hält die kollisionsrechtliche Lehre das „Sofern-Erfordernis“ nicht für gegeben, also Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO hinsichtlich § 311b Abs. 1 S. 1 BGB nicht für anwendbar1 und macht auch keine Ausnahme hinsichtlich Bauträgerverträgen2. Dies bedarf der kritischen Überprüfung.

5.258

Wenn ausländisches Recht Schuldstatut ist, kommt es darauf an, welches Gewicht die als Schuldstatut anwendbare Rechtsordnung der Formvorschrift beimisst.

5.259

1 S. Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 Rom I Rz. 143; Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 Rom I-VO Rz. 74; Stürner in Erman, Art. 11 EGBGB Rz. 18, 32; Bischoff in NK, Art. 11 EGBGB Rz. 49. 2 Dazu Reithmann, FS Ferid (1988), S. 363.

Reithmann/Stelmaszczyk | 407

§ 5 Rz. 5.260 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

4. Heilung formnichtiger Verträge 5.260

Ist weder dem Erfordernis des Schuldstatuts noch einem der in Art. 11 Rom I-VO genannten leges loci actus genügt, so sind (wie die anderen Vorschriften des Schuldstatuts) dessen Formvorschriften und die daraus folgenden Sanktionen anzuwenden, aber auch die Bestimmungen, nach denen diese Sanktionen nicht eingreifen oder später (rückwirkend oder ex nunc) wegfallen und damit der Vertrag „geheilt“ wird. Die „Heilung“ wird in den Kommentaren zu Art. 11 Rom I-VO behandelt, gehört aber nicht dem Kollisionsrecht, sondern dem Sachrecht an, das die Sanktion anordnet.

5.261

Nach dem anwendbaren Sachrecht ist auch zu beurteilen, ob eine auf den formnichtigen Vertrag erbrachte Leistung zurückgefordert werden kann1, etwa (bei deutschem Schuldstatut) nach § 812 BGB.

5.262

Die Folgen der Nichtigkeit des Vertrages sind nach dem Schuldstatut zu beurteilen (Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO). Meist geht es darum, dem Vertrag die gerichtliche Durchsetzung zu verweigern; das Schuldstatut kann aber auch andere „mildere“ Rechtsfolgen vorsehen. Die kollisionsrechtliche Literatur2 schlägt für den Fall, dass unterschiedliche Sanktionen nach verschiedenen möglicherweise anwendbaren Rechtsordnungen in Frage kommen, vor, stets die mildere Sanktion anzuwenden.

5.263

Dieser (meist zu familienrechtlichen Fällen begründeten) Meinung kann bei schuldrechtlichen Verträgen nicht zugestimmt werden; hier kommt es auf das Schuldstatut an:

5.264

Das Schuldstatut des Vertrages bestimmt die Voraussetzungen der Heilung. Die mangels Einhaltung der Schriftform nichtige Bürgschaftserklärung kann nach § 766 S. 3 BGB geheilt werden, „soweit der Bürge die Haftungsverbindlichkeit erfüllt“. Das mangels Beurkundung nichtige Schenkungsversprechen wird geheilt durch „Bewirkung der versprochenen Leistung“ (§ 518 Abs. 2 BGB); die mangels Beurkundung nichtige Verpflichtung zur Veräußerung eines Grundstücks wird „gültig, wenn die Auflassung und die Eintragung im Grundbuch erfolgen“ (§ 311b Abs. 1 S. 2 BGB). Eine mangels Beurkundung nichtige Verpflichtung zur Abtretung eines GmbH-Geschäftsanteils wird „durch den (…) Abtretungsvertrag“ gültig (§ 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG).

5.265

Die Heilung des Verpflichtungsgeschäfts ist nicht notwendigerweise von einem formgültigen Erfüllungsgeschäft abhängig. So wird ein nichtiger Verbraucher-Darlehensvertrag „gültig, wenn der Darlehensnehmer das Darlehen empfängt oder in Anspruch nimmt“ (§ 494 Abs. 2 S. 1 BGB).

5.266

In all den genannten Fällen geht es trotz abweichender Formulierung darum, dass die versprochene Leistung tatsächlich bewirkt ist. Dies hängt von den tatsächlichen Gegebenheiten ab. So verlangt die Heilung nach § 311b Abs. 1 S. 2 BGB nicht stets „Auflassung und Eintragung im Grundbuch“, sondern begnügt sich vielmehr bei im Ausland gelegenen Grundstücken mit vergleichbaren Tatbeständen. Hinsichtlich von in Spanien gelegenen Grundstücken

1 Rückforderungsanspruch nach portugiesischem Recht als dem Schuldstatut beurteilt, LG Bonn v. 25.1.2002 – 10 O 164/01, IPRax 2003, 65. 2 Zu Art. 11 EGBGB: Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 199 ff.; Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 69 ff.; Stürner in Erman, Art. 11 EGBGB Rz. 10.

408 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.270 § 5

und Eigentumswohnungen hat der BGH1 auf das Vorliegen einer escritura abgestellt (ähnlich OLG München und OLG Frankfurt2). Der Möglichkeit einer Heilung wird entgegengehalten3, dass ein der Erfüllung einer unwirksamen Verpflichtung dienendes Verfügungsgeschäft selbst unwirksam sein kann. Dies sei vor allem dann gegeben, wenn die lex rei sitae (wie z.B. in Spanien) schuldrechtliches und dingliches Geschäft nicht trennt.

5.267

Für die Frage der Heilung ist aber beides gesondert zu betrachten: Heilung setzt nicht stets ein „heilendes Rechtsgeschäft“ voraus. Zweck der Heilungsvorschriften ist es, eine Rückforderung aus Gründen der Rechtssicherheit auszuschließen.

5.268

Oft umfassen Verträge zwischen Gesellschaften (neben vielen anderen Punkten) auch die Übertragung von Anteilen an mehreren ausländischen Tochtergesellschaften und an mehreren Betriebsgrundstücken im Ausland4. Für deren tatsächlichen Übergang auf den Erwerber kommt es praktisch für jedes einzelne Objekt darauf an, wie die Behörden des betreffenden Landes den Übergang (auch den steuerlich oft entscheidenden Zeitpunkt des Übergangs) beurteilen. Für jedes einzelne Land ist gesondert die Frage zu stellen, ob aus Gründen der Praxis eine getrennte Beurkundung des betreffenden Verfügungsgeschäfts (oder dessen Wiederholung in dem betreffenden Land) angebracht scheint5 (Rz. 5.433).

5.269

III. Verfügungsgeschäfte 1. Anwendung von Art. 11 EGBGB Die Rom I-VO betrifft „vertragliche Schuldverhältnisse“ (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO), d.h. Verträge, durch die Verpflichtungen unter Personen begründet oder verändert werden, nicht aber Rechtsgeschäfte, die eine unmittelbare Zuordnung von Gegenständen zu einer Person bewirken (Verfügungsgeschäfte). Praktisch geht es vor allem um die Zuordnung der Herrschaft über Grundstücke und über Gesellschaftsbeteiligungen, aber auch von Urheberrechten (Herrschaftsrechte).

1 BGH v. 4.7.1969 – V ZR 69/66, BGHZ 52, 239 = NJW 1969, 1760; ebenso BGH v. 9.3.1979 – V ZR 85/77, NJW 1979, 1773 (Kauf über 1/220tel Miteigentum am Grundstück, verbunden mit Sondereigentum an einem erst zu errichtenden Appartement). Dagegen hat OLG Düsseldorf v. 14.8.1980 – 23 U 205/79, NJW 1981, 529 in einem ähnlich gelagerten Fall eines privatschriftlichen Vertrages (gleichfalls über 1/220tel Grundstücksanteil, verbunden mit dem Sondereigentum an einem erst zu errichtenden Appartement) Heilung durch einen (nach 26 Monaten) nachfolgenden Vertrag nicht anerkannt, solange das Wohnungseigentum nicht (durch Beschluss der Miteigentümer) begründet ist. 2 OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, IPRax 1990, 320 lehnt Heilung mangels Besitzeinräumung ab; OLG Frankfurt v. 30.11.1994 – 1 O 57/93, IPRspr. 1994 Nr. 67; OLG Frankfurt v. 30.11.1994 – 13 U 180/93, RIW 1995, 1033 Anm. Mankowski, lehnt Heilung mangels escritura ab. 3 Eberl, MittBayNot 2000, 515; Süß, DNotZ 2005, 190. Fetsch, GmbHR 2008, 138 behandelt den Fall der Abtretung des Anteils an einer englischen private limited company, die er als ähnlich der deutschen GmbH der Vorschrift des § 15 Abs. 4 GmbHG unterwirft. 4 Dazu Reithmann, NZG 2005, 873. 5 Eine Frage, die wohl am besten durch einen in dem betreffenden Land tätigen Rechtsanwalt zu beurteilen ist, auch wenn dieser weniger auf Kollisionsrecht als auf das dortige Grundstücks- und Gesellschaftsrecht spezialisiert ist.

Reithmann/Stelmaszczyk | 409

5.270

§ 5 Rz. 5.271 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.271

Die Rechtsordnung, die das Recht begründet, bestimmt das Ausmaß dieses Rechts (Wirkungsstatut); sie bestimmt auch, ob das Recht vererblich und übertragbar ist. Dies muss auch entscheidend sein für die Frage, wie die Übertragung zu erfolgen hat, sowie für eine dafür etwa vorgeschriebene Form.

5.272

Das Wirkungsstatut entscheidet, ob für die Begründung oder Änderung des Rechts ein Hoheitsakt und/oder ein Rechtsgeschäft nötig ist und welcher Tatbestand erfüllt sein muss, damit diese Änderung eintritt. Nach diesem Wirkungsstatut kann ein Verpflichtungsgeschäft auch unmittelbare („dingliche“) Rechtswirkungen haben, es kann aber auch der Abschluss eines besonderen Verfügungsgeschäfts verlangt sein.

5.273

Dass es hinsichtlich der Verfügung (oder der verfügenden Wirkung eines Verpflichtungsgeschäfts) auf das Wirkungsstatut ankommt, ist bei Verträgen über Grundstücke nicht zweifelhaft1. Bei Verfügungen über Rechte, die zum Schutz des Urhebers als Ausschlussrechte gewährt werden, muss das Gleiche gelten. Inhalt und Übertragung solcher Schutzrechte sind nach der Rechtsordnung zu beurteilen, welche dieses Recht gewährt (lex loci protectionis)2.

5.274

Für die Durchführung, Begründung oder Änderung der Sachherrschaft über einen Gegenstand ist oft ein Rechtsgeschäft notwendig. Dies kann ein Vertrag sein wie bei einem Verfügungsgeschäft über den Geschäftsanteil nach § 15 Abs. 3 GmbHG, ein Versammlungsbeschluss wie bei einer Satzungsänderung (§ 53 Abs. 1 GmbHG) oder auch ein körperschaftlicher Organisationsakt wie der Verschmelzungsvertrag als Voraussetzung für die Übertragung des Vermögens der übertragenden Rechtsträger auf den übernehmenden Rechtsträger (§ 4 Abs. 1 UmwG). Dem Beschluss oder Vertrag legt das anwendbare Sachrecht die beabsichtigte Rechtswirkung nur dann zu, wenn bestimmte Formerfordernisse eingehalten sind (§ 15 Abs. 3 bzw. § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG oder § 6 UmwG). Bei Auslandsberührung sieht Art. 11 Abs. 1 EGBGB als Anknüpfung für das Formstatut alternativ das Wirkungsstatut (Geschäftsform) und den Abschlussort (Ortsform) vor (ebenso wie Art. 11 Rom I-VO für Verpflichtungsverträge).

5.275

Dabei ist aber nicht zu übersehen, dass der Alternative bei gleichlautendem Wortlaut unterschiedliche Interessen zugrunde liegen. Bei Verpflichtungsverträgen kommt es darauf an, dem geäußerten Willen der Vertragsteile möglichst Durchsetzung zu verschaffen; Sanktionen wegen Nichterfüllung von Formerfordernissen müssen hier zurücktreten (favor gerentis). Bei Verfügungsgeschäften ist dagegen auf die Wirkung nach außen zu achten (erga omnes).

5.276

Dazu macht Art. 11 EGBGB in seinem Abs. 4 eine Ausnahme für Verfügungen über „Sachen“: „Ein Rechtsgeschäft, durch das ein Recht an einer Sache begründet oder über ein solches Recht verfügt wird, ist nur formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts erfüllt, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist.“

5.277

Der Anwendungsbereich der alternativen Formstatute der lex causae (Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EGBGB) und der lex loci actus (Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB) ist ebenso wie die Ausnahme des Art. 11 Abs. 4 EGBGB zwar im Einzelnen nach wie vor umstritten, hat jedoch in jüngerer

1 Mansel in Staudinger (2015), Art. 43 EGBGB Rz. 1105. 2 Vgl. zur lex loci protectionis im Internationalen Immaterialgüterrecht Drexl in MünchKomm, Art. 8 Rom II-VO Rz. 6 ff.

410 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.281 § 5

Zeit gerade hinsichtlich der für die Praxis relevanten Verfügungsgeschäfte des Liegenschaftsund Gesellschaftsrechts an Konturen gewonnen.

2. Verfügungsgeschäfte über in Deutschland belegene Grundstücke Für Verfügungsgeschäfte über ein in Deutschland belegenes Grundstück sind nach einhelliger Meinung1 gem. Art. 11 Abs. 4 EGBGB i.V.m. Art. 43 Abs. 1 EGBGB allein das deutsche Sachenrecht und dessen Formerfordernisse maßgeblich. Die Beachtung der Ortsform nach Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB genügt insoweit nicht. Für die Auflassung kommt es somit allein auf die Anforderungen des § 925 Abs. 1 BGB an. Dies hat der BGH in einem Beschluss vom 13.2.20202 betreffend die Auflassung eines in Deutschland belegenen Grundstücks vor einem Schweizer Notar mit Amtssitz in Basel bestätigt, wenngleich unter Heranziehung der falschen Kollisionsnorm. Sein Verweis auf Art. 9 Abs. 6 EVÜ geht gleich in doppelter Hinsicht fehl3. Erstens ist das EVÜ für ab dem 17.12.2009 geschlossene Verträge durch die Rom I-VO abgelöst worden, die aufgrund ihrer universellen Anwendbarkeit (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Rom I-VO) von deutschen Gerichten auch auf Sachverhalte mit Bezug zu Drittstaaten wie der Schweiz anzuwenden ist. Zweitens gilt die Rom I-VO ebenso wie das EVÜ ausschließlich für vertragliche Schuldverhältnisse (Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO, Art. 1 Abs. 1 EVÜ), nicht aber für Verfügungsgeschäfte wie die Auflassung über ein Grundstück.

5.278

3. Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen a) Überblick Im Hinblick auf die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen kommt es darauf an, ob die auf „Sachen“ beschränkte Regel des Art. 11 Abs. 4 EGBGB auch auf Verfügungen über Gesellschaftsbeteiligungen angewendet werden kann. Dafür tritt insb. Süß im Wege der Analogie mit ausführlicher Begründung ein4.

5.279

Der Gesetzgeber des EGBGB hat von einer Regelung des Internationalen Gesellschaftsrechts abgesehen, die Reformen haben dies der Entwicklung überlassen. Die Rechtsprechung hat nur einige Teilfragen angeschnitten, wollte aber dem Gesetzgeber nicht vorgreifen.

5.280

Der Referentenentwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht wollte diese Frage zugunsten des Gründungsstatuts entscheiden5. Die Literatur ist weiterhin gespalten. Den hergebrachten Grundsätzen des Kollisionsrechts stehen die Erfordernisse des Gesellschaftsrechts, insb. die der Publizität gegenüber. Dies hat Hertel im Staudinger (Bearbeitung 2004) herausgestellt und in den Neubearbeitungen von 2012 und 2017 vertieft6. Die kollisionsrechtlichen Argumente hat Winkler von Mohrenfels im Staudinger (Bearbeitung 2019) zusammengefasst7. Er

5.281

1 Vgl. nur Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 220; Mansel in Staudinger (2015), Art. 43 EGBGB Rz. 1105 jew. m.w.N. 2 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670. 3 Hierauf weisen Ransiek, jurisPR-IWR 4/2020 Anm. 3 sowie Lehmann/Krysa, RIW 464 (465) zu Recht hin. 4 Süß in Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, Rz. 112; Süß, DNotZ 2011, 414 (417); ebenso Herrler, NJW 2018, 1787; dagegen: Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 284. 5 Wagner/Timm, IPRax 2008, 81. 6 Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz. 852 ff. 7 Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 258 ff.

Reithmann/Stelmaszczyk | 411

§ 5 Rz. 5.281 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

wendet mit der kollisionsrechtlichen Literatur die in anderem Zusammenhang entstandene Regel der Alternative von lex causae und leges loci actus auch auf gesellschaftsrechtliche Fragen an.

5.282

Diese Frage ist von großer praktischer Bedeutung für das Recht der GmbH. In der Bundesrepublik Deutschland bestehen über eine Million Gesellschaften, die nach dem GmbHG gegründet und im deutschen Handelsregister eingetragen sind. Jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft auch ihren Verwaltungssitz im Inland hat, ist deutsches Recht als Gesellschaftsstatut anwendbar. Für die Gründung (§ 2 GmbHG), die Änderung der Satzung (§ 53 GmbHG) und die Umwandlung (§ 6 UmwG, ggf. i.V.m. § 125 S. 1, § 176 oder § 177 UmwG) verlangt das deutsche Recht die Mitwirkung des Notars, aber auch für die Verfügung über einen Geschäftsanteil (§ 15 Abs. 3 GmbHG)1. Ob in diesen Fällen die Mitwirkung eines ausländischen Notars nach Art. 11 EGBGB genügt, ist nach wie vor umstritten.

5.283

Eine abschließende Entscheidung zu dieser Frage kann in den bisherigen BGH-Entscheidungen noch nicht gesehen werden, auch nicht in der Entscheidung vom 16.2.19812. Hier hatte der BGH über die Rechtswirksamkeit eines satzungsändernden Beschlusses der Gesellschafter einer deutschen GmbH zu entscheiden. Dafür verlangt das deutsche Recht in § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG notarielle Beurkundung. Die Bedeutung der Entscheidung liegt in den Ausführungen über die Gleichwertigkeit. Der BGH hat in diesem Fall die Mitwirkung des Züricher Notars als gleichwertig mit der eines deutschen Notars anerkannt. Diese Frage hat der BGH in seiner Entscheidung vom 22.5.19893 über die Abtretung eines Geschäftsanteils an einer deutschen GmbH vor einem Schweizer Notar in einem obiter dictum ohne nähere Prüfung angeschnitten (und dabei die Entscheidung vom 16.2.1981 zitiert), aber nicht eingehend behandelt. Auch in der Entscheidung vom 17.12.20134 hat der BGH auf die Entscheidung von 1981 hingewiesen. Hier handelt es sich um eine Frage des Registerrechts, darum, ob das Registergericht eine von einem Baseler Notar eingereichte Gesellschafterliste zu den Registerakten nehmen muss. Um Transparenz über die Anteilseigner einer GmbH zu schaffen, hat das MoMiG5 diese Liste eingeführt: Im Falle jeder Veränderung in der Person der Gesellschafter, vor allem also im Falle der Veränderung durch Abtretung des Geschäftsanteils, hat der Notar, der an der Veränderung mitgewirkt hat, die Liste zu unterzeichnen und zum Handelsregister einzureichen (§ 40 Abs. 2 S. 1 GmbHG). In diesem Fall hat der Notar in Basel, der einen Vertrag über die Abtretung eines Geschäftsanteils an einer deutschen GmbH beurkundet hatte, eine von ihm gefertigte Liste bei dem Registergericht eingereicht. Der BGH entschied, dass diese Liste „nicht schon deshalb zurückgewiesen werden darf, weil sie von einem Notar mit dem Sitz in Basel/ Schweiz eingereicht worden ist“. Der BGH bejahte die Zuständigkeit des Baseler Notars zur Erstellung der Liste, ließ aber die Frage der Rechtswirksamkeit der Beurkundung des Vertrages dahingestellt.

1 Ausführlich Süß in Süß/Wachter, Handbuch des Internationalen GmbH-Rechts, Rz. 101 ff. 2 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = GmbHR 1981, 238 = ZIP 1981, 402 = DNotZ 1981, 451. 3 BGH v. 22.5.1989 – II ZR 211/88, ZIP 1989, 1054 = GmbHR 1990, 25 = WM 1989, 1221. Dazu kritisch Goette, FS Boujong (1996), S. 130 (132). 4 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = DNotZ 2014, 413 = ZIP 2014, 317 = GmbHR 2014, 248; dazu kritisch Herrler, GmbHR 2014, 225; Seebach, DNotZ 2014, 403; Lieder/Ritter, notar 2014, 187. 5 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen v. 23.10.2008, BGBl. 2008 I, 2009.

412 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.288 § 5

b) Ausgangspunkt Auszugehen ist von § 125 S. 1 BGB, der ein Rechtsgeschäft des materiellen Rechts mit der Sanktion der Nichtigkeit belegt, wenn es „der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt“. Eine dieser Formen ist in § 128 BGB als „notarielle Beurkundung eines Vertrages“ genannt (aber nicht definiert).

5.284

Diese Sanktion schränkt das Kollisionsrecht in Art. 11 EGBGB dadurch ein, dass es genügen lässt, wenn den Erfordernissen eines von mehreren in Frage kommenden Formstatuten genügt ist (alternativ lex causae/leges loci actus). Ob und inwieweit diese Alternative auf Verfügungsgeschäfte überhaupt oder jedenfalls auf Verfügungsgeschäfte des Gesellschaftsrechts zutrifft, ist sehr umstritten. Die kollisionsrechtlichen Argumente stellt Winkler von Mohrenfels1 im Staudinger umfassend dar. Dagegen steht die ausführliche Darlegung praktischer Erfordernisse durch Hertel2.

5.285

Bei den Verfügungsgeschäften über Geschäftsanteile an inländischen Gesellschaften geht es um die Einschränkung der Sanktion des § 125 S. 1 BGB durch die vom Kollisionsrecht eröffnete Alternative. Die beratende Praxis versucht von dieser Alternative durch Verlegung des Abschlussortes in das Ausland (vor allem nach Basel/Stadt oder Bern) Gebrauch zu machen. Bezweckt ist neben einer Vermeidung der dem deutschen Notar zwingend vorgeschriebenen Gebühren auch die Vermeidung der dem deutschen Notar vorgeschriebenen Verlesung der Niederschrift.

5.286

Die Niederschrift ist oft sehr umfangreich und kann Verpflichtungsgeschäfte und Verfügungsgeschäfte enthalten. Hinsichtlich des Verpflichtungsgeschäfts kann eine (nach § 15 Abs. 4 S. 1 GmbHG vorgeschriebene) Beurkundungspflicht durch Rechtswahl umgangen werden, was aber für das oft in der gleichen Niederschrift enthaltene Verfügungsgeschäft sehr zweifelhaft ist (s. Rz. 5.233, Rz. 5.270 ff.).

5.287

c) Entwicklungen Die kollisionsrechtliche Frage (Alternative lex causae/leges loci actus) wird von den deutschen Gerichten oft vernachlässigt. Der BGH3 hat sie in der Entscheidung von 1981 offen gelassen und hat darauf abgestellt, dass das Rechtsgeschäft jedenfalls den Erfordernissen der lex causae im Einzelfall „gleichwertig“ war. In seiner Entscheidung von 2013 hat der BGH4 die Verweisung auf die Ortsform bezeichnenderweise gar nicht mehr erwähnt. Es hat den Anschein, als wollten sich die deutschen Gerichte weiterhin die Möglichkeit offenhalten, auch bei Abtretungen von GmbH-Geschäftsanteilen im Ausland zumindest auf einer notariellen Beurkundung der Vereinbarung nach § 15 Abs. 3 GmbHG zu bestehen5. Im Wege der sich anschließenden Auslegung wird sodann auf die „Gleichwertigkeit“ mit den Regelungen des materiellen Rechts abgestellt nach der Methode der Substitution (dazu s. Rz. 5.347 ff.). Zwar hat auch diese Methode ihre Schwächen und ist sie noch nicht in allen Einzelheiten höchstrichterlich geklärt. Doch erlaubt es die Methode der Substitution den deutschen Gerichten, den Normzweck des in Frage stehenden Formerfordernisses normativ-dynamisch im Lichte der

1 2 3 4 5

Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 258 ff. Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz. 852 ff. BGH v. 16.2.1981 – II ZR 8/80, BGHZ 86, 77 Rz. 42. BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, DNotZ 2014, 457 = ZIP 2014, 317 = GmbHR 2014, 248. Süß in Süß/Wachter, Handbuch des Internationalen GmbH-Rechts, Rz. 111.

Reithmann/Stelmaszczyk | 413

5.288

§ 5 Rz. 5.288 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

geltenden materiellen und verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen zu bestimmen und eine Gleichwertigkeitsprüfung auf der Grundlage der aktuellen Rechtslage unter Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Pflichten der Urkundsperson im In- und Ausland-vorzunehmen. d) Konsequenzen für die Praxis

5.289

Bei der Vertragsberatung stellt sich die Frage, ob bei einer späteren Entscheidung über einen dem Richter vorgelegten Vertrag die Sanktion der Nichtigkeit anzuwenden ist oder vermieden werden kann, weil die Beurkundung gleichwertig sei.

5.290

Bei der Vertragsgestaltung ist der sicherste Weg zu wählen. Es empfiehlt sich, Verfügungsund Verpflichtungsgeschäfte getrennt zu sehen, weil ein formnichtiges Verfügungsgeschäft in keinem Fall geheilt werden kann (s. Rz. 5.433).

5.291

Ist das Verfügungsgeschäft wirksam, so kann es ein formnichtiges Verpflichtungsgeschäft1 heilen (§ 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG). Sind in der Vertragsurkunde sowohl Verpflichtungen wie auch Verfügungen aufgeführt, sollte jedenfalls zum Ausdruck kommen, ob es sich um unterschiedliche Verträge, also nicht um ein einheitliches Rechtsgeschäft handelt.

5.292

Bei dem Verfügungsgeschäft der Abtretung von Geschäftsanteilen an deutschen Gesellschaften ist jedenfalls die Beurkundung durch einen deutschen Notar der sicherste Weg, um das Erfordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG zu erfüllen. Dazu raten auch Süß vom deutschen Notarinstitut, aber auch beratende Rechtsanwälte wie Göthel (in der Darstellung des share deal in diesem Buch).

5.293

Beurkundet der deutsche Notar in einer Urkunde neben dem Verfügungsgeschäft auch das Verpflichtungsgeschäft, so wirkt sich das nicht notarkostenerhöhend aus. Denn nach dem GNotKG fällt dieselbe Gebühr an, ganz gleich ob in der Urkunde nur das Verpflichtungsgeschäft oder nur das Verfügungsgeschäft oder beide Geschäfte beurkundet werden.

4. Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften 5.294

Verträge zwischen Unternehmen enthalten oft auch Verpflichtungen zur Übertragung von Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften. Für den Verpflichtungsvertrag gilt nach der Rom I-VO als Schuldstatut das vereinbarte Recht.

5.295

Oft ist für die Übertragung ein Verfügungsvertrag erforderlich. Das Gesellschaftsstatut bestimmt grundsätzlich auch die Formerfordernisse, die dafür aufgestellt sind.

5.296

Auch fremde Rechtsordnungen stellen Formerfordernisse für das übertragende Geschäft auf, wie dies das deutsche Recht in § 15 Abs. 3 GmbHG vorschreibt. Nach einigen ausländischen Rechten genügt es auch, die Formerfordernisse der lex loci actus zu erfüllen2.

5.297

Wenn das ausländische Recht überhaupt keine Regel aufstellt, ist jedenfalls zum Nachweis des Übergangs des Geschäftsanteils die Errichtung einer Protokollurkunde zu empfehlen (s.

1 U.U. kann ein formnichtiges Verpflichtungsgeschäft durch ein formwirksames Verfügungsgeschäft sogar dann geheilt werden, wenn beide in der gleichen Niederschrift enthalten sind (s. Rz. 5.433). 2 Winkler von Mohrenfels gibt eine Übersicht über 173 ausländische Rechte, Winkler von Mohrenfels in Staudinger (2013), Art. 11 EGBGB Anlage.

414 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.303 § 5

Rz. 5.404), eventuell auch beschränkt auf einzelne Verfügungsgeschäfte1. Dies kann u.U. auch der Heilung eines eventuell unwirksamen Verpflichtungsvertrages dienen. Für diese Heilung verlangt zwar § 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG einen „nach Maßgabe des vorigen Absatzes geschlossenen Abtretungsvertrag“. Nach hier vertretener Auffassung ist dies der Substitution zugänglich; wie in anderen Fällen der Heilung muss es auf die Wirkung des heilenden Tatbestandes ankommen, nicht auf deren rechtliche Qualifizierung. Für jedes einzelne Land ist die Frage zu stellen, ob nach dessen Recht eine getrennte Beurkundung des betreffenden Verfügungsgeschäfts (oder eine Wiederholung) in dem betreffenden Land als angebracht erscheint.

5.298

IV. Beweiskraft der Vertragsurkunde 1. Allgemein Die vorgehenden Abschnitte betreffen die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Willenserklärungen und damit des Vertrags. Willenserklärungen können mündlich, schriftlich und konkludent geäußert werden, sie können in einem sachlichen Substrat (Papierurkunde oder elektronisches Dokument) gespeichert werden. Das Substrat tritt als Original oder als Ausfertigung in den Rechtsverkehr. Im Folgenden geht es um dieses Substrat, die Vertragsurkunde.

5.299

Auch hier wird von „Form“ gesprochen. Die Regeln dafür haben aber nichts zu tun mit den für die Willenserklärung geltenden Formerfordernissen, deren Nichteinhaltung § 125 BGB mit der Sanktion der Nichtigkeit belegt. Hier geht es nicht um die Willenserklärung, sondern um das Substrat, in dem diese niedergelegt ist. Die Voraussetzungen und Wirkungen dafür sind an die Verwendung des Substrats geknüpft.

5.300

2. Regeln des Urkundenrechts Hierfür enthält die ZPO im 9. Titel ihres 2. Buches („Beweis durch Urkunden“) Vorschriften. Sie werden über das Verfahren der ZPO hinaus in anderen Verfahren vor inländischen Gerichten und Behörden angewendet2 und beweisen (bei berichtenden Urkunden), dass der vom Notar in der Urkunde niedergelegte Bericht tatsächlich vom ausstellenden Notar stammt. Daneben können sie nachweisen (bei Protokollurkunden), dass der Bericht des Notars inhaltlich wahr ist.

5.301

Diese Regeln sind von Formvorschriften des materiellen Rechts zu unterscheiden. Sie werden deshalb hier als Regeln des Urkundenrechts bezeichnet3.

5.302

3. Echtheit der Urkunde Die ZPO unterscheidet öffentliche Urkunden von Privaturkunden.

1 Soweit dies durch eine Beurkundung im Ausland erfolgen soll, ist die Vorlage einer Protokollurkunde, die auch im Inland den Beweis des § 415 ZPO erbringt (Rz. 5.321 f.) zu empfehlen. Eine Privaturkunde, auch mit notarieller Beglaubigung der Unterschriften, kann wohl nicht ausreichen. 2 Für die VwGO ordnet § 98 VwGO die entsprechende Anwendung ausdrücklich an. Für das VwVfG s. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 21. Aufl. 2020, § 26 VwVfG Rz. 34; a.A. Herrmann in BeckOK VwVfG, 1.7.2021, § 26 VwVfG Rz. 31.1 (freie Beweiswürdigung). 3 Reithmann, Allgemeines Urkundenrecht (1972); Reithmann in FS Martiny (2014), S. 515.

Reithmann/Stelmaszczyk | 415

5.303

§ 5 Rz. 5.304 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.304

Für die Echtheit von Privaturkunden bestehen keine gesetzlichen Regelungen: „Die Echtheit einer nicht anerkannten Privaturkunde ist zu beweisen“ (§ 440 Abs. 1 ZPO). Die Regel des § 440 Abs. 2 ZPO (Zurechnungsvermutung) gilt dagegen auch für Privaturkunden: „Steht die Echtheit der Namensunterschrift fest ..., so hat die über der Unterschrift ... stehende Schrift die Vermutung der Echtheit für sich“. Dabei kommt es auf das Erscheinungsbild der Urkunde an. „Inwiefern Streichungen, Radierungen, Einschaltungen oder sonstige äußere Mängel die Beweiskraft einer Urkunde ganz oder teilweise aufheben oder mindern, entscheidet das Gericht nach freier Überzeugung“ (§ 419 ZPO).

5.305

Diese Regel gilt für alle Urkunden, ob im In- oder Ausland ausgestellt. Als Verfahrensregel ist sie nach der lex fori anzuwenden.

5.306

Hinsichtlich der Echtheit der öffentlichen Urkunde stellt die ZPO in §§ 437, 4381 auf das Erscheinungsbild der vorliegenden Urkunde ab: Die Vermutung der Echtheit (§ 437 Abs. 1 ZPO) gilt für Urkunden, die von einem inländischen Notar „errichtet sich darstellen“. Bei ausländischen Urkunden nennt § 438 ZPO in Abs. 1 zunächst die „Umstände des Falles“, lässt aber in Abs. 2 Legalisation durch einen Konsul oder Gesandten des Bundes genügen.

5.307

Den Beweis der Echtheit der Urkunde begründet bereits die Apostille nach dem Haager Übereinkommen vom 5.10.19612.

5.308

Das Haager Übereinkommen vom 5.10.1961 ist Teil des inländischen Verfahrensrechts. Es muss auf alle Urkunden, die vor inländischen Gerichten und Behörden vorgelegt werden, angewendet werden, gleich ob sie als Protokollurkunden über den Vorgang des Vertragsschlusses und den Vertragsinhalt berichten (Beurkundung) oder in Form der Vermerkurkunde die Echtheit einer Unterschrift verifizieren (Unterschriftsbeglaubigung, s. Rz. 5.323 ff.).

5.309

Die Apostille hat die gleiche Wirkung wie die Legalisation, d.h. sie beweist die Echtheit der Urkunde, geht aber nicht darüber hinaus3. Sie weist keinesfalls alle Erfordernisse des § 415 ZPO nach, vor allem weist sie nicht die persönliche Wahrnehmung des Ausstellers nach, die § 415 ZPO verlangt. Für die Praxis ist darauf hinzuweisen, dass die inzwischen von einigen Staaten erteilten elektronischen Apostillen (e-Apostillen) von den deutschen Registergerichten und Behörden aufgrund nachvollziehbarer rechtlicher Bedenken4 nicht anerkannt werden und das geltende deutsche Recht keine (weitere) Erleichterung für den Nachweis der Echtheit ausländischer elektronischer öffentlicher Dokumente vorsieht5. Aus diesem Grund ist die

1 Die Voraussetzungen der §§ 437, 438 ZPO sind nicht mit denen identisch, die § 415 ZPO für eine „öffentliche Urkunde“ stellt. Eine Urkunde, die dieser Definition nicht genügt, sollte nicht als „öffentliche Urkunde“ bezeichnet werden, sie kann als „amtliche Urkunde“ gelten. 2 Haager Übereinkommen v. 5.10.1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation, BGBl. 1965 II, 875. Das Übereinkommen definiert zwar den Begriff der öffentlichen Urkunde nicht, bestimmt aber u.a., dass „notarielle Urkunden“ als öffentliche Urkunden angesehen werden (Art. 1 Abs. 2c). 3 Knothe in Bauer/Oefele, Grundbuchordnung, 13. Aufl. 2013, Rz. 631/633. 4 Dazu Forschner/Kienzle, DNotZ 2020, 724 (726 ff.). 5 Die für inländische öffentliche elektronische Dokumente geltende Echtheitsvermutung nach den § 371a Abs. 3 S. 2 und § 371b S. 2 ZPO i.V.m. § 437 ZPO findet auf ausländische öffentliche elektronische Dokumente keine Anwendung, und eine analoge Anwendung des § 438 Abs. 2 ZPO auf ausländische öffentliche elektronische Dokumente scheidet bereits deshalb aus, weil es hierfür an einem öffentlichen Legalisationsverfahren entsprechend § 13 KonsG fehlt, s. dazu Kienzle, NJW 2019, 1712 (1713 f.).

416 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.315 § 5

Apostille zur Vorlage vor deutschen Registergerichten und Behörden weiterhin physisch auf der papiergebundenen Urkunde anzubringen.

4. Protokollurkunden a) Wahrheitsvermutung (§ 415 ZPO) Als wichtigstes Formerfordernis nennt das materielle Recht die „Beurkundung“ als Mitwirkung einer Urkundsperson, nicht nur bei der Äußerung, sondern auch bei der Niederlegung der Erklärung. Beurkundung erfüllt zwei Aufgaben: Zum einen erfüllt sie Erfordernisse, die das materielle Recht (§ 125 ff. BGB) für bestimmte Rechtsgeschäfte vorschreibt; zum anderen bringt die so errichtete Urkunde „vollen Beweis“ des berichteten Vorganges in allen gerichtlichen und behördlichen Verfahren (§ 415 ZPO). Es geht damit um die Wahrheit des in der Protokollurkunde enthaltenen Berichts der Urkundsperson.

5.310

§ 415 ZPO definiert zunächst den Begriff der „öffentlichen Urkunde“ als „Urkunde, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person aufgenommen“ ist. Soweit sie über einen von der Urkundsperson wahrgenommenen Vorgang berichtet, erbringt sie „vollen Beweis dieses Vorgangs“ (§ 415 ZPO).

5.311

Ein nach dem 2. Abschnitt des Beurkundungsgesetzes errichtetes Protokoll zählt zu den „öffentlichen Urkunden“ nach § 415 ZPO1.

5.312

Der vom Notar in der Niederschrift niedergelegte Bericht über den von ihm wahrgenommenen Vorgang tritt als Protokollurkunde in den Rechtsverkehr und erbringt „vollen Beweis“ des berichteten „Vorgangs“ (§ 415 ZPO). Der Bericht umfasst die geäußerten Erklärungen, gleich ob diese auf einen Rechtserfolg gerichtet sind (Willenserklärungen) oder nicht. § 415 ZPO umfasst alle Erklärungen, unabhängig auch davon, ob das materielle Recht für die Rechtswirkung der Erklärung die Einhaltung einer bestimmten „Form“ (i.S.d. § 125 BGB) vorschreibt.

5.313

Auch Verfahrenserklärungen, z.B. Eintragungsbewilligungen in Grundbuch- und Registerverfahren, denen eine materiell-rechtliche Wirkung nicht zukommt, sind vom „vollen Beweis“ nach § 415 ZPO umfasst, wenn sie in einer Protokollurkunde (z.B. im Rahmen eines Grundstückskaufvertrages) niedergelegt sind. Sie können auch die Verfahrenserklärung im Verfahren nachweisen. Auch wenn die in der Urkunde niedergelegte Willenserklärung formnichtig nach § 125 BGB sein sollte, kann die Urkunde den Nachweis der in der gleichen Vertragsurkunde gespeicherten Verfahrenserklärungen nach § 415 ZPO erbringen2.

5.314

Während die Rechtswirksamkeit eines Vertrages davon abhängt, dass Formerfordernisse des materiellen Rechts (nach Maßgabe des Kollisionsrechts) erfüllt sind, kommt es für die Verwendung der Urkunde vor inländischen Gerichten darauf an, ob die vorgelegte Urkunde den Erfordernissen des § 415 ZPO genügt.

5.315

1 Aber auch ein Vermerk (z.B. der Beglaubigungsvermerk bei der Unterschriftsbeglaubigung, der nach § 40 BeurkG errichtet ist), stellt eine „öffentliche Urkunde“ i.S.d. § 415 ZPO dar, nicht aber das Schriftstück, zu dem der Unterzeichner sich im Beglaubigungsverfahren bekannt hat (Rz. 5.323). 2 Schreiber in MünchKomm ZPO, 6. Aufl. 2020, § 415 ZPO Rz. 25 f., 27.

Reithmann/Stelmaszczyk | 417

§ 5 Rz. 5.316 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.316

Hier kommt es auf das Erscheinungsbild der vorgelegten Urkunde an. In § 415 ZPO ist der Begriff der „vorgeschriebenen Form“ eigenständig auszulegen. Dabei kommt es darauf an, dass die in den Rechtsverkehr getretene Urkunde einen Bericht des Notars über den von ihm wahrgenommenen Vorgang darstellt, etwa beginnend mit den Worten „beurkunde ich die vor mir abgegebenen Erklärungen“, also eine Protokollurkunde darstellt.

5.317

In der Praxis wird bei Urkunden, die aus dem Ausland stammen, zunächst geprüft, ob das in der Urkunde gespeicherte Rechtsgeschäft materiell-rechtlich rechtswirksam ist. Ist dies der Fall und steht die Echtheit der Urkunde (meist durch eine Apostille) fest, so geht die Praxis i.d.R. davon aus, dass die Urkunde auch die Anforderungen des § 415 ZPO erfüllt, zumal dann, wenn sie von einem „lateinischen“1 Notar in Protokollform errichtet ist. Dies kann aber nicht gelten, wenn die vorgelegte Urkunde den Anforderungen des § 415 ZPO offensichtlich nicht genügt.

5.318

Auch wenn ein in der Urkunde niedergelegter Vertrag den kollisionsrechtlichen Anforderungen genügt (z.B. als private Schrifturkunde) und deshalb materiell-rechtlich wirksam ist, kann die vorgelegte Privaturkunde den Nachweis des Vertragsabschlusses nicht erbringen, selbst dann nicht, wenn die Unterschriften der Beteiligten notariell beglaubigt sind. Der Beglaubigungsvermerk weist nur den Vorgang der Unterzeichnung (oder die Anerkennung der Unterschrift) nach, nicht aber den Vorgang des Vertragsabschlusses. b) Urkundlich bezeugter Vorgang

5.319

In der Protokollurkunde berichtet der Notar dagegen über den wahrgenommenen Vorgang des Vertragsabschlusses sowie über Zeit und Ort, an dem er den Vorgang wahrgenommen hat. Auch auf diesen Bericht erstreckt sich der „volle Beweis“ der Protokollurkunde2. Darüber, ob der urkundliche Bericht über den Vertrag den „ganzen Vertrag“ vollständig umfasst, sagt § 415 ZPO nichts.

5.320

Bei einer von einem inländischen Notar errichteten Protokollurkunde geht die Praxis davon aus, dass der Notar nicht nur über den Vorgang berichtet, sondern auch bei der Formulierung der Erklärungen mitgewirkt hat. Dies kann eine tatsächliche Vermutung begründen: Der BGH3 spricht von der „Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung notarieller Urkunden“ und führt mit Recht aus, dass diese Vermutung „im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Beurkundungserfordernis“ steht: „Dementsprechend erstreckt sich, wenn der Vertrag beurkundet worden ist, die Vermutung auf die vollständige (und richtige) Wiedergabe der getroffenen Vereinbarungen“.

5.321

Anders ist es bei Urkunden von im Ausland bestellten Notaren. Der ausländische Notar ist an das dem deutschen Notar auferlegte Verfahren der Beurkundung nicht gebunden. Er er1 Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz. 729 ff. 2 In der Vermerkurkunde (Unterschriftsbeglaubigung) gilt dagegen § 415 ZPO nur für den Beglaubigungsvermerk. § 40 BeurkG verlangt zwar (durch eine Soll-Vorschrift) die Angabe des Tages der Ausstellung des Beglaubigungsvermerks. Der Beglaubigungsvermerk hat die Beweiskraft des § 415 ZPO dafür, dass und wann der Notar den Beglaubigungsvermerk unterzeichnet hat. Damit ist aber nichts gesagt über den Zeitpunkt, an dem die im beglaubigten Schriftstück genannten Erklärungen abgegeben wurden. Darauf kann es aber (besonders in steuerlicher Hinsicht) ankommen. 3 BGH v. 1.2.1985 – V ZR 180/83, DNotZ 1986, 78. In diesem Fall ging es darum, ob der Verkäufer vertragliche Zusicherungen bezüglich bestimmter Größen der verkauften Wohnungen abgegeben habe. Da derartige Zusicherungen dem Beurkundungserfordernis unterlegen hätten, ist zu vermuten, dass der Notar sie in der Urkunde aufgenommen hätte, wenn sie Gegenstand der notariellen Verhandlung gewesen wären. Dementsprechend begründet der Urkundentext eine Vermutung gegen die Zusicherung der Wohnungsgröße.

418 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.328 § 5

richtet die Urkunde nach den Vorschriften des für ihn geltenden Beurkundungsrechts. Wird die Urkunde im Inland verwendet, so stellt sich die Frage, ob auch hier eine Vermutung der Vollständigkeit angenommen werden kann.

Nach hier vertretener Auffassung kann die Vermutung der Vollständigkeit nur dann auch auf die ausländische Urkunde angewendet werden, wenn die Mitwirkung der Urkundsperson nach ausländischem Beurkundungsrecht in vergleichbarer Weise wie in einer Verhandlung nach deutschem Beurkundungsrecht verbindlich vorgeschrieben und institutionell gesichert ist.

5.322

5. Vermerkurkunden a) Erscheinungsformen Im inländischen Grundbuch- und Registerverfahren werden häufig Privaturkunden vorgelegt, auf denen ein ausländischer Notar die Unterschrift des Ausstellers in Form eines Vermerks beglaubigt hat. Soweit es sich um Urkunden mit materiell-rechtlichem Inhalt handelt, wird die rechtliche Wirksamkeit nach materiellem Recht (einschließlich des Kollisionsrechts) beurteilt, z.B. bei Schriftstücken, die eine Vollmacht speichern. Die Rechtswirksamkeit wird nach den für die Vollmachtserteilung und Vollmachtsausstellung maßgebenden kollisionsrechtlichen Vorschriften beurteilt.

5.323

Soweit es sich um Verfahrenserklärungen handelt, steht eine materiell-rechtliche Wirksamkeit nicht in Frage. Die Verwendung der Urkunde im inländischen Verfahren richtet sich, gleich wo die Urkunde ausgestellt ist, nach den Vorschriften, die die lex fori für das Verfahren bereithält.

5.324

b) Beglaubigungsvermerk Stammt der Vermerk von einem ausländischen Notar, kommt es für die Echtheit des Vermerks und damit der vorgelegten Urkunde praktisch auf Legalisation oder Apostille an (dazu, insb. zur Problematik der e-Apostille, Rz. 5.309). Diese verifizieren den Notar als Aussteller des Beglaubigungsvermerks (§ 438 ZPO).

5.325

Das so beglaubigte Schriftstück1 bleibt Privaturkunde. Auch für dieses begründet § 440 Abs. 2 ZPO die Vermutung der Echtheit des über der Unterschrift stehenden Textes ohne Rücksicht darauf, wo das Schriftstück gefertigt wurde. § 440 Abs. 2 ZPO gehört dem allgemeinen Urkundenrecht an, das stets Anwendung findet, wenn die Urkunde vor einem inländischen Gericht oder einer inländischen Behörde verwendet wird (lex fori, Rz. 5.308).

5.326

c) „Öffentlich beglaubigte Form“ (§ 129 BGB) In vielen Fällen kann die Verifizierung des Notars (als des Ausstellers des Beglaubigungsvermerks) genügen. Für die Verwendung als Eintragungsbewilligung im Grundbuchverfahren verlangt aber § 29 GBO „öffentlich-beglaubigte Form“ und verweist damit auf § 129 BGB, ebenso § 12 HGB für die Anmeldung zum Handelsregister.

5.327

§ 129 BGB bestimmt in Abs. 1 Satz 1: „Ist durch Gesetz für eine Erklärung öffentliche Beglaubigung vorgeschrieben, so muss die Erklärung schriftlich abgegeben und die Unterschrift des

5.328

1 Art. 1 des Haager Übereinkommens v. 5.10.1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation umfasst ausdrücklich „amtliche Bescheinigungen, die auf Privaturkunden angebracht sind“ und nennt dabei Beglaubigungen von Unterschriften (Art. 1 Abs. 2d).

Reithmann/Stelmaszczyk | 419

§ 5 Rz. 5.328 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

Erklärenden von einem Notar beglaubigt werden“. Damit bestimmt das inländische Verfahrensrecht für die vorgelegte Urkunde ein Formerfordernis. Für die Anwendung (oder Nichtanwendung) dieses Erfordernisses sagt das Kollisionsrechts nichts. Hier kann von der (in anderem Zusammenhang entwickelten) Methode der Substitution ausgehend der Gedanke der Gleichwertigkeit Bedeutung gewinnen. Es geht darum, ob die vom ausländischen Notar errichtete Vermerkurkunde dem in § 129 BGB genannten Erfordernis („durch einen Notar beglaubigt“) gleichgestellt werden kann (Rz. 5.347).

5.329

§ 129 BGB meint damit zunächst den nach der Bundesnotarordnung ernannten inländischen Notar. Ob im Ausland bestellte Notare dem gleichgestellt werden können, ist nach den Regeln der Substitution zu beurteilen1. Es kommt darauf an, ob der ausländische Notar dem in § 129 BGB genannten inländischen Notar nach Status und Verfahren substituiert werden kann (Rz. 5.347 f.). Dies setzt voraus, dass auch der ausländische Notar wie der inländische Notar als Organ der Rechtspflege handelt. Deshalb ist die Beglaubigung der Unterschrift durch eine Person, die nicht der Aufsicht und Kontrolle der Rechtspflege unterliegt, nicht substituierbar i.S.d. § 129 BGB.

5.330

Bei der im Rahmen der Substitution geforderten Gleichwertigkeit des Verfahrens kommt es auf den Umfang der Mitwirkung der Urkundsperson an. Anders als bei der Errichtung einer Protokollurkunde ist eine konsultative Mitwirkung des Notars bei der Errichtung einer Vermerkurkunde (z.B. Unterschriftsbeglaubigung) grundsätzlich nicht gefordert. Eine Verhandlung sieht das Beurkundungsgesetz hier nicht vor. Trotzdem ist auch in diesem Verfahren eine Mitwirkung der Urkundsperson gefordert, die über die Verifizierung der Erklärung hinausgeht2. Der Notar hat die Urkunde darauf zu prüfen, ob Gründe bestehen, seine Amtstätigkeit zu versagen (§ 40 Abs. 2 BeurkG), auch darauf, ob die Erklärung wirklich ernst gemeint ist und nicht etwa nur einen Entwurf darstellt.

5.331

Wie jede Bezeugung muss auch die Bezeugung der Fertigung oder Anerkennung einer Unterschrift auf einer persönlichen Wahrnehmung des Notars beruhen. Diese ist nicht gegeben, wenn der Notar eine ihm vorliegende Unterschrift verifiziert, ohne die Erklärung persönlich wahrgenommen zu haben. Hertel3 nennt hier die Fernbeglaubigung, die Beglaubigung nach Unterschriftsvergleich und die Beglaubigung nach Drittbestätigung durch andere Personen.

5.332

Das Schriftstück, auf das sich die Unterschrift bezieht, muss persönlich von der Urkundsperson wahrgenommen werden. Liegt dieses Schriftstück dem Notar nicht vor, ist das Erfordernis des § 129 BGB nicht erfüllt4.

1 Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 157 fordert „zumindest, dass die Beglaubigung von einer mit entsprechender öffentlicher Befugnis ausgestatteten Urkundsperson vorgenommen wurde“, „dass die Beglaubigung nach dem maßgeblichen ausländischen Verfahrensrecht wirksam vorgenommen wurde“ und „dass das ausländische Recht dieser Beglaubigungsform ebenfalls Beweiskraft und Echtheitsvermutungen ähnlich §§ 416, 418, 440 Abs. 2 ZPO zumisst“. 2 Beschränkt auf Evidenzkontrolle, Limmer in Frenz/Miermeister, BNotO, § 40 Rz. 19 ff.; Winkler, BeurkG, § 40 BeurkG Rz. 41 ff. 3 Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 158. 4 Hertel verlangt, ausländische Unterschriftsbeglaubigungen zurückzuweisen, wenn weder das ausländische Beurkundungsrecht persönliche Leistung oder Anerkennung der Unterschrift vor dem Notar generell erfordert, noch sich (etwa aus dem Beglaubigungsvermerk) ergibt, dass die Beglaubigung (auch ohne gesetzliches Erfordernis) nach Leistung oder Anerkennung der Unterschrift vor dem Notar erfolgte. Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 158.

420 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.336a § 5

Wie die Erklärung geäußert wurde, ob durch Unterzeichnung oder durch andere Mittel des Bekennens zum Schriftstücks (mündlich oder konkludent), ist gleichgültig. Obwohl § 40 BeurkG die Alternative „Unterschrift vollzogen“ oder „anerkannt“ nennt und bestimmt, dass der Vermerk angibt, welche Alternative vorliegt, kann die Angabe der Alternative nicht zu den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts gezählt werden: Das Wort „Anerkennung“ umfasst auch die schriftliche Anerkennung durch Unterzeichnung. Was § 415 ZPO mit „vollem Beweis“ ausstattet, ist der Vorgang des Bekennens zu dem vorliegenden Schriftstück.

5.333

Praktisch muss es (wie in § 437 ZPO) auf das Erscheinungsbild der Urkunde ankommen:

5.334

Wenn aus dem vorliegenden Beglaubigungsvermerk eine persönliche Wahrnehmung des Notars ersichtlich ist, steht der „Anerkennung“ des vom ausländischen Notar errichteten Beglaubigungsvermerks i.d.R. nichts entgegen, z.B. wenn er die Worte „subscribed before me“ enthält. Hier muss sich der Rechtsverkehr auf die Angabe des ausländischen Notars im Beglaubigungsvermerk verlassen. Dies wird auch mit dem Erfahrungssatz begründet, dass öffentliche Behörden und Notare die für sie maßgebenden Zuständigkeiten und Formvorschriften beachten1. Dies gilt insbesondere, wenn der Status des Notars in der Apostille nach Art. 3 des Haager Übereinkommens angegeben ist.

5.335

d) „Einbringung der Urkunde“ in das inländische Verfahren Von der Errichtung der Urkunde zu unterscheiden ist die Einbringung der Urkunde in das inländische Verfahren. Anmeldungen zur Eintragung in das Handelsregister sind gem. § 12 Abs. 1 S. 1 HGB „elektronisch in öffentlich beglaubigter Form einzureichen“. Nach § 12 Abs. 2 S. 1 HGB sind auch Dokumente „elektronisch einzureichen“. Ist ein „notariell beurkundetes Dokument oder eine öffentlich beglaubigte Abschrift einzureichen, so ist ein mit einem einfachen elektronischen Zeugnis (§ 39a des Beurkundungsgesetzes) versehenes Dokument zu übermitteln (§ 12 Abs. 2 S. 2 HS 2 HGB). Das Handelsregisterverfahren verlangt mithin eine „elektronische Einbringung“. Dies setzt einen Medienwechsel (von der Papierurkunde zum elektronischen Dokument) voraus. Grund hierfür ist, dass nach geltendem Recht eine unmittelbare öffentliche Beglaubigung in elektronischer Form nicht möglich ist, da nur die Beglaubigung von Unterschriften, nicht aber von elektronischen Signaturen zulässig ist2 (zu den Änderungen durch das DiRUG s. Rz. 5.344).

5.336

Zur elektronischen Einbringung der Anmeldung einer Eintragung in das Handelsregister hat der BGH jüngst entschieden, dass die Anmeldungserklärung nur dann in der nach § 12 Abs. 1 S. 1 HGB vorgeschriebenen elektronischen Form beim Registergericht eingereicht wird, wenn sie gem. § 12 Abs. 2 S. 2 HS. 2 HGB mit einem einfachen elektronischen Zeugnis eines Notars gemäß § 39a BeurkG versehen ist3. Die Übermittlung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Ausstellers der Anmeldung gem. § 126a BGB reiche nicht aus, da diese Vorschrift lediglich die bei der Erstellung der elektronischen Erklärung einzuhaltende Form regelt, nicht aber, welche Form bei der anschließenden elektronischen Übermittlung dieser Erklärung zu wahren ist4. Diese Frage werde für die elektronische Übermittlung von Eintragungsanmeldungen an das Registergericht von § 12 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 2 HS. 2 HGB beantwortet. Hinsichtlich des Zusammenspiels von § 12 Abs. 2 S. 2 HS. 2 HGB und

5.336a

1 2 3 4

Hertel in Meikel, GBO (2021) Einl. G Rz. 370 mit ausführlichen Literaturhinweisen. Krafka in MünchKomm HGB (2021), § 12 HGB Rz. 18. BGH v. 15.6.2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488 Rz. 13 = WM 2021, 1440. BGH v. 15.6.2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488 Rz. 18 = WM 2021, 1440.

Reithmann/Stelmaszczyk | 421

§ 5 Rz. 5.336a | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

§ 12 Abs. 1 S. 1 HGB stellt der BGH zunächst klar, dass § 12 Abs. 2 HGB nicht nur auf Dokumente anwendbar ist, die als Anlagen zur Anmeldung einzureichen sind, sondern auch auf die Anmeldung selbst1. Weiter führt der BGH aus: „Dass § 12 Abs. 1 HGB bereits Regelungen zur Anmeldungserklärung und deren Einreichung enthält, lässt nicht den Schluss zu, dass diese Regelungen abschließend und die weiteren Formvorschriften des § 12 Abs. 2 HGB auf die Anmeldungserklärung nicht anwendbar sein sollten. Vielmehr erfordert die Funktion des Handelsregisters, insbesondere die mit einer dortigen Eintragung verbundene Publizitätswirkung, eine besondere Richtigkeitsgewähr bei der elektronischen Übermittlung der Anmeldung, die allein durch § 12 Abs. 1 S. 1 HGB nicht sichergestellt wäre. Die nach § 12 Abs. 1 S. 1 HGB vorgeschriebene öffentliche Beglaubigung der Anmeldung dient lediglich dem Nachweis, dass diese Erklärung von einer bestimmten Person abgegeben wurde. Sie besagt aber noch nichts darüber, ob diese (öffentlich beglaubigte) Anmeldungserklärung in Papierform auch inhaltlich mit dem Dokument übereinstimmt, das anschließend elektronisch bei Gericht eingereicht wird. Dieser „Medienwechsel“ von der Anmeldung in Papierform zur Anmeldung in elektronischer Form erfordert eine zusätzliche Bestätigung der inhaltlichen Übereinstimmung des Papierdokuments mit dem elektronisch übermittelten Dokument. Hierfür bedarf es in Anbetracht der Publizitäts-, Verkehrsschutz- und Informationsfunktion des Handelsregisters einer besonderen Richtigkeitsgewähr, für die die Bestätigung durch einen unabhängigen Träger eines öffentlichen Amtes gem. § 39a BeurkG geboten ist.“2.

5.337

Für den notwendigen Medienwechsel gestattet § 39a Abs. 1 S. 1 BeurkG dem deutschen Notar die „Errichtung von Beglaubigungen und Zeugnissen in elektronischer Form“3. Wie das elektronische Dokument erstellt wird, regelt § 39a BeurkG nicht. In der Praxis werden im Signaturprogramm meist nur kurze Vermerkurkunden (Abschrifts- und/oder Unterschriftsbeglaubigungen) erstellt, während längere Vermerke regelmäßig in Papierform errichtet und dann eingescannt werden4. Die beglaubigte Abschrift der Originalerklärung wird i.d.R. im Format PDF/A oder TIFF erstellt5. § 39a Abs. 1 S. 2 BeurkG verlangt vom deutschen Notar, „das hierzu erstellte Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen“. Der gemäß § 39a Abs. 2 S. 1 BeurkG erforderliche Nachweis der Notareigenschaft kann durch ein Attribut der Notareigenschaft als Bestandteil des qualifizierten Zertifikats erbracht werden6. Ausschließlich der Notar kann die relevanten Daten mithilfe seiner persönlichen Signaturkarte und der dazugehörigen PIN mit einer qualifizierten elektronischen Signatur mit Notarattribut versehen7. Die qualifizierte elektronische Signatur entspricht dabei – bildlich gesprochen – der herkömmlichen Unterschrift, das Notarattribut dem Siegel.

1 BGH v. 15.6.2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488 Rz. 19 = WM 2021, 1440. 2 BGH v. 15.6.2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488 Rz. 19 = WM 2021, 1440. 3 Zur elektronischen Beglaubigung Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 132 ff. Im Falle des OLG Schleswig v. 13.12.2007 – 2 W 198/07, IPRax 2009, 79 (Buchstabe d) handelte es sich nicht um die Anmeldung (Erhöhung einer Kapitaleinlage) selbst, sondern um die dieser Anmeldung beigefügten Unterlagen. 4 Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 140. 5 Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 141; Krafka in MünchKomm HGB (2021), § 12 HGB Rz. 20, jew. mit dem Hinweis, dass ebenso wie bei der Papierform auch eine Reinschrift erstellt werden kann (auch die elektronische Abschrift muss nur textgleich, nicht bildgleich sein). 6 Büttner, JurPC Web-Dok. 117/2016, Abs. 28 f.; Eickelberg, NZG 2015, 81 (83); zur sicheren Gewährleistung, dass das Notarattribut nur von Amtsträgern eingesetzt werden kann, s. § 2a DONot sowie Bettendorf/Apfelbaum, DNotZ 2008, 19 (30 ff.) und Bormann/Apfelbaum, RNotZ 2007, 15 (17), jew. m.w.N. 7 Bormann/Apfelbaum, RNotZ 2007, 15 (16).

422 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.339 § 5

In einem abschließenden Schritt ist die auf diese Weise hergestellte elektronische Urkunde beim Registergericht „elektronisch einzureichen“. Hierzu übermittelt der Notar zusammen mit der Handelsregisteranmeldung einen XML-Strukturdatensatz mit Hilfsdaten an das Gericht1. Dies ermöglicht eine automatisierte Übertragung der anzumeldenden Daten in das elektronische Handelsregister, was seit Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs durch das EHUG2 zu einer spürbaren Beschleunigung des Eintragungsverfahrens geführt hat. Der Notar verschickt die Daten über sein Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) an das Gericht, welches den Eingang unter Angabe des genauen Zeitpunkts automatisiert bestätigt3. Das EGVP basiert auf dem technischen OSCI-Standard und ermöglicht eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, die eine umfassende Vertraulichkeit gewährleistet4. Die notarielle Signatur erlaubt dem Gericht nicht nur die sichere Feststellung der Urheberschaft der übermittelten Daten5, sondern sorgt durch die Übermittlung von Hash-Werten auch dafür, dass das Gericht die Daten darauf überprüfen kann, ob sie auf dem Weg zwischen Notar und Gericht verändert wurden6.

5.338

Für das Grundbuchverfahren hat das ERVGBG7 vom 11.8.2009 mit § 135 GBO eine Rechtsgrundlage geschaffen, wonach die jeweilige Landesregierung durch Rechtsverordnung die elektronische Antragstellung zum Grundbuch zulassen kann, und zwar auch zunächst nur für einzelne Grundbuchämter (§ 135 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GBO)8. Dabei kann die Rechtsverordnung die Notare verpflichten, ihre Anträge, Eintragungsbewilligungen und andere Eintragungsunterlagen in elektronischer Form mit strukturierten Daten einzureichen (§ 135 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 GBO). Von dieser Ermächtigung machen die Bundesländer mittlerweile in zunehmendem Maße Gebrauch.

5.339

1 XML ist ein Dateiformat, das es Computersystemen ermöglicht, die übermittelten Daten automatisch auszulesen und weiterzuverarbeiten; vgl. Büttner, JurPC Web-Dok. 117/2016, Abs. 28 f.; Eickelberg, NZG 2015, 81 (84). 2 Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) v. 10.11.2006 (BGBl. 2006 I, 2533). 3 Bei dem EGVP handelt es sich um eine Software, die gleichsam das „Botenfach“ bei den Gerichten ersetzt und deutschlandweit funktioniert; Eickelberg, NZG 2015, 81 (83 f.). Zudem verfügt inzwischen jeder Notar über ein von der Bundesnotarkammer eingerichtetes besonderes elektronisches Notarpostfach, vgl. § 78n BNotO i.d.F. des Gesetzes zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze, BT-Drucks. 18/10607. 4 Eickelberg, NZG 2015, 81 (83 f.); Mödl/Schmidt, ZIP 2008, 2332 (2334). 5 Eickelberg, NZG 2015, 81 (84); Jeep/Wiedemann, NJW 2007, 2439 (2441); Bormann/Apfelbaum, RNotZ 2007, 15 (16 f.). 6 Bormann/Apfelbaum, RNotZ 2007, 15 (16); Eickelberg, NZG 2015, 81 (84). Bei den Hash-Werten handelt es sich um einen aus der TIFF- oder PDF/A-Datei errechneten Wert, welcher einmalig ist, und sich bei jeder Veränderung der Datei seinerseits verändert. Dieser Wert wird mit dem sog. privaten Schlüssel verschlüsselt und kann ausschließlich mit dem öffentlichen Schlüssel entschlüsselt werden. Die rechtssichere Zuordnung erfolgt durch sog. Trust Center (bei Notaren i.d.R. die Bundesnotarkammer) als vertrauenswürdige Dritte. Das gesamte Verfahren unterliegt strengen Sicherheitsvorgaben. So werden etwa die Signaturkarten (und damit die mathematischen Schlüssel) – wie vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) verlangt – regelmäßig ausgetauscht und weiterentwickelt. 7 Gesetz zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte im Grundbuchverfahren sowie zur Änderung weiterer grundbuch-, register- und kostenrechtlicher Vorschriften (BGBl. 2009 I 2713). 8 Vgl. Hertel in Staudinger (2017), § 129 BGB Rz. 139.

Reithmann/Stelmaszczyk | 423

§ 5 Rz. 5.340 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

e) Notarielle Prüfpflicht und Einreichungszuständigkeit (§ 378 Abs. 3 FamFG, § 15 Abs. 3 GBO)

5.340

Mit dem Gesetz zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer v. 1.6.20171 hat der Gesetzgeber die notarielle Prüfpflicht und Einreichungszuständigkeit für Registersachen (mit Ausnahme der Genossenschafts- und Partnerschaftsregistersachen) in § 378 Abs. 3 FamFG gesetzlich konkretisiert2.

5.341

Gemäß § 378 Abs. 3 S. 1 FamFG ist die Handelsregisteranmeldung vor ihrer Einreichung beim Registergericht von einem Notar auf Eintragungsfähigkeit zu prüfen. Die Pflicht zur Durchführung einer notariellen Eintragungsfähigkeitsprüfung ist registerverfahrensrechtlicher Natur und besteht unabhängig vom Beglaubigungserfordernis des § 12 Abs. 1 S. 1 HGB3.Die Prüfung erfolgt nicht zugunsten der Beteiligten, sondern ausschließlich im öffentlichen Interesse; sie ist zugleich formelle Eintragungsvoraussetzung, d.h. ohne Prüfung durch den Notar kann das Registergericht die Eintragung im Handelsregister nicht vornehmen4. Eine (rechtswidrig) ohne notarielle Eintragungsfähigkeitsprüfung vorgenommene Eintragung ist gleichwohl wirksam. Zuständig ist ausschließlich der im Inland bestellte Notar. Im Ausland ansässige Notare sind im deutschen Recht institutionell unerfahren5 und vermögen die mit der notariellen Prüfpflicht verfolgten Ziele der materiellen Richtigkeitsgewähr, des Verkehrsschutzes sowie der Entlastung der Registergerichte nicht zu erfüllen6. Inhaltlich bezieht sich die Eintragungsfähigkeitsprüfung auf den rechtlichen Gehalt und die zutreffende Formulierung der Anmeldung; außerhalb der Anmeldung liegende Umstände, wie z.B. Fragen der Vertretungsmacht, werden von der Prüfpflicht nicht erfasst7. Der Notar muss die Vornahme und das Ergebnis der Prüfung grundsätzlich in Form eines notariellen Vermerks i.S.v. §§ 39, 39a BeurkG bescheinigen8.

5.342

Die Anmeldung ist nach § 378 Abs. 3 S. 2 FamFG bei einem Notar zur Weiterleitung an das Registergericht einzureichen. Die Anmeldung kann mithin nicht von den Beteiligten selbst beim Registergericht eingereicht werden; zuständig für die Einreichung ist ausschließlich der (inländische) Notar9.

1 BGBl. 2017 I, 1396. 2 Vgl. hierzu ausf. Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487; Eickelberg/Böttcher, FGPrax 2017, 145; J. Weber, RNotZ 2017, 427, jew. m.w.N. 3 Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (491 f.) m.w.N. 4 Eickelberg/Böttcher, FGPrax 2017, 145 (146); Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (492) mit Hinweis auf die Stellungnahme des BR, BR-Drucks. 602/16(B), 14 f. und 17. 5 Vgl. für das Bayer, GmbHR 2013, 897 (913). 6 So zutr. Eickelberg/Böttcher, FGPrax 2017, 145 (146); ebenso J. Weber, RNotZ 2017, 427 (432) zur Parallelvorschrift des § 15 Abs. 3 GBO. 7 Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (495 f.); J. Weber, RNotZ 2017, 427 (435); Eickelberg/Böttcher, FGPrax 2017, 145 (147). 8 So zutr. J. Weber, RNotZ 2017, 427 (436); Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (497 f.); Eickelberg/ Böttcher, FGPrax 2017, 145 (147), jeweils mit Hinweis auf Entbehrlichkeit des Prüfvermerks in Fällen, in denen die Anmeldung nach §§ 6 ff. BeurkG beurkundet wurde oder der Notar bereits den Entwurf der Anmeldung gefertigt hat und dies hinreichend deutlich aus der Urkunde hervorgeht; s. – mit Formulierungsvorschlägen – auch das Rundschreiben der BNotK Nr. 5/2017 v. 23.5.2017, S 7. 9 Eickelberg/Böttcher, FGPrax 2017, 145 (147); J. Weber, RNotZ 2017, 427 (435).

424 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.346 § 5

Eine der Regelung des § 378 Abs. 3 S. 2 FamFG entsprechende notarielle Prüfpflicht hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 3 GBO eingeführt1. Danach sind die zu einer Eintragung erforderlichen Erklärungen vor ihrer Einreichung für das Grundbuchamt von einem Notar auf Eintragungsfähigkeit zu prüfen. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Erklärung von einer öffentlichen Behörde abgegeben wird.

5.343

f) Online-Handelsregisteranmeldungen nach dem DiRUG Das DiRUG (dazu Rz. 5.211) führt mit Wirkung zum 1.8.2022 nicht nur die notarielle Distanzbeurkundung von Willenserklärungen für GmbH-Gründungen ein, sondern schafft erstmals auch die Möglichkeit, sämtliche Handelsregisteranmeldungen von Einzelkaufleuten, Kapitalgesellschaften und Zweigniederlassungen der vorgenannten Rechtsformen sowie EU-/ EWR-Kapitalgesellschaften vollständig online vorzunehmen (§ 12 Abs. 1 S. 2 HGB n.F.)2.

5.344

In technischer Hinsicht ist das Online-Beglaubigungsverfahren weitgehend mit dem Verfahren zur Beurkundung von Willenserklärungen für die Online-Gründung der GmbH identisch. Auch im Online-Beglaubigungsverfahren ist gem. § 40a Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BeurkG n.F. zwingend das von der Bundesnotarkammer betriebene Videokommunikationssystem nach § 78p BnotO n.F. zu nutzen, was auch die Identifizierung nach § 16c BeurkG n.F. einschließt (§ 40a Abs. 4 S. 2 BeurkG n.F.)3. Öffentlich beglaubigt wird nach § 129 Abs. 1 Nr. 2 BGB n.F. die qualifizierte elektronische Signatur des Erklärenden, was nach § 40a Abs. 1 S. 1 BeurkG n.F. ausschließlich im Wege der Anerkennung erfolgen kann4. Der in der Papierwelt nach § 40 Abs. 1 BeurkG daneben mögliche Vollzug der Unterschrift in Gegenwart eines Notars kommt bei der öffentlichen Beglaubigung einer qualifizierten elektronischen Signatur hingegen nicht in Betracht, da der Notar das Anbringen einer elektronischen Signatur nicht sinnlich nachvollziehen kann5. Der Notar bestätigt durch den Beglaubigungsvermerk nebst seiner qualifizierten elektronischen Signatur, dass die vor ihm mittels Videokommunikation erschienene und eindeutig identifizierte Person die auf ihren Namen lautende qualifizierte elektronische Signatur anerkannt hat6.

5.345

An der Einreichung der Anmeldung zum Handelsregister ändert sich hingegen nichts. Diese muss auch weiterhin gem. § 12 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 2 HS. 2 HGB elektronisch beim Registergericht eingereicht werden. Handelsregisteranmeldungen sind gem. § 378 Abs. 3 FamFG auch weiterhin von einem (inländischen) Notar auf Eintragungsfähigkeit zu prüfen und bei einem (inländischen) Notar zur Weiterleitung an das Registergericht einzureichen.

5.346

1 Dazu J. Weber, RNotZ 2017, 427. 2 Dazu Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849 Rz. 77 f.; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (775). Auf die durch das DiRUG daneben geschaffene Möglichkeit der Präsenzbeglaubigung einer qualifizierten Signatur nach § 40a Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BeurkG n.F. soll hier aus Raumgründen nicht näher eingegangen werden. 3 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 128 f.; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849 Rz. 78; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (775). 4 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 128 f.; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849 Rz. 78; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (775). 5 Begr. DiRUG-RegE, BT-Drucks. 19/28177, S. 128 f.; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765 (775). 6 Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849 Rz. 78.

Reithmann/Stelmaszczyk | 425

§ 5 Rz. 5.347 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

V. Substitution 1. Methode der Substitution a) Ausgangspunkt

5.347

Substitution wird als Methode teleologischer Normauslegung auf den verschiedensten Rechtsgebieten immer dann angewendet, „wenn Rechtsnormen auf Rechtserscheinungen Bezug nehmen, ohne ausdrücklich zu sagen, ob darunter auch entsprechende fremdrechtliche Vorgänge zu verstehen sind“1. Neben manchen anderen Fragen geht es darum, ob die durch deutsche Normen vorgegebene notarielle Beurkundung oder Beglaubigung auch durch im Ausland bestellte Notare möglich ist und unter welchen Voraussetzungen. Wie Winkler von Mohrenfels2 ausführt, ist „entscheidend für die positive oder negative Beantwortung der Substitutionsfrage, ob der nach ausländischem Recht beurteilte Rechtsvorgang bzw. Rechtsbegriff den Zweck der Formvorschrift in gleicher Weise zu erfüllen vermag wie der entsprechende inländische Rechtsvorgang bzw. Rechtsbegriff“. Beide Rechtsinstitute müssen im Sinne der Formvorschrift äquivalent sein. Hierbei sind die Wirkungen und die Funktion der Institute miteinander zu vergleichen.

5.348

Die solchermaßen definierte Methode der Substitution bedarf für ihre praktische Handhabbarkeit der Präzisierung.

5.349

Methodisch hat die Prüfung der Substitution einer nach dem deutschen Recht vorgeschriebenen notariellen Beurkundung oder Beglaubigung stets mit der Ermittlung der konkreten Normzwecke der betroffenen Formpflicht zu beginnen. In einem zweiten Schritt ist zu fragen, ob die so ermittelten Formzwecke durch die Auslandsbeurkundung gleichermaßen erfüllt werden können3. Das bedeutet, dass die inländischen und ausländischen Rechtsinstitute der notariellen Beurkundung oder Beglaubigung nicht abstrakt zu vergleichen sind, sondern immer in Bezug auf die Erfüllung der konkreten Normzwecke der in Frage stehenden Formpflicht. b) Zweistufige Prüfung

5.350

Für die Frage, ob die konkreten Normzwecke einer in Frage stehenden Formpflicht durch eine Auslandsbeurkundung gleichermaßen erfüllt werden können, hat sich im kollisionsrechtlichen Schrifttum eine zweistufige Prüfung herausgebildet4:

5.351

Zunächst muss die inländische Rechtsnorm substituierbar sein, d.h. die inländische Rechtsnorm muss es nach ihrem Regelungszweck überhaupt zulassen, dass eine ausländische Rechtshandlung bzw. ein ausländisches Rechtsinstitut unter das maßgebliche normative Tatbestandsmerkmal subsumiert wird. Insoweit wird auch von der „Substitutionsoffenheit“ einer inländischen Rechtsnorm5 bzw. von der „Statthaftigkeit der Substitution“6 gesprochen. In der Sache beschreiben die unterschiedlichen Begrifflichkeiten denselben Prüfungsschritt: Eine Aus1 2 3 4

von Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 247 ff. Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 196. Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (180); Stelmaszczyk, GWR 2018, 103 (104). Lieder, ZIP 2018, 805 (810); Lieder, ZIP 2018, 1517 (1522); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (183); v. Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 252 f. 5 So etwa Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1191 f.) m.w.N. 6 So etwa Lieder, ZIP 2018, 1517 (1522); Lieder, ZIP 2018, 805 (810 f.); v. Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 252.

426 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.355 § 5

legung des zu substituierenden normativen Tatbestandsmerkmals einer inländischen Rechtsvorschrift kann ergeben, dass dieses von vornherein ausschließlich durch eine inländische Rechtshandlung bzw. ein inländisches Rechtsinstitut erfüllt werden kann1. Ist eine inländische Rechtsnorm mit Blick auf ihren Regelungszweck grundsätzlich substituierbar, ist im zweiten Schritt danach zu fragen, ob die ausländische Rechtshandlung der inländischen Rechtshandlung gleichwertig ist (Gleichwertigkeitsprüfung)2.

5.352

c) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs der Substituierbarkeit (1. Stufe) Nach verbreiteter Auffassung ist davon auszugehen, dass die inländischen Rechtsnormen des Privatrechts der Substitution prinzipiell zugänglich sind3. Das deutsche Zivilrecht sei im Interesse des internationalen Rechtsverkehrs grundsätzlich substitutionsoffen ausgestaltet. Für einen Ausschluss der Substitution soll es daher gewichtiger Gründe bedürfen, die auf dem besonderen Regelungszweck der betroffenen inländischen Rechtsnorm beruhen müssen4. Wie jedoch Tebben aufgezeigt hat, gilt ein solches Regel-Ausnahme-Verhältnis für „verfahrensgebundene Rechtsvorgänge“, d.h. Behördenakte und Handlungen von Privaten, bei denen Behörden in einem wie auch immer ausgestalteten Verfahren mitzuwirken haben, in dieser Allgemeinheit nicht5. Vielmehr erfordern diese Vorgänge regelmäßig eine wertungsoffene Einzelprüfung unter Würdigung sowohl der je nach Norm unterschiedlichen Verfahrensverbundenheit des in Rede stehenden Rechtsvorgangs als auch des Zwecks der betreffenden Gesamtnorm6.

5.353

Das Ergebnis dieser Prüfung ist lediglich dann vorgegeben, wenn der Gesetzgeber ausdrücklich die Mitwirkung einer inländischen öffentlichen Stelle oder die Einhaltung der Formalien im Inland vorschreibt. In diesen Fällen hat der Gesetzgeber den Ausschluss der Substituierbarkeit explizit angeordnet. Zu dieser Fallgruppe gehören z.B. die Regelungen des Art. 13 Abs. 4 S. 1 EGBGB und des Art. 17 Abs. 3 EGBGB für die Eingehung bzw. die Scheidung der Ehe sowie die Vorschrift des § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO über die Beurkundung einer Vollstreckungsunterwerfung.

5.354

Aus dem Fehlen einer solchen expliziten Anordnung des Gesetzgebers darf indes nicht der voreilige Schluss gezogen werden, dass in allen anderen Fällen verfahrensgebundener Rechts-

5.355

1 Lieder, ZIP 2018, 1517 (1522); Lieder, ZIP 2018, 805 (810 f.); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (183); Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Weller, ZGR 2014, 865 (876); Mansel, FS Kropholler (2008), 353 (367); v. Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 252; Kropholler, IPR, § 33 II 1. 2 Lieder, ZIP 2018, 1517 (1522); Lieder, ZIP 2018, 805 (810 f.); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (183); Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1191); Weller, ZGR 2014, 865 (877); Mansel, FS Kropholler (2008), 353 (368); v. Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 255; Kropholler, IPR, § 33 II 2. 3 Vgl. (zu § 337 InsO) BAG v. 24.9.2015 – 6 AZR 492/14, NJW 2016, 345 Rz. 46; ferner allgemein v. Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 252; Mansel, FS Kropholler (2008), 353 (367). 4 v. Hein in MünchKomm, Bd. 12, 8. Aufl. 2020, Einl. IPR Rz. 252; Kropholler, IPR, § 33 II 1. 5 Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192) mit Hinweis auf Ferid, GRUR Int. 1973, 472 (475); vgl. Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (183 f.). 6 Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192) mit Hinweis auf Ferid, GRUR Int. 1973, 472 (477); vgl. Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (183 f.).

Reithmann/Stelmaszczyk | 427

§ 5 Rz. 5.355 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

vorgänge die in Rede stehende Formvorschrift prinzipiell substituierbar wäre1. Anerkanntes Beispiel für eine nicht substituierbare bzw. geschlossene Formvorschrift ist § 925 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach für die Entgegenahme der Auflassung eines Grundstücks „jeder Notar“ zuständig ist. Es entsprach auch schon vor der Entscheidung des BGH2 v. 13.2.2020 (dazu unter Rz. 5.363) der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum und der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass dies nur ein inländischer Notar sein kann, auch wenn dies im Gesetz keinen expliziten Ausdruck gefunden hat3. Das Gesetz will damit nämlich die Schaffung einer nach deutschem Recht rechtsfehlerfreien und unzweideutigen Grundlage für den Vollzug der Eigentumsumschreibung im Grundbuch gewährleisten4. Dass früher auch die Amtsgerichte allgemein zur Entgegennahme der Auflassung berufen waren und heute die Auflassung auch wirksam in einem gerichtlichen Vergleich oder in einem rechtskräftig bestätigten Insolvenzplan erklärt werden kann, zeigt, dass das Gesetz den Notar in der Wahrnehmung seiner Urkundstätigkeit als Außenstelle der Justiz einordnet5. Diese Funktion kann er nur deshalb wahrnehmen, weil er als öffentlicher Amtsträger für die Beurkundung von Rechtsvorgängen und andere Aufgaben auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege bestellt ist (§ 1 BNotO), was u.a. die Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz voraussetzt (§ 5 BNotO). Ausländische Urkundspersonen sind hingegen in keiner Weise institutionell als Rechtspflegeorgane in das System der vorsorgenden Rechtspflege deutschen Rechts eingebunden und verfügen gerade nicht über institutionell gesicherte Kenntnisse im deutschen Recht, weshalb eine Gleichwertigkeit im Sinne der Substitutionsprüfung bei § 925 Abs. 1 S. 2 BGB von vornherein ausscheidet6. d) Präzisierung des Prüfungsmaßstabs der Gleichwertigkeit (2. Stufe) aa) Allgemein

5.356

Grundlegend für den Prüfungsmaßstab der Gleichwertigkeit ist die Entscheidung des BGH7 v. 16.2.1981. Die Entscheidung hatte die Änderung eines GmbH-Gesellschaftsvertrags zum Gegenstand und betraf das Formerfordernis der notariellen Beurkundung gem. § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG, mithin eine Frage des materiellen Rechts. Die Bedeutung dieser Entscheidung liegt darin, dass sie die für die Gleichwertigkeit maßgebenden Gesichtspunkte präzisierte. Nach Auffassung des BGH ist Gleichwertigkeit gegeben, „wenn die ausländische Urkundsperson nach Vorbild und Stellung im Rechtsleben eine der Tätigkeit des deutschen Notares entsprechende Funktion ausübt und für die Errichtung der Urkunde ein Verfahrensrecht zu beachten hat, das den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht“8.

1 Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184). 2 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3 /16, NJW 2020, 1670 (Ls.) 3 Lieder, ZIP 2018, 805 (811); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184); Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Thorn in Palandt, Art. 11 EGBGB Rz. 10; Ruhwinkel in MünchKomm, 8. Aufl. 2020, § 925 BGB Rz. 14; BayObLG DNotZ 1978, 58 (62); OLG Köln Rpfleger 1972, 134; KG NJW-RR 1986, 1462. 4 Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184); Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Ruhwinkel in MünchKomm, 8. Aufl. 2020, § 925 BGB Rz. 15. 5 Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184). 6 Tebben, GmbHR 2018, 1190 (1192); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184). 7 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = ZIP 1981, 402 = NJW 1981, 1160. 8 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 (78) = ZIP 1981, 402 = NJW 1981, 1160.

428 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.360 § 5

Maßgeblich ist nach dem BGH mithin der Status der im Ausland bestellten Urkundsperson (persönliche Gleichwertigkeit) und das von dieser zu beachtende Verfahren der Mitwirkung (sachliche Gleichwertigkeit).

5.357

bb) Status der Urkundsperson Für den Status des inländischen Notars entscheidend ist zunächst seine Stellung als Organ der Rechtspflege, die Einordnung der Urkundsperson in das System der Rechtspflege. Im Rahmen der vorsorgenden Rechtspflege stellt das deutsche Recht ein Netz von unabhängigen rechtskundigen Urkundspersonen gebietsdeckend zur Verfügung. Durch die Übernahme dieser Aufgabe und ihre Einordnung in die Rechtspflege ist die Stellung des deutschen Notars im Rechtsleben und seine Funktion in der Rechtspflege bestimmt (§ 1 BNotO)1. Die ausländische Urkundsperson muss demnach eine vergleichbare unabhängige Stellung auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege innehaben. Zudem muss sie über ein abgeschlossenes Vollstudium der Rechtswissenschaften verfügen (vgl. § 5 BNotO). Dies ist bei ausländischen Notaren schon allein deshalb unerlässlich, weil von ihnen – soweit man die Substituierbarkeit der in Frage stehenden Formvorschrift unterstellt – die Einarbeitung in ein fremdes Recht und der Umgang mit fremden Rechtsprinzipien verlangt wird2.

5.358

cc) Verfahren der Mitwirkung des Notars Neben dem Status des Notars kommt es auf das von ihm zu beachtende Verfahren an. Der BGH3 verlangt, „dass für die Errichtung der Urkunde ein Verfahrensrecht zu beachten ist, das den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht“. Der BGH nennt dafür beispielhaft

5.359

– Prüfungs- und Belehrungspflicht des Notars – Identitätsfeststellung der Beteiligten – Verhandlungsniederschrift – Vorlesen der Niederschrift – Genehmigung und Unterzeichnung durch die Beteiligten – Siegel und Unterzeichnung durch den Notar. Diese Voraussetzungen entnahm der BGH einem Gutachten aus dem Jahr 19714, und erachtete die Gleichwertigkeit – und damit das Formerfordernis des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG – durch die Mitwirkung eines Züricher Notars als erfüllt. Allerdings behandelte das Gutachten eine ganz andere Frage, nämlich, welche Voraussetzungen allgemein das Züricher Recht an Beglaubigungen stellt. Daraus kann, wie Goette5 ausführt, „nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass auch für alle anderen nach dem Gesellschaftsstatut erforderlichen Formerfordernisse Gleichwertigkeit bejaht werden kann“.

1 S. Reithmann, Vorsorgende Rechtspflege (1989). 2 Lieder, ZIP 2018, 1517 (1524 f.) mit einer Bewertung für Notare in den Kantonen Basel-Stadt, Bern und Zürich. 3 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 (78) = ZIP 1981, 402 = NJW 1981, 1160. 4 IPG 1971 Nr. 41. 5 Goette, FS Boujong (1996), 130 (141).

Reithmann/Stelmaszczyk | 429

5.360

§ 5 Rz. 5.361 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.361

Für die sachliche Gleichwertigkeit kommt es ganz entscheidend darauf an, in welcher Vorschrift des deutschen Rechts die Mitwirkung des Notars verlangt wird. Dies kann eine Bestimmung des materiellen Rechts, aber auch eine Bestimmung des Verfahrensrechts sein. Es kann sich um einen Vertrag, einen körperschaftlichen Organisationsakt oder auch um einen Beschluss handeln.

2. Auslegung von Formerfordernissen des materiellen Rechts a) Verfügungsgeschäfte über in Deutschland belegene Grundstücke

5.362

Die Entscheidung des BGH von 1981 betraf eine Frage des materiellen Rechts. Der Auslegung von Formerfordernissen des materiellen Rechts bedarf es vor allem bei Verfügungsgeschäften im Liegenschafts- und Gesellschaftsrecht.

5.363

Mit Beschluss v. 13.2.2020 hat der BGH1 entschieden, dass eine zur Übertragung des Eigentums an einem Grundstück notwendige Auflassung nach Maßgabe des § 925 Abs. 1 S. 2 BGB nur durch die gleichzeitig anwesenden Beteiligten vor einem im Inland bestellten Notar wirksam erklärt werden kann2. Im vorliegenden Fall sollte ein hälftiger Miteigentumsanteil an einem in Deutschland belegenen Grundstück übertragen werden. Der Vertrag wurde durch einen Schweizer Notar mit Amtssitz in Basel beurkundet. Nach Ansicht des V. Zivilsenats genügt die Einigung der Parteien den Anforderungen des § 925 Abs. 1 BGB nicht und hat das Grundbuchamt den Eintragungsantrag daher zu Recht zurückgewiesen. Mit der Entscheidung schließt sich der BGH der schon bisher ganz herrschenden Meinung (s. Rz. 5.355) an, wonach die in § 925 Abs. 1 S. 1 BGB für die Auflassung bestimmte Form im Fall des Abs. 1 S. 2 nur durch Erklärung bei gleichzeitiger Anwesenheit der Beteiligten vor einem im Inland bestellten Notar gewahrt werden kann.

5.364

In seiner Begründung weist der Senat zwar darauf hin, dass der Wortlaut von § 925 Abs. 1 S. 2 BGB keine klaren Anhaltspunkte für die Frage der Substitution liefere3. Doch spreche die Entstehungsgeschichte der Norm eindeutig gegen eine Zuständigkeit von im Ausland bestellten Notaren zur Entgegennahme der Auflassungserklärung4. Der Wille des historischen Gesetzgebers stehe zudem einer analogen Anwendung des § 925 Abs. 1 S. 2 BGB auf ausländische Notare entgegen5. Zudem veranlassten weder der Normzweck noch Gesichtspunkte der unionsrechtskonformen Auslegung eine Erstreckung des § 925 Abs. 1 S. 2 BGB auf Urkundspersonen im Ausland6.

5.365

Bemerkenswert ist zunächst in rechtsdogmatischer Hinsicht, dass der BGH bereits die Substituierbarkeit des Formerfordernisses aus § 925 Abs. 1 S. 2 BGB ablehnt. Die Frage nach der Gleichwertigkeit der ausländlichen Rechtshandlung durch den Schweizer Notar mit der inländischen Rechtshandlung stellt sich daher nicht mehr7. Damit schließt sich der Senat der im Schrifttum vertretenen Auffassung zur zweistufigen Prüfung an, die zwischen der Frage der 1 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670. 2 Bislang hatte der BGH lediglich entschieden, dass die durch einen amerikanischen „notary public“ beurkundete Auflassung den Formerfordernissen des § 925 Abs. 1 BGB nicht entspricht, s. BGH v. 10.8.1968 – III ZR 15/66, DNotZ 1969, 300. 3 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020 1670 (1672). 4 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020 1670 (1672). 5 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1672 f.). 6 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673 bzw. 1673 f.). 7 Lieder, NZG 2020, 1081 (1085); insoweit auch zust. Lehmann/Krysa, RIW 2020, 464 (465 f.).

430 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.368 § 5

Substituierbarkeit einer inländischen Formvorschrift und der Frage der Gleichwertigkeit einer ausländischen Rechtshandlung bzw. eines ausländischen Rechtsinstituts unterscheidet (s. Rz. 5.350 ff.). Die Ausführungen des BGH zum Wortlaut der Norm stützen zudem die im jüngeren Schrifttum vertretene Auffassung zur „wertungsoffenen Auslegung“ der Substituierbarkeit inländischer Formvorschriften (s. Rz. 5.353 ff.). Zu Recht betont der BGH, dass lediglich in Ausnahmefällen explizit eine Beurkundung nur durch einen deutschen Notar zugelassen ist (Vollstreckungsunterwerfung gem. § 794 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), oder umgekehrt ausdrücklich klargestellt wird, dass auch ein im Ausland bestellter Notar tätig werden kann (Belehrung gem. § 8 Abs. 3 S. 2 GmbHG)1. In aller Regel wird lediglich das Formerfordernis ohne nähere Hinweise zur Zulässigkeit einer Substitution normiert, jedoch ohne dass sich hierdurch Rückschlüsse auf die Frage der Substitutionsoffenheit der betreffenden Norm ergeben.

5.366

Gleichermaßen bemerkenswert ist die ausführliche teleologische Begründung, mit welcher der BGH die Substituierbarkeit des Formerfordernisses aus § 925 Abs. 1 S. 2 BGB ablehnt. Maßgeblich für den generellen Ausschluss der Auslandsbeurkundung ist die Gewährleistung der materiellen Richtigkeit der vor dem Notar abgegebenen Erklärungen. Hierzu betont der Senat, dass der Gesetzgeber für einen auf die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück gerichteten dinglichen Vertrag bewusst hohe formelle Anforderungen aufgestellt habe2. Aufgrund des Zusammenspiels mit § 925a BGB werde durch die Befassung des Notars gewährleistet, dass ein wirksames schuldrechtliches Grundgeschäft vorliege und das Verfügungsgeschäft mit diesem übereinstimme3. Zudem habe der Notar die „materielle Richtigkeit der Auflassungserklärungen“ zu prüfen und nach § 21 GBO das Grundbuch zwecks Prüfung der Eintragungsfähigkeit der Erklärungen einzusehen4. Verfahrensrechtlich werde die Pflicht des Notars zur Vorprüfung und damit zur „Gewähr der Richtigkeit und Verlässlichkeit des Grundbuchs“ durch § 15 Abs. 3 S. 1 GBO abgesichert5. Damit spricht der Senat die Filterund Kontrollfunktion des Notars im Zusammenhang mit der Eintragung von Rechtsänderungen im Grundbuch explizit an.

5.367

Obgleich die Auflassung selbst keine notarielle Beurkundung der Parteierklärungen voraussetzt, sondern nur die „gleichzeitige Anwesenheit beider Teile“ vor dem Notar, sind die Eintragungsunterlagen nach § 29 GBO durch notarielle Urkunden nachzuweisen. Für ihre Errichtung sind die Verfahrensregelungen der §§ 6 ff. BeurkG einzuhalten6. Dementsprechend stellt der Senat heraus, dass der Notar im Rahmen der Grundstücksübertragung die Beteiligten gem. § 17 BeurkG „über Inhalt und Tragweite der beabsichtigten Auflassung zu belehren“ hat7 (Belehrungsfunktion). Dass die Beteiligten an ihre Auflassungserklärung vor dem Notar nach § 873 Abs. 2 BGB nur gebunden sind, wenn sie notariell beurkundet ist, soll gewährleis-

5.368

1 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1672). 2 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673); dazu Herrler, NotBZ 2020, 391 (392). 3 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673) mit Hinweis auf J. Weber, in BeckOGK BGB, 1.2.2021, § 925a BGB Rz. 2; s. dazu auch Lieder, NZG 2020, 1081 (1085); Herrler, NotBZ 2020, 391 (392). 4 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673). 5 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673); zust. Lieder, NZG 2020, 1081 (1085); kritisch Lehmann/Krysa, RIW 2020, 464 (466); Ransiek, in jurisPR-IWR 4/2020 Anm. 3. 6 Bloße Unterschriftsbeglaubigung gem. § 40 BeurkG genügt ebenso wenig wie ein Tatsachenprotokoll nach § 36 BeurkG; s. dazu Herrler, NotBZ 2020, 391 (392) m.w.N. 7 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673); s. dazu Lieder, NZG 2020, 1081 (1086).

Reithmann/Stelmaszczyk | 431

§ 5 Rz. 5.368 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

ten „dass nicht übereilt und leichtfertig über die Rechte an Grund und Boden verfügt wird“1 (Übereilungsschutz).

5.369

Die materielle Richtigkeitsgewähr und die Belehrungsfunktion haben die fachliche Expertise der Notare zur Voraussetzung. Die inländischen Notare stellen die Einhaltung der „materiellrechtlichen Vorgaben“ (vgl. § 925 Abs. 2, § 925a BGB) und der „grundbuchtechnischen Vorgaben“ sicher2. Im Ausland bestellte Notare verfügen typischerweise nicht über die hierfür erforderlichen Kenntnisse des deutschen Rechts3. Besonders betont der Senat in diesem Zusammenhang auch die Sicherung verbraucherschützender Ziele, „nämlich den Schutz der Beteiligten vor unüberlegten, weil zum Beispiel gar nicht geschuldeten, Auflassungen und die Unterrichtung über zwischenzeitliche Verfügungen durch Einsichtnahme in das Grundbuch (…)“4.

5.370

Die Erreichung dieser Ziele ist nur bei inländischen Notaren gewährleistet und zudem institutionell abgesichert; nur diese sind den durch das BeurkG begründeten Pflichten unterworfen5. Dementsprechend betont der Senat, dass die Ahndung etwaiger Pflichtverstöße seitens staatlicher Stellen (Notaraufsicht bzw. Dienstaufsicht des Auswärtigen Amtes) nur den inländischen Notaren gegenüber durchgesetzt werden könne6. Auch die Sicherstellung der behördlichen Aufsicht als „Grundvoraussetzung für die Übertragung der Zuständigkeit für die Entgegennahme der Auflassung auf Notare und Konsularbeamte“7 spreche gegen die Zulässigkeit einer Auslandsbeurkundung. Darüber hinaus unterliegen nur inländische Notare den im öffentlichen Interesse liegenden steuerrechtlichen Anzeigepflichten nach § 18 Abs. 1 S. 1 GrEStG sowie der Amtshaftung nach § 19 BNotO8.

5.371

Bemerkenswert sind schließlich die Ausführungen des BGH zum Unionsrecht. Zwar könne, so der Senat, die in § 925 Abs. 1 S. 2 BGB normierte Begrenzung der Zuständigkeit für die Entgegennahme der Auflassung auf inländische Notare eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstellen. Doch wäre diese aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (vgl. Art. 5 Abs. 1 des Anhangs I des EVÜ; ähnlich Art. 56 AEUV) gerechtfertigt9. Hierzu weist der Senat darauf hin, dass „[d]em Grundbuch (…) in bestimmten Mitgliedstaaten, die das lateinische Notariat kennen, darunter auch Deutschland, unter anderem im Rahmen von Grundstückstransaktionen entscheidende Bedeutung zu[kommt]. […] [E]ine Verfügung über ein Grundstück und insbesondere die Übertragung des Eigentums an einem Grundstück nach § 873 Abs. 1 BGB [setzt] neben der Einigung der Beteiligten über die Verfügung die Eintragung in das Grundbuch voraus, so dass die Verfügung erst mit der Eintragung wirksam wird. Die ordnungsgemäße Führung des Grundbuchs ist auch in Deutschland 1 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673); vgl. Lieder, NZG 2020, 1081 (1086); Herrler, NotBZ 2020, 391 (392). 2 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673); s. dazu Lieder, NZG 2020, 1081 (1086). 3 Lieder, NZG 2020, 1081 (1086); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (184); J. Weber, in BeckOGK BGB, 1.2.2021, § 925 Rz. 68; a.A. Lehmann/Krysa, RIW 2020, 464 (466); vgl. Ransiek, in jurisPR-IWR 4/ 2020 Anm. 3. 4 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673). 5 Lieder, NZG 2020, 1081 (1087); Herrler, NotBZ 2020, 391 (392). 6 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673). 7 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673). 8 Lieder, NZG 2020, 1081 (1087); Herrler, NotBZ 2020, 391 (392). 9 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673 f.); zust. Lieder, NZG 2020, 1081 (1088 f.); Herrler, NotBZ 2020, 391 (392 f.); zweifelnd Ransiek, in jurisPR-IWR 4/2020 Anm. 3; Lehmann/ Krysa, RIW 2020, 464 (466).

432 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.373 § 5

ein wesentlicher Teil der vorsorgenden Rechtspflege. Sie soll die ordnungsgemäße Rechtsanwendung und die Rechtssicherheit von Verfügungen zwischen Privatpersonen gewährleisten und gehört damit zu den Aufgaben und Zuständigkeiten des Staates. Die Verpflichtung der an der Auflassung eines in Deutschland belegenen Grundstücks Beteiligten, diese Auflassung entweder vor einem deutschen Konsularbeamten im Ausland oder vor einem in Deutschland bestellten Notar im Inland zu erklären, soll sicherstellen, dass die notwendige Einigung über den Eigentumsübergang tatsächlich erfolgt, technisch richtig und in Übereinstimmung mit dem Inhalt des Grundbuchs erklärt und dem Grundbuchamt unverzüglich zur Eintragung zugeleitet wird. Der aus der unüberlegten und unrichtigen Auflassung eines Grundstücks folgenden Gefährdung der Interessen der Beteiligten, aber vor allem der Gefährdung der Richtigkeit des Grundbuchs, soll der Notar durch entsprechende Hinweise an die Beteiligten, notfalls aber auch dadurch entgegenwirken, dass er die Entgegenahme der Auflassungserklärung ablehnt.“1 „Dieses Schutz- und Sicherungskonzept des Gesetzgebers setzt vertiefte Kenntnisse des deutschen Sachrechts, insbesondere auch des Abstraktionsprinzips und seiner Wirkungsweise, und weiter voraus, dass die zuständigen staatlichen Stellen bei Fehlern (…) auf die Notare einwirken können2. Diese Bedingungen liegen bei im Ausland bestellten Notaren schon deshalb nicht vor, weil diese nicht die Pflichten der im Inland bestellten Notare treffen (…), und weil sie nicht der Notar- oder Dienstaufsicht der deutschen staatlichen Stellen unterliegen, die damit außerstande wären, die Einhaltung der Vorschriften zur Gewährleistung der Richtigkeit des Grundbuchs sicherzustellen3.“ Da eine Auflassung im Ausland vor einem deutschen Konsularbeamten möglich sei, alternativ die Erteilung einer Vollmacht zwecks Beurkundung in Deutschland, sei eine mögliche Beschränkung verhältnismäßig4.

5.372

b) Statusrelevante Maßnahmen im Gesellschaftsrecht Die vom V. Zivilsenat in seinem Beschluss v. 13.2.2020 mit Blick auf die Formzwecke des § 925 Abs. 1 S. 2 BGB angeführten Argumente lassen sich, wie Lieder5 aufgezeigt hat, weitgehend auf die Gründung von GmbH (§ 2 Abs. 1 S. 1 GmbHG) und AG (§ 23 Abs. 1 S. 1 AktG) sowie umwandlungsrechtliche Strukturmaßnahmen (§ 6 ggf. i.V.m. § 125 S. 1, §§ 176, 177 UmwG) übertragen. Ausschlaggebend sind hierfür die Parallelen zwischen Verfügungsgeschäften im Grundstücksrecht und statusrelevanten Maßnahmen im Gesellschafts- und Umwandlungsrecht. Bei diesen statusrelevanten Maßnahmen fehlt es nach der überwiegenden Auffassung im Schrifttum – und entgegen zweier Entscheidungen des KG v. 24.1.20186 bzw. 26.7.20187 – gleichermaßen an der Substituierbarkeit der inländischen Formvorschriften durch eine ausländische Urkundsperson. Dafür streiten u.a. die Gewährleistung materieller Rechtmäßigkeit, die Belehrungs- und Warnfunktion, die fachliche Expertise inländischer 1 2 3 4 5 6

BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1674). BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1674). BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1674). BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1674). Lieder, NZG 2020, 1081 (1085 ff.). KG v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, RNotZ 2018, 267 = NJW 2018, 1828; dazu kritisch Cramer, DStR 2018, 746; Heckschen, DB 2018, 685; Herrler, NJW 2018, 1787; König/Steffes-Holländer, DB 2018, 625; Lieder, ZIP 2018, 805; Mayer/Barth, IWRZ 2018, 128; Richter/Knauf, BB 2018, 660; Stelmaszczyk, GWR 2018, 103; J. Weber, MittBayNot 2018, 215; Wicke, GmbHR 2018, 380. 7 KG v. 26.7.2018 – 22 W 2/18, RNotZ 2019, 236 = DNotZ 2019, 141 (m. Anm. Diehn) = DStR 2018, 2533 (m. Anm. Heinze); dazu kritisch Heckschen, GWR 2018, 393; Lieder, ZIP 2018, 1517; Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177; Tebben, GmbHR 2018, 1190.

Reithmann/Stelmaszczyk | 433

5.373

§ 5 Rz. 5.373 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

Notare, die Filter- und Kontrollfunktion, die behördliche Aufsicht sowie die Unverzichtbarkeit der Prüfungs- und Belehrungspflichten1. c) Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen aa) Ausgangspunkt

5.374

Im Hinblick auf die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen wird im kollisionsrechtlichen Schrifttum eine von den Formerfordernissen bei statusrelevanten Maßnahmen des Gesellschaftsrechts weitgehend losgelöste Diskussion geführt.

5.375

Es ist offensichtlich, dass in Fällen mit Auslandsberührung besondere Umstände zu beachten sind. Dies ist traditionell Gegenstand des Kollisionsrechts. Das Kollisionsrecht beschränkt die Durchsetzung von Formvorschriften durch die alternative Zulassung von Wirkungsstatut und Ortsrecht und schränkt damit § 125 BGB ein. Dies ist bei Verpflichtungsgeschäften durch Art. 11 Rom I-VO zwingend bestimmt, bei Verfügungsgeschäften indes nicht (s. Rz. 5.233, Rz. 5.270 ff.)2.

5.376

Neben den Regeln des Kollisionsrechts stehen die Auslegungsregeln des materiellen Rechts. Die Methode der materiell-rechtlichen Auslegung (Substitution) konkurriert mit dem Kollisionsrecht, das in manchen Fällen der z.B. im Gesellschaftsrecht gebotenen Publizität nicht immer gerecht wird.

5.377

Dies gilt vor allem in den Fällen der Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen. Hier muss im Ergebnis das Interesse der Publizität vorgehen3. Für Verpflichtungsgeschäfte sei der deutsche Richter an die Entscheidung des Gesetzgebers der Rom I-VO gebunden, nicht aber im Falle des Verfügungsgeschäfts. Hier kann darauf abgestellt werden, ob eine ausländische Beurkundung noch unter die „notarielle Form“ des § 15 Abs. 3 GmbHG gefasst werden kann. In jüngerer Zeit sind einige Entwicklungen zu verzeichnen, die es bei der Substitution des Beurkundungserfordernisses aus § 15 Abs. 3 GmbHG zu beachten gilt. bb) Obiter dicta des BGH im Beschluss v. 13.2.2020

5.378

So führte der V. Zivilsenat des BGH in seinem bereits zitierten Beschluss v. 13.2.20204 aus, dass in Abhängigkeit von den Formzwecken der deutschen Sachnorm dem Formerfordernis des deutschen Sachrechts nicht nur mit der Beurkundung durch einen inländischen Notar, sondern auch durch einen im Ausland bestellten genügt werden könne5. Dies sei im Gesellschaftsrecht anerkannt. Das für die Abtretung eines GmbH-Geschäftsanteils geltende Formerfordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG könne mittels Beurkundung durch einen Schweizer Notar erfüllt werden, wenn diese der Beurkundung durch einen inländischen Notar gleichwertig sei6. Die Gleichwertigkeit sei für einen in Basel bestellten Notar anerkannt7. 1 Lieder, NZG 2020, 1081 (1085 ff.). 2 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = ZIP 1981, 402 = GmbHR 1981, 238 = DNotZ 1981, 451. 3 So bereits Vorauflage, Rz. 5.324. 4 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670. 5 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1671) mit Hinweis auf BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 (78) und BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 Rz. 13 ff. sowie BGH v. 22.5.1989 – II ZR 211/88, NJW-RR 1989, 1259 (1261). 6 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1671) mit Hinweis auf BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 Rz. 23. 7 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1671).

434 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.381 § 5

Es ist zunächst festzuhalten, dass diese obiter dicta des V. Zivilsenats zum Gesellschaftsrecht aufgrund des rein grundstücksrechtlichen Sachverhalts nicht entscheidungserheblich und damit rechtlich ohne Belang waren. Darüber hinaus begegnen sie auch in der Sache erheblichen Bedenken. Denn wie Lieder1 herausgearbeitet hat, stellt der V. Zivilsenat die Aussagen des II. Zivilsenats zur Auslandsbeurkundung im Gesellschaftsrecht mit Blick auf dessen frühere Rechtsprechung verkürzt und mit Blick auf die noch nicht höchstrichterlich entschiedenen statusrelevanten Maßnahmen in unzulässiger Weise verallgemeinernd dar.

5.379

cc) Frühere Rechtsprechung des BGH Das gilt insb. für den pauschalen Verweis auf Entscheidungen des II. Zivilsenats, aus denen der V. Zivilsenat auf die Gleichwertigkeit der Auslandsbeurkundung für die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen nach § 15 Abs. 3 GmbHG schließt. Nicht verfangen kann bereits der Hinweis auf die Leitentscheidung v. 16.2.19812, denn diese betraf keine Anteilsabtretung, sondern eine Änderung des Gesellschaftsvertrags3. Daher bezogen sich die Ausführungen des II. Zivilsenats gerade nicht auf den vom V. Zivilsenat in Bezug genommenen § 15 Abs. 3 GmbHG, sondern auf die Formvorschrift des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG. Da es für die Substitution nach inzwischen ganz h.M. auf die konkreten Normzwecke des in Frage stehenden Formerfordernisses ankommt (s. Rz. 5.349) und beide Vorschriften unterschiedliche Formzwecke verfolgen4, lassen sich die Ausführungen des BGH zu § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG nicht ohne Weiteres auf § 15 Abs. 3 GmbHG übertragen5.

5.380

Denselben Bedenken begegnet auch das BGH-Urteil v. 22.5.1989, in welchem der II. Zivilsenat – ebenfalls nur beiläufig – bemerkte, dass die Beurkundung durch einen schweizerischen Notar das Formerfordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG erfülle6. Eine Begründung liefert der Senat nicht; vielmehr verweist er schlicht auf die Entscheidung vom 16.2.1981. Das mag daran liegen, dass es sich auch hierbei um ein bloßes obiter dictum handelte. Auf die Wirksamkeit der Auslandsbeurkundung kam es gar nicht an, weil die Unwirksamkeit der Übertragung der Kommanditanteile, die Gegenstand des Urteils waren, zugleich zur Unwirksamkeit der damit verbundenen GmbH-Anteilsabtretung führte. Die nicht näher begründeten Bemerkungen des II. Zivilsenats in seinem Urteil vom 22.5.1989 bieten mithin ebenso wenig eine belastbare Grundlage für die Annahme, dass Auslandsbeurkundungen von GmbH-Anteilsabtretungen wirksam seien7.

5.381

1 Lieder, NZG 2020, 1081 (1082 ff.). 2 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = ZIP 1981, 402 = GmbHR 1981, 238 = DNotZ 1981, 451. 3 Lieder, NZG 2020, 1081 (1083) mit dem Hinweis, dass die Ausführungen des BGH in BGHZ 80, 76 zu § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG überdies auch inhaltlich unzutreffend waren. 4 Zu den Formzwecken des § 15 Abs. 3 GmbHG s. Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191); Reichert/ Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 16 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 1; Wicke, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 20; zu den Formzwecken des § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG vgl. Harbarth in MünchKomm GmbHG, § 53 GmbHG Rz. 68; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, § 53 GmbHG Rz. 71; Wicke, GmbHG, § 53 GmbHG Rz. 13. 5 Lieder, NZG 2020, 1081 (1083). 6 BGH v. 22.5.1988 – II ZR 211/89, ZIP 1989, 1054 = GmbHR 1990, 25 = WM 1989, 1221. 7 Lieder, NZG 2020, 1081 (1083); kritisch auch Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 149.

Reithmann/Stelmaszczyk | 435

§ 5 Rz. 5.382 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

dd) Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen

5.382

Hinzu kommt, dass sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Auslandsbeurkundung von Anteilsübertragungen im Jahre 2008 gerade in Bezug auf die Schweiz bekanntlich in doppelter Hinsicht verändert haben1. Zum einen hat der Schweizer Gesetzgeber das Beurkundungserfordernis für die Abtretung von Stammanteilen an schweizerischen GmbH aufgehoben, so dass nach Art. 785 Abs. 1 OR seitdem die Schriftform genügt. Zum anderen ist die Gesellschafterliste durch das MoMiG in dreifacher Weise aufgewertet worden: Zunächst knüpft die Legitimation der Gesellschafter gegenüber der GmbH nach § 16 Abs. 1 S. 1 GmbHG unmittelbar an die im Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste nach § 40 GmbHG an. Weiterhin ist der Notar nach § 40 Abs. 2 S. 1 GmbHG unmittelbar zur Einreichung der Liste verpflichtet, wenn er wie im Fall der Anteilsübertragung an Veränderungen im Gesellschafterbestand mitwirkt. Schließlich ist die Gesellschafterliste nach § 16 Abs. 3 GmbHG Rechtsscheinträger und Legitimationsgrundlage für einen gutgläubigen Erwerb von GmbH-Anteilen. Als Folge mehren sich in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung2 und im Schrifttum3 die Zweifel an einer Übertragbarkeit der Aussagen des BGH in seiner Entscheidung vom 16.2.1981 auf die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen – und damit an der Substituierbarkeit des Formerfordernisses nach § 15 Abs. 3 GmbHG.

5.383

Mit der Aufwertung der Gesellschafterliste ist anerkanntermaßen die Gewährleistung einer (zumindest eingeschränkten) materiellen Richtigkeitsgewähr verbunden4. Denn ungeachtet der konkurrierenden Einreichungszuständigkeit des Geschäftsführers nach § 40 Abs. 1 GmbHG und der damit verbundenen Einschränkung der Gewähr für die Listenrichtigkeit hat der nach § 40 Abs. 2 GmbHG zur Einreichung der Gesellschafterliste berufene Notar für die Richtigkeit der einzureichenden Gesellschafterliste einzustehen. Der Pflicht zur Einreichung einer der wahren Rechtslage entsprechenden Gesellschafterliste zum Handelsregister wird der Notar aber nur gerecht, wenn er im Rahmen der Beurkundung der Abtretung auch deren materielle Wirksamkeit zu gewährleisten hat. Im Ergebnis haben sich die an die Substitution des Formerfordernisses aus § 15 Abs. 3 GmbHG zu stellenden Anforderungen durch die Aufwertung der Gesellschafterliste erhöht. Auch diese Entwicklung übergeht der V. Zivilsenat mit seinen pauschalen Aussagen zur Wirksamkeit der Auslandsbeurkundung einer GmbH-Anteilsübertragung. ee) Beschluss des BGH vom 17.12.2013

5.384

Schließlich kann der V. Zivilsenat seine obiter dicta zur Wirksamkeit der Auslandsbeurkundung einer GmbH-Anteilsübertragung auch nicht auf den Beschluss des BGH v. 17.12.20135 stützen. Denn der II. Zivilsenat beschränkt seine Aussagen in dieser Entscheidung auf die Kompetenz des im Ausland bestellten Notars zur Einreichung der Gesellschafterliste. Diese können nicht auf die Problematik der Substitution des materiellen Beurkundungserfordernis-

1 Dazu und zum Folgenden Lieder, NZG 2020, 1081 (1083 f.); Lieder/Ritter, notar 2014, 187. 2 LG Frankfurt a.M. v. 7.10.2009 – 3-13 O 46/09, ZIP 2010, 88 = NJW 2010, 683. 3 Bayer, DNotZ 2009, 887 (890 ff.); Braun, DNotZ 2009, 585 (588); Gerber, GmbHR 2010, 97 (98 f.); Hermanns, RNotZ 2010, 38 (41 f.); Süß, DNotZ 2011, 414 (420 ff.). 4 Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 31; Bayer, GmbHR 2013, 897 (904 ff.); Lieder, NZG 2020, 1081 (1084); Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191 ff.); König/Götte/Bormann, NZG 2009, 881 (882). 5 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = DNotZ 2014, 457 = ZIP 2014, 317 = GmbHR 2014, 248.

436 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.387 § 5

ses übertragen werden1. Der Senat hat allein über den Umfang des registergerichtlichen Prüfungsrechts im Listenaufnahmeverfahren nach § 40 GmbHG entschieden. Zu einer inhaltlichen Prüfung der Gesellschafterliste ist das Registergericht gerade nicht verpflichtet2. Zudem beschränkt der II. Zivilsenat die Prüfung der formalen Voraussetzungen der Listeneinreichungskompetenz auf eine negative Evidenzkontrolle3. Danach darf das Registergericht die eingereichte Liste zurückweisen, wenn offensichtlich kein Geschäftsführer oder Notar, sondern ein unbefugter Dritter handelt. Ein ausländischer Notar stehe einem Unbefugten in diesem Sinne nicht ohne Weiteres gleich, da diesem nicht nach jedem erdenklichen Umstand die Kompetenz zur Listeneinreichung fehle4. Das Registergericht habe folglich nur zu prüfen, ob die Auslandsbeurkundung offensichtlich unwirksam sei, der Auslandsnotar also unter keinem erdenklichen Umstand zur Listeneinreichung berechtigt war.

5.385

Damit hat der II. Zivilsenat zwar grundsätzlich an der Prämisse der Gleichwertigkeit festgehalten, jedoch die Frage, ob die Beurkundung der GmbH-Anteilsübertragung durch einen Notar mit Amtssitz in Basel-Stadt einer Beurkundung durch einen deutschen Notar gleichwertig ist, entgegen der Bemerkung des V. Zivilsenats offengelassen5.

5.386

ff) Historische Formzwecke des § 15 Abs. 3 GmbHG Für die Substituierbarkeit des Formerfordernisses der notariellen Beurkundung aus § 15 Abs. 3 GmbHG kommt es mithin nach wie vor auf dessen konkrete Formzwecke an. Der historische Gesetzgeber bezweckte mit dem Beurkundungserfordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG in erster Linie, die Mitgliedschaft in der GmbH als grundsätzlich dauerhaftes und durch die persönliche Verbundenheit der Gesellschafter geprägtes Verhältnis auszugestalten und den spekulativen Handel mit Geschäftsanteilen durch die Erschwerung ihrer Übertragung zu verhindern (Erschwernisfunktion)6. Daneben erkannte der historische Gesetzgeber angesichts der fehlenden (adäquaten) Verbriefung von GmbH-Geschäftsanteilen das Bedürfnis der Beteiligten nach einem authentischen Nachweis über die Tatsache der Anteilsübertragung (Beweis- und Klarstellungsfunktion)7. Ob das Beurkundungserfordernis nach dem Willen des historischen Gesetzgebers auch dem Schutz vor Übereilung (Warnfunktion) dienen sollte, wird uneinheitlich beurteilt8. 1 2 3 4 5

Lieder, NZG 2020, 1081 (1084); Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (189). BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = DNotZ 2014, 457. Lieder, NZG 2020, 1081 (1084); Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (189). BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = DNotZ 2014, 457 (459). Die mit dem Beschluss verbundenen praktischen Probleme und rechtsdogmatischen Verwerfungen werden u.a. von Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (189 f.) und Herrler, GmbHR 2014, 225 erörtert. 6 Vgl. Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 1; Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 16; Wicke, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 12. 7 Vgl. Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 1; Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 17; Wicke, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 1. 8 Dagegen Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191); Bayer in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 1; Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 18 („bloßer Rechtsreflex“); dafür: OLG Stuttgart v. 7.7.1989 – 9 U 13/89, DB 1989, 1817; Altmeppen, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 66; Servatius in Baumbach/Hueck, § 15 GmbHG Rz. 21; Wicke, GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 12.

Reithmann/Stelmaszczyk | 437

5.387

§ 5 Rz. 5.388 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

gg) Normativ-dynamische Auslegung im Lichte aktueller Entwicklungen

5.388

Allerdings sind die für die Substitution maßgeblichen Normzwecke eines konkret in Frage stehenden Formerfordernisses stets normativ im Lichte der aktuell geltenden materiellen und verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen zu bestimmen1. Dieses normativ-dynamische Element der materiell-rechtlichen Formerfordernisse des deutschen Sachrechts wurde im Schrifttum bislang noch nicht in hinreichendem Maße berücksichtigt. Jedoch ist die normativ-dynamische Auslegung der Beurkundungserfordernisse die notwendige Konsequenz der stetig zunehmenden Prüfungspflichten der deutschen Notare im öffentlichen Interesse, die zuletzt vor allem im Bereich der Geldwäscheprävention nach dem GwG ihren Niederschlag gefunden haben. Die normativ-dynamische Auslegung wird bei genauerem Zusehen auch vom BGH in seinem Beschluss v. 13.2.2020 bestätigt. Denn der Senat legt großen Wert auf eine ausführliche Erörterung der vom deutschen Notar im Rahmen des Beurkundungserfordernisses aus § 925 Abs. 1 S. 2 BGB – nach aktuellem Recht – zu erfüllenden verfahrensrechtlichen Pflichten, um dessen fehlende Substituierbarkeit durch eine Auslandsbeurkundung zu begründen (s. dazu Rz. 5.367 ff.).

5.389

Tatsächlich gewinnt gerade die Einhaltung geldwäscherechtlicher Pflichten durch den deutschen Notar zunehmend an Bedeutung. Im Zuge der Umsetzung der Änderungsrichtlinie2 zur 4. EU-Geldwäscherichtlinie3 zum 1.1.20204 hat der deutsche Gesetzgeber in § 10 Abs. 9 S. 4 Alt. 1 i.V.m. § 11 Abs. 5a S. 1 GwG ein spezielles geldwäscherechtliches Beurkundungsverbot bei Erwerbsvorgängen nach § 1 GrEStG eingeführt, solange dem beurkundenden Notar keine schlüssige Dokumentation der Eigentums- und Kontrollstruktur zur Feststellung der Identität der wirtschaftlich Berechtigten der an einem Rechtsakt beteiligten Rechtsformen nach § 3 Abs. 2 und Abs. 3 GwG (d.h. juristische Personen und sonstige Gesellschaften einschließlich der GbR, Trusts und Stiftungen) vorgelegt wird. Die Dokumentation der Eigentums- und Kontrollstruktur hat der Notar der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) sowie den Strafverfolgungsbehörden auf deren Verlangen zur Verfügung zu stellen (§ 11 Abs. 5a S. 2 GwG). Inzwischen wurde die Vorschrift des § 11 Abs. 5a GwG durch das Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz5 mit Wirkung zum 1.8.2021 wortgleich nach § 12 Abs. 4 GwG n.F. übertragen6. Zu den Erwerbsvorgängen nach § 1 GrEStG

1 So zutreffend Herrler, NotBZ 2020, 391 (393). 2 Richtlinie (EU) 2018/843 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30.5.2018 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2015/849 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung und zur Änderung der Richtlinien 2009/138/EG und 2013/36/EU, ABl. EU 2018 Nr. L 156, S. 43. 3 Richtlinie (EU) 2015/849 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2005/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinie 2006/70/EG der Kommission, ABl. EU 2015 Nr. L 141, S. 73. 4 Durch das Gesetz zur Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur Vierten EU-Geldwäscherichtlinie vom 12.12.2019, BGBl. 2019 I, S. 2602; dazu ausf. Reuter, NZG 2020, 178 sowie Thelen, Geldwäscherecht in der notariellen Praxis, 2021. 5 Gesetz zur europäischen Vernetzung der Transparenzregister und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1153 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.6.2019 zur Nutzung von Finanzinformationen für die Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und sonstigen schweren Straftaten (Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz), BGBl. 2021 I, 2083, dazu John, NZG 2021, 957. 6 Der Verweis in § 10 Abs. 9 S. 4 GwG wurde entsprechend redaktionell angepasst.

438 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.391 § 5

zählt – unabhängig davon, ob der Vorgang steuerbar oder gar steuerpflichtig ist – neben dem Verkauf einer inländischen Immobilie insb. auch die Übertragung von Anteilen an einer Gesellschaft, zu deren Vermögen unmittelbar oder mittelbar eine inländische Immobilie gehört1, und damit auch die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen. Das spezielle Beurkundungsverbot nach dem GwG spricht vor allem deshalb gegen die Substituierbarkeit des Beurkundungserfordernisses nach § 15 Abs. 3 GmbHG, weil der deutsche Gesetzgeber dieses in überschießender Umsetzung der Änderungsrichtlinie statuiert hat, so dass ein vergleichbar strenges Beurkundungsverbot in den anderen Mitgliedstaaten der Union nicht besteht. Daneben ist in Umsetzung der Änderungsrichtlinie auch eine weitere, im öffentlichen Interesse bestehende Meldepflicht des Notars nach dem GwG hinzugetreten. Zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung haben Notare nunmehr nach Maßgabe des § 23a Abs. 1 S. 1 GwG der registerführenden Stelle Unstimmigkeiten unverzüglich zu melden, die sie zwischen den im Transparenzregister zugänglichen Angaben über die wirtschaftlich Beteiligten und den ihnen zur Verfügung stehenden Angaben und Erkenntnissen über die wirtschaftlich Berechtigten feststellen (sog. Unstimmigkeitsmeldung an das Transparenzregister). Die Meldepflicht, mit der die Datenqualität des Transparenzregisters verbessert werden soll2, gilt für den Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 lit. a aa) GwG) ebenso wie im Hinblick auf Zusammenschlüsse oder Übernahmen (§ 2 Abs. 1 Nr. 10 lit. d GwG). Damit wird die notarielle Mitwirkung bei GmbH-Anteilsveräußerungen vom sachlichen Anwendungsbereich der Meldepflicht nach § 23a Abs. 1 S. 1 GwG ausdrücklich erfasst. Weitere Meldepflichten gelten für den deutschen Notar bei Erwerbsvorgängen nach § 1 GrEStG – wiederum in überschießender Umsetzung der Änderungsrichtlinie – gem. § 43 Abs. 2 S. 2 Alt. 2, Abs. 6 GwG i.V.m. der Verordnung zu den nach dem Geldwäschegesetz meldepflichtigen Sachverhalten im Immobilienbereich (GwGMeldV-Immobilien)3 ,so etwa, wenn die erforderliche Dokumentation der Eigentums- und Kontrollstruktur zur Feststellung der Identität der wirtschaftlich Berechtigten endgültig nicht vorgelegt wird oder falsche Angaben gemacht werden (§ 4 Abs. 1 Alt. 2 bzw. Abs. 2 GwGMeldV-Immobilien). In diesen und den weiteren von der Verordnung genannten Fällen4 muss der Notar den Sachverhalt elektronisch über das goAML-Web-Portal5 der FIU melden.

5.390

Sowohl das geldwäscherechtliche Beurkundungsverbot als auch die erweiterten Meldepflichten sind im öffentlichen Interesse bestehende Pflichten, auf deren Einhaltung zwar gegenüber inländischen Notaren hingewirkt werden kann, nicht aber gegenüber im Ausland bestellten Notaren. In der Praxis ist daher die Gefahr besonders greifbar, dass Kriminelle vor allem deshalb den Weg zu einem Notar im Ausland suchen werden, um die – strengeren – Prüfungs- und Transparenzstandards in Deutschland zu unterlaufen6. Völlig zu Recht sieht der BGH in seinem Beschluss vom 13.2.2020 die fehlende Sicherstellung der behördlichen Auf-

5.391

1 Thelen, Geldwäscherecht in der notariellen Praxis, 2021, Kap. D Rz. 371. 2 Begr. RegE, BT-Drucks. 19/13827, S. 91. 3 BGBl. 2020 I , 1965. Die Begründung zur GwGMeldV-Immobilien ist abrufbar unter BAnz. AT 7.9.2020, B1. 4 In den §§ 3 bis 6 GwGMeldV-Immobilien findet sich ein umfangreicher Katalog an Sachverhalten, die vom beurkundenden Notar stets an die FIU zu melden sind. Die Verordnung knüpft dabei an verschiedene Umstände an, in deren Zusammenhang Geldwäschepraktiken nach bisherigen Erfahrungen und Erkenntnissen auftreten oder eine Rolle spielen, dazu ausführlich Thelen, Geldwäscherecht in der notariellen Praxis, 2021, Kap. E Rz. 451 ff. 5 Abrufbar unter https://goaml.fiu.bund.de/Home (Stand: 10.8.2021). 6 Vgl. hierzu auch Herrler, NotBZ 2020, 391.

Reithmann/Stelmaszczyk | 439

§ 5 Rz. 5.391 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

sicht als ein entscheidendes Argument gegen die Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung einer Auflassung nach § 925 Abs. 1 S. 2 BGB (dazu Rz. 5.370). Nichts anderes kann für die Auslandsbeurkundung einer Geschäftsanteilsabtretung nach § 15 Abs. 3 GmbHG gelten.

5.392

Gleiches gilt für die steuerlichen Anzeigepflichten des deutschen Notars nach § 54 Abs. 1 EStDV und § 18 GrEStG. Diese im öffentlichen Interesse an der Gewährleistung des Steueraufkommens bestehenden Pflichten drohen bei einer Auslandsbeurkundung leerzulaufen. Sie sind für die Frage der Substituierbarkeit des Beurkundungserfordernisses nach § 15 Abs. 3 GmbHG von großer Bedeutung. Die Beurkundung des Abtretungsvertrages über GmbH-Geschäftsanteile ist ein verfahrensgebundener Rechtsvorgang, bei dem der inländische Notar als Außenstelle der Justiz in einem durch den deutschen Gesetzgeber näher ausgestalteten Verfahren mitzuwirken hat. In dieser Funktion sind dem Notar im öffentlichen Interesse liegende steuerliche Mitteilungspflichten überantwortet, deren Einhaltung der deutsche Staat im Rahmen der Dienstaufsicht und mit Mitteln der Disziplinargewalt überwacht. Ausländische Urkundspersonen sind hingegen in keiner Weise institutionell als Rechtspflegeorgane in das System der vorsorgenden Rechtspflege deutschen Rechts eingebunden. Sofern die steuerlichen Anzeigepflichten für sie überhaupt gelten, unterliegt ihre Einhaltung durch einen Notar im Ausland jedenfalls keiner effektiven behördlichen Aufsicht1.

5.393

Auf den Formzweck der materiellen Richtigkeitsgewähr, der spätestens mit dem MoMiG Einzug in die Beurkundung des Abtretungsvertrags nach § 15 Abs. 3 GmbHG gehalten hat, wurde bereits hingewiesen (s. Rz. 5.383). Zu Recht hat auch der V. Zivilsenat in Bezug auf § 925 Abs. 1 S. 2 BGB kein Wort darüber verloren, ob eine Substitution nicht ausnahmsweise doch statthaft sein kann, wenn der ausländische Notar im Einzelfall über Kenntnisse des deutschen Rechts verfügt. Denn eine solche Differenzierung würde nicht nur kaum lösbare Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringen, sondern gleichermaßen dem Formzweck der materiellen Richtigkeitsgewähr – auch nach Maßgabe des § 15 Abs. 3 GmbHG – zuwiderlaufen. Es führt daher kein Weg an einer typisierenden Betrachtung vorbei, die bei einer ausländischen Urkundsperson einen institutionellen Mangel an Kenntnissen im deutschen Recht diagnostiziert.

5.394

Selbst wenn der Beratungs- und Warnfunktion der notariellen Mitwirkung nach dem Willen des historischen Gesetzgebers keine eigenständige Bedeutung bei der Statuierung der Beurkundungspflicht nach § 15 Abs. 3 GmbHG zugesprochen werden sollte (str., s. Rz. 5.387), kann jedoch nicht verkannt werden, dass für die Errichtung der notariellen Urkunde über die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen nach heute geltendem Recht das Verfahren nach den §§ 6 ff. BeurkG über die Beurkundung von Willenserklärungen einzuhalten ist, welches eine Belehrung der Parteien nach § 17 BeurkG einschließt. Die in dieser Verfahrensvorschrift niedergelegten Pflichten sind vom Notar zwingend zu erfüllen2. Dies hebt auch der BGH3 in seinem Beschluss v. 13.2.2020 hervor – mit Recht. Bei § 17 BeurkG handelt es sich anerkanntermaßen um die magna charta des Beurkundungsverfahrens4 und damit um das Kernstück des Beurkundungsgesetzes5. Der deutsche Notar ist unbedingt verpflichtet, die zu beurkundenden 1 2 3 4

Vgl. Heinze, NZG 2017, 371 (373). Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz. 230. BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670 (1673). Winkler, Rpfleger 1978, 44 (45); Schmitz-Valckenberg, DNotZ 1994, 495 (496); Diehn, DNotZ 2019, 146 (148 f.); Winkler, BeurkG, § 17 BeurkG Rz. 1. 5 So ausdrücklich Frenz in Frenz/Miermeister, BNotO, § 17 BeurkG Rz. 1; dem folgend BGHZ 203, 280 Rz. 29: „Kernregelung des Beurkundungsgesetzes“; vgl. weiter Armbrüster in Armbrüster/ Preuß/Renner, BeurkG, § 17 BeurkG Rz. 1; Diehn, DNotZ 2019, 146 (148 f.).

440 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.398 § 5

Dokumente ordnungsgemäß zu prüfen und die Beteiligten sorgfältig über die mit dem Rechtsgeschäft verbundenen rechtlichen Risiken zu belehren. Zweifelsfrei kommt den Vertragsparteien bei der Beurkundung des Abtretungsvertrags über GmbH-Gesellschaftsanteile eine Beratung durch den Notar zugute. Die Beurkundungsbedürftigkeit dient in der heutigen Praxis – zumindest auch – dem Schutz der Parteien, die durch den Notar umfassend beraten werden. Das Argument, § 15 Abs. 3 GmbHG diene nicht den Zielen „Beratung und Warnung“, da diese nicht in den Gesetzesmaterialen des historischen Gesetzgebers angelegt seien1, überhöht in unzulässiger Weise die historische Auslegung gegenüber den anderen anerkannten Auslegungsmethoden, insbesondere gegenüber der teleologischen Auslegung.

5.395

Die Frage, welchen Sinn und Zweck eine Norm verfolgt, kann nicht allein damit beantwortet werden, welchen Zweck der historische Gesetzgeber der Norm ursprünglich beimaß. Vielmehr ist darauf abzustellen, welchen Sinn und Zweck eine Norm im Rechtsverkehr aktuell objektiv erfüllt. Denn dieses Telos würde der demokratisch legitimierte Gesetzgeber der Norm zuordnen, wenn er sie heute neu erließe. Es ist somit durchaus denkbar, dass sich der „Zweck“ einer Norm aufgrund geänderter Rahmenbedingungen im Laufe der Zeit wandelt. Dieses Verständnis ist mit Blick auf die Formzwecke des § 15 Abs. 3 GmbHG angesichts der in jüngerer Zeit stetig an Bedeutung gewinnenden Pflichten zur Geldwäscheprävention geradezu zwingend, da die Erfüllung dieser Normzwecke der notariellen Mitwirkung durch den Gang ins Ausland letztlich ins Belieben der Parteien gestellt werden könnte2. Es greift aber gleichermaßen für die klassischen Formzwecke der Beratungs- und Warnfunktion. Ganz in diesem Sinne begründet der BGH in seinem Beschluss v. 13.2.2020 die fehlende Substituierbarkeit der Beurkundungspflicht nach § 925 Abs. 1 S. 2 BGB zwar auch mit einer historischen Auslegung; zugleich stützt der Senat seine Entscheidung jedoch maßgeblich auf eine teleologische Auslegung des Formerfordernisses im Lichte der aktuell geltenden materiellen und verfahrensrechtlichen Rahmenbedingungen (dazu ausf. Rz. 5.367 ff.).

5.396

Der historische Befund, welcher Zweck einer Norm im Jahr 1892 zuerkannt wurde, kann daher gegenüber dem heute von dieser Norm im Rechtsverkehr tatsächlich erfüllten und im Rahmen einer teleologischen Auslegung ermittelten „Zweck“ überlagert, zumindest aber ergänzt werden.

5.397

In der Praxis erfüllt das Beurkundungserfordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG heute zumindest auch eine Beratungs- und Warnfunktion. Gesellschaftsanteile machen oftmals einen Großteil des Vermögens der Parteien aus, weshalb die Beurkundungsbedürftigkeit einen Warneffekt auf die Parteien hat und diese vor Übereilung schützt. Außerdem besteht nicht selten ein Verhandlungsungleichgewicht zwischen den Parteien, etwa wenn institutionelle Anleger beteiligt sind oder sich Mehrheits- und Minderheitsgesellschafter gegenüberstehen. Der Notar berät die Parteien neutral über die Konsequenzen und den Ablauf der Transaktion und sorgt somit für ein „level playing field“ zwischen den Beteiligten. Hinzu kommt der Beratungsbedarf für die rechtssichere Abwicklung der Transaktion, um ungesicherte Vorleistungen der Parteien zu vermeiden, wofür in der Praxis mit einer von der Kaufpreiszahlung abhängigen bedingten Abtretung gearbeitet werden kann (zu der sich der Veräußerer schuldrechtlich verpflichtet).

5.398

1 So etwa Lieder/Ritter, notar 2014, 187 (191); Reichert/Weller in MünchKomm GmbHG, § 15 GmbHG Rz. 18. 2 Vgl. Herrler, NotBZ 2020, 391 (393).

Reithmann/Stelmaszczyk | 441

§ 5 Rz. 5.399 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.399

Die Wirksamkeit der Auslandsbeurkundung von Anteilsabtretungen wird von Teilen des Schrifttums1 damit zu begründen versucht, dass auf die notariellen Prüfungs- und Belehrungspflichten verzichtet werden könne. Dieser Begründungsversuch geht jedoch fehl2. Denn die überindividuellen Schutzfunktionen des § 15 Abs. 3 GmbHG – insb. materielle Richtigkeitsgewähr, Geldwäscheprävention, Gewährleistung des Steueraufkommens – stehen schlicht nicht zur Disposition der Beteiligten.

5.400

Zwar hatte der II. Zivilsenat des BGH das in früheren Entscheidungen anders gesehen. Nach dem zutreffenden Hinweis von Lieder3 weist die Rechtsprechung des III. Zivilsenats jedoch inzwischen in die entgegengesetzte Richtung, und zwar selbst dann, wenn die betreffenden Verfahrensvorschriften (im konkreten Fall: § 17 Abs. 2a S. 2 Nr. 2 BeurkG) allein den individuellen Interessen der Beteiligten zu dienen bestimmt sind4. Bezeichnenderweise geht der V. Zivilsenat in der Entscheidung vom 13.2.20205 auf die Möglichkeit eines Verzichts auf das Formerfordernis des § 925 Abs. 1 S. 2 BGB durch das Aufsuchen eines ausländischen Notars mit keinem Wort ein. Es muss daher auch im Zusammenhang mit der Auslandsbeurkundung eines Abtretungsvertrags über GmbH-Geschäftsanteile dabei bleiben, dass die im überindividuellen Interesse stehenden Formzwecke des § 15 Abs. 3 GmbHG der Verfügungsmacht der Beteiligten entzogen sind6.

5.401

Die Substituierbarkeit der Formvorschrift des § 15 Abs. 3 GmbHG durch eine Auslandsbeurkundung wird auch nicht von den unionsrechtlichen Grundfreiheiten vorgegeben7. Zwar hat der EuGH es bekanntlich abgelehnt, die notarielle Beurkundung als hoheitliche Tätigkeit i.S.d. Art. 51 AEUV zu qualifizieren8 und damit aus dem Anwendungsbereich der primärrechtlich gewährleisteten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit von vornherein herauszunehmen. Zugleich hat der Gerichtshof aber bestätigt, dass mit einer notariellen Tätigkeit Ziele verfolgt werden, die im Allgemeininteresse liegen. Das gilt insbesondere für die bei

1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 11 EGBGB Rz. 97; Winkler von Mohrenfels in Staudinger, Art. 11 EGBGB Rz. 289; Benecke, RIW 2002, 280 (285); Kröll, ZGR 2000, 111 (135 ff.); Stenzel, GmbHR 2014, 1024 (1031). 2 Im Ergebnis ebenso Armbrüster in Armbrüster/Preuß/Renner, BeurkG, § 17 BeurkG Rz. 24; Cramer in Scholz, GmbHG, § 2 GmbHG Rz. 10; Frenz in Frenz/Miermeister, BNotO, § 17 BeurkG Rz. 16; Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz 76, 497; Winkler, BeurkG, § 17 GmbHG Rz. 1; Beckmann/Fabricius, GWR 2016, 375 (377); Diehn, DNotZ 2019, 146 (149 f.); Dignas, GmbHR 2005, 139 (142 f.); Goette, DStR 1996, 709 (712 f.); Lieder, ZIP 2018, 805 (812 f.); Lieder, ZIP 2018, 1517 (1524); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (188 f.); Stelmaszczyk, GWR 2018, 103 (106). 3 Lieder, ZIP 2018, 805 (813). 4 BGH v. 7.2.2013 – III ZR 121/12, NJW 2013, 1451 (1452) = ZIP 2013, 981. 5 BGH v. 13.2.2020 – V ZB 3/16, NJW 2020, 1670. 6 Winkler, BeurkG, § 17 BeurkG Rz. 1; Diehn, DNotZ 2019, 146 (149 f.); Goette, DStR 1996, 709 (713); Herrler, GmbHR 2014, 225 (229 f.); Reithmann, DNotZ 2003, 603 (604). 7 Vgl. zu § 6 UmwG: Lieder, ZIP 2018, 1517 (1522); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (189); zur GmbH-Gründung: Lieder, ZIP 2018, 805 (809 f., 814); Cramer in Scholz, GmbHG, § 2 GmbHG Rz. 20 a.E.; Heinze in MünchKomm GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 2 GmbHG Rz. 56a; a.A. J. Hoffmann in Michalski/Heidinger/Leible/Schmidt, GmbHG, § 53 GmbHG Rz. 80; tendenziell auch Stenzel, GmbHR 2014, 1024 (1031). 8 EuGH v. 24.5.2011 − C-54/08, ECLI:EU:C:2011:339 (Kommission/Deutschland), NJW 2011, 2941 Rz. 104 ff.; = DNotZ 2011, 462; bestätigt durch EuGH v. 10.9.2015 – C-151/14, ECLI:EU: C:2015:577 (Kommission/Lettland ua), EuZW 2015, 764 Rz. 55, 59, 76; EuGH v. 9.3.2017 – C342/15 ECLI:EU:C:2017:196, (Piringer), NJW 2017, 1455 Rz. 54 = DNotZ 2017, 458; kritisch H. Roth, EuZW 2015, 734 (738 f.).

442 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.403 § 5

Umwandlungsvorgängen so bedeutsame Rechtssicherheit von Rechtsgeschäften zwischen Privatpersonen. Dieses Regelungsziel stellt einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, der geeignet ist, eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch notarrechtliche Sondervorschriften zu rechtfertigen, soweit Beschränkungen zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich sind1. Mit Urteil v. 9.3.2017 in der Rs. Piringer hat der EuGH zudem ausdrücklich die Gewährleistung von Rechtssicherheit bei Grundstückstransaktionen, die Funktionsfähigkeit des Grundbuchs und allgemein den Schutz der vorsorgenden Rechtspflege unter Beteiligung von Notaren als zwingenden Grund des Allgemeininteresses anerkannt2. Zugleich betont der Gerichtshof, dass die Tätigkeit des Notars „wichtig und notwendig“ sei, weil „er sich der Ordnungsmäßigkeit der geplanten Transaktion vergewissert und die Geschäftsfähigkeit […] überprüft“3. Daher sei auch eine ausschließliche Zuständigkeit inländischer Notare, die öffentliches Vertrauen genießen und über die der betreffende Mitgliedstaat eine besondere Kontrolle ausübt, für die Beglaubigung von Urkunden über die Begründung oder Übertragung von Rechten an Liegenschaften geeignet und erforderlich, um die Funktionsfähigkeit des Grundbuchsystems sowie die Rechtmäßigkeit und Rechtssicherheit von Akten zwischen Privatpersonen sicherzustellen4. Nichts anderes kann für die notarielle Beurkundung bei der Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen gelten5.

5.402

hh) Konsequenzen für die Praxis Angesichts der bestehenden Rechtsunsicherheiten ist den Gesellschaftern anzuraten, für die Beurkundung des Verfügungsvertrages über die Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen einen inländischen Notar aufzusuchen, um das Erfordernis des § 15 Abs. 3 GmbHG sicher zu erfüllen (näher dazu bereits Rz. 5.289 ff.). Andernfalls droht die Nichtigkeitssanktion des § 125 BGB.

1 EuGH v. 24.5.2011 − C-54/08, ECLI:EU:C:2011:339 (Kommission/Deutschland), NJW 2011, 2941 Rz. 98; bestätigt und nochmals hervorgehoben durch EuGH v. 9.3.2017 – C-342/15 ECLI:EU: C:2017:196 (Piringer), NJW 2017, 1455 Rz. 60; ebenso BVerfG v. 19.6.2012 − 1 BvR 3017/09, BVerfGE 131, 130 Rz. 46 = NJW 2012, 2639 Rz. 46; BGH v. 4.3.2013 – NotZ (Brfg) 9/12 (KG), BGHZ 196, 271 Rz. 30 f. = ZIP 2013, 886; BGH v. 24.11.2014 – NotZ (Brfg) 5/14, BGH NJW-RR 2015, 310, Rz. 11 = DNotZ 2015, 227; BGH v. 20.7.2015 – NotZ (Brfg) 13/14, NJW 2015, 3034 Rz. 22 f., 29 = DNotZ 2015, 944 (m. Anm. Rachlitz). 2 EuGH v. 9.3.2017 – C-342/15, ECLI:EU:C:2017:196 (Piringer), NJW 2017, 1455 Rz. 59 (m. zust. Anm. Böttcher) = DNotZ 2017, 458 (m. zust. Anm. Raff); ebenso Waldhoff, EuZW 2017, 382 Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (494); J. Weber, RNotZ 2017, 427 (432). 3 EuGH v. 9.3.2017 – C-342/15, ECLI:EU:C:2017:196 (Piringer), NJW 2017, 1455 Rz. 64. 4 EuGH v. 9.3.2017 – C-342/15, ECLI:EU:C:2017:196 (Piringer), NJW 2017, 1455 Rz. 69. 5 So auch Bormann/Stelmaszczyk, FS 25 Jahre DNotI, 2018, 415 (424 f.); Diehn/Rachlitz, DNotZ 2017, 487 (494); Lieder, ZIP 2018, 805 (809); Raff, DNotZ 2017, 458 (462); Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177 (189 f.) s. hierzu auch den Beschluss des BGH v. 20.7.2015 – NotZ (Brfg) 13/14, NJW 2015, 3034, in dem der BGH im Hinblick auf § 11a S. 3 und 4 BNotO klarstellt, dass Beschränkungen für die Tätigkeit eines ausländischen Notars weder die verfassungsrechtliche Berufsfreiheit nach Art. 12 GG noch die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) und Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) beeinträchtigen. Stattdessen seien Beschränkungen im Hinblick auf übergeordnete Gemeinwohlbelange gerechtfertigt. Das betreffe insb. die Funktionsfähigkeit der vorsorgenden Rechtspflege. Die dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg, s. BVerfG v. 15.10.2015 – 1 BvR 2329/15, NJW 2016, 1010.

Reithmann/Stelmaszczyk | 443

5.403

§ 5 Rz. 5.404 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

3. Nachweis des Vertrags im Rechtsverkehr 5.404

Zunächst geht es um die Frage, ob eine vom materiellen Recht vorgeschriebene Beurkundung auch durch eine von einem ausländischen Notar errichtete Protokollurkunde erfüllt werden kann, also eine Frage der Auslegung einer Formvorschrift des materiellen Rechts. Die Methode der Substitution kann ebenso zur Anwendung kommen hinsichtlich den Regeln des Urkundenrechts, insb. bei der Auslegung von §§ 415, 418 ZPO. Während die Rechtswirksamkeit des Vertrags nach materiellem Recht zu beurteilen ist (§ 125 BGB), gelten für die Verwendung der Urkunde im Rechtsverkehr §§ 415, 418 ZPO. Auch diese Vorschriften können im Wege der Substitution ausgelegt werden.

5.405

Bei Vertragsurkunden ist die rechtliche Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts, die nach § 125 BGB zu beurteilen ist, von der Beweiswirkung im Rechtsverkehr (die § 415 ZPO unterliegt) zu unterscheiden. Gleichwohl wird in der Praxis bei Urkunden, die aus dem Ausland stammen, zunächst nur geprüft, ob das in der Urkunde gespeicherte Rechtsgeschäft materiell-rechtlich wirksam ist.

5.406

Ist dies der Fall und steht die Echtheit der Urkunde (meist durch eine Apostille) fest, so geht die Praxis i.d.R. davon aus, dass die Urkunde auch die Anforderungen des § 415 ZPO erfüllt, zumal dann, wenn sie von einem „lateinischen“ Notar1 in Protokollform errichtet ist.

5.407

Dies kann aber nicht gelten, wenn die vorgelegte Urkunde den Anforderungen des § 415 ZPO offensichtlich nicht genügt, z.B. wenn eine Privaturkunde vorgelegt wird. Zwar kann ein Vertrag auch in einer Privaturkunde niedergelegt werden. Die Privaturkunde weist aber nur die Abgabe der Erklärungen nach, nicht das Zustandekommen des Vertrages. Ihr Beweiswert ist niedriger als der einer notariellen Protokollurkunde2. Dies gilt auch dann, wenn die Unterschriften der privaten Aussteller auf der Privaturkunde notariell beglaubigt sind.

5.408

Eine Protokollurkunde, auch wenn sie von einem ausländischen Notar errichtet ist, kann dagegen im Rahmen der Substitution zu § 415 ZPO vollen Beweis des protokollierten Vertrages erbringen. Dies kann wichtig sein bei der Erstellung einer Liste nach § 40 GmbHG.

5.409

Handelt es sich darum, nachzuweisen, wem ein Vertragsgegenstand zu Eigentum zusteht, so kann sich der Rechtsverkehr i.d.R. auf ein Register verlassen. Wenn ein solches fehlt, wie z.B. hinsichtlich der Geschäftsanteile an einer GmbH, ist der Rechtsverkehr darauf angewiesen, auf den Erwerbsvorgang abzustellen. Für die rechtliche Wirksamkeit dieses Verfügungsvertrags verlangt § 15 Abs. 3 GmbHG die Einhaltung des Erfordernisses der Beurkundung. Ob dies auch bei Auslandsbeurkundung eingehalten werden muss, ist eine Frage des Kollisionsrechts (Rz. 5.279 ff., Rz. 5.373 ff.).

5.410

Davon zu unterscheiden ist der Nachweis des Vorgangs des Vertragsschlusses. Hier kann es auf die nach § 40 GmbHG errichtete Liste der Gesellschafter ankommen. Grundlage dieser Liste ist der Vorgang der Abtretung der Gesellschaftsanteile. Mit der Aufnahme der Liste in das Handelsregister sind rechtliche Wirkungen verbunden, wenn auch nicht die Vermutung einer materiell-rechtlichen Wirksamkeit. Der BGH hat auch die von einem Baseler Notar3 er1 Im Einzelnen Hertel in Staudinger (2017), BeurkG, Rz. 729 ff. zur Organisation des Notariats. 2 Zu § 415 ZPO Huber in Musielak/Voit, 17. Aufl. 2020, § 415 ZPO Rz. 3; Preuß in Prütting/Gehrlein, 12. Aufl. 2020, § 415 ZPO Rz. 18; Schreiber in MünchKomm ZPO, 6. Aufl. 2020, § 415 ZPO Rz. 9, 10. 3 BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, ZIP 2014, 317 = GmbHR 2014, 248. Der BGH stellt auf die formelle Einreichungszuständigkeit ab, die auch ein ausländischer Notar haben kann, nicht aber auf die kollisionsrechtliche Frage der Rechtswirksamkeit der Beurkundung durch den ausländischen Notar, erwähnt aber die vom BGH entwickelten Grundsätze der Gleichwertigkeit.

444 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.416 § 5

stellte Liste über den Vorgang des Verfügungsgeschäfts jedenfalls als Grundlage der zum Handelsregister einzureichenden Liste anerkannt. Insoweit ist die von dem Baseler Notar errichtete Protokollurkunde der von einem deutschen Notar i.S.v. § 415 ZPO errichteten Protokollurkunde gleichzustellen. Sie erbringt vollen Beweis über den berichteten Vorgang des Verfügungsgeschäfts. Anders ist es aber, wenn dieses Verfügungsgeschäft nur in einer Privaturkunde niedergelegt ist. Auch die notarielle Beglaubigung der Unterschrift des Ausstellers unter dieser Privaturkunde erbringt nicht den Beweis des Vertragsschlusses. Die Beglaubigung macht die Privaturkunde nicht zu einer Protokollurkunde (Rz. 5.318).

5.411

4. Verwendung der Urkunde im inländischen Verfahren Bei Verfahrenserklärungen (z.B. der Eintragungsbewilligung im Grundbuchverfahren, § 29 GBO) kommt die materielle Rechtswirksamkeit (§ 125 BGB) nicht in Betracht. Es geht um die Verwendung der urkundlich niedergelegten Verfahrenserklärung im Verfahren.

5.412

§ 29 GBO verlangt eine „öffentliche“ oder „öffentlich beglaubigte“ Urkunde. Dabei geht es um das grundsätzliche Erfordernis des § 415 ZPO. Der Nachweis durch öffentliche Urkunde wird durch ein Protokoll über einen vom Notar wahrgenommenen Vorgang erbracht.

5.413

Ist das Protokoll von einem ausländischen Notar errichtet, so kann es u.U. einer von einem deutschen Notar errichteten Protokollurkunde gleichgestellt werden (Substitution bei § 415 ZPO).

5.414

§ 29 GBO lässt neben der öffentlichen Urkunde auch die „öffentlich beglaubigte“ Urkunde genügen. In der Regel wird im inländischen Grundbuchverfahren eine Vermerkurkunde vorgelegt, in der der Notar im Beglaubigungsvermerk bezeugt, dass der Unterzeichner sich zu dem vorliegenden Text bekannt hat. Auch hier kann eine ausländische Vermerkurkunde genügen, wenn sie nach Status und Verfahren der Urkundsperson dem vom deutschen Notar gefertigten Beglaubigungsvermerk gleichwertig ist (Rz. 5.329).

5.415

Dabei ist das Verfahren des § 40 Abs. 1 BeurkG zu beachten. Eine Unterschrift soll nur beglaubigt werden, wenn sie in Gegenwart des Notars vollzogen oder anerkannt wird. Das Erfordernis der persönlichen Wahrnehmung, obwohl in § 40 BeurkG nur als Soll-Vorschrift bezeichnet, gehört zu den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts. Die persönliche Wahrnehmung ist für alle Urkunden erforderlich, die § 415 ZPO mit voller Beweiskraft ausstattet. Voraussetzung ist eigene Wahrnehmung der berichteten Willenserklärungen (§ 415 ZPO) bzw. der wahrgenommenen Tatsachen (§ 418 ZPO)1. Fehlt es daran, so gilt die Vermutung der §§ 415, 418 ZPO nicht.

5.416

1 Ausnahme § 418 Abs. 3 ZPO: „Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung ..., der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.“ Darunter können Zeugnisse des Standesbeamten fallen.

Reithmann/Stelmaszczyk | 445

§ 5 Rz. 5.417 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5. Nachweiserleichterung durch Bescheinigungen a) Grundsätze

5.417

Handelt für eine Gesellschaft ein Vertreter, so geht es zunächst um dessen Vertretungsmacht, sei es nach der Satzung der Gesellschaft, sei es gemäß erteilter Vollmacht. Diese „Quelle“ der Vertretungsmacht kann durch ein Register (z.B. das Handelsregister nach § 8 HGB) oder durch eine Urkunde über den Gesellschaftsvertrag, aber auch durch eine Urkunde über die Erteilung einer Vollmacht nachgewiesen werden. Der Nachweis über diesen „Vorgang“ wird im inländischen Rechtsverkehr, insb. vor inländischen Gerichten und Behörden, nach der lex fori beurteilt. Diese Urkunde kann nach § 415 ZPO „vollen Beweis des berichteten Vorgangs“ erbringen, auch dann, wenn der Vorgang im Ausland stattfand.

5.418

Hinsichtlich der Verwendung der Urkunden im Grundbuchverfahren weisen die Kommentare zur Grundbuchordnung umfangreiche Rechtsprechung nach. § 29 GBO verlangt den Nachweis durch „öffentliche oder öffentlich-beglaubigte“ Urkunden. Auch hier ist von den Vorschriften der ZPO über die Verwendung von Urkunden (§§ 415 ff. ZPO) auszugehen. Urkunden, die „von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind“, begründen, wenn sie über eine von der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Urkundsperson beurkundeten Vorgangs (§ 415 ZPO). Dieser volle Beweis gilt auch für „öffentliche Urkunden“, die einen anderen als den in § 415 ZPO bezeichneten Inhalt haben, aber auch hier nur dann, wenn das Zeugnis auf eigener Wahrnehmung der Urkundsperson beruht (§ 418 Abs. 3 ZPO).

5.419

In allen Fällen setzt die Beweiskraft der §§ 415, 418 ZPO voraus, dass der Aussteller der Urkunde (der Berichterstatter über den beurkundeten Vorgang) diesen persönlich wahrgenommen hat. Soweit sich die Rechtsprechung zu § 29 GBO damit ausführlich befasst, geht sie von diesen Bestimmungen der ZPO aus. Da es an einer persönlichen Wahrnehmung der Urkundsperson (insb. hinsichtlich von Vertretungsbescheinigungen auf der Grundlage von ausländischen Registern häufig fehlt, scheitert oft die Verwendung der Bescheinigung in der Praxis1). In Frage kommt aber auch die Bescheinigung nach § 21 BNotO. Diese Bescheinigung beruht, anders als Zeugnisurkunden, nicht ausschließlich auf den persönlichen Wahrnehmungen der Urkundsperson. § 21 BNotO verlangt vom Notar nicht, dass er die tatsächlichen Voraussetzungen seines Berichts (z.B. die Eintragung im Handelsregister) persönlich wahrgenommen hat. Verlangt ist aber, dass sich der Notar darüber informiert und daraus die rechtlichen Folgerungen für die Vertretungsmacht des Vertreters zieht2. b) Erweiterung des § 21 BNotO

5.420

Die Möglichkeiten des § 21 BNotO wurden durch das Gesetz zur Übertragung von Aufgaben im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare3 erweitert: „Die Notare sind ferner dafür zuständig, Bescheinigungen über eine durch Rechtsgeschäft begründete Vertretungsmacht auszustellen“ (§ 21 Abs. 3 BNotO).

5.421

Während der Bescheinigung nach § 21 Abs. 1 BNotO die gleiche Beweiskraft wie einem Zeugnis des Registergerichts zugebilligt wird (§ 21 Abs. 1 S. 2 BNotO), fehlt eine solche Bestim1 Zuletzt OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/14, ZIP 2014, 2033 = DNotZ 2014, 626; OLG Naumburg v. 17.3.2014 – 12 Wx 33/13, NotBZ 2015, 155. 2 Schippel/Görk, BNotO, 10. Aufl. 2021, § 21 BNotO Rz. 11. 3 BGBl. I 2013, 1800, in Kraft seit 1.9.2013.

446 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.425 § 5

mung hinsichtlich der Vollmachtsbescheinigung (nach § 21 Abs. 3 BNotO). Aber auch der Vollmachtsbescheinigung ist eine Richtigkeitsvermutung zuzubilligen. Dies wurde für das Grundbuchverfahren durch Einfügung in § 34 GBO klargestellt. c) Rechtliche Würdigung der Vertretungsmacht durch den ausstellenden Notar

Als Gegenstand der Bescheinigung nennt § 21 BNotO die Vertretungsmacht. Ob Vertretungsmacht besteht, ist nach materiellem Recht zu beurteilen, bei Auslandsberührung nach dem kollisionsrechtlich anwendbaren Recht, d.h. bei der satzungsgemäßen Vertretungsmacht nach dem Gesellschaftsstatut, bei der durch Vollmacht erteilten Vertretungsmacht nach dem Vollmachtsstatut. Der Notar muss in seiner Bescheinigung die von ihm zugrunde gelegten Tatsachen als Grundlagen seiner Bescheinigung ausführen: „Der Notar darf die Bescheinigung nur ausstellen, wenn er sich Gewissheit verschafft hat, die auf Einsichtnahme in das Register oder in eine beglaubigte Abschrift hiervon beruhen muss“. Um eine Überprüfung des Fortbestands der Vertretungsmacht zu ermöglichen, hat er „den Tag der Einsichtnahme in das Register oder den Tag der Ausstellung der Abschrift in der Bescheinigung anzugeben“ (§ 21 Abs. 2 BNotO).

5.422

Das Gleiche gilt für die Vollmachtsbescheinigung: „Der Notar darf die Bescheinigung nur ausstellen, wenn er sich zuvor durch Einsichtnahme in eine öffentliche oder öffentlich beglaubigte Vollmachtsurkunde über die Begründung der Vertretungsmacht vergewissert hat“ (§ 21 Abs. 3 BNotO). Auch die Frage des Fortbestands der Vertretungsmacht unterliegt der Prüfung durch den Aussteller der Bescheinigung. Erleichtert wird diese Prüfung durch § 172 Abs. 2 BGB: „Die Vertretungsmacht bleibt bestehen, bis die Vollmachtsurkunde zurückgegeben oder für kraftlos erklärt wird“. Dies gilt allerdings nur dann, wenn nach den Regeln des Kollisionsrechts auf die Wirkung der Vollmacht deutsches Recht angewendet wird, was sich nach Art. 8 EGBGB bemisst (s. dazu Hausmann, Rz. 6.381 ff.).

5.423

In der Regel wird die Vollmachtsurkunde in Urschrift oder in Ausfertigung vorgelegt. Die Ausfertigung vertritt die Urschrift im Rechtsverkehr (§ 47 BeurkG). Diese Vorschrift kommt bei Verwendung der Urkunde im inländischen Rechtsverkehr als lex fori stets zur Anwendung; s. dazu Hausmann, Rz. 6.185 ff.

5.424

d) Bescheinigungen ausländischer Notare

Häufig werden auch in inländischen Verfahren Bescheinigungen vorgelegt, die von ausländischen Notaren erstellt sind, meist als „certificate“ eines notary public bezeichnet. Im Falle des OLG Nürnberg1 ging es um einen notary public aus England, im Falle des OLG Naumburg2 um einen notary public aus Irland. Als Quelle waren dort Dokumente der dortigen Registerbehörden genannt, die auch im Inland als öffentliche Urkunden angesehen werden. Letztlich wurden diese Bescheinigungen aber zurückgewiesen, weil sie den Erfordernissen der §§ 415, 418 ZPO nicht genügen können; es fehlte an einer persönlichen Einsicht und Überprüfung durch den notary public. Eine Anerkennung nach § 21 BNotO wurde angeschnitten, aber nicht behandelt3.

1 OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/14, ZIP 2014, 2033 = DNotZ 2014, 626. 2 OLG Naumburg v. 17.3.2014 – 12 Wx 33/13, NotBZ 2015, 155. 3 Die GBO erhält in §§ 31 ff. besondere Nachweiserleichterungen. Nach hier vertretener Auffassung genügt es, für den Nachweis der Vertretungsberechtigung auch im Grundbuchverfahren auf § 21 BNotO abzustellen. In den vorgenannten Entscheidungen wurde dieser auf Bescheinigungen, die auf ausländischen Registern beruhen, nicht angewendet.

Reithmann/Stelmaszczyk | 447

5.425

§ 5 Rz. 5.426 | Eingriffsnormen, ausländische Devisenvorschriften, Formvorschriften

5.426

Für diese Frage muss es darauf ankommen, ob die Nachweiserleichterungen des § 21 BNotO auch für Bescheinigungen, die von ausländischen Notaren errichtet sind, gelten. Dies ist eine Frage der Substitution.

5.427

Die rechtliche Würdigung umfasst zunächst die Frage, welches materielle Recht kollisionsrechtlich anwendbar ist. Vollmachtsstatut ist bei der auf Gesellschaftsvertrag beruhenden Vertretungsmacht das auf die Gesellschaft anwendbare Gesellschaftsstatut, das auch für den notary public ohne weiteres ersichtlich ist. Es sollte auch in der Bescheinigung erwähnt werden, um eine Nachprüfung zu ermöglichen.

5.428

Bei der auf Vollmacht beruhenden Vertretungsmacht kommt es auf das Vollmachtsstatut1 an (Art. 8 EGBGB, s. dazu Hausmann, Rz. 6.381 ff.). Danach sind die Wirkungen der Vollmacht, insb. deren Widerruflichkeit, zu beurteilen.

VI. Hinweise 5.429

Zur Rechtswahl hinsichtlich des auf den Vertrag anwendbaren Rechts nennt Art. 11 Rom IVO das von den Parteien gewählte Recht. Dabei können die Parteien die Rechtswahl für den ganzen Vertrag oder für einen Teil desselben treffen (Art. 3 Abs. 1 S. 3 Rom I-VO). Diese Bestimmung sagt aber nicht, was unter dem „ganzen Vertrag“ oder einem „Teil des Vertrages“ zu verstehen ist.

5.430

Es geht um den „Vertrag“, nicht um die Urkunde, in der der Vertrag niedergelegt ist. Diese Urkunde enthält oft sowohl Verpflichtungen (Rz. 5.219 ff.) als auch Rechtsgeschäfte, welche die unmittelbare Zuteilung eines Gegenstands betreffen (Verfügungsgeschäfte; Rz. 5.270 ff.). Die Rechtswahl kann nur die Verpflichtungsgeschäfte betreffen. Die Rom I-VO gilt nur für vertragliche Schuldverhältnisse, nicht für Verfügungsgeschäfte.

5.431

Bei der Vertragsgestaltung ist darauf zu achten, dass die Nichtigkeitssanktion des § 125 BGB vermieden wird. Die Rom I-VO begrenzt deren Durchsetzung durch die Alternative des Art. 11 Abs. 1 Rom I-VO: Es genügt, wenn den Erfordernissen eines von mehreren in Frage kommenden Formstatuten (lex causae oder leges loci actus) genügt ist. Dies gilt für Verpflichtungsgeschäfte, nicht aber für Verfügungsgeschäfte (Rz. 5.242).

5.432

Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft werden nach dem das deutsche Recht beherrschenden Trennungs- und Abstraktionsprinzip in der Regel als getrennte Verträge gesehen. Im Einzelfall kann eine ausdrückliche Bestimmung in diesem Fall angebracht sein, um zu verhindern, dass die Nichtigkeit des einen Vertrages auf den anderen Vertrag durchschlägt.

5.433

Dies kann auch für die Heilungsmöglichkeit wichtig sein: Der nichtige Verpflichtungsvertrag kann durch das Verfügungsgeschäft geheilt werden (§ 15 Abs. 4 S. 2 GmbHG), sogar dann, wenn beide Verträge in der gleichen Urkunde niedergelegt sind. In dem vom OLG Frankfurt am 16.12.2012 entschiedenen Fall2 war ein Teil der Verpflichtung (ein Sanierungskonzept) 1 Schilken erwähnt dazu die Regelung nach österreichischem, schweizerischem, französischem, italienischem, englischem und spanischem Recht, Schilken in Staudinger (2019), Vorbem. zu § 164 BGB Rz. 100 ff. 2 OLG Frankfurt v. 21.2.2012 – 11 U 97/11, ZIP 2012, 1125 = GmbHR 2012, 513 m. Anm. Heinze = MittBayNot 2012, 401. Winkler weist in der Anm. (MittBayNot 2012, 404) darauf hin, dass die Heilung erst eintritt, wenn das Verfügungsgeschäft wirksam wird, also erst dann, wenn eine etwaige Bedingung (z.B. Kaufpreiszahlung) eingetreten ist.

448 | Reithmann/Stelmaszczyk

G. Formvorschriften | Rz. 5.434 § 5

zwar aufgeführt, aber nicht mit der Niederschrift vorgelesen worden. Dies machte die Verpflichtung unwirksam (§ 125 BGB), berührte aber den Beweis (§ 415 ZPO) der in der Urkunde gespeicherten Vorgänge nicht. Die Unwirksamkeit konnte durch das in der gleichen Urkunde enthaltene Verfügungsgeschäft geheilt werden. Diese Fragen sind nach materiellem Recht zu beantworten. Die Verwendung der im Vertrag gespeicherten Urkunde bestimmt aber die lex fori (unabhängig von der materiell-rechtlichen Würdigung des in der Urkunde gespeicherten Vertrages). Dabei kommt es auf die Gestaltung der speichernden Urkunde an. Höhere Beweiskraft als einer eine Willenserklärung speichernden Privaturkunde (§ 416 ZPO) kommt einer Urkunde zu, in der ein Berichterstatter (Urkundsperson) über einen Vertragsabschluss berichtet (Protokollurkunde)1; im Einzelnen s. Rz. 5.310 ff., Rz. 5.404 ff.

1 Reithmann in FS Martiny (2014), S. 515.

Reithmann/Stelmaszczyk | 449

5.434

§6 Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bestimmung des Gesellschaftsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anknüpfungstheorien . . . . . . a) Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . b) Gründungstheorie . . . . . . c) Kombinations- und Differenzierungslehren . . . . . . . d) Stellungnahme . . . . . . . . . 3. Einschränkung der Sitztheorie durch die Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Entwicklung der EuGHRechtsprechung . . . . . . . . . aa) Die „Daily-Mail“-Entscheidung von 1988 . . bb) Die „Centros“-Entscheidung von 1999 . . . . . . cc) Die „Überseering“-Entscheidung von 2002 . . dd) Die „Inspire Art“-Entscheidung von 2003 . . ee) Die „Cartesio“-Entscheidung von 2008 . . . . . . ff) Die „Vale“-Entscheidung von 2012 . . . . . . gg) Die „Kornhaas“-Entscheidung von 2015 . . hh) Die „Polbud“-Entscheidung von 2017 . . . . . . d) Konsequenzen für das deutsche internationale Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . aa) Verpflichtung auf eine „europarechtliche Gründungstheorie“? . . . . . . bb) Beschränkung auf die Vermeidung bestimmter Auswirkungen der Sitztheorie . . . . . . . . . . . . cc) Fortgeltung der Sitztheorie in Drittstaatsfällen . . . . . . . . . . . . . . . .

450 | Hausmann

6.1 6.1 6.1 6.2 6.2 6.6 6.8 6.9 6.11 6.11 6.12 6.13 6.13 6.15 6.19 6.22 6.26 6.31 6.33 6.34 6.36 6.36

6.43 6.46

dd) Auswirkungen des Brexit . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schranken der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . aa) Öffentliche Ordnung . bb) Rechtsmissbrauch . . . cc) Zwingende Gründe des Gemeinwohls . . . . . . . dd) Vorschriften außerhalb des Gesellschaftsrechts 4. Vorrang von Staatsverträgen . 5. Reformen des deutschen materiellen und internationalen Gesellschaftsrechts . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Änderungen durch das MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Referentenentwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gründungsrecht als Grundsatzanknüpfung bb) Grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik . . . . . . . . . . . . . II. Einzelprobleme der Anknüpfung des Gesellschaftstatuts . . . . . . . . . 1. Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ermittlung des tatsächlichen Verwaltungssitzes . . . . . . . b) Beweislast . . . . . . . . . . . . . c) Doppelsitz . . . . . . . . . . . . . d) Verbundene Unternehmen e) Rück- oder Weiterverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gründungstheorie . . . . . . . . . a) Ermittlung des Gründungsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rück- oder Weiterverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anfängliches Auseinanderfallen von Verwaltungssitz und Satzungssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geltungsbereich . . . . . . . . b) Inländischer Verwaltungssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.49 6.50 6.50 6.52 6.54 6.57 6.58 6.62 6.62 6.63 6.66 6.66 6.68 6.69 6.70 6.70 6.70 6.74 6.77 6.78 6.79 6.83 6.83 6.84 6.85 6.85 6.85 6.87

Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis | § 6 c) Ausländischer Verwaltungssitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gründungstheorie . . . . . . . . . . IV. Probleme der Sitzverlegung . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . a) Kollisions- und Sachrecht . b) Wegzug und Zuzug . . . . . . 2. Verlegung des Sitzes einer in Deutschland gegründeten Gesellschaft ins Ausland . . . . . . . a) Kein Einfluss der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . b) Verlegung nur des Verwaltungssitzes . . . . . . . . . . . . . aa) Kollisionsrecht . . . . . . bb) Sachrecht . . . . . . . . . . . c) Verlegung auch des Satzungssitzes . . . . . . . . . . . . . d) Verlegung nur des Satzungssitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verlegung des Sitzes einer im Ausland gegründeten Gesellschaft nach Deutschland . . . . . a) Verlegung nur des Verwaltungssitzes . . . . . . . . . . . . . aa) Gründung in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gründung in einem Drittstaat . . . . . . . . . . . b) Verlegung auch des Satzungssitzes . . . . . . . . . . . . . c) Verlegung nur des Satzungssitzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sitzverlegung von einem Drittstaat in einen anderen . . . . . . . V. Grenzüberschreitender Formwechsel von Gesellschaften . . . . . . . . . . VI. Reichweite des Gesellschaftsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfähigkeit . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Rechtsfähigkeit b) Fähigkeit zur Errichtung von Zweigniederlassungen aa) Sitztheorie . . . . . . . . . . bb) Gründungstheorie . . . c) Besondere Rechtsfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . bb) Beteiligung an anderen Gesellschaften . . . . . . .

6.91 6.93 6.95 6.95 6.95 6.97 6.98 6.98 6.101 6.101 6.103 6.109 6.113 6.114 6.114 6.114 6.118 6.122 6.123 6.124 6.125 6.126 6.126 6.127 6.127 6.132 6.132 6.133 6.136 6.136 6.137

cc) Wechsel-/Scheckfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertretungsmacht . . . . . . . . . . 4. Partei- und Prozessfähigkeit . . a) Parteifähigkeit . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . bb) Lex fori . . . . . . . . . . . . cc) Lex causae . . . . . . . . . . dd) Alternative Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . b) Prozessfähigkeit . . . . . . . . . 5. Personengesellschaften . . . . . . a) Handelsgesellschaften . . . . b) Bürgerlich-rechtliche Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . VII. Schutz des Rechtsverkehrs . . . . . . 1. Gesetzliche Rechtsschutznormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Art. 13 Rom I-VO . . . . . . . b) § 50 Abs. 2, § 55 ZPO . . . . 2. Persönliche Haftung von Gesellschaftern und Organvertretern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . b) Sitztheorie . . . . . . . . . . . . . aa) Gesellschafterhaftung . bb) Handelndenhaftung . . cc) Rechtsscheinhaftung . . c) Gründungstheorie . . . . . . . aa) Grundsatz . . . . . . . . . . bb) Ausnahmen . . . . . . . . . (1) Deliktsrecht . . . . . . . . . (2) Insolvenzrecht . . . . . . . (3) Rechtsscheinhaftung . . 3. Inländische Zweigniederlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Notarielle Bestätigung . . . . . . . VIII. Die gesetzliche Vertretung von Handelsgesellschaften und ihr Nachweis im ausländischen Recht 1. Europäische Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) . . . . . . . . . . . . . . . b) Europäische Aktiengesellschaft (SE) . . . . . . . . . . . . . c) Europäische Privatgesellschaft (SPE) . . . . . . . . . . . . 2. EU-Staaten . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsvereinheitlichung . . b) Belgien . . . . . . . . . . . . . . . .

6.140 6.141 6.148 6.148 6.148 6.150 6.151 6.153 6.154 6.155 6.155 6.156 6.157 6.157 6.157 6.162 6.164 6.164 6.165 6.165 6.166 6.167 6.168 6.168 6.170 6.172 6.174 6.176 6.179 6.184 6.187 6.187 6.187 6.189 6.192 6.197 6.197 6.199

Hausmann | 451

§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . . c) England . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . . d) Frankreich . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . . e) Italien . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . . f) Niederlande . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . . g) Österreich . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . . h) Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . . i) Portugal . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . . j) Slowakische Republik . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . . k) Spanien . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . . l) Tschechische Republik . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . .

452 | Hausmann

6.200 6.205 6.206 6.207 6.218 6.223 6.224 6.232 6.233 6.234 6.242 6.243 6.244 6.249 6.250 6.251 6.256 6.257 6.258 6.265 6.266 6.267

IX.

6.274 6.276 6.277 6.283 6.285 6.286 6.294 6.296 6.297 6.303

B. I. II.

m) Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . 3. Sonstige Staaten . . . . . . . . . . . a) Japan . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . b) Kanada . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . c) Liechtenstein . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . d) Russische Föderation . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . e) Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . f) USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vertretungsberechtigte Organe . . . . . . . . . . . . bb) Nachweis der Vertretungsmacht . . . . . . . . Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sonderanknüpfung . . . . . . . . . 2. Bestimmung des Gesellschaftsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereich der Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . 4. Konsequenzen der Sitztheorie 5. Reichweite des Gesellschaftsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schutz des Rechtsverkehrs . . . Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Einseitige Rechtswahl . . . . . . .

6.304 6.305 6.311 6.312 6.312 6.313 6.315 6.316 6.318 6.323 6.326 6.327 6.335 6.336 6.337 6.348 6.349 6.350 6.355 6.356 6.357 6.366 6.371 6.371 6.372 6.373 6.376 6.379 6.380 6.381 6.381 6.389 6.389 6.391

Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis | § 6 3. Allseitige Rechtswahl . . . . . . . III. Objektive Anknüpfung . . . . . . . . . 1. Sonderanknüpfung der Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anknüpfungen nach Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze . . . aa) Vorrang vor der Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht . . . . . . . . . . . . . bb) Erkennbarkeit der Anknüpfung . . . . . . . . . . . cc) Sachnormverweisung . b) Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit durch den Bevollmächtigten, Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vom Arbeitgeber bevollmächtigter Arbeitnehmer, Abs. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anknüpfung sonstiger Dauervollmachten, Abs. 4 . 3. Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht, Abs. 5 . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Bestimmung des Gebrauchsorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abweichende Bestimmung durch den Vollmachtgeber d) Hilfsanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Vollmachtgebers . . . . . . . . 4. Sonderanknüpfungen im Hinblick auf den Gegenstand der Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundstücksvollmacht, Abs. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Börsenvollmacht, Abs. 7 . . c) Prozessvollmacht . . . . . . . . d) Vollmacht zur Ausstellung von Konnossementen . . . . e) Vorsorgevollmacht . . . . . . . f) Kapitänsvollmacht . . . . . . . IV. Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts, Abs. 8 . . . . . . . . . . . . V. Reichweite des Vollmachtstatuts . 1. Abgrenzung vom Geschäftsstatut des Hauptvertrags . . . . . . . 2. Erteilung und Gültigkeit der Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auslegung der Vollmacht . . . .

6.396 6.398 6.398 6.403 6.403

6.403 6.404 6.406

6.407 VI. 6.411 6.414 6.416 6.416 6.423 6.426 6.428

VII.

6.429 6.429 6.437 6.438 6.440 6.441 6.442

VIII.

6.443 6.445 6.445 6.446 6.448

C. I.

4. Inhalt und Umfang der Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Form der Vollmacht . . . . . . . . a) Geschäftsrecht . . . . . . . . . . b) Ortsrecht . . . . . . . . . . . . . . 6. Dauer und Erlöschen der Vollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ablauf der gesetzlichen Gültigkeitsdauer . . . . . . . . . . . b) Tod, Insolvenz oder Geschäftsunfähigkeit des Vertretenen . . . . . . . . . . . . . . . c) Widerruf . . . . . . . . . . . . . . d) Beendigung des Innenverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . 7. Duldungs- und Anscheinsvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Verfügungsermächtigung . . . . Geschäftsstatut des Hauptvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeit der Stellvertretung 2. Erfordernis einer Spezialvollmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Offenbarung des Vertretungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . 4. Zurechnung von Willensmängeln und bösem Glauben . . . . 5. Vertretung ohne Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Geschäftsstatut . . . . . . . . . b) Vollmachtstatut . . . . . . . . . Rechtsvereinheitlichung . . . . . . . . 1. Haager Übereinkommen über das auf die Stellvertretung anzuwendende Recht von 1978 . 2. Genfer Übereinkommen über die Stellvertretung beim internationalen Warenkauf von 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neuregelung in Art. 8 EGBGB 2. Bestimmung des Vollmachtstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Reichweite des Vollmachtstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Geschäftsstatut des Hauptvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.449 6.452 6.452 6.456 6.462 6.462 6.464 6.465 6.466 6.467 6.472 6.473 6.473 6.475 6.476 6.478 6.480 6.480 6.485 6.491 6.491

6.499 6.501 6.501 6.502 6.510 6.514 6.515 6.515

Hausmann | 453

§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis 1. Territorialitätsprinzip contra Universalitätsprinzip . . . . . . . 2. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . a) EuInsVO 2000 . . . . . . . . . . b) EuInsVO 2015 . . . . . . . . . . aa) Entstehung und Inhalt bb) Ziele . . . . . . . . . . . . . . cc) Anwendungsbereich . . dd) Verhältnis zu Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . ee) Verhältnis zum autonomen Recht . . . . . . . c) Autonomes Recht . . . . . . . aa) Entstehungsgeschichte bb) Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts (IIR-G) . 3. Haupt- und Nebeninsolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sekundärinsolvenz . . . . . . b) Partikularinsolvenz . . . . . . II. Inländisches Insolvenzverfahren mit Auslandsbezug . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen der Eröffnung eines (Haupt-) Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Europäisches Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . (1) Verhältnis zum autonomen Zuständigkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . (2) Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (COMI) (a) Gesellschaften . . . . . . . (b) Natürliche Personen . . (3) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . (4) Annexzuständigkeiten (a) EuInsVO 2000 . . . . . . (b) EuInsVO 2015 . . . . . . (c) Qualifikation von insolvenznahen Klagen . . . (5) Örtliche Zuständigkeit bb) Autonomes Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . cc) Kompetenzkonflikte . . b) Insolvenzfähigkeit . . . . . . . c) Eröffnungsgründe . . . . . . . d) Antragsbefugnis . . . . . . . .

454 | Hausmann

6.515 6.519 6.519 6.520 6.520 6.521 6.522 6.530 6.531 6.532 6.532 6.535 6.536 6.536 6.538 6.539 6.539 6.539 6.539 6.539 6.541 6.542 6.551 6.553 6.556 6.556 6.560 6.564 6.579 6.580 6.585 6.586 6.588 6.589

2. Auslandswirkungen des inländischen (Haupt-)Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Universalitätsprinzip . . . . aa) Beschlagnahme . . . . . bb) Sicherungsmaßnahmen b) Einzelzwangsvollstreckung im Ausland trotz Inlandsinsolvenz . . . . . . . . . . . . . . c) Anrechnung von Erlösen aus ausländischen Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . 3. Rechtsstellung des inländischen Insolvenzverwalters bezüglich des Auslandsvermögens . . . . . a) Befugnisse des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mitwirkung des Schuldners und der Gläubiger . . . . . . 4. Besonderheiten von Partikularinsolvenzverfahren . . . . . . . . a) Einschränkung des Universalitätsprinzips . . . . . . . . . b) Voraussetzungen der Eröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsschutzinteresse . cc) Deckung der Verfahrenskosten . . . . . . . . . c) Beschränkung auf das Inlandsvermögen . . . . . . . . . d) Befugnisse des Insolvenzverwalters . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausländisches Insolvenzverfahren mit Inlandsbezug . . . . . . . . . . . . . 1. Universalitätsprinzip . . . . . . . 2. Gegenstand der Anerkennung a) Eröffnungsentscheidung . b) Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens . . c) Sonstige, mit dem Insolvenzverfahren eng zusammenhängende Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Sicherungsmaßnahmen . . 3. Voraussetzungen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europäisches Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anerkennung der Eröffnungsentscheidung . .

6.590 6.590 6.590 6.592 6.594 6.599 6.601 6.601 6.606 6.608 6.608 6.609 6.609 6.614 6.616 6.617 6.618 6.619 6.619 6.620 6.620 6.625

6.627 6.628 6.630 6.630 6.630

Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis | § 6 bb) Anerkennung sonstiger insolvenzrechtlicher Entscheidungen . . . . . cc) Ordre public-Vorbehalt b) Autonomes Insolvenzrecht aa) Grundsatz . . . . . . . . . . bb) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . cc) Wirksamkeit und Universalität der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . dd) Vereinbarkeit mit dem inländischen ordre public . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ausschluss sonstiger Anerkennungshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtswirkungen der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstreckung der Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . bb) Beschlagnahme des Inlandsvermögens . . . . . cc) Unzulässigkeit der Einzelzwangsvollstreckung dd) Schranken der Wirkungserstreckung . . . . b) Erstreckung der Wirkungen sonstiger, mit einem Hauptinsolvenzverfahren zusammenhängender Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wirkungen eines ausländischen Partikularinsolvenzverfahrens im Inland . . . . . 5. Vollstreckung insolvenzrechtlicher Entscheidungen . . . . . . . a) Europäisches Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Autonomes Insolvenzrecht 6. Anerkennung der Befugnisse des ausländischen Insolvenzverwalters bezüglich des Inlandsvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Voraussetzung für die Anerkennung . . . . . b) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis . . . . . . . . c) Prozessführungsbefugnis . . d) Unterbrechung inländischer Verfahren . . . . . . . . . . . . . .

6.633 6.634 6.637 6.637 6.640 6.641 6.642 6.644 6.645 6.645 6.645 6.648 6.649 6.652

6.653 6.654 6.655 6.655 6.658

6.660 6.660 6.662 6.666 6.668

aa) Autonomes Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . bb) Europäisches Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . e) Sicherungsmaßnahmen des vorläufigen Verwalters . . . 7. Konkurrierende Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Europäisches Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Konkurrierende Hauptverfahren . . . . . . . . . . . bb) Haupt- und Sekundärverfahren . . . . . . . . . . . b) Autonomes Insolvenzrecht aa) Konkurrierende Hauptverfahren . . . . . . . . . . . bb) Haupt- und Sekundärverfahren . . . . . . . . . . . IV. Reichweite des Insolvenzstatuts . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsatz: Lex fori concursus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allseitige Kollisionsnorm . . . . . . . . . . . . . . bb) Qualifikation . . . . . . . . cc) Reichweite: Verfahrensrecht und materielles Recht . . . . . . . . . . . . . . dd) Sachnorm- oder Gesamtverweisung? . . . . . b) Durchbrechung durch Sonderanknüpfungen . . . . . . . 2. Dingliche Sicherungsrechte von Gläubigern . . . . . . . . . . . . . . . a) Europäisches Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Autonomes Insolvenzrecht 3. Eintragungspflichtige Rechte des Schuldners . . . . . . . . . . . . 4. Vertragsverhältnisse . . . . . . . . a) Abwicklung schwebender Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . b) Immobilienverträge . . . . . . c) Arbeitsverhältnisse . . . . . . 5. Insolvenzaufrechnung . . . . . . . 6. Insolvenzanfechtung . . . . . . . . 7. Insolvenzbedingtes Erlöschen von Forderungen . . . . . . . . . . . a) Zwangsvergleich/Insolvenzplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Restschuldbefreiung . . . . . V. Schutz des Rechtsverkehrs . . . . . .

6.668 6.671 6.674 6.676 6.676 6.676 6.681 6.683 6.683 6.684 6.686 6.686 6.686 6.686 6.688 6.689 6.695 6.697 6.698 6.698 6.704 6.707 6.709 6.709 6.711 6.715 6.719 6.723 6.733 6.733 6.737 6.741

Hausmann | 455

§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

VI.

D. I. II.

1. Öffentliche Bekanntmachung 2. Eintragung in öffentliche Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Leistung an den Schuldner . . . 4. Gutgläubiger Erwerb . . . . . . . a) Eingetragene Rechte . . . . . b) Nicht eingetragene Rechte Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inländisches Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausländisches Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reichweite des Insolvenzstatuts 5. Schutz des Rechtsverkehrs . . . Beschränkungen bei verheirateten Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Beschränkungen durch die Ehe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschränkungen im Rechtsverkehr mit Dritten . . . . . . . . . . . a) Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . b) Verpflichtungsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Normzweck . . . . . . . . bb) Schenkung . . . . . . . . . cc) Bürgschaft/Schuldübernahme . . . . . . . . . . . . . dd) Abzahlungskauf . . . . . ee) Arbeitsvertrag . . . . . . c) Verfügungsbeschränkungen aa) Ehewohnung und Hausrat . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Immobilien . . . . . . . . . cc) Legalhypothek . . . . . . d) Beschränkungen der Schlüsselgewalt . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschränkungen bei Verträgen zwischen Ehegatten . . . . . . . . a) Schenkung . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschaftsvertrag . . . . . 4. Anknüpfung der allgemeinen Ehewirkungen . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis von Art. 14 EGBGB zur EuGüVO . . . . c) Objektive Anknüpfung, Art. 14 Abs. 2 EGBGB . . .

456 | Hausmann

6.741 6.744 6.748 6.751 6.751 6.753 6.754 6.754 6.757 6.763 6.768 6.770 6.781 6.781 6.786 6.786 6.787 6.787 6.790 6.790 6.791 6.792 6.793 6.794 6.795 6.795 6.797 6.798 6.800 6.802 6.802 6.805 6.806 6.806 6.809 6.812

aa) Anknüpfungsleiter . . . bb) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt, Nr. 1 cc) Letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt, Nr. 2 . . . . . . . . . . . . . . dd) Gemeinsames Heimatrecht, Nr. 3 . . . . . . . . . ee) Sonstige gemeinsame engste Verbindung, Nr. 4 . . . . . . . . . . . . . . ff) Rück- und Weiterverweisung . . . . . . . . . . . gg) Wandelbarkeit des Ehewirkungsstatuts . . . . . d) Rechtswahl, Art. 14 Abs. 1 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . III. Güterrechtliche Beschränkungen 1. Eigentumszuordnung . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . b) Gütergemeinschaft . . . . . . c) Errungenschaftsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufgeschobene Gütergemeinschaft . . . . . . . . . . . e) Zugewinngemeinschaft . . f) Gütertrennung . . . . . . . . . g) Anknüpfung . . . . . . . . . . . h) Kundbarmachung der Eigentumszuordnung . . . . . 2. Verfügungsbeschränkungen . . a) Verfügung über das Gesamtgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfügung über eigenes Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verfügungsbeschränkungen im Grundbuchverkehr . . . 3. Erwerbsbeschränkungen . . . . 4. Anknüpfung des Güterrechts . a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeines . . . . . . . . . . . aa) Anwendungsbereich der EuGüVO . . . . . . . . . . . (1) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . (2) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . (3) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . bb) Ausgenommene Bereiche . . . . . . . . . . . . . . . c) Objektive Anknüpfung . . . aa) Ab dem 29.1.2019 geschlossene Ehen . . . . .

6.812 6.813 6.814 6.815 6.818 6.821 6.823 6.824 6.828 6.828 6.828 6.830 6.833 6.837 6.838 6.845 6.846 6.847 6.849 6.849 6.855 6.857 6.862 6.864 6.864 6.867 6.867 6.867 6.868 6.869 6.870 6.871 6.871

Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis | § 6 (1) Allgemeines . . . . . . . . . (2) Anknüpfungsleiter, Art. 26 Abs. 1 EuGüVO (a) Erster gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt (b) Gemeinsame Staatsangehörigkeit . . . . . . . (c) Gemeinsame engste Verbindung . . . . . . . . . . . . (3) Ausweichklausel, Art. 26 Abs. 3 EuGüVO . . . . . (a) Recht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten . . . . . . . (b) Rückwirkung . . . . . . . . (c) Schranken . . . . . . . . . . bb) Vor dem 29.1.2019 geschlossene Ehen . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . . (2) Ehewirkungsstatut bei Eheschließung, Art. 15 Abs. 1 EGBGB . . . . . . . (a) Gemeinsames Heimatrecht . . . . . . . . . . . . . . (b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt . . . . . . (c) Andere gemeinsame engste Verbindung . . . (d) Mittelbare Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 2 oder Abs. 3 EGBGB a.F. . . . (3) Unwandelbarkeit . . . . . (a) Grundsatz . . . . . . . . . . (b) Ausnahmen . . . . . . . . . (4) Rück- und Weiterverweisung . . . . . . . . . . . . (a) Gesamtverweisung durch Art.15 Abs. 1 EGBGB . . . . . . . . . . . . (b) Annahme der deutschen Verweisung . . . . . . . . . (c) Rückverweisung auf das Wohnsitz-/Aufenthaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . (d) (Partielle) Rückverweisung auf die lex rei sitae (e) Rückverweisung kraft beweglicher Anknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . (f) Rückverweisung kraft abweichender Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . (g) Rückverweisung kraft Rechtswahl . . . . . . . . .

6.871 6.875 6.875 6.879 6.882 6.883 6.883 6.886 6.887 6.891 6.891 6.893 6.893 6.895 6.896 6.897 6.898 6.898 6.900 6.905 6.905 6.906 6.907 6.911 6.914 6.917 6.918

(h) Versteckte Rückverweisung . . . . . . . . . . . . . . . (i) Ausschluss des Renvoi d) Rechtswahl, Art. 22 EuGüVO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . (1) Normzweck . . . . . . . . . (2) Verhältnis von Art. 22 EuGüVO zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB . . . . . . (3) Vereinbarung der Rechtswahl . . . . . . . . . (a) Zulässigkeit und materielle Gültigkeit . . . . . . (b) Ausdrückliche und stillschweigende Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . . (4) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . (5) Allgemeine Schranken bb) Wählbare Rechte . . . . (1) Weitreichende Parteiautonomie . . . . . . . . . . (2) Gewöhnlicher Aufenthalt eines oder beider Ehegatten . . . . . . . . . . (3) Staatsangehörigkeit eines oder beider Ehegatten . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einigung und materielle Wirksamkeit . . . . . . . . dd) Formgültigkeit der Rechtswahl . . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . (2) Europäische Mindestform . . . . . . . . . . . . . . (3) Strengere Formvorschriften nach nationalem Recht . . . . . . . . . . (a) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten in einem Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . (b) Gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten in verschiedenen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . (c) Gewöhnlicher Aufenthalt nur eines Ehegatten in einem Mitgliedstaat ee) Formgültigkeit von Eheverträgen . . . . . . . . . . . (1) Allgemeines . . . . . . . .

6.923 6.924 6.927 6.927 6.927 6.929 6.930 6.930 6.931 6.933 6.934 6.936 6.936 6.937 6.939 6.942 6.943 6.943 6.945 6.948

6.948

6.950 6.952 6.954 6.954

Hausmann | 457

§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis (2) Europäische Mindestform . . . . . . . . . . . . . . 6.956 (3) Strengere Formvorschriften nach nationalem Recht . . . . . . . . . . 6.957 (4) Zusätzliche Formerfordernisse des Güterrechtsstatuts . . . . . . . . 6.958 ff) Wirkungen einer während der Ehe getroffenen Rechtswahl . . . . . 6.960 (1) Allgemeines . . . . . . . . 6.960 (2) Wirkung ex nunc . . . . 6.961 (3) Wirkung ex tunc . . . . 6.963 gg) Publizität der Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . . 6.967 hh) Aufhebung und Änderung der Rechtswahl . 6.968 e) Vorrang des Rechts des Lageorts . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.969 f) Intertemporales Kollisionsrecht in Altehen . . . . . . . . 6.973 5. Rechtsvereinheitlichung . . . . . 6.974 a) Haager Ehewirkungsabkommen von 1905 . . . . . . . . . . 6.974 b) Haager Ehegüterrechtsabkommen von 1978 . . . . 6.975 c) Deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen von 1929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.976 d) Deutsch-französischer Wahlgüterstand der Zugewinngemeinschaft von 2010 6.978 IV. Einfluss des Vertrags- und Belegenheitsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . 6.983 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . 6.983 2. Güterrecht und Sachenrecht . 6.985 3. Güterrecht und Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.991 4. Güterrecht und Vertragsrecht 6.995 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 6.995 b) Unbenannte Ehegattenzuwendungen . . . . . . . . . . 6.996 c) Ehegatteninnengesellschaft 6.999 d) Ehegatten als Gesamtschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1000 e) Ehegatten als Gesamtgläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1001 5. Persönliche Ehewirkungen und Vertragsrecht . . . . . . . . . . . . . 6.1002 V. Schutz des Rechtsverkehrs . . . . . . 6.1005 1. Wahl des deutschen Rechts . . 6.1005

458 | Hausmann

2. Materiell-rechtliche Vereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1006 a) Erwerbsbeschränkungen . 6.1006 b) Verfügungs- und Verpflichtungsbeschränkungen . . . . 6.1008 3. Schutzvorschriften für den inländischen Rechtsverkehr . . . 6.1010 a) Sachenrechtlicher Schutz . 6.1010 aa) Allgemein . . . . . . . . . . 6.1010 bb) Verfügung über inländische Grundstücke . . . 6.1011 cc) Verfügung über bewegliche Sachen und Forderungen . . . . . . . . . . . . 6.1015 dd) Weitergehender Schutz nach ausländischem Güterrecht . . . . . . . . . 6.1017 b) Güterrechtlicher Schutz . . 6.1018 aa) Schutz in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen, Art. 28 EuGüVO 6.1018 (1) Allgemeines . . . . . . . . 6.1018 (2) Anwendungsbereich . 6.1020 (3) Voraussetzungen des Schutzes . . . . . . . . . . . 6.1021 (4) Rechtsfolgen des guten Glaubens . . . . . . . . . . 6.1026 bb) Schutz in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen, Art. 16 EGBGB 6.1029 (1) Schutz durch das Güterrechtsregister . . . . . . . 6.1029 (2) Schutz gegen Beschränkungen der Schlüsselgewalt . . . . . . . . . . . . . 6.1037 (3) Schutz gegen sonstige Beschränkungen durch die Ehe . . . . . . . . . . . . 6.1039 VI. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1043 1. Allgemeine Beschränkungen durch die Ehe . . . . . . . . . . . . . 6.1043 2. Güterrechtliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1049 3. Schutz des Rechtsverkehrs . . . 6.1055 E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1057 I. Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1057 1. Sonderanknüpfung an die Staatsangehörigkeit . . . . . . . . 6.1057 a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . 6.1057 b) Mehrstaater . . . . . . . . . . . . 6.1059

Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis | § 6 c) Staatenlose . . . . . . . . . . . . . 6.1062 d) Flüchtlinge . . . . . . . . . . . . . 6.1063 e) Reform . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1064 2. Statutenwechsel . . . . . . . . . . . . 6.1065 3. Rück- oder Weiterverweisung . 6.1067 II. Reichweite des Geschäftsfähigkeitsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1069 1. Volljährigkeit . . . . . . . . . . . . . . 6.1069 2. Geschäftsfähigkeitsstufen . . . . 6.1076 3. Volljährigerklärung und Emanzipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1078 4. Heirat macht mündig . . . . . . . 6.1080 5. Teilgeschäftsfähigkeit . . . . . . . 6.1083 6. Prozessfähigkeit . . . . . . . . . . . . 6.1086 III. Einfluss des Wirkungsstatuts . . . . 6.1088 1. Erfordernis und Grad der Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . 6.1088 2. Besondere Geschäftsfähigkeiten 6.1092 a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1092 b) Wechsel- und Scheckrecht . 6.1093 c) Börsenrecht . . . . . . . . . . . . 6.1094 d) Familien- und Erbrecht . . . 6.1095 3. Folgen mangelnder Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1096 4. Verfügungsmacht . . . . . . . . . . 6.1102 IV. Gesetzliche Vertretung Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1103 1. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . 6.1103 a) Staatsverträge . . . . . . . . . . . 6.1103 b) EU-Recht . . . . . . . . . . . . . . 6.1109 2. Haager Kinderschutzübereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1110 a) Vertragsstaaten . . . . . . . . . 6.1110 b) Anwendungsbereich . . . . . 6.1113 aa) Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . 6.1113 bb) Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . 6.1114 cc) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . 6.1115 (1) Elterliche Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1115 (2) Schutzmaßnahmen . . . 6.1116 (3) Vertretung von Kindern kraft Gesetzes . . . . . . . 6.1118 dd) Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 6.1119 c) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1120 aa) Vorrang der EuEheVO 6.1120 bb) Zuständigkeiten nach dem KSÜ . . . . . . . . . . . 6.1123

cc) Familiengerichtliche Genehmigung . . . . . . . 6.1125 d) Anwendbares Recht . . . . . . 6.1128 aa) Schutzmaßnahmen . . . 6.1128 (1) Gleichlaufprinzip . . . . 6.1128 (2) Ausweichklausel . . . . . 6.1131 (3) Wirkungen von Schutzmaßnahmen . . . . . . . . 6.1133 bb) Vertretung Minderjähriger kraft Gesetzes . . . 6.1134 (1) Allgemeines . . . . . . . . 6.1134 (2) Elterliche Verantwortung kraft Gesetzes . . . 6.1137 (3) Elterliche Verantwortung kraft Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . 6.1141 (4) Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes . . . . . . . . . . . . . 6.1143 (5) Ausübung der elterlichen Verantwortung . . 6.1146 cc) Familiengerichtliche Genehmigung . . . . . . . 6.1148 dd) Allgemeine Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1152 ee) Übergangsrecht . . . . . . 6.1154 e) Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1156 3. Autonomes deutsches Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1157 V. Schutz des Rechtsverkehrs . . . . . . 6.1160 1. Mangelnde Geschäftsfähigkeit 6.1160 a) Art. 13 Rom I-VO . . . . . . . 6.1160 b) Voraussetzungen des Verkehrsschutzes . . . . . . . . . . . 6.1161 aa) Aufenthalt der Vertragspartner in demselben Staat . . . . . . . . . . . . . . 6.1161 bb) Gutgläubigkeit des Drittkontrahenten . . . 6.1163 cc) Verkehrsgeschäft . . . . . 6.1167 c) Wirkungen des Verkehrsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . 6.1171 aa) Gültiger Vertrag . . . . . 6.1171 bb) Ungültiger Vertrag . . . 6.1173 2. Mängel der gesetzlichen Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1174 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . 6.1174 b) Voraussetzungen des Verkehrsschutzes . . . . . . . . . . . 6.1177 aa) Rechtsgeschäft unter Anwesenden im Hoheitsgebiet desselben Staates . . . . . . . . . . . . . 6.1177

Hausmann | 459

§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

VI.

F. I.

II.

bb) Gutgläubigkeit des Drittkontrahenten . . . c) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . 2. Gesetzliche Vertretung . . . . . . 3. Schutz des Rechtsverkehrs . . . Beschränkungen bei geistig behinderten volljährigen Personen . . . Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzliche Beschränkungen . 2. Gerichtliche Beschränkungen Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Haager Erwachsenenschutzübereinkommen von 2000 . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . b) Anwendungsbereich . . . . . c) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anwendbares Recht . . . . . aa) Reichweite des ErwSÜ bb) Schutzmaßnahmen . . (1) Grundsatz: Lex fori . . (2) Ausweichklausel . . . . . (3) Durchführung von Maßnahmen im Ausland . . . . . . . . . . . . . . . cc) Vorsorgevollmacht . . . (1) Allgemeines . . . . . . . . (2) Objektive Anknüpfung (3) Rechtswahl . . . . . . . . . (4) Reichweite des Vollmachtstatuts . . . . . . . . (5) Recht des Gebrauchsorts . . . . . . . . . . . . . . (6) Aufhebung der Vollmacht . . . . . . . . . . . . . e) Anerkennung und Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . .

6.1179 6.1181 6.1182 6.1182 6.1185 6.1189 6.1190 6.1190 6.1190 6.1192 6.1194 6.1194 6.1194 6.1195 6.1201 6.1204 6.1204 6.1205 6.1205 6.1206 6.1207 6.1208 6.1208 6.1210 6.1213 6.1218 6.1219 6.1220

2. Autonomes Recht . . . . . . . . . . 6.1224 a) Anknüpfung . . . . . . . . . . . 6.1224 aa) Anwendungsbereich von Art. 24 EGBGB . . 6.1224 bb) Voraussetzungen der Anordnung von Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1226 cc) Wirkungen der Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1227 dd) Reform . . . . . . . . . . . . 6.1228 b) Internationale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1229 III. Entmündigung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1231 1. Inländische Entmündigung . . 6.1231 2. Ausländische Entmündigung . 6.1232 a) Haager Erwachsenenschutzübereinkommen . . . . . . . . 6.1232 b) Autonomes Recht . . . . . . . 6.1234 aa) Entmündigung von Deutschen . . . . . . . . . 6.1234 bb) Entmündigung von Ausländern . . . . . . . . . 6.1235 IV. Schutz des Rechtsverkehrs . . . . . . 6.1236 1. Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1236 a) Gesetzliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1236 b) Gerichtliche Beschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1237 2. Mängel der gesetzlichen Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . 6.1238 V. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . 6.1240 1. Gesetzliche Beschränkungen . 6.1240 2. Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1241 3. Vorsorgevollmacht . . . . . . . . . 6.1243 4. Entmündigung . . . . . . . . . . . . 6.1245 5. Schutz des Rechtsverkehrs . . . 6.1247

6.1221

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften Literatur zum deutschen IPR/Allgemein: (zur Literatur vor 2000 vgl. Vorauflagen): Balthasar, Gesellschaftsstatut und Gläubigerschutz: ein Plädoyer für die Gründungstheorie, RIW 2009, 221; Bartels, Zuzug ausländischer Kapitalgesellschaften unter der Sitztheorie, ZHR 176 (2012), 412; Bayer, Übertragung von GmbH-Anteilen im Ausland nach der MoMiG Reform, GmbHR 2013, 897; Behme, Der Weg deutscher Aktiengesellschaften ins Ausland – Goldene Brücke statt Stolperpfad?, BB 2008, 70; Behme, Rechtsformwahrende –Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze (2015); Behrens, Connecting factors for the determination oft he proper law of companies, FS Magnus

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A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | § 6 (2014), S. 353; Benedettelli/Lamandini (Hrsg.), Diritto societario europeo e internazionale (2017); Binz/Mayer, Zur Frage der Bestimmung der Rechtsfähigkeit einer sich in Deutschland niedergelassenen Drittstaatengesellschaft nach der Sitztheorie, BB 2007, 1521; Bohrenkämper, Internationale Sitzverlegung und Umstrukturierung von Kapitalgesellschaften im bilateralen Verhältnis DeutschlandSchweiz (2013); Borg-Barthet, The Governing Law of Companies in EU Law (2012); Braun/Engert/ Hornuf, Unternehmensgründungen unter dem Einfluss des Wettbewerbs der Gesellschaftsrechte, ZHR 177 (2013), 131; Brombach, Das internationale Gesellschaftsrecht im Spannungsfeld von Sitztheorie und Niederlassungsfreiheit (2006); Bungert, Das Recht ausländischer Kapitalgesellschaften auf Gleichbehandlung im deutschen und US-amerikanischen Recht (1994); Bungert, Zum Nachweis des effektiven Verwaltungssitzes der ausländischen Kapitalgesellschaft: Die Briefkastengesellschaft als Vorurteil, IPRax 1998, 339; Combet, L’établissement des sociétés en droit de l’Union européenne: contribution à la création jurisprudentielle d’un droit subjectif (2017); Cotiga, Le droit européen des sociétés – Compétition entre les systèmes juridiques dans l‘Union eurpéenne (2013); Dammann, Amerikanische Gesellschaften mit Sitz in Deutschland, RabelsZ 68 (2004), 607; Eckert, Internationales Gesellschaftsrecht (2010); Eidenmüller (Hrsg.), Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht (2004); Eidenmüller, Gesellschaftsstatut und Insolvenzstatut, RabelsZ 70 (2006), 474; Eidenmüller/Rehm, Gesellschafts- und zivilrechtliche Folgeprobleme der Sitztheorie, ZGR 1997, 89; Feldhaus, Das Erfordernis wirtschaftlicher Inlandstätigkeit beim grenzüberschreitenden (Herein-) Formwechsel nach „Polbud“, BB 2017, 2819; Ferran, Corporate Mobility and Company Law (2016), 76 Mod.L.Rev. 813; Frank, Formwechsel im Binnenmarkt (2016); Franz, Internationales Gesellschaftsrecht und deutsche Kapitalgesellschaften im In- und Ausland, BB 2009, 1250; Freitag, Der Wettbewerb der Rechtsordnungen im Internationalen Gesellschaftsrecht, EuZW 1999, 267; Freitag, Zur Ermittlung des Gesellschaftsstatuts bei Nichtexistenz eines effektiven Verwaltungssitzes, NZG 1999, 357; Garcímartín Alférez, GEDIP‘s Proposal on the Law Applicable to Companies, Riv.dir.int.priv.proc. 2016, 949; Gerner-Beuerle/Mucciarelli/Schuster/Siems, The Private International Law of Companies in Europe (2018); Gössl, Internationales Privat- und Gesellschaftsrecht, in Jung/Krebs/Stiegler (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in Europa (2018), S. 717; Gottschalk, Beschränkungen für schweizerische Aktiengesellschaften mit Sitz in Deutschland gelten fort, ZIP 2009, 948; Gräfe, Gläubigerschutz bei der englischen Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland (2010); Grothe, Die „ausländische Kapitalgesellschaft und Co.“ (1989); Hanke, Das internationale Gesellschaftsrecht im Lichte völkerrechtlicher Vereinbarungen (2010); von Hein, Gesellschaftsrecht, internationales, in Basedow/Hopt/Zimmermann, Handwörterbuch des Europäischen Privatrechts, Bd. 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Eine „never ending story“?, AG 2009, 73; Klumpen, Die elektronische Gesellschaftsgründung über die Grenze (2018); Koehler, Das Kollisionsrecht der Stiftungen aus Sicht des internationalen Privat- und Verfahrensrechts (2011); Kußmaul/Richter/Ruiner, Die Sitztheorie hat endgültig ausgedient!, DB 2008, 451; Lanzius, Anwendbares Recht und Sonderan-

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§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis knüpfungen unter der Gründungstheorie (2005); Lieder/Kliebisch, Nichts Neues im Internationalen Gesellschaftsrecht: Anwendbarkeit der Sitztheorie auf Gesellschaften aus Drittstaaten?, BB 2009, 338; Lucaj, Grenzüberschreitende Verschmelzung mit Drittstaatenbezug (2017); Lutter (Hrsg.), Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland (2005); Lutter/Bayer/Schmidt, Europäisches Unternehmensrecht, 6. Aufl. 2018; Mödl, Die ausländische Kapitalgesellschaft in der notariellen Praxis, RNotZ 2008, 1; Menjucq, Droit international et européen des sociétés, 5. 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Schwander (2011), S. 563; Jung, Die Niederlassungsfreiheit von Schweizer Gesellschaften bei Sitzwahl und Sitzverlegung im Europäischen Wirtschaftsraum, EuZW 2012, 863; Kallmeyer, Tragweite des „Überseering“Urteils des EuGH vom 5.11.2002 zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung, DB 2002, 2521; Kanzleiter, „Inspire Art“: Die Konsequenzen, DNotZ 2003, 885; Kern, Überseering – Rechtsangleichung und gegenseitige Anerkennung (2004); Kersting, Rechtswahlfreiheit im Europäischen Gesellschaftsrecht nach „Überseering“, NZG 2003, 9; Kieninger, Niederlassungsfreiheit als Rechtswahlfreiheit, ZGR1999, 724; Kieninger, Internationales Gesellschaftsrecht nach „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“: Antworten, Zweifel und offene Fragen, ZEuP 2004, 685; Kieninger, Cartesio und die Folgen, EWS 2008, 207; Kieninger, The Law Applicable to Corporations in the EC, RabelsZ 73 (2009), 607; Kieninger, Niederlassungsfreiheit als Freiheit der nachträglichen Rechtswahl, NJW 2017, 3624; Kieninger, Internationales Gesellschaftsrecht zwischen Polbud, Panama und Paradise; ZEuP 2018, 309; Kindler, Auf dem Weg zur Europäischen Briefkastengesellschaft?, NJW 2003, 1073; Kindler, „Inspire Art“ – Aus Luxemburg nichts Neues zum internationalen Gesellschaftsrecht; NZG 2003, 1086; Kindler, Der Wegzug von Gesellschaften in Europa, Der Konzern 2006, 811; Kindler, Die Begrenzung der Niederlassungsfreiheit durch das Gesellschaftsstatut, NJW 2007, 1785; Kindler, GmbH-Reform und internationales Gesellschaftsrecht, Die AG 2007, 721; Kindler, Verwaltungssitzverlegung und Wegzugsfreiheit: das EuGH-Urteil im Fall „Cartesio“, Status: Recht 2009, 9; Kindler, Ende der Diskussion um die sogenannte Wegzugsfreiheit, NZG 2009, 130; Kindler, Der reale Niederlassungsbegriff nach dem VALEUrteil des EuGH, EuZW 2012, 888; Kindler, Unternehmensmobilität nach „Polbud“: Der grenzüberschreitende Formwechsel in Gestaltungspraxis und Rechtspolitik, NZG 2018, 1; Kleinert/Probst, Endgültiges Aus für Sonderanknüpfungen bei (Schein-)Auslandsgesellschaften, DB 2003, 2217; Klöhn/ Schwarz, Das Gesellschaftsstatut der Restgesellschaft, IPRax 2015, 412; Knaier, Das Verfahren der grenzüberschreitenden Hineinverschmelzung, ZNotP 2018, 341; Knaier/Pfleger, Der Herausformwechsel einer deutschem GmbH, GmbHR 2017, 859; Knapp, „Überseering“: Zwingende Anerkennung von ausländischen Gesellschaften?, DNotZ 2003, 85; Knof/Mock, Niederlassungsfreiheit und Wegzugsbeschränkungen, ZIP 2009, 30; Knop, Die Wegzugsfreiheit nach dem Cartesio-Urteil des EuGH, DZWiR 2009, 147; Kobelt, Internationale Optionen deutscher Kapitalgesellschaften nach MoMiG, „Cartesio“ und „Trabrennbahn“ zur Einschränkung der Sitztheorie, GmbHR 2009, 808; J. Koch, Die

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A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | § 6 europäische Niederlassungsfreiheit als Herausforderung für das deutsche Gesellschaftsrecht, JuS 2004, 755; König/Bormann, „Genuine Link“ und freie Rechtsformwahl im Binnenmarkt, NZG 2012, 1241; Korch/Thelen, Von der Niederlassungsfreiheit zur Rechtsformwahl – Die praktischen Folgen der Polbud-Entscheidung des EuGH, IPRax 2018, 248; Kovács, Der grenzüberschreitende (Herein-)Formwechsel in der Praxis nach dem Polbud-Urteil des EuGH, ZIP 2018, 253; Kraft, Grenzüberschreitender Formwechsel und tatsächliche Sitzverlegung, NJW 2012, 2701; Kühnle/Otto, Neues zur kollisionsrechtlichen Qualifikation Gläubiger schützender Materien in der Insolvenz der Scheinauslandsgesellschaft, IPRax 2009, 117; Kuntz, Die Insolvenz der Limited mit deutschem Verwaltungssitz, NZI 2005, 424; Kußmaul/Richter/Ruiner, Grenzenlose Mobilität?! – Zum Zuzug und Wegzug von Gesellschaften in Europa, EWS 2009, 1; Leible/Hoffmann, „Überseering“ und das (vermeintliche) Ende der Sitztheorie, RIW 2002, 925; Leible/Hoffmann, Die Grundbuchfähigkeit der Scheinauslandsgesellschaft, NZG 2003, 259; Leible/Hoffmann, Vom „Nullum“ zur Personengesellschaft – Die Metamorphose der Scheinauslandsgesellschaft im deutschen Recht, DB 2002, 2203; Leible/Hoffmann, Wie inspiriert ist „Inspire Art“?, EuZW 2003, 677; Leible/Hoffmann, „Überseering“ und das deutsche Gesellschaftskollisionsrecht, ZIP 2003, 925; Leible/Hoffmann, Cartesio – fortgeltende Sitztheorie, grenzüberschreitender Formwechsel und Verbot materiellrechtlicher Wegzugsbeschränkungen, BB 2009, 58; Leible/Hoffmann, Grenzüberschreitende Verschmelzung im Binnenmarkt nach „Sevic“, RIW 2006, 161; Leible/ Hoffmann, Cartesio – fortgeltende Sitztheorie, grenzüberschreitender Formwechsel und Verbot materiellrechtlicher Wegzugsbeschränkungen, BB 2009, 58; Leuering, Sitzverlegung von Gesellschaften in Europa (2012); Lutter, „Überseering“ und die Folgen, BB 2003, 7; Maul/Schmidt, Inspire Art – Quo vadis Sitztheorie?, BB 2003, 2297; Meilicke, Unvereinbarkeit der Sitztheorie mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, RIW 1992, 578; Meilicke, Die Niederlassungsfreiheit nach „Überseering“ – Rückblick und Ausblick nach Handels- und Steuerrecht, GmbHR 2003, 703; Meusen, Freedom of establishment, conflict of laws and the transfer of a company’s registered office: towards full crossborder corporate mobility in the internal market (2017) 12 J.Priv.Int.L. 294; Mock, Kornhaas – EuGH, NJW 2016, 223; Mörsdorf, Beschränkung der Mobilität von EU-Gesellschaften im Binnenmarkt – eine Zwischenbilanz, EuZW 2009, 97; Mörsdorf, Nun also doch! – Die überraschende Umdeutung der Niederlassungsfreiheit zur Rechtswahlfreiheit durch den EuGH im Urteil Polbud, ZIP 2017, 2381; H.F. Müller, Insolvenz ausländischer Kapitalgesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz, NZG 2003, 414; Oplustil/Sikora, Grenzüberschreitende Verlegung des statutarischen Sitzes aus der Perspektive des Gründungsstaats, EWS 2017, 234; Otte-Gräbener, Rechtsfolgen der Löschung einer Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, GmbHR 2017, 907; Paefgen, Gezeitenwechsel im Gesellschaftskollisionsrecht, WM 2003, 561; Paefgen, Auslandsgesellschaften und Durchsetzung deutscher Schutzinteressen nach „Überseering“, WM 2003, 487; Paefgen, „Polbud“: Niederlassungsfreiheit als Spaltungsfreiheit, WM 2018, 981 und 1029; Paulus, Außervertragliche Gesellschafter- und Organwalterhaftung im Lichte des Unionskollisionsrechts (2013); Paschalidis, Freedom of Establishment and Private International Law (2012); Riegger, Centros – Überseering – Inspire Art: Folgen für die Praxis, ZGR 2004, 510; Prelic/Postor, Grenzüberschreitender Statutenwechsel und Änderung der rechtlichen Organisationsform der Gesellschaft in der EU, ZfRV 2014, 27; G.H. Roth, Vorgaben der Niederlassungsfreiheit für das Kapitalgesellschaftsrecht (2010); G.H. Roth, Das Ende der Briefkastengründung? – VALE contra Centros, ZIP 2012, 1744; G.H. Roth, Die Sitztrennung im europäischen Gesellschaftsrecht nach Vale, FS Torggler (2013), S. 1023; W.-H. Roth, Internationales Gesellschaftsrecht nach „Überseering“, IPRax 2003, 117; W.-H. Roth, „Das Wandern ist des Müllers Lust ...“: Zur Auswanderungsfreiheit für Gesellschaften in Europa, FS Heldrich (2005), S. 973; W.-H. Roth, Grenzüberschreitender Rechtsformwechsel nach VALE, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965; Sandrock, Niederlassungsfreiheit und internationales Gesellschaftsrecht, EWS 2005, 529; Schall, Der grenzüberschreitende Formwechsel in Europa nach Polbud, ZfPW 2018, 176; Schanze/Jüttner, Anerkennung und Kontrolle ausländischer Gesellschaften – Rechtslage und Perspektiven nach der Überseering-Entscheidung des EuGH, AG 2003, 30; Schanze/Jüttner, Die Entscheidung für Pluralität: Kollisionsrecht und Gesellschaftsrecht nach der EuGH-Entscheidung „Inspire Art“, AG 2003, 661; Schaper, Grenzüberschreitender Formwechsel und Sitzverlegung: Die Umsetzung der Vale-Rechtsprechung des EuGH, ZIP 2014, 810; K. Schmidt, Verlust der Mitte durch „Inspire Art“? ..., ZHR 168 (2004), 493; Schmidtbleicher, Verwaltungssitzverlegung deutscher Kapitalgesellschaften in Europa: „Sevic“ als Leitlinie für „Cartesio“, BB 2007, 613; Schneider, Die Kapitalverkehrsfreiheit im Verhältnis zu Drittstaaten und ihre Auswirkungen auf die Anerken-

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§ 6 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis nung ausländischer Gesellschaften (2018); Schön, Niederlassungsfreiheit als Gründungsfreiheit, FS Priester (2007), S. 737; Schön, Das System der grenzüberschreitenden Niederlassungsfreiheit nach VALE, ZGR 2013, 333; Schulz, (Schein-) Auslandsgesellschaften in Europa – Ein Schein-Problem?, NJW 2003, 2705; Schulz/Sester, Höchstrichterliche Harmonisierung der Kollisionsregeln im Europäischen Gesellschaftsrecht: Durchbruch der Gründungstheorie nach „Überseering“, EWS 2002, 545; Schurig, Der Anlauf zu einem Paradigmenwechsel im internationalen Gesellschaftsrecht, FS Coester-Waltjen (2015), S. 745: Sonnenberger, Etat de droit, construction européenne et droit des sociétés; Rev. crit. d.i. p. 2013, 101; Spindler, Internationales Gesellschaftsrecht in der Zange zwischen Inspire Art und Golden Shares?, RIW 2003, 850; Spindler/Berner, „Inspire Art“ – Der europäische Wettbewerb um das Gesellschaftsrecht ist endgültig eröffnet, RIW 2003, 949; Spindler/Berner, Der Gläubigerschutz im Gesellschaftsrecht nach Inspire Art, RIW 2004, 7; Steinrötter, Einheitliche Anknüpfung an den Gründungsort im Internationalen Gesellschaftsrecht – wider die „Geschöpf“- und die „Wechselbalgtheorie, GPR 2012, 119; Stiegler, Wirksamkeit eines Herausformwechsels aus Deutschland, GmbHR 2017, 392; Stiegler, Grenzüberschreitende Mobilität von Personengesellschaften, ZGR 2017, 312; Stork, Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union – zur Reichweite der Niederlassungsfreiheit unter Berücksichtigung der positiven und negativen Integration (2003); Teichmann, Cartesio – die Freiheit zum formwechselnden Wegzug, ZIP 2009, 393; Teichmann, Gesellschaftsrecht im System der Europäischen Niederlassungsfreiheit, ZGR 2011, 639; Teichmann, Gesellschaften und natürliche Personen im Recht der europäischen Niederlassungsfreiheit, FS Hommelhoff (2012), S. 1213; Teichmann, Der grenzüberschreitende Formwechsel ist spruchreif: das Urteil des EuGH in der Rs. VALE, DB 2012, 2085; Teichmann, Die GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, ZGR 2017, 543; Triebel/von Hase, Wegzug und grenzüberschreitende Umwandlungen deutscher Gesellschaften nach „Überseering“ und „Inspire Art“, BB 2003, 2409; P. Ulmer, Gläubigerschutz bei Scheinauslandsgesellschaften, NJW 2004, 1201; P. Ulmer, Insolvenzrechtlicher Gläubigerschutz gegenüber Scheinauslandsgesellschaften ohne hinreichende Kapitalausstattung?, KTS 2004, 291; Unzicker, Niederlassungsfreiheit der Kapitalgesellschaften in der EU nach der Centros-Entscheidung des EuGH (2004); Verse, Niederlassungsfreiheit und grenzüberschreitende Sitzverlegung, ZEuP 2013, 458; Wachter, Errichtung, Publizität, Haftung und Insolvenz von Zweigniederlassungen ausländischer Kapitalgesellschaften nach „Inspire Art“, GmbHR 2003, 1254; Wachter, Auswirkungen des EuGH-Urteils in Sachen Inspire Art Ltd. auf Beratungspraxis und Gesetzgebung, GmbHR 2004, 88; Weller, Einschränkung der Gründungstheorie bei missbräuchlicher Auslandsgründung, IPRax 2003, 520; Weller, Weitgehende Freiheiten beim Einsatz ausländischer Briefkastengesellschaften, DStR 2003, 1800; Weller, Scheinauslandsgesellschaften nach Centros, Überseering und Inspire Art: Ein neues Anwendungsfeld für die Existenzvernichtungshaftung, IPRax 2003, 207; Weller, Zum identitätswahrenden Wegzug deutscher Gesellschaften, DStR 2004, 1218; Weller, Unternehmensmobilität im Binnenmarkt, FS Blaurock (2013), S. 497; Weller/Rentsch, Die Kombinationslehre beim grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel. Neue Impulse durch das Europarecht, IPRax 2013, 530; Wertenbruch, Der Abschluss des „Überseering“-Verfahrens durch den BGH – Folgerungen, NZG 2003, 618; Wilhelmi, Die Freizügigkeit von Gesellschaften in der Europäischen Union. von Daily Mail bis VALE, FS Hailbronner (2013), S. 531; Wymeersch, The Transfer of the Company´s Seat in European Company Law, C.M.L. Rev. 2003, 661; Ziemons, Freie Bahn für den Umzug von Gesellschaften nach „Inspire Art“?, ZIP 2003, 1913; Zimmer, Wie es Euch gefällt? Offene Fragen nach dem „Überseering“-Urteil des EuGH, BB 2003, 1; Zimmer, Ein internationales Gesellschaftsrecht für Europa, RabelsZ 67 (2003), 298; Zimmer, Nach „Inspire Art“: Grenzenlose Gestaltungsfreiheit für deutsche Unternehmen?, NJW 2003, 3585; Zimmer, Grenzüberschreitende Rechtspersönlichkeit, ZHR 168 (2004), 355; Zimmer/Naendrup, Das Cartesio-Urteil des EuGH: Rückoder Fortschritt für das internationale Gesellschaftsrecht?, NJW 2009, 545. Literatur zum Brexit: Bauernfeind/Tanke, Die Limited & Co. KG im Brexit: Rechtsrisiken trotz Austrittsabkommens, GmbHR, 2019, 1; Behme, Bestandsschutz für die britische Limited nach dem Brexit, ZRP 2018, 204; Brandi/Schmidt, Die britische Limited nach dem Brexit – RefE zur Änderung des UmwG mit weiteren Handlungsoptionen für betroffene Gesellschafter, DB 2018, 2417; Freitag/Korch, Gedanken zum Brexit – Mögliche Auswirkungen im Internationalen Gesellschaftsrecht, ZIP 2016, 1361; Hammen, Niederlassungsfreiheit englischer Limited Companies mit Verwaltungssitz in Deutschland nach dem Brexit, Der Konzern 2017, 513; Kokkinis, The Impact of Brexit on the Legal Framework for Cross-Border Corporate Activity, Eur.Bus.L. Rev. 27 (2016) 959; Leible/Galneder/Wißling, Englische

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A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.1 § 6 Kapitalgesellschaften mit deutschem Verwaltungssitz nach dem Brexit, RIW 2017, 718; Mohamed, Effekte des Brexit aus europäisch-gesellschaftsrechtlicher Sicht, ZVglRW 177 (2018) 189; Nazari-Khanachayi, Gesellschaftsrechtliche Folgen des Brexit, Zum Problem der drohenden persönlichen und unbeschränkten Haftung der Gesellschafter für “Altverbindlichkeiten“, WM 2017, 2370; Schall, Grenzüberschreitende Umwandlungen der Limited (UK) mit deutschem Verwaltungssitz – Optionen für den Fall des Brexit, ZfPW 2016, 407; Schütt, Hard Brexit und Limited, ZEuS 2018, 97; Süß, Exit vor dem Brexit: Die Flucht aus der Limited – leichtes Spiel oder teurer Spaß?, ZIP 2018, 1277; Teichmann/ Knaier, Auswirkungen des EU-Austritts auf englische Gesellschaften in Deutschland, IWRZ 2016, 243. Literatur zum ausländischen IPR: Balestra, Las sociedades en el derecho international privado (Buenos Aires 1992); Blümcke, Das Internationale Gesellschaftsrecht von Kanada (2001); Bungert, Deutsch-amerikanisches internationales Gesellschaftsrecht, ZVglRW 93 (1994), 117; Cohnen, Spanisches internationales Gesellschaftsrecht, IPRax 2005, 467; Drury, The Regulation and Recognition of Foreign Corporations: Responses to the „Delaware Syndrome“, 7 Col. L. J. (1998), 165; Ebenroth/Kaiser, Die Reform des Internationalen Gesellschaftsrechts in Italien, ZVglRW 91 (1992), 223; Fischer, Die Niederlassung von EU-Kapitalgesellschaften in Deutschland nach dem Brexit, NZG 2021, 483 (mit Länderberichten); Gillessen, Europäische transnationale Sitzverlegung und Fusion im Vereinigten Königreich und Irland (2000); Heini, Europa und das internationale Gesellschaftsrecht der Schweiz, SchwZWiR 65 (1993), 9; Höfling, Das englische internationale Gesellschaftsrecht (2002); Korner, Das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika unter besonderer Berücksichtigung der Pseudo-Foreign Corporations (1989); Lainé, Des personnes morales en droit international privé, Clunet 1993, 273; Meier, Grenzüberschreitender Durchgriff in der Unternehmensgruppe nach US-amerikanischem Recht (2000); Menjucq, Droit international et européen des sociétés (2001); Moor, Das italienische internationale Gesellschaftsrecht: ein Vergleich mit dem schweizerischen IPRG und zu Problemen des schweizerisch-italienischen Rechtsverkehrs (Zürich 1997); Moor, Italienisches internationales Gesellschaftsrecht (1997); Mousseron, Droit du commerce international: droit international de l´entreprise (Paris 1997); Nobel (Hrsg.), Internationales Gesellschaftsrecht (Bern 1998); Pauknerová, Entwicklungen im tschechischen internationalen Gesellschaftsrecht, IPRax 2007, 162; Prast, Anerkennung liechtensteinischer Gesellschaften im Ausland (St. Gallen 1997); Rahm, Das internationale Gesellschaftsrecht Italiens (Diss. Münster 1990); Rammeloo, Corporations in Private International Law – A European Perspective (2001); Rindisbacher, Anerkennung gesellschaftsrechtlicher Gebilde im internationalen Privatrecht (Zürich 1996); Rohr, Der Konzern im IPR unter besonderer Berücksichtigung des Schutzes der Minderheitsaktionäre und der Gläubiger (Zürich 1983); Schwander, Das Statut der internationalen Gesellschaft, SZIER 2002, 57; Stücker, Das spanische internationale Gesellschaftsrecht (1999); Walden, Das Kollisionsrecht der Personengesellschaften im deutschen, europäischen und US-amerikanischen Recht (2001).

I. Bestimmung des Gesellschaftsstatuts 1. Einleitung Es entspricht der herkömmlichen Betrachtungsweise im internationalen Gesellschaftsrecht, die Rechtsverhältnisse von Handelsgesellschaften einem einheitlichen Statut, dem Personalstatut der Gesellschaft, zu unterstellen. Dieses Gesellschaftsstatut legt fest, nach welchem nationalen Recht die Gesellschaft „entsteht, lebt und vergeht“1. Das internationale Gesellschaftsrecht der Bundesrepublik Deutschland ist nicht kodifiziert. Bereits nach Art. 37 Nr. 2 EGBGB, der Art. 1 Abs. 2 lit. e EVÜ übernommen hatte, fanden die Vorschriften des internationalen Vertragsrechts „auf Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht, das Vereinsrecht und das Recht der juristischen Personen“ keine Anwendung. Daran hat sich auch mit Inkrafttreten der Rom I-Verordnung nichts geändert; denn Art. 1 Abs. 2 lit. f Rom I-VO übernimmt den bishe1 BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134 (144) = NJW 1957, 1433; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 17 f.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 524 ff.

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6.1

§ 6 Rz. 6.1 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

rigen Ausschlusstatbestand in Art. 1 Abs. 2 lit. e EVÜ in vollem Umfang. Gleiches gilt für die Rom II-Verordnung nach deren Art. 1 Abs. 2 lit. d1. Das Recht der Handelsgesellschaften und juristischen Personen wird bewusst ausgeklammert, um einer Vereinheitlichung des internationalen Gesellschaftsrechts im Rahmen der EU nicht vorzugreifen2. Da eine solche Vereinheitlichung auf europäischer Ebene bisher nicht erfolgt ist, hat das BMJ am 8.1.2008 einen Referentenentwurf zur Reform des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts vorgelegt3. Wegen politischer Widerstände, vor allem von Seiten der Gewerkschaften, ist auch dieses Gesetz allerdings bis heute nicht verabschiedet worden.

2. Anknüpfungstheorien a) Sitztheorie

6.2

Nicht zuletzt wegen dieser fehlenden nationalen Kodifikation und der noch immer ausstehenden europäischen Regelung bleibt vor dem Hintergrund der nur stellenweise erfolgten Harmonisierung des materiellen Gesellschaftsrechts im Rahmen der Europäischen Union die Bestimmung der für Gesellschaften maßgeblichen Rechtsordnung eine bis heute umstrittene Grundsatzfrage. Durch die Entscheidungen des EuGH in Sachen „Centros“, „Überseering“, „Inspire Art“ und „Cartesio“ (dazu Rz. 6.15 ff.) “ sowie zuletzt in Sachen „Vale“, „Kornhaas“ und „Polbud“ (dazu Rz. 6.31 ff.) hat diese Diskussion wieder große Aktualität erlangt. Zur Debatte stehen vor allem die Sitztheorie und die Gründungstheorie sowie einige vermittelnde Varianten.

6.3

Nach der Sitztheorie beurteilen sich die Rechtsverhältnisse einer Gesellschaft nach der an ihrem Verwaltungssitz geltenden Rechtsordnung. Maßgebend ist dabei nicht der Satzungssitz, sondern der tatsächliche Sitz der Hauptverwaltung (Rz. 6.70 ff.). Der Sitztheorie liegt das zur Erreichung eines internationalen Entscheidungseinklangs entwickelte Prinzip zu Grunde, dass ein Rechtsverhältnis möglichst derjenigen Rechtsordnung unterstehen soll, die an dem Ort gilt, wo es seinen Schwerpunkt, seinen „Sitz“ hat. BGH v. 26.9.1966 – II ZR 56/65, NJW 1967, 36 Grundgedanke sei im Wesentlichen „dass sich der Schwerpunkt der gewerblichen Tätigkeit einer Gesellschaft an ihrem Sitz befindet und dass dort regelmäßig zwingende Vorschriften für Rechts- und Parteifähigkeit, Organisation, Haftung, Gläubigerschutz und weitere gesellschaftliche Innen- und Außenwirkungen vorhanden sind, denen sich die Gesellschafter notwendigerweise unterwerfen und anpassen müssen, wenn sie als Personenvereinigung in den Rechtsverkehr eintreten und eine gewerbliche Tätigkeit entfalten wollen“.

6.4

Vor allem aber trägt die Sitztheorie dem Schutzinteresse des am meisten betroffenen Staates Rechnung und gesteht ihm ein Wächteramt darüber zu, welche Gesellschaftsformen in seinem Hoheitsgebiet zugelassen sind. Mit dieser Anknüpfung soll einer Flucht von effektiv im Inland verwalteten Gesellschaften in laxere ausländische Gesellschaftsrechte vorgebeugt, also die Gründung von sog. Scheinauslandsgesellschaften („pseudo-foreign corporations“) verhindert werden4.

1 Vgl. dazu Kindler, IPRax 2009, 189 (192). 2 Vgl. dazu das EWG-Übk. über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen v. 29.2.1968, das aber nie in Kraft getreten ist. 3 Text unter www.bmjv.de; dazu näher Rz. 6.668 ff. 4 Vgl. dazu näher Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 677 ff.; Kindler, NJW 2003, 1073 f.; Kindler in MünchKomm, IntGesR, Rz. 423 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR, Rz. 21, 41 f.; Spahlinger/Wegen, Rz. 35, Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz.10, jeweils m.w.N. Zur Kritik an der Sitztheorie von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 108 ff.

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A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.5 § 6 BayObLG v. 7.5.1992 – 3 Z BR 14/92, BayObLGZ 1992, 113 (115) = NJW-RR 1993, 43 = DNotZ 1993, 187 m. Anm. Ebenroth/Auer = EWiR 1992, 785 (LS) m. Anm. Thode = EuZW 1992, 548 m. Anm. Behrens

„Die Sitztheorie gewährleistet, dass regelmäßig das Recht des Staates durchgesetzt wird, der am meisten betroffen ist; sie hat den Vorzug der Sachnähe, ermöglicht eine wirksame staatliche Kontrolle und bewirkt den größtmöglichen Schutz der Gläubigerinteressen. Ein Staat, der in Sorge um seine eigene Volkswirtschaft dem Ineinandergreifen der Interessen von Gründern und Gründungsstaat misstraut, wird grundsätzlich eine vom Satzungssitz und Registerbelegenheit unabhängige Anknüpfung wählen und auf das Recht des Staates abstellen, von dem aus die Gesellschaft tatsächlich gesteuert wird.“ BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98, RIW 2000, 555 (Vorlagebeschluss); dazu Bechtel, NZG 2001, 21; Behrens, IPRax 2000, 384 und EuZW 2000, 385; Bous, NZG 2000, 1025; Forsthoff, DB 2000, 1109; Jaeger, NZG 2000, 918; Kieninger, NZG 2001, 610; Kindler, RIW 2000, 649; Luttermann, EWS 2000, 1109; Meilicke, GmbHR 2000, 693; Neye, EWiR 2000, 1155; W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597; Zimmer, BB 2000, 1361

Die Gründungstheorie „vernachlässigt den Umstand, dass die Gründung und Betätigung einer Gesellschaft auch die Interessen dritter Personen und des Sitzstaates berühren. Die Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz gewährleistet demgegenüber, dass Bestimmungen zum Schutz dieser Interessen nicht durch eine Gründung im Ausland umgangen werden können“. Andernfalls stünde „zu befürchten, dass sich im dergestalt eröffneten Wettbewerb der Rechtsordnungen gerade die Rechtsordnung mit dem schwächsten Schutz dritter Interessen durchsetzen würde („race to the bottom“).

Die Sitztheorie war kraft Gewohnheitsrechts bis zum Jahre 2002 vor allem in der deutschen Rechtsprechung1 und Literatur2 herrschend, darüber hinaus aber auch in den meisten kon1 Grundlegend: RG v. 9.3.1904 – I 457/03, JW 1904, 23 1 f.; vgl. auch bereits RG v. 7.7.1883 – I 77/84, JW 1884, 271 Nr. 24; ferner RG v. 3.6.1927 – II 346/26, RGZ 117,215,217; RG v. 29.10.1938 – II 178/ 37, RGZ 159, 33, 46; BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, NJW 1957, 1433, 1434; BGH v. 17.10.1968 – VII ZR 23/68, BGHZ 51, 27 (28) = NJW 1969, 188; BGH v. 30.1.1970 – V ZR 139/68, BGHZ 53, 181 (183) = NJW 1970, 998 (999) m. Anm. Langen; BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318 (334) = NJW 1981, 522 (525) = ZIP 1981, 31; BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 = ZIP 1986, 643 = NJW 1986, 2194 (2195); BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 = NJW 1992, 618 = JZ 1992, 579 m. Anm. von Bar; BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 = ZIP 2002, 1763 = NJW 2002, 3539; BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 = ZIP 2003, 720 = NJW 2003, 1607 (1608); BFH v. 13.11.1991 – I B 72/91, BFHE 166, 238 = RIW 1992, 338; BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, GmbHR 1993, 184 = IPRax 1993, 248 (m. Anm. Großfeld/Luttermann, IPRax 1993, 229) = DB 1992, 2067 m. Anm. Knobbe-Keuk; BFH v. 12.6.1995 – II S 9/95, RIW 1996, 85 m. Anm. Braun = BB 1995, 2099 m. Anm. Schuck; BFH v. 26.4.2001 – V R 50/99, NZG 2002, 103; BayObLG v. 26.8.1998 – 3Z BR 78/98, BayObLGZ 1998, 195 = IPRax 1999, 364 (m. Anm. Behrens, IPRax 1999, 323 und Thorn, IPRax 2001, 102); OLG Frankfurt a.M. v. 24.4.1990 – 5 U 18/88, NJW 1990, 2204 = IPRax 1991, 403 (m. Anm. Großfeld/König, IPRax 1991, 379) = RIW 1990, 583 (m. Aufs. Schütze, RIW 1990, 674) = EWiR 1990, 827 (m. Anm. Ebenroth); OLG Hamm v. 18.8.1994 – 15 W 209/94, RIW 1995, 152 (153) = NJW-RR 1995, 469 (m. Aufs. Bungert, DB 1995, 963); OLG Düsseldorf v. 15.12.1994 – 6 U 59/ 94, ZIP 1995, 1009 = RIW 1995, 508 (509) = IPRax 1996, 128 (m. Anm. M. J. Ulmer, IPRax 1996, 100); OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 2326 = IPRax 1998, 358 (m. Anm. Bungert, IPRax 1998, 339); OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, ZIP 1997, 1696 = RIW 1997, 874 = IPRax 1998, 363 (m. Anm. Bechtel, IPRax 1998, 348); KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, RIW 1997, 597 = IPRax 1998, 360 (m. Anm. Bungert, IPRax 1998, 339); OLG Brandenburg v. 29.7.1998 – 7 U 29/98, NJW-RR 1999, 543; OLG Düsseldorf v. 10.9.1998 – 5 U 1/98, JZ 2000, 203 m. Anm. Ebke; OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, NJW 2001, 2183 = RIW 2001, 461 = IPRax 2001, 343 (344 f.) m. Anm. Mansel; LG Potsdam v. 30.9.1999 – 31 O 134/98, ZIP 1999, 2021 = IPRax 2001, 134 (m. Anm. Thorn, IPRax 2001, 102). Weitere Nachw. bei MünchKomm/Kindler, IntGesR Rz. 5 in Fn. 14. 2 Von Bar, Bd. II Rz. 619 ff.; Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 677 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 38 ff., 72 ff.; Kegel/Schurig, § 17 II 1; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 5 ff., 358; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 8; Schotten/Schmellenkamp, Rz. 71, jeweils m.w.N.

Hausmann | 469

6.5

§ 6 Rz. 6.5 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

tinentaleuropäischen Staaten, z.B. in Belgien (Art. 110 IPRG 2004), Frankreich (Art. L 210-3 c. com.), Luxemburg (Art. 159 Gesetz über die Handelsgesellschaften vom 10.8.1975), Österreich (§ 10 IPRG), Polen (Art. 9 § 2 IPRG 1965), Portugal (Art. 3 Gesetzbuch über Handelsgesellschaften vom 2.9.1986) und Spanien (Art. 5 Abs. 1 AktG 1989)1, ferner etwa in Georgien (Art. 24 IPRG 1998), Lettland (§ 8 Abs. 3 ZGB 1937) und Slowenien (Art. 17 Abs. 3 IPRG 1999). Sie wurde für außerhalb der EU gegründete Gesellschaften vom BGH im Urteil „Trabrennbahn“2 ausdrücklich bekräftigt und gilt daher seit dem Brexit auch für im Vereinigten Königreich gegründete Gesellschaften (näher Rz. 6.49 f.). b) Gründungstheorie

6.6

Demgegenüber unterwirft die im 18. Jahrhundert in England entwickelte Gründungstheorie Gesellschaften derjenigen Rechtsordnung, nach der sie (erkennbar) gegründet worden sind, d.h. in der sie ihren Satzungssitz haben und im Handelsregister eingetragen sind. Das Gesellschaftsstatut soll vom Willen der Gründer bestimmt und ihre Rechtswahl allgemein anerkannt werden3. Die Gründungstheorie erreicht größere Rechtssicherheit, weil das Anknüpfungsmerkmal, nämlich der Gründungsort, anhand der Gründungsdokumente sowie der Registrierung der Gesellschaft leichter feststellbar ist als der tatsächliche Verwaltungssitz. Ein weiterer Vorzug wird darin gesehen, dass die Gründungstheorie die Entstehung „hinkender“ Gesellschaften vermeidet, weil die nach dem Recht irgendeines Staates wirksam gegründete Gesellschaft unabhängig davon rechtsfähig ist, ob sie ihren effektiven Verwaltungssitz im Inkorporationsstaat hat oder beibehält4. Die Gründungstheorie fördert die Mobilität international tätiger Unternehmen und entspricht damit vornehmlich den Interessen kapitalstarker und expandierender Investoren. Missbräuchlichen Auswüchsen des ihnen mit der freien Wahl des Gesellschaftsstatuts eingeräumten internationalen Bewegungsspielraums soll mit der Lehre von der Gesetzesumgehung oder mit dem ordre public begegnet werden5.

6.7

Die Gründungstheorie herrscht in England6 und in den Vereinigten Staaten von Amerika sowie in den weiteren Staaten des angelsächsischen Rechtskreises, wird freilich auch dort in vielfacher Hinsicht eingeschränkt7. Sie gilt ferner heute innerhalb der EU grundsätzlich in Belgien (Art. 2.146 C.S.A. 2019), Bulgarien (Art. 56 IPRG 2005), Kroatien (Art. 10 IPRG 2017), den Niederlanden (Art. 118 Buch 10 NBW)8, Rumänien (Art. 2.571ZGB 2009), der Tschechischen Republik (Art. 30 IPRG) und Ungarn (Art. Art. 22 IPRG 2017). Außerhalb der EU wird sie in

1 Vgl. die Nachw. bei Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 153; Spahlinger/Wegen, Rz. 20. 2 BGH 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 (Rz. 21; schwz. AG); ferner BGH v. 15.3.2010 – II ZR 27/09 NZG 2010, 712 (Rz. 15; schwz. Verein); BGH v.8.9.2016 – III ZR 7/15, RIW 2016, 759 = NZG 2016, 1187 (Rz.13; öst. Stiftung). 3 Behrens, IPRax 2003, 193 (194); Weller, FS Goette (2011), S. 583 (590). 4 Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (327); dazu Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 362 f.; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 15. 5 Vgl. zur Kritik an der Gründungstheorie Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 371 ff. m.w.N. 6 BGH v. 12.7.2011 − II ZR 28/10, NZG 2011, 1114 (Rz. 31). 7 Vgl. Richter, Die Rechtsstellung ausländischer Kapitalgesellschaften in England (1980); Korner, Das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika (1989); ferner Ebenroth/Einsele, ZVglRW 87 (1988), 217 ff.; Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 f.; Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (287 ff.); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 31, 156, jeweils m.w.N. 8 Vgl. Hoffmann, ZVglRW 101 (2002), 283 (301 ff.); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 157 m. Nachw.

470 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.8 § 6

Liechtenstein (§ 232 PGR idF von 1997)1 und der Schweiz (Art. 154 IPRG)2 befolgt; die Interessen schweizerischer Gläubiger werden allerdings hinsichtlich der Haftung des Handelnden (Art. 159 IPRG) und bei der Sitzverlegung (Art. 162 f. IPRG) geschützt. Auch die Russische Föderation (Art. 1202 ZGB 2001) und die meisten Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion gehen von der Gründungstheorie aus, z.B. Aserbaidschan (Art. 12 IPRG 2000), Kasachstan (Art. 1100 ZGB 1999), Usbekistan (Art. 1175 ZGB 1997) und Weißrussland (Art. 1111 ZGB 1999). Nur eingeschränkt gilt die Gründungstheorie hingegen innerhalb der EU in Italien (Art. 25 IPRG 1995)3 sowie in Estland (§ 14 IPRG 2002), Litauen (Art. 1.19 ZGB 2000) und Slowenien (§ 17 IPRG 1999), sowie außerhalb der EU in der Volksrepublik China (Art. 14 IPR 2011), Japan4, Nordmazedonien (Art. 16 Abs. 2, 3 IPRG 2007), und den übrigen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien (Art. 17 IPRG 1982); denn in diesen Ländern wird das eigene Recht gegenüber dem ausländischen Gründungsrecht immer dann durchgesetzt, wenn die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz im Inland hat5. Auch in der deutschen Literatur hatte die Gründungstheorie schon seit längerem zahlreiche Anhänger gefunden6. In der Rechtsprechung ist sie hingegen bis zur „Überseering“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.19 ff.) nur für den Fall vertreten worden, dass sich der effektive Verwaltungssitz einer Gesellschaft nicht ermitteln ließ7. c) Kombinations- und Differenzierungslehren In der Literatur wird versucht, die Vorzüge beider Theorien – bei Meidung ihrer Nachteile – zu kombinieren. So will Grasmann8 zwischen dem Innen- und dem Außenverhältnis der Gesellschaft differenzieren. Nur die Beziehungen zwischen den Gesellschaftern sollen dem Gründungsrecht unterliegen; die Beziehungen zu Dritten (z.B. Vertretungsmacht der Organe, Gläubigerschutz) sollen sich dagegen nach dem Sitzrecht oder dem Vornahme-/Wirkungsstatut (Vertrags-, Deliktsstatut) beurteilen, soweit es dem Dritten günstiger ist. Methodisch ähnlich

1 Vgl. dazu Appel, RabelsZ 61 (1997), 510 (532 ff.); Kohler, IPRax 1997, 309 (310 f.). 2 Vgl. schwz. BG v. 17.12.1991, BGE 117 II, 494 f.; dazu Heini, IPRax 1992, 405; Heini, Europa und das internationale Gesellschaftsrecht der Schweiz, SZWiR 65 (1993), 9; ferner Ebenroth/Messer, ZSR 158 (1989), 49 ff. 3 Vgl. dazu Kindler, RabelsZ 60 (1997), 227 (281 ff.); Maglio/Thorn, ZVglRW 96 (1997), 347 (357). 4 Vgl. Großfeld/Yamauchi, Internationales Gesellschaftsrecht in Japan, AG 1985, 22. 5 Weitere Hinweise zur Geltung der Gründungstheorie im Ausland bei Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 512 ff. 6 Vgl. etwa Behrens, Niederlassungsfreiheit und internationales Gesellschaftsrecht, RabelsZ 52 (1988), 397 ff.; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (345 f.); Kropholler, IPR, § 55 I 4; Neumayer, ZVglRW 83 (1984), 129 (139 ff.); aus jüngerer Zeit etwa Eidenmüller/Rehm, § 2 Rz. 87 ff., jeweils m.w.N. Zur Entwicklung einer „europarechtlichen Gründungstheorie“ nach den EuGH-Entscheidungen in Sachen „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“ vgl. Rz. 6.15 ff. 7 OLG Frankfurt a.M. v. 23.6.1999 – 22 U 219/97, RIW 1999, 783 = IPRax 2001, 132 (m. Anm. Thorn, IPRax 2001, 102) = EWiR 1999, 1081 (LS) m. abl. Anm. Kindler = NZG 1999, 1097 (Rechts- und Parteifähigkeit einer in England als „Private Ltd. Company“ gegründeten Gesellschaft nach dem engl. Gründungsrecht bejaht, weil ein tatsächlicher Verwaltungssitz der Gesellschaft nicht festgestellt werden könne). Zust. Freitag, NZG 2000, 357; Haack, RIW 2000, 56 ff.; Hallweger, NZG 1999, 1098 ff.; a.A. aber Bechtel, NZG 2001, 21; Borges, GmbHR 1999, 1256 und RIW 2000, 167 (168). 8 Grasmann, System Rz. 470 ff.

Hausmann | 471

6.8

§ 6 Rz. 6.8 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

verfährt Sandrock1, wenn er eine „Überlagerung“ des Gründungsrechts durch bestimmte Rechtssätze im Sitzstaat der Gesellschaft befürwortet. Danach könnten sich etwa Gläubiger, Minderheitsgesellschafter oder Arbeitnehmer auf die ihnen günstigeren zwingenden Vorschriften im Sitzstaat berufen. Dieser „Überlagerungstheorie“ steht die von Zimmer2 entwickelte „Kombinationstheorie“ nahe; danach wird die Anwendung des von den Gründern gewählten Rechts auf Sachverhalte beschränkt, in denen die Gesellschaft eine tatsächliche Verbindung zum Recht des Gründungsstaates hat. Demgegenüber werden „pseudo-foreign corporations“ dem Recht ihres effektiven Verwaltungssitzes unterworfen. Teilweise wird auch danach differenziert, ob die Gesellschaft im Inland (bzw. in einem anderen EU-Staat) oder im Ausland gegründet worden ist. Im ersteren Fall gälte Gründungsrecht, im letzteren hingegen Sitzrecht, jedenfalls wenn der Sitz der Gesellschaft in Deutschland liegt3. d) Stellungnahme

6.9

Trotz ihrer unbezweifelbaren Vorzüge ist die Gründungstheorie in ihrer reinen Form abzulehnen, weil sie vielfältige Gefahren der Manipulation in sich birgt, der mithilfe der Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB allein nicht Herr zu werden ist. Die Anerkennung einer uneingeschränkten Parteiautonomie der Gründer trägt den berechtigten Verkehrs- und Ordnungsinteressen des Staates, auf dessen Territorium eine Gesellschaft ihre wirtschaftlichen Aktivitäten schwerpunktmäßig entfaltet, nicht hinreichend Rechnung. Den Gründern kann es nicht gestattet sein, die am Ort des effektiven Verwaltungssitzes der Gesellschaft geltenden Vorschriften über den Schutz von Gesellschaftsgläubigern (z.B. hinreichende Kapitalausstattung), von Arbeitnehmern (Mitbestimmung) oder von abhängigen Gesellschaften und Minderheitsgesellschaftern durch die Wahl eines laxeren fremden Rechts zu unterlaufen, zu dem die Gesellschaft über den Gründungsvorgang hinaus keinerlei Bezug hat (sog. Delaware-Effekt)4.

6.10

Die genannten Manipulationsgefahren werden zwar abgemildert, wenn man das Gründungsrecht mit den Differenzierungslehren in gewissem Umfang durch zwingende Normen des Sitzrechts überlagert oder seine Geltung auf das Innenverhältnis der Gesellschafter beschränkt. Diese Lehren haben indes den gravierenden Nachteil, dass sie das Prinzip der einheitlichen Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts aufgeben und damit schon für den Normalfall eine Normenmischung in Kauf nehmen, die zu schwierigen Anpassungsproblemen führt und die Rechtssicherheit erheblich gefährdet5. Den Vorzug verdient daher die in der deutschen

1 Sandrock, BerDGesVölkR 18 (1978), 169 ff. (191); Sandrock, FS Beitzke (1979), S. 669 ff.; Sandrock, RabelsZ 42 (1988), 227 (258 ff.); Sandrock, RIW 1989, 505 ff.; Sandrock, BB 1999, 1337 ff.; ähnlich Bungert, AG 1995, 489 (491); Teipel, FS Sandrock (1995), S. 125. Später hat Sandrock im Lichte der europäischen Niederlassungsfreiheit eine „Schrumpfung“ seiner Theorie festgestellt und diese in Richtung einer fast reinen Gründungstheorie weiterentwickelt, vgl. Sandrock, ZVglRW 102 (2003) 447 ff.; krit. dazu Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 401 ff. 2 Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht (1996), S. 219 ff. 3 So Koppensteiner, Internationale Unternehmen im deutschen Gesellschaftsrecht (1971), S. 105 ff.; Wiedemann, FS Kegel (1977), S. 187 (199 ff.). Näher zu den verschiedenen Modifikationen der Gründungstheorie Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 390 ff. 4 Vgl. zu den Schwächen der Gründungstheorie Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 52 ff.; Ebenroth/Sura, RabelsZ 43 (1979), 315 (328 ff.); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 367 ff.; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 16 f. 5 Krit. zu den Differenzierungslehren daher zu Recht BGH v. 30.3.2000 – Az. VII ZR 370/98, ZIP 2000, 967 = IPRax 2000, 423 (Rz. 6.4); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 401 ff.; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 2.

472 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.12 § 6

Rechtsprechung bisher nahezu einmütig vertretene Sitztheorie. Durch die Versagung der Anerkennung wird auf ausländische Gesellschaften, die den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit – sei es von Anfang an oder nachträglich – im Inland haben, ein heilsamer Druck ausgeübt, sich den hiesigen Gründungsvorschriften zu unterwerfen. Wird diese Nichtanerkennung durch adäquate Verkehrsschutzregeln ergänzt, die eine Inanspruchnahme der Gesellschaft im Inland trotz ihrer Nichtanerkennung ermöglichen (dazu Rz. 6.164 ff.), so entfällt jeder Anreiz, in der Grauzone zwischen ausländischer Rechtsfähigkeit und inländischer Nichtanerkennung Geschäfte auf Kosten inländischer Gläubiger zu tätigen1. Erst wenn im Wege materieller Rechtsvereinheitlichung ein hinreichender Gleichklang der nationalen Gesellschaftsrechte in den Grundfragen des Verkehrsschutzes und der Unternehmensverfassung erreicht sein wird, erscheint eine Erweiterung der Parteiautonomie und damit ein Übergang zur Gründungstheorie vertretbar. An der Fortgeltung der Sitztheorie im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht hat sich – vorbehaltlich der Schranken durch die Niederlassungsfreiheit für in der EU bzw. im EWR gegründete Gesellschaften (Rz. 6.11 ff.) und der vorrangigen Geltung bilateraler Staatsverträge (Rz. 6.58 ff.) – bis heute nichts geändert. Insbesondere hat auch das am 1.11.2008 in Kraft getretene MoMiG (Rz. 6.63 f.) keinen Übergang zur generellen Anknüpfung an das Gründungsrecht zur Folge (dazu näher Rz. 6.65)2.

3. Einschränkung der Sitztheorie durch die Niederlassungsfreiheit a) Grundsatz Obwohl in der Europäischen Union bereits wichtige Schritte auf dem Weg zu einer solchen Harmonisierung des Gesellschaftsrechts unternommen wurden3, besteht über die Frage, ob die Zeit für eine vollständige Aufgabe der Sitztheorie zumindest im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander reif ist, nach wie vor Streit (zum Meinungsstreit Rz. 6.36 ff. m. ausf. Nachw.). Allerdings werden der Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz einer Gesellschaft oder juristischen Person, die wirksam nach dem Recht eines EU-Mitgliedstaats gegründet worden ist, durch die im AEUV gewährleistete Niederlassungsfreiheit jedenfalls enge Schranken gezogen4.

6.11

b) Inhalt der Niederlassungsfreiheit Art. 49 Abs. 1 S. 1 AEUV verbietet Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nach Maßgabe der Art. 50-55 AEUV5. Die Niederlassungsfreiheit umfasst nach Art. 49 Abs. 2 AEUV auch die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere von Gesellschaften i.S.v. Art. 54 Abs. 2 AEUV, nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen (primäre Niederlassungsfreiheit). Die Niederlassungsfreiheit verbietet ferner nach Art. 49

1 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 423 ff.; krit. zu dieser Schutzfunktion der Sitztheorie aber Behrens, IPRax 2003, 193 (194 f.). 2 Franz/Laeger, BB 2008, 678 (681 f.); Kindler, AG 2007, 721 ff.; a.A. Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90 (92 ff.); Hoffmann, ZIP 2007, 1581 (1584 ff.). 3 Vgl. den ausführlichen Überblick über die bisherigen EU-Richtlinien auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts bei Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 29 ff. 4 Nach Ansicht von von Bar/Mankowski, Bd. II, § 6 Rz. 16 ist das internationale Gesellschaftsrecht „heute im EU-Binnenmarkt im Kern eine Funktion der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit“. 5 Vgl. allg. zur Bedeutung der europäischen Niederlassungsfreiheit für das internationale Gesellschaftsrecht statt vieler Kindler in MünchKomm IntGesR Rz. 99 ff., 142 ff.

Hausmann | 473

6.12

§ 6 Rz. 6.12 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Abs. 1 S. 2 AEUV auch Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ansässig sind (sekundäre Niederlassungsfreiheit). Von der Niederlassungsfreiheit umfasst ist auch das Recht von Gesellschaften zur grenzüberschreitenden Verschmelzung1 und Umwandlung (dazu Rz. 6.31 f.)2. Damit richtet sich die Niederlassungsfreiheit zwar in erster Linie an den sog. Aufnahmestaat, in dem sich eine EU-angehörige Person niederlassen will und verbietet diesem Staat, die niederlassungswillige Person gegenüber inländischen Personen zu diskriminieren. Andererseits zieht die Niederlassungsfreiheit aber auch demjenigen Mitgliedstaat Schranken, dessen Gebiet eine Person verlassen will. Sie umfasst also grundsätzlich auch die Freiheit, von einem Mitgliedstaat in einen anderen wegziehen zu können, ohne dadurch die bisherige Identität zu verlieren3. Auf die Niederlassungsfreiheit können sich nach Art. 54 Abs. 1 AEUV Gesellschaften berufen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet worden sind und die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben. c) Die Entwicklung der EuGH-Rechtsprechung aa) Die „Daily-Mail“-Entscheidung von 1988

6.13

Zum Einfluss der Niederlassungsfreiheit auf das internationale Gesellschaftsrecht4 hat sich der EuGH erstmals ausführlicher in der Rechtssache „Daily Mail and General Trust PLC“ im Jahre 1988 geäußert. Gegenstand des Verfahrens war die Frage, ob es einem Mitgliedstaat durch die Vorschriften des damaligen EG-Vertrages über die Niederlassungsfreiheit verwehrt war, einer juristischen Person, die ihre Geschäftsleitung in diesem Mitgliedstaat hat, zu verbieten, diese ohne vorherige Zustimmung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. Der EuGH hat diese Frage im Ergebnis verneint. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass Gesellschaften – im Gegensatz zu natürlichen Personen – auf Grund einer nationalen Rechtsordnung gegründet würden und jenseits dieser nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Existenz regle, keine Realität hätten. Die Art. 52, 58 EGV (= Art. 49, 54 AEUV) gewährten den Gesellschaften nationalen Rechts daher „beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts“ kein Recht, den Sitz ihrer Geschäftsleitung unter Bewahrung ihrer Eigenschaft als Gesellschaft des Mitgliedstaats ihrer Gründung in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen. EuGH v. 27.9.1988 – Rs. 81/87, ECLI:EU:C:1988:456 (Daily Mail and General Trust PLC), Slg. 1988, 5483 = NJW 1989, 2186; dazu Behrens, IPRax 1989, 354; Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363 und 413; Großfeld/Luttermann, JZ 1989, 384; Sandrock/Austmann, RIW 1989, 249 1 EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762 (SEVIC Systems AG), Slg. 2005 I, 10805 (Rz. 16 ff.) = NJW 2006, 425 = DB 2005, 2804 m. Anm. Ringe = BB 2006, 11 m. Anm. Schmidt/ Maul = GmbHR 2006, 140 m. Anm. Haritz; krit. dazu Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 126 f. 2 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 (Rz. 24 ff.) m. Anm. Böttcher/Kraft, S. 2701 = ZIP 2012, 1394 m. Anm. Mörsdorf/Jopen. 3 Zur „Wegzugsfreiheit“ natürlicher Personen als Teil ihrer Niederlassungsfreiheit vgl. EuGH v. 16.7.1998 – C-264/96, ECLI:EU:C:1998:370 (ICI/Kenneth Hall Colmer), Slg. 1998 I, 4695 (Rz. 21) = EWS 1999, 344; EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU:C:2004:138 (de Lasteyrie du Saillant), Slg. 2004 I, 2431 (Rz. 42 ff.) = NJW 2004, 2439 = GmbHR 2004, 504 m. Anm. Meilicke; Sandrock, BB 1999, 1337. Zur Einschränkung der Wegzugsfreiheit von Gesellschaften aber Rz. 6.13 f., Rz. 6.26 ff., Rz. 6.98 ff. 4 Vgl. zum Folgenden auch die Darstellung bei Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 113 ff.; Spahlinger/Wegen, Rz. 143 ff.; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 27 ff.; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 31 ff.

474 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.15 § 6 Nach englischem Recht erforderliche Zustimmung des englischen Treasury Department zur Verlegung der Geschäftsleitung einer in England gegründeten Gesellschaft in die Niederlande ist mit der Niederlassungsfreiheit vereinbar: „Nach alledem betrachtet der EG-Vertrag die Unterschiede, die die Rechtsordnung der Mitgliedstaaten hinsichtlich der für ihre Gesellschaften erforderlichen Anknüpfung sowie der Möglichkeit und ggf. der Modalitäten einer Verlegung des satzungsmäßigen oder wahren Sitzes einer Gesellschaft nationalen Rechts von einem Mitgliedstaat in einen anderen aufweisen, als Probleme, die durch die Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nicht gelöst sind, sondern einer Lösung im Wege der Rechtssetzung oder des Vertragsschlusses bedürfen; eine solche wurde jedoch noch nicht gefunden“.

Die Entscheidung wurde in der deutschen Rechtsprechung1 und Lehre2 überwiegend dahin interpretiert, dass der EG-Vertrag die Frage der Anerkennung von Gesellschaften nicht entscheiden wolle. Es sei vielmehr dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen, die Anknüpfungsregeln für Gesellschaften festzulegen; Gründungs- und Sitztheorie seien dabei gleichermaßen europarechtskonform. Dem Umstand, dass die „Daily Mail“-Entscheidung den Wegzug einer Gesellschaft aus einem Gründungstheoriestaat (England) in einen anderen (Niederlande) betraf und deshalb die Frage nach der Vereinbarkeit der Sitztheorie mit dem Gemeinschaftsrecht gar nicht aufwarf, wurde dabei keine Bedeutung zugemessen.

6.14

bb) Die „Centros“-Entscheidung von 1999 Ein gutes Jahrzehnt später hat sich der EuGH im Fall „Centros“ erneut zum Verhältnis von gemeinschaftsrechtlicher Niederlassungsfreiheit und internationalem Gesellschaftsrecht geäußert3. Die Vorlage betraf die Weigerung der dänischen Behörden, die Zweigniederlassung der englischen Gesellschaft „Centros“ Ltd. in das dänische Handelsregister einzutragen, weil die nach englischem Recht wirksam errichtete Gesellschaft mithilfe dieser Zweigniederlassung ihre gesamte Geschäftstätigkeit in Dänemark ausüben wollte, ohne dort eine Tochtergesellschaft zu errichten. Die dänischen Behörden sahen darin eine Umgehung des dänischen Rechts über die Errichtung von Gesellschaften, das höhere Anforderungen an die Einzahlung des Mindestkapitals stellte als das englische Recht. Der EuGH hat die Vereinbarkeit dieser dänischen Haltung mit Art. 43, 48 EG (= Art. 49, 54 AEUV) im Ergebnis verneint. Das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, folge nämlich im Binnenmarkt unmittelbar aus der vom EG-Vertrag gewährleisteten (sekundären) Niederlassungsfreiheit. Der bloße Umstand, dass eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz hat, keine Geschäftstätigkeit entfalte und ihre Tätigkeit ausschließlich im Mitgliedstaat ihrer Zweigniederlassung 1 OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, ZIP 1997, 1696 = RIW 1997, 874 = IPRax 1998, 363 (m. Anm. Bechtel, IPRax 1998, 348); BayObLG v. 26.8.1998 – 3Z BR 78/98, BayObLGZ 1998, 195 = RIW 1998, 966 = IPRax 1999, 364 (m. Anm. Behrens, IPRax 1999, 323 und Thorn, IPRax 2001, 102). 2 Ebenroth/Eyles, DB 1989, 363 (372), 413 ff.; Ebenroth/Wilken, JZ 1991, 1018; Ebenroth/Auer, GmbHR 1994, 16; Großfeld/Erlinghagen, JZ 1993, 218; Koch, NJW 1992, 412; Sandrock/Austmann, RIW 1989, 249 (250); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 119 ff., jeweils m.w.N; a.A. (Unvereinbarkeit der Sitztheorie mit Art. 52, 58 EGV) aber schon damals Behrens, RabelsZ 52 (1988), 498 ff. und IPRax 1989, 354 ff.; Fischer, IPRax 1991, 103; Knobbe/Keuk, DB 1990, 2573 ff. und ZHR 154 (1990), 325 ff.; Meilicke, RIW 1990, 489 ff.; Sack, JuS 1990, 352 ff.; Thönnes, DB 1993, 1025; Wessel/Ziegenhain, GmbHR 1988, 427 ff.; ferner Blaurock, ZEuP 1998, 482; Schürmann, EuZW 1994, 269. 3 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 30 charakterisieren die „Centros“-Entscheidung des EuGH als „revolutionäre Wende“.

Hausmann | 475

6.15

§ 6 Rz. 6.15 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ausübe, stelle noch keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit dar und erlaube dem Mitgliedstaat, in dem die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit über eine Zweigniederlassung entfaltet, nicht, der Gesellschaft das Recht zur Gründung einer Zweigniederlassung abzusprechen („Centros“ Rz. 26 ff.).

6.16

Auch zwingende Gründe des Allgemeininteresses i.S.v. Art. 46 Abs. 1 EG (= Art. 52 Abs. 1 AEUV) könnten das Vorgehen der dänischen Behörden nicht rechtfertigen. Zwar könne jeder Mitgliedstaat geeignete Maßnahmen treffen, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen. Dies gelte sowohl gegenüber der Gesellschaft selbst als auch gegenüber ihren Gesellschaftern, wenn diese sich mittels der Errichtung der Gesellschaft ihren Verpflichtungen gegenüber inländischen privaten oder öffentlichen Gläubigern entziehen möchten. Jedoch könne die Bekämpfung von Betrügereien es nicht rechtfertigen, die Eintragung einer Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft gänzlich zu verweigern. Im Übrigen seien die dänischen Mindestkapitalerfordernisse schon deshalb zum Schutz der dänischen Gläubiger ungeeignet, weil die Gesellschaft sie auch dadurch umgehen könne, dass sie – ebenfalls ohne jede Mindestkapitalausstattung – eine Hauptniederlassung in England unterhalte. EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 (Centros Ltd.), Slg. 1999 I, 1459 = NJW 1999, 2027; dazu Behrens, IPRax 1999, 32; Cascante, RIW 1999, 447; Ebke, JZ 1999, 656; Freitag, EuZW 1999, 267; Geyrhalter, EWS 1999, 201; Görk, MittBayNotV 1999, 298; Kindler, NJW 1999, 1993; Leible, NZG 1999, 298; Meilicke, DB 1999, 625; Neye, EWiR 1999, 259 W.-H. Roth, ZIP 1999, 861; Sedemund/ Hausmann, BB 1999, 809; Ulmer, JZ 1999, 662; Werlauff, ZIP 1999, 867.

6.17

Mit seinen aus kollisionsrechtlicher Sicht nicht eindeutigen Aussagen hat der EuGH Zweifel an der Fortgeltung der Grundsätze seiner „Daily-Mail“-Entscheidung geweckt und in der deutschen Rechtslehre eine heftige Diskussion über den „richtigen“ Anknüpfungspunkt im internationalen Gesellschaftsrecht entfacht. Gestritten wurde insbesondere über die Frage, ob der EuGH überhaupt zu Fragen des internationalen Gesellschaftsrechts Stellung genommen hatte1 und ob der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EG Vorgaben für das internationale Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten zu entnehmen seien. Ein beachtlicher Teil der deutschen Rechtslehre vertrat den Standpunkt, aus der „Centros“-Entscheidung ergäben sich keine Einschränkungen für die Fortgeltung der Sitztheorie im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht2. Die Entscheidung habe nur für die der Gründungstheorie folgenden Mitgliedstaaten Relevanz, weil beide hier betroffenen Staaten, nämlich England und Dänemark, in ihrem internationalen Gesellschaftsrecht an den Gründungsort anknüpften. Für Mitgliedstaaten, die der Sitztheorie folgten und deshalb in der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einen Statutenwechsel erblickten, ergäben sich daher keine Abweichungen von den Grundsätzen der „Daily-Mail“-Entscheidung3.

1 Verneinend etwa Flessner, ZEuP 2000, 1 ff. 2 Vgl. Kindler, NJW 1999, 1993 (1997); Lange, DNotZ 1999, 599 (606 f.); W.-H. Roth, ZGR 2000, 311 (313, 327); W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597 (1599); Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721 (726); Timme/Hülk, JuS 1999, 1055 (1058); ähnlich – wenn auch mit Einschränkungen – Bungert, DB 1999, 1841 (1843 f.); Ebke, JZ 1999, 656 (660 f.); Görk, GmbHR 1999, 793 (796). 3 Ebke, JZ 1999, 656 (660 f.); Ebke, FS BGH II (2000), S. 799 (817); Görk, MittBayNotV 1999, 300 (302) und GmbHR 1999, 793 ff.; im Erg. auch Kindler, NJW 1999, 1993 (1997); Mülbert/Schmolcke, ZVglRW 100 (2001), 233 (262); W.-H. Roth, ZGR 2000, 311 (326 f.); Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721 (726).

476 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.19 § 6

Nach der Gegenauffassung hat der EuGH der Sitztheorie bereits mit der „Centros“-Entscheidung den „Todesstoß“ versetzt1 oder jedenfalls deren uneingeschränkte Fortgeltung in Frage gestellt2. Man verwies insbesondere darauf, dass sich in der Begründung der Entscheidung für eine Differenzierung zwischen Mitgliedstaaten, die der Gründungstheorie folgen, und solchen, die der Sitztheorie folgen, keine Stütze finde3. Ferner sei es mit dem Grundsatz der einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts in allen Mitgliedstaaten nicht zu vereinbaren, gleich gelagerte Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln, je nachdem, welche Mitgliedstaaten betroffen seien4. Teilweise wurde die unterschiedliche Beurteilung der Fälle „Daily-Mail“ und „Centros“ auch damit gerechtfertigt, dass es im ersten Fall um die primäre Niederlassungsfreiheit gegangen sei, während die „Centros“-Entscheidung die sekundäre Niederlassungsfreiheit zum Gegenstand gehabt habe5. Der EuGH habe sich daher in der „Centros“-Entscheidung allein auf die Frage konzentriert, ob der in einem Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft die Ausübung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten mithilfe einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat untersagt werden könne; zum Einfluss des anfänglichen oder nachträglichen Auseinanderfallens von Satzungssitz und tatsächlichem Verwaltungssitz habe er hingegen nicht Stellung genommen6. Während der österr. OGH unter dem Eindruck der „Centros“-Entscheidung des EuGH die Anknüpfung an den Gesellschaftssitz nach § 10 IPRG im Wege der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung eingeschränkt hat7, hat die deutsche Rechtsprechung zunächst an der Sitztheorie jedenfalls insoweit festgehalten, als es um die Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit von Gesellschaften ging, die in ihrem Gründungsstaat keinen effektiven Verwaltungssitz hatten8.

6.18

cc) Die „Überseering“-Entscheidung von 2002 Eine weitere Klärung der Frage, in welchem Verhältnis die (primäre) Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EG und die kollisionsrechtliche Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz stehen, hat der EuGH mit seiner Entscheidung in der Rechtssache „Überseering“ auf 1 Vgl. Behrens, IPRax 1999, 323 (326); Behrens, IPRax 2000, 384; Buxbaum, FS Sandrock (2000), S. 149 (158); Forsthoff, EuR 2000, 167 (177 f.); Freitag, EuZW 1999, 267 (269); Göttsche, DStR 1999, 1403 (1405); Leible, NZG 1999, 300 (301); Meilicke, DB 1999, 625 (627 f.); Neye, EWiR 1999, 259 (260); Sandrock, BB 1999, 1337 (1341); Sedemund/Hausmann, BB 1999, 809 (810); Werlauff, ZIP 1999, 867 (875). 2 Cascante, RIW 1999, 450 (451); Geyrhalter, EWS 1999, 201 (203); Kieninger, ZGR 1999, 724 (745 f.); Leible, NZG 1999, 300 (302); G.H. Roth, ZIP 1999, 861 (862 f.); Steindorff, JZ 1999, 1140 (1141); Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (36 f.). 3 Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (32). 4 Forsthoff, EuR 2000, 167 (177). 5 Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (33). 6 So Bungert, DB 1999, 1841 (1843 f.); Leible, NZG 1999, 300 (331); Steindorff, JZ 1999, 1140 (1141). 7 Vgl. öOGH v. 15.7.1999, IPRax 2000, 418 (m. Anm. Behrens, IPRax 2000, 384); ferner den Vorlagebeschluss des LG Salzburg v. 27.11.2000, IPRax 2001, 341 (m. Aufs. Lurger, IPRax 2001, 346). 8 S. OLG Brandenburg v. 31.5.2000 – 14 U 144/99, NJW-RR 2001, 29 = DStR 2000, 2101 m. Anm. Hergeth (Parteifähigkeit einer Ltd. Company des ir. Rechts für Klage auf Maklerhonorar verneint, weil die Klägerin nicht nachgewiesen habe, dass sie ihren effektiven Verwaltungssitz in Dublin/ Irland unterhalte); ebenso schon die Vorinstanz LG Potsdam v. 30.9.1999 – 31 O 134/98, RIW 2000, 145 = IPRax 2001, 134 (m. Anm. Thorn, IPRax 2001, 102); ebenso zur Sitzverlegung OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, GmbHR 2001, 440 = NJW 2001, 2183 und OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 3 Wx 88/01, NJW 2001, 2184 = IPRax 2003, 343 m. Anm. Mansel; krit. dazu Kieninger, ZEuP 2004, 686 (688).

Hausmann | 477

6.19

§ 6 Rz. 6.19 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Vorlage des BGH1 herbeigeführt. In diesem Fall waren die Geschäftsanteile an einer wirksam in den Niederlanden gegründeten Kapitalgesellschaft (Besloten Vennootschap, B.V.) an zwei deutsche Staatsangehörige abgetreten worden, die ihren Wohnsitz in Düsseldorf hatten und die Gesellschaft von dort aus leiteten. Die deutschen Gerichte hatten darin eine Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft gesehen und dieser deshalb in einem von ihr angestrengten Prozess die Rechts- und Parteifähigkeit abgesprochen2. Der EuGH hat dies als Verstoß gegen Art. 43, 48 EG gewertet. EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 (Überseering BV/NCCB GmbH), Slg. 2002 I, 9919 = NJW 2002, 3614; dazu Behrens, IPRax 2003, 197; Ebke, JZ 2003, 927; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233; Forsthoff, DB 2002, 2471; Hack, GesR 2003, 29; Heidenhain, NZG 2002, 1141; Kallmeyer, DB 2002, 2521; Kindler, NJW 2003, 1973; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925; Lutter, BB 2003, 7; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117; Schanze/Jüttner, AG 2003, 30; Weller, IPRax 2007, 207 und 324; Wernicke, EuZW 2002, 754; Zimmer, BB 2003, 1 Nach Ansicht des Gerichts verstößt es „gegen die Art. 43 EG und 48 EG, wenn einer Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, gegründet worden ist und von der nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats angenommen wird, dass sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz dorthin verlegt hat, in diesem Mitgliedstaat die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit vor seinen nationalen Gerichten für das Geltendmachen von Ansprüchen aus einem Vertrag mit einer in diesem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft abgesprochen wird“. Mache eine Gesellschaft, die nach dem Recht des Mitgliedstaats gegründet worden ist, in dessen Hoheitsgebiet sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, in einem anderen Mitgliedstaat von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch, so sei dieser andere Mitgliedstaat „nach den Art. 43 und 48 EG verpflichtet, die Rechtsfähigkeit und damit die Parteifähigkeit zu achten, die diese Gesellschaft nach dem Recht ihres Gründungsstaats besitzt“.

6.20

In seiner Begründung stellt der EuGH in einem ersten Schritt klar, dass die Verwaltungssitzverlegung grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des EG-Vertrags über die Niederlassungsfreiheit fällt. Den ua. von der deutschen Bundesregierung erhobenen Einwand, die Mitgliedstaaten müssten zuerst eine Übereinkunft über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften nach Art. 293 EG schließen, damit die nach dem Recht eines EGMitgliedstaats gegründeten Gesellschaften von der Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen könnten3, weist der Gerichtshof zurück. Diese Bestimmung enthalte nämlich keinen Rechtsetzungsvorbehalt zu Gunsten der Mitgliedstaaten; vielmehr setze – umgekehrt – die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit die Anerkennung dieser Gesellschaften durch alle Mitgliedstaaten voraus, in denen sie sich niederlassen wollen („Überseering“ Rz. 59 f.)4. Etwas anderes folge auch nicht aus dem „Daily Mail“-Urteil von 1988 (Rz. 6.13). Dieses Urteil betreffe nämlich – entgegen einer verbreiteten Fehlinterpretation (vgl. die Nachw. in Rz. 6.14) – nur den Wegzug, nicht hingegen den Zuzug von in einem Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften. Nur der vom Wegzug betroffene Staat habe das Recht, die Verlegung des Verwaltungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet von einer vorherigen Genehmigung abhängig zu machen oder mit der Auflösung der Gesellschaft zu sanktionieren, weil Gesellschaften – anders als natürliche Personen – ihre Existenz allein der Rechtsordnung ihres Gründungsstaates verdankten. Auf Grund dieser engen Bindung zwischen Gründung und Existenz falle es allein in 1 BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98, DB 2000, 2114 m. Anm. Forsthoff; dazu Behrens, EuZW 2000, 384 (385); Kindler, RIW 2000, 649 ff.; Meilicke, GmbHR 2000, 693; W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597; Zimmer, BB 2000, 1361 ff. 2 OLG Düsseldorf v. 10.9.1998 – 5 U 1/98, JZ 2000, 203 m. Anm. Ebke. 3 So noch BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 (281). 4 Zust. Behrens, IPRax 2003, 193 (198); Lutter, BB 2003, 6 (7); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (119).

478 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.23 § 6

die Kompetenz des Gründungsstaates, über den Fortbestand einer Gesellschaft nach der Verlegung ihres satzungsmäßigen oder tatsächlichen Verwaltungssitzes zu entscheiden („Überseering“ Rz. 66 ff.). Demgegenüber sei dem „Daily-Mail“-Urteil eine Stellungnahme zu der Frage, ob auch der Zuzugsstaat den Fortbestand der in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften von der Beachtung seines nationalen Gesellschaftsrechts abhängig machen könne, nicht zu entnehmen1. Die Weigerung der deutschen Gerichte, der nach niederländischem Recht wirksam gegründeten Gesellschaft Überseering BV die Rechts- und Parteifähigkeit zuzuerkennen, stellt nach Ansicht des EuGH eine gravierende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar („Überseering“ Rz. 82). Diese sei auch nicht durch zwingende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die von der Bundesregierung für die Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz einer Gesellschaft vorgetragenen Argumente (Rechtssicherheit, Gläubigerschutz, Festlegung eines bestimmten Mindestkapitals, Minderheiten- und Arbeitnehmerschutz) könnten zwar u.U. Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen; sie könnten jedoch nicht herangezogen werden, um der in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß gegründeten Gesellschaft die Rechts- und Parteifähigkeit abzusprechen, weil das auf eine vollständige Negierung der Niederlassungsfreiheit hinauslaufe („Überseering“ Rz. 92 f.).

6.21

dd) Die „Inspire Art“-Entscheidung von 2003 In der „Inspire Art“-Entscheidung ging es – ähnlich wie schon in der Rechtssache „Centros“ (Rz. 6.15 ff.) – um die Vereinbarkeit nationaler Beschränkungen der sekundären Niederlassungsfreiheit mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht. Die „Inspire Art“ war im Sommer 2002 als „private company limited by shares“ nach englischem Recht gegründet worden. Der in Den Haag/Niederlande wohnhafte einzige Gesellschafter und Geschäftsführer der Gesellschaft hatte die Eintragung einer Zweigniederlassung im niederländischen Handelsregister beantragt. Da diese Zweigniederlassung in Wahrheit als Hauptniederlassung der Gesellschaft fungieren sollte, galt für sie das niederländische Gesetz vom 17.12.1997 über „formal ausländische Gesellschaften“. Nach diesem Gesetz unterliegen die von ihm erfassten Gesellschaften zum Teil weitergehenden Offenlegungspflichten als sie in der 11. Richtlinie 89/666/EWG vom 22.12.1989 vorgeschrieben sind. Ferner sieht Art. 4 Abs. 4 dieses Gesetzes vor, dass die Geschäftsführer neben der Gesellschaft persönlich als Gesamtschuldner für die während ihrer Geschäftsführung im Namen der Gesellschaft vorgenommenen Rechtshandlungen haften, solange die für „formal ausländische Gesellschaften“ geltenden besonderen Verpflichtungen zur Offenlegung im Handelsregister nicht erfüllt sind.

6.22

Der EuGH misst die Vorschriften des niederländischen Gesetzes betreffend Offenlegungspflichten am harmonisierten sekundären Gemeinschaftsrecht. Dieses werde verletzt, soweit es Gesellschaften, die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates gegründet worden sind, weitergehenden Offenlegungspflichten unterwirft als sie in der Richtlinie vorgesehen sind. Demgegenüber fehlt es hinsichtlich der Anforderungen an das Nennkapital und die Kapitalaufbringung bei Kapitalgesellschaften bisher an einer Harmonisierung des Gesellschaftsrechts in der Europäischen Union. Maßstab für die Vereinbarkeit entsprechender nationaler Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht seien daher allein die Art. 43, 48 EG, die nach Ansicht des Gerichtshofs durch die Sonderregeln des niederländischen Rechts für „formal ausländische Gesellschaften“ verletzt werden.

6.23

1 So schon zuvor Schön, FS Lutter (2000), S. 685 (702).

Hausmann | 479

§ 6 Rz. 6.23 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art Ltd.), Slg. 2003 I, 10155 = NJW 2003, 3331 = RIW 2003, 957= ZIP 2003, 1885; dazu Altmeppen, NJW 2004, 97; Bayer, BB 2003, 2357; Bayer, AG 2004, 534; Behrens, IPRax 2004, 20; Binge/Thölke, DNotZ 2004, 21; Eidenmüller, JZ 2004, 24; Geyrhalter/Gänßler, DStR 2003, 2167; Kieninger, ZEuP 2004, 685; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677; Maul/Schmidt, BB 2003, 2297; Meilicke, GmbHR 2003, 1260; Ulmer, NJW 2004, 1201; Weller, DStR 2003, 1800; Zimmer, NJW 2003, 3585 Nach Ansicht des EuGH stehen die Art. 43, 48 EG der Regelung eines Mitgliedstaates entgegen, die „die Ausübung der Freiheit zur Errichtung einer Zweigniederlassung in diesem Staat durch eine nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft von bestimmten Voraussetzungen abhängig macht, die im innerstaatlichen Recht für die Gründung von Gesellschaften bezüglich des Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer vorgesehen sind. Die Gründe aus denen die Gesellschaft in dem anderen Mitgliedstaat errichtet wurde, so wie der Umstand, dass sie ihre Tätigkeit ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Mitgliedstaat der Niederlassung ausübt, nehmen ihr nicht das Recht, sich auf die durch den EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit zu berufen, es sei denn im konkreten Fall wird ein Missbrauch nachgewiesen“.

6.24

Zur Begründung weist der EuGH zunächst darauf hin, dass es für die Anwendung der Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit ohne Bedeutung ist, dass eine Gesellschaft in einem Mitgliedstaat nur errichtet wird, um sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, in dem die Geschäftstätigkeit im Wesentlichen oder ausschließlich ausgeübt werden soll. Die Gründe, aus denen eine Gesellschaft in einem bestimmten Mitgliedstaat errichtet werde, seien nämlich, abgesehen vom Fall des Betruges, für die Anwendung der Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit irrelevant. Ferner handle ein Gesellschaftsgründer nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er die Gesellschaft in einem Mitgliedstaat nur deshalb gründe, um in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen1; dies auch dann nicht, wenn die betreffende Gesellschaft ihre Tätigkeit hauptsächlich oder ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat ausübe. Allein der Umstand, dass die „Inspire Art“ in England gegründet wurde, um die Vorschriften des niederländischen Gesellschaftsrechts in Bezug auf das Mindestkapital und die Kapitalaufbringung zu umgehen, nehme der Gesellschaft daher nicht das Recht, sich auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EG zu berufen. Die Niederlassungsfreiheit erfordere somit nicht nur die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der in einem Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft durch die übrigen Mitgliedstaaten; diese seien vielmehr auch daran gehindert, im Wege der Sonderanknüpfung ihr eigenes zwingendes Gesellschaftsrecht – z.B. hinsichtlich des vorgeschriebenen Mindestkapitals oder einer persönlichen Haftung der Geschäftsführer – auf solche Gesellschaften anzuwenden2.

6.25

Auch die von der niederländischen Regierung geltend gemachten Rechtfertigungsgründe (Gläubigerschutz, Bekämpfung einer missbräuchlichen Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit, Erhaltung der Wirksamkeit von Steuerkontrollen und Lauterkeit des Handelsverkehrs) sind nach Ansicht des EuGH nicht als zwingende Gründe des Allgemeininteresses anzuerkennen. Bzgl. der Vorschriften über das Mindestkapital hat der Gerichtshof bereits Zweifel, ob sie als Schutzmechanismus überhaupt geeignet sind; dieser Schutz sei jedenfalls schon dadurch gewährleistet, dass die potenziellen Gläubiger der Gesellschaft durch das Auftreten der „Inspire Art“ als Gesellschaft englischen Rechts darüber unterrichtet würden, dass die Gesellschaft hinsichtlich des Mindestkapitals und der Haftung der Geschäftsführer anderen Vorschriften 1 Restriktiver aber EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 (Cadbury-Schweppes), Slg. 2006 I, 7995, 8031 (Rz. 35, 37) = EuZW 2006, 633 = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert. 2 EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art Ltd.), Slg. 2003 I, 10155 (Rz. 95 ff.) unter Hinweis auf EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 (Centros), ZIP 1999, 438 (Rz. 18 ff.).

480 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.27 § 6

unterliege als sie das niederländische GmbH-Gesetz vorsehe. Auch für einen Rechtsmissbrauch bietet der Sachverhalt nach Ansicht des EuGH keinen hinreichenden Anhalt. Ein solcher könne insbesondere nicht schon darin gesehen werden, dass die Gründung der Gesellschaft in England u.a. den Zweck verfolgt habe, der Anwendung des strengeren niederländischen Gesellschaftsrechts zu entgehen. Denn ein Gesellschaftsgründer, der seine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat errichte, dessen Gesellschaftsrecht ihm die größte Freiheit lasse, um anschließend in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, übe damit lediglich die ihm durch den EG-Vertrag garantierte Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt aus1. ee) Die „Cartesio“-Entscheidung von 2008 Die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit seit 1999 betraf freilich jeweils nur Konstellationen, in denen der in einem Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft entweder das Recht zur Gründung einer Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat („Centros“, Rz. 6.15 ff.; „Inspire Art“, Rz. 6.22 ff.) oder die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat („Überseering“, Rz. 6.19 ff.) verweigert wurde. Nur in diesen „Zuzugsfällen“ hat der EuGH in der Diskriminierung von wirksam in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften einen Verstoß gegen die primäre bzw. sekundäre Niederlassungsfreiheit gesehen. Mit Spannung war daher die EuGH-Entscheidung im Fall „Cartesio“ erwartet worden, in dem es erstmals seit der „Daily-Mail“- Entscheidung von 1988 (Rz. 6.13 f.) wieder um die Frage ging, ob sich aus der Niederlassungsfreiheit auch ein Recht zum identitätswahrenden Wegzug von Gesellschaften aus ihrem Gründungsstaat ableiten lässt. In diesem Fall hatte eine seit 2004 im ungarischen Handelsregister eingetragene Kommanditgesellschaft bei dem für sie zuständigen Registergericht den Antrag gestellt, als neuen operativen Geschäftssitz eine Adresse in Italien ins ungarische Handelsregister einzutragen. Dieser Antrag war mit der Begründung abgelehnt worden, dass wegen der in Ungarn befolgten Sitztheorie eine dort gegründete Gesellschaft ihren Status als ungarische Gesellschaft nicht beibehalten könne, wenn sie ihren effektiven Verwaltungssitz ins Ausland verlege. In diesem Fall sei vielmehr eine Neugründung nach italienischem Recht erforderlich.

6.26

Generalanwalt Maduro sah darin eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit. Denn nationale Vorschriften, die die Verlegung des operativen Geschäftssitzes einer Gesellschaft nur innerhalb des nationalen Hoheitsgebiets erlauben, behandelten grenzüberschreitende Sachverhalte eindeutig ungünstiger als rein nationale Sachverhalte (Nr. 25). Beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts könnten die Mitgliedstaaten daher keineswegs frei über „Leben und Tod“ der nach ihrem nationalen Recht gegründeten Gesellschaften entscheiden, ohne die Auswirkungen auf die Niederlassungsfreiheit zu berücksichtigen („Cartesio“ Rz. 31). Zwar könnten zwingende Gründe des Gemeinwohls es rechtfertigen, dass der bisherige Sitzstaat die Verlegung des operativen Geschäftssitzes „seiner“ Gesellschaften in einen anderen Mitgliedstaat von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen (z.B. einer Satzungsänderung) abhängig mache. Ein Totalverbot der identitätswahrenden Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes, der die Gesellschaft zwinge, sich in diesem Fall aufzulösen und sich im neuen Sitzstaat als dortige Gesellschaft neu zu gründen, verstoße jedoch gegen Art. 43, 48 EG („Cartesio“ Rz. 33 ff.). Diese Einschätzung des Generalanwalts ist auch in der deutschen Literatur auf positive Resonanz gestoßen2.

6.27

1 EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art Ltd.), Slg. 2003 I, 10155 (Rz. 134 ff.), unter Hinweis auf EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 (Centros), ZIP 1999, 438 (Rz. 24 ff.). 2 Vgl. etwa Campos Nave, BB 2008, 1410 (1413 f.); Grohmann/Gruschinske, EuZW 2008, 463 (464).

Hausmann | 481

§ 6 Rz. 6.28 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.28

Der EuGH ist dieser Auffassung des Generalanwaltes indessen nicht gefolgt, sondern hat im Ergebnis – wie schon in der „Überseering“- Entscheidung (Rz. 6.20) angedeutet – an der in der „Daily Mail“- Entscheidung vertretenen Rechtsauffassung festgehalten, dass „eine aufgrund der nationalen Rechtsordnung gegründete Gesellschaft jenseits der nationalen Rechtsordnung, die ihre Gründung und ihre Existenz regelt, keine Realität hat“ („Cartesio“ Rz. 104). Zur Begründung wiederholt der EuGH im Wesentlichen die Argumente, mit denen er eine aus der Niederlassungsfreiheit abgeleitete Wegzugsfreiheit von Gesellschaften aus ihrem Gründungsstaat bereits in der „Daily Mail“-Entscheidung (dort Rz. 20 ff.) ausgeschlossen hatte. Er verweist namentlich auf die nach wie vor erheblichen Unterschiede im Recht der Mitgliedstaaten bezüglich der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts im Allgemeinen und der Zulässigkeit einer Verlegung des Verwaltungs- und/oder Satzungssitzes ins Ausland im Besonderen („Cartesio“ Rz. 105 ff.). EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 (Cartesio), Slg. 2008 I, 9641 = NJW 2009, 569; dazu Barthel, EWS 2010, 316; Behme, NZG 2012, 936; Bollacher, RIW 2009, 150; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58; Kindler, NZG 2009, 130 und IPRax 2009, 189; Knof/Mock, ZIP 2009, 30; Mörsdorf, EuZW 2009, 97; Teichmann, ZIP 2009, 393; Weller, IPRax 2009, 202; Wilhelmi, JZ 2009, 409 „In Ermangelung einer einheitlichen gemeinschaftsrechtlichen Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zukommt, anhand einer einheitlichen Anknüpfung, nach der sich das auf eine Gesellschaft verwendbare Recht bestimmt, ist die Frage, ob Art. 43 EG auf eine Gesellschaft anwendbar ist, die sich auf die dort verankerte Niederlassungsfreiheit beruft. ... gemäß Art. 48 EG eine Vorfrage, die beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts nur nach dem geltenden nationalen Recht beantwortet werden kann“.

6.29

Der einzelne Mitgliedstaat könne daher sowohl die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen zu werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die für die Beibehaltung dieser Eigenschaft verlangt werde. Diese Befugnis umfasse aber auch die Möglichkeit für diesen Mitgliedstaat, es einer Gesellschaft seines nationalen Rechts nicht zu gestatten, diese Eigenschaft zu behalten, wenn sie sich durch Verlegung ihres (Verwaltungs- oder Satzungs-) Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat dort neu organisieren möchte und damit die Anknüpfung löst, die das nationale Recht des Gründungsmitgliedstaats vorsieht. Mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EG sind also Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats durchaus vereinbar, die es einer nach dem nationalen Recht dieses Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft verwehren, ihren Sitz – unter Wahrung ihrer bisherigen Identität – in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen („Cartesio“ Rz. 110 ff.). Etwas anderes folge insbesondere nicht aus den Verordnungen über die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), die Europäische Gesellschaft (SE) und die Europäische Genossenschaft (SCE) (dazu Rz. 6.187 ff.)1. Denn diese könnten zwar ihren Satzungs- und Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, ohne zur Liquidation und Neugründung gezwungen zu sein, jedoch ändere sich durch die Sitzverlegung zwangsläufig das auf sie anwendbare Recht (vgl. Art. 7–9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO).

6.30

Die Grundsätze der „Cartesio“-Entscheidung hat der EuGH in seiner Entscheidung „National Grid Indus“ von 20112 ausdrücklich bestätigt. Danach ist die „Bestimmung der Voraussetzungen, deren Erfüllung ein Mitgliedstaat von einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft verlangt, damit diese ihre Eigenschaft als Gesellschaft dieses Mitgliedstaats nach der Verlegung 1 Verordnungen (EG) Nr. 2137/85, Nr. 2157/2001 und Nr. 1435/2003. 2 EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU:C:2011:785 (National Grid Indus), Slg. 2011 I, 12307 (Rz. 26) = NZG 2012, 114 = ZIP 2012, 169 = GmbHR 2012, 56; dazu auch Schall/Barth, NZG 2012, 414; Verse, ZEuP 2013, 458 (463 ff.); Weller, FS Blaurock (2013), S. 497 (519 f.).

482 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.32 § 6

ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat behalten kann“, allein Sache des Gründungsmitgliedstaats. ff) Die „Vale“-Entscheidung von 2012 Im Fall „Vale“ ging es um die grenzüberschreitende Umwandlung einer Gesellschaft italienischen Rechts in eine Gesellschaft ungarischen Rechts. Die ungarischen Behörden hatten die Eintragung der italienischen Gesellschaft als „Rechtsvorgängerin“ im Handelsregister verweigert, weil eine solche Eintragung nur für inländische Gesellschaften vorgesehen sei. Der EuGH hat darin einen Eingriff in die von Art. 49, 54 AEUV gewährte Niederlassungsfreiheit der italienischen Gesellschaft gesehen. Zwar sei Ungarn als Aufnahmemitgliedstaat befugt, das auf die Umwandlung maßgebliche Recht zu bestimmen und insoweit die Maßgeblichkeit des innerstaatlichen Rechts – z.B. hinsichtlich der Anforderungen an die Erstellung einer Bilanz und eines Vermögensverzeichnisses – vorzuschreiben. Die das Unionsrecht prägenden Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität würden es jedoch dem Aufnahmemitgliedstaat verwehren, bei grenzüberschreitenden Umwandlungen einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft Rechte zu verweigern, die inländischen Gesellschaften eingeräumt würden. Dies gelte auch für die Eintragung der die Umwandlung beantragenden italienischen Gesellschaft als „Rechtsvorgängerin“ im ungarischen Handelsregister. Der Zuzugsstaat müsse daher hinsichtlich des mit einer formwechselnden Umwandlung verbundenen Erwerbs der Rechtsfähigkeit ausländische und inländische Gesellschaften gleich behandeln.

6.31

EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 = GmbHR 2012, 860 = ZIP 2012, 1394; dazu Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481; Behme, NZG 2012, 936; Behrens, EuZW 2012, 621; Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701; Bollacher, RIW, 2012, 717; Hübner, IPRax 215, 134; Jaensch, EWS 2012, 353; Kindler, EuZW 2012, 888; Messenzehl/Schwarzfischer, BB 2012, 2072; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398; G. H. Roth, ZIP 2012, 1744; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965; Reichmann, DB 2012, 2085; Schön, ZGR 2013, 333; Teichmann, DB 2012, 2085; Verse, ZEuP 2013, 458 (476 ff.); M.-Ph. Weller, LMK 2012, 336113; Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die zwar für inländische Gesellschaften die Möglichkeit einer Umwandlung vorsieht, aber die Umwandlung einer dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegenden Gesellschaft in eine inländische Gesellschaft mittels Gründung der letztgenannten Gesellschaft generell nicht zulässt.

Auch eine grenzüberschreitende Umwandlung falle – wie eine Verschmelzung – in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV. Bei der Frage, ob eine Gesellschaft sich auf diese berufen könne, handle es sich um eine Vorfrage, die beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nur nach dem anwendbaren nationalen Recht beantwortet werden könne („Vale“ Rz. 28). Jeder Mitgliedstaat könne daher sowohl die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen zu werden, als auch die Anknüpfung, die erforderlich ist, damit diese Eigenschaft später erhalten bleibt. Die Voraussetzungen für eine rechtswirksame Umwandlung unterlägen daher zwangsläufig allein dem Recht des Aufnahmemitgliedstaats („Vale“ Rz. 29 ff.). Andererseits schränkt der EuGH das Recht der Niederlassungsfreiheit insofern ein, als diese nur solchen Gesellschaften zustehen könne, die sich im Aufnahmestaat tatsächlich angesiedelt hätten und dort auf unbestimmte Zeit mittels einer festen Einrichtung eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollten („Vale“ Rz. 34)1. Reine Briefkastenfirmen – ohne Personal, Ge1 Zu diesem realen Niederlassungsbegriff s. schon EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU: C:2006:544 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006 I, 8031 (Rz. 54) = EuZW 2006, 633 = ZIP 2006, 1817 = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert.

Hausmann | 483

6.32

§ 6 Rz. 6.32 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schäftsräume und sonstige Einrichtungen im Aufnahmestaat – genießen danach den Schutz der Art. 49, 54 AEUV nicht in jedemFall1. Dieser Grundsatz ist allerdings durch die EuGHEntscheidung in Sachen „Polbud“ (Rz. 6.34 f.) wieder relativiert worden. gg) Die „Kornhaas“-Entscheidung von 2015

6.33

In der Entscheidung Kornhaas ging es um die Frage, ob die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV der Anwendung von § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. zur Insolvenzverschleppungshaftung durch ein deutsches Gericht auf den Direktor einer Gesellschaft englischen Rechts, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, entgegensteht. In Abgrenzung zu den Entscheidungen „Überseering“ und „Inspire Art“, in denen er jeweils eine Verletzung der Niederlassungsfreiheit bejaht hatte, schließt der EuGH eine solche durch Anwendung des – zutreffend insolvenzrechtlich qualifizierten (dazu Rz. 6.174) – § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. aus. Er begrenzt den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit für die in einem Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften nach einer Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat also auf den Fortbestand ihrer Rechtsfähigkeit und auf die Fortgeltung der Mindestkapitalanforderungen des Gründungsrechts. Die Niederlassungsfreiheit schützt die umgezogene Gesellschaft und ihre Organmitglieder hingegen nicht vor der Anwendung solcher Vorschriften des Zuzugsstaates, die lediglich die Ausübung ihrer dortigen Tätigkeit regeln. Dies trifft aber typischerweise auf das Insolvenzrecht des Staates zu, in dem das COMI der Gesellschaft verortet wird. EuGH v. 10.12.2015 – C-594/14, ECLI:EU:C:2015:806 (Kornhaas), NJW 2016, 223 m. Anm. M.-P. Weller/Hübner; dazu Kindler, EuZW 2016, 136; Mankowski, NZG 2016, 281; Mock, IPRax 2016, 237 § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG a.F. betreffe „weder die Gründung einer Gesellschaft in einem bestimmten Mitgliedstaat noch ihre spätere Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat“, sondern finde erst „ nach der Gründung der Gesellschaft im Rahmen ihrer Tätigkeit Anwendung“. Daher könne die Vorschrift die Niederlassungsfreiheit nicht beeinträchtigen.

hh) Die „Polbud“-Entscheidung von 2017

6.34

Den vorläufigen Schlusspunkt zu den Auswirkungen der Niederlassungsfreiheit auf das internationale Gesellschaftsrecht bildet die Entscheidung „Polbud“, in der es – ähnlich wie im Fall „Vale“ (Rz. 6.31 f.) – wiederum um die Sitztrennung, d.h. um die Frage ging, inwieweit die Niederlassungsfreiheit Gesellschaften eine Trennung des effektiven Verwaltungssitzes vom Satzungssitz erlaubt. Konkret zu entscheiden war über die Zulässigkeit einer Verlegung des Satzungssitzes einer in Polen gegründeten Gesellschaft nach Luxemburg unter Beibehaltung des effektiven Verwaltungssitzes in Polen. Nach Ansicht des EuGH fällt auch eine solche isolierte Verlegung des Satzungssitzes von einem EU-Mitgliedstaat in einen anderen unter den Schutz der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV („Polbud“ Rz. 41). Dem stehe nicht entgegen, dass die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit weiterhin „im Wesentlichen oder ausschließlich“ im Herkunftsstaat (Polen) ausübt. Damit hat der EuGH jedenfalls für die Verlegung des Satzungssitzes einer Gesellschaft von einem in einen anderen EU-Mitgliedstaat dem „genuine link“-Erfordernis“ zum Zuzugsstaat eine Absage erteilt (vgl. auch Rz. 6.45).2 1 Böttcher/Kraft, NJW 2012, 2701 (2702 ff.); Kindler, EuZW 2012, 888 (892); Kindler, in MünchKomm, IntGesR Rz. 137; a.A. Verse, ZEuP 2013, 458 (472 f.); Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 85. 2 Kieninger, NJW 2017, 3624 (3626); Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 99 m.w.N.; krit. dazu Kindler, NZG 2018, 1 (3); Stelmazsczyk, EuZW 2017, 890 (893).

484 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.37 § 6

Damit gilt die Rechtswahlfreiheit künftig nicht nur für neu gegründete Gesellschaften, sondern auch für bereits bestehende Gesellschaften. Zwar kann die Niederlassungsfreiheit zum Schutz von Interessen der Allgemeinheit, insbesondere von Gläubigern, Gesellschaftern und Arbeitnehmern, grundsätzlich eingeschränkt werden; diesbezügliche Regelungen müssen aber verhältnismäßig sein. Diesem Verhältnismäßigkeitsgebot wird nach Ansicht des EuGH aber eine Regelung des Gründungsmitgliedstaats nicht gerecht, die im Fall der Verlegung des Satzungssitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat eine allgemeine Pflicht zur Durchführung eines Liquidationsverfahrens anordnet.

6.35

EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud), NZG 2017, 1308 m. Anm. Wachter; dazu Bärwaldt/Hoefling, DB 2017, 3051; Bayer/Schmidt, ZIP 2017, 2225; Feldhaus, BB 2017, 2819; Kindler, NZG 2018, 1; Haslinger/Mitterecker, GesR 2018, 223; Hoflehner/Hahn, RdW 2018, 207; Hushahn, RNotZ 2018, 23; Kieninger, ZEuP 2018, 309; Kindler, NZG 2018, 1; Korch/Thelen, IPRax 2018, 248; Kovács, ZIP 2018, 253; Mörsdorf, ZIP 2017, 2381; Paefgen, WM 2018, 981 und 1029; Schall, ZfPW 2018, 176 Art. 49, 54 AEUV stehen der Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, durch die die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat, durch die sie unter Einhaltung der dort geltenden Bestimmungen in eine dem Recht des anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft umgewandelt werden soll, von der Auflösung der ersten Gesellschaft abhängig gemacht wird.

d) Konsequenzen für das deutsche internationale Gesellschaftsrecht aa) Verpflichtung auf eine „europarechtliche Gründungstheorie“? Die Frage, wie sich die Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit auf das nationale Gesellschaftskollisionsrecht der Mitgliedstaaten auswirkt, ist zwischen Rechtsprechung und Teilen der Literatur nach wie vor umstritten.

6.36

Nach überwiegender Interpretation der Entscheidungsgründe in der Rechtssache „Überseering“ hat der EuGH die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit der Überseering BV nicht erst in der Verweigerung der aktiven Parteifähigkeit vor deutschen Gerichten gesehen, sondern bereits in der Nichtanerkennung der vom niederländischen Recht verliehenen und nach diesem Recht auch nach der Sitzverlegung fortbestehenden Rechtspersönlichkeit. Die Art. 49, 54 AEUV verpflichteten danach die Mitgliedstaaten nicht nur dazu, auf der sachrechtlichen Ebene die Rechts- und Parteifähigkeit der zugezogenen Gesellschaft sicherzustellen, sondern erforderten die Anerkennung der Gesellschaft auf der Ebene des Kollisionsrechts. Das nationale Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten sei mithin daran gehindert, einen Statutenwechsel anzuordnen; es habe vielmehr die Auslandsgesellschaft als solche im Inland zu akzeptieren und damit die Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts an das Gründungsrecht vorzunehmen1. Dies ergebe sich zum einen daraus, dass der EuGH für die Inanspruchnahme der Niederlassungsfreiheit „zwingend die Anerkennung dieser Gesellschaften durch alle Mitgliedstaaten“ voraussetzt, in denen sie sich niederlassen wollen („Überseering“ Rz. 59). Ferner habe er an anderer Stelle ausdrücklich betont, die Überseering BV habe „auf Grund der Art. 43 und

6.37

1 Für einen kollisionsrechtlichen Gehalt der Niederlassungsfreiheit Behrens, IPRax 2003, 193 (200 f.); Campos Nave, BB 2008, 1410 (1411); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2238 ff.); Forsthoff, BB 2002, 318 (321); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2476); Großerichter, DStR 2003 1 (15) und 159 (166 f.); von Halen, WM 2003, 571 (575 f.); Heidenhain, NZG 2002, 1141 (1142); Horn, NJW 2004, 893 (896); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930 f.); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (926); Lutter, BB 2003, 7 (9); Weller, IPRax 2009, 201 (204 f.); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 6.

Hausmann | 485

§ 6 Rz. 6.37 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Art. 48 EG das Recht, als Gesellschaft niederländischen Rechts in Deutschland von ihrer Niederlassungsfreiheit Gebrauch zu machen“ (dort Rz. 80) und ihre Existenz hänge „untrennbar mit ihrer Eigenschaft als Gesellschaft niederländischen Rechts“ zusammen, so dass die Anordnung eines Statutenwechsels und die Verpflichtung zur Neugründung im Zuzugsstaat „der Negierung der Niederlassungsfreiheit“ gleich käme (dort Rz. 81). Mit diesen Aussagen habe der EuGH daher die Sitztheorie selbst, nicht nur ihre Auswirkungen für unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit erklärt.

6.38

Dieser Interpretation hat sich auch der VII. Zivilsenat des BGH in seiner Abschlussentscheidung in der Rechtssache „Überseering“ angeschlossen. Nach Ansicht des Senats ist die Auslegung der Art. 43, 48 EG durch den EuGH für die nationalen Gerichte bindend und zwinge zu einer Rechtsanwendung, die nicht zu der beanstandeten Beschränkung der Niederlassungsfreiheit führt. Dieses Ziel lasse sich aber nicht damit erreichen, dass die Überseering BV nach der Verlegung ihres Verwaltungssitzes ins Inland nach ihrem nunmehrigen Sitzrecht jedenfalls als rechtsfähige Personengesellschaft behandelt werde, die als solche aktiv und passiv parteifähig sei. Denn die Gesellschaft habe ihre Rechte nicht als Personengesellschaft geltend gemacht und eingeklagt, sondern als niederländische BV. Sie habe damit als solche von ihrer durch den EG-Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht und könne deshalb nicht auf ihre Möglichkeiten als nach deutschem Recht anerkannte Personengesellschaft verwiesen werden, weil sie damit in eine mindere Gesellschaftsform mit besonderen Haftungsrisiken gedrängt werde1. BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (188 ff.) = NJW 2003, 1461 (m. Aufs. Schulz, NJW 2003, 2705) = IPRax 2003, 344 (m. zust. Anm. Weller, IPRax 2003, 324) = RIW 2003, 474 (m. Aufs. Merkt, RIW 2003, 458) = JZ 2003, 525 m. Anm. Eidenmüller = DB 2003, 986 (m. Anm. Forsthoff, DB 2003, 979) = GmbHR 2003, 527 m. Anm. Stieb = ZIP 2003, 718 (m. Anm. Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925)

In den Niederlanden gegründete Kapitalgesellschaft (BV) sei nach Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes nach Deutschland „nach deutschem internationalen Gesellschaftsrecht hinsichtlich ihrer Rechtsfähigkeit dem Recht des Staates zu unterstellen, in dem sie gegründet worden ist“ und sei damit in Deutschland als juristische Person des niederländischen Rechts parteifähig.

6.39

Dieses Verständnis der Niederlassungsfreiheit im Sinne einer Verpflichtung, das Personalstatut der in einem Mitgliedstaat der EU gegründeten Gesellschaften insgesamt nach deren Gründungsrecht zu beurteilen, wird auch von dem für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Zivilsenat des BGH2, dem BAG3 und der seitherigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte4 geteilt. 1 Zust. außer den in der vorigen Fn. Genannten etwa Bayer, BB 2003, 2357 (2362); Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (255); Ebke, JZ 2003, 925 (928); Kersting, NZG 2003, 9 ff.; Meilicke, GmbHR 2003, 793 (799 ff.); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (123); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (32 f.); Schulz, NJW 2003, 2705 (2706); Weller, IPRax 2003, 324 (326); Wernicke, EuZW 2002, 758 (761); Wertenbruch, NZG 2003, 618 ff.; Zimmer, BB 2003, 1 (4 f.); Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 109 ff. m.w.N. 2 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 = RIW 2005, 542 m. Anm. Leible/Hoffmann = ZIP 2005, 805; BGH v. 11.1.2011 – II ZR 157/09, NJW 2011, 844 (Rz. 16) = GmbHR 2011, 301 m. Anm. Bormann/Hösler; dazu Haas/Vogele, NZG 2011, 455; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, NJW 2011, 3372 = GmbHR 2011, 1094 m. Anm. Werner. Ebenso der V. und der IX. Zivilsenat, vgl. BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, BGHZ 198, 14 = NJW 2013, 3656 (Rz. 11) = ZIP 2013, 2173; BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, BGHZ 190, 364 = NJW 2011, 3784 (Rz. 22) = IPRax 2012, 251 (m. Anm. Wedemann IPRax 2012, 226) = GmbHR 2011, 1087 m. Anm. Blöse. Vgl. auch BGH v. 13.4.2010 – 5 Str 428/09, GmbHR 2010, 810 m. Anm. Mankowski/Bock (Virgin Islands). 3 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, ZIP 2013, 1982 (Rz. 40) = NZI 2013, 758 m.w.N. 4 Vgl. etwa OLG Hamm v. 27.1.2006 – 12 U 108/05, NJW-RR 2006, 1631; OLG München v. 7.3.2007 – 31 Wx 92/06, GmbHR 2007, 979 m. Anm. Wachter = DNotZ 2007, 866 (867); OLG

486 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.41 § 6

Für diejenigen Mitgliedstaaten, die – wie die Bundesrepublik Deutschland – in ihrem autonomen internationalen Gesellschaftsrecht bisher der Sitztheorie folgten, führt die h.M. daher zu einer Spaltung des Gesellschaftskollisionsrechts1. Neben die fortgeltende Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz in Drittstaatsfällen (dazu Rz. 6.46 ff.) und die Anknüpfung an das Gründungsrecht kraft staatsvertraglicher Verpflichtung (dazu Rz. 6.58 ff.) tritt die sog. „europarechtliche Gründungstheorie“2. Danach ist die Existenz von Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der EU gegründet wurden, von Gerichten und Behörden anderer Mitgliedstaaten nach dem Recht des Gründungsstaates zu beurteilen3. Diese Anknüpfung gilt nicht nur für Gesellschaften, die sowohl ihren Satzungssitz als auch ihren effektiven Verwaltungssitz in der Europäischen Union haben; auf die Niederlassungsfreiheit – und damit auf die Anknüpfung an das Gründungsrecht – können sich vielmehr gem. Art. 54 AEUV alle Gesellschaften berufen, die entweder ihren satzungsmäßigen Sitz oder ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung in einem Mitgliedstaat der Union haben. Erfasst werden damit auch Gesellschaften, die lediglich in einem Mitgliedstaat gegründet wurden, ihren effektiven Verwaltungssitz aber in einem Drittstaat haben („pseudo EU corporations“) (vgl. Rz. 6.79 ff.)4.

6.40

Die europarechtliche Verpflichtung zur Anknüpfung an das Gründungsrecht gilt für alle Gesellschaften, die im zur EU gehörenden – auch außereuropäischen – Territorium (Art. 355 AEUV)5, darüber hinaus aber auch in einem Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums (Norwegen, Island, Liechtenstein) gegründet wurden. Auch sie sind im Inland selbst dann anzuerkennen, wenn sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz von Anfang an hier hatten und auf diese Weise die deutschen Gründungsvorschriften bewusst umgangen haben6.

6.41

BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 148 (151) = NJW 2005, 3351 = RIW 2005, 945 m. Anm. Leible/Hoffmann = BB 2005, 2373 (m. Aufs. Binz/Sorg, BB 2005, 2361) = GmbHR 2005, 1483 m. Anm. Wachter; dazu Weller, ZGR 2006, 748

1 2 3

4 5 6

Thüringen v. 22.8.2007 – 6 W 244/07, RIW 2007, 864; OLG Nürnberg v. 10.8.2007 – 13 U 1097/ 07, GmbHR 2008, 41 m. Anm. Werner = NZG 2008, 76; OLG Hamm v. 11.4.2014 – I-12 U 142/ 13, GmbHR 2014, 1156 = NZG 2014, 703; OLG Karlsruhe DNotZ 2018, 010 (Rz. 16); OLG Düsseldorf v. 19.7.2018 – 6 U 122/16, BeckRS 2018, 26389 (Rz. 60). Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 10; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 42; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 123 ff. Zu diesem Begriff Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930); krit. Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (665), die den Begriff „europarechtlich moderierte Kontrolltheorie“ vorziehen. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2472 f.); Geyrhalter/Gänßler, NZG 2003, 409 (411); Kieninger, ZEuP 2004, 685 (692); Knapp, DNotZ 2003, 85 (92); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930 ff.); Paefgen, WM 2003, 561 (567); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (33 f.); Weller, IPRax 2003, 324 (328); Weller, DStR 2003, 1800 (1803); Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 19 ff. Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (932) unter Hinweis auf Rz. 20 der „Centros“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.15 ff.). Voraussetzung ist freilich, dass der Gründungsstaat auch in seinem nationalen Kollisionsrecht die Gründungstheorie befolgt. Vgl. Mäsch in BeckOK BGB, Anh.II zu Art.12 EGBGB Rz. 19. Vgl. Art. 32, 34 des EWR-Vertrages (ABl. EG 1994 Nr. L 1, S. 3); zust. OLG Frankfurt a.M. v. 28.5.2003 – 23 U 35/02, IPRax 2004, 56 (m. Anm. Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26); FG Rheinland-Pfalz v. 14.3.2005 – 4 K 1590/03, ZEV 2005, 450 m. Anm. Werkmüller; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244); Franz/Laeger, BB 2008, 678 (680); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (927); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (798); Weller, IPRax 2003, 324 (328); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 111. Vgl. auch BFH v. 26.4.2001 – V R 50/99, NZG 2002, 103; a.A. LG Nürnberg-Fürth v. 6.11.2003 – 3 HK O 7267/02, DB 2003, 2765 = IPRspr. 2003 Nr. 21.

Hausmann | 487

§ 6 Rz. 6.41 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis Zur Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit einer liechtenstein. AG trotz effektiven Verwaltungssitzes in Deutschland.

6.42

Auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EG können sich auch nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern in gleicher Weise Personenhandelsgesellschaften berufen1. Auch in anderen Mitgliedstaaten der EU gegründete Personengesellschaften sind daher nach den Grundsätzen der „Überseering“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.19 ff.) im Inland anzuerkennen, weil der Rechtsform der Gesellschaft aus der Sicht des europäischen Unionsrechts keine Bedeutung zukommt2. Hingegen kann sich ein im EU-Ausland gegründeter Idealverein im Falle der Verlegung seines Verwaltungssitzes in die Bundesrepublik Deutschland nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen3; für ihn bleibt es daher bei der Geltung der Sitztheorie. bb) Beschränkung auf die Vermeidung bestimmter Auswirkungen der Sitztheorie

6.43

Dieses Verständnis der Niederlassungsfreiheit im Sinne einer „eigenständigen europäischen Kollisionsnorm“ beruht indessen auf einer zu einseitig an gewissen Formulierungen der „Überseering“-Entscheidung (Rz. 6.19 ff.) ausgerichteten Interpretation der EuGH-Rechtsprechung, die zudem durch spätere Entscheidungen relativiert worden ist. Der EuGH war weder in dieser Entscheidung noch in seiner sonstigen Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit aufgefordert, grundsätzliche Aussagen zum internationalen Gesellschaftsrecht einzelner Mitgliedstaaten zu treffen; dies ist auch nicht seine Aufgabe4. Der Gerichtshof hat daher auch in der Rechtssache „Überseering“ nicht die Sitztheorie schlechthin verworfen, sondern nur gewisse Auswirkungen der Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz für unvereinbar mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV erklärt5. Wie Generalanwalt Maduro in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache „Cartesio“ (Rz. 6.26 ff.) zutreffend formuliert hat, steht es „den Mitgliedstaaten nach derzeitigem Stand des Gemeinschaftsrechts frei, ob sie ihr Regelungssystem auf die Theorie des tatsächlichen Sitzes oder auf die Gründungstheorie stützen“. Die wirksame Ausübung der Niederlassungsfreiheit erfordere jedoch „einen gewissen Grad gegenseitiger Anerkennung und Koordinierung der unterschiedlichen Rechtssysteme“. Deshalb könne „keine Theorie bis in die letzte Konsequenz angewandt werden“6. In diesem Punkt ist auch der EuGH in der „Cartesio“- Entscheidung dem Generalanwalt ausdrücklich gefolgt. Denn die tragende Begründung des Gerichtshofs zur Ablehnung einer Wegzugsfreiheit von Gesellschaften unter Wahrung ihrer Identität beruht gerade auf den noch bestehenden Rechtsunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Anknüpfung des Gesellschaftsstatuts und der Möglichkeiten einer nachträglichen Änderung dieser Anknüpfung

1 Unstreitig, vgl. Wertenbruch, NZG 2003, 618 (619); Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 f.; Zimmer/Naendrup, BB 2009, 545 (548), jeweils m.w.N. 2 Wertenbruch, NZG 2003, 618 (619); Schanze/Jüttner, AG 2003, 661 (665); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 22; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 282 ff. m.w.N. Vgl. auch die Rechtssache „Cartesio“ (Rz. 6.26 ff.), bei der es um die Wegzugsfreiheit einer ungarischen KG ging; a.A. noch Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (933 f.) mit dem Argument, die Anknüpfung an das Gründungsrecht sei im IPR der Personengesellschaften ein „Fremdkörper“. 3 OLG Zweibrücken v. 27.9.2005 – 3 W 170/05, NZG 2005, 1019 = ZEuP 2007, 324 m. Anm. Behrens. 4 Kindler, NJW 2003, 1073 (1076 ff.); Kindler, in MünchKomm, IntGesR Rz. 124, 146 ff.; krit. auch Eidenmüller/Rehm, § 2 Rz. 66 ff. 5 Vgl. Mansel, RabelsZ 70 (2006), 651 (671 ff.); Schanze/Jüttner, AG 2003, 665; Ulmer, NJW 2004, 1201 (1205); dazu näher Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 146 ff. mit weiteren Argumenten. 6 Schlussanträge v. 22.5.2005 – C-210/06 Rz. 30.

488 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.45 § 6

(Cartesio Rz. 105). Die Mitgliedstaaten sind also – wie der EuGH ausdrücklich klarstellt (Cartesio Rz. 110) – völlig frei in ihrer Entscheidung, ob sie das Gesellschaftsstatut der auf ihrem Territorium gegründeten Gesellschaften mit Hilfe der Sitz- oder der Gründungstheorie bestimmen wollen1 und welche Anforderungen sie an die Verlegung des Satzungs- und/oder Verwaltungssitzes „ihrer“ Gesellschaften in einen anderen Mitgliedstaat stellen wollen2. Damit entscheidet also allein der Gründungsstaat einer Gesellschaft darüber, unter welchen Voraussetzungen diese Gesellschaft i.S.v. Art. 54 AEUV einer natürlichen Person gleich steht und damit überhaupt in den Genuss der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV kommt3; gleichermaßen steht es dem Gründungsstaat frei, den auf seinem Territorium gegründeten Gesellschaften die Rechtsfähigkeit und damit den Schutz durch Art. 49, 54 AEUV wieder zu entziehen, wenn sie ihren Verwaltungs- oder Satzungssitz ins Ausland verlegen4. Die Niederlassungsfreiheit schränkt damit nur das Kollisionsrecht des Aufnahme-/Zuzugsstaates ein (zu der erforderlichen Unterscheidung zwischen Zuzug und Wegzug auch Rz. 6.97 ff.). Insoweit läuft die vom EuGH in der Entscheidung „Überseering“ (Rz. 6.19 ff.) betonte Verpflichtung des Zuzugsstaates, die Rechts- und Parteifähigkeit sowie die Haftungsverfassung einer in einem anderen Mitgliedstaat der EU wirksam gegründeten Gesellschaft nach Maßgabe ihres Gründungsrechts anzuerkennen, freilich im Ergebnis auf eine Verpflichtung zur kollisionsrechtlichen Anknüpfung an das Gründungsrecht hinaus. An dieser Anknüpfung hat der II. Zivilsenat auch nach der „Cartesio“-Entscheidung des EuGH5 ausdrücklich festgehalten. Denn in dieser Entscheidung habe der Gerichtshof nur das Recht des Herkunftsstaats bekräftigt, die Voraussetzungen festzulegen, die eine Gesellschaft erfüllen muss, um als eine nach seinem Recht gegründete Gesellschaft die Niederlassungsfreiheit zu erlangen und zu behalten. Für den Aufnahmestaat ergebe sich daraus keine Relativierung der auf die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit gestützten Vorgaben, die in der Gründungstheorie ihren Ausdruck gefunden hätten.6 Der Senat hat daraus den Schluss gezogen, dass die ausschließliche Zuständigkeit für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten nach Art. 24 Nr. 2 Brüssel Ia-VO mit Hilfe der Gründungstheorie zu bestimmen sei, wenn die Gesellschaft in einem EU-Mitgliedstaat gegründet worden sei. Der für die Zuständigkeit maßgebliche Sitz der Gesellschaft sei dann grundsätzlich der im Herkunftsstaat bestehende Satzungssitz7.

6.44

Die Anwendung der Gründungstheorie auf Auslandsgesellschaften, die in einem EU-Mitgliedstaat gegründet wurden, hängt nach Ansicht des II. Zivilsenats auch nicht davon ab, ob ein über den reinen Registertatbestand hinausgehender realwirtschaftlicher Bezug zum Grün-

6.45

1 Ebenso zuletzt noch EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud), NZG 2017, 1308 (Rz. 34) m. Anm. Wachter: „Mangels Vereinheitlichung im Unionsrecht fällt die Definition der Anknüpfung, die für das auf eine Gesellschaft anwendbare nationale Recht maßgeblich ist, gem. Art. 54 AEUV in die Zuständigkeit jedes einzelnen Mitgliedstaats“. Vgl. zu dieser „Kollisionsrechtsneutralität“ der Art. 49, 51 AEUV auch Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 152 ff. m.w.N. 2 Zutr. Kindler, IPRax 2009, 189 (191). 3 Weller, IPRax 2009, 201 (205 f.). 4 Dies hat der EuGH auch in den Entscheidungen „National Grid Indus“ (Rz. 6.30) und „Vale“ (Rz. 6.31 f.) ausdrücklich bekräftigt. 5 EuGH v. 16.12.2008 – C-210/06, ECLI:EU:C:2008:723 (Cartesio), Slg. 2008 I, 9641 (Rz. 6.26 ff.). 6 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 (Rz. 18) = NJW 2011, 3372 = GmbHR 2011, 1094 m. Anm. Werner. 7 BGH v. 12.7.2011 (vorige Fn., Rz. 23 ff.).

Hausmann | 489

§ 6 Rz. 6.45 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

dungsstaat („genuine link“) gegeben ist1. Etwas anderes folge auch nicht aus der EuGH-Entscheidung „Cadbury Schweppes“2. Nach dieser Entscheidung kann zwar eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den Herkunftsstaat gerechtfertigt sein, die darauf abzielt, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen zu verhindern, die nur den Zweck verfolgen, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet wird. Denn die Niederlassungsfreiheit solle die Eingliederung in den Aufnahmemitgliedstaat ermöglichen und setze daher eine tatsächliche Ansiedlung der Gesellschaft in diesem Staat und die dortige Ausübung einer realen wirtschaftlichen Tätigkeit voraus3. Demgegenüber betrifft die Forderung nach einem „genuine link“ nicht die wirtschaftliche Tätigkeit im Aufnahmestaat, sondern eine (zusätzliche) realwirtschaftliche Präsenz im Herkunftsstaat. Außerdem ist sie auf eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch den Aufnahmestaat gerichtet, nicht durch den Herkunftsstaat, der hierzu in weiterem Umfang befugt wäre. Danach bestimmt sich der aus der Niederlassungsfreiheit folgende Schutz einer Auslandsgesellschaft vor Beschränkungen durch den Aufnahmestaat weiterhin nach den EuGH-Entscheidungen „Centros“ und „Inspire Art“4. cc) Fortgeltung der Sitztheorie in Drittstaatsfällen

6.46

Die vom EuGH errichteten Schranken für die Anknüpfung an das Recht des effektiven Verwaltungssitzes von Gesellschaften in Zuzugsfällen dienen der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV. Die hiernach u.U. gebotene Anwendung des Gründungsrechts für bestimmte das Personalstatut der Gesellschaft betreffenden Aspekte beschränkt sich deshalb auf den Geltungsbereich des AEUV und des EWR-Abkommens. Zwar wird im Anschluss an die Entscheidungen des EuGH in Sachen „Überseering“ und „Inspire Art“ im Interesse einer einheitlichen Anknüpfung und zur Vermeidung der mit einer gespaltenen Anknüpfung verbundenen Abgrenzungsprobleme zum Teil für eine gänzliche Aufgabe der Sitztheorie und den Übergang zur Gründungstheorie auch in Drittstaatsfällen plädiert5. Die unterschiedliche kollisionsrechtliche Beurteilung von Binnenmarkt- und Drittstaatsfällen ist indessen sachlich gerechtfertigt, weil den Gefahren der Gründungstheorie – Flucht in das Gesellschaftsrecht mit den laxesten Anforderungen („Delaware-Effekt“) – innerhalb der EU durch eine Harmonisierung des materiellen Gesellschaftsrechts gesteuert werden kann, die

1 Ebenso schon BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 = ZIP 2005, 805; zust. Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 83 ff.; a.A. Kindler, NZG 2010, 578 (578) und EuZW 2012, 888 ff. 2 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006 I, 7995 = NZG 2006 = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert, 835. 3 EuGH v. 12.9.2006 (vorige Fn., Rz. 51 ff.); ebenso EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU: C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 (Rz. 34) = ZIP 2012, 1394 m. Anm. Mörsdorf/Jopen. 4 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = NJW 2011, 3372 (Rz. 19 ff.) = GmbHR 2011, 1094 m. Anm. Werner; a.A. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 129 f. 5 Vgl. i.d.S. etwa Balthasar, RIW 2009, 221 (223 ff.); Behrens, IPRax 2003, 193 (205 f.); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2244); Eidenmüller, JZ 2003, 526 ff.; Forsthoff, DB 2002, 2471 (2476); Jung, NZG 2008, 681 (684); Kieninger, ZEuP 2004, 685 (702 f.); Kieninger, NJW 2009, 292 f.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (935 f.); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (930); Lieder/Kliebisch, BB 2009, 938 (340); Paefgen, WM 2003, 561 (570); Paefgen, DZWiR 2003, 441 (446); Schulz, NJW 2003, 2705 (2706 f.); Zimmer, ZHR 168 (2004), 355 (365); zust. AG Ludwigsburg v. 20.7.2006 – 1 IN 536/05-s, ZIP 2006, 1507; OLG Hamm v. 26.5.2006 – 30 U 166/05, ZIP 2006, 1822 = GmbHR 2006, 1163. Dazu auch den Reformvorschlag des BMJ von 2008, Rz. 6.66 ff.

490 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.47 § 6

Missbräuchen der Niederlassungsfreiheit vorbeugt1. Entsprechende Instrumente fehlen in Drittstaatsfällen. Besondere Rechtsanwendungsprobleme wirft die für das gesamte Europarecht charakteristische Differenzierung zwischen Binnenmarktsachverhalten und Drittstaatsfällen nicht auf; zudem wäre ein durch höherrangiges Recht nicht geforderter Übergang der Rechtsprechung von der gewohnheitsrechtlich verfestigten Sitz- zur Gründungstheorie auch im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG bedenklich2. Deshalb muss der Abschied von der Sitztheorie im Verhältnis zu Drittstaaten dem – nationalen oder europäischen – Gesetzgeber vorbehalten bleiben und sollte erst dann erfolgen, wenn über die erforderlichen Schranken zum Schutz des inländischen Rechtsverkehrs Klarheit besteht3. Damit gilt die Sitztheorie für die Beurteilung der Rechtsverhältnisse von außerhalb der EU bzw. des EWR gegründeten Gesellschaften fort4. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 („Trabrennbahn“), BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 (293 f.) m. Anm. Kieninger = IPRax 2009, 259 (m. Anm. Kindler, IPRax 2009, 189 und Weller, IPRax 2009, 202) = DNotZ 2009, 385 m. Anm. Thölke = DStR 2009, 59 m. Anm. Goette; dazu Gottschak, ZIP 2009, 948. Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit einer schweiz. AG nach Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes nach Deutschland abgelehnt; Zulässigkeit der von der AG erhobenen Mietzinsklage dennoch bejaht, weil die Gesellschaft als deutsche OHG oder GbR zu behandeln sei.

Der effektive Verwaltungssitz von Gesellschaften, die in einem Drittstaat gegründet wurden, bestimmt auch die internationale Zuständigkeit für Streitigkeiten solcher Gesellschaften in gesellschaftsrechtlichen Fragen5.

1 Vgl. den Aktionsplan der EU-Kommission zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance v. 21.5.2003, Beil. zu NZG 2003, Heft 13; Kersting, NZG 2003, 9 ff.; Zimmer, RabelsZ 67 (2003), 298 (310). 2 M.-Ph. Weller, IPRax 2009, 201 (206 f.); a.A. Koch/Eickmann, AG 2009, 73 (74); Balthasar, RIW 2009, 221 ff.; Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338 (343). 3 So auch Bayer, BB 2003, 2357 (2363 f.); Ebke, JZ 2003, 927 (929 f.); Horn, NJW 2004, 893 (897); Kindler, AG 2007, 721 (726); Wachter, GmbHR 2005, 1484 (1485); Weller, IPRax 2003, 324 (328); Weller, ZGR 2006, 748 (765); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 145, 423 ff; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 10; zum Reformvorschlag des BMJ von 2008 s. Rz. 6.66 ff. 4 Anders noch die Vorinstanz OLG Hamm v. 26.5.2006 – 30 U 166/05, GmbHR 2006, 1163 = BB 2006, 2487 (2488 f.) m. Anm. Wachter. Für Anwendung der Sitztheorie in Drittstaatsfällen schon zuvor BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 = ZIP 2003, 720 = IPRax 2003, 265 (m. Anm. Weller, IPRax 2003, 324) (USA); OLG Zweibrücken v. 20.10.2000 – 3 W 171/00, ZIP 2000, 2172 = NJW-RR 2001, 341 (Costa Rica); BayObLG v. 20.2.2003 – 1Z AR 160/02, DB 2003, 819 (Sambia); KG v. 11.2.2005 – 5 U 291/03, ZIP 2005, 989 = GmbHR 2005, 771 m. Anm. Grohmann/ Gruschinske, OLG Köln v. 31.1.2006 – 22 U 109/05, ZIP 2007, 935 = IPRax 2007, 530 (m. Anm. Thole, IPRax 2007, 519) (Südafrika); OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, ZIP 2007, 1108 = GmbHR 2007, 763 m. Anm. Ringe (Isle of Man); AG Berlin-Mitte v. 3.3.2005 – 13 C 3317/04, NJW-RR 2005, 758 (Isle of Man). Ebenso zuletzt wieder BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385 (Singapur); BGH v. 29.6.2010 – VI ZR 122/09, NZG 2010, 909 (Rz. 21) (Türkei); OLG Düsseldorf v. 17.2.2015 – 2 U 53/04, IPRspr. 2015 Nr. 185 (Schweiz). Zust. Ebke, JZ 2003, 927 (930); Horn, NJW 2004, 893 (897); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (933); Mankowski, RIW 2005, 481 (486); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (798); Wachter, BB 2006, 2489 (2490); Weller, DStR 2003, 1800 (1803); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 10; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 20; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz.115 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 423 ff. m.w.N.; a.A. Sandrock, BB 1999, 1337 (1344); krit. auch Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 23. 5 BGH v. 15.3.2010 – II ZR 27/09, NZG 2010, 712 (Rz. 15) = ZIP 2010, 1003 (Schweiz).

Hausmann | 491

6.47

§ 6 Rz. 6.48 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.48

In Drittstaatsfällen verstößt die gewohnheitsrechtliche Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft auch nicht gegen die Grundsätze der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)1. Hingegen ist dem zwingenden Richtlinienrecht der EU bei hinreichend starkem Bezug des Sachverhalts zu einem Mitgliedstaat– entsprechend der sog. „Ingmar-Doktrin“ des EuGH2 – auch im Falle der Betätigung drittstaatlicher Gesellschaften innerhalb der EU Rechnung zu tragen3. dd) Auswirkungen des Brexit

6.49

Nach dem Austrittsabkommen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU vom 24.1.20204 galt das Unionsrecht für den Zeitraum vom 1.2.2020 bis zum 31.12.2020 für das Vereinigte Königreich fort und das Vereinigte Königreich war weiterhin als EU-Mitgliedstaat zu behandeln. Diese Behandlung ist mit dem 31.12.2020 entfallen. Seither gilt für das Vereinigte Königreich weder das primäre noch das sekundäre EU-Recht. Die Rechtsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wurden stattdessen in dem Handels-und Kooperationsabkommen vom 24.12.2020 geregelt5.

6.49a

Daraus folgt, dass jedenfalls seit dem 1.1.2021 im Vereinigten Königreich neu gegründete Gesellschaften sich nicht mehr auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV berufen können. Für sie gilt nicht mehr die „europäische Gründungstheorie“, sondern sie werden nach den gleichen Grundsätzen wie andere drittstaatliche Gesellschaften behandelt. Es gilt mithin die Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz6. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem genannten Handels- und Kooperationsabkommen vom 24.12.2020, demzufolge im Vereinigten Königreich gegründete Gesellschaften in den übrigen Mitgliedstaaten nur anzuerkennen sind, wenn sie im Vereinigten Königreich auch eine nachhaltige Geschäftstätigkeit („substantive business operations“) ausüben. Als private Limiteds gegründete englische Briefkastengesellschaften unterliegen daher ausschließlich dem deutschen Recht, wenn sie ihre Geschäftstätigkeit schwerpunktmäßig in Deutschland ausüben7. Da das Handels- und Kooperationsabkommen auch bereits vor dem 1.1.2021 gegründeten britischen Gesellschaften keinen Bestandsschutz gewährt, haben auch diese ihren Status als wirksam in einem EU-Mitgliedstaat gegründete Gesellschaften an diesem Stichtag verloren. Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes gebieten keine andere Lösung. Damit ist für solche Alt-Limiteds mit effektivem Verwaltungssitz im Inland am 1.1.2021 ein Statutenwechsel zum deutschen Recht eingetreten, unter dem diese Gesellschaften nur als oHG oder GbR fortbestehen8.

1 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), BGHZ 178, 192 (Rz. 18) = NJW 2009, 289 m. Anm. Kieninger = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter; von Bar, BerDGesVölkR 33 (1994), 200; Bungert, EWS 1993, 17 ff.; Ebenroth/Auer, JZ 1993, 376; Engel, ZEuP 1993, 150 (158); Großfeld/ Erlinghausen, JZ 1993, 219; S. Schmidt, DZWiR 1992, 448 (451); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 145 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 505; a.A. – unter Hinweis auf Cass. civ. v. 12.11.1990, D. 1992. I. 29 – Anm. Bouloc/Meilicke, RIW 1992, 578. 2 EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98. ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar), Slg. 2000 I, 9325 = IPRax, 2001, 225 (m. Anm. Jayme, IPRax 2001, 190) = BB 2001, 9 m. Anm. Kindler. 3 Kindler, IPRax 2009, 189 (190). 4 ABl. 2020 L 29, S. 7. 5 ABl. 2020 L 444, S. 14. 6 Grzeszick/Verse, NZG 2019, 1129 (1130); Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 305.. 7 Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 311 ff. 8 Weller/Thomale/Zwirlein, ZEuP 2018, 892 (904 ff.); ausführlich dazu Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 314 ff., 334 ff. m.w.N.

492 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.52 § 6

e) Schranken der Niederlassungsfreiheit aa) Öffentliche Ordnung Wie andere Grundfreiheiten wird auch die Niederlassungsfreiheit nicht schrankenlos gewährt. Als Grundlage für eine zulässige Beschränkung kommen der ordre public nach Art. 52 AEUV, das Verbot des Rechtsmissbrauchs sowie zwingende Gründe des Gemeinwohls in Betracht1.

6.50

Nach Art. 52 AEUV ist eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit „aus Gründen der öffentlichen Ordnung“ gerechtfertigt. Dieser Rechtfertigungsgrund wird vom EuGH allerdings sehr restriktiv ausgelegt und hat deshalb nur geringe praktische Bedeutung2. Danach lassen sich insbesondere Eingriffe in die Niederlassungsfreiheit zum Schutze öffentlicher oder privater Gläubiger sowie zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern, abhängigen Gesellschaften oder Arbeitnehmerinteressen nicht auf Art. 52 AEUV stützen3.

6.51

bb) Rechtsmissbrauch Der EuGH hat ferner klargestellt, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV nur in Ausnahmefällen als rechtsmissbräuchlich gewertet werden kann. Hierfür reicht insbesondere das sog. „statute shopping“ nicht aus. Auch wenn die Gründung einer Gesellschaft in einem bestimmten Mitgliedstaat nur dem Ziel dient, in den Genuss vorteilhafterer Rechtsvorschriften zu kommen, liegt darin kein Rechtsmissbrauch, sondern eine legitime Ausübung der Niederlassungsfreiheit; dies gilt auch dann, wenn die Gesellschaft ihre Tätigkeit ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat ausübt. Insbesondere die Umgehung zwingender Vorschriften zum Schutz der Gläubiger – z.B. über Kapitalaufbringung oder Mindestkapital – im Tätigkeitsstaat der Gesellschaft begründet einen solchen Missbrauch nicht4. 1 Vgl. Sandrock, ZVglRW 102 (2003), 447 ff.; Ebke, JZ 2003, 927 ff.; ausf. Kindler in MünchKomm IntGesR Rz. 434 ff. 2 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 445. 3 Vgl. EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art), NJW 2003, 3331 (Rz. 131) = GmbHR 2003, 1260 m. Anm. Meilicke, wonach sich die von der niederländ. Regierung vorgebrachten Argumente zum Schutz der Gläubiger vor „formal ausländischen Gesellschaften“ nicht auf Art. 46 EG beziehen; ferner Sandrock, ZVglRW 102 (2003), 447 ff.; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 8. 4 Vgl. EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 (Centros), NJW 1999, 2027 (Rz. 24 ff.) = MDR 1999, 752 m. Anm. Risse; EuGH v. 30.9.2003 (vorige Fn., Rz. 96 ff., 136 ff.); EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud), NZG 2017, 1308 (Rz. 40) m. Anm. Wachter; zust. BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, ZIP NJW 2005, 1648 (1649) = GmbHR 2005, 630; BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 149 (153) = GmbHR 2005, 1483 m. Anm. Wachter = MDR 2006, 105 m. Anm. Haack (153); BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 (Rz. 22) = NJW 2011, 3372 = GmbHR 2011, 1094 m. Anm. Werner; OLG Hamm v. 27.1.2006 – 12 U 108/05, NJW-RR 2006, 1631; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (805); Sandrock, BB 2003, 2588 (2589); M.-Ph. Weller, IPRax 2003, 520 (522 ff.); für weitergehende Missbrauchskontrolle aber Forsthoff, DB 2003, 979 (981); von Halen, WM 2003, 571 (577); Kindler, NJW 2003, 1073 (1075), sowie – mit Einschränkungen – auch Bayer, BB 2003, 2357 (2364); a.A. AG Hamburg v. 14.5.2003 – 67g IN 358/02, ZIP 2003, 1008 = IPRax 2003, 534 (535) (m. abl. Anm. M.-Ph. Weller, IPRax 2003, 520) = DStR 2003, 1763 m. abl. Anm. Lürken = NZI 2003, 442 m. abl. Anm. Mock/Schildt (Haftungsbeschränkung für die Gesellschafter einer engl. Private Ltd. Company, die ausschließlich in Deutschland operiert hat, mit dem Argument abgelehnt, die Gesellschaft sei nicht mit hinreichendem Kapital ausgestattet worden. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Umstände auf „eine rechtsmissbräuchliche Auslandsgründung als reine Briefkastengesellschaft“ schließen ließen.).

Hausmann | 493

6.52

§ 6 Rz. 6.53 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.53

Erforderlich ist vielmehr eine missbräuchliche Berufung auf Unionsrecht in einem konkreten Einzelfall. Dies ist etwa dann der Fall, wenn ein Inländer, dem die Ausübung eines Gewerbes untersagt worden ist, sich der ausländischen Gesellschaft bedient, um die ihm untersagte Tätigkeit trotzdem im Inland auszuüben1. Nach der neueren Rechtsprechung des EuGH kann aber auch die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit durch eine reine Stroh- oder Briefkastenfirma, die im Aufnahmemitgliedstaat keine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet, rechtsmissbräuchlich sein2. cc) Zwingende Gründe des Gemeinwohls

6.54

Schließlich erkennt der EuGH auch an, dass „zwingende Gründe des Gemeinwohls, wie der Schutz der Interessen der Gläubiger, der Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder auch des Fiskus, unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können“3. Maßnahmen, welche die Ausübung der durch den AEUV garantierten Grundfreiheiten beschränken, sind freilich nach st. Rspr. des EuGH nur dann gerechtfertigt, wenn vier Voraussetzungen4 erfüllt sind: Sie müssen (1) in nicht diskriminierender Weise angewendet werden, (2) aus zwingenden Gründen des allgemeinen Interesses gerechtfertigt sein, (3) zur Erreichung der verfolgten Ziele geeignet sein und dürfen (4) nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.

6.55

Diese Voraussetzungen werden aber – wie der EuGH in der „Inspire Art“-Entscheidung (Rz. 6.22 ff.) ausgesprochen hat5 – von nationalen Vorschriften der Mitgliedstaaten nicht erfüllt, welche die Niederlassungsfreiheit der in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft wegen eines zu niedrigen Mindestkapitals oder zum Zwecke der Wirksamkeit von Steuerkontrollen oder der Lauterkeit des Handelsverkehrs einschränken6. Daraus folgt insbesondere, dass in anderen Mitgliedstaaten gegründete Gesellschaften, die durch Sitzverlegung ins Inland oder Gründung einer deutschen Zweigniederlassung von ihrer (primären bzw. sekundären) Niederlassungsfreiheit Gebrauch machen, auch hinsichtlich ihrer Haftungsverfassung anzuerkennen sind (dazu näher Rz. 6.118 ff.)7.

1 OLG Zweibrücken v. 26.3.2003 – 3 W 21/03, ZIP 2003, 849 (851) = GmbHR 2003, 530; OLG Dresden v. 7.2.2006 – Ss (OWi) 955/05, GmbHR 2006, 764 = ZIP 2006, 1097; Knopp, DNotZ 2003, 85 (89). 2 EuGH v. 12.9.2006 – C-196/04, ECLI:EU:C:2006:544 (Cadbury Schweppes), Slg. 2006 I, 7995 (Rz. 51 ff., 68) = GmbHR 2006, 1049 m. Anm. Kleinert; zust. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 436. 3 EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 (Überseering), NJW 2002, 3614 (Rz. 92) = ZIP 2002, 2037; dazu auch Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 446 ff. 4 Vgl. zu diesem Vier-Konditionen-Test EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art), NJW 2003, 3331 (Rz. 133) = ZIP 2003, 1885; EuGH v. 29.11.2011 – C-371/10, ECLI:EU: C:2011:785 (National Grid Indus) = NZG 2012, 114 (Rz. 42) m.w.N.; zust. BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 (1649) = ZIP 2005, 805; dazu Ulmer, NJW 2004, 1201 (1204 ff.); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 446 ff.; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 6. 5 EuGH v. 30.9.2003 (vorige Fn., Rz. 134 ff.). 6 Dazu näher Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 449 ff. 7 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, ZIP 2005, 805 = GmbHR 2005, 630 = NJW 2005, 1648 (1649).

494 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.58 § 6

Demgegenüber gehört der Schutz der Gläubiger und der Minderheitsgesellschafter zu den vom EuGH grundsätzlich anerkannten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses1. Dasselbe gilt für den Schutz der Arbeitnehmer2. Allerdings geht die im nationalen Recht eines Mitgliedstaats vorgesehene Verpflichtung zur Liquidation einer Gesellschaft, die ihren Satzungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen möchte, über das hinaus, was zum Schutz dieser Interessen erforderlich ist3.

6.56

dd) Vorschriften außerhalb des Gesellschaftsrechts Darüber hinaus wird die Niederlassungsfreiheit nicht durch die Anwendung solcher Vorschriften des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten tangiert, die nicht dem Gesellschaftsstatut unterstehen und deshalb im Staat des effektiven Verwaltungssitzes der Gesellschaft für alle dort tätigen Gesellschaften gelten4. Dies gilt insbesondere für Vorschriften, die insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind und deshalb in allen Mitgliedstaaten dem von Art. 7 EuInsVO 2015 zur Anwendung berufenen Insolvenzstatut unterstehen (dazu näher Rz. 6.170 ff.)5.

6.57

4. Vorrang von Staatsverträgen Vorrang vor der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts mithilfe des autonomen Kollisionsrechts haben nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB auch auf dem Gebiet des internationalen Gesellschaftsrechts die geschlossenen Staatsverträge, soweit diese unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind (vgl. Art. 59 Abs. 2 GG)6. So regeln die von der Bundesrepublik Deutschland mit zahlreichen Staaten geschlossenen bilateralen Handels-, Niederlassungs- und Kapitalschutzabkommen7 teils ausdrücklich, teils konkludent auch die gegenseitige „Anerkennung“ von Handelsgesellschaften. Diese Verpflichtung zur Anerkennung bedeutet nichts anderes als eine staatsvertragliche Festschreibung des Personalstatuts8. Die Staatsverträge bieten allerdings kein einheitliches Bild, weil teilweise an den Sitz9, teilweise auch an das Gründungsrecht angeknüpft wird10. Soweit diese Abkommen das Personalstatut von Gesellschaften abwei1 Vgl. EuGH v. 13.12.2005 – C-411/03, ECLI:EU:C:2005:762 (Sevic Systems), NZG 2006, 112 (Rz. 28). 2 EuGH v. 21.12.2016 – C-201/15, ECLI:EU:C:2016:972 (Aget Iraklis) = NZG 2017, 788 (Rz. 73) m.w.N. 3 EuGH v. 25.10.2017 – C-106/16, ECLI:EU:C:2017:804 (Polbud), NZG 2017, 1308 (Rz. 59) m. Anm. Wachter. 4 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05 („Einfamilienhaus“), NJW 2007, 1529 (Rz. 10) (m. Anm. Kindler, NJW 2007, 1785) = GmbHR 2007, 593 m. Anm. Römermann. 5 EuGH v. 10.12.2015 – C-594/14, ECL:EU:C:2015:806 (Kornhaas), NJW 2016, 223 (Rz. 27 f.) m. Anm. M.-Ph. Weller/Hübner; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 441. 6 BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 (355 f.) = ZIP 2003, 720. 7 Vgl. den Überblick bei Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 331 ff. 8 Beitzke, FS Luther (1976), S. 1 (10); Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137 (2142) und RIW 1988, 336; Ferid, Rz. 5–58, 1; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 337 f. Einschränkend Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 217 ff., der die Anerkennungspflicht auf die Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Gesellschaft beschränkt und im Übrigen – ähnlich wie die „Überlagerungstheorie“ (Rz. 6.8) – Sitzrecht anwendet; ebenso Bungert, ZVglRW 93 (1994), 117 ff. 9 So z.B. in den Verträgen mit Frankreich, Italien, den Niederlanden und der Türkei, vgl. den Überblick bei Jayme/Hausmann, Nr. 134 in Fn. 3. Diese Verträge haben aus deutscher Sicht nur deklaratorische Natur, vgl. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 333. 10 So z.B. in den Verträgen mit Spanien und den USA; zu den zahlreichen weiteren Verträgen s. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 331 f.

Hausmann | 495

6.58

§ 6 Rz. 6.58 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

chend vom deutschen autonomen Kollisionsrecht bestimmen, ist stets sorgfältig zu prüfen, welche ausländischen Verbandspersonen anerkannt werden und wie weit die Anerkennung im Einzelfall reicht.

6.59

In der Praxis wichtig ist vor allem Art. XXV Abs. 5 S. 2 des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages vom 29.10.19541. Danach wird der rechtliche Status von Gesellschaften, die gem. den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet wirksam errichtet wurden, auch im Gebiet des anderen Vertragsteils als solcher anerkannt. Damit ist im Geltungsbereich dieses Abkommens das Personalstatut einer Gesellschaft grundsätzlich nicht an das Recht ihres Verwaltungssitzes, sondern an das am Ort ihrer Gründung geltende Recht anzuknüpfen2. Danach sind Gesellschaften, die nach dem Recht eines Einzelstaats der USA wirksam gegründet worden sind, auch in der Bundesrepublik Deutschland anzuerkennen, und zwar in der Rechtsform, in der sie in ihrem Gründungsstaat bestehen. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz von Anfang an in Deutschland hatte oder ihn nachträglich hierhin verlegt hat (Scheinauslandsgesellschaft)3. BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 (355 ff.) = NJW 2003, 1607 = IPRax 2003, 265 (m. Anm. M.-Ph. Weller, IPRax 2003, 324) = BB 2003, 810 m. krit. Anm. Kindler = RIW 2005, 473 (m. Aufs. Merkt, RIW 2005, 458) = DB 2003, 818 (m. Aufs. Bungert, DB 2003, 1043) = EWiR 2003, 661 (LS) m. krit. Anm. Mankowski. Partei- und Prozessfähigkeit einer nach dem Recht von Florida wirksam gegründeten Corporation ist in Deutschland anzuerkennen, auch wenn die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz inzwischen nach Deutschland verlegt hat. BFH v. 29.1.2003 – I R 6/99, BFHE 201, 463 = RIW 2003, 627 (629 f.) = BB 2003, 1210 US-Corporation mit Satzungssitz in den USA, die ihre tatsächliche Geschäftsleitung ins Inland verlegt, kann Organträgerin einer deutschen GmbH sein.

1 BGBl. II 1956, 487. 2 Für eine kollisionsrechtliche Wirkung von Art. XXV Abs. 5 S. 2 des Vertrages i.S.d. Anknüpfung an das Gründungsrecht BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, ZIP 2004, 2230 = RIW 2005, 147 (m. Aufs. Paal, RIW 2005, 735) = IPRax 2005, 340 (m. Anm. Stürner, IPRax 2005, 305) = BB 2004, 2595 m. Anm. Elsing = JZ 2005, 298 m. Anm. Ebke = DNotZ 2005, 141 m. Anm. Thölke; BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = BB 2004, 1868 m. Anm. Melbert = RIW 2004, 787 (m. Anm. Ebke S. 740) = IPRax 2005, 339 (m. Anm. Stürner, IPRax 2005, 305) = JZ 2005, 303 m. Anm. Rehm; BGH v. 4.5.2004 – XI ZR 40/03, BGHZ 159, 94 = NJW 2004, 2523 = ZIP 2004, 1662; OLG Frankfurt a.M. v. 4.4.2007 – 19 U230/06, IPRspr. 2007 Mr. 18; ebenso schon OLG Zweibrücken v. 13.10.1986 – 4 U 98/85, NJW 1987, 2168; OLG Düsseldorf v. 4.5.1995 – 6 U 93/94, NJWRR 1995, 1184; zust. die h.L., vgl. von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 103; Bungert, WM 1995, 2125 f.; Ebenroth/Bippus, NJW 1988, 2137 (2142) und DB 1988, 842 (844 ff.); Ebenroth/Kemner/ Wilburg, ZIP 1995, 972 (974 f.); M. J. Ulmer, IPRax 1996, 100 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 337 ff.; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 3; für Einschränkung auf die Rechtsfähigkeit Dammann, RabelsZ 68 (2004) 607 (633 ff.); a.A. noch Berndt, JZ 1996, 187 (191); Ebke, RabelsZ 62 (1998), 195 (209 ff.); Kegel/Schurig, § 17 II 5c; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 209 ff. 3 Bungert, DB 1995, 963 (966) und DB 2003, 1043 ff.; Dammann, RabelsZ 68 (2004), 607 (614 ff.); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (930); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 340; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 61; vgl. aber OLG München v. 12.9.2002 – 19 U 1844/02, ZIP 2002, 2132, wo der deutsch-amerikan. Freundschaftsvertrag schlicht übersehen wird.

496 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.62 § 6

Die Anwendung des Gründungsrechts nach Art. 25 Abs. 5 S. 2 des deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrags setzt allerdings voraus, dass die Gesellschaft eine tatsächliche Beziehung zu den USA unterhält; dies folgt aus dem völkerrechtlichen „genuine link“-Erfordernis1. Allerdings sind an den „genuine link“ nur geringe Anforderungen zu stellen. Die Anerkennung scheitert also nicht schon daran, dass die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland hat und hier ihre Hauptgeschäfte betreibt, sofern sie nur irgendwelche geschäftliche Aktivitäten auch in den USA (nicht notwendig in ihrem Gründungsstaat) entfaltet, die auch kein besonderes wirtschaftliches Gewicht haben müssen2. Der anzuerkennende „rechtliche Status“ der Gesellschaft umfasst dann alle gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Rechtsfragen, also insbesondere die Rechts- und Parteifähigkeit sowie die Gesellschafterhaftung (dazu Rz. 6.126 ff.)3.

6.60

Die Gründungstheorie gilt auch im Rahmen des CETA-Abkommens zwischen der Europäischen Union und Kanada, soweit eine Gesellschaft nennenswerte operative Tätigkeiten (substantive business activity) in ihrem Gründungsstaat ausübt4.

6.61

5. Reformen des deutschen materiellen und internationalen Gesellschaftsrechts a) Allgemeines Der deutsche Gesetzgeber hat die Mobilität deutscher Kapitalgesellschaften schon de lege lata durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.20085 deutlich gestärkt. Noch wesentlich weiter geht der vom Bun1 OLG Düsseldorf v. 15.12.1994 – 6 U 59/94, GmbHR 1995, 595 = RIW 1995, 508 = NJW-RR 1995, 1124 = ZIP 1995, 1009 (m. krit. Anm. Ebenroth/Kemner/Willburg, ZIP 1995, 972) = IPRax 1996, 128 (m. krit. Anm. M. J. Ulmer, IPRax 1996, 100) = IPRspr. 1994 Nr. 18 (Einer im US-Bundesstaat Delaware gegründeten „Corporation“ ist die Anerkennung nach Art. XXV Abs. 5 S. 2 des deutschamerikan. Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages in der Bundesrepublik Deutschland zu versagen, wenn die Gesellschaft keine tatsächlichen, effektiven Beziehungen [„genuine link“] zu den USA hat und sämtliche Aktivitäten in Deutschland entfaltet); ferner Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842 (844 ff.); Ebenroth/Offenloch, RIW 1997, 1 (2); Weller, IPRax 2017, 167 (170); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 342 ff.; mit Einschränkungen auch Dammann, RabelsZ 68 (2004), 607 (644 ff.); Stürner, IPRax 2005, 305 (307); a.A. OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 2 U 55/99, IPRspr. 2003 Nr. 19; Bungert, WM 1995, 2125 (2128 ff.); Bungert, DB 2003, 1043 (1044); Paal, RIW 2005, 735; Kropholler, IPR, § 55 I 3d; Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 6, Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 29. 2 BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = GmbHR 2004, 1225 = NJW-RR 2004, 1618 = RIW 2004, 787 (m. Aufs. Ebke, RIW 2004, 740) = IPRax 2005, 339 (m. Anm. Stürner, IPRax 2005, 305) = JZ 2004, 303 m. Anm. Rehm = BB 2004, 1868 m. Anm. Mellert (Rechtsfähigkeit einer im US-Bundesstaat Delaware gegründeten Corporation ist trotz effektiven Verwaltungssitzes in Deutschland anzuerkennen. Bestehen eines Broker-Vertrages mit einem US-amerikanischen Partner genügt als „genuine link“); ferner BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, GmbHR 2005, 51 = MDR 2005, 560 = RIW 2005, 147 (m. Aufs. Paal, RIW 2005, 735) = IPRax 2005, 340 (m. Anm. Stürner, IPRax 2005, 305) = BB 2004, 2595 m. Anm. Elsing = JZ 2005, 298 m. Anm. Ebke: werbende Tätigkeit in den USA genügt; Ebenroth/Kemner/Wilburger, ZIP 1995, 972 (974); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 3; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 345. 3 BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = GmbHR 2004, 1225 = NJW-RR 2004, 1618; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 338; a.A. Dammann, RabelsZ 68 (2004), 607 (631 ff.). 4 Freitag, NZG 2017, 615 (617); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 105. 5 BGBl. I 2008, 2026; dazu Kindler, NJW 2008, 3249 ff.; Kindler in Goette/Habersack (Hrsg.), Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis (2009), S. 231 ff.

Hausmann | 497

6.62

§ 6 Rz. 6.62 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

desjustizministerium am 8.1.20081 veröffentlichte Referentenentwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht, der im Wesentlichen auf Vorarbeiten einer Spezialkommission „Internationales Gesellschaftsrecht“ des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht beruht2 und einen generellen Übergang von der bisher in Deutschland vorherrschenden Sitztheorie zur Gründungstheorie vorschlug. b) Änderungen durch das MoMiG

6.63

Auch wenn sich nach der „Cartesio“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.26 ff.) ein Recht von Gesellschaften auf Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat unter Wahrung der Identität aus der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV nicht ableiten lässt, so hat der deutsche Gesetzgeber in Deutschland gegründeten Kapitalgesellschaften durch das MoMiG vom 23.10.2008 eben diese Wegzugsfreiheit eingeräumt. Denn durch die Streichung der § 5 Abs. 2 AktG a.F., § 4a Abs. 2 GmbHG a.F. wurde diesen Gesellschaften die Wahl eines effektiven Verwaltungssitzes ermöglicht, der von ihrem Satzungssitz abweicht. Erklärtes Ziel dieser zum 1.11.2008 in Kraft getretenen Regelung ist es, einer im Inland als AG oder GmbH gegründeten Gesellschaft die Aufnahme von geschäftlichen Aktivitäten vor allem in anderen EU-Mitgliedstaaten3 bei Wahrung ihrer Rechtsform zu gestatten. Insbesondere sollen deutsche Konzernmütter ihre ausländischen Tochtergesellschaften in der Rechtsform einer deutschen Kapitalgesellschaft führen können.

6.64

Die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes einer deutschen Kapitalgesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat führt also nicht mehr – wie früher (Rz. 6.103 ff., Rz. 6.111) – zur Auflösung der Gesellschaft4. Gleiches gilt für die Gründung einer Gesellschaft in der Rechtsform einer deutschen AG oder GmbH, auch wenn diese ihren tatsächlichen Verwaltungssitz von Beginn an im Ausland hat (vgl. dazu Rz. 6.93 f. m. Nachw.)5. Auf diese Weise sollte insbesondere eine Gleichbehandlung der deutschen GmbH mit der englischen Private Ltd. Company erreicht werden, der ein solcher Wegzug aus ihrem Gründungsstaat nach Deutschland oder in andere Staaten wegen der in England befolgten Gründungstheorie schon zuvor möglich war. Durch die Neufassung der § 5 AktG, § 4a GmbHG wird deutschen Kapitalgesellschaften nur die Freiheit zur Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes ins Ausland (bzw. zur Gründung in Deutschland trotz von Anfang an bestehenden effektiven Verwaltungssitzes im Ausland) eingeräumt. Eine – jedenfalls isolierte – Verlegung des Satzungssitzes der Gesellschaft ins Ausland kommt hingegen auch weiterhin nicht in Betracht6. Anders als bei Sitzverlegung in einen Drittstaat (dazu Rz. 6.101, Rz. 6.109), ergeben sich aus dem Recht des Zuzugsstaates

1 Text unter www.bmjv.de. 2 Vgl. Sonnenberger/Bauer, RIW 2006, Beil. 1 zu Heft 4. 3 Das MoMiG wirkt sich zwar praktisch hauptsächlich bei Gründung deutscher Kapitalgesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im EU-Ausland bzw. bei Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes in andere EU-Mitgliedstaaten aus; die Erleichterungen gelten aber – die Anwendbarkeit deutschen Rechts vorausgesetzt – gleichermaßen im Verhältnis zu Drittstaaten, vgl. Rz. 6.91 f., Rz. 6.106. 4 Näher Kindler, IPRax 2009, 189 (197 ff.). 5 Ob die Berufung auf die Niederlassungsfreiheit eine „Mobilitätskomponente“ erfordert und deshalb nur eine nachträgliche Sitzverlegung von Art. 49, 54 AEUV erfasst wird, ist allerdings streitig. 6 Campos Nave, BB 2008, 1410 (1411); Franz/Laeger, BB 2008, 678 (679); Hoffmann, ZIP 2007, 1581 ff.; Kindler, AG 2007, 721 ff. und IPRax 2009, 189 (194 f.); Ringe, ZIP 2008, 1073 (1074); Schneider, BB 2008, 566 (572). Vgl. aber zur gleichzeitigen Verlegung von Verwaltungs- und Satzungssitz Rz. 6.112.

498 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.66 § 6

i.d.R. keine Hindernisse für die identitätswahrende Verlegung des Verwaltungssitzes einer deutschen AG/GmbH ins EU- bzw. EWR-Ausland, weil der Zuzugsstaat nach Art. 49, 54 AEUV verpflichtet ist, die Rechts- und Parteifähigkeit der deutschen Gesellschaft uneingeschränkt anzuerkennen (Rz. 6.114 f.). Klarzustellen ist allerdings, dass die durch das MoMiG erweiterte Mobilität deutscher Kapitalgesellschaften notwendig voraussetzt, dass überhaupt deutsches Gesellschaftsrecht zur Anwendung kommt. Das MoMiG selbst entfaltet keine kollisionsrechtliche Wirkung in dem Sinne, dass für AG und GmbH künftig nicht mehr die Sitz-, sondern die Gründungstheorie in der Variante der „Satzungssitztheorie“ gilt1. Daraus folgt, dass deutsche Kapitalgesellschaften nur dann mit effektivem Verwaltungssitz im Ausland gegründet werden oder ihren effektiven Verwaltungssitz ins Ausland verlegen können, wenn der Sitzstaat in seinem nationalen IPR die Gründungstheorie befolgt oder als Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR kraft der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV zur Anerkennung der deutschen Gesellschaft trotz des Auseinanderfallens von Satzungs- und Verwaltungssitz verpflichtet ist (vgl. Rz. 6.101 f.). Eine generelle Abkehr des deutschen Gesetzgebers von der Sitztheorie kann in den punktuellen Regelungen des MoMiG nicht gesehen werden2.

6.65

c) Referentenentwurf zum internationalen Gesellschaftsrecht aa) Gründungsrecht als Grundsatzanknüpfung Nach der im Referentenentwurf des BMJ vom 8.1.2008 (Rz. 6.1 a.E.) vorgeschlagenen Grundsatzkollisionsnorm in Art. 10 Abs. 1 EGBGB-E sollten Gesellschaften, Vereine und juristische Personen des Privatrechts dem (Sach-) Recht3 des Staates unterliegen, in dem sie in ein öffentliches Register eingetragen sind. Sind sie nicht oder noch nicht in ein öffentliches Register eingetragen, sollte hilfsweise das Recht des Staates gelten, nach dem sie organisiert sind. Damit wurde die vom EuGH für den Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV erzwungene Anknüpfung der Rechtsfähigkeit von Gesellschaften an das Gründungsrecht (vgl. Rz. 6.36 ff.) zur allseitigen und umfassenden Kollisionsnorm des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts weiterentwickelt. Auch Gesellschaften, die außerhalb der EU bzw. des EWR wirksam gegründet wurden, sollten künftig in Deutschland als rechts- und parteifähig anzuerkennen sein, selbst wenn sie ihren effektiven Verwaltungssitz von Beginn an außerhalb ihres Gründungsstaates haben oder ihn später ins Ausland verlegen. Damit sollte der Gleichlauf mit solchen Staatsverträgen hergestellt werden, die bereits derzeit eine Anknüpfung an das Gründungsrecht vorschreiben (vgl. zuvor Rz. 6.58 ff.). Ferner sollte die einheitliche Anknüpfung an das Gründungsrecht sachlich kaum gerechtfertigte Differenzierungen zwischen Gesellschaften aus verschiedenen Staaten vermeiden4. Der Schutz des inländischen 1 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), NJW 2009, 289 (292) m. krit. Anm. Kieninger; Franz/Laeger, BB 2008, 678 (682 f.); Kindler, AG 2007, 721 ff.; Kindler, IPRax 2009, 189 (197 f.); für kollisionsrechtliche Wirkung hingegen – wenig überzeugend – Hoffmann, ZIP 2007, 1581 (1584 ff.); Knof/Mock, GmbHR 2007, 852 (856); Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90 (92). 2 Kindler, AG 2007, 721 (722); Franz/Laeger, BB 2008, 678 (681 f.); Hirte NZG 2008, 761 (766); a.A. J. Hoffmann, ZfP 2007, 1581 (1584 f.); Leible/J. Hoffmann, BB 2009, 58 (62 f.); Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009) 735 (749 ff.); vgl. auch von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 13 m.w.N. zum Streitstand. 3 Rück- und Weiterverweisung sollen insoweit nach Art. 4 Abs. 2 EGBGB ausgeschlossen sein, vgl. die Begründung zum Referentenentwurf, BT-Drucks. 16/12104, S. 9; Wagner/Timm, IPRax 2008, 81 (89). 4 Wagner/Timm, IPRax 2008, 81 (85).

Hausmann | 499

6.66

§ 6 Rz. 6.66 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Rechtsverkehrs könne hinreichend mit dem ordre public-Vorbehalt (Art. 6 EGBGB) und verbesserten Regeln zum Verkehrsschutz (dazu Rz. 6.157 ff.) gewährleistet werden. Die in der deutschen Rechtsprechung seit mehr als 100 Jahren geltende Sitztheorie (Rz. 6.3 ff.) hätte damit endgültig ausgedient gehabt.

6.67

Art. 10 Abs. 2 EGBGB-E konkretisierte durch eine beispielhafte Aufzählung den Anwendungsbereich des Gesellschaftsstatuts. Dieser umfasste – in Übereinstimmung mit dem bisherigen Richterrecht und der herrschenden Lehre – über die Rechtsnatur und die Rechts- und Parteifähigkeit (Nr. 1) hinaus – die Gründung und Auflösung der Gesellschaft (Nr. 2), den Namen und die Firma (Nr. 3), das gesamte Organisationsrecht der Gesellschaft, einschließlich der Finanzverfassung (Nr. 4), die Vertretungsmacht der Organe (Nr. 5), den Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft und mit ihr verbundene Rechte und Pflichten (Nr. 6) sowie die Haftung der Gesellschaft, ihrer Mitglieder und Organe für Verbindlichkeiten der Gesellschaft und die Haftung wegen Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten (Nr. 8)1. Nicht geregelt wurden hingegen Fragen der Arbeitnehmermitbestimmung und der Rechnungslegung. Ergänzend bestimmte Art. 11 Abs. 6 EGBGB-E, dass Rechtsgeschäfte, welche die Verfassung2 einer Gesellschaft betreffen, nur formgültig sind, wenn die Formerfordernisse des Gründungsrechts erfüllt sind; die Einhaltung der Form am Vornahmeort des Rechtsgeschäfts sollte also nicht ausreichen. bb) Grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes

6.68

Eine besondere Kollisionsnorm enthielt der Entwurf zur Frage der Änderung des Personalstatuts. Nach Art. 10b EGBGB-E wechselte das nach Art. 10 EGBGB-E anwendbare Gründungsrecht, wenn die Gesellschaft in einem anderen Staat als ihrem Gründungsstaat in ein öffentliches Register eingetragen oder in anderer Weise nach außen erkennbar dem Recht eines anderen Staates unterstellt wurde, sofern das bisherige und das neue Recht einen Wechsel des Personalstatuts ohne Auflösung und Neugründung zuließen und die Voraussetzungen beider Rechte hierfür vorlagen. Sperrte sich auch nur eine der beiden betroffenen Rechtsordnungen gegen den Statutenwechsel, sollte es bei dem bisherigen Gesellschaftsstatut verbleiben. Die Regelung betraf aber nicht die bloße Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes der Gesellschaft, die unter Geltung der Gründungstheorie auf deren Personalstatut keinen Einfluss hat, sondern die Verlegung des Satzungssitzes. cc) Kritik

6.69

Der Referentenentwurf ist zwar in der gesellschaftsrechtlichen Literatur überwiegend positiv aufgenommen worden3. In der Praxis wurden aus den bereits genannten Gründen (Rz. 6.46) Bedenken angemeldet, auf den Schutz der Sitztheorie auch außerhalb des Anwendungsbereichs der Art. 49, 54 AEUV und ohne Gewährleistung der Gegenseitigkeit auf staatsvertraglicher Grundlage einseitig zu verzichten4. Im Hinblick auf den vor allem wegen der Mitbestimmungsproblematik geleisteten rechtspolitischen Widerstand der Gewerkschaften gegen

1 Dazu ausführlich Wagner/Timm, IPRax 2008, 81 (86 f.). 2 Das trifft etwa auf die Gründung oder Umwandlung einer Gesellschaft zu, nicht hingegen auf die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen. 3 Vgl. Bollacher, RIW 2008, 200 (204 f.); Rotheimer, NZG 2008, 181 (182 f.); z.T. krit. hingegen Schneider, BB 2008, 566 (569 ff.). 4 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 64 m.w.N.

500 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.72 § 6

den Referentenentwurf hat der II. Zivilsenat des BGH es ausdrücklich abgelehnt, dem Gesetzgeber vorzugreifen und das Personalstatut von in Drittstaaten gegründeten Gesellschaften schon de lege lata mit Hilfe der Gründungstheorie zu bestimmen1.

II. Einzelprobleme der Anknüpfung des Gesellschaftstatuts 1. Sitztheorie a) Ermittlung des tatsächlichen Verwaltungssitzes Für die in der deutschen Praxis bisher zumindest in Drittstaatsfällen weiterhin befolgte Sitztheorie (Rz. 6.43) ist eine exakte Bestimmung des effektiven Verwaltungssitzes von zentraler Bedeutung. Die inhaltliche Ausfüllung des Begriffs „effektiver Verwaltungssitz“ erfolgt dabei nach Maßgabe der lex fori, in Verfahren vor deutschen Gerichten mithin nach deutschem Recht2. Würde man insoweit auf das Recht des Staates abstellen, nach dessen Gesetzen die Gesellschaft gegründet worden ist, könnte dieser durch eine besonders liberale Umschreibung des Verwaltungssitzes den Schutzzweck der Sitztheorie unterlaufen3.

6.70

Nach deutschem Recht kommt es insoweit nicht auf den in der Satzung genannten Sitz, sondern auf den effektiven Verwaltungssitz an4.

6.71

OLG Nürnberg v. 25.4.1967 – 7 U 169/66, DB 1967, 1411 In Österreich gegründete AG mit Satzungssitz in Salzburg, deren tatsächliche Verwaltung jedoch von Deutschland aus geführt wurde: „Der Ort der tatsächlichen Verwaltung ist aber maßgebend dafür, welches Recht für die Gesellschaft anzuwenden ist. Die G.-AG besitzt daher Inlandseigenschaft, auch wenn sie in Österreich errichtet wurde, ihren Sitz in Österreich haben sollte und ein Teil der Gründungsmitglieder Ausländer sind.“

Zur Bestimmung des effektiven Verwaltungssitzes bedient sich der BGH der von Sandrock5 entwickelten Formel, wonach maßgeblich derjenige Ort ist, an dem „die grundlegenden Entscheidungen der Unternehmensleitung effektiv in laufende Geschäftsführungsakte umgesetzt werden“.

1 BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 (293 f.) = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter. Vgl. auch von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 12, die davon ausgehen, dass der Referentenentwurf „auf Nimmerwiedersehen in der Schublade“ verschwunden sei. 2 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 461; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 226. 3 Hausmann in Hausmann/Raupach, S. 17 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 461, jeweils m.w.N. 4 BGH v. 10.3.2009 – VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610 (Rz. 11) = ZIP 2009, 987; BGH v. 30.1.1970 – V ZR 139/68, BGHZ 53, 181 (183) = NJW 1970, 998 m. Anm. Langen; OLG Frankfurt a.M. v. 24.4.1990 – 5 U 18/88, NJW 1990, 2204 (2205) = RIW 1990, 583 (m. Aufs. Schütze, RIW 1990, 674) = IPRax 1991, 403 (m. Anm. Großfeld/König, IPRax 1991, 379) = EWiR 1990, 827 (LS) m. Anm. Ebenroth (effektiven Verwaltungssitz einer in Panama gegründeten Anlagegesellschaft trotz Satzungssitzes in Panama in Genf/Schweiz angenommen, weil die Vertretungsorgane sich dort aufgehalten haben und tätig geworden sind); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 459 m.w.N; einschränkend OLG Frankfurt a.M. v. 11.7.1985 – 1 U 134/84, IPRax 1986, 373 (m. Anm. Ahrens, IPRax 1986, 355) (Satzungssitz einer Abschreibungsgesellschaft und dessen Eintragung ins Handelsregister als Indizien für effektiven Verwaltungssitz mitberücksichtigt). 5 Sandrock, FS Beitzke (1970), S. 669 (683 f.); zust. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 228; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 459 ff.

Hausmann | 501

6.72

§ 6 Rz. 6.72 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (272) = NJW 1986, 2194 = RIW 1986, 548 Zum effektiven Verwaltungssitz einer liechtensteinischen Anstalt. BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 (279 f.) = RIW 1986, 295 m. Anm. Deville = IPRax 1986, 161 (m. Anm. Großfeld, IPRax 1986, 145) Englische „Private Company Ltd.“. Entscheidend sei, wo „tatsächlich hinsichtlich der Geschäftsführung das entscheidende Wort gesprochen bzw. der maßgebliche Wille der Geschäftsleitung gebildet“ werde. Dies sei in der Regel an dem Ort, wo Vorstand und sonstige zur Leitung oder Vertretung befugte Personen die ihnen obliegende geschäftsführende Tätigkeit entfalteten. OLG Frankfurt v. 9.5.2018 – 4 U 145/17, IPRspr. 2018 Nr. 23 Wohnt der Geschäftsführer einer auf den Marshall-Inseln gegründeten Gesellschaft überwiegend in Namibia, so hat die Gesellschaft dort ihren effektiven Verwaltungssitz.

6.73

Danach kommt es also darauf an, wo der Schwerpunkt des körperschaftlichen Lebens der Gesellschaft liegt. Dies ist aber i.d.R. der Ort, an dem der Vorstand oder sonstige Vertretungsorgane die Kontrolle über die Gesellschaft ausüben und Weisungen für das Tagesgeschäft erteilen. Entscheidend ist also, wo Vorstands- oder Aufsichtsratssitzungen abgehalten und Verträge mit Dritten i.d.R. abgeschlossen werden1. Damit scheidet eine Anknüpfung an den Sitz bloßer Betriebs- oder Produktionsstätten, die nicht selbst körperschaftlich organisiert sind, aus, weil die unternehmerischen Entscheidungen dort nicht getroffen, sondern lediglich ausgeführt werden2. Auch die Ausführung untergeordneter Verwaltungstätigkeiten der Gesellschaft (z.B. Buchhaltung, Steuerangelegenheiten) im Ausland begründet dort keinen effektiven Verwaltungssitz3. Andererseits kommt es auch nicht auf den Ort der internen Willensbildung der Vertretungsorgane an, sondern auf die Umsetzung der getroffenen Beschlüsse nach außen4. Zur Präzisierung der Anknüpfung an den tatsächlichen Verwaltungssitz stützt sich die kollisionsrechtliche Lehre im Übrigen auch auf die Erfahrungen des Steuerrechts, insbesondere auf die dort entwickelten Kriterien zur Definition der Begriffe „Geschäftsleitung“ und „ge-

1 Vgl. BVerfG v. 27.6.2018 – 2BvR 1287/17, NJW 2018, 2392 = RIW 2018, 591 = ZIP 208, 1465; ferner OLG München v. 31.10.1994 – 26 U 2596/94, NJW-RR 1995, 703 (704); OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 236 = IPRax 1998, 358; OLG Köln v. 31.1.2006 – 22 U 109/ 05, ZIP 2007, 935 = IPRax 2007, 530 (m. Anm. Thole, IPRax 2007, 519); Bungert, IPRax 1998, 339 (340 f.); Kegel/Schurig, § 17 II 1; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 11; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 8. Zu Einzelheiten von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 129 ff. 2 Sandrock, FS Beitzke (1979), S. 669 (670); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 226; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 460; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 22; Kegel/Schurig, § 17 II; Kropholler, IPR, § 55 I 2; auch BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, GmbHR 1985, 335 = IPRax 1986, 161. 3 LG Essen v. 10.3.1994 – 2 O 315/93, NJW 1995, 1500 (1501) = IPRax 1996, 120 (m. Anm. Jayme, IPRax 1996, 87). 4 Ebenroth, JZ 1988, 22 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 227; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 459. Vgl. aber auch OLG Hamm v. 18.8.1994 – 15 W 209/94, RIW 1995, 152 = NJW-RR 1995, 469 = DB 1995, 137 (m. Aufs. Bungert, DB 1995, 963 (Liechtenstein. AG: „Der Umstand, dass die Gesellschaft ein Grundstücksgeschäft von erheblichem wirtschaftlichem Gewicht in der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen hat, lässt nicht auf einen tatsächlichen Verwaltungssitz in Deutschland schließen. Der effektive Verwaltungssitz wird nämlich nicht durch die Ausführung einzelner Geschäfte, sondern durch den Ort bestimmt, an dem die geschäftliche Leitung des Unternehmens ausgeführt wird, also die Entscheidung über die Geschäftspolitik selbst getroffen wird.“).

502 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.75 § 6

schäftliche Oberleitung“ in § 10 AO und § 1 Abs. 1 KStG1. Ferner deckt sich der effektive Verwaltungssitz im Regelfall mit dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners i.S.d. internationalen Insolvenzrechts (COMI) (dazu näher Rz. 6.541 ff.)2. b) Beweislast

Eine gewisse Konzession an die Gründungstheorie bedeutet es freilich, wenn sich die Praxis bisweilen – im Anschluss an Lüderitz3 – in Zweifelsfällen mit der (wenn auch widerleglichen) Vermutung behilft, dass sich der Sitz in dem Staat befindet, nach dessen Recht die Gesellschaft erkennbar organisiert ist, wobei vorrangig der Satzungssitz bzw. registrierte Sitz zu berücksichtigen sei4. Damit sei im Streit um die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft diejenige Partei beweispflichtig, die eine Abweichung des effektiven Verwaltungssitzes vom Satzungssitz behaupte5.

6.74

Dagegen spricht freilich, dass gerade in den zweifelhaften Fällen der sog. „Briefkastengesellschaften“ der Satzungssitz nicht der tatsächliche ist6. Ferner kann dem Vertragspartner der ausländischen Gesellschaft schwerlich der Beweis für solche Tatsachen auferlegt werden, die die innere Struktur einer Gesellschaft betreffen und sich deshalb regelmäßig seiner Kenntnis entziehen. In Zweifelsfällen hat eine im Ausland gegründete Gesellschaft daher den vollen Nachweis zu führen, dass sich auch ihr effektiver Verwaltungssitz im Gründungsstaat befindet7. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die ausländische Gesellschaft als Klägerin im inländischen Zivilprozess auftritt. Denn die Frage nach ihrem effektiven Verwaltungssitz – und damit u.U. auch nach ihrer rechtlichen Existenz – stellt sich dann bereits im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung. Für ihre Parteifähigkeit ist eine ausländische Gesellschaft aber als Klägerin voll beweispflichtig8. Darüber hinaus ist aber auch das Registergericht im Verfahren der freiwil-

6.75

1 Vgl. BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3Z 62/85, BayObLGZ 1985, 279 (280); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 464; zurückhaltend Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 229; vgl. BFH v. 23.1.1991 – I R 22/90, BFHE 164, 164 = BB 1991, 1322. 2 Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 24. 3 Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 9. 4 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 11; Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 26; Bungert, DB 1995, 963 und IPRax 1998, 339 (344 f.); zust. OLG München v. 6.5.1986 – 5 U 2562/85, NJW 1986, 2197 = GmbHR 1986, 351; KG v. 26.8.1997 – 1 W 2905/97, NJW RR 1998, 447; OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, DB 2007, 1245 (1248) = GmbHR 2007, 763 m. Anm. Ringe; LG Rottweil v. 28.1.1985 – HO 93/84, IPRax 1986, 110 = RIW 1986, 636. 5 OLG Oldenburg v. 4.4.1989 – 12 U 13/89, NJW 1990, 1422 = GmbHR 1990, 346 (Vermutung, dass in England gegründete und eingetragene Ltd. Company ihren Verwaltungssitz in England habe, als widerlegt angesehen, weil die Gesellschaft gleichzeitig mit der Gründung eine „Zweigniederlassung“ in Deutschland angemeldet hatte, über die sämtliche Geschäfte getätigt wurden); OLG Hamm v. 18.8.1994 – 15 W 209/94, RIW 1995, 152 (154) = GmbHR 1995, 599 (Es sei „jedenfalls für das grundbuchrechtliche Eintragungsverfahren von einem allgemeinen Erfahrungssatz auszugehen, dass eine ausländische Kapitalgesellschaft in ihrem Gründungsstaat auch ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat“.). 6 Kegel/Schurig, § 17 II, S. 503. 7 Zutr. Ebenroth/Bippus, JZ 1988, 677 (681); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 474; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 236 f.; G. Fischer, IPRax 1991, 100 (103); im Erg. auch OLG Frankfurt a. M. v. 8.6.2000 – 1 U 259/98, OLGR 2001, 88. 8 Vgl. OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, IPRax 1998, 358 (359) (m. Anm. Bungert, IPRax 1998, 339; LG Essen v. 10.3.1994 – 2 O 315/93, NJW 1995, 1500; LG Mainz v. 7.10.1996 – 8 T 253/96, Rpfleger 1997, 178; LG Potsdam v. 30.9.1999 – 31 O 134/98, ZIP 1999, 2021 = IPRax 2001, 134 (m. Anm. Thorn, IPRax 2001, 102); Althammer in Zöller, § 56 ZPO Rz. 9; Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 56 ZPO Rz. 16 m.w.N.

Hausmann | 503

§ 6 Rz. 6.75 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ligen Gerichtsbarkeit befugt, von der ausländischen Gesellschaft von Amts wegen entsprechende Nachweise zu fordern, wenn berechtigte Zweifel am Bestehen eines tatsächlichen Verwaltungssitzes im Gründungsstaat bestehen1.

6.76

Das Fehlen eines effektiven Verwaltungssitzes ist nach der Sitztheorie grundsätzlich ausgeschlossen. Die bloße Schwierigkeit, ihn festzustellen, rechtfertigt keinen Übergang zur Gründungstheorie2. Existiert allerdings der Staat, in dem eine Gesellschaft gegründet worden sein will, überhaupt nicht, so ist von der Nichtexistenz der Gesellschaft auszugehen3. c) Doppelsitz

6.77

Bei mehreren Verwaltungsorten in verschiedenen Staaten ist der Sitz der Hauptverwaltung im Wege einer Schwerpunktbetrachtung festzustellen, weil eine Doppel- bzw. Mehrfachanknüpfung zu einer unentwirrbaren Normenhäufung führen würde. Befinden sich also Teile der Hauptverwaltung in verschiedenen Staaten, so wird das Gesellschaftsstatut einheitlich an den Ort angeknüpft, an dem der wichtigste Teil der Hauptverwaltung geführt wird4. d) Verbundene Unternehmen

6.78

Diese Grundsätze gelten auch für verbundene Unternehmen. Hier ist zu beachten, dass die bloße Ausübung gesellschaftlicher Macht noch keinen tatsächlichen Verwaltungssitz begründet, die eigenständige Rechtspersönlichkeit des abhängigen Unternehmens vielmehr zu respektieren ist. Maßgeblich ist daher für Unterordnungskonzerne der Ort, wo die Geschäftsführungs- und Vertretungsorgane der abhängigen Gesellschaft tätig sind; daran ändert auch eine weitgehende Beherrschung durch die Obergesellschaft nichts5. Der effektive Verwaltungssitz von Holding- oder Konzernobergesellschaften liegt dort, wo die Entscheidungen über die 1 Vgl. dazu näher Thümmel, DZWiR 1997, 335; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 485 ff. Vgl. auch KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, RIW 1997, 597 = IPRax 1998, 360 (m. krit. Anm. Bungert, IPRax 1998, 339) = EWiR 1997, 513 (LS) m. Anm. Luttermann (Nachweis des effektiven Verwaltungssitzes von einer auf den Niederländischen Antillen gegründeten Gesellschaft im Anmeldungsverfahren vor dem deutschen Registergericht verlangt, weil die Gesellschaft nur über geringes Kapital verfügte und keine Anhaltspunkte für eine dort ausgeübte Geschäftsfähigkeit bestanden). 2 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 11; Bechtel, NZG 2001, 21 f.; Borges, RIW 2000, 167 (170); Freitag, NZG 2000, 357 ff.; Kindler, EWiR 1999, 1082; Thorn, IPRax 2001, 102 (108); a.A. OLG Frankfurt a.M. v. 23.6.1999 – 22 U 219/97, GmbHR 1999, 1254 = NJW-RR 2000, 1226 = RIW 1999, 783; OLG Brandenburg v. 9.3.2004 – 6 U 150/02, OLGR 2004, 407; krit. auch Zimmer, FS Lutter (2000), S. 231 (238). 3 KG v. 26.8.1997 – 1 W 2905/97 (Dominion of Melchizedek), NJW-RR 1998, 447. 4 Hausmann in Hausmann/Raupach, S. 19; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 235; Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 24; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 10; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 8; vgl. i.d.S. schon RG v. 16.3.1938, JW 1998, 1715 (1719). 5 BGH v. 23.3.1979 – V ZR 81/77, WM 1979, 692 (693); OLG Hamburg v. 28.5.1973 – 8 U 121/71, IPRspr. 1974 Nr. 11A; OLG Frankfurt a.M. v. 23.3.1988 – 9 U 80/84, AG 1988, 267 = EWiR 1988, 587 (LS) m. Anm. Ebenroth; OLG Karlsruhe v. 24.1.2018 – 6 U 56/17, NZG 2018, 757 = ZIP 2018, 1179; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 463; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 231; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 58; Kegel/Schurig, § 17 II, S. 504. Zur Anknüpfung der Rechtsbeziehungen zwischen herrschender und abhängiger Gesellschaft an das Statut der letzteren Zimmer, IPRax 1998, 187 (188); zust. Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 11; a.A. Renner/Hesselbarth, IPRax 2014, 117.

504 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.81 § 6

Beteiligungen getroffen und umgesetzt werden (z.B. durch Weisung auf Grund eines Beherrschungsvertrages); auf den Weisungsursprung kommt es hingegen nicht an1. e) Rück- oder Weiterverweisung Die Sitztheorie beruft das Recht am effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft im Wege der Gesamtverweisung, so dass eine Rück- oder Weiterverweisung nach dem Grundsatz des Art. 4 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich zu beachten ist2. Eine solche Rückverweisung auf deutsches Recht kommt insbesondere in Betracht, wenn eine im Inland nach deutschem Recht gegründete Personengesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in einem ausländischen Staat hat, der seinerseits die Gründungstheorie befolgt3.

6.79

Demgegenüber konnte es zur wirksamen Gründung einer deutschen Kapitalgesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an im Ausland hatte, grundsätzlich auch dann nicht kommen, wenn das ausländische Sitzrecht auf das deutsche Gründungsrecht zurückverwies, weil es dann regelmäßig an der hierfür erforderlichen Eintragung im deutschen Handelsregister fehlte4. Darüber hinaus konnte auch die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes durch eine in Deutschland gegründete Kapitalgesellschaft in einen Staat, der seinerseits die Gründungstheorie befolgt – trotz der vom neuen Sitzstaat ausgesprochenen Rückverweisung auf deutsches Recht5 – nicht zum Fortbestand der Gesellschaft unter Wahrung ihrer Identität führen, weil das deutsche Sachrecht (§ 5 Abs. 2 AktG a.F., § 4a Abs. 2 GmbHG a.F.) eine Trennung von Satzungs- und Verwaltungssitz nicht zuließ (dazu Rz. 6.103 f.). Dieses Hindernis ist mit Inkrafttreten des MoMiG (Rz. 6.63 f.) am 1.11.2008 entfallen (Rz. 6.106).

6.80

Größere praktische Bedeutung hat die Weiterverweisung in Fällen, in denen die Bundesrepublik Deutschland weder Gründungs- noch Sitzstaat ist. Folgt nämlich in diesem Falle der Sitzstaat der Gründungstheorie, so liegt in dessen Verweisung auf das Recht des Gründungsstaates aus deutscher Sicht eine Weiterverweisung. Sieht also der Staat, in dem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat, die Gründung in einem Drittstaat als wirksam an, so hat dies auch der deutsche Richter nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu respektieren6. Die Gesellschaft

6.81

1 BGH v. 23.3.1979 – V ZR 81/77, WM 1979, 692; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 462. Vgl. auch Neumayer, ZVglRW 83 (1984), 129 ff.; Kaligin, DB 1985, 1449 (1450). 2 BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, NJW 2004, 3706 (3707) = ZIP 2004, 2095; Ferid, Rz. 5–65; Kropholler, IPR, § 55 I 3c; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 12; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 23; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 509 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 107; Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 134 ff.; dazu schon Ebenroth/Eyles, IPRax 1989, 1 (9). 3 Ebenroth/Eyles, IPRax 1989, 1 (9); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 510; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 94, 107 ff.; vgl. auch BGH v. 6.3.1969 – VII ZR 163/68, WM 1969, 671 (672) (zur Parteifähigkeit einer deutschen OHG im Verfahren vor einem Prager Schiedsgericht. Rückverweisung auf deutsches Recht angenommen). 4 Vgl. dazu Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 93; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 517. 5 Ebenroth/Auer, DNotZ 1993, 190 (193); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 510; vgl. auch OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, NJW 2001, 2183 = ZIP 2001, 791 = IPRax 2003, 343 m. Anm. Mansel. 6 Vgl. BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, NJW 2004, 3706 (3707) = RIW 2004, 935 = ZIP 2004, 2095 (Weiterverweisung des thailänd. Sitzrechts auf das Gründungsrecht der Virgin Islands); BGH v. 2.12.2004 – III ZR 358/03, TranspR 2005, 74 (Weiterverweisung des niederländ. Sitzrechts auf das panames. Gründungsrecht); OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, GmbHR 2007, 763 m. Anm. Ringe = BB 2007, 1519 m. Anm. Binz/Mayer; OLG Düsseldorf v. 17.2.2015 – 2 U 53/04,

Hausmann | 505

§ 6 Rz. 6.81 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gilt dann auch in Deutschland als rechtsfähig und ihre Rechtsverhältnisse bestimmen sich insgesamt nach dem Recht des Gründungsstaates; etwaige Einschränkungen der (Weiter-)Verweisung des Sitzstaates auf das Gründungsrecht sind allerdings auch für uns beachtlich1.

6.82

Eine Rück- oder Weiterverweisung scheidet hingegen aus, wenn der Sitzstaat entweder seinerseits auf dem Boden der Sitztheorie steht oder zwar die Gründungstheorie befolgt, die Gesellschaft aber im Sitzstaat auch wirksam gegründet worden ist2.

2. Gründungstheorie a) Ermittlung des Gründungsstatuts

6.83

Soweit das Personalstatut einer Gesellschaft mit Rücksicht auf die Niederlassungsfreiheit oder kraft staatsvertraglicher Verpflichtung mit Hilfe der Gründungstheorie zu bestimmen war, hat die Feststellung, in welchem Staat die Gesellschaft gegründet wurde, in der Praxis bisher wesentlich geringere Probleme aufgeworfen als die Ermittlung des effektiven Verwaltungssitzes. Primär ist vom Recht desjenigen Staates auszugehen, in dem die Gesellschaft sich erstmalig registriert oder angemeldet hat. Für nicht registrierte Gesellschaften gilt stattdessen das Recht des Staats, nach dem die Gesellschaft sich organisiert hat. Ist auch Letzteres nicht eindeutig, kommt es auf das Recht des Staates an, zu dem die Gesellschaft die engsten Verbindungen aufweist3. Voraussetzung für die Anwendung des ausländischen Gründungsrechts durch deutsche Gerichte ist allerdings, dass die Gesellschaft in ihrem Gründungsstaat wirksam gegründet worden ist, d.h. die dortigen Publizitäts- oder Registerpflichten erfüllt hat. Die zum Nachweis der Gründung im Ausland erforderlichen Urkunden müssen, wenn die Rechts- oder Parteifähigkeit der im Ausland gegründeten Gesellschaft bestritten werden, vor deutschen Gerichten im Original und in der Form des § 438 ZPO vorgelegt werden4. Ferner darf die Gesell-

1

2

3 4

IPRspr. 2015 Nr. 185 (Weiterverweisung des US-amerikanischen Sitzrechts auf das schweiz. Gründungsrecht); LG Stuttgart v. 20.10.2017 – 22 O 348/16, WM 2018, 667 (Weiterverweisung des NewYorker Sitzrechts auf das Recht der Cayman Islands); zust. Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 12; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 521; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 108; Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 230; ebenso schon früher RG v. 3.9.1927, RGZ 117, 215 (217) (Delaware/Kentucky); BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, NJW 1984, 2762 = ZIP 1984, 1405 (Kanada); OLG Stuttgart v. 18.3.1974 – 5 U 17/72, NJW 1974, 1627 (Liberia/Bahamas); a.A. Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 23 aE. OLG Hamburg v. 21.1.1987 – 4 U 54/86, RIW 1988, 816 (Rechtsfähigkeit einer engl. Private Ltd. Company mit Verwaltungssitz in der Schweiz kraft Weiterverweisung des schweiz. IPR nach englischem Gründungsrecht beurteilt); OLG Frankfurt a.M. v. 24.4.1990 – 5 U 18/88, NJW 1990, 2204 = IPRax 1991, 403 (m. Anm. Großfeld/König, IPRax 1991, 379) (Rechtsfähigkeit einer in Panama gegründeten Gesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Genf hatte, kraft Weiterverweisung durch das schweiz. IPR (Art. 174 Abs. 1 IPRG) nach dem Recht von Panama beurteilt). OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 236 = IPRax 1998, 358 (m. Anm. Bungert, IPRax 1998, 339) (Annahme der deutschen Verweisung durch das Recht der Cayman Islands, weil Gesellschaft dort wirksam gegründet); OLG Rostock v. 27.11.1996 – 6 U 113/96, RIW 1997, 1042 (1043 (Annahme der deutschen Verweisung durch das schweiz. Recht, weil Gesellschaft dort wirksam gegründet). Vgl. auch LG München I v. 19.8.1999 – 5 HK O 13959/99, RIW 1999, 146 (147). Vgl. i.d.S. – zum deutsch-amerikan. Freundschaftsvertrag von 1954 (dazu Rz. 6.58 ff.) – Kaulen, IPRax 2008, 389 ff.; ähnlich auch der Referentenentwurf des BMJ in Art. 10 Abs. 1 (dazu Rz. 6.66 ff.). Vgl. KG v. 11.2.2005 – 5 U 291/03, NJW-RR 2005, 758 = GmbHR 2005, 771 m. Anm. Grohmann/ Gruschinske.

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A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.85 § 6

schaft nach Maßgabe ihres Gründungsrechts nicht (z.B. durch Registerlöschung) erloschen sein (dazu auch Rz. 6.131)1. b) Rück- oder Weiterverweisung Keine Einigkeit besteht bisher darüber, welche Bedeutung dem Renvoi im Anwendungsbereich der sog. „europarechtlichen Gründungstheorie“ zukommt. Teilweise wird die Ansicht vertreten, es handle sich – wie bei der Verweisung des deutschen IPR auf den Sitz der Gesellschaft in Drittstaatsfällen – um eine Gesamtverweisung. Daher sei der Anwendungsbereich der Art. 49, 54 AEUV nicht eröffnet, wenn der Gründungsstaat in seinem nationalen IPR die Sitztheorie befolge und die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz außerhalb der EU bzw. des EWR habe2. Demgegenüber sollen Rück- und Weiterverweisung durch das Recht des Gründungsstaates nach der Gegenauffassung unbeachtlich sein, weil andernfalls die Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit gefährdet sein könnte; die Verweisung auf das Gründungsrecht sei daher stets Sachnormverweisung3. Die Frage nach einem möglichen Renvoi durch das Recht des Gründungsstaates – z.B. auf das Recht am effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat – stellt sich freilich nur dann, wenn die „europarechtliche Gründungstheorie“ diese Sachverhaltskonstellation überhaupt erfasst. Dies ist indessen nicht der Fall, weil eine aus der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV abzuleitende Verpflichtung des Sitzstaats zur Anerkennung der Gesellschaft nur dann besteht, wenn diese nach dem Recht ihres Gründungsstaates wirksam zur Entstehung gelangt ist, obwohl sie ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an in einem anderen Mitgliedstaat hatte oder ihn nachträglich dorthin verlegt hat. Das für diese Beurteilung maßgebliche „Recht des Gründungsstaats“ umfasst aber auch dessen Kollisionsrecht. Daher entsteht die Gesellschaft in den genannten Fällen aus der Sicht des Gründungsstaates nur dann wirksam, wenn dieser in seinem nationalen Kollisionsrecht die Gründungstheorie befolgt. Steht der Gründungsstaat hingegen auf dem Boden der Sitztheorie, so ist er durch das europäische Recht nicht gehindert, den Wegzug der nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften zu beschränken. Für die aus der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV unter dem Begriff „europarechtliche Gründungstheorie“ entwickelte Kollisionsnorm passt daher die übliche Unterscheidung zwischen Sachnorm- und Gesamtverweisung nicht4.

6.84

III. Anfängliches Auseinanderfallen von Verwaltungssitz und Satzungssitz 1. Sitztheorie a) Geltungsbereich Möchte eine Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an in einem anderen Staat als ihrem Gründungsstaat nehmen, so kommt es für den rechtlichen Fortbestand der Gesellschaft maßgeblich darauf an, ob aus der Sicht des Wegzugs- oder Zuzugsstaates die Sitzoder Gründungstheorie gilt. Ferner muss jeweils sorgfältig zwischen der kollisions- und der sachrechtlichen Ebene unterschieden werden.

1 OLG Thüringen v. 22.8.2007 – 6 W 244/07, RIW 2007, 864 m. Anm. Röder. 2 So Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2241); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (120) in Fn. 44. 3 So Forsthoff, DB 2002, 2471 (2473); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 12; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 46. 4 Hausmann, Gedächtnisschr. Blomeyer (2004), S. 579 (586 f.); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930).

Hausmann | 507

6.85

§ 6 Rz. 6.86 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.86

Die Sitztheorie zwingt Gesellschaften grundsätzlich zur Gründung in dem Staat, der wirtschaftlich am stärksten betroffen ist bzw. zur Sitznahme im Gründungsstaat. Wird die Gesellschaft nicht nach dem Recht am Ort des tatsächlichen Verwaltungssitzes gegründet, so liegt ein „Handeln unter falschem Recht“ vor. Die Lösung ergibt sich dann aus dem in Wahrheit anzuwendenden Recht, mithin dem am effektiven Verwaltungssitz geltenden Recht1. Die nachfolgenden Grundsätze der Sitztheorie gelten aus der Sicht des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts jedenfalls fort, soweit die betroffene Gesellschaft nicht in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV fällt (dazu Rz. 6.12, Rz. 6.46) und keine vorrangigen Staatsverträge eine Anknüpfung an das Gründungsrecht vorschreiben (dazu Rz. 6.51 ff.). b) Inländischer Verwaltungssitz

6.87

Für Kapitalgesellschaften mit inländischem effektiven Verwaltungssitz bedeutet dies, dass sie den Anforderungen des deutschen Rechts genügen müssen. Eigene Rechtspersönlichkeit als AG oder GmbH können sie daher gem. § 41 Abs. 1 S. 1 AktG, § 11 Abs. 1 GmbHG nur durch Eintragung in das deutsche Handelsregister erlangen. Die Sitztheorie verhindert damit, dass eine Kapitalgesellschaft mit inländischem Verwaltungssitz wirksam nach ausländischem Recht gegründet werden kann2. Dies gilt unabhängig davon, ob der ausländische Gründungsstaat seinerseits der Sitz- oder der Gründungstheorie folgt. Die Scheinauslandsgesellschaft erlangt in diesem Falle Rechtsfähigkeit allenfalls als Personengesellschaft (OHG, BGB-Gesellschaft; dazu Rz. 6.89). Die deutsche Rechtsprechung hatte im Ausland gegründete Gesellschaften, die ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an im Inland hatten, ohne zugleich den inländischen Anforderungen an den Erwerb eigener Rechtspersönlichkeit zu genügen, bis zum Jahre 2002 die Rechtsfähigkeit sogar schlechthin abgesprochen3.

6.88

Daran ändert sich auch dann nichts, wenn die Kapitalgesellschaft ihren Satzungssitz in dem ausländischen Staat hat, nach dessen Recht sie gegründet worden ist. In diesem Falle kann sie zwar möglicherweise nach dem Recht ihres Gründungsstaates rechtsfähig sein; die Schutzfunktion der Sitztheorie verlangt jedoch, dass die Gesellschaft im Inland jedenfalls nicht als ausländische Kapitalgesellschaft mit den sich hieraus ergebenden Privilegien anerkannt wird. 1 Vgl. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 426; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 489 ff. 2 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 85, 427; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 517; Ebenroth/ Eyles, DB 1988, Beil. 2, S. 6; Ebke, JZ 1999, 656 (657); a.A. Forsthoff, DB 2000, 1112; und EWS 2001, 63. 3 BGH v. 30.1.1970 – V ZR 139/68, BGHZ 53, 181 (183) = NJW 1970, 998; BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, IPRax 1993, 248 (m. Anm. Großfeld/Luttermann, IPRax 1993, 229) = RIW 1992, 867 (m. Anm. Ebenroth/Auer, RIW 1992, 998) = DB 1992, 2067 m. Anm. Knobbe-Keuk (beide zu liechtenstein. Anstalten); OLG Hamburg v. 20.2.1986 – 6 U 147/85, NJW 1986, 2199; OLG Oldenburg v. 4.4.1989 – 12 U 13/89, GmbHR 1990, 346 = NJW 1990, 1422; KG v. 13.6.1989 – 6 U 591/89, NJW 1989, 3100 = RIW 1990, 496; LG Köln v. 25.11.1985 – 16 O 41/84, GmbHR 1986, 314 = RIW 1987, 54 = IPRspr. 1985 Nr. 23; LG Stuttgart v. 31.7.1989 – 7 O 64/89, IPRax 1990, 118 (m. Anm. Fischer, IPRax 1990, 100); LG Marburg v. 17.9.1992 – 1 O 115/92, GmbHR 1993, 299 = NJW-RR 1993, 222 = RIW 1994, 63; LG Essen v. 10.3.1994 – 2 O 315/93, NJW 1995, 1500 = IPRax 1996, 120 (m. Anm. Jayme, IPRax 1996, 87); LG Stuttgart v. 10.8.2001 – 5 KfH O 76/01, GmbHR 2002, 697 = NJW-RR 2002, 463 (466 f.) (alle zur Private Ltd. engl. Rechts); OLG Brandenburg v. 31.5.2000 – 14 U 144/99, ZIP 2000, 1616 = NJW-RR 2001, 29 = RIW 2000, 798 (irische Ltd.); OLG Zweibrücken v. 20.10.2000 – 3 W 171/00, RIW 2001, 373 (costarican. GmbH); LG Rottweil v. 28.1.1985 – HO 93/84, RIW 1986, 636 = IPRax 1986, 110 (m. Anm. von der Seipen, IPRax 1986, 92) (liechtenstein. AG).

508 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.90 § 6

So liegt es insbesondere häufig, wenn typische „Briefkastengesellschaften“ eingeschaltet werden. Hat eine solche Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb im Inland, so fallen effektiver Verwaltungssitz und satzungsmäßiger Sitz auseinander. Die bloße Anwesenheit des gesetzlichen Vertretungsorgans am Ort des „Briefkastens“ reicht nicht aus, um dort einen effektiven Verwaltungssitz zu begründen. Die Briefkastenfirma wird daher im Inland als ausländische juristische Person nicht anerkannt1. Entgegen der früher überwiegend vertretenen Auffassung hat das Auseinanderfallen von Satzungssitz und effektivem Verwaltungssitz schon im Zeitpunkt der Gründung der Gesellschaft freilich nicht zur Folge, dass die im Ausland gegründete Gesellschaft im Inland als „nichtexistente Rechtsperson“ behandelt wird2. Sie ist vielmehr auch dann, wenn sie nicht in einem Mitgliedstaat der EU (bzw. des EWR) gegründet wurde3, in Deutschland zumindest als Personengesellschaft des Handelsrechts (OHG) oder des bürgerlichen Rechts (GbR) anzuerkennen und genießt auch als solche die volle Rechts- und Parteifähigkeit4.

6.89

Auf diese Weise werden zwar die Rechtsfolgen der Anknüpfung an den Verwaltungssitz der Gesellschaft abgemildert, zugleich werden freilich neue Probleme aufgeworfen. Denn das im Sitzstaat (nur) als rechtsfähige Personengesellschaft (z.B. OHG) anerkannte Gebilde wird im Gründungsstaat und den Staaten, die ihrerseits die Gründungstheorie befolgen, weiterhin als rechtsfähige Kapitalgesellschaft (z.B. AG oder GmbH) behandelt; es kommt mithin zu einer Statutenverdoppelung5. Dies hat namentlich im Prozessrecht weitreichende und bisher nicht befriedigend gelöste Konsequenzen, weil z.B. ein in Kanada gegen eine dort gegründete Corporation erreichtes Urteil nicht ohne Weiteres gegen die in Deutschland nur als OHG anerkannte Gesellschaft vollstreckt werden könnte. Auch die Rechtshängigkeitssperre nach § 261 ZPO analog würde wegen der fehlenden Identität der verklagten Gesellschaften leer laufen, so dass parallele Prozesse von Gläubigern gegen die OHG in Deutschland und gegen die Corporation in Kanada kaum vermieden werden könnten6.

6.90

1 Vgl. von Falkenhausen, Durchgriffshaftung mit Hilfe der Sitztheorie des internationalen Gesellschaftsrechts, RIW 1987, 808 (819); Hausmann in Hausmann/Raupach, S. 24 f. Vgl. auch – zur Rechtslage vor der „Überseering“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.19 ff.) – OLG München v. 31.10.1994 – 26 U 2596/94, NJW-RR 1995, 703 (zur Nichtanerkennung der Rechtsfähigkeit einer „société anonyme“ luxemburg. Rechts, die zur Urkunde eines deutschen Notars gegründet worden war und ihren effektiven Verwaltungssitz im Inland hatte). 2 So noch LG Aurich v. 11.7.1967 – Q 20/67, IPRspr. 1968/1969 Nr. 14; zust. Großfeld in Staudinger, IntGesR (1998) Rz. 427. Vgl. ferner die Nachw. zu Rz. 6.87. 3 Zur erweiterten Anerkennung von innerhalb der EU bzw. des EWR gegründeten Gesellschaften näher Rz. 6.114 ff. 4 Sog. “modifizierte Sitztheorie“; vgl. BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, ZIP 2002, 1763 = BB 2002, 2031 (2032) m. Anm. Gronstedt unter Hinweis auf BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056 = ZIP 2001, 330 und BGH v. 18.2.2002 – II ZR 331/00, NJW 2002, 1207 = ZIP 2002, 614 (zur Rechts- und Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft). Vgl. auch BayObLG v. 20.2.2003 – 1Z AR 160/02, DB 2003, 819 f. (Gesellschaft mit Satzungssitz in Sambia und effektivem Verwaltungssitz in Deutschland ist als inländ. Personengesellschaft zu behandeln); von Bar/ Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 137 ff. 5 Zutr. Behrens, IPRax 2003, 193 (200 f.); M.-Ph. Weller, IPRax 2009, 201 (207 f.). 6 Krit. deshalb Binz/Mayer, BB 2007, 1521 (1522); Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338 (341).

Hausmann | 509

§ 6 Rz. 6.91 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

c) Ausländischer Verwaltungssitz

6.91

Die Gründung einer Kapitalgesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an im Ausland hatte, in der Rechtsform einer deutschen AG oder GmbH war unter Geltung der Sitztheorie bisher nicht zulässig1. Daran ist auch weiterhin festzuhalten, wenn der ausländische Sitzstaat seinerseits auf dem Boden der Sitztheorie steht; denn für diesen Fall verweist das deutsche IPR auf das Recht am effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft, das diese Verweisung annimmt und in seinem materiellen Gesellschaftsrecht die Rechtsform der deutschen AG/GmbH nicht kennt. Die Streichung der § 5 Abs. 2 AktG a.F., § 4a Abs. 2 GmbHG a.F. durch das MoMiG (Rz. 6.64 f.) hat daran nichts geändert, weil es sich insoweit um Vorschriften des materiellen deutschen Gesellschaftsrechts handelt, die bei Geltung ausländischen Gesellschaftsstatuts keine Anwendung finden (dazu Rz. 6.65 m. Nachw.)2. Die Gesellschaft kann daher – wie im umgekehrten Fall (vgl. Rz. 6.89) – im Inland nur als OHG oder BGB-Gesellschaft anerkannt werden. Befolgt der ausländische Sitzstaat hingegen die Gründungstheorie, so kommt ein Renvoi auf deutsches Recht in Betracht, der nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch für den deutschen Richter beachtlich ist und zur Anerkennung der nach deutschem Recht gegründeten Gesellschaft trotz ihres ausländischen Verwaltungssitzes führen kann (dazu näher Rz. 6.79 ff.)3. Diese Anerkennung ist auch nicht mehr auf Personengesellschaften beschränkt; vielmehr ist seit Inkrafttreten des MoMiG auch eine deutsche AG oder GmbH, die von Anfang an im Ausland verwaltet wird, im deutschen Handelsregister einzutragen, soweit die Gesellschaft kraft Rückverweisung durch das Recht am effektiven Verwaltungssitz ein deutsches Personalstatut hat4. Voraussetzung ist freilich, dass die Gesellschaft zumindest ihren Satzungssitz im Inland hat5.

6.92

Die Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz ist schließlich im Sinne einer allseitigen Kollisionsregel zu verstehen, die nicht nur bestimmt, wann deutsches Recht gilt, sondern auch die Frage regelt, welches ausländische Recht Gesellschaftsstatut ist. Sie schützt mit anderen Worten die Interessen des ausländischen Staates, in dem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz hat, auch dann, wenn die Gesellschaft nach dem Recht eines dritten Staates gegründet worden ist und dort ihren satzungsmäßigen Sitz hat. Damit billigen wir also dem ausländischen Sitzstaat denjenigen Schutz zu, den wir für Gesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz selbst in Anspruch nehmen6. Eine in Kanada gegründete Gesellschaft, deren Verwaltung effektiv in Paris geführt wird, kann somit in Deutschland als eigenständige Rechtsperson nur anerkannt werden, wenn sie auch den französischen Gründungsanforderungen genügt7. Im umgekehrten Fall der Verwaltung einer französischen Gesellschaft in Kanada ist das Auseinanderfallen von effektivem Verwaltungssitz und Satzungssitz hingegen ausnahmsweise unschädlich, weil das kanadische Sitzrecht sich mit der wirksamen Gründung nach dem französischen Gründungsrecht begnügt (Weiterverweisung, vgl. Rz. 6.81 f.).

1 Großfeld/König, RIW 1992, 433; Kösters, NZG 1998, 241 (242). 2 Vgl. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 520. 3 Hausmann in Hausmann/Raupach, S. 27; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 519; a.A. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 93. 4 So auch Franz/Laeger, BB 2008, 678 (683). 5 Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90 (92); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 94. 6 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 98 ff.; Raape, S. 198; a.A. Wiedemann, Intern. Gesellschaftsrecht, S. 203. 7 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 521.

510 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.95 § 6

2. Gründungstheorie Fraglich ist, ob die zuvor dargestellten Grundsätze auch dann noch gelten, wenn die Gesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz von Anfang an im Inland hatte, in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR gegründet worden ist. Die deutsche Rechtsprechung hat dies mit der Begründung abgelehnt, dass die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV – ebenso wie bei einer nachträglichen Sitzverlegung (dazu Rz. 6.114 ff.) – die Anerkennung der Rechtsfähigkeit solcher Gesellschaften gebiete1.

6.93

BayObLG v. 19.12.2002 – 2Z BR 7/02, BayObLGZ 2002, 413 = ZIP 2003, 398 = NZG 2003, 290 (m. Aufs. Leible/Hoffmann, NZG 2003, 259) = IPRax 2003, 244 (m. Anm. Behrens, IPRax 2003, 193) = EWiR 2003, 273 (LS) m. Anm. Mankowski Grundbuchfähigkeit einer englischen „private limited company“ anerkannt, obwohl es sich um eine Scheinauslandsgesellschaft handelte. Nach Ansicht des Senats ergreift das Diskriminierungsverbot der Art. 43, 48 EG „auch die Fälle ..., in denen eine Gesellschaft wirksam nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurde und dort Rechtsfähigkeit erlangt hat, ihren faktischen Sitz aber stets nur in Deutschland hatte“.

Da es in diesem Fall an einer Mobilitätskomponente fehlt, ist diese Auslegung freilich durch das EU-Recht nicht zwingend vorgeschrieben. Ein Recht zur Gründung von Briefkastengesellschaften kann richtigerweise aus der Niederlassungsfreiheit nicht abgeleitet werden2. Auch aus dem Recht der Scheinauslandsgesellschaft, eine Zweigniederlassung im Inland gründen zu dürfen (dazu Rz. 6.133 ff. m.w.N.), folgt nichts anderes.

6.94

IV. Probleme der Sitzverlegung 1. Allgemeines a) Kollisions- und Sachrecht Ist eine Gesellschaft somit nach der Sitztheorie grundsätzlich gezwungen, ihren effektiven Verwaltungssitz im Gründungsstaat zu nehmen, so bleibt die Frage zu beantworten, ob sie nicht nach einer wirksamen Gründung ihren Verwaltungssitz in einen anderen Staat verlegen kann. Die Probleme der internationalen Sitzverlegung von Gesellschaften lassen sich in ihrem Wesen auf die Frage verkürzen, „ob die von einer bestimmten Staatshoheit verliehene Rechtsfähigkeit beliebig in ein anderes Land übertragen werden kann“3. Es geht also um den Umzug einer Gesellschaft von einem Staat in einen anderen unter Wahrung ihrer Identität.

1 BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 149 (151 f.) = NJW 2005, 3351 = GmbHR 2005, 1483 m. Anm. Wachter = MDR 2006, 105 m. Anm. Haack; BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, ZIP 2004, 2095 = NJW 2004, 3706; OLG Frankfurt a.M. v. 28.5.2003 – 23 U 35/02, IPRax 2004, 56 (58) (m. Anm. Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26); OLG Zweibrücken v. 26.3.2003 – 3 W 21/ 03, NZG 2003, 537 (538) = GmbHR 2003, 530; zust. Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243 f.); Leible/ Hoffmann, ZIP 2003, 926 (929); Schön, ZGR 2013, 333 (352 f.); Verse, ZEuP 2013, 458, (473); Weller, IPRax 2003, 324 (327). 2 Wie hier Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (256); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2475); Franz, BB 2009, 1250 (1251); Kindler, NJW 2003, 1073 (1078) und EuZW 2012, 888 (890); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (126); Teichmann, DB 2012, 2087; Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (40 f.). 3 RG v. 22.1.1916, RGZ 88, 53 (54); BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134 (144) = NJW 1957, 1433; vgl. dazu eingehend Großfeld/Jasper, RabelsZ 53 (1989), 52 ff.; Großfeld/König, IPRax 1991, 379 (380); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 604; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 824.

Hausmann | 511

6.95

§ 6 Rz. 6.96 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.96

Bei der Problemlösung sind die Kollisionsrechte sowohl des Wegzugs- wie des Zuzugsstaates zu beachten. Die Gesellschaft besteht nach der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes nur dann in ihrer bisherigen Gesellschaftsform fort, wenn beide Rechtsordnungen dies im Ergebnis zulassen. Es ist mithin erforderlich, dass das am alten Sitz geltende Recht die Sitzverlegung ins Ausland erlaubt und die Gesellschaft zugleich diejenigen Bedingungen erfüllt, von denen das Recht des neuen Sitzes den Fortbestand der Gesellschaft abhängig macht1. Darüber hinaus darf auch das Sachrecht des bisherigen Sitzstaates einer Übertragung der nach diesem Recht erteilten Rechtsfähigkeit ins Ausland nicht entgegenstehen2. Der EuGH spricht insoweit von einer sukzessiven Rechtsanwendung“3. b) Wegzug und Zuzug

6.97

Nach dem bisherigen Stand des Unionsrechts hängt die Mobilität von Gesellschaften, die in der EU bzw. dem EWR gegründet wurden und ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat der EU bzw. Vertragsstaat des EWR verlegen wollen, maßgeblich von der Ausgestaltung des Kollisions- und Sachrechts des Gründungsstaates ab. Denn die Niederlassungsfreiheit gebietet nach der Auslegung der Art. 49, 54 AEUV durch den EuGH nur die Anerkennung des Zuzugs einer in einem anderen Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft („Überseering“, Rz. 6.19 ff.), verpflichtet den Gründungsstaat aber nicht, den identitätswahrenden Wegzug „seiner“ Gesellschaften zu gestatten („Cartesio“, Rz. 6.26 ff.). Dies kann nach Einstellung der Arbeiten an einem Richtlinienvorschlag für die grenzüberschreitende Verlegung des Satzungssitzes von Kapitalgesellschaften4 bis auf Weiteres nur durch den jeweiligen nationalen Gesetzgeber des Wegzugsstaates geändert werden.

2. Verlegung des Sitzes einer in Deutschland gegründeten Gesellschaft ins Ausland a) Kein Einfluss der Niederlassungsfreiheit

6.98

Der EuGH hatte bereits in seiner „Daily Mail“-Entscheidung (Rz. 6.13 f.) festgestellt, dass vom Gründungsstaat angeordnete Wegzugsbeschränkungen für Gesellschaften – anders als für natürliche Personen5 – europarechtlich nicht kontrolliert werden. An dieser Auffassung

1 OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349 m. Anm. Stiegler = DNotZ 2014, 150 m. Anm. Hushahn = IPRax 2015, 163 (m. Anm. Hübner, IPRax 2015, 134); OLG Nürnberg v. 13.2.2012 – 12 W 2361/11, ZIP 2012, 572 = NZG 2012, 468 = IPRax 2013, 179 (m. Anm. Bartels, IPRax 2013, 153; OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, ZIP 2005, 489 = GmbHR 2005, 484 m. Anm. Ringe; OLG Düsseldorf v. 10.9.1998 – 5 U 1/98, JZ 2000, 103 m. Anm. Ebke; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 f.; Weller, FS Blaurock (2013), S. 497 (516); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 606; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 37 f.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 829; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 13, jeweils m.w.N. 2 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 606; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 824, 824 ff.; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 47; vgl. auch zum deutsch-amerikan. Freundschaftsvertrag BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, NJW 2003, 1607 (1608) = ZIP 2003, 720. 3 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 (Rz. 37, 44); dazu M.-Ph. Weller, FS Baurock (2013), S. 497 (517 f.). 4 Vgl. dazu Behme, BB 2008, 70 (73); Grohmann/Gruschinske, GmbHR 2008, 27; Kindler, Status: Recht 2008, 68 (69). 5 Vgl. zu dieser Differenzierung zwischen natürlichen und juristischen Personen bezüglich der Wegzugsfreiheit Triebel/von Hase, BB 2003, 2409 (2410 f.).

512 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.99 § 6

hatte er sowohl in seinem „Centros“-Urteil (Rz. 6.15 ff.)1 als auch in seinen Entscheidungen „Überseering“ (Rz. 6.19 ff.) und „Inspire Art“ (Rz. 6.22 ff.)2 ausdrücklich festgehalten. Danach hat der Gründungsstaat das Recht, einer Gesellschaft „Beschränkungen hinsichtlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet aufzuerlegen, damit sie die ihr nach dem Recht dieses Staates zuerkannte Rechtspersönlichkeit beibehalten kann“ („Überseering“, Rz. 70). Bei einem Verstoß gegen diese Beschränkungen sei der Gründungsstaat daher nicht verpflichtet, die von ihm verliehene Rechtspersönlichkeit auch nach einer Sitzverlegung ins Ausland weiterhin anzuerkennen. Ein aus der Niederlassungsfreiheit abgeleitetes Recht auf identitätswahrenden Wegzug gegen den Willen des Gründungsstaates wird Gesellschaften also nicht zugestanden.3 Für den Wegzug von deutschen Gesellschaften in andere EU-/EWR-Mitgliedstaaten galten daher bis zum Inkrafttreten des MoMiG (Rz. 6.63 f.) die bisherigen – aus der modifizierten Sitztheorie abgeleiteten – Grundsätze (Rz. 6.103 f.) fort, d.h. die Verlegung des Verwaltungs- und/oder Satzungssitzes einer deutschen Kapitalgesellschaft ins EU-/EWR-Ausland wurde ebenso wenig anerkannt wie die Sitzverlegung in einen Drittstaat. Die Sitzverlegung konnte nicht im deutschen Handelsregister eingetragen werden, sondern hatte i.d.R. die Liquidation der Gesellschaft zur Folge4. Die vom EuGH vorgenommene Differenzierung zwischen Zuzugs- und Wegzugsbeschränkungen wird zwar in der Literatur schon seit längerem kritisiert. Sie widerspreche nicht nur der Auslegung der sonstigen Grundfreiheiten, die gleichermaßen für Import- wie Exportsachverhalte gälten, sondern stehe auch mit der Auslegung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV durch den EuGH, soweit natürliche Personen betroffen sind, nicht in Einklang5. Allein 1 Vgl. Behrens, IPRax 2000, 323 (329 f.); Forsthoff, DB 2000, 1109 (1111); Hammen, WM 1999, 2487 (2490); Kindler, NJW 1999, 1993 (1998); Lange, DNotZ 1999, 599 (607). 2 Vgl. EuGH v. 5.11.2002 – C-208/00, ECLI:EU:C:2002:632 (Überseering), NJW 2002, 3614 (Rz. 70) = ZIP 2002, 2037; EuGH v. 30.9.2003 – C-167/01, ECLI:EU:C:2003:512 (Inspire Art), NJW 2003, 3331 (Rz. 103) = ZIP 2003, 1885; zust. Geyrhalter/Gänßler, FG Köln v. 14.11.2002 – 10 K 3475/02, NZG 2003, 400 (411); Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (932 f.); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (803); Oechsler, NJW 2006, 812 (813); M.-Ph. Weller, IPRax 2003, 324 (327). 3 Schön, ZGR 2013, 333 (355); Verse, ZEuP 2013, 458 (462); Weller, FS Blaurock (2013), S. 497 (518 f.); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 825 m.w.N. 4 Vgl. i.d.S. noch nach dem „Centros“-Urteil des EuGH (Rz. 6.15 ff.): OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, ZIP 2001, 791 = NJW 2001, 2183 (England); OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 2 Wx 88/01, ZIP 2001, 790 = NJW 2001, 2184 = NZG 2001, 506 (m. Anm. Kieninger, NZG 2001, 610) (Niederlande). Ebenso noch nach dem „Überseering“-Urteil des EuGH (Rz. 6.19 ff.): BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR 175/03, ZIP 2004, 806 = NJW-RR 2004, 836 = GmbHR 2004, 490 m. Anm. Stieb (Portugal); OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, ZIP 2005, 489 = GmbHR 2005, 484 m. Anm. Ringe (Italien); LG Berlin v. 22.2.2005 – 102 T 1/05, GmbHR 2005, 997 (Frankreich); OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, ZIP 2007, 2124 = NZG 2007, 915 (Eintragung des Beschlusses über die Sitzverlegung einer deutschen GmbH nach Portugal ins deutsche Handelsregister abgelehnt). Zur Differenzierung zwischen Beschränkungen des Zuzugs und des Wegzugs von Gesellschaften schon vor der „Cartesio“-Entscheidung des EuGH Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249 (256); Eidenmüller, JZ 2004, 24 (29); Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (175); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2474 f.); Grohmann/Gruschinske, GmbHR 2008, 27 (30); Kallmeyer, DB 2002, 2521 (2522); Lutter, BB 2003, 7 (10); Mülbert/Schmolke, ZVglRW 100 (2001), 223 (257); Schmidtbleicher, BB 2007, 613 (615); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3592); Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (27). Ebenso im Rahmen des deutsch-amerikanischen Freundschaftsvertrages auch BFH v. 29.1.2003 – I R 6/99, ZIP 2003, 1340 = BB 2003, 1210. 5 Zur „Wegzugsfreiheit“ natürlicher Personen vgl. EuGH v. 11.3.2004 – C-9/02, ECLI:EU: C:2004:138 (de Lasteyrie du Saillant), Slg. 2004 I, 2409 = NJW 2004, 2439 = RIW 2004, 392 m. Anm. Meilicke. Für Übertragung dieser Rechtsprechung auf Gesellschaften Kleinert, DB 2004, 673 (674); Schmidtbleicher, BB 2007, 613 (616); Teichmann, ZIP 2006, 355 (357).

Hausmann | 513

6.99

§ 6 Rz. 6.99 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

das Argument, dass Gesellschaften ihre Existenz dem Gründungsstaat verdanken, könne als Rechtfertigung für eine Diskriminierung gegenüber natürlichen Personen nicht ausreichen1. Darüber hinaus führe die Rechtsprechung des EuGH zu einer erheblichen Benachteiligung von Gesellschaften, deren Gründungsstaaten in ihrem nationalen Kollisionsrecht auf dem Boden der Sitztheorie stehen. Denn diese Gesellschaften würden quasi in ihrem Gründungsstaat „eingemauert“, während Gesellschaften aus Staaten, die der Gründungstheorie folgen, ungehindert in alle anderen Mitgliedstaaten auswandern könnten. Da die Niederlassungsfreiheit somit in ihrer Funktion als „Wegzugsfreiheit“ im Ergebnis auf Gesellschaften aus Gründungstheorie-Staaten beschränkt2 ist, wird das vom Gründungsstaat im Gewande der Sitztheorie angeordnete Verbot der identitätswahrenden Sitzverlegung in einen anderen Mitgliedstaat von vielen schon de lege lata als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gewertet3.

6.100

Der EuGH ist dieser Kritik indessen – wie gezeigt (Rz. 6.26 ff.) – in seiner „Cartesio“-Entscheidung nicht gefolgt. Es bleibt vielmehr Sache des jeweiligen Mitgliedstaats, ob er „seinen“ Gesellschaften durch entsprechende Regelungen im nationalen Kollisions- oder Sachrecht Wegzugsfreiheit einräumen möchte oder nicht4. Er darf – wie in der „Vale“-Entscheidung (Rz. 6.31 f.) klargestellt wurde – lediglich einer vom Zuzugsstaat ermöglichten formwechselnden Umwandlung keine sachrechtlichen Hindernisse entgegenstellen5. b) Verlegung nur des Verwaltungssitzes aa) Kollisionsrecht

6.101

Verlegt eine nach deutschem Recht wirksam gegründete Gesellschaft nur ihren Verwaltungssitz ins Ausland, so kommt es aus kollisionsrechtlicher Sicht wiederum darauf an, ob der neue Sitzstaat der Sitztheorie oder der Gründungstheorie folgt. Gilt dort die Sitztheorie, wird die vom deutschen Recht ausgesprochene Gesamtverweisung (Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB) vom neuen Sitzrecht angenommen; dieses beherrscht daher vom Zeitpunkt der Sitzverlegung an die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft6. Deren Fortbestand scheitert daher i.d.R. daran, dass die Gründungsvoraussetzungen des neuen Sitzrechts nicht erfüllt sein werden; deshalb ist meist eine Neugründung im Zuzugsstaat erforderlich7. Ob dies auch im Verhältnis zu EU1 W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121 f.); Triebel/von Hase, BB 2003, 2409 (2410). 2 Bayer, BB 2004, 2357 (2364); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925 (929); Lutter, BB 2003, 7 (10); Paefgen, WM 2003, 561 (568); Teichmann, ZIP 2006, 355 (357). 3 So etwa Baudenbacher/Buschle, IPRax 2004, 26 (28); Behrens, IPRax 2003, 193 (205); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2243) und JZ 2003, 526 (528); Forsthoff, DB 2003, 2471 (2473); Großerichter, DStR 2003, 159 (164 f.); Kieninger, NZG 2001, 610 (611); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (803); Paefgen, DZWiR 2003, 441 (443); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (121 f.); Schmidtbleicher, BB 2007, 613 (615 f.); Schulz/Sester, EWS 2003, 2471 (2473); Triebel/von Hase, BB 2002, 2409 (2410); Wertenbruch, NZG 2003, 618 (620); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 7. S. auch AG Heidelberg v. 3.3.2000 – HRB 831 – SNH, RIW 2000, 557 = IPRax 2000, 425 (m. Anm. Behrens, IPRax 2000, 384) = ZIP 2000, 1617 (m. Aufs. W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597) = NZG 2000, 927 (m. Aufs. Jaeger NZG 2000, 918). 4 Kindler, NZG 2009, 130 ff.; W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 (977). 5 Vgl. näher Leible/Hoffmann, BB 2009, 58 ff.; Teichmann, ZIP 2009, 393 (401 ff.). 6 BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, BayObLGZ 1992, 113 (116) = GmbHR 1992, 529 = NJW-RR 1993, 43; BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR 175/03, BayObLGZ 2004, 24 = DNotZ 2004, 725 m. Anm. Thölke = GmbHR 2004, 490 m. Anm. Stieb; OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, ZIP 2005, 489 = GmbHR 2004, 484 m. Anm. Ringe; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 608, 617 ff.; Kindler, IPRax 2009, 189 (199); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 (979). 7 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 826; Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 71.

514 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.103 § 6

Mitgliedstaaten gilt, die zwar – wie das deutsche Recht – im Verhältnis zu Drittstaaten der Sitztheorie, im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedstaaten aber der europäischen Gründungstheorie folgen, ist allerdings fraglich1. Folgt der Zuzugsstaat hingegen der Gründungstheorie, so steht der Verlegung allein des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer inländischen Gesellschaft in diesen Staat ein kollisionsrechtliches Hindernis nicht entgegen. Denn der neue Sitzstaat erkennt die nach dem deutschen Gründungsrecht erworbene Rechtsfähigkeit an und fordert keine neuerliche Inkorporation in Übereinstimmung mit seinen Gesetzen. Das vom deutschen IPR zur Anwendung berufene neue Sitzrecht spricht mithin eine Rückverweisung auf das deutsche Gründungsrecht aus, die nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten ist und zur Anwendung des deutschen Sachrechts führt2.

6.102

bb) Sachrecht Weitere Voraussetzung für eine wirksame grenzüberschreitende Sitzverlegung ist jedoch die Zulässigkeit einer Übertragung der vom Inland erteilten Rechtsfähigkeit ins Ausland bzw. deren Fortbestand trotz Sitzverlegung nach dem internen Sachrecht des Wegzugsstaates3. Da eine deutsche Gesellschaft sich mit Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes ins Ausland aus dem Rechtskreis löst, von dem sie ihre Rechtsfähigkeit ableitet, wertete die in Deutschland h.M. bis zum MoMiG die Sitzverlegung ins Ausland als zwingenden Grund für die Liquidation der Gesellschaft, unabhängig vom entgegenstehenden Willen der Gesellschafter oder einer entsprechenden Satzungsbestimmung4. 1 Für Annahme einer Rückverweisung im Interesse des internationalen Entscheidungseinklangs in diesem Fall Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 827; a.A. (Ablehnung eines identitätswahrenden Wegzugs unter der europarechtlichen Gründungstheorie) Hausmann, GS Blomeyer (2004), S. 579 (591 f.). 2 Behrens, IPRax 2000, 323 (330); Ebenroth/Auer, RIW 1992, Beil. 1, S. 1 (6 f.) und DNotZ 1993, 190 (193); Ebenroth/Eyles, DB 1988, Beil. 2, S. 1 (7); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 (979); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 828; zust. BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, ZIP 2004, 2095 = NJW 2004, 3706; OLG Karlsruhe v. 7.2.2008 – 19 U 32/07, BeckRS 2008, 6653; ebenso schon früher OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, ZIP 2001, 791 = NJW 2001, 2183 = IPRax 2001, 343; OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 2 Wx 88/01, ZIP 2001, 790 = NJW 2001, 2184 = IPRax 2001, 343; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, GmbHR 1997, 848 = WiB 1997, 1242 m. Anm. Mankowski = ZIP 1997, 1696, m. Anm. Neye; a.A. Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 13, 70. 3 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 606 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 829; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 47. 4 RG v. 5.7.1882, RGZ 7, 68 (69); BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134 (144) = NJW 1957, 1433; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, ZIP 1997, 1696 = WiB 1997, 1242 m. Anm. Mankowski; OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 2 Wx 88/01, ZIP 2001, 790 = NJW 2001, 2184 = NZG 2001, 506 (m. Kieninger, NZG 2001, 610); OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, ZIP 2001, 791 = NJW 2001, 2183; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, GmbHR 1997, 848 = NJW-RR 1998, 615; zust. Borges, EWiR 2003, 927 (928); Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2242); Forsthoff, DB 2002, 2471 (2474); Michalski, NZG 1998, 762 (764); Schwarz, NZG 2001, 613; Kegel/Schurig, § 17 II 2; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 617 ff. m.w.N. Vgl. auch OLG Köln v. 30.9.1998 – 2 Wx 22/ 98, GmbHR 1999, 182 = RIW 1999, 145 = IPRax 2000, 130 (m. Anm. Teichmann, IPRax 2000, 110) = EWiR 1999, 261 (LS) m. Anm. Mankowski (Abwicklung des Tagesgeschäfts einer deutschen GmbH durch den Geschäftsführer mittels Korrespondenz und Telefonkontakt vom Ausland aus als mögliche Verlegung des Verwaltungssitzes gewertet, die zur Auflösung der Gesellschaft führen würde).

Hausmann | 515

6.103

§ 6 Rz. 6.104 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.104

Die gleiche Rechtsfolge sollte sich bereits an den Beschluss des zuständigen Gesellschaftsorgans zur Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes in das Ausland knüpfen. Dieser Beschluss wurde mithin als Auflösungsbeschluss gewertet. Dementsprechend wurde die Eintragung eines Sitzverlegungsbeschlusses abgelehnt; stattdessen war die Auflösung der Gesellschaft zum Handelsregister anzumelden1. Begründet wurde diese Haltung vor allem mit dem Schutz von Gesellschafter- und Gläubigerinteressen sowie mit der engen Verknüpfung juristischer Personen mit dem Staat ihrer Gründung2. Ferner wurde auf die parallele Wertung des Steuerrechts verwiesen; danach habe die Sitzverlegung einer im Inland steuerpflichtigen Körperschaft ein Ausscheiden aus der Steuerpflicht bei gleichzeitiger Liquidation der Gesellschaft zur Folge, um auf diese Weise die bisher nicht versteuerten Gewinne im Inland zu erfassen3.

6.105

Diese Annahme eines sachrechtlichen Hindernisses für die Verlegung des Verwaltungssitzes deutscher Gesellschaften ins Ausland wurde schon seit längerem kritisiert4. Sie überzeugte insbesondere dann nicht, wenn die deutsche Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in einen Staat verlegte, der auf dem Boden der Gründungstheorie stand. Denn für diesen Fall ergab sich das Recht zu einer identitätswahrenden Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes bereits aus den Grundsätzen über die Beachtung einer Rück- und Weiterverweisung nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht5. Ziel des Renvoi ist es, den internationalen Entscheidungseinklang mit dem neuen Sitzstaat herzustellen6. Überzeugende Wertungen des deutschen Sachrechts, die es rechtfertigen könnten, diese kollisionsrechtliche Entscheidung als „sinnwidrig“ i.S.v. Art. 4 Abs. 1 S. 1 HS. 2 EGBGB anzusehen, waren und sind aber nicht ersichtlich. Dies gilt insbesondere für den Hinweis auf die Parallelwertung des internationalen Steuerrechts in § 12 KStG; denn nach zutreffender Auslegung dieser Vorschrift besteht die unbeschränkte Steuerpflicht auch dann weiter, wenn und solange die Gesellschaft ihren Satzungssitz (§ 11 AO) im Inland beibehält7.

1 BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134 (144); BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, BayObLGZ 1992, 113 (116) = GmbHR 1992, 529 = EuZW 1992, 548 m. abl. Anm. Behrens (Beschluss einer deutschen GmbH mit Sitz in München, ihren Verwaltungssitz nach England zu verlegen, als Grund für die Auflösung der Gesellschaft gewertet); OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, RIW 1997, 874 = IPRax 1998, 363 (m. Anm. Bechtel, IPRax 1998, 348) = ZIP 1997, 1696 m. Anm. Neye = WiB 1997, 1242 m. Anm. Mankowski (Beschluss einer deutschen GmbH über die Verlegung des Verwaltungssitzes nach Luxemburg als Auflösungsgrund gewertet); OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 2 Wx 88/01, NJW 2001, 2184 = ZIP 2001, 790 BB 2001, 901 m. Anm. Emde = NZG 2001, 506 (m. Anm. Kieninger, NZG 2001, 610) = IPRax 2001, 343 m. Anm. Mansel (Beschluss einer deutschen GmbH über die Sitzverlegung in die Niederlande als Auflösungsbeschluss gewertet); zust. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 634 ff.; a.A. (Nichtigkeit des Beschlusses nach § 241 Nr. 3 AktG) Koch in MünchKomm AktG, § 262 Rz. 37; OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/ 07, ZIP 2007, 2124 = NZG 2007, 915. 2 Vgl. statt vieler Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 617 ff., 657. 3 RG v. 29.6.1923, RGZ 107, 94 (97); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 614. 4 Abl. Beitzke, Juristische Personen, S. 180; Beitzke, ZHR 127 (1964/65), 1 (41 ff.); Behrens, EuZW 1992, 550; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (350 ff.); Lutter, BB 2003, 7 (10) („ganz und gar überflüssige und unverständliche Lehre“); ebenso Franz/Laeger, BB 2008, 678 (680 f.). 5 Zutr. OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, ZIP 2001, 791 = GmbHR 2001, 440 = NJW 2001, 2183; Ebenroth/Auer, DNotZ 1993, 190 (193); Dreissig, DB 2000, 893 ff.; Ebert, NZG 2002, 937 (941); Triebel/von Hase, BB 2003, 2409 (2411); a.A. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 629. 6 Vgl. dazu allg. Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 17 f. 7 Zutr. Ebenroth/Auer, RIW 1992, Beil. 1, S. 1 (7); Ebenroth/Eyles, DB 1988, Beil. 2, S. 1 (7 f.).

516 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.110 § 6

Mit Wirkung vom 1.11.2008 hat der deutsche Gesetzgeber des MoMiG (Rz. 6.63 f.) daher das sachrechtliche Hindernis für die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes deutscher Kapitalgesellschaften ins Ausland zu Recht beseitigt1. Vorausgesetzt bleibt jedoch das kollisionsrechtliche Erfordernis der Maßgeblichkeit deutschen Gesellschaftsrechts aus der Sicht des neuen Sitzstaates; dieser muss also grundsätzlich der Gründungstheorie folgen. Folgt der neue Sitzstaat hingegen der Sitztheorie und nimmt er deshalb einen Statutenwechsel an, so ist weiterhin die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft zum Handelsregister anzumelden2.

6.106

Verlegt eine deutsche AG oder GmbH allerdings ihren effektiven Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR, darf der Zuzugsstaat, selbst wenn er der Sitztheorie folgt, die Anerkennung der fortbestehenden Rechts- und Parteifähigkeit der Gesellschaft mit Rücksicht auf die Niederlassungsfreiheit nicht verweigern (vgl. Rz. 6.114). Aus diesem Grunde ist auch ein Gesellschafterbeschluss einer deutschen AG oder GmbH über die Verlegung des Verwaltungssitzes in einen solchen Mitgliedstaat seit Aufhebung der Beschränkungen der § 4a Abs. 2 GmbHG a.F., § 5 Abs. 2 AktG a.F. durch das MoMiG wirksam3. Gleiches gilt für einen Beschluss zur Verlegung des Verwaltungssitzes in einen Drittstaat, welcher der Gründungstheorie folgt.

6.107

Demgegenüber führt die Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland bei Personenhandelsgesellschaften auch unter der Geltung des MoMiG weiterhin zur Auflösung und Abwicklung, nicht aber zum Verlust der Rechtsfähigkeit4.

6.108

c) Verlegung auch des Satzungssitzes Eine andere Beurteilung ist weiterhin dann erforderlich, wenn die deutsche Gesellschaft zugleich ihren Satzungssitz ins Ausland verlegt. Ist der neue Sitzstaat ein Drittstaat, so scheidet eine Rückverweisung nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch dann aus, wenn dieser der Gründungstheorie folgt. Denn die Gesellschaft ist nach dem Recht ihres geänderten statutarischen Sitzes nicht wirksam gegründet. Eine Anerkennung der Sitzverlegung kommt daher nicht in Betracht5. Dieser kollisionsrechtlichen Bewertung entspricht auch die steuerrechtliche Betrachtung, weil die Verlegung des Satzungssitzes einer deutschen Kapitalgesellschaft ins Ausland zwingend zu deren Liquidation und zur Besteuerung der stillen Reserven führt.

6.109

Darüber hinaus lässt bereits das deutsche Sachrecht eine Verlegung des Satzungssitzes in einen Drittstaat nicht zu, weil dadurch den deutschen Gerichten und Verwaltungsbehörden in

6.110

1 Franz/Laeger, BB 2008, 678 (680); Hoffmann, ZIP 2007, 1581 (1582 f.); Kindler, NJW 2008, 3249 (3251) und IPRax 2009, 189 (199); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 (979). 2 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 835. 3 Kindler, IPRax 2009, 189, (199); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 (979). 4 BGH v. 25.5.2009 – II ZR 60/08, ZIP 2009, 1863 = GmbHR 2009, 1102 = MDR 2009, 1230 = NZG 2009, 1106 (Rz. 5) = DStR 2009, 2017 (Kommanditgesellschaft); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 831; vgl. auch Koch, ZHR 173 (2009), 101 (112 ff.). 5 Ebenroth/Eyles, DB 1988, Beil. 2, S. 1 (7); Ebenroth/Auer, DNotZ 1993, 190 (193); Behrens, IPRax 2000, 323 (330); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 842. Vgl. auch OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, NJW 2001, 2183 = RIW 2001, 461 = IPRax 2001, 343 m. Anm. Mansel = NZG 2001, 562 (m. Anm. Schwarz, NZG 2001, 613) (Eintragung der Verlegung des Verwaltungs- und Satzungssitzes einer in Deutschland gegründeten GmbH nach England ins deutsche Handelsregister abgelehnt. Aufgrund der Verlegung auch des statutarischen Sitzes sei „die Gesellschaft auch vom Standpunkt der Gründungstheorie nicht anerkennungsfähig, weil die Gesellschaft nicht nach dem Recht ihres (geänderten) statutarischen Sitzes gegründet worden ist“).

Hausmann | 517

§ 6 Rz. 6.110 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

weiterem Umfang die internationale Zuständigkeit entzogen und damit die Durchsetzung des deutschen Gesellschaftsrechts erheblich erschwert oder gar verhindert würde1. Daran hat auch die Neufassung von § 5 Abs. 2 AktG, § 4a Abs. 2 GmbHG a.F. durch das MoMiG (Rz. 6.64 f.) nichts geändert, denn die Vorschriften stellen durch den Zusatz „im Inland“ jeweils klar, dass der Satzungssitz nicht ins Ausland verlegt werden kann (zur Reform Rz. 6.68.)2.

6.111

Aus den vorgenannten Gründen hat die deutsche Rechtsprechung auch eine Verlegung des Verwaltungs- und Satzungssitzes in einen anderen EU-Mitgliedstaat lange Zeit abgelehnt3. BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR 175/03, BayObLGZ 2006, 24 = DNotZ 2004, 725 m. Anm. Thölke = GmbHR 2004, 490 m. Anm. Stieb = DStR 2004, 1224 (m. Aufs. Weller, DStR 2004, 1218) OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, NZG 2007, 915 = GmbHR 2007, 1273 Jeweils Eintragung der identitätswahrenden Verlegung des Verwaltungs- und Satzungssitzes einer in Deutschland gegründeten GmbH nach Portugal im deutschen Handelsregister abgelehnt. Auf das Kollisions- und Sachrecht des Zuzugsstaates komme es nicht an, wenn bereits das – hier deutsche – Sachrecht des Wegzugsstaates die Verlegung des Satzungssitzes nicht zulasse. OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, GmbHR 2005, 484 m. Anm. Ringe = ZIP 2005, 489 Eintragung der identitätswahrenden Verlegung des Verwaltungs- und Satzungssitzes einer nach deutschem Recht gegründeten GmbH nach Italien abgelehnt.

6.112

Daran kann im Lichte der EuGH-Entscheidungen „Cartesio“ (Rz. 6.26 ff., dort Rz. 111 f.), „Vale“ (Rz. 6.31 f., dort Rz. 51) und „Polbud“ (Rz. 6.34 f.; dort Rz. 41) nicht mehr festgehalten werden, wenn die Gesellschaft in ihrem neuen Sitzstaat einen Formwechsel anstrebt. Für diesen Fall steht auch die Verlegung des Verwaltungs- und Satzungssitzes einer deutschen Gesellschaft innerhalb der EU unter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit in Gestalt der Wegzugsfreiheit4. Wie weit letztere reicht, hängt allerdings von den Möglichkeiten zu einem Formwechsel nach dem Recht des Aufnahmestaates ab. Ein solcher (Heraus-) Formwechsel unterliegt noch dem deutschen Gesellschaftsrecht, soweit es um die Entlassung der Gesellschaft aus dem deutschen Recht und den Schutz der davon betroffenen Dritten geht (§§ 201 f. UmwG).5 Dagegen beurteilen sich die Entstehungsvoraussetzungen der neuen Rechtsform nach dem Recht des Aufnahmestaates (vgl. Rz. 6.125). d) Verlegung nur des Satzungssitzes

6.113

Verlegt eine deutsche Gesellschaft unter Beibehaltung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in Deutschland allein den Satzungssitz ins Ausland, so ändert sich hingegen ihr Personalstatut nicht, weil der Satzungssitz aus deutscher Sicht kein Anknüpfungskriterium ist6. Die Verlegung nur des Satzungssitzes ins Ausland ist jedoch wegen Verstoßes gegen § 4a GmbHG, § 5 AktG nach deutschem Sachrecht unzulässig. Ein hierauf gerichteter Beschluss ist nach zutref-

1 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 243, 652; im Erg. auch OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 3 Wx 88/01, ZIP 2001, 790 = NJW 2001, 2184; OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, ZIP 2007, 2124 = GmbHR 2007, 1273. 2 Franz/Laeger, BB 2008, 678 (679); Kindler, AG 2007, 721 (723); Kindler, IPRax 2009, 189 (194 f.). 3 Ebenso noch Kindler, IPRax 2009, 189 (192); Knof/Mock, ZIP 2009, 30 (32 f.). 4 Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (532); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 841. 5 Vgl. Verse, ZEuP 2013, 458 (483); Weller, FS Blaurock (2013), S. 497 (523). 6 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 650; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 838 f.

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A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.115 § 6

fender Auffassung nicht als Auflösungsbeschluss zu werten1, sondern in – ggf. entsprechender – Anwendung von § 241 Nr. 3 AktG nichtig2. Dies gilt allerdings nach der EuGH-Entscheidung in der Sache „Polbud“ (Rz. 6.35) dann nicht mehr, wenn eine deutsche Gesellschaft nur ihren Satzungssitz in einen anderen EU-Mitgliedstaat verlegt, weil auch dies von der Niederlassungsfreiheit gedeckt ist (sog. Herausformwechsel) (dazu auch Rz. 6.125)3. Eine Auflösung und Abwicklung der Gesellschaft lässt sich dann im Inland nur noch mit dem Vorliegen zwingender Gründe des Gemeinwohls rechtfertigen.

3. Verlegung des Sitzes einer im Ausland gegründeten Gesellschaft nach Deutschland a) Verlegung nur des Verwaltungssitzes aa) Gründung in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat Für Gesellschaften, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz aus dem EU-/EWR-Mitgliedstaat, in dem sie gegründet wurden, in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, gilt mit Rücksicht auf die Niederlassungsfreiheit die Anknüpfung an das Gründungsrecht. Der Aufnahmestaat hat nach der „Überseering“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.19 ff.) die nach dem Recht des Gründungsstaates erworbene und auch nach der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes fortbestehende Rechts- und Parteifähigkeit dieser Gesellschaft anzuerkennen. Er darf dem Zuzug der Gesellschaft in sein Staatsgebiet weder kollisions- noch materiell-rechtliche Hindernisse in den Weg legen4. Gleiches gilt auch für Gesellschaften, die unter dem Schutz zweiseitiger Staatsverträge stehen, die an das Gründungsrecht anknüpfen (dazu Rz. 6.58 ff.)5.

6.114

Die aus der Niederlassungsfreiheit abgeleitete Verpflichtung des Aufnahmestaates zur Anerkennung besteht freilich nur dann, wenn die Gesellschaft nach dem Kollisions- und Sachrecht des Gründungsstaates trotz der Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat fortbesteht. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn der Gründungsstaat in seinem nationalen Kollisionsrecht die Gründungstheorie befolgt. Steht er hingegen auf dem Boden der Sitztheorie, so ist er durch Art. 49, 54 AEUV nicht gehindert, den Wegzug der nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften zu beschränken (vgl. Rz. 6.98 ff. m. Nachw.). Verlegt

6.115

1 So die bis zum MoMiG h.M., vgl. BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, GmbHR 1992, 529; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, ZIP 1997, 1696 = GmbHR 1997, 848; OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 3 Wx 88/01, ZIP 2001, 790 = GmbHR 2001, 438; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 654 f.; Ebenroth/Auer, RIW 1992, Beil. 1, S. 7. 2 So OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, GmbHR 2007, 1273 = ZIP 2007, 2124; Koch in MünchKomm AktG, § 5 Rz. 5; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 839; Triebel/von Hase, BB 2003, 2409 (2414 f.) m.w.N. 3 Anders noch Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398 (1399); W.-H. Roth, FS Hoffmann-Becking (2013), S. 965 (990); krit. zur „Polbud“-Entscheidung des EuGH auch Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 836 f. 4 Vgl. BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (188 ff.); = ZIP 2003, 718 = GmbHR 2003, 527 m. Anm. Stieb; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 (1649) = ZIP 2005, 805; BGH v. 11.1.2011 – II ZR 157/09, NJW 2011, 844 (Rz. 16) = GmbHR 2011, 301 m. Anm. Bormann/Hösler; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, NZG 2011, 1114 (Rz. 17 f.) = GmbHR 2011, 1094 m. Anm. Werner; Campos Nave, BB 2008, 1410 (1414); Verse, ZEuP 2013, 458 (474); dazu Rz. 6.36 ff. m.w.N. Ob die Gesellschaft im Übrigen wegen der Kollisionsrechtsneutralität der Niederlassungsfreiheit (Rz. 6.43) ab dem Zuzug dem deutschen Gesellschaftsrecht unterstellt werden darf (so Kindler, IPRax 2009, 189 [192]), ist zumindest zweifelhaft. 5 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 843.

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§ 6 Rz. 6.115 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

die Gesellschaft trotz einer solchen Wegzugsbeschränkung ihren effektiven Verwaltungssitz nach Deutschland, so entfällt eine Verpflichtung zur Anerkennung ihrer Rechts- und Parteifähigkeit nach der europarechtlichen Gründungstheorie; es verbleibt insoweit vielmehr bei der Anwendung der modifizierten Sitztheorie. Denn für diesen Fall kann die Nichtanerkennung durch das deutsche Recht in die Niederlassungsfreiheit der Gesellschaft nicht eingreifen, weil diese den Schutz der Art. 49, 54 AEUV überhaupt nicht genießt1.

6.116

Wird außer dem Verwaltungssitz auch der Satzungssitz der in einem anderen EU/EWR-Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft nach Deutschland verlegt, so steht diese Sitzverlegung unter dem Schutz der Niederlassungsfreiheit, weil die Gesellschaft sich im Inland tatsächlich ansiedelt und damit einen realen Standortwechsel vornimmt2. Die Gesellschaft kann daher den Rechtsformwechsel in eine Kapitalgesellschaft des deutschen Rechts in entsprechender Anwendung der §§ 190 ff. UmwG durchführen und ist anschließend in ihrer neuen Rechtsform ins Handelsregister einzutragen3. OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, NZG 2014, 349 m. Anm. Stiegler = DNotZ 2014, 150 m. Anm. Hushahn = ZIP 2014, 128; dazu Schaper, ZIP 2014, 810 ff. Grenzüberschreitenden Sitzverlegung einer luxemburgischen S. à r. l. nach Deutschland unter Umwandlung in die Rechtsform einer deutschen GmbH ist durch die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV gedeckt und in entsprechender Anwendung von § 191 Abs. 1 UmwG zu vollziehen.

6.117

Auch die isolierte Verlegung des Satzungssitzes der in einem anderen EU/EWR-Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft nach Deutschland – unter Beibehaltung ihres effektiven Verwaltungssitzes im Gründungsstaat – ist nach den EuGH-Entscheidungen in den Rechtssachen Vale (Rz. 6.31 f.) und Polbud (Rz. 6.34 f.) von der Niederlassungsfreiheit gedeckt. Sie ermöglicht unter den Voraussetzungen der §§ 190, 197 UmwG den grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel4. Die Anforderungen an diese formwechselnde Umwandlung nach §§ 190 ff. UmwG dürfen nicht ungünstiger sein als in einem reinen Inlandsfall5. Die Umwandlung kann daher nicht länger davon abhängig gemacht werden, dass die Gesellschaft auch ihren Verwaltungssitz ins Inland verlegt6. bb) Gründung in einem Drittstaat

6.118

Eine identitätswahrende Verlegung des Verwaltungssitzes einer außerhalb der EU bzw. des EWR gegründeten Gesellschaft in das Inland setzt zunächst voraus, dass der Wegzugsstaat 1 Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (934 f.); Leible/Hoffmann, ZGR 2003, 259 (260); Paefgen, WM 2003, 561 (568); Weller, IPRax 2003, 324 (327); Weller, IPRax 2009, 201 (205 f.). 2 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 (Rz. 34 f.) = ZIP 2012, 1394 m. Anm. Mörsdorf/Jopen; Kindler, EuZW 2012, 888 (891 f.); Verse, ZEuP 2013, 458 (486 f.); Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530 (534 f.). 3 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 848; dazu auch Rz. 6.125. Anders noch – vor der „Vale“Entscheidung des EuGH – OLG Nürnberg v. 13.2.2012 – 12 W 2361/11, ZIP 2012, 572 = NZG 2012, 468 = IPRax 2013, 179 (m. Anm. Bartels, IPRax 2013, 153). 4 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 796 ff.; a.A. noch Campos Nave, BB 2008, 1410 (1411); Triebel/von Hase, BB 2003, 2409 (2413 f.); OLG Zweibrücken v. 27.9.2005 – 3 W 170/05, NJW-RR 2006, 42 (Verein). 5 EuGH v. 12.7.2012 – C-378/10, ECLI:EU:C:2012:440 (Vale), NJW 2012, 2715 (Rz. 58, 54); Weller/ Rentsch, IPRax 2013, 530 (534 f.); Zwirlein, ZGR 2017, 114 (121 ff). 6 Anders noch Bayer/Schmidt, ZIP 2012, 1481 (1485); einschr. auch Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 846.

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A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.120 § 6

sie gestattet, d.h. den Wegzug der Gesellschaft aus seinem Staatsgebiet nicht als Auflösungsgrund wertet. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Recht am bisherigen Verwaltungssitz der Gesellschaft der Gründungstheorie folgt1. Folgt der Wegzugsstaat hingegen der Sitztheorie, so scheidet eine identitätswahrende Sitzverlegung schon deshalb aus, weil die Gesellschaft durch die Verlegung ihres Verwaltungssitzes ihr Personalstatut ändert und jedenfalls nicht in ihrer bisherigen Identität fortbesteht. Möglich ist aber auch, dass das Sachrecht des Wegzugsstaates – ebenso wie das frühere deutsche Sachrecht (Rz. 6.103 f.) – die Sitzverlegung als Auflösungsgrund wertet. Darüber hinaus muss aber auch der Zuzugsstaat die Gesellschaft fortbestehen lassen, darf also keine Neugründung verlangen. Dies ist i.d.R. bei Geltung der Gründungstheorie im Zuzugsstaat gewährleistet. Herrscht dort hingegen die Sitztheorie, so führt die Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes automatisch zu einer Änderung des Gesellschaftsstatuts. Aus diesem Grunde hatte die Sitzverlegung aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland nach der bis zum Sommer 2002 h.M. zur Folge, dass die im Ausland wirksam als juristische Person gegründete Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit verlor und im Inland weder Träger von Rechten und Pflichten noch Partei in einem Gerichtsverfahren sein konnte. Um am Rechtsverkehr teilnehmen zu können, war zwingend eine Neugründung im Inland nach Maßgabe des deutschen Rechts erforderlich. Dies galt auch dann, wenn das Recht des Wegzugsstaates auf dem Boden der Gründungstheorie stand und die Gesellschaft daher trotz der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes fortbestehen ließ2. Mangels Neugründung und Eintragung im deutschen Handelsregister wurde die ausländische Gesellschaft vom Zeitpunkt der Sitzbegründung im Inland an als „rechtlich inexistent“ behandelt3.

6.119

Gegen diese Auffassung wurde zu Recht geltend gemacht, dass nach ausländischem Recht wirksam gegründete Gesellschaften, die ihren Verwaltungssitz ins Inland verlegt haben, durch die Weigerung, ihre Rechts- und Parteifähigkeit anzuerkennen, in einem durch zwingende Gründe des Gemeinwohls nicht geforderten und damit unverhältnismäßigen Umfang ihres rechtlichen Besitzstandes und ihrer Klagemöglichkeiten beraubt würden4. Im Hinblick auf die Vielzahl der von solchen Gesellschaften getätigten Geschäfte und die für sie bestehende Not-

6.120

1 BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 (206) = ZIP 2002, 1763 (Jersey); BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, ZIP 2008, 2411 = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter = NJW 2009, 289 m. Anm. Kieninger (Schweiz); OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, ZIP 2007, 1108 = GmbHR 2007, 763 m. Anm. Ringe = NZG 2007, 597 (599) (Isle of Man); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 640. 2 Vgl. KG v. 28.4.1927, IPRspr. 1926/27 Nr. 24; OLG Frankfurt a.M. v. 3.6.1964 – 7 U 202/63, NJW 1964, 2355; OLG Nürnberg v. 7.6.1984 – 8 U 111/84, RIW 1985, 494 = IPRax 1985, 342 (m. Anm. Rehbinder, IPRax 1985, 324); OLG München v. 6.5.1986 – 5 U 2562/85, GmbHR 1986, 351 = NJW 1986, 2197; OLG Düsseldorf v. 10.9.1998 – 5 U 1/98, JZ 2000, 203 m. Anm. Ebke; OLG Köln v. 30.4.1999 – 6 U 62/98, IPRspr. 1999 Nr. 16; zuletzt noch BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98 (Rz. 6.4), ZIP 2000, 967 = IPRax 2000, 423; Ebenroth/Auer, GmbHR 1994, 16 (18 f.); Hausmann in Hausmann/Raupach, S. 28 ff.; Kegel/Schurig, § 17 II 2; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 427 f. 3 Vgl. statt vieler BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (271 ff.) = NJW 1986, 2194 = ZIP 1986, 643 (Liechtenst. Anstalt); Ebke, JZ 1999, 656 (657 f.); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 427 ff. Davon war auch der VII. Zivilsenat des BGH noch in seinem Vorlagebeschluss v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98 (Rz. 6.4), RIW 2000, 555) ausgegangen. 4 Vgl. statt vieler Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325 (341); W.-H. Roth, ZIP 2000, 1597 (1600); W.H. Roth, IPRax 2003, 117 (119 f.) („enteignungsgleiche Wirkung“); Zimmer, BB 2000, 1361 (1363 f.).

Hausmann | 521

§ 6 Rz. 6.120 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

wendigkeit, zur Wahrung ihrer Rechte auch um gerichtlichen Rechtsschutz nachzusuchen, wäre die Nichtanerkennung ihrer Rechts- und Parteifähigkeit nach einem Zuzug ins Inland weder durch das Interesse an einem wirksamen Gläubigerschutz noch durch das Gebot der Rechtssicherheit zu rechtfertigen. Im Ausland gegründete Gesellschaften sind daher nach einer Sitzverlegung ins Inland zwar nicht als fortbestehende juristische Personen des ausländischen Rechts, wohl aber – je nachdem, ob ein Handelsgewerbe betrieben wird oder nicht – als rechts- und damit auch parteifähige deutsche Personengesellschaften des Handels- oder bürgerlichen Rechts anzuerkennen, die auch vor der Sitzverlegung begründete Forderungen daher vor deutschen Gerichten geltend machen können1. BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 (206) = NJW 2002, 3539 = BB 2002, 2031 m. Anm. Gronstedt = ZIP 2002, 1763 = NZG 2002, 1009 = RIW 2002, 877 = DStR 2002, 1678 m. Anm. Goette = IPRax 2003, 62 (m. Anm. Kindler, IPRax 2003, 41) = DB 2002, 2039 (m. Aufs. Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203) Rechts- und Parteifähigkeit einer auf der Kanalinsel Jersey gegründeten „Limited Company“ trotz nachträglicher Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes nach Deutschland oder Portugal im Prozess vor deutschen Gerichten anerkannt. Diese Gesellschaft sei „in Deutschland jedenfalls eine rechtsfähige Personengesellschaft (§ 14 Abs. 2 BGB) und damit vor deutschen Gerichten aktiv und passiv parteifähig“.

6.121

Nur in dieser vom II. Zivilsenat des BGH modifizierten bzw. abgeschwächten Form wird die Sitztheorie heute noch vertreten2. Ausländische Kapitalgesellschaften sind allerdings nur dann als OHG oder GbR anzuerkennen, wenn es sich um Mehrpersonengesellschaften handelt. Eine Neugründung als inländische Personengesellschaft ist in diesem Fall nicht erforderlich3 Hat die Gesellschaft nur einen Gesellschafter, kommt eine Behandlung als Einzelkaufmann in Betracht, wenn ein Handelsgewerbe betrieben wird. b) Verlegung auch des Satzungssitzes

6.122

Wird außer dem Verwaltungssitz auch der Satzungssitz (oder nur der Satzungssitz) der in einem Drittstaat gegründete Gesellschaft ins Inland verlegt, so scheitert eine formwechselnde Umwandlung bereits am Erfordernis des § 1 Abs. 1 UmwG4. Insbesondere genügt es in diesem Fall, auch wenn die ausländische Gesellschaft mit einer deutschen Form der Kapitalgesellschaft (z.B. AG, GmbH) typologisch vergleichbar ist (vgl. dazu auch Rz. 6.159), für ihren

1 Ebenso schon früher Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 ff.; Kösters, NZG 1998, 241 (245 ff.); Kindler, RIW 2000, 649 (650 f.); K. Schmidt, ZGR 1999, 20 (22 ff.); a.A. Bechtel, NZG 2001, 21 (22 f.) (Anerkennung als Vorgesellschaft oder fehlerhafte Gesellschaft). 2 Vgl. zu dieser „modifizierten Sitztheorie BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 (291) m. Anm. Kieninger = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 = NJW 2011, 3372 (Rz. 16) = GmbHR 2011, 1094 m. Anm. Werner; ferner OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, NZG 2007, 597 (599 f.) = GmbHR 2007, 763 m. Anm. Ringe; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233 (2234); Kindler, NJW 2003, 1073 (1074); Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203 ff.; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (120); M.-P. Weller, IPRax 2009, 202 (207 f.); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 490, 493 ff. 3 OLG Hamburg v. 30.3.2007 (vorige Fn.) (Auf der Isle of Man gegründete „private company limited by shares“ ist nach der Verlegung des effektiven Verwaltungssitzes nach Deutschland als rechtsfähige Außen-GbR anzuerkennen, wenn kein Handelsgewerbe betrieben wird). Vgl. auch Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 21 ff. 4 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 861.

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A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.124 § 6

Fortbestand im Inland – anders als z.B. nach luxemburgischem1 oder portugiesischem Recht2 – nicht, dass lediglich die Kapitalausstattung und die Satzung an das inländische Recht angepasst werden. Soll die Gesellschaft nicht nur als Personengesellschaft, sondern als Kapitalgesellschaft im Inland anerkannt werden, ist vielmehr zwingend eine Neugründung in einer deutschen Gesellschaftsform (AG, GmbH etc.) erforderlich3. c) Verlegung nur des Satzungssitzes Wird nur der Satzungssitz ins Inland verlegt, so bleibt aus deutscher Sicht das Recht am fortbestehenden ausländischen Verwaltungssitz als Gesellschaftsstatut maßgebend; dieses Recht (einschließlich seines Kollisionsrechts) entscheidet daher über die Zulässigkeit und die Rechtsfolgen einer solchen Satzungssitzverlegung; insoweit kommt es also wiederum darauf an, ob der Gründungsstaat der Sitz- oder Gründungstheorie folgt4. Handelt es sich um eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegründete Gesellschaft, so ist die Verlegung des Satzungssitzes nach der „Polbud“-Entscheidung des EuGH (Rz. 6.35) durch die Niederlassungsfreiheit gedeckt und deshalb anzuerkennen.

6.123

4. Sitzverlegung von einem Drittstaat in einen anderen Begreift man die Anknüpfung an den effektiven Verwaltungssitz einer Gesellschaft als allseitige Kollisionsnorm, kann auch eine identitätswahrende Sitzverlegung von einem ausländischen Staat in einen anderen nur erfolgen, wenn sowohl der Wegzugs- wie der Zuzugsstaat die Gesellschaft in diesem Fall unverändert fortbestehen lassen. Ist dies der Fall, weil beide Staaten der Gründungstheorie folgen, so tritt mit der Sitzverlegung zwar ein Statutenwechsel ein; die Gesellschaft besteht jedoch als solche aufgrund der nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB anzuerkennenden Weiterverweisung dann auch aus deutscher Sicht fort5. Gleiches gilt auch dann, wenn der Zuzugsstaat zwar der Sitztheorie folgt, den Fortbestand der zugezogenen ausländischen Gesellschaft jedoch bei entsprechender Anpassung an das neue Sitzrecht anerkennt6. 1 Vgl. frz. Cass. v. 12.11.1965, Clunet 1967, 140 (141 f.); Bechtel, IPRax 1998, 348 (349). 2 Vgl. Art. 3 Abs. 2 Código das Sociedades Comerciais. 3 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 642 ff.; a.A. Behrens, RIW 1986, 590 (592 ff.); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 49 f. Vgl. auch OLG Zweibrücken v. 27.6.1990 – 3 W 43/90, NJW 1990, 3092 = IPRax 1991, 406 (m. Anm. Großfeld/König, IPRax 1991, 380) (Nach luxemburg. Recht gegründete AG verlegt ihren Sitz in die Bundesrepublik Deutschland. „Die Entstehung einer AG als Rechtssubjekt (ist) abschließend im Aktiengesetz geregelt, wonach grundsätzlich nur eine Neugründung in Betracht kommt.“ Anpassung der Gesellschaftsstruktur an das inländ. Recht für nicht ausreichend erachtet.); die Regel gilt heute nur noch bei einem Zuzug aus einem Drittstaat. 4 Vgl. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 847. 5 Vgl. BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, NJW 2004, 3706 (3707) = ZIP 2004, 2095; BGH v. 2.12.2004 – III ZR 358/03, TranspR 2005, 74; dazu schon Rz. 6.81. Ferner OLG Frankfurt a.M. v. 24.4.1990 – 5 U 18/88, NJW 1990, 2204 (Nach dem Recht von Panama gegründete Gesellschaft verlegt ihren effektiven Verwaltungssitz von Panama in die Schweiz: „Nehmen bei der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes von einem ausländischen Staat in einen anderen sowohl der alte als auch der neue Sitzstaat überstimmend einen unveränderten Fortbestand an, dann wird dies auch von der deutschen Rechtsordnung hingenommen.“). Zust. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 849; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 648 f.; Hausmann, GS Blomeyer (2004), S. 579 (592). 6 OLG Jena v. 17.12.1997 – 4 U 742/97, DB 1998, 1178 = IPRax 1998, 364 (m. zust. Anm. Bechtel, IPRax 1998, 348) (Nach dem Recht von Panama errichtete Gesellschaft verliert ihre Rechtsfähigkeit auch durch Sitzverlegung nach Luxemburg nicht, obwohl Luxemburg der Sitztheorie folgt); ebenso Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 849.

Hausmann | 523

6.124

§ 6 Rz. 6.125 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

V. Grenzüberschreitender Formwechsel von Gesellschaften 6.125

Die Voraussetzungen für eine rechtswirksame grenzüberschreitende Umwandlung unterliegen dem Personalstatut der sich umwandelnden Gesellschaft. Dies ist das Personalstatut vor der Unwandlung, bis diese nach dem neuen Personalstatut des Aufnahmestaats vollzogen worden ist1. Allerdings verwehren die das Unionsrecht prägenden Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität es dem Aufnahmemitgliedstaat nach der EuGH-Entscheidung in der Rs. „Vale“ (Rz. 6.31 f.; dort Rz. 29 ff.), bei einer grenzüberschreitenden Umwandlung der in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft Rechte zu verweigern, die inländischen Gesellschaften eingeräumt werden. Der Aufnahmemitgliedstaat muss daher hinsichtlich des mit einer formwechselnden Umwandlung verbundenen Erwerbs der Rechtsfähigkeit ausländische und inländische Gesellschaften in seinem Sachrecht gleich behandeln. In Umsetzung dieser EuGH-Rechtsprechung haben deutsche Gerichte sowohl den „Hereinformwechsel“ von in anderen Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften in eine deutsche Gesellschaftsform2, als auch – umgekehrt – den „Herausformwechsel“ einer deutschen Gesellschaft in eine Gesellschaftsform eines anderen EUMitgliedstaats in entsprechender Anwendung der §§ 190 ff. UmwG anerkannt3.

VI. Reichweite des Gesellschaftsstatuts 1. Allgemeines 6.126

Die Reichweite des Gesellschaftsstatuts ist vom Standpunkt der Sitztheorie wie der Gründungstheorie umfassend; es regelt zur Vermeidung von Anpassungsproblemen die Außen- und Innenverhältnisse der Gesellschaft abschließend4. Die Befugnis der EU-Mitgliedstaaten zu einer solchen umfassenden gesellschaftsrechtlichen Qualifikation wird allerdings durch die Rom IVO (Art. 1 Abs. 2 lit. f), die Rom II-VO (Art. 1 Abs. 2 lit. d) und die EuInsVO 2015 (Art. 7) näher konturiert und begrenzt5. Für die hier primär interessierende Wirksamkeit internationaler Schuldverträge, die von ausländischen Gesellschaften abgeschlossen werden, stehen die Fragen der Rechtsfähigkeit und der gesetzlichen Vertretung sowie – für die gerichtliche Geltendmachung vertraglicher Forderungen – die Partei- und Prozessfähigkeit solcher Gesellschaften im Vordergrund. Unter dem Aspekt des Schutzes inländischer Gläubiger der ausländischen Gesellschaft sind ferner Fragen der Haftungsverfassung zu erörtern (dazu Rz. 6.164 ff.). 1 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 251; ausführlich zum grenzüberschreitenden Formwechsel Wall in Hausmann/Odersky, § 18 Rz. 210 ff. 2 KG v. 21.3.2016 – 22 W 64/15, MittBayNot 2017, 85 = NZG 2016, 834 m. Anm. Stiegler = BB 2016, 1627 m. Anm. Richter/Backhaus = ZIP 2016, 1223 („Hereinformwechsel“ einer französischen S.A.R.L. in eine deutsche GmbH); OLG Düsseldorf v. 19.7.2017 – I-3 Wx 171/16, NZG 2017, 1354 = ZIP 2017, 2057 („Hereinformwechsel“ einer niederländischen B.V. in eine deutsche GmbH). 3 OLG Frankfurt v. 3.1.2017 – 20 W 88/15, DNotZ 2017, 381 m. Anm. Knaier = NZG 2017, 423 m. Anm. Klett = IPRax 2018, 91 m.Anm. von Hein, IPRax 2018, 46) = ZIP 2017, 1190 m. Anm. Teichmann (“Herausformwechsel“ einer deutschen GmbH in eine italienische S. l.). Vgl. dazu näher von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 251 ff. 4 Vgl. in diesem Sinne allg. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 16, 249; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 524; ebenso zur europarechtlichen Gründungstheorie Forsthoff, DB 2002, 2471 (2475); Behrens, IPRax 2003, 193 (204 f.); Paefgen, DZWiR 2003, 441 (442); Spindler/Berner, RIW 2003, 949 (955); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3591); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 14 ff.; einschr. AG Hamburg v. 14.5.2003 – 67g IN 358/02, ZIP 2003, 1008 = IPRax 2003, 534 (m. abl. Anm. M.-Ph. Weller, IPRax 2003, 520) = NZI 2003, 442 m. Anm. Mock/Schildt; Kindler, NJW 2003, 1073 (1077); Altmeppen, NJW 2004, 97 (99 ff.). 5 von Bar/Mankowski, Bd. II § 7 Rz. 152 ff.

524 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.128 § 6

2. Rechtsfähigkeit a) Allgemeine Rechtsfähigkeit Das Gesellschaftsstatut entscheidet zunächst, ob eine Gesellschaft oder sonstige Personenverbindung eigene Rechtsfähigkeit besitzt. Die Anerkennung einer ausländischen juristischen Person durch besonderen Rechtsakt ist dem deutschen Recht seit Aufhebung des Art. 10 EGBGB a.F. (betr. die Anerkennung ausländischer Vereine) nicht mehr bekannt. Ausländische juristische Personen werden vielmehr – soweit nicht ausnahmsweise der ordre public (Art. 6 EGBGB) entgegensteht – im Inland anerkannt, wenn sie nach ihrem Personalstatut als eigene Rechtsperson wirksam entstanden sind. Das über die „Anerkennung“ entscheidende Recht ist daher mit dem Personalstatut der Gesellschaft identisch1.

6.127

Ist eine Gesellschaft daher nach ihrem ausländischen Personalstatut rechtsfähig, so ist diese Rechtsfähigkeit im Inland selbst dann zu beachten, wenn das inländische Recht einem entsprechenden Gebilde keine Rechtsfähigkeit zuerkennt2. Den Personenhandelsgesellschaften der romanischen Rechte und der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft des französischen Rechts kommt daher auch im Inland Rechtsfähigkeit zu. Deutsche Gerichte haben daher unter Geltung der Sitztheorie die nach dem ausländischen Sitzrecht erlangte Rechtsfähigkeit durchwegs anerkannt3. In gleicher Weise ist die nach dem ausländischen Gründungsrecht erlangte Rechtsfähigkeit anzuerkennen, soweit das Personalstatut – z.B. auf Grund von Staatsverträgen (dazu Rz. 6.58 ff.)4 oder mit Rücksicht auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV (dazu Rz. 6.11 ff., Rz. 6.31 ff.)5 – nach der Gründungstheorie bestimmt wird. Der Nachweis

6.128

1 BayObLG v. 21.3.1986 – BReg. 3 Z 148/85, ZIP 1986, 840 = GmbHR 1986, 305; Bungert, WM 1995, 2125 (2126); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 319 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 168 ff.; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 15; Kegel/Schurig, § 17 II 2. 2 Vgl. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 171, 265 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 545. 3 RG v. 3.6.1927, RGZ 117, 215 (217) (Corporation mit Sitz in Delaware/USA); BGH v. 17.10.1968 – VII ZR 23/68, BGHZ 51, 27 (28) = NJW 1969, 188 (schweiz. AG); BGH v. 23.3.1979 – V ZR 81/ 77, WM 1979, 692 (693) und BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318 (334) = ZIP 1981, 31 (334) = IPRax 1981, 130 (m. Anm. Großfeld, IPRax 1981, 116) (jeweils zur liechtenstein. Anstalt); BGH v. 13.6.1984 – IVa ZR 196/82, NJW 1984, 2762 = ZIP 1984, 1405 = IPRax 1985, 221 (223) (m. Anm. Kötz, IPRax 1985, 205) (kanad. Ltd.); BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), BGHZ 178, 192 (Rz. 19) = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter (schweiz. AG); BayObLG v. 17.3.1965 – BReg. 1b Z 293/64, BayObLGZ 1965, 77 (81) (israel. Stiftung); BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, GmbHR 1985, 335 = IPRax 1986, 161 (163) (engl. Private Ltd.); OLG Stuttgart v. 9.6.1964 – 13/6 U 4/64, NJW 1965, 1139 (liechtensteinisches Treuunternehmen); OLG Frankfurt a.M. v. 10.1.1984 – 14 U 169/81, IPRspr. 1984 Nr. 21 (kanad. Corporation); OLG Saarbrücken v. 21.4.1989 – 5 W 60/88, GmbHR 1990, 348 = NJW 1990, 647 (schweiz. KG). 4 Zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit von US-Corporations aufgrund von Art. 25 Abs. 5 des deutsch-amerikan. Freundschaftsvertrags von 1954 vgl. BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 (355 ff.) = ZIP 2003, 720; BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = NJW-RR 2004, 1618; BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, ZIP 2004, 2230 = RIW 2005, 147 (jeweils bei Rz. 6.59). 5 Zur Anerkennung der Rechtsfähigkeit von in anderen EU/EWR-Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften nach der Gründungstheorie vgl. BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204 (206) = ZIP 2002, 1763; BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (188 ff.) = ZIP 2003, 718 = GmbHR 2003, 527 m. Anm. Stieb (Überseering); BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 149 (151) = NJW 2005, 3351= GmbHR 2005, 1483 m. Anm. Wachter = MDR 2006, 105 m. Anm. Haack; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 = ZIP 2005, 805; BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, NJW 2013, 3656 (Rz. 11) = ZIP 2013, 2173; BayObLG v. 19.12.2002 – 2Z BR 7/02, ZIP 2003, 398 = NZG 2003, 290 (Grundbuchfähigkeit); OLG Hamm v. 11.4.2014 – I-12 U 142/13, ZIP 2014, 1426 = NZG 2014, 703; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 430 ff. m.w.N.

Hausmann | 525

§ 6 Rz. 6.128 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

der Rechtsfähigkeit ist mit Hilfe der vom Gesellschaftstatut vorgeschriebenen Errichtungsurkunden und Registerbescheinigungen zu führen1.

6.129

Verleiht das ausländische Personalstatut einer Personenverbindung hingegen keine Rechtsfähigkeit, so hat es auch dabei prinzipiell sein Bewenden. Entgegen der früher hM verliert eine im Ausland wirksam gegründete Gesellschaft ihre Rechtsfähigkeit auch unter Geltung der Sitztheorie aber nicht allein dadurch, dass sie ihren effektiven Verwaltungssitz nachträglich ins Inland verlegt hat oder ihn von Anfang an im Inland hatte (dazu Rz. 6.891, Rz. 6.120 f.). Der inländische Rechtsverkehr wird freilich im Falle einer Nichtanerkennung der Rechtsfähigkeit ausländischer Gesellschaften in gewissem Umfang geschützt (dazu Rz. 6.153 ff.).

6.130

Weiterhin richtet sich auch der Umfang der Rechtsfähigkeit nach dem Gesellschaftsstatut2. Bleibt dieser kraft ausländischen Rechts hinter demjenigen für vergleichbare Gesellschaften im deutschen Recht zurück, so ist auch diese Einschränkung im Inland grundsätzlich zu beachten3, soweit nicht Gründe des Verkehrsschutzes (Art. 13 Rom I-VO analog) entgegenstehen (dazu Rz. 6.157 ff.).

6.131

Schließlich bestimmt das Gesellschaftsstatut auch darüber, wann und wodurch die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft endet4. Dies ist i.d.R. mit ihrer Löschung im Gründungsstaat (bei in der EU/im EWR gegründeten Gesellschaften)5 bzw. in ihrem Sitzstaat (bei in Drittstaaten gegründeten Gesellschaften)6 der Fall. Die nach ihrem ausländischen Personalstatut erloschene Gesellschaft besteht allerdings zum Zwecke der Liquidation ihres in Deutschland noch vorhandenen Vermögens als Rest- oder Spaltgesellschaft fort. Auf sie sind die ursprünglich für im Ausland enteignete Gesellschaften entwickelten Grundsätze zu übertragen7. Handelt es sich um eine in einem Drittstaat gegründete Gesellschaft, so gilt für sie nunmehr das an ihrem effektiven Verwaltungssitz geltende deutsche Recht. Danach kann sie als GmbH nicht fortbestehen, weil es an der hierfür erforderlichen Eintragung im deutschen Handelsregister fehlt. 1 Zum Erfordernis der Vorlage von Originalen (§ 438 ZPO) vgl. KG v. 11.2.2005 – 5 U 291/03, NZG 2005, 758 = GmbHR 2005, 771 m. Anm. Grohmann/Gruschinske. Vgl. auch zum Nachweis der fortbestehenden Existenz einer US-Gesellschaft durch ein „certificate of good standing“ des zuständigen Secretary of State OLG Köln v. 1.2.2013 – 2 Wx 42/13, NZG 2013, 754; OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 2 U 55/99, IPRspr. 2003 Nr. 19. 2 Kegel/Schurig, § 17 II 2. 3 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 272 ff. 4 BGH v. 7.7.1988 – I ZB 7/88, ZIP 1988, 1200 = NJW 1988, 3096 (m. Aufs. Koch NJW 1989, 279) = RIW 1988, 817 (m. Aufs. Riegel, RIW 1990, 546) = IPRax 1989, 162 (m. Anm. Ackmann/Wenner, IPRax 1989, 144) (keine Beendigung der Rechtsfähigkeit einer französ. AG durch Eröffnung des Konkursverfahrens in Frankreich); BGH v. 4.7.2013 – V ZB 197/12, NJW 2013, 3656 (Rz. 12) = ZIP 2013, 2173; KG v. 15.10.2009 – 8 U 34/09, GmbHR 2010, 316 = ZIP 2010, 204; AG Duisburg v. 14.10.2003 – 63 IN 48/03, GmbHR 2004, 121 = NZG 2003, 1167 = IPRax 2005, 151 (m. Anm. Borges, IPRax 2005, 134); LG Duisburg v. 20.2.2007 – 7 T 269/06, ZIP 2007, 926 = NZG 2007, 637 (jeweils zur Beendigung der Rechtsfähigkeit einer englischen Ltd.); Kegel/Schurig, § 17 II 2. Zum möglichen Verlust der Rechtsfähigkeit durch Sitzverlegung ins Ausland unter Geltung der Sitztheorie s. Rz. 6.101 ff. 5 Vgl. KG v. 17.3.2014 – 20 U 254/12, NJW 2014, 2737 = ZIP 2014, 1755 (engl. Ltd.). 6 Vgl. BGH v. 22.11.2016, BGHZ 212, 381 (Rz. 11 ff.) = RIW 2017, 303 m. Anm. Pfeiffer = IPRax 2017, 619 (m. Anm. Hübner, IPRax 2017, 575) = GmbHR 2017, 367 m. Anm. Seggewiße/Weber = NZG 2017, 347 m. Anm. Froehner (Bahamas). 7 BGH v. 22.11.2016 (vorige Fn., Rz. 14); ferner OLG Hamm v. 11.4.2014 – I-12 U 142/13, NZG 2014, 703 =ZIP 2014, 1426; OLG Brandenburg v. 27.7.2016 – 7 U 52/12, NZG 2016, 1229 = IPRax 2017, 621 (m. Anm. Hübner, IPRax 2017, 575).

526 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.133 § 6

Sie wird daher, je nachdem, ob sie ein Handelsgewerbe betreibt oder nicht, in der Rechtsform einer OHG oder GbR fortgeführt. Verfügt die Gesellschaft nur über einen einzigen Gesellschafter, wird sie als Einzelunternehmen des früheren Gesellschafters fortgeführt1. Diese Grundsätze sind auch auf in anderen EU-Mitgliedstaaten gegründete und dort im Register gelöschte Gesellschaftenanzuwenden2. Insbesondere eine englische Ltd. verliert daher durch die Löschung im englischen Register ihre Partei- und Prozessfähigkeit im Inland3; für ihr im Inland noch vorhandes Vermögen besteht sie ebenfalls nur noch als OHG oder GbR fort. b) Fähigkeit zur Errichtung von Zweigniederlassungen aa) Sitztheorie Soll die Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft gem. § 13d HGB im deutschen Handelsregister eingetragen werden, so setzt auch dies die (fortbestehende) Rechtsfähigkeit der betreffenden Gesellschaft voraus. Deshalb konnten Scheinauslandsgesellschaften, die zwar nach dem Recht ihres ausländischen Satzungssitzes wirksam gegründet worden waren, ihren effektiven Verwaltungssitz aber im Inland hatten, bis zum Sommer 2002 im Inland keine Zweigniederlassungen errichten4. Nach der seither geltenden modifizierten Sitztheorie des BGH (Rz. 6.89 f.) kann die ausländische Gesellschaft jedoch heute zumindest als OHG oder GbR deutschen Rechts auch Zweigniederlassungen im Inland gründen.

6.132

bb) Gründungstheorie Durch das „Inspire Art“-Urteil (Rz. 6.22 ff.) hat der EuGH die nach seinem „Centros“-Urteil (Rz. 6.15 ff.) bestehende Unsicherheit über die Reichweite der sekundären Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften beseitigt. Diese ist daher – entgegen einer verbreiteten (Fehl-) Interpretation des „Centros“-Urteils (vgl. die Nachw. zu Rz. 6.17) – nicht auf Gesellschaften beschränkt, die in einem der Gründungstheorie folgenden Staat eine Zweigniederlassung errichten wollen. Vielmehr sind alle in einem EU-Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaften, die nach ihrem Gründungsrecht wirksam (fort-)bestehen, berechtigt, von ihrer sekundären Niederlassungsfreiheit in anderen Mitgliedstaaten Gebrauch zu machen. Eine Kontrolle der wirksamen Gründung der Gesellschaft durch das Recht des „Anerkennungsstaates“ findet nicht mehr statt5. Diese Auffassung hatte der österr. OGH zu Recht schon nach dem „Centros“-Ur1 BGH v. 22.11.2016 (vorige Fn., Rz. 22); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 486 ff., 491 ff. 2 So für die gelöschte englische Ltd. OLG Celle v. 29.5.2012 – 6 U 15/12, ZIP 2012, 1811 = NZG 2012, 638 = IPRax 2013, 572 (m. Anm. Weller/Rentsch, IPRax 2013, 530; OLG Hamm v. 11.4.2014 – I-12 U 142/13, NZG 2014, 703 = ZIP 2014, 1426 = IPRax 2015, 446 (m. Anm. Klöhn/Schwarz, IPRax 2015, 412); Borges, IPRax 2005, 134 (138 ff.); z.T. abw. OLG Brandenburg v. 27.7.2016 – 7 U 52/12, NZG 2016, 1229 = IPRax 2017, 575 (m. Anm. Hübner, IPRax 2017, 621). 3 BGH v. 19.1.2017 – VII ZR 112/14, NZG 2017, 394 m. Anm. Otte-Gräbener = IPRax 2017, 623 (m. Anm. Hübner, IPRax 2017, 575) = ZIP 2017, 493. 4 Vgl. BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 ff.; BayObLG v. 18.9.1986 – Breg 3 Z 96/86, BayObLGZ 1986, 351; BayObLG v. 26.8.1998 – 3 Z BR 78/98, BayObLGZ 1998, 195 (197) = RIW 1998, 966 = IPRax 1999, 364 (m. Anm. Behrens, IPRax 1999, 323) = EWiR 1999 (LS) m. Anm. Haack (Eintragung der Zweigniederlassung einer nach engl. Recht gegründeten Private Ltd. Company im deutschen Handelsregister abgelehnt, weil die Gesellschaft in England keinen effektiven Verwaltungssitz unterhalte). 5 So schon nach dem „Centros“-Urteil des EuGH (Rz. 6.15 ff.) zu Recht Thorn, IPRax 2001, 102 (104); Freitag, EuZW 1999, 267 (268); Leible, NZG 1999, 300 (301); G. H. Roth, ZIP 1999, 861 (866); Zimmer, ZHR 164 (2000), 23 (36).

Hausmann | 527

6.133

§ 6 Rz. 6.133 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

teil des EuGH vertreten und die in Österreich geltende Sitztheorie (§ 10 IPRG) insoweit eingeschränkt1.

6.134

Der in einem anderen EU-Mitgliedstaat wirksam gegründeten Gesellschaft kann daher auch in Deutschland das Recht auf Eintragung einer Zweigniederlassung heute nicht mehr mit der Begründung versagt werden, die Gesellschaft habe ihren Verwaltungssitz von Anfang an im Inland gehabt oder nachträglich hierhin verlegt2. Dies gilt auch dann, wenn die Gründung im Ausland allein dem Zweck dient, die inländischen Vorschriften zur Gründung einer GmbH zu umgehen (dazu näher Rz. 6.52 f.)3. Der unionsrechtliche Begriff der Zweigniederlassung setzt auch das Bestehen einer Hauptniederlassung nicht voraus4.

6.135

Ferner hat der EuGH klargestellt, dass Maßstab für die rechtlichen Anforderungen an die Errichtung einer Zweigniederlassung im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten zueinander allein die Zweigniederlassungsrichtlinie 89/666/EWG vom 21.12.1989 ist; weitergehende Pflichten oder Beschränkungen nach dem nationalen Recht des (Zweig-)Niederlassungsstaates dürfen nicht angeordnet werden. Daher sind die Regelungen im autonomen Recht der Mitgliedstaaten über die Anmeldung von Zweigniederlassungen (z.B. im deutschen Recht §§ 13d-13h HGB) im Lichte der Niederlassungsfreiheit auszulegen5. Wird die Eintragung der deutschen Zweigniederlassung einer in einem anderen Mitgliedstaat der EU gegründeten Gesellschaft allerdings deshalb verweigert, weil der hierfür vom Registergericht geforderte Kostenvorschuss nicht bezahlt wird, so liegt darin kein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit6. c) Besondere Rechtsfähigkeiten aa) Allgemeines

6.136

In gewissen Fällen begnügt sich die Rechtsordnung nicht mit der allgemeinen Rechtsfähigkeit, sondern knüpft die Fähigkeit zum Erwerb bestimmter Rechte oder zur Übernahme bestimmter Pflichten an zusätzliche Voraussetzungen. So kann etwa der Erwerb von Rechten bzw. 1 ÖOGH v. 15.7.1999 – 6 Ob 123/99b, RIW 2000, 378 = IPRax 2000, 418 (421 ff.) (m. Anm. Behrens, IPRax 2000, 384) = JZ 2000, 199 m. Anm. Mäsch = EuZW 2000, 156 (m. Anm. Höfling, EuZW 2000, 145) = NZG 2000, 36 m. Anm. Kieninger (Zweigniederlassung einer engl. Private Ltd. Company im öst. Handelsregister eingetragen, obwohl die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz in Österreich hatte). 2 So die inzwischen ganz h.M., vgl. OLG Naumburg v. 6.12.2002 – 7 Wx 3/02, GmbHR 2003, 531; OLG Düsseldorf v. 6.11.2002 – I-3 Wx 111/02, IPRspr. 2002 Nr. 21; OLG Celle v. 10.12.2002 – 9 W 168/01, GmbHR 2003, 532 = IPRax 2003, 245 (m. Anm. Behrens, IPRax 2003, 193); OLG Zweibrücken v. 26.3.2003 – 3 W 21/03, GmbHR 2003, 530 (531) = NZG 2003, 537; KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, NJW-RR 2004, 331 = GmbHR 2004, 116 m. Anm. Mildner/Kleinert; LG Trier v. 3.4.2003 – 7 HK. T 1/03, NZG 2003, 778; LG Stuttgart v. 9.2.2005 – 323 T 9/04, IPRspr. 2005 Nr. 207; a.A. noch LG Frankenthal v. 6.12.2002 – 1 HK T 9/02, NJW 2003, 762 = BB 2003, 542 m. abl. Anm. Leible/Hoffmann; AG Lüneburg v. 21.6.2001 – 20 AR 88/01, IPRax 2003, 266. 3 KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, GmbHR 2004, 116 m. Anm. Mildner/Kleinert = NJW-RR 2004, 331; LG Meiningen v. 10.3.2003 – HK T3/02, IPRspr. 2003 Nr. 12. 4 EuGH v. 9.3.1999 – C-212/97, ECLI:EU:C:1999:126 (Centros; Rz. 6.15), ZIP 1999, 438 = GmbHR 1999, 474 = MDR 1999, 752 m. Anm. Risse (Rz. 14, 17, 21, 29); OLG Zweibrücken v. 26.3.2003 – 3 W 21/03, GmbHR 2003, 530 (531) = ZIP 2003, 849. 5 OLG Jena v. 9.9.2005 – 6 W 302/05, DNotZ 2006, 153; OLG Frankfurt v. 29.12.2005 – 20 W 315/ 05, ZIP 2006, 333 = NZG 2006, 515; LG Stuttgart v. 9.2.2005 – 32 T 9/04, IPRspr. 2005 Nr. 207. 6 EuGH v. 1.6.2006 – C-453/04, ECLI:EU:C:2006:361 (Innoventif Ltd.), Slg. 2006 I, 4931 = ZIP 2006, 1293 = GmbHR 2006, 707 m. Anm. Wachter.

528 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.138 § 6

Grundstücken durch ausländische juristische Personen, die nicht in einem Mitgliedstaat der EU gegründet wurden und dort auch nicht ihren Sitz haben, gem. Art. 86 EGBGB durch landesrechtliche Vorschriften beschränkt sein1. Besondere Rechtsfähigkeiten dieser Art unterliegen nicht allein dem Gesellschaftsstatut; vielmehr ist auch das für den jeweiligen Vorgang maßgebliche Wirkungsstatut alternativ oder kumulativ zu berücksichtigen2. bb) Beteiligung an anderen Gesellschaften Von erheblicher praktischer Bedeutung ist insbesondere die besondere Fähigkeit zum Erwerb von Anteilsrechten an anderen Gesellschaften. Durch einen solchen Erwerb wird sowohl die Rechtsordnung der Gesellschaft, an der die Beteiligung angestrebt wird (Zielgesellschaft), als auch die Rechtsordnung der Gesellschaft, welche die Beteiligung erwerben will (Erwerbergesellschaft), berührt. Deshalb sind für die Frage der Zulässigkeit eines solchen Erwerbsgeschäfts die Statuten beider Gesellschaften zu berücksichtigen3. Dabei ist in einem ersten Schritt die Zulässigkeit der Beteiligung nach dem Recht der Zielgesellschaft zu prüfen, weil deren innere Verfassung betroffen ist. Danach kann etwa eine ausländische bürgerlich-rechtliche Gesellschaft oder ein ausländischer rechtsfähiger Verein nicht Gesellschafter einer deutschen OHG sein. Hingegen ist eine Beteiligung einer ausländischen Kapitalgesellschaft an einer deutschen GmbH oder AG zulässig; insoweit ist dann in einem zweiten Schritt zu klären, ob das Personalstatut der Erwerbergesellschaft die Beteiligung gestattet4.

6.137

Umstritten ist die Frage, ob eine ausländische Kapitalgesellschaft die besondere „Beteiligungsfähigkeit“ als Komplementärin einer deutschen KG besitzt. Zwar kennt auch das deutsche Recht Formen zulässiger Typenmischung inländischer Gesellschaftsformen (z.B. GmbH & Co. KG). Bei einer ausländischen Komplementärin tritt jedoch zusätzlich das Problem einer Statutenvermischung durch die partielle Geltung ausländischen Rechts auf. Hierdurch wird der inländische Rechtsverkehr aber erheblich belastet, weil Klarheit über die Rechtsstruktur, insbesondere die Vertretungs- und Haftungsverhältnisse einer deutschen Gesellschaft dann nur unter Berücksichtigung ausländischen Rechts geschaffen werden könnte, zumal auch das deutsche Handelsregister in einem solchen Falle keinen ausreichenden Schutz bietet5. Die Recht-

6.138

1 Art. 86 EGBGB (i.d.F. des Gesetzes v. 23.7.1998, BGBl. I 1998, 1886) gilt nicht für Gesellschaften mit Sitz in EU-Mitgliedstaaten; vgl. zu entsprechenden Erwerbsbeschränkungen in Spanien OLG Frankfurt a.M. v. 13.2.1992 – 16 U 229/88, IPRax 1992, 314 (m. Anm. Bungert, IPRax 1992, 296); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 298. 2 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 299 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 552; Kegel/Schurig, § 17 II 2. 3 LG Stuttgart v. 11.5.1993 – 2 AktE 1/92, RIW 1993, 848 (850) = ZIP 1993, 1406 = IPRax 1994, 293 (m. Anm. Großfeld/Johannemann, IPRax 1994, 271); Großfeld/Strotmann, IPRax 1990, 298 ff.; Michalski, NZG 1998, 762 (763); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 171 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 553 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 303 ff., jeweils m.w.N.; a.A. Grothe, Die ausländische Kapitalgesellschaft & Co. (1989), S. 204 f., der allein auf die Zielgesellschaft abstellt. 4 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 306; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 554. Vgl. auch LG Saarbrücken v. 24.7.1990 – 7 T 10/90 IV, GmbHR 1991, 581 = RIW 1991, 865 (zur Beteiligung einer Corporation mit Sitz in Michigan/USA an einer deutschen GmbH). 5 Zu Recht abl. daher Ebenroth/Auer, DNotZ 1990, 139 ff.; Ebenroth/Hopp, JZ 1989, 883 (889); Ebenroth/Wilken, JZ 1991, 1014 (1020 f.); Ebke, ZGR 1987, 245 (268 ff.); Großfeld/Strotmann, IPRax 1990, 298 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 557; Kieser, Die Typenvermischung über die Grenze (1989), S. 112 ff., jeweils m.w.N.; a.A. Grothe, S. 332; von Bar, JZ 1989, 186; Kronke, RIW 1990, 799 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 336 ff., Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 81.

Hausmann | 529

§ 6 Rz. 6.138 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

sprechung teilt diese Bedenken freilich nichtund lässt die Beteiligung einer ausländischen Kapitalgesellschaft an einer deutschen KG zu1.

6.139

Im Anwendungsbereich der europäischen Gründungstheorie (dazu Rz. 6.6 f., Rz. 6.37 ff.) können gegen die Zulässigkeit einer solchen „Typenvermischung über die Grenze“ allerdings keine Einwendungen mehr erhoben werden; dies auch dann nicht, wenn die in einem anderen Mitgliedstaat – z.B. als Private Ltd. Company irischen Rechts – gegründete Komplementärin ihren effektiven Verwaltungssitz im Inland hat2. cc) Wechsel-/Scheckfähigkeit

6.140

Die passive Wechsel- und Scheckfähigkeit von Gesellschaften wird gem. Art. 91 WG bzw. Art. 60 ScheckG ebenfalls nach dem Gesellschaftsstatut bestimmt. Für die aktive Wechselund Scheckfähigkeit gilt nichts anderes3.

3. Vertretungsmacht 6.141

Das – mit Hilfe der Sitz- oder der Gründungstheorie ermittelte – Gesellschaftsstatut entscheidet weiterhin auch über die Frage, welche Organe eine Gesellschaft hat und welche Befugnisse diese Organe nach innen und nach außen haben, dh. in welchem Umfang sie die Gesellschaft gesetzlich vertreten können4. Es entscheidet etwa, ob einzelne Gesellschafter von der Vertre1 BayObLG v. 21.3.1986 – BReg 3 Z 148/85, BayObLGZ 1986, 61 (72) = NJW 1986, 3029 = ZIP 1986, 840 = IPRax 1986, 368 (m. Aufs. Großfeld, IPRax 1986, 351); OLG Frankfurt v.24. 4. 2008 – 20 W 425/07, DNotZ 2008, 861 (jeweils zur Beteiligung einer „Private Ltd. Company“ engl. Rechts als Komplementärin an einer deutschen KG); OLG Saarbrücken v. 21.4.1989 – 5 W 60/88, NJW 1990, 647 = RIW 1990, 831 (m. Aufs. Kronke, RIW 1990, 799) = IPRax 1990, 324 (m. Anm. Großfeld/Strotmann, IPRax 1990, 298) = JZ 1989, 904 m. Anm. Ebenroth/Hopp = DNotZ 1990, 194 (m. Anm. Ebenroth/Auer, DNotZ 1990, 139) (Beteiligung einer schweiz. AG als Komplementärin einer deutschen KG). Vgl. auch zur Eintragung der deutschen Zweigniederlassung eines ausländischen Unternehmens unter ihrer Firma als Kommanditistin im Handelsregister OLG Bremen v. 18.12.2012 – 2 W 97/12, NZG 2013, 144. 2 OLG Frankfurt a.M. v. 28.7.2006 – 20 W 191/06, ZIP 2006, 1673 = GmbHR 2006, 1156 m. Anm. Werner = IPRspr. 2006 Nr. 255; OLG Stuttgart v. 22.12.2010 – 9 U 102/10, IPRspr. 2010 Nr. 30; Zimmer, NJW 2003, 3585 (3587); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 558. 3 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 312; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 559. 4 BAG v. 25.4.2013 − 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 40) (griechische AG); BGH v. 20.7.2012 – V ZR 142/11, NZG 2012, 1192 (Rz. 27) = ZIP 2012, 1908 (brasil. Gesellschaft); BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, BGHZ 128, 41 (47) = DtZ 1995, 250 (Hochschule der früheren DDR); BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 66/92, NJW 1993, 2744 (2745) = DNotZ 1994, 485 = WuB VIII. C. § 17 BeurkG Nr. 1.13 m. Anm. Reithmann; BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 (277); KG v. 28.3.2013 – 1 W 434/12, ZIP 2013, 973 (jeweils engl. „Private Ltd.“); OLG München v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, NZG 2021, 74 (Rz. 31) (auf den Virgin Islands ansässige Ltd.); OLG München v. 14.10.2015 – 34 Wx 187/14, NZG 2015, 1437 (Rz.15) (frz. Zweigniederlassung einer schottischen Bank); KG v. 18.10.2012 – 1 W 334/12, NZG 2012, 1352 (ital. SARL); OLG Frankfurt a.M. v. 28.7.2006 – 20 W 191/06, NZG 2006, 830 (831) = GmbHR 2006, 1156 m. Anm. Werner (Ltd. & Co. KG); OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 2 U 55/99, IPRspr. 2003 Nr. 19 (Delaware Corporation); OLG Düsseldorf v. 8.1.1993 – 17 U 82/92, NJW-RR 1993, 999 = IPRax 1993, 412 (türk. Handelsunternehmen); OLG Frankfurt a.M. v. 10.1.1984 – 14 U 169/81, IPRspr. 1984 Nr. 21 (kanad. Corporation); OLG Hamm v. 9.1.1984 – 8 U 161/83, ZIP 1984, 1382 = RIW 1984, 653 (französ. AG); LG Hamburg v. 17.2.1992 – 412 O 70/91, WM 1992, 1600 = EWiR 1992, 579 (LS) m. Anm. Reithmann (bulgar. Bank); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 178 ff.; Großfeld in

530 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.144 § 6

tung ausgeschlossen sind, ob Einzel- oder Gesamtvertretung zulässig bzw. notwendig ist und ob die Vertretungsmacht nach Maßgabe der „ultra-vires-Lehre“ durch den Gesellschaftszweck beschränkt ist1. Auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Organmitglied sein Amt wirksam niedergelegt hat, beurteilt sich nach dem Gesellschaftsstatut2. Auch eine Änderung der Vertretungsverhältnisse in der Insolvenz oder Liquidation der Gesellschaft beurteilt sich nach dem Gesellschaftsstatut. Wird eine außerhalb der EU bzw. des EWR gegründete Kapitalgesellschaft nach Verlegung ihres effektiven Verwaltungssitzes ins Inland als deutsche Personengesellschaft behandelt (Rz. 6.120 ff.), so beurteilen sich auch die Vertretungsverhältnisse der Gesellschaft nach dem deutschen Personengesellschaftsrecht3.

6.142

Das Gesellschaftsstatut bestimmt auch den Umfang der Vertretungsmacht.4 Demgemäß beurteilt sich etwa die Frage, ob der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft zum Selbstkontrahieren berechtigt ist, nicht nach dem Wirkungsstatut des jeweiligen Geschäfts, sondern nach dem Gesellschaftsstatut5. Soweit dieses daher – wie das englische Recht der Private Ltd. Company – eine generelle Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens entsprechend § 181 BGB nicht kennt, sondern dem director besondere Treuepflichten auferlegt, die ihm im Falle von Interessenkonflikten zur Offenlegung verpflichten und ihm ein Handeln gegen die Interessen der Gesellschaft verbieten („non-conflict rule“), kann eine solche Befreiung für die deutsche Zweigniederlassung der Gesellschaft auch nicht ins Handelsregister eingetragen werden6.

6.143

Das Personalstatut der Gesellschaft entscheidet ferner, wer im Falle einer Vertretung ohne Vertretungsmacht eine Genehmigung des Geschäfts erteilen muss, und bestimmt über die Voraussetzungen und Wirkungen einer Haftung des vollmachtlosen Organvertreters (vgl. auch zur rechtsgeschäftlichen Vertretung Rz. 6.480 ff.)7. Demgegenüber beurteilt sich die Ge-

6.144

1 2 3 4 5 6

7

Staudinger, IntGesR Rz. 278 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 563 ff., jeweils m.w.N. Ausführlich Niemann, Die rechtsgeschäftliche und organschaftliche Stellvertretung und deren kollisionsrechtliche Einordnung (2004). BGH v. 16.5.1991 – IX ZB 81/90, NJW 1992, 627 (628) (Vertretungsbefugnis des „board of directors“ einer liberian. Corporation); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 563 mwN. BGH v. 21.6.2011 – II ZB 15/10, NZG 2011, 907 (Rz. 13) = GmbHR 2011, 925 m. Anm. Huth = IPRax 2013, 579 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2013, 545) (USA/Kalifornien). BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06 (Trabrennbahn), BGHZ 178, 192 (Rz. 25) = NJW 2009, 289 = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter; Weller, IPRax 2009, 201 (207). BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 = NJW 1992, 618. OLG Düsseldorf v. 23.12.1994 – 3 Wx 262/92, GmbHR 1995, 597 = RIW 1995, 325 (326); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 563. OLG Celle v. 14.4.2005 – 9 W 14/05, GmbHR 2005, 1303 = NZG 2006, 273; OLG München v. 17.8.2005 – 31 Wx 49/05, GmbHR 2005, 1302 = NJW-RR 2005, 1486; OLG München v. 4.5.2006 – 31 Wx 23/06, GmbHR 2006, 603 = NJW-RR 2006, 1042; OLG Frankfurt a.M. v. 28.7.2006 – 20 W 191/06, NZG 2006, 830 (831) = GmbHR 2006, 1156 m. Anm. Werner; OLG Frankfurt a.M. v. 19.2.2008 – 20 W 263/07, GmbHR 2009, 214; OLG Düsseldorf v. 21.2.2006 – 3 Wx 210/05, ZIP 2006, 806 = NZG 2006, 317; a.A. – zu Unrecht – noch LG Ravensburg v. 14.2.2005 – 7 T 1/04 KfH 1, GmbHR 2005, 489; LG Augsburg v. 16.9.2004 – 1HK T 3917/04, NZG 2005, 356; LG Freiburg v. 22.7.2004 – 10 T 5/04, ZIP 2005, 84 = NJW-RR 2004, 1866; LG Chemnitz v. 24.3.2005 – 2HK T 54/05, GmbHR 2005, 691. Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 285; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 563 aE.

Hausmann | 531

§ 6 Rz. 6.144 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nehmigungsfähigkeit eines ohne Vertretungsmacht durch ein Gesellschaftsorgan abgeschlossenen Geschäfts nach dem Wirkungsstatut des Geschäfts1.

6.145

Beschränkungen der Vertretungsmacht nach ausländischem Gesellschaftsrecht, etwa durch Schriftformerfordernisse oder die Notwendigkeit der Mitwirkung eines anderen gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Vertreters, verstoßen nicht gegen den deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB)2. Ihre Berücksichtigung kann aber im Geltungsbereich des europäischen Gesellschaftsrechts gegen Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspkete des Gesellschaftsrechts (GesR-RL) v. 14.6.20173 verstoßen4 sowie aus Gründen des Verkehrsschutzes im Inland ausgeschlossen sein (dazu näher Rz. 6.157 ff.).

6.146

Welche Anforderungen an den Nachweis der Vertretungsmacht einer ausländischen Gesellschaft im inländischen Rechtsverkehr zu stellen sind, beurteilt sich hingegen nicht nach dem Gesellschaftsstatut, sondern nach der deutschen lex fori5. Dies stellt § 13d HGB für inländische Zweigniederlassungen von Unternehmen mit Satzungssitz oder Hauptniederlassung im Ausland ausdrücklich klar. Danach muss der Vertretungsnachweis zweifelsfrei durch zeitnah erstellte Urkunden erbracht werden6. Für die Förmlichkeiten des Nachweises gegenüber dem deutschen Handelsregister gilt § 12 HGB7. Bei Umschreibung des Eigentums auf eine ausländische Gesellschaft im deutschen Grundbuch musss nicht nur deren Existenz und Erwerbsfähigkeit, sondern auch die Vertetungsmacht der für sie Handelnden grundsätzlich nach § 29 GBO durch öffentliche Urkunden nachgewiesen werden8. Zwar können im Handelsregister eingetragene Vertretungsberechtigungen juristischer Personen oder Gesellschaften auch durch 1 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 279 f. Dazu BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, NJW 1992, 618 = ZIP 1991, 1582 = JZ 1992, 579 m. Anm. von Bar = EWiR 1991, 1167 (LS) m. Anm. Schlechtriem (Berechtigung des Geschäftsführers einer deutschen GmbH zum Selbstkontrahieren nach deutschem Recht, Genehmigungsfähigkeit des unter Verstoß gegen § 181 BGB abgeschlossenen Geschäfts hingegen nach dem französ. Geschäftsrecht beurteilt); OLG Düsseldorf v. 23.12.1994 – 3 Wx 262/92, GmbHR 1995, 597 = RIW 1995, 325 = IPRax 1995, 396 (m. Anm. Großfeld/Wilde, IPRax 1995, 374) = EWiR 1995, 225 (LS) m. Anm. Reithmann (Vertretungsbefugnis des Direktors einer niederländ. B.V. für die Übertragung von Geschäftsanteilen an der Gesellschaft nach niederländ. Recht beurteilt. Anwendung von § 181 BGB abgelehnt, obwohl das Übertragungsgeschäft vor einem deutschen Notar beurkundet wurde, weil es sich nicht um rechtsgeschäftliche, sondern um organschaftliche Vertretung handele); AG Duisburg v. 24.1.1995 – 8 HRB 5608, GmbHR 1995, 830 = RIW 1996, 329 (Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers der niederländ. Muttergesellschaft einer deutschen GmbH zur Ausübung des Stimmrechts in der Gesellschafterversammlung der GmbH nach niederländ. Recht beurteilt). 2 KG v. 8.3.1929, HRR 1929 Nr. 1664; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 279 f.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 565. 3 ABl. EU 2017 Nr. L 149/46. 4 Vgl. Kindler, FS Lutter (2000), S. 483. 5 OLG München v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, NZG 2021, 74 (Rz. 28); KG v. 28.3.2013, ZIP 2013, 973 = RNotZ 2013, 426; OLG Dresden v. 21. 5. 2007 – 1 W 52/07, NZG 2008, 265 = ZIP 2007, 2076; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 182. 6 OLG Düsseldorf v. 18.7.2019 – I-3 Wx 138/18, NZG 2019, 1423 (1424 f.) = FGPrax 2019, 261; OLG Dresden v. 21.5.2007 – 1 W 52/07, NZG 2008, 265 (266) = GmbHR 2007, 1156 m. Anm. Wachter (Ltd. & Co. KG); OLG München v. 9.3.2010 – 31 Wx 36/10, ZIP 2010, 1182 = NZG 2010, 515 (japan. AG). Vgl. dazu näher Rz. 6.184 ff. und die Übersichten zum ausländischen Gesellschaftsrecht in Rz. 6.197 ff. 7 Pfeiffer, Rpfleger 2012, 240. 8 OLG Jena v. 22.1.2018 – 3 W 322/17, NZG 2018, 908 (Rz. 11); KG v. 22.5.2012 – 1 W 163/11, FGPrax 2012, 236.

532 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.147 § 6

eine notarielle Bescheinigung nach § 21 Abs. 1 BNotO nachgewiesen werden, § 32 Abs. 1 GBO. Diese Bescheinigung kann jedoch nicht von einem ausländischen Notar und nicht unter Bezugnahme auf nicht näher bezeichnete Unterlagen erfolgen (dazu auch Rz. 6.221)1. Auch die Bescheinigung eines inländischen Notars nach § 21 BNotO für Eintragungen in einem ausländischen Register hat die Beweisfunktion des § 32 Abs. 1 GBO nur dann, wenn dieses Register dem deutschen Handelsregister vergleichbar ist (vgl. auch Rz. 6.222 m.w.N.)2. Können die Anforderungen des § 29 Abs. 1 S. 2 GBO wegen des Inhalts des ausländischen Rechts nicht vollständig erfüllt werden, muss sich das Grundbuchamt zwar mit den danach möglichen Nachweisen begnügen, darf aber im Interesse der Sicherheit des Grundstücksverkehrs und der Gewährleistung der Richtigkeit des Grundbuchs verlangen, dass der Antragsteller sämtliche nach dem ausländischen Recht bestehenden Möglichkeiten ausschöpft, mögen sie in dem jeweiligen Staat im innerstaatlichen Rechtsverkehr auch unüblich sein3. Die Anknüpfung an das Personalstatut der Gesellschaft gilt freilich nur für deren gesetzliche (organschaftliche) Vertretung. Die Vertretungsmacht von Hilfspersonen auf Grund besonderer Vollmachten (Prokura, Handlungsvollmacht) richtet sich hingegen nicht nach dem Gesellschaftsstatut, sondern nach dem Vollmachtstatut (vgl. dazu näher Rz. 6.407 ff., Rz. 6.411 ff.)4. So wird der ständige Vertreter der Zweigniederlasssung einer ausländischen Gesellschaft i.S.v. § 13d HGB als eine Person angesehen, die auf Grund einer rechtsgeschäftlichen Bevollmächtigung nicht nur vorübergehend zur generellen Vertretung der Zweigniederlassung berechtigt ist. Er leitet seine Rechtsstellung im Gegensatz zum Geschäftsführer nicht aus einer organschaftlichen Befugnis ab. Seine Vertretungsberechtigung unterliegt daher nicht dem Gesellschaftsstatut, sondern dem Vollmachtsstatut, d.h. in Deutschland dem von Art. 8 Abs. 2 EGBGB zur Anwendung berufenen Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Bevollmächtigten im Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht, sofern dieser Ort für den Dritten erkennbar ist5. Auch die Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft für das Handeln ihres Organs, das seine Vertretungsbefugnis bei einem Distanzgeschäft überschreitet, wird gesondert angeknüpft; sie richtet sich jedenfalls dann nach dem Recht am Ort der Abgabe der Willenserklärung, wenn diese zugleich über die organschaftliche Vertretungsmacht entscheidet (dazu näher Rz. 6.167)6.

1 OLG München v. 14.10.2015 – 34 Wx 187/14, NZG 2015, 1437 (Rz. 15); OLG Brandenburg v. 19.1.2011 – 5 Wx 70/10, MittBayNot 2011, 222. 2 OLG München v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, NZG 2021, 74 (Rz. 30). 3 OLG Jena v. 22.1.2018 – 3 W 322/17, NZG 2018, 908. 4 Zur Abgrenzung zwischen der Anknüpfung der organschaftlichen und der rechtsgeschäftlichen Vertretung von Gesellschaften vgl. BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, ZIP 1991, 1582 = GmbHR 1992, 107 = NJW 1992, 618; BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315 (1316); OLG Hamm v. 6.6.1957 – 17 U 185/56, IPRspr. 1956/57 Nr. 27; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 287. Das Vollmachtstatut von Bevollmächtigten einer Gesellschaft deckt sich freilich nach Art. 8 Abs. 3 EGBGB idR mit dem Gesellschaftsstatut. 5 Vgl. zum früheren Recht OLG München v. 4.5.2006 – 31 Wx 23/06, GmbHR 2006, 603 = NJWRR 2006, 1042; Heidinger, MittBayNotV 1998, 72 (73). 6 BGH v. 20.7.2012 – V ZR 142/11, NJW 2012, 1192 (Rz. 29 ff.) = ZIP 2012, 1908 = NZG 2012, 1192.

Hausmann | 533

6.147

§ 6 Rz. 6.148 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

4. Partei- und Prozessfähigkeit a) Parteifähigkeit aa) Allgemeines

6.148

Die Parteifähigkeit, dh. die Fähigkeit, in einem Rechtsstreit vor Gericht Kläger, Beklagter, Haupt- oder Nebenintervenient zu sein, wird in § 50 Abs. 1 ZPO mit der Rechtsfähigkeit verknüpft. Aus diesem Grunde wird in der Praxis teilweise zwischen Rechts- und Parteifähigkeit nicht differenziert; über beide Fähigkeiten bestimme das Personalstatut der Gesellschaft1. BGH v. 17.10.1968 – VII ZR 23/68, BGHZ 51, 27 (28) = NJW 1969, 188 = AWD 1969, 22 Rechts- und Parteifähigkeit einer schweizerischen AG, die nach durchgeführter Liquidation im Handelsregister des Kantons Zürich gelöscht worden war, nach schweizerischem Recht beurteilt.

6.149

Soweit zwischen Partei- und Rechtsfähigkeit unterschieden wird, konkurrieren herkömmlicherweise zwei Meinungen: bb) Lex fori

6.150

Ausgangspunkt für die Anknüpfung der Parteifähigkeit2 ist für die traditionelle Auffassung die lex fori. Da aber § 50 Abs. 1 ZPO seinerseits auf das materielle Recht verweist, bestimmt man die Parteifähigkeit ausländischer Personenvereinigungen mithilfe der Kollisionsregeln für die Rechtsfähigkeit. Letztere stellt sich mithin als eine vom deutschen Prozessrecht aufgeworfene materiellrechtliche Vorfrage dar; über diese sei nach dem Personalstatut der Gesellschaft zu entscheiden3.

1 BGH v. 9.7.1965 – I b ZR 83/63, NJW 1965, 1664; OLG Düsseldorf v. 21.4.1964 – 2 U 114/61, AWD 1965, 94. 2 Zum Streit um die Anknüpfung der Parteifähigkeit eingehend Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung (1995), S. 173 ff. 3 BGH v. 30.6.1965 – VIII ZR 71/64, NJW 1965, 1666 = JZ 1965, 580 (Niederländ. Stiftung klagt vor deutschen Gerichten. „Nach § 50 ZPO ist parteifähig, wer rechtsfähig ist. Ob die Klägerin rechtsfähig ist, richtet sich nach niederländ. Recht.“); BGH v. 30.3.2000 – VII ZR 370/98, ZIP 2000, 967 = RIW 2000, 555; Ferner OLG Bremen v. 25.2.1971 – 2 U 130/70, AWD 1972, 478 (Schweizer Verein); OLG Frankfurt a.M. v. 24.4.1990 – 5 U 18/88, NJW 1990, 2204 (panames. Gesellschaft mit effektivem Verwaltungssitz in der Schweiz); OLG Düsseldorf v. 8.1.1993 – 17 U 82/92, NJW-RR 1993, 999 = IPRax 1993, 412 (türk. Handelsgesellschaft); OLG Düsseldorf v. 8.12.1994 – 6 U 250/92, RIW 1996, 155 (iran. Stiftung); OLG Frankfurt a.M. v. 23.6.1999 – 22 U 219/97, ZIP 1999, 1710 = RIW 1999, 783 = NZG 1999, 1097 m. Anm. Hallweger (engl. Ltd.); OLG Köln v. 30.4.1999 – 6 U 62/98, IPRspr. 1999 Nr. 16 (nach niederländ. Recht errichtete islam. Stiftung); OLG Zweibrücken v. 20.10.2000 – 3 W 171/00, ZIP 2000, 2172 = NJW-RR 2001, 341 = RIW 2001, 373 (costaricanische GmbH); OLG Koblenz v. 16.10.2003 – 2 U 55/99, IPRspr. 2003 Nr. 19 (Delaware Corporation); OLG Hamm v. 26.5.2006 – 30 U 166/05, ZIP 2006, 1822 = GmbHR 2006, 1163 = BB 2006, 2987 (schweiz. AG); KG v. 17.3.2014 – 20 U 254/12, NJW 2014, 2737 = ZIP 2014, 1755 (englische Ltd.); OLG Düsseldorf v. 17.2.2015 – 2 U 53/04, IPRspr. 2015 Nr. 185 (schweiz. GmbH); LG Rottweil v. 28.1.1985 – HO 93/84, RIW 1986, 636 = IPRax 1986, 110 (m. Anm von der Seipen IPRax 1986, 91) (liechtenstein. AG); LG Essen v. 10.3.1994 – 2 O 315/93, NJW 1995, 1500 = IPRax 1996, 120 (m. Anm. Jayme, IPRax 1996, 87) (auf der Isle of Man gegründete Private Ltd. Company). Ebenso zur Beteiligtenfähigkeit im Registerverfahren LG Berlin v. 22.6.2004 – 102 T 48/04, ZIP 2004, 2380 = DB 2004, 2628 (m. Aufs. Wachter, DB 2004, 2795) = NZG 2004, 1014. Zust. von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 174 f.

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A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.152 § 6

cc) Lex causae Daran ist richtig, dass in jedem Falle parteifähig ist, wer nach seinem Personalstatut rechtsfähig ist1. Indes regelt § 50 Abs. 1 ZPO die Parteifähigkeit nicht umfassend; denn nicht nur der Rechtsfähige ist parteifähig. So gesteht das deutsche Recht der OHG keine Rechtspersönlichkeit, aber nach § 124 Abs. 1 HGB aktive und passive Parteifähigkeit, dem nicht rechtsfähigen Verein nach § 50 Abs. 2 ZPO passive Parteifähigkeit zu. Wäre daher über die Parteifähigkeit ausländischer Gesellschaften allein nach § 50 Abs. 1 ZPO zu entscheiden, so könnte eine Personenverbindung oder Vermögensmasse, die nach ihrem Personalstatut zwar parteifähig ist, ohne jedoch eigene Rechtspersönlichkeit zu besitzen, im Inland nicht klagen oder verklagt werden. Vorzuziehen ist daher die von Pagenstecher2 entwickelte Auffassung, der zufolge die §§ 50 ff. ZPO zur Bestimmung der Parteifähigkeit von Ausländern überhaupt nicht anwendbar sind. Die Parteifähigkeit ist vielmehr auf Grund einer (ungeschriebenen) Kollisionsnorm des Prozessrechts unmittelbar nach dem Personalstatut der Gesellschaft zu beurteilen, so dass es ausreicht, wenn eine vergleichbare Gesellschaft nach deutschem Recht zwar nicht rechtsfähig, wohl aber – wie z.B. die OHG/KG – parteifähig wäre3.

6.151

Aus diesem Grunde bleibt die Parteifähigkeit einer ausländischen juristischen Person trotz Erlöschens im Sitz- oder Gründungsstaat für Prozesse im Inland erhalten, solange sich hier noch Vermögen befindet (sog. Restgesellschaft) (dazu schon Rz. 6.131)4. Auch gegen die nach dem Personalstatut mangelnde Parteifähigkeit wird der inländische Rechtsverkehr freilich geschützt (dazu Rz. 6.157 ff.).

6.152

1 Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 29. 2 Pagenstecher, FS Raape (1948), S. 249 ff.; Pagenstecher, ZZP 64 (1951), 249 ff. 3 RG v. 25.11.1895, RGZ 36, 393; RG v. 3.6.1927, RGZ 117, 215 (217); BGH v. 17.10.1968 – VII ZR 23/68, BGHZ 51, 27 (28) = NJW 1969, 188 (gelöschte schweiz. AG); BGH v. 3.2.1999 – VIII ZB 35/98, ZIP 1999, 616 = MDR 1999, 759 = NJW 1999, 1871 = IPRax 2000, 21 (m. Anm. H. Roth, IPRax 2000, 11) (engl. partnership); BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 (358) = NJW 2003, 1607 = BB 2003, 810 m. Anm. Kindler; BAG v. 5.12.1966 – 3 AZR 207/66, BAGE 19, 164; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 292; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 568; Bork in Stein/Jonas, § 50 ZPO Rz. 36; Althammer in Zöller, § 50 ZPO Rz. 2; Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 40; Schack, IZVR, Rz. 598. Ferner OLG Koblenz v. 17.10.1985 – 9 U 99/83, RIW 1986, 137 („Ob die beklagte Eigentümergemeinschaft rechtsfähig und deshalb parteifähig ist, oder ob ihr unabhängig von der Rechtsfähigkeit die Fähigkeit, als Partei im bürgerlichen Rechtsstreit verklagt zu werden, zukommt, richtet sich nach dem Recht Spaniens. Denn maßgebend ist insoweit das Personalstatut“); OLG Zweibrücken v. 13.10.1986 – 4 U 98/85, NJW 1987, 2168 (Parteifähigkeit einer New Yorker Anwaltssozietät nach New Yorker Recht bejaht); OLG Hamm v. 4.10.1996 – 29 U 108/95, RIW 1997, 236 (Zur Parteifähigkeit einer auf den Cayman Islands gegründeten Kapitalgesellschaft: „Die Parteifähigkeit einer ausländischen juristischen Person bestimmt sich nach ihrem Personalstatut“); OLG Karlsruhe v. 24.1.2018 – 6 U 56/17, NZG 2018, 757 = ZIP 2018, 1179 (irische „general partnership“ ist, obwohl nicht rechtsfähig, vor deutschen Gerichten parteifähig). 4 BGH v. 4.5.2004 – XI ZR 40/03, BGHZ 159, 94 (100 f.) = NJW 2004, 2523 = ZIP 2004, 1662 (USA); OLG Thüringen v. 22.8.2007 – 6 W 244/07, RIW 2007, 864 m. Anm. Röder = NZI 2008, 260 m. Anm. Mock; OLG Nürnberg v. 10.8.2007 – 13 U 1097/07, GmbHR 2008, 41 m. Anm. Werner = NZG 2008, 76 (77); OLG Hamm v. 11.4.2014 – I-12 U 142/13, NZG 2014, 703 = IPRax 2015, 446 (m. Anm. Klöhn/Schwarz, IPRax 2015, 412).

Hausmann | 535

§ 6 Rz. 6.153 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

dd) Alternative Anknüpfung

6.153

Nicht einleuchtend ist freilich, weshalb der Satz „Parteifähig ist, wer nach seinem Personalstatut parteifähig ist“ den Satz „Parteifähig ist, wer nach seinem Personalstatut rechtsfähig ist“ ausschließen soll. Die – in der Praxis nicht selten mit geringerem Aufwand feststellbare – Rechtsfähigkeit der ausländischen Personifikation begründet die Parteifähigkeit im inländischen Verfahren auch dann, wenn das Personalstatut der juristischen Person ausnahmsweise die Parteifähigkeit abspricht. Im Ergebnis ist daher parteifähig, wer nach seinem Personalstatut entweder rechtsfähig oder parteifähig ist1. Dabei macht es keinen Unterschied, ob das Gesellschaftsstatut mit Hilfe der Sitztheorie oder der europarechtlichen Gründungstheorie bestimmt wird. Der EuGH hat die Verpflichtung zur Anerkennung der in einem Mitgliedstaat der EU wirksam gegründeten Gesellschaft in der „Überseering“-Entscheidung ausdrücklich auf die Parteifähigkeit ausgedehnt. Diese ist damit für die europarechtliche Gründungstheorie ein eigener Anknüpfungsgegenstand. Daraus folgt, dass die der Gesellschaft nach ihrem Gründungsstatut zukommende Parteifähigkeit in den übrigen Mitgliedstaaten unabhängig davon anzuerkennen ist, ob ihr nach dem Gründungsstatut auch die Rechtsfähigkeit zusteht2. Gleiches gilt im Rahmen von Staatsverträgen, die an das Gründungsrecht anknüpfen3.

6.154

Die Fähigkeit einer Gesellschaft, Prozesshandlungen wirksam vornehmen zu können, wird ebenfalls durch das Gesellschaftsstatut bestimmt. Auch insoweit bedarf es – entgegen der früher h.M.4 – nicht des Umwegs über die Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit (§ 52 ZPO); vielmehr ist die Prozessfähigkeit von Gesellschaften auf Grund einer eigenständigen prozessualen Kollisionsnorm unmittelbar nach dem Gesellschaftsstatut zu beurteilen; dieses regelt insbesondere die prozessuale Vertretungsmacht der Gesellschaftsorgane5. Der inländische Rechtsverkehr wird jedoch durch § 55 ZPO zusätzlich geschützt (dazu Rz. 6.163).

b) Prozessfähigkeit

1 Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 29; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 568; Geimer, Rz. 2205; Lindacher in MünchKomm, § 50 ZPO Rz. 68; Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung (1995), S. 161 ff.; Thorn, IPRax 2001, 102 (107). 2 Zutr. Weller, IPRax 2003, 324 (325 f.) gegen BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, ZIP 2003, 718 = GmbHR 2003, 527 m. Anm. Stieb (Rz. 6.35), der insoweit noch auf § 50 ZPO abstellt. Vgl. auch BGH v. 2.6.2003 – II ZR 134/02, ZIP 2003, 1417 = NJW 2003, 2609 = RIW 2003, 877 (zur Anerkennung der Parteifähigkeit einer luxemburgischen „Briefkastengesellschaft“ für eine Klage vor deutschen Gerichten). 3 Vgl. BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = NZG 2004, 1001 = IPRax 2005, 339 (m. Anm. Stürner, IPRax 2005, 305) (US-corporation). 4 Vgl. BGH v. 7.12.1955 – IV ZR 177/55, BGHZ 19, 240 = NJW 1956, 262 = JZ 1956, 535 m. abl. Anm. Neuhaus. 5 BGH v. 23.10.1963 – V ZR 146/57, BGHZ 40, 197 (204) = NJW 1964, 203 = IPRspr. 1962/63 Nr. 184 (jugoslawischer Fiskus); BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 (357) = NJW 2003, 1607 = ZIP 2003, 720 (in Florida gegründete Corporation); OLG Düsseldorf v. 8.12.1994 – 6 U 250/92, RIW 1996, 155 (iran. Stiftung); IPG 1979 Nr. 12 (Hamburg): italien. „società di fatto“; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 295; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 569.

536 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.156 § 6

5. Personengesellschaften a) Handelsgesellschaften Das Gesellschaftsstatut bestimmt nicht nur, ob eine Personenverbindung rechtsfähig ist, sondern beherrscht diese auch dann, wenn sie nicht rechtsfähig ist. Für die Anknüpfung der Rechtsverhältnisse von nicht rechtsfähigen Handelsgesellschaften gelten daher die zuvor für rechtsfähige Kapitalgesellschaften dargestellten Grundsätze entsprechend1. Auch insoweit verbleibt es daher – vorbehaltlich abweichender staatsvertraglicher Regelungen und unter Beachtung der durch die Niederlassungsfreiheit gezogenen Schranken – bei der Geltung der Sitztheorie. Daran hat sich durch das MoMiG (Rz. 6.63 f.) nichts geändert2. Demgemäß beurteilen sich auch die Vertretungsverhältnisse von nicht rechtsfähigen Handelsgesellschaften nach dem als Sitz- oder Gründungsrecht geltenden Gesellschaftsstatut3.

6.155

BGH v. 17.12.1953 – IV ZR 114/53, DB 1954, 231 Zur Haftung einer OHG mit Sitz in Shanghai für Gesellschaftsschulden: „Das Wesen einer solchen Handelsgesellschaft ist, auch wenn sie keine juristische Persönlichkeit besitzt, dem der juristischen Person außerordentlich ähnlich; daraus erwächst ein berechtigtes Bedürfnis nach einem die Personenvereinigung beherrschenden Personalstatut, das die Organisation der Handelsgesellschaft einheitlich regelt.“ Aus diesem Grunde seien „die Rechtsverhältnisse auch der nicht rechtsfähigen Handelsgesellschaft zu dritten Personen dem Recht des Sitzes der Gesellschaft zu unterstellen, weil der Schwerpunkt der Rechtsbeziehungen zwischen Gesellschaftern und Nichtgesellschaftern am Ort ihrer gewerblichen Tätigkeit liegt.“

b) Bürgerlich-rechtliche Gesellschaften Das Sitzrecht gilt ferner auch für solche Gesellschaften des bürgerlichen Rechts, die eine hinreichende fest gefügte eigene Organisation besitzen und am Rechtsverkehr als eigenständige Rechtssubjekte teilnehmen4; diese Außengesellschaften sind daher rechtsfähig, wenn sie ihren Verwaltungssitz im Inland haben5. Für alle übrigen bürgerlich-rechtlichen Gesellschaften, insbesondere reine Innengesellschaften (z.B. zwischen Ehegatten), verbleibt es hingegen bei den allgemeinen Regeln über die Bestimmung des Vertragsstatuts (dazu Rz. 2.1 ff.). Maßgebend ist daher in erster Linie eine ausdrücklich oder stillschweigend getroffene Rechtswahl (Art. 3 Rom I-VO). In Ermangelung einer solchen bestimmt sich das auf Innengesellschaften anwendbare Recht nach Art. 4 Rom I-VO. Da die Anknüpfung an die vertragscharakteristische 1 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 145 ff.; z.T. abw. NK-BGB/Hoffmann, Anh zu Art.12 EGBGB Rz.158 ff. 2 Anders Fingerhuth/Rumpf, IPRax 2008, 90 (93 ff.). 3 Vgl. – jeweils zum Sitzrecht – BGH v. 26.9.1966 – II ZR 56/65, NJW 1967, 36 (elsäss. KG); BGH v. 3.2.1999 – VIII ZB 35/98, ZIP 1999, 616 = NJW 1999, 1871 = IPRax 2000, 21 (m. Anm. H. Roth, IPRax 2000, 11) = NZG 1999, 547 m. Anm. Hallweger (engl. partnership); OLG München v. 1.12.1966 – 3 U 2627/65, IPRspr. 1966/67 Nr. 15 (nicht rechtsfähige Gründungsgesellschaft); OLG Frankfurt a.M. v. 11.7.1985 – 1 U 134/84, IPRax 1986, 373 (m. Anm. Ahrens, IPRax 1986, 355) (GmbH & Co. KG); OLG Düsseldorf v. 10.2.1994 – 6 U 32/93, RIW 1995, 53 (OHG); dazu näher Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 285 ff. m.w.N. 4 Ebenroth, JZ 1988, 23; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 770; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 148; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 290. 5 Vgl. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056; dazu K. Schmidt NJW 2001, 993 ff.; a.A. (Vertragsstatut) OLG Karlsruhe v. 24.1.2001 – 6 U 137/00, NZG 2001, 748. Zur Bestimmung des Verwaltungssitzes einer Außen-GbR vgl. auch BGH v. 10.3.2009 – VIII ZB 105/07, NJW 2009, 1610 (Rz. 11) = ZIP 2009, 987.

Hausmann | 537

6.156

§ 6 Rz. 6.156 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Leistung nach Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO indes nur für Austauschverträge passt, ist für Gesellschaftsverträge auf die Generalklausel in Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO („engste Verbindung“) zurückzugreifen. Danach ist idR das Recht des Ortes anzuwenden, an dem der Geschäftszweck hauptsächlich verfolgt wird1.

VII. Schutz des Rechtsverkehrs 1. Gesetzliche Rechtsschutznormen a) Art. 13 Rom I-VO

6.157

Bleibt eine im Inland tätige ausländische Gesellschaft hinsichtlich des Umfangs ihrer Rechtsfähigkeit hinter dem inländischen Recht zurück, so nimmt die h.M. eine Sonderanknüpfung vor. In entsprechender Anwendung des – unmittelbar nur für natürliche Personen geltenden – Art. 13 Rom I-VO (vgl. dazu näher Rz. 6.1160 ff.) bzw. Art. 12 S. 1 EGBGB wird der inländische Geschäftsverkehr in seinem Vertrauen auf die Rechtsfähigkeit der ausländischen Gesellschaft nach Maßgabe des deutschen Rechts geschützt2. Dieser Schutz greift nicht nur ein, wenn eine ausländische Gesellschaft nach ihrem Personalstatut nicht rechtsfähig ist, obwohl vergleichbaren Gesellschaften nach deutschem Recht Rechtsfähigkeit zukommt3, sondern auch dann, wenn die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft nach ausländischem Recht lediglich – z.B. durch die ultra vires-Lehre – eingeschränkt ist4. Aufgrund der weitgehenden Beseitigung solcher Rechtsfähigkeitsschranken von Gesellschaften in der EU durch Art. 9 GesR-RL (Rz. 6.197) stellt sich das Problem i.d.R. nur noch in Bezug auf drittstaatliche Gesellschaften. Der Schutz erstreckt sich dann auch auf die Parteifähigkeit solcher Gesellschaften5, so dass es ausreicht, wenn eine vergleichbare Gesellschaft zwar nach deutschem Recht nicht rechtsfähig, wohl aber – wie z.B. die OHG oder KG – parteifähig wäre. Hingegen besteht gegenüber der mangelnden Beteiligungsfähigkeit einer Gesellschaft (dazu Rz. 6.137 ff.) nach dem Personalstatut der Ziel- oder Erwerbergesellschaft kein Rechtsschutz analog Art. 13 Rom I-VO/Art. 12 S. 1 EGBGB6. 1 Vgl. i.d.S. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 290; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 149 ff.; ferner BGH v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482 (Rz. 10); BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/ 02, NJW 2004, 3706 (3708) = RIW 2004, 935; OLG Hamburg v. 18.5.2001 – 8 U 177/00, NJW-RR 2001, 1012 (1013 f.); OLG Frankfurt a.M. v. 9.4.1998 – 15 U 58/97, RIW 1998, 807 (Verpflichtungen der Parteien aus einem als Innen- oder Gelegenheitsgesellschaft qualifizierten „Cooperation Agreement“ nach dem jeweiligen – deutschen bzw. engl. – Wohnsitzrecht der Partner beurteilt). Vgl. auch zur akzessorischen Anknüpfung einer Ehegatteninnengesellschaft an das Ehegüterstatut BGH v. 10.6.2015 – IV ZR 69/14, NZG 2015, 1073 (Rz. 12) = IPRax 2016, 287 (m. Anm. Wedemann, IPRax 2016, 252; dazu näher Rz. 6.999). 2 Vgl. aber zu den erhöhten Anforderungen an diesen Schutz, wenn die ausländische Gesellschaft erkennbar als solche im inländischen Rechtsverkehr auftritt, von Bar/Mankowski, Bd. II, Rz. 169. 3 Vgl. zu Art. 12 S. 1 EGBGB BGH v. 23.4.1998 – III ZR 194/96, NJW 1998, 2452 = IPRax 1999, 104 m. Anm. Schütze (obiter); Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 17; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 268, jeweils m.w.N. 4 Vgl. zu Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. bzw. Art. 12 S. 1 EGBGB/Art. 13 Rom I-VO OLG Düsseldorf v. 21.4.1964 – 2 U 114/61, AWD 1965, 94; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 268; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 547 ff., sowie eingehend G. Fischer, Verkehrsschutz § 11; a.A. OLG Stuttgart v. 18.3.1974 – 5 U 17/72, NJW 1974, 1627; OLG Nürnberg v. 7.6.1984 – 8 U 111/84, WM 1985, 259; OLG Bremen v. 30.5.1996 – 2 U 120/94, OLGR 1997, 49; Kropholler, IPR, § 55 II 1. 5 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 291 a.E.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 568. 6 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 556.

538 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.160 § 6

Der Rechtsverkehr wird ferner in Analogie zu Art. 13 Rom I-VO/Art. 12 S. 1 EGBGB auch dann geschützt, wenn der Umfang der Vertretungsbefugnisse der Organe einer ausländischen Gesellschaft hinter den diesbezüglichen Regeln des jeweiligen Vornahmestatuts zurückbleibt. Zwar ist der Verkehrsschutz auf dem Gebiet der Vertretung von Kapitalgesellschaften innerhalb der EU heute in erheblichem Umfang bereits durch materielle Rechtsvereinheitlichung gewährleistet (vgl. Rz. 6.197 ff.). Bei Personengesellschaften und bei Kapitalgesellschaften mit Sitz außerhalb der EU ergeben sich jedoch insbesondere aus dem Spezialitätsprinzip nicht selten Beschränkungen der gesetzlichen Vertretungsmacht (vgl. Rz. 6.312 ff.). Durfte der inländische Vertragspartner in einem solchen Falle auf Grund einer Parallelwertung nach deutschem Recht davon ausgehen, dass die ausländische Gesellschaft durch das handelnde Organ wirksam verpflichtet werden konnte, dann wird er in seinem Vertrauen entsprechend Art. 13 Rom I-VO/Art. 12 S. 1 EGBGB geschützt1. Dies gilt gleichermaßen für juristische Personen wie für ausländische Handelsgesellschaften ohne eigene Rechtspersönlichkeit.

6.158

Erforderlich ist freilich die sinngemäße Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 13 Rom IVO/Art. 12 S. 1 EGBGB (dazu näher Rz. 6.1160 ff.). Danach müssen sich sowohl das handelnde Organmitglied der ausländischen Gesellschaft als auch deren Vertragspartner bei Vornahme des Geschäfts im Inland bzw. im gleichen ausländischen Staat2 aufgehalten haben und der letztere muss hinsichtlich der Rechtsfähigkeit der ausländischen Gesellschaft bzw. der gesetzlichen Vertretungsmacht des handelnden Organs gutgläubig gewesen sein. Die Bösgläubigkeit des inländischen Vertragspartners ist von der ausländischen Gesellschaft zu beweisen. Der gute Glaube wird nicht schon dadurch zerstört, dass der inländische Geschäftspartner weiß, dass er es mit einer ausländischen Gesellschaft zu tun hat3. Man wird jedoch zumindest verlangen müssen, dass die ausländische Gesellschaft im Inland eine Entsprechung hat, weil sonst kein Vertrauenstatbestand erfüllt ist4. Eine derartige Vergleichbarkeit besteht etwa zwischen einer amerikanischen Corporation und einer deutschen AG5, zwischen einer englischen „Private Ltd. company“ und einer deutschen GmbH6, oder zwischen einer englischen partnership und einer deutschen OHG.

6.159

Bei der Beurteilung der Frage, ob es dem Geschäftspartner zuzumuten war, sich über die nach dem Sitz- oder Gründungsrecht einer ausländischen Gesellschaft zulässigen und tatsächlich bestehenden Beschränkungen zu informieren, ist zu berücksichtigen, dass Beschränkungen der Vertretungsmacht von Gesellschaftsorganen – anders als eine Beschränkung der Rechtsfähigkeit von Gesellschaften – auch dem deutschen Recht bekannt sind. So kann die Vertretungsmacht mit Wirkung gegenüber Dritten bei Vereinen (§ 26 Abs. 2 S. 2 BGB), BGB-Gesell-

6.160

1 Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 18; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 281; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 565; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 181; Schlechtriem, EWiR 1991, 1167; einschränkend G. Fischer, Verkehrsschutz, S. 229 ff.; a.A. (für Gleichbehandlung mit der rechtsgeschäftlichen Vertretung) Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 39. 2 Zur allseitigen Anwendung von Art. 13 Rom I-VO Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 547. 3 Ferid, Rz. 5–67, 5; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 547; G. Fischer, Verkehrsschutz S. 51 f.; einschränkend Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 82 m.w.N. 4 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 547. 5 RG v. 3.6.1927, RGZ 117, 215 (217). Vgl. zum „Typenvergleich“ im internationalen Körperschaftsteuerrecht auch BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, GmbHR 1993, 184 = RIW 1992, 867 = IPRax 1993, 248 (250) (liechtensteinische AG). 6 BayObLG v. 18.7.1985 – BReg. 3 Z 62/85 (Rz. 6.72), GmbHR 1985, 335 = IPRax 1986, 161 (m. Anm. Großfeld, IPRax 1986, 145); KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, GmbHR 2004, 116 m. Anm. Mildner/Kleinert = NZG 2004, 49.

Hausmann | 539

§ 6 Rz. 6.160 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schaften (§ 714 BGB) und – hinsichtlich der Ausübung – bei allen Formen der Gesamtvertretung (vgl. § 125 Abs. 1 HGB, § 78 Abs. 2 S. 1 AktG) eingeschränkt werden. Es liegt daher nahe, entsprechende Beschränkungen des ausländischen Rechts bei vergleichbaren Gesellschaften oder Verbandspersonen ebenfalls gelten zu lassen. Zwar entfalten die genannten Beschränkungen nach deutschem Recht eine Außenwirkung erst dann, wenn sie in ein Register eingetragen sind (vgl. §§ 68, 70 BGB, § 106 Abs. 2 Nr. 4, § 107 i.V.m. § 15 HGB), während eine entsprechende formalisierte Überprüfungsmöglichkeit am Sitz ausländischer Gesellschaften häufig nicht wahrgenommen werden kann. Die damit verbundene Gefährdung inländischer Geschäftspartner ist jedoch im Interesse des internationalen Rechtsverkehrs hinzunehmen1. Eine Ausnahme gilt freilich dann, wenn die ausländische Gesellschaft eine Zweigniederlassung im Inland unterhält (dazu Rz. 6.179 ff.).

6.161

Der Referentenentwurf des BMJ zur Reform des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts vom 8.1.2008 (Rz. 6.66 ff.) hat die vorstehend aus einer analogen Anwendung von Art. 13 Rom I-VO entwickelten Grundsätze in seinem Art. 12 Abs. 2 EGBGB-E kodifiziert. b) § 50 Abs. 2, § 55 ZPO

6.162

Inländische Gläubiger von ausländischen Gesellschaften, die nach ihrem Personalstatut der Parteifähigkeit entbehren, schützt die h.M. nicht nur analog Art. 13 Rom I-VO, sondern auch im Wege einer entsprechenden Anwendung des § 50 Abs. 2 ZPO, d.h. sie werden im inländischen Zivilprozess zumindest als passiv parteifähig behandelt2. Damit wird den Gläubigern erspart, im Ausland nach den Hintermännern eines möglicherweise nicht rechtsfähigen Gebildes forschen zu müssen. Die praktische Bedeutung dieses Schutzes ist freilich gering, seit die Parteifähigkeit von Gesellschaften, die in anderen EU-Mitgliedstaaten gegründet worden sind, im Inland stets anzuerkennen ist.3

6.163

Mangelt es einer ausländischen Gesellschaft an der Prozessfähigkeit, so greift zum Schutz des inländischen Rechtsverkehrs § 55 ZPO ein. Danach gilt ein Ausländer, dem nach dem Recht seines Landes die Prozessfähigkeit mangelt, als prozessfähig, wenn ihm nach dem Recht des Prozessgerichts die Prozessfähigkeit zusteht4. Auch hier bedarf es also – ähnlich wie im Rahmen der Analogie zu Art. 13 Rom I-VO – einer näheren Bestimmung, welcher prozessfähigen inländischen Gesellschaftsform die ausländische Personenverbindung entspricht.

1 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 565; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 281 f.; Wiedemann, GesR I, S. 820. 2 Mäsch in BeckOK BGB, Anh. II zu Art. 12 EGBGB Rz. 29; Schack, Rz. 599; dazu BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269 (271 f.) = ZIP 1986, 643 = NJW 1986, 2194 (Im Inland nicht rechtsfähige liechtensteinische Anstalt, die hier im Grundbuch eingetragen war, entsprechend § 50 Abs. 2 ZPO für die gegen sie erhobene Klage auf Zustimmung zur Eintragung einer Sicherungshypothek und auf Duldung der Zwangsvollstreckung für passiv parteifähig erachtet); BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, ZIP 2004, 2095 = NJW 2004, 3706 (Klage gegen eine nach dem Recht der Virgin Islands gegründete Gesellschaft); LG Frankfurt a.M. v. 29.1.1982 – 2/3 O 16/82, IPRax 1982, 201 (Klage gegen einen belg. nicht-rechtsfähigen Verein vor deutschen Gerichten). 3 Vgl. Althammer in Zöller, § 50 ZPO Rz. 31. 4 Vgl. Pagenstecher, ZZP 64 (1951), 249 (283); Schack, Rz. 604; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 295; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 569; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 177.

540 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.165 § 6

2. Persönliche Haftung von Gesellschaftern und Organvertretern a) Grundsatz Grundsätzlich unterliegt die persönliche (Außen-) Haftung der Gesellschafter oder Geschäftsführer für im Namen der Gesellschaft eingegangene Verbindlichkeiten gegenüber den Gesellschaftsgläubigern dem Personalstatut der Gesellschaft1. Auf das Wirkungsstatut der (vertraglichen oder gesetzlichen) Haftung kommt es insoweit wegen der gebotenen Gleichbehandlung der Gläubiger der Gesellschaft nicht an2. Bezüglich der Frage, ob die Gläubiger einer im Ausland gegründeten Gesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz im Inland hat und hier Geschäfte getätigt hat, auch einzelne Gesellschafter oder Organe dieser Gesellschaft wegen der aus diesen Geschäften resultierenden Gesellschaftsschulden in Anspruch nehmen können, ist wiederum danach zu unterscheiden, ob das Gesellschaftsstatut mit Hilfe der Sitz- oder der Gründungstheorie bestimmt wird.

6.164

b) Sitztheorie aa) Gesellschafterhaftung Hat eine außerhalb der EU bzw. des EWR (dazu näher Rz. 6.168 ff.)3 gegründete Kapitalgesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz im Inland, so handelt es sich bei Geltung der Sitztheorie um einen Fall des „Handelns unter falschem Recht“4. Die Scheinauslandsgesellschaft unterliegt daher dem vom deutschen IPR zur Anwendung berufenen deutschen Sachrecht. Zum Schutz der inländischen Gläubiger ist die Gesellschaft, soweit sie im Inland ein Handelsgewerbe betreibt, als OHG einzustufen; durch die Aufnahme der Geschäftstätigkeit im Inland erlangt sie Außenwirksamkeit (§ 123 Abs. 2 HGB) und ist deshalb i.S.v. § 124 Abs. 1 HGB rechtlich verselbständigt5. Für die Verbindlichkeiten der Scheinauslandsgesellschaft haften deshalb deren Gesellschafter den Gläubigern nach § 128 HGB persönlich6. Die gleiche Haftung trifft seit Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit der (Außen-)GbR die Gesell1 BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318 (333 f.) = ZIP 1981, 31 = NJW 1981, 522 = IPRax 1981, 130 (m. Anm. Großfeld, IPRax 1981, 116); BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (167) = ZIP 1992, 781 = NJW 1992, 2026; BGH v. 20.4.1993 – XI ZR 17/90, NJW 1993, 2683 (2684) = ZIP 1993, 1000; BGH v. 23.4.2002 – XI ZR 136/01, NJW-RR 2002, 1359 (1360) = ZIP 2002, 1155; BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (189) = GmbHR 2003, 527 m. Anm. Stieb; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 (1649) = ZIP 2005, 805; Zimmer, NJW 2003, 3585 (3588); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 7 Rz. 190; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 614 ff. m.w.N. 2 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 614 m.w.N. 3 Für die in Mitgliedstaaten der EU (bzw. des EWR) gegründeten Kapitalgesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Inland kann die Annahme einer persönlichen Haftung der Gesellschafter gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV verstoßen, vgl. Zimmer, NJW 2003, 3585 (3586 f.). 4 Kindler, IPRax 2003, 41 (42); Kindler, FS W. Lorenz (2001), S. 343 (346 f.); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 425. 5 Zimmer, S. 300; H. F. Müller, ZIP 1997, 1049 (1051); Haas, DB 1997, 1501 (1506); Altmeppen, DStR 2000, 1061 (1063); Kindler, IPRax 2003, 41 (42); ähnlich auch Forsthoff, DB 2000, 1109 f.; Behrens, IPRax 2000, 384 (388); krit. Walden, EWS 2001, 256 (259 f.). 6 BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, GmbHR 2010, 211 = ZIP 2009, 2385; Kindler, FS W. Lorenz (2001), S. 343 (352); Kindler in MünchKomm IntGesR Rz. 489 ff., 494; Leible/Hoffmann, DB 2002, 2203 (2204 f.); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 441. Vgl. auch BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/ 06 (Trabrennbahn), ZIP 2008, 2411 = GmbHR 2009, 138 m. Anm. Wachter = IPRax 2009, 259 (261) (m. Anm. Kindler, IPRax 2009, 189 und Weller, IPRax 2009, 202).

Hausmann | 541

6.165

§ 6 Rz. 6.165 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schafter einer als GbR zu qualifizierenden Scheinauslandsgesellschaft1. Das bloße Auftreten als Kapitalgesellschaft ausländischen Rechts steht einer solchen persönlichen Haftung der Gesellschafter nach deutschem Recht nicht entgegen2. Es rechtfertigt auch nicht die Annahme einer konkludent vereinbarten Haftungsbeschränkung3. bb) Handelndenhaftung

6.166

Gegenüber Scheinauslandsgesellschaften, die nicht in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR gegründet wurden4, wird der inländische Rechtsverkehr ferner durch die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Handelndenhaftung des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts (§ 41 Abs. 1 S. 2 AktG, § 11 Abs. 2 GmbHG) geschützt, wenn das ausländische Gebilde einer deutschen AG bzw. GmbH vergleichbar ist. Deutsche Gerichte haben daher die im Inland als Geschäftsführer einer ausländischen Kapitalgesellschaft handelnden Personen unter Geltung der Sitztheorie wiederholt für die im Namen der Gesellschaft eingegangenen Verbindlichkeiten nach § 11 Abs. 2 GmbHG persönlich in Anspruch genommen5. Dieser Haftung kommt insbesondere dann Bedeutung zu, wenn die Handelnden nicht als Gesellschafter einer deutschen Personengesellschaft nach den zuvor (Rz. 6.165) behandelten Grundsätzen in Anspruch genommen werden können6. cc) Rechtsscheinhaftung

6.167

Schließlich kann es der Schutz des inländischen Rechtsverkehrs im Einzelfall auch gebieten, eine ausländische Gesellschaft an dem von ihr hervorgerufenen Rechtsschein festzuhalten. Ist etwa eine ausländische Personenverbindung, die nach ihrem Personalstatut keine Rechtsfähigkeit besitzt, im Inland wie eine juristische Person aufgetreten (z.B. durch Bezeichnung als aus1 BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BB 2002, 2031 (2032) m. Anm. Gronstedt; = ZIP 2002, 1763; Kindler, IPRax 2003, 41 (42 f.); Kindler, FS W. Lorenz (2001), S. 343 (346). 2 Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 89 (103); Kindler, FS W. Lorenz (2001), S. 343 (353 f.); Kindler, IPRax 2003, 41 (44). 3 LG Stuttgart v. 10.8.2001 – 5 KfH O 76/01, GmbHR 2002, 697 = NZG 2002, 240 (In Manchester/ England gegründete Private Ltd. Company mit effektivem Verwaltungssitz in Esslingen als OHG qualifiziert; persönliche Haftung des Gründers und alleinigen Gesellschafters für Schulden der Gesellschaft bejaht). Die Entscheidung hat heute nur noch für Drittstaatengesellschaften Bedeutung, vgl. Rz. 6.168 f. 4 Im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV können Verstöße von im Inland verwalteten Kapitalgesellschaften, die in anderen Mitgliedstaaten gegründet wurden, gegen deutsche Kapitalschutzvorschriften heute nicht mehr mit einer Handelndenhaftung analog § 41 Abs. 1 S. 2 AktG, § 11 Abs. 2 GmbHG sanktioniert werden, vgl. Rz. 6.168 ff. 5 Vgl. BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385 (Rz. 5) = GmbHR 2010, 211 (Ltd.nach dem Recht von Singapur); OLG Hamburg v. 20.2.1986 – 6 U 147/85, GmbHR 1986, 349 = NJW 1986, 2199; OLG Oldenburg v. 4.4.1989 – 12 U 13/89, GmbHR 1990, 346 = NJW 1990, 1422; KG v. 13.6.1989 – 6 U 591/89, NJW 1989, 3100 (3101); LG Köln v. 25.11.1985 – 16 O 41/84, GmbHR 1986, 314 = RIW 1987, 54; LG Marburg v. 17.9.1992 – 1 O 115/92, RIW 1994, 63; LG Stuttgart v. 10.8.2001 – 5 KfH O 76/01, NJW-RR 2002, 463 (466 f.) = GmbHR 2002, 697; zust. Eidenmüller/ Rehm, ZGR 1997, 89 (99 ff.); H. F. Müller, ZIP 1997, 1049 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 499 ff. 6 LAG Berlin v. 8.12.2000 – 6 Fa 1179/00, IPRspr. 2001 Nr. 12 (Alleiniger Gesellschafter einer poln. Gesellschaft, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Berlin hat und im Rechtsverkehr als „D. International GmbH“ auftritt, haftet sowohl nach Rechtsscheingrundsätzen als auch nach § 11 Abs. 2 GmbHG für Gehaltsforderungen von Angestellten der Gesellschaft).

542 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.168 § 6

ländische AG, Stiftung o.Ä.), so kann sie aus Gründen des Vertrauensschutzes auch als solche behandelt werden1. Dies gilt erst recht, wenn die Gesellschaft durch ihr Geschäftsgebaren den Eindruck erweckt, eine inländische juristische Person zu sein2. BGH v. 28.1.1960 – VII ZR 223/58, NJW 1960, 1204 Parteifähigkeit einer niederländischen Stiftung, die in Deutschland Geschäfte getätigt hatte, trotz Zweifel an ihrer Rechtsfähigkeit nach niederländischem Recht bejaht. Es gelte „der allgemeine Rechtsgedanke, dass Gebilde ohne Rechtspersönlichkeit, die im Rechtsverkehr wie juristische Personen auftreten, unter bestimmten Voraussetzungen als solche wenigstens verklagt werden können, dann nämlich, wenn Erfordernisse des redlichen Geschäftsverkehrs dies verlangen“.

c) Gründungstheorie aa) Grundsatz

Der Schutz der Niederlassungsfreiheit der in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR gegründeten Gesellschaft gebietet deren Anerkennung als ausländische Kapitalgesellschaft auch dann, wenn der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft von Anfang an im Inland gelegen war oder nachträglich hierhin verlegt wurde (vgl. Rz. 6.93, Rz. 6.114 ff. m. Nachw.). Auch in diesem Fall folgt aus der Anerkennung der Gesellschaft zugleich, dass ihr ausländisches Personalstatut auch in Bezug auf die Haftung für in ihrem Namen begründete Verbindlichkeiten einschließlich der Frage nach einer persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter oder Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftsgläubigern maßgeblich ist3. Die nach dem Recht des Gründungsstaates bestehende Haftungsfreistellung oder Haftungsbeschränkung der Gesellschafter darf im Inland nicht durch die Anwendung von Vorschriften des deutschen Gesellschaftsrechts ausgehebelt werden, die zu einer persönlichen Gesellschafterhaftung führen. Deshalb kommt insbesondere eine Umqualifizierung der ausländischen juristischen Person in eine deutsche Personengesellschaft mit der Folge der gesamtschuldnerischen Haftung der Gesellschafter nicht in Betracht4. Aus den gleichen Gründen hat auch eine persönliche Haftung derjenigen Personen, die für eine in einem anderen EU-Mitgliedstaat wirksam gegründete Gesellschaft im inländischen Rechtsverkehr gehandelt haben, in Analogie zu § 11 Abs. 2 GmbHG, § 41 Abs. 1 S. 2 AktG (dazu Rz. 6.166) auszuscheiden5. 1 OLG Nürnberg v. 7.6.1984 – 8 U 111/84, RIW 1985, 494 = IPRax 1985, 342 (m. Anm. Rehbinder, IPRax 1985, 324); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 271; Kropholler, IPR, § 55 I 2b aE. 2 LG Stuttgart v. 31.7.1989 – 7 O 64/89, IPRax 1991, 118 (m. Anm. G. Fischer, IPRax 1991, 100) (zur Rechtsscheinhaftung des für eine „pseudo foreign company“ Handelnden analog § 179 BGB). 3 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03 (im Text). Ebenso zur Haftung für Schulden einer US-amerikanischen Corporation, deren Rechtsfähigkeit im Inland auf staatsvertraglicher Grundlage nach dem Gründungsrecht anzuerkennen war, BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, ZIP 2004, 1549 = RIW 2004, 787 (m. Aufs. Ebke, RIW 2004, 740) (Delaware) sowie BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, ZIP 2004, 2230 = RIW 2005, 147 = IPRax 2005, 340 (m. Anm. Stürner, IPRax 2005, 305) (Kalifornien). 4 Ganz h.M., vgl. BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 (188 ff.) = ZIP 2003, 718 = GmbHR 2003, 527 m. Anm. Stieb; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03 (im Text); Eidenmüller, ZIP 2002, 82 (84) und 2233 (2240); Forsthoff, DB 2002, 318 (321)und 2471 (2475); von Halen, EWS 2002, 107 (114); Heidenhain, NZG 2002, 1141 (1142); Behrens, IPRax 2003, 193 (204); Großerichter, DStR 2003, 159 (166); Leible/Hoffmann, ZIP 2003, 925; Lutter, BB 2003, 7 (9); W.-H. Roth, IPRax 2003, 117 (123); Schanze/Jüttner, AG 2003, 30 (34); Weller, IPRax 2003, 324 (326); Ziemons, ZIP 2003, 1913 (1917); a.A. noch AG Hamburg v. 14.5.2003 – 67g IN 358/02, ZIP 2003, 1008 = NZI 2003, 442 m. Anm. Mock, Schildt; Kindler, NJW 2003, 1073 (1078). 5 OLG Hamm v. 27.1.2006 – 12 U 108/05, NJW-RR 2006, 1631 = NZG 2006, 826; Weller, IPRax 2003, 324 (326); anders für den Fall einer Verletzung der Zweigniederlassungspublizität im Sitzstaat aber Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 533 f., 951 ff.

Hausmann | 543

6.168

§ 6 Rz. 6.168 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, NJW 2005, 1648 (1649) (m. Aufs. Eidenmüller, NJW 2005, 1618) = RIW 2005, 542 m. Anm. Leible/Hoffmann = BB 2005, 1016 m. Anm. Wand = JZ 2005, 848 m. Anm. Rehberg = NZG 2005, 508 m. Anm. Lehmann Haftung des Geschäftsführers einer engl. Privte Ltd. Company mit tatsächlichem Verwaltungssitz im Inland nach engl. Gründungsrecht beurteilt; analoge Anwendung von § 11 Abs. 2 GmbHG wegen fehlender Eintragung der Gesellschaft im deutschen Handelsregister abgelehnt.

6.169

Mit der Niederlassungsfreiheit grundsätzlich unvereinbar ist ferner eine „Überlagerung“ des ausländischen Gründungsrechts durch zwingende Vorschriften des im Tätigkeitsstaat der Gesellschaft geltenden Gesellschaftsrechts1. Aus diesem Grund kann eine Durchgriffshaftung („piercing of the corporate veil“) wegen Unterkapitalisierung nicht schon darauf gestützt werden, dass die Gesellschaft die Kapitalschutzvorschriften des Rechts am effektiven Verwaltungssitz nicht eingehalten hat, sofern sie den diesbezüglichen Anforderungen ihres – insoweit allein maßgeblichen – Gründungsrechts entsprochen hat (vgl. aber Rz. 6.172)2. bb) Ausnahmen

6.170

Möglich bleibt danach zum Schutz von Gläubigern der Scheinauslandsgesellschaft nur ein Rückgriff auf solche Instrumente des Sitzstaates, die in besonderen Ausnahmesituationen eine Inanspruchnahme von Gesellschaftern oder Organmitgliedern ermöglichen. Dabei muss es sich grundsätzlich um Instrumente handeln, die entweder das allgemeine Zivilrecht oder das Insolvenzrecht des Sitzstaates den Gläubigern einräumen, die also unabhängig von der Anknüpfung des Personalstatuts auf alle im Sitzstaat tätigen Gesellschaften gleichermaßen Anwendung finden3. Denn unter dieser Voraussetzung scheidet ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit der im EU-Ausland gegründeten Gesellschaft aus4. Nach der Rechtsprechung des EuGH5 ist dabei zu unterscheiden zwischen einer strukturabhängigen Gesellschafterhaftung, die als Beschränkung i.S.v. Art. 49 AEUV zu werten sein kann, und einer durch die Niederlassungsfreiheit nicht berührten Verhaltenshaftung der Gesellschafter. Vor diesem Hintergrund ist die Durchgriffshaftung grundsätzlich gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren6.

6.171

Außer der anschließend näher betrachteten Haftung aus Delikt, wegen Verstoßes gegen insolvenzrechtliche Pflichten und kraft Rechtsscheins ist der Sitzstaat etwa berechtigt, eine an sein 1 Vgl. Bayer, BB 2003, 2357 (2364); Geyrhalter/Gänßler, DStR 2003, 2167 (2170 f.); Kleinert/Probst, DB 2003, 2217; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925 (930) und Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 681; Meilicke, GmbHR 2003, 1271 (1272); Maul/C. Schmidt, DB 2003, 2297 (2298); Probst/Kleinert, MDR 2003, 1265 (1268); Weller, DStR 2003, 1800 (1802) und IPRax 2003, 520 (523 f.); a.A. Altmeppen, NJW 2004, 97 ff. 2 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03 (Rz. 6.168), BB 2005, 1016 (1017); OLG Hamm v. 27.1.2006 – 12 U 108/05, NJW-RR 2006, 1631; LG Köln v. 15.8.2009 – 7 O 136/07, IPRspr. 2009 Nr. 9. 3 Vgl. zu den Qualifikationsproblemen in diesem Zusammenhang eingehend Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 614 ff. 4 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, NJW 2007, 1529 Rz. 10 = ZIP 2007, 908 = GmbHR 2007, 593 m. Anm. Römermann; Kindler, NJW 2007, 1785 (1786 f.); a.A. Eidenmüller, JZ 2004, 24 (25); K. Schmidt, ZHR 168 (2004), 493 (499); Spindler/Berner, RIW 2004, 7 (10 ff.). 5 EuGH v. 21.10.2010 – C-81/09, ECLI:EU:C:2010:622 (Star Cannel), NZG 2011, 183 (Rz. 47 ff.); dazu ausf. D. Paulus, Außervertragliche Gesellschafter- und Organhaftung im Lichte des Unionskollisionsrechts (2013), Rz. 454 ff. 6 Vgl. – zur internationalen Zuständigkeit – EuGH v. 17.10.2013 – C 519/12, ECLI:EU:C:2013:674 (OTP), IPRax 2014, 528 (m. Anm. Kindler, IPRax 2014, 486); allg. Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 617 ff.

544 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.173 § 6

Recht angepasste transparente Firmierung für Scheinauslandsgesellschaften vorzuschreiben und Verstöße hiergegen – z.B. durch eine Haftung der Geschäftsführer aus culpa in contrahendo – zu sanktionieren1. Diese Haftung, die etwa auch wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten durch den Geschäftsführer gegenüber Gläubigern im Vorfeld der Insolvenz in Betracht kommt, unterliegt also nicht dem Gesellschaftsstatut, sondern dem von Art. 12 Rom II-VO bestimmten Recht2. Ferner haftet derjenige, der im Namen einer ursprünglich in einem EU-Mitgliedstaat gegründeten, inzwischen aber erloschenen Gesellschaft im Inland handelt, für die eingegangenen Verpflichtungen persönlich nach den allgemeinen Grundsätzen des deutschen Privatrechts3. Insgesamt dürfen derartige Sonderanknüpfungen aber die einheitliche kollisionsrechtliche Beurteilung der in anderen Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften nach ihrem Gründungsrecht nicht gefährden4. (1) Deliktsrecht Keine Bedenken bestehen unter dem Gesichtspunkt einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gegen eine Inanspruchnahme der Gesellschafter oder Geschäftsführer einer in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegründeten ausländischen Gesellschaft, die auf deliktische Anspruchsgrundlagen, etwa Betrug (§ 823 Abs. 2 i.V.m. § 263 StGB) oder vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB), gestützt wird5. Um inländische Gläubiger wirksam gegenüber Scheinauslandsgesellschaften zu schützen, sind die Gerichte der Mitgliedstaaten auch berechtigt, den Anwendungsbereich des Gesellschaftsstatuts bis zu einem gewissen Grad zugunsten des Deliktsstatuts einzuschränken. Aus diesem Grunde kommt eine Gesellschafterhaftung wegen Vermögens- oder Sphärenvermischung nach Maßgabe des am tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft geltenden Rechts jedenfalls dann in Betracht, wenn das Verhalten der Gesellschafter zugleich einen Deliktstatbestand erfüllt, ohne dass darin eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gesehen werden kann6.

6.172

Gleiches gilt für eine Gesellschafterhaftung unter dem Gesichtspunkt der Unterkapitalisierung, wenn das Verhalten der Gesellschafter – zumindest auch7 – deliktisch qualifiziert werden kann8. Die Geltung des Sitzrechts folgt in diesen Fällen aus Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO, weil der schädigende Erfolg regelmäßig in dem Staat eintritt, in dem die Gesellschaft ihre geschäftlichen Aktivitäten entfaltet; für eine akzessorische Anknüpfung an das Gründungrecht nach Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO ist regelmäßig kein Raum, weil das schädigende Verhalten der Gesellschafter eine engere Verbindung zum Sitz- als zum Gründungsstaat der Gesellschaft aufweist. Eine Anwendung der am Verwaltungssitz der Gesellschaft geltenden Regeln der Durchgriffshaftung in Ausnahmefällen ist aber auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Gesellschafter die Schwelle zu einem deliktischen Verhalten noch nicht überschritten haben. Beach-

6.173

1 2 3 4 5

Bayer, BB 2003, 2357 (2364). Balthasar, RIW 2009, 221 (226). LG Duisburg v. 20.2.2007 – 7 T 269/06, ZIP 2007, 926 = GmbHR 2007, 608 = NZG 2007, 637. Eidenmüller, JZ 2003, 526 (528); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 6. Ganz hM, vgl. Bayer, BB 2003, 2357 (2364 f.); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207); Borges, ZIP 2004, 733 (741); Horn, NJW 2004, 893 (899). 6 Kindler, FS Säcker (2011), S. 393 (398 f.); Schall, ZIP 2016, 289 (294 f.); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 622 mwN; a.A. Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159 (182). 7 Für Mehrfachqualifikation als gesellschafts- und deliktsrechtlich Kindler, FS Jayme (2004), S. 409 (413 f.). 8 Ulmer, NJW 2004, 1201 (1208); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 623; a.A. OLG Hamm v. 27.1.2006 – 12 U 108/05, NZG 2006, 826; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 6.

Hausmann | 545

§ 6 Rz. 6.173 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ten sie nämlich die Trennung der Haftungsmassen – als Voraussetzung für ihre beschränkte Haftung – selbst nicht oder erhöhen sie das Risiko einer Insolvenz der Gesellschaft durch eine massive Unterkapitalisierung beträchtlich, so stünde einer Berufung auf die Niederlassungsfreiheit der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen1. (2) Insolvenzrecht

6.174

Die Gerichte der Mitgliedstaaten sind ferner nicht gehindert, insolvenzrechtliche Haftungsinstrumente, die nach dem Recht des Eröffnungsstaates – als dem nach Art. 7 Abs. 1 EuInsVO 2015 maßgeblichen Insolvenzstatut (vgl. dazu Rz. 6.686 ff.) – vorgesehen sind, auf die in anderen Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften in gleichem Umfang wie auf inländische Gesellschaften anzuwenden2. Als insolvenzrechtlich zu qualifizieren ist etwa das durch das MoMiG neu geregelte Recht des Eigenkapitalersatzes3 sowie insbesondere die Pflicht des Geschäftsführers einer deutschen GmbH zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags nach § 15a InsO. Angesichts der eindeutig insolvenzrechtlichen Zielsetzung dieser Vorschrift änderte schon früher die systematische Stellung der Vorschrift zur Haftung wegen Verletzung dieser Antragspflicht in § 64 GmbHG daran nichts4. Zwar ergab sich die zivilrechtliche Insolvenzverschleppungshaftung des Geschäftsführers im deutschen Recht bis zum 31.12.2020 nicht unmittelbar aus § 15a InsO; vielmehr diente diese Vorschrift nur als Grundlage für die deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB. Auch diese Haftung verfolgte indessen primär insolvenzrechtliche Zwecke und war deshalb nicht deliktsrechtlich, sondern insolvenzrechtlich zu qualifizieren5. Dies hat der EuGH in der Rechtssache „Kornhaas“ zu § 64 GmbHG a.F. ausdrücklich klargestellt6. Nach der Neuregelung dieser Haftung in § 15b Abs. 4 InsO kann daran erst recht kein Zweifel mehr bestehen. Die Haftung für Zahlungen, die erst nach Zahlungs1 Bayer, BB 2003, 2357 (2364); Meilicke, GmbHR 2003, 793 (806); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3588 f.); Borges, ZIP 2004, 733 (741); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207 ff.); Balthasar, RIW 2009, 221 (225). 2 Müller, NZG 2003, 414 (416); Bayer, BB 2003, 2357 (2365); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3588 ff.); Altmeppen, NJW 2004, 97 (100 f.); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207). Zum Vorrang der EuInsVO 2015 bei der Abgrenzung zwischen Insolvenz- und Gesellschaftstatut von Bar/Mankowski, Bd. II § 7 Rz. 229 ff. 3 BGH v. 21.07.2011 –- IX ZR 185/10, BGHZ 190, 364 = NZI 2011, 818 = NZG 2011, 119 = BB 2012, 14 m. Anm. Teichmann; AG Hamburg v. 26.11.2008 – 67g IN 352/08, ZIP 2009, 532 = NZG 2009, 197; Kußmaul/Richter/Ruiner, DB 2008, 451 (455); ebenso schon Haas, NZG 1999, 1148, 1152. 4 Vgl. zur Anwendung von § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. auf den director einer private Ltd., über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, BGH v. 15.3.2016 – II ZR 119/ 14, MDR 2016, 719; Bayer, BB 2003, 2357 (2365); Borges, ZIP 2004, 733 (739); Paulus, ZIP 2002, 729 (734); Müller, NZG 2003, 414 (416 f.); Weller, DStR, 2003, 1800 (1804); Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1620 f.); Altmeppen, NJW 2005, 1911 (1913); Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 63 ff. m.w.N.; a.A. Spindler/Berner, RIW 2004, 414 (416). 5 Kuntz, NZI 2005, 424 (428); von Bar/Mankowski, Bd. II § 7 Rz. 233 ff.; Kindler in MünchKomm, Art. 4 EuInsVO Rz. 69 ff., jeweils m.w.N. 6 EuGH v. 10.12.2015 – C-594/14, ECLI:EU:C:2015:806 (Kornhaas), NJW 2016, 223 m. Anm. M.-P. Weller/Hübner; ebenso schon der BGH in seinem Vorlagebeschluss v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, ZIP 2015, 68 (Rz. 8 ff.) = GmbHR 2015, 79 m. Anm. Römermann = NZI 2015, 85 (87) m. Anm. Mock m. umf. Nachw. zum Streitstand; ferner OLG Düsseldorf v. 1.10.2015 – 6 U 169/14, NZI 2016, 642 m. Anm. Poertzgen. Vgl. auch die Abschlussentscheidung des BGH v. 15.3.2016 – II ZR 119/14, NJW 2016, 2660 (Rz. 15 ff.) = NZI 2016, 461 m. Anm. Mock. Im gleichen Sinne auch schon EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 (H./H.K.), EuZW 2015, 141 (Rz. 21 ff.) m. Anm. Kindler = NZI 2015, 88 m. Anm. Poertzgen = ZIP 2015, 196.

546 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.176 § 6

unfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft geleistet wurden, ist auch nicht auf Geschäftsführer einer deutschen GmbH beschränkt, sondern gilt gleichermaßen für Leitungsorgane von im EU-Ausland gegründeten Gesellschaften, die – wie etwa die Private Ltd. Company des englischen Rechts – der GmbH funktional entsprechen, sofern das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet wird (zur internationalen Eröffnungszuständigkeit Rz. 6.539 ff.)1. In der Anwendung dieser Haftungsregeln auf Geschäftsleiter von in anderen EU-Mitgliedstaaten gegründeten Gesellschaften liegt auch keine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit2.

Darüber hinaus dürfte auch die von der deutschen Rechtsprechung im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelte Haftung der Gesellschafter wegen Existenzvernichtung3 primär den Schutz der Gesellschaftsgläubiger vor einer Masseverkürzung bezwecken. Obwohl der BGH diese Haftung auf § 826 BGB stützt, dürfte sie für die Zwecke des europäischen Kollisionsrechts daher nicht als deliktisch, sondern als insolvenzrechtlich zu qualifizieren sein4. Maßgebend sind daher nicht die Art. 4 ff. Rom II-VO, sondern Art. 4 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO analog. Die Haftung kommt daher auch zu Lasten der Gesellschafter der in einem anderen EU-Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft in Betracht, die ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland hat5.

6.175

(3) Rechtsscheinhaftung Eine Rechtsscheinhaftung kommt zunächst in Betracht, wenn eine Gesellschaft im Rechtsverkehr den Anschein erweckt, sie sei eine deutsche Gesellschaft, während sie in Wirklichkeit ein ausländisches Personalstatut hat. Diese Rechtsscheinhaftung sollte nach dem Referentenentwurf des BMJ zum internationalen Gesellschaftsrecht (Rz. 6.66 ff.) in Art. 12 Abs. 3 EGBGB-

1 BGH v. 4.7.2017 – II ZR 319/15, ZIP 2017, 1619 (m. Aufs. Altmeppen, ZIP 2017, 1833) = NZI 2017, 809 m. Anm. Schädlich = BB 2017, 2130 m. Anm. Wilhelm; OLG Jena v. 17.7.2013 – 2 U 815/12, ZIP 2013, 1820 = NZI 2013, 807 = IPRax 2014, 357 (m. zust. Anm. M-P. Weller, IPRax 2014, 336) (jeweils zur engl. Limited); LG Kiel v. 20.4.2006 – 10 S 44/05, ZIP 2006, 1248 = GmbHR 2006, 710 m. Anm. Leutner/Langner = EuZW 2006, 478 (m. abl. Anm. Ringe/Willemer EuZW 2006, 621); Bayer, BB 2003, 2357 (2365); Zimmer, NJW 2003, 3585 (3589); Horn, NJW 2004, 893 (899); Lieder/Kliebisch, BB 2009, 338 (342); Balthasar, RiW 2009, 221 (226); Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 59; a.A. insbesondere Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207 f.). 2 EuGH v. 10.12.2015 – C-594/14, ECLI:EU:C:2015:806 (Kornhaas) (Rz. 6.33); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207); M.-P. Weller, IPRax 2004, 414; Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1621); Kindler in MünchKomm, EuInsVO Rz. 84 ff. m.w.N.; a.A. insb. Ulmer, NJW 2004, 1201 (1207 f.). 3 Vgl. BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99 (Bremer Vulkan), BGHZ 149, 10 (16 f.) = ZIP 2001, 1874 = NJW 2001, 3622; BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00 (TRIHOTEL), BGHZ 151, 181 (186 ff.) = NJW 2002, 3024 = GmbHR 2002, 902 m. Anm. Schröder; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = (252 ff.) = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 m. Anm. Schröder; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06 (GAMMA), NJW 2008, 2437 (2438) = GmbHR 2008, 805 m. Anm. Ulrich; dazu Horn, NJW 2004, 893 (899). 4 Kindler, IPRax 2009, 189 (193); Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117 (120 f.); Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit (2004), S. 266; Mankowski, NZG 2016, 281 (286); a.A. OLG Köln v. 14.5.2004 – 16 W 11/04, NZG 2004, 1009 (1011) = ZIP 2005, 322; Haas, WM 2003, 1929 (1940); Schanze/ Jüttner, AG 2003, 661 (669); Balthasar, RIW 2009, 221 (225 f.). 5 Für Vereinbarkeit der Existenzvernichtungshaftung mit der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV auch Zimmer, NJW 2003, 3585 (3588 f.); Weller, IPRax 2003, 207 ff.; Schulz, NJW 2003, 2705 (2708); Altmeppen, NJW 2004, 97 (101 f.); dazu näher Kindler, FS Jayme (2004), S. 409 (416 f.); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 625 f.; a.A. Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1620) (akzessorische Anknüpfung an das Gesellschaftsstatut); Ulmer, NJW 2004, 1201 (1204) (Rechtfertigung am Maßstab der Art. 49, 54 AEUV erforderlich).

Hausmann | 547

6.176

§ 6 Rz. 6.176 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

E kodifiziert werden. Danach können sich Dritte immer dann, wenn eine Gesellschaft unter einem anderen Recht als ihrem nach Art. 10 Abs. 1 EGBGB-E maßgebenden Personalstatut im Rechtsverkehr auftritt, auf dieses andere Recht berufen.

6.177

Auch die durch Verletzung der Pflicht zur Führung eines auf die beschränkte Haftung hinweisenden Firmenzusatzes begründete Rechtsscheinhaftung knüpft nicht an die Verletzung spezifischer Organpflichten an. Sie untersteht daher nicht dem Gesellschaftsstatut, sondern dem Recht des Staates, in dem der Rechtsschein entstanden ist und sich ausgewirkt hat (vgl. auch Rz. 6.467 ff.)1. Daher wird die Haftung des für eine ausländische Kapitalgesellschaft auftretenden gesetzlichen Vertreters, der durch sein Zeichnen mit der Firma ohne Rechtsformzusatz das Vertrauen auf die Haftung mindestens einer natürlichen Person hervorgerufen hat, nicht nach dem ausländischen Gesellschaftsstatut, sondern nach deutschem Recht (§ 179 BGB) beurteilt, wenn der Rechtsschein im Inland erzeugt wurde2. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05 (Einfamilienhaus), ZIP 2007, 908 = NJW 2007, 1529 (1530) (m. Anm. Kindler, NJW 2007, 1785) = GmbHR 2007, 593 m. Anm. Römermann = IPRax 2008, 72 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2008, 30) Auf die Haftung des für eine niederländ. Besloten Vennootschap auftretenden gesetzlichen Vertreters wegen Weglassung des Rechtsformzusatzes „BV“ deutsches Recht angewendet, weil der Rechtsschein in Deutschland entstanden sei.

Die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV wird durch die Annahme einer solchen persönlichen Haftung des Geschäftsführers, die nicht an die Verletzung von Organpflichten anknüpft, nicht tangiert3.

6.178

Von dieser persönlichen Rechtsscheinhaftung eines Gesellschaftsorgans zu unterscheiden ist die Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft für das Handeln von Organvertretern, die ihre Vertretungsbefugnisse überschreiten. Auch sie beurteilt sich nicht zwingend nach dem Gesellschaftsstatut, sondern – ähnlich wie die Anscheinsvollmacht (dazu Rz. 6.467 ff.) – nach dem Recht des Staates, in dem der Rechtsschein entstanden ist und sich ausgewirkt hat, weil die Haftung allein auf dem Rechtsschein beruht. Bei Distanzgeschäften kommt es daher auf den Ort an, an dem die Erklärung des Vertreters abgegeben wurde; hingegen ist der Ort des Zugangs der Erklärung nicht maßgebend4.

3. Inländische Zweigniederlassungen 6.179

Mit der inländischen Zweigniederlassung5 eines ausländischen Unternehmens verkehrende Dritte sind dann umfassend geschützt, wenn der Zweigniederlassung nach deutschem Recht eigene Rechtspersönlichkeit zukommt. In diesem Falle beurteilen sich auch die Vertretungsverhältnisse ausschließlich nach deutschem Recht (dazu Rz. 6.141 ff.). Aber auch dann, wenn die

1 Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 636. 2 OLG Schleswig v. 24.10.2008 – 14 U 4/08, GmbHR 2009, 666 = IHR 2009, 243, OLG Rostock v. 5.10.2010 – 4 U 139/08, GmbHR 2010, 1349; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 648 f. 3 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05 (im Text); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 636. 4 BGH v. 20.7.2012 – V ZR 142/11, NJW 2012, 1192 (Rz. 28 ff.) = NZG 2012, 1192 = ZIP 2012, 1908. 5 Vgl. allg. zur rechtlichen Behandlung inländischer Zweigniederlassungen ausländischer Unternehmen Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 975 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 885 ff. Zur Neuregelung durch das Gesetz v. 22.7.1993 (BGBl. I 1993, 1282) zur Umsetzung der Zweigniederlassungs-RL Seibert, GmbHR 1992, 738 ff. und DB 1993, 1705 ff.; Kindler, NJW 1993, 3301 ff.; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 983 ff.

548 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.182 § 6

inländische Zweigniederlassung – wie i.d.R. – nicht selbst juristische Person, sondern unselbständiger Teil des ausländischen Unternehmens ist und als solcher dem ausländischen Personalstatut dieses Unternehmens untersteht1, so ist zugunsten unkundiger Dritter doch in jedem Fall § 15 HGB anzuwenden, wenn Beschränkungen der Vertretungsmacht, die zwar nach dem ausländischen Sitz- oder Gründungsrecht der Gesellschaft, nicht aber nach deutschem Recht bestehen, im deutschen Handelsregister nicht gem. §§ 13d-g HGB eingetragen sind2. Insoweit folgt aus § 13d Abs. 3 HGB, dass die inländische Zweigniederlassung einer ausländischen Personenhandelsgesellschaft grundsätzlich wie eine inländische Hauptniederlassung behandelt wird. Entsprechendes gilt für die Zweigniederlassung ausländischer Kapitalgesellschaften (AG, GmbH, KGaA). Insoweit kommt es auf die Vergleichbarkeit der ausländischen Gesellschaft mit einer der genannten Gesellschaftstypen des deutschen Rechts an (Substitution)3.

6.180

Das Registerverfahrensrecht unterliegt dabei ausschließlich der deutschen lex fori4. Diese regelt daher die zu erbringenden Nachweise und die Voraussetzungen für die Anerkennung ausländischer Urkunden5. Die Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft kann aber nur im deutschen Handelsregister eingetragen werden, wenn die Rechtsfähigkeit dieser Gesellschaft nach den zuvor dargelegten Grundsätzen der Sitz- bzw. Gründungstheorie (Rz. 6.127 ff.) im Inland anzuerkennen ist; hierfür ist der Anmelder beweispflichtig6.

6.181

Eintragungsfähig sind in diesem Falle nicht nur Beschränkungen der Vertretungsmacht von Organen ausländischer Gesellschaften, die auch im deutschen Recht geläufig sind; vielmehr können auch dem deutschen Recht unbekannte und sogar nach deutschem Recht unzulässige Vertretungsverhältnisse nach Maßgabe des ausländischen Sitz- oder Gründungsrechts eingetragen werden; Schranke ist lediglich der deutsche ordre public (Art. 6 EGBGB)7.

6.182

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 23.5.1996 – 6 U 120/95, IPRspr. 1996 Nr. 215; ebenso zum öst. Recht OGH v. 11.10.1995 – 3 Ob 64/95, IPRax 1997, 126 (127) (m. zust. Anm. Leible, IPRax 1997, 133), wo die Annahme eines eigenen „Zweigniederlassungsstatuts“ aufgegeben wird. 2 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 1030. 3 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 1008; BayObLG v. 21.10.1985 – BReg 3 Z 48/85, BayObLGZ 1985, 348 (351) = RIW 1986, 552 (zur Eintragung der Zweigniederlassung einer ausländ. AG); OLG Frankfurt v. 29.12.2005 – 20 W 315/05, ZIP 2006, 333 = NZG 2006, 515 (zur Anmeldung der Zweigniederlassung einer engl. „Private Ltd. Company“). 4 BayObLG v. 18.7.1985 – BReg 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 (278); OLG Hamm v. 21.7.2006 – 15 W 27/06, ZIP 2006, 1947 = GmbHR 2006, 1198 m. Anm. Werner; OLG Dresden v. 21.5.2007 – 1 W 52/07, ZIP 2007, 2076 = GmbHR 2007, 1156 m. Anm. Wachter. Das gleiche gilt im Grundbuchverfahren; vgl. die Nachw. in Rz. 6.186; Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 989, 993 ff. 5 OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/14, FGPrax 2014, 156 (157) = ZIP 2014, 2033 mwN. 6 BayObLG v. 18.7.1985 – BReg 3 Z 62/85, BayObLGZ 1985, 272 (278); Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 1009. 7 Großfeld in Staudinger, IntGesR Rz. 940; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 947. Vgl. auch KG v. 8.3.1929, IPRspr. 1929 Nr. 21 (Anmeldung einer deutschen Zweigniederlassung durch eine niederländ. AG. Beschränkung der Vertretungsbefugnis der Direktoren durch das Erfordernis der Mitwirkung eines Aufsichtsratsmitglieds bei Transaktionen mit einem Wert von mehr als 1000 DM als eintragungsfähig erachtet; Verstoß gegen den deutschen ordre public verneint); a.A. OLG Frankfurt a.M. v. 18.3.1976 – 20 W 141/76, BB 1976, 569 (Eintragung einer Gesamtprokura unter Beteiligung des Hauptbevollmächtigten eines ausländischen Versicherungsunternehmens für dessen inländ. Zweigniederlassung abgelehnt: „Dem deutschen Handels- und Gesellschaftsrecht ist ... eine solche nach außen wirkende Beschränkung der Vertretungsmacht eines vertretungsberechtigten Organs oder eines anderen gesetzlichen Vertreters auf eine Zweigniederlassung oder ein bestimmtes geografisches Gebiet fremd.“).

Hausmann | 549

§ 6 Rz. 6.183 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.183

Soweit im deutschen Handelsregister Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften eingetragen werden, verlangen es darüber hinaus die Bedürfnisse der Praxis, dass auch besondere gesetzliche Vertreter, die nach ausländischem Recht für den Geschäftsbereich der Zweigniederlassung vertretungsberechtigt sind, eingetragen werden1.

4. Notarielle Bestätigung 6.184

Viele Schwierigkeiten können vermieden werden, wenn die Personen, die für eine ausländische Gesellschaft handeln, die Bestätigung eines Notars vorlegen, aus der ihre Vertretungsmacht hervorgeht. Nach deutschem Recht ist die Zuständigkeit der Notare für solche Vertreterbescheinigungen ausdrücklich vorgesehen (§ 21 BNotO). Deutsche Notare sind also befugt, auf Grund einer Einsichtnahme in ausländische Register auch Bescheinigungen über die Vertretungsbefugnis der Organe einer ausländischen Gesellschaft auszustellen. Dies gilt allerdings nur dann, wenn das ausländische Register dem deutschen Handelsregister funktional gleichwertig ist2; daran fehlt es bei dem vom Companies House geführten englischen Gesellschaftsregister (dazu näher Rz. 6.222)3. Mit der Novelle zur BNotO von 1998 wurde die Kompetenz der Notare nach § 21 BNotO auf die Bescheinigung sonstiger rechtserheblicher Umstände einer Gesellschaft, z.B. Bestehen, Sitz, Firma, Umwandlung u.Ä. erweitert4.

6.185

Auch im Ausland kommen vergleichbare Bescheinigungen vor5. Die Frage, ob die notarielle Vertretungsbescheinigung eines ausländischen Notars zum Nachweis der Vertretungsbefugnis einer dort registrierten Gesellschaft ausreicht, beurteilt sich nicht nach § 21 BNotO, sondern grundsätzlich nach dem Recht am Sitz des beurkundenden Notars6. Allerdings richten sich das Eintragungsverfahren und die gegenüber dem Registergericht zu erbringenden Nachweise auch in diesem Fall nach deutschem Recht als der lex fori7. Danach kann zwar auch die Bescheinigung eines englischen Notars zum Nachweis der Vertretungsverhältnisse einer englischen Private Ltd. Company genügen8; dies gilt aber dann nicht, wenn diese Bescheinigung 1 AG Hamburg v. 30.9.1965 – 66 HRB 2974, MDR 1966, 334 (Hauptbevollmächtigter für die inländ. Zweigstelle eines ausländ. Versicherungsunternehmens [§§ 106, 108 VAG]); BayObLG v. 12.7.1973 – BReg 2 Z 31/73, NJW 1973, 2162 (Geschäftsleiter der deutschen Zweigniederlassung eines ausländischen Kreditinstituts [§ 53 Abs. 2 Nr. 1 KWG]); a.A. OLG Frankfurt a.M. v. 18.3.1976 – 20 W 141/76 (vorige Fn.). 2 OLG München v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, NZG 2021, 74 (Rz. 30); OLG Schleswig v. 13.12.2007 – 2 W 198/07, IPRax 2009, 79 (80) (m. Anm. Geimer, IPRax 2009, 58) = DNotZ 2008, 709 m. Anm. Apfelbaum (betr. das schwed. Handelsregister), jeweils m.w.N. 3 KG v. 20.4.2010 – 1 W 164-165/10, DNotZ 2012, 604 (605); OLG Köln v. 25.9.2012 – 2 Wx 184/ 12, FGPrax 2013, 18; OLG Düsseldorf v. 21.8.2014 – 1-3 Wx 190/13. NZG 2015, 199 f.; OLG Nürnberg v. 26.1.2015, ZIP 2015, 1630 = FGPrax 2015, 124; Pfeiffer, Rpfleger 2012, 240 (243) m.w.N.; vgl. auch zu Irland OLG Naumburg v. 17.3.2014 – 12 Wx 33/13, NZG 2014, 1237. 4 Vgl. Schaub, NZG 2000, 953 (959). 5 Vgl. KG v. 10.4.1930, JW 1930, 1874: Bescheinigung durch schweiz. Notar; Deutsches Patentamt v. 8.2.1956, DNotZ 1956, 305: Bescheinigung durch luxemburg. Notar. 6 OLG Köln v. 4.5.1988 – 2 Wx 6/88, GmbHR 1989, 125 = RIW 1989, 565 = Rpfleger 1989, 66 m. Anm. Kirstgen (Beweiskraft der Bescheinigung eines belg. Notars über die gesetzliche Vertretung einer belg. AG nach belg. Recht beurteilt). 7 OLG Hamm v. 21.7.2006 – 15 W 27/06, FGPrax 2006, 276 (277) = ZIP 2006, 1947 = GmbHR 2006, 1198 m. Anm. Werner; OLG Dresden v. 21.5.2007 – 1 W 52/07, ZIP 2007, 2076 = GmbHR 2007, 1156 m. Anm. Wachter = NZG 2008, 265 (266); OLG Frankfurt a.M. v. 19.2.2008 – 20 W 263/07, FGPrax 2008, 165 (166) = GmbHR 2009, 214. 8 OLG Schleswig v. 1.2.2012 – 2 W 10/12, GmbHR 2012, 799 = MDR 2012, 981, BGH v. 28.9.2011 – IV ZR 294/10, NJW-RR 2012, 163; Wachter, DB 2004, 2795 (2799 f.).

550 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. § 6

allein auf der Einsichtnahme des Notars in das beim Companies House geführte Register beruht (dazu näher Rz. 6.221 m.w.N.)1. Im Grundbuchverkehr ist die Existenz und die Vertretungsbefugnis einer ausländischen juristischen Person oder Handelsgesellschaft allerdings grundsätzlich in der Form des § 29 GBO nachzuweisen2. Dieser Nachweis kann auch durch ausländische öffentliche Urkunden geführt werden, wenn sie den Anforderungen des § 415 ZPO entsprechen. Auch die Nachweiserleichterung gem. § 32 Abs. 1 GBO i.V.m. § 21 BNotO kann auf ausländische Gersellschaften jedenfalls dann angewendet werden, wenn die Notarbescheinigung auf der Einsichtnahme des Notars in das Handelsregister einer deutschen Zweigniederlassung beruht3. Unter den zuvor in Rz. 6.184 genannten Voraussetzungen kann aber ausnahmsweise auch eine Bescheinigung genügen, die der deutsche Notar aufgrund der Einsicht in ein gleichwertiges ausländisches Register erstellt hat4. Anstelle eines eigenen Nachweises kann der Antragsteller nach § 32 Abs. 2 GBO auch auch auf das elektronisch geführte Register Bezug nehmen5.

VIII. Die gesetzliche Vertretung von Handelsgesellschaften und ihr Nachweis im ausländischen Recht 1. Europäische Rechtsvereinheitlichung Literatur: (zur älteren Literatur vgl. Vorauflage): Bayer, Aktuelle Entwicklung im Europäischen Gesellschaftsrecht, BB 2004, 1; Campobasso (Hrsg.), Armonie e disarmonie nel diritto commitario delle societá di capitali (2003); Deckert, Zu Harmonisierungsbedarf und Harmonisierungsgrenzen im Europäischen Gesellschaftsrecht, RabelsZ 64 (2000), 478; Ebke, Unternehmensrecht und Binnenmarkt – E pluribus unum?, RabelsZ 62 (1998), 195; Ebke, Unternehmensrechtsangleichung der Europäischen Union, FS Großfeld (1999), S. 189; Edwards, EC Company Law (1999); Fleischer, Supranationale Gesellschaftsformen der Europäischen Union, ZHR 174 (2010) 385; Fleischer, Europäisches Konzernrecht, ZGR 2017, 1; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2011; Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht im Wandel, NZG 2004, 1; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019; Heldrich/Hopt (Hrsg.), Handels- und Wirtschaftsrecht, Europäisches und Internationales Recht (2000); Hopt, Company Law in the European Union: Harmonization or Subsidiarity (1998); Hopt, Europäisches Übernahmerecht (2013); Kahnert, Rechtssetzung im Europäischen Gesellschaftsrecht (2012); Kainer, Unternehmensübernahmen im Binnenmarktrecht (2004); Kersting, Die Vorgesellschaft im europäischen Gesellschaftsrecht (2000); Kindler, Kapitalgesellschaftsrechtliche Durchgriffshaftung und EU-Recht, FS Säcker (2011), S. 393; Kumpan/Pauschinger, Entwixklung des europäischen Gesellschaftsrechts, EuZW 2019, 347; Lutter, Das Europäisches Unternehmensrecht im 21. Jahrhundert, ZGR 2000, 1; Lutter/Bayer/Schmidt, Euopäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017; Menjucq, Droit international et européen des sociétés (2001); Merkt, Die Pluralisierung des europäischen Gesellschaftsrechts, RIW 2004, 1; Merkt, Einheit und Vielfalt im europäischen Unternehmensrecht, FS Blaurock (2013), S. 311; Nagel, Deutsches und europäisches Gesellschaftsrecht (2000); Schön, Das Bild des Gesellschafters im Europäischen Gesellschaftsrecht, RabelsZ 64 (2001), 1; Schön, Rechtsmissbrauch im europäischen Gesellschaftsrecht, FS Wiedemann

1 OLG Köln v. 25.9.2012 – 2 Wx 184/12, FGPrax 2013, 18; OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/ 14, FGPrax 2014, 156 (157) = ZIP 2014, 2033. 2 OLG Hamm v. 18.8.1994 – 15 W 209/94, GmbHR 1995, 599 = RIW 1995, 152 (153) = NJW-RR 1995, 469; OLG Brandenburg v. 19.1.2011 – 5 Wx 70/10, MittBayNot 2011, 222; OLG Köln v. 25.9.2012 – 2 Wx 184/12 (vorige Fn.); einschränkend aber KG v. 22.5.2012 – 1 W 163/11, ZIP 2012, 1560 = FGPrax 2012, 236 (dänischer Verein). 3 KG v. 28.3.2013 – 1 W 434/12, ZIP 2013, 973 = RNotZ 2013, 426. 4 OLG Düsseldorf v. 21.8.2014 – 1-3 Wx 190/13, NZG 2015, 199. 5 Aufderhaar/Jaeger, ZfIR 2009, 681 (687); Hügel in BeckOK GBO, § 32 GBO Rz. 54 ff.

Hausmann | 551

6.186

§ 6 Rz. | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis (2002), S. 1271; Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht (2000); Steding, Das Gesellschaftsrecht der EU zwischen Erwartung und Enttäuschung, NZG 2000, 913; Wagner, Der europäische Verein – Eine Gesellschaftsform europäischen oder mitgliedstaatlichen Rechts? (2002); Weller, Zukunftsfragen des Europäischen Unternehmensrechts, ZEuP 2012, 681; Wiesner, Europäisches Gesellschaftsrecht, in MünchHdbGesR, 3. Aufl. 2009, § 76; vgl. auch Kindler, in: MünchKomm, IntGesR vor Rz. 28.

a) Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV) Literatur: Hartard, Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung im deutschen, englischen und französischen Recht (1991); Lentner, Das Gesellschaftsrecht der Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) (1994); Lenz, Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung mit dem Sitz in der BRD vor der Eintragung (1997); Mongiello, Il gruppo europeo di interesse economico (Mailand 1994); Müller-Gugenberger, EWIV – Die neue europäische Gesellschaftsform, NJW 1989, 1449; Müller-Gugenberger/Schotthöfer, Die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung. Eine Darstellung aus rechtsvergleichender Sicht (1992); Müller-Gugenberger/Schotthöfer, Das EWIV in Europa (1995); Salger/Neye, Die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung, in MünchHdbGesR, Bd. I/5. Teil, 5. Aufl. 2019; Selbherr/Manz, Kommentar zur Europäischen Wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) (1995).

6.187

Die EWIV wurde durch EWG-VO Nr. 2136/85 vom 25.7.19851 als Instrument zur grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Kooperation nach dem Vorbild des französischen „groupement d´intérêt économique“ geschaffen. Die Verordnung ist unmittelbar anwendbares Recht. Soweit sie keine Regelung enthält, ist nach ihrem Art. 2 Abs. 1 das innerstaatliche Recht des Staates anzuwenden, in dem die Vereinigung ihren Sitz hat. Nach deutschem Recht sind auf die EWIV ergänzend die Vorschriften des OHG-Rechts anzuwenden (§ 1 EWIV-AusführungsG vom 14.4.1988)2. Die Vereinigung ist damit Handelsgesellschaft mit unbeschränkter persönlicher Haftung ihrer Mitglieder (Art. 24 VO Nr. 2136/85), die unter ihrer Firma klagen und verklagt werden kann (§ 1 EWIV-AusführungsG i.V.m. § 124 HGB).

6.188

Die Vertretung der Vereinigung obliegt den Geschäftsführern, und zwar grundsätzlich jedem Geschäftsführer einzeln (Art. 20 Abs. 1 S. 1 VO Nr. 2136/85). Der Gründungsvertrag kann jedoch auch Gesamtvertretung durch zwei oder mehr gemeinschaftlich handelnde Geschäftsführer vorsehen; diese Beschränkung kann Dritten jedoch nur entgegengehalten werden, wenn sie ordnungsgemäß eingetragen und bekannt gemacht worden ist (Art. 20 Abs. 2 VO Nr. 2136/85). Überschreitet der Geschäftsführer die ihm durch den Unternehmensgegenstand gezogenen Grenzen, so wird die Vereinigung gutgläubigen Dritten gegenüber dennoch verpflichtet; die Bekanntmachung des im Gründungsvertrag angegebenen Unternehmensgegenstandes reicht dabei nicht aus, um den Nachweis der Bösgläubigkeit des Dritten zu führen (Art. 20 Abs. 1 S. 2 VO Nr. 2136/85). Andere Beschränkungen der Befugnisse von Geschäftsführern durch den Gründungsvertrag oder durch Mitgliederbeschluss können Dritten selbst dann nicht entgegengesetzt werden, wenn sie bekannt gemacht wurden (Art. 20 Abs. 1 S. 3 VO Nr. 2136/85). b) Europäische Aktiengesellschaft (SE) Literatur: Austmann, Europäische Aktiengesellschaft, in MünchHdbGesR Bd. II, 5. Aufl. 2020, Kap. 15; Bachmann, Die Societas Europaea und das europäische Privatrecht, ZEuP 2008, 32; Bachmann, Das auf die insolvente Societas europaea (SE) anwendbare Recht, FS von Hoffmann (2011), S. 36;

1 ABl. EG 1985 Nr. L 201, S. 1. 2 BGBl. I 1988, 514.

552 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.188 § 6 Baums/Cahn (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft – Umsetzungsfragen und Perspektiven (2004); Blanquet, Das Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (Societas Europaea „SE“) – Ein Gemeinschaftsinstrument für die grenzübergreifende Zusammenarbeit im Dienste der Unternehmen, ZGR 2002, 20; Brandi, Die Europäische Aktiengesellschaft im deutschen und internationalen Konzernrecht, NZG 2003, 889; Brandt/Scheifele, Die Europäische Aktiengesellschaft und das anwendbare Recht, DStR 2000, 547; Bungert/Beier, Die Europäische Aktiengesellschaft – das Statut und seine Umsetzung in die Praxis, EWS 2002, 1; Casper, Der Lückenschluss im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft, FS Ulmer (2003), S. 51; Casper, Erfahrungen und Reformbedarf bei der SE – Gesellschaftsrechtliche Reformvorschläge, ZHR 173 (2009), 181; Ebert, Das anwendbare Konzernrecht der Europäischen Aktiengesellschaft, BB 2003, 1854; Eidenmüller/Engert/Hornuf, Vom Wert der Wahlfreiheit: Eine empirische Analyse der Societas Europaea als Rechtsformalternative, AG 2009, 845; Engert, Der international-privatrechtliche und sachrechtliche Anwendungsbereich des Rechts der Europäischen Aktiengesellschaft, ZVglRW 104 (2005), 444; Fleischer, Supranationale Gesellschaftsformen in der Europäischen Union, ZHR 174 (2010), 385; Habersack, Das Konzernrecht der deutschen SE, ZGR 2003, 724; Hansen, Die europäische Aktiengesellschaft – Societas Europae (S.E.), For.Int.L. 1997, 114; Heinze, Die Europäische Aktiengesellschaft, ZGR 2002, 66; Hirte, Die Europäische Aktiengesellschaft, NZG 2002, 1; Hommelhoff, Einige Bemerkungen zur Organisationsverfassung der Europäischen Aktiengesellschaft, AG 2001, 279; Hommelhoff, Zum Konzernrecht in der Europäischen Aktiengesellschaft, AG 2003, 179; Hommelhoff/Teichmann, Die europäische Aktiengesellschaft – das Flaggschiff läuft vom Stapel, SZW 2001, 1; Horn, Die Europa-AG im Kontext des europäischen Gesellschaftsrechts, DB 2005, 147; Jaeger, Die Europäische Aktiengesellschaft – europäischen oder nationalen Rechts? 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Aufl. 2015; Manz/Mayer/Schröder (Hrsg.), Handkommentar Europäische Aktiengesellschaft SE (2004); Maul, Die faktisch abhängige SE (Societas Europaea) im Schnittpunkt zwischen deutschem und europäischem Recht (1998); Merkt, Europäische Aktiengesellschaft: Gesetzgebung als Selbstzweck?, BB 1992, 652; Neye, Die Europäische Aktiengesellschaft (2005); Neye/Teichmann, Der Entwurf für das Ausführungsgesetz zur Europäischen Aktiengesellschaft, AG 2003, 169; Pocar, Le statut de la société européenne; une étape importante dans l´évolution du droit communautaire, Riv.dir.int.priv.proc. 2002, 585; Raiser, Die Europäische Aktiengesellschaft und die nationalen Aktienrechte, FS Semler (1993), S. 277; Ringe, Die Sitzverlegung der Europäischen AG (2006); von Rosen (Hrsg.), Die Europa-AG – Eine Perpektive für deutsche Unternehmen? (2003); J. Schmidt, „Deutsche“ vs. „britische“ Societas Europaea (SE) (2006); Schwarz, Zum Statut der Europäischen Aktiengesellschaft – Die wichtigsten Neuerungen und Änderungen der Verordnung, ZIP 2001, 1847; Steding, Europäische Rechtsformen für Unternehmen – EWIV sowie SE und SCE, BuW 2002, 197; Teichmann, Die Einführung der Europäischen Aktiengesellschaft – Grundlagen der Ergänzung des europäischen Statuts durch den deutschen Gesetzgeber, ZGR 2002, 283; Theissen/Wenz (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft – Recht, Steuern und Betriebswirtschaft der Societas Europaea (SE), 2. Aufl. 2005; Thoma/Leuering, Die Europäische Aktiengesellschaft – Societas Europaea, NJW 2002, 1449; Veil, Das Konzernrecht der Europäischen Aktiengesellschaft, WM 2003, 2169; Vinçon, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung der Europäischen Aktiengesellschaft – Im Spannungsverhältnis zwischen der Kontinuität des Rechtsträgers und der Diskontinuität des ergänzend anwendbaren Rechts (2008); Völter, Der Lückenschluss im Statut der Europäischen Aktiengesellschaft (2000); Wagner, Die Bestimmung des auf die SE anwendbaren Rechts, NZG 2002, 985; Wicke, Die europäische Aktiengesellschaft, MittBayNot 2006, 196; Wirtz, Die Lückenfüllung im Recht der SE und der SPE, 2012; Wulfers, Allgemeine Rechtsgrundsätze als ungeschriebenes Recht der supranationalen Gesellschaftsrechtsformen, GPR 2006, 106.

Hausmann | 553

§ 6 Rz. 6.189 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.189

Mit der EG-Verordnung Nr. 2157/2001 vom 8.10.2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea – SE)1 hat der Rat eine neue supranationale Unternehmensform geschaffen. Die SE ist eine Handelsgesellschaft, deren Kapital in Aktien zerlegt ist (Art. 1 Abs. 2 S. 1 SE-VO) und die eigene Rechtspersönlichkeit besitzt (Art. 1 Abs. 3 SE-VO). Für ihre Gründung sieht die Verordnung in Art. 2 vier unterschiedliche Varianten vor (Verschmelzung; Gründung einer Holding-SE; Gründung einer Tochter-SE; Umwandlung), ihnen ist gemeinsam, dass ein Bezug der beteiligten Gründungsgesellschaften zu mindestens zwei unterschiedlichen Mitgliedstaaten der EU besteht. Der Sitz der SE muss innerhalb der Gemeinschaft liegen, und zwar in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptverwaltung befindet (Art. 7 Abs. 1 SE-VO)2.

6.190

Im Übrigen zeichnet sich die SE-Verordnung dadurch aus, dass sie kein vollständiges eigenes Aktiengesetz darstellt, sondern notwendig der Ergänzung durch das nationale Gesellschaftsrecht bedarf. Zu diesem Zweck verweist Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO in erster Linie auf spezielle Ausführungsgesetze der Mitgliedstaaten zur Verordnung3, hilfsweise auf das Aktienrecht des Sitzmitgliedstaates4. Nach Art. 10 SE-VO wird die SE daher, vorbehaltlich der in der Verordnung enthaltenen Bedingungen, in jedem Mitgliedstaat wie eine Aktiengesellschaft behandelt, die nach dem Recht des Sitzstaates der SE gegründet wurde. Dementsprechend bestehen zwischen einer deutschen SE, einer englischen SE und einer französischen SE erhebliche Unterschiede.

6.191

Die Satzung der SE kann gem. Art. 38 lit. b SE-VO neben der Hauptversammlung als Organe entweder ein Leitungs- und ein Aufsichtsorgan (z.B. Vorstand und Aufsichtsrat – „dualistisches System“, Art. 39 ff. SE-VO) oder ein Verwaltungsorgan (z.B. board of directors – „monistisches System“, Art. 43 ff. SE-VO) vorsehen. Die Geschäfte der Gesellschaft werden durch das Leitungsorgan (Art. 39 SE-VO) oder durch das Verwaltungsorgan (Art. 43 SE-VO) geführt. Dementsprechend obliegt diesen Organen auch die Vertretung der Gesellschaft nach außen. Allerdings finden sich in der SE-Verordnung selbst keine Bestimmungen über Art und Umfang der Vertretungsbefugnisse der Organmitglieder. Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO ist daher insoweit das nationale Recht des Staates, in dem die SE ihren effektiven Verwaltungssitz (Art. 7 SE-VO) hat, anzuwenden. Die Regelung der Vertretungsbefugnis richtet sich demnach nach den speziell für die SE erlassenen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates (Art. 9 Abs. 1 lit. c i SE-VO), ansonsten nach dessen Aktiengesellschaftsrecht (Art. 9 Abs. 1 lit. c ii SE-VO), bzw. nach den Bestimmungen der Satzung der Gesellschaft, soweit das Recht des Sitzstaates solche Bestimmungen für dort gegründete Aktiengesellschaften zulässt (Art. 9 Abs. 1 lit. c iii SE-VO). c) Europäische Privatgesellschaft (SPE) Literatur: Brandes, Juristische Personen als Geschäftsführer der Europäischen Privatgesellschaft (2003); Bücker, Die Organisationsverfassung der SPE, ZHR 173 (2009), 281; de Enrice/Gaude, Societas Privata Europaea – Unternehmensleitung und Haftung, DStR 2009, 857; Djemek, Das künftige Europa

1 ABl. EG 2001 Nr. L 294, S. 1. 2 Vgl. im deutschen Recht das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) v. 22.12.2004 (BGBl. I 2004, 3675). 3 Vgl. in Deutschland das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) v. 22.12.2004 (BGBl. I 2004, S. 3675). 4 Art. 9 Abs. 1 lit. c SE-VO enthält eine Kollisionsnorm, die auf das Sachrecht des Sitzmitgliedstaats verweist, vgl. Kindler in MünchKomm, IntGesR, Rz. 82 ff.

554 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.194 § 6 und die Europäische Privatgesellschaft, NZG 2001, 878; Giedinghagen, Die Europäische Privatgesellschaft (SPE) – Eine Alternative zur GmbH?, NJW-Spezial 2008, 751; Hadding/Kießling, Die Europäische Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea SPE), WM 2009, 145; Hommelhoff/Teichmann, Auf dem Weg zur Europäischen Privatgesellschaft, DStR 2008, 925; Hommelhoff/Teichmann, Eine GmbH für Europa: Der Vorschlag der EU-Kommission zur Societas Privata Europaea (SPE), GmbHR 2008, 897; Hopt, Die Europäische Privatgesellschaft, EuZW 2008, 513; Krejci, Societas Privata Europaea – SPE – Zum Kommissionsvorschlag einer Europäischen Privatgesellschaft (Wien 2008); Maul/Röhricht, Die Europäische Privatgesellschaft – Überblick über eine neue supranationale Rechtsform, BB 2008, 1574; Peters/Wüllrich, Gesellschaftsrechtliche Einigung Europas durch die Societas Privata Europaea (SPE), DB 2008, 2179; Peters/Wüllrich, Grenzenlose gesellschaftsrechtliche Flexibilität – die Societas Privata (SPE), NZG 2008, 807; Philip, Statut der Europäischen Privatgesellschaft, EuZW 2009, 277; Schmidt, Der Vorschlag für eine Verordnung über die europäische Privatgesellschaft (SPE) – eine europäische Rechtsform speziell für KMU, EWS 2008, 455.

Das Europäische Parlament hat am 10.3.2009 mit großer Mehrheit das Statut der Europäischen Privatgesellschaft (Societas Privata Europaea – SPE) befürwortet. Allerdings hat das Parlament den von der EU-Kommission vorgelegten Entwurf einer entsprechenden Verordnung (SPE-VO-E) vom 25.6.2008 (KOM [2008], 396) in zahlreichen Punkten abgeändert. Damit sollte eine neue europäische Rechtsform mit beschränkter Haftung („Europa-GmbH“) geschaffen werden, die – neben der Europäischen Gesellschaft (SE) für Großunternehmen (Rz. 6.189 ff.) – die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere von Klein- und Mittelbetrieben erhöhen soll. Eine SPE kann in allen Mitgliedstaaten nach den gleichen Rechtsvorschriften mit nur einem Euro Mindestkapital gegründet werden. Allerdings setzt das nach dem Willen des Europäischen Parlaments voraus, dass das Leitungsorgan eine Solvenzbescheinigung unterzeichnet. Falls die Satzung keine diesbezügliche Bestimmung enthält, soll das Kapital der SPE mindestens 8.000 Euro betragen. Die Gründung einer SPE erfordert einen grenzüberschreitenden Bezug, der durch eines der folgenden Kriterien nachgewiesen werden kann:

6.192

– eine grenzüberschreitende Geschäftsabsicht oder einen grenzüberschreitenden Gesellschaftszweck,

6.193

– die Zielvorgabe, in mehr als einem Mitgliedstaat in erheblichem Umfang tätig zu sein, – Niederlassungen in verschiedenen Mitgliedstaaten oder – eine in einem anderen Mitgliedstaat eingetragene Muttergesellschaft. Nach Art. 26 Abs. 2 SPE-VO-E können die Anteilseigner die Organisation der Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag selbst festlegen. Allerdings erlegt der Entwurf den Anteilseignern in Form von zwingenden Regelungsaufträgen (Anhang I Kapitel V) die Pflicht auf, vorbehaltlich der in den Art. 27, 29 SPE-VO-E getroffenen Teilregelungen das Verfahren der Beschlussfassung einschließlich der Beschlussgegenstände und -mehrheiten in der Satzung zu regeln. Hierzu werden den Anteilseignern verschiedene Systeme der Unternehmensleitung zur Verfügung gestellt, und es wird ihnen gleichzeitig der Regelungsauftrag erteilt, sich für eines dieser Systeme zu entscheiden sowie die Satzung dementsprechend zu gestalten (Anhang I Kapitel V Spiegelstriche 10 ff. SPE-VO-E). Die SPE kann zum einen dualistisch ausgestaltet werden. Hierbei übernimmt ein aus einer oder mehreren Personen bestehendes Geschäftsleitungsorgan die Geschäftsführung der Gesellschaft (Art. 2 Abs. 1 lit. d). Dieses wird durch ein „Aufsichtsorgan“ kontrolliert (Art. 2 Abs. 1 lit. e); die Beziehungen der Organe zueinander sind in der Satzung festzulegen (vgl. Anhang I Kapitel V Spiegelstrich 13 SPE-VO-E). Zum anderen kann ein monistisches System vorgesehen werden; die Geschäftsführung übernimmt hierbei ein aus einer oder mehreren Personen bestehendes Verwaltungsgremium (Art. 2 Abs. 1 lit. d), dem kein Kontrollorgan gegenübersteht. Hausmann | 555

6.194

§ 6 Rz. 6.195 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.195

Nach der ursprünglich in Art. 33 Abs. 1 SPE-VO-E vorgesehenen Regelung sollte die SPE durch ein oder mehrere Mitglieder der Unternehmensleitung vertreten werden. Mitglied der Unternehmensleitung sollte gem. Art. 2 Abs. 1 lit. c SPE-VO-E jedes Mitglied des Leitungs-, Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans sein können. Demzufolge hätten bei einer SPE mit dualistischer Struktur auch die Mitglieder des Aufsichtsrates die Gesellschaft nach außen vertreten können. Diese Regelung zur Außengeschäftsführung von Mitgliedern des Kontrollorgans wurde in der Literatur scharf kritisiert; der Vorschlag wurde daher durch das Europäische Parlament dahin gehend abgewandelt, dass die Vertretung nur Mitgliedern des Geschäftsleitungsorgans zustehen kann. Durch Art. 33 Abs. 1 S. 2 SPE-VO-E wird klargestellt, dass die Vertretung auch außerhalb des Unternehmensgegenstandes der SPE besteht. Nach Art. 33 Abs. 2 SPE-VO-E können Beschränkungen im Innenverhältnis die Vertretungsmacht gegenüber Dritten nicht einschränken. Gemäß Anhang I Kapitel V Spiegelstrich 20 SPE-VO-E muss die Regelung zur Einzel- oder Gesamtvertretung in der Satzung getroffen werden. Eine Delegierung der rechtsgeschäftlichen Vertretungsbefugnis ist gem. Art. 33 Abs. 3 SPE-VO-E möglich. Ergänzend ist das nationale Recht des Mitgliedstaates, in welchem die SPE ihren Sitz hat, in allen nicht durch die Verordnung abgedeckten Fragen anwendbar (Art. 4 Abs. 1 SPE-VO-E).

6.196

Eine Einigung der Mitgliedstaaten über das Statut der SPE ist bisher nicht zustande gekommen. Streit besteht insbesonderere über Fragen der Mitbestimmung, über die Zulässigkeit einer Sitzspaltung, über das Erfordernis eines grenzüberschreitenden Elements und über das Mindestkapital. Die EU-Kommission hat stattdessen am 9.4.2014 den Vorschlag für eine EURichtlinie über private Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem Gesellschafter vorgelegt1.

2. EU-Staaten a) Rechtsvereinheitlichung Literatur: Vgl. zunächst vor Rz. 6.187; ferner Aladschov, Verwaltungsstruktur der Aktiengesellschaft im bulgarischem Recht, WiRO 2001, 336; Aladschov, Die GmbH im bulgarischen Recht, OstEuR 2002, 105; Behrens, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im internationalen und europäischen Recht, 2. Aufl. 1997; Graf von Bernstorff, Vertrags-, Kauf-, Handels- und Gesellschaftsrecht in Osteuropa (2003); Breidenbach (Hrsg.), Handbuch Wirtschaft und Recht in Osteuropa, Loseblatt (Stand: 2006); Brunner/Schmid/Westen (Hrsg.), Wirtschaftsrecht der Osteuropäischen Staaten (WOS, Loseblatt); Hadding/Uwe H. Schneider (Hrsg.), Die Vertretung verselbständigter Rechtsträger in europäischen Ländern, Teil I (Deutschland, Italien und Spanien) (1997); Heller, Die organschaftliche Vertretungsmacht im Kapitalgesellschaftsrecht, ZVglRW 107 (2008), 293; Hohloch, EU-Handbuch Gesellschaftsrecht (Loseblatt); Kalss, Gesellschaftsrecht in den Ländern Mittel- und Osteuropas, ZGR 2000, 819; Knaus/Wakounig, Steuer- und Gesellschaftsrecht der EU-Beitrittskandidaten (Wien 2003); Lutter, Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995; Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, Deutschland, Europa und USA, ZGR-Sonderheft 13 (1998); Meincke/Triebmann, Die GmbH nach dem Recht der Republik Lettland, RIW 1996, 826; R. Schmidt-Tiedemann, Geschäftsführung und Vertretung im Gesellschaftsrecht Deutschlands, Frankreichs und Englands (2004); Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016.

6.197

In den Staaten der EU ist die gesetzliche Vertretung von Kapitalgesellschaften (AG, KGaA, GmbH) durch die Publizitätsrichtlinie (RL 68/151/EWG) vom 9.3.19682 in ihren Grundzügen vereinheitlicht. Ziel dieser Richtlinie ist der Schutz Dritter, die mit einer Kapitalgesell-

1 KOM (2014) 212 endg. 2 ABl. EG 1968 Nr. L 65, S. 8, neu gefasst durch Richtlinie Nr. 2009/101/EG v. 16.9.2009, ABl. EU Nr. L 258, S. 11.

556 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.198 § 6

schaft Verträge abschließen. Zu diesem Zweck wird in Art. 9 Abs. 1 Publizitäts-RL insbesondere festgelegt, dass die Gesellschaft durch Handlungen, die nicht zum Gegenstand des Unternehmens gehören, gegenüber einem gutgläubigen Dritten gleichwohl verpflichtet wird. Die Umsetzung der Richtlinie hatte daher vor allem im englischen Recht bedeutende Einschränkungen der ultra-vires-Lehre zur Folge (dazu Rz. 6.214). Die Beweislast für die Bösgläubigkeit des Dritten trifft die Gesellschaft; dieser Nachweis kann durch die Publizierung der Satzung allein nicht geführt werden. Ferner stellt Art. 9 Abs. 9 Publizitäts-RL klar, dass Beschränkungen der Vertretungsbefugnis der zuständigen Organe, die sich aus der Satzung oder einem Beschluss der zuständigen Organe ergeben, Dritten nicht entgegengehalten werden können, auch wenn sie bekannt gemacht wurden. Eine Ausnahme gilt gem. Art. 9 Abs. 3 PublizitätsRL nur für Regelungen der Einzel- bzw. Gesamtvertretungsbefugnis, sofern sie im Handelsregister verlautbart worden sind. Ist die Bestellung von Organen ordnungsgemäß im Handelsregister bekannt gemacht worden, so kann ein Mangel der Bestellung schließlich einzelnen Dritten nur entgegengehalten werden, wenn die Gesellschaft beweist, dass der Dritte ihn kannte (Art. 8 Publizitäts-RL). Die Publizitäts-RL ist durch die Richtlinie 2009/101/EG v. 16.9.20091 neu gefasst und mit Wirkung vom 20.7.2017 in der Richtlinie (EU) 2017/1132 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts (GesR-RL; dort Art. 7 ff.) v. 14.6.20172 neu kodifiziert worden Aufgrund der Änderungs-RL Nr. 2003/58 v. 15.7.20033 hatten die Mitgliedstaaten bis zum 1.1.2007 das Register- und das Offenlegungsverfahren deutlich zu vereinfachen. Dazu gehört insbesondere die Möglichkeit der Speicherung, Veröffentlichung und Einsichtnahme von Unternehmensdaten in einem in elektronischer Form geführten Unternehmensregister und von gewissen Pflichtangaben auf der Internetseite der Gesellschaft (vgl. Art. 26 Ges-RL). Die Unternehmenspublizität in der EU wurde durch die ÄnderungsRL 2012/17/EU zur Verknüpfung von Zentral-, Handels und Gesellschaftsregistern v. 16.6.20124 weiter verbessert. Danach war zwar die Errichtung eines zentralen europäischen Handelsregisters nicht geplant, wohl aber die Vernetzung der nationalen Register der Mitgliedstaaten durch Einrichtung einer gemeinsamen IT-Plattform und eines gemeinsamen europäischen Internet-Portals (vgl. Art. 17 Abs. 2, 22 GesR-RL). Dieses System der Registerverknüpfung (Business Registers Interconnection System –BRIS) ist zum 8.6.2017 umgesetzt worden5. b) Belgien Literatur: Becker, Das belgische Kapitalgesellschaftsrecht (1999); Blaurock, Das belgische Kapitalgesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1999; Grigat, Die Vertretung verselbständigter Rechtsträger in europäischen Ländern. Teil 5. Belgien und Luxemburg (2001); Hoffmann, Das neue Recht der Handelsgesellschaften in Belgien, RIW 1985, 539; Hoffmann, Grundzüge des belgischen Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrechts (1996); Hoffmann, Die GmbH im belgischen Recht, GmbHR 1991, 515; Kocks/Hennes, Belgien (Rz. 1-164), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Verhoeven/Schwartz, Synopse: Das neue belgische Gesellschaftsgesetz und die entsprechenden Regelungen des deutschen Aktienrechts, RIW 1992, 624; Toussaint, Das neue belgische Gesetzbuch der Gesellschaften und Vereinigungen und andere Neuregelungen im Insolvenz- und Unternehmensrecht, NZG 2019, 1170; Vorlat, Belgien, in: Wegen/Spahlinger/Barth, Gesellschaftsrecht des Auslands, 2020.

1 2 3 4 5

ABl. EG 2009 L 258, 11. ABl. EU 2017 L 149/46. ABl. EU 2003 Nr. L 221, S. 13. ABl. EU 2012 Nr. L 156, S. 1. Vgl. näher Kindler in MünchKomm, IntGesR, Rz. 31.

Hausmann | 557

6.198

§ 6 Rz. 6.199 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.199

Das belgische Recht der Handelsgesellschaften, das früher in den „Lois coordonnées des sociétés“ (L.c.s.) vom 30.11.1935 geregelt war, ist im Jahre 1999 grundlegend überarbeitet worden. Das neue Gesetzbuch über Gesellschaften („Code des sociétés/wetboek van vennootschappen“ – C.S.) vom 7.5.1999 ist am 6.2.2001 in Kraft getreten. Am 1.1.2018 ist im Zuge einer grundlegenden Reform des Unternehmensrechts ein neues Gesetzbuch der Gesellschaften und Vereinigungen (Code des sociétés et des associations/Wetboek van vennootschappen en verenigingen – C.S.A.) in Kraft getreten; es gilt für die neuen Körperschaften seit dem 1.5.2019, für die bestehenden Körperschaften seit dem 11.1.2020. Daneben gelten die allgemeinen Vorschriften der Art. 1832 ff. c.c. Eine Gesellschaft ist nur dann eine Handelsgesellschaft, wenn sie Handelsgeschäfte betreibt, wobei es auf den in der Satzung genannten Gesellschaftszweck ankommt. Alle Handelsgesellschaften sind juristische Personen (Art. 1:5 § 2 C.S.A.). aa) Vertretungsberechtigte Organe - Offene Handelsgeseellschaft (Société en nom collectif, S.N.C.)

6.200

Vertretungsberechtigt ist grundsätzlich jeder Gesellschafter einzeln. Eine abweichende Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag oder durch späteren Beschluss ist jedoch möglich. Danach kann auch ein Nichtgesellschafter zum vertretungsberechtigten Geschäftsführer bestellt werden (Art. 4.8 C.S.A.). Die Gesellschafter werden Dritten gegenüber jedoch durch das Handeln eines Gesellschafters oder Geschäftsführers nur verpflichtet, wenn letzterer sich im Rahmen seiner Befugnisse gehalten hat (Art. 4.11 C.S.A.), die aus den „Annexes“ zum „Moniteur belge“ ersichtlich sind. - Kommanditgesellschaft (Société en commandite, S.Comm.)

6.201

Die S.Comm. wird durch die persönlich haftenden Gesellschafter („associés commandités“) vertreten; für sie gelten die Grundsätze der S.N.C. entsprechend. Die Kommanditisten („associés commanditaires“) sind stets von der Vertretung ausgeschlossen und können die Gesellschaft auch aufgrund einer Vollmacht nicht vertreten (Art. 4.15 C.S.A.). - Aktiengesellschaft (Société anonyme, S.A.)

6.202

Das belgische Recht unterscheidet zwischen zwei Organisationsformen der AG, nämlich der monistischen AG nur mit Verwaltungsrat („conseil d‘administration“, Art. 7.85 ff. C.S.A,) und der dualistischen AG mit Aufsichtsrat („conseil de surveillance“) und Leitungsrat („conseil de direction“, Art. 7.104 ff. C.S.A.). In der monistischen SA ist der Verwaltungsrat ermächtigt, alle Handlungen vorzunehmen, die zur Verwirklichung des Gesellschaftszwecks notwendig oder zweckmäßig sind, soweit sie nicht der Hauptversammlung vorbehalten sind (Art. 7.93 § 1 C.S.A.). Der Verwaltungsrat vertritt die Gesellschaft gegenüber Dritten. Der Gesellschaftsvertrag kann jedoch vorsehen, dass die Gesellschaft nur durch ein Mitglied oder mehrere Mitglieder des Verwaltungsrats – einzeln oder gemeinsam – vertreten wird. Eine solche Regelung kann Dritten nach Maßgabe von Art. 2.18 C.S.A. entgegengehalten werden, wenn sie in den „Annexes du Moniteur belge“ veröffentlicht worden ist. Der Gesellschaftsvertrag kann auch Beschränkungen der Vertretungsmacht vorsehen. Diese können jedoch Dritten nicht entgegengehalten werden, selbst wenn sie veröffentlicht worden sind. Gleiches gilt auch für eine Aufgabenverteilung zwischen den Mitgliedern des Verwaltungsrats (Art. 7.93 § 2 C.S.A.).

6.203

Die Gesellschaft wird durch das Handeln des Verwaltungsrats, einzelner seiner Mitglieder oder der mit dem Tagesgeschäft Beauftragten verpflichtet, wenn diese nach Art. 7.93 § 2 C.S. A. zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt sind, auch wenn dieses Handeln den Gesell558 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.205 § 6

schaftszweck überschreitet; es sei denn die Gesellschaft beweist, dass der Dritte die Überschreitung kannte oder kennen musste, wobei die Veröffentlichung im Register allein diesen Beweis noch nicht erbringt (Art. 7.94 C.S.A.). Die vorstehenden Regeln zur Vertretung gelten entsprechend für ein von der SA bestelltes, einziges Verwaltungsratsmitglied („administrateur unique“, Art. 7.101 C.S.A.). In der dualistisch organisierten AG übernimmt der Leitungsrat („conseil de direction“) weitgehend die Funktion des Verwaltungsrats in der monistischen AG. Für seine Vertretungsmacht und die Möglichkeiten ihrer Einschränkung gelten daher die vorstehenden Regeln in Art. 7.93 und Art. 7.94 C.S.A. entsprechend (Art. 7.111 und Art. 7.112 C.S.A.).

6.203a

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Société à responsabilité limitée, S.R.L.) In der S.R.L. ist jeder Geschäftsführer ermächtigt, alle Handlungen vorzunehmen, die zur Verwirklichung des Gesellschaftszwecks notwendig oder zweckmäßig sind, soweit sie nicht der Gesellschafterversammlung vorbehalten sind. Jeder Geschäftsführer oder im Fall seiner Bildung das Verwaltungsorgan vertreten die Gesellschaft gegenüber Dritten. Der Gesellschaftsvertrag kann jedoch vorsehen, dass die Gesellschaft nur durch einen oder mehrere Geschäftsführer – einzeln oder gemeinsam – vertreten wird. Eine solche Regelung kann Dritten nach Maßgabe von Art. 2.18 C.S.A. entgegengehalten werden, wenn sie in den „Annexes du Moniteur belge“ veröffentlicht worden ist. Der Gesellschaftsvertrag kann auch Beschränkungen der Vertretungsmacht von Geschäftsführern vorsehen. Diese können jedoch Dritten nicht entgegengehalten werden, selbst wenn sie veröffentlicht worden sind. Gleiches gilt auch für eine Aufgabenverteilung zwischen den Geschäftsführern (Art. 5.73 § 2 C.S.A.). Entsprechende Regeln gelten auch für den Fall, dass der Gesellschaftsvertrag ein Kollegialorgan zur Verwaltung der Gesellschaft vorsieht (Art. 5.73 § 1 C.S.A.).

6.204

Die Gesellschaft wird durch das Handeln ihres Verwaltungsorgans, ihrer Geschäftsführer oder der mit dem Tagesgeschäft Beauftragten verpflichtet, wenn diese nach Art. 5.73 § 2 C.S.A. zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt sind, auch wenn dieses Handeln den Gesellschaftszweck überschreitet, es sei denn die Gesellschaft beweist, dass der Dritte die Überschreitung kannte oder kennen musste, wobei die Veröffentlichung im Register allein diesen Beweis noch nicht erbringt (Art. 5.74 C.S.A.).

6.204a

bb) Nachweis der Vertretungsmacht In Belgien wird beim Urkundsbeamten des zuständigen Unternehmensgerichts („greffe du tribunal de l’entreprise“) am Sitz der Gesellschaft ein Buch geführt (Art. 2.7 C.S.A.), das auch über die Vertretungsverhältnisse der Gesellschaft unterrichtet (Art. 2.8 Nr. 5 C.S.A.). Diese Informationen werden in den „Annexes du Moniteur belge“ veröffentlicht und können dort eingesehen werden (Art. 2.13 ff. C.S.A.); sie sind inzwischen auch online abrufbar unter http://kbopub.economie.fgov.be/. c) England Literatur: Baas-Holler, Geschäftsführerpflichten gegenüber der Gesellschaft im englischen und deutschen GmbH-Recht (2008); Bank, Die britische Limited Liability Partnership: Eine attraktive Organisationsform für Freiberufler? (2006); Behme, Der Director der britischen Private Limited Company mit Verwaltungssitz in Deutschland, ZVglRW 108 (2009), 178; Dernedde, Companies Act 2006: Auswirkungen auf die englische Limited in Deutschland, NJ 2007, 443; Dreibus, Die Vertretung verselbständigter Rechtsträger in europäischen Ländern. Teil 4. Vereinigtes Königreich (2000); Feltl, Der Di-

Hausmann | 559

6.205

§ 6 Rz. 6.205 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis rector der englischen Limited (Wien 2008); Ferran, The Company Law Reform in the United Kingdom – A Progress Report, RabelsZ 69 (2005), 629; Gower/Davies, Principles of Modern Company Law, 8. Aufl. (London 2008); Güthoff, Gesellschaftsrecht in Großbritannien, 3. Aufl. 2004; Haack, Die Verantwortlichkeit des Geschäftsführers im englischen Recht, RIW 1991, 992; Harrigan, Company Law (London 2003); Hartmann, Englische Limited (Ltd.) für Deutschland (2005); Hasenheit, Die deutsche Personenhandelsgesellschaft und die englische partnership. Innenhaftung ihrer Leiter im Vergleich (2009); Heckschen/Köklü/Maul, Private Limited Company (2005); Heinemann, Die englische partnership (2002); Heinz, Die englische Limited, 3. Aufl. 2011; Hess, Der „ultra-vires“-Grundsatz im britischen Gesellschaftsrecht, RIW 1992, 638; Hess, Durchgriff im englischen und schottischen Gesellschaftsrecht (Lifting the veil), RIW 1994, 826; Höhne, Die Ltd. Co. KG. Gesellschaftsrechtliche und kollisionsrechtliche Aspekte der Beteiligung einer englischen Limited als Komplementärin einer deutschen Kommanditgesellschaft (2011); Just, Die englische Limited in der Praxis, 4. Aufl. 2012; Just (Hrsg.), Englisches Gesellschaftsrecht (2008); Kadel, Die englische Limited, MittBayNot 2006, 102; Kallmeyer, Vor- und Nachteile der englischen Limited im Vergleich zur GmbH oder GmbH & Co. KG, DB 2004, 636; Kilian, Die limited liability partnership – eine neue Gesellschaftsform im britischen Recht, NZG 2000, 1008; Knoche, Die Vertretung englischer Handelsgesellschaften aus der Sicht des deutschen Notars – Kollisionsrecht, Sachrecht und Nachweisprobleme, MittRheinNotK 1985, 165; Krebs/Stiegler, Teil 4 § 12, England (Rz. 1-618) in Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa (2019); Krüger, Die persönliche Haftung der handelnden Personen einer Private Limited Company im Überblick, ZInsO 2007, 861; Ladiges/Pegel, Neue Pflichten für Geschäftsführer einer Ltd. durch den Companies Act 2006, DStR 2007, 2069; Lawlor, Reform der englischen Limited und ihre praktischen Auswirkungen, ZIP 2007, 2002; Levedag, England (Rz.1-648), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Lindley/Banks, On Partnership, 18. Aufl. (London 2005); Linnenbaum, Innenverhältnis von Geschäftsleitungspersonen zur Gesellschaft bei Limited und GmbH (2010); Luke, Die UK-Limited, 2. Aufl. 2006; Möser, Die Vertretung der britischen „company“ nach Inkrafttreten des Companies Act 2006, RIW 2010, 850; Morse, Company Law, 17. Aufl. (London 2005); Neuling, Deutsche GmbH und englische private company: Monismus oder Dualismus im System des Kapitalgesellschaftsrechts (1997); Palmer´s Company Law (Loseblatt; Stand: 2014); Reithmann, Zum anzuwendenden Recht bei der Beurteilung der Prozessvollmacht für eine englische Handelsgesellschaft, EWiR 1990, 1087; Röver, Die Haftung der Gesellschafter und directors der Limited (2011); Schmidbauer, Die rechtlichen Verhältnisse der englischen Private Company Limited by Shares (2009); Schmidt, Die Private Limited Company in der deutschen Bankpraxis, WM 2007, 2093; Schnittker/Bank, Die LLP in der Praxis (2008); Schwilden, Die rechtliche Stellung des GmbH-Geschäftsführers und des managing director einer englischen private limited company im Vergleich (2005); Steffek, Geschäftsleiterpflichten im englischen Kapitalgesellschaftsrecht – Kodifizierung der directors´ duties im Companies Act 2006, GmbHR 2007, 810; Thole, Die binnengesellschaftlichen Pflichten des Direktors einer englischen Gesellschaft nach dem neuen Companies Act 2006, RIW 2008, 606; Triebel/Illmer/Ringe u.a., Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2012; Vorpeil/Wieder, Vertretungsbefugnis und Legitimationsprüfung bei englischen Kapital- und Personengesellschaften, RIW 1995, 285; Wachter, Insichgeschäfte bei englischen private limited companies, NZG 2005, 338; Wachter, Existenz- und Vertretungsnachweise bei der englischen private limited company, DB 2004, 2795; Walmsley (Hrsg.), Butterworth´s Company Law Handbook, 18. Aufl. (London 2004).

6.206

Das englische Recht der Personengesellschaft ist im Partnership Act 1890 (P.A.), im Limited Partnership Act 1907 (L.P.A.) und im Limited Liability Partnership Act 2000 geregelt. Bedeutendste Rechtsquelle für Kapitalgesellschaften ist der Companies Act (C.A.) von 2006, der die gesamte Materie neu kodifiziert hat, nachdem die Gesetzeslage auf Grund zahlreicher Reformen des englischen Gesellschaftsrechts unübersichtlich geworden war. Daneben sind im englischen Rechtskreis nach wie vor die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze des Common Law von Bedeutung.

560 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.211 § 6

aa) Vertretungsberechtigte Organe - Partnership Die einer Personenhandelsgesellschaft nahe stehende partnership besteht aus zwei oder mehr natürlichen oder juristischen Personen, die auf der Grundlage eines partnership agreement ein Handelsgewerbe betreiben. Es besteht grundsätzlich Einzelvertretungsmacht jedes der (höchstens 20) Partner. Abweichende Vereinbarungen sind möglich, wirken einem Dritten gegenüber jedoch nur, wenn ihm die Beschränkung der Vertretungsmacht des für die Gesellschaft handelnden Partners bekannt ist (§ 5 P.A.). Der Umfang der Vertretungsmacht („usual authority“) der Gesellschaft ist – anders als bei der OHG des deutschen Rechts – auf Handlungen beschränkt, die im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes der jeweiligen Gesellschaft liegen. Darüber hinausgehende Rechtsgeschäfte kann ein Gesellschafter – auch wenn es sich um dringend notwendige oder für die Gesellschaft besonders günstige Geschäfte handelt – nur vornehmen, wenn er hierzu von den anderen Gesellschaftern ausdrücklich bevollmächtigt worden ist. Auch Einschränkungen der „usual authority“ durch den Gesellschaftsvertrag sind zulässig, wirken aber gegenüber gutgläubigen Dritten nicht (§ 8 P.A.)1.

6.207

- Limited Partnership Die Gesellschaft wird durch die persönlich haftenden Gesellschafter („general partners“) vertreten. Für deren Vertretungsmacht gelten die gleichen Grundsätze wie bei der partnership (§ 7 L.P.A. iVm. § 5 P.A.). Die beschränkt auf ihre Einlage haftenden Gesellschafter („limited partners“) sind von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen (§ 6 Abs. 1 L.P.A.).

6.208

- Limited Liability Partnership Als weitere Form der Personengesellschaft steht in England seit dem 4.4.2001 die „limited liability partnership“ (L.L.P.) zur Verfügung. Diese hybride Gesellschaftsform verbindet Elemente der partnership mit solchen der private limited company. Wegen der Möglichkeit der Haftungsbeschränkung ist sie insbesondere als Organisationsform für Freiberufler, vor allem Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer, interessant. Die L.L.P. ist eine juristische Person, die durch Inkorporierung entsteht und als solche selbst Trägerin von Rechten und Pflichten ist. Die Gesellschafter haften neben der Gesellschaft grundsätzlich nicht. Die Einzelheiten der gesetzlichen Regelungen ergeben sich aus dem Limited Liability Partnership Act 2000 (LLPA). Das allgemeine Recht der partnership gilt nur, soweit darauf ausdrücklich verwiesen wird (§ 1 Abs. 5 LLPA). Jeder Gesellschafter kann die L.L.P. im Außenverhältnis als „agent“ wirksam vertreten, es sei denn der Gesellschafter ist im Innenverhältnis nicht zu dieser Vertretung berechtigt und dem Vertragspartner ist dies bekannt (§ 6 Abs. 2 LLPA).

6.209

- Registered Company Das englische Gesellschaftsrecht geht vom Grundsatz der einheitlichen Form aller Kapitalgesellschaften aus.

6.210

Für sämtliche nach dem Companies Act von 2006 und seinen Vorgängern eintragungsfähigen Kapitalgesellschaften gelten daher im Wesentlichen die gleichen Grundsätze hinsichtlich der Vertretung im Geschäftsverkehr mit Dritten. In Betracht kommen in erster Linie „companies limited by shares“, ferner „companies limited by guarantee“ und „unlimited companies“. Jede dieser Gesellschaften kann als öffentliche („public company“) oder als private („private compa-

6.211

1 IPG 1983 Nr. 16 (Bonn) zum Recht der englischen partnership.

Hausmann | 561

§ 6 Rz. 6.211 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ny“) Gesellschaft gegründet werden. Die private limited company erfüllt dabei weitgehend die Funktion, die der GmbH in den übrigen EU-Staaten zukommt.

6.212

Die genannten Gesellschaften werden durch ein Direktorium („board of directors“) vertreten. Diesem müssen nach § 154 Abs. 2 C.A. 2006 mindestens zwei Direktoren angehören müssen, die grundsätzlich gesamtvertretungsberechtigt sind. Demgegenüber ist bei der private company Vertretung durch einen Direktor allein zulässig (§ 154 Abs. 1 C.A. 2006).1 Während nach früherem Recht director einer Ltd. company auch eine andere Ltd. company sein konnte, muss nach geltendem Recht zumindest ein director eine natürliche Person sein (§ 155 Abs. 1 C.A. 2006). Dem englischen Rechtskreis ist allerdings eine organschaftliche Betrachtungsweise der Vertretung von Gesellschaften im Prinzip fremd. Daraus folgt, dass das Direktorium nicht eigentlich ein mit originären Befugnissen ausgestattetes Organ der juristischen Person ist, sondern ein Kollegium von Beauftragten der Anteilseigner, dessen Stellung sich weitgehend nach den allgemeinen Regeln des Auftragsrechts („agency“) richtet (Mandatstheorie)2.

6.213

Eine Delegation der Vertretungsmacht auf den Präsidenten („chairman of the board“), auf geschäftsführende Direktoren („managing directors“) oder ein committee of directors ist zulässig und wird häufig vorgenommen. Die Einzelheiten über die Verteilung der Vertretungsbefugnis innerhalb des board of directors ergeben sich aus der Satzung („Articles of association“)3.

6.214

Der Umfang der Vertretungsmacht der für eine Registered Company handelnden Personen wurde früher durch die im englischen common law entwickelte „ultra-vires-doctrine“ erheblich eingeschränkt. Nach dieser Lehre wurde gewissen Verträgen (insbesondere Bürgschaft, Schenkung, Verpfändung von Gesellschaftsvermögen) die bindende Wirkung gegenüber der Gesellschaft versagt, wenn sie außerhalb des in der Gründungsurkunde festgelegten Gesellschaftszwecks („object clause“) lagen. Während eine Überschreitung des Gesellschaftszwecks bei einer deutschen AG oder GmbH grundsätzlich nur das Innenverhältnis der Gesellschaft betrifft, begrenzte der in der Gründungsurkunde („Memorandum of association“) umrissene Gesellschaftszweck nach englischem Recht nicht nur die Vertretungsmacht der Direktoren, sondern die Rechtsfähigkeit der Gesellschaft. Demgemäß entfaltete ein Handeln außerhalb dieser Zweckbestimmung Wirkungen weder im Innen- noch im Außenverhältnis und konnte selbst durch Zustimmung sämtlicher Gesellschafter nicht wirksam werden. Auch konnte sich ein gutgläubiger Dritter nicht auf seine fehlende Kenntnis des Gesellschaftszwecks berufen, da er sich den Inhalt der Gründungsurkunde als bekannt entgegenhalten lassen musste (sog. „doctrine of constructive notice“)4.

6.215

Die Bedeutung der ultra-vires-Lehre war indessen schon durch den Beitritt Großbritanniens zur EG stark beschnitten worden. Nach § 9 (1) des am 1.1.1973 in Kraft getretenen European Communities Act (E.C.A.) 1972 konnte eine englische Registered Company nur dann noch geltend machen, ein im Namen der Gesellschaft geschlossener Vertrag sei ultra vires, wenn entweder der Dritte in bösem Glauben gehandelt hatte oder der Vertrag von einer Person geschlossen worden war, der keine Ermächtigung des board of directors zu dem Vertragsabschluss erteilt worden war. Für die Bösgläubigkeit des Dritten reichte auch die „constructive notice“ nicht mehr aus, der Dritte musste vielmehr grundsätzlich positive Kenntnis von der 1 KG v. 28.3.2013 – 1 W 434/12, ZIP 2013, 973. 2 Vgl. Levedag in Süß/Wachter, Rz. 488 ff. 3 Vgl. zur Regelung der Vertretung einer private Ltd. Näher OLG Düsseldorf v. 12.2.2015 – 2 U 63/ 14, IPRspr. 2015 Nr. 17; IPG 1997 Nr. 20 (Hamburg). 4 Vgl. näher Heß, RIW 1992, 638 ff.

562 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.219 § 6

Überschreitung des Gesellschaftszwecks gehabt haben, die ihm von der Gesellschaft nachzuweisen war. Nur in Ausnahmefällen bestand eine Nachforschungspflicht des Dritten (vgl. auch s. § 35 C.A. 1985). War damit die ultra-vires-Lehre bereits de facto aufgegeben worden, so wurde ihr mit der Novellierung in Art. 108–112 C.A. 1989 der endgültige Todesstoß versetzt. § 39 Abs. 1 C.A. 2006 bestimmt nunmehr lapidar: „The validity of an act done by a company shall not be called into question on the ground of lack of capacity by reason of anything in the company´s constitution.“ Damit hat die englische Kapitalgesellschaft uneingeschränkte (und uneinschränkbare) Rechtsfähigkeit erlangt. Die Überschreitung des Gesellschaftszwecks löst nur noch Schadensersatzpflichten aus, stellt aber die Wirksamkeit der von der Gesellschaft geschlossenen Geschäfte nicht mehr in Frage1.

6.216

Wird das abgeschlossene Geschäft zwar durch den Gesellschaftszweck gedeckt, ist jedoch der abschließende Direktor aus Gründen der internen Kompetenzverteilung nach der Satzung für das konkrete Geschäft nicht vertretungsberechtigt, so wurde die „doctrine of constructive notice“ ebenfalls durch § 9 (1) E.C.A. 1972 stark eingeschränkt: Haben directors selbst gehandelt, so genießt der gutgläubige Dritte umfassenden Schutz und braucht sich auch Beschränkungen nach der Satzung nicht mehr entgegenhalten zu lassen. Dies stellt heute § 40 Abs. 1 und § 2 C.A. 2006 ausdrücklich klar. Lediglich in Fällen der delegierten Vertretungsmacht gelten die bisherigen allgemeinen Rechtsscheinsgrundsätze weiter. Gutgläubige Dritte können sich demgemäß darauf verlassen, dass eine von der Gesellschaft als alleinvertretungsberechtigt hingestellte Person Vertretungsmacht („apparent or ostensible authority“) hat und dass sie die üblichen Befugnisse („usual authority“) besitzt, die einer Person in der betreffenden Position gewöhnlich zustehen. Mängel der Bestellung einer solchen Person können gutgläubigen Dritten keinesfalls entgegengehalten werden. Dabei wird die Gutgläubigkeit des Dritten bis zum Nachweis des Gegenteils vermutet.

6.217

bb) Nachweis der Vertretungsmacht Ein allgemeines Handelsregister im kontinental-europäischen Sinne kennt der englische Rechtskreis nicht. Zwar müssen limited partnerships registriert werden (§ 8 L.P.A.), damit die Haftungsbeschränkung der limited partners Dritten entgegengehalten werden kann (§ 5 L. P.A.). Die Registereintragung enthält jedoch regelmäßig keine direkten Angaben über die Vertretungsmacht der Gesellschafter. Aus diesem Grunde wird von Dritten auch nicht verlangt, dass sie die Registereintragungen kennen. Selbst wenn sich also aus diesen ausnahmsweise etwas über Beschränkungen der Vertretungsbefugnis ergeben würde, könnte dieser Umstand einem gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden. Ein sicherer Nachweis der Vertretungsmacht kann daher nur durch eine von sämtlichen partners ausgestellte Vollmacht erbracht werden.

6.218

Die Gründungsurkunden einer Registered Company werden beim Registrar of Companies, einer dem jeweiligen Wirtschaftsministerium untergeordneten Behörde, hinterlegt und in ein besonderes Gesellschaftsregister („Companies Registry“) eingetragen (§ 10 C.A. 1989). Eine Bekanntmachung dieser Eintragung erfolgt in der London Gazette (für England und Wales) bzw. in der Edinburgh Gazette (für Schottland). Bevor man mit einer englischen Gesellschaft einen wichtigen Vertrag schließt, empfiehlt es sich – auch nach der Verbesserung des Dritt-

6.219

1 Klebs, BWNotZ 1995, 12 f.

Hausmann | 563

§ 6 Rz. 6.219 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

kontrahentenschutzes durch § 9(1) E.C.A. 1972 und § 35 C.A. 1989 – die Gründungsurkunde und die Satzung der Gesellschaft einzusehen. Zweckmäßigerweise lässt man sich hierzu beglaubigte Abschriften durch den Registrar of Companies schicken. Handelt es sich um eine englische Gesellschaft, so ist hierfür der English Registrar of Companies zuständig (Companies House, 55–71, City Road, London E.C. 1); handelt es sich um eine schottische Gesellschaft, so ist der Scottish Registrar of Companies zuständig (Exchequer Chambers, 102, George Street, Edinburgh, 2). Die Eintragungen sind auch online zugänglich unter: https:/www.gov.uk/government/organisations/companies-house.

6.220

Aufgrund der Neuregelung in § 39 C.A. 2006 brauchen sich inländische Gerichte und Behörden nicht mehr um den im Memorandum of Association festgelegten Gesellschaftszweck zu kümmern; es genügt insoweit der Nachweis, dass die Gesellschaft besteht. Im Hinblick auf den weit reichenden Gutglaubensschutz ist ferner eine Überprüfung der Vertretungsberechtigung der für eine englische Kapitalgesellschaft handelnden Personen anhand der Articles of Associations nicht mehr erforderlich. Insoweit reicht vielmehr der Nachweis aus, dass die handelnden Personen entweder den gesamten board of directors darstellen oder durch den gesamten board ermächtigt wurden1. In Zweifelsfällen wird man die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht (power of attorney) oder einer Bescheinigung über den in Betracht kommenden Beschluss des board of directors verlangen müssen.

6.221

Aus der Vorlage des certificate of incorporation des Registrar of Companies allein kann nicht auf die Vertretungsbefugnis geschlossen werden. Es erbringt im englischen Rechtskreis zwar den Beweis dafür, dass die Gesellschaft als juristische Person entstanden ist, d.h. dass sie zu dem darin ausgewiesenen Datum Rechtsfähigkeit erlangt hat2. Es trifft jedoch weder eine Aussage dazu, ob diese juristische Person noch zu einem späteren Zeitpunkt existent ist noch dazu, wer sie wirksam vertreten kann3. Die Vertretungsbefugnis kann auch nicht durch die bloße Vorlage der articles of association nachgewiesen werden. Denn diesen ist zwar zu entnehmen, ob mehrere directors einzeln oder nur gemeinsam vertretungsberechtigt sind; sie enthalten aber nicht die Bestellung von bestimmten Personen als directors4. Demgegenüber ist die Vorlage der articles of association i.V.m. dem betreffenden Beschluss des general meeting über die Bestellung der directors grundsätzlich geeignet, den Vertretungsnachweis zu führen5. Da die Vertretungsbefugnis zweifelsfrei nachgewiesen werden muss, kann dies bei einer Anmeldung zum deutschen Handelsregister aber nur dann gelten, wenn diese zeitnah zu der Beschlussfassung über die Bestellung erfolgt. Anderenfalls ist zusätzlich der Nachweis zu führen, dass der Beschluss nach wie vor Gültigkeit besitzt6.

6.222

Die unkomplizierteste und sicherste Möglichkeit zum Nachweis der Vertretung einer englischen Ltd. ist die Vertretungsbescheinigung eines englischen Notars. Diese reicht allerdings dann nicht aus, wenn der Notar seine Erkenntnisse nur durch Einsichtnahme in das

1 Klebs, BWNotZ 1995, 14. 2 BayObLG v. 21.3.1986 – BReg. 3 Z 148/85, GmbHR 1986, 305 (309) = NJW 1986, 3021 = IPRax 1986, 368 (m. Anm. Großfeld, IPRax 1986, 351). 3 OLG Dresden v. 21.5.2007 – 1 W 52/07, NZG 2008, 265= GmbHR 2007, 1156 m. Anm. Wachter; Süß, DNotZ 2005, 180. 4 OLG Dresden v. 21.5.2007 (vorige Fn.). 5 KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, GmbHR 2004, 116 m. Anm. Mildner/Kleinert = NZG 2004, 49; Mankowski, EWiR 2004, 185. 6 OLG Dresden v. 21.5.2007– 1 W 52/07, NZG 2008, 265; Werner, GmbHR 2005, 228 (229).

564 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.223 § 6

beim Companies House geführte Register erworben hat (vgl. auch Rz. 6.185 m.w.N.)1; aus der Bescheinigung müssen vielmehr die tatsächlichen Grundlagen (etwa Einsicht in die Unterlagen der Gesellschaft wie Gesellschaftsvertrag, Protokollbuch usw.) der notariellen Feststellungen hervorgehen2. Fehlt es daran, genügt auch die Bescheinigung eines deutschen Notars nach § 21 BNotO nicht, weil das englische Register mit dem deutschen Handelsregister nicht vergleichbar ist3. Hat der deutsche Notar die Bescheinigung nach § 21 NotO hingegen auf seine Einsicht in das deutsche Handelsregister einer Zweigniederlassung der englischen Ltd. gestützt, so ist diese Bescheinigung ausreichend4. d) Frankreich Literatur: Beisswingert, Die französische société anonyme als Familiengesellschaft (1997); Beltz, Eine neue Gesellschaftsform in Frankreich: Die „Société par actions simplifiée“, RIW 1994, 548; Bruenger, Das französische Konzernrecht: Schutz der Minderheitsgesellschafter und Gläubiger (1997); Chaput, Droit des sociétés (Paris 1993); Charvériat/Couret/Zabala/Mercadal, Sociétés commerciales (Paris 2009); Chaussade-Klein, Gesellschaftsrecht in Frankreich, 2. Aufl. 1998; Cozian/Viandier/Deboissy, Droit des sociétés, 21. Aufl. (Paris 2008); Deckert/Sangiovanni, Der GmbH-Geschäftsführer in Italien, Frankreich und Deutschland, ZVglRW 107 (2008), 164; Didier, Droit commercial, Bd. 2; L´entreprise en société, 3. Aufl. (Paris 1999); Döbereiner, Frankreich (Rz. 1-194), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Fleischer, Außenhaftung der Geschäftsleiter im französischen Gesellschaftsrecht, RIW 1999, 576; Germain, Les sociétés commerciales (Paris 2009); Guyon, Die Société par Actions Simplifiée (SAS) – eine neue Gesellschaftsform in Frankreich, ZGR 1994, 551; Guyon, Droit commercial général et sociétés, 12. Aufl. (Paris 2008); Hamel/Lagarde/Jauffret, Droit commercial, Bd. 2; Sociétés (Paris 1990); Hartmann, Die französische Société par Actions Simplifiée: Eine zukunftsweisende Gesellschaftsform, WM 2000, 1530; Jeantin, Droit des sociétés, 3. Aufl. (Paris 1994); Jung/Kühl/Wohlgemuth, Teil 4 § 13, Frankreich (Rz. 1-744), in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa (2019); Karst, Die GmbH französischen Rechts, NotBZ 2006, 119; Klein, Die Haftung der Geschäftsleitung in Frankreich, RIW 2010, 352; Maul, Geschäftsführer einer französischen SARL – Bestellung, Kompetenzen, Vergütung und Haftung, RIW 2000, 364; Merle, Sociétés commerciales, 6. Aufl. (Paris 1998); Peter, Société par actions simplifiée (S.A.S.). Die Vereinfachte Aktiengesellschaft in Frankreich, eine Rechtsform für die Kooperation von Unternehmen (1999); Peifer, Das Recht der Kapitalgesellschaften in Frankreich (2009); Recq/Hoffmann, Die französische S.A.R.L. als GmbH-Ersatz?, GmbHR 2004, 1070; Schmidt/Gramling, Die Gründung einer Tochtergesellschaft in Frankreich, in: Lutter, Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 203; Sonnenberger, Französisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2007; Vidal, Droit des sociétés, 6. Aufl. (Paris 2008).

Das französische Recht der Handelsgesellschaften ist durch ein Reformgesetz vom 24.7.1996 tiefgreifend verändert worden. Dieses Gesetz ist im Jahr 2000 in das II. Buch des Code de commerce (Art. L 210 ff.) integriert worden. Daneben gelten auch für Handelsgesellschaften die allgemeinen Bestimmungen der Art. 1832 ff. c.c.

1 OLG Jena v. 22.1.2018 – 3 W 322/17, NZG 2018, 908 (Rz. 16); OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/14, ZIP 2014, 2033 = FGPrax 2014, 156; KG v. 20.4.2010 – 1 W 164-165/1, DNotZ 2012, 604 (605).. 2 Vgl. OLG München v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, NZG 2021, 74 (Rz. 40); OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18.7.2019 – I-3 Wx 138/18, NZG 2019, 1423 (1424 f.). 3 KG v. 20.4.2010 – 1 W 164-165/10, DNotZ 2012, 604 (605); OLG Düsseldorf v. 21.8.2014 – I-3 Wx 190/13, NZG 2015, 199. Dies gilt auch, wenn alle im Register eingetragenen directors bei der Stellung des Eintragungsantrags mitgewirkt haben, vgl. OLG Nürnberg v. 26.1.2015 – 12 W 46/15, ZIP 2015, 1630 = NZG 2015, 401. 4 KG v. 28.3.2013 – 1 W 434/12, ZIP 2013, 973.

Hausmann | 565

6.223

§ 6 Rz. 6.223 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

aa) Vertretungsberechtigte Organe - Offene Handelsgesellschaft (Société en nom collectif, S.N.C.)

6.224

Die S.N.C. wird im Verhältnis zu Dritten durch einen oder mehrere Geschäftsführer („gérants“) vertreten, die auch juristische Personen sein können. Bestimmt der Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes, so sind alle Gesellschafter Geschäftsführer (Art. L 221-3 c.com.). Von mehreren Geschäftsführern hat jeder Einzelvertretungsmacht (Art. L 225 Abs. 2 S. 1 c. com.). Der Widerspruch eines Geschäftsführers gegen die Handlungen eines anderen ist nur beachtlich, wenn der Dritte bösgläubig ist (Art. L 225-5 Abs. 2 S. 2 c.com.). Der Umfang der Vertretungsmacht ist nur durch den Gesellschaftszweck begrenzt (Art. L 225-5 Abs. 1 c.com.). Weitere Beschränkungen durch den Gesellschaftsvertrag wirken in keinem Fall gegenüber Dritten (Art. L 225-5 Abs. 3 c.com.). - Kommanditgesellschaft (Société en commandite simple, S.C.S.)

6.225

Die persönlich haftenden Gesellschafter („associés commandités“) vertreten die Gesellschaft. Die Grundsätze über die Vertretung der S.N.C. gelten für sie entsprechend (Art. L 222-1 Abs. 1 i.V.m. Art. L 221-2 c.com.). Die Kommanditisten („associés commanditaires“) sind zur Vertretung der Gesellschaft nicht berechtigt (Art. L 222-6 Abs. 1 c.com.). - Aktiengesellschaft (Société anonyme, S.A.)

6.226

Bereits seit der Reform von 1966 besteht die Wahl zwischen zwei Organisationsformen der S. A., nämlich der klassischen mit Verwaltungsrat („conseil d´administration“) und Hauptversammlung („assemblée des actionnaires“), Art. L 225–17 ff. c.com. und der dem deutschen Recht nachgebildeten S.A. mit Direktorium („directoire“), Aufsichtsrat („conseil de surveillance“) und Hauptversammlung, Art. L 225-57 ff. c.com.

6.227

Die im Wirtschaftsleben bei weitem überwiegende klassische S.A. hat ihrerseits ein Wahlrecht, ob sie die Geschäftsleitung („direction générale“) dem Präsidenten des Verwaltungsrats („président du conseil d´administration“) oder einem Geschäftsführer („directeur général“) überträgt (Art. L 225-51 Abs. 1 c.com.). Wird – wie im Regelfall – ein „directeur général“ bestellt, so vertritt dieser die Gesellschaft im Rechtsverkehr mit Dritten mit umfassenden Befugnissen. Er verpflichtet die Gesellschaft selbst dann, wenn die getätigten Handlungen nicht mehr vom Gesellschaftszweck gedeckt sind, es sei denn, dem Dritten war die Überschreitung der Vertretungsmacht bekannt oder nur infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben (Art. L 22556 Abs. 2 c.com.). Die Veröffentlichung der Beschränkungen im Handelsregister begründet die Bösgläubigkeit des Dritten noch nicht. Einschränkungen der Vertretungsmacht durch Gesellschaftsvertrag oder Beschlüsse des Verwaltungsrats wirken keinesfalls gegenüber Dritten (Art. L 225-56 Abs. 3 c.com.). Wird kein „directeur général“ bestellt, so ist der Präsident des Verwaltungsrates im gleichen Umfang vertretungsbefugt wie ein solcher (Art. L 225-51 Abs. 3 c.com.). Die daneben bestehende Vertretungsmacht des gesamten Verwaltungsrats (vgl. Art. L 225-35 Abs. 2 c.com.) spielt in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle.

6.228

Die S.A. mit Direktorium und Aufsichtsrat wird im Verkehr mit Dritten durch den Präsidenten des Direktoriums vertreten, wenn dieses aus mehreren Personen besteht, sonst durch den sog. „directeur général unique“. Der Umfang der Vertretungsmacht entspricht im Wesentlichen demjenigen des Präsidenten des Verwaltungsrats in der klassischen S.A. (vgl. Art. L 225-64, 66 c.com.)1. 1 Vgl. IPG 1972 Nr. 42 (Köln) und IPG 1973 Nr. 13 (Köln), jeweils zur gesetzlichen Vertretung der französischen AG.

566 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.232 § 6

- Vereinfachte Aktiengesellschaft (Société par actions simplifiée, S.A.S.) Die S.A.S. wurde durch Gesetz 94-1 vom 3.1.1994 als neue Gesellschaftsform in das französische Recht eingeführt. Sie ist heute im II. Buch (Titel II, Kapitel VII) des Code de commerce geregelt. Hauptziel der Neuregelung ist es, eine elastische Gesellschaftsform für die Gründung gemeinsamer Tochtergesellschaften bereitzustellen. Aus diesem Grunde sind die Vorschriften der S.A. über die Aktionärsversammlungen und über die Geschäftsleitung auf die S. A.S. nicht anwendbar. Für diese gilt daher nicht die Alternative zwischen der Einsetzung eines Direktoriums oder eines Verwaltungsrats.

6.229

Gegenüber Dritten wird die Gesellschaft durch einen gem. den Vorschriften der Satzung ernannten Präsidenten vertreten; dieser verfügt über die weit reichendsten Kompetenzen, die Gesellschaft im Rahmen des Gesellschaftszwecks zu verpflichten (Art. L 227-6 Abs. 1 c.com.). Gegenüber Dritten wird die Gesellschaft freilich auch dann wirksam verpflichtet, wenn die Handlungen des Präsidenten den Gesellschaftszweck überschreiten, sofern die Gesellschaft nicht beweisen kann, dass der Dritte von dieser Überschreitung wusste bzw. wissen musste; allein die Publizierung der Satzung erbringt diesen Beweis noch nicht (Art. L 227-6 Abs. 2 c. com.). Die Satzung kann die Vertretungsmacht jedoch auch anderen Personen (z.B. einem „directeur général“) übertragen. Beschränkungen der Vertretungsmacht durch die Satzung wirken gegenüber Dritten nicht (Art. L 227-6 Abs. 4 c.com.).

6.230

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Société à responsabilité limitée, S.A.R.L.)

Die Gesellschaft wird durch eine oder mehrere natürliche Personen, die nicht Gesellschafter zu sein brauchen, als Geschäftsführer („gérants“) vertreten (Art. L 223-18 Abs. 1 und 2 c.com.). Es besteht grundsätzlich Einzelvertretungsmacht; der Widerspruch eines Geschäftsführers gegen die Handlungen eines anderen sind im Außenverhältnis gegenüber einem gutgläubigen Dritten unbeachtlich (Art. L 223-18 Abs. 7 c.com.). Die Gesellschaft wird auch durch Handlungen des Geschäftsführers verpflichtet, die den Gesellschaftszweck überschreiten. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Gesellschaft nachweist, dass der Dritte von der Überschreitung wusste oder wissen musste; die Veröffentlichung der Gesellschaftsatzung reicht allerdings zum Nachweis des bösen Glaubens nicht aus (Art. 223-18 Abs. 5 c.com.). Beschränkungen der Vertretungsmacht durch den Gesellschaftsvertrag wirken nie gegenüber Dritten (Art. L 223-18 Abs. 6 c.com.)1.

6.231

bb) Nachweis der Vertretungsmacht Dem französischen Notar ist – anders als dem deutschen in § 21 BNotO – nicht die Zuständigkeit übertragen, Bescheinigungen über die Vertretungsberechtigung mit der Beweiskraft auszustellen, die Auskünften aus dem Handelsregister zukommt. Jedoch geben die von dem Urkundsbeamten des regional zuständigen Handelsgerichts („tribunal de commerce“) erteilten Abschriften und Auszüge aus dem Handelsregister die Zusammensetzung der Vertretungsorgane von Handelsgesellschaften verlässlich wieder, soweit sie Dritten entgegengehalten werden kann (vgl. Art. L 123-1 ff. c.com.). Da auch der Umfang der Vertretungsmacht bei Kapitalgesellschaften im Außenverhältnis nicht mehr beschränkbar ist, ist die einzige nicht aus dem Handelsregister zu entnehmende Gefahrenquelle eine eventuelle Überschreitung des Gesellschaftszwecks durch die vertretungsberechtigten Organe von Personengesellschaften. Eine Bekanntmachung der Eintragung für ganz Frankreich erfolgt im „Bulletin officiel des annonces civiles et commerciales“. Die Eintragungen sind auch online abrufbar unter www.infogreffe.fr. 1 IPG 1974 Nr. 13 (München): Zur Vertretung einer französischen GmbH.

Hausmann | 567

6.232

§ 6 Rz. 6.232 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

e) Italien Literatur: Aigner, Der Notar im Gesellschaftsrecht Italiens, MittBayNot 2020,103; Alessi (Hrsg.), Le società (14 Bde, Loseblatt); Bader, Die neue società a responsabilità limitata in Italien, GmbHR 2005, 1474; Bader, Aktuelle Entwicklungen im italienischen Kapitalgesellschaftsrecht, JbItalR 19 (2007) 37; Barth, Die Reform des Rechts der italienischen GmbH, MittBayNot 2006, 1; Buenger, Die Reform des italienischen Gesellschaftsrechts, RIW 2004, 249; Campobasso, Diritto commerciale, Bd. 2, Diritto delle società, 6. Aufl. (Neapel 2006); Casper/Reiß, Die Haftung des Vorstands einer italienischen Aktiengesellschaft nach neuem Recht, RIW 2004, 428; Catania, Die neue Organisation der italienischen GmbH nach der Reform des italienischen Gesellschaftsrechts unter bes. Berücksichtigung der Geschäftsführerhaftung (2005); Chieffi, La società unipersonale a responsabilità limitata (Turin 1996); Cotttino, Diritto societario, 2. Aufl. (Padua 2011); Deckert/Sangiovanni, Der GmbH-Geschäftsführer in Italien, Frankreich und Deutschland, ZVglRW 107 (2008), 164; Dolce, Corporate Governance – Neues Italienisches Kapitalmarkt- und Gesellschaftsrecht, JbItalR 11 (1998), 3; Fasciani, Die Reform des Gesellschaftsrechts in Italien, JbItalR 18 (2005) 157; Fasciani, Italien (Rz. 1-213), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016, S. 947; Fellmeth, Die Vertretung verselbständigter Rechtsträger in europäischen Ländern. Bd. 1, Deutschland, Italien und Spanien (1997); Ferrari, Das Familienunternehmen im italienischen Recht, RIW 1991, 907; Ferri, Diritto commerciale, 12. Aufl. (Turin 2006); Galgano, Diritto commerciale, Bd. II: Le società, 6. Aufl. (Bologna 2008); Hartl, Reform des italienischen Gesellschaftsrechts, ZGR 2003, 667; Hilpold u.a.(Hrsg.), Die Reform des italienischen Gesellschaftsrecht im europäischen Kontext, 2. Aufl. 2006; Hofmann, Gesellschaftsrecht in Italien, 3. Aufl. 2006; Ianiello, La riforma del diritto societario (Milano 2004); Jung/Mondini, Teil 4 § 14 Italien (Rz. 1-501), in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa (2019); Kindler, Die sachliche Reichweite der Vertretungsmacht des Verwaltungsrates im italienischen Kapitalgesellschaftsrecht – Publizitätsrichtlinie und innerstaatliches Recht im Vergleich, FS Lutter (2000), S. 483; Kindler, Italienisches Gesellschaftsrecht in der deutschen notariellen Praxis, JbItalR 15/16 (2002/03) 35; Kindler, Italienisches Handels- und Wirtschaftsrecht (2002), § 4; Lorenzetti/Strand, Umfassende Reform des GmbH-Rechts in Italien, GmbHR 2004, 731; Magelli/Masotto, Organe der Società per Azioni nach der Reform des italienischen Gesellschaftsrechts, RIW 2004, 903; Magrini, Italienisches Gesellschaftsrecht (2004); Martinelli, La società a responsabilità limitata (Rom 2004); Napoletano, Investition über Kapitalgesellschaften in Italien, IStR 1999, 27; Oelkers, Die italienische AG im institutionellen Wettbewerb (2008); Olivieri/Presti/Vella, Il nuovo diritto delle società (Torino 2003); Sangiovanni, Die Neuregelung der Geschäftsführung in der italienischen società a responsabilità limitata, GmbHR 2006, 1316; Sangiovanni, Die Abberufung des GmbH-Geschäftsführers nach italienischem Recht, GmbHR 2007, 1264; Spada, Typologie der italienischen Kapitalgesellschaften und börsennotierte Società per azioni, FS Lutter (2000), S. 735; Sirtoli, Manuale delle società per azioni, 8. Aufl. 2006; Steinhauer, Die Reform des Gesellschaftsrechts in Italien, EuZW 2004, 364; Tombari, Die konzernbeherrschte Kommanditgesellschaft im italienischen Recht, JbItalR 11 (1998) 25.

6.233

Das Recht der Handelsgesellschaften ist im 5. Titel des V. Buches (Art. 2247–2510) des italienischen Codice Civile (c.c.) geregelt. Das Recht der Kapitalgesellschaften ist durch Gesetzesdekret vom 10.1.2003 grundlegend umgestaltet worden; die Neuregelung ist am 1.1.2004 in Kraft getreten. aa) Vertretungsberechtigte Organe - Offene Handelsgesellschaft (Società in nome collettivo, S.N.C.)

6.234

Die Gesellschaft wird durch einen oder mehrere Geschäftsführer („amministratore“), die Gesellschafter sein müssen, vertreten. Grundsätzlich ist jeder Gesellschafter Geschäftsführer und als solcher einzeln vertretungsberechtigt („amministrazione disgiuntiva“, Art. 2257 c.c.). Abweichende Vereinbarungen – z.B. Gesamtvertretung („amministrazione congiuntiva“, Art. 2258 Abs. 1 c.c.) – sind jedoch häufig und aus dem Unternehmensregister zu ersehen (vgl. Art. 2293 i.V.m. Art. 2266 c.c.). 568 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.238 § 6

Der Umfang der Vertretungsmacht ist durch den Gesellschaftszweck begrenzt. Weitere Einschränkungen können sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben, wirken gutgläubigen Dritten gegenüber aber nur, wenn sie aus dem Unternehmensregister ersichtlich sind (Art. 2298 Abs. 1 c.c.).

6.235

- Kommanditgesellschaft (Società in accomandita semplice, S.A.S.) Die Gesellschaft wird ebenfalls durch einen oder mehrere Geschäftsführer vertreten. Geschäftsführer können nur die persönlich haftenden Gesellschafter („soci accomandatari“) sein; für deren Vertretungsbefugnisse gelten die Regeln über die Vertretung der S.N.C. entsprechend (Art. 2315 i.V.m. Art. 2298 c.c.). Die Kommanditisten („soci accomandanti“) sind in jedem Falle von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen (Art. 2320 Art. 1 c.c.); ihnen kann jedoch für einzelne Geschäfte rechtsgeschäftlich Vollmacht erteilt werden (Art. 2320 Abs. 1 c.c.).

6.236

- Aktiengesellschaft (Società per azioni, S.p.A.) Das neue italienische Aktienrecht stellt den Gründern drei verschiedene Modelle für die Leitung der Gesellschaft zur Verfügung. Neben dem traditionellen Modell mit Verwaltungsrat und „collegio sindacale“ (Art. 2380 Abs. 1 iVm. Art. 2380-bis-2409-septies c.c) besteht die Möglichkeit, das dualistische Modell mit Verwaltungs- und Aufsichtsrat nach deutschem Vorbild (Art. 2409-octies-2409-quinquiesdecies c.c.) oder das monistische Modell mit Verwaltungsrat und internem Kontrollorgan nach englischem Vorbild (Art. 2409-sexiesdecies-2409-noviesdecies c.c.) zu wählen.

6.237

Wird die Gesellschaft – wie im Regelfall – nach dem traditionellen Modell geleitet, so obliegt die Geschäftsführung und gesetzliche Vertretung entweder einem Alleingeschäftsführer („amministratore unico“) oder einem Verwaltungsrat („consiglio d´amministrazione“; Art. 2380-bis, 2384 c.c.). Besteht ein Verwaltungsrat, so steht das Vertretungsrecht nur den einzelnen Mitgliedern („consiglieri“), nicht dem Verwaltungsrat als Kollegialorgan zu. Deshalb muss schon die Gründungsurkunde angeben, welche seiner Mitglieder vertretungsberechtigt sind (Art. 2328 Abs. 1 Nr. 9 c.c.) und ob ihnen die Vertretungsbefugnis einzeln oder gemeinschaftlich zusteht (Art. 2383 Abs. 4 c.c.). Mangels einer solchen Bestimmung gilt nach h.M. der Grundsatz der Einzelvertretung (Art. 2266 Abs. 2 c.c.). Im Zweifel sollte allerdings stets der Nachweis von Einzelvertretungsmacht des Handelnden verlangt werden. Soweit Verwaltungsratsmitglieder durch die Hauptversammlung (für höchstens drei Jahre) gewählt werden, hat ihre Eintragung im Unternehmensregister binnen 14 Tagen zu erfolgen. Dabei ist anzugeben, ob die gewählten Mitglieder des Verwaltungsrats Einzel- oder Gesamtvertretungsmacht haben (Art. 2283 Abs. 4 bis 6 c.c.). Die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit der Bestellung von Verwaltungsratsmitgliedern können vom Zeitpunkt der Eintragung an gutgläubigen Dritten nicht mehr entgegengehalten werden (Art. 2283 Abs. 7 c.c.). Durch Satzung oder Beschluss der Hauptversammlung können bestimmte Aufgaben des Verwaltungsrats – einschließlich der diesbezüglichen Vertretungsbefugnis – auf den Präsidenten des Verwaltungsrats, einzelne seiner Mitglieder („amministratori delegati“) oder einen Verwaltungsausschuss („comitato esecutivo“) übertragen werden (Art. 2381 Abs. 2 c.c.). Die vertretungsberechtigten Geschäftsführer haben grundsätzlich umfassende Vertretungsbefugnisse. Beschränkungen, die sich aus dem Gründungsvertrag oder der Satzung ergeben, wirken, selbst wenn sie bekannt gemacht worden sind, Dritten gegenüber nicht, es sei denn, der Dritte hat nachweislich den Mangel der Vertretungsmacht des handelnden Organs ausgenutzt, um der Gesellschaft Schaden zuzufügen (Art. 2384 c.c.).

6.238

Hausmann | 569

§ 6 Rz. 6.239 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.239

Aktiengesellschaften, die für das dualistische Modell optiert haben, werden ebenfalls allein durch den Vorstand vertreten; dessen Mitglieder werden allerdings – anders als im traditionellen Modell – nicht von der Hauptversammlung, sondern vom Aufsichtsrat berufen (Art. 2409-novies Abs. 3 c.c.). Für den Umfang der Vertretungsbefugnis des Vorstands gilt Art. 2384 c.c. entsprechend (Art. 2409-undecies c.c.). Schließlich obliegt die Geschäftsführung und Vertretung im monistischen System ebenfalls ausschließlich dem Vorstand; diesem müssen mindestens 1/3 der Mitglieder angehören, welche die Unabhängigkeitskriterien des Art. 2399 c.c. erfüllen (Art. 2409-septiesdecies c.c.). Für den Umfang der Vertretungsbefugnisse gilt wiederum Art. 2384 c.c. entsprechend (Art. 2409-noviesdecies c.c.). - Kommanditgesellschaft auf Aktien (Società in accomandita per azioni, S.A.A.)

6.240

Der Gesellschaftervertrag der Kommanditgesellschaft auf Aktien hat die persönlich haftenden Gesellschafter („soci accomandatari“) zu bezeichnen; diese sind kraft Gesetzes zur Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft berechtigt. Der Umfang der Vertretungsmacht und die Möglichkeiten einer Delegation bestimmen sich nach den Vorschriften für die Aktiengesellschaft (Art. 2455 c.c.). - Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Società a responsabilità limitata, S.R.L.)

6.241

Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung wird durch einen oder mehrere Gesellschafter als Geschäftsführer vertreten, sofern nicht ausdrücklich die Bestellung eines Nichtgesellschafters zum Geschäftsführer im Gesellschaftsvertrag für zulässig erklärt ist (Art. 2475 Abs. 1, 2475-bis Abs. 1 c.c.). Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so bilden diese einen Verwaltungsrat. Der Gesellschaftsvertrag kann vorsehen, dass den Mitgliedern des Verwaltungsrats die Vertretung einzeln oder gemeinsam zusteht (Art. 2475 Abs. 2 c.c.). Aus der Gründungsurkunde muss sich ergeben, wer von ihnen vertretungsberechtigt ist (Art. 2463 Abs. 1 Nr. 7 c.c.). In Ermangelung einer abweichenden Bestimmung durch die Gesellschafter gilt auch für die S.R.L. der Grundsatz der Einzelvertretung (Art. 2266 Abs. 2 c.c.). Der Umfang der Vertretungsbefugnis bestimmt sich nach den gleichen Grundsätzen wie bei der S.p.A. (Art. 2475-bis Abs. 2 c.c.). bb) Nachweis der Vertretungsmacht

6.242

Die in Art. 2188 c.c. vorgesehene Einrichtung eines dem deutschen Handelsregister vergleichbaren Unternehmensregisters („registro delle imprese“) ist durch Art. 8 des Gesetzes vom 29.12.1993, n. 580 erfolgt und ist mit der am 19.2.1996 in Kraft getretenen Ausführungsverordnung vollzogen worden. Das Register wird bei den Industrie- und Handelskammern unter der Aufsicht eines abgeordneten Richters geführt und ist öffentlich. Auszüge aus diesem Register werden erteilt und bieten einen umfassenden Schutz des mit einer italienischen Handelsgesellschaft verkehrenden Dritten1. Denn eintragungspflichtige Tatsachen können, solange sie nicht eingetragen sind, einem Dritten nicht entgegengehalten werden (Art. 2193 c.c.). Eine Bekanntmachung der Eintragung in Bezug auf Kapitalgesellschaften erfolgt für ganz Italien im amtlichen Anzeiger für Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung („Bolletino delle società per azioni e a responsabilità limitata“, B.U.S.A.). Die Eintragungen sind auch online abrufbar unter www.registroimprese.it.

1 Ein beglaubigter Auszug aus dem Unternehmensregister reicht auch im deutschen Grundbuchverfahren zum Nachweis der Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers einer italienischen S.a.r.l. aus, vgl. KG v. 18.10.2012 – 1 W 334/12, FGPrax 2013, 10 m. Anm. Heinemann.

570 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.246 § 6

f) Niederlande Literatur: Efferink/Ebert/Levedag, Die zugezogene niederländische B.V. als Rechtsformalternative zur deutschen GmbH für in- und ausländische Investoren in Deutschland, GmbHR 2004, 880; Gotzen, Niederländisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2000; de Groot, Zur Vertretung verselbständigter Rechtsträger, Niederlande (1998); Haarhuis, Gesellschaftsrecht in den Niederlanden (1995); Kroh, De maatshap: die bürgerlich-rechtliche Gesellschaft in den Niederlanden; ein Vergleich mit der deutschen BGB-Gesellschaft (1997); Kowallik, Die GmbH & Co. KG in den Niederlanden, RIW 1999, 87; Mehring, Die GmbH im niederländischen Recht, GmbHR 1991, 297; Nuckel, Teil 4 § 16, Niederlande (Rz. 1-391), in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa (2019); Rademakers/de Vries, Niederlande (Rz. 1-287), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Richter, Die Haftung der Geschäftsführer und Gründer in der niederländischen B.V., GmbHR 2007, 1316; Sanders/Westbroek/Buijn/Storm, Besloten Vennootschap en Naamloze Vennootschap, 9. Aufl. (Deventer 2005); van Schilfgaarde, Haftung der Vorstandsmitglieder bei den Kapitalgesellschaften in den Niederlanden, ZGR 1987, 233; van Schilfgaarde, Van de naamloze en de besloten vennootschap, 14. Aufl. (Arnhem 2006); Slagter, Compendium van het ondernemingsrecht, 8. Aufl. (Deventer 2005); Timmermann/Lennarts, Haftungsdurchgriff im niederländischen Gesellschaftsrecht, ZGR 1993, 489; Westerdijk, Die GmbH & Co. KG im niederländischen Gesellschaftsrecht (1998).

Die gesetzliche Regelung des Rechts der Handelsgesellschaften findet sich im niederländischen Handelsgesetzbuch (Wetboek van Koophandel – WvK.) sowie im 2. Buch des Bürgerlichen Gesetzbuches (Burgerlijk Wetboek – B.W.). Daneben gelten die allgemeinen Bestimmungen der Art. 1655 ff. B.W. über die Gesellschaft.

6.243

aa) Vertretungsberechtigte Organe - Offene Handelsgesellschaft (Vennootschap onder firma, V.O.F.) Grundsätzlich ist jeder Gesellschafter einzeln zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt. Durch den Gesellschaftsvertrag können jedoch einzelne Gesellschafter von der Vertretung ausgeschlossen werden (Abs. 17 Abs. 1 WvK.). Die Vertretungsmacht ist durch den Gesellschaftszweck begrenzt und kann durch den Gesellschaftsvertrag weiter eingeschränkt werden (Art. 17 Abs. 2 WvK.). Die Beschränkung ist allerdings unbeachtlich, wenn sich die Tätigkeit des der Beschränkung zuwiderhandelnden Gesellschafters zum Vorteil der Gesellschaft auswirkt (Art. 1681 B.W.). Solange die entsprechenden Beschränkungen der Vertretungsmacht nicht im Handelsregister eingetragen sind, wird zu Gunsten Dritter angenommen, dass sich die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft auf Geschäfte aller Art erstreckt und keiner der Gesellschafter von der Vertretung ausgeschlossen ist (Art. 29 WvK.).

6.244

- Kommanditgesellschaft (Commanditaire Vennootschap, C.V.) Zur Vertretung sind nur die persönlich haftenden Gesellschafter berechtigt. Die Kommanditisten („vennooren bij wijze geldschieting“) sind von der Vertretung ausgeschlossen und dürfen nicht einmal auf Grund besonderer Vollmacht für die Gesellschaft handeln (Art. 20 Abs. 2 WvK.).

6.245

- Aktiengesellschaft (Naamloze Vennootschap, N.V.) Die N.V., die als Gesellschaftsform auch kleinerer Unternehmen in den Niederlanden weit stärker verbreitet ist als die B.V., wird im Rechtsverkehr mit Dritten durch den Vorstand („bestuur“) vertreten (Art. 2:130 Abs. 1 B.W.). Dieser kann aus einer Person oder aus mehreren Personen bestehen, die nicht zugleich Anteilseigner sein müssen. Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so gilt der Grundsatz der Einzelvertretung (Art. 2:130 Abs. 2 B.W.). AbHausmann | 571

6.246

§ 6 Rz. 6.246 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

weichende Vereinbarungen in der Satzung (Gesamtvertretung aller oder einzelner Vorstandsmitglieder, Vertretung durch ein Vorstandsmitglied allein oder Vertretung durch sonstige Personen) entfalten Dritten gegenüber Wirkungen nur nach Maßgabe der Publizitätsvorschriften (Art. 2:5 Abs. 2 B.W.).

6.247

Beschränkungen der Vertretungsmacht durch den Gesellschaftsvertrag, die den Umfang der Befugnisse der Vorstandsmitglieder betreffen, können Dritten gegenüber in keinem Falle geltend gemacht werden (Art. 2:130 Abs. 3 B.W.). Auf eine Überschreitung des Gesellschaftszwecks durch ein Vorstandsmitglied kann sich die N.V. nur berufen, wenn sie die Bösgläubigkeit des Dritten nachweist (Art. 2:6 B.W.), wozu die Veröffentlichung der Satzung nicht ausreicht1. - Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Besloten Vennootschap met beperkte aansprakelijkheid, B.V.)

6.248

Die Vertretung dieser erst mit Gesetz vom 3.5.1971 in den Niederlanden eingeführten – der deutschen GmbH entsprechenden – Gesellschaft obliegt der Geschäftsführung, die aus einer oder mehreren Personen bestehen kann. Nach dem mit Art. 2:130 B.W. wörtlich übereinstimmenden Art. 2:240 B.W. gelten die gleichen Regeln wie bei der Vertretung der N.V.2. bb) Nachweis der Vertretungsmacht

6.249

Der Nachweis der Vertretungsbefugnis bei Handelsgesellschaften kann in den Niederlanden durch Auszüge aus dem Handelsregister erbracht werden. Das Handelsregister wird nicht bei den Gerichten, sondern bei den regional zuständigen Industrie- und Handelskammern („Kamers van Koophandel en Fabrieken“) geführt. Daneben erfolgt eine Bekanntmachung der Eintragungen für die gesamten Niederlande im Niederländischen Staatsanzeiger („Nederlandse Staatscourant“; vgl. Art. 1 ff. des Handelsregistergesetzes von 1918). Die Eintragungen sind auch online abrufbar unter: https://www.kvk.nl/english/traderegister. g) Österreich Literatur: Arnold, Die GmbH und die GmbH & Co. KG im österreichischen Recht – ein Update, GmbHR 2004, 43; Beer, Österreich (Rz. 1-261), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Doralt, Die Gründung einer Tochtergesellschaft in Österreich, in: Lutter, Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 527; Doralt, Die „Private“ Aktiengesellschaft in Österreich, AGs 1995, 538; Feil, Kommanditgesellschaft (Wien 1995); Fritz, Gesellschaftsrecht in Österreich (2000); Fritz, Wichtige Grundlagen für Geschäftsführer einer österreichischen GmbH, GmbHR 2005, 1339; Gellis, Kommentar zum GmbH-Gesetz, 6. Aufl. (Wien 2006); Jabornegg/Strasser, Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Aufl. 2006; Kalss, Das österreichische Gesellschaftsrecht im Spiegel der Entwicklung des deutschen Rechts, NZG 2012, 161; Kalss/Nowotny/Scheuer, Österreichisches Gesellschaftsrecht (Wien 2008); Koppensteiner/Rüffler, GmbH-Gesetz (Kommentar), 3. Aufl. (Wien 2007); Krejci, Gesellschaftsrecht I (Alllg. Teil/Personengesellschaften) (Wien 2005); Reich-Rohrwig, Das österreichische GmbH-Recht in systematischer Darstellung, Bd. I, 2. Aufl. 1997; Reiff, Die eingetragene Erwerbsgesellschaft – Eine neue österreichische Personengesellschaft, ZVglRW 90 (1991), 130; Straube(Hrsg.), Wiener Kommentar zum Unternehmensgesetzbuch, Bd. I,

1 IPG 1969 Nr. 10 (München): Zum Recht der niederländischen AG. 2 IPG 1975 Nr. 14 (Köln) und IPG 1983 Nr. 16 (Bonn): Beide zum Recht der niederländischen GmbH.

572 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.255 § 6 4. Aufl. (Wien 2009); Straube (Hrsg.), Wiener Kommentar zum GmbH-Gesetz (2010); Umfahrer, GmbH, Handbuch für die Praxis, 6. Aufl. 2008.

Das österreichische Recht der Handelsgesellschaften ist geregelt im Unternehmensgesetzbuch vom 1.1.2007, im GmbH-Gesetz vom 6.3.1906 und im Aktiengesetz vom 31.3.1965.

6.250

aa) Vertretungsberechtigte Organe - Offene Handelsgesellschaft (OHG) Vertretungsberechtigt ist grundsätzlich jeder Gesellschafter einzeln. Eine abweichende Regelung ist im gleichen Umfang wie im deutschen Recht möglich und aus dem Handelsregister zu ersehen (§ 125 UGB). Die Vertretungsmacht kann mit Wirkung gegenüber Dritten nicht beschränkt werden (§ 126 Abs. 2 UGB). Grenze ist nur der dem Dritten erkennbare Missbrauch der Vertretungsmacht.

6.251

- Kommanditgesellschaft (KG) Die Vertretung erfolgt durch die persönlich haftenden Gesellschafter nach den für die OHG geltenden Grundsätzen (§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 125 UGB). Die Kommanditisten sind von der Vertretung ausgeschlossen (§ 170 UGB).

6.252

- Aktiengesellschaft (AG) Die AG wird durch den Vorstand gerichtlich und außergerichtlich vertreten (§ 71 Abs. 1 AktG). Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so sind sämtliche Vorstandsmitglieder nur gemeinschaftlich zur Abgabe von Willenserklärungen befugt; der Vorstand kann aber einzelne Vorstandsmitglieder zur Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften ermächtigen (§ 71 Abs. 2 AktG). Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so kann die Satzung auch bestimmen, dass einzelne Vorstandsmitglieder allein oder in Gemeinschaft mit einem Prokuristen zur Vertretung der Gesellschaft befugt sind; dabei muss aber gewährleistet sein, dass die AG vom Vorstand auch ohne die Mitwirkung eines Prokuristen vertreten werden kann. Eine entsprechende Bestimmung kann auch der Aufsichtsrat treffen, wenn die Satzung ihn hierzu ermächtigt (§ 71 Abs. 3 AktG). Für die Abgabe von Willenserklärungen gegenüber der Gesellschaft reicht es aus, wenn die Abgabe gegenüber einem Vorstandsmitglied erfolgt.

6.253

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Die Gesellschaft wird durch einen oder mehrere Geschäftsführer vertreten, die nicht Gesellschafter zu sein brauchen (§ 18 Abs. 1 GmbHG). Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so sind sie grundsätzlich nur gemeinschaftlich vertretungsberechtigt (§ 18 Abs. 2 GmbHG). Abweichende Vereinbarungen (z.B. Vertretungsmacht eines Geschäftsführers allein oder zusammen mit einem oder mehreren anderen Geschäftsführern oder Prokuristen) sind möglich, zur Erlangung von Drittwirkung aber publizitätspflichtig (§ 18 Abs. 3 GmbHG).

6.254

Eine Beschränkung der Vertretungsbefugnis wirkt gutgläubigen Dritten gegenüber nicht. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Vertretung sich nur auf gewisse Geschäfte oder Arten von Geschäften erstrecken soll oder dass die Zustimmung der Gesellschafter, des Aufsichtsrats oder eines anderen Gesellschaftsorgans für einzelne Geschäfte gefordert wird (§ 20 Abs. 2 GmbHG).

6.255

Hausmann | 573

§ 6 Rz. 6.256 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Nachweis der Vertretungsmacht

6.256

Der Nachweis der Vertretungsmacht kann in Österreich ohne Schwierigkeit durch einen Auszug aus dem Firmenbuch geführt werden, das in seiner Funktion dem deutschen Handelsregister weitgehend entspricht (vgl. §§ 7 ff. UGB). Zuständig sind die erstinstanzlichen Gerichte (Landesgerichte, Kreisgerichte), in Wien das Handelsgericht Wien. Eine Bekanntmachung der Eintragung für ganz Österreich erfolgt durch das Amtsblatt zur Wiener Zeitung. Die Eintragungen sind auch online abrufbar unter: www.bmwfj.gv.at h) Polen Literatur: Bogen/Siekierzyński, Polen (Rz. 1-157), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Brockhuis/Schnell, Gesellschaftsrecht in Polen, 2. Aufl. 2002; Bundesstelle für Außenhandelsinformation (Hrsg.), Polen: GmbH-Recht (2002); Cierpial/Löffler/Thurner, Die Rechtsstellung der Vorstandsmitglieder einer GmbH in Polen, WiRO 1995, 333 und 366; Daskowski/ Leipert, Die straf- und zivilrechtliche Haftung von Mandatsträgern polnischer Kapitalgesellschaften WiRO 2001, 332; Demuth, Gesellschaftsrecht und Unternehmenserwerb in Polen nach dem Beitritt, OstEuR 2004, 436; Gralla, HGB-Vorschriften über die Kommanditgesellschaft, WiRO 1992, 21; Gralla, Handelsgesellschaften in Polen, in: Gralla/Sonnenberger, Handelsgesellschaften in Osteuropa (1993), S. 77; Gralla, Gesellschaftsrecht in Polen, Einführung mit vergleichenden Tabellen (1994); Kos, Die GmbH & Co. KG nach polnischen Recht, WiRO 2000, 297; Kuper, Die Aktiengesellschaft in Polen und Deutschland (2005); Kwasnicki, Gesellschaft mit begrenzter Haftung (polnisch; Warschau 2005); Lakomy, Die polnische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, NotBZ 2011, 113; Lewandowski/Kwasnicki, „Große“ Änderung des polnischen Gesetzbuchs über die Handelsgesellschaften, WiRO 2004, 234; Lewandowski, Polnisches Gesetz zur Einführung der Europäischen Wirtschaftlichen Interessengemeinschaft und der Europäischen Gesellschaft, WiRO 2005, 335 und 2006, 129; Lewandoski/Kostur, Die Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung wird in Polen erleichtert, WiRO 2011, 240; Liebscher/Zoll (Hrsg.), Einführung in das polnische Recht (2005), 5. Teil: Unternehmensrecht; Litwinska, Gesetzbuch der Handelsgesellschaften (polnisch; Warschau 2002); Marciniuk, Die Gründung einer Tochtergesellschaft in Polen, in: Lutter, Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 565; Marr, Das polnische GmbH-Recht im Vergleich zum deutschen GmbHGesetz (1998); Meppen, Die Haftung des Geschäftsführers einer polnischen GmbH wegen Insolvenzverschleppung, NZG 2015,107; Paintner, Ausländische Gesellschaften und Gesellschaften mit ausländischer Beteiligung in Polen, WiRO 1997, 201; Pörnbacher, Reform des polnischen Gesellschaftsrecht – Auswirkungen für die Praxis, RIW 2001, 431; Pörnbacher, Die GmbH nach polnischem Recht, GmbHR 2002, 370; Schnell/Brockhuis, Gesetzbuch der Handelsgesellschaften, WiRO 2001, 17; Schroer, Die atypisch stille Gesellschaft als Rechtsform für Immobilieninvestitionen in Polen, WiRO 1998, 245; Schubel, Teil 4 § 17 Polen (Rz. 1-393), in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa (2019); Siwik, Die Haftung der Geschäftsführer in Polen für Verbindlichkeiten der Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung, WiRO 2007, 257; Soltysinski/Szajkowski/Szumanski/Szwaja, Gesetzbuch der Handelsgesellschaften, Kommentar zu Art. 1–663, 5 Bde (polnisch; Warschau 2001–2004); Tereszkiewicz, Partnerschaftsgesellschaft für Freiberufler im polnischen Gesellschaftsrecht, WiRO 2002, 97; Wlodyka (Hrsg.), Kapitalgesellschaften in Polen, Gründung, Tätigkeit, Übertragung (2000); Wowerka, Kommanditgesellschaft auf Aktien im polnischen Recht, WiRO 2008, 257; Wowerka, Partnergesellschaft im polnischen Recht, WiRO 2009, 353.

6.257

Das polnische Gesellschaftsrecht ist im Wesentlichen im Gesetzbuch der Handelsgesellschaften (HGG) vom 15.9.2000sowie im Gesetz über das Recht der Wirtschaftstätigkeit von Gesellschaften (WiTG) vom 19.11.1999 geregelt. Das bis dahin geltende HGB vom 27.6.1934 i.d.F. vom 20.8.1997 (deutscher Text: WOS Polen III 3a) wurde gleichzeitig, mit Ausnahme der Vorschriften über die Firma und die Prokura, aufgehoben; es kann jedoch auf Grund der Übergangsregelungen im HGG auf Altfälle weiter anzuwenden sein.

574 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.263 § 6

aa) Vertretungsberechtigte Organe - Offene Handelsgesellschaft (Spólka Jawna, Sp.j.) Jeder Gesellschafter der OHG ist nach Art. 29 § 1 HGG grundsätzlich allein zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt. Jedoch kann durch den Gesellschaftsvertrag ein Gesellschafter von der Vertretung ausgeschlossen oder nur zur gemeinschaftlichen Vertretung mit einem anderen Gesellschafter oder Prokuristen ermächtigt werden (Art. 30 § 1 HGG).

6.258

Soll ein Gesellschafter nachträglich von der Vertretung der Gesellschaft ausgeschlossen werden, so kann dies nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes durch Gerichtsurteil (Art. 30 § 2 HGG) geschehen. Die Einzelvertretungsmacht der Gesellschafter umfasst alle gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsgeschäfte und Handlungen, die mit der Führung eines Handelsunternehmens zusammenhängen (Art. 29 § 2 HGG). Der Umfang der Vertretungsmacht kann nicht mit Wirkung gegenüber Dritten beschränkt werden (Art. 29 § 3 HGG). Jede vom Grundsatz der Einzelvertretungsmacht abweichende Regelung muss im Handelsregister eingetragen werden (Art. 26 § 1 Nr. 4, § 2 HGG).

6.259

- Kommanditgesellschaft (Spólka Komandytowa, Sp.K.) Zur Vertretung der KG sind gem. Art. 117, 103, 20 HGG die Komplementäre nach den für die Gesellschafter einer OHG geltenden Grundsätzen berechtigt und verpflichtet. Der Kommanditist darf die KG nur auf Grund einer Vollmacht (Art. 118 § 1 HGG) oder Prokura (§§ 61 ff. HGG) vertreten. Schließt er für die KG ein Geschäft ab, ohne seine Vollmacht kenntlich zu machen, haftet er aus diesem Geschäft dem Dritten gegenüber unbeschränkt (Art. 118 § 2 HGG).

6.260

- Partnergesellschaft (Spólka Partnerska, Sp.p.) Gemäß Art. 96 § 1 HGG ist jeder Partner berechtigt, die Gesellschaft allein zu vertreten, wenn der Gesellschaftsvertrag nichts anders bestimmt. Durch Beschluss mit einer Mehrheit von ¾ der Stimmen der Partner kann jedoch einem Partner die Vertretungsbefugnis entzogen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, Art. 96 § 2 HGG. Mit Eintragung im Handelsregister wird dieser Entzug Dritten gegenüber wirksam, Art. 96 § 3 HGG. Davon abweichend kann der Gesellschaftsvertrag an den Entzug der Vertretungsbefugnis strengere Anforderungen aufstellen, Art. 96 § 2 HGG, oder auch die Gesellschaftsführung und Vertretung der Gesellschaft einem Vorstand übertragen, Art. 97 § 1 HGG. Auf ein solches Organ sind die Vorschriften bezüglich des Vorstandes einer GmbH entsprechend anzuwenden, Art. 97 § 2 HGG.

6.261

- Kommanditgesellschaft auf Aktien (Spólka Komandytowo Akcyjna, S.K.A.) Die Vertretung und Gesellschaftsführung der KGaA steht allein den Komplementären zu (Art. 137 § 1 HGG), sofern ihnen diese Befugnis nicht durch den Gesellschaftsvertrag oder ein rechtskräftiges Gerichtsurteil entzogen worden ist. Entsprechend den Regelungen zur KG, kann ein Aktionär die Gesellschaft nur als Bevollmächtigter vertreten, Art. 138 HGG. Abweichende Vertretungsregeln in der Satzung entfalten gegenüber Dritten keine Wirkung, Art. 139 HGG.

6.262

- Aktiengesellschaft (Spólka Akcyjna, S.A.) Die AG wird vom Vorstand vertreten, der aus einer oder mehreren Personen bestehen kann, Art. 368 § 1 HGG. Die Vertretung erstreckt sich auf alle gerichtlichen und außergerichtlichen Handlungen und Rechtsgeschäfte, die mit der Führung eines Handelsunternehmens verbunHausmann | 575

6.263

§ 6 Rz. 6.263 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

den sind, Art. 372 § 1 HGG. Von der Vertretungsmacht ausgenommen sind die Veräußerung und Verpachtung des Unternehmens, die Bestellung eines Nießbrauchrechts am Unternehmen, die Veräußerung eines Fabrikgrundstücks der AG und die Ausgabe von Schuldverschreibungen; diese Geschäfte bedürfen eines Beschlusses der Hauptversammlung (Art. 375 i.V.m. Art. 383 Nr. 3–5 HGG). Die Vertretungsmacht kann gegenüber Dritten nicht rechtswirksam beschränkt werden (Art. 372 § 2 HGG). Sofern die Vertretung durch einen mehrköpfigen Vorstand nicht in der Satzung geregelt ist, gilt Art. 371 § 1 HGG. Danach ist zur Abgabe von Willenserklärungen im Namen der AG die Mitwirkung zweier Vorstandsmitglieder oder eines Vorstandsmitglieds gemeinsam mit einem Prokuristen erforderlich. Hiervon abweichende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages (z.B. Einzelvertretung oder Gesamtvertretung aller Vorstandsmitglieder) sind im Handelsregister einzutragen und wirken dann auch gegenüber Dritten. Erklärungen und Schriftstücke entgegennehmen kann jedes Vorstandsmitglied allein. - Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Spólka z Organiczona Odpowiedzialnóscia; Sp.z o.o.)

6.264

Die GmbH wird gem. Art. 201 § 1 HGG vom Vorstand vertreten. Die Vertretungsmacht umfasst „alle gerichtlichen und außergerichtlichen Tätigkeiten der Gesellschaft“, Art. 204 § 1 HGG. Die Vertretungsmacht des Vorstands kann Dritten gegenüber nicht wirksam eingeschränkt werden, Art. 204 § 2 HGG. Besteht der Vorstand aus mehreren Personen, so gilt für die Frage der Einzel- oder Gesamtvertretung bei der Abgabe und Entgegennahme von Erklärungen im Namen der Gesellschaft das zur AG Gesagte entsprechend, vgl. Art. 205 §§ 1 und 2 HGG. bb) Nachweis der Vertretungsmacht

6.265

Sämtliche Handelsgesellschaften müssen ins Handelsregister eingetragen werden. Der Antrag auf Eintragung muss insbesondere Angaben über Vor- und Familiennamen der zur Vertretung der Gesellschaft berechtigten Personen und die Art und Weise dieser Vertretung enthalten (vgl. zur OHG Art. 26 § 1 HGG). Die gesetzlich vorgeschriebenen Bekanntmachungen der Gesellschaften werden im Gerichtsanzeiger („Monitor Sadowy Gospodarczy“) veröffentlicht (Art. 5 § 3 HGG). Sie sind auch online abrufbar unter: http://www.ms.gov.pl/krs/krs.php oder www.paiz.gov.pl/polis_law/forms of doing business. i) Portugal Literatur: Antunes, Die Gründung einer Tochtergesellschaft in Portugal, in: Lutter, Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 589; Caeiro/Nogueira Serens, Código comercial, Código das sociedades comerciais, 17. Aufl. (Coimbra 2007); Cremades/Peinado, Gesellschaftsrecht in Portugal, 2. Aufl. 2001; Driesen, Die GmbH im portugiesischen Recht, GmbHR 1991, 49; Driesen/Huber, Das Recht der Handelsgesellschaften in Portugal, EuZW 1993, 536; Glücksmann/Stieb, Die Handelsgesellschaften im portugiesischen Recht, RIW 1984, 516; Jayme, Neues Gesellschaftsrecht in Portugal – IPR und Fremdenrecht, IPRax 1987, 46; Koppensteiner, Die SE in Portugal, RIW 2006, 1030; Lutter/Overrath, Das portugiesische Konzernrecht von 1986, ZGR 1991, 394; Neto, Código das sociedades comerciais, 2. Aufl. (Coimbra 2003); Pinto Furtado, Código das sociedades comerciais, 4. Aufl. (Coimbra 2007); Stieb, Portugal (Rz. 1-132), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbHRechts, 3. Aufl. 2016; Ventura, Alterações do Contrado de Sociedade, 2. Aufl. (Coimbra 2003); Ventura, Sociedades por Quotas, 3 Bde., 4. Aufl. (Coimbra 2008).

6.266

Das Gesellschaftsrecht ist im Código das Sociedades Comerciais (CSC; Gesetzdekret Nr. 262/ 86 vom 2.9.1986) geregelt, der am 1.11.1986 in Kraft getreten ist. Sämtliche Handelsgesellschaften sind juristische Personen (Art. 5 CSC). 576 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.271 § 6

aa) Vertretungsberechtigte Organe - Offene Handelsgesellschaft (Sociedade em nome colectivo, S.N.C.) Die Geschäftsführung und Vertretung der Gesellschaft obliegt nach Art. 192 Abs. 1 CSC den Geschäftsführern („gerantes“). Deren Vertretungsbefugnis ist durch den Gesellschaftszweck begrenzt; weitere Einschränkungen können sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben (Art. 192 Abs. 2 CSC). Die Gesellschaft kann aber ein Geschäft, das in ihrem Namen von einem Geschäftsführer ohne Vertretungsmacht geschlossen wurde, dann nicht anfechten, wenn das Geschäft von den übrigen Geschäftsführern einstimmig genehmigt worden ist (Art. 192 Abs. 3 CSC). Wird diese Genehmigung nicht erteilt, so kann das Geschäft auch von dem Dritten angefochten werden, der von der Überschreitung der Befugnisse des Geschäftsführers keine Kenntnis hatte. Die Eintragung des Gesellschaftszwecks im Handelsregister begründet noch keine Vermutung dieser Kenntnis (Art. 192 Abs. 4 CSC).

6.267

- Kommanditgesellschaft (Sociedade em comandita simples, S.C.S.) Die Kommanditgesellschaft wird ebenfalls durch einen oder mehrere Geschäftsführer vertreten. Geschäftsführer können grundsätzlich nur die persönlich haftenden Gesellschafter („socios comanditados“) sein; für deren Vertretungsbefugnisse gelten die Regeln über die Vertretung der S.N.C. entsprechend (Art. 474 CSC). Die Kommanditisten („socios comanditarios“) sind zur Vertretung nur ausnahmsweise berechtigt, wenn der Gesellschaftsvertrag dies ausdrücklich vorsieht (Art. 470 Abs. 1 CSC). Auch eine Delegation der Vertretungsmacht auf einen Kommanditisten oder einen Nichtgesellschafter kann durch den Gesellschaftsvertrag zugelassen werden (Art. 470 Abs. 2 CSC).

6.268

- Aktiengesellschaft (Sociedade anónima, S.A.) Die S.A. wird durch den Verwaltungsrat („conselho de administração“) gesetzlich vertreten (Art. 405 Abs. 2 CSC). Die Vertretungsmacht des Verwaltungsrats wird durch die Mitglieder gemeinsam ausgeübt. Die Gesellschaft wird aber auch durch Rechtsgeschäfte gebunden, die eine Mehrheit der Verwaltungsratsmitglieder oder ein im Gesellschaftsvertrag bestimmtes geringeres Quorum beschlossen oder genehmigt hat (Art. 408 Abs. 1 CSC). Im Gesellschaftsvertrag kann ferner vorgesehen werden, dass die Gesellschaft durch einen oder mehrere „administradores delegados“ innerhalb der vom Verwaltungsrat gezogenen Grenzen verpflichtet wird (Art. 408 Abs. 2 CSC).

6.269

Die von den Verwaltungsratsmitgliedern im Namen der Gesellschaft und innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse geschlossenen Geschäfte sind für die Gesellschaft verbindlich; Beschränkungen der Vertretungsmacht durch den Gesellschaftsvertrag oder durch Beschlüsse der Aktionäre können Dritten nicht entgegengehalten werden, selbst wenn sie im Handelsregister eingetragen sind (Art. 409 Abs. 1 CSC). Beschränkungen der Vertretungsmacht durch den Gesellschaftszweck wirken Dritten gegenüber nur im Falle der Bösgläubigkeit; die Eintragung des Gesellschaftszwecks im Handelsregister allein begründet die Bösgläubigkeit des mit der Gesellschaft kontrahierenden Dritten freilich noch nicht (Art. 409 Abs. 2, 3 CSC).

6.270

Das portugiesische Aktienrecht sieht – ähnlich wie das französische Recht – neben der traditionellen S.A. auch die S.A. mit Direktorium („direcção“), Aufsichtsrat („conselho geral“) und Buchprüfer („revisor oficial de contos“) vor. Das Direktorium besteht aus einer ungeraden Zahl von nicht mehr als fünf Direktoren (Art. 424 Abs. 1 CSC); diese vertreten die Gesellschaft im Rechtsverkehr mit Dritten (Art. 431 Abs. 2 CSC). Für den Umfang ihrer Vertretungsmacht gilt Art. 409 CSC entsprechend, soweit keine Abweichungen vom Aufsichtsrat beschlossen werden.

6.271

Hausmann | 577

§ 6 Rz. 6.272 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Sociedade por quotas/sociedade de responsabilidade limitada, S.L.)

6.272

Die Gesellschaft wird durch einen oder mehrere Geschäftsführer („gerantes“) vertreten, die keine Gesellschafter zu sein brauchen (Art. 252 Abs. 1 CSC). Eine Delegation dieser Vertretungsmacht ist grundsätzlich ausgeschlossen (Art. 252 Abs. 4 CSC). Die von den Geschäftsführern im Namen der Gesellschaft und innerhalb ihrer gesetzlichen Vertretungsbefugnis geschlossenen Geschäfte verpflichten die Gesellschaft gegenüber Dritten ungeachtet etwaiger Beschränkungen im Gesellschaftsvertrag (Art. 260 Abs. 1 CSC). Die Gesellschaft kann Dritten Beschränkungen der Vertretungsmacht, die sich aus dem Gesellschaftszweck ergeben, nur entgegenhalten, wenn sie nachweist, dass der Dritte sie kannte oder kennen musste; zum Nachweis der Bösgläubigkeit reicht die Eintragung des Gesellschaftszwecks im Handelsregister nicht aus (Art. 260 Abs. 2, 3 CSC)1.

6.273

Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so stehen ihnen die Vertretungsbefugnisse in Ermangelung einer abweichenden Satzungsbestimmung nur gemeinsam zu. Die Gesellschaft wird aber auch durch Geschäfte gebunden, die durch eine Mehrheit der Geschäftsführer abgeschlossen oder von ihr genehmigt worden sind (Art. 261 Abs. 1 CSC). Die Geschäftsführer sind auch berechtigt, die Vertretungsmacht für bestimmte Geschäfte oder Arten von Geschäften auf einen oder einzelne Geschäftsführer zu delegieren; auch die von solchen „gerentes delegados“ innerhalb der ihnen verliehenen Vertretungsmacht geschlossenen Geschäfte sind für die Gesellschaft verbindlich (Art. 261 Abs. 2 CSC). bb) Nachweis der Vertretungsmacht

6.274

Auch Portugal kennt ein dem deutschen Handelsregister entsprechendes Register. Die gesetzliche Regelung findet sich im Código do Registo Comercial vom 3.12.1986. Zuständig für die Eintragungen ist die „conservatória“, in deren Bezirk die Handelsgesellschaft ihren Sitz hat (Art. 25). Eintragungspflichtig sind u.a. die Vertretungsverhältnisse von Handelsgesellschaften und deren Änderung (Art. 15 Nr. 1 i.V.m. Art. 3m). Eintragungspflichtige Tatsachen können Dritten erst ab Eintragung entgegengehalten werden (Art. 14 Nr. 2).

6.275

Das Handelsregister ist öffentlich; Registerauszüge werden an jedermann erteilt (Art. 73 f.). Neben dem lokalen Register wird ein Zentralregister für alle Handelsgesellschaften und juristischen Personen Portugals in Lissabon geführt („Registo Nacional de Pessoas Colectivas“). Die dortigen Eintragungen sind auch online abrufbar unter: http://www.irn.mj.pt/sections/empresas oder http://publicacoes.mj.pt. j) Slowakische Republik Literatur: Bohata, Slowakische Republik: Handelsregistergesetz, WiRO 2005, 113; Sovova, Slowakei, in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts (Rz. 1-147), 3. Aufl. 2016; Stessl, Jüngste Neuerungen im slowakischen Gesellschaftsrecht, WiRO 2002, 237.

6.276

Ein privates Gesellschaftsrecht wurde in der CSSR durch Gesetz vom 18.4.1990 über die Aktiengesellschaften und das novellierte Wirtschaftsgesetzbuch wieder eingeführt; das Wirtschaftsgesetzbuch i.d.F. von 1990 enthielt u.a. Regelungen über die OHG, die KG und die GmbH. Diese Übergangsgesetze wurden durch das seit 1.1.1992 geltende Handelsgesetzbuch vom 5.11.1991 abgelöst (deutscher Text in WOS CSFR III 4b). Das HGB regelt seither sämtli1 IPG 1984 Nr. 19 (München): zum portugiesischen GmbH-Recht.

578 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.280 § 6

che Gesellschaftsformen des Handelsrechts und gilt seit dem 1.1.1993 in der Slowakischen Republik fort. Am 1.1.2015 ist eine tiefgreifende Reform des slowakischen GmbH-Rechts durch die Novellierung des Handelsgesetzbuchs (Obchodný zákonník) in Kraft getreten. Eine der wesentlichsten Änderungen besteht darin, dass eine GmbH nach slowakischem Recht bereits mit einem Stammkapital von einem Euro (anstatt bisher von 5.000 Euro) gegründet werden kann. aa) Vertretungsberechtigte Organe - Offene Handelsgesellschaft (verejná obchidní spolecnost, v.o.s.) Die offene Handelsgesellschaft wird grundsätzlich durch jeden Gesellschafter allein vertreten (Einzelvertretung), sofern durch Gesellschaftsvertrag nicht einige Gesellschafter von der Vertretung ausgeschlossen sind oder bestimmt wird, dass nur alle Gesellschafter gemeinschaftlich zu handeln berechtigt sind (§ 85 HGB). Die Anordnung von Gesamtvertretung wirkt mit Eintragung im Handelsregister auch gegenüber Dritten. Hingegen sind Beschränkungen des Umfangs der Vertretungsmacht mit Wirkung gegenüber Dritten unzulässig.

6.277

- Kommanditgesellschaft (komanditní spolecnost, k.s.) In der KG sind allein die Komplementäre zur Geschäftsführung (§ 97 Abs. 1 HGB) und zur Vertretung der Gesellschaft (§ 101 Abs. 1 S. 1 HGB) berechtigt. Soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt, hat jeder von ihnen Einzelvertretungsmacht (§ 101 Abs. 1 S. 2 HGB); im Übrigen gelten die Vertretungsregeln der OHG entsprechend. Die Kommanditisten sind von der Vertretung ausgeschlossen, können jedoch von den Komplementären zur Vornahme einzelner Geschäfte ermächtigt werden (§ 101 Abs. 2 HGB).

6.278

- Aktiengesellschaft (Akciová spoločnosť, a.s.) Die in §§ 154-220 g HGB geregelte AG erfordert ein Mindeststammkapital von 25.000 Euro; ihre gesetzlich vorgesehenen Organe sind die Gesellschafterversammlung (Valné zhromaždenie), der Vorstand (Predstavenstvo) sowie der zwingend einzurichtende und aus mindestens drei Personen bestehende Aufsichtsrat (Dozorná rada). Die AG wird im Rechtsverkehr durch den Vorstand vertreten (§ 191 Abs. 1 S. 1 HGB). Er entscheidet über sämtliche Angelegenheiten der Gesellschaft, soweit diese nicht durch Gesetz oder Satzung der Zuständigkeit der Hauptversammlung vorbehalten sind (§ 191 Abs. 1 S. 2 HGB). Sind mehrere Vorstandsmitglieder bestellt, so gilt der Grundsatz der Einzelvertretung, soweit die Satzung keine abweichende Bestimmung trifft (§ 191 Abs. 1 S. 3 HGB). Die Anordnung von Gesamtvertretung wirkt Dritten gegenüber nur, wenn sie im Handelsregister eingetragen ist (§ 191 Abs. 1 S. 4 HGB). Die Vertretungsmacht der Vorstandsmitglieder kann durch die Satzung sowie durch Beschluss der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrats eingeschränkt werden; eine solche Einschränkung wirkt jedoch nicht gegenüber Dritten (§ 191 Abs. 2 HGB).

6.279

- Einfache Aktiengesellschaft (jednoduchá spoločnosť na akcie, j.s.a.).

6.280

Mit Wirkung vom 1.1.2017 hat die Slowakei die einfache Aktiengesellschaft als neue Gesellschaftsform eingeführt (§§ 220 h – 220 zl HGB). Es handelt sich um eine Kapitalgesellschaft, die Elemente einer GmbH und einer AG verbindet. Diese Gesellschaftsform wurde eingeführt, um Start-Ups die Gründung zu erleichtern und neue Investoren anzuziehen. Das Minimumkapital beträgt lediglich einen Euro; die Gesellschaft hat eine einfache Struktur und ist einfach zu gründen. Der Gründungsvertrag muss in Form einer notariellen Niederschrift erstellt werden und als Anlage die Satzung enthalten. Zur Vertretung der Gesellschaft sind die Geschäftsführer nach den Grundsätzen der GmbH berechtigt. Hausmann | 579

§ 6 Rz. 6.281 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Spoločnosť s ručením obmedzeným, s.r.o.)

6.281

Für die GmbH ist ein Mindeststammkapital von 5.000 Euro vorgeschrieben, die als Geldeinlage und zum Teil und bis zum Ablauf einer fünfjährigen Frist auch als Sacheinlage erbracht werden können. Die gesetzlich vorgesehenen Organe der s.r.o. sind die Gesellschafterversammlung (Valné zhromaždenie), die mindestens einmal jährlich einberufen werden muss, sowie die Geschäftsführer (Konatelia), die für die Gesellschaft handlungsbefugt sind. Demgegenüber ist ein Aufsichtsrat (Dozorná rada) bei der GmbH gesetzlich nicht zwingend als Kontrollorgan vorgesehen. Die GmbH wird durch den oder die Geschäftsführer im Rechtsverkehr vertreten (§ 133 Abs. 1 S. 1 HGB). Sofern der Gesellschaftsvertrag oder die Satzung nichts anderes vorsehen, vertritt jeder Geschäftsführer die Gesellschaft allein (Einzelvertretung, § 133 Abs. 1 S. 2 HGB). Die Vereinbarung von Gesamtvertretung wirkt Dritten gegenüber nur, wenn sie im Handelsregister eingetragen ist (vgl. § 27a Abs. 2 lit. b, Abs. 3, § 28 Abs. 1 lit. e HGB).

6.282

Eine Beschränkung der Vertretungsbefugnisse der Geschäftsführer kann im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung vorgesehen oder durch die Generalversammlung beschlossen werden. Sie hat Dritten gegenüber jedoch keine Wirkung, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn der Dritte sie kannte oder kennen musste (§ 133 Abs. 2 HGB) oder wenn sie im Handelsregister eingetragen wurde (§ 13 Abs. 5 HGB)1. Bei Kenntnis des Dritten kann das Geschäft jedoch angefochten werden (§ 542 i.V.m. § 321 HGB). bb) Nachweis der Vertretungsmacht

6.283

Alle slowakischen Handelsgesellschaften sind im Handelsregister einzutragen. Das Verfahren ist im Handelsregistergesetz Nr. 530/2003 (Zákon o obchodnom registri) i.V.m. § 27 HGB geregelt. Das Handelsregister ist öffentlich (§ 27 Abs. 1 HGB). Tatsachen, die im Handelsregister eingetragen sind, wirken gegenüber Dritten erst vom Tag der Eintragung. Darüber hinaus wird aber – abweichend von § 15 des deutschen HGB – auch das Vertrauen eines gutgläubigen Dritten in die Richtigkeit der eingetragenen Tatsachen geschützt (positive Publizität, § 27 Abs. 2 HGB). § 28 HGB legt die in das Handelsregister einzutragenden Angaben fest; dazu gehören u.a. Name und Wohnsitz sämtlicher Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer von Handelsgesellschaften (§ 28 Abs. 1 lit. e HGB).

6.284

Schneller und auch kostengünstiger ist die elektronische Eintragung, die seit 2007 möglich ist. Auf elektronischem Wege ist auch die Beantragung eines Registerauszuges (Výpis z obchodného registra), einer Kopie aus dem parallel zum Handelsregister geführten sog. Urkundsregister (Zbierka listín, dort finden sich sog. Nebenurkunden) oder eine Bestätigung, dass eine bestimmte Eintragung im Register nicht enthalten ist, möglich. Das Handelsregister ist darüber hinaus im Internet unter www.orsr.sk frei recherchierbar. Das vom Justizministerium betriebene Online-Portal „Handelsregister im Internet“ (Obchodný register na internete) bietet zahlreiche Suchmöglichkeiten (nach Firmenname, Vorname und Name von Personen, Identifikationsnummer und Firmensitz). Das Online-Handelsregister steht auch in englischer Sprache zur Verfügung.

1 Dazu näher Langner, WiRO 2008, 103 (104 f.).

580 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.286 § 6

k) Spanien Literatur: Bascopé/Hering, Die spanische Gesellschaft mit beschränkter Haftung, GmbHR 2005, 609; Belke/Pfaar, Rechtsformwahl in Spanien nach der Reform des spanischen Handels- und Gesellschaftsrechts, RIW 1990, Beil. Nr. 21, S. 1; Cabanas Trejo/Vestweber, Das neue spanische Gesetz der GmbH, ZVglRW 95 (1996), 444; Cremades, Gesellschaftsrecht in Spanien, 3. Aufl. 2001; Embid Irujo, Eine spanische „Erfindung“ im Gesellschaftsrecht: Die „Sociedad limitada nueva empresa“ – die neue unternehmerische GmbH, RIW 2004, 760; S. 763; Fernández de la Gándara, Derecho de sociedades, 2 Bde. (Barcelona 2011); Fischer A.K., Das neue GmbH-Gesetz in Spanien, RIW 1996, 12; Fischer K.B./ Fischer A.K., Das neue Aktiengesetz in Spanien, RIW 1991, 18; Fischer K.-B./Fischer A.-K., Spanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1995; Fischer, K.B., Das spanische Gesetz 3/2009 über strukturelle Änderungen der Handelsgesellschaften, RIW 2009, 435; Fröhlingsdorf, Die neue spanische GmbH: Neues Unternehmen, RIW 2003, 584; Gimeno Ribes/Liefke, Teil 4 § 15 Spanien Rz. 1-554, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa (2019); Güntzer, Die Rechtsstellung des Geschäftsführers im spanischen Aktienrecht (1991); Hernández-Bretón, Die persönliche Haftung des GmbHGeschäftsführers nach spanischem Recht, RIW 1992, 452; Jordan/Meier, Die spanische GmbH (1998); Krupski, Zur Spaltung des auf ausländische Kapitalgesellschaften mit Sitz in Spanien anzuwendenden Rechts, ZVglRW 96 (1997), 406; Lefebvre, Sociedades Mercantiles (2005); Lefebvre, Sociedades limitadas (2010/2011); Lindner, Die spanische „Sociedad Limitada Nueva Empresa“. Ein Modell für eine europäische kleine GmbH?, ZVglRW 103 (2004), 204; Löber u.a., Die neue spanische GmbH, 3. Aufl. 2006; Löber/Lozano/Steinmetz, Das neue Recht der spanischen Kapitalgesellschaften, RIW 2011, 587 und RIW 2012, 146; Löber/Wicke, Aktuelles spanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 2006; Lozano/Hilgers/Löber, Spanien (Rz. 1-386), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbHRechts, 3. Aufl. 2016; Marinello/Meyer, Die spanische GmbH (1998); Meyer, Persönliche Haftung der Geschäfsführer/Verwalter einer spanischen GmbH, RIW 1998, 450; Ochs, die Haftung des GmbH-Geschäftsführers im deutschen und spanischen Recht (2008); Otto, Verwalterhaftung im Gründungsund Auflösungsstadium nach spanischem GmbH-Recht, RIW 2002, 27; Reckhorn-Hengemühle, Die spanische Aktiengesellschaft nach der Reform des Aktiengesetzes von 1989 (1992); Reckhorn-Hengemühle, Die neue spanische GmbH nach dem Gesetz 2/1995 vom 23.3.1995 (1997); Uría, Derecho mercantil, 28. Aufl. (Madrid 2002); Vicente Chuliá, Introducción Al Derecho Mercantil, 17. Aufl. (Valencia 2004); Vietz, Die neue „Blitz-GmbH“ in Spanien, GmbHR 2003, 26 und 523; Wellenhofer, Die spanische Sociedad Limitada Nueva Empresa (2012); von Wolffersdorf, Neue Pflichten und strengere Haftung für Verwalter spanischer Kapitalgesellschaften, RIW 2006, 586.

Das spanische Recht der Handelsgesellschaften ist geregelt im 1. Titel des 2. Buches des Código de comercio vom 1.1.1986 (Art. 116 bis 238), im Aktiengesetz vom 22.12.1989 und im GmbH-Gesetz vom 23.3.1995. Sämtliche Handelsgesellschaften sind juristische Personen (Art. 116 Abs. 2 c.com.).

6.285

aa) Vertretungsberechtigte Organe - Offene Handelsgesellschaft (Sociedad colectiva, S.C.) Mangels ausdrücklicher Regelung im Gesellschaftsvertrag sind alle Gesellschafter zur Geschäftsführung der S.C. berechtigt (Art. 129 c.com.); zur Vertretung der Gesellschaft nach außen bedarf es jedoch zusätzlich einer ausdrücklichen Ermächtigung (Art. 128 c.com.). Grundsätzlich besteht Einzelvertretungsmacht; der Widerspruch eines geschäftsführenden Gesellschafters gegen die von einem anderen Gesellschafter vorgenommenen Handlungen wirkt nur im Innenverhältnis (Art. 130 c.com.). Abweichende Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag (insbesondere Vertretungsmacht nur einzelner Gesellschafter oder Gesamtvertretung mehrerer Gesellschafter) sind häufig, wirken Dritten gegenüber aber nur, wenn sie im Handelsregister eingetragen sind. Der Umfang der Vertretungsmacht ist durch den Gesellschaftszweck beschränkt; weitere Beschränkungen durch den Gesellschaftsvertrag sind Dritten gegenüber unwirksam. Hausmann | 581

6.286

§ 6 Rz. 6.287 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

- Kommanditgesellschaft (Sociedad en comandita, S. en C.)

6.287

Die Gesellschaft wird durch die persönlich haftenden Gesellschafter („socios colectivos“) vertreten. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei der S.C. (Art. 148 Abs. 2 i.V.m. Art. 128 ff. c.com.). Die Kommanditisten („socios comanditarios“) sind von der Vertretung ausgeschlossen (Art. 148 Abs. 4 c.com.). - Aktiengesellschaft (Sociedad anónima, S.A.)

6.288

Die durch den Beitritt Spaniens zur EG notwendig gewordene Rechtsangleichung an die EGRichtlinien zum Gesellschaftsrecht hat in Spanien zur Neufassung des Aktienrechts durch Gesetzesdekret (LSA) 1564/89 vom 22.12.1989 geführt, das am 1.1.1990 in Kraft getreten ist und das Aktiengesetz vom 17.7.1951 abgelöst hat.

6.289

Die gerichtliche und außergerichtliche Vertretung der S.A. obliegt den Verwaltern („administradores“, Art. 128 LSA). Die Vertretungsmacht umfasst alle Handlungen, die durch den in der Satzung festgelegten Gesellschaftszweck gedeckt sind. Eine Überschreitung des Gesellschaftszwecks kann jedoch gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden; der gute Glaube wird durch die Eintragung des Gesellschaftszwecks im Handelsregister allein noch nicht zerstört. Sonstige Beschränkungen der Vertretungsbefugnis sind Dritten gegenüber in jedem Falle unwirksam, selbst wenn sie im Handelsregister eingetragen sind (Art. 129 Abs. 1 und 2 LSA).

6.290

Das Verwaltungsorgan kann gem. Art. 123 LSA aus einem Alleinverwalter, mehreren Verwaltern mit Einzelbefugnissen oder mehreren gesamtvertretungsberechtigten Verwaltern bestehen. Ist die Verwaltung der Gesellschaft mehr als zwei Personen übertragen, so bilden diese einen Verwaltungsrat („consejo de administración“, Art. 136 LSA). In diesem Falle gilt der Grundsatz der Gesamtvertretung (Art. 133 Abs. 2 LSA). Zulässig ist aber auch die Übertragung der organschaftlichen Vertretung auf einen geschäftsführenden Ausschuss („comisión ejecutiva“) oder auf einzelne Mitglieder des Verwaltungsrats („consejeros delegados“), sofern sie in der Satzung (Art. 9 lit. h LSA) oder durch mehrheitlich getroffenen Verwaltungsratsbeschluss erfolgt (Art. 140 i.V.m. Art. 141 Abs. 1 LSA). Davon wird häufig Gebrauch gemacht, um die Umständlichkeit der Gesamtvertretung zu vermeiden. In der Praxis wird nicht selten dem Vorsitzenden des Verwaltungsrats die alleinige Vertretungsmacht eingeräumt. Davon zu unterscheiden ist die dauerhafte rechtsgeschäftliche Delegation bestimmter Vertretungsbefugnisse, die nur mit einer 2/3-Mehrheit der Verwaltungsratsmitglieder beschlossen werden kann und erst mit Eintragung im Handelsregister gegenüber Dritten wirkt (Art. 141 Abs. 2 LSA). - Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Sociedad de responsabilidad limitada, S.R.L.)

6.291

Das spanische GmbH-Recht ist durch Gesetz vom 23.3.1995 neu geregelt worden; das Gesetz ist am 1.6.1995 in Kraft getreten. Die gesetzliche Regelung der Verwaltung der GmbH ist gegenüber dem früheren System weitgehender Autonomie der Gesellschafter wesentlich geändert worden. Die allgemeinen Grundsätze der Verwaltung stimmen nach Art. 57 LSRL nunmehr weitgehend mit den Normen des Aktienrechts überein. Die Verwaltung der Gesellschaft kann daher ebenfalls einem Alleinverwalter, mehreren Verwaltern gemeinsam oder einem Verwaltungsrat anvertraut werden. Die Ernennung der Verwalter steht nach Art. 58 LSRL allein der Hauptversammlung zu. Die Verwalter brauchen nicht Gesellschafter zu sein, sofern die Satzung nichts anderes bestimmt. Ob mehrere Verwalter die Gesellschaft einzeln oder nur gemeinsam vertreten können, muss in der Satzung festgelegt werden. Für den Verwaltungsrat gilt der Grundsatz der Gesamtvertretung; die Übertragung der Vertretungsmacht auf einzelne 582 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.295 § 6

Verwaltungsratsmitglieder ist zulässig, wirkt aber gegenüber Dritten nur, wenn sie im Handelsregister eingetragen ist. Der Umfang der Vertretungsmacht ist gem. Art. 62 LSRL nur durch den Gesellschaftszweck begrenzt; auch dessen Überschreitung kann jedoch gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden. Weitergehende Beschränkungen der Vertretungsmacht durch die Satzung oder Gesellschafterbeschluss sind Dritten gegenüber in jedem Falle unwirksam (Art. 63, 1 LSRL).

6.292

Durch Gesetz Nr. 7/2003 hat der spanische Gesetzgeber mit Wirkung vom 2.6.2003 die „GmbH – Neues Unternehmen“ (Sociedad limitada de Nueva Empresa, S.L.N.E.) als eine eigenständige Gesellschaftsform eingeführt, die neben die traditionelle GmbH tritt. Mit ihrer Hilfe soll vor allem kleinen und mittleren Unternehmen eine zügige und kostengünstige Gesellschaftsgründung ermöglicht werden. Die Geschäftsführung kann einer einzigen oder mehreren Personen übertragen werden; die Bildung eines Verwaltungsrats ist jedoch – abweichend von der gewöhnlichen S.R.L. – ausdrücklich verboten (Art. 139).

6.293

bb) Nachweis der Vertretungsmacht In Spanien besteht eine dem deutschen Handelsregister entsprechende Einrichtung. Die gesetzliche Regelung findet sich im „Regolamento del Registro Mercantil“, das durch Gesetzesdekret n. 1597 vom 29.12.1989 an das neue Gesellschaftsrecht angepasst worden ist. Eintragungen in das Handelsregister sind grundsätzlich obligatorisch (Art. 4). Eintragungspflichtig sind ua. die gesetzlichen Vertreter von Handelsgesellschaften und der Umfang ihrer Befugnisse sowie deren Änderung (vgl. Art. 94 Nr. 4 und 5, 124, 174 Nr. 8, 178 Nr. 8). Das Handelsregister wird in jeder Provinzhauptstadt für die in der Provinz ansässigen Gesellschaften geführt (Art. 16, 17 Abs. 1). Das Register ist öffentlich (Art. 21).

6.294

Darüber hinaus wird bei der Generaldirektion für Register- und Notariatssachen ein allgemeines Gesellschaftsregister für ganz Spanien geführt („Registro Mercantil Central“, Art. 343 ff.). Das Zentralregister erteilt auf schriftliche Anfrage Handelsregisterauszüge, die über die vertretungsberechtigten Organe spanischer Handelsgesellschaften verlässlich Auskunft geben (Art. 346). Eintragungspflichtige Tatsachen werden auf Veranlassung des Zentralregisters im „Boletin Offical del Registro Mercantil“ bekannt gemacht; solange diese Bekanntmachung nicht erfolgt ist, können sie gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden (Art. 9 Abs. 1). Die Eintragungen im Zentralregister sind auch online abrufbar unter:http://www.registradores.org.

6.295

l) Tschechische Republik Literatur: Bartosikova/Stenglova, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (tschechisch; Prag 1992); Bohata, Gesellschaftsrecht in der Tschechischen Republik und in der Slowakei, 2. Aufl. 1998; Bohata, Tschechische Republik: Die Firma und das Handelsregister nach der Novelle des HGB, WiRO 2001, 146; Bohata, Tschechische Republik: Die neuen allg. Bestimmungen über Gesellschaften, WiRO 2001, 211; Bohata, Quellen des tschechischen Handelsrechts, WiRO 2003, 39; Bohata, Tschechische Republik: Gesetz über Korporationen, WiRO 2012, 242; Braun/Jelínková, Tschechische Republik: Handelsregister – Teil 2, WiRO 2005, 374; Dedic, Aktiengesellschaft (tschechisch; Prag 2007); Fietkau, Der Vorstand einer tschechischen Aktiengesellschaft, RIW 2007, 113; Holler/Wesbuer, Die tschechische GmbH nach dem neuen Handelsrecht, WiRO 2002, 202; Kubánek/Pálinkás, Tschechische Republik, in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016, (Rz. 1-105); Kuklis, Die GmbH in der Tschechischen Republik, GmbHR 2002, 687; Langner, Vertretungsbefugnisse des GmbH-Geschäftsführers im tschechischen Recht, WiRO 2008, 103; Langner, Der GmbH-Geschäfts-

Hausmann | 583

§ 6 Rz. 6.295 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis führer im tschechischen Recht (2005); Loges/Nedelka, Die Haftung des Geschäftsführers einer tschechischen GmbH, RIW 1998, 454; Oveckova, Handelsgesetzbuch – Kommentar, 2. Aufl. 2008; Pokorna, Einführung in das tschechische Aktienrecht, FOWI-Arbeitspapier 114 (2007); Scheifele/Thaeter, Unternehmenskauf, Joint Venture und Firmengründung in der Tschechischen Republik, 2. Aufl. 2001; Schwarz/Pálinkás, Neues tschechisches Handelsgesetzbuch in der Praxis, RIW 2001, 273; Stessl, Das neue solowakische GmbH-Recht, GmbHR 2002, 638; Ullmann-Czubak/Holec, Zemánek/Paschke, Das tschechische Privat- und Wirtschaftsrecht unter dem Einfluss des europäischen Rechts (2004); Zitek, Heranziehung des deutschen GmbH-Rechts bei der Weiterentwicklung des tschechischen GmbHRechts (1998); Zvára, Geschäftsführerpflichten im tschechischen Recht, WiRO 2019, 225.

6.296

In Tschechien ist am 1.1.2014 das neue Gesetz über Handelskorporationen (HKG) vom 25.1.2012 zusammen mit dem neuen Zivilgesetzbuch in Kraft getreten. Es hat dort das seit dem 1.1.1993 fortgeltende Handelsgesetzbuch der CSSR vom 5.11.1991 abgelöst. Das Gesetz umfasst sowohl das Recht der Handelsgesellschaften wie der Genossenschaften (§ 1 HKG) und enthält für diese Regelungen zu ihrer Form, ihrer Errichtung, ihren Organen und ihrer Stellung im Rechtsverkehr. Die für alle Handelsgesellschaften geltenden allgemeinen Regelungen sind in §§ 1 – 94 HKG enthalten. aa) Vertretungsberechtigte Organe - Offene Handelsgesellschaft (veřejná obchodní spolecnost, v.o.s.)

6.297

Die Regelungen zur offenen Handelsgesellschaft (§§ 95-117 HKG) wurden durch die Novellierung des Handelsgesetzbuches nur wenig geändert. Danach wird die oHG grundsätzlich durch alle Gesellschafter, welche die in § 46 HKG festgelegten Anforderungen erfüllen, vertreten. Dabei gilt nach § 44 Abs. 4 HKG der Grundsatz der Einzelvertretung. Der Gesellschaftsvertrag kann jedoch bestimmen, dass nur einige dieser Gesellschafter oder nur einer von ihnen vertretungsbefugtes Organ sind (§ 106 Abs. 1 HKG). Die Anordnung von Gesamtvertretung wirkt mit Eintragung im Handelsregister auch gegenüber Dritten. Hingegen sind Beschränkungen des Umfangs der Vertretungsmacht mit Wirkung gegenüber Dritten unzulässig. - Kommanditgesellschaft (komanditní spolecnost, k.s.)

6.298

In der KG (§§ 118-131 HGB) sind allein die Komplementäre zur Vertretung der Gesellschaft (§ 125 Abs. 1 S. 1 HKG) berechtigt. Soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt, gilt wiederum der Grundsatz der Einzelvertretung nach § 44 Abs. 4 HKG. Der Gesellschaftsvertrag kann jedoch bestimmen, dass nur diejenigen der Komplementäre das vertretungsbefugte Organ der Gesellschaft sind, welche die in § 46 HKG festgelegten Anforderungen erfüllen, oder dass nur einer von ihnen das vertretungsbefugte Organ ist (§ 125 Abs. 1 S. 1 HKG). Die Kommanditisten sind von der Vertretung ausgeschlossen, können jedoch von den vertretungsberechtigten Komplementären zur Vornahme einzelner Geschäfte ermächtigt werden. - Aktiengesellschaft (akciová spolecnost, a.s.)

6.299

Im Recht der tschechischen Aktiengesellschaft (§§ 243-551 HKG) wurde durch die Gesetzesreform vor allem eine Änderung im Bereich der Organstruktur eingeführt. Danach können die Gründer können sich nunmehr entscheiden, ob sie ihre Aktiengesellschaft auf Grundlage eines dualistischen Systems (dualistický systém) nach den §§ 435-455 HKG oder eines monistischen Systems (monistický systém) nach den §§ 456-463 HKG organisieren wollen. Das monistische System trennt nicht zwischen der Geschäftsleitung (Vorstand; představenstvo) und 584 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.303 § 6

der Überwachung der Geschäftsleitung (Aufsichtsrat; dozorcí rada). Vielmehr werden beide Funktionen durch ein Organ wahrgenommen, den sog. Verwaltungsrat (správní rada). Dieser Verwaltungsrat besteht nach § 457 HKG aus drei Mitgliedern, sofern die Satzung nicht etwas anderes bestimmt. Demgegenüber kontrolliert bei einer nach dem dualistischen System organisierten Aktiengesellschaft ein Aufsichtsrat den Vorstand. Dieser besteht gemäß § 439 HKG ebenfalls aus drei Mitgliedern, sofern die Satzung nichts anderes vorschreibt. Im dualistischen System wird die AG durch den Vorstand im Rechtsverkehr vertreten (§ 435 Abs. 1 HKG). Er entscheidet über sämtliche Angelegenheiten der Gesellschaft, soweit diese nicht durch Gesetz oder Satzung der Zuständigkeit der Hauptversammlung vorbehalten sind. Der Vorstand besteht aus drei Mitgliedern, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt (§ 439 Abs. 1 HKG). Er entscheidet gem. § 440 Abs. 1 HKG mit Stimmenmehrheit. Sind mehrere Vorstandsmitglieder bestellt, so gilt der Grundsatz der Einzelvertretung, soweit die Satzung keine abweichende Bestimmung trifft. Die Anordnung von Gesamtvertretung wirkt Dritten gegenüber nur, wenn sie im Handelsregister eingetragen ist. Die Vertretungsmacht der Vorstandsmitglieder kann durch die Satzung sowie durch Beschluss der Hauptversammlung oder des Aufsichtsrats eingeschränkt werden; eine solche Einschränkung wirkt jedoch nicht gegenüber Dritten, auch wenn sie öffentlich bekanntgemacht worden ist (§ 47 HGK).

6.300

In der monistisch organisierten AG ist das vertretungsbefugte Organ der Gesellschaft der vom Verwaltungsrat bestellte Geschäftsdirektor (Art. 463 Abs. 1 HKG). Dieser kann nur eine natürliche Person sein, die die Bedingungen dieses Gesetzes für die Mitgliedschaft im Vorstand erfüllt (Art. 463 Abs. 1 HKG). Geschäftsdirektor kann auch der Vorsitzende des Verwaltungsrats sein (Art. 463 Abs. 3 HKG).

6.301

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (spolecnost s rucením omezeným, s.r.o.) Für die in §§ 132-242 HKG geregelte GmbH wurde im Rahmen der Reform das Mindeststammkapital von bislang 200.000 CZK (ca. 7.400 Euro) auf 1 CZK (ca. 0,04 Euro) herabgesezt (§ 142 Abs. 1 HKG). Vertreten wird die GmbH im Rechtsverkehr durch die Geschäftsführung (jednatelé, §§ 194 Abs. 1HKG). Eine tschechische GmbH kann einen oder mehrere Geschäftsführer haben. Existieren mehrere Geschäftsführer, so gilt nach Art. 44 Abs. 5 HKG der Grundsatz der Einzelvertretung. Jedoch kann im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden, dass die Geschäftsführer zu einem einheitlichen Kollektivorgan zusammengefasst werden (§ 194 Abs. 2 HKG). Auf dieses finden die Bestimmungen der § 440 und § 444 HKG entsprechende Anwendung; danach bedarf jede unternehmensbezogene Entscheidung eines Mehrheitsvotums aller Geschäftsführer. Die Vereinbarung von Gesamtvertretung wirkt Dritten gegenüber nur, wenn sie im Handelsregister eingetragen ist. Eine Beschränkung der Vertretungsbefugnisse der Geschäftsführer kann im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung vorgesehen oder durch die Gesellschafterversammlung beschlossen werden. Sie hat Dritten gegenüber jedoch keine Wirkung, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn der Dritte sie kannte oder kennen musste oder wenn sie im Handelsregister eingetragen wurde (§ 47 HKG).

6.302

bb) Nachweis der Vertretungsmacht Alle tschechischen Handelsgesellschaften sind im Handelsregister eingetragen; das Handelsregister ist öffentlich. Zu den dort einzutragenden Angaben gehören ua. Name und Wohnsitz sämtlicher verrtetungsberechtigter Gesellschafter, Vorstandsmitglieder bzw. Geschäftsführer von Handelsgesellschaften. Die Eintragungen sind online in deutscher Sprache abrufbar unter: https://or.justice.cz. Hausmann | 585

6.303

§ 6 Rz. 6.303 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

m) Ungarn Literatur: Braner, Ungarn (Rz. 1-273), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbHRechts, 3. Aufl. 2016; Galffy, Gestaltungsmöglichkeiten der Organisation der ungarischen GmbH, FOWI-Arbeitspapier 92 (2003); Gobert, Das neue ungarische Gesellschaftsrecht, ROW 1998, 253; Janssen/Fest, Unterschiede in der Rechtspraxis ungarischer Kft und deutscher GmbH, RIW 2002, 825; Köhle/Demeter, Die Gesellschaft mbH in Ungarn (Wien 1991); Küpper, Neues Firmenregisterrecht in Ungarn, WiRO 2006, 353; Küpper, Ungarn: Das neue Gesellschaftsgesetz. Textübersetzung mit Einführung, JOR 2006, 223; Pajor-Bytomski, Gesellschaftsrecht in Ungarn, 2. Aufl. 2001; Pajor-Bytomski, Die Rechtsstellung des ungarischen GmbH-Geschäftsführers, RIW 2001, 765; Sander, Die ungarische Gesellschaft mit beschränkter Haftung – mit Gemeinsamkeiten zur deutschen GmbH (2003); S. 903.

6.304

Das ungarische Gesellschaftsrecht wurde mit dem am 1.7.2006 in Kraft getretenen Gesetz über Wirtschaftsgesellschaften Nr. 2006/IV (GWG) vollständig neu kodifiziert. Das Gesetz trat an die Stelle des gleichnamigen Gesetzes vom 9.12.1997 und regelte sämtliche in Ungarn anerkannten Formen von Wirtschaftsgesellschaften. Seit dem 15.3.2014 ist das Recht der juristischen Personen und Handelsgesellschaften im 3. Buch des neuen ungarischen BGB vom 12.2.2013 enthalten. aa) Vertretungsberechtigte Organe

6.305

Wie schon das GWG ist das 3. Buch des BGB dadurch gekennzeichnet, dass es in einem Allgemeinen Teil gemeinsame Vorschriften für alle Handelsgesellschaften, darunter auch detaillierte Regelungen über deren Vertretung enthält. In den jeweiligen Abschnitten über die einzelnen Gesellschaftstypen finden sich dann nur noch Bestimmungen, welche die zur Vertretung berufenen Organe benennen, ohne jedoch Einzelheiten zu regeln.

6.306

Grundsätzlich werden Handelsgesellschaften gegenüber Dritten sowie vor Gerichten und Behörden durch den oder die Geschäftsführer vertreten (§ 3: 29 BGB). Zwar kann dessen gesetzliche Vertretungsbefugnis im Gesellschaftsvertrag oder der Satzung eingeschränkt oder unter mehreren Geschäftsführern aufgeteilt werden. Diese Beschränkungen entfalten jedoch, auch wenn sie im Handelsregister eingetragen sind, keine Wirkung gegenüber Dritten, es sei denn der Dritte hat diese Beschränkungen gekannt oder hätte sie kennen müssen (§ 3:31 BGB). - Offene Handelsgesellschaft (közkereseti társaság, kkt.)

6.307

Die in §§ 3:138 ff. BGB geregelte OHG wird durch einen oder mehrere Geschäftsführer vertreten, die aus dem Kreis der Gesellschafter ausgewählt werden. Ist kein Geschäftsführer bestimmt, so sind alle Gesellschafter zur Geschäftsführung und Vertretung berechtigt. Dabei gilt der Grundsatz der Einzelvertretung. Die Bestellung eines Nichtgesellschafters ist in jedem Fall unwirksam (§ 3:144 Abs. 2 BGB). - Kommanditgesellschaft (betéti társaság, bt.)

6.308

Die KG (§§ 3:154 ff. BGB) wird durch die Komplementäre nach Maßgabe der für die OHG geltenden Vorschriften vertreten (§ 3:155 BGB). Die Kommanditisten sind nach § 3:106 BGB von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen. - Aktiengesellschaft (részvénytársaság, rt.)

6.309

Die AG wird im Rechtsverkehr mit Dritten sowie vor Gerichten und Behörden durch den Vorstand vertreten, der aus mindestens drei Mitgliedern besteht, die natürliche Personen sein müssen (§ 3:282 Abs. 1 BGB). Grundsätzlich ist jedes Vorstandsmitglied einzeln vertretungs586 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.312 § 6

berechtigt. Die Satzung kann aber vorsehen, dass nur mehrere Mitglieder gemeinsam oder zusammen mit einer vom Vorstand dazu ermächtigten Person vertretungsberechtigt sind. Darüber hinaus kann die Satzung einzelne Mitglieder des Vorstands oder Mitarbeiter der Gesellschaft ermächtigen, die AG in allen oder in bestimmten Angelegenheiten zu vertreten. Die Vertretungsmacht des Vorstands kann ferner durch die Satzung, die Hauptversammlung oder den Aufsichtsrat beschränkt werden. Solche Beschränkungen des Vertretungsumfangs wirken jedoch nicht gegenüber Dritten (§ 3:282 Abs. 3 BGB). - Gesellschaft mit beschränkter Haftung (korlátolt felelösségü társaság, kft) Das Mindeststammkapital einer ungarischen GmbH beträgt 3.000.000 HUF (etwa 9.450 Euro) und kann auch als Sacheinlage (apport) eingebracht werden, wobei mindestens 50% als Bareinlage zu leisten sind. Die Gründung einer Einmann-GmbH erfordert lediglich eine Bareinlage von 100.000 HUF (etwa 315 Euro). Die GmbH wird im Rechtsverkehr durch einen oder mehrere Geschäftsführer vertreten (§ 3:196 Abs. 1 S. 1 BGB), die nicht Gesellschafter sein müssen. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so gilt der Grundsatz der Einzelvertretung. Jede Beschränkung der Vertretungsmacht eines Geschäftsführers oder ihre Abhängigkeit von einer Bedingung oder Zustimmung ist Dritten gegenüber unwirksam (§ 3:196 Abs. 1 S. 2 BGB).

6.310

bb) Nachweis der Vertretungsmacht Alle Handelsgesellschaften müssen in das Handelsregister („cégjeguzék“) eingetragen werden. Die Einzelheiten sind im Firmengesetz vom 1.7.2006 geregelt. Die Eintragung nehmen die sog. Firmengerichte („cégbiróságok“) als Registergerichte durch Beschluss vor. Sie sind online abrufbar unter: https://occsz.e-cegjegyzek.hu oder www.companyregister.hu.

6.311

3. Sonstige Staaten a) Japan Literatur: Aoki, Corporate governance in Japan – institutional change and organizational diversity (2007); Baum/Bälz (Hrsg.), Handbuch japanisches Handels- und Unternehmensrecht (2009); Dernauer, Die japanische Gesellschaftsrechtsreform 2005/2006, ZJapanR 20 (2005) 123; Kansaku/Baelz, Gesellschaftsrecht, in: Baum/Baelz (Hrsg.), Handbuch Japanisches Handels- und Wirtschaftsrecht (2011) S. 63; Kawamoto u.a., Gesellschaftsrecht in Japan (2004); Kessler, Das japanische Aktienrecht zwischen Deregulierung und Amerikanisierung, RIW 2007, 658; Kitagawa (Hrsg.), Doing business in Japan (Loseblatt); Kwamoto, Gesellschaftsrecht in Japan (ins Deutsche übersetzt von Marutschke; 2004); Marutschke, Einführung in das japanische Recht, 2. Aufl. 2010, § 16: Gesellschaftsrecht; Menkhaus, Japan (Rz. 1-88), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts 3. Aufl. 2016, S. 995; Schwittek, Internationales Gesellschaftsrecht in Japan (2015); Westhoff, Zur praktischen Bedeutung des neuen japanischen Gesellschaftsrechts für ausländische Investoren, ZJApanR/J.Japan L. 21 (2006) 212; Witty, Das neue Gesellschaftsrecht in Japan, ZJApanR 23 (2007) 185.

Die Einführung des japanischen Gesellschaftsgesetzes (GG) zum 1.5.2006 bildete den Höhepunkt einer umfassenden Modernisierung und Reformierung des japanischen Handels-, Gesellschafts- und Wertpapierrechts. Das Gesellschaftsgesetz etabiliert die Aktiengesellschaft („kabushiki kaisha“) als zentrale Rechtsfigur für Unternehmen. Gleichzeitig wurde die GmbH („yûgen kaisha“) als Rechtsform aufgrund ihrer nur untergeordneten Rolle in der Praxis abgeschafft. Neben der Neuordnung der Aktiengesellschaft wurden mit dem Gesellschaftsgesetz neue Gesellschaftsformen – wie die Kapitalgesellschaft mit beschränkter Haftung („gôdô kaisha“, Limited Liability Company – LLC) und die Personengesellschaft mit beschränkter HafHausmann | 587

6.312

§ 6 Rz. 6.312 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

tung („yûgen sekinin jigyô kumiai“, Limited Liability Partnership – LLP) – eingeführt, die in der Praxis bereits von großer Bedeutung sind und aufgrund ihrer Flexibilität in der rechtlichen Gestaltung bevorzugt bei Gemeinschaftsunternehmen verwendet werden. aa) Vertretungsberechtigte Organe - Aktiengesellschaft

6.313

Die wichtigsten Organe der Aktiengesellschaft sind die Aktionärsversammlung (Art. 295 ff. GG) und die Direktoren (Art. 326 ff. GG). Die Aktionärsversammlung bestimmt über die Organisation der Gesellschaft und die Richtlinien ihrer Geschäftspolitik, sie ernennt und entlässt die Direktoren (Art. 329, 339 GG). Den Direktoren obliegt die Geschäftsführung, es gilt dabei das Mehrheitsprinzip (Art. 348 GG). Im Außenverhältnis ist demgegenüber grundsätzlich jeder Direktor einzeln vertretungsberechtigt; es kann aber auch bestimmt werden, dass nur bestimmte Direktoren die AG vertreten sollen (sog. repräsentierende Direktoren, Art. 349 Abs. 2 und 3 GG). Beschränkungen der Vertretungsmacht der Direktoren sind Dritten gegenüber unwirksam (Art. 349 Abs. 5 GG). Verstärkt wird dieser Vertrauensschutz noch durch Art. 354 GG, der eine Rechtsscheinhaftung der Gesellschaft bei Handlungen von Personen vorsieht, welche den Titel „Präsident“, „Vizepräsident“ oder einen anderen, Vertretungsmacht vortäuschenden Titel führen. In größeren Gesellschaften gehören die Direktoren einem besonderen Organ, dem Verwaltungsrat („torishimariyaku kai“), an. Existiert ein Verwaltungsrat, obliegt die Geschäftsführung und Vertretung allein dem repräsentierenden Direktor oder einem Direktor, der hierzu durch besonderen Beschluss des Verwaltungsrates bestimmt ist (Art. 363 GG). Andere Direktoren oder der Verwaltungsrat als solcher sind in diesem Fall nicht vertretungsberechtigt. - Andere Gesellschaften

6.314

Für die übrigen Gesellschaftstypen gelten die Art. 575 ff. GG, welche durch die Vorschriften des Allgemeinen Teils des Gesellschaftsgesetzes (Art. 1–24 GG) ergänzt werden. Die Geschäftsführung obliegt dem oder den Partnern, es gilt dabei das Mehrheitsprinzip; abweichende Bestimmungen sind möglich (Art. 590 GG). Die geschäftsführenden Partner sind auch vertretungsbefugt; dabei gilt jedoch das Prinzip der Einzelvertretungsbefugnis (Art. 599 Abs. 1 und 2 GG). Die Vertretungsmacht erstreckt sich auf alle gerichtlichen und außergerichtlichen Handlungen. Beschränkungen der Vertretungsmacht sind gegenüber gutgläubigen Dritten unwirksam (Art. 599 Abs. 4 und 5 GG). bb) Nachweis der Vertretungsmacht

6.315

Das japanische Recht kennt ein Handelsregister nach deutschem Vorbild. Das Register ist öffentlich. Eintragungen können von jedermann eingesehen werden. Sie sind auch online auf der Internet-Seite des japanischen Justizministers unter www.moj.go.jp abrufbar. Gegen Kostenerstattung werden auch Registerauszüge erteilt. Ergibt sich aus diesen die Vertretungsmacht eines Vorstandsmitglieds einer japanischen AG, so ist grundsätzlich von dessen Einzelvertretungsberechtigung auszugehen, sofern keine Anhaltspunkte für eine Beschränkung (z.B. Gesamtvertretung) bestehen1. Bis zur Eintragung können eintragungspflichtige Tatsachen gutgläubigen Dritten nicht entgegengehalten werden.

1 OLG München v. 9.3.2010 – 31 Wx 36/10, ZIP 2010, 1182 = GmbHR 2010, 532 = NZG 2010, 515.

588 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.318 § 6

b) Kanada Literatur: Blümcke, Das Internationale Les aspects juridiques (Montreal 1998); McGuinness, The law and practice of Canadian business corporations (1999); Nockelmann, Kanada (Rz. 1-100), in: Süß/ Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Pouliot/Sennecke/Quack, Die Gründung einer Tochtergesellschaft in Kanada, in: Lutter, Die Gründung einer Tochtergesellschaft im Ausland, 3. Aufl. 1995, S. 374; Quack, Die personalistische Kapitalgesellschaft im Gesellschaftsrecht von Kanada (2001); Daniels/MacIntosh, Toward a distinctive Canadian Corporate Law Regime, 29 (1991) Osgoode Hall L.J. 863; Iacobucci/Pilkington/Prichard, Canadian Business Corporations, 4. Aufl. 2004; Kingston, Ontario Corporation Manual (Loseblatt); Kolks, Die Durchgriffshaftung im deutschen und kanadischen Recht der Kapitalgesellschaften (2004); Martel/Martel, La compagnie au Québec, Band 1: kanadischen Gesellschaftsrecht (1985); Schennach/Fritz, Gesellschaftsrecht in Kanada (1997); Stikeman, Doing Business in Canada, Band I, II (Loseblatt); Van Duzer, The law of partnerships and corporations, 2. Aufl. 2003.

Die Rechtsetzungsbefugnis für das Kapitalgesellschaftsrecht liegt gem. der kanadischen Verfassung, dem Constitution Act 1867, sowohl beim Bund als auch bei den Provinzen. In diesem Sinne finden sich neben einem Bundesgesellschaftsrechtsgesetz, dem Canadian Business Corporation Act (CBCA) auch Gesellschaftsrechte der Provinzen, wie z.B. der Ontario Business Corporation Act (OBCA) oder die Loi sur les compagnies du Québec (LCQ). Auf Grund der Kompetenzregelung der Verfassung sowie der in Kanada geltenden Gründungstheorie steht Gesellschaftsgründern praktisch ein Wahlrecht zu, ob sie ihre Gesellschaft nach dem Recht ihrer Heimatprovinz, einer anderen Provinz oder des Bundes inkorporieren. In der Regel aber werden größere Gesellschaften nach Bundesrecht gegründet und kleinere nach dem Recht der Provinz, in der die Gesellschaft hauptsächlich tätig sein wird. Der 1975 eingeführte neue CBCA hatte eine erhebliche Harmonisierung des kanadischen Gesellschaftsrechts zur Folge, da einige Provinzen in weiten Teilen die neuen Regelungen des Bundes übernahmen und die Gesetzgeber der anderen Provinzen sich stark am neuen Gesetz anlehnten. Aus diesem Grunde werden hier bezüglich der Kapitalgesellschaften nur die Normen des CBCA angeführt. Des Weiteren bestehen wesentliche Übereinstimmungen mit dem US-amerikanischen Aktiengesellschaftsrecht, vor allem was die Organisationsstruktur angeht.

6.316

Für Personengesellschaften steht die Rechtsetzungsbefugnis demgegenüber ausschließlich den Provinzen zu, welche entsprechende Gesetze erlassen haben; allerdings kommt diesen Gesellschaftsformen nur eine untergeordnete Bedeutung zu, da bereits für kleinste Unternehmen die Rechtsform der Aktiengesellschaft gewählt wird.

6.317

aa) Vertretungsberechtigte Organe - General Partnership/Société en nom collectif Eine general partnership entsteht dann, wenn mindestens zwei Personen sich zusammenschließen, um als Miteigentümer ein auf Dauer angelegtes Erwerbsgeschäft zu betreiben. Diese Gesellschaftsform wird geregelt in den jeweiligen Partnership Acts der Provinzen bzw. in den Art. 2198 bis 2235 des Code Civil du Québec (CCQ). Dabei ist jeder Partner ein general partner, dh. ein persönlich haftender Gesellschafter, welcher grds. auch geschäftsführungs- und vertretungsbefugt ist (z.B. Art. 2215 CCQ, s. 2 (e) New-Brunswick Partnership Act). Gehört das von einem Partner abgeschlossene Geschäft jedoch nicht zum gewöhnlichen Betrieb der Gesellschaft, so wird die Gesellschaft nicht verpflichtet. Vielmehr bedarf es bei grundlegenden Angelegenheiten, die über den gewöhnlichen Umfang hinausgehen, der Einwilligung aller Partner, welche auch nachträglich erteilt werden kann. Zwar können auch sog. Administrators, die nicht selbst Gesellschafter sein müssen, als Geschäftsführer bestellt werden. GegenHausmann | 589

6.318

§ 6 Rz. 6.318 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

über gutgläubigen Dritten gilt jedoch auch für diesen Fall weiterhin jeder Gesellschafter als Vertreter der Gesellschaft (Art. 2219 CCQ). Die partnership besitzt keine eigene Rechtspersönlichkeit; allerdings sehen die einschlägigen Gesetze vor, dass die Gesellschaft im eigenen Namen Geschäfte abschließen sowie klagen und verklagt werden kann. - Limited (Special) Partnership/Société en commandite

6.319

Die limited partnership ist eine Gesellschaft, der mindestens ein „general partner“ und mindestens ein „limited (special) partner“ angehören. Sie wird geregelt in den Partnership Acts oder in speziellen Limited (Special) Partnership Acts der Provinzen bzw. in Art. 2236 bis 2249 CCQ. Die Gesellschaft wird von den persönlich haftenden Gesellschaftern geführt und vertreten. Die „limited partners“ sind dagegen von der Geschäftsführung und Vertretung ausgeschlossen und haften nur bis zur Höhe ihrer Einlage. Handeln sie dennoch, so haften sie jedoch mindestens für die aus dieser Handlung entstehenden Verbindlichkeiten (Art. 2244 CCQ). - Business Corporation/Société par actions

6.320

Die business corporation ist die bei weitem häufigste Gesellschaftsform des kanadischen Gesellschaftsrechts, da auch kleine Unternehmen als Aktiengesellschaften, sog. „closely-held corporations“, gegründet werden. Die business corporation besitzt eigene Rechtspersönlichkeit, kann also Träger von Rechten und Pflichten sein sowie im eigenen Namen klagen und verklagt werden, wobei sich die Haftung auf das Gesellschaftsvermögen begrenzt. Das für die Geschäftsführung und Vertretung einer business corporation zuständige Organ ist grundsätzlich der board of directors („conseil d´administration“), der als ein einheitliches Kollegialorgan nach dem Prinzip der Gesamtvertretung handelt (Art. 102 Abs. 1 CBCA). Damit sind also nicht die einzelnen „directors“/„administrateurs“ vertretungsberechtigt; vielmehr bedarf es eines mit Mehrheit gefassten Beschlusses des board. Allerdings können die Direktoren die Geschäftsführungsbefugnis für bestimmte Geschäfte, mit Ausnahme der in Art. 115 Abs. 3 CBCA aufgezählten, auch einem „managing director“ oder einem „committee“ übertragen (Art. 115 Abs. 1 CBCA). In solchen Fällen genügt dann ein entsprechender Beschluss des für das bestimmte Geschäft zuständigen Ausschusses.

6.321

In größeren Gesellschaften erfolgt allerdings die Führung des Tagesgeschäfts nicht durch den „board of directors“ selbst, sondern wird auf leitende Angestellten der Gesellschaft, die unmittelbar vom board of directors bestellten sog. „officers“ übertragen (Art. 121a CBCA), wobei auch „directors“ zu „officers“ ernannt werden können. Damit leitet sich die Geschäftsführungsund Vertretungsbefugnis der „officers“ von derjenigen der directors ab. Beschränkungen ihrer Vertretungsmacht können sich deswegen aus den sog. „articles of incorporation“ („statut d´incorporation“; in manchen Provinzen auch „memorandum of association“), den „by-laws“ der Gesellschaft oder auch aus einstimmigen Aktionärsbeschlüssen ergeben. Im Übrigen gelten für das Verhältnis der officers zum board of directors die allgemeinen Regeln des Vertretungsrechts („agency“). Danach besitzen die Inhaber bestimmter Ressorts („officers“), die im Geschäftsverkehr üblicherweise mit gewissen Kompetenzen verbunden sind, eine entsprechende Vertretungsmacht kraft Amtes („inherent authority“). So hat der „Chief Executive Officer“ (CEO) Vertretungsmacht für alle Rechtsgeschäfte des üblichen Geschäftsgangs der Gesellschaft („ordinary business transactions“). Für darüber hinausgehende außergewöhnliche Angelegenheiten, welche nicht zum Tagesgeschäft gehören (z.B. Immobiliengeschäfte, Führung von Rechtsstreitigkeiten u.Ä.), bedarf er hingegen einer besonderen Vollmacht des „board of directors“.

6.322

Die ultra-vires-Lehre spielt im kanadischen Gesellschaftsrecht keine große Rolle mehr, da die neueren Gesetze den Kapitalgesellschaften grds. die Fähigkeiten von natürlichen Personen ver590 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.325 § 6

leihen (Art. 15 Abs. 1 CBCA). Zwar ist es weiterhin möglich, anlässlich der Gründung oder nachträglich in den articles oder den by-laws, den Gesellschaftszweck ausdrücklich einzugrenzen, doch haben solche Beschränkungen keinerlei Außenwirkung gegenüber gutgläubigen Dritten (Art. 16 Abs. 3 und Art. 17 CBCA) und sind nur noch im Hinblick auf die Haftung der für die Gesellschaft Handelnden im Innenverhältnis von Bedeutung. bb) Nachweis der Vertretungsmacht Bei den Personengesellschaften sehen grundsätzlich entweder die Partnership Acts oder spezielle Registrierungsgesetze der Provinzen vor, dass die Gesellschaft unter Mitteilung bestimmter Unternehmensinformationen wie Sitz, Name der Gesellschaft sowie Namen der Gesellschafter, in einem bestimmten Register einzutragen ist (s. z.B. den Ontario Corporations Information Act sowie die Loi sur la publicité légale des entreprises individuelles, des sociétés et des personnes morales). Von einer solchen Verpflichtung sind in manchen Provinzen meist nicht gewerblich tätige General Partnerships ausgenommen; für Limited Partnerships gilt das Eintragungserfordernis dagegen durchgehend. Wurde eine Limited Partnership nicht eingetragen, kann sich ein Kommanditist nicht auf seine beschränkte Haftung berufen (s. z.B. Art. 1289 CCQ). Dennoch kann es notwendig sein, auf eine beglaubigte Abschrift des Gesellschaftsvertrages zurückzugreifen, um zu ermitteln, ob ein Geschäft zur üblichen Geschäftstätigkeit der Gesellschaft gehört. Wurde dagegen ein Geschäftsführer eingesetzt, so ist der entsprechende Bestellungsakt heranzuziehen.

6.323

Für eine business corporation müssen die „Articles of incorporation“ (Satzung) nach der Gründung bei der zuständigen Stelle der Gründungsprovinz oder der Bundesverwaltung hinterlegt werden. Anschließend wird eine Gründungsurkunde („certificate of incorporation“) ausgestellt sowie die Gesellschaft in ein Register aufgenommen. Des Weiteren sind alle Gesellschaften verpflichtet, der zuständigen Behörde der jeweiligen Provinz, in der sie tätig sind, regelmäßig bestimmte Informationen über die Gesellschaft mitzuteilen. Eine Einsichtnahme in diese Unternehmensregister ermöglicht es, die jeweils amtierenden Direktoren zu ermitteln. Vor einer Beschränkung von deren Vertretungsmacht in den „Articles“, „by-laws“ oder einstimmigen Aktionärsbeschlüssen sind Dritte insoweit geschützt, als sie davon keine Kenntnis haben müssen, und zwar auch dann nicht, wenn die betreffenden Angaben sich in Dokumenten befinden, welche anlässlich der Gründung oder zu einem späteren Zeitpunkt eingereicht worden sind (Art. 17, 16 CBCA).

6.324

Einen sicheren Nachweis der Vertretungsmacht von officers können hingegen nur Abschriften von Beschlüssen des board of directors oder Abschriften der by-laws erbringen, aus denen die Bevollmächtigung bestimmter Personen hervorgeht. Allerdings sind Dritte wiederum insoweit geschützt, als sie darauf vertrauen können, dass sowohl „directors“ als auch „officers“ der Gesellschaft über Befugnisse verfügen, welche solchen Personen entsprechend ihrer Stellung oder dem Tätigkeitsbereich der Gesellschaft üblicherweise zustehen (Art. 18 (d) CBCA). Eine über dieses Maß hinausgehende Beschränkung ihrer Befugnisse kann die Gesellschaft einem Dritten gegenüber nicht entgegenhalten.

6.325

c) Liechtenstein Literatur: Bauer, Trust und Anstalt als Rechtsformen liechtensteinischen Rechts (1995); Böckler/Burger/Goop, Gesellschaften und Steuern in Liechtenstein (Vaduz 2000); Löffler, Reform des liechtensteinischen Gesellschaftsrechts, DNotZ 1981, 531; Marxer (Hrsg.), Liechtensteinisches Wirtschaftsrecht (2010); Marxer, Gesellschaften und Steuern in Liechtenstein, 13. Aufl. 2003; Schurr, Rechtliche Aus-

Hausmann | 591

§ 6 Rz. 6.325 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis gestaltungsmöglichkeiten und Anwendungsbereiche des Trust in Liechtenstein, ZStV 2017, 12; Schwärzler/Wagner, Verantwortlichkeit im liechtensteinischen Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2012; Wagner, Gesellschaftsrecht in der Schweiz und Liechtenstein, 3. Aufl. 2007; Wagner/Plüss, Handels- und Gesellschaftsrecht in der Schweiz und Liechtenstein, 3. Aufl. 2006; Wagner/Schwärzler, Liechtenstein (Rz. 1-102), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Wanger, Liechtensteinisches Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht: Aktiengesellschaft, Anstalt, Stiftung, Trust, Treuunternehmen, 4. Aufl. 2000.

6.326

Das liechtensteinische Recht der Handelsgesellschaften ist geregelt im Personen- und Gesellschaftsrecht (PGR) vom 20.1.1926. Gem. § 180a PGR muss – unabhängig von der Rechtsform der Verbandsperson – ein zur Vertretung befugtes Mitglied Liechtensteiner mit Wohnsitz im Inland sein, der die berufliche Zulassung als Rechtsanwalt, Rechtsagent, Treuhänder oder Buchprüfer oder eine von der Regierung anerkannte kaufmännische Befähigung besitzt oder zu einer der genannten Personen in einem hauptberuflichen Dienstverhältnis steht. Gleichgestellt sind Ausländer mit Niederlassungsrecht in Liechtenstein, die eine gleichwertige Qualifikation vorweisen können1. aa) Vertretungsberechtigte Organe - Kollektivgesellschaft (KollektG)

6.327

Zur Vertretung der KollektG ist grundsätzlich jeder Gesellschafter einzeln berechtigt (Art. 698 Abs. 2 PGR). Abweichende Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag (Gesamtvertretung durch mehrere Gesellschafter oder einen Gesellschafter mit einem Prokuristen; Betrauung eines Nichtgesellschafters mit der Vertretung unter Ausschluss sämtlicher Gesellschafter) sind jedoch zulässig, wirken Dritten gegenüber aber nur, wenn sie im Öffentlichkeitsregister eingetragen sind oder wenn der Dritte davon tatsächlich Kenntnis hatte (Art. 699, 1000 PGR).

6.328

Der Umfang der Vertretungsbefugnis ist durch den Gesellschaftszweck begrenzt (Art. 698 Abs. 1 PGR). Darüber hinaus kann die Vertretungsbefugnis im Gesellschaftsvertrag auf eine einzelne (Haupt- oder Zweig-) Niederlassung beschränkt werden. Auch diese Beschränkung ist gutgläubigen Dritten gegenüber jedoch nur wirksam, wenn die notwendigen Publizitätsvorschriften eingehalten worden sind (Art. 699 Abs. 2 PGR). Weitergehende Beschränkungen des Umfangs der Vertretungsbefugnis (z.B. auf bestimmte Arten von Geschäften) sind unzulässig. - Kommanditgesellschaft (KG)

6.329

Die KG wird durch den oder die unbeschränkt haftenden Gesellschafter vertreten, sofern nichts anderes vereinbart ist (Art. 740 Abs. 1 PGR). Die Vertretungsbefugnisse richten sich nach den Vorschriften über die KollektG (Art. 740 Abs. 2 i.V.m. Art. 698 ff. PGR). - Aktiengesellschaft (AG)

6.330

Die Vertretung der AG im Rechtsverkehr mit Dritten steht der Verwaltung zu. Ist die Verwaltung mehreren Personen anvertraut, so bilden diese einen Verwaltungsrat (Art. 344 Abs. 1 PGR). Beträgt das Grundkapital der AG mehr als eine Million Franken, so muss grundsätzlich ein Verwaltungsrat von mindestens drei Mitgliedern bestehen (Art. 344 Abs. 2 PGR). Eine Übertragung der Vertretungsbefugnis auf einzelne Mitglieder des Verwaltungsrats (Delegierte) oder auf Nichtgesellschafter (Direktoren) ist möglich (Art. 348 PGR) und wird häufig vorgenommen. 1 IPG 1970 Nr. 2 (München) und IPG 1975 Nr. 1 (Hamburg): Beide zur liechtenstein. Stiftung.

592 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.335 § 6

Ob Einzel- oder Gesamtvertretung gilt, ergibt sich regelmäßig aus der Satzung. Fehlt es an einer diesbezüglichen Eintragung im Öffentlichkeitsregister, so ist zur wirksamen Vertretung der AG die Mitwirkung und Unterschrift von mindestens zwei Mitgliedern des Verwaltungsrats notwendig (Art. 188 Abs. 3 PGR).

6.331

Der Umfang der Vertretungsmacht ist auch gutgläubigen Dritten gegenüber durch den Gesellschaftszweck begrenzt (Art. 187 Abs. 1 PGR). Weitergehende Beschränkungen der Vertretungsmacht wirken Dritten gegenüber nur gem. den Vorschriften über die KollektG (Art. 187 Abs. 3 i.V.m. Art. 698 ff. PGR).

6.332

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) Die GmbH wird – ähnlich wie im Schweizer Recht (dazu Rz. 7.354) – grundsätzlich durch alle Gesellschafter gemeinsam im Rechtsverkehr mit Dritten vertreten (Art. 397 Abs. 1 PGR). Abweichende Vereinbarungen in der Satzung oder durch Gesellschafterbeschluss sind jedoch zulässig. Die Übertragung der Vertretungsbefugnis auf einen oder mehrere Gesellschafter (Art. 347 Abs. 2 PGR) bzw. Nichtgesellschafter (Art. 398 PGR) wirkt gutgläubigen Dritten gegenüber jedoch nur, wenn sie eingetragen ist. In Bezug auf den Umfang der Vertretungsmacht gelten die gleichen Grundsätze wie bei der AG (Art. 187 Abs. 3 i.V.m. Art. 699 PGR). In der liechtensteinischen Praxis spielt die GmbH wegen der strengen Publizitätsvorschriften keine Rolle.

6.333

- Anstalt Die privatrechtliche Anstalt wird im Rechtsverkehr mit Dritten durch die Verwaltung vertreten. Besteht die Verwaltung aus mehreren Personen, so ist – mangels abweichender Eintragung im Öffentlichkeitsregister – zur Vertretung der Anstalt die Mitwirkung von mindestens zwei Verwaltungsratsmitgliedern notwendig (Art. 188 Abs. 3 PGR). Der Umfang der Vertretungsbefugnis ist gutgläubigen Dritten gegenüber durch den Anstaltszweck begrenzt (Art. 187 Abs. 1 PGR). Weitergehende Beschränkungen wirken Dritten gegenüber nur gem. den Vorschriften über die KollektG (Art. 187 Abs. 3 i.V.m. Art. 698 ff. PGR)1.

6.334

bb) Nachweis der Vertretungsmacht In Liechtenstein wird ein dem deutschen Handelsregister vergleichbares Öffentlichkeitsregister beim Registeramt in Vaduz geführt (Art. 956 PGR). Das Register ist öffentlich; amtliche Abschriften und Registerauszüge werden gegen Gebühr erteilt (Art. 997, 998 PGR); sie sind auch online abrufbar unter: http://www.oera.li und bieten einen hinreichenden Schutz des mit liechtensteinischen Gesellschaften verkehrenden Publikums (vgl. Art. 1000 ff. PGR). Keine Auszüge werden für Stiftungen erteilt, weil diese nicht eintragungspflichtig sind. d) Russische Föderation Literatur: Arzinger/Galander, Russisches Wirtschaftsrecht (2002); Ax/Seidenberg, Investments in the Russian Federation and Ukraine – A Law Handbook (2006); Bauer, GmbH und Aktiengesellschaft im neuen russischen Zivilgesetzbuch – Eine kurze Einführung, WiRO 1995, 97; Bauer-Mitterlehner/Karimullin/Micheler, Einführung in das russische Aktienrecht, FOWI-Arbeitspapier 101 (2003); Becker, Gesellschaftsrecht in Russland (1998); Boes, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung im russischen und deutschen Recht (2007); Boes, Beschränkungen der Vertretungsmacht von Organen russischer 1 IPG 1970 Nr. 1 (Hamburg) und IPG 1976 Nr. 20 (Hamburg): Beide zur liechtenstein. Anstalt.

Hausmann | 593

6.335

§ 6 Rz. 6.335 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis Aktiengesellschaften, RIW 2008, 841; Brendel, Handelsgesellschaften in der Russischen Föderation, in: Gralla/Sonnenberger, Handelsgesellschaften in Osteuropa (1993), S. 167; Bundesstelle für Außenhandelsinformationen (Hrsg.), Recht kompakt – Russische Föderation (2007); Göckeritz/Wedde, Das neue russische GmbH-Recht (2009); Görlitz, Russland (Rz. 1-146), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016; Grub, Vertragsschluss mit russischen Kapitalgesellschaften, WiRO 1999, 281; Gutbrod, Das neue russische Aktienrecht, WiRO 1996, 29; Heidemann, Die GmbH in der Russischen Föderation, GmbHR 2002, 732; Holloch, Das neue russische Wirtschaftsrecht, insbesondere das Gesellschaftsrecht, in: F. C. Schroeder, Die neuen Kodifikationen in Russland (1999), S. 39; Holloch, Neuregelung des russischen GmbH-Rechts, OstEuR 1998, 84; KnaulHeeg, Das neue russische GmbH-Gesetz, ROW 1998, 147; Kruse, Die personalistische Kapitalgesellschaft russischen Rechts (2002); Lenga, Russische Föderation: Gesellschaftsrechtliche Bestimmungen im Ersten Teil des ZGB (Art. 48–106), WiRO 1995, 221; Lukas/Maltsev, The development of corporate law in the former Soviet Republics, I.C.L.Q. 1996, 365; Micheler, Das neue russische Aktiengesetz im Überblick, WiRO 1996, 81; Micheler, Das neue russische GmbH-Gesetz im Überblick, WiRO 1998, 161; Radjuk, Das neue russische GmbH-Rec ht, RIW 2009, 592; Schmitt/Vogt, Stärkung der Rechte von Aktionären – Reform des russischen Aktiengesetzes, RIW 2002, 762; Schwarz/Balayan, Russische Föderation: GmbH-Gesetz, WiRO 1998, 251; Seiffert, Die GmbH in der neuen russischen Rechtsordnung, ZEuP 1999, 931; Steininger/Olejnik, Die GmbH und die russische OOO im Vergleich, Teil 1, WiRO 2017, 129; Teil 2, WiRO 2017, 172; Thiel, Joint Ventures in der Russischen Föderation (1995).

6.336

Am 21.10.1994 hat die Staatsduma Russlands mit dem Ersten Teil des neuen Zivilgesetzbuchs (ZGB) das seit Beginn der Wirtschaftsreformen bedeutendste Gesetzeswerk verabschiedet. Das ZGB enthält in seinem Kap. 4 (Juristische Personen, Art. 48 ff.; deutscher Text in WOS Russland III 1) die Grundlagen des Handelsgesellschaftsrechts. Das ZGB wird ergänzt durch Spezialgesetze, wie das Gesetz über Aktiengesellschaften vom 26.12.1995, das GmbH-Gesetz vom 19.2.1998 sowie das Föderale Gesetz Nr. 129-FZ über die Registrierung juristischer Personen und Einzelunternehmen vom 8.8.2001 (vgl. Art. 51 Abs. 1 ZGB). Das russische Aktiengesetz wurde durch Gesetz vom 7.8.2001 umfassend überarbeitet; die Änderungen sind zum 1.1.2002 in Kraft getreten. aa) Vertretungsberechtigte Organe - Vollgesellschaft (polnoje towarischtscestvo, PT)

6.337

Die der deutschen OHG entsprechende Vollgesellschaft ist in Art. 69–78 ZGB geregelt. Ergänzend kommen die in den Art. 48–68 ZGB enthaltenen allgemeinen Regelungen über Handelsgesellschaften und juristische Personen zur Anwendung. Gemäß Art. 72 Abs. 1 ZGB ist jeder Gesellschafter berechtigt, im Namen der Gesellschaft zu handeln, soweit im Gründungsvertrag nicht festgelegt ist, dass nur sämtliche Gesellschafter gemeinsam zur Vertretung berechtigt sind oder einzelne Gesellschafter von der Vertretung ausgeschlossen sind. Ist Gesamtvertretung vereinbart, so ist für die Vornahme eines jeden Rechtsgeschäfts das Einverständnis aller Gesellschafter erforderlich (Art. 72 Abs. 2 ZGB).

6.338

Dritten gegenüber ist die Gesellschaft nicht berechtigt, sich auf Beschränkungen der Vertretungsbefugnisse eines Gesellschafters im Gründungsvertrag zu berufen, es sei denn, der Dritte hätte diese Beschränkungen im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts gekannt oder offensichtlich kennen müssen (Art. 72 Abs. 4 ZGB). - Gesellschaft auf Vertrauen (towarischtscestvo na vere, TV)

6.339

Die der deutschen KG entsprechende „Gesellschaft auf Vertrauen“ ist in Art. 82–86 ZGB geregelt. Daneben sind die allg. Vorschriften über Handelsgesellschaften und juristische Personen zu beachten. Nach Art. 84 Abs. 1 ZGB obliegt die Leitung und Vertretung der Gesellschaft 594 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.344 § 6

den unbeschränkt haftenden (Voll-) Gesellschaftern nach Maßgabe der Vorschriften über die Vollgesellschaft. Die nur beschränkt auf ihre Einlage haftenden Gesellschafter, die sog. „Anleger“, sind von der Geschäftsführung ausgeschlossen und nur auf Grund einer Vollmacht berechtigt, die Gesellschaft im Rechtsverkehr mit Dritten zu vertreten (Art. 84 Abs. 2 ZGB). - Aktiengesellschaft (akzionernoje obscestvo, AO) Bezüglich der Aktiengesellschaft enthält das ZGB in Art. 96–104 lediglich einige grundlegende Bestimmungen. Die Regelung der Einzelheiten blieb dem Gesetz über Aktiengesellschaften vorbehalten. Dieses Gesetz wurde am 26.12.1995 vom russischen Parlament verabschiedet und ist am 1.1.1996 in Kraft getreten (deutscher Text in WOS Russland III 3a).

6.340

Zur Geschäftsführung in der AG ist nach Art. 103 Abs. 3 ZGB ein Kollegialorgan (Vorstand, Direktorium) und/oder ein Einzelorgan (Direktor, Generaldirektor) berechtigt. Die nähere Regelung der Zuständigkeit und der Befugnisse des Verwaltungsorgans der AG einschließlich der Vertretungsbefugnis blieb dem Aktiengesetz vorbehalten (Art. 103 Abs. 4 ZGB). Dieses weist die Geschäftsführung der AG entweder einem individuellen Vollzugsorgan (Direktor, Generaldirektor) oder diesem individuellen Vollzugsorgan zusammen mit einem kollegialen Vollzugsorgan (Vorstand, Direktorium) zu, Art. 69 Abs. 1 AktG. Zur gesetzlichen Vertretung der Gesellschaft ist aber nach Art. 69 Abs. 2 S. 3 AktG nur das individuelle Vollzugsorgan berechtigt; allein der Direktor bzw. Generaldirektor darf hiernach Rechtsgeschäfte im Namen der Gesellschaft abschließen.

6.341

Hinsichtlich der Vertretungsmacht des Vorsitzenden und der weiteren Mitglieder eines daneben bestellten Kollegialorgans schweigt das Gesetz, so dass insoweit auf die Satzung zurückzugreifen ist. Zu den satzungsmäßigen Beschränkungen der Vertretungsmacht und zum Gutglaubensschutz Dritter gilt das anschließend zur GmbH Gesagte entsprechend (vgl. Rz. 6.343 ff.). Auch bei der Aktiengesellschaft finden sich gesetzliche Einschränkungen der Vertretungsmacht in Form eines Zustimmungserfordernisses für Großgeschäfte (Art. 78 f. AktG) sowie für Geschäfte, an denen Mitglieder der Gesellschaftsleitung oder einzelne Aktionäre ein persönliches Interesse haben (Art. 81 ff. AktG).

6.342

- Gesellschaft mit beschränkter Haftung (obscestvo s ogranicennoj otvetstvennostju, OOO) Auch bezüglich der GmbH enthält das ZGB im 4. Kap. (Art. 87–94) sowie in den jeweiligen Abschnitten über die Handelsgesellschaften und die juristischen Personen (Art. 48–68 ZGB) nur die grundlegenden Vorschriften. Die Regelung der Einzelheiten erfolgte im GmbH-Gesetz vom 19.2.1998, das am 1.3.1998 in Kraft getreten ist (deutscher Text in WOS Russland III 3d).1

6.343

Nach Art. 91 Abs. 1 ZGB wird in der GmbH ein aus mehreren und/oder ein aus einer einzelnen Person bestehendes Exekutivorgan gebildet, das die laufenden Geschäfte führt. Nach Art. 40 Abs. 1 GmbHG wählt die Gesellschafterversammlung für die in der Satzung bestimmte Zeit einen „alleinigen Geschäftsführer“ (Generaldirektor, Präsident), der kein Gesellschafter zu sein braucht. Dieser alleinige Geschäftsführer ist nach Art. 90 Abs. 3 Nr. 1 GmbHG zur gesetzlichen Vertretung der Gesellschaft berechtigt.

6.344

1 Zu Einzelheiten Steininger/Olejnik, WiRO 2017, 129 (134 f).

Hausmann | 595

§ 6 Rz. 6.345 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.345

Die Satzung kann freilich neben dem alleinigen Geschäftsführer noch die Errichtung eines geschäftsführenden Kollegialorgans (Vorstand, Direktorium) vorsehen, Art. 41 Abs. 1 S. 1 GmbHG. Die Aufgaben des Vorsitzenden dieses Geschäftsführerkollegiums werden dabei vom alleinigen Geschäftsführer wahrgenommen, der auch insoweit zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt ist, Art. 41 Abs. 1 S. 4 GmbHG. Die Gesellschaft ist allerdings berechtigt, die Befugnisse ihres alleinigen Geschäftsführers durch Vertrag auf einen sog. Verwalter zu übertragen, Art. 42 GmbHG.

6.346

Die Vertretungsbefugnis der weiteren Vorstandsmitglieder des Kollegialorgans ist nicht gesetzlich geregelt. Ob eine solche besteht und wie sie ausgestaltet ist, ergibt sich aus der Satzung. Die satzungsmäßigen Beschränkungen der Vertretungsbefugnis der Unternehmensleitung wirken grundsätzlich auch gegenüber Dritten, es sei denn, diese waren hinsichtlich der unbeschränkten Vertretungsmacht ihrer Vertragspartner gutgläubig, Art. 174 ZGB. Dabei sind diesem Gutglaubensschutz enge Grenzen gezogen, denn er greift nur ein, wenn der Dritte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt hat walten lassen; dies setzt voraus, dass er sich über mögliche Beschränkungen der Vertretungsmacht informiert hat. Nach der russischen Rechtsprechung wird ein Kennenmüssen von Beschränkungen schon dann angenommen, wenn im Vertragstext auf die Satzung der Gesellschaft Bezug genommen wird.

6.347

Neben möglichen satzungsmäßigen sind auch einige gesetzliche Beschränkungen der Vertretungsmacht zu beachten. So verlangt Art. 46 GmbHG eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung bei sog. Großgeschäften, d.h. wenn es um den Erwerb oder die Veräußerung von Vermögenswerten geht, deren Volumen mehr als 25 % des Gesellschaftsvermögens beträgt. Bei Verletzung dieses Erfordernisses können die Gesellschaft oder einzelne Gesellschafter im Klagewege die Unwirksamkeit des Geschäftes erwirken. In der Satzung kann allerdings von diesem Zustimmungserfordernis bei Großgeschäften abgesehen werden, Art. 46 Abs. 6 GmbHG. Ebenso ist eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung notwendig bei Geschäften, an denen Mitglieder der Geschäftsführung oder einzelne Gesellschafter ein eigenes persönliches Interesse haben, Art. 45 GmbHG, es sei denn, es handelt sich um ein gewöhnliches Tagesgeschäft der laufenden Verwaltung. bb) Nachweis der Vertretungsmacht

6.348

Nach Art. 51 Abs. 1 ZGB unterliegen sämtliche juristische Personen der staatlichen Registrierung bei Justizorganen. Die Angaben zur staatlichen Registrierung werden ferner in ein einheitliches staatliches Register für juristische Personen aufgenommen, das zur allgemeinen Einsicht ausliegt. Die Einzelheiten sollen in einem Gesetz über die Registrierung von juristischen Personen geregelt werden. Bis zum Erlass dieses Gesetzes richtet sich die Registrierung nach dem derzeit geltenden Registrierungsverfahren (Art. 8 EG-ZGB i.V.m. Art. 34, 35 UnternehmensG)1. Dennoch ist der Nachweis der Vertretungsmacht außerordentlich schwierig, da die Zusammensetzung des geschäftsführenden Organs sowie die Regelung der Vertretungsmacht nicht in das Register eingetragen werden. Daher ist zur Prüfung der Vertretungsmacht die Einsicht in die Gründungsdokumente der Gesellschaft sowie die Vorlage der Gesellschafterbeschlüsse bezüglich Berufung und Abberufung sowie die Kompetenzen von Geschäftsführungsmitgliedern erforderlich. Auch das Registrierungsgesetz vom 8.8.2001 (Rz. 6.336) bringt hierzu keine Abhilfe. Online können Unternehmensdaten unter http://egrul.nalog.ru oder www.siora.ru abgerufen werden.

1 Vgl. Pfaff/Märkl, WiRO 1995, 282.

596 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.352 § 6

e) Schweiz Literatur: Ammann, Die Reform des schweizerischen GmbH-Rechts, RIW 2007, 735; Bärtschi, Neues GmbH-Recht in der Schweiz, NotBZ 2008, 50; Baudenbacher, Grundzüge des Gesellschaftsrechts, 4. Aufl. 1999; Böckli, Schweizer Aktienrecht, 4. Aufl. (Zürich/Basel/Genf 2009); Drenckhan, Die Schweizer GmbH-Reform 2007, GmbHR 2006, 1190; Druey, Die personalistische Aktiengesellschaft in der Schweiz, AGs 1995, 545; Fasel, Das aktuelle Schweizerische Aktienrecht (5 Bde., Loseblatt); Forstmoser, Die Schweizer Aktienrechtsreform, ZGR 1992, 232; Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches Aktienrecht (Bern 1996); Forstmoser/Peyer/Schott, Das neue Recht der GmbH (Zürich 2006); Handschin/Truniger, Die neue GmbH (Zürich 2006); Homburger, Leitfaden zum neuen Aktienrecht (Zürich 1991); Koralnik, La publicité comparative en droit suisse et en droit européen, Schweiz AG 2000, 111; Kronke, Schweizerische AG & Co. KG – Jüngste Variante der „ausländischen Kapitalgesellschaft & Co“, RIW 1990, 799; Küng, GmbH-Gründung und Führung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Basel/Genf/München 2005); Meier, Die schweizerische Aktiengesellschaft, 2. Aufl. (1994); Meier-Hayoz/Forstmoser, Schweizerisches Gesellschaftsrechts, 10. Aufl. (Bern 2007); Meier-Schatz, Die GmbH und ihre Reform – Perspektiven aus der Sicht der Praxis (Zürich 2000); Nobel, Klein-AG und GmbH in der Schweiz, FS Großfeld (1999), S. 791; Schindler/Töndury, Schweiz (Rz. 1.202), in: Süß/ Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016, S. 1495; Sethe, Die Kommanditgesellschaft als Stiefkind der Schweizer Aktienrechtsrevision, RIW 1993, 561; Wagner, Gesellschaftsrecht in der Schweiz und in Liechtenstein, 3. Aufl. 2007.

Das schweizerische Recht der Handelsgesellschaften ist in der 3. Abteilung des schweizerischen Obligationsrechts (OR) geregelt. Der Abschnitt über die Aktiengesellschaft ist durch Bundesgesetz vom 4.10.1991 neu gefasst worden.

6.349

aa) Vertretungsberechtigte Organe - Kollektivgesellschaft (KollektG) Grundsätzlich ist jeder Gesellschafter einzeln vertretungsberechtigt. Eine abweichende Regelung (gemeinsame Vertretung durch mehrere Gesellschafter oder durch einen Gesellschafter und einen Prokuristen, vgl. Art. 555 OR) wird häufig vereinbart, kann Dritten jedoch nur entgegengehalten werden, wenn sie aus dem Handelsregister ersichtlich ist (Art. 563 OR). Der Umfang der Vertretungsmacht wird durch den Gesellschaftszweck beschränkt (Art. 564 Abs. 1 OR); eine weitergehende Beschränkung des Umfangs der Vertretungsbefugnis hat gutgläubigen Dritten gegenüber keine Wirkung (Art. 564 Abs. 2 OR).

6.350

- Kommanditgesellschaft (KG) Vertretungsberechtigt sind die persönlich haftenden Gesellschafter, und zwar jeder einzeln. Für sie gelten die Regeln über die Vertretung bei der Kollektivgesellschaft entsprechend (Art. 603 OR). Die Kommanditisten sind von der Vertretung ausgeschlossen (Art. 605 OR).

6.351

- Aktiengesellschaft (AG) Die AG, als Rechtsform in der Schweiz auch von kleinen Unternehmen gegenüber der GmbH bevorzugt, wird durch den Verwaltungsrat im Rechtsverkehr mit Dritten vertreten (Art. 718 Abs. 1 Satz 1 OR). Dieser besteht aus einem oder mehreren Mitgliedern, die Aktionäre sein müssen (Art. 707 Abs. 1 OR). Mangels abweichender Bestimmung in der Satzung oder in der Geschäftsordnung des Verwaltungsrats (Organisationsreglement) gilt – abweichend vom bisherigen Recht (Art. 717 Abs. 3 OR a.F.) – der Grundsatz der Einzelvertretung (Art. 718 Abs. 1 Satz 2 OR). Der Verwaltungsrat kann die Vertretung einem oder mehreren Mitgliedern (Delegierten) oder Dritten (Direktoren) übertragen (Art. 718 Abs. 2 OR); jedoch muss mindestens ein Mitglied des Verwaltungsrats vertretungsbefugt sein (Art. 718 Abs. 3 OR). Die VertreHausmann | 597

6.352

§ 6 Rz. 6.352 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

tungsmacht kann einzelnen Verwaltungsratsmitgliedern (Delegierten) oder dritten Personen, die nicht Aktionäre zu sein brauchen (Direktoren), übertragen werden (Art. 717 Abs. 2 OR). Diese Vertretungsbefugnis ist aus dem Handelsregister zu entnehmen (Art. 720 OR).

6.353

Die zur Vertretung befugten Personen können im Namen der Gesellschaft alle Rechtshandlungen vornehmen, die der Zweck der Gesellschaft mit sich bringt (Art. 718a Abs. 1 OR); eine Beschränkung der Vertretungsbefugnis durch den Gesellschaftszweck hat jedoch gutgläubigen Dritten gegenüber keine Wirkung. Demgegenüber wirken die Bestimmungen über die ausschließliche Vertretung der Hauptniederlassung oder einer Zweigniederlassung oder über die Gesamtvertretung der Gesellschaft auch gegen Dritte, soweit sie im Handelsregister verlautbart sind (Art. 718a Abs. 2 OR). - Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH)

6.354

Die GmbH wird – im Gegensatz zu den GmbH-Rechten fast aller übrigen europäischen Staaten – grundsätzlich durch alle Gesellschafter gemeinschaftlich vertreten (Selbstorganschaft, vgl. Art. 811 Abs. 1 OR). Eine abweichende Regelung (insbesondere kann die Vertretungsbefugnis einzelnen Gesellschaftern oder auch Dritten als Geschäftsführer übertragen werden) ist zulässig und aus dem Handelsregister zu ersehen (Art. 811 Abs. 2; 812 OR). Nach der Gründung eingetretene Gesellschafter sind nur auf Grund eines besonderen Gesellschaftsbeschlusses vertretungsbefugt (Art. 811 Abs. 3 OR). Für den Umfang und die Beschränkungen der Vertretungsmacht der Geschäftsführer gelten die gleichen Regeln wie für den Verwaltungsrat der AG (Art. 814 Abs. 1 i.V.m. Art. 718a OR). bb) Nachweis der Vertretungsmacht

6.355

In der Schweiz wird das Handelsregister in den einzelnen Kantonen von verschiedenen Amtsstellen geführt und ist einschließlich der Anmeldungen und Belege öffentlich (vgl. Art. 927 ff. OR). Die Eintragungen für die ganze Schweiz werden im schweizerischen Handelsamtsblatt bekannt gemacht. Handelsregisterauszüge werden direkt vom zuständigen Handelsregisteramt erteilt. Eine Adressenliste der Ämter findet sich unter https://handelsregister-hra.ch oder https://www.zefix.ch. Die Abrufbarkeit im Internet ist in Vorbereitung. Aus den Auszügen lässt sich ersehen, wer zur Vertretung der Gesellschaft befugt ist und welche gesetzlich zulässigen Beschränkungen der Vertretungsmacht bestehen. Bei der AG und GmbH lässt sich auch die allgemeine Bindung der Vertretung an den Zweck der Gesellschaft anhand des Handelsregisters feststellen, da auch der Gegenstand und Zweck dieser Gesellschaften eingetragen werden. f) USA Literatur: Bennett, Die US-Limited Partnership, RIW 1992, 276; Böckmann, Gläubigerschutz bei GmbH und close corporation (2005); Bungert, Die GmbH im US-amerikanischen Recht – Close corporation (1993); Bungert, Die GmbH im US-amerikanischen Recht – Close Corporation, GmbHR 1993, 478; Bungert, Gründung und Verfassung der US-amerikanischen Limited Liability Company, IStR 1993, 128; Bungert, Die Stellung der Limited Liability Company im US-amerikanischen Recht, IStR 1993, 174; Bungert, Deutsch-amerikanisches internationales Gesellschaftsrecht, ZVglRW 93 (1994), 117; Bungert, Die (Registered) Limited Liability Partnership – Neueste Variante des Konzepts der Personengesellschaft in den USA, RIW 1994, 360; Bungert, Recht der Niederlassung ausländischer, insbesondere deutscher Kapitalgesellschaften in den USA, DB 1994, 1457; Bungert, Gesellschaftsrecht in den USA, 3. Aufl. 2003; Carney/Hay, Die Gründung einer Tochtergesellschaft in den U.S.A., 3. Aufl. 2003; Cherry/Graf, Die persönliche Haftung von Vorstandsmitgliedern US-amerikanischer Kapitalge-

598 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.357 § 6 sellschaften, VersR 1992, 550; Cox/Lee/Hazen, Corporations, 2. Aufl. (Loseblatt; Stand: 2014); Eisenberg, Corporations and other business organisations, 9. Auf. (2006); Elsing/Van Alstine, US-amerikanisches Handels- und Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1999; Fleischer, Gläubigerschutz im Recht der Delaware corporation, RIW 2005, 92; Gerber, USA (Rz. 1-189), in: Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 3. Aufl. 2016, S. 1989; Günther, GmbH und U.S.-amerikanische Limited Liability Company. Eine rechtsvergleichende Untersuchung (2007); Hamilton, The Law of Corporations, 5. Aufl. (St. Paul 2000); Hatzis-Schoch, Die Bedeutung von Delaware für das US-amerikanische Gesellschaftsrecht, RIW 1992, 539; Hay, Gesellschafts- und steuerrechtliche Aspekte der Limited Liability Company – Zugleich ein Beitrag zur Qualifizierung ausländischer Rechtsgebilde, RIW 1992, 916; Henn, Agency, partnership and other incorporated business enterprises, 2. Aufl. (St. Paul 1983); Henn/Alexander, Laws of Corporations and other Business Enterprises (St. Paul 1983); Hölscher, Die Professional Corporation – die „amerikanische Form der Partnerschaft“, RIW 1995, 551; Klawitter, Die GmbH & Co. KG im U.S. amerikanischen Recht (1997); Laeger, Deutsch-amerikanisches Internationales Gesellschaftsrecht (2008); Merkt/Göthel, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2006; Paefgen, Eine Morphologie des US-amerikanischen Rechts der Aktiengesellschaft, AG 1992, 133 und 169; Ribstein, Unincorporated business entities, 3. Aufl. 2004; Ries, Entwicklungen im US-amerikanischen Gesellschaftsrecht: Die Limited Liability Company, RIW 1992, 728; von Samson-Himmelstjerna, Persönliche Haftung der Organe von Kapitalgesellschaften – Vergleichende Darstellung von amerikanischem und deutschem Recht, ZVglRW 89 (1990), 288; Tomschin, Die Anerkennung U.S.-amerikanischer Gesellschaften in Deutschland (2011); Turcon/Zimmer (Hrsg.), Grundlagen des US-amerikanischen Gesellschafts-, Wirtschafts-, Steuer- und Fremdenrechts (1994); Veltins, Das Recht der U.S. partnership und limited partnership einschließlich ihrer Besteuerung (1984).

In den USA gibt es kein bundeseinheitliches „amerikanisches“ Gesellschaftsrecht; die Rechtsetzungsbefugnis auf diesem Gebiet ist den Einzelstaaten vorbehalten. Eine bedeutsame Rolle kommt jedoch den Uniform Partnership Acts (U.P.A.) von 1914 und dem Uniform Limited Partnership Act (U.L.P.A.) von 1916 zu, nach deren Vorbild in allen amerikanischen Bundesstaaten mit Ausnahme von Louisiana Gesetze erlassen worden sind. Die einzelstaatlichen Gesetze wurden zwischenzeitlich zumeist an die revidierten Fassungen des U.P.A. von 1997 und des U.L.P.A. von 1976 bzw. 1985 angepasst. Hingegen bestehen im Recht der corporations heute noch z.T. erhebliche Unterschiede, wenngleich auch hier bereits eine gewisse Vereinheitlichung durch Anpassung der einzelstaatlichen Gesetzgebung an den von der American Bar Association ausgearbeiteten Model Business Corporation Act (M.B.C.A.) bzw. an dessen revidierte Fassung von 1984 erreicht worden ist.

6.356

aa) Vertretungsberechtigte Organe - General Partnership (G.P.) Als general partnership bezeichnet man den Zusammenschluss von mindestens zwei Personen, die als Miteigentümer ein auf Dauer angelegtes Erwerbsgeschäft („business for profit“) betreiben (§ 6 Abs. 1 U.P.A., § 101 (6) U.P.A. 1997). Dabei ist jeder Partner ein general partner, d.h. ein persönlich haftender Gesellschafter, der grundsätzlich auch geschäftsführungs- und vertretungsbefugt ist. Die partnership war früher – im Gegensatz zur corporation – keine Rechtsperson, konnte aber im eigenen Namen Geschäfte abschließen (§§ 8, 10, U.P.A.) sowie klagen und verklagt werden. Nach § 201 (a) U.P.A. hat sie auch eine eigene Rechtspersönlichkeit, um den Gesellschafterwechsel zu erleichtern; sie wird daher durch den Tod oder das Austreten eines general partner nicht mehr aufgelöst1. Für – vertragliche wie deliktische – Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften alle Partner gesamtschuldnerisch („jointly and severally“), vgl. § 306a U.P.A. 1997. 1 Merkt/Göthel, Rz. 123.

Hausmann | 599

6.357

§ 6 Rz. 6.358 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

- Limited Partnership (L.P.)

6.358

Die limited partnership ist eine Gesellschaft, der mindestens ein general partner und ein limited partner angehören. Während der general partner unbeschränkt haftet, ist die Haftung des limited partner auf die Höhe seiner Einlage beschränkt. Die Gesellschaft wird von den persönlich haftenden Gesellschaftern vertreten (Einzelvertretung). Die limited partners sind von der Vertretung ausgeschlossen (Art. 10 U.L.P.A. bzw. § 305 R.U.L.P.A.). Handeln sie dennoch, so haften sie jedenfalls gegenüber Personen, die Kenntnis von ihrer Teilnahme an der Geschäftsführung hatten, unbeschränkt (Art. 7 U.L.P.A. bzw. § 303b R.U.L.P.A.). - Limited Liability Partnership (L.L.P.)

6.359

Die limited liability partnership ist eine Sonderform der general partnership, bei der nach Eintragung kein Partner mehr persönlich für unerlaubte Handlungen seiner Mitgesellschafter haftet. Die unbeschränkte Haftung trifft nur die Gesellschaft und den unerlaubt handelnden Partner. Diese Gesellschaftsform bietet sich insbesondere für den Zusammenschluss von Freiberuflern (Ärzten, Rechtsanwälten, Wirtschaftsprüfern) an1. Vertretungsberechtigt sind sämtliche Partner einzeln. - Limited Liability Company (L.L.C.)

6.360

Die neue Gesellschaftsform der limited liability company ist seit 1990 in allen US-Bundesstaaten eingeführt und – z.T. in Anlehnung an den Uniform Limited Liability Company Act (U.L. L.C.A.) von 1995 – gesetzlich geregelt2. Sie verbindet die Vorzüge einer Haftungsbegrenzung mit den Steuervorteilen einer partnership3. Sie hat eigene Rechtspersönlichkeit und kann wie eine corporation klagen und verklagt werden. Ferner haften alle Partner nur beschränkt mit dem Gesellschaftsvermögen. Abweichend von der limited liability partnership (Rz. 6.359) sind alle Gesellschafter berechtigt, die Geschäfte selbst zu führen und die Gesellschaft im Rechtsverkehr zu vertreten („member-managed company“); sie können die Geschäftsführung und Vertretung aber auch einem Geschäftsführer übertragen („manager-managed company“)4. Die Gesellschaft endet – ähnlich wie eine Personengesellschaft – mit dem Tod, Austritt oder der Insolvenz eines Gesellschafters5. - Business Corporation (B.C.)

6.361

Die einzelstaatlichen Rechtsordnungen gehen – in Anlehnung an den Modell Business Corporation Act 1946 bzw. dessen revidierte Fassung von 1984 (R.M.B.C.A) – übereinstimmend vom Prinzip der einheitlichen Kapitalgesellschaftsform aus. Die business corporation ist bei Weitem die wichtigste Gesellschaftsform des US-amerikanischen Gesellschaftsrechts. Hauptformen sind die close corporation, bei der die Anteile innerhalb einer überschaubaren Gruppe von Anteilseignern verbleiben und nur unter erschwerten Bedingungen übertragen werden können, und die public corporation, bei der die Anteile weit gestreut und frei übertragbar sind. Die business corporation besitzt eigene Rechtspersönlichkeit, kann also Träger von Rechten und Pflichten sein sowie im eigenen Namen klagen und verklagt werden (§ 3.02 R.M.B.C.A. 1 Merkt/Göthel, Rz. 132. 2 Zur L.L.C.mit Verwaltungssuitz in Deutschland vgl. Pyscka, GmbHR 2015, 1077. 3 Merkt/Göthel, Rz. 138. Vgl. zur Gründung und Vertretung einer L.L.C. nach dem Recht von Delaware IPG 2003/2004 Nr. 43 (Köln). 4 Vgl. zum Recht von Delaware IPG 2002 Nr. 32 (Hamburg). 5 Merkt/Göthel, Rz. 140.

600 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.364 § 6

1984). Sie haftet für vertragliche wie außervertragliche Verbindlichkeiten nur mit dem Gesellschaftsvermögen (§ 6.22 R.M.B.C.A. 1984)1. Die Geschäftsführung und Vertretung einer corporation obliegt in erster Linie dem „board of directors“ als einem einheitlichen Kollegialorgan nach dem Prinzip der Gesamtvertretung (§ 8.01.(b) R.M.B.C.A. 1984). Vertretungsberechtigt sind also nicht die einzelnen Mitglieder des board, sondern es bedarf grundsätzlich eines mit Mehrheit gefassten Beschlusses (§ 8.24. (c) R.M.B.C.A. 1984). Der Rechtsverkehr wird jedoch in Fällen, in denen ein einzelnes boardMitglied im Namen der Gesellschaft handelt, dadurch geschützt, dass ein Handeln auf Grund einer vom gesamten board of directors erteilten konkludenten Vollmacht („implied authorization“) angenommen wird2. Darüber hinaus ist es weithin üblich, die Wahrnehmung von Vertretungsbefugnissen für bestimmte Geschäfte oder Arten von Geschäften auf Ausschüsse („committees“) zu übertragen; hierfür bedarf es allerdings eines Mehrheitsbeschlusses des board of directors (§ 8.25 R.M.B.C.A. 1984).

6.362

In der amerikanischen Praxis werden die meisten Geschäfte, die Vertretungsmacht für die corporation erfordern, freilich nicht vom „board of directors“ selbst, sondern von leitenden Angestellten der Gesellschaft, den unmittelbar vom board bestellten sog. (executive) „officers“ abgeschlossen (§§ 8.40, 8.41 R.M.B.C.A 1984). Eine generelle Umschreibung der Vertretungsmacht der officers ergibt sich in der Regel aus den „by-laws“ der Gesellschaft. Im Übrigen gelten für ihr Verhältnis zum board of directors die allgemeinen Regeln des Vertretungsrechts („agency“)3. Danach besitzen die Inhaber bestimmter Ressorts, die im Geschäftsverkehr üblicherweise mit gewissen Kompetenzen verbunden sind, eine Vertretungsmacht kraft Amtes („implied actual authority or inherent authority“)4. So hat der „Chief Executive Officer“ (CEO) Vertretungsmacht für alle Rechtsgeschäfte des üblichen Geschäftsgangs der Gesellschaft („ordinary business transactions“)5. Für darüber hinausgehende außergewöhnliche Geschäfte (z.B. Immobiliengeschäfte, Führung von Rechtsstreitigkeiten u.Ä.) bedarf er hingegen einer besonderen Vollmacht des board of directors („express actual authority“). Auch kann die corporation durch ein Handeln ihrer Officers auf Grund Rechtsscheins („apparent authority“) verpflichtet werden, wenn der board of directors bei Dritten den Eindruck erweckt hat, dass der für die Gesellschaft Handelnde Vertretungsmacht besitzt und der Dritte im Vertrauen hierauf kontrahiert hat6. Schließlich kann der board auch nachträglich Vollmacht für die Vornahme eines bestimmten Geschäfts erteilen.

6.363

Ebenso wie im englischen Recht spielt die ultra-vires-Lehre im geltenden Recht der corporation nur noch eine untergeordnete Rolle. Zum einen lassen die Gesetze der Einzelstaaten eine sehr weite Umschreibung des Gesellschaftsgegenstandes zu, die praktisch jede erlaubte Geschäftstätigkeit umfasst („all-purposes-clause“, vgl. § 3.02.R.M.B.C.A. 1984). Zum anderen ist der Gutglaubensschutz Dritter soweit entwickelt worden, dass Beschränkungen, die sich aus dem Gesellschaftszweck ergeben, Dritten nicht mehr entgegengehalten werden können und Bedeutung nur noch im Hinblick auf die Haftung der für die corporation Handelnden im Innenverhältnis haben (vgl. § 3.04. R.M.B.C.A. 1984).

6.364

1 2 3 4 5

Merkt/Göthel, Rz. 163 ff., 166. Merkt/Göthel, Rz. 588. Vgl. dazu näher OLG Köln v. 13.8.2015 – 18 U 153/14, GmbHR 2016, 647. Merkt/Göthel, Rz. 608. Vgl. Merkt/Göthel, Rz. 609. Zur Vertretungsmacht des „president“ einer Mississippi-corporation IPG 1998 Nr. 15 (Passau). 6 Merkt/Göthel, Rz. 616.

Hausmann | 601

§ 6 Rz. 6.365 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

- Business Trust

6.365

Der business trust wird durch einen oder mehrere Treuhänder („trustees“) vertreten. Die Ausgestaltung der Vertretungsmacht ähnelt in vieler Hinsicht derjenigen des board of directors einer corporation. Es besteht ebenfalls grundsätzlich Gesamtvertretungsmacht des „board of trustees“ mit der Möglichkeit der Delegation von Vertretungsbefugnissen auf einzelne Mitglieder des board. Der Umfang der Vertretungsmacht ergibt sich aus dem trust agreement. bb) Nachweis der Vertretungsmacht

6.366

Die handels- bzw. gesellschaftsrechtliche Publizität ist in den Vereinigten Staaten vergleichsweise schwach ausgebildet. Es gibt weder ein allgemeines Handelsregister noch ein eigentliches Gesellschaftsregister, bei dem regelmäßig bestimmte Vorgänge zu hinterlegen oder einzutragen wären, damit sie jedermann zugänglich sind.

6.367

Bei der partnership kann eine beglaubigte Abschrift der „Articles of partnership“ als Nachweis dienen. Daraus ist zu ersehen, ob ein Geschäft zum üblichen Geschäftskreis der partnership gehört. Nach amerikanischem Recht braucht ein partnership agreement allerdings nicht schriftlich geschlossen zu werden. Verhandelt man mit einer partnership, so kann ein sicherer Nachweis der Vertretungsbefugnis nur durch eine von allen Partnern ausgestellte Vollmacht geführt werden.

6.368

Bei der business corporation muss immerhin die Gründungsurkunde („charter“) der Gesellschaft bei einer zentralen Stelle des Gründungsstaates (gewöhnlich beim „Secretary of State“) hinterlegt und registriert werden (§ 2.03 R.M.B.C.A. 1984). Eine öffentliche Bekanntmachung der Registrierung findet hingegen nur in wenigen Bundesstaaten (z.B. Arizona, vgl. § 19–055 Ariz.Rev.Stat.Ann.) statt. Mit einer Gründungsurkunde allein kann der erforderliche Nachweis der – fortbestehenden – Existenz einer US-corporation allerdings nicht geführt werden, denn in der Zwischenzeit können Veränderungen eingetreten sein. Aus diesem Grunde wird bei US-amerikanischen Gesellschaften zum Nachweis ihrer Existenz im Allgemeinen die Vorlage eines „certificate of good standing“ des Secretary of State als erforderlich angesehen1. Den sicheren Nachweis der Vertretungsmacht können daher nur Abschriften von Beschlüssen des board of directors oder Abschriften der Gesellschaftssatzung („by-laws“) erbringen, aus denen die Bevollmächtigung bestimmter Personen hervorgeht. Diese Abschriften müssen vom secretary der corporation beglaubigt und mit dem Gesellschaftssiegel („corporation seal“) versehen sein. Darüber hinaus muss der secretary noch bescheinigen, dass der im Wortlaut wiederzugebende Beschluss (oder die Bestimmung der „by-laws“) auf einer ordnungsgemäß einberufenen und geführten Sitzung des board mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde. Liegt eine solche Bescheinigung vor, so kann die Gesellschaft Dritten, die im Vertrauen auf die Bescheinigung gehandelt haben, etwaige Fehler der Vollmachtserteilung nicht entgegenhalten2.

6.369

Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der board nach dem Inhalt der hinterlegten Gründungsurkunde zu der Vollmachtserteilung nicht berechtigt war, sofern der Dritte nur gutgläubig ist. Die common-law-Regel, dass die Kenntnis des Inhalts hinterlegter Urkunden unwiderleglich vermutet wird („constructive notice“), ist in den USA weitgehend abgeschafft worden. Dennoch empfiehlt es sich, bei wichtigen Verträgen zusätzlich auch die Gründungsurkunde 1 OLG Köln, Beschl. v. 1.2.2013 – 2 Wx 42/13, NZG 2013, 754. 2 Merkt/Göthel, Rz. 617.

602 | Hausmann

A. Vertretungsmacht bei Handelsgesellschaften | Rz. 6.374 § 6

einzusehen. Zweckmäßigerweise lässt man sich hierzu von der Gesellschaft oder der zuständigen Registerstelle eine beglaubigte Abschrift der charter übermitteln. Beim business trust gibt das trust agreement Auskunft über die Vertretungsmacht. Bei wichtigen Verträgen lässt man sich daher von den Treuhändern eine beglaubigte Abschrift des trust agreement zur Verfügung stellen. Da nach dem Recht einiger Einzelstaaten das trust agreement ebenfalls bei einer hierfür zuständigen Stelle hinterlegt werden muss, ist es in diesen Staaten auch möglich, von der Registerstelle eine Abschrift des trust agreement zu erhalten.

6.370

IX. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung 1. Sonderanknüpfung Die Fragen der gesetzlichen Vertretung von juristischen Personen und Gesellschaften beim Abschluss grenzüberschreitender Schuldverträge bestimmen sich nicht nach dem Vertragsstatut, sondern kraft Sonderanknüpfung nach dem Personalstatut der juristischen Person bzw. Gesellschaft.

6.371

2. Bestimmung des Gesellschaftsstatuts Im autonomen deutschen IPR wird das Gesellschaftsstatut traditionell an das Recht des Staates angeknüpft, in dem die Gesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz hat. Der Geltungsbereich der Sitztheorie wird jedoch einerseits durch bilaterale Staatsverträge (z.B. mit den USA) eingeschränkt, die an das Gründungsrecht der Gesellschaft anknüpfen. Zum anderen gebietet die im EG- bzw. EWR-Vertrag gewährleistete Niederlassungsfreiheit die Anerkennung von Gesellschaften, die in einem Mitgliedstaat der EU bzw. des EWR gegründet wurden; für sie gilt daher ebenfalls in weitem Umfang das Gründungsrecht. Demgegenüber verbleibt es für Gesellschaften, die in einem Drittstaat gegründet worden sind, bei der traditionellen Anknüpfung an das Recht des effektiven Verwaltungssitzes. Dies gilt seit dem 1.1.2021 auch im Verhältnis zum Vereinigten Königreich.

6.372

3. Anwendungsbereich der Gründungstheorie a) Die Geltung der Gründungstheorie im Schutzbereich des EG- bzw. EWR-Vertrags ist notwendige Konsequenz des weiten Verständnisses der Niederlassungsfreiheit in Art. 49, 54 AEUV durch den EuGH. Danach hat jeder Mitgliedstaat der EU die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats erworbene Rechts- und Parteifähigkeit einer Gesellschaft anzuerkennen. Dies gilt nicht nur bei der nachträglichen Verlegung des Verwaltungssitzes, sondern auch für den Fall, dass Satzungs- und Verwaltungssitz von Beginn an auseinanderfallen. Demgegenüber ist der Gründungsstaat selbst in der Ausgestaltung seines internationalen Gesellschaftsrechts frei. Ein aus der Niederlassungsfreiheit abgeleitetes Recht von Gesellschaften auf identitätswahrenden Wegzug wird vom EuGH nicht anerkannt. Der deutsche Gesetzgeber hat jedoch mit dem MoMiG durch die Streichung der § 5 Abs. 2 AktG, § 4a Abs. 2 GmbHG den Weg für eine Gründung deutscher Gesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Ausland sowie für die nachträgliche Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Staat freigemacht.

6.373

b) Die europarechtlich gebotene Anwendung der Gründungstheorie ist nicht auf die Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit beschränkt. Das Gründungsrecht gilt vielmehr auch für Fragen der gesetzlichen Vertretung und der Haftungsverfassung. Ob die Nieder-

6.374

Hausmann | 603

§ 6 Rz. 6.374 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

lassungsfreiheit darüber hinaus erfordert, dass die Rechtsverhältnisse von Gesellschaften, die in einem EU-/EWR-Mitgliedstaat gegründet werden, insgesamt nach dem Recht des Gründungsstaates zu beurteilen sind, ist noch offen, wird aber inzwischen überwiegend angenommen.

6.375

c) Eingeschränkt ist die zur Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV gebotene Anwendung des Gründungsrechts nur im Falle des Rechtsmissbrauchs und aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls. Hierfür reicht jedoch die Umgehung zwingender Vorschriften im Tätigkeitsstaat der Gesellschaft – insbesondere zur Mindestkapitalausstattung von Gesellschaften – nicht aus.

4. Konsequenzen der Sitztheorie 6.376

Die Rechtsfolgen der Sitztheorie bei einem Auseinanderfallen von Satzungssitz und effektivem Verwaltungssitz sind durch die Rechtsprechung und den Gesetzgeber abgemildert worden.

6.377

a) Kapitalgesellschaften mit effektivem Verwaltungssitz im Inland müssen den Gründungsvoraussetzungen des deutschen Rechts (§§ 41 Abs. 1 AktG, 11 Abs. 1 GmbHG) genügen. Werden sie im Ausland gegründet, so sind sie jedoch zumindest als Personengesellschaften deutschen Rechts anzuerkennen und genießen als solche volle Rechts- und Parteifähigkeit (modifizierte Sitztheorie). Umgekehrt kann eine Kapitalgesellschaft mit effektivem Verwaltungssitz im Ausland nicht als deutsche AG/GmbH gegründet werden, wenn der Sitzstaat ebenfalls auf dem Boden der Sitztheorie steht; auch in diesem Fall kommt nur eine Anerkennung als Personengesellschaft in Betracht. Folgt der Sitzstaat hingegen der Gründungstheorie, so steht der effektive Verwaltungssitz der Gesellschaft im Ausland seit Inkrafttreten des MoMiG einer wirksamen Gründung der Gesellschaft als deutsche AG/ GmbH nicht mehr entgegen (Rückverweisung).

6.378

b) Eine identitätswahrende Verlegung des Verwaltungssitzes einer außerhalb der EU bzw. des EWR gegründeten Kapitalgesellschaft ins Inland setzt voraus, dass der Gründungsstaat den Wegzug gestattet. Auch wenn dies der Fall ist, kann die Gesellschaft im Inland nur als Personengesellschaft Rechts- und Parteifähigkeit genießen. Umgekehrt entscheidet das Kollisionsrecht des Zuzugsstaates darüber, ob eine deutsche AG/GmbH ihren Verwaltungssitz unter Wahrung ihrer Identität in diesen Staaten verlegen kann. Das deutsche Sachrecht steht einer solchen Sitzverlegung seit Inkrafttreten des MoMiG nicht mehr entgegen.

5. Reichweite des Gesellschaftsstatuts 6.379

Das Gesellschaftsstatut regelt die Außen- und Innenverhältnisse der Gesellschaft abschließend. Es entscheidet daher über Beginn, Umfang und Ende der Rechtsfähigkeit sowie über Inhalt und Umfang der gesetzlichen Vertretung. Dazu gehören insbesondere die Fragen, ob Einzel- oder Gesamtvertretung besteht und ob ein Selbstkontrahieren zulässig ist. Das Personalstatut der Gesellschaft befindet auch über deren Partei- bzw. Prozessfähigkeit.

6. Schutz des Rechtsverkehrs 6.380

Der inländische Rechtsverkehr wird beim Abschluss von Verträgen mit ausländischen Gesellschaften, die hinsichtlich des Umfangs ihrer Rechtsfähigkeit oder der Vertretungsbefugnisse ihrer Organe hinter dem inländischen Recht zurückbleiben, nach Maßgabe von Art. 13 Rom I-VO geschützt. Im Prozessrecht greifen bei fehlender Partei- oder Prozessfähigkeit die Schutzvorschriften der § 50 Abs. 2, § 55 ZPO ein. Schließlich kommt im Anwendungsbereich 604 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.380 § 6

der Sitztheorie eine persönliche Haftung der Gründer nach § 41 Abs. 1 S. 2 AktG, § 11 Abs. 2 GmbHG bzw. nach allgemeinen Rechtscheingrundsätzen in Betracht, soweit im Namen der nichtexistenten Gesellschaft gehandelt wurde. Demgegenüber haften im Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49, 54 AEUV die Gesellschafter oder Organe einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft grundsätzlich nur nach Maßgabe des Gründungsrechts persönlich für Schulden der Gesellschaft; eine weitergehende Haftung kommt nur auf der Grundlage von allgemeinen Vorschriften in Betracht, die – wie z.B. das Deliktsoder Insolvenzrecht – unabhängig vom Personalstatut der Gesellschaft gelten.

B. Vollmacht Literatur: 1. Zu Art. 8 EGBGB: Becker, Zum neuen Internationalen Privatrecht der gewillkürten Stellvertretung (Art. 8 und 229 § 4 EGBGB) DNotZ 2017, 835; Bücken, Rechtswahlklauseln in Vollmachten, RNotZ 2018, 213; Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfahrensrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 6; v. Hein, Beschluss der Zweiten Kommission des Deutschen Rates für Internationales Privatrecht zu dem auf die Vollmacht anwendbaren Recht, IPRax 2015, 578; von Hein, Agency in the Conflicts of Laws: A New German Rule, RDIPP 2018, 5; Kindler/ Brüggemann, Die kollisionsrechtliche Anknüpfung kaufmännischer Vollmachten nach Art. 8 EGBGB, RIW 2018, 473; Kordel, Auslandsberührung bei General- und Vorsorgevollmachten, notar 2018, 303; Nasse, La représentation en droit international privé – Une nouvelle règle de conflit allemande renforceant l‘autonomie del la volonté, Rev. crit. 2019, 264; Rademacher, Kodifikation des internationalen Stellvertretungsrecht, IPRax 2017, 52; Schiller, Erteilung einer Stimmrechtsvollmacht unter Auslandsbezug – Art. 8 EGBGB, GPR 2019, 24; G. Schulze, Die Fremdwirkung der Vertragserklärung als dreifach relevante Tatsache, IPRax 2018, 26; Spickhoff, Kodifikation des Internationalen Privatrechts der Stellvertretung, RabelsZ 80 (2016) 481; Spickhoff, Die Vollmacht im Kollisionsrecht – Zum Stand der Diskussion in Deutschland, ZfRV 2016, 175; Thöne, Die Vollmacht im Internationalen Privatrecht, IHR 2017, 141; Wagner, Anwendbares Recht für die gewillkürte Stellvertretung (Art. 8 EGBGB), FS Deutsches Notarinstitut (2018) 829. 2. Zum früheren IPR: Ackmann, Zur Geltung des „Wirkungsstatuts“ im Fall des Handelns eines Vertreters von seiner ausländischen Niederlassung aus, IPRax 1991, 220; Bach, Zurück in die Zukunft – die dogmatische Einordnung der Rechtsscheinvollmacht im gemeineuropäischen IPR, IPRax 2011, 116; Badr, Agency: Unification of Material Law and of Conflict Rules, Rec. des Cours 144 (1984-I), 9; Behnen, Die Haftung des falsus procurator im IPR, IPRax 2011, 221; Berger, Das Statut der Vollmacht im schweizerischen IPR (1974); von Caemmerer, Die Vollmacht für schuldrechtliche Rechtsgeschäfte im deutschen IPR, RabelsZ 24 (1959), 201; Claßen, Rechtswahl im internationalen Stellvertretungsrecht (1998); Diloy, Le contrat d´agence commerciale en droit international (2000); Dorsel, Stellvertretung und IPR, MittRheinNotK 1997, 6; Ebenroth, Kollisionsrechtliche Anknüpfung kaufmännischer Vollmachten, JZ 1983, 821; Ferry, Contrat international d´agent commercial et lois de police, Clunet 1993, 299; Fischer, Anscheinsvollmacht, Vollmachtsstatut und Rechtswahl, IPRax 2005, 269; Fischer, Rechtsscheinhaftung im IPR, IPRax 1989, 215; Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht (1990); Gebauer, Stellvertretung, in: Leible/Unberath, Brauchen wir eine Rom 0-Verordnung, 2013, 325; Goldstein, La représentation conventionelle en droit international privé québécois, Rev. du barreau 1997, 213; Heinz, Das Vollmachtsstatut (2011); Jorge, Contrat d´agence et conflit de lois en droit international privé portugais, D.P.C.I. 1991, 309; Kayser, Vertretung ohne Vertretungsmacht im deutschen IPR (Diss. Würzburg 1967); Kleinschmidt, Stellvertretung, IPR und ein optionales Instrument für ein europäisches Vertragsrecht, RabelsZ 75 (2011), 497; Klinke, Bemerkungen zum Statut der Vollmacht, RIW 1978, 642; Kropholler, Die Anscheinshaftung im internationalen Recht der Stellvertretung, NJW 1965, 1641; Kurzynsky-Singer, Anknüpfung und Reichweite des Vollmachtstatuts (2005); Lardeuex, La loi applicable à la représentation conventionelle, Rev. crit. d.i.p. 2014, 513; Leible, Vollmachtsanknüpfung bei inländischen Zweigniederlassungen ausländischer Gesellschaften, IPRax 1997, 133; Leible, Vertretung ohne Vertretungsmacht, Genehmigung und Anscheinsvollmacht, IPRax

Hausmann | 605

§ 6 Rz. 6.380 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis 1998, 257; Lüderitz, Prinzipien im internationalen Vertretungsrecht, FS Coing, Bd. II (1982), S. 305; Ludwig, Zur Form der ausländischen Vollmacht für inländische Gegenstände, insbesondere Liegenschaften, NJW 1983, 495; Lurger, Vollmacht und Verbraucherschutz im österreichischen IPR, IPRax 1996, 54; Luther, Kollisionsrechtliche Vollmachtsprobleme im deutsch-italienischen Rechtsverkehr, RabelsZ 38 (1974), 421; Mäsch, Ein Vollmachtsstatut für Europa, in: Liber amicorum Schurig (2012), S. 147; Makarov, Die Vollmacht im IPR, Scritti di diritto internazionale in onore di T. Perassi, Bd. II (1957), S. 39; Mankowski, Internationalprivatrechtliche Aspekte der IoC-Problematik, TranspR 1991, 233; P. Müller, Die Vollmacht im Auslandsgeschäft – ein kalkulierbares Risiko?, RIW 1979, 377; P. Müller, Die Vollmacht nach deutschem Kollisionsrecht, in: Sandrock, Handbuch der internationalen Vertragsgestaltung, Bd. II (1980), D § 13; Müller-Freienfels/Makarov/Ficker/Zweigert/Braga/Peterson, Berichte über das Statut der Vollmacht, RabelsZ 24 (1959), 326; Niemann, Die rechtsgeschäftliche und organschaftliche Stellvertretung und deren kollisionsrechtliche Einordnung (2004); Pfister, Vollmacht und Stellvertretung im IPR (1927); de Quenaudon, Quelques remarques sur le conflit de lois en matière de représentation volontaire, Rev.crit.d.i.p. 1984, 413; Rabel, Vertretungsmacht für obligatorische Rechtsgeschäfte, RabelsZ 3 (1929), 807; Rabel, Unwiderruflichkeit der Vollmacht, RabelsZ 7 (1933), 797; Reese, Agency in the Conflict of Laws, FS Yntema (1961), S. 409; Reithmann, Auslegung und Wirkungen ausländischer Vollmachten, DNotZ 1956, 125; Reithmann, Form ausländischer Vollmachten, DNotZ 1956, 469; Ribettes-Thillet, Les conflits de lois en matière de représentation commerciale, Clunet 1964, 34; Rigaux, Le statut de la représentation (1963); Ruthig, Vollmacht und Rechtsschein im IPR (1996); Rueda Valdivia, La representación voluntaria en la contratación internacional (1998); Ruthig, Vollmacht und Rechtsschein im IPR (1996); Sangiovanni, Handelsvertretervertrag und Handelsvertreterbegriff, ZVglRW 104 (2005), 519; Schäfer, Das Vollmachtsstatut im deutschen IPR – einige neuere Ansätze in kritischer Würdigung, RIW 1996, 189; Schmitthoff, Agency in International Trade, Rec. des Cours 129 (1970-I), 107; Schwarz, Das Internationale Stellvertretungsrecht im Spiegel nationaler und supranationaler Kodifikationen, RabelsZ 71 (2007), 729; Seibold/Groner, Die Vollmacht in internationalen M&A- und Finanzierungstransaktionen, NZG 2009, 126; Spellenberg, Atypischer Grundstücksvertrag, Teilrechtswahl und nicht ausgeübte Vollmacht, IPRax 1990, 295; Spellenberg, Geschäftsstatut und Vollmacht im IPR (1979); Starace, La rappresentanza nel diritto internazionale privato (1962); Starace, La procura nel diritto internazionale privato, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 421; Steding, Die Anknüpfung der Vollmacht im IPR, ZVglRW 86 (1987), 25; Struycken, Vertegenwoordiging krachtens volmacht in het Nederlands internationaal privaatrecht, WPNR 1976, 253 (269); Süß, Nachlassabwicklung im Ausland mittels postmortaler Vollmachten, ZEV 2008, 69; Uhlenbruck, Erteilung einer Auslandsvollmacht als schuldnerische Maßnahme, NZI 2004, 22; Walder, Die Vollmacht zum Abschluss einer Schiedsabrede, insbesondere im internationalen Verhältnis, FS Keller (1989), S. 677. 3. Zur Rechtsvergleichung: Aumüller, Das Recht der Stellvertretung in den Principles of European Contract Law (PECL) und in der österreichischen Rechtsordnung – ein Systemvergleich, ZVglRW 106 (2007), 208; Basedow, Das Vertretungsrecht im Spiegel konkurrierender Harmonisierungsentwürfe, RabelsZ 45 (1981), 196; Becker, Das Schweizer Konto im Nachlass Deutscher, ZEV 2007, 208; Börner, Gebrauch einer deutschen postmortalen Vollmacht in Spanien?, ZEV 2005, 146; Detzer (Hrsg.), Ausländisches Recht der Handelsvertreter und Vertragshändler (1997); Kindler, Die Stellvertretung am Beispiel des Handelsvertreters im italienischen Recht, RIW 1986, 350; Klamaris, Die Prozessvollmacht nach dem griechischen Zivilprozessrecht, FS H. P. Westermann (2008), S. 389; Kleinschmidt, Stellvertretungsrecht in Deutschland und Frankreich – Perspektiven für eine Rechtsvereinheitlichung, ZEuP 2001, 697; P. Müller, Die Vollmacht in einigen ausländischen Rechtsordnungen, in Sandrock, Handbuch der internationalen Vertragsgestaltung, Bd. II (2008), D § 14; Müller-Freienfels, Die Vertretung beim Rechtsgeschäft (1955); Müller-Freienfels, Legal Relations in the Law of Agency; Power of Agency and Commercial Certainty, Am.J.Comp.L. 13 (1964), 193, 341; Müller-Freienfels, Stellvertretungsregelungen in Einheit und Vielfalt (1982); Reinhart, Die unwiderrufliche Vollmacht, ihre Stellung in der allgemeinen Rechtslehre und in ausgewählten positiven Rechtsordnungen (1981); Rigaux, „Agency“, in: Int. Encycl. Comp. L. III (1973), ch. 29; de Theux, Le droit de représentation commerciale – Étude comparative et critique du statut des représentants salariés et des agents commerciaux, 2 Bde. (1975–1981); Zachmann, Les procurations ou les formes des pouvoirs de représentation, Rev.dr.unif. 1979 II 3; Zikos, Die Vollmacht im schweizerischen und griechischen Recht (Diss. Zürich 1966).

606 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.383 § 6

I. Einführung Der deutsche Gesetzgeber hat bisher das Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 (HStÜ; dazu Rz. 6.491 ff.) nicht ratifiziert. Er hatte das IPR der Vollmacht auch anlässlich der IPR-Reform von 1986 nicht im EGBGB kodifiziert. Insbesondere waren die Vorschriften des früheren internationalen Vertragsrechts (Art. 27–36 EGBGB a.F.) auf die Frage, ob ein Vertreter die Person, für deren Rechnung er zu handeln vorgibt, Dritten gegenüber verpflichten kann, nicht anzuwenden (Art. 37 Nr. 3 EGBGB a.F.). An diesem Ausschluss der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht aus dem sachlichen Anwendungsbereich des internationalen Vertragsrechts, den der deutsche Gesetzgeber aus Art. 1 Abs. 2 lit. f EVÜ übernommen hatte, hat auch der europäische Gesetzgeber in Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO festgehalten. Der Ausschluss ist umfassend und gilt auch für die Anscheins- und Duldungsvollmacht1.

6.381

Damit weicht die Endfassung der Rom I-VO signifikant von dem Verordnungsvorschlag der EU-Kommission vom 15.12.2005 (Rom I-E)2 ab. Dieser hatte sich in Erwägungsgrund 12 für „die Einführung einer Kollisionsnorm, die auf die drei aus einem ... [Vertreter-]Vertrag entstandenen Rechtsverhältnisse zwischen Vertretenem, Vertreter und Drittem Anwendung findet“, ausgesprochen. Dementsprechend enthielt der Verordnungsvorschlag in seinem Art. 7 die folgende Kollisionsnorm für Vertreterverträge:

6.382

Art. 7 Rom I-VO-E 2005 Vertreterverträge (1) Mangels einer Rechtswahl nach Artikel 3 unterliegen Verträge zwischen einem Vertretenen und einem Vertreter dem Recht des Staates, in dem der Vertreter seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, es sei denn, der Vertreter übt seine Tätigkeit hauptsächlich in dem Staat aus, in dem der Vertretene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder ist dazu verpflichtet, seine Tätigkeit dort auszuüben; in diesem Fall gilt das Recht dieses Staats. (2) Für das Verhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Dritten, das dadurch entstanden ist, dass der Vertreter in Ausübung seiner Vertretungsmacht, über seine Vertretungsmacht hinaus oder ohne Vertretungsmacht gehandelt hat, ist das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Vertreters zum Zeitpunkt seines Handelns maßgebend. Es gilt jedoch das Recht des Staates, in dem der Vertreter gehandelt hat, wenn entweder der Vertretene, in dessen Namen der Vertreter gehandelt hat, oder der Dritte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat, oder wenn der Vertreter dort an der Börse tätig war oder an einer Versteigerung teilgenommen hat. (3) Ist das auf das in Absatz 2 geregelte Verhältnis anzuwendende Recht von Seiten des Vertretenen oder des Dritten schriftlich bestimmt und von der anderen Partei ausdrücklich anerkannt worden, ist für dieses Verhältnis abweichend von Absatz 2 das so bestimmte Recht maßgebend. (4) Das nach Absatz 2 bestimmte Recht ist auch für das Verhältnis zwischen Vertreter und Drittem maßgebend, das dadurch entstanden ist, dass der Vertreter in Ausübung seiner Vertretungsmacht, über seine Vertretungsmacht hinaus oder ohne Vertretungsmacht gehandelt hat.

Nach Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO-E sollte die rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht im Verhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Dritten weder dem Statut des Vertretervertrages nach Art. 7 Abs. 1 Rom I-VO-E noch dem Statut des von dem Vertreter mit dem Dritten in Ausübung der Vollmacht geschlossenen Vertrages unterliegen. Maßgebend sollte vielmehr nach Satz 1 grundsätzlich das am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Vertreters zum Zeitpunkt seines Handelns geltende Recht sein. Sofern dieser den Vertrag – wie regelmäßig – im Rah1 OLG Düsseldorf v. 23.9.2003 – 23 U 218/02, IPRspr. 2003 Nr. 25; Fischer, IPRax 2005, 269 (270). 2 KOM [2005] 650 endg.

Hausmann | 607

6.383

§ 6 Rz. 6.383 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

men seiner beruflichen Tätigkeit abschließt, sollte statt des gewöhnlichen Aufenthalts der Ort der vertragsbetreuenden Niederlassung maßgeblich sein (Art. 18 Abs. 2 Rom I-VO-E). Abweichend davon sollte aber nach Art. 7 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO-E das Recht des Staates gelten, in dem der Vertreter gehandelt hat, wenn entweder der Vertretene oder der Dritte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat, oder wenn der Vertreter dort an der Börse tätig war oder an einer Versteigerung teilgenommen hat. Allerdings sollte nach Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO-E sowohl für den Vertretenen als auch für den Dritten die Möglichkeit bestehen, das auf die Vollmacht des Vertreters anzuwendende Recht durch schriftliche Erklärung zu bestimmen; eine solche von der jeweils anderen Partei ausdrücklich anerkannte Rechtswahl sollte dann Vorrang vor der objektiven Anknüpfung nach Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO-E haben. Schließlich sollte das nach Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO-E bestimmte objektive Vollmachtstatut nach der Klarstellung in Art. 7 Abs. 4 Rom I-VO-E auch die Rechtsbeziehungen zwischen dem Vertreter und dem Dritten beherrschen, soweit der Vertreter seine Vollmacht überschritten oder ohne Vertretungsmacht gehandelt hat.

6.384

Der Kommissionsvorschlag ist in der Literatur z.T. scharf kritisiert worden, weil er den Versuch unternahm, Vertreterverträge wie andere Schuldverträge an Hand der charakteristischen Leistung des Vertreters anzuknüpfen und in der Grundregel des Art. 7 Abs. 2 Rom I-VO-E nicht hinreichend deutlich zwischen dem Rechtsverhältnis Prinzipal-Dritter (Geschäftsstatut) und der Anknüpfung der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht (Vollmachtstatut) unterschieden wurde1. Auch sei es wenig überzeugend, den gewöhnlichen Aufenthalt des Vertreters als Primäranknüpfung vorzusehen; denn der Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses liege am Gebrauchsort der Vollmacht2. Wegen dieser kritischen Aufnahme des Art. 7 Rom I-VO-E in der Fachwelt und des Widerstands einiger Mitgliedstaaten gegen die dort vorgeschlagenen Lösungen hat die Kommission in der Endfassung der Rom I-VO auf eine Regelung der Vertreterverträge und der Vollmacht verzichtet.

6.385

Das Vollmachtstatut wird daher in Deutschland weiterhin durch nationales Recht bestimmt. Der deutsche Gesetzgeber hat das IPR der gewillkürten Stellvertretung durch Gesetz vom 11.6.20173 erstmals in Art. 8 EGBGB kodifiziert und damit eine seit langem beklagte Lücke im IPR der Rechtsgeschäftslehre geschlossen. Er hat sich dabei auf einen Vorschlag des Deutschen Rats für IPR4 gestützt, der seinerseits die in Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze zur Anknüpfung der gewillkürten Vertretungsmacht5 aufgegriffen und auf der Grundlage eines Gutachtens von Spickhoff nur in Einzelpunkten modifiziert und weiter entwickelt hat6.

6.386

In zeitlicher Hinsicht gilt die Neuregelung, wenn Vollmachtserteilung und Vertretererklärung ab dem 17.7.2017 erfolgt sind, Art. 229 § 41 EGBGB. Art. 8 EGBGB gilt auch im Rahmen von internationalen Warenkaufverträgen, die dem UN-Kaufrecht unterliegen, weil dieses die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht nicht regelt7. Für die Auslegung von Art. 8 EGBGB

1 Mankowski, IPRax 2006, 101 (108 f.). Vgl. auch Spellenberg in Ferrari/Leible, Eine neues internationales Vertragsrecht für Europa, S. 151 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 5 f. 2 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (752 ff.). 3 BGBl. I 2017, 1607. 4 Dazu von Hein, IPRax 2015, 578 ff. 5 Dazu Mankowski in BeckOGK, Art. 8 EGBGB Rz. 321 ff.; Voraufl. Rz. 7.366 ff. 6 Dazu näher Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 1 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 4 ff.; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1023. 7 Vgl. AG Alsfeld v. 12.5.1995 – 31 C 534/94, NJW-RR 1996, 120 (121).

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B. Vollmacht | Rz. 6.389 § 6

kann jedoch in weitem Umfang auf die bisherige Gerichtspraxis zurückgegriffen werden, die durch die Neuregelung lediglich kodifiziert werden sollte1. Das Konzept des Gesetzgebers spiegelt sich im Aufbau des Art. 8 EGBGB wider, der in mehreren Punkten von der bisherigen richterrechtlichen Lösung abweicht. Während letztere von der Anknüpfung an den Gebrauchsort als Grundnorm ausging und hiervon Ausnahmen für bestimmte Fallgruppen im Hinblick auf die Person des Bevollmächtigten und den Gegenstand der Vollmacht entwickelt hatte2, stellt die Neuregelung – nach dem Vorbild der Rom I-VO – die Parteiautonomie als Primäranknüpfung an die Spitze. In Ermangelung einer Rechtswahl werden alternativ die beiden in der Praxis wichtigsten Arten der Bevollmächtigung, nämlich zugunsten von unternehmerisch tätigen Vertretern und zugunsten von Arbeitnehmern des Vollmachtgebers in Abs. 2 und Abs. 3 behandelt. Ihnen wird in Abs. 4 die Dauervollmacht im privaten Bereich an die Seite gestellt. Nur wenn die Voraussetzungen nach Abs. 1-4 nicht vorliegen, wird in Abs. 5 subsidiär noch an den tatsächlichen Gebrauchsort der Vollmacht angeknüpft. Eine Sonderanknüpfung gilt nach Abs. 6 wie bisher für Grundstücksvollmachten und Vollmachten für Börsengeschäfte und Versteigerungen werden in Abs. 7 aus dem Anwendungsbereich des Art. 8 EGBGB ausgeschlossen. Zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts wird schließlich in Abs. 8 die Definition in Art. 19 Rom I-VO für entsprechend anwendbar erklärt.

6.387

Der Anwendungsbereich des Art. 8 EGBGB ist auf die rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht beschränkt, die auf einem Akt der Selbstbestimmung des Vertretenen beruht3, einschließlich der Prokura (Rz. 6.412) und der Duldungs- und Anscheinsvollmacht (Rz. 6.467 ff.). Nicht erfasst wird hingegen die gesetzliche und organschaftliche Vertretung, bei welcher Innen- und Außenverhältnis einheitlich angeknüpft werden. Die gesetzliche Vertretung von Ehegatten (Schlüsselgewalt) unterliegt heute dem Güterrechtsstatut der EuGüVO (Rz. 6.809 f.), diejenige von Minderjährigen dem auf das Eltern-Kind-Verhältnis nach Art. 16 f. KSÜ bzw. Art. 21 EGBGB anwendbaren Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes (Rz. 6.1118 ff.). Für die gesetzliche Vertretung von nicht voll geschäftsfähigen Erwachsenen durch einen Betreuer gelten die Art. 15 f. ErwSÜ (Rz. 6.1205 ff.). Die organschaftliche Vertretung von juristischen Personen und Gesellschaften wird durch deren Personalstatut, d.h. das Gründungsoder Sitzrecht, geregelt (Rz. 6.141 ff.). Auch die Vertretungsmacht des Insolvenzverwalters beruht nicht auf Rechtsgeschäft (dazu Rz. 6.601 ff.) Zur Verfügungsermächtigung s. Rz. 6.472.

6.388

II. Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB 1. Allgemeines Der Vollmachtgeber hat ein berechtigtes Interesse daran, Einfluss auf das Vollmachtstatut zu nehmen, um nicht durch die Geltung eines ihm unbekannten ausländischen Rechts überrascht zu werden, wenn der Vertreter von der Vollmacht im Ausland Gebrauch macht. Da die objektive Anknüpfung des Vollmachtstatuts diesem Interesse nicht immer hinreichend Rechnung trägt, bedarf es ihrer Ergänzung durch eine begrenzte Zulassung der Parteiautonomie.

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 26. 2 Vgl. Voraufl. Rz. 7.366 ff. 3 BR-Drs. 18/10714, 24; Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 474; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 51 ff., 55 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 43 m.w.N.

Hausmann | 609

6.389

§ 6 Rz. 6.389 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Hierüber bestand in der Literatur schon seit längerem weitgehend Einigkeit1; allerdings fehlte es an einer obergerichtlichen Bestätigung. Auch im Ausland wird den Parteien häufig Rechtswahlfreiheit bezüglich des Vollmachtstatuts eingeräumt, so z.B. im österreichischen (§ 49 Abs. 1 IPRG), schweizerischen (Art. 126 i.V.m Art. 116 IPRG)2 und spanischen Recht (Art. 10 Abs. 11 Cc). Auch das Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 (Art. 14; dazu Rz. 6.497) und der Vorschlag der EG-Kommission zur Rom I-VO von 2005 (Art. 7 Abs. 3; Rz. 6.383) haben sich in diesem Sinne geäußert. Für die Zulässigkeit einer Rechtswahl spricht vor allem, dass das Vollmachtstatut auf diese Weise frühzeitig und unabhängig davon festgelegt werden kann, wann und wo der Bevollmächtigte von der Vollmacht Gebrauch macht und damit Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen wird3. Der gebotene Schutz des Drittkontrahenten wird dadurch gewährleistet, dass die getroffene Rechtswahl ihm rechtzeitig vor Abschluss des Geschäfts bekannt geworden sein muss (dazu Rz. 6.393).

6.390

Der deutsche Gesetzgeber hat die Parteiautonomie in Art. 8 Abs. 1 EGBGB – in Anlehnung an jüngere kollisionsrechtliche EU-Verordnungen4 – sogar an die Spitze der Anknüpfungsregeln gestellt und damit ihren Vorrang vor den objektiven Anknüpfungen nach Abs. 2-5 betont5. Die Vorschrift unterscheidet zwischen der einseitigen Rechtswahl durch den Vollmachtgeber vor Ausübung der Vollmacht in Satz 1 und der jederzeit zulässigen gemeinsamen Rechtswahl von Vollmachtgeber, Vertreter und Drittem nach Satz 2, der nach Satz 3 Vorrang vor der einseitigen Rechtswahl nach Satz 1 zukommt. Die Rechtswahl nach Abs. 1 wird wie im internationalen Vertragsrecht (Art. 3 Rom I-VO) ohne Beschränkung auf solche Rechte eingeräumt, zu denen die Ausübung der Vollmacht einen engen räumlichen Bezug hat6. Keine Rechtswahlmöglichkeit besteht allerdings für die Grundstücksvollmacht nach Art. 8 Abs. 6 EGBGB, weil dem deutschen IPR die Parteiautonomie auch auf dem Gebiet des internationalen Sachenrechts fremd ist.

2. Einseitige Rechtswahl 6.391

Ob für die Rechtswahl eine Vereinbarung mit dem Drittkontrahenten erforderlich sein soll oder auch eine einseitige Erklärung des Geschäftsherrn gegenüber dem Dritten (z.B. in der Vollmachtsurkunde) genügt, war vor der Kodifikation umstritten. Sowohl Art. 14 HStÜ als auch Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO-E sprechen sich für das Erfordernis einer Rechtswahlvereinbarung aus, wenn dort verlangt wird, dass die Bestimmung des anwendbaren Rechts „von der anderen Partei ausdrücklich anerkannt“ worden ist7. Der deutsche Gesetzgeber hat sich demgegenüber in Art. 8 Abs. 1 S. 1 EGBGB zu Recht dafür entschieden, dem Vollmachtgeber die

1 Vgl. schon Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (835); Reithmann, DNotZ 1956, 125 (128); Makarov, FS Perassi II (1957), S. 39 (51 f.); Raape, S. 504; P. Müller, RIW 1979, 377 (383 f.); ferner; G. Fischer, IPRax 2005, 209 (271 f.); Kurzynsky-Singer, S. 177 f. (202); Mankowski, IPRax 2006, 101 (109); Schäfer, RIW 1996, 189 (190 f.); Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (774 ff.); Heinz, S. 194 ff. m.w.N. Implizit auch OLG Hamburg v. 15.12.1988 – 6 U 11/88, TranspR 1989, 70 (72); OLG Karlsruhe v. 8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998,1470; 2 Vgl. Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 50; Vischer/Huber/Oser, Rz. 1025. 3 Mankowski in BeckOGK, Art. 8 EGBGB Rz. 49; Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 17; Schwarz RabelsZ 71 (2007), 729 (774 ff.). 4 Vgl. Art. 3 Rom I-VO, Art. 5 ff. Rom III-VO, Art. 22 ff. EuGüVO/EuPartVO. 5 Vgl. von Hein, IPRax 2015, 578 (579); von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1029; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 67; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 84. 6 Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 16; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 19; Mankowski in BeckOGK, Art. 8 EGBGB Rz. 48; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 71. 7 Ebenso das Schweizer Recht, vgl. Art. 126 i.V.m Art. 116 IPRG.

610 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.393 § 6

Möglichkeit einer einseitigen Rechtswahl einzuräumen1. Denn zu seiner Befugnis, den Inhalt der Vollmacht festzulegen, gehört auch die Bestimmung des auf die Erteilung und den Umfang der Vollmacht maßgeblichen Rechts2. Der Drittkontrahent ist hingegen an den Verhandlungen über den Inhalt der Vollmacht nicht notwendig zu beteiligen, denn er wird durch diese weder unmittelbar berechtigt noch verpflichtet3. Auch kann der Geschäftsherr die Vollmacht für eine Vielzahl von Vertragsschlüssen mit unterschiedlichen Vertragspartnern nur dann einem einheitlichen Recht unterstellen, wenn er diese Rechtswahl schon bei Vollmachtserteilung einseitig treffen kann; die zwingende Beteiligung der jeweiligen Drittkontrahenten bereits an der Wahl des Vollmachtstatuts würde deren praktischen Nutzen daher erheblich einschränken4. Der erforderliche Verkehrsschutz wird dadurch sichergestellt, dass nur ein dem Vertreter wie dem Dritten rechtzeitig und zweifelsfrei erkennbar gewordener Parteiwille des Vollmachtgebers beachtet wird. Dementsprechend schreibt Art. 8 Abs. 1 S. 1 EGBGB vor, dass die einseitige Rechtswahl dem Dritten und dem Bevollmächtigten zeitlich vor Ausübung der Vollmacht bekannt gegeben wird5. Diese sollen also vor Abgabe ihrer Vertragserklärungen wissen, welchem Recht die Vollmacht untersteht. Im Regelfall wird die Rechtswahl mit der Bevollmächtigung zeitlich zusammenfallen. Zwingend ist dies jedoch nicht; die Rechtswahl kann vielmehr auch isoliert im Hinblick auf eine künftig zu erteilende Vollmacht oder nachträglich für eine bereits erfolgte Bevollmächtigung getroffen werden. Im letzteren Fall darf die Vollmacht allerdings noch nicht ausgeübt worden sein.

6.392

Die Rechtswahl ist nur wirksam, wenn sowohl der Vertreter als auch der Dritte von ihr Kenntnis erlangt haben. Erforderlich ist sichere positive Kenntnis; fahrlässige Unkenntnis genügt – anders als nach Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB – nicht6. Auf die Frage, wie beide Empfänger diese Kenntnis erlangt haben, kommt es nicht an7. Daher muss die einseitige Rechtswahl durch den Vollmachtgeber nicht in Form einer empfangsbedürftigen Willenserklärung erfolgen8. Die Bevollmächtigung kann etwa aus der beim Vertragsschluss des Vertreters mit dem Dritten vorgelegten Vollmachtsurkunde ersichtlich sein oder dem Dritten durch den Vertreter oder den Vollmachtgeber mitgeteilt worden sein9, so dass dieser die Möglichkeit hatte, den Geschäftsabschluss abzulehnen, wenn er seine Interessen durch das gewählte Vollmachtsstatut

6.393

1 So schon die bisher h.L., vgl. Berger, S. 126 ff.; Fischer, IPRax 2005, 269 (272); Ruthig, S. 124 f.; Kurzynsky-Singer, S. 178; Kropholler, IPR § 41 I 2 e; Voraufl. Rz. 7.377. 2 Vgl. den Vorschlag des Deutschen Rats für IPR, IPRax 2015, 580 f. 3 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (778 ff.). 4 Ruthig, S. 124 f.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (779 f.); von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1031; 5 So schon bisher Siehr, FS Keller (1989), S. 485 (502 f.); Mankowski, TranspR 1991, 253 (264 ff.); von Bar, Bd. II, Rz. 457, 586; Kropholler, IPR, § 41 I 2e; von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rz. 55; 7. Aufl. Rz. 7.378 m.w.N. 6 Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 474; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1030; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 93. 7 BT-Drs. 653/16 S. 24; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 2; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 75. 8 Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 474; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1030; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 2; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 87; a.A. Rademacher, IPRax 2017, 56 (58); Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 21. 9 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 80; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 94 m.w.N.; ebenso schon früher Siehr, FS Keller (1989), S. 485 (502 ff.); Mankowski, TranspR 1991, 253 (264 ff.); Kropholler, IPR § 41 I 2 e; von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rz. 55; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 101.

Hausmann | 611

§ 6 Rz. 6.393 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gefährdet sah. Jedenfalls muss es ausreichen, dass der Dritte in voller Kenntnis der vom Geschäftsherrn in der Vollmachtsurkunde getroffenen Rechtswahl den Hauptvertrag mit dem Vertreter abschließt1.

6.394

Zwar fehlt in Art. 8 EGBGB eine ausdrückliche Regelung zu dem auf das Zustandekommnen und die materielle Wirksamkeit der Rechtswahl anwendbaren Recht. Da der Deutsche Rat für IPR mit seinem in Art. 8 EGBGB weitgehend übernommenen Vorschlag indessen die Absicht verfolgt hat, eine Modellregelung für eine künftige europäische Kodifikation des Rechts der gewillkürten Stellvertretung zu schaffen2, wird man den in Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Rom I-VO kodifizierten und auch im sonstigen europäischen Kollsionsrecht anerkannten Grundsatz, dass das gewählte Recht über das Zustandekommen und die materielle Wirksamkeit der Rechtswahl befinden soll, auch im Rahmen von Art. 8 EGBGB entsprechend heranziehen können3.

6.395

Während sowohl Art. 14 HStÜ als auch Art. 7 Abs. 3 Rom I-VO-E vorsehen, dass das anzuwendende Recht schriftlich bestimmt sein muss4, stellt Art. 8 Abs. 1 EGBGB für die Rechtswahl keine besonderen Formerfordernissse auf5. Daher ist auch die Möglichkeit einer konkludenten Rechtswahl nicht ausgeschlossen; es muss mithin ausreichen, dass sich die Wahl des Vollmachtstatuts im Wege der Auslegung aus der Vollmachtsurkunde oder dem sonstigen Schriftverkehr zwischen den Parteien mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lässt6, z.B. dadurch, dass der Geschäftsherr den Tätigkeitsbereich des Vertreters in der Vollmachtsurkunde ausdrücklich auf ein bestimmtes Land beschränkt. Lässt der Dritte sich trotz Kenntnis dieser Beschränkung auf ein Geschäft mit dem Vertreter ein, das dieser weisungswidrig in einem anderen Land abschließt, so kann er sich auf die Vollmachtsregeln am Gebrauchsort der Vollmacht nicht berufen7. Darüber hinaus – wie nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO im internationalen Vertragsrecht allgemein anerkannt (dazu Rz. 2.111 ff.) – kann auch in der Bezugnahme auf bestimmte Vorschriften einer nationalen Rechtsordnung in der Vollmachtsurkunde eine stillschweigende Bestimmung des Vollmachtstatuts liegen8. Zur Form der Vollmachtserteilung Rz. 6.452 ff.

3. Allseitige Rechtswahl 6.396

Art. 8 Abs. 1 S. 2 EGBGB eröffnet den Beteiligten – Vollmachtgeber, Vertreter und Drittem – darüberhinaus die Möglichkeit, eine Rechtswahl für die Vollmacht durch dreiseitigen Vertrag 1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 93; ferner Ruthig, S. 124; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (781 ff.). 2 von Hein, IPRax 2015, 578 (579); Mankowski in BeckOGK, Art. 8 EGBGB Rz. 3. 3 So auch Mankowski in BeckOGK, Art. 8 EGBGB Rz. 87; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 69; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 36; a.A. Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 18 (lex fori). 4 Dafür auch Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (784 ff.). 5 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 15; ebenso etwa § 49 Abs. 1 öst. IPRG; Art. 126 i.V.m. Art. 116 schweiz. IPRG; Art. 10 Abs. 11 span. CC.; ferner Ruthig S. 127. 6 So zu Recht von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1030 a.E.; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 37; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 83; ebenso schon vor der Reform Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (785 ff.); a.A. noch Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (835). 7 Raape, S. 503 Fn. 78; Ruthig S. 127. 8 Vgl. zur Erteilung von „Prokura“ Kindler/Brüggemann, RIW 208, 473 (478); Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 90; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 72; vgl. schon öOGH v. 28.9.1989 – 10 Ob 48/89; OLG Karlsruhe v. 8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998, 1470.

612 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.398 § 6

zu treffen. Ausgeschlossen ist damit einerseits eine Rechtswahlvereinbarung nur zwischen Vertreter und Drittkontrahenten. Dadurch soll verhindert werden, dass der Vertreter durch die Wahl des Vollmachtstatuts seine Vertretungsbefugnisse zu Lasten des Vertretenen eigenmächtig erweitert1. Diese Gefahr besteht freilich dann nicht, wenn der Geschäftsherr den Vertreter ausdrücklich dazu bevollmächtigt hat, das Vollmachtsstatut mit Wirkung für und gegen ihn zu wählen2. Ferner kann der Geschäftsherr die Wahlfreiheit des Vertreters auch dadurch begrenzen, dass er die von diesem wählbaren Rechte in der Vollmachtsurkunde beschränkt. Andererseits bedarf auch der Vertreter gegenüber einer – etwa im Wege einer Außenvollmacht – nur im Verhältnis zwischen Vollmachtgeber und Drittem getroffenen Rechtswahl des Schutzes. Erstreckt man nämlich den Anwendungsbereich des Vollmachtstatuts auch auf die Überschreitung der Vertretungsmacht und die Haftung des falsus procurator (dazu Rz. 6.451, Rz. 6.458 ff.), so könnte sonst durch eine solche Rechtswahl die Haftung des Vertreters ohne sein Wissen begründet oder erweitert werden3. Aus diesem Grunde verlangt Art. 8 Abs. 1 S. 1 EGBGB für die Wirksamkeit der – insbesondere nachträglichen – Rechtswahl durch einseitige Erklärung des Vollmachtgebers, dass diese nicht nur dem Drittkontrahenten, sondern auch dem Bevollmächtigten bekannt sein muss. Während die einseitige Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1 S. 1 EGBGB vom Vollmachtgeber notwendig vor Ausübung der Vollmacht getroffen werden muss, stellt Satz 2 klar, dass die allseitige Rechtswahl durch dreiseitigen Vertrag „jederzeit“ vereinbart werden kann. Damit wird den Beteiligten die Möglichkeit eingeräumt, das zuvor durch einseitige Rechtswahl des Vollmachtgebers nach Satz 1 gewählte oder das kraft objektiver Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2-5 EGBGB maßgebliche Recht, das ein wirksames Zustandekommen des Hauptvertrags zwischen Vollmachtgeber und Drittem verhindert, noch nachträglich abzuwählen und durch ein Recht zu ersetzen, das den geschlossenen Vertrag nachträglich heilt4. Aus diesem Grunde betont das Gesetz in Satz 3 ausdrücklich den Vorrang der Rechtswahl nach Satz 2 vor jener nach Satz 1. Auch die allseitige Rechtswahl bedarf keiner besonderen Form und kann sich daher konkludent aus der dreiseitigen Vereinbarung ergeben5. Für das Zustandekommen und die materiell Wirksamkeit des Vertrages gilt wiederum das gewählte Recht6.

6.397

III. Objektive Anknüpfung 1. Sonderanknüpfung der Vollmacht In Ermangelung einer – bisher in der Vertragspaxis eher seltenen – Rechtswahl wurde die Vollmacht im Verhältnis des Vertretenen zur dritten Partei, der gegenüber der Vertreter das 1 Vgl. OLG Karlsruhe v. 8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998, 1470; Spellenberg in MünchKomm, vor Art. 11 EGBGB Rz. 90. 2 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (787 f.); Verhagen, S. 356 f.; de Quenaudon, Rev.crit.d.i.p. 73 (1984), 597 (601). 3 So schon die bisher h.M., vgl. OLG Karlsruhe v. 8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998, 1470; Looschelders, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 12; Kurzynsky-Singer, S. 178; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (788 ff.) m.w.N.; a.A. Ruthig, S. 124 f. Demgegenüber wollte der Kommissionsvorschlag zur Rom I-VO von 2005 (Rz. 6.382 f.) das Problem durch eine Einschränkung der Rechtswahl lösen. Denn in Art. 7 Abs. 4 Rom-I-VO-E wird hinsichtlich der Haftung des falsus procurator nur auf Abs. 2, nicht auf Abs. 3 verwiesen; die Haftung wird mithin stets objektiv angeknüpft. 4 Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 25; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 98. 5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 99. 6 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 17.

Hausmann | 613

6.398

§ 6 Rz. 6.398 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Rechtsgeschäft vornahm, schon bisher gesondert angeknüpft. Maßgebend war also nicht das Recht, dem das von dem Bevollmächtigten mit dem Dritten abgeschlossene bzw. abzuschließende Rechtsgeschäft unterlag, sondern ein eigenes Vollmachtsstatut1. BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, DB 1958, 363 und 1010 = IPRspr. 1958/59 Nr. 38 „Nach deutschem IPR ist die Vollmacht ein selbständiges Rechtsgeschäft, die deshalb einem besonderen Vollmachtstatut und grundsätzlich nicht dem Statut unterliegt, das für die Handlung maßgeblich ist, die aufgrund der Vollmacht vorgenommen wird oder werden soll.

6.399

Zwar wurde – im Anschluss an ausländische Vorbilder2 – in der Literatur noch bis zur Neuregelung in Art. 8 EGBGB für eine einheitliche Anknüpfung von Vertretergeschäft und Vollmacht plädiert3. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass auf diese Weise die z.T. schwierigen Abgrenzungsprobleme zwischen Geschäfts- und Vollmachtsstatut (dazu Rz. 6.473 ff.) vermieden würden und das Bedürfnis entfiele, neben dem Geschäftsstatut des Hauptvertrages und dem Statut des der Vollmacht zugrundeliegenden Geschäfts u.U. ein drittes Recht zu ermitteln4. Ferner würde durch eine akzessorische Anknüpfung der Vollmacht an das Statut des Hauptvertrages auch der gebotene Schutz des Drittkontrahenten erreicht, weil dieser das für die Vollmacht maßgebende Recht auf diese Weise unschwer erkennen könnte. Diese Ansicht berücksichtigte jedoch einerseits nicht hinreichend die Interessen des Vollmachtgebers, der dann auf die Bestimmung des Rechts, das die Voraussetzungen und Wirkungen einer gültigen Vollmachtserteilung regelt, keinen Einfluss gehabt hätte5; andererseits muss auch der Vertreter davor geschützt werden, dass Prinzipal und Drittkontrahent durch eine für den Hauptvertrag getroffene Rechtswahl eine für den Vertreter nicht vorhersehbare Haftung als falsus procurator begründen. Außerdem hätten die an den Vertragsverhandlungen Beteiligten vor dem Abschluss des Hauptvertrages keine Möglichkeit, den Bestand und die Reichweite der Vertretungsbefugnisse zu überprüfen6.

6.400

Die Sonderanknüpfung ist auch deshalb gerechtfertigt, weil die Bevollmächtigung als eigenständiges Rechtsgeschäft in ihren Voraussetzungen und Wirkungen vom Vertretergeschäft unabhängig ist. Dieser Wertung des deutschen materiellen Rechts ist auch im Rahmen der

1 BGH v. 9.12.1964 – VIII ZR 304/62, BGHZ 43, 21 (26) = NJW 1965, 487; BGH v. 13.5.1982 – III ZR 1/80, NJW 1982, 2733 = IPRax 1983, 67 (m. Anm. Stoll, IPRax 1983, 52); BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088 = IPRax 1991, 247 (m. Anm. Ackmann, IPRax 1991, 220) = EWiR 1990, 1087 m. Anm. Reithmann; BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315 (1316); OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, NJW-RR 1989, 663 = IPRax 1990, 320 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295) = RIW 1990, 226; OLG Brandenburg v. 31.7.2007 – 6 U 46/06, IPRspr. 2007 Nr. 27; Raape, S. 503; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (203 f.); Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2a; von Bar, Bd. II Rz. 586; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (744 ff.) m.w.N. 2 Insbesondere das engl. Recht tendiert nach wie vor zu einer akzessorischen Anknüpfung der Vollmacht an das Recht des Hauptvertrags, vgl. Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (745 f.) m.w.N. 3 Müller-Freienfels, Vertretung beim Rechtsgeschäft, S. 236 ff.; Spellenberg, S. 225 f.; Spellenberg in MünchKomm, 6. Aufl., vor Art. 11 EGBGB Rz. 81, 98 ff.; ebenso wieder Kleinschmidt, RabelsZ 75 (2011), 497 (512 ff.). 4 Spellenberg, S. 125 ff.; Starace, S. 75 ff., 92 ff. 5 von Bar, Bd. II Rz. 586; von Hoffmann/Thorn, § 7 Rz. 49; Schäfer, RIW 1996, 189 (190); Ruthig, S. 32; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (743); Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (44 f.). Allein der über Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO gewährleistete Schutz reicht – entgegen Spellenberg in MünchKomm, 6. Aufl., vor Art. 11 EGBGB Rz. 113 ff. – nicht aus. 6 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (744).

614 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.402 § 6

kollisionsrechtlichen Anknüpfung Rechnung zu tragen, weil beide Rechtsgeschäfte ganz unterschiedliche räumliche Schwerpunkte haben können1. So mag der Schwerpunkt des Hauptgeschäfts am Sitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verkäufers liegen, weil dieser die für den Vertrag charakteristische Leistung erbringt (Art. 4 Abs. 1 lit. a Rom I-VO), für die Vollmacht hingegen am Sitz des Käufers, weil der Vertrag durch den Bevollmächtigten des Verkäufers dort ausgehandelt und abgeschlossen wurde. Für die rechtsgeschäftliche Vertretung kann insoweit nichts anderes gelten als für die organschaftliche und die sonstige gesetzliche Vertretung, die ebenfalls unabhängig vom Vertretergeschäft angeknüpft werden (vgl. Rz. 6.141 ff. und Rz. 6.1103 ff.). Diese kollisionsrechtliche Unterscheidung zwischen Vollmacht und Hauptgeschäft wird mittelbar bestätigt durch Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO, wonach die Vorschriften der Art. 3 ff. Rom I-VO über die Anknüpfung internationaler Schuldverträge gerade nicht auf die Frage anzuwenden sind, ob ein Vertreter die Person, für deren Rechnung er zu handeln vorgibt, Dritten gegenüber verpflichten kann. Vor diesem Hintergrund wird die Vollmacht auch im Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 (Art. 11 HStÜ; dazu Rz. 6.493 f.) sowie in den meisten europäischen IPR-Kodifikationen gesondert angeknüpft2. Aus diesen Gründen hat sich auch der Gesetzgeber in Art. 8 Abs. 2-5 EGBGB der schon zuvor in Rechtsprechung und Literatur h.M. von der Sonderanknüpfung der Vollmacht angeschlossen.

6.401

Andererseits wird das Vollmachtstatut aber – anders als z.B. im früheren französischen IPR3 – auch nicht durch das der Vollmachtserteilung zugrunde liegende Rechtsverhältnis, das Grund- oder Innenverhältnis (z.B. Handelsvertretervertrag, Auftrag, Geschäftsbesorgung u.Ä.) bestimmt. Ebenso wie im deutschen Sachrecht muss auch im deutschen IPR zwischen Innen- und Außenverhältnis deutlich unterschieden werden, auch wenn das auf die Vollmacht anwendbare ausländische Sachrecht diese Trennung nicht vornimmt4. Dafür spricht vor allem der gebotene Schutz des Drittkontrahenten, der das Bestehen und den Umfang der Vollmacht leicht prüfen und zuverlässig feststellen können muss; diese Voraussetzung wäre bei einer akzessorischen Anknüpfung der Vollmacht an das ihr zugrunde liegende Auftragsverhältnis zwischen Vertreter und Vollmachtgeber nicht gewährleistet5. Demgemäß entscheidet das Vollmachtstatut – und nicht das Statut des Innenverhältnisses – auch darüber, ob und in welchem Umfang aus einer bestimmten Stellung des Vertreters im Innenverhältnis zum Vertretenen (z.B. aus einem Anstellungsvertrag, vgl. § 56 HGB) die Vermutung einer Bevollmächtigung im Außenverhältnis folgt.

6.402

1 Vgl. Kropholler, IPR, § 41 I 1b; Schäfer, RIW 1996, 189 (190); Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (44); Looschelders, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 4. 2 So z.B. in den EU-Mitgliedstaaten Belgien, Bulgarien, Estland, Italien, Liechtenstein, Litauen, den Niederlanden, Österreich, Portugal, Rumänien und Spanien sowie in der Schweiz; vgl. dazu Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (744 ff.) m. Nachw. 3 Das französ. IPR unterwarf die Vollmacht bis zum Inkrafttreten des Haager Stellvertretungsübereinkommens von 1978 (dazu Rz. 6.491 ff.) für Frankreich im Jahre 1992 in Ermangelung einer ausdrücklichen Rechtswahl dem gleichen Recht, dem auch das Innenverhältnis unterlag („mandat“), vgl. Gulphe, J.C.P. 1978.II.18821; Batiffol/Lagarde, II n. 603. 4 Pfister, S. 74 ff.; Makarov, S. 51 f.; Verhagen, S. 108 f.; Spellenberg in MünchKomm, 6. Aufl., vor Art. 11 EGBGB Rz. 81; a.A. aber noch Mäsch, FS Schurig (2012), S. 147 ff. 5 Zutr. von Bar, Bd. II Rz. 587; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (742) m.w.N. Auch das schweiz. Recht trennt in Art. 126 Abs. 1 und 2 IPRG scharf zwischen Innen- und Außenverhältnis, vgl. Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 9 f.

Hausmann | 615

§ 6 Rz. 6.403 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

2. Anknüpfungen nach Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB a) Allgemeine Grundsätze aa) Vorrang vor der Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht

6.403

Der Grundsatz, dass Vollmachtstatut das Recht des Landes ist, in dem der Vertreter mit Willen des Vollmachtgebers von der Vollmacht tatsächlich Gebrauch macht, erlitt schon im bisherigen Recht gewisse Einschränkungen, wenn dieser Gebrauchsort eher zufällig war, weil der Vertreter – für den Drittkontrahenten erkennbar – mit einer bestimmten anderen Rechtsordnung stärker verbunden war1. Im Interesse der Rechtssicherheit müssen die Fälle, in denen von der Anknüpfung an den tatsächlichen Gebrauchsort abgewichen wird, freilich klar umgrenzt werden; eine allgemeine Korrektur zugunsten einer Anknüpfung an die engste Verbindung kommt daher nicht in Betracht. In diesem Sinne hat sich auch der Reformgesetzgeber in Ermangelung einer Rechtswahl in Art. 8 Abs. 2-7 EGBGB für ein ausdifferenziertes System objektiver Anknüpfungen entschieden. Dieses orientiert sich zwar am bisherigen Richterrecht, setzt aber auch eigene Akzente. Dazu gehört insbesondere, dass die frühere Grundsatzanknüpfung an das Recht des Gebrauchsorts oder Wirkungslandes (dazu Rz. 6.416 ff.) nach Abs. 5 nur noch subsidiär gilt, wenn sich das anzuwendende Recht nicht bereits aus den Absätzen 2-4 ergibt2. Sowohl die einem Unternehmer wie einem Arbeitnehmer erteilte Vollmacht als auch eine auf Dauer angelegte Vollmacht werden also nicht nur – wie schon nach bisherigem Recht3 – gesondert angeknüpft; vielmehr hat diese Anknüpfung nach der Neuregelung ausdrücklich Vorrang vor der Gebrauchsortanknüpfung. Denn letztere kommt nach Abs. 5 nur noch zur Anwendung, wenn sich „das anzuwendende Recht nicht aus den Absätzen 1-4 (ergibt)“. Dieser Rangordnung liegt die Überlegung zugrunde, dass die Teilnehmer am Wirtschaftsleben ein Interesse daran haben, dass für Vollmachten im Falle ihrer mehrfachen Ausübung möglichst immer das gleiche ihnen bekannte Recht gelten sollte. Der Umfang der Vertretungsmacht des Bevollmächtigten soll also nicht davon abhängen, wo von der Vollmacht im konkreten Einzelfall – häufig zufällig – Gebrauch gemacht wird4. bb) Erkennbarkeit der Anknüpfung

6.404

Der erforderliche Schutz des Drittkontrahenten wird in den Fällen des Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB dadurch gewährleistet, dass der hiernach für die Anknüpfung der Vollmacht maßgebliche Ort für den Dritten erkennbar gewesen sein muss. Darauf, ob dieser Ort auch für den Vertreter oder den Vollmachtgeber erkannbar war, kommt es nach dem Zweck dieser Einschränkung nicht an. Dies gilt auch dann, wenn die Vollmacht dem Dritten vom Vertretenen als Außenvollmacht erteilt wurde. Maßgebender Zeitpunkt für die Erkennbarkeit ist der Zeitpunkt unmittelbar vor Abgabe der auf den Abschluss des Hauptvertrags gerichteten Willenserklärung des Dritten. Dieser soll nämlich vom Vertragsschlusss mit dem Bevollmächtigten noch Abstand nehmen können, wenn er die Gültigkeit von dessen Vollmacht nach dem auf sie gemäß Abs. 2-4 anwendbaren Recht nicht überprüfen kann5

1 Vgl. insb. Lüderitz, FS. Coing II (1982), S. 305 (318 f.), der als Regelanknüpfung auf das Recht abstellt, unter dem der Vertreter erkennbar auftritt. 2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 103 ff., der von „Anknüpfungsleiter“ spricht. 3 Vgl. Voraufl. Rz. 7.366 ff. m. ausf. Nachw. 4 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 83. 5 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 64.

616 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.407 § 6

An die Erkennbarkeit ist ein objektiver Maßstab anzulegen. Es kommt also darauf an, ob ein vernünftiger durchschnittlicher Verkehrsteilnehmer in der konkreten Situation des Dritten den für die Anknüpfung maßgeblichen Ort erkannt hätte. Subjektive Einschränkungen der Erkennbarkeit in der Person des Dritten bleiben außer Betracht1. Darüberhinaus muss für den Dritten auch erkennbar gewesen sein, dass der Vertreter von der Vollmacht nach Abs. 2 „in Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit“ und nach Abs. 3 „als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers“, also nicht als Privatmann, Gebrauch gemacht hat2. Positive Kenntnis wird allerdings – anders als bei der einseitigen Rechtswahl durch den Vollmachtgeber nach Abs. 1 S. 1 – nicht gefordert; vielmehr steht auch die fahrlässige Unkenntnis des Dritten einer Anwendung der Abs. 2-4 nicht entgegen3. Aus der Formulierung dieser Voraussetzung („es sei denn, dieser Ort ist für den Dritten nicht erkennbar“) folgt, dass eine Vermutung für die Erkennbarkeit spricht, die vom Dritten zu widerlegen ist, wenn er sich auf die mangelnde Erkennbarkeit beruft4. Fehlt es an der Erkennbarkeit der für die Anknüpfung der Vollmacht nach Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB maßgeblichen Kriterien für den Dritten, ist auf die Vollmacht die Auffangregelung in Art. 8 Abs. 5 EGBGB anzuwenden.

6.405

cc) Sachnormverweisung Die drei Sonderanknüpfungen in Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB stimmen weiterhin darin überein, dass jeweils ausdrücklich auf die „Sachvorschriften“ des zur Anwendung berufenen Rechts verwiesen wird. Eine Rück- oder Weiterverweisung durch das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Bevollmächtigten nach Abs. 2 oder am gewöhnlichen Aufenthalt des Vollmachtgebers nach Abs. 3 – z.B. auf das Recht des tatsächlichen Gebrauchsorts der Vollmacht – ist vom deutschen Richter daher nicht zu beachten. Damit folgt der deutsche Gesetzgeber den Vorgaben des Unionsrechts, wonach das bisher kodifizierte IPR der Rechtsgeschäfte nur Sachnormverweisungen enthält (vgl. Art. 20 Rom I-VO). Denn andernfalls wäre „die gerade im internationalen Stellvertretungsrecht besonders bedeutsame Voraussehbarkeit des zur Anwendung berufenen Rechts ... gefährdet“5. Dementsprechend wurde schon bisher angenommen, dass die Befolgung eines Renvoi im Recht der gewillkürten Stellvertretung dem „Sinn der Verweisung“ i.S.v. Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB widersprechen würde, weil der mit der Sonderanknüpfung der Vollmacht angestrebte Verkehrsschutz auf diese Weise verfehlt würde6. Wurde das Vollmachtsstatut durch Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB bestimmt, ergibt sich der Ausschluss des Renvoi bereits aus Art. 4 Abs. 2 EGBGB.

6.406

b) Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit durch den Bevollmächtigten, Abs. 2 Die erste Sonderanknüpfung in Art. 8 EGBGB betrifft Vollmachten, die „in Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit“ verwendet werden, Abs. 2. Sie werden an das Recht des Staates angeknüpft, in dem der Bevollmächtigte zur Zeit der Ausübung der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern dieser für den Dritten erkennbar war. Der gewöhnliche 1 2 3 4 5

Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 65. Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 109. Rademacher, IPRax 2017, 56 (59); Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 41. Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 27. BT- Drucks. 18/10714, 24; zust. von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1069; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 13, 20; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3 a.E.; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 21; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 7. 6 Kropholler, IPR, § 41 I 4; von Bar, Bd. II Rz. 589; IPG 2000/01 Nr. 7 (Köln); 7. Aufl. Rz. 7.385 m.w.N.

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6.407

§ 6 Rz. 6.407 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Aufenthalt solcher unternehmerisch tätiger Bevollmächtigter wird gemäß Art. 8 Abs. 8 EGBGB i.V.m. Art. 19 EGBGB bestimmt, d.h. maßgebend ist die Hauptniederlassung des Unternehmens, in dem der Bevollmächtigte die Vollmacht ausübt, oder die Zweigniederlassung, von der aus er für den Dritten erkennbar tätig wird (Rz. 6.443 f.). Diese Abweichung von der Grundsatzanknüpfung an das Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht war schon bisher in Rechtsprechung und Literatur vorherrrschend.

6.408

Für den Begriff der „unternehmerischen Tätigkeit“ gilt der Maßstab des § 14 BGB1. Erforderlich ist danach eine gewerbliche oder selbständige unternehmerische Tätigkeit2. Insbesondere die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht von Personen, die ein Unternehmen selbständig im Ausland vertreten, unterliegt daher nach Art. 8 Abs. 2 i.V.m. Abs. 8 EGBGB und Art. 19 Abs. 2 Alt. 1 Rom I-VO dem Recht am Ort der ausländischen Niederlassung. Dies gilt vor allem für selbständige Handelsvertreter (vgl. § 84 HGB) mit einem festen Geschäftssitz im Ausland, soweit diese von ihrer Niederlassung aus handeln3. Die in der bisherigen Rechtsprechung vor allem für ständige Vertreter eines Unternehmens im Ausland entwickelten Grundsätze zur Anknüpfung der Vollmacht gelten nach Art. 8 Abs. 2 EGBGB auch für nicht ständige Vertreter, sofern diese eine selbständige Stellung im Wirtschaftsleben einnehmen und ihre Tätigkeit 1 von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1042; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 38; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 89. 2 Zum weiten Begriff der „unternehmerischen“ Tätigkeit in Abs. 2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 109. 3 Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 38; vgl. zum bisherigen Recht RG v. 5.12.1896, RGZ 38, 194 (196) (Ständiger Vertreter einer deutschen Speditionsfirma in London. Vollmacht nach engl. Recht beurteilt, denn „ein Kaufmann, der einen Agenten für einen bestimmten örtlichen Bezirk des Auslandes einsetzt, unterwirft sich damit auch den Rechtssätzen, die für diese Art der Bevollmächtigung an dem auswärtigen Platz, wo der Agent seine Tätigkeit entfalten soll, gelten“); KG v. 30.5.1932, IPRspr. 1932 Nr. 25 (Ständiger Vertreter eines deutschen Konzerns in den Niederlanden. Vollmacht nach niederl. Recht beurteilt, weil „über den Umfang der Vollmacht ständiger Vertreter, Agenten und Filialen im Ausland das Recht der Niederlassung entscheidet, von dem aus sie Geschäfte des Prinzipals betreiben“); BGH v. 29.11.1961 – VIII ZR 146/60, JZ 1963, 167 m. Anm. Lüderitz (Vollmacht einer deutschen Maklerfirma mit Sitz in Hamburg zur Weiterveräußerung von Aprikosenkernen nach deutschem Recht beurteilt: „Vollmachtstatut ist jedenfalls in Fällen, in denen der Bevollmächtigte seine charakteristische Berufstätigkeit von einer ständigen Niederlassung ausübt, das Recht dieses Ortes“); ferner RG v. 3.4.1902, RGZ 51, 147 (149); RG v. 14.1.1910, JW 1910, 181 = SA 66 Nr. 73; BGH v. 9.12.1964 – VIII ZR 304/62, BGHZ 43, 21 (26) = NJW 1965, 487; OLG München v. 4.5.2006 – 31 Wx 23/06, GmbHR 2006, 603 = NJW-RR 2006, 1042 = DNotZ 2006, 871; LG Bielefeld v. 23.6.1989 – 15 O 12/89, IPRax 1990, 315 (m. Anm. Reinhart, IPRax 1990, 389); zust. Rabel, RabelsZ (1929), 807 (813 f.); von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rz. 50 f.; Kayser, S. 136 (145); Klinke, RIW 1978, 649 f.; Kropholler, IPR, § 41 I 2b; Niemann, S. 50; Ruthig, S. 154 ff.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 747 ff. m.w.N. Teilweise wurde die Vertretungsmacht von ständigen Handelsvertretern im Ausland bis zur Kodifikation jedoch auch dem – mit dem Niederlassungsrecht allerdings jeweils identischen – Recht des Wirkungslandes unterstellt, vgl. RG v. 14.6.1923, Recht 1923 Nr. 1222 (Ständiger Vertreter einer dän. Firma in Deutschland. Vollmacht nach deutschem Recht beurteilt als dem „Recht des Landes, wo der Bevollmächtigte die ihm aufgetragene Tätigkeit entfaltet, die Vollmacht sich also auswirkt“); BGH v. 26.6.1968 – VIII ZR 104/66, VersR 1968, 995 (Ständiger Vertreter einer niederländ. Versicherungsgesellschaft in Deutschland. Vollmacht nach deutschem Recht beurteilt als dem „Recht des Ortes, an dem die Vollmacht gebraucht wird“); vgl. ferner RG v. 23.3.1929, SA 83 Nr. 153; OLG Hamburg v. 26.6.1959 – 1 U 126/58, DB 1459, 1396. Für eine Anknüpfung an den tatsächlichen Gebrauchsort der Vollmacht ständiger Vertreter früher auch von Bar, Bd. II Rz. 592; Schäfer, RIW 1996, 189 (192); Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (45); Kurzynsky-Singer, S. 171 ff.

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B. Vollmacht | Rz. 6.409 § 6

von einer festen Niederlassung aus entfalten1. Für angestellte Firmenvertreter, die eine Zweigstelle oder Zweigniederlassung im Ausland leiten, ist hingegen auf Art. 8 Abs. 3 EGBGB abzustellen. Handelt der Vertreter ausnahmweise nicht in Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit, sondern verwendet er die ihm erteilte Vollmacht zu privaten Zwecken, so gilt Abs. 4, wenn es sich um eine Dauervollmacht handelt, sonst Abs. 52. Für die Anknüpfung der Vollmacht an das Niederlassungsrecht unternehmerisch tätiger Vertreter spricht vor allem, dass es sich hierbei um ein bereits vor Verhandlungsbeginn feststehendes, in der Praxis für den Geschäftsherrn wie für den Drittkontrahenten gleichermaßen leicht feststellbares und damit – im Gegensatz zum häufig zufälligen Gebrauchsort – um ein nur wenig manipulationsanfälliges Kriterium handelt, das ein hohes Maß an Rechtssicherheit in Vertretungsfragen gewährleistet3. Diese Anknüpfung trägt dem Umstand Rechnung, dass unternehmerisch tätigen beruflichen Vertretern, insbesondere Handelsvertretern und Rechtsanwälten, im internationalen Rechtsverkehr heute eine ganz wesentliche Funktion bei der Vertragsanbahnung zukommt. Denn an ihrer Niederlassung werden grenzüberschreitende Verträge i.d.R. nicht nur maßgeblich vorbereitet, sondern häufig auch abgeschlossen und beratend weiter begleitet4. Für den Rechtsverkehr ist daher i.d.R. ohne Weiteres erkennbar, dass der Vertreter eines ausländischen Unternehmens seine Tätigkeit auf dem Boden seines Niederlassungsrechts entfaltet5; mit diesem Recht sind daher die Fragen der Wirksamkeit und des Umfangs seiner Vertretungsbefugnisse am engsten verbunden6. Daher hat auch der Vertreter selbst ein berechtigtes Interesse an der Geltung seines Niederlassungsrechts; denn nur dieses ermöglicht ihm eine sichere Einschätzung seiner Vertretungsbefugnisse (und damit der Risiken einer etwaigen Haftung als falsus procurator), und zwar einheitlich für alle von ihm vertretenen Unternehmen7. Aus diesem Grunde wird der – dem Drittkontrahenten bekannte oder erkennbare – Geschäftssitz des berufsmäßigen Vertreters auch in zahlreichen ausländischen Rechten als Primäranknüpfung für seine rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht bestimmt, so z.B. in Bulgarien (Art. 62 Abs. 1 IPRG 2005), Italien (Art. 60 Abs. 1 S. 1 IPRG

1 S. i.d.S. schon BGH v. 13.7.1954 – I ZR 60/53, NJW 1954, 1561 (Hamburger Firma als Cif-Agentin eines türk. Abladers: „In jedem Fall erscheint die Ausdehnung des Wirkungsstatuts auf nichtständige Vertreter dann geboten, wenn es sich um eine kaufmännische Vollmacht handelt, und der Bevollmächtigte eine selbständige Berufstätigkeit im Wirtschaftsleben ausübt“); BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088 = IPRax 1991, 247 (m. Anm. Ackmann, IPRax 1991, 220) = EWiR 1990, 1087 m. Anm. Reithmann (Befugnis des nicht ständigen Vertreters einer engl. partnership, von seiner Niederlassung in England aus Prozessvollmacht für einen Rechtsstreit vor deutschen Gerichten zu erteilen, nach engl. Niederlassungsrecht beurteilt); ferner OLG Frankfurt v. 17.4.1984 – 5 U 116/83, TranspR 1985, 139 (140) (Inkassovollmacht); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (206); Ferid, IPR Rz. 5–147. 2 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 92; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 127. 3 Diloy, S. 306 ff.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (748); Verhagen, S. 111. 4 Dorsel, MittRheinNotK 1997, 6 (10); Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (749); Rueda Valdivia, S. 218 ff. 5 Ruthig, S. 139 f. 6 Die Anknüpfung der Vollmacht an die geschäftliche Niederlassung des unternehmerisch tätigen Vertreters bewirkt i.d.R. auch einen Gleichlauf des Vollmachtstatuts mit dem Statut des Innenverhältnisses zwischen Geschäftsherr und Vertreter, da letzterer typischerweise die charakteristische Leistung des Vertretervertrages erbringt (vgl. Art. 4 Abs. 2b Rom I-VO); dazu Verhagen, S. 111; Rueda Valdivia, S. 219 f.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (749). 7 Ruthig, S. 154 ff. (171 ff.); Ackmann, IPRax 1991, 220 (222); Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (749); a.A. Kurzynsky-Singer, S. 158 f. (164 f.).

Hausmann | 619

6.409

§ 6 Rz. 6.409 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

1995) und der Schweiz (Art. 126 Abs. 2 IPRG)1 sowie grundsätzlich auch in Österreich (Art. 49 Abs. 2 IPRG)2 und Liechtenstein (Art. 53 Abs. 2 IPRG). Gleiches gilt nach Art. 11 Abs. 1 HStÜ in Frankreich, den Niederlanden und Portugal. Für diese Lösung hatte sich auch die EU-Kommission schon in Art. 7 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 18 Rom I-VO-E ausgesprochen (vgl. Rz. 6.383).

6.410

Die Sonderanknüpfung nach Art. 8 Abs. 2 EGBGB wirkt sich vor allem dann aus, wenn der Vertreter von der Vollmacht ausnahmsweise außerhalb seines Niederlassungsstaates Gebrauch macht, sofern nur dem Dritten das Handeln von einer festen Niederlassung aus – z.B. aufgrund des verwendeten Briefkopfs – erkennbar ist3. Denn nur in diesen Fällen erlangt die Anknüpfung an die Niederlassung eigenständige Bedeutung gegenüber der grundsätzlichen Anknüpfung an den Gebrauchsort. Dies gilt insbesondere dann, wenn ein Generalvertreter mit fester Niederlassung für mehrere Länder bestellt ist (z.B. Generalvertreter einer amerikanischen Firma für Europa mit Sitz in Paris). In diesen Fällen hat das Interesse des Drittkontrahenten an der leichten Nachprüfbarkeit des Umfangs der Vollmacht nach Maßgabe seines „Umweltrechts“ zurückzutreten hinter das Interesse des jeweiligen Vertreters einerseits, der wissen will, was er darf, und sich dabei an das Recht seiner ständigen Niederlassung halten möchte, und das Interesse des Vollmachtgebers andererseits, dem bei Geltung des Niederlassungsrechts des Vertreters bekannt ist, mit welchem Umfang der Vertretungsmacht er zu rechnen hat, und der vermeiden möchte, dass die Reichweite der Vollmacht je nach Gebrauchsort variiert4. Der Schutz des Dritten beschränkt sich hier also darauf, dass er leicht erkennen kann, welches Recht gilt; über den Inhalt dieses Rechts muss er sich nötigenfalls selbst informieren. Daraus folgt andererseits, dass eine Anknüpfung an das Niederlassungsrecht des ständigen Vertreters dann ausscheidet, wenn sein Handeln von einer bestimmten Niederlassung aus für den Dritten nicht erkennbar ist; insoweit verbleibt es vielmehr bei der Anknüpfung an den realen Gebrauchsort, Abs. 5 S. 15. c) Vom Arbeitgeber bevollmächtigter Arbeitnehmer, Abs. 3

6.411

Wird die Vollmacht in einem Unternehmen oder Betrieb an Personen erteilt, die nicht unternehmerisch tätig, sondern als Arbeitnehmer abhängig beschäftigt sind und in dieser Funktion von der Vollmacht Gebrauch machen, so wird das Vollmachtstatut hingegen nicht durch den gewöhnlichen Aufenthalt des Bevollmächtigten, sondern nach Art. 8 Abs. 3 EGBGB durch

1 Vgl. Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 41; Vischer/Huber/Oser, Rz. 1018 f. 2 Vgl. öst. OGH v. 21.2.1985, ZfRV 1987, 53 (62); öst. OGH v. 11.10.1995, SZ 68/181, 415; öst. OGH v. 22.10.2001, SZ 74/177, 366; Lurger, IPRax 1996, 54 (57). 3 S. schon von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (207); Kropholler, IPR, § 41 I 2; Ruthig, S. 40; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 101; a.A. G. Fischer, S. 298 f.; Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (45); IPG 2000/01 Nr. 3 (Köln). 4 S. von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (207); Kropholler, IPR, § 41 I 2; a.A. G. Fischer, S. 298 f.; Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (45). 5 Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 93; vgl. schon früher Klinke, RIW 1978, 642 (649); Ruthig, S. 156 ff.; Kropholler, IPR § 41 I 2 b; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (751 ff.) m.w.N.; ferner etwa Art. 126 Abs. 2 schweiz. IPRG und Art. 60 Abs. 1 S. 2 ital. IPRG; anders Art. 11 Abs. 1 HStÜ und Art. 7 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO-E, die an die Niederlassung des Vertreters ohne Rücksicht auf deren Erkennbarkeit für den Dritten anknüpfen. Vgl. auch BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (192) (Vollmacht des in Zürich zugelassenen schweiz. Anwalts von A. Solschenizyn zum Abschluss eines Verlagsvertrages in Deutschland nicht nach dem schweiz. Recht des Kanzleisitzes, sondern nach deutschem Recht beurteilt).

620 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.413 § 6

den gewöhnlichen Aufenthalt des Arbeitgebers als Vollmachtgeber bestimmt. Denn die Vollmacht wird i.d.R. im Rahmen und Interesse des Betriebs des Arbeitgebers ausgeübt. Auch diese Anknüpfung hatte schon in der bisherigen Rechtsprechung Vorrang vor der Anknüpfung an den Gebrauchsort im Einzelfall1. Gemäß Art. 8 Abs. 8 EGBGB i.V.m. Art. 19 Abs. 1 Rom IVO führt diese Anknüpfung im Regelfall zum Recht der Hauptniederlassung des Unternehmens, in dem der bevollmächtgte Arbeitnehmer tätig ist. Denn auch abhängig beschäftigte Vertreter sind für den Drittkontrahenten erkennbar sehr eng mit ihrem Unternehmen verbunden, so dass es gerechtfertigt erscheint, ihre Vertretungsbefugnisse auch dann dem Recht der Hauptniederlassung des Unternehmens (bzw. dem Recht der Zweigniederlassung, in welcher der Arbeitnehmer beschäftigt ist) zu unterwerfen, wenn sie von der Vollmacht ausnahmsweise in einem anderen Land Gebrauch machen2. Auf den gewöhnlichen Aufenthaltsoder Arbeitsort des Arbeitnehmers kommt es hingegen ebensowenig an wie auf Recht, dem das Arbeitsverhältnis unterliegt. Voraussetzung ist freilich nach Abs. 3 letzter Halbsatz wiederum, dass die Zuordnung des Vertreters zu einer bestimmten (Haupt- oder Zweig-) Niederlassung des Arbeitgebers für den Dritten erkennbar ist3. Arbeitnehmer ist jeder in einen Unternehmen abhängig Beschäftigte, soweit er i.S.v. § 611a BGB der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers unterliegt. Zur Auslegung kann auch auf den Arbeitnehmerbegriff in Art. 8 Rom I-VO und Art. 20 ff. Brüssel Ia-VO rekurriert werden4. Da eine Abgrenzung zwischen leitenden Angestellten und sonstigen Arbeitnehmern eines Unternehmens anhand der ausgeübten Tätigkeit nicht leicht fällt und für den Drittkontrahenten nur schwer erkennbar ist, gilt Art. 8 Abs. 3 EGBGB auch für Vollmachten von abhängig Beschäftigten, denen in einem Unternehmen Leitungsfunktionen übertragen sind, insbesondere für Prokuristen5. Denn auch in ihrem Umfang zwingend gesetzlich geregelte Vollmachten wie die Prokura (vgl. § 49 Abs. 1, § 50 HGB) fallen in den Anwendungsbereich von Art. 8 EGBGB, weil auch sie – anders als die Vertretungsmacht von Gesellschaftsorganen (dazu Rz. 6.141 ff.) – auf einem Akt der Selbstbestimmung des Vollmachtgebers, d.h. auf Rechtsgeschäft beruhen6.

6.412

Statut der Prokura (wie auch der Handlungsvollmacht, vgl. § 54 HGB) ist daher – unabhängig davon, wo der Prokurist (bzw. Handlungsbevollmächtigte) von seiner Vertretungsmacht im Einzelfall Gebrauch macht – das am gewöhnlichen Aufenthalt des Vollmachtgebers, d.h. an der

6.413

1 LG Bielefeld v. 23.6.1989 – 15 O 12/89, IPRax 1990, 315 (m. Anm. Reinhart, IPRax 1990, 389); LG Mannheim v. 10.11.2017 – 7 O 28/16, BeckRS 2017, 146786 (Rz. 36). 2 Vgl. schon Kropholler, IPR § 41 I 2 c, sowie in der Schweiz Art. 126 Abs. 3 IPRG. 3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 97; Schwarz RabelsZ 71 (2007), 729 (755 ff.). Vgl. aber auch BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315 (1316) (vom Direktor einer schweizerischen AG ausgestellte Vollmacht zur Scheckausstellung und -hingabe durch den bevollmächtigten Mitarbeiter in Deutschland nach deutschem Recht beurteilt). 4 von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1047; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 95. 5 Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 39; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 123; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 24, jeweils zu Art. 8 EGBGB. 6 Mankowski in BeckOGK, Rz. 201; Magnus in Staudinger, Rz. 38; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 59; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 22; Rademacher in NK-BGB, Rz. 7, jeweils zu Art. 8 EGBGB; vgl. schon von Caemmerer RabelsZ 24 (1959), 201 (205); a.A. noch Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (811); Raape, S. 502. Zur notwendigen Abgrenzung zwischen organschaftlicher und rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht im IPR näher OLG Düsseldorf v. v. 23.12.1994 – 3 Wx 262/92, GmbHR 1995, 597 = IPRax 1995, 396 (m. Anm. Großfeld/Wilde, IPRax 1995, 374) = EWiR 1995, 225 m. Anm. Reithmann.

Hausmann | 621

§ 6 Rz. 6.413 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Hauptniederlassung des Unternehmens geltende Recht1. Dies gilt – anders als für „unternehmerische“ Vertreter i.S.v. Abs. 2 – auch dann, wenn der Prokurist eines deutschen Unternehmens von einer ausländischen Zweigniederlassung dieses Unternehmens aus handelt2. In diesem Sinne entscheiden auch das Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 (Art. 12 HStÜ) sowie das österreichische (§ 49 Abs. 2 IPRG)3 und das schweizerische Recht (Art. 126 Abs. 3 IPRG)4. Die Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 3 EGBGB Abs. 3 führt im Regelfall zu einem Gleichlauf von rechtsgeschäftlicher und organschaftlicher Stellvertretung und damit zu einer Gleichbehandlung der Vertretungsmacht von Vorständen/Geschäftsführern einerseits und Prokuristen andererseits5. d) Anknüpfung sonstiger Dauervollmachten, Abs. 4

6.414

Wird einer Person, die weder in Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit (Abs. 2) noch als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers (Abs. 3) handelt, eine Dauervollmacht für eine Vielzahl von Geschäften mit gleichem oder unterschiedlichem Wirkungsstatut erteilt, so unterliegt die Vollmacht nach Art. 8 Abs. 4 EGBGB dem Recht des Staates, in dem der Bevollmächtigte von der Vollmacht gewöhnlich Gebrauch macht6. Abs. 4 gilt also nur für Vollmachten, die im privaten Bereich verwendet werden7 und knüpft hierfür an den Ort an; an dem der Vertreter üblicherweise seine Erklärungen in Ausübung der Vollmacht abgibt8. Erteilen sich z.B. Eheleute – über die gesetzliche Schlüsselgewalt (vgl. § 1357 BGB) hinaus – eine solche Vollmacht für bestimmte Aufgabenbereiche, so ist Vollmachtsstatut das Recht am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten. Solche Dauervollmachten sollen möglichst stets nach dem gleichen Recht beurteilt werden, auch wenn sie ausnahmsweise einmal in einem anderen Staat als dem des gewöhnlichen Gebrauchsorts ausgeübt werden9. 1 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 25; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 94 ff.; von Bar/ Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1065; vgl. i.d.S. schon OLG Frankfurt a.M. v. 8.7.1969 – 5 U 137/68, AWD 1969, 415; LG Bielefeld v. 23.6.1989 – 15 O 12/89, IPRax 1990, 315 (316); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (205); Ferid, IPR Rz. 5-147; Ruthig, S. 137 ff., 159 ff.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (755 ff.) m.w.N. 2 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 22; a.A. zu Unrecht OLG München v. 14.10.2015 – 34 Wx 187/14, NZG 2015, 1437 (Rz. 15). 3 Dazu öOGH v. 11.10.1995 – 3 Ob 64/95, IPRax 1997, 126 (127) m. Anm. Leible, IPRax 1997, 133. 4 Vgl. Vischer/Huber/Oser, Rz. 1020. 5 BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, NJW 1992, 618 = GmbHR 1992, 107 = JZ 1992, 579 m. Anm. von Bar (Vollmacht des Prokuristen einer deutschen Gesellschaft nach deutschem Recht beurteilt, obwohl als Geschäftsstatut frz. Recht maßgebend war); OLG Frankfurt a.M. v. 11.7.1985 – 1 U 134/84, IPRax 1986, 373 (375) (m. Anm. Ahrens, IPRax 1986, 355) (vom Komplementär einer deutschen Abschreibungsgesellschaft erteilte Generalvollmacht nach deutschem Recht beurteilt, obwohl die Vertretergeschäfte überwiegend in der Schweiz getätigt worden waren: „Denn es geht darum, ob der Komplementär den Beklagten wirksam bevollmächtigt hat, die Rechte als Komplementär für ihn auszuüben. Die Vollmacht sollte insoweit am Sitz der Gesellschaft jedenfalls schwerpunktmäßig ihre Wirkung entfalten.“). 6 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 131; vgl. schon Voraufl. Rz. 7.401. 7 BT-Drucks. 18/10714, S. 26. 8 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 53. 9 BT-Drucks. 18/10714, S. 26; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 100 f.; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 26; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1052. Vgl. i.d.S. schon BGH v. 24.11.1989 – V ZR 240/88, NJW-RR 1990, 248 (250): Dauervollmacht zwischen Eheleuten mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland nach deutschem Recht beurteilt, auch soweit sie sich auf den Verkauf eines spanischen Grundstücks bezog: „Anders als für die Anknüpfung von Einzelvollmacht, Einzelermächtigung oder Einzelgenehmigung scheidet der Rückgriff auf ein vom Einzelvorgang abhängiges Wirkungsstatut aus“.

622 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.417 § 6

Eine Mindestdauer ist für die Anwendung von Art. 8 Abs. 4 EGBGB nicht vorgeschrieben. Die Vollmacht muss daher nicht unbefristet erteilt worden, sondern nur „auf einen längeren Zeitraum angelegt sein“1. Chrakteristisch für Dauervollmachten ist, dass sie auf eine mehrfache Ausübung, auch gegenüber verschiedenen Personen, ausgerichtet sind2. Dafür reicht es auch aus, wenn ihre Verwendung auf einen zeitlich begrenzten Anlass, zB eine Nachlassabwicklung oder eine Hauhaltsauflösung, beschränkt ist3. Auch für Dauervollmachten gilt, dass der Ort des gewöhnlichen Gebrauchs für den Dritten erkennbar sein muss; andernfalls kommt es auch hier auf den Gebrauchsort im konkreten Einzelfall an, Abs. 5 S. 1. Da für Vorsorgevollmachten als wichtigstem Anwendungsfall einer privaten Dauervollmacht Art. 15 ErwSÜ als lex specialis gilt (Rz. 6.1208 ff.), dürfte die praktische Bedeutung von Abs. 4 beschränkt bleiben4.

6.415

3. Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht, Abs. 5 a) Allgemeines Bis zur Kodifikation des Rechts der gewillkürten Stellvertretung in Art. 8 EGBGB wurden Vollmachten im deutschen IPR grundsätzlich nach dem Recht des Landes beurteilt, in dem der Vertreter von ihr mit Willen des Vollmachtgebers tatsächlich Gebrauch gemacht hatte und in dem sie deshalb ihre Wirkung entfaltete (Wirkungsland).

6.416

BGH v. 9.12.1964 – VIII ZR 304/62, BGHZ 43, 21 (26) = NJW 1965, 487 = AWD 1965, 30 „Es kann als gesicherte Auffassung von Rechtslehre und Rechtsprechung angesehen werden, dass nach deutschem IPR Fragen, die sich auf eine im Ausland gebrauchte Vollmacht eines Agenten beziehen, nach dem Recht des Gebrauchsortes als des sog. Wirkungslandes zu beantworten sind.“

Wurde die Vollmacht daher vom Geschäftsherrn zum Gebrauch in einem bestimmten Land erteilt und dort auch tatsächlich verwendet, so galt das Recht dieses Landes5. Bestrebungen im deutschen Schrifttum, den Interessen des Vertretenen auch unabhängig von einer Rechtswahl wieder stärker Rechnung zu tragen und deshalb entweder grundsätzlich

1 BR-Drucks. 653/16 S. 24; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3. 2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 129; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 101. 3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 102; a.A. Bücken, RNotZ 2018, 213 (223). 4 Rademacher, IPRax 2017, 56 (60); Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 40. 5 BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (192 f.) = NJW 1975, 1220; BGH v. 13.5.1982 – III ZR 1/80, NJW 1982, 2733; BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088 = IPRax 1991, 247 (m. Anm. Ackmann, IPRax 1991, 220); BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 66/92, DNotZ 1994, 485 = WuB VIII C. § 17 BeurkG Nr. 1.93 m. Anm. Reithmann; BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, BGHZ 128, 41 = DtZ 1995, 250; BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315 (1316); BayObLG v. 5.11.1987 – BReg 3 Z 67/87, BayObLGZ 1987, 363 = NJW-RR 1988, 873; OLG Düsseldorf v. 23.9.2003 – 23 U 218/02, IPRspr. 2003 Nr. 25; OLG Hamm v. 20.1.2004 – 21 U 102/02, NJOZ 2004, 1357; OLG München v. 10.12.2008 – 20 U 2798/08, IPRspr. 2008 Nr. 13; OLG Düsseldorf v. 26.2.2009 – 1-10 U 121/08, ZMR 2010, 27; LG Köln v. 29.6.2000 – 7 O 304/98, IPRspr. 2000 Nr. 16; LG Karlsruhe v. 6.4.2001 – O 4/98 KfH IV, RIW 2002, 153 (155); zust. die h.L., vgl. von Bar, Bd. II Rz. 585 ff.; Kropholler, IPR, § 41 I 2; von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rz. 50 f.; Heinz, S. 16 ff. m.w.N.; im Erg. auch Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 100 f. („Recht, unter dem der Vertreter erkennbar auftritt“).

Hausmann | 623

6.417

§ 6 Rz. 6.417 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

vom Wohnsitzrecht des Vollmachtgebers auszugehen1 oder dieses zumindest kumulativ neben dem Recht des Gebrauchsorts zu berücksichtigen2, waren hingegen schon bisher auf die deutsche Rechtsprechung ohne Einfluss geblieben3. Die Gerichte räumten dem Schutzbedürfnis des Drittkontrahenten an einer möglichst leicht zugänglichen und zuverlässigen Prüfung der Vollmacht insoweit zu Recht den Vorrang vor den Interessen des Vollmachtgebers, der das Risiko der Stellvertretung eingegangen ist, ein4. OLG Köln v. 29.5.1967 – 1 U 79/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 25 Bei der Ermittlung des Vollmachtstatuts sei „weniger das Parteiinteresse des Vertretenen an der Anwendung eines ihm nahe stehenden Rechts zu berücksichtigen, als das Interesse des Verhandlungspartners des Agenten an dem Recht des Landes, in dem die Vollmacht wirken soll oder tatsächlich wirkt“. OLG München v. 30.10.1974 – 7 U 2263/73, IPRspr. 1974 Nr. 10b Das Gericht hielt es „auch nicht für zulässig, bei der Auslegung einer Vollmacht das Aufenthaltsrecht des Vollmachtgebers mit zu berücksichtigen, was zu einer der Verkehrssicherheit besonders abträglichen Doppelanknüpfung führte. Auf eine solche Mitberücksichtigung des Rechts des Vollmachtgebers liefe es aber hinaus, wenn bei der Auslegung einer Vollmacht auf die von seinem Heimatrecht beeinflussten, in der Vollmacht nicht zum Ausdruck gekommenen Vorstellungen des Vollmachtgebers über die Bedeutung und den Umfang der Vollmacht zurückgegriffen würde.“

6.418

Die Anwendung des am Sitz des Vertretenen geltenden Rechts kam – im Hinblick auf Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO – auch unter Berufung auf Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO nicht in Betracht5. Sie war sogar dann ausgeschlossen, wenn sie dem Drittkontrahenten im Einzelfall günstiger war6.

6.419

An dieser Auffassung hält auch der Gesetzgeber in Art. 8 EGBGB fest. Er hat allerdings den bisherigen Grundsatz der Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht in Abs. 5 S. 1 zu einer bloßen Auffangregelung herabgestuft. Nur wenn das auf die Vollmacht anzuwendende Recht weder nach Abs. 1 gewählt worden ist, noch sich aus den vorrangigen objektiven Anknüpfungen nach Abs. 2-4 ergibt, insbesondere weil der hiernach für die Anknüpfung der Vollmacht maßgebliche Ort für den Dritten nicht erkennbar war, unterliegt die Vollmacht noch dem Recht des Staates, in dem der Bevollmächtigte von ihr im Einzelfall Gebrauch macht und in dem sie deshalb ihre Wirkung entfaltet7. Auf das Recht des realen Gebrauchsorts wird in Ermangelung einer Rechtswahl und vorbehaltlich von Sonderanknüpfungen auch im IPR zahlreicher ausländischer Staaten abgestellt, z.B. in Österreich (§ 49 Abs. 2 IPRG 1 So vor allem P. Müller, RIW 1979, 377 (380 f.); Ebenroth, JZ 1983, 821 (824); Dorsel, MittRheinNotK 1997, 6 (9); Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2a; vgl. auch schon ROHG 8, 150 f. und 22, 86 (98); dazu Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (26 f.). 2 Luther, RabelsZ 38 (1974), 421 (436 f.); Ferid, IPR Rz. 5–146 f. 3 Vgl. aber LG Hamburg v. 16.3.1977 – 5 O 142/76, RIW 1978, 124 (126), das die Vollmacht zum Abschluss eines Schiedsvertrages kumulativ nach dem Recht des Wirkungslandes und dem Aufenthaltsrecht des Vollmachtgebers beurteilt, um die „überstarke Betonung des Verkehrsschutzes durch Rücksichtnahme auch auf die Interessen des Vertretenen auszugleichen“. 4 BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (193) = NJW 1975, 1220. 5 OLG Düsseldorf v. 23.9.2003 – 23 U 218/02, IPRspr. 2003 Nr. 25 (zu Art. 31 Abs. 2 EGBGB a.F.); a.A. Dorsel, MittRheinNotK 1997, 6 (13); Kegel/Schurig, § 17 V 2a. 6 RG v. 14.1.1910, JW 1910, 181 = SA 66 Nr. 73; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (211); Ferid, Rz. 5–148; Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (43). 7 von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1036 ff.; Magnus in Staudinger, Rz. 111 ff.; Thorn in Palandt, Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 5 ff., 28, jeweils zu Art. 8 EGBGB.

624 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.422 § 6

1972), der Schweiz (Art. 126 Abs. 2 IPRG 1987), Italien (Art. 60 Abs. 1 S. 2 IPRG 1995) und Spanien (Art. 10 Abs. 11 Hs. 2 CC idF von 1981). Gleiches gilt für das französische, niederländische und portugiesische Recht aufgrund des dort geltenden Haager Stellvertretungsübereinkommens von 19781. Zu beachten ist ferner, dass die Auffangregelung in Art. 8 Abs. 5 S. 1 EGBGB auch dann zurücktritt, wenn die Vollmacht zur Vornahme einer Grundstücksverfügung i.S.v. Abs. 6 oder von Börsengeschäften bzw. Versteigerungen i.S.v. Abs. 7 ermächtigt. Schließlich stehen auch die Anknüpfungen nach Abs. 5 ihrerseits in einer Hierarchie. Danach ist vorrangig zu prüfen, ob die Ausübung der Vollmacht vom Vollmachtgeber i.S.v. Abs. 5 S. 2 räumlich auf einen bestimmten Staat beschränkt worden ist (Rz. 6.426 f.). Nur wenn auch dies nicht Fall ist, greift die Anknüpfumg an den realen Gebrauchsort nach Abs. 5 S. 1 ein. War auch der hiernach maßgebliche Gebrauchsort für den Dritten nicht erkennbar, so ist auf der letzten Stufe das Recht am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Vollmachtgebers nach Abs. 5 S. 3 maßgebend (Rz. 6.428).

6.420

Die Anwendung des Rechts am realen Gebrauchsort dient vor allem dem Schutz des Drittkontrahenten, der sich bei der Prüfung der Wirksamkeit und des Umfangs der Vollmacht i.d.R. an das ihm vertraute materielle Vertretungsrecht halten kann2. Sein Bedürfnis, den Umfang der Vollmacht leicht prüfen und zuverlässig feststellen zu können, verdient daher zumindest dann, wenn der Vertreter von der Vollmacht im Wohnsitz- bzw. Niederlassungsstaat des Drittkontrahenten Gebrauch macht, den Vorrang vor dem Interesse des Vollmachtgebers, der das Risiko der Stellvertretung eingegangen ist und der durch die Einschaltung des Vertreters seinen geschäftlichen Wirkungskreis gewinnbringend erweitert3. Aber auch Geschäftsherr und Vertreter werden durch diese Anknüpfung nicht unangemessen benachteiligt, da beide sich auf das Recht des Wirkungslandes einstellen und sich über die dort geltenden Vertretungsregeln informieren können. Die Anwendung der lex loci actus führt daher zu einem gerechten Ausgleich der Rechtsanwendungsinteressen aller drei Beteiligten4. Dies gilt allerdings nur, wenn der Gebrauchsort für den Dritten – wie dies Art. 8 Abs. 5 S. 3 EGBGB auch verlangt – erkennbar ist. Daran kann es insbesondere fehlen, wenn der Vertreter den Vertrag mit dem Dritten mit Hilfe mobiler Telekommunikationsmittel (Mobiltelefon, Tablet, Notebook) abschließt5.

6.421

Das Recht des Gebrauchsorts kommt vor allem auf die Erteilung von privaten Einzelvollmachten zur Anwendung, die in Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB nicht geregelt sind. Es gilt ferner für das Handeln von Gelegenheitsvertretern, die weder in Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit noch als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers handeln. Auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt eines solchen Agenten, der entweder über keine feste Niederlassung verfügt oder dessen Handeln von einer solchen zumindest für Dritte nicht erkennbar ist,

6.422

1 Weitere rechtsvergleichende Hinweise zur Gebrauchsortanknüpfung bei Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (756 ff.). 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.12.1994 – 6 U 250/92, IPRax 1996, 423 (425). 3 So schon Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (45); G. Fischer, S. 284 ff.; Voraufl. Rz. 7.372. Bereits das Reichsgericht (SA 83 Nr. 153) hielt es für „äußerst zweckwidrig ..., wenn die Personen, mit denen der Bevollmächtigte im Inland Geschäfte macht, davon ausgehen müssten, dass sich der Umfang seiner Vollmacht nach einem ihnen fremden und nicht nach inländischem Recht richtet“. 4 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 5; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (757). 5 BR-Drucks. 653/16; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1040; krit. deshalb zur Gebrauchsortanknüpfung Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 44.

Hausmann | 625

§ 6 Rz. 6.422 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

kommt es nicht an; denn Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt des Vertreters haben keinen notwendigen Bezug zu seiner Tätigkeit und sind für den Rechtsverkehr nicht ohne weiteres feststellbar1. b) Bestimmung des Gebrauchsorts

6.423

Gebrauchsort ist bei Vertragsschluss unter Anwesenden das an diesem Ort geltende Recht. Wird der Vertrag unter Abwesenden geschlossen, so ist der Ort maßgeblich, an dem der Vertreter die Erklärung abgibt2 oder entgegennimmt. Dies ist bei brieflichen oder telefonischen Erklärungen der Ort, von dem aus der Vertreter schreibt oder telefoniert, bei Verwendung von Telefax oder E-Mail der Absendeort3. Hingegen kommt es nicht darauf an, wo die Erklärung zugeht oder wo die Vollmacht nachgewiesen wird4. Eine für Internet-Geschäfte erteilte Vollmacht unterliegt dem Recht des Staates, in dem die Willenserklärung vom Vertreter in das Netz eingegeben wird5. Bei der Bezahlung durch einen Vertreter mittels Scheck wird die Vollmacht nicht nach dem Recht des Staates beurteilt, in dem der Scheck ausgestellt wurde, sondern nach dem Recht des Staates, in dem der Vertreter ihn zur Zahlung vorgelegt hat6. Nur die Vollmacht des bloßen Empfangsvertreters beurteilt sich nach dem Recht am Empfangsort.

6.424

Kann ein tatsächlicher Gebrauchsort nicht festgestellt werden, z.B. weil von der Vollmacht noch kein Gebrauch gemacht wurde, so dürfte auf den Ort abzustellen sein, an dem von ihr – für den Dritten erkennbar – nach dem Willen des Vollmachtgebers Gebrauch gemacht werden sollte7. Lässt sich auch ein solcher Wille nicht feststellen, so ist nach Abs. 5 S. 3 das Aufenthalts- oder Sitzrecht des Vollmachtgebers maßgebend, weil der Gebrauchsort dann auch für den Dritten nicht erkennbar ist (Rz. 6.428).

6.425

Soll die Vollmacht nach ihrem Inhalt in mehreren Ländern Verwendung finden, so wird sie in jedem dieser Länder nach dortigem Recht beurteilt, soweit von ihr dort tatächlich Gebrauch gemacht wurde8. Dies gilt z.B. für eine Vollmacht zur außergerichtlichen Durchsetzung von Ansprüchen des Vollmachtgebers in verschiedenen Ländern oder für eine Generalvollmacht zur Verwaltung eines in mehreren Ländern belegenen Vermögens, sofern der Ver1 Ablehnend schon bisher die h.L. im In- und Ausland, vgl. von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (206, 207); Luther, RabelsZ 38 (1974), 421 (423); Klinke, RIW 1978, 642 (649); Ruthig, S. 158 ff.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (752 ff.); Diloy, S. 309; Rueda Valdivia, S. 220 f. (231 f.); anders aber Art. 7 Abs. 2 Rom I-E. 2 BR-Drucks. 653/16, S. 25; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 133; vgl. schon BGH v. 20.7.2012 − V ZR 142/11, NZG 2012, 1192 (Rz. 31); Voraufl. Rz. 7.375. 3 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 53; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1038. Vgl. schon früher OLG Saarbrücken v. 28.10.1966 – 3 U 44/65, IPRspr. 1968/69 Nr. 19a: Vertragsschluss per Telefon; OLG Frankfurt a.M. v. 8.7.1969 – 5 U 137/68, AWD 1969, 415; LG Karlsruhe v. 6.4.2001 – O 4/98 KfH IV, RIW 2002, 153 (155): Vertragsschluss per Brief; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (207); von Bar, Bd. II Rz. 589; Ferid, IPR Rz. 5–153; Kropholler, IPR, § 41 I 2a; krit. wegen der schwierigen Bestimmung des Erklärungsorts bei Verwendung moderner Kommunikationsmittel Heinz, S. 160 ff. 4 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 117. 5 Spickhoff, RabelsZ 80 (2016) 481 (516); Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 53. 6 BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315 (1316). 7 Voraufl. Rz. 7384. 8 Vgl. schon BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, WM 1958, 557 (559); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (207).

626 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.427 § 6

treter nicht für den jeweiligen Dritten erkennbar professionell i.S.v. Abs. 2 oder Abs. 3 von einem bestimmten Unternehmenssitz oder einer bestimmten Niederlassung aus handelt. Wird der Vertreter hingegen in derselben Angelegenheit in mehreren Ländern tätig, weil er z.B. den Vertrag in seinem Wohnsitzstaat vorbereitet bzw. verhandelt und anschließend im Sitzstaat des Drittkontrahenten abschließt, so kommt es im Rahmen von Abs. 5 S. 1 auf den Schwerpunkt seiner Vertretungstätigkeit an1. c) Abweichende Bestimmung durch den Vollmachtgeber Die Rechtsprechung trug den Schutzinteressen des Vollmachtgebers schon bisher z.T. dadurch Rechnung, dass sie die Vollmacht nicht nach dem Recht des Staates beurteilte, in dem von ihr tatsächlich Gebrauch gemacht wurde, sondern – ähnlich wie der österreichische Gesetzgeber (vgl. § 49 Abs. 2 öst. IPRG) – als Anknüpfungspunkt das Recht des Landes wählte, in dem sie nach dem Willen des Vollmachtgebers ihre Wirkung entfalten sollte2. Dem wurde auch in der Literatur für den Fall zugestimmt, dass dem Drittkontrahenten bekannt oder nur infolge von Fahrlässigkeit unbekannt war, dass der Vertreter nach dem Willen des Prinzipals von seiner Vollmacht in einem anderen Land Gebrauch machen sollte (Rechtsgedanke des Art. 13 Rom I-VO)3. War der Geschäftspartner hingegen gutgläubig, so sollte es aus Gründen des vorrangigen Verkehrsschutzes bei der Maßgeblichkeit des tatsächlichen Gebrauchsorts sein Bewenden haben4.

6.426

Daran knüpft Art. 8 Abs. 5 S. 2 EGBGB an, wenn dort klargestellt wird, dass an den tatsächlichen Gebrauchsort der Vollmacht dann nicht angeknüpft werden darf, wenn Dritter und Bevollmächtigter wissen mussten, dass von der Vollmacht nur in einem bestimmten Staat Gebrauch gemacht werden sollte. War dem Drittkontrahenten also bekannt oder nur infolge von Fahrlässigkeit5 unbekannt geblieben, dass der Vertreter nach dem Willen des Vollmachtgebers von seiner Vollmacht nur in einem ganz bestimmten Land Gebrauch machen sollte, so sind die Sachvorschriften dieses Staates auf die Vollmacht anzuwenden6. Dadurch soll Missbrauchsfällen, insbesondere einem kollusiven Zusammenwirken von Vertreter und Drittkontrahenten zu Lasten des Vollmachtgebers, vorgebeugt werden7. Sind Bevollmächtigter und Dritter hingegen gutgläubig, weil beide von der räumlichen Beschränkung der Vollmacht durch den Voll-

6.427

1 Vgl. OLG Köln v. 29.5.1967 – 1 U 79/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 25; zust. Kurzynsky-Singer, S. 168 ff. 2 BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (192 f.) = NJW 1975, 1220; BGH v. 13.5.1982 – III ZR 1/80, NJW 1982, 2733 = IPRax 1983, 67 (m. Anm. Stoll, IPRax 1983, 52); BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, BGHZ 128, 41 = IPRax 1996, 342 (343) (m. Anm. G. Fischer, IPRax 1996, 332) (interlokal); OLG Frankfurt a.M. v. 11.7.1985 – 1 U 134/84, IPRax 1986, 373 (375) (m. Anm. Ahrens, IPRax 1986, 355); OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, RIW 1990, 226 = IPRax 1990, 320 (322) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295); OLG Koblenz v. 5.2.1993 – 2 U 338/89, IPRax 1994, 302 (304) (m. Anm. Frank, IPRax 1994, 279). 3 von Bar, Bd. II Rz. 457; Kropholler, IPR § 41 I 2a; Looschelders, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 6; Voraufl. Rz. 7.384. 4 Rabel, RabelsZ 7 (1933), 797 (805) a.E.; Schäfer, RIW 1996, 189 (192); von Bar, Bd. II Rz. 588; von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rz. 50 f.; Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2a; Kropholler, IPR, § 41 I 2a; im Erg. auch BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088. 5 Bereits fahrlässige Unkenntnis i.S.v. § 122 Abs. 2, § 276 BGB schadet dem Drittkontrahenten, vgl. Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 475; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 43. 6 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 1 Rz. 1039; vgl. schon Kropholler, IPR § 41 I 2 a. 7 BT-Drucks. 18/10714, 25 f.; Rademacher, IPRax 2017, 56 (59), Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 113.

Hausmann | 627

§ 6 Rz. 6.427 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

machtgeber weder wussten noch wissen konnten, so verbleibt es aus Gründen des Verkehrsschutzes bei der Maßgeblichkeit des tatsächlichen Gebrauchsorts nach Abs. 5 S. 11. d) Hilfsanknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt des Vollmachtgebers

6.428

Auch die Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht nach Art. 8 Abs. 5 S. 1 EGBGB steht – wie die Anknüpfungen nach Abs. 2-4 (Rz. 6.404 f.). – unter dem Vorbehalt, dass dieser Ort für den Dritten erkennbar war. War dies nicht der Fall, so sind nach Abs. 5 S. 3 die Sachvorschriften des Staates anwendbar, in dem der Vollmachtgeber im Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt i.S.v. Abs. 8 i.V.m. Art. 19 Rom I-VO hat. Der Gesetzgeber hat diesem Ort den Vorzug vor einer subsidiären Anknüpfung an den Abgabeort der Vollmachtserklärung eingeräumt, weil er bei Verwendung moderner Kommunikationsmittel für den Dritten besser erkennbar und im Prozess leichter festellbar ist als der Abgabeort der Erklärung2. Auf die Erkennbarkeit der gewöhnlichen Aufenthalts des Vollmachtgebers für den Dritten kommt es jedoch nicht an.

6.429

Einstweilen frei

4. Sonderanknüpfungen im Hinblick auf den Gegenstand der Vollmacht a) Grundstücksvollmacht, Abs. 6

6.430

Sowohl die Sonderanknüpfungen nach Art. 8 Abs. 2-4 EGBGB wie die Auffangregel in Abs. 5 an das Recht am Gebrauchsort der Vollmacht treten dann zurück, wenn das vom Vertreter vorzunehmende Rechtsgeschäft den Schwerpunkt so eindeutig in einem anderen Land hat, dass das dortige Recht auch über die Wirksamkeit und den Umfang der Vollmacht entscheiden muss3.

6.431

So richtet sich insbesondere die Frage, ob eine Vollmacht zur Verfügung über Grundstücke oder Immobiliarsachenrechte wirksam erteilt wurde, gemäß Art. 8 Abs. 6 i.V.m. Art. 43 EGBGB grundsätzlich nach dem Recht des Landes, in dem das Grundstück liegt (lex rei sitae)4. Dies war schon vor der Kodifikation weithin unstreitig5. Insoweit decken sich also im Interesse der reibungslosen Durchführung von Grundstücksgeschäften – ausnahmsweise – Vollmacht- und Geschäftsstatut. Auch die Rechtswahlmöglichkeiten nach Art. 8 Abs. 1

1 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 28. Ebenso schon früher Rabel, RabelsZ 7 (1933), 797 (805) a.E.; Schäfer, RIW 1996, 189 (192); Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2 a; Kropholler, IPR § 41 I 2 a; im Erg. auch BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088. 2 BR-Drucks. 653/16 S. 25; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; krit. dazu Rademacher, IPRax 2017, 56 (61 ff.). 3 Vgl. schon Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 101; Kropholler, IPR § 41 I 2 d. 4 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 79 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 46; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 4. 5 Vgl. Makarov, FS Perassi II (1957), S. 39 (60); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (209); Müller, RIW 1979, 377 (378 f.); Spellenberg, IPRax 1990, 295; Ferid, IPR Rz. 5–155; von Hoffmann/ Thorn, IPR § 7 Rz. 54; Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2a; Kropholler, IPR, § 41 I 2d; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1091; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (772 f.); Heinz, S. 180 f. m.w.N.; ebenso für das schweiz. IPR Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 30; a.A. Ruthig, S. 162 ff. (Recht des Gebrauchsortes). Auch das HStÜ und der Entwurf zur Rom I-VO von 2005 verzichten auf eine Sonderanknüpfung für die Vollmacht zu Immobiliarverfügungen; krit. dazu Niemann, S. 141 f.; Kurzynsky-Singer, S. 100 ff.; Rueda Valdivia, S. 320.

628 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.434 § 6

EGBGB bestehen daher für Grundstücksvollmachten i.S.v. Abs. 6 nicht, weil das deutsche internationale Sachenrecht der Parteiautonomie keinen Raum gibt1. Diese akzessorische Anknüpfung des Vollmachtstatuts an das Geschäftsstatut soll insbesondere die reibungslose Durchführung von Grundstücksgeschäften gewährleisten. Vollmachten zur Verfügung über deutsche Grundstücke, insbesondere Auflassungsvollmachten, unterliegen daher – abgesehen von der Frage ihrer Formgültigkeit (dazu Rz. 6.452 ff.) – grundsätzlich dem deutschem Recht2. Entsprechend werden Vollmachten zur Verfügung über ausländische Grundstücke dem fremden Belegenheitsrecht unterworfen3. Anders als in Art. 8 Abs. 1-5 EGBGB handelt es sich bei einer solchen Verweisung auf ausländisches Belegenheitsrecht nach Abs. 6 i.V.m. Art. 43 EGBGB um eine Gesamtverweisung, die nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch das Kollisionsrecht des Belegenheitsstaates einschließt4. Von dieser Anknüpfung wird aufgrund der Verweisung in Abs. 6 auf Art. 46 EGBGB nur abgewichen, wenn bei einem Grundstücksgeschäft ausnahmweise eine wesentliche engere Beziehung zu einam anderen Recht als der lex rei sitae besteht, was aber in der Praxis kaum vorkommen wird.

6.432

Art. 8 Abs. 6 EGBGB gilt auch für Verfügungen über grundstücksgleiche Rechte (z.B. Wohnungseigentum) sowie für die Belastung von Grundstücken mit Grundpfandrechten, aber auch für die Eintragung einer Vormerkung5. Die lex rei sitae ist auch dann maßgebend, wenn von der Vollmacht außerhalb des Landes Gebrauch gemacht wird, in dem das Grundstück belegen ist6. Gerade darin liegt die Abweichung von der Grundsatzanknüpfung an den Gebrauchsort in Abs. 5 S. 1.

6.433

Für Vollmachten zur Verfügung über bewegliche Sachen bleibt es hingegen auch dann bei der Maßgeblichkeit von Art. 8 Abs. 1-5 EGBGB, wenn von ihnen in einem anderen Staat Gebrauch gemacht wird als in demjenigen, in dem sich die Sache befindet7. Da Art. 8 Abs. 1 die Rechtswahl nicht auf Vollmachten für Rechtsgeschäfte beschränkt, die ihrerseits der Rechts-

6.434

1 Bücken, RNotZ 2018, 213 (220); von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1057; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 46; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 126. Anders noch Voraufl. Rz. 7.398 unter Hinweis darauf, dass der Dritte nicht schutzbedürftig sei, wenn er sich mit dem Auseinanderfallen von Sachenrechts- und Vollmachtstatut einverstanden erklärt habe. 2 Vgl. LG Berlin I v. 5.10.1932, IPRspr. 1932 Nr. 63 (Löschung von Hypotheken); RG v. 31.5.1943, DNotZ 1944, 151 (152 f.) = SA 97 Nr. 53 (Bestellung von Eigentümergrundschulden). 3 OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, OLG Koblenz v. 8.11.1988 – 6 W 681/88, NJW-RR 1989, 363 = IPRax 1990, 320 (322) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295) (unwiderrufliche notarielle Vollmacht zur Veräußerung eines Ferienbungalows auf Teneriffa nach span. Recht beurteilt). 4 BT-Drucks. 18-10713, S. 21; Bücken, RNotZ 2018, 213 (217); Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 23, 128. 5 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 126; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz 79; a.A. Spickhoff, RabelsZ 80 (2016) 481 (498). 6 RG v. 8.10.1935, RGZ 149, 93 (94) = JW 1936, 313 (Vollmacht zur Verpfändung von Briefhypotheken an deutschem Grundstück nach deutschem Recht beurteilt, obwohl der Vertreter die Verfügung in Belgien traf. Es sei „nicht möglich, die Frage, ob ein solches Recht an sich durch den Vertrag entstehen kann, und die weitere Frage, ob der als Vertreter Handelnde ermächtigt ist, ein solches Recht zu begründen, nach verschiedenen Rechten zu beurteilen“); zust. Ferid, IPR Rz. 5– 156; Kropholler, IPR, § 41 I 2d; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1092; einschränkend von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (209); a.A. Ruthig, S. 161 ff. 7 von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1056; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1090; a.A. Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 143 f.

Hausmann | 629

§ 6 Rz. 6.434 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

wahl zugänglich sind, dürfte diese auch für Vollmachten zur Verfügung über bewegliche Sachen zulässig sein1.

6.435

Die Grundsätze zur Anknüpfung von Vollmachten für Grundstücksverfügungen wurden aufgrund des besonders starken Bezugs zum Belegenheitsrecht bisher auch auf Vollmachten zur Verwaltung von Grundstücken oder Häusern angewandt2. Demgenüber dürfte die lex rei sitae aufgrund der audrücklichen Beschränkung des Art. 8 Abs. 6 EGGB auf Verfügungsgeschäfte für Verwaltungsvollmachten nicht mehr gelten. Insoweit verbleibt es vielmehr bei Art. 8 Abs. 1 bis 5 EGBGB, so dass – anders als nach Art. 8 Abs. 6 i.V.m. Art. 43 EGBGB – auch eine Rechtswahl nach Abs. 1 zulässig ist3. Denn der Dritte ist nicht schutzbedürftig, wenn er sich insoweit mit dem Auseinanderfallen von Sachenrechts- und Vollmachtsstatut einverstanden erklärt hat.

6.436

In gleicher Weise ist für Vollmachten zum Abschluss von schuldrechtlichen Geschäften, die – wie z.B. Grundstücksmiete oder -pacht – Immobilien oder Immobiliarsachenrechte betreffen, nicht die lex rei sitae nach Abs. 6 maßgebend, sondern die allgemeine Anknüpfung an das Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht bzw. an das vorrangige Recht der Niederlassung des unternehmerisch handelnden selbständigen Vertreters oder des Arbeitgebers4. Dies gilt in Rechten, die – wie das deutsche Recht – das Trennungsprinzip befolgen, auch für das einer Grundstücksverfügung zugrundeliegende Kausalgeschäft (z.B. den Grundstückskaufvertrag). Auch eine Rechtswahl nach Abs. 1 ist für Vollmachten zum Abschluss von Grundstücksverträgen uneingeschränkt zulässig5. b) Börsenvollmacht, Abs. 7

6.437

Art. 8 EGBGB findet nach seinem Abs. 7 keine Anwendung auf die gewillkürte Stellvertretung bei Börsengeschäften und Versteigerungen. Insoweit verbleibt es daher beim bisherigen Richterrecht. Danach unterliegt die Vollmacht für Börsengeschäfte oder für die Teilnahme an Auktionen dem Recht der Börse bzw. des Versteigerungsortes, an dem der Bevollmächtigte 1 Spickhoff, RabelsZ 80 (2016) 481 (494); Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 127; a.A. Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 34; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 81. 2 BGH v. 30.7.1954 – VI ZR 323/53, JZ 1955, 702 m. Anm. Gamillscheg (Umfang und Wirkungen einer Hausverwaltungsvollmacht bezüglich eines in Deutschland belegenen Grundstücks nach deutschem Recht beurteilt, obwohl die maßgebliche Erklärung des Vertreters in Frankreich brieflich abgegeben worden war); OLG Frankfurt a.M. v. 2.4.1963 – 6 W 583/62, WM 1963, 872; Kropholler, IPR, § 41 I 2d; Voraufl. Rz. 7.399. 3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 127; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 46; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 82; ebenso schon Voraufl. Rz. 7.398; a.A. Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (774). 4 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 29; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 127; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 46; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1056; ebenso schon früher BGH v. 3.10.1962 – V ZR 212/60, NJW 1963, 46 (47) (Vollmacht für einen „Vertrag über die Verpflichtung zum Abschluss eines Kaufvertrages“ bezüglich eines deutschen Grundstücks nach deutschem Recht beurteilt, „da sie zu einem Tätigwerden in Lindau, und zwar mit Beziehung auf einen hier gelegenen Grundbesitz bestimmt war, in Deutschland zur Auswirkung gelangen sollte“); OLG Stuttgart v. 11.11.1980 – 8 W 173/80, MDR 1981, 405 = OLGZ 1981, 164 (165) (Veräußerungsvollmacht); ebenso von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (209); von Bar, Bd. II Rz. 591; Ferid, IPR Rz. 5–155; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1089; a.A. Spellenberg, S. 166 ff.; Schäfer, RIW 1996, 189 (190); Leible, IPRax 1998, 257 (258). 5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 82.

630 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.438 § 6

(z.B. der Börsenmakler) seine berufstypische Tätigkeit entfaltet1. Dies gilt auch dann, wenn der Bevollmächtigte die bindende Vertragserklärung nicht am Börsenort (sondern z.B. telefonisch oder auf elektronischem Weg im Ausland) abgibt oder seine ständige Niederlassung in einem anderen Land hat. Denn der Rechtsverkehr verlässt sich bei Börsengeschäften oder Versteigerungen auf die Geltung des Rechts am Börsen-/Versteigerungsort. Deshalb hat eine Überprüfung von Vollmachten nach einem hiervon abweichenden Recht wegen der Art dieser Geschäfte regelmäßig auszuscheiden. Auch die Sonderanknüpfung von Börsenvollmachten steht allerdings unter dem Vorbehalt einer abweichenden Rechtswahl nach Abs. 1 (Rz. 6.389 ff.)2; es ist dann Sache des Betreibers der jeweiligen Börse oder Auktion, ob er dem Vertreter, dessen Vollmacht ausländischem Recht unterliegt, die Teilnahme an der Veranstaltung erlaubt3. c) Prozessvollmacht Auch das IPR der Prozessvollmacht wird in Art. 8 EGBGB nicht geregelt. Eine Prozessvollmacht ist daher – ebenso wie die Prozessführungsbefugnis4 – weiterhin nach der lex fori des Landes zu beurteilen, vor dessen Gerichten von ihr Gebrauch gemacht, d.h. der Prozess geführt werden soll; denn sie ist eng mit dem von diesem Gericht angewandten Verfahrensrecht verbunden5. Umfasst die Vertretung Prozesse in mehreren Ländern, so ist die Vollmacht für jedes Land gesondert nach dem dortigen Recht zu beurteilen6.

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 129; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 14; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 61; ebenso schon Ferid, IPR Rz. 5-157; Kropholler, IPR § 41 I 2 d; Schäfer, RIW 1996, 189 (190); vgl. i.d.S. auch Art. 11 Abs. 2 lit. c HStÜ und Art. 7 Abs. 2 S. 2 Rom I-E, sowie Art. 62 Abs. 2 Nr. 3 des bulgar. IPRG 2005. 2 Str., wie hier Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 30; Schwarz, RabelsZ 71 (2007) 729 (770 ff.); a.A. Rademacher, IPRax 2017, 56 (57); Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 4; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 14. 3 Vgl. dazu näher Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (770 f.). 4 Vgl. BGH v. 4.6.1992 – IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312 = MDR 1992, 1181 (315) (unter AI1); LG Hamburg v. 23.4.1997 – 315 O 4/97, RIW 1998, 894; Schack, Rz. 627. 5 BT-Drucks. 18/10714, 24; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 1 Rz. 1061; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 4; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 66; Geimer, IZPR Rz. 2232; Schack, IZVR Rz. 616. Ebenso schon früher Ferid, IPR Rz. 5–157; Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2 a.E.; Kropholler, IPR § 41 I 2d; Ruthig, S. 164 ff.; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 96; aus der Rspr. BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, WM 1958, 557 (559); OLG München v. 20.11.1970 – Wi 81/60, IPRspr. 1970 Nr. 93; OLG Zweibrücken v. 29.1.1974 – 5 U (WG) 117/73, RIW 1975, 347; OLG Hamm v. 21.3.1994 – 2 U 103/92, RIW 1994, 513 (514) = IPRax 1996, 33 (m. Anm. Otto, IPRax 1996, 22); KG v. 29.10.1997 – 24 U 5710/90, IPRspr. 1997 Nr. 23 LG Frankfurt a.M. v. 3.11.1978 – 2/9 T 1059/78, RIW 1980, 291. 6 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 49; vgl. schon BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, DB 1958, 1010 = MDR 1958, 319 (Die Bevollmächtigung eines engl. Rechtsanwalts durch die in Russland lebenden Erben zur Verfolgung ererbter Ansprüche in mehreren Ländern nach deutschem Recht beurteilt, „soweit es sich um die Entfaltung einer Tätigkeit vor deutschen Gerichten handelt“); OLG München v. 9.4.1969 – Wi 63/65, WM 1969, 731 (Bevollmächtigung eines französ. Rechtsanwalts durch einen in Frankreich lebenden Verfolgten zur Geltendmachung von Ansprüchen im Rückerstattungsverfahren vor deutschen Gerichten nach deutschem Recht beurteilt). Vgl. aber OLG Hamburg v. 15.5.1931, IPRspr. 1931 Nr. 39 (Vollmacht von engl. „agents“ einer span. und einer brasilian. Reederei zur Vergleichung von Ersatzansprüchen, die vor deutschen Gerichten rechtshängig waren, nach engl. Recht beurteilt, weil die Vergleichsverhandlungen am Sitz der Agenturen in London geführt worden waren).

Hausmann | 631

6.438

§ 6 Rz. 6.439 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.439

Die lex fori gilt sowohl für die Erteilung wie den Umfang der Prozessvollmacht. Sie bestimmt insbesondere, welche Anforderungen an die Person des Prozessbevollmächtigten zu stellen sind, ob eine für die erste Instanz erteilte Prozessvollmacht auch für die Rechtsmittelinstanz und die Zwangsvollstreckung fortgilt1 und ob sie durch den Tod des Vollmachtgebers erlischt (Rz. 6.464). Sie erstreckt sich hingegen nicht auf die Frage, ob ein Bevollmächtigter überhaupt berechtigt war, einem Anwalt Prozessvollmacht zu erteilen; insoweit verbleibt es vielmehr beim Recht des Gebrauchsorts bzw. bei einem selbständigen Vertreter mit fester Niederlassung beim dortigen Recht2. Die lex fori gilt auch für sonstige Verfahrensvollmachten, z.B. für Vollmachten zur Vertretung vor Schiedsgerichten3. d) Vollmacht zur Ausstellung von Konnossementen

6.440

Die Anknüpfung an den Gebrauchsort der Vollmacht passt auch nicht für die Vollmacht zur Ausstellung von Konnossementen. Denn der ihr zugrunde liegende Gedanke des Verkehrsschutzes setzt einen räumlich begrenzten Tätigkeitsbereich des Vertreters voraus; auf die dort geltenden Prinzipien des Vertretungsrechts soll der Drittkontrahent sich verlassen können. Diese Voraussetzung fehlt aber im internationalen See- und Konnossementverkehr. Im Vordergrund steht hier die Orientierungssicherheit bezüglich des auf die Vollmacht anzuwendenden Rechts. Dies legt eine Anknüpfung an den Ausstellungsort des Konnossements nahe, denn dieser ist für jedermann aus dem Konnossement ersichtlich4. Dies muss auch bei Ausstellung des Konnossements durch den Kapitän gelten. e) Vorsorgevollmacht

6.441

Bei der Vorsorgevollmacht handelt es sich um einen Sonderfall der General- oder Dauervollmacht. Für sie galten daher bisher die für andere Dauervollmachten entwickelten Anknüpfungsgrundsätze (Rz. 6.414 f.) entsprechend5. Demgegenüber gilt für die Erteilung und den Umfang einer Vorsorgevollmacht seit Inkrafttreten des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens vom 13.1.2000 für die Bundesrepublik Deutschland am 1.1.2009 (dazu Rz. 6.1194 ff.) eine Sonderanknüpfung. Danach unterliegt die Vorsorgevollmacht gem. Art. 17 Abs. 1 des Übereinkommens – vorbehaltlich einer zulässigen Rechtswahl in den Grenzen des Art. 17 Abs. 2 – nicht dem Recht der Niederlassung des berufsmäßigen Vertreters oder dem Recht des tatsächlichen Gebrauchsorts, sondern dem Recht des Staates, in dem der schutzbedürftige Erwachsene im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (dazu näher Rz. 6.1208 ff.).

1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 67. 2 BGH v. 26.4.1990 – VII ZR 218/89, NJW 1990, 3088 = IPRax 1991, 247 (m. Anm. Ackmann, IPRax 1991, 220); BGH v. 16.5.1991 – IX ZB 81/90, NJW 1992, 627 (628) = MDR 1992, 187. 3 BFH v. 2.4.1987 – VII R 60/84, RIW 1987, 635 (Vollmacht des Spediteurs für Zollabfertigung); ferner BPatG v. 11.1.1988 – 31 W (pat) 76/85, BPatGE 29, 198 = GRUR 1988, 685 (Vollmacht des Mitarbeiters einer GmbH zur Einlegung eines Einspruchs gegen die Erteilung eines Patents nach dem Recht am Sitz des Patentgerichts beurteilt). 4 Vgl. dazu mit eingehender Interessenanalyse Mankowski, TranspR 1991, 253 (258 ff.). 5 Vgl. Ludwig, DNotZ 2009, 251 (255).

632 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.444 § 6

f) Kapitänsvollmacht Die rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht des Kapitäns, für den Schiffseigner zu handeln, beurteilt sich nicht nach Art. 8 EGBGB, sondern gewohnheitsrechtlich nach dem Recht der Flagge, d.h. im Allgemeinen nach dem Recht am Geschäftssitz des vertretenen Reeders bzw. dem Recht des Ortes, an dem das Schiff registriert ist1. Dies gilt aus Gründen des Verkehrsschutzes (leichte Feststellbarkeit der Flagge) auch dann, wenn das Schiff eine sog. „Billigflagge“ führt2.

6.442

IV. Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts, Abs. 8 Art. 8 EGBGB nimmt in drei Fällen der objektiven Anknüpfung des Vollmachtstatuts auf den gewöhnlichen Aufenthalt Bezug, nämlich in Abs. 2 auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Bevollmächtigten sowie in Abs. 3 und Abs. 5 S. 3 auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Vollmachtgebers. Zur näheren Bestimmung dieses gewöhnlichen Aufenthalts verweist Art. 8 Abs. 8 EGBGB auf Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 Alt. 1 Rom I-VO. Diese Vorschrift enthält zwar keine allgemeine Definition des gewöhnlichen Aufenthalts. Sie bestimmt aber in Abs. 1 für das Kollisionsrecht der Schuldverträge, welcher Ort bei Gesellschaften, Vereinen oder juristischen Personen einerseits und bei natürlichen Personen, die eine berufliche Tätigkeit ausüben, andererseits als gewöhnlicher Aufenthalt gilt. Der gewöhnliche Aufenthalt für Gesellschaften und juristische Personen wird nach Art. 19 Abs. 1 Rom I-VO durch den Ort ihrer Hauptverwaltung, d.h. den effektiven Verwaltungssitz (Rz. 6.443), bestimmt. Art. 19 Abs. 2 Alt. 1 Rom IVO enthält eine Sonderregel zur Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts eines unternehmerisch handelnden Vertreters i.S.v. Art. 8 Abs. 2 EGBGB, wenn dieser von einer Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung aus tätig wird. Das am Ort der Zweigniederlassung geltende Recht kommt allerdings nach Abs. 8 S. 2 nur zur Anwendung, wenn das Handeln des Vertreters von der Zweigniederlassung aus für den Dritten erkennbar war; andernfalls bleibt es bei der Anwendung des Rechts am Sitz der Hauptverwaltung3. Ferner tritt zur Bestimmung des für den gewöhnlichen Aufenthalt maßgeblichen Zeitpunkts an die Stelle des Vertragschlusses in Art. 19 Rom I-VO die Ausübung der Vollmacht.

6.443

Der gewöhnliche Aufenthaltsort einer natürlichen Person, die ihm Rahmen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit handelt, ist nach Art. 19 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO der Ort ihrer Hauptniederlassung, an dem sie also diese berufliche Tätigkeit hauptsächlich ausübt. Der gewöhnliche Aufenthalt von privat handelnden natürlichen Personen wird in Art. 8 EGBGB nicht bestimmt; insoweit gelten die allgemeinen Grundsätze zur Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt im Personenrecht4.

6.444

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 99; ebenso schon früher Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (831); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (212); von Bar, II Rz. 590; Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2b; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 97; vgl. auch Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 25a, der Art. 8 EGBGB anwendet und über dessen Abs. 3 zum gleichen Ergebnis kommt. Abweichend Maczeyzik, Die Kapitänvertretungsmacht (1990), S. 297 f. (300), die von einer gesetzlichen Vertretungsmacht des Kapitäns ausgeht und diese primär an das Sitzrecht des Verfrachters anknüpfen will, soweit dessen Sitz für Dritte erkennbar ist. 2 LG Hamburg v. 18.4.1962 – 29 O 166/58, IPRspr. 1962/63 Nr. 48; ferner BGH v. 26.9.1963 – II ZR 240/62, BGHZ 40, 126 = NJW 1963, 2323 (impliciter). 3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 110; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 47. 4 Dazu Hausmann in Hausmann/Odersky, § 2 Rz. 58 ff.

Hausmann | 633

§ 6 Rz. 6.445 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

V. Reichweite des Vollmachtstatuts 1. Abgrenzung vom Geschäftsstatut des Hauptvertrags 6.445

Die Reichweite des Vollmachtstatuts ist abzugrenzen vom Anwendungsbereich des Geschäftsstatuts des Vertrages, der vom Vertreter mit dem Drittkontrahenten abgeschlossen wird. Maßgebend für diese Abgrenzung sind die in Rz. 6.398 ff. beschriebenen kollisionsrechtlichen Interessen. Danach beherrscht das Vollmachtstatut alle Fragen, welche die Befugnis des Bevollmächtigten betreffen, den Vollmachtgeber gegenüber dem Drittkontrahenten wirksam zu verpflichten (vgl. Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO). Dies gilt insbesondere für die wirksame Begründung, den Umfang, die Wirkungen und das Erlöschen der Vollmacht1. Dies wird in zahlreichen ausländischen Kodifikationen ausdrücklich klargestellt2. Auch nach der Gesetzesbegründung zu Art. 8 EGBGB bezieht sich die Vorschrift „allein auf die Voraussetzungen und die Wirkungen der Stellvertretung aufgrund einer Vollmacht“3. Für eine Ausdehnung der Reichweite des Vollmachtstatuts zu Lasten des Geschäftsstatuts bietet die Neuregelung daher keine Rechtfertigung4.

6.446

Das Vollmachtstatut entscheidet insbesondere über die gültige Erteilung der Vollmacht, die sich daher nach dem Recht des Wirkungslandes richtet5. Dies betrifft etwa die Art und Weise der Vollmachtserteilung (einseitige Willenserklärung oder Vertrag)6, sowie die Frage, ob nur der Bevollmächtigte oder auch Dritte Adressaten der Vollmachtserklärung sein können (Innen- oder Außenvollmacht)7. Dem Vollmachtsstatut ist ferner zu entnehmen, in welchem Umfang Willensmängel in der Person des Vollmachtgebers die wirksame Erteilung der Vollmacht beeinflussen8. Auch die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Minderjähriger wirksam bevollmächtigt werden kann, beurteilt sich aus Gründen des Drittkontrahentenschutzes nach dem Vollmachtstatut9. Ob der Bevollmächtigte oder der Vollmachtgeber bei

2. Erteilung und Gültigkeit der Vollmacht

1 Vgl. Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 34; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 133 ff.; Kropholler, IPR, § 41 I 3. 2 Vgl. etwa § 49 öst. IPRG; Art. 53 liecht. IPRG; Art. 126 Abs. 2 schweiz. IPRG; ferner Art. 11 Abs. 1, 1. HS HStÜ. Zum Anwendungsbereich des Vollmachtstatuts aus rechtsvergleichender Sicht s. insb. Berger, S. 129 ff.; Kurzynsky-Singer, S. 117 ff. (178 ff.); Rueda Valdivia, S. 238 ff.; Ruthig, S. 168 ff.; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (790 ff.); Verhagen, S. 362 ff. 3 BT-Drucks.18/10714, S. 24. 4 Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 19; a.A. Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 133 ff. 5 Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 34; Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 5; zum früheren Recht BGH v. 29.11.1961 – VIII ZR 146/60, JZ 1963, 167 m. Anm. Lüderitz; BGH v. 13.5.1982 – III ZR 1/80, NJW 1982, 2733 = RIW 1982, 589 = IPRax 1983, 67 (m. Anm. Stoll, IPRax 1983, 52); BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315 (1316); OLG Koblenz v. 19.10.1995 – 6 U 1441/92, RIW 1996, 151 (152); OLG Köln v. 12.6.1995 – 19 U 15/95, NJW-RR 1996, 411 (interlokal); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214 f.); Ferid, IPR Rz. 5–160; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102. 6 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 136; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (215). 7 Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; vgl. schon von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (215); Raape, S. 503. 8 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 137; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 174; ebenso schon bisher von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214); Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (46); für die Schweiz Berger, S. 147; Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 21. 9 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 137; Rademacher in NK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 5; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (215); a.A. Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 174; Raape, S. 503.

634 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.448 § 6

Erteilung der Vollmacht voll oder beschränkt geschäftsfähig waren, ist hingegen selbständig nach Art. 7 EGBGB anzuknüpfen (dazu Rz. 6.1057 ff.)1. Früher wurde häufig zwischen der Erteilung der Vollmacht einerseits und der Tragweite der wirksam entstandenen Vollmacht andererseits unterschieden. Nur die letztere Frage wurde dem Vollmachtstatut unterstellt, während die Frage, ob überhaupt eine gültige Bevollmächtigung vorlag, nach dem Domizilrecht des Vertretenen beurteilt wurde2. Ebenso wie in der Schweiz (vgl. Art. 126 Abs. 2 IPRG) konnte diese Auffassung von der gespaltenen Anknüpfung des Vollmachtstatuts in Deutschland schon vor der Kodifikation als überwunden gelten, da eine scharfe Trennung zwischen den Fragen der wirksamen Entstehung und der Tragweite der Vollmacht weder möglich noch sinnvoll erscheint3. Außerdem widerspricht diese Aufspaltung den für die Sonderanknüpfung der Vollmacht maßgeblichen Wertungen, insbesondere dem angestrebten Verkehrsschutz4. Für sie ist daher unter Geltung von Art. 8 EGBGB kein Raum mehr.

6.447

3. Auslegung der Vollmacht Auch die Auslegung der Vollmacht unterliegt dem Vollmachtsstatut. Denn insoweit ist entscheidend, wie der Drittkontrahent die Vollmacht nach den Auslegungsgrundsätzen des Rechts an der ständigen Niederlassung des Vertreters bzw. Arbeitgebers oder am Gebrauchsort interpretieren durfte5. 1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 137; BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, ZIP 2004, 659 = NJW 2004, 1315 (1316); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217). 2 Vgl. Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (829); Raape, S. 503; Pfister, S. 104; ebenso noch BGH v. 30.7.1954 – VI ZR 32/53, JZ 1955, 702 m. Anm. Gamillscheg (Erteilung einer Hausverwaltungsvollmacht für eine in Deutschland belegene Gaststätte nach französ. Recht beurteilt, „weil sowohl der Vertretene als auch der Vertreter die frz. Staatsangehörigkeit besaßen und zudem auch der Ort der Vollmachtserteilung in Frankreich liegt“). Vgl. auch schweiz. BG v. 26.6.1962, BGE 88 II 195 (Vollmacht des in Berlin niedergelassenen Vertreters einer schweiz. Firma zum Verkauf von Damenstrümpfen hinsichtlich ihrer Entstehung dem schweiz. Recht am Sitz der vertretenen Firma, hinsichtlich ihrer Tragweite hingegen dem deutschen Recht unterstellt, weil der Vertreter in Deutschland von ihr Gebrauch gemacht hatte). 3 BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (192 f.); Gamillscheg, JZ 1955, 705; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959); 201 (210 f.); Ferid, IPR Rz. 5-154; Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (28). 4 Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (792). 5 Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 138; Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; ebenso schon zum früheren Recht RG v. 21.11.1927, HRR 1928 Nr. 303 = IPRspr. 1928 Nr. 27 (Auslegung einer zweisprachig [deutsch-italien.] gefassten Vollmacht: „Bei Widersprüchen zwischen den beiden Fassungen geht der deutsche Text vor, wenn von der Vollmacht in Deutschland Gebrauch gemacht werden soll“); RG v. 31.5.1943, DNotZ 1944, 151 = SA 97 Nr. 53 (In engl. Sprache abgefasste Vollmacht bezüglich eines deutschen Grundstücks nach deutschem Recht ausgelegt: „Nach ihrem Inhalt ermächtigte die ... in Amerika ausgestellte Vollmacht den Bevollmächtigten zum Tätigwerden für den Vollmachtgeber in Deutschland; sie sollte also in Deutschland Verwendung finden. Demgemäß sind für die Auslegung der Vollmachtsurkunde die Auslegungsgrundsätze des deutschen Rechts, insbesondere die §§ 133, 157 BGB maßgebend“); ferner BGH v. 9.12.1964 – VIII ZR 304/62, BGHZ 43, 21 (27) = NJW 1965, 487; BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 (192 f.) = NJW 1975, 1220; OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, IPRax 1990, 320 (322) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295); Reithmann, DNotZ 1956, 125 ff.; Braga, RabelsZ 24 (1959), 337; Luther, RabelsZ 38 (1974), 421 (434); Ferid, IPR Rz. 5–160; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102; für Berücksichtigung des Rechts am Erklärungsort Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (46).

Hausmann | 635

6.448

§ 6 Rz. 6.449 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

4. Inhalt und Umfang der Vollmacht 6.449

Auch der im Wege der Auslegung zu ermittelnde Inhalt und Umfang der Vollmacht ist nach dem von Art. 8 EGBGB bestimmten Vollmachtstatut zu ermitteln1. Das nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB gewählte oder nach Art. 8 Abs. 2-6 EGBGB objektiv ermittelte Recht ist daher maßgebend dafür, ob das vom Vertreter mit dem Dritten abgeschlossene Geschäft durch die Vollmacht gedeckt ist2.

6.450

Das Vollmachtstatut ist weiterhin maßgebend für folgende Fragen: – ob der Bevollmächtigte Untervollmacht erteilen darf3, – ob der Bevollmächtigte mit sich selbst kontrahieren darf oder zur Mehrfachvertretung berechtigt ist, denn auch insoweit handelt es sich um eine Frage der Tragweite der Vollmacht4, 1 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 34; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 139; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 191 ff.; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1066; ebenso schon früher von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214); Hohloch, JuS 1992, 610 (613); Kropholler, IPR § 41 I 3; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102. 2 Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; vgl. schon RG v. 5.12.1896, RGZ 38, 194 (196) (ob der Agent einer deutschen Firma in London ermächtigt war, über Waren der von ihm vertretenen Firma zu verfügen, nach engl. Recht (Londoner Gebräuchen) bejaht); RG v. 3.4.1902, RGZ 51, 147 (149) (ob der Frankfurter Agent einer New Yorker Firma Zusicherungen über die Qualität der Ware machen durfte, nach deutschem Recht bejaht); RG v. 14.1.1910, JW 1910, 181 = SA 66 Nr. 73 (ob der bloße Vermittlungsagent einer Darmstädter Maschinenfabrik in Dänemark befugt war, eine Vertragsannahmeerklärung entgegenzunehmen, nach dän. Recht verneint); BGH v. 30.7.1954 – VI ZR 32/53, JZ 1955, 702 m. Anm. Gamillscheg (ob die Vollmacht zur Verwaltung eines deutschen Gastwirtschaftsanwesens dazu ermächtigte, eine Abwohnvereinbarung zu treffen, nach deutschem Recht bejaht); OLG München v. 30.10.1974 – 7 U 2263/73, IPRspr. 1974 Nr. 1 (ob die einem deutschen Vertreter von einer ital. AG erteilte „Sondervollmacht“ in Bezug auf die Errichtung eines Bauvorhabens für die Olympiade 1972 in München auch das Recht umfasste, einem deutschen Rechtsanwalt Prozessvollmacht zu erteilen, nach deutschem Recht bejaht); BayObLG v. 5.11.1987 – BReg 3 Z 67/87, BayObLGZ 1987, 363 = NJW-RR 1988, 873 (Umfang einer in Kanada in engl. Sprache ausgestellten Vollmacht zur Anmeldung der Kapitalerhöhung einer deutschen GmbH nach deutschem Recht beurteilt); zust. Braga, RabelsZ 24 (1959), 337 (338); Raape, S. 503. 3 Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 139; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 177 vgl. zum bisherigen Recht OLG Frankfurt a.M. v. 2.4.1963 – 6 W 583/62, WM 1963, 872 (875); LG Berlin I v. 5.10.1932, IPRspr. 1932 Nr. 63; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102; Ferid, IPR Rz. 5-160; vgl. auch IPG 1975 Nr. 47 (Hamburg) (Befugnis eines kanad. trustee zur Erteilung von Untervollmacht nach deutschem Vollmachtstatut beurteilt); LG Karlsruhe v. 6.4.2001 – O 4/98 KfH IV, RIW 2002, 153 (155) (Berechtigung des Vorstandsmitglieds einer tschech. AG zur Erteilung von Untervollmacht nach dem am tschech. Gebrauchsort geltenden Recht verneint). 4 Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 34; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 140; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1066; vgl. schon RG v. 25.5.1928, JW 1928, 2013 (Berechtigung zum Selbstkontrahieren nach estn. Vollmachtstatut beurteilt); BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, NJW 1992, 618 = ZIP 1991, 1582 JZ 1992, 579 m. Anm. von Bar = WuB IV A § 181 BGB Nr. 1.92 m. Anm. Thode = EWiR 1991, 1107 m. Anm. Schlechtriem (Recht von Geschäftsführern bzw. Prokuristen einer deutschen GmbH zum Selbstkontrahieren nach deutschem Gesellschafts- bzw. Vollmachtstatut – und nicht nach dem frz. Geschäftsrecht – beurteilt); ferner OLG Düsseldorf v. 8.12.1994 – 6 U 250/92, IPRax 1996, 423 (425); OLG Koblenz v. 19.10.1995 – 6 U 1441/92, RIW 1996, 151 (152); OLG Karlsruhe v. 26.7.2017 – 6 U 142/15,

636 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.452 § 6

– ob im Falle der Bestellung mehrerer Vertreter Einzel- oder Kollektivvertretungsmacht besteht1, – ob der Vertreter seine Vollmacht überschritten oder missbraucht hat2.

Das Vollmachtstatut entscheidet daher auch, ob der Vollmachtgeber trotz Überschreitung bzw. Missbrauchs der Vollmacht durch den Vertreter dem Dritten gegenüber (z.B. kraft Rechtsscheins, dazu Rz. 6.467 ff.) gebunden wird3. Entfällt allerdings eine Bindung des Vollmachtgebers an das vom Vertreter unter Überschreitung bzw. Missbrauch der Vollmacht geschlossene Geschäft nach dem Recht des Wirkungslandes, so beurteilt sich die weitere Frage, ob der Vollmachtgeber dem Dritten ggf. aus anderen Rechtsgründen (z.B. aus culpa in contrahendo oder Delikt) haftet, hingegen nach dem hierfür jeweils maßgeblichen Statut (Art. 12, 4 ff. Rom II-VO)4.

6.451

5. Form der Vollmacht a) Geschäftsrecht Der Ausschluss der rechtsgeschäftlichen Vertretung aus dem Anwendungsbereich der Rom IVO (Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO) erfasst nicht nur die materielle Wirksamkeit der Vollmacht, sondern auch deren Formgültigkeit. Art. 11 Rom I-VO gilt daher zwar für die Form des der Vollmacht zugrundeliegenden schuldrechtlichen Geschäfts (z.B. den Auftrag) sowie für die Form des von dem Vertreter mit dem Dritten abgeschlossenen Vertrages. Demgegenüber beurteilt sich die Form der Vollmacht weiterhin nach dem autonomen IPR der Mitgliedstaaten, in Deutschland daher nach Art. 11 EGBGB5. Danach sind das Geschäftsrecht und das Ortsrecht alternativ und gleichrangig zur Anwendung berufen6.

1 2

3 4 5

6

GRUR-RS 2017, 119653 Rz. 36; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (216 f.); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102; a.A. OLG München v. 19.11.1997 – 7 U 2511–97, NJW-RR 1998, 758 (implizit); Braga, RabelsZ 24 (1959), 337 (338 f.) (Statut des Innenverhältnisses); Raape, S. 503; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 180 (Geschäftsstatut). Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 139; vgl. auch OLG Frankfurt v. 2.4.1963 – 6 W 1963, 872, IPRspr. 1962/63 Nr. 164; ebenso für die Schweiz Berger, S. 151; Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 25. RG v. 14.10.1931, RGZ 134, 67 (71) (Missbrauch der Vollmacht des im Inland tätigen Vertreters beim Abschluss eines Börsentermingeschäfts an der New Yorker Baumwollbörse nach deutschem Recht beurteilt); RG v. 31.5.1943, DNotZ 1944, 151 = SA 97 Nr. 53 (Missbrauch einer in den USA ausgestellten Grundstücksvollmacht durch den Vertreter in Deutschland, der das deutsche Grundstück belastete, um sich für persönliche Zwecke Geld zu beschaffen. Wirksamkeit der Grundschuldbestellung im Verhältnis zum Vollmachtgeber nach deutschem Recht [§ 172 BGB] bejaht); BGH v. 29.11.1961 – VIII ZR 146/60, JZ 1963, 167 m. Anm. Lüderitz („Zum Umfang der Vollmacht gehört auch die Frage, ob eine erteilte Vollmacht überschritten ist“); zust. von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214); Luther, RabelsZ 38 (1974), 421 (429); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102. Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 141; Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 21. Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 131; Lüderitz, JZ 1963, 171 f.; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 105; a.A. (Vollmachtstatut) Ruthig, S. 171. Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 473 (474); Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 170; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1095; a.A. für die Vollmacht zur Vornahme schuldrechtlicher Grundstücksgeschäfte Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 29; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 199. Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 170; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 201; Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 55; zum bisherigen Recht BGH v. 4.3.2013 – NotZ (Brfg) 9/12 (KG), NJW 2013, 1605 Rz. 26.

Hausmann | 637

6.452

§ 6 Rz. 6.453 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.453

Die Form eines einseitigen Rechtsgeschäfts bestimmt sich gem. Art. 11 Abs. 1 Alt. 1 EGBGB in erster Linie nach „dem Recht, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist“. Das ist bei der Vollmacht das Vollmachtstatut, nicht dagegen das Schuldstatut des vom Vertreter abgeschlossenen Hauptvertrages oder die Rechtsordnung, die das der Vollmacht zugrunde liegende Rechtsverhältnis beherrscht1. Wie Inhalt und Umfang einer Vollmacht, so muss auch deren Formwirksamkeit nach dem von Art. 8 EGBGB zur Anwendung berufenen Recht beurteilt werden. Das verlangt hier wie dort der Schutz des Rechtsverkehrs. Dieser muss sich darauf verlassen können, dass eine Vollmacht, die nach ihrem Inhalt in Deutschland Wirkungen entfalten soll, grundsätzlich formwirksam ist, wenn sie den Formerfordernissen des deutschen Rechts genügt2. Nach geltendem Recht gilt dies allerdings nur noch, wenn nicht ein abweichendes Recht nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB gewählt oder kraft einer Sonderanknüpfung nach Art. 8 Abs. 2-4 und 6 EGBGB vorrangig anzuwenden ist.

6.454

Da im deutschen Recht die Vollmacht grundsätzlich formfrei ist (§ 167 Abs. 2 BGB), bedürfen somit Vollmachten, die aufgrund einer Rechtswahl nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB oder kraft objektiver Anknüpfung nach Art. 8 Abs. 2-5 EGBGB dem deutschem Recht unterliegen, nur in Ausnahmefällen einer Form. So ist die Schriftform vorgeschrieben für die Stimmrechtsvollmacht im Aktienrecht (§ 134 Abs. 3 S. 2 AktG) und die Prozessvollmacht (§ 80 ZPO). Der öffentlichen Beglaubigung bedürfen die Vollmacht zur Registeranmeldung (§ 12 Abs. 1 S. 2 HGB), die Vollmacht zum Bieten in der Zwangsversteigerung (§ 71 Abs. 2 ZVG) und die Vollmacht zur Erbausschlagung (§ 1945 Abs. 3 BGB). Zum Abschluss eines GmbH-Vertrages (§ 2 Abs. 2 GmbHG) muss eine „notariell errichtete oder beglaubigte“ Vollmacht vorliegen. Die notarielle Beurkundung ist erforderlich für die unwiderrufliche Grundstücksvollmacht, die unwiderrufliche Vollmacht zur Erbteilsübertragung und die Blankovollmacht zur Abtretung eines GmbH-Anteils.

6.455

Die Beurkundung oder Beglaubigung der Vollmacht kann im Ausland auch von einem deutschen Konsul vorgenommen werden (§ 10 KonsG). Auch wenn im Gesetz ausdrücklich von „notarieller“ Beurkundung oder Beglaubigung die Rede ist, genügt stets auch die Beurkundung oder Beglaubigung durch einen deutschen Konsul im Ausland (§ 10 Abs. 2 KonsG).

1 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz 202; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1070; ferner schon Makarov, FS Perassi II (1957), S. 39 (47); Reithmann, DNotZ 1956, 469 (471); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (213); Zweigert, RabelsZ 24 (1959), 334 f.; Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (48); Schäfer RIW 1996, 189 (193); Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1097; ebenso für die Schweiz Berger, S. 139 f.; Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 32; differenzierend Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 108. 2 Vgl. KG v. 8.1.1931, DNotZ 1931, 402 (im Hinblick auf Art. 11 Abs. 1 S. 1 EGBGB a.F. sei „grundsätzlich die Form einer Vollmacht, welche den Abschluss eines Kaufvertrages über ein in Deutschland belegenes Grundstück zum Gegenstand hat, nach deutschem Recht zu beurteilen“); BGH v. 22.6.1965 – V ZR 55/64, WM 1965, 868 (fernmündliche Vollmacht zum Verkauf in der Schweiz belegener Grundstücke als wirksam behandelt: „Die Vollmacht wurde ... in der Schweiz ausgestellt, und in demselben Land wurde von ihr auch Gebrauch gemacht. Ihre Formerfordernisse richten sich nach Schweizer Recht.“); OLG Zweibrücken v. 22.1.1999 – 3 W 246/98, FGPrax 1999, 86 (in Ontario/Kanada ausgestellte privatschriftliche Vollmacht zur Erbteilsübertragung nach deutschem Geschäftsrecht als formgültig beurteilt, weil von der Vollmacht im Inland Gebrauch gemacht worden sei). Vgl. aber auch LG Hamburg v. 16.3.1977 – 5 O 142/76, RIW 1978, 124 (Schriftformerfordernis nach Art. 2 UNÜ „im Interesse einer international einheitlichen Rechtsgestaltung“ auf die Vollmacht zum Abschluss eines Schiedsvertrages zwischen einer deutschen und einer italien. Firma erstreckt).

638 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.457 § 6

b) Ortsrecht Für die Formgültigkeit der Vollmacht ist es allerdings nach Art. 11 Abs. 1 Alt. 2 EGBGB ausreichend, wenn sie im Ausland in der dort vorgesehenen Ortsform (lex loci actus) erteilt worden ist1. Maßgebend ist hierbei der Errichtungsort der Vollmacht, nicht etwa der Empfangsort2 oder der Ort, an dem das Vertretergeschäft abgeschlossen wird3. Soweit man einen Renvoi im Rahmen von Art. 11 Abs. 1, Alt. 2 EGBGB überhaupt für beachtlich hält4, wirkt er nur „in favorem validitatis“, stellt also die Wirksamkeit der unter Beobachtung der materiellen Formvorschriften des Ortsrechts ausgestellten Vollmacht nicht in Frage5. Dies gilt auch für Vollmachten, die zu Grundstücksgeschäften im Inland ermächtigen. Der im deutschen materiellen Recht geltende Grundsatz der Formabstraktion (§ 167 Abs. 2 BGB) bewirkt, übertragen auf das IPR, dass die der lex-loci-Anknüpfung hinsichtlich der Formgültigkeit von Grundstücksverträgen und sachenrechtlichen Verfügungsgeschäften in Art. 11 Abs. 5 Rom I-VO und Art. 11 Abs. 4 EGBGB gezogenen Schranken für die Vollmacht nicht gelten6. Gleiches gilt auch für die Übertragung von Erbanteilen an einem deutschen Nachlass. In der jüngeren Literatur wird freilich z.T. eine entsprechende Anwendung von Art. 11 Abs. 4 EGBGB auf Grundstücksvollmachten befürwortet7.

6.456

Die im deutschen materiellen Recht anerkannten Einschränkungen des Grundsatzes der Formabstraktion8 begründen keinen kollisionsrechtlichen Formverbund von Hauptgeschäft und Vollmacht. Auf die Gültigkeit einer nach dem Ortsrecht wirksam ausgestellten Vollmacht ist es mithin ohne Einfluss, dass sie in ihren praktischen Auswirkungen das formgebundene Hauptgeschäft bereits vorwegnimmt und deshalb nach dem deutschen Geschäftsrecht formbedürftig wäre. Vollmachten zum Abschluss von Verträgen über den Erwerb bzw. die Veräußerung deutscher Grundstücke bedürfen daher, auch wenn sie unwiderruflich sind oder vom Verbot des Selbstkontrahierens befreien, nicht gemäß Art. 11 Abs. 4 EGBGB der Form des § 311b Abs. 1 BGB, sofern das Recht des ausländischen Ausstellungsortes eine notarielle Beurkundung nicht verlangt.

6.457

1 Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; zweifelnd Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 208. 2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 207; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1096; vgl. auch BGH v. 4.3.2013 – NotZ (Brfg) 9/12 (KG), NJW 2013, 1605 Rz. 26. 3 Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 109. 4 Bejahend Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 233 ff.; a.A. die wohl h.L., vgl. Thorn in Palandt, Art. 11 EGBGB Rz. 1. 5 So schon zu Art. 11 Abs. 1 EGBGB a.F. OLG Stuttgart v. 18.12.1981 – 8 W 215/81, OLGZ 1982, 257 = IPRspr. 1981 Nr. 12. 6 Mäsch in BeckOK-BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 55; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 172; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 110; vgl. OLG München v. 10.3.1988 – 24 U 474/ 87, NJW-RR 1989, 663 = IPRax 1990, 320 (322) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295) (Einhaltung der deutschen Ortsform für Erteilung einer Vollmacht zur Veräußerung eines span. Grundstücks für ausreichend erachtet); ebenso schon zu Art. 11 Abs. 2 EGBGB a.F. Reithmann, DNotZ 1956, 469 (475); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (213 f.). 7 Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1100 ff.; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 208 ff.; ebenso die schweiz. Lehre, vgl. Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 33. 8 Dies betrifft insbesondere unwiderrufliche oder aus sonstigen Gründen bindende Vollmachten zum Erwerb oder zur Veräußerung von Grundstücken; vgl. dazu statt aller Schubert in MünchKomm, § 167 BGB Rz. 18 ff. m.w.N.

Hausmann | 639

§ 6 Rz. 6.458 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.458

In den folgenden Fällen wurden daher im Ausland ausgestellte Vollmachten zur Veräußerung oder Belastung deutscher Grundstücke als wirksam erachtet, obwohl die Form der § 311b Abs. 1 (= § 313 a.F.), § 925 BGB nicht erfüllt war: KG v. 19.3.1925, OLGE 44, 152 OLG Nürnberg v. 11.12.1928, IPRspr. 1929 Nr. 26 In Österreich ausgestellte unwiderrufliche Grundstücksvollmachten. LG Berlin I v. 3.5.1930, IPRspr. 1930 Nr. 24 In Finnland ausgestellte unwiderrufliche und unter Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens erteilte Grundstücksvollmacht. KG v. 8.1.1931, DNotZ 1931, 402 = IPRspr. 1931 Nr. 21 In den USA (Kalifornien) ausgestellte Grundstücksvollmacht, die den Vertreter zur Auflassung an sich selbst ermächtigte. OLG Schleswig-Holstein v. 19.12.1961 – 2 W 64/61, SchlHA 1962, 173 (m. Anm. Deutsch, SchlHA 1962, 244) In Kanada ausgestellte unwiderrufliche und unter Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens erteilte Vollmacht zur Verfügung über einen Erbteil, der deutschem Recht unterlag. OLG Stuttgart v. 11.11.1980 – 8 W 173/80, OLGZ 1981, 164 (165) = DNotZ 1981, 746 In Liechtenstein ausgestellte Vollmacht zur Grundstücksveräußerung unter Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens. Vgl. aber LG Berlin I v. 5.10.1932, IPRspr. 1932 Nr. 63 „Der deutsche Grundbuchrichter hat eine in New York ausgestellte unwiderrufliche Generalvollmacht, die nach ihrem Wortlaut in Deutschland ihre Wirkung entfalten soll, nach dem deutschen Recht als nichtig zu behandeln.“ Rückverweisung auf das deutsche Sachstatut zu Unrecht auch hinsichtlich der Form angenommen.

6.459

Aus dem gleichen Grund bedarf auch die im Ausland errichtete Vollmacht zur Auflassung deutscher Grundstücke nicht nach Art. 11 Abs. 4 EGBGB der Form des § 925 BGB, selbst wenn sie unwideruflich ist1. Entgegen dieser bisher h.M. wird in der jüngeren Literatur z.T. für eine analoge Anwendung von Art. 11 Abs. 4 EGBGB auf Grundstücksvollmachten plädiert, um den der Formfreiheit solcher Vollmachten im deutschen materiellen Recht gezogenen Schranken auch im Kollisionsrecht zur Durchsetzung zu verhelfen2. Dagegen spricht freilich, dass durch die Erteilung der Vollmacht noch nicht über das betroffene Grundstück verfügt wird3. 1 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 55; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 171; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 3; vgl. BGH v. 4.3.2013 – NotZ (Brfg) 9/12 (KG), NJW 2013, 1605 (Rz. 26); OLG München v. v. 10.3.1988 – 24 U 474/87, NJW-RR 1989, 663 = IPRax 1990, 320 (322) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1990, 295); ferner Reithmann, DNotZ 1956, 469 (474); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (213 f.); Zweigert, RabelsZ 24 (1959), 334 (335); Kurzynsky-Singer, S. 196. 2 Vgl. i.d.S. schon Stoll in Staudinger, IntSachenR Rz. 230; ebenso Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1102; ferner für die nach dem Geschäftsrecht formbedürftige Vollzugsvollmacht Ludwig, NJW 1983, 495 (496); Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 205, 208; für die unwiderrufliche Auflassungsvollmacht auch Winkler von Mohrenfels in Staudinger Art. 11 EGBGB Rz. 71 f. 3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 172.

640 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.463 § 6

Umgekehrt genügt die Einhaltung der für das Vertretergeschäft vorgeschriebenen Form nicht aus, wenn weder die Form nach dem Vollmachtstatut des Art. 8 EGBGB noch die Form am Ort der Ausstellung der Vollmacht eingehalten wurde. Aus Art. 11 Abs. 3 EGBGB folgt nichts anderes, weil die Vorschrift sich nur auf das Vertretergeschäft, nicht auf die Vollmacht bezieht1; außerdem ist die Vorschrift gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO auf die Vollmacht nicht anwendbar2.

6.460

Wird eine Vollmacht dem deutschen Grundbuchamt vorgelegt, so bedarf sie allerdings der Form des § 29 GBO. Diese Form wird auch durch die Beglaubigung eines ausländischen Notars im Rahmen seiner Zuständigkeit erfüllt3. Die Unterschrift des ausländischen Notars kann von den deutschen Auslandsvertretungen legalisiert werden. Mit einer Reihe von Staaten bestehen Staatsverträge, nach denen in gewissen Fällen auf die Legalisation verzichtet wird4. Im Übrigen steht es im Ermessen des Grundbuchamts, ob es eine Legalisation verlangt oder nicht5.

6.461

OLG Schleswig-Holstein v. 19.12.1961 – 2 W 64/61, SchLHA 1962, 173 = IPRspr. 1960/61 Nr. 22 Das Gericht erklärt, es stehe „im Ermessen des Grundbuchamts, zum Nachweis der Echtheit die Legalisation zu verlangen, es sei denn, dass durch die besonderen Umstände des Einzelfalls der Echtheitsbeweis auch ohne Legalisation als erbracht angesehen werden kann“.

6. Dauer und Erlöschen der Vollmacht a) Ablauf der gesetzlichen Gültigkeitsdauer Das Vollmachtstatut entscheidet schließlich auch darüber, wann und aus welchen Gründen die Vollmacht erlischt6 und welche Rechtsfolgen das Erlöschen der Vollmacht hat (z.B. Anspruch auf Rückgabe der Vollmachtsurkunde)7. In Betracht kommt insbesondere ein Erlöschen der Vollmacht durch folgende Ereignisse:

6.462

In ausländischen Rechten ist die Wirksamkeit einer Vollmacht z.T. kraft Gesetzes zeitlich beschränkt. Die Geltung solcher Beschränkungen richtet sich nach dem Vollmachtstatut8.

6.463

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 173. 2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 207. 3 OLG Zweibrücken v. 22.1.1999 – 3 W 246/98, Rpfleger 1999, 326 = FGPrax 1999, 86 (Unterschriftsbeglaubigung durch einen kanad. „notary public“ genügt den Anforderungen des § 29 Abs. 1 GBO). 4 Vgl. z.B. das Haager Übereinkommen zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation v. 5.10.1961, BGBl. 1965 II, 876; zu den Vertragsstaaten Jayme/Hausmann Nr. 250 in Fn. 1. 5 IPG 1969 Nr. 50 (München) (Nachweis von Eintragungsbewilligung und Vertretungsbefugnis gegenüber dem Grundbuchamt durch beglaubigte Urkunden eines schweiz. Notars). 6 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 142; Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz. 6; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1066; ferner von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214 f.); Kropholler, IPR § 41 I 3; a.A. Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 181 (Geschäftsstatut). 7 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 144; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102. 8 BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, WM 1958, 557 (559) = DB 1958, 1010 (Vollmacht einer Russin [Erbin eines Komponisten] an ihren Verleger. Nach russ. Recht [Art. 268 ZGB der RSFSR von 1923] wäre die Vollmacht nach einem Jahr erloschen. Diese Vorschrift wurde, soweit die Vollmacht als Prozessvollmacht vor deutschen Gerichten gebraucht wurde, nicht berücksichtigt.); BGH v. 16.4.1975 – I ZR 40/73, BGHZ 64, 183 = NJW 1975, 1220 (Erlöschen der Vollmacht des Züricher Anwalts von A. Solschenizyn durch Zeitablauf nach russ. Recht nicht berücksichtigt, soweit von der Vollmacht in Deutschland Gebrauch gemacht worden war).

Hausmann | 641

§ 6 Rz. 6.464 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

b) Tod, Insolvenz oder Geschäftsunfähigkeit des Vertretenen

6.464

In gleicher Weise entscheidet das Vollmachtstatut darüber, ob die Vollmacht durch den Tod, die Insolvenz oder die Geschäftsunfähigkeit des Vertretenen erlischt1. Wird daher von der Vollmacht nach Art. 8 Abs. 5 EGBGB im Inland Gebrauch gemacht, so wirkt sie grundsätzlich über den Tod des Vollmachtgebers hinaus, auch wenn sie im Ausland ausgestellt wurde. Hingegen führt die Insolvenz des Gemeinschuldners i.d.R. zum Erlöschen der von ihm erteilten Vollmachten; dies gilt auch im Falle der Auslandsinsolvenz, wenn diese im Inland anzuerkennen ist2. c) Widerruf

6.465

Nach dem Vollmachtstatut ist auch zu beurteilen, ob ein Widerruf der Vollmacht überhaupt möglich ist, wem gegenüber und auf welche Art und Weise er erklärt werden kann, und zu welchem Zeitpunkt im Falle eines wirksamen Widerrufs die Vollmacht erlischt. Das Vollmachtstatut bestimmt ferner auch darüber, ob eine unwiderrufliche Vollmacht als gültig, frei widerruflich oder nichtig anzusehen ist3. d) Beendigung des Innenverhältnisses

6.466

Das Vollmachtstatut regelt schließlich auch, welchen Einfluss die Beendigung des Innenverhältnisses auf die Vollmacht hat.4 Die Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt das Innenverhältnis beendet worden ist, richtet sich selbstverständlich nach dem auf dieses Verhältnis anwendbaren Recht. 1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 144; ebenso schon zum früheren Recht LG Berlin v. 11.1.1935, JW 1935, 877 („Dass die Vollmacht in Österreich ausgestellt ist, nötigt nicht zur Prüfung, ob eine solche Vollmacht über den Tod hinaus nach österreich. Recht wirksam ist. Denn da sich die Vollmacht auf ein deutsches Grundstück bezieht, gilt nach Wirkungsstatut deutsches Recht, und nach letzterem ist eine solche Bestimmung nicht zu beanstanden“); BGH v. 5.2.1958 – IV ZR 204/57, DB 1958, 1010 („Handelt es sich um eine Prozessvollmacht, auf die deutsches Verfahrensrecht anzuwenden ist, so erlischt sie nach § 86 ZPO nicht durch den Tod des Vollmachtgebers, sondern geht auf die Erben über“); OLG Frankfurt a.M. v. 2.4.1963 – 6 W 583/62, WM 1963, 872 (875) (von einem Franzosen ausgestellte Vollmacht zur Verwaltung eines deutschen Hausgrundstücks auch nach dem Tode des Vollmachtgebers als wirksam erachtet, da Gebrauchsort der Vollmacht in Deutschland.); LG München I v. 21.3.1994 – 21 O 18187/89, NJW-RR 1994, 1150 (Erlöschen der vom Gemeinschuldner erteilten Prozessvollmacht vor inländ. Gerichten durch Auslandsinsolvenz bejaht, wenn das ausländ. Insolvenzstatut diese Rechtsfolge anordnet und die Auslandsinsolvenz im Inland anzuerkennen ist; a.A. (Geschäftsstatut) Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 181. 2 LG München I v. 21.3.1994 – 21 O 18187/89, NJW-RR 1994, 1150. 3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 143; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 178; vgl. schon RG v. 24.10.1892, RGZ 30, 122 (in den USA ausgestellte unwiderrufliche Nachlassvollmacht nach New Yorker Recht beurteilt); LG Berlin I v. 5.10.1932, IPRspr. 1932 Nr. 63 (in New York ausgestellte unwiderrufliche Generalvollmacht für Grundstücksgeschäfte in Deutschland als nichtig angesehen); KG v. 12.7.1958 – 3 U 1980/57, IPRspr. 1958/59 Nr. 40 (unwiderrufliche Vollmacht an einen israel. Rechtsanwalt zur Vertretung vor den Berliner Entschädigungsbehörden in Anwendung deutschen Rechts als widerruflich behandelt); ebenso von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214); Braga, RabelsZ 24 (1959), 337 (339); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 102. 4 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 143; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 20; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 178; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 178; vgl. schon von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (214).

642 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.468 § 6

7. Duldungs- und Anscheinsvollmacht Fehlt es an einer ausdrücklich oder stillschweigend erteilten Vollmacht, so beurteilt sich auch die Frage, ob der Vertretene sich aus Gründen des Verkehrsschutzes dem Dritten gegenüber so behandeln lassen muss, als habe er Vollmacht erteilt, ebenfalls nach dem Vollmachtstatut. Rechtfertigt man nämlich die Sonderanknüpfung der Vollmacht mit dem Schutz des Rechtsverkehrs, so verlangt dieser eine einheitliche Behandlung aller Arten der Vollmacht, zumal eine scharfe Grenzziehung zwischen der Vertretungsmacht durch stillschweigende Erklärung, durch Duldung oder aufgrund Anscheins häufig kaum möglich ist1. Eine unterschiedliche Anknüpfung dieser Vollmachtstypen würde die Praxis daher vor erhebliche Probelme stellen und wäre auch in der Sache nicht gerechtfertigt2. Die im deutschen Recht entwickelten Grundsätze über die Haftung des Geschäftsherrn aufgrund einer Duldungs- oder Anscheinsvollmacht waren daher nach bisherigem Recht im internationalen Rechtsverkehr – mit den in Rz. 6.407 ff., Rz. 6.411 ff. genannten Einschränkungen – stets anwendbar, wenn der Vertrauenstatbestand von dem Vertreter in Deutschland gesetzt worden war; es galt insoweit das hypothetische Vollmachtstatut.3.

6.467

Teilweise stellte die Rechtsprechung auch auf dasjenige Land ab, in dem der Schein entstanden war und sich ausgewirkt hatte4.

6.468

BGH v. 9.12.1964 – VIII ZR 304/62, BGHZ 43, 21 (27) = NJW 1965, 487

1 In diesem Sinne entscheiden auch Art. 11 Abs. 1 HS. 1 HStÜ sowie die IPR-Gesetze von Belgien (Art. 108 Abs. 1 HS. 1), Italien (Art. 60 Abs. 1 HS. 1), Österreich (Art. 49 Abs. 1 HS. 1), Liechtenstein (Art. 53 Abs. 1 HS. 1) und der Schweiz (Art. 126 Abs. 2) sowie von Spanien (Art. 10 Abs. 11 S. 2 c.c.); dazu Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (793 f.). 2 Für Anwendung von Art. 8 EGBGB auf Rechtsscheinvollmachten daher auch Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 474; Thöne, IHR 2017, 141 (143); Spellenberg in MünchKomm, Rz. 156; Rademacher in NK-BGB, Rz. 6; Thorn in Palandt, Rz. 6; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 57; Magnus in Staudinger, Rz. 39, jeweils zu Art. 8 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 1 Rz. 1071 ff. 3 Vgl. i.d.S. grundlegend Kropholler, NJW 1965, 1641 (1644 f.); ferner von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (210); Leible, IPRax 1998, 257 (260 f.); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 107; ebenso für das schweiz. Recht Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 35. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 23.9.2003 – 23 U 218/02, IPRspr. 2003 Nr. 25; OLG Saarbrücken v. 28.10.1966 – 3 U 44/65, IPRspr. 1968/69 Nr. 19a (Anscheinsvollmacht eines deutschen Handlungsbevollmächtigten für die Bestellung von Erbsen bei einer französ. Firma: „Da der Auftrag unstreitig fernmündlich von dem Handlungsbevollmächtigten von Frankfurt a.M. aus erteilt wurde, kommt somit für die Frage der Vollmachterteilung bzw. Duldungs- oder Anscheinsvollmacht deutsches Recht zur Anwendung“); OLG Frankfurt a.M. v. 8.7.1969 – 5 U 137/68, AWD 1969, 415 (Duldungsvollmacht des Sohnes der Geschäftsinhaberin eines deutschen Betriebes in Spanien nach span. Recht beurteilt: „Auch die stillschweigend durch Duldung eines tatsächlichen Verhaltens erteilte Vollmacht ist nach dem Recht des Landes zu beurteilen, in dem der Vertreter das in Rede stehende Geschäft vorgenommen hat“). 4 Vgl. zur Duldungsvollmacht KG v. 30.5.1932, IPRspr. 1932 Nr. 25; OLG Hamburg v. 2.7.2009 – 9 U 253/08, NJW-RR 2009, 1717 (1718); zur Anscheinsvollmacht BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, GmbHR 2007, 593 m. Anm. Römermann = NJW 2007, 1529 (1530); OLG Hamburg v. 15.5.1931, IPRspr. 1931 Nr. 39; OLG Hamm v. 6.6.1957 – 17 U 185/56, IPRspr. 1956/57 Nr. 27; OLG Düsseldorf v. 11.5.1978 – 18 U 21/78, MDR 1978, 930; KG v. 16.1.1996 – 15 U 161/95, IPRax 1998, 280 (m. Anm. Leible, IPRax 1998, 257); OLG Hamm v. 25.11.2002 – 8 U 65/02, RIW 2003, 305; zust. Ferid, Rz. 5–159; krit. dazu Kropholler, NJW 1965, 1641 (1645); Ruthig, S. 44 ff.; Leible, IPRax 1998, 257 (260 f.).

Hausmann | 643

§ 6 Rz. 6.468 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis Anscheinsvollmacht der ständigen bulgarischen Außenhandelsvertretung in Deutschland. „Die Anscheinsvollmacht beruht nicht auf dem Rechtsgeschäft einer Bevollmächtigung; der Vertretene haftet vielmehr aufgrund eines infolge seines Verschuldens entstandenen Rechtsscheins. Steht aber ein Rechtsgeschäft nicht in Frage, so kann auch nicht an das Geschäftsstatut der Bevollmächtigung, also etwa an den Ort der Bevollmächtigung oder die Staatsangehörigkeit oder das Domizil des Vollmachtgebers angeknüpft werden. Es bleibt als einziger Anknüpfungspunkt der Ort, an dem der Rechtsschein entstanden ist und sich ausgewirkt hat. Wenn ein Ausländer einen solchen Rechtsschein in Deutschland setzt, so entscheidet deshalb ausschließlich das deutsche Recht darüber, ob dieser Rechtsschein den Ausländer so bindet, wie es eine rechtsgeschäftlich erteilte Vollmacht tun würde.“ OLG Köln v. 29.5.1967 – 1 U 79/66, IPRspr. 1966/67 Nr. 25 Anscheinsvollmacht eines Schweizers zum Kauf von Flugscheinen für eine deutsche Gesellschaft nach deutschem Recht beurteilt, obwohl der Vertreter ausschließlich von Zürich aus gehandelt hatte. Maßgeblich sei allein der Ort, „an dem der Schein entstanden ist und sich ausgewirkt hat“. OLG Karlsruhe v. 25.7.1986 – 14 U 159/84, ZIP 1986, 1578 = NJW-RR 1987, 119 = IPRax 1987, 257 (m. Anm. Weitnauer, IPRax 1987, 221) = EWiR 1986, 1199 m. Anm. Herber Einlassung des italienischen Handelsagenten auf die Mängelrüge des deutschen Käufers ist dem italienischen Verkäufer nach den deutschen Grundsätzen über die Anscheinsvollmacht zuzurechnen, wenn der Rechtsschein in Deutschland gesetzt wurde.

6.469

Diese Grundsätze galten auch für die Rechtsscheinhaftung wegen fehlenden Firmenzusatzes1. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, NJW 2007, 1529 Rz. 9 (m. Aufs. Kindler, NJW 2007, 1785 ff.) Rechtsscheinhaftung des Vertreters einer niederl. B.V., der bei Geschäften mit deutschen Partnern den Firmenzusatz mit dem Hinweis auf die beschränkte Haftung weggelassen hatte; persönliche Haftung des Vertreters nach deutschem Recht beurteilt.

6.470

An dieser vollmachtsakzessorischen Anknüpfung von Rechtscheinvollmachten ist auch unter Geltung von Art. 8 EGBGB festzuhalten, obwohl diese weder im Wortlaut der Vorschrift noch in der Gesetzesbegründung Erwähnung finden. Anstelle der bisherigen ungeschriebenen Grundsätze des bisherigen Richterrechts sind daher künftig die Anknüpfungsregeln des Art. 8 Abs. 2-5 EGBGB auch auf Rechtsscheinvollmachten anzuwenden2. Diese gelten also auch dann, wenn der Rechtsschein für den Drittkontrahenten ausnahmsweise in einem vom Gebrauchsland abweichenden Land gesetzt wurde oder entstanden ist. Insoweit kann es allerdings nicht auf den Ort ankommen, an dem der Dritte an den Rechtsschein geglaubt hat3. Vielmehr entspricht der Ort, an dem der Schein entstanden ist, im Regelfall dem hypothetischen Vollmachtstatut nach Art. 8 Abs. 2-5 EGBGB4. Bei Distanzgeschäften kommt es daher auch hier auf den Ort an, an dem der Vertreter seine Vertragserklärung abgegeben hat; hingegen ist der Ort des Zugangs der Erklärung nicht maßgeblich5. Indessen ist für jede dieser Anknüpfungsregeln zu sorgfältig zu prüfen, ob sie auch für Rechtsscheinvollmachten passt.

1 Vgl. auch OLG Schleswig v. 24.10.2008 – 14 U 4/08, IPRspr. 2008 Nr. 12; Thorn in Palandt, Art.8 EGBGB Rz. 6. 2 Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 473 (474); Spickhoff, RabelsZ 80 (2016) 481 (523 ff.); Thöne, IHR 2017, 141 (143); von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz. 1072; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 10, 57; Stürner in Erman, Rz. 35; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 157; Magnus in Staudinger, Rz. 30, 84 ff., jeweils zu Art. 8 EGBGB m.w.N. 3 So aber Leible IPRax 1998, 257 (260); dagegen zu Recht Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 155. 4 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 57. 5 Vgl. schon BGH v. 20.7.2012 – V ZR 142/11, NZG 2012, 1192 (Rz. 29 ff.)

644 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.474 § 6

Der Vollmachtgeber kann sich allerdings ausnahmsweise nach dem Rechtsgedanken des Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO auf das an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort geltende Recht berufen, wenn dieses eine solche Rechtsscheinhaftung nicht vorsieht und er mit einer solchen Haftung aufgrund der Anwendung eines anderen Rechts nicht rechnen musste1. Dies gilt aber nicht, wenn der Vertretene – insbesondere in den Fällen des Art. 8 Abs. 2 und 3 EGBGB – mit einem Handeln des Vertreters im Ausland (z.B. von einer ausländischen Niederlassung aus) einverstanden war2. Aus dem Schweigen des Gesetzgebers zu einem solchen Rechtsschutz des Vollmachtgebers kann nicht gefolgert werden, dass dieser grundsätzlich auszuscheiden habe; denn Art. 8 EGBGB enthält keine Aussage zu den Besonderheiten von Rechtsscheinvollmachten3.

6.471

8. Verfügungsermächtigung Während die Verfügungsmacht grundsätzlich dem Recht unterliegt, das den von der Verfügung betroffenen Gegenstand beherrscht, können die Grundsätze über die Anknüpfung der Vollmacht auch auf eine – rechtsgeschäftliche – Verfügungsermächtigung entsprechend angewandt werden4. Die Einziehungsermächtigung steht demgegenüber der Zession so nahe, dass sie dem Zessionsstatut (Art. 14 Rom I-VO) unterliegt5.

6.472

VI. Geschäftsstatut des Hauptvertrages 1. Zulässigkeit der Stellvertretung Diejenigen Fragen, die nicht die Vollmacht, sondern die „Stellvertretung als solche“ oder die Gültigkeit des vom Vertreter vorgenommenen Geschäfts betreffen, sind nach dem Wirkungsstatut dieses Geschäfts zu beurteilen; das Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht bleibt insoweit außer Betracht6. Hierher gehören vor allem folgende Fragen:

6.473

So ist die Entscheidung darüber, ob gewisse Rechtsgeschäfte (insbesondere des Familien- und Erbrechts) überhaupt durch einen Vertreter abgeschlossen werden dürfen oder – wie z.B. ein Erbvertrag – wegen ihres höchstpersönlichen Charakters vertretungsfeindlich sind, auch unter

6.474

1 Thorn in Palandt, Rz. 6; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 59; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 159 ff., jeweils zu Art. 8 EGBGB; ebenso schon früher G. Fischer, IPRax 1989, 216; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 107; a.A. (nur Vollmachtstatut) von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (210); offenlassend Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 35. 2 OLG Hamburg v. 2.7.2009 – 9 U 253/08, NJW-RR 2009, 1717 (1718) = IPRspr. 2009 Nr. 13; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 59. 3 Anders Spickhoff, RabelsZ 80 (2016) 481 (519 f., 524); Staudinger/Magnus Art. 8 EGBGB Rz. 87. 4 BGH v. 29.3.2001 –I ZR 182/98, BGHZ 147, 178 = NJW 2002, 596 = RIW 2001, 937 = GRUR 2001, 1134 (Ermächtigung der staatlichen sowjet. Urheberrechtsorganisation VAAP zur Einräumung von Verlagsrechten an Werken eines estn. Komponisten zugunsten eines deutschen Musikverlegers nach sowjet. Recht – als dem Recht des Landes, in dem von der Verfügungsbefugnis Gebrauch gemacht werden sollte – beurteilt, obwohl der geschlossene Verlagsvertrag dem deutschen Recht unterstand). 5 Vgl. BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (204 f.) = ZIP 1994, 547 = IPRax 1995, 168 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1995, 157); BGH v. 15.11.2012 – I ZR 86/11, NJW 2013, 1730 (Rz. 23); Hausmann in Staudinger, Art. 14 Rom I-VO Rz. 121 f. m.w.N.; a.A. Leible, IPRax 1998, 257 (260). 6 von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Raape, S. 502 f.

Hausmann | 645

§ 6 Rz. 6.474 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

neuem Recht dem Geschäftsstatut zu entnehmen1. Auch welche Anforderungen an die Person des Vertreters (z.B. an seine Geschäftsfähigkeit) für einen wirksamen Vertragschluss zu stellen sind, bestimmt das Geschäftsstatut2.

2. Erfordernis einer Spezialvollmacht 6.475

Auch die Frage, ob für die Vornahme eines bestimmten Rechtsgeschäfts eine Generalvollmacht ausreicht oder eine Spezialvollmacht erforderlich ist, beantwortet das Geschäftsstatut3. Dem Geschäftsstatut ist auch zu entnehmen, ob es für bestimmte Geschäfte einer ausdrücklichen Vollmacht bedarf oder ob eine konkludente Erteilung genügt4.

3. Offenbarung des Vertretungsverhältnisses 6.476

Nach dem Geschäftsstatut wurde bisher auch beurteilt, ob die Verpflichtung des Vertretenen voraussetzt, dass der Vertreter in fremdem Namen gehandelt hat, das Vertretungsverhältnis mithin dem Dritten gegenüber offen gelegt wurde5. Es beherrscht ferner auch die Frage, welche Wirkungen im Falle einer verdeckten Stellvertretung („undisclosed agency“, z.B. bei Abschluss von Kommissionsgeschäften) eintreten. An dieser Auffassung sollte auch unter Geltung von Art. 8 EGBGB festgehalten werden6. Denn auch insoweit handelt es sich nicht um ein Problem der rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht, sondern um eine davon unabhängige Voraussetzung für das wirksame Zustandekommen des Vertretergeschäfts. Allein das Schuldstatut dieses Geschäfts bestimmt daher, was der Vertreter zu tun hat, um die Vertretungswirkungen kraft der ihm nach dem Vollmachtstatut zustehenden Vertretungsmacht herbeizuführen und welcher Art diese Wirkungen sind7. Infolgedessen können etwa zwischen dem Kommittenten und dem Drittkontrahenten keine unmittelbaren schuldrechtlichen Beziehungen entstehen, wenn nach dem Statut des Ausführungsgeschäfts eine mittelbare Stellvertretung nicht zulässig ist8. 1 Thorn in Palandt, Rz. 6; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 179; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 162, jeweils zu Art. 8 EGBGB; ebenso schon früher von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Ferid, IPR Rz. 5-161; Kropholler, IPR § 41 I 3; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 103; anders das schweiz. IPR, vgl. Girsberger in Keller, Art. 126 IPRG Rz. 20. 2 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 216; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 24. 3 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 162; Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 180; ebenso schon von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 103; a.A. Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (826). 4 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 24. 5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 179; vgl. zum früheren Recht BGH v. 25.10.2012 – I ZR 167/11, NJW-RR 2013, 743 (Rz. 22); OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); OLG Düsseldorf v. 23.9.2003 – 23 U 218/02, IPRspr. 2003 Nr. 25; OLG Hamburg v. 23.2.1995 – 6 U 252/94, TranspR 1996, 40; Braga, RabelsZ 24 (1959), 338; Raape, S. 502 f.; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 106; a.A. (Vollmachtstatut) Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (47), sowie in der Schweiz BGE 88 II 194; 100 II 207 ff.; Keller/Girsberger, Art. 126 IPRG Rz. 23. 6 Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 25; Thorn in Palandt, Rz. 6; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 179, jewweils zu Art. 8 EGBGB; Kindler/Brüggemann, RIW 2018, 474; Spickhoff, RabelsZ 80 [2016] 481 (526). 7 Ebenso Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 179; a.A. Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 41; Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (795 ff.). 8 OLG Hamburg v. 2.6.1965 – 5 U 87/64, IPRspr. 1964/65 Nr. 46 (nach dem engl. Geschäftsstatut beurteilt, ob der Vertreter mit unmittelbarer Wirkung für den Vertretenen gehandelt hatte); näher Stoll, Kollisionsrechtliche Fragen beim Kommissionsgeschäft, RabelsZ 24 (1959), 609 (619 ff.), der eine Kumulation von Geschäfts- und Vollmachtstatut vorschlägt.

646 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.479 § 6

Nach dem Geschäftsstatut bestimmte sich daher auch die Zulässigkeit einer Vertretung für den, den es angeht1, sowie die Rechtsfolgen eines Handelns unter fremdem Namen2.

6.477

4. Zurechnung von Willensmängeln und bösem Glauben Das Geschäftsstatut bestimmt, ob ein Rechtsgeschäft wegen Willensmängeln (Irrtum, Täuschung, Drohung) nichtig ist oder angefochten werden kann (vgl. Rz. 3.91 ff.)3. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn in den Abschluss des Rechtsgeschäfts ein Vertreter eingeschaltet wurde, weil es sich auch insoweit nicht um ein Problem der Stellvertretung handelt4. Wenn das Geschäftsstatut aber darüber entscheidet, ob und welche Willensmängel relevant sind, sollte ihm auch die Entscheidung überlassen werden, ob insoweit auf die Person des Vertreters oder des Vertretenen abzustellen ist5. Gleiches gilt für die Frage, ob Willensmängel oder die Kenntnis gewisser Umstände in der Person des Vertreters dem Vertretenen zuzurechnen sind6. Dem Geschäftsstatut – und nicht dem Vollmachtsstatut – ist weiterhin die Antwort auf die Frage zu entnehmen, ob es bei der Beurteilung der Gutgläubigkeit auf die Kenntnis des Vertreters oder diejenige des Vollmachtgebers ankommt. Denn auch insoweit geht es weniger um die Tragweite der erteilten Vollmacht als vielmehr um die Wirksamkeit des vom Vertreter abgeschlossenen Rechtsgeschäfts7. Das Reichsgericht hat hingegen über diese Zurechnungsfrage wiederholt auf der Grundlage des Vollmachtstatuts entschieden8.

6.478

Dem Geschäftsstatut – und nicht dem Vollmachtsstatut – ist weiterhin die Antwort auf die Frage zu entnehmen, ob es bei der Beurteilung der Gutgläubigkeit auf die Kenntnis des Ver-

6.479

1 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 25; a.A. Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 42. 2 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 164; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 25; Lüderitz, FS Coing II, S. 305 (320); IPG 1984 Nr. 11 (Köln) (zur verdeckten Stellvertretung nach span. Recht). 3 Vgl. für Schuldverträge Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO; dazu Staudinger/Hausmann, Art. 10 Rom I-VO Rz. 24 f. 4 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 163; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 29; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (216). 5 Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 29; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 182; Magnus in Staudinger, Rz. 163, jeweils zu Art. 8 EGBGB; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 105; Ferid, IPR Rz. 5-161. 6 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 29. 7 Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 29; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 182; Magnus in Staudinger, Rz. 163, jeweils zu Art. 8 EGBGB; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 105; Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (833). 8 RG v. 5.12.1911, RGZ 78, 55 (60) = JW 1912, 245 (Irreführung des Drittkontrahenten durch den Vertreter dem deutschen Vollmachtgeber nach österreich. Vollmachtstatut zugerechnet); RG v. 23.3.1929, SA 83 Nr. 153 = IPRspr. 1929 Nr. 29 („Eine engl. Firma, die durch ihren deutschen Agenten mit einem in Deutschland ansässigen Dritten kontrahiert, [muss sich] den Spieleinwand [§ 764 BGB] entgegenhalten lassen, wenn der Agent die Spielabsicht des Dritten kannte oder kennen musste“); RG v. 14.10.1931, RGZ 134, 67 (69 (Kenntnis des deutschen Agenten einer amerikan. Firma vom Spielcharakter des geschlossenen Vertrages wirkt nach deutschem Vollmachtstatut nicht gegenüber der Vollmachtgeberin, wenn der Drittkontrahent weiß, dass diese bei Kenntnis dieses Umstands den Vertrag nicht geschlossen hätte). Ebenso LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW 1992, 227 (Die Kenntnis ihres deutschen Handelsvertreters von der in AGB der deutschen Verkäuferin enthaltenen Gerichtsstandsklausel wurde der ital. Käuferin nach deutschem Vollmachtstatut zugerechnet); zust. von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (216); Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (48).

Hausmann | 647

§ 6 Rz. 6.479 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

treters oder diejenige des Vollmachtgebers ankommt1. Denn auch insoweit geht es weniger um die Tragweite der erteilten Vollmacht als vielmehr um die Wirksamkeit des vom Vertreter abgeschlossenen Rechtsgeschäfts.

5. Vertretung ohne Vertretungsmacht a) Geschäftsstatut

6.480

Da die Vertretung ohne Vertretungsmacht im Spannungsfeld zwischen fehlender oder unzureichender Vollmacht einerseits und einer möglichen Heilung des vom Vertreter geschlossenen Vertrages durch Genehmigung des Vertretenen andererseits steht, ist ihre Anknüpfung umstritten. Da weder Art. 8 EGBGB noch die Gesetzesbegründung zu dieser Frage Stellung beziehen, gelten die bisherigen Anknüpfungsgrundsätze fort. Richtigerweise ist daher insoweit weiterhin zwischen den Auswirkungen der Vertretung ohne Vertretungsmacht auf den geschlossenen Hauptvertrag einerseits und der Haftung des falsus procurator andererseits zu unterscheiden2. Während erstere sich grundsätzlich nach dem Geschäftsstatut beurteilen, gilt für letztere das Vollmachtstatut.

6.481

Nach dem Geschäftsstatut ist daher zu entscheiden: – ob bei dem geschlossenen Geschäft Vertretung ohne Vertretungsmacht überhaupt zulässig ist3. – ob und unter welchen Voraussetzungen eine Genehmigung des vollmachtlos abgeschlossenen Geschäfts durch den Vertretenen möglich ist (Genehmigungsfähigkeit)4, – welche Anforderungen an eine wirksame Genehmigung zu stellen sind und – welche Wirkungen die Genehmigung des Geschäfts hat5. BGH v. 22.6.1965 – V ZR 55/64, WM 1965, 868 Verkauf von Nachlassgrundstücken durch einen von zwei Mittestamentsvollstreckern allein. „Die rechtlichen Folgen des Umstandes, dass dieser Testamentsvollstrecker bei der für den Abschluss des Vertrages erforderlichen Gesamtvertretung nicht mitgewirkt hat, insbesondere die Fragen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine genehmigungsfähige Vertretung ohne Vertretungsmacht möglich ist, sind nach dem Geschäftsstatut zu beurteilen.“

1 Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 29, Rz. 182; Magnus in Staudinger, Rz. 163, jeweils zu Art. 8 EGBGB; Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (833); a.A. (Vollmachtstatut) von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (216); Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 104. 2 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 1 Rz. 1075. 3 von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Kayser, S. 50 ff. 4 Thorn in Palandt, Rz. 6; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 36; Spellenberg in MünchKomm, Rz 185, jeweils zu Art. 8 EGBGB; zum früheren Recht BGH v. 17.11.1994 – III ZR 70/93, BGHZ 128, 41 = MDR 1995, 427 (48) = IPRax 1996, 342 (344) (m. zust. Anm. G. Fischer, IPRax 1996, 332); OLG Düsseldorf v. 8.12.1994 – 6 U 250/92, IPRax 1996, 423 (426); OLG Koblenz v. 19.10.1995 – 6 U 1441/92, RIW 1996, 151; KG v. 16.1.1996 – 15 U 161/95, IPRax 1998, 280 (m. Anm. Leible, IPRax 1998, 257); Raape, S. 502 f.; von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); von Bar, JZ 1992, 582; differenzierend Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 103. 5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz 185; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 1 Rz. 1075; Raape, S. 502; Berger, S. 169 f.; a.A. (Wohnsitzrecht des Vollmachtgebers) OLG Hamburg v. 26.6.1959 – 1 U 126/58, DB 1959, 1396.

648 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.483 § 6 BGH v. 8.10.1991 – XI ZR 64/90, NJW 1992, 618 (619) = ZIP 1991, 1582 = GmbHR 1992, 107 = JZ 1992, 579 m. Anm. von Bar „Ist ein Vertrag wegen Selbstkontrahierens unwirksam, so richtet sich auch die Vertretungsmacht für eine spätere Genehmigung nach dem Vollmachtstatut, die übrigen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Genehmigung bestimmen sich nach dem Geschäftsstatut.“ OLG Celle v. 7.9.1983 – 9 U 43/83, WM 1984, 494 (500) = ZIP 1984, 594 Übertragung von Aktien auf den Vertreter ohne Vertretungsmacht einer noch nicht eingetragenen schweizerischen AG. Deutsches Recht angewandt, „weil für die Übertragung von Anteilsrechten an juristischen Personen deren Personalstatut ... und für die Rechtswirkung einer Vertretung ohne Vertretungsmacht – soweit es den Vertretenen betrifft – das Geschäftsstatut maßgebend sind“. OLG Hamburg v. 26.6.1959 – 1 U 126/58, DB 1959, 1396 Abschluss eines von der Vollmacht nicht gedeckten Geschäftes durch den deutschen Agenten eines persischen Händlers. „Genehmigt wird nicht die machtlose Vertretung iS einer nachträglichen Ergänzung der Vollmacht, sondern das bisher schwebend unwirksame Geschäft. Da es sich bei der Frage, welches Tun oder Unterlassen des Vertretenen als Genehmigung zu deuten ist, nicht um eine Frage nach Art und Umfang der Vollmacht handelt, gilt nicht das Vollmachtstatut, sondern das Wohnsitzrecht des Vertretenen.“ § 91a HGB auf das Schweigen des persischen Vollmachtgebers zu dem vom deutschen Agenten im Inland geschlossenen Geschäft nicht angewendet, da nach dem iranischen Wohnsitzrecht des Geschäftsherrn mit einer solchen Bewertung des Schweigens nicht zu rechnen gewesen sei.

Die Anknüpfung an das Geschäftsstatut empfiehlt sich deshalb, weil die Genehmigung weniger eine nachträgliche Erteilung oder Ergänzung der Vollmacht zum Gegenstand hat, als vielmehr eine Heilung des konkret abgeschlossenen Hauptgeschäfts bezweckt. Wird die Genehmigung wiederum durch einen Vertreter erteilt, so beurteilt sich dessen Vertretungsmacht allerdings nach dem Vollmachtstatut. Teilweise werden aber auch alle mit der Genehmigung zusammenhängenden Fragen dem Vollmachtstatut unterstellt, weil das Geschäft infolge der Genehmigung so anzusehen sei, als habe der Vertreter von vorneherein mit Vollmacht gehandelt1.

6.482

Das Geschäftsstatut gilt ferner auch für die Fragen,

6.483

– welche Wirkungen das Geschäft hat, wenn und solange es nicht genehmigt wird (z.B. Nichtigkeit oder schwebende Unwirksamkeit)2 und – ob der Drittkontrahent zum Widerruf berechtigt ist3, denn der Widerruf richtet sich in erster Linie gegen das vollmachtlos geschlossene Geschäft und bezweckt dessen definitive Ungültigkeit.

1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 158; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 26; ebenso schon früher von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217 Leible, IPRax 1998, 257 (259); Kayser, S. 95 f.; Ruthig, S. 170 ff.; Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (47); Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2 c; Kropholler, IPR § 41 I 3. Ebenso zum österreich. Recht (Art. 49 Abs. 1 IPRG) öOGH v. 9.7.1986, ZfRV 1987, 205 (207); zum schweizerischen Recht (Art. 126 Abs. 2 IPRG) Keller/Girsberger, IPRG Art. 126 Rz. 22. 2 Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 Rz. 26; ebenso schon früher von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Kayser, S. 100 f.; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 103. 3 Spellenberg in MünchKomm, Art. 8 EGBGB Rz. 26; ebenso schon früher Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (833); Raape, S. 503; a.A. (Vollmachtstatut) Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2c; Kayser, S. 103 ff.; Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (47).

Hausmann | 649

§ 6 Rz. 6.484 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.484

Demgegenüber orientiert sich die Gegenmeinung an der Anknüpfung der Folgen mangelnder Geschäftsfähigkeit (dazu Rz. 6.1096 ff.). Wenn die Erteilung der Vollmacht und ihr Widerruf unter das Vollmachtstatut falle, so könne für die Genehmigung des Geschäfts und deren Beseitigung durch den Widerruf des Drittkontrahenten nichts anderes gelten. Auch die Auslegung und Reichweite der Genehmigung seien daher nach dem Vollmachtstatut zu beurteilen. Erst wenn nach dem Vollmachtstatut feststehe, dass es an einer wirksamen Genehmigung fehle, sei auf die weiteren Rechtsfolgen das Geschäftsstatut des vom Vertreter abgeschlossenen Rechtsgeschäfts anzuwenden1. b) Vollmachtstatut

6.485

Zwar beruht auch die Haftung des vollmachtlosen Vertreters auf dem von ihm abgeschlossenen Geschäft, das ihm eine Gewährleistung für seine Vertretungsbefugnis abverlangt. Es handelt sich daher materiell-rechtlich um eine vertragsähnliche Haftung, so dass man erwägen könnte, sie auch kollisionsrechtlich dem Vertragsstatut zu unterstellen2. Dafür könnte auch sprechen, dass die ähnlich gelagerte sog. Sachwalterhaftung, die an die Inanspruchnahme besonderen Vertrauens durch den Vertreter oder einen sonstigen vertragsfremden Dritten anknüpft (vgl. im deutschen Recht § 311 Abs. 2 BGB), ebenfalls dem Statut des Hauptvertrags unterstellt wird3.

6.486

Auf der anderen Seite soll das Rechtsinstitut der Haftung des falsus procurator das Vertrauen des Rechtsverkehrs in den Bestand der Vollmacht stärken. Der Drittkontrahent, der nach Maßgabe des Vollmachtstatuts auf die Vertretungsmacht vertraut, soll also bei deren Fehlen zumindest die Haftung des falsus procurator nach dem ihm bekannten Recht der Niederlassung des Vertreters oder am Gebrauchsort der Vollmacht in Anspruch nehmen dürfen, zumal die Grenzen zwischen einer Haftung des Geschäftsherrn aufgrund einer Anscheinsvollmacht und der subsidiären Haftung des Vertreters wegen Überschreitung dieser Vollmacht fließend sind.

6.487

Wegen des engen Zusammenhangs zwischen den Wirkungen der Vollmacht einerseits und den Folgen fehlender Vertretungsmacht andererseits würde eine Aufspaltung des auf beide Bereiche anwendbaren Rechts zu erheblichen Abgrenzungs- und Anpassungsproblemen führen. Aus diesen Gründen muss auch die Frage, ob und in welchem Umfang der falsus procurator haftet, wenn der Geschäftsherr das Geschäft nicht genehmigt, dem Vollmachtstatut unterliegen4. Diese Auffassung hat sich heute auch international weitgehend durchgesetzt. Ihr fol1 Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 158; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 26. 2 Dafür Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 26; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 184, 212 f.; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 36, jeweils zu Art. 8 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II § 1 Rz, 1075; ebenso schon früher Rabel, RabelsZ 3 (1929), 807 (823 ff.); von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Schäfer, RIW 1978, 189 (191); von Hoffmann/Thorn, IPR § 7 Rn. 49. 3 Vgl. BGH v. 9.10.1986 – II ZR 241/85, NJW 1987, 1141 = ZIP 1987, 175 = JR 1987, 198 m. abl. Anm. Dörner. Offen lassend, ob die Eigenhaftung des falsus procurator nach dem Vertrags- oder Deliktsstatut zu beurteilen ist, OLG Hamm v. 20.1.2004 – 21 U 102/02, IPRspr. 2004 Nr. 18. 4 So auch die inzwischen h.M., vgl. Thorn in Palandt, Art. 8 EGBGB Rz 6; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 159 f.; ebenso schon früher Kropholler, NJW 1965, 1641 (1645 f.); Steding, ZVglRW 86 (1987), 25 (47); G. Fischer, S. 312 f. und IPRax 1996, 332 (335); Leible, IPRax 1998, 257 (263); Schwarz, RabelsZ 71 (2007), 729 (797 ff.); Ruthig, S. 169 f.; Kayser, S. 49 ff., 126 ff.; Kurzynsky-Singer, S. 196; Kegel/Schurig, IPR § 17 V 2c; Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 105. Zust. OLG Hamburg v. 27.5.1987 – 6 U 272/86, VersR 1987, 1216, wo die Haftung des falsus procurator nach dem Vollmachtstatut beurteilt wird, „weil Umfang und Wirkung

650 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.490 § 6

gen das Haager Stellvertretungsübereinkommen von 1978 (Art. 15), der Kommissionsvorschlag für die Rom I-VO von 2005 (Art. 7 Abs. 4) sowie zahlreiche ausländische Kodifikationen des internationalen Stellvertretungsrechts1. Scheinvertreter und Dritter sind in jedem Fall berechtigt, das auf die Eigenhaftung des falsus procurator anzuwendende Recht im Wege einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Rechtswahl auch abweichend vom Vollmachtstatut wie vom Geschäftsstatut des gescheiterten Vertrages mit dem Vertretenen zu bestimmen2, vor allem wenn der Vertretene in Wahrheit gar nicht existiert; denn dessen Interessen werden durch eine solche Rechtswahl nicht berührt3.

6.488

Stellt das Vorgehen des Vertreters zudem eine unerlaubte Handlung dar, so steht es dem Drittkontrahenten frei, wahlweise auch die sich aus dem Deliktsstatut ergebenden Ansprüche gegen den falsus procurator geltend zu machen (s. aber zur Vollmachtsüberschreitung auch Rz. 6.450 f. sowie zur Anscheinsvollmacht Rz. 6.467 ff.)4.

6.489

Von der Haftung des Vertreters als falsus procurator zu unterscheiden ist seine Eigenhaftung aus culpa in contrahendo, die – z.B. wegen Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens (vgl. § 311 Abs. 3 BGB) – neben die Vertragshaftung des Vollmachtgebers tritt. Sie beurteilt sich grundsätzlich nach dem gemeinsamen Aufenthaltsrecht von Geschädigtem und Dritten, hilfsweise nach dem Recht des Staates, in dem der Schaden eingetreten ist (Art. 12 Abs. 2 Rom II-VO)5.

6.490

VII. Rechtsvereinheitlichung Literatur: Badr, Agency: Unification of Material Law and of Conflict Rules, Rec des Cours 184 (1989), 9; Basedow, Das Vertretungsrecht im Spiegel konkurrierender Harmonisierungsentwürfe, RabelsZ 45 (1981), 196; Bonell, The 1983 Geneva Convention on Agency in International Sale of Goods, Uniform L. Rev. 1984 I, 73; Hay/Müller-Freienfels, Agency in the Conflict of Laws and the 1978 Hague Convention, Am.J.Comp.L. 27 (1979), 1; Lagarde, La Convention de la Haye sur la loi applicable aux contrats d´intermédiaires et à la représentation, Rev.crit.d.i.p. 67 (1978), 31; Mouly, La convention de Genève sur la représentation en matière de vente internationale de marchandises, Rev.dr.int.comp. 1983, 829; Müller-Freienfels, Der Haager Konventionsentwurf über das auf die Stellvertretung anwendbare Recht,

1 2

3 4 5

der Vollmacht einerseits und die Folgen fehlender Vollmacht andererseits zusammengehören und eine Beurteilung nach verschiedenen Rechtsordnungen nicht sachgerecht wäre.“ Vgl. auch BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, NJW 2007, 1529 (1530) = ZIP 2007, 908 = GmbHR 2007, 593 m. Anm. Römermann, der die persönliche Haftung des für eine Gesellschaft ohne Firmenzusatz zeichnenden Vertreters als Rechtsscheinhaftung „entsprechend § 179 BGB“ qualifiziert und insoweit auf die kollisionsrechtlichen Grundsätze zur Anknüpfung von Rechtsscheinvollmachten verweist. Vgl. etwa § 9 Abs. 2 estn. IPRG; Art. 126 Abs. 4 schwz. IPRG; im Erg. auch § 49 Abs. 1 HS 1 öst. IPRG; dazu öst. OGH v. 9.7.1986, ZfRV 28 (1987), 205; öst. OGH v. 30.9.1987, SZ 60/192, 316 f.; öst. OGH v. 22.10.2001, SZ 74, 177, 366; ferner Art. 53 Abs. 1 HS 1 liecht. IPRG. OLG Karlsruhe v. 8.5.1998 – 10 U 259/97, MDR 1998, 1470 (Eigenhaftung des vollmachtlosen Vertreters wegen Nichtexistenz der vertretenen Schweizer Gesellschaft gegenüber dem deutschen Drittkontrahenten aufgrund nachträglicher stillschweigender Rechtswahl im Prozess nach deutschem Recht beurteilt, obwohl der Hauptvertrag dem Schweizer Recht unterstanden hätte). Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 153, 161. von Caemmerer, RabelsZ 24 (1959), 201 (217); Berger, S. 172 f. Thorn in Palandt, Art. 12 Rom II-VO Rz. 5; dazu Rz. 4.39 ff.; Magnus in Staudinger, Art. 8 EGBGB Rz. 161; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 26 a.E.; a.A. (Geschäftsstatut) Lüderitz in Soergel, Anh. zu Art. 10 EGBGB Rz. 105; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 8 EGBGB Rz. 26 a.E.

Hausmann | 651

§ 6 Rz. 6.490 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis RabelsZ 43 (1979), 80; Pfeifer, The Hague Convention and the Law Applicable to Agency, Am.J.Comp. L. 26 (1978), 434; Sauveplanne, Het Haagse Verdrag over de Toepasselijke Wet op de Vertegenwoordiging, Nederlands Juristenblad 1978, 879; Stöcker, Genfer Übereinkommen über die Vertretung beim internationalen Warenkauf, WM 1983, 778; Verhagen, Agency in Private International Law. The Hague Convention on the Law Applicable to Agency (1995).

1. Haager Übereinkommen über das auf die Stellvertretung anzuwendende Recht von 1978 6.491

Auf der 13. Haager Konferenz wurde der Entwurf eines Übereinkommens über das auf Vertreterverträge und die Stellvertretung anzuwendende Recht verabschiedet1. Das Übereinkommen ist am 1.5.1992 für Argentinien, Frankreich und Portugal in Kraft getreten und gilt inzwischen ferner für die Niederlande. Es vereinheitlicht – als „loi uniforme“ (Art. 4 HStÜ) – das Kollisionsrecht sowohl auf dem Gebiet der vertraglichen Beziehungen zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter (Art. 5–10 HStÜ) als auch auf dem Gebiet der zwischen dem Vertretenen und dem Dritten durch das Vertreterhandeln begründeten Rechtsbeziehungen (Art. 11–15 HStÜ).

6.492

Der sachliche Anwendungsbereich des Übereinkommens erfasst Abschluss-, Übermittlungsund Verhandlungsvollmachten und gilt gleichermaßen für ständige wie für Gelegenheitsvertreter (Art. 1 Abs. 1 HStÜ). Es gilt auch für die Tätigkeit eines Maklers (Art. 1 Abs. 2 HStÜ) und für die mittelbare Stellvertretung, bei welcher der Vertreter im eigenen Namen für fremde Rechnung handelt (Art. 1 Abs. 3 HStÜ). Nicht in den Anwendungsbereich des Übk. fallen die Fragen der Geschäftsfähigkeit und der Form, die gesetzliche Vertretung kraft Familien- oder Erbrechts, die Vertretung durch gerichtlich oder behördlich ernannte Personen (z.B. Vormund, Insolvenzverwalter), die Prozessvertretung sowie die Vertretung von juristischen Personen und Gesellschaften durch ihre Organe (Art. 2, 3 HStÜ).

6.493

Auf das der Bevollmächtigung zugrunde liegende Innenverhältnis (Auftrag, Werk-, Geschäftsbesorgungs- oder Handelsvertretervertrag) zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter ist gem. Art. 5 HStÜ in erster Linie das von den Parteien (ausdrücklich oder stillschweigend) gewählte Recht anwendbar. Mangels Rechtswahl gilt das interne Recht des Staates, in dem der Vertreter im Zeitpunkt der Begründung des Vertretungsverhältnisses seine geschäftliche Niederlassung oder mangels einer solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Art. 6 Abs. 1 HStÜ). Nur wenn der Vertreter seine Haupttätigkeit in dem Staat ausüben soll, in dem der Vertretene seine geschäftliche Niederlassung oder hilfsweise seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, so ist das Recht dieses Staates maßgebend (Art. 6 Abs. 2 HStÜ). Bei mehrfachem Geschäftssitz kommt es auf denjenigen an, mit dem die Vertretung am engsten verbunden ist (Art. 6 Abs. 3 HStÜ). Bei unselbständiger Vollmachtserteilung gelten die Anknüpfungen der Art. 5 und 6 HStÜ nur dann, wenn die Vollmacht vom übrigen Vertragsinhalt trennbar ist oder den Hauptzweck des Vertrages bildet (Art. 7 HStÜ). Das Auftragsstatut umfasst auch die Fragen der Unterbevollmächtigung und des Selbstkontrahierens (Art. 8 HStÜ). Für Erfüllungsmodalitäten soll das Recht des Erfüllungsortes „beachtet“ werden (Art. 9 HStÜ). Die genannten Vorschriften sind nicht anwendbar, wenn das Grundverhältnis ein Arbeitsvertrag ist (Art. 10 HStÜ).

1 Engl. u. frz. Text: RabelsZ 43 (1979), 176 ff.; ferner abrufbar unter https://www.hcch.net/de/instruments/conventions, Nr. 27.

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B. Vollmacht | Rz. 6.500 § 6

Im Außenverhältnis zwischen dem Vertretenen und dem Dritten beurteilen sich der Bestand und der Umfang der Vollmacht des Vertreters sowie die Wirkungen der Ausübung seiner tatsächlich bestehenden oder behaupteten Vollmacht nach dem internen Recht des Staates, in dem der Vertreter im Zeitpunkt der Abgabe seiner Erklärung seine geschäftliche Niederlassung hatte (Art. 11 Abs. 1 HStÜ). In Abweichung von diesem Grundsatz gilt jedoch nach Art. 11 Abs. 2 HStÜ das Recht des Landes, in dem der Vertreter gehandelt hat, wenn

6.494

– der Vertretene seine geschäftliche Niederlassung oder mangels einer solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat und der Vertreter im Namen des Vertretenen gehandelt hat; oder

6.495

– der Dritte seine geschäftliche Niederlassung oder mangels einer solchen seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat hat; oder – der Vertreter ein Börsengeschäft getätigt oder an einer Versteigerung teilgenommen hat; oder – der Vertreter keine geschäftliche Niederlassung hat. Hat eine der Parteien mehrere geschäftliche Niederlassungen, so gibt diejenige Niederlassung den Ausschlag, zu der das Vertretergeschäft die engste Beziehung aufweist (Art. 11 Abs. 3 HStÜ). Bei einem abhängig beschäftigten Vertreter, der keinen eigenen Geschäftssitz hat, kommt es auf den Geschäftssitz des Arbeitgebers an (Art. 12 HStÜ).

6.496

Das nach Art. 11 und 12 HStÜ maßgebliche Recht kann durch Vereinbarung zwischen dem Vertretenen und dem Dritten zugunsten eines anderen Rechts ausgeschlossen werden, wenn die Rechtswahl von einer Partei schriftlich erklärt und von der anderen ausdrücklich angenommen worden ist (Art. 14 HStÜ).

6.497

Das nach Art. 11–14 HStÜ ermittelte Vollmachtstatut beherrscht auch die Rechtsbeziehungen zwischen dem Vertreter und dem Dritten, wenn der Vertreter seine Vertretungsmacht überschritten oder als falsus procurator gehandelt hat (Art. 15 HStÜ).

6.498

2. Genfer Übereinkommen über die Stellvertretung beim internationalen Warenkauf von 1983 Während das Haager Übereinkommen – in der tradierten Zielsetzung der Haager Konferenz für internationales Privatrecht – seine Aufgabe darin sieht, für die Anknüpfung der rechtsgeschäftlichen Vertretung einheitliche Kollisionsregeln anzubieten, die darüber entscheiden, welches nationale Recht Fragen des internationalen Vertretungsrechts beherrscht, will das – von der Bundesrepublik Deutschland allerdings bisher nicht gezeichnete – Genfer UNIDROIT-Übereinkommen vom 17.2.19831 dagegen das materielle Recht vereinheitlichen, das bei internationaler Stellvertretung Anwendung findet. Das Übereinkommen ist bisher nur von fünf Staaten ratifiziert worden und noch nicht in Kraft getreten.

6.499

Der sachliche und räumliche Anwendungsbereich dieses Übereinkommens ist freilich in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. So gilt das Übereinkommen nach seinem Art. 1 Abs. 1 nur, wenn jemand bevollmächtigt ist, für Rechnung des Geschäftsherrn mit einem Dritten einen Vertrag über einen Warenkauf abzuschließen; das Übereinkommen versteht sich damit als flankierende Maßnahme zum Wiener Kaufrechtsübereinkommen vom 11.4.1980. Den in-

6.500

1 Text: https://www.unidroit.org/instruments/agency.

Hausmann | 653

§ 6 Rz. 6.500 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ternationalen Charakter des Warenkaufvertrags, zu dessen Abschluss der Vertreter bevollmächtigt ist, umschreibt Art. 2 in der Weise, dass der Geschäftsherr und der Dritte ihre Niederlassung in verschiedenen Staaten haben und dass der Vertreter seine Niederlassung in einem Vertragsstaat hat. Art. 2 Abs. 2 enthält weiterhin eine fragwürdige Überraschungsklausel, die die Anwendbarkeit des Übereinkommens dann ausschließt, wenn der Dritte zur Zeit des Vertragsschlusses weder wusste noch wissen musste, dass der Vertreter für fremde Rechnung handelte. Wesentlich ist schließlich, dass sich das Übereinkommen nicht auf das Innenverhältnis Geschäftsherr-Vertreter bezieht, sondern auf das Außenverhältnis Geschäftsherr/Vertreter-Dritter beschränkt; auch in diesem Verhältnis kann es durch Vereinbarung ganz ausgeschlossen oder modifiziert werden (Art. 5). Der sachliche Anwendungsbereich des Übereinkommens reicht von der Erteilung, der Form und dem Umfang der Vollmacht (Art. 9–11) über die nähere Ausgestaltung der offenen und der verdeckten Stellvertretung (Art. 12, 13) bis zu den Rechtsfolgen einer Vertretung ohne Vertretungsmacht (einschließlich Anscheins- und Duldungsvollmacht, Art. 14–16) und den Erlöschenstatbeständen der Vollmacht (Art. 17–19).

VIII. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung 1. Neuregelung in Art. 8 EGBGB 6.501

Das IPR der Vollmacht ist bisher nicht auf europäischer Ebene harmonisiert worden, sondern ist weiterhin im autonomen IPR der Mitgliedstaaten geregelt. In Deutschland hat der Gesetzgeber das IPR der gewillkürten Stellvertretung erstmals durch Gesetz vom 11.6.2017 in Art. 8 EGBGB kodifiziert. Danach unterliegt die Vollmacht nicht dem Statut des Rechtsgeschäfts, das der Bevollmächtigte mit dem Dritten abschließt, sondern wird – wie im bisherigen Richterrecht – davon unabhängig angeknüpft. Im Interesse des gebotenen Drittkontrahentenschutzes scheidet auch eine akzessorische Anknüpfung an das der Vollmachtserteilung zugrunde liegende Rechtsverhältnis (z.B. Auftrag, Geschäftsbesorgung) aus.

2. Bestimmung des Vollmachtstatuts 6.502

a) Auf die gewillkürte Stellvertretung ist nach Art. 8 Abs. 1 EGBGB in erster Linie das vom Vollmachtgeber vor der Ausübung der Vollmacht gewählte Recht anzuwenden, wenn die Rechtswahl dem Dritten und dem Bevollmächtigten bekannt ist. Der Vollmachtgeber, der Bevollmächtigte und der Dritte können das anzuwendende Recht jedoch jederzeit auch durch eine davon abweichende Rechtswahl bestimmen.

6.503

b) In Ermangelung einer Rechtswahl ist das Vollmachtstatut nach Art. 8 Abs. 2-5 EGBGB mit Hilfe einer Anknüpfungsleiter objektiv zu bestimmen. Danach gilt:

6.504

aa) Handelt der Bevollmächtigte in Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit, so sind nach Art. 8 Abs. 2 EGBGB die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Bevollmächtigte im Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, es sei denn, dieser Ort ist für den Dritten nicht erkennbar. Für die Vollmacht von Prokuristen gilt daher – unabhängig vom Gebrauchsort – das am Sitz des Unternehmens geltende Recht. Die Vertretungsmacht von Handelsvertretern oder Repräsentanten, die ein Unternehmen ständig im Ausland vertreten, unterliegt dem Recht am Ort ihrer Niederlassung, sofern das Handeln von dort für den Drittkontrahenten erkennbar war.

6.505

bb) Handelt der Bevollmächtigte als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers, so sind nach Art. 8 Abs. 3 EGBGB die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Vollmachtgeber im

654 | Hausmann

B. Vollmacht | Rz. 6.513 § 6

Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, es sei denn, dieser Ort ist für den Dritten nicht erkennbar. cc) Handelt der Bevollmächtigte weder in Ausübung seiner unternehmerischen Tätigkeit noch als Arbeitnehmer des Vollmachtgebers, so sind nach Art. 8 Abs. 4 EGBGB im Falle einer auf Dauer angelegten Vollmacht die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Bevollmächtigte von der Vollmacht gewöhnlich Gebrauch macht, es sei denn, dieser Ort ist für den Dritten nicht erkennbar.

6.506

dd) Ergibt sich das anzuwendende Recht nicht aus Art. 8 Abs. 1-4 EGBGB, so sind nach Abs. 5 die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Bevollmächtigte von seiner Vollmacht im Einzelfall Gebrauch macht (Gebrauchsort). Bei Distanzgeschäften kommt es auf den Ort an, an dem der Vertreter seine Erklärung abgibt. Mussten der Dritte und der Bevollmächtigte jedoch wissen, dass von der Vollmacht nur in einem bestimmten Staat Gebrauch gemacht werden sollte, so sind die Sachvorschriften dieses Staates anzuwenden. Ist der Gebrauchsort für den Dritten nicht erkennbar, so sind die Sachvorschriften des Staates anzuwenden, in dem der Vollmachtgeber im Zeitpunkt der Ausübung der Vollmacht seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

6.507

c) Auf die gewillkürte Stellvertretung bei Verfügungen über Grundstücke oder Rechte an Grundstücken ist nach Art. 8 Abs. 6 EGBGB das von Art. 43 Abs. 1 und Art. 46 EGBGB zur Anwendung berufene Recht anzuwenden. Prozessvollmachten werden nach der lex fori des Landes beurteilt, vor dessen Gerichten der Prozess geführt wird.

6.508

d) Auf die gewillkürte Stellvertretung bei Börsengeschäften und Versteigerungen findet Art. 8 EGBGB keine Anwendung. Sie unterliegt dem Recht am Börsen- oder Versteigerungsort. Auch die Kapitänsvollmacht wird von Art. 8 EGBGB nicht erfasst; sie unterliegt dem Recht der Flagge.

6.509

3. Reichweite des Vollmachtstatuts a) Nach dem Vollmachtstatut sind alle Fragen zu beurteilen, welche die Vollmacht selbst betreffen. Hierher gehören insbesondere die gültige Erteilung, die Auslegung und der Umfang der Vollmacht sowie die Voraussetzungen ihres Erlöschens.

6.510

b) Die Form der Vollmacht bestimmt sich hingegen gem. Art. 11 Abs. 1 EGBGB alternativ nach dem Vollmachtstatut und nach dem Ortsrecht. Die Einhaltung der ausländischen Ortsform reicht auch dann aus, wenn Gegenstand des Vertretergeschäfts ein inländisches Grundstück ist; dies gilt selbst dann, wenn die vom deutschen Recht geforderte Form der § 311b Abs. 1, § 925 BGB nicht erfüllt wird.

6.511

c) Im Interesse einer einheitlichen Behandlung aller Arten der Vollmacht unterliegen auch Duldungs- und Anscheinsvollmachten dem Vollmachtstatut, auch wenn sie in Art. 8 EGBGB nicht erwähnt werden. Maßgebend ist danach das Recht des Landes, in dem der Vertreter den Vertrauenstatbestand gesetzt hat.

6.512

d) Wegen des engen Zusammenhang mit dem Bestand und Umfang der Vollmacht unterliegt auch die Haftung des falsus procurator dem Vollmachtstatut.

6.513

Hausmann | 655

§ 6 Rz. 6.514 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

4. Geschäftsstatut des Hauptvertrages 6.514

Fragen, die weniger die Vollmacht, als vielmehr die Vertretung als solche und die Geltung des vom Vertreter mit dem Dritten geschlossenen Geschäfts berühren, sind demgegenüber nach dem Geschäftsstatut des Hauptvertrages zu beurteilen. Dies gilt insbesondere für die Zulässigkeit der Stellvertretung, das Erfordernis einer Spezialvollmacht, die Behandlung der verdeckten Stellvertretung, die Zurechnung von Willensmängeln und bösem Glauben sowie die mit der nachträglichen Genehmigung des Hauptvertrages zusammenhängenden Fragen.

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters 1. Literatur zum europäischen internationalen Insolvenzrecht a) Zur EuInsVO 2000: aa) Allgemeines: Becker, Insolvenz in der Europäischen Union – Zur Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren, ZEuP 2002, 287; Boschiero (Hrsg.), La tutela transnazionale del credito (2007); Burbridge, Cross border insolvency within the European Union: dawn of a new era, Eur. Law Rev. 2002, 589; Bureau, La fin d´un ilôt de résistance: Le Règlement du Conseil relatif aux procédures d´insolvabilité, Rev.crit.d.i.p. 2002, 613; De Cesari/Montella, Le procedure d´insolvenza nella nuova disciplina comunitaria (2004); Daniele, Legge applicabile e diritto uniforme nel regolamento comunitario relativo al procedure di insolvenza, Riv. dir. int. priv. proc. 2002, 33; Deipenbrock, Das Neue Europäische Internationale Insolvenzrecht: von der „quantité négligeable“ zu einer „quantité indispensable“, EWS 2001, 113; Deyda, Der Konzern im europäischen internationalen Insolvenzrecht (2008); DuursmaKepplinger, Checkliste zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach der Europäischen Insolvenzverordnung, NZI 2003, 87; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Europäische Insolvenzverordnung (2002); Ehricke/Ries, Die neue europäische Insolvenzverordnung, JuS 2003, 313; Eidenmüller, Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren und zukünftiges deutsches internationales Insolvenzrecht, IPRax 2001, 2; von der Fecht, Die Insolvenzverfahren nach der neuen EG-Verordnung, FS Metzeler (2003), S. 121; Flessner, Grundsätze des europäischen Insolvenzrechts, ZEuP 2004, 887; Fritz/Bähr, Die Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren – Herausforderung an Gerichte und Insolvenzverwalter, DZWiR 2001, 221; Fumagalli, Il regolamento comunitario sulle procedure di insolvenza, Riv. dir. proc. 2001, 686; Gottwald, Die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren, ZInsO 2001, 97; Gottwald (Hrsg.), Europäisches Insolvenzrecht – kollektiver Rechtsschutz (2008); Haß/ Huber/Gruber/Heiderhoff, EU-Insolvenzverordnung (2005); Haubold, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Ansprüche im Zusammenhang mit Insolvenzverfahren, IPRax 2002, 157; Haubold, Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO), in: Gebauer/Wiedemann (Hrsg.), Zivilrecht unter europäischem Einfluss, 2. Aufl. 2010, Kap. 30; von Hein, Europäisches Insolvenzrecht im deutschitalienischen Rechtsverkehr, JbItalR 25 (2013), 87; Hess/Laukemann/Seagon, Europäisches Insolvenzrecht nach Eurofood: Methodische Standortbestimmung und praktische Schlussfolgerungen, IPRax 2007, 89; P. Huber, Das internationale Privat- und Verfahrensrecht der Europäischen Insolvenzverordnung, ZZP 114 (2001), 133; P. Huber, Die europäische Insolvenzverordnung, EuZW 2002, 490; U. Huber, Inländische Insolvenzverfahren über Auslandsgesellschaften nach der Europäischen Insolvenzverordnung, FS Gerhardt (2004), S. 397; Hübler, Aktuelles internationales und ausländisches Insolvenzrecht, NZI 2013, 1062; Jahn, Insolvenzen in Europa: Recht und Praxis (1998); Kemper, Die Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren: „Ein Schritt zu einem europäischen Insolvenzrecht, ZIP 2001, 1609; Kindler/Nachmann (Hrsg.), Handbuch des Insolvenzrechts in Europa (2020), 1. Teil: Internationales Insolvenzrecht; Kirchhof, Grenzüberschreitende Insolvenzen im Europäischen Binnenmarkt, WM 1993, 1364 und 1401; Kolmann, Europäisches Internationales Insolvenzrecht – die Verordnung EG Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren, EuLF 2002, 167; Krebber, Europäische Insolvenzordnung, Drittstaatengesellschaften und innergemeinschaftliche Konflikte, IPRax 2004, 540; Laukemann, Rechtshängigkeit im europäischen Insolvenzecht, RIW 2005, 104; Lehr, Die neue EU-Verordnung über Insolvenzverfahren und deren Auswirkungen für die Unternehmenspraxis, KTS 2000, 577; Leible/Staudinger, Die Europäische Verordnung über Insolvenzverfahren, KTS 2000, 533; Leonhardt/Smid/Zeuner (Hrsg.), Internationales Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2012; W. Lüke, Das europäi-

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Verso nuove regole (2013), 141; Kindler, Hauptfragen der Reform des Europäischen Internationalen Insolvenzrechts, KTS 2014, 25; Latella, The „COMI“ Concept in the Revision of the European Insolvency Regulation, ECFR 2014, 479; Madaus, Koordination ohne Koordinationsverfahren? – Reformvorschläge aus Berlin und Brüssel zu Konzerninsolvenzen, ZRP 2014, 192; McCormack, Time to Revise the Insolvency Regulation, IILR 2011, 121; Mock, Das (geplante) neue europäische Insolvenzrecht nach dem Vorschlag der Kommission zur Reform der EuInsVO, GPR 2013, 156; Paulus, Die EuInsVO in ihrer künftigen Gestalt: Keine

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.514 § 6 Rundum-Erneuerung, aber deutlich modernisiert, BB 2013, 1; Prager/Keller, Der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Reform der EuInsVO, NZI 2013, 57; Prager/Keller, Der Entwicklungsstand des Europäischen Insolvenzrechts, WM 2015, 805; Reuß, Europäisches Insolvenzrecht 3.0 oder doch nur Version 1.1?, EuZW 2013, 165; Reuß, Europäisches Insolvenzrecht 3.0 oder doch nur Version 1.1?, EuZW 2013, 165; Thole, Das neue Konzerninsolvenzrecht in Deutschland und Europa, KTS 2014, 351; Thole/Swierczok, Der Kommissionsvorschlag zur Reform der EuInsVO, ZIP 2013, 550; Vallender, Der deutsche Motor stockt, aber Europa drückt aufs Gas – Europäisches Konzerninsolvenzrecht vor der Verabschiedung, ZInsO 2015, 57. c) Zur EuInsVO 2015: Commandeur/Römer, Aktuelle Entwicklungen im Insolvenzrecht – Neufassung der Europäischen Insolvenzordnung, NZG 2015, 988; Cotiga-Raccah/Sautonie-Laguionie, Le nouveau droit europeén des faillites internationales (2018); Eble, Auf dem Weg zu einem europäischen Konzerninsolvenzrecht – Die „Unternehmensgruppe“ in der EuInsVO 2017, NZI 2016, 115; Eidenmüller, Was ist ein Insolvenzverfahren?, ZIP 2016, 145; Fehrenbach, Die reformierte Europäische Insolvenzordnung, GPR 2016, 282 (Teil I) und GPR 2017, 38 (Teil II); Garcimartín, The EU Insolvency Regulation Recast: Scope, Jurisdiction and Applicable Law, ZEuP 2015, 694; Gottwald/Haas (Hrsg.), Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020, Kap. XIV, Internationales Insolvenzrecht; Kindler, Internationales Insolvenzrecht, in: MünchKomm, Bd. 13, Internationales Wirtschaftsrecht, 8. Aufl. 2021, S. 1960; Kindler/Sakka, Die Neufassung der Europäischen Insolvenzverordnung, EuZW 2015, 460; Mankowski/Müller/Schmidt, EuInsVO 2015 (2016); Moss/Fletcher/Isaacs, The EU Regulation on Insolvency Proceedings, 3. Aufl. 2016; Mucciarelli, Private International Law Rules in the Insolvency Regulation Recast: a Reform or a Restatement of the Status Quo?, Eur.Comp.Fin.L.Rev. 2016, 1; NunnerKrautgasser/Garber/Jaufer (Hrsg.), Grenzüberschreitende Insolvenzen im europäischen Binnenmarkt (2017); Parzinger, Die neue EuInsVO auf einen Blick, NZI 2016, 63; Chr. G. Paulus, Über die Rolle der Erwägungsgründe in der revidierten EuInsVO, FS Beck (2016), S. 393; Paulus, Europäische Insolvenzverordnung, 5. Aufl. 2017; Thole, Harmonisierung durch die Hintertür – die neue EuInsVO unter einem anderen Blickwinkel, FS Geimer (2017), S. 481; Skauradszun, Anmerkungen zum RefE des BMJV für ein Durchführungsgesetz zur neuen EuInsVO 2015, DB 2016, 2165; Thole, Die neue Europäische Insolvenzverordnung, IPRax 2017, 213; Vallender, Europaparlament gibt den Weg frei für eine neue Europäische Insolvenzverordnung, ZIP 2015, 1513; Vallender, EuInsVO 2017 – eine neue Herausforderung für Insolvenzgerichte, FS Beck (2016), S. 537; Vallender (Hrsg.), EuInsVO (2017); Wenner, Die Reform der EuInsVO – Ein Verriss, ZIP 2017, 1137; Wessels, International Insolvency Law: Part II European Insolvency Law, NIPR 2018, 895; Wimmer/Bornemann/Lienau (Hrsg.), Die Neufassung der EuInsVO (2016). 2. Literatur zum deutschen internationalen Insolvenzrecht: Zu dem vor der Reform von 2003 geltenden Recht vgl. die Literaturhinweise in der Voraufl. vor Rz. 7.469. Braun, Insolvenzordnung, 8. Aufl. 2020; Ehricke/Biel, Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2015; Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung (hrsg. v. Wimmer), 9. Aufl. (2018); Gottwald/Haas, Handbuch des Insolvenzrechts, 6. Aufl. 2020; Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung (hrsg. v. A. Schmidt), 7. Aufl. 2019; Häsemeyer, Insolvenzrecht, 4. Aufl. 2007; Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung (hrsg. von Kayser/Thole), 9. Aufl. 2018; Herchen, Das Prioritätsprinzip im Internationalen Insolvenzrecht, ZIP 2005, 1401; Hergenröder, Internationales Verbraucherinsolvenzrecht, ZVI 2005, 233; Hess, Großkommentar zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. 2013; Jaeger, Großkommentar zur Insolvenzordnung (2004 ff.); Liersch, Deutsches Internationales Insolvenzrecht, NZI 2003, 302; Ludwig, Neuregelungen des deutschen Internationalen Insolvenzverfahrensrechts (2004); Martius, Verteilungsregeln in der grenzüberschreitenden Insolvenz (2004); Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung (hrsg. v. Stürner/Eidenmüller/Schoppmeyer), 3. Aufl. 2013 ff. und 4. Aufl. 2019 f.; Nerlich/Römermann, Insolvenzordnung (Loseblatt, Stand: 2020); Obermüller/Hess, Insolvenzordnung, 4. Aufl. 2003; Paulus, Grundlagen des neuen Insolvenzrechts – Internationales Insolvenzrecht, DStR 2005, 334; Smid, Internationales Insolvenzrecht, 2. Aufl. 2012; Smid, Handbuch Insolvenzrecht, 7. Aufl. 2018; Uhlenbruck/ Hirte/Vallender, Insolvenzordnung, 14. Aufl. 2015; Wenner, Recht der internationalen Insolvenzen, in: Mohrbutter/Ringstmeier, Handbuch der Insolvenzverwaltung, 9. Aufl. 2015 (zit.: Wenner); Wehdeking, Reform des Internationalen Insolvenzrechts in Deutschland und Österreich, DZWiR 2003, 133; Wim-

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§ 6 Rz. 6.514 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis mer/Ahrens (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung, 6. Aufl. 2012; Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltervertrag (2004). 3. Literatur zum ausländischen internationalen Insolvenzrecht: Zur älteren Literatur vgl. die Nachw. in der Voraufl. Alcázar Pérez, Das neue spanische Konkursrecht, RIW 2013, 352; Bailey/Groves/Smith, Corporate Insolvency, Law and Practice (London ua. 2001); Calvo Caravaca/Carrascosa González, Derecho concursal internacional (Madrid 2004); Carballo Pineiro, Das neue autonome internationale Insolvenzrecht in Spanien, RIW 2006, 505; Dostal, Französisches internationales Insolvenzrecht, ZIP 1998, 969; Esplugues Mota, Die Neuregelung des internationalen Konkursrechts in Spanien, ZZP Int. 6 (2001), 65; Fletcher, Insolvency in Private International Law, 2. Aufl. (Oxford 2005); Gehri/Kostkiewicz, Anerkennung ausländischer Insolvenzentscheide in der Schweiz – Ein neuer Réduit national?, SZIER 2009, 193; Heyers, Das französische internationale Insolvenzrecht unter Berücksichtigung des Europäischen Konkursübereinkommens (Diss. Münster 1997); Ishikawa/Haga, Das neue internationale Insolvenzrecht in Japan, FS Beys (Athen 2003), Bd. I, S. 587; Kampf, Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts in Belgien, IPRax 2006, 620; Keppelmüller, Österreichisches Internationales Konkursrecht (Wien 1997); Leitner, Der grenzüberschreitende Konkurs (Wien 1995); Kindler/Nachmann (Hrsg.), Handbuch des Insolvenzrechts in Europa (2020), 2. Teil: Länderberichte; Markus, Revision des 11. Kapitels IPRG: Ausländische Zivilprozesse und Schweizer Insolvenz, in Guillaume/Pretelli (Hrsg.), Les nouveautés en matière de faillite transfrontalière (2016), S. 23; McCormack/Keay/Brown (Hrsg.), European Insolvency Law: Reform and Harmonization (2017, mit 30 Länderberichten); Paulus, Das neue internationale Insolvenzrecht der USA, NZI 2005, 439; Rüfner, Neues internationales Insolvenzrecht in den USA, ZIP 2005, 1859; Scherber, Neues autonomes internationales Insolvenzrecht in Spanien, IPRax 2005, 160; Siehr, Grundfragen des internationalen Konkursrechts, SchwJZ 1999, 85; Simoni, Englische, walisische und französische Konkursverwalter in der Schweiz (Diss. Zürich 1997); Smart, Cross-Border Insolvency, 2. Aufl. (London 2007); Sterzenbach, Anerkennung des Auslandskonkurses in Italien (1993); Turck, Das internationale Insolvenzrecht in Spanien in rechtsvergleichender Betrachtung (1995); Uematsu, Das neue Internationale Insolvenzrecht in Japan, ZZP Int. 9 (2004), 311;Westpfahl/Goether/Wilkens Grenzüberschreitende Insolvenzen (2008); von Wilmowsky, Internationales Insolvenzrecht – Plädoyer für eine Neuorientierung, WM 1997, 1461; Wessels, International Insolvency Law, 3. Aufl. 2013; Westbrook/Booth/Paulus/Rajak, A Global View of Business Insolvency Systems (2010); Wood, Principles of International Insolvency, 2. Aufl. 2007. Vgl. auch die weiteren Literaturnachweise vor Rz. 6.539, Rz. 6.619 und Rz. 6.686.

I. Grundlagen 1. Territorialitätsprinzip contra Universalitätsprinzip 6.515

Im internationalen Insolvenzrecht stehen sich traditionell zwei Grundauffassungen gegenüber: Für die Anhänger des Territorialitätsprinzips steht die Rechtsnatur der Insolvenzeröffnung als staatlicher Hoheitsakt im Vordergrund; da dieser in private Rechte eingreift, werden seine Wirkungen – ähnlich wie im Falle einer Enteignung – auf das Herrschaftsgebiet des anordnenden Staates beschränkt. Demgegenüber betonen die Verfechter des Universalitätsprinzips stärker die materielle Funktion des Insolvenzrechts, das auf eine gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger abziele und deshalb die Verwertung des gesamten Vermögens des Gemeinschuldners ohne Rücksicht auf seine Belegenheit im In- oder Ausland erfordere1. Das Reichsgericht hatte sich in seiner ersten einschlägigen Entscheidung aus dem Jahre 18822 zunächst zu dem freieren Standpunkt bekannt, dass der Auslandskonkurs seine Wirkungen auch im Inland entfalte. Es stützte sich dabei auf die Materialien zur Konkursordnung von 1877, nach

1 Vgl. zu diesem Grundsatzstreit näher Trunk, S. 10 f.; Häsemeyer, Rz. 35.05 ff. m.w.N. 2 RG v. 28.3.1882, RGZ 6, 400 (404 ff.); dazu Thieme, RabelsZ 37 (1973), 685.

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.517 § 6

denen der Auslandskonkurs im Inland grundsätzlich wirksam sei und nur aus Gründen des Gläubigerschutzes eine Vollstreckung im Inland möglich bleiben sollte. Auch in der Folgezeit hielt das Reichsgericht am Universalitätsprinzip fest und wertete § 237 Abs. 1 KO1 als eine punktuelle, allein den Bereich der Zwangsvollstreckung regelnde Ausnahmevorschrift2. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert setzte sich aber dann die Auffassung durch, dass die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens als beschlagsregelnder vollstreckungsrechtlicher Hoheitsakt schon ihrer Natur nach territorial begrenzt sei; § 237 Abs. 1 KO sei nichts anderes als die Ausformung des dem gesamten internationalen Konkursrecht zugrunde liegenden Territorialitätsprinzips3. Der BGH hat zunächst an diese spätere Rechtsprechung des Reichsgerichts angeknüpft und der Konkurseröffnung im Ausland jede Wirkung für das Inlandsvermögen des Schuldners abgesprochen, insbesondere einen Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vom Gemeinschuldner auf den ausländischen Insolvenzverwalter nicht anerkannt4. Mit einem Grundsatzurteil aus dem Jahre 1985 ist der BGH jedoch – der herrschenden Tendenz in der damaligen Lehre folgend5 – zur ursprünglichen Auffassung des Reichsgerichts zurückgekehrt und bekennt sich seither zur Universalität des inländischen wie des ausländischen Insolvenzverfahrens. Danach umfasst die Insolvenzeröffnung im Ausland auch das Inlandsvermögen des Gemeinschuldners; der ausländische Insolvenzverwalter ist daher berechtigt, dieses Vermögen zur Masse zu ziehen.

6.516

BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (263 ff.) = NJW 1985, 2896 = ZIP 1995, 344 (m. Anm. Heinrich, ZIP 1995, 1238) = JZ 1986, 91 m. Anm. Lüderitz = EWiR 1985, 605 (LS) m. Anm. Merz

Inlandswirkung der Insolvenzeröffnung in Belgien über eine dort ansässige GmbH anerkannt; Befugnis des belg. Insolvenzverwalters, dieses Vermögen zur Masse zu ziehen, bejaht.

Die Entscheidung ist in der Literatur auf allgemeine Zustimmung gestoßen6. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass mit zunehmender internationaler wirtschaftlicher Verflechtung auch die Kreditwürdigkeit eines Schuldners nicht mehr allein an seinem Inlandsvermögen gemessen wird. Es entspricht daher einem Gebot der Gerechtigkeit, in- und ausländische Gläubiger bei der Durchsetzung von Ansprüchen gleichzustellen7. § 237 Abs. 1 KO war daher als Ausnahmevorschrift anzusehen, welche die Zwangsvollstreckung in inländisches Vermögen ohne materiell-rechtliche Sperre für ausländische Insolvenzwirkungen zuließ; die Vorschrift sollte aber im Auslandskonkurs dem Gemeinschuldner nicht zu Lasten der Gesamtheit der 1 § 237 Abs. 1 KO lautete: „Besitzt ein Schuldner, über dessen Vermögen im Auslande ein Konkursverfahren eröffnet worden ist, Vermögensgegenstände im Inlande, so ist die Zwangsvollstreckung in das inländische Vermögen zulässig.“ 2 RG JW 1899, 227 Nr. 16. 3 Erstmals RG v. 11.12.1884, RGZ 14, 405 (406); ferner RGZ 21, 7 (9); RGZ 52, 155 (156); RGZ 89, 181 (183); RGZ 100, 241 (242); RGZ 153, 200 (207). 4 BGH v. 4.2.1960 – VII ZR 161/57, NJW 1960, 774 = MDR 1960, 578 m. Anm. Kuhn; BGH v. 7.12.1961 – II ZR 11/60, WM 1962, 263; BGH v. 30.5.1962 – VIII ZR 39/61, NJW 1962, 1511 f.; BGH v. 2.4.1970 – VII ZR 128/68, BGHZ 53, 383 (387); BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, NJW 1979, 2477 (2478). 5 Vgl. insb. Hanisch, KTS 1978, 193 ff.; Lüer, KTS 1979, 12 ff.; Müller-Freienfels, FS Dölle II (1963), S. 359 (378); Thieme, RabelsZ 37 (1973), 689 ff.; Jaeger/Jahr, §§ 237, 238 KO Rz. 196 ff. 6 Vgl. Buchner, ZIP 1985, 1114 ff.; Hanisch, ZIP 1985, 1233 ff.; Lau, BB 1986, 1450 ff.; Lüderitz, JZ 1986, 96 ff.; Lüke, KTS 1986, 1 ff.; BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, MDR 1985, 1021 = RIW 1986, 93 ff.; ferner Ebenroth, ZZP 101 (1988), 121 ff. m.w.N. 7 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (266 f.) = ZIP 1985, 944; Kindler in MünchKomm, Einl. IntInsR Rz. 7.

Hausmann | 661

6.517

§ 6 Rz. 6.517 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Gläubiger die Verfügung über sein Inlandsvermögen erhalten (vgl. dazu auch Rz. 6.649)1. Im internationalen Insolvenzfall muss das unzulängliche Vermögen des Schuldners vielmehr über die Staatsgrenzen hinweg erfasst, verwertet und unter Wahrung der par condicio creditorum verteilt werden können2.

6.518

Diese universalistische Sicht liegt auch der Neuregelung des deutschen internationalen Insolvenzrechts von 2003 in §§ 335 ff. InsO zugrunde, der zufolge die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens grundsätzlich dem Recht des Staates unterliegen, in dem das Verfahren eröffnet wurde (§ 335 InsO; dazu Rz. 6.686 ff.). Gleiches gilt nach Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 2000/ Art. 7 Abs. 1 EuInsVO 2015 für das europäische internationale Insolvenzrecht, das sich ferner in Art. 16 Abs. 1 EuInsVO 2000/Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2015 zu dem Grundsatz bekennt, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein zuständiges Gericht eines Mitgliedstaats in allen übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen ist (dazu Rz. 6.630 ff.).

2. Rechtsquellen a) EuInsVO 2000

6.519

Die Justizminister der EG-Mitgliedstaaten hatten sich bereits am 25./26.9.1995 in Brüssel auf den Text eines „Europäischen Übereinkommens über Insolvenzverfahren“ (EuIÜ)3 geeinigt. Dieses Übereinkommen ist auch von 14 Mitgliedstaaten gezeichnet worden. Da das Vereinigte Königreich jedoch eine Zeichnung abgelehnt hat, ist das Übereinkommen nicht in Kraft getreten. Unter Ausnutzung des den Mitgliedstaaten in Art. 67 EG i.d.F. des Vertrages von Amsterdam eingeräumten Initiativrechts haben die Bundesrepublik Deutschland und Finnland den Vorschlag unterbreitet, den Inhalt des EuIÜ mit gewissen Modifikationen in eine EG-Verordnung zu transformieren. Obwohl das Rechtsinstrument der Richtlinie den Mitgliedstaaten einen größeren Spielraum eröffnet hätte, die europäischen Vorgaben den Besonderheiten des jeweiligen nationalen Insolvenzrechts anzupassen, hat sich die Mehrheit der Mitgliedstaaten mit Unterstützung der EG-Kommission für eine Verordnung ausgesprochen, um innerhalb kürzester Zeit eine Vereinheitlichung des internationalen Insolvenzrechts in Europa zu erreichen4. Gestützt auf die erweiterten Kompetenzen nach Art. 61 lit. c, 65 EG hat der Rat der Europäischen Gemeinschaft daher am 29.5.2000 die „Verordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren“ (EuInsVO 2000)5 beschlossen, die am 31.5.2002 im Verhältnis der Mitgliedstaaten – mit Ausnahme Dänemarks6 – in Kraft getreten ist. Sie galt gem. Art. 43 S. 1 nur für Insolvenzverfahren, die nach diesem Zeitpunkt eröffnet wurden7. 1 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (267). 2 Schack, Rz. 1144 ff. 3 Text abgedruckt in ZIP 1996, 976; dazu den erläuternden Bericht von Virgós/Schmit, abgedruckt bei Stoll (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Umsetzung des EuIÜ im deutschen Recht (1997), S. 32 ff.; dazu Balz, ZIP 1996, 948 ff.; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (277); Prütting, ZIP 1996, 1277 (1278); Spahlinger, S. 247 ff. 4 Regierungsbegründung zum IIR-G, BR-Drucks. 715/02, S. 11. 5 ABl. EG 2000 Nr. L 160, S. 1. 6 Vgl. OLG Frankfurt v. 24.1.2005 – 20 W 527/04, ZInsO 2005, 715; Geimer, Rz. 3357a. Zu den Gründen der Nichtmitwirkung Dänemarks vgl. ErwG 88 zur EuInsVO 2015; ferner Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (537); Paulus, NZI 2001, 505 (507). 7 BGH v. 27.11.2003 – IX ZB 418/02, ZIP 2004, 94, NZI 2004, 139 (149) m. Anm. Liersch. Für Rechtshandlungen des Schuldners vor In-Kraft-Treten der Verordnung gilt nach Art. 43 S. 2 EuInsVO weiterhin das Recht, das auf diese Rechtshandlungen im Zeitpunkt ihrer Vornahme anzuwenden war.

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.521 § 6

b) EuInsVO 2015 aa) Entstehung und Inhalt Der Rat der Europäischen Union hat in seiner Sitzung am 4.12.2014 den mit dem Europäischen Parlament im November 2014 ausgehandelten alternativen Entwurf zum Verordnungsvorschlag zur Änderung der EuInsVO vom 12.12.20121 angenommen. Die Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates über Insolvenzverfahren vom 20.5.2015 (EuInsVO 2015) ist am 5.6.2015 im Amtsblatt verkündet worden2. Die neue Verordnung brachte Änderungen und Verbesserungen vor allem auf folgenden Gebieten3:

6.520

– Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf vorinsolvenzrechtliche Sanierungsverfahren (z.B. auf Eigenverwaltungs- und Schutzschirmverfahren nach §§ 270a und 270b InsO i.d.F. vom 7.12.2011 sowie auf Verfahren zur vorübergehenden Aussetzung von Einzelvollstreckungsverfahren (Art. 1); – Präzisierung des für die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens maßgebenden COMI sowohl für Gesellschaften wie für natürliche Personen in Anlehnung an die hierzu ergangene EuGH-Rechtsprechung (Art. 3); – Einführung einer internationalen Annexzuständigkeit für Klagen, die – wie insbesondere Insolvenzanfechtungsklagen – unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren hervorgehen und in engem Zusammenhang damit stehen (Art. 6); – Einrichtung von Insolvenzregistern in allen Mitgliedstaaten (Art. 24 ff.); – erweiterte Regelung zur Durchführung von Sekundärinsolvenzverfahren und deren Koordinierung mit dem Hauptinsolvenzverfahren (Art. 34 ff.); – detaillierte Regelung der Zusammenarbeit und Kommunikation der Verwalter und zur Koordinierung von Insolvenzverfahren über das Vermögen von Mitgliedern einer Unternehmensgruppe (Art. 56 ff.). Die EuInsVO 2015 ist nach ihrem Art. 84 Abs. 1 allerdings erst auf Insolvenzverfahren anzuwenden, die ab dem 26.6.2017 eröffnet werden. Für Rechtshandlungen des Schuldners vor diesem Zeitpunkt gilt auch in danach eröffneten Insolvenzverfahren das zur Zeit ihrer Vornahme maßgebende Recht. Für bis zum 25.6.2017 eröffnete Verfahren bleibt weiterhin die EuInsVO 2000 anwendbar. bb) Ziele

Die Verordnung dient einerseits der Vermeidung nachteiliger Auswirkungen der Insolvenz von Unternehmen, deren Geschäftstätigkeit über das Gebiet eines Mitgliedstaats hinausgreift und soll durch Regeln zur effizienten Abwicklung eines internationalen Insolvenzverfahrens das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts auf diesem Gebiet sicherstellen. Andererseits muss es einem Gemeinschuldner verwehrt werden, sich durch Verschiebung seines Vermögens oder durch Verlagerung seiner Geschäftstätigkeit in ein anderes Land seinen inländischen Verpflichtungen zu entziehen oder seine insolvenzrechtliche Stellung zu verbessern; die Verordnung soll also einem „forum shopping“ vorbeugen4. Erreicht werden sollen diese Ziele 1 2 3 4

KOM (2012) 744 endg. ABl. EU L 141, S. 19. Vgl. näher Kindler, KTS 2014, 25 ff. Vgl. ErwG 5 zur EuInsVO 2015; dazu schon Eidenmüller, IPRax 2001, 1 (2); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (134); Schack, Rz. 1153; Wimmer, NJW 2002, 2427 f.

Hausmann | 663

6.521

§ 6 Rz. 6.521 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

vor allem dadurch, dass nur in einem Mitgliedstaat, nämlich am Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners, ein Hauptinsolvenzverfahren durchgeführt wird (dazu näher Rz. 6.541 ff.)1. Dieses entfaltet universelle Wirkungen, d.h. es erfasst das gesamte Vermögen des Schuldners ungeachtet seiner Belegenheit in anderen Mitgliedstaaten, und an ihm sind sämtliche in- und ausländischen Gläubiger gleichberechtigt beteiligt. Auf diese Weise sollen sowohl Kompetenz-Konflikte zwischen den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten als auch Normenkollisionen auf dem Gebiet des internationalen Insolvenzrechts möglichst vermieden werden2. Das Universalitätsprinzip gilt allerdings nach der Verordnung nicht uneingeschränkt. Einerseits wird die einheitliche Geltung der lex fori concursus durch Sonderanknüpfungen begrenzt, die für bestimmte Rechtsverhältnisse Abweichungen von dem ansonsten anwendbaren Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates vorschreiben (dazu Rz. 6.697 ff.). Andererseits wird die universale Wirkung des Hauptinsolvenzverfahrens durch die Zulassung von territorial beschränkten Partikular- bzw. Sekundärinsolvenzverfahren durchbrochen (dazu Rz. 6.536 ff.)3. cc) Anwendungsbereich

6.522

Ihren sachlichen Anwendungsbereich umschreibt die EuInsVO 2015 in ihrem Art. 1 Abs. 1 wie folgt: Art. 1 Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung gilt für öffentliche Gesamtverfahren einschließlich vorläufiger Verfahren, die auf der Grundlage gesetzlicher Regelungen zur Insolvenz stattfinden und in denen zu Zwecken der Rettung, Schuldenanpassung, Reorganisation oder Liquidation a) dem Schuldner die Verfügungsgewalt über sein Vermögen ganz oder teilweise entzogen und ein Verwalter bestellt wird, b) das Vermögen und die Geschäfte des Schuldners der Kontrolle oder Aufsicht durch ein Gericht unterstellt werden oder c) die vorübergehende Aussetzung von Einzelvollstreckungsverfahren von einem Gericht oder kraft Gesetzes gewährt wird, um Verhandlungen zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern zu ermöglichen, sofern das Verfahren, in dem die Aussetzung gewährt wird, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Gesamtheit der Gläubiger vorsieht und in dem Fall, dass keine Einigung erzielt wird, einem der in den Buchstaben a oder b genannten Verfahren vorgeschaltet ist. Kann ein in diesem Absatz genanntes Verfahren in Situationen eingeleitet werden, in denen lediglich die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz besteht, ist der Zweck des Verfahrens die Vermeidung der Insolvenz des Schuldners oder der Einstellung seiner Geschäftstätigkeit.

6.523

Erfasst werden also nur „Gesamtverfahren“4, die individuelle Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger ausschließen. Diese Verfahren müssen ferner, auch wenn sie z.B. die Sanierung des Schuldners bewirken sollen, nach Art. 1 Abs. 1 lit. a EuInsVO 2015 dessen Insolvenz voraussetzen5 und einen – zumindest teilweisen – Beschlag des schuldnerischen Ver1 Lüke, ZZP 111 (1998), 265 (287 ff.); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (326). 2 Virgós/Schmit-Bericht, Rz. 7. 3 Die Regierungsbegründung zum IIR-G spricht daher von einem „Grundsatz der gemäßigten Universalität“, der die EuInsVO beherrsche, vgl. BR-Drucks. 715/02, S. 11. Dazu auch Becker, ZEuP 2002, 287 (299 ff.); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (223 f.); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1611 f.); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 4. 4 Vgl. dazu die Definition in Art. 2 Nr. 1 EuInsVO 2015. 5 Deshalb fällt die Abwicklung („winding up“) solventer Unternehmen nach englischem Recht grundsätzlich nicht unter die EuInsVO, vgl. Layton/Mercer (2004), Rz. 12.041.

664 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.524 § 6

mögens zur Folge haben, d.h. die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners muss zumindest teilweise auf einen Verwalter übergehen1. Dem steht es seit Geltung der Neufassung gleich, wenn das Vermögen und die Geschäfte des Schuldners der Kontrolle oder Aufsicht durch ein Gericht unterstellt werden (lit. b); danach sind auch Verfahren in Eigenverwaltung unter gerichtlicher Kontrolle einbezogen2. Ebenfalls erst seit Geltung der Neufassung genügt auch die vorübergehende Aussetzung von Einzelvollstreckungsverfahren, die von einem Gericht oder kraft Gesetzes gewährt wird, um Verhandlungen zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern zu ermöglichen; dies gilt allerdings nur, wenn das Verfahren geeignete Maßnahmen zum Schutz der Gesamtheit der Gläubiger vorsieht und für den Fall, dass keine Einigung erzielt wird, einem der in den lit. a oder lit. b genannten Verfahren vorgeschaltet ist. Die Erfüllung dieser allgemeinen Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 1 EuInsVO 2015 reicht freilich für die Anwendung der Verordnung nicht aus; erforderlich hierfür ist vielmehr im Interesse der Rechtssicherheit, dass das betreffende mitgliedstaatliche Verfahren in die Liste der „Insolvenzverfahren“ im Anhang A zur Verordnung aufgenommen worden ist3. Die dort abschließend4 aufgelisteten Verfahren beschränken sich nicht auf Liquidationsverfahren, sondern umfassen auch Sanierungsverfahren5. Die Anerkennung eines nicht im Anhang A zur EuInsVO genannten Verfahrens eines anderen Mitgliedstaats ist zwar nicht ausgeschlossen; sie beurteilt sich aber nicht nach der Verordnung, sondern nach dem autonomen Recht der Mitgliedstaaten6; gleiches gilt für die internationale Zuständigkeit7. Denn insoweit entfaltet die EuInsVO keine Regelungssperre für das autonome internationale Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten; diesbezüglich gilt nichts anderes als für die Bereichsausnahmen des Art. 1 Abs. 2 EuInsVO 20158. Für alle Insolvenzverfahren gilt die Verordnung unabhängig davon, ob es sich beim Schuldner um eine natürliche oder juristische Person, einen Kaufmann, sonstigen Unter-

1 Diese Voraussetzungen sind vom zuständigen Gericht nach dem nationalen Recht des Eröffnungsstaates zu prüfen, vgl. ErwG 32 zur EuInsVO 2000; EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU: C:2012:119 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 68) = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490); Virgós/Schmit-Bericht Rz. 49; ferner Duursma-Kepplinger/Duursma, IPRax 2003, 505 (506 ff.). 2 Dies gilt z.B. für die Verfahren nach §§ 270a, 270b InsO, vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 1 EuInsVO Rz. 6. 3 Vgl. Art. 1 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015. Der Text des Anhangs A gilt derzeit i.d.F. der Verordnung (EU) 2017/353 v. 15.2.2017 (ABl. L 57, S. 19). 4 Der Anhang A enthält einen numerus clausus der von der Verordnung erfassten Insolvenzverfahren, vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 1 EuInsVO Rz. 4; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 9. Vgl. zur EuInsVO 2000 EuGH v. 8.11.2012 – C-461/11, ECLI:EU:C:2012: 704 (Radziejewski), EuZW 2013, 72 (Rz. 24); ferner den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 48; Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (4). 5 So z.B. den „redressement judiciaire“ des französ. oder die „suspensión de pagos“ des span. Rechts, vgl. zur EuInsVO 2000 den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 51; ferner Huber, ZZP 114 (2001), 133 (135); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (284 f.). Zum erweiterten sachlichen Anwendungsbereich der EuInsVO 2015 vgl. die Erwägungsgründe 10 und 11. 6 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, ZIP 2013, 1982 = NZI 2013, 758 (Rz. 38); LAG Düsseldorf v. 14.7.2011 – 15 Sa 786/10, NZI 2011, 874 m. Anm. Mankowski. 7 Vgl. zum englischen „scheme of arrangement“ High Court (Ch.Div.) v. 22.7.2015 (Van Gansewinkel Groep), unalex UK-569; ebenso zum Verfahren „de traitement du surendettement des particuliers“ nach dem französischen Code de consommation frz. Cass. v. 17.3.2016, unalex FR-2469. 8 BAG v. 25.4.2013 − 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 38); Kindler in MünchKomm, Vorb. §§ 335 ff. InsO Rz. 3.

Hausmann | 665

6.524

§ 6 Rz. 6.524 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nehmer oder eine Privatperson handelt1; deshalb werden auch Verbraucherinsolvenzverfahren von der EuInsVO erfasst2.

6.525

Art. 1 Abs. 1 EuInsVO 2015 betont weiterhin, dass die Verordnung nur für „öffentliche“ Gesamtverfahren gilt. Damit gemeint sind Verfahren, deren Eröffnung öffentlich bekanntzugeben ist, damit Gläubiger Kenntnis von dem Verfahren erlangen und ihre Forderungen anmelden können. Dadurch soll der kollektive Charakter des Verfahrens sichergestellt und damit den Gläubigern Gelegenheit gegeben werden, die Zuständigkeit des Gerichts überprüfen zu lassen, welches das Verfahren eröffnet hat3. Daher sind vertraulich geführte Insolvenzverfahren, auch wenn sie in manchen Mitgliedstaaten von großer Bedeutung sind, aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen4.

6.526

Ausgenommen aus dem persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung sind nach Art. 1 Abs. 2 EuInsVO Insolvenzverfahren über das Vermögen von Versicherungsunternehmen5, Kreditinstituten6 und Wertpapierfirmen, die Dienstleistungen erbringen, welche die Haltung von Geldern oder Wertpapieren Dritter umfassen, sowie von Organismen für gemeinsame Anlagen; für sie gelten besondere Vorschriften7 und die nationalen Aufsichtsbehörden haben teilweise sehr weitgehende Eingriffsbefugnisse8.

6.527

Die Verordnung vereinheitlicht ferner das Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten nur insoweit, als es um die grenzüberschreitende Koordinierung von Maßnahmen in Bezug auf das Vermögen eines zahlungsunfähigen Schuldners geht9. Sie beschränkt sich daher auf die Regelung der internationalen Zuständigkeit (Kap. I, Art. 3–6 EuInsVO 2015), des anwendbaren Rechts (Kap. I, Art. 7–14 EuInsVO 2015), der Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren (Kap. II, Art. 19–33 EuInsVO 2015), der Durchführung von Sekundärinsolvenzverfahren (Kap. III, Art. 34–52 EuInsVO 2015),der Unterrichtung der Gläubiger und der Anmeldung ihrer Forderungen (Kap. IV, Art. 53–55 EuInsVO 2015) sowie von Konzerninsolvenzverfahren (Kapitel V, Art. 56-77 EuInsVO 2015). Eine darüber hinausgehende Vereinheitlichung des materiellen Insolvenzrechts wird nicht angestrebt10. 1 Vgl. ErwGr. 9 S. 1 zur EuInsVO 2015; Kindler in MünchKomm, Art. 1 EuInsVO Rz. 14; ebenso schon zur EuInsVO 2000 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 53; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (540); Wimmer, NJW 2002, 2427 (2428). 2 Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 20; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 68. 3 ErwG 12 zur EuInsVO 2015. 4 ErwG 13 zur EuInsVO 2015. 5 Vgl. dazu BGH v. 30.4.2013 – VII ZB 22/12, MDR 2013, 866 = NZI 2013, 763. Zur autonomen Auslegung des Begriffs „Versicherungsunternehmen“, der Rückversicherer nicht umfasst, vgl. auch High Court v. 23.3.2015, unalex UK-1461. 6 Vgl. dazu OLG Frankfurt a.M. v. 17.12.2012 – 1 U 17/11, ZIP 2013, 277 = IPRax 2014, 276 m. Anm. Brinkmann, IPRax 2014, 243. 7 Vgl. insb. die EG-Richtlinien 17/2001 v. 19.3.2001 über die Sanierung und Liquidation von Versicherungsunternehmen, ABl. EG 2001 Nr. L 110, S. 28 und 24/2001 v. 4.4.2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten, ABl. EG 2001 Nr. L 125, S. 15. Zu deren Umsetzung ins deutsche Recht vgl. § 340 InsO; dazu die Regierungsbegründung, BR-Drucks. 715/02, S. 22 ff. Ferner §§ 46d-46f KWG und §§ 88, 88a, 89b VAG. 8 Vgl. ErwG 19 zur EuInsVO 2015; vgl. zu diesen Bereichsausnahmen schon zur EuInsVO 2000 den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 54; Balz, ZIP 1996, 948; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (278); krit. dazu Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (4 f.); Schack, Rz. 1155. 9 Huber, ZZP 114 (2001), 133 (136). 10 Vgl. Becker, ZEuP 2002, 287 (289); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (136).

666 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.529 § 6

In räumlicher Hinsicht gilt die Verordnung nur für Verfahren, bei denen der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in einem Mitgliedstaat (mit Ausnahme Dänemarks) liegt1. Im Vereinigten Königreich gilt die EuInsVO 2015 seit dem Ende des Übergangszeitraums für den Brexit am 31.12.2020 nicht mehr. Ihr wesentlicher Inhalt soll allerdings in nationales britisches Recht überführt werden. Die bloße Belegenheit von – auch beträchtlichem – Schuldnervermögen in der Europäischen Union reicht daher für die Anwendung der Verordnung nicht aus, wenn der Schuldner den Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Interessen in einem Drittstaat (z.B. in der Schweiz) hat2. Die Verordnung ist unstreitig anwendbar, wenn der Sachverhalt Bezug zu zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufweist, weil z.B. Gläubiger ihren Wohnsitz/Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als der Schuldner haben3 oder der Schuldner an Gesellschaften außerhalb seines Sitzstaates beteiligt ist4. Erforderlich ist weiterhin ein Auslandsbezug des Sachverhalts, so dass die Verordnung auf reine Binnensachverhalte keine Anwendung finden sollte5. Der EuGH hat dieser Auffassung zur EuInsVO 2000 widersprochen und zur Begründung auf ErwG 21 verwiesen; seiner Ansicht nach ergibt sich auch im Gegenschluss zu Art. 8 Abs. 1 und zu Art. 34 ff. EuInsVO 2015, dass außerhalb dieser Vorschriften ein Auslandsbezug nicht vorausgesetzt werde. Auch die Zwecke des Art. 3 EuInsVO erforderten nicht notwendig einen Auslandsbezug6.

6.528

Umstritten ist ferner, ob insoweit ein „einfacher“ Auslandsbezug zu einem beliebigen Drittstaat ausreicht7 oder ob es eines „qualifizierten“ Auslandsbezugs zu einem weiteren Mitgliedstaat der Verordnung bedarf8. Die besseren Argumente sprechen gegen das Erfordernis eines solchen qualifizierten Auslandsbezugs. Zwar ist das der Verordnung zugrundeliegende Vertrauen in die Justiz des Eröffnungsstaates, das u.a. in der Verpflichtung zur formlosen Anerkennung ausländischer Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 19 EuInsVO 2015 zum Ausdruck kommt, nur im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander gerechtfertigt (vgl. dazu auch Rz. 6.630 ff.)9. Dieses Argument hat der EuGH jedoch schon im Rahmen der Brüssel I-

6.529

1 Vgl. ErwG 25 zur EuInsVO 2015; ebenso schon zur EuInsVO 2000 der Virgós/Schmit-Bericht Rz. 11, 44; 52; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (137); Huber, EuZW 2002, 490 (491); zum Begriff „Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners“ näher Rz. 6.54 ff. 2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 44; Becker, ZEuP 2002, 287 (299); Schack, Rz. 1156; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 17. 3 AG Hamburg v. 16.8.2006 – 67a IE 1/06, ZIP 2006, 1642 = NZI 2006, 652 m. Anm. Klöhn. 4 AG Hamburg v. 11.2.2009 – 67c IE 1/09, ZIP 2009, 1024 = NZI 2009, 343 (344). 5 Vgl. Erwägungsgründe (2) und (3) zur EuInsVO 2000; AG Köln v. 19.1.2012 – 74 IN 108/10, NZI 2012, 379; AG Hamburg v. 16.8.2006 – 67a IE 1/06, ZIP 2006, 1642, NZI 2006, 652; DuursmaKepplinger/Duursma, IPRax 2003, 505 (506); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (136); Mock/Schildt, ZInsO 2003, 396 (398); Paulus, NZI 2001, 505 (408 f.); Schack, Rz. 1156. 6 EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 (Schmid), NJW 2014, 610 Rz. 20 ff.) = IPRax 2014, 425 (m. Anm. Arts, IPRax 2014, 390) = NZI 2014, 134 = ZIP 2014, 181. 7 Dafür High Court of Justice London v. 7.2.2003 (Qu.B.Div) (BRAC-Budget), ZIP 2003, 813 (815 f.); High Court of Justice Leeds v. 20.5.2004, ZIP 2004, 1769 = NZI 2004, 219; ferner Geimer, Rz. 3357c; Haubold, IPRax 2003, 34 (35 f.); Herchen, ZInsO 2003, 742 (745 f.) und 2004, 825 (830); Hergenröder, DZWiR 2009, 309 (312); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (138 f.); Krebber, IPRax 2004, 540 ff.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (538); Ludwig, S. 43 f.; Wenner, Rz. 7. 8 So Ehricke/Ries, JuS 2003, 313 f.; Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (5); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (222); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (538 ff.); Martini, ZInsO 2002, 905 (907); Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646 (651); Paulus, NZI 2001, 505 (507 f.); Smid, DZWiR 2003, 397 (402); Wimmer, NJW 2002, 2927 (2928); Westpfahl/Wilhelms, EWiR 2004, 847 (848); zust. AG Hamburg v. 16.8.2006 – 67a IE 1/06, ZIP 2006, 1642 = NZI 2006, 652 m. Anm. Klöhn. 9 So Kindler in MünchKomm, Art. 1 EuInsVO Rz. 29.

Hausmann | 667

§ 6 Rz. 6.529 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

VO nicht ausreichen lassen, um auch für die Anwendung der Zuständigkeitsregeln jener Verordnung einen qualifizierten Auslandsbezug zu einem weiteren Mitgliedstaat zu verlangen1. Sowohl nach ihrer Entstehungsgeschichte wie nach ihrer Zielsetzung nimmt die EuInsVO vielmehr Universalität im Sinne einer weltweiten Sollgeltung für sich in Anspruch. Die Verordnung vereinheitlicht also das internationale Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten nicht nur insoweit, als die grenzüberschreitenden Wirkungen einer Insolvenz im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander betroffen sind, sondern erfasst auch das in Drittstaaten belegene Vermögen des Gemeinschuldners2. Dieser Ansicht hat sich auch der EuGH – auf Vorlage des BGH3 – in der Rechtssache „Schmid“ angeschlossen und hat dies insbesondere mit den Erwägungsgründen zur EuInsVO 2000 und zu deren Art. 3 Abs. 1 begründet, der für die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats außer dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners im Gerichtsstaat in räumlicher Hinsicht keine weiteren Voraussetzungen aufstelle4. Für die Anwendung der Kollisionsnorm in Art. 7 EuInsVO 2015 kann nichts anderes gelten5. dd) Verhältnis zu Staatsverträgen

6.530

Im Rahmen des Europarats wurde am 5.6.1990 in Istanbul ein „Übereinkommen über gewisse internationale Aspekte des Konkurses“ beschlossen. Dieses Übereinkommen ist zwar auch von der Bundesrepublik Deutschland gezeichnet, aber bisher noch von keinem Staat ratifiziert worden6. Auch nach einem etwaigen Inkrafttreten wird es im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten zueinander gem. Art. 85 EuInsVO 2015 durch die Verordnung verdrängt. Gleiches gilt auch für die von der Bundesrepublik Deutschland bisher abgeschlossenen bilateralen Staatsverträge mit anderen Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Insolvenzrechts, insb. für den deutsch-österreichischen Vertrag auf dem Gebiet des Konkurs- und Vergleichs-(Ausgleichs-) Rechts vom 25.5.19797 und das deutsch-niederländische Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommen vom 30.8.1962 (Art. 85 Abs. 1 lit. d und h EuInsVO 2015). Diese Übereinkommen gelten lediglich für Verfahren weiter, die vor dem 31.5.2002 eröffnet worden sind (Art. 85 Abs. 2 EuInsVO 2015)8. 1 Vgl. EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 (Group Josi), Slg. 2000 I, 5925 (5955 ff.) (Rz. 47 ff.) = NJW 2000, 3121; EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 (Owusu/Jackson), Slg. 2005 I, 1445 (1458 ff.) (Rz. 28 ff.) = IPRax 2005, 244 (m. Anm. Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224). 2 Vgl. Probst, S. 31 ff. m. ausf. Begründung; ebenso Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 19 mwN. 3 BGH v. 21.6.2012 – IX ZR 2/12, ZIP 2012, 1467 = RIW 2012, 798 m. Anm. Paulus. 4 EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 (Schmid), NJW 2014, 610 (Rz. 20 ff.) = IPRax 2014, 425 (m. zust. Anm. Arts, IPRax 2014, 390) = NZI 2014, 134; Schlussanträge in NZI 2013, 947 Rz. 31; EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2015:2410 (H./H.K.), NZI 2015, 88 (Rz. 33); BGH v. 27.3.2014 – IX ZR 2/12, NZI 2014, 672 (Rz. 7); Riedemann, EWiR 2013, 773; a.A. Kindler in MünchKomm, Art. 1 EuInsVO Rz. 28 f. 5 Bork in Kübler/Prütting/Bork, Art. 16 EuInsVO Rz. 12, 16; offenlassend, aber zur Anwendung der EuInsVO tendierend BGH v.12.12.2019 – IX ZR 328/18, NZI 2020, 283 (Rz. 14 f.); a.A. Kindler in MünchKomm, Art. 16 EuInsVO Rz. 28 f. 6 Vgl. zu diesem Übereinkommen Metzger, Die Umsetzung des Istanbuler Konkursübereinkommens in das neue deutsche internationale Insolvenzrecht (1994). 7 Vgl. zu diesem Vertrag näher Arnold, Der deutsch-österreichische Konkursvertrag (1987); Jelinek, Der deutsch-österreichische Konkursvertrag (1985). 8 Vgl. näher Becker, ZEuP 2002, 287 (292 ff.); Duursma-Kepplinger/Duursma, IPRax 2003, 505 (510 ff.).

668 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.533 § 6

ee) Verhältnis zum autonomen Recht Soweit der sachliche und räumliche Anwendungsbereich der EuInsVO eröffnet ist, werden die Vorschriften des innerstaatlichen Verfahrens- und Kollisionsrechts für grenzüberschreitende Insolvenzen, also insbesondere die §§ 335 ff. InsO, wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts durch die Vorschriften der Verordnung vollständig verdrängt. Eine ergänzende Anwendung nationalen Rechts kommt also nur insoweit in Betracht, als hierdurch die rechtsvereinheitlichende Zielsetzung der Verordnung nicht gefährdet wird1. Allerdings regelt die EuInsVO 2015 die Fragen grenzüberschreitender Insolvenzen auch im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander nicht abschließend. Zur Ausfüllung von Lücken der Verordnung und zur Unterstützung der mit ihr verfolgten Zwecke hat der deutsche Gesetzgeber daher durch Gesetz vom 5.6.20172 in Art. 102c §§ 1–26 EGInsO ergänzende Durchführungsbestimmungen erlassen (dazu näher Rz. 6.535).

6.531

c) Autonomes Recht aa) Entstehungsgeschichte In Deutschland sind die Konkursordnung vom 10.2.1877, die Vergleichsordnung vom 26.2.1935 und die Gesamtvollstreckungsordnung vom 23.5.1991 mit Wirkung vom 1.1.1999 durch die Insolvenzordnung (InsO) vom 5.10.19943 abgelöst worden. Der Regierungsentwurf zur InsO4 enthielt in seinem 9. Teil (§§ 379–399 InsO) noch eine umfassende Regelung des internationalen Insolvenzrechts. Mit Rücksicht auf die laufenden Beratungen zum Europäischen Insolvenzübereinkommen wurde freilich beschlossen, mit einer umfassenden Neuregelung des deutschen internationalen Insolvenzrechts bis zur Fertigstellung des Übereinkommens zu warten5. Als eine Art „Platzhalter“ wurde Art. 102 EGInsO konzipiert, der zumindest gewisse Grundzüge des internationalen Insolvenzrechts festlegte.

6.532

Nach der Ersetzung des EuIÜ durch die EG-Verordnung Nr. 1346/2000 hat der Gesetzgeber den Vorschlag, die Verordnung auch im Verhältnis zu Drittstaaten uneingeschränkt für anwendbar zu erklären, zu Recht nicht aufgegriffen. Denn die Verordnung wird vor allem hinsichtlich der erleichterten Anerkennung von Eröffnungsentscheidungen (dazu Rz. 6.630 ff.) ganz wesentlich von dem Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit und Funktionsfähigkeit der Justiz in den anderen Mitgliedstaaten getragen. Gegenüber Drittstaaten muss hingegen im Einzelfall überprüft werden, ob ein vergleichbares Vertrauen gerechtfertigt ist. Ähnliches gilt für die Vollstreckung von Entscheidungen, die zur Durchführung oder Beendigung des Insolvenzverfahrens ergehen. Diese richtete sich gem. Art. 25 Abs. 1 S. 2 EuInsVO 2000 seit dem 1.3.2002 nach der Brüssel I-VO (dazu näher Rz. 6.656 f.), die mit Wirkung vom 10.1.2015 durch die Neufassung dieser Verordnung v. 12.12.2012 (Brüssel Ia-VO) abgelöst worden ist. Bereits die Brüssel I-VO sah insoweit ein auf den Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten

6.533

1 Zum Anwendungsvorrang der EuInsVO BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 11) = NJW 2011, 1818 = ZIP 2011, 926 = IPRax 2012, 427 (m. Anm. Reinhart, IPRax 2012, 417); BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 348/11, BAGE 133, 125 = ZIP 2013, 950 (Rz. 53) = NZA 2013, 669; Kindler in MünchKomm, Einl. IntInsR Rz. 28 und vor § 335 InsO Rz. 2; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/ Haas, Hdb., § 129 Rz. 26; ferner Deipenbrock, EWS 2001, 113 (114); Liersch, NZI 2003, 302 (303); Wenner, Rz. 13. 2 BGBl. I 2017, S. 1476. 3 BGBl. I 1994, 2866. 4 BT-Drucks. 12/2443. 5 BT-Drucks. 12/7303, S. 117.

Hausmann | 669

§ 6 Rz. 6.533 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

zugeschnittenes, einfaches und schnelles Exequaturverfahren vor. Die Brüssel Ia-VO verzichtet nunmehr sogar in weitem Umfang vollständig auf eine Vollstreckbarerklärung mitgliedstaatlicher Urteile. Gegenüber Drittstaaten hätte man für die Vollstreckung somit ohnehin Sonderregeln vorsehen müssen.

6.534

Schließlich beruht die EuInsVO 2015 auf dem Grundsatz einer engen Koordinierung zwischen Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren. Eine solch enge Verzahnung beider Verfahren setzt jedoch voraus, dass in allen Staaten, in denen Parallelverfahren anhängig sind, ein einheitliches internationales Insolvenzrecht gilt. Insofern wäre es nicht sachgerecht gewesen, die Bestimmungen der EuInsVO insgesamt auch gegenüber Drittstaaten anzuwenden. Vielmehr ist daneben ein autonomes deutsches internationales Insolvenzrecht unerlässlich1. Der seit dem 1.1.1999 geltende Art. 102 EGInsO a.F. wurde dem Anspruch, der an ein solches Recht gestellt werden muss, jedoch nur ansatzweise gerecht, weil wesentliche Fragen – wie z.B. die Zulässigkeit von Parallelverfahren – völlig ungeregelt blieben. Aus dem Gesamtspektrum der kollisionsrechtlichen Fragen hatte Art. 102 Abs. 2 EGInsO a.F. lediglich das Anfechtungsrecht herausgegriffen; die dort gewählte Kumulationslösung wurde zudem von zahlreichen Stimmen in der Literatur als zu anfechtungsfeindlich eingestuft; vgl. näher Rz. 6.723 ff. m. Nachw. bb) Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts (IIR-G)

6.535

Vor diesem Hintergrund sprachen für die Schaffung eines eigenständigen deutschen internationalen Insolvenzrechts gewichtige Gründe. Zunächst dient es der Rechtsklarheit, wenn die wesentlichen Rechtsgrundsätze für grenzüberschreitende Insolvenzen in einem eigenständigen Teil der Insolvenzordnung niedergelegt sind. Ein globaler Verweis auf die EuInsVO kam aus den zuvor genannten Gründen nicht in Betracht; denn was für einen eng verflochtenen Wirtschaftsraum mit transparentem Rechtssystem konzipiert ist, kann bei weltweiter Anwendung zu erheblichen Problemen führen. Deshalb muss das autonome internationale Insolvenzrecht zumindest in gewissen Bereichen weniger kooperationsfreundlich sein als die Verordnung. Diesen Vorgaben wurden die im Regierungsentwurf zur InsO enthaltenen Bestimmungen zum internationalen Insolvenzrecht (§§ 379 ff.) im Wesentlichen gerecht; an ihnen hat sich der Gesetzgeber daher auch bei der Neufassung des IIR-G weitgehend orientiert. Dieses Gesetz ist am 20.3.2003 in Kraft getreten2.

3. Haupt- und Nebeninsolvenzverfahren a) Sekundärinsolvenz

6.536

Eine Vielzahl von Insolvenzverfahren über das Vermögen des gleichen Schuldners erhöht die Transaktionskosten der Insolvenzabwicklung und erschwert vor allem grenzüberschreitende Unternehmenssanierungen; sie führt darüber hinaus nicht selten zu einer – zumindest faktischen – Bevorzugung der jeweils inländischen Gläubiger3. Dem Ideal eines einheitlichen Insolvenzverfahrens über das weltweite Vermögen des Schuldners stehen freilich nach geltendem Recht noch schwer zu überwindende praktische Hindernisse entgegen. Bereits die Erfassung des schuldnerischen Vermögens in einer Vielzahl von Staaten und die Prüfung der dort jeweils angemeldeten Forderungen von Gläubigern können den Verwalter des Hauptinsolvenzverfah1 Vgl. die Regierungsbegründung zum IIR-G, BR-Drucks. 715/02, S. 14. 2 BGBl. I 2003, 345 ff. 3 Zu den Vorzügen des Prinzips „Ein Schuldner – ein Insolvenzverfahren“ näher Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (5 f.).

670 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.538 § 6

rens leicht überfordern. Hinzukommen die Probleme, die sich aus den erheblichen Rechtsunterschieden auf den Gebieten des materiellen Insolvenzrechts, des Vertrags- und Gesellschaftsrechts sowie des Rechts der Kreditsicherheiten in den einzelnen Staaten ergeben. Diese praktischen Schwierigkeiten sowie das Ziel, die Vorteile des Universalitätsprinzips mit dem notwendigen Schutz nationaler Interessen des Belegenheitsstaates und der dort ansässigen (Klein-)Gläubiger in Einklang zu bringen, legen es nahe, neben dem Hauptinsolvenzverfahren territorial beschränkte Nebeninsolvenzverfahren in Staaten zuzulassen, in denen wesentliches Vermögen des Schuldners belegen ist1. Aus diesem Grunde sieht sowohl die EuInsVO 2015 (in Art. 3 Abs. 2, 34 ff.) wie das autonome deutsche internationale Insolvenzrecht (in § 356 InsO) derart beschränkte Nebeninsolvenzverfahren vor2. Dabei wird zwischen Sekundärinsolvenzverfahren und unabhängigen Partikularinsolvenzverfahren unterschieden3. Wird ein Parallelverfahren erst eröffnet, nachdem bereits das Hauptinsolvenzverfahren in dem Staat eröffnet worden ist, in dem der Schuldner seinen Interessenmittelpunkt hat, so handelt es sich nach der Terminologie der EuInsVO 2015 (Art. 3 Abs. 2 S. 1) wie der InsO (§ 356 InsO) um ein „Sekundärinsolvenzverfahren“, weil es mit dem Hauptverfahren zu koordinieren und diesem unterzuordnen ist4. An die Zulassung eines solchen Sekundärinsolvenzverfahrens werden nur geringe Anforderungen gestellt. Es setzt nach der Verordnung (Art. 3 Abs. 2 S. 1 EuInsVO 2015) nur eine Niederlassung des Schuldners i.S.v. Art. 2 Nr.10 EuInsVO 2015 im Eröffnungsstaat (s. Rz. 6.609), nach autonomem Recht sogar nur die Belegenheit von Vermögen des Schuldners im Inland voraus (§ 354 Abs. 1 InsO; Rz. 6.617). Die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens wird ferner dadurch erleichtert, dass das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes nicht mehr gesondert zu prüfen ist (Art. 34 S. 2 EuInsVO 2015; § 356 Abs. 3 InsO). Zur Stellung des Antrags auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens ist auch der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens berechtigt (Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO 2015; § 356 Abs. 2 InsO; dazu näher Rz. 6.685).

6.537

b) Partikularinsolvenz Um ein unabhängiges Partikularinsolvenzverfahren handelt es sich demgegenüber, wenn das Verfahren in einem Staat eröffnet wird, in dem der Schuldner nicht den Mittelpunkt seiner Interessen hat, bevor es im Staat des Interessenmittelpunkts zu einem Hauptverfahren kommt. Wird ein Hauptverfahren später eröffnet (was nicht zwingend notwendig ist), so gelten von diesem Zeitpunkt an für das Partikularinsolvenzverfahren die Bestimmungen über Sekundärinsolvenzverfahren betreffend Kooperation der Verwalter, Ausübung von Gläubigerrechten, Aussetzung der Verwertung der Masse, Verfahrensbeendigung und Überschuss (Art. 41, 4547, 49 EuInsVO 2015) entsprechend, soweit dies nach dem Stand des Verfahrens möglich ist (Art. 3 Abs. 4 UAbs. 2, Art. 50 EuInsVO 2015). Ein Partikularinsolvenzverfahren widerspricht allerdings dem Ziel der einheitlichen und gleichen Behandlung aller Gläubiger; aus diesem Grunde werden an seine Zulassung im europäischen Recht (Art. 3 Abs. 4 EuInsVO) zusätzliche Anforderungen gestellt (dazu näher Rz. 6.608 ff.). 1 Vgl. ErwG 22 zur EuInsVO 2015; ferner Geimer, Rz. 3394; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 4 f.; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (282 f.); Schack, Rz. 1147 f.; vgl. auch Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 6 („Prinzip der abgeschwächten Universalität“). 2 Krit. dazu wegen der höheren Transaktionskosten und der Erschwerung einer Sanierung des Schuldners Ehricke, EWS 2002, 101 m.w.N. 3 Zu dieser Unterscheidung Art. 3 Abs. 3 und 4 EuInsVO 2015; ferner Balz, ZIP 1996, 948 (949). 4 Zur Möglichkeit der Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens nach der EuInsVO 2015 vgl. ErwG 24.

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6.538

§ 6 Rz. 6.538 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

II. Inländisches Insolvenzverfahren mit Auslandsbezug Literatur: Vgl. zunächst die allg. Literatur vor Rz. 6.515. Zur Rechtslage vor Inkrafttreten der EuInsVO vgl. die Literaturhinweise in der Voraufl. Rz. 7.488. a) Zur EuInsVO 2000: Aasaru, The Desirability of ‚Centre of Main Interest‘ as a Mechanism for Allocating Jurisdiction and Applicable Law in Cross-Border Insolvency Law, Eur.Bus.L.Rev. 2011, 349; Adam, Zuständigkeitsfragen bei der Insolvenz internationaler Unternehmensverbindungen (2006); Affaki, Faillite internationale et conflits de juridictions (2007); Attinger, Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach der EuInsVO (2008); Ballmann, Der High Court of Justice erschwert die Flucht deutscher Unternehmen ins englische Insolvenzrecht, BB 2007, 1121; Benedetti, „Centro degli interessi principali“ del debitore e forum shopping nella disciplina comunitaria delle procedure di insolvenza transfrontaliera, Riv. dir. int. priv. proc. 2004, 499; Brinkmann, Der Aussonderungsstreit im internationalen Insolvenzrecht – zur Abgrenzung zwischen EuGVVO und EuInsVO, IPRax 2010, 324; Carstens, Die internationale Zuständigkeit im europäischen Insolvenzrecht (2005); Cornette, Le „centre des intérêts principaux“ des personnes physiques dans le cadre de l´application du Règlement Insolvabilité dans les départements de la Moselle, du Bas-Rhin du Haut-Rhin, Clunet 2013, 1115; Cranshaw, Zehn Jahre EuInsVO und Centre of Main Interests – Motor dynamischer Entwicklungen im Insolvenzrecht?, DZWIR 2012, 133; Duursma/Duursma-Kepplinger, Gegensteuerungsmaßnahme bei ungerechtfertigter Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, DZWiR 2003, 447; Duursma-Kepplinger, Aktuelle Entwicklungen im Bezug auf die Auslegung der Vorschriften über die internationale Eröffnungszuständigkeit nach der EuInsVO, DZWiR 2006, 177; Duursma-Kepplinger, Aktuelle Entwicklungen zur internationalen Zuständigkeit für Hauptsacheverfahren – Erkenntnisse aus Staubitz-Schreiber und Eurofood, ZIP 2007, 896; Ehricke, Die neue Europäische Insolvenzverordnung und grenzüberschreitende Konzerninsolvenzen, EWS 2002, 101; Eidenmüller, Der Markt für internationale Konzerninsolvenzen: Zuständigkeitskonflikte unter der EuInsVO, NJW 2004, 3455; Eidenmüller, Rechtsmissbrauch im Europäischen Insolvenzrecht, KTS 2009, 137; Fehrenbach, Die Zuständigkeit für insolvenzrechtliche Annexverfahren, IPRax 2009, 492; Fehrenbach, Die Rechtsprechung des EuGH zur Europäischen Insolvenzverordnung: Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen und andere Entwicklungen im Europäischen Insolvenzrecht, ZEuP 2013, 353; Freitag/Leible, Justizkonflikte im Europäischen Internationalen Insolvenzrecht und (k)ein Ende?, RIW 2006, 641; Gruber, Sind französische Urteile über die Haftung von Gesellschaftsorganen im Konkurs nach dem EuGVÜ anerkennungsfähig?, EWS 1994, 190; Haas, Insolvenzverwalterklagen und EuGVÜ, NZG 1999, 1148; Haas, Die Verwertung der im Ausland belegenen Insolvenzmasse im Anwendungsbereich der EuInsVO, FS Gerhardt (2004), S. 319; Haas, Insolvenzrechtliche Annexverfahren und internationale Zuständigkeit, ZIP 2013, 2381; Hägele, Die Zuständigkeit im internationalen Insolvenzrecht (2007); Haubold, Europäisches Zivilverfahrensrecht und Ansprüche im Zusammenhang mit Insolvenzverfahren – Zur Abgrenzung zwischen EuInsVO, EuGVO, EuGVÜ und LugÜ, IPRax 2002, 28 und 157; Haubold, Mitgliedstaatenbezug, Zuständigkeitserschleichung und Vermögensgerichtsstand im internationalen Insolvenzrecht, IPRax 2003, 34; Herchen, Die Befugnisse des deutschen Insolvenzverwalters hinsichtlich der „Auslandsmasse“ nach Inkrafttreten der EG-Insolvenzverordnung, ZInsO 2002, 345; Herchen, Scheinauslandsgesellschaften im Anwendungsbereich der Europäischen Insolvenzordnung, ZInsO 2003, 742; Herchen, International- insolvenzrechtliche Kompetenzkonflikte in der Europäischen Gemeinschaft, ZInsO 2004, 61; Herchen, Aktuelle Entwicklungen im Recht der internationalen Zuständigkeit zur Eröffnung von Insolvenzverfahren: Der Mittelpunkt der (hauptsächlichen) Interessen im Mittelpunkt der Interessen, ZInsO 2004, 825; Herchen, Das Prioritätsprinzip im internationalen Insolvenzrecht ZIP 2005, 1401; Herchen, International-insolvenzrechtliche Kompetenzkonflikte in der Europäischen Gemeinschaft, ZInsO 2004, 61; Hess/Laukemann, Über die internationale Eröffnungszuständigkeit im Insolvenzverfahren, JZ 2006, 671; Hess/Laukemann/Seagon, Europäisches Insolvenzrecht nach Eurofood: Methodische Standortbestimmung und praktische Schlussfolgerungen, IPRax 2007, 89; P. Huber, Der deutsch-englische Justizkonflikt: Kompetenzkonflikte im internationalen Insolvenzrecht, FS Heldrich (2005), S. 679; Kammel, Die Bestimmung der zuständigen Gerichte bei grenzüberschreitenden Konzerninsolvenzen: Eurofood, NZI 2006, 334; Keggenhoff, Internationale Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren: der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen gemäß Art. 3 Abs. 1 EuInsVO bei Gesellschaften und juristischen Personen (2006); Kindler, Sitzverlegung und internationales Insolvenzrecht, IPRax 2006, 114; Klöhn, Verlegung des

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.538 § 6 Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen iSd. Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO vor Stellung des Insolvenzantrags, KTS 2006, 259; Knof, Perpetuatio fori und Attraktivkraft des Erstantrags im Europäischen Insolvenzrecht?, ZInsO 2006, 754; Knof, Europäisches Insolvenzrecht und Schuldbefreiungs-Tourismus, ZInsO 2005, 1017; Köke, Die englische Limited in der Insolvenz, ZInsO 2005, 354; Kolmann/Ch. Keller, Inländische Insolvenzverfahren mit Auslandsbezug, in: Gottwald/Haas (Hrsg.) Insolvenzrechtshandbuch, 6. Aufl. 2020, § 130; Krebber, Europäische Insolvenzordnung, Drittstaatengesellschaften, Drittstaatensachverhalte und innergemeinschaftliche Konflikte, IPRax 2004, 540; Kübler, Der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, FS Gerhardt (2004), S. 527; Kuntz, Die Insolvenz der Limited mit deutschem Verwaltungssitz, NZI 2005, 424; Laukemann, Rechtshängigkeit im europäischen Insolvenzrecht, RIW 2005, 104; Leipold, Zuständigkeitslücken im Europäischen Insolvenzrecht, FS Ishikawa (2001), S. 221; Lienhard, Convention de Bruxelles: exclusion des actions dérivant directement de la faillite, D 2005, 1553; V. Lorenz, Annexverfahren bei internationalen Insolvenzen: internationale Zuständigkeitsregelung der EuInsVO (Innsbruck 2005); Lüer, Art. 3 Abs. 1 EuInsVO – Grundlage für ein europäisches Konzerninsolvenzrecht oder Instrumentarium eines „Insolvenz-Imperialismus“?, FS Greiner (2005), S. 201; Lüke, Europäisches Zivilverfahrensrecht – das Problem der Abstimmung zwischen EuInsÜ und EuGVÜ, FS Schütze (1999), S. 467; Lüttringhaus/Weber, Aussonderungsklagen an der Schnittstelle zwischen EuGVVO und EuInsVO, RIW 2010, 45; Mankowski, Grenzüberschreitender Umzug und das Center of Main Interests im Europäischen internationalen Insolvenzrecht, NZI 2005, 368; Mankowski, Klärung von Grundsatzfragen des europäischen Internationalen Insolvenzrechts durch die Eurofood-Entscheidung?, BB 2006, 1753; Mankowski, Insolvenznahe Verfahren und Sicherung eines Eigentumsvorbehalts im Grenzbereich zwischen EuInsVO und EuGVVO, NZI 2008, 604; Mankowski, Gläubigerstrategien zur Fixierung des schuldnerischen Centre of Main Interests (COMI), ZIP 2010, 1376; Mankowski/Willemer, Die internationale Zuständigkeit für Insolvenzanfechtungsklagen, RIW 2009, 669; McCormack, COMI and Comity in UK and US Insolvency Law, L. 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Missbräuchliche Dimension der Wahrnehmung unionsrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (2011); Ringe, Insolvenzanfechtungsklage im System des europäischen Zivilverfahrensrechts, ZInsO 2006, 700; Ringstmeier/Homann, Masseverbindlichkeiten als Prüfstein des internationalen Insolvenzrechts, NZI 2004, 354; Sabel, Hauptsitz als Niederlassung im Sinne der EuInsVO?, NZI 2004, 126; Saenger/Klockenbrink, Neue Grenzen für ein forum shopping des Insolvenzschuldners?, DZWiR 2006, 183; Schilling, Insolvenz einer englischen Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland (2006); Schilling/Schmidt, COMI und vorläufiger Insolvenzverwalter – Problem gelöst?, ZInsO 2006, 113; J. Schmidt, Eurofood – Eine Leitentscheidung und ihre Rezeption in Europa und den USA, ZIP 2007, 405; Schwemmer, Die Verlegung des centre of main interests (COMI) im Anwendungsbereich der EuInsVO, NZI 2009, 355; Smid, Vier Entscheidungen englischer und deutscher Gerichte zur europäischen internationalen Zuständigkeit zur Eröffnung von Hauptinsolvenzverfahren, DZWiR 2003, 397;

Hausmann | 673

§ 6 Rz. 6.538 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis Smid, EuGH zu „Eurofood“, BGH zur internationalen Zuständigkeit: Neueste Judikatur zur EuInsVO, DZWiR 2006, 325; Smid, Internationales Insolvenzrecht im Spiegel ausgewählter Verfahren und Entscheidungen, DZWiR 2006, 45; Staak, Der deutsche Insolvenzverwalter im europäischen Insolvenzrecht (2004); Strobel, Die Abgrenzung zwischen EuGVO und EuInsVO im Bereich insolvenzbezogener Einzelentscheidungen (2006); M. Stürner, Gerichtsstandsvereinbarungen und Internationales Insolvenzrecht – Zugleich ein Beitrag zur internationalen Zuständigkeit bei insolvenzbezogenen Annexverfahren, IPRax 2005, 416; Thole, Die internationale Zuständigkeit für insolvenzrechtliche Anfechtungsklagen, ZIP 2006, 1383; Thole, Negative Feststellungsklagen, Insolvenztorpedos und EuInsVO, ZIP 2012, 605; Torz, Gerichtsstände im Internationalen Insolvenzrecht zur Eröffnung von Partikularinsolvenzverfahren (2005); Vallender, Aufgaben und Befugnisse des deutschen Insolvenzrichters in Verfahren nach der EuInsVO, KTS 2005, 283; Vogler, Die internationale Zuständigkeit für Insolvenzverfahren (Wien/Graz 2004); Vormstein, Zuständigkeit bei Konzerninsolvenzen (Diss. Kiel 2005); Walterscheid, Die englische Limited im Insolvenzverfahren, DZWiR 2006, 95; Weller, Forum Shopping im Internationalen Insolvenzrecht?, IPRax 2004, 412; J. Weber, Gesellschaftsrecht und Gläubigerschutz im Internationalen Zivilverfahrensrecht (2011); Weller, Die Verlegung des Center of Main Interest von Deutschland nach England, ZGR 2008, 835; Weller, GmbH-Bestattung im Ausland, ZIP 2009, 2029; Westpfahl, Die Praxis der grenzüberschreitenden Konzerninsolvenz, FS Görg (2010), S. 569; Willemer, Vis attractiva concursus und die EuInsVO (2006); Wittinghofer, Der nationale und internationale Insolvenzverwaltungsvertrag, 2004; U. Wolf, Der europäische Gerichtsstand bei Konzerninsolvenzen (2012); Wyen, Rechtswahlfreiheit im europäischen Insolvenzrecht. Eine Untersuchung zum forum shopping unter der EuInsVO unter besonderer Berücksichtigung von Effizienzgesichtspunkten (2013); Zeuner/Elsner, Die internationale Zuständigkeit der Anfechtungsklage oder die Auslegung des Art 1 Abs 2 lit b EuGVVO, DZWiR 2008, 1. b) Zur EuInsVO 2015: Bitzer, Systemfragen der Insolvenzanfechtung- ein deutsch-italienischer Rechtsvergleich vor dem Hintergrund des europäischen internationalen Insolvenzrechts (2020); Brinkmann, Von unwiderleglichen Vermutungen im internationalen Insolvenzrecht, FS Prütting (2018) 627; Bork, Annexzuständigkeiten nach Art. 6 EuInsVO, FS Beck (2016), S. 49; Bramkamp, Die Attraktivgerichtsstände des europäischen Insolvenzrechts (2019); Dammann/Rotaru, La consécration de la compétence exclusive du tribunal d’ouverture pour les actions annexes dans le cadre du reglement insolvabilité, D 2019, 619; Kindler/Wendland, Die internationale Zuständigkeit für Einzelstreitverfahren nach der neuen Europäischen Insolvenzverordnung, RIW 2018, 245; Koller, Die internationale Zuständigkeit für Annexverfahren und das Kollisionsrecht der Insolvenzanfechtung im Spiegel jüngster Entwicklungen, in Konecny (Hrsg.), Insolvenz-Forum 2017, 37; Piekenbrock, Insolvenzrechtliche Annexverfahren im europäischen Justizraum, KTS 2015, 379; Thole, Die Abgrenzung zwischen EuInsVO und EuGVVO bei Haftungsklagen gegen Dritte wegen eines Gläubigergesamtschadens, IPRax 2019, 483; Willemer, Vis attractiva concursus und die Europäische Insolvenzverordnung, 2006.

1. Voraussetzungen der Eröffnung eines (Haupt-) Insolvenzverfahrens a) Internationale Zuständigkeit aa) Europäisches Insolvenzrecht (1) Verhältnis zum autonomen Zuständigkeitsrecht

6.539

Die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens ist nur zulässig, wenn das angerufene Gericht hierfür international zuständig ist. Diese Frage hat das deutsche Insolvenzgericht von Amts wegen zu prüfen, ohne an übereinstimmenden Vortrag der Verfahrensbeteiligten im Eröffnungsverfahren gebunden zu sein1. Maßstab ist vorrangig Art. 3 EuInsVO, nur hilfsweise das autonome deutsche Insolvenzrecht. 1 BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936 (Rz. 10 ff.) = ZIP 2012, 139; BGH v. 22.4.2010 – IX ZB 217/09, ZInsO 2010, 1013 (Rz. 7); BGH v. 21.6.2007 – IX ZB 51/06, NZI 2008, 121 (Rz. 11); Geimer, Rz. 3469; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 19. Vgl. die Klarstellung in Art. 4 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015 und ErwG 27 zu dieser Verordnung.

674 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.542 § 6

Auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens verdrängt Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 das nationale Zuständigkeitsrecht der Mitgliedstaaten immer dann, wenn der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners in einem Mitgliedstaat der EU (mit Ausnahme Dänemarks) liegt und ein Bezug zu einem weiteren (Mitglied- oder Dritt-) Staat besteht (vgl. zum räumlichen Anwendungsbereich der Verordnung schon Rz. 6.528 f.). Ein Insolvenzverfahren soll möglichst in dem Mitgliedstaat eröffnet und durchgeführt werden, in dem sich das überwiegende schuldnerische Vermögen und die meisten Gläubiger befinden. Durch diese Konzentration der internationalen Eröffnungszuständigkeit in dem primär vom Insolvenzverfahren betroffenen Mitgliedstaat soll insbesondere einem „forum shopping“ vorgebeugt werden1.

6.540

(2) Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (COMI) Nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO ist deshalb das Hauptinsolvenzverfahren in dem Mitgliedstaat zu eröffnen, in dem der Schuldner den „Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen“ („Center Of Main Interests“, COMI) hat. Nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EuInsVO 2015 ist dies „der Ort, an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist“2. Durch die Anknüpfung an das COMI soll das Risiko der Insolvenz also für die Gläubiger kalkulierbar werden, weil sich an diesem Ort i.d.R. das Hauptvermögen des Schuldners befinden und die Mehrheit der Gläubiger ansässig sein wird3; außerdem soll hierdurch betrügerisches und missbräuchliches forum shopping verhindert werden4.

6.541

(a) Gesellschaften Zur Bestimmung des Interessenmittelpunkts von Gesellschaften und juristischen Personen standen sich unter Geltung der EuInsVO 2000 zwei unterschiedliche Sichtweisen gegenüber: Nach der sog. „mind-of-management“-Theorie, die vor allem von englischen Gerichten5 entwickelt wurde, aber auch in Deutschland Gefolgschaft gefunden hat6, sollte es maßgeblich auf den Ort ankommen, an dem die unternehmensleitenden Entscheidungen getroffen werden. Ausschlaggebend seien deshalb vor allem unternehmensinterne Absprachen über die Einstellungspolitik und über die Bindung aller Niederlassungen an einen zentral verabschiedeten Geschäfts- und Strategieplan, ferner betriebsinterne Methoden der Buchhaltung und Bilanzierung sowie die Erbringung betriebsinterner Dienstleistungen, wie z.B. Rechnungswesen, Controlling und Marketing7. Dagegen stellte die in der Literatur überwiegend vertretene sog „business activity“-Theorie auf solche Handlungen und Vermögenswerte des Schuldners ab, die 1 Weller, IPRax 2004, 412 ff. 2 Vgl. schon zur EuInsVO 2000 ErwG 13 und den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 75; ferner Duursma/ Duursma-Kepplinger, DZWiR 2003, 447 (448); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (140); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (543); Vogler, 119 ff. 3 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 14. 4 ErwG 29 zur EunsVO 2015. 5 Grundlegend High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, ZIP 2004, 963 (964 f.); ferner High Court of Justice Birmingham v. 18.4.2005, NZI 2005, 467 ff.; dazu näher Probst, S. 60 ff. m.w.N. 6 AG Duisburg v. 10.12.2002 – 62 IN 190/02, NZI 2003, 160; AG Offenburg v. 2.8.2004 – 2 IN 133/ 04, NZI 2004, 673; AG München v. 4.5.2004 – 1501 IE 1276/04 (Hettlage), ZIP 2004, 926 = NZI 2004, 450 = IPRax 2004, 433 (m. krit. Anm. Weller, IPRax 2004, 412). 7 Vgl. näher High Court of Justice Leeds v. 16.3.2003, ZIP 2004, 963 (964 f.); ferner Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 19.

Hausmann | 675

6.542

§ 6 Rz. 6.542 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nach außen in Erscheinung getreten waren1. Demnach kam es also darauf an, wo Geschäftsräume vom Schuldner unterhalten und die wesentlichen Geschäftsbeziehungen mit den Kunden und Gläubigern abgewickelt wurden2.

6.543

Der EuGH hat diesen Meinungsstreit in seiner bekannten „Eurofood“-Entscheidung3 grundsätzlich zugunsten der „business activity“-Theorie entschieden. Im Rahmen der gebotenen verordnungsautonomen Auslegung4 des Begriffs „Mittelpunkt des hauptsächlichen Interesses“ hat er an den ErwG 13 zur EuInsVO 2000 angeknüpft und daraus abgeleitet, dass im Interesse der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit des für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts nur objektive und damit für Dritte erkennbare Kriterien maßgebend sein können, zumal die Entscheidung über die internationale Zuständigkeit gem. Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 2000 zugleich das anwendbare Insolvenzrecht bestimme5. Der Ort, an dem die Geschicke des Unternehmens tatsächlich gelenkt werden, habe mithin dann außer Betracht zu bleiben, wenn er nach außen nicht in Erscheinung getreten ist. Dieser Auffassung hatte sich schon unter der EuInsVO 2000 – unter Aufgabe der „mind of management“-Theorie – auch die englische Rechtsprechung angeschlossen6. Unter Geltung der EuInsVO 2015 kommt es nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 vor allem darauf an, welchen Ort die Gläubiger als denjenigen wahrnehmen, an dem der Schuldner der Verwaltung seiner Interessen nachgeht; daher hat der Schuldner die Gläubiger über eine Verlegung des COMI zu unterrichten7. Die bloße Verlegung des Satzungssitzes reicht hierfür keinesfalls aus8.

6.544

Ebenfalls umstritten ist in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Vermutungsregel nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015, wonach bei Gesellschaften und juristischen Personen bis zum Beweis des Gegenteils vermutet wird, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen am Ort ihres (satzungsmäßigen) Sitzes liegt9. Vor allem in Deutschland wird aus der Amtsermittlungspflicht verbreitet die Konsequenz gezogen, dass das Insolvenzgericht 1 Bähr/Riedemann, ZIP 2004, 1065 f.; Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3456); Herchen, ZInsO 2004, 825 (827); Kübler, FS Gerhardt (2004), S. 527 (555); Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646 (651); Mankowski, RIW 2005, 575 f.; Weller, IPRax 2004, 412 (415 f.); Wimmer, ZInsO 2005, 119 (121); zust. AG Mönchengladbach v. 27.4.2004 – 19 IN 54/04, NZI 2004, 383 m. Anm. Lauterbach; High Court Dublin v. 23.3.2004, ZIP 2004, 1223 (1225 f.); Supreme Court of Ireland v. 27.7.2004, NZI 2004, 505 (509) = ZInsO 2005, 159. 2 Dazu näher Kübler, FS Gerhardt (2004), S. 525 (556); Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO 2015 Rz. 20 f. 3 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3824 ff.) (Rz. 32 ff.) = ZIP 2006, 907; zust. BGH v. 13.6.2006 – IX ZA 8/06, IPRspr. 2006 Nr. 265; dazu Freitag/Leible, RIW 2006, 641; Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89; Knof/Mock, ZIP 2006, 907; Saenger/Klockenbrinck, EuZW 2006, 363; J. Schmidt, ZIP 2007, 405; Thole, ZEuP 2007, 1137. 4 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 43 f.) = NZI 2011, 990 = ZIP 2011, 2153. 5 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (Rz. 14) = NZI 2006, 360 = ZIP 2006, 907; EuGH v. 16.7.2020 – C-253/19, ECLI:EU:C:2020:585 (Novo Banco), NZI 2020, 805 (Rz. 19 f.) m. Anm. Mankowski; BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 = NZI 2007, 344. 6 High Court of Justice London v. 3.7.2009, ZIP 2009, 1776 (Stanford). 7 Vgl. ErwG 28 S. 1 zur EuInsVO 2015; dazu näher Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO 2015 Rz. 21 ff. 8 Ital. Cass. v. 23.3.2017, unalex IT-828. 9 Bei der Vermutung in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO handelt es sich nicht um eine Verweisung auf das Prozessrecht der lex fori, sondern um eine Regel des europäischen Sachrechts, vgl. Probst, S. 121 ff. (140 ff.).

676 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.545 § 6

zunächst gehalten sei, den Ort des hauptsächlichen Interessenmittelpunkts festzustellen; dieser decke sich aber im Regelfall mit dem effektiven Verwaltungssitz der Gesellschaft1. Nur wenn ein Interessenmittelpunkt nicht ermittelt werden könne – z.B. bei Gesellschaften mit gleichzeitigem Interessenmittelpunkt in verschiedenen Mitgliedstaaten – sei auf die Vermutung nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015 zurückzugreifen2.

Der EuGH hat dieser Vermutungsregel in seiner „Eurofood“-Entscheidung3 zwar zunächst größeres Gewicht beigelegt. Danach sei grundsätzlich von der Vermutung auszugehen, dass die Schuldnergesellschaft den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen an ihrem Satzungssitz4 habe und diese Vermutung könne nur entkräftet werden, wenn objektive und für Dritte feststellbare Elemente belegten, dass die hauptsächlichen Interessen der Gesellschaft ausnahmsweise nicht an ihrem Satzungssitz verfolgt würden5, wie dies etwa auf reine „Briefkastenfirmen“ zutreffe6. Dementsprechend sind deutsche Gerichte etwa für die Eröffnung des (Haupt-)Insolvenzverfahrens über eine in England gegründete Private Ltd. Company nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO international zuständig, wenn die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit ausschließlich in Deutschland entfaltet hat7. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass die Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit im Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollständig eingestellt hat8. In diesem Fall kommt es für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit allein darauf an, wo die Schuldnergesellschaft bei Einstellung ihrer Tätigkeit – dazu können auch Abwicklungsarbeiten gehören – den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen hatte. Es wird also nicht allein infolge der Einstellung des Geschäftsbetriebs das Gericht am satzungsmäßigen Sitz international zuständig9. 1 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 26 f.; Schack, Rz. 1162; zur EuInsVO 2000 BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936 (Rz. 10 ff.) = GmbHR 2012, 216; zust. Kayser, ZIP 2013, 1353; BGH v. 21.6.2007 – IX ZB 51/06, NZG 2007, 623; ferner Huber, ZZP 114 (2001), 133 (141); Smid, DZWiR 2003, 397 (399); Vallender, NJW 2012, 1634; ähnlich auch High Court of Justice Leeds v. 20.4.2005, ZIP 2004, 1769. 2 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO 2015 Rz. 27. 3 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (Rz. 34 ff.) = ZIP 2006, 907; ebenso schon zuvor Herchen, ZInsO 2004, 825 (826); Duursma-Kepplinger, Art. 3 EuInsVO Rz. 25. 4 Zum Begriff des „satzungsmäßigen Sitzes“ rechtsvergleichend Probst, S. 98 ff. 5 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood) (Rz. 34 f.) = ZIP 2006, 907; im Ausgangspunkt ebenso EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 51) = NZI 2011, 990 = ZIP 2011, 2153; EuGH v. 15.12.2011 – C-191/10, ECLI: EU:C:2011:838 (Rastelli), Slg. 2011 I, 13211 (Rz. 35) = ZIP 2012, 183. 6 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), ZIP 2006, 907 (Rz. 34 f.); insoweit bestätigt durch EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24, ZIP 2010, 187 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417 (Rz. 37) = NZI 2010, 156 (m. Anm. Mankowski, NZI 2010, 178) = EWiR 2010, 77 (78) m. KurzKomm. J. Schmidt; Piekenbrock, KTS 2010, 208; Thole, ZEuP 2010, 920; Würdinger, IPRax 2011, 562; EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 49 ff.) = NZI 2011, 990 = ZIP 2011, 2153; BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, ZIP 2012, 1920 = NZI 2012, 725 (Rz. 8, 10). 7 Vgl. i.d.S. AG Hamburg v. 14.5.2003 – 67g IN 358/02, ZIP 2003, 1008 = GmbHR 2003, 957 = NZI 2003, 442 m. Anm. Mock, Schildt = IPRax 2003, 534 (m. zust. Anm. Weller, IPRax 2003, 521); AG Saarbrücken v. 25.2.2005 – 106 IN 3/05, GmbHR 2005, 1620 = ZIP 2005, 2027; AG Nürnberg v. 1.10.2006 – 8034 IN 1326/06, ZIP 2007, 83 m. Anm. Kebekus = NZI 2007, 186 (m. Aufs. Andres/ Grund, NZI 2007, 137). Zur Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit einer solchen Gesellschaft in Deutschland s. Rz. 6.127 ff., Rz. 6.148 ff. 8 Dies gilt zumindest, wenn noch Abwicklungsarbeiten auszuführen sind, vgl. AG Hamburg v. 1.12.2005 – 67a IN 450/05, ZIP 2005, 2275 = NZI 2006, 120 (m. Aufs. Klöhn, NZI 2006, 383). 9 BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936 (Rz. 15 f.) = ZIP 2012, 139.

Hausmann | 677

6.545

§ 6 Rz. 6.546 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.546

In seiner jüngeren Rechtsprechung hat der EuGH die Vermutung zugunsten des Satzungssitzes freilich abgeschwächt und hat unter Berufung auf den ErwG 13 zur EuInsVO 2000 grundsätzlich auf den Ort der Hauptverwaltung von Gesellschaften abgestellt1. Erforderlich hierfür ist allerdings, dass eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Faktoren die von Dritten überprüfbare Feststellung zulässt, dass sich der tatsächliche Mittelpunkt der Verwaltung und der Kontrolle der Gesellschaft sowie der Verwaltung ihrer Interessen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihres Satzungssitz befindet2. Dafür können etwa außerhalb des satzungsmäßigen Sitzes belegene Immobilien sprechen, für die Mietverträge abgeschlossen sind und die mit Hilfe eines im dortigen Mitgliedstaat ansässigen Kreditinstituts finanziert wurden3. Kann der Interessenmittelpunkt in einem anderen Mitgliedstaat nicht hinreichend sicher festgestellt werden, gibt weiterhin der satzungsmäßige Sitz den Ausschlag4. Dies gilt allerdings nach Art. 3 Abs. 1 UAbs 2 S. 2 EuInsVO 2015 dann nicht, wenn der Sitz in einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde5.

6.547

Die Pflicht des Gerichts, die internationale Zuständigkeit zu ermitteln, wird allerdings durch Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015 nicht beschränkt, denn Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 regelt nicht das zur Klärung der internationalen Zuständigkeit anzuwendende Verfahrensrecht6. Die dort aufgestellte Vermutung greift daher nur ein, wenn die Ermittlungen von Amts wegen zu keinem abweichenden Ergebnis geführt haben. Für die Beibringungslast des Antragstellers und die Prüfungspflicht des Gerichts folgt daraus, dass das Gericht am satzungsmäßigen Sitz von seiner internationalen Zuständigkeit ausgehen darf, solange sich aus dem Vortrag des Antragstellers nichts anderes ergibt7. Demgegenüber hat ein Gläubiger, der einen Insolvenzantrag gegen eine Schuldnergesellschaft mit ausländischem Satzungssitz bei einem deutschen Gericht stellt, substantiiert zur internationalen Zuständigkeit des Gerichts und zum Interessenmittelpunkt der Schuldnerin vorzutragen.

6.548

Der Frage, ob der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners subjektiv oder objektiv zu bestimmen ist, kommt besondere Bedeutung in Fällen der Konzerninsolvenz zu. Nach der „mind-of-management“-Theorie ist auch insoweit ausschlaggebend, wo die strategischen Entscheidungen über das Schicksal der Tochtergesellschaft gefällt werden8. Ist dies der Ort, von dem aus der gesamte Konzern gesteuert wird, so hätten sämtliche Tochtergesellschaf1 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 48) = NZI 2011, 990 = ZIP 2011, 2153; EuGH v. 15.12.2011 – C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838 (Rastelli), Slg. 2011 I, 13211 (Rz. 32) = NZI 2012, 147 = ZIP 2012, 183; EuGH v. 24.05.2016 – C-353/15, ECLI: EU:C:2016:374 (Leonmobili), BeckRS 2016, 81277 (Rz. 34). 2 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 53) = NZI 2011, 990 = ZIP 2011, 2153; BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, NZI 2012, 725 (Rz. 9) = ZIP 2012, 1920; Nagel/Gottwald, § 20 Rz. 44; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 32 ff. Zur Bedeutung der Verwaltung von Immobilien für den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen einer GbR auch BGH v. 21.6.2007 – IX ZB 51/06, NZI 2008, 121. 3 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 53) = NZI 2011, 990 = ZIP 2011, 2153. 4 LG Berlin v. 8.1.2018 – 84 T 2/18, NZI 2018, 85 m. Anm. Mankowski = IPRax 2018, 271 (m. Anm. Thomale, IPRax 2018, 254) = ZIP 2018, 140. 5 Vgl. ErwG 31 zur EuInsVO 2015. 6 BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936 (Rz. 13) = GmbHR 2012, 216; Borges, ZIP 2004, 733 (737); Klöhn, NZI 2006, 383 f. 7 Duursma-Kepplinger, Art. 3 EuInsVO Rz. 25; Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829 (831). 8 Grundlegend High Court of Justice Leeds v. 16.5.2003, ZIP 2004, 903 = NZI 2004, 219 (Daisytek).

678 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.550 § 6

ten ihren Interessenmittelpunkt am Sitz der Muttergesellschaft1. Diese Auffassung war unter Geltung der EuInsVO 2000 indessen schon deshalb abzulehnen, weil Fragen der Konzerninsolvenz aus dem Anwendungsbereich jener Verordnung bewusst ausgeklammert wurden; ein einheitlicher Konzerninsolvenzgerichtsstand an dem Ort der strategischen Unternehmensleitung sollte gerade nicht begründet werden2. Der Verordnung lag vielmehr die allgemeine Regel zugrunde, dass die internationale Zuständigkeit für jeden Schuldner mit eigener Rechtspersönlichkeit gesondert festzustellen ist3. EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3824) (Rz. 37) = IPRax 2007, 120 (m. Anm. Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89) Zur internationalen Zuständigkeit für das Insolvenzverfahren über die irische Gesellschaft „Eurofood/ FSC Ltd.“, eine 100%ige Tochter der italienischen Gesellschaft „Parmalat SpA“: „Wenn ... eine Gesellschaft ihrer Tätigkeit im Gebiet des Mitgliedstaats, in dem sie ihren satzungsmäßigen Sitz hat, nachgeht, so reicht die Tatsache, dass ihre wirtschaftlichen Entscheidungen von einer Muttergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kontrolliert werden ..., nicht aus, um die mit der Verordnung aufgestellte Vermutung zu entkräften.“

Daran hat sich auch unter Geltung der EuInsVO 2015 nichts geändert. Deshalb kommt es auch bei Konzerninsolvenzen weiterhin darauf an, an welchem Ort die jeweilige Tochtergesellschaft ihre Geschäftsfähigkeit für ihre Gläubiger erkennbar entfaltet4. Einer koordinierten Abwicklung der Insolvenz eines international tätigen Konzerns durch die Gerichte im Sitzstaat der Konzernleitung hat der EuGH damit eine Absage erteilt. Sie lässt sich nur erreichen, wenn die Muttergesellschaft ihren effektiven Verwaltungssitz vor Insolvenzeröffnung in den Sitzstaat der Tochtergesellschaft verlegt (oder umgekehrt)5.

6.549

Wird gegen eine Gesellschaft, deren satzungsmäßiger Sitz sich im Gebiet eines Mitgliedstaats befindet, Klage auf Erweiterung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens erhoben, das in einem anderen Mitgliedstaat gegen eine andere Gesellschaft, die im Gebiet dieses Mitgliedstaats niedergelassen ist, eröffnet worden ist, so reicht nach Ansicht des EuGH die Feststellung allein, dass eine Vermischung der Vermögensmassen dieser Gesellschaften vorliegt, nicht für den Nachweis aus, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der von der Klage betroffenen Gesellschaft ebenfalls in diesem Mitgliedstaat befindet. Zur Widerlegung der Vermutung, dass sich dieser Mittelpunkt am Ort des satzungsmäßigen Sitzes befindet, sei vielmehr erforderlich, dass im Rahmen einer Gesamtbeurteilung aller relevanten Anhaltspunkte

6.550

1 So Tribunale Parma v. 19.2.2004 (Eurofood/Parmalat I), ZIP 2004, 1220; LG Klagenfurt v. 2.7.2004 (Zenith II), NZI 2004, 677 = NJW-RR 2005, 60; AG Siegen v. 1.7.2004 – 25 IN 154/04 (Zenith I), NZG 2005, 92; LG Innsbruck v. 11.5.2004, ZIP 2004, 1721 (1722) = EWIR 2004, 1588 m. Anm. Bähr/Riedemann; AG Offenburg v. 2.8.2004 – 2 IN 133/04, NZI 2004, 673; AG München v. 4.5.2004 – 1501 IE 1276/04 (Hettlage), ZIP 2004, 962 = IPRax 2004, 433 (m. abl. Anm. Weller, IPRax 2004, 415); AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471 = NZI 2004, 154 (m. Anm. Sabel, NZI 2004, 126); Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (770 f.). Dazu ausführlich Probst, S. 88 ff. 2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 76; Carstens, S. 111 f.; Vormstein, S. 160 ff.; Weller, IPRax 2004, 412 (415 f.). 3 AG Mönchengladbach v. 11.8.2011 – 45 IN 130/10, ZIP 2012, 383 = ZInsO 2011, 1752; AG Köln v. 1.2.2008 – 73 IN 682/07, ZIP 2008, 982; Eidenmüller, NJW 2004, 3456 f.; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (142 f.); Huber, FS Heldrich (2005), S. 679 (682 ff.); Kübler, FS Gerhardt (2004), S. 527 (550 ff.); Weller, IPRax 2004, 412 (416); vgl. auch AG Mönchengladbach v. 27.4.2004 – 19 IN 54/ 04, ZIP 2004, 1064 = EuZW 2004, 478 (480) = NZI 2004, 450. 4 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 31 f.; Schack, Rz. 1163. 5 Vgl. AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08(PIN), NZI 2008, 257 (259 f.).

Hausmann | 679

§ 6 Rz. 6.550 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

der Nachweis gelingt, dass sich das tatsächliche Verwaltungs- und Kontrollzentrum der von der Klage auf Erweiterung betroffenen Gesellschaft für Dritte feststellbar in dem Mitgliedstaat befindet, in dem das ursprüngliche Insolvenzverfahren eröffnet wurde1. (b) Natürliche Personen

6.551

Bei natürlichen Personen ist zu unterscheiden: Übt diese eine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit aus, wird nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 3 S. 1 EuInsVO 2015 bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen ihre Hauptniederlassung ist2. Angeknüpft wird also an den Schwerpunkt der gewerblichen bzw. beruflichen Tätigkeit, nicht an den privaten Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Schuldners3. Dieser Ort bleibt auch dann maßgeblich, wenn sich die Mehrheit der Gläubiger und der Großteil des schuldnerischen Vermögens ausnahmsweise nicht in diesem Mitgliedstaat befinden4. Die Vermutung gilt jedoch nur, wenn die Hauptniederlassung der natürlichen Person nicht in einem Zeitraum von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde.

6.552

Bei allen anderen natürlichen Personen wird nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 4 EuInsVO 2015 bis zum Beweis des Gegenteils vermutet, dass der Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts, d.h. der Schwerpunkt ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Beziehungen ist5. Maßgebend ist also der Ort, an dem diese Person der Verwaltung ihrer wirtschaftlichen Interessen nachgeht und an dem sie die meisten ihrer Einkünfte erzielt und ausgibt oder aber an dem sich der Großteil ihres Vermögens befindet. Die Vermutung nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 und 4 EuInsVO 2015, wonach der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen einer natürlichen Person der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts ist, wird jedoch nicht schon dadurch widerlegt, dass die einzige Immobilie dieser Person außerhalb des Mitgliedstaats des gewöhnlichen Aufenthalts belegen ist6. Auch die Inhaftierung des Schuldners außerhalb seines Aufenthaltsstaates ändert den Mittelpunkt seiner wirtschaft1 EuGH v. 15.12.2011 – C-191/10, ECLI:EU:C:2011:838 (Rastelli), Slg. 2011 I, 13211 (Rz. 29, 39) = ZIP 2012, 183 = NZI 2012, 147 m. Anm. Mankowski; Nagel/Gottwald, § 20 Rz. 46; Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 29. 2 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO 2015 Rz. 39 f.; zur EuInsVO 2000 BGH v. 15.11.2010 – NotZ 6/10, ZIP 2011, 284 = NJW-RR 2011, 642; BGH v. 17.9.2009 – IX ZB 51/09, ZInsO 2009, 1955; BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 = NZI 2007, 344 (Rz. 14); BGH v. 13.6.2006 – IX ZA 8/06, IPRspr. 2006 Nr. 265; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 75; Duursma-Kepplinger, Art. 3 EuInsVO 2000 Rz. 19, 22; Balz, ZIP 1996, 948 (949); Ehricke/Ries, JuS 2003, 313 (314); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (224); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (140); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1612); Mankowski, NZI 2005, 368 (370). 3 BGH v. 18.9.2018 – IX ZB 77/17, NZI 2018, 997 (Rz. 6). 4 ÖOGH v. 16.1.2008 – 8 Ob 134/07z, unalex AT-567; AG Hildesheim v. 18.6.2009 – 51 IE 2/09, ZIP 2009, 2070; AG Celle v. 18.4.2005 – 29 IN 11/05, NZI 2005, 410. 5 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 41 ff.; ebenso zur EuInsVO 2000 BGH v. 18.9.2018 – IX ZB 77/17, NZI 2018, 997 (Rz. 3); BGH v. 2.3.2017 − IX ZB 70/16, NZI 2017, 320 (Rz. 10) m. Anm. Mankowski = IWRZ 2017, 172 m. Anm. Fritz; OLG Hamm v. 15.9.2011 – 18 U 226/10, IPRax 2012, 351; Cornette, Clunet 2013, 1115 (1123 ff.); Duursma-Kepplinger, Art. 3 EuInsVO Rz. 22; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 42; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (140); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (543); Mankowski, NZI 2005, 368 (369 f.); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (326). Dies gilt insbesondere für Verbraucher, vgl. AG Köln v. 6.11.2008 – 71 IN 487/07, ZIP 2009, 1242 = NZI 2009, 133. 6 EuGH v. 16.7.2020 – C-253/19, ECLI:EU:C:2020:585 (Novo Banco), NZI 2020, 805 (Rz. 28).

680 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.554 § 6

lichen Interessen nicht1. Die Vermutung gilt jedoch nur, wenn der gewöhnliche Aufenthalt nicht in einem Zeitraum von sechs Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde. (3) Maßgeblicher Zeitpunkt Die Frage, ob es für die Bestimmung des tatsächlichen Interessenmittelpunktes auf den Zeitpunkt der Antragstellung oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ankommt, war in der EuInsVO 2000 nicht geregelt. Diese Frage erlangt insbesondere dann Bedeutung, wenn der Schuldner kurz vor oder nach Antragstellung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einen anderen Mitgliedstaat verlegt. Auf Vorlage des BGH2 hat der EuGH schon früh klargestellt, dass das Gericht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet der Schuldner bei Stellung seines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hatte, für die Entscheidung über die Eröffnung dieses Verfahrens auch dann zuständig bleibt, wenn der Schuldner zwischenzeitlich den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hat3. Denn der Verordnungsgeber wollte gerade verhindern, dass eine Partei Vermögensgegenstände oder Rechtsstreitigkeiten in einen anderen Mitgliedstaat verlagert, um dadurch ihre Rechtsstellung zu verbessern4. Ferner würde die von der Verordnung angestrebte Verbesserung der Effizienz grenzüberschreitender Insolvenzverfahren verfehlt, wenn der Schuldner durch bloße Verlegung seines Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat die Gläubiger dort zu einer neuen Antragstellung zwingen könnte. Hatte die Schuldnergesellschaft zum Zeitpunkt der Antragstellung ihre Tätigkeiten bereits eingestellt und war sie aus dem Register gelöscht worden, so kommt es auf den letzten Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen an5. Nur durch Anerkennung einer perpetuatio fori kann nämlich ein unerwünschtes „forum shopping“ des Schuldners verhindert werden6.

6.553

Zulässig war hingegen unter Geltung der EuInsVO 2000 eine Verlegung des COMI vor der Antragstellung, sofern kein Rechtsmissbrauch vorlag; ein solcher lag nicht schon darin, dass der Gemeinschuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in ein Land mit ei-

6.554

1 BGH v. 8.11.2007 – IX ZB 41/03, NZI 2008, 121. 2 BGH v. 27.11.2003 – IX ZB 418/02, ZIP 2004, 94 f. = NZI 2004, 139 m. Anm. Liersch. 3 EuGH v. 17.1.2006 – C-1/04, ECLI:EU:C:2006:39 (Staubitz-Schreiber), Slg. 2006 I, 701 (Rz. 23 ff.) = ZIP 2006, 188 m. Anm. Knof/Mock = IPRax 2006, 149 (m. Anm. Kindler, IPRax 2006, 114); dazu die Abschlussentscheidung des BGH v. 9.2.2006 – IX ZB 418/02, ZIP 2006, 529 = RIW 2006, 468 (Rz. 6 ff.) = NZI 2006, 297; ferner BGH v. 22.3.2007 – IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878 = NZI 2007, 344 (Rz. 5); BGH v. 15.11.2010 – NotZ 6/10, ZIP 2011, 284 = ZVI 2011, 370 (Rz. 10). Ebenso EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 54 ff.) = NZI 2011, 990 m. Anm. Mankowski; BGH v. 8.3.2012 – IX ZB 178/11, ZIP 2012, 782 = NZI 2012, 377 (Rz. 7) = IPRax 2013, 356 (m. Anm. Ringe, IPRax 2013, 330). 4 Vgl. ErwG 4 zur EuInsVO 2000; EuGH v. 17.1.2006 – C-1/04, ECLI:EU:C:2006:39 (StaubitzSchreiber), (Rz. 25) = ZIP 2006, 188. 5 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 58) = NZI 2011, 990 = ZIP 2011, 2153; ebenso für den Fall, dass eine Löschung im Register noch nicht erfolgt ist, BGH v. 1.12.2011 – IX ZB 232/10, NJW 2012, 936 (Rz. 15 f.) = ZIP 2012, 139 = NZI 2012, 151. 6 AG Hamburg v. 1.12.2005 – 67a IN 450/05, ZIP 2005, 2275; LG Leipzig v. 27.2.2006 – 12 T 1207/ 05, ZInsO 2006, 378; Herchen, ZInsO 2004, 825 (829 f.); Laukemann, RIW 2005, 105 (108 ff.); Mankowski, NZI 2005, 368 (369); Schack, Rz. 1161; Weller, IPRax 2004, 412 (416); Probst, S. 204 ff.

Hausmann | 681

§ 6 Rz. 6.554 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nem für ihn günstigeren Insolvenzrecht verlegte1. Auch eine gewisse Mindestdauer des COMI im neuen Sitzstaat wurde nicht vorausgesetzt2. Demgegenüber greifen die Vermutungen des Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2-4 EuInsVO 2015 nur noch ein, wenn der Schuldner den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren nicht kurze Zeit vor der Verlegung seines Sitzes, seiner Hauptniederlassung oder seines gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen Mitgliedstaat gestellt hat. Der Zeitraum dieser Sperrfristen beträgt bei Gesellschaften, juristischen Personen und natürlichen Personen, die eine selbständige gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, drei Monate, bei anderen natürlichen Personen sechs Monate3. Die bloße Verlegung der Geschäftsadresse ins Ausland löst diese Sperrfrist noch nicht aus4.

6.555

Keinesfalls kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Forderung des Gläubigers entstanden ist5. Das Gericht des Mitgliedstaats, in dem der Schuldner bei Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, bleibt auch für weitere Eröffnungsanträge nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 international zuständig, solange über den Erstantrag noch nicht rechtskräftig entschieden worden ist6. Fehlt dem deutschen Gericht die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, so ist der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens als unzulässig abzuweisen ist. Ob eine Verweisung an das zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats in Betracht kommt, um dem Antragsteller die Rechtswirkungen der rechtzeitigen Erfüllung seiner Antragspflicht (z.B. nach § 15a InsO) zu erhalten7, erscheint zweifelhaft. (4) Annexzuständigkeiten (a) EuInsVO 2000

6.556

Die internationale Zuständigkeit wurde in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 ausdrücklich nur für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geregelt. Während diese Verordnung nach ihrem Art. 25 Abs. 1 UAbs. 1 und 2 auch für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen galt, die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangen waren (dazu Rz. 6.625 f.) oder die – wie die Entscheidung über die Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters – „unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergingen und in engem Zusammenhang damit standen“ (dazu Rz. 6.627), fehlte eine entsprechende Regelung für die direkte Entscheidungszuständigkeit des Insolvenzgerichts. Da Klagen, die in einem solch engen Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren standen, nach der Rechtsprechung des EuGH8 gem. Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel I-VO auch aus dem sachlichen Geltungsbereich jener Verordnung ausgeschlossen waren, schien sich eine Zuständigkeitslücke zwischen der Brüssel I-VO 1 OLG Celle v. 7.1.2010 – 6 U 60/09, IPRax 2011, 186 (m. Anm. Weller, IPRax 2011, 150). Eine Sitzverlegung mit diesem Ziel ist vielmehr durch die Niederlassungsfreiheit gedeckt, vgl. AG Köln v. 19.2.2008 – 73 IE 1/08, ZIP 2008, 423 = NZI 2008, 257. 2 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 54 ff.) = NZI 2011, 990 m. Anm. Mankowski. 3 Dazu näher Pannen, ZIP 2016, 398; Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 36. 4 BayObLG v. 19.12.2019 – 1 AR 139/19, NZI 2020, 242 (Rz. 19). 5 AG Celle v. 18.4.2005 – IN 11/05, NZI 2005, 410. 6 BGH v. 2.3.2006 – IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767 = DZWiR 2006, 254 m. Anm. Flitsch/Hinkel = NZI 2006, 364. 7 Dafür AG Hamburg v. 9.5.2006 – 67c IN 122/06, ZIP 2006, 1105 = NZI 2006, 486 (487) m. Anm. Mankowski. 8 EuGH v. 22.2.1979 – Rs. 133/78, ECLI:EU:C:1979:49 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, 733 (742) (Rz. 3); zust. BGH v. 11.1.1990 – IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246.

682 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.559 § 6

und der EuInsVO zu ergeben. Dementsprechend wurde die internationale Zuständigkeit für die Insolvenzanfechtungsklage (z.B. nach §§ 129 ff. InsO) und ähnliche insolvenznahe Rechtsbehelfe z.T. weiter nach dem jeweiligen autonomen Prozessrecht der Mitgliedstaaten beurteilt1. Dies widersprach indessen dem Anliegen beider Verordnungen, das Zuständigkeitsrecht sowohl in Zivil- und Handelssachen als auch in Insolvenzsachen zu vereinheitlichen2. Um eine Lücke zwischen der EuInsVO und der Brüssel I-VO zu vermeiden, wurde vorgeschlagen, den Anwendungsbereich der Brüssel I-VO – entgegen der restriktiven Haltung des EuGH – in den einer insolvenzrechtlichen Regelung vorbehaltenen, von der EuInsVO 2000 zumindest ausdrücklich aber nicht ausgefüllten, Bereich auszudehnen. Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel IVO sei m.a.W. so weit auszulegen, dass alle mit einem Insolvenzverfahren zusammenhängenden Klagen, für die es an einer ausdrücklichen Zuständigkeitsregelung in der EuInsVO fehle, nunmehr von der Brüssel I-VO erfasst würden3.

6.557

Vorzuziehen war jedoch eine Erweiterung der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 auf alle eng mit der Insolvenz im Zusammenhang stehenden Klagen, die dementsprechend grundsätzlich im Eröffnungsstaat zu erheben waren4. Gegen diese Lösung wurde zwar angeführt, dass die Verfasser der EuInsVO 2000 eine umfassende vis attractiva concursus, wie sie in den romanischen Rechten, aber auch im englischen Recht bekannt ist, bewusst nicht in das europäische Recht übernommen hätten5. Weder der Wortlaut der EuInsVO 2000 noch die Erwägungsgründe schlossen jedoch eine analoge Anwendung von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2000 auf mit der Insolvenz eng zusammenhängende Klagen aus. Für eine solche Analogie sprach vor allem der ErwG 6 zur EuInsVO 2000, der den Anwendungsbereich der Verordnung ausdrücklich auf die internationale Zuständigkeit für Annexentscheidungen ausdehnte, sowie die in der EU angestrebte Effizienz und Wirksamkeit grenzüberschreitender Insolvenzverfahren durch Bündelung der Vorschriften über den Gerichtsstand in der Verordnung (ErwG 8). Auch Art. 25 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2000 setzte eine internationale Zuständigkeit des Erstgerichts nach Art. 3 Abs. 1 der Verordnung offenbar voraus, da diese im Zweitstaat nicht mehr überprüft werden konnte6.

6.558

Dieser Auffassung hat sich – auf Vorlage des BGH7 – im Jahr 2009 auch der EuGH angeschlossen und sich zusätzlich auf den ErwG 8 zur EuInsVO 2000 gestützt, demzufolge es ein wesentliches Ziel dieser Verordnung sei, ein forum shopping im internationalen Insolvenzrecht einzudämmen.

6.559

1 So BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 203/02, NJW 2003, 2916 = ZIP 2003, 1419 = NZI 2003, 545 m. Anm. Mankowski = IPRax 2004, 59 (m. Anm. Mörsdorf-Schulte, IPRax 2004, 31); OLG München v. 27.7.2006 – 7 U 2287/06, ZIP 2006, 2402 = IPRax 2007, 212 (m. Anm. Dutta, IPRax 2007, 195); Burgstaller, FS Jelinek (2004), S. 31 (38); Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (765). 2 Leipold, FS Ishikawa (2001), S. 221 (226); Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (291); Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 84. 3 So OLG Frankfurt a.M. v. 26.1.2006 – 15 U 200/05, NZI 2006, 648 m. Anm. Mankowski/Willemer; Ringe, ZInsO 2006, 700 ff.; Schwarz, NZI 2002, 290 (294); Thole, ZIP 2006, 1383 (1386 ff.); Wenner, Rz. 17. 4 So auch die h.L., vgl. Carstens, S. 106 ff.; Haubold, IPRax 2002, 157 (159 f., 162); V. Lorenz, S. 114 ff.; Mankowski/Willemer, NZI 2006, 650 (651); Paulus, ZInsO 2006, 295 (298); Ringe, ZInsO 2006, 700 (701); M. Stürner, IPRax 2005, 416 (419); Willemer, S. 206 (212); wohl auch Leipold, FS Ishikawa (2004), S. 221 (224–239). 5 Vgl. den Virgós-Schmit-Bericht Rz. 77; Dutta, IPRax 2007, 195 (196). 6 Leipold, FS Ishikawa (2001), S. 221 (239). 7 BGH v. 21.6.2007 – IX ZR 39/06, ZIP 2007, 1415 = NZI 2007, 538 = ZInsO 2007, 770.

Hausmann | 683

§ 6 Rz. 6.559 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 (Deko Marty), Slg. 2009 I, 767(Rn. 19 ff.) = NJW 2009, 2189 = RIW 2009, 234 (235) = ZIP 2009, 427 Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für eine Insolvenzanfechtungsklage des Verwalters über das Vermögen einer deutschen GmbH gegen ein Unternehmen mit Sitz in Belgien in erweiternder Auslegung von Art. 3 EuInsVO 2000 bejaht.

(b) EuInsVO 2015

6.560

Nach den Reformen der EuInsVO wie der Brüssel I-VO gelten für die Abgrenzung zwischen der Internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 und Art. 4 ff. Brüssel IaVO die folgende Leitlinien: Der Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO für Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren gilt nicht nur für entsprechende Gesamtverfahren, sondern auch für solche Einzelverfahren, die sich unmittelbar aus dem Insolvenzverfahren ergeben und sich eng innerhalb eines solchen Verfahrens halten1. Diese Verfahren sind nach dem neu eingefügten Art. 6 EuInsVO 2015 in dem Staat zu erheben, in dem das Insolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO eröffnet wurde2. Dabei gilt der Grundsatz, dass die Brüssel Ia-VO auch im Verhältnis zur EuInsVO 2015 tendenziell weit auszulegen ist, während der Begriff der Insolvenzsachen in der EuInsVO eher eng verstanden wird3.

6.561

Eine Klage ist daher nur dann eine Konkurssache, wenn die beiden vorgenannten Voraussetzungen der Gourdain-Formel kumulativ vorliegen und jede von ihnen bei getrennter Prüfung positiv zu beantworten ist4. Danach ist jede Regelungslücke oder Überschneidung zwischen der Brüssel Ia-VO einerseits und den Insolvenzverordnungen andererseits zu vermeiden5; vielmehr ist von einem lückenlosen Ineinandergreifen dieser Verordnungen auszugehen6. 1 Grundlegend zum EuGVÜ EuGH v. v. 22.2.1979 – Rs. 133/178, ECLI:EU:C:1979:49 (Gourdain/ Nadler), Slg 1979, 733 (Rz. 4 f.); ebenso zur Brüssel I-VO EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08, ECLI:EU: C:2009:419 (SCT Industri/Alpenblume), NZI 2009, 570 (Rz. 21) m. Anm. Mankowski; EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), Slg. 2009 I 8421 (Rz. 26 ff.) = IPRax 2010, 355 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2010, 324); EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI: EU:C:2017:847 (Tünkers France), NZI 2018, 45 (Rz. 19) m. Anm. Mankowski; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 (NK), NJW 2019, 1791 (Rz. 26); ausf. dazu unalexKomm/Hausmann, Brüssel Ia-VO2 Art. 1 Rz. 89 ff.) 2 Vgl. ErwG 35 S. 1 zur EuInsVO 2015. 3 ErwG 6 zur EuInsVO 2000; EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), Slg 2010 I 8421 (Rz. 23 ff.) = ZIP 2009, 2345; EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU: C:2014:2145 (Nickel & Goeldner), RIW 2014, 673 (Rz. 22); EuGH v. 11.6.2015 – C-649/13, ECLI: EU:C:2015:384 (Comité d’entreprise de Nortel Networks), NZI 2015, 663 (Rz. 27) m. Anm. Fehrenbach; dazu Thomale, IPRax 2016, 558; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 (NK), NJW 2019, 1791 (Rz. 25); dazu Hübler, NZI 2019, 155; BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 (Rz. 17) = ZIP 2012, 2312 = NZA 2013, 797; Stürner, IPRax 2005, 416 (417); Geimer in Zöller, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 52. 4 Der EuGH spricht diesbezüglich von einem „doppelten Kriterium“, vgl. EuGH v. 19.4.2012 – C213/10, ECLI:EU:C:2012:215 (F-Tex), EuZW 2012, 427 (Rz. 28, 30) m. Anm. Sujecki. 5 EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 (Nickel & Goeldner), RIW 2014, 673 (Rz. 21); dazu Thole, IPRax 2015, 386 und Mankowski, NZI 2014, 919; EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI: EU:C:2019:96 (NK), NJW 2019, 1791 (Rz. 24); Schulze in Wieczorek/Schütze, Art. 1 Brüssel IaVO Rz. 72 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 14. 6 ErwG (7) S. 3 zur EuInsVO 2015; Geimer in Zöller, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 42; Mankowski in Rauscher Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 63.

684 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.563 § 6

Dementsprechend sind die von der EuInsVO 2015 erfassten Klagen aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgenommen1, während alle anderen Klagen unter die letztere fallen, auch wenn ein gewisser Bezug zur Insolvenz einer Partei des Verfahrens besteht. Aus der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen sind danach also nur solche Streitigkeiten, die mit dem gleichen Verfahrensziel ohne die Insolvenzeröffnung nicht entstehen könnten und die unmittelbar der Verwirklichung des Insolvenzverfahrens dienen2. Dieser Ausschluss gilt dann allerdings nicht nur für Hauptsacheverfahren, sondern auch für Maßnahmen des einstweiligen Rechtschutzes3. Ob der erforderliche enge Zusammenhang eines Einzelverfahrens mit dem Stammverfahren besteht, hat das angerufene Gericht nach dem von ihm anzuwendenden Recht zu bestimmen4. Daran fehlt es etwa bei einer Klage, die von einem Gläubiger erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner erhoben wird; insoweit handelt es sich um eine gewöhnliche Zivil- oder Handelssache, auf welche die Brüssel Ia-VO Anwendung findet5. Ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus Art. 6 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, so sind umgekehrt die Brüssel Ia-VO und das Luganer Übereinkommen auf den Rechtsstreit nicht anwendbar6.

6.562

Zur Beantwortung der Frage, ob ein Anspruch unter den Ausnahmetatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO fällt, ist allein die rechtliche Einordnung des Hauptanspruchs entscheidend; auf von diesem abhängige oder zu diesem alternative Ansprüche kommt es nicht an7. Ebensowenig schließt das Erfordernis, insolvenzrechtliche Vorfragen beantworten zu müssen, die Anwendung der Brüssel Ia-VO schon aus8. Das ausschlaggebende Kriterium zur Bestimmung des Gebiets, dem eine Klage zuzurechnen ist, stellt nach Ansicht des EuGH nicht

6.563

1 Schwarz, NZI 2002, 290 (293); Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 64; Czernich in Czernich/Kodek/Mayr (2015), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 17. 2 EuGH v. 11.6.2015 – C-649/13, ECLI:EU:C: 2015:384 (Comité d’entreprise de Nortel Networks), NZI 2015, 663 (Rz. 27) m. Anm. Fehrenbach; dazu Thomale, IPRax 2016, 558; EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI:EU:C:2017:847 (Tünkers France), NZI 2018, 45 (Rz. 17) m. Anm. Mankowski; EuGH v. 20.12.2017 – C-649/16, ECLI:EU:C:2017:986 (Valach u.a.), NJW 2018, 843 (Rz. 24 f.) = NZI 2018, 232 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 (Riel), NZI 2019, 861 (Rz. 33 f.) m. Anm. Mankowski. Vgl. schon ital. Cass v. 19.3.2009, unalex IT-398; High Court v. 29.7.1999 – UBS/Omni Holding, unalex UK-183; Lüke, FS Schütze (1999), S. 467 (483); Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 35; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel IaVO Rz. 69; einschränkend aber schwz. BG v. 8.5.2014, unalex CH-531, wenn die insolvenzrechtliche Wirkung der Klage das eigentliche Klageziel war. Vgl. auch ErwG 6 zur EuInsVO 2015. 3 Kindler/Sakka, EuZW 2015, 460 (461); Schulze in Wieczorek/Schütze (2019), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 77. 4 EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 (F-Tex), NZI 2012, 469 (Rz. 46) = ZIP 2012, 1049; BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 (Rz. 18) = NZI 2012, 1011 m. Anm. Hess = ZIP 2012, 2312. 5 Tribunal Fédéral v. 23.12.1998, unalex CH-27; frz. Cass. v. 18.12.2007, unalex FR-2081; dazu Martel, Clunet 2008, 531 und Bureau, Rev. crit. d.i.p. 2008, 338; zust. Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 78. Gleiches gilt für die Anerkennung und Vollstreckung eines Auszugs aus der Insolvenztabelle eines anderen mitgliedstaatlichen Gerichts nach Beendigung des Insolvenzverfahrens, vgl. zum LugÜ 2007 Kantonsgericht v. 20.4.2012, unalex CH-528. 6 EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17, ECLI:EU:C:2018:902 (Wiemer & Trachte), NZI 2018, 994 (Rz. 27 ff.) m. Anm. Mankowski; EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 (H./H.K.), NZI 2015, 88 (Rz. 32) = ZIP 2015, 196. 7 High Court of Justice London (Ch.Div.) v. 1.2.2010 – Byers & Others, unalex UK-400. 8 Mankowski, IPRax 2009, 571.

Hausmann | 685

§ 6 Rz. 6.563 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

der prozessuale Kontext dar, in dem diese Klage steht, sondern deren Rechtsgrundlage1. Nach diesem Ansatz ist also zu prüfen, ob der Anspruch oder die Verpflichtung, die der Klage als Grundlage dient, den allgemeinen Regelungen des Zivil- und Handelsrechts entspringt oder aber den abweichenden Spezialregelungen für Insolvenzverfahren2. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass die Rechtsgrundlage der Klage im Insolvenzrecht geregelt sein müsste oder zwingend die förmliche Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erfordert. Es genügt vielmehr auch, wenn nur die materielle Zahlungsunfähigkeit des Schuldners vorausgesetzt wird und die Rechtsgrundlage der Klage aus diesem Grunde von den allgemeinen Regeln des Zivil- und Handelsrechts abweicht3. (c) Qualifikation von insolvenznahen Klagen

6.564

Als insolvenzrechtlich zu qualifizieren sind vor allem die in Art. 7 EuInsVO 2015 aufgezählten Materien. Dies trifft insbesondere auf die Insolvenzanfechtungsklage nach §§ 129 ff. InsO zu, die deshalb schon nach Art. 3 Abs 1 EuInsVO 2000 vor den Gerichten des Eröffnungsstaates zu erheben war4. Dabei handelt es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit , so dass der Insolvenzverwalter nicht berechtigt ist, die Klage alternativ auch am Wohnsitz des Schuldners zu erheben5. Diese EuGH-Rechtsprechung hat der europäische Gesetzgeber inzwischen in Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 kodifiziert. Die Lösung hat den Vorteil, dass das zuständige Gericht in der Sache grundsätzlich sein eigenes Recht zugrunde legen kann (Art. 7 Abs. 2 lit. m EuInsVO 2015; dazu Rz. 6.723 ff.), was die Durchführung des Verfahrens erheblich erleichtert. Die internationale Zuständigkeit für Insolvenzanfechtungsklagen richtet sich auch dann nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO, wenn der Anfechtungsgegner seinen Wohnsitz oder Sitz nicht in einem Mitgliedstaat der Verordnung, sondern in einem Drittstaat hat6. Damit hat eine Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO für Insolvenzanfechtungsklagen auszuscheiden7. Dies folgt auch daraus, dass die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, für eine Insolvenzanfechtungsklage gegen 1 EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 (Nickel & Goeldner Spedition), RIW 2014, 673 (Rz. 27) = ZIP 2015, 96; dazu Thole, IPRax 2015, 417. 2 EuGH v. 11.6.2015 – C-649/13, ECLI:EU:C: 2015:384 (Comité d’entreprise de Nortel Networks), NZI 2015, 663 (Rz. 28); dazu Thomale, IPRax 2016, 558; EuGH v. 9.11.2017 – C-641/16, ECLI: EU:C:2017:847 (Tünkers France), NZI 2018, 45 (Rz. 22 f.); EuGH v. 20.12.2017 – C-649/16, ECLI: EU:C:2017:986 (Valach u.a.), NJW 2018, 843 (Rz. 29); EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU: C:2019:96 (NK), NJW 2019, 1791 (Rz. 28); EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 (Riel), NZI 2019, 861 (Rz. 36) m. Anm. Mankowski. 3 EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 (H./H.K.), EuZW 2015, 141 (Rz. 22) m. Anm. Kindler. 4 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 (Deko Marty), Slg. 2009 I 767 (Rz. 15 ff.) = IPRax 2009, 513 (m. krit. Anm. Fehrenbach, 492); zust. OLG Karlsruhe v. 26.9.2012 – 6 U 126/11, ZIP 2013, 380 = NZI 2012, 983; OLG Köln v. 9.6.2011 – 18 W 34/11, NZI 2012, 52 m. Anm. Mankowski; OLG Saarbrücken v. 9.4.2009 – 4 W 134/09, EuZW 2009, 710; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 69 m.w.N.; a.A. noch OLG Frankfurt v. 26.1.2006 – 15 U 200/05, NZI 2006, 648 = ZIP 2006, 769 (770 ff.) m. zust. Anm. Thole, 1383. 5 EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17, ECLI:EU:C:2018: 902 (Wiemer & Trachte), NZI 2018, 994 (Rz. 27 ff., 36) m. Anm. Mankowski. 6 EuGH v. 16.1.2014 – C-328/12, ECLI:EU:C:2014:6 (Schmid), NJW 2014, 610 (Rz. 30 ff.) = IPRax 2014, 425 (m. Anm. Arts, IPRax 2014, 390) = NZI 2014, 134 = ZIP 2014, 181; dazu Kindler, RIW 2014, 137 f. und die Abschlussentscheidung des BGH v. 27.3.2014 – IX ZR 2/12, ZIP 2014, 1132 = NZI 2014, 672. 7 LG Hamburg v. 27.4.2018 – 322 O 601/16 (2), BeckRS 2018, 7204 (Rz. 34).

686 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.566 § 6

einen Beklagten, der seinen Sitz oder Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, nach der Rechtsprechung des EuGH ausschließlich ist1. Den Ausschluss der Insolvenzanfechtung aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO beschränkt der EuGH allerdings auf Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters selbst. Tritt dieser sein Recht zur Insolvenzanfechtung wirksam an einen Dritten ab und macht der Zessionar daraufhin von dem erworbenen Anfechtungsrecht gegenüber einem Gläubiger der insolventen Gesellschaft Gebrauch, so soll eine solche Klage nach Ansicht des Gerichtshofs nicht mehr in dem erforderlichen, hinreichend engen Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen. Denn anders als der Insolvenzverwalter könne der Zessionar frei entscheiden, ob er die abgetretene Forderung geltend machen wolle. Außerdem handle er in diesem Fall nicht im Interesse aller Gläubiger, sondern ausschließlich zu seinem eigenen Vorteil2. Die Entscheidung ist zu Recht auf Kritik gestoßen, weil der enge Zusammenhang der Insolvenzanfechtungsklage mit dem Insolvenzverfahren durch die Abtretung nicht verloren geht3.

6.565

Wegen ihrer Nähe zur Insolvenzanfechtungsklage fällt auch die auf § 64 S. 1 GmbHG a.F. (seit 1.1.2021: § 15b Abs. 1 und 4 InsO) gestützte Klage gegen den Geschäftsführer einer insolventen GmbH auf Erstattung von Zahlungen, die dieser noch nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft geleistet hat, in den Anwendungsbereich des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015, wenn die Klage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter erhoben wird (dazu auch Rz. 6.174 f.)4. Gleiches gilt für Klagen aus § 24 i.V.m. §§ 81 ff. InsO, § 88 InsO, § 171 Abs. 2 HGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 283 ff. StGB, § 92 Abs. 2 AktG, § 130a HGB und §§ 92 f. AktG5. Auch eine Klage des Insolvenzverwalters, der vom Gericht des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, bestellt wurde, auf Feststellung der Unwirksamkeit des Verkaufs einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Liegenschaft und der zulasten dieser bestellten Hypothek gegenüber der Gesamtheit der Gläubiger beruht unmittelbar auf dem Insolvenzverfahren und steht mit ihm in engem Zusammenhang; eine solche Klage fällt daher in die ausschließliche internationale Zuständigkeit des Eröffnungsstaates nach Art. 3 EuInsVO 20156. Demgegenüber ist eine auf das Verbot der Einlagenrückgewähr seitens der Gesellschaft an einen Gesellschafter gestützte Klage in den Gerichtsständen der Brüssel Ia-VO zu erheben7.

6.566

1 EuGH v. 14.11.2018 – C-296/17, ECLI:EU:C:2018:902 (Wiemer & Trachte), NZI 2018, 994 (Rz. 22 ff.) m. zust. Anm. Mankowski; a.A. Kindler/Wendland, RIW 2018, 245 (249 f.); Kindler in MünchKomm, Art. 6 EuInsVO Rz. 12 f. 2 EuGH v. 19.4.2012 – C-213/10, ECLI:EU:C:2012:215 (F-Tex), NZI 2012, 469 (Rz. 30 ff.) = ZIP 2012, 1049 = EuZW 2012, 427 m. Anm. Sujecki. 3 Vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 6 EuInsVO Rz. 6; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (30 f.). 4 EuGH v. 4.12.2014 – C-295/13, ECLI:EU:C:2014:2410 (H./H.K.), NZI 2015, 88 (Rz. 21 ff.) m. Anm. Poertzgen = EuZW 2015, 143 m. Anm. Kindler = ZIP 2015, 196. Vgl. i.d.S. auch zur Qualifikation der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 64 GmbHG a.F. EuGH v. 10.12.2015 – C-594/ 14, ECLI:EU:C:2015:806 (Kornhaas), NJW 2016, 223 m. Anm. M.-Ph. Weller/Hübner; dazu den Vorlagebeschluss des BGH v. 2.12.2014 – II ZR 119/14, ZIP 2015, 68 (Rz. 8 ff.) = GmbHR 2015, 79 m. Anm. Römermann = NZI 2015, 85 m. Anm. Mock und die Abschlussentscheidung des BGH v. 15.3.2016 – II ZR 119/14, NZI 2016, 461 m. Anm. Mock = GmbHR 2016, 592 m. Anm. Poertzgen (zur Klage gegen den director einer englischen Ltd., über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet wurde). 5 Vgl. Prager/Keller, WM 2015, 805 (807). 6 EuGH v. 4.12.2019 – C-493/18, ECLI:EU:C:2019:1046 (Tiger), NZI 2020, 123 (Rz. 31) m. Anm. Mankowski. 7 ÖOGH v. 23.1.2020 – 6 Ob 202/19b, unalex AT-1254.

Hausmann | 687

§ 6 Rz. 6.567 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.567

Art. 6 EuInsVO 2015 gilt auch für eine negative Feststellungsklage, mit der sich der Schuldner gegen eine drohende Insolvenzanfechtungsklage wehrt1. Klagen, die ihre Grundlage in einer zwischen dem Insolvenzverwalter und einem Gläubiger geschlossenen Vereinbarung haben, sind jedoch nicht schon immer dann aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen, wenn die Vereinbarung einen Bezug zu einer anfechtbaren Rechtshandlung hat und deshalb ohne Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht abgeschlossen worden wäre2.

6.568

Die Zulassung von Annexverfahren im Gerichtsstand der Insolvenzeröffnung betont allerdings einseitig die Interessen des Insolvenzverwalters und der Gläubiger. Vernachlässigt werden hingegen die Interessen der Anfechtungsgegner, namentlich wenn es sich um Verbraucher handelt. Denn das Recht des Verbrauchers, nur an seinem Wohnsitzgericht verklagt zu werden (Art. 18 Abs. 2 Brüssel Ia-VO), würde mit der Insolvenz des Unternehmers entfallen. Es bleibt daher abzuwarten, ob der EuGH die insolvenzrechtliche Qualifikation von Anfechtungsklagen des Verwalters zum Schutz von Verbrauchern nicht einschränken wird3.

6.569

Mit einer Insolvenzanfechtungsklage des Verwalters darf die Anfechtungsklage eines Gläubigers nicht verwechselt werden, der mit dem Ziel der Befriedigung seiner Forderung auf die Rückführung von aus dem Schuldnervermögen entfernten Vermögenswerten klagt. Bei einer solchen Klage, die in keinem Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners steht, handelt es sich um eine gewöhnliche Zivil- und Handelssache4. Eine Gläubigeranfechtungsklage, mit welcher der Inhaber einer auf einem Vertrag beruhenden Forderung beantragt, ihm gegenüber eine für seine Ansprüche angeblich nachteilige Handlung für unwirksam zu erklären, mit der sein Schuldner ein Rechtsgut an einen Dritten übertragen hat, kann daher im Vertragsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO erhoben werden5.

6.570

Bezüglich sonstiger Klagen des Insolvenzverwalters kommt es jeweils darauf an, ob sie auch ohne die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (z.B. vom Schuldner selbst) hätten erhoben wer1 LG Innsbruck v. 12.12.2013, unalex AT-1235; dazu Mäsch, NZI 2014, 286. 2 BGH v. 27.4.2010 – IX ZR 108/109, BGHZ 185, 241 = NJW 2010, 1442: Klage eines Insolvenzverwalters auf Feststellung der Wirksamkeit eines mit einem Insolvenzgläubiger zur Vermeidung einer angedrohten Insolvenzanfechtung abgeschlossenen Vergleichs; a.A. High Court of Justice London (Qu.B.Div.) v. 17.11.2011 – Polymer Vision R & D Ltd. u.a./Van Dooren, unalex UK-492 zu einer auf die Verletzung einer Vereinbarung gestützten Klage, die ein Gläubiger und der Insolvenzverwalter zur Beilegung eines Rechtsstreits über eine anfechtbare Vermögenstransaktion geschlossen hatten; schwz. BG v. 18.2.2013, unalex CH-512 zur Klage auf Feststellung der Ungültigkeit einer zwischen einem Insolvenzverwalter und einem Dritten, gegen den vom Insolvenzverwalter Anfechtungstatbestände geltend gemacht wurden, geschlossenen Vergleichs- und Auseinandersetzungsvereinbarung, sowie auf Rückgabe der aufgrund dieser Vereinbarung bereits in die Konkursmasse eingebrachten Vermögenswerte. 3 Dafür Czernich in Czernich/Kodek/Mayr (2015), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 19. 4 EuGH v. 10.1.1990 – C-261/90, ECLI:EU:C:1990:3 (Reichert), EuZW 1992, 447; BGH v. 12.11.2015 – IX ZR 302/14, BGHZ 208, 1 (Rz. 23 ff.) = NJW 2016, 246 = IPRax 2016, 476 (m. Anm. Thole, IPRax 2016, 453) = NZI 2016, 131 m. Anm. Hübler; öOGH v. 15.1.1998, unalex AT-131; OLG Stuttgart v. 11.6.2007 – 5 U 18/07, ZIP 2007, 1966 = IPRax 2008, 436 (m. Anm. Koch, IPRax 2008, 417); Geimer in Zöller, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 63; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 71; a.A. Wedemann, IPRax 2012, 226 (235). Differenzierend für die verschiedenen „actiones paulianae“ in den kontinentaleuropäischen Rechten Rogerson in Magnus/Mankowski, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 36; dazu auch Trib. Cant. Vaud v. 15.11.2001, unalex CH-52; Willemer S. 194 ff. 5 EuGH v. 4.10.2018 – C-337/17, ECLI:EU:C:2018:805 (Feniks), RIW 2018, 760 (Rz. 44 ff.); dazu Lutzi, RIW 2018, 252 ff.; Kern/Uhlmann, IPRax 2019, 488; Fuchs, NZI 2019, 136 f.; Wagner, NJW 2019, 1782 (1784 f.); krit. Guski, ZIP 2018, 2395.

688 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.572 § 6

den können und wie eng der Bezug zur Verfolgung spezifisch insolvenzrechtlicher Zwecke ist. Geht man hiervon aus, so sind etwa Klagen des Insolvenzverwalters gegen den Schuldner auf Feststellung der Zugehörigkeit bestimmter Gegenstände zur Insolvenzmasse im Gerichtsstand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 zu erheben1. International zuständig sind daher nach Art. 6 EuInsVO wahlweise die Gerichte im Mitgliedstaat des Hauptverfahrens und im Mitgliedstaat des Sekundärinsolvenzverfahrens2. Demgegenüber ist die Klage eines Insolvenzverwalters auf Feststellung des Eigentums des Schuldners an einem ausländischen Grundstück in den Gerichtsständen der Brüssel Ia-VO zu erheben3. Andererseits greift der Ausschlusstatbestand des Art. 1 Abs. 2 lit. b Brüssel Ia-VO keineswegs schon deshalb ein, weil der Insolvenzverwalter als Kläger am Verfahren beteiligt ist4. Deshalb fallen (Aktiv-)Klagen des Insolvenzverwalters zur Durchsetzung von Forderungen aus Verträgen, die der Schuldner bereits vor Insolvenzeröffnung geschlossen hatte – wie z.B. Klagen auf Zahlung für vom Schuldner erbrachte Lieferungen oder Dienstleistungen – nicht unter Art. 6 EuInsVO 2015, sondern in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO5. Denn durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändert sich lediglich die Aktivlegimitation für die Durchsetzung des Anspruchs, weil im Verhältnis zur beklagten Partei nunmehr der Insolvenzverwalter an die Stelle des Insolvenzschuldners tritt. Der bloße Umstand, dass der Insolvenzverwalter mit einer solchen Klage auch eine Erhöhung der Insolvenzmasse bezweckt, reicht für einen Ausschluss der Klage aus dem Anwendungsbereich der Verordnung nicht aus6.

6.571

Gleiches gilt für Klagen aus einer vor Insolvenzeröffnung gegen den Schuldner begangenen unerlaubten Handlung7 oder aus einer vor Insolvenzeröffnung zu seinen Lasten eingetrete-

6.572

1 Haubold, IPRax 2002, 157 (163); Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 75. 2 EuGH 11.06.2015 – C-649/13, ECLI:EU:C:2015:384 (Comité d’entreprise de Nortel Networks), NZI 2015, 663 (Rz. 39 ff.); dazu Schulz, EuZW 2015, 593. 3 Vgl. zum EuGVÜ Court of Appeal (Civ. Div.) v. 21.11.2000 – Ashurst v. Pollard, unalex UK-8. 4 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), Slg. 2009 I, 8421 (Rz. 33) = IPRax 2010, 355 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2010, 324); frz. Cass. v. 24.5.2005, unalex FR-221; dazu Lienhard, D. 2005, 1553 und Bureau, Rev. crit. d.i.p. 2005, 489; Lüke, FS Schütze (1999), S. 467 (477); Mankowski, NZI 2010, 508 (511 ff.); Hüßtege in Thomas/Putzo, Brüssel IaVO, Art. 1 Rz. 14. 5 ErwG 35 S. 3 ff. zur EuInsVO 2015; vgl. EuGH v. 21.11.2019 – C-198/18, ECLI:EU:C:2019:2001 (Ce De Group), RIW 2020, 35 (Rz. 34 ff.) = NZI 2020, 41 m. Anm. Mankowski (Kaufvertrag); EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 (Nickel & Goeldner Spedition), RIW 2014, 673 (Rz. 28 ff.) = NZI 2014, 919 m. Anm. Mankowski = IPRax 2015, 417 (m. Anm Thole, IPRax 2015, 396) (Beförderungsvertrag); BGH v. 16.09.2015, RIW 2015, 839 m. Anm. Arts = NZI 2015, 1033 m. Anm. Mankowski (Kaufvertrag); frz. Cass. v. 18.12.2007, unalex FR-2081; dazu Bureau in Rev. crit. d.i.p. 2008, 338 und Martel in Clunet 2008, 531; frz. Cass. v. 24.5.2005, unalex FR-221; ital. Cass. v. 26.5.2015, Nr. 10800, unalex IT-631 und v. 27.3.2009, unalex IT-399; Court of Appeal v. 8.3.1996 (Re Hayward), unalex UK-166 und v. 21.5.1999 (QRS 1 Aps/Frandsen), unalex UK-4; schwz. BG v. 23.12.1998, unalex CH-27; ferner OLG Koblenz v. 11.1.2001 – 6 U 1199/98, NZG 2001, 759 m. Anm. Schwarz; OLG Düsseldorf v. 25.3.1993 – 17 W 7/93, ZIP 1993, 1018 (1019); Haubold, IPRax 2002, 157 (162); M. Stürner, IPRax 2005, 416 (421); Rogerson, in Magnus/Mankowski, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 30; Kodek, in Fasching/Konecny (2008), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 147; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 130 j; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 76 ff.; unalexKomm/Hausmann, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 103 ff., jeweils mwN. 6 Anders schwz. BG v. 6.3.2008, unalex CH-249. 7 Hof Amsterdam (NL) v. 14.5.1992, unalex NL-166; Arrondissementsrechtbank Arnhem (NL) 20.8.2004, unalex NL-39.

Hausmann | 689

§ 6 Rz. 6.572 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nen ungerechtfertigten Bereicherung1. In diesem Sinne hat auch der EuGH für eine Schadensersatzklage entschieden, die ein Insolvenzverwalter aufgrund seines nach der Insolvenzordnung bestehenden Auftrags zur Verwaltung und Liquidation der Konkursmasse im Namen der Gesamtheit der Gläubiger des Konkursschuldners gegen einen Dritten auf deliktsrechtlicher Grundlage erhoben hat. Denn zum einen führe die Tatsache, dass eine Klage nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens von dem im Rahmen dieses Verfahrens hierfür zuständigen Insolvenzverwalter erhoben werde und dass dieser im Interesse der Gläubiger handle, für sich genommen noch nicht zu einer wesentlichen Änderung der Art dieser Klage, die materiellrechtlich weiterhin dem allgemeinen Recht unterliege. Zum anderen hätte die Klage auch vom Gläubiger selbst erhoben werden können, so dass sie nicht in die ausschließliche Zuständigkeit des Insolvenzverwalters fiel und von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unabhängig war; aus diesem Grunde könne sie nicht als unmittelbare und untrennbare Folge eines solchen Verfahrens angesehen werden und unterliege daher der Brüssel Ia-VO2. Demgegenüber ist eine Klage auf Feststellung der Haftung für die aus der rechtswidrigen Ablehnung des Sanierungsplans durch die Beklagten in ihrer Funktion als Mitglieder des Gläubigerausschusses einer Gesellschaft entstandenen Schäden insolvenzrechtlich zu qualifizieren3.

6.573

Ferner sind auch Klagen aus Rechtsverhältnissen, insbesondere aus Schuldverträgen, die der Insolvenzverwalter erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens – z.B. in Fortführung des überschuldeten Unternehmens – neu begründet hat, nicht allein deshalb aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen, weil der Verwalter auf Erfüllung dieser Verträge klagt (oder verklagt wird) oder weil es ohne das Insolvenzverfahren nicht zum Abschluss des Vertrages gekommen wäre; insoweit handelt es sich vielmehr um gewöhnliche Zivil- oder Handelssachen4. Gleiches gilt für Klagen des Verwalters auf Feststellung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit von Rechtsgeschäften, die er mit Dritten kraft seines Amtes geschlossen hat5, sowie für sonstige Klagen zur Durchsetzung von Masseforderungen6. Auch die auf einen Eigentumsvorbehalt gestützte Klage des Verkäufers gegen einen in Konkurs gefallenen Käufer ist in den allgemeinen Gerichtsständen der Brüssel Ia-VO zu erheben, wenn sich die vom Eigentumsvorbehalt erfasste Sache zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Käufers im Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung befindet7. 1 OLG Hamm v. 15.9.2011 – 18 U 226/10, IPRax 2012, 351 (m. Anm. Limbach, IPRax 2012, 320); ital. Cass. v. 27.3.2009, unalex IT-399. 2 EuGH v. 6.2.2019 – C-535/17, ECLI:EU:C:2019:96 (NK), NJW 2019, 1791 (Rz. 29 ff., 33 ff.) = NZI 2019, 302 m. Anm. Mankowski. 3 ÖOGH v. 24.1.2018 – 7 Ob 1/18z, unalex AT-1149 und v. 26.4.2018 – 6Ob3/18m, unalex AT1166. 4 Frz. Cass. v. 13.4.1992, Rev. crit. d.i.p. 1993, 67 m. Anm. Rémery = unalex FR-34; frz. Cass. com. v. 24.5.2005, Rev. crit. d.i.p. 2005, 489 m. Anm. Bureau; ferner Haubold, IPRax 2002, 157 (162); Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 78; Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 37; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 131; a.A. noch OLG Zweibrücken v. 30.6.1992 – 3 W 13/92, EWS 1993, 264 (m. Anm. M.J. Schmidt, EWS 1993, 388). 5 Vgl. BGH v. 27.4.2010 – IX ZR 108/09, BGHZ 185, 241 = NJW 2010, 1442 = ZIP 2010, 1150: Klage des Insolvenzverwalters auf Feststellung der Wirksamkeit eines zur Vermeidung einer Insolvenzanfechtung geschlossenen Vergleichs mit der geschiedenen Ehefrau des Schuldners; a.A. schwz. BG v. 18.2.2013, unalex CH-512. 6 BGH v. 11.7.1996 – IX ZR 304/95, NJW 1996, 3008 = ZIP 1996, 1437 = IPRax 1998, 38 (m. Anm. Schollmeyer, IPRax 1998, 29); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 21; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 20. 7 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), IPRax 2010, 355 (Rz. 32 ff.) (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2010, 324).

690 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.576 § 6

Die gleichen Kriterien wie bei Aktivklagen des Insolvenzverwalters sind – umgekehrt – auch bei der Qualifikation von gegen den Verwalter gerichteten Klagen anzulegen. Auch insoweit reicht allein der Umstand, dass der Insolvenzverwalter als Beklagter an dem Verfahren beteiligt ist, keinesfalls aus, um den erforderlichen „engen Zusammenhang“ zum Insolvenzverfahren herzustellen1. Deshalb gilt die Brüssel Ia-VO etwa für eine Klage gegen den Insolvenzverwalter auf Herausgabe einer Bürgschaftsurkunde, wenn diese auf eine vor Insolvenzeröffnung getroffene Sicherungsvereinbarung gestützt wird2, sowie generell für alle Klagen, die schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens hätten erhoben werden können3, z.B. für Klagen auf Bezahlung von Rechnungen, die bereits vor Insolvenzeröffnung gestellt worden waren4, gegen den Insolvenzverwalter sowie auf Klagen von Gesellschaftern gegen die insolvente Gesellschaft auf Rückerstattung von Einlagen5. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass der Insolvenzverwalter gegen die geltend gemachte Forderung aufrechnet6.

6.574

Kündigungsschutzklagen von Arbeitnehmern, die vor deutschen Gerichten gegen die von einem Insolvenzverwalter gem. Art. 10 EuInsVO nach deutschem Recht erklärte Kündigung erhoben werden, sind daher selbst dann nicht als Annexklagen im Gerichtsstand des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO zulässig, wenn sie auf der Grundlage eines Interessenausgleichs mit Namensliste nach § 125 InsO und mit der kurzen Frist des § 113 InsO erhoben werden7. Denn diese Kündigungen haben ihre Grundlage im Arbeitsrecht und verfolgen keine spezifisch insolvenzrechtlichen Ziele; sie sind daher arbeitsrechtlich zu qualifizieren und vor den nach der Brüssel Ia-VO zuständigen Gerichten zu erheben8. Gleiches gilt für Klagen auf Bezahlung von Rechnungen, die bereits vor Insolvenzeröffnung gestellt worden waren9, gegen den Insolvenzverwalter. Persönliche Haftungsklagen gegen den Verwalter wegen Verletzung seiner Pflichten sind hingegen jedenfalls dann insolvenzrechtlich zu qualifizieren, wenn sich diese Pflichten aus dem Insolvenzrecht ergeben und die Haftung im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegt10.

6.575

Auch Klagen von Gläubigern auf Aus- oder Absonderung bestimmter Gegenstände aus der Insolvenzmasse fallen nicht unter die EuInsVO, weil sie auf außerhalb der Insolvenz entstan-

6.576

1 EuGH v. 10.9.2009 (vorige Fn., Rz. 33). 2 LG Aachen v. 16.12.2005 – 43 O 106/03, IPRax 2006, 599. 3 Court of Appeal (Civ.Div.) v. 21.5.1999 (QBENI 98/1598), unalex UK-4. Vgl. auch LG Karlsruhe v. 3.1.2014 – 14 O 94/13 KfH III, BeckRS 2015, 724: Negative Feststellungsklage, mit der ein deutscher Besteller gegen den belgischen Konkursverwalter die Feststellung begehrt, dass er auf ein vor Konkurseröffnung über das Vermögen einer belgischen Gesellschaft geschlossenes Geschäft kein Entgelt mehr zu leisten habe. 4 Frz. Cass. v. 13. 4.1992, unalex FR-34; dazu Rémery, Rev. crit. d.i.p. 1993, 67. 5 Trib. d’arrondissement Luxemburg v. 2.12.1992, unalex LU-111. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 1.3.2012 – I-3 W 104/11, BeckRS 2014, 10667: Klage auf Herausgabe von Geldern, die auf Antrag des Insolvenzverwalters beschagnahmt worden waren. 6 Anders Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 72. 7 BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 752/11, NZA 2013, 1040; frz. Cass. v. 28.10.2015, unalex FR-2439. 8 BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, ZIP 2012, 2312 (Rz. 19 ff.); BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, ZInsO 2013, 1366 (Rz. 22) = AuR 2013, 225; ferner unalexKomm/Hausmann, Art 1 Brüssel Ia-VO Rz. 110 m.w.N.; a.A. Schlosser in Schlosser/Hess (2015), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 21. 9 Frz. Cass. v. 13.4.1992, Rev. crit. d.i.p. 1993, 67 m. Anm. Rémery = unalex FR-34. 10 Kindler in MünchKomm, Art. 6 EuInsVO Rz. 15; ebenso schon zur EuInsVO 2000 Lüke, FS Schütze (1999), S. 467 (483); Willemer, S. 380 ff.; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 74; a.A. Schack, Rz. 1187; Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 37. Differenzierend nach Art des geltend gemachten Schadens Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 21.

Hausmann | 691

§ 6 Rz. 6.576 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

denen Rechten beruhen1. Dementsprechend finden Art. 3 und Art. 6 EuInsVO 2015 keine Anwendung auf die von einem Verkäufer gegen den in Konkurs geratenen Käufer erhobene Klage, mit welcher der Verkäufer die Aussonderung bestimmter von seinem Eigentumsvorbehalt erfasster Sachen aus der Insolvenzmasse begehrt; dies gilt jedenfalls dann, wenn sich diese Sachen zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Käufers im Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung befinden2. Denn im Mittelpunkt eines solchen Rechtsstreits steht die Frage nach der Eigentümerstellung des Verkäufers, die unabhängig von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist. Weder die materiell-rechtliche Schutzvorschrift in Art. 10 Abs. 1 noch die Kollisionsnorm in Art. 7 Abs. 2 lit. b EuInsVO 2015 wirken sich auf die Abgrenzung zur Brüssel Ia-VO aus3. Entsprechend sind auch Klagen auf Freigabe von vor der Insolvenzeröffnung vom Schuldner gestellten Sicherheiten zugunsten des Käufers nicht aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen4.

6.577

Auch Klagen gegen einen Konkursverwalter, mit denen Ansprüche aus von diesem für die Masse abgeschlossenen Rechtsgeschäften geltend gemacht werden (sog. Masseforderungen), fallen in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO und sind aus dieser nicht als Konkurssache i.S.v. Art. 1 Abs. 2 lit. b ausgeschlossen5. Persönliche Haftungsklagen gegen den Verwalter wegen Verletzung seiner Pflichten sind hingegen jedenfalls insoweit aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen, als sich diese Pflichten aus dem Insolvenzrecht ergeben und die Haftung im Interesse der Gesamtheit der Gläubiger liegt6.

6.578

Auch Klagen von Gläubigern auf die Eintragung von Forderungen, deren Berechtigung von dem Verwalter bestritten wird, in die Insolvenztabelle (vgl. §§ 179 ff. InsO) fielen nach bisher verbreiteter Ansicht in den sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO, denn sie hätten ihre Grundlage in der zivil- oder handelsrechtlichen Rechtsbeziehung zwischen dem anmeldenden Gläubiger und dem Schuldner7..Die von Art. 7 Abs. 2 lit. h EuInsVO 2015 angeordnete Anwendbarkeit des Rechts des Eröffnungsstaates auf diese Klage sollte daran ebenso wenig etwas ändern wie die Auswirkung der Eintragung auf insolvenzrechtliche Rangfragen. Der EuGH hat sich demgegenüber für eine insolvenzrechtliche Qualifikation von Streitigkeiten über die Eintragung von Forderungen in die Insolvenztabelle entschieden, wenn die Klage auf 1 Virgós/Schmit-Bericht, Rz. 196; High Court London (Ch.Div.) v. 1.2.2010 (Byers/Yacht Bull Corp.), unalex UK-400 (Rz. 25 f.); Haubold, IPRax 2002, 157 (159); Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 89; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 21; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 130i. 2 EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), Slg. 2009 I, 8421 (Rz. 30 ff.) = ZIP 2009, 2345; zust. Brinkmann, IPRax 2010, 324 (327 ff.; Mankowski, NZI 2010, 508 ff.; krit. hingegen Cranshaw, DZWiR 2010, 89 ff.; Lüttringhaus/Weber, RIW 2010, 45 ff. Dem EuGH folgend App. Bastia v. 6.7.2016, unalex FR-2492. 3 EuGH v. 10.9.2009 (vorige Fn., Rz. 35 ff.); Hess, § 9 Rz. 40. 4 LG Aachen v. 16.12.2005 – 43 O 106/03, IPRax 2006, 599 (m. Anm. M. Stürner, IPRax 2006, 579). 5 BGH v. 11.7.1996 – IX ZR 226/94, NJW 1996, 3147; a.A. aber noch OLG Zweibrücken v. 30.6.1992 – 3 W 13/92, EuZW 1993, 165 (jeweils zum EuGVÜ). 6 Lüke, FS Schütze (1999), S. 467 (483); Willemer (2006), S. 380 ff.; Mankowski in Rauscher,, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 74; a.A. Schack, Rz. 1187; Kropholler/von Hein (2011), Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 37. Differenzierend nach Art des geltend gemachten Schadens Schlosser in Schlosser/Hess (2015), Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 21. 7 So OLG Frankfurt v. 8.6.2016 – 4 U 162/15, IPRspr. 2016 Nr. 325; OLG Wien v. 30.10.2006, unalex AT-525; ferner Lüke, FS Schütze (1999), S. 467 (483); Haubold, IPRax 2002, 157 (163); Oberhammer, KTS 2009, 43; Kropholler/von Hein, Art. 1 Brüssel I-VO Rz. 37; a.A. Schlosser in Schlosser/ Hess, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 21; Mankowski in Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 90.

692 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.579 § 6

Eintragung – wie in § 179 InsO – in der jeweiligen Insolvenzordnung geregelt sei1. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergebe sich, dass diese Klage im Rahmen eines Insolvenzverfahrens von daran beteiligten Gläubigern bei Streitigkeiten über die Richtigkeit oder Rangordnung von ihrerseits angemeldeten Forderungen erhoben werden könne. Damit gehe die Klage unmittelbar aus einem Insolvenzverfahren hervor, stehe in engem Zusammenhang damit und habe ihren Ursprung im Insolvenzverfahrensrecht. Aus diesen Gründen sei sie aus dem Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO ausgeschlossen2. (5) Örtliche Zuständigkeit Die Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 legen allerdings sowohl für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wie für damit eng zusammenhängende Annexverfahren nur die internationale Zuständigkeit fest. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich hingegen nach dem autonomen Insolvenzrecht des betreffenden Mitgliedstaats3, in Deutschland also grundsätzlich nach § 3 InsO. Da die Anknüpfungskriterien der Verordnung und der Insolvenzordnung voneinander abweichen, ist nicht auszuschließen, dass in besonders gelagerten Einzelfällen nach der Verordnung eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte besteht, ohne dass zugleich eine örtliche Zuständigkeit eröffnet wäre. Für diese Fälle harmonisiert Art. 102c § 1 Abs. 1 EGInsO das autonome deutsche Insolvenzrecht mit den Vorgaben der Verordnung, indem am Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners auch eine ausschließliche örtliche Zuständigkeit eröffnet wird. Sind die deutschen Gerichte für eine eng mit dem Insolvenzverfahren zusammenhängende Klage nach Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 international zuständig, so muss dem Kläger im Inland auch ein örtlicher Gerichtsstand eröffnet werden, um das Insolvenzverfahren effektiv in Deutschland abwickeln zu können. Für eine Insolvenzanfechtungsklage ist daher in analoger Anwendung von § 19a ZPO i.V.m. § 3 InsO, Art. 102c Abs. 1 EGInsO das sachlich zuständige Gericht am Ort des für das Verfahren zuständigen Insolvenzgerichts örtlich zuständig4.

1 EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 (Riel), ZIP 2019, 1872; dazu die Vorlage OLG Wien v. 17.1.2018, unalex AT-1141; ebenso schon früher öOGH v. 22.4.2010, unalex AT-682; OLG Frankfurt a.M. v. 30.10.2001 – 20 W 587/99, RIW 2002, 148 = IPRax 2003, 246 (m. Anm. Schollmeyer, IPRax 2003, 227); Mankowski, ZIP 1994, 1579, 1581 und in: Rauscher, Art. 1 Brüssel Ia-VO Rz. 90; M. Stürner, IPRax 2005, 416 (421); Willemer (2006), S. 328 ff.; Schack, Rz. 1184; für den Fall, dass der angemeldete Anspruch erst durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällig geworden war, auch Court of Appeal (Civ.Div.) v. 13.12.1995 (Firswood Ltd./Petra Bank), unalex UK-234. Ebenso für die Beseitigung einer im Konkursverfahren durch Anerkenntnis des Masseverwalters erfolgten Forderungsfeststellung öOGH v. 22.4.2010, unalex AT-682. Nach Ansicht des BGH konnte die Frage, ob die Feststellung von Forderungen zur Insolvenztabelle eine Zivil- und Handelssache oder eine Konkurssache ist, dann offenbleiben, wenn die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sowohl nach der Brüssel I-VO wie nach der EuInsVO begründet war, vgl. BGH v. 11.1.2011 – II ZR 157/09, NJW 2011, 844 = ZIP 2011, 328 = GmbHR 2011, 301 m. Anm. Bormann/Hösler = NZG 2011, 273 (m. Aufs. Haas/Vogel, NZG 2011, 45). 2 EuGH v. 18.9.2019 – C-47/18, ECLI:EU:C:2019:754 (Riel), ZIP 2019, 1872 (Rz. 33 ff. 3 Vgl. ErwG 15 zur EuInsVO 2000; Virgós/Schmit-Bericht, Rz. 72; Huber, EuZW 2002, 490 (492); Schack, Rz. 1160. 4 Vgl. ErwG 26 zur EuInsVO 2015; ebenso schon zur EuInsVO 2000 BGH v. 19.5.2009 – IX ZR 39/ 06, NJW 2009, 2215 (2216 f.) = ZInsO 2009, 1270 = ZIP 2009, 1287; LG Marburg v. 22.9.2010 – 2 O 209/04, BeckRS 2011, 02242.

Hausmann | 693

6.579

§ 6 Rz. 6.580 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Autonomes Insolvenzrecht

6.580

Verzichtet man mit der jüngsten EuGH-Rechtsprechung (Rz. 6.529) bei einem inländischen Interessenschwerpunkt des Schuldners im Rahmen der Anwendung von Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 auf das Erfordernis eines Bezugs zu einem weiteren EU-Mitgliedstaat, so bleibt die Anwendung des autonomen deutschen Rechts auf die örtliche Zuständigkeit beschränkt1. Die nachfolgenden Bemerkungen haben daher nur noch Bedeutung, wenn man mit der bisher in Deutschland h.L. einen „qualifizierten“ Auslandsbezug des im Inland eröffneten Insolvenzverfahren fordert sowie für die in Art. 1 Abs. 2 EuInsVO 2015 genannten Schuldner.

6.581

Für diesen Fall ist die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens im Zuge der Reform von 2003 (Rz. 6.535) nicht ausdrücklich geregelt worden. Auch insoweit gilt jedoch dann der Grundsatz der Doppelfunktionalität; danach wird die internationale Zuständigkeit aus den Regeln über die örtliche Zuständigkeit abgeleitet2. Die deutschen Gerichte sind daher zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nach dem Grundsatz des § 3 Abs. 1 S. 1 InsO nicht nur örtlich, sondern auch international ausschließlich zuständig, wenn der Gemeinschuldner im Inland seinen allgemeinen Gerichtsstand (§ 12 ZPO) hat. Dies ist bei natürlichen Personen i.d.R. der Wohnsitz (§ 13 ZPO), bei juristischen Personen und anderen passiv parteifähigen Vereinigungen der (Satzungs-)Sitz (§ 17 Abs. 1 ZPO)3. Dieser muss im Zeitpunkt des Antragseingangs beim inländischen Insolvenzgericht bestehen; eine (Wohn-)Sitzverlegung nach Antragstellung ist auch im autonomen Recht ohne Einfluss auf die internationale Zuständigkeit4. Eine entsprechende Anwendung von § 15 ZPO auf im Ausland wohnhafte Deutsche kommt in diesem Zusammenhang nicht in Betracht5.

6.582

Der Anknüpfung an den Wohnsitz bzw. Sitz des Schuldners liegt die Erwartung zugrunde, dass sich sein wesentliches Vermögen im (Wohn-)Sitzstaat befindet und auch die meisten Gläubiger hier ansässig sind. Trifft diese Erwartung nicht zu, weil der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners – bei einer juristischen Person oder Gesellschaft also der effektive Verwaltungssitz6 – an einem anderen Ort liegt, so ist folglich nach § 3 Abs. 1 S. 2 InsO ausschließlich dasjenige deutsche Insolvenzgericht örtlich und interna1 Vgl. i.d.S. Herchen, ZInsO 2003, 742 (743 ff.); Ludwig, S. 93; Reinhart in MünchKomm InsO, § 335 InsO Rz. 6, 23 ff. 2 OLG Köln v. 23.4.2001 – 2 W 82/01, IPRax 2003, 59 (60) (m. Anm. Haubold, IPRax 2003, 34) = EWiR 2001, 967 m. Anm. Mankowski; AG Ludwigsburg v. 20.7.2006 – 1 IN 536/05-s, ZIP 2006; Liersch, NZI 2003, 302 (304); Geimer, Rz. 3454; Kindler in MünchKomm, vor § 335 InsO Rz. 9; Wenner, Rz. 46; dazu allg. Hausmann in Wieczorek/Schütze, vor § 12 ZPO Rz. 48 m.w.N. 3 Vgl. OLG Köln v. 23.4.2001 – 2 W 82/01, IPRax 2003, 59 (60); LSG Schleswig-Holstein v. 26.2.1988 – L 1 Ar 43/87, ZIP 1988, 1140; zum Begriff des „Wohnsitzes“ bzw. „Sitzes“ im deutschen Prozessrecht näher Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 13 ZPO Rz. 4 ff. und § 17 ZPO Rz. 8 ff. Verlegt der Schuldner seinen Wohnsitz nach Insolvenzeröffnung ins Ausland, so lässt dies die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nicht entfallen; vgl. zum Anschlusskonkurs nach § 102 KO LG Stuttgart v. 16.11.1982 – 2 T 781/82, ZIP 1983, 348. 4 AG Düsseldorf v. 25.5.2000 – 503 IK 28/99, NZI 2000, 555; OLG Celle v. 8.12.2003 – 2 W 123/03, ZIP 2004, 1024 = GmbHR 2004, 502; BayObLG v. 13.8.2003 – 1Z AR 83/03, NZI 2004, 90 = DZWiR 2004, 86; Haubold, IPRax 2003, 34 (37); Hess, § 3 InsO Rz. 20; Trunk, S. 100 f.; Probst, S. 206 f. m.w.N. 5 OLG Köln v. 23.4.2001 – 2 W 82/01, RIW 2001, 788 = NZI 2001, 380 = IPRax 2003, 59 (m. Anm. Haubold, IPRax 2003, 34 (Übt der deutsche Gemeinschuldner keine selbständige Tätigkeit mehr aus und hat er seinen Wohnsitz ins Ausland (Norwegen) verlegt, so sind die deutschen Gerichte für die Insolvenzeröffnung international nicht zuständig.). 6 Schack, Rz. 1162; Haubold, IPRax 2003, 34 (37) m.w.N.

694 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.584 § 6

tional zuständig, in dessen Bezirk dieser Ort liegt; dies gilt auch dann, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz bzw. (Satzungs-)Sitz im Ausland hat1. Umgekehrt fehlt den deutschen Gerichten die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines (Primär-)Insolvenzverfahrens, wenn der Schuldner zwar seinen allgemeinen Gerichtsstand im Inland, den Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hingegen im Ausland hat2. Daraus folgt, dass der allgemeine Gerichtsstand des Schuldners nur subsidiäres Anknüpfungsmerkmal für die internationale Zuständigkeit in den Fällen ist, in denen der Schuldner weder im Inland noch im Ausland eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet3. Die Belegenheit von Vermögen des Gemeinschuldners im Inland ist für die internationale Zuständigkeit zur Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens hingegen weder erforderlich noch ausreichend4. Besitzt der Schuldner im Inland kein Vermögen, wird die Eröffnung durch ein deutsches Gericht – trotz internationaler Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 InsO – freilich regelmäßig daran scheitern, dass eine die Verfahrenskosten deckende Masse nicht vorhanden ist (§ 26 InsO)5. Die Begründung einer internationalen Eröffnungszuständigkeit der deutschen Gerichte durch Parteivereinbarung kommt hingegen ebenso wenig in Betracht wie eine Derogation der nach § 3 InsO begründeten Zuständigkeit, weil es insoweit bereits an einem zur Repräsentation der Gläubiger befugten Vertragspartner fehlt6. Die internationale Zuständigkeit hat das Insolvenzgericht auch nach der deutschen ZPO-Reform in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen7.

6.583

Die internationale Zuständigkeit für Annexverfahren ist im autonomen deutschen Insolvenzrecht nicht geregelt. Entgegen der bisherigen deutschen Rechtsprechung, die eine Übertragung der Deko-Marty-Doktrin auf das atonome Insolvezrecht abgelehnt hat und auf §§ 3, 4 InsO i.V.m. §§ 12 ff. ZPO abstellt8, sollten auch insoweit – insbesondere für Insolvenzanfechtungsklagen – die vom EuGH zu Art. 3 EuInsVO 2000 entwickelten Grundsätze (vis attractiva concursus, Rz. 6.562 ff.) entsprechend angewandt werden9.

6.584

1 Brinkmann, IPRax 2013, 243; Flessner, IPRax 1997, 1 (2); Geimer, Rz. 3455; Liersch, NZI 2003, 302 (304). 2 AG Münster v. 23.11.1999 – 77 IN 50/99, DZWiR 2000, 123. 3 OLG Köln v. 23.4.2001 – 2 W 82/01, IPRax 2003, 59 (60); OLG Hamm v. 14.1.2000 – 1 Sbd 100/ 99, NZI 2000, 220 (221); OLG Düsseldorf v. 9.8.1999 – 19 Sa 65/99, NZI 2000, 601; Geimer, Rz. 3455; Haubold, IPRax 2003, 34 (37); zweifelnd Trunk, S. 96 ff. 4 Ebenroth, ZZP 101 (1988), 130 f.; Geimer, Rz. 3456. Vgl. aber zu Partikularinsolvenzverfahren Rz. 6.608 ff. 5 Trunk in Gilles, S. 166; Geimer, Rz. 3440. 6 Geimer, Rz. 3463; aus diesem Grunde ist auch eine rügelose Einlassung i.S.v. § 39 ZPO ausgeschlossen, vgl. Trunk, S. 102. 7 Vgl. BGH v. 28.11.2002 – III ZR 102/02, BGHZ 153, 82 = NJW 2003, 426 = ZIP 2003, 685 = IPRax 2003, 346 f. (m. zust. Anm. Piekenbrock/Schulze, IPRax 2003, 328); LG Leipzig v. 27.2.2006 – 12 T 1207/05, ZInsO 2006, 378; ebenso Geimer, Rz. 3469; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 19. 8 OLG Frankfurt a.M. v. 17.12.2012 – 1 U 17/11, ZIP 2013, 277 = IPRax 2013, 276 (analoge Anwendung von § 3 InsO i.V.m. § 19a ZPO auf Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters abgelehnt); vgl. auch BGH v. 20.12.2012 – IX ZR 130/10, NJW-RR 2013, 880 (Rz. 13) = ZIP 2013, 374, wo auf § 23 ZPO abgestellt wird. 9 Kindler in MünchKomm, vor § 335 InsORz. 10 und § 339 InsO Rz. 8.

Hausmann | 695

§ 6 Rz. 6.585 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

cc) Kompetenzkonflikte

6.585

Zu Kompetenzkonflikten kann es sowohl im Geltungsbereich der Verordnung wie auch – noch häufiger – nach autonomem internationalen Insolvenzrecht kommen, wenn neben den deutschen auch ausländische Gerichte die internationale Zuständigkeit für die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens für sich in Anspruch nehmen. Die Lösung dieser Konflikte wird im Zusammenhang mit der Anerkennung ausländischer Eröffnungsentscheidungen behandelt (Rz. 6.676 ff.). b) Insolvenzfähigkeit

6.586

Die Insolvenzfähigkeit des Schuldners entspricht – vorbehaltlich der Regelung durch speziellere insolvenzrechtliche Vorschriften – der passiven Parteifähigkeit im Zivilprozess; sie ist daher nach dem Recht des Eröffnungsstaates (lex fori concursus) zu beurteilen1. Dies folgt für den Anwendungsbereich der EuInsVO 2015 aus deren Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. a2, für das autonome deutsche Insolvenzrecht aus § 335 InsO. Das international zuständige deutsche Insolvenzgericht entscheidet daher über die Insolvenzfähigkeit stets nach deutschem Insolvenzrecht. Danach kann ein Insolvenzverfahren über das Vermögen jeder natürlichen und jeder juristischen Person eröffnet werden, wobei nichtrechtsfähige Vereine juristischen Personen gleichstehen (§ 11 Abs. 1 S. 2 InsO). Darüber hinaus sind nach deutschem Recht auch Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (OHG, KG, Partnerschafts- und BGB-Gesellschaft, EWIV) insolvenzfähig, § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO. Sondervorschriften gelten für Insolvenzverfahren über einen Nachlass und das Gesamtgut einer fortgesetzten oder von beiden Ehegatten verwalteten Gütergemeinschaft (§ 11 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Zulässig ist daher die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines ausländischen Nichtkaufmanns, auch wenn dessen Wohnsitzrecht – wie z.B. das französische Recht – die Kaufmannseigenschaft fordert3.

6.587

Ausländische Personenvereinigungen oder Vermögensmassen sind dann als insolvenzfähig anzusehen, wenn sie entweder rechtsfähig oder zumindest passiv parteifähig sind. Über diese Vorfrage der Rechtsfähigkeit bzw. (passiven) Parteifähigkeit entscheidet das Personalstatut der ausländischen juristischen Person oder Gesellschaft (vgl. dazu Rz. 6.127 ff.)4. Für die in anderen Mitgliedstaaten der EU bzw. des EWR gegründeten Gesellschaften gilt daher insoweit das Gründungsrecht (dazu Rz. 6.32 ff.). Ihre Insolvenzfähigkeit wird also nicht dadurch ausgeschlossen, dass sie ihren effektiven Verwaltungssitz in Deutschland haben5, wohl aber dadurch, dass sie in ihrem Gründungsstaat aufgehört haben, als juristische Personen zu existieren6. Die Insolvenzfähigkeit besteht dann auch während eines Liquidationsverfahrens fort (§ 11 Abs. 3 InsO).

1 2 3 4 5

Geimer, Rz. 3472; Schack, Rz. 1167; Trunk, S. 104 f. Dazu Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 15 f. Geimer, Rz. 3472; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 23; Schack, Rz. 1168. Eingehend dazu Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 50 ZPO Rz. 74 ff. m.w.N. Vgl. AG Saarbrücken v. 25.2.2005 – 106 IN 3/05, GmbHR 2005, 1620 = ZIP 2005, 2027; AG Nürnberg v. 1.10.2006 – 8034 IN 1326/06, ZIP 2007, 83 m. Anm. Kebekus = NZI 2007, 186 (m. Aufs. Andres/Grund, 137). 6 Vgl. AG Duisburg v. 14.10.2003 – 63 IN 48/03, GmbHR 2004, 121 = IPRax 2005, 151 (m. Anm. Borges, IPRax 2005, 134); LG Duisburg v. 20.2.2007 – 7 T 269/06, ZIP 2007, 926 = NZI 2007, 475.

696 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.589 § 6

c) Eröffnungsgründe

Auch die Frage, welche Gründe die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens rechtfertigen, beurteilt sich nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung1. Vor deutschen Gerichten ist damit allgemeiner Eröffnungsgrund die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners (§ 17 InsO). Über ihr Vorliegen ist im Falle eines auf das Inland beschränkten Partikularinsolvenzverfahrens unter Berücksichtigung nur der auf die Niederlassung bezogenen Aktiva und Passiva des Schuldners zu entscheiden2. Sofern der Schuldner selbst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt, genügt auch die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Bei juristischen Personen ist ferner die Überschuldung Eröffnungsgrund (§ 19 InsO). In diesem Fall sind die Aktiva und Passiva des Unternehmens ohne Rücksicht auf ihre Belegenheit im In- oder Ausland zu berücksichtigen (sog. Weltbilanzprinzip)3. In gleicher Weise ist auch die Frage, ob der Insolvenzantrag deshalb abgelehnt werden kann, weil die Masse die Kosten des Verfahrens nicht deckt (§ 26 InsO), unter Einbeziehung des weltweiten Vermögens des Schuldners zu beantworten4.

6.588

d) Antragsbefugnis Zu den vom Recht des Eröffnungsstaates beherrschten Voraussetzungen der Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens gehört schließlich auch die Frage, wer den Antrag auf Eröffnung zu stellen berechtigt ist (dazu näher Rz. 6.174 f.)5. Nach deutschem Insolvenzrecht sind sowohl der Schuldner als auch die Gläubiger antragsberechtigt (§ 13 Abs. 1 S. 2 InsO). Der Insolvenzantrag eines Gläubigers ist allerdings nur zulässig, wenn dieser ein rechtliches Interesse an der Eröffnung hat und seine Forderung sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft macht (§ 14 Abs. 1 InsO); daran kann es fehlen, wenn die Forderung des Gläubigers anderweitig ausreichend gesichert ist. Weitergehende Antragsrechte gewährt das deutsche Recht bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne eigene Rechtspersönlichkeit (vgl. § 15 InsO). Dabei stehen ausländische Gläubiger den inländischen Gläubigern grundsätzlich gleich. Die Antragsbefugnis eines Gläubigers hängt also nicht von seiner Staatsangehörigkeit ab; ferner kommt es auch nicht darauf an, ob der Gläubiger im In- oder Ausland wohnt und welchem Recht seine Forderung unterliegt6. Die Parteifähigkeit eines ausländischen Gläubigers beurteilt sich als Vorfrage nach seinem Personalstatut (§ 4 InsO i.V.m. § 50 ZPO)7. 1 Vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO; 2015 Duursma/Duursma-Kepplinger, IPRax 2003, 505 (507); ebenso zum autonomen Recht Schack, Rz. 1167; Wenner, Rz. 264; zu den diesbezüglichen Ermittlungspflichten des Insolvenzgerichts in Fällen mit Auslandsberührung vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 28 ff. 2 Duursma-Kepplinger, Art. 3 EuInsVO Rz. 99 ff.; Eidenmüller, IPRax 2001, 2 (12); Mankowski, ZIP 1995, 1652 (1658 f.); Wimmer, ZIP 1998, 982 (986 f.); Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 78 m.w.N.; a.A. Geimer, Rz. 3393a; Schack, Rz. 1171; Trunk, S. 106 (238). 3 Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 78; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 153. 4 Voraussetzung dürfte allerdings sein, dass der Belegenheitsstaat des Vermögens die deutsche Eröffnungsentscheidung anerkennt. 5 Wenner, Rz. 265. Zur insolvenzrechtlichen Qualifikation von Antragspflichten (z.B. nach § 15a InsO) – in Abgrenzung zum Gesellschaftsstatut – EuGH v. 10.12.2015 – C-594/14, ECLI:EU: C:2015:806 (Kornhaas), NJW 2016, 223 (Rz. 19); zust. Kindler, EuZW 2016, 136 (137 f.) und in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 63 ff. 6 Trunk in Gilles, S. 169. 7 Schack, Rz. 1170; dazu OLG Zweibrücken v. 20.10.2000 – 3 W 171/00, ZIP 2000, 2172 = NJW-RR 2001, 341 (342) (Costa Rica).

Hausmann | 697

6.589

§ 6 Rz. 6.590 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

2. Auslandswirkungen des inländischen (Haupt-)Insolvenzverfahrens a) Universalitätsprinzip aa) Beschlagnahme

6.590

Ein deutsches (Primär-)Insolvenzverfahren strebt die Einbeziehung des gesamten und damit auch des ausländischen Vermögens des Schuldners in die insolvenzrechtliche Abwicklung an, um die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger zu gewährleisten1. Dieser Universalitätsanspruch des inländischen Insolvenzverfahrens ergibt sich im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedstaaten der EuInsVO zum einen aus Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2015, der die Anerkennung der Wirkungen der deutschen Eröffnungsentscheidung im gesamten räumlichen Geltungsbereich der Verordnung vorschreibt, zum anderen aus dem Grundsatz des Art. 7 Abs. 1 EuInsVO 2015, der die Wirkungen der Eröffnung des inländischen Insolvenzverfahrens auch bezüglich des in anderen Mitgliedstaaten belegenen Vermögens des Schuldners dem deutschen Recht unterwirft2. Die deutsche lex fori consursus legt nach Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. b EuInsVO 2015 insbesondere fest, welche im Ausland belegenen Vermögenswerte zur Masse gehören und wie die erst nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte zu behandeln sind3. Die Vorfrage der Eigentümerstellung des Schuldners ist dabei selbständig nach Art. 43 EGBGB anzuknüpfen4. Nach Art. 15 EuInsVO 2015 können gewerbliche Schutzrechte des Unionsrechts (z.B. Gemeinschaftspatente oder -marken) allerdings nur in ein Hauptinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 einbezogen werden5.

6.591

Im deutschen autonomen Insolvenzrecht folgte dieser Universalitätsanspruch schon bisher zum einen aus § 35 InsO, wonach das deutsche Insolvenzverfahren „das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt“, erfasst. Zum anderen ließ er sich mit einem Umkehrschluss zu den Bestimmungen über Partikularinsolvenzverfahren begründen, die sich ausdrücklich auf das Inlandsvermögen beschränken6. Seit Inkrafttreten des IIR-G lässt er sich zusätzlich auf § 335 InsO stützen, der hinsichtlich der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens auf das Recht des Eröffnungsstaates verweist7. Auch nach autonomem Recht zählt das dem Schuldner zur Zeit der Verfahrenseröffnung gehörende Auslandsvermögen demnach zur Insolvenzmasse und unterliegt dem inländischen Insolvenzbeschlag; dies gilt unabhängig davon, ob es aufgrund des ausländischen Rechts zur Masse gezogen werden kann oder nicht, also auch dann, wenn das deutsche Insolvenzverfahren im ausländischen Belegenheitsstaat nicht anerkannt wird8. Voraussetzung für die Erstreckung der Wirkungen eines deutschen Insolvenzverfahrens auf das 1 Flessner, IPRax 1997, 1 (2); Geimer, Rz. 3431; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 1; Häsemeyer, Rz. 35.15; Schack, Rz. 1174; Trunk in Gilles, S. 170; Wenner, Rz. 80 f. 2 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), ZIP 2012, 2403 (Rz. 40) = EuZW 2013, 142 m. Anm. Schulz = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490). 3 Nach deutschem Recht gehört auch der Neuerwerb – anders als früher – zur Insolvenzmasse, vgl. § 35 InsO. 4 BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 69/16, ZIP 2017, 1627 (Rz. 18) = IPRax 2018, 430 (m. Anm. Piekenbrock, IPRax 2018, 392). 5 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 133; Kemper, ZIP 2001, 1609 (1617). 6 Vgl. zum bisherigen Recht Art. 102 Abs. 3 S. 1 EGInsO a.F. 7 Kindler in MünchKomm, Einl. IntInsR Rz. 8. 8 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 41 ff.; Schack, Rz. 1174; ebenso schon zur KO BGH v. 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 (17) = NJW 1977, 900; BGH v. 13.7.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 = NJW 1983, 2147 = ZIP 1983, 961; BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (264) = ZIP 1985, 944; OLG Köln v. 28.4.1986 – 2 W 34/86, ZIP 1986, 658

698 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.593 § 6

im Ausland belegene Vermögen ist allerdings, dass dieses Vermögen der Zwangsvollstreckung unterliegt. Dies ist nicht nach dem ausländischen Belegenheitsrecht, sondern nach der deutschen lex fori concursus zu entscheiden1. bb) Sicherungsmaßnahmen In gleicher Weise erfasst auch ein nach Stellung des Insolvenzantrags vom deutschen Insolvenzgericht nach der deutschen lex fori (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO) angeordnetes allgemeines Veräußerungsverbot das im Ausland belegene Vermögen des Schuldners, weil auch Einzelmaßnahmen, die ausländische Vermögenswerte betreffen, eine den Gläubigern nachhaltige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners herbeiführen können. Für den Geltungsbereich der EuInsVO ist die Anerkennung von Sicherungsmaßnahmen der Gerichte des Eröffnungsstaates in den anderen Mitgliedstaaten nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO 2015 ausdrücklich vorgeschrieben (dazu Rz. 6.628)2. Darüber hinaus kann auch ein vor Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahren bestellter, vorläufiger Verwalter zumindest in denjenigen Mitgliedstaaten, in denen sich eine Niederlassung des Schuldners befindet, die nach dem Recht dieses Mitgliedstaates möglichen Sicherungsmaßnahmen beantragen (ErwG 36 S. 4 zur EuInsVO 2015).

6.592

Eine universelle Wirkung solcher Maßnahmen beansprucht jedoch auch das autonome deutsche Insolvenzrecht, und zwar auch für den Fall, dass das ausländische Recht den gegen das Veräußerungsverbot verstoßenden Rechtserwerb unbeschränkt zulässt, weil es das Veräußerungsverbot nicht anerkennt3. Die Annahme einer universellen Wirkung eines nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO verfügten Veräußerungsverbots ist deshalb gerechtfertigt, weil durch diese Anordnung die Wirkungen der Insolvenzeröffnung zum Schutz späterer Insolvenzgläubiger in das Antragsverfahren vorverlagert werden sollen. Dieses Anliegen würde bezüglich des Auslandsvermögens von vornherein vereitelt, wenn man dieses Vermögen von den Wirkungen eines allgemeinen Veräußerungsverbots ausnehmen würde4. Dementsprechend schreibt § 343 Abs. 2 InsO auch – umgekehrt – die Anerkennung ausländischer Sicherungsmaßnahmen im Inland grundsätzlich vor (dazu Rz. 6.629). Allerdings beschränkt sich die Wirkung des deutschen Veräußerungsverbots darauf, dass der deutsche Gläubiger eine durch Auslandsvollstreckung erlangte Befriedigung, die seine Insolvenzquote übersteigt, an den deutschen Insolvenzverwalter abliefern muss (dazu Rz. 6.649 ff.)5.

6.593

1

2 3

4 5

m. Anm. Schneider = NJW-RR 1986, 934; OLG Koblenz v. 30.3.1993 – 4 W 91/93, ZIP 1993, 844 = IPRax 1994, 370 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1994, 351; Flessner, IPRax 1997, 1 (2); Wenner, Rz. 80. BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 63/16, NZI 2017, 816 (Rz. 15 ff.) (zur Pfändbarkeit einer ausländ. Rente); LG Taunstein v. 3.2.2009 – 4 T 263/09, ZInsO 2009, 1026 f.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/ Haas, Hdb., § 130 Rz. 46; Smid, Rz. 62; Trunk, S. 134 ff.; a.A. AG Passau v. 15.1.2009 – 15 C 1980/ 08, ZInsO 2009, 253 und noch zur KO BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 = NJW 1992, 2026; OLG Köln v. 9.6.1994 – 18 U 239/93, ZIP 1994, 1459 (1460) = RIW 1994, 568 = IPRax 1996, 340 (m. Anm. Otte, IPRax 1996, 327). Vgl. auch ErwG 36 S. 3 zur EuInsVO 2015. BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (159 ff.) = NJW 1992, 2026 = ZIP 1992, 781 = IPRax 1993, 87 (m. zust. Anm. Hanisch, IPRax 1993, 69) (Sequestration des gesamten beschlagnahmefähigen Vermögens eines Hamburger Kaufmanns nach § 106 Abs. 1 S. 2 KO auf in Liechtenstein belegene Vermögenswerte erstreckt); zust. Geimer, Rz. 3431; E. Habscheid, S. 472; Prütting, ZIP 1996, 1277 (1279); Trunk, S. 122. BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 = NJW 1992, 2026 = ZIP 1992, 781; vgl. auch ErwG 16 zur EuInsVO 2000. Vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 32.

Hausmann | 699

§ 6 Rz. 6.594 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

b) Einzelzwangsvollstreckung im Ausland trotz Inlandsinsolvenz

6.594

Während der Dauer des inländischen Insolvenzverfahrens findet die Zwangsvollstreckung zugunsten einzelner Insolvenzgläubiger weder in das zur Masse gehörende Vermögen noch in das sonstige Vermögen des Gemeinschuldners statt (§ 89 Abs. 1 InsO)1. Die ältere Rechtsprechung beschränkte dieses Verbot auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im Inland. Die nach dem Recht des ausländischen Vollstreckungsstaates zulässige Zwangsvollstreckung in das dort belegene Vermögen des Gemeinschuldners wurde daher nicht als rechtswidrig erachtet und eine Verpflichtung von Gläubigern, den Erlös aus der Auslandsvollstreckung an die Masse abzuliefern, abgelehnt2. Die Schutzvorschriften des deutschen Insolvenzrechts, die eine Verkürzung der Insolvenzmasse zu Lasten der Gesamtheit der Gläubiger zu verhindern trachten, gelten indessen im Falle eines in Deutschland eröffneten (Haupt-)Insolvenzverfahrens grundsätzlich auch in Bezug auf das Auslandsvermögen des Gemeinschuldners3. Ihre Durchsetzung hängt freilich davon ab, ob das deutsche Verfahren im ausländischen Belegenheitsstaat anerkannt wird; dies ist nur im Geltungsbereich der EuInsVO weitgehend gesichert. Demgegenüber besteht außerhalb der Verordnung die Gefahr, dass sich einzelne Gläubiger die Nichtanerkennung des deutschen Insolvenzverfahrens im Ausland zunutze machen, um ihre Forderungen dort zu Lasten der Insolvenzmasse durchzusetzen.

6.595

Aus diesem Grunde hat der BGH schon das Zwangsvollstreckungsverbot nach § 14 KO (= § 89 Abs. 1 InsO) für inländische4 Gläubiger zu Recht auf das Auslandsvermögen erstreckt. Auch wenn das ausländische Recht eine Einzelvollstreckung in das dort belegene Vermögen des Gemeinschuldners zulässt, weil die Beschlagnahmewirkung des inländischen Insolvenzverfahrens nicht anerkannt wird, widerspricht es nämlich dem Sinn und Zweck dieses Verfahrens, wenn inländische Insolvenzgläubiger sich durch Einzelvollstreckung im Ausland Sondervorteile verschaffen, die als Bestandteile der Masse allein dem Verwalter zur gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger zustehen5. Der Erwerb aus der Zwangsvollstreckung im Ausland ist deshalb im Inland gegenüber der vom Gesetz im Interesse aller Gläubiger geschützten Insolvenzmasse nicht rechtmäßig und der betreibende Gläubiger daher insoweit ohne rechtfertigenden Grund auf Kosten der Masse bereichert. Er hat daher diesen im Widerspruch zur Zielsetzung der §§ 1, 89 Abs. 1 InsO erlangten Vermögensvorteil nach den Grundsätzen der Eingriffskondiktion (§ 812 BGB) an den allein zur Einziehung berechtigten Insolvenzverwalter herauszugeben6. 1 Die Zwangsvollstreckung lediglich vorbereitende Maßnahmen sind zwar nach § 89 Abs. 1 InsO zulässig. Allerdings hindert die Insolvenzeröffnung im Inland auch die Erteilung der Vollstreckungsklausel für ein ausländ. Urteil, vgl. BGH v. 17.7.2008 – IX ZR 150/05, NJW-RR 2009, 279 f. (zum Verfahren nach § 722 f. ZPO); Hess, IPRax 1995, 16 ff.; Mankowski, ZIP 1994, 1577 ff.; a.A. noch OLG Saarbrücken v. 1.10.1993 – 5 W 96/93-56, ZIP 1994, 1609 = IPRax 1995, 35; OLG Frankfurt v. 27.4.2000 – 13 W 21/00, IPRax 2002, 35 (m. zust. Anm. Rinne/Sejas, IPRax 2002, 28), jeweils zu § 14 KO. 2 RG v. 28.3.1903, RGZ 54, 193; BayObLG v. 17.2.1908, LZ 1908, Sp. 550; OLG Köln v. 9.3.1978 – V ZR 145/74, KTS 1979, 249 m. zust. Anm. Kalter. 3 Geimer, Rz. 3473; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 70; Trunk, S. 146 ff. 4 Da ausländ. Gläubiger gleichberechtigt am inländ. Insolvenzverfahren teilnehmen, sollten sie der nämlichen Herausgabepflicht unterworfen werden; vgl. i.d.S. auch Häsemeyer, Rz. 35.17; E. Habscheid, S. 475; Wenner, Rz. 109. 5 Geimer, Rz. 3473; Schack, Rz. 1174; Trunk, S. 146 ff. 6 BGH v. 13.7.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 (153) = NJW 1983, 2147 = JZ 1983, 898 m. Anm. Grunsky = IPRax 1984, 264 (m. Anm. Pielorz, IPRax 1984, 241) (Verpflichtung des im Inland ansässigen Insolvenzgläubigers bejaht, die im Wege der Einzelzwangsvollstreckung in

700 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.597 § 6

Diese Rechtsprechung hat der deutsche Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts in § 342 Abs. 1 S. 1 InsO kodifiziert. Erlangt danach ein Insolvenzgläubiger durch Zwangsvollstreckung, durch eine Leistung des Schuldners oder in sonstiger Weise etwas auf Kosten der Insolvenzmasse aus dem Vermögen, das nicht im Staat der Verfahrenseröffnung belegen ist, so hat er das Erlangte dem Insolvenzverwalter herauszugeben. Insoweit gelten die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung entsprechend1. Ein dinglich gesicherter Gläubiger darf allerdings i.d.R. behalten, was er aus der Verwertung im Ausland erlangt. Da er nämlich grundsätzlich auch an dem im Ausland belegenen Vermögen des Schuldners eine bevorzugte Befriedigung beanspruchen kann (§ 351 InsO), ist er insoweit nicht auf Kosten der Insolvenzmasse bereichert. Ein hinsichtlich der Insolvenzeröffnung gutgläubiger Gläubiger kann sich ferner nach § 818 Abs. 3 BGB auf den Wegfall der Bereicherung berufen, § 342 Abs. 1 S. 2 InsO.

6.596

Eine Ablieferungspflicht von Gläubigern, die sich im Wege der Einzelvollstreckung in das in anderen Mitgliedstaaten belegene Vermögen des Schuldners Sondervorteile verschafft haben, besteht – als Konsequenz der Universalität des Hauptinsolvenzverfahrens – auch nach europäischem Insolvenzrecht. Insoweit stellt Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. f EuInsVO 2015 klar, dass es grundsätzlich Sache der deutschen lex fori concursus ist festzulegen, wie sich die Verfahrenseröffnung auf Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger auswirkt. Daraus folgt grundsätzlich ein Verbot der Zwangsvollstreckung in allen anderen Mitgliedstaaten2. Dennoch getroffene Vollstreckungsmaßnahmen sind kraft europäischen Rechts eo ipso nichtig3. Für diesen Fall ordnet auch Art. 23 Abs. 1 EuInsVO 2015 ausdrücklich eine Herausgabepflicht an; dabei handelt es sich um eine europäische Sachnorm, die Vorrang vor der bereicherungsrechtlichen Lösung des autonomen deutschen Rechts hat. Danach hat ein Gläubiger, der nach der Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens auf irgendeine Weise, insbesondere durch Zwangsvollstreckung, vollständig oder teilweise aus einem Gegenstand der Masse befriedigt wird, der in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, das Erlangte an den Verwalter herauszugeben4. Für den dinglich oder durch einen Eigentumsvorbehalt gesicherten Gläubiger gilt dies aufgrund des Vorbehalts der Art. 8 und 10 EuInsVO 2015 nicht; er muss nur den die gesicherte Forderung übersteigenden Erlös an die Masse abführen5. Ausgeschlossen ist der Herausgabeanspruch ferner im Fall des gutgläubigen Erwerbs nach Art. 17 EuInsVO (dazu Rz. 6.751 ff.).

6.597

1 2 3

4 5

schweiz. Banknoten des Gemeinschuldners nach Insolvenzeröffnung erlangten Geldbeträge an den deutschen Insolvenzverwalter herauszugeben). Zust. zur bereicherungsrechtlichen Ablieferungspflicht die hL, vgl. Geimer, Rz. 3483; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 72 ff.; Schack, Rz. 1174; Trunk, S. 160 ff.; Wenner, Rz. 109 ff. Zur Frage einer konkurrierenden deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 14 KO/§ 89 Abs. 1 InsO s. Canaris, ZIP 1983, 647 ff.; Hanisch, ZIP 1983, 1292. Rechtsfolgenverweisung auf § 818 BGB, vgl. Kindler in MünchKomm, § 342 InsO Rz. 6. Virgós/Schmit-Bericht Rz. 91; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (559); a.A. Becker, ZEuP 2002, 287 (309). EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417 (Rz. 44) = ZIP 2010, 187 = NZI 2010, 156 (m. Anm. Mankowski, NZI 2010, 178); dazu Laukemann, LMK 2010, 299062; Piekenbrock, KTS 2010, 208; Thole, ZEuP 2010, 920; Würdinger, IPRax 2011, 562. Zu Einzelheiten Kindler in MünchKomm, Art. 23 EuInsVO Rz. 4 ff. Virgós/Schmit-Bericht Rz. 173; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (563); Huber, EuZW 2002, 490 (496).

Hausmann | 701

§ 6 Rz. 6.598 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.598

Auch die sog. Rückschlagsperre nach § 88 InsO, derzufolge alle im letzten Monat vor der Stellung des Insolvenzantrags oder danach von Gläubigern zwangsweise erlangten Sicherungen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam werden, ist nach Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. f EuInsVO 2015 in allen anderen Mitgliedstaaten der Verordnung anzuerkennen1. c) Anrechnung von Erlösen aus ausländischen Insolvenzverfahren

6.599

Der Gläubiger eines im Inland eröffneten (Haupt-)Insolvenzverfahrens ist allerdings nach deutschem autonomen Recht nicht verpflichtet, den in einem ausländischen Parallelverfahren erlangten Erlös an die inländische Insolvenzmasse abzuführen2. Denn im Gegensatz zu den im Wege der Einzelzwangsvollstreckung erzielten Einnahmen sind die Quoten des ausländischen Insolvenzverfahrens unter Beachtung des Grundsatzes der gleichmäßigen Behandlung aller Gläubiger festgelegt worden. Da die in- und ausländische Quote gleichermaßen – wenn auch in getrennten Verfahren – dem Schuldnervermögen entnommen werden, das insgesamt zur anteiligen Befriedigung aller Gläubiger bestimmt ist, muss sich ein Gläubiger allerdings den im ausländischen Insolvenzverfahren erlangten Betrag auf die im inländischen Verfahren auf ihn entfallende Quote – und nicht nur auf die Forderung – anrechnen lassen; er wird mithin bei der Verteilung erst dann berücksichtigt, wenn die Inlandsquote den im Ausland erlangten Forderungsbetrag übersteigt3. Auch diese Konsequenz hat der Gesetzgeber in § 342 Abs. 2 InsO ausdrücklich bekräftigt4. Um eine Bevorzugung einzelner Gläubiger zu verhindern, hat der Verwalter des inländischen Hauptinsolvenzverfahrens einen Auskunftsanspruch gegen alle Gläubiger über das in einem ausländischen Parallelverfahren Erlangte, § 342 Abs. 3 InsO. Dieser besteht mangels einer entsprechenden Regelung in der EuInsVO auch nach europäischem Insolvenzrecht5.

6.600

Auch im Rahmen der EuInsVO sind die Gläubiger berechtigt, diese Forderungen sowohl im Hauptverfahren als auch in einem parallel betriebenen Sekundärinsolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat anzumelden (vgl. Art. 45, 53 EuInsVO). Für diesen Fall stellt Art. 23 Abs. 2 EuInsVO die Gleichbehandlung der Gläubiger dadurch sicher, dass ein Gläubiger, der in einem Insolvenzverfahren eine Quote auf seine Forderung erlangt hat, an der Verteilung im Rahmen eines anderen Verfahrens erst teilnimmt, wenn die Gläubiger gleichen Ranges oder gleicher Gruppenzugehörigkeit in diesem anderen Verfahren die gleiche Quote erlangt haben6. Die unterschiedliche Behandlung des Gläubigers in Art. 23 Abs. 1 und 2 EuInsVO (bzw. in § 342 Abs. 1 und 2 InsO) ist letztlich darauf zurückzuführen, dass dieser, wenn er sich an einem ausländischen Insolvenzverfahren beteiligt, nur von einem ihm durch die Verordnung

1 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 71; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 32; Paulus, NZI 2001, 505 (511). 2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 79; Kindler in MünchKomm, § 342 InsO Rz. 10; vgl. schon zum früheren Recht OLG Köln v. 31.1.1989 – 3 W 7/89, ZIP 1989, 321 = KTS 1989, 636; zust. Aderhold, S. 217; Flessner, ZIP 1989, 749 (752); Hanisch, ZIP 1989, 273 ff. und 1992, 1125 (1135); krit. Geimer, Rz. 3405; Wenner, Rz. 119. 3 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 80; Wenner, Rz. 134; Hanisch, ZIP 1989, 277 f.; E. Habscheid, S. 480 ff. 4 Kindler in MünchKomm, § 342 InsO Rz. 8 f. 5 Kindler in MünchKomm, § 342 InsO Rz. 12. 6 Vgl. zu dieser konsolidierten Quotenberücksichtigung den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 175 m. Hinw. zum Berechnungsverfahren; ferner Duursma-Kepplinger, Art. 20 EuInsVO Rz. 28 ff.; Kindler in MünchKomm, Art. 23 EuInsVO Rz. 19 ff.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (563 f.); Wenner, Rz. 134 f.

702 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.603 § 6

bzw. das dortige Insolvenzrecht eingeräumten Recht Gebrauch macht. Es handelt sich im Ergebnis um eine Durchbrechung der universellen Wirkung des Hauptinsolvenzverfahrens, die ihren Grund in der Zulassung von Sekundärverfahren hat1.

3. Rechtsstellung des inländischen Insolvenzverwalters bezüglich des Auslandsvermögens a) Befugnisse des Insolvenzverwalters Nach deutschem autonomen Insolvenzrecht bestimmt das Recht des Eröffnungsstaates auch über die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters, z.B. über seine Ernennung, seine Rechte und Pflichten, das Erfordernis der Zustimmung eines Gläubigerausschusses oder einer Gläubigerversammlung bzw. des Insolvenzgerichtes zu bestimmten Maßnahmen, seine Haftung wegen Pflichtverletzungen, seine Vergütung und seine Abberufung (§ 335 InsO)2. Wenn § 80 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vom Schuldner auf den Insolvenzverwalter anordnet, so ist diese Wirkung nicht auf das Inlandsvermögen beschränkt. Der Verwalter eines im Inland eröffneten Insolvenzverfahrens ist nämlich nach § 148 Abs. 1 InsO verpflichtet, „das gesamte zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen“ sofort in Besitz und Verwaltung zu übernehmen; diese Verpflichtung bezieht sich aber auch auf das ausländische Vermögen des Schuldners3.

6.601

In diesem Sinne ordnet Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. c EuInsVO 2015 für das europäische Insolvenzrecht ausdrücklich an, dass sich die Befugnisse des Insolvenzverwalters in allen Mitgliedstaaten nach dem Recht des Eröffnungsstaates beurteilen4. Dieser Grundsatz wird in Art. 21 Abs. 1 EuInsVO 2015 für den Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens noch einmal bekräftigt. Danach darf der Verwalter, der durch ein nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 zuständiges Gericht bestellt worden ist, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates alle Befugnisse ausüben, die ihm nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung zustehen, solange in dem anderen Staat nicht ein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet ist oder eine gegenteilige Sicherungsmaßnahme auf einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens hin ergriffen worden ist. Er kann insbesondere (vorbehaltlich der Art. 8 und 10 EuInsVO 2015) die zur Masse gehörenden Gegenstände aus dem Gebiet des Mitgliedstaats entfernen, in dem sich die Gegenstände befinden, Art. 21 Abs. 1 S. 2 EuInsVO.

6.602

Die Befugnisse des deutschen Insolvenzverwalters nach §§ 148 ff. InsO sind daher auch in den anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der dort belegenen Vermögensgegenstände des Schuldners anzuerkennen. Allerdings ist aus der systematischen Stellung des Art. 21 EuInsVO

6.603

1 Vgl. die Regierungsbegründung zu § 342 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 25. 2 Eidenmüller, ZZP 114 (2001), 3; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, § 130 Rz. 51. 3 BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 75/03, NJW 2004, 855 = ZIP 2003, 2123 = NZI 2004, 21 m. Anm. Uhlenbruck; Geimer, Rz. 3433, 3476; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 51; E. Habscheid, S. 474 ff.; Schack, Rz. 1178; Wenner, Rz. 82 f.; ebenso schon früher BGH v. 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 (17) = NJW 1977, 900; BGH v. 13.7.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 (150 f.) = NJW 1983, 2147 = ZIP 1983, 961. 4 EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08, ECLI:EU:C:2009:419 (Alpenblume), Slg. 2009 I, 5655 (Rz. 20 ff.) = ZIP 2009, 1441 = IPRax 2010, 353 (m. Anm. Oberhammer, IPRax 2010, 317) = NZI 2009, 570 m. Anm. Mankowski; BGH v. 3.2.2011 − V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 12) = NJW 2011, 1818; BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 36) = ZIP 2013, 1982; OLG Hamm v. 15.9.2011 – 18 U 226/10, IPRax 2012, 351; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 21 m.w.N.

Hausmann | 703

§ 6 Rz. 6.603 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

2015 zu entnehmen, dass hierfür auch die übrigen Anerkennungsvoraussetzungen des Art. 19 EuInsVO 2015 erfüllt sein müssen. Denn Art. 21 EuInsVO 2015 regelt nur eine – besonders wichtige – Wirkung der Anerkennung des deutschen Eröffnungsbeschlusses im Ausland1. Ferner wird die Maßgeblichkeit der inländischen lex fori concursus – und damit auch die Rechtsmacht des inländischen (Haupt-)Insolvenzverwalters – nach der Verordnung durch die Sonderanknüpfung bestimmter Rechtsverhältnisse in Art. 8–18 EuInsVO eingeschränkt (dazu näher Rz. 6.697 ff.). Bei der Ausübung seiner Befugnisse hat der Verwalter gem. Art. 21 Abs. 3 S. 1 EuInsVO 2015 etwaige Beschränkungen durch das Recht des Mitgliedstaates, in dessen Gebiet er handeln will, zu beachten; dies gilt insbesondere hinsichtlich der Art und Weise der Verwertung eines Massegegenstands (z.B. durch freihändigen Verkauf oder öffentliche Versteigerung)2. Ferner dürfen seine Befugnisse nicht die Anwendung von Zwangsmitteln oder das Recht umfassen, Rechtsstreitigkeiten oder andere Auseinandersetzungen zu entscheiden.

6.604

Der materiell-rechtlichen Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters korrespondiert seine Prozessführungsbefugnis. Er kann daher vor deutschen Gerichten – als Partei kraft Amtes – im eigenen Namen Auskunftsansprüche erheben und Masseforderungen geltend machen, die sich auf das im Ausland belegene Vermögen des Gemeinschuldners beziehen, und zwar unabhängig davon, ob der deutsche Vollstreckungstitel im Ausland durchgesetzt werden kann oder nicht3. Voraussetzung für die Durchsetzung von Masseforderungen, die das Auslandsvermögen des Gemeinschuldners betreffen, vor deutschen Gerichten ist freilich deren internationale Zuständigkeit. Insoweit sieht allerdings Art. 6 Abs. 1 EuInsVO 2015 in Fortführung der EuGH-Rechtsprechung zur EuInsVO 20004 (vgl. Rz. 6.556 ff.) eine umfassende internationale Zuständigkeit des Eröffnungsstaates für die mit dem Insolvenzverfahren eng zusammenhängenden Klagen des Insolvenzverwalters vor. Demgegenüber kennt das autonome deutsche Recht – abgesehen von § 180 Abs. 1 S. 2, 3 InsO für den Feststellungsstreit5 – eine solche Konzentration der Zuständigkeit für Klagen des Insolvenzverwalters im Bezirk des Insolvenzgerichts nicht6. In Ermangelung einer „vis attractiva concursus“ gelten für diese Klagen die allgemeinen Zuständigkeitsregeln der §§ 12 ff. ZPO bzw. der vorrangigen Art. 4 ff. Brüssel IaVO/Art. 2 ff. LugÜ. Für Aktivprozesse des Insolvenzverwalters gegen im Ausland ansässige Beklagte ist daher eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nur begründet, wenn ein besonderer Gerichtsstand – z.B. am vertraglichen Erfüllungsort oder am Tatort einer unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 1 und 2 Brüssel Ia-VO, §§ 29, 32 ZPO) – im Inland besteht7. Für Passivprozesse kommt es im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO bzw. des LugÜ auf den Wohnsitz des Insolvenzverwalters an, im autonomen Recht dagegen auf den Sitz des

1 Wimmer, NJW 2002, 2427 (2428). 2 Virgós/Schmit-Bericht, Nr. 97; Duursma-Kepplinger, Art. 18 EuInsVO Rz. 16 ff.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 53; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (562). 3 BGH v. 10.12.1976 – V ZR 145/74, BGHZ 68, 16 (17) = NJW 1977, 900 (Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters über das Vermögen eines Kölner Kaufmanns auch hinsichtlich des in Liechtenstein belegenen Vermögens des Gemeinschuldners anerkannt); ferner BGH v. 13.7.1983 – VIII ZR 246/82, BGHZ 88, 147 (150 f.) = ZIP 1983, 961; Geimer, Rz. 3433, 3478; Wenner, Rz. 85. 4 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 (Deko Marty), ZIP 2009, 427 = NJW 2009, 2189. 5 Vgl. dazu Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 98 f.; Trunk, S. 208 ff. 6 Geimer, Rz. 3464; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 68; E. Habscheid, ZIP 1999, 1113; Schack, Rz. 1184. 7 Geimer, Rz. 3466; vgl. auch BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, ZIP 1997, 39 = MDR 1997, 251 = JZ 1997, 415 m. Anm. Paulus = IPRspr. 1996 Nr. 233.

704 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.606 § 6

Insolvenzgerichts (§ 19a ZPO)1. Schließlich bleibt der Insolvenzverwalter an Gerichtsstandsoder Schiedsvereinbarungen des Schuldners gebunden (dazu auch Rz. 7.134, Rz. 7.430 f.)2. Ob und inwieweit der inländische Insolvenzverwalter seiner Verpflichtung nach § 148 InsO auch im Ausland nachkommen und das dort belegene Vermögen zur inländischen Masse ziehen kann, hängt freilich außerhalb des räumlichen Anwendungsbereichs der EuInsVO von der Anerkennung seiner Befugnisse durch das autonome internationale Insolvenzrecht des Belegenheitsstaates ab3. Die Tendenz in der internationalen Staatenpraxis geht freilich dahin, den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf einen ausländischen Insolvenzverwalter grundsätzlich anzuerkennen, wenn der Eröffnungsstaat international zuständig ist, kein vorrangiges inländisches oder anerkennungsfähiges drittstaatliches Insolvenzverfahren eröffnet worden ist und der ordre public des Anerkennungsstaates nicht verletzt wird4. Für diesen Fall kann der deutsche Insolvenzverwalter auch in solchen ausländischen Belegenheitsstaaten, die nicht Mitgliedstaaten der EuInsVO sind,5 grundsätzlich Masseforderungen einziehen und hierauf gerichtete Prozesse führen. Seine Befugnisse im Ausland werden freilich einerseits durch die deutsche lex fori concursus, andererseits durch das Insolvenz- und Prozessrecht des Belegenheitsstaats beschränkt. Der inländische Verwalter hat daher auch im Ausland keine weitergehende Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis als nach deutschem Recht6; er kann jedoch auch die ihm vom deutschen Insolvenzrecht verliehenen Befugnisse jedenfalls in Drittstaaten nur in den Grenzen ausüben, die ihm das ausländische Belegenheitsrecht zugesteht. Darüber hinaus werden die Befugnisse des inländischen Insolvenzverwalters auch nach dem autonomen deutschen Recht durch die Sonderanknüpfungen nach §§ 336 ff. InsO eingeschränkt (dazu Rz. 6.697 ff.).

6.605

b) Mitwirkung des Schuldners und der Gläubiger Erkennt der ausländische Belegenheitsstaat die dem Insolvenzverwalter nach deutschem Recht zukommende Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht an, so kann der Schuldner über dieses Vermögen verfügen, solange dort kein weiteres Insolvenzverfahren eröffnet wird7. Die Wirksamkeit dieser Verfügungen bestimmt sich gem. Art. 43 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich nach der ausländischen lex rei sitae. Der Schuldner ist allerdings kraft deutschen Insolvenzrechts verpflichtet, dem Verwalter über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben und ihn nach Kräften bei der Erfüllung seiner Verwaltungs- und Verwertungstätigkeit zu unterstützen (vgl. § 97 InsO). Dies schließt – als Ausfluss des Herausgabeanspruchs des Verwalters nach § 148 Abs. 2 InsO – die Verpflichtung des Schuldners ein, den Insolvenz-

1 Geimer, Rz. 3464; Schack, Rz. 1185; dazu BGH v. 27.5.2003 – IX ZR 203/02, ZIP 2003, 1419 = IPRax 2004, 59 (m. Anm. Mörsdorf-Schulte, IPRax 2007, 32) = NZI 2003, 545 m. Anm. Mankowski. 2 M. Stürner, IPRax 2005, 416 (422); Schack, Rz. 1185. 3 RG v. 28.3.1903, RGZ 54, 193; BGH v. 4.2.1960 – VII ZR 161/57, NJW 1960, 774 = MDR 1960, 578 m. Anm. Kuhn. 4 Vgl. dazu rechtsvergleichend E. Habscheid, S. 197 ff.; Hanisch, ZIP 1992, 1125 (1135 ff.); Riegel, S. 18 ff. 5 In den Mitgliedstaaten der EuInsVO wird die Prozessführungsbefugnis eines deutschen Insolvenzverwalters grundsätzlich in dem Umfang anerkannt, in dem sie ihm nach der deutschen lex fori concursus zusteht, vgl. Aud. Prov. Barcelona v. 6.3.2013 − 431/2012-2a, NZI 2014, 576 m. Anm. Paulus. 6 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 51; a.A. Prütting, ZIP 1996, 1277 (1280 f.). 7 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 58; Wenner, Rz. 98.

Hausmann | 705

6.606

§ 6 Rz. 6.606 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

verwalter zu bevollmächtigen, Auskünfte über im Ausland belegene Vermögensgegenstände einzuholen und über diese zu verfügen, wenn der Verwalter nur mit Hilfe einer solchen Vollmacht das im Ausland belegene Vermögen verwerten kann1.

6.607

Ist der Schuldner nicht kooperationswillig, so kann er vor deutschen Gerichten – auf Grundlage der §§ 97, 98 InsO – auf Abgabe der entsprechenden Vollmachtserteilung verklagt werden. Die Vollstreckung wird dann durch die Fiktion der Abgabe der Vollmachtserklärung nach § 894 ZPO ersetzt2; die Anerkennung dieser Vollstreckungswirkung im ausländischen Belegenheitsstaat ist freilich nicht gesichert. Daneben kommen Zwangsmaßnahmen durch deutsche Gerichte in Betracht, um den sich im Inland aufhaltenden Schuldner zur Zusammenarbeit mit dem Insolvenzverwalter bezüglich des Auslandsvermögens zu veranlassen3. Schließlich kann der Insolvenzverwalter auch einen Gläubiger beauftragen, gegen den Schuldner im Ausland einen Titel zu erwirken und daraus die Zwangsvollstreckung in das Auslandsvermögen zu betreiben4. Der Gläubiger hat dann das Erlangte gegen Ersatz seiner Aufwendungen nach §§ 667, 670 BGB an die inländische Masse abzuliefern5. Ob der Verwalter darüber hinaus vor einem deutschen Gericht eine einstweilige Verfügung erwirken kann, mit der einem Insolvenzgläubiger untersagt wird, seine Rechte gegenüber dem Schuldner im Ausland wirksam zu verfolgen, insbesondere in Vermögen des Schuldners zu vollstrecken („antisuit injunction“), erscheint hingegen fraglich6.

4. Besonderheiten von Partikularinsolvenzverfahren a) Einschränkung des Universalitätsprinzips

6.608

Der Grundsatz der Universalität des Insolvenzverfahrens wird – wie gezeigt (vgl. Rz. 6.536 ff.) – weder in der EuInsVO noch im autonomen deutschen Insolvenzrecht strikt durchgeführt. Aufgelockert wird er nicht nur durch die Sonderanknüpfungen für einzelne Rechtsverhältnisse, die einen besonders engen Bezug zu einem anderen Recht als dem des Eröffnungsstaates haben (dazu Rz. 6.697 ff.), sowie durch die Zulässigkeit von Sekundärinsolvenzverfahren neben einem ausländischen Hauptinsolvenzverfahren (dazu Rz. 6.681 f., Rz. 6.684 f.). Vielmehr wird sowohl in Art. 3 Abs. 2 EuInsVO als auch im autonomen deutschen Recht (§§ 354 ff. InsO) schon vor Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens ein auf das Inlandsvermögen be1 BGH v. 25.2.2016 – IX ZB 74/15, NZI 2016, 365 (Rz. 16 ff.) = ZIP 2016, 686; BGH v. 18.9.2003 – IX ZB 75/03, NJW 2004, 855 = ZIP 2003, 2123 = NZI 2004, 21 m. Anm. Uhlenbruck; OLG Koblenz v. 30.3.1993 – 4 W 91/93, ZIP 1993, 844 = IPRax 1994, 370 (m. zust. Anm. Hanisch, IPRax 1994, 351); OLG Köln v. 28.4.1986 – 2 W 34/86, ZIP 1986, 658 (m. Anm. Schneider, ZIP 1986,1337); zust. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 59; Geimer, Rz. 3479; Schack, Rz. 1181; E. Habscheid, S. 473; Trunk, S. 157 f.; Wenner, Rz. 102. 2 LG Köln v. 31.10.1997 – 16 O 197/97, ZIP 1997, 2161 = RIW 1998, 321 = EWiR 1998, 507 (LS) m. Anm. Pape; Geimer, Rz. 3480; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 60; Schack, Rz. 1181; Wenner, Rz. 105. 3 Vgl. LG Memmingen v. 20.1.1983 – 4 T 1971/82, ZIP 1983, 204: Zwangshaft; Geimer, Rz. 3481; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 61; Wenner, Rz. 104. Vgl. auch High Court of Justice London (Ch. Div.) (Ashurst v. Pollard), 2 All E.R. 772: Anordnung an den Schuldner, zugunsten des Verwalters über eine Eigentumswohnung in Portugal zu verfügen; Verstoß gegen Art. 16 Nr. 1 EuGVÜ abgelehnt, weil es sich um eine „order in personam“ handle. 4 Vgl. Geimer, Rz. 3485; Schack, Rz. 1182. 5 Geimer, Rz. 3482, 3485; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 62; Schack, Rz. 1182; Wenner, Rz. 107. 6 Vgl. Schack, Rz. 1183; für Zulässigkeit einer solchen „antisuit injunction“ hingegen Trunk, S. 159; Wenner, Rz. 116.

706 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.609 § 6

schränktes Partikularinsolvenzverfahren zugelassen. Durch die Möglichkeit der Rechtsverfolgung im Inland soll der Anspruch hier ansässiger Gläubiger auf Justizgewährung sichergestellt werden1. Besondere Bedeutung kommt diesem Verfahren zu, wenn im Staat des Interessenmittelpunkts des Schuldners ein Insolvenzverfahren – z.B. mangels Insolvenzfähigkeit des Schuldners nach dortigem Recht – überhaupt nicht durchgeführt werden kann. Die Voraussetzungen und Wirkungen eines solchen Verfahrens beurteilen sich gem. Art. 35 f. EuInsVO bzw. § 335 InsO nach der lex fori concursus des Eröffnungsstaates. Insoweit ergeben sich allerdings die folgenden Besonderheiten: b) Voraussetzungen der Eröffnung aa) Internationale Zuständigkeit Nach europäischem Insolvenzrecht sind die Gerichte eines Mitgliedstaats, in dem der Schuldner nicht den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat2, nur dann zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens befugt, wenn der Schuldner zumindest eine Niederlassung im Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats hat (Art. 3 Abs. 2 EuInsVO 2015). Die bloße Belegenheit von Vermögen (z.B. von Grundstücken) oder die Unterhaltung von Bankkonten reicht – anders als nach § 354 Abs. 2 InsO – nicht aus3. Maßgebender Zeitpunkt ist auch hier die Stellung des Antrags auf Eröffnung des (Partikular-)Verfahrens4. Der Begriff der Niederlassung in der EuInsVO ist bewusst weiter als in Art. 7 Nr. 5 Brüssel Ia-VO, weil es insoweit nicht auf die Weisungsgebundenheit des Schuldners ankommt; vielmehr genügt als Niederlassung gem. Art. 2 Nr. 10 EuInsVO 2015 „jeder Tätigkeitsort, an dem der Schuldner einer wirtschaftlichen Aktivität von nicht vorübergehender Art nachgeht...., die den Einsatz von Personal5 und Vermögenswerten voraussetzt“6. Diese wirtschaftliche Aktivität des Schuldners muss auf der Grundlage objektiver und für Dritte feststellbarer Umstände beurteilt werden, damit die 1 Geimer, Rz. 3394 f.; Nagel/Gottwald, § 20 Rz. 17; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 116. 2 Die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (COMI) des Schuldners liegt, sind nicht berechtigt, anstatt des universalistischen Hauptverfahrens ein territorial beschränktes Partikularinsolvenzverfahren i.S.v. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO 2015 zu eröffnen, vgl. öOGH v. 30.11.2006, unalex AT-363. 3 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 62) = ZIP 2011, 2153 = EuZW 2011, 912; EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 (Burgo Group), ZIP 2014, 2513 (Rz. 31) = NZI 2014, 964 m. Anm. Mankowski; BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, ZIP 2012, 1920 (Rz. 6) = NZI 2012, 725; BGH v. 8.3.2012 – IX ZB 178/11, ZIP 2012, 782 (Rz. 6) = IPRax 2013, 356 (m. Anm. Ringe, IPRax 2013, 330); BGH v. 21.12.2010 – IX ZB 227/09, ZIP 2011, 389 (Rz. 4) = NZI 2011, 120; öOGH v. 30.11.2006, unalex AT-363; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 129 Rz. 80; Kindler in MünchKomm, Art. 2 EuInsVO Rz. 21 ff. 4 BGH v. 8.3.2012 – IX ZB 178/11, ZIP 2012, 782 (Rz. 7). Der Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens ist insoweit nicht maßgeblich, vgl. AG Deggendorf v. 22.10.2012 – IE 256/12, NZI 2013, 112. 5 Dazu BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, ZIP 2012, 1920 = NZI 2012, 725; LG München I v. 5.3.2018 – 14 T 2769/18, NZI 2018, 665 =ZIP 2018, 796. Nicht erforderlich ist der Einsatz eigener Arbeitnehmer; die Erteilung von Aufträgen an andere Personen reicht aus, vgl. AG München v. 5.2.2007 – 1503 IE 4371/06, ZIP 2007, 495 = NZI 2007, 358 m. Anm. Mankowski; AG Gifhorn v. 13.9.2012 – 35 IE 4/12, NZI 2013, 110. 6 Vgl. zu den Hintergründen für diesen weiten Niederlassungsbegriff der EuInsVO näher den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 70; Geimer, Rz. 3459; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (142); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (299). Zur Auslegung des Begriffs näher Paulus, ZIP 2002, 729 (730); Kindler in MünchKomm, Art. 2 EuInsVO Rz. 21 ff.

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6.609

§ 6 Rz. 6.609 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Rechtssicherheit und die Vorhersehbarkeit garantiert sind1. Auf eine Eintragung als Niederlassung im Handelsregister kommt es hingegen nicht an2. Auch der bloße Satzungssitz einer Gesellschaft reicht für die Begründung einer Niederlassung nicht aus; jedoch kann eine Niederlassung durchaus eigene Rechtspersönlichkeit besitzen. Der EuGH möchte ein Sekundärinsolvenzverfahren sogar in dem Mitgliedstaat zulassen, in dem die Schuldnergesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz hat, wenn sie dort auch eine Niederlassung i.S.v. Art. 2 Nr. 10 EuInsVO 2015 unterhält3; damit könnte dem Hauptinsolvenzverfahren freilich das im Sitzstaat des insolventen Unternehmens belegene Vermögen durch ein dort parallel eröffnetes Sekundärinsolvenzverfahren entzogen werden4.

6.610

Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich auch für Partikularverfahren nach dem autonomen Insolvenzrecht der Mitgliedstaaten. In Deutschland begründet Art. 102c § 1 Abs. 2 EGInsO die ausschließliche örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, in dessen Bezirk die Niederlassung des Schuldners liegt, auf die sich nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte stützt. Verfügt der Schuldner also z.B. im Inland über Grundstücke, die nicht am Ort der Niederlassung belegen sind, so kann an diesen Belegenheitsorten kein inländisches Partikularverfahren eröffnet werden. Betreibt der ausländische Schuldner im Inland mehrere Niederlassungen, so bestimmt sich nach § 354 Abs. 3 S. 2, § 3 Abs. 2 InsO die örtliche Zuständigkeit danach, bei welchem Insolvenzgericht zuerst die Eröffnung des Verfahrens beantragt worden ist5.

6.611

Hatte der Schuldner im Inland weder einen allgemeinen Gerichtsstand noch den Mittelpunkt seiner selbständigen wirtschaftlichen Interessen, so waren die deutschen Gerichte auch nach autonomem Recht (Art. 102 Abs. 3 S. 1 EGInsO a.F.) schon bisher zur Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens international zuständig, das sich auf das im Inland belegene Vermögen des Gemeinschuldners beschränkte6. Abweichend von § 238 KO und Art. 3 Abs. 2 EuInsVO war hierfür eine Niederlassung des Schuldners im Inland nicht erforderlich, sondern es reichte bereits die bloße Belegenheit von Schuldnervermögen im Inland aus. Damit sollte sichergestellt werden, dass das inländische Vermögen des Gemeinschuldners zur Befriedigung des Gläubigers auch dann erfasst wurde, wenn das ausländische Hauptinsolvenzverfahren im Inland nicht anerkannt wurde7.

6.612

Gegen diese Lösung wurde insbesondere eingewandt, sie würde zu einer Zerfaserung des Insolvenzverfahrens führen; die Durchführung von Sonderverfahren in einer Vielzahl von Bele1 EuGH v. 20.10.2011 – C-396/09, ECLI:EU:C:2011:671 (Interedil), Slg. 2011 I, 9915 (Rz. 63) = ZIP 2011, 2153 = NZI 2011, 990; BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, ZIP 2012, 1920 = NZI 2012, 725. Vgl. LG Hannover v. 10.4.2008 – 20 T 5/08, ZIP 2008, 2375 = NZI 2008, 631 m. Anm. Vallender: in England wohnhafter Chefarzt hat an seiner deutschen Klinik eine Niederlassung i.S.v. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO. 2 BGH v. 21.6.2012 – IX ZB 287/11, ZIP 2012, 1920 = NZI 2012, 725. 3 EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 (Burgo Group), NZI 2014, 964 (Rz. 32) = ZIP 2014, 2513. 4 Vgl. die Kritik bei Mankowski, NZI 2014, 996 f. 5 Vgl. Art. 102c § 1 Abs. 2 S. 2 EGInsO; dazu die Regierungsbegründung, BR-Drucks. 715/02, S. 16. 6 Vgl. dazu näher Flessner, IPRax 1997, 1 (3); Geimer, Rz. 3436 ff.; krit. dazu Schollmeyer, IPRax 1995, 150 ff. 7 Geimer, Rz. 3438; Schack, Rz. 1165; s. auch LG Stuttgart v. 30.12.1999 – 10 T 326/99, ZIP 2000, 1122 = EWiR 2000, 523 (LS) m. Anm. Mankowski (Internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für ein Partikularinsolvenzverfahren betr. das deutsche Wohnhaus eines mit Wohnsitz in Spanien verstorbenen deutschen Erblassers bejaht).

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.614 § 6

genheitsstaaten sei für den Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens kaum noch angemessen zu bewältigen1. Wird aber in Übereinstimmung mit Art. 3 Abs. 2 EuInsVO für die Eröffnung eines Partikularverfahrens stets eine Niederlassung gefordert, so besteht die Gefahr von Zuständigkeitslücken in den Fällen, in denen der Schuldner zwar im Inland erhebliche Vermögenswerte besitzt, gleichwohl hier aber keine Niederlassung unterhält. Um diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden, fordert § 354 Abs. 1 InsO zwar im Regelfall zur Eröffnung eines Verfahrens im Inland eine Niederlassung des Schuldners2. Daneben ist ein Partikularinsolvenzverfahren aber auch weiterhin schon dann zulässig, wenn der Schuldner nur Vermögen im Inland hat; für diesen Fall werden lediglich die Antragsvoraussetzungen in § 354 Abs. 2 InsO verschärft (dazu Rz. 6.615 f.). Das Schuldnervermögen muss allerdings für die Durchführung des Insolvenzverfahrens noch zur Verfügung stehen; daher fehlt es an der nach § 354 Abs. 1 InsO eröffneten Zuständigkeit, wenn das inländische Vermögen des Schuldners vollständig für andere Berechtigte insolvenzfest beschlagnahmt ist3. Anders als für den Vermögensgerichtsstand in § 23 ZPO4 bedarf es im Falle des § 354 Abs. 1 InsO keines über die Vermögensbelegenheit hinausgehenden Inlandsbezugs5. Über die Belegenheit von Sachen entscheidet das Recht des Lageortes. Für die Belegenheit von Forderungen kommt es entsprechend § 23 S. 2 ZPO auf den Wohnsitz des Drittschuldners an6; danach genügt es schon, wenn ein Masseschuldner im Inland wohnt7. Ausschließlich örtlich zuständig ist nach § 354 Abs. 3 S. 1 InsO das Gericht, in dessen Bezirk der Schuldner seine inländische Niederlassung unterhält. Hat der Schuldner keine Niederlassung im Inland, so ist jedes Insolvenzgericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk Vermögen des Schuldners belegen ist. Das Gericht, bei dem zuerst die Eröffnung des Verfahrens beantragt worden ist, schließt alle übrigen inländischen Gerichte aus (§ 354 Abs. 3 S. 2 i.V.m. § 3 Abs. 2 InsO).

6.613

bb) Rechtsschutzinteresse Zum Schutz der Gläubiger eines künftigen Hauptinsolvenzverfahrens schränkt das europäische Insolvenzrecht die Zulässigkeit der Eröffnung eines Partikularverfahrens in Art. 3 Abs. 4 EuInsVO 2015 auf Fälle ein, in denen der Antragsteller an einem solchen Verfahren ein besonderes Interesse nachweist8. Ein solches Verfahren kann danach vor dem Hauptinsolvenzverfahren9 nur eröffnet werden, wenn 1 Vgl. etwa Schollmeyer, IPRax 1995, 150 (152). 2 „Schuldner“ im insolvenzrechtlichen Sinne bleibt freilich auch in diesem Falle die im Ausland ansässige natürliche oder juristische Person, nicht die deutsche Niederlassung; a.A. LG München I v. 17.7.2001 – 14 T 12250/01, IPRspr. 2001 Nr. 211. Der Begriff der „Niederlassung“ ist in § 354 Abs. 1 InsO ebenso zu verstehen wie in § 21 ZPO, vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 17; Reinhart in MünchKomm InsO, § 354 Rz. 7. Für Orientierung an Art. 2 Nr. 10 EuInsVO 2015 Kindler in MünchKomm, § 354 InsO Rz. 3. 3 OLG Karlsruhe v. 15.4.2002 – 9 W 111/01, NZI 2002, 387 = IPRax 2003, 61 (62) (m. Anm. Haubold, IPRax 2003, 34). 4 Vgl. BGH v. 2.7.1991 – XI ZR 206/90, BGHZ 115, 90 (92 ff.) = NJW 1991, 3092 = JZ 1992, 51 m. Anm. Schack = IPRax 1992, 160 (m. Anm. Schlosser, IPRax 1992, 140); Hausmann in Staudinger, Rom I-VO/IntVertrVerfR Rz. 220 ff. m.w.N. 5 Geimer, Rz. 3459; Kindler in MünchKomm, § 354 InsO Rz. 5. 6 Aderhold, S. 209; Geimer, Rz. 3441; Trunk, S. 240 ff. 7 Schack, Rz. 1165. 8 Vgl. ErwG 37 zur EuInsVO 2015. 9 Die Schranken nach Art. 3 Abs. 4 EuInsVO 2015 gelten also nicht für Sekundärinsolvenzverfahren i.S.v. Art. 3 Abs. 3 EuInsVO 2015; vgl. ErwG 18 zur EuInsVO 2000.

Hausmann | 709

6.614

§ 6 Rz. 6.614 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

– entweder die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen hat, (z.B. wegen fehlender Insolvenzfähigkeit) nicht möglich ist (lit. a)1, oder – die Eröffnung des Partikularverfahrens von einem Gläubiger2 beantragt wird, dessen Forderung sich aus dem Betrieb einer Niederlassung ergibt oder damit in Zusammenhang steht, die sich im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats befindet, in dem die Eröffnung des Partikularverfahrens beantragt wird (lit. b).

6.615

Demgegenüber sind Gläubiger nach autonomem Recht uneingeschränkt berechtigt, ein inländisches Partikularverfahren zu beantragen, wenn der Schuldner eine Niederlassung im Inland hat; es gelten insoweit die gleichen Erfordernisse wie für die Beantragung eines Hauptinsolvenzverfahrens (dazu Rz. 6.539 ff.). Beruht die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte hingegen nach § 354 Abs. 1 InsO auf der bloßen Belegenheit von Schuldnervermögen im Inland, so ist der Antrag eines Gläubigers auf Eröffnung eines Partikularverfahrens nach § 354 Abs. 2 InsO nur zulässig, wenn dieser ein besonderes Interesse an der Eröffnung des Verfahrens hat; ein solches ist insbesondere dann gegeben, wenn der Gläubiger in einem ausländischen (Haupt- oder Neben-)Verfahren voraussichtlich erheblich schlechter stehen würde als in dem inländischen Partikularverfahren3 oder wenn zweifelhaft ist, ob im Wohnsitzstaat des Schuldners überhaupt ein Hauptinsolvenzverfahren durchgeführt werden kann4. Durch die ausschließliche Erwähnung des Gläubigerantrags wird klargestellt, dass der Schuldner nicht berechtigt ist, ein unabhängiges Partikularverfahren zu beantragen5. Liegen Insolvenzeröffnungsgründe vor, so soll der Schuldner ein Hauptinsolvenzverfahren am Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen beantragen und „nicht versuchen, die Unternehmung von ihren Rändern her zu liquidieren“6. Um dem Gericht die Prüfung des Gläubigerantrags zu erleichtern, sind die Tatsachen, aus denen sich das besondere Interesse des Gläubigers an einem Partikularverfahren ergibt, glaubhaft zu machen (§ 354 Abs. 2 S. 2 InsO). cc) Deckung der Verfahrenskosten

6.616

Auch ein Partikularinsolvenzverfahren kann im Inland nur eröffnet werden, wenn zumindest die Verfahrenskosten gedeckt sind (vgl. § 26 InsO). Anders als im Hauptinsolvenzverfahren kann dabei nicht auf das weltweite Vermögen des Schuldners abgestellt werden; vielmehr muss allein dessen inländisches Vermögen die voraussichtlichen Verfahrenskosten decken7. Über die Belegenheit eines Vermögensgegenstandes im Inland entscheidet nach Art. 2 Nr. 9 EuInsVO 2015 bei körperlichen Gegenständen der Lageort, bei eintragungspflichtigen Rech1 Das Hauptinsolvenzverfahren muss objektiv unmöglich sein; es reicht hierfür nicht aus, dass lediglich eine bestimmte Person keine Antragsbefugnis hat, vgl. EuGH v. 17.11.2011 – C-112/10, ECLI: EU:C:2011:743 (Zasa Retail), NZI 2012, 101; Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 73. 2 Der Begriff „Gläubiger“ in Art. 3 Abs. 4 EuInsVO 2015 umfasst nicht Behörden eines Mitgliedstaats, die nur im Auftrag der Allgemeinheit handeln, vgl. EuGH v. 17.11.2011 – C-112/10, ECLI: EU:C:2011:743 (Zaza Retail), Slg. 2011 I, 11525 (Rz. 27 ff.) = ZIP 2011, 2415. 3 Vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 124 f.; Kindler in MünchKomm, § 354 InsO Rz. 7; Torz, S. 196 ff.; zu restriktiv Liersch, NZI 2003, 302 (309). 4 Vgl. LG Göttingen v. 6.12.2010 – 74 IE 1/10, NZI 2011, 160 (Thailand). 5 Schack, Rz. 1246. 6 Regierungsbegründung zu § 354 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 31 f.; dazu auch OLG Köln v. 23.4.2001 – 2 W 82/01, IPRax 2003, 59 (61) m.w.N. 7 Aderhold, S. 210 (215); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 155; Geimer, Rz. 3440.

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.618 § 6

ten der Registerort und bei Forderungen der Mittelpunkt des hauptsächlichen Interesses des Drittschuldners i.S.v. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO. Für das autonome Recht gilt im Ergebnis nichts anderes1. c) Beschränkung auf das Inlandsvermögen Die Wirkungen eines Partikularverfahrens sind nach Art. 3 Abs. 2 S. 2 EuInsVO auf das Gebiet des Mitgliedstaats beschränkt, in dem der Schuldner seine Niederlassung hat. Daher kann der Verwalter eines inländischen Partikularverfahrens vor deutschen Gerichten keine Forderungen des Gemeinschuldners gegen Drittschuldner mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat einklagen2. In gleicher Weise beschränkt sich das Verfahren auch nach autonomem Recht auf das Inlandsvermögen, § 354 Abs. 1 InsO. Diesbezüglich hat das Partikularverfahren Vorrang vor dem ausländischen Hauptverfahren und steht der Anerkennung von dessen Wirkungen im Inland entgegen. Teilnahmeberechtigt an einem solchen Verfahren sind freilich nicht nur die inländischen, sondern auch die ausländischen Gläubiger; dabei kommt es nicht darauf an, dass ihre Forderungen gerade einen Bezug zum Inlandsvermögen des Schuldners haben3.

6.617

d) Befugnisse des Insolvenzverwalters Dementsprechend sind auch die Befugnisse des Verwalters in einem inländischen Partikularinsolvenzverfahren grundsätzlich auf das Inland beschränkt. Gewisse Mindestbefugnisse auf dem Gebiet anderer Mitgliedstaaten billigt jedoch das europäische Insolvenzrecht auch dem Verwalter eines Partikularverfahrens in Art. 21 Abs. 2 EuInsVO 2015 zu. Danach darf dieser in jedem anderen Mitgliedstaat gerichtlich und außergerichtlich geltend machen, dass ein beweglicher Gegenstand nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus dem Gebiet des Staates der Verfahrenseröffnung in das Gebiet dieses anderen Mitgliedstaats verbracht worden ist. Er kann daher dort auf Herausgabe dieses Gegenstandes klagen oder eine den Interessen der Gläubiger dienende Anfechtungsklage erheben.

III. Ausländisches Insolvenzverfahren mit Inlandsbezug Literatur: Vgl. zunächst die allg. Literatur vor Rz. 6.515. 1. Zur Rechtslage vor Inkrafttreten der EuInsVO: Ackmann/Wenner, Auslandskonkurs und Inlandsprozess: Rechtssicherheit contra Universalität im deutschen internationalen Konkursrecht?, IPRax 1989, 144; Ackmann/Wenner, Inlandswirkung des Auslandskonkurses: Verlustscheine und Restschuldbefreiungen, FS Baumgärtel (1990), S. 209; Ahrens, Rechte und Pflichten ausländischer Insolvenzverwalter im internationalen Insolvenzrecht (2002); Cooper/Jarvis, Recognition and Enforcement of Cross-Border Insolvency (1996); Ebenroth, Die Inlandswirkungen der ausländischen lex fori concursus bei Insolvenz einer Gesellschaft, ZZP 101 (1988), 121; Ehricke, Zur Anerkennung einer in Deutschland erteilten Restschuldbefreiung, IPRax 2002, 505; Flessner, Ausländischer Konkurs und inländischer Arrest, iFS Merz (1992), S. 93; Flessner, Das amerikanische Reorganisationsverfahren vor deutschen Gerichten, IPRax 1992, 151; Garasić, Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren, 2 1 Aderhold, S. 209; Geimer, Rz. 3441; dazu näher Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 129 ff.; Kindler in MünchKomm, Art. 2 EuInsVO Rz. 17 ff. 2 KG v. 21.7.2011 – 23 U 97/09, ZIP 2011, 1730 = IPRax 2012, 362 (m. Anm. Pieckenbrock, IPRax 2012, 337). 3 BGH v. 11.7.1991 – IX ZR 230/90, NJW 1992, 624 = ZIP 1991, 1014 = JZ 1992, 264 m. Anm. Paulus; Geimer, Rz. 3437.

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6.618

§ 6 Rz. 6.618 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis Bde. (2005); Gottwald, Auslandskonkurs und Registereintragung im Inland, IPRax 1991, 168; Gottwald, Gewillkürte Prozessstandschaft kraft Ermächtigung eines ausländischen Konkursverwalters, IPRax 1995, 157; Gottwald/Pfaller, Aspekte der Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren im Inland, IPRax 1998, 170; Grasmann, Inlandswirkungen des Auslandskonkurses über das Vermögen eines im Konkurseröffnungsstaat ansässigen Gemeinschuldners, KTS 1990, 157; E. J. Habscheid, § 240 ZPO bei ausländischen Insolvenzen und die Internationalität des Konkurses, KTS 1998, 183; E. J. Habscheid, Die Anerkennung des schweizerischen Konkursverlustscheins in Deutschland und des Auszugs aus der Konkurstabelle in der Schweiz, KTS 2001, 251; Hanisch, Nochmals: Schweizerische Konkursverlustscheine im deutschen Prozess, IPRax 1993, 297; Homann, System der Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens und die Zulässigkeit der Einzelrechtsverfolgung (2000); Homann, System der Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens, KTS 2000, 343; Leipold, Ausländischer Konkurs und inländischer Zivilprozess – Harmonie oder Dissonanz in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs?, FS Schwab (1990), S. 189; von Oertzen, Inlandswirkungen eines Auslandskonkurses (Diss. Mainz 1990); Otte, Inländischer einstweiliger Rechtsschutz bei Auslandskonkurs – ein neuer internationaler Justizkonflikt?, RabelsZ 58 (1994), 292; Reinhart, Zur Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren, ZIP 1997, 1743; H. Roth, Auslandskonkurs und individuelle Rechtsverfolgung im Inland, IPRax 1996, 324; Schollmeyer, Diskriminierung deutscher Gläubiger in amerikanischen Insolvenzverfahren?, ZZP 108 (1995), 525; Schollmeyer, § 240 ZPO und Auslandskonkurs, IPRax 1999, 26; Schollmeyer, Vollstreckungsschutz kraft ausländischen Insolvenzrechts und Inlandsklausel, IPRax 2003, 227; Schütze, Die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer, insbesondere US-amerikanischer insolvenzrechtlicher Entscheidungen in Deutschland, DZWiR 2001, 412; Sonnentag, Auslandskonkurs und Anfechtung im Inland, IPRax 1998, 330; Stadler, Zur Anerkennung ausländischer Zwangsvergleiche, IPRax 1998, 91; Summ, Anerkennung ausländischer Konkurse in der Bundesrepublik Deutschland (1992); Trunk, Dogmatische Grundlagen der Anerkennung von Auslandskonkursen, KTS 1987, 415; Trunk, Auslandskonkurs und inländische Zivilprozesse, ZIP 1989, 279; Trunk, Recognition of a Foreign „Automatic Stay“ in Bankruptcy: The Position of Germany, France and the United States, Int. Insolv. Rev. 1994, 145; Ch. Wolf, Erlöschen von Kreditsicherheiten Dritter nach US-amerikanischem Insolvenzrecht und Wirkungsanerkennung im Inland, IPRax 1999, 444. 2. Zur EuInsVO und zum IIR-G 2003: Ambach, Reichweite und Bedeutung von Art. 25 EuInsVO (2009); Deren, Unterbrechungswirkung eines schweizerischen Konkurses im deutschen Zivilprozess, IPRax 2014, 386; Duursma/Duursma-Kepplinger, Gegensteuerungsmaßnahmen bei ungerechtfertigter Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, DZWiR 2003, 447; Freitag/Korch, Gedanken zum Brexit – Mögliche Auswirkungen im Internationalen Insolvenzrecht, ZIP 2016, 1849; Freitag/Leible, Justizkonflikte im Europäischen Internationalen Insolvenzrecht und (k)ein Ende?, RIW 2006, 641; Garasic, Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren: ein Vergleich des kroatischen, des deutschen und des schweizerischen Rechts sowie der Europäischen Verordnung über Insolvenzverfahren, des Istanbuler Übereinkommens und des UNCITRAL-Modellgesetzes (2005); Graf, Die Anerkennung ausländischer Insolvenzentscheidungen (2003); Jacoby, Der ordre-public-Vorbehalt beim forum shopping im Insolvenzrecht, GPR 2007, 200; Knof, Der ordre public-Vorbehalt nach Art. 26 EuInsVO: eine Allzweckwaffe gegen forum shopping im europäischen Insolvenzrecht?, ZInsO 2007, 629; Koller, Zielkonflikt im europäischen Insolvenzrecht: Präventive Sanierung versus territoriale Liquidation, IPRax 2014, 490; Kolmann/Ch. Keller, in: Gottwald/Haas (Hrsg.), Insolvenzrechtshandbuch, 6. Aufl. 2020, § 132; Mansel, Grenzüberschreitende Restschuldbefreiung – Anerkennung einer (automatic) discharge nach englischem Recht und ordre public, FS von Hoffmann (2011), S. 683; Mehring, Die Durchsetzung von Ansprüchen trotz Restschuldbefreiung nach englischem oder französischem Recht, ZInsO 2012, 1247; Paulus, Das inländische Parallelverfahren nach der europäischen Insolvenzverordnung, EWS 2002, 497; Rossbach, Europäische Insolvenzverwalter in Deutschland (2006); Saenger/Klockenbrink, Anerkennungsfragen im internationalen Insolvenzrecht gelöst?, EuZW 2006, 363; Würdinger, Die Anerkennung ausländischer Entscheidungen im europäischen Insolvenzrecht, IPRax 2011, 562.

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.621 § 6

1. Universalitätsprinzip Das deutsche internationale Insolvenzrecht geht heute in § 343 InsO vom Grundsatz der Anerkennung gleichwertiger ausländischer Insolvenzverfahren und der in ihrem Rahmen getroffenen Entscheidungen aus, billigt also dem ausländischen Verfahren grundsätzlich die gleiche universelle Geltung zu, die es für seine eigenen Verfahren in Anspruch nimmt (dazu Rz. 6.590 f.)1. Der gleichen Zielsetzung ist auch die EuInsVO verpflichtet, die durch die Erstreckung der Wirkungen des in einem Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahrens auf alle anderen Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2015 das Funktionieren des europäischen Binnenmarkts sicherstellen möchte. Die Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens ist allerdings mit einer erheblichen Einschränkung der eigenen Souveränität verbunden und setzt daher ein großes gegenseitiges Vertrauen zwischen den betroffenen Staaten voraus2. Die Besonderheit der Anerkennung ausländischer insolvenzrechtlicher Entscheidungen besteht darin, dass ihre Wirkungen durch die Eröffnung von Sonderinsolvenzverfahren im Inland in vielfältiger Weise eingeschränkt werden können.

6.619

2. Gegenstand der Anerkennung a) Eröffnungsentscheidung Der Anerkennung unterliegen im autonomen wie im europäischen Insolvenzrecht nur Entscheidungen in einem „Insolvenzverfahren“. Dabei ist zwischen dem Eröffnungsbeschluss und sonstigen Entscheidungen zur Durchführung eines Insolvenzverfahrens zu unterscheiden.

6.620

Das europäische Insolvenzrecht setzt für die Anerkennung in Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 EuInsVO 2015 lediglich voraus, dass es sich bei dem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Verfahren um ein „Insolvenzverfahren“ i.S.v. Art. 2 Nr. 4 i.V.m. der Anlage A zur EuInsVO 2015 (vgl. Rz. 6.523 f.)3 handelt; dies muss kein Hauptverfahren sein4. Es kann sich auch um ein reines Sanierungsverfahren – wie z.B. die „amministrazione straordinaria“ des italienischen Rechts – handeln. Auch ein in einem anderen Mitgliedstaat in Eigenverwaltung geführtes Verfahren ist nach Art. 19 EuInsVO 2015 im Inland anzuerkennen5. Allerdings definiert die Verordnung den Begriff „Eröffnung des Insolvenzverfahrens“ nicht, weil die Voraussetzungen und Förmlichkeiten der Eröffnung dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten unterliegen. Indessen hängt die Effizienz des mit der Verordnung eingeführten Systems davon ab, dass die Verpflichtung zur Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens so früh wie möglich feststeht. Im Hinblick auf dieses Ziel gilt Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 EuInsVO 2015 nicht erst für die förmliche Eröffnungsentscheidung; ausreichend ist vielmehr jede Entscheidung, die den Vermögensbeschlag gegen den Schuldner zur Folge hat und durch die ein in Anhang B der Verordnung genannter Verwalter bestellt wird. Das kann

6.621

1 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 2, 5; Trunk, S. 261 ff.; Wenner, Rz. 101. 2 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417 (Rz. 27) = ZIP 2010, 187 = NZI 2010, 156 m. Anm. Mankowski 178; dazu Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 27 f.; Piekenbrock, KTS 2010, 208; Thole, ZEuP 2010, 920; Würdinger, IPRax 2011, 562. 3 . Andere als in der Anlage A aufgeführten Verfahren können nach der Verordnung nicht anerkannt werden, vgl. schon zur EuInsVO 2000 den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 145. 4 Kindler in MünchKomm, Art. 19 EuInsVO Rz. 5. Zur Anerkennung der Eröffnung eines Partikularverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat Rz. 6.522 ff. 5 OLG München v. 4.2.2019 – 23 U 2894/17, BeckRS 2019, 3394 (Rz. 7) = ZIP 2019, 781.

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§ 6 Rz. 6.621 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

auch ein vorläufiger Verwalter sein, wenn der Schuldner durch dessen Bestellung seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis verliert1.

6.622

Im autonomen Insolvenzrecht fehlt es an einer dem Anhang A zur EuInsVO 2015 vergleichbaren Aufzählung der anerkennungsfähigen Verfahren. Nach der für diese Qualifikationsfrage maßgeblichen deutschen lex fori2 muss es sich um ein – gerichtliches oder behördliches3 – Verfahren handeln, das wegen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Gemeinschuldners auf die Liquidation seines Vermögens in der Sphäre des Privatrechts gerichtet ist und die Gleichbehandlung aller Gläubiger zum Ziel hat4. Die deutsche Rechtsprechung hat sich insoweit bisher an den Merkmalen der gesetzlich geregelten deutschen Insolvenzverfahren (Konkurs, Vergleich, Gesamtvollstreckung) orientiert5. BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (119 f.) = NJW 1997, 657 = ZIP 1997, 150 = IPRax 1998, 199 (m. Anm. Gottwald/Pfaller, IPRax 1998, 170) = JZ 1997, 568 m. Anm. Leipold Zur Anerkennung eines schwedischen Konkursverfahrens in Deutschland. „Der schwedische Konkurs entspricht jedenfalls im allg. den Anforderungen, die nach den inländischen Rechtsgrundsätzen an ein Konkursverfahren zu stellen sind. Er setzt insbesondere die Zahlungsunfähigkeit (Insolvenz) des Schuldners voraus und bezweckt die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger.“

6.623

Allerdings sind auch Entscheidungen über die Eröffnung solcher ausländischer Verfahren anerkennungsfähig, die nicht auf eine rasche Liquidation des Schuldnervermögens gerichtet sind, sondern das Ziel der Befriedigung der Gläubiger durch Vermeidung der Insolvenz, z.B. durch Sanierung oder Reorganisation des Unternehmens des Schuldners zu erreichen trachten6. Als Insolvenzverfahren wurde daher schon seit langem das Reorganisationsverfahren nach Chapter 11 des U.S. Bankruptcy Code angesehen7. Eine gerichtliche Entscheidung über 1 EuGH v. 2.5.2006 – C- 341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3825 f.) (Rz. 45 ff., 58); ebenso schon Schilling/Schmidt, ZInsO 2006, 113 (114); Wimmer, ZInsO 2005, 119 (126); a.A. Probst, S. 215 ff. 2 Geimer, Rz. 3360; E. Habscheid, S. 302. 3 Geimer, Rz. 3505; Wenner, Rz. 177. Vgl. zum schweiz. Recht, wo das Verfahren durch eine besondere Vollstreckungsbehörde eröffnet und durchgeführt wird, Aderhold, S. 231. Zur Gleichstellung von gerichtlichen und behördlichen Verfahren auch Art. 2 Nr. 6 lit. ii EuInsVO 2015; vgl. schon den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 66 zur EuInsVO 2000. 4 Vgl. Ebenroth, ZZP 101 (1988), 121 (124); Geimer, Rz. 3361; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/ Haas, Hdb., § 132 Rz. 22 ff; Laut, S. 56 ff.; Trunk, S. 212 (267 f.); Wenner, Rz. 175. 5 Vgl. BGH v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09, NJW 2012, 2113 (Rz. 22) = ZIP 2012, 740; ferner die nachfolgend zitierten Entscheidungen. Vgl. auch zur Qualifikation des schweiz. Konkursverfahrens als „Konkurs im deutschen Sinne“ BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 = NJW 1993, 2312 = ZIP 1993, 1094; ebenso zur „faillite“ nach Art. 442 des luxemburg. c.com. BGH v. 13.5.1997 – IX ZR 309/96, ZIP 1997, 1242 = NJW 1997, 2525 (2527). 6 BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, ZinsO 2014, 2181 und v. 20. 12.2011 − VI ZR 14/11, NZI 2012, 572 (Rz. 33) (jeweils zum schwz. Nachlassverfahren, Art. 293 ff. ff. SchKG); Hessisches LAG v. 4.8.2011 – 5 Sa 1498/10, ZInsO, 2012, 1333 (brasilianisches Sanierungsverfahren). 7 Vgl. grundlegend BGH v. 11.1.1990 – IX ZR 27/89, ZIP 1990, 246 = WM 1990, 326 (328) = IPRax 1991, 183 (m. zust. Anm. Flessner/Schulz, IPRax 1991, 162) = JZ 1990, 654 (m. Aufs. K. Schmidt, JZ 1990, 619) = ZZP 105 (1992), 212 m. Anm. Taupitz; BGH v. 11.7.1991 – IX ZR 230/90, NJW 1992, 624 (625) = ZIP 1991, 1014 = JZ 1992, 264 m. Anm. Paulus = EWiR 1991, 1107 (LS) m. Anm. Flessner. Ebenso wieder BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 10 ff.) = ZIP 2009, 2217 = IPRax 2011, 181 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2011, 143) = ZZP 2010, 243 m. Anm. Paulus; BAG v. 27.2.2007 – 3 AZR 618/06, NZI 2008, 122 (Rz. 11 ff.) = ZIP 2007, 2047; OLG Frankfurt a.M. v. 20.2.2007 – 5 U 24/05, ZIP 2007, 932; LG Frankfurt a.M. v. 13.2.1989 – 2/9 T

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.625 § 6

die Eröffnung wird nicht zwingend vorausgesetzt; vielmehr kann hierfür bereits der Antrag des Schuldners ausreichen1. Auch ein Übergang der Verfügungs- und Prozessführungsbefugnis vom Gemeinschuldner auf einen Verwalter ist keine notwendige Voraussetzung für die Qualifikation eines ausländischen Verfahrens als Insolvenzverfahren2. Demgegenüber wurde eine insolvenzrechtliche Qualifikation der „administration order“ nach englischem Recht verneint3. Ebenso wurde zum italienischen Verfahren der Unternehmenssanierung nach der „Legge Prodi“ entschieden, weil es sich um eine politisch motivierte Sanierung zu Lasten der Gläubiger handele4. Daran kann indes nach Inkrafttreten der EuInsVO, die diese englischen und italienischen Verfahren in ihrem Anhang A ausdrücklich nennt, nicht mehr festgehalten werden. Grundsätzlich wird man die Qualifikation der EuInsVO in das autonome Insolvenzrecht übernehmen können, so dass man sich auch bei der Entscheidung über die Anerkennungsfähigkeit drittstaatlicher „Insolvenzverfahren“ an der Vergleichbarkeit mit den in Anhang A zur Verordnung aufgezählten Verfahren orientieren kann5. Nicht erfasst werden aber rein private Verwertungsverfahren im Auftrag der Gläubiger6.

6.624

b) Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens Da auch die Durchführung eines Vergleichsverfahrens im Ausland nicht staatlichen Zwecken, sondern der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung dient, galten die für die Anerkennung ausländischer Konkurse entwickelten Regeln schon früher für die Anerkennung ausländischer Vergleichsverfahren entsprechend7. Seit Inkrafttreten von Art. 102 Abs. 1 und 3 EGInsO a.F. waren alle ausländischen „Insolvenzverfahren“ im Inland anerkennungsfähig; dazu gehörten auch Vergleichsverfahren, die dem Ziel des § 1 InsO entsprachen8. Das Verfahren zur Erlangung der gerichtlichen Genehmigung eines Vergleichsplans nach englischem Gesellschaftsrecht („scheme of arrangement“) ist allerdings kein Insolvenzverfahren und deshalb im In-

1 2 3 4 5 6 7

8

48/89, NJW 1990, 650; zust. Flessner, IPRax 1997, 1 (10); Geimer, Rz. 3362; Schack, Rz. 1216; Wenner, KTS 1990, 429 (432); Ch. Wolf, IPRax 1999, 444 (448); ausführlich dazu Reinhart, S. 172 ff.; a.A. noch OLG Hamburg v. 10.5.1990 – 6 U 59/90, RIW 1992, 941 = IPRax 1992, 170 (m. abl. Anm. Flessner, IPRax 1992, 151) (Qualifikation des Verfahrens nach Chapter 11 Bankruptcy Code als „Konkurs“ abgelehnt, weil in diesem Verfahren die Sanierung, nicht die Gläubigerbefriedigung im Vordergrund stehe). BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 20) = ZIP 2009, 2217. BGH v. 13.10.2009 (vorige Fn., Rz. 13) = ZIP 2009, 2217; OLG Frankfurt a.M. v. 20.2.2007 – 5 U 24/05, ZIP 2007, 932. OLG Düsseldorf v. 18.7.1997 – 22 U 271/96, NJW-RR 1998, 283; dagegen zu Recht Schack, Rz. 1216. LG München I v. 11.3.1983 – 20 T 17982/82, RIW 1984, 994; offenlassend OLG München v. 2.3.1982 – 5 U 3304/81, RIW 1983, 698; Aderhold, S. 193 f. Regierungsbegründung zu § 343 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 25. Vgl. zum engl. Verfahren der „administrative receivership“ mit dem Ziel der Realisierung einer „floating charge“ Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 133 Rz. 24. OLG Frankfurt v. 31.8.1995 – 16 U 111/94, WM 1995, 2079; BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79 (80 ff.) = NJW 1997, 524 = IPRax 1998, 102 (m. zust. Anm. Stadler, IPRax 1998, 91 und Gottwald/Pfaller, IPRax 1998, 173) = JZ 1997, 415 m. Anm. Paulus = ZIP 1997, 39 (m. Aufs. Reinhart, ZIP 1997, 1734) (norweg. Zwangsvergleich ist im Inland jedenfalls dann anzuerkennen, wenn er auch Forderungen ausländ. Gläubiger umfasst und Auslandswirkung beansprucht); OLG Saarbrücken v. 31.1.1989 – 7 U 82/87, RIW 1990, 142 = EWiR 1989, 1023 (LS) m. Anm. Flessner; Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1242). Vgl. i.d.S. schon die Regierungsbegründung zur InsO, BR-Drucks. 12/2443, S. 236; ferner Reinhart, ZIP 1997, 1734 (1735).

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6.625

§ 6 Rz. 6.625 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

land nicht nach § 343 InsO anzuerkennen1. Dies schloss bis zum Brexit eine mögliche Anerkennung nach Art. 36 ff. bzw. Art. 59 Brüssel Ia-VO nicht aus2.

6.626

Damit übereinstimmend erklärt auch Art. 32 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015 sämtliche zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen eines Gerichts, dessen Eröffnungsentscheidung nach Art. 19 EuInsVO 2015 anerkannt wird, sowie einen von einem solchen Gericht bestätigten Vergleich (z.B. einen Insolvenzplan) in den anderen Mitgliedstaaten der Verordnung ohne weitere Förmlichkeiten für anerkennungsfähig3. Diese Lösung hat der deutsche Gesetzgeber in § 343 Abs. 2 InsO ausdrücklich in das autonome Recht übernommen. Danach sind insbesondere auch ausländische Entscheidungen anzuerkennen, die zugunsten des Schuldners eine Restschuldbefreiung aussprechen (dazu näher Rz. 6.737 ff.)4. c) Sonstige, mit dem Insolvenzverfahren eng zusammenhängende Entscheidungen

6.627

Schließlich bietet die Verordnung in Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015 auch eine Grundlage für die Anerkennung von Entscheidungen, die „unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen, auch wenn diese Entscheidungen von einem anderen Gericht5 getroffen werden.“ Damit reagiert die Verordnung auf die Rechtsprechung des EuGH, der solche Entscheidungen nach Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 EuGVÜ aus dem sachlichen Anwendungsbereich jenes Übereinkommens ausgenommen hatte6, und schließt auf dem Gebiet der Anerkennung die hier bestehende Lücke7; diesen Zweck der Vorschrift hat der EuGH inzwischen bestätigt8. Danach sind insbesondere Entscheidungen über Insolvenzanfechtungsklagen nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO anzuerkennen9. Die Abgrenzung zwischen den von Art. 32 Abs. 1 UAbs.2 EuInsVO erfassten insolvenznahen Entscheidungen von solchen in allgemeinen Zivil- und Handelssachen, die nach Art. 36 ff.Brüs-

1 BGH v. 15.2.2012 – IV ZR 194/09, NJW 2012, 2113 (Rz. 19 ff.) = ZIP 2012, 740 = NZI 2012, 425 m. Anm. Paulus = IPRax 2013, 264 (m. Anm. Mäsch, IPRax 2013, 234) = KTS 2013, 63 m. Anm. Oberhammer; OLG Celle v. 8.9.2009 – 8 U 46/09, ZIP 2009, 1968; a.A. nur LG Rottweil v. 17.5.2010 – 3 O 2/08, ZIP 2010, 1964. 2 Vgl. zu den verschiedenen Lösungsvorschlägen Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 25 f. m.w.N. 3 Vgl. zur Anerkennung eines französischen „plan de sauvegarde“ EuGH v. 22.11.2012 – C 116/11 ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490). 4 Kindler in MünchKomm, Art. 32 EuInsVO Rz. 18; ebenso schon bisher BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 (379 f.) = NJW 1993, 2312 = ZIP 1993, 1094; BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 51/00, NJW 2002, 960 = ZIP 2002, 365 = IPRax 2002, 525 (m. Anm. Ehricke, IPRax 2002, 505). 5 Gemeint ist ein vom Insolvenzgericht verschiedenes Gericht des Eröffnungsstaates, vgl. den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 194; Haubold, IPRax 2002, 157 (160). 6 Vgl. EuGH v. 22.2.1979 – Rs. 133/78, ECLI:EU:C:1979:49 (Gourdain/Nadler), Slg. 1979, 733 = RIW 1979, 273; ebenso unter Geltung der Brüssel I-VO EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08, ECLI:EU: C:2009:419, (Alpenblume), Slg. 2009 I, 5655 (Rz. 20 ff.) = ZIP 2009, 1441 = IPRax 2010, 353 (m. Anm. Oberhammer, IPRax 2010, 317) = NZI 2009, 570 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (German Graphics), Slg. 2009 I, 8421 (Rz. 26, 33) = ZIP 2009, 2345 = RIW 2009, 798 = IPRax 2010, 355 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2010, 324). 7 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 195; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (150). Zur Bestimmung der internationalen Entscheidungszuständigkeit für solche Verfahren näher Rz. 6.556 ff. 8 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 (Deko Marty), NJW 2009, 2189 (Nr. 25) = ZIP 2009, 427. 9 Vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 32 EuInsVO Rz. 18.

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.630 § 6

sel Ia-VO anzuerkennen sind, hat nach den oben zu Art. 6 EuInsVO 2015 dargestellten Kriterien zu erfolgen (Rz. 6.556 ff.). Nicht möglich ist hiernach allerdings die Anerkennung von insolvenznahen Entscheidungen aus einem anderen Mitgliedstaat als dem Eröffnungsstaat, weil die einschränkende Wendung am Ende von Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO sich nur auf die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Gerichte des nach Art. 3 EuInsVO international allein zuständigen Eröffnungsstaates bezieht1. d) Sicherungsmaßnahmen

Im Interesse einer effektiven Verwaltung der Insolvenzmasse ist es gerade bei grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren unerlässlich, dass zügig Maßnahmen zur Sicherung des schuldnerischen Vermögens auch schon vor Verfahrenseröffnung getroffen werden können. Aus diesem Grunde sind nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO 2015 auch „Entscheidungen über Sicherungsmaßnahmen“ anzuerkennen, die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder in Verbindung damit getroffen werden (dazu Rz. 6.655 f.)2. Dies gilt auch für sog. ex-parte-Entscheidungen, die wegen ihrer besonderen Dringlichkeit ohne Anhörung des Schuldners ergangen sind3.

6.628

Entsprechendes galt auch nach autonomem deutschen Recht schon bisher für Maßnahmen, die ein ausländisches Gericht zur Sicherung der Insolvenzmasse vor der Verfahrenseröffnung erlassen hatte; denn nur dies entsprach dem Verständnis von der universellen Wirkung der entsprechenden Sicherungsmaßnahmen deutscher Gerichte (dazu Rz. 6.592 f.)4. Im Zuge der Reform des deutschen internationalen Insolvenzrechts hat der Gesetzgeber die Anerkennungsfähigkeit von Sicherungsmaßnahmen, die vor Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens vom ausländischen Gericht erlassen worden sind, in § 343 Abs. 2 InsO ausdrücklich bekräftigt5. Hierdurch wird freilich der Erlass von Sicherungsmaßnahmen durch deutsche Gerichte jedenfalls solange nicht ausgeschlossen, wie im Ausland noch kein anerkennungsfähiges Insolvenzverfahren eröffnet worden ist6.

6.629

3. Voraussetzungen der Anerkennung a) Europäisches Insolvenzrecht aa) Anerkennung der Eröffnungsentscheidung Die Anerkennung insolvenzrechtlicher Entscheidungen der Mitgliedstaaten beruht im Geltungsbereich der EuInsVO 2015 – ähnlich wie im Rahmen der Brüssel Ia-VO – auf dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens.7 Demgemäß sind die zulässigen Gründe für die

1 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83 (Deko Marty), RIW 2009, 234 (235 f.) (Rz. 27; dazu näher V. Lorenz, Annexverfahren bei internationalen Insolvenzen (2005)). 2 Vgl. ErwG 16 zur EuInsVO 2000; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 133 Rz. 86 ff. Nach der Brüssel Ia-VO können solche Maßnahmen im Hinblick auf deren Art. 1 Abs. 2 Nr. 2 nicht anerkannt werden, weil sie von dieser Verordnung ausgeschlossene Ansprüche sichern. Zur Vollstreckung solcher Maßnahmen vgl. Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 iVm UAbs. 1 S. 2 EuInsVO 2015. 3 Virgos/Schmit-Bericht Rz. 207. 4 Vgl. BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (159 ff.) = ZIP 1992, 781. 5 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 87. 6 Schack, Rz. 1215. Zum Recht des deutschen Insolvenzgerichts zum Erlass von Sicherungsmaßnahmen auch nach Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens im Ausland s. Rz. 6.674 f. 7 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 427 (Rz. 27 ff.) = ZIP 2010, 187.

Hausmann | 717

6.630

§ 6 Rz. 6.630 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Nichtanerkennung auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt1. Insbesondere eine sachliche Nachprüfung der Entscheidung („révision au fond“) findet nicht statt2. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens durch ein Gericht eines Mitgliedstaats3 ist vielmehr in allen übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen, sobald die Entscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung wirksam ist; hierfür ist formelle Rechtskraft nicht erforderlich4.

6.631

Vorausgesetzt wird nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015 nur, dass es sich bei dem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Verfahren um ein „Insolvenzverfahren“ i.S.v. Art. 2 Nr. 4 i.V.m. der Anlage A zur EuInsVO handelt. Ferner stellt Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015 klar, dass die Anerkennung nicht deshalb versagt werden darf, weil der Schuldner (z.B. als Nichtkaufmann) nach dem Recht des Anerkennungsstaates nicht insolvenzfähig ist. Die – nach dem nationalen Recht des Eröffnungsstaates vorzunehmende – Feststellung der Insolvenz des Schuldners durch das Eröffnungsgericht ist im Interesse der von der Verordnung angestrebten Effizienz grenzüberschreitender Insolvenzverfahren für die Gerichte aller anderen Mitgliedstaaten verbindlich. Letztere sind mithin zu einer eigenständigen Überprüfung der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners nicht berechtigt5.

6.632

Der Hauptunterschied zum autonomen Recht (dazu Rz. 6.640) besteht freilich darin, dass – trotz des insoweit missverständlichen Wortlauts von Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2015 („durch ein nach Art. 3 zuständiges Gericht“) – nach dem Vorbild von Art. 45 Abs. 3 Brüssel Ia-VO keine Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit des Eröffnungsstaates stattfindet; es genügt vielmehr, dass das eröffnende Gericht sich selbst – wenn auch möglicherweise fehlerhaft – nach Art. 3 EuInsVO für zuständig gehalten hat6. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens 1 Vgl. ErwG 22 zur EuInsVO 2000. 2 EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 (Burgo Group), NZI 2014, 964 (Rz. 27 f.) m. Anm. Mankowski = EuZW 2015, 23 m. Anm. Schulz; Kindler in MünchKomm, Art. 19 EuInsVO Rz. 10 m.w.N. Vgl. auch den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 202. 3 Der räumliche Anwendungsbereich der EuInsVO ist – anders als auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit (Rz. 6.529) – auf die Anerkennung von Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten beschränkt. Zum weiten Begriff „Gericht“ in diesem Zusammenhang vgl. Art. 2 Nr. 6 EuInsVO 2000. 4 Vgl. Art. 2 Nr. 8 EuInsVO 2015; dazu den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 147; Balz, ZIP 1995, 948 (951); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (145); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (286); Kindler in MünchKomm, Art. 19 EuInsVO Rz. 8 m.w.N. 5 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 70 ff.) = ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490). 6 ErwG 22 a.E. zur EuInsVO 2000; vgl. EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 (Burgo Group), NZI 2014,964 (Rz. 27); EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 41) = ZIP 2012, 2403; EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU: C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417 (Rz. 29) = ZIP 2010, 187 = IPRax 2011, 589 (m. Anm. Würdinger, IPRax 2011, 562); EuGH v. 2.5.2006 – C 341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (Rz. 41 f.) = ZIP 2006, 907; frz. Cass. v. 10.1.2017, unalex FR-2521; BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 (Rz. 26) = ZIP 2012, 2312 = NZA 2013, 797; BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 44) = ZIP 2013, 1982; OLG Frankfurt a.M. v. 28.8.2012 – 5 U 150/11, ZInsO 2012, 1990; OLG Celle v. 27.11.2012 – 2 U 147/12, ZIP 2013, 945; LAG Hessen v. 14.12.2010 – 13 Sa 969/10, NZI 2011, 203 m. Anm. Mankowski; OLG Wien v. 9.11.2004, NZI 2005, 56; ferner Virgós/Schmit-Bericht Rz. 202; Duursma-Kepplinger, Art. 16 EuInsVO 2000 Rz. 14; Geimer, Rz. 3514; Haubold, IPRax 2003, 34 (36); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (145 f.); Kolmann, S. 281; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (545 f.); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (287); Schack, Rz. 1221; a.A. Ahrens, S. 285; Trunk, S. 361. Zur Konkurrenz des ausländ. mit einem inländ. Hauptinsolvenzverfahren s. Rz. 6.676 ff.

718 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.634 § 6

verlangt dann, dass die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten diese Entscheidung hinnehmen1. Dies gilt selbst dann, wenn der Schuldner den Wohnsitz im Eröffnungsstaat nur zum Schein begründet hat, um dort ein ihn begünstigendes Insolvenzverfahren durchführen zu können2. Der Mangel der internationalen Zuständigkeit des Eröffnungsstaates kann nur nach Art. 5 Abs. 1 EuInsVO 2015 mit Rechtsmitteln in dem dortigen Verfahren geltend gemacht werden3. bb) Anerkennung sonstiger insolvenzrechtlicher Entscheidungen Die EuInsVO 2015 regelt – wie gezeigt (Rz. 6.625 f.) – im 1. Unterabsatz ihres Art. 32 Abs. 1 auch die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens einschließlich eines gerichtlich bestätigten Vergleichs. Diese werden, falls die Eröffnungsentscheidung nach Art. 19 EuInsVO 2015 anzuerkennen ist, ebenfalls ohne weitere Förmlichkeiten anerkannt und nach Maßgabe der Art. 39 ff., 47 ff. Brüssel Ia-VO vollstreckt (dazu Rz. 6.655 f.).4 Beides gilt nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 und 3 EuInsVO 2015 auch für Entscheidungen, die „unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen“, sowie für Entscheidungen über Sicherungsmaßnahmen, die nach der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens getroffen werden (dazu Rz. 6.627 ff.). Fehlt der hinreichend enge Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren, so richtet sich die Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Entscheidung gem. Art. 32 Abs. 2 EuInsVO 2015 allein nach der Brüssel Ia-VO. Die Verpflichtung zur Anerkennung besteht allerdings nicht, soweit die ausländische Entscheidung eine Einschränkung der persönlichen Freiheit (z.B. durch zwangsweise Vorführung oder Haft) oder des Postgeheimnisses (vgl. §§ 99, 102 InsO) zur Folge hätte; über die Anerkennung solcher besonders weitreichender Wirkungen der ausländischen Entscheidung entscheidet jeder Mitgliedstaat autonom5.

6.633

cc) Ordre public-Vorbehalt Die Anerkennung sämtlicher insolvenzrechtlicher Entscheidungen steht allerdings auch nach Art. 33 EuInsVO 2015 unter dem Vorbehalt des ordre public des Anerkennungsstaates. Danach kann sich jeder Mitgliedstaat weigern, ein in einem anderen Mitgliedstaat eröffnetes Insolvenzverfahren anzuerkennen oder eine in einem solchen Verfahren ergangene Entschei1 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417 (Rz. 27 ff.) = ZIP 2010, 187 = NZI 2010, 156 (m. Anm. Mankowski, NZI 2010, 178); ebenso schon EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3825 ff.) (Rz. 39 ff.) = ZIP 2006, 907; ferner BGH v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, NZI 2016, 93 (Rz. 8) m. Anm. Mankowski = ZIP 2015, 2331; OLG Frankfurt v. 15.11.2015 – 15 U 46/12, IPRspr. 2015 Nr. 295; OLG München v. 25.2.2010 – 29 U 1513/07, ZIP 2010, 2118 = NZI 2010, 826 = IPRax 2011, 480 (m. Anm. Stadler IPRax 2011, 480). Angegriffen werden kann die Entscheidung mithin nur durch Rechtsmittel gegen die Eröffnungsentscheidung nach Maßgabe des nationalen Rechts des Erststaats nach Art. 5 EuInsVO 2015, EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3825 ff.) (Rz. 43) = ZIP 2006, 907. 2 OLG Nürnberg v. 15.12.2011 – 1 U 2/11, ZIP 2012, 241 = NJW 2012, 862; a.A. AG Göttingen 10.12.2012 – 74 IN 28/12, ZIP 2013, 472 = IPRax 2014, 285 (m. abl. Anm. Laukemann, IPRax 2014, 258). 3 KG v. 6.6.2018 – 22 W 22/18, ZIP 2019, 123. 4 Vgl. zur Anerkennung einer englischen Entscheidung über eine Restschuldbefreiung FG Mecklenburg-Vorpommern v. 28.8.2015 – 3 V 65/15, ZIP 2015, 2239. 5 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 193.

Hausmann | 719

6.634

§ 6 Rz. 6.634 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

dung zu vollstrecken, soweit diese Anerkennung oder Vollstreckung zu einem Ergebnis führt, das offensichtlich mit seiner öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, unvereinbar ist. Vom ordre public-Vorbehalt ist allerdings nur zurückhaltend Gebrauch zu machen; bloße Abweichungen vom zwingenden deutschen Recht reichen ebensowenig aus wie die falsche Anwendung des anwendbaren Rechts1. Ein ordre public-Verstoß einzelner Folgewirkungen entzieht auch nicht der Anerkennung der Verfahrenseröffnung im Ausland insgesamt die Grundlage, sondern schließt nur die Anwendung der zugrundeliegenden ausländischen Vorschriften aus.

6.635

Der ordre public-Vorbehalt soll insbesondere die notwendigen Teilnahmerechte von Schuldner und Gläubigern am Verfahren sichern2. Insoweit sind die Grundsätze des „Krombach“Urteils des EuGH zu Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ3 auf die Auslegung von Art. 33 EuInsVO zu übertragen4. Danach gilt der allgemeine unionsrechtliche Grundsatz, dass jedermann Anspruch auf ein faires Verfahren hat. Dementsprechend kann dem in einem anderen EU-Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahren die Anerkennung versagt werden, wenn die Eröffnungsentscheidung unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von diesem Verfahren betroffenen Person ergangen ist5. Das in einem anderen Mitgliedstaat der EU eröffnete Hauptinsolvenzverfahren über das Vermögen einer deutschen GmbH wird daher nicht anerkannt, wenn die Eröffnungsentscheidung unter Verletzung des rechtlichen Gehörs des Geschäftsführers erfolgt ist6.

6.636

Hingegen darf die Vorbehaltsklausel nicht dazu genutzt werden, die Wertentscheidungen der Verordnung zu unterlaufen. Deshalb kann die Anerkennung auch nach Art. 33 EuInsVO nicht deshalb versagt werden, weil der Schuldner nach dem Recht des Anerkennungsstaates nicht insolvenzfähig ist, vgl. Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 20157. Ferner darf der ordre public nicht bemüht werden, um im Ergebnis doch eine Kontrolle der internationalen Zuständigkeit des Eröffnungsstaates durchzuführen; der Gedanke des Art. 45 Abs. 3 S. 2 Brüssel Ia-VO gilt auch hier8. Auch der Umstand, dass das ausländische Insolvenzverfahren keine Mindest1 BGH v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, NZI 2016, 93 (Rz. 10) m. Anm. Mankowski = ZIP 2015, 2331 (unter Hinweis auf die EuGH-Rspr. zum ordre public Vorbehalt in der Brüssel I-VO); BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 51) = ZIP 2013, 1982; OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2015 – 15 U 46/12, IPRspr. 2015 Nr. 295; OLG Nürnberg v. 15.12.2011 – 1 U 2/11, ZIP 2012, 241 = NJW 2012, 862. 2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 206; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (287). 3 EuGH v. 28.3.2000 – C-7/98, ECLI:EU:C:2000:164 (Krombach), Slg. 2000 I, 1935 (1946 f.) (Rz. 19, 21) = ZIP 2000, 859. 4 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg.2010 I, 417 (Rz. 34) = ZIP 2010, 187 = IPRax 2011, 589 (m. Anm. Würdinger, IPRax 2011, 562); dazu Mankowski, NZI 2010, 178. 5 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3831 ff.) (Rz. 60 ff., 67) = ZIP 2006, 907. 6 AG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03, IPRax 2004, 431 (m. Anm. Weller, IPRax 2004, 412) = NZI 2004, 269 m. Anm. Liersch; ebenso Paulus, ZIP 2003, 1725 (1729). 7 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 148; Duursma-Kepplinger, Art. 16 EuInsVO 2000 Rz. 25; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (146). 8 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg.2010 I, 417 (Rz. 34) = ZIP 2010, 187 = BB 2010, 529; BGH v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, NZI 2016, 93 (Rz. 13) m. Anm. Mankowski = ZIP 2015, 2331; öOGH v. 17.3.2005 – 8 Ob 135/04t, unalex AT-568; OLG Celle v. 27.11.2012 – 2 U 147/12, ZIP 2013, 945; OLG Nürnberg v. 15.12.2011 – 1 U 2/11, ZIP

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.640 § 6

quote für Gläubiger vorsieht, begründet keinen Verstoß gegen den deutschen ordre public1. Schließlich kann auch einer weitreichenden Restschuldbefreiung nach der ausländischen lex fori concursus die Anerkennung im Inland nicht unter Berufung auf den ordre public versagt werden (Rz. 6.643, Rz. 6.737 ff.); etwas anderes kann aber dann gelten, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz nur zum Schein ins Ausland verlegt hat, um sich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen den berechtigten Forderungen seiner Gläubiger zu entziehen2. b) Autonomes Insolvenzrecht aa) Grundsatz Auch wenn die Möglichkeit einer Anerkennung des in einem ausländischen Verfahren angeordneten Insolvenzbeschlags schon seit der Grundsatzentscheidung des BGH vom 11.7.1985 allgemein bejaht wurde (dazu Rz. 6.516), muss diese Anerkennung doch – wie der BGH formuliert hat – „in das Gesamtgefüge der deutschen konkursrechtlichen Vorschriften und Rechtsgrundsätze eingebettet sein“3. Die vom BGH entwickelten Voraussetzungen für eine solche Anerkennung hatte der Gesetzgeber zunächst in Art. 102 Abs. 1 EGInsO a.F. kodifiziert. Diese Vorschrift ist im Zuge der Reform des deutschen internationalen Insolvenzrechts durch § 343 InsO abgelöst werden. Dieser bekräftigt in Abs. 1 S. 1 zunächst den Grundsatz, dass die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens im Inland anerkannt wird. Dies gilt nach § 343 Abs. 1 S. 2 InsO nur in zwei Fällen nicht, nämlich

6.637

(1) wenn die Gerichte des Staats der Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht nicht zuständig sind und

6.638

(2) soweit die Anerkennung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere soweit sie mit den Grundrechten unvereinbar ist. Nur aus diesen beiden Gründen darf ferner auch Maßnahmen des ausländischen Insolvenzgerichts zur Sicherung des im Inland belegenen Schuldnervermögens sowie Entscheidungen zur Durchführung oder Beendigung des anerkannten ausländischen Insolvenzverfahrens die Anerkennung versagt werden (§ 343 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 InsO).

6.639

bb) Internationale Zuständigkeit Um sicherzustellen, dass das im Inland befindliche Vermögen des Schuldners nur dann von einem ausländischen Insolvenzverfahren erfasst wird, wenn hinreichende Beziehungen zum

2012, 241 = NJW 2012, 862; OLG Wien v. 9.11.2004, NZI 2005, 56; Eidenmüller, NJW 2004, 3455 (3457); Herchen, ZInsO 2004, 61 (65); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (146); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (568); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (287); aA AG Nürnberg v. 15.8.2006 – 8004 IN 1326-1331/06, ZIP 2007, 81 m. Anm. Kebekus = NZI 2007, 185 (m. Aufs. Andres/Grund, NZI 2007, 137). Vgl. auch Rz. 6.632. 1 OLG Celle v. 7.1.2010 – 6 U 60/09, IPRax 2011, 186 (m. Anm. Weller, IPRax 2011, 150) (Verlust des Rechts auf Geltendmachung von Forderungen gegen den Schuldner persönlich nach Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels Masse gem. französischem Recht). 2 LG Köln v. 14.10.2011 – 82 O 15/08, ZIP 2011, 2119 = NZI 2011, 957 m. Anm. Mankowski; LG Göttingen v. 10.12.2012 – 74 IN 28/12, NZI 2013, 206. 3 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (269 f.) = ZIP 1985, 944; ebenso OLG Köln v. 20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 (328).

Hausmann | 721

6.640

§ 6 Rz. 6.640 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Schuldner und dessen Vermögen bestehen, muss die das Verfahren eröffnende Stelle aus deutscher Sicht international zuständig sein. Entsprechend dem auch hier geltenden allgemeinen Grundsatz des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts kommt es darauf an, dass das ausländische Gericht in spiegelbildlicher Anwendung der deutschen Vorschriften zuständig war1. Dies ist der Fall, wenn der Schuldner im Gebiet des Eröffnungsstaates den „Mittelpunkt seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit“, hilfsweise seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (§ 3 Abs. 1 InsO, §§ 12–17 ZPO; dazu Rz. 6.580 ff.)2. Ist im Eröffnungsstaat nur Vermögen des Schuldners belegen, so wird die Anerkennung des dortigen Insolvenzverfahrens auf dieses Vermögen beschränkt (dazu Rz. 6.654)3. Geht man allerdings – mit der hier vertretenen Ansicht (Rz. 6.580) – auf dem Gebiet der internationalen Entscheidungszuständigkeit von einer allseitigen Geltung des Art. 3 EuInsVO aus, so ist diese Vorschrift spiegelbildlich auch im Rahmen der Prüfung der Anerkennungszuständigkeit drittstaatlicher Gerichte zugrunde zu legen4. cc) Wirksamkeit und Universalität der Entscheidung

6.641

Damit Wirkungen der ausländischen Entscheidung über die Verfahrenseröffnung überhaupt auf das Inland erstreckt werden können, muss diese Entscheidung nach der ausländischen lex fori concursus wirksam sein5. Bloße Fehlerhaftigkeit der ausländischen Entscheidung hindert die Anerkennung hingegen nicht, weil auch insoweit eine „révision au fond“ nicht stattfindet6. Auch in formelle Rechtskraft braucht die Entscheidung nicht erwachsen zu sein, weil andernfalls der Zweck der Anerkennung – nämlich die unverzügliche Beschlagnahme des inländischen Vermögens des Schuldners und der Ausschluss seiner Verfügungsbefugnis – gefährdet wäre7. Darüber hinaus muss der Eröffnungsstaat seinem Insolvenzverfahren universelle Wirkung beilegen, diese also nicht auf das im eigenen Hoheitsgebiet belegene Vermögen be-

1 BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11, NZI 2012, 572 (Rz. 39) = ZIP 2012, 1527; Geimer, Rz. 3406, 3514; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 30; Schack, Rz. 1221; Trunk, S. 268 ff.; ebenso die frühere Rspr. zu §§ 237, 238 KO, vgl. BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (270) = ZIP 1985, 944; BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 (375) = NJW 1993, 2312 = ZIP 1993, 1094; BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (120) = ZIP 1997, 150; OLG Saarbrücken v. 31.1.1989 – 7 U 82/87, ZIP 1989, 1145 = RIW 1990, 142; OLG Köln v. 20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 (328); OLG Düsseldorf v. 15.11.1990 – 13 U 84/90, IPRspr. 1990 Nr. 254b. 2 Hessisches LAG v. 4.8.2011 – 5 Sa 1498/10, ZInsO, 2012, 1333; vgl. auch die Regierungsbegründung zu § 343 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 25; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 30. In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob das ausländ. Recht Vorkehrungen gegen die rechtsmissbräuchliche Erschleichung eines Gerichtsstands oder gegen die Ausnutzung eines „forum non conveniens“ getroffen hat, vgl. BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 51/00, NJW 2002, 96 = ZIP 2002, 365 = IPRax 2002, 525 (226) (m. Anm. Ehricke, IPRax 2002, 505). Zum Problem der Zuständigkeitserschleichung in diesem Zusammenhang Haubold, IPRax 2003, 34 (39). 3 Zur Konkurrenz mehrerer ausländ. Staaten zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens s. Rz. 6.683. 4 So auch Graf, S. 249 ff.; für Anwendung von § 3 InsO hingegen Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/ Haas, Hdb., § 133 Rz. 30 ff, 33. 5 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (270) = ZIP 1985, 944; OLG Saarbrücken v. 31.1.1989 – 7 U 82/87, ZIP 1989, 1145 = RIW 1990, 142; Geimer, Rz. 3511. 6 Aderhold, S. 198; Ehricke, IPRax 2002, 505 (506); Geimer, Rz. 3511. 7 Geimer, Rz. 3512; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 15; Trunk, S. 273; Wenner, Rz. 192.

722 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.643 § 6

schränken1. Dabei ist nicht nur zu prüfen, ob das fremde Recht überhaupt das in Deutschland belegene Vermögen des Schuldners erfassen will; vielmehr kommt es darauf an, dass gerade diejenige Wirkung des ausländischen Insolvenzverfahrens auf das Inland erstreckt wird, um deren Anerkennung es im konkreten Fall geht2. dd) Vereinbarkeit mit dem inländischen ordre public Schließlich darf die Anerkennung nach § 343 Abs. 1 Nr. 2 InsO nicht zu einem Ergebnis führen, das „mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist“3. Dies ist auf zwei Ebenen zu prüfen: In einem ersten Schritt ist festzustellen, ob bereits die Eröffnung selbst an so schwerwiegenden Verfahrensmängeln leidet, dass sie mit grundlegenden deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen nicht in Einklang steht. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn rechtsstaatliche Mindestgarantien – etwa im Hinblick auf die Publizität des Verfahrens oder den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs4 – nicht beachtet wurden. In einem solchen Fall entfaltet das ausländische Verfahren im Inland keinerlei Wirkungen5.

6.642

Ein Verstoß gegen den deutschen ordre public, der stets eine hinreichende Inlandsbeziehung des Sachverhalts erfordert, kann ferner dadurch begründet sein, dass das anzuwendende ausländische Insolvenzrecht Folgewirkungen der Insolvenzeröffnung anordnet, die aus deutscher Sicht nicht hingenommen werden können. In einem solchen Fall wird die Anerkennung der Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens als solche nicht in Frage gestellt, sondern es werden nur einzelne seiner – vor allem materiell-rechtlichen – Wirkungen ausgeschlossen6. Zu denken ist etwa an Fälle, in denen private Gläubiger im Verhältnis zum

6.643

1 BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, ZIP 2014, 1997 (Rz. 55 ff.); BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11, NZI 2012, 572 (Rz. 37) = ZIP 2012, 1527; OLG Rostock v. 13.4.2006 – 7 U 108/03, NJOZ 2007, 2532 (Polen); ebenso schon zur KO BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (264 f.) = ZIP 1985, 944; BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 (376 ff.) = ZIP 1993, 1094 (zum früheren schweiz. Recht); BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 197 (203) = ZIP 1994, 547; Leipold, FS Henckel (1995), S. 533 (536 f.); Aderhold, S. 169; Geimer, Rz. 3512a; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 7; Graf, S. 286 ff.; E. Habscheid, S. 7; Schack, Rz. 1217; Wenner, Rz. 203 ff. Eine solche Erstreckung der Wirkungen von Entscheidungen ihrer eigenen Gerichte über die Eröffnung eines Primärinsolvenzverfahrens auf das im Ausland belegene Schuldnervermögen beanspruchen heute die Rechte der meisten Staaten; vgl. BGH v. 13.5.1997 – IX ZR 309/96, ZIP 1997, 1242 = NJW 1997, 2525; LAG Rheinland-Pfalz v. 14.7.1997 – 8 Ta 94/97, RIW 1998, 633; (2527); OLG Zweibrücken v. 17.4.1989 – 3 W 1/89, NJW 1990, 648; (alle zu Luxemburg); BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (119 f.) = ZIP 1997, 150 und OLG Köln v. 26.2.1997 – 27 U 63/96, IPRspr. 1997 Nr. 217 (Schweden); OLG München v. 24.1.1996 – 25 W 2281/95, ZIP 1996, 385 = RIW 1996, 333 (Italien); OLG Düsseldorf v. 17.8.1982 – 8 W 31/ 82, ZIP 1982, 1341 und v. 15.11.1990 – 13 U 84/90, IPRspr. 1990 Nr. 254b (Niederlande); LG Köln v. 27.10.1988 – 86 O 68/88, KTS 1989, 273 m. Anm. Werres (Belgien); abweichend etwa § 3 der japan. KO und Art. 3 Abs. 1 des korean. KonkursG. 2 BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 (375) = ZIP 1993, 1094 (zur Restschuldbefreiung nach schweiz. Recht); Ehricke, IPRax 2002, 505 (506). 3 Ebenso schon zur KO BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (270) = NJW 1985, 2897 = ZIP 1985, 944; OLG Düsseldorf v. 15.11.1990 – 13 U 84/90, IPRspr. 1990 Nr. 254b. 4 Vgl. Hanisch, FS Jahr (1994), S. 455 (473); Geimer, Rz. 3516; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/ Haas, Hdb., § 132 Rz. 37. 5 BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 21 f.) = ZIP 2009, 2217 = IPRax 2011, 181 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2011, 143). 6 BGH v. 13.9.2009 – v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 24) = ZIP 2009, 2217.

Hausmann | 723

§ 6 Rz. 6.643 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Schuldner unerträglich zurückgesetzt1 oder deutsche Gläubiger unter Verstoß gegen Art. 3 GG diskriminiert werden2. Die Anordnung des Erlöschens von Forderungen im Falle unterbliebener Anmeldung reicht hingegen für einen ordre public-Verstoß nicht aus, weil sie auch dem deutschen Recht bekannt ist3. Auch die Anerkennung einer weitergehenden Restschuldbefreiung nach ausländischem Insolvenzrecht als nach §§ 286 ff. InsO verstößt nicht gegen die deutsche öffentliche Ordnung4. ee) Ausschluss sonstiger Anerkennungshindernisse

6.644

Die Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren hängt hingegen – anders als z.B. in der Schweiz (Art. 166 Abs. 1 lit. c IPRG) – nicht von der Verbürgung der Gegenseitigkeit ab. § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO findet mithin, wie § 343 Abs. 1 S. 2 InsO klarstellt, im internationalen Insolvenzrecht keine entsprechende Anwendung5. Dies gilt – abweichend vom früheren Recht6 – auch für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen zur Durchführung oder Beendigung des Insolvenzverfahrens. Ebenso wenig wird vorausgesetzt, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Inland den Beteiligten bekanntgemacht worden ist7. Der inländische 1 BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79 (92) = NJW 1997, 524 = ZIP 1997, 39. 2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 38; E. Habscheid, S. 324 ff.; Kindler in MünchKomm, § 343 InsO Rz. 21 ff.; Trunk, S. 271 f. 3 Hessisches LAG v. 4.8.2011 – 5 Sa 1498/10, ZInsO 2012, 1333; OLG Saarbrücken v. 31.1.1989 – 7 U 82/87, ZIP 1989, 1145 = RIW 1990, 142 (zum französ. InsolvenzG v. 13.7.1967); Geimer, Rz. 3516; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 38; Wenner, Rz. 199; a.A. für Anspruchsverlust infolge unverschuldeter Unkenntnis vom Insolvenzverfahren OLG Stuttgart v. 15.1.2007 – 5 U 98/06, IPRspr. 2007 Nr. 242. 4 OLG Köln v. 20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1993, 297), bestätigt durch BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 (379 ff.) = NJW 1993, 2312 = RIW 1993, 852 = ZIP 1993, 1994 = IPRax 1993, 402 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1993, 385) = EWiR 1993, 803 m. Anm. Ackmann = ZEuP 1994, 301 m. Anm. Paulus = JZ 1994, 147 m. Anm. Aden (zur Anerkennung der vollstreckungshemmenden Wirkung einer Restschuldbefreiung nach Art. 265 Abs. 2 S. 2 schweiz. SchKG bezüglich des inländ. Vermögens des Schuldners. Ordre-public-Verstoß im Hinblick auf die damalige Parallelvorschrift in § 18 Abs. 2 S. 3 GesO abgelehnt, sofern der Gläubiger mit seiner Forderung in zumutbarer Weise am ausländ. Verfahren teilnehmen konnte); BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 51/00, RIW 2002, 475 = NJW 2002, 960 = IPRax 2002, 525 (m. Anm. Ehricke, IPRax 2002, 505) = LM Nr. 11/12 zu § 237 KO m. Anm. Stadler (Restschuldbefreiung eines deutschen Schuldners durch ein französ. Gericht anerkannt. Für einen ordre public-Verstoß reiche es nicht aus, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz ua. auch deshalb nach Frankreich verlegt habe, um der siebenjährigen Wohlverhaltensperiode nach deutschem Insolvenzrecht [§§ 278 Abs. 1 S. 1, 291 ff. InsO] zu entgehen). Zust. Ackmann/Wenner, IPRax 1990, 209 (213 f.); Aderhold, S. 295 ff.; Flessner, ZIP 1989, 749 (757); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 38 a.E.; Geimer, Rz. 3516; Ch. Wolf, IPRax 1999, 444 (449). 5 Vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 41; Geimer, Rz. 3510; Laut, S. 98 ff.; Schack, Rz. 1222; ebenso schon zur KO BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, ZIP 1993, 1094 = IPRax 1993, 402 (403); BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79 (90) = NJW 1997, 524 = ZIP 1997, 39; BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (120) = NJW 1997, 657 = ZIP 1997, 150; OLG Saarbrücken v. 31.1.1989 – 7 U 82/87, ZIP 1989, 1195; Aderhold, S. 198; Ebenroth, ZZP 101 (1988), 121 (131); Gottwald, IPRax 1995, 157; Lüke, KTS 1986, 1 (16); Riegel, S. 86 f.; Summ, S. 39 f. 6 Vgl. Geimer, Rz. 3523. 7 Geimer, Rz. 3528; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 43; Schack, Rz. 1220; Trunk, KTS 1987, 424 ff.; Wenner, Rz. 202; einschränkend LG München I v. 2.12.1986 – 32 S 11420/86, WM 1987, 222.

724 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.646 § 6

Rechtsverkehr wird aber vor den Rechtsfolgen eines unbekannten Insolvenzverfahrens im Ausland in gewissem Umfang geschützt (dazu Rz. 6.741 ff.). Schließlich ist die mangelnde Insolvenzfähigkeit des Schuldners nach dem Recht des Anerkennungsstaates auch nach autonomem Insolvenzrecht kein Anerkennungshindernis1.

4. Rechtswirkungen der Anerkennung a) Erstreckung der Wirkungen des Hauptinsolvenzverfahrens aa) Allgemeines Im Rahmen des europäischen Insolvenzrechts gilt der Grundsatz der Wirkungserstreckung2. Es erfolgt also – anders als etwa im schweizerischen Recht (Art. 17 Abs. 2 IPRG) – keine Gleichstellung der Wirkungen des ausländischen mit einem inländischen Insolvenzverfahren; vielmehr werden nach Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 EuInsVO 2015 alle – prozessualen wie materiellen – Wirkungen, die das Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung dem dort eröffneten Hauptinsolvenzverfahren beilegt, in allen anderen Mitgliedstaaten automatisch anerkannt, solange dort kein Partikularinsolvenzverfahren nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO eröffnet wird3.

6.645

Der Grundsatz der Wirkungserstreckung gilt nach § 343 Abs. 1 S. 1 InsO auch im autonomen deutschen IIR4. Ist die ausländische Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Inland anerkennungsfähig, so werden ihre Wirkungen mithin nach Maßgabe der ausländischen lex fori concursus (§ 335 InsO) auf das Inland erstreckt5. Dies gilt – in den Grenzen des deutschen ordre public (Rz. 6.642 f.) – auch für solche Wirkungen der Eröffnungsentscheidung, die dem inländischen Insolvenzrecht nicht bekannt sind6. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um Wirkungen handelt, die „konkurszweckorientiert“ sind7. Ist dies der Fall, so macht es – vorbehaltlich der in Rz. 6.697 ff. behandelten Einschränkungen durch Sonderanknüpfungen – keinen Unterschied, ob es sich um verfahrensrechtliche oder materiellrechtliche Wirkungen handelt8. Für sonstige anerkennungsfähige Entscheidungen, die nach Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens im Zusammenhang mit diesem ergingen,

6.646

1 Schack, Rz. 1221 a.E. 2 Geimer Rz. 3366, 3511; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 10; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (147); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1614); Wenner, Rz. 219. Der Virgós/Schmit-Bericht Rz. 153 spricht vom „Modell der Ausdehnung“. 3 Kindler in MünchKomm, Art. 20 EuInsVO Rz. 10; Reinhart, ZIP 1997, 1735 (1737). 4 Vgl. dazu näher E. Habscheid, S. 314 ff.; Trunk, S. 263 ff.; ferner Geimer, Rz. 3511; Schack, Rz. 1217; Kindler in MünchKomm, § 343 InsO Rz. 34 m.w.N. 5 BAG v. 25.4.2013 – 6 AZR 49/12, NZI 2013, 758 (Rz. 39) = ZIP 2013, 1982; BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 608/11, NJOZ 2013, 1232 (Rz. 28); Geimer, Rz. 3501; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 47; Kindler in MünchKomm, § 343 InsO Rz. 34; Reinhart, ZIP 1997, 1735 (1757); ebenso schon früher BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (261, 273) = ZIP 1985, 944; BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (203) = ZIP 1994, 547 = WM 1994, 958. 6 Die Kumulationstheorie gilt also insoweit nicht, vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 48; Schack, Rz. 1217; BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, ZIP 1993, 1094 = IPRax 1993, 402 (Restschuldbefreiung); anders z.B. Art. 17 Abs. 2 schweiz. IPR-G: Gleichstellung mit den Wirkungen eines entsprechenden inländ. Beschlusses. 7 Trunk, KTS 1987, 415 (432). 8 BGH v. 24.6.2014 – VI ZR 315/13, ZIP 2014, 1997 (Rz. 58 ff.). Die Bedeutung der Anerkennung liegt sogar vorwiegend auf dem Gebiet des materiellen Rechts, vgl. Geimer, Rz. 3573 f., 3501; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (280 f.).

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§ 6 Rz. 6.646 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

galten demgegenüber früher die allgemeinen Grundsätze des deutschen internationalen Zivilprozessrechts zur Wirkungserstreckung; diese entfalteten mithin im Inland keine weitergehenden verfahrensrechtlichen Wirkungen als entsprechende deutsche Entscheidungen1. Da § 343 Abs. 2 InsO aber nunmehr für die Anerkennung von Entscheidungen zur Durchführung oder Beendigung des anerkannten Insolvenzverfahrens in vollem Umfang auf Abs. 1 verweist, richten sich jedenfalls die insolvenzrechtlichen Wirkungen dieser Entscheidungen im Inland ebenfalls allein nach dem ausländischen Insolvenzstatut.

6.647

Die Anerkennung ausländischer Insolvenzverfahren und der in ihrem Rahmen getroffenen Entscheidungen setzt nach europäischem (Art. 20 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015)2 wie nach deutschem Insolvenzrecht – anders als z.B. in der Schweiz (Art. 166 ff. IPRG) – grundsätzlich kein förmliches Anerkennungsverfahren voraus. Es gilt vielmehr – wie bei der Anerkennung sonstiger ausländischer Zivilurteile nach Art. 36 Abs. 1 Brüssel Ia-VO oder § 328 ZPO – der Grundsatz der automatischen Anerkennung. Jede mit der Anerkennungsfrage befasste Behörde prüft daher die Anerkennungsvoraussetzungen incidenter in ihrem Verfahren3. Eine Ausnahme gilt nur für die Vollstreckbarkeit der ausländischen Entscheidungen (dazu Rz. 6.655 f.). bb) Beschlagnahme des Inlandsvermögens

6.648

Die Hauptwirkung der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung über die Insolvenzeröffnung besteht darin, dass auch das im Inland belegene Vermögen des Schuldners als Teil der ausländischen Insolvenzmasse beschlagnahmt wird, vgl. § 343 Abs. 1 InsO4. Die ausländische lex fori concursus entscheidet daher auch über die Reichweite des Insolvenzbeschlags, dh. über die Abgrenzung des insolvenzfreien Vermögens des Schuldners zur Insolvenzmasse und über die Einbeziehung von erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworbenen Rechten in dieses Verfahren (Art. 7 Abs. 2 lit. b EuInsVO 2015; § 335 InsO)5. Gleiches gilt auch für die (Vor-)Frage, ob ein bestimmter Gegenstand der Zwangsvollstreckung unterliegt (vgl. § 36 InsO)6.

1 Schack, Rz. 1218. 2 Vgl. den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 143 und 152; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (146 f.); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (285 f.); Wimmer, NJW 2002, 2427 (2428). 3 Die Regierungsbegründung zum IIR-G spricht diesbezüglich von dem „das deutsche internationale Insolvenzrecht beherrschenden Grundsatz der automatischen Anerkennung“; vgl. BR-Drucks. 715/02, S. 25; ferner OLG Bamberg v. 12.2.2015 – 8 W 2/15, BeckRS 2015, 14273 = IPRspr. 2015 Nr. 284; AG Duisburg v. 13.1.2010 – 62 IE 1/10, Rpfleger 2010, 323 (Rz. 7); Reinhart in MünchKomm InsO, § 343 Rz. 1 und 69; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 42; Geimer, Rz. 3526; Schack, Rz. 1225. Ebenso schon zum bisherigen Recht OLG Zweibrücken v. 17.4.1989 – 3 W 1/89, NJW 1990, 648; Flessner, IPRax 1997, 1 (4); E. Habscheid, S. 316; Trunk, S. 280 ff.; Trunk, KTS 1987, 415 (425 ff.); Wenner, Rz. 164. 4 Flessner, IPRax 1997, 1 (5); Geimer, Rz. 3387; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 50; Schack, Rz. 1227; ebenso schon zur KO grundlegend BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (263 ff.) = ZIP 1985, 944; ferner BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 (375 f.) = ZIP 1993, 1094; BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (200) = ZIP 1994, 547; BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79 (82) = ZIP 1997, 39. Zur daraus folgenden Verfügungsbefugnis des ausländ. Insolvenzverwalters Rz. 6.660 ff. 5 Geimer, Rz. 3519; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 51; Trunk, S. 291 f. 6 BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 63/16, NZI 2017, 816 (Rz. 15 ff.; zu § 335 InsO); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 52; Trunk, S. 292; Wenner, Rz. 220.

726 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.651 § 6

cc) Unzulässigkeit der Einzelzwangsvollstreckung § 237 KO erklärte noch die Zwangsvollstreckung in inländisches Vermögen eines Schuldners trotz Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland ausdrücklich für zulässig. Soweit das ausländische Insolvenzrecht daher eine Vollstreckungssperre anordnete, konnte diese Wirkung im Inland nicht anerkannt werden. Gleiches galt auch im Falle der Eröffnung eines Vergleichsverfahrens im Ausland1. Vor allem inländische Gläubiger sollten durch die fortbestehende Möglichkeit der Zwangsvollstreckung in das Inlandsvermögen des Gemeinschuldners aus titulierten Ansprüchen privilegiert werden und zur Durchsetzung dieser Ansprüche nicht auf das ausländische Insolvenzverfahren verwiesen werden können. § 237 KO war damit eine gesetzliche Durchbrechung des Grundsatzes der Gleichbehandlung aller Gläubiger2. Die Vorschrift war im universal ausgerichteten deutschen internationalen Insolvenzrecht ein Fremdkörper. Deshalb hatte der Gesetzgeber schon in Art. 102 EGInsO a.F. auf eine entsprechende Regelung verzichtet.

6.649

Ob und in welchem Umfang die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einem Vollstreckungsverbot bezüglich des im Inland belegenen Vermögens des Schuldners führt, bestimmt sich daher heute sowohl im europäischen (Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. f EuInsVO 2015) wie im autonomen Insolvenzrecht (§ 335 InsO) allein nach dem Recht des ausländischen Eröffnungsstaates (vgl. dazu schon Rz. 6.594 ff.)3. Grundsätzlich wird man – wie nach §§ 89, 90 InsO – von einer solchen Sperre der individuellen Zwangsvollstreckung auch nach ausländischem Insolvenzrecht regelmäßig auszugehen haben, denn sie ist in ihrem Kern für jedes Insolvenzverfahren unverzichtbar4. Ein Gläubiger, der nach einer im Inland anerkennungsfähigen Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens durch inländische Zwangsvollstreckungsmaßnahmen Vermögenswerte des Schuldners erlangt hat, muss diese dementsprechend nach Maßgabe der ausländischen lex fori concursus an den ausländischen Insolvenzverwalter herausgeben5.

6.650

Solange nicht feststeht, ob das ausländische Insolvenzverfahren im Inland anerkennungsfähig ist, bleiben jedoch Sicherungsmaßnahmen von Gläubigern im Inland grundsätzlich zulässig6. An deren Voraussetzungen sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen, um den ausländischen Verwalter nicht unnötig in der Ausübung seiner Befugnisse zu behindern. Ein Arrestgrund entfällt spätestens dann, wenn die Anerkennungsfähigkeit des ausländischen Insolvenzverfahrens definitiv feststeht; der Arrest muss dann aufgehoben werden, weil die Möglichkeit der Einzelzwangsvollstreckung, die er dem Gläubiger erhalten soll, damit endgültig entfällt7.

6.651

1 LG Frankfurt a.M. v. 13.2.1989 – 2/9 T 48/89, ZIP 1989, 1271 = NJW 1990, 650. 2 Vgl. J. Schmidt, S. 93 ff.; Trunk, S. 307 ff. 3 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg.2010 I, 417 (Rz. 43 ff.) = ZIP 2010, 187; öOGH v. 23.2.2016 – 4 Ob 160/15f, unalex AT-1030; Ludwig, S. 105, jeweils m.w.N. 4 Lauf, S. 134 ff.; Geimer, Rz. 3524; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 31; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 74; H. Roth, IPRax 1996, 324 (325 f.) m.w.N. 5 Vgl. i.d.S. schon früher OLG Düsseldorf v. 15.11.1990 – 13 U 84/90, IPRspr. 1990 Nr. 254b; zust. Schack, Rz. 1229. 6 Flessner, IPRax 1997, 1 (6 f.); Geimer, Rz. 3534; E. Habscheid, S. 407 ff.; Ludwig, S. 108 ff.; H. Roth, IPRax 1996, 324 (326); Schack, Rz. 1230; a.A. Ebenroth, ZZP 101 (1988), 121 (131 f.); OLG Düsseldorf v. 17.8.1982 – 8 W 31/82, ZIP 1982, 1341 (1342). 7 Flessner, FS Merz (1992), S. 93 (102 f.); Schack, Rz. 1230.

Hausmann | 727

§ 6 Rz. 6.652 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

dd) Schranken der Wirkungserstreckung

6.652

Der Grundsatz der Wirkungserstreckung gilt freilich für das ausländische (Haupt-)Insolvenzverfahren nicht unbeschränkt. Er setzt vielmehr sowohl nach der EuInsVO (Art. 20 Abs. 1 a.E. EuInsVO 2015) als auch nach autonomem Recht voraus, dass im Inland kein Partikularinsolvenzverfahren eröffnet worden ist. Ein solches geht daher einem – früher wie später – eröffneten ausländischen Hauptverfahren in jedem Falle vor und hindert die Erstreckung der Wirkungen des Hauptverfahrens auf das inländische Vermögen des Schuldners (dazu näher Rz. 6.681 f., Rz. 6.684 f.). Darüber hinaus werden die materiellen Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens im Inland – ebenso wie die eines inländischen Insolvenzverfahrens im Ausland – durch die Sonderanknüpfungen in Art. 8 ff. EuInsVO 2015 bzw. §§ 336 ff. InsO beschränkt (dazu Rz. 6.697 ff.). b) Erstreckung der Wirkungen sonstiger, mit einem Hauptinsolvenzverfahren zusammenhängender Entscheidungen

6.653

Ist die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens im Inland anzuerkennen, so gilt Gleiches auch für die weiteren Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung dieses Verfahrens (Art. 32 Abs. 1 UAbs. 1 EuInsVO 2015; § 343 Abs. 1 InsO). Gemeint sind etwa Entscheidungen über die Stundung von Gläubigerforderungen oder deren Erlöschen infolge verspäteter Anmeldung, ferner Entscheidungen über die Kürzung oder den Erlass von Gläubigerforderungen durch einen Sanierungs-/Insolvenzplan, sofern die Gläubiger zumindest die Möglichkeit hatten, an dem ausländischen Verfahren teilzunehmen1, sowie Entscheidungen über eine Restschuldbefreiung (dazu näher Rz. 6.737 ff.)2. Darüber hinaus sind auch mit dem ausländischen Insolvenzverfahren eng zusammenhängende Entscheidungen, wie z.B. solche über Anfechtungsklagen des Insolvenzverwalters, im Geltungsbereich des europäischen Insolvenzrecht anerkennungs- und vollstreckungsfähig (Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015). Demgegenüber enthält das autonome deutsche Recht keine entsprechende Vorschrift, so dass insoweit im Verhältnis zu Drittstaaten für die Anerkennung § 328 ZPO, für die Vollstreckung § 353 InsO i.V.m. §§ 722, 723 ZPO gelten. c) Wirkungen eines ausländischen Partikularinsolvenzverfahrens im Inland

6.654

Die Wirkungen eines ausländischen Partikularinsolvenzverfahrens sind von vorneherein auf das Gebiet des eröffnenden Staates beschränkt. Eine Erstreckung der Wirkungen eines solchen Verfahrens auf andere (Mitglied-) Staaten kommt daher – wie Art. 3 Abs. 2 S. 2 EuInsVO 2015 für das europäische internationale Insolvenzrecht klarstellt – nicht in Betracht. Der ausländische Verwalter kann daher im Inland grundsätzlich keine Befugnisse ausüben. Allerdings bestimmt Art. 20 Abs. 2 S. 1 EuInsVO 2015, dass die Wirkungen eines Partikularinsolvenzverfahrens in den anderen Mitgliedstaaten „nicht in Frage gestellt“ werden dürfen. Dies bedeutet etwa, dass der Verwalter des ausländischen Partikularinsolvenzverfahrens Vermögen, das nach Eröffnung des Verfahrens aus dem Gebiet des eröffnenden Staates nach Deutschland oder in einen anderen Mitgliedstaat verbracht worden ist, für die Masse des Partikularverfahrens beanspruchen kann (vgl. Art. 21 Abs. 2 S. 1 EuInsVO 2015) und Rechtshandlungen, die diese Masse verkürzen, in anderen Mitgliedstaaten anfechten kann (Art. 21 Abs. 2 S. 2 EuInsVO 1 Vgl. BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, ZIP 1997, 39 = NJW 1997, 524; Wimmer in FK-InsO, § 343 Rz. 27 ff.; Graf, S. 366 ff. 2 LG Aurich v. 4.11.2016 – 1 O 1079/15, unalex DE-3446. Vgl. Graf, S. 363 ff.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 92.

728 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.656 § 6

2015)1. Entsprechendes gilt auch nach deutschem autonomen Insolvenzrecht (§§ 335, 339 InsO). Die Anerkennung eines Partikularinsolvenzverfahrens in den anderen Mitgliedstaaten wird im europäischen Insolvenzrecht allerdings durch Art. 20 Abs. 2 S. 2, Art. 47 Abs. 2 EuInsVO zum Schutz der Gläubiger beschränkt. Danach wirken Beschränkungen der Rechte von Gläubigern durch ein solches Verfahren – z.B. der in einem Insolvenzplan vereinbarte Erlass von Schulden oder eine Restschuldbefreiung – hinsichtlich des in anderen Mitgliedstaaten belegenen Vermögens nur, wenn die Gläubiger hierzu ihre Zustimmung erteilt haben. Ist dies nicht der Fall, so steht es den betroffenen Gläubigern frei, ihre Forderungen aus den in anderen Mitgliedstaaten belegenen Vermögensgegenständen zu befriedigen (vgl. dazu näher Rz. 6.733 ff.)2. Nach autonomem Recht ist die mit einem ausländischen Partikularinsolvenzverfahren verbundene Restschuldbefreiung hinsichtlich des Inlandsvermögens des Schuldners überhaupt nicht anzuerkennen (§ 355 Abs. 1 InsO).

5. Vollstreckung insolvenzrechtlicher Entscheidungen a) Europäisches Insolvenzrecht Nach Art. 25 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EuInsVO 2000 wurden die Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens einschließlich eines vom Insolvenzgerichts bestätigten Vergleichs3 in einem gegenüber dem nationalen Recht vereinfachten Verfahren nach Maßgabe der Art. 38–58 Brüssel I-VO vollstreckt. Die Vollstreckbarerklärung durfte allerdings – abweichend von Art. 35 Abs. 1 S. 1 Brüssel I-VO – nicht aus den in Art. 34 und 35 Brüssel I-VO, sondern allein aus den in Art. 16, 25 Abs. 3 und 26 EuInsVO 2000 genannten Gründen versagt werden4. An die Stelle der Brüssel I-VO ist mit Wirkung vom 10.1.2015 die Brüssel Ia-VO getreten, die in Art. 39 das Exequaturverfahren ganz beseitigt hat; stattdessen hat der Schuldner nur noch die Möglichkeit, die Versagung der Vollstreckung nach Art. 46 ff. i.V.m. Art. 45 Brüssel Ia-VO zu beantragen. Dem trägt die EuInsVO 2015 in Art. 32 Abs.1 S. 2 Rechnung und verweist für die Vollstreckung von Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens nunmehr auf die Art. 39 ff., 47 ff. Brüssel Ia-VO.

6.655

Art. 32 Abs. 1 UAbs. 1 S. 2 EuInsVO 2015 regelt darüber hinaus auch die Vollstreckung der Eröffnungsentscheidung selbst in Bezug auf alle Rechtswirkungen, die über die – als solche nicht vollstreckungsfähige – Eröffnung des Verfahrens selbst hinausgehen5. Einer solchen Vollstreckung bedarf es insbesondere dann, wenn der Schuldner nicht freiwillig bereit ist, die Gegenstände der Insolvenzmasse an den ausländischen Insolvenzverwalter herauszugeben. Räumt die ausländische lex fori concursus daher dem Verwalter – wie im deutschen Recht (§ 148 Abs. 2 InsO) – die Befugnis ein, aus dem Eröffnungsbeschluss gegen den Schuldner zu vollstrecken, so erfolgt diese Vollstreckung ebenfalls im Wege des privilegierten Verfahrens nach Art. 32 Abs. 1 S. 2 EuInsVO 2015; dies stellt Art. 102c § 10 EGInsO ausdrücklich klar.

6.656

1 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 156; Balz, ZIP 1996, 948 (951); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (230); Kindler in MünchKomm, Art. 21 EuInsVO Rz. 15; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (148 f.). 2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 157; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (148 f.). 3 Als solcher ist auch die Einigung auf einen Insolvenzplan (vgl. im deutschen Recht § 207 f. InsO) anzusehen, vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 32 EuInsVO Rz. 9. 4 Vgl. den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 192 a.E.; ferner Haubold, IPRax 2002, 157 (159); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (149); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (566). 5 Vgl. schon zur EuInsVO 2000 den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 189; Balz, ZIP 1996, 948 (953); Haubold, IPRax 2002, 157 (159); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (150).

Hausmann | 729

§ 6 Rz. 6.657 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.657

Ohne Exequaturverfahren nach Art. 39 Brüssel Ia-VO werden gem. Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015 künftig weiterhin Annexentscheidungen vollstreckt, die „unmittelbar auf Grund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen“. Dies sind Entscheidungen, die – wie die Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters oder Haftungsansprüche gegen den Verwalter – ein Insolvenzverfahren notwendig voraussetzen. Gleiches gilt nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO 2015 für die Vollstreckung von Entscheidungen, die vorläufige Sicherungsmaßnahmen anordnen. Demgegenüber verbleibt es für andere als die in Abs. 1 genannten Entscheidungen gem. Art. 32 Abs. 2 EuInsVO 2015 bei den – weitergehenden – Versagungsgründen nach Art. 45 Brüssel Ia-VO, soweit diese Verordnung anwendbar ist1. b) Autonomes Insolvenzrecht

6.658

Die erleichterten Vollstreckungsmöglichkeiten nach Art. 32 Abs. 1 EuInsVO gelten nur für Entscheidungen aus Mitgliedstaaten dieser Verordnung. Für das autonome Recht verbleibt es hingegen nach § 353 InsO dabei, dass die Zwangsvollstreckung aus Entscheidungen, die in einem ausländischen Insolvenzverfahren ergangen sind, nur stattfindet, wenn ihre Zulässigkeit durch ein Vollstreckungsurteil ausgesprochen wird.2 Gleiches gilt wegen der Nichtanwendbarkeit des von Dänemark mit der EU geschlossenen Anerkennungs- und Vollstreckungsübereinkommens in Zivil- und Handelssachen vom 19.10.20053 auf insolvenzrechtliche Streitigkeiten (Art. 1 Abs. 2 lit. b) für die Vollstreckung von dänischen Insolvenzentscheidungen in Deutschland4. Örtlich zuständig für das Vollstreckungsurteil ist jedes Gericht, in dessen Bezirk sich Vermögen des Schuldners befindet (§ 353 Abs. 1 S. 2 InsO i.V.m. § 722 Abs. 2, § 23 ZPO). Ein solches Urteil ergeht ohne Nachprüfung der Gesetzmäßigkeit der ausländischen Entscheidung (§ 353 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 723 Abs. 1 ZPO). Demgegenüber wird § 723 Abs. 2 ZPO im Interesse einer zügigen Durchführung des Insolvenzverfahrens nicht für anwendbar erklärt; die ausländische Entscheidung braucht daher nicht rechtskräftig zu sein.

6.659

Prüfungsmaßstab für die Vollstreckbarkeit von drittstaatlichen Entscheidungen, die zur Durchführung oder Beendigung des anerkannten Insolvenzverfahrens ergangen sind, ist gem. § 343 Abs. 2 InsO der Absatz 1 dieser Vorschrift, d.h. es findet nur eine Überprüfung der internationalen Zuständigkeit des ausländischen Gerichts und eine ordre-public-Kontrolle statt. Gleiches gilt für die Vollstreckbarkeit ausländischer Sicherungsmaßnahmen (§ 353 Abs. 2 InsO). Darüber hinaus sollte man im Lichte der Entwicklung des europäischen Insolvenzrechts auch die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen über Insolvenzanfechtungsklagen nicht an § 328 ZPO messen (und damit vom Gegenseitigkeitserfordernis abhängig machen), sondern ebenfalls nur an § 343 Abs. 1 InsO.

1 Die Abgrenzung derjenigen Einzelklagen, die „unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen“ (i.S.v. Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2025), von den der Brüssel Ia-VO unterliegenden allgemeinen zivil- und handelsrechtlichen Verfahren ist also nicht nur für die Frage der internationalen Zuständigkeit (dazu ausführlich Rz. 6.556 ff.), sondern auch für die Voraussetzungen und das Verfahren der Vollstreckung bedeutsam. 2 Vgl. Reinhart, ZIP 1997, 1734 (1738); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 93. 3 ABl. EU 2005 L 293, S. 62. 4 OLG Frankfurt v. 24.1.2005 – 20 W 527/04, ZInsO 2005, 715.

730 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.662 § 6

6. Anerkennung der Befugnisse des ausländischen Insolvenzverwalters bezüglich des Inlandsvermögens a) Allgemeine Voraussetzung für die Anerkennung Die Ernennung eines Insolvenzverwalters und der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse auf diesen ist eine der zentralen Wirkungen der meisten Insolvenzverfahren. Bei der Anerkennung der Befugnisse des ausländischen Insolvenzverwalters hinsichtlich des im Inland belegenen Schuldnervermögens handelt es sich daher aus deutscher Sicht um die notwendige Folge einer Anerkennung der Beschlagnahmewirkung des ausländischen Insolvenzverfahrens1. Daraus folgt zugleich, dass sich die Rechtsmacht des ausländischen Verwalters nur dann auf das Inlandsvermögen des Schuldners erstreckt, wenn die Voraussetzungen für die Anerkennung der ausländischen Eröffnungsentscheidung vorliegen2.

6.660

BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (200) = ZIP 1994, 547 = NJW 1994, 2549 = IPRax 1995, 168 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1995, 157) = EWiR 1994 (LS) m. Anm. Hanisch Das ausländische Konkursrecht regelt als Konkursstatut die Befugnisse des Konkursverwalters. Voraussetzung für die Anwendbarkeit ausländischen Konkursrechts ist allerdings, dass der Auslandskonkurs nach den Grundsätzen über die Anerkennung von Auslandskonkursen im Inland anerkannt werden kann.“

Dies gilt nicht nur nach autonomem Insolvenzrecht, sondern – trotz des insoweit irreführenden Wortlauts von Art. 21 EuInsVO 2015, der nur die internationale Zuständigkeit des Eröffnungsstaates nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO erwähnt – auch nach europäischem Recht (vgl. schon Rz. 6.602).

6.661

b) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis Bezüglich der inländischen Befugnisse eines in einem anderen Mitgliedstaat der EuInsVO bestellten (Haupt-)Insolvenzverwalters zur Verwaltung und Verwertung des inländischen Vermögens des Schuldners kann weitgehend auf die Ausführungen zu den umgekehrten Befugnissen eines deutschen Insolvenzverwalters in anderen Mitgliedstaaten der EU nach Art. 21 Abs. 1 EuInsVO 2015 verwiesen werden (vgl. Rz. 6.601 ff.). In gleicher Weise erkennt auch das autonome deutsche Recht heute grundsätzlich die Befugnisse eines ausländischen Insolvenzverwalters zur Sammlung und Verwertung der Insolvenzmasse an. Wann und in welchem Umfang die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse vom Schuldner auf den Verwalter übergehen und welche Rechte und Pflichten der Verwalter hat, beurteilt sich nach dem Recht des Eröffnungsstaates3. Auch wenn diese Befugnisse weiter reichen als diejenigen eines inländi1 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 53; Schack, Rz. 1227. 2 Aderhold, S. 228; Dilger, RIW 1989, 487; Gottwald, IPRax 1991, 168. Die ältere – noch auf dem Boden des Territorialitätsprinzips stehende – Rspr. erkannte die Handlungsbefugnis von Insolvenzverwaltern für ausländ. Gesellschaften demgegenüber aufgrund einer gesellschaftsrechtlichen Qualifikation an, vgl. RG v. 9.11.1933, RGZ 153, 200 (205 f.); BGH v. 7.12.1961 – II ZR 11/60, AWD 1962, 81 m. zust. Anm. Hofstetter; BPatG v. 13.9.1983 – 12 W (pat) 23/80, GRUR Int. 1984, 636; OLG Hamm v. 9.1.1984 – 8 U 161/83, ZIP 1984, 1382 = DB 1984, 1922 (m. Anm. Mohrbutter, DB 1984, 2235). 3 Vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. c, 21 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015 und § 335 InsO: Vgl. zur EuInsVO 2000 EuGH v. 2.7.2009 – C-111/08, ECLI:EU:C:2009:419, ZIP 2009, 1441 (Alpenblume), Slg. 2009 I, 5655 = IPRax 2010, 353 (m. Anm. Oberhammer, IPRax 2010, 317) = NZI 2009, 570 m. Anm. Mankowski; BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 12) = ZIP 2011, 926 = NJW 2011, 1818 = IPRax 2012, 427 (m. Anm. Reinhart, IPRax 2012, 417); öOGH v. 30.1.2018 – 9 Ob

Hausmann | 731

6.662

§ 6 Rz. 6.662 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schen Insolvenzverwalters, hindert dies ihre Anerkennung im Inland grundsätzlich nicht; Grenze ist erst der inländische ordre public. Deshalb ist auch der vom ausländischen Insolvenzrecht als Gesamtstatut angeordnete Eigentumsübergang auf den Verwalter – z.B. auf den trustee in bankruptcy nach englischem Recht – an im Inland belegenen Sachen anzuerkennen1.

6.663

Reichen die Befugnisse des ausländischen Verwalters – umgekehrt – weniger weit als nach deutschem Recht, so sind ihm im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung des deutschen Insolvenzrechts die weiterreichenden Befugnisse eines deutschen Insolvenzverwalters einzuräumen, wenn das grenzüberschreitende Insolvenzverfahren nur auf diese Weise effizient durchgeführt werden kann. Die Rechtsmacht eines englischen trustee in bankruptcy bleibt daher nicht hinter derjenigen zurück, die bei einem deutschen Partikularverfahren nach § 80 InsO dem deutschen Insolvenzverwalter zukommt2. Dementsprechend ist auch der administrator eines englischen Insolvenzverfahrens bei Geltung deutschen Arbeitsrechts für einen zur Masse gehörenden deutschen Betrieb zum Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste gem. § 125 InsO berechtigt3. Andererseits werden die Befugnisse des ausländischen Verwalters im Inland durch die Sonderanknüpfungen nach Art. 8 ff. EuInsVO bzw. §§ 336 ff. InsO auch begrenzt (dazu Rz. 6.697 ff.).

6.664

Zwangsbefugnisse, die ihm das Recht des Eröffnungsstaates zur Erfüllung seiner Aufgaben verleiht, kann der ausländische Insolvenzverwalter im Inland in keinem Fall ausüben4. Die ausländische lex fori concursus entscheidet in diesem Zusammenhang auch darüber, ob die Insolvenzmasse selbst rechts- und parteifähig ist und – wie z.B. vom administrator oder liquidator nach englischem Recht – vom Verwalter vertreten wird oder ob der Verwalter – wie nach deutschem Recht – im eigenen Namen handelt5.

6.665

Das ausländische Recht des Eröffnungsstaates bestimmt insbesondere über den Umfang der Verfügungsbefugnisse des Verwalters und damit zugleich über Verfügungsbeschränkungen des Schuldners. Bedarf ein ausländischer Verwalter nach diesem Recht zur Vornahme bestimmter Geschäfte der Genehmigung des Insolvenzgerichts oder der Gläubigerversammlung, so bleibt es dabei auch dann, wenn der Verwalter das Geschäft im Inland vornimmt; das ausländische Recht bestimmt in diesem Fall zugleich, welche Folgen ein Verstoß gegen das Ge-

1 2 3 4 5

65/17z, unalex AT-1156; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 159. Zum autonomen Recht BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (261) = ZIP 1985, 944; BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (200) = ZIP 1994, 547 = NJW 1994, 2549; BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 (Rz. 29) = ZIP 2012, 2312 = NZA 2013, 797; Aderhold, S. 228 ff.; Geimer, Rz. 3506; Kolmann/ Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 53; E. Habscheid, S. 46; Kirchhof, WM 1993, 1364 (1368); Riegel, S. 160 ff.; Schack, Rz. 1227; Summ, S. 45 ff. m.w.N. BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 15, 17) = ZIP 2011, 926; Ahrens, S. 113 ff.; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 21. BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 = ZIP 2011, 926. BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 (Rz. 36 ff.) = ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011 m. Anm. Hess. Art. 21 Abs. 3 S. 2 EuInsVO 2015; vgl. dazu den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 164. Zum autonomen Recht LG Krefeld v. 9.4.1992 – 6 T 12/92, ZIP 1992, 1407 = IPRspr. 1992 Nr. 264; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 82; Hagemann, KTS 1960, 161. BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (118) = ZIP 1997, 150 = NJW 1997, 657 (Konkursmasse einer schwed. Aktiengesellschaft nach schwed. Insolvenzrecht als parteifähig erachtet); ferner Furtak, Die Parteifähigkeit im Zivilverfahren mit Auslandsberührung (1995), S. 180; Geimer, Rz. 3472a; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 53; Summ, S. 45.

732 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.667 § 6

nehmigungserfordernis hat. Auf die Frage, ob ein entsprechendes Geschäft auch nach deutschem Insolvenzrecht genehmigungspflichtig wäre, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Im Übrigen entscheidet die ausländische lex fori concursus vor allem darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen der Insolvenzverwalter massezugehörige Rechte freigeben oder verwerten kann. In den durch das ausländische Insolvenzstatut gezogenen Grenzen kann er daher im Inland belegene Gegenstände, die zur ausländischen Masse gehören, in Besitz nehmen, Forderungen eintreiben, Verfügungen nach Maßgabe des jeweiligen Sachstatuts vornehmen und Gestaltungsrechte ausüben1. Hinsichtlich der Art und Weise der Verwertung – z.B. durch öffentliche Versteigerung – hat der ausländische Verwalter allerdings auf das deutsche Recht Rücksicht zu nehmen2. c) Prozessführungsbefugnis Auch ein vom Recht des ausländischen Eröffnungsstaates angeordneter Übergang der Prozessführungsbefugnis auf den Verwalter ist in einem die Masse berührenden Rechtsstreit vor inländischen Gerichten zu beachten. Der ausländische Verwalter – und nicht mehr der Gemeinschuldner – ist in diesem Falle berechtigt, zur Masse gehörende Ansprüche vor deutschen Gerichten einzuklagen und aus den so erlangten Titeln zu vollstrecken3. Er kann auch einer Vollstreckung durch einzelne Gläubiger in das Inlandsvermögen des Gemeinschuldners entgegentreten4. Den Befugnissen des ausländischen Verwalters im inländischen Prozess sind allerdings durch das deutsche Verfahrensrecht Grenzen gezogen.

6.666

Wird ein (Haupt-)Insolvenzverfahren im Ausland eröffnet, so ist die ausländische lex fori concursus auch zur Entscheidung darüber berufen, ob und unter welchen Voraussetzungen der Insolvenzverwalter dem Schuldner oder einem Dritten die Ermächtigung zur Prozessführung in Bezug auf Forderungen oder Vermögensgegenstände erteilen kann, die in das ausländische Insolvenzverfahren einbezogen sind. Eine hiernach wirksam erteilte Ermächtigung berechtigt den Schuldner auch im Inland – in gewillkürter Prozessstandschaft – zur Prozessfüh-

6.667

1 Vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 81; Wenner, Rz. 220. 2 Aderhold, S. 233 f.; Geimer, Rz. 3507. Vgl. auch Art. 21 Abs. 3 EuInsVO 2015; dazu den Virgós/ Schmit-Bericht Rz. 164. 3 Vgl. zum autonomen Recht BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (119) = ZIP 1997, 150 (Befugnis des schwed. Insolvenzverwalters zur Einziehung des im Inland belegenen Vermögens des Gemeinschuldners sowie zur Anfechtung von dessen in Deutschland vorgenommenen Rechtshandlungen bejaht); LG Krefeld v. 9.4.1992 – 6 T 12/92, NJW-RR 1992, 1535 = ZIP 1992, 1407 (Der von einem niederländ. Gericht bestellte Insolvenzverwalter ist berechtigt, die Verwertung eines in Deutschland belegenen Grundstücks im Wege der Zwangsversteigerung nach § 172 ZVG zu betreiben, ohne dass er hierfür eines Vollstreckungstitels bedarf.); LG Hamburg v. 2.7.1992 – 302 O 279/91, RIW 1993, 147 (zum Recht eines austral. Insolvenzverwalters, im Inland belegenes Vermögen des Gemeinschuldners auch im Wege von Eilmaßnahmen [z.B. durch einstweilige Verfügung] zu sichern, um sie im ordentlichen Verfahren zur Masse zu ziehen); ferner BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (261) = ZIP 1985, 944; BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (200) = ZIP 1994, 547; Flessner, IPRax 1997, 1 (5); Geimer, Rz. 3369, 3508; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 53; Schack, Rz. 1227; Trunk, S. 290 f. 4 Trunk in Gilles, S. 193. Gegen eine Zwangsvollstreckung in Vermögenswerte des Gemeinschuldners, die der ausländ. Verwalter ins Inland gebracht hat oder die er im Inland mit Mitteln der ausländ. Masse erworben hat, kann der Verwalter sich mit der Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) wehren, vgl. RG v. 13.4.1915, LZ 15, 1588; RG v. 13.1.1885, RGZ 14, 424 (426) und RG v. 11.6.1926, RGZ 114, 82 (84).

Hausmann | 733

§ 6 Rz. 6.667 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

rung1. Voraussetzung für die Anwendbarkeit des ausländischen Insolvenzrechts auf diese Frage ist freilich wiederum, dass das ausländische Insolvenzverfahren nach den hierfür geltenden Grundsätzen (dazu Rz. 6.630 ff.) im Inland anerkannt wird2. d) Unterbrechung inländischer Verfahren aa) Autonomes Insolvenzrecht

6.668

Zweifelhaft war hingegen lange Zeit, ob der Übergang der Prozessführungsbefugnis vom Schuldner auf den ausländischen Insolvenzverwalter auch in einem anhängigen Prozess vor deutschen Gerichten zu beachten ist. Nach dem Übergang zum Universalitätsprinzip ließ sich die Ablehnung einer Unterbrechung inländischer Verfahren durch die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens jedenfalls nicht mehr mit der territorial begrenzten Wirkung des ausländischen Verfahrens begründen3. Der BGH hat indessen eine Unterbrechung inländischer Prozesse durch Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland zunächst trotz grundsätzlicher Anerkennung der ausländischen Insolvenzwirkungen abgelehnt und hat dies vor allem mit dem Argument der Rechtssicherheit gerechtfertigt. Diese erfordere, dass Parteien und Gericht frühzeitig und zuverlässig Kenntnis von der Insolvenzeröffnung hätten; dies sei aber in Bezug auf ausländische Insolvenzverfahren nicht gewährleistet4.

6.669

Macht man indessen mit der Gleichstellung von anerkennungsfähiger Auslandsinsolvenz und Inlandsinsolvenz ernst, so muss auch ein Insolvenzverfahren im Ausland zur Unterbrechung von im Inland anhängigen Verfahren nach § 240 ZPO führen. Denn diese Vorschrift soll dem mit der Insolvenzeröffnung einhergehenden Wechsel der Prozessführungsbefugnis Rechnung tragen und sowohl dem Insolvenzverwalter als auch den Parteien Gelegenheit geben, sich auf die durch die Insolvenz veränderte Lage einzustellen. Dieser Zweck trifft aber auch für ein im Ausland eröffnetes (Haupt- oder Partikular-) Insolvenzverfahren zu, das im Inland anzuerkennen ist. Voraussetzung ist lediglich, dass das ausländische Insolvenzrecht einen dem deutschen Recht vergleichbaren Übergang der Prozessführungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter vorsieht. Dieser in der Literatur5 und der Rechtsprechung der Unterge-

1 OLG Stuttgart v. 15.1.2007 – 5 U 98/06, IPRspr. 2007 Nr. 242. 2 Gottwald, IPRax 1995, 157; Prütting, ZIP 1996, 1277 (1282); vgl. auch BGH v. 24.2.1994 – VII ZR 34/93, BGHZ 125, 196 (200) = ZIP 1994, 547 (Der in Dänemark bestellte Insolvenzverwalter über das Vermögen eines dän. Verkäufers von Fertighäusern hatte das finanzierende Kreditinstitut zur gerichtlichen Geltendmachung der Restvergütung für ein Einfamilienhaus gegen die in der Bundesrepublik Deutschland wohnhaften Erwerber ermächtigt. Zulässigkeit der gewillkürten Prozessstandschaft nach der deutschen lex fori, Wirksamkeit der Prozessführungsermächtigung hingegen nach der dän. lex fori concursus beurteilt.). 3 So noch BGH v. 30.5.1962 – VIII ZR 39/61, NJW 1962, 1511; BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, NJW 1979, 2477; vgl. auch OLG Frankfurt a.M. v. 31.8.1995 – 16 U 111/94, WM 1995, 2079 (norweg. Vergleich). 4 BGH v. 7.7.1988 – I ZB 7/88, NJW 1988, 3096 (3097) = ZIP 1988, 1200 = RIW 1988, 817 = IPRax 1989, 162 (m. abl. Anm. Ackmann/Wenner, IPRax 1989, 144) = EWiR 1988, 1031 (LS) m. Anm. Marotzke; zust. Riegel, RIW 1990, 549 f. Zu Recht krit. zu diesem Rechtssicherheitsargument Leipold, FS Schwab (1990), S. 289 (297 ff.). 5 Für eine Unterbrechung von inländ. (Aktiv- wie Passiv-)Prozessen durch die Auslandsinsolvenz schon die h.L. unter Geltung der KO, vgl. Ackmann/Wenner, IPRax 1989, 144 (146 f.) und IPRax 1990, 209; W. Habscheid, KTS 1990, 403 (415 f.); Riegel, RIW 1990, 546 (549 f.); ebenso seit Inkrafttreten der InsO; Geimer, Rz. 3529; Feiber in MünchKomm ZPO, § 240 Rz. 11; Greger in Zöller, § 240 ZPO Rz. 6; Schack, Rz. 1232 f.

734 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.670 § 6

richte1 vorherrschenden Ansicht hatte sich auch der BGH2 schon vor Inkrafttreten des neuen deutschen Insolvenzrechts angeschlossen. Im geltenden Recht stellt § 352 Abs. 1 InsO die Unterbrechungswirkung des – anerkennungsfähigen – ausländischen Insolvenzverfahrens ausdrücklich klar. Weil § 352 InsO die Unterbrechung selbst anordnet, handelt es sich um eine Sachnorm, die bei Rechtshängigkeit vor deutschen Gerichten unabhängig davon eingreift, ob auch die drittstaatliche lex fori concursus eine Unterbrechung vorsieht3. Die Unterbrechung des inländischen Verfahrens setzt die Verfahrenseröffnung4 im Ausland voraus; darüber hinaus muss die Eröffnungsentscheidung im Inland anerkennungsfähig sein und das Inlandsvermögen des Schuldners erfassen wollen5. Hingegen ist nicht zwingend erforderlich, dass die ausländische lex fori concursus auch einen Wechsel der Prozessführungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter anordnet. Daher zieht auch die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens mit Eigenverwaltung des Schuldners die Unterbrechungswirkung des § 240 ZPO nach sich6. Diese dauert nach § 352 Abs. 1 S. 2 InsO an, bis der Rechtsstreit von einer Person aufgenommen wird, die nach dem Recht des Staats der Verfahrenseröffnung zur Fortführung des Rechtsstreits berechtigt ist, oder bis das Insolvenzverfahren beendet ist. Auch für die Frage, wer zur Aufnahme des Rechtsstreits berechtigt ist, kommt es also auf die Prozessführungsbefugnis nach dem Recht des Eröffnungsstaats (und nicht auf die lex fori des unterbrochenen Verfahrens) an7. Es soll nicht in die Regelung der insolvenzrechtlichen Befugnisse der Beteiligten durch den ausländischen Eröffnungsstaat eingegriffen werden. In aller Regel wird danach der Insolvenzverwalter zur Aufnahme berechtigt sein. Da nach § 343 Abs. 2 InsO auch vor Verfahrenseröffnung erlassene Sicherungsmaßnahmen anerkannt werden, misst § 352 Abs. 2 InsO auch ihnen eine prozessunterbrechende Wirkung zu, sofern sie einen Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners zur Folge haben.

1 OLG Karlsruhe v. 11.5.1990 – 10 U 70/89, ZIP 1990, 665 = NJW-RR 1991, 295 und v. 21.2.1992 – 9 W 83/91, RIW 1992, 940; OLG Frankfurt a.M. v. 25.10.1994 – 14 U 99/93, IPRspr. 1994 Nr. 201; OLG München v. 24.1.1996 – 25 W 2281/95, NJW-RR 1996, 574; LAG Rheinland-Pfalz v. 14.7.1997 – 8 Ta 94/97, RIW 1998, 633. 2 BGH v. 13.5.1997 – IX ZR 309/96, ZIP 1997, 1242 = NJW 1997, 2525 = WiB 1997, 1091 m. Anm. Dietz; BGH v. 26.11.1997 – IX ZR 309/96, ZIP 1998, 659 = IPRax 1999, 42 (m. Anm. Schollmeyer, IPRax 1999, 26), jeweils m.w.N. 3 BAG v. 18.7.2013 – 6 AZR 882/11, NZA-RR 2014, 32 (Rz. 23); Liersch, NZI 2003, 302 (308); Kindler in MünchKomm, § 352 InsO Rz. 1; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 68. 4 Die bloße Stellung des Insolvenzantrags reicht nicht aus, vgl. OLG München v. 22.8.2012 – 19 U 2031/12, ZIP 2012, 2419 = NZI 2012, 1028. 5 OLG Hamburg v. 1.3.2018 – 6 U 242/15, IPRspr. 2018 Nr. 332 6 BT-Drucks 12/2443, S. 244; BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 13) = ZIP 2009, 2217 = IPRax 2011, 181; OLG Hamburg v. 1.3.2018 – 6 U 242/15, IPRspr. 2018 Nr. 332; OLG Frankfurt v. 20.2.2007 – 5 U 24/05, ZIP 2007, 932 (934); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 68; ebenso zu Art. 15 EuInsVO 2000 OLG München v. 4.2.2019 – 23 U 2894/17, BeckRS 2019, 3394 (Rz. 7) = ZIP 2019, 781; a.A. Geimer, Rz. 3529; Kindler in MünchKomm, § 352 InsO Rz. 12 f. m.w.N. Anders liegt es nur, wenn das Insolvenzverfahren nach dem Recht des Insolvenzeröffnungsstaats keinerlei Einfluss auf anhängige Rechtsstreitigkeiten haben soll, vgl. BGH v. 20. 12. 2011 − VI ZR 14/11, NZI 2012, 572 (zur Nachlassstundung nach Art. 295 Avs. 1 schwz. SchKG). 7 BGH v. 7.12.2017 – VII ZR 101/14, BGHZ 217, 103 (Rz. 26) = RIW 2018, 294 = ZIP 2018, 130; BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 26) = ZIP 2009, 2217.

Hausmann | 735

6.670

§ 6 Rz. 6.671 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Europäisches Insolvenzrecht

6.671

Für das europäische Insolvenzrecht ordnet Art. 18 EuInsVO 2015 an, dass für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen anhängigen Rechtsstreit oder ein anhängiges Schiedsverfahren über einen Gegenstand oder ein Recht, der bzw. das Teil der Insolvenzmasse ist, ausschließlich das Recht des Mitgliedstaats gilt, in dem der Rechtsstreit anhängig oder in dem das Schiedsgericht belegen ist1. Art. 18 EuInsVO 2015 ist daher eine Kollisionsnorm2, die – im Wege der Sachnormverweisung3 – die lex fori des anhängigen Verfahrens für maßgeblich erklärt. Sie hat in Fällen der Rechtshängigkeit vor deutschen Gerichten Vorrang vor § 352 InsO und verweist dann unmittelbar auf §§ 240 ZPO, 85-87 InsO4. Deshalb kommt es in einem vor deutschen Gerichten anhängigen Verfahren nicht darauf an, ob das Recht des ausländischen Eröffnungsstaates seinerseits eine automatische Unterbrechung von dort anhängigen Prozessen vorsieht, an denen der Gemeinschuldner beteiligt ist5.

6.672

Das Recht des ausländischen Eröffnungsstaates – und nicht die lex fori des anhängigen Rechtsstreits – entscheidet allerdings nach Art. 7 Abs. 2 lit. b EuInsVO 2015 in dem Streit um die Unterbrechungswirkung darüber, ob ein Gegenstand oder Recht überhaupt zur Insolvenzmasse gehört6. Damit soll verhindert werden, dass die Unterbrechung von Prozessen über Gegenstände eintritt, die nach der lex fori concursus gar nicht Bestandteile der Insolvenzmasse sind. Mit der Wendung „Gegenstände oder Rechte der Masse“ sind dabei nicht nur bestimmte Gegenstände oder Rechte des Schuldners gemeint, vielmehr soll damit die Insolvenzmasse des Schuldners bezeichnet werden, die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsteht, so dass auch Zahlungsansprüche aus einem Dienstleistungsvertrag erfasst werden7.

6.673

Von Art. 18 EuInsVO vorausgesetzt wird nur ein rechtshängiges und noch nicht abgeschlossenes Verfahren8. Allerdings dürfte auch bloße Anhängigkeit (Einreichung der Klage bei Gericht) schon ausreichen.9 Erfasst werden Erkenntnisverfahren vor staatlichen Gerichten sowie – wie Art. 18 EuInsVO nunmehr ausdrücklich klarstellt – auch Schiedsverfahren10. Dem1 ÖOGH v. 24.1.2006 – 10 Ob 80/05w, unalex AT-572; OLG Frankfurt a.M. v. 28.8.2012 – 5 U 150/ 11, ZInsO 2012, 1990. 2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 67. 3 Kindler in MünchKomm, Art. 18 EuInsVO Rz. 13. 4 OLG München v. 4.2.2019 – 23 U 2894/17, BeckRS 2019, 3394 (Rz. 7) = ZIP 2019, 781; Kindler in MünchKomm, § 352 InsO Rz. 2; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 67. Anders noch BGH v. 13.10.2009 – X ZR 79/06, NZI 2009, 859 (Rz. 6 ff.), wo nur auf § 352 InsO abgestellt wird. 5 BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11, ZIP 2012, 1527, NZI 2012, 572 (Rz. 45); BGH v. 26.11.1997 – IX ZR 309/96, ZIP 1998, 659 = IPRax 1999, 42; BGH v. 13.5.1997 – IX ZR 309/96, NJW 1997, 2525; OLG Frankfurt a.M. v. 28.8.2012 – 5 U 150/11, ZInsO 2012, 1990; OLG Celle v. 27.11.2012 – 2 U 147/12, ZIP 2013, 945; Hessisches LAG v. 4.8.2011 – 5 Sa 1498/10, ZInsO, 2012, 1333; OLG Brandenburg v. 25.5.2011 – 13 U 100/07, ZInsO 2011, 1563; Aderhold, S. 261 ff.; Geimer, Rz. 3509, 3598; E. Habscheid, S. 342 ff.; Schack, Rz. 1232; Schollmeyer, IPRax 1999, 26 (27). 6 BGHZ 217, 103 (Rz. 12) = ZIP 2018,130 (Rz. 12); Kindler in MünchKomm, Art. 18 EuInsVO Rz. 8; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 67; a.A. (lex fori) noch OLG München v. 25.2.2010 – 29 U 1513/07, NZI 2010, 826 (828) = ZIP 2010, 2118 = IPRax 2011, 505 (m. Anm. Stadler, IPRax 2011, 480). 7 EuGH v. 6.6.2018 – C-250/17, ECLI:EU:C:2018:398 (Virgílio Tarragó da Silveira), NZI 2018, 613 (Rz. 24 ff.) m. Anm. Mankowski. 8 BGH v. 11.12.2008 – IX ZB 232/08, ZIP 2009, 240. 9 Kindler in MünchKomm, Art. 18 EuInsVO Rz. 6. 10 Dazu näher Kindler in MünchKomm, Art. 18 EuInsVO Rz. 15 ff.

736 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.675 § 6

gegenüber gilt für ein vom Gläubiger betriebenes Vollstreckungsverfahren nach Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. f EuInsVO 2015 allein die lex fori concursus1. Nur diese entscheidet also darüber, ob die Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens eine Einzelrechtsverfolgung im Inland verbietet und welche Auswirkungen das Insolvenzverfahren auf bereits begonnene Zwangsvollstreckungsmaßnahmen hat. Denn es wäre widersprüchlich, Art. 18 EuInsVO 2015 dahin auszulegen, dass er auch Vollstreckungsverfahren erfasst, während gleichzeitig Art. 23 Abs. 1 EuInsVO 2015 ausdrücklich die Herausgabe des „durch Zwangsvollstreckung“ Erlangten an den Verwalter vorschreibt. e) Sicherungsmaßnahmen des vorläufigen Verwalters Die EuInsVO 2015 bietet für die Anordnung und Durchsetzung von Sicherungsmaßnahmen zwei unterschiedliche Möglichkeiten an. Zum einen kann das für das ausländische Hauptinsolvenzverfahren zuständige Gericht Sicherungsmaßnahmen anordnen, die nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 3 EuInsVO 2015 in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen und nach der Brüssel Ia-VO zu vollstrecken sind (dazu schon Rz. 6.628 f.)2. Bestellt das ausländische Gericht also bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen vorläufigen Verwalter oder erlegt es dem Schuldner ein allgemeines Veräußerungsverbot auf, so sind diese Maßnahmen im Inland anzuerkennen; Gleiches gilt für die vorläufige Untersagung bzw. Einstellung der Zwangsvollstreckung3. Daneben ist nach Art. 52 EuInsVO 2015 aber auch der vorläufige Verwalter des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens berechtigt, zur Sicherung des im Inland befindlichen schuldnerischen Vermögens vorläufige Maßnahmen nach deutschem Recht zu beantragen. Ein solches Vorgehen kann sinnvoll sein, wenn sich solche Maßnahmen im Inland leichter erreichen lassen oder das deutsche Recht weitergehende Sicherungsmaßnahmen kennt als das Recht des Hauptinsolvenzverfahrens. Voraussetzung für den Erlass solcher vorläufigen Sicherungsmaßnahmen ist jedoch, dass der Schuldner im Inland eine Niederlassung unterhält, da diese Sicherungsmaßnahmen lediglich ein späteres Sekundärinsolvenzverfahren absichern sollen4. Damit können abweichend von der Systematik des § 21 InsO zur Sicherung des inländischen Sekundärinsolvenzverfahrens bereits Maßnahmen nach § 21 InsO angeordnet werden, obwohl im Inland noch kein Antrag auf Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens gestellt wurde. Denn einen solchen Antrag kann nach Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO 2015 nur der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens, nicht jedoch der vorläufige Verwalter stellen.

6.674

Im Interesse einer möglichst zügigen Sicherung der Insolvenzmasse sieht dementsprechend auch das autonome deutsche IIR nicht nur die „automatische“ Anerkennung ausländischer Sicherungsmaßnahmen nach § 343 Abs. 2 InsO vor, sondern räumt dem zuständigen deutschen Insolvenzgericht (vgl. § 348 InsO) die Befugnis ein, auf Antrag des vorläufigen Insolvenzverwalters des in einem Drittstaat eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens die Maßnahmen

6.675

1 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (Probud Gdynia), NZI 2010,156 (Rz. 25); EuGH v. 9.11.2016 – C-212/15, ECLI:EU:C:2016:841 (ENEFI), NZI 2016, 959 (Rz. 34 f.) m. Anm. Mankowski = NJW 2017, 144 m. Anm. Stricker; EuGH v. 6.6.2018 – C-250/17, ECLI:EU: C:2018:398 (Virgílio Tarragó da Silveira), NZI 2018, 613 (Rz. 30 ff.) m. Anm. Mankowski; ferner Hübler, NZI 2016, 990 (992 f.); Bayer/Schmidt, BB 2017, 2114 (2123 f.): Kindler in MünchKomm, Art. 18 EuInsVO Rz. 4; Virgos/Schmit-Bericht Rz. 142. 2 Vgl. ErwG 16 zur EuInsVO 2000; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 261; W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (295); Herchen, S. 161. 3 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 133 Rz. 88; Geimer, Rz. 3500. 4 Vgl. den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 38, 261; Kolmann, S. 298; a.A. Ahrens, S. 299; Herchen, S. 162 f.

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§ 6 Rz. 6.675 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nach § 21 InsO anzuordnen, die zur Sicherung des im Inland belegenen schuldnerischen Vermögens erforderlich sind, sofern die Voraussetzungen für die Eröffnung eines inländischen Sekundärinsolvenzverfahrens vorliegen.

7. Konkurrierende Insolvenzverfahren a) Europäisches Insolvenzrecht aa) Konkurrierende Hauptverfahren

6.676

Die EuInsVO 2015 enthält – anders als die Brüssel Ia-VO (vgl. dort Art. 29, 30) – keine Bestimmungen, wie ein positiver1 Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten zweier Mitgliedstaaten gelöst werden soll; denn nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO gibt es für die Entscheidung über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur ein zuständiges Gericht, nämlich am Interessenmittelpunkt des Schuldners. Dies schließt freilich einen Kompetenzkonflikt nicht aus, wenn die Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten diesen Interessenmittelpunkt jeweils in ihrem Gebiet für gegeben erachten. Dazu kann es kommen, obwohl jedes Gericht seine internationale Zuständigkeit nach Maßgabe der Verordnung zu prüfen und dabei den unionsrechtlichen Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (ErwG 65 S. 5 und 6 zur EuInsVO 2015) zu beachten hat2. Um den Gerichten in den anderen Mitgliedstaaten zu verdeutlichen, welche Maßstäbe diesbezüglich für das deutsche Insolvenzgericht maßgebend waren, sollte dieses seine tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen zur Kompetenzfrage im Eröffnungsbeschluss kurz darlegen, wenn sich abzeichnet, dass auch in einem anderen Mitgliedstaat möglicherweise zuständigkeitsbegründende Umstände vorliegen; dies gilt bereits dann, wenn in einem anderen Mitgliedstaat Vermögen des Schuldners belegen ist. Da die Anknüpfungspunkte für ein Hauptinsolvenz- und ein Partikularverfahren unterschiedlich ausgestaltet sind (vgl. Art. 3 Abs. 1 und 2 EuInsVO), sind in den Eröffnungsbeschluss auch diesbezügliche Angaben aufzunehmen3.

6.677

Da nach der Intention der Verordnung in den Mitgliedstaaten stets nur ein Hauptinsolvenzverfahren eröffnet werden soll, ist ein möglicher Kompetenzkonflikt nach dem Grundsatz der Priorität zu lösen; zuständig ist allein das Gericht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren zuerst eröffnet wurde4. Die Entscheidung dieses Gerichts über seine internationale Zuständigkeit ist in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen und unterliegt dort keiner Nachprüfung5. Hat daher das Gericht eines anderen Mitgliedstaats ein Hauptinsolvenzverfahren eröff1 Auch für die Entscheidung eines negativen Kompetenzkonflikts – kein Mitgliedstaat erklärt sich i.S.v. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO für zuständig – sieht die Verordnung keine Lösung vor. 2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 79. 3 RegBegr zu Art. 102 EGInsO, BT-Drucks. 715/02, S. 16. 4 EuGH v. 2.5.2006 – C-341/04, ECLI:EU:C:2006:281 (Eurofood), Slg. 2006 I, 3813 (3824) (Rz. 38 ff.); BGH v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338 = NZI 2008, 572 (Rz. 30) m. Anm. Mankowski; LG Hamburg v. 18.8.2005 – 326 T 34/05, NZI 2005, 645; Albrecht, ZInsO 2004, 436 (439); Becker, ZEuP 2002, 287 (304); Herchen, ZInsO 2004, 61 (63 f.); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (144); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1613); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (545); W. Lüke, ZZP 111 (1998), 275 (290); Paulus, NZI 2001, 505 (507); Schack, Rz. 1161; a.A. (Zeitpunkt der Antragsstellung entscheidet) Kolmann, S. 287 f. 5 EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg.2010 I, 417 (Rz. 29 ff.) = ZIP 2010, 187 = IPRax 2011, 589 (m. Anm. Würdinger, IPRax 2011, 562); dazu Mankowski, NZI 2010, 178; AG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03 (ISA IV), ZIP 2004, 623 (624) = NZI 2004, 269 m. Anm. Liersch; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWiR 2003, 447; Sabel, NZI 2004, 126 (127); Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 46; a.A. Mankowski, EWiR 2003, 767 (768) (ISA II).

738 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.679 § 6

net, so ist, solange dieses Verfahren anhängig ist, ein bei einem inländischen Insolvenzgericht gestellter Antrag auf Eröffnung eines weiteren Hauptinsolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners nach Art. 102c § 2 Abs. 1 S. 1 EGInsO unzulässig1. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Eröffnung des Verfahrens in dem anderen Mitgliedstaat im Inland wegen Verstoßes gegen den ordre public (Art. 33 EuInsVO 2015; dazu Rz. 6.634 ff.) nicht anerkannt werden kann; hierfür reicht jedoch die fälschliche Annahme der internationalen Zuständigkeit durch das ausländische Gericht keinesfalls aus. Wurde in Unkenntnis der ausländischen Verfahrenseröffnung im Inland dennoch ein Insolvenzverfahren über das schuldnerische Vermögen eröffnet, so ist dieses gemäß Art. 102c § 2 Abs. 1 S. 2 EGInsO als Sekundärinsolvenzverfahren nach Art. 34 ff. EuInsVO 2015 fortzuführen, wenn eine Zuständigkeit des deutschen Gerichts nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 besteht; anderenfalls ist es einzustellen. Wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat mit der Begründung abgelehnt, den dortigen Gerichten fehle die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, so ist es einem deutschen Insolvenzgericht umgekehrt nach Art. 102c § 2 Abs. 2 EGInsO verwehrt, seine Zuständigkeit mit der Begründung zu verneinen, die internationale Zuständigkeit läge doch bei den Gerichten dieses Mitgliedstaats; auf diese Weise sollen negative Kompetenzkonflikte vermieden werden.

6.678

Darf das deutsche Insolvenzgericht ein bereits eröffnetes Insolvenzverfahren nach Art. 102c § 2 Abs. 1 EGInsO nicht fortsetzen, so hat es das Verfahren von Amts wegen zugunsten der Gerichte des anderen Mitgliedstaats einzustellen2. Vor der Einstellung soll es den Insolvenzverwalter, den Gläubigerausschuss, wenn ein solcher bestellt ist, und den Schuldner hören. Wird das Insolvenzverfahren eingestellt, so ist jeder Insolvenzgläubiger beschwerdebefugt, weil diese Einstellung trotz der Möglichkeit, ein Sekundärinsolvenzverfahren zu beantragen, in die Rechte der Gläubiger eingreifen kann. Die Einstellung beendet das Verfahren allerdings nicht mit rückwirkender Kraft, so dass geklärt werden muss, wie die Wirkungen des ausländischen Verfahrens, die sich nach Wegfall der Sperrwirkung des inländischen Verfahrens auch auf das inländische Vermögen erstrecken, mit den Wirkungen des eingestellten Verfahrens zu harmonisieren sind. Ein solches Regelungsbedürfnis besteht auch für Rechtshandlungen des inländischen Insolvenzverwalters, die dieser bis zur Einstellung des Verfahrens vorgenommen hat. Nach Art. 102c § 3 Abs. 2 EGInsO sollen Wirkungen des inländischen Insolvenzverfahrens, die vor dessen Einstellung bereits eingetreten und nicht auf die Dauer dieses Verfahrens beschränkt sind, auch dann bestehen bleiben, wenn sie den Wirkungen eines in einem anderen Mitgliedstaat – auch früher – eröffneten Insolvenzverfahrens widersprechen, soweit diese sich nach Art. 19 EuInsVO 2015 auf das Inland erstrecken. Hat etwa der deutsche Insolvenzverwalter einen Gegenstand der inländischen Insolvenzmasse veräußert oder belastet, so sollen diese Verfügungen also auch nach Einstellung des deutschen Insolvenzverfahrens wirksam bleiben3. Dies gilt aber jedenfalls dann nicht, wenn das Insolvenzverfahren im Inland in voller Kenntnis des früher eröffneten Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet worden ist;

6.679

1 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (Rz. 40) (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490); BGH v. 29.5.2008 – IX ZB 103/07, ZIP 2008, 2029 = IPRax 2009, 73 (75) (m. Anm. Fehrenbach, IPRax 2009, 51); AG Köln v. 10.8.2005 – 71 IN 416/05, ZIP 2005, 1566 (m. Aufs. Wagner, ZIP 2006, 1934) = DZWiR 2006, 218 m. Anm. Schilling/Schmidt. Etwas anderes folgt insbesondere nicht aus § 15a InsO, vgl. Vallender/Fuchs, ZIP 2004, 829 (833). 2 AG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03, ZIP 2004, 623 = IPRax 2004, 431 (m. Anm. Weller, IPRax 2004, 412). 3 Vgl. Pannen/Riedemann, NZI 2004, 301 (303); Paulus, Art. 28 EuInsVO Rz. 5.

Hausmann | 739

§ 6 Rz. 6.679 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

für diesen Fall setzt sich aufgrund des Anwendungsvorrangs des EU-Rechts das zuerst eröffnete ausländische Hauptverfahren durch1.

6.680

Mit Einstellung des inländischen Insolvenzverfahrens unterfällt das im Inland belegene schuldnerische Vermögen dem Beschlag des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens. Es muss deshalb sichergestellt werden, dass der für dieses Verfahren bestellte Insolvenzverwalter möglichst schnell alle Maßnahmen ergreifen kann, um das inländische Vermögen des Schuldners zu sichern. Dies gilt etwa für die öffentliche Bekanntmachung nach Art. 28 EuInsVO 2015 oder die Eintragung in öffentliche Register nach Art. 29 EuInsVO 2015. Durch Art. 102 § 3 Abs. 3 S. 4 EGInsO wird klargestellt, dass der Schuldner – abweichend von § 215 Abs. 2 InsO – durch die Einstellung des inländischen Verfahrens nicht die Verfügungsbefugnis über sein in Deutschland belegenes Vermögen zurückerhält. Der Insolvenzverwalter des einzustellenden Inlandsverfahrens hat demgemäß auch nicht dem Schuldner oder dessen Gläubigern Gegenstände des Inlandsvermögens auszuhändigen, sondern diese im Interesse des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens zu sichern. bb) Haupt- und Sekundärverfahren

6.681

Die Anerkennung eines in einem anderen Mitgliedstaat der Verordnung eröffneten Hauptinsolvenzverfahrens steht allerdings nach Art. 3 Abs. 2 und 3, Art. 19 Abs. 3, Art. 34 S. 1 EuInsVO 2015 der Eröffnung eines territorial begrenzten Parallelinsolvenzverfahrens im Inland nicht entgegen, wenn der Schuldner hier eine Niederlassung i.S.v. Art. 2 Nr. 10 EuInsVO 2015 unterhält (vgl. schon Rz. 6.609 ff.)2. In diesem Fall ist das inländische Verfahren ein Sekundärinsolvenzverfahren i.S.v. Art. 34 ff. EuInsVO3. Die Insolvenz des Schuldners ist in diesem Parallelverfahren zu unterstellen, wenn sie Voraussetzung für die Eröffnung des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens war; Eröffnungsgründe i.S.d. deutschen Rechts brauchen in diesem Fall nicht vorzuliegen, Art. 34 Abs. 1 S. 2 EuInsVO 2015. Sie dürfen auch dann nicht geprüft werden, wenn das Hauptverfahren einem Schutzzweck dient4. Im Übrigen gilt der Grundsatz des Art. 7 Abs. 1 und 2 EuInsVO 2015 aber auch für das inländische Sekundärverfahren; auf dieses findet daher nicht das Recht des Hauptinsolvenzverfahrens, sondern deutsches Recht Anwendung, Art. 35 EuInsVO 2015. Dies gilt auch für die Frage, wer den Antrag auf Eröffnung des Sekundärverfahrens zu stellen berechtigt ist, Art. 37 Abs. 1 lit. b EuInsVO 2015. Das nationale Recht des Staates, in dem das Sekundärverfahren eröffnet werden soll, darf das Antragsrecht allerdings nicht auf Gläubiger beschränken, die ihren Sitz oder Wohnsitz in diesem Staat haben, oder auf Gläubiger, deren Forderungen aus dem Betrieb der in diesem Staat unterhaltenen Niederlassung hervorgehen5. Nach deutschem Recht (§ 13 InsO) ist daher auch

1 BGH v. 29.5.2008 – IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338 (Rz. 26 ff.) = NZI 2008, 572 m. Anm. Mankowski = IPRax 2009, 73 (76 f.) (m. Anm. Fehrenbach, IPRax 2009, 51); Weller, IPRax 2004, 412 (417). 2 AG Düsseldorf v. 12.3.2004 – 502 IN 126/03, ZIP 2004, 623 = IPRax 2004, 431 (433; dazu Weller, IPRax 2004, 412 (417). 3 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), ZIP 2012, 2403 (Rz. 40) = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2014, 490). 4 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 53 ff.) = ZIP 2012, 2403. 5 EuGH v. 4.9.2014 – C-327/13, ECLI:EU:C:2014:2158 (Burgo Group), NZI 2014, 964 (Rz. 46 ff.) m. Anm. Mankowski, ZIP 2014, 2513.

740 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.682 § 6

der Schuldner antragsberechtigt1. Ergänzend stellt Art. 37 Abs. 1 lit. a EuInsVO aber klar, dass der Verwalter des Hauptverfahrens in jedem Falle antragsberechtigt ist.

Das inländische Sekundärinsolvenzverfahren ist hinsichtlich seiner Wirkungen auf das Inlandsvermögen des Schuldners beschränkt und schließt diesbezüglich die Anerkennung von Wirkungen des ausländischen Hauptinsolvenzverfahrens aus2. Die Erfassung und Verwertung des inländischen Vermögens ist daher primär Sache des für das inländische Sekundärverfahren bestellten Verwalters3. Allerdings können Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren nur dann zu einer effizienten Verwertung der Insolvenzmasse beitragen, wenn die parallel anhängigen Verfahren koordiniert werden. Wesentliche Voraussetzung ist hierfür eine enge Zusammenarbeit der Verwalter beider Verfahren und ein umfassender Informationsaustausch zwischen ihnen; beides wird durch Art. 41 EuInsVO 2015 sichergestellt.4 Darüber hinaus regelt die EuInsVO 2015 in Art. 42 und Art. 43 auch die Zusammenarbeit und Kommunikation der beteiligten Gerichte sowie zwischen diesen und den jeweiligen Verwaltern ausführlich. Beide Verwalter haben ferner die Forderungen der Gläubiger auch in dem jeweiligen Parallelverfahren, für das sie nicht bestellt sind, anzumelden (Art. 45 Abs. 2 EuInsVO 2015) und haben in diesem Verfahren wie ein Gläubiger mitzuwirken (Art. 45 Abs. 3 EuInsVO 2015). Um der dominierenden Rolle des Hauptinsolvenzverwalters Ausdruck zu verleihen, werden diesem ferner in erheblichem Umfang Einwirkungsmöglichkeiten auf das Sekundärinsolvenzverfahren eingeräumt. So ist der Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens etwa berechtigt, die Verwertung im Sekundärverfahren vorübergehend ganz oder teilweise unterbinden zu lassen (vgl. näher Art. 46 EuInsVO 2015), um bestimmte Wirtschaftseinheiten funktionstüchtig zu erhalten. Er kann ferner auch verfahrensbeendende Maßnahmen – wie z.B. einen Sanierungsplan oder Vergleich – für das Sekundärinsolvenzverfahren vorschlagen (Art. 47 EuInsVO 2015) und hat Anspruch auf einen in diesem Verfahren verbleibenden Überschuss (Art. 49 EuInsVO 2014)5. Schließlich kann ein zur Sekundärmasse gehörender Anfechtungsanspruch nach Abschluss des Sekundärinsolvenzverfahrens vom Verwalter des Hauptinsolvenzverfahrens weiterverfolgt werden6. 1 AG Köln v. 23.1.2004 – 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471 = NZI 2004, 151 m. Aufs. Sabel; Kemper, ZIP 2001, 1609 (1613); Paulus, NZI 2001, 505 (514). Voraussetzung ist allerdings, dass das Recht, Verfahrensanträge zu stellen, nach dem Recht des Eröffnungsstaates nicht auf den Verwalter übergegangen ist. Kein Antragsrecht hat hingegen der Prokurist der Schuldnerin, vgl. AG Köln v. 1.12.2005 – 71 IN 564/05, ZIP 2006, 628. 2 Vgl. EuGH v. 21.1.2010 – C-444/07, ECLI:EU:C:2010:24 (MG Probud Gdynia), Slg. 2010 I, 417 (Rz. 22) = ZIP 2010, 187 = NZI 2010, 156 m. Anm. Mankowski, 178; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 155. Damit werden die Wirkungen des ausländ. Hauptinsolvenzverfahrens im Inland weitgehend „neutralisiert“, vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 3 EuInsVO Rz. 46; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 19. Vgl. dazu zuletzt umfassend Fehrenbach, Haupt- und Sekundärinsolvenzverfahren (2014). Das inländische Sekundärinsolvenzverfahren steht allerdings der Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Anordnungen, die im ausländischen Hauptinsolvenzverfahren getroffen werden, nicht grundsätzlich entgegegen, vgl. OLG Düsseldorf v. 9.7.2004 – I-3 W 53/04, NZI 2004, 628. 3 Entsprechendes gilt selbstverständlich auch im unmgekehrten Fall eines in einem anderen Mitgliedstaat eröffeten Sekundärinsolvenzverfahrens im Verhältnis zum deutschen Hauptinsolvenzverfahren, vgl. BGH v. 20.11.2014 – IX ZR 13/14, ZIP 2015, 42 = NZI 2015, 183 (m. Anm. Fehrenbach, NZI 2015, 157). 4 Vgl. dazu ital. Cass. v. 29.10.2015, unalex IT-574. 5 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 61 ff.) = ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490). 6 BGH v. 20.11.2014 – IX ZR 13/14, ZIP 2015, 42 = NZI 2015, 183 (m. Anm. Fehrenbach, NZI 2015, 157).

Hausmann | 741

6.682

§ 6 Rz. 6.683 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

b) Autonomes Insolvenzrecht aa) Konkurrierende Hauptverfahren

6.683

Konkurriert ein inländisches (Haupt-)Insolvenzverfahren mit einem ebensolchen drittstaatlichen Verfahren, so gilt der Prioritätsgrundsatz der EuInsVO nicht. Ein nach Art. 3 Abs. 1 EuInsVO (bzw. § 3 InsO) international zuständiges deutsches Insolvenzgericht (vgl. Rz. 6.580 ff.) ist also durch die frühere Eröffnung oder Anhängigkeit eines Insolvenzverfahrens im Ausland nicht gehindert, über das Vermögen desselben Schuldners im Inland ein (Haupt-)Insolvenzverfahren zu eröffnen1. Vielmehr erfasst jedes der beiden Verfahren das in seinem Eröffnungsstaat belegene Vermögen des Schuldners. Dem ausländischen Verfahren kommt daher in Bezug auf das Inlandsvermögen des Schuldners keine Wirkung zu, sobald ein paralleles Hauptverfahren im Inland eröffnet worden ist2. Von mehreren parallel eröffneten ausländischen Hauptverfahren kommt in Bezug auf das Inlandsvermögen des Schuldners demjenigen Verfahren Priorität zu, das am Mittelpunkt der selbständigen wirtschaftlichen Interessen des Schuldners eröffnet worden ist3. Lässt sich dieser nicht eindeutig feststellen, so gilt auch insoweit das Prioritätsprinzip4. bb) Haupt- und Sekundärverfahren

6.684

Auch nach autonomem Recht waren die Gläubiger nach Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens im Ausland schon bisher berechtigt, ihre Rechte am Inlandsvermögen des Schuldners durch den Antrag auf Eröffnung eines (Neben-)Insolvenzverfahrens im Inland zu wahren, sofern die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte gegeben war, Art. 102 Abs. 3 EGInsO a.F. Die Eröffnung eines solchen inländischen Sekundärinsolvenzverfahrens wurde sogar dadurch erleichtert, dass der Nachweis der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung des Gemeinschuldners in diesem Falle nicht geführt werden musste, Art. 102 Abs. 3 S. 2 InsO a.F. Das inländische Verfahren hatte dann Vorrang vor dem ausländischen Verfahren, auch wenn die Voraussetzungen für dessen Anerkennung grundsätzlich vorlagen5. Vermögensstücke, die der ausländische Verwalter erst nach Verfahrenseröffnung ins Inland verbracht oder dort erworben hat, wurden vom deutschen Insolvenzbeschlag allerdings nicht erfasst6. Nur soweit eine Kollision mit dem Inlandsverfahren nicht bestand, blieb die Anerkennung von Wirkungen des ausländischen Insolvenzverfahrens möglich7.

6.685

An diesen bewährten Grundsätzen hat der Gesetzgeber auch im Zuge der Neuregelung des deutschen IIR in §§ 356–358 InsO festgehalten. Das inländische Sonderverfahren beschränkt dabei nach neuem Recht nicht nur die Wirkungen des ausländischen Hauptinsolvenzverfah-

1 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (270) = ZIP 1985, 944 = NJW 1985, 2897; Geimer, IZPR Rz. 3411; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 130 Rz. 20. 2 Prütting, ZIP 1996, 1277 (1282). 3 Trunk, S. 346. 4 Leipold, FS Henckel (1995), S. 533 (537). 5 BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (269 f.) = ZIP 1985, 944; OLG Köln v. 20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 ff. (m. Anm. Hanisch, IPRax 1993, 297); Flessner, IPRax 1997, 1 (4); Geimer, Rz. 3392. 6 RG v. 13.1.1885, RGZ 14, 424; RG v. 11.6.1926, RGZ 114, 82 f. 7 Trunk in Gilles, S. 183 f. nannte als Beispiel die Klage des ausländ. Insolvenzverwalters auf Auskunft über Vorgänge, die sich auf das Vermögen im ausländ. Insolvenzstaat beziehen. Gleiches gilt für Wirkungen des Hauptverfahrens in Drittstaaten.

742 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.685 § 6

rens im Interesse der inländischen Gläubiger. Es kann vielmehr – ähnlich wie nach der EuInsVO – auch unterstützende Funktion für das Hauptverfahren entfalten, wenn z.B. das Vermögen des Schuldners zu verschachtelt ist, um als Ganzes verwaltet zu werden1. Demgemäß kann der ausländische Verwalter das inländische Sekundärverfahren ohne besonderes Rechtsschutzinteresse beantragen (§ 356 Abs. 2 InsO). Ferner hat der inländische Verwalter dem ausländischen unverzüglich alle Umstände mitzuteilen, die für die Durchführung des Hauptverfahrens von Bedeutung sein können (§ 357 Abs. 1 S. 1 InsO). Der ausländische Verwalter hat auch das Recht, Vorschläge für die Verwertung oder sonstige Verwendung des inländischen Vermögens zu machen, an Gläubigerversammlungen im Inland teilzunehmen und selbst einen Insolvenzplan vorzuschlagen (§ 357 Abs. 1 S. 2, Abs. 2, 3 InsO). Schließlich ist ein verbleibender Überschuss aus dem inländischen Sekundärverfahren an den ausländischen Verwalter des Hauptverfahrens herauszugeben (§ 358 InsO).

IV. Reichweite des Insolvenzstatuts Literatur: Vgl. zunächst die allg. Literatur vor Rz. 6.515. 1. Zur Rechtslage vor Inkrafttreten der EuInsVO: von Campe, Insolvenzanfechtung in Deutschland und Frankreich (1996); Ehricke, Die Wirkungen einer ausländischen Restschuldbefreiung im Inland nach deutschem Recht, RabelsZ 62 (1998), 712; Favoccia, Vertragliche Mobiliarsicherheiten im internationalen Insolvenzrecht (1991); Flessner, Dingliche Sicherungsrechte nach dem EuInsÜ, FS Drobnig (1998), S. 277; Fletcher, Insolvency in private international law (1999); Göpfert, Anfechtbare Aufrechnungslagen im deutsch-amerikanischen Insolvenzrechtsverkehr (1996); Grasmann, Das Erlöschen von Insolvenzforderungen nach Schuld- oder Insolvenzstaut, FS Kitagawa (1992), S. 117; Haas/E. J. Habscheid, Konkursstatut und Wirkungsstatut bei der internationalen und der künftigen innereuropäischen Insolvenzanfechtung, ZZP 114 (2001), 167; Hanisch, Das Recht der grenzüberschreitenden Insolvenzen: Auswirkungen auf den Immobiliensektor, ZIP 1992, 1125; Hanisch, Deutscher Eigentumsvorbehalt im französischen Insolvenzverfahren, IPRax 1992, 187; Hanisch, Allgemeine kollisionsrechtliche Grundsätze im internationalen Insolvenzrecht, FS Jahr (1993), S. 455; Hanisch, Die Wirkung dinglicher Mobiliarsicherungsrechte im grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, FS Lalive (1993), S. 61; Hanisch, Bemerkungen zur Insolvenzanfechtung im grenzüberschreitenden Insolvenzfall, FS Stoll (2001), S. 503; Henckel, Gläubigeranfechtung im Konkurs, FS Deutsch (1999), S. 967; Klevemann, Gesetzliche Sicherungsrechte im internationalen Privat- und Konkursrecht (1990); Paulus, Restschuldbefreiung und internationales Insolvenzrecht, ZEuP 1994, 301; Riesenfeld, Einige Betrachtungen zur Behandlung dinglicher Sicherungsrechte an beweglichen Vermögensgegenständen im Insolvenzrecht, FS Drobnig (1998), S. 621; Schollmeyer, Gegenseitige Verträge im internationalen Insolvenzrecht (1997); Sonnentag, Auslandskonkurs und Anfechtung im Inland, IPRax 1998, 330; Trunk, Arbeitnehmer im Niederlassungskonkurs: International-insolvenzrechtliche Aspekte, ZIP 1994, 1586 von Wilmowsky, Aufrechnung in internationalen Insolvenzfällen, KTS 1998, 343. 2. Zur EuInsVO 2000 und zum IIR-G 2003: Beck, Verteilungsfragen im Verhältnis zwischen Hauptund Sekundärinsolvenzverfahren nach der EuInsVO, NZI 2007, 1; Becker, Mobiliarsicherheiten im Internationalen Insolvenzrecht, JbItalR 18 (2005), 75; Berner/Klöhn, Insolvenzantragspflicht, Qualifikation und Niederlassungsfreiheit, ZIP 2007, 106; Eidenmüller, Insolvenzstatut und Gesellschaftsstatut, RabelsZ 70 (2006) 474; von Bismarck/Schümann-Kleber, Insolvenz eines deutschen Sicherungsgebers. Anwendung deutscher Vorschriften auf die Verwertung in Deutschland belegener Kreditsicherheiten, NZI 2005, 89 und 147; Borges, Gläubigerschutz bei ausländischen Gesellschaften mit inländischem Sitz, ZIP 2004, 733; Bork, Die Aufrechnung im internationalen Insolvenzverfahrensrecht, ZIP 2002, 690; Brinkmann, Kreditsicherheiten an beweglichen Sachen und Forderungen. Eine materiell-, insolvenz- und kollisionsrechtliche Studie des Rechts der Mobiliarsicherheiten vor dem Hintergrund internationaler und europäischer Entwicklungen (2011); Burgstaller, Zur Anfechtung nach der Europä-

1 Vgl. ErwG 19 zur EuInsVO 2000.

Hausmann | 743

§ 6 Rz. 6.685 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis ischen Insolvenzverordnung, FS Jelinek (2002), S. 33; Cranshaw, Fragen zur Durchsetzung des Eigentumsvorbehalts im Hauptinsolvenzverfahren des Vorbehaltskäufers im Geltungsbereich der EuInsVO, DZWiR 2010, 89; Daniele, Legge applicabile e diritto uniforme nel regolamento comunitario relativo alle procedure d´insolvenza, Riv.dir.int.priv.proc. 2002, 33; Girsberger, Die Stellung der gesicherten Gläubiger in der internationalen Insolvenz, RabelsZ 70 (2006), 505; Göpfert/Müller, Englisches Administrationsverfahren und deutsches Insolvenzarbeitsrecht, NZA 2009, 1057; Graf, EU-Insolvenzverordnung und Arbeitsverhältnis, ZAS 2002, 173; Haas, Die Verwertung der im Ausland belegenen Insolvenzmasse im Anwendungsbereich der EuInsVO, FS Gerhardt (2004), S. 319; Gruschinske, Die Aufrechnung in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren, EuZW 2011, 171; Höhn/Kaufmann, Die Aufrechnung in der Insolvenz, JuS 2003, 751; U. Huber, Das für die anfechtbare Rechtshandlung maßgebende Rechts, FS Heldrich (2005), S. 695; Jeremias, Internationale Insolvenzaufrechnung (2005); Klumb, Kollisionsrecht der Insolvenzanfechtung (2005); Kranemann, Insolvenzanfechtung im deutschen internationalen Insolvenzrecht und nach der Europäischen Insolvenzrechtsverordnung (2002); Langenbach, Die vertraglichen Mobiliarsicherheiten in grenzüberschreitenden deutsch-österreichischen Unternehmensinsolvenzen (2009); Laukemann, Die Absonderungsklage im Europäischen Zuständigkeitsrecht, IPRax 2013, 150; Lawlor, Die Anwendbarkeit englischen Gesellschaftsrechts bei Insolvenz einer englischen Limited in Deutschland, NZI 2005, 432; Liebmann, Der Schutz des Arbeitnehmers bei grenzüberschreitenden Insolvenzen (2005); Liersch, Sicherungsrechte im internationalen Insolvenzrecht – unter besonderer Berücksichtigung der Vereinbarkeit von Art. 5 und 7 EuInsVO mit dem deutschen Insolvenzrecht (2001); Liersch, Sicherungsrechte im internationalen Insolvenzrecht, NZI 2002, 15; Mankowski, Verträge über unbewegliche Gegenstände im europäischen Internationalen Insolvenzrecht (Art. 8 EuInsVO), FS Görg (2010), S. 173; McCormack/Bork (Hrsg.), Security Rights and the European Insolvency Regulation (2017); Naumann, Die Behandlung dinglicher Kreditsicherheiten nach Eigentumsvorbehalten nach den Art. 5 und 7 EuInsVO sowie nach autonomem deutschen Insolvenzkollisionsrecht (2004); Reinhart, Die Durchsetzung im Inland belegener Absonderungsrechte bei ausländischen Insolvenzverfahren oder Qualifikation, Vorfrage und Substitution im internationalen Insolvenzrecht, IPRax 2012, 417; Roßmeier, Besitzlose Mobiliarsicherheiten in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren (2003); Scherber, Europäische Grundpfandrechte in der nationalen und internationalen Insolvenz im Rechtsvergleich (2004); Schulte, Die europäische Restschuldbefreiung (2001); Schumacher, Pfandrechte in der EU-Insolvenzverordnung, FS Jelinek (2002), S. 277; Schwarz, Insolvenzverwalterklagen bei eigenkapitalersetzenden Gesellschafterleistungen nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001, NZI 2002, 290; Ulmer, Insolvenzrechtlicher Gläubigerschutz gegenüber Scheinauslandsgesellschaften ohne hinreichende Kapitalausstattung?, KTS 2004, 291; Weller, Brennpunkte des Insolvenzkollisionsrechts, FS von Hoffmann (2011), S. 513; Weller/Hübner, Kornhaas und seine Auswirkungen auf insolvenznahe Haftungsinstrumente, FS Pannen (2017), S. 259; Wienberg/Sommer, Anwendbarkeit von deutschem Eigenkapitalersatzrecht auf EU-Kapitalgesellschaften am Beispiel eines Partikularinsolvenzverfahrens, NZI 2005, 353; Zeck, Das Internationale Anfechtungsrecht in der Insolvenz (2003); Zeck, Die Anknüpfung der Insolvenzanfechtung, ZInsO 2005, 281. 3. Zur EuInsVO 2015: Bork, Die grenzüberschreitende Aussonderung, FS Yamauchi (2017), S. 19; J.F. Hoffmann, Zur Konstruktion und Legitimation von Insolvenzprivilegien im nationalen und Europäischen Insolvenzrecht, KTS 2017, 17; Keller, Die Folgen des Statutenwechsels infolge der Verlagerung des COMI, NZI 2021, 110; Kolmann/Ch. Keller, Insolvenzkollisionsrecht, in: Gottwald/Haas (Hrsg.), Insolvenzrechtshandbuch, 6. Aufl. 2020, § 131; Korch, Gedanken zum Brexit – Insolvenzanfechtung, dingliche Rechte Dritter und weitere besondere Sachverhalte (Art. 7 ff. EuInsVO n.F.) nach dem Brexit, ZinsO 2016, 1884; Mankowski, Öffentliche Lasten als dingliche Rechte i.S.v. Art. 5 EuInsVO 2000 bzw. Art. 8 EuInsVO 2015, RIW 2017, 93; Schneider, Registrierte Gegenstände im grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren nach der EuInsVO (2019); Schneider, EuInsVO: Die Reichweite der lex fori concursus bei Pachtverträgen über Unternehmen mit Grundstücken, IPRax 2019, 446.

744 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.688 § 6

1. Allgemeines a) Grundsatz: Lex fori concursus aa) Allseitige Kollisionsnorm

Das deutsche internationale Insolvenzrecht ging schon unter Geltung der früheren Konkursordnung von der „Grundnorm“ aus, dass sich die Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach dem Recht des Eröffnungsstaates richten1. Denn nur diese einheitliche Anwendung der lex fori concursus entspricht dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger und schafft Rechtssicherheit in grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren.2 Daran hatte sich durch das Inkrafttreten der InsO nichts geändert, obwohl der Gesetzgeber in Art. 102 EGInsO a.F. eine entsprechende Klarstellung verabsäumt hatte3. Durch das Gesetz zur Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts vom 14.3.2003 hat er diese Unklarheit beseitigt. Nach der Grundsatzanknüpfung in § 335 InsO unterliegen das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen, soweit nichts anderes bestimmt ist, dem Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet worden ist.

6.686

Den gleichen Gleichlaufgrundsatz hat für den Geltungsbereich des europäischen Insolvenzrechts Art. 4 Abs. 1 EuInsVO 2000 normiert4; an seiner Stelle gilt in seit dem 26.6.2017 eröffneten Insolvenzverfahren der in der Sache unveränderte Art. 7 EuInsVO 2015. Er ist sowohl auf Haupt- wie auf Sekundär- und Partikularverfahren anwendbar. Dies stellt Art. 35 EuInsVO 2015 noch einmal ausdrücklich klar5. Die Vorschriften sind bewusst als allseitige Kollisionsregeln6 gefasst; sie gelten mithin gleichermaßen für die Wirkungen eines inländischen wie eines ausländischen Insolvenzverfahrens7, auch wenn der Auslandsbezug nur zu einem Drittstaat besteht (Rz. 6.529). Die Beurteilung der Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens nach der lex fori concursus setzt allerdings voraus, dass dieses Verfahren nach den Art. 19 ff. EuInsVO 2015 bzw. §§ 343 ff. InsO im Inland anzuerkennen ist8. Solange noch kein Insolvenzverfahren eröffnet ist, gilt das Recht des Staates, in dem das Hauptverfahren zu eröffnen wäre, d.h. das Recht am Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners (Art. 3 Abs. 1 S. 2 EuInsVO)9.

6.687

bb) Qualifikation Die Frage, welche Regelungen des nationalen Rechts des Eröffnungsstaates als anwendbares Insolvenzrecht zu qualifizieren sind, richtet sich in erster Linie nach dem autonom auszulegenden Unionsrecht. Wegen der unmittelbaren Geltung der EuInsVO (Art. 288 Abs. 2 1 Vgl. Jaeger/Jahr, §§ 237, 238 KO Rz. 256; zust. OLG Hamm v. 25.10.1976 – 5 U 57/76, NJW 1977, 504 m. Anm. Oexmann; BGH v. 14.11.1996 – IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79 (87) = ZIP 1997, 39 = NJW 1997, 524. 2 Geimer, Rz. 3376 ff.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 6. 3 Vgl. Geimer, Rz. 3536. 4 OLG Hamm v. 15.9.2011 – 18 U 226/10, IPRax 2012, 351 (m. Anm. Limbach, IPRax 2012, 320) = IPRspr. 2011 Nr. 328. 5 Vgl. auch ErwG 66 S. 3 EuInsVO 2015. 6 Zum kollisonsrechtlichen Charakter von Art. 4 EuInsVO 2000 vgl. EuGH v. 22.11.2012 – C-116/ 11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 47 f.) = ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490) unter Berufung auf ErwG 13 zur EuInsVO 2000; dazu Jopen, EWiR 2013, 173; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1 (22). 7 Vgl. i.d.S. schon Geimer, Rz. 3375; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 4. 8 Geimer, Rz. 3537. 9 Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1621); Kindler in MünchKomm, Einl. IntInsR Rz. 1.

Hausmann | 745

6.688

§ 6 Rz. 6.688 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

AEUV) und des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts sind die von Art. 7 EuInsVO 2015 bezeichneten Materien als anwendbares Insolvenzrecht zu qualifizieren; dies gilt auch dann, wenn sie vom nationalen Kollisionsrecht des Eröffnungsstaates abweichend qualifiziert werden.1 Praktische Bedeutung hat diese Frage insbesondere im Verhältnis von Insolvenz- und Gesellschaftsrecht2. Bestimmungen, die regeln, welche Forderungen als Insolvenzforderungen anzumelden sind und welchen Rang diese Forderungen haben, sind daher im Hinblick auf Art. 7 Abs. 2 lit. g EuInsVO 2015 insolvenzrechtlich zu qualifizieren. Dies gilt etwa für die früheren deutschen Regelungen über die Nachrangigkeit kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen, mögen diese auch nach deutschem IPR gesellschaftsrechtlich eingeordnet worden sein. Diese Vorschriften finden daher auf Kapitalgesellschaften, über deren Vermögen in Deutschland das Hauptinsolvenzverfahren eröffnet worden ist, auch dann Anwendung, wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union gegründet worden sind (und deshalb ein ausländisches Gesellschaftsstatut haben)3. cc) Reichweite: Verfahrensrecht und materielles Recht

6.689

Das Insolvenzstatut gilt vor allem für die Voraussetzungen der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens sowie für seine Durchführung und Beendigung (vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 1 EuInsVO)4. Insoweit handelt es sich lediglich um eine insolvenzspezifische Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes der lex fori-Anknüpfung im internationalen Verfahrensrecht5. Die Reichweite dieses Grundsatzes wird in Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO 2015 näher verdeutlicht; die dortige (nicht abschließende) Aufzählung kann auch zur Auslegung des § 335 InsO ergänzend herangezogen werden, weil der deutsche Gesetzgeber auf eine entsprechende Konkretisierung bewusst verzichtet hat6.

6.690

Nach der lex fori concursus beurteilen sich gem. Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO 2015 bzw. § 335 InsO vor allem die folgenden verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Eröffnung eines in- oder ausländischen Insolvenzverfahrens sowie für dessen Abwicklung und Beendigung: (1) die Insolvenzfähigkeit des Schuldners (lit. a; dazu Rz. 6.586 f.); (2) die Zusammensetzung und der Umfang der Insolvenzmasse sowie die Behandlung der nach der Verfahrenseröffnung vom Schuldner erworbenen Vermögenswerte (lit. b);7

1 Zum Vorrang der Art. 7 ff. EuInsVO 2015 vor dem nationalen IPR der Mitgliedstaaten vgl. ErwG 66 S. 1 zur EuInsVO 2015; ebenso schon zur EuInsVO 2000 BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, BGHZ 190, 364 (Rz. 16) = ZIP 2011, 1775 = GmbHR 2011, 1087 m. Anm. Blöse = NJW 2011, 3784 (m. Anm. Schall, NJW 2011, 3745) = IPRax 2012, 251 (m. Anm. Wedemann, IPRax 2012, 226); Behrens, IPRax 2010, 230 (231); Mankowski, NZI 2010, 1004; Ulmer, NJW 2004, 1201; Walterscheid, DZWir 2006, 95 (98). 2 Dazu ausf. Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 6 ff. 3 BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, BGHZ 190, 364 (Rz. 18 f.); ebenso schon OLG Köln v. 28.9.2010 – 18 U 3/10, ZIP 2010, 2016 = GmbHR 2011, 35. 4 Vgl. ErwG 23 zur EuInsVO 2000; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 17, 90. 5 Geimer, Rz. 3364, 3556; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 1; Wenner, Rz. 249, 262. 6 Vgl. die Regierungsbegründung zu § 335 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 20 f. Vgl. ferner Geimer, Rz. 3376 ff., der insoweit zwischen Vermögens-, Verwaltungs- und Verteilungsstatut unterscheidet. 7 Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beurteilen sich daher auch die Pfändbarkeit von Vermögensgegenständen und der Pfändungsschutz nach dem Insolvenzstatut, vgl. (zu § 335 InsO) BGH v. 20.7.2017 – IX ZB 63/16, NZI 2017, 816 (Rz. 15 ff.) = RIW 2018, 388.

746 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.691 § 6

(3) die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse des Schuldners in den einzelnen Phasen eines Insolvenzverfahrens (lit. c; dazu Rz. 6.590 f., Rz. 6.606 f., Rz. 6.648); (4) die Rechtsstellung des Insolvenzverwalters (Ernennung, Befugnisse, Pflichten, Haftung, Vergütung, Abberufung, lit. c; dazu Rz. 6.601 ff., Rz. 6.660 ff.); (5) Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf die Rechtsverfolgungsmaßnahmen einzelner Gläubiger1 (lit. f; dazu Rz. 6.594 ff., Rz. 6.649 ff.); ausgenommen hiervon sind die Wirkungen auf anhängige Rechtsstreitigkeiten, die sich nach der lex fori des angerufenen Gerichts bestimmen2; (6) Bestimmung der als Insolvenzforderungen anzumeldenden Forderungen und Behandlung von nach der Insolvenzeröffnung entstandenen Forderungen (lit. g)3; (7) Anmeldung, Prüfung und Feststellung von Forderungen (lit. h); (8) die Verteilung des Erlöses aus der Verwertung des Vermögens, der Rang der Forderungen und die Rechte der Gläubiger, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgrund eines dinglichen Rechts oder infolge einer Aufrechnung teilweise befriedigt wurden (lit. i; dazu Rz. 6.599 f.); (9) die Voraussetzungen und die Wirkungen der Beendigung des Insolvenzverfahrens, insbesondere durch Vergleich (lit. j; dazu Rz. 6.733 ff.); (10) die Rechte der Gläubiger nach Bendigung des Insolvenzverfahrens (lit. k)4; (11) die Tragung der Kosten und Auslagen des Insolvenzverfahrens (lit. l). Das Insolvenzstatut gilt hingegen nicht für die Auswirkungen einer Insolvenz auf das Recht zur Einzelgläubigeranfechtung5. In internationalen Insolvenzverfahren sind allerdings verfahrens- und materiell-rechtliche Wirkungen enger miteinander verwoben als im gewöhnlichen Zivilprozess. Um hier schwierige Qualifikations- und Abgrenzungsprobleme zu vermeiden, müssen auch die materiellrechtlichen Wirkungen des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nach der lex fori concursus beurteilt werden6. Denn das Ziel, einen grenzüberschreitenden Insolvenzfall insgesamt unter Wahrung der Gleichbehandlung aller Gläubiger abzuwickeln, wird nur durch die einheitliche Anwendung des am Ort der Verfahrenseröffnung geltenden Insolvenzrechts als Gesamtstatut 1 Auch die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf die Rechte von Gläubigern, die an diesem Verfahren nicht beteiligt sind, beurteilt sich nach dem Insolvenzsstatut, vgl. zur Verwirkung der Durchsetzung von Steuerforderungen EuGH v. 9.11.2016 – C-212/15, ECLI:EU:C:2016: 841(ENEFI), NJW 2017, 144 m. Anm. Strickler = NZI 2016, 959 m. Anm. Mankowski. 2 ErwG 73 zur EuInsVO 2015. 3 Vgl. IPG 1999 Nr. 54 (Hamburg) (zur Forderungsanmeldung im französischen Insolvenzverfahren). 4 Vgl. zum Vollstreckungsverbot gegen den Schuldner nach Beendigung eines in Deutschland anzuerkennenden österreichischen Schuldenregulierungsverfahrens AG Augsburg v. 26.3.2012 – 1 M 14615/11, ZInsO 2012, 1175. 5 BGH v. 12.11.2015 – IX ZR 302/14, BGHZ 208, 1 (Rz. 23 ff.) = NJW 2016, 246 = IPRax 2016, 476 (m. Anm. Thole, IPRax 2016, 453) = NZI 2016, 131 m. Anm. Hübler. 6 Vgl. ErwG 66 S.4 zur EuInsVO 2015; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 5; ebenso schon ErwG 23 zur EuInsVO 2000; dazu den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 90; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (550). Zum autonomen Recht Geimer, Rz. 3373 f., 3536; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 2; Wenner, Rz. 250.

Hausmann | 747

6.691

§ 6 Rz. 6.691 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

erreicht1. Das auf die einzelnen von der Insolvenz betroffenen Rechtsverhältnisse nach den allgemeinen Kollisionsregeln anwendbare Recht (lex causae) hat aus diesem Grunde sowohl nach Art. 7 EuInsVO 2015 wie nach § 335 InsO vom Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens an grundsätzlich zurückzutreten. Die Grundsatzanknüpfung an die lex fori concursus gilt nach Art. 7 Abs. 2 S. 2 EuInsVO insbesondere für folgende materiell-rechtliche Wirkungen des Insolvenzverfahrens:

6.692

(1) die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der Aufrechnung (lit. d; dazu Rz. 6.719 ff.); (2) die Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf laufende Verträge des Schuldners (lit. e; dazu Rz. 6.709 ff.); (3) die Anfechtbarkeit oder Nichtigkeit bestimmter Rechtshandlungen des Schuldners wegen Gläubigerbenachteiligung (lit. m; dazu Rz. 6.723 ff.).

6.693

Die Auslegung der in Art. 7 EuInsVO 2000 verwendeten Begriffe hat nicht autonom, sondern nach Maßgabe der jeweiligen lex fori concursus zu erfolgen2. In Zweifelsfällen ist das Insolvenzstatut im Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger eher weit und die konkurrierenden Einzelstatute eher eng auszulegen3. Daher ist etwa auch die Pflicht des Geschäftsführers einer GmbH zur Stellung des Insolvenzantrags (vgl. § 15a InsO) insolvenzrechtlich zu qualifizieren4. Für die Abgrenzung zwischen dem Insolvenzstatut und dem die streitgegenständliche Forderung beherrschenden Schuldstatut gelten dabei die gleichen Grundsätze wie für die Annexzuständigkeit im Recht der internationalen Zuständigkeit (dazu Rz. 6.556 ff.). Wenn daher für die internationale Zuständigkeit einer vom Insolvenzverwalter oder gegen ihn erhobenen Klage nicht Art. 3 Abs. 1 EuInsVO, sondern die Brüssel Ia-VO zur Anwendung kommt, unterliegt auch der in diesem Verfahren geltend gemachte Anspruch nicht der lex fori concursus (Art. 7 EuInsVO 2015), sondern dem durch die Rom I-VO bzw. die Rom II-VO bestimmten Einzelstatut5.

6.694

Schwierigkeiten bereitet in diesem Zusammenhang insbesondere die Abgrenzung des Insolvenzstatuts nach Art. 7 EuInsVO 2015 vom Gesellschaftsstatut in der Insolvenz von Gesellschaften, namentlich im Geltungsbereich der europäischen Gründungstheorie. Dazu näher Rz. 6.174 ff. dd) Sachnorm- oder Gesamtverweisung?

6.695

Die Frage, ob es sich bei der Anknüpfung materieller Insolvenzwirkungen an die lex fori concursus um eine Sachnorm- oder Gesamtverweisung handelt, ist bisher noch wenig diskutiert 1 Geimer, Rz. 3374; Schack, Rz. 1190. 2 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 50 ff.) = ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490) zum Begriff der „Beendigung“ des Insolvenzverfahrens in Art. 4 Abs. 2 lit. j EuInsVO 2000. 3 Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 6; Schack, Rz. 1190; ebenso zur EuInsVO 2000 BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 185/10, ZIP 2011, 1775 = GmbHR 2011, 1087 m. Anm. Blöse = NJW 2011, 3784 (Rz. 43) = NZI 2011, 818; Virgós/Schmit-Bericht, Rz. 90. 4 LG Kiel v. 20.4.2006 – 10 S 44/05, ZIP 2006, 1248 = GmbHR 2006, 710 m. Anm. Leutner/Langner = EuZW 2006, 478 (m. abl. Anm. Ringe/Willemer, EuZW 2006, 621); Eidenmüller, NJW 2005, 1618 (1620 f.); U. Huber, FS Gerhardt (2004), S. 397 (425 ff.); Kühnle/Otto, IPRax 2009, 117 f.; Schack, Rz. 1190; a.A. Mock/Schildt, ZInsO 2003, 399 f. 5 OLG Hamm v. 15.9.2011 – 18 U 226/10, IPRax 2012, 351 (auf ungerechtfertigte Bereicherung gestützte Klage des Insolvenzverwaltes gegen ein Dritten auf Zahlung an die Insolvenzmasse).

748 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.697 § 6

worden. Dem rechtsvereinheitlichenden Zweck des europäischen Insolvenzrechts entspricht es allein, sowohl die Verweisung in Art. 7 EuInsVO auf das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wurde, als auch die Sonderanknüpfungen in Art. 8 ff. EuInsVO 2015 als Sachnormverweisungen zu interpretieren1. Demgegenüber gilt für die Verweisung nach § 335 InsO im autonomen deutschen Insolvenzkollisionsrecht der Grundsatz der Gesamtverweisung nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB. Eine Rückoder Weiterverweisung des ausländischen Insolvenzstatuts ist daher grundsätzlich zu beachten, sofern sie nicht dem Sinn der Verweisung widerspricht2. Denkbar ist eine Rück- oder Weiterverweisung insbesondere aufgrund einer abweichenden Qualifikation bestimmter Insolvenzwirkungen im Recht des Eröffnungsstaats. Während die Reichweite des Insolvenzstatuts nach § 335 InsO vom deutschen Rechtsanwender nämlich grundsätzlich nach Maßgabe der deutschen lex fori zu bestimmen ist, hat er im Rahmen der Prüfung einer möglichen Rück- oder Weiterverweisung von der Einordnung der Insolvenzwirkungen im Recht des ausländischen Eröffnungsstaates auszugehen3. Praktische Bedeutung kann diese Frage insbesondere erlangen, wenn das Recht des Eröffnungsstaates den Anwendungsbereich von Sonderanknüpfungen weiter zieht als das deutsche Recht in §§ 336 ff. InsO. Auch bei diesen Sonderanknüpfungen des deutschen Rechts (z.B. auf die lex rei sitae) handelt es sich um Gesamtverweisungen. Eine Ausnahme gilt für § 337 InsO, der für Arbeitsverhältnisse auf das internationale Vertragsrecht (Art. 8 Rom I-VO) verweist, das seinerseits den Renvoi ausschließt (vgl. Art. 20 Rom I-VO; dazu Rz. 2.300 ff.).

6.696

b) Durchbrechung durch Sonderanknüpfungen Die enge Verzahnung des Insolvenzrechts mit dem materiellen Recht, das die vom Insolvenzbeschlag erfassten Einzelgegenstände im Übrigen beherrscht, erfordert freilich gewisse Korrekturen des Grundsatzes von der umfassenden Geltung des Insolvenzstatuts. Zwar kommt eine generelles Zurückweichen des insolvenzrechtlichen Gesamtstatuts vor dem Belegenheitsstatut der Einzelgegenstände – wie es bisher für den Bereich des Familien- und Erbrechts in dem inzwischen aufgehobenen Art. 3a Abs. 2 EGBGB angeordnet war – nicht in Betracht, weil die Insolvenz grundsätzlich das gesamte Vermögen des Schuldners ohne Rücksicht auf den gegenteiligen Durchsetzungswillen des Belegenheitsstatuts ergreift4. Dementsprechend erfasst ein deutsches Insolvenzverfahren das im Ausland belegene Vermögen des Schuldners auch dann, wenn der Universalitätsanspruch des deutschen Rechts im Belegenheitsstaat nicht anerkannt wird. Die Geltung des Insolvenzstatuts wird jedoch sowohl im europäischen wie im deutschen autonomen IIR einerseits durch Sachnormen eingeschränkt, die bestimmte Rechte an dem außerhalb des Eröffnungsstaates belegenen Vermögen von den Wirkungen des Insolvenzverfahrens ausnehmen (Art. 8–10 EuInsVO 2015; §§ 338, 351 InsO), andererseits durch 1 Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 1; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 2; zur EuInsVO 2000 öOGH v. 11.8.2015 – 4 Ob 235/14h, unalex AT-1019; Virgós/ Schmit-Bericht Rz. 87; Duursma-Kepplinger, Art. 4 EuInsVO Rz. 2; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (151); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (549); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (329); Wenner, Rz. 260; vgl. allg. zum Prinzip der Sachnormverweisung in Staatsverträgen und EU-Verordnungen Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 142 ff., 192 ff. 2 BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 29); Geimer, Rz. 3375; Reinhart in MünchKomm InsO, vor §§ 335 ff. Rz. 38 f.; wohl auch Schack, Rz. 1192; a.A. (Sachnormverweisung) Smid, Rz. 57; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 2. 3 Vgl. näher Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 67 ff. m.w.N. 4 Zust. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 6 ff.

Hausmann | 749

6.697

§ 6 Rz. 6.697 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

eine Reihe von Sonderanknüpfungen durchbrochen (vgl. Art. 11–14, 17–18 EuInsVO; §§ 336–340 InsO). Die Sonderanknüpfungen des europäischen Insolvenzrechts kommen allerdings nur zur Anwendung, soweit auf das Recht eines Mitgliedstaats der EuInsVO verwiesen wird1. Ist demgegenüber das Recht eines Drittstaats als Belegenheitsrecht oder Vertragsstatut zur Anwendung berufen, gelten stattdessen die – allerdings weitgehend übereinstimmenden – Kollisionsregeln des autonomen deutschen Rechts2. Ziel dieser Sonderanknüpfungen ist es insbesondere, Vertrauensschutz und Rechtssicherheit in den Staaten zu gewährleisten, in denen Vermögenswerte des Schuldners belegen sind3. Als Ausnahmen vom Prinzip der umfassenden Geltung der lex fori concursus sind diese Sonderanknüpfungen allerdings einschränkend auszulegen4.

2. Dingliche Sicherungsrechte von Gläubigern a) Europäisches Insolvenzrecht

6.698

Der Wert dinglicher Sicherheiten zeigt sich zumeist erst im Insolvenzfall. Hier kommt es zum Zielkonflikt zwischen dem Interesse an der Einheitlichkeit der Insolvenzabwicklung und der Verwertung des Schuldnervermögens zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger, das für die durchgängige Anwendung der lex fori concursus spricht5, und dem Vertrauen der dinglich gesicherten Gläubiger in den Schutz ihrer dinglichen Rechte nach dem Recht des jeweiligen Lageorts6. Die kollisionsrechtliche Behandlung der Sicherungsrechte ist daher zu Recht als „Knackpunkt des Internationalen Insolvenzrechts“ bezeichnet worden7. In der deutschen Literatur hat man versucht, beiden Zielen dadurch Rechnung zu tragen, dass man die Entstehung der Sicherungsrechte der jeweiligen lex rei sitae, ihre insolvenzrechtlichen Wirkungen hingegen der lex fori concursus unterworfen hat8.

6.699

Der europäische Gesetzgeber hat sich demgegenüber in Art. 8 Abs. 1 EuInsVO 2015 eindeutig für einen Vorrang der Schutzinteressen der dinglich gesicherten Gläubiger – und der hinter ihnen stehenden Kreditinstitute9 – nach Maßgabe des Belegenheitsrechts entschieden. Denn danach wird das dingliche Recht eines Gläubigers oder eines Dritten an körperlichen oder unkörperlichen, beweglichen oder unbeweglichen Gegenständen des Schuldners, die sich zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befinden, „von der Eröffnung des Verfahrens nicht berührt“. Die Gläubiger, deren Forderungen durch dingliche Rechte an Gegenständen gesichert sind, die in anderen Mitgliedstaaten belegen sind, genießen damit einen weitergehenden Schutz als Gläubiger, die im Eröffnungsstaat

1 Dies folgt i.d.R. bereits aus dem Wortlaut der Vorschriften, gilt aber auch etwa für Art. 9 und 17 EuInsVO 2015, deren Wortlaut eine solche Beschränkung nicht enthält, vgl. den Virgós/SchmitBericht Rz. 93; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (138, 152). 2 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 93; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (152 f.); krit. dazu Schack, Rz. 1192. 3 Vgl. ErwG 67 S. 2 zur EuInsVO 2015; ErwG 24 zur EuInsVO 2000; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 92. 4 So auch Schack, Rz. 1190; Wenner, Rz. 256. 5 Vgl. i.d.S. Favoccia, S. 28 ff. (45 f., 50 ff.). 6 Für Anwendung der lex rei sitae daher schon OLG Hamburg v. 2.6.1965 – 5 U 101/64, IPRspr. 1964/65 Nr. 73. 7 Schack, Rz. 1198; vgl. auch Aderhold, S. 281: „Achillesferse ... universeller Öffnung“. 8 Favoccia, S. 24 ff.; Prütting, ZIP 1996, 1277 (1284); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (329 ff.). 9 Vgl. ErwG 68 S. 1 zur EuInsVO 2015 und ErwG 25 zur EuInsVO 2000, wo auf die erhebliche Bedeutung der dinglichen Rechte für die Kreditgewährung hingewiesen wird; ferner den Virgós/ Schmit-Bericht Rz. 97; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (153 f.); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (333).

750 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.701 § 6

selbst dingliche Sicherheiten innehaben1. Als geschützte Rechte i.S.v. Art. 8 Abs. 1 EuInsVO 2015 werden in Abs. 2 insb. Pfandrechte und Hypotheken, zur Sicherheit abgetretene Forderungen, dingliche Herausgabeansprüche und Nießbrauchsrechte genannt. Diese Aufzählung ist aber nicht abschließend. Ob die Verordnung die Qualifikation eines Rechts als „dingliches Recht“2 der jeweiligen lex rei sitae überlässt3, oder ob der Begriff europäisch-autonom ausgelegt werden sollte4, ist umstritten. Der EuGH hat sich auf Vorlage des BGH5 für eine zweistufige Prüfung ausgesprochen: Danach ist die Frage, ob es sich bei der streitgegenständlichen Rechtsposition um ein „dingliches Recht“ handelt, auf der ersten Stufe nach dem nationalen Recht der Belegenheit zu entscheiden. Wird die Einordnung als dingliches Recht von der lex rei sitae bejaht, so muss allerdings in einem zweiten Schritt noch geprüft werden, ob diese Qualifikation mit den Vorgaben, welche die EuInsVO an ein dingliches Recht stellt, im Einklang steht6. Den dinglichen Rechten stehen andere, in öffentlichen Registern eingetragene und gegen jedermann wirkende Rechte, wie z.B. die Vormerkung (vgl. § 106 InsO)7, nach Art. 8 Abs. 3 EuInsVO 2015 gleich.

6.700

Art. 8 Abs. 1 EuInsVO enthält keine kollisionsrechtliche Verweisung auf die lex rei sitae8, sondern eine bloße Sachnorm, die der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus Gründen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit jeglichen Einfluss auf die geschützten dinglichen Rechte der Gläubiger und sonstiger Dritter abspricht, soweit diese in einem anderen Mitgliedstaat der Verordnung belegen sind9. Daraus folgt, dass in einem ersten Schritt die wirksame Entstehung, der Fortbestand und der Inhalt des dinglichen Rechts nach den allgemeinen Re-

6.701

1 Balz, ZIP 1996, 948 (950); Deipenbrock, EWS 2001, 113 (116); Eidenmüller, IPRax 2001, 1 (6); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (157 f.); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1615 f.); Kolman, S. 308; Leible/ Staudinger, KTS 2000, 533 (550); Liersch, NZI 2002, 15 (16); Paulus, NZI 2001, 506 (513). 2 Zum Begriff der „dinglichen Rechte“ i.S.d. Verordnung näher Duursma-Kepplinger, Art. 5 EuInsVO Rz. 50 ff.; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (155 f.). Dazu gehört etwa das Pfändungspfandrecht nach österr. Recht (BGH v. 15.10.2015 – IX ZR265/12, NZI 2015, 1038 (Rz. 17 ff.) m. Anm. Stangl/Kern = RIW 2016, 231 = ZIP 2015, 2833) und die „floating charge“ des engl. Rechts (vgl. Smid, Art. 5 EuInsVO Rz. 15 f.). 3 Dafür Paulus, Art. 5 EuInsVO Rz. 7; Duursma-Kepplinger, Art. 5 EuInsVO Rz. 5; im Erg. auch EuGH v. 16.4.2015 – C-557/13, ECLI:EU:C:2015:227 (Lutz), NZI 2015, 478 (Rz. 27 f.) = ZIP 2015, 1030 unter Hinweis auf ErwG 25 zur EuInsVO 2000. 4 Dafür BGH v. 12.3.2015 − V ZB 41/14, NZI 2015, 668 (Rz.15); Hübler, NZI 2016, 990 (994); Kindler in MünchKomm, Art. 8 EuInsVO Rz. 4 ff.; Wenner, Rz. 296.Vgl. auch den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 103. 5 BGH v. 12.3.2015 – V ZB 41/14, NZI 2015, 668 m. Anm. Fritz = RIW 2015, 521. 6 EuGH v. 26.10.2016 − C-195/15, ECLI:EU:C:2016:804 (Senior Home), NZI 2016, 1011(Rz. 22) m. Anm. Fritz (zur Qualifikation einer öffentlichen Last nach § 12 GrdStG i.V.m. § 77 Abs. 2 S. 1 AO als dingliches Recht i.S.v. Art. 5 EuInsVO 2000); dazu die Abschlussentscheidung des BGH v. 8.12.2016 – V ZB 41/14, NZI 2017, 457 m. Anm. Mankowski = ZIP 2017, 535. 7 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 18; Deipenbrock, EWS 2001, 113 (117); von Wilmowsky, EWS 1997, 295 (297). 8 So aber die sog. Kollisionsnormtheorie, vgl. Becker, JbItalR 18 (2005), 75 ff.; Flessner, IPRax 1997, 1 (7); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (227); Oberhammer, ZInsO 2004, 761 (772). 9 So die h.M., vgl. Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 22; Schack, Rz. 1199; ausführlich Kindler in MünchKomm, Art. 8 EuInsVO Rz. 14 ff., 22 m.w.N.; ebenso zur EuInsVO 2000 Duursma-Kepplinger, Art. 5 EuInsVO Rz. 22; Haas, FS Gerhardt (2004), S. 328; Herchen, S. 94 ff.; Huber, ZZP 114 (2001), 153 (154 ff.); Reinhart, IPRax 2012, 417, 419; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (334); vgl. auch BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 19) = ZIP 2011, 926 = NJW 2011, 1818 = IPRax 2012, 427.

Hausmann | 751

§ 6 Rz. 6.701 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

geln des internationalen Sachenrechts, d.h. i.d.R. nach der jeweiligen lex rei sitae (vgl. für das deutsche Recht Art. 43 Abs. 1 EGBGB) zu prüfen ist1. Insoweit ist bei Mobiliarsicherheiten zu beachten, dass der Grenzübertritt der Sicherungsgegenstände i.d.R. einen Statutenwechsel zur Folge hat, der namentlich beim Eigentumsvorbehalt und beim Sicherungseigentum mangels der vom neuen Belegenheitsrecht geforderten Publizität auch zum Untergang des Sicherungsrechts führen kann2. Besteht das Sicherungsrecht des Gläubigers nach dem Recht des Belegenheitsstaats, so wird es durch die Eröffnung des (Haupt-)Insolvenzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat „nicht berührt“. Daraus folgt, dass vom ausländischen Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates ermöglichte Eingriffe in die Befugnis des Gläubigers, das im Inland belegene dingliche Recht im Sicherungsfall, ggf. im Wege der Einzelzwangsvollstreckung, zu verwerten und den sich aus der Verwertung ergebenden Erlös einzubehalten, soweit dies zur Tilgung der gesicherten Forderung erforderlich ist, hier nicht anerkannt werden3. Der Gegenstand selbst, an dem das Sicherungsrecht besteht, scheidet jedoch deswegen nicht aus der Insolvenzmasse aus, denn über deren Umfang entscheidet allein die lex fori concursus (vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. b EuInsVO 2015)4. Der dem Gläubiger durch Art. 8 EuInsVO 2015 gewährte Schutz betrifft allerdings nur den Inhalt seines dinglichen Rechts, nicht die vollstreckungsrechtlichen Voraussetzungen, unter denen es geltend zu machen ist5.

6.702

Praktische Bedeutung hat dieses enge Verständnis des Art. 8 Abs. 1 EuInsVO vor allem für die Verwertungsbefugnisse des Insolvenzverwalters. Dieser hat zunächst die Möglichkeit, im Belegenheitsstaat die Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens zu beantragen, sofern der Schuldner dort eine Niederlassung hat (Art. 3 Abs. 2 S. 1 EuInsVO)6; in diesem Verfahren stehen ihm die gleichen Befugnisse zum Eingriff in die Rechte der Gläubiger zu wie in einem im Belegenheitsstaat eröffneten Hauptinsolvenzverfahren (dazu Rz. 6.684 f.)7. Da die Gegenstände, an denen dingliche Recht Dritter bestehen, weiterhin zur Insolvenzmasse des Hauptverfahrens gehören, ist der Verwalter aber auch berechtigt, die gesicherte Forderung zu tilgen und den belasteten Gegenstand zur Masse zu ziehen, oder nach Verwertung der Sicherheit durch den Gläubiger einen etwaigen Überschuss für die Masse einzufordern8. 1 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 95; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 25, 41 ff.; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (154 ff.); Herchen, S. 78 ff.; Schack, Rz. 1200; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (335); Wenner, Rz. 298. 2 Vgl. Favoccia, S. 52 f.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 35. 3 BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 (Rz. 19) = ZIP 2011, 926 = NJW 2011, 1818; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 42; Kindler in MünchKomm, Art. 8 EuInsVO Rz. 23. 4 Kindler in MünchKomm, Art. 8 EuInsVO Rz. 24; Schack, Rz. 1200; ebenso zur EuInsVO 2000 Huber, ZZP 114 (2001), 133 (158 f.); Kolmann, S. 305 f.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (552 f.); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (339 f.); krit. Wenner, Rz. 300. 5 BGH v. 3.2.2011 – V ZB 54/10, BGHZ 188, 177 = NJW 2011, 1818 = ZIP 2011, 926; dazu Reinhart, IPRax 2012, 417. 6 ErwG 68 S. 4 zur EuInsVO 2015. 7 Davon ging schon der Verordnungsgeber der EuInsVO 2000 als Regelfall aus, vgl. ErwG 25; ferner den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 98; Huber, EuZW 2002, 490 (493); Kemper, ZIP 2001, 1609 (1615 f.). Dies setzt allerdings notwendig eine Niederlassung des Schuldners im Belegenheitsstaat voraus, vgl. Art. 3 Abs. 2 EuInsVO. 8 Vgl. ErwG 68 S. 5 zur EuInsVO 2015 und ErwG 25 a.E. zur EuInsVO 2000; ferner den Virgós/ Schmit-Bericht Rz. 99; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 45; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (158 f.); Kolmann, S. 305 f.; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (339 f.); a.A. Flessner, FS Drobnig (1998), S. 277 (283 ff.); Fritz/Bähr, DZWiR 2001, 221 (227 f.): Statut des Sicherungsrechts entscheidet über die Zugriffsmöglichkeit des Insolvenzverwalters.

752 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.705 § 6

Das europäische Insolvenzrecht bekräftigt den Grundsatz des Art. 8 Abs. 1 in Art. 10 Abs. 1 EuInsVO 2015 bzgl. des (einfachen)1 Eigentumsvorbehalts des Verkäufers in der Käuferinsolvenz. Danach lässt die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Käufer auch die Rechte des Verkäufers aus dem Eigentumsvorbehalt „unberührt“, wenn dieser nach der lex rei sitae wirksam begründet worden ist und – im Falle eines Statutenwechsels – nach dem neuen Belegenheitsrecht fortbesteht2. Insoweit gilt für den Eigentumsvorbehalt das zu Art. 8 EuInsVO 2015 Gesagte entsprechend; insbesondere ist auch Art. 10 Abs. 1 EuInsVO als Sachnorm zu qualifizieren3. Darüber hinaus hindert die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gegen den Verkäufer einer Sache nach Art. 10 Abs. 2 EuInsVO 2015 den Eigentumserwerb des Käufers dann nicht, wenn sich die Kaufsache zur Zeit der Verfahrenseröffnung4 im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats befindet. Geschützt wird durch diese Vorschrift des materiellen europäischen Einheitsrechts das Anwartschaftsrecht des Käufers, der seinen Eigentumserwerb durch Zahlung des Restkaufpreises auch gegen den Willen des Insolvenzverwalters vollenden kann5.

6.703

b) Autonomes Insolvenzrecht Wurde das (Haupt-)Insolvenzverfahren nicht in einem Mitgliedstaat der EuInsVO eröffnet, so beurteilt sich das auf dingliche Rechte Dritter an im Inland belegenen Gegenständen der Insolvenzmasse anwendbare Recht nach dem autonomen deutschen Kollisionsrecht. Dieses sieht in § 351 Abs. 1 InsO eine weitgehend mit Art. 8 Abs. 1 EuInsVO 2015 übereinstimmende Sachnorm vor. Auch danach wird das Recht eines Dritten an einem Gegenstand der Insolvenzmasse, der zur Zeit der Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens im Inland belegen war, und das nach inländischem Recht einen Anspruch auf Aussonderung oder auf abgesonderte Befriedigung gewährt, von der Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens nicht berührt. Auf diese Weise soll auch im Verhältnis zu Drittstaaten sichergestellt werden, dass das Vertrauen des inländischen Wirtschaftsverkehrs in hier bestehende dingliche Sicherheiten nicht durch die Auswirkungen eines fremden Insolvenzstatuts entwertet wird6. Damit schützt die Vorschrift die gesicherten Gläubiger vor solchen Einschränkungen der Sicherungsrechte, die über das deutsche Insolvenzrecht hinausgehen. Der ausländische Insolvenzverwalter kann daher nicht geltend machen, dass ein bestimmtes Sicherungsrecht nach dem Recht des Eröffnungsstaates keine oder geringere Wirkungen als nach dem deutschen Belegenheitsrecht hat7. Der Umfang des Schutzes, den das deutsche Sicherungsrecht gewährt, ist mithin unabhängig davon, ob das Insolvenzverfahren im Inland oder im Ausland eröffnet wird.

6.704

Dies gilt insbesondere für das Recht des Gläubigers zur Aus- und Absonderung. Insoweit beurteilen sich also die Entstehung und der Inhalt von dinglichen Rechten, die zu einer Ausoder Absonderung berechtigen, nicht nach dem Insolvenzstatut, sondern nach dem jeweiligen

6.705

1 Vgl. Herchen, S. 129 f.; Smid, Art. 7 EuInsVO Rz. 2. 2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 51; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (159 f.); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (342).Vgl. App. Bastia v. 6.7.2016, unalex FR-2492. 3 Kindler in MünchKomm, Art. 10 EuInsVO Rz. 9; ebenso schon EuGH v. 10.9.2009 – C-292/08, ECLI:EU:C:2009:544 (GermanGraphics), Slg. 2009 I, 8421 (Nr. 35) = NZI 2009, 741 = ZIP 2009, 2345 = IPRax 2010, 355 (m. Anm. Brinkmann, IPRax 2010, 324); dazu Lüttringhaus/Weber, RIW 2010, 45; Mankowski, NZI 2010, 508. 4 Die nachträgliche Verbringung der Kaufsache in einen anderen Staat berührt die Rechte des Käufers nach Art. 10 Abs. 2 EuInsVO nicht. 5 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 114; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (160). 6 Regierungsbegründung zu § 351 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 28 f. 7 Flessner, IPRax 1997, 1 (7); Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 42.

Hausmann | 753

§ 6 Rz. 6.705 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Sachstatut1. Demgegenüber entscheidet über die Frage, ob eine abgesonderte Befriedigung zulässig ist und unter welchen Voraussetzungen der gesicherte Gläubiger zur Verwertung des Gegenstandes der Absonderung berechtigt ist, das Insolvenzverfahrensrecht des Eröffnungsstaates2. Dem ausländischen Insolvenzverwalter steht es allerdings auch nach autonomem Recht (§ 356 InsO) frei, die Eröffnung eines inländischen Sekundärinsolvenzverfahrens zu beantragen, in das die gesicherten Gläubiger nach den Bestimmungen des deutschen Insolvenzrechts einbezogen sind.

6.706

§ 351 Abs. 1 InsO enthält allerdings nur eine einseitige Kollisionsnorm zu den Auswirkungen eines drittstaatlichen Insolvenzverfahrens auf dingliche Rechte Dritter, die an im Inland belegenen Gegenständen begründet sind. Hingegen fehlt eine kollisionsrechtliche Regelung für den Fall, dass der Gegenstand, an dem das dingliche Sicherungsrecht des Gläubigers besteht, in einem Staat belegen ist, der nicht Mitgliedstaat der EuInsVO ist. Insoweit erscheint es konsequent, die einseitige Kollisionsnorm in § 351 Abs. 1 InsO zur allseitigen Kollisionsnorm auszubauen und dem Belegenheitsrecht auch in diesem Fall Vorrang vor dem – deutschen oder drittstaatlichen – Insolvenzstatut einzuräumen3. Ein Aussonderungsrecht bzgl. einer in einem Drittstaat belegenen Sache besteht daher auch bei einer Inlandsinsolvenz, wenn der Gegenstand nach den auf ihn anwendbaren sachenrechtlichen Vorschriften der fremden lex rei sitae im Eigentum des die Aussonderung begehrenden Gläubigers steht.

3. Eintragungspflichtige Rechte des Schuldners 6.707

Um Kollisionen zwischen der lex fori concursus und nationalen Eintragungssystemen zu vermeiden, enthält das europäische Insolvenzrecht für die Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf eintragungspflichtige Rechte des Schuldners4 in Art. 14 EuInsVO 2015 eine echte Kollisionsnorm. Danach ist für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Rechte des Schuldners an einem unbeweglichen Gegenstand, einem Schiff oder einem Luftfahrzeug, die der Eintragung in ein öffentliches Register unterliegen, das Recht des Mitgliedstaats maßgebend, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird. Damit wird klargestellt, dass das in einem anderen Mitgliedstaat eröffnete Insolvenzverfahren die Rechte des Schuldners an im Inland belegenen Immobilien, Schiffen oder Luftfahrzeugen nur in dem Umfang beschränkt wie ein inländisches Verfahren. Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens, die im Recht des registerführenden Mitgliedstaats nicht vorgesehen sind, können somit auch nicht eintreten5. Anders als das Belegenheitsrecht nach Art. 8 EuInsVO 2015 (dazu Rz. 6.713 f.) oder das Arbeitsvertragsstatut nach Art. 13 EuInsVO 2015 (dazu Rz. 6.715 ff.) gilt das Recht des Registrierungsstaats allerdings nach Art. 14 EuInsVO nicht „ausschließlich“; es begrenzt vielmehr nur die Wirkungen der ausländischen lex fori concursus auf eintragungspflichtige Rechte6. Daher ist zunächst zu prüfen, ob das nach der lex fori concursus entstandene Recht im Registerstaat eine Entsprechung hat. Fehlt es daran, hat die Eintragung zu unterleiben. An1 Vgl. Geimer, Rz. 3553 f.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 25; a.A. Trunk, S. 136 ff.; Wenner, Rz. 298. 2 Geimer, Rz. 3554; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 30; Wenner, Rz. 300. 3 Anders Schack, Rz. 1201; Wenner, Rz. 305; die in Fällen der Drittstaatsbelegenheit Beschränkungen durch das Insolvenzstatut respektieren möchten. 4 Für Rechte von Gläubigern oder sonstigen Dritten gilt Art. 8 EuInsVO 2015 (dazu Rz. 6.699 ff.). 5 Balz, ZIP 1996, 998 (950); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (164); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (346). 6 Kindler in MünchKomm, Art. 14 EuInsVO Rz. 9. Diese kumulative Rechtsanwendung erschwert die Abwicklung des Insolvenzverfahrens freilich nicht unbeträchtlich, vgl. den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 130; Wenner, Rz. 308.

754 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.710 § 6

dernfalls ist das im Wege der Anpassung ermittelte sachnächste Recht des Registerstaats einzutragen1. Eine entsprechende Regelung sieht das autonome deutsche Recht in § 351 Abs. 2 InsO vor. Danach bestimmen sich die Wirkungen des ausländischen Insolvenzverfahrens auf Rechte des Schuldners an unbeweglichen Gegenständen, die im Inland belegen sind, ausschließlich nach deutschem Recht. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass an einem inländischen Grundstück keine dem deutschen Sachenrecht fremden Generalhypotheken oder Superprivilegien entstehen können2. Ferner wird auch eine mittelbare Beeinträchtigung dinglicher Rechte an Immobilien durch dem deutschen Recht fremde Rückübertragungsansprüche kraft ausländischen Insolvenzrechts vermieden3.

6.708

4. Vertragsverhältnisse a) Abwicklung schwebender Geschäfte Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt im Rahmen beiderseits nicht oder nicht vollständig erfüllter Verträge zu einer Leistungsstörung. Denn die Primärpflichten aus dem Vertragsverhältnis erlöschen zwar nicht mit der Insolvenzeröffnung; sie sind aber nach § 320 BGB nicht mehr durchsetzbar, wenn der Insolvenzverwalter nicht rechtzeitig gem. § 103 InsO Erfüllung wählt4. Der Erfüllungsanspruch des Gläubigers wandelt sich für diesen Fall bei Geltung deutschen Vertragsstatuts in einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung nach § 283 BGB um, der gem. § 103 Abs. 2 S. 1 InsO nur als einfache Insolvenzforderungen zur Tabelle angemeldet werden kann.

6.709

Die Abwicklung schwebender Geschäfte gehört zu den typischen Funktionen eines Insolvenzverfahrens und unterliegt als solche dem Insolvenzstatut, nicht dem durch die Rom I-VO bestimmten Vertragsstatut. Dies wird für das europäische Insolvenzrecht in Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. e EuInsVO ausdrücklich bestimmt5, gilt aber auch im autonomen deutschen Insolvenzkollisionsrecht nach § 335 InsO entsprechend6. Bei einem im Inland eröffneten Insolvenzverfahren hat der Verwalter das Wahlrecht nach § 103 InsO daher auch dann, wenn der Vertrag mit einem ausländischen Partner geschlossen wurde, im Ausland zu erfüllen ist und nach Art. 3 ff. Rom I-VO ausländischem Recht untersteht. Umgekehrt stehen dem ausländischen Verwalter diesbezüglich die Befugnisse nach der fremden lex fori concursus auch dann zu, wenn der Vertrag deutschem Recht unterliegt. Das Insolvenzstatut beherrscht sowohl die Voraussetzungen wie die Rechtswirkungen einer Ausübung des Wahlrechts durch den Insolvenzverwalter. Räumt es dem Vertragspartner des Schuldners im Falle der Ablehnung der Vertragserfüllung einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung ein, so bestimmt sich der Umfang dieses Schadensersatzanspruchs freilich nach dem Vertragsstatut (vgl. Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-

6.710

1 Kindler in MünchKomm, Art. 14 EuInsVO Rz. 10; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz.19. 2 Vgl. i.d.S. schon – unter Hinweis auf § 390 Abs. 2 E-InsO – Geimer, Rz. 3541. 3 RegBegr. zu § 351 Abs. 2 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 29. 4 Vgl. BGH v. 25.4.2002 – IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353 (359) = ZIP 2002, 1093. Wählt der Insolvenzverwalter Erfüllung, so begründet er damit eine Masseschuld, vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO. 5 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 117; Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 29; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (162). 6 Geimer, Rz. 3538 f.; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 57; Schack, Rz. 1193; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (344); Trunk, S. 174; Wenner, Rz. 313.

Hausmann | 755

§ 6 Rz. 6.710 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

VO; dazu Rz. 3.153 ff.)1. Gleiches gilt für die Folgen eines vom Insolvenzverwalter nach Maßgabe der lex fori concursus erklärten Rücktritts vom Vertrag2. Eingeschränkt wird das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach Maßgabe der lex fori concursus lediglich beim Eigentumsvorbehalt durch Art. 10 Abs. 2 EuInsVO (dazu Rz. 6.703). b) Immobilienverträge

6.711

Für Miet- und Pachtverträge über Immobilien wurde die lex fori concursus schon nach bisheriger Auffassung durch die lex rei sitae verdrängt3, d.h. der Insolvenzeröffnung wurden auf diese Verträge keine weitergehenden Wirkungen beigemessen als nach dem Belegenheitsrecht des Grundstücks oder der Wohnung. Auch die Auslandsinsolvenz hatte demnach – vor allem aus Gründen des Mieterschutzes – auf Mietverträge an inländischen Grundstücken nur die Wirkungen nach §§ 109 ff. InsO. Demgegenüber sollte es für Grundstückskaufverträge nach bisher h.M. bei der allgemeinen Anwendung des Rechts des Eröffnungsstaates verbleiben4.

6.712

Weitergehend unterstellt das europäische Insolvenzrecht in Art. 11 EuInsVO die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf sämtliche Verträge, die zum Erwerb oder zur Nutzung unbeweglicher Gegenstände5 berechtigen, ausschließlich der lex rei sitae, um dort Vertrauensschutz und Rechtssicherheit in Bezug auf solche Verträge zu gewährleisten6. Die Regelung ist nicht auf Verpflichtungsverträge beschränkt, sondern gilt auch für dingliche Verträge (z.B. die Auflassung)7. Damit wird das Verkehrsschutzinteresse des Belegenheitsstaates höher bewertet als der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger8. Soweit die Anfechtbarkeit oder Unwirksamkeit eines solchen Vertrages geltend gemacht wird, hat allerdings die Anknüpfung an die lex fori concursus nach Art. 7 Abs. 2 lit. m, Art. 16 EuInsVO Vorrang vor Art. 11 EuInsVO 20159.

6.713

An Art. 11 EuInsVO anknüpfend unterwirft auch das autonome deutsche Insolvenzkollisionsrecht in § 336 S. 1 InsO nicht nur die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf Miet- oder Pachtverträge über Grundstücke, sondern auch auf Verträge über die Veräußerung oder Belastung von Grundstücken dem Belegenheitsrecht. Dabei vermeidet die Neuregelung bei Verpflichtungsverträgen den Umweg über das internationale Vertragsrecht des Belegenheitsstaates und erklärt – ebenso wie Art. 11 EuInsVO 201510 – als Sachnormverweisung unmittelbar das materielle Recht der lex rei sitae (einschließlich des dortigen Insolvenzrechts) für an1 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 547; Wenner, Rz. 333. 2 OLG Rostock v. 13.4.2006 – 7 U 108/03, NJOZ 2007, 2532. 3 Aderhold, S. 280; Flessner, IPRax 1997, 1 (8); Trunk, S. 174; einschränkend (nur für Wohnraummiete) Schollmeyer, S. 177 ff. 4 So Trunk, S. 176 m.w.N.; a.A. aber Aderhold, S. 280; Geimer, Rz. 3548. 5 Der Begriff des unbeweglichen Gegenstands ist dabei – ebenso wie in Art. 24 Abs. 1 Brüssel Ia-VO (dazu Hausmann in Staudinger, Rom I-VO/IntVertrVerfR Rz. 84) – autonom auszulegen, vgl. öOGH v. 21.3.2018 – 1 Ob 24/18p, unalex AT-1144; Kindler in MünchKomm, Art. 11 EuInsVO Rz. 2. 6 Vgl. ErwG 67 zur EuInsVO 2015; EuGH v. 16.4.2015 – C-557/13, ECLI:EU:C:2015:227 (Lutz), NZI 2015, 478 (Rz. 34) = ZIP 2015, 1030. 7 Kindler in MünchKomm, Art. 11 EuInsVO Rz. 5; a.A. Mankowski, FS Görg (2010), S. 273 (280 f.). 8 Virgós/Schmit-Bericht, Rz. 118. 9 OLG Koblenz v. 10.12.2010 – 8 U 1112/09, NZI 2011, 448; LG Göttingen v. 13.4.2011 – 5 O 102/ 07, IPRspr. 2011 Nr. 320. Ebenso zum Verhältnis von § 335 und § 336 InsO BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 92/17, RIW 2018, 605 (Rz. 17 ff.) = ZIP 2018, 1455. 10 Kindler in MünchKomm, Art. 11 EuInsVO Rz. 1.

756 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.716 § 6

wendbar1. Diese bleibt mithin auch dann maßgeblich, wenn die Parteien für den Vertrag nach Art. 3 Rom I-VO ein anderes Recht gewählt haben2. Liegt das Grundstück im Inland, so hat der Insolvenzverwalter daher stets das Wahlrecht nach § 103 InsO; die ausländische lex fori concursus bleibt insoweit vollständig außer Betracht. Das besondere Insolvenzstatut für Verträge über einen unbeweglichen Gegenstand nach Art. 11 EuInsVO 2015 bzw. § 336 InsO betrifft jedoch nur das Schicksal der weiteren Durchführung solcher Verträge aufgrund von insolvenzrechtlichen Bestimmungen und die Frage, ob Lösungsmöglichkeiten aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen. Demgegenüber beurteilt sich die Anfechtbarkeit von Rechtshandlungen im Zusammenhang mit solchen Verträgen ausschließlich nach dem von Art. 7 EuInsVO 2015 bzw. § 335 InsO zur Anwendung berufenen lex fori concursus3.

6.714

c) Arbeitsverhältnisse Neben dem Wohnungsmieter verdienen insbesondere Arbeitnehmer in der Insolvenz des Arbeitgebers besonderen Schutz. Der Umfang und Inhalt dieses Schutzes – z.B. durch Sozialpläne – ist in den einzelnen Rechten sehr unterschiedlich ausgestaltet. Um dem Arbeitnehmer denjenigen Schutz zu erhalten, den das auf seinen Arbeitsvertrag anwendbare Recht im Falle der Insolvenz des Arbeitgebers vorsieht, und auf den er deshalb vertraut hat, schreibt Art. 13 EuInsVO 2015 für Arbeitsverhältnisse eine von der lex fori concursus abweichende Sonderanknüpfung an das Arbeitsvertragsstatut vor. Danach gilt für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen Arbeitsvertrag und auf das Arbeitsverhältnis4 ausschließlich das Recht, das nach dem IPR des Eröffnungsstaates auf den Arbeitsvertrag anzuwenden ist; dies ist den Mitgliedstaaten einheitlich das von Art. 8 Rom I-VO bestimmte Recht5. Durch diese Sonderanknüpfung soll für den Arbeitnehmer vor allem Rechtsklarheit darüber geschaffen werden, wie sich die Insolvenz des Arbeitgebers auf seinen Arbeitsplatz auswirkt. Die hier erforderliche Transparenz ist nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers am besten gewährleistet, wenn sich auch die insolvenzrechtlichen Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis ausschließlich nach dem Arbeitsvertragsstatut beurteilen6.

6.715

Das durch Rechtswahl oder objektiv nach Art. 8 Abs. 2-4 Rom I-VO bestimmte Statut des Arbeitsvertrags gilt insbesondere für die Frage, ob das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Insol-

6.716

1 Geimer, Rz. 3545; Schack, Rz. 1196. 2 Kindler in MünchKomm, § 336 InsO Rz. 1; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 72; ebenso schon zur EuInsVO 2000. Duursma-Kepplinger, Art. 8 EuInsVO Rz. 7, 9; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (345). 3 BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 92/17, RIW 2018, 605 (Rz. 18) = ZIP 2018, 1455. 4 Die Begriffe „Arbeitsvertrag“ und „Arbeitsverhältnis“ sind autonom und ebenso auszulegen wie in Art. 8 Rom I-VO; dazu näher Rz. 11.20 ff.; ferner Kindler in MünchKomm, Art. 13 EuInsVO Rz. 3 f. 5 Vgl. ErwG 72 S. 1 zur EuInsVO 2015; Kindler in MünchKomm, Art. 13 EuInsVO Rz. 1; Kolmann/ Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 59; vgl. schon ErwG 28 zur EuInsVO 2000; dazu BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312 = NZI 2012, 1011 m. Anm. Hess; Duursma-Kepplinger, Art. 10 EuInsVO Rz. 1; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (162); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (558); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (344). 6 Vgl. BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 (Rz. 33) = ZIP 2012, 2312; ferner den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 125. Die lex fori concursus kommt also auch dann nicht – kumulativ oder alternativ – zur Anwendung, wenn sie im Einzelfall für den Arbeitnehmer günstiger ist, vgl. BAG aaO.

Hausmann | 757

§ 6 Rz. 6.716 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

venz des Arbeitgebers gekündigt oder sonst aufgelöst werden kann1. Bei der Veräußerung eines deutschen Betriebs durch den ausländischen Insolvenzverwalter gilt dementsprechend zum Schutz der dort beschäftigten Arbeitnehmer § 613a BGB2. Ist zur insolvenzbedingten Beendigung eines Arbeitsvertrages die Zustimmung eines Gerichts oder einer Behörde erforderlich, so bleibt für die Erteilung dieser Zustimmung die Zuständigkeit in dem Mitgliedstaat erhalten, in dem sich eine Niederlassung des Schuldners befindet, selbst wenn in diesem Mitgliedstaat kein (Sekundär-)Insolvenzverfahren eröffnet wurde3. Art. 13 EuInsVO findet allerdings nur Anwendung, wenn der Arbeitsvertrag dem Recht eines Mitgliedstaats der Verordnung unterliegt. Ist dies nicht der Fall, so überlässt die Verordnung den Arbeitnehmerschutz dem nationalen Kollisionsrecht. Aus deutscher Sicht macht dies keinen Unterschied, weil auch § 337 InsO auf Art. 8 Rom I-VO verweist4.

6.717

In der deutschen Literatur ist dieser Umweg über das Vertragskollisionsrecht z.T. kritisiert und – in Anlehnung an Art. 13 Abs. 2 des deutsch-österreichischen Konkursvertrages – eine unmittelbare Verweisung auf das Recht am gewöhnlichen Arbeitsort befürwortet worden5. Damit besteht die Gefahr, dass sich die Auswirkungen der Insolvenz auf das Arbeitsverhältnis nach einem Recht bestimmen könnten, das weder Insolvenzstatut noch Arbeitsvertragsstatut ist. Aus diesem Grunde hat sich der deutsche Gesetzgeber auch im autonomen Insolvenzkollisionsrecht (§ 337 InsO) zu Recht für die Anwendung des nach Art. 8 Rom I-VO zu bestimmenden Statuts des Arbeitsvertrags entschieden. Unterliegt der Arbeitsvertrag deutschem Recht, so beurteilen sich mithin auch die Rechtsfolgen einer in einem Drittstaat über das Vermögen des Arbeitgebers eröffneten Insolvenz stets nach § 113 InsO6.

6.718

Die Sonderanknüpfung nach Art. 13 EuInsVO bzw. § 337 InsO gilt nur für insolvenzrechtliche Wirkungen der Verfahrenseröffnung. Demgegenüber bestimmt sich etwa die Frage, ob Arbeitnehmer durch ein Vorrecht in der Insolvenz des Arbeitgebers gegenüber anderen Gläubigern bevorzugt werden, und welchen Rang dieses Vorrecht ggf. hat, nach dem Recht des Eröffnungsstaates7. Dies entsprach auch schon bisher der in Deutschland vorherrschenden Ansicht, die die Konkursvorrechte nach § 61 KO im Falle der Inlandsinsolvenz ohne Rücksicht auf die lex causae durchgesetzt hatte8. 1 BAG v. 20.9.2012 – 6 AZR 253/11, BAGE 143, 129 = ZIP 2012, 2312; ferner BAG v. 13.12.2012 – 6 AZR 348/11, NZA 2013, 669 (Rz. 96) = ZIP 2013, 950; LAG Hessen v. 15.2.2011 – 13 Sa 767/10, IPRspr. 2012 Nr. 63b; LAG Hessen v. 14.12.2010 – 13 Sa 969/10, NZI 2011, 203 m. Anm. Mankowski; Göpfert/Müller, NZA 2009, 1057; Kindler in MünchKomm, Art. 13 EuInsVO Rz. 6; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb. § 132 Rz. 73; Wimmer, NJW 2002, 2427. 2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb. § 131 Rz. 75. 3 ErwG 72 S. 2 zur EuInsVO 2015. 4 Kindler in MünchKomm, Art. 13 EuInsVO Rz. 11; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb. § 131 Rz. 72; a.A. Huber, ZZP 114 (2001), 133 (163), der es für diesen Fall bei der alleinigen Geltung der lex fori concursus belassen möchte. 5 Vgl. etwa Schack, Rz. 1195. 6 Ebenso schon bisher Flessner, IPRax 1997, 1 (8); Geimer, Rz. 3550; Trunk, S. 172 ff. 7 Vgl. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. i EuInsVO 2015; ErwG 72 S. 3 zur EuInsVO 2015; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 77; ferner schon ErwG 28 a.E. zur EuInsVO 2000; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (163); Paulus, NZI 2001, 505 (513). 8 LAG Düsseldorf v. 7.12.1990 – 9 Sa 1397/90, RIW 1992, 402 m. Anm. Klima; BAG v. 24.3.1992 – 9 AZR 76/91, ZIP 1992, 1158 = RIW 1994, 160 m. Anm. Langer/Lentföhr = EWiR 1992, 1011 m. Anm. Hanisch (Gleichstellung der klagenden französ. Außendienstmitarbeiterin [„voyageur, représentant et placier“] mit einem „Arbeitnehmer“ i.S.v. § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO verneint, weil die Klägerin weisungsunabhängig und wirtschaftlich selbständig für das Unternehmen der Gemein-

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C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.720 § 6

5. Insolvenzaufrechnung Auch über die Zulässigkeit und die Wirkungen der Aufrechnung durch Insolvenzgläubiger nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entscheidet in erster Linie das Recht des Eröffnungsstaates. Dies wird für das europäische Insolvenzrecht in Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. d EuInsVO 2015 ausdrücklich klargestellt, gilt aber auch im autonomen deutschen Insolvenzkollisionsrecht entsprechend1. Die einer Aufrechnung nach §§ 94 ff. InsO gezogenen Schranken gelten daher bei Eröffnung eines inländischen Insolvenzverfahrens grundsätzlich auch für Forderungen, die der Schuldner gegen ausländische Gläubiger hat und die ausländischem Recht unterstehen; umgekehrt sind inländische Gläubiger in der Auslandsinsolvenz nur nach Maßgabe des ausländischen Insolvenzrechts zur Aufrechnung befugt. Dies gilt selbst dann, wenn sowohl die Hauptforderung wie die Gegenforderung einem von der lex fori concursus abweichenden Schuldstatut unterstehen2. Die Anwendung der lex fori concursus ist vor allem deshalb gerechtfertigt, weil die Aufrechnung eines Insolvenzgläubigers gegen eine Forderung des Schuldners ähnlich wie ein Absonderungsrecht wirkt. Einschränkungen dieser Aufrechnungsbefugnis im Insolvenzverfahren verfolgen regelmäßig den Zweck, den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zu stärken; dieser Zweckbestimmung trägt aber die Anwendung des Rechts des Eröffnungsstaates am besten Rechnung3. Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. d EuInsVO 2015 unterwirft allerdings nur die insolvenzrechtlichen Schranken der Aufrechnung der lex fori concursus; demgegenüber bestimmen sich die materiell-rechtlichen Voraussetzungen und Wirkungen der Aufrechnung nach dem Schuldstatut der Hauptforderung, gegen die aufgerechnet wird (Art. 17 Rom I-VO; dazu Rz. 3.225 ff.)4.

6.719

Die ausschließliche Anwendung des Insolvenzstatuts kann freilich im Einzelfall zu Härten für einen Gläubiger führen, der auf die Zulässigkeit der Aufrechnung nach dem Forderungsstatut vertraut hat. Deshalb erhält Art. 9 Abs. 1 EuInsVO 2015 dem Gläubiger die nach dem Schuldstatut der Hauptforderung vor Insolvenzeröffnung gegebene Aufrechnungsmöglichkeit ohne Rücksicht auf die entgegenstehende Haltung des Insolvenzstatuts5. Nach dieser Vorschrift wird die Befugnis eines Gläubigers, gegen eine Forderung des Schuldners aufzurechnen, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens „nicht berührt“, wenn diese Aufrechnung

6.720

1 2 3 4

5

schuldnerin in Frankreich tätig gewesen sei. Arbeitnehmerstatus der Klägerin nach französ. Recht unter Berufung auf Art. 34 EGBGB a.F. für unerheblich erachtet). Zust. auch LAG Düsseldorf v. 12.12.1990 – 12 Sa 1302/90, IPRspr. 1991 Nr. 238. Geimer, Rz. 3563; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 72; Schack, Rz. 1203; Wenner, Rz. 335. BGH v. 11.7.1985 – IX ZR 178/84, BGHZ 95, 256 (273) = ZIP 1985, 944; zust. OLG Düsseldorf v. 15.11.1990 – 13 U 84/94, IPRspr. 1990 Nr. 254b; Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1238 ff.). Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1238 ff.); Schack, Rz. 1203. So zutreffend unter Hinweis auf die Systematik des Art. 7 EuInsVO 2015 – Abs. 2 konkretisiert lediglich die Grundregel in Abs. 1, die ihrerseits nur auf das „Insolvenzrecht“ verweist – Bork, ZIP 2002, 690 (692); Geimer, IZPR Rz. 3562; Kolmann, S. 310 f.; Schack, Rz. 1203; Reinhart in MünchKomm InsO, § 338 Rz. 7; zust. BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NJW 2018, 2404 m. Anm. Paulus = RIW 2018, 526 = NZI 2018, 721 (Rz. 24, 26); a.A. (für einheitliche Anknüpfung aller Aufrechnungsvoraussetzungen an das Insolvenzstatut) hingegen Kindler in MünchKomm, Art. 7 EuInsVO Rz. 23 ff.; Virgós/Schmit-Bericht Rz. 109; Balz, ZIP 1996, 948 (951); Duursma-Kepplinger, Art 6 EuInsVO Rz. 6 ff.; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (261); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (555); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (343). Vgl. den ErwG 70 zur EuInsVO 2015 und ErwG 26 zur EuInsVO 2000: „Garantiefunktion“ der Aufrechnung.

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§ 6 Rz. 6.720 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nach dem auf die Forderung des insolventen Schuldners maßgeblichen Recht zulässig ist1. Im Ergebnis setzt sich daher das aufrechnungsfreundlichere der beiden Rechte durch2. Wird die Aufrechnung auf das Statut der Hauptforderung gestützt, so sind allerdings auch die in dem Recht des betreffenden Mitgliedstaates geltenden insolvenzrechtlichen Aufrechnungsschranken zu beachten3.

6.721

Diese alternative Anknüpfung der Insolvenzaufrechnung hat der deutsche Gesetzgeber mit § 338 InsO auch in das autonome Insolvenzkollisionsrecht übernommen. Erklärt der Insolvenzgläubiger daher die Aufrechnung gegen eine Forderung des Schuldners, die dem Recht eines Drittstaats4 – z.B. schweizerischem Recht – untersteht5, so führt die Aufrechnung zum Erlöschen der Forderung, wenn sie entweder nach dem Insolvenzstatut oder nach dem drittstaatlichen Forderungsstatut zulässig ist. Auch die alternative Anknüpfung nach § 338 InsO greift also nur ein, wenn die Aufrechnungsbefugnis nach der lex fori concursus ausgeschlossen oder eingeschränkt ist6. Die Anknüpfung an die lex causae führt dann zur hypothetischen Prüfung, ob die Aufrechnung – wäre ein Insolvenzverfahren nach der lex causae eröffnet worden – nach diesem Insolvenzrecht insolvenzfest ist oder nicht7. Ist deutsches Recht als alternative lex causae nach § 338 InsO zur Anwendung berufen, richtet sich die Zulässigkeit der Aufrechnung nach §§ 94 ff. InsO8.

6.722

Die Aufrechnung unterliegt allerdings sowohl nach Art. 9 Abs. 2 EuInsVO 2015 wie nach § 339 InsO der Anfechtung nach dem Recht des Eröffnungsstaates, wenn der Gläubiger die Aufrechnungsmöglichkeit in anfechtbarer Weise erlangt hat. Für die Anfechtbarkeit einer Aufrechnungslage enthält § 339 InsO eine eigenständige Kollisionsnorm. Danach richtet sich die Anfechtung – im Einklang mit Art. 7 Abs. 2 lit. m EuInsVO 2015 – gem. der Regelanknüpfung des § 335 InsO nach dem Recht des Staats der Verfahrenseröffnung. Eine Anfechtung nach dem von § 338 InsO alternativ zur Anwendung berufenen Recht, dem die Forderung des Schuldners unterliegt, kommt also nicht in Betracht9; dies muss auch für das Verhältnis von Art. 16 zu Art. 9 EuInsVO entsprechend gelten10. Anknüpfungsgegenstand des § 339 InsO sind sämtliche Ansprüche und Rechtsbehelfe, die darauf abzielen, die Wirkungen gläubigerbenachteiligender

1 Art. 9 Abs. 1 EuInsVO 2015 hat den Charakter einer Kollisionsnorm, da ausdrücklich auf das Schuldstatut der vom Hauptforderung verwiesen wird, gegen die aufgerechnet werden soll; vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 9 EuInsVO Rz. 6 ff. m.w.N. Ebenso zu § 338 InsO BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 28). 2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 86; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (161); Schack, Rz. 1203 a.E. 3 Kindler in MünchKomm, Art. 9 EuInsVO Rz. 5; Bork, ZIP 2002, 690 (694); Huber, EuZW 2002, 490 (494); krit. Wenner Rz. 338. 4 § 338 InsO ist seit dem Brexit auch auf die Aufrechnung des Schuldners mit einer englischem Recht unterliegenden Forderung anzuwenden, vgl. Korch, ZInsO 2016, 1884 (1887). 5 Die Verordnung soll in diesem Fall nach verbreiteter Ansicht keine Anwendung finden, vgl. Kindler in MünchKomm, Art. 9 EuInsVO Rz. 4; Duursma-Kepplinger, Art. 6 EuInsVO Rz. 22; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (162); Leible/Staudinger, KTS 2000, 533 (554); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (343); Balz, ZIP 1996, 948 (950). Ob daran nach Aufgabe eines „qualifizierten“ Auslandsbezugs durch den EuGH (Rz. 6.529) noch festgehalten werden kann, erscheint allerdings zweifelhaft; vgl. auch Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 89. 6 BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 28) = NJW 2018, 2404 m. Anm. Paulus. 7 BGH (vorige Fn., Rz. 33). 8 BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 34) = NJW 2018, 2404 m. Anm. Paulus; Kindler in MünchKomm, § 338 InsO Rz. 3. 9 BGH (vorige Fn., Rz. 41). 10 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 92.

760 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.724 § 6

Rechtshandlungen für die Zwecke des Insolvenzverfahrens rückgängig zu machen oder auszugleichen. Die Vorschrift erfasst daher auch die Anfechtbarkeit einer Aufrechnungslage1.

6. Insolvenzanfechtung Die Insolvenzanfechtung bezweckt die Rückführung von Vermögensgegenständen, die der Schuldner in der Krise beiseite geschafft hat, zur Insolvenzmasse und dient damit dem Interesse der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. Diese haben auf der anderen Seite aber auch das berechtigte Vertrauen des Anfechtungsgegners in die Bestandskraft seines Erwerbs zu berücksichtigen. Dieser Zielkonflikt wirkt sich auch auf der kollisionsrechtlichen Ebene aus. Wer die Interessen der Insolvenzgläubiger in den Vordergrund stellt, wird die materiellen Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung großzügig bestimmen und im Rahmen einer Inlands- wie einer Auslandsinsolvenz ausschließlich auf das Recht des Eröffnungsstaates abstellen, unabhängig davon, welchem Recht der anfechtbare Erwerb nach internationalem Vertrags- oder Sachenrecht unterliegt2. Wer demgegenüber den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes für ausschlaggebend hält, wird zu einer restriktiven Ausgestaltung der materiellen Anfechtungsgründe tendieren und im internationalen Insolvenzfall für die alleinige Anwendbarkeit desjenigen Rechts eintreten, das den anfechtbaren Erwerbsvorgang beherrscht; danach würde also für die Anfechtung der Übereignung von Schuldnervermögen die jeweilige lex rei sitae (Art. 43 EGBGB), für die Anfechtung einer Forderungsabtretung das Zessionsstatut (Art. 14 Rom I-VO) gelten. Wer schließlich beide Aspekte angemessen berücksichtigen möchte, wird sich für eine Kombination des Rechts des Eröffnungsstaates und der für den anfechtbaren Erwerbsvorgang maßgeblichen lex causae aussprechen3.

6.723

Ausgangspunkt muss sein, dass die Anfechtbarkeit einer Handlung des Schuldners durch den Insolvenzverwalter eine Rechtsfolge der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist und deshalb der lex fori concursus unterliegt4. Daher konnte der in einem inländischen Verfahren bestellte Verwalter eine Insolvenzanfechtung schon früher nur erklären, wenn und soweit die das deutsche Konkursrecht ihm dieses Recht einräumte5. Dies galt auch dann, wenn der Schuldner die anfechtbare Handlung im Ausland vorgenommen hatte6. Andererseits konnte im Falle einer

6.724

1 BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 32); Reinhardt in MünchKommInsO, § 338 InsO Rz.8. 2 Vgl. i.d.S. noch BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (168) = ZIP 1992, 781 = NJW 1992, 2026; OLG Hamm v. 25.10.1976 – 5 U 57/76, NJW 1977, 504 Anm. Oexmann; OLG Köln v. 9.6.1994 – 18 U 239/93, RIW 1994, 968 = IPRax 1996, 340 (m. Anm. Otte, IPRax 1996, 327); Aderhold, S. 266 f.; von Campe, S. 375 ff., Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1240) und IPRax 1993, 69 (74); Kirchhof, WM 1993, 1404; Leipold, JZ 1997, 571 (572); Riegel, S. 184 f.; jeweils m,w.N. 3 Vgl. Fragistas, RabelsZ 12 (1938/39), 452 (459); Jaeger/Lent, § 29 KO Rz. 42 ff.; Pielorz, IPRax 1984, 241 (243); vgl. auch den Überblick über die verschiedenen Lösungsvorschläge bei Summ, S. 72 ff. In der Schweiz unterwirft Art. 171 IPR-G die Insolvenzanfechtung stets dem schweiz. Recht. 4 Vgl. zu § 335 InsO BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 103/17, NZI 2018, 721 (Rz. 32) = NJW 2018, 2404 m. Anm. Paulus und BGH v. 8.2.2018 – IX ZR 92/17, RIW 2018, 605 (Rz. 17) = ZIP 2018, 1455. 5 Eine allein auf das Wirkungsstatut gestützte Anfechtung vermag nicht zu überzeugen; vgl. dazu näher Sonnentag, IPRax 1998, 339 (333). 6 BGH v. 30.4.1992 – IX ZR 233/90, BGHZ 118, 151 (168 f.) = NJW 1992, 2026 = ZIP 1992, 781 = IPRax 1994, 87 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1994, 69) (Insolvenzanfechtung unterliegt deutschem Recht, wenn eine im Inland ansässige Gläubigerin dem von einem deutschen Gericht bestellten Insolvenzverwalter aufgrund eines im Inland geführten Rechtsstreits den ihr im Inland zugeflossenen Kaufpreisanteil zurückgewähren muss, mag auch der zugrunde liegende Kaufvertrag ausländ. Recht unterstanden haben).

Hausmann | 761

§ 6 Rz. 6.724 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

anerkennungsfähigen Auslandsinsolvenz der ausländische Verwalter eine Insolvenzanfechtung auch im Inland erklären, insbesondere den Anfechtungsgegner vor dem international zuständigen deutschen Prozessgericht verklagen. Voraussetzungen und Schranken der Anfechtbarkeit waren in diesem Fall dem Recht des ausländischen Eröffnungsstaates zu entnehmen1.

6.725

Im Regelfall ist es geboten, die Anfechtbarkeit zusätzlich davon abhängig zu machen, dass auch diejenige Rechtsordnung, welcher der anfechtbare Erwerbsvorgang unterliegt, sie zulässt. Die Rücksichtnahme auf dieses weitere Recht dient einerseits der Rechtssicherheit, weil hinkende Rechtsverhältnisse vermieden werden, und schützt andererseits das Vertrauen des Anfechtungsgegners in den Bestand seines Erwerbs. Sie verstärkt ferner die Akzeptanz der Entscheidung in dem Staat, in dem sich der Erwerb vollzogen hat und in dem sich der zur Masse beanspruchte Gegenstand i.d.R. noch befindet. Die Anfechtung wäre danach nur zulässig, wenn die Anfechtungsgründe sowohl nach der lex fori concursus als auch nach dem Wirkungsstatut der Erwerbshandlung vorliegen2. Gegen diese Kumulation wird zwar vorgebracht, dass die Parteien das Wirkungsstatut der anfechtbaren Rechtshandlung durch Rechtswahl beeinflussen könnten und der Schuldner auf diese Weise die Zulässigkeit einer künftigen Insolvenzanfechtung einschränken könne; dies spreche für eine objektive Anknüpfung allein an das Recht des Eröffnungsstaates3.

6.726

Der deutsche Gesetzgeber hatte sich dennoch bereits in Art. 102 Abs. 2 EGInsO a.F. für die Kumulation von Insolvenz- und Wirkungsstatut entschieden. Danach konnte eine Rechtshandlung, für deren Wirkungen inländisches Recht maßgeblich war, vom ausländischen Insolvenzverwalter nur angefochten werden, wenn die Rechtshandlung auch nach inländischem Recht entweder anfechtbar war oder aus anderen Gründen keinen Bestand hatte4. Diese Regel wurde überwiegend zur allseitigen Kollisionsnorm ausgebaut, so dass auch der inländische Insolvenzverwalter Rechtshandlungen des Schuldners im Ausland nur anfechten konnte, wenn diese sowohl nach deutschem Recht als auch nach dem ausländischen Wirkungsstatut anfechtbar waren. Auch der BGH hat diese Kumulationstheorie schon vor Inkrafttreten des Art. 102 Abs. 2 EGInsO a.F. ausdrücklich befürwortet5.

6.727

Der europäische Gesetzgeber geht demgegenüber von dem Grundsatz aus, dass die Insolvenzanfechtung sich primär nach dem Recht des Mitgliedstaats beurteilt, in dem das Verfahren eröffnet wurde. Denn Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO 2015 unterwirft die Frage, welche Rechtshandlungen des Schuldners nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie 1 LG Hamburg v. 2.7.1992 – 302 O 279/91, RIW 1993, 147 (Insolvenzanfechtung durch den austral. Insolvenzverwalter bzgl. der Veräußerung eines Miteigentumsanteils an einem in Deutschland belegenen Grundstück, das der Schuldner vor Eintritt der Insolvenz an seine Ehefrau veräußert hatte, nach austral. Recht als der lex fori consursus beurteilt. Anfechtungsklage vor deutschen Gerichten für zulässig erachtet.). 2 Vgl. schon Jaeger/Jahr, §§ 237, 238 KO Rz. 250. 3 Kritisch zur Kumulationslösung deshalb etwa Aderhold, S. 266 f.; Hanisch, FS Jahr (1993), S. 455 (470 ff.); Hanisch, IPRax 1993, 73 f.; Trunk, S. 186 ff. und KTS 1994, 33 (37). 4 Kritisch dazu Flessner, IPRax 1997, 1 (9); Hanisch, IPRax 1993, 69 (73 f.); Trunk, KTS 1994, 33 (37). 5 BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 148/95, BGHZ 134, 116 (120 ff.) = ZIP 1997, 150 = NJW 1997, 657 = IPRax 1998, 199 (m. Anm. Gottwald/Pfaller, IPRax 1998, 170 und Sonnentag, IPRax 1998, 330) = JZ 1997, 568 m. krit. Anm. Leipold = WIB 1997, 136 m. Anm. Wenner (die Zahlung des Kaufpreises durch die schwed. Gemeinschuldnerin an die deutsche Lieferantin kann nach Insolvenzeröffnung in Schweden durch den schwed. Insolvenzverwalter nur angefochten werden, wenn die Anfechtung auch nach deutschem Recht [als lex causae] zulässig ist.).

762 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.729 § 6

die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen, dem Recht der Verfahrenseröffnung. Der Anfechtbarkeit wird also die insolvenzbedingte Unwirksamkeit oder Nichtigkeit gleichgestellt, auch soweit sie erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und nur durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann1. Darüber hinaus wird in Art. 8 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 3 EuInsVO 2015 klargestellt, dass auch der mit den Sonderanknüpfungen für dingliche Rechte, den Eigentumsvorbehalt und die Aufrechnung bezweckte Vertrauensschutz dem Gläubiger nur zu Gute kommt, wenn er den Sicherungsgegenstand bzw. die Aufrechnungsforderung nicht nach der lex fori concursus in anfechtbarer Weise erworben hat. Auf die Anfechtbarkeit des Erwerbs nach dem Belegenheitsrecht des Gegenstands bzw. dem Forderungsstatut kommt es also danach nicht an2. Die Anknüpfung der Insolvenzanfechtung an das Recht der Verfahrenseröffnung wird allerdings auch in Art. 16 EuInsVO 2015 aus Gründen des Verkehrsschutzes eingeschränkt. Danach findet Art. 7 Abs. 2 S. 2 lit. m EuInsVO 2015 keine Anwendung, wenn die Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Rechtshandlung begünstigt wurde, nachweist, dass

6.728

– für diese Handlung, die vor der Insolvenzeröffnung vorgenommen wurde3, das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staates der Verfahrenseröffnung maßgeblich ist und – diese Handlung nach diesem Recht in keiner Weise angreifbar ist. Diese Vorschrift soll das berechtigte Vertrauen der Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, dadurch schützen, dass sie diese Handlung auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens weiterhin dem Recht unterwirft, das für sie zum Zeitpunkt ihrer Vornahme galt, d.h. der lex causae.4 Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen5. Art. 16 EuInsVO 2015 enthält keine Bestimmungen zu den Modalitäten der Beweiserhebung, zu den vor dem zuständigen nationalen Gericht zulässigen Beweismitteln oder zu den Grundsätzen, nach denen dieses Gericht die Beweiskraft der ihm vorgelegten Beweismittel zu beurteilen hat, soweit es um den vom Anfechtungsgegner zu führenden Nachweis geht, dass die ihn begünstigende Handlung nach der lex causae „in keiner Weise angreifbar ist.“ Mangels einer unionsrechtlichen Harmonisierung dieser Regeln ist es daher nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, diese festzulegen, vorausgesetzt allerdings, dass diese Modalitäten nicht ungünstiger sind als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte regeln, die dem innerstaatlichen Recht unterliegen (Äquivalenzgrundsatz) und dass sie die Ausübung der den Verbrauchern 1 Leipold, FS Henckel (1995), S. 533 (547). 2 Vgl. zu Art. 5 Abs. 4 EuInsVO 2000 den Virgós/Schmit-Bericht Rz. 106; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (159); Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (335). 3 Für nach Insolvenzeröffnung vorgenommene Handlungen gilt aussschließlich die lex fori concursus, vgl. Schack, Rz. 1207; Kindler in MünchKomm, Art. 16 EuInsVO Rz. 8. Auf Vorlagebeschluss des BGH v. 10.10.2013 – IX ZR 265/12, ZIP 2013, 2167 = NZI 2013, 1042 (Rz. 16) hat der EuGH allerdings entschieden, dass Art. 13 EuInsVO 2000 auch anwendbar ist, wenn die vom Insolvenzverwalter angefochtene Auszahlung eines vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gepfändeten Geldbetrags erst nach Eröffnung des Verfahrens erfolgt, vgl. EuGH v. 16.4.2015 – C-557/13, ECLI: EU:C:2015:227 (Lutz), NZI 2015, 478 (Rz. 32 ff.) m. Anm. Mankowski = ZIP 2015, 1030. 4 EuGH v. 15.10.2015 – C-310/14, ECLI:EU:C:2015:690 (Nike), NZI 2015, 954 (Rz. 19) m. Anm. Swierczok = IPRax 2016, 263 (m. Anm. Thole, IPRax 2016, 453). 5 EuGH (vorige Fn., Rz. 20 ff.).

Hausmann | 763

6.729

§ 6 Rz. 6.729 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

durch das Unionsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz)1.

6.730

Damit kommt dem – nach den allgemeinen Kollisionsregeln ermittelten2 – Wirkungsstatut des anfechtbaren Rechtsgeschäfts eine Art von „Vetofunktion“ gegenüber dem Insolvenzstatut zu3. Deren Anwendungsbereich wird vom EuGH – trotz der grundsätzlich gebotenen engen Auslegung als Ausnahme zu Art. 7 EuInsVO4 – weit gezogen; er erstreckt sich auch auf die nach der lex causae vorgesehenen Verjährungs-, Anfechtungs- und Ausschlussfristen sowie auf Formvorschriften für die Erhebung der Insolvenzanfechtungsklage5. Diese Lösung geht zwar weniger weit als Art. 102 Abs. 2 EGInsO a.F., weil das Wirkungsstatut nicht von Amts wegen, sondern nur auf Einrede des Anfechtungsgegners berücksichtigt wird6. Ferner muss dieser den Nachweis führen, dass die Rechtshandlung nach der lex causae „in keiner Weise angreifbar“ ist, also weder nach den insolvenzrechtlichen Vorschriften der lex causae noch nach den allgemeinen Grundsätze dieses Rechts über Willensmängel oder Sittenwidrigkeit7. Es müssen also nicht die Anfechtungsvoraussetzungen, sondern lediglich die Rechtsfolgen in beiden Rechten übereinstimmen. Art. 16 EuInsVO 2015 kann auch dann wirksam geltend gemacht werden kann, wenn die Vertragsparteien, die in ein und demselben Mitgliedstaat ansässig sind, in dem auch alle anderen maßgeblichen Elemente des betreffenden Sachverhalts belegen sind, als auf diesen Vertrag anzuwendendes Recht das Recht eines anderen Mitgliedstaats bestimmt haben, vorausgesetzt, dass die Parteien dieses Recht nicht in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise gewählt haben8.

6.731

Die Regelung ist dennoch in der deutschen Literatur auf Kritik gestoßen, weil ein Vertrauen in die Geltung bestimmter Kollisionsregeln nur selten bestehen wird. Außerdem könne auch diese Art der Kombination von Insolvenz- und Wirkungsstatut zu Normwidersprüchen führen und die Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zu stark einschränken9. Trotz 1 EuGH v. 15.10.2015 – C-310/14, ECLI:EU:C:2015:690 (Nike), NZI 2015, 954 (Rz. 28 ff.). 2 Vgl. aber OLG Naumburg v. 6.10.2010 – 5 U 73/10, BeckRS 2010, 29926 = ZIP 2011, 677 (m. Aufs. Schall, ZIP 2011, 2177), das auf die Anfechtung des einer deutschen GmbH gewährten Gesellschafterdarlehens nicht das auf den Darlehensvertrag anwendbare Recht, sondern nur die lex fori concursus nach Art. 13 EuInsVO 2000 angewandt hat; zu Recht krit. dazu Kindler, KTS 2012, 228 (230 f.) und in: MünchKomm, Art. 16 EuInsVO Rz. 11 f. 3 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 136; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (165); vgl. auch frz. Cass. v. 16.2.2016, unalex FR-2467; LG Essen v. 11.5.2018 – 16 O 217/16, IPRspr. 2018 Nr. 335. 4 EuGH v. 15.10.2015 – C-310/14, ECLI:EU:C:2015:690 (Nike), NZI 2015, 954 (Rz. 18, 21) m. Anm. Swierczok = IPRax 2016, 263 (m. Anm. Thole, IPRax 2016, 453). 5 EuGH v. 16.4.2015 – C-557/13, ECLI:EU:C:2015:227 (Lutz), NZI 2015, 478 (Rz. 44 ff., 50 ff.) m. Anm. Mankowski = ZIP 2015, 1030; dazu Kindler in MünchKomm, Art. 16 EuInsVO Rz. 13 ff. 6 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 136; Kindler in MünchKomm, Art. 16 EuInsVO Rz. 24; Burgstaller, FS Jelinek (2004), S. 31 (36); Duursma-Kepplinger, Art. 13 EuInsVO Rz. 14; E. Habscheid, ZZP 114 (2001), 167 (177); Kolman, S. 318. 7 EuGH v. 8.6.2017 – C-54/16, ECLI:EU:C:2017:433 (Vinyls Italia), NZI 2017, 633 (Rz. 36 ff.); EuGH v. 15.10.2015 – C-310/14, ECLI:EU:C:2015:690 (Nike), NZI 2015, 954 (Rz. 34 ff.) m. Anm. Swierczok = IPRax 2016, 263 (m. Anm. Thole, IPRax 2016, 453); Virgós/Schmit-Bericht Rz. 137; BGH v. 2.2.1996 – V ZR 239/94, GmbHR 1996, 373 = ZIP 1996, 548 (551); Huber, ZZP 114 (2001), 133 (165 ff.); Paulus, NZI 2001, 505 (511); Schack, Rz. 1207. 8 EuGH v. 8.6.2017 – C-54/16, ECLI:EU:C:2017:433 (Vinyls Italia), NZI 2017, 633 (Rz. 56) m. Anm. Mankowski. 9 Vgl. von Campe, S. 382 ff.; Hanisch, FS Stoll (2001), S. 503 (517); Klumb, S. 133 ff.; Leipold, FS Henckel (1995), S. 533 (543 ff.); Sonnentag, IPRax 1998, 330 (334 ff.); Zeck, S. 79 ff.; Wenner, Rz. 340.

764 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.733 § 6

dieser Kritik hat der deutsche Gesetzgeber die Regelung der EuInsVO letztlich in § 339 InsO unverändert in das autonome Insolvenzkollisionsrecht übernommen. Zur Begründung hat er zu Recht darauf hingewiesen, dass es nur schwer nachvollziehbar gewesen wäre, wenn ein Insolvenzverwalter sich bei einer Anfechtung in dem stark harmonisierten Rechtsraum der EU höheren Barrieren gegenübersehen würde, als im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem Drittstaat1. Das Wirkungsstatut ist allerdings sowohl nach Art. 16 EuInsVO 2015 wie nach § 339 InsO nur für die Beurteilung der materiellen Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung ergänzend heranzuziehen. Demgegenüber richten sich die verfahrensrechtlichen Aspekte der Anfechtung, wie z.B. die Klagebefugnis des Verwalters, die Anfechtungsfrist, die Art der Rückgewähr und die Erstattung der Gegenleistung aus der Insolvenzmasse, allein nach der lex fori concursus2. Die Erfüllung des Rückgewähranspruchs durch den Anfechtungsgegner hat aber dann nach Maßgabe der jeweiligen lex causae zu erfolgen3. Zu beachten ist ferner, dass die Anwendung des ausländischen Rechts im Rahmen von § 339 InsO nicht von Amts wegen zu prüfen, sondern vom Anfechtungsgegner darzulegen und zu beweisen ist4. Abweichend von § 293 ZPO muss der Anfechtungsgegner also den Inhalt des ausländischen Rechts in den Prozess einführen und beweisen, etwa durch Gutachten5. Die internationale Zuständigkeit für die Insolvenzanfechtungsklage richtet sich nicht nach der Brüssel Ia-VO, sondern nach Art. 6 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 EuInsVO 2015 (vis attractiva concursus) (vgl. dazu näher Rz. 6.556 ff.)6. Eine ausländische Entscheidung über die vom Insolvenzverwalter erhobene Anfechtungsklage wird im Inland nach Art. 32 Abs. 1 UAbs. 2 EuInsVO 2015 i.V.m. Art. 39 ff., 46 ff. Brüssel Ia-VO bzw. § 342 Abs. 2 InsO anerkannt und vollstreckt (dazu näher Rz. 6.627). Die Form- und Fristerfordernisse für die Geltendmachung der Schranken des Art. 16 EuInsVO 2015 in einem Rechtsstreit über die auf die lex fori concursus gestützte Anfechtung einer die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligenden Handlung sowie die Frage, ob das mit diesem Rechtsstreit befasste Gericht diese Vorschrift von Amts wegen anwenden darf, beurteilen sich nach dem Verfahrensrecht des Mitgliedstaats, in dem dieser Rechtsstreit anhängig ist7.

6.732

7. Insolvenzbedingtes Erlöschen von Forderungen a) Zwangsvergleich/Insolvenzplan Ein Insolvenzverfahren endet nicht notwendig mit der Liquidation des Schuldnervermögens und der Erlösauskehr an die Gläubiger. Die lex fori concursus kann stattdessen auch eine Stundung oder den (teilweisen bzw. vollständigen) Erlass der Gläubigerforderungen anordnen. Auch hierbei handelt es sich um eine Insolvenzwirkung, die grundsätzlich Anspruch auf universelle Geltung erhebt. Dies wird für das europäische Insolvenzrecht durch Art. 7 Abs. 2 1 Vgl. die RegBegr. zu § 339 InsO, BR-Drucks. 715/02, S. 22. 2 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 110. 3 OLG Köln v. 9.6.1994 – 18 U 239/93, ZIP 1994, 1459 = RIW 1994, 968 (Trotz Geltung der deutschen lex fori concursus für die Insolvenzanfechtung bestimmt sich die Frage, ob der Anfechtungsgegner die von ihm zur Insolvenzmasse zurückzugewährenden Inhaberaktien wirksam an den Insolvenzverwalter übereignet hat, nach dem luxemburg. Belegenheitsrecht der Aktien.). 4 BGH v. 22.4.2010 – IX ZR 94/08, BeckRS 2010, 11721 (Rz. 3). 5 BGH v. 12.12.2019 – IX ZR 328/18, NZI 2020, 383 (Rz. 20). 6 EuGH v. 12.2.2009 – C-339/07, ECLI:EU:C:2009:83, ZIP 2009, 427 (Deko Marty), Slg. 2009 I, 767 = NJW 2009, 2189 = NZI 2009, 199. 7 EuGH v. 8.6.2017 – C-54/16, ECLI:EU:C:2017:433 (Vinyls Italia), NZI 2017, 633 (Rz. 27) m. Anm. Mankowski.

Hausmann | 765

6.733

§ 6 Rz. 6.733 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

S. 2 lit. j EuInsVO 2015 klargestellt. Danach entscheidet das Insolvenzrecht des Eröffnungsstaates auch darüber, zu welchem Zeitpunkt die Beendigung des Insolvenzverfahrens eintritt1. Im deutschen Recht ist der Insolvenzplan nach §§ 217 ff. InsO an die Stelle des früheren Zwangsvergleichs (§§ 173 ff. KO, § 82 VerglO) getreten. Der Insolvenzplan entfaltet nach § 254 InsO Wirkung für und gegen alle Beteiligten, auch soweit sie gegen ihn gestimmt haben. Diese Wirkung tritt auch gegenüber ausländischen Gläubigern und bzgl. des vom Plan erfassten Auslandsvermögens des Schuldners ein. Voraussetzung ist lediglich, dass die ausländischen Insolvenzgläubiger von der Insolvenzeröffnung Kenntnis erlangt haben und die Möglichkeit zu einer Teilnahme hatten2.

6.734

Dies gilt allerdings nur, wenn der Insolvenzplan in einem Hauptinsolvenzverfahren beschlossen wurde. Wurde er hingegen in einem Sekundärinsolvenzverfahren vereinbart, so haben die Einschränkungen der Rechte von Gläubigern, z.B. durch Erlass oder Stundung ihrer Forderungen, nach europäischem Insolvenzrecht nur Wirkungen für das von diesem Verfahren nicht betroffene Vermögen, wenn alle Gläubiger dem Plan zugestimmt haben (Art. 47 Abs. 2 EuInsVO 2015). Fehlt es daran, so entfaltet der Insolvenzplan hinsichtlich des in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Vermögens selbst gegenüber denjenigen Gläubigern keine Wirkung, die ihre Zustimmung erteilt haben. Um im deutschen Recht Friktionen mit der von § 254 Abs. 1 InsO angeordneten Gestaltungswirkung des Plans gegenüber allen Beteiligten zu vermeiden, lässt Art. 102 § 9 EGInsO die Bestätigung des Insolvenzplans in einem inländischen Sekundärinsolvenzverfahren daher nur zu, wenn alle betroffenen Gläubiger dem Plan zugestimmt haben. Die gleiche Regelung trifft § 355 Abs. 2 InsO für das autonome Recht.

6.735

Die Erlasswirkung des Insolvenzplans (vgl. § 252 InsO) hängt hingegen nicht davon ab, dass deutsches Recht als Schuldstatut für die betroffenen Insolvenzforderungen maßgebend ist. Denn eine Differenzierung zwischen den an der Insolvenz teilnehmenden Gläubigern nach dem auf ihre Forderungen anwendbaren Recht oder nach der Belegenheit dieser Forderungen widerspräche dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger und dem Ziel des Insolvenzplans, eine einvernehmliche und abschließende Regelung der Insolvenz des Schuldners zu erreichen3.

6.736

Da sich der inländische Insolvenzplan auch auf das Auslandsvermögen des Schuldners erstreckt, steht er auch einer Leistungsklage und Zwangsvollstreckung von Gläubigern in das ausländische Vermögen des Schuldners entgegen, mit der diese wegen des im Inland erlassenen Teils ihrer Forderungen Befriedigung suchen4. Erkennt der ausländische Belegenheitsstaat das deutsche Insolvenzverfahren oder den deutschen Insolvenzplan nicht an, so ist der Gläubiger zur Herausgabe des im Wege der Auslandsvollstreckung Erlangten wegen ungerechtfertigter Bereicherung verpflichtet, weil die Vollstreckung entgegen dem inländischen Insolvenzplan aus der Sicht der deutschen lex fori concursus nicht rechtmäßig ist; dazu allgemein Rz. 6.594 ff. Umgekehrt erstreckt sich auch der in einem ausländischen Insolvenzverfahren vereinbarte Insolvenzplan oder Zwangsvergleich auf das Inland, soweit die Voraussetzungen 1 EuGH v. 22.11.2012 – C-116/11, ECLI:EU:C:2012:739 (Bank Handlowy), NZI 2013, 106 (Rz. 47 ff.) = ZIP 2012, 2403 = IPRax 2014, 530 (m. Anm. Koller, IPRax 2014, 490). 2 Geimer, Rz. 3564. 3 Geimer, Rz. 3564; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 132; Trunk, S. 228; Wenner, Rz. 367 f.; ebenso schon zum Zwangsvergleich des früheren Rechts OLG Saarbrücken v. 31.1.1989 – 7 U 82/87, OLG Hamm v. 19.6.1990 – 15 W 234/89, MDR 1990, 1022 = ZIP 1990, 1145; Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1240 ff.). 4 E. Habscheid, S. 484 f.

766 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.739 § 6

für eine Anerkennung des ausländischen Insolvenzverfahrens vorliegen. Die Erlasswirkung eines solchen Insolvenzplans verstößt insbesondere nicht gegen den deutschen ordre public, mag das Auslandsrecht auch in Einzelheiten von den §§ 252 ff. InsO abweichen1. Wird der ausländische Insolvenzplan anerkannt, so steht er auch im Inland einer Leistungsklage und Zwangsvollstreckung von Gläubigern in das hier belegene Vermögen des Schuldners entgegen. Er berührt hingegen im Hinblick auf Art. 8 EuInsVO bzw. § 336 InsO nicht die dinglichen Rechte von Gläubigern an dem im Inland belegenen Schuldnervermögen2. b) Restschuldbefreiung Die gleichen Grundsätze gelten auch für die Anerkennung der heute in vielen nationalen Insolvenzgesetzen vorgesehene Restschuldbefreiung3. Da es sich insoweit um eine typische insolvenzrechtliche Wirkung handelt, hat die deutsche Praxis schon vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung eine Restschuldbefreiung nach ausländischem Insolvenzrecht beachtet, obwohl dieses Rechtsinstitut der deutschen Konkursordnung damals nicht bekannt war. Allerdings wurde die Anerkennung z.T. noch auf Forderungen beschränkt, die kollisionsrechtlich dem Recht des ausländischen Eröffnungsstaates unterstanden4.

6.737

Richtigerweise fehlt für eine Differenzierung danach, ob das Forderungsstatut zufällig mit dem Insolvenzstatut identisch ist oder nicht, auch in diesem Fall eine sachliche Rechtfertigung. Allein die ausschließliche Anwendung der lex fori concursus führt zu der erstrebenswerten Gleichbehandlung aller Gläubiger5. Ist der Restschuldbefreiung daher die insolvenzrechtliche Anerkennung zu versagen, so hat auch eine kollisionsrechtliche Anerkennung nach Maßgabe des Forderungsstatuts auszuscheiden6.

6.738

Inzwischen kennt auch das deutsche Recht die Restschuldbefreiung des redlichen Schuldners. Wird sie auf Antrag des Schuldners (§ 287 Abs. 1 InsO) nach Ablauf der dreijährigen Abtretungsfrist (§ 287 Abs. 2 InsO) vom Insolvenzgericht beschlossen (§ 300 InsO), so wirkt sie gem. § 301 Abs. 1 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger. Die Verbindlichkeiten des Schuldners verwandeln sich damit in Naturalobligationen (vgl. § 301 Abs. 3 InsO). Diese Wirkung tritt nicht nur für das inländische Vermögen des Schuldners ein, sondern erstreckt sich – wie andere Wirkungen des inländischen Insolvenzverfahrens – auch auf das im Ausland belegene Vermögen7. Die weitreichenden Wirkungen der Restschuldbefreiung sind einem Gläubiger freilich nur zuzumuten, wenn das gesamte – in- und ausländische – Vermögen des Schuldners verwertet worden ist. Deshalb ist die Restschuldbefreiung in einem Partikularverfahren, das nur das inländische Vermögen erfasst, nach § 355 Abs. 1 InsO ausgeschlossen.

6.739

1 Vgl. dazu schon Rz. 6.625 f. m. Nachw. Einschränkend Ch. Wolf, IPRax 1999, 444 (449 f.) für den Fall, dass der Insolvenzplan Sicherheiten eines Gläubigers beeinträchtigt, der dem Plan nicht zugestimmt hat. 2 Geimer, Rz. 3564. 3 Vgl. dazu Schulte, Die europäische Restschuldbefreiung (2000) m. rechtsvergleichenden Hinweisen. 4 Vgl. OLG Köln v. 20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 m. Anm. Hanisch (Restschuldbefreiung nach schweiz. Konkursrecht bzgl. des im Inland belegenen Vermögens nur anerkannt, weil die geltend gemachten vertraglichen und deliktischen Ansprüche nach deutschem IPR dem schweiz. materiellen Recht unterstanden). 5 Schack, Rz. 1212; a.A. öOGH v. 26.11.1996, IPRax 1998, 486 (m. abl. Anm. Hanisch, IPRax 1998, 505 [518 f.]). 6 Hanisch, IPRax 1993, 297 f. 7 Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 131 Rz. 135; Schulte, S. 130 ff.

Hausmann | 767

§ 6 Rz. 6.740 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.740

Dementsprechend entscheidet – umgekehrt – bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Ausland allein die ausländische lex fori concursus darüber, wann und in welchem Umfang eine Restschuldbefreiung kraft Gesetzes oder durch Entscheidung des Insolvenzgerichts eintritt; deren Wirkung auf angemeldete wie nicht angemeldete Forderungen ist auch im Inland zu beachten, so dass eine Vollstreckung in das Inlandsvermögen des befreiten Schuldners ausscheidet. Dies hat grundsätzlich auch dann zu gelten, wenn das ausländische Insolvenzstatut dem Schuldner eine deutlich kürzere Wohlverhaltensperiode abverlangt als das deutsche Recht1. Die vollstreckungshemmende Wirkung der Einrede der Restschuldbefreiung ist von den deutschen Gerichten bereits im Erkenntnisverfahren zu beachten2.

V. Schutz des Rechtsverkehrs Literatur: Brinkmann, Ausländische Insolvenzverfahren und deutscher Grundbuchverkehr, IPRax 2013, 333; Kysel/Röder, Ausländische Insolvenz und deutsches Grundbuch, ZIP 2017, 1650; Mankowski, Neues zur grenzüberschreitenden Forderungsanmeldung unter der EuInsVO, NZI 2011, 887; Schneider, Registrierte Gegenstände im grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren nach der EuInsVO (2019).

1. Öffentliche Bekanntmachung 6.741

Ausländische Insolvenzverfahren werden im Inland häufig erst mit erheblicher Verspätung bekannt. In der Zwischenzeit besteht die Gefahr, dass einerseits der Insolvenzschuldner inländische Vermögensgegenstände an gutgläubige Dritte veräußert, andererseits Dritte weiterhin an den Schuldner statt an den Insolvenzverwalter Leistungen erbringen. Zum Schutz des inländischen Rechtsverkehrs sehen daher sowohl die EuInsVO als auch das autonome deutsche Recht die Pflicht und Befugnis des ausländischen Insolvenzverwalters vor, die Eröffnung des Verfahrens im Inland bekannt zu machen und entsprechende Vermerke in das deutsche Grundbuch oder sonstige inländische Register eintragen zu lassen. Darüber hinaus werden gutgläubige Dritte, die in Unkenntnis der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner erworben oder an diesen geleistet haben, geschützt.

6.742

Die öffentliche Bekanntmachung eines im Ausland eröffneten Insolvenzverfahrens dient insbesondere der Unterrichtung der betroffenen inländischen Gläubiger und des sonstigen inländischen Geschäftsverkehrs3. Um diese sicherzustellen, muss der Verwalter oder der Schuldner in Eigenverwaltung nach Art. 28 Abs. 1 EuInsVO 2015 einen Antrag auf öffentliche Bekanntmachung der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung sowie ggf. über die Bestellung des Verwalters in allen Mitgliedstaaten stellen, in denen der Schuldner eine Niederlassung i.S.v. Art. 2 Nr. 10 EuInsVO hat. Verletzt der Verwalter diese Pflicht, so macht er sich den Gläubigern gegenüber nach Maßgabe der lex fori concursus schadensersatzpflichtig (vgl. im deutschen Recht § 60 InsO)4. In der Bekanntmachung ist ggf. ferner anzugeben, wer als Verwalter bestellt wurde und ob die Bestellung für das Haupt- oder nur für ein Nebeninsolvenzverfahren 1 Vgl. zur Restschuldbefreiung nach französ. Recht BGH v. 18.9.2001 – IX ZB 51/00, ZIP 2002, 365 = IPRax 2002, 525 (m. Anm. Ehricke, IPRax 2002, 505); zur Restschuldbefreiung nach engl. Recht LG Aurich v. 4.11.2016 – 1 O 1079/15, unalex DE-3446; Schack, Rz. 1210. 2 Geimer, Rz. 3568; ebenso schon früher OLG Köln v. 20.7.1992 – 8 U 43/90, IPRax 1993, 326 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1993, 297), bestätigt durch BGH v. 27.5.1993 – IX ZR 254/92, BGHZ 122, 373 = ZIP 1993, 1094 = IPRax 1993, 402 (405). 3 Vgl. ErwG 29 zur EuInsVO 2000. 4 Kindler in MünchKomm, Art. 28 EuInsVO Rz. 6.

768 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.744 § 6

erfolgt ist. Die Bekanntmachung hat gem. Art. 28 Abs. 1 EuInsVO 2015 „nach dem in diesem Mitgliedstaat vorgesehenen Verfahren“ zu erfolgen. Da es bei einer Veröffentlichung in Deutschland den Verantwortlichen des Bundesanzeigers nicht zuzumuten ist, finnische oder portugiesische Eröffnungsbeschlüsse zu überprüfen, sieht Art. 102c § 7 EGInsO vor, dass sich der ausländische Verwalter an das nach § 1 zuständige deutsche Insolvenzgericht zu wenden und bei ihm die Veröffentlichung zu beantragen hat. Um sich die Arbeit zu erleichtern, kann das Gericht nach Art. 102c § 7 Abs. 3 EGInsO eine Übersetzung verlangen, die von einer hierzu befugten Person zu beglaubigen ist. Die Bekanntmachung erfolgt dann gem. § 9 Abs. 1, 2 und § 30 Abs. 1 InsO in gleicher Weise wie für ein inländisches Insolvenzverfahren. Eine entsprechende Regelung sieht im autonomen Recht § 345 Abs. 1 InsO vor. Die Bekanntmachung der Entscheidung zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach Art. 28 Abs. 1 EuInsVO kann nach Abs. 2 der Vorschrift vom Verwalter oder Schuldner in Eigenverwaltung auch in jedem anderen Mitgliedstaat beantragt werden, in dem der Schuldner keine Niederlassung unterhält. In Deutschland ist dieser Antrag an das Insolvenzgericht zu richten, in dessen Bezirk sich der wesentliche Teil des Vermögens des Schuldners befindet, Art. 102c § 7 Abs. 2 EGInsO. Das autonome deutsche Recht sieht darüber hinaus in § 345 Abs. 2 InsO eine öffentliche Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens von Amts wegen vor1. Die öffentliche Bekanntmachung im Inland ist allerdings keine Voraussetzung für die Anerkennung eines ausländischen Insolvenzverfahrens2; sie hat ihre Hauptbedeutung vielmehr im Falle des gutgläubigen Erwerbs (dazu Rz. 6.749 f.).

6.743

2. Eintragung in öffentliche Register Wie die öffentliche Bekanntmachung steht auch die Veranlassung einer Eintragung der Eröffnung eines ausländischen Insolvenzverfahrens in das Grundbuch, das Handelsregister oder sonstige öffentliche Register der Mitgliedstaaten nicht mehr – wie bisher nach Art. 22 Abs. 1 EuInsVO 2000 – im Ermessen des Verwalters. Vielmehr ist dieser bzw. der Schuldner in Eigenverwaltung zur Stellung eines Antrags auf Eintragung nach Art. 29 Abs. 1 EuInsVO 2015 verpflichtet, wenn diese Eintragung in demjenigen Mitgliedstaat, in dem sich eine Niederlassung des Schuldners befindet oder in dem unbewegliches Vermögen des Schuldners belegen ist, gesetzlich vorgeschrieben ist. Dabei steht es jedem Mitgliedstaat frei, der für das jeweilige Register zuständigen Stelle die Prüfungskompetenz hinsichtlich der Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Eröffnungsentscheidung einzuräumen3. In Deutschland hätte daher jedes Grundbuchamt zu prüfen, ob das zur Eintragung angemeldete Verfahren einem der in Anhang A zur EuInsVO 2015 aufgeführten Verfahren entspricht. Um die Grundbuchämter und sonstige registerführende Stellen von dieser Prüfung zu entlasten, hat der deutsche Gesetzgeber in Art. 102c § 8 Abs. 1 EGInsO auch insoweit das Insolvenzgericht dazwischen geschaltet. Danach ist der Antrag auf Eintragung nach Art. 29 Abs. 1 EuInsVO 2015 an das nach § 1 Abs. 2 EGInsO zuständige deutsche Insolvenzgericht zu richten, das seinerseits die registerführende Stelle um Eintragung ersucht. Da die Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren durch diese Konzentration der Prüfungskompetenz beim inländischen Insolvenzgericht erleichtert wird, bestehen gegen die Vereinbarkeit dieser Regelung mit der Verordnung keine Bedenken4. 1 Die Bekanntmachung des deutschen Eröffnungsbeschlusses im (drittstaaatlichen) Ausland ist hingegen nicht gesetzlich vorgeschrieben, zur Vermeidung eines gutgläubigen Erwerbs aber häufig zweckmäßig. 2 Kindler in MünchKomm, Art. 28 EuInsVO Rz. 3. 3 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 183. 4 So auch die RegBegr zu Art. 102 § 6 EGInsO, BR-Drucks. 715/02, S. 18.

Hausmann | 769

6.744

§ 6 Rz. 6.745 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.745

Über die Frage, in welche deutschen Register die in einem anderen Mitgliedstaat erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens einzutragen ist, bestimmt ebenso wie über die Form und den Inhalt der Eintragung nicht die lex fori concursus, sondern das Recht des Registerstaates. Für das deutsche Recht wird dies in Art. 102c § 8 Abs. 3 S. 1 EGInsO festgelegt. Kennt das Recht des Mitgliedstaats der Verfahrenseröffnung Eintragungen, die dem deutschen Recht unbekannt sind, so hat das Insolvenzgericht eine Eintragung zu wählen, die derjenigen der lex fori concursus am nächsten kommt (Art. 102c § 8 Abs. 3 S. 2 EGInsO).

6.746

Nach Art. 29 Abs. 2 EuInsVO 2015 kann der Verwalter oder der Schuldner in Eigenverwaltung diese Eintragung auch in Mitgliedstaaten, in denen der Schuldner keine Niederlassung hat, beantragen, wenndas Recht des Mitgliedstaats, in dem das Register geführt wird, eine solche Eintragung zulässt. In Deutschland ist auch der Antrag nach Art. 29 Abs. 2 EuInsVO gem. Art. 102c § 8 Abs. 3 S. 2 EGInsO an das nach Art. 102c § 7 Abs. 2 EGInsO zuständige Insolvenzgericht zu richten.

6.747

Im autonomen deutschen Recht war das von einem international zuständigen Gericht eröffnete ausländische Insolvenzverfahren schon bisher in das deutsche Grundbuch, Handelsregister und andere verkehrsschützende Register einzutragen, wenn dies der Sicherung der Masse oder dem Schutz des Rechtsverkehrs diente. Zur Eintragung bedurfte es lediglich des Nachweises der Konkurseröffnung durch Vorlage des ausländischen Eröffnungsbeschlusses mit einem Legalisationsvermerk1. Daran hat der deutsche Gesetzgeber auch im Zuge der Neuregelung des internationalen Insolvenzrechts festgehalten. § 346 Abs. 1 InsO lässt demgemäß eine Eintragung der Eröffnung eines drittstaatlichen Insolvenzverfahrens und der damit verbundenen Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldners in das Grundbuch zu, wenn der Schuldner als Eigentümer eines Grundstücks eingetragen ist (Nr. 1), oder wenn bei den für den Schuldner eingetragenen Rechten an Grundstücken oder an eingetragenen Rechten nach der Art des Rechts oder den Umständen zu befürchten ist, dass ohne die Eintragung des Eröffnungsvermerks die Insolvenzgläubiger benachteiligt würden (Nr. 2). Mit der Prüfungskompetenz wird auch nach autonomem Recht nicht das Grundbuchamt belastet; vielmehr obliegt diese wiederum dem Insolvenzgericht. Nur dieses ist auf Antrag des ausländischen Insolvenzverwalters berechtigt, das Grundbuchamt zu ersuchen, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Art der Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldners in das Grundbuch einzutragen. Dabei ist es Aufgabe des inländischen Insolvenzgerichts, Art und Umfang der Einschränkung der Verfügungsbefugnis des Schuldners nach der ausländischen lex fori concursus zu ermitteln2.

3. Leistung an den Schuldner 6.748

Die Frage, ob ein Dritter, der nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland in Unkenntnis dieses Verfahrens im Inland Leistungen an den Schuldner erbringt, von seiner Verpflichtung befreit wird, wurde früher z.T. nach der ausländischen lex fori concursus3, zT aber 1 Vgl. OLG Zweibrücken v. 17.4.1989 – 3 W 1/89, NJW 1990, 648 = IPRax 1991, 186 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1991, 168); LG Waldshut-Tiengen v. 5.6.1992 – 1 T 6/92, IPRspr. 1992 Nr. 266; Gottwald, IPRax 1991, 168 ff.; Hanisch, ZIP 1985, 1233 (1237). 2 Eine solche Prüfung ist in Bezug auf drittstaatliche Insolvenzverfahren deshalb erforderlich, weil die in Frage kommenden Verfahren nicht – wie im Anhang A zur EuInsVO – abschließend aufgeführt sind, vgl. die RegBegr zur EuInsVO 2000, BR-Drucks. 715/02, S. 27. 3 So – zumindest im Ausgangspunkt – LG München I v. 2.12.1986 – 32 S 11420/86, WM 1987, 222; Geimer, Rz. 3542.

770 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.751 § 6

auch nach der lex causae der erbrachten Leistung beurteilt1. Nach einer dritten Auffassung sollte die Schutzvorschrift des § 82 InsO – unabhängig vom Insolvenz- wie Schuldstatut – immer dann zur Anwendung kommen, wenn die Leistung an den Schuldner im Inland erbracht worden war2. In diesem letztgenannten Sinne verzichtet auch das europäische Insolvenzrecht zum Schutz des gutgläubig Leistenden3 auf eine kollisionsrechtliche Regelung und normiert die Befreiungswirkung in Art. 31 Abs. 1 EuInsVO 2015 durch eine Sachnorm4. Danach wird derjenige, der in einem Mitgliedstaat an einen Schuldner5 leistet, über dessen Vermögen in einem anderen Mitgliedstaat ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, obwohl er an den Verwalter des Insolvenzverfahrens hätte leisten müssen, befreit, wenn ihm die Eröffnung des Verfahrens nicht bekannt war. Erfolgt die Leistung vor der öffentlichen Bekanntmachung nach Art. 28 EuInsVO 2015, so wird bis zum Beweis des Gegenteils nach Art. 31 Abs. 2 EuInsVO 2015 vermutet, dass dem Leistenden die Eröffnung nicht bekannt war. Erfolgt die Leistung hingegen nach dieser Bekanntmachung, so wird – umgekehrt – bis zum Beweis des Gegenteils (widerleglich) vermutet, dass dem Leistenden die Eröffnung bekannt war6.

6.749

Eine damit weitgehend übereinstimmende Regelung findet sich für das autonome deutsche Recht in § 350 InsO. Schutz genießt der Leistende hiernach allerdings nur in dem Fall, dass er die Leistung im Inland erbracht hat. Wird die Leistung in Unkenntnis der Verfahrenseröffnung in einem dritten Staat an den Schuldner erbracht, so bestimmt sich der Schutz des gutgläubig Leistenden nach der lex fori concursus. Für die Zerstörung des guten Glaubens kommt es dann auf die öffentliche Bekanntmachung der Insolvenzeröffnung in dem Staat an, in dem der Schuldner die Leistung erbracht hat7.

6.750

4. Gutgläubiger Erwerb a) Eingetragene Rechte Den Schutz des gutgläubigen Erwerbers eines eingetragenen Rechts verwirklicht das europäische Insolvenzrecht in Art. 17 EuInsVO 2015 durch eine Sonderanknüpfung an die lex rei sitae bzw. an das Recht des registerführenden (Mitglied-)Staates. Verfügt der Schuldner nämlich durch eine nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtshandlung gegen Entgelt über einen unbeweglichen Gegenstand, über ein Schiff oder ein Luftfahrzeug, das der Eintragung in ein öffentliches Register unterliegt oder über Wertpapiere, deren Eintragung in ein gesetzlich vorgeschriebenes Register Voraussetzung für ihre Existenz ist, so richtet sich die Wirksamkeit dieser Rechtshandlung gem. Art. 17 EuInsVO 2015 nach dem Recht des Staates, in dessen Gebiet dieser unbewegliche Gegenstand belegen ist oder unter dessen Aufsicht 1 So Jaeger/Jahr, §§ 237, 238 KO Rz. 317 f. 2 So LG München I v. 2.12.1986 – 32 S 11420/86, WM 1987, 222; Geimer, Rz. 3542; Schack, Rz. 1194. 3 Vgl. ErwG 30 zur EuInsVO 2000. 4 Kindler in MünchKomm, Art. 31 EuInsVO Rz. 2. 5 Art. 31 EuInsVO 2015 soll nicht eingreifen, wenn eine Zahlung nach Antragstellung im Auftrag des Insolvenzschuldners durch Banküberweisung an einen Gläubiger dieses Schuldners erfolgt, vgl. EuGH v. 19.9.2013 – C-251/12, ECLI:EU:C:2013:566 (Buggenhout), NZI 2013, 1039 m. krit. Anm. Schäfer, NZI 2013, 1041; zu Recht krit. dazu auch Kindler in MünchKomm, Art. 31 EuInsVO Rz. 7 f. m.w.N. 6 Vgl. Virgos/Schmit-Bericht Rz. 188; näher Kindler in MünchKomm, Art. 31 EuInsVO Rz. 13 f. 7 Die Bekanntmachung im Eröffnungsstaat reicht also regelmäßig nicht aus, vgl. Geimer, Rz. 3542.

Hausmann | 771

6.751

§ 6 Rz. 6.751 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

das Register geführt wird. Damit wird der Erwerber, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat vom Schuldner gegen Entgelt einen der vorgenannten zur Insolvenzmasse gehörenden unbeweglichen Gegenstände erworben hat, im Belegenheitsbzw. Registrierungsstaat im gleichen Umfang geschätzt wie im Falle eines in diesem Staat eröffneten Insolvenzverfahrens1.

6.752

Eine entsprechende Sonderanknüpfung des gutgläubigen Erwerbs sieht auch das autonome deutsche Recht in § 349 InsO vor. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift wird der gute Glaube eines Dritten, zu dessen Gunsten der Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Ausland verfügt hat, in gleichem Umfang geschützt wie im Falle eines inländischen Insolvenzverfahrens (vgl. § 81 Abs. 1 S. 2, § 91 Abs. 2 InsO; § 349 Abs. 1 i.V.m. §§ 878, 892, 893 BGB; §§ 3 Abs. 3, 16, 17 SchiffRG; § 5 Abs. 3, §§ 16, 17 LuftRG). Auch Ansprüche, die durch eine im Inland eingetragene Vormerkung gesichert sind, können hiernach im Falle eines ausländischen Insolvenzverfahrens in gleicher Weise durchgesetzt werden, wie bei einem inländischen Verfahren (§ 349 Abs. 2 i.V.m. § 106 InsO); sie sind daher auch vor einer Erfüllungsverweigerung durch den ausländischen Insolvenzverwalter geschützt. Insoweit verdrängt also die lex rei sitae die lex fori concursus2. b) Nicht eingetragene Rechte

6.753

Die Frage, ob auch der Erwerber einer beweglichen Sache oder eines sonstigen nicht eingetragenen Rechts in seinem guten Glauben an die fortbestehende Verfügungsbefugnis des Schuldners nach Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens Schutz genießt, bestimmt sich demgegenüber primär nach der ausländischen lex fori concursus.3 Lässt diese einen gutgläubigen Erwerb zu, so ist er auch bzgl. der im Inland belegenen Mobilien zu beachten. Daneben kommt aber auch ein gutgläubiger Erwerb nach Maßgabe der lex causae, also der lex rei sitae beim Erwerb beweglicher Sachen, in Betracht. Sieht diese einen gutgläubigen Erwerb nicht vor, weil sie – wie das deutsche Recht – den Schutz der Insolvenzmasse gegen nachteilige Verfügungen des Schuldners höher bewertet als den Schutz des redlichen Erwerbers, so hat es hierbei freilich sein Bewenden. Für einen weitergehenden Schutz des inländischen Mobiliarerwerbers in entsprechender Anwendung der § 135 Abs. 2, § 932 BGB, solange die Eröffnung der Auslandsinsolvenz im Inland nicht öffentlich bekannt gemacht wurde, ist mithin kein Raum4.

VI. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung 1. Grundlagen 6.754

Das europäische wie das deutsche internationale Insolvenzrecht sind geprägt vom Prinzip der Universalität des Insolvenzverfahrens. Danach erstrecken sich die Wirkungen der Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens auch auf das außerhalb des Eröffnungsstaates belegene Vermögen des Gemeinschuldners.

1 Virgós/Schmit-Bericht Rz. 141; Huber, ZZP 114 (2001), 133 (164); Wenner, Rz. 285. 2 Geimer, Rz. 3543; Taupitz, ZZP 111 (1998), 315 (346). 3 Kindler in MünchKomm, Art. 17 EuInsVO Rz. 7; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 60. 4 Geimer, Rz. 3543a; Kolmann/Ch. Keller in Gottwald/Haas, Hdb., § 132 Rz. 61; Wenner, Rz. 290.

772 | Hausmann

C. Verfügungsbefugnis des Insolvenzverwalters | Rz. 6.761 § 6

Wichtigste Rechtsquelle des internationalen Insolvenzrechts war bis zum 25.6.2017 die EGVerordnung Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO 2000), die seit dem 31.5.2002 im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks galt. Diese Verordnung ist für Insolvenzverfahren, die ab dem 26.6.2017 eröffnet wurden bzw. werden, durch die Verordnung (EU) Nr. 848/2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO 2015) ersetzt worden. Hat der Hauptschuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einem EU-Mitgliedstaat, so verdrängt die EuInsVO 2015 das nationale Recht der Mitgliedstaaten, und zwar auch dann, wenn kein Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat besteht. Nur für Schuldner mit Interessenmitttelpunkt in einem Drittstaat gilt das autonome deutsche internationale Insolvenzrecht, das durch Gesetz vom 14.3.2003 erstmals umfassend kodifiziert wurde.

6.755

Sowohl das europäische wie das autonome deutsche internationale Insolvenzrecht lassen neben dem Hauptinsolvenzverfahren territorial beschränkte Nebeninsolvenzverfahren (Sekundär-, Partikularinsolvenz) zu.

6.756

2. Inländisches Insolvenzverfahren a) Die deutschen Gerichte sind für die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens international zuständig, wenn der Gemeinschuldner im Inland den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen (Art. 3 Abs. 1 S. 1 EuInsVO 2015) bzw. den Mittelpunkt seiner selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit (§ 3 Abs. 1 S. 2 InsO) hat. Bei juristischen Personen und Gesellschaften entscheidet also der effektive Verwaltungssitz.

6.757

Die internationale Zuständigkeit nach Art. 3 EuInsVO 2015 erstreckt sich gem. Art. 6 EuInsVO 2015 auch auf Annexverfahren, die einen hinreichend engen Bezug zum Insolvenzverfahren haben. Die Abgrenzung zur allgemeinen Zuständigkeit für Zivil- und Handelssachen, die sich nach Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO bestimmt, wirft allerdings zahlreiche Probleme auf. Leitlinien für diese Abgrenzung ergeben sich aus der Rechtsprechung des EuGH.

6.758

b) Die Voraussetzungen der Insolvenzeröffnung beurteilen sich nach dem Recht des Eröffnungsstaates. Dies gilt insbesondere für die Insolvenzfähigkeit des Gemeinschuldners, die Eröffnungsgründe und die Antragsbefugnis.

6.759

c) Ein deutsches (Haupt-)Insolvenzverfahren strebt die Einbeziehung des gesamten und damit auch des ausländischen Vermögens des Schuldners in die insolvenzrechtliche Abwicklung an, um die gleichmäßige Befriedigung aller Gläubiger zu gewährleisten. Dieser Universalitätsanspruch der Insolvenzeröffnung besteht gleichermaßen im europäischen (Art. 19 Abs. 1 EuInsVO 2015) wie im deutschen autonomen Recht (§ 335 InsO). Die gleiche Wirkung kommt auch einem vom deutschen Insolvenzgericht angeordneten allgemeinen Veräußerungsverbot zu.

6.760

d) Während der Dauer des inländischen Insolvenzverfahrens finden Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu Gunsten einzelner Insolvenzgläubiger auch in das zur Masse gehörende Auslandsvermögen des Gemeinschuldners nicht statt. Ein Insolvenzgläubiger, der durch solche Zwangsvollstreckungsmaßnahmen aus dem im Ausland belegenen Vermögen des Gemeinschuldners Befriedigung erlangt, ist daher verpflichtet, das Erlangte dem Insolvenzverwalter herauszugeben (Art. 23 Abs. 1 EuInsVO; § 342 Abs. 1 InsO). Eine solche Abführungspflicht besteht hingegen nicht für den in einem ausländischen Insolvenzverfahren erlangten Erlös; diesen hat sich der Gläubiger jedoch auf die auf ihn entfallende Quote im

6.761

Hausmann | 773

§ 6 Rz. 6.761 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

inländischen Verfahren anrechnen zu lassen (Art. 23 Abs. 2 EuInsVO 2015; § 342 Abs. 2 InsO).

6.762

e) Der Verwalter eines im Inland eröffneten Insolvenzverfahrens ist verpflichtet, auch ausländisches Vermögen des Schuldners zur Masse zu ziehen und zu verwerten. Er ist auch bezüglich dieses Auslandsvermögens vor inländischen Gerichten prozessführungsbefugt. Im Geltungsbereich des europäischen internationalen Insolvenzrecht bestimmen sich die Befugnisse des deutschen Insolvenzverwalters auch bezüglich des in anderen Mitgliedstaaten belegenen Vermögens grundsätzlich nach deutschem Recht (Art. 21 EuInsVO 2015). Der Gemeinschuldner ist seinerseits verpflichtet, den Insolvenzverwalter bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen – z.B. durch Erteilung entsprechender Vollmachten – zu unterstützen.

3. Ausländisches Insolvenzverfahren 6.763

a) Anerkennungsfähig im Inland sind nicht nur ausländische Entscheidungen über die Insolvenzeröffnung, sondern auch Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines ausländischen Insolvenzverfahrens sowie über Sicherungsmaßnahmen und Entscheidungen in solchen Einzelverfahren, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang mit ihm stehen (vgl. Art. 32 Abs. 1 EuInsVO 2015).

6.764

b) Insolvenzrechtliche Entscheidungen der Gerichte anderer EU-Mitgliedstaaten werden im Inland grundsätzlich anerkannt; eingeschränkt ist die Anerkennung allein durch den Vorbehalt des inländischen ordre public (Art. 19, 33 EuInsVO 2015). Demgegenüber ist für die Anerkennung der Eröffnung eines drittstaatlichen Insolvenzverfahrens zusätzlich erforderlich, dass die Gerichte des Staats der Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht international zuständig waren (§ 343 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 InsO).

6.765

c) Die Eröffnung eines (Haupt-)Insolvenzverfahrens im Ausland entfaltet im Inland diejenigen Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem Verfahren beilegt (Art. 20 Abs. 1 EuInsVO 2015; § 335 InsO); der Durchführung eines förmlichen Anerkennungsverfahrens bedarf es hierzu nicht.

6.766

d) Die Vollstreckung von Entscheidungen zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens bestimmt sich im europäischen Recht gem. Art. 32 Abs. 1 S. 2 EuInsVO 2015 nach Maßgabe der Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO. Danach ist – abweichend von den bisher maßgeblichen Art. 38 ff. Brüssel I-VO – ein Vollstreckbarerklärungsverfahren entbehrlich. Demgegenüber bedarf es für die Inlandsvollstreckung drittstaatlicher Entscheidungen nach § 353 InsO eines Vollstreckungsurteils gem. §§ 722, 723 ZPO.

6.767

e) Die Befugnisse des ausländischen Insolvenzverwalters zur Verwaltung und Verwertung des inländischen Vermögens werden im Inland grundsätzlich nach Maßgabe der ausländischen lex fori concursus anerkannt (Art. 21 EuInsVO 2015). Gleiches gilt für einen vom Recht des Eröffnungsstaates angeordneten Übergang der Prozessführungsbefugnis auf den Verwalter in einem die Masse berührenden Rechtsstreit. Aus diesem Grunde unterbricht die Eröffnung des ausländischen Insolvenzverfahrens einen zur Zeit der Eröffnung anhängigen inländischen Rechtsstreit (Art. 18 EuInsVO 2015 iVm § 240 ZPO, § 352 InsO).

774 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.781 § 6

4. Reichweite des Insolvenzstatuts a) Sowohl das europäische wie das deutsche internationale Insolvenzrecht gehen von einer allseitigen Kollisionsnorm aus, derzufolge sich nicht nur die verfahrensrechtlichen, sondern auch die materiell-rechtlichen Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach dem Recht des Eröffnungsstaats beurteilen (Art. 7 Abs. 1 EuInsVO; § 335 InsO).

6.768

b) Die grundsätzliche Geltung der lex fori concursus wird allerdings sowohl im europäischen wie im deutschen autonomen internationalen Insolvenzrecht einerseits durch Sachnormen eingeschränkt, die bestimmte Rechte an dem außerhalb des Eröffnungsstaates belegenen Vermögen von den Wirkungen des Insolvenzverfahrens ausnehmen (Art. 8–10 EuInsVO; §§ 338, 351 InsO), andererseits durch eine Reihe von Sonderanknüpfungen durchbrochen. Solche Sonderanknüpfungen gelten insbesondere für Immobilienverträge, Arbeitsverhältnisse, die Insolvenzanfechtung und die Insolvenzaufrechnung (Art. 11–14, 17–18 EuInsVO; §§ 336–340 InsO).

6.769

5. Schutz des Rechtsverkehrs Um einem gutgläubigen Erwerb Dritter im Inland nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland entgegenzuwirken, ist auf Antrag des ausländischen Verwalters die öffentliche Bekanntmachung der Eröffnungsentscheidung im Inland zu veranlassen, wenn der Schuldner hier eine Niederlassung unterhält (Art. 28 EuInsVO 2015, § 345 InsO). Außerdem hat der ausländische Verwalter die Eintragung eines Vermerks über die Verfahrenseröffnung im Ausland in das deutsche Grundbuch, Handelsregister und andere verkehrsschützende Register sicherzustellen, wenn der Schuldner in einem inländischen Register eingetragen ist oder unbewegliches Vermögen des Schuldners im Inland belegen ist (Art. 29 Abs. 1 EuInsVO 2015; § 346 Abs. 1 InsO). Darüber hinaus wird derjenige, der an einen Schuldner leistet, über dessen Vermögen im Ausland ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, geschützt, wenn ihm die Eröffnung des Verfahrens nicht bekannt war (Art. 31 EuInsVO 2015; § 350 InsO). Schließlich wird auch der Dritterwerber geschützt, der gutgläubig vom Schuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Ausland ein eingetragenes Recht erwirbt (Art. 17 EuInsVO; § 349 InsO). Einstweilen frei.

6.770

6.771–6.780

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen I. Qualifikation Literatur: Vgl. die Nachweise vor Rz. 6.786, vor Rz. 6.828, vor Rz. 6.974, vor Rz. 6.983 und vor Rz. 6.1005.

Die Ehe bringt Bindungen auch hinsichtlich der Verwaltung und Verfügung über das Vermögen mit sich. Dem Verheirateten steht sein Vermögen nicht mehr, wie dem Ledigen, zur unbeschränkten freien Verfügung zu. Im Interesse der Familiengemeinschaft kann er mannigfachen Beschränkungen unterliegen. Das muss, wer mit verheirateten Personen Verträge schließt, beachten. Dass die verheiratete Frau in der Eingehung von Verpflichtungen und Verfügungen über ihr Vermögen beschränkt ist, wurde lange Zeit als selbstverständlich betrachtet. Auf diese Beschränkungen richtete sich der Rechtsverkehr ein; bei Verträgen mit Frauen wurde stets auf den Familien- und Güterstand geachtet. Anders bei Verträgen mit Männern. Hier wurde bis in die jüngere Vergangenheit von der unbeschränkten Verfügungsmacht ausgeganHausmann | 775

6.781

§ 6 Rz. 6.781 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gen. Die Familienrechtsreformen der letzten Jahrzehnte haben indes zumindest in Europa und den USA den Grundsatz der Gleichberechtigung der Ehegatten verwirklicht, so dass es heute ratsam ist, sich auch vor dem Abschluss von Verträgen mit Männern über deren Familien- und Güterstand zu unterrichten.

6.782

Während das deutsche Recht die Verfügungs- und Verpflichtungsmacht von Ehegatten nur durch güterrechtliche Bestimmungen (§§ 1365, 1369, 1423 ff. BGB) einschränkt, bringt in vielen ausländischen Rechten bereits die Ehe als solche – unabhängig vom Güterstand – gewisse Beschränkungen der Verpflichtungs- oder Verfügungsbefugnis mit sich. Die unterschiedliche Anknüpfung von güterrechtlichen Beschränkungen und solchen, die sich als allgemeine Wirkungen der Ehe darstellen, sind auf dem Gebiet des Vermögensrechts in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen durch die EuGüVO überwunden worden (dazu Rz. 6.810). In vor diesem Stichtag geschlossenen Ehen, die noch dem autonomen Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten unterliegen, ist diese Unterscheidung hingegen weiter bedeutsam, weil der von Art. 15 Abs. 1 EGBGB angestrebte Gleichlauf von Ehegüter- und Ehewirkungsstatut wegen der Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB (dazu Rz. 6.898 f.) – im Gegensatz zur wandelbaren Anknüpfung des Ehewirkungsstatuts (dazu Rz. 6.823) – und der Möglichkeit einer auf die güterrechtlichen Beziehungen beschränkten Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB nicht selten verfehlt wird. Welche Rechtsbeziehungen der Ehegatten in ihrem Verhältnis zueinander oder im Verhältnis zu Dritten in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen dem Statut der allgemeinen Ehewirkungen (Art. 14 EGBGB) und welche dem Ehegüterrechtsstatut (Art. 15 EGBGB) unterliegen, ist in der Praxis nicht immer leicht festzustellen.

6.783

Ausgangspunkt einer funktionalen Qualifikation muss sein, dass die Sonderanknüpfung des Ehegüterrechts der Sonderordnung des Vermögens von Mann und Frau während und aufgrund der Ehe rechtlichen Bestand geben soll. Daher gehören zum Ehegüterrecht diejenigen materiellen Rechtssätze, die eine solche Sonderordnung schaffen oder – im Falle der Gütertrennung – von ihr absehen, sowie diejenigen, die nach Auflösung der Ehe für eine Abwicklung dieser Sonderordnung sorgen1. Nach Art. 15 EGBGB beurteilen sich daher insbesondere die Fragen, welcher von den mehreren Güterständen einer Rechtsordnung maßgebend ist, welche Gütermassen danach zu unterscheiden sind und zu welcher der Anspruch eines Ehegatten gehört; das Güterrechtsstatut regelt ferner, ob und mit welchem Inhalt Eheverträge geschlossen werden können und welche Erwerbs- bzw. Verfügungsbeschränkungen infolge des Güterstandes bestehen (dazu näher Rz. 6.828 ff.)2.

6.784

Demgegenüber gehören zu den allgemeinen Ehewirkungen die in §§ 1353–1362 BGB geregelten Sachbereiche, sofern sie nicht – wie das Ehenamensrecht (Art. 10 EGBGB), das eheliche Unterhaltsrecht (Art. 1 ff. Haager Unterhaltsprotokoll vom 23.11.2007)3 oder bestimmte vermögensrechtliche Scheidungsfolgen (Art. 17 Abs. 1 EGBGB)4 – gesondert anzuknüpfen sind. In den Regelungsbereich des Art. 14 EGBGB fallen daher in den noch nicht von der EuGüVO erfassten Ehen nicht nur persönliche Ehepflichten (wie z.B. die Pflicht zur ehelichen Lebens1 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 65. 2 BGH v. 21.10.1992 – XII ZR 182/90, BGHZ 119, 392 (394) = NJW 1993, 385; OLG Hamm v. 10.4.1992 – 4 WF 47/92, FamRZ 1992, 963 (965); OLG Köln v. 17.12.1997 – 27 UF 62/97, FamRZ 1999, 298; Kegel/Schurig, IPR, § 20 VI 2; Schurig in Soergel, Rz. 32 ff.; Looschelders in MünchKomm, Rz. 31 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 15 ff.; Mankowski in Staudinger, Rz. 231 ff., jeweils zu Art. 15 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 320 ff. 3 ABl. EU 2009 L 331, S. 19 = Jayme/Hausmann, Nr. 42; dazu Hausmann, IntEuFamR C Rz. 489 ff. 4 Dazu Hausmann, IntEuFamR A Rz. 548 ff.

776 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.785 § 6

gemeinschaft und die Haushaltsführung), sondern auch vermögensrechtliche Beziehungen, wie z.B. die Mitarbeit im Geschäft des anderen Ehegatten, die Schlüsselgewalt, der Haftungsmaßstab und die Eigentumsvermutungen1. Diese allgemeinen Ehewirkungen unterscheiden sich vom Güterrecht dadurch, dass sie ohne Rücksicht auf eine besondere Ordnung der ehelichen Vermögensverhältnisse gelten. Anhand dieses Kriteriums ist auch bei Beschränkungen des ausländischen Rechts, die dem deutschen Recht fremd sind (wie z.B. verminderte Geschäftsfähigkeit der Ehefrau, Verbote bestimmter Rechtsgeschäfte zwischen Ehegatten oder zwischen Ehegatten und Dritten), zu entscheiden, ob es sich um allgemeine oder um güterrechtliche Ehewirkungen handelt (dazu näher Rz. 6.786 ff., Rz. 6.849 ff.)2. Die für das autonome deutsche Kollisionsrecht charakteristische Unterscheidung zwischen allgemeinen und güterrechtlichen Ehewirkungen ist auf dem Gebiet des Ehevermögensrechts allerdings durch die europäischen Güterrechtsverordnungen3 in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen (und eingetragenen Lebenspartnerschaften) überwunden worden. Denn das Kollisionsrecht dieser Verordnungen gilt einheitlich für die gesamten vermögensrechtlichen Beziehungen solcher Ehegatten (und eingetragenen Lebenspartner), soweit diese ihren Grund in der Ehe (oder eingetragenen Lebenspartnerschaft) haben (dazu näher Rz. 6.810).

II. Allgemeine Beschränkungen durch die Ehe Literatur: Berger, Die Stellung Verheirateter im rechtsgeschäftlichen Verkehr (1987); Böhringer, Beschränkungen der Beteiligten eines Grundstücksveräußerungsvertrages, Rpfleger 1990, 337; Carlier, Les contrats de mariage internationaux: aspects particuliers des clauses relatives aux relations personnelles, in: Verwilghen/de Valkeneer (Hrsg.), Relations familiales internationales (Brüssel 1993), S. 277; Chedly, Les relations pécuniares entre époux, Rev.int.dr.comp. (2007), 551; Fajen, Die Schlüsselgewalt im italienischen Recht (2000); Fenge, Zur Mitverpflichtung naher Familienangehöriger in der englischen und schottischen Rechtsprechung, RIW 1996, 545; Fountoulakis, Interzession naher Angehöriger – eine rechtsvergleichende Untersuchung im deutschen und angelsächsischen Recht (2005); Hasenböhler, Mitwirkung beider Ehegatten beim Vertragsschluss (Basel 1982); Hausheer, Schuldrechtliche Rechtsgeschäfte und familienrechtliche Leistungen unter Ehegatten, insbesondere unbenannte Zuwendungen und ehebezogene Arbeitsleistungen in rechtsvergleichender Sicht, FS Henrich (2000), S. 219; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Teil B Anh. Allg. Ehewirkungen, Rz. 598 ff.; Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfahrensrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 8; Kiefner/Waigel, Die Ehegattengesellschaft im französischen Zivilrecht (Diss. Münster 1986); Kobel-Schnidrig, Schenkung unter Ehegatten, FS Hausheer (2002), S. 301; Löffler, Ehegattenschenkungen und ihre Rückgängigmachung nach französischem und deutschem Recht (Diss. Augsburg 1987); Morin, Les ventes entre époux, FS Breton/Derrida (Paris 1991), S. 259; Najjar, La validité des donations déguisées ou indirectes sous seing privé, D. S. 1995 Chron. 115; Nordmeier, Schenkungen unter Ehegatten im internationalen Privatrecht: Deutsch-portugiesische Fälle nach EGBGB, Rom I-VO und EhegüRVO, IPRax 2014, 411; Rheinstein/ Glendon, Interspousal Relations, Int.Encycl.Comp.L. IV 4 (1980); Steininger, Die persönlichen Ehewirkungen im neuen österreichischen Recht, FamRZ 1979, 774; van den Eynde, Les donations entre 1 BT-Drucks. 10/504, S. 54; Andrae in NK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 57 ff. 2 Thorn in Palandt, Rz. 14 ff.; Schurig in Soergel, Rz. 37; Looschelders in MünchKomm, Rz. 36 ff., Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 28 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 7, 11 ff.; Mankowski in Staudinger, Rz. 213 ff., jeweils zu Art. 14 EGBGB; 3 Verordnungen (EU) 2016/1103 und 2016/1104 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterrechts (EuGüVO) bzw. güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften (EuPartVO) v. 24.6.2016, ABl. EU L 183, S. 1 und 30 = Jayme/Hausmann Nr. 33 und 39.

Hausmann | 777

6.785

§ 6 Rz. 6.785 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis époux, in: Verwilghen/de Valkeneer (Hrsg.), Relations familiales internationales (Brüssel 1993), S. 301; Voser, Die Begrenzung des Berufsausübungsrechts der Ehegatten durch das Wohl der ehelichen Gemeinschaft, SchwJZ 1992, 193; Werner, Schuldrechtliche Interzessionen nach deutschem, englischem und US-amerikanischem Recht (Diss. Tübingen 1998). Zum IPR s. vor Rz. 6.806; zum Schutz des Rechtsverkehrs s. vor Rz. 6.743.

1. Allgemeines 6.786

Ausländische Rechte enthalten vielfach Bestimmungen, welche die Freiheit der Eheleute, über ihr eigenes oder das gemeinsame Vermögen zu verfügen bzw. bestimmte Verpflichtungen einzugehen, im Interesse der Familiengemeinschaft unabhängig vom jeweiligen Güterstand einschränken. Diese Beschränkungen sind besonders gefährlich, weil sie dem deutschen Recht weithin unbekannt sind und der inländische Vertragspartner eines ausländischen Ehegatten mit ihnen regelmäßig nicht rechnet.

2. Beschränkungen im Rechtsverkehr mit Dritten a) Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit

6.787

Eine allgemeine Minderung der Geschäftsfähigkeit der Frau durch die Eheschließung, wie sie früher vor allem in den romanischen Rechten, aber auch im englischen Common Law eine vertraute Erscheinung war, gehört heute weitgehend der Vergangenheit an. Soweit sie noch auftritt, ist sie den allgemeinen Ehewirkungen zuzuordnen1. Bei hinreichender Inlandsbeziehung wird freilich regelmäßig die Schranke des ordre public (Art. 6 EGBGB) eingreifen2.

6.788

Der Erwerb oder eine Erweiterung der Geschäftsfähigkeit durch Eheschließung („Heirat macht mündig“) beurteilt sich hingegen nach dem Geschäftsfähigkeitsstatut des Art. 7 EGBGB (vgl. Rz. 6.1080 f.).

6.789

Eine teilweise Einschränkung der Handlungsfähigkeit der Frau bedeuten allerdings auch die in manchen Rechten noch bestehenden Interzessionsverbote. Sie sollen Ehegatten davor bewahren, aus Zuneigung zum Partner oder unter seinem Druck übermäßig belastende oder unvernünftige Verpflichtungen einzugehen. So bedarf ein Ehegatte nach Art. 1:88 Abs. 1 lit. c niederl. B.W. der Zustimmung seines Partners für „Verträge, durch welche er sich außerhalb der Ausübung eines Berufs oder Gewerbes als Bürge oder hauptsächlicher Mitschuldner verpflichtet, sich für einen Dritten stark sagt oder sich zur Sicherungsübereignung für die Schuld eines Dritten verpflichtet.“ Maßgebend für solche Beschränkungen ist daher nicht das Geschäftsfähigkeitsstatut (Art. 7 EGBGB) oder das Schuldstatut des Interzessionsgeschäfts (dazu Rz. 6.1002), sondern das Statut der allgemeinen Ehewirkungen3.

1 BGH v. 25.6.1953 – IV ZR 135/51, IPRspr. 1952/53 Nr. 298; Schurig in Soergel, Rz. 58 f.; Mankowski in Staudinger, Rz. 232; jeweils zu Art. 14 EGBGB. 2 Thorn in Palandt, Art. 14 EGBGB Rz. 18 a.E.; vgl. dazu LG Berlin v. 19.2.1992 – 4 O 355/91, FamRZ 1993, 198: Die Anwendung von Art. 160 türk. ZGB, der dem Ehemann das alleinige Recht einräumt, die Ehefrau in Streitfragen bezüglich ihres persönlichen Vermögens vor Gericht zu vertreten, verstößt gegen den deutschen ordre public. 3 Schurig in Soergel, Rz. 64 f.; Looschelders in MünchKomm, Rz. 74 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 13; Mankowski in Staudinger, Rz. 235 ff., jeweils zu Art. 14 EGBGB.

778 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.793 § 6

b) Verpflichtungsbeschränkungen aa) Normzweck Allgemeine, d.h. nicht in einem bestimmten Güterstand wurzelnde Beschränkungen bei der Begründung von Verbindlichkeiten durch einen Ehegatten allein verfolgen vor allem den Zweck, die materielle Grundlage der ehelichen Lebensführung zu erhalten und zu sichern. Deswegen wird das Erfordernis der Zustimmung des nicht beteiligten Ehegatten zum Abschluss bestimmter Verträge dem Ehewirkungsstatut unterstellt1. Besondere Vorsicht ist vor allem bei folgenden Verträgen mit Ehegatten geboten:

6.790

bb) Schenkung Schenkungen durch einen Ehegatten bedürfen, auch wenn sie aus dem eigenen Vermögen erfolgen, vor allem in den romanischen Rechten häufig der Zustimmung des anderen Ehegatten, wenn hierdurch die Erhaltung des Familienvermögens gefährdet wird; dies gilt etwa in Belgien (Art. 224 § 1 Nr. 3 c.c.) und in den Niederlanden (Art. 1:88 Abs. 1 lit. b B.W.); in anderen Rechten ist die Zustimmung des Ehepartners nur für Schenkungen aus dem gemeinschaftlichen Vermögen erforderlich (so z.B. in Brasilien, Art. 235 Abs. 4 c.c.).

6.791

cc) Bürgschaft/Schuldübernahme

Ähnliche Beschränkungen gelten nicht selten für Verträge, durch die sich ein Ehegatte als Bürge, Schuldmitübernehmer oder Garant zur Absicherung einer fremden Schuld verpflichtet, soweit dies nicht in Ausübung seines Berufes oder im Rahmen seines Geschäftsbetriebes geschieht, so z.B. in Belgien (Art. 224 § 1 Nr. 4 c.c.)2, in Brasilien (Art. 235 Abs. 3, 242 Abs. 1 c. c.), den Niederlanden (Art. 1:88 Abs. 1 lit. c B.W.) und der Schweiz (Art. 494 Abs. 1 OR). Während die deutsche Rechtsprechung die gebotene Sonderanknüpfung derartiger Zustimmungserfordernisse nicht immer beachtet hat (vgl. dazu Rz. 6.1002), wertet das Schweizer Bundesgericht die Regel in Art. 494 Abs. 1 OR als Schranke der allgemeinen Handlungsfähigkeit3.

6.792

Die Nichtigkeit des Bürgschaftsversprechens wegen fehlender Zustimmung des Ehegatten kann aus Gründen der Rechtssicherheit allerdings zumeist nur innerhalb kurzer Fristen und z.T. auch nur gegenüber einem bösgläubigen Vertragspartner geltend gemacht werden4. dd) Abzahlungskauf Auch Abzahlungskaufverträge können etwa in der Schweiz (Art. 226a OR) nur mit Zustimmung des anderen Ehegatten geschlossen werden, sofern die Ehegatten einen gemeinsamen

1 Schurig in Soergel, Rz. 64 f.; Looschelders in MünchKomm, Rz. 74 ff.; Mankowski in Staudinger, Rz. 235 ff., jeweils zu Art. 14 EGBGB. Vgl. auch das Beispiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 8 Rz. 79. 2 Vgl. dazu Cass. (Belgien) v. 25.5.1992, Pas. 1992 I, 839; dazu von Houtte, IPRax 1997, 276 (281). 3 Schweiz. BG v. 14.12.1984, BGE 110 II, 484 = IPRax 1987, 34 (m. Anm. Hanisch, IPRax 1987, 47) (Deutscher unterzeichnete Bürgschaftserklärung gegenüber einer schweiz. Bank in Frankfurt a.M. und vereinbarte die Geltung schweiz. Rechts. Gegenüber der Inanspruchnahme aus der Bürgschaft berief er sich auf deren Nichtigkeit wegen fehlender Zustimmung seiner Ehefrau. Das BG verwarf den Einwand, weil es sich bei Art. 494 Abs. 1 OR um eine gesondert anzuknüpfende Beschränkung der Geschäftsfähigkeit handle, die nur bei schweiz. Personalstatut des Bürgen eingreife.). 4 Vgl. in den Niederlanden Art. 1:89 B.W.

Hausmann | 779

6.793

§ 6 Rz. 6.793 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Haushalt führen und die Verpflichtung 1000 sFr übersteigt. Die Zustimmung muss schriftlich spätestens bei Vertragsschluss erteilt werden; eine nachträgliche Genehmigung ist ausgeschlossen. Diese Regelung gilt entsprechend für die Aufnahme von Darlehen zum Kauf beweglicher Sachen (Art. 226m Abs. 2 OR)1. Auch in den Niederlanden ist – abweichend vom früheren Recht (Art. 1:87 B.W. a.F.) – keine Mitwirkung des anderen Ehegatten am Vertragsschluss mehr erforderlich, wohl aber seine Zustimmung (Art. 1:88 Abs. 1 lit. d B.W. n.F.). Nach anderen Rechten ist zumindest die Mithaftung für die im Rahmen der Schlüsselgewalt getätigten Abzahlungsgeschäfte eingeschränkt, wenn der andere Ehegatte nicht ausdrücklich zugestimmt hatte, so z.B. in Frankreich (Art. 220 Abs. 3 c.c.). ee) Arbeitsvertrag

6.794

§ 1358 BGB a.F. hatte dem Mann das Recht gegeben, ein gegen seinen Willen von der Frau eingegangenes Arbeitsverhältnis zu kündigen. Auch in der Schweiz konnte die Ehefrau bis 1987 nur mit ausdrücklicher oder stillschweigender Einwilligung des Mannes einen Beruf oder ein Gewerbe ausüben; wurde die Einwilligung verweigert, so konnte sie im Familieninteresse durch den Richter ersetzt werden (Art. 167 ZGB a.F.). In den meisten europäischen Staaten ist diese Abhängigkeit der Ehefrau bei der Ausübung ihres Berufes im Zuge jüngerer Familienrechtsreformen beseitigt worden, so z.B. in Belgien (Art. 216 c.c.), Frankreich (Art. 223 c.c.), Portugal (Art. 1677-D c.c.), Griechenland (Art. 1389 ZGB) und zuletzt in der Schweiz (Art. 167 ZGB n.F.). Soweit derartige Beschränkungen noch bestehen, wie z.B. im Iran (Art. 1187 ZGB) oder nach manchen südamerikanischen Rechten (vgl. in Bolivien Art. 99 FamGB vom 23.8.1972), gehören sie zu den allgemeinen Ehewirkungen i.S.v. Art. 14 EGBGB; ihre Beachtung im Inland wird freilich regelmäßig an der ordre-public-Schranke des Art. 6 S. 2 EGBGB i.V.m. Art. 3 Abs. 2 GG scheitern2. c) Verfügungsbeschränkungen aa) Ehewohnung und Hausrat

6.795

Während die Verfügung über Haushaltsgegenstände nach deutschem Recht nur im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft von der Zustimmung des anderen Ehegatten abhängt (§ 1369 BGB), kennt das französische Recht eine entsprechende Bindung der Ehegatten ohne Rücksicht auf den Güterstand (sog. „régime primaire“). Das Zustimmungserfordernis gilt nicht nur für die Veräußerung von Haushaltsgegenständen, sondern auch für die Veräußerung und Belastung der ehelichen Wohnung sowie für die Kündigung von Mietverträgen über Familienwohnraum (Art. 215 Abs. 3 c.c.)3. Ähnliche Regelungen finden sich auch in anderen romanischen Rechtsordnungen, z.B. in Belgien (Art. 215 c.c.), den Niederlanden (Art. 1:88 Abs. 1 lit. a B.W.)4, Portugal (Art. 1682 ff. c.c.) und Spanien (Art. 1320 c.c.) und betreffen dort regelmäßig bereits das Verpflichtungsgeschäft, darüber hinaus aber auch im österreichischen (§ 97 ABGB), schweizerischen (Art. 169 ZGB)5 und türkischen (Art. 194 ZGB) Recht6 sowie in

1 2 3 4 5

Vgl. dazu IPG 1977 Nr. 5 (Heidelberg). Böhmer in Ferid, Rz. 8–87, 3; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB Rz. 257. Vgl Rubelin-Devichi, La famille et le droit au logement, Rev.trim.dr.civ. (1996), 245 ff. Vgl. IPG 1996 Nr. 26 (Köln). Dazu eingehend Berger, S. 56 ff.; ferner Ruoss, Der Einfluss des neuen Eherechts auf Mietverhältnisse von Wohnräumen, ZSR 107 (1988), 168 ff. 6 Dazu OLG Karlsruhe v. 16.6.2015 – 18 WF 126/15, FamRZ 2015, 1610 (1611).

780 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.798 § 6

den skandinavischen Ländern1. Schließlich kann ein Ehegatte allein auch nach englischem Recht sowie nach den Rechten der meisten US-Bundesstaaten und kanadischen Provinzen nicht über die „homestead“ oder das „matrimonial home“ verfügen (vgl. etwa den englischen „Matrimonial Homes Act 1983“). Für die Frage der Anknüpfung derartiger Verfügungsbeschränkungen sollte man sich von der güterrechtlichen Vorgabe des deutschen materiellen Rechts lösen und etwaige Zustimmungserfordernisse in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen dem Statut der allgemeinen Ehewirkungen entnehmen, soweit sie danach unabhängig vom Güterstand eingreifen2. Die Beschränkungen nach dem ausländischen Ehewirkungsstatut haben bei Geltung deutschen Güterrechtsstatuts dann Vorrang vor § 1369 BGB3. Unter Geltung der EuGüVO sind solche Verfügungsbeschränkungen hingegen autonom als güterrechtlich zu qualifizieren, auch wenn sie in dem anwendbaren nationalen Recht des teilnehmenden Mitgliedstaats als allgemeine Ehewirkung ausgestaltet sind (Rz. 6.810).

6.796

bb) Immobilien Manche ausländischen Rechte beschränken darüber hinaus die Befugnis des einzelnen Ehegatten zur Verfügung über weitere Vermögensgegenstände, die für die finanzielle Absicherung der Familie von besonderer Bedeutung sind, wie insbesondere Grundstücke oder ein Handelsgeschäft. Während für solche Verfügungen teilweise kraft Gesetzes die Zustimmung des anderen Ehegatten gefordert wird (so z.B. in Portugal Art. 1682-A Abs. 1 c.c., und Brasilien, Art. 235 Abs. 1, 242 Abs. 1 und 2 c.c.), besteht nach anderen Rechten die Möglichkeit, Beschränkungen auf Antrag eines Ehegatten zum Schutz der Familie gerichtlich anzuordnen, so etwa in Belgien (Art. 223, 224 § 1 Nr. 2 c.c.), Frankreich (Art. 220-1 c.c.) und der Schweiz (Art. 178 ZGB). Da auch die vorgenannten Beschränkungen ohne Rücksicht darauf gelten, in welchem Güterstand die Ehegatten leben, ist in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen gleichfalls das Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB maßgebend.

6.797

cc) Legalhypothek Manche Rechtsordnungen räumen den Ehegatten besondere Sicherungsrechte am Grundvermögen des Partners ein, und zwar auch dann, wenn die Vermögen beider Teile im Übrigen völlig getrennt bleiben („dower“ in einigen US-Bundesstaaten; Legalhypothek in romanischen Rechten). Während die Legalhypothek der Ehefrau in Belgien und Italien inzwischen beseitigt wurde, hat man sie in Frankreich auf Ehegatten beschränkt, die im Wahlgüterstand der Zugewinngemeinschaft leben (vgl. Art. 2121 c.c.); die Legalhypothek kann allerdings Dritten nur entgegengehalten werden, wenn sie eingetragen ist (Art. 2134 c.c.). Um einen lastenfreien Erwerb sicherzustellen, empfiehlt es sich daher bei Grundstücksgeschäften mit verheirateten französischen Partnern, die Zustimmung des Ehegatten einzuholen. Derartige dingliche Si1 Vgl. dazu die Landesreferate zum Thema „Le statut juridique du logement familial“ für den 10. Internationalen Kongress für Rechtsvergleichung in Budapest (1978). 2 OLG Karlsruhe v. 16.6.2015 – 18 WF 126/15, FamRZ 2015, 1610 (1611); Looschelders in MünchKomm, Rz. 39; Mankowski in Staudinger, Rz. 303; Schurig in Soergel, Rz. 50, jeweils zu Art. 14 EGBGB; Junker, IPR, § 18 Rz. 19; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 298. Vgl. dazu auch das Beispiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 8 Rz. 85 ff. 3 OLG Düsseldorf v. 14.6.1978 – 9 W 50/78, MittRheinNotK 1978, 149 (Niederländische Ehefrau veräußert Familienheim an ihre Tochter ohne Zustimmung ihres [gleichfalls niederländ.] Ehemannes. Zustimmungserfordernis nach Art. 1:88 Abs. 1a B.W. verneint, weil die Ehegatten im Zeitpunkt der Veräußerung bereits längere Zeit getrennt gelebt hatten).

Hausmann | 781

6.798

§ 6 Rz. 6.798 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

cherungsrechte können allerdings nur zur Entstehung gelangen, wenn sie vom Ehewirkungsstatut gewährt und von der jeweiligen lex rei sitae anerkannt werden. An deutschen Grundstücken konnten sie bisher kraft Gesetzes nicht entstehen, weil dies mit den Grundprinzipien der deutschen Immobiliarsachenrechtsordnung – Publizität des Grundbuchs – nicht vereinbar war (dazu näher Rz. 6.986 ff.)1.

6.799

In ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen sowie in zuvor geschlossenen Ehen, wenn die Ehegatten nach dem Stichtag eine Rechtswahl getroffen haben, sind sowohl die vorgenannten Verfügungsbeschränkungen wie auch gesetzliche Sicherungsrechte von Ehegatten am Grundvermögen des Partners hingegen güterrechtlich zu qualifizieren und unterliegen daher unwandelbar dem von den Kollisionsnormen der EuGüVO zur Anwendung berufenen Recht. Ferner ist unter Geltung der EuGüVO auch eine vom ausländischen Ehegüterrecht angeordnete Legalhypothek an einem deutschen Grundstück als solche anzuerkennen, weil die Hypothek ein dem deutschen Sachenrecht bekanntes Recht ist, so dass es keiner Anpassung nach Art. 29 EuGüVO bedarf (Rz. 6.986 ff.). d) Beschränkungen der Schlüsselgewalt

6.800

Wer mit einem Ehegatten Verträge schließt, die den gemeinsamen Haushalt betreffen, hat in der Regel ein erhebliches Interesse daran, dass auch der andere Ehegatte, zumal wenn er der alleinverdienende Teil ist, für die eingegangenen Verbindlichkeiten haftet. Im deutschen Recht ist die frühere Schlüsselgewalt der Ehefrau durch die Neufassung des § 1357 BGB in eine umfassende gegenseitige Vertretungsmacht der Ehegatten zur Eingehung von Verbindlichkeiten für den gemeinsamen Haushalt umgestaltet worden. Eine ähnliche Regelung findet sich heute in den meisten romanischen Rechten, so z.B. in Belgien (Art. 222 c.c.), Frankreich (Art. 220 c. c.), den Niederlanden (Art. 1:85 Abs. 1 B.W.) und Portugal (Art. 1691 Nr. 1 lit. b c.c.), sowie in der Schweiz (vgl. Art. 166 ZGB), der Türkei (Art. 188 ZGB) und den skandinavischen Rechten. Bei ausländischen Ehegatten muss indes auch hier häufig mit Beschränkungen gerechnet werden. So ist nach österreichischem Recht allein derjenige Ehegatte, der den gemeinsamen Haushalt führt und keine Einkünfte hat, zur Vertretung des anderen berechtigt (§ 96 ABGB). Teilweise ist die frühere Schlüsselgewalt der Ehefrau auch ganz abgeschafft worden, so dass der Ehemann – wie z.B. in England – nur nach Maßgabe der allgemeinen Vertretungsregeln in Anspruch genommen werden kann. Schließlich kann die Schlüsselgewalt idR durch den anderen Ehegatten oder durch gerichtliche Anordnung beschränkt oder ausgeschlossen werden.

6.801

Alle mit der Schlüsselgewalt zusammenhängenden Fragen (gegenseitige Vertretungsbefugnis, Umfang der Haftung des vertretenen Ehegatten, Möglichkeiten einer Beschränkung, Widerspruchsrechte) gehören in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen in den Bereich des Ehewirkungsstatuts nach Art. 14 EGBGB2. Der inländische Rechtsverkehr wird nach Maßgabe 1 Böhmer in Ferid, Rz. 8–94; Mankowski in Staudinger, Rz. 288; a.A. Schurig in Soergel, Rz. 57, jeweils zu Art. 14 EGBGB; für Angleichung an die Regelung in der EuGüVO Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 70. 2 Looschelders in MünchKomm, Rz. 78; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 14, jeweils zu Art. 14 EGBGB; Andrae, § 4 Rz. 206; ebenso zu Art 14 EGBGB a.F. Böhmer in Ferid, IPR Rz. 8–92; Kegel/ Schurig, IPR § 20 V 3; Mankowski in Staudinger, Rz. 297 f.; Schurig in Soergel, Rz. 44. Vgl. auch OLG Celle v. 22.10.1990 – 1 U 47/89, IPRax 1993, 96; RG v. 30.9.1907, SA 73, 453; OLG Stuttgart v. 24.9.1932, JW 1933, 2072; IPG 1978 Nr. 2 (Köln); IPG 1983 Nr. 21 (Köln) (Österreicherin unterzieht sich zahnärztlicher Behandlung in Deutschland. Zahnarzt nimmt den [gleichfalls österreich.] Ehemann auf Zahlung des von der Krankenkasse nicht gedeckten Honorars in Anspruch. Schlüsselgewalt der Ehefrau nach österreich. Recht [§ 96 ABGB] beurteilt.).

782 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.804 § 6

von Art. 16 Abs. 2 EGBGB gegen solche Beschränkungen geschützt (vgl. Rz. 6.1037 f.). In ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen beurteilt sich die gegenseitige Vertretungsbefugnis von Ehegatten hingegen nach dem durch die EuGüVO (Rz. 6.810) bestimmten Güterrechtsstatut und für den Verkehrsschutz gilt dann Art. 28 EuGüVO. Hingegen kann das auf die Schlüsselgewalt anzuwendende Recht durch eine Rechtswahl zwischen dem Gläubiger und dem als Schuldner in Anspruch genommenen Ehegatten nicht beeinflusst werden1. Eine gesetzliche Mithaftung für sonstige Schulden eines Ehegatten, die keinen Bezug zum ehelichen Haushalt haben, kann sich hingegen nur aus dem Ehegüterrecht ergeben2.

3. Beschränkungen bei Verträgen zwischen Ehegatten a) Schenkung Manche ausländischen Rechte enthalten auch Bestimmungen, die den Eheleuten die Vornahme bestimmter Rechtsgeschäfte untereinander verbieten oder in ihren Wirkungen begrenzen.

6.802

Zu nennen ist etwa das Verbot von Schenkungsverträgen zwischen Ehegatten, wie es z.B. im niederländischen (Art. 1715 B.W.) und mit Einschränkungen noch im französischen Recht (vgl. zum Verbot der „donation déguisée entre époux“ Art. 1099 c.c.) sowie in einigen skandinavischen Rechten3 enthalten ist. Damit dieses Schenkungsverbot nicht umgangen werden kann, ist häufig auch der Abschluss von Kaufverträgen zwischen Ehegatten eingeschränkt, so z.B. in Belgien und Frankreich (Art. 1595 c.c.), in den Niederlanden (Art. 1503 B.W.) und in Mexiko (Art. 176 c.c. Bundesdistrikt). Wegen der mit einem modernen Eheverständnis nicht zu vereinbarenden Unterordnung eines Ehegatten unter den anderen sind teilweise auch Arbeitsverträge zwischen Ehegatten verboten, so z.B. in den Niederlanden (vgl. Art. 1637i B.W.). Ein generelles Verbot von Verträgen zwischen Ehegatten besteht in Paraguay (Art. 156 c.c.). Andere Rechte lassen einen erleichterten Widerruf oder die Anfechtung von Verträgen zwischen Ehegatten zu, so z.B. das südkoreanische (Art. 828 BGB), japanische (Art. 784 BGB) und französische Recht (Art. 1096 c.c.).

6.803

Derartige Bestimmungen verfolgen meist – wie auch die entsprechenden Vorschriften der deutschen Insolvenzordnung (§ 131 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 i.V.m. §§ 138, 134 InsO) bzw. des Anfechtungsgesetzes (§ 3 Abs. 2 und § 4 AnfG) – den Zweck, den Schutz der Gläubiger gegen Übervorteilung durch die Ehegatten zu gewährleisten. Darüber hinaus sollen die persönlichen Beziehungen der Ehegatten möglichst von vermögensrechtlichen Interessen freigehalten werden. Soweit diese Beschränkungen unabhängig vom Güterstand gelten, sind sie in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen ebenfalls als allgemeine Ehewirkungen i.S.v. Art. 14 EGBGB zu qualifizieren4. Dienen Schenkungsverbote oder die Einschränkung der freien Wi-

6.804

1 Jayme, IPRax 1993, 80 (81); Böhmer, JR 1992, 500; Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 52; a.A. BGH v. 27.11.1991 – XII ZB 226/90, = NJW 1992, 909 (910) = IPRax 1993, 97 (m. Anm. Jayme, IPRax 1993, 80) = JR 1992, 498 m. Anm. Böhmer (Haftung der überlebenden span. Ehefrau für ärztliche Behandlungskosten ihres ebenfalls span. Ehemannes nach § 1357 BGB beurteilt, weil die Parteien im Rechtsstreit „insoweit übereinstimmend von der Anwendbarkeit deutschen Rechts ausgegangen“ seien). 2 Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 226. 3 Vgl. Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB Rz. 290. 4 Schurig in Soergel, Rz. 63; Mankowski in Staudinger, Rz. 292; Mörsdorf in BeckOK-BGB, Rz. 15; Andrae in NK BGB, Rz. 63, jeweils zu Art. 14 EGBGB; zust. KG v. 20.3.1939, DR 1939, 938 m. Anm. Reu (Ein griech. Ehemann hatte seiner Frau ein deutsches Grundstück übertragen. Schenkung nach griech. Ehewirkungsstatut als nichtig behandelt). Vgl. aber auch FG Düsseldorf v.

Hausmann | 783

§ 6 Rz. 6.804 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

derruflichkeit von Ehegattenschenkungen hingegen der Vermögensverteilung zwischen den Ehegatten, ist eine ehegüterrechtliche Qualifikation angezeigt, auch wenn die betreffenden Regeln güterstandsübergreifend gelten1. b) Gesellschaftsvertrag

6.805

Verfolgen Beschränkungen der Privatautonomie im Innenverhältnis der Ehegatten hingegen güterrechtliche Zwecke, so ist das Güterrechtsstatut des Art. 15 EGBGB maßgebend. Aus diesem Grunde wurde das in den romanischen Rechten lange Zeit geltende Verbot von Gesellschaftsverträgen zwischen Ehegatten überwiegend güterrechtlich qualifiziert, weil es vor allem eine Umgehung güterrechtlicher Vorschriften (z.B. das Verbot von Eheverträgen nach Eheschließung) verhindern sollte2. In Frankreich ist das Verbot von Gesellschaftsverträgen zwischen Ehegatten im Zuge der Reform des Gesellschaftsrechts von 1982 beseitigt worden; auch Ehegatten können nunmehr Gesellschaftsverträge miteinander eingehen, sofern sie nicht beide uneingeschränkt gesamtschuldnerisch für die Gesellschaftsverbindlichkeiten haften (vgl. Art. 1832-1 c.c.).

4. Anknüpfung der allgemeinen Ehewirkungen Literatur: Art. 14 EGBGB n.F.: Andrae, Der sachliche Anwendungsbereich der Europäischen Güterrechtsverordnungen, IPRax 2018, 221; Coester-Waltjen, Fernwirkungen der Europäischen Verordnungen auf die international-familienrechtlichen Regelungen des EGBGB, FamRZ 2013, 170; Erbarth, Die Auswirkungen der EuGüVO auf das Internationale Privatrecht und die Internationale Zuständigkeit der Wirkungen der Ehe im Allgemeinen (§§ 1353 ff. BGB), NZFam 2018, 249, 342 und 387; Erbarth, Neues Internationales Privatrecht für die Wirkungen der Ehe im Allgemeinen, FamRZ 2019, 417; Finger, Weitere Änderungen im deutschen internationalen Familienrecht – Art. 14, 15, 17, 17a und 17b EGBGB, FuR 2019, 26; Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfahrensrecht in der Notarund Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 8; Heiderhoff, Das autonome IPR in familienrechtlichen Fragen, IPRax 2017, 160; Mankowski, Neue Gesetze im deutschen Internationalen Ehe- und Eheverfahrensrecht, NJW 2019, 465; C. Mayer, Nebengüterrecht im IPR – Qualifikation der Ansprüche aus einer Ehegatteninnengesellschaft, IPRax 2016, 384. Art. 14 EGBGB a.F.: Abarca, Sobre los effectos o relaciones personales entre los conyuges en Derecho internacional privado, Rev.esp.der.int. 1983, 43; Ancel, Les conflits de qualifications à l´épreuve de la donation entre époux (1977); von Bar, Private International law – Personnel effects of marriage, Int. Encycl.Comp.L. III 17 (1986); von Bar, Nachträglicher Versorgungsausgleich und Ehewirkungsstatut in einer deutsch-niederländischen Ehe, IPRax 1994, 100; Batiffol, L´hypothèque légale de la femme mariée en France et le droit international privé, FS Rabel I (1954), S. 591; Börner, Die Anforderungen an eine konkludente Wahl des auf die Ehewirkungen anwendbaren Rechts nach Art. 14 EGBGB, IPRax 1995, 309; Droz, La loi applicable aux donations entre époux en droit international privé français, Journal des notaires 1965, 249; Ehrenzweig, Contractual Capacity of Married Women and Infants

3.10.1986 – VIII 121/81 E, RIW 1987, 644 (Verbot von Arbeitsverträgen zwischen Ehegatten nach niederländ. Recht ehegüterrechtlich qualifiziert und im Hinblick auf eine schlüssige Rechtswahl des deutschen Güterrechts nach Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EGBGB nicht beachtet). 1 Nordmeier, IPRax 2014, 411 (416 ff.). 2 RG v. 11.4.1940, RGZ 163, 367 (376); OLG Stuttgart v. 4.12.1957 – 4 U 75/56, NJW 1958, 1972 = IPRspr. 1956/57 Nr. 109; Thorn in Palandt, Rz. 25; Looschelders in MünchKomm, Rz. 77; Mankowski in Staudinger, Rz. 269, jeweils zu Art. 15 EGBGB. Dazu IPG 1982 Nr. 4 (Berlin) (Deutsche Ehegatten gründen Gesellschaft zum Betrieb eines Hotels in Peru. Peruan. Verbot der Ehegattengesellschaft nicht berücksichtigt, weil sowohl die allgemeinen Ehewirkungen wie die güterrechtlichen Beziehungen der Ehegatten dem deutschen Recht unterstanden).

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.807 § 6 in the Conflict of Laws, Minn. L. Rev. 43 (1959), 899; Firsching, Parteiautonomie und Ehewirkungsstatut im IPR-Gesetzentwurf, IPRax 1984, 125; Graue, The Married Person´s Capacity to Stand Surety Under Private International Law, in Liber amicorum A. F. Schnitzer (1978), S. 139; Gruber, Die konkludente Rechtswahl im Familienrecht, IPRax 2014, 53; Hanisch, Bürgschaft mit Auslandsbezug, IPRax 1987, 47; Hanisch, Das internationale Eherecht nach der Reform, FamRZ 1986, 841; Heiderhoff, Das autonome IPR in familienrechtlichen Fragen, IPRax 2017, 160; Henrich, Alternativen zur Anknüpfung an den persönlichen Aufenthalt in gemischt-nationalen Ehen, IPRax 1983, 63; Henrich, Ehegattenmitarbeit und IPR, FS Richardi (2007), S. 1039; Jayme, Schlüsselgewalt des Ehegatten und IPR, IPRax 1993, 80; Jayme, Schenkungen unter Ehegatten in deutsch-portugiesischen Sachverhalten in; Grundmann u.a. (Hrsg.), Internationaler Rechtsverkehr und Rechtsvereinheitlichung aus deutschlusitanischer Perspektive (2014), S. 157; Kühne, Die außerschuldvertragliche Parteiautonomie im neuen Internationalen Privatrecht, IPRax 1987, 69; Mayr, Die Anknüpfung des allgemeinen Ehewirkungsstatuts bei Staatenlosen und Flüchtlingen, FamRBInt 2013, 51; Piotet, La nature des règles protégeant le logement familial suisse et le droit applicable, FS Giger (Bern 1989), S. 547; Poisson, Les relations entre époux dans les récentes codifications du droit international privé, Rev.crit.d.i.p. 56 (1967), 277; Priemer, Das italienische IPR nach seiner Reform – Insbesondere zum Recht der Allgemeinen Ehewirkungen, Güterrecht, Erbrecht, MittBayNot 2000, 45; Simon-Depitre, Unité ou pluralité de rattachement du régime matrimonial primaire en droit international privé français, FS Zajtay (1982), S. 439; Spickhoff, Die engste Verbindung im internationalen und interlokalen Familienrecht, JZ 1993, 336; Tenbieg, Kodifikation des Internationalen Privatrechts in den Niederlanden – Die persönlichen Rechtsbeziehungen und güterstandsunabhängige ehebedingte Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit, FuR 1990, 146; Watté, Les droits et devoirs respectifs des époux en droit international privé (Brüssel 1987); Wedemann, Die Qualifikation von (Ehegatten-)Innengesellschaften, ehebezogenen Zuwendungen und familienrechtlichen Kooperationsverträgen, IPRax 2016, 252; Wegmann, Rechtswahlmöglichkeit im internationalen Familienrecht, NJW 1987, 1740; Ziccardi Capaldo, La donazione propter nuptias e la sua disciplina nel diritto internazionale privato, Riv.dir.int.priv.proc. 1973, 601.

a) Allgemeines Nach welchem Recht sich die allgemeinen Wirkungen der Ehe bestimmen, regelt im autonomen deutschen Kollisionsrecht Art. 14 EGBGB. Diese Kollisionsnorm gilt nach der Kündigung des Haager Ehewirkungsabkommens von 1905 durch die Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung vom 23.8.1987 (dazu Rz. 6.874) auch im Verhältnis zu Italien. Im Verhältnis zum Iran enthält hingegen das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen vom 17.12.19291 in Art. 8 Abs. 3 eine vorrangige Kollisionsregel, die an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten anknüpft2. Auf staatsangehörigkeitsrechtlich gemischte Ehen ist dieses Abkommen nicht anwendbar (dazu näher Rz. 6.977)3; ebensowenig auf Ehen von deutsch-iranischen Doppelstaatern oder von Iranern, die als internationale Flüchtlinge oder Asylberechtigte in Deutschland anerkannt worden sind4.

6.806

Art. 14 EGBGB war seit der Neufassung durch das IPR-G 1986 für das deutsche internationale Ehe- und Kindschaftsrecht von zentraler Bedeutung, weil die Vorschrift über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus als Grundsatzkollisionsnorm auf die Anknüpfung anderer Teilbereiche des internationalen Familienrechts ausstrahlte. So wurden das Güterrechtsstatut (Art. 15 Abs. 1 EGBGB; dazu Rz. 6.891 ff.), das Scheidungsstatut (Art. 17 Abs. 1 EGBGB a.F.),

6.807

1 RGBl. II 1930, 1006. 2 OLG Hamm v. 8.3.1991 – 12 UF 308/90, FamRZ 1991, 1319; KG v. 11.9.1987 – 3 WF 5304/87, FamRZ 1988, 296. 3 Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 869; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB Rz. 5 f.; Andrae, IntFamR § 4 Rz. 39. 4 BGH v. 18.10.1989 – IVb ZR 76/88, NJW 1990, 636.

Hausmann | 785

§ 6 Rz. 6.807 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

das Abstammungsstatut (Art. 19 Abs. 1 S. 3 EGBGB) und das Adoptionsstatut bei der Ehegattenadoption (Art. 22 Abs. 1 S. 2 EGBGB a.F.) im Interesse einer möglichst einheitlichen Anknüpfung aller Familienbeziehungen durch Verweisung auf Art. 14 EGBGB geregelt. Inzwischen hat Art. 14 EGBGB diese Funktion weitgehend verloren, weil sowohl das internationale Scheidungsrecht als auch das internationale Ehegüterrecht in wichtigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union durch EU-Verordnungen1 vereinheitlicht worden sind.

6.808

Darüber hinaus ist aber auch der originäre Anwendungsbereich des Art. 14 EGBGB durch die europäischen Güterrechtsverordnungen stark beschnitten worden, weil deren sachlicher Anwendungsbereich sich – wie zu zeigen sein wird (Rz. 6.810) – auch auf die vermögensbezogenen allgemeinen Ehewirkungen erstreckt. Der deutsche Gesetzgeber hat die Geltung der EUGüterrechtsverordnungen ab dem 29.1.2019 daher zum Anlass genommen, auch Art. 14 EGBGB in Anlehnung an das europäische internationale Ehegüterrecht durch Gesetz vom 17.12.20182 neu zu fassen. Diese Neufassung liegt auch der nachfolgenden Darstellung zugrunde. b) Verhältnis von Art. 14 EGBGB zur EuGüVO

6.809

Am 24.6.2016 hat der Europäische Rat die Verordnung (EU) Nr. 2016/1103 zum internationalen Ehegüterrecht (EuGüVO) verabschiedet, die zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit von derzeit 18 Mitgliedstaaten unter Einschluss der Bundesrepublik Deutschland seit dem 29.1.2019 gilt (dazu näher Rz. 6.867 ff.)3. Ziel der Verordnung ist die Bereitstellung eines klaren Rechtsrahmens für die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und Urkunden in Fragen des ehelichen Güterstands. Denn die geltende Rechtslage ist durch ein hohes Maß an Rechtszersplitterung gekennzeichnet und schränkt damit für verheiratete Paare die mit der Unionsbürgerschaft verbundene Freizügigkeit ein4. Die Verordnung fasst – nach dem Vorbild der EuErbVO und abweichend von den bisher auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts erlassenen Verordnungen (Brüssel IIa-VO, EuUntVO, Rom III-VO) – die Regeln zum internationalen Verfahrensrecht und zum Kollisionsrecht in einem Rechtsinstrument zusammen.

6.810

Die Verordnung soll nach ihrem Art. 1 Abs. 1 S. 1 in sachlicher Hinsicht zwar nur auf „die ehelichen Güterstände“ Anwendung finden. Dieser autonom auszulegende Begriff wird in Art. 3 lit. a EuGüVO allerdings dahin definiert, dass er „sämtliche vermögensrechtlichen Regelungen, die zwischen den Ehegatten und in ihren Beziehungen zu Dritten aufgrund der Ehe oder der Auflösung der Ehe gelten“, umfasst. Diese Definition knüpft an die weite Auslegung des Begriffs der ehelichen Güterstände in Art. 1 Abs. 2 lit. a Brüssel I-VO durch den EuGH an5. Danach erfasst sie nicht nur das Ehegüterrecht im engeren Sinne, d.h. die in den teilneh1 Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwenden Rechts v. 20.12.2010 (ABl. EU 2010 Nr. L 343, S. 10 = Jayme/Hausmann, Nr. 34); dazu Hausmann, IntEuFamR A Rz. 287 ff. Verordnung (EU) Nr. 2016/1103 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die ehelichen Güterstände anzuwenden Rechts v. 24.6.2016 (ABl. 2016 Nr, L 183, S. 1 = Jayme/Hausmann Nr. 33; dazu Rz. 6.867 ff.). 2 BGBl I 2018, 2573. 3 ABl. EU 2016 Nr. L 183, 1 = Jayme/Hausmann Nr. 33. 4 Kohler/Pintens, FamRZ 2011, 1433 (1435). 5 EuGH v. 27.3.1979 – Rs. 143/78, ECLI:EU:C:1979:83 (de Cavel), Slg. 1979, 1055 Rz. 7; zu Einzelheiten Hausmann in unalexKomm/Brüssel I-VO, Art. 1 Rz. 58 ff.

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.812 § 6

menden Mitgliedstaaten vorgesehenen gesetzlichen und vertraglichen Güterstände, sondern darüber hinaus die gesamten vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Ehegatten, die sich unmittelbar aus der Ehe oder ihrer Auflösung ergeben, soweit sie nicht – wie insbesondere der Ehegattenunterhalt – in den Ausnahmekatalog des Art. 1 Abs. 2 EuGüVO fallen. Die Verordnung folgt damit nicht der bisher im deutschen Kollisionsrecht geltenden Abgrenzung zwischen allgemeinen Ehewirkungen und Ehegüterrecht in Art. 14 und 15 EGBGB, sondern erstreckt sich sachlich auch auf das Recht der allgemeinen Ehewirkungen („régime primaire“), soweit vermögensrechtliche Aspekte der Ehe betroffen sind (dazu auch Rz. 6.868)1. Die EuGüVO gilt daher z.B. für die Mithaftung eines Ehegatten für die vom anderen Ehegatten getätigten Haushaltsgeschäfte („Schlüsselgewalt“, vgl. § 1357 BGB), für Eigentumsvermutungen (vgl. § 1362 BGB) sowie für Verfügungsbeschränkungen betreffend die Ehewohnung oder den Hausrat, auch soweit sie im nationalen Recht der teilnehmenden Mitgliedstaaten als allgemeine Ehewirkungen geregelt sind2. Die Kollisionsnormen des Kapitels III der EuGüVO sind allerdings nach der Übergangsvorschrift in Art. 69 Abs. 3 nur für Ehegatten maßgebend, die ab dem 29.1.2019 geheiratet oder nach diesem Zeitpunkt eine Rechtswahl getroffen haben. In solchen Ehen unterliegen auch die allgemeinen Ehewirkungen, soweit sie sich auf das Vermögen der Ehegatten beziehen, in Ermangelung einer Rechtswahl der güterrechtlichen Anknüpfung nach Art. 26 EuGüVO. Maßgebend ist danach primär das Recht des Staates, in dem die Ehegatten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben. Das Recht der gemeinsamen Staatsangehörigkeit ist nur noch hilfsweise anzuwenden, wenn sich die Ehegatten nach der Eheschließung in verschiedenen Staaten gewöhnlich aufhalten. Die Einzelheiten werden in Rz. 6.871 ff. behandelt.

6.811

c) Objektive Anknüpfung, Art. 14 Abs. 2 EGBGB aa) Anknüpfungsleiter Art. 14 Abs. 2 EGBGB bestimmt das Ehewirkungsstatut – wie schon Art. 14 Abs. 1 EGBGB a.F. – durch objektive Anknüpfungspunkte in Form einer Anknüpfungsleiter3. Dabei hat der Reformgesetzgeber die beiden ersten Stufen des bisherigen Art. 14 Abs. 1 EGBGB a.F. in Anlehnung an Art. 26 Abs. 1 EuGüVO umgedreht4. Danach wird in erster Linie auf den derzeitigen, hilfsweise auf den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten abgestellt, wenn ihn zumindest einer von ihnen beibehalten hat (Nr. 1, 2). Erst auf der dritten Stufe wird an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten (Nr. 3) und in Ermangelung auch einer solchen wie bisher an die sonstige gemeinsame engste Beziehung der Ehegatten zu einer Rechtsordnung angeknüpft. Die Prüfung hat in der Weise zu erfolgen, dass beginnend mit Nr. 1 von Stufe zu Stufe festzustellen ist, ob die Voraussetzungen für die jeweilige Anknüpfung vorliegen. Erst wenn geklärt ist, dass der Anknüpfungspunkt der vorangehenden Stufe nicht erfüllt ist, darf also zur Prüfung der nächsten Stufe fortgeschritten werden5.

1 Martiny, ZfPW 2017, 1 (9); Weber, DNotZ 2016, 659 (665). 2 Weber, DNotZ 2016, 659 (665). 3 Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 191; Dutta, FamRZ 2019, 1398; Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 109. 4 Zur Begründung vgl. BT-Drs.365/18; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 443. 5 Looschelders in MünchKomm, Rz. 110; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 25; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 19, jeweils zu Art. 14 EGBGB.

Hausmann | 787

6.812

§ 6 Rz. 6.813 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt, Nr. 1

6.813

Nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB unterliegen die allgemeinen Ehewirkungen primär dem Recht des Staates, in dem beide Ehegatten ihren gegenwärtigen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Ein gemeinsamer Ehewohnsitz innerhalb dieses Staates ist hierfür nicht erforderlich1. Der gewöhnliche Aufenthalt, der für jeden Ehegatten gesondert festgestellt werden muss, ist dort begründet, wo der familiäre und berufliche Lebensmittelpunkt liegt2. Maßgebender Zeitpunkt für diese Anknüpfung ist das zu beurteilende eherechtliche Ereignis (z.B. die Vornahme eines Schlüsselgewaltgeschäfts durch einen Ehegatten)3; das Ehewirkungsstatut ist also wandelbar (Rz. 6.838)4. Verlegen beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Laufe der Ehe in ein anderes Land, so tritt wegen dieser Wandelbarkeit des Ehewirkungsstatuts ein Statutenwechsel ein. cc) Letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt, Nr. 2

6.814

Begründet ein Ehegatte während der Ehe einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat, so bleibt das Recht am beiderseitigen letzten gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Staat maßgebend, solange der andere Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in diesem Staat ununterbrochen beibehalten hat5. Die Dauer des getrennten gewöhnlichen Aufenthalts ist nicht begrenzt. Auf diese Weise soll es einem Ehegatten verwehrt sein, durch einseitige Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts gegen den Willen seines Partners einen Statutenwechsel herbeizuführen6. Haben beide Ehegatten den letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland durch Umzug ins Ausland aufgegeben, so greift Nr. 2 allerdings auch dann nicht ein, wenn einer der Ehegatten kurze Zeit später nach Deutschland zurückkehrt und hier erneut seinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet; dies gilt auch dann, wenn dieser Ehegatte zwischenzeitlich im Ausland keinen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet hatte7.

6.815

Nur wenn die Ehegatten keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt mehr haben und auch die Voraussetzungen für die Anknüpfung an einen früheren gemeinsamen Aufenthalt nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB nicht vorliegen, ist nach Nr. 3 das derzeitige gemeinsame

dd) Gemeinsames Heimatrecht, Nr. 3

1 Thorn in Palandt, Rz. 11; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 34; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 11, jeweils zu Art. 14 EGBGB. 2 Zu dessen Bestimmung Hausmann in Hausmann/Odersky, § 2 Rz. 81 ff.; Andrae in NK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 23 ff. 3 von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 445. 4 AG Leverkusen v. 20.4.2005 – 33 F 141/04, FamRZ 2005, 1684; Böhmer in Ferid, IPR, Rz. 8–84 ff.; Kropholler, IPR § 45 II 4; Kegel/Schurig, IPR § 20 V 2; Thorn in Palandt, Rz. 10; Looschelders in MünchKomm, Rz. 130 ff.; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 9, jeweils zu Art. 14 EGBGB. 5 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 112. Vgl. schon zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 2, 2. Fall EGBGB a.F. OLG Hamburg v. 25.4.2000 – 2 UF 94/95, FamRZ 2001, 916 (918) = IPRax 2002, 304 (m. Anm. Andrae/Essebier, IPRax 2002, 294); OLG Stuttgart v. 11.8.2006 – 8 W 52/06, FamRZ 2007, 502 (503); OLG Oldenburg v. 11.5.2010 – 13 UF 87/09, FamRZ 2010, 1565 = IPRax 2012, 550 (m. Anm. Schulze, IPRax 2012, 526). 6 Mörsdorf in BeckOK-BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 37; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 59. 7 von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 445; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 193; vgl. zu Art 14 Abs. 1 Nr. 2, 2. Fall EGBGB a.F. BGH v. 3.2.1993 – XII ZB 93/90, NJW 1993, 2047 (2048 f.) = IPRax 1994, 131 (m. Anm. von Bar, IPRax 1994, 100). Vgl. dazu das Beispiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 2 Rz. 67.

788 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.816 § 6

Heimatrecht der Ehegatten zur Anwendung berufen. Anders als Art. 14 Abs. 1 UAbs. 1 Nr. 3 EGBGB für die Wahl des Ehewirkungsstatuts erklärt Abs. 2 Nr. 3 den Art. 5 Abs. 1 EGBGB nicht für unanwendbar. Daher ist bei Mehrstaatern ohne deutsche Staatsangehörigkeit nur diejenige Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen, mit welcher der betreffende Ehegatte am engsten verbunden ist. Es reicht also nicht aus, dass beide Ehegatten die gleiche(n) Staatsangehörigkeit(en) besitzen; vielmehr muss die gleiche Staatsangehörigkeit für beide Ehegatten effektiv sein (Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB)1. Besitzt ein Ehegatte neben der gemeinsamen ausländischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit, so ist im Rahmen von Nr. 3 nur die letztere maßgebend (Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB)2. Die Anknüpfung an eine – insbesondere erst durch die Eheschließung erworbene3 – gemeinsame ausländische Staatsangehörigkeit ist mithin ausgeschlossen, wenn diese für einen Ehegatten (noch) nicht effektiv ist4 oder wenn ein Ehegatte auch Deutscher i.S.v. Art. 116 Abs. 1 GG ist5. Während bei Staatenlosen bisher anstelle der Staatsangehörigkeit deren durch den gewöhnlichen Aufenthalt bestimmtes Personalstatut maßgebend war6, bestimmt der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt staatenloser Ehegatten das Ehewirkungsstatut im geltenden Recht schon nach den Anknüpfungen des Art. 14 Abs. 2 Nr. 1 und 2 EGBGB. Im Rahmen der nur subsidiären Anwendung des gemeinsamen Heimatrechts gemäß Nr. 3 ist bei Staatenlosen daher hilfsweise auf den gemeinsamen schlichten Aufenthalt im Rahmen von Nr. 4 abzustellen7. Diese Anknüpfung ist anstelle der gemeinsamen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 12 der Gen-

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 117; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 452; ebenso zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. OLG Frankfurt v. 26.11.1993 – 1 UF 139/93, NJW-RR 1995, 139; OLG München v. 10.11.1993 – 12 UF 1127/93, FamRZ 1994, 634. 2 Thorn in Palandt, Rz. 12; Andrae in NK BGB, Rz. 29; Looschelders in MünchKomm, Rz. 118, jeweils zu Art. 14 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 451; ebenso schon zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. BGH v. 2.2.1994 – XII ZR 148/92, IPRax 1995, 111 (113) = FamRZ 1994, 434; BayObLG v. 7.4.1998 – 1Z BR 16/98, BayObLGZ 1998, 103 = FamRZ 1998, 1594; BayObLG v. 13.1.1994 – 3Z BR 66/93, FamRZ 1994, 1263 = IPRax 1995, 324 (325) (m. Anm. Börner, IPRax 1995, 309); OLG Köln v. 19.2.2015 – 12 UF 98/14, FamRZ 2015, 1605 (1606); OLG München v. 31.1.2012 – 34 Wx 80/10, FamRZ 2012, 1142 = MittBayNotV 2012, 306 m. Anm. Süß; OLG Hamm v. 23.8.2010 – 8 UF 39/10, FamRZ 2011, 220 (Rz. 14); Böhmer in Ferid, Rz. 8–85; Kropholler, IPR § 45 II 3a; Mankowski in Staudinger, Rz. 34 ff.; Schurig in Soergel, Rz. 5. 3 Dazu Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 120. 4 Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 27. Ebenso zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. OLG München v. 10.11.1993 – 12 UF 1127/93, FamRZ 1994, 634 (Gemeinsame italien. Staatsangehörigkeit eines Argentiniers und einer Österreicherin bleibt außer Betracht, wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt von Italien nach Deutschland verlegt haben, und die Ehefrau mit Österreich enger verbunden ist als mit Italien. Deutsches Aufenthaltsrecht nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB a.F. angewendet); vgl. ferner OLG Frankfurt a.M. v. 26.11.1993 – 1 UF 139/93, FamRZ 1994, 715 (716); AG Freiburg v. 19.7.2001 – 44 F 130/99, FamRZ 2002, 888 = IPRax 2002, 223 (m. Anm. Jayme, IPRax 2002, 209); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 194. 5 OLG Köln v. 19.2.2015 – 12 UF 98/14, FamRZ 2015, 1605 (1606) und v. 15.4.2015 – 4 WF 169/14, FamRZ 2015, 1617 (1618); OLG München v. 1. 4.2015 – 34 Wx 15/13, FamRZ 2015, 1611 (1612); dazu Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 23. 6 Vgl. BayObLG v. 18.2.1999 – 1Z BR 128/98, BayObLGZ 1999, 27 (30) = NJW-RR 1999, 1452; OLG Köln v. 6.10.1998 – 25 UF 102/98, FamRZ 1999, 1517; OLG Stuttgart v. 10.9.1997 –17 WF 210/97, FamRZ 1998, 1321 (1322); OLG Celle v. 11.8.1997 – 3465 I 212/97, FamRZ 1998, 757 f.; OLG Hamm v. 15.1.1992 – 15 W 295/90, StAZ 1993, 77 (78); Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 33 m.w.N. 7 Thorn in Palandt, Art. 14 EGBGB Rz. 12 a.E.

Hausmann | 789

6.816

§ 6 Rz. 6.816 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

fer Flüchtlingskonvention (GFK) vom 28.7.1951 auch für internationale Flüchtlinge und gemäß § 2 Abs. 1 AsylG für Asylberechtigte maßgebend.

6.817

Besitzen die Ehegatten gemeinsam die Staatsangehörigkeit eines Staates, dessen Recht territorial (wie z.B. in Spanien, Kanada oder den USA) oder personal (wie z.B. in den meisten islamischen Staaten) gespalten ist, so bedarf die Staatsangehörigkeitsanknüpfung notwendig der Ergänzung durch eine interlokale oder interpersonale Unteranknüpfung nach Maßgabe von Art. 4 Abs. 3 EGBGB1. ee) Sonstige gemeinsame engste Verbindung, Nr. 4

6.818

Wenn auch die Anknüpfung an eine gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten versagt, weil die Ehegatten z.B. während der Ehe niemals eine gemeinsame Staatsangehörigkeit besaßen oder weil ein Ehegatte diese gemeinsame Staatsangehörigkeit später verloren hat2, so ist nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 4 EGBGB auf der letzten Stufe der Anknüpfungsleiter als Ehewirkungsstatut das Recht des Staates berufen, mit dem die Ehegatten auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden sind. Kriterien für die in diesem Fall vorzunehmende Einzelfallprüfung sind vor allem gemeinsame soziale Bindungen der Ehegatten an einen Staat durch Herkunft, Kultur, Sprache, Religion oder berufliche Tätigkeit3, die Zugehörigkeit beider Ehegatten zu einer Religionsgemeinschaft kann eine gemeinsame engste Verbindung allerdings nur begründen, wenn dadurch zugleich eine enge Verbindung zu einem bestimmten Staat zum Ausdruck gebracht wird, dessen Eherecht durch diese Religion maßgebend geprägt ist4.

6.819

Weitere Kriterien für eine gemeinsame engste Verbindung sind ein früherer gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthat, den keiner der Ehegatten beibehalten hat, oder ein gemeinsamer schlichter (nicht nur ganz vorübergehender) Aufenthalt in einem Staat, sowie gemeinsam feststellbare Zukunftspläne (z.B. der beabsichtigte Erwerb einer gemeinsamen Staatsangehörigkeit oder die beabsichtigte Begründung eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in einem Staat, insbesondere als erster ehelicher Wohnsitz)5. Anders also für die Bestimmung des Güterrechtsstatuts nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F.6, spielen die 1 Dazu näher Looschelders in MünchKomm, Rz. 115 f.; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 23 a.E.; Mankowski in Staudinger, Rz. 32, jeweils zu Art. 14 EGBGB. 2 Vgl. zum Verlust der gemeinsamen jugoslaw. Staatsangehörigkeit durch den Zerfall der früheren SR Jugoslawien OLG Düsseldorf v. 29.11.1994 – 1 UF 47/94, FamRZ 1995, 932 (933). 3 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 125; zum früheren Recht BGH v. 3.2.1993 – XII ZB 93/90, NJW 1993, 2047 (2049). 4 Vgl. KG v. 6.11.2001 – 1 VA 11/00, FamRZ 2002, 840 (841); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 197. 5 Thorn in Palandt, Art. 14 EGBGB Rz. 13; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 39; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 453 ff.; Andrae, IntFamR § 4 Rz.196; vgl. zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB aF BT-Drucks. 10/5632, S. 41; für Berücksichtigung der Entwicklung nach der Eheschließung auch BGH v. 26.6.2019 – XII ZB 299/18, NJW 2019, 2935 (Rz. 31) = FamRZ 2019, 1535 m. Anm. Looschelders = NZFam 2019, 840 m. Anm. Mankowski; OLG Köln v. 15.4.2015 – 4 WF 169/ 14, FamRZ 2015, 1617 (1618); KG v. 6.11.2001 – 1 VA 11/00, FamRZ 2002, 840; OLG Köln v. 6.2.1998 – 25 WF 25/98, FamRZ 1998, 1590; OLG Celle v. 10.11.1997 – 3465 I 301/97, FamRZ 1998, 686 (687); Kropholler, § 45 II 3 c; Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (657 f.); eingehend Mankowski in Staudinger Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 71 ff.; a.A. Kegel/Schurig, IPR § 20 V 1 a; Schurig in Soergel, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 14: Vorrang des letzten gemeinsamen schlichten Aufenthalts der Ehegatten. 6 Vgl. KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 m. Anm. Henrich; AG Hannover v. 15.5.2000 – 608 F 302/99, FamRZ 2000, 1576.

790 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.822 § 6

Zukunftspläne im Rahmen der wandelbaren Anknüpfung nach Art. 14 EGBGB allerdings nur eine untergeordnete Rolle1. Bedeutung kann schließlich auch dem Eheschließungsort zukommen, sofern er durch andere Indizien verstärkt wird und nicht – wie z.B. bei der Heirat von Europäern in Las Vegas – rein zufälligen Charakter hat. Lässt sich mit Hilfe der vorgenannten Kriterien eine engste Verbindung der Ehegatten zu einem bestimmten Staat nicht feststellen, so wurde bisher verbreitet ein Rückgriff auf die lex fori, in Verfahren vor deutschen Gerichten also auf deutsches Recht befürwortet.2 Da der deutsche Gesetzgeber auch bei der Reform des Art. 14 EGBGB eine solche letzte Stufe in der Anknüpfungsleiter nicht vorgesehen hat, sollte man es daher bei der relativ engsten Verbindung zu einer Rechtsordnung belassen, die notfalls durch den Eheschließungsort bestimmt wird3.

6.820

ff) Rück- und Weiterverweisung Während die EuGüVO eine Rück- oder Weiterverweisung bezüglich der vermögensrechtlichen allgemeinen Ehewirkungen auch im Falle der objektiven Anknüpfung nach Art. 26 ausschließt (Art. 32 EuGüVO; dazu Rz. 6.874), spricht Art. 14 Abs. 2 EGBGB Gesamtverweisungen aus. Eine Rück- oder Weiterverweisung des als Ehewirkungsstatut zur Anwendung berufenen Rechts ist daher gemäß Art. 4 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich zu beachten. Dies gilt nicht nur für die Staatsangehörigkeitsanknüpfung nach Nr. 34, sondern auch für die Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt nach Nr. 1 und 25. Zu einem Renvoi kann es insbesondere auf der 2. Stufe der Anknüpfungsleiter des Art. 14 Abs. 2 EGBGB kommen, weil die vergangenheitsbezogene Anknüpfung in Nr. 2 in Drittstaaten weithin unbekannt ist.6

6.821

Darüber hinaus widerspricht die Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung auch im Fall der Anknüpfung an die gemeinsame engste Verbindung der Ehegatten mit dem Recht eines Staates nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 4 EGBGB nicht dem Sinn der Verweisung. Denn wenn die Annahme der deutschen Verweisung schon bei den „starken“ Anknüpfungen bzw. den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt bzw. an die gemeinsame Staatsangehörigkeit nach Art. 14 Abs. 2 Nr. 1-3 EGBGB Voraussetzung für eine Berufung zum Ehewirkungsstatut ist, so muss dies erst recht für die „schwache“ Beziehung gelten, die Art. 14 Abs. 2 Nr. 4 EGBGB

6.822

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 126. 2 Vgl. KG v. 6.11.2001 – 1 VA 11/00, FamRZ 2002, 840 (841 ff.) (Ehescheidung); OLG Schleswig v. 28.3.2006 – 12 WF 37/06, FamRZ 2007, 470; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 199; Thorn in Palandt, Art. 14 EGBGB Rz. 13 a.E.; differenzierend Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 40 m.w.N. 3 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 129. 4 OLG Frankfurt v. 1.6.2007 – 6 WF 103/07, NJW-RR 2008, 386; KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 (1562 f.); OLG Schleswig v. 23.4.2001 – 12 WF 58/01, NJW-RR 2002, 361; AG Leverkusen v. 11.1.2007 – 33 F 197/05, FamRZ 2007, 1565 (1566); Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 253 m.w.N. 5 Thorn in Palandt, Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 6; Looschelders in MünchKomm, Rz. 136, jeweils zu Art. 14 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 483; zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB a.F. KG v. 17.1.2005 – 16 UF 89/04, NJW 2005, 2562; Schurig in Soergel, Art. 14 EGBGB Rz. 70; von Hoffmann/Thorn, IPR § 8 Rz. 25. 6 OLG Düsseldorf v. 9.11.2004 – II-1 UF 183/04, FamRZ 2005, 912; OLG Stuttgart v. 22.11.2004 – 17 WF 135/04, FamRZ 2005, 913.

Hausmann | 791

§ 6 Rz. 6.822 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

zu dem verwiesenen Recht herstellt1. Selbst ein Renvoi aufgrund einer gleichberechtigungswidrigen ausländischen Kollisionsnorm – z.B. infolge der Anknüpfung an das Heimatrecht des Ehemannes – ist grundsätzlich zu beachten, wenn das Anwendungsergebnis nicht gegen den deutschen ordre public verstößt2. gg) Wandelbarkeit des Ehewirkungsstatuts

6.823

Die Anknüpfungspunkte des Art. 14 Abs. 2 EGBGB sind zeitlich nicht fixiert, so dass es auf das Aufenthalts- bzw. Heimatrecht oder die sonstige engste Verbindung zu dem Zeitpunkt ankommt, zu dem eine bestimmte Ehewirkung zu beurteilen ist; das Ehewirkungsstatut ist also wandelbar3. Ändern sich die für die Anknüpfung maßgebenden Umstände während der Ehe, so führt dies zu einem Statutenwechsel (dazu Rz. 6.814)4. In diesem Fall bleiben Rechtswirkungen, die unter einem früheren Ehewirkungsstatut eingetreten sind, jedoch erhalten, auch wenn sie unter dem neuen Statut nicht eintreten könnten5. Praktische Bedeutung hat dies allerdings nur für vermögensbezogene allgemeine Ehewirkungen in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen, z.B. für die Wirksamkeit einer unter einem früheren Ehewirkungsstatut vorgenommenen Ehegattenschenkung6. Demgegenüber werden die vermögensbezogenen allgemeinen Ehewirkungen unter Geltung der EuGüVO – ebenso wie die güterrechtlichen Ehewirkungen im engeren Sinne – nach Art. 26 EuGüVO unwandelbar angeknüpft (Rz. 6.888). d) Rechtswahl, Art. 14 Abs. 1 EGBGB

6.824

Schon Art. 14 Abs. 2–4 EGBGB a.F. eröffnete den Ehegatten die Möglichkeit, das Ehewirkungsstatut innerhalb enger Grenzen durch Rechtswahl zu bestimmen, um in bestimmten Konstellationen Mängel der gesetzlichen Anknüpfungsleiter in Art.14 Abs. 1 EGBGB a.F. auszugleichen. Die Rechtswahl wurde allerdings nur zugelassen, wenn nicht an ein gemeinsames (effektives) Heimatrecht der Ehegatten nach Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. i.V.m. Art. 5 Abs. 1 EGBGB angeknüpft werden konnte; sie war ferner auf die Heimatrechte der Ehegatten beschränkt. Das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts eines oder beider Ehegatten konnte also 1 Thorn in Palandt, Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 5; Looschelders in MünchKomm, Rz. 137; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 65, jeweils zu Art. 14 EGBGB; Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 126, 254 m.w.N.; ebenso zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F. KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 (1562) m. Anm. Henrich; AG Leverkusen v. 16.5.2002 – 32 F 347/ 01, FamRZ 2002, 1484 (1485 ff.); AG Hannover v. 15.5.2000 – 608 F 302/99, FamRZ 2000, 1576; Kropholler, IPR § 24 II 2 a; Schurig in Soergel, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 70; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 97 f. m.w.N.; a.A. Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 201; PWW/Martiny, Art. 14 EGBGB Rz. 22. 2 Für eine Lösung über Art. 6 EGBGB Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 92 ff.; Thorn in Palandt, Art. 6 EGBGB Rz. 9; Andrae in NK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 42; Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 129 ff. m.w.N.; a.A. BGH v. 8.4.1987 – IVb ZR 37, 86, FamRZ 1987, 679 (681); Gebauer, FS Jayme (2004), S. 223 (225). 3 Thorn in Palandt, Rz. 10; Looschelders in MünchKomm, Rz. 130; Andrae in NK BGB, Rz. 19; Stürner in Erman, Art. 14 EGBGB Rz. 9, jeweils zu Art. 14 EGBGB; AG Leverkusen v. 20.4.2005 – 33 F 141/04, FamRZ 2005, 1684; Kropholler, IPR § 45 II 4; Kegel/Schurig, IPR § 20 V 2. 4 Verlegt allerdings nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt während der Ehe in einen anderen Staat, so greift zur Vermeidung eines Statutenwechsels Art. 14 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB ein. 5 Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 99 ff.; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 186. 6 Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 133. Umgekehrt wird eine Ehegattenschenkung, die nach dem Ehewirkungsstatut zur Zeit ihrer Vornahme unwirksam war, durch einen Statutenwechsel nicht nachträglich geheilt.

792 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.827 § 6

weder nach Art. 14 Abs. 2 noch nach Art. 14 Abs. 3 EGBGB a.F. gewählt werden1. Die Wahl des Ehewirkungsstatuts hatte deshalb schon bis zum 28.1.2019 nur eine geringe praktische Bedeutung. Dies hat sich für die vermögensbezogenen allgemeinen Ehewirkungen seit Geltung der EuGüVO ab dem 29.1.2019 geändert; denn nach Art. 22 Abs. 1 lit. a EuGüVO haben auch Ehegatten, die eine gemeinsame effektive Staatsangehörigkeit besitzen, die Möglichkeit, für diese Ehewirkungen eine Wahl zugunsten des Rechts am gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt oder am gewöhnlichen Aufenthalt nur eines der Ehegatten zu treffen (näher Rz. 6.937 f.). An diese Regelung hat sich der deutsche Gesetzgeber bei der Reform von Art. 14 EGBGB durch das Gesetz vom 17.12.20182 angelehnt. Er hat daher ebenfalls die Rechtswahl auf dem Gebiet der allgemeinen Ehewirkungen als Primäranknüpfung in Abs. 1 vor der objektiven Anknüpfung in Abs. 2 geregelt.

6.825

Eine Rechtswahl beurteilt sich allerdings gemäß Art. 69 Abs. 3 EuGüVO in allen Ehen nicht nur bezüglich des Güterrechts in dem engen Sinn des deutschen Kollisionsrechts, sondern auch bezüglich der vermögensbezogenen allgemeinen Ehewirkungen nach Art. 22–24 EuGüVO; diese europäischen Kollisionsnormen haben insoweit Anwendungsvorrang vor Art. 14 Abs. 1 EGBGB n.F. Dies hat der deutsche Gesetzgeber im Einleitungssatz zu Art. 14 Abs. 1 EGBGB n.F. ausdrücklich klargestellt. Eine nach Art. 14 Abs. 2 bzw. Abs. 3 EGBGB a.F. anlässlich einer Eheschließung vor dem 29.1.2019 getroffene Rechtswahl bleibt zwar auf dem Gebiet des Ehegüterrechts im engeren Sinn aufgrund der unwandelbaren Anknüpfung nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB auch nach dem 29.1.2019 weiter wirksam (Rz. 6.897). Auf dem Gebiet der allgemeinen Ehewirkungen gilt dies trotz der wandelbaren Anknüpfung jedenfalls dann, wenn sie auch den Anforderungen von Art. 14 Abs. 1 EGBGB n.F. entspricht, was im Regelfall zutreffen wird. Bezüglich der persönlichen Ehewirkungen kann eine Rechtswahl ab dem 29.1.2019 hingegen in allen Ehen nur noch unter den Voraussetzungen von Art. 14 Abs. 1 EGBGB n.F. vorgenommen werden.

6.826

In der Praxis kommt eine solche, auf die persönlichen Ehewirkungen beschränkte Rechtswahl allerdings so gut wie nicht vor, zumal sie auch in ausländischen Rechten weithin unbekannt ist3. Art. 14 Abs. 1 EGBGB n.F. wird daher vermutlich nur Bedeutung erlangen, wenn Ehegatten den Wunsch haben, für ihre gesamten Ehewirkungen ein einheitliches Recht zu wählen. Für diesen Fall eröffnet Art. 8 Abs. 1 lit. c, 1. Fall des Haager Unterhaltsprotokolls die Möglichkeit, für den Ehegattenunterhalt dasjenige Recht zu wählen, das die Ehegatten auch für ihre güterrechtlichen Beziehungen nach Art. 22 EuGüVO gewählt haben4. Diese kombinierte Rechtswahl könnte dann nach Art. 14 Abs. 1 EGBGB noch um eine Wahl des gleichen Rechts für die persönlichen Ehewirkungen ergänzt werden, um Abgrenzungsprobleme zum Unterhalts- und Güterrechtsstatut zu vermeiden. Da sich die Darstellung eherechtlicher Beschränkungen in diesem Handbuch auf das Vermögensrecht bezieht, wird auf eine nähere Darstellung der auf die persönlichen Ehewirkungen beschränkten Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 1 EGBGB verzichtet5.

6.827

1 2 3 4

Dazu Voraufl., Rz. 7.726 ff.; ferner Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 115. BGBl. I 2018, 2573. von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 401. Dazu näher Hausmann, IntEuFamR C Rz. 668 ff.; Hausmann in Hausmann/Odersky, § 10 Rz. 100 f. 5 Zu dieser Rechtswahl näher Hausmann in Hausmann/Odersky, § 8 Rz. 33 ff., 42 ff.

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§ 6 Rz. 6.827 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

III. Güterrechtliche Beschränkungen Literatur zur Rechtsvergleichung: Bäck, Familien- und Erbrecht: Europas Perspektiven, 18. Europäische Notartage 2006 (Wien 2007); Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht (Stand: 2015); Bonomi/Steiner, Les régimes matrimoniaux en droit comparé et en droit international privé (Genf 2006); Courvoisier, Voreheliche und eheliche Scheidungsfolgenvereinbarungen – Zulässigkeit und Gültigkeitsvoraussetzungen: eine rechtsvergleichende Studie unter Berücksichtigung des US-amerikanischen und schweizerischen Rechts (Basel 2002); Dutoit, L´évolution du régime matrimonial en droit comparé, ZSR 1976, 447; Europäische Akademie Otzenhausen (Hrsg.), Dringender Bedarf für ein europäisches Eherecht: nationale Eherechte im Vergleich (2006); Frentzen, Zugewinngemeinschaft und participation aux acquets. Ein Vergleich (1993); Glendon, Matrimonial Property: A Comparative Study of Law and Social Change, Tul.L.Rev. 49 (1974), 21; Grziwotz, Rechtsfragen zu Ehe und Lebenspartnerschaft: Rechte und Pflichten, Unterhalt, Vermögensrecht und Verträge, 3. Aufl. 2004; Henrich, Deutsches, ausländisches und internationales Familien- und Erbrecht: ausgewählte Beiträge (2006); Henrich, Zur Zukunft des Güterrechts in Europa, FamRZ 2002, 1521; Henrich/Schwab (Hrsg.), Eheliche Gemeinschaft, Partnerschaft und Vermögen im europäischen Vergleich (1999); Kiene, Vermögensrechtliche Scheidungsfolgen im deutschen, österreichischen und englischen Recht (2013); Lagarde, Familienvermögens- und Erbrecht in Europa, in: Gottwald (Hrsg.), Perspektiven der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in der EU (2004), S. 1; Landmann-Autenrieth, Entwicklungstendenzen im ehelichen Vermögensrecht, 2 Bde. (1977); Lichtenberger/Gebhard, Hinweise zum Ehegüterrecht bei Fällen mit Auslandsbeziehung, MittBayNotV 1979, 1; Mauch, Übersicht zum Güterund Erbrecht einiger ausgewählter Staaten, BWNotZ 2001, 25; Müller-Freienfels, Die Gesellschaft zwischen Ehegatten, FS Maridakis II (1963), S. 357; Patarin/Zajtay, Le régime matrimonial légal dans les législations contemporaines, 2. Aufl. 1974; Pintens, Grundgedanken einer Europäisierung des Familien- und Erbrechts, FamRZ 2003, 329; Pintens, Ehegüterstände in Europa, ZEuP 2009, 268; Scannicchio, Beni, soggetti e famiglia nel regime patrimoniale e primario (Bari 1992); Schotten/Schmellenkamp, Das internationale Privatrecht in der notariellen Praxis, Anh. II: Bestimmung des Güterrechtsstatuts und eheliches Güterrecht in einzelnen Ländern, 2. Aufl. 2007, Rz. 390-609; Süß/ Ring, Eherecht in Europa (2006), S. 279; Urbach, Unzulänglichkeiten der Zugewinngemeinschaft. Reformvorschlag für den gesetzlichen Ehegüterstand der Bundesrepublik Deutschland anhand fremder Rechtssysteme (1990); Verwilghen, Régimes matrimoniaux, successions et liberalités, Droit international privé et droit comparé, 3 Bde (Neuchâtel 2003). Literatur zu einzelnen Ländern: a) Common Law-Staaten: Großbritannien: Bartosch, Die vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten bei bestehender Ehe im englischen Recht: Eigentum, Besitz, Schuldvertrag (1997); Berkin, Matrimonial Suits and Property Proceedings (1989); Dodds, Family Law (London 2000); Herzberg/Odersky, Großbritannien: England und Wales, in: Süß/Ring Rz. 16 ff., 50 ff.; Rakusen, Distribution of Matrimonial Assets on Divorce (1992); Horstmann, Die Vermögensauseinandersetzung nach der Ehescheidung im englischen Recht und ihre Behandlung im deutschen IPR (2001); Sanders, Die neue Ehevertragsfreiheit in England und ihre Grenzen, NJW 2011, 182; Scherpe, Eheverträge im Recht von England und Wales, FamRZ 2009, 1536; Scherpe, Das vorläufig letzte Wort zu Eheverträgen in England und Wales, FamRZ 2011, 1471; Welstead, Family law (Oxford 2006). Australien/Neuseeland: Fisher, On Matrimonial Property, 3. Aufl. 2002; Hardingham, Australian Family Property Law (1984). Indien: von Oppen, Eheschließung und Eheauflösung im indischen Familienrecht: Rechtsvergleichung und ordre public (2004); Sivaramayya, Matrimonial Property Law in India (Calcutta 2002). Kanada: Bartke, Marital Property Law Reform: Canadian Style, 25 Am.J.Comp.L. (1977), 46; Fleischhauer, Grundzüge des kanadischen Ehegüter- und Erbrechts, MittRheinNotK 2000, 225; Hovius, The Law of Family Property (Toronto 1991); McLeod/Mamo (Hrsg.), Matrimonial Property Law in Canada (2000); Popovici, Le patrimoine familial. La révolution dans votre mariage et vos biens (Montreal 1990).

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.827 § 6 Südafrika: Sinclair, An Introduction to the Matrimonial Property Act 1984 (1985); Thomashausen, Zur Änderung des südafrikanischen Ehegüterrechts, IPRax 1986, 57. USA: Bardy, Einführung in das Ehegüterrecht der Vereinigten Staaten von Amerika mit Bezug zum deutschen Recht, FuR 1994, 83; Bardy, Das Ehegüterrecht der Vereinigten Staaten von Amerika aus der Sicht des deutschen Notars, RNotZ 2005, 137; Bull, Die Reform des Scheidungs- und Sorgerechts in den Vereinigten Staaten von Amerika: law and society in a time of transition (2006); Golden, Equitable Distribution of Property (2000); Hadden, Interspousal Gifts: Separate or Marital Property?, 32 J. Fam.L. (1993/94), 635; Kroll, Zwischen Vertragsfreiheit und Inhaltskontrolle – zur Frage der Wirksamkeit vorehelicher Unterhaltsverzichte: eine rechtsvergleichende Betrachtung des deutschen und kalifornischen Rechts (2004); Merkt, Die ehegüterrechtliche Auseinandersetzung nach New Yorker Recht, IPRax 1992, 197; Pfleger, Vermögensrechtliche Scheidungsfolgen in Illinois, USA (1991). b) Romanische Rechte: Belgien: Ferid, Das neue belgische Ehegüterrecht, MittBayNotV 1977, 221; Gerlo, Huwelijksvermogensrecht (Brügge 2004); Hustedt, Grundzüge des belgischen Ehegüter- und Erbrechts, MittRheinNotK 1996, 337; Leleu/Raucent, Les régimes matrimoniaux, Bd. II, Contrat de mariage et modification du régime matrimonial (1999); Bd. III, Le régime légal (2001); Bd. IV, Les régimes conventionnels, le droit transitoire (2002); de Page, Le régime matrimonial, son opposabilité et la fraude aux droits des tiers, FS Vander Elst (Brüssel 1986), S. 133; Pintens, Die Scheidung und ihre ehegüterrechtlichen Folgen im belgischen Familienrecht, FF 2011, 294; Schür, Belgien, in: Süß/Ring, Rz. 26 ff., 142; Siedemann; Das geitende belgische Ehegüterrecht, MittRheinNotK 1969, 289. Frankreich: Bosch, Die Durchbrechungen des Gesamtstatuts im internationalen Ehegüterrecht unter besonderer Berücksichtigung deutsch-französischer Rechtsfälle (2002); Bouche, Loi applicable à la liquidation du régime matrimonial, PSJur 2005, 1210; Cabrillac, Droit civil. Les régimes matrimoniaux (Montchrestien 2007); Colomer, Régimes matrimoniaux, 12. Aufl. (Paris 2004); Cornu, Les régimes matrimoniaux, Paris 1997; Dauriac, Les régimes matrimoniaux (2004); Döbereiner, Ehe- und Erbverträge im deutsch-französischen Rechtsverkehr (2001); Döbereiner, Frankreich, in Süß/Ring Rz. 61 ff., 175 ff.; Frentzen, Zugewinngemeinschaft und participation aux acquêts – Ein Vergleich (Diss. Bonn 1993); Grimaldi/Lucet, Droit patrimonial de la famille, D.S. 1995, Chron. 40; Kiefner-Weigl, Die Ehegattengesellschaft im französischen Zivilrecht (Diss. Münster 1986); Kleinwächter, Güterrechtsvereinbarungen und Schuldenhaftung in Frankreich, RIW 1986, 99; Lamboley/Laurens-Lamboley, Droit des régimes matrimoniaux (2006); Malaurie/Aynès, Droit civil. Les Régimes matrimoniaux, 7. Aufl. (Paris 2019); Montanier, Les régimes matrimoniaux (Grenoble 2006); Pichonnaz/Rumo-Jungo, Droit patrimonial de la famille (2004); Revel, Les régimes matrimoniaux (2006); Terré/Simler, Droit civil. Les régimes matrimoniaux et statut patrimonial des couples non mariés, 8. Aufl. (Paris 2019). Italien: Alagna, Regime patrimoniale della famiglia e operazioni bancarie (Padova 1988); Bianca (Hrsg.), La comunione legale, 2 Bde. (Milano 1989); Bocchini, La pubblicità delle convenzioni matrimoniali, Riv.dir.civ. 1999 I, 439; Caletta, I regolamenti patrimoniali fra coniugi (Napoli 1990); Cendon, Die Veräußerung von Fahrnis in der (ital.) Gütergemeinschaft durch einen Ehegatten allein, ZfRV 1979, 140; Dopffel, Das neue italienische Ehevermögensrecht, FamRZ 1978, 478 und 575; Ferid, Wichtige Neuerung im italienischen Ehegüterrecht, MittBayNotV 1982, 16; Ferrari, Das Familienunternehmen im italienischen Recht, RIW 1991, 907; Franz, Die Einführung der comunione legale als gesetzlichen Güterstand in Italien (1990); Funke, Trennung und Scheidung im italienischen Recht: vermögensrechtliche Folgen (Bielefeld 1997); Gabrielli, Das italienische Modell der gesetzlichen Gütergemeinschaft zwischen Ehegatten, ZfRV 1979, 172; Gabrielli/Cubeddu, Il regime patrimoniale dei coniugi (Mailand 1997); Galasso, Del regime patrimoniale della famiglia (2003); Galletta, I regolamenti patrimoniali fra coniugi (Neapel 1990); Jayme, Zur Auseinandersetzung des Vermögens italienischer Eheleute nach der Ehescheidung durch deutsche Gerichte, IPRax 1998, 227; Jayme, Prozessuale und materiellrechtliche Fragen der güterrechtlichen Auseinandersetzung italienischer Eheleute im deutschen Scheidungsverfahren, JbItalR 13 (2000), 249; Jayme, Zur Auseinandersetzung einer Gütergemeinschaft nach italienischem Recht, JbItR 28 (2016), 113; Kaster-Müller, Die Verwaltung und Haftung bei der „comunione legale“ des italienischen Rechts aus der Sicht der deutschen Zugewinngemeinschaft (1999); de Paola, II diritto patrimoniale della famiglia coniugale, 2 Bde. (1991/ 95); Patti, Ehegüterrecht und Privatautonomie im italienischen Recht, FamRZ 2003, 10; Süß, Güter-

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§ 6 Rz. 6.827 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis rechtliche Verfügungsbeschränkungen bei italienischen Eheleuten, MittBayNotV 2007, 385; Tretter, Eheverträge im italienischen Recht. Ein Vergleich zum deutschen Recht unter Berücksichtigung der Aspekte des internationalen Privatrechts (2002); Wiedemann/Pertot, Italien, in: Süß/Ring Rz.44 ff., 153. Niederlande: Sielemann, Das geltende niederländische Ehegüterrecht, MittRheinNotK 1970, 1; van Mourik/Nuytinck, Personen- en familierecht, huwelijksvermogensrecht en erfrecht (2006); Schoordijk, Modernisering van ons huwelijks vermogensrecht, NJB 2003, 218. Portugal: Clericus, Schuldenhaftung der Ehegatten im portugiesischen Familienrecht (1999); Huzel, Portugal, in: Süß/Ring, Rz. 24 ff., 77 ff.; Jayme, Betrachtungen zur Reform des portugiesischen Ehegüterrechts, FS Zajtay (1982), S. 261; Nordmeier, Schenkungen unter Ehegatten im internationalen Privatrecht: Deutsch-portugiesische Fälle nach EGBGB, Rom I-VO und EhegüRVO, IPRax 2014, 411. Spanien: Huzel, Spanien, in: Süß/Ring, Rz. 25 ff., 97 ff.; Jayme, Rechtsspaltung im spanischen Privatrecht und deutsche Praxis, RabelsZ 55 (1991), S. 303 ff; Montero Aroca, Disolución y liqudación de la sociedad de gananciales (Valencia 2003); Nake, Der spanische gesetzliche Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft mit vergleichenden Ausblicken auf das deutsche Recht (1996); Reckhorn-Hengemühle, Eheliches Güterrecht im Mehrrechtsstaat Spanien, FamRB Int. 2010, 42; Rinne, Das spanische Ehegüterrecht unter besonderer Berücksichtigung der Schuldenhaftung und des Gläubigerschutzes (1994); Román Garciá, El matrimaio y su economía (Regimen económico matrimonial y regimenes convencionales (Madrid 2004); Stadler,Das interregionale Recht in Spanien: Darstellung unter besonderer Berücksichtigung des Ehegüter- und Erbrechts (2008); Wolf, Grenzen der Privatautonomie im Ehevermögensrecht und ihre richterliche Kontrolle im deutschen und spanischen Recht: rechtsvergleichende Betrachtung unter Einbeziehung des internationalen Privatrechts (2007). c) Mitteleuropäische Rechte: Griechenland: Koumantos, Das neue Familienrecht in Griechenland, StAZ 1989, 271; Koutsouradis, Die Grenzen der Vertragsfreiheit nach dem neuen griechischen Ehegüterrecht, in: Fenge/Papantoniou (Hrsg.), Griechisches Recht im Wandel, 2. Aufl. 1991, S. 47; Lambadarios, Le sort des biens et la pension alimentaire dans le divorce sans faute, Rev.hell.dr.int. 1994, 117; Oehler/Vlassopoulou, Das neue griechische Güterrecht – Sachnormen und IPR, IPRax 1985, 171; Papademetriou, Marriage and Marital Property Under the New Greek Family Law (1985); Papantoniou, Die Auswirkungen des Zugewinnausgleichs auf das Erbrecht – Rechtsvergleichende Bemerkungen zum griechischen und deutschen Recht, FamRZ 1988, 683; Stamatiadis/Tsantinis, Griechenland, in: Süß/Ring, Rz. 21 ff., 62 ff.; Vlassopoulou, Das neue griechische Ehegüterrecht im Übergang – Altehen und Zugewinnausgleich nach neuem Recht, IPRax 1988, 189; Vlassopoulou, Entwicklungen im griechischen Zugewinnausgleich, FuR 1999, 147. Österreich: Bittner, Verträge im Ehegüterrecht (1995); Bydlinski, Zur Neuordnung des Ehegüterrechts, FS Schwind (1978), S. 27; Deixler-Hübner, Scheidung, Ehe und Lebensgemeinschaft: rechtliche Folgen der Ehescheidung und Auflösung einer Lebensgemeinschaft, 5. Aufl. (Wien 1999); Eder, Österreichs gesetzlicher Güterstand der „Gebrauchsvermögens- und Ersparnisgemeinschaft“ – Möglichkeiten einer Abänderung durch Ehevertrag, BWNotZ 1983, 111; Ferrari, Die vermögensrechtliche Situation von Ehegatten und Lebensgefährten in Österreich, in: Henrich/Schwab (Hrsg.), Eheliche Gemeinschaft, Partnerschaft und Vermögen im europäischen Vergleich (1999), S. 179; Ferrari/Koch-Hipp, Österreich, in: Süß/Ring, Rz. 22 ff., 149 ff.; Grötsch, Möglichkeiten und Grenzen der Rechtsangleichung durch vertragliche Vereinbarungen im Rahmen der Vermögensauseinandersetzung bei Ehescheidung im deutsch-österreichischen Rechtsverkehr (2007); Honsell, Die Neuordnung des gesetzlichen Güterrechts in Österreich, FamRZ 1983, 93; Rummler, Die Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse – Ein Vergleich der vermögensrechtlichen Folgen der Ehescheidung nach dem gesetzlichen Güterstand in Österreich und der Bundesrepublik Deutschland (Diss. Köln 1982); Sandbiller, Das Unternehmen in der scheidungsrechtlichen Vermögensaufteilung des gesetzlichen Güterstandes. Ein Vergleich mit der österreichischen Rechtslage (2001); Witner, Österreich: Neues Güterrecht und IPR-Gesetz, MittBayNotV 1979, 1. Schweiz: Barbatti, Verwaltung des Vermögens eines Ehegattens durch den anderen (Zürich 1991); Dehm, Der deutsche und der schweizerische gesetzliche Güterstand im Vergleich (1999); Escher, Wert-

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.827 § 6 veränderung und eheliches Güterrecht. Von der Güterverbindung zur Errungenschaftsbeteiligung (Bern 1989); Hangartner (Hrsg.), Das neue Eherecht (St. Gallen 1987); Hausheer, Das Eherecht des Schweizerischen Zivilgesetzbuches: Eheschließung, Scheidung, allgemeine Wirkungen der Ehe, Güterrecht, 2. Aufl. (Bern 2002); Hausheer, Vom alten zum neuen Eherecht. Die vermögensrechtlichen Bestimmungen einschließlich Übergangsrecht (1986); Hausheer, Der neue ordentliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung im revidierten schweizerischen ZGB, FS Müller-Freienfels (1986), S. 225; Henninger, Der außerordentliche Güterstand im neuen Eherecht (Freiburg/Schweiz, 1989); MeierHayoz, Zur Reform des ehelichen Vermögensrechts, ZSR 107 (1988), I 107; Näf-Hoffmann/Näf-Hoffmann, Schweizerisches Ehe- und Erbrecht: Die Wirkungen der Ehe im Allgemeinen, das eheliche Güterrecht und das Erbrecht der Ehegatten (Zürich 1998); Piotet, Die Errungenschaftsbeteiligung nach schweizerischem Ehegüterrecht (Bern 1987); Rumo-Jungo, Familienvermögensrecht (Bern 2003); Schwenzer, Grundlinien des materiellen und internationalen Ehegüterrechts der Schweiz, DNotZ 1991, 419; Sturm, Das neue Schweizer Ehegüterrecht, FamRZ 1993, 755; Wolf/Spichiger, Schweiz, in: Süß/ Ring, Rz.17 ff., 106 ff. Türkei: Kilic, Türkei, in: Süß/Ring, Rz. 33 ff.,122 ff.; Malcok/Han, Das neue türkische Zivilgesetzbuch – Der gesetzliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung, FuR 2003, 347; Milzer, Neues türkisches Güterrecht und Versteinerung des Güterrechtsstatuts, RNotZ 2003, 514; Naumann, Grundzüge des neuen türkischen Ehegüter- und Erbrechts, RNotZ 2003, 343; Odendahl, Das neue türkische Ehegüterrecht, FamRZ 2003, 648; Oguz, Die Errungenschaftsbegteiligung als der neue ordentliche Güterstand des Türkischen Zivilgesetzbuchs, Ankara L.Rev. 2007, 131; Öztan, Eine kurze Darstellung der neuen Vorschriften im türkischen Eherecht, FamRZ 2005, 328; Rausch, Neues türkisches Familienrecht, FF 2003, 165; Seker, Der türkische und der schweizerische gesetzliche Güterstand im Vergleich (2006); Seker, Der revidierte gesetzliche Güterstand der Errungschaftsbeteiligung in der Türkei, FamRZ 2007, 1779. d) Osteuropäische Rechte: Bosnien-Herzegowina: Bubić/Pürner, Bosnien-Herzegowina, in: Süß/Ring, Rz. 22 ff., 77 f.; Bulgarien: Guedjev, Bulgarien, in: Süß/Ring, Rz. 19 ff., 83 ff. Kroatien: Miculic/Schön, Kroatien, in: Süß/Ring, Rz. 20 ff., 49 ff.; dies., Kroatisches Familienrecht in der deutschen Rechtspraxis, FamRZ 2012, 1028. Polen: Andrae, Internationales Privatrecht der ehelichen Vermögensbeziehungen mit Berührung zu Polen, NotBZ 2001, 44 ff., 94 ff.; Gralla, Das polnische Ehegüterrecht, ZNotP 1998, 136; Gralla, Das neue polnische Ehegüterrecht, ZNotP 2005, 202; Gwiazdomorski, Das gesetzliche Ehegüterrecht nach dem polnischen Familiengesetzbuch, RabelsZ 34 (1970), 264; Maczynski, Polnisches eheliches Güterrecht, FS D. Schwab (2005), S. 1437; Margonski, Polen, in: Süß/Ring, Rz. 16 ff., 93 ff.; Rudat, Die scheidungsbedingte Auseinandersetzung und Teilung des gemeinschaftlichen Vermögens unter Ehegatten nach dem gesetzlichen Güterstand des polnischen Rechts (2010). Rumänien: Oancea, Rumänien, in: Süß/Ring, Rz. 24 ff., 102 ff. Russland: Himmelreich, Russland, in: Süß/Ring, Rz. 17 ff., 72 ff. Serbien: Jeftic, Serbien, in: Süß/Ring, Rz. 20 ff., 69 ff. Slowakei: Chudácková, Slowakische Republik, in: Süß/Ring, Rz. 20 ff., 55 ff. Slowenien: Novak, Das neue slowenische Familienrecht, FamRZ 2017, 1479; Rudolf, Slowenien, in: Süß/Ring Rz. 15 ff., 55 ff. Tschechische Republik; Elischer/Pfeiffer/Ríha, Tschechische Republik, in: Süß/Ring, Rz. 19 ff., 63 ff.; Hrusáková, Neuregelung der vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten untereinander in der Tschechischen Republik, in: Henrich/Schwab (Hrsg.), Eheliche Gemeinschaft, Partnerschaft und Vermögen im europäischen Vergleich (1999), S. 299. Ukraine: Himmelreich, Ukraine, in: Süß/Ring, Rz. 21 ff., 85 f. Ungarn: Szócs/Kósa, Ungarn, in: Süß/Ring, Rz. 47 ff., 137 ff.; Weiss, Eheliche Gemeinschaft und Vermögen im ungarischen Recht, in: Henrich/Schwab (Hrsg.), Eheliche Gemeinschaft, Partnerschaft und Vermögen im europäischen Vergleich (1999), S. 337.

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§ 6 Rz. 6.827 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis e) Skandinavische Rechte: Dübeck, Gütertrennungsreform in Dänemark und skandinavisches Güterstandsrecht, ZEuP 1995, 827; Firsching, Schweden, in: Süß/Ring, Rz. 111 ff., 154 ff.; Knorre, Finnland, in: Süß/Ring, Rz. 15 ff., 57 ff.; Ring/Olsen Ring, Das neue Gesetz über die Vermögensverhältnisse der Ehegatten 2018, ZfRV 2019, 126; Ring/Olsen Ring, Das neue dänische IPR zum Ehegüterrecht, IPRax 2019, 347; Ring/Olsen Ring, Dänemark, in: Süß/Ring, Rz. 16 ff., 124 ff.; Schmidt-Horix, Das eheliche Güterrecht in Deutschland und Norwegen (Diss. Münster 1981). f) Lateinamerikanische Rechte: Albuquerque Pinto, Die Folgen der Ehescheidung nach deutschem und brasilianischem Recht (2003); Imhof, Das Ehegüterrecht in Argentinien (1998); Nordmeier, Die Reform des brasilianischen Ehegüterrechts und ihre Bedeutung für deutsch-brasilianische Sachverhalte, insbesondere in Scheidungsfällen, StAZ 2009, 71; Pallares, Regimen patrimonial del matrimonio en el derecho internacional privado argentino, FS Jayme (2005), S. 57; Nordmeier, Die Reform des brasilianischen Ehegüterrechts und ihre Bedeutung für deutsch-brasilianische Sachverhalte, insbesondere in Scheidungsfällen, StAZ 2009, 71; Puschmann, Familien- und Erbrecht in Deutschland und Brasilien: Entwicklungen und Neuansätze (2004); Vargas/de Araujo, Os efeitos pessoais e patrimoniais do casamento no direito internacional brasileiro, a luz do novo codigo civil, FS Jayme (2005), S. 195.

1. Eigentumszuordnung a) Allgemeines

6.828

In zahlreichen Güterständen findet ein Übergang von Vermögenswerten des einen Ehegatten auf den anderen statt. Dieser Übergang erfolgt ipso iure, ohne dass es einer Übertragung der einzelnen Vermögensgegenstände bedarf. Er kann das gesamte Vermögen umfassen, kann aber auch auf Teile des Vermögens, insbesondere das bewegliche Vermögen oder das nach der Eheschließung von den Ehegatten erworbene Vermögen beschränkt sein.

6.829

Meist begründet der Vermögensübergang gemeinsames Eigentum der Ehegatten. In aller Regel kann ein Ehegatte weder über seinen Anteil an den einzelnen Gegenständen verfügen (es besteht eine gesamthänderische Bindung) noch über seinen Anteil am gemeinschaftlichen Gesamtvermögen. Der ipso-iure-Übergang kann aber ausnahmsweise auch zu Alleineigentum des anderen Ehegatten führen. So kann in Dotalgüterständen die „dos“ (Mitgift) der Frau in das Alleineigentum des Mannes übergehen. b) Gütergemeinschaft

6.830

Eine Reihe von Rechten sieht vor, dass das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen beider Ehegatten, gleich ob es in die Ehe eingebracht oder während der Ehe erworben wurde, grundsätzlich in das Eigentum beider Ehegatten übergeht (Gesamtgut). Ausgenommen von diesem Übergang sind i.d.R. die Gegenstände, die einem Ehegatten durch Schenkung oder Verfügung von Todes wegen von einem Dritten überlassen wurden (Vorbehaltsgut), sowie die nicht übertragbaren, insbesondere höchstpersönlichen Rechte eines Ehegatten (Sondergut).

6.831

Die allgemeine Gütergemeinschaft ist – wie in Deutschland (§§ 1415 ff. BGB) – auch in vielen anderen Ländern als vertraglicher Güterstand zulässig. Gesetzlicher Güterstand war sie bis zum 31.7.2017 insbesondere noch in den Niederlanden (Art. 1:93 ff. B.W. a.F.)1 und ist es 1 Vgl. OLG München v. 16.2.2009 – 34 Wx 95/08, NJW-RR 2009, 806 (807 ff.) = FamRZ 2009, 1582 und OLG Schleswig v. 19.8.2009 – 2 W 82/09, FamRZ 2010, 377 = FGPrax 2010, 19 (jeweils zur Unzulässigkeit einer Eintragung der im gesetzlichen niederländischen Güterstand der Güter-

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.833 § 6

noch immer auf den Philippinen (Art. 75, 88 ff., Family Code vom 6.7.1987). In den Niederlanden ist sie seit dem 1.1.2018 durch die beschränkte Gütergemeinschaft abgelöst worden, die im Wesentlichen auf das während der Ehe erworbene Vermögen beschränkt ist1. Ist von dem Eigentumsübergang das Grundvermögen ausgeschlossen, das ein Ehegatte in die Ehe eingebracht hat, so spricht man von Fahrnisgemeinschaft. Sie war bis Mitte der sechziger bzw. siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts gesetzlicher Güterstand in Frankreich, Belgien und Luxemburg („communauté de meubles et d´acquets“). Sie ist in diesen Rechten noch heute als Vertragsgüterstand vorgesehen; als gesetzlicher Güterstand spielt sie keine Rolle mehr2.

6.832

c) Errungenschaftsgemeinschaft In anderen Rechten wird nur das Vermögen gemeinschaftlich, das während der Ehe erworben (erspart) wurde, während das in die Ehe eingebrachte und das im Wege der Erbfolge oder Schenkung von dritter Seite erworbene Vermögen getrennt bleibt. Die Errungenschaftsgemeinschaft ist – in unterschiedlicher Ausprägung – gesetzlicher Güterstand in den meisten romanischen Ländern, so in Belgien („communauté légale“, Art. 1398 ff. c.c.; eingeführt durch Gesetz vom 14.7.1976)3; Frankreich („communauté légale“, Art. 1400 ff. c.c.; eingeführt durch Gesetz vom 13.7.1965)4; Italien („comunione legale“, Art. 159, 177 ff. c.c.; eingeführt durch Gesetz vom 19.5.1975)5; Luxemburg („communauté légale“, Art. 1400 ff.; eingeführt durch Gesetz vom 4.2.1974)6; Portugal („comunhão dos adquiridos“, Art. 1717 ff. c.c.; eingeführt durch

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6

gemeinschaft lebenden Ehegatten als Miteigentümer eines deutschen Grundstücks im Grundbuch); OLG Düsseldorf v. 5.5.1995 – 22 W 7/95, FamRZ 1995, 1587 (1588) (zur Haftung für Schulden des anderen Ehegatten nach dem niederländ. Recht der Gütergemeinschaft); OLG Oldenburg v. 22.5.1991 – 5 W 55/91, Rpfleger 1991, 412 (zur Bezeichnung der Beschränkungen, die sich aus der Gütergemeinschaft des niederländ. Rechts in Bezug auf Grundvermögen der Ehegatten ergeben, im deutschen Grundbuch); IPG 1971 Nr. 15 (Hamburg); IPG 1977 Nr. 18 (Göttingen); IPG 1984 Nr. 28 (Bonn); Schoordijk, NJB 2003, 218 ff. Reinhartz/Vlaardingerbroek in Süß/Ring, S. 880 ff. Vgl. Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 245 f. Vgl. OLG Düsseldorf v. 5.1.1977 – 3 W 331/76, IPRspr. 1977 Nr. 189b; Ferid, MittRheinNotK 1987, 187; Schür in Süß/Ring, Rz. 26 ff., 142. Vgl. IPG 1972 Nr. 13 (München); IPG 1987/88 Nr. 30 (Freiburg); Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, Bd. 3, 2. Aufl. 1987, Rz. 4B 248 ff.; Döbereiner, Frankreich, in Süß/Ring Rz. 61 ff., 175 ff. Vgl. Franz, Die Einführung der comunione legale als gesetzlicher Güterstand Italiens (1990); Wiedemann/Pertot, Italien in Süß/Ring Rz.44 ff., 153. Aus der deutschen Praxis OLG Zweibrücken v. 15.3.2007 – 3 W 232/06, FamRZ 2007, 1580 (Zwangsvollstreckung in ein zum Gesamtgut der „comunione legale“ gehörendes deutsches Grundstück); OLG Frankfurt a.M. v. 19.11.1985 – 3 UF 294/84, IPRax 1986, 239 (Berechtigung italien. Eheleute an einem gemeinsamen Sparguthaben bei einer deutschen Bank); LG Köln v. 11.9.1996 – 11 T 282/96, JbItalR 10 (1997), 197 = IPRspr. 1996 Nr. 227 (zur Eintragung der „comunione legale“ im deutschen Grundbuch); LG Heilbronn v. 30.7.1996 – 1b T 231/96, Rpfleger 1996, 521 (zur Vergleichbarkeit der „comunione legale“ des italienischen Rechts mit der Gütergemeinschaft des deutschen Rechts in der Zwangsvollstreckung, § 740 Abs. 2 ZPO); LG Kempten v. 10.8.1982 – 4 T 557/82, MittBayNotV 1982, 250 (Erwerb eines Miteigentumsanteils an deutschem Grundstück durch Ehefrau); AG Menden v. 26.4.2006 – 3 C 518/03, FamRZ 2006, 1471 (Zwangsvollstreckung in das Gesamtgut der „comunione legale“ wegen Forderungen gegen die Ehefrau); IPG 1997 Nr. 26 (Heidelberg): Güterrechtliche Auswirkungen der Ehetrennung. Vgl. Entringer, Die Gütergemeinschaft der Ehegatten in Luxemburg (1996); Kayser/Watgen, Luxemburg in Süß/Ring, Rz.10 ff., 58 ff.

Hausmann | 799

6.833

§ 6 Rz. 6.833 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Gesetz vom 25.1.1966)1; Spanien („sociedad de gananciales“, Art. 1316, 1344 ff. c.c.)2. In Spanien sind allerdings foralrechtliche Besonderheiten zu beachten. So gelten in Aragon und Navarra besondere Formen der Errungenschaftsgemeinschaft; in Katalonien und auf den Balearen ist gesetzlicher Güterstand die Gütertrennung3.

6.834

Als vertragliche Güterstände kommen in den genannten Ländern vor allem weitergehende Gütergemeinschaften (Fahrnisgemeinschaft, allgemeine Gütergemeinschaft) und die Gütertrennung in Betracht4.

6.835

Formen der Errungenschaftsgemeinschaft prägen das gesetzliche Güterrecht auch in den meisten osteuropäischen Ländern, so in Albanien (Art. 73 ff. FamGB vom 8.5.2003); Armenien (Art. 26 FamGB vom 9.12.2004, Art. 201 c.c. vom 17.6.1998), Aserbaidschan (Art. 31 ff. FamGB vom 28.12.1999); Bosnien-Herzegowina (Art. 269 ff. FamGB der Republik Srpska vom 29.7.2002; Art. 250 ff. FamGB der Föderation vom 6.6.2005)5; Bulgarien (Art. 21 ff. FamGB vom 18.6.2009)6; Estland (§§ 24 Abs. 2, 25 ff. FamG vom 18.11.2009) Georgien (Art. 1158 ff. ZGB vom 26.6.1997); Kasachstan (Art. 33 ff. FamGB vom 26.12.2011); Kroatien (§§ 248 ff.

1 Vgl. OLG Frankfurt 12.4.2013 – 4 UF 39/12, IPRax 2014, 443 (m. Anm. Nordmeier, IPRax 2014, 411) (Zuordnung eines Grundstücks zum Eigengut eines Ehegatten bei Bestehen des gesetzlichen Güterstands nach portugiesischem Recht); OLG Celle v. 16.9.1998 – 14a [6] 281/96, IPRax 1999, 113 (LS) m. Anm. Jayme (Mitberechtigung portugies. Eheleute an einem zum Gesamtgut gehörenden Oder-Konto bei einer deutschen Bank); IPG 1978 Nr. 26 (Hamburg); Huzel in Süß/Ring, Portugal Rz. 24 ff., 77 ff. 2 Vgl. OLG Düsseldorf v. 20.1.2010 – 3 Wx 258/09, FamRZ 2010, 1564 (Der spanische gesetzliche Güterstand steht dem Erwerb eins deutschen Grundstücks durch spanische Ehegatten zu hälftigem Miteigentum entgegen); Huzel, Spanien in Süß/Ring, Rz. 25 ff., 97 ff.; IPG 2004 Nr. 17 (Rostock). 3 Vgl. zum katalanischen gesetzlichen Güterrecht Ferrer Riba in Süß/Ring, Katalonien, Rz. 2 ff., 21 ff. 4 Vgl. zum französ. Vertragsgüterstand der Gütertrennung IPG 1977 Nr. 16 (Hamburg); zum italien. Vertragsgüterstand der Gütertrennung IPG 1977 Nr. 17 (Hamburg); zum portugies. Vertragsgüterstand der Gütergemeinschaft IPG 1978 Nr. 34 (Köln); zum portugies. Vertragsgüterstand der Gütertrennung IPG 1979 Nr. 19 (Hamburg). Vgl. auch OLG Frankfurt a.M. v. 18.8.1993 – 20 W 264/93, NJW-RR 1994, 72 = MittBayNotV 1994, 278 m. Anm. Vetsch (zur Wirksamkeit einer im März 1975 geschlossenen Gütertrennungsvereinbarung zwischen italien. Ehegatten mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland.). 5 Vgl. Bubić/Pürner, Bosnien-Herzegowina in Süß/Ring, Rz. 22 ff., 77 f.; ferner OLG Zweibrücken v. 20.2.2013 – 3 W 159/12, MittBayNotV 2014, 267 (zur Anerkennung der Wahl deutschen Güterrechts für inländischen Grundbesitz durch das Recht von Bosnien-Herzegowina); OLG München v. 20.11.2012 – 34 Wx 404/12, FamRZ 2013, 1486 (zur Eintragung einer Zwangshypothek aufgrund eines nur gegen einen der Ehegatten lautenden Titels in ein zur Errungenschaftsgemeinschaft gehörendes deutsches Grundstück); OLG München v. 16.2.1993 – 4 UF 36/91, IPRspr. 1993 Nr. 59 (zur Verpflichtung eines geschiedenen Ehegatten, der die im Gesamthandseigentum stehende Wohnung alleine nutzt, zur Zahlung einer Entschädigung an den anderen Ehegatten kraft Güterrechts der Republik Bosnien-Herzegowina). 6 Die Errungenschaftsgemeinschaft ist nach geltendem bulgarischen Eherecht allerdings nur einer von zwei typisierten gesetzlichen Güterständen; alternativ können sich die Ehegatten nach Art. 33 ff. FamGB auch für die Gütertrennung als gesetzlichen Güterstand entscheiden, vgl. JesselHolst in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht (Loseblatt, Stand: 2017), Bulgarien S. 27 ff; Guedjev, Bulgarien in Süß/Ring Rz. 19 ff., 83 ff.

800 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.836 § 6

FamG vom 14.7.2003)1; Lettland (Art. 89 ff. ZGB vom 28.1.1937 i.d.F. vom 25.5.1993); Litauen (Art. 3.87 ff. ZGB vom 18.7.2000)2; Republik Moldau (Art. 19 ff. FamGB vom 26.10.2000), Montenegro (Art. 285 ff. FamG vom 29.12.2006); Nordmazedonien (Art. 66 ff. EigentumsG vom 20.2.2001); Polen (Art. 31 ff. FamGB vom 25.2.1964)3; Rumänien (Art. 339 ff. c.c. Nr. 287/2009)4; der Russischen Föderation (Art. 33 ff. FamGB vom 29.12.1995)5; Serbien (Art. 29 Abs. 1 i.V.m. Art. 168 ff. FamG vom 24.2.2005)6; der Slowakei (§§ 136, 143 ff. BGB vom 26.2.1964)7; Slowenien (Art. 51 ff. FamG vom 26.5.1976)8; der Tschechischen Republik (§§ 708 ff. BGB vom 3.12.2012)9; der Ukraine (Art. 60 ff. FamGB vom 10.1.2002)10; Ungarn (§§ 4:37 ff. BGB vom 26.2.2013)11; Weißrussland (Art. 23 ff. FamGB vom 9.7.1999). Die Errungenschaftsgemeinschaft ist – in unterschiedlicher Ausprägung – ferner gesetzlicher Güterstand in den sog. „community property“-Staaten der USA (Arizona, California12, Idaho, Louisiana, Nevada, New Mexico, Texas, Washington, Wisconsin und Puerto Rico) sowie in der kanadischen Provinz Québec, darüber hinaus in den meisten lateinamerikanischen Ländern, z.B. in Argentinien (Art. 1217 ff., 1276 ff. c.c.), Bolivien (Art. 101 ff. FamGB i.d.F. vom 4.4.1988), Brasilien (Art. 1640, 1658 ff. c.c. vom 10.1.2002)13, Chile (Art. 135 Abs. 1, 1718 ff. c. c. i.d.F. vom 16.5.2000), Ecuador (Art. 139 ff. c.c. vom 24.6.2005), Kuba (Art. 29 ff. FamGB v. 14.2.1975), Paraguay (Art. 30 ff. c.c.-ReformG vom 15.7.1992), Peru (Art. 301 ff. c.c. vom 24.7.1984), Uruguay (Art. 1938 ff. c.c.) und Venezuela (Art. 141 ff. c.c. 1942), sowie in verschiedenen ostasiatischen Ländern, z.B. in der Volksrepublik China (§§ 17 ff. EheG i.d.F. vom 28.4.2001), Indonesien (Art. 35 f. EheG 1974), Thailand (§§ 1465 ff. ZGB) und Vietnam (Art. 14 ff. EheG)14.

1 Vgl. Miculic/Schön, Kroatien in Süß/Ring, Rz. 20 ff., 49 ff.; ferner OLG Stuttgart v. 20.11.2001 – 17 UF 295/01, FamRZ 2002, 1032 (Auskunftsverpflichtung zur Vorbereitung der Vermögensauseinandersetzung nach kroat. Recht); OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ 1999, 299; OLG Koblenz v. 2.12.1993 – 11 UF 1009/92, NJW-RR 1994, 698 = FamRZ 1994, 1258 (jeweils zur Auseinandersetzung der gesetzlichen Gütergemeinschaft nach kroat. Recht); LG Ulm v. 15.4.1993 – 5 T 41/93, IPRspr. 1993 Nr. 60 (zur Haftung des Gesamtguts der Gütergemeinschaft kroatischen Rechts für Schulden eines Ehegatten); IPG 1999 Nr. 23 (Hamburg). 2 Vgl. Zupkauskaite/Goldammer, Litauen in Süß/Ring Rz. 20 ff., 58 ff. 3 Vgl. Margonski, Polen in Süß/Ring, Rz. 16 ff., 93 ff. 4 Vgl. Oancea, Rumänien in Süß/Ring, Rz. 24 ff., 102 ff.; IPG 1971 Nr. 18 (Hamburg); IPG 1976 Nr. 28 (Göttingen); IPG 1978 Nr. 27 (Hamburg). 5 Vgl. Himmelreich, Russland in Süß/Ring, Rz. 17 ff., 72 ff. 6 Vgl. Jeftic, Serbien in Süß/Ring, Rz. 20 ff., 69 ff.; OLG Düsseldorf v. 20.12.1994 – 1 UF 76/94, FamRZ 1995, 1203 (zur Auseinandersetzung des gesetzlichen Güterstands nach dem Recht der früher autonomen Provinz Wojwodina). 7 Vgl. Chudácková, Slowakische Republik in Süß/Ring, Rz. 20 ff., 55 ff. 8 Vgl. Rudolf, Slowenien in Süß/Ring Rz. 15 ff., 55 ff.; LG Stuttgart v. 24.3.1981 – 1 T 1/81, BWNotZ 1981, 136. 9 Vgl. Elischer/Pfeiffer/Ríha, Tschechische Republik in Süß/Ring, Rz. 19 ff., 63 ff.; LG Bamberg v. 20.11.1975 – 2 T 56/75, MittBayNotV 1975, 261. 10 Vgl. Himmelreich, Ukraine in Süß/Ring, Rz. 21 ff., 85 f. 11 Vgl. Szócs/Kósa, Ungarn in Süß/Ring, Rz. 47 ff., 137 ff. 12 Vgl. OLG München v. 22.1.2013 – 34 Wx 413/12, MittBayNotV 2013, 404 m. Anm. Süß. 13 Für vor dem 27.12.1987 geschlossene Ehen verbleibt es in Brasilien beim früheren Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft. 14 Vgl. auch Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 249.

Hausmann | 801

6.836

§ 6 Rz. 6.837 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

d) Aufgeschobene Gütergemeinschaft

6.837

Von einer aufgeschobenen Gütergemeinschaft spricht man, um die gesetzlichen Güterstände der skandinavischen Staaten zu beschreiben1. So ist der durch EheG vom 11.6.1920 in Schweden eingeführte gesetzliche Güterstand dadurch gekennzeichnet, dass das Vermögen der Ehegatten während bestehender Ehe nur formal gesamthänderisch gebundenes Sondermögen wird, jeder Ehegatte aber zur Verfügung über sein in die Ehe eingebrachtes persönliches Vermögen weiterhin berechtigt bleibt. Erst bei Auflösung des Güterstandes erfolgt eine hälftige Teilung des Ehevermögens, die allerdings im Falle der Scheidung – ähnlich wie bei der Zugewinngemeinschaft des deutschen Rechts – auch durch einen schuldrechtlichen Wertausgleich erfolgen kann (Kap. 9–13 EheG vom 14.5.1987)2. Eine ähnliche Regelung gilt auch in Finnland (§§ 34 ff. EheG Nr. 234/1929 i.d.F. vom 29.11.2019)3. Demgegenüber ist in Dänemark (§§ 5 ff. Gesetz Nr. 548 v. 30.5.2017, in Kraft seit 1.1.2018) und Island (Art. 99 ff. EheG Nr. 31/1993) auch das in die Ehe eingebrachte Anfangsvermögen beider Ehegatten bei Auflösung der Ehe in Natur zu teilen, soweit es nicht zum Vorbehaltsgut erklärt wurde4. In Norwegen kann das voreheliche Vermögen auf Antrag eines Ehegatten von der Teilung ausgenommen werden (§§ 56 ff., 59 EheG v. 4.7.1991).

6.838

Nach anderen Rechten unterliegt das Vermögen der Ehegatten zwar – ähnlich wie beim deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft – gewissen Bindungen, ohne dass jedoch ein Eigentumsübergang stattfindet.

6.839

So hat man durch Gesetz vom 5.10.1984, das am 1.1.1988 in Kraft getreten ist, in der Schweiz als neuen gesetzlichen Güterstand die „Errungenschaftsbeteiligung“ eingeführt (Art. 181, 196 ff. ZGB). Hierbei handelt es sich – trotz der missverständlichen Bezeichnung – nicht etwa um eine Errungenschaftsgemeinschaft. Die Eheschließung ändert vielmehr die eigentumsrechtliche Zuordnung von Vermögenswerten nicht und jeder Ehegatte bleibt zur Verwaltung seines Vermögens einschließlich seiner Errungenschaft allein berechtigt (Art. 200 f. ZGB). Die Qualifikation von Vermögenswerten als Eigengut oder Errungenschaft wirkt sich erst im Zeitpunkt der Beendigung des gesetzlichen Güterstandes durch Tod, Scheidung oder Trennung der Ehe bzw. durch Vereinbarung eines Vertragsgüterstandes (Gütergemeinschaft, Gütertrennung) aus, weil nur dann die Errungenschaft der beiden Ehegatten zur Berechnung der Ausgleichsforderung herangezogen wird (Art. 204 ff. ZGB). Von der deutschen Zugewinngemeinschaft unterscheidet sich der schweizerische gesetzliche Güterstand vor allem dadurch, dass dem Ausgleich nur das durch Arbeit der Ehegatten und durch Kapitalerträge während der Ehe hinzuerworbene Vermögen unterliegt5.

e) Zugewinngemeinschaft

1 Vgl. dazu Friedmann, RabelsZ 41 (1977), 112 f.; Dübeck, ZEuP 1995, 827 (829); Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 250. 2 Vgl. Firsching, Schweden in Süß/Ring, Rz. 111 ff., 154 ff.; IPG 1969 Nr. 15 (Hamburg). 3 Vgl. Knorre, Finnland in Süß/Ring, Rz.15 ff., 57 ff.; IPG 1980/81 Nr. 15 (Kiel). 4 Vgl. zum reformierten dänischen Güterrecht näher Ring/Olsen-Ring, ZfRV 2019, 126 ff.; Ring/Olsen-Ring, Dänemark in Süß/Ring, Rz. 16 ff., 124 ff. 5 Vgl. näher Hegnauer, FamRZ 1986, 317 ff.; Schwenzer, DNotZ 1991, 419 ff.; Sturm, FamRZ 1993, 755 ff.; Wolf/Spichiger, Schweiz in Süß/Ring, Rz.17 ff., 106 ff.

802 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.844 § 6

Dem schweizerischen Vorbild ist auch die Türkei gefolgt, wo der frühere gesetzliche Güterstand der Gütertrennung1 mit Wirkung vom 1.1.2003 durch den Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung abgelöst wurde2.

6.840

In Österreich ist gesetzlicher Güterstand nur formal die Gütertrennung (§ 1237 ABGB). Durch die im Jahre 1978 eingeführte „Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse“ (§§ 81–97 EheG) ist dieser Güterstand nämlich weitgehend einer Zugewinngemeinschaft angenähert worden. Der Zugewinnausgleich wird allerdings – anders als im deutschen und schweizerischen Recht – nur im Fall der vorzeitigen Eheauflösung durch Scheidung oder Nichtigerklärung, nicht hingegen bei Beendigung der Ehe durch den Tod eines Ehegatten durchgeführt. Er ist ferner auf das Privatvermögen beschränkt, erstreckt sich also nicht auf das betriebliche Vermögen von Ehegatten3.

6.841

Auch in Griechenland ist der gesetzliche Güterstand der Gütertrennung im Jahre 1983 durch einen gesetzlichen Zugewinnausgleich bei vorzeitiger Eheauflösung abgemildert worden (Art. 1397, 1400 ZGB); abweichend vom deutschen Recht wird der Zugewinn freilich im Regelfall nicht zur Hälfte, sondern nur zu 1/3 ausgeglichen (Art. 1400 Abs. 1 ZGB)4. Den gleichen Schritt hatte Israel schon im Jahre 1973 für alle nach dem 1.1.1974 geschlossenen Ehen vollzogen5.

6.842

Eine Aufteilung des während der Ehe erworbenen Vermögens im Fall der Scheidung – bei grundsätzlicher Gütertrennung – sieht auch das japanische Recht vor6. Umgekehrt hat die Südafrikanische Republik den früheren gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft im Jahre 1984 durch eine Form der Zugewinngemeinschaft ersetzt (sog. „accrual system“, vgl. S. 3 ff. Matrimonial Property Act 1984)7.

6.843

Die Zugewinngemeinschaft ist schließlich gesetzlicher Güterstand in einigen südamerikanischen Rechten, z.B. in Kolumbien (Art. 1771 ff. c.c.).

6.844

1 Vgl. Art. 170, 186-190 ZGB; dazu OLG Stuttgart v. 19.3.1996 – 17 AR 5/96, FamRZ 1997, 1085. 2 Vgl. dazu Odendahl, FamRZ 2003, 648 ff.; Malcok/Han, FuR 2003, 347 ff.; Rausch, FF 2003, 165 (167 ff.); Naumann, RNotZ 2003, 343 (347 ff.); Kilic, Türkei in Süß/Ring, Rz. 33 ff.,122 ff.; ferner OLG Zweibrücken v. 10.1.2008 – 3 W 94/07, FamRZ 2008, 1366 (zu den Anforderungen an die Bezeichnung des Gemeinschaftsverhältnisses an einem deutschen Grundstück, das im gesetzlichen türkischen Güterstand lebende Ehegatten erwerben wollen); OLG Hamm v. 16.2.2006 – 4 UF 224/ 05, FamRZ 2006, 1383; LG Duisburg v. 19.5.2003 – 7 T 65/03, RNotZ 2003, 396 (zum Erwerb von Bruchteilseigentum an einem deutschen Grundstück durch türk. Ehegatten.); IPG 2005/06 Nr. 25 (Köln) (Zur Beschränkung der Errungenschaftsbeteiligung nach dem neuen türkischen gesetzlichen Güterstand auf das ab dem 1.1.2003 erworbene Vermögen). 3 Vgl. Ferrari, Die vermögensrechtliche Situation von Ehegatten und Lebensgefährten in Österreich in Ferrari/Koch-Hipp, Österreich in Süß/Ring, Rz. 22 ff., 149 ff.; IPG 1980/81 Nr. 29 (München); Honsell, FamRZ 1980, 93 ff. 4 Vgl. Chiotellis, IPRax 1983, 302 ff.; Koumantos, StAZ 1984, 271 ff.; Oehler/Vlassopoulou, IPRax 1985, 171 ff.; Stamatiadis/Tsantinis, Griechenland in Süß/Ring, Rz. 21 ff., 62 ff.; dazu OLG Zweibrücken v. 22.12.2006 – 2 UF 41/06, FamRZ 2007, 1559. 5 Gesetz Nr. 5733/1973, abgedr. in DNotZ 1974, 660 ff.; dazu Friedmann, Matrimonial Property in Israel, RabelsZ 41 (1977), 112 ff. 6 Art. 755, 760 ff., 771 japan. BGB; dazu näher Humbert/Dross, Das Ehescheidungsrecht in Japan (1985), S. 24 ff. 7 Vgl. Thomashausen, IPRax 1986, 57 ff.; IPG 1987/88 Nr. 31 (Göttingen).

Hausmann | 803

§ 6 Rz. 6.845 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

f) Gütertrennung

6.845

Die Gütertrennung in ihrer reinen Form, wie sie bis in die 1970iger Jahre vor allem für die vom Common Law geprägten Rechtsordnungen charakteristisch war, befindet sich – wegen der Benachteiligung des haushaltsführenden Ehegatten – als gesetzlicher Güterstand weltweit auf dem Rückzug. So haben seit Mitte der siebziger Jahre auch die Gesetzgeber aller wichtigen Common Law Jurisdiktionen (England, Irland, Schottland, australische Bundesstaaten, kanadische Provinzen, separate property-Staaten der USA) die Gerichte ermächtigt, das von den Ehegatten gemeinsam erwirtschaftete Vermögen im Fall einer Scheidung oder Nichtigerklärung der Ehe nach billigem Ermessen aufzuteilen („equitable distribution“; vgl. z.B. sec 1 ff. des englischen Matrimonial Causes Act 1973). Während intakter Ehe verbleibt es allerdings in den genannten Rechten weiterhin bei der grundsätzlichen Gütertrennung und der uneingeschränkten Verfügungsbefugnis jedes Ehegatten über sein Vermögen1. Völlig getrennt bleiben die Vermögen der Ehegatten hingegen weiterhin in den meisten vom Islam geprägten Rechtsordnungen2. g) Anknüpfung

6.846

Die Frage, ob und wie sich kraft Eheschließung die Eigentumsverhältnisse ändern, bestimmt das Güterrechtsstatut (zu dessen Bestimmung s. Rz. 6.864 ff.). Dieses entscheidet insbesondere darüber, in welchem gesetzlichen Güterstand die Ehegatten leben und welche ehevertraglichen Abweichungen zulässig sind3. Es regelt ferner, welche Gütermassen (Gesamtgut, Vorbehaltsgut, Sondergut, Eigengut) bestehen, und zu welcher Gütermasse einzelne Gegenstände gehören4, ob also ein Gegenstand (z.B. ein Grundstück) zu Alleineigentum eines Ehegatten oder zum Gesamtgut erworben wird5 und zu welchen Anteilen Gegenstände den Ehegatten gehören, die mit Mitteln beider erworben werden. Das Güterrechtsstatut bestimmt auch über die Übertragung von Vermögen von einer Kategorie in die andere (vgl. Art. 27 lit. b EuGüVO), über die Art der Güterbeteiligung (Gesamthands-/Bruchteilseigentum)6 und über die Beteiligungsquoten an Guthaben auf Bankkonten, die auf den gemeinsamen Namen der Ehegatten geführt werden (dazu auch Rz. 6.972 f.)7. Diesbezüglich sind im Geltungsbereich der EuGüVO auch Eigentumsvermutungen zu beachten, mögen sie auch nach dem anwendbaren

1 Vgl. zu Großbritannien Herzberg/Odersky, Großbritannien: England und Wales in Süß/Ring Rz. 16 ff., 50 ff.; zu Kanada Hering, Die gesetzlichen Rechte des überlebenden Ehegatten in deutsch-kanadischen Erbfällen (1984), S. 32 ff. 2 Vgl. IPG 1970 Nr. 15 (Köln) [Iran]; IPG 1976 Nr. 17 (Köln) [Jordanien]; IPG 1980/81 Nr. 28 (Köln) [Kuwait]; IPG 1985/86 Nr. 33 (Heidelberg) [Jordanien]; IPG 2002 Nr. 17 (Passau) [Irak]; vgl. Rauscher, Islamisches Familienrecht der sunna und shi’a (1987), S. 90; Hohloch, Islamisches Ehe- und Familienrecht vor deutschen Behörden und Gerichten (1988); Rieck, Islamische Eheverträge (1993). 3 Vgl. Art. 27 lit. g EuGüVO; zu Art. 15 EGBGB Looschelders in MünchKomm Rz. 33 ff; Mankowski in Staudinger, Rz. 234. 4 Vgl. Art. 27 lit. a EuGüVO; zu Art. 15 EGBGB OLG Stuttgart v. 20.11.2001 – 17 UF 295/01, FamRZ 2002, 1032; Mankowski in Staudinger, Rz. 253. Zur Abgrenzung von Güterrechtsstatut und lex rei sitae Rz. 6.985 ff. 5 Vgl. zu Art. 15 EGBGB BayObLG v. 2.4.1992 – 2Z BR 17/92, BayObLGZ 1992, 85 = FamRZ 1992, 1284; OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ 1999, 299; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 65. 6 Zur EuGüVO Sieghörtner in NK BGB Art. 27 Rz. 6; zu Art. 15 EGBGB Mankowski in Staudinger, Rz. 254. 7 LG Frankfurt v. 9.7.1975 – 2/8 O 293/72, IPRspr. 1975 Nr. 53.

804 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.848 § 6

Recht (wie z.B. nach § 1362 BGB) als allgemeine Ehewirkung ausgestaltet sein1. Hingegen entscheidet die lex rei sitae des jeweiligen Vermögensgegenstandes, ob eine vom Ehegüterrecht vorgesehene sachenrechtliche Änderung auch vollzogen werden kann. h) Kundbarmachung der Eigentumszuordnung Ein Eigentumsübergang, der kraft Gesetzes nach einem fremden Güterstand eintritt, ist auch für im Inland belegene Vermögenswerte zu berücksichtigen. Dies gilt auch dann, wenn die Art der gemeinschaftlichen Berechtigung der Ehegatten dem deutschen Recht nicht bekannt ist2. Erwirbt ein Ehegatte allein ein inländisches Grundstück, so wird das Grundbuch unrichtig, wenn dieser Ehegatte im einem ausländischen Güterstand der Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft lebt; daher ist auf Antrag des anderen Ehegatten ein Widerspruch (§ 899 BGB) einzutragen. Eine Grundbuchberichtigung ist freilich nur angebracht, wenn der Vermögensgegenstand zu dauerndem Gesamthands- oder Miteigentum auf den anderen Ehegatten übergeht. Findet hingegen nach Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung ein Rückfall statt, so handelt es sich lediglich um eine Beschränkung der Verfügungsmacht (dazu anschließend Rz. 6.849 ff.).

6.847

Im inländischen Grundbuch sind bei Bruchteilseigentum die Anteile der Berechtigten in Bruchteilen, bei Gesamthands- oder sonst gebundenem Eigentum das für die Gemeinschaft maßgebende Rechtsverhältnis zu bezeichnen (§ 47 GBO), z.B. „in Gütergemeinschaft nach niederländischem Recht“3 oder „im gesetzlichen Güterstand der Gütergemeinschaft des italienischen Rechts“4. Wird ein inländisches Grundstück an Ehegatten aufgelassen, die in einem ausländischen Güterstand der Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft leben, so gehört die Angabe des Gemeinschaftsverhältnisses der Erwerber bereits zum notwendigen Inhalt der Einigung i.S.v. § 925 BGB, wobei allerdings die Bezugnahme auf die Angabe in einem zugleich beurkundeten Schuldvertrag genügt (dazu näher Rz. 21.75 ff. m.w.N.)5. Erforderlich ist, dass der ausländische Güterstand so präzise bezeichnet wird, dass der Rechtsverkehr das hiernach bestehende Gemeinschaftsverhältnis, insbesondere sich hieraus ergebende Verfügungsbeschränkungen. ermitteln kann. Daher reicht die Angabe „im gesetzlichen türkischen Güterstand“ nicht aus, weil aus ihr nicht hervorgeht, ob zwischen den Ehegatten überhaupt ein „Gemeinschaftsverhältnis“ i.S.v. § 47 GBO besteht und welchen Inhalt es gegebenenfalls hat6.

6.848

1 Thorn in Palandt, Art. 1 EuGüVO Rz. 2; Looschelders in MünchKomm, Art. 27 EuGüVO Rz. 3. 2 Stoll in Staudinger, IntSachenR Rz. 186; einschränkend Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 104. 3 Vgl. OLG Oldenburg v. 11.2.2019 – 12 W 143/17, NJW-RR 2019, 793 (Rz. 12); OLG Schleswig v. 19.8.2009 – 2 W 82/09, FamRZ 2010, 377 = FGPrax 2010, 19; OLG München v. 16.2.2009 – 34 Wx 95/08, NJW-RR 2009, 806 (807 ff.); OLG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/996, FGPrax 2000, 5 (6 f.); OLG Oldenburg v. 22.5.1991 – 5 W 55/91, Rpfleger 1991, 412; Reithmann, DNotZ 1985, 540 f. (546); Böhringer, BWNotZ 1985, 73 (75); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 283; Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 57; a.A. Britz, RNotZ 2008, 333 (336). Teilweise hält man auch die Bezeichnung „im gesetzlichen Güterstand des niederländischen Rechts“ für ausreichend, vgl. Döbereiner, MittBayNot 2001, 264 (266); Süß, MittBayNot 2009, 44 (45). 4 LG Köln v. 11.9.1996 – 11 T 282/96, JbItalR 10 (1997), 197 = IPRspr. 1996 Nr. 227. 5 Herrler in Palandt, § 925 BGB Rz. 13. 6 Der seit dem 1.1.2002 geltende türkische gesetzliche Güterrstand der Errungenschaftsbeteiligung begründet kein nach § 47 GBO im deutschen Grundbuch eintragungsfähiges Gemeinschaftsverhältnis: Türkische Ehegatten können daher nur Miteigentum zu Bruchteilen nach Maßgabe der deutschen lex rei sitae erwerben, vgl. OLG Zweibrücken v. 10.1.2008 – 3 W 94/07, FamRZ 2008, 1366.

Hausmann | 805

§ 6 Rz. 6.849 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

2. Verfügungsbeschränkungen a) Verfügung über das Gesamtgut

6.849

Wird ein Vertrag mit einem Ehegatten geschlossen, der im (gesetzlichen oder vertraglichen) Güterstand der Gütergemeinschaft oder der Errungenschaftsgemeinschaft lebt, so kommt es, wenn der Vertrag die Veräußerung oder Belastung von Gesamtgut zum Gegenstand hat, darauf an, welcher der Ehegatten über das Gesamtgut verfügen kann. In der Gütergemeinschaft des deutschen BGB verwalten die Ehegatten das Gesamtgut grundsätzlich gemeinschaftlich. Ehevertraglich kann jedoch der Mann oder die Frau allein zum Gesamtgutsverwalter bestellt werden, der dann grundsätzlich auch alleine berechtigt ist, über das Gesamtgut zu verfügen (§§ 1421, 1422 BGB). Für Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte über das Gesamtgut im Ganzen oder ein zum Gesamtgut gehörendes Grundstück ist jedoch ebenso wie für Schenkungen aus dem Gesamtgut die Zustimmung des anderen Ehegatten erforderlich (§§ 1423 ff. BGB).

6.850

Anders als im deutschen Recht steht die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über die Gesamtgutsgegenstände im niederländischen gesetzlichen Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft demjenigen Ehegatten zu, der den betreffenden Gegenstand in die Gemeinschaft eingebracht hat (Art. 97 Abs. 1 B.W.). Jeder Ehegatte behält also auch nach der Heirat die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über diejenigen Gegenstände, die er vor der Heirat besaß; er erlangt ferner die gleiche Befugnis an denjenigen Gegenständen, die er während des Bestehens der Gütergemeinschaft erwirbt1. Die Ehegatten können allerdings jederzeit – also vor und während der Ehe – in der Form des Ehevertrages (Art. 97 Abs. 1, 115 B.W.) eine abweichende Regelung der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vereinbaren, z.B. Verwaltung des Gesamtguts durch den Mann oder die Frau allein oder durch beide Ehegatten gemeinsam. Hat ein Ehegatte in eigenem Namen ein Rechtsgeschäft über einen Gesamtgutsgegenstand abgeschlossen, über den nicht er, sondern der andere Ehegatte verwaltungs- und verfügungsberechtigt war, so kann der letztere nach Art. 98 Abs. 2 B.W. innerhalb eines Jahres durch formlose Erklärung gegenüber dem Vertragspartner des in unbefugter Weise verfügenden Ehegatten die Nichtigkeit des betreffenden Rechtsgeschäfts geltend machen. In diesem Fall ist der Gegenstand an das Gesamtgut zurückzuübertragen.

6.851

Wieder anders ist die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Gesamtgut in den gesetzlichen Güterständen der Errungenschaftsgemeinschaft geregelt. Hier ist die früher übliche alleinige Verwaltungsbefugnis des Ehemannes inzwischen aus Gründen der Gleichberechtigung weithin beseitigt worden. Das Verwaltungsrecht steht entweder beiden Ehegatten gemeinsam (so im spanischen Recht, vgl. Art. 59, 1412 c.c.) oder aber – überwiegend – jedem Ehegatten einzeln zu, so im belgischen (Art. 1416 Abs. 1 c.c.), französischen (Art. 1421 c.c.), italienischen (Art. 180 Abs. 1 c.c.)2 und luxemburgischen (Art. 1421 c.c.) gesetzlichen Güterstand.

6.852

Diese Regelung gilt indes nur für gewöhnliche Geschäfte der ordentlichen Verwaltung. Für außergewöhnliche Rechtsgeschäfte, wie insbesondere den Erwerb, die Veräußerung und Belastung von Grundvermögen, sowie für Schenkungen aus dem Gesamtgut ist hingegen regel1 Vgl. OLG Hamm v. 22.6.1965 – 15 W 294/64, DNotZ 1966, 236; LG Aachen v. 24.11.1971 – 7 T 207/71, MittRheinNotK 1972, 720; OLG Köln v. 10.9.1971 – 2 Wx 34/71, DNotZ 1972, 182; OLG Düsseldorf v. 14.6.1978 – 9 W 50/78, MittRheinNotK 1978, 149; OLG München v. 16.2.2009 – 34 Wx 95/08, NJW-RR 2009, 806 (807 ff.). 2 Vgl. BayObLG v. 25.6.1997 – 2Z BR 90/96, BayObLGZ 1997, 191.

806 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.854 § 6

mäßig die Zustimmung beider Ehegatten erforderlich. Ein ohne diese notwendige Zustimmung des anderen Ehegatten vorgenommenes Rechtsgeschäft ist allerdings – anders als im deutschen Recht (vgl. § 1427 BGB) – zunächst voll wirksam; der übergangene Ehegatte hat lediglich das Recht, innerhalb bestimmter Fristen die Nichtigkeit des Geschäfts im Klagewege geltend zu machen (vgl. etwa für Frankreich Art. 1427 c.c., für Italien Art. 184 c.c., für Spanien Art. 65 c.c.). Auch die Verwaltung des ehelichen Vermögens wird vom Güterrechtsstatut geregelt. Im Geltungsbereich der EuGüVO unterwirft deren Art. 27 lit. d „die Befugnisse, Rechte und Pflichten eines oder beider Ehegatten in Bezug auf das Vermögen“ dem Güterrechtsstatut. Dies gilt insbesondere für die Verwaltung und Nutzung des ehelichen Vermögens, d.h. die Fragen, welcher Ehegatte die verschiedenen Vermögensmassen zu verwalten hat und über sie verfügen darf1. Beschränkungen dieses Verwaltungsrechts – z.B. durch Verfügungsverbote (vgl. im deutschen Recht §§ 1365, 1369 BGB) oder Erwerbsbeschränkungen, Kontrollrechte, das Erfordernis der Zustimmung des anderen Ehegatten oder einer gerichtlichen Genehmigung – werden ebenfalls vom Güterrechtsstatut erfasst2. Dies gilt nach der EuGüVO auch dann, wenn diese Beschränkungen nicht Bestandteil eines gesetzlichen oder vertraglichen Güterstandes sind, sondern – wie z.B. die Verfügungsbeschränkung bzgl. der Ehewohnung nach türkischem Recht3 – unabhängig von diesem für alle Ehen gelten4.

6.853

Nach Art. 22 ff. EuGüVO bzw. Art. 15 EGBGB sind ferner Ansprüche auf Auskunft und Rechnungslegung zu beurteilen, die sich auf die Vermögensverwaltung durch die Ehegatten und daraus resultierende etwaige Ausgleichsansprüche beziehen5. Kennt das anwendbare ausländische Güterrecht derartige Ansprüche nicht, weil es insoweit vom Grundsatz der Amtsermittlung ausgeht, so sind diese im Wege der Anpassung nach deutschem Recht zu gewähren6. Nach dem Güterrechtsstatut ist auch zu beurteilen, ob ein Ehegatte bei Beendigung des Güterstandes einen Nießbrauch an Vermögenswerten des Partners verlangen kann7, oder ob

6.854

1 Ebenso zu Art. 15 EGBGB OLG Köln v. 17.12.1997 – 27 UF 62/97, NJW-RR 1998, 865865 (Türkei); OLG Celle v. 16.9.1998 – 14a (6) U 281/96, IPRax 1999, 113 (Portugal); Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 19 ff.; Looschelders in MünchKomm, Rz. 34. 2 Martiny, ZfPW 2017, 1 (25). 3 OLG Karlsruhe v. 16.6.2015 – 18 WF 126/15, FamRZ 2015, 1610. 4 Weber, DNotZ 2016, 659 (665); Sieghörtner in NK BGB, Art. 27 EuGüVO Rz. 13. Demgegenüber erfassst das Güterrechtsstatut nach Art. 15 EGBGB nur die aus einem bestimmten Güterstand folgenden Verfügungsbeschränkungen, vgl. Looschelders in MünchKomm, Rz. 35; Schurig in Soergel, Rz. 33 Mankowski in Staudinger, Rz. 257 f.; Stürner in Erman, Art. 15 EGBGB Rz. 34, jeweils zu Art. 15 EGBGB; Reithmann, DNotZ 1961, 3 (10) und DNotZ 1967, 232 (245 f.) jeweils m.w.N. 5 Vgl. OLG Stuttgart v. 20.11.2001 – 17 WF 295/01, FamRZ 2002, 1032 zur Auskunftsverpflichtung zum Zwecke der Vorbereitung der Vermögensauseinandersetzung nach kroatischem Recht; ebenso zum Recht von Bosnien-Herzegowina OLG Frankfurt a.M. v. 2.10.1990 – 4 UF 4/90, NJW-RR 1991, 583; ferner BGH v. 17.9.1986 – IVb ZR 52/85, FamRZ 1986, 1200 (1202); KG v. 5.3.2007 – 16 UF 166/06, FamRZ 2007, 1564; OLG Stuttgart v. 1.3.2005 – 17 WF 15/05, FamRZ 2005, 1676; OLG Hamburg v. 25.4.2000 – 2 UF 94/95, FamRZ 2001, 916 (917 f.); Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 35; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 283 ff. m.w.N. 6 OLG Hamm v. 16.2.2006 – 4 UF 224/05, FamRZ 2006, 1383 (1384); OLG Stuttgart v. 28.11.2002 – 17 WF 129/02, FamRZ 2003, 1749; OLG Köln v. 17.12.1997 – 27 UF 62/97, FamRZ 1999, 298; OLG Karlsruhe v. 22.9.1994 – 2 UF 147/93, FamRZ 1995, 738 (740); AG Nürtingen v. 19.9.2013 – 21 F 873/12, FamRZ 2014, 1295; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 67; a.A. (nur Anpassung im ausländ. Sachrecht) Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 287. 7 AG Frankfurt a.M. v. 18.1.1991 – Hö 4a F 338/90, IPRspr. 1991 Nr. 80.

Hausmann | 807

§ 6 Rz. 6.854 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

derjenige Ehegatte, dem ein gemeinschaftlicher Gegenstand zur Nutzung zugewiesen wird, eine Nutzungsentschädigung zu entrichten hat1. Schließlich ist auch die Haftung eines Ehegatten für Schulden des anderen güterrechtlich zu qualifizieren. Während dies nach der EuGüVO uneingeschränkt gilt, erfasst Art. 15 EGBGB die Haftung im Außenverhältnis wie den Regress im Innenverhältnis nur insoweit, als dieser vom jeweiligen Güterstand abhängt2. b) Verfügung über eigenes Vermögen

6.855

Häufig tritt durch die Eheschließung eine Beschränkung in der Verfügungsmacht ein, ohne dass das Alleineigentum der Ehegatten an den von ihnen eingebrachten oder während der Ehe erworbenen Vermögensgegenständen in Frage gestellt wird. So bedurfte die Ehefrau im früheren gesetzlichen deutschen Güterstand der Verwaltung und Nutznießung der Zustimmung des Mannes auch zu Verfügungen über das von ihr eingebrachte (und damit ihr gehörende) Gut (§ 1395 BGB a.F.)3; Gleiches galt im früheren schweizerischen gesetzlichen Güterstand4.

6.856

Verfügungsbeschränkungen bringt aber auch der heutige gesetzliche Güterstand des deutschen BGB mit sich. In der Zugewinngemeinschaft bleiben die Vermögen von Mann und Frau zwar getrennt (lediglich im Fall der Ehescheidung besteht ein Anspruch auf Ausgleichung des in der Ehe gemachten Zugewinns), kein Ehegatte kann aber ohne Zustimmung des anderen über „Hausrat“ (§ 1369 BGB) oder sein „Vermögen im Ganzen“ (§ 1365 BGB) verfügen. Diese Beschränkungen greifen nur ein, wenn deutsches Recht Güterstatut ist5. c) Verfügungsbeschränkungen im Grundbuchverkehr

6.857

Das Verfahren vor einem deutschen Grundbuchamt richtet sich auch in Fällen mit Auslandsberührung nach deutschem Recht als der lex fori6. Aus der Beteiligung von Ausländern und der möglichen Geltung ausländischen Ehegüterrechts ergeben sich daher grundsätzlich keine weitergehenden Prüfungspflichten des Grundbuchamts als bei Inlandssachverhalten7. Für die 1 Vgl. OLG München v. 16.2.1993 – 4 UF 36/91, IPRspr. 1993 Nr. 59 (zur Verpflichtung eines geschiedenen Ehegatten, der die im Gesamthandseigentum stehende Wohnung alleine nutzt, zur Zahlung einer Entschädigung an den anderen Ehegatten kraft Güterrechts der Republik BosnienHerzegowina). 2 BGH v. 18.3.1998 – XII ZR 251/96, FamRZ 1998, 905 (906); LG Hamburg v. 21.9.1977 – 5 O 100/ 77, IPRspr. 1977 Nr. 65; Mankowski in Staudinger, Rz. 271; Looschelders in MünchKomm, Rz. 35; Schurig in Soergel, Rz. 34, jeweils zu Art. 15 EGBGB m.w.N. 3 BayObLG v. 12.12.1952 – 1 Z 247/1952, JZ 1954, 441 m. Anm. Neuhaus. 4 Vgl. dazu BayObLG v. 6.10.1954 – BReg. 2 Z 116, 117/54, BayObLGZ 1954, 225. 5 LG Aachen v. 17.10.1961 – 7 T 413/61, FamRZ 1962, 385; Looschelders in MünchKomm, Rz. 35; Stürner in Erman, Art. 15 EGBGB Rz. 34; Schurig in Soergel, Rz. 33; Mankowski in Staudinger, Rz. 260 f., jeweils zu Art. 15 EGBGB. Vgl. auch BayObLG v. 28.1.1976 – BReg. 2 Z 68/75, FamRZ 1976, 222 (Bestimmung des anwendbaren Güterrechts auf die Ehe zwischen einem Österreicher und einer Deutschen offen gelassen, da der Ehemann zur Eintragung einer Auflassungsvormerkung an seinem Grundstück nach beiden in Frage kommenden Rechten der Zustimmung seiner Ehefrau nicht bedürfe). 6 BayObLG v. 17.4.1986 – BReg 2 Z 1/86, BayObLGZ 1986, 81 (83) = DNotZ 1987, 98 f.; OLG Karlsruhe v. 4.11.1993 – 11 Wx 61/93, Rpfleger 1994, 248; Amann, MittBayNotV 1986, 222 ff.; H. Roth, IPRax 1991, 320 f. 7 BayObLG v. 17.4.1986 – BReg 2 Z 1/86, BayObLGZ 1986, 81 (83) = DNotZ 1987, 98 f. und Amann, MittBayNotV 1986, 222 ff.

808 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.860 § 6

Frage, ob und in welchem Umfang das Grundbuchamt vor Eintragung einer Rechtsänderung Nachforschungen über das anzuwendende Güterrecht und sich daraus ergebende Beschränkungen anzustellen hat, wenn ein ausländischer Ehegatte über ein inländisches Grundstück verfügt, gilt danach Folgendes: Besteht die Möglichkeit, dass das Eigentum des eingetragenen Ehegatten aufgrund ausländischen Güterrechts oder infolge güterrechtlicher Vereinbarungen auf den anderen Ehegatten übergegangen oder für diesen Gesamthands- oder Miteigentum begründet worden ist, so streitet für den eingetragenen Eigentümer die Rechtsvermutung des § 891 BGB, die auch vom Grundbuchamt zu beachten ist und die nur durch den vollen Nachweis der Unrichtigkeit des Grundbuchs widerlegt werden kann1.

6.858

Unterliegt der eingetragene Ehegatte trotz seines Alleineigentums an dem inländischen Grundstück nach ausländischem Güterrecht gewissen Verfügungsbeschränkungen, so kommt es für den Umfang der vom Grundbuchamt vorzunehmenden Prüfung darauf an, ob die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im In- oder Ausland haben. Hat auch nur einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so steht ihnen – wie aus Art. 16 Abs. 1 EGBGB hervorgeht – das inländische Güterrechtsregister offen (dazu näher Rz. 6.1030 ff.). Das Grundbuchamt darf daher, solange ihm nichts anderes bekannt ist, davon ausgehen, dass keine weitergehenden Beschränkungen der Verfügungsmacht bestehen als nach dem deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft. Das Vorliegen eines hiervon abweichenden inländischen oder ausländischen Güterstandes haben die Ehegatten durch ein Zeugnis des Registergerichts (§ 33 GBO) oder auf andere Weise in der Form des § 29 GBO nachzuweisen2.

6.859

Nur wenn beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, kann das Grundbuchamt nicht mehr darauf vertrauen, dass eine dem deutschen Recht entsprechende Regelung der güterrechtlichen Verfügungsbefugnis gilt. Vielmehr hat es dann grundsätzlich den Inhalt des maßgeblichen ausländischen Güterrechts selbst zu erforschen3. Da es sich bei der Verfügungsbefugnis um eine Eintragungsvoraussetzung handelt, muss das Grundbuchamt – anders als im Fall des Grundstückserwerbs durch ausländische Ehegatten (vgl. Rz. 6.862 ff.) – bereits dann mit Zwischenverfügung oder Zurückweisung reagieren, wenn aufgrund konkreter Umstände berechtigte Zweifel bestehen (bleiben), ob der Veräußerer nach dem anwendbaren ausländischen Güterrecht verfügungsbefugt ist(vgl. auch Rz. 21.85 ff.)4. Dies gilt auch dann, wenn die Eintragung einer bloßen Auflassungsvormerkung beantragt ist, weil auch die Bewilligung einer solchen Vormerkung eine Verfügung über das Grundstück darstellt, deren materielle Wirksamkeit von der nach Güterrecht etwa erforderlichen Zustimmung des Ehegatten abhängt5.

6.860

1 KG v. 12.12.1972 – 1 W 1781/72, NJW 1973, 428; LG Aurich v. 23.2.1990 – 3 T 8/90, FamRZ 1990, 776 = IPRax 1991, 341 (m. Anm. H. Roth, IPRax 1991, 320) (Pflicht des Grundbuchamts zur Eintragung der von einem im Grundbuch als Alleineigentümer eingetragenen italien. Staatsangehörigen erklärten Auflassung, sofern dem Erwerber keine güterrechtlichen Beschränkungen des Veräußerers bekannt waren). 2 KG v. 23.6.1932, HRR 1933 Nr. 205; LG Aurich v. 23.2.1990 – 3 T 8/90, FamRZ 1990, 776. 3 OLG Saarbrücken v. 23.5.2019 – 5 W 25/19, FamRZ 2020, 1569 (1570); OLG Köln v. 10.9.1971 – 2 Wx 34/71, DNotZ 1972, 182; Deimann, BWNotZ 1979, 3 f. 4 BayObLG v. 17.4.1986 – BReg 2 Z 1/86, DNotZ 1987, 98 ff.; OLG Saarbrücken v. 6.11.2019 – 5 W 59/19, NJW-RR 2020, 266 (Rz. 7 ff.) (Luxemburg); Amann, MittBayNotV 1986, 222 ff. Vgl. auch Rz. 21.88 f. 5 BayObLG v. 28.1.1976 – BReg 2 Z 68/75, FamRZ 1976, 222.

Hausmann | 809

§ 6 Rz. 6.861 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.861

Auch bei Anwendung ausländischen Güterrechts gilt für den inländischen Grundbuchverkehr allerdings die tatsächliche Vermutung, dass der im Grundbuch als Eigentümer eingetragene Ehegatte im gesetzlichen Güterstand lebt und dass er nach Maßgabe der für diesen Güterstand grundsätzlich getroffenen Regelung zur Verfügung über sein Eigentum befugt ist1. Die Vermutung erstreckt sich daher auch darauf, dass die Verfügungsbefugnis des eingetragenen Berechtigten nicht durch abweichende ehevertragliche Vereinbarungen eingeschränkt ist. Folgt also aus dem ausländischen gesetzlichen Güterstand die Verfügungsbefugnis des eingetragenen Ehegatten, so ist das Grundbuchamt weder berechtigt noch verpflichtet, den Nachweis dieser Befugnis zu verlangen, es sei denn, dass konkrete Anhaltspunkte für eine abweichende Regelung bestehen2. Auch aus der bloßen Möglichkeit, innerhalb des ausländischen gesetzlichen Güterstands abweichende Vereinbarungen über die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis zu treffen, folgt nichts anderes3. Bedarf der eingetragene Ehegatte hingegen zur Verfügung über ein inländisches Grundstück nach dem ausländischen Güterrecht im gesetzlichen Güterstand (z.B. der Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft) zwingend der Zustimmung des anderen Ehegatten, so verweigert das Grundbuchamt die Eigentumsumschreibung zu Recht, solange die alleinige Verfügungsbefugnis des veräußernden Ehegatten nicht nachgewiesen ist4.

3. Erwerbsbeschränkungen 6.862

Soll ein Ehegatte, gleich ob deutscher oder ausländischer Staatsangehörigkeit, als Alleineigentümer eines Grundstücks oder Rechts eingetragen werden, so wird das Grundbuch durch die Eintragung unrichtig, wenn dieser Ehegatte aufgrund Güterrechts nicht Alleineigentum erwerben kann, sondern das Grundstück in das Gesamthands- oder Miteigentum des Erwerbers und seines Ehegatten fällt. Weil das Grundbuchamt nicht dazu mitwirken darf, das Grundbuch unrichtig zu machen, ist ihm in diesem Fall die Eintragung verwehrt. Die Eintragung darf allerdings nur abgelehnt werden, wenn für das Grundbuchamt aufgrund von Tatsachen mit Sicherheit feststeht, dass das Grundbuch unrichtig würde. Bloße Zweifel genügen also nicht und berechtigen das Grundbuchamt nicht zu Nachforschungen5. Dies gilt auch im Falle

1 OLG Saarbrücken v. 23.5.2019 – 5 W 25/19, FamRZ 2020, 1569 (1570). 2 KG v. 12.12.1972 – 1 W 1781/72, NJW 1973, 428 = FamRZ 1973, 307 (Ehefrau eines in Italien lebenden italien. Staatsangehörigen veräußert Grundstück in Berlin. Verfügungsbefugnis nach dem früheren italien. gesetzlichen Güterstand der Gütertrennung bejaht. Konkreten Nachweis, dass keine abweichende vertragliche Regelung der güterrechtlichen Verfügungsbefugnis getroffen worden sei, mangels entsprechender Anhaltspunkte nicht verlangt); Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 401; Eickmann, Rpfleger 1983, 465 (473); Wolfsteiner, DNotZ 1987, 67. 3 Anders OLG Hamm v. 22.6.1965 – 15 W 294/64, DNotZ 1966, 236; OLG Köln v. 10.9.1971 – 2 Wx 34/71, DNotZ 1972, 182; LG Aachen v. 24.11.1971 – 7 T 207/71, IPRspr. 1972 Nr. 53, wo jeweils wegen des im niederländischen gesetzlichen Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft eingeräumten Rechts, die Verfügungsbefugnis durch Vereinbarung abweichend zu regeln, der Nachweis der Zustimmung des anderen Ehegatten zur Verfügung des niederländischen Ehegatten über ein deutsches Grundstück in der Form des § 29 GBO gefordert wurde. 4 OLG Saarbrücken v. 23.5.2019 – 5 W 25/19, FamRZ 2020, 1569 (1570). 5 BayObLG v. 6.12.2000 – 2Z BR 5/00, NJW-RR 2001, 879 = BWNotZ 2001, 132 m. Anm. Böhringer; OLG Düsseldorf v. 20.1.2010 – I-3 Wx 258/09, FGPrax 2010, 117; OLG Schleswig v. 19.8.2009 – 2 W 82/09, FamRZ 2010, 377; OLG München v. 16.2.2009 – 34 Wx 95/08, NJW-RR 2009, 806 (807 f.); OLG Hamm v. 5.10.1995 – 15 W 199/95, NJW-RR 1996, 530 (531 f.); LG Duisburg v. 19.5.2003 – 7 T 65/03, RNotZ 2003, 396; Riering, MittBayNotV 2001, 222 (223); Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 400 f.; Demharter, GBO, 32. Aufl. 2021, § 33 GBO Rz. 28 f.; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 285; vgl. aber auch BayObLG v. 28.8.1997 – 2 Z BR 96/97, FamRZ 1998, 433.

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.863 § 6

einer möglichen Unrichtigkeit kraft ausländischen Güterrechts beim Erwerb inländischer Grundstücke durch ausländische Ehegatten1. Besteht nach dem anwendbaren Recht die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass ein Ehegatte Alleineigentum erwerben kann, hat das Grundbuchamt die Eintragung daher vorzunehmen2. Eine Auflassungsvormerkung für einen erwerbenden Ehegatten allein kann daher auch dann in das Grundbuch eingetragen werden, wenn das Grundbuchamt weiß, dass das Grundstück in das eheliche Gesamtgut nach einem ausländischen Güterstand fällt3. Dies gilt erst recht, wenn die Ehegatten zwar in einem ausländischen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft leben, aber in Bezug auf das streitgegenständliche, inländische Grundstück eine wirksame Wahl deutschen Güterrechts nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB getroffen haben4. Diese Grundsätze gelten entsprechend, wenn Ehegatten beantragen, als Miteigentümer zu gleichen Teilen eingetragen zu werden5. Die Eintragung von Bruchteilseigentum darf – und muss – also nur dann abgelehnt werden, wenn durch diese das Grundbuch mit Sicherheit unrichtig würde, weil die Ehegatten in einem ausländischen Güterstand der Gütergemeinschaft leben6. Die Eintragung als Miteigentümer können sie dann nur erreichen, wenn sie eine gültige Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts nach Art. 22 EuGüVO treffen.

4. Anknüpfung des Güterrechts Literatur: 1. EuGüVO: Andrae, Der sachliche Anwendungsbereich der Europäischen Güterrechtsverordnung, IPRax 2018, 221; Bachmann, Die neuen Rom IV-Verordnungen – auf dem Weg zu einem einheitlichen Güterkollisionsrecht für Ehegatten und eingetragene Partner (2016); Barrière Brousse, Le patrimoine des couples internationaux dans l’espace judiciaire européen, Clunet 2017, 485; Burg1 BayObLG v. 2.4.1992 – 2Z BR 17/92, BayObLGZ 1992, 85 (88) = NJW-RR 1992, 1235 = FamRZ 1992, 1204 (Auflassung eines deutschen Grundstücks an einen im Inland wohnhaften verheirateten jugoslaw. Staatsangehörigen zu Alleineigentum. Der Umstand, dass nach dem Recht sämtlicher damaliger jugoslaw. Teilrepubliken gesetzlicher Güterstand die Errungenschaftsgemeinschaft war, reichte für die Ablehnung des Antrags auf Eigentumsumschreibung nicht aus. Denn gemeinschaftlich wird nach jugoslaw. Güterrecht nur dasjenige Vermögen, das während der Ehe durch Arbeit erworben wurde. Ist daher nicht auszuschließen, dass der Kaufpreis aus vorehelichem, geschenktem oder ererbtem Vermögen des Erwerbers bezahlt worden ist, kann nicht angenommen werden, dass die Eintragung des Erwerbs zu Alleineigentum mit Sicherheit zur Unrichtigkeit des Grundbuchs führt); OLG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/99, FamRZ 2000, 1574 = NJW-RR 2000, 542 f. (Erwerb eines deutschen Grundstücks durch ein deutsch-niederländ. Ehepaar „in Gütergemeinschaft nach niederländ. Recht“. Befugnis des Grundbuchamts, die Eintragung vom Nachweis des Bestehens dieses Güterstandes abhängig zu machen, verneint, wenn der erste gemeinsame persönliche Aufenthalt der Ehegatten in den Niederlanden gelegen haben kann). 2 BayObLG v. 17.4.1986 – BReg 2 Z 1/86, BayObLGZ 1986, 81 (83) = NJW-RR 1986, 893; BayObLG v. 2.4.1992 – 2Z BR 17/92, BayObLGZ 1992, 85 = NJW-RR 1992, 1235; OLG München v. 22.1.2013 – 34 Wx 413/12, FamRZ 2013, 1488 (1489). 3 OLG Nürnberg v. 2.7.2020 – 15 W 985/20, FGPrax 2020, 212. 4 Vgl. OLG Zweibrücken v. 20.2.2013 – 3 W 159/12, FamRZ 2013, 1487. 5 BayObLG v. 6.12.2000 – 2Z BR 5/00, NJW-RR 2001, 879 = MittBayNotV 2001, 221. 6 So bei Geltung des gesetzlichen niederländischen Güterstands, vgl. OLG München v. 16.2.2009 – 34 Wx 95/08, NJW-RR 2009, 806 (807 ff.); OLG Schleswig v. 19.8.2009 – 2 W 82/09, FamRZ 2010, 377 = FGPrax 2010, 19; ebenso bei Geltung des gesetzlichen spanischen Güterstands, vgl. OLG Düsseldorf v. 20.1.2010 – 3 Wx 258/09, FamRZ 2010, 1564; Riering, MittBayNotV 2001, 222 (223) und bei Geltung des gesetzlichen italienischen Güterstands OLG München v. 25.6.2020 – 34 Wx 504/19, FamRZ 2020, 1470. Vgl. aber auch OLG Nürnberg v. 2.7.2020 – 15 W 985/20, FGPrax 2020, 212.

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6.863

§ 6 Rz. 6.863 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis haus, Die Vereinheitlichung des internationalen Ehegüterrechts in Europa (2010); Buschbaum/Simon, Die Vorschläge der EU-Kommission zur Harmonisierung des Güterkollisionsrechts für Ehen und eingetragene Partnerschaften – eine erste kritische Analyse, GPR 2011, 262; Campbell, Ehevertrag mit Auslandsberührung, NZFam 2020, 678; Coester-Waltjen, Neues aus dem Bereich des europäischen internationalen Ehegüterrechts, ZEuP 2012, 225; Dengel, Die europäische Vereinheitlichung des Internationalen Ehegüterrechts und des Internationalen Güterrechts eingetragener Partnerschaften (2014); Dethloff, Güterrecht in Europa – Perspektiven für eine Angleichung auf kollisions- und materiellrechtlicher Ebene, FS von Hoffmann (2011), S. 73; Döbereiner, Das internationale Güterrecht nach den Güterrechtsverordnungen, MittBayNot 2018, 405; Dutta, Das neue internationale Güterrecht der Europäischen Union, FamRZ 2016, 1973; Dutta, Matrimonial Property Regimes in European Private International Law, Yb. 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Aufl. 2021, § 9; Heiderhoff, Vorschläge zur Durchführung der EU-Güterrechtsverordnungen, IPRax 2017, 231; Heiderhoff, Die EU-Güterrechtsverordnungen, IPRax 2018, 1; Heiderhoff/Beißel, Die EU-Güterrechtsverodnungen als neueste Bausteine im Europäischen Familienkollisionsrecht, Jura 2018, 253; Henrich, Auf dem Weg zu einem europäischen internationalen Ehegüterrecht, FS Brudermüller (2014), S. 311; Henrich, Zur EU-Güterrechtsverordnung: Handlungsbedarf für die nationalen Gesetzgeber, ZfRV 2016, 171; Hilbig-Lugani, Parteiautonomie im Zusammenspiel des neuen Europäischen Kollisionsrechts, DNotZ 2017, 739; Joubert, La dernière pierre (provisoire?) à l’édifice du droit international privé européen en matière familiale – Les règlements du 24 juin 2016 sur les régimes matrimoniaux et les effets patrimoniaux des partenariats enregistrés, Rev. crit. d.i.p. 2017, 1; Kemper, Von FamG und EGBGB zu EuGüVO und EuPartVO – Neuer Anwendungsbereich des Internationalen Güterrechts und neue internationale Zuständigkeit für Güterrechtssachen, FamRB 2019, 72; Kroll-Ludwigs, Vereinheitlichung des Güterkollisionsrechts in Europa – die EU-Güterrechts und EU-Partnerschaftsverordnung, GPR 2016, 231; Kroll-Ludwigs, Stärkung der Parteiautonomie durch die Europäischen Güterrechtsverordnungen, NZFam 2016, 1061; Lagarde, Règlements 2016/1103 et 1104 du 24 juin 2016 sur les régimes matrimoniaux et sur le régime patrimonial de partenariats enregistrés, Riv. dir. 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Autonomes deutsches IPR: Andrae, Internationales Privatrecht der ehelichen Vermögensbeziehungen mit Berührung zu Polen, NotBZ 2001, 44 und 94; Andrae, Güterrechtsstatut ehemaliger jugoslawischer Staatsangehöriger, IPRax 2016, 578; Bosch, Die Durchbrechungen des Gesamtstatuts im internationalen Ehegüterrecht (2002); Derstadt, Der Zugewinnausgleich nach § 1371 BGB bei Geltung französischen Erbrechts, IPRax 2001, 84; Finger, Internationale Zuständigkeit und (versteckte) Rückverweisung – Folgen für das eheliche Güterrecht, FuR 2009, 181; Finger, Güterrechtliche Rechtsbezie-

812 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.863 § 6 hungen mit Auslandsbezug, FuR 2012, 10; Hausmann, Ausgleichsansprüche zwischen Ehegatten aus Anlass der Scheidung im IPR: Zur Abgrenzung zwischen Vertragsstatut, Ehewirkungsstatut und Ehegüterstatut, FS Jayme (2004), S. 306; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Teil B, Rz. 408-596; Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfahrensrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 9; Hohloch, Güterrechtliche Auseinandersetzung einer deutsch-ausländischen Ehe, JuS 1993, 513; Kemp, Grenzen der Rechtswahl im internationalen Ehegüter- und Erbrecht (1999); Kleinheisterkamp, Rechtswahl und Ehevertrag: Zum Formerfordernis nach Art. 15 Abs. 3 EGBGB, IPRax 2004, 399; Kowalczyk, Die Rückverweisung des türkischen IPR auf das deutsche Güterrecht in Bezug auf das unbewegliche Vermögen, ZfRV 2016, 25; S. Lorenz, Das intertemporale internationale Ehegüterrecht nach Art. 220 III EGBGB und die Folgen eines Statutenwechsels (1991); S. Lorenz, Gebrauchsvermögen, Ersparnisse und gesetzlicher Güterstand im deutschösterreichischen Verhältnis: Normenmangel oder renvoi kraft abweichender Qualifikation?, IPRax 1995, 47; Ludwig, Zur Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 3 EGBGB im Internationalen Ehegüterrecht bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs nach deutschem Recht, DNotZ 2000, 663; Makowsky, Die Eintragung von Miteigentum im Grundbuch bei ausländischem Güterstatut, IPRax 2018, 187; Mankowski, Ehegüterrechtliche Regelungen ausländischer Ehegatten über ein einzelnes Grundstück, FamRZ 1994, 1957; Ney, Das Spannungsverhältnis zwischen dem Güter- und dem Erbstatut (Diss. Frankfurt 1993); Pakuscher, Die Unwandelbarkeit des Ehegüterrechtsstatuts im Lichte der Reform des IPR – Rechtsvergleichende Überlegungen ausgehend vom französischen, US-amerikanischen und Schweizer Recht (Diss. München 1987); Rauscher, Auflassungsvormerkung für verheiratete Ausländer, Rpfleger 1985, 52; Rauscher, Immobiliarzwangsvollstreckung bei fremdem Güterstand: Vollstreckungstitel und Anteilspfändung, insb. bei jugoslawischem und italienischem Güterrecht, Rpfleger 1988, 89; Röll, Das Gesetz zur Neuregelung des IPR in der notariellen Praxis, MittBayNotV 1989, 1; H. Roth, Grundbuchverfahren und ausländisches Güterrecht, IPRax 1991, 320; Schotten, Gestattet Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB eine auf einen Gegenstand des unbeweglichen Vermögens beschränkte, objektbezogene Rechtswahl?, DNotZ 1994, 556; Schotten, Die Konstituierung des neuen sowie die Beendigung und Abwicklung des alten Güterstands nach einer Rechtswahl, DNotZ 1999, 326; Siehr, Güterrechts- und Erbstatut im deutsch-schweizerischen Rechtsverkehr, FS Geimer (2002), S. 1097; Siehr, Vermögensstatut und Geldausgleich im IPR: gilt Art. 3 Abs. 3 EGBGB auch für den Pflichtteil, den Zugewinnausgleich und den Versorgungsausgleich?, FS Hay (2005), S. 389; Siehr, International-privatrechtliche Probleme des Ehegüterrechts im Verhältnis zur Türkei, IPRax 2007, 353; Siehr, Wandelbarkeit des Güterrechts eines Spätaussiedlers, MittBayNot 2010, 223; V. Stoll, Die Rechtswahl im Namens-, Ehe- und Erbrecht (1991); Süß, Die Wahl des deutschen Güterrechts für inländische Grundstücke, ZNotP 1999, 385; Süß, § 20 (Auslandsberührung), in Münch, Familienrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis (2012); Wassermann, Die güterrechtlichen Beziehungen von Übersiedlern aus der DDR, FamRZ 1990, 333; Weber, Erwerb von Grundstücken durch Ehegatten mit ausländischem Güterstand, MittBayNot 2016, 482; Wegmann, Rechtswahlmöglichkeiten im internationalen Familienrecht, NJW 1987, 1740; Winkler von Mohrenfels, Ehebezogene Zuwendungen im IPR, IPRax 1995, 379; Wochner, Zum Güterrechtsstatut bei deutsch-amerikanischen Ehen, IPRax 1985, 90. 3. 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Hausmann | 813

§ 6 Rz. 6.863 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis vato, 2. Aufl. (Turin 1997); Goldwater, Some Problems Relating to the Choice of Law in Matrimonial Property, Israel L.Rev. 16 (1981), 368; Greiner/Geiser, Die güterrechtlichen Regeln des IPR-Gesetzes, ZBJV 1991, I, 43; Hartley, Matrimonial (Marital) Property Rights in Conflict of Laws: A Reconsideration, in: Fawcett (Hrsg.), Reform and Development of Private International Law (London 2002), S. 215; Hering, Die gesetzlichen Rechte des überlebenden Ehegatten in deutsch-kanadischen Erbfällen (1984); Juenger, Marital Property and the Conflict of Laws: a Tale of Two Countries, Colum.L.Rev. 81 (1981), 1001; Klinke, Entwicklungen im niederländischen internationalen Güterrecht, DNotZ 1981, 331; Merkt, Die ehegüterrechtliche Auseinandersetzung nach New Yorker Recht, IPRax 1992, 197; Oehler/ Vlassopoulou, Das neue griechische Ehegüterrecht – Sachnormen und IPR, IPRax 1983, 171; Priemer, Das italienische IPR nach seiner Reform – Insbesondere zum Recht der Allgemeinen Ehewirkungen, Güterrecht, Erbrecht, MittBayNotV 2000, 45; Prinz von Sachsen-Gessaphe, Teilweise Verfassungswidrigkeit der spanischen Kollisionsnormen über die allgemeinen und güterrechtlichen Ehewirkungen, IPRax 1989, 188; Rodríguez Pineau, Regimen economico matrimonial: aspectos internacionales (2002); Sabourin, Les effets patrimoniaux du mariage en droit international privé québécois (Québec 1996); Scoles, Choice of Law in Family Property Transactions, Rec. des Cours 1988, II 11; Shava, Israeli Conflict of Laws Relating to Matrimonial Property, ICLA 31 (1982), 307; Verwilghen, Traité pratique des régimes matrimoniaux. Bd. 2, Droit international (1985); Viarengo, Autonomia della volontà e rapporti patrimoniali tra coniugi nel diritto internazionale privato (Padua 1996); Watté, Les régimes matrimoniaux dans les relations internationales, in: Verwilghen/Matieu (Hrsg.), Régimes matrimoniaux, successions et literalités dans les relations internationales et internes, 3 Bde. (Brüssel 2003); Weishaupt, Die vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten im brasilianischen Sach- und Kollisionsrecht (1981).

a) Einleitung

6.864

Bei Rechtsgeschäften mit verheirateten Personen ist deshalb besondere Vorsicht am Platze, weil nicht nur die Bestimmungen fremder Güterstände häufig unbekannt sind, sondern auch die Frage, welches Güterrecht Anwendung findet, häufig nur schwer zu beantworten ist. Zusätzliche Schwierigkeiten ergeben sich daraus, dass das Güterrechtsstatut seit Geltung der europäischen Güterrechtsverordnungen am 29.1.2019 in vor und nach diesem Stichtag geschlossenen Ehen unterschiedlich angeknüpft wird.

6.865

Die EU-Kommission hatte Verordnungsvorschläge zum internationalen Ehegüterrecht und zum internationalen Güterrecht eingetragener Lebenspartner bereits zum 16.3.2011 vorgelegt. Ziel dieser Vorschläge war die Bereitstellung eines klaren Rechtsrahmens für die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und Urkunden auf dem Gebiet der vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern. Denn die Rechtslage in Europa auf diesem Gebiet war durch ein hohes Maß an Rechtszersplitterung gekennzeichnet und schränkte damit für verheiratete und registrierte Paare die mit der Unionsbürgerschaft verbundene Freizügigkeit ein1. Die Regelung des Güterrechts für eingetragene Lebenspartner stieß allerdings in mehreren Mitgliedstaaten auf Widerstand. Die EU-Kommission war auf der anderen Seite nicht bereit, die europäische Regelung des internationalen Güterrechts auf Ehegatten zu beschränken. Aus diesem Grunde scheiterten im Dezember 2015 die Verhandlungen über eine einheitliche europäische Regelung auf der Grundlage der Verordnungsvorschläge vom März 2011.

6.866

Daraufhin haben die Bundesrepublik Deutschland sowie 17 weitere Mitgliedstaaten – nämlich Belgien, Bulgarien, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Kroatien, Luxemburg, Malta, die Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden, Slowenien, Spanien, die Tschechische Republik 1 Kohler/Pintens, FamRZ 2011, 1433 (1435).

814 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.867 § 6

und Zypern an die EU-Kommission den Antrag auf Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit auf diesem Gebiet gestellt. Die EU-Kommission hat diesem Antrag entsprochen und hat am 2.3.2016 einen Vorschlag für eine Ratsentscheidung über die Genehmigung der Verstärkten Zusammenarbeit der genannten Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Güterrechts von Ehegatten und registrierten Lebenspartnern verabschiedet. Zugleich hat sie überarbeitete und erweiterte Verordnungsvorschläge für das eheliche Güterrecht und das Güterrecht eingetragener Lebenspartner vorgelegt. Der Rat hat die Ermächtigung zur Verstärkten Zusammenarbeit mit Beschluss (EU) Nr. 2016/954 vom 9.6.20161 erteilt und die Vorschläge der Kommission nach Billigung durch das Europäische Parlament mit nur geringfügigen Änderungen in die am 24.6.2016 verabschiedeten Verordnungen (EU) Nr. 2016/1103 zum internationalen Ehegüterrecht (EuGüVO) und (EU) Nr. 2016/1104 zum internationalen Güterrecht eingetragener Lebenspartner (EuPartVO) übernommen. Beide Verordnungen fassen nach dem Vorbild der EuErbVO die Regeln zum internationalen Verfahrensrecht und zum Kollisionsrecht jeweils in einem Rechtsinstrument zusammen, um ein hohes Maß an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit zu erreichen2. In den nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten verbleibt es bis zu einem nach Art. 328 Abs. 1 AEUV jederzeit möglichen nachträglichen Beitritt vorerst bei der Geltung des nationalen IPR und IZPR. b) Allgemeines aa) Anwendungsbereich der EuGüVO (1) Persönlicher Anwendungsbereich Die EuGüVO normiert ihren persönlichen Anwendungsbereich nicht ausdrücklich. Aus der parallel verabschiedeten Verordnung zu den güterrechtlichen Wirkungen eingetragener Partnerschaften (EuPartVO) ergibt sich jedoch, dass sie nur für Ehegatten, nicht für eingetragene Lebenspartner gilt. Der Begriff der Ehe wird allerdings bewusst nicht definiert, sondern bleibt dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten überlassen.3 Damit werden auch die güterrechtlichen Beziehungen zwischen gleichgeschlechtlichen Ehepartnern in denjenigen teilnehmenden Mitgliedstaaten erfasst, die – wie die Bundesrepublik Deutschland seit dem 1.10.2017 – das Rechtsinstitut der Ehe auf solche Paare ausgedehnt haben4. Dass solche Ehen im autonomen Kollisionsrecht grundsätzlich wie eingetragene Lebenspartnerschaften angeknüpft werden (Art. 17b Abs. 4 S. 1 EGBGB), vermag daran nichts zu ändern, weil das europäische Recht nicht darauf abstellt, ob die Wirkungen der anerkannten gleichgeschlechtlichen Ehe im nationalen IPR des Gerichtsstaates den Wirkungen einer heterosexuellen Ehe in jeder Hinsicht entsprechen. Demgemäß hat der deutsche Gesetzgeber die Anwendbarkeit der EuGüVO auf gleichgeschlechtliche Ehen inzwischen in Art. 17b Abs. 4 S. 2 EGBGB ausdrücklich klargestellt5. Demgegenüber sind teilnehmende Mitgliedstaaten, die – wie z.B. Kroatien – das Rechtsinstitut der gleichgeschlechtlichen Ehe bisher nicht in ihr nationales Eherecht eingeführt haben, nicht gezwungen, die Verordnung auf solche Ehen anzuwenden, sondern sind berechtigt, insoweit die Parallelverordnung zum Güterrecht eingetragener Lebenspartner (EuPartVO) heranzuziehen. Die Abgrenzung zwischen Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern – und damit zwischen der EuGüVO und der EuPartVO – wird damit nicht autonom

1 2 3 4 5

ABl. EU 2016 Nr. L 159, 16. Erwägungsgründe 15 und 16. ErwG 17; Weber, DNotZ 2016, 659 (669); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1975 f.). Dethloff, FS von Hoffmann (2011), 73 (77). Dazu Hausmann in Hausmann/Odersky, § 13 Rz. 115 ff.

Hausmann | 815

6.867

§ 6 Rz. 6.867 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

vorgenommen, sondern bleibt Sache des nationalen Rechts der teilnehmenden Mitgliedstaaten1. Maßgebend ist insoweit die Qualifikation nach der lex fori2. (2) Sachlicher Anwendungsbereich

6.868

In sachlicher Hinsicht findet die Verordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 auf „die ehelichen Güterstände“ Anwendung. Dieser autonom auszulegende Begriff wird in Art. 3 lit. a dahin definiert, dass er „die Gesamtheit der Regelungen betreffend die Vermögensbeziehungen zwischen Ehegatten und in deren Verhältnis zu Dritten aufgrund der Ehe oder ihrer Auflösung“ umfasst. Diese Definition knüpft an die weite Auslegung des Begriffs der ehelichen Güterstände in Art. 1 Abs. 2 lit. a Brüssel I-VO durch den EuGH3 an. Gemeint ist daher nicht nur das Ehegüterrecht im engeren Sinne, d.h. die in den Mitgliedstaaten vorgesehenen gesetzlichen und vertraglichen Güterstände. Der europäische Begriff des Ehegüterrechts erstreckt sich vielmehr nach der Definition in Art. 3 lit. a EuGüVO auf „sämtliche vermögensrechtliche Regelungen, die zwischen den Ehegatten und in ihren Beziehungen zu Dritten aufgrund der Ehe oder der Auflösung der Ehe gelten“, soweit sie nicht in Art. 1 Abs. 2 EuGüVO aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen werden (ErwG 18). Mit Hilfe dieser weiten Auslegung, die – wie gezeigt (Rz. 6.810) – auch das Recht der allgemeinen Ehewirkungen („régime primaire“) einbezieht, soweit vermögensrechtliche Aspekte der Ehe betroffen sind4, sollen Qualifikationskonflikte im Grenzbereich zwischen der Rom III-VO, dem Haager Unterhaltsprotokoll und der EuGüVO möglichst vermieden werden. Zu Einzelheiten s. Rz. 6.983 ff. (3) Zeitlicher Anwendungsbereich

6.869

Von großer praktischer Bedeutung ist der zeitliche Anwendungsbereich der Verordnung, weil dieser auf dem Gebiet des Kollisionsrechts in Art. 69 Abs. 3 EuGüVO stark eingeschränkt wird. Denn danach sind die Kollisionsnormen der Art. 20-35 EuGüVO auch ab Geltung der Verordnung nur auf solche Ehen anzuwenden, die an oder nach diesem Stichtag geschlossen wurden oder werden. Damit verbleibt es also für die Beurteilung des Ehegüterrechts in allen vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen aus deutscher Sicht auch nach diesem Stichtag bei der Geltung der inzwischen aufgehobenen autonomen Kollisionsnormen in Art. 15, 16 und 220 Abs. 3 EGBGB5. Dies hat der deutsche Gesetzgeber in Art. 229 § 47 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB ausdrücklich klargestellt. Eine Ausnahme gilt nur für Rechtswahlvereinbarungen, die zwischen den Partnern einer solchen Altehe ab dem 29.1.2019 getroffen wurden oder werden; denn deren Voraussetzungen und Wirkungen unterliegen dann den Art. 22 ff. EuGüVO. Durch diesen gespaltenen zeitlichen Anwendungsbereich der Verordnung wird die angestrebte Kohärenz von internationaler Zuständigkeit und IPR auf dem Gebiet des Ehegüterrechts noch auf Jahrzehnte nicht erreicht6. 1 Andrae, IntFamR, § 10 Rz. 11. 2 Hausmann, IntEuFamR B Rz. 15; Kohler/Pintens, FamRZ 2016, 1509 (1510); Weber, DNotZ 2016, 659 (669); Looschelders in MünchKomm, Art. 1 EuGüVO Rz. 22; a.A. (Qualifikationsverweisung auf das Recht des Registrierungsstaates) Dutta, FamRZ 2016, 1673 (1676); Martiny, ZfPW 2017, 1 (7); Erbarth, NZFam 2018, 249 (251). 3 EuGH v. 27.3.1979 – 143/78, ECLI:EU:C:1979:83 (de Cavel), Slg. 1979, 1055 Rz. 7; zu Einzelheiten unalexKomm/Hausmann, Brüssel Ia-VO Art. 1 Rz. 58 ff. 4 Martiny, ZfPW 2017, 1 (9); Péroz, Clunet 2017, 813 ff.; Erbarth, NZFam 2018, 249 (252). Zur Abgrenzung zwischen Ehewirkungs- und Ehegüterrechtsstatut unter Geltung der Verordnung näher Rz. 6.810. 5 OLG München v. 25.6.2020 – 34 Wx 504/19, FamRZ 2020, 1470. 6 Magnus in NK BGB, Art. 1 EuGüVO Rz. 12.

816 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.872 § 6

bb) Ausgenommene Bereiche Die EuGüVO beschränkt ihren sachlichen Anwendungsbereich in Art. 1 Abs. 2 durch eine abschließende Aufzählung derjenigen Bereiche, die zwar einen Bezug zum ehelichen Güterrecht haben, von ihrer Anwendung aber ausdrücklich ausgenommen sind (ErwG 19). Dabei handelt es sich vor allem um Fragen, die bereits Gegenstand anderer Rechtsinstrumente des Unionsrechts sind, wie die in der EuUntVO und im Haager Unterhaltsprotokoll von 2007 geregelten Unterhaltssachen (lit. c) und die von der EuErbVO abgedeckten Ansprüche des überlebenden Ehegatten auf eine Beteiligung am Nachlass des verstorbenen Partners (lit. d; vgl. ErwG 22). Ausgenommen sind ferner Fragen der Geschäftsfähigkeit (lit. a), die Vorfrage der Ehegültigkeit (lit. b), der Versorgungsausgleich (lit. f) und die Art der dinglichen Rechte an Vermögen (lit. g). Gleiches gilt für die Voraussetzungen und Wirkungen der Eintragung von Rechten an beweglichem und unbeweglichem Vermögen in ein Register (z.B. Grundbuch, lit. h)1. Nicht mehr im Ausnahmekatalog enthalten sind hingegen die im Vorschlag vom 16.3.2011 (Art. 1 Abs. 3 lit. c) noch genannten Schenkungen und sonstigen unentgeltlichen Zuwendungen zwischen Ehegatten unter Lebenden. Auch sie werden daher von der Verordnung erfasst, soweit sie ihren Grund in der Ehe oder deren Auflösung haben. Insoweit verdrängt die EuGüVO daher auf dem Gebiet des sog. Nebengüterrechts (ehebezogene Zuwendungen, Ehegatteninnengesellschaft u.ä.; dazu Rz. 6.995 ff.) in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen die Rom I-VO als lex specialis.2

6.870

c) Objektive Anknüpfung aa) Ab dem 29.1.2019 geschlossene Ehen (1) Allgemeines In ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen beansprucht das Kapitel III der EuGüVO zum anwendbaren Recht gemäß Art. 20 EuGüVO universelle Geltung, d.h. die Kollisionsnormen der Verordnung sind in den an ihr teilnehmenden Mitgliedstaaten auch dann anzuwenden, wenn sie auf das Recht von Staaten verweisen, die nicht der Europäischen Union angehören oder die jedenfalls an der Verstärkten Zusammenarbeit auf dem Gebiet des internationalen Ehegüterrechts nicht teilnehmen (ErwG 44). Für die Anwendung des autonomen Kollisionsrechts der teilnehmenden Mitgliedstaaten – in Deutschland also von Art. 15 EGBGB – bleibt daher auf dem Gebiet der vermögensrechtlichen Wirkung von solchen Ehen kein Raum mehr. Aus diesem Grund hat der deutsche Gesetzgeber Art. 15 EGBGB mit Wirkung von diesem Tag an aufgehoben3. Da diese Vorschrift jedoch nach Art. 69 Abs. 3 EuGüVO zur Bestimmung des anwendbaren Güterrechts für alle vor diesem Stichtag geschlossenen Ehen fortgilt, sofern die Ehegatten danach keine Rechtswahl getroffen haben, wird das autonome deutsche Kollisionsrecht nachfolgend weiterhin dargestellt (Rz. 6.891 ff.).

6.871

Inhaltlich ruht die kollisionsrechtliche Regelung der EuGüVO zur objektiven Anknüpfung des Ehegüterrechts im Wesentlichen auf vier Pfeilern: den Grundsätzen der Einheitlichkeit des Güterstatuts (Art. 21), der Unwandelbarkeit des Güterstatuts (Art. 26 Abs. 1), dem Vorrang der Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt vor der Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten (Art. 26 Abs. 1 lit. a) und der Ausweichklausel nach Art. 26 Abs. 3.

6.872

1 Näher zu diesem Ausnahmekatalog Hausmann, IntEuFamR B Rz. 295 ff. 2 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1975); Martiny, ZfPW 2017, 1 (9). 3 Gesetz v. 17.12.2018, BGBl. I, S. 2573.

Hausmann | 817

§ 6 Rz. 6.873 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.873

Ausgangspunkt der kollisionsrechtlichen Regelung im III. Kapitel der EuGüVO ist in Art. 21 das Prinzip der Einheitlichkeit des Güterrechtsstatuts, von dem es im Interesse der Rechtssicherheit keine Ausnahme gibt. Damit führt die Verordnung dieses Prinzip deutlich strenger durch als das bisherige deutsche internationale Ehegüterrecht. Denn anerkannt wird weder ein Vorrang des Einzelstatuts vor dem Güterrechtsstatut nach dem Vorbild des Art. 3a Abs. 2 EGBGB a.F. (Rz. 6.969 ff.) oder eine partielle Rückverweisung auf das Recht des Belegenheitsstaates (Rz. 6.911 ff.), noch wird den Ehegatten gestattet, für Grundstücke das Recht der jeweiligen Belegenheit zu wählen, wie dies bis zum 28.1.2019 nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB noch zulässig war1. Nach der Verordnung unterliegt vielmehr das gesamte bewegliche und unbewegliche Vermögen der Ehegatten – ohne Rücksicht auf die Belegenheit der einzelnen Vermögensgegenstände in einem Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat – stets nur einem einzigen Güterrecht, und zwar unabhängig davon, ob das Güterrechtsstatut objektiv oder durch Rechtswahl bestimmt wird (ErwG 43).

6.874

Von besonderer Bedeutung ist schließlich, dass die EuGüVO – wie Art. 32 klarstellt – nur Sachnormverweisungen ausspricht. Anders als im Rahmen der Bestimmung des Güterrechtsstatuts nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen (dazu Rz. 6.905 ff.) werden also Rück- oder Weiterverweisung durch das zur Anwendung berufene ausländische Recht nicht beachtet. Dies gilt – wie in den Verordnungen Rom I-III, aber abweichend von der EuErbVO (Art. 34) –auch dann, wenn auf das Recht von Nichtmitgliedstaaten verwiesen wird. Die Berufung auf den nationalen ordre public eines Mitgliedstaats bleibt gem. Art. 31 auch im Geltungsbereich der Verordnung möglich. Gleiches gilt – wie nach Art. 9 Abs. 2 Rom I-VO und Art. 16 Rom II-VO – für die Anwendung von Eingriffsnormen der lex fori; als solche kommen etwa Vorschriften zum Schutz der Ehewohnung in Betracht2. (2) Anknüpfungsleiter, Art. 26 Abs. 1 EuGüVO (a) Erster gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt

6.875

In Ermangelung einer Rechtswahl wird das Güterrechtsstatut nach Art. 26 EuGüVO im Interesse der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des anzuwendenden Rechts und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Lebensumstände der Ehegatten objektiv angeknüpft. Dabei hat sich der europäische Gesetzgeber an der im deutschen internationalen Ehegüterrecht (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 EGBGB a.F.; dazu Rz. 6.893 ff.) maßgebenden Anknüpfungsleiter3 orientiert und hat – einer allgemeinen Tendenz im europäischen Kollisionsrecht folgend – lediglich die Reihenfolge der ersten beiden Sprossen dieser Leiter umgedreht4. Danach ist primär an den ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, hilfsweise an die gemeinsame Staatsangehörigkeit und wiederum hilfsweise an die engste Verbindung der Ehegatten mit einer Rechtsordnung anzuknüpfen.

1 Thorn in Palandt, Rz. 1; Looschelders in MünchKomm, Rz. 2; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 2, jeweils zu Art. 21 EuGüVO; Hausmann, IntEuFamR B Rz. 323. 2 Kohler/Pintens, FamRZ 2011, 1433 (1437). 3 Vgl. ErwG 49 S 1: „Rangfolge der Anknüpfungspunkte“; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 280 („Kaskadenanknüpfung“); Looschelders, in: MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 1; Hausmann, IntEuFamR B Rz. 350. 4 Weber, DNotZ 2016, 695 (670); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1981); Sieghörtner in NK BGB, Art. 21 EuGüVO Rz. 1.

818 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.878 § 6

Primär wird in Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO daher an den ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt1 der Ehegatten unmittelbar nach der Eheschließung angeknüpft. Dieser muss allerdings nicht schon – wie nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB – bei der Eheschließung bestanden haben; es reicht vielmehr aus, dass die Ehegatten erst nach der Eheschließung zusammenziehen2. Allerdings darf der Zeitraum zwischen der Eheschließung und der Begründung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts aus Gründen der Rechtssicherheit nur „kurz“ bemessen sein (ErwG 49 S. 2). Denn nicht nur die Ehegatten selbst sollten möglichst bald wissen, ob sie in einem Güterstand der Gütergemeinschaft oder der Gütertrennung leben; gleiches gilt vielmehr auch für Ditte, die nach der Eheschließung mit den Ehegatten Geschäfte (z.B. einen Wohnungskauf) abschließen.

6.876

Als Orientierungsmarke für die Begründung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts wird ein Zeitraum von drei Monaten nach der Eheschließung vorgeschlagen3, der sich aber aufgrund besonderer Umstände auch auf sechs bis acht Monate verlängern könne4. Maßgebend müssen jedoch stets die Umstände des konkreten Einzelfalls sein, wobei insbesondere die schon bei Eheschließung bestehende Planung der Ehegatten zu berücksichtigen ist5. Dabei reicht es aus, dass beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum maßgeblichen Zeitpunkt im gleichen Staat haben; sie können also auch getrennt an verschiedenen Orten innerhalb dieses Staates leben6. Wird der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt zeitnah nach der Eheschließung begründet, so wirkt das nach Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO bestimmte Güterrechtsstatut zur Vermeidung eines Statutenwechsels auf den Zeitpunkt der Eheschließung zurück7; allerdings dürfen Rechte Dritter hierdurch – wie bei Anwendung der Ausweichklausel nach Art. 26 Abs. 3 UAbs. 2 S. 3 EuGüVO – nicht beeinträchtigt werden.

6.877

Haben die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mehrrechtsstaat, so kommt es zur Bestimmung der auf das Güterrecht maßgeblichen Teilrechtsordnung gemäß Art. 33 EuGüVO darauf an, ob dieser Mehrrechtsstaat – wie z.B. Spanien – über ein einheitliches interlokales Privatrecht verfügt oder nicht. Im ersteren Fall bestimmen die interlokalen Kollisionsnormen dieses Staates die Gebietseinheit, deren güterrechtliche Vorschriften anzuwenden sind (Abs. 1). Fehlt es – wie in den meisten Mehrrechtsstaaten (z.B. in Australien, Kanada oder den USA) – an einem einheitlichen interlokalen Privatrecht, so ist nach Art. 33 Abs. 2 lit. a EuGüVO diejenige Teilrechtsordnung maßgebend, in der die Ehegatten bei oder kurz nach der Eheschließung ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Haben sie zu dieser

6.878

1 Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts können insbesondere die weiteren EU-Rechtsintrumente auf dem Gebiet des internationalen Eherechts (Rom III-VO, Brüssel IIa-VO) Orientierung bieten. 2 Martiny, IPRax 2011, 437 (450). 3 Weber, DNotZ 2016, 659 (672); Coester-Waltjen in Dutta/Weber, S. 45 (53); Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 5; krit. aber von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 285 („nicht willkürfrei“). 4 Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (5). 5 Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (5); Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (411); Ziereis, NZFam 2019, 237 (239 f.); Stürner in Erman, Art. 26 EuGüVO Rz. 2; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 8. Der erste gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt nach der Eheschließung ist aber auch dann maßgebend, wenn er im Zeitpunkt der Eheschließung noch nicht oder woanders geplant war, vgl. von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 289. 6 Weber, DNotZ 2016, 659 (671); Kroll-Ludwigs, GPR 2016, 231 (232); Martiny, ZfPW 2017, 1 (22); von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 288; Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 4. 7 Weber, DNotZ 2016, 695 (672); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1981 f.); Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (5); Hausmann, IntEuFamR B Rz. 351.

Hausmann | 819

§ 6 Rz. 6.878 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Zeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt (noch) in verschiedenen Teilstaaten, so hilft Art. 33 Abs. 2 lit. a EuGüVO nicht weiter. Damit scheitert die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt nach Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO. Stattdessen ist auf die nächste Sprosse der Anknüpfungsleiter zu springen und nach Art. 26 Abs. 1 lit. b EuGüVO auf die gemeinsame (z.B. US-amerikanische) Staatsangehörigkeit abzustellen; die maßgebliche Teilrechtsordnung ist dann mit Hilfe des Kriteriums der engsten Verbindung gemäß Art. 33 Abs. 2 lit. b EuGüVO zu ermitteln. Eine Rechtswahlmöglichkeit besteht diesbezüglich im internationalen Ehegüterrecht allerdings – anders als z.B. im internationalen Ehescheidungsrecht (Art. 14 lit. c Rom III-VO) – nicht. (b) Gemeinsame Staatsangehörigkeit

6.879

Kann ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt in einem Staat (bzw. in einem Teilstaat eines Mehrrechtsstaates) kurz nach der Eheschließung nicht festgestellt werden, so ist nach Art. 26 Abs. 1 lit. b EuGüVO subsidiär auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung zurückzugreifen (vgl. ErwG 49 S. 2). Ob die Ehegatten eine gemeinsame Staatsangehörigkeit haben, kann zweifelhaft sein, wenn ein Ehegatte Doppel- oder Mehrstaater ist oder beide Ehegatten neben einer gemeinsamen jeweils unterschiedliche weitere Staatsangehörigkeiten besitzen. Die Behandlung dieser Fälle regelt die Verordnung nicht selbst. Es handelt sich vielmehr um eine Vorfrage, die nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, sondern – unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts – weiterhin nach nationalem Recht, zu beantworten ist (ErwG 50 S. 1). In Deutschland ist also Art. 5 Abs 1. S. 1 EGBGB maßgebend; danach kommt es auf die gemeinsame effektive Staatsangehörigkeit an1. Demgegenüber kann der Vorrang der deutschen vor einer (auch effektiven) ausländischen Staatsangehörigkeit nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB in diesem Zusammenhang jedenfalls dann keine Anwendung finden, wenn die deutsche mit einer effektiven Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats konkurriert, weil dies mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV nicht vereinbar ist2. Jedoch hat die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB auch im europäischen Kollisionsrecht nach der Rechtsprechung des BGH3 Vorrang vor einer (auch effektiven) drittstaatlichen Staatsangehörigkeit, soweit das europäische Kollisionsrecht – wie in Art. 26 Abs. 1 lit. b EuGüVO – die Behandlung von Mehrstaatern dem anwendbaren nationalen Kollisionsrecht überlässt.

6.880

Bei Staatenlosen und Flüchtlingen tritt eigentlich der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt an die Stelle der Staatsangehörigkeitsanknüpfung nach Art. 26 Abs. 1 lit. b EuGüVO. Da an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt aber nach lit. a bereits vorrangig anzuknüpfen ist, muss in Ermangelung eines solchen bei Ehegatten, die staatenlos oder Flüchtlinge i.S.v. Art. 12 GFK sind, auf die engste Verbindung nach lit. c abgestellt werden4.

1 Coester-Waltjen in Dutta/Weber, S. 45 (53 f.); Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 3; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 12; a.A. (für Berücksichtigung auch einer gemeinsamen nicht-effektiven Staatsangehörigkeit) Martiny, ZfPW 2017, 1 (23); Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (5 f.). 2 Weber, DNotZ 2016, 659 (672 f.); Hausmann, IntEuFamR B Rz. 353; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 149; Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 21. 3 BGH v. 26.8.2020 – XII ZB 158/18, NJW 2020, 3592 Rz. 35 ff., 39 ff. m. Anm. Antomo = FamRZ 2020, 1811 m. Anm. Wall = NZFam 2020, 1009 m. Anm. Löhnig = JZ 2021, 254 m. Anm. Heiderhoff (zu Art. 8 lit. c Rom III-VO); dazu näher Hausmann in Hausmann/Odersky, § 11 Rz. 41 f. 4 Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 3.

820 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.883 § 6

An die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten kann im Rahmen von Art. 26 Abs. 1 lit. b EuGüVO allerdings nach Abs. 2 nur dann angeknüpft werden, wenn die Ehegatten nur eine gemeinsame Staatsangehörigkeit besitzen1. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich wiederum als Vorfrage nach nationalem Kollisionsrecht, in Deutschland also nach Art. 5 Abs. 1 EGBGB. Haben die Ehegatten mehr als eine gemeinsame Staatsangehörigkeit, so wird das Güterrechtstatut gemäß Abs. 2 mit Hilfe der engsten gemeinsamen Verbindung nach Abs. 1 lit. c bestimmt, sofern nicht ein gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt nach Abs. 1 lit. a begründet wurde2. Die engste Verbindung wird i.d.R. zu derjenigen gemeinsamen Staatsangehörigkeit führen, die für beide Ehegatten effektiv ist. Die Vorschrift findet jedoch nur im Falle der objektiven Anknüpfung des Güterrechtsstatuts Anwendung; im Falle einer Rechtswahl nach Art. 22 Abs. 1 lit. b EuGüVO gilt sie auch nicht entsprechend (ErwG 50 S. 2).

6.881

(c) Gemeinsame engste Verbindung Fehlt es auch an einer gemeinsamen (effektiven) Staatsangehörigkeit der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung, so kommt auf der dritten Stufe der Anknüpfungsleiter nach Art. 26 Abs. 1 lit. c EuGüVO das Recht zur Anwendung, mit dem die Ehegatten unter Berücksichtigung aller Umstände zum Zeitpunkt der Eheschließung gemeinsam am engsten verbunden sind3. In Betracht kommt insbesondere eine gemeinsame nicht effektive Staatsangehörigkeit4. Außerdem wird man zur Auslegung der engsten Verbindung die bisherige deutsche Rechtsprechung und Literatur zu Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F. in gewissem Umfang entsprechend heranziehen können, so dass die gemeinsame Herkunft, Religion, Kultur und Sprache sowie die gemeinsamen Zukunftspläne der Ehegatten zu berücksichtigen sind (dazu Rz. 6.818 f.)5.

6.882

(3) Ausweichklausel, Art. 26 Abs. 3 EuGüVO (a) Recht am letzten gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten Neu in die Verordnung aufgenommen wurde in Art. 26 Abs. 3 schließlich eine Ausweichklausel6 (ErwG 51), durch die der Grundsatz der Unwandelbarkeit des Güterstatuts eingeschränkt wird. Nach UAbs. 1 kann das Gericht ausnahmsweise auf Antrag eines Ehegatten – also nicht von Amts wegen7 – von der Primäranknüpfung an das Recht des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten (kurz) nach der Eheschließung (Abs. 1 lit. a) zugunsten des Rechts des Staates absehen, in dem die Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt8 hatten, sofern

1 Zu der im EU-Kollisionsrecht ungewöhnlichen Regelung vgl. näher von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 298 f. 2 Der Hinweis auf lit. a geht freilich ins Leere, weil lit. b überhaupt nur anwendbar ist, wenn die Voraussetzungen nach lit. a nicht vorliegen, vgl. Martiny, ZfPW 2017, 1 (22); Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 3; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 11. 3 Dazu Kroll-Ludwigs, GPR 2016, 231 (237); Martiny, ZfPW 2017, 1 (23). 4 Hausmann, IntEuFamR B Rz. 354. 5 Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (412); Thorn in Palandt, Rz. 4; Looschelders in MünchKomm, Rz. 14 ff.; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 24, jeweils zu Art. 26 EuGüVO. Dazu Rz. 6.818 f. sowie das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 30. 6 Ausf. dazu von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 301 ff. 7 Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 5; Looschelders in MünchKomm Art. 26 EuGüVO Rz. 20. 8 Gemeint ist der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt vor Stellung des Antrags nach Art. 26 Abs. 3 EuGüVO, vgl. Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 9.

Hausmann | 821

6.883

§ 6 Rz. 6.883 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

– dieser erheblich länger gewährt hat als der erste gewöhnliche Aufenthalt nach der Eheschließung in einem anderen Staat (lit. a)1, und – beide Ehegatten bei der Regelung oder Planung ihrer vermögensrechtlichen Beziehungen auf die Geltung dieses Rechts am letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt vertraut haben (lit. b)2.

6.884

Beweispflichtig für diese Voraussetzungen einer Anwendung der Ausweichklausel ist derjenige Ehegatte, der sich auf diese beruft3.

6.885

Fehlt es an einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten kurz nach der Eheschließung und wird das Güterrechtsstatut daher durch die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten nach Abs. 1 lit. b oder die sonstige engste Verbindung nach Abs. 1 lit. c bestimmt, so findet die Ausweichklausel nach Art. 26 Abs. 3 EuGüVO hingegen keine Anwendung4. Ferner kann auch auf einen sehr langen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, den die Ehegatten in einem anderen Land als dem ihres ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts genommen hatten, dann nicht abgestellt werden, wenn dies nicht der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt war (z.B. weil die Ehegatten danach noch einmal einen – wenn auch nur kurzen – gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einem dritten Land begründet hatten5. Die Anwendung der Ausweichklausel setzt hingegen nicht voraus, dass der letzte gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch besteht6. Sind die Voraussetzungen nach UAbs. 1 lit. a und lit. b erfüllt, so hat das Gericht dem Antrag stattzugeben; ein Ermessen wird ihm diesbezüglich nicht eingeräumt7. (b) Rückwirkung

6.886

Das Recht am letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten gilt nach Art. 26 Abs. 3 UAbs. 2 EuGüVO grundsätzlich rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Eheschließung. Dies hat zur Folge, dass die unter dem Recht des ersten gewöhnlichen Aufenthalts eingetretenen güterrechtlichen Wirkungen unter das rückwirkend geltende neue Güterrecht subsumiert werden müssen. Nur wenn ein Ehegatte – also nicht notwendig der Antragsgegner8 – dieser 1 Maßgebend dafür ist die Relation der Zeiträume des ersten zu dem späteren gewöhnlichen Aufenthalt. Je länger der erste gewöhnliche Aufenthalt gewährt hat, umso größer muss der absolute Unterschied beider Zeiträume sein, vgl. Döbereiner, MittBayNot V2011, 405 (411); Kemper, FamRB 2019, 72; Stürner in Erman, Art. 26 EuGüVO Rz. 6; Thorn in Palandt, Rz. 5; Looschelders in MünchKomm, Rz. 19, jeweils zu Art. 26 EuGüVO. 2 Dieses Vertrauen wird insbesondere gegeben sein, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Ehegatten gemeinsam von der Geltung des Rechts an ihrem letzten gewöhnlichen Aufenthalt ausgegangen sind; insoweit kann auch die deutsche Rechtsprechung zu Art. 220 Abs. 3 Nr. 2 EGBGB Hilfestellung bieten. 3 von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 305. 4 Weber, DNotZ 2016, 659 (674); Kemper, FamRB 2019, 68 (71); Coester-Waltjen in Dutta/Weber S. 45 (55); Hausmann, IntEuFamR B Rz. 356; Sieghörtner in NK BGB Art. 26 EuGüVO Rz. 8; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 18; krit. dazu Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (6). 5 Coester-Waltjen in Dutta/Weber S. 45 (56); Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 5; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 18; auch dazu krit. Heiderhoff (vorige Fn.) 6 Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 152. 7 Weber, DNotZ 2016, 659 (676); Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 13; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 24. 8 Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 17; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 26.

822 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.888 § 6

Rückwirkung widerspricht, ist dieses Recht erst von der Begründung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in diesem anderen Staat an maßgebend. In diesem Fall tritt also mit der Begründung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts ein Statutenwechsel und eine daraus folgende Änderung des Güterstands ein. Der frühere Güterstand ist zum Stichtag nach dem für ihn geltenden Recht des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts abzuwickeln1. (c) Schranken Die Anwendung der Ausweichklausel darf die Rechte gutgläubiger Dritter nicht beeinträchtigen (Art. 26 Abs. 3 UAbs. 3): Darauf, ob der Dritte auf die Geltung des Rechts am ersten gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten nach der Eheschließung (Abs. 1 lit. a) vertraut hat, kommt es – anders als nach Art. 28 EuGüVO – nicht an2. Außerdem kann die Ausweichklausel dann nicht angewandt werden, wenn die Ehegatten schon vor der Begründung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts in diesem anderen Staat eine Vereinbarung über den ehelichen Güterstand abgeschlossen hatten (Art. 26 Abs. 3 UAbs. 4); das Vertrauen in den Bestand dieser Vereinbarung soll durch eine Anwendung der Ausweichklausel nicht zerstört werden können. Auf die Frage, wie lange vor der Begründung des letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts die Ehegatten den Ehevertrag geschlossen hatten, kommt es nicht an; dieser muss insbesondere nicht bereits zur Zeit des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts abgeschlossen worden sein3. Die Ausweichklausel wird allerdings nur durch einen materiell wirksamen und nach Art. 25 EuGüVO formgültigen Ehevertrag ausgeschlossen4. Die materielle Wirksamkeit beurteilt sich nach dem Recht des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten bzw. nach dem von ihnen gemäß Art. 22 EuGüVO im Ehevertrag gewählten Recht. Die praktische Bedeutung von Art. 26 Abs. 3 UAbs. 4 EuGüVO ist zwar begrenzt5; immerhin kann der Abschluss eines Ehevertrags in der Praxis helfen, die durch die Ausweichklausel in Art. 26 Abs. 3 EuGüVO geschaffene erhebliche Rechtsunsicherheit zu beseitigen6.

6.887

Maßgebender Zeitpunkt für die Anknüpfungen nach Art. 26 Abs. 1 lit. b (gemeinsame Staatsangehörigkeit) und lit. c (gemeinsame engste Verbindung) ist im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs der Zeitpunkt der Eheschließung. Demgegenüber kommt es für die Anknüpfung nach Abs. 1 lit. a auf den Staat an, in dem die Ehegatten (kurz) nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt begründet haben. Eine spätere Verlegung des gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts oder ein Wechsel der Staatsangehörigkeit der Ehegatten ist auf das nach der Verordnung bestimmte Güterrechtsstatut ohne Einfluss (Grundsatz der Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts; vgl. ErwG 46 S. 1)7. Auf diese Wei-

6.888

1 Kemper, FamRB 2019, 72 (73); Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 17. 2 Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 18; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 27. 3 Weber, DNotZ 2016, 659 (675); Hausmann, IntEuFamR Rz. 359; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 22. 4 Weber, DNotZ 2016, 659 (676); Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 15. 5 Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 23; krit. zur engen Fassung von Abs. 3 UAbs. 4 auch Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (6); Stürner in Erman, Art. 26 EuGüVO Rz. 9. 6 von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 319. 7 Hausmann, IntEuFamR B Rz. 360; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 279; Looschelders in MünchKomm, Art. 26 EuGüVO Rz. 3; Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 25. Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 37.

Hausmann | 823

§ 6 Rz. 6.888 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

se soll insbesondere Rechssicherheit gewährleistet werden, dh die Ehegatten sollen nicht dadurch überrascht werden, dass zB ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts während der Ehe automatisch zu einer Änderung des anwendbaren Güterrechts führt; außerdem sollen wohlerworbene Rechte der Ehegatten erhalten bleiben1. Dabei wird freilich in Kauf genommen, dass die Ehegatten dem Recht eines Staates unterworfen werden, zu dem sie zur Zeit der gerichtlichen Entscheidung – z.B. über die güterrechtliche Auseinandersetzung anlässlich einer Ehescheidung – keinen Bezug mehr haben.

6.889

Wenn Ehegatten eine Anpassung ihrer güterrechtlichen Verhältnisse an das neue Lebensumfeld wünschen, müssen sie ihren diesbezüglichen Willen grundsätzlich ausdrücklich bekunden. Hierfür steht ihnen die Möglichkeit einer nachträglichen Rechtswahl nach Art. 22 EuGüVO offen. Eine solche erst während der Ehe getroffene Rechtswahl wirkt grundsätzlich nur ex nunc, soweit die Ehegatten nicht ausdrücklich eine Rückwirkung vereinbaren, Art. 22 Abs. 2 (ErwG 46 S. 2; dazu Rz. 6.963 ff.). Durch die Vereinbarung einer Rückwirkung werden jedoch die Gültigkeit früherer Rechtshandlungen der Ehegatten und Rechte Dritter nicht beeinträchtigt, Art. 22 Abs. 3 EuGüVO.

6.890

Der Grundsatz der Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts wird ferner auch durch die Ausweichklausel des Art. 26 Abs. 3 EuGüVO deutlich eingeschränkt2. Denn danach kann unter den Voraussetzungen von UAbs. 1 lit. a und lit. b anstelle des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten nach der Eheschließung deren letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt als maßgebend für die Bestimmung des Güterrechtsstatuts zugrunde gelegt werden. Die Vorschrift dürfte eine Konzession an diejenigen Mitgliedstaaten sein, die in ihrem nationalen Kollisionsrecht bisher vom Grundsatz der Wandelbarkeit des Güterrechtsstatuts ausgegangen sind. Es ist daher zu erwarten, dass von der Ausweichklausel in diesen Staaten vermehrt Gebrauch gemacht werden wird. Wollen Ehegatten dies vermeiden, so ist ihnen zum rechtzeitigen Abschluss eines Ehevertrags nach Art. 26 Abs. 3 UAbs. 4 EuGüVO oder zu einer Rechtswahl nach Art. 22 EuGüVO zu raten. bb) Vor dem 29.1.2019 geschlossene Ehen (1) Allgemeines

6.891

In vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen unterliegt das eheliche Güterrecht auch in den an der EuGüVO teilnehmenden Mitgliedstaaten weiterhin dem jeweiligen autonomen Kollisionsrecht, wenn die Ehegatten nach diesem Stichtag keine Rechtswahl getroffen haben, Art. 69 Abs. 3 EuGüVO. Wegen der großen Zahl von Ehen, in denen das auf die güterrechtlichen Beziehungen anwendbare Recht noch auf Jahrzehnte durch das autonome IPR bestimmt wird, ist dieses im Rahmen dieses Handbuchs weiter darzustellen. Aus deutscher Sicht gilt daher für diese Altehen weiterhin der inzwischen aufgehobene Art. 15 Abs. 1 EGBGB3. Maßgebend ist danach in Ermangelung einer Rechtswahl grundsätzlich das nach Art. 14 EGBGB a.F. für die allgemeinen Ehewirkungen bei der Eingehung der Ehe maßgebende Recht. Wegen dieser Fixierung der Anknüpfung auf den Zeitpunkt der Eheschließung (Unwandelbarkeit; dazu

1 Vgl. zu Art. 15 EGBGB OLG Oldenburg v. 18.12.1984 – 5 W 70/84, Rpfleger 1985, 188; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 28. 2 Weber, DNotZ 2016, 659 (674); Thorn in Palandt, Art. 26 EuGüVO Rz. 5; Sieghörtner in NK BGB, Art. 26 EuGüVO Rz. 7. 3 Vgl. Art. 229 § 47 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB; ferner OLG Saarbrücken v. 23.5.2019 – 5 W 25/19, FamRZ 2020, 1569.

824 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.894 § 6

Rz. 6.898 f.) finden weder Art. 14 EGBGB n.F. noch die vergangenheitsbezogenen Stufen der Anknüpfungsleiter in Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EGBGB a.F. Anwendung. Die güterrechtlichen Beziehungen unterliegen ferner grundsätzlich nur einer einzigen Rechtsordnung, ohne dass es insoweit auf die Belegenheit der einzelnen Vermögensgegenstände ankommt (Einheitlichkeit des Güterrechtsstatuts; dazu Rz. 6.893). Zu beachten ist weiterhin, dass Art. 15 Abs. 1 EGBGB – anders als Art. 26 EuGüVO – eine Gesamtverweisung ausspricht. Somit ist eine Rück-oder Weiterverweisung durch das zur Anwendung berufene ausländische Recht nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich zu beachten (zu Einzelheiten Rz. 6.905 ff.). Art. 15 Abs. 1 EGBGB unterstellt die güterrechtlichen Wirkungen der Ehe im Interesse einer einheitlichen Anknüpfung sämtlicher Familienbeziehungen dem von der Grundsatzkollisionsnorm des Art. 14 EGBGB berufenen Recht. Dieser Gleichlauf gilt auch, soweit das Ehewirkungsstatut nach Art. 14 Abs. 2 und 3 EGBGB von den Ehegatten vor der Eheschließung durch Rechtswahl bestimmt worden ist1. Zusätzlich ermöglicht Art. 15 Abs. 2 EGBGB den Ehegatten eine auf ihre güterrechtlichen Beziehungen beschränkte Rechtswahl. Im Verhältnis zum Iran wird Art. 15 EGBGB durch das deutsch-iranische Niederlassungsabkommen von 1929 verdrängt (dazu Rz. 6.976 f.).

6.892

(2) Ehewirkungsstatut bei Eheschließung, Art. 15 Abs. 1 EGBGB (a) Gemeinsames Heimatrecht Das eheliche Güterrecht unterliegt nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich dem für die allgemeinen Ehewirkungen bei der Eingehung der Ehe maßgebenden Recht. Wegen dieser Fixierung auf den Zeitpunkt der Eheschließung (Unwandelbarkeit, dazu Rz. 6.898 f.) können die vergangenheitsbezogenen Stufen der Anknüpfungsleiter in Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EGBGB a.F. (letzte gemeinsame Staatsangehörigkeit und letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt) nicht eingreifen. Die güterrechtlichen Beziehungen unterliegen grundsätzlich nur einer einzigen Rechtsordnung, unabhängig von der Belegenheit der einzelnen Vermögensgegenstände (Einheitlichkeit des Güterrechtsstatuts)2; Ausnahmen können sich lediglich aus dem Vorrang des Einzelstatuts (Art. 3a Abs. 2 EGBGB) und der Beachtung eines Teil-Renvoi ergeben (dazu näher Rz. 6.969 ff., Rz. 6.911 ff.)

6.893

Das eheliche Güterrecht ist mithin in erster Linie nach dem gemeinsamen Heimatrecht der Ehegatten zur Zeit der Eheschließung zu beurteilen (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F.)3. Bei Mehrstaatern ist dabei nur die nach Art. 5 Abs. 1 EGBGB maßgebliche (effektive ausländische bzw. deutsche) Staatsangehörigkeit zu berücksichtigen4. Dabei sollte es für eine Anknüpfung nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB a.F. ausreichen, wenn die Eheleute erst durch die Heirat eine gemeinsame effektive (oder gemeinsam die deutsche) Staats-

6.894

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 79 ff. Eine erst nach der Eheschließung getroffene Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 2 oder 3 EGBGB a.F. wirkte sich hingegen güterrechtlich nicht aus. 2 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz.106; Hausmann, IntEuFamR B Rz. 410. 3 OLG München v. 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, NJW 2016, 1186 (1187, Rz. 13); OLG Zweibrücken v. 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, NJW 2016, 1185 f. (Rz. 7); OLG Hamm v. 27.1.2010 – II-2 WF 259/09, FamRZ 2010, 1563 (1565); Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 70 ff. m.w.N. 4 OLG Köln v. 15.4.2015 – 4 WF 169/14, FamRZ 2015, 1617 (1618); AG Berlin Pankow/Weißensee v. 11.2.2004 – 11 F 7113/03, FamRZ 2004, 1501 (1503); Henrich, FamRZ 1986, 845 f.; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 10; Looschelders, in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 72 ff.

Hausmann | 825

§ 6 Rz. 6.894 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

angehörigkeit erworben haben1. Bei Staatenlosen oder Flüchtlingen ist anstelle der Staatsangehörigkeit ihr durch den persönlichen Aufenthalt bestimmtes Personalstatut maßgebend (vgl. Art. 5 Abs. 2 EGBGB; dazu Rz. 6.1063).2 Gehören die Ehegatten einem Mehrrechtsstaat an, so ist die maßgebende Teilrechtsordnung nach Art. 4 Abs. 3 EGBGB zu ermitteln3. (b) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt

6.895

Besaßen die Ehegatten bei ihrer Eheschließung keine gemeinsame Staatsangehörigkeit i.S.v. Art. 5 Abs. 1 EGBGB, so kommt in zweiter Linie das Güterrecht des Staates zur Anwendung, in dem beide Ehegatten zur Zeit der Heirat ihren gewöhnlichen Aufenthalt, d.h. ihren „Daseinsmittelpunkt4, hatten (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB a.F.)5. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist dabei in Art. 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB ebenso zu verstehen wie in Art. 5 EGBGB6. Der gewöhnliche Aufenthalt muss nur im gleichen Staat, nicht am gleichen Ort innerhalb dieses Staates bestehen7. Ein früherer gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt bleibt hingegen ebenso außer Betracht wie ein erst nach der Eheschließung begründeter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt in einem Staat8. (c) Andere gemeinsame engste Verbindung

6.896

Fehlte es zur Zeit der Eheschließung auch an einem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten, so beurteilen sich ihre güterrechtlichen Verhältnisse in dritter Linie nach dem Recht des Staates, mit dem sie zu diesem Zeitpunkt auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden waren (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F.). Dabei sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Außer den in Rz. 6.818 f. genannten Kriterien kommt vor allem dem Ort der Eheschließung, sofern er nicht ganz zufällig gewählt ist, und den objektiv feststellbaren gemeinsamen Zukunftsplänen der Ehegatten (insbesondere der bei der Eheschließung bereits beabsichtigten Begründung eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltes in einem bestimmten Staat nach der Eheschließung) wesentliche Bedeutung zu9. Auf 1 OLG Karlsruhe v. 29.8.1983 – 4 W 43/83NJW 1984, 570 (571); OLG Düsseldorf v. 23.12.1983 – 3 W 170/83, IPRax 1984, 156; Jayme, IPRax 1987, 95 ff.; Schurig, JZ 1985, 559 (561); Schurig in Soergel Art. 15 EGBGB Rz. 5; ausf. Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 53; a.A. OLG Zweibrücken v. 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, NJW 2016, 1185; BayObLG v. 16.1.1986 – BReg 2 Z 38/84, IPRax 1986, 379 (381); KG v. 13.2.1986 – 16 UF 3009/85, IPRax 1987, 117 (119 f.); AG Berlin-Pankow v. 11.2.2004 – 11 F 7113/03, FamRZ 2004, 1501; Mankowski in Staudinger, Rz. 32 ff.; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 12; Looschelders in MünchKomm, Rz. 75, jeweils zu Art. 15 EGBGB. 2 Vgl. BGH v. 27.8.2003 – XII ZR 300/01, NJW 2003, 3339 (Asylberechtigte). 3 OLG Düsseldorf v. 20.12.1994 – 1 UF 76/94, FamRZ 1995, 1203 (ehemaliges Jugoslawien). 4 Zum – lege fori zu qualifizierenden – Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ näher Henrich, FamRZ 1986, 846; Thorn in Palandt, Art. 5 EGBGB Rz. 10 f. 5 BGH v. 13.7.2011 – XII ZR 48/09, FamRZ 2011, 1495 (1496) m. Anm. Wachter = IPRax 2012, 356 (m. Anm. Helms, IPRax 2012, 324); OLG München v. 26.7.2005 – 4 UF 433/04, IPRspr. 2005 Nr. 46; OLG Hamm v. 11.5.2001 – 11 WF 15/01, FamRZ 2002, 459; OLG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/99, NJW-RR 2000, 542 (544). 6 OLG Frankfurt a.M. v. 14.9.2020 – 21 W 59/20, BeckRS 2020, 27072 (Rz. 74) = FamRZ 2021, 234. 7 Hausmann, IntEuFamR B Rz. 415. 8 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 13. 9 BT-Drucks. 10/3632, S. 41; BGH v. 8.4.1987 – IVb ZR 37/86, NJW 1988, 638; OLG Köln v. 15.4.2015 – 4 WF 169/14, FamRZ 2015, 1617 (1618); KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 (1562); OLG Hamburg v. 21.5.2003 – 12 UF 11/02, FamRZ 2004, 459; Looschelders in MünchKomm, Rz. 76; Schurig in Soergel, Rz. 8; Mankowski in Staudinger, Rz. 37 f.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 56, jeweils zu Art. 15 EGBGB.

826 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.898 § 6

die Verwirklichung dieser Pläne kommt es im Rahmen von Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB a.F. nicht entscheidend an1. Lässt sich auch eine gemeinsame engste Verbindung der Ehegatten zu einem Staat nicht feststellen, so bleibt als Ausweg nur die Anknüpfung an den Eheschließungsort2. (d) Mittelbare Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 2 oder Abs. 3 EGBGB a.F. Haben die Ehegatten bereits vor oder bei der Heirat3 das Ehewirkungsstatut nach Maßgabe des Art. 14 Abs. 2 oder Abs. 3 EGBGB a.F. wirksam gewählt, so ist diese Rechtswahl über Art. 15 Abs. 1 EGBGB mittelbar auch für das Güterrechtsstatut maßgebend. Sie hat dann Vorrang vor der gesetzlichen Anknüpfung gemäß Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 EGBGB a.F., konnte jedoch ihrerseits durch eine in weiterem Umfang mögliche güterrechtliche Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB abgeändert werden. Während die Wirkungen der Rechtswahl für die allgemeinen Ehewirkungen nach Art. 14 Abs. 3 S. 2 EGBGB a.F. endeten, wenn die Ehegatten eine gemeinsame Staatsangehörigkeit erwarben, gilt dies nicht für die güterrechtlichen Wirkungen einer solchen Rechtswahl, die wegen des Grundsatzes der Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts auch in diesem Fall bestehen bleiben4.

6.897

(3) Unwandelbarkeit (a) Grundsatz Wie Art. 26 Abs. 1 EuGüVO (dazu Rz. 6.888) stellt auch Art. 15 Abs. 1 EGBGB für die objektive Bestimmung des Güterrechtsstatuts auf die Verhältnisse zur Zeit der Eheschließung ab; maßgebend ist und bleibt das in diesem Zeitpunkt zur Anwendung berufene Ehewirkungsstatut. Eine spätere Veränderung der für die Anknüpfung nach Art. 14 EGBGB a.F. maßgebenden Verhältnisse – z.B. ein Staatsangehörigkeits- oder Aufenthaltswechsel oder eine spätere Rechtswahl gemäß Art. 14 Abs. 2, 3 EGBGB a.F. – ist auf die gesetzliche Anknüpfung des Güterrechtsstatuts ohne Einfluss5; dieses ist – vorbehaltlich einer nachträglichen güterrechtlichen Rechtswahl gemäß Art. 15 Abs. 2 EGBGB bzw. Art. 22 f. EuGüVO (dazu Rz. 6.927 ff.) – unwandelbar, gilt also für die ganze Zeit des Bestehens der Ehe6.

1 OLG Düsseldorf v. 26.6.2018 – I-3 Wx 214/16, FamRZ 2018, 1783 (1785) m. Anm. Looschelders; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 15; a.A. Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 12. 2 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 16; a.A. (Grundsatz des schwächeren Rechts) Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 13; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 57. 3 Eine spätere Wahl des Ehewirkungsstatuts war wegen des Grundsatzes der Unwandelbarkeit auf das Güterrechtsstatut ohne Einfluss; vgl. Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 79; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 18. 4 Kühne, IPRax 1987, 69 (73); Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 15; Henrich in Johannsen/ Henrich, Art. 15 EGBGB Rz. 9. 5 BT-Drs. 10/504, 58. 6 OLG Nürnberg v. 28.9.2016 – 7 UF 1142/15, FamRZ 2017, 698 (700); OLG Zweibrücken v. 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, NJW 2016, 1185 (Rz. 8); OLG Stuttgart v. 9.2.2015 – 17 WF 172/14, NJW-RR 2015, 838 (Rz. 9);OLG Hamm v. 16.2.2006 – 4 UF 224/05, FamRZ 2006, 1383 (1384); OLG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/99, FamRZ 2000, 1574 (1575 f.); AG Berlin-Pankow v. 11.2.2004 – 11 F 7113/03, FamRZ 2004, 1501 (1503); Hausmann, IntEuFamR B Rz. 431 ff.; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 43 ff.; Looschelders in MünchKomm, Rz. 17 ff.; Kegel/ Schurig, IPR § 20 VI 1a; krit. Kropholler, IPR, § 28 II, III.

Hausmann | 827

6.898

§ 6 Rz. 6.899 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.899

Der Grundsatz der Unwandelbarkeit führt zu Problemen, wenn der bei Eheschließung noch bestehende Gesamtstaat im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über das Güterrecht nicht mehr existiert. In diesen Fällen der sog. Staatensukzession wird die Unwandelbarkeit z.T. dadurch aufrecht erhalten, dass der zwischenzeitliche Zerfall des Gesamtstaats ignoriert wird1. Demgegenüber ist das maßgebliche Ehegüterrecht im Falle der Verweisung durch Art. 15 EGBGB auf das Recht eines nach der Eheschließung zerfallenen Gesamtstaates so zu bestimmen, dass zunächst festgestellt wird, zu welchem der Nachfolgestaaten die Ehegatten zur Zeit der Eheschließung die engste Verbindung hatten (Art. 4 Abs. 3 S. 2 EGBGB analog). Das intertemporale und internationale Privatrecht dieses Nachfolgestaats beantwortet sodann die Frage, ob eine Rückverweisung auf deutsches Recht oder eine Weiterverweisung auf einen anderen Nachfolgestaat des zerfallenen ehemaligen Gesamtstaats stattfindet2. (b) Ausnahmen

6.900

Der Grundsatz der Unwandelbarkeit wird in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen vor allem in folgenden Fällen durchbrochen: – durch eine Rechtswahl nach Eheschließung (dazu Rz. 6.927 ff.); – für gemischt-nationale Ehen, die zwischen dem 31.3.1953 und dem 9.4.1983 geschlossen wurden, durch die intertemporale Regelung in Art. 220 Abs. 3 EGBGB3; – durch eine bewegliche Rück- oder Weiterverweisung nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB (dazu Rz. 6.914 ff.); – für volksdeutsche Flüchtlinge und Vertriebene nach Art. 15 Abs. 4 EGBGB (dazu Rz. 6.901).

6.901

Besonderheiten gelten lediglich für Vertriebene und Flüchtlinge deutscher Volkszugehörigkeit. Für sie ist die Wandelbarkeit durch § 1 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes über den ehelichen Güterstand von Vertriebenen und Flüchtlingen vom 4.8.19694, dessen Vorschriften gem. Art. 15 Abs. 4 EGBGB in vor dem 29.1.2919 geschlossenen Ehen unberührt bleiben, ausdrücklich angeordnet, wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt am 1.10.1969 im Gebiet der da-

1 Vgl. OLG Frankfurt v. 25.2.2000 – 5 UF 11/99, IPRax 2001, 140 (m. zust. Anm. Henrich, IPRax 2001, 113) (Auf die güterrechtlichen Beziehungen zwischen einem Slowenen und einer Kroatin, die 1970 in Kroatien geheiratet hatten, im Wege der Unteranknüpfung nach Art. 4 Abs. 3 EGBGB kroat. Recht angewendet. Der zwischenzeitliche Zerfall der SFR Jugoslawien bleibe wegen der Unwandelbarkeit des Güterstandes außer Betracht). Ebenso OLG Nürnberg v. 3.3.2011 – 9 UF 1390/ 10, FamRZ 2011, 1509 m. Anm. Henrich; zust. auch Busse, IPRax 1998, 155 (159). 2 Vgl. näher Grosserichter/Bauer, RabelsZ 65 (2001), 201 (211 ff.); zust. OLG Nürnberg v. 28.9.2016 – 7 UF 1142/15, FamRZ 2017, 698 (700); OLG Stuttgart v. 9.2.2015 – 17 WF 172/14, NJW-RR 2015, 838 (Rz. 10 ff.); Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 34; Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 113 f.; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 238 f. Vgl. auch OLG Hamm v. 8.10.2009 – I-15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976 f.) = MittBayNotV 2010, 223 m. Anm. Süß (zur UdSSR) sowie das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 60. 3 Vgl. dazu Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 177 ff. 4 BGBl 1969 I, 1067; abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 37. Nach dem Gesetz findet eine Überleitung des ausländischen gesetzlichen Güterstands nur bei volksdeutschen Flüchtlingen statt; für sonstige Flüchtlinge (zB nach der Genfer Flüchtlingskonvention) verbleibt es hingegen beim Grundsatz der Unwandelbarkeit, vgl. Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 63; Kropholler, IPR, § 45 IV 3b; a.A. Kegel/Schurig, IPR § 20 VI 1d.

828 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.904 § 6

maligen Bundesrepublik Deutschland hatten und an diesem Stichtag in einem ausländischen gesetzlichen Güterstand gelebt haben1. Für vertriebene volksdeutsche Ehegatten, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt erst nach diesem Stichtag nach Deutschland verlegt haben, tritt der Statutenwechsel gem. § 3 des Gesetzes vier Monate nach Begründung des gewöhnlichen Inlandsaufenthalts ein2. Gleiches gilt für Spätaussiedler aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR, sofern sie die Voraussetzungen des § 4 BVFG erfüllen. In all diesen Fällen wirkt die Überleitung des Güterstands nur ex nunc, so dass es für die Zeit davor bei dem ausländischen gesetzlichen Güterstand verbleibt, der zum Stichtag abzuwickeln ist3. Der Grundsatz der Unwandelbarkeit ist allerdings nur ein verweisungsrechtliches Prinzip des deutschen Kollisionsrechts. Er setzt sich daher gegenüber der Wandelbarkeit des Güterrechtsstatuts nach dem von Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 EGBGB a.F. zur Anwendung berufenen ausländischen Kollisionsrecht nicht durch. Haben sich die maßgebenden Anknüpfungskriterien (Staatsangehörigkeit, gewöhnlicher Aufenthalt) daher nach der Eheschließung geändert, so ist dies im Rahmen der Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung durch das ausländische IPR zu beachten, wenn sich hieraus nach dem maßgeblichen ausländischen Kollisionsrecht eine Rückverweisung auf deutsches Recht oder eine Weiterverweisung auf das Recht eines dritten Staates ergibt (Rz. 6.914 ff.).

6.902

Darüber hinaus kann aber auch eine erst nach der Eheschließung eingetretene Änderung des ausländischen Kollisionsrechts zur Wandelbarkeit des Güterrechtsstatuts führen, sofern sie nach den intertemporalen Vorschriften dieses Rechts auch vor Inkrafttreten der Rechtsänderung geschlosssene Ehen erfasst. Die Verweisung nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB ist mthin auf das jeweils geltende ausländische IPR gerichtet, das im Falle einer nach Eheschließung eingetretenen Änderung durch seine intertemporalen Regeln entscheidet, ob das alte oder das neue Kollisionsrecht anzuwenden ist4.

6.903

Der Grundsatz der Unwandelbarkeit führt auch nicht zu einer Festschreibung des bei Eheschließung maßgeblichen Güterstands. Wird also das maßgebliche materielle Güterrecht nach der Eheschließung geändert, sind diese Änderungen in dem Umfang zu berücksichtigen, in dem sie sich selbst durch intertemporale Normen Rückwirkung beilegen. Das durch Art. 15 EGBGB bezeichnete Recht gilt also mit seinem jeweiligen Inhalt5.

6.904

1 Vgl. Böhmer in Ferid, IPR, Rz. 8-118; Hausmann inHausmannn/Odersky, § 9 Rz. 70 ff. m.w.N. 2 Das Gesetz gilt jedoch auch für Personen, die nach Öffnung der innerdeutschen Grenze am 9.11.1989 und vor der Wiedervereinigung am 3.10.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in die Bundesrepublik Deutschland verlegt haben, vgl. Wassermann, FamRZ 1990, 341; von Bar, Bd. II Rz. 218. 3 Vgl. OLG Hamm v. 12.12.1976 – 15 W 267/75, NJW 1977, 1591 m. Anm. Reinartz; OLG Hamm v. 12.6.1995 – 15 W 120/95, FamRZ 1995, 1606; Hausmann, IntEuFamR B Rz. 593 mwN. 4 OLG Hamm v. 8.10.2009 – I-15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976 f.); KG v. 17.11.2004 – 3 UF 52/04, FamRZ 2005, 1676 f.; OLG München v. 10.11.2010 – 31 Wx 53/10, ZEV 2011, 137 (138); OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1512); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 243; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 56 mwN. Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 63. 5 OLG Hamm v. 16.2.2006 – 4 UF 224/05, FamRZ 2006, 1383 (1384); KG v. 17.11.2004 (vorige Fn.); OLG Frankfurt a.M. v. 18.8.1993 – 20 W 264/93, NJW-RR 1994, 72 (73); OLG Karlsruhe v. 16.02.1989 – 2 UF 256/88, IPRax 1990, 122 (124) (m. Anm. Jayme, IPRax 1990, 102); OLG Stuttgart v. 4.12.1957 – 4 U 75/56, NJW 1958, 1972 (1973); Sieghörtner in NK-BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 24; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 49 m.w.N.

Hausmann | 829

§ 6 Rz. 6.904a | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.904a

Demgegenüber blieben die Ehegatten nach der sog. Versteinerungstheorie nicht nur an ihr Heimatrecht, sondern auch an dessen materiell-rechtliche Ausgestaltung zur Zeit der Eheschließung gebunden. Diese Theorie wurde in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg entwickelt, als Flüchtlinge und Vertriebene in großer Zahl aus dem Osten nach Deutschland umsiedelten. Trat in diesen Fällen die Änderung des materiellen Güterrechts erst zu einem Zeitpunkt ein, zu dem die Ehegatten die für die Anknüpfung wesentliche Beziehung zu ihren Heimatstaaten durch Emigration, Flucht oder Vertreibung bereits verloren hatten, so lehnte die damalige Rechtsprechung es ab, die Ehegatten auch noch nachträglichen Änderungen des Güterrechts ihrer Heimatstaaten zu unterwerfen; vielmehr sollte es dann bei dem im Zeitpunkt des Abbruchs der Beziehungen geltenden sachlichen Güterrecht verbleiben1. Eine solche „Versteinerung“ des Güterstandes ist abzulehnen, weil das Festhalten an antiquierten Rechtsnormen des ausländischen Güterrechts den Interessen der Betroffenen i.d.R. zuwiderläuft; die Eheleute sollten vielmehr an der Fortentwicklung des materiellen Güterrechts ihrer Heimatstaaten teilhaben2. Dies gilt insbesondere in einem System des internationalen Ehegüterrechts, das neben der Staatsangehörigkeit auch andere, leichter abänderbare Anknüpfungen – wie den gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten – kennt. (4) Rück- und Weiterverweisung (a) Gesamtverweisung durch Art.15 Abs. 1 EGBGB

6.905

Die akzessorische Anknüpfung des Güterrechtsstatuts ist nur als eine verkürzte Bezugnahme auf ein gleichberechtigungskonformes Anknüpfungsmodell zu verstehen, so dass nicht etwa auf das Sachrecht verwiesen wird, dem die allgemeinen Ehewirkungen unterstehen; vielmehr spricht Art. 15 Abs. 1 (i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1–3) EGBGB eine Gesamtverweisung auf das ausländische Recht des Staates aus, dem die Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung gemeinsam angehörten bzw. in dem sie zu diesem Zeitpunkt ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten oder mit dem sie sonst am engsten verbunden waren3. Daraus folgt, dass nunmehr nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB anhand der güterrechtlichen Kollisionsnormen dieses Rechts zu prüfen ist, ob auf deutsches Recht zurück- oder auf das Recht eines dritten Staates weiterverwiesen wird4. Hingegen bleibt die für die allgemeinen Ehewirkungen maßgebliche Kollisionsnorm des ausländischen Rechts außer Betracht; eine durch sie ausgesprochene Rück- oder Weiterverweisung bestimmt das Güterrechtsstatut auch nicht mittelbar5. Mit die1 Vgl. BGH v. 21.6.1963 – V ZB 3/63, BGHZ 40, 32 (35) = NJW 1963, 1975; OLG Stuttgart v. 4.12.1957 (vorige Fn.) (Tschechoslowakei); OLG Hamm v. 12.12.1976 – 15 W 267/75, NJW 1977, 1591 m. Anm. Reinartz = FamRZ 1977, 327 (Rumänien); OLG Bamberg v. 3.11.1983 – 2 UF 15/ 83, IPRspr. 1984 Nr. 59 (Tschechoslowakei). 2 OLG Hamm v. 8.10.2009 – 15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976 f.) m. zust. Anm. Süß, MittBayNotV 2010, 22; Schurig in Soergel, Rz. 29; Looschelders in MünchKomm, Rz. 111; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 25; jeweils zu Art. 15 EGBGB; Kropholler, IPR, § 45 IV 3c; Henrich, IPRax 2001, 114. 3 Vgl. allgemein zum Problem des Renvoi in Fällen der akzessorischen Anknüpfung im internationalen Familienrecht Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 114 ff. m.w.N. 4 OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1512); OLG Hamm v. 8.10.2009 – 15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976); OLG Koblenz v. 2.12.1993 – 11 UF 1009/92, FamRZ 1994, 1258; OLG Hamm v. 10.4.1992 – 4 WF 47/92, FamRZ 1992, 963; von Bar, Bd. II Rz. 213. 5 OLG Frankfurt v. 17.11.2016 – 20 W 103/15, ZEV 2017, 572 Rz. 41; OLG Bremen v. 7.5.2015 – 4 WF 52/15, = FamRZ 2016, 129; OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1512); OLG Hamm v. 8.10.2009 – 15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976); OLG Koblenz v. 2.12.1993 – 11 UF 1009/92, FamRZ 1994, 1258; OLG Hamm v. 10.4.1992 (vorige Fn.); Rauscher, NJW 1988, 2151 (2154); Kartzke, IPRax 1988, 8 (10 f.).

830 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.906 § 6

ser deutschen Tradition einer Beachtung von Rück- und Weiterverweisungen auf dem Gebiet des internationalen Ehegüterrechts bricht die EuGüVO, die einen Renvoi auch im Falle der objektiven Anknüpfung nach Art. 26 grundsätzlich ausschließt (vgl. Art. 32 EuGüVO; dazu Rz. 6.874). (b) Annahme der deutschen Verweisung Zu einer Rückverweisung kommt es dann nicht, wenn das von Art. 15 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufene Recht zur Bestimmung des Güterrechtsstatuts die gleichen Anknüpfungskriterien verwendet1. Dies trifft insbesondere in den Fällen des Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB häufig zu. Denn auf die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten stellen – in Ermangelung einer Rechtswahl – noch immer zahlreiche romanische Rechte ab, z.B. Italien (Art. 30 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 29 Abs. 1 IPR-G)2, Portugal (Art. 53 Abs. 1 c.c.) und Spanien (Art. 9 Nr. 2, 3 c.c.). Das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten bestimmt den Güterstand ferner in Griechenland (Art. 15 i.V.m. Art. 14 ZGB)3, Japan (Art. 26 Abs. 1 IPR-G 2006), Österreich (§ 19 i.V.m. § 18 Nr. 1 IPR-G; vgl. aber auch Rz. 6.917) und der Türkei (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 13 Abs. 3 IPR-G 2007)4 sowie in den meisten osteuropäischen Rechten, so z.B. in Albanien (Art. 24 Abs. 1 IPR-G 2011), Bosnien und Herzegowina5, Kroatien (bis 28.1.2019)6 und Serbien (jeweils Art. 36 Abs. 1 IPR-G 1982) Bulgarien (Art. 79 Abs. 1, 3 IPR-G 2005), Georgien (§ 45 Abs. 1 IPR-G 1998), Montenegro (Art. 81 Abs. 1 i.V.m. Art. 80 Abs. 1 IPR-G 2014), Nordmazedonien (Art. 36 IPR-G 2007), Polen (Art. 51 IPR-G 2011)7, der Slowakei (Art. 21 Abs. 1 IPR-G 1963)8, Slowenien (Art. 38 IPR-G 1999)9, der Ukraine (Art. 61 Abs. 3 i.V.m. Art. 60 IPR-G 2005) und Ungarn (§ 39 Abs. 1 i.V.m. § 11 IPRG 1979). Eine Rückverweisung durch das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten findet auch dann nicht statt, wenn dieses als Anknüpfungspunkt für das Güterrechtsstatut weiterhin das Heimatrecht des Ehemannes wählt, wie dies namentlich in zahlreichen islamischen Rechtsordnungen der Fall ist10. Bei Doppelstaatern ist allerdings zu beachten, dass Art. 5 Abs. 1 EGBGB im Rahmen der Beachtung einer Rückverweisung keine Anwendung findet, sondern zur Bestimmung der maßgeblichen Staatsangehörigkeit auf das ausländische IPR abzustellen ist, das i.d.R. der eigenen Staatsangehörigkeit den Vorrang einräumen wird11.

1 Vgl. zur Anknüpfung des Güterrechtsstatus in ausländischen Rechtsordnungen umfassend die Länderberichte bei Hausmann in Staudinger (2019), Anh. zu Art. 4 EGBGB. 2 OLG Zweibrücken v. 9.12.2015 – 3 W 115/15, NJW 2016, 1185 (Rz. 7); OLG München v. 25.6.2020 – 34 Wx 504/19, FamRZ 2020, 1470 (1471). 3 OLG München v. 20.6.2005 – 17 UF 801/05, FuR 2006, 93; OLG Stuttgart v. 4.3.2005 – 17 WF 15/ 05, FamRZ 2005, 1676; OLG Stuttgart v. 7.8.2000 – 5 U 184/99, FamRZ 2001, 1371. 4 OLG Hamm v. 16.2.2006 – 4 UF 224/05, FamRZ 2006, 1383; Odendahl, FamRZ 2009, 567 (569 ff.). S. aber auch Rz. 6.913. 5 OLG München v. 16.2.1993 – 4 UF 36/91, IPRspr. 1993 Nr. 59. 6 OLG Koblenz v. 2.12.1993 – 11 UF 1009/92, FamRZ 1994, 1258; OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ 1999, 299 (300); OLG Frankfurt v. 17.11.2016 – 20 W 103/15, ZEV 2017, 572 (Rz 36 f.). 7 OLG München v. 30.11.2015 – 34 Wx 364/15, NJW 2016, 1186 (Rz. 13). 8 OLG Bamberg v. 3.11.1983 – 2 UF 15/83, IPRspr. 1983 Nr. 59. 9 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 6.12.1999 – 5 UF 11/99, IPRspr. 1999 Nr. 57. 10 IPG 1970 Nr. 15 (Köln) (Iran); IPG 1980/81 Nr. 28 (Köln) (Kuwait). 11 OLG Nürnberg v. 28.9.2016, NJOZ 2017, 1307 (Rz. 41); OLG Frankfurt v. 17.11.2016 – 20 W 103/ 15, ZEV 2017, 572 (Rz. 44).

Hausmann | 831

6.906

§ 6 Rz. 6.907 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

(c) Rückverweisung auf das Wohnsitz-/Aufenthaltsrecht

6.907

Auf dem Wohnsitzprinzip beruht etwa das Schweizer Recht. Dort unterstehen die güterrechtlichen Verhältnisse in Ermangelung einer Rechtswahl dem Recht des Staates, in dem beide Ehegatten gleichzeitig ihren Wohnsitz haben bzw. zuletzt gehabt haben (Art. 54 Abs. 1 IPRG). Schweizerische Eheleute mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland leben daher, soweit sie keine zulässige Rechtswahl getroffen (und keinen Ehevertrag geschlossen) haben, kraft Rückverweisung im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft (§§ 1363 ff. BGB). An den jeweiligen gemeinsamen Wohnsitz der Eheleute – also wandelbar – knüpfen auch das lettische (Art. 13 ZGB), litauische (Art. 1-28.1 ZGB 2001) und russische Recht (Art. 161 FamGB)1 sowie die Rechte zahlreicher Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR (zB Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan2, Kirgisistan, Republik Moldau) an.

6.908

Andere Rechte folgen auf dem Gebiet des Güterrechts zwar ebenfalls dem Wohnsitzgrundsatz, knüpfen aber unwandelbar an das Recht des ersten ehelichen Wohnsitzes an. Dies gilt etwa für das dänische,3 estnische (§ 58 i.V.m. § 57 IPR-G 2002) und norwegische Recht4 sowie mit Einschränkungen auch für das finnische Recht (§ 129 EheG). Der erste eheliche Wohnsitz der Ehegatten bestimmt das anwendbare Güterrecht ferner in Israel5 sowie – in Anlehnung an das IPR-Übereinkommen von Montevideo – in zahlreichen südamerikanischen Staaten (z.B. in Argentinien, Brasilien6, Chile, Ecuador, Kolumbien, Paraguay, Peru, Uruguay und Venezuela); z.T. gilt dies freilich nur mit Einschränkungen durch das Territorialitätsprinzip, d.h. nur dann, wenn der erste eheliche Wohnsitz in einem der genannten Staaten begründet worden ist7.

6.909

Schließlich beurteilen sich die güterrechtlichen Verhältnisse von Ehegatten auch in Großbritannien und den USA hinsichtlich des beweglichen Vermögens nach dem Wohnsitzrecht. Dabei knüpft das englische Recht grundsätzlich an das „matrimonial domicile“ der Ehegatten im Zeitpunkt der Eheschließung an8. Diese Anknüpfung wird auch in Irland und den meisten früheren Commonwealth-Staaten (z.B. Australien, Indien9, Kanada, Neuseeland, Pakistan10, Südafrika) befolgt. Demgegenüber stellen die US-amerikanischen Einzelstaaten überwiegend auf das „current marital domicile“ im Zeitpunkt des Erwerbs des jeweiligen Gegenstandes ab11. An die Begründung eines Wahldomizils in der Bundesrepublik Deutschland und eine daraus abgeleitete Rückverweisung auf deutsches Güterrecht sind freilich strenge Anforderungen zu stellen12.

1 KG v. 17.11.2004 – 3 UF 52/04, FamRZ 2005, 1676. 2 OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1512). 3 BayObLG v. 20.3.1953 – BReg. 2 Z 2/53, BayObLGZ 1953, 102 (105 f.); OLG Schleswig v. 10.7.1981 – 8 UF 234/79, SchlHA 1982, 27. 4 IPG 1971 Nr. 16 (Heidelberg). 5 OLG Hamm v. 18.1.1974 – 11 U 221/70, IPRspr. 1974 Nr. 62. 6 Vgl. Nordmeier, StAZ 2009, 71 (72). 7 Vgl. LG Augsburg v. 18.3.1957 – 5 T 150/57, IPRspr. 1956/57 Nr. 144 (Argentinien); IPG 1977 Nr. 15 (Köln): Ecuador; IPG 1979 Nr. 30 (Köln): Chile. 8 Dicey, Morris&Collins, 15. Aufl., Bd. II, Rule 165, S. 1461 ff. 9 OLG Hamburg v. 25.4.2000 – 2 UF 94/95, FamRZ 2001, 916 (918) = IPRax 2002, 304 (m. Anm. Andrae/Essebier, IPRax 2002, 294). 10 LG Frankfurt a.M. v. 9.7.1975 – 2/8 O 293/72, IPRspr. 1975 Nr. 53. 11 KG v. 5.3.2007 – 16 UF 166/06, FamRZ 2007, 1564 (1565); Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict, § 14.9, S. 609 ff.; Bardy, FuR 1994, 83 ff. 12 LG Wiesbaden v. 30.3.1973 – 9b O 20/72, FamRZ 1973, 657 m. krit. Anm. Jayme (zur Rückverweisung durch das Recht von Indiana kraft Begründung eines Wahldomizils durch einen mit einer deutschen Frau verheirateten amerikan. Soldaten).

832 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.912 § 6

In neueren IPR-Kodifikationen wird die Anknüpfung an die gemeinsame Staatsangehörigkeit zunehmend durch die Anknüpfung an den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Ehegatten ersetzt. Eine Rück- oder Weiterverweisung auf das Recht des ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts nach der Eheschließung spricht gemäß Art. 4 Abs. 1 des Haager Übereinkommens über das auf Ehegüterstände anwendbare Recht vom 14.3.1978 (dazu Rz. 6.975) das französische, luxemburgische und niederländische Recht aus.1 Der gemeinsame gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten ist heute auch Primäranknüpfung in Belgien (Art. 51 IPR-G 2004), Liechtenstein (§ 20 Abs. 3 IPR-G 1997), Rumänien (Art. 2592, 2596 Cc 2011), Schweden (§ 4 GüterrechtsG 1990), der Tschechischen Republik (Art. 49 Abs. 3 IPR-G 2012) und der Volksrepublik China (§ 24 S. 2 IPR-G 2011), wobei in Belgien und Liechtenstein unwandelbar, in den übrigen genannten Staaten hingegen wandelbar angeknüpft wird. Nur in Ermangelung eines gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts ist i.d.R. die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten maßgebend.

6.910

(d) (Partielle) Rückverweisung auf die lex rei sitae Während die Tendenz im englischen Kollisionsrecht neuerdings dahin geht, das Güterrecht für bewegliches und unbewegliches Vermögen einheitlich an das „matrimonial domicile“ der Ehegatten anzuknüpfen2, unterscheiden die Rechte der US-amerikanischen Bundesstaaten insoweit scharf zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen und unterwerfen nur das bewegliche Vermögen („movables“) der lex domicilii; während die güterrechtlichen Verhältnisse an Grundbesitz („immovables“) nach dem Recht der belegenen Sache (lex rei sitae) beurteilt werden3. Eine daraus folgende partielle Rück- oder Weiterverweisung durch das von Art. 15 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufene Heimat- oder Aufenthaltsrecht der Ehegatten auf das Belegenheitsrecht wird im Inland beachtet, obwohl das deutsche internationale Ehegüterrecht vom Grundsatz der Vermögenseinheit (Rz. 6.893) ausgeht4. Dies widerspricht auch nicht dem Sinn der deutschen Verweisung (Art. 4 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 EGBGB), weil das deutsche IPR – wie gezeigt – in Art. 3a Abs. 2 EGBGB selbst der lex rei sitae den Vortritt lässt, wenn diese besondere Kollisionsnormen für unbewegliches Vermögen bereithält, und außerdem den Ehegatten in Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB sogar eine eine auf das in- oder ausländische unbewegliche Vermögen beschränkte Rechtswahl gestattete5.

6.911

Hat ein verheirateter US-Amerikaner also Grundbesitz in verschiedenen Ländern, so wird auch hinsichtlich seiner güterrechtlichen Verhältnisse auf ebenso viele Rechte (zurück- bzw.

6.912

1 OLG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/99, FamRZ 2000, 1574 (1575) (Niederlande). 2 Dicey, Morris&Collins, Conflict15, Rule 165 Rz. 28–021 ff.; Odersky in Süß/Ring, EheR in Europa, Großbritannien Rz. 31 f.; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 40; vgl. auch OLG Hamm v. 27.11.2013 – 14 UF 96/13, FamRZ 2014, 947. 3 Vgl. IPG 1967/68 Nr. 23 (Hamburg); Rückverweisung durch das Recht von New York auf deutsches Belegenheitsrecht; IPG 1978 Nr. 36 (Kiel): Rückverweisung durch das englische Recht auf deutsches und österreichisches Belegenheitsrecht; IPG 1984 Nr. 40 (München): Rückverweisung durch das Recht von Nebraska/USA hinsichtlich der Verfügungsbefugnis über den Miteigentumsanteil an einem deutschen Grundstück; ferner Cheshire/North/Fawcett, PrivIntL, 14. Aufl. 2008, S. 1300 f. 4 OLG München v. 22.1.2013 – 34 Wx 413/12, FamRZ 2013, 1488; KG v. 5.3.2007 – 16 UF 166/06, FamRZ 2007, 1564 (1565); Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 26 ff. Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 51. 5 Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 117 f.; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 63; Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 266.

Hausmann | 833

§ 6 Rz. 6.912 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

weiter-)verwiesen1. Eine Einschränkung ergibt sich lediglich dann, wenn der Grunderwerb aus Mitteln finanziert wird, die unter einem von der lex rei sitae verschiedenen Güterrechtsstatut erworben wurden; in diesem Fall setzt sich die güterrechtliche Zuordnung der Finanzierungsmittel an dem Grundbesitz fort2. Sie führt allerdings an einem deutschen Grundstück nicht zu einer dinglichen Surrogation, sondern wirkt nur schuldrechtlich3. Verweist Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 EGBGB a.F. daher auf das Recht eines Einzelstaats der USA, so entscheidet allein das jeweilige Recht der Belegenheit darüber, ob ein Grundstück durch die Eheschließung in das Miteigentum des anderen Ehegatten übergegangen ist oder ob dieser sonstige Rechte an diesem Grundstück erworben hat. In Bezug auf ihre inländischen Grundstücke leben US-amerikanische Ehegatten daher in Ermangelung eines Ehevertrages im deutschen gesetzlichen Güterstand einschließlich der Verfügungsbeschränkung nach § 1365 BGB4.

6.913

Soweit das englische oder US-amerikanische Kollisionsrecht auf das Recht des Lageortes zurückverweist, ist zu beachten, dass die lex rei sitae auch für die Frage der Qualifikation einer Sache als unbeweglich („immovable“) maßgebend ist5. Von erheblicher praktischer Bedeutung ist schließlich, dass auch das türkische Recht in Art. 15 Abs. 2 IPRG 2007 bezüglich der güterrechtlichen Auseinandersetzung von Immobiliarvermögen zwischen Ehegatten auf die jeweilige lex rei sitae zurückverweist6. (e) Rückverweisung kraft beweglicher Anknüpfung

6.914

Während das deutsche internationale Ehegüterrecht in Art. 15 Abs. 1 EGBGB auf die Verhältnisse zur Zeit der Eheschließung abstellt und eine spätere Veränderung der für die Anknüp-

1 Rabel, I, S. 337; Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict, § 14.5; Bardy, FuR 1994, 83 ff. 2 Vgl. zu dieser sog. „tracing rule“, 91 NM 339, 573 P. 2d 1194 (1978); Hay/Borchers/Symeonides/ Whytock, Conflict, § 14.6 m.w.N. 3 Vgl. OLG München v. 22.1.2013 – 34 Wx 413/12, MittBayNotV 2013, 404 m. Anm. Süß; a.A. Bardy, RNotZ 2005, 137 (140). 4 Vgl. OLG Colmar v. 24.8.1911, RheinZ 4 (1912), 295 = ELJZ 37 (1912), 182 (Verheiratete Amerikanerin, wohnhaft in New York, besaß Grundbesitz in Deutschland. Obwohl die Zustimmung des Ehemannes zur Veräußerung nach dem Recht des Staates New York nicht erforderlich gewesen wäre, wurde diese Zustimmung nach dem aufgrund Rückverweisung anwendbaren deutschen Recht [BGB a.F.] verlangt); OLG Karlsruhe v. 29.6.1989 – 11 W 86/89, NJW 1990, 1420 (1421) = IPRax 1990, 407 (m. Anm. Schurig, IPRax 1990, 398) (Rückverweisung durch das texan. IPR auf deutsches Belegenheitsrecht). 5 Vgl. LG Wiesbaden v. 30.3.1973 – 9b O 20/72, FamRZ 1973, 657 m. Anm. Jayme (Ein im USBundesstaat Indiana domizilierter amerikan. Staatsangehöriger verlangte von seiner deutschen Ehefrau nach Scheidung den Zugewinnausgleich bezüglich des von ihr während der Ehe erworbenen Grundvermögens in Deutschland. Diese Ausgleichsforderung wurde infolge Qualifikationsrückverweisung durch das Recht von Indiana auf die lex rei sitae nach deutschem Recht dem beweglichen Vermögen zugeordnet). Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 54; ferner IPG 1999 Nr. 24 (Hamburg) (zur Qualifikationsverweisung durch das englische internationale Ehegüterrecht); BGH v. 10.5.2000 – IV ZR 171/99, BGHZ 144, 251 = NJW 2000, 2421 = IPRax 2002, 40 (m. Anm. Umbeck, IPRax 2002, 33) = JR 2001, 234 m. Anm. Rauscher (Qualifikationsverweisung des US-amerikan. Erbrechts auf deutsches Belegenheitsrecht angenommen; Restitutionsansprüche nach dem Vermögensgesetz als Teil des beweglichen Vermögens gewertet.). Dazu Jayme, Zur Qualifikationsverweisung im IPR, ZfRV 1976, 93 ff.; dazu allg. Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 79 ff. 6 OLG Bremen v. 7.5.2015 – 4 WF 52/15, FamRZ 2016, 129 (Rz. 9); AG Köln v. 10.6.2020 – 322 F 75/17, BeckRS 2020, 39404; Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 269.

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.916 § 6

fung maßgebenden Verhältnisse – z.B. einen Staatsangehörigkeits- oder Aufenthaltswechsel der Ehegatten – für unerheblich erklärt (Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts, dazu Rz. 6.898 f.), knüpfen zahlreiche ausländische Rechtsordnungen das Güterrecht in Übereinstimmung mit den allgemeinen Ehewirkungen wandelbar an. Dies gilt hinsichtlich des beweglichen Vermögens etwa nach den Rechten der meisten US-Einzelstaaten sowie mit gewissen Einschränkungen auch im englischen Recht1. Verlegen die Ehegatten mithin nach der Eheschließung ihr Domizil in einen anderen Staat, so ist für ihre güterrechtlichen Verhältnisse grundsätzlich das neue Recht maßgebend. Die Zuordnung des unter dem früheren Güterstand erworbenen Vermögens bleibt jedoch erhalten (sog. „vested rights theory“ oder „source doctrine“)2. Beweglich wird das Güterrechtsstatut ferner in Italien3, Lettland, Litauen, Schweden und Spanien sowie in den meisten osteuropäischen Staaten (z.B. in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien4, Montenegro, Nordmazedonien, Polen5, Rumänien, Serbien, der Slowakei, Slowenien, der Tschechischen Republik, Ungarn) angeknüpft. Gleiches gilt in der Russischen Föderation6, und in den meisten Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR (z.B. in Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan7, Kirgisistan, Moldau, Ukraine) sowie zahlreichen ostasiatischen Staaten (VR China, Japan, Korea8, Taiwan). Noch weiter geht das Schweizer IPR, da es im Falle eines Wohnsitzwechsels der Eheleute das Güterrecht des neuen Wohnsitzstaates sogar rückwirkend auf den Zeitpunkt der Eheschließung für maßgeblich erklärt; die Ehegatten können diese Rückwirkung allerdings durch schriftliche Vereinbarung ausschließen (Art. 55 Abs. 1 IPR-G).

6.915

Die Wandelbarkeit des Güterrechtsstatuts nach dem von Art. 15 Abs. 1 i.V.m. mit Art. 14 EGBGB zur Anwendung berufenen ausländischen Kollisionsrecht ist im Rahmen einer Rückoder Weiterverweisung nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch im Inland zu beachten, setzt sich also gegenüber dem vom deutschen Recht befolgten Grundsatz der Unwandelbarkeit durch. 9. Die

6.916

1 Cheshire/North/Fawcett, PrivIntL, 14. Aufl. 2008, S. 1294 ff.; vgl. auch Wochner, Zum Güterrechtsstatut bei deutsch-amerikanischen Ehen, IPRax 1985, 90 (92). 2 Hay/Borchers/Symeonides/Whytock, Conflict, § 14.9, S. 609 ff. m.w.N. 3 Vgl. dazu IPG 1999 Nr. 26 (München). 4 Vgl. OLG Nürnberg v. 3.3.2011 – 9 UF 1390/10, FamRZ 2011, 1509 (1510) m. Anm. Henrich. 5 Dazu IPG 1997 Nr. 25 (Köln). 6 KG v. 17.11.2004 – 3 UF 52/04, FamRZ 2005, 1676 f.; OLG Hamm v. 8.10.2009 – 15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (977. 7 OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1513). 8 OLG München v. 10.11.2010 – 31 Wx 53/10, ZEV 2011, 137 (138). 9 KG v. 10.12.1934, IPRspr. 1934 Nr. 45; OLG Hamm v. 18.1.1974 – 11 U 221/70, IPRspr. 1974 Nr. 62 (zur Beachtlichkeit eines Domizilwechsels nach israel. internationalen Ehegüterrecht); KG v. 17.11.2004 – 3 UF 52/04, FamRZ 2005, 1676 f.; KG v. 5.3.2007 – 16 UF 166/06, FamRZ 2007, 1564 (1565) (USA/Massachussetts); OLG Hamm v. 8.10.2009 – 15 Wx 292/08, FamRZ 2010, 975 (976 f.) (Russische Föderation); OLG München v. 10.11.2010 – 31 Wx 53/10, ZEV 2011, 137 (138) (Korea); OLG München v. 3.2.2011 – 31 Wx 242/10, NJW-RR 2011, 663 (665) (Spanien); OLG Düsseldorf v. 1.3.2011 – 25 Wx 8/11, FamRZ 2011, 1510 (1512) (Kasachstan); OLG Celle v. 3.4.2014 – 15 UF 186/13, NJW-RR 2014, 1283 und v. 31.3.2014 – 15 UF 186/13, FamRZ 2015, 160 (jeweils UdSSR); Siehr, IPRax 2007, 353 (354); Süß, MittBayNotV 2010, 225 (226 f.); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 243; Looschelders in MünchKomm, Rz. 112; Schurig in Soergel, Rz. 64; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 83; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 21, jeweils zu Art. 15 EGBGB; Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 270 ff. m.w.N.; a.A. – zu Unrecht – OLG Nürnberg v. 3.3.2011 – 9 UF 1390/10, FamRZ 2011, 1509 (1510) m. Anm. Henrich; AG Dortmund v. 27.4.1998 – 178 F

Hausmann | 835

§ 6 Rz. 6.916 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Befolgung einer solchen beweglichen Rückverweisung verstößt insbesondere nicht gegen den Sinn der deutschen Verweisung in Art. 15 Abs. 1 EGBGB, und zwar auch dann nicht, wenn das Recht der engsten Beziehung im Zeitpunkt der Eheschließung beweglich anknüpft und auf ein Recht verweist, zu dem die Eheleute erst später gemeinsame Beziehungen hergestellt haben1. Denn der Grundsatz der Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts ist auch im deutschen Kollisionsrecht nicht unumstößlich; vielmehr hatten die Ehegatten auch nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB jederzeit die Möglichkeit, sich durch eine Rechtswahl vom unwandelbar angeknüpften objektiven Güterrechtsstatut zu lösen. Unter Geltung der EuGüVO ist demgegenüber für die Anerkennung einer beweglichen Rückverweisung kein Raum mehr, da die Verordnung nur Sachnormverweisungen ausspricht (Art. 32; dazu Rz. 6.874). (f) Rückverweisung kraft abweichender Qualifikation

6.917

Zu einer Rückverweisung auf deutsches Recht kann es auch deshalb kommen, weil das von Art. 15 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufene ausländische Kollisionsrecht abweichend qualifiziert. Dies trifft insbesondere auf die vermögensrechtliche Auseinandersetzung aus Anlass einer Ehescheidung zu, die in verschiedenen ausländischen Rechten als Scheidungsfolge dem Scheidungsstatut unterworfen wird. Demgemäß verweist etwa das österreichische IPR in einer deutsch-österreichischen Ehe hinsichtlich der Vermögensauseinandersetzung auf deutsches Recht zurück, wenn die Eheleute ihren ursprünglichen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich während der Ehe nach Deutschland verlegt haben2. Entsprechend ist auch in einer deutsch-britischen Ehe der Zugewinnausgleich nach deutschem Recht kraft versteckter Rückverweisung des englischen Rechts durchzuführen, wenn die Eheleute zur Zeit der Ehescheidung vor dem deutschen Gericht ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben3. (g) Rückverweisung kraft Rechtswahl

6.918

Auch die Anknüpfung an den Parteiwillen im ausländischen IPR kann wie eine Rückverweisung wirken. Die praktische Bedeutung dieser Fallgruppe ist zwar durch die erweiterte Anerkennung der Parteiautonomie im deutschen internationalen Ehegüterrecht zurückgegangen. Zu einer Rückverweisung kann es jedoch weiterhin kommen, wenn das nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufene Recht der Parteiautonomie im internationalen Ehegüterrecht in weiterem Umfang Raum gibt als das deutsche Recht oder an die Form einer solchen Rechtswahl geringere Anforderungen stellt, indem es auch eine privatschriftlich, mündlich

2507/97, FamRZ 1999, 1507. Übersehen wird die Rückverweisung von OLG Düsseldorf v. 20.12.1994 – 1 UF 76/94, FamRZ 1995, 1203; OLG Frankfurt a.M. v. 6.12.1999 – 5 UF 11/99, IPRspr. 1999 Nr. 57 (jeweils zum früheren Jugoslawien). Vgl. ferner IPG 1965/66 Nr. 50 (Köln) und IPG 1978 Nr. 36 (Kiel) zum Domizilwechsels von Ehegatten nach englischem internationalem Ehegüterrecht; IPG 1997 Nr. 25 (Köln) zur Rückverweisung durch poln. internationales Ehegüterrecht kraft Staatsangehörigkeitswechsels der Ehegatten. Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 67. 1 Schurig, JZ 1985, 559 (562 f.); von Hein in MünchKomm, Art. 4 EGBGB Rz. 963. 2 Vgl. öOGH v. 25.5.1993 – 1 Ob 544/93, IPRax 1995, 42 (m. Anm. Lorenz, IPRax 1995, 47); Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 76. Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/ Odersky, § 9 Rz. 86. 3 Vgl. AG Emmendingen v. 20.4.2000 – 4 F 14/96, IPRspr. 2000 Nr. 54; IPG 1999 Nr. 24 (Hamburg); ebenso zum nigerian.-brit. Recht KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 (m. Anm. Henrich); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 241 f.

836 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.921 § 6

oder gar stillschweigend getroffene Vereinbarung ausreichen lässt1. So unterstellt vor allem das französische Kollisionsrecht die güterrechtlichen Beziehungen traditionell dem Recht, welchem sich die Ehegatten wirklich oder vermutlich unterworfen haben. Diese großzügige Anerkennung der Parteiautonomie, die der sachrechtlichen Wertung des ehelichen Güterrechts als Teil des Vertragsrechts und des vertragslosen gesetzlichen Güterstandes als „régime primaire“ entspricht, führt im Ergebnis meist zur Anwendung des Rechts am ersten ehelichen Wohnsitz, bisweilen allerdings auch des gemeinsamen Heimatrechts der Ehegatten2. Demgegenüber lässt das belgische Recht seit der IPR-Kodifikation von 2004 nur noch eine schriftliche Rechtswahl zu (Art. 52 IPR-G). Zur Wahl stehen nur das Recht des ersten gemeinsamen Wohnsitzes sowie das Heimat- bzw. Wohnsitzrecht eines jeden Ehegatten zur Zeit der Wahl (Art. 49 IPR-G). Die Rechtswahl muss sich zwingend auf das gesamte Vermögen der Ehegatten beziehen (Art. 50 § 2 IPR-G). Darüber hinaus hat sich die Parteiautonomie auch im niederländischen internationalen Ehegüterrecht durchgesetzt3. Seit dem 1.9.1992 gelten für Frankreich, Luxemburg und die Niederlande die Kollisionsregeln des Haager Übereinkommens über das auf Güterstände anzuwendende Recht vom 14.3.1978 als „loi uniforme“, das in Art. 3 und 6 die – auch stillschweigende – Rechtswahl der Ehegatten ausdrücklich als Primäranknüpfung anerkennt (vgl. dazu Rz. 6.975); eine Rechtswahl nach dem Übk. konnte allerdings wegen des Vorrangs von Art. 22 EuGüVO in diesen Staaten nur bis zum 28.1.2019 getroffen werden.

6.919

Auch in Österreich unterliegt das Ehegüterrecht nunmehr in erster Linie dem von den Parteien ausdrücklich gewählten Recht (§ 19 IPR-G); die Einhaltung der für Eheverträge vorgeschriebenen Form ist – abweichend von Art. 15 Abs. 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 EGBGB a.F. – nicht erforderlich. Ferner war die Rechtswahl bis zum 28.1.2019 auch nicht auf bestimmte Rechte beschränkt, zu denen die Ehegatten einen engen Bezug hatten. Dennoch ist eine solche unbeschränkte und formfreie Rechtswahl vom deutschen Richter im Rahmen von Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten, wenn Art. 15 Abs. 1 EGBGB auf österreichisches Recht verweist4. In ähnlich weitem Umfang wie Österreich lässt auch Rumänien die Rechtswahl im Güterrecht zu (Art. 21 Abs. 2 IPR-G).

6.920

Das Schweizer IPR unterwirft die güterrechtlichen Verhältnisse von Ehegatten ebenfalls primär dem gewählten Recht. Die Ehegatten können wählen zwischen dem Recht der Staaten, in dem beide ihren Wohnsitz haben oder nach der Eheschließung haben werden, und dem Recht eines ihrer Heimatstaaten. Die Rechtswahl muss lediglich privatschriftlich vereinbart werden (Art. 53 IPR-G). In ähnlicher Weise beschränkt auch das neue italienische, japanische, spanische und türkische IPR die Rechtswahl auf das Wohnsitzrecht oder die Heimatrechte der Ehegatten5. Das italienische Recht macht die Rechtswahl ferner davon abhängig, dass entweder das gewählte Recht oder das Recht des Abschlussortes sie anerkennt (Art. 30 Abs. 2 IPR-

6.921

1 Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 63 a.E.; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 41. 2 Batiffol/Lagarde, DIP II, n. 616 ff.; IPG 1972 Nr. 13 (München). 3 H.R. v. 10.12.1976, Rev.crit.d.i.p. 1978, 97 m. Anm. Jessurun d’Oliveira; dazu Klinke, DNotZ 1981, 351 ff.; H.R. v. 7.4.1989, NIPR, 1989 Nr. 187 m. Anm. Strikwerda. 4 BayObLG v. 14.5.1981 – BReg1 Z 14/81, DNotZ 1982, 50 m. Anm. Dörner (Vereinbarung der „Gütergemeinschaft nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs“ in der Ehe zwischen einem Österreicher und einer Deutschen kraft Rückverweisung als wirksam erachtet); ferner Münch/Süß, FamR § 20 Rz. 108. 5 Art. 30 Abs. 1 HS 2 italien. IPR-G; Art. 15 Abs. 1 HS 2 japan. IPR-G; Art. 9 Abs. 3 span. c.c.; Art. 14 türk. IPR-G.

Hausmann | 837

§ 6 Rz. 6.921 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

G). Das IPR der meisten Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien lässt eine Rechtswahl im Güterrecht nur zu, wenn das bei Vertragsschluss maßgebliche Ehewirkungsstatut sie gestattet (Art. 37 Abs. 2 IPR-G 1982). Das spanische Recht ließ es demgegenüber bereits genügen, dass entweder das Ehewirkungsstatut oder das Heimat- bzw. Aufenthaltsrecht eines Ehegatten die Rechtswahl als wirksam erachteten (Art. 9 Abs. 3 c.c.).

6.922

Schließlich räumt man auch in England und den meisten anderen Staaten des Common-LawRechtskreises den Ehegatten die Möglichkeit ein, das Güterrechtsstatut durch Rechtswahl zu bestimmen1. Das in einem Ehevertrag ausdrücklich oder stillschweigend gewählte Recht beherrscht dann zumindest die Rechtsbeziehungen der Ehegatten hinsichtlich des gesamten beweglichen Vermögens, auch soweit dieses erst nach der Eheschließung erworben wird, und unabhängig von einem späteren Wechsel des Domizils2. Die Gültigkeit der getroffenen Rechtswahl wird im Übrigen davon abhängig gemacht, dass sie auch von dem gewählten Recht anerkannt wird3. (h) Versteckte Rückverweisung

6.923

Namentlich die Gerichte der vom common law geprägten Rechtsordnungen tendieren dazu, in Scheidungs- und Scheidungsfolgesachen nur ihre internationale Zuständigkeit zu prüfen und, wenn diese gegeben ist, ausschließlich ihr eigenes Recht als lex fori anzuwenden. Dies gilt auch dann, wenn aus Anlass einer Ehescheidung über die güterrechtliche Abwicklung der Ehe zu entscheiden ist. Verweist daher Art. 15 Abs. 1 EGBGB auf das Recht eines solchen Staates, so kann das dort herrschende Gleichlaufprinzip zu einer „versteckten“ Rückverweisung auf das deutsche Recht führen, wenn ein deutsches Gericht mit dem Rechtsstreit befasst ist4. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn aus der Sicht des zur Anwendung berufenen ausländischen Rechts die deutschen Gerichte ausschließlich oder zumindest konkurrrierend international zuständig sind5. So ist in einer deutsch-britischen Ehe der Zugewinnausgleich nach deutschem Recht kraft versteckter Rückverweisung durch das englische IPR durchzuführen, wenn die Eheleute im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags bei dem deutschen Gericht ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben6. (i) Ausschluss des Renvoi

6.924

Ein Verstoß gegen den Sinn der deutschen Verweisung in Art. 15 Abs. 1 EGBGB wird teilweise dann angenommen, wenn das zur Anwendung berufene ausländische Recht entweder für alle Ehewirkungen oder nur für das Ehegüterrecht nicht geschlechtsneutral anknüpft. Stellt also das ausländische internationale Ehegüterrecht einseitig auf das jeweilige Heimat- oder Wohnsitzrecht des Ehemannes ab, so soll eine solche gleichberechtigungswidrige Anknüpfung

1 Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 93 m.w.N. 2 Dicey, Morris&Collins, Conflict15 Rule 166 (3) S. 1471 ff.; Rabel I/II 392 (397 ff.). 3 KG v. 21.12.1935, JW 1936, 2466 m. Anm. Maßfeller; IPG 1972 Nr. 14 (Köln), jeweils zur Wahl des Güterrechtsstatuts nach anglo-ind. Recht. 4 KG v. 5.3.2007 – 16 UF 166/06, FamRZ 2007, 1564 (1565) (USA/Massachussetts); KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 (1562) m. Anm. Henrich (Nigeria). 5 Vgl. dazu – differenzierend nach Fallgruppen – Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 145 ff. m.w.N. 6 Vgl. AG Emmendingen v. 20.4.2000 – 4 F 14/96, IPRspr. 2000 Nr. 54; IPG 1999 Nr. 24 (Hamburg). Ausführlich zur versteckten Rückverweisung Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 88 ff.; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 245 ff., jeweils m.w.N.

838 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.926 § 6

von deutschen Gerichten nicht zu beachten sein, sofern nicht die Ehefrau dieselben Anknüpfungsmerkmale erfüllt und deshalb kein gleichberechtigungswidriges Ergebnis eintritt1. Indessen ist ausländisches Kollisionsrecht – im Gegensatz zum deutschen Kollisionsrecht – nicht abstrakt an den deutschen Grundrechten zu messen, sondern nur dann nach Art. 6 S. 2 EGBGB auszuschalten, wenn seine Anwendung im konkreten Einzelfall zu einer mit Art. 3 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarenden unerträglichen Benachteiligung der Ehefrau gegenüber ihrem Ehemann führt2. Ebenso wenig ist im Rahmen der objektiven Anknüpfung nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB eine Rückverweisung schon deshalb sinnwidrig, weil das berufene Recht der engsten Verbindung das Güterrechtsstatut anders festlegt als das deutsche IPR3.

6.925

Ausgeschlossen sind Rück- und Weiterverweisung gem. Art. 4 Abs. 2 EGBGB hingegen, wenn die Ehegatten das anwendbare Güterrecht durch eine gültige Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 oder Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EGBGB bestimmt haben4. Im letzteren Fall reicht es auch aus, dass die Ehegatten lediglich von der Geltung eines bestimmten Rechts „ausgegangen“ sind, weil darin eine schlüssige Rechtswahl zu sehen ist5. Gleiches muss schließlich auch dann gelten, wenn das Güterrechtsstatut gem. Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 2–4 EGBGB durch mittelbare Rechtswahl festgelegt worden ist. Zwar lässt sich bei formaler Betrachtung die Auffassung vertreten, die Anknüpfung in Art. 15 Abs. 1 EGBGB bleibe auch dann objektiv, wenn auf das von den Ehegatten nach Art. 14 Abs. 2–4 EGBGB wirksam gewählte Ehewirkungsstatut verwiesen wird, so dass insoweit für eine Anwendung von Art. 4 Abs. 2 EGBGB kein Raum sei6. Der Gleichlauf zwischen Güterrechts- und Erbstatut, der durch die Zulassung eines Renvoi gefördert werden soll, ist aber über Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 Abs. 2–4 EGBGB nur unvollkommen zu erreichen; denn die unterschiedlichen Anknüpfungsmerkmale und -zeitpunkte in Art. 14, 15 und Art. 25 Abs. 1 EGBGB sowie die nur beschränkte Parteiautonomie im internationalen Erbrecht stehen einer effektiven Koordinierung von Güterrechts- und Erbstatut entgegen. Die besseren Gründe sprechen dafür, die Bestimmung des Ehegüterrechtsstatuts durch mittelbare Rechtswahl als Sachnormverweisung zu qualifizieren und einen Renvoi wegen der akzessorischen Anknüpfung nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 HS. 2 EGBGB auszuschließen7.

6.926

1 BGH v. 8.4.1987 – IVb ZR 37/86, NJW 1988, 638 = IPRax 1988, 100 (m. Anm. Schurig, IPRax 1988, 88) (Rückverweisung des italien. internationalen Ehegüterrechts auf das deutsche Heimatrecht des Ehemannes wegen Widerspruchs zum Sinn der Verweisung in Art. 15 Abs. 1 EGBGB nicht beachtet); zust. Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 119; Kropholler, IPR, § 24 II 2b. 2 Für eine Korrektur mit Hilfe des ordre public-Vorbehalts zu Recht Kartzke, IPRax 1988, 8 (11 f.); Kühne, FS Ferid (1988), S. 251 (259); Ebenroth/Eyles, IPRax 1989, 1 (10 f.); Schotten, MittRheinNotK 1984, 39; von Hein in MünchKomm, Art. 4 EGBGB Rz. 94 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 130 f. m.w.N. 3 KG v. 20.12.2006 – 3 UF 59/06, FamRZ 2007, 1561 (1562); Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 113 a.E.; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 29. 4 Unstr., vgl. von Bar, Bd. II Rz. 222. 5 BGH v. 8.4.1987 – IVb ZR 37/86, FamRZ 1987, 679 = NJW 1988, 638. 6 So Kühne, FS Ferid (1988), S. 251 (264); Rauscher, NJW 1988, 2151 (2154). 7 Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 89; im Erg. ebenso Kartzke, IPRax 1988, 8 (10 f.); Henrich in Johannsen/Henrich, Rz. 16, jeweils zu Art. 15 EGBGB, die Art. 4 Abs. 2 EGBGB heranziehen.

Hausmann | 839

§ 6 Rz. 6.927 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

d) Rechtswahl, Art. 22 EuGüVO aa) Allgemeines (1) Normzweck

6.927

Um Ehegatten die Regelung ihrer güterrechtlichen Beziehungen und die Verwaltung ihres Vermögens zu erleichtern, räumt die EuGüVO in Art. 22 der Parteiautonomie weiten Raum ein1. Das wirksam gewählte Recht hat Vorrang vor der objektiven Anknüpfung nach Art. 26 EuGüVO2. Die Ehegatten sollen allerdings nur solche Rechte wählen dürfen, die mit ihrer realen Lebenssituation und ihrer künftigen Lebensplanung einen hinreichenden Zusammenhang aufweisen. Diese enge Verbindung kann nur durch den gewöhnlichen Aufenthalt oder die Staatsangehörigkeit der Ehegatten hergestellt werden; demgegenüber kommt es wegen Art. 21 EuGüVO auf die Art oder Belegenheit des dem Güterstand unterliegenden Vermögens nicht an (ErwG 45 S. 1). Auch die Wahl der lex fori ist – anders als im internationalen Ehescheidungsrecht (Art. 5 Abs. 1 lit. d Rom III-VO) – ausgeschlossen. In einem Ehevertrag empfiehlt sich die Aufnahme einer Rechtswahlklausel immer dann, wenn der Sachverhalt einen Auslandsbezug aufweist. Zwischen der kollisionsrechtlichen Rechtswahl und dem Ehevertrag ist jedoch sorgfältig zu unterscheiden. Eine nach Art. 22 EuGüVO getroffene Rechtswahl bleibt daher auch dann gültig, wenn der Ehevertrag, dessen Bestandteil sie bildet, im Übrigen unwirksam ist3.

6.928

Die EuGüVO regelt das auf das Ehegüterrecht anzuwendende Recht zwar nur in Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug (ErwG 14). Im Fall einer Rechtswahl muss dieser internationale Sachverhalt jedoch nicht bereits bei deren Abschluss vorliegen. Vielmehr ist es als zulässig zu erachten, wenn die Ehegatten die Rechtswahl im Hinblick auf einen künftigen grenzüberschreitenden Bezug (z.B. die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland) vorsorglich treffen4. Die Rechtswahl entfaltet in diesem Fall jedoch erst Wirkung, wenn die vereinbarte aufschiebende Bedingung eintritt5. (2) Verhältnis von Art. 22 EuGüVO zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB

6.929

Intertemporal ist insbesondere zu beachten, dass sich zwar die objektive Anknüpfung des Güterrechtsstatuts von Ehegatten, die vor dem 29.1.2019 die Ehe geschlossen haben, gemäß Art. 69 Abs. 3 EuGüVO auch nach diesem Stichtag weiterhin nach dem autonomen Kollisionsrecht der teilnehmenden Mitgliedstaaten – in Deutschland also nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 EGBGB a.F. – bestimmt (Rz. 6.859). Treffen solche Ehegatten hingegen ab dem 29.1.2019 erstmals eine güterrechtliche Rechtswahl oder ändern sie eine früher getroffene Rechtswahl ab, so beurteilen sich die materiellen und formellen Voraussetzungen ihrer Wirksamkeit nach Art. 22 ff. EuGüVO. Art. 15 Abs. 2 EGBGB findet also auf eine ab dem 29.1.2019 vereinbarte Wahl des Güterrechtsstatuts keine Anwendung mehr. Bedeutung hat dies insbesondere für die bisher in Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB a.F. vorgesehene Möglichkeit, für unbewegliches Vermögen eine Teilrechtswahl zugunsten des Rechts am jeweiligen Lageort zu 1 Kroll-Ludwigs, NZFam 2016, 1061. 2 Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (753 f.); von Bar/Mankowski, Bd. II Rz. 224; Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 1. 3 Vgl. i.d.S. zur Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 45. 4 Weber, DNotZ 2016, 659 (677); Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 325; Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 4. 5 Sieghörtner in NK BGB, Art. 5 EuGüVO Rz. 15.

840 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.931 § 6

treffen, die seit dem 29.1.2019 entfallen ist. Aus diesem Grund wird auf die Behandlung der Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB verzichtet1. Dargestellt wird nur die heute allein maßgebliche Regelung der Rechtswahl in Art. 22 ff. EuGüVO. (3) Vereinbarung der Rechtswahl (a) Zulässigkeit und materielle Gültigkeit Die Zulässigkeit sowie der Inhalt und Umfang einer güterrechtlichen Rechtswahl beurteilen sich allein nach europäischem Recht, weil dieses in Art. 22 EuGüVO die Rechtswahl eröffnet. Auf den Standpunkt der abgewählten oder der gewählten Rechtsordnung kommt es insoweit nicht an. Das (hypothetisch) gewählte Recht beherrscht nach Art. 24 EuGüVO lediglich das wirksame Zustandekommen und die materielle Gültigkeit der Rechtswahl. Dies gilt im Hinblick auf Art. 20 EuGüVO auch dann, wenn ein drittstaatliches Recht gewählt wird. Die EuGüVO entscheidet allerdings nur über die Gültigkeit der Rechtswahl aus der Sicht der an ihr teilnehmenden Mitgliedstaaten; ob die Rechtswahl auch in einem nicht teilnehmenden Mitgliedstaat oder in einem nicht der EU angehörenden Drittstaat anerkannt wird, beurteilt sich hingegen nach dem autonomen Kollisionsrecht dieser Staaten. Dies sollten Ehegatten daher in ihre Betrachtung einbeziehen, wenn bereits bei Abschluss der Rechtswahlvereinbarung feststeht, dass sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem solchen Drittstaat begründen wollen oder wesentliches (vor allem Grund-)Vermögen der Ehegatten dort belegen ist2. Wird der Rechtswahl die Anerkennung in dem nicht an der Verordnung teilnehmenden Aufenthaltsoder Belegenheitsstaat verweigert, sind hinkende Güterrechtsbeziehungen die Folge3. Zu deren Vermeidung sollten die materiellen und formellen Voraussetzungen einer gültigen Rehtswahl möglichst sowohl nach dem gewählten wie nach dem abgewählten Recht erfüllt werden4.

6.930

(b) Ausdrückliche und stillschweigende Rechtswahl Abweichend von Art. 22 Abs. 2 EuErbVO schreibt Art. 22 EuGüVO nicht vor, dass die Rechtswahl ausdrücklich getroffen werden muss. Im Gegensatz etwa zu Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO und Art. 14 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO wird aber auch nicht klargestellt, dass eine stillschweigende Rechtswahl genügt, wenn sie sich nur eindeutig aus dem Inhalt der getroffenen Vereinbarung oder den Umständen des Falles ergibt. Unter der letztgenannten Voraussetzung sollte man indes auch eine stillschweigende Rechtswahl des Güterrechtsstatuts zulassen, sofern die Form nach Art. 23 EuGüVO gewahrt ist5. Dafür spricht insbesondere die Sonderanknüpfung in Art. 24 Abs. 2 EuGüVO, die überhaupt nur bei einer stillschweigenden Rechtswahl Bedeutung erlangen kann. Allerdings sind insoweit ähnlich strenge Anforderungen zu stellen wie bisher

1 Vgl. dazu die 7. Aufl., Rz. 7.806 ff. 2 Vgl. i.d.S. zur Rechtswahl nach Art 15 Abs 2 EGBGB Mörsdorf in BeckOK BGB Rz. 60, sowie das Beispiel bei Münch/Süß, § 20 Rz. 109. 3 Sieghörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 2. 4 So auch Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (84). 5 Weber, DNotZ 2016, 659 (680 f.); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1981); Martiny, ZfPW 2017, 1 (19); Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (77 f); Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (753 f.); Magnus, IPRax 2019, 8 (14); Hausmann, IntEuFamR B Rz. 326; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 245 f.; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 133; Thorn in Palandt, Art. 24 EuGüVO Rz. 2; ebenso schon zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB Andrae, NotBZ 2001, 44 (50); Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 47; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 106; a.A. OLG Hamm v. 11.5.2001 – 11 WF 15/01, FamRZ 2002, 459.

Hausmann | 841

6.931

§ 6 Rz. 6.931 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nach autonomem Kollisionsrecht. Es bedarf daher eines auf die kollisionsrechtliche Wahl des anwendbaren Güterrechts bezogenen Geschäftswillens. Die Ehegatten müssen mithin objektiv Handlungen vornehmen, die den Schluss auf eine solche Rechtswahl zulassen und sie müssen subjektiv die Umstände, die diesen Schluss begründen, kennen oder zumindest erkennen, dass ihre jeweiligen Äußerungen nach Treu und Glauben oder der Verkehrssitte als güterrechtliche Rechtswahl aufgefasst werden durften und vom jeweiligen Empfänger auch so verstanden wurden1. Hierfür reicht die von den Ehegatten in einem Grundstückskaufvertrag mit einem Dritten getroffene Rechtswahl nach Art. 3 Abs. 1 Rom I-VO nicht aus2.

6.932

Eine stillschweigende Rechtswahl wird sich – wie im internationalen Vertragsrecht – insbesondere aus der Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands nach Art. 7 EuGüVO entnehmen lassen3. Gleiches gilt bei Bezugnahme in einem Ehevertrag auf güterrechtliche Vorschriften oder typische Rechtsinstitute eines bestimmmten nationalen Rechts. Die Vereinbarung einer Morgengabe nach islamischem Recht in einem Ehevertrag zwischen einem deutschen Ehegatten und seinem Partner, der einem islamischen Staat angehört, kann hingegen jedenfalls dann nicht als konkludente Wahl des Heimatrechts dieses Partners ausgelegt werden, wenn sie nach dem Recht des Eheschließungsorts notwendige Voraussetzung einer gültigen Eheschließung ist4. Bei einer Rechtswahl in einer Scheidungsfolgenvereinbarung ist jeweils sorgfältig zu prüfen, ob sie sich auch auf das eheliche Güterrecht bezieht5. Aus dem Ausschluss des Versorgungsausgleichs und der vereinbarten Gütertrennung in einer deutschausländischen Ehe kann nicht auf die stillschweigende Wahl des Heimatrechts des ausländischen Ehegatten geschlossen werden6. (4) Maßgeblicher Zeitpunkt

6.933

Art. 22 EuGüVO schreibt für die Rechtswahl einen bestimmten Zeitpunkt nicht vor. Diese kann daher bereits vor der Heirat7, wenn auch nur mit Wirkung ab dieser, aber auch nachträglich zu einem beliebigen Zeitpunkt während der Ehe vorgenommen werden (vgl. Art. 22 Abs. 1 EuGüVO: „Die Ehegatten oder künftigen Ehegatten ...“). Sie ist auch noch in einem anhängigen Scheidungsverfahren möglich8. Die in Art. 22 EuGüVO normierten Vorausset-

1 Vgl. zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB KG FamRZ 2013, 1480 = IPRax 2014, 71 (m. Anm. Gruber, IPRax 2014, 53). 2 Vgl. schon zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ 1999, 299 (300) (Erwerb eines deutschen Hausgrundstücks durch kroat. Ehegatten. „Daraus, dass die Parteien ein in Deutschland gelegenes Grundstück erworben haben und der Kaufvertrag ... deutschem Recht unterlag, lässt sich keine Rechtswahl bezüglich des Güterrechts entnehmen“); ferner LG Augsburg v. 30.3.1994 – 4 T 1386/94, MittBayNotV 1995, 233; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 106. 3 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 247. 4 Vgl. zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB OLG Frankfurt a.M. v. 29.2.1996 – 3 UF 19/96, FamRZ 1996, 1478 (1479) (deutsch-jordanische Ehe); OLG Hamburg v. 21.5.2003 – 12 UF 11/02, FamRZ 2004, 459; OLG München v. 26.7.2005 – 4 UF 433/04, IPRspr. 2005 Nr. 46 (deutsch-ägyptische Ehe); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 220; dazu näher Wurmnest, RabelsZ 71 (2007) 554 (555); Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 106. 5 Vgl. OLG Hamm v. 11.5.2001 – 11 WF 15/01, FamRZ 2002, 459; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 48. 6 OLG Schleswig v. 6.4.2000 – 13 UF 173/99, SchlHA 2000, 222. 7 Weber, DNotZ 2016, 659 (677); von Bar/Mankowski, Bd.II, § 4 Rz. 228. 8 Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (750).

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.937 § 6

zungen für die Rechtswahl müssen nur zu dem Zeitpunkt vorliegen, in dem diese getroffen wird; ihr späterer Wegfall berührt die Wirksamkeit der Rechtswahl nicht mehr. (5) Allgemeine Schranken Im Hinblick auf den Grundsatz der Einheit des Güterrechtsstatuts nach Art. 21 EuGüVO kann die Rechtswahl nur einheitlich für das gesamte Vermögen der Ehegatten – ohne Rücksicht auf dessen Belegenheit – getroffen werden1. Ausgeschlossen ist daher unter Geltung der Verordnung nicht nur die nach bisherigem autonomen deutschen Kollisionsrecht (Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB) zugelassene Wahl des jeweiligen Belegenheitsrechts für unbewegliches Vermögen, sondern auch jede sonstige territoriale Beschränkung einer nach Art. 22 Abs. 1 EuGüVO getroffenen Rechtswahl. Diese kann daher insbesondere nicht auf das im gemeinsamen Aufenthaltsstaat (lit. a) oder im gemeinsamen Heimatstaat (lit. b) belegene Vermögen der Ehegatten beschränkt werden.

6.934

Eine gerichtliche Kontrolle der Rechtswahl auf ihre Billigkeit nach dem Vorbild von Art. 8 Abs. 5 des Haager Unterhaltsprotokolls ist in der EuGüVO nicht vorgesehen2. Sie beurteilt sich vielmehr als Frage des wirksamen Zustandekommens oder der materiellen Wirksamkeit der Rechtswahl gemäß Art. 24 Abs. 1 EuGüVO nach dem gewählten Recht.

6.935

bb) Wählbare Rechte (1) Weitreichende Parteiautonomie Art. 22 Abs. 1 EuGüVO räumt den Ehegatten, insbesondere als Korrektiv zur Fixierung des objektiven Güterrechtsstatuts in Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO auf den Zeitpunkt der Eheschließung, verhältnismäßig weitreichende Wahlmöglichkeiten ein. Auf diese Weise soll – namentlich in Fällen eines Staatsangehörigkeits- oder Aufenthaltswechsels eines oder beider Ehegatten nach der Eheschließung – eine Anpassung an die neue Lebenssituation ermöglicht werden. Die Wahl wird allerdings auf solche Rechte beschränkt, zu denen die Ehegatten einen engen Bezug haben3. Danach können sich die (künftigen) Ehegatten alternativ4 zwischen folgenden Rechten entscheiden:

6.936

(2) Gewöhnlicher Aufenthalt eines oder beider Ehegatten Gemäß Art. 22 Abs. 1 lit. a EuGüVO können die Ehegatten zunächst das Recht des Staates wählen, in dem sie zur Zeit der Rechtswahl ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt5 haben. Auf den gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt bei Abschluss der Rechtswahlvereinbarung kommt es auch an, wenn die Ehegatten die Rechtswahl schon vor der Eheschließung 1 Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 330; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 234, 261; Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 2. 2 Krit. dazu Dethloff, FS von Hoffmann (2011), S. 73 (77 f.); für analoge Anwendung von Art. 8 Abs. 5 HUP von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 227. 3 Kroll-Ludwigs, GPR 2016, 1061 (1062 f.); von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 232. 4 Die Rechtswahlmöglichkeiten nach Art. 22 Abs. 1 lit. a und lit. b EuGüVO stehen gleichberechtigt nebeneinander; es besteht also – anders als bei der objektiven Anknüpfung nach Art. 26 Abs. 1 EuGüVO – kein Subsidiaritätsverhältnis, vgl. von Bar/Mankowski, Bd. II Rz. 233. 5 Problemfälle der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts (z.B. bei Ruhestandsmigranten, Grenzpendlern, Strafgegangenen etc.) stellen sich ähnlich wie im Rahmen der EuErbVO, vgl. Döbereiner, Mitt BayNotV 2018, 405 (410).

Hausmann | 843

6.937

§ 6 Rz. 6.937 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

getroffen haben. Die Verordnung setzt nicht voraus, dass dieser gewöhnliche Aufenthalt auch noch zur Zeit der Eheschließung fortbesteht1. Planen die Ehegatten einen Umzug ins Ausland, so dürfte es auch zulässig sein, das künftige gemeinsame Aufenthaltsrecht bereits vor dem Umzug aufschiebend bedingt zu wählen2; die materielle Wirksamkeit einer solchen bedingten Rechtswahl beurteilt sich dann gemäß Art. 24 Abs. 1 EuGüVO nach dem gewählten Recht. Auf die Staatsangehörigkeit der Ehegatten kommt es im Rahmen von lit. a nicht an, so dass diese Wahlmöglichkeit auch dann eröffnet ist, wenn die Ehegatten dieselbe (effektive) Staatsangehörigkeit besitzen, denn durch die Rechtswahl soll ihnen gerade eine Anpassung ihrer güterrechtlichen Beziehungen an das von ihrem Heimatrecht abweichende Recht ihres gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthaltsstaates ermöglicht werden3.

6.938

Haben die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl (noch) keinen gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt, so können sie auch für das Recht optieren, in dem nur der eine oder der andere von ihnen zur Zeit der Rechtswahl seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ein tatsächliches Zusammenleben der Ehegatten in diesem Staat wird nicht vorausgesetzt4. Die rückwirkende Wahl des Rechts eines Staates, in dem die Ehegatten sich lange Jahre gemeinsam aufgehalten haben und mit dem sie deshalb am engsten verbunden sind, hat hingegen dann auszuscheiden, wenn im Zeitpunkt der Rechtswahl kein Ehegatte sich in diesem Staat noch gewöhnlich aufhält5. (3) Staatsangehörigkeit eines oder beider Ehegatten

6.939

Zulässig ist nach Art. 22 Abs. 1 lit. b EuGüVO auch die Wahl des Rechts des Staates, dessen Staatsangehörigkeit zumindest einer der Ehegatten zur Zeit der Rechtswahl besitzt. Eine solche Rechtswahl bietet sich insbesondere in gemischt-nationalen Ehen an, wenn die Ehegatten ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben, aber für ihre Ehe den nach Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO maßgeblichen deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft nicht wünschen. Dies kommt etwa in Betracht, wenn beide Ehegatten Staaten angehören, in denen als gesetzlicher Güterstand die Errungenschaftsgemeinschaft gilt, wie dies nicht nur in den meisten romanischen Rechten, sondern auch in fast allen Staaten Osteuropas der Fall ist6. Umgekehrt kann auch ein deutscher Ehegatte, der in einer gemischtnationalen Ehe lebt, gemeinsam mit seinem Partner eine Rechtswahl zugunsten des deutschen Güterrechts treffen, auch wenn die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Heimatstaat des nicht-deutschen Ehegatten oder in einem Drittstaat haben.

6.940

Gehörte ein Ehegatte mehreren Staaten an, so war unter Geltung des bisherigen deutschen Kollisionsrechts (Art. 15 Abs. 2 EGBGB) umstritten, ob er jedes seiner Heimatrechte oder nur das nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB effektive bzw. das nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB vorrangi-

1 Weber, DNotZ 2016, 659 (677); Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 327; Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 13. 2 Sieghörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 14; zweifelnd Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 14; a.A. Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (414); Kemper, FamRB 2019, 68 (69); Stürner in Erman, Art. 22 EuGüVO Rz. 6. 3 Vgl. das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 105. 4 Dutta, FamRZ 2019, 1390 (1393); Stürner in Erman, Art. 22 EuGüVO Rz. 3. 5 Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (6 f.). 6 Vgl. Münch/Süß, § 20 Rz. 161 ff., 178 ff., 202 ff.

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.942 § 6

ge deutsche Heimatrecht wählen konnte1. Demgegenüber sind Ehegatten in diesem Fall seit dem 29.1.2019 berechtigt, jedes der Heimatrechte eines Mehrstaater-Ehegatten als Güterrechtsstatut zu wählen. Sie sind also nicht auf die Wahl des effektiven Heimatrechts dieses Ehegatten beschränkt. Dies stellt die EuGüVO zwar – anders als die EuErbVO in Art. 22 Abs. 1 UAbs. 2 – im Text nicht ausdrücklich klar. In ErwG 50 S. 2 wird aber darauf hingewiesen, dass die in S. 1 dieses Erwägungsgrunds enthaltene Verweisung auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Behandlung von Mehrstaatern „keine Auswirkung auf die Gültigkeit einer Rechtswahl haben [soll], die nach dieser Verordnung getroffen wurde“. Dies ist aber dahin zu verstehen, dass Art 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB nur für die objektive Anknüpfung nach Art. 26 Abs. 1 lit. b EuGüVO herangezogen werden darf, während nach Art. 22 Abs. 1 lit. b EuGüVO auch ein nicht-effektives Heimatrecht eines Ehegatten wirksam gewählt werden kann2. Dies ist auch zweckmäßig; denn die Gültigkeit einer Rechtswahl sollte aus Gründen der Rechtssicherheit gerade nicht von der – häufig schwierigen – Ermittlung des effektiven Heimatrechts eines Mehrstaater-Ehegatten abhängen. Sonst könnten die bei der objektiven Anknüpfung des Güterrechtsstatuts an das Heimatrecht von Mehrstaatern bestehenden Unsicherheiten durch eine Rechtswahl nicht beseitigt werden, sondern würden noch verschärft. Die Ehegatten können das Recht ihres gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts oder ihrer gemeinsamen Staatsangehörigkeit auch dann wählen, wenn dieses Recht auch ohne Rechtswahl kraft objektiver Anknüpfung nach Art. 26 Abs. 1 lit. a oder lit. b EuGüVO zur Anwendung berufen wäre. Durch eine solche Rechtswahl wird die Geltung des Aufenthalts- oder Heimatrechts eines oder beider Ehegatten insbesondere vor Gerichten solcher Drittstaaten sichergestellt, die das Güterrechtsstatut zwar objektiv abweichend anknüpfen, aber eine Wahl des (insbesondere gemeinsamen) Aufenthalts- oder Heimatrechts der Ehegatten anerkennen. Schließlich bietet sich eine solche Rechtswahl vor allem dann an, wenn die Ehegatten schon im Zeitpunkt der Rechtswahl beabsichtigen, im Verlauf der Ehe ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Staat zu verlegen; in diesem Fall kann durch eine Rechtswahl insbesondere den Unsicherheiten vorgebeugt werden, die sich aus einer möglichen Anwendung der Ausweichklausel des Art. 26 Abs. 3 EuGüVO ergeben könnten.

6.941

cc) Einigung und materielle Wirksamkeit Die Frage, ob die Parteien sich über die Rechtswahl wirksam geeinigt haben, ist gemäß Art. 24 Abs. 1 EuGüVO nicht nach der lex fori, sondern nach dem Recht zu beantworten, das im Falle der Wirksamkeit der Rechtswahl anwendbar wäre. Damit hat die EuGüVO im Wesentlichen die Regelung in Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Rom I-VO, Art. 6 Rom III-VO und Art. 22 Abs. 3 EuErbVO zum Zustandekommen und zur materiellen Wirksamkeit einer Rechtswahlvereinbarung im internationalen Schuldvertrags-,3 Ehescheidungs- und Erbrecht übernommen. Ferner wird der Grundsatz des Art. 24 Abs. 1 EuGüVO – ebenso wie in Art. 3 Abs. 5 i.V.m. 1 Für die Zulässigkeit einer Wahl des nicht effektiven Heimatrechts Voraufl., Rz. 7.810; Kühne, IPRax 1987, 69 (72); Siehr, IPRax 2007, 353 (356 f.); Schurig in Soergel, Rz. 18; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 66, jeweils zu Art. 15 EGBGB; Kropholler, IPR § 45 IV 4a; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 215; a.A. Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (659); Wegmann, NJW 1987, 1740 (1742); Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 133 ff. m.w.N. 2 Weber, DNotZ 2016, 659 (677 f.); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1980 f.); Kohler/Pintens, FamRZ 2016, 1509 (1511); Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (67); Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 329; Sieghörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 9; Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 15 m.w.N. Vgl. auch das Beipiel bei Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 110. 3 Dazu näher Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 11, 34 ff.

Hausmann | 845

6.942

§ 6 Rz. 6.942 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO und Art. 6 Abs. 2 Rom III-VO – durch eine Sonderanknüpfung eingeschränkt, wenn ein Ehegatte nach dem Recht des Staates seines gewöhnlichen Aufenthalts nicht damit rechnen musste, dass sein Verhalten nach dem gewählten Recht als Zustimmung zur Rechtswahlvereinbarung gewertet würde. Die Regeln des Art. 24 EuGüVO sollen den Ehegatten die in voller Sachkenntnis zu treffende Rechtswahl erleichtern und das Einvernehmen der Ehegatten achten, um damit Rechtssicherheit sowie einen besseren Zugang zur Justiz zu gewährleisten (ErwG 47 S. 1)1. dd) Formgültigkeit der Rechtswahl (1) Allgemeines

6.943

Die Regeln zur Formgültigkeit der Rechtswahlvereinbarung sollen es den Ehegatten einerseits erleichtern, ihre Rechtswahl in voller Sachkenntnis zu treffen, und sollen andererseits gewährleisten, dass die einvernehmliche Rechtswahl im Interesse der Rechtssicherheit sowie eines besseren Rechtsschutzes respektiert wird (ErwG 47 S. 1). Die Abgrenzung zwischen materieller und formeller Gültigkeit der Rechtswahl hat autonom zu erfolgen2. Bei Beteiligung von ausländischen Ehegatten dürfte auch die Feststellung von deren hinreichender Kenntnis der deutschen Sprache und das daraus ggf. folgende Erfordernis der Zuziehung eines Dolmetschers zu den Formerfordernissen der Rechtswahl gehören3. Abweichend vom bisherigen autonomen deutschen Kollisionsrecht (Art. 15 Abs. 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 EGBGB a.F.) unterscheidet Art. 23 EuGüVO nicht danach, ob die Rechtswahl im In- oder Ausland getroffen wurde. Stattdessen kommt es maßgeblich darauf an, in welchem Staat bzw. in welchen Staaten die Ehegatten zur Zeit der Rechtswahlvereinbarung ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Insoweit hat Art. 23 EuGüVO fast wortgleich die Regelung in Art. 7 Rom III-VO zur Form der Rechtswahl im internationenScheidungsrecht übernommen. Ein Verstoß gegen die Formvorschriften des Art. 23 EuGüVO führt zur Nichtigkeit der Rechtswahl und damit zur Geltung des objektiv nach Art. 26 EuGüVO zu bestimmenden Güterrechtsstatuts. Ein Rückgriff auf mildere nationale Kollisionsnormen zur Formgültigkeit der Rechtswahl – z.B. auf Art. 11 Abs. 1 EGBGB – hat im Geltungsbereich von Art. 23 EuGüVO auszuscheiden4.

6.944

Um den Ehegatten die Tragweite ihrer Rechtswahl bewusst zu machen (ErwG 47 S. 2), sind an die Einhaltung der Form des Art. 23 EuGüVO strenge Anforderungen zu stellen5. Art. 23 Abs. 1 S. 1 EuGüVO schreibt für die Rechtswahl in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten als Mindestform die Einhaltung der Schriftform vor, die – anders als im deutschen Recht – durch die elektronische Form ersetzt werden kann (Abs. 1 S. 2). Damit weicht die EuGüVO einerseits deutlich von der Rom I-VO ab, die hinsichtlich der Form der Rechtswahl in Art. 3 Abs. 5 auf die Regelung des Formstatuts für den Hauptvertrag in Art. 11 Rom I-VO verweist und damit alternativ die Einhaltung der Form nach dem gewählten Recht oder nach dem Ortsrecht genügen lässt. Andererseits erleichtert die EuGüVO die Rechtswahl gegenüber den Rechten derjenigen Mitgliedstaaten, die schon bisher eine Rechtswahl im internationalen Ehegüterrecht zugelassen haben. So bedurfte die Rechtswahl nach bisherigem deutschen Recht (Art. 15 Abs. 3 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 EGBGB a.F.) zwingend der notariellen Beurkundung, wenn sie im 1 2 3 4

Dazu näher Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 112 ff. Für weiten Begriff der „Form“ in Art. 23 EuGüVO Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 124 ff. Vgl. das Beispiel bei Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 138. Weber, DNotZ 2016, 659 (679); Thorn in Palandt, Art. 23 EuGüVO Rz. 3; Looschelders in MünchKomm, Art. 23 EuGüVO Rz. 2. 5 Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (746).

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.947 § 6

Inland vorgenommen wurde, ansonsten zumindest der Form des Ehevertrags nach dem gewählten Recht oder dem Recht am Ort der Rechtswahl. Die bloße Einhaltung der privatschriftlichen oder elektronischen Form ist auch kaum geeignet, den Ehegatten die Tragweite ihrer Rechtswahl in jedem Fall bewusst zu machen1. Nicht zuletzt aus diesem Grund wird den teilnehmenden Mitgliedstaaten daher in Art. 23 Abs. 2-Abs. 4 EuGüVO die Möglichkeit eingeräumt, strengere nationale Formvorschriften für die Rechtswahl vorzusehen, die dann Vorrang vor Abs. 1 haben. Dies zielt insbesondere auf Rechtswahlvereinbarungen, die in einem Ehevertrag enthalten sind, der seinerseits nach nationalem Recht meist der notariellen Beurkundung bedarf. (2) Europäische Mindestform Als europäische Mindestform wird in Art. 23 Abs. 1 EuGüVO die Schriftform, Datierung und Unterzeichnung durch die Ehegatten gefordert. Schriftform bedeutet, dass der Text der Rechtswahlvereinbarung schriftlich niedergelegt werden muss, wobei es unerheblich ist, ob dies hand- oder maschinenschriftlich geschieht. Auch eine einheitliche Urkunde erfordert Art. 23 Abs. 1 EuGüVO nicht, so dass die Rechtswahl auch – abweichend von § 126 Abs. 2 BGB – in getrennten Schriftstücken (Korrespondenz, E-Mail-Verkehr) formwirksam getroffen werden kann2. Ergänzend kann auf die Auslegung des Schriftformerfordernisses in anderen Rechtsakten der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen (z.B. Art. 25 Abs. 1 lit. a Brüssel Ia-VO; Art. 4 Abs. 2 S. 1 EuUntVO; Art. 8 Abs. 2 HUP, Art. 7 Abs. 2 S. 1 Rom III-VO) Bezug genommen werden. Das nationale Recht der Mitgliedstaaten (z.B. § 126 BGB) hat hingegen außer Betracht zu bleiben3. Die Vorlage einer nur privatschriftlichen Rechtwahlvereinbarung reicht allerdings im Hinblick auf §§ 22, 29 GBO zur Eintragung einer Eigentumsänderung an einem deutschen Grundstück aufgrund des gewählten Rechts nicht aus4.

6.945

Zusätzlich schreibt Art. 23 Abs. 1 S. 1 EuGüVO vor, dass die Vereinbarung datiert5 und von beiden Ehegatten unterzeichnet sein muss. Keine ausdrückliche Antwort gibt Abs. 1 hingegen auf die Frage, ob die Unterschrift von den Ehegatten eigenhändig geleistet werden muss oder ob auch Stellvertretung möglich ist. Da eine höchstpersönliche Unterzeichnung in Art. 23 Abs. 1 EuGüVO nicht verlangt wird, sollte die Unterschrift eines Vertreters genügen, soweit die lex causae die Stellvertretung erlaubt (Art. 24 Abs. 1 EuGüVO) und diese nicht durch das nach Art. 23 Abs. 2 bis Abs. 4 EuGüVO vorrangig geltende nationale Recht ausgeschlossen wird6. Allerdings bedarf die Bevollmächtigung dann ihrerseits der Form des Art. 23 EuGüVO7.

6.946

Die Schriftform kann nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 EuGüVO durch eine elektronische Übermittlung, die eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung ermöglicht, erfüllt werden. Die Vorschrift stimmt mit Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, Art. 4 Abs. 2 S. 2 EuUntVO und Art. 7 Abs. 2

6.947

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 23 EuGüVO Rz. 1 a.E. 2 Thorn in Palandt, Art. 23 EuGüVO Rz. 2; Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 2. 3 Andrae, FS Martiny (2014), S. 3 (12); Thorn in Palandt, Art. 23 EuGüVO Rz. 3; Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 6. 4 Vgl. das Beipiel bei Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (75 f). 5 Auch die mangelnde Datierung führt zur Nichtigkeit der Rechtswahl, vgl. Looschelders in MünchKomm, Art. 23 EuGüVO Rz. 4. 6 Looschelders in MünchKomm, Art. 23 EuGüVO Rz. 5; Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 4; a.A. Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 137. 7 Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 4.

Hausmann | 847

§ 6 Rz. 6.947 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

S. 2 EuGüVO überein, so dass zu ihrer Auslegung die Rechtsprechung und Literatur zu diesen Vorschriften mit herangezogen werden können. Danach genügt die Einhaltung der elektronischen Form i.S.v. § 126a BGB, bei der das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen wird1; hingegen reicht die Textform i.S.v. § 126b BGB nicht aus, weil sie zwar die Schriftform ersetzt, nicht aber die in Satz 1 zusätzlich vorgeschriebene Unterzeichnung durch beide Ehegatten2. Mitteilungen in Messenger-Diensten (SMS, WhatsApp) genügen der Form nicht3. (3) Strengere Formvorschriften nach nationalem Recht (a) Gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten in einem Mitgliedstaat

6.948

Wenn jedoch nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem beide Ehegatten bei Abschluss der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, weitergehende Formerfordernisse vorgeschrieben sind, so sind nach Art. 23 Abs. 2 EuGüVO auch diese einzuhalten. Die nationalen Formvorschriften des gemeinsamen Aufenthaltsstaates verdrängen also für diesen Fall die einheitlichen europäischen Formvorschriften für die Rechtswahlvereinbarung nach Art. 23 Abs. 1 EuGüVO. Diese Formerfordernisse müssen allerdings nicht für Rechtswahlvereinbarungen, sondern für „Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand“ i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. b vorgeschrieben sein. Da Art. 23 Abs. 2 EuGüVO ausdrücklich auf etwaige zusätzliche „Fomvorschriften“ des gemeinsamen Aufenthaltsstaats der Ehegatten verweist, bleiben nationale Kollisionsnormen für die Form von von Rechtswahlvereinbarungen – z.B. die Anknüpfung an die Ortsform in Art. 11 Abs. 1, 2. Fall EGBGB – außer Betracht4. Deshalb ist es für Art. 23 Abs. 2 EuGüVO auch unerheblich, dass die Formvorschrift für die güterrechtliche Rechtswahl in Art. 15 Abs. 3 EGBGB mit Wirkung vom 29.1.2019 aufgehoben worden ist. Auch bedurfte es wegen der unmittelbaren Verweisung auf die mitgliedstaatlichen Formvorschriften für Eheverträge in Deutschland keiner Umsetzung der Vorschrift nach dem Vorbild von Art. 46e Abs. 1 EGBGB für die Wahl des Scheidungsrechts5.

6.949

Art. 23 Abs. 2 EuGüVO kommt insbesondere zur Anwendung, wenn beide Ehegatten sich zum Zeitpunkt ihrer Rechtswahl in Deutschland gewöhnlich aufhalten. Für diesen Fall muss die Rechtswahlvereinbarung zwingend der Form eines Ehevertrags genügen, d.h. nach §§ 1408, 1410 BGB bei gleichzeitiger – wenn auch nicht notwendig persönlicher – Anwesenheit beider Ehegatten notariell beurkundet werden6. Danach ist eine nur privatschriftlich nach Art. 23 Abs. 1 EuGüVO getroffene Rechtswahlvereinbarung formnichtig, wenn beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl in Deutschland haben. Allerdings kann die Form nach § 1410 BGB EGBGB auch durch eine gleichwertige Beurkundung im Ausland substituiert werden7. Haben die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt zur Zeit der Rechtswahl hingegen in einem Mitglied- oder Drittstaaat, der – was kaum vorkommen dürfte – keine besonderen Formvorschriften für Eheverträge i.S.v. Art. 23 Abs. 2 Eu-

1 Thorn in Palandt, Art. 23 EuGüVO Rz. 2; Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 9; Stürner in Erman, Art. 23 EuGüVO Rz. 6. 2 Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 9. 3 Kemper, FamRB 2019, 68 (70); Stürner in Erman, Art. 23 EuGüVO Rz. 6. 4 Weber, DNotZ 2016, 659 (679); Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (749). 5 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1981); Kroll-Ludwigs, GPR 2016, 231 (236). 6 Kroll-Ludwigs, NZFam 2016, 1061 (1063); Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 11. 7 Andrae, FS Martiny (2014), S. 3 (14 f.); Looschelders in MünchKomm, Art. 23 EuGüVO Rz. 8.

848 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.952 § 6

GüVO erlassen hat, so reicht die Schriftform nach Abs. 1 selbst dann aus, wenn die Vereinbarung im Inland abgeschlossen wird. (b) Gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten in verschiedenen Mitgliedstaaten Haben die Ehegatten zum Zeitpunkt der Rechtswahl ihren gewöhnlichen Aufenthalt in verschiedenen teilnehmenden Mitgliedstaaten, deren Rechte unterschiedliche Formvorschriften für solche Vereinbarungen vorsehen, so lässt es Art. 23 Abs. 3 EuGüVO – in Anlehnung an Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO – ausreichen, dass die Form nach nur einem dieser Rechte eingehalten wird. Nicht erforderlich ist also die kumulative Einhaltung der Formvorschriften beider Aufenthaltsrechte oder des strengeren der beiden Rechte. Art. 23 Abs. 3 EuGüVO setzt nicht voraus, dass die Rechtswahl auch in einem der beiden Aufenthaltsstaaten der Ehegatten vorgenommen worden ist. Wird also der Form nach dem Recht eines teilnehmenden Mitgliedstaats genügt, in dem nur ein Ehegatte sich gewöhnlich aufhält, so ist auch die in einem nicht teilnehmenden Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat getroffene Rechtswahl formgültig.

6.950

Hat einer der beiden Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so ist die Rechtswahl jedenfalls formgültig, wenn die Form der notariellen Beurkundung nach § 1410 BGB gewahrt wird. Wird sie nicht gewahrt, so folgt daraus allerdings noch nicht die Formnichtigkeit der Rechtswahl. Vielmehr bedarf es dann weiterhin der Prüfung, ob nicht die – weniger strengen – Formvorschriften desjenigen teilnehmenden Mitgliedstaats beobachtet wurden, im dem sich der andere Ehegatte zur Zeit der Rechtswahl gewöhnlich aufgehalten hat. Kennt das Recht dieses Mitgliedstaats keine besonderen Formvorschriften für Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand und gilt deshalb dort die Formvorschrift des Art. 23 Abs. 1 EuGüVO, so reicht auch deren Einhaltung aus1. Die Verweisung auf das Recht eines anderen teilnehmenden Mitgliedstaats in Art. 23 Abs. 3 EuGüVO ist stets auf dessen materielle Formvorschriften gerichtet; das IPR dieses Staates ist schon im Hinblick auf Art. 32 EuGüVO nicht zu berücksichtigen2.

6.951

(c) Gewöhnlicher Aufenthalt nur eines Ehegatten in einem Mitgliedstaat Art. 23 Abs. 4 EuGüVO dehnt die Regelung des Abs. 2 auf den Fall aus, dass nur einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl in einem teilnehmenden Mitgliedstaat hat, sofern sich der andere Ehegatte zu diesem Zeitpunkt in einem nicht an der Verordnung teilnehmenden Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat gewöhnlich aufhält. Auch in diesem Fall sind dann die in dem teilnehmenden Mitgliedstaat für die Wahl des Güterrechtsstatuts geltenden schärferen Formvorschriften maßgebend (ErwG 47 S. 6). Hat daher auch nur einer der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt zum Zeitpunkt der Rechtswahl in Deutschland, so bedarf die Rechtswahl nach § 1410 BGB zwingend der notariellen Beurkundung. Demgegenüber reicht die Einhaltung der Formvorschriften des Staates, in dem sich der andere Ehegatte gewöhnlich aufhält – abweichend von Abs. 3 – nicht aus, wenn es sich bei diesem Staat um einen nicht teilnehmenden Mitgliedstaat oder einen Drittstaat handelt3. Fehlt es an „zusätzlichen“ Formvorschriften in dem teilnehmenden Mitglied-

1 In fast allen teilnehmenden Mitgliedstaaten ist allerdings die notarielle Beurkundung für Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand vorgeschrieben, vgl. Hilbig-Lugani, DNotZ 2017, 739 (748 f.). 2 Hausmann, IntEuFamR B Rz. 338. 3 Krit. zu dieser Regelung Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 13.

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6.952

§ 6 Rz. 6.952 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

staat, in dem einer der beiden Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, so verbleibt es auch unter den Voraussetzungen des Abs. 4 wiederum beim Schriftformerfordernis nach der Grundregel in Abs. 1. Auf die Frage, in welchem Staat die Rechtswahl vorgenommen worden ist, kommt es auch in diesem Fall nicht an.

6.953

Nicht gesondert geregelt in Art. 23 Abs. 2 bis Abs. 4 EuGüVO ist der Fall, dass keiner der Ehegatten seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem teilnehmenden Mitgliedstaat hat. Dies hat freilich nicht etwa zur Folge, dass eine von den Ehegatten getroffene Rechtswahl nicht zu beachten wäre. Vielmehr greift in diesem Falle die Grundregel des Art. 23 Abs. 1 EuGüVO ein, wonach die Rechtswahl zumindest der Schriftform bedarf. Dies gilt auch dann, wenn das Recht des gemeinsamen Aufenthaltsstaates der Ehegatten eine weniger strenge Form genügen lassen sollte, was kaum vorkommen dürfte. Wird in einem solchen Fall die Rechtswahl in Deutschland getroffen, so findet § 1410 BGB keine Anwendung. In der Schweiz lebende deutsche Ehegatten können die Rechtswahl vielmehr auch in Deutschland privatschriftlich nach Art. 23 Abs. 1 EuGüVO treffen. Die notarielle Beurkundung ist jedoch auch in diesem Fall ratsam. ee) Formgültigkeit von Eheverträgen (1) Allgemeines

6.954

Der Abschluss eines Ehevertrages ist eine Art der Verfügung über das Vermögen der Ehegatten, die nicht in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten in gleichem Maße zulässig ist. Um die Anerkennung von auf der Grundlage eines Ehevertrags erworbenen Rechten in den Mitgliedstaaten zu erleichtern, sieht die EuGüVO in Art. 25 auch harmonisierte Vorschriften für die Formgültigkeit von Eheverträgen vor (ErwG 48 S. 1), die sich weitgehend an den Formvorschriften für Rechtswahlvereinbarungen orientieren und deshalb an dieser Stelle mitbehandelt werden1. Die Form nach Art. 25 EuGüVO ist allerdings nicht nur für Eheverträge, sondern auch für sonstige Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand in dem weiten Sinne des Art. 3 Abs. 1 lit. b EuGüVO einzuhalten, also z.B. auch bei Scheidungs- oder Trennungsvereinbarungen bezüglich der güterrechtlichen Auseinandersetzung. Bei einem kombinierten Ehe- und Erbvertrag ist jeder Teil gesondert nach der EuGüVO bzw. der EuErbVO zu beurteilen. Ist nur einer der Vertragsteile unwirksam, so entscheidet das auf den wirksamen Vertragsteil anwendbare Recht darüber, welchen Einfluss die Unwirksamkeit des anderen Teils auf diese Wirksamkeit hat2. Die materielle Wirksamkeit des Ehevertrags beurteilt sich hingegen gemäß Art. 27 lit. g EuGüVO allein nach dem Güterrechtsstatut.

6.955

Ob zu den dem Formzwang nach Art. 25 EuGüVO unterliegenden Vereinbarungen auch die im deutschen Recht zur Korrektur des Wahlgüterstands der Gütertrennung eingesetzten Rechtsinstitute des Nebengüterrechts (unbenannte Ehegattenzuwendungen, stillschweigende Ehegatteninnengesellschaft) gehören – mit der Folge, dass sie in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen nicht mehr zur Verfügung stünden –3, ist allerdings fraglich. Denn der vom BGH bei der stillschweigenden Ehegatteninnengesellschaft zugrunde gelegte konkludente Vertrags-

1 Die Kompetenz des europäischen Gesetzgebers zur Vereinheitlichung der Form von Eheverträgen wird allerdings zu Recht angezweifelt, vgl. Weber, DNotZ 2016, 650 (679 f.); Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (430); von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 278. 2 Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (421 f.). Im deutschen Recht gilt daher § 139 BGB, vgl. Dörner, ZEV 2019, 309 (314); Stürner in Erman, Art. 25 EuGüVO Rz. 2. 3 Vgl. Süß in Dutta/Weber, S. 85 (97).

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.957 § 6

schluss beruht i.d.R. auf einer Fiktion. Bei der gebotenen autonomen Qualifikation wird die stillschweigende Ehegatteninnengesellschaft daher vom Begriff der „Vereinbarung über den ehelichen Güterstand“ in Art. 3 Abs. 1 lit. b EuGüVO nicht erfasst, weil es sich in Wirklichkeit um einen im Wege der Analogie gewonnenen gesetzlichen Ausgleichsmechanismus zur Korrektur von Härten des Güterstands der Gütertrennung handelt1. Gleiches gilt für die Konstruktion des Wegfalls der Geschäftsgrundlage „unbenannter“ Ehegattenzuwendungen2. Art. 25 EuGüVO gilt auch nicht für Vereinbarungen, an denen außer den Ehegatten Dritte beteiligt sind3. (2) Europäische Mindestform Nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 bedürfen Eheverträge – ebenso wie die Rechtswahl nach Art. 23 Abs. 1 EuGüVO – zumindest der Schriftform; ferner müssen sie datiert und von beiden Ehegatten unterzeichnet werden (vgl ErwG 48 S. 2). Der Schriftform steht nach Abs. 1 S. 2 wiederum die elektronische Form gleich, wenn sie zu einer dauerhaften Aufzeichnung des Ehevertrags geführt hat. Die Einhaltung der Form nach Abs. 1 genügt insbesondere, wenn beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Drittstaat haben, sofern nicht das Güterrechtsstatut strengere Formerfordernisse aufstellt. Die Vorlage eines nur privatschriftlichen Ehevertrags reicht allerdings im Hinblick auf §§ 22, 29 GBO zur Eintragung einer Eigentumsänderung an einem deutschen Grundstück aufgrund des gewählten Güterstands (z.B. der Errungeschaftsgemeinschaft) nicht aus.

6.956

(3) Strengere Formvorschriften nach nationalem Recht Wenn jedoch nach dem Recht eines an der Verordnung teilnehmenden Mitgliedstaats, in dem beide Ehegatten bei Abschluss des Ehevertrags ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, weitergehende Formerfordernisse für dessen wirksamen Abschluss vorgeschrieben sind, so sind nach Art. 25 Abs. 2 UAbs. 1 EuGüVO auch diese einzuhalten. Haben die Ehegatten ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt daher bei Abschluss des Ehevertrags in Deutschland, so muss dieser gemäß § 1410 BGB zwingend bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Ehegatten zur Niederschrift eines Notars geschlossen werden. Die Einhaltung der ausländischen Ortsform genügt – anders als in bis zum 28.1.2019 geschlossenen Ehen (Art. 11 Abs. 1 EGBGB) – in diesem Fall nicht mehr4. Ausreichend dürfte jedoch die notarielle Beurkundung vor einem ausländischen Notar sein, wenn dieser – wie ein Notar in der deutschsprachigen Schweiz – einem deutschen Notar funktionsäquivalent, dh in der Lage ist, die Ehegatten über den Inhalt und die Bedeutung des Ehevertrages sachkundig und umfassend zu belehren5. Insoweit dürften die von der Rechtsprechung zur Beurkundung von Gesellschaftsverträgen durch ausländische Notare entwickelten Grundsätze6 entsprechend gelten. Die Form des § 1410 BGB ist allerdings nur für Eheverträge in dem engen Sinne des § 1408 BGB einzuhalten, nicht für sonstige Vereinbarungen über den ehelichen Güterstand in dem weiteren Sinn des Art. 3

1 Dutta, FamRZ 2019, 1390 (1396); Wever, FamRZ 2019, 1289 (1294); Dörner, ZEV 2019, 309 (315); Stürner in Erman, Art. 25 EuGüVO Rz. 3; Looschelders in MünchKomm, Art. 25 EuGüVO Rz. 5. 2 Dörner, ZEV 2019, 309 (315); Looschelders in MünchKomm, Art. 25 EuGüVO Rz. 5. 3 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1984). 4 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1984); Bergschneider, FamRZ 2020, 563 (564); Sieghörtner in NK-BGB, Art. 25 EuGüVO Rz. 1. 5 Dazu Bergschneider, FamRZ 2020, 563 (564 ff.). 6 Vgl. Schäuble in Hausmann/Odersky, § 7 Rz. 49 ff.

Hausmann | 851

6.957

§ 6 Rz. 6.957 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Abs. 1 lit. b EuGüVO1. Haben die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei Abschluss des Ehevertrags in verschiedenen teilnehmenden Mitgliedstaaten oder hat nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem solchen Mitgliedstaat, so gilt nach Art. 25 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 EuGüVO das zur Form von Rechtswahlvereinbarungen nach Art. 23 Abs. 3 und 4 EuGüVO Gesagte entsprechend (Rz. 6.943 ff.). (4) Zusätzliche Formerfordernisse des Güterrechtsstatuts

6.958

Die Formanforderungen für Eheverträge werden allerdings gegenüber denjenigen für Rechtswahlvereinbarungen dadurch verschärft, dass Eheverträge nach Art. 25 Abs. 3 EuGüVO in jedem Falle auch etwaige zusätzliche Formvorschriften des nach der Verordnung maßgeblichen Güterrechtsstatuts einhalten müssen (ErwG 48 S. 3)2. Daher bedarf ein Ehevertrag, der dem deutschen Güterrecht unterliegt, also – unabhängig vom gewöhnlichen Aufenthalt und der Staatsangehörigkeit der Ehegatten – stets der Form des § 1410 BGB. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob das Güterrechtsstatut durch Rechtswahl nach Art. 22 oder objektiv nach Art. 26 EuGüVO bestimmt wurde. Ferner ist die Form nach Art. 25 Abs. 3 EuGüVO auch dann einzuhalten, wenn als Güterrechtsstatut das Recht eines Drittstaats zur Anwendung gelangt3. Die Kumulation der Formerfordernisse mehrerer Rechtsordnungen kann allerdings zu Problemen führen, wenn diese Formerfordernisse nicht miteinander kompatibel sind4.

6.959

Art. 25 Abs. 3 EuGüVO bedeutet damit auch eine Verschärfung der Formerfordernisse für Eheverträge mit Auslandsbezug gegenüber dem bisherigen autonomen deutschen Kollisionsrecht: Denn zum einen reicht beim Abschluss eines Ehevertrages im Ausland – anders als bisher nach Art. 11 Abs. 1, 2. Fall EGBGB5 – die Einhaltung der ausländischen Ortsform nicht mehr aus6. Zum anderen ist auch die Formgültigkeit eines im Inland geschlossenen Ehevertrages nicht in jedem Fall mehr gesichert, wenn der Ehevertrag in der Form des § 1410 BGB geschlossen wurde. Vielmehr hat der Notar auch in diesem Fall zu prüfen, ob nicht ausländisches Ehegüterrecht gilt, das zusätzliche Formanforderungen stellt7. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn die Ehegatten ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten. Die zusätzliche Beachtung des Formerfordernisses nach ausländischem Recht kann freilich dadurch vermieden werden, dass die Ehegatten im Ehevertrag eine Rechtswahl nach Art. 22, 23 EuGüVO zugunsten des deutschen Güterrechts treffen8.

1 Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (70). 2 Vgl. näher Süß in Dutta/Weber, S. 85 (92 ff). 3 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1984); Sieghörtner in NK BGB, Art. 23 EuGüVO Rz. 11; Looschelders in MünchKomm, Art. 25 EuGüVO Rz. 10. 4 Süß in Dutta/Weber, S. 85 (94 f.). 5 Vgl. BGH v. 13.7.2011 − XII ZR 48/09, NJW-RR 2011, 1225 (Rz. 11 ff.) = IPRax 2012, 356 (m. Anm. Helms, IPRax 2012, 324) („Mauritius“). 6 Döbereiner, MittBayNotV 2018, 405 (421). 7 Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1984); Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (8); Looschelders in MünchKomm, Art. 25 EuGüVO Rz. 12. 8 Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (8); Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 349; Thorn in Palandt, Art. 25 EuGüVO Rz. 2.

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D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.962 § 6

ff) Wirkungen einer während der Ehe getroffenen Rechtswahl (1) Allgemeines Die güterrechtliche Rechtswahl kann jederzeit vor der Ehe (allerdings nur mit Wirkung ab der Eheschließung), im Zeitpunkt der Eheschließung oder erst während der Ehe erfolgen (ErwG 45 S. 2). Sie kann auch – wie Art. 22 Abs. 1 EuGüVO klarstellt – während der Ehe jederzeit geändert werden. Die Wirkungen einer nach Art. 22 EuGüVO getroffenen Rechtswahl treten grundsätzlich mit ihrer formgerechten Erklärung ein. Allerdings können die Ehegatten durch eine bedingte oder befristete Rechtswahl auch einen späteren Zeitpunkt für den Eintritt ihrer Wirkungen festlegen.

6.960

(2) Wirkung ex nunc Wird die Rechtswahl erst nach der Eheschließung getroffen, so wirkt sie nach Art. 22 Abs. 2 EuGüVO grundsätzlich nur für die Zukunft. Sie führt – ähnlich wie der Abschluss eines Ehevertrags oder die Auflösung der Ehe – notwendig zur Beendigung des bisherigen Güterstands und damit zu einem Statutenwechsel, durchbricht also den Grundsatz der Unwandelbarkeit des Güterrechtsstatuts (Rz. 6.898 ff.). An die Stelle des bisher maßgeblichen objektiven Güterrechtsstatuts nach Art. 26 EuGüVO bzw nach Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 EGBGB a.F. oder eines früher nach Art. 22 EuGüVO bzw nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB gewählten Rechts tritt das erstmals bzw. das neu gewählte Recht. Hatten die Ehegatten bisher in einem Güterstand der Gütertrennung gelebt, wirft der Statutenwechsel i.d.R. keine Probleme auf. Wird etwa durch die Rechtswahl der bisherige Güterstand der Zugewinngemeinschaft beendet, so ist der Zugewinn auszugleichen. Größere Schwieirigkeiten können sich hingegen ergeben, wenn die Ehegatten bisher in einem Güterstand der Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft gelebt haben, denn in diesem Fall ist das Gesamtgut als Folge des Statutenwechsels auseinanderzusetzen. Die Geltung des neu gewählten Güterstands ist allerdings nicht auf den Zeitpunkt hinausgeschoben, zu dem die Auseinandersetzung des früheren Güterstands abgeschlossen ist. Die sich aus der Auseinandersetzung des früheren Güterstands ergebenden Ansprüche der Ehegatten gegeneinander stellen vielmehr Aktiva und Passiva dar, die vom Zeitpunkt der Rechtswahl an den Regeln des neu gewählten Güterstands unterliegen.

6.961

Ob sich die Abwicklung des durch die Rechtswahl beendeten Güterstands noch nach dessen Vorschriften oder bereits nach denjenigen des neu gewählten Güterrechts beurteilt, war schon im bisherigen autonomen deutschen Kollisionsrecht umstritten. Teilweise wurde angenommen, nach der Abwahl des bisherigen Güterrechts könnten nur noch die Vorschriften des neu gewählten Rechts maßgeblich sein1. Dabei wird jedoch übersehen, dass ein Güterstand Wirkungen nicht nur während seiner Geltung, sondern auch und gerade aus Anlass seiner Beendigung entfaltet2. In der Praxis kommt den diesbezüglichen Regeln – z.B. über den Ausgleich des Zugewinns in der Zugewinngmeinschaft oder über die Auseinandersetzung der Gütergemeinschaft – sogar besonders große praktische Bedeutung zu. Vorzuziehen ist daher die Auffassung, die auf die Abwicklung des bisherigen Güterstands auch das bisherige Recht anwendet, denn nur dieses verfügt über Abwicklungsregeln, die auf diesen Güterstand zuge-

6.962

1 Dafür Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 63, 84; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 121 ff.; Mankowski/Osthaus DNotZ 1997, 10 (23 ff.). 2 V. Stoll, S. 89; Schotten, DNotZ 1999, 326 (332).

Hausmann | 853

§ 6 Rz. 6.962 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schnitten sind1. So enthält bei einem Übergang vom deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft in einen ausländischen Güterstand der Gütergemeinschaft oder Gütertrennung das neu gewählte Güterrecht keine Regeln über den Ausgleich des Zugewinns. Demgegenüber bestimmt das gewählte Güterrechtsstatut, welche Gegenstände des Altvermögens von dem neuen Güterstand erfasst werden2. Dies können auch Ansprüche aus der Liquidation des beendeten ausländischen Güterstands sein3. (3) Wirkung ex tunc

6.963

Nach Art. 22 Abs. 2 EuGüVO steht es den Ehegatten allerdings frei, etwas anderes zu vereinbaren. Sie sind daher insbesondere berechtigt, die Geltung des neuen Güterrechts mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Eheschließung zu vereinbaren4, sind also nicht mehr – wie bisher nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB – darauf beschränkt, sich nach Maßgabe des gewählten Rechts lediglich materiell-rechtlich so zu stellen, als ob das neue Güterrechtsstatut von Anfang an gegolten hätte. Eine solche rückwirkende Änderung des anzuwendenden Rechts mit kollisionsrechtlicher Wirkung darf nach Art. 22 Abs. 3 EuGüVO jedoch die Ansprüche Dritter, die sich aus dem zuvor maßgebenden Recht ableiten, nicht beeinträchtigen (vgl. ErwG 46 S. 2). Wechseln die Ehegatten z.B. mit Rückwirkung auf den Tag der Eheschließung vom deutschen zum französischen gesetzlichen Güterstand, so können sich Verfügungsbeschränkungen, die sich aus dem französischen Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft ergeben, nicht zu Lasten von Dritten auswirken, die von einem Ehegatten Eigentum bereits vor der Rechtswahl unter Geltung des damaligen deutschen gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft erworben hatten. Dies gilt auch für Verfügungsbeschränkungen, die sich – wie das Verbot der Veräußerung der Ehewohnung ohne Zustimmung des anderen Ehegatten nach Art. 215 Abs. 3 frz Cc – aus dem sog. „régime primaire“ ergeben und daher aus deutscher Sicht bisher als allgemeine Ehewirkung qualifiziert wurden5. Im Innenverhältnis der Ehegatten kann die Rechtswahl nach Abs. 3 hingegen rückwirkend zu einer Änderung der Eigentumsverhältnisse führen, soweit die lex rei sitae nicht entgegensteht6.

6.964

Art. 22 Abs. 2 EuGüVO gestattet allerdings nur die rückwirkende Rechtswahl. Die Vorschrift bezieht sich hingegen nicht auf die Frage, ob innerhalb der neu gewählten Rechtsordnung auch die rückwirkende Änderung des Güterstands durch einen Ehevertrag zulässig ist7. Zwischen der Rechtswahl nach Art. 22 EuGüVO auf kollisionsrechtlicher Ebene und der Vereinbarung eines Wahlgüterstands auf sachrechtlicher Ebene ist also auch unter Geltung der EuGüVO sorgfältig zu unterscheiden. Dementsprechend regelt auch die EuGüVO die Form

1 Weber, DNotZ 2016, 659 (681 f.); Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (82); Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 333; Sieghörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 17; Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 17; ebenso zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB Wegmann, NJW 1987, 1740 (1744); Böhringer, BWNotZ 1987, 104 (110); Lichtenberger, FS Ferid (1988), S. 269 (274 ff.); Schotten, DNotZ 1999, 326 (332 ff.); Kropholler, IPR § 45 IV 4 d; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 24. 2 Vgl. zu Art. 15 EGBGB Wegmann, NJW 1987, 1740 (1744); Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 104. 3 Vgl. zu 15 EGBGB Schotten, DNotZ 1999, 326 (332 ff.); V. Stoll, S. 87; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 58. 4 Krit. Kroll-Ludwigs, NZFam 2016, 1061 (1063); Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 18. 5 Weber, DNotZ 2016, 659 (682). 6 Heiderhoff, IPRax 2018, 1 (7); Sieghörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 19. 7 Anders offenbar Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 18.

854 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.968 § 6

der Rechtswahl in Art. 23 und die Form des Ehevertrags in Art. 25 z.T. unterschiedlich. Ob und unter welchen Voraussetzungen der gesetzliche Güterstand durch einen Ehevertrag abgeändert werden kann, beurteilt sich gemäß Art. 27 lit. g EuGüVO nach dem gewählten Recht. Wird – wie im Regelfall vor deutschen Notaren – deutsches Recht gewählt, so gilt auf der sachrechtlichen Ebene der Grundsatz der Vertragsfreiheit nach § 1408 BGB, der lediglich durch das Verbot des „Stichwortvertrags“ in § 1409 BGB eingeschränkt wird. Die notwendige gedankliche Trennung zwischen der kollisionsrechtlichen Rechtswahl und dem sachrechlichen Ehevertrag hindert es freilich nicht, beide Verträge in einer notariellen Urkunde zusammenzufassen, wie dies auch der gängigen Praxis entspricht. Die allein aufgrund der Rechtswahl eintretende rückwirkende Änderung des Güterstands setzt sich allerdings auch gegenüber einem gewählten ausländischen Güterrecht durch, das – wie z.B. das portugiesische Recht – eine solche Rückwirkung grundsätzlich verbietet; insoweit hat Art. 22 Abs. 3 EuGüVO Anwendungsvorrang vor dem gewählten nationalen Recht1. Haben die Ehegatten eine Rückwirkung ihrer Rechtswahl nach Art. 22 Abs. 2 EuGüVO vereinbart, so haben sie damit auch die Abwicklungsvorschriften des bisherigen Güterrechtsstatuts abgewählt. In diesem Fall ist eine Abwicklung des bisherigen Güterstands im Rahmen des neu gewählten Rechts vorzunehmen. Haben die Parteien daher anstelle des für sie bisher geltenden deutschen gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft rückwirkend ein Recht gewählt, in dem die Errungenschaftsgemeinschaft gesetzlicher Güterstand ist, so scheidet ein Zugewinnausgleich im Scheidungsfalle aus.

6.965

Ob die rückwirkende Rechtswahl zu einer automatischen Änderung der dinglichen Zuordnung von Immobiliarvermögen führt oder ob hierfür weitere sachenrechtliche Rechtsgeschäfte erforderlich sind, dürfte sich aufgrund des Registervorbehalts in Art. 1 Abs. 2 lit. h EuGüVO nach der lex rei sitae richten2.

6.966

gg) Publizität der Rechtswahl Die nach Art. 22 EuGüVO getroffene Rechtswahl kann in das deutsche Güterrechtsregister eingetragen werden. Diese Eintragung ist zwar für die Wirksamkeit der Rechtswahl nach europäischem Recht nicht erforderlich. Sie kann sich jedoch empfehlen, um die Chancen für eine Anerkennung der Rechtswahl in Drittstaaten zu erhöhen, wenn z.B. das drittstaatliche Heimat- oder Aufenthaltsrecht der Ehegatten eine amtliche Registrierung der Rechtswahl vorschreibt3. Außerdem kann durch die Eintragung der Wahl ausländischen Güterrechts im Güterrechtsregister der Schutz des guten Glaubens eines Dritten in die Geltung deutschen Güterrechts nach Art. 28 Abs. 2 lit. b EuGüVO ausgeschlossen werden (näher Rz. 6.1019 ff.).

6.967

hh) Aufhebung und Änderung der Rechtswahl Eine einmal getroffene Rechtswahl kann nach Art. 22 Abs. 1 EuGüVO mit Wirkung für die Zukunft jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Für die Änderung oder Aufhebung gel-

1 Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (80 f.); Stürner in Erman, Art. 22 EuGüVO Rz. 9. 2 Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (82 f.); Weber, RNotZ 2017, 365 (369); Sieghörtner in NK BGB, Art. 22 EuGüVO Rz. 19; a.A. – unter Hinweis auf die Kubicka-Entscheidung des EuGH – Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 19. 3 Vgl. zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (663); Böhringer, BWNotZ 1987, 104 (111); Röll, MittBayNotV 1989, 1 (4).

Hausmann | 855

6.968

§ 6 Rz. 6.968 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ten Art. 23, 24 EuGüVO entsprechend. Die Rechtswahl endet aber nicht schon deshalb eo ipso, weil ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. Treffen die Ehegatten eine – nach Art. 22 EuGüVO zulässige – andere Rechtswahl, so gilt fortan das neu gewählte Güterrechtsstatut. Heben sie dagegen ihre frühere Rechtwahl lediglich auf, so gilt mit Wirkung ex nunc wieder das objektiv nach Art. 26 EuGüVO zu bestimmende Güterrechtsstatut1. Für dessen Ermittlung sind nach Art. 26 Abs. 1 EuGüVO die Verhältnisse zur Zeit der Eheschließung – und nicht jene bei Aufhebung der Rechtswahl – maßgeblich, weil der Grundsatz der Unwandelbarkeit nicht zur Disposition der Ehegatten steht2. Für die Überleitung gilt in einem solchen Falle das zuvor in Rz. 6.964 ff.Gesagte entsprechend. e) Vorrang des Rechts des Lageorts

6.969

Ebenso wie das europäische internationale Ehegüterrecht (Art. 21 EuGüVO; dazu Rz. 6.873) befolgt auch das deutsche autonome IPR den Grundsatz der Einheitlichkeit des Güterrechtsstatuts. Die gesamten güterrechtlichen Verhältnisse der Ehegatten richten sich daher nach demselben Recht, unabhängig von dem Ort, an dem sich die einzelnen Vermögensgegenstände befinden3. Dieser Grundsatz wird in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen jedoch an zwei Stellen durchbrochen. Zum einen wird eine (Teil-)Rückverweisung des von Art. 15 Abs. 1 EGBGB berufenen Rechts auf das Recht des Lageorts beachtet (dazu Rz. 6.911 ff.). Zum anderen ordnet Art. 3a Abs. 2 EGBGB den Vorrang eines vom Güterrechtsstatut verschiedenen Belegenheitsstatuts (lex rei sitae) an, soweit dieses für die in seinem Gebiet befindlichen Vermögensgegenstände besondere Vorschriften bereithält. Hingegen kann die gegenständlich auf unbewegliches Vermögen beschränkte Rechtswahl zugunsten der lex rei sitae nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB seit dem 29.1.2019 nicht mehr getroffen werden.

6.970

Der Grundatz „Einzelstatut bricht Gesamtstatut“ gilt – anders als die bisherige Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB – nicht nur für unbewegliches, sondern auch für bewegliches Vermögen4. Ein Vorrang der lex rei sitae vor dem güterrechtlichen Gesamtstatut setzt nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB einerseits voraus, dass Vermögensgegenstände der Ehegatten in einem Staat belegen sind, desssen Sachrecht nicht als Güterrechtsstatut berufen ist; andererseits muss das Belegenheitsrecht die dort belegenen Sachen „besonderen Vorschriften“ unterwerfen. Im Geltungsbereich des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens (Rz. 6.976 f.) findet Art. 3a Abs. 2 EGBGB keine Anwendung5.

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 22 EuGüVO Rz. 21. 2 Sehr str., wie hier Döbereiner in Dutta/Weber, S. 63 (83); Stürner in Erman, Art. 22 EuGüVO Rz. 10; ebenso zur Rechtswahl nach Art.15 Abs. 2 EGBGB Lichtenberger, DNotZ 1986, 644 (660); Kropholler, IPR § 45 IV 4 d; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 25; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 64; a.A. zu Art. 22 Abs. 2, 3 EuGüVO Sieghörtner in NK BGB, Rz. 24; Looschelders in MünchKomm, Rz. 21; ebenso zu Art. 15 Abs. 2 EGBGB Wegmann, NJW 1987, 1740 (1744); Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 113. 3 Kropholler, IPR, § 45 IV 1; vgl. auch BGH v. 18.10.1968 – V ZR 38/65, NJW 1969, 369 (Güterrechtliche Verhältnisse von österreich. Ehegatten an deutschem Grundstück nach österreich. Recht beurteilt). 4 Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 94 m.w.N. 5 Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 8 Abs. 3 S. 2 des Abkommens, weil Art. 3a Abs. 2 EGBGB gerade nicht gegenüber jedem anderen Staat gilt.

856 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.972 § 6

Zu den „besonderen Vorschriften“ i.S.v. Art. 3a Abs. 2 EGBGB gehören nicht nur die materiellen Bestimmungen über Sondervermögen (Fideikommisse, Lehen usw.)1, sondern nach h.M auch Kollisionsnormen des Belegenheitsstaates, die eine unterschiedliche Anknüpfung für bewegliches und unbewegliches Vermögen vorsehen und die güterrechtlichen Verhältnisse an Grundstücken der lex rei sitae unterwerfen2, wie dies insbesondere im anglo-amerikanischen Recht3 weithin der Fall ist. Es tritt insoweit also eine Aufspaltung des Güterstandes ein mit der Folge, dass etwa das jeweilige Belegenheitsrecht entscheidet, ob und welche Verfügungsbeschränkungen kraft Güterrechts in Bezug auf ein dort belegenes Grundstück deutscher Ehegatten bestehen und wie dieses Grundstück bei Auflösung der Ehe in eine vermögensrechtliche Abwicklung einzubeziehen ist.

6.971

Die Spaltung des Güterrechts nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB oder aufgrund eines beachtlichen Teilrenvoi auf die lex rei sitae hat zur Folge, dass das Vermögen der Ehegatten sich in zwei oder mehr selbständige Vermögensmassen aufteilt, von denen jede einem anderen Recht unterliegt. Jede dieser Vermögensmassen wird dann nach dem auf sie anwendbaren Güterrecht beurteilt, und zwar grundsätzlich so, als ob die andere(n) Vermögensmasse(n) nicht vorhanden wäre(n)4. Im einzelnen bedeutet dies:

6.972

– Für jede Vermögensmasse ist getrennt nach dem auf sie anwendbaren Güterrecht zu entscheiden, ob zwischen den Ehegatten eine Art von Gütergemeinschaft besteht oder ob die Vermögen der Ehegatten getrennt bleiben5. – Güterrechtliche Verfügungs- oder Verpflichtungsbeschränkungen sind für jede Vermögensmasse nach dem auf sie anwendbaren Güterrecht zu beurteilen mit der Folge, dass solche Beschränkungen für bestimmte Vermögensgegenstände der Ehegatten bestehen können, für andere hingegen nicht; für § 1365 BGB ist daher nur das dem deutschen Güterrecht unterliegende Vermögen als Gesamtvermögen anzusehen6. – Bei Beeendigung der Ehe ist jede Vermögensmasse nach dem auf sie anwendbaren Recht abzuwickeln mit der Folge, dass z.B. ein Zugewinnausgleich nur in Bezug auf das dem deutschen Recht unterliegende Vermögen durchzuführen ist, während bezüglich des anderen Vermögens die diesbezüglich nach ausländischem Recht bestehende Gütergemeinschaft auseinanderzusetzen ist oder Gütertrennung gilt7. – In Härtefällen kann mit Hilfe des Rechtsinstituts der Angleichung versucht werden, einen Interessenausgleich herbeizuführen. 1 Dazu näher Ludwig, DNotZ 2000, 663 (669 ff.); von Hein in MünchKomm, Art. 3a EGBGB Rz. 36 ff.; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 7; Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 127; Hausmann in Staudinger, Art. 3a EGBGB Rz. 49 ff. m.w.N. 2 Ganz h.M., vgl. Ludwig, DNotZ 2000, 663 (669 ff.); von Bar, Bd. II Rz. 232; von Hein in MünchKomm, Art. 3a EGBGB Rz. 48 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 3a EGBGB Rz. 27 ff. m.w.N.; zum internationalen Erbrecht auch BGH v. 21.4.1993 – XII ZR 248/91, NJW 1993, 1920 (1921) = IPRax 1994, 375 (m. Anm. Dörner, IPRax 1994, 362); BayObLG v. 3.4.1990 – BReg.1a Z 70/89, NJW-RR 1990, 1033; a.A. Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 66. 3 Demgegenüber tendiert das englische Recht zu einer einheitlichen Anknüpfung von „movables“ und „immovables“ im internationalen Güterrecht; dazu OLG Hamm v. 27.11.2013 – 14 UF 96/13, FamRZ 2014, 947: Auskunftsanspruch der Ehefrau bezüglich einer in London belegenen Immobilie des Ehemannes nach deutschem Güterrecht beurteilt; Anwendung von Art. 3a Abs. 2 EGBGB ausdrücklich abgelehnt. 4 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 108; Martiny in PWW, Art. 15 EGBGB Rz. 19 f. 5 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 108. 6 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 108. 7 Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 109.

Hausmann | 857

§ 6 Rz. 6.973 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

f) Intertemporales Kollisionsrecht in Altehen

6.973

Zusätzliche Schwierigkeiten bereitet die Ermittlung des maßgeblichen Güterrechtsstatuts in bis zum 8.4.1983 geschlossenen Ehen schließlich deshalb, weil der deutsche Gesetzgeber aus Anlass der IPR-Reform von 1986 in Art. 220 Abs. 3 EGBGB für die zwischen dem 1.4.1953 und dem 8.4.1983 geschlossenen Ehen eine komplizierte Übergangsregelung vorgesehen hat. Auf deren Darstellung wird wegen ihrer nur noch geringen paraktischen Bedeutung an dieser Stelle verzichtet1.

5. Rechtsvereinheitlichung Literatur: 1. Staatsverträge: von Bar, Die eherechtlichen Konventionen der Haager Konferenz(en), RabelsZ 57 (1993), 63; Beitzke, Die 13. Haager Konferenz und der Abkommensentwurf zum ehelichen Güterrecht, RabelsZ 41 (1977), 105; Lenck, La Convention de la Haye de 1978 sur la loi applicable aux régimes matrimoniaux, J.C.P 1992, D. 275; Loussouarn, La Convention de la Haye sur la loi applicable aux régimes matrimoniaux, Clunet 1979, 5; Martiny, Das Grünbuch zum internationalen Ehegüterrecht – Erste Regelungsvorschläge, FuR 2008, 206; Nascimbene, Jurisdiction and applicable law in matrimonial matters: Rome III Regulation?, EuLF 2009 I, 1; von Overbeck, La convention de la Haye sur la loi applicable aux régimes matrimoniaux, SchweizJahrbIntR 33 (1977), 105; Philipp, Hague Draft Convention on Matrimonial Property, Am.J.Comp.L. 24 (1976), 307; Wagner, Konturen eines Gemeinschaftsinstruments zum internationalen Güterrecht unter besonderer Berücksichtigung des Grünbuchs der Europäischen Kommission, FamRZ 2009, 269. Deutsch-französischer Wahlgüterstand: Braun, Die Wahl-Zugewinngemeinschaft – ein neuer Güterstand im deutschen (und französischen) Recht, MittBayNotV 2012, 89; Breuer, Der neue deutschfranzösische Wahlgüterstand, FF 2010, 113; Cubeddu-Wiedemann (Hrsg.), The Optional Matrimonial Property Regime – The Franco-German Community of Accrued Gains (2014); Delereue, Der neue deutsch-französische Wahlgüterstand. Für und Wider eines bilateralen Abkommens, FamRBInt 2010, 70; Dethloff, Der deutsch-französische Wahlgüterstand. Wegbereiter für eine Angleichung des Familienrechts?, RabelsZ 76 (2012), 509; Jäger, Der neue deutsch-französische Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft, DNotZ 2010, 804; Jünemann, Der neue Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft: Familienrechtliche Grundlagen und erbrechtliche Wirkungen, ZEV 2013, 353; Keller/Schrenck, Der 4. Güterstand, JA 2014, 87; Martiny, Der deutsch-französische Wahlgüterstand – Ein Beispiel optionaler bilateraler Familienrechtsvereinheitlichung, ZEuP 2011, 577; Meyer, Der neue deutsch-französische Wahlgüterstand, FamRZ 2010, 612; Stürner, Der deutsch-französische Wahlgüterstand als Modell für die europäische Rechtsvereinheitlichung, JZ 2011, 545.

a) Haager Ehewirkungsabkommen von 1905

6.974

Das Haager Ehewirkungsabkommen vom 17.7.19052, das zuletzt nur noch im Verhältnis zu Italien galt und insoweit die autonome Kollisionsnorm des Art. 15 EGBGB verdrängte, ist von der Bundesrepublik Deutschland mit Wirkung vom 23.8.1987 gekündigt worden3. Für die vor diesem Zeitpunkt geschlossenen Ehen bleibt das Abkommen zwar grundsätzlich anwendbar. Da Art. 2 Abs. 1 des Haager Ehewirkungsabkommens jedoch für die objektive Bestimmung des Güterrechtsstatuts an das Heimatrecht des Ehemannes zur Zeit der Eheschließung anknüpft, verstößt die Bestimmung gegen das Gleichberechtigungsgebot des Art. 3 Abs. 2 GG und kann deshalb aus den vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 15 EGBGB a.F. genannten Gründen auf Ehen, die nach dem 31.3.1953 geschlossen wurden, von deutschen Gerichten

1 Vgl. dazu die Voraufl., Rz. 7.824 ff.; Hausmann in Hausmann/Odersky, § 9 Rz. 177 ff. 2 RGBl. 1912, 453 (475). 3 Bek. v. 26.2.1986, BGBl. II, 505.

858 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.976 § 6

nicht mehr angewandt werden1. Für Übergangsfragen, die sich aus dieser Verfassungswidrigkeit des Art. 2 Abs. 1 des Haager Ehewirkungsabkommens ergeben, gilt Art. 220 Abs. 3 EGBGB entsprechend2. Praktische Bedeutung hatte das Haager Ehewirkungsabkomnmen vor allem wegen der für Eheverträge in Art. 5 getroffenen Regelung3. b) Haager Ehegüterrechtsabkommen von 1978 Das Haager Übereinkommen über das auf Ehegüterstände anwendbare Recht vom 14.3.19784 ist bisher von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert worden. Es ist am 1.9.1992 für Frankreich, Luxemburg und die Niederlande in Kraft getreten, wird aber für ab dem 29.1.2019 geschlossene Ehen auch im Verhältnis dieser Staaten zueinander durch die EuGüVO verdrängt (Art. 62 Abs. 2 EuGüVO). Die Regeln des Abkommens gelten in den Vertragsstaaten für vor dem 29.1.2019 geschlossene Ehen als „loi uniforme“ und sind deshalb auch dann anzuwenden, wenn auf das Recht eines Nichtvertragsstaats (z.B. auf deutsches Recht) verwiesen wird. Für deutsche Gerichte erlangen sie daher in solchen Altehen vor allem im Rahmen einer nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachtenden Rückverweisung durch das von Art. 15 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufene französische, luxemburgische oder niederländische Recht Bedeutung5. Zu Einzelheiten s. Voraufl., Rz. 7851 ff.

6.975

c) Deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen von 1929 Vorrang vor dem autonomen deutschen Kollisionsrecht hat auf dem Gebiet des Ehegüterrechts in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB auch das deutschiranische Niederlassungsabkommen vom 17.2.19296. Nichts anderes gilt aber auch für danach geschlossene Ehen, weil die für sie maßgebliche EuGüVO bestehende Staatsverträge der teilnehmenden Mitgliedstaaten unberührt lässt (Art. 62 Abs. 1 EuGüVO). Das Abkommen knüpft im ehelichen Güterrecht an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten an (Art. 8 Abs. 3)7. Da ein Zeitpunkt für die Anknüpfung nicht bestimmt wird, ist das Güterrechtsstatut nach dem Abkommen – anders als nach Art. 26 Abs. 1 EuGüVO (Rz. 6.888 ff.) und nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB (Rz. 6.898 f.) – wandelbar8. Ein Staatsangehörigkeitswechsel der Ehegatten nach der Eheschließung kann deshalb zu einer Änderung des Güterrechtsstatuts führen. Dies gilt nicht nur, wenn beide Ehegatten von der iranischen zur deutschen oder – umgekehrt – von der deutschen zur iranischen Staatsangehörigkeit wechseln; ausreichend ist es vielmehr auch, dass durch den Staatsangehörigkeitswechsel nur eines Ehegatten die gemeinsame deutsche oder iranische Staatsangehörigkeit erlangt wird.

1 BGH v. 17.9.1986 – IVb ZR 52/85, NJW 1987, 583 f. = DNotZ 1987, 292 f. m. Anm. Lichtenberger; BGH NJW 1988, 638; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB a.F. Rz. 6b. 2 BT-Drs. 10/5632, 46; BGH v. 8.4.1987 – IVb ZR 37/86, NJW 1988, 638 ff. m. Anm. Schurig IPRax 1988, 88 ff.; Jayme, IPRax 1987, 95. 3 Dazu Hausmann in Hausmann/Odersky § 9 Rz. 9. 4 Englischer und französischer Text in RabelsZ 41 (1977), 554 ff. 5 Vgl. OLG Saarbrücken v. 23.5.2019 – 5 W 25/19, FamRZ 2020, 1568 (1569 f.) (Luxemburg) OLG Düsseldorf v. 3.11.1999 – 3 Wx 343/99, FamRZ 2000, 1574 (1575) (Niederlande); Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 186 ff. und Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 161 ff. 6 RGBl. II 1930, 1006. 7 Vgl. OLG Celle v. 15.8.2011 – 10 WF 73/11, FamRBInt 2012, 2 m. Anm. Yassari. 8 Vgl. von Bar, Bd. II Rz. 210.

Hausmann | 859

6.976

§ 6 Rz. 6.977 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.977

Das Abkommen beschränkt sich auf die Regelung der objektiven Anküpfung des Güterrechtsstatuts, weil die heute eingeräumten Rechtswahlmöglichkeiten in beiden Vertragsstaaten im Jahr 1929 noch nicht bestanden haben. Da das iranische IPR eine güterrechtliche Rechtswahl auch nach wie vor nicht kennt, dürfte eine auf Art. 22 Abs. 1 lit. a EuGüVO bzw. Art. 15 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB gestützte Wahl deutschen Rechts durch iranische Ehegatten im Iran keine Anerkennung finden. Die Zulässigkeit einer solche Rechtswahl ist daher im Anwendungsbereich des Abkommens abzulehnen1. Zu beachten ist ferner, dass das Abkommen auf gemischt-nationale Ehen keine Anwendung findet2; es wird auch dann durch Art. 26 EuGüVO bzw. Art. 15 EGBGB verdrängt, wenn einer der iranischen Ehegatten die Rechtsstellung eines Flüchtlings i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention oder eines Asylberechtigten erlangt hat3. d) Deutsch-französischer Wahlgüterstand der Zugewinngemeinschaft von 2010

6.978

Am 4.2.2010 haben die Justizminister Deutschlands und Frankreichs das bilaterale „Abkommen über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft“(WZGA)4 unterzeichnet, das für beide Länder am 1.5.2013 in Kraft getreten ist5. Das Abkommen steht nach seinem Art. 21 auch anderen EU-Mitgliedstaaten zum Beitritt offen. Es führt in das materielle Ehegüterrecht beider Länder die Wahl-Zugewinngemeinschaft als zusätzlichen nationalen vertraglichen Güterstand ein. Dieser übernimmt Elemente sowohl des deutschen gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft als auch des französischen gesetzlichen Güterstands der „communauté réduite aux acquets“. Im deutschen Recht wurde die Wahlzugewinngemeinschaft in § 1519 BGB als weiterer vertraglicher Güterstand – neben der Gütertrennung und der Gütergemeinschaft – durch Verweisung auf das Abkommen geregelt. Inhaltlich unterscheidet sich der neue Wahlgüterstand vom deutschen gesetzlichen Güterstand vor allem dadurch, dass die Verfügung eines Ehegatten über sein gesamtes Vermögen – anders als nach § 1365 BGB – nicht beschränkt ist. Andererseits wurde aus dem französischen Recht das dem deutschen Recht bisher fremde Verbot übernommen, ohne Zustimmung des anderen Ehegatten über die „Ehewohnung“ zu verfügen, auch wenn diese im Alleineigentum des verfügenden Ehegatten steht6. Bei der Berechnung des Zugewinnausgleichs ist zu beachten, dass auch ein während der Ehe an einen Ehegatten gezahltes Schmerzensgeld – anders als im deutschen gesetzlichen Güterstand – zu dessen Anfangsvermögen gehört. Ferner ist die Höhe der Ausgleichsforderung stets auf die Hälfte dessen beschränkt, was zur Zeit der Beendigung des Güterstands noch vorhanden ist (Art. 14 WZGA). § 1412 BGB findet auf den Güterstand keine Anwendung.

6.979

Durch das Abkommen sollten die Schwierigkeiten der Anknüpfung des Güterrechts im deutsch-französischen Verhältnis möglichst vermieden werden; aus diesem Grunde enthält es keine Kollisionsnormen. Dieses Ziel ist freilich nicht erreicht worden; denn nach Art. 1 WZGA steht der Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft nur Ehegatten zur Verfügung, deren Güterstand dem Sachrecht eines Vertragsstaats unterliegt. Ob dies der Fall ist, be1 So auch die h.M., vgl. Schotten/Wittkowski, FamRZ 1995, 264 (267 ff.); Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 4; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 2. 2 Vgl. von Bar, II Rz. 210; Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 869 m. ausf. Nachw. 3 Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 870. 4 Text im BGBl. II 2012, 180; dazu das deutsche AusführungsG vom 15.3.2012, BGBl. II, 178. 5 BGBl. II 2013, 431. 6 Zur Problematik dieser Verfügungsbeschränkung Münch/Everts, FamR § 2 Rz. 181. Es handelt sich um eine nicht in das deutsche Grundbuch eintragungsfähige absolute Verfügungsbeschränkung, die nicht gemäß § 892 BGB durch den guten Glauben des Erwerbers überwunden werden kann, vgl. Jünemann, ZEV 2013, 353 (357).

860 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.982 § 6

stimmt sich in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen aus deutscher Sicht nach Art. 15 EGBGB (Rz. 6.891 ff.), aus französischer Sicht nach dem Haager Übereinkommen über das auf Ehegüterstände anzuwendende Recht vom 14.3.1978 (Rz. 6.975). Dies kann zur Folge haben, dass das Abkommen in solchen Ehen zwar aus deutscher Sicht, nicht aber aus französischer Sicht anwendbar ist (oder umgekehrt)1. Ausreichend für die Vereinbarung des Wahlgüterstands ist es aus deutscher Sicht im Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 EGBGB auch, dass deutsches Recht erst aufgrund einer Rückverweisung bzw. französisches Recht erst aufgrund einer Weiterverweisung durch das Recht eines Drittstaats anwendbar ist. Demgegenüber beurteilt sich das auf das Ehegüterrecht anzuwendende Recht in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen in Deutschland und Frankreich einheitlich nach den Kollisionsnormen der EuGüVO, die nur noch Sachnormverweisungen kennt (Art. 32 EuGüVO). Das WZGA kann danach zur Anwendung kommen, wenn die Ehegatten nach Art. 22 EuGüVO entweder deutsches oder französisches Recht als Güterrechtsstatut wählen. Dies setzt nach Art. 22 Abs. 1 EuGüVO voraus, dass bei der Wahl deutschen Rechts zumindest ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat oder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, bei der Wahl französischen Rechts zumindest ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich hat oder die französische Staatsangehörigkeit besitzt (Rz. 6.936 ff.). In Ermangelung einer Rechtswahl können die Ehegatten nach Art. 26 Abs. 1 lit. a EuGüVO für den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft optieren, wenn sie ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt unmittelbar nach der Eheschließung in Deutschland oder Frankreich begründen (Rz. 6.883 ff.). Auf die Staatsangehörigkeit der Ehegatten kommt es in diesem Fall nicht an. Hilfsweise können auch die Anknüpfungen nach Art. 26 Abs. 1 lit. b und lit. c EuGüVO an die gemeinsame Staatsangehörigkeit der Ehegatten oder die engste Verbindung zum deutschen oder französischen Recht führen und damit die Möglichkeit zur zur Vereinbarung der Wahl-Zugewinngemeinschaft eröffnen2.

6.980

Die Anwendung des Abkommens erfordert allerdings keine Auslandsberührung, ist also nicht auf deutsch-französische Ehen oder Ehen von Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Frankreich (bzw. Ehen von Franzosen mit gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland) beschränkt; vielmehr können deutsche Ehegatten auch in einem reinen Inlandsfall für die in § 1519 BGB geregelte Wahl-Zugewinngemeinschaft optieren3. In einer deutsch-französischen Ehe kann der neue Wahlgüterstand hingegen dann nicht vereinbart werden, wenn die Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zeitpunkt der Eheschließung in einem Drittstaat (z.B. in Belgien oder der Schweiz) haben. Für diesen Fall setzt der Zugang zu dem neuen Güterstand voraus, dass die Ehegatten zuvor eine Rechtswahl zugunsten des deutschen oder des französischen Rechts nach Art. 22 Abs. 1 lit. b EuGüVO treffen.

6.981

Der Güterstand kann gemäß § 3 Abs. 1 WZGA nur durch Ehevertrag vereinbart werden, der sowohl vor als auch nach der Eheschließung abgeschlossen werden kann. Die materielle Wirksamkeit dieses Ehevertrags wird im Abkommen nicht geregelt; sie beurteilt sich daher nach dem von Art. 22 ff. EuGüVO bzw. in Altehen nach dem von Art. 15 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufenen – deutschen oder französischen – Güterrechtsstatut4. In formeller Hinsicht ist nach beiden Rechten notarielle Beurkundung erforderlich (§ 1408 BGB; Art. 1394 Cc). Diese Form ist unter Geltung von Art. 25 EuGüVO zwingend einzuhalten, wenn die Ehe-

6.982

1 2 3 4

Vgl. das Beispiel bei Jäger, DNotZ 2010, 804 (806). Vgl. näher Koch in MünchKomm, Art. 1 WZGA Rz. 2 ff. Jäger, DNotZ 2010, 804 (806 f.). Braun, MittBayNot 2012, 89 (90); Jünemann, ZEV 2013, 353 (357).

Hausmann | 861

§ 6 Rz. 6.982 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem dieser beiden Staaten haben oder wenn deutsches oder französisches Recht auf ihre güterrechtlichen Beziehungen anzuwenden ist (Rz. 6.954 ff.). Um weitergehende Voraussetzungen des französischen Rechts – z.B. das Erfordernis der gerichtlichen Bestätigung einer ehevertraglichen Güterstandsänderung, wenn Kinder oder Gläubiger der Ehegatten dieser widersprechen (Art. 1397 Abs. 2-4 Cc)1 – auszuschalten, empfiehlt sich bei Abschluss des Ehevertrags vor einem deutschen Notar die Aufnahme einer Rechtswahlklausel nach Art. 22 EuGüVO zugunsten des deutschen Rechts2.

IV. Einfluss des Vertrags- und Belegenheitsstatuts Literatur: Amann, Eigentumserwerb unabhängig vom ausländischen Güterrecht?, MittBayNotV 1986, 222; Beitzke, Bruchteilserwerb mit Auslandsberührung aus der Sicht des Notars und Grundbuchamts, BWNotZ 1988, 49; Hausmann, Ausgleichsansprüche zwischen Ehegatten aus Anlass der Scheidung im IPR – zur Abgrenzung zwischen Vertragsstatut, Ehewirkungsstatut und Ehegüterstatut, FS Jayme Bd. I (2002), S. 305; Jayme, Auflassungsvormerkung und ausländischer Güterstand, IPRax 986, 361; Jayme, Zur Anwendung des § 1365 BGB bei ausländischem Geschäftsrecht, FS Henrich (2000), S. 335; Lichtenberger, Einige Bemerkungen der praktischen Behandlung des Grundstückserwerbs bei Auslandsberührung, MittRheinNotK 1986, 111; S. Lorenz, Unbenannte Zuwendungen und internationales Ehegüterrecht, FamRZ 1993, 393; Riering, Gesellschaftsstatut und Ehegüterstatut, IPRax 1998, 322; Winkler von Mohrenfels, Ehebezogene Zuwendungen im IPR, IPRax 1995, 379.

1. Grundsatz 6.983

Der Güterstand hat zahlreiche Wirkungen unmittelbar dinglicher Art, wie die Vergemeinschaftung des Vermögens, Verfügungsbeschränkungen und Nutznießungsrechte. Weitere Verfügungsund Verpflichtungsbeschränkungen können sich unabhängig vom Güterstand als allgemeine Wirkungen der Ehe ergeben. Deshalb ist der Anwendungsbereich der EuGüVO bzw. der Art. 14, 15 EGBGB für Forderungen und Rechte gegenüber dem internationalen Schuldrecht, insbes. gegenüber dem internationalen Vertragsrecht (Art. 3 ff. Rom I-VO, Rz. 6.995 ff.), für Sachen gegenüber dem internationalen Sachenrecht (Art. 43, 46 EGBGB; Rz. 6.985 ff.) abzugrenzen. Qualifikationsprobleme bestehen ferner im Verhältnis zum internationalen Gesellschaftsrecht (Rz. 6.991 f.).

6.984

Grundsätzlich bestimmt das Güterrechtsstatut nicht nur, welche Gütermassen überhaupt zu unterscheiden sind, sondern auch, in welche Masse der einzelne Gegenstand (Sache, Forderung, Recht) fällt und welche Lasten und Beschränkungen an ihm kraft Güterrechts entstehen sollen. Ob diese Rechtsänderungen tatsächlich eintreten können, bestimmt das Statut des Einzelgegenstandes, für Sachen und dingliche Rechte also das Recht des Lageorts, für Forderungen und Rechte das jeweilige Schuldstatut3.

2. Güterrecht und Sachenrecht 6.985

Hier ist im Einzelnen wie folgt zu unterscheiden: – Ob Sachen – als Voraussetzung für den Eintritt der güterrechtlichen Veränderung – überhaupt in das Eigentum eines Ehegatten oder der Ehegattengemeinschaft gelangt sind, be1 Die weiteren Voraussetzungen (zweijährige Wartefrist oder das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung für den Abschluss oder die Änderung von Eheverträgen nach Eheschließung) sind durch Gesetz Nr. 2019-222 vom 23.3.2019 beseitigt worden; vgl. Ferrand, FamRZ 2019, 1493. 2 Jäger, DNotZ 2010, 804 (806 f.); Süß, ZErb 2010, 281 (283); Jünemann, ZEV 2013, 353 (357). 3 Looschelders in MünchKomm, Rz. 33, Schurig in Soergel, Rz. 36; Mankowski in Staudinger, Rz. 259 f., 388; jeweils zu Art. 15 EGBGB m.w.N.

862 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.988 § 6

sagt zunächst das Recht des Lageorts1. Solange z.B. der Erwerb eines inländischen Grundstücks durch italienische Ehegatten nicht durch Eintragung im Grundbuch vollzogen wurde, kann das Grundstück noch nicht Gesamtgut der „comunione legale“ geworden sein. Dem Belegenheitsrecht unterliegen also alle dinglichen Erwerbsvorgänge, z.B. Fragen des gutgläubigen Erwerbs an beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie dingliche Herausgabeansprüche zwischen Ehegatten2. – Welche dinglichen Rechte ihrer Art nach an Sachen entstehen können, beurteilt sich ebenfalls nach dem Recht des Lageorts. Ist deutsches Recht lex situs, so sind allerdings im Interesse der Einheitlichkeit des Güterrechtsstatuts (Rz. 6.873) unmittelbare sachenrechtliche Wirkungen des Güterstandes an im Inland belegenen Sachen in weitem Umfang zu beachten. Auch dem deutschen Recht unbekannte Arten von Sachenrechten sind solange anzuerkennen, als sie mit bekannten Formen vergleichbar bleiben3. Nur wenn das Recht, das durch den fremden Güterstand begründet wird, dem inländischen (Sachen-)Rechtssystem völlig fremd ist (so etwa das Recht der „curtesy“ bzw. „dower“ einiger US-Staaten, das „giftorätt“ des schwedischen Rechts oder die Legalhypothek des Ehegatten nach französischem Recht), kann es an im Inland belegenen Sachen nicht entstehen. Dies gilt nach Art. 1 lit. g EuGüVO auch unter dieser Verordnung, die für die Anpassung eines der lex rei sitae unbekannten Sachenrechts in Art. 29 eine ausdrückliche Regelung vorsieht.

6.986

– Die von einem ausländischen Güterrechtsstatut angeordnete unmittelbare Entstehung, Veränderung oder Belastung dinglicher Rechte wurde in Bezug auf Gegenstände, die im Inland belegen sind, nach deutschem autonomen Kollisionsrecht bisher nur anerkannt, wenn sie in vergleichbarer Weise auch dem deutschen Recht bekannt war. Verlangte das Recht des Lageorts für die Entstehung eines dinglichen (Pfand- oder Nießbrauchs-) Rechts eine Übertragungshandlung, während das erstere darauf verzichtete, so waren die Parteien einander zur Vornahme der Übertragung verpflichtet4.

6.987

– Demgegenüber ordnet Art. 1 lit g EuGüVO keinen allgemeinen Vorrang der lex rei sitae vor dem Güterrechtsstatut an. Die Vorschrift ist vielmehr einschränkend in dem Sinne auszulegen, dass sie nur ein bestimmtes Anwendungsergebnis – nämlich die Entstehung eines dem Belegenheitsrecht unbekannten dinglichen Rechts – verhindern soll; sie richtet sich hingegen nicht gegen eine der lex rei sitae unbekannte Art und Weise des Erwerbs eines dinglichen Rechts. Denn die maßgeblichen Modalitäten des Übergangs dinglicher Rechte

6.988

1 Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 389; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 39. Vgl. auch OLG Köln v. 21.4.1993 – 13 U 251/92, FamRZ 1994, 899 (Eigentumserwerb an Brautgeschenken, die eine türkische Frau anlässlich ihrer Hochzeit mit einem Türken in Deutschland als Morgengabe erhielt, nach der deutschen lex rei sitae beurteilt). 2 OLG Köln v. 21.4.1993 (vorige Fn.); Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 103; Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 54. 3 Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 389; Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 56. 4 AG Frankfurt a.M. v. 18.1.1991 – Hö 4a F 338/90, IPRax 1991, 147 (Der nach italien. Recht [Art. 194 Abs. 2 c.c.] kraft Gesetzes entstehende Nießbrauch des Ehegatten, dem nach einer Trennung die elterliche Sorge über die Kinder übertragen wurde, am Grundvermögen des anderen Ehegatten erstreckt sich nicht auf in Deutschland belegene Grundstücke; insoweit bedarf es der rechtsgeschäftlichen Einräumung des Nießbrauchs); ebenso Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 390; Wendehorst in MünchKomm, Art. 43 EGBGB Rz. 103; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1016 m.w.N.; vgl. auch zur parallelen Problematik beim Vindikationslegat nach ausländischem Erbrecht BGH v. 28.9.1994 – IV ZR 95/93, NJW 1995, 58 = ZEV 1995, 298 (m. Aufs. Birk, ZEV 1995, 283) = IPRax 1996, 39 (m. Anm. Dörner, IPRax 1996, 26).

Hausmann | 863

§ 6 Rz. 6.988 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

sollen nach dem ErwG 24 dem auf den ehelichen Güterstand anzuwendenden Recht unterliegen; sie werden daher von Art. 1 Abs. 2 lit. g EuGüVO nicht erfasst1. Die Vorschrift steht daher insbesondere dem Erwerb eines dem Belegenheitsrecht bekannten dinglichen Rechts kraft Gesetzes nicht entgegen, auch wenn ein solches Recht nach der lex rei sitae nur kraft Rechtsgeschäfts erworben werden kann. Dies hat der EuGH inzwischen zur Parallelvorschrift in Art 1. Abs. 2 lit. k EuErbVO für den Erwerb eines nach dem ausländischen Erbstatut dinglich wirkenden Vermächtnisses (Vindikationslegat) an einem deutschen Grundstück mit der Begründung entschieden, dass nach lit. k nur der lex rei sitae unbekannte dingliche Rechte, nicht aber der lex rei sitae unbekannte Modalitäten des Übergangs von bekannten dinglichen Rechten (z.B. des Eigentums) aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgeschlossen seien2. Die hierfür gegebene Begründung gilt auch für das Verhältnis der EuGüVO zur lex rei sitae3. Sieht daher das ausländische Güterrecht eine Legalhypothek oder ein kraft Gesetzes entstandenes Nießbrauchsrecht eines Ehegatten an einem inländischen Grundstück vor, so sind diese Rechte als solche anzuerkennen; einer rechtsgeschäftlichen Bestellung oder sonstigen Anpassung dieser Rechte bedarf es zum Zwecke der Eintragung im deutschen Grundbuch nicht.

6.989

– Sieht das ausländische Güterrechtsstatut etwa die automatische Vergemeinschaftung der von einem Ehegatten allein erworbenen Gegenstände vor, wie z.B. der gesetzliche Güterstand des französischen oder italienischen Rechts, so bedarf es bei deutscher lex situs keiner weiteren dem deutschen Recht zu entnehmenden Übertragungsakte4; denn auch nach deutschem Recht können Sachen mit Eintritt eines bestimmten Güterstandes kraft Gesetzes gemeinschaftlich werden (vgl. § 1419 BGB)5. Gehört daher ein inländisches Grundstück zu dem auf einen Ehegatten übergegangenen Vermögen, so wird das Grundbuch unrichtig6; auf Antrag ist daher ein Widerspruch (§ 899 BGB) einzutragen. Die Eintragung des Gesamthandseigentums im Grundbuch ist dann bloße Berichtigung und kann von jedem der Ehegatten beantragt werden7. Das Grundbuch ist freilich nur zu berichtigen, wenn der Vermögensgegenstand zu dauerndem Miteigentum auf den anderen Ehegatten übergeht. Findet hingegen nach Auflösung der Ehe durch Tod oder Scheidung ein Rückfall statt, so handelt es sich lediglich um eine Beschränkung der Verfügungsmacht. 1 Looschelders in MünchKomm, Art. 1 EuGüVO Rz. 66. 2 EuGH v. 12.10.2017 – C-218/16, ECLI EU:C:2017:755 (Kubicka), NJW 2017, 3767 (Rz. 46 ff.) = ZErb 2017, 352 m. Anm. Litzenburger = FamRZ 2017, 2057 m. Anm. Döbereiner = ZEV 2018, 41 m. Anm. Dorth 11; vgl. auch Dutta/Weber/J. P. Schmidt, Art. 1 EuErbVO Rz. 125 ff. m. ausf. Nachw. 3 Looschelders in MünchKomm, Art. 1 EuGüVO Rz. 67; R. Magnus in NK BGB, Art. 1 EuGüVO Rz. 42. 4 Vgl. – zum kroat. gesetzlichen Güterstand – OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ 1999, 299 (300). 5 LG Bamberg v. 20.11.1975 – 2 T 56/75, MittBayNotV 1975, 261; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 99; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 395; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 970 ff.; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 291. 6 Vgl. LG Ulm v. v. 15.4.1993 – 5 T 41/93, BWNotZ 1993, 124, wo die Eintragung einer Sicherungshypothek zur Sicherung einer Forderung gegen einen kroatischen Schuldner im deutschen Grundbuch analog § 740 Abs. 1 ZPO abgelehnt wurde, weil das Grundstück zum Gesamtgut der Errungenschaftsgemeinschaft des Schuldners und seiner Ehefrau nach kroatischem Recht gehörte, das von beiden Ehegatten gemeinschaftlich verwaltet wurde. 7 Vgl. LG Kempten v. 10.8.1982 – 4 T 557/82, IPRspr. 1982 Nr. 53 zum Erwerb eines deutschen Grundstücks durch einen im italienischen gesetzlichen Gütertstand der „comunione legale“ lebenden Ehegatten.

864 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.992 § 6

– Güterrechtliche Beschränkungen der Verfügungsbefugnis unterliegen hingegen allein dem Güterrechtsstatut; das Recht des Lageorts bleibt grundsätzlich außer Betracht1. Die Schranken der §§ 1365, 1369 BGB gelten daher nur, wenn die Ehegatten im deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft leben, dann aber auch, wenn ein Ehegatte über im Ausland belegene Sachen verfügt2. Verfügungsbeschränkungen kraft ausländischen Güterrechts sind umgekehrt auch in Bezug auf im Inland belegene bewegliche Sachen oder Grundstücke zu beachten, selbst wenn sie im deutschen Recht keine genaue Entsprechung haben3. Grenze ist lediglich die Vorbehaltsklausel des Art. 6 EGBGB; von der Anwendung in Deutschland ausgeschlossen sind danach z.B. ausländische Güterrechtsbestimmungen, die ein rechtsgeschäftliches Veräußerungsverbot i.S.d. § 137 BGB anordnen4.

6.990

3. Güterrecht und Gesellschaftsrecht Wenig geklärt sind bisher die kollisionsrechtlichen Fragen im Spannungsfeld zwischen Ehegüterrecht und Gesellschaftsrecht, die insbesondere auftreten, wenn deutsches Gesellschaftsrecht und ausländisches Ehegüterrecht zusammentreffen5. Im Ausgangspunkt ist dabei ähnlich zu differenzieren wie im Verhältnis zwischen Güter- und Sachenrechtsstatut. Danach entscheidet darüber, ob und welche Rechte an Gesellschaftsanteilen entstehen können, das Gesellschaftsstatut. Dies gilt gleichermaßen für den originären Anteilserwerb (z.B. Inhalt und Gültigkeit des Gesellschaftsvertrages, Erfordernis der Eintragung im Handelsregister) wie für den abgeleiteten Anteilserwerb (z.B. Gültigkeit der Geschäftsanteilsabtretung).

6.991

Das Gesellschaftsstatut regelt freilich nur die allgemeinen Voraussetzungen und Wirkungen des Anteilserwerbs. Es entscheidet insbesondere darüber,

6.992

– ob ein Gesellschaftsanteil an einen Dritten frei übertragbar ist oder nicht, – ob die Übertragbarkeit eines Gesellschaftsanteils kraft Gesetzes oder kraft Gesellschaftsvertrags eingeschränkt ist, – ob kraft Gesetzes bestehende Einschränkungen der Übertragbarkeit eines Gesellschaftsanteils durch den Gesellschaftsvertrag abgeändert oder augehoben werden können und – ob die kraft Gesetzes bestehende freie Übertragbarkeit eines Gesellschaftsanteils durch Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen oder eingeschränkt werden kann6.

1 BayObLG v. 6.10.1954 – BReg 2 Z 116/54, JZ 1954, 441. 2 LG Aachen v. 17.10.1961 – 7 T 413/61, FamRZ 1962, 385; Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 33; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 260 ff. 3 Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1007 m. Nachw.; dazu LG Ulm v. 15.4.1993 – 5 T 41/93, BWNotZ 1993, 124 (Eintragung einer Sicherungshypothek zur Sicherung einer Forderung gegen einen kroat. Schuldner im deutschen Grundbuch analog § 740 Abs. 1 ZPO abgelehnt, weil das Grundstück zum Gesamtgut der Errungenschaftsgemeinschaft des Schuldners und seiner Ehefrau nach kroat. Recht gehörte, das von beiden Ehegatten gemeinschaftlich verwaltet wurde. Vollstreckungstitel auch gegen die Ehefrau verlangt). 4 KG v. 12.12.1972 – 1 W 1781/72, NJW 1973, 428 (zu Art. 167 Abs. 2 ital. c.c. a.F.); Mansel in Staudinger, Art. 43 Rn. 1008; Looschelders in MünchKomm, Art. 15 EGBGB Rz. 55 a.E.; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 396. 5 Vgl. aber Riering, IPRax 1998, 322 ff. 6 Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 36; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 661; von Bar, Bd. II Rz. 242; a.A. (Güterrechtsstatut) Riering, IPRax 1998, 322 (325 f.).

Hausmann | 865

§ 6 Rz. 6.993 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.993

Demgegenüber befindet das Güterrechtsstatut darüber, welche güterrechtlichen Rechtsfolgen der Erwerb von Gesellschaftsanteilen durch einen oder beide Ehegatten auslöst. Das von Art. 20 ff. EuGüVO bzw. Art. 15 EGBGB zur Anwendung berufene Recht legt daher fest, welche Art von Berechtigung an von beiden Ehegatten erworbenen Gesellschaftsanteilen besteht (z.B. Bruchteils- oder Gesamthandseigentum), in welche Gütermasse (z.B. Gesamtgut, Vorbehaltsgut, Sondergut) der von einem Ehegatten allein erworbene Gesellschaftsanteil fällt, wenn die Eheleute in einem Güterstand der Gütergemeinschaft leben, und welche Verfügungsbeschränkungen kraft Güterrechts für Ehegatten-Gesellschafter gelten (vgl. auch Rz. 6.846)1.

6.994

Schwierigkeiten bereitet insbesondere die Qualifikation gesellschaftsrechtlicher Erwerbshindernisse, die im Widerspruch zu einer güterrechtlich angeordneten Mitberechtigung beider Ehegatten am Gesellschaftsanteil stehen. Derartige Erwerbshindernisse können sich einerseits aus dem Gesetz ergeben; im deutschen Recht sind etwa die § 38 S. 1, § 717 S. 1 BGB (i.V.m. § 105 Abs. 3, § 161 Abs. 2 HGB) zu nennen. Derartige Erwerbshindernisse sind gesellschaftsrechtlich zu qualifizieren und deshalb auch bei Geltung ausländischen Güterrechtsstatuts anwendbar, wenn die Gesellschaft ihren Sitz in Deutschland hat2. Die Mitgliedschaftsrechte an einem Verein, einer BGB-Gesellschaft, OHG oder KG können daher aufgrund ihres persönlichen Charakters im (Außen-) Verhältnis zur Gesellschaft nicht in das Gesamtgut einer ausländischen Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft fallen, sondern werden Sonder- bzw. Eigengut des Gesellschafter-Ehegatten. Dies gilt auch dann, wenn der Anteil an einer Personengesellschaft kraft besonderer gesellschaftsvertraglicher Regelung frei übertragbar ausgestaltet ist, weil eine Gütergemeinschaft nicht Gesellschafterin einer Personengesellschaft sein kann3. In Betracht kommt allenfalls eine wertmäßige Beteiligung des Ehegatten an dem vom Gesellschafter-Ehegatten erworbenen Anteil, der im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung schuldrechtlich auszugleichen ist. Die gleichen Grundsätze gelten auch bei rechtsgeschäftlichen Erwerbshindernissen, wie sie etwa bei vinkulierten Beteiligungen (vgl. § 15 Abs. 5 GmbHG, § 68 Abs. 2 AktG) bestehen. Zulässigkeit und Wirkung solcher Vinkulierungsklauseln unterliegen ebenfalls allein dem Gesellschaftsstatut4. Die vom anwendbaren Güterrecht geforderte Beteiligung des anderen Ehegatten kann auch in diesem Falle nur schuldrechtlich erfolgen.

4. Güterrecht und Vertragsrecht a) Allgemeines

6.995

Auch wenn das Ehegüterrecht das Vermögen der Ehegatten einer Sonderordnung unterstellt und deshalb alle zu diesem Vermögen gehörenden Gegenstände erfasst, hat dies nicht zur Folge, dass Rechtsgeschäfte zwischen den Ehegatten über diese Gegenstände notwendig dem Güterrechtsstatut unterlägen. Vielmehr sind derartige Rechtsgeschäfte grundsätzlich nach den Regeln zu behandeln, die den Einzelgegenstand aufgrund seiner Typik beherrschen. Demgemäß gilt für Kaufverträge, Schenkungen5 oder Darlehensverträge zwischen Ehegatten das 1 Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 36; Riering, IPRax 1998, 322 ff.; Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 661. 2 RG v. 16.3.1938, JW 1938, 1718 (1719); Kindler in MünchKomm, IntGesR Rz. 661; a.A. Riering, IPRax 1998, 322 (325 f.). 3 BayObLG v. 22.1.2003 – 3Z BR 238/02, 239/02 und 240/02, DNotZ 2003, 454; Riering IPRax 1998, 322 (325); Bohlscheid, RNotZ 2005, 505 (521); Apfelbaum, MittBayNotV 2006, 185 (187 f.). 4 Riering, IPRax 1998, 322 (325). 5 Vgl. zur Rückforderung von Schenkungen zwischen türkischen Ehegatten aus Anlass der Scheidung OLG Köln v. 18.2.1994 – 27 W 2/94, FamRZ 1995, 236.

866 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.997 § 6

nach den allgemeinen Regeln des internationalen Vertragsrechts (Art. 3 ff. Rom I-VO) bestimmte Vertragsstatut, für Gesellschaften zwischen Ehegatten das Gesellschaftsstatut1. Diese schuldrechtliche Qualifikation von Rechtsgeschäften zwischen Ehegatten wird grundsätzlich nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Güterrechtsstatut bestimmte Rechtsgeschäfte zwischen den Ehegatten verbietet, einschränkt oder für ihre Abwicklung eigene Regeln aufstellt2. b) Unbenannte Ehegattenzuwendungen Bei dem vom BGH entwickelten Rechtsinstitut der ehebezogenen „unbenannten Zuwendung“ handelt es sich indessen nicht um einen gewöhnlichen Schuldvertrag, der in gleicher oder ähnlicher Weise auch zwischen Nicht-Ehegatten abgeschlossen werden könnte. Der ehebedingten Zuwendung liegt also keine schuldrechtliche (Schenkungs-)causa, sondern eine ehebezogene causa sui generis zugrunde; sie dient der näheren Ausgestaltung und Sicherung der ehelichen Lebensgemeinschaft3. Da Rückerstattungs- oder Ausgleichsansprüche zwischen Ehegatten aus Anlass der Ehescheidung dem gleichen Recht unterliegen wie die Zuwendung selbst, stellt sich die Frage, ob insoweit das internationale Schuldvertrags- oder das Familienrecht maßgeblich ist4.

6.996

Unter Geltung der Art. 27 ff. EGBGB a.F. hatte sich der BGH ohne vertiefte Auseinandersetzung mit der Problematik für eine schuldvertragliche Qualifikation ausgesprochen5. Zur Begründung hat man auf die Nähe der ehebedingten Zuwendung zur Schenkung und auf die Einordnung des für den Ausgleich herangezogenen Rechtsinstituts des Wegfalls der Geschäftsgrundlage im Schuldrecht (§ 313 BGB) verwiesen; dies rechtfertige eine – zumindest analoge – Anwendung der Kollisionsnormen des internationalen Vertragsrechts6. Dagegen spricht freilich, dass die Rom I-VO mit der in Art. 1 Abs. 2 lit. b und lit. c enthaltenen Aufzählung ganz bewusst das gesamte Familienrecht aus dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausklammert. Denn die unbeschränkte Parteiautonomie nach Art. 3 Rom I-VO und die objektive Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der Vertragspartei, welche die vertragscharakteristische Leistung erbringt (Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO) – passen nicht für ehe- und familienrechtliche Rechtsgeschäfte. Dort bedarf es einer Beschränkung der Parteiautonomie auf Rechte, die eine gewisse Nähe zu der gelebten Ehe aufweisen und für eine objektive An-

6.997

1 Schurig in Soergel, Art. 15 EGBGB Rz. 37; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 96. 2 Vgl. zu Verboten von Schenkungs- und Gesellschaftsverträgen zwischen Ehegatten in manchen Rechten Rz. 6.803 f. 3 Vgl. statt vieler BGH v. 27.9.1991 – IV ZR 164/91, BGHZ 116, 167 = FamRZ 1992, 300 m. Anm. Kues = MDR 1992, 264 (170) („ehebezogenes Rechtsgeschäft eigener Art“); ebenso BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230/96, BGHZ 142, 137 = NJW 1999, 2962 = MDR 1999, 1266 m. Anm. Kogel. 4 Vgl. dazu eingehend Hausmann, FS Jayme (2004), S. 305 (313 ff.). 5 BGH v. 21.10.1992 – XII ZR 182/90, BGHZ 119, 392 (394 ff.) = FamRZ 1993, 289 m. Anm. Lorenz = IPRax 1995, 399 (m. Anm. Winkler von. Mohrenfels, IPRax 1995, 379), wo die Rückforderung von Zuwendungen, die der libanesische Ehemann seiner deutschen Ehefrau zur Renovierung des im Alleineigentum der Frau stehenden Wohnhauses gemacht hatte, kraft nachträglicher Rechtswahl gemäß Art. 27 Abs. 2 EGBGB a.F. nach deutschem Schuldstatut beurteilt wurde, weil der Kläger die Rückforderung auf die Grundsätze zum Wegfall der Geschäftsgrundlage gestützt und die Beklagte sich ebenfalls mit Erwägungen zum deutschen Schuldrecht verteidigt hatte; eine güterrechtliche Qualifikation wurde ausdrücklich abgelehnt. Für eine schuldrechtliche Qualifikation auch öOGH v. 27.5.2015 – 6 Ob 29/15f, FamRZ 2016, 229 m. krit. Anm. Wiedemann. 6 So Hohloch, JuS 1993, 513; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 416 ff.; Sieghörtner in NK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 97.

Hausmann | 867

§ 6 Rz. 6.997 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

küpfung eignen sich nur Rechte, mit denen beide Ehegatten gleichermaßen verbunden sind1. Zumindest mangels Rechtswahl ist daher nach Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO eine akzessorische Anknüpfung an das Güterrechtsstatut geboten.

6.998

Den Vorzug verdient eine familienrechtliche Qualifikation. Da durch die ehebedingte Zuwendung keine Sonderordnung des ehelichen Vermögens begründet werden soll, könnte man eine Qualifikation als allgemeine Ehewirkung in Betracht ziehen2. Nach deutschem materiellen Recht hängt der Ausgleichsanspruchs wegen Störung der Geschäftsgrundlage ehebedingter Zuwendungen indessen maßgeblich von den güterrechtlichen Verhältnissen der Ehegatten ab und wird grundsätzlich nur im Güterstand der Gütertrennung gewährt 3; dies kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass der BGH eine Korrektur ehebezogener Zuwendungen bei Scheidung der Ehe grundsätzlich ausschließt, wenn die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt haben4. Diese Funktion des Rechtsinstituts ist auch im Kollisionsrecht zu berücksichtigen und legt eine güterrechtliche Anknüpfung nahe5. Der damit geltende Grundsatz der Unwandelbarkeit hat den Vorzug, dass die rechtlichen Wirkungen ehebedingter Zuwendungen durch eine Änderung der Lebensumstände der Ehegatten im Verlauf der Ehe nicht berührt werden. Andererseits haben die Ehegatten auch die Möglichkeit, einer Änderung ihrer Staatsangehörigkeit oder ihres gewöhnlichen Aufenthalts durch die in Art. 22 EuGüVO eingeräumte weitreichende Rechtswahl auch mit Wirkung für vorherige ehebedingte Zuwendungen Rechnung zu tragen. An einer güterrechtlichen Qualifikation kann schließlich kein Zweifel mehr bestehen, soweit ab dem 29.1.2019 die EuGüVO zur Anwendung kommt; denn der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung soll sich ausdrücklich auf sämtliche Vermögensbeziehungen zwischen Ehegatten erstrecken, die ihren Grund in der Ehe haben6.

6.999

Innengesellschaften unterliegen zwar grundätzlich – anders als Außengesellschaften – nicht dem Gesellschaftstatut, sondern dem nach Art. 3, 4 Rom I-VO zu ermittelnden Vertragssta-

c) Ehegatteninnengesellschaft

1 Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 365 ff. 2 Dafür Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 6753. 3 Vgl. dazu eingehend Hausmann, Nichteheliche Lebensgemeinschaften und Vermögensausgleich (1989), S. 470 ff. 4 Vgl. grundlegend BGH v. 3.12.1975 – IV ZR 110/74, BGHZ 65, 320 (323 f.) = FamRZ 1976, 82; BGH v. 26.11.1981 – IX ZR 91/80, BGHZ 82, 227 (232 ff.) = FamRZ 1982, 246; ferner BGH v. 10.7.1991 – XII ZR 114/89, BGHZ 115, 132 (135 ff.) = ZIP 1991, 1567; BGH v. 28.11.2001 – XII ZR 173/99, FamRZ 2003, 230; dazu Hausmann, Nichteheliche Lebensgemeinschaften und Vermögensausgleich (1989), S. 630 ff. 5 Hausmann, FS Jayme (2004), S. 305 (313 ff.); Winkler von Mohrenfels, IPRax 1995, 379 (381 f.); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 335 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 15 EGBGB Rz. 38; ebenso – allerdings beschränkt auf Fälle, in denen die Ehegatten keine Rechtswahl getroffen haben – Lorenz, FamRZ 1993, 394. Vgl. auch App. Versailles v. 27.6.1988, Clunet 1989, 691 m. Anm. Revillard; Cass. civ. v. 3.9.1990, Rev.crit.d.i.p. 1991, 104 m. Anm. Ancel (Widerruf der Schenkung des amerikan. Ehemannes an seine italien. Frau nach französ. Ehewirkungsstatut beurteilt: „Considérant que les contrats entre époux sont soumis à un régime particulier et présentant un caractère spécifique en raison du lien matrimonial qui unit les contractants; qu’il est de principe, en règle générale, que les contrats entre époux soient régis par la loi des effets du mariage et qu’il en est ainsi, en particulier, pour les donations entre époux“). 6 Weber, DNotZ 2016, 659 (665 f.); Mayer, IPRax 2016, 353 (355); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1975).

868 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1000 § 6

tut1. Demgegenüber dient das Rechtsinstitut der – vor allem nur stillschweigend geschlossenen – Ehegatteninnengesellschaft dem BGH vor allem dazu, eine faire Beteiligung des am „Gesellschaftsvermögen“ dinglich nicht beteiligten Ehegatten sicherzustellen, wenn das Güterrecht keine befriedigende Lösung bietet und eine Beibehaltung der formalen Zuordnung zum Vermögen nur eines Ehegatten im Hinblick auf die in der Ehe geleisteten finanziellen Beiträge und/oder das übliche Maß übersteigenden Arbeitsleistungen des anderen Ehegatten als unbillig erscheint2, wie dies nicht selten bei Vereinbarung von Gütertrennung zutrifft. Dieser Zweck des Rechtsinstituts spricht aber wiederum für eine güterrechtliche Qualifikation; insoweit gilt das zu den ehebedingten Zuwendungen Gesagte entsprechend3. Der BGH hat sich dieser Auffassung jedenfalls insoweit angenähert, als er auf der Grundlage der von ihm befürworteten schuldvertraglichen Qualifikation des Ausgleichsanspruchs wegen der funktionalen Nähe der Ehegatteninnengesellschaft zum Ehegüterrecht i.R.v. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO eine akzessorische Anknüpfung der Ehegatteninnengesellschaft an das Güterrechtsstatut vornimmt4. Damit reduziert sich der Unterschied zwischen beiden Ansichten auf die den Ehegatten eröffneten Rechtswahlmöglichkeiten, die nach Art. 3 Rom I-VO weiter reichen als nach dem bisherigen Art. 15 Abs. 2 EGBGB. Jedenfalls unter Geltung der EuGüVO sind auch Ansprüche aus einer stillschweigend geschlosssenen Ehegatteninnengesellschaft güterrechtlich zu qualifizieren5. d) Ehegatten als Gesamtschuldner Abgrenzungsprobleme zwischen Vertragsstatut und Güterrechtsstatut wirft ferner die Anknüpfung von Ausgleichsansprüchen zwischen Ehegatten auf, die einem Dritten – i.d.R. einem Kreditinstitut – als Gesamtschuldner verpflichtet sind. Wird nur einer der beiden Ehegatten von der Gläubigerbank auf Rückzahlung des Kredits in Anspruch genommen, so beurteilt sich die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang die Forderung der Bank gegen den anderen Ehegatten auf den zahlenden Ehegatten kraft Gesetzes übergeht, gem. Art. 16 S. 1 Rom IVO nach dem Statut der getilgten Forderung. Der gesetzliche Forderungsübergang nach § 426 Abs. 2 BGB tritt daher ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit der Ehegatten und das für die Ehe geltende Güterrecht immer dann ein, wenn die getilgte Darlehensforderung dem deutschen Recht unterstand6. Ob zwischen gesamtschuldnerisch haftenden Ehegatten aber überhaupt ein Ausgleich stattzufinden hat, richtet sich nach den zwischen ihnen bestehenden Rechtsbeziehungen. Maßgebend hierfür ist in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen in erster Linie das von Art. 15 EGBGB zur Anwendung berufene Güterrechtsstatut7. Leben die Ehegat1 BGH v. 10.6.2015 – IV ZR 69/14, DNotZ 2015, 686 m. Anm. Mankowski, NZFam 2015, 783 und Anm. Mayer, IPRax 2016, 353; BGH v. 10.2.2009 – VI ZR 28/08, NJW 2009, 1482 Rz. 10; BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, NJW 2004, 3706 (3708); Christandl, FamRZ 2012, 1692 (1693); Martiny in MünchKomm, Art. 1 Rom I-VO Rz. 74. 2 BGH v. 30.6.1999 – XII ZR 230/96, BGHZ 142, 137 (143) = FamRZ 1999, 1580. 3 Christandl, FamRZ 2012, 1692 (1695); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 343; Wedemann, IPRax 2016, 252 (255 f.); Mankowski, NZFam 2015, 784. 4 BGH v. 10.6.2015 – IV ZR 69/14, NJW 2015, 2581 (Rz. 12) = FamRZ 2015, 1379; Mayer, IPRax 2016, 353 (354); Magnus in Staudinger, Rom I-VO Rz. 87, sowie hilfsweise auch Christandl, FamRZ 2012, 1692 (1694). 5 Weber, DNotZ 2016, 659 (665 f.); Mayer, IPRax 2016, 353 (355). 6 Vgl. LG Hamburg v. 21.9.1977 – 5 O 100/77, IPRspr. 1977 Nr. 65; dazu allg. Hausmann in Staudinger, Art. 16 Rom I-VO Rz. 5 f.; Thorn in Palandt, Art. 16 Rom I-VO Rz. 4; ferner Martiny, FuR 2008, 206 ff. m.w.N. 7 LG Hamburg v. 21.9.1977 – 5 O 100/77, IPRspr. 1977 Nr. 65; Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 362

Hausmann | 869

6.1000

§ 6 Rz. 6.1000 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ten daher in einem ausländischen Güterstand der Güter- oder Errungenschaftsgemeinschaft, so findet ein gesonderter schuldrechtlicher Ausgleich regelmäßig nicht statt, wenn der mit dem Darlehen finanzierte Gegenstand – z.B. die Ehewohnung – in das Gesamtgut der Ehegatten gefallen ist1. Demgegenüber wird bei Geltung deutschen Ehegüterrechts der Gesamtschuldnerregress nach § 426 Abs. 1 BGB durch die Vorschriften über den Zugewinnausgleich nicht verdrängt2. e) Ehegatten als Gesamtgläubiger

6.1001

Nach ähnlichen Grundsätzen ist über den Innenausgleich zwischen Ehegatten zu entscheiden, denen Forderungen gegen einen Schuldner im Außenverhältnis als Gesamtgläubiger zustehen. Hauptanwendungsfall ist die Unterhaltung eines sog. „Ehegatten-Oderkontos“ bei einer deutschen Bank oder Sparkasse durch ausländische Ehegatten. In diesem Fall richtet sich die Rechtsbeziehung zwischen den Ehegatten als Konto-Inhabern und dem kontoführenden Kreditinstitut in Ermangelung einer Rechtswahl nach deutschem Recht, weil das Kreditinstitut die für den zugrunde liegenden Bankvertrag charakteristische Leistung i.S.v. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO erbringt3. Leistet das Kreditinstitut befreiend an einen der Ehegatten, so bestimmen sich etwaige Ausgleichsansprüche im Innenverhältnis hingegen wiederum primär nach dem maßgeblichen Ehegüterrecht4.Gehört das Bankguthaben danach zum Gesamtgut einer Gütergemeinschaft, so wird die Regelung in § 430 BGB durch die Vorschriften des ausländischen Güterrechts überlagert bzw. verdrängt5.

5. Persönliche Ehewirkungen und Vertragsrecht 6.1002

Ebenso wenig wird die Beachtung ausländischer Verpflichtungsbeschränkungen, die sich in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen aus dem von Art. 14 EGBGB berufenen Recht als allgemeine Ehewirkungen ergeben, im Inland dadurch ausgeschlossen, dass die Parteien deutsches Recht als Vertragsstatut vereinbart haben6. Auch wenn die Ehegatten das auf ihre allgemeinen Ehewirkungen anwendbare Recht schon vor dem 29.1.2019 in gewissem Umfang wählen konnten (Art. 14 Abs. 2, 3 EGBGB a.F.), kann ein Ehegatte die inhaltlichen und formellen Schranken der Parteiautonomie im internationalen Eherecht doch nicht in einem 1 Vgl. OLG Hamm v. 13.3.1998 – 29 U 218/97, FamRZ 1999, 299 (300 f.) (Ausgleichsanspruch des kroat. Ehemannes gegen seine ebenfalls kroat. Ehefrau wegen der Finanzierung des in Deutschland zum Gesamtgut erworbenen Hausgrundstücks kann erst im Rahmen der Gesamtabrechnung bei Beendigung des Güterstandes geltend gemacht werden.). 2 BGH v. 17.5.1983 – IX ZR 14/82, BGHZ 87, 265 (273); BGH v. 30.9.1987 – IVb ZR 94/86, NJW 1988, 133 f.; Gernhuber, JZ 1996, 696 m.w.N. 3 Vgl. dazu näher Martiny, FuR 2008, 206 ff. sowie unten Rz. 13.20 ff. m. Nachw.; a.A. von Hoffmann in Soergel, Art. 28 EGBGB Rz. 318. 4 Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 365. 5 Vgl. OLG Stuttgart v. 7.8.2000 – 5 U 184/99, FamRZ 2001, 1371 = IPRax 2001, 152 (LS) m. Anm. (zum Innenausgleich zwischen Ehegatten an einem Oder-Konto nach griech. Recht); OLG Celle v. 16.9.1998 – 14a (6) U 281/96, IPRax 1999, 113 m. Anm. Jayme (Gesamtgläubigerschaft von in Deutschland lebenden portugies. Eheleuten hinsichtlich des Guthabens auf einem gemeinsamen „Oder-Konto“ bei einer portugies. Bank nach portugies. Schuldstatut, die Mitberechtigung der Ehegatten im Innenverhältnis hingegen nach dem – gleichfalls portugies. – Ehegüterrechtsstatut beurteilt). Vgl. auch OLG Frankfurt a.M. v. 19.11.1985 – 3 UF 294/84, IPRax 1986, 239 (zur Berechtigung italienischer Eheleute an einem gemeinsamen Sparguthaben bei einer deutschen Bank). 6 Kegel/Schurig, IPR § 20 V 3; Henrich, IntFamR, § 2 II 7; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB Rz. 235 ff.; Andrae in NK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 66, jeweils m.w.N.

870 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1004 § 6

Schuldvertrag mit einem Dritten unterlaufen; die Anknüpfung eherechtlicher Verpflichtungsbeschränkungen wird daher durch eine schuldvertragliche Rechtswahl nicht beeinflusst1. A.A. BGH v. 15.11.1976 – VIII ZR 76/75, NJW 1977, 1011 m. abl. Anm. Jochem = JZ 1977, 438 m. abl. Anm. Kühne Der niederländische Geschäftsführer einer Firma hatte sich in den Niederlanden ohne Zustimmung seiner Ehefrau für die Schulden einer deutschen KG verbürgt. Aus der Bürgschaft in Anspruch genommen, berief er sich auf die Unwirksamkeit seiner Verpflichtung nach Art. 1:88 Abs. 1 BW. Der BGH sah die Bürgschaftsverpflichtung demgegenüber als wirksam an, da die Parteien die Bürgschaft ausdrücklich dem deutschen Recht unterstellt hatten: „Nach deutschem Recht ist also auch darüber zu entscheiden, ob die Zustimmung der Ehefrau für die Abgabe der Bürgschaftserklärung erforderlich war. Eine Zustimmung der Ehefrau als Voraussetzung der Wirksamkeit einer Bürgschaft kennt das deutsche Recht, nach dem hier allein die Verpflichtung des Bekl. aufgrund seiner zulässigen Rechtswahl zu beurteilen ist, nicht.“ Der BGH meint weiter, dass „aufgrund der zulässigen Wahl des deutschen Rechts durch den Bekl. für seine Bürgschaftsverpflichtung der aus Art. 14 EGBGB abgeleitete Grundsatz, dass für die persönlichen Rechtsbeziehungen ausländischer Ehegatten zueinander die ausländischen Gesetze maßgebend sind, hier keine Anwendung“ finden könne.

Die Anwendung der vom ausländischem Ehewirkungsstatut angeordneten Verpflichtungsbeschränkungen kann vielmehr nur unter dem Gesichtspunkt des Verkehrsschutzes ausgeschlossen werden, wenn die hierfür erforderliche Inlandsbeziehung (Art. 16 Abs. 2 EGBGB analog; dazu Rz. 6.1037 f.) besteht.

6.1003

Räumt das Ehewirkungsstatut den Ehegatten gewisse Gestaltungsrechte ein, so ist deren Ausübung davon abhängig, dass die Rechtsgestaltung auch von dem Recht anerkannt wird, dem das zu gestaltende Rechtsverhältnis unterliegt. So beurteilt sich etwa die Frage, ob der Ehemann ein ohne seine Zustimmung von der Ehefrau eingegangenes Arbeitsverhältnis kündigen kann (vgl. Rz. 6.794), der Ehefrau gegenüber nach Art. 14 EGBGB, dem Arbeitgeber gegenüber jedoch nach dem Statut des Arbeitsvertrages. Die Kündigung ist immer ausgeschlossen, wenn auch nur eines der beiden Rechte sie nicht anerkennt2.

6.1004

V. Schutz des Rechtsverkehrs Literatur: Amann, Eigentumserwerb unabhängig vom ausländischen Güterrecht?, MittBayNotV 1986, 222; Bader, Der Schutz des guten Glaubens in Fällen mit Auslandsberührung, MittRheinNotK 1994, 161; Bänziger, Der Schutz des Dritten im internationalen Personen-, Familien- und Erbrecht der Schweiz (1977); Böhringer, Immobiliarerwerb mit Auslandsbezug aus der Sicht des Notars und des Grundbuchamtes, BWNotZ 1988, 222; Cicu, Sulla pubblicità del regime patrimoniale della famiglia, Riv.dir.civ. 1976, 33; Dästner, Der Verkehrsschutz im deutschen internationalen Eherecht (Art. 16 EGBGB) (Diss. Göttingen 1970); G. Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht (1990); Haug-Adrion, Gutglaubenserwerb bei Verfügungsbeschränkungen des Eigentümers zugunsten Dritter – ein Vergleich zwischen deutschem und französischem Zivilrecht unter besonderer Berücksichtigung des Ehegüterrechts (Diss. München 1975); Liessem, Guter Glaube beim Grundstückserwerb von einem durch Güterstand verfügungsbeschränkten Ehegatten, NJW 1989, 498; H. Roth, Grundbuchverfahren

1 So auch zu Recht Cass. (Belgien) v. 25.5.1992, Pas. 1992 I, 839 = Rev.gén.dr.civ.belge 1993, 455 m. Anm. Couwenberg; dazu van Houtte, IPRax 1997, 276 (281); Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 14 EGBGB Rz. 15; a.A. OLG Köln v. 21.3.1997 – 19 U 180/96, RIW 1998, 148 (auf Art. 1:88 lit. c. B. W. gestützten Widerspruch der niederländ. Ehefrau gegen den vom ihrem – ebenfalls niederländ. – Ehemann erklärten Schuldbeitritt für unbeachtlich erklärt, weil die Schutzvorschriften des niederländ. Eherechts wegen der Wahl deutschen Rechts für den Schuldbeitritt unanwendbar seien). 2 Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht (1959), S. 349.

Hausmann | 871

§ 6 Rz. 6.1004 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis und ausländisches Güterrecht, IPRax 1991, 320; Schotten, Der Schutz des Rechtsverkehrs im Internationalen Privatrecht, DNotZ 1994, 670.

1. Wahl des deutschen Rechts 6.1005

Der Schutz des inländischen Rechtsverkehrs vor Beschränkungen kraft ausländischen Ehegüterrechts ist durch die Möglichkeit der Ehegatten, das Güterrechtsstatut in gewissen Grenzen durch Rechtswahl zu bestimmen, erheblich verbessert worden. Besitzt auch nur ein Ehegatte die deutsche Staatsangehörigkeit oder hat nur ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so können die güterrechtlichen Beziehungen durch Rechtswahl nach Art. 22 Abs. 1 EuGüVO dem deutschen Recht unterstellt werden, und zwar auch noch nach der Eheschließung. Wenn die Ehegatten eine umfassende Wahl des deutschen Güterrechts scheuten, konnten sie bis zum 28.1.2019 eine auf inländische Grundstücke beschränkte Rechtswahl treffen (vgl. Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB), und zwar auch dann, wenn beide Ehegatten Ausländer waren und sich im Ausland gewöhnlich aufhielten. In der notariellen Praxis, auf deren Initiative diese Erweiterung der Parteiautonomie im internationalen Ehegüterrecht zurückging, wurde daher beim Erwerb oder der Veräußerung inländischer Grundstücke durch Ehegatten, die in einem ausländischem Güterstand lebten, regelmäßig zu einer solchen partiellen Rechtswahl geraten, um etwaige Beschränkungen, die sich aus dem ausländischen Güterrecht ergeben konnten, auszuschalten. Diese Möglichkeit ist mit Geltung der EuGüVO ab dem 29.1.2019 entfallen (vgl. Art. 21, 22 EuGüVO).

2. Materiell-rechtliche Vereinbarungen a) Erwerbsbeschränkungen

6.1006

Eine Rechtswahl nach Art. 14 Abs. 2, 3 oder 15 Abs. 2 EGBGB hat den Nachteil, dass sie u.U. von dem ausländischen Heimatrecht der Ehegatten nicht anerkannt wird; die auf inländische Immobilien beschränkte Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB bewirkte zudem eine häufig unerwünschte Aufspaltung des Güterrechtsstatuts. Gerade bei Immobiliengeschäften unter Beteiligung ausländischer Ehegatten ist daher i.d.R. eine materiellrechtliche Lösung vorzuziehen, die auch das ausländische Recht zu berücksichtigen versucht1.

6.1007

Besteht die Gefahr von Erwerbsbeschränkungen aufgrund eines ausländischen Güterstands, so kann der Erwerb deutscher Immobilien zu Allein- oder Miteigentum von Ehegatten häufig durch den Abschluss eines Ehevertrages sichergestellt werden, in dem die Erwerber (bzw. der Erwerber und sein Ehegatte) vereinbaren, dass das Grundstück oder Wohnungseigentum nicht in das gemeinschaftliche Vermögen der Ehegatten (z.B. das Gesamtgut der Gütergemeinschaft) fallen, sondern Vorbehaltsgut (Eigengut) des (bzw. der) erwerbenden Ehegatten sein soll2. Das gleiche Ziel lässt sich auch durch Vereinbarung des – von den meisten Rechten zur Verfügung gestellten – Wahlgüterstands der Gütertrennung erreichen; ein so weitgehender Schritt setzt freilich i.d.R. voraus, dass die Ehegatten finanziell von einander unabhängig sind.

1 Vgl. Wegmann, NJW 1987, 1740 (1745). 2 Vgl. näher Lichtenberger, DNotZ 1986, 679 (681 f.).

872 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1010 § 6

b) Verfügungs- und Verpflichtungsbeschränkungen Die schwierige Ermittlung des Güterrechtsstatuts und der sich nach ausländischem Güterrecht ergebenden Beschränkungen der Verfügungsbefugnis oder Verpflichtungsmacht von Ehegatten wird vor allem in der notariellen Praxis häufig dadurch umgangen, dass vorsorglich die Zustimmung beider Ehegatten eingeholt wird, auch wenn nur der veräußernde Ehegatte als Eigentümer im Grundbuch eingetragen ist. In den meisten Fällen kann man, wenn beide Ehegatten unterschreiben, sichergehen, dass der Vertrag rechtlichen Bestand hat. Das Gleiche gilt, wenn ein Ehegatte eine schriftliche Zustimmungserklärung des anderen Ehegatten vorlegt. Nach manchen Rechten ist für die Zustimmung eine besondere Form vorgeschrieben, so z.B. in Schweden eine schriftliche, von zwei Zeugen mitunterschriebene Zustimmungserklärung bei bestimmten Grundstücksgeschäften1.

6.1008

Gelegentlich genügt eine Zustimmung des anderen Ehegatten nicht, es ist vielmehr erforderlich, dass beide Ehegatten als Vertragsschließende auftreten, so etwa im niederländischen Recht beim Abzahlungskauf von Haushaltsgegenständen (Art. 1:87 B.W.). Dann kann eine Vollmacht des anderen Ehegatten dessen persönliche Anwesenheit ersetzen. Auch in anderen Fällen kann eine (Spezial- oder General-) Vollmacht des anderen Ehegatten Schwierigkeiten im Rechtsverkehr vermeiden. So wird etwa in der niederländischen Praxis der umständliche Weg einer abweichenden Verwaltungsregelung durch Ehevertrag nach Art. 1:97 Abs. 1 B.W. häufig durch die Erteilung einer – widerruflichen – Vollmacht zur Verfügung über bestimmte Gesamtgutsgegenstände umgangen. Vollmachten unter Ehegatten sind meist zulässig, wenn auch häufig nur in widerruflicher Weise, so zB im belgischen und französischen Recht. In gewissen Fällen hilft allerdings weder eine Zustimmung noch eine Vollmacht des anderen Ehegatten. Wo z.B. Gesellschafts- oder Schenkungsverträge zwischen Ehegatten verboten sind (vgl. Rz. 6.803 f.) nützt auch die Unterschrift beider Ehegatten nichts. Das Gleiche gilt, wenn es der Frau verboten ist, für den Mann zu bürgen oder ihr Grundstück für Schulden des Mannes zu belasten (vgl. Rz. 6.787 ff.).

6.1009

3. Schutzvorschriften für den inländischen Rechtsverkehr a) Sachenrechtlicher Schutz aa) Allgemein Die Regelung des inländischen Rechts zum Schutze des Rechtsverkehrs bei Vertragsschlüssen mit verheirateten Personen unterscheidet danach, ob dem handelnden Ehegatten das (Allein-) Eigentum oder die (Allein-) Verfügungsmacht fehlt. Gilt kraft Gesetzes oder kraft Ehevertrags ein ausländischer Güterstand, der einen Eigentumsübergang zur Folge hat, so gelten für den Schutz des Vertragspartners, der von einem Ehegatten allein erwirbt und von der Gütergemeinschaft und damit vom Eigentumsübergang auf die Gemeinschaft der Ehegatten keine Kenntnis hat, die sachenrechtlichen Grundsätze über den Erwerb vom Nichtberechtigten der lex rei sitae (Rz. 6.1011 ff.). Daneben steht – insbesondere beim Erwerb beweglicher Sachen von einem Ehegatten – der Schutz gutgläubiger Dritter in die Geltung deutschen Güterrechts nach Art. 28 EuGüVO bzw. Art. 16 Abs. 1 EGBGB (Rz. 6.1019 ff., Rz. 6.1030 ff.) Schließlich kommt auch ein Schutz des Erwerbers nach Maßgabe des ausländischen Güterrechts in Betracht.

1 Vgl. dazu näher IPG 1972 Nr. 15 (Kiel).

Hausmann | 873

6.1010

§ 6 Rz. 6.1011 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Verfügung über inländische Grundstücke

6.1011

Ist das gemeinschaftliche Eigentum von Ehegatten aufgrund eines ausländischen Güterstands nach § 47 GBO im Grundbuch richtig bezeichnet worden (z.B. Erwerb „in allgemeiner Gütermeinschaft nach niederländischem Recht“; Rz. 6.848), so muss ein Dritter, der von diesen Ehegatten ein deutsches Grundstück erwirbt, sich etwaige Verfügungsbeschränkungen, die sich aus diesem Güterstand ergeben, entgegenhalten lassen. Dies gilt auch dann, wenn der ausländische Güterstand im deutschen Güterrechtsregister nicht eingetragen ist. Ein Schutz des Erwerbers nach Art. 28 EuGüVO, Art. 16 Abs. 1 EGBGB kommt in diesem Fall nicht in Betracht. Demgegenüber sind Verfügungsbeschränkungen, die sich lediglich aus nach dem ausländischen Güterrecht zulässigen vertraglichen Vereinbarungen der Ehegatten ergeben, wegen Unvereinbarkeit mit der insoweit maßgeblichen deutschen lex rei sitae (§ 137 S. 2 BGB) in Bezug auf inländische Grundstücke nicht zu beachten.

6.1012

Ist die durch das ausländische Güterrecht bewirkte Änderung der Eigentumsverhältnisse – z.B. die Entstehung von Gesamthands- oder Miteigentum der Ehegatten – an dem Grundstück nicht in das deutsche Grundbuch eingetragen, so kann sich der Erwerber auf die Vermutung nach § 891 BGB zugunsten des noch eingetragenen Alleineigentums des verfügenden Ehegatten stützen. Ist er gutgläubig, so wird sein guter Glaube an die Richtigkeit der Grundbucheintragung gemäß § 892 BGB geschützt1. Das gleiche gilt auch dann, wenn der gute Glaube des Erwerbers darauf beruht, dass er den eingetragenen Ehegatten für ledig hält, einen geschlossenen Ehevertrag nicht kennt oder nicht weiß, dass der veräußernde Ehegatte in einem ausländischen Güterstand lebt und welchen Inhalt dieser Güterstand hat. Diese Grundsätze gelten nicht nur für die Übertragung und Belastung des Grundstücks selbst, sondern auch für Verfügungen über dingliche Rechte an Grundstücken, ferner für den Erwerb von Vormerkungen, die kollisionsrechtlich ebenfalls als dingliche Rechte zu behandeln und im Verkehrsinteresse nach der lex rei sitae zu beurteilen sind2. Der Gutglaubensschutz nach §§ 891, 892 BGB besteht auch dann, wenn das zwischen den Ehegatten nach ausländischem Güterrecht bestehende Gemeinschaftsverhältnis im Grundbuch unrichtig eingetragen worden ist (z.B. Miteigentum statt Gesamthandseigentum).

6.1013

Der gutgläubige Erwerb nach § 892 BGB findet selbst dann statt, wenn die ausländische Gütergemeinschaft im Güterrechtsregister eingetragen ist. Denn bei Rechtsverhältnissen, die im Grundbuch eintragbar, aber nicht eingetragen sind, kommt es für den gutgläubigen Erwerb allein auf § 892 BGB an. Der Schutz durch das Güterrechtsregister nach Art. 16 Abs. 1 EGBGB i.V.m. § 1412 BGB hat in diesem Fall zurückzutreten. Ein Schutz des an der Veräußerung nicht beteiligten Ehegatten kommt in einem solchen Fall jedoch in analoger Anwendung von §§ 1365, 1368 BGB in Betracht, wenn die Veräußerung bei Geltung des deutschen gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft gegen diese – nicht eintragungsfähige – Verfügungsbeschränkung verstoßen würde.

6.1014

Der Schutz des guten Glaubens an das Alleineigentum des verfügenden Ehegatten nach sachenrechtlichen Grundsätzen reicht allerdings dann für einen wirksamen Erwerb nicht aus, wenn dieser Ehegatte nach dem maßgebenden Ehegüterrecht nicht verfügungsberechtigt ist3. 1 KG v. 12.12.1972 – 1 W 1781/72, NJW 1973, 428. 2 IPG 1967/68 Nr. 22 (Köln) (Eine in niederländ. Gütergemeinschaft lebende Ehefrau hatte ihrem Sohn ohne Zustimmung ihres Ehemannes eine Vormerkung an einem auf ihren Namen eingetragenen deutschen Grundstück bewilligt. Gutgläubigen Erwerb der Vormerkung nach § 892 BGB beurteilt). 3 Schurig in Soergel, Art. 16 EGBGB Rz. 7.

874 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1017 § 6

Allerdings erstreckt sich der gute Glaube des deutschen Grundbuchs bei der Verfügung über inländische Grundstücke durch einen Ehegatten auch darauf, dass keine im Grundbuch eintragungsfähigen Verfügungsbeschränkungen bestehen (vgl. § 891 Abs. 1 S. 2 BGB); eintragungsfähig sind aber auch (relative) Verfügungsbeschränkungen aufgrund eines ausländischen Güterstands1. Fehlt eine solche Eintragung, so erwirbt ein Dritter auch dann nach § 892 BGB gutgläubig, wenn der ausländische Güterstand im Güterrechtsregister eingetragen ist. Der sachenrechtliche Schutz des gutgläubigen Erwerbs hängt also auch in diesem Fall nicht davon ab, dass zugleich die Vorausetzungen von Art. 28 EuGüVO bzw. Art. 16 Abs. 1 EGBGB i.V.m. § 1412 BGB erfüllt sind2. cc) Verfügung über bewegliche Sachen und Forderungen Beim Erwerb beweglicher Sachen kommt der sachenrechtliche Schutz des guten Glaubens an das Alleineigentum des verfügenden Ehegatten nach §§ 932 ff. BGB in Betracht, wenn die den Gegenstand der Verfügung bildende bewegliche Sache in Deutschland übereignet wird3. Der Gutglaubensschutz versagt allerdings bei „abhanden gekommenen“ Sachen (§ 935 BGB). Ein Abhandenkommen liegt auch dann vor, wenn der andere Ehegatte – wie häufig – Mitbesitz hatte4. Daher scheidet ein sachenrechtlicher Gutglaubensschutz meist aus, wenn ein Gesamtgutsgegenstand ohne Zustimmung des anderen Ehegatten veräußert wird. Gleiches gilt, wenn der veräußernde Ehegatte durch Vorschriften des ausländischen Güterrechts an der Verfügung über eine in seinem Alleineigentum stehende bewegliche Sache gehindert ist; denn der gute Glaube an die güterrechtliche Verfügungsbefugnis wird durch §§ 932 ff. BGB nicht geschützt.

6.1015

Ebensowenig kommt ein sachenrechtlicher Gutglaubensschutz in Bezug auf im Inland belegene Forderungen und sonstige Rechte, die – wie Aktien, GmbH-Anteile, Erbteile u.Ä. – kraft ausländischen Güterrechts in das Gesamtgut der Ehegatten fallen, in Betracht.

6.1016

dd) Weitergehender Schutz nach ausländischem Güterrecht Auf den guten Glauben an das Alleineigentum nach §§ 891 f. bzw. §§ 932 ff. BGB kommt es allerdings dann nicht an, wenn dem handelnden Ehegatten trotz bestehenden Mit- oder Gesamthandseigentums des anderen Ehegatten nach dem maßgeblichen ausländischen Ehegüterrecht die alleinige Verfügungsmacht zustand. Aber auch wenn ein ausländischer Ehegatte im Inland über eine bewegliche Sache oder ein Grundstück ohne die notwendige Zustimmung des anderen Ehegatten verfügt hat, braucht auf die inländischen Vorschriften über den sachenrechtlichen Gutglaubensschutz dann nicht zurückgegriffen zu werden, wenn der gute Glaube des Erwerbers bereits nach dem für die Gültigkeit der Verfügung maßgebenden aus1 Vgl. OLG Oldenburg v. 22.05.1991 – 5 W 55/91, Rpfleger 1991, 412 zur Eintragung von Beschränkungen, die sich aus der Gütergemeinschaft niederländischen Rechts in Bezug auf Grundvermögen der Ehegatten ergeben, im deutschen Grundbuch. 2 Für eine Angleichung, wenn das Verfügungsgeschäft bei Geltung des deutschen gesetzlichen Güterstands der Zugewinngemeinschaft der – absoluten – Verfügungbeschränkung des § 1365 BGB unterliegen würde, Andrae, 3. Aufl., § 3 Rz. 166. 3 Zur Maßgeblichkeit der lex rei sitae für den Erwerb vom Nichtberechtigten vgl. BGH v. 2.4.1960 – VII ZR 161/57, NJW 1960, 774 (775); BGH v. 8.4.1987 – VIII ZR 211/86, BGHZ 100, 321 (324) = NJW 1987, 3077 (3079) = IPRax 1987, 374 (m. Anm. Stoll, IPRax 1987, 357); BGH v. 6.3.1995 – II ZR 84/94, NJW 1995, 2097 = JZ 1995, 784 m. Anm. Stoll; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 818 ff.; Wendehorst in MünchKomm, Art. 43 EGBGB Rz. 80, jeweils m.w.N. 4 Herrrler in Palandt, § 935 BGB Rz. 4.

Hausmann | 875

6.1017

§ 6 Rz. 6.1017 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ländischen Ehegüterrecht geschützt wird. Eine derartige Regelung trifft etwa das niederländische Ehegüterrecht in Art. 1:98 Abs. 2 B.W. Verfügt also ein in Gütergemeinschaft nach niederländischem Recht lebender Ehegatte in Deutschland unbefugterweise über Gesamtgutsgegenstände, so kann der Erwerber trotz Kenntnis der Gesamthandsberechtigung wirksam erwerben, wenn er hinsichtlich der Alleinverfügungsmacht des handelnden Ehegatten nach Art. 1:98 Abs. 2 B.W. gutgläubig ist1. b) Güterrechtlicher Schutz aa) Schutz in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen, Art. 28 EuGüVO (1) Allgemeines

6.1018

Wie bezüglich der objektiven Anknüpfung des Güterrechtsstatuts muss auch bezüglich des kollisionsrechtlichen Schutzes des inländischen Rechtsverkehrs vor Beschränkungen der Ehegatten nach ausländischem Güterrecht gemäß Art. 69 Abs. 3 EuGüVO danach unterschieden werden, ob die betroffene Ehe vor oder ab dem 29.1.2019 geschlossen wurde.Denn der Verkehrsschutz nach Art. 28 EuGüVO gilt nur für Ehen, die ab diesem Stichtag geschlossen wurden oder in denen die Ehegatten ab dem 29.1.2019 eine Rechtswahl nach Art. 22 ff. EuGüVO getroffen haben. Demgegenüber verbleibt es für zuvor geschlossene Ehen auch nach dem 29.1.2019 beim Verkehrsschutz nach dem autonomen Recht der teilnehmenden Mitgliedstaaten, in Deutschland also bei Art. 16 Abs. 1 EGBGB (Rz. 6.1030 ff.)2

6.1019

Auch nach der EuGüVO beurteilen sich die Wirkungen des Güterstands auf Rechtsverhältnisse zwischen Ehegatten und Dritten grundsätzlich nach dem Güterrechtsstatut, Art 27 lit. f. EuGüVO. Zum Schutz des guten Glaubens Dritter im Rechtsverkehr, die den Güterstand der mit ihnen kontrahierenden Ehegatten – namentlich in Fällen einer Rechtswahl – häufig nicht erkennen können, schränkt Art. 28 Abs. 1 EuGüVO diesen Grundsatz jedoch ein. Danach darf ein Ehegatte in einer Streitigkeit zwischen einem Dritten und einem oder beiden Ehegatten das für den ehelichen Güterstand maßgebende Recht dem Dritten nicht entgegenhalten, es sei denn, der Dritte hatte Kenntnis von diesem Recht oder hätte bei gebührender Sorgfalt davon Kenntnis haben müssen. Geschützt wird danach insbesondere die mangelnde Kenntnis des Dritten von Verfügungs- oder Erwerbsbeschränkungen nach ausländischem Güterrecht. Die Vorschrift bekräftigt damit zugleich die Regelung in Art. 1 lit. h EGüVO, der zufolge die Wirkungen der Eintragung oder der fehlenden Eintragung von Rechten an beweglichen oder unbeweglichen Sachen in einem Register (z.B. im deutschen Grundbuch oder Güterrechtsregister) aus dem Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen sind und der jeweiligen lex rei sitae unterliegen. (2) Anwendungsbereich

6.1020

Die Funktion von Art. 28 EuGüVO entspricht funktional derjenigen von Art. 16 EGBGB im autonomen deutschen Kollisionsrecht (dazu Rz. 6.1030 ff.)3. Die Vorschrift schützt daher gleichermaßen vor Beschränkungen durch ein gewähltes wie durch ein objektiv bestimmtes Güterrechtstatut4. Die Reichweite der europäischen Verkehrsschutzregelung ist in sachlicher 1 IPG 1967/68 Nr. 22 (Köln). 2 Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 1; Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 2. 3 Martiny, ZfPW 2017, 1 (26); Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 1. 4 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 329.

876 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1022 § 6

Hinsicht allerdings weiter als diejenige von Art 16 Abs 1 EGBGB, weil sie sich auch auf Beschränkungen erstreckt, die – wie z.B. die Schlüsselgewalt (§ 1357 BGB) oder die Eigentumsvermutungen (§ 1362 BGB) – im autonomen deutschen Kollisionsrecht als allgemeine Ehewirkungen qualifiziert werden und deshalb dem Art. 16 Abs. 2 EGBGB unterliegen (dazu Rz. 6.1037 f.). Gerade für solche Beschränkungen, die – wie z.B. Art. 215 Abs. 3 frz Cc bezüglich einer Veräußerung der Ehewohnung – nach Maßgabe des Güterrechtsstatuts auch durch den guten Glauben des Dritten nicht überwunden werden können1, erlangt Art. 28 EuGüVO praktische Bedeutung2. Dies gilt freilich nur, wenn man die Vorschrift als güterrechtliche Verfügungsbeschränkung und nicht als Eingriffsnorm i.S.v. Art. 30 EuGüVO qualifiziert3. Eingeschränkt wird der Gutglaubensschutz allerdings gegenüber dem bisherigen deutschen Kollisionsrecht dadurch, dass – anders als nach Art. 16 Abs. 1 EGBGB (dazu Rz. 6.1034) – nach Art. 28 EuGüVO nicht nur positive Kenntnis, sondern auch fahrlässige Unkenntnis des Dritten schadet4. (3) Voraussetzungen des Schutzes Nach Art. 28 Abs. 1 EuGüVO darf ein Ehegatte – ungeachtet des Artikels 27 lit. f. EuGüVO – in einer Streitigkeit zwischen einem Dritten und einem oder beiden Ehegatten das für den ehelichen Güterstand maßgebende Recht einem gutgläubigen Dritten nicht entgegenhalten. Die Streitigkeit muss sich auf den rechtsgeschäftlichen Verkehr zwischen dem Dritten und einem oder beiden Ehegatten beziehen; hingegen gibt es keinen Vertrauensschutz beim Erwerb von Rechten kraft Gesetzes5. Bezugspunkt für den guten Glauben ist nach Art. 28 Abs. 1 EuGüVO „das für den ehelichen Güterstand maßgebende Recht“. Maßgebend ist danach, ob der Dritte wusste oder wissen konnte, welches Güterrecht gilt; auf die Kenntnis des Dritten vom Inhalt dieses Rechts, des danach maßgebenden (gesetzlichen oder vertraglichen) Güterstands und der sich hieraus ergebenden konkreten Verfügungsbeschränkungen soll es hingegen nicht ankommen6.

6.1021

Der Schutz des Dritten hängt dann davon ab, ob er Kenntnis von dem für die Ehe des oder der Ehegatten geltenden Güterrechtsstatuts hatte, mit dem/denen er kontrahiert hat, oder diese Kenntnis bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zumindest hätte haben können. Die Beweislast für diese Kenntnis obliegt dem Ehegatten, der sich auf die Kenntnis des Dritten beruft7. Zur Erleichterung der Beweisführung stellt Art. 28 EuGüVO in Abs. 2 allerdings gewisse Vermutungen auf. Danach wird die Kenntnis des Dritten von dem auf den ehelichen Güterstand anwendbaren Güterrecht seiner Vertragspartner insbesondere vermutet,

6.1022

1 DieVerfügung wird nach frz. Recht nur dadurch wirksam, dass der andere Ehegatte ihr entweder zustimmt oder innerhalb der Jahresfrist des Art. 215 Abs. 3 S. 2 CC keine Nichtigkeitsklage erhebt, vgl. Amann, DNotZ 2013, 252 (272). 2 Weber, DNotZ 2016, 659 (685). 3 Dazu Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1983); Martiny, ZfPW 2017, 1 (27); Sieghörtner in NK BGB, Art. 30 EuGüVO Rz. 5. 4 Hausmann, IntEuFamR, B Rz. 373; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 330. 5 Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 3, 5; Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 3. 6 Weber, DNotZ 2016, 659 (685); Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1982); Thorn in Palandt, Art. 28 EuGüVO Rz. 2; Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 4; a.A. (konkrete Auswirkungen des Güterstands auf das Rechtsgeschäft als Bezugspunkt) Süß in Dutta/Weber, S. 85 (103 f.); Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 6. 7 Süß in Dutta/Weber, S. 85 (102).

Hausmann | 877

§ 6 Rz. 6.1022 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

wenn das von dem Dritten mit dem Ehegatten abgeschlossene Rechtsgeschäft einen hinreichenden Bezug zu diesem Recht aufweist; denn dann ist die Anwendung dieses Rechts auch auf den Güterstand der Ehegatten für den Dritten nicht überraschend. Hiervon wird nach lit. a ausgegangen, wenn es das Recht des Staates ist, – dessen Recht auf das Rechtsgeschäft zwischen einem Ehegatten und dem Dritten anzuwenden ist (Geschäftsstatut, lit. i), oder – in dem der vertragschließende Ehegatte und der Dritte ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (gemeinsames Aufenthaltsrecht, lit. ii) oder – in dem unbewegliche Vermögensgegenstände, die Gegenstand des Geschäfts sind, belegen sind (lex rei sitae, lit. iii). Bei der Bestimmung des Geschäftsstatuts handelt es sich um eine von lit. i aufgeworfene Vorfrage, für deren Beantwortung die Verordnung nicht gilt (ErwG 21). Maßgebend hierfür ist das im Gerichtsstaat geltende europäische oder autonome IPR. Vor deutschen Gerichten ist das Geschäftsstatut für Schuldverträge nach der Rom I-VO, für sachenrechtliche Verfügungen nach Art. 43 EGBGB zu bestimmen1.

6.1023

Darüber hinaus wird die Kenntnis des Dritten nach lit. b auch dann vermutet, wenn ein Ehegatte die geltenden Anforderungen an die Publizität oder Registrierung des ehelichen Güterstands in einem Staat eingehalten hat, der einen hinreichenden Bezug zu dem mit dem Dritten abgeschlossenen Rechtsgeschäft hat. Davon wird wiederum ausgegangen, wenn es sich um das Recht des Staates handelt, dessen Recht – auf das Rechtsgeschäft zwischen einem Ehegatten und dem Dritten anzuwenden ist (lit. i), oder – in dem der vertragschließende Ehegatte und der Dritte ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (lit. ii) oder – in dem unbewegliche Vermögensgegenstände, die Gegenstand des Geschäfts sind, belegen sind (lit. iii). Voraussetzung für die Anwendung vonb lit. b ist allerdings, dass ausländische Güterstände im deutschen Güterrechtsregister eingetragen werden können. Dies könnte zweifelhaft sein, weil die Verweisung in Art. 16 Abs. 2 EGBGB auf § 1412 BGB mit der Aufhebung des Art. 16 EGBGB entfallen ist. Im Geltungsbereich der EuGüVO dürfte sich die Zulässigkeit der Eintragung ausländischer Güterstände indessen unmittelbar aus deren Art. 28 Abs. 2 lit. b ergeben2.

6.1024

Nach der in Art. 28 Abs. 2 EuGüVO gewählten Formulierung handelt es sich sowohl in lit. a wie in lit. b um unwiderlegliche Vermutungen, so dass ein Gutglaubensschutz des Dritten entfällt, wenn eine dieser Vermutungen eingreift. Der Dritte kann sich also dann nicht darauf berufen, dass er trotz Erfüllung einer dieser Vermutungen keine Kenntnis vom Güterrechtsstatut der mit ihm kontrahierenden Ehegatten gehabt hat3. Haben der vertragschließende Ehegatte und der Dritte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so wird der gute Glaube des Dritten insbesondere durch die Eintragung des Güterstands im Güterrechtsregis-

1 Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 8. 2 Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 10. 3 Weber, DNotZ 2016, 659 (686); Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 15.

878 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1028 § 6

ter zerstört. Bestehen also Anhaltspunkte für die Geltung ausländischen Güterrechts, so ist auch der beurkundende Notar gehalten, das Güterrechtsregiser einzusehen1. In den seltenen Fällen, in denen nicht bereits die Vermutungen nach Art. 28 Abs. 2 EuGüVO eingreifen, kommt es nach Abs. 1 darauf an, ob der Dritte von dem maßgebenden Güterrecht für die Ehe der mit ihm kontrahierenden Ehegatten Kenntnis hatte oder bei gebührender Sorgfalt davon Kenntnis hätte haben müssen. Anders als im bisherigen Recht (Art. 16 Abs. 1 EGBGB) ist also positive Kenntnis für die Bösgläubigkeit des Dritten nicht erforderlich2. Der Begriff der fahrlässigen Unkenntnis ist autonom auszulegen, so dass in den teilnehmenden Mitgliedstaaten ein einheitlicher Sorgfaltsmaßstab gilt3. Wegen der Einzelheiten zu den Sorgfaltsanforderungen kann auf die Ausführungen zu dem entsprechenden Begriff in Art. 13 Rom I-VO verwiesen werden (dazu Rz. 6.1163 ff.). Danach führt allein die Kenntnis der ausländischen Staatsangehörigkeit oder des gewöhnlichen Aufenthalts der Ehegatten im Ausland noch nicht zur Bösgläubigkeit4. Maßgebender Zeitpunkt für die Kenntnis/fahrkässsige Unkenntnis ist der Abschluss des Rechtsgeschäfts.

6.1025

(4) Rechtsfolgen des guten Glaubens Kann ein Ehegatte dem Dritten das für seinen Güterstand maßgebliche Recht nach Art. 28 Abs. 1 und 2 EuGüVO nicht entgegenhalten, so stellt sich die Frage, welchem Recht die Wirkungen des Güterstands gegenüber dem Dritten in diesem Fall unterliegen. Denn der Dritte muss sich zumindest die Wirkungen desjenigen Güterstands entgegenhalten lassen, mit dem er rechnen musste. Hierzu bestimmt Abs. 3, dass als Ersatzgüterrechtsstatut grundsätzlich das Recht des Staates maßgebend ist, dessen Recht auf das Rechtsgeschäft zwischen einem Ehegatten und dem Dritten anzuwenden ist (Geschäftsstatut, lit a). Aus diesem Recht sind daher die Verfügungsbeschränkungen desjenigen Güterstands heranzuziehen, der dem ausländischen Güterstand der Ehegatten am nächsten kommt5.

6.1026

Bezieht sich das Rechtsgeschäft allerdings auf unbewegliche oder registrierte Vermögenswerte, also z.B. auf Grundstücke oder GmbH-Anteile (§ 40 Abs, 1 GmbHG), so hat nach Art. 28 Abs. 3 lit. b EuGüVOals lex specialis das Recht des Staates Vorrang, in dem diese Vermögenswerte belegen bzw. im Register eingetragen sind6. Die Anwendung von Abs. 3 lit. b ist dann auch nicht auf das dingliche Verfügungsgeschäft beschränkt, sondern erfasst auch das zugrunde liegende schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft7. Auf Rechtsgeschäfte über das Vermögen im Ganzen (z.B. nach § 1365 BGB) findet Abs. 3 lit. b hingegen keine Anwendung, auch wenn zu diesem Vermögen unbewegliche oder registrierte Vermögensgegenstände gehören; insoweit verbleibt es vielmehr bei Abs. 3 lit. a8.

6.1027

In welchem Verhältnis das Ersatzrecht zu dem eigentlich anwendbaren Güterrecht steht, ist noch nicht geklärt. Teilweise wird insoweit ein Wahlrecht des Dritten zwischen diesen beiden

6.1028

1 2 3 4 5 6

Vgl. Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 10. Martiny, ZfPW 2017, 1 (26); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 330. Weber, RNotZ 2017, 365 (370); Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 12. Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 13. Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 14. Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1983); Weber, RNotZ 2017, 365 (371); a.A. [alternative Anwendung von lit. a und b nach Wahl des Dritten] Süß in Dutta/Weber, S. 85 (105). 7 Weber, RNotZ 2017, 365 (370); Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 12. 8 Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 17.

Hausmann | 879

§ 6 Rz. 6.1028 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Rechten befürwortet mit der Folge, dass der gutgläubige Dritte es bei dem von Art. 22 ff. EuGüVO zur Anwendung berufenen Güterrecht, das er sich eigentlich nach Art. 28 EuGüVO nicht entgegenhalten lassen muss, belassen kann, wenn dieses Recht für ihn günstiger ist als das Ersatzrecht1. Dieses Wahlrecht wird allerdings auf das Schuldrecht beschränkt, weil die dingliche Zuordnung von Gegenständen nicht im Belieben des Dritten stehen könne2. Vorzuziehen dürfte eine kumulative Anwendung beider Statute in der Weise sein, dass Verfügungsbeschränkungen des Ersatzrechts nur insoweit herangezogen werden können, als sie den Dritten nicht gegenüber der Anwendung des eigentlichen Güterrechtsstatuts benachteiligen3. bb) Schutz in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen, Art. 16 EGBGB (1) Schutz durch das Güterrechtsregister

6.1029

In vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen gilt nach Art. 69 Abs. 3 EuGüVO auch auf dem Gebiet des Verkehrsschutzes weiterhin das autonome Kollisionsrecht der teilnehmenden Mitgliedstaaten, wenn die Ehegatten nach diesem Stichtag keine Rechtswahl nach Art. 22 ff. EuGüVO getroffen haben. Im deutschen Recht ist insoweit zwischen dem Schutz Dritter vor Beschränkungen von Ehegatten kraft ausländischen Güterrechts in dem engen Sinn des Art. 15 EGBGB und dem Verkehrsschutz gegenüber Verfügungs- und Verpflichtungsbeschränkungen von Ehegatten, die unabhängig von einem bestimmten Güterstand gelten und deshalb als allgemeine Ehewirkungen i.S.v. Art. 14 EGBGB zu qualifizieren sind, zu unterscheiden. Im ersten Fall gilt Art. 16 Abs. 1, im zweiten Fall Art. 16 Abs. 2 EGBGB. Die Fortgeltung dieser Vorschriften für vor dem 29.1.2019 geschlossene Ehen ordnet Art. 229 § 47 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB ausdrücklich an.

6.1030

Der Schutz des guten Glaubens an das Alleineigentum des verfügenden Ehegatten nach sachenrechtlichen Grundsätzen reicht auch nach autonomem deutschen IPR für einen wirksamen Erwerb dann nicht aus, wenn dieser Ehegatte nach dem maßgebenden Ehegüterrecht nicht verfügungsberechtigt ist4. Ist ein Ehegatte kraft eines deutschen Vertragsgüterstands – insbesondere durch Vereinbarung von Gütergemeinschaft nach §§ 1415 ff. BGB – in der Verfügung über bewegliches Vermögen beschränkt, so greift zugunsten Dritter jedoch der durch das Güterrechtsregister bewirkte Schutz des Rechtsverkehrs ein. Denn nach § 1412 BGB können Ehegatten, die den gesetzlichen Güterstand ausgeschlossen oder geändert haben, hieraus einem Dritten gegenüber Einwendungen gegen ein Rechtsgeschäft, das zwischen einem von ihnen und dem Dritten vorgenommen worden ist, nur herleiten, wenn der Ehevertrag im Güterrechtsregister des zuständigen Amtsgerichts eingetragen oder dem Dritten bekannt war, als das Rechtsgeschäft vorgenommen wurde. Das Gleiche gilt, wenn die Ehegatten eine im Güterrechtsregister eingetragene Regelung der güterrechtlichen Verhältnisse durch Ehevertrag aufheben oder ändern. Der Vertragspartner kann also dann, wenn eine Eintragung im Güterrechtsregister fehlt, außer acht lassen, dass eventuell ein vertraglicher Güterstand besteht5.

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Dutta, FamRZ 2016, 1973 (1986); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 331. So Weber, RNotZ 2017, 365 (370 f.); Sieghörtner in NK BGB, Art. 28 EuGüVO Rz. 20. Vgl. näher Looschelders in MünchKomm, Art. 28 EuGüVO Rz. 15 f. Schurig in Soergel, Art. 16 EGBGB Rz. 7. Zur umfassenden Schutz- und Offenlegungsfunktion des Güterrechtsregisters BGH v. 14.4.1976 – IV ZB 43/75, NJW 1976, 1258.

880 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1033 § 6

In gleicher Weise ist der Vertragspartner aber auch gegen das Bestehen eines ausländischen (vertraglichen oder gesetzlichen) Güterstandes geschützt, der zu seinem Nachteil vom deutschen gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft abweicht1. Unterliegen die güterrechtlichen Wirkungen einer Ehe nämlich gem. Art. 15 EGBGB2 dem Recht eines anderen Staates, so ist § 1412 BGB gem. Art. 16 Abs. 1 EGBGB entsprechend anzuwenden, der ausländische gesetzliche Güterstand steht in diesem Fall einem deutschen Vertragsgüterstand gleich. Das Zusammenwirken dieser beiden Vorschriften gibt dem Rechtsverkehr erheblichen Schutz, und zwar nicht nur bei Verfügungsgeschäften über bewegliche Sachen und Grundstücke, sondern auch bei der Abtretung und Verpfändung von Forderungen sowie bei Verpflichtungsgeschäften.

6.1031

Voraussetzung für die Berufung auf das deutsche Güterrechtsregister ist nach Art. 16 Abs. 1 EGBGB allerdings, dass zumindest ein Ehegatte seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat oder hier ein Gewerbe betreibt3. Hingegen ist es nicht erforderlich, dass auch der zu schützende Dritte sich gewöhnlich im Inland aufhält oder gar Deutscher ist4. Auch muss der Dritte nicht notwendig gerade zu dem im Inland lebenden Ehegatten in rechtsgeschäftliche Beziehungen getreten sein, sofern er nur am inländischen Geschäftsverkehr teilnimmt5. Allerdings wird man Art. 16 Abs. 1 EGBGB einschränkend in dem Sinne auslegen müssen, dass das ausländische Güterrecht nur dann verdrängt wird, wenn auch der Vertrag im Inland geschlossen wird. Dies ist zwar nur in Art. 16 Abs. 2 EGBGB in Bezug auf Beschränkungen der Schlüsselgewalt ausdrücklich ausgesprochen, folgt jedoch auch für Art. 16 Abs. 1 EGBGB aus dem Schutzzweck der Norm, weil der ausländische Rechtsverkehr nicht auf die Geltung deutschen Güterrechts vertraut und deshalb insoweit auch keines Schutzes bedarf6. In Betracht kommt allenfalls eine analoge Anwendung des Art. 16 Abs. 1 EGBGB zum Schutz des ausländischen Rechtsverkehrs, wenn das Vornahmestatut einen gleichartigen Verkehrsschutz kennt7.

6.1032

Der Schutz des Art. 16 Abs. 1 EGBGB i.V.m. § 1412 BGB entfällt, wenn der abweichende ausländische Güterstand im Güterrechtsregister eingetragen war, der Vertragspartner dieses aber nicht eingesehen hat oder nicht einsehen konnte, weil ihm der gewöhnliche Aufenthalt der Ehegatten unbekannt war8. Die Eintragung in das Güterrechtsregister kann gem. § 1558

6.1033

1 Vgl. Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 2 ff.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Art. 16 EGBGB Rz. 21 ff. 2 Art. 16 Abs. 1 EGBGB schützt gegenüber der Geltung iranischen Güterrechts auch dann, wenn dessen Geltung sich nicht aus Art. 15 EGBGB, sondern aus Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens von 1929 ergibt, vgl. Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 7. 3 Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 13 ff.; Sieghörtner in NK BGB, Art. 16 EGBGB Rz. 8; Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 19. 4 Schurig in Soergel, Rz. 4; Mankowski in Staudinger, Rz. 29, jeweils zu Art. 16 EGBGB. 5 Schotten, DNotZ 1994, 670 (675); Bader, MittRheinNotK 1984, 161 (163); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 234; Looschelders in MünchKomm, Rz. 18; Stürner in Erman, Art. 16 EGBGB Rz. 8, jeweils zu Art. 16 EGBGB. 6 Schotten, DNotZ 1994, 670 (677 f.); Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 262; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 27; Mankowski in Staudinger, Rz. 31 f.; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 8, jeweils zu Art. 16 EGBGB; für Anwendung auf Auslandsgeschäfte, wenn beide Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 18; a.A. G. Fischer, S. 155 ff.; Stürner in Erman, Art. 16 EGBGB Rz. 11; Schurig in Soergel, Rz. 4, jeweils zu Art. 16 EGBGB. 7 Dafür G. Fischer, S. 176 ff.; Schurig in Soergel, Rz. 2; a.A. Mankowski in Staudinger, Rz. 48 f., jeweils zu Art. 16 EGBGB m.w.N. 8 Schotten, DNotZ 1994, 670 (676); Bader, MittRheinNotK 1984, 161 (163).

Hausmann | 881

§ 6 Rz. 6.1033 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Abs. 1 BGB, § 377 Abs. 3 FamFG bei jedem Amtsgericht bewirkt werden, in dessen Bezirk auch nur einer der Ehegatten (also nicht notwendig der kontrahierende) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Betreibt ein Ehegatte im Inland lediglich ein Gewerbe, so ist das Amtsgericht für den Ort der Handelsniederlassung zuständig (Art. 4 Abs. 1 EGHGB). In der Praxis spielt das Güterrechtsregister freilich kaum noch eine Rolle; Eintragungen von in- oder ausländischen Güterständen werden nur höchst selten vorgenommen1.

6.1034

Auch wenn der ausländische Güterstand – wie in der Regel – im Güterrechtsregister nicht eingetragen ist, so wird der Dritte gem. § 1412 BGB doch nur geschützt, wenn er im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts von der Geltung des fremden Güterrechts keine Kenntnis hatte. Fahrlässigkeit reicht – anders als nach Art. 28 Abs. 1 EuGüVO (Rz. 6.1025), Art. 12 EGBGB und Art. 13 Rom I-VO – nicht aus; deshalb besteht auch keine Erkundigungspflicht des Dritten. Vielmehr schadet nur positives Wissen; allein der Umstand, dass der Dritte die ausländische Staatsangehörigkeit der Ehegatten kannte, macht ihn noch nicht bösgläubig2. Der Dritte muss vielmehr wissen, dass die Ehegatten in einem ausländischen Güterstand leben; nicht erforderlich ist hingegen die genaue Kenntnis dieses Güterstands3. Da sich die Ehegatten darauf beschränken können, lediglich die Rechtswahl nach Art. 15 Abs. 2 EGBGB im Güterrechtsregister eintragen zu lassen, muss die bloße Kenntnis der Geltung ausländischen Güterrechts für die Annahme von Bösgläubigkeit genügen4.

6.1035

Liegen die Voraussetzungen für den Schutz des guten Glaubens nach Art. 16 Abs. 1 EGBGB vor, so können die Ehegatten sich auf Verfügungsbeschränkungen, Zustimmungserfordernisse oder andere Einwendungen aus dem für sie geltenden ausländischen Güterrecht gegenüber der Wirksamkeit eines von ihnen geschlossenen Rechtsgeschäfts nicht berufen. Sie werden dem gutgläubigen Dritten gegenüber vielmehr so behandelt, als gelte für sie der deutsche gesetzliche Güterstand der Zugewinngemeinschaft5. Kein Schutz besteht daher, wenn das ausländische Güterrecht eine dem § 1369 BGB entsprechende Verfügungsbeschränkung für Haushaltsgegenstände normiert. Der gutgläubige Dritte hat allerdings ein Wahlrecht, ob er an dem Rechtsgeschäft festhalten oder sich auf dessen Unwirksamkeit berufen will6.

6.1036

Betreibt ein Ehegatte, der in einem ausländischen Güterstand der Gütergemeinschaft lebt, im Inland ein selbständiges Erwerbsgeschäft, so ist gutgläubigen Dritten gegenüber gem. Art. 16 Abs. 2 EGBGB i.V.m. §§ 1431, 1456 BGB die Zustimmung des anderen Ehegatten zu solchen Rechtsgeschäften nicht notwendig, die der Geschäftsbetrieb mit sich bringt. Praktische Bedeutung erlangen diese Verkehrsschutznormen allerdings nur dann, wenn der ausländische Güterstand im deutschen Güterrechtsregister verlautbart ist oder der Dritte um seine Geltung weiß, weil andernfalls bereits der Schutz nach Art. 16 Abs. 1 EGBGB i.V.m. § 1412 BGB eingreift7.

1 Reithmann, DNotZ 1984, 439 m.w.N.; Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 12. 2 Schotten, DNotZ 1994, 670 (676 ff.); Looschelders in MünchKomm, Rz. 23; Schurig in Soergel, Rz. 8; Mankowski in Staudinger, Rz. 42, jeweils zu Art. 16 EGBGB. 3 Looschelders in MünchKomm, Rz. 31; Sieghörtner in NK BGB, Art. 16 EGBGB Rz. 11; a.A. Amann, MittBayNotV 1986, 222 (226); H. Roth, IPRax 1991, 320 (322). 4 Liessem, NJW 1989, 497 (500); Schotten, DNotZ 1994, 670 (677); a.A. Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 42. 5 Looschelders in MünchKomm, Rz. 32; Stürner in Erman, Art. 16 EGBGB Rz. 16; Schurig in Soergel, Rz. 8; Mankowski in Staudinger, Rz. 47, jeweils zu Art. 16 EGBGB. 6 Allg.M., vgl. Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 15; Sieghörtner in NK BGB, Art. 16 EGBGB Rz. 13; Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 33. 7 Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 76.

882 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1038 § 6

(2) Schutz gegen Beschränkungen der Schlüsselgewalt Auch gegenüber den nach dem ausländischen Ehewirkungsstatut bestehenden Beschränkungen der gegenseitigen Vertretungsbefugnis von Ehegatten bei Rechtsgeschäften im Interesse des gemeinsamen Haushalts wird der inländische Verkehr geschützt, wenn das Rechtsgeschäft im Inland vorgenommen wurde, d.h. wenn sich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses beide Vertragsparteien (bzw. ihre Vertreter) im Inland aufhalten1. Da Art. 16 Abs. 2 EGBGB – wie Art. 13 Rom I-VO – für internationale Distanzgeschäfte keinen Verkehrsschutz gewährt, reicht die Anwesenheit nur einer Vertragspartei im Inland nicht aus2. Für solche Inlandsgeschäfte gelten nach Art. 16 Abs. 2 EGBGB im Verhältnis zu gutgläubigen Dritten die deutschen Vorschriften über die Schlüsselgewalt (§ 1357 BGB) sinngemäß, sofern sie dem Dritten günstiger sind als das fremde Recht. Gutgläubig sind die Dritten dann, wenn sie die Geltung ausländischen Rechts weder kennen noch grob fahrlässig nicht kennen3. Im Inland vorgenommen wird ein Rechtsgeschäft nur dann, wenn sich im Zeitpunkt des Vertragsschlusses beide Vertragsparteien (bzw. ihre Vertreter) im Inland aufhalten. Auch durch eine Rechtswahl kann die Geltung des Verkehrsschutzes nach deutschem Recht nicht herbeigeführt werden, weil das deutsche internationale Eherecht eine Rechtswahl mit einem Dritten nicht kennt4.

6.1037

Im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs, den das deutsche Gericht nach Art. 16 Abs. 2 EGBGB von Amts wegen vorzunehmen hat5, sind die in beiden Rechten enthaltenen Regeln über die Vertretungsmacht und Haftung nicht abstrakt gegeneinander abzuwägen6; erforderlich ist vielmehr eine konkrete Betrachtungsweise7. Das inländische Recht ist dem Dritten daher günstiger, wenn es eine Haftung des am Vertragsschluss nicht beteiligten Ehegatten für die vom anderen eingegangene Verpflichtung begründet, während dies nach dem ausländischen Ehewirkungsstatut nicht der Fall ist. Steht fest, dass die Inanspruchnahme beider Ehegatten nach deutschem Recht (§ 1357 BGB) begründet ist, so erübrigt sich also bereits der Vergleich mit dem ausländischen Recht8. In diesem Fall kann sich der Dritte auch nicht auf das für ihn ungünstigere ausländische Recht berufen, weil ihn das Geschäft inzwischen reut; ein Wahlrecht des Dritten besteht insoweit nicht9. Ist hingegen zweifelhaft, welches Recht dem Dritten günstiger ist, so sollte dieser das von ihm bevorzugte Recht wählen dürfen10. Dies gilt insbesondere bei der Vornahme einseitiger Rechtsgeschäfte, die nach deutschem Recht wirk-

6.1038

1 Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 41. 2 G. Fischer, S. 166; Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 61; Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 41. Für Anwendung der Vorschrift auf internationale Distanzgeschäfte in Analogie zu Art. 11 Abs. 2 und Abs. 3 EGBGB hingegen Schurig in Soergel, Art. 16 EGBGB Rz. 9. 3 Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 59; Schurig in Soergel, Art. 16 EGBGB Rz. 20. 4 Jayme, IPRax 1993, 80 (81); Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 52; a.A. BGH v. 27.11.1991 – XII ZB 226/90, NJW 1992, 909 = JR 1992, 498 m. Anm. Böhmer = IPRax 1993, 97 (m. abl. Anm. Jayme, IPRax 1993, 80) (Inanspruchnahme der Ehefrau eines Spaniers für Kosten von dessen Krankenhausbehandlung. Nachträgliche stillschweigende Rechtswahl des deutschen Verkehrsschutzrechts angenommen). 5 Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 30 f.; Kropholler, IPR, § 45 V 2; Jayme, IPRax 1993, 80 f. 6 So noch Frankenstein, IPR, III S. 371 f. 7 G. Fischer, S. 167; Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 39; Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 55; Kropholler, IPR, § 45 V 2. 8 Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 56; Jayme, FS Schwind (1993), S. 103 (108 f.). 9 Sieghörtner in NK BGB, Art. 16 EGBGB Rz. 17; Mankowski in Staudinger, Art. 15 EGBGB Rz. 56; Jayme, IPRax 1993, 81; a.A. Looschelders in MünchKomm, Art. 16 EGBGB Rz. 39 10 Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 57 f.

Hausmann | 883

§ 6 Rz. 6.1038 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

sam, nach ausländischen Recht hingegen unwirksam sind (oder umgekehrt), sowie bei Rechtsgeschäften, die zwar nach beiden Rechten gültig sind, aber in ihren Wirkungen differieren. (3) Schutz gegen sonstige Beschränkungen durch die Ehe

6.1039

Nicht ausdrücklich im Gesetz geregelt ist die Frage, inwieweit der inländische Rechtsverkehr gegen solche Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit sowie der Verpflichtungs- oder Verfügungsbefugnis von Ehegatten geschützt ist, die – wie insbesondere Interzessionsverbote – als persönliche Ehewirkungen zu qualifizieren sind (vgl. dazu Rz. 6.790 ff.). Denn Art. 16 Abs. 1 EGBGB betrifft lediglich die Wirkungen ausländischer Güterstände, während die teilweise ehepersonenrechtliche Norm des Art. 16 Abs. 2 EGBGB keine Generalklausel enthält, sondern die Geltung des ausländischen Rechts nur in Bezug auf die Schlüsselgewalt und die Eigentumsvermutungen einschränkt. Auch Art. 13 Rom I-VO greift weder unmittelbar noch entsprechend ein, weil die Beschränkungen nicht die allgemeine Geschäfts- und Handlungsfähigkeit betreffen und sich deshalb nicht aus dem Personalstatut des handelnden Ehegatten ergeben, sondern persönliche Ehewirkungen darstellen1.

6.1040

Aus Art. 16 Abs. 2 EGBGB ist jedoch der allgemeine Rechtsgedanke zu entnehmen, dass ausländisches Eherecht dem inländischen zu weichen hat, wenn die vermögensrechtlichen Interessen eines gutgläubigen Dritten unmittelbar berührt sind und das abgeschlossene Geschäft eine hinreichende Beziehung zum Inland aufweist2. Ist ein Vertrag daher im Inland abgeschlossen worden, so wird ausländisches Ehepersonenrecht in demselben Umfang durch deutsches Recht verdrängt, wie dies Art. 16 Abs. 2 EGBGB für die Fälle der §§ 1357, 1362 BGB ausdrücklich vorsieht. In diesem Fall können gutgläubige Dritte sich daher gegenüber ausländischen Interzessionsverboten oder sonstigen Verpflichtungsbeschränkungen auf das ihnen günstigere deutsche Recht berufen3. Dieser Schutz entfällt – anders als jener nach Art. 13 Rom I-VO (dazu Rz. 6.1163 ff.) – auch bei leicht fahrlässiger Unkenntnis des Dritten nicht4.

6.1041

Beschränkungen der Ehegatten im Innenverhältnis (Verbot von Schenkungsverträgen u.Ä., vgl. dazu Rz. 6.802 f.) können hingegen auch geltend gemacht werden, wenn das Rechtsgeschäft im Inland vorgenommen worden ist, weil ein Verkehrsschutzbedürfnis insoweit nicht besteht5. 1 Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 44 ff.; Mankowski in Staudinger, Art. 16 EGBGB Rz. 87; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1009; a.A. LG Aurich v. 23.2.1990 – 3 T 8/90, FamRZ 1990, 776 = IPRax 1991, 341 (m. abl. Anm. H. Roth, IPRax 1991, 320); Liessem, NJW 1989, 500 ff.; G. Fischer, NJW 1989, 171 ff.; Thorn in Palandt, Art. 12 EGBGB Rz. 5; Looschelders in MünchKomm, Art. 14 EGBGB Rz. 62 ff.; Schurig in Soergel, Art. 16 EGBGB Rz. 21. Für analoge Anwendung von Art. 13 Rom I-VO/Art. 12 EGBGB auch Andrae, IntFamR, § 4 Rz. 266. 2 Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 34 ff.; Mankowski in Staudinger, Art. 14 EGBGB Rz. 238 und Art. 16 EGBGB Rz. 88; Mansel in Staudinger, Art. 43 EGBGB Rz. 1010; Kropholler, IPR, § 45 V 2. 3 Bader, MittRheinNotK 1994, 161 (163); H. Roth, IPRax 1991, 320 ff.; Kropholler, IPR, § 45 V 2; Kegel/Schurig, IPR, § 20 V 4 a.E.; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 56; Sieghörtner in NK BGB, Rz. 11, jeweils zu Art. 16 EGBGB. Vgl. auch BT-Drucks. 10/504, S. 59. 4 Schotten, DNotZ 1994, 683 f. Vgl. auch – zum niederländischen Recht – HR v. 13.1.1989, N.J. 1990, 268 (Ausländischer Vertragspartner muss die Beschränkungen des niederländischen Rechts für Bürgschaftsverträge durch Ehegatten nicht kennen, wenn der Vertrag im Ausland geschlossen wird); IPG 1996 Nr. 26 (Köln) (zum Schutz des inländ. Rechtsverkehrs nach Art. 16 Abs. 2 EGBGB gegen Beschränkungen der Verpflichtungs- und Verfügungsfreiheit von Ehegatten über die eheliche Wohnung nach niederländ. Recht). 5 Schurig in Soergel, Art. 14 EGBGB Rz. 57.

884 | Hausmann

D. Beschränkungen bei verheirateten Personen | Rz. 6.1049 § 6

Unter der Geltung der EuGüVO beurteilt sich der Schutz des Rechtsverkehrs gegen Beschränkungen der Schlüsselgewalt wie gegen Beschränkungen der Verpflichtungs- oder Verfügungsbefugnis von Ehegatten, die in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen als allgemeine Ehewirkungen i.S.v. Art. 14 EGBGB qualifiziert werden, nach den gleichen Regeln wie der Verkehrsschutz auf dem Gebiet des Ehegüterrechts im engeren Sinne, weil die Verordnung von einem einheitlichen Regime für alle vermögensrechtlichen Ehewirkungen ausgeht. Maßgebend ist daher auch insoweit die Verkehrsschutznorm des Art. 28 EuGüVO (dazu Rz. 6.1019 ff.).

6.1042

VI. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung 1. Allgemeine Beschränkungen durch die Ehe a) Nach ausländischen Rechten ist die Freiheit von Eheleuten, über eigenes oder gemeinsames Vermögen zu verfügen bzw. bestimmte Verpflichtungen einzugehen, im Interesse der Familiengemeinschaft häufig unabhängig vom Güterstand eingeschränkt.

6.1043

b) So bedürfen Ehegatten zum Abschluss bestimmter – besonders belastender oder risikoreicher – Verpflichtungsverträge (z.B. Schenkung, Bürgschaft, Schuldübernahme, Abzahlungskauf) der gerichtlichen Genehmigung (sog. Interzessionsverbote) oder der Zustimmung ihres Partners.

6.1044

c) Güterstandsunabhängige Verfügungsbeschränkungen bestehen namentlich in Bezug auf die Ehewohnung und den Hausrat, z.T. auch weitergehend für Grundstücksgeschäfte jeder Art.

6.1045

d) Schließlich ist auch die Befugnis von Ehegatten, den Partner bei Geschäften zur Deckung des Lebensbedarfs der Familie (sog. Schlüsselgewaltgeschäfte) mitzuverpflichten, nach ausländischen Rechten vielfach beschränkt.

6.1046

e) Ob und in welchem Umfang solche Beschränkungen bestehen, ist nicht dem Vertragsstatut, sondern in vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB zu entnehmen. Abzustellen ist nach Art. 14 Abs. 2 EGBGB n.F. in erster Linie auf das Recht des Staates, in dem beide Ehegatten ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben bzw. zuletzt hatten, in Ermangelung eines solchen auf das gemeinsame Heimatrecht der Ehegatten und hilfsweise auf das Recht, mit dem die Ehegatten auf andere Weise gemeinsam am engsten verbunden sind. Rück- oder Weiterverweisung sind nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten. In ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen gilt hingegen für alle vermögensbezogenen allgemeinen Ehewirkungen das nach Art. 26 EuGüVO zu bestimmende Güterrechtsstatut.

6.1047

f) Die Ehegatten waren allerdings bis zum 29.1.2019 unter den in Art. 14 Abs. 2 und 3 EGBGB a.F. genannten Voraussetzungen auch berechtigt, ein hiervon abweichendes Recht zu wählen. Seit diesem Stichtag ist eine Rechtswahl auch für die vermögensbezogenen allgemeinen Ehewirkungen nur noch nach Art. 22-24 EuGüVO zulässig.

6.1048

2. Güterrechtliche Beschränkungen a) Die Freiheit von Ehegatten, über bestimmte Vermögensgegenstände zu verfügen oder sich zu deren Übertragung zu verpflichten, sowie Vermögen zu Alleineigentum zu erwerben, ist in zahlreichen ausländischen Güterrechten dadurch beschränkt, dass bereits die Eheschließung als solche zu einer Vergemeinschaftung von Vermögenswerten führt. Dies gilt insbesondere in Rechten, die als gesetzlichen Güterstand die Gütergemeinschaft oder eine Hausmann | 885

6.1049

§ 6 Rz. 6.1049 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Form der Errungenschaftsgemeinschaft vorsehen. Hier steht das Recht zur Verwaltung und Verfügung über Gesamtgutsgegenstände häufig nur beiden oder einem der Ehegatten zu.

6.1050

b) Ob Verfügungs- oder Erwerbsbeschränkungen kraft ausländischen Ehegüterrechts bestehen, beurteilt sich in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen nach Art. 26 EuGüVO. Danach unterliegt der eheliche Güterstand primär dem Recht des Staates, in dem die Ehegatten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten. In Ermangelung eines solchen gilt das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten haben, und hilfsweise das Recht des Staates, mit dem beide Ehegatten sonst am engsten verbunden sind. Das zuständige Gericht kann jedoch ausnahmweise von der Ausweichklausel in Art. 26 Abs. 3 EuGüVO Gebrauch machen, wenn die Ehegatten ihren letzten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Staat über einen erheblich längeren Zeitraum hatten als im Staat ihres ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalts nach der Eheschließung und auf das Recht diese anderen Staates bei der Regelung ihrer vermögensrechltichen Beziehungen vertraut haben.

6.1051

c) In vor dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen ist das Güterrechtsstatut weiterhin nach Art. 15 EGBGB zu bestimmen. Maßgebend ist danach grundsätzlich das Ehewirkungsstatut zur Zeit der Eheschließung (Art. 15 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 EGBGB a.F.). Eine Rück- oder Weiterverweisung ist nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten. In Betracht kommt insbesondere ein Renvoi auf das Wohnsitzrecht der Ehegatten, auf die lex rei sitae von ehelichem Grundbesitz sowie auf ein von den Ehegatten – auch formlos oder stillschweigend – gewähltes Recht.

6.1052

d) Die Ehegatten können das Güterrechtsstatut gem. Art. 22 EuGüVO auch durch Rechtswahl – unabhängig vom Ehewirkungsstatut – festlegen. Die Rechtswahl kann nicht nur bei Eheschließung, sondern zu jedem beliebigen Zeitpunkt während der Ehe getroffen werden. Zur Wahl gestellt sind den Ehegatten ihre jeweiligen Heimat- bzw. Aufenthaltsrechte. Hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens konnten sie ferner bis zum 28.1.2019 nach Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 EGBGB das Recht des jeweiligen Lageortes wählen.

6.1053

e) Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Güterstandes gilt in ab dem 29.1.2019 geschlossenen Ehen nach Art. 21 EuGüVO uneingeschränkt. In zuvor geschlossenen Ehen wird dieser Grundsatz durch die Beachtung einer partiellen Rückverwerisung auf die lex rei sitae sowie nach Art. 3a Abs. 2 EGBGB durchbrochen, wenn Vermögenswerte in einem Land belegen sind, nach dessen Recht sie „besonderen Vorschriften“ unterliegen. Praktisch bedeutsam ist insbesondere die kollisionsrechtliche Unterscheidung zwischen „movables“ und „immovables“ im anglo-amerikanischen Recht. Sie führt zu einer auch in Deutschland beachtlichen Spaltung des Güterstandes, wenn Immobilien z.B. in England oder in den USA belegen sind, während die Güterrechtsbeziehungen nach Art. 15 EGBGB deutschem Recht oder dem Recht eines dritten Staates unterliegen.

6.1054

f) Für vor dem 9.4.1983 geschlossene Ehen sind die intertemporalen Kollisionsregeln des Art. 220 Abs. 3 EGBGB zu beachten.

3. Schutz des Rechtsverkehrs 6.1055

a) Gegenüber im Inland unbekannten Beschränkungen ausländischer Ehewirkungs- oder Ehegüterrechte wird der inländische Rechtsverkehr in vielfältiger Hinsicht geschützt: – das mangelnde Alleineigentum eines Ehegatten kann mit Hilfe der sachenrechtlichen Vorschriften über den Schutz des guten Glaubens (§§ 892 f., 932 ff. BGB) überwunden werden; 886 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1056 § 6

– fehlt es dem handelnden Ehegatten nach ausländischem Ehegüterrecht an der (alleinigen) Verfügungsmacht, so greift nach Art. 28 EuGüVO bzw. Art. 16 Abs. 1 EGBGB i.V.m. § 1412 BGB der Schutz durch das Güterrechtsregister ein; – schließlich sind gutgläubige Dritte auch gegenüber ausländischen Beschränkungen der Schlüsselgewalt, die über § 1357 BGB hinausgehen, gem. Art. 28 EuGüVO bzw. Art. 16 Abs. 2 EGBGB geschützt. b) Den besten Schutz vor unbekannten güterrechtlichen Erwerbs- oder Verfügungsbeschränkungen bietet freilich die Wahl deutschen Güterrechts nach Art. 22 EuGüVO.

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen Literatur zum Internationalen Privatrecht: Baetge, Anknüpfung der Rechtsfolgen bei fehlender Geschäftsfähigkeit, IPRax 1996, 185; Capotorti, La capacité en droit international privé, Rec. des Cours 109 (1963-II), 153; G. Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht (1990); Furtak, Die Parteifähigkeit in Zivilverfahren mit Auslandsberührung (1995); Glenn, La capacité de la personne en droit international privé français et anglais (Paris 1975); Goldschmidt, Für eine ausnahmslose Geltung des Geschäftsfähigkeitsstatuts, FS Kegel (1987), S. 163; Guinand, Les conflits de loi en matière de capacité – étude comparative (Neuchâtel 1970); Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfahrensrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 4; Hepting, Die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters und ihre Auswirkungen im internationalen Privat- und Verfahrensrecht, FamRZ 1975, 451; Hepting, Zur Emanzipation ausländischer Minderjähriger durch deutsche Gerichte, ZBIJR 1976, 145; Kirchhoff, Das Rechtsfolgenstatut der beschränkten Geschäftsfähigkeit und Geschäftsunfähigkeit (2005), Lipp, Verkehrsschutz und Geschäftsfähigkeit im IPR, RabelsZ 63 (1999), 107; Lipp, Geschäftsfähigkeit im europäischen IPR: Status oder Willensmangel, FS Kühne (2009), S. 765; Lüderitz, Rechtsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit und Entmündigung natürlicher Personen, in: Lauterbach (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personen- und Sachenrechts (1972), S. 32; Luther, Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit von Ausländern und im Ausland, StAZ 1986, 164; Marquardt, Bemerkungen zur Rechtsfähigkeit, Geschäftsfähigkeit, Entmündigung, Todeserklärung, in: Beitzke (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personen-, Familien- und Erbrechts (1981), S. 73; Mosconi, Le norme relative alla capacità dei contraenti nella convenzione CEE sulla legge applicabile alle obbligazioni contrattuali, Dir.com.scambi int. 22 (1983), 1; Oda, Überlegungen zur Prozessfähigkeit von Ausländern, FS Konzen (2006), S. 603; Pagenstecher, Zur Geschäftsfähigkeit der Ausländer in Deutschland. Ein Beitrag zur Problematik des Art. 7 EGBGB, RabelsZ 15 (1949/50), 149; Pagenstecher, Zur Prozessfähigkeit der Ausländer nach deutschem internationalen Zivilprozessrecht, FS Raape (1948), S. 249; Reithmann, Geschäftsfähigkeit und Verfügungsbefugnis nach deutschem internen Recht und Kollisionsrecht, DNotZ 1967, 232; Schippel, Rechtsverkehr mit geschäftsunfähigen und beschränkt geschäftsfähigen Personen nach internem und internationalem deutschen Privatrecht (1963); Schotten, Die Geschäftsfähigkeit im IPR, MittRheinNotK 1970, 371; Spellenberg, Folgen der Geschäftsunfähigkeit und Prozessaufrechnung, IPRax 2013, 466; Wohlgemuth, Der minderjährige Gesellschafter im IPR, RIW 1980, 759. Literatur zur Rechtsvergleichung: de Cristofaro, Minore età e contratto di lavoro, Riv.dir.civ. 25 (1979-II), 335; Harland, The Law of Minors in Relation to Contracts and Property (1974); Hausmann in Staudinger (2013), Art. 7 EGBGB Rz. 4–9; Hellner, Der Begriff der Geschäftsfähigkeit im französischen Recht, JR 1957, 257; Jentsch, Die Geschäftsfähigkeit Minderjähriger im deutschen, österreichischen, schweizerischen, französischen und englischen Recht (Diss. Bonn 1967); Kindred, Basic Problems of Minors´ Contractual Capacity – Reform in England, France, Ethiopia and the United States of America, FS Rheinstein II (1969), S. 523; Kurzwelly, Die Haftung Minderjähriger bei Täuschung über die Geschäftsfähigkeit im deutschen, österreichischen, schweizerischen, französischen und englischen Recht (Diss. Bonn 1977); Menold-Weber, Verträge Minderjähriger und ihre Rückabwicklung nach englischem Recht (1992); Raison, Le statut des incapables mineurs et majeurs après la loi du 14

Hausmann | 887

6.1056

§ 6 Rz. 6.1056 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis décembre 1964 et la loi du 3 janvier 1968 (1969); Schenk, Die rechtliche Fähigkeit Minderjähriger zum selbständigen Abschluss schuldrechtlicher Verträge. Eine rechtsvergleichende Darstellung unter Berücksichtigung der Rechtslage in Frankreich, England, der Bundesrepublik Deutschland und der Harmonisierungsbestrebungen des Europarats (Diss. Bonn 1976); Schwimann, Die Institution der Geschäftsfähigkeit (1965); Stanzione, Capacità e minore età nella problematica della persona umana (1975); Valero, The Contractual Capacity of Minors in English und French Law of Employment, I.C.L. Q. 27 (1978), 215; Vial, Die Geschäftsfähigkeit Minderjähriger im englischen Recht (Diss. Kiel 1974); Wilhelm, Verträge Minderjähriger im englisch-amerikanischen Recht, ZfRV 1972, 161. Zur gesetzlichen Vertretung s. vor Rz. 6.1103 ff. Zum Schutz des Rechtsverkehrs s. vor Rz. 6.1160 ff.

I. Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit 1. Sonderanknüpfung an die Staatsangehörigkeit a) Grundsatz

6.1057

Fragen der Rechts- und Geschäftsfähigkeit werden – vorbehaltlich der Verkehrsschutzregelung in Art. 13 Rom I-VO (dazu Rz. 6.1160 ff.) – ausdrücklich aus dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeklammert. Maßgebend ist daher – vorbehaltlich der Regelung in Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens vom 17.2.19291 – das autonome deutsche Kollisionsrecht. Ob ein Jugendlicher die für einen Vertragsabschluss erforderliche Geschäftsfähigkeit besitzt, wird daher nicht nach dem Vertragsstatut (oder sonstigen Wirkungsstatut) (zur Abgrenzung näher Rz. 6.1088 ff.) beurteilt, sondern gesondert angeknüpft.

6.1058

Maßgebend ist gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB das Heimatrecht des Jugendlichen2. Die Beurteilung der Geschäftsfähigkeit von Vertragsparteien wird somit – als selbständig anzuknüpfende Teilfrage3 – vom Vertragsstatut abgespalten. Das Vertragsstatut bestimmt zwar, ob und welche – volle oder beschränkte – Geschäftsfähigkeit zum Abschluss eines bestimmten Vertrages erforderlich ist; ob sie gegeben ist, entscheidet hingegen nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB das Personalstatut der Vertragsschließenden. Art. 7 Abs. 1 EGBGB ist zwingendes Recht und folglich der Parteidisposition entzogen; durch eine Rechtswahl kann das Geschäftsfähigkeitsstatut nicht beeinflusst werden4. Gutgläubige Geschäftspartner werden gegen eine mangelnde Geschäftsfähigkeit nach ausländischem Recht jedoch nach Maßgabe von Art. 13 Rom I-VO bzw. Art. 12 EGBGB geschützt (Rz. 6.1160 ff.). b) Mehrstaater

6.1059

Durch die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit kann das Personalstatut allein nicht bestimmt werden, wenn der Vertragspartner mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt. Zur Bestim-

1 Abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Nr. 22. 2 BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, NJW 2004, 1315 (1316) = ZIP 2004, 659 = JA 2004, 591 m. Anm. Staake; Thorn in Palandt, Rz. 1; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 3, 8; Lipp in MünchKomm, Rz. 32; Hausmann in Staudinger, Rz. 15, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 3 Thorn in Palandt, Rz. 1; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 1, 3; Hausmann in Staudinger, Rz. 17; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 1; jeweils zu Art. 7 EGBGB; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 6 Rz. 29. 4 Lipp in MünchKomm, Rz. 12, 33; Hausmann in Staudinger, Rz. 15; Thorn in Palandt, Rz. 1; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 3; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 19, jeweils zu Art. 7 EGBGB. Allg. zur Teilfrage Hausmann in Hausmann/Odersky, § 3 Rz. 56 ff.

888 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1061 § 6

mung der dann maßgeblichen Staatsangehörigkeit enthält das Gesetz in Art. 5 Abs. 1 EGBGB eine ausdrückliche Kollisionsnorm. Diese unterscheidet danach, ob die betreffende Person auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder nicht.

Besitzt die Person mehrere ausländische Staatsangehörigkeiten, so gibt für die Anknüpfung diejenige den Ausschlag, mit welcher die Person am engsten verbunden ist. Zur Feststellung dieser sog. effektiven Staatsangehörigkeit ist in erster Linie auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Vertragsschließenden im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen, sofern sich dieser in einem der Heimatstaaten befindet1. Daneben sind aber auch andere Umstände aus dem vergangenen und für die Zukunft geplanten Verlauf seines Lebens zu berücksichtigen, z.B. die Inanspruchnahme staatsbürgerlicher Befugnisse (Wahlrecht) und die Erfüllung staatsbürgerlicher Pflichten (Wehrdienst), berufliche und private Verbindungen, Vermögensdispositionen, Sprache etc2. Bei gewöhnlichem Aufenthalt in einem Drittstaat kommt es für die Ermittlung der effektiven Staatsangehörigkeit allein auf die genannten sonstigen Umstände des Lebenslaufs an3. Der Inhalt und die Umstände des konkreten Vertragsschlusses haben hingegen für die Ermittlung der effektiven Staatsangehörigkeit außer Betracht zu bleiben, weil diese nach Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB gerade losgelöst vom Statut des einzelnen Vertrages zu bestimmen ist4.

6.1060

Besitzt der Vertragspartner hingegen neben einer ausländischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit oder ist er auch Deutscher i.S.d. Grundgesetzes (vgl. Art. 116 GG), so ist diese Rechtsstellung nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB im Rahmen der Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit allein maßgebend. Dies gilt im Gegensatz zu der bis zur IPR-Reform von 1986 in Rechtsprechung und Lehre h.M.5 selbst dann, wenn die Beziehung zu seinem ausländischen Heimatstaat wesentlich enger ist. Das Gesetz gibt insoweit dem Interesse an der Rechtsklarheit und Praktikabilität den Vorrang vor der Anknüpfung an die sachnähere Rechtsordnung6. Die praktische Bedeutung des Inländervorrangs nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB hat durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15.7.1999 weiter zugenommen, weil danach ein erheblicher Teil der im Inland geborenen jungen Ausländer zumindest bis zum 18. Lebensjahr die deutsche Staatsangehörigkeit zusätzlich erwirbt (§ 4 Abs. 3, § 29 StAG)7. Diese vorrangige Anknüpfung an die deutsche Staatsangehörigkeit eines Mehrstaaters führt vermehrt zu hinkenden Rechtsverhältnissen, weil der ausländische Heimatstaat zumeist der eigenen Staatsangehörigkeit den Vorzug gibt. Die Vereinbarkeit der Regelung mit dem Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit in Art. 18 AEUV ist daher fraglich8.

6.1061

1 Thorn in Palandt, Art. 5 EGBGB Rz. 2; von Hein in MünchKomm, Art. 5 EGBGB Rz. 62. 2 Vgl. OLG München v. 10.11.1993 – 12 UF 1127/93, FamRZ 1994, 634; Ferid, Rz. 1–34; Bausback in Staudinger, Art. 5 EGBGB Rz. 15. 3 Thorn in Palandt, Art. 5 EGBGB Rz. 2; vgl. aber OLG Frankfurt a.M. v. 26.11.1993 – 1 UF 139/93, FamRZ 1994, 715, wo bei Nichtfeststellbarkeit einer effektiven Staatsangehörigkeit analog Art. 5 Abs. 2 EGBGB auf das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts abgestellt wird. 4 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 18 a.E. 5 Vgl. BGH v. 20.6.1979 – IV ZR 106/78, BGHZ 75, 32 (38 f.) = NJW 1979, 2468 m. Anm. Kropholler. 6 BT-Drs. 10/504, 40; vgl. OLG Hamm v. 11.3.1993 – 4 UF 215/92, FamRZ 1994, 573 = IPRspr. 1993 Nr. 77; Thorn in Palandt, Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 5 EGBGB Rz. 6; Mörsdorf in BeckOK BGB, Rz. 8, jeweils zu Art. 5 EGBGB. Dazu die berechtigte Kritik bei Ferid, Rz. 1–35 f.; von Hein in MünchKomm, Art. 5 EGBGB Rz. 67 ff.; Bausback in Staudinger, Art. 5 EGBGB Rz. 19 ff. Zur Möglichkeit einer Einzelfallkorrektur Sonnenberger, BerDGesVölkR 29 (1988), 21; Mansel, Personalstatut, Staatsangehörigkeit und Effektivität (1988), § 6 Rz. 270. 7 Vgl. die Neufassung von § 29 StAG durch Gesetz vom 13.11.2014, BGBl. I 2014, 1714. 8 Dazu näher von Hein in MünchKomm, Art. 5 EGBGB Rz. 78 ff.; für Wahlrecht Makowsky/G. Schulze in NK-BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 29.

Hausmann | 889

§ 6 Rz. 6.1062 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

c) Staatenlose

6.1062

Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit versagt vollständig bei Personen, die keine Staatsangehörigkeit besitzen. Für diese Staatenlosen erklärt Art. 5 Abs. 2 EGBGB das Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts, hilfsweise ihres schlichten Aufenthalts, für maßgebend. Art. 5 Abs. 2 EGBGB wird allerdings in weitem Umfang durch gem. Art. 3 Nr. 2 EGBGB vorrangige staatsvertragliche Regelungen verdrängt. Dies gilt insbesondere für das New Yorker Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen vom 28.9.19541. Ein sachlicher Widerspruch zwischen beiden Regelungen besteht freilich nicht, weil der Wohnsitzbegriff des Übereinkommens i.S.v. „gewöhnlichem Aufenthalt“ zu verstehen ist2. An den gewöhnlichen Aufenthalt wird ferner angeknüpft bei Personen, deren Staatsangehörigkeit nicht festgestellt werden kann3. d) Flüchtlinge

6.1063

Auch für die Bestimmung des Personalstatuts von internationalen Flüchtlingen, also für die große Mehrheit der vor allem seit 2015 nach Deutschland gelangten Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, gelten in weitem Umfang Sonderregeln, die – wie insbesondere Art. 12 der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.7.19514 – an das Aufenthalts- oder Wohnsitzrecht anknüpfen5. Zum Personalstatut i.S.v. Art. 12 GFK gehört aber auch die Frage, ob ein Flüchtling volljährig und damit geschäftsfähig ist6. Für Flüchtlinge, die sich im Inland aufhalten, gilt daher in Geschäftsfähigkeitsfragen deutsches Recht, auch wenn über ihren Asylantrag noch nicht entschieden worden ist. Das deutsche Aufenthaltsrecht ist aufgrund der Verweisung in § 2 Abs. 1 AsylVfG i.d.F. vom 2.9.2008 erst recht für anerkannte Asylberechtigte maßgebend7. Demgegenüber haben Flüchtlinge und Vertriebene deutscher Volkszugehörigkeit (sog. Statusdeutsche) gem. Art. 9 Abs. 2 Nr. 5 FamRÄndG i.V.m. Art. 116 Abs. 1 GG ein deutsches Personalstatut8. Gleiches gilt für Spätaussiedler (§ 4 BVFG).

1 BGBl. II 1976, 474; auszugsweise abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 12. 2 Vgl. Thorn in Palandt, Art. 5 EGBGB Rz. 2 und Anh. zu Art. 5 EGBGB Rz. 1 f.; von Hein in MünchKomm, Anh. I zu Art. 5 EGBGB Rz. 1; Bausback in Staudinger, Art. 5 EGBGB Rz. 64 m.w.N. 3 Vgl. OLG Hamm v. 7.4.1995 – 15 W 3/95, FamRZ 1995, 1602 = StAZ 1995, 238; OLG Zweibrücken v. 27.3.1996 – 3 W 26/96, StAZ 1996, 268 (269); Thorn in Palandt, Art. 5 EGBGB Rz. 6 m.w.N. 4 BGBl. II 1953, 559; auszugsweise abgedr. bei Jayme/Hausmann, Nr. 10. 5 Vgl. dazu näher Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 5 EGBGB Rz. 16 ff.; von Hein in MünchKomm, Anh. II zu Art. 5 EGBGB Rz. 62 ff.; Bausback in Staudinger, Anh. IV zu Art. 5 EGBGB, Rz. 67, jeweils m.w.N. 6 Vgl. zu unbegleiteten Flüchtlingskindern BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, FamRZ 2018, 457 (Rz. 23) m. Anm. Hüßtege; OLG Brandenburg v. 20.4.2020 – 9 UF 226/1, BeckRS 2020, 8525 (Rz. 15); KG v. 13.11.2019 – 3 UF 107/19, FamRZ 2020, 842; OLG Hamm v. 23.10.2018 – 9 UF 104/18, NJW-RR 2019, 262 (Rz. 18 ff.) und OLG Hamm v. 3.5.2017 – 10 UF 6/17, NJOZ 2017, 1504 (Rz. 18); OLG Koblenz v. 14.2.2017 – 13 UF 32/17, FamRZ 2017, 1229; Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 34; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 20a; a.A. noch OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 5 WF 74/15, FamRZ 2015, 1820 (1821) m. zu Recht abl. Anm. von Hein. 7 Bausback in Staudinger Anh. IV zu Art. 5 EGBGB Rz. 65 ff. m.w.N. 8 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 5 EGBGB Rz. 11; Bausback in Staudinger, Anh. IV zu Art. 5 EGBGB Rz. 21 ff.

890 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1066 § 6

e) Reform Das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4.5.20211 hält in Art. 2 Nr. 1 an der Sonderanknüpfung der Rechts- und Geschäftsfähigkeit in Art. 7 EGBGB fest. Während es für die Rechtsfähigkeit nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB n.F. bei der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit verbleibt, wird für die Geschäftsfähigkeit in Art. 7 Abs. 2 EGBGB n.F. der Übergang zur Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der betroffenen Person vollzogen:

6.1064

Art. 7 EGBGB Rechtsfähigkeit und Geschäftsfähigkeit (1) Die Rechtsfähigkeit einer Person unterliegt dem Recht des Staates, dem die Person angehört. Die einmal erlangte Rechtsfähigkeit wird durch Erwerb oder Verlust einer Staatsangehörigkeit nicht beeinträchtigt. (2) Die Geschäftsfähigkeit einer Person unterliegt dem Recht des Staates, in dem die Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies gilt auch, soweit die Geschäftsfähigkeit durch Eheschließung erweitert wird. Die einmal erlangte Geschäftsfähigkeit wird durch einen Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts nicht beeinträchtigt.

Die Neufassung wird zum 1.1.2023 in Kraft treten.

2. Statutenwechsel Maßgebend ist nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB grundsätzlich das Heimatrecht der an einem Vertragsschluss beteiligten jugendlichen Person im Zeitpunkt der Abgabe der auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärung2. Wechselt allerdings ein bereits Volljähriger seine Staatsangehörigkeit (bzw. seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz, soweit dieser das Personalstatut bestimmt) und wäre er nach seinem neuen Heimat- (bzw. Aufenthalts-) Recht noch nicht volljährig, so fragt sich, ob er in diesem Falle auch in seiner Geschäftsfähigkeit zurückgestuft wird. Eine (Teil-) Antwort auf diese Frage gibt Art. 7 Abs. 2 EGBGB. Danach wird eine einmal erlangte Rechts- oder Geschäftsfähigkeit durch den Erwerb oder Verlust der Rechtsstellung als Deutscher nicht beeinträchtigt. Da das Volljährigkeitsalter in Deutschland mit 18 Jahren – vergleichend betrachtet – eher niedrig ist, hat die Vorschrift vor allem beim Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit praktische Bedeutung. Bei deren Erwerb kann sie nur ausnahmweise zur Anwendung gelangen,wenn ein Ausländer nach seinem Heimatrecht – z.B. kraft Eheschließung– bereits vor Erreichung des 18. Lebensjahres die volle Geschäftsfähigkeit erlangt.

6.1065

Obwohl Art. 7 Abs. 2 EGBGB dies – als unvollkommen allseitige Kollisionsnorm3 – nur beschränkt für den Erwerb oder Verlust der Rechtsstellung als Deutscher bestimmt (sog. Eingangs- bzw. Ausgangsstatutenwechsel), um den Eindruck eines Eingriffs in fremde Rechtsordnungen zu vermeiden4, muss das Gleiche analog in jedem anderen Fall eines Wechsels des Personalstatuts gelten, also auch dann, wenn ein Ausländer eine andere ausländische Staatsangehörigkeit erwirbt (sog. neutraler Statutenwechsel, z.B. 18-jähriger Italiener wird Argenti-

6.1066

1 BGBl. I 2021, 882. 2 Thorn in Palandt, Rz. 8; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 8; Hausmann in Staudinger, Rz. 106, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 3 Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 19; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 103. 4 Vgl. BT-Drucks. 10/504, S. 45.

Hausmann | 891

§ 6 Rz. 6.1066 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

nier)1, oder wenn ein Staatenloser bzw. Flüchtling seinen gewöhnlichen Aufenthalt in ein anderes Land mit einem höheren Volljährigkeitsalter verlegt (z.B. von den Niederlanden nach Suriname)2. Für die allgemeine Geltung des Grundsatzes „semel major, semper major“ spricht das Interesse des Rechtsverkehrs, die Abwicklung, Erfüllung und Fortsetzung einmal begonnener Rechtsgeschäfte nicht durch den Staatsangehörigkeitswechsel einer Partei zu stören. Dieser Analogie bedarf es freilich nur dann, wenn das neue Heimat- oder Aufenthaltsrecht eine dem Art. 7 Abs. 2 EGBGB entsprechende Kollisionsnorm nicht kennt; denn andernfalls ist auch der im neuen Heimatrecht des Jugendlichen geltende Grundsatz „semel major, semper major“ aufgrund der Verweisung in Art. 7 Abs. 1 EGBGB anzuwenden und führt zu einer Weiterverweisung auf das frühere Heimat-bzw. Aufenthaltsrecht3.

3. Rück- oder Weiterverweisung 6.1067

Die Beachtlichkeit einer Rück- oder Weiterverweisung ergibt sich in Geschäftsfähigkeitsfragen aus dem allgemeinen Grundsatz des Art. 4 Abs. 1 EGBGB4. Zu einer Rückverweisung auf das deutsche Sachrecht kommt es insbesondere dann, wenn das Heimatrecht des in Deutschland lebenden Ausländers die Geschäftsfähigkeit nach dem Domizilprinzip beurteilt (so z.B. das IPR Dänemarks, Finnlands und Norwegens, der baltischen Staaten (Estland, Lettland, Litauen), der Schweiz, Tschechiens, der Volksrepublik China, Englands und der meisten US-Bundesstaaten sowie zahlreicher lateinamerikanischer Staaten (z.B. Argentinien, Brasilien, Mexiko, Peru))5. Nach Inkrafttreten von Art. 7 Abs. 2 EGBGB n.F. am 1.1.2023 kann es – umgekehrt – nicht selten zu einem Renvoi des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt der Person auf ihr durch die Staatsangehörigkeit bestimmtes Heimatrecht klommen.

6.1068

Eine nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB beachtliche Rück- oder Weiterverweisung kommt ferner dann in Betracht, wenn das Heimatrecht des Jugendlichen die Frage der Geschäftsfähigkeit dem Wirkungsstatut des Geschäfts, bei Verträgen also dem jeweiligen Vertragsstatut unterstellt. Insbesondere in England, aber auch in den USA und Kanada geht die Tendenz dahin, die Geschäftsfähigkeit für Schuldverträge alternativ zum Wohnsitzrecht auch nach dem „proper law of the contract“6 und für sachenrechtliche Verfügungsgeschäfte nach der lex rei sitae7 zu beurteilen. Soweit also englische oder US-amerikanische Jugendliche nach Vollendung des 18. Lebensjahres über deutsches Grundvermögen verfügen oder Verträge in Deutschland schließen, ergibt sich deren volle Geschäftsfähigkeit in der Regel bereits aus der Rückverwei1 Ferid, Rz. 5-27; Kegel/Schurig, § 17 I 2 c; Kropholler, IPR, § 42 I 2; Hausmann in Staudinger, Rz. 114; Thorn in Palandt, Rz. 8; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 22; Lipp in MünchKomm, Rz. 109, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 2 Hausmann in Staudinger, Rz. 115.; Lipp in MünchKomm, Rz. 105, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 3 Vgl. Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 22; Hausmann in Staudinger, Rz. 114; a.A. Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 45 a.E., jeweils zu Art. 7 EGBGB. 4 Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 216 ff.; Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 1; vgl. zuletzt OLG München v. 8.6.2009 – 31 Wx 62/09, FamRZ 2009, 1602 (Togo) und OLG München v. 17.11.2009 – 31 Wx 103/09, FamRZ 2010, 1095 (Sierra Leone). 5 Vgl. BayObLG v. 17.5.1963 – 1 Z 157/62, BayObLGZ 1963, 123 (Dänemark); ferner Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 7, 21 m.w.N. 6 Dicey/Morris/Collins, 15. Aufl. 2012, Rule 228, S. 11865 ff., wonach es ausreicht, wenn die Geschäftsfähigkeit entweder nach der lex domicilii (“domicile or residence“) oder nach dem Recht besteht, mit dem der geschlossene Vertrag am engsten verbunden ist. 7 Dicey/Morris/Collins, 15. Aufl. 2012, Rule 132, S. 1332 f. Vgl. auch Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 8 ff. m.w.N.; ferner IPG 1971 Nr. 12 (München) (Zur Verfügung über kanad. Grundstücke durch in Deutschland domizilierte Minderjährige).

892 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1072 § 6

sung ihres Heimatrechts auf das deutsche Geschäftsstatut1. Ein Rückgriff auf die Verkehrsschutzbestimmung des Art. 13 Rom I-VO (dazu Rz. 6.1160 ff.) erübrigt sich dann.

II. Reichweite des Geschäftsfähigkeitsstatuts 1. Volljährigkeit Der Begriff der Geschäftsfähigkeit in Art. 7 EGBGB ist aufgrund funktionaler Qualifikation grundsätzlich weit zu verstehen und umfasst daher auch Institute des ausländischen Rechts mit dem gleichen Ordnungszweck2. Das Heimatrecht entscheidet insbesondere über die Voraussetzungen, unter denen ein Jugendlicher voll, beschränkt oder überhaupt nicht geschäftsfähig ist. Nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB beurteilt sich also die Fähigkeit zum Vertragsschluss, soweit diese vom Alter und von geistigen Eigenschaften abhängt. Im Einzelnen gehören vor allem die folgenden Fragen hierher:

6.1069

Das Heimatrecht des Jugendlichen bestimmt, in welchem Alter er volljährig und damit unbeschränkt geschäftsfähig wird3. Hängt die Beendigung einer in Deutschland angeordneten Vormundschaft von der Erreichung der Volljährigkeit des ausländischen Mündels ab, so ist dies eine selbständig nach Art. 7 EGBGB anzuknüpfende Vorfrage4.

6.1070

Das Volljährigkeitsalter wird weltweit allmählich herabgesetzt. Dies gilt insbesondere für Europa, wo in den mehr als 40 Mitgliedstaaten des Europarats das Volljährigkeitsalter einheitlich 18 Jahre beträgt, nachdem zuletzt Liechtenstein im Jahre 1999 und Österreich im Jahre 2001 das Volljährigkeitsalter herabgesetzt haben5. Vorsicht ist hingegen vor allem bei Vertragsschlüssen mit jugendlichen Personen aus anderen Kontinenten geboten, wo die Volljährigkeit z.T. erst später erreicht wird. In den einzelnen Rechtsordnungen gilt derzeit folgendes Volljährigkeitsalter6:

6.1071

- Europa

6.1072

18 Jahre in Albanien, Andorra, Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Georgien, Griechenland, Ir-

1 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 23 f. 2 Hausmann in Staudinger, Rz. 40; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 8; Mäsch in BeckOK-BGB, Rz. 17, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 3 OLG Brandenburg v. 20.4.2020 – 9 UF 226/1, BeckRS 2020, 8525 (Rz. 15) und OLG Brandenburg v. 26.4.2016 – 13 UF 40/16, StAZ 2017, 111 Rz. 8; KG v. 13.11.2019 – 3 UF 107/19, FamRZ 2020, 842; OLG Karlsruhe v. 26.8.2015 – 18 UF 92/15, FamRZ 2015, 2182; BayObLG v. 29.3.1995 – 1 Z BR 72/94, FamRZ 1996, 183; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 42. 4 BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, BGHZ 217, 165 Rz. 21 ff. = FamRZ 2018, 457 m. Anm. Hüßtege; OLG Hamm v. 20.2.2018 – 4 UF 243/16, BeckRS 2018, 3993 und OLG Hamm v. 30.1.2015 – 6 UF 155/13, FamRZ 2015, 1635; OLG Brandenburg v. 26.4.2016 – 13 UF 40/16, StAZ 2017, 111 Rz. 13; OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 5 WF 74/15, FamRZ 2015, 1820 Rz. 12 m. Anm. von Hein; OLG Bremen v. 24.5.2012 – 4 UF 43/12, FamRZ 2013, 312; Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 51 und Art. 24 EGBGB Rz. 28; a.A. [Anwendung von Art. 24 EGBGB auf die Vorfrage der Geschäftsfähigkeit] OLG Bremen v. 23.2.2016 – 4 UF 186/15, FamRZ 2016, 990 (Ls.) und OLG Bremen v. 7.2.2017 – 5 UF 99/16, FamRZ 2017, 1227. 5 Vgl. Ferrari/Pfeiler, Die österreichische Reform des Kindschaftsrechts, FamRZ 2002, 1079. 6 Vgl. zum folgenden Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht (Loseblatt; Stand: 2021); Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 7 EGBGB.

Hausmann | 893

§ 6 Rz. 6.1072 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

land, Island, Italien, Kosovo, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Mazedonien, Moldau, Monaco, Montenegro, der Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, der Russischen Föderation, San Marino, Schweden, der Schweiz, Serbien, der Slowakei, Slowenien, Spanien, der Tschechischen Republik, der Türkei, der Ukraine, Ungarn, dem Vereinigten Königreich und Zypern. - Afrika

6.1073

21 Jahre in Ägypten, Benin, Botsuana, Burundi, Cote d’Ivoire, Gabun, Guinea-Bissau, Kamerun, Lesotho, Liberia1, Libyen, Madagaskar, Malawi, Mali, Namibia, Niger, Nigeria, Ruanda, Sambia, Senegal, Südafrika, Swasiland, Togo2 und Tschad; 20 Jahre in Burkina-Faso; 19 Jahre in Algerien3; 18 Jahre in Äquatorialguinea, Äthiopien, Angola, Dschibuti, Eritrea, Gambia4, Ghana, Guinea5, der Kapverdischen Republik, Kenia, Kongo (Republik), Kongo (Volksrepublik), Marokko, Mauretanien, Mauritius, Mosambik, Seychellen, Sierra Leone, Simbabwe, Somalia, Sudan, Tansania, Tunesien und Uganda. - Amerika

6.1074

21 Jahre in Argentinien, Belize, Bermuda, Grenada, Haiti, Honduras, Nicaragua., den Niederländischen Antillen, Suriname und – mit z.T. weitgehenden Ausnahmen für Verträge des täglichen Lebens, die bereits ab Vollendung des 18. Lebensjahres geschlossen werden dürfen – in den USBundesstaaten Colorado, Mississippi und Puerto Rico; 19 Jahre in den kanadischen Provinzen British Columbia, New Brunswick, Newfoundland and Labrador, Northwest Territories, Nova Scotia und Yukon, sowie in den US-Bundesstaaten Alabama und Nebraska; 18 Jahre in Antigua und Barbuda, Bahamas, Barbados, Bolivien, Brasilien, Cayman Islands, Chile, Costa Rica, Dominica, der Dominikanischen Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Guyana,

1 2 3 4 5

OLG Bremen v. 24.5.2012 – 4 UF 43/12, FamRZ 2013, 312. OLG München v. 8.6.2009 – 31 Wx 62/09, FamRZ 2009, 1602. OLG Karlsruhe v. 23.7.2015 – 5 WF 74/15, FamRZ 2015, 1820. KG v. 13.11.2019 – 3 UF 107/19, BeckRS 2019, 43814 (Rz. 49) = FamRZ 2020, 842. OLG Brandenburg v. 20.4.2020 – 9 UF 226/1, BeckRS 2020, 8525 (Rz. 16 ff.); OLG Hamm v. 30.1.2015 – 6 UF 155/13, FamRZ 2015, 1635; a.A. noch OLG Brandenburg v. 26.4.2016 – 13 UF 40/16, StAZ 2017, 111; OLG Bremen v. 23.2.2016 – 4 UF 186/15, BeckRS 2016, 4752.

894 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1076 § 6

Jamaika, Kolumbien, Kuba, Mexiko, Panama, Paraguay, Peru, St. Kitts und Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen, Trinidad und Tobago, Uruguay, Venezuela sowie in den übrigen kanadischen Provinzen (Alberta, Manitoba, Ontario, Prince Edward Island, Quebec, Saskatchewan) und den übrigen US-Bundesstaaten. - Asien und Ozeanien

6.1075

21 Jahre in Bahrain, Fidschi, Kambodscha, Kuwait, Papua-Neuguinea, Singapur, Tonga, Vanuatu und den Vereinigten Arabischen Emiraten; 20 Jahre in China (Taiwan), Japan, Korea (Republik), Neuseeland und Thailand; 18 Jahre in Afghanistan, Australien (einheitlich in allen Gliedstaaten und Territorien), Bangladesch, China (Volksrepublik und Sonderverwaltungsgebiete Hongkong und Macao), Indien, Indonesien1, Irak, Iran, Israel, Jemen, Jordanien, Kambodscha, Kasachstan, Katar, Kirgisistan, Laos, Libanon, Malaysia, Mongolei, Myanmar, Nepal, Oman, Pakistan, Philippinen, der Russischen Föderation, Saudi-Arabien, den Seychellen, Sri Lanka, Syrien, Tadschikistan, Tonga, Turkmenistan, Tuvalu, Usbekistan und Vietnam. In Indien und Pakistan verlängert sich die Minderjährigkeit bis zum 21. Lebensjahr, wenn der Minderjährige unter Vormundschaft steht. 17 Jahre in Korea (Volksrepublik)

2. Geschäftsfähigkeitsstufen Während das deutsche Recht unterhalb der Grenze von 18 Jahren zwei Stufen nach starren Alterskriterien bildet (Geschäftsunfähigkeit bis zum vollendeten 7. Lebensjahr; beschränkte Geschäftsfähigkeit bis zum vollendeten 18. Lebensjahr), bevorzugen andere Rechte flexiblere Lösungen. So können Minderjährige nach englischem Recht Verträge über sog. „necessaries“, sowie „beneficial contracts for service“ auch ohne Zustimmung der Eltern verbindlich abschließen. Andere Verträge sind bis zum Widerruf durch den Minderjährigen wirksam („contracts valid until repudiated“)2. Auch nach US-amerikanischem Recht sind von Minderjährigen geschlossene Verträge zumeist nicht unwirksam, sondern voll wirksam, soweit sie den alltäglichen Bedarf betreffen und im Übrigen allenfalls nach Eintritt der Volljährigkeit anfechtbar („voidable“)3. Geschäfte des täglichen Lebens können Minderjährige auch nach französischem Recht wirksam abschließen4; nach schweizerischem und türkischem Recht kommt es auf die „Urteilsfähigkeit“ des Minderjährigen im konkreten Fall an (Art. 16 ZGB).

1 Vgl. VGH Baden-Württemberg v. 5.2.1992 – 13 S 1479/89, NJW 1992, 3117. 2 Vgl. Menold-Weber, Verträge Minderjähriger und ihre Rückabwicklung nach englischem Recht (1992). 3 Hay, US-amerikanisches Recht, 5. Aufl. 2011, Rz. 308; 42 AmJur 2d, Infants §§ 64 ff. (2000). 4 Vgl. Kötz, Europäisches Vertragsrecht I, S. 151 ff.

Hausmann | 895

6.1076

§ 6 Rz. 6.1077 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.1077

Nach anderen Rechtsordnungen endet die Geschäftsunfähigkeit erst später, so z.B. in Griechenland und Kuba mit 10 Jahren, in Marokko mit 12 Jahren, in Tunesien mit 13 Jahren, in Bulgarien, Rumänien und Ungarn sowie in Russland und den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR mit 14 Jahren, in Brasilien und Peru sogar erst mit 16 Jahren1. Zum Teil wird insoweit auch nach Geschlechtern getrennt, so z.B. in Ecuador, wo beschränkte Geschäftsfähigkeit von Mädchen mit 12, von Knaben erst mit 14 Jahren erreicht wird. Das österreichische Recht und einige lateinamerikanische Rechten sehen zwischen der Geschäftsunfähigkeit und der vollen Geschäftsfähigkeit mehr als eine Zwischenstufe vor2. Auch die Frage, wann ein Minderjähriger beschränkt geschäftsfähig wird und welche Rechtsgeschäfte er dann ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters vornehmen kann (vgl. §§ 107, 165 BGB), beurteilt sich gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB nach seinem Heimatrecht3.

3. Volljährigerklärung und Emanzipation 6.1078

Die vor allem im romanischen Rechtskreis verbreitete Emanzipation eines Minderjährigen bedeutet eine Vorstufe zur vollen Geschäftsfähigkeit; die Minderjährigkeit wird in ihren rechtlichen Wirkungen gemildert, aber es erfolgt keine Volljährigerklärung. Andere Rechtsordnungen – wie z.B. Brasilien, die Niederlande, Österreich oder die Türkei – sehen die Möglichkeit vor, einen Minderjährigen unter gewissen Umständen für volljährig zu erklären4. Als allgemeine Einschränkung (Emanzipation) oder Aufhebung (Volljährigerklärung) der Rechtswirkungen der Minderjährigkeit richten sich diese nach dem Personalstatut des Minderjährigen; es handelt sich insoweit nicht um die Verleihung einer besonderen Geschäftsfähigkeit (dazu Rz. 6.1092 ff.). Eine Emanzipation oder Volljährigerklärung kommt also nur in Frage, wenn sie das Personalstatut kennt5.

6.1079

Das Heimatrecht des Minderjährigen entscheidet auch über die materiellen Wirkungen einer gerichtlichen Volljährigerklärung oder Emanzipation. Ist die Geschäftsfähigkeit mithin durch einen im Heimatstaat ausgesprochenen oder dort anerkannten richterlichen Gestaltungsakt begründet oder erweitert worden, so sind diese Wirkungen gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB auch im Inland zu berücksichtigen6. Die h.M. stellt demgegenüber auf die Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Gerichtsentscheidung im Inland nach Maßgabe von §§ 108, 109 FamFG ab7

4. Heirat macht mündig 6.1080

Zahlreiche ausländische Rechtsordnungen knüpfen an die Eheschließung Minderjähriger die Rechtsfolge der Emanzipation, die teilweise zur vollen Geschäftsfähigkeit führt (so z.B. in Frankreich, vgl. Art. 476 i.V.m. Art. 481 Abs. 1, 216 c.c., oder in Portugal, vgl. Art. 133 ff. c.c.), teilweise aber auch nur eine höhere Stufe der beschränkten Geschäftsfähigkeit begründet (so 1 Hausmann in Staudinger Art. 7 EGBGB Rz. 44. 2 Vgl. die Länderübersicht bei Hausmann in Staudinger, EGBGB Anh. Art. 7. 3 Kegel in Soergel, Rz. 7; Lipp in MünchKomm, Rz. 50; Hausmann in Staudinger, Rz. 45, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 4 Vgl. dazu rechtsvergleichend Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 136 f. 5 Hausmann in Staudinger, Rz. 139; Lipp in MünchKomm, Rz. 73 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 24, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 6 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 144 m.w.N. 7 Vgl. Thorn in Palandt, Rz. 9; Lipp in MünchKomm, Rz. 81; Kegel in Soergel, Rz. 17; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 29, Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 48.jeweils zu Art. 7 EGBGB.

896 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1083 § 6

z.B. in Belgien, vgl. Art. 481 ff. c.c., in Italien, vgl. Art. 394 c.c., in Spanien, vgl. Art. 323 c.c. und in zahlreichen lateinamerikanischen Rechten, z.B. in Bolivien, Chile, der Dominikanischen Republik, Ecuador, El Salvador, Haiti, Kolumbien, Mexiko, Paraguay, Venezuela). In anderen Staaten wird mit der Eheschließung die Volljährigkeit erlangt, so etwa in Finnland (§ 3 Abs. 2 SorgeG), Lettland (Art. 221 Abs. 2 ZGB), Litauen (Art. 2.5 Abs. 2 ZGB), den Niederlanden (Art. 233 B.W.), der Schweiz (Art. 14 Abs. 2 ZGB), der Türkei (Art. 11 Abs. 2 ZGB)1 und – mit Einschränkungen – in Österreich (§ 175 ABGB), ferner in den meisten osteuropäischen Staaten (so z.B. in Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien,, Montenegro, Nordmazedonien, Polen, Rumänien, Serbien, Slowenien der Tschechischen und der Slowakischen Republik, der Russischen Föderation und den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR), in den USA und zahlreichen lateinamerikanischen Staaten (Bolivien, Brasilien, Chile, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Haiti, Kuba, Suriname, Uruguay), sowie zT auch in Asien (Indonesien, Korea [Republik], Neuseeland, Philippinen) und Afrika (Äthiopien, Angola, Botsuana, Burkina Faso, Kamerun, Madagaskar, Mosambik, Senegal, Südafrika, Tunesien, Zaire)2. In manchen Staaten macht Heirat nur mündig bzw. tritt eine gesetzliche Emanzipation nur ein, wenn ein bestimmtes Mindestalter erreicht ist (z.B. 16 Jahre in Bosnien-Herzegowina und Serbien).

6.1081

Da in diesen Fällen die Erweiterung der Geschäftsfähigkeit nur aus Anlass der Eheschließung eintritt, wurde sie schon vor der IPR-Reform von 1986 ganz überwiegend nicht dem Ehewirkungsstatut des Art. 14 EGBGB, sondern dem Geschäftsfähigkeitsstatut unterstellt3. Diese Qualifikation wird durch Art. 7 Abs. 1 S. 2 EGBGB ausdrücklich bestätigt. Wegen der in zahlreichen ausländischen Rechten feststellbaren Tendenz, Ehemündigkeit und Volljährigkeit gleichzuschalten4, verliert der Grundsatz „Heirat macht mündig“ an Bedeutung.

6.1082

5. Teilgeschäftsfähigkeit Auch die Frage, ob ein Minderjähriger für eine bestimmte Art von Rechtsgeschäften kraft Gesetzes als voll geschäftsfähig zu gelten hat, beurteilt sich nach seinem Personalstatut. Demgemäß ist etwa die in § 110 BGB („Taschengeldparagraph“) enthaltene Regelung nur anwendbar, wenn der Minderjährige ein deutsches Personalstatut hat5; hingegen kommt es auf die Frage, ob auch der von ihm geschlossene Vertrag, dem deutschen Recht unterliegt, nicht an. Gleiches gilt für die Fähigkeit des Minderjährigen zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts (sog. Handelsmündigkeit). Für die Erteilung der hierauf gerichteten Ermächtigung bedürfen die Eltern daher nach § 112 BGB der familiengerichtlichen Genehmigung, wenn der

1 Vgl. KG v. 21.6.1991 – 23 W 2989/91, FamRZ 1991, 1456; OLG Düsseldorf v. 25.11.1994 – 22 U 23/94, NJW-RR 1995, 755 f. 2 Vgl. dazu Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 7 EGBGB. 3 Vgl. Kegel in Soergel, 11. Aufl., Art. 7 EGBGB Rz. 7; Beitzke in Staudinger, 12. Aufl., Art. 7 EGBGB Rz. 22; ferner IPG 1973 Nr. 1 (Freiburg) (Fähigkeit der durch Heirat emanzipierten minderjährigen italien. Ehefrau zum Vertragsschluss in Deutschland gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB nach italien. Recht beurteilt). 4 So z.B. in Belgien (Art. 144 und 488 c.c.), in den Niederlanden (Art. 31 Abs. 1 und Art. 233 Buch 1 B.W.) sowie in der Schweiz (vgl. Art. 14 und 96 ZGB); vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 62. 5 Lipp in MünchKomm, Rz. 53; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 9; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 27; Hausmann in Staudinger, Rz. 46 f., jeweils zu Art. 7 EGBGB.

Hausmann | 897

6.1083

§ 6 Rz. 6.1083 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Minderjährige die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, nicht hingegen wenn ein junger Türke in Deutschland ein solches Geschäft betreiben möchte1.

6.1084

Besonders große praktische Bedeutung haben Fragen der Geschäftsfähigkeit beim Abschluss von Arbeits- und Lehrverträgen. Während teilweise auch hierfür die allgemeinen Regeln über Vertragsschlüsse durch Minderjährige gelten, setzen zahlreiche Rechtsordnungen entweder generell eine niedrigere Altersgrenze für die Arbeitsvertragsfähigkeit fest oder sehen – wie das deutsche Recht in § 113 BGB – eine Teilgeschäftsfähigkeit aufgrund einer Generalermächtigung durch die Eltern vor2. Auch die Arbeitsvertragsfähigkeit des Minderjährigen ist Teil seiner allgemeinen Geschäftsfähigkeit und unterliegt daher dem Recht des Staates, dem er angehört. Ausländer, die nach ihrem Heimatrecht arbeitsvertragsfähig sind, können sich demnach gültig verpflichten, auch wenn die Arbeit in Deutschland zu leisten ist und wenn sie es nach deutschem Recht nicht könnten3.

6.1085

Andererseits gilt auch hinsichtlich der Arbeitsvertragsfähigkeit zum Schutz des inländischen Rechtsverkehrs die Vorschrift des Art. 13 Rom I-VO (dazu näher Rz. 6.1160 ff.), so dass der Abschluss eines Arbeitsvertrages mit einem ausländischen Minderjährigen im Inland ohne Rücksicht auf den Standpunkt seines Heimatrechts wirksam ist, wenn die Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 BGB vorliegen und der Arbeitgeber gutgläubig ist4.

6. Prozessfähigkeit 6.1086

Da es sich bei der Prozessfähigkeit um eine Prozessvoraussetzung handelt, liegt es nahe, auch insoweit den im IZPR geltenden Grundsatz der lex fori zu bemühen und die Prozessfähigkeit von Ausländern nach Maßgabe der §§ 51, 52 ZPO zu beurteilen. Entsprechend dem in diesen Vorschriften zum Ausdruck kommenden Verständnis der Prozessfähigkeit als prozessualer Seite der materiell-rechtlichen Geschäftsfähigkeit hinge die Prozessfähigkeit einer Person von ihrer nach dem Personalstatut (Art. 5 EGBGB) zu beurteilenden Geschäftsfähigkeit ab. Prozessfähig wäre sonach ein Deutscher, wenn er nach deutschem Recht, ein Ausländer, wenn er nach seinem Heimatrecht geschäftsfähig ist5.

6.1087

Indessen fallen weder im deutschen noch im ausländischen Recht Prozessfähigkeit und Verpflichtungsfähigkeit notwendig zusammen. Daher ist im Anschluss an Pagenstecher6 von einer besonderen verfahrensrechtlichen Kollisionsnorm auszugehen, wonach ein Ausländer in Deutschland insoweit prozessfähig ist, als er für ein entsprechendes Verfahren nach seinem Heimatrecht prozessfähig wäre. Ist ein Ausländer also nach seinem Heimatrecht prozessfähig, so ist er es – unabhängig davon, ob er (voll) geschäftsfähig ist – auch für das inländische Ver-

1 AG Moers v. 20.8.1997 – 2 X 97/97, BeckRS 1997, 11639 = DAVorm 1997, 925. 2 S. hierzu den rechtsvergleichenden Überblick bei Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht (1959), S. 76 ff. 3 Gamillscheg, Internationales Arbeitsrecht (1959), S. 79; Lipp in MünchKomm, Rz. 53 f., 68; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 25, 27; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 9, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 4 Vgl. BVerwG v. 18.4.1972 – I B 6271, IPRspr. 1972 Nr. 2; Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 49 m.w.N. 5 BGH v. 7.12.1955 – IV ZR 177/55, BGHZ 19, 240 = JZ 1956, 535 m. Anm. Neuhaus; KG v. 21.6.1991 – 23 W 2989/91, FamRZ 1991, 1456; LG Zwickau v. 22.3.1995 – 6 T 17/95, BB 1995, 1664; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 55 ZPO Rz. 1; Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 4. 6 Pagenstecher, FS Raape, S. 249 ff. und ZZP 64 (1950/51), 276 ff.

898 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1090 § 6

fahren1. Der inländische Rechtsverkehr wird freilich gegenüber der Prozessunfähigkeit von nach deutschem Recht prozessfähigen Personen nach Maßgabe von § 55 ZPO geschützt2.

III. Einfluss des Wirkungsstatuts 1. Erfordernis und Grad der Geschäftsfähigkeit Während die anglo-amerikanische Rechtspraxis bei der Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit in erster Linie von dem konkret geschlossenen Rechtsgeschäft ausgeht und dementsprechend auch die Fähigkeit zum Abschluss eines Vertrages überwiegend nach dem Vertragsstatut beurteilt, steht in den kontinental-europäischen Rechten das Bedürfnis nach einer einheitlichen Behandlung der Geschäftsfähigkeit im Vordergrund. Dieser Anschauung entspricht es, die Geschäftsfähigkeit – wie in Art. 7 EGBGB – als selbständig anzuknüpfende Teilfrage vom Wirkungsstatut des Geschäfts abzuspalten. Das Wirkungsstatut behält gleichwohl seine Bedeutung für folgende Fragen:

6.1088

Ob für ein Rechtsgeschäft, insbesondere für den Abschluss eines Vertrages, überhaupt Geschäftsfähigkeit erforderlich ist, bestimmt auch nach deutschem IPR allein das Wirkungsstatut, bei Verträgen also das Vertragsstatut und bei sachenrechtlichen Verfügungen die jeweilige lex rei sitae3. Auch der Zeitpunkt, zu dem die Geschäftsfähigkeit vorliegen muss, wird durch die lex causae bestimmt4.

6.1089

Demgegenüber richtet sich die Frage, welcher Grad an Geschäftsfähigkeit für die Vornahme einer bestimmten Rechtshandlung erforderlich ist, nicht nach dem Wirkungsstatut, sondern nach dem Fähigkeitsstatut des Art. 7 EGBGB, der den Umfang des Minderjährigenschutzes dem Heimatrecht überlässt5. Es kommt also darauf an, dass die Person nach ihrem von Art. 7 EGBGB zur Anwendung berufenen Heimatrecht den für das konkret abzuschließende Rechtsgeschäft hinreichenden Grad an Geschäftsfähigkeit besitzt. Ein minderjähriger Deutscher kann daher einen Schuldvertrag, der ihm nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt, auch dann nicht wirksam selbst abschließen, wenn er nach dem Vertragsstatut die hierfür erforderliche Geschäftsfähigkeit besitzt. Verlangt umgekehrt das Wirkungsstatut volle Geschäftsfähigkeit, während sich das deutsche Recht mit beschränkter Geschäftsfähigkeit begnügt, so ist das von einem deutschen Minderjährigen ohne Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter geschlossene Rechtsgeschäft wirksam.

6.1090

1 So die h.L., vgl. Kegel in Soergel, Art. 7 EGBGB Rz. 9; Geimer, Rz. 2217 f.; Schack, Rz. 535; Bork in Stein/Jonas, § 55 ZPO Rz. 1; Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 55 ZPO Rz. 2 m.w.N. 2 Vgl. OLG Oldenburg v. 23.2.1982 – 4 UF 83/81, IPRspr. 1982 Nr. 89; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 122 f. 3 Hausmann in Staudinger, Rz. 56; Thorn in Palandt, Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 13; Kegel in Soergel, Rz. 8, jeweils zu Art. 7 EGBGB; a.A. (Geschäftsfähigkeitsstatut) Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 47. 4 BayObLG v. 5.7.2002 – 1Z BR 45/01, NJW 2003, 216 (218); Hausmann in Staudinger, Rz. 57; Kegel in Soergel, Rz. 11; a.A. (Geschäftsfähigkeitsstatut) Lipp in MünchKomm, Rz. 47, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 5 Zur Begründung näher Hausmann in Staudinger, Rz. 59; Lipp in MünchKomm, Rz. 46 f.; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 20, jeweils zu Art. 7 EGBGB; zust. BayObLG v. 5.7.2002 – 1Z BR 45/01, NJW 2003, 216; a.A. Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 14; Kegel/Schurig, § 17 I 2.

Hausmann | 899

§ 6 Rz. 6.1091 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.1091

Dies gilt entsprechend auch für einen kollisionsrechtlichen Verweisungsvertrag. Auch insoweit hat das Geschäftsfähigkeitsstatut des Art. 7 EGBGB Vorrang vor dem Geschäftsstatut (Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Rom I-VO); damit wird dem Minderjährigen die Möglichkeit genommen, die für den Abschluss des Verweisungsvertrages erforderliche Geschäftsfähigkeit durch eine entsprechende Rechtswahl selbst herbeizuführen1. Die von einem deutschen Minderjährigen in einem Schuldvertrag getroffene Wahl eines ausländischen Vertragsstatuts ist daher – als nicht nur rechtlich vorteilhaft – nach § 108 BGB schwebend unwirksam. Auf den Standpunkt des gewählten Rechts zur Wirksamkeit des Vertrages kommt es insoweit nicht an2.

2. Besondere Geschäftsfähigkeiten a) Begriff

6.1092

Da es vom Wirkungsstatut abhängt, ob es auf Geschäftsfähigkeit überhaupt ankommt, kann das Wirkungsstatut auch von der Bezugnahme auf die allgemeine Geschäftsfähigkeit absehen und statt dessen für bestimmte Rechtsgeschäfte besondere Geschäftsfähigkeiten normieren, indem es solche Rechtsgeschäfte unter erleichterten oder nur unter erschwerten Voraussetzungen zulässt3. Die besondere Geschäftsfähigkeit unterscheidet sich dabei von der allgemeinen dadurch, dass ihr sachlicher Anwendungsbereich auf ein bestimmtes Rechtsgebiet beschränkt ist. b) Wechsel- und Scheckrecht

6.1093

So ist die Fähigkeit zur Eingehung von Wechselverbindlichkeiten in Art. 91 WG teilweise abweichend von Art. 7 EGBGB geregelt. Nach Art. 91 Abs. 1 WG bestimmt sich zwar die Fähigkeit einer Person, eine Wechselverbindlichkeit einzugehen, ebenfalls nach dem Recht des Landes, dem sie angehört. Erklärt dieses Recht jedoch das Recht eines anderen Landes für maßgebend, so ist – anders als nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB, der eine mehrfache Weiterverweisung zulässt – zwingend das Sachrecht des Staates anzuwenden, auf das erstmals weiterverwiesen wird. Ferner wird, wer nach dem von Art. 91 Abs. 1 WG bezeichneten Rechte nicht wechselfähig ist, gem. Abs. 2 aus einem Wechsel gleichwohl gültig verpflichtet, wenn die Unterschrift in dem Gebiet eines Landes abgegeben worden ist, nach dessen Recht er wechselfähig wäre. Diese Vorschrift findet allerdings keine Anwendung, wenn die Verbindlichkeit von einem Inländer im Ausland übernommen worden ist. Eine mit Art. 91 WG wörtlich übereinstimmende Regelung für die Scheckfähigkeit enthält Art. 60 ScheckG. c) Börsenrecht

6.1094

Seit der Reform durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz vom 21.6.2002 verzichtet das deutsche Börsenrecht auf Sonderregeln über die Börsentermingeschäftsfähigkeit, sondern schützt den Anleger mit Hilfe von Informations- und Beratungspflichten, die den Anbieter börsennotierter Papiere treffen. Soweit es auf die Börsentermingeschäftsfähigkeit danach überhaupt noch ankommt, beurteilt sich diese heute nach dem Wirkungsstatut, mangels Rechtswahl also nach dem Recht am Börsenort4. Kennt dieses – wie das geltende deutsche Börsenrecht (vgl. nunmehr § 99 WpHG) – keine Sonderregeln für die Börsentermingeschäftsfähigkeit, 1 Zutr. von Bar/Mankowski, Bd. II § 6 Rz. 32; Lipp, in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 33. 2 OLG Hamm v. 23.11.1995 – 22 U 227/94, NJW-RR 1996, 1144; juris-PK/Ludwig Art. 7 EGBGB Rz. 15; a.A. von Bar, Bd. II Rz. 41. 3 Hausmann in Staudinger, Rz. 61 ff.; Kegel in Soergel, Rz. 8; Lipp in MünchKomm, Rz. 39, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 4 Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I-VO Rz. 515.

900 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1096 § 6

sondern lässt es auch hierfür die allgemeine Geschäftsfähigkeit ausreichen, so ist diese Teilfrage nach Art. 7 EGBGB anzuknüpfen1. d) Familien- und Erbrecht Besondere Geschäftsfähigkeiten spielen ferner vor allem auf dem Gebiet der familien- und erbrechtlichen Verträge eine wichtige Rolle. So unterliegt etwa die Fähigkeit zum Abschluss von Eheverträgen dem Güterrechtsstatut (Art. 27 lit. g EuGüVO bzw. Art. 15 EGBGB), die Fähigkeit zum Abschluss von Erb- oder Erbverzichtsverträgen dem hypothetischen Erbstatut zur Zeit des Vertragsschlusses (Art. 25 Abs. 1 i.V.m. Art. 26 Abs. 1 lit. a EuErbVO), soweit nach diesen Rechten Sonderregeln gelten2. Begnügt sich das Wirkungsstatut hingegen mit der allgemeinen – vollen oder beschränkten – Geschäftsfähigkeit, so wird diese für jeden Vertragsteil gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB nach seinem Heimatrecht beim Vertragsschluss beurteilt3. Entsprechende Grundsätze gelten auch für die Ehefähigkeit (Art. 13 EGBGB) und die Erb- bzw. Testierfähigkeit (Art. 26 Abs. 1 lit. a und lit. b EuErbVO)4. Allerdings hat das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17.7.20175 in Art. 13 Abs. 3 EGBGB n.F. die Anknüpfung der Ehemündigkeit an das Heimatrecht erheblich eingeschränkt6.

6.1095

3. Folgen mangelnder Geschäftsfähigkeit Fehlt dem Jugendlichen die für den wirksamen Abschluss eines Vertrages erforderliche Geschäftsfähigkeit, so beurteilen sich auch die Rechtsfolgen nach dem von Art. 7 Abs. 1 EGBGB zur Anwendung berufenen Heimatrecht. Denn der wesentliche Zweck der Sonderanknüpfung nach Art. 7 EGBGB ist es gerade, den Schutz Minderjähriger nach Maßgabe von deren Heimatrecht – unabhängig vom jeweiligen Wirkungsstatut des Geschäfts – zu respektieren. Ein wesentlicher Aspekt dieses Minderjährigenschutzes besteht aber darin, die Rechtsfolgen eines Vertrages festzulegen, den eine nicht voll geschäftsfähige Person selbst abgeschlossen hat. Hinzu kommt, dass den von Land zu Land noch immer sehr unterschiedlichen Abstufungen der Geschäftsfähigkeit (Rz. 6.1076 f.) jeweils ganz bestimmte Rechtsfolgen entsprechen, so dass nur durch eine Sonderanknüpfung dieser Rechtsfolgen an das Heimatrecht des Handelnden schwierige Anpassungsprobleme vermieden werden können7.

1 So schon bisher für den Fall, dass der Schuldner sich mangels hinreichender Inlandsbeziehung i.S.v. § 61 Nr. 2, 3 BörsG 1998 nicht auf § 53 BörsG 1998 berufen konnte, OLG Frankfurt v. 19.12.1996 – 16 U 47/95, NJW-RR 1997, 810. 2 Thorn in Palandt, Rz. 3; Hausmann in Staudinger, Rz. 63 und 70, jeweils zu Art. 7 EGBGB m.w.N. 3 Vgl. Mäsch in BeckOK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 31; Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 69; zur Ehevertragsfähigkeit Kegel/Schurig, IPR § 20 VI 3; zur Erbvertragsfähigkeit Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 70, 70a m.w.N. 4 Kegel in Soergel, Rz. 4, 8; Lipp in MünchKomm, Rz. 69; Hausmann in Staudinger, Rz. 62, 68 f., jeweils zu Art. 7 EGBGB. 5 BGBl. I 2017, 2429. 6 Vgl. dazu Coester-Waltjen, IPRax 2017, 429 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 62a. 7 Reithmann, DNotZ 1967, 232 (238); Lipp, FS Kühne (2009), S. 765 (773); Baetge, IPRax 1996, 185 (187); Spellenberg, IPRax 2013, 466 (467 f.); Hausmann in Staudinger, Rz. 88 ff.; Lipp in MünchKomm, Rz. 55 ff.; Kegel in Soergel, Rz. 7; Thorn in Palandt, Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 14; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 28, jeweils zu Art. 7 EGBGB; Kropholler, IPR, § 42 I 1; vgl. auch OLG Hamm v. 23.11.1995 – 22 U 227/94, NJW-RR 1996, 1144; a.A. (arg. Art. 32 Abs. 1 Nr. 5 EGBGB/Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO) OLG Düsseldorf v. 25.11.1994 – 22 U 23/94, NJW-RR 1995, 755 (756) = IPRax 1996, 189 (m. abl. Anm. Baetge, IPRax 1996, 185).

Hausmann | 901

6.1096

§ 6 Rz. 6.1097 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

6.1097

Demgemäß entscheidet das von Art. 7 EGBGB zur Anwendung berufene Heimatrecht – und nicht das Vertragsstatut – darüber, ob ein von einer nicht voll geschäftsfähigen Person geschlossener Vertrag nichtig, schwebend unwirksam oder anfechtbar ist, und ob dieser Mangel – wie z.B. nach § 110 BGB – durch Erfüllung geheilt werden kann1. Bei einem schwebend unwirksamen Rechtsgeschäft regelt das Heimatrecht ferner, auf welche Weise das Geschäft noch wirksam werden kann, ob etwa eine nachträgliche Genehmigung durch den gesetzlichen Vertreter möglich und wem gegenüber und in welcher Frist sie zu erklären ist2. Ferner entscheidet das Heimatrecht auch darüber, ob der andere Teil an das Geschäft mit einem Minderjährigen gebunden ist und unter welchen Voraussetzungen er sich – z.B. durch Widerruf – von dieser Bindung lösen kann.

6.1098

Ist der Vertrag wegen fehlender Geschäftsfähigkeit des Handelnden nach seinem Heimatrecht unwirksam, so beurteilt sich die Rückabwicklung nicht nach Art. 7 EGBGB, sondern nach dem Wirkungsstatut; dies folgt für Schuldverträge aus Art. 12 Abs. 1 lit. e Rom I-VO und Art. 10 Abs. 1 Rom II-VO3. Für eine Anwendung des Heimatrechts des Minderjährigen auf den Kondiktionsanspruch zur Rückabwicklung des wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit unwirksamen Vertrages besteht kein Grund, weil es für das Statut der ungerechtfertigten Bereicherung irrelevant ist, aus welchem Grund die causa fehlt4. Für die Rückabwicklung von sachenrechtlichen Verfügungen gilt entsprechend die lex rei sitae.

6.1099

Wer gesetzlicher Vertreter ist und welche Befugnisse er hat, bestimmt hingegen weder das Vertragsstatut noch das Heimatrecht des Jugendlichen, sondern diejenige Rechtsordnung, welche die elterliche Sorge bzw. Vormundschaft oder Pflegschaft beherrscht5. Dieses Vertretungsstatut regelt auch, ob das von dem gesetzlichen Vertreter geschlossene Geschäft für und gegen den Minderjährigen wirkt. Die gesetzliche Vertretung eines Minderjährigen beurteilt sich seit dem 1.1.2011 nach Art. 16, 17 KSÜ; danach ist grundsätzlich das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Minderjährigen maßgebend (näher Rz. 6.1128 ff.).

6.1100

Im Übrigen gilt für die Abgrenzung von Geschäftsfähigkeits-, Wirkungs- und Vertretungsstatut folgendes: Das Geschäftsfähigkeitsstatut entscheidet nur darüber, ob eine Person die für den Abschluss des in Rede stehenden Vertrages erforderliche Fähigkeit besitzt. Ist sie dazu wegen ihrer Minderjährigkeit nicht in der Lage, so ist das Wirkungsstatut des Geschäfts dafür maßgeblich, ob die mangelnde Geschäftsfähigkeit durch die Einschaltung Dritter behoben

1 Hausmann in Staudinger, Rz. 91; Lipp in MünchKomm, Rz. 58; Thorn in Palandt, Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 14; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 28, jeweils zu Art. 7 EGBGB; Kropholler, IPR § 42 I 1; a.A. OLG Düsseldorf v. 25.11.1994 – 22 U 23/94, NJW-RR 1995, 755 (756). 2 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 91. 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 25.11.1994 – 22 U 23/94, NJW-RR 1995, 755 (756); Baetge, IPRax 1996, 185 (187 f.); Hausmann in Staudinger, Rz. 92; Thorn in Palandt, Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 15; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 29, jeweils zu Art. 7 EGBGB; vgl. auch OGH Fürstentum Liechtenstein v. 14.7.2010 – 7 Ob 50/10v, IPRax 2013, 447 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2013, 466); a.A. [Heimatrecht als „Vernichtungsstatut“] von Bar, Bd. II Rz. 44; Lipp, FS Kühne (2009), S. 765 (776 f.); Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 60 f. 4 Baetge, IPRax 1996, 185 (187). 5 OLG Brandenburg v. 26.4.2016 – 13 UF 40/16, StAZ 2017, 111 Rz. 15; OLG Bremen v. 23.2.2016 – 4 UF 186/15, BeckRS 2016, 4752 = FamRZ 2016, 990 (Ls.); OLG Hamm v. 30.1.2015 – 6 UF 155/ 13, FamRZ 2015, 1635; OLG Köln v. 22.9.2000 – 6 U 19/96, ZUM 2000, 166; Thorn in Palandt, Rz. 5; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 16; Lipp in MünchKomm, Rz. 63, jeweils zu Art. 7 EGBGB.

902 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1102 § 6

werden kann. Dem Wirkungsstatut ist mithin zu entnehmen, ob ein Minderjähriger bei dem in Rede stehenden Geschäft überhaupt wirksam vertreten werden kann1. Ist eine gesetzliche Vertretung hiernach zulässig, so regelt hingegen das Vertretungsstatut, ob bei Vertretung durch die Eltern die Zustimmung eines Elternteils genügt oder ob beide zustimmen müssen2 und ob die Eltern allein handeln können oder zusätzlich einer familiengerichtlichen Genehmigung bedürfen (vgl. dazu näher Rz. 6.1148 ff. m. Nachw.). Auch die Berechtigung des gesetzlichen Vertreters zum Selbstkontrahieren ist dem Vertretungsstatut zu entnehmen3. Dies gilt nicht nur bei Geschäften zwischen Eltern und Kind, sondern auch bei Geschäften, die die Eltern als gesetzliche Vertreter des Kindes mit Dritten abschließen. Können die Eltern das Geschäft nach dem Vertretungsstatut ohne familiengerichtliche Genehmigung abschließen, während eine solche nach dem Heimatrecht des Minderjährigen erforderlich ist, empfiehlt sich allerdings die zusätzliche Einhaltung der strengeren Voraussetzungen nach dessen Heimatrecht4.

6.1101

4. Verfügungsmacht Die Verfügungsbefugnis ist auch internationalprivatrechtlich von der Geschäftsfähigkeit zu trennen. Mangelnde Verfügungsmacht ist nicht Mangel an persönlicher Fähigkeit, sondern Mangel im Recht. Die Verfügungsmacht beurteilt sich daher nicht nach dem Personalstatut des Verfügenden, sondern grundsätzlich nach derjenigen Rechtsordnung, der das Recht untersteht, über das verfügt werden soll5. Häufig ergeben sich freilich Verfügungsbeschränkungen auch aus anderen Rechtsbeziehungen, denen der Verfügende unterliegt, z.B. aus dem ehelichen Güterrecht, dem Recht der allgemeinen Ehewirkungen, dem Erb- oder Insolvenzrecht; sie unterliegen dann dem auf diese Rechtsbeziehungen jeweils anwendbaren Recht6.

IV. Gesetzliche Vertretung Minderjähriger Literatur: 1. Allgemein: Andrae, Zum interlokalen und internationalen Privatrecht des Minderjährigenschutzes, IPRax 1992, 117; Andrae, Zur Abgrenzung des räumlichen Anwendungsbereichs von EheVO, MSA, KSÜ und autonomem IZPR/IPR, IPRax 2006, 82; Boulanger, Les rapports juridiques entre parents et enfants. Perspectives comparatistes et internationales (Paris 1998); Breuer, Gemeinsame elterliche Sorge – Geltung für ausländische Staatsangehörige in Deutschland, FPR 2005, 74; Büren, Das auf die Regelung der elterlichen Sorge anzuwendende Recht (2010); Dutta, Die Inzidentprüfung der elterlichen Sorge bei Fällen mit Auslandsberührung, StAZ 2020,193; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Teil F; Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfahrensrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 5 A; Jaspersen,

1 Hausmann in Staudinger, Rz. 95, 97; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 30; Stürner in Erman, Art. 7 EGBGB Rz. 16 a.E.; a.A. (Geschäftsfähigkeitsstatut) Lipp in MünchKomm, Rz. 62, jeweils zu Art. 7 EGBGB. 2 BayObLG v. 17.11.1967 – BReg. 1a Z 39/67, BayObLGZ 1967, 443 (451) = FamRZ 1969, 44; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 95; a.A. (Geschäftsfähigkeitsstatut) von Bar, Bd. II Rz. 42. 3 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 95. 4 von Hoffmann/Thorn, § 7 Rz. 8; Hausmann in Staudinger, Rz. 98; Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 62 („Gebot praktischer Klugheit“); a.A. von Bar, Bd. II Rz. 44; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 30. 5 Hausmann in Staudinger, Rz. 80; Kegel in Soergel, Rz. 8; Lipp in MünchKomm, Rz. 72, jeweils zu Art. 7 EGBGB. Zu eherechtlichen Verfügungsbeschränkungen näher Rz. 6.849 ff. 6 Vgl. zum Ehegüterrecht Rz. 6.849 ff., zu den allgemeinen Ehewirkungen Rz. 6.795 ff., zum Insolvenzrecht Rz. 6.590 ff., 6.662 ff.

Hausmann | 903

6.1102

§ 6 Rz. 6.1102 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung in Fällen mit Auslandsbezug, FamRZ 1996, 393; Kropholler, Das IPR der Kindschaftswirkungen im Lichte der europäischen Rechtsentwicklung, RabelsZ 59 (1995), 407; Looschelders, Fortbestand oderVerlust der elterlichen Sorge bei Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts, IPRax 2014,152; Martiny, Elterliche Verantwortung und Sorgerecht im ausländischen Recht, FamRZ 2012, 1765; Schulz, Internationale Regelungen zum Sorge- und Umgangsrecht, FamRZ 2003, 336; Schulz, Die Neufassung der Brüssel IIa-VO, FamrRZ 2020, 1141; Sturm/Sturm, Die gesetzliche Vertretung minderjähriger Kinder nach neuem IPR, StAZ 1987, 181; U. Wolf, „Gesetzliche Gewaltverhältnisse“, ordre public und Kindeswohl im IPR, FamRZ 1993, 874; Volken, Die internationale Vermögenssorge für Minderjährige, in Festg. Schnyder (1995), S. 817; Winkel, Grenzüberschreitendes Sorge- und Umgangsrecht und dessen Vollstreckung (2001). 2. Haager KSÜ: Benicke, Haager Kinderschutzübereinkommen, IPRax 2013, 44; Bucher, La Dix-huitième session de la Conférence de La Haye de droit international privé, SZIER 1997, 67; Bucher, L´ enfant en droit international privé (Paris 2003); Clive, The New Hague Convention on Children, Jur. Rev. 1998, 169; Coester, Sorgerechtsstreitigkeiten unter dem KSÜ – erste Entscheidung des BGH, FF 2011, 285; Finger, Die Haager Übereinkommen zum Schutz von Kindern, ZKJ 2008, 353; Finger, Das Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) vom 15.10.1996, FamRBInt 2010, 95; Gärtner, Elterliche Sorge bei Personenstandsfällen mit Auslandsbezug – Änderungen durch das Inkrafttreten des Kinderschutzübereinkommens, StAZ 2011, 65; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2018, Kap. F und N; Heiderhoff, Keine Rückwirkung des Art. 16 Abs. 3 KSÜ, IPRax 2015, 326; Iterson, The New Hague Convention on the Protection of Children: A view from the Netherlands, Rev.dr.unif. 1997, 474; Krah, Das Haager Kinderschutzübereinkommen (2004); Kropholler, Das Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996 – Wesentliche Verbesserungen im Minderjährigenschutz, FS Siehr (2000), S. 379; Lagarde, La nouvelle convention de La Haye sur la protection des mineurs, Rev.crit.d.i. p. 86 (1997), 217; Lowe, The 1996 Hague Convention on the protection of children – a fresh appraisal, Child and Family L.Q. (2002), 191; Nygh, The Hague Convention on the Protection of Children, N.I. L.R 1998, 1; Picone, La nuova convenzione dell´Aja sulla protezione dei minori, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 705; Pirrung, Das Haager Kinderschutzübereinkommen vom 19. Oktober 1996, FS Rolland (1999), S. 277; Pirrung, Haager Kinderschutzübereinkommen und Verordnungsentwurf „Brüssel IIa“, FS Jayme (2004) Bd. I, S. 701; Rauscher, Haager Kinderschutzübereinkommen und Auswanderungsmotive in der Sorgerechtsregelung, NJW 2011, 2332; Roth/Döring, Das Haager Abkommen über den Schutz von Kindern, JBl. 1999, 758; Roth/Döring, Zur geplanten Revision des Haager MSA von 1961, FuR 1999, 195; Schulz, Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996: im Westen nichts Neues, FamRZ 2006, 1309; Schulz, Inkrafttreten des Haager Kinderschutzübereinkommens vom 15.10.1996, FamRZ 2011, 156; Siehr, Die Rechtslage der Minderjährigen im internationalen Recht und die Entwicklung in diesem Bereich, FS Schnyder (1995), S. 1047; Siehr, Das neue Haager Übereinkommen von 1996 über den Schutz von Kindern, RabelsZ 62 (1998), 464; Siehr, Das neue Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996, DeuFamR 2000, 125; Silberman, The 1996 Convention for the Protection of Children: A Perspective from the United States, FS Siehr (2000), S. 703; Teixeira de Sousa, Ausgewählte Probleme aus dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 und des Haager Übereinkommens vom 19.10.1996 über den Schutz von Kindern, FamRZ 2005, 1612; Volken, Die internationale Vermögenssorge für Minderjährige, FS Schnyder (1995), S. 817; Wagner/Janzen, Die Anwendung des Haager Kinderschutzübereinkommens in Deutschland, FPR 2011, 110.

1. Rechtsquellen a) Staatsverträge

6.1103

Auf dem gesamten Gebiet der elterlichen Verantwortung und damit auch der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger in vermögensrechtlichen Angelegenheiten durch die Eltern hat die autonome Kollisionsregel des Art. 21 EGBGB nur noch eine eingeschränkte Funktion, weil sich sowohl das auf die elterliche Verantwortung kraft Gesetzes anwendbare Recht als auch die Anknüpfung der zur Abänderung oder Ergänzung des gesetzlichen Sorgerechtsverhältnisses zu treffenden gerichtlichen Schutzmaßnahmen in weitem Umfang nach vorrangigen (vgl. 904 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1107 § 6

Art. 3 Nr. 2 EGBGB) staatsvertraglichen Normen bestimmen 1. Dies gilt in noch stärkerem Maße für die gesetzliche Vertretung Minderjähriger durch einen Vormund oder (Ergänzungs)Pfleger. Ganz im Vordergrund steht heute das Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) vom 19.10.19962, das für die Bundesrepublik Deutschland am 1.1.2011 in Kraft getreten ist3. Da es sich bei den Kollisionsnormen des KSÜ um eine „loi uniforme“ handelt, die auch dann zur Anwendung kommt, wenn auf das Recht eines Nichtvertragsstaats verwiesen wird (Art. 20 KSÜ), ist das internationale Privatrecht der elterlichen Verantwortung für Maßnahmen, die nach dem 1.1.2011 von einem deutschen Gericht getroffen werden (Art. 53 Abs. 1 KSÜ; Rz. 6.1119), vorrangig dem Kapitel III (Art. 15, 18, 20 ff.) dieses Übereinkommens zu entnehmen. Gleiches gilt für die Beurteilung der kraft Gesetzes (oder kraft Vereinbarung) bestehenden elterlichen Verantwortung gem. Art. 16, 17 KSÜ (Rz. 6.1134 ff.) sowie des Verkehrsschutzes bei Rechtsgeschäften, die ein gesetzlicher Vertreter des Kindes mit einem Dritten abschließt (Art. 19 KSÜ; Rz. 6.1160).

6.1104

Auch das Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA) vom 5.10.19614 enthält in Art. 2 und Art. 4 Abs. 2 Kollisionsregeln für die Anordnung von Schutzmaßnahmen, die – wie Art. 15 Abs. 1 KSÜ – am Gleichlaufgrundsatz orientiert sind. Demgegenüber wird die Anwendbarkeit von Art. 3 MSA auf die Beurteilung von gesetzlichen Gewaltverhältnissen ohne Bezug zur Anordnung von Schutzmaßnahmen überwiegend abgelehnt5. Auf dem Gebiet des Kollisionsrechts wird das MSA jedoch gem. Art. 51 KSÜ im Verhältnis der Vertragsstaaten des KSÜ zueinander durch das KSÜ ersetzt. Das MSA hat daher aus deutscher Sicht – nach Inkrafttreten des KSÜ für Italien am 1.1.2016 und die Türkei am 1.2.20176 – heute nur noch kollisionsrechtliche Bedeutung im Verhältnis zur chinesischen Sonderverwaltungsregion Macau. Diese Bedeutung ist ferner auf die Anordnung von Schutzmaßnahmen und deren Wirkungen begrenzt.

6.1105

Soweit die gesetzliche Vertretung eines Minderjährigen durch einen Vormund in Betracht kam, war im Verhältnis zu Belgien zuletzt noch das Haager Abkommen zur Regelung der Vormundschaft über Minderjährige vom 12.6.19027 anwendbar; dieses Abkommen ist allerdings bereits mit Wirkung zum 1.6.2009 außer Kraft getreten8. Auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung von Sorgerechtsentscheidungen ist schließlich noch das Luxemburger Europäische Übereinkommen vom 20.5.19809 zu beachten.

6.1106

Im deutsch-iranischen Verhältnis hat das durch Protokoll vom 4.11.195410 wieder in Kraft gesetzte und auch nach der iranischen Revolution von 1979 fortgeltende deutsch-iranische Nie-

6.1107

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Dazu näher Hausmann, IntEuFamR F Rz. 596 ff. BGBl. II 2009, 603 = Jayme/Hausmann, Nr. 53. RGBl. II 1930, 1006. BGBl. II 1971, 217 = Jayme/Hausmann, Nr. 52. Für die Praxis grundlegend BGH v. 2.5.1990 – XII ZB 63/89, BGHZ 111, 199 (205 ff.) = NJW 1990, 3073. Vgl. zum früheren Recht öOGH v. 28.8.2013 – 6 Ob 138/13g, IPRax 2015, 574 m. Anm. Odendahl. RGBl. 1904, 240. Bek. v. 19.2.2009, BGBl. II 2009, 290. BGBl. II 1990, 220 = Jayme/Hausmann, Nr. 183; dort auch Überblick über die Vertragsstaaten in Fn. 1. BGBl. II 1955, 829.

Hausmann | 905

§ 6 Rz. 6.1107 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

derlassungsabkommen vom 17.2.19291 gemäß Art. 52 Abs. 1 KSÜ Vorrang vor den Kollisionsnormen der Art. 15 ff. KSÜ2. Das Abkommen enthält zwar keine Regelung zur internationalen Zuständigkeit, so dass auch für sorge- oder umgangsrechtliche Streitigkeiten von iranischen Staatsangehörigen vor deutschen Gerichten die Art. 8 ff. EuEheVO gelten3; es enthält jedoch in Art. 8 Abs. 3 eine umfassende Kollisionsregel zum Personen-, Familien- und Erbrecht. Das Abkommen ist in sachlicher Hinsicht auf das gesamte Familienrecht anwendbar; es gilt daher auch für Fragen der elterlichen Verantwortung und gesetzlichen Vertretung, auch wenn diese in der deutsch-iranischen Erklärung zu dem Übereinkommen nicht ausdrücklich erwähnt werden4.

6.1108

In persönlicher Hinsicht ist Art. 8 Abs. 3 des Abkommens auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung nur dann anwendbar, wenn sowohl die Eltern als auch das Kind ausschließlich die iranische oder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen5. Auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes kommt es in diesem Fall – abweichend von Art. 15 i.V.m. Art. 5 bzw. Art. 16, 17 KSÜ – nicht an6. Demgegenüber ist das Abkommen auf die Regelung des Sorgerechts in deutsch-iranischen Mischehen nicht anwendbar7. Haben die Kinder iranischer Eltern teils die iranische, teils die deutsche Staatsangehörigkeit, so ist im Verhältnis zu einem iranischen Kind das Abkommen, im Verhältnis zu einem deutschen Kind Art. 15 KSÜ auf die Sorgerechtsregelung anzuwenden8. Auch wenn ein Elternteil und/oder das Kind sowohl die deutsche als auch die iranische Staatsangehörigkeit besitzen, ist das Abkommen nicht anwendbar9. Schließlich scheidet dessen Anwendung auch auf Beteiligte mit ausschließlich iranischer Staatsangehörigkeit dann aus, wenn ein Elternteil oder das Kind die Rechtsstellung als Flüchtling i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention oder als Asylberechtigter i.S.v. §§ 2, 3 AsylVfG erlangt haben10.

1 2 3 4 5

6 7 8 9 10

RGBl. II 1930, 1006. Henrich, IntSchR Rz. 306; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 708. OLG Koblenz v. 26.11.2008 – 9 UF 653/06, NJW-RR 2009, 1014 = FamRZ 2009, 611 (613). BGH v. 14.10.1992 – XII ZB 18/92, BGHZ 120, 29 (31) = NJW 1993, 848 = FamRZ 1993, 316 (m. Aufs. U Wolf, FamRZ 1993, 874) = IPRax 1993, 102 (m. Anm. Henrich, IPRax 1993, 81); OLG Koblenz v. 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611 (615). OLG Koblenz v. 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611 (615); OLG Düsseldorf v. 17.7.2002 – 5 UF 24/02, FamRZ 2003, 379 (380 ff.); OLG Zweibrücken v. 15.12.2000 – 2 UF 130/00, FamRZ 2001, 920; OLG Bremen v. 21.5.1999 – 4 UF 5/99, FamRZ 1999, 1520 = NJW-RR 2000, 3; OLG Celle v. 5.12.1989 – 10 WF 272/89, FamRZ 1990, 656 = IPRax 1991, 258 (m. Anm. Coester, IPRax 1991, 236)(alle zur elterlichen Sorge); OLG Celle v. 17.4.1990 – 10 UF 78/90, FamRZ 1990, 1131 (Umgangsrecht); OLG Celle v. 24.10.1988 – 12 UF 136/88, IPRax 1989, 390 (m. Anm Siehr, IPRax 1989, 373: Kindesherausgabe); Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 868 m.w.N. BGH v. 14.10.1992 – XII ZB 18/92, BGHZ 120, 29 (31) = NJW 1993, 848; OLG Zweibrücken v. 15.12.2000 – 2 UF 130/00, FamRZ 2001, 920 (921). Vgl. zur gesetzlichen Vertretung im Unterhaltsprozess BGH v. 15.1.1986 – IVb ZR 75/84, FamRZ 1986, 345 (347). OLG Koblenz v. 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611 (615) zum MSA. OLG Koblenz v. 26.11.2008 – 9 UF 653/06, FamRZ 2009, 611 (615); KG v. 13.12.1978 – 3 UF 3758/78, OLGZ 1979, 187 (jeweils zum Sorgerecht); Schotten/Wittkowski, FamRZ 1995, 264 (265); Hausmann in Staudinger, Anh. zu Art. 4 EGBGB Rz. 869. Vgl. BGH v. 14.10.1992 – XII ZB 18/92, FamRZ 1993, 316; BayObLG v. 28.11.2000 – 1Z BR 59/00, BayObLGZ 2000, 335 (338); Schotten/Wittkowski, FamRZ 1995, 264 (266).

906 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1110 § 6

b) EU-Recht Für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union (mit Ausnahme Dänemarks) gilt seit dem 1.3.2005 die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung v. 27.11.2003 (EuEheVO)1. Diese Verordnung hat in ihrem sachlichen Anwendungsbereich, der auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung im Wesentlichen mit jenem des KSÜ übereinstimmt (vgl. Art. 1 Abs. 2 EuEheVO; dazu Rz. 6.1115 f.), Vorrang sowohl vor dem vor dem KSÜ (Art. 61 EuEheVO) wie vor dem MSA (Art. 60 lit. a EuEheVO). Dieser Vorrang besteht freilich nur im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander; im Verhältnis zu Vertragsstaaten des KSÜ, die nicht der EU angehören, bleibt es bei der Geltung des KSÜ, und zwar auch dann, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat2. Verdrängt werden danach insbesondere die Vorschriften der beiden Übereinkommen auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit für Entscheidungen, welche die elterliche Verantwortung betreffen, durch Art. 8–13, 15 EuEheVO; gegenüber dem KSÜ gilt dies allerdings nur, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem EU-Mitgliedstaat (mit Ausnahme Dänemarks) hat (Art. 61 lit. a EuEheVO)3. Auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten haben die Art. 21, 23 bis 52 Brüssel IIa-VO hingegen auch dann Vorrang vor den Art. 23 ff. KSÜ, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem nicht der EU angehörenden Vertragsstaat des KSÜ hat (Art. 61 lit. b Brüssel IIa-VO)4. Demgegenüber enthält die Brüssel IIa-VO keine Regelung über das von den zuständigen Gerichten der Mitgliedstaaten anzuwendende Recht; insoweit verbleibt es daher bei der Maßgeblichkeit des KSÜ/MSA bzw. des autonomen Kollisionsrechts der Mitgliedstaaten5.

6.1109

2. Haager Kinderschutzübereinkommen a) Vertragsstaaten Die nachfolgende Darstellung des IPR der gesetzlichen Vertretung von Kindern durch ihre Eltern beschränkt sich wegen der universellen Geltung des KSÜ auf die Kollisionsnormen dieses Übereinkommens. Zum verbleibenden – engen – Anwendungsbereich des MSA und des autonomen Kollisionsrechts s. Rz. 6.1105. Ziel des KSÜ ist es nach seinem Art. 1, die internationale Zuständigkeit der Behörden für die Anordnung von Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes und das von diesen Behörden anzuwendende Recht zu regeln (lit. a, lit. b). Darüber hinaus bestimmt das KSÜ – abweichend vom MSA – das auf die

1 ABl. EU 2003 L 338, S. 1 = Jayme/Hausmann, Nr. 162. Die Verordnung gilt seit dem 1.1.2007 auch für Bulgarien und Rumänien sowie seit dem 1.7.2013 auch für Kroatien. Sie hat die Vorgänger-Verordnung Nr. 1347/2000 v. 29.5.2000 (ABl. EG 2000 L 160, S. 19) abgelöst, die am 1.3.2000 in Kraft getreten war. 2 Benicke, IPRax 2013, 44 (52). 3 BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 = FamRZ 2011, 796 (797); BGH v. 19.3.2014 – XII ZB 511/13, FamRZ 2014, 927 m. Anm. Götz; OLG Karlsruhe v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963 f. m. Anm. Henrich; OLG Bremen v. 7.2.2017 – 5 UF 99/16, FamRZ 2017, 1227; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 353. 4 Hausmann, IntEuFamR N Rz. 331; zur Konkurrenz der Brüssel IIa-VO mit dem MSA/KSÜ auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen vgl. Andrae, IPRax 2006, 82 (83 ff.). 5 BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, FamRZ 2011, 796; OLG Frankfurt a.M. v. 26.3.2015 – 4 UF 365/14, FamRZ 2015, 1633 (1634).

Hausmann | 907

6.1110

§ 6 Rz. 6.1110 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

elterliche Verantwortung anzuwendende Recht auch dann, wenn keine Schutzmaßnahmen zu treffen sind (lit. c), und gewährleistet die Anerkennung und Vollstreckung der Schutzmaßnahmen in allen Vertragsstaaten in einem gegenüber Art. 7 MSA deutlich erweiterten Umfang (lit. d).

6.1111

Das KSÜ ist für die Bundesrepublik Deutschland am 1.1.2011 in Kraft1 getreten und gilt seit diesem Zeitpunkt im Verhältnis zu folgenden Staaten, für die das Übereinkommen früher oder gleichzeitig in Kraft getreten ist2: Albanien (1.4.2007), Armenien (1.5.2008), Australien (1.8.2003), Bulgarien (1.2.2007), die Dominikanische Republik (1.10.2010), Ecuador (1.9.2003), Estland (1.6.2003), Irland (1.1.2011), Kroatien (1.1.2010), Lettland (1.4.2003), Litauen (1.9.2004), Luxemburg (1.12.2010), Marokko (1.12.2002), Monaco (1.1.2002), Polen (1.11.2010), Rumänien (1.1.2011), die Schweiz (1.7.2009), die Slowakei (1.1.2002), Slowenien (1.2.2005), Spanien (1.1.2011), die Tschechische Republik (1.1.2002), die Ukraine (1.2.2008), Ungarn (1.5.2006), Uruguay (1.3.2010) und Zypern (1.11.2010). Seither ist das Übereinkommen im Verhältnis zu folgenden weiteren Staaten in Kraft getreten: Barbados (1.5.2020), Belgien (1.9.2014), Dänemark (1.10.2011)3, Fidschi (1.4.2019), Finnland (1.3.2011), Frankreich (1.2.2011), Georgien (1.3.2015), Griechenland (1.6.2012), Guyana (1.12.2019), Honduras (1.8.2018), Italien (1.1.2016), Kuba (1.12.2017), Lesotho (1.6.2013), Malta (1.1.2012), Montenegro (1.1.2013), Nicaragua (1.12.2019), der Niederlande (1.5.2011), Norwegen (1.7.2016), Österreich (1.4.2011)), Paraguay (1.7.2019), Portugal (1.8.2011), der Russischen Föderation (1.6.2013), Schweden (1.1.2013) Serbien (1.11.2016), der Türkei (1.2.2017) und dem Vereinigten Königreich (1.11.2012).

6.1112

Da dem KSÜ nur souveräne Staaten beitreten können, konnte die Europäische Gemeinschaft selbst ihren Beitritt nicht erklären. Aufgrund der bestehenden Außenkompetenz der EU für das internationale Privat- und Verfahrensrecht der elterlichen Verantwortung war jedoch die Ermächtigung der Mitgliedstaaten zur Ratifikation des Übereinkommens durch die EU erforderlich. Der Rat hat daher am 5.6.2008 diejenigen Mitgliedstaaten, die dem KSÜ nicht bereits vorher beigetreten waren, ermächtigt, dieses Übereinkommen im Interesse der Gemeinschaft zu ratifizieren oder ihm beizutreten4. Von dieser Möglichkeit haben inzwischen alle Mitgliedstaaten der EU Gebrauch gemacht. Das Übereinkommen hat jedoch nicht die Qualität sekundären Unionrechts; eine Auslegungskompetenz des EuGH besteht nicht5. b) Anwendungsbereich aa) Räumlicher Anwendungsbereich

6.1113

Das KSÜ enthält keine allgemeine Vorschrift über seinen räumlichen Anwendungsbereich, sondern bestimmt diesen für jedes seiner Kapitel gesondert6. Auf dem Gebiet des Kollisionsrechts muss insoweit zwischen einer Beurteilung der kraft Gesetzes bestehenden elterlichen Verantwortung und der Anordnung von Schutzmaßnahmen durch ein Gericht oder eine Behörde unterschieden werden. Das auf die Zuweisung, das Erlöschen oder die Ausübung der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes (oder Vereinbarung) anzuwendende Recht wird in 1 2 3 4 5 6

BGBl. II 2010, 1527. Vgl. BGBl. II 2010, 1527. BGBl. II 2012, 102. ABl. EU 2008, L 151, S. 36. Vgl. Hausmann in Hausmann/Odersky, § 1 Rz. 73. Benicke, IPRax 2013, 44 (46).

908 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1115 § 6

den Art. 16, 17 KSÜ für die Gerichte und Behörden der Vertragsstaaten abschließend geregelt. Diese Kollisionsnormen finden ohne Rücksicht darauf Anwendung, ob das Kind die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaats besitzt oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat (universelle Anwendung, vgl. Art. 20 KSÜ). Demgegenüber gilt für die Anordnung von Schutzmaßnahmen nach Art. 15 Abs. 1 KSÜ der Gleichlaufgrundsatz, d.h. die Behörden der Vertragsstaaten wenden grundsätzlich ihr eigenes Recht an. Dies setzt jedoch grundsätzlich deren internationale Zuständigkeit nach dem Kapitel II voraus; das Kind muss also entweder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat haben (Art. 5 Abs. 1 KSÜ) oder es muss eine der sonstigen Anknüpfungen für die internationale Zuständigkeit nach Art. 6 bis 12 KSÜ in einem Vertragsstaat gegeben sein. bb) Persönlicher Anwendungsbereich In persönlicher Hinsicht ist das Überereinkommen nach seinem Art. 2 auf Kinder beschränkt, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Für Kinder, die älter, aber nach ihrem Heimatrecht noch nicht volljährig sind und deshalb gesetzlich vertreten werden müssen, beurteilt sich die gesetzliche Vertretung nach dem autonomen Kollisionsrecht der Vertragsstaaten, in Deutschland also nach dem von Art. 21, 24 EGBGB für maßgeblich erklärten Recht1. Die Frage, wann die für einen minderjährigen Ausländer angeordnete Vormundschaft endet, unterliegt daher, nachdem dieser das 18. Lebensjahr vollendet hat, gemäß Art. 24 Abs. 1 EGBGB dem Heimatrecht des Betroffenen2. Auch auf noch nicht 18-jährige Kinder ist das KSÜ dann nicht mehr anwendbar, wenn diese – z.B. durch Eheschließung, Emanzipation oder Volljährigerklärung – vorzeitig die volle Geschäftsfähigkeit erlangt haben und deshalb nicht mehr gesetzlich vertreten werden müssen. Auf den Status des Kindes als eheliches, nichteheliches, Adoptiv-, Stief- oder Pflegekind kommt es insoweit nicht an.

6.1114

cc) Sachlicher Anwendungsbereich (1) Elterliche Verantwortung Von zentraler Bedeutung für den sachlichen Anwendungsbereich des KSÜ ist die Definition der „elterlichen Verantwortung“ in Art. 1 Abs. 2, die auch in Art. 2 Nr. 7 EuEheVO übernommen wurde. Durch diesen Begriff soll zum Ausdruck gebracht werden, dass im ElternKind-Verhältnis die Pflichten der Eltern im Vordergrund stehen und die Elternrechte dahinter zurückzutreten haben3. Der Begriff wird für die Zwecke des KSÜ weit verstanden. Er umfasst daher in sachlicher Hinsicht sämtliche Rechte, Befugnisse und Pflichten, die dem Inhaber der elterlichen Verantwortung in Bezug auf die Person oder das Vermögen des Kindes zustehen. Diese Rechte und Pflichten beziehen sich vor allem auf die Erziehung des Kindes, die Förderung seiner intellektuellen und sozialen Fähigkeiten, die Kontrolle seiner Beziehungen zu Dritten sowie die gesetzliche Vertretung des Kindes im Rechtsverkehr. Inhaber der elterlichen 1 BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, FamRZ 2018, 458 m. Anm. Hüßtege; OLG Hamm v. 20.2.2018 – 4 UF 243/16, BeckRS 2018, 3993; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 12a. Daneben kommen bei gewöhnlichem Aufenthalt im Inland auch Schutzmaßnahmen nach dem Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz Erwachsener (ErwSÜ) vom 13.1.2000 in Betracht (dazu Rz. 6.1205 ff.). 2 OLG Bremen v. 7.2.2017 – 5 UF 99/16, BeckRS 2017, 101891 = FamRZ 2017, 1227; OLG Bremen v. 23.2.2016 – 4 UF 186/15, BeckRS 2016, 4752 = FamRZ 2016, 990 (Ls.); OLG Hamm v. 30.1.2015 – 6 UF 155/13, FamRZ 2015, 1635; OLG Bremen v. 24.5.2012 – 4 UF 43/12, FamRZ 2013, 312. 3 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 21.

Hausmann | 909

6.1115

§ 6 Rz. 6.1115 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Verantwortung sind nicht nur die Eltern des Kindes, sondern – wie Art. 1 Abs. 2 klarstellt – auch ein Vormund oder ein anderer gesetzlicher Vertreter (z.B. ein Pfleger); die elterliche Verantwortung kann aber auch kraft Gesetzes anderen Personen (z.B. den Großeltern)1 zustehen oder einer juristischen Person übertragen sein. Auf die rechtliche Grundlage der Übertragung elterlicher Verantwortung auf eine bestimmte Person kommt es nicht an; diese kann sich unmittelbar aus dem Gesetz, aus einer gerichtlichen bzw. behördlichen Entscheidung oder einer rechtsverbindlichen Vereinbarung (z.B. der Eltern) ergeben. Wichtigste Ausprägungen der elterlichen Verantwortung sind das Sorge- und das Umgangsrecht einschließlich der gesetzlichen Vertretung (vgl. Art. 3 lit. b und lit. d KSÜ). (2) Schutzmaßnahmen

6.1116

Zu den vom KSÜ erfassten Schutzmaßnahmen gehören nach Art. 3 – in weitgehender Übereinstimmung mit dem MSA und der EuEheVO (Art. 1 Abs. 2)2 – sowohl Maßnahmen zum Schutz der Person wie solche zum Schutz des Vermögens des Kindes, also insbesondere die Zuweisung, Ausübung, Entziehung und Übertragung der elterlichen Verantwortung (lit. a), die Regelung des Sorgerechts, des Aufenthaltsbestimmungs- und Umgangsrechts (lit. b), die Vormundschaft, Pflegschaft, und entsprechende Einrichtungen (lit. c), die Bestimmung der Person, die für die Person oder das Vermögen des Kindes verantwortlich ist und das Kind im Rechtsverkehr vertritt (lit. d), sowie die Verwaltung und Erhaltung des Kindesvermögens (lit. g).

6.1116a

Allgemeine Voraussetzung einer Schutzmaßnahme i.S.v. Art. 3 KSÜ ist ein Gestaltungs- oder Regelungscharakter der Maßnahme3. Diese muss also zum Schutz des Kindeswohls in die kraft Gesetzes bestehenden Rechte der Sorgeberechtigten eingreifen und diese entziehen, inhaltlich ändern oder zumindest konkretisieren. Nicht erfasst werden daher rein deklaratorisch wirkende Maßnahmen, die eine kraft Gesetzes bereits eingetretene Rechtsfolge lediglich feststellen4. Im Übrigen ist der Begriff jedoch im Kindesinteresse weit zu fassen. Er schließt insbesondere auch Maßnahmen ein, die im nationalen Recht der Vertragsstaaten öffentlichrechtlich qualifiziert werden5 oder sich vornehmlich in einem Verwaltungsverfahren auswirken6.

6.1117

Schutzmaßnahmen sind daher insbesondere gerichtliche oder behördliche Eingriffe in die elterliche Sorge während bestehender Ehe, bei Getrenntleben und nach Ehescheidung, so die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil, wenn er sie kraft Gesetzes nicht besitzt, Eingriffe bei Versagen und Verhinderung der Eltern oder eines Elternteils (z.B. Ersetzung von Zustimmungen oder Entziehung der Vertretungsmacht, vgl. § 1666 Abs. 2, § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB bzw. die Entziehung der Vermögenssorge, vgl. § 1666 Abs. 2, § 1667 Abs. 1–3 BGB), die Entziehung der elterlichen Sorge oder des Aufenthaltsbestimmungsrechts und deren/dessen Übertragung auf einen Elternteil (vgl. etwa § 1678 Abs. 2, §§ 1680, 1681 BGB), sowie vor 1 2 3 4

Benicke, IPRax 2013, 44 (45). Dazu näher Hausmann, IntEuFam F Rz. 32 ff. Dutta, StAZ 2010, 193 (196); Hilbig-Lugani in Rauscher, Art. 3 KSÜ Rz. 2. Vgl. zu einem „Obsorgedekret“ öOGH v. 8.5.2008 – 6 Ob 30/08t, IPRax 2010, 542 (543) (m. zust. Anm. Hohloch, IPRax 2010, 567). 5 Schulz, FamRZ 2011, 156 (157); Andrae, IntFamR § 9 Rz. 8; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 390; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 16. 6 EuGH v. 21.10.2015 – C-215/15, ECLI:EU:C:2015:710 (Gogova/Iliev), FamRZ 2015, 2117 (Passausstellung).

910 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1120 § 6

allem die Regelung der Elternrechte nach einer Trennung oder Scheidung der Eltern bzw. nach Aufhebung oder Nichtigerklärung ihrer Ehe (vgl. §§ 1671, 1672 BGB)1. Leben die Eltern eines minderjährigen Kindes nicht mehr oder sind sie von der Vertretung (z.B. wegen Entziehung der elterlichen Sorge oder wegen Interessenkollision) ausgeschlossen oder kommt aus anderen Gründen für den Abschluss eines Vertrages die gesetzliche Vertretung durch einen Vormund oder Pfleger in Betracht, so handelt es sich auch bei der Anordnung einer Vormundschaft für einen Minderjährigen nach §§ 1773 ff. BGB oder einer Ergänzungspflegschaft nach § 1909 BGB um typische Schutzmaßnahmen i.S.v. Art. 3 KSÜ2. (3) Vertretung von Kindern kraft Gesetzes Der sachliche Anwendungsbereich des KSÜ umfasst abweichend vom MSA weiterhin die Zuweisung, den Inhalt und das Erlöschen der elterlichen Verantwortung ohne Einschreiten eines Gerichts oder einer Verwaltungsbehörde, d.h. kraft Gesetzes oder kraft Vereinbarung, Art. 16 KSÜ (Rz. 6.1134 ff.). Das Statut der gesetzlichen Vertretung nach Art. 16 KSÜ (bzw. im Falle eines Aufenthaltswechsels des Kindes das Statut der Ausübung der elterlichen Verantwortung nach Art. 17 KSÜ) gilt auch für die Frage, unter welchen Voraussetzungen die kraft Gesetzes bestehende Vertretungsmacht (z.B. der Eltern) durch Genehmigungserfordernisse eingeschränkt wird (Rz. 6.1148 ff.).

6.1118

dd) Zeitlicher Anwendungsbereich In zeitlicher Hinsicht gilt das KSÜ für die Beurteilung des auf die elterliche Verantwortung anzuwendenden Rechts für alle Maßnahmen, die in einem Vertragsstaat ergriffen werden, nachdem das Übereinkommen für diesen Staat in Kraft getreten ist (Art. 53 Abs. 1 KSÜ). In Deutschland sind die Art. 5 ff. und 15 ff. KSÜ demgemäß für alle Schutzmaßnahmen zugrunde zu legen, die nach dem 1.1.2011 getroffen wurden oder werden. Abweichend von Art. 64 Abs. 1 EuEheVO kommt es also nicht darauf an, wann das Verfahren vor diesem Gericht eingeleitet wurde; eine perpetuatio fori auf der Grundlage des bei Verfahrenseinleitung maßgeblichen staatsvertraglichen (z.B. MSA) oder autonomen Zuständigkeitsrechts ist daher nicht anzuerkennen3. Darüber hinaus haben deutsche Gerichte auch die elterliche Verantwortung kraft Gesetzes seit dem 1.11.2011 nach Art. 16, 17 KSÜ zu beurteilen, selbst wenn das Verfahren schon früher eingeleitet worden ist; zum Übergangsrecht s. Rz. 6.1154.

6.1119

c) Internationale Zuständigkeit aa) Vorrang der EuEheVO Die Zuständigkeitsregelung im Kapitel II des Übereinkommens (Art. 5–14 KSÜ), die nach Art. 15 KSÜ zur Bestimmung des auf Schutzmaßnahmen anwendbaren Rechts maßgeblich ist, wird gem. Art. 61 lit. a EuEheVO durch die Art. 8–15 EuEheVO verdrängt, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats (mit Ausnahme 1 Hausmann, IntEuFamR F Rz. 391 f.; Helms in MünchKomm, Art. 21 EGBGB Rz. 10. 2 BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, FamRZ 2018, 457 Rz. 20 ff. m. Anm. Hüßtege (Anordnung von Vormundschaft über unbegleitete Flüchtlingskinder). 3 BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 31 ff.) = FamRZ 2011, 796 m. Anm. Völker; öOGH v. 20.11.2012 – 5 Ob 104/12y, IPRax 2014, 183; OLG Saarbrücken v. 1.4.2011 – 6 UF 6/11, FF 2011, 326 = IPRspr. 2011 Nr. 97; OLG Karlsruhe v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963 m. Anm. Henrich; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 612; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 17.

Hausmann | 911

6.1120

§ 6 Rz. 6.1120 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Dänemarks) hat1. Aus deutscher Sicht kommt das Kapitel II des KSÜ daher grundsätzlich nur dann zur Anwendung, wenn das Kind sich in einem Vertragsstaat gewöhnlich aufhält, der nicht zugleich Mitgliedstaat der EuEheVO ist2. Der Vorrang des KSÜ bleibt in diesem Fall auch dann erhalten, wenn im Inland eine internationale Zuständigkeit nach der EuEheVO begründet ist, die nicht auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes abstellt, z.B. eine nach Art. 12 EuEheVO zwischen den Eltern vereinbarte Zuständigkeit3. Denn Art. 61 lit. a EuEheVO beschränkt den Vorrang der Verordnung vor dem KSÜ auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit ausdrücklich auf Fälle, in denen das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der Verordnung hat. Hat das Kind daher seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, so ist für eine Anwendung der Art. 5 ff. KSÜ kein Raum. Dies gilt – trotz des auf das Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander beschränkten Vorrangs der EuEheVO – nach dem klaren Wortlaut von Art. 61 lit. a EuEheVO auch dann, wenn Schutzmaßnahmen für ein Kind getroffen werden sollen, das die Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaats des KSÜ besitzt, der nicht Mitgliedstaat der EuEheVO ist4.

6.1121

Nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO sind die deutschen Gerichte für Schutzmaßnahmen international zuständig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt5 zur Zeit der Antragstellung im Inland hat6. Die internationale Zuständigkeit bleibt nach dem Grundsatz der perpetuatio fori also auch dann erhalten, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach Verfahrensbeginn in einen anderen Mitgliedstaat verlegt7. Art. 8 Abs. 1 Brüssel IIa-VO ist hingegen nicht anwendbar, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bereits zur Zeit der Antragstellung nicht mehr im Staat des angerufenen Gerichts hat8. Umgekehrt genügt es für die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aber auch, dass der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes erst nach der Antragstellung im Inland begründet wurde, sofern kein ausländisches Gericht in derselben Rechtssache zuvor angerufen wurde9.

1 BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 31 ff.) = FamRZ 2011, 796 m. Anm. Völker; OLG Karlsruhe v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963 Rz. 21. m. Anm. Henrich = IPRax 2014, 178 (m. Anm. Looschelders, IPRax 2014, 152); Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 82; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 20 f. m.w.N. 2 Dies sind derzeit Albanien, Armenien, Australien, Dänemark, die Dominikanische Republik, Ecuador, Fidschi, Georgien, Guyana, Honduras, Kuba, Lesotho, Marokko, Monaco, Montenegro, Nicaragua, Norwegen, Paraguay, die Russische Föderation, die Schweiz, Serbien, die Türkei, die Ukraine und Uruguay. Vgl. Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 12a. 3 Benicke in NK BGB, Art. 1 KSÜ Rz. 11. 4 Hau in Prütting/Helms, FamFG, § 99 FamFG Rz. 21; Benicke, IPRax 2013, 44 (52 f.); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 21, 353; a.A. Andrae, IPRax 2006, 82 (84); Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 141; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 23. 5 Zum Begriff des gewöhnlichen Kindesaufenthalts ausf. Hausmann, IntEuFamR F Rz. 87 ff. 6 OLG Karlsruhe v. 25.5.2009 – 5 UF 224/08, FamRZ 2009, 1599 (Entziehung der elterlichen Sorge wegen Kindeswohlgefährdung); OLG Karlsruhe v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963 f. = IPRax 2014, 178 (m. Anm. Looschelders, IPRax 2014, 152); OLG München v. 26.7.2011 – 33 UF 874/11, FamRZ 2011, 1887; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 83 ff. 7 BGH v. 17.2.2010 – XII ZB 68/09, BGHZ 184, 269 = NJW 2010, 1351 m. Anm. Peschel-Gutzeit = FamRZ 2010, 720 m. Anm. Stößer; OLG München v. 26.7.2011 – 33 UF 874/11, FamRZ 2011, 1887; OLG Nürnberg v. 14.3.2012 – 10 UF 1899/11, FamRZ 2013, 553; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 102 f. m.w.N. 8 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 5.11.2019 – 8 UF 152/19, NJW-RR 2020, 260 = NZFam 2020, 136 m. Anm. Mankowski; OLG Stuttgart v. 30.3.2012 – 17 UF-338/11, FamFR 2013, 288 m. Anm. Finger. 9 BGH v. 17.2.2010 – XII ZB 68/09, BGHZ 184, 269 = NJW 2010, 1351 m. Anm. Peschel-Gutzeit = FamRZ 2010, 720 m. Anm. Stößer; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 108 m.w.N.

912 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1124 § 6

Die Eltern können für Fragen der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts jedoch auch die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats durch Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 12 EuEheVO begründen1. Ist eine Ehesache nach Art. 3 ff. EuEheVO vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats anhängig, so können sie die Zuständigkeit dieses Gerichts auch für die im Verbund mit der Ehesache stehende Streitigkeit über die elterliche Sorge oder das Umgangsrecht vereinbaren (Art. 12 Abs. 1 EuEheVO). Eine Gerichtsstandsvereinbarung ist aber nach Art. 12 Abs. 3 EuEheVO auch in isolierten Verfahren der elterlichen Verantwortung zulässig, wenn das Kind zum prorogierten Staat eine wesentliche Bindung hat2.

6.1122

bb) Zuständigkeiten nach dem KSÜ Soweit die Zuständigkeitsordnung des KSÜ nicht durch die EuEheVO verdrängt wird, sind für Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes nach Art. 5 Abs. 1 KSÜ primär die Behörden des Vertragsstaats international zuständig, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (dazu Rz. 6.972)3. Lediglich wenn dieser nicht festgestellt werden kann oder wenn es sich um Flüchtlingskinder handelt, genügt nach Art. 6 KSÜ auch der schlichte Aufenthalt in einem Vertragsstaat4. Auf die Staatsangehörigkeit des Kindes kommt es hierbei nicht an; das KSÜ regelt die internationale Zuständigkeit auf dem Gebiet der gesetzlichen Vertretung von Kindern daher auch für Angehörige von Drittstaaten. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach Art. 5 ff. KSÜ setzt im Übrigen keinen kompetenzrechtlichen Bezug zu einem weiteren Vertragsstaat voraus.

6.1123

Verlegt das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Vertragsstaat, so werden die Behörden des neuen Aufenthaltsstaats zuständig (Art. 5 Abs. 2 KSÜ); eine perpetuatio fori wird also – anders als nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO – ausgeschlossen5, so dass die internationale Zuständigkeit auch für ein zunächst zulässiges Verfahren mit dem Wegzug des Kindes nachträglich entfallen kann6. Zuvor getroffene Schutzmaßnahmen7 behalten jedoch solange

6.1124

1 Vgl. OLG Düsseldorf v. 8.12.2009 – II-3 UF 198/09, FamRZ 2010, 915. 2 Zu Einzelheiten Hausmann, IntEuFamR F Rz. 354 ff. 3 OLG Stuttgart v. 24.2.2020 – 18 WF 11/20, FamRZ 2020, 1120 (Marokko); OLG Karlsruhe v. 5.6.2015 – 18 UF 265/14, MDR 2015, 1425 = FamRZ 2016, 248 (Ls.) (Dänemark). Zum – autonom auszulegenden – Begriff des gewöhnlichen Kindesaufenthalts im KSÜ ferner KG v. 2.3.2015 – 3 UF 156/14, FamRZ 2015, 1214 (1215); öOGH v. 20.11.2012 – 5 Ob 104/12y, IPRax 2014, 183 (185) (m. Anm. Heindler, IPRax 2014, 201); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 1074 ff.; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 420 ff. 4 Dazu Hausmann, IntEuFamR F Rz. 435 ff. 5 OLG Frankfurt a.M v. 5.11.2019 – 8 UF 152/19, NJW-RR 2020, 260 (m. Anm. Mankowski, NZFam 2020, 136); KG v. 2.3.2015 – 3 UF 156/14, FamRZ 2015, 1214 (1215) = IPRax 2016, 372; OLG Karlsruhe v. 12.11.2013 – 5 UF 139/11, FamRZ 2014, 1565; öOGH v. 20.11.2012 – 5 Ob 104/ 12y, IPRax 2014, 183 (186) (m. Anm. Heindler, IPRax 2014, 201); Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464 (478); Roth/Döring, FuR 1999, 195 (199 ff.); Andrae, IPRax 2006, 82 (83); Schulz, FamRZ 2011, 156 (158 f.); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 438 ff. m.w.N. Ebenso zum MSA im Verhältnis zur Türkei OLG Stuttgart v. 12.4.2012 – 17 UF 22/12, FamRZ 2013, 49 (50) = IPRax 2013, 441 (m. Anm. Gruber, IPRax 2013, 409). 6 KG v. 2.3.2015 – 3 UF 156/14, FamRZ 2015, 1214 (1215) (m. Anm. Heiderhoff, IPRax 2016, 335); OLG Saarbrücken v. 26.8.2015 – 9 UF 59/15, NZFam 2016, 528 m. Anm. Breidenstein; OLG Karlsruhe v. 12.11.2013 – 5 UF 139/11, FamRZ 2014, 1565; öOGH v. 20.11.2012 – 5 Ob 104/12y, IPRax 2014, 183 (185); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 18. 7 Rechtskraft der getroffenen Schutzmaßnahme ist für die Anwendung von Art. 14 KSÜ nicht erforderlich, vgl. öOGH v. 20.11.2012 – 5 Ob 104/12y, IPRax 2014, 183 (186) (m. Anm. Heindler, IPRax 2014, 201).

Hausmann | 913

§ 6 Rz. 6.1124 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

ihre Wirkung, bis die nunmehr zuständigen Behörden sie ändern, ersetzen oder aufheben (Art. 14 KSÜ). Weitere Zuständigkeiten sind zugunsten des Staates, in dem ein Eheverfahren (Scheidung, Trennung, Aufhebung) der Eltern des Kindes anhängig ist (Art. 10 KSÜ)1, sowie für dringliche und vorläufige Schutzmaßnahmen – auf das Hoheitsgebiet des sie erlassenden Staates beschränkte zugunsten des Kindes vorgesehen (Art. 11, 12 KSÜ)2. cc) Familiengerichtliche Genehmigung

6.1125

Da es sich bei der familiengerichtlichen Genehmigung von Verträgen eines Minderjährigen, die von seinen Eltern oder einem Vormund/Pfleger als gesetzlichen Vertretern abgeschlossen werden (vgl. im deutschen Recht §§ 1643, 1821 ff. BGB), um eine Maßnahme zur gesetzlichen Vertretung des Kindes und zu seinem Schutz im Zusammenhang mit der Verwaltung und Erhaltung seines Vermögens (Art. 1 Abs. 2 lit. c und e EuEheVO) handelt3, beurteilt sich die internationale Zuständigkeit der mitgliedschaftlichen Gerichte vorrangig nach Maßgabe der Art. 8–13 EuEheVO (vgl. Rz. 6.1120 f.)4. Danach sind die deutschen Gerichte für die Erteilung einer solchen Genehmigung nach Art. 8 Abs. 1 EuEheVO immer dann international zuständig, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat.

6.1126

Nur wenn weder die deutschen Gerichte noch die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats der EU (mit Ausnahme Dänemarks) nach Art. 8–13 EuEheVO international zuständig sind, also insbesondere bei gewöhnlichem Aufenthalt des Minderjährigen in einem Drittstaat, kann sich eine sog. Restzuständigkeit der deutschen Gerichte gem. Art. 14 EuEheVO entweder aus dem KSÜ (Art. 5 ff.) oder aus dem autonomen deutschen Verfahrensrecht ergeben5. Nach letzterem sind die deutschen Familiengerichte zur Erteilung der Genehmigung gem. § 99 Abs. 1 FamFG international zuständig, wenn der Minderjährige entweder Deutscher ist (S. 1 Nr. 1) oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (S. 1 Nr. 2) oder der Fürsorge durch ein deutsches Gericht bedarf (S. 2)6.

6.1127

Dass die gesetzliche Vertretung sich gem. Art. 16 KSÜ nach deutschem materiellen Recht beurteilt, ist für die Begründung der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte weder erforderlich noch ausreichend7. Bei ausländischen Kindern, die sich im Ausland aufhalten, besteht allerdings im Allgemeinen kein Bedürfnis für ein Eingreifen der deutschen Familiengerichte8. Etwas anderes kann dann gelten, wenn das in der Sache anwendbare deutsche Recht 1 Dazu KG v. 2.3.2015 – 3 UF 156/14, FamRZ 2015, 1214 (1215 f.); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 476a ff. 2 Vgl. näher Hausmann, IntEuFamR F Rz. 490 ff., 499 ff. m.w.N. 3 Vgl. EuGH v. 6.10.2015 – C-404/14, ECLI:EU:C:2015:653 (Matouskova), NJW 2016, 387 (Rz. 28 ff.); EuGH v. 21.10.2015 – C-215/15, ECLI:EU:C:2015:710 (Gogova/Iliev), NJW 2016, 1007 (Rz. 26). 4 Anders OLG Frankfurt a.M. v. 19.11.2012 – 5 UF 187/12, FamRZ 2013, 1225, das auf Art. 5 KSÜ abstellt. 5 BGH v. 30.9.2015 – XII ZB 635/14, FamRZ 2015, 2147 (Rz. 16) m. Anm. Giers (VR China); OLG Bremen v. 20.6.2017 – 4 UF 20/17, NJW-RR 2017, 1155 (Rz. 15) (Mexiko); OLG Jena v. 30.8.2001 – 1 UF 303/01, IPRspr. 2001 Nr. 207; AG Ludwigshafen v. 19.6.2012 – 5g F 303/11, IPRspr. 2012 Nr. 246; dazu näher Hausmann, IntEuFamR F Rz. 229, 568 ff. 6 Vgl. dazu näher Hausmann, IntEuFamR F Rz. 578 ff. 7 Vgl. schon zum früheren Recht Soergel/Kegel Art. 19 EGBGB Rz. 102 m.w.N. 8 RG v. 28.3.1931, JW 1932, 588 m. Anm. Frankenstein (Internationale Zuständigkeit der deutschen Vormundschaftsgerichte für die Erteilung einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zur Belastung deutschen Grundvermögens durch den gesetzlichen Vertreter italien. Minderjähriger abgelehnt, weil sämtliche Beteiligte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Italien hatten).

914 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1129 § 6

die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts von der Erteilung einer familiengerichtlichen Genehmigung abhängig macht und weder die Behörden des Aufenthaltsstaates noch die Heimatbehörden diese Genehmigung erteilen wollen bzw. können1. d) Anwendbares Recht aa) Schutzmaßnahmen (1) Gleichlaufprinzip

Für die Anordnung von Schutzmaßnahmen geht das KSÜ – wie schon das MSA2 – vom Grundsatz des Gleichlaufs von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht aus: Gemäß Art. 15 Abs. 1 KSÜ wenden die nach Art. 5–14 KSÜ zuständigen Behörden auf von ihnen zu treffende Schutzmaßnahmen ihr eigenes Recht an (lex fori-Prinzip)3. Deutsche Gerichte entscheiden demgemäß stets auf der Grundlage des deutschen Kindschaftsrechts. Dieses regelt sowohl die Voraussetzungen wie den Inhalt und die Wirkungen der zu treffenden Schutzmaßnahmen4. Gleiches gilt für die Abänderung einer getroffenen Schutzmaßnahme5. Auf diese Weise wird deren Anordnung in Fällen mit Auslandsberührung erleichtert und beschleunigt, weil die häufig schwierige kollisionsrechtliche Prüfung entfällt6. Ferner verzichtet das KSÜ auch auf den in Art. 3 MSA noch enthaltenen Vorbehalt zugunsten eines gesetzlichen Gewaltverhältnisses nach dem Heimatrecht des Kindes, der bei der Anwendung des Gleichlaufgrundsatzes nach Art. 2 MSA zu erheblichen Anwendungs- und Auslegungsproblemen geführt hatte7.

6.1128

Art. 15 Abs. 1 Abs. 1 KSÜ führt, wenn das Gericht seine Zuständigkeit gemäß Art. 5 Abs. 1 KSÜ auf den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes stützt, in Übereinstimmung mit Art. 21 EGBGB zur Anwendung des Aufenthaltsrechts des Kindes. Auf die Staatsangehörigkeit des Kindes oder der Eltern kommt es dabei nicht an; deutsches Recht gilt daher insbesondere auch für Schutzmaßnahmen zugunsten von sich im Inland aufhaltenden unbegleiteten Flüchtlingskindern aus Drittstaaten8. Da Art. 15 Abs. 1 KSÜ die Geltung des Gleichlaufgrundsatzes indessen – im Interesse der Erleichterung der Rechtsanwendung9 – nicht auf die Fälle des Art. 5 Abs. 1 KSÜ beschränkt, sondern ihn auf sämtliche Zuständigkeiten des Kapitels II ausdehnt, kann die

6.1129

1 Vgl. Kegel in Soergel, Art. 19 EGBGB Rz. 99. 2 Vgl. BGH v. 26.9.2007 – XII ZB 220/06, FamRZ 2007, 1969 (1970); BGH v. 15.12.2004 – XII ZB 166/03, FamRZ 2005, 344 (345). 3 OLG Köln v. 8.12.2016 – 25 UF 109/16, FamRZ 2017, 1514 (1515) m. Anm. Menne; OLG Karlsruhe v. 16.1.2015 – 5 UF 202/14, FamRZ 2015, 1723 und OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/ 12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 13); OLG Hamm v. 2.2.2011 – II-8 UF 98/10, FamRZ 2012, 143; Benicke, IPRax 2013, 44 (49); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 1069; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 626 ff.; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 38. 4 Staudinger in MünchKomm, Art. 15 KSÜ Rz. 7 ff. 5 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 1078. 6 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 100; Benicke in NK BGB, Art. 15 KSÜ Rz. 1. 7 Staudinger in MünchKomm, Art. 15 KSÜ Rz. 10. 8 BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, FamRZ 2018, 458 (Rz. 20) m. Anm. Hüßtege; OLG Brandenburg v. 20.4.2020 – 9 UF 226/19, BeckRS 2020, 8525 (Rz. 13); OLG Hamm v. 23.10.2018 – 9 UF 104/18, BeckRS 2018, 31142 (Rz. 15 ff.) = NJW-RR 2019, 262; OLG Celle v. 4.6.2018 – 10 WF 86/ 18, BeckRS 2018, 10950; OLG Karlsruhe v. 17.1.2018 – 18 UF 185/17, BeckRS 2018, 1556, v. 26.8.2015 – 18 UF 92/15, FamRZ 2015, 2182 (Rz. 17) und v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 13); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 18. 9 Lagarde-Bericht Rz. 87; von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 1070.

Hausmann | 915

§ 6 Rz. 6.1129 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Kollisionsregel auch zur Anwendung eines vom Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes abweichenden Rechts führen1. Dies gilt insbesondere dann, wenn das angerufene Gericht Maßnahmen auf die Staatsangehörigkeit des Kindes (Art. 8 Abs. 1, Abs. 2 lit. a KSÜ), den Zusammenhang mit einem anhängigen Scheidungs- oder Trennungsverfahren (Art. 8 Abs. 1, Abs. 2 lit. c und Art. 10 KSÜ) oder die Belegenheit von Kindesvermögen (Art. 11 KSÜ) stützt.

6.1130

Noch immer umstritten ist, ob Art. 15 Abs. 1 KSÜ auch dann Anwendung finden kann, wenn das angerufene Gericht seine internationale Zuständigkeit nicht auf Art. 5 ff. KSÜ, sondern – wie regelmäßig in den Mitgliedstaaten der EU (mit Ausnahme Dänemarks) – auf Art. 8 ff. EuEheVO stützt. Hierzu wird teilweise unter Berufung auf den Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 (... „bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit nach Kapitel II“) und die Systematik des KSÜ eine Anwendung des lex fori-Prinzips in Anknüpfung an eine nur aufgrund der EuEheVO bestehende internationale Zuständigkeit abgelehnt und zur Bestimmung des anwendbaren Rechts weiterhin auf Art. 21 EGBGB zurückgegriffen, wenn die Zuständigkeit nicht zumindest hypothetisch auch aus Art. 5 ff. KSÜ folgt2. Demgegenüber hat sich inzwischen zu Recht die Gegenauffassung durchgesetzt, die Art. 15 KSÜ in jedem Fall anwendet, in dem Gerichte eines Vertragsstaats Maßnahmen zum Schutz eines Kindes i.S.v. Art. 3 KSÜ treffen. Die Anwendung der lex fori hängt also nicht davon ab, ob im konkreten Fall auch eine Zuständigkeit nach Art. 5 ff. KSÜ begründet gewesen wäre; vielmehr reicht es hierfür auch aus, dass sich die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts allein aus den Art. 8 ff. EuEheVO ergibt, weil ansonsten der Gleichlaufgrundsatz des Art. 15 Abs. 1 KSÜ in den Mitgliedstaaten der EuEheVO häufig leerliefe3.Für diese Lösung sprechen einerseits Praktikabilitätserwägungen, weil ein deutsches Gericht andernfalls nach der Prüfung seiner internationalen Zuständigkeit auf der Grundlage der Art. 8–14 EuEheVO allein zum Zwecke der Ermittlung des anwendbaren Rechts jeweils noch hypothetisch seine Zuständigkeit auch nach Maßgabe der Art. 5–12 KSÜ feststellen müsste. Andererseits erfordert auch das Kindeswohl eine rasche und unkomplizierte kollisionsrechtliche Prüfung4. Nach beiden Auffassungen ist Art. 15 KSÜ jedenfalls in Verfahren vor deutschen Gerichten anwendbar, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (Art. 8 Abs. 1 EuEheVO, Art. 5 Abs. 1 KSÜ)5. 1 Lagarde-Bericht, Rz. 87; Rauscher in Rauscher, Art. 8 EuEheVO Rz. 9; Hilbig-Lugani in Rauscher, Art. 15 KSÜ Rz. 5; Gruber in NK BGB, Art. 8 EuEheVO Rz. 19. 2 So noch Hausmann, EuLF 2000/01, 345 (353); Solomon, FamRZ 2004, 1409 (1416); Schulz, FPR 2004, 299 (301); Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 10, 81; Rauscher in Rauscher, Art. 8 EuEheVO Rz. 24 f.; Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 21 EGBGB Rz. 15. 3 OLG Köln v. 8.12.2016 – 25 UF 109/16, FamRZ 2017, 1514 (1515); OLG Karlsruhe v. 26.8.2015 – 18 UF 92/15, FamRZ 2015, 2182 = NZFam 2015, 1028 m. Anm. Kemper; OLG Karlsruhe v. 16.1.2015 – 5 UF 202/14, FamRZ 2015, 1723 und OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, NJW-RR 2013, 1157 (Rz. 11); AG Otterndorf v. 28.9.2011 – 7 F 226/11 S, FamRZ 2012, 1140 (1141); Wagner/Janzen, FPR 2011, 110 (111); Schulz, FamRZ 2011, 156 (159); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 21; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 39; Staudinger in MünchKomm, Art. 15 KSÜ Rz. 2; Helms in MünchKomm, Art. 21 EGBGB Rz. 10; Gruber in NK BGB, Art. 8 EuEheVO Rz. 10 und Art. 61 EuEheVO Rz. 13 ff.; Geimer in Zöller, Art. 8 EuEheVO Rz. 18 ff.; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 616 m.w.N. Zust. auch Andrae, IPRax, 2006, 82 (87 f.); Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 103, die die Anwendbarkeit von Art. 15 KSÜ allerdings auf Fälle beschränkt, in denen das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat der EU hat. 4 Benicke in NK BGB, Art. 1 KSÜ Rz. 21 f. 5 BGH v. 20.12.2017 – XII ZB 333/17, BGHZ 217, 165 (Rz. 20) = FamRZ 2018, 457 m. Anm. Hüßtege; OLG Brandenburg v. 15.8.2019 – 13 UF 79/19, BeckRS 2019, 21001 (Rz. 8); OLG Bamberg v. 12.5.2016 – 2 UF 58/16, FamRZ 2016, 1270 (Rz. 18); OLG Karlsruhe v. 26.8.2015 – 18 UF 92/15, NJW 2016, 87 (Rz. 17 f.) und OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 11).

916 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1132 § 6

(2) Ausweichklausel Der starre Vorbehalt zugunsten gesetzlicher Gewaltverhältnisse nach dem Heimatrecht des Kindes in Art. 3 MSA wird in Art. 15 Abs. 2 KSÜ durch eine offen formulierte Ausweichklausel ersetzt, die den Gerichten der Vertragsstaaten eine gewisse Flexibilität bei der Bestimmung des in der Sache anwendbaren Rechts einräumt. Danach gilt der Gleichlaufgrundsatz nicht zwingend; vielmehr kann das Gericht ausnahmsweise auch das Recht eines anderen Staates anwenden oder berücksichtigen, zu dem der Sachverhalt eine enge Beziehung hat, soweit der Schutz der Person oder des Vermögens des Kindes dies erfordern1. Dies kann – wie Art. 20 KSÜ klarstellt – auch das Recht eines Drittstaats sein. Unter „Berücksichtigung“ ist die Beachtung ausländischen Rechts i.R.d Ausfüllung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen der „angewandten“ lex fori zu verstehen2. Die Verweisung nach Art. 15 Abs. 2 KSÜ auf ausländisches Recht ist in jedem Fall Sachnormverweisung, weil die in Art. 21 Abs. 2 KSÜ normierte Ausnahme nur für die Anknüpfung der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes nach Art. 16 KSÜ gilt.

6.1131

Da Art. 15 Abs. 2 KSÜ nach dem ausdrücklichen Wortlaut eine Ausnahme vom Gleichlaufgrundsatz des Abs. 1 bildet, ist von der Ausweichklausel nur zurückhaltend Gebrauch zu machen3, auch wenn – anders als z.B. in Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO/Rom II-VO – keine „offensichtlich“ engere Verbindung mit einem anderen Recht gefordert wird. Wird ein Gericht im Staat des gewöhnlichen oder schlichten Kindesaufenthalts nach Art. 5, 6 KSÜ (bzw. Art. 8, 13 EuEheVO) angerufen, so kann zur Konkretisierung der von Art. 15 Abs. 2 KSÜ vorausgesetzten „engen Verbindung“ des Kindes zu einer von der lex fori des angerufenen Gerichts abweichenden Rechtsordnung auf die Kriterien des Art. 8 Abs. 2 KSÜ Bezug genommen werden. In Betracht kommt daher eine Anwendung des Heimatrechts des Kindes, z.B. wenn das Kind in einer im Aufenthaltsstaat noch nicht integrierten Familie nach den Sitten und Gebräuchen seines Heimatrechts erzogen wird4 oder wenn eine baldige Rückkehr des Kindes in seinen Heimatstaat bevorsteht5. Denkbar ist auch eine Anwendung der lex rei sitae, wenn Schutzmaßnahmen für das in einem anderen Staat belegene Kindesvermögen angeordnet werden sollen (z.B. für die Bestellung eines nur dort tätigen Verwalters)6. Schließlich kann auch der Umstand, dass ein Eheverfahren der Eltern des Kindes in einem anderen Vertragsstaat anhängig ist, die Anwendung der Ausweichklausel begründen. Noch näher liegt eine Anwendung der Ausweichklausel freilich im umgekehrten Fall, d.h. wenn Maßnahmen bei einem Gericht außerhalb des gewöhnlichen Aufenthaltsstaats des Kindes (z.B. bei dem im der Ehesachen nach Art. 10 KSÜ/Art. 12 Brüssel IIa-VO angerufenen Gericht) beantragt werden. Denn für diesen Fall ermöglicht es Art. 15 Abs. 2 KSÜ dem Gericht, unter Verzicht auf die Verfahrenserleichterung durch Anwendung seiner lex fori das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zugrunde zu legen, wenn dort der Schwerpunkt der von der beantragten Maßnahme betroffenen Rechtsbeziehungen liegt7.

6.1132

1 Vgl. zu einem Anwendungsfall von Art. 15 Abs. 2 KSÜ in der Praxis OLG Koblenz v. 19.3.2018 – 9 WF 607/17, FamRZ 2019, 367 (368); s. auch von Bar/Mankowski, Bd. II § 4 Rz. 1079. 2 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 19; vgl. näher Hausmann, IntEuFamR, F Rz. 629 ff. 3 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 102; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 19; Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 106. 4 Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464 (489). 5 Lagarde-Bericht Rz. 89; Benicke in NK BGB, Art. 15 KSÜ Rz. 5. 6 Vgl. dazu den Lagarde-Bericht Rz. 89; Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464 (488). 7 Lagarde-Bericht Rz. 89; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 41; Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 106.

Hausmann | 917

§ 6 Rz. 6.1133 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

(3) Wirkungen von Schutzmaßnahmen

6.1133

Art. 15 KSÜ enthält zwar – anders als Art. 2 Abs. 2 S. 2 und Art. 4 Abs. 2 S. 2 MSA – keine ausdrückliche Regelung zu den rechtlichen Wirkungen der getroffenen Schutzmaßnahmen; eine Änderung gegenüber dem MSA ist damit jedoch nicht bezweckt. Die lex fori des anordnenden Gerichts bestimmt daher auch unter Geltung des KSÜ über den Inhalt und Umfang der gesetzlichen Vertretungsbefugnisse der gerichtlich bestimmten Sorgeberechtigten (Eltern, Vormund, Ergänzungspfleger); sie ist insbesondere auch dafür maßgebend, unter welchen Voraussetzungen der gesetzliche Vertreter einer vormundschafts- oder familiengerichtlichen Genehmigung für den Abschluss von Verträgen im Namen des Minderjährigen bedarf1. Wurde daher die elterliche Verantwortung durch ein deutsches Gericht einem Elternteil allein zugewiesen oder wurde zur Vertretung eines ausländischen Minderjährigen ein Vormund oder Pfleger von dem nach Art. 8 ff. EuEheVO zuständigen deutschen Gericht bestellt, so richtet sich auch das Erfordernis einer familiengerichtlichen Genehmigung nach deutschem Recht; für den sorgeberechtigten Elternteil oder den Vormund gelten daher die Beschränkungen der (§ 1643 i.V.m.) §§ 1821 ff. BGB. Im Falle eines Aufenthaltswechsels des Kindes ist für das Genehmigungserfordernis im Hinblick auf Art. 15 Abs. 3 KSÜ das Recht des neuen Aufenthaltsstaates maßgebend2. bb) Vertretung Minderjähriger kraft Gesetzes (1) Allgemeines

6.1134

Demgegenüber beurteilt sich die Vertretung Minderjähriger kraft Gesetzes seit dem Inkrafttreten des KSÜ nicht mehr nach dem autonomen Kollisionsrecht des angerufenen Gerichts, sondern in allen Vertragsstaaten einheitlich nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes (Art. 16, 17 KSÜ). Die Möglichkeit einer Rechtswahl sieht das KSÜ auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung nicht vor. Die Kollisionsnormen des Übereinkommens gelten nach Art. 20 KSÜ als „loi uniforme“, d.h. auch dann, wenn das von ihnen bestimmte Recht dasjenige eines Nichtvertragsstaates ist3. Damit wird Art. 21 EGBGB bezüglich des auf die elterliche Sorge kraft Gesetzes anwendbaren Rechts durch Art. 16 KSÜ vollständig verdrängt, wenn der (noch nicht 18-jährige) Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland oder in einem anderen Vertragsstaat des KSÜ hat. Der Unterschied ist freilich im Ergebnis gering, weil beide Vorschriften übereinstimmend an das Recht des gewöhnlichen Kindesaufenthalts anknüpfen. Im Verhältnis der Vertragsstaaten des MSA zueinander wird auch Art. 3 MSA seit dem 1.1.2011 durch Art. 16, 17 KSÜ verdrängt (Art. 51 KSÜ)4.

6.1135

Abweichungen ergeben sich allerdings bezüglich der Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung. Wird nämlich auf das Recht eines Vertragsstaats des KSÜ verwiesen, so ist künftig – anders als bisher nach Art. 21 EGBGB – dessen Sachrecht anzuwenden (Art. 21 Abs. 1 KSÜ). 1 OLG Frankfurt a.M. v. 19.11.2012 – 5 UF 187/12, FamRZ 2013, 1225; Hausmann, IntEuFamR, F Rz. 636 f.; vgl. auch zur Genehmigung einer Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung durch einen Verfahrenspfleger EuGH v. 6.10.2015 – C-404/14, ECLI:EU:C:2015:653 (Matouskova), ZEV 2016, 147 (Rz. 27 ff.) m. Anm. Hilbig-Lugani, NZFam 2015, 1030; abw. Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 129, die Art. 17 KSÜ auch auf die Ausübung der durch eine gerichtliche Schutzmaßnahme eingeräumten gesetzlichen Vertretungsmacht anwendet. 2 Lagarde-Bericht, Rz. 91; Benicke in NK, Art. 15 KSÜ Rz. 15. 3 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 106. Vgl. zur Türkei Dutta, FamRZ 2016, 146. 4 OLG Frankfurt a.M. v. 26.3.2015 – 4 UF 365/14, FamRZ 2015, 1633 (1634).

918 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1136 § 6

Verweist Art. 16 KSÜ hingegen auf das Recht eines Nichtvertragsstaats, so ist eine Weiterverweisung auf das Recht eines anderen Nichtvertragsstaats, der diese Verweisung annimmt, nach Art. 21 Abs. 2 KSÜ zu beachten1. Nimmt jener Staat die (Weiter-)Verweisung nicht an, so verbleibt es hingegen bei der Anwendung des Sachrechts des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Gleiches gilt auch dann, wenn das von Art. 16 KSÜ zur Anwendung berufene Recht eines Nichtvertragsstaats auf deutsches Recht zurück- oder auf das Recht eines anderen Vertragsstaats weiterverweist. Soweit schließlich die nach Art. 5 ff. KSÜ für die Anordnung von Schutzmaßnahmen international zuständigen Behörden ausnahmsweise nicht die lex fori, sondern gemäß Art. 15 Abs. 2 KSÜ ausländisches Recht anwenden, handelt es sich in jedem Fall um eine Sachnormverweisung. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts wird im KSÜ ebenso wenig wie im MSA definiert; er ist jedoch ebenso wie in Art. 1 MSA und in anderen kindschafts- und unterhaltsrechtlichen Haager Übereinkommen zu verstehen. Herangezogen werden kann außer der bisherigen Praxis zu Art. 1 MSA auch die Rechtsprechung zu Art. 8 Abs. 1 EuEheVO2 und zum autonomen deutschen internationalen Privat- und Verfahrensrecht, weil diese sich maßgeblich an den Vorgaben der Haager Übereinkommen orientiert3. Zur körperlichen Anwesenheit des Kindes in einem Vertragsstaat müssen danach weitere Kriterien hinzutreten, aus denen sich entnehmen lässt, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende oder gelegentliche Anwesenheit handelt, der Aufenthalt vielmehr Ausdruck einer gewissen Integration des Kindes in ein soziales und familiäres Umfeld ist. Diese Integration ist für das Kind selbst – und nicht für den jeweiligen Sorgeberechtigten – an Hand aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalles im Wege einer Gesamtbetrachtung festzustellen. Dabei sind insbesondere die Dauer und die Gründe für diesen Aufenthalt, sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes (Familie, Kindergarten/Schule, Freundschaften etc.) in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen. Maßgebend ist also der tatsächliche Mittelpunkt der Lebensführung des Kindes4. Im Falle eines Umzugs von einem Vertragsstaat in einen anderen erwirbt das Kind daher erst dann einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt, wenn es an dem neuen Aufenthaltsort sozial integriert ist. Davon ist i.d.R. erst nach einer sechsmonatigen Aufenthaltsdauer auszugehen5. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Faustregel, von der im Einzelfall nach oben oder unten abgewichen werden kann6. Diese Faustregel gilt auch in Fällen der Kindesentführung; die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts hängt also nicht davon ab, dass der Aufenthaltswechsel rechtmäßig erfolgt ist7. Ein mehrfacher gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes ist auch im Rah1 Lagarde-Bericht Rz. 116; Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464 (487); krit. Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 120. 2 Dazu ausf. Hausmann, IntEuFamR, F Rz. 87 ff. 3 Siehr, RabelsZ 1998, 464 (478); Benicke in NK BGB, Art. 5 KSÜ Rz. 7; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 17. 4 Benicke in NK BGB, Art. 5 KSÜ Rz. 7; Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 47; vgl. auch (zu Art. 1 MSA) BGH v. 29.10.1980 – IVb ZB 586/80, BGHZ 78, 293 (295 ff.) = IPRax 1981, 139 (m. Anm. Henrich, IPRax 1981, 1251); BGH v. 18.6.1997 – XII ZB 156/96, FamRZ 1997, 1070; OLG Hamm v. 16.5.1991 – 4 UF 8/91, NJW 1992, 636 (637) = FamRZ 1991, 1466 m. Anm. Henrich; vgl. auch (zum HKÜ) OLG Frankfurt a.M. v. 15.2.2006 – 1 WF 331/05, FamRZ 2006, 883 m.w.N. 5 Benicke in NK BGB, Art. 5 KSÜ Rz. 9; vgl. BGH v. 18.6.1997 – XII ZB 156/96, FamRZ 1997, 1070; OLG Köln v. 13.11.1990 – 4 UF 153/90, FamRZ 1991, 363 (364). 6 Vgl. OLG Saarbrücken v. 26.8.2015 – 9 UF 59/15, IPRspr. 2015 Nr. 245 (Rz. 19 ff.); OLG Hamm v. 24.6.1996 – 12 WF 130/96, NJW-RR 1997, 5 (6); Baetge, IPRax 2001, 573 (575). 7 Vgl. zu Art. 1 MSA BGH v. 22.6.2005 – XII ZB 186/03, BGHZ 163, 248 = FamRZ 2005, 1541; BGH v. 5.6.2002 – XII ZB 74/00, NJW 2002, 2955; OLG Hamm v. 24.6.1996 – 12 WF 130/96, NJW-RR 1997, 5 (6), jeweils zum MSA m.w.N.

Hausmann | 919

6.1136

§ 6 Rz. 6.1136 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

men des KSÜ nicht anzuerkennen. Lebt das Kind daher entsprechend der Vereinbarung der Eltern abwechselnd im Aufenthaltsstaat der Mutter und des Vaters, ändert sich jeweils auch sein gewöhnlicher Aufenthalt1. (2) Elterliche Verantwortung kraft Gesetzes

6.1137

Die Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, gilt gem. Art. 16 Abs. 1 KSÜ zunächst für die gesetzliche Zuweisung (vgl. im deutschen Recht §§ 1626, 1626a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 BGB) und das Erlöschen der elterlichen Verantwortung kraft Gesetzes (z.B. durch Tod oder Todeserklärung eines Elternteils, vgl. im deutschen Recht § 1680 Abs. 1, § 1681 Abs. 1 BGB, oder durch Volljährigkeit des Kindes), d.h. ohne dass ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde eine diesbezügliche (rechtsgestaltende) Regelung trifft2. Daher bestimmt sich auch die Frage, ob die elterliche Sorge nach einer Trennung oder Scheidung der Ehe weiterhin beiden Eltern gemeinsam zusteht, nach dem Recht am gewöhnlichen Kindesaufenthalt; auf die Staatsangehörigkeit des Kindes oder diejenige seiner Eltern kommt es nicht an. Beschränkt sich ein Gericht daher auf die rein deklaratorische Feststellung dieses kraft Gesetzes (fort-)bestehenden Sorgerechts, so ist dies keine Maßnahme i.S.v. Art. 15 KSÜ, sondern es gilt das von Art. 16 KSÜ zur Anwendung berufene Recht3.

6.1138

Die Verweisung nach Art. 16 Abs. 1 KSÜ erstreckt sich – entgegen dem zu eng gefassten Wortlaut der Vorschrift – ferner auf den Inhalt der elterlichen Verantwortung, d.h. auf die Rechte und Pflichten derjenigen Personen, denen die elterliche Verantwortung kraft Gesetzes zusteht; dies folgt aus der umfassenden Definition der elterlichen Verantwortung in Art. 1 Abs. 2 KSÜ4. Das von Art. 16 Abs. 1 KSÜ für anwendbar erklärte Recht bestimmt daher nicht nur, wer kraft Gesetzes Inhaber der elterlichen Verantwortung für ein Kind ist, sondern auch, welche Aufgaben und Befugnisse dieser Träger der elterlichen Verantwortung hat. Dieses Recht beherrscht insbesondere die Vermögenssorge für das Kind, z.B. die Fragen, ob das Kind für die in seinem Namen durch die Eltern begründeten Verbindlichkeiten haftet, ob die Eltern für Pflichtverletzungen dem Kind gegenüber haften5, ob die Eltern für das Kind eine Erbschaft ausschlagen dürfen oder müssen6, oder ob ihnen kraft Gesetzes ein Nutznießungsrecht am Kindesvermögen zusteht. Darüber hinaus unterliegen dem von Art. 16 KSÜ zur Anwendung berufenen Recht alle mit der gesetzlichen Vertretung des Kindes zusammenhängenden Fragen, wie insbesondere deren Beschränkungen durch das Erfordernis vormundschafts- oder familiengerichtlicher Genehmigungen (Rz. 6.1148 ff.)7. Vgl. zur Ausübung der elterlichen Verantwortung aber Art. 17 KSÜ; dazu Rz. 6.1146 f.

6.1139

Art. 16 KSÜ gilt nicht nur – wie bisher Art. 21 EGBGB – im Eltern-Kind-Verhältnis, sondern bestimmt auch, wer kraft Gesetzes für das Kind verantwortlich ist, wenn dieses keine Eltern 1 Baetge, IPRax 2001, 573 (575); Benicke in NK BGB, Art. 5 KSÜ Rz. 11. 2 OLG Karlsruhe v.5.3.2013 – 18 UF 298/12, NJW-RR 2013, 1157 (Rz. 17); Lagarde-Bericht, Rz. 91 ff.; Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 44. 3 OGH Fürstentum Liechtenstein v. 8.5.2008 – 6 Ob 30/08t, IPRax 2010, 542 (m. Anm. Hohloch, IPRax 2010, 567 [571 f.]); Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 108; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 22. 4 Benicke in NK-BGB, Art. 16 KSÜ Rz. 1; Staudinger in MünchKomm, Art. 16 KSÜ Rz. 6. 5 Vgl. BGH v. 7.4.1993 – XII ZR 266/91, NJW 1993, 2305 (2306 (zu Art. 19 EGBGB a.F.). 6 OLG Koblenz v. 19.3.2018 – 9 WF 607/17, FamRZ 2019, 367 (368) = IPRax 2019, 539 (m. Anm. Looschelders, IPRax 2019, 510). 7 Vgl. OLG Stuttgart v. 10.4.1996 – 11 U 20/96, NJW-RR 1996, 1288 (zu Art. 21 EGBGB).

920 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1141 § 6

hat oder diese von der elterlichen Verantwortung ausgeschlossen sind. Das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes entscheidet daher über die Entstehung und den Inhalt gesetzlicher Vormundschaften sowie über eine die elterliche Sorge oder Vormundschaft ergänzende Beistandschaft, wie z.B. diejenige des Jugendamts nach §§ 1712 ff. BGB auf Antrag eines Elternteils. Die Anknüpfung nach Art. 16 Abs. 1 KSÜ ist wandelbar, so dass sich das Sorgerechtsstatut mit der Verlegung des gewöhnlichen Kindesaufenthalts in einen anderen Staat ex nunc ändert; es kommt mithin auf den jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes an1. Wer mit der Geburt des Kindes die elterliche Verantwortung erwirbt, beurteilt sich daher nach dem Recht des Staates, in dem das Kind nach dem Willen seiner Eltern seinen ersten Lebensmittelpunkt hat; dies ist nicht notwendig der Geburtsort (z.B. wenn die Mutter sich nur zur Entbindung in eine ausländische Klinik begeben hat). Ob und wie sich später eintretende Ereignisse – z.B. die Heirat der Eltern oder die Anerkennung der Vaterschaft zu einem außer der Ehe geborenen Kind – auf die elterliche Verantwortung auswirken, bestimmt sich dann nach dem Recht des Staates, in dem das Kind sich bei Eintritt dieses Ereignisses gewöhnlich aufhält2. Art. 16 Abs. 1 KSÜ schließt allerdings nicht aus, dass ein Recht, das erst nach einem Aufenthaltswechsel des Kindes anwendbar geworden ist, auch Ereignissen rechtliche Bedeutung beimisst, die bereits unter Geltung eines früheren Aufenthaltsrechts des Kindes eingetreten sind. Hat eine Familie ihren gewöhnlichen Aufenthalt daher erst nach der Anerkennung der Vaterschaft aus einem anderen Staat nach Deutschland verlegt, so bestimmt nunmehr das neue deutsche Aufenthaltsrecht darüber, ob das Vaterschaftsanerkenntnis dem nicht mit der Mutter verheirateten Vater auch die elterliche Sorge verschafft hat3. Die mit der Wandelbarkeit des Sorgerechtsstatuts verbundene Rechtsunsicherheit4 wird allerdings unter der Geltung des KSÜ durch Art. 16 Abs. 2 bis Abs. 4 sowie Art. 19 KSÜ begrenzt.

6.1140

(3) Elterliche Verantwortung kraft Vereinbarung Das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes entscheidet nach Art. 16 Abs. 2 KSÜ auch über die Wirksamkeit der Zuweisung oder des Erlöschens der elterlichen Verantwortung durch eine zwischen den Eltern getroffene Vereinbarung (z.B. eine Sorgerechtsregelung im Rahmen einer Scheidungsvereinbarung) oder durch einseitiges Rechtsgeschäft eines Elternteils Rechtsgeschäft (z.B. den Verzicht auf die Ausübung eines Mitsorge- oder Umgangsrechts)5. Dies gilt auch dann, wenn die Vereinbarung oder die einseitige Erklärung durch eine Behörde beurkundet oder gegenüber einer Behörde abgegeben werden muss, wie dies im deutschen Recht für die Sorgeerklärungen unverheirateter Eltern nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB zutrifft6. Ist die Mitwirkung der Behörde hingegen nicht nur aus formellen Gründen vor1 BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 32) = FamRZ 2011, 796 m. Anm. Völker; OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 17); Finger, FamRBInt 2010, 95 (99); Rauscher, NJW 2011, 2332 (2333); Schwarz, NDV 2011, 39 (40); Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 21 EGBGB Rz. 19. Gleiches gilt auch i.R.v. Art. 21 EGBGB, vgl. Henrich, FamRZ 1998, 1401 (1404) m.w.N. 2 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 107; Benicke in NK BGB, Art. 16 KSÜ Rz. 3. 3 Lagarde-Bericht, Rz. 100; Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 109; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 649. 4 Vgl. die Kritik bei Looschelders, IPRax 1999, 420 (423 f.) und 2014, 152 (154). 5 Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 45. 6 KG v. 4.7.2011 – 16 UF 124/11, FamRZ 2011, 1516; AG Pankow/Weißensee v. 11.5.2015 – 15 F 8543/14, FamRZ 2016, 145 m. Anm. Dutta; Benicke in NK BGB, Art. 16 KSÜ Rz. 2.

Hausmann | 921

6.1141

§ 6 Rz. 6.1141 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

geschrieben, sondern ist sie – z.B. in Gestalt eines Zustimmungserfordernisses – materielle Wirksamkeitsvoraussetzung des Rechtsgeschäfts, so handelt es sich um eine Schutzmaßnahme, für die nicht Art. 16, sondern Art. 15 KSÜ maßgebend ist1.

6.1142

Maßgebend für die Zuweisung oder das Erlöschen der elterlichen Verantwortung durch Vereinbarung oder einseitiges Rechtsgeschäft ist nach Art. 16 Abs. 2 KSÜ der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes zu dem Zeitpunkt, zu dem die Vereinbarung oder das Rechtsgeschäft wirksam wird. Dies muss nicht bereits der Zeitpunkt sein, zu dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wird2. Wird die elterliche Verantwortung etwa in einer Scheidungsvereinbarung geregelt, so wird diese i.d.R. erst wirksam, wenn die Scheidung ausgesprochen worden ist3. Werden Sorgeerklärungen nach deutschem Recht (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB) von den Eltern getrennt abgegeben, so werden sie gem. § 1626d BGB erst zu dem Zeitpunkt wirksam, zu dem die spätere Erklärung öffentlich beurkundet wird4. Eine vor der Geburt des Kindes abgegebene Sorgeerklärung (§ 1626b Abs. 2 BGB) wird erst mit der Geburt wirksam5. In all diesen Fällen wirkt sich eine Verlegung des gewöhnlichen Kindesaufenthalts im Zeitraum zwischen der Abgabe und der Wirksamkeit der Erklärungen daher auf das anwendbare Recht aus. Gleiches gilt dann, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt erst nach Abgabe der Sorgeerklärungen in ein Land verlegt, das wie Deutschland Sorgeerklärungen überhaupt kennt6. Ist die Elternvereinbarung nach Art. 16 Abs. 2 KSÜ hingegen wirksam geworden, so behält sie diese Wirksamkeit aufgrund der Unwandelbarkeit der Anknüpfung auch dann, wenn das Kind anschließend einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt begründet7. (4) Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes

6.1143

Im Interesse der Kontinuität wirksam begründeter Eltern-Kind-Beziehungen bestimmt Art. 16 Abs. 3 KSÜ, dass die nach dem Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes entstandene elterliche Verantwortung – anders als bisher nach Art. 21 EGBGB8 – auch nach einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts in einen anderen (Vertrags- oder Dritt-) Staat fortbesteht, und zwar auch dann, wenn nach dem neuen Aufenthaltsrecht eine solche elterliche Verantwortung – z.B. das (Mit-)Sorgerecht – kraft Gesetzes nicht entstanden wäre9. Der Grundsatz 1 Lagarde-Bericht, Rz. 103; Benicke, IPRax 2013, 44 (49); Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 113; Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 109. 2 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 1087. 3 Lagarde-Bericht, Rz. 504; Krah, S. 229. 4 Benicke, IPRax 2013, 44 (50). 5 KG v. 4.7.2011 – 16 UF 124/11, FamRZ 2011, 1516. 6 Vgl. Dutta, FamRZ 2016, 146 (147). 7 Dutta, StAZ 2010, 193 (201). 8 Henrich, FamRZ 1998, 1401 (1404); Finger, FamRBInt. 2010, 95 (100); Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 21 EGBGB Rz. 21; Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 26. 9 OLG Celle v. 4.6.2018 – 10 WF 86/18, FamRZ 2018, 1436; OLG Frankfurt v. 26.3.2015 – 4 UF 365/14, FamRZ 2015, 1633; OLG Stuttgart v. 6.5.2014 – 17 UF 60/14, FamRZ 2014, 1930 (m. Anm. Helms, IPRax 2015, 217); OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 23) m. Anm. Heiderhoff und v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963 m. Anm. Henrich; Lagarde-Bericht, Rz. 107; Finger, FamRBInt. 2010, 95 [100]; Rauscher, NJW 2011, 2332 (2333); Schulz, FamRZ 2011, 156 (159); Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 21 EGBGB Rz. 20; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 23. Ob etwas anderes gilt, wenn der Aufenthaltswechsel noch vor Inkrafttreten des KSÜ im neuen Aufenthaltsstaat stattgefunden hat, hat der BGH offengelassen, vgl. BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 31 ff.) = FamRZ 2011, 796 m. Anm. Völker. Nach den allgemeinen Grundsätzen zum Statutenwechsel wirkt das Übereinkom-

922 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1145 § 6

der Wandelbarkeit der Anknüpfung nach Art. 16 Abs. 1 KSÜ wird mithin durch Abs. 3 eingeschränkt. Art. 16 Abs. 3 KSÜ gilt – im Gegensatz zu Abs. 4 – nicht nur für die Zuweisung der elterlichen Sorge kraft Gesetzes nach Abs. 1, sondern auch für die Zuweisung durch Vereinbarung nach Abs. 2. Für die gerichtlich angeordnete elterliche Verantwortung gilt der entsprechende Grundsatz gem. Art. 14 KSÜ. Keine Anwendung findet Art. 16 Abs. 3 KSÜ hingegen auf die gesetzliche Beistandschaft des Jugendamts nach §§ 1712 ff. BGB; diese endet vielmehr gem. § 1717 BGB, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt ins Ausland verlegt. Ferner bleiben auch abgeschlossene tatsächliche Vorgänge – z.B. eine Verletzung des Umgangsoder Sorgerechts – von einem Statutenwechsel unberührt1. Praktische Bedeutung erlangt diese Vorschrift insbesondere für die elterliche Sorge von Vätern, die mit der Mutter des Kindes nicht verheiratet sind2. Denn die Voraussetzungen für den Erwerb der elterlichen Sorge durch solche Väter sind in den einzelnen Staaten noch immer sehr unterschiedlich geregelt. Während Väter, deren Vaterschaft wirksam anerkannt oder festgestellt worden ist, nach manchen Rechten – z.B. nach französischem (Art. 372 Abs. 1 c. c.)3 oder italienischem Recht (Art. 317bis c.c.) – die elterliche Sorge kraft Gesetzes automatisch erlangen, machen andere Staaten – wie das bisherige deutsche Recht – den Erwerb der elterlichen Sorge von der Zustimmung der Mutter abhängig. Ferner kennen manche Rechte eine gemeinsame elterliche Sorge unverheirateter Eltern entweder überhaupt nicht oder fordern hierfür – wie z.B. das österreichische (§ 167 ABGB) oder schweizerische Recht (Art. 298a ZGB) – eine gerichtliche Zuweisung. Hierzu stellt Art. 16 Abs. 3 KSÜ nunmehr klar, dass die elterliche Sorge, die nach dem Recht am bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes wirksam begründet worden war, allein infolge des Statutenwechsels nicht verloren geht. Hatte der Vater mit der Anerkennung des Kindes daher nach dem bisherigen Aufenthaltsrecht des Kindes die elterliche Sorge erworben, so bleibt diese auch bei einem Umzug der Familie nach Deutschland erhalten, selbst wenn keine Sorgeerklärungen nach §§ 1626a ff. BGB abgegeben werden4. Die nach dem von Art. 16 KSÜ berufenen Recht bestehende elterliche Verantwortung kann durch Schutzmaßnahmen der nach Art. 5 ff. KSÜ zuständigen Behörden allerdings jederzeit geändert oder entzogen werden (Art. 18 KSÜ).

6.1144

Umgekehrt erwirbt ein Elternteil, der die elterliche Verantwortung nach dem Recht am bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes nicht innehatte, diese gem. Art. 16 Abs. 4 KSÜ bei einem Aufenthaltswechsel des Kindes, wenn ihm das Recht des neuen gewöhnlichen Aufenthaltsrecht das Sorgerecht kraft Gesetzes zuweist5. Hatte der Vater daher die elterliche Sorge z.B. nach bisherigem deutschen Recht mangels entsprechender Sorgeerklärung der Mutter

6.1145

1 2 3 4

5

men auf vor seinem Inkrafttreten bereits abgeschlossene Sachverhalte nicht zurück, vgl. OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 24). Daher bleibt auch ein nach Art. 3 MSA anzuerkennendes gesetzliches Gewaltverhältnis nach Inkrafttreten des KSÜ bestehen, bis es nach Art. 18 KSÜ durch die nunmehr zuständigen Behörden aufgehoben oder geändert wird, vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 26.3.2015 – 4 UF 365/14, FamRZ 2015, 1633 (1634). Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 21 EGBGB Rz. 21; Helms in MünchKomm, Art. 21 EGBGB Rz 16. Lagarde-Bericht, Rz. 107. Vgl. BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 38). OLG Karlsruhe v. 19.8.2011 – 16 UF 140/11, FamRZ 2011, 1963 f.(Rz. 26) = IPRax 2014, 178 (m. krit. Anm. Looschelders, IPRax 2014, 152 (Bulgarien); OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, NJW-RR 2013, 1157 (Rz. 23); Lagarde-Bericht Rz. 107; von Bar/Mankowski, Bd. II, § 4 Rz. 1089; Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 110; Benicke, IPRax 2013, 44 (50); Schulz, FamRZ 2011, 156 (159). OLG Stuttgart v. 6.5.2014 – 17 UF 60/14, FamRZ 2014, 1930 (m. Anm. Helms, IPRax 2015, 217); Schulz, FamRZ 2011, 156 (159); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 23.

Hausmann | 923

§ 6 Rz. 6.1145 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

gem. § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB nicht erworben, so erlangt er diese infolge eines Aufenthaltswechsels des Kindes automatisch, wenn er hierfür nach dem neuen (z.B. italienischen) Aufenthaltsrecht weder einer Zustimmung der Mutter bedarf noch eine Sorgeerklärung abgeben muss. Entsprechend erwirbt die Mutter bei einem Aufenthaltswechsel der Familie aus einem islamischen Land nach Deutschland die Mitsorge kraft Gesetzes, wenn das Sorgerecht nach dem bisherigen Aufenthaltsrecht nur dem Vater zustand1. Der Aufenthaltswechsel des Kindes erweitert mithin u.U. den Kreis der kraft Gesetzes (Mit-)Sorgeberechtigten, schränkt ihn aber keinesfalls ein2. (5) Ausübung der elterlichen Verantwortung

6.1146

Art. 16 KSÜ regelt – wie gezeigt (Rz. 6.1139) – neben der Zuweisung und dem Erlöschen auch den Inhalt der elterlichen Verantwortung. Für deren „Ausübung“ enthält Art. 17 KSÜ hingegen eine eigenständige Kollisionsnorm, die allerdings in Satz 1 ebenfalls auf das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes verweist. Solange das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dem Staat beibehält, dessen Recht nach Art. 16 KSÜ für die Zuweisung der elterlichen Verantwortung maßgebend ist, wirkt sich die Sonderregelung in Art. 17 S. 1 KSÜ daher nicht aus. Diese erlangt Bedeutung erst zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Staat verlegt. Während sich nämlich durch einen solchen Aufenthaltswechsel an der gesetzlichen Zuweisung der elterlichen Verantwortung gem. Art. 16 Abs. 3 KSÜ nichts ändert (Rz. 6.1143 ff.), unterliegt deren Ausübung gem. Art. 17 S. 2 KSÜ von nun an dem Recht am neuen gewöhnlichen Aufenthalt. Die Vorschrift hat mithin in Bezug auf die gesetzliche Anknüpfung der elterlichen Verantwortung die gleiche Funktion wie Art. 15 Abs. 3 KSÜ in Bezug auf behördliche Maßnahmen. Um den Beteiligten die Anpassung an die Verhältnisse in ihrem neuen Aufenthaltsstaat zu erleichtern, werden die Modalitäten der Ausübung der elterlichen Verantwortung dem neuen Aufenthaltsrecht entnommen.

6.1147

Zur Ausübung gehört die Wahrnehmung aller Rechte und Pflichten aus dem Eltern-Kind-Verhältnis3. Dies gilt insbesondere für die gesetzliche Vertretung des Kindes und die Verwaltung seines Vermögens4, für die Möglichkeit der alleinigen Entscheidung durch einen Elternteil trotz gemeinsamen Sorgerechts5, aber auch für Beschränkungen, die einer gesetzlichen Vertretung des Kindes durch die Eltern gezogen sind, z.B. bei Insichgeschäften oder durch das Erfordernis einer vormundschafts- bzw. familiengerichtlichen Genehmigung (Rz. 6.1148 ff.)6. Im Fall der Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft beurteilt sich auch die gesetzliche Vertretung des Kindes durch den Vormund oder Pfleger bei einem Aufenthaltswechsel des Kindes nach Art. 17 KSÜ. cc) Familiengerichtliche Genehmigung

6.1148

Das von Art. 15 ff. KSÜ bestimmte Statut der gesetzlichen Vertretung bestimmt nicht nur, für welche Vertragsschlüsse im Namen des Minderjährigen der gesetzliche Vertreter einer famili1 OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, NJW-RR 2013, 1157 (Rz. 23); Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 47. 2 Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 111; Wagner/Janzen, FPR 2011, 110 (112); Gärtner, StAZ 2011, 65 (68). 3 Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 49. 4 Andrae, IntFamR, § 9 Rz. 116. 5 Benicke in NK BGB, Art. 17 KSÜ Rz. 1. 6 Krah, S. 235; Lagarde-Bericht, Rz. 109; Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 112.

924 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1151 § 6

engerichtlichen Genehmigung bedarf (vgl. dazu Rz. 6.1133 und Rz. 6.1147)1 sondern es entscheidet auch, ob diese Zustimmung bereits vor Abschluss des Geschäfts vorliegen muss (so z.B. nach italienischem und portugiesischem Recht) oder ob – wie im deutschen Recht (vgl. § 1829 BGB) – eine nachträgliche Genehmigung ausreicht. Das Statut der gesetzlichen Vertretung regelt ferner, auf welche Art und Weise die familiengerichtliche Genehmigung wirksam wird. Auf das Wirkungsstatut des abzuschließenden Geschäfts kommt es auch insoweit nicht an2. Hat der Minderjährige den Vertrag nicht selbst geschlossen, sondern sich hierbei durch die Eltern oder einen Vormund bzw. Pfleger gesetzlich vertreten lassen, so wurde in der Rechtsprechung zum autonomen deutschen Kollisionsrecht nicht immer hinreichend klar zwischen den Fragen der Geschäftsfähigkeit und der gesetzlichen Vertretung unterschieden und auch das Erfordernis einer gerichtlichen Genehmigung für den vom gesetzlichen Vertreter geschlossenen Vertrag gem. Art. 7 EGBGB nach dem Personalstatut des Minderjährigen beurteilt.

6.1149

BGH v. 7.12.1977 – IV ZR 20/76, WM 1978, 171 (173) Abschluss eines Erbvertrages zwischen einer unter Vormundschaft stehenden minderjährigen Österreicherin und ihrer Großmutter. „Inwieweit ein nicht voll Geschäftsfähiger in der Lage ist, ein Rechtsgeschäft vorzunehmen, d.h. ob und ggf. welche Genehmigungen erforderlich sind, beurteilt sich nach dem Personalstatut des nicht voll Geschäftsfähigen.“ Erfordernis einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung gem. Art. 7 EGBGB nach österreich. Recht (§ 233 ABGB) bejaht; Vertretungsstatut nicht geprüft.

Demgegenüber gelten für die Abgrenzung zwischen Vertretungs- und Geschäftsfähigkeitsstatut auch in diesem Zusammenhang die zu Rz. 6.1096 ff. dargestellten Grundsätze.

6.1150

Die Auswirkung von Mängeln der gesetzlichen Vertretung, insbesondere die fehlende Erteilung einer nach dem Vertretungsstatut erforderlichen gerichtlichen Genehmigung auf die Gültigkeit des im Namen des Minderjährigen geschlossenen Vertrages, bestimmen sich demgegenüber nicht nach dem Statut der gesetzlichen Vertretung, sondern nach dem Vertragsstatut3. Dieses entscheidet daher – ebenso wie bei Mängeln der gewillkürten Vertretungsmacht (dazu Rz. 6.483) – darüber, ob der Vertrag nichtig oder schwebend unwirksam ist und auf welche Weise er noch wirksam werden kann (vgl. aber zum Verkehrsschutz auch Rz. 6.1160 ff.).

6.1151

1 Ebenso schon zu Art. 21 EGBGB RG v. 9.2.1925, RGZ 110, 173 (Grundstückskaufvertrag); RG v. 28.3.1931, JW 1932, 588 (Hypothekenbestellung); OLG Stuttgart v. 10.4.1996 – 11 U 20/96, NJWRR 1996, 1288 (Übernahme einer Einlage als stiller Gesellschafter); Thorn in Palandt, Rz. 5; Henrich in Staudinger, Rz. 131, jeweils zu Art. 21 EGBGB; a.A. (Geschäftsfähigkeitsstatut) von Bar, Bd. II Rz. 42. 2 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 98; Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 131. Vgl. auch RG v. 3.12.1942, RGZ 170, 198 (Österreich. Vater verkauft ein im Eigentum seines minderjährigen Sohnes stehendes Hotelgrundstück in Deutschland mit Genehmigung des deutschen Vormundschaftsgerichts. Vertrag als wirksam behandelt, da es nach dem auf die gesetzliche Vertretung anwendbaren österreich. Recht einer Mitteilung der Genehmigung an den Geschäftsgegner i.S.v. § 1829 BGB nicht bedurft habe.); KG v. 7.6.1929, IPRspr. 1929 Nr. 88 und KG v. 11.11.1929, IPRspr. 1930 Nr. 4; AG Moers v. 20.8.1997 – 2 X 97/97, DAVorm. 1997, 925; zust. auch von Bar, Bd. II Rz. 42; a.A. OLG Düsseldorf v. 25.11.1994 – 22 U 23/94, FamRZ 1995, 1066 = IPRax 1996, 199 (m. Anm. Baetge, IPRax 1996, 185). 3 Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 102.

Hausmann | 925

§ 6 Rz. 6.1152 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

dd) Allgemeine Vorschriften

6.1152

Die Kollisionsnormen des Übereinkommens gelten nach Art. 20 KSÜ als „loi uniforme“, d.h. auch dann, wenn das von ihnen bestimmte Recht dasjenige eines Nichtvertragsstaats ist. Damit wird Art. 21 EGBGB bezüglich des auf die elterliche Sorge kraft Gesetzes anwendbaren Rechts durch Art. 16 KSÜ vollständig verdrängt, wenn der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland oder in einem anderen Vertragsstaat des KSÜ hat. Der Unterschied ist im Ergebnis gering, weil beide Vorschriften an das Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes anknüpfen.

6.1153

Abweichungen ergeben sich allerdings bezüglich der Beachtung einer Rück- oder Weiterverweisung. Wird nämlich auf das Recht eines Vertragsstaats des KSÜ verwiesen, so ist künftig – anders als bisher nach Art. 21 EGBGB – dessen Sachrecht anzuwenden (Art. 21 Abs. 1 KSÜ). Verweist Art. 16 KSÜ hingegen auf das Recht eines Nichtvertragsstaats, so ist eine Weiterverweisung auf das Recht eines anderen Nichtvertragsstaats, der diese Verweisung annimmt, nach Art. 21 Abs. 2 KSÜ zu beachten1. Nimmt jener Staat die (Weiter-)Verweisung nicht an, so verbleibt es hingegen bei der Anwendung des Sachrechts am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Kindes. Soweit schließlich die nach Art. 5 ff. KSÜ für die Anordnung von Schutzmaßnahmen international zuständigen Behörden ausnahmsweise nicht die lex fori, sondern gem. Art. 15 Abs. 2 KSÜ ausländisches Recht anwenden, handelt es sich in jedem Fall um eine Sachnormverweisung. ee) Übergangsrecht

6.1154

Eine ausdrückliche Regelung zur intertemporalen Geltung von Art. 16 KSÜ fehlt. Art. 53 Abs. 1 KSÜ regelt das Übergangsrecht auf dem Gebiet des Kollisionsrechts nur für (Schutz-) Maßnahmen nach Art. 152. Art. 53 Abs. 1 KSÜ ist jedoch auf kraft Gesetzes bestehende Sorgeverhältnisse analog anzuwenden; allerdings sind hierbei die Grundsätze in Art. 16 Abs. 2–4 KSÜ ebenfalls entsprechend heranzuziehen mit der Folge, dass sie den Grundsatz der Wandelbarkeit des Sorgerechtsstatuts auch in Übergangsfällen einschränken3. Danach hat zwar Art. 16 KSÜ für die Beurteilung der elterlichen Sorge ab dem 1.1.2011 die autonome Kollisionsnorm in Art. 21 EGBGB abgelöst (Rz. 6.1103). Da ein Statutenwechsel nach Art. 16 Abs. 4 KSÜ aber nur zum Erwerb, nicht zum Verlust des Sorgerechts führen kann (Rz. 6.1145), sollte dies auch in Übergangsfällen gelten. Eine vor dem 1.1.2011 unter Geltung von Art. 21 EGBGB kraft Gesetzes erworbene sorgerechtliche Position sollte daher im Interesse der Kontinuität und des Kindeswohls auch nach diesem Zeitpunkt erhalten bleiben, selbst wenn sie nach dem nunmehr von Art. 16 Abs. 1 KSÜ zur Anwendung berufenen Recht nicht bestünde4. Lediglich der Eintritt neuer sorgerechtlicher Tatbestände unterliegt nunmehr Art. 16 Abs. 1 KSÜ.

1 Lagarde-Bericht, Rz. 116; Siehr, RabelsZ 62 (1998), 464 (487); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 685. 2 BT-Drucks. 16/12068, S. 72; OLG Frankfurt a.M. v. 26.3.2015 – 4 UF 365/14, FamRZ 2015, 1633 (Rz. 15); OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 17); Rauscher, NJW 2011, 2332 (2333); Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 199; a.A. BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 31). 3 Rauscher, NJW 2011, 2332 (2333); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 641; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 17. 4 So auch OLG Frankfurt a.M. FamRZ 2015, 1633 (1634); Rauscher, NJW 2011, 2332 (2333); Benicke, IPRax 2013, 44 (46); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 641; Andrae, IntFamR § 9 Rz. 112; Thorn, in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 17; a.A. (Nichtrückwirkung des Übereinkommens) OLG Karlsruhe v. 5.3.2013 – 18 UF 298/12, FamRZ 2013, 1238 (Rz. 24).

926 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1157 § 6

Auch die Wirksamkeit von Sorgerechtserklärungen ist nicht nach dem Recht am jeweiligen gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zu beurteilen mit der Folge, dass am 1.1.2011 insoweit ein Statutenwechsel eingetreten wäre1. Denn Art. 16 Abs. 2 KSÜ unterwirft die Zuweisung der elterlichen Sorge durch Vereinbarung der Eltern dem Recht des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes beim Wirksamwerden der Vereinbarung; ein Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes ist hierauf ohne Einfluss, weil weder Art. 16 Abs. 1 noch Abs. 4 KSÜ für die Zuweisung des Sorgerechts durch Vereinbarung gelten. Diese Unwandelbarkeit der Anknüpfung ist auch in Übergangsfällen zu beachten. Ein Sorgerecht, das vor dem 1.1.2011 unter Geltung von Art. 21 EGBGB durch wirksam abgegebene Sorgeerklärungen erworben wurde, bleibt daher auch nach diesem Zeitpunkt unter Geltung von Art. 16 KSÜ bestehen2.

6.1155

e) Anerkennung und Vollstreckung Die von den Behörden eines Vertragsstaates getroffenen Maßnahmen sind in den anderen Vertragsstaaten kraft Gesetzes anzuerkennen (Art. 23 Abs. 1 KSÜ). Etwaige Versagungsgründe zählt Art. 23 Abs. 2 KSÜ erschöpfend auf. Dazu gehören insbesondere die fehlende internationale Zuständigkeit, die Versagung rechtlichen Gehörs und ein offensichtlicher Verstoß gegen den ordre public des Anerkennungsstaates3. Auch die Vollstreckung der Schutzmaßnahmen eines anderen Vertragsstaats darf nur aus einem dieser Gründe versagt werden (Art. 26 Abs. 3 KSÜ). Im Verhältnis der Mitgliedstaaten der EuEheVO werden die Vorschriften des KSÜ über die Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung allerdings wiederum durch die Art. 21, 23 ff. EuEheVO verdrängt (Rz. 6.1109). Dies gilt sogar dann, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Staates hat, der nicht Mitgliedstaat der EU, aber Vertragsstaat des KSÜ ist (Art. 61 lit. b EuEheVO)4. Hat also ein Gericht eines anderen Vertragsstaats des KSÜ eine Schutzmaßnahme getroffen, so ist diese nach Art. 23 ff. EuEheVO im Inland anzuerkennen, wenn der Ursprungsstaat Mitgliedstaat der Verordnung ist; nur wenn dies nicht der Fall ist, ergibt sich die Anerkennungspflicht aus Art. 23 KSÜ. Der Einfluss dieser Schutzmaßnahmen auf die gesetzliche Vertretung des Minderjährigen bestimmt sich auch für diesen Fall nach dem Gleichlaufprinzip des KSÜ; maßgebend ist daher das Recht des Staates, dessen Gericht die Maßnahme getroffen hat.

6.1156

3. Autonomes deutsches Kollisionsrecht Art. 21 EGBGB wird, soweit es um die Vertretung kraft Gesetzes geht, durch die Art. 16, 17 KSÜ vollständig verdrängt; denn die Kollisionsnormen des KSÜ beanspruchen nach dessen Art. 20 einen universellen Geltungsbereich (Rz. 6.1152). Soweit es um die Anordnung von Schutzmaßnahmen geht, hat Art. 15 KSÜ Vorrang vor Art. 21 EGBGB, wenn die internationale Zuständigkeit entweder aus Art. 8 ff. EuEheVO oder aus Art. 5 ff. KSÜ folgt (Rz. 6.1120 ff.). Damit bleibt für die Anwendung des autonomen deutschen Kollisionsrechts auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung nur noch in den seltenen Fällen Raum in, denen ein nur nach §§ 98 Abs. 3, 99 FamFG international zuständiges deutsches Gericht Schutz-

1 So aber BGH v. 16.3.2011 – XII ZB 407/10, NJW 2011, 2360 (Rz. 33); Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB D Rz. 199. 2 Rauscher, NJW 2011, 2332 (2333); Benicke, IPRax 2013, 44 (46); Hausmann, IntEuFamR F Rz. 643. 3 Zu Einzelheiten Hausmann, IntEuFamR N Rz. 355 ff. 4 Hausmann, IntEuFamR N Rz. 25, 331.

Hausmann | 927

6.1157

§ 6 Rz. 6.1157 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

maßnahmen für ein Kind ergreifen muss, das seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Staat hat, der weder der EU angehört, noch Vertragsstaat des KSÜ oder des MSA ist1. Soweit es um die Anordnung von Schutzmaßnahmen geht, gilt dies auch dann, wenn das Kind älter als 18 Jahre ist (Art. 2 KSÜ), aber nach seinem Heimatrecht (Art. 7 EGBGB) noch minderjährig ist und deshalb der gesetzlichen Vertretung bedarf2.

6.1158

In dieser Situation verweist Art. 21 EGBGB – wie Art. 16 Abs. 1 KSÜ – auf das Recht des Landes, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt3 hat. Dabei handelt sich um eine wandelbare Anknüpfung4. Die Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts in ein anderes Land führt daher zu einem Statutenwechsel; dieser kann – anders als nach Art. 16 Abs. 3 KSÜ (Rz. 6.1143 f.) – auch den Verlust des nach dem bisherigen Aufenthaltsrecht gegebenen Sorgerechts (und damit der gesetzlichen Vertretungsmacht) zur Folge haben5. Maßgebend ist also der gewöhnliche Aufenthalt des Minderjährigen im Zeitpunkt der Vornahme des Vertretergeschäfts.

6.1159

Hat der Minderjährige seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland, so sind – abweichend von Art. 16 i.V.m. Art. 21 KSÜ – Rück- und Weiterverweisungen uneingeschränkt zu beachten6. Sie können sich insbesondere bei Verweisung auf ein Recht ergeben, dessen Kollisionsrecht die elterliche Sorge noch nach dem Heimatrecht des Kindes oder der Eltern beurteilt7. Hat das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Kanada oder den USA, so kommt auch eine Rückverweisung auf die deutsche lex rei sitae in Betracht, soweit die gesetzliche Vertretung bei schuld- oder sachenrechtlichen Geschäften über deutsche Grundstücke in Rede steht8.

V. Schutz des Rechtsverkehrs Literatur: Bader, Der Schutz des guten Glaubens in Fällen mit Auslandsberührung, MittRheinNotK 1994, 161; G. Fischer, Verkehrsschutz im internationalen Vertragsrecht (1990); Liessem, Guter Glaube beim Grundstückserwerb von einem durch seinen Güterstand verfügungsbeschränkten Ehegatten?, NJW 1989, 497; Lipp, Verkehrsschutz und Geschäftsfähigkeit im IPR, RabelsZ 63 (1999), 107; Schotten, Der Schutz des Rechtsverkehrs im IPR, DNotZ 1994, 670.

1. Mangelnde Geschäftsfähigkeit a) Art. 13 Rom I-VO

6.1160

Die absolute Geltung der in Art. 7 Abs. 1 EGBGB vorgeschriebenen Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit an das Heimatrecht würde für den inländischen Rechtsverkehr eine ständige Quelle der Unsicherheit bedeuten. Auch bei alltäglichen Umsatzgeschäften wäre der inländi1 Hausmann, IntEuFamR F Rz. 599 und in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 324. 2 Vgl. Hausmann, IntEuFamR F Rz. 599 3 Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts in diesem Zusammenhang Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 15 ff. 4 OLG Karlsruhe v. 18.3.2010 – 2 UF 179/09, FamRZ 2010, 1577 (1578); Andrae, IntFamR § 9 Rz. 140; Helms in MünchKomm, Art. 21 EGBGB Rz. 16; Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 24 ff. 5 Hausmann, IntEuFamR F Rz. 723 f.; Henrich in Staudinger, Art. 21 EGBGB Rz. 26. 6 BGH v. 20.7.2016 – XII ZB 489/15, FamRZ 2016, 1747 (Rz. 19); OLG Brandenburg v. 3.3.2014 – 9 UF 275/11, BeckRS 2014, 06655; OLG Koblenz v. 4.8.2004 – 11 UF 771/03, IPRspr. 2005 Nr. 71; Dutta, FamRZ 2016, 146 f.; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 722; Henrich in Staudinger, Rz. 32 ff.; Heiderhoff in BeckOK BGB, Rz. 26; Helms in MünchKomm, Rz. 17, jeweils zu Art. 21 EGBGB. 7 Dazu Hausmann in Staudinger, Art. 4 EGBGB Rz. 323 f. 8 IPG 1975 Nr. 27 (Hamburg) (zur gesetzlichen Vertretung von kanad. Minderjährigen durch ihre Eltern beim Verkauf eines deutschen Grundstücks).

928 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1162 § 6

sche Kaufmann gehalten, sich über die Staatsangehörigkeit seiner Kunden und die in deren Heimatstaaten geltenden Vorschriften über die Geschäftsfähigkeit zu unterrichten. Art. 12 S. 1 EGBGB schränkte daher den Staatsangehörigkeitsgrundsatz schon bisher ein, um den gutgläubigen Vertragspartner vor den Gefahren der Geltung eines vom Recht des Abschlussortes abweichenden ausländischen Personalstatuts des anderen Teils zu schützen1. Diese Vorschrift wird seit dem 17.12.2009 im sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO durch deren Art. 13 – ohne Änderung in der Sache – verdrängt (Art. 3 Nr. 1 lit. b EGBGB). Dieser Vorschrift kommt angesichts des vergleichsweise niedrigen Volljährigkeitsalters in der Bundesrepublik Deutschland bei Vertragsschlüssen im Inland erhebliche praktische Bedeutung zu; für ihre Auslegung gelten die zu Art. 12 S. 1 EGBGB entwickelten Grundsätze fort. b) Voraussetzungen des Verkehrsschutzes aa) Aufenthalt der Vertragspartner in demselben Staat Der Schutz des Art. 13 Rom I-VO kommt nur Personen zugute, die sich bei Vertragsabschluss – wenn auch nur vorübergehend2 – in demselben Staat befunden haben. Diese Regelung ist im Hinblick auf ihren Ausnahmecharakter eng auszulegen; erforderlich ist daher die persönliche Anwesenheit beider Vertragsparteien bei Abgabe ihrer Willenserklärungen in demselben Staat. Ausgeschlossen ist der Verkehrsschutz hingegen bei grenzüberschreitenden Distanzgeschäften. Es genügt also weder ein Angebot ins Ausland, noch die Annahme eines ausländischen Angebots – z.B. per Internet – im Inland3. Ein Geschäft unter am gleichen Ort Anwesenden wird hingegen nicht vorausgesetzt4. Da Art. 13 Rom I-VO für die Anwendung inländischer Geschäftsfähigkeitsmaßstäbe lediglich auf den Vertragsschluss im Inland abstellt, spielen Staatsangehörigkeit und Wohnsitz der Vertragsparteien keine Rolle. Wird der Vertrag im Inland geschlossen, so greift die Norm also auch dann ein, wenn beide Vertragspartner Ausländer sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt bzw. Wohnsitz im Ausland haben5. Im Gegensatz zu Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. ist Art. 13 Rom I-VO freilich allseitig gefasst und schützt damit auch bei Vertragsschlüssen im Ausland6. Maßgebender Zeitpunkt für die Anwesenheit beider Parteien im gleichen Staat ist die Abgabe – nicht der Zugang – der auf den Vertragsschluss gerichteten Willenserklärungen7.

6.1161

Wird der Vertrag durch Vertreter abgeschlossen, so reicht allerdings die Anwesenheit des Vertreters im Vornahmestaat aus. Diese Erweiterung des Verkehrsschutzes lässt sich zwar nicht auf eine analoge Anwendung von Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO stützen8, weil diese Vor-

6.1162

1 Kegel in Soergel, Rz. 1; Hausmann in Staudinger, Rz. 10 ff., jeweils zu Art. 12 EGBGB. 2 Eine Mindestdauer des Aufenthalts wird im Interesse der Rechtssicherheit nicht vorausgesetzt, vgl. Schotten, DNotZ 1994, 670 (671); Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 38. 3 G. Fischer, S. 39 f.; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 55 f.; Hausmann in Staudinger, Rz. 39, Stürner in Erman, Art. 13 Rom I-VO Rz. 5, jeweils zu Art. 13 Rom I-VO. 4 G. Fischer, S. 35 f.; Kegel in Soergel, Art. 12 EGBGB Rz. 4; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 37 m.w.N. 5 Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107 (135); Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 39; Stürner in Erman, Art. 13 Rom I-VO Rz. 5; einschränkend (keine Anwendung von Art. 13 Rom I-VO bei gleicher Staatsangehörigkeit der Vertragsparteien) Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom IVO Rz. 27. 6 von Bar/Mankowski, Bd. II § 6 Rz. 34; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 4. 7 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 46 m.w.N. 8 So aber Liessem, NJW 1989, 497 (501); Bader, MittRheinNotK 1994, 161 (162); Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107 (136); Thorn in Palandt, Art. 13 Rom III-VO Rz. 3.

Hausmann | 929

§ 6 Rz. 6.1162 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

schrift lediglich den für die alternative Anknüpfung des Formstatuts maßgeblichen Vornahmeort bei Einschaltung eines Vertreters festlegt, ohne das Erfordernis einer gleichzeitigen Anwendbarkeit der Vertragsschließenden in demselben Staat aufzustellen. Nach dem Normzweck des Art. 13 Rom I-VO ist der inländische Vertragspartner einer nach ihrem ausländischen Heimatrecht nicht geschäftsfähigen Partei aber schon dann schutzwürdig, wenn diese Partei durch einen Vertreter am inländischen Rechtsverkehr teilnimmt; einer persönlichen Anwesenheit der geschäftsunfähigen Partei selbst im Vornahmestaat bedarf es in diesem Fall nicht1. Zu beachten ist allerdings, dass die mangelnde Geschäftsfähigkeit des Vertretenen nicht die Wirksamkeit des Vertretergeschäfts, sondern nur die Wirksamkeit der Vollmacht betrifft. Wurde diese aber im Ausland erteilt, so greift Art. 13 Rom I-VO nicht ein; es gilt vielmehr Art. 7 EGBGB mit der Folge, dass der Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt hat2. bb) Gutgläubigkeit des Drittkontrahenten

6.1163

Während der Verkehrsschutz nach dem früheren Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. ohne Rücksicht darauf gewährt wurde, ob der andere Vertragsteil die fehlende Geschäftsfähigkeit seines ausländischen Partners kannte oder erkennen konnte, ist der Schutz durch Art. 13 Rom I-VO auf Fälle beschränkt, in denen der andere Vertragsteil gutgläubig ist, d.h. die mangelnde Geschäftsfähigkeit seines Partners bei Vertragsschluss weder gekannt, noch infolge von (auch leichter) Fahrlässigkeit nicht gekannt hat. Ein Verkehrsschutz scheidet daher aus, wenn die Minderjährigkeit des anderen Teils bereits aus der notariellen oder schriftlichen Vertragsurkunde hervorgeht3. Da Art. 13 Rom I-VO den Rechtsverkehr im Vornahmestaat vor dort unbekannten Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit nach fremdem Recht schützen soll, sind nur Irrtümer über die Rechtslage, nicht Irrtümer über Tatsachen relevant4. Ein beachtlicher Rechtsirrtum kann sich nicht nur auf fremdes Sachrecht (nämlich die dortige Regelung der Geschäftsfähigkeit, z.B. das Volljährigkeitsalter) beziehen, sondern auch auf fremdes Kollisionsrecht (z.B. die dort hinsichtlich der Geschäftsfähgikeit vorgesehene Weiterverweisung auf ein drittes Recht)5. Ein solcher Irrtum ist nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil beide Parteien die gleiche ausländische Staatsangehörigkeit haben6. Demgegenüber sind Irrtümer über das Alter, die Ausländereigenschaft oder den Wohnsitz des Vertragspartners unbeachtliche Tatsachenirrtümer.

6.1164

Nach Art. 13 Rom I-VO schadet nicht nur positive Kenntnis, sondern auch fahrlässige Unkenntnis der mangelnden Geschäftsfähigkeit nach fremdem Recht. Der anzulegende Sorgfaltsmaßstab ist nicht dem Recht des Vornahmestaates – in Deutschland also den §§ 122

1 Vgl. näher Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 41 ff.; im Erg. ebenso G. Fischer, S. 39 f.; a.A. Schotten, DNotZ 1994, 670 (671); Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-VO Rz. 62. 2 Dies gilt auch dann, wenn von der Vollmacht im Inland Gebrauch gemacht wurde, vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 42. 3 Vgl. OLG Hamm v. 23.11.1995 – 22 U 227/94, NJW-RR 1996, 1144; OLG Nürnberg v. 4.4.1995 – 3 U 4115/94, ZIP 1995, 1329 = NJW-RR 1995, 1144. 4 Liessem, NJW 1989, 497 (501 f.); Schotten, DNotZ 1994, 670 (672); von Bar/Mankowski, Bd. II, Rz. 59; Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-VO Rz. 71 ff., 81 ff. 5 Vgl. dazu näher Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 53; a.A. Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107 (140 f.); Mäsch in BeckOK BGB, Art. 13 Rom I-VO Rz. 32. 6 G. Fischer, S. 50 ff.; Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107 (135); Thorn, in Rauscher, Art. 13 Rom I-VO Rz. 13; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 56; a.A. Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-VO Rz. 71 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 13 Rom I-VO Rz. 32; von Bar, II Rz. 59.

930 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1167 § 6

Abs. 2, 276 BGB – zu entnehmen, sondern verordnungsautonom zu bestimmen1. Danach ist der Vertragspartner nur schutzwürdig, wenn man ihm nicht zumuten kann, sich über das ausländische Recht selbst zu informieren. Eine solche Erkundigungspflicht besteht jedenfalls bei alltäglichen Markt- und Ladengeschäften nicht2. Im Übrigen kommt es insoweit auf die wirtschaftliche Bedeutung des Geschäfts, die Geschäftsgewandtheit der Parteien, die zur Verfügung stehende Verhandlungszeit und die Üblichkeit rechtlicher Beratung bei Geschäften der betreffenden Art an3. Die Beweislast für die fahrlässige Unkenntnis des Vertragspartners trägt die geschäftsunfähige Partei4. Demgemäß ist bei Transaktionen mit erheblichem wirtschaftlichen Gewicht ein strengerer Sorgfaltsmaßstab anzulegen als bei Verbrauchergeschäften des täglichen Lebens. Auch können von einem Kaufmann weitergehende Nachforschungen verlangt werden als von einem mit den Gefahren des internationalen Rechtsverkehrs nicht vertrauten Privatmann5. Ist es verkehrsüblich, bei Geschäften der in Rede stehenden Art rechtskundigen Rat einzuholen, so scheidet ein Verkehrsschutz nach Art. 13 Rom I-VO aus, wenn auf eine entsprechende rechtliche Beratung verzichtet wird6.

6.1165

Eine solche Informationspflicht besteht namentlich bei Grundstücksgeschäften; auf Risiken der mangelnden Rechts- oder Geschäftsfähigkeit einer Partei nach ausländischem Recht hat auch der beurkundende Notar hinzuweisen, auch wenn er zu einer Belehrung über den Inhalt des ausländischen Geschäftsfähigkeitsrechts nicht verpflichtet ist (§ 17 Abs. 3 BeurkG). Die bloße Kenntnis der Ausländereigenschaft des Kontrahenten rechtfertigt den Vorwurf der fahrlässigen Unkenntnis allerdings jedenfalls bei alltäglichen Laden- oder Marktgeschäften nicht7. Bei formbedürftigen Geschäften (z.B. Grundstückskaufverträgen) oder Vertragsschlüssen von erheblichem wirtschaftlichen Gewicht wird man dem Vertragspartner eines ausländischen Minderjährigen hingegen eine Erkundigungspflicht auferlegen müssen8. Die Beweislast für die Bösgläubigkeit des inländischen Vertragspartei trifft die geschäftsunfähige Partei, die sich auf die Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis beruft9.

6.1166

cc) Verkehrsgeschäft Art. 13 Rom I-VO bezieht sich zwar nach seinem Wortlaut – wie die gesamte Verordnung – unmittelbar nur auf Schuldverträge. Eine analoge Anwendung auf einseitige zugangsbedürf1 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 57; Stürner in Erman, Art. 13 Rom I-VO Rz. 6; a.A. Liessem, NJW 1989, 497 (501). 2 G. Fischer S. 70; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 57. 3 G. Fischer, S. 48 f.; Schotten, DNotZ 1994, 670 (672); von Bar, Bd. II Rz. 59. 4 Wolfsteiner, DNotZ 1987, 82; Thorn in Palandt, Art. 13 Rom I-VO Rz. 3. 5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-VO Rz. 82 ff., 86; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 58. 6 Vgl. BGH v. 23.4.1998 – III ZR 194/96, NJW 1998, 2452 = IPRax 1999, 104 (m. Anm. Schütze, IPRax 1999, 87) (Zur Verpflichtung eines deutschen Unternehmens, sich über die [Rechts-] Fähigkeit einer kroat. Gesellschaft zum Abschluss von Außenhandelsverträgen zu informieren). 7 Liessem, NJW 1989, 497 (501); von Hoffmann/Thorn, § 7 Rz. 10; Thorn in Palandt, Art. 13 Rom IVO Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 13 Rom I-VO Rz. 6; a.A. Goldschmidt, FS Kegel, S. 171. 8 So Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107 (191); auch Ferid, IPR Rz. 5–30; Kropholler, IPR, § 42 I 3a; von Bar, Bd. II Rz. 59; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 58; G. Fischer, S. 51 f. m.w.N. 9 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 61 m.w.N.

Hausmann | 931

6.1167

§ 6 Rz. 6.1167 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

tige Rechtsgeschäfte, die im Zusammenhang mit einem Schuldvertrag stehen (z.B. Anfechtung, Kündigung, Rücktritt u.Ä.) ist indessen wegen der vergleichbaren Interessenlage zulässig und geboten1. Ferner bezieht sich der Verkehrsschutz auch auf verfügende Verträge, soweit sie – wie die Forderungsabtretung nach Art. 14 – in den Anwendungsbereich der Rom I-VO fallen.

6.1168

Für den Schutz des Rechtsverkehrs gegen Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit außerhalb des Schuldvertragsrechts, z.B. bei sachenrechtlichen Verfügungsgeschäften, gilt weiterhin Art. 12 S. 1 EGBGB2. Auch dieser Schutz ist allerdings auf sog. „Verkehrsgeschäfte“ beschränkt; er erstreckt sich daher nicht auf familien- und erbrechtliche Rechtsgeschäfte, sowie auf Verfügungen über ausländische Grundstücke. Denn zum einen spielt bei diesen Rechtsgeschäften der Verkehrsschutzgedanke in der Regel nur eine untergeordnete Rolle; zum anderen soll der Entstehung hinkender Rechtsverhältnisse vorgebeugt werden. Dies stellt Art. 12 S. 2 EGBGB ausdrücklich klar.

6.1169

Die Qualifikation der familien- und erbrechtlichen Rechtsgeschäfte i.S.v. Art. 12 S. 2 EGBGB sollte sich an den einschlägigen EU-Verordnungen (Rom III-VO, EuGüVO, EuErbVO), Staatsverträgen (HUP) und an Art. 13–26 EGBGB orientieren3. Zu den familienrechtlichen Rechtsgeschäften zählen danach – neben Verlöbnis, Eheschließung und Adoption – auch Eheverträge sowie Unterhalts- und Scheidungsvereinbarungen, nicht hingegen die nach ausländischem Ehegüter- oder Ehewirkungsstatut erforderlichen Zustimmungen zu bestimmten Verpflichtungs- oder Verfügungsgeschäften (dazu näher Rz. 6.795 ff., Rz. 6.849 ff.). Erbrechtliche Rechtsgeschäfte liegen vor, soweit sie die allgemeine Geschäftsfähigkeit seitens des Erben oder Bedachten voraussetzen. Erfasst werden daher insbesondere Erbvertrag, Erbverzicht und Erbschaftskauf, aber auch die Schenkung von Todes wegen4. Auch die EuErbVO sieht bei erbrechtlichen Geschäften keinen Verkehrschutz nach dem Vorbild des Art. 13 Rom I-VO vor.

6.1170

Auch für Verfügungen über ein ausländisches Grundstück ist gem. Art. 12 S. 2 EGBGB – auf Veräußerer- wie Erwerberseite – stets Geschäftsfähigkeit nach dem Heimatrecht (Art. 7 Abs. 1 EGBGB) notwendig, ohne dass es auf das Recht des Vornahmeorts ankommt. Aus deutscher Sicht sind auch die Geschäftsfähigkeitsvorschriften des Wirkungsstatuts, d.h. der ausländischen lex rei sitae (Art. 43 Abs. 1 EGBGB), daher nur im Falle einer Weiterverweisung durch das Heimatrecht des Verfügenden von Belang5. Die ausschließliche Maßgeblichkeit des Heimatrechts gilt aber nur für das Verfügungsgeschäft, nicht für das zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft. Kaufverträge sowie Miet- und Pachtverträge über ausländische Grundstücke fallen daher unter Art. 13 Rom I-VO. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn das Verpflichtungsgeschäft, also z.B. der Grundstückskaufvertrag – wie in vielen romanischen Rechten – bereits das Eigentum auf den Käufer überträgt; auch auf solche Schuldverträge, die zugleich Verfügungswirkung entfalten, ist Art. 13 Rom I-VO mithin anwendbar6.

1 Vgl. zu Art. 13 Rom I-VO Spellenberg in MünchKomm, Rz. 28; Hausmann in Staudinger, Rz. 22; Thorn in Palandt, Rz. 3; ebenso zu Art. 12 EGBGB Kropholler, IPR, § 42 I 3b; Ferid, Rz. 5–30; von Bar, Bd. II Rz. 60; G. Fischer, S. 42 ff. 2 Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 31. 3 Vgl. Spellenberg in MünchKomm, Art. 12 EGBGB Rz. 59. 4 Vgl. näher Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 56. 5 Kegel in Soergel, Art. 7 EGBGB Rz. 21; Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 5. 6 Vgl. näher Hausmann in Staudinger, Art. 12 EGBGB Rz. 58; a.A. (Aufspaltung des Geschäfts) Kegel in Soergel, Art. 12 EGBGB Rz. 21; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 13 Rom I-VO Rz. 15.

932 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1173 § 6

c) Wirkungen des Verkehrsschutzes aa) Gültiger Vertrag Art. 13 Rom I-VO hat nicht zur Folge, dass anstelle des nach Art. 7 EGBGB anwendbaren Heimatrechts in jedem Fall das Recht des Vornahmestaates anzuwenden ist. Vielmehr kommt dieses Recht nur alternativ zum Zuge, wenn es das Zustandekommen des Vertrages begünstigt. Zu einem wirksamen Vertragsschluss im Inland genügt es also, dass die ausländische Partei entweder nach ihrem Heimatrecht oder nach deutschem Recht die für den Vertrag erforderliche Geschäftsfähigkeit besitzt1.

6.1171

Ist der Vertrag nach dem Recht des Abschlussortes gültig, weil die ausländische Partei nach diesem Recht geschäftsfähig ist, so tritt diese Wirkung automatisch ein, auch ohne dass sich der Vertragspartner ausdrücklich darauf beruft. Dem Vertragspartner steht es andererseits aber auch nicht frei, ob er an dem nach dem Recht des Vornahmestaates gültigen Vertrag festhalten oder dessen Unwirksamkeit wegen mangelnder Geschäftsfähigkeit nach dem Heimatrecht des anderen Teils geltend machen will2. Eine derartige unbefristete Schwebewirkung von Rechtsgeschäften wäre mit dem von Art. 13 Rom I-VO verfolgten Zweck, Unsicherheit über die Gültigkeit von Rechtsgeschäften, die ihren Grund in der mangelnden Geschäftsfähigkeit einer Partei haben, im Vornahmestaat gerade zu vermeiden, nicht vereinbar3. Insbesondere ein Recht des durch Art. 13 Rom I-VO geschützten Vertragspartners, sich nachträglich von dem nach Ortsrecht wirksamen Vertrag wieder zu lösen, wenn dieser sich als wirtschaftlich ungünstig erweist, kann nicht anerkannt werden (dazu Rz. 6.1039 ff.)4.

6.1172

bb) Ungültiger Vertrag Liegen die Voraussetzungen des Art. 13 Rom I-VO nicht vor, so verbleibt es bei der Beurteilung der Geschäftsfähigkeit nach dem Heimatrecht des jugendlichen Vertragspartners (Art. 7 Abs. 1 EGBGB). Dies gilt – entgegen dem insoweit missverständlichen Wortlaut des Art. 13 Rom I-VO – nicht nur dann, wenn dieser sich auf seine mangelnde Geschäftsfähigkeit beruft; Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit sind vielmehr nach deutschem Recht von Amts wegen zu berücksichtigen5. Ist der ausländische Vertragspartner weder nach seinem Heimatrecht noch nach dem Recht des Abschlussstaates voll geschäftsfähig, so gilt die alternative Anknüpfung in favorem negotii auch für die Rechtsfolgen auf den geschlossenen Vertrag. Ist der von einem deutschen Minderjährigen in England geschlossene Vertrag daher nach dem englischen Vornahmerecht bis zu einem Widerruf vorläufig wirksam, während er nach dem deutschen Heimatrecht des Minderjährigen schwebend unwirksam ist, so kann sich der Vertragspartner auf das ihm günstigere englische Recht berufen6.

1 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 62; Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom IVO Rz. 92 ff. 2 So aber G. Fischer, S. 114 f. 3 Ferid, Rz. 5–30; Kegel in Soergel, Art. 12 EGBGB Rz. 3; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom IVO Rz. 63; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 13 Rom I-VO Rz. 36; Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-VO Rz. 93. 4 Insoweit gilt also auch für Art. 13 Rom I-VO nichts anderes als für Art. 16 Abs. 2 EGBGB. 5 Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom I-VO Rz. 92; Kropholler, IPR, § 42 I 3a; Schotten, DNotZ 1994, 670 (673); für Anwendung des Personalstatuts des Geschäftsunfähigen auf diese Frage Stürner in Erman, Art. 13 Rom I-VO Rz. 7 a.E. 6 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 65; Spellenberg in MünchKomm, Art. 13 Rom IVO Rz. 92.

Hausmann | 933

6.1173

§ 6 Rz. 6.1174 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

2. Mängel der gesetzlichen Vertretung a) Allgemeines

6.1174

Die früher in Deutschland h.M. lehnte eine entsprechende Anwendung des Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. ab, wenn der Vertragsschluss im Inland daran scheiterte, dass ein ausländischer Minderjähriger nach dem als Vertretungsstatut zur Anwendung berufenen Recht nicht ordnungsgemäß gesetzlich vertreten war. Der inländische Geschäftspartner konnte sich insbesondere nicht auf Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. berufen, wenn zum Vertragsschluss nach dem ausländischen Vertretungsstatut – abweichend vom deutschen Recht – eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich war1. Demgegenüber ist Art. 13 Rom I-VO – wie schon Art. 12 S. 1 EGBGB2 – auf Mängel der (elterlichen, vormundschaftlichen oder pflegerischen) gesetzlichen Vertretungsmacht analog anzuwenden3. Im räumlichen und zeitlichen Geltungsbereich des Haager KSÜ hat die in Art. 19 KSÜ enthaltene Verkehrsschutzregel als lex specialis allerdings Vorrang vor der analogen Anwendung des Art. 13 Rom I-VO4. Dies gilt nach Art. 20 KSÜ auch dann, wenn als Vertretungs- oder Abschlussstatut das Recht eines Nichtvertragsstaats zur Anwendung berufen ist.

6.1175

Art. 19 KSÜ enthält eine Regelung zum Schutz des Rechtsverkehrs in dem Staat, in dem von einem gesetzlichen Vertreter ein Rechtsgeschäft im Namen des Kindes vorgenommen wird, gegenüber unbekannten Regelungen der gesetzlichen Vertretung nach ausländischem Recht. Wird also für ein Kind im Inland ein Vertrag durch seinen gesetzlichen Vertreter abgeschlossen, so wird der gutgläubige Vertragspartner in seinem Vertrauen darauf geschützt, dass der Vertreter zum Abschluss des Vertrages berechtigt ist, wenn dies nach deutschem Recht der Fall wäre. Die Vorschrift orientiert sich an dem Vorbild in Art. 11 EVÜ (jetzt Art. 13 Rom IVO), beschränkt den Schutz allerdings auf Mängel der gesetzlichen Vertretungsmacht. Die Verfasser des KSÜ hatten als Anwendungsfall für Art. 19 KSÜ vor allem die Situation vor Augen, dass sich die gesetzliche Vertretung des Kindes nach einem Umzug der Familie in einen anderen Vertragsstaat gem. Art. 16 Abs. 3 KSÜ weiterhin nach dem Recht des früheren Aufenthaltsstaats des Kindes beurteilt. Sind die Eltern des Kindes nicht miteinander verheiratet und stand die elterliche Verantwortung nach dem Recht des früheren Aufenthaltsstaates Vater und Mutter kraft Gesetzes nur gemeinsam zu, so verbleibt es dabei gem. Art. 16 Abs. 3 KSÜ auch dann, wenn die Familie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einen Staat verlegt hat, in dem noch immer der Mutter das alleinige Sorgerecht für ihr nichteheliches Kind zusteht (dazu Rz. 6.1143 f.). Schließt die Mutter in diesem Staat nunmehr ein Rechtsgeschäft mit einem Dritten ab, so wird dieser in seinem guten Glauben an die alleinige gesetzliche Vertretungsmacht der Mutter geschützt5.

1 Beitzke in Staudinger, 12. Aufl., Art. 7 EGBGB Rz. 77; Kegel in Soergel, 11. Aufl., Art. 7 EGBGB Rz. 19. Vgl. auch RG v. 4.4.1932, IPRspr. 1932 Nr. 13 = HRR 1932 Nr. 1670 (Tschech. Staatsangehöriger vermietet das in Deutschland belegene Haus seiner Kinder. Genehmigung des Mietvertrages durch das tschechoslowak. Bezirksgericht wurde versagt. Der Vertrag wurde als nichtig erachtet; Art. 7 Abs. 3 EGBGB a.F. fand keine Anwendung.). 2 G. Fischer, S. 191 f.; Ferid, IPR, Rz. 5–30, 6; Kegel/Schurig, IPR § 17 I 2d a.E.; von Bar, Bd. II Rz. 346; Kropholler, IPR, § 42 I 3d. 3 Hausmann in Staudinger, Rz. 26 f.; Thorn in Palandt, Rz. 3; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 49; a.A. Thomale in NK BGB, Rz. 23, jeweils zu Art. 13 Rom I-VO. 4 Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 29. 5 Vgl. Lagarde-Bericht, Rz. 111; Benicke in NK-BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 2.

934 | Hausmann

E. Beschränkungen bei jugendlichen Personen | Rz. 6.1178 § 6

Art. 19 KSÜ regelt den Verkehrsschutz ausschließlich in Fällen der mangelnden Vertretungsmacht des für das Kind handelnden gesetzlichen Vertreters. Dieser Mangel der Vertretungsmacht kann sich entweder kraft Gesetzes aus dem gem. Art. 16, 17 KSÜ auf die elterliche Verantwortung anwendbaren Recht oder aus einer im gewöhnlichen Aufenthaltsstaat des Kindes ergangenen oder dort anerkannten Schutzmaßnahme ergeben. Während der Anwendungsbereich von Art. 13 Rom I-VO auf sog Verkehrsgeschäfte beschränkt ist und insbesondere familien- und erbrechtliche Geschäfte aus dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Verkehrsschutznorm ausgeklammert werden, gilt eine entsprechende Einschränkung für Art. 19 KSÜ nicht. Die Vorschrift gilt vielmehr für Rechtsgeschäfte jeder Art1.

6.1176

b) Voraussetzungen des Verkehrsschutzes aa) Rechtsgeschäft unter Anwesenden im Hoheitsgebiet desselben Staates Der Verkehrsschutz nach Art. 19 Abs. 1 KSÜ greift gem. Abs. 2 nur bei Rechtsgeschäften ein, die von den Beteiligten im Hoheitsgebiet desselben Staates abgeschlossen wurden. Erforderlich ist also die persönliche Anwesenheit des gesetzlichen Vertreters und des Drittkontrahenten in demselben Staat. Ausgeschlossen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift sind damit – wie nach Art. 13 Rom I-VO (dazu Rz. 6.1161) – vor allem grenzüberschreitende Distanzgeschäfte. Soweit Art. 19 Abs. 2 KSÜ weitergehend den Abschluss eines Rechtsgeschäfts unter Anwesenden fordert, ist dies nicht in dem Sinne zu verstehen, dass gesetzlicher Vertreter und Vertragspartner sich am gleichen Ort aufgehalten haben müssen: Aus der englischen und französischen Originalfassung der Vorschrift geht vielmehr unmissverständlich hervor, dass die Anwesenheit im gleichen Staat genügt; der Drittkontrahent wird daher auch dann geschützt, wenn Angebot und Annahme an verschiedenen Orten innerhalb des gleichen Staates abgegeben werden2.

6.1177

Im Rahmen von Art. 19 Abs. 2 KSÜ ist allerdings allein auf die Anwesenheit des gesetzlichen Vertreters, nicht auf diejenige des vertretenen Kindes abzustellen. Schließt der gesetzliche Vertreter daher im Inland einen Vertrag mit einem Dritten ab, so wird letzterer auch dann geschützt, wenn das vertretene Kind sich bei Vertragsschluss im Ausland aufgehalten hat3. Der Verkehrsschutz knüpft nur an den Vertragsschluss zwischen dem gesetzlichen Vertreter und dem Drittkontrahenten im gleichen Staat an; andere Anknüpfungskriterien sind daher unerheblich. Dies gilt insbesondere für die Staatsangehörigkeit und den gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz der Beteiligten. Geschützt wird aufgrund der allseitigen Fassung der Vorschrift aber nicht nur der inländische, sondern auch der ausländische Rechtsverkehr; dabei ist der Verkehrsschutz auch nicht auf Vertragsschlüsse in anderen Vertragsstaaten des KSÜ beschränkt.

6.1178

1 Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 115; Benicke in NK-BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 3; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 670. 2 Lagarde-Bericht Rz. 114; Pirrung in Staudinger, Vorbem. zu Art. 19 EGBGB Rz. D 114; Benicke in NK-BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 4; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 671. 3 Insoweit gilt Art. 19 KSÜ also auch für Distanzgeschäfte, vgl. Benicke in NK BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 4; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 44; a.A. Krah S. 238; Gruber in Geimer/ Schütze, IRV, Art. 19 KSÜ Rz. 11.

Hausmann | 935

§ 6 Rz. 6.1179 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

bb) Gutgläubigkeit des Drittkontrahenten

6.1179

Der Verkehrsschutz setzt nach Art. 19 Abs. 1 KSÜ weiterhin voraus, dass der Drittkontrahent gutgläubig ist, d.h. weder wusste noch wissen konnte, dass sich die gesetzliche Vertretung nicht nach dem Recht des Staates beurteilt, in dem das Rechtsgeschäft vorgenommen wurde. Am guten Glauben fehlt es bereits dann, wenn der Drittkontrahent wusste oder wissen konnte, dass Vertretungsstatut nicht das Recht des Vornahmestaates, sondern ausländisches Recht ist; sein guter Glaube, dass die Regelung der gesetzlichen Vertretung im ausländischen Recht derjenigen des Vornahmestaates entspricht, wird nicht geschützt1.

6.1180

Bezüglich der Anforderungen an die Kenntnis bzw. fahrlässige Unkenntnis des Drittkontrahenten kann im Wesentlichen auf das zu Art. 13 Rom I-VO (Rz. 6.1163 ff.) Gesagte verwiesen werden. Ist dem Drittkontrahenten also bei Abschluss eines Geschäfts von wirtschaftlichem Gewicht (z.B. eines Grundstücksgeschäfts) bekannt, dass das gesetzlich vertretene Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat oder bis vor kurzem dort hatte, so besteht grundsätzlich eine Erkundigungspflicht; zu seiner Absicherung kann sich der Vertragspartner vom gesetzlichen Vertreter eine Vertreterbescheinigung nach Art. 40 KSÜ vorlegen lassen2. Der fehlende gute Glaube ist von derjenigen Partei zu beweisen, die sich auf die mangelnde gesetzliche Vertretungsmacht beruft3. c) Rechtsfolge

6.1181

Liegen die Voraussetzungen des Art. 19 KSÜ vor, so beurteilt sich die gesetzliche Vertretungsmacht im Interesse einer Begünstigung des Zustandekommens des Geschäfts alternativ nach dem Recht des Vornahmestaates. War der Vertreter nach diesem Recht (allein) vertretungsberechtigt, so ist das von ihm getätigte Rechtsgeschäft mit Wirkung für und gegen das vertretene Kind gültig. An diesen Scheinvertreter können daher von gutgläubigen Vertragspartnern im Vornahmestaat auch Zahlungen mit befreiender Wirkung vorgenommen werden4. Ist das Geschäft wegen fehlender gesetzlicher Vertretungsmacht unwirksam, so sind die Rechtsfolgen (Nichtigkeit, Anfechtbarkeit etc.) dem jeweiligen Wirkungsstatut des Geschäfts zu entnehmen5.

VI. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung 1. Geschäftsfähigkeit 6.1182

a) Ob ein Jugendlicher die für einen Vertragsabschluss erforderliche Geschäftsfähigkeit besitzt, wird nicht nach dem Vertragsstatut beurteilt, sondern gesondert angeknüpft. Maßgebend ist nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB das Heimatrecht, ab 1.1.2023 das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Jugendlichen. Eine Rück- oder Weiterverweisung – z.B. auf das Wohnsitzrecht oder das Vertragsstatut, ab 1.1.2023 auch auf das Heimatrecht – ist nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten.

6.1183

b) Das Heimatrecht des Jugendlichen entscheidet über die Voraussetzungen voller oder beschränkter Geschäftsfähigkeit, d.h. über Volljährigkeitsalter, Geschäftsfähigkeitsstufen, Emanzipation und Volljährigkeitserklärung, Mündigkeit kraft Eheschließung und Teil1 2 3 4 5

Benicke in NK BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 7; Hausmann, IntEuFamR F Rz. 674. Benicke in NK BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 10. Gruber in Geimer/Schütze, IRV, Art. 19 KSÜ Rz. 15. Lagarde-Bericht, Rz. 112; Benicke in NK BGB, Art. 19 KSÜ Rz. 14. Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 52 a.E.

936 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1189 § 6

geschäftsfähigkeiten. Nach dem Heimatrecht sind auch die Prozessfähigkeit und die Rechtsfolgen fehlender Geschäftsfähigkeit (z.B. Nichtigkeit, schwebende Unwirksamkeit etc.) zu beurteilen. c) Ob für einen Vertragsschluss überhaupt Geschäftsfähigkeit erforderlich ist, bestimmt hingegen das Wirkungsstatut, bei Verträgen also das Vertragsstatut. Auch besondere Geschäftsfähigkeiten (z.B. im Wertpapier-, Familien- und Erbrecht) ergeben sich aus dem jeweiligen Wirkungsstatut des Geschäfts.

6.1184

2. Gesetzliche Vertretung a) Auf dem Gebiet der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger haben heute die Kollisionsregeln des Haager Kinderschutzabkommens von 1996 Vorrang vor dem autonomen Kollisionsrecht.

6.1185

b) Hat ein deutsches Gericht Schutzmaßnahmen zugunsten eines Minderjährigen getroffen, z.B. die elterliche Sorge nach Scheidung der Ehe geregelt, eine Vormundschaft oder Ergänzungspflegschaft angeordnet, so bestimmt sich die gesetzliche Vertretungsbefugnis des Sorgerechtsinhabers, Vormunds oder Pflegers gem. Art. 15 Abs. 1 KSÜ nach deutschem Recht. Dies gilt auch dann, wenn das deutsche Gericht seine internationale Zuständigkeit nicht auf die Art. 5 ff. KSÜ, sondern auf die vorrangigen Art. 8 ff. EuEheVO stützt.

6.1186

c) Das KSÜ regelt – anders als bisher Art. 3 MSA – auch das auf die gesetzliche Vertretungsmacht anwendbare Recht in Art. 16 und 17 einheitlich für die Vertragsstaaten und verdrängt aufgrund seines universellen Anwendungsbereichs (Art. 20 KSÜ) das autonome Kollisionsrecht der Vertragsstaaten vollständig. Anknüpfungspunkt ist der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes. Ein Renvoi ist nur ausnahmsweise zu beachten (Art. 21 KSÜ).

6.1187

d) Das Statut der gesetzlichen Vertretung – und nicht das Vertragsstatut – bestimmt auch, ob der gesetzliche Vertreter zum Abschluss gewisser folgenschwerer Verträge für den Minderjährigen einer Genehmigung durch das Gericht oder eine Behörde bedarf.

6.1188

3. Schutz des Rechtsverkehrs Ist ein Jugendlicher nach seinem Heimatrecht nicht (voll) geschäftsfähig oder nicht ordnungsgemäß gesetzlich vertreten, so wird der inländische Rechtsverkehr nach Maßgabe von Art. 13 Rom I-VO geschützt. Danach ist beim Abschluss von Verkehrsgeschäften im Inland die Berufung auf ausländisches Geschäftsfähigkeits- oder Vertretungsrecht nur zulässig, wenn der andere Vertragsteil die sich hieraus ergebenden Einschränkungen kannte oder kennen musste. Im Anwendungsbereich des Haager KSÜ wird Art. 13 Rom I-VO allerdings durch die speziellere Verkehrsschutznorm in Art. 19 KSÜ verdrängt, soweit es um den Schutz vor Mängeln der gesetzlichen Vertretungsmacht geht.

F. Beschränkungen bei geistig behinderten volljährigen Personen Literatur: Dutoit, La protection des incapables majeurs en droit international privé, Rev.crit.d.i. p. 1967, 465; Ganner, Das österreichische Sachwalterrecht, BtPrax 2007, 238 und 2008, 3; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Teil J; Hausmann/Odersky, Internationales Privat- und Verfahrensrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 5 B; von Hein, Zur Anordnung von Maßnahmen zum Schutz deutscher Erwachsener durch österreichische Gerichte,

Hausmann | 937

6.1189

§ 6 Rz. 6.1189 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis IPRax 2009, 173; Hellmann, Rechtliche Unterstützung und Vertretung für Menschen mit geistiger Behinderung in den EU-Staaten, BtPrax 2006, 87; Kirchhoff, Das Rechtsfolgenstatut der beschränkten Geschäftsfähigkeit und der Geschäftsunfähigkeit – Ein Beitrag zur Auslegung der Art. 7 und 24 EGBGB (2005); Nitzinger, Das Betreuungsrecht im internationalen Privatrecht (1998); Oberhammer/ Graf/Slonina, Sachwalterschaft für Deutsche und Schweizer in Österreich, ZfRV 2007, 133; Oelkers, Internationales Betreuungsrecht (1996); Ofner, Gesetzliche Vertretung für psychisch Kranke und geistig Behinderte im internationalen Vergleich, ÖJZ 2005, 775; Röthel, Erwachsenenschutz in Europa: Von paternalistischer Bevormundung zu gestaltbarer Fürsorge, FamRZ 2004, 999; Spickhoff, Selbstbestimmung im Alter – Möglichkeiten und Grenzen, ZfRV 2008, 33; van Boxstael, L´administration de la personne et des biens des incapables, in: Verwilghen/De Volkeneer (Hrsg.), Relations familiales internationales (Brüssel 1993), S. 191.

I. Allgemeines 1. Gesetzliche Beschränkungen 6.1190

Besonders schwerwiegende geistige oder körperliche Gebrechen, wie vor allem Geisteskrankheit, führen nicht nur nach deutschem Recht (vgl. § 104 Nr. 2 BGB), sondern nach den Rechten fast aller Länder kraft Gesetzes zur Geschäftsunfähigkeit oder – in minder schweren Fällen – zu einer Beschränkung der Geschäftsfähigkeit. Die Frage, ob ein Volljähriger aufgrund einer krankhaften Störung seiner Geistestätigkeit geschäftsunfähig oder in seiner Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, beurteilt sich gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB nach seinem Heimatrecht1. Dieses entscheidet – nicht anders als bei Jugendlichen (dazu Rz. 6.944 ff.) – auch über die Rechtsfolgen der mangelnden Geschäftsfähigkeit für das von dem geisteskranken Volljährigen vorgenommene Geschäft.

6.1191

Ebenso wie bei Minderjährigen (dazu Rz. 6.930 ff.) bestimmt sich auch die Frage, ob ein geschäftsunfähiger Volljähriger zumindest für bestimmte Rechtsgeschäfte kraft Gesetzes als geschäftsfähig zu gelten hat (Teilgeschäftsfähigkeit), nach seinem Personalstatut. Zwar führt die Regelung in § 105a BGB, wonach Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens, die mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden können (z.B. Brötchenkauf), auch von einer geschäftsunfähigen volljährigen Person vorgenommen werden können, sofern Leistung und Gegenleistung bewirkt worden sind, nicht zur Wirksamkeit des geschlossenen Vertrages, sondern schließt lediglich die Rückforderung der bewirkten Leistung und Gegenleistung aus2. Diese Regelung kommt jedoch der Anerkennung einer Teilgeschäftsfähigkeit des betroffenen Personenkreises nahe und ist deshalb nur anwendbar, wenn der geschäftsunfähige Volljährige ein deutsches Personalstatut hat3. Vgl. aber zum Verkehrsschutz Rz. 6.1050 ff.

1 BGH v. 3.2.2004 – XI ZR 125/03, NJW 2004, 1315 (1316); Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 50; Makowsky/G. Schulze in NK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 16; a.A. aber Lipp, FS Kühne (2009), S. 765 (776), Lipp in MünchKomm, Art. 7 EGBGB Rz. 44, der die sog. „natürliche“ Geschäftsunfähigkeit i.S.d. § 104 Nr. 2, § 105 Abs. 1 und 2 BGB insgesamt dem Wirkungsstatut unterwerfen möchte. 2 Vgl. BT-Drucks. 14/5266, S. 43; dazu Casper, Geschäfte des täglichen Lebens – kritische Anmerkungen zu § 105a BGB, NJW 2002, 3425 f.; Lipp, Die neue Geschäftsfähigkeit Erwachsener, FamRZ 2003, 721 ff. 3 Hausmann in Staudinger, Rz. 51; Makowsky/G. Schulze in NK BGB, Rz. 16, jeweils zu Art. 7 EGBGB; a.A. (Wirkungsstatut) Lipp in MünchKomm, Rz. 43; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 29, jeweils zu Art. 7 EGBGB. Die Anknüpfung des § 105a BGB entspricht daher derjenigen des „Taschengeldparagraphen“ bei Minderjährigen, vgl. Rz. 6.1083.

938 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. § 6

2. Gerichtliche Beschränkungen Weitere Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit oder Verfügungsbefugnis können auch bei erwachsenen Personen aufgrund gerichtlicher oder behördlicher Maßnahmen eintreten. Zum Schutze geistig oder körperlich behinderter Personen, sowie zum Schutz der mit diesen Personen kontrahierenden Dritten sah das deutsche Sachrecht früher das Rechtsinstitut der Entmündigung vor.

6.1192

Durch das Betreuungsgesetz1 hat der deutsche Gesetzgeber die Entmündigung mit Wirkung vom 1.1.1992 abgeschafft. Zugleich wurden die Vormundschaft über Volljährige sowie die Gebrechlichkeitspflegschaft durch das einheitliche Rechtsinstitut der Betreuung (§§ 1896–1908i BGB) ersetzt. Voraussetzung für die Anordnung einer Betreuung ist, dass ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht zu besorgen vermag (§ 1896 Abs. 1 BGB). Der gerichtlich bestellte Betreuer ist in seinem Aufgabenkreis gesetzlicher Vertreter des Betreuten (§ 1902 BGB). Die Anordnung einer Betreuung wirkt sich allerdings – vorbehaltlich der § 104 Nr. 2, § 105 BGB – auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten nicht aus, und zwar auch nicht für die Vornahme von Geschäften innerhalb des Aufgabenkreises, für den der Betreuer bestellt wurde2. Nur soweit dies zur Abwendung einer erheblichen Gefahr für die Person oder das Vermögen des Betreuten erforderlich ist, kann das Betreuungsgericht gem. § 1903 BGB einen sog. Einwilligungsvorbehalt anordnen. Dieser bewirkt, dass der Betreute – entsprechend der Regelung bei der beschränkten Geschäftsfähigkeit (§§ 108 ff. BGB) – zu einer Willenserklärung, die den Aufgabenkreis des Betreuers betrifft, dessen Einwilligung bedarf.

6.1193

II. Betreuung 1. Haager Erwachsenenschutzübereinkommen von 2000 a) Allgemeines Literatur: Bucher, La convention de La Haye sur la protection internationale des adultes, SZIER 2000, 37; Clive, The New Hague Convention on the Protection of Adults, Yb.PIL II (2000), 1; Frimston/ Ruck/Keene/van Overdijk/Ward, The International Protection of Adults, 2015; Guttenberger, Das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen (2004); Guttenberger, Das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen, BtPrax 2006, 83; Helms, Reform des internationalen Betreuungsrechts durch das Haager Erwachsenenschutzabkommen, FamRZ 2008, 1995; Lagarde, La Convention de La Haye du 13 janvier 2000 sur la protection internationale des adultes, Rev.crit.d.i.p. 2000, 159; Ludwig, Der Erwachsenenschutz im internationalen Privatrecht nach Inkrafttreten des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens, DNotZ 2009, 251; G. Müller, Aktuelle Probleme der Vorsorgevollmacht und der Patientenverfügung, ZNotP 2012, 404; Ramser, Grenzüberschreitende Vorsorgevollmachten in Europa im Licht des Haager Abkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen vom 13. Januar 2000, 2010; Revillard, La Convention de la Haye sur la protection des adultes et la pratique du mandat inaptitude, FS Lagarde (2005), S. 725; Röthel, Das Kollisionsrecht der Vorsorgevollmacht, IPRax 2010, 494; Röthel/Woitge, Das ESÜ-Ausführungsgesetz – effiziente Kooperation iminternationalen Erwachsenenschutz, IPRax 2010, 494; Schaub, Kollisionsrechtliche Probleme bei Vorsorgevollmachten, IPRax 2016, 207; Siehr, Das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz Erwachsener, RabelsZ 64 (2000), 715; Siehr, Der internationale Schutz Erwachsener nach dem Haager Übereinkommen, FS Henrich (2000), S. 567; Wagner, Die Regierungsentwürfe zur Ratifikation des Haager Übereinkommens vom 13.1.2000 zum internationa1 BGBl. I 1990, 2002. 2 Schwab in MünchKomm, Rz. 140; Götz in Palandt, Rz. 5, jeweils zu § 1896 BGB.

Hausmann | 939

§ 6 Rz. | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis len Schutz Erwachsener, IPRax 2007, 11; Wagner/Beyer, Das Haager Übereinkommen vom 13.11.2000 zum internationalen Schutz Erwachsener, BtPrax 2007, 231. Wedemann, Vorsorgevollmachten im internationalen Rechtsverkehr, FamRZ 2010, 785. Vgl. auch das allgemeine Schrifttum vor Rz. 6.1190.

6.1194

Die Vereinheitlichung des internationalen Privat- und Verfahrensrechts auf dem Gebiet des Schutzes körperlich oder geistig Behinderter volljähriger Personen hat sich das Haager Übereinkommen über den internationalen Schutz Erwachsener (ErwSÜ) vom 13.1.2000 zum Ziel gesetzt1. Dieses Übereinkommen ist von der Bundesrepublik Deutschland am 3.4.2007 ratifiziert worden; ferner hat der deutsche Gesetzgeber ein Ausführungsgesetz zu dem Übereinkommen erlassen2. Völkerrechtlich ist das Übereinkommen am 1.1.2009 im Verhältnis zu Frankreich und Schottland in Kraft getreten3; es gilt inzwischen auch für Estland (seit 1.11.2011), Finnland (seit 1.3.2011), Lettland (seit 1.3.2018), Monaco (seit 1.7.2016), Österreich (seit 1.2.2014), Portugal (seit 1.7.2018), die Schweiz (seit 1.7.2009) und die Tschechische Republik (seit 1.8.2012)4. In Aufbau und Inhalt lehnt sich das Übereinkommen eng an das Haager Kinderschutzübereinkommen von 1996 (KSÜ; dazu Rz. 6.1111 ff.) an. Wie dort sind insbesondere Regelungen zur internationalen Zuständigkeit, zum anwendbaren Recht, zur Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen und zur internationalen Behördenkooperation vorgesehen. b) Anwendungsbereich

6.1195

Das Übereinkommen ist nach seinem Art. 1 Abs. 1 bei internationalen Sachverhalten auf den Schutz von Erwachsenen anzuwenden, die „aufgrund einer Beeinträchtigung oder der Unzulänglichkeit ihrer persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sind, ihre Interessen zu schützen“5. Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich des Übereinkommens wird hingegen nicht abstrakt bestimmt, sondern wird für die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht und die Anerkennung und Vollstreckung von Schutzmaßnahmen jeweils gesondert festgelegt6.

6.1196

Erwachsene i.S.d. Übereinkommens sind Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben (Art. 2 Abs. 1 ErwSÜ), auch wenn sie nach ihrem Heimatrecht oder dem Recht ihres gewöhnlichen Aufenthalts erst zu einem späteren Zeitpunkt volljährig werden; deshalb kommt es auf die Staatsangehörigkeit des Erwachsenen nicht an7. Um einen nahtlosen Übergang vom KSÜ auf das ErwSÜ zu gewährleisten, ist das ErwSÜ nach Art. 2 Abs. 2 allerdings auch auf Maßnahmen anzuwenden, die hinsichtlich eines Erwachsenen zu einem Zeitpunkt getroffen wurden, in dem er das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte.

1 Vgl. den Text im BGBl. I 2007, S. 323 ff., sowie bei Jayme/Hausmann, Nr. 20. Dazu den erläuternden Bericht von Lagarde, BT-Drucks. 16/3250. 2 Gesetz v. 17.3.2007, BGBl. I 2007, 314; abgedruckt bei Jayme/Hausmann, Nr. 20a; dazu Wagner, IPRax 2007, 11 (14 f.). 3 Bek. v. 12.12.2008, BGBl. II 2009, 39. 4 Vgl. Jayme/Hausmann Nr. 20 Fn. 1. 5 Zum Begriff der Schutzbedürftigkeit näher von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 22 ff. 6 Lagarde-Bericht Rz. 17; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 168; Benicke in NK BGB, Art. 1 ErwSÜ Rz. 9 m.w.N. 7 Lagarde-Bericht Rz. 17; Helms, FamRZ 2008, 1995; Wagner, IPRax 2007, 11 (12).

940 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1200 § 6

Die sachlich vom Übereinkommen erfassten Schutzmaßnahmen werden in Art. 3 ErwSÜ – in bewusster Anlehnung an Art. 3 KSÜ – präzisiert. Zu den dort beispielhaft aufgeführten Schutzmaßnahmen gehören u.a. Entscheidungen über die Handlungsfähigkeit (lit. a), die Unterstellung des Erwachsenen unter den Schutz eines Gerichts oder einer Behörde (lit. b) sowie die Anordnung einer Vormundschaft oder Pflegschaft und entsprechende Einrichtungen (lit. c). Erfasst werden aber auch Maßnahmen zur Bestimmung der Person oder Stelle, die für die Person oder das Vermögen des Erwachsenen verantwortlich ist, ihn vertritt oder ihm beisteht (lit. d), sowie die Verwaltung und Erhaltung des Vermögens des Erwachsenen oder die Verfügung darüber (lit. f). Darunter fällt insbesondere auch die Betreuung nach §§ 1896 ff. BGB1. Das Übereinkommen gilt daher sowohl für die Bestellung wie für die Abberufung des Betreuers, daneben aber auch für die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und die Genehmigung bestimmter Einzelakte. Darauf, ob die Maßnahme von der lex fori als zivil- oder öffentlich-rechtlich qualifiziert wird, kommt es nicht an2. Hingegen gilt das ErwSÜ nicht für die Abwesenheitspflegschaft und die Ergänzungspflegschaft zur Vertretung eines Erwachsenen in Fällen eines Interessenkonflikts3.

6.1197

Auch Entmündigungen fallen grundsätzlich in den sachlichen Anwendungsbereich des Haager ErwSÜ (vgl. Art. 3 lit. a, lit. b ErwSÜ)4. Sind danach deutsche Gerichte international zuständig, so können sie eine Entmündigung i.d.R. schon deshalb nicht mehr vornehmen, weil sie nach Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ grundsätzlich deutsches Recht als lex fori anzuwenden haben und dieses das Rechtsinstitut der Entmündigung nicht mehr kennt. Nichts anderes gilt aber auch dann, wenn ein deutsches Gericht nach Art. 13 Abs. 2 ErwSÜ ausnahmsweise ausländisches Recht anzuwenden hat, welches die Entmündigung noch kennt. Denn die Anordnung von Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit nach ausländischem Recht, die über die mit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB verbundenen Wirkungen hinausgehen, verstößt heute offensichtlich gegen den inländischen ordre public (Art. 21 ErwSÜ)5.

6.1198

Außerdem setzt die Anwendung des Übereinkommens nach Art. 1 Abs. 1 einen „internationalen Sachverhalt“ voraus, der also Bezugspunkte zu mindestens zwei Staaten aufweist. Ein solcher ist insbesondere gegeben, wenn Staatsangehörigkeit und gewöhnlicher Aufenthalt des Erwachsenen divergieren. Darüber hinaus dürfte aber auch die Belegenheit von Vermögen des Erwachsenen in einem von seinem Aufenthaltsstaat verschiedenen Staat hierfür ausreichen6.

6.1199

Zeitlich gilt das Übereinkommen nur für Maßnahmen, die nach seinem Inkrafttreten im anordnenden Staat getroffen worden sind (Art. 50 Abs. 1 ErwSÜ). Auf die Anerkennung und Vollstreckung von Maßnahmen ist das Übereinkommen hingegen nur anwendbar, wenn es bei Erlass der Maßnahme sowohl im Ursprungs- wie im Anerkennungsstaat in Kraft war

6.1200

1 Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (726 f.); Guttenberger, S. 84; Helms, FamRZ 2008, 1995 f.; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (263). 2 von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 42 m.w.N. 3 Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (721); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 2. 4 Helms, FamRZ 2008, 1995 (1996); Lipp in MünchKomm, Art. 1-4 ErwSÜ Rz. 15 ff. 5 So zum autonomen IPR (Art. 6 EGBGB) Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 3; Hausmann in Staudinger/Art. 7 EGBGB Rz. 151; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 5; a.A. Kegel in Soergel, Anh. zu Art. 7 EGBGB Rz. 13 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 50; Röthel, IPRax 2006, 90 (91). Vgl. auch EGMR Nr. 44009/05 (Shtukaturov), FamRZ 2008, 1734 (1735): Verstoß der Entmündigung eines Erwachsenen gegen Art. 8 EMRK. 6 von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 28 unter Hinweis auf Art. 10 Abs. 2 ErwSÜ; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (259 f.); Lipp in MünchKomm, Art. 1-4 ErwSÜ Rz. 36; a.A. Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (722); Wagner, IPRax 2007, 11 (13).

Hausmann | 941

§ 6 Rz. 6.1200 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

(Art. 50 Abs. 2 ErwSÜ). Demgegenüber wirkt das Übereinkommen für Vorsorgevollmachten in gewissem Umfang zurück; denn es ist insoweit ab seinem Inkrafttreten in einem Vertragsstaat auch auf die Vertretungsmacht anzuwenden, die zuvor unter Bedingungen eingeräumt wurde, die denen des Art. 15 ErwSÜ entsprechen1. c) Internationale Zuständigkeit

6.1201

Für Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen sind nach Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ primär die Behörden des Vertragsstaats international zuständig, in dem der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt2 hat. Verlegt der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einen anderen Vertragsstaat, so werden die Behörden des neuen Aufenthaltsstaats zuständig (Art. 5 Abs. 2 ErwSÜ); eine perpetuatio fori wird also – ebenso wie nach Art. 5 Abs. 2 KSÜ (Rz. 6.1124) – ausgeschlossen3. Zuvor getroffene Schutzmaßnahmen behalten jedoch ihre Wirkung (Art. 12 ErwSÜ); sie können allerdings durch den neuen Aufenthaltsstaat abgeändert oder aufgehoben werden.

6.1202

Neben der primären Aufenthaltszuständigkeit sieht das Übereinkommen in Art. 7 ErwSÜ eine konkurrierende Zuständigkeit der Behörden des Vertragsstaats vor, dem der Erwachsene angehört (Heimatzuständigkeit), sofern diese der Auffassung sind, besser in der Lage zu sein, das Wohl des Erwachsenen zu beurteilen4. Diese Zuständigkeit der Heimatbehörden darf allerdings nicht gegen den Willen der Aufenthaltsbehörden ausgeübt werden, und die von den Heimatbehörden getroffenen Maßnahmen können von den Aufenthaltsbehörden jederzeit außer Kraft gesetzt werden (Art. 7 Abs. 2, 3 ErwSÜ)5 Ferner können die Aufenthaltsbehörden zum Wohl des Erwachsenen auch Behörden anderer Vertragsstaaten ersuchen, Schutzmaßnahmen zu treffen (z.B. neben den Behörden des Heimatstaats auch diejenigen eines früheren Aufenthaltsstaates oder eines Staates, in dem Vermögen des Erwachsenen belegen ist, Art. 8 ErwSÜ).6

6.1203

Weitere Zuständigkeiten sind zugunsten des Staates vorgesehen, in dem Vermögen des Erwachsenen belegen ist (Art. 9 ErwSÜ), sowie für Eilentscheidungen und einstweilige Anordnungen zum Schutz der Person (Art. 10, 11 ErwSÜ)7. Während die Art. 5–9 ErwSÜ die internationale Zuständigkeit abschließend regeln, wenn der Erwachsene seinen gewöhnlichen Auf-

1 Dazu näher von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 171 ff. 2 Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist – ebenso wie nach dem KSÜ (dazu Rz. 6.1123) – autonom im Sinne des tatsächlichen Mittelpunkts der Lebensführung auszulegen, vgl. Helms, FamRZ 2008, 1995 (1996 f.); Wagner, IPRax 2007, 11 (13); Guttenberger, S. 90 f.; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 61 ff.; Lipp in MünchKomm, Art. 5 ErwSÜ Rz. 3 ff. 3 Lagarde-Bericht, Rz. 51; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 68; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 76. Wird der gewöhnliche Aufenthalt in einen Nichtvertragsstaat verlegt, entscheidet über den Fortbestand der internationalen Zuständigkeit das nationale Verfahrensrecht des neuen Aufenthaltsstaates, vgl. Helms, FamRZ 2008, 1995 (1996); Hausmann, IntEuFamR J Rz. 71; Lipp in MünchKomm, Art. 5 ErwSÜ Rz. 13 ff. 4 Dazu näher Benicke in NK BGB, Art. 7 ErwSÜ Rz. 5; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 82 5 Vgl. näher Hausmann, IntEuFamR J Rz. 84 ff. 6 Dazu Lagarde-Bericht, Rz. 66 ff.; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 96 ff; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 87 ff. 7 Vgl. näher Hausmann, IntEuFamR J Rz. 104 ff., 110 ff. und 120 ff.; allg. zur internationalen Zuständigkeit nach dem Übk. auch Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (728 ff.); Helms, FamRZ 2008, 1995 (1996 ff.).

942 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1205 § 6

enthalt in einem Vertragsstaat des Übereinkommens hat, können die Art. 10, 11 ErwSÜ auch Anwendung finden, wenn sich der Erwachsene in einem Drittstaat gewöhnlich aufhält1. d) Anwendbares Recht aa) Reichweite des ErwSÜ Das ErwSÜ regelt das anwendbare Recht nur für die Voraussetzungen und Wirkungen der Anordnung und Aufhebung von Schutzmaßnahmen sowie für das Bestehen, den Umfang und die Beendigung einer Vorsorgevollmacht. Abweichend von Art. 16, 17 KSÜ fehlt hingegen eine allgemeine Kollisionsnorm für den Erwachsenenschutz, der kraft Gesetzes eintritt2. Insbesondere enthält das ErwSÜ – anders als das KSÜ für Kinder (Art. 16, 17; Rz. 6.1134 ff.) – keine Vorschriften zur gesetzlichen Vertretung von nicht (voll) geschäftsfähigen Erwachsenen, die ohne die Anordnung von Schutzmaßnahmen anzuwenden sind. Regelungslücken, die sich daraus in Fällen ergeben können, in denen die Volljährigkeit nach dem Heimatrecht des Betroffenen erst später als mit 18 Jahren eintritt, sind mit Hilfe des nationalen Kollisionsrechts – in Deutschland also mit Hilfe von Art. 21, 24 EGBGB – zu schließen3. Gleiches gilt, wenn die Handlungsunfähigkeit eines Erwachsenen eine Betreuung kraft Gesetzes auslöst, wie z.B. nach §§ 284b ff. öst. ABGB4. Schließlich findet das Kollisionsrecht der Verordnung auch dann keine Anwendung, wenn es an einer internationalen Zuständigkeit nach dem Übereinkommen für Schutzmaßnahmen fehlt5. Das allein nach autonomem Recht (§ 104 FamFG) zuständige deutsche Gericht hat daher das von Art. 24 EGBGB bestimmte Recht anzuwenden.

6.1204

bb) Schutzmaßnahmen (1) Grundsatz: Lex fori Kollisionsrechtlich geht das Übereinkommen – wie das KSÜ (Rz. 6.1128 f.) – vom Gleichlaufprinzip aus: Gemäß Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ wenden die nach Art. 5–12 ErwSÜ zuständigen Behörden auf von ihnen zu treffende Schutzmaßnahmen ihr eigenes Recht an6. Sowohl die Voraussetzungen als auch der Inhalt einer von deutschen Gerichten angeordneten Betreuung (z.B. die Zulässigkeit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts) unterliegen daher dem deutschen Recht. Dieses gilt dann insbesondere auch für den Umfang der gesetzlichen Vertretungsmacht des Betreuers. Stützt das angerufene Gericht seine internationale Zuständigkeit – wie im Regelfall – auf Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ, so führt der Gleichlaufgrundsatz zur An-

1 Helms, FamRZ 2008, 1995 (1998); Althammer, IPRax 2009, 381 (385); Guttenberger, S. 116 (122); Hausmann, IntEuFamR J Rz. 111, 122; a.A. für Art. 11 ErwSÜ von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 128 m. ausf. Darstellung des Meinungsstandes. 2 Lagarde-Bericht, Rz. 19; Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999); Ludwig, DNotZ 2009, 251 (268 f.); Hausmann, IntEuFamR J Rz. 175. 3 OLG Bremen v. 24.5.2012 – 4 UF 43/12, BeckRS 2012, 14694 = FamRZ 2013, 312 (Beendigung der Vormundschaft für einen 19-jährigen Liberianer); OLG Bremen v. 23.2.2016 – 4 UF 186/15, BeckRS 2016, 4752 = FamRZ 2016, 990 (Ls.) (ebenso für einen 19-jährigen Guineer); Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 3. 4 Guttenberger, S. 186 f. 5 Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (725); Stürner in Erman, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 84; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 7; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 148. 6 Vgl. dazu von Bar/Mankowski, Bd. II § 6 Rz. 105 ff.; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 176 f.; Lipp in MünchKomm, Art. 13 ErwSÜ Rz. 1 f.

Hausmann | 943

6.1205

§ 6 Rz. 6.1205 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

wendung des Rechts am gewöhnlichen Aufenthalt des Erwachsenen. Auf dessen Staatsangehörigkeit kommt es nicht an; er kann daher auch einem Drittstaat angehören1. Allerdings beschränkt Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ den Gleichlaufgrundsatz nicht auf die Fälle des Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ, sondern erstreckt ihn auf sämtliche Zuständigkeiten des Kapitels II. Die Kollisionsregel kann daher auch zur Anwendung eines vom Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erwachsenen abweichenden Rechts führen, z.B. wenn die Zuständigkeit für Schutzmaßnahmen auf die Staatsangehörigkeit des Erwachsenen (Art. 7 ErwSÜ) oder die Belegenheit von dessen Vermögen (Art. 9 ErwSÜ) gestützt werden2. (2) Ausweichklausel

6.1206

Soweit es der Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen erfordert, können die nach dem Übereinkommen zuständigen Behörden jedoch – wiederum nach dem Vorbild des KSÜ (Art. 15 Abs. 2 KSÜ; Rz. 6.1131 f.) – ausnahmsweise auch das Recht eines anderen Staates anwenden oder berücksichtigen, zu dem der Sachverhalt eine enge Verbindung hat (Art. 13 Abs. 2 ErwSÜ)3; dies kann auch das Recht eines Drittstaats sein4. In Betracht kommt etwa die Anwendung des Heimatrechts des Erwachsenen durch die nach Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ zuständigen Behörden im Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts, wie auch umgekehrt die Anwendung des Aufenthaltsrechts durch die nach Art. 7 ErwSÜ zuständigen Heimatbehörden. Insbesondere bei der Verfügung über im Ausland belegenes Vermögen des Erwachsenen kann auch die Anwendung der lex rei sitae zweckmäßig sein5. Auch soweit die nach dem Übereinkommen zuständigen Behörden danach ausnahmsweise nicht ihr eigenes, sondern fremdes Recht anwenden, haben sie die Sachvorschriften des maßgeblichen Rechts heranzuziehen. Denn die Beachtung einer Rück- und Weiterverweisung ist im gesamten Geltungsbereich des Übereinkommens nach dessen Art. 19 ausgeschlossen. Dies gilt – anders als nach Art. 21 Abs. 2 KSÜ (Rz. 6.1135) – auch dann, wenn die Verweisung auf das Recht eines Nichtvertragsstaats gerichtet ist. (3) Durchführung von Maßnahmen im Ausland

6.1207

Abweichend von Art. 13 ErwSÜ bestimmt über die Durchführung von Maßnahmen durch einen in Deutschland bestellten Betreuer in einem anderen Vertragsstaat (z.B. in Frankreich) gem. Art. 14 ErwSÜ das dortige Recht; dies gilt insbesondere für vormundschafts- oder betreuungsgerichtliche Genehmigungserfordernisse6. Maßnahmen zum Schutz von Erwachsenen, die nicht gerichtlich angeordnet werden müssen, sondern kraft Gesetzes zu ergreifen sind, werden hingegen von den Kollisionsnormen des Übereinkommens nicht erfasst7.

1 Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 4. 2 Lipp in MünchKomm, Art. 13 ErwSÜ Rz. 4; Benicke in NK BGB, Art. 13 ErwSÜ Rz. 3; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 177. 3 Näher zu dieser Ausweichklausel von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 149 ff.; Guttenberger, S. 143 ff. 4 Näher zu dieser Ausweichklausel von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 149 ff.; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 179 ff.; Guttenberger, S. 143 ff. 5 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 6 Rz. 112. 6 Lagarde-Bericht, Rz. 93 f.; Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (738); Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999); Ludwig, DNotZ 2009, 251 (268 f.); Hausmann, IntEuFamR J Rz. 189; einschränkend Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 6; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 161. 7 Lagarde-Bericht, Rz. 19; Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999); Ludwig, DNotZ 2009, 251 (268 f.).

944 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1209 § 6

cc) Vorsorgevollmacht (1) Allgemeines Eine praktisch wichtige Sonderanknüpfung sieht das Übereinkommen in seinem Art. 15 für die von einem Erwachsenen erteilte Vorsorgevollmacht (vgl. im deutschen Recht § 1896 Abs. 2 S. 2, § 1901c S. 2 BGB) vor1. Diese Vorschrift kommt als allseitige Kollisionsnorm unabhängig davon zur Anwendung, ob der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat2. Der Begriff der Vorsorgevollmacht wird in Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ dahin umschrieben, dass sie ausgeübt werden soll, wenn der Erwachsene nicht in der Lage ist, seine Interessen selbst zu schützen3. Die Vollmacht kann sich nur auf persönliche Belange (z.B. Entscheidungen über ärztliche Behandlungen) beschränken; sie kann aber auch oder nur vermögensrechtliche Angelegenheiten betreffen4. Es muss jedoch einer anderen Person Vertretungsmacht eingeräumt werden; auf reine Betreuungs- oder Patientenverfügungen ist die Vorschrift daher nicht anwendbar, weil die Betroffenen darin nur ihren eigenen Willen in Bezug auf die Auswahl eines Betreuers oder gewünschte ärztliche Behandlungen zum Ausdruck bringen5. Soll die Vollmacht schon vor Eintritt der Urteilsunfähigkeit gelten, so beurteilt sie sich für diesen Zeitraum nach dem autonomen IPR der Vertragsstaaten, in Deutschland also nach Art. 8 EGBGB (dazu Rz. 6.385 ff.). Erst ab Eintritt der Urteilsunfähigkeit gilt für sie Art. 15 ErwSÜ und es kommt deshalb u.U. zu einem Statutenwechsel6.

6.1208

Art. 15 ErwSÜ kommt als allseitige Kollisionsnorm in den Vertragsstaaten unabhängig davon zur Anwendung, ob der Betroffene seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hat7. Sie gilt aber nur für die Vollmacht, nicht für die ihr zugrunde liegende Rechtsbeziehung im Innenverhältnis zwischen dem Erwachsenen und dem Bevollmächtigten8.

6.1209

1 Vgl. dazu rechtsvergleichend Ludwig, DNotZ 2009, 251 (269 ff.); von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 165 ff. 2 Guttenberger, S. 153 f.; Helms, FamRZ 2008, 1995 (1998); Wiedemann, FamRZ 2010, 785 (787); Lipp in MünchKomm, Art. 19 ErwSÜ Rz. 25; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 170 m.w.N.; a.A. Ludwig, DNotZ 2009, 251 (258); Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 24 EGBGB Rz. 49. 3 Dazu näher von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 174 ff. 4 Lagarde-Bericht, Rz. 96; Jayme, FS Spellenberg (2010), S. 203 (208); Schaub, IPRax 2016, 207 (208); Bücker, RNotZ 2018, 213 (224); Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 9; Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 11; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 192 ff. 5 Vgl. Helms, FamRZ 2008, 1995 (1999); Röthel, FPR 2007, 79 (81); Wedemann, FamRZ 2010, 785 (787); Schaub, IPRax 2016, 207 (209 f.); Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 16 ff.; Thorn in Palandt, Anh. zu Art. 24 EGBGB Rz. 8; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 178 f. m.w.N. 6 Lagarde-Bericht, Rz. 97; Wedemann, FamRZ 2010, 785 (786); Hausmann, IntEuFamR J Rz. 194; Benicke in NK-BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 7. Eine zwar sofort wirksame Vollmacht, die aber im Innenverhältnis auf den Vorsorgefall beschränkt wird, sollte hingegen einheitlich dem ErwSÜ unterstellt werden, vgl. Ludwig, DNotZ 2009, 251 (273); Schaub IPRax 2016, 207 (209). 7 Guttenberger, S. 153 f.; Helms, FamRZ 2008, 1995 (1998); Wedemann, FamRZ 2010, 785 (787); Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 25; Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 24 EGBGB Rz. 49; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 170 m.w.N.; a.A. (Anwendung des nationalen Kollisionsrechts) Ludwig, DNotZ 2009, 251 (258); Röthel/Woitge, IPRax 2010, 494 (496); Müller ZNotP 2012, 404 (405); von Bar/Mankowski, Bd. II, § 6 Rz. 65. 8 Schaub, IPRax 2016, 207 (209); Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz 12; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 174.

Hausmann | 945

§ 6 Rz. 6.1210 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

(2) Objektive Anknüpfung

6.1210

Nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ unterliegen das Bestehen, der Umfang, die Änderung und die Beendigung einer Vorsorgevollmacht also – abweichend von den allgemeinen Grundsätzen zur Anknüpfung der rechtsgeschäftlichen Vertretung nach Art. 8 EGBGB (dazu Rz. 6.398 ff.) – nicht dem Recht der Niederlassung des berufsmäßigen Vertreters (z.B. des als Betreuer bestellten Rechtsanwalts oder Notars) oder – vorbehaltlich von Art. 15 Abs. 3 ErwSÜ – dem Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht, sondern dem Recht des Staates, in dem der Erwachsene (Vollmachtgeber) im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung1 seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat2.

6.1211

Die einheitliche Anknüpfung an das Aufenthaltsrecht des Vollmachtgebers gilt unabhängig davon, ob die Vorsorgevollmacht durch zweiseitige Vereinbarung oder – wie nach deutschem Recht – durch einseitiges Rechtsgeschäft erteilt worden ist. Entspricht die Vorsorgevollmacht den Anforderungen des Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ, so bleibt sie auch dann wirksam, wenn sie bereits vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens erteilt wurde (Art. 50 Abs. 3 ErwSÜ). Die Aufenthaltsanknüpfung gilt nach Art. 18 ErwSÜ auch dann, wenn sie zur Anwendung eines drittstaatlichen Rechts führt; ein Renvoi ist auch in diesem Fall nicht zu beachten, Art. 19 ErwSÜ.

6.1212

Das Statut der Vorsorgevollmacht nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ ist unwandelbar. Ist die Vollmacht daher nach dem Recht des Staates, in dem der Erwachsene zum Zeitpunkt ihrer Erteilung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zulässig und wirksam, so bleibt sie dies auch, wenn der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt anschließend in einen Staat verlegt, nach dessen Recht sie nicht hätte erteilt werden können. Umgekehrt tritt auch keine Heilung durch Statutenwechsel ein, wenn die Vorsorgevollmacht nach dem von Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ bestimmten Recht nicht wirksam erteilt wurde, auch wenn sie nach dem neuen Aufenthaltsrecht des Erwachsenen wirksam wäre3. In diesem Fall hilft nur eine Neuerteilung der Vollmacht, sofern der Erwachsene hierzu noch in der Lage ist. (3) Rechtswahl

6.1213

Der Erwachsene hat allerdings die Möglichkeit, von der Geltung des Aufenthaltsrechts nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ durch Rechtswahl abzuweichen4. Diese Möglichkeit besteht auch dann, wenn das Recht des Staates, in dem sich der Erwachsene gewöhnlich aufhält, Vorsorgevollmachten nicht zulässt; in diesem Fall kann eine Vorsorgevollmacht durch die Wahl eines Rechts, das sie kennt, wirksam erteilt werden5. Die Rechtswahl muss aus Gründen der Rechtssicherheit ausdrücklich und schriftlich erfolgen; sie kann also nicht stillschweigend erklärt werden, bedarf andererseits aber auch nicht der notariellen Beurkundung6. Da das Übereinkommen selbst keine Vorgaben für die Einhaltung der Schriftform enthält, müssen diese in Zweifelsfällen (z.B. bei Verwendung elektronischer Medien) im Wege autonomer Auslegung 1 Das Statut der Vorsorgevollmacht ist damit unwandelbar, vgl. Rz. 6.1212. 2 Zum Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts für die Zwecke des Art. 15 ErwSÜ näher Schaub, IPRax 2016, 207 (210). 3 Lagarde-Bericht, Rz. 98; Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz 33; Benicke in NK-BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 14, 19; Schaub, IPRax 2016, 207 (210) m.w.N. 4 Zur Rechtswahl näher Hausmann, IntEuFamR J Rz. 200 ff.; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 185 ff. m.w.N. 5 Lagarde-Bericht, Rz. 104; Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 20. 6 von Bar/Mankowski, Bd. II § 6 Rz. 72. Näher zur Schriftform der Rechtswahl Wedemann, FamRZ 2010, 785 (788) m.w.N.

946 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1216 § 6

ermittelt werden1; dabei kann insbesondere auf die Anforderungen an die Schriftform in anderen Haager Übereinkommen zurückgegriffen werden2. Die materielle Wirksamkeit der Rechtswahl beurteilt sich hingegen – wie im internationalen Vertragsrecht (Art. 3 Abs. 5 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO) – nach dem gewählten Recht3. Da das Übereinkommen keinen Zeitpunkt für die Vornahme der Rechtswahl bestimmt, kann diese auch noch nach Erteilung der Vorsorgevollmacht getroffen werden4. Die Rechtswahl kann ferner jederzeit geändert oder aufgehoben werden5. Die Rechtswahlfreiheit wird allerdings nicht unbeschränkt eingeräumt. Der Erwachsene kann vielmehr nur zwischen den in Art. 15 Abs. 2 ErwSÜ genannten Rechten wählen, nämlich den Rechten

6.1214

– eines Staates, dem der Erwachsene angehört (lit. a); – des Staates eines früheren gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen (lit. b); – eines Staates, in dem sich Vermögen des Erwachsenen befindet, hinsichtlich dieses Vermögens (lit. c). Das gewählte Recht kann auch dasjenige eines Nichtvertragsstaats sein (Art. 18 ErwSÜ). Besitzt der Erwachsene zwei oder mehrere Statsangehörigkeiten, so kann er nach lit. a jede dieser Staatsangehörigkeiten wählen; er ist also nicht auf die Wahl der effektiven Staatsangehörigkeit beschränkt6. Nach lit. b kann er nicht nur das Recht seines zeitlich letzten vorangegangenen gewöhnlichen Aufenthalt wählen; vielmehr kann das Recht eines jeden Staates gewählt werden, in dem früher einmal ein gewöhnlicher Aufenthalt bestanden hat7. Die Rechtswahl nach lit. c ist auf das in diesem Staat belegene Vermögen beschränkt. Das Vermögen muss allerdings dort nicht schon im Zeitpunkt der Vollmachtserteilung vorhanden sein; es genügt vielmehr, wenn z.B. ein im Belegenheitsstaat bestehendes Bankkonto des Vollmachtgebers erst im Zeitpunkt des Gebrauchs der Vollmacht ein Guthaben aufweist8.

6.1215

Andere als die in lit. a bis lit. c genannten Rechte können nicht gewählt werden; dies gilt insbesondere für das Recht des Staates, in dem der Erwachsene derzeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat bzw. in dem er einen solchen in Zukunft begründen möchte9 oder in dem der Bevollmächtigte seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder früher hatte. Die Rechtswahl ist in einem solchen Fall unwirksam und es gilt das objektive Vollmachtstatut nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ. Dieses entscheidet dann nicht nur über die Zulässigkeit und die wirksame Erteilung der Vorsorgevollmacht, sondern auch darüber, ob die Unwirksamkeit der Rechtswahl zugleich

6.1216

1 Wedemann, FamRZ 2010, 785 (786); Hausmann, IntEuFamR J Rz. 201; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 170; a.A. Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 22 (alternativer Rückgriff auf das gewählte Recht oder das Recht am Vornahmeort). 2 Vgl. z.B. Art. 3 lit. c des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen v. 30.6.2005; Art. 7 Abs. 2, 8 Abs. 2 HUP. 3 Schaub, IPRax 2016, 207 (211); von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 187. 4 Schaub, IPRax 2016, 207 (211). 5 Ludwig, DNotZ 2009, 251 (277). 6 Lagarde-Bericht, Rz. 102 Fn. 66; Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 24; Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 35. 7 Lagarde-Bericht, Rz. 102 Fn. 67; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 190; Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 25. 8 Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 26; Hausmann, IntEuFamR J Rz. 206; a.A. Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 36. 9 Guttenberger, S. 159; Füllemann, Rz. 279; Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 36.

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§ 6 Rz. 6.1216 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

die Unwirksamkeit der erteilten Vorsorgevollmacht zur Folge hat; nach deutschem Recht ist davon im Zweifel nicht auszugehen (§ 139 BGB).

6.1217

Art. 15 Abs. 2 ErwSÜ lässt auch eine Teilrechtswahl in der Weise zu, dass z.B. für die Personen- und Vermögenssorge unterschiedliche Personen nach unterschiedlichem Recht bevollmächtigt werden1. Für die Vermögenssorge in unterschiedlichen Ländern folgt dies bereits aus lit. c. Auch eine Aufspaltung der Personensorge auf mehrere Personen ist nicht ausgeschlossen2. Auch im Übrigen können die verschiedenen Rechtswahlmöglichkeiten nach Art. 15 Abs. 2 ErwSÜ miteinander kombiniert werden. (4) Reichweite des Vollmachtstatuts

6.1218

Das nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ objektiv bestimmte oder nach Art. 15 Abs. 2 ErwSÜ wirksam gewählte Recht gilt für das Bestehen, den Umfang, die Änderung und die Beendigung einer Vorsorgevollmacht. Es regelt daher insbesondere die Zulässigkeit einer Vorsorgevollmacht3 sowie die Voraussetzungen ihrer wirksamen Erteilung (z.B. durch Vertrag oder einseitiges Rechtsgeschäft). Zur wirksamen Erteilung zählt auch die Form der Vorsorgevollmacht, so dass die alternative Anknüpfung der Form von Rechtsgeschäften nach nationalem Kollisionsrecht (z.B. nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB) durch Art. 15 ErwSÜ verdrängt wird4. Das Vollmachtstatut gilt schließlich auch für den Umfang der Vollmacht, z.B. die Zulässigkeit der Vornahme von Schenkungen aus dem Vermögen des Vollmachtgebers oder die Zulässigkeit einer Unterbevollmächtigung. Die Vorsorgevollmacht ist in Vermögensangelegenheiten auch nicht auf die private Betätigung des Vollmachtgebers beschränkt, sondern erfasst auch die Regelung von dessen unternehmerischen Belangen (z.B. als Gesellschafter)5. (5) Recht des Gebrauchsorts

6.1219

Das Recht des Gebrauchsorts der Vollmacht gilt nach Art. 15 Abs. 3 ErwSÜ lediglich für die Art und Weise der Ausübung einer Vorsorgevollmacht. Die Abgrenzung zwischen Art. 15 Abs. 1 und 3 ErwSÜ ist allerdings bisher noch nicht geklärt; dies gilt insbesondere für die Anknüpfung von Genehmigungserfordernissen. Da das Erfordernis einer betreuungs- oder vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bestimmter, vom Bevollmächtigten vorzunehmender Rechtsgeschäfte den Umfang der Vorsorgevollmacht einschränkt, dürfte insoweit das nach Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ maßgebliche Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erwachsenen bzw. das wirksam von ihm nach Art. 15 Abs. 2 ErwSÜ gewählte Recht gelten6. Macht der Be1 Schaub, IPRax 2016, 257 (211); Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 37. 2 Lagarde-Bericht, Rz. 103; Guttenberger, S. 159 f.; Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 29. 3 Lagarde-Bericht, Rz. 98; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 244 ff.; Lipp in MünchKomm, Art. 15 Rz. 6; Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 13. 4 Guttenberger, S. 153; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (274 ff.); Wedemann, FamRZ 2010, 785 (787); Benicke in NK-BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 15; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 181 m.w.N. 5 von Bar/Mankowski, Bd. II, § 6 Rz. 60. 6 Wie hier Lagarde-Bericht, Rz. 99, 107; Guttenberger, IPRax 2006, 83 (86); Ludwig, DNotZ 2009, 251 (278 ff.); Wedemann, FamRZ 2010, 785 (789); Schaub, IPRax 2016, 207 (211); von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 204 ff.; Lipp in MünchKomm, Art. 15 ErwSÜ Rz. 47; Benicke in NK BGB, Art. 15 ErwSÜ Rz. 33; a.A. (Anwendung von Art. 15 Abs. 3 ErwSÜ) Guttenberger, BtPrax 2006, 83 (86); Helms, FamRZ 2008, 1995 (2000); Röthel/Woitge IPRax 2010, 494 (496); Thorn in Palandt, Anh. Zu Art. 24 EGBGB Rz. 8.

948 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1222 § 6

vollmächtigte allerdings von der Vorsorgevollmacht in einem anderen Staat Gebrauch, so ist ihm zu raten, zusätzlich auch die nach dem Recht des Gebrauchsorts vorgeschriebenen Genehmigungen einzuholen. (6) Aufhebung der Vollmacht Die vom Bevollmächtigten in Ausübung der Vollmacht getroffenen Maßnahmen können von den nach dem Übereinkommen zuständigen Behörden gem. Art. 16 ErwSÜ aufgehoben oder geändert werden, wenn sie den Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen nicht ausreichend sicherstellen. Hierfür ist grundsätzlich eine objektive Gefährdung der Person oder des Vermögens des Erwachsenen erforderlich1. Die Aufhebung bzw. Änderung der Vollmacht hat zwar grundsätzlich nach Maßgabe der lex fori der zuständigen Behörde zur erfolgen; diese hat allerdings nach Art. 16 S. 2 ErwSÜ auch das nach Art. 15 ErwSÜ maßgebliche Vollmachtsstatut „zu berücksichtigen“; die Einzelheiten des Zusammenspiels dieser beiden Rechte sind noch weitgehend ungeklärt2. Entspricht die Vorsorgevollmacht den Anforderungen des Art. 15 ErwSÜ, so ist die Vorschrift auch auf Vollmachten anzuwenden, die vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens erteilt wurden (Art. 50 Abs. 3 ErwSÜ).

6.1220

e) Anerkennung und Vollstreckung Die von den Behörden eines Vertragsstaats getroffenen Maßnahmen sind nach Art. 22 Abs. 1 ErwSÜ kraft Gesetzes in allen anderen Vertragsstaaten automatisch anzuerkennen, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedürfte. Dies gilt insbesondere für die Vertretungsmacht eines Vormunds, Pflegers oder Betreuers, der somit im Anerkennungsstaat die gleichen Befugnisse wie im Anordnungsstaat hat3. Die Versagung der Anerkennung ist in Art. 22 Abs. 2 ErwSÜ geregelt4.

6.1221

Art. 22 Abs. 2 ErwSÜ

6.1222

(2) Die Anerkennung kann jedoch versagt werden, a) wenn die Maßnahme von einer Behörde getroffen wurde, die nicht aufgrund oder in Übereinstimmung mit Kapitel II zuständig war5; b) wenn die Maßnahme, außer in dringenden Fällen, im Rahmen eines Gerichts- oder Verwaltungsverfahrens getroffen wurde, ohne dass dem Erwachsenen die Möglichkeit eingeräumt worden war, gehört zu werden, und dadurch gegen wesentliche Verfahrensgrundsätze des ersuchten Staates verstoßen wurde; c) wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Staates offensichtlich widerspricht, oder ihr eine Bestimmung des Rechts dieses Staates entgegensteht, die unabhängig vom sonst maßgebenden Recht zwingend ist;

1 Lagarde-Bericht, Rz. 108; Benicke in NK BGB, Art. 16 ErwSÜ Rz. 3 ff. 2 Vgl. dazu näher von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 213; Benicke in NK BGB, Art. 16 ErwSÜ Rz. 7 f. 3 Lagarde-Bericht, Rz. 116; Guttenberger, S. 199; Helms, FamRZ 2008, 1995 (2000); von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 242. 4 Zu den Versagungsgründen nach Art. 22 Abs. 2 ErwSÜ näher Hausmann, IntEuFamR S Rz. 15 ff.; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 244 ff., jeweils m.w.N. 5 Bei der Überprüfung der Zuständigkeit sind die Behörden des Anerkennungsstaats an die Tatsachenfeststellungen der anordnenden Behörde gebunden, Art. 24 ErwSÜ; dazu Hausmann, IntEuFamR S Rz. 33 ff.

Hausmann | 949

§ 6 Rz. 6.1222 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis d) wenn die Maßnahme mit einer später in einem Nichtvertragsstaat, der nach den Artikeln 5 bis 9 ErwSÜ zuständig gewesen wäre, getroffenen Maßnahme unvereinbar ist, sofern die spätere Maßnahme die für ihre Anerkennung im ersuchten Staat erforderlichen Voraussetzungen erfüllt; e) wenn das Verfahren nach Artikel 33 ErwSÜ nicht eingehalten wurde1.

6.1223

Erfordern die in einem Vertragsstaat getroffenen und dort vollstreckbaren Maßnahmen in einem anderen Vertragsstaat Vollstreckungshandlungen, so werden sie in diesem anderen Staat nach Art. 25 Abs. 1 ErwSÜ auf Antrag jeder betroffenen Partei nach dem im Recht dieses Staates vorgesehenen Verfahren für vollstreckbar erklärt. Die Vollstreckbarerklärung darf nur aus den zuvor genannten Gründen des Art. 22 Abs. 2 ErwSÜ versagt werden. Eine Nachprüfung der getroffenen Maßnahme in der Sache ist nach Art. 26 ErwSÜ in jedem Fall verboten.

2. Autonomes Recht a) Anknüpfung aa) Anwendungsbereich von Art. 24 EGBGB

6.1224

Da die Betreuung die Funktion der bisherigen Vormundschaft über Volljährige bzw. der Gebrechlichkeitspflegschaft übernimmt, hat der deutsche Gesetzgeber sie auch kollisionsrechtlich an die Seite der Vormundschaft und der Pflegschaft gestellt. In der Sache hat er dabei die früher für die Entmündigung geltenden Kollisionsregeln des aufgehobenen Art. 8 EGBGB a.F. nahezu wortgleich in den Art. 24 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 EGBGB übernommen. Die Bedeutung dieser autonomen Kollisionsregeln ist freilich seit Inkrafttreten des Haager ErwSÜ am 1.1.2009 (Rz. 6.1194 ff.) stark eingeschränkt. Denn die Kollisionsnormen des Übereinkommens verdrängen das autonome deutsche IPR gem. Art. 3 Nr. 2 EGBGB immer dann, wenn deutsche Gerichte ihre internationale Zuständigkeit auf das Übereinkommen stützen können, also insbesondere dann, wenn der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (Art. 5 Abs. 1 ErwSÜ); darüber hinaus aber auch dann, wenn die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Schutzmaßnahmen aus der deutschen Staatsangehörigkeit des schutzbedürftigen Erwachsenen (Art. 7 ErwSÜ) oder der Belegenheit von dessen Vermögen im Inland (Art. 9 ErwSÜ) abgeleitet wird2.

6.1225

Denn die Kollisionsregeln des Übereinkommens gelten nach seinem Art. 18 als „loi uniforme“, d.h. auch dann, wenn auf das Recht eines Nichtvertragsstaats verwiesen wird. Art. 24 Abs. 1 S. 1 EGBGB ist daher auf die Anordnung einer Betreuung durch deutsche Gerichte nur noch anwendbar, wenn für einen Deutschen mit gewöhnlichem Aufenthalt in einem Nichtvertragsstaat ein Betreuer bestellt werden soll3. Darüber hinaus ist die Vorschrift bei der Anordnung von Schutzmaßnahmen für Deutsche in Nichtvertragsstaaten des Haager ErwSÜ heranzuziehen, soweit das dortige IPR eine Gesamtverweisung auf das deutsche Heimatrecht ausspricht4.

1 Art. 33 ErwSÜ regelt das Konsultationsverfahren bei der Unterbringung des Erwachsenen in einem anderen Vertragsstaat. 2 Art. 24 EGBGB ist also auf Schutzmaßnahmen nur noch anzuwenden, wenn sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte aus § 104 FamFG ergibt, vgl. Lipp in MünchKomm, Art. 24 EGBGB Rz. 13. 3 Lagarde-Bericht, Rz. 89; Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (736); Helms, FamRZ 2008, 1995 (1998); Ludwig, DNotZ 2009, 251 (258). 4 Vgl. zur Anordnung einer Betreuung über eine in Österreich lebende Deutsche vor Inkrafttreten des Haager ErwSÜ öOGH v. 27.11.2007 – 10 Ob 60/07g, IPRax 2009, 169 (m. Anm. von Hein, IPRax 2009, 173).

950 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1228 § 6

bb) Voraussetzungen der Anordnung von Betreuung Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung sowie deren Änderung oder Beendigung bestimmen sich gem. Art. 24 Abs. 1 S. 1 EGBGB grundsätzlich nach dem Heimatrecht des Betreuten1. Allerdings konnte gem. Art. 24 Abs. 1 S. 2 EGBGB für einen Angehörigen eines fremden Staates, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder – mangels eines solchen – seinen schlichten Aufenthalt im Inland hatte, ein Betreuer auch nach deutschem Recht bestellt werden2. Daraus folgte, dass zwar für Deutsche eine Betreuung nur unter den Voraussetzungen der §§ 1896 ff. BGB angeordnet werden konnte. Demgegenüber konnten deutsche Gerichte für Ausländer eine Betreuung wahlweise nach deren Heimatrecht oder nach deutschem Recht anordnen3. Da es im Ausland jedoch an einem der Betreuung entsprechenden Rechtsinstitut häufig fehlte, hat die Praxis im Regelfall eine Betreuung gem. Art. 24 Abs. 1 S. 2 EGBGB nur nach Maßgabe des deutschen Rechts angeordnet. Seit Inkrafttreten des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens am 1.1.2009 ist die Möglichkeit zur Anordnung einer Betreuung nach Art. 24 Abs. 1 S. 2 EGBGB entfallen4.

6.1226

cc) Wirkungen der Betreuung Der Inhalt der Betreuung – und damit auch der Umfang der gesetzlichen Vertretungsmacht des Betreuers – unterliegt hingegen gem. Art. 24 Abs. 3 EGBGB dem Recht des anordnenden Staates5. Bei Anordnung der Betreuung durch ein deutsches Betreuungsgericht gelten daher für die gesetzliche Vertretung einschließlich etwaiger Genehmigungserfordernisse in jedem Fall, d.h. auch wenn die Voraussetzungen der Betreuung ausnahmsweise einem ausländischem Recht entnommen wurden, die §§ 1902 ff., § 1908i Abs. 1 S. 1 BGB. Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit des Betreuten aufgrund der Anordnung ergeben sich daher nur, wenn das Betreuungsgericht zugleich einen Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB verfügt hat; denn auch die Wirkungen der angeordneten Betreuung gehören zu deren „Inhalt“ i.S.v. Art. 24 Abs. 3 EGBGB6.

6.1227

dd) Reform Durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrecht vom 4.5.20217 ist Art. 24 EGBGB wie folgt neu gefasst worden: 1 Lipp in MünchKomm, Rz. 25 ff.; von Hein in Staudinger, Rz. 4 ff., jeweils zu Art. 24 EGBGB; Oelkers, S. 224 ff. Rück- und Weiterverweisung durch das Heimatrecht des Betreuten sind nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten, vgl. Oelkers, S. 255 ff.; Thorn in Palandt, Art. 24 EGBGB Rz. 1; Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 24 EGBGB Rz. 8. 2 Vgl. dazu BayObLG v. 31.10.2001 – 3Z BR 198/01, BayObLGZ 2001, 324. 3 Röthel, BTPrax 2006, 90 (91); von Hein, IPRax 2009, 173 (177); Nitzinger, S. 106; Kegel/Schurig, IPR, § 20 XIV 1; Kropholler, IPR, § 50 II 3; Thorn in Palandt, Rz. 4; Lipp in MünchKomm, Rz. 33 ff.; von Hein in Staudinger, Rz. 31; Heiderhoff in BeckOK BGB Rz. 21, jeweils zu Art. 24 EGBGB; a.A. (ausschließliche Geltung deutschen Rechts) von Bar, Bd. II Rz. 50 ff.; Stürner in Erman, Art. 24 EGBGB Rz. 15; Kegel in Soergel, Rz. 4, jeweils zu Art. 24 EGBGB. 4 Vgl. zum Vorrang des ErwSÜ auch für Angehörige von Nichtvertragsstaaten, die ihren gewöhnlichen oder schlichten Aufenthalt im Inland haben, von Hein in Staudinger, Rz. 31 f.; Lipp in MünchKomm, Rz. 35, jeweils zu Art. 24 EGBGB. 5 von Hein in Staudinger, Rz. 36 ff.; Thorn in Palandt, Rz. 4; Lipp in MünchKomm, Rz. 36 ff., 41, jeweils zu Art. 24 EGBGB. 6 Oelkers, S. 245 ff.; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 36 ff. 7 BGBl. I 2021, 882.

Hausmann | 951

6.1228

§ 6 Rz. 6.1228 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis Artikel 24 EGBGB Vormundschaft, Betreuung und Pflegschaft (1) Die Entstehung, die Ausübung, die Änderung und das Ende eines Fürsorgeverhältnisses (Vormundschaft, Betreuung, Pflegschaft), das kraft Gesetzes oder durch Rechtsgeschäft begründet wird, unterliegen dem Recht des Staates, in dem der Fürsorgebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. (2) Maßnahmen, die im Inland in Bezug auf ein Fürsorgeverhältnis angeordnet werden, und die Ausübung dieses Fürsorgeverhältnisses unterliegen deutschem Recht. Besteht mit dem Recht eines anderen Staates eine wesentlich engere Verbindung als mit dem deutschen Recht, so kann jenes Recht angewendet werden. (3) Die Ausübung eines Fürsorgeverhältnisses aufgrund einer anzuerkennenden ausländischen Entscheidung richtet sich im Inland nach deutschem Recht.

Wie für die Anknüpfung der Geschäftsfähigkeit in Art. 7 Abs. 2 EGBGB (Rz. 6.1064) vollzieht der Gesetzgeber in Art. 24 Abs. 1 EGBGB auch für die Anknüpfung der Entstehung, Ausübung, Änderung oder Aufhebung einer Vormundschaft, Betreuung oder Pflegschaft kraft Gesetzes oder Rechtsgeschäfts den Übergang vom Staatsangehörigkeits- zum Aufenthaltsprinzip. Demgegenüber gilt für Schutzmaßnahmen im Rahmen dieser Fürsorgeverhältnisse – in Anlehnung an das Haager ErwSÜ – das lex fori-Prinzip, das allerdings – wie nach Art. 13 Abs. 2 ErwSÜ – durch eine Ausweichklausel aufgelockert wird. Die Neufassung tritt zum 1.1.2023 in Kraft. b) Internationale Zuständigkeit

6.1229

Das Betreuungsverfahren ist nicht mehr – wie das frühere Entmündigungsverfahren – ein Verfahren der streitigen, sondern ein solches der freiwilligen Gerichtsbarkeit (vgl. §§ 271 ff. FamFG). Die internationale Zuständigkeit in Betreuungs-, Unterbringungs- und Pflegschaftssachen, die Erwachsene betreffen, ist seit dem 1.9.2009 selbständig in § 104 FamFG geregelt und orientiert sich an der für Vormundschaftssachen geltenden Vorschrift des § 99 FamFG. Die Zuständigkeiten sind – wie § 106 FamFG klarstellt – konkurrierend, schließen also eine gleichzeitige Zuständigkeit ausländischer Gerichte nicht aus. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 272 FamFG.

6.1230

§ 104 FamFG begründet drei gleichrangige Zuständigkeiten, nämlich die Heimatzuständigkeit (§ 104 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 FamFG), die Aufenthaltszuständigkeit (§ 104 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FamFG) und die Fürsorgebedürfniszuständigkeit (§ 104 Abs. 1 S. 2 FamFG). Die Inanspruchnahme der Aufenthaltszuständigkeit nach § 104 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 FamFG scheidet allerdings wegen des Vorrangs der Haager ErwSÜ aus. Ferner ergibt sich auch eine internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach § 104 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 oder Abs. 1 S. 2 FamFG nur noch in Fällen, in denen sich der zu betreuende Erwachsene nicht in einem anderen Vertragsstaat des Haager ErwSÜ gewöhnlich aufhält (vgl. Rz. 6.1030). Auf eine Darstellung von Einzelheiten kann daher verzichtet werden1.

1 Vgl. dazu näher von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 102 ff.

952 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1234 § 6

III. Entmündigung 1. Inländische Entmündigung Auch Entmündigungen fallen grundsätzlich in den sachlichen Anwendungsbereich des Haager ErwSÜ (vgl. Art. 3 lit. a, b ErwSÜ). Sind danach deutsche Gerichte international zuständig (Rz. 6.1030), so können sie eine Entmündigung i.d.R. schon deshalb nicht mehr vornehmen, weil sie nach Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ grundsätzlich deutsches Recht als lex fori anzuwenden haben und dieses das Rechtsinstitut der Entmündigung nicht mehr kennt. Nichts anderes gilt aber auch dann, wenn ein deutsches Gericht nach Art. 13 Abs. 2 ErwSÜ ausnahmsweise ausländisches Recht anzuwenden hat, welches die Entmündigung noch kennt. Denn die Anordnung von Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit nach ausländischem Recht, die über die mit der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB verbundenen Wirkungen hinausgehen, verstößt heute offensichtlich gegen den inländischen ordre public (Art. 21 ErwSÜ)1.

6.1231

2. Ausländische Entmündigung a) Haager Erwachsenenschutzübereinkommen Können danach in Deutschland Entmündigungen nicht mehr ausgesprochen werden, so schließt dies freilich nicht aus, eine im Ausland angeordnete Entmündigung auch mit Wirkung für das Inland anzuerkennen2. Insoweit ist danach zu entscheiden, ob die Entmündigung in einem Vertragsstaat des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens oder in einem Drittstaat ausgesprochen wurde.

6.1232

Den in einem Vertragsstaat des Übereinkommens ergangenen Entscheidungen über die Entmündigung eines Erwachsenen kann die Anerkennung nur unter den Voraussetzungen des Art. 22 Abs. 2 ErwSÜ (dazu Rz. 6.1222) versagt werden. In allen Vertragsstaaten des Übereinkommens ist das Rechtsinstitut der Entmündigung indes mittlerweile beseitigt und durch weniger stark in das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen eingreifende Maßnahmen ersetzt worden, so dass sich das Problem im Rahmen des Übereinkommens nicht mehr stellt.

6.1233

b) Autonomes Recht aa) Entmündigung von Deutschen Im autonomen deutschen Recht richtet sich die Anerkennung ausländischer Entmündigungen seit dem 1.9.2009 nach §§ 108, 109 FamFG, weil es sich bei der Entmündigung der Sache nach um einen Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt und das ihr funktional entsprechende Rechtsinstitut der Betreuung dementsprechend auch in §§ 271 ff. FamFG geregelt ist3.

1 So zum autonomen IPR (Art. 6 EGBGB) Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 3; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 2; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 151; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 5; von Bar, Bd. II Rz. 47; a.A. Kegel in Soergel, Anh. zu Art. 7 EGBGB Rz. 13 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 50; Röthel, IPRax 2006, 90 (91). Vgl. auch EGMR v. 27.3.2008 – Nr. 44009/05 (Shtukaturov), FamRZ 2008, 1734 (1735): Verstoß der Entmündigung eines Erwachsenen gegen Art. 8 EMRK. 2 von Bar, II Rz. 48; Kropholler, IPR, § 42 II; Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 9; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 133; a.A. (Verstoß gegen den deutschen ordre public) Nitzinger, S. 44 ff.; Stürner in Erman, Art. 8 EGBGB Rz. 2. 3 Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 9; Geimer in Zöller, § 328 ZPO Rz. 90; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 133.

Hausmann | 953

6.1234

§ 6 Rz. 6.1234 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

Dies gilt unabhängig davon, ob die ausländische Entscheidung durch Urteil oder durch Beschluss ergangen ist, weil § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO auf Entscheidungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit nicht passt1. Die internationale Anerkennungszuständigkeit i.S.v. § 109 Abs. 1 Nr. 1 FamFG ist im Wege der spiegelbildlichen Anwendung der Zuständigkeitsvorschriften für die Betreuung (§ 104 FamFG) festzustellen2. Die Anerkennung der Auslandsentmündigung eines Deutschen scheitert nicht schon deshalb an § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG (ordre public), weil das deutsche Recht einen entsprechenden Betreuungsgrund nicht kennt3; der inländische Rechtsverkehr wird allerdings gegenüber unbekannten Entmündigungsgründen des ausländischen Rechts geschützt (dazu Rz. 6.1237). Darüber hinaus kann die Entmündigung eines Deutschen im Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts im Inland nur mit den Wirkungen einer Betreuung deutschen Rechts in deren weitestreichendem Umfang (d.h. einschließlich eines angeordneten Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB) anerkannt werden; eine darüber hinausgehende Entziehung der Geschäftsfähigkeit verletzt hingegen den deutschen ordre public4. bb) Entmündigung von Ausländern

6.1235

Da die Entmündigung eines Ausländers dazu dient, dem Betroffenen die Geschäftsfähigkeit zu entziehen oder dieselbe zumindest einzuschränken, beurteilen sich die Voraussetzungen und Wirkungen der Entmündigung eines Ausländers grundsätzlich nach seinem Heimatrecht; dabei kann offenbleiben, ob sich dies aus Art. 7 Abs. 1 oder aus Art. 24 Abs. 1 EGBGB ergibt5. Aus diesem Grunde ist die Entmündigung eines Ausländers in seinem Heimatstaat in Deutschland schon kollisionsrechtlich anzuerkennen und zwar – vorbehaltlich des ordre public (Art. 6 EGBGB) – mit den Wirkungen, die ihr nach diesem Recht zukommen. Dasselbe gilt für die Entmündigung eines Ausländers in einem Drittstaat, sofern der Heimatstaat sie anerkennt6. Die h.L. beurteilt demgegenüber die Entmündigung von Ausländern ebenso wie die Entmündigung von Deutschen – in Übereinstimmung mit Art. 22 ff. des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens (Rz. 6.1221 f.) – ausschließlich nach verfahrensrechtlichen Grundsätzen (§ 109 FamFG)7. Der inländische Rechtsverkehr wird freilich gegenüber im deutschen Recht nicht bekannten Entmündigungswirkungen des ausländischen Rechts geschützt (dazu Rz. 6.1237).

IV. Schutz des Rechtsverkehrs 1. Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit a) Gesetzliche Beschränkungen

6.1236

Da gesetzliche Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit (z.B. aufgrund von Geisteskrankheit) i.d.R. aus keinem Register zu ersehen sind, steht der Rechtsverkehr ihnen praktisch ohne Si1 Makowsky/G. Schulze in NK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 27; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 133. 2 von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 133. 3 Kegel in Soergel, Anh. zu Art. 7 EGBGB Rz. 18; Oelkers, S. 292 f. (318). 4 Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 9; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 162; Heiderhoff in BeckOK BGB, Art. 24 EGBGB Rz. 41; von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 133; a.A. (Einzelfallprüfung) Mäsch in BeckOK BGB, Art. 7 EGBGB Rz. 52. 5 Vgl. näher Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 133 ff., 163. 6 RG v. 24.10.1912, RGZ 80, 262 f.; Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 163 m.w.N. 7 Vgl. von Hein in Staudinger, Art. 24 EGBGB Rz. 131 ff.; Thorn in Palandt, Art. 7 EGBGB Rz. 9.

954 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1238 § 6

cherungsmöglichkeit gegenüber. Zwar gilt der Verkehrsschutz nach Art. 13 Rom I-VO grundsätzlich auch für Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit erwachsener Personen; da aber krankhafte Störungen der Geistestätigkeit, die zu einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand führen, nach praktisch allen Rechten Geschäftsunfähigkeit zur Folge haben, ist die Bedeutung des Verkehrsschutzes – anders als bei Vertragsschlüssen durch Minderjährige – gering. Immerhin gilt die im deutschen Recht neu eingeführte Teilgeschäftsfähigkeit von geschäftsunfähigen Volljährigen für Geschäfte des täglichen Lebens, die mit geringwertigen Mitteln bewirkt werden können (§ 105a BGB), gem. Art. 13 Rom I-VO auch für Ausländer, die im Inland ein solches Geschäft mit einem gutgläubigen Vertragspartner tätigen. b) Gerichtliche Beschränkungen Auch nach ihrer Abschaffung im Inland ist das Rechtsinstitut der Entmündigung mit z.T. erheblich weitergehenden Auswirkungen auf die Geschäftsfähigkeit des Entmündigten zahlreichen ausländischen Rechtsordnungen weiterhin bekannt1. Deshalb bedarf der inländische Rechtsverkehr auch weiterhin des Schutzes gegenüber einem Entzug der Geschäftsfähigkeit nach ausländischem Entmündigungsrecht sowie gegenüber den z.T. sehr unterschiedlichen Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit durch Maßnahmen zum Schutze Erwachsener nach ausländischem Recht2. Das Bedürfnis nach einem solchen Schutz ist sogar besonders stark, weil Beschränkungen aufgrund ausländischer Gerichts- oder Behördenentscheidungen für den inländischen Vertragspartner noch schwerer zu erkennen sind als Beschränkungen kraft ausländischer gesetzlicher Vorschriften. Deshalb schützt Art. 13 Rom I-VO den gutgläubigen Vertragspartner allseitig gegen im Abschlussstaat unbekannte Entmündigungsgründe sowie gegen stärkere Wirkungen einer Auslandsentmündigung auf die Verpflichtungsfähigkeit des Betroffenen3. Gehen die Wirkungen der Entmündigung nach ausländischem Recht allerdings über die Wirkungen eines Einwilligungsvorbehalts nach § 1903 BGB hinaus, so scheitert ihre Anerkennung, soweit deutsche Staatsangehörige betroffen sind, bereits am ordre public-Vorbehalt des Art. 22 Abs. 2 lit. c ErwSÜ bzw. des § 109 Abs. 1 Nr. 4 FamFG (dazu Rz. 6.1222)4.

6.1237

2. Mängel der gesetzlichen Vertretungsmacht Gesetzliche Vorschriften oder Gerichtsentscheidungen, welche die Fähigkeit eines Betreuers oder eines sonstigen gesetzlichen Vertreters eines Erwachsenen einschränken, betreffen weder die Geschäftsfähigkeit des Vertretenen, noch diejenige des gesetzlichen Vertreters. Im Rechtsverkehr macht es allerdings keinen wesentlichen Unterschied, ob sich die Unwirksamkeit eines Schuldvertrags aus der mangelnden Geschäftsfähigkeit einer Vertragspartei ergibt, wenn diese selbst handelt, oder aus Vorschriften, die lediglich die Willensergänzung (z.B. durch das Erfordernis einer vormundschaftlichen Genehmigung) der nicht (voll) geschäftsfähigen Vertrags1 So z.B. in Belgien, Italien, Kroatien, Polen, Portugal, Serbien, Spanien und der Türkei; vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 7 EGBGB Rz. 150. 2 Dazu Pousson-Petit, La protection personelle des malades mentaux dans les principaux droit européens, Eur.Rev.Priv.L. 3 (1995), 383 ff.; Oelkers, S. 112 ff. 3 Vgl. Thorn in Palandt, Rz. 5; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 42; Mäsch in BeckOK BGB, Rz. 21; Hausmann in Staudinger, Rz. 16 f., 68 ff., jeweils zu Art. 13 Rom I-VO; ebenso zum früheren Recht (Art. 12 S. 1 EGBGB/Art. 11 EVÜ) Oelkers, S. 304 f.; G. Fischer, S. 127 ff.; Lipp, RabelsZ 63 (1999), 107 (137 f.). 4 Ein Verkehrsschutz nach Art. 13 Rom I-VO kommt in diesem Fall nicht in Betracht, weil die Vorschrift nur eingreift, wenn Ortsrecht und Fähigkeitsstatut auseinander fallen, vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I-VO Rz. 48 ff.

Hausmann | 955

6.1238

§ 6 Rz. 6.1238 | Vertretungsmacht und Verfügungsbefugnis

partei durch einen gesetzlichen Vertreter betreffen. Denn der Vertragspartner ist in beiden Fällen mit einer unübersichtlichen kollisions- und materiell-rechtlichen Situation konfrontiert, die ihren Grund letztlich in der mangelnden oder beschränkten Geschäftsfähigkeit des anderen Teils hat. Hat sich der Vertragspartner daher auf die nach dem Recht des Abschlussortes bestehende gesetzliche Vertretungsmacht verlassen, die nach dem Vertretungsstatut nicht bestand, so wird er in analoger Anwendung von Art. 13 Rom I-VO in seinem Vertrauen geschützt1.

6.1239

Im Geltungsbereich des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens (dazu Rz. 6.1029) hat die in Art. 17 ErwSÜ enthaltene Verkehrsschutzregel als lex specialis allerdings Vorrang vor der analogen Anwendung des Art. 13 Rom I-VO2. Dies gilt nach Art. 18 ErwSÜ auch dann, wenn als Vertretungs- oder Abschlussstatut das Recht eines Nichtvertragsstaats zur Anwendung berufen ist. Ferner ist auch ein Handeln des (Schein-)Vertreters in einem Vertragsstaat nicht erforderlich3. Der Verkehrsschutz nach Art. 17 ErwSÜ ist – entgegen dem missverständlichen deutschen Wortlaut der Vorschrift – auch nicht auf Rechtsgeschäfte unter Anwesenden im Abschlussstaat beschränkt; vielmehr genügt auch insoweit, dass Vertreter und Dritter sich bei Abgabe ihrer Willenserklärungen im gleichen Staat befunden haben4. Auf der anderen Seite greift Art. 17 ErwSÜ in sachlicher Hinsicht weit über Art. 13 Rom I-VO hinaus, weil der Verkehrsschutz für alle Arten von Rechtsgeschäften gilt, also auch für solche des Familienund Erbrechts, sowie für Verfügungen über im Ausland belegene Grundstücke5. Im Übrigen gilt zur Auslegung von Art. 17 ErwSÜ das zu Art. 19 KSÜ Gesagte (Rz. 6.1010 ff.) entsprechend.

V. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung 1. Gesetzliche Beschränkungen 6.1240

Gesetzliche Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit eines Volljährigen infolge geistiger oder körperlicher Gebrechen sind gem. Art. 7 Abs. 1 EGBGB dem Heimatrecht des Betroffenen zu entnehmen; dieses entscheidet auch darüber, ob ein geschäftsunfähiger Volljähriger gewisse Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens wirksam vornehmen kann.

2. Betreuung 6.1241

a) Seit dem 1.1.2009 hat das Haager Erwachsenenschutzübereinkommen Vorrang vor dem deutschen autonomen Kollisions- und Verfahrensrecht, soweit es um die internationale Zuständigkeit, das anwendbare Recht sowie die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Schutzmaßnahmen zugunsten von Erwachsenen geht. Die Kollisionsregeln des Übereinkommens kommen immer dann zur Anwendung, wenn 1 G. Fischer, S. 191 ff.; Kropholler, IPR, § 42 I 3d; Spellenberg in MünchKomm, Rz. 40 ff.; Hausmann in Staudinger, Rz. 26 f., jeweils zu Art. 13 Rom I-VO m.w.N. 2 Hausmann in Staudinger, Rz. 28; a.A. Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (742); Spellenberg in MünchKomm, Rz. 50; Thomale in BeckOGK, Rz.8, jeweils zu Art. 13 Rom I-VO. 3 Guttenberger, S. 181; von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 216 f.; a.A. Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (741 f.); Ludwig, DNotZ 2009, 251(283). 4 Guttenberger, S. 181; Ludwig, DNotZ 2009, 251 (283); Lipp in MünchKomm, Art. 17 ErwSÜ Rz. 10; Hausmann in Staudinger, Art. 13 Rom I Rz. 28a. 5 Siehr, RabelsZ 64 (2000), 715 (741 f.); von Hein in Staudinger, Vorbem. zu Art. 24 EGBGB Rz. 220; Lipp in MünchKomm, Art. 17 ErwSÜ Rz. 9.

956 | Hausmann

F. Beschränkungen bei geistig behinderten Volljährigen | Rz. 6.1247 § 6

die deutschen Gerichte nach Art. 5–12 ErwSÜ für solche Schutzmaßnahmen international zuständig sind. Nach dem Gleichlaufprinzip des Art. 13 Abs. 1 ErwSÜ gilt dann für die Voraussetzungen der Anordnung und den Inhalt von Schutzmaßnahmen grundsätzlich deutsches Recht. b) Nach autonomem Recht bestimmen sich die Voraussetzungen für die Anordnung einer Betreuung und für ihre Beendigung noch bis zum 31.12.2022 grundsätzlich nach dem Heimatrecht des Betreuten (Art. 24 Abs. 1 S. 1 EGBGB). Demgegenüber unterliegt der Inhalt der Betreuung – und damit auch der Umfang der gesetzlichen Vertretungsmacht des Betreuers – dem Recht des anordnenden Staates (Art. 24 Abs. 3 EGBGB). Für die gesetzliche Vertretungsmacht des von einem deutschen Gericht eingesetzten Betreuers gelten daher in jedem Falle die §§ 1901 ff. BGB. Ab dem 1.1.2023 unterliegen die Entstehung, die Ausübung, die Änderung und das Ende eines Fürsorgeverhältnisses (Vormundschaft, Betreuung, Pflegschaft), das kraft Gesetzes oder durch Rechtsgeschäft begründet wird, hingegen dem Recht des Staates, in dem der Fürsorgebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

6.1242

3. Vorsorgevollmacht a) Das Bestehen, der Umfang, die Änderung und die Beendigung einer Vorsorgevollmacht beurteilen sich gem. Art. 15 Abs. 1 ErwSÜ nach dem Recht des Staates, in dem der Erwachsene zur Zeit der Vollmachtserteilung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

6.1243

b) Vorrang vor dieser objektiven Anknüpfung hat eine vom Erwachsenen für die Vorsorgevollmacht erklärte Rechtswahl. Zur Wahl stehen nach Art. 25 Abs. 2 ErwSÜ das Heimatrecht und das Recht am gewöhnlichen Aufenthalt des Erwachsenen. Außerdem kann für das Vermögen des Erwachsenen das jeweilige Belegenheitsrecht gewählt werden.

6.1244

4. Entmündigung a) Eine Entmündigung durch deutsche Gerichte ist seit dem 1.1.1992 ausgeschlossen; dies gilt auch dann, wenn das ausländische Personalstatut die Entmündigung weiterhin vorsieht.

6.1245

b) Die Anerkennung ausländischer Entmündigungen bleibt jedoch weiterhin möglich; sie richtet sich im Anwendungsbereich des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens nach dessen Art. 22 Abs. 2, ansonsten grundsätzlich nach § 109 FamFG. Daneben kommt bei der Entmündigung von Ausländern auch eine kollisionsrechtliche Anerkennung nach Art. 7 Abs. 1 bzw. Art. 24 Abs. 1 EGBGB in Betracht. Die Wirkungen einer Auslandsentmündigung im Inland können grundsätzlich nicht über die Wirkungen einer Betreuung mit Einwilligungsvorbehalt hinausgehen.

6.1246

5. Schutz des Rechtsverkehrs Soweit nicht bereits der ordre public-Vorbehalt nach Art. 22 Abs. 2 lit. c ErwSÜ/§ 109 Nr. 4 FamFG bzw. Art. 6 EGBGB eingreift, sind die Wirkungen einer Auslandsentmündigung (auch von Ausländern) gegenüber gutgläubigen Vertragspartnern im Inland nach Maßgabe von Art. 13 Rom I-VO eingeschränkt. Diese Verkehrsschutznorm ist auch auf Mängel der gesetzlichen Vertretungsmacht eines im Ausland bestellten Betreuers oder sonstigen gesetzlichen Vertreters analog anzuwenden. Im Anwendungsbereich des Haager Erwachsenenschutzübereinkommens hat allerdings dessen Art. 17 Vorrang vor der entsprechenden Anwendung von Art. 13 Rom I-VO. Hausmann | 957

6.1247

§7 Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen A. Gerichtsstandsvereinbarungen . . . . I. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . 1. Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prorogation und Derogation b) Gerichts- und Rechtswahl . 3. Rechtsnatur der Vereinbarung . . 4. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . a) Brüssel I-VO . . . . . . . . . . . . b) Brüssel Ia-VO . . . . . . . . . . . c) Luganer Übereinkommen . d) Haager Übereinkommen . . e) Staatsverträge auf besonderen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . f) Autonomes Recht . . . . . . . . II. Brüssel Ia-VO und autonomes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO a) Verzicht auf das Wohnsitzerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewähltes Gericht in einem Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . c) Bezug zu mehreren Mitgliedstaaten? . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Reiner Inlandssachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bloßer Drittstaatenbezug d) Maßgeblicher Zeitpunkt . . . 2. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . a) Brüssel Ia-VO und Luganer Übereinkommen . . . . . . . . . b) Brüssel Ia-VO und Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen c) Brüssel Ia-VO und Staatsverträge auf besonderen Rechtsgebieten . . . . . . . . . . . . . . . . d) Brüssel Ia-VO und autonomes Recht . . . . . . . . . . . . aa) §§ 38–40 ZPO . . . . . . . bb) Sonstige nationale Prorogationsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zustandekommen und materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

958 | Hausmann

7.1 7.1 7.1 7.3 7.3 7.5 7.7 7.8 7.8 7.9 7.10 7.12 7.13 7.14 7.15 7.15 7.15 7.17 7.19 7.19 7.21 7.23 7.27 7.27 7.28 7.29 7.34 7.34 7.35 7.41

1. Willenseinigung . . . . . . . . . . . . . a) Autonome Auslegung des Begriffs „Vereinbarung“ . . . . . b) Vereinbarung und Formerfordernisse . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Wirksamkeit . . . . . . . a) Verweisung auf das Recht des vereinbarten Gerichts . . . . . b) Vermutung zugunsten der materiellen Wirksamkeit . . c) Materielle Wirksamkeit und Zustandekommen der Vereinbarung . . . . . . . . . . . . . . 3. Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vereins- oder Gesellschaftssatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Trust-Bedingungen . . . . . . . . . . IV. Form der Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schriftliche Vereinbarung . . . . . a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausdrücklicher Hinweis bb) Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt der AGB . . . . . . . . . . . . . . . c) Vereins- oder Gesellschaftssatzung . . . . . . . . . . . . . . . . d) Elektronische Übermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schriftliche Bestätigung einer mündlichen Vereinbarung . . . . . a) Mündliche Vereinbarung . . b) Schriftliche Bestätigung . . . 4. Vertragsschluss nach den Gepflogenheiten zwischen den Parteien a) Begriff der Gepflogenheit . . b) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . 5. Vertragsschluss gemäß internationalen Handelsbräuchen . . . . . . . a) Entstehungsgeschichte und Normzweck . . . . . . . . . . . . . b) Handelsbrauch . . . . . . . . . .

7.41 7.41 7.43 7.48 7.48 7.51 7.52 7.59 7.60 7.61 7.62 7.63 7.63 7.68 7.68 7.71 7.71 7.76 7.80 7.81 7.83 7.83 7.87 7.91 7.91 7.93 7.95 7.95 7.98

Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen | § 7 c) Internationaler Handel . . . . 7.102 d) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . 7.103 e) Kenntnis der Parteien . . . . . 7.107 f) Konnossement . . . . . . . . . . . 7.110 V. Zulässigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.112 1. Hinreichende Bestimmtheit . . . . 7.112 a) Bestimmtes Rechtsverhältnis 7.112 b) Bestimmtes Gericht . . . . . . . 7.115 2. Keine ausschließliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.119 3. Schutz von Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.121 VI. Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.124 1. Ausschließliche oder konkurrierende Zuständigkeit der prorogierten Gerichte? . . . . . . . . . . . 7.124 2. Vereinbarungen nur zugunsten einer Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.127 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 7.127 b) Objektive Begünstigung . . . 7.129 c) Subjektiver Parteiwille . . . . . 7.130 3. Gerichtsstandsvereinbarungen mit Wirkung für Dritte . . . . . . . . 7.132 a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 7.132 b) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . 7.134 aa) Rechtsnachfolge . . . . . . 7.134 bb) Schuld- und Vertragsübernahme . . . . . . . . . . 7.135 cc) Gesellschaftsrecht . . . . . 7.136 dd) Versicherungsvertrag . . 7.137 ee) Konnossement . . . . . . . 7.138 ff) Emissionsprospekt . . . . 7.141 gg) Sonstige Fälle . . . . . . . . 7.142 4. Objektive Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung . . . . . . 7.143 a) Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 7.143 b) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . 7.145 5. Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung im Prozess . . . . . . 7.152 a) Klage vor dem prorogierten Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.152 b) Klage vor dem derogierten Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.153 c) Widerklage . . . . . . . . . . . . . . 7.161 d) Prozessaufrechnung . . . . . . . 7.163 e) Gewährleistungs- und Interventionsklage . . . . . . . . . . . . 7.168 f) Einstweiliger Rechtsschutz . 7.170 6. Aufhebung und Änderung einer Gerichtsstandsvereinbarung . . . . 7.172

7. Rechtsfolgen einer unwirksamen Gerichtsstandsvereinbarung . . . . 7.173 8. Rechtsfolgen des Verstoßes gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung 7.174 a) Verbot von anti-suit injunctions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.174 b) Schadensersatzansprüche . . 7.176 aa) Allgemeines . . . . . . . . . 7.176 bb) Vereinbarungswidrige Klage in einem Drittstaat . . . . . . . . . . . . . . . . 7.179 cc) Vereinbarungswidrige Klage in einem EU-Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . 7.180 VII. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.182 1. Vorrang von EU-Recht und Staatsverträgen . . . . . . . . . . . . . . 7.182 2. Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO . . . . 7.185 3. Autonomes Recht . . . . . . . . . . . . 7.197 4. Klauselbeispiele . . . . . . . . . . . . . 7.198 a) Ausschließliche Gerichtsstandsklausel . . . . . . . . . . . . 7.198 b) Fakultative Gerichtsstandsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.199 c) Alternative Gerichtsstandsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.200 d) Einseitig begünstigende Gerichtsstandsklausel . . . . . . . 7.201 B. Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . 7.202 I. Allgemeine Grundsätze . . . . . . . . . . 7.202 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.202 2. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.204 3. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.206 4. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . 7.207 a) Hauptvertrag . . . . . . . . . . . . 7.207 b) Schiedsverfahren . . . . . . . . . 7.209 c) Lex fori staatlicher Gerichte 7.211 d) Schiedsrichter- und Schiedsorganisationsvertrag . . . . . . 7.212 aa) Vertragsinhalt . . . . . . . . 7.212 bb) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.213 e) Schiedsgutachtenvertrag . . . 7.214 aa) Vertragsinhalt und Rechtsnatur . . . . . . . . . . 7.214 bb) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.215 f) Mediationsvereinbarung . . . 7.216 aa) Rechtsquellen . . . . . . . . 7.216 bb) Vertragsinhalt . . . . . . . . 7.217 cc) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.218 g) Gerichtsstandsvereinbarung 7.222 5. Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . 7.226

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§ 7 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen a) Einleitung . . . . . . . . . . . . . . 7.226 b) Multilaterale Staatsverträge 7.227 aa) UN-Übereinkommen . . 7.227 bb) Europäisches Übereinkommen . . . . . . . . . . . . 7.228 cc) Übereinkommen auf besonderen Rechtsgebieten 7.229 c) Bilaterale Staatsverträge . . . 7.230 d) Autonomes Recht . . . . . . . . 7.233 6. Der Anwendungsbereich der Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . 7.234 a) UN-Übereinkommen . . . . . 7.234 aa) Schiedssprüche . . . . . . . 7.234 (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . 7.236 (2) Territorialitätsvorbehalt 7.239 (3) Handelssachenvorbehalt 7.240 bb) Schiedsvereinbarungen 7.241 (1) Vollstreckungsverfahren 7.242 (2) Einredeverfahren . . . . . 7.243 (3) Schiedsverfahren . . . . . 7.246 (4) Einfluss der Vorbehalte 7.247 b) Europäisches Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.249 aa) Abweichung vom UNÜ 7.249 bb) Sitz der Parteien in verschiedenen Vertragsstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.250 cc) Streitigkeit aus internationalen Handelsgeschäften . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.251 c) Autonomes Recht . . . . . . . . 7.253 7. Konkurrenzen . . . . . . . . . . . . . . 7.255 a) UN-Übereinkommen – Europäisches Übereinkommen . 7.255 b) Multilaterale und bilaterale Übereinkommen . . . . . . . . . 7.259 c) Staatsverträge und autonomes Recht . . . . . . . . . . . . 7.260 II. Bestimmung und Reichweite des auf die Schiedsvereinbarung anzuwendenden Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.262 1. Anknüpfungsgrundsätze . . . . . . 7.262 a) Staatsverträge und nationales Kollisionsrecht . . . . . . . . . . 7.262 b) UN-Übereinkommen . . . . . 7.263 aa) Anwendungsbereich von Art. V Abs. 1 lit. a UNÜ 7.263 bb) Rechtswahl . . . . . . . . . . 7.264 cc) Objektive Anknüpfung 7.266 dd) Verbraucherstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.267 c) Europäisches Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.269 d) Autonomes deutsches Recht 7.270

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aa) Eigenständige Anknüpfung von Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . 7.270 bb) Verfahren zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche . . . . . . . 7.271 cc) Verfahren zur Aufhebung oder Vollstreckbarerklärung inländischer Schiedssprüche . . . . . . . 7.272 dd) Einredeverfahren vor staatlichen Gerichten . . 7.273 (1) Rechtswahl . . . . . . . . . . 7.277 (2) Objektive Anküpfung . 7.287 ee) Verfahren vor dem Schiedsgericht . . . . . . . 7.290 2. Reichweite des Statuts der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . 7.292 a) UN-Übereinkommen . . . . . 7.292 aa) Zustandekommen und materielle Wirksamkeit 7.292 bb) Auslegung und objektive Reichweite . . . . . . . . . . 7.295 cc) Aufhebung und Abänderung . . . . . . . . . . . . . . . 7.302 b) Europäisches Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.303 c) Autonomes deutsches Recht 7.304 aa) Zustandekommen der Schiedsvereinbarung . . 7.304 (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . 7.305 (2) Einbeziehung einer Schiedsklausel in AGB . 7.306 (3) Schweigen auf Bestätigungsschreiben . . . . . . 7.307 bb) Materielle Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung 7.308 (1) Grundsatz . . . . . . . . . . . 7.308 (2) Inhaltskontrolle von Schiedsklauseln in AGB 7.309 (3) Schiedsvereinbarung und Hauptvertrag . . . . . . . . 7.311 cc) Auslegung und Reichweite der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . 7.313 dd) Wegfall der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . 7.317 III. Form der Schiedsvereinbarungen . 7.318 1. UN- Übereinkommen . . . . . . . . 7.318 a) Normzweck . . . . . . . . . . . . . 7.318 b) Verhältnis zu nationalen Formvorschriften . . . . . . . . 7.319 aa) Vorrang . . . . . . . . . . . . 7.319 bb) Meistbegünstigung . . . . 7.321

Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen | § 7 c) Schiedsvereinbarung und Verfahrensvereinbarung . . . d) Schriftlichkeit . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Beiderseitige Unterzeichnung der Vertragsurkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Austausch von Dokumenten . . . . . . . . . . . . . dd) Allgemeine Geschäftsbedingungen . . . . . . . . . ee) Kaufmännisches Bestätigungsschreiben . . . . . . . ff) Konnossement . . . . . . . gg) Vollmacht . . . . . . . . . . . e) Heilung von Formmängeln . 2. Europäisches Übereinkommen . a) Schriftform . . . . . . . . . . . . . b) Günstigeres Landesrecht . . . c) Meistbegünstigung . . . . . . . 3. Autonomes deutsches Schiedsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anknüpfung . . . . . . . . . . . . aa) Inländisches Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausländisches Schiedsverfahren . . . . . . . . . . . . (1) Meistbegünstigung . . . . (2) Verbraucherschutz . . . . b) Form der Schiedsvereinbarung nach § 1031 ZPO . . aa) Allgemeines . . . . . . . . . . bb) Schriftform . . . . . . . . . . cc) Verkehrssitte und Handelsbrauch . . . . . . . . . . . dd) Bezugnahme auf AGB . ee) Konnossement . . . . . . . ff) Verbrauchervertrag . . . . gg) Heilung von Formmängeln . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zulässigkeit von Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. UN-Übereinkommen . . . . . . . . . a) Bestimmtes Rechtsverhältnis b) Objektive Schiedsfähigkeit . c) Subjektive Schiedsfähigkeit . d) Ordre public . . . . . . . . . . . . 2. Europäisches Übereinkommen . a) Bestimmtes Rechtsverhältnis b) Objektive Schiedsfähigkeit . c) Subjektive Schiedsfähigkeit . 3. Deutsches autonomes Schiedsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bestimmtheitserfordernisse .

7.326 7.327 7.327 7.329 7.331 7.337 7.344 7.345 7.347 7.348 7.350 7.350 7.353 7.356 7.357 7.357 7.357 7.359 7.359 7.364 7.368 7.368 7.370 7.372 7.374 7.376 7.377 7.381 7.383 7.383 7.383 7.384 7.388 7.389 7.390 7.390 7.392 7.393 7.394 7.394

aa) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.394 bb) Bestimmtes Rechtsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . 7.396 cc) Bestimmbares Schiedsgericht . . . . . . . . . . . . . . 7.397 b) Objektive Schiedsfähigkeit . 7.400 aa) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.400 bb) Deutsches Sachrecht . . . 7.403 c) Subjektive Schiedsfähigkeit . 7.404 d) Eingriffsnormen . . . . . . . . . 7.406 e) Ordre public . . . . . . . . . . . . 7.409 V. Wirkungen der Schiedsvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.412 1. Einredewirkung im Hauptsacheverfahren vor staatlichen Gerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.412 a) Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . 7.412 b) UN-Übereinkommen . . . . . 7.413 aa) Form und Zeitpunkt der Einrede . . . . . . . . . . . . . 7.413 bb) Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . 7.415 cc) Verweisung auf das Schiedsverfahren . . . . . . 7.419 c) Europäisches Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.420 d) Autonomes deutsches Schiedsverfahrensrecht . . . . 7.421 aa) Anknüpfung . . . . . . . . . 7.421 bb) Prozesshindernis . . . . . . 7.422 2. Wirkung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor staatlichen Gerichten . . . . . . . . . . . . . 7.423 a) UN-Übereinkommen . . . . . 7.423 b) Autonomes deutsches Schiedsverfahrensrecht . . . . 7.424 3. Wirkung im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche . . . . . 7.426 a) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . 7.426 b) Präklusion . . . . . . . . . . . . . . 7.427 4. Drittwirkungen der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.430 5. Schiedsvereinbarung und Aufrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.434 6. Schiedsvereinbarung und Insolvenz einer Partei . . . . . . . . . . . . . 7.436 7. Schadensersatz wegen Verstoß gegen eine Schiedsvereinbarung? . 7.437 VI. Das in Schiedsverfahren auf die Hauptsache anzuwendende Recht . 7.438 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 7.438

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§ 7 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen 2. Staatsverträge . . . . . . . . . . . . . . . 7.439 a) UN-Übereinkommen . . . . . 7.439 b) Europäisches Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.440 3. Bindung von Schiedsgerichten mit Sitz in Mitgliedstaaten der EU an die Rom I-VO? . . . . . . . . . . . . . . 7.443 4. Autonomes deutsches Schiedsverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 7.447 a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . 7.447 b) Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.450 aa) Rechtswahl . . . . . . . . . . 7.450 bb) Objektive Anknüpfung 7.451 c) Rechtswahl . . . . . . . . . . . . . 7.452 aa) Grundsatz . . . . . . . . . . . 7.452 bb) Modalitäten . . . . . . . . . 7.453 cc) Schranken . . . . . . . . . . . 7.456 (1) Verbraucherschutz . . . . 7.456 (2) Eingriffsnormen . . . . . . 7.457 (3) National zwingendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . 7.461 d) Objektive Anknüpfung . . . . 7.462 e) Billigkeitsentscheidung . . . . 7.464 f) Anwendung der „lex mercatoria“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.466 aa) Handelsbräuche und „lex mercatoria“ . . . . . . . . . . 7.466 bb) Voraussetzungen für die Anwendung der „lex mercatoria“ durch inter-

nationale Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.470 (1) Internationalität des Vertrages . . . . . . . . . . . . . . 7.470 (2) Wahl der Parteien . . . . 7.473 VII. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.475 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . 7.475 2. Statut der Schiedsvereinbarung . 7.482 3. Form der Schiedsvereinbarung . 7.485 4. Zulässigkeit einer Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.488 5. Wirkungen der Schiedsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.491 6. Das in Schiedsverfahren auf die Hauptsache anzuwendende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.493 7. Klauselbeispiele . . . . . . . . . . . . . 7.498 a) Standard-Schiedsklausel der DIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.498 aa) Deutsch . . . . . . . . . . . . 7.498 bb) Englisch . . . . . . . . . . . . 7.499 b) Standard-Schiedsklausel der ICC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.500 aa) Deutsch . . . . . . . . . . . . 7.500 bb) Englisch . . . . . . . . . . . . 7.501 c) Standard-Schiedsklausel UNCITRAL . . . . . . . . . . . . . . . 7.502 aa) Deutsch . . . . . . . . . . . . 7.502 bb) Englisch . . . . . . . . . . . . 7.503

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Int. 2013, 651; Czernich, Gerichtsstandsvereinbarung und Auslandsbezug, wbl 2004, 458; Czernich, Reform des Rechts der Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zuständigkeitsrecht, JbZVR 2010, 97; Dittrich, Auswirkungen der EuGVVO-Reform auf Gerichtsstandsvereinbarungen und Schiedsverfahren, EWS 2014, 217; Fawcett, Non-exclusive Jurisdiction Agreements in Private International Law, LMCLQ 2004, 234; Fentiman, Unilateral Jurisdiction Agreements in Europe, (2013) 72 Cambridge L.J. 23; Frauenberger-Pfeiler, Der „reine Binnensachverhalt“, Art. 23 EuGVVO und der öOGH, FS Rechberger (2005), S. 125; Garau Sabrino, Los acuerdos internacionales de elección de foro (2008); Gebauer, Zur Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen bei Vertragsketten, IPRax 2001, 471; Gebauer, Das Prorogationsstatut im Europäischen Zivilprozessrecht, FS von Hoffmann (2011), S. 577; Gebauer, Forum non conveniens, ausländische Kläger und internationale Gerichtsstandsvereinbarungen, IPRax 2012, 555; Gebauer, Gerichtsstandsvereinbarung und Pflichtverletzung, FS Kaissis (2012), S. 267; Gebauer, Relativität und Drittwirkung von Verträgen im Europäischen Kollisionsrecht am Beispiel der Vertragskette, FS Martiny (2014), S. 325; Girsberger, Gerichtsstandsklauseln im Konnossement: Der EuGH und der internationale Handelsbrauch, IPRax 2000, 87; Gottschalk/Bressler, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zivilprozessrecht, ZEuP 2007, 56; Hau, Zu den Voraussetzungen gepflogenheitsmäßiger Einbeziehung von AGB-Gerichtsstandsklauseln, IPRax 2005, 301; Hass, Zur internationalen Gerichtsstandsvereinbarung in einer Patronatserklärung, IPRax 2000, 494; Hau, Zur schriftlichen Bestätigung mündlicher Gerichtsstandsvereinbarungen, IPRax, 1999, 24; Hau, Zu den Voraussetzungen gepflogenheitsmäßiger Einbeziehung von AGB-Gerichtsstandsklauseln, IPRax 2005, 301; Hausmann, Invalidity of Unilateral Jurisdiction Clauses Under Article 23 Brussels I Regulation?, EuLF 2013, 37; Heinig, Grenzen von Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zivilprozessrecht (2010); Heinig, Die AGB-Kontrolle von Gerichtsstandsklauseln – zum Urteil Pannon des EuGH, EuZW 2009, 885; C. Heinze, Choice of Court Agreements, Coordination of Proceedings and Provisional Measures in the Reform of the Brussels I Regulation, RabelsZ 75 (2011), 581; Heiss, Gerichtsstandsvereinbarungen zu Lasten Dritter, insbesondere in Versicherungsverträgen zu ihren Gunsten, IPRax 2005, 497; Hilbig-Lugani, Der gerichtsstandsvereinbarungswidrige Torpedo – wird endlich alles gut?, FS Schütze (2014) S. 195; Hohmeier, Zur Privilegierung ausschließlicher Gerichtsstandsvereinbarungen durch die Brüssel Ia-VO, IHR 2014, 217; Horn, Einwand des Rechtsmissbrauchs gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung iSd Art 23 EuGVO?, IPRax 2006, 2; Illmer, Anti-suit injunctions und nicht ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen, IPRax 2012, 406; Jungermann, Die Drittwirkung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen nach EuGVÜ, EuGVO und LugÜ (2006); Kröll, Gerichtsstandsvereinbarungen aufgrund Handelsbrauchs im Rahmen des GVÜ, ZZP 113 (2000), 135; Kröll, Das Formerfordernis bei Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 17 LugÜ – Unwirksamkeit trotz materieller Einigung?, IPRax 2002, 113; Kubis, Gerichtspflicht durch Schweigen? – Prorogation, Erfüllungsortsvereinbarung und internationale Handelsbräuche, IPRax 1999, 10; Lehmann/Grimm, Zulässigkeit asymmetrischer Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art 23 Brüssel I-VO, ZEuP 2013, 891; Leible, Ge-

Hausmann | 965

§ 7 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen richtsstandsklauseln und EG-Klauselrichtlinie, RIW 2001, 922; Leible/Röder, Missbrauchskontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen im europäischen Zivilprozessrecht, RIW 2007, 481; Lindacher, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen in AGB unter dem Geltungsregime von Brüssel I, FS Schlosser (2005), S. 491; Mance, Exclusive Jurisdiction Agreements and European Ideals 120 L.Q.R. (2004), 357; Mankowski, Ist eine vertragliche Absicherung von Gerichtsstandsvereinbarungen möglich?, IPRax 2009, 23; Mankowski, Gerichtssstandsvereinbarungen in Tarifverträgen und Art. 23 EuGVVO, NZA 2009, 584; Mark/Gärtner, Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Kaufleuten im internationalen Rechtsverkehr, MDR 2009, 837; Marshall, Imbalancecd Jursidiction Clauses under the Lugano Convention, ZEuP 2016, 515; Merrett, The Enforcement of Jurisdiction Agreements under the Brussels Regime, 55 I.C.L.Q. (2006), 315; Mohs, Drittwirkung von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen (2006); Mormann, Satzungsmäßige Gerichtsstandsklauseln für informationsbedingte Kapitalanlegerklagen im europäischen Zuständigkeitsregime, AG 2011, 10; Mülbert, Gerichtsstandsklauseln als materielle Satzungsbestandteile, ZZP 118 (2005), 31; Nielsen, Exclusive Choice of Court Agreements and Parallel Proceedings, FS van Loon (2013), S. 409; Nourissat, L‘avenir des clauses attributives de juridiction d´après le Règlement „Bruxelles Ibis“, FS. Audit (2014) 567; Peiffer, Schutz gegen Klagen im forum derogatum (2013); Pfeiffer, Die Unwirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen nach der Klausel-Richtlinie, ZEuP 2003, 141; Pocar, On the Substantive Validity of Choice-of-Court Agreements under the EU Brussels I Regulation Recast, FS Bogdan (2013), S. 471; Redmann, Ordre public-Kontrolle von Gerichtsstandsvereinbarungen (2005); Rühl, Die Wirksamkeit von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen im Lichte der Ingmar-Entscheidung des EuGH, IPRax 2007, 294; Samtleben, Der Art. 23 EuGVO als einheitlicher Maßstab für Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Ansay (2006), S. 343; Schaper/Eberlein, Die Behandlung von Drittstaaten – Gerichtsstandsvereinbarungen vor europäischen Gerichten, RIW 2012, 43; Schlosser, Materiellrechtliche Wirkungen von (nationalen und internationalen) Gerichtsstandsvereinbarungen, FS Lindacher (2007), S. 111; Simotta, Zur restriktiven Auslegung von Art 17 EuGVÜ/LGVÜ und Art. 23 EuGVVO durch den österreichischen OGH, ZZP Int 2007, 43; Simotta, Wie „international“ muss eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 EuGVVO bzw Art. 17 EuGVÜ/LuGÜ sein?, FS Yessiou-Faltsi (2007), S. 633; Spellenberg, Doppelter Gerichtsstand in fremdsprachigen AGB, IPRax 2007, 98; Spellenberg, Der Konsens in Art. 23 EuGVVO, IPRax 2010, 464; H. J. Stadler, Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen Handel (2003); M. Stürner, Gerichtsstandsvereinbarungen und Europäisches Insolvenzrecht, IPRax 2005, 416; M. Stürner, Schweigen als Zustimmung zu Gerichtsstandsklausel, ZEuP 2012, 353; M. Stürner, Gerichtsstandsvereinbarungen und Erfüllungsortvereinbarungen im europäischen Zivilprozessrecht, GPR 2013, 305; Thole, Gerichtsstandsklauseln in Anleihebedingungen und Verbrauchergerichtsstand, WM 2014, 1205; Villata, Clausola di proroga della giurisdizione e negozi collegati, Riv. Dir. int.priv. proc 2008, 1142; Villata, L‘attuazione degli accordi di scelta del foro nel regolamento Bruxelles I (2012); Vischer, Die Einbeziehung deliktischer Ansprüche in die Gerichtsstandsvereinbarung für den Vertrag, FS Jayme I (2004), S. 993; Weigel/Blankenheim, Europäische Gerichtsstandsklauseln – Missbrauchskontrolle und Vermeidung von Unklarheiten bei der Auslegung widersprüchlicher Vereinbarungen, WM 2006, 664; Weitz, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen und positive internationale Kompetenzkonflikte – Ein Beitrag zum Änderungsentwurf der Brüssel I-Verordnung, J. PIL 2011, 337; Weller, Auslegung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen als ausschließlich und Wirkungserstreckung auf die Klage des anderen Teils gegen den falsus procurator, IPRax 2006, 444; Weller, Keine Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen bei Vertragsketten, IPRax 2013, 501. IV.Ausländisches IZPR und Rechtsvergleichung: Briggs, Agreements on Jurisdiction and Choice of Law (2008); Coipel/Cordonnier, Les conventions d’arbitrage et d’élection de for en droit international privé (1999); Delaume, Choice-of-Forum and Arbitration Clauses in the United States, J.Int.Arb. 1 (1996), 81; Eichel, AGB-Gerichtsstandsklauseln im deutsch-amerikanischen Handelsverkehr (2007); Fawcett, Non-exclusive Jurisdiction Agreements in Private International Law, LMCLQ 2001, 234; Hay, Forum Selection Clauses – Procedural Tools or Contractual Obligations? Conceptualization and Remedies in American and German Law, IPRax 2020, 505; Mankowski, Gerichtsstandsklauseln als Haftungsbeschränkungen zugunsten Dritter und die Himalaya Clause, IPRax 1998, 214; Peel, Exclusive jurisdiction agreements: purity and pragmatism in the conflict of laws, LMCLQ 1998, 182; Peterson, Prorogation Clauses in the United States after the Carnival Cruise Cases, IPRax 1993, 421; Queirolo, Gli accordi sulla competenza giurisdizionale (2000);

966 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.3 § 7 Park, International Forum Selection (Den Haag 1995); Rathenau, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen nach portugiesischem Recht, RIW 2005, 661; Reiser, Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem IPR-Gesetz (Zürich 1989); Stingl, Forum Selection in the Conflict of Laws (Wien 2001); Vorpeil, Zwei Fälle der Nichtanerkennung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen in den USA, IPRax 1995, 405; Walder-Rickli, Die Gerichtsstandsbestimmungen des schweizerischen Gerichtsstandsgesetzes und des Bundesgesetzes über das IPR im Vergleich zu denen des Lugano-Übereinkommens, FS Geimer (2001), S. 1411; Yong Jin Kim, Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen (1995).

I. Allgemeine Grundsätze 1. Normzweck Neben der Bestimmung des anwendbaren Rechts kommt in internationalen Schuldverträgen vor allem der Wahl des Forums für Streitigkeiten über die Gültigkeit des Vertrages und die Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen erhebliche praktische Bedeutung zu. Dabei können die Parteien – zumindest im kaufmännischen Rechtsverkehr – in der Regel wählen, ob sie die Streitentscheidung einem staatlichen Gericht oder einem Schiedsgericht anvertrauen wollen.

7.1

Durch eine Gerichtsstandsvereinbarung können die Parteien die gerade im internationalen Rechtsverkehr häufig bestehende Unsicherheit über die zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zuständigen Gerichte beseitigen. Sie können auf diese Weise insbesondere die Vielzahl der nach Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO in Betracht kommenden gesetzlichen Gerichtsstände begrenzen oder Einigungsschwierigkeiten durch die Wahl eines „neutralen“ Gerichtsstands überwinden1. Außerdem schafft eine Gerichtsstandsklausel Rechtssicherheit dadurch, dass die Zuständigkeit unabhängig von späteren Veränderungen der tatsächlichen Verhältnisse (z.B. dem Wohnsitzwechsel einer Partei) festgelegt wird2. Vor allem aber bringt sie für diejenige Partei eines internationalen Schuldvertrages, der es gelingt, die Zuständigkeit ihrer Heimatgerichte durchzusetzen, erhebliche Vorteile mit sich. Denn es entscheidet dann ein Gericht, dessen Organisation und Funktionsweise dieser Partei vertraut ist. Ferner wird die mit einer Klageerhebung im Ausland häufig verbundene Erschwernis der Rechtsverfolgung, z.B. durch Sprachprobleme und erhöhte Aufwendungen (für Übersetzungen, Fahrten, ausländische Prozessvertreter etc.), vermieden3. Vor allem im Interesse eines legitimen „forum planning“ lassen daher sowohl die Brüssel Ia-VO wie auch die meisten nationalen Rechte Vereinbarungen der Parteien über die internationale Gerichtszuständigkeit in vertraglichen Streitigkeiten zu.

7.2

2. Gegenstand a) Prorogation und Derogation

7.3

Gegenstand einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung kann sein: – eine Prorogation, d.h. die Begründung der internationalen Zuständigkeit eines Staates, dessen Gerichte ohne die Vereinbarung zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht zuständig wären, und/oder

1 Vgl. dazu eingehend F. Sandrock, Die Vereinbarung eines „neutralen“ internationalen Gerichtsstandes (1997). 2 Vgl. näher Schulze, IPRax 1999, 229 (230); Geimer, Rz. 1396 ff. 3 Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 5.

Hausmann | 967

§ 7 Rz. 7.3 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

– eine Derogation, d.h. der Ausschluss der internationalen Zuständigkeit eines Staates, dessen Gerichte ohne die Vereinbarung international zuständig wären.

7.4

Beide Aspekte sind auch dann auseinander zu halten, wenn sie – wie im Regelfall – Gegenstand ein und derselben Gerichtsstandsvereinbarung sind1. Zwar wird durch die Prorogation der ausschließlichen Zuständigkeit eines bestimmten Staates zugleich die internationale Zuständigkeit aller übrigen Staaten derogiert. Notwendig ist diese Koppelung von Prorogation und Derogation in derselben Gerichtsstandsvereinbarung jedoch nicht2. Möglich sind vielmehr auch isolierte Prorogations- und Derogationsvereinbarungen3. b) Gerichts- und Rechtswahl

7.5

Zuständigkeitsvereinbarung und Rechtswahl sind zwar grundsätzlich strikt auseinander zu halten4. In der Praxis stehen beide jedoch häufig in einer engen Wechselbeziehung. So enthält die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands einen starken Hinweis auf die Geltung des Rechts am Sitz des gewählten Gerichts, der i.d.R. die Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl i.S.v. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO rechtfertigt (dazu näher Rz. 2.86 ff. m.w.N.)5. Das Recht am gewählten Gerichtsort beherrscht – wie Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nunmehr ausdrücklich klarstellt – insbesondere die Frage der materiellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung selbst; dazu näher Rz. 7.48 ff.

7.6

Umgekehrt kann auch in der bloßen Rechtswahl u.U. zugleich eine stillschweigende Zuständigkeitsvereinbarung liegen, soweit eine solche nach der lex fori überhaupt zulässig ist6. Ferner kann die Wahl des Rechts am Gerichtsort für die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung Bedeutung erlangen7. Allerdings ist mit einer Schlussfolgerung vom gewählten Recht auf das gewählte Forum größte Zurückhaltung geboten8. Für eine solche ist jedenfalls dann kein Raum, wenn die Parteien zugleich die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Staates vereinbart haben9.

7.7

Die Qualifikation internationaler Gerichtsstandvereinbarungen ist umstritten10. Die deutsche Rechtsprechung wertet die Gerichtsstandsvereinbarung als einen „materiellrechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen“, dessen Zustandekommen sich nach bürgerlichem Recht

3. Rechtsnatur der Vereinbarung

1 Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 137 ff. 2 Geimer, Rz. 1653; Schack, Rz. 496. 3 Kropholler in Hdb. IZVR I, Kap. III Rz. 473; Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 38 ZPO Rz. 5 m.w.N. 4 Geimer, Rz. 1674, 1755. 5 Vgl. BGH v. 4.2.1991 – II ZR 52/90, NJW 1991, 1420 = EWiR 1991, 445 (LS) m. Anm. Koller; OLG Celle v. 26.5.1999 – 2 U 267/95, IPRspr. 1999 Nr. 31. 6 Ital. Cass. v. 11.7.1997, unalex IT-91; Kropholler in Hdb. IZVR I, Kap. III Rz. 487; a.A. Geimer, Rz. 1674. 7 OLG Düsseldorf v. 14.12.1989 – 10 U 93/89, RIW 1990, 220 (221); vgl. auch BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, ZIP 1996, 2184 = NJW 1997, 397 (399) = IPRax 1999, 367 (m. Anm. Dörner/Staudinger, IPRax 1999, 338). 8 OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670; AG Mannheim v. 9.7.2010 – 3 C 96/10, BeckRS 2010, 17438; Geimer, Rz. 1674. 9 OLG Hamburg v. 8.3.1973 – 6 U 171/72, AWD 1974, 278. 10 Vgl. zum Meinungsstand Gottwald, FS Henckel (1995), S. 295 (296 ff.).

968 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.8 § 7

richtet1. Die vor Klageerhebung getroffene Gerichtsstandsvereinbarung sei mangels unmittelbarer Prozessgestaltung keine Prozesshandlung; außerdem enthalte das Prozessrecht für das wirksame Zustandekommen von Gerichtsstandsvereinbarungen keine Vorschriften2. Demgegenüber hat sich in der neueren Literatur zu Recht die Qualifikation der Gerichtsstandsvereinbarung als Prozessvertrag durchgesetzt, weil diese nicht auf eine Rechtsfolge des materiellen Rechts gerichtet ist, die außerhalb eines Prozesses und unabhängig von ihm Bedeutung erlangen könnte3. Die Vereinbarung zielt vielmehr auch dann, wenn sie vor dem Entstehen eines Rechtsstreits getroffen wird, primär auf einen prozessualen Erfolg, nämlich die Zuständigkeit oder Unzuständigkeit eines Gerichts ab. Dies schließt jedoch nicht aus, ihr daneben auch materiell-rechtliche Wirkungen beizulegen. Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann daher auch die – schadensersatzbewehrte – schuldrechtliche Verpflichtung der Parteien begründen, nur vor dem vereinbarten Gericht zu klagen (dazu näher Rz. 7.176 ff.)4. Dies schließt jedoch ihre Einordnung als Prozessvertrag und der auf ihren Abschluss gerichteten Willenserklärungen als Prozesshandlungen in einem weiteren Sinne nicht aus5. Dieser Entwicklung trägt auch der BGH Rechnung, indem er die Gerichtsstandsvereinbarung inzwischen als „Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen“ bezeichnet6. Der Verordnungsgeber hat sich in Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO dieser Sichtweise angeschlossen, indem er für die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung, auch wenn sie in einem Schuldvertrag enthalten ist, nicht auf das Vertragsstatut7, sondern auf die lex fori des vereinbarten Gerichts verweist.

4. Rechtsquellen a) Brüssel I-VO Wichtigste Rechtsquelle für die Beurteilung internationaler Gerichtsstandsvereinbarungen war bis 2014 die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO) 1 BGH v. 29.2.1968 – VII ZR 102/65, BGHZ 49, 384 (386 f.) = NJW 1968, 1233; BGH v. 22.9.1971 – VIII ZR 259/69, BGHZ 57, 72 (75) = NJW 1972, 391 m. Anm. Geimer und Schmidt-Salzer; BGH v. 17.5.1972 – VIII ZR 76/71, BGHZ 59, 23 (26 f.) = NJW 1972, 1622 m. Anm. Geimer = AWD 1972, 416 m. Anm. von Hoffmann = BB 1972, 764 m. Anm. Trinkner; OLG München v. 28.9.1989 – 24 U 391/87, IPRax 1991, 46 (48) (m. Anm. Geimer, IPRax 1991, 31). 2 BGH v. 29.2.1968 – VII ZR 102/65, BGHZ 49, 384 (386 f.); BGH v. 17.5.1972 – VIII ZR 76/71, BGHZ 59, 23 (26 f.); zust. Wirth, NJW 1978, 460. 3 Vgl. Hausmann, FS W. Lorenz (1991), S. 359 (361); Schultzky in Zöller, § 38 ZPO Rz. 4; Hüßtege in Thomas/Putzo, vor § 38 ZPO Rz. 2; Geimer, Rz. 1677; G. Roth, ZZP 93 (1980), 163 f. m.w.N. 4 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399 m. Anm. Wais = EuZW 2020, 143 m. Anm. Antomo = IWRZ 2020, 39 m. Anm. Graf von Westphalen = RIW 2020, 64 m. Anm. Mankowski = JZ 2020, 797 m. Anm. Mäsch = BB 2019, 3023 m. Anm. Unseld = IPRax 2020, 459 m. Anm. Colberg 426. 5 Baumgärtel, Wesen und Begriff der Prozesshandlung einer Partei im Zivilprozess (1957), S. 229 (279); Henckel, Prozessrecht und materielles Recht (1970), S. 14 f.; Schiedermair, Vereinbarungen im Zivilprozess (1935), S. 32 f. (40). In diesem Sinne wohl auch EuGH v. 13.11.1979 – Rs. 25/79, ECLI:EU:C:1979:255 (Sanicentral), Slg. 1979, 3423 (Rz. 6 f.) (Gerichtsstandsvereinbarung also bloße Option, die erst mit Klageerhebung Wirkung entfaltet). 6 Vgl. BGH v. 20.1.1986 – II ZR 56/85, NJW 1986, 1438 m. Anm. Geimer = IPRax 1987, 168 (m. Anm. G. Roth, IPRax 1987, 141); BGH v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, NJW 1989, 1431 (1432) = IPRax 1990, 41 (m. Anm. Schack, IPRax 1990, 19); ebenso OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/ 87, RIW 1989, 221 (222) = IPRax 1990, 105 (m. Anm. Prinzing, IPRax 1990, 83). 7 So noch BGH v. 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 f.; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99, NJW 2000, 670 (671).

Hausmann | 969

7.8

§ 7 Rz. 7.8 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

vom 22.12.2000, die für die Bundesrepublik Deutschland und die übrigen damaligen Mitgliedstaaten der EU – mit Ausnahme Dänemarks – am 1.3.2002 in Kraft getreten war. Für die zehn ost- und südosteuropäischen Mitgliedstaaten (Estland, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn, Zypern) galt die Brüssel I-VO seit dem 1.5.2004, für Bulgarien und Rumänien seit dem 1.1.2007 und für Kroatien seit dem 1.7.2013. Das Zustandekommen, die Zulässigkeit und die Wirkungen von Gerichtsstandsvereinbarungen waren – unter weitgehender Übernahme der Regeln in Art. 17 EuGVÜ – in Art. 23 der Verordnung normiert. Eine damit übereinstimmende Vorschrift galt auch im Verhältnis der übrigen EU-Mitgliedstaaten zu Dänemark1. b) Brüssel Ia-VO

7.9

Am 12.12.2012 haben das Europäische Parlament und der Rat als Verordnung (EU) Nr. 1215/ 2012 eine Neufassung der Brüssel I-VO beschlossen2. Diese sog. Brüssel Ia-VO gilt für alle Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks3 in Verfahren, die ab dem 10.1.2015 eingeleitet wurden (Art. 66 Abs. 1) und hat von diesem Tag an die Brüssel I-VO abgelöst (Art. 80). Im Verhältnis zwischen der EU und Dänemark wird die Brüssel Ia-VO aufgrund entsprechender Erklärungen des Königreichs Dänemark ebenfalls angewandt4. Die Neufassung der Brüssel I-VO bringt auf dem Gebiet der internationalen Gerichtszuständigkeit nur wenige Änderungen. Ihr Schwergewicht liegt in der Erleichterung der Vollstreckung von Urteilen im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander durch die weitgehende Beseitigung des Exequaturverfahrens (vgl. Art. 39 ff. Brüssel Ia-VO). Die nunmehr in Art. 25 Brüssel Ia-VO enthaltene Vorschrift über internationale Gerichtsstandsvereinbarungen dehnt ihren Anwendungsbereich auch auf Fälle aus, in denen keine der Parteien ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der Vordnung hat (dazu Rz. 7.16). Ferner bringt sie eine wichtige Neuerung zu dem auf die materielle Wirksamkeit der Vereinbarung anzuwendenden Recht mit sich, das nunmehr in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO europäisch-einheitlich festgelegt wird (dazu Rz. 7.48 ff.). Außerdem wurde die Wirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen dadurch gestärkt, dass die derogierten Gerichte anderer Mitgliedstaaten das bei ihnen anhängige Verfahren auszusetzen haben, sobald das prorogierte Gericht angerufen wird, und in der Sache nur entscheiden dürfen, wenn das prorogierte Gericht sich für unzuständig erklärt (Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO; dazu Rz. 7.156 ff.). Die Regeln der Verordnung über die internationale Zuständigkeit sind nach der Rechtsprechung des EuGH nicht nur auf EU-Binnensachverhalte anzuwenden, sondern auch auf Sachverhalte mit bloßem Bezug zu Drittstaaten (vgl. Rz. 7.19); sie verdrängen deshalb das autonome Zuständigkeitsrecht der Mitgliedstaaten weitgehend. Für die Auslegung von Art. 25 Brüssel Ia-VO gelten im Wesentlichen die vom EuGH zu Art. 17 EuGVÜ und zu Art. 23 Brüssel I-VO entwickelten Grundsätze weiter, soweit die Vorschrift im Zuge der Reform keine Änderung erfahren hat5. 1 Vgl. das Übk. zwischen der Europäischen Gemeinschaft und Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v. 19.10.2005 (ABl. EU 2005 L 299, S. 62), in Kraft seit 1.7.2007 (ABl. EU 2007 L 94, S. 70). 2 ABl. EU 2012. L 351, 18 ff.; Jayme/Hausmann, Nr. 160. 3 Vgl. Erwägungsgrund 41 zur Brüssel Ia-VO. 4 Vgl. die Erklärungen v. 20.12.2012 (ABl. 2013 L 79, S. 4) und v. 13.8.2014 (ABl. 2014 L 240, S. 1). 5 Vgl. zu diesem Prinzip der Auslegungskontinuität schon Erwägungsgrund 19 zur Brüssel I-VO; ferner EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 30 f.); EuGH v. 28.6.2017 –C-436-/16, ECLI:EU:C:2017:497 (Leventis), RIW 2017, 507 (Rz. 31) = IPRax 2018, 55 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2018, 22); EuGH v. 16.7.2009 – C-189/08, ECLI:EU: C:2009:475 (Zuid-Chemie), Slg. 2009 I, 6917 (Rz. 17 ff.); Hausmann in unalexKomm, Einl. zur Brüssel I-VO, Rz. 48 m.w.N.

970 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.11 § 7

c) Luganer Übereinkommen

Am 16.9.1988 haben die damaligen Mitgliedstaaten der EG mit Staaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) das Luganer Übk. über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen1 abgeschlossen, das in seinem Art. 17 eine weitgehend mit Art. 17 EuGVÜ übereinstimmende Regelung der internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen enthielt. Diese galt auch nach dem Inkrafttreten der Brüssel I-VO im Verhältnis zu den Vertragsstaaten des Luganer Übereinkommens fort, die nicht Mitgliedstaaten der EU waren, nämlich zu Island, Norwegen und der Schweiz. Am 30.10.2007 hatte sich die EG mit Dänemark, Island, Norwegen und der Schweiz auf ein Nachfolgeübereinkommen geeinigt, mit dem der Inhalt des LugÜ 1988 weitgehend an die Brüssel I-VO angeglichen wurde2; insbesondere wurde Art. 23 Brüssel I-VO wörtlich übernommen. Das neue Lugano-Übereinkommen (LugÜ 2007) ist am 1.1.2010 für die Mitgliedstaaten der Brüssel I-VO sowie für Dänemark und Norwegen in Kraft getreten3. Die Schweiz und Island sind dem Übereinkommen mit Wirkung vom 1.1. bzw. 1.5.2011 beigetreten4. Für Kroatien gilt es seit dem Beitritt des Landes zur EU am 1.7.2013; es gilt hingegen nicht für Liechtenstein5.

7.10

Das LugÜ 2007 ersetzt nach seinem Art. 69 Abs. 6 das LugÜ 1988. Es findet nach seinem Art. 65 Abs. 2 Anwendung, wenn die Klage nach seinem Inkrafttreten erhoben wurde6; dies gilt auch dann, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung davor abgeschlossen wurde7. Eine Anpassung an die Brüssel Ia-VO steht noch aus. Während für das LugÜ 1988 noch keine Auslegungskompetenz des EuGH bestand, ist dieser nunmehr auf Vorlage von Gerichten der EU-Mitgliedstaaten (nicht aber auf Vorlage von Gerichten Islands, Norwegens oder der Schweiz) auch zur Auslegung des LugÜ 2007 zuständig8. Die EuGH-Rechtsprechung zur Auslegung des EuGVÜ bzw. der Brüssel I-VO wird ferner gem. Art. 1 Abs. 1 des Protokolls Nr. 2 zum LugÜ 2007 auch von den Gerichten der nicht der EU angehörenden Vertragsstaaten zugrunde gelegt9. Für die Auslegung des LugÜ 2007 kann daher weithin auf die Auslegung der Brüssel I-VO zurückgegriffen werden10. Außerdem ist von Pocar ein erläuternder Bericht zum LugÜ 2007 verfasst worden11.

7.11

1 BGBl. II 1994, 2660; Jayme/Hausmann, Nr. 152; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit 1.3.1995. 2 ABl. EU 2009 L 147, 5 ff. 3 ABl. EU 2010 L 140, 1; dazu Wagner, NJW 2009, 1911 (1913). Vgl. zum LugÜ 2007 näher Hausmann in unalexKomm, Einl. zur Brüssel I-VO Rz. 81 ff. 4 Wagner, NJW 2011, 1404 (1406); dazu BGH v. 23.10.2012 – VI ZR 260/11, BGHZ 195, 166 = ZIP 2013, 286 Rz. 6 f. 5 BGH v. 28.6.2007 – I ZR 49/04, BGHZ 173, 57 Rz. 22 = NJW-RR 2008, 57 (m. Anm. Reichardt, IPRax 2008, 330). 6 BGH v. 23.10.2012 – VI ZR 260/11, BGHZ 195, 166 = ZIP 2013, 286 Rz. 6 f.; BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, ZInsO 2014, 739. 7 Schwz. BG v. 31.7.2013, unalex CH-520. 8 Vgl. die Präambel zum Protokoll Nr. 2 zum LugÜ 2007; Hausmann in unalexKomm, Einl. zur Brüssel I-VO, Rz. 87 m.w.N. 9 Vgl. in der Schweiz ebenso schon zum LugÜ 1988 BG v. 26.9.1997, BGE 123 III 414 (421); BG v. 9.3.1998, BGE 124 III 188 (191) = unalex CH-3. 10 Vgl. BGH v. 20.12.2011 – VI ZR 14/11, ZIP 2012, 1527 = WM 2012, 852 (Rz. 17). Ebenso schon zum LugÜ 1988 BGH v. 5.10.2010 – VI ZR 159/09, BGHZ 187, 156 = ZIP 2010, 2264 (Rz. 10); BGH v. 31.5.2011 – VI ZR 154/10, BGHZ 190, 28 = NJW 2011, 2809; OLG München v. 28.5.2010 – 5 U 4254/09, WM 2010, 1463. 11 ABl. EU 2009 C 319.

Hausmann | 971

§ 7 Rz. 7.12 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

d) Haager Übereinkommen

7.12

Am 30.6.2005 wurde in Den Haag ein neues Übk. über Gerichtsstandsvereinbarungen (HGÜ) abgeschlossen1. Ziel des Übk. ist die Anerkennung von Vereinbarungen eines ausschließlichen Gerichtsstands in Zivil- und Handelssachen in allen Vertragsstaaten. Geregelt werden insbesondere die Voraussetzungen für die Gültigkeit einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung (Form, Bestimmtheit der Gerichtswahl und der von ihr erfassten Streitigkeiten, Art. 3 HGÜ) sowie die wesentlichen Wirkungen einer wirksamen Gerichtsstandsvereinbarung. Diese bestehen vor allem darin, dass die derogierten Gerichte – ähnlich wie jetzt auch nach der Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.155 ff.) – verpflichtet sind, die Klage abzuweisen oder zumindest das Verfahren auszusetzen, bis das prorogierte Gericht über seine Zuständigkeit entschieden hat (Art. 6 HGÜ). Ferner verpflichtet das Übk. die Gerichte der übrigen Vertragsstaaten zur Anerkennung und Vollstreckung der im vereinbarten Gerichtsstand ergangenen Entscheidung (Art. 8 ff. HGÜ). Das Übk. ist für die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten am 1.10.2015 im Verhältnis zu Mexiko in Kraft getreten (dazu Rz. 7.28)2. Es gilt inzwischen auch für Dänemark (seit 1.9.2018), Montenegro (seit 1.8.2018) und Singapur (seit 1.10.2016). Die VR China, die Ukraine und die Vereinigten Staaten haben das Übk zwar gezeichnet, aber bisher nicht ratifiziert. Zur Konkurrenz zwischen dem HGÜ und der Brüssel Ia-VO s. Art. 26 Abs. 6 HGÜ (dazu Rz. 7.28). e) Staatsverträge auf besonderen Rechtsgebieten

7.13

Regelungen über internationale Gerichtsstandsvereinbarungen enthalten auch einige von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierte Staatsverträge auf besonderen Rechtsgebieten, insbesondere auf dem Gebiet des internationalen Transportrechts, z.B. Art. 31 Abs. 1 des Genfer Übereinkommens über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr vom 14.5.1956 (CMR) (dazu näher Rz. 7.32 f.)3 oder Art. 33, 49 des Montrealer Übk. zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 28.5.1999 (MÜ)4.

7.14

Nur soweit eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung in sachlicher, räumlich-persönlicher oder zeitlicher Hinsicht nicht in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO, des Luganer Übk. oder eines Staatsvertrages auf einem besonderen Rechtsgebiet fällt, sind ihr Zustandekommen, ihre Zulässigkeit und ihre Wirkungen nach dem autonomen deutschen Prozessrecht, d.h. nach §§ 38–40 ZPO zu beurteilen. Aufgrund der Erweiterung des räumlichen Anwendungsbereichs von Art. 25 Brüssel Ia-VO gegenüber der bisherigen Regelung in Art. 23 Brüssel I-VO beschränkt sich die Geltung des autonomen Rechts der Mitgliedstaaten heute im

f) Autonomes Recht

1 Text bei Jayme/Hausmann, Nr. 151; dazu Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 ff. 2 Vgl. zur Ratifikation der EU den Vorschlag für einen Ratsbeschluss v. 9.4.2014, KOM (2014) 46 endg. 3 BGBl. II 1961, 1120; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit 5.2.1962 (Bek. v. 28.12.1961, BGBl. II 1962, 12). Das Übereinkommen gilt im Verhältnis zu sämtlichen Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO und des LugÜ. 4 BGBl. II 2004, 459; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit 28.6.2004 (Bek. v. 16.9.2004, BGBl. II 2004, 1371). Das Übk. verdrängt gem. seinem Art. 55 im Verhältnis der Vertragsstaaten zueinander das Warschauer Abk. v. 28.9.1955 (BGBl. II 1958, 291). Vgl. zu diesem Übk. näher Rz. 15.136 ff., Rz. 5.293 ff. sowie Rz. 7.31 f.

972 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.16 § 7

Wesentlichen auf die Prorogation von Gerichten in Drittstaaten und die Prorogation in den nach Art. 1 Abs. 2 Brüssel Ia-VO aus ihrem sachlichen Anwendungsbereich ausgeschlossenen Bereichen1. Auch insoweit ist künftig der Vorrang des HGÜ zu beachten. Aus diesem Grunde wird nachfolgend auf eine Darstellung des autonomen deutschen Rechts der internationalen Gerichtsstandsvereinbarungen nach §§ 38, 40 ZPO verzichtet.

II. Brüssel Ia-VO und autonomes Recht 1. Räumlich-persönlicher Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO a) Verzicht auf das Wohnsitzerfordernis Neben dem allgemeinen Erfordernis, dass die Klage in den sachlichen2 und zeitlichen3 Anwendungsbereich der Verordnung fiel, war es für die Anwendung des Art. 23 Brüssel I-VO erforderlich, dass von den Parteien „mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats“ hatte. Welche Partei in einem Mitgliedstaat wohnte, war unerheblich; denn andernfalls wäre die Wirksamkeit der Gerichtsstandsabrede von den Parteirollen in einem künftigen Prozess abhängig gewesen; dies wäre aber mit dem Ziel der Verordnung, vorhersehbare Zuständigkeiten zu schaffen, unvereinbar gewesen4. Abweichend von der Grundregel des Art. 2 Abs. 1 Brüssel I-VO genügte es daher, wenn lediglich der Kläger in einem Mitgliedstaat wohnte5. Hatte hingegen keine der Parteien ihren Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedstaat, so war Art. 23 Brüssel I-VO nicht anwendbar; die Gerichte der Mitgliedstaaten, die in einem solchen Fall aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung angerufen wurden, hatten über deren Gültigkeit nach ihrem jeweiligen nationalen Verfahrensrecht zu entscheiden6. Lediglich die derogative Wirkung einer internationalen Zuständigkeitsvereinbarung zugunsten der Gerichte eines Mitgliedstaats war nach Art. 23 Abs. 3 Brüssel I-VO auch dann in allen Mitgliedstaaten zu beachten, wenn beide Parteien ihren Sitz in Drittstaaten hatten7. Dieses Wohnsitzerfordernis besteht auch heute noch im Geltungsbereich des Luganer Übereinkommens von 2007 fort8.

7.15

Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich von Art. 25 Brüssel Ia-VO ist hingegen gegenüber der Vorgängernorm in Art. 23 Brüssel I-VO noch einmal erweitert worden. Denn die Vorschrift gilt nach ihrem Einleitungssatz nunmehr ganz unabhängig vom Wohnsitz der Parteien. Auch wenn beide Parteien ihren Wohnsitz in Drittstaaten haben, ist die Vereinbarung eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats daher nunmehr an Art. 25 Brüssel Ia-VO zu messen9. Ob die damit verbundene Derogation drittstaatlicher Gerichte nach

7.16

1 Hess, IPRax 2018, 258; Geimer, Rz. 1605. 2 Vgl. Art. 1 Brüssel Ia-VO; dazu Hausmann in unalexKomm, Rz. 1 ff.; Kropholler/von Hein, Rz. 1 ff., jeweils zu Art. 1 Brüssel I-VO m.w.N. 3 Vgl. Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO; dazu Borrás/Spegele in unalexKomm, Art. 66 Brüssel I-VO Rz. 1 ff. 4 Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (138). 5 EuGH v. 13.7.2000 – C-412/98, ECLI:EU:C:2000:399 (Group Josi/UGIC), Slg. 2000 I, 5925 (5954) (Rz. 41 f.) = EuLF 2000/01, 49 m. Anm. Geimer = IPRax 2000, 520 (m. Anm. Staudinger, IPRax 2000, 483); Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 34. 6 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg 2000 I 9337 (Rz. 19) = ZIP 2001, 213; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 12; Saenger, ZZP 110 (1997), 479 f. 7 Vgl. Geimer, NJW 1986, 2991; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 12 f. 8 Schwz. BG v. 21.9.2017, unalex CH-628; HandelsG Zürich v. 2.5.2016, unalex CH-620. 9 Staudinger/Steinrötter, JuS 2015, 1 (4); Alio, NJW 2014, 2395 (2398); Magnus, FS Martiny (2014), S. 785 (788 f.); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 5.

Hausmann | 973

§ 7 Rz. 7.16 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

dem dortigen Prozessrecht wirksam ist, ist auf die Gültigkeit der Prorogation nach Art. 25 Brüssel Ia-VO ohne Einfluss1. b) Gewähltes Gericht in einem Mitgliedstaat

7.17

Art. 25 Brüssel Ia-VO erfordert jedoch weiterhin, dass die Parteien die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats vereinbart haben. Ein bestimmtes örtlich zuständiges Gericht muss hierzu nicht bezeichnet werden; es genügt, wenn z.B. „die deutschen Gerichte“ zuständig sein sollen (Rz. 7.118). Die Vorschrift gilt ferner – trotz ihres auf die Prorogation beschränkten Wortlauts – analog auch für den Fall, dass die Parteien lediglich eine Zuständigkeit in einem Mitgliedstaat ausgeschlossen haben (sog. isolierte Derogation)2. Da eine solche Vereinbarung in ihrer Wirkung einem Verzicht auf gerichtlichen Schutz überhaupt gleichkommen kann, unterliegt sie allerdings einer scharfen Missbrauchskontrolle (dazu auch Rz. 7.58)3. Auf die Vereinbarung eines Gerichtsstands in einem Drittstaat ist Art. 25 Brüssel Ia-VO dagegen nach seinem klaren Wortlaut nicht anwendbar. Wird daher das Gericht eines Mitgliedstaats entgegen einer solchen Vereinbarung angerufen, so muss es die Wirksamkeit der Prorogation nach dem am gewählten Gerichtsort geltenden Recht beurteilen4.

7.18

Die Wirksamkeit der Derogation wurde hingegen unter Geltung des EuGVÜ nach dem autonomen Prozessrecht des angerufenen Gerichts – einschließlich des Kollisionsrechts – geprüft5. Ein deutsches Gericht hatte die Wirksamkeit der Derogation zugunsten eines drittstaatlichen Gerichts daher an § 38 ZPO und nicht an Art. 17 EuGVÜ zu messen6. Während an dieser Ansicht auch unter Geltung der Verordnungen Brüssel I und Brüssel Ia z.T. noch festgehalten wird7, sollte auch die Derogationswirkung einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines drittstaatlichen Gerichts in allen Mitgliedstaaten einheitlich an Art. 25 Brüssel Ia-VO gemessen werden8. Denn nur durch eine solche Auslegung wird sichergestellt, dass die von der Verordnung gezogenen Schranken für internationale Gerichtsstandsvereinbarungen zu Lasten 1 Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 4. 2 G. Roth, ZZP 93 (1980), 156 (159); Geimer, FS Gottwald (2014), S. 175 (178): Heinig, S. 146 ff.; Mankowski in Rauscher, Rz. 59; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 141; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 11 ff., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO m.w.N. 3 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 15 m.w.N. Für Unzulässigkeit eines Verzichts auf jeglichen Rechtsschutz durch Derogation Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 38 f.; Mankowski in Rauscher Rz. 59, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 4 Schaper/Eberlein, RIW 2012, 43 (45); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 36. 5 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606, ZIP 2001, 213 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9347) (Rz. 19) = NJW 2001, 501; vgl. auch den Schlosser-Bericht Rz. 176; Schlosser, FS Kralik (1986), S. 297 f.; ebenso zur Brüssel I-VO Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 14. 6 BGH v. 20.1.1986 – II ZR 56/85, NJW 1986, 1438 m. Anm. Geimer = IPRax 1987, 168 (m. Anm. G. Roth, IPRax 1987, 141); BGH v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, NJW 1989, 1431 (1432) = IPRax 1990, 41 (m. Anm. Schack, IPRax 1990, 19) = WuB VII A § 23 ZPO Nr. 1, 89 m. Anm. Schütze; OLG Frankfurt a.M. v. 17.10.1995 – 5 U 176/94, IPRax 1998, 35 (m. Anm. Pfeiffer, IPRax 1998, 17). 7 Weller, IPRax 2013, 501 (502); Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 15 f. 8 Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224 (228); Geimer, FS Gottwald (2014), S. 175 (178); Berner, RIW 2017, 792 (797); Schack, Rz. 531; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 7, 12a; Gottwald in MünchKomm-ZPO, Rz. 3 (anders aber Rz. 7); Mankowski in Rauscher, Rz. 14 f., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO m.w.N.

974 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.20 § 7

von Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern nach Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO in jedem Fall respektiert werden (dazu Rz. 7.119 ff.)1. Ferner können auch die ausschließlichen Gerichtsstände nach Art. 24 Brüssel Ia-VO durch die Vereinbarung eines Gerichtsstands in einem Drittstaat nicht abbedungen werden. c) Bezug zu mehreren Mitgliedstaaten? aa) Reiner Inlandssachverhalt Art. 25 Brüssel Ia-VO gilt jedenfalls für Gerichtsstandsvereinbarungen mit Bezug zu zwei oder mehr Mitgliedstaaten, so wenn die Parteien in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnen2 oder wenn zwischen Parteien, von denen eine in einem Mitgliedstaat, die andere in einem Drittstaat wohnt, die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats vereinbart wird3. Auch wenn Personen mit Wohnsitz in demselben Mitgliedstaat einen Gerichtsstand in einem anderen Mitgliedstaat vereinbaren, darf die Gerichtsstandsvereinbarung jedenfalls dann nicht am nationalen Recht gemessen und für unwirksam erklärt werden, wenn der zugrunde liegende Sachverhalt einen sonstigen Auslandsbezug aufweist, z.B. weil dort der Vertrag zu erfüllen ist4.

7.19

Die Brüssel Ia-VO gilt hingegen – wie ihre Kompetenzgrundlage in Art. 81 AEUV und Erwägungsgrund 3 belegen – nur für „Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen“, also nicht für reine Binnensachverhalte. Ungeschriebene Anwendungsvoraussetzung des Art. 25 Brüssel Ia-VO ist mithin ein internationaler Sachverhalt5. Vereinbaren die Parteien daher einen Gerichtsstand in ihrem gemeinsamen Wohnsitzstaat, so ist Art. 25 Brüssel Ia-VO grundsätzlich nicht anwendbar; vielmehr hat das gewählte Gericht die Gültigkeit der Prorogation ausschließlich nach dem autonomen Prozessrecht der lex fori zu beurteilen6. Auf die Staatsangehörigkeit der Parteien kommt es insoweit nicht an; ob eine Auslandsberührung besteht, hängt allein vom Wohnsitz der Parteien und vom Inhalt ihrer Gerichtsstandsvereinbarung ab. Von einer „internationalen“ Gerichtsstandsvereinbarung kann aber bereits immer dann gespro-

7.20

1 So auch EuGH v. 19.7.2012 –C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 (Mahamdia), NZA 2012, 936 Rz. 66 = IPRax 2013, 572 (m. Anm. Martiny, IPRax 2013, 536); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 36. 2 Frz. Cass. v. 23.9.2014, unalex FR-2385; schwz. BG v. 23.12.1998, BGE 125 III 108 (112) = unalex CH-27 (zum LugÜ); OLG München v. 13.2.1985 – 7 U 3867/84, IPRspr. 1985 Nr. 133 A; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 3; a.A. noch frz. Cass. v. 4.10.2005, unalex FR-70. 3 Schwz. BG v. 23.11.2001, unalex CH-262; ital. Cass. v. 14.11.2003, unalex IT-269. 4 OLG Saarbrücken v. 18.10.2011 – 4 U 548/10, NJOZ 2012, 923; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 19; Gaudemet-Tallon, Rz. 125; a.A. ital. Cass. v. 30.12.1998, unalex IT-98; Killias, S. 68 ff. 5 EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 (Owusu), Slg. 2005 I, 1445 (1456) (Rz. 25 ff.) = IPRax 2005, 244 (m. Anm. Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23. 6 ÖOGH v. 21.4.2004 – 9 Ob 151/03a, unalex AT-66; OLG Hamm v. 18.9.1997 – 5 U 89/97, IPRax 1999, 244 (m. Anm. Aull, IPRax 1999, 226); Kohler, IPRax 1983, 265 (266); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (479 f.); Samtleben, FS Ansay (2006), S. 343 (365 f.); Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), 461 (467); Schack, Rz. 527; Heinig, S. 106 ff.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 2; Mankowski in Rauscher, Rz. 21 ff.; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 4; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 6, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 2; a.A. Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 35 ff.; Grolimund, Drittstaatenproblematik des europäischen Zivilverfahrensrechts (2000), S. 141; Aull, Der Geltungsanspruch des EuGVÜ (1996), S. 71 ff., 106 ff. m.w.N.

Hausmann | 975

§ 7 Rz. 7.20 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

chen werden, wenn die Prorogation der Gerichte eines Mitgliedstaats zur Derogation einer sonstigen nach der Brüssel Ia-VO eingeräumten Zuständigkeit in einem anderen Mitgliedstaat führt. Art. 25 Brüssel Ia-VO gilt daher auch für die Vereinbarung eines inländischen Gerichtsstands durch im Inland ansässige Parteien, wenn durch diese Vereinbarung etwa der in einem anderen Mitgliedstaat begründete Gerichtsstand des Erfüllungsorts für eine Vertragsklage (Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO) oder der Gerichtsstand des Tatorts für eine Klage aus unerlaubter Handlung (Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO) ausgeschlossen wird (sog. „grenzüberschreitende Derogation“)1. Ausreichend ist aber auch ein sonstiger Auslandsbezug des Vertrages, auf den sich die Gerichtsstandsvereinbarung bezieht2, sowie die Drittwirkung der Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber einer Partei in einem anderen Mitgliedstaat3. Das internationale Element muss auch nicht schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgelegen haben; es genügt vielmehr, wenn es – z.B. durch nachträgliche Wohnsitzverlegung einer Partei – bis zur Klageerhebung hergestellt worden ist4. Schließlich wird der erforderliche Auslandsbezug aber auch allein durch die Vereinbarung eines Gerichtsstands in einem vom gemeinsamen Wohnsitzstaat der Parteien verschiedenen Mitgliedstaat begründet; ausreichend für die Anwendung von Art. 25 Brüssel Ia-VO ist es mithin, wenn forum derogatum und forum prorogatum in verschiedenen Mitgliedstaaten liegen, auch wenn der Sachverhalt keinen sonstigen Bezug zum gewählten forum aufweist5. bb) Bloßer Drittstaatenbezug

7.21

Die zu Art. 17 EuGVÜ noch überwiegend vertretene Lehre vom Erfordernis eines „gemeinschaftsrechtlichen Binnenbezugs“6 stand mit der Entwicklung des europäischen internationa1 Kohler, IPRax 1983, 265 f.; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (481); Hau, IPRax 1991, 24; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 6; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 24 f., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 2. 2 BAG v. 8.12.2010 – 10 AZR 562/08, NZA-RR 2012, 320 (Vertrag über die Erbringung von Arbeitsleistungen in der Schweiz durch im Inland wohnhafte Parteien); öOGH v. 21.1.2009, unalex AT586 (Lieferung ins Ausland); frz. Cass. v. 27.1.1993, unalex FR-279. 3 EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp SpA/Axa), IPRax 2013, 552 (Rz. 17) (m. Anm. Weller, IPRax 2013, 501). 4 ÖOGH v. 5.6.2007 – 10 Ob 40/07s, IHR 2008, 40 (43) = unalex AT-375; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 64; Heinig, S. 151 ff., 162 m.w.N.; a.A. frz. Cass. v. 4.10.2005, unalex FR-70; OLG Hamm v. 18.9.1997 – IPRax 1999, 244 (246) (m. abl. Anm. Aull, IPRax 1999, 226); Hess, § 6 Rz. 33; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21 a.E. 5 Sehr strittig, wie hier Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 6; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 4, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; i.Erg. auch Geimer, Rz. 1646; ebenso schon früher öOGH v. 5.6.2007, unalex AT-375; OLG Köln v. 9.2.1990 – 3 U 156/89, IPRspr. 1991 Nr. 165; LG Bochum v. 25.8.1997 – 8 O 182/97, RIW 2000, 383 (384); Bariatti, Riv.dir.int.priv.proc. 1986, 819 (824 f.) und 1992, 856 f.; Aull, Geltungsanspruch, S. 125 ff.; Matthias, IPRax 1999, 226 (227); Klicka, JBl. 2004, 188 (189); Samtleben, FS Ansay (2006), S. 343 (358 f.); Killias, S. 71 ff.; Benecke, S. 143 ff.; Bernasconi/Gerber, SZIER 1993, 60 f.; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (139); Borges, RIW 2001, 933 (935); a.A. öOGH v. 1.8.2003 – 1 Ob 240/02d, JBl. 2004, 187 m. Anm. Klicka = unalex AT-2; OLG Hamm v. 18.9.1997 – 5 U 89/97, IPRax 1999, 244 (246) (m. abl. Anm. Aull, IPRax 1999, 226); Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 40, Mankowski in Rauscher, Rz. 24, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 89. 6 BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, BGHZ 134, 127 (133) = NJW 1997, 397 (399) = ZZP 110 (1997), 253 m. Anm. Pfeiffer; BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, BGHZ 116, 77 (80) = ZZP 105 (1992), 330 m. zust. Anm. Bork = IPRax 1992, 377 (m. krit. Anm. Hess, IPRax 1992, 358); BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 349/89, IPRax 1992, 358 f.; OLG Saarbrücken v. 13.10.1999 – 1 U 190/99,

976 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.22 § 7

len Privatrechts, die auf die Schaffung von Kollisionsnormen mit universellem – also nicht auf die Beziehungen der Mitgliedstaaten zueinander beschränktem – Anwendungsbereich abzielte, nicht in Einklang. Eine solche Reduktion des Anwendungsbereichs der europäischen Zuständigkeitsordnung durch Formulierung zusätzlicher – vom Wortlaut ihrer Vorschriften nicht geforderter – Voraussetzungen führte auch zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten, weil der angerufene Richter gezwungen war, den Sachverhalt auf Bezugspunkte zum Recht anderer Mitgliedstaaten zu prüfen, um über die Grenzziehung zwischen Art. 23 Brüssel I-VO und dem autonomen Prozessrecht der lex fori entscheiden zu können1. Gegen die Reduktionstheorie sprach schließlich der schon in der Präambel zum EuGVÜ betonte Zweck, den Schutz der im Geltungsbereich des Übk. domizilierten Personen zu verbessern. Ein solcher effektiver Schutz erfordert nämlich, dass der in einem Mitgliedstaat wohnhafte potentielle Kläger die Möglichkeit hat, durch Abschluss einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung Rechtssicherheit zu schaffen. Dieses Ziel wird aber verfehlt, wenn die Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung von Wohnsitzerfordernissen im Zeitpunkt der künftigen Klageerhebung oder von der Feststellung eines möglichen Erfüllungsorts in einem anderen Mitgliedstaat abhängt2. Vorzuziehen ist deshalb eine strikt am Wortlaut orientierte Auslegung. Danach war die Prorogation der Gerichte eines Mitgliedstaats schon bisher an Art. 23 Brüssel I-VO zu messen, wenn auch nur eine Partei ihren Wohnsitz/Sitz im räumlichen Geltungsbereich der Brüssel IVO hatte und ein Gericht eines Mitgliedstaats prorogiert wurde3. Dies hatte auch der EuGH in seiner Rechtsprechung zu den Anwendungsvoraussetzungen des ebenso formulierten Art. 17 EuGVÜ zu Recht klargestellt4. Es gilt umso mehr unter Geltung von Art. 25 Brüssel Ia-VO, der auch auf das Erfordernis des Wohnsitzes nur einer der Parteien in einem Mit-

1 2 3

4

NJW 2000, 670; OLG Düsseldorf v. 2.10.1997 – 12 U 180–96, IPRax 1999, 38 (40) (m. Anm. Hau, IPRax 1999, 24); OLG Rostock v. 27.11.1996 – 6 U 113/96, RIW 1997, 1042 f.; OLG Koblenz v. 8.2.1996 – 5 U 999/95, RIW 1997, 328; OLG Karlsruhe v. 9.10.1992 – 15 U 67/92, NJW-RR 1993, 567; OLG München v. 28.9.1989 – 24 U 391/87, IPRax 1991, 46 (47 f.) (m. krit. Anm. Geimer, IPRax 1991, 31); ebenso öOGH v. 23.2.1998, JBl. 1998, 726 (728) (m. abl. Aufs. Burgstaller, JBl. 1998, 691) = unalex AT-133 (zum LugÜ); ital. Cass. S.U. v. 26.11.1993, Nr. 11719, Foro it. 1994 I, 2158 m. Anm. Pagni = unalex IT-441; ital. Cass. S.U. v. 30.12.1998, Nr. 12907, Riv.dir.int. priv.proc. 1999, 1012 (1014) = unalex IT-98; a.A. aber schon zum EuGVÜ OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 = ZZP 103 (1990), 84 (86) m. Anm. H. Schmidt; OLG Celle v. 14.8.2002 – 9 U 67/02, ZIP 2002, 2168 = IPRax 2003, 252 (m. Anm. Pfeiffer, IPRax 2003, 233); Aull, S. 85 f., 164 ff.; Grolimund, S. 184, 152, 185 f.; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (139 f.); Killias, S. 54 ff. Geimer, IPRax 1991, 31 (32); Hess, IPRax 1992, 358 (359); Hernández-Bretón, S. 163; Killias, S. 63 f.; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 25. Aull, Der Geltungsanspruch des EuGVÜ (1996), S. 179; Killias, S. 60 ff. Vgl. Erwägungsgrund 8 zur Brüssel I-VO, demzufolge Rechtsstreitigkeiten bereits immer dann unter diese Verordnung fielen, wenn sie „einen Anknüpfungspunkt an das Hoheitsgebiet eines der Mitgliedstaaten aufweisen, der durch diese Verordnung gebunden ist“. Für Verzicht auf einen „gemeinschaftsrechtlichen Binnenbezug“ der Gerichtsstandsvereinbarung schon zu Art. 23 Brüssel IVO daher Hausmann, EuLF 2000/01, 40 (43 f.); Samtleben, FS Ansay (2006), S. 343 (350); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 5, 9; Heinig, S. 110 ff. m.w.N. Vgl. EuGH v. 13.7.2000 – C 412/98, ECLI:EU:C:2000:399 (Group Josi), Slg. 2000 I, 5940 (5958) (Rz. 61) = NJW 2000, 3121 = EuLF 2000/01, 49 m. Anm. Geimer (Rz. 42, 47) = IPRax 2000, 520 (m. Anm. Staudinger, IPRax 2000, 483); EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9346) (Rz. 16 ff.) = NJW 2001, 501; EuGH v. 1.3.2005 – C 281/ 02, ECLI:EU:C:2005:120 (Owusu), Slg. 2005 I, 1445 (1459) (Rz. 35) = IPRax 2005, 244 (m. zust. Anm. Heinze/Dutta, IPRax 2005, 224).

Hausmann | 977

7.22

§ 7 Rz. 7.22 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

gliedstaat verzichtet und sich mit der Vereinbarung eines mitgliedstaatlichen Gerichts als einzigem räumlichen Bezugspunkt zum Geltungsbereich der Verordnung begnügt1. Auf einen häufig nur schwer feststellbaren Bezug zu einem weiteren Mitgliedstaat kommt es also nicht an; es genügt vielmehr, wenn durch die Gerichtsstandsvereinbarung lediglich die internationale Zuständigkeit eines Drittstaats derogiert wird. d) Maßgeblicher Zeitpunkt

7.23

Die vorgenannten besonderen Anwendungsvoraussetzung des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO – Vereinbarung des Gerichtsstands in einem Mitgliedstaat, Auslandsbezug) – müssen grundsätzlich zur Zeit der Klageerhebung erfüllt sein; denn nach Ansicht des EuGH begründet eine Gerichtsstandsvereinbarung nur „eine Zuständigkeitsoption, die ... erst bei Klageerhebung Wirkungen entfaltet“2. Sind die räumlich-persönlichen Voraussetzungen für eine Anwendung von Art. 25 Brüssel Ia-VO zur Zeit der Klageerhebung erfüllt, so ist die Gerichtsstandsvereinbarung daher grundsätzlich wirksam, wenn sie den Anforderungen dieser Vorschrift – insbesondere auch hinsichtlich der Form nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO – genügt3. Dies gilt auch für Vereinbarungen, die nach dem im Zeitpunkt ihres Abschlusses noch geltenden nationalen Recht oder nach der Vorgängernorm des Art. 23 Brüssel I-VO (z.B. mangels Wohnsitzes einer der Vertragsparteien in einem Mitgliedstaat) unwirksam waren; sie erlangen Wirksamkeit mit In-Kraft-Treten der Brüssel Ia-VO, wenn sie den Anforderungen des bei Klageerhebung geltenden Verordnungsrechts genügen4. Das Vertrauen auf die Unwirksamkeit einer getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung ist mithin grundsätzlich nicht schutzwürdig: Vielmehr kann insbesondere ein Mangel der für die Vereinbarung vorgeschriebenen Form auch durch eine nachträgliche Rechtsänderung (z.B. das Inkrafttreten der Brüssel Ia-VO im Gerichtsstaat) geheilt werden5.

7.24

Umstritten ist hingegen, inwieweit das Vertrauen der Parteien in die Wirksamkeit einer geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung Schutz verdient. Nach verbreiteter Auffassung erfordert der Gedanke des Vertrauensschutzes und der Planungssicherheit, dass eine Gerichtsstandsvereinbarung, die den Anforderungen des zur Zeit ihres Abschlusses noch maßgebenden nationalen Rechts entspricht, ihre Wirksamkeit auch dann behält, wenn sie den im Zeit1 Ebenso die heute ganz h.M. zu Art. 25 Brüssel Ia-VO, vgl Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 11 f.; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 6; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 29 ff.; Mankowski in Rauscher, Rz. 19 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 2, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 2 EuGH v. 13.11.1979 – Rs. 25/79, ECLI:EU:C:1979:255 (Sanicentral), Slg. 1979, 3423 (3429 f.) (Rz. 6) = RIW 1980, 285. Ebenso schwz. BG v. 31. 7. 2013, unalex CH-520; OLG München v. 31.3.1987 – 6 W 788/87, NJW 1987, 2166; OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/87, IPRax 1991, 324 (325) (m. Anm. Kohler, IPRax 1991, 299); OLG Hamm v. 22.1999 – 8 U 255/97, RIW 2000, 382. 3 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, NJW 2020, 399 (Rz. 17) m. Anm. Wais; BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 (Rz. 21). 4 Vgl. zur nachträglichen Wohnsitzverlegung unter Geltung von Art. 23 Brüssel I-VO öOGH v. 23.9.2008, unalex AT-562; OLG Köln v. 2.12.2003 – 24 U 40/03, OLGR 2004, 65; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 11. 5 Vgl. zum Inkrafttreten von Art. 17 EuGüVO OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (146) = IPRax 1987, 308 (m. Anm. Schwarz, IPRax 1987, 291); OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182; zu Art. 17 LugÜ 1988 LG Bochum v. 25.8.1997 – 8 O 182/97, RIW 2000, 383 (384); zu Art. 23 Brüssel I-VO Mayr, ÖWBl. 1996, 381 (383); zum geltenden Recht Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 10 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 23; Mankowski in Rauscher, Rz. 264, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

978 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.26 § 7

punkt der Klageerhebung geltenden – geänderten – rechtlichen Voraussetzungen des Verordnungsrechts nicht mehr genügt1. In gleicher Weise sei Vertrauensschutz auch dann zu gewähren, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse (z.B. der Wohnsitz einer Partei) zwischen dem Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung und der Klageerhebung geändert und zur Unwirksamkeit einer zuvor gültig geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung geführt hätten2. Daran ist richtig, dass es für die Voraussetzungen einer wirksamen materiellen Einigung über den Gerichtsstand allein auf den Abschlusszeitpunkt ankommen kann3. Demgegenüber ist jedenfalls im Falle einer Rechtsänderung für die Frage der Formwirksamkeit sowie der prozessualen Zulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung im Geltungsbereich von Art. 25 Brüssel Ia-VO auf den Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen4. Dies ergibt sich unmissverständlich aus Art. 66 Abs. 1 Brüssel Ia-VO; danach sind die Vorschriften der Verordnung zwingend auf alle Klagen anzuwenden, die erhoben werden, nachdem die Verordnung im Gerichtsstaat in Kraft getreten ist. Der Wortlaut dieser Vorschrift lässt für eine einschränkende Auslegung, die dem Vertrauen der Parteien in eine zuvor nach nationalem Recht wirksam geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung Rechnung trägt, keinen Raum. Somit verlieren Gerichtsstandsvereinbarungen, die den Voraussetzungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht entsprechen, mit Geltung dieser Vorschrift im Gerichtsstaat ohne weiteres ihre Wirksamkeit. Dies gilt nicht nur bei Verstößen gegen die in Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vorgeschriebene Bestimmtheit und Form, sondern vor allem auch für Gerichtsstandsvereinbarungen, welche die Rechte von Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern über das nach Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO zulässige Maß hinaus einschränken5, oder die nach dem von Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zur Anwendung berufenen Recht am forum prorogatum materiell nichtig sind6.

7.25

Ändern sich hingegen die tatsächlichen Verhältnisse nach Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung, z.B. weil eine Partei ihren Wohnsitz gezielt in einen Drittstaat verlegt, so ist aus Gründen des Vertrauensschutzes von einer Fortgeltung der gültig geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung auszugehen7. Auch die Anforderungen an eine wirksame materielle Eini-

7.26

1 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 28; Mankowski in Rauscher, Rz. 264; i. Erg. auch Schlosser in Schlosser/Hess Rz. 9; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 13, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Für Geltung des autonomen Prozessrechts in favorem prorogationis auch Trunk, IPRax 1996, 249 (251). 2 Killias, S. 83; Aull, S. 66; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (482); Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 9; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 62 f., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 3 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 28; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 23; Mankowski in Rauscher, Rz. 263, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 11. 4 OLG Hamburg v. 21.12.2007 – 12 U 11/05, IHR 2008, 108; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 60; ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ OLG München v. 31.3.1987 – 6 W 788/87, NJW 1987, 2166; OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/87, IPRax 1991, 324 (325) (m. Anm. Kohler, IPRax 1991, 299); App. Versailles v. 8.11.1990, J.C.P.1991.J. 21672 m. Anm. Martin-Serf; ital. Cass. v. 2.2.1991, Riv.dir.int.priv.proc. 1992, 327 = unalex IT-60; Sieg, RIW 1998, 102 (103); Benecke, S. 86; Samtleben, RabelsZ 59 (1995), 670 (703 f.); ebenso zu Art. 17 LugÜ LG Bochum v. 25.8.1997 – 8 O 182/97, RIW 2000, 383 (384); schwz. BG v. 9.9.1993, BGE 119 II 391 (393) = unalex CH-68. 5 Schwz. BG v. 19.8.1998, BGE 124 III, 436 (441 ff.) = unalex CH-55; BG v. 9.9.1993, BGE 119 II, 392 (393) = unalex CH-68; LG München I v. 29.5.1995 – 21 O 23363/94, NJW 1996, 401 = IPRax 1996, 266 (m. krit. Anm. Trunk, IPRax 1996, 249), jeweils zum LugÜ. 6 Für Vertrauensschutz auch im letztgenannten Fall Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 264. 7 ÖOGH v. 21.1.2009 – 3 Ob 285/08w, unalex AT-586; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 28; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 63; Mankowski in Rauscher, Rz. 265, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

Hausmann | 979

§ 7 Rz. 7.26 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

gung der Parteien über den Gerichtsstand nach dem hierauf anwendbaren Recht (Rz. 7.48 ff.) beurteilen sich allein nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung. Schließlich ist zu beachten, dass im Falle einer Rechtsnachfolge die Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung ausschließlich im Verhältnis zwischen den Parteien des ursprünglichen Vertrages zu prüfen ist. Art. 23 Brüssel I-VO fand daher nur dann Anwendung, wenn mindestens eine der Parteien des ursprünglichen Vertrages ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hatte1. Nach Art. 25 Brüssel Ia-VO kommt es darauf nicht mehr an, so dass die Vereinbarung eines mitgliedstaatlichen Gerichts zwischen Parteien mit Sitz in Drittstaaten auch dann als wirksam anzusehen ist, wenn sie noch unter Geltung von Art. 23 Brüssel I-VO abgeschlossen wurde.

2. Konkurrenzen a) Brüssel Ia-VO und Luganer Übereinkommen

7.27

Da Art. 25 Brüssel Ia-VO mit Art. 23 des Luganer Übk.von 2007 (Rz. 7.10 f.) nicht mehr übereinstimmt, kommt der Abgrenzung insbesondere wegen der unterschiedlichen Anwendungsvoraussetzungen auch praktische Bedeutung zu. Nach Art. 64 Abs. 1 und Abs. 2 lit. a LugÜ wird das Luganer Übk. von den Mitgliedstaaten der EU nur angewendet, wenn der maßgebende Bezugspunkt auf das Recht eines Staates verweist, der allein dem Luganer Übk. – und nicht der Brüssel Ia-VO – angehört. Internationale Gerichtsstandsvereinbarungen sind daher etwa im deutsch-schweizerischen Verhältnis dann an Art. 23 LugÜ 2007 zu messen, wenn entweder die Zuständigkeit eines Schweizer Gerichts vereinbart oder der Wohnsitzgerichtsstand des Schweizer Beklagten durch die Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstands derogiert wird (Art. 64 Abs. 2 lit. a LugÜ). Ein sonstiger Bezug des Sachverhalts zu einem Lugano-Staat reicht hingegen nicht aus; die Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstands im Vertrag zwischen einem deutschen Unternehmen und einem in Bregenz wohnhaften Schweizer beurteilt sich daher nach Art. 25 Brüssel Ia-VO und nicht nach Art. 23 LugÜ. b) Brüssel Ia-VO und Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen

7.28

Die Konkurrenz zwischen der Brüssel Ia-VO und dem Haager Übk. über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005 (Rz. 7.12) löst nach dessen Inkrafttreten für die EU Art. 26 Abs. 6 HGÜ. Nach lit. a dieser Vorschrift wird auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit Regelungsinstrumenten einer Organisation der regionalen Wirtschaftsintegration, die – wie die EU – Vertragspartei des HGÜ ist, grundsätzlich Vorrang vor dem Übereinkommen eingeräumt, wenn beide Parteien ihren Aufenthalt in einem Mitgliedstaat dieser Organisation – hier: der EU – haben. Das HGÜ findet auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen aus der Sicht von Gerichten der Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO daher nur dann Anwendung, wenn entweder zumindest eine Partei ihren Aufenthalt in einem Vertragsstaat des HGÜ hat, der nicht zugleich EU-Mitgliedstaat ist, oder wenn von in der EU ansässigen Parteien die Zuständigkeit in einem nicht der EU angehörenden Vertragsstaat des HGÜ vereinbart wird2. Der Aufenthalt von juristischen Personen und Gesellschaften bestimmt sich dabei nach Art. 4 Abs. 2 HGÜ. Derzeit hat das HGÜ daher aus deutscher Sicht nur dann Vorrang vor der Brüs1 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9347 f.) (Rz. 20 f.) = NJW 2000, 501; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 5. 2 Vgl. näher Bläsi, S. 152 ff.; Wagner, RabelsZ 73 (2009), 100 (135); Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), 461 (463); Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 10; Weller in Wieczorek/Schütze, Rz. 8; Mankowski in Rauscher, Rz. 267 ff., 275 f.; jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

980 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.30 § 7

sel Ia-VO, wenn eine Partei ihren Aufenthalt i.S.v. Art. 4 Abs. 2 HGÜ in Dänemark, Mexiko, Montenegro oder Singapur hat oder wenn Parteien, die ihren Aufenthalt in Deutschland oder einem anderen EU-Mitgliedstaat haben, die Zuständigkeit der Gerichte eines dieser Staaten vereinbart haben. Entsprechendes dürfte ab dem 1.1.2021 im Verhältnis zum Vereinigten Königreich gelten1. c) Brüssel Ia-VO und Staatsverträge auf besonderen Rechtsgebieten Nach der unverändert aus der Brüssel I-VO übernommenen Vorschrift des Art. 71 Abs. 1 Brüssel Ia-VO lässt die Verordnung Staatsverträge unberührt, denen die Mitgliedstaaten angehören und die „für besondere Rechtsgebiete“ die gerichtliche Zuständigkeit regeln. Soweit derartige Spezialabkommen eine abschließende Regelung auf dem Gebiet der internationalen Prorogation enthalten, gebührt ihnen also grundsätzlich Vorrang vor Art. 25 Brüssel Ia-VO2. Art. 25 Brüssel Ia-VO integriert mithin die Vorschriften aus den speziellen Übereinkommen in die Verordnung; deren abweichende Regeln werden durch das Abkommen verdrängt3. Regelt das Spezialabkommen hingegen lediglich Teilbereiche einer Zuständigkeitsvereinbarung, so bleibt Art. 25 Brüssel Ia-VO für die nicht geregelten Fragen maßgebend4. Allerdings darf ein nach Art. 71 Brüssel Ia-VO vorrangig geltender Staatsvertrag – wie der EuGH zur Brüssel I-VO klargestellt hat5 – nicht die Grundsätze beeinträchtigen, auf denen die justizielle Zusammenarbeit innerhalb der EU beruht. Im Geltungsbereich der Brüssel Ia-VO darf die Anwendung des Spezialabkommens daher nicht „zu weniger günstigen Ergebnissen im Hinblick auf das reibungsose Funktionieren des Binnenmarkts führen“ als die Verordnung. Die Anwendung der Vorschriften eines solchen Abkommens steht daher unter dem Vorbehalt, dass diese „in hohem Maße vorhersehbar sind, eine geordnete Rechtspflege fördern und es erlauben, die Gefahr von Parallelverfahren so weit wie möglich zu vermeiden“6. Diese Voraussetzung wird durch die Wahlmöglichkeiten des Klägers nach Art. 31 Abs. 1 CMR erfüllt7.

7.29

Auch die Säumnis oder Nichteinlassung des Beklagten vor dem angerufenen – prorogierten oder derogierten – Gericht ändert am Vorrang des Spezialabkommens nichts. Denn es unterliegt gerade nicht seiner Disposition, durch sein Nichterscheinen oder seine Nichteinlassung eine nach einem Sonderabkommen ansonsten begründete Zuständigkeit zu beseitigen8. Aus der Verweisung in Art. 71 Abs. 2 lit. a S. 2 auf Art. 28 Brüssel Ia-VO folgt nichts anderes;

7.30

1 Ausf. zur Konkurrenz von HGÜ und Brüssel Ia-VO Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 27 ff. 2 Jenard-Bericht zu Art. 57 EuGVÜ, ABl. EG 1979 Nr. C 59, S. 1; Kropholler/von Hein, Rz. 5; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 1; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 1, jeweils zu Art. 71 Brüssel Ia-VO. 3 OLG Hamm v. 25.6.2001 – 18 U 33/00, RIW 2002, 152; Haubold, IPRax 2000, 91 (93). 4 Vgl. zur Rechtshängigkeit (Art. 21 EuGVÜ) EuGH v. 6.12.1994 – C-406/92, ECLI:EU:C:1994:400 (Tatry), Slg. 1994 I, 5439 (5478) (Rz. 25) = JZ 1995, 616 (m. Anm. P. Huber, JZ 1995, 603) = IPRax 1996, 108 (m. Anm. Schack, IPRax 1996, 80). 5 EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08, ECLI:EU:C:2010:243 (TNT/AXA), Slg. 2010 I, 66 (Rz. 48 ff.) = NJW 2010, 1736. 6 EuGH v. 4.5.2010 – C-533/08, ECLI:EU:C:2010:243 (TNT/AXA), Slg. 2010 I, 66 (Rz. 51 ff.); EuGH v. 19.12.2013 – C-452/12, ECLI:EU:C:2013:858 (Nipponkoa Insurance Co.), EuZW 2014, 220 (Rz. 36 ff.) m. Anm. Antomo. 7 EuGH v. 4.9.2014 – C-157/13, ECLI:EU:C:2014:2145 (Nickel & Goeldner Spedition), NZI 2014, 919 (Rz. 37 ff.) m. Anm. Mankowski = IPRax 2015, 417 (m. Anm. Thole, IPRax 2015, 386). 8 OLG Hamm v. 25.6.2001 – 18 U 33/00, RIW 2002, 152 (153); Mankowski in Rauscher, Art. 71 Brüssel Ia-VO Rz. 42 ff. m.w.N.

Hausmann | 981

§ 7 Rz. 7.30 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

vielmehr begründet Art. 71 Abs. 2 lit. a Brüssel Ia-VO iVm. den Regeln der Spezialabkommen eine eigene Zuständigkeit nach der Brüssel Ia-VO1.

7.31

Bei Streitigkeiten aus internationalen Luftbeförderungsverträgen werden die Zuständigkeitsvorschriften der Brüssel Ia-VO durch die Sonderregeln in Art. 33, 46 des Montrealer Übereinkommens zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (MÜ) v. 28.5.19992 verdrängt. Die Gerichtsstände des Art. 33 Abs. 1 und 2 MÜ können deshalb nicht durch eine vor Eintritt des Schadens getroffene Parteivereinbarung nach Art. 25 Brüssel Ia-VO abgeändert werden, auch wenn die Parteien ihren Wohnsitz in der EU haben (vgl. Art. 49 MÜ)3. Im Hinblick auf den Zweck der Art. 33, 46 MÜ, den Verletzten durch Eröffnung alternativer Gerichtsstände zu schützen, ist eine vor dem Eintritt des Schadens getroffene Gerichtsstandsvereinbarung auch dann unzulässig, wenn sie keine neue Zuständigkeit begründen soll, sondern lediglich eines der in diesen Vorschriften genannten Gerichte für ausschließlich zuständig erklärt4. Im Fall der Güterbeförderung sind jedoch gem. Art. 34 MÜ Schiedsklauseln zulässig, wenn danach das Verfahren im Bezirk eines der in Art. 33 MÜ bezeichneten Gerichte stattfinden soll. Ferner kann die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Streitigkeiten aus internationalen Luftbeförderungsverträgen, die sachlich dem Montrealer Abkommen unterliegen, durch eine rügelose Einlassung des Beklagten nach Art. 26 Brüssel Ia-VO5 oder durch eine nach Schadenseintritt getroffene Gerichtsstandsvereinbarung begründet werden; im letzteren Fall findet Art. 25 Abs. 1 Brüssel IaVO auf die Formgültigkeit und die Auslegung der Vereinbarung Anwendung6.

7.32

Im Gegensatz zu Art. 49 MÜ lässt das Genfer Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) v. 19.5.19567 in seinem Art. 31 Gerichtsstandsvereinbarungen8 auch vor Eintritt des Schadensfalls ausdrücklich zu. Es darf aber nur die internationale Zuständigkeit in einem Vertragsstaat vereinbart werden, also etwa die Zuständigkeit der deutschen Gerichte9. Die vereinbarte internationale Zuständigkeit darf ferner keine ausschließliche sein; die in Art. 31 Abs. 1 CMR aufgeführten gesetzlichen Zuständig-

1 Vgl. – jeweils im Verhältnis zur CMR – EuGH v. 28.10.2004 – C-148/03, ECLI:EU:C:2004:677 (Nürnberger Allg. Versicherungen), Slg. 2004 I, 10329 (10336) (Rz. 20) = NJW 2005, 44 = IPRax 2006, 256 (m. Anm. Haubold, IPRax 2006, 224); ebenso schon zuvor BGH v. 20.11.2003 – I ZR 294/02, ZIP 2004, 684 = NJW-RR 2004, 397 (dazu Otte, TranspR 2003, 347); BGH v. 27.2.2003 – I ZR 58/02, NJW-RR 2003, 1347 = RIW 2003, 722; OLG Karlsruhe v. 27.6.2002 – 9 U 204/01, NJWRR 2002, 1722 = IPRax 2003, 533 (m. Anm. Schinkels, IPRax 2003, 517); OLG Schleswig v. 20.12.2001 – 16 U 59/01, TranspR 2002, 76; zust. Haubold, IPRax 2006, 224 f.; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 4; Mankowski in Rauscher, Rz. 31 ff., jeweils zu Art. 71 Brüssel I-VO m.w.N.; a.A. noch OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, RIW 1999, 968 = IPRax 2000, 121 (m. abl. Anm. Haubold, IPRax 2000, 91). 2 BGBl. II 2004, 459. 3 AG Geldern v. 20.4.2011 – 4 C 33/11, NJW-RR 2011, 1503. 4 Kropholler in Hdb. IZVR I, Kap. III Rz. 399; Matscher, Rec. des Cours 161 (1978-III), 194. 5 BGH v. 19.3.1976 – I ZR 75/74, BGHZ 76, 213 = NJW 1976, 1583 m. Anm. Kropholler; OLG Frankfurt a.M. v. 11.11.1986 – 5 U 240/85, MDR 1987, 410 = TranspR 1987, 68 (zu § 39 ZPO). 6 Killias, S. 100. 7 BGBl II 1996, 1120. 8 Zulässig sind nach Art. 33 CMR auch Schiedsvereinbarungen, vorausgesetzt das Schiedsgericht hat zwingend die CMR anzuwenden, vgl. öOGH v. 5.5.2010 – 7 Ob 216/09d, unalex AT-716. 9 Kropholler in Hdb. IZVR I, Kap. III Rz. 406; Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020 Art. 31 CMR Rz. 5.

982 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.33 § 7

keiten1 bleiben vielmehr wegen der zwingenden Geltung der CMR (Art. 41 CMR) und aus Gründen der Sach- und Beweisnähe stets konkurrierend bestehen2. Eine dennoch getroffene ausschließliche Gerichstandsvereinbarung ist jedoch im Zweifel nicht nichtig, sondern zumindest als fakultative Vereinbarung aufrechtzuerhalten3 und setzt sich dann nach Art. 71 Brüssel Ia-VO auch im Anwendungsbereich der Verordnung durch4. Die Vereinbarung einer ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit ist dagegen zulässig5; sie bestimmt sich jedoch nicht nach der CMR, sondern nach der Brüssel Ia-VO oder nach nationalem Recht6. Demgegenüber enthält Art. 31 CMR keine Regelung über die Form der Gerichtsstandsvereinbarung. Dieses Schweigen wird überwiegend dahin interpretiert, dass die Prorogation im sachlichen Geltungsbereich der CMR keiner Form bedürfe7. Andere verneinen ein Formbedürfnis aus teleologischen Gründen, weil Art. 31 CMR nur einen zusätzlichen Gerichtsstand eröffne und es deshalb keiner Warnfunktion durch eine Formvorschrift bedürfe8. Letzteres trifft freilich nur auf den Kläger, nicht auf den Beklagten zu, der im vereinbarten Gerichtsstand – meist im Heimatstaat des Klägers9 – verklagt wird10. Ferner wird auch sonst im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO eine Formfreiheit von nur fakultativen Gerichtsstandsvereinbarungen nicht vertreten; für die Sonderbehandlung der Prorogation in Transportverträgen besteht aber kein Grund. Daher lässt Art. 71 Abs. 1 Brüssel Ia-VO der CMR nur insoweit den Vortritt, als Gerichtsstandsvereinbarungen dort – wie z.B. hinsichtlich der Ausschließlichkeitswirkung – eine abweichende Regelung erfahren haben. In der von der CMR nicht geregelten Formfrage besteht aber keine Kollision zwischen der Verordnung und der CMR, so dass Art. 25 Brüssel Ia-VO insoweit nicht verdrängt ist. Wenn also die Gerichtsstandsvereinbarung in den Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO fällt, ist hinsichtlich ihrer Form Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu beachten11. Allerdings wird eine Gerichtsstandsvereinbarung im internationalen Straßengüterverkehr im Regelfall der Form des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO (internationaler Handelsbrauch) entsprechen. 1 Zu diesen Hausmann in Staudinger, Rom I-VO/IntVertrVerfR Rz. 301 ff. 2 BGH v. 18.12.2003 – I ZR 228/01, NJW-RR 2004, 762; öOGH v. 5.5.2010 – 7 Ob 216/09d, unalex AT716, v. 27.11.2008 – 7 Ob 194/08t, unalex AT-615 und v. 15.10.1986 – 4 R 163/86, TranspR 1987, 223; OLG Hamm v. 25.6.2001 – 18 U 33/00, TranspR 2001, 397 = RIW 2002, 152 (153); Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 2; Mankowski in Rauscher, Art. 71 Brüssel Ia-VO Rz. 41. 3 ÖOGH v. 5.5.2010 – 7 Ob 216/09d, unalex AT-716 und v. 27.11.2008 – 7 Ob 194/08t, unalex AT615; Heinig, S. 366; a.A. BGH v. 18.12.2003 – I ZR 228/01, MDR 2004, 762 = NJW-RR 2004, 762; OLG Oldenburg v. 5.1.2000 – 4 U 34/99, TranspR 2000, 128; Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 5 f. 4 Kropholler/von Hein, Art. 71 Brüssel I-VO Rz. 13. 5 OLG Hamburg v. 30.4.1981 – 6 U 175/80, IPRspr. 1981 Nr. 151b; Kropholler/von Hein, Art. 71 Brüssel I-VO Rz. 5. 6 Haubold, IPRax 2000, 91 (96); Heinig, S. 303; Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 2. 7 Müller/Hök, RIW 1978, 773 (775); Jesser-Huß in MünchKomm HGB, Bd. 7, 4. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 26; Mankowski in Rauscher, Art. 71 Brüssel Ia-VO Rz. 41; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 12; i. Erg. ähnlich OLG Hamburg v. 11.1.2001 – 6 U 72/00, TranspR 2001, 300; LG München I v. 27.11.1990 – 9 HKS 15821/90, RIW 1991, 150; Koller, Transportrecht, 10. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 5. 8 Demuth/Seltmann in Thume, Kommentar zur CMR, 3. Aufl. 2013, Art. 31 CMR Rz. 31. 9 Vgl. etwa Nr. 30.2 ADSp 1999. 10 Zutr. Haubold, IPRax 2000, 91 (93). 11 Kropholler in Hdb. IZVR, Rz. 406; Merkt in Baumbach/Hopt, HGB, 39. Aufl. 2020, Art. 31 CMR Rz. 1; Haubold, IPRax 2000, 91 (93 f.) m.w.N.

Hausmann | 983

7.33

§ 7 Rz. 7.34 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

d) Brüssel Ia-VO und autonomes Recht aa) §§ 38–40 ZPO

7.34

Die Verordnung gilt in den Mitgliedstaaten der EU gemäß Art. 288 AEUV als sekundäres Gemeinschaftsrecht unmittelbar und einheitlich. Sie genießt daher Anwendungsvorrang vor dem nationalen Zivilprozessrecht der Mitgliedstaaten1. Aus diesem Grunde werden die §§ 38–40 ZPO im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO durch deren Art. 25 vollständig verdrängt2. Soweit sich nicht aus den bestehenden Gepflogenheiten zwischen den Parteien oder internationalen Handelsbräuchen etwas anderes ergibt (dazu Rz. 7.91 ff., Rz. 7.95 ff.), bedürfen daher auch Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Kaufleuten der Form gem. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO; die Formerleichterung für diesen Personenkreis nach § 38 Abs. 1 ZPO gilt im räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO nicht3. Ebenso wenig ist die Prorogationsfreiheit im europäischen Prozessrecht hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit nach Maßgabe von § 38 Abs. 2 S. 3 ZPO beschränkt4; Ausnahmen gelten lediglich im Rahmen der Art. 15 Nr. 3, Art. 19 Nr. 3 Brüssel Ia-VO, wo jeweils ausdrücklich auf das nationale Zuständigkeitsrecht verwiesen wird. bb) Sonstige nationale Prorogationsbeschränkungen

7.35

Die Brüssel Ia-VO bezweckt in ihrem Anwendungsbereich eine einheitliche und abschließende Regelung der internationalen Gerichtszuständigkeit. Dies gilt nach Art. 25 Brüssel Ia-VO auch für die Zulässigkeit, Form und Wirkungen einer internationalen Gerichtsstandsvereinbarung5. Unanwendbar sind daher im Rahmen des Art. 25 Brüssel Ia-VO insbesondere die vielfältigen innerstaatlichen Regelungen der Mitgliedstaaten, die – direkt oder indirekt – zusätzliche Wirksamkeitsvoraussetzungen für Gerichtsstandsvereinbarungen enthalten. Dies gilt 1 Kropholler/von Hein, Einl. zur Brüssel I-VO Rz. 40; vgl. allg. zum Vorrang des Gemeinschaftsrechts EuGH v. 15.7.1964 – Rs. 6/64, ECLI:EU:C:1964:51 (Costa/E.N.E.L.), Slg. 1964, 1251 (1270). 2 Vgl. BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 (Rz. 23); OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 51) (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); OLG Frankfurt v. 30.3.2015 – 23 U 11/14, IPRspr. 2015 Nr. 200; OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 76 f.; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 69 ff., jeweils zu zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Hüßtege in Thomas/Putzo, vor § 38 ZPO Rz. 5; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 16; ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 = NJW 1980, 2022; BayObLG v. 11.4.2001 – 4 Z AR 29/01, RIW 2001, 699 (700); öOGH v. 23.2.1998 – 3 Ob 380/97x, JBl. 1998, 726 = unalex AT-133; öOGH v. 14.7.1999 – 7 Ob 176/98b, ZfRV 1999, 233 = unalex AT-400; öOGH v. 29.8.2000 – 1 Ob 149/00v, ZfRV 2001, 113 (114) = unalex AT-117; zust. Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (277 f.); unrichtig OLG Köln v. 21.3.1997 – 19 U 180/96, RIW 1998, 148 f. Vgl. dazu auch allg. EuGH v. 13.11.1979 – Rs. 25/79, ECLI:EU:C:1979:255 (Sanicentral), Slg. 1979, 3423 (3430) (Rz. 7) = RIW 1980, 285. Zur Rechtsprechung aus anderen Mitgliedstaaten s. Hausmann in unalexKomm-Brüssel I-VO, Fn. 84 zu Art. 23 Brüssel I-VO. 3 OLG München v. 11.2.1981 – 7 U 3886/80, ZIP 1981, 287 = NJW 1982, 1951; OLG Karlsruhe v. 9.8.2006 – 19 U 8/05, ZMR 2006, 929 und v. 30.12.1981 – 14 U 4/81, NJW 1982, 1950; G. Roth, ZZP 93 (1980), 157 (160 f.); Schack, Rz. 533; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 34. 4 LG München I v. 10.6.1975 – 9 HKO 367/74, NJW 1975, 1606. 5 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (1611) (Rz. 49) = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000, 87); frz. Cass. v. 11.2.1997, unalex FR-137; ital. Cass. v. 14.11.2003, unalex IT-269; OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, NJW-RR 1989, 1330; OLG Saarbrücken v. 2.10.1991 – 5 U 21/91, IPRax 1992, 165 (m. Anm. Rauscher, IPRax 1992, 143); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 17.

984 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.36 § 7

zunächst für nationale Vorschriften, welche die Freiheit der Willensbildung beim Zustandekommen von Gerichtsstandsvereinbarungen sicherstellen wollen (vgl. aber auch Rz. 7.58)1. Aus diesem Grunde können die Mitgliedstaaten für Gerichtsstandsvereinbarungen weder besondere Anforderungen an die Vertragssprache2, noch strengere Formerfordernisse festlegen als sie Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO vorsieht3. Auch eine an § 242 BGB orientierte Angemessenheitskontrolle der Gerichtsstandsvereinbarung durch deutsche Gerichte hat auszuscheiden4.

Unanwendbar sind ferner nationale Vorschriften, welche die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung davon abhängig machen, dass zwischen dem Rechtsstreit und dem für zuständig erklärten Gericht ein hinreichender objektiver Zusammenhang besteht5; für Einschränkungen der Prorogationsfreiheit unter dem Gesichtspunkt des forum non conveniens ist also im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO kein Raum6. Das zugrunde liegende Geschäft muss auch keinen internationalen Charakter aufweisen; dieser kann vielmehr allein durch die Gerichtsstandsvereinbarung hergestellt werden. Prorogieren daher zwei im Inland wohnhafte Parteien ein Gericht in einem anderen Mitgliedstaat, so ist die Gerichtsstandsvereinbarung wirksam, ohne dass ein Auslandsbezug der Streitigkeit vorhanden oder ein sonstiges berechtigtes Interesse an der Wahl des ausländischen Gerichts erkennbar sein müsste (vgl. dazu auch Rz. 7.79 a.E.)7. Der Tendenz, dem im internationalen Vertragsrecht durch Einschränkungen der Parteiautonomie (vgl. Art. 6–8 Rom I-VO) geschaffenen Schutz des Schwächeren ein zwingendes Zuständigkeitsrecht an die Seite zu stellen, trägt die Brüssel Ia-VO mit ihren speziellen Regeln für Gerichtsstandsvereinbarungen in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen Rechnung (vgl. Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO; dazu Rz. 7.121 ff.). Für eine Anwendung weiter gehender nationaler Schutzvorschriften ist im Geltungsbereich des Art. 25 Brüssel Ia-VO kein Raum. So werden etwa die in § 29c Abs. 3 ZPO, § 26 Abs. 2 FernUSG und § 225 VVG enthaltenen besonderen Prorogationsbeschränkungen für bestimmte Verbraucher1 Kohler, IPRax 1983, 265 (270). 2 EuGH v. 24.6.1981 – Rs. 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 (Elefanten Schuh/Jacqmain), Slg. 1981, 1671 (1688) (Rz. 26) = NJW 1982, 507 = IPRax 1982, 234 (m. Anm. Leipold, IPRax 1982, 222); vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 125 f.; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 7. 3 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (1611) (Rz. 37 f.) = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000, 87); ital. Cass.v. 4.1.1995, unalex IT-383 (jeweils zur Unanwendbarkeit von Art. 1341 ital. c.c. auf Gerichtsstandsklausel in AGB); OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115; OLG Saarbrücken v. 17.1.2007 – 5 U 426/96, IHR 2008, 55. 4 BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 Rz. 43 = BB 2015, 1418 m. Anm. Mankowski. 5 Vgl. EuGH v. 17.1.1980 – Rs. 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 (Zelger/Salinitri), Slg. 1980, 89/97 (Rz. 4) = WM 1980, 720 m. Anm. Schütze; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597/1611 (Rz. 50 f.) = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000, 87); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 17; Kohler, IPRax 1983, 265 (269); Schack, ZZP 104 (1991), 489 (490). 6 Kohler, IPRax 1983, 270 f.; Schack, RabelsZ 58 (1994), 49 (50); Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel IaVO Rz. 5. Vgl. dazu näher Huber, Die englische forum-non-conveniens-Doktrin und ihre Anwendung im Rahmen des EuGVÜ (1994), bes. S. 156 ff.; König, Die Anwendbarkeit des forum non conveniens im deutschen und europäischen Zivilverfahrensrecht (2012). 7 LG Bochum v. 25.8.1997 – 8 O 182/97, IPRspr. 1999 Nr. 156a; Kohler, IPRax 1983, 266; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 177 ff.; Girsberger, IPRax 2000, 87 (90 f.); a.A. SchlosserBericht Nr. 174, ABl. EG 1979 Nr. L 59, S. 71 (123).

Hausmann | 985

7.36

§ 7 Rz. 7.36 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

und Versicherungsverträge im europäischen Rechtsverkehr durch Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15, 19 Brüssel Ia-VO ersetzt1. In gleicher Weise werden auch die im autonomen Verfahrensrecht verschiedener Mitgliedstaaten enthaltenen Beschränkungen für Zuständigkeitsvereinbarungen in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten durch Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 23 Brüssel Ia-VO vollständig verdrängt2.

7.37

Auch für eine Anwendung innerstaatlicher Vorschriften, die eine Einbeziehung von Gerichtsstandsvereinbarungen in AGB oder in Formularverträgen erschweren, ist im europäischen Prozessrecht kein Raum. Eine Prüfung von Gerichtsstandsklauseln anhand der § 305 Abs. 2, § 305c Abs. 1 BGB kommt auch bei Geltung deutschen Vertragsstatuts im Anwendungsbereich des Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht in Betracht, weil damit die angestrebte einheitliche Beurteilung des Zustandekommens von Gerichtsstandsvereinbarungen in den Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO gefährdet würde3. Aus dem gleichen Grund steht auch eine Inhaltskontrolle von Gerichtsstandsklauseln nach nationalem Recht (z.B. nach § 307 BGB) mit dem Ziel, das Interesse des Kunden an den gesetzlich normierten Gerichtsständen gegenüber dem Interesse des Verwenders an dem vereinbarten Gerichtsstand abzuwägen, im Widerspruch zum Harmonisierungszweck der Verordnung4. Nach Ansicht des EuGH5 ist im Rahmen des Art. 25 Brüssel IaVO daher „eine zusätzliche Prüfung der Angemessenheit der Klausel und des vom Verwender verfolgten Ziels ausgeschlossen“. Aus den ausdrücklich genannten Prorogationsschranken in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen (Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO) ist zu entnehmen, dass eine darüber hinausgehende Inhaltskontrolle von Gerichtsstandsklauseln unter dem Gesichtspunkt der ungleichen „bargaining power“ der Parteien nach nationalem Recht grundsätzlich auszuscheiden hat, weil sie die von der Verordnung angestrebte Rechtssicherheit im Zuständigkeitsrecht nachhaltig gefährden würde (vgl. aber auch Rz. 7.79)6.

1 Vgl. Samtleben, IPRax 1981, 44; H. Roth, IPRax 1992, 67 (68); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (277 f.); Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 33; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 102 ff. 2 Vgl. zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 13.11.1979 – Rs. 25/79, ECLI:EU:C:1979:255 (Sanicentral), Slg. 1979, 3423 (3430) (Rz. 7) = RIW 1980, 285; ital. Cass. v. 14.11.2003, unalex IT-269. 3 Allg.M. vgl. Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 78; Mankowski in Rauscher, Rz. 61 f. jeweils zu Art. 25 Brüssel I-VO m.w.N. Vgl. auch zu Art. 17 EuGVÜ/Art. 23 Brüssel I-VO Rauscher, ZZP 104 (1991), 295 ff., 304; Geimer, IPRax 1991, 31 (34); Stöve, S. 113 ff.; Sieg, RIW 1998, 102 (103); Kubis, IPRax 1999, 10 (12); zust. OLG Saarbrücken v. 17.1.2007 – 5 U 426-06-54, TranspR 2007, 488; OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 (902) = ZZP 103 (1990), 84 (89) m. zust. Anm. H. Schmidt; implizit auch BGH v. 31.10.1989 – VIII ZR 330/88, IPRax 1991, 326 (m. Anm. Kohler, IPRax 1991, 299). Für Anwendung der lex causae hingegen noch OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (146) = IPRax 1987, 308 (m. Anm. Schwarz, IPRax 1987, 291); OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, RIW 1990, 577 (579) = NJW-RR 1989, 1330; für Anwendung von § 315c Abs. 1 BGB auf überraschende Klauseln auch Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 31; offenlassend OLG Düsseldorf v. 30.1.2004 – 23 U 70/03, IHR 2005, 108. 4 OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126 (3128); OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (126) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98); LG Karlsruhe v. 31.10.1995 – 12 O 492/95, ZIP 1995, 1824 = NJW 1996, 1417; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (149); Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 72; Mankowski in Rauscher, Rz. 62, jeweils zu Art. 25 Brüssel IaVO; Saenger, FS Sandrock (2000), S. 807 (811 ff.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 19; a.A. insb. Wolf, JZ 1989, 695 (696); Kubis, IPRax 1999, 10 (12). 5 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1997 (2012 ff.) (Rz. 51) (zu Art. 17 EuGVÜ). 6 Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (148 ff.); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 31.

986 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.38 § 7

Keine Sperrwirkung entfaltet die Brüssel Ia-VO hingegen gegenüber sekundärem Unionsrecht auf besonderen Rechtsgebieten, wie z.B. dem Verbraucher- oder Arbeitnehmerschutz; dies gilt auch für Vorschriften des in Umsetzung von EU-Richtlinien harmonisierten nationalen Rechts1. Denn eine daran orientierte Klauselkontrolle steht mit dem Ziel der Verordnung, das Recht der internationalen Prorogation in den Mitgliedstaaten zu vereinheitlichen, nicht im Konflikt. Praktische Bedeutung erlangt dies insbesondere für die Inhaltskontrolle von Gerichtsstandsklauseln am Maßstab der EG-Richtlinie 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen vom 5.4.19932, die in Nr. 1 lit. q ihres Anhangs ausdrücklich auch Gerichtsstandsklauseln nennt. Der EuGH3 hat daher die Vereinbarung der ausschließlichen örtlichen Zuständigkeit am Sitz des Klauselverwenders in einem Verbrauchervertrag gem. Art. 3 der Richtlinie für missbräuchlich und unwirksam erklärt, weil sie den Verbraucher entgegen dem Gebot von Treu und Glauben ungerechtfertigt benachteilige. Da die Begründung des EuGH sich ohne Weiteres auch auf Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit übertragen lässt, unterliegen diese auch im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO – entgegen der früher h.M.4 – der richtlinienkonformen Inhaltskontrolle am Maßstab des § 307 BGB5. Dies hat auch der EuGH inzwischen klargestellt6. Die praktische Bedeutung einer solchen Inhaltskontrolle bleibt freilich gering, weil die hiernach missbräuchliche Vereinbarung der Zuständigkeit am Sitz des Verwenders zu Lasten von Verbrauchern i.d.R. bereits an Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 19 Brüssel Ia-VO scheitert7. Eine Ausnahme gilt allerdings für die nach Art. 17 Abs. 3 Brüssel Ia-VO von dem prozessualen Verbraucherschutz der Verordnung ausgenommenen Beförderungsverträge. Insbesondere Gerichtsstandsklauseln in Luftbeförderungsverträgen sind daher missbräuchlich und unwirksam, wenn sie gegen das Transparenzgebot verstoßen oder den Fluggast anderweitig unangemessen benachteiligen8. 1 Borges, RIW 2000, 937 f. m.w.N.; zust. Mankowski in Rauscher, Rz. 62; a.A. Schlosser in Schlosser/ Hess Rz. 31, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 2 ABl. EG 1993 L 95, S. 29. 3 EuGH v. 27.6.2000 – C-240/98 und 244/98, ECLI:EU:C:2000:346 (Océano Grupo Editorial), Slg. 2000 I, 4941 (Rz. 21 ff.) = EuLF 2000/01, 88 (m. Anm. Augi/Baratella, EuLF 2000/01, 83) = DB 2000, 2056 m. Anm. Staudinger = IPRax 2001, 128 (m. Anm. Hau, IPRax 2001, 96) = ZEuP 2003, 141 m. Anm. Pfeiffer = JZ 2001, 245 m. Anm. Schwartze = EWiR 2000, 784 (LS) m. Anm. Freitag; ferner EuGH v. 4.6.2009 – C-243/08, ECLI:EU:C:2009:350 (Pannon/Erzsébet), Slg. 2009 I, 4713 (Rz. 40 ff.) = NJW 2009, 2367 m. Anm. Pfeiffer; EuGH v. 9.11.2010 – C-137-08, ECLI:EU: C:2010:659 (VB Pénzügyi Lízing), Slg. 2010 I, 10847 (Rz. 54 ff.) = RIW 2010, 876. 4 Vgl. Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (148 ff.); Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Saenger, ZEuP 2000, 656 (664). 5 OLG Bamberg v. 31.10.2018 – 8 U 73/18, BeckRS 2018, 29192 (Rz. 40); ebenso zum öst. Recht OLG Wien v. 28.5.2019 – 129 R 37/19p, BeckRS 2019, 13029 (Rz. 38 ff.); zust Pfeiffer, FS Schütze (1999), S. 671 (672 f.); Staudinger, DB 2000, 2056 (2059); Staudinger, IPRax 2001, 183 (187 f.); Leible, RIW 2001, 422 (429 ff.); Heinig, GPR 2010, 36 (41 f.); Staudinger in Rauscher, Art. 19 Brüssel I-VO Rz. 6; a.A. noch LG Karlsruhe v. 31.10.1995 – 12 O 412/95, NJW 1996, 1417 (1418); Borges, RIW 2000, 933 (936 f.); Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (148 ff.); Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Saenger, ZEuP 2000, 656 (664); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 20; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 31; ausf. dazu Staudinger/Coester (2019), § 307 BGB Rz. 68 ff. 6 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Ryanair/DelayFix), NJW-RR 2021, 240 (Rz. 57 ff.) = NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger; dazu Rieländer, EuZW 2021, 391 (396 f.). 7 Vgl. aber zur Bedeutung dieser weiteren Kontrolle am Maßstab der Richtlinie Staudinger in Rauscher, Art. 19 Brüssel Ia-VO Rz. 6. 8 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Ryanair/DelayFix), NJW-RR 2021, 240 (Rz. 57 ff.) = NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger; Vorlage: öOGH v. 27.2.2020 – 8 Ob 107/19x,

Hausmann | 987

7.38

§ 7 Rz. 7.39 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.39

Die Gerichte der Mitgliedstaaten sind durch Art. 25 Brüssel Ia-VO auch daran gehindert, Zuständigkeitsvereinbarungen zum Zwecke der Durchsetzung international zwingender Normen der lex fori für unwirksam zu erklären1. Das vom BGH auf § 61 i.V.m. §§ 53 ff. BörsG a.F. gestützte Derogationsverbot, nach dem die Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit ausländischer Gerichte in einem Vertrag über Warentermingeschäfte an ausländischen Börsen nicht anzuerkennen war, wenn sie i.V.m. einer Rechtswahlklausel zur Folge hatte, dass die zur Entscheidung berufenen Gerichte den Termineinwand des deutschen Börsenrechts nicht beachteten (dazu auch Rz. 7.266 f., Rz. 7.283 ff., Rz. 7.363 ff. (Schiedsklausel).)2, galt daher schon bisher im Anwendungsbereich des Art. 23 Brüssel I-VO nicht3. Auch Gerichtsstandsklauseln in Handelsvertreter- und Alleinvertriebsverträgen können im Anwendungsbereich des Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht deshalb für nichtig erklärt werden, weil sie die Umgehung des zwingenden Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters/Vertragshändlers nach dem an seinem Wohnsitz geltenden materiellen Recht bezwecken. Allerdings steht die „Ingmar“-Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 20004 dem Ausschluss des Ausgleichsanspruchs durch die Wahl eines drittstaatlichen Rechts entgegen, wenn der Handelsvertreter seine Tätigkeit in einem EU-Mitgliedstaat ausgeübt hat. In einem solchen Fall kann ausnahmweise auch die Vereinbarung der ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte in diesem Drittstaaat zur Unwirksamkeit der Derogation eines deutschen (oder anderen mitgliedstaatlichen) Gerichts führen; dies gilt auch dann, wenn Maßstab für die Wirksamkeit der Derogation nicht das autonome Prozessrecht des derogierten Gerichts5, sondern Art. 25 Brüssel Ia-VO ist (dazu Rz. 7.18).

7.40

Auch das am gewählten Gerichtsstand geltende materielle Haftungsrecht hat keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung; diese ist mithin auch dann gültig, wenn sie im Ergebnis für den Verfrachter eine Haftungsbefreiung oder -beschränkung zur Folge hat6. Keine neben Art. 25 Brüssel Ia-VO zu beachtende Zulässigkeitsschranke bilden deshalb auch die den Haager -Regeln entsprechenden zwingenden nationalen Vorschriften über die Mindesthaftung des Verfrachters im Seerecht, wie z.B. § 662 HGB oder Art. 91 des belgischen Seegesetzes7. Demgegenüber haben die von Deutschland völkerrechtlich ratifizierten VisbyRegeln gem. Art. 71 Vorrang vor Art. 25 Brüssel Ia-VO8. Schließlich ist auch das im deutschen

1 2 3

4 5 6 7 8

unalex AT-1261; ebenso schon OLG Wien v. 28.5.2019 – 129 R 37/19p, BeckRS 2019, 13029 (Rz. 46 ff.); Staudinger, IPRax 2010, 140 (142 f.) und Staudinger, RdTW 2018, 59 f.; dazu auch Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 99b m.w.N. Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 46; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 32. Vgl. BGH v. 12.3.1984 – II ZR 10/83, NJW 1984, 2037 = IPRax 1985, 216 (m. Anm. G. Roth, IPRax 1985, 198). Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 19; ebenso zu Art. 17 EuGVÜ LG Darmstadt v. 2.12.1993 – 13 O 438/92, IPRax 1995, 318 (321) (m. zust. Anm. Thorn, IPRax 1995, 294); Häuser/ Welter, WM 1985, Beil. Nr. 8, S. 12 ff.; Schlosser, FS Steindorff (1990), S. 1379 (1389); H. Roth, IPRax 1992, 67 f. EuGH v. 9.11.2000 – C-381/98, ECLI:EU:C:2000:605 (Ingmar), Slg. 2000 I, 9305 (9325) = ZIP 2000, 2108 = IPRax 2001, 225 (m. Anm. Jayme, IPRax 2001, 190). Dazu BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, ZVertriebsR 2013, 89; OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, WM 2006, 1556 = IPRax 2007, 322 (m. Anm. Rühl, IPRax 2007, 294). EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (1611) (Rz. 51) = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000, 87). Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 74 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 22; dazu näher Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 285 ff. Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 65.

988 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.41 § 7

Kartellverfahrensrecht anerkannte Derogationsverbot, demzufolge die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für nach deutschem Recht (§ 185 Abs. 2 GWB; Art. 6 Abs. 2 Rom II-VO) zu beurteilende Kartellsachen nicht ausgeschlossen werden kann1, im Geltungsbereich des Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht wirksam, weil diese Vorschrift das Recht der grenzüberschreitenden Zuständigkeitsvereinbarung abschließend regelt und einer Ergänzung oder Korrektur durch nationales Recht nicht zugänglich ist2.

III. Zustandekommen und materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung 1. Willenseinigung a) Autonome Auslegung des Begriffs „Vereinbarung“ Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO verlangt, dass die Parteien über die gerichtliche Zuständigkeit eine „Vereinbarung“ getroffen haben. In Anbetracht der Ziele und der Systematik der Brüssel Ia-VO und um sicherzustellen, dass sich aus ihr für die betroffenen Personen soweit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben, ist der Begriff „Gerichtsstandsvereinbarung“ nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Kollisions- oder Verfahrensrecht des angerufenen Gerichts zu verstehen3, sondern – ebenso wie die Systembegriffe für die besonderen Zuständigkeiten in Art. 7 ff. Brüssel Ia-VO – autonom auszulegen4, und 1 Vgl. von Gamm, NJW 1977, 1553 ff.; Wurmnest in MünchKomm, Art. 6 Rom II-VO Rz. 358; Rehbinder in Immenga/Mestmäcker, GWB, 6. Aufl. 2020, § 185 Rz. 327; Bumiller in Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 3. Aufl. 2016, § 60 Rz. 48. 2 OLG Stuttgart v. 9.11.1990 – 2 U 16/90, RIW 1991, 333 (334 f.) = IPRax 1992, 86 (m. zust. Anm. H. Roth, IPRax 1992, 67); Wurmnest, FS Magnus (2014), S. 567 (569 f,); Mankowski in Rauscher, Rz. 63; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 71, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 22; a.A. Fezer/Koos in Staudinger, Int. WirtschR, Rz. 376; Rehbinder in Immenga/Mestmäcker, GWB, 6. Aufl. 2020, § 185 Rz. 328. 3 Für Maßgeblichkeit des – nach dem IPR der lex fori zu bestimmenden – Prorogationsstatuts bei Anwendung von Art. 17 EuGVÜ noch OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, RIW 1990, 577 (579 f.) = NJW-RR 1989, 1330; OLG Saarbrücken v. 2.10.1991 – 5 U 21/91, NJW 1992, 987 f. = IPRax 1992, 165 (m. Anm. Rauscher, IPRax 1992, 143); OLG Celle v. 1.11.1995 – 2 U 145/92, IPRax 1997, 417 (418) (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); von Hoffmann/Thorn, § 3 Rz. 245; Stöve, S. 20 ff.; Staehelin, S. 177; hinsichtlich lit. a auch Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (483 f.); ferner grundsätzlich Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 3. 4 Vgl. zu Art. 23 Brüssel I-VO/LugÜ 2007 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 29); EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp), IPRax 2013, 552 (Rz. 21) (m. Anm. Weller, IPRax 2013, 501); BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BGHZ 171, 141 (Rz. 25) = NJW 2007, 2036 (2037); BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 (Rz. 31) = BB 2015, 1418 m. Anm. Mankowski; schwz. BG v. 31. 7. 2013, unalex CH520; Hoge Raad v. 16.5.2008, unalex NL-912; OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, BeckRS 2015, 12064 (Rz. 93) = RIW 2015, 762 m. Anm. Mankowski; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 18, 23; ebenso schon zu Art 17 EuGVÜ EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU: C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1745 (1774) (Rz. 13 f.) = NJW 1992, 1671 = EWiR 1992, 353 (LS) m. Anm. Geimer = IPRax 1993, 32 (m. Anm. Koch, IPRax 1993, 19); BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115; OLG Frankfurt a.M. v. 17.11.1999 – 9 U 41/99, OLGR 2000, 71 = IPRspr. 1999 Nr. 133; öOGH v. 29.8.2000, ZfRV 2001, 113 (114) = unalex AT117; Jayme/Kohler, IPRax 1992, 346 (353); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (278 f.) und IPRax 1992, 143 (144); Karré-Abermann, ZEuP 1994, 142 (145); Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Kröll, ZZP 113 (2000) 135 (143 ff.); m. Einschränkungen auch Saenger, ZZP 110 (1997) 477 (483 f.).

Hausmann | 989

7.41

§ 7 Rz. 7.41 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

zwar allein an Hand des Tatbestands des Art. 25 Brüssel Ia-VO1. Durch diese Auslegung soll sichergestellt werden, dass eine Willenseinigung der Parteien tatsächlich vorliegt2. Maßgebend für das Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung ist danach in erster Linie europäisches Einheitsrecht3. Daran hat auch die im Zuge der Reform eingeführte Verweisung in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO auf das Recht am forum prorogatum hinsichtlich der materiellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nichts geändert4. Denn die Reichweite dieser – als Einwendung gegen eine bereits zustande gekommene Gerichtsstandsvereinbarung formulierten – Verweisung ist auf Gründe beschränkt, die zur materiellen Unwirksamkeit dieser Vereinbarung führen; die Verweisung bezieht sich also nicht auf das Zustandekommen eines Konsenses der Parteien (dazu näher Rz. 7.52 f.)5. Die Anforderungen an das wirksame Zustandekommen (einschließlich der Form) einer Gerichtsstandsvereinbarung beurteilen sich auch dann, wenn letztere sich auf einen dem CISG unterliegenden Kaufvertrag bezieht, nicht nach Art. 19 ff. CISG, sondern gemäß Art. 4 S. 2 CISG nach dem dafür maßgeblichen Recht des Forumstaates, vor deutschen Gerichten daher vorrangig nach Art. 25 Brüssel Ia-VO (dazu näher Rz. 7.375)6. Insbesondere der Grundsatz der Formfreiheit in Art. 11 CISG findet auf eine Gerichtsstandsvereinbarung auch dann keine Anwendung, wenn diese in einem dem CISG unterliegenden Kaufvertrag enthalten ist7.

7.42

Da Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zum Schutz der schwächeren Vertragspartei vor allem gewährleisten soll, dass Zuständigkeitsvereinbarungen nicht unbemerkt Inhalt des Vertrages werden, setzt die Willenseinigung voraus, dass beide Vertragsparteien ihr tatsächlich zugestimmt haben. Diese Zustimmung muss jedenfalls in den Fällen des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO klar und deutlich zum Ausdruck gebracht worden sein8. Eine ausdrückliche 1 So zu Art. 23 Brüssel I-VO EuGH v. 7.2.2013 (vorige Fn.), Rz. 21; EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (Rz. 51) (m. Anm. Grothe und Schilling, IPRax 2004, S. 205 und 294). 2 EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp), IPRax 2013, 552 (Rz. 28) (m. Anm. Weller, IPRax 2013, 501). 3 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (14740) (Rz. 51) = IPRax 2004, 243 (m. Anm. Grothe, IPRax 2004, 205) = ZZP Int. 2003, 510 m. Anm. Otte. 4 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Ryanair/DelayFix), NJW-RR 2021, 240 (Rz. 38) = NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger; öOGH v. 29.6.2020 – 2 Ob 104/19m, unalex AT-1271. 5 BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 (Rz. 28) = RIW 2017, 229; Lenaerts/Stapper, RabelsZ 78 (2014), 252 (282); Nordmeier, RIW 2016, 331 (335); Magnus, IPRax 2016, 521 (524); Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461 (465); Mankowski in Rauscher, Rz. 134 f.; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 14; Stadler in Musielak/Voit, Rz. 5; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 79a; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV Rz. 86; a.A. Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 5; Weller in Wieczorek/Schütze, Rz. 19; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 3, jeweils zu Art. 25 Brüssel IaVO; s. auch Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21, der den seiner Ansicht nach darin liegenden Rückschritt bedauert. 6 BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 (Rz. 56); Magnus in Staudinger, Art. 11 CISG Rz. 7; zur abweichenden Beurteilung hinsichtlich des Zustandekommens von Schiedsvereinbarungen BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 35. 7 BGH v. 25.3.2015 (vorige Fn.), Rz. 55. 8 Vgl. zu Art. 23 Brüssel I-VO EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419 (Rz. 27); EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp), IPRax 2013, 552 (Rz. 28) (m. Anm. Weller, IPRax 2013, 501); BGH v. 30.3.2006 – VII ZR 249/04, BGHZ 167, 83 (86) = NJW 2006, 1672; OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, IHR 2008, 112 (117); ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C: 1976:177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1841) (Rz. 7) = NJW 1977, 494 = RIW 1977, 104 (m. Anm. G. Müller, RIW 1977, 163); EuGH v. 24.6.1981 – Rs. 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 (Elefanten Schuh),

990 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.44 § 7

Abrede ist freilich nicht erforderlich; vielmehr reicht die stillschweigende Vereinbarung eines Gerichtsstands – z.B. durch Verweisung auf AGB – grundsätzlich aus1. Dies gilt namentlich im Rahmen einer zwischen den Parteien bestehenden laufenden Geschäftsbeziehung2. Aus der Vereinbarung muss auch nicht ausdrücklich hervorgehen, dass sie sich auf die internationale Zuständigkeit bezieht (vgl. auch Rz. 7.118 a.E.)3. Daher reicht die uneingeschränkte Zustimmung zu einem die Gerichtsstandsvereinbarung enthaltenden Angebot in jedem Fall aus4. Hat eine Partei daher den eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden Vertrag unterzeichnet, so kann sie sich nicht darauf berufen, sie habe die Klausel nicht bemerkt5. b) Vereinbarung und Formerfordernisse Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO stellt zwar für Gerichtsstandsvereinbarungen nur Formerfordernisse auf, die – systematisch betrachtet – von den Anforderungen an die materielle Willenseinigung zu unterscheiden sind6. Deshalb kann eine Gerichtsstandsvereinbarung trotz nachweislicher Einigung der Parteien über den Gerichtsstand an der Nichteinhaltung der Form des Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO scheitern7. In der Praxis lassen sich beide Fragenkreise freilich häufig nicht trennen, so dass sich der Regelung in Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO durchaus auch Anforderungen an eine autonome Interpretation des Begriffs der „Vereinbarung“ entnehmen lassen, wenn deren Zustandekommen zweiflhaft ist8. Die Beweislast für das Zustandekommen der nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO erforderlichen Willenseinigung obliegt grundsätzlich derjenigen Partei, die sich auf die Gerichtsstandsvereinbarung beruft, dh vor dem prorogierten Gericht dem Kläger, vor dem derogierten Gericht dem Beklagten9.

7.43

Nach der Rechtsprechung des EuGH begründet jedoch die Einhaltung der Formerfordernisse des Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO eine – in der Praxis nur schwer widerlegliche10 – Ver-

7.44

1 2 3 4 5 6 7 8

9 10

Slg. 1981, 1671 (1687) (Rz. 23) = RIW 1981, 709 = IPRax 1982, 234 (m. Anm. Leipold, IPRax 1982, 222); BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699; BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115; OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63. BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699; BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 78; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 78, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 = ZZP 103 (1990), 84 m. Anm. H. Schmidt. Ital. Cass. v. 13.12.1994, Nr. 10620, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 577 = unalex IT-378. BGH v. 25.3.2015 – III ZR 257/15, NJW 2015, 2584 (Rz. 35). Supreme Court (Irland) v. 1.7.2009 (O’Connor/Masterwood), unalex IE-42. Spellenberg, IPRax 2010, 464 (466 ff.); Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 101. Kröll, ZZP 113 (2000) 135 (144). ÖOGH v. 29.8.2000 – 1 Ob 149/00v, unalex AT-117 („unlösbarer Zusammenhang“); Jayme, IPRax 1989, 361 f.; Kohler, IPRax 1991, 299 (300); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (278 ff.) und IPRax 1992, 143 (144); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (482 ff.); Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Weller, IPRax 2013, 501 (502); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 18, 23; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 89; vgl. i.d.S. schon LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW 1992, 227 (228); a.A. Gottwald, FS Henckel (1995), S. 295 (304 ff.). ÖOGH v. 22.12.2004 – 7 Ob 203/04k, unalex AT-70, v. 10.1.2006 – 5 Ob 233/05h, unalex AT-263 und v. 26.5.2011 – 9 Ob 19/11a, unalex AT-733. Vgl. Stöve, S. 122; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (146 f.); Mankowski in Rauscher, Rz. 39; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 101, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; noch enger Leipold, Symposium Schwab (2000), S. 51 (58); a.A. (unwiderleglich) Koch, JZ 1997, 841 (842); Haß, EuZW 1999, 441 (444 f.).

Hausmann | 991

§ 7 Rz. 7.44 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

mutung dafür, dass sich die Parteien über den Gerichtsstand auch wirksam geeinigt haben1. Diese Konsensvermutung gilt insbesondere dann, wenn das Verhalten der Parteien einem Handelsbrauch in dem Bereich des internationalen Handels entspricht, in dem die Parteien tätig sind, sofern sie diesen Handelsbrauch kennen oder kennen müssen. EuGH v. 20.2.1997 –C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/LesGravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (940 f.) (Rz. 19 f.) = NJW 1997, 1431 = JZ 1997, 839 m. Anm. Koch = RIW 1997, 415 m. Anm. Holl = IPRax 1999, 31 (m. Anm. Kubis, IPRax 1999, 10) = ZZP Int 2 (1997), 161 m. Anm. Huber = EWiR 1997, 359 (LS) m. Anm. Schlosser EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (1648 ff.) (Rz. 19 ff.) = EuZW 1999, 441 m. Anm. Haß = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000, 87) = ZZP Int 4 (1999), 233 m. Anm. Adolphsen = ZEuP 2000, 656 m. Anm. Saenger

Bezieht man die auf das nationale Recht am forum prorogatum gerichtete Verweisung in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO – wie hier vertreten (Rz. 7.52 f.) – nur auf die materielle Wirksamkeit und nicht auch auf das Zustandekommen der Willenseinigung, so gilt diese Vermutung auch unter der Brüssel Ia-VO fort2.

7.45

Für die anderen Formalternativen des Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO kann nichts anderes gelten3. Hat eine Partei daher den eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden Vertrag unterzeichnet, so kann sie sich nicht darauf berufen, sie habe die Klausel nicht bemerkt4.

7.46

Andererseits kann die Frage der materiellen Willensübereinstimmung – insbesondere in den zweifelhaften Fällen der Gerichtswahl durch Einbeziehung von AGB – grundsätzlich offen bleiben, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung der in Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO vorgeschriebenen Form entbehrt. In diesem Fall erübrigt sich also eine nähere Prüfung, ob die Parteien sich wirklich über den Gerichtsstand geeinigt haben oder nicht5. Insbesondere kann dann dahinstehen, ob die AGB, welche die Gerichtsstandsklausel enthalten, nach dem Recht des prorogierten Gerichts Vertragsbestandteil geworden sind. Die Einhaltung der Formerfordernisse ist allerdings kein Selbstzweck, sondern dient – wie der EuGH wiederholt ausgesprochen hat6 – vor allem dem Ziel sicherzustellen, dass sich die Parteien tatsächlich auf einen Gerichtsstand geeinigt haben. Für eine restriktive Auslegung der Formerfordernisse des Art. 25 1 EuGH v. 7.7.2016 –C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 38); EuGH v.20.4.2016 –C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419 (Rz. 40) m. Anm. Müller; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/30, IPRax 2018, 61 (Rz. 64) (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); Hoge Raad v. 16.5.2008, unalex NL-912; OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98); Freitag, FS Magnus (2014), S. 419 (424 f.); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 15. 2 Mankowski in Rauscher, Rz. 44, 134; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21; a.A. Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 5 a.E. (unter Hinweis auf Erwägungsgrund 20), jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 3 Hoge Raad v. 16.5.2008, unalex NL-912; OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98). 4 Supreme Court (Irland) v. 1.7.2009 (O’Connor/Masterwood), unalex IE-42. 5 Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (144); Staehelin, S. 14; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel IaVO Rz. 76. 6 EuGH v. 24.6.1981 – Rs. 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 (Elefanten Schuh), Slg. 1981, 1671 (1687) (Rz. 25) = IPRax 1982, 234 (m. Anm. Leipold, IPRax 1982, 222); EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1557 (Rz. 34); EuGH v. 9.12.2003 – C116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (Rz. 50) (m. Anm. Grothe und Schilling, IPRax 2004, S. 205 und 294).

992 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.48 § 7

Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.63) ist daher nur Raum, wo Zweifel an der Willensübereinstimmung der Parteien bestehen. Ist dies nicht der Fall, weil diejenige Partei, zu deren Lasten die Gerichtsstandsklausel geht, durch ihre Unterschrift ihr Einverständnis mit der Klausel eindeutig erklärt hat, und beide Parteien den Vertrag anschließend durchgeführt haben, so ist damit der Zweck der Formvorschriften erreicht. Auf eine Unterschrift des Klauselverwenders kommt es in diesem Fall nicht an1. Die autonome Auslegung des Begriffs „Vereinbarung“ bedeutet freilich nicht, dass sämtliche Voraussetzungen für das wirksame Zustandekommen der Einigung dem Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu entnehmen sind; sie reicht vielmehr nur soweit, wie sich aus den dort normierten Formerfordernissen materielle Einigungskriterien gewinnen lassen. Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO stellt also mit seinen Formalternativen nur Mindesterfordernisse an den materiellen Tatbestand einer Vereinbarung. Über deren Zustandekommen im Übrigen wurde jedoch bisher nach dem vom IPR des Forums für anwendbar erklärten nationalen Recht2 oder nach internationalem Einheitsrecht (z.B. UN-Kaufrecht)3 entschieden. Vor deutschen Gerichten galt dann ergänzend nicht notwendig das auf den Hauptvertrag anwendbare Recht4, sondern ein für Gerichtsstandsvereinbarungen eigenständig zu bestimmendes Prorogationsstatut5. Teilweise wurde aber auch die Entwicklung einheitlicher europäischer Maßstäbe für alle Fragen der Einigung gefordert6.

7.47

2. Materielle Wirksamkeit a) Verweisung auf das Recht des vereinbarten Gerichts

Da Gerichtsstandsvereinbarungen ausdrücklich aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO ausgenommen sind (Art. 1 Abs. 2 lit. e Rom I-VO), wandten die Gerichte der Mit1 Zutr. Kröll, IPRax 2001, 113 (114); Furche, WM 2004, 205 ff.; Rüfner, ZEuP 2008, 165; a.A. BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, MDR 2001, 798 = NJW 2001, 1731 = EWiR 2001, 477 (LS) m. abl. Anm. Freitag (Wirksamkeit der in einem Vertragsformular einer deutschen Sparkasse enthaltenen Gerichtsstandsklausel trotz wirksamer Unterzeichnung durch die Schweizer Bürgin und anschließender Vertragsdurchführung verneint, weil das Vertragsformular nicht auch von der Gläubigerin unterzeichnet, sondern lediglich im Kopf mit ihrem Stempel versehen war); ähnlich auch ital. Cass. v. 27.9.2006, unalex IT-206. 2 BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BGHZ 171, 141 (Rz. 25) = NJW 2007, 2036 (2037); öOGH v. 30.3.2001 – 7 Ob 320/00k, ZfRV 2001, 231 (LS) = unalex AT-113; schwz. BG v. 15.1.1998, BGE 124 III, 134 (139 f.) = unalex CH-92; OLG Düsseldorf v. 30.1.2004 – 23 U 70/03, NJOZ 2004, 3118 = IHR 2004, 108 (m. Aufs. Herber, IHR 2004, 117); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (280 f.); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (484); Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (147 f.); Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Gottwald, FS Henckel (1995), S. 295 (302 f.); Staehelin, S. 9 ff., 157 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 40. 3 Dafür BGH v. 31.10.2001 – VIII ZR 60/01, ZIP 2002, 133 = NJW 2002, 370; OLG Düsseldorf v. 23.3.2011 – I-15 U 18/10, IHR 2012, 237; Hoge Raad v. 28.1.2005, ZEuP 2008, 605. 4 Dafür aber Gottwald, FS Henckel (1995), S. 295 (300 ff.); Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel IVO Rz. 40. Vgl. auch OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83. 5 OLG Bremen v. 18.7.1985 – 2 U 29/85, RIW 1985, 894; Schack, IPRax 1990, 19; Geimer, NJW 1971, 323 (324); Stöve, S. 92 ff.; G. Wagner, S. 369 f.; von Hoffmann/Thorn, § 3 Rz. 74 ff., 78; ausdrücklich offenlassend BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, ZIP 1996, 2184 = NJW 1997, 397 (399). 6 So insb. Jayme, Narrative Normen im Internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1993), S. 27; Jayme, Der Gerechtigkeitsgehalt des EuGVÜ in: Reichelt (Hrsg.), Europäisches Kollisionsrecht (1993), S. 33 (35 f.); Jayme/Kohler, IPRax 1988, 133 (138), IPRax 1989, 337 (342) und IPRax 1992, 346 (353); Stöve, S. 20 ff.; zust. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 25, 28.

Hausmann | 993

7.48

§ 7 Rz. 7.48 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

gliedstaaten freilich bisher ganz unterschiedliches Recht auf die von Art. 23 Brüssel I-VO nicht geregelten Aspekte der materiellen Wirksamkeit einer gültigen Gerichtsstandsvereinbarung an1. Um die hieraus resultierende Rechtsunsicherheit zu beseitigen, enthält Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO hierfür nunmehr eine einheitliche Kollisionsnorm, die auch im Rahmen von Art. 23 LugÜ 2007 entsprechend heranzuziehen sein wird. Nach dem Vorbild von Art. 6 lit. a des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen2 beurteilt sich die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung – mit Ausnahme ihrer Formgültigkeit und ihrer hinreichenden Bestimmtheit, die von Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO selbst einheitlich geregelt werden (dazu Rz. 7.63 ff., Rz. 7.112 ff.) – vor den Gerichten aller Mitgliedstaaten nach dem Recht des Mitgliedstaats, dessen Gerichte in der Vereinbarung als zuständig bestimmt worden sind3. Dieses Recht am forum prorogatum ist nicht nur von dem vereinbarten Gericht, sondern auch von einem derogierten Gericht anzuwenden, vor dem Klage mit der Behauptung erhoben wird, die Gerichtsstandsvereinbarung sei nicht materiell wirksam getroffen worden; denn diese Prüfung obliegt dem derogierten Gericht solange, bis das prorogierte Gericht angerufen wird. Für eine Sonderanknüpfung der Zustimmung zu einer Gerichtsstandsvereinbarung in entsprechender Anwendung von Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO4 ist nach der Neufassung kein Raum mehr.

7.49

Um Rechtssicherheit hinsichtlich der materiellen Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zu erreichen, wäre es wünschenswert gewesen, eine Sachnormverweisung auf das Recht am forum prorogatum vorzusehen. Demgegenüber hat sich der europäische Gesetzgeber ausweislich des Erwägungsgrunds 20 zur Brüssel Ia-VO dafür entschieden, insoweit auf das Recht des vereinbarten Gerichts „einschließlich seines Kollisionsrechts“ zu verweisen (Gesamtverweisung)5. Wird daher ein deutsches Gericht angerufen, obwohl die Zuständigkeit der Gerichte in Paris vereinbart ist, so ist über die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nicht nach französischem Sachrecht zu entscheiden. Vielmehr hat das deutsche Gericht im ersten Schritt das einschlägige französische Kollisionsrecht zu ermitteln, aus dem sich auch eine Rückverweisung auf deutsches oder eine Weiterverweisung auf das Recht eines dritten Staates ergeben kann. Diese Lösung ist zu bedauern, weil das Kollisionsrecht für die materielle Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen in der EU nicht vereinheitlicht und in den meisten Mitgliedstaaten nicht gesetzlich geregelt ist6.

7.50

Hat ein als zuständig vereinbartes deutsches Gericht über die materielle Wirksamkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zu entscheiden, so fehlt bisher auch im deutschen IPR eine gesetzliche Vorgabe. Die h.M. tendiert zu einer entsprechenden Anwendung der Art. 3 ff. Rom I-VO und unterwirft die Gerichtsstandsvereinbarung dem Recht, das für den Hauptvertrag gilt, dessen Bestandteil sie ist oder auf den sie sich bezieht7. Der ausdrückliche Ausschluss 1 Vgl. dazu Gebauer, FS von Hoffmann (2011), S. 577 (580 f.). 2 Simotta, FS Schütze (2015), S. 541 f.; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 79a. 3 Weller, ZZPInt 19 (2014), 251 (254 ff.); Basedow, FS Magnus (2014), S. 337 (341); Magnus, FS Martiny (2014), S. 785 (790 f.); Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014) 461 (473 ff.); Pfeiffer, ZZP 127 (2014), 409 (417); Nordmeier, RIW 2016, 331 (335). 4 Dafür noch Adolphsen, ZZPInt 4 (1999), 243 (246). 5 Vgl. Pohl, IPRax 2013, 109 (111); Grohmann, ZIP 2015, 16 (19); Stadler in Musielak/Voit, Rz. 5; Mankowski in Rauscher, Rz. 33, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 6 Zu Recht krit. auch Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 35 ff. 7 Vgl. von Hein, RIW 2013, 97 (105); Magnus, FS Martiny (2014), S. 785 (794 f.); Staudinger/Steinrötter, JuS 2015, 1 (4); Dostal, EuZW 2018, 944 (948); Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 81a; Stadler in Musielak/Voit, Rz. 5; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 5; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 3; Mankowski in Rauscher, Rz. 36; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 17, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; a.A. zu Recht Hk-ZPO/Dörner, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 15.

994 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.52 § 7

von Gerichtsstandsvereinbarungen aus dem sachlichen Anwendungsbereich der Rom I-VO nach deren Art. 1 Abs. 2 lit. e dürfte indessen auch einer solchen analogen Anwendung der Art. 3 ff. Rom I-VO entgegenstehen. Dies hat der BGH zuletzt für internationale Schiedsvereinbarungen ausdrücklich klargestellt1. Dagegen spricht auch der in Art. 25 Abs. 5 Brüssel IaVO ausdrücklich betonte Grundsatz der Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung. Auch die kollisionsrechtlichen Interessen der Parteien stimmen in Bezug auf den Hauptvertrag einerseits, die Gerichtsstandsvereinbarung andererseits nicht notwendig überein. Schließlich eignet sich Art. 4 Rom I-VO nicht zur Bestimmung des auf eine Gerichtsstandsvereinbarung anwendbaren Rechts, wenn diese losgelöst von einem bestimmten Schuldvertrag oder für mehrere Verträge, die unterschiedlichem Recht unterliegen, getroffen wird. Daher sollte die materielle Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen vor deutschen Gerichten eigenständig angeknüpft werden. Danach unterliegt diese in erster Linie dem von den Parteien gewählten Recht. Fehlt es – wie meist – an einer spezifisch für die Gerichtsstandsvereinbarung getroffenen Rechtswahl, besteht deren engste Verbindung zu dem Recht des Staates, dessen Gerichte als zuständig vereinbart worden sind. Ist daher ein deutsches Gericht prorogiert worden, so beurteilt sich die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach deutschem Recht. Dies gilt auch dann, wenn der schuldrechtliche Hauptvertrag, auf den sich die Gerichtsstandsvereinbarung bezieht, ausländischem Recht unterliegt. Insoweit beanspruchen die Argumente, die gegen eine akzessorische Anknüpfung von Schiedsvereinbarungen an das Recht des Hauptvertrages sprechen (dazu ausf. Rz. 7.272 ff.), auch für Gerichtsstandsvereinbarungen Geltung. b) Vermutung zugunsten der materiellen Wirksamkeit Aus der Formulierung von Art 25 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO („es sei denn“) folgt, dass eine Vermutung für die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung spricht, die von demjenigen zu widerlegen ist, der sich auf ihre Unwirksamkeit beruft2. Die Vermutungswirkung hindert das angerufene Gericht jedoch nicht, die Wirksamkeit der Vereinbarung von Amts wegen zu prüfen3.

7.51

c) Materielle Wirksamkeit und Zustandekommen der Vereinbarung Die Verweisung auf das nationale Recht gilt nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO nur für die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung. Diese ist einerseits von der formellen Wirksamkeit und sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Prorogation zu unterscheiden, die – wie die hinreichende Bestimmtheit oder der Schutz von Verbrauchern, Versicherungsund Arbeitnehmern – in der Verordnung selbst durch einheitliches Sachrecht geregelt sind (vgl. Art. 25 Abs. 1 S. 3 und Abs. 4 Brüssel Ia-VO). Die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ist aber andererseits auch von der Frage ihres Zustandekommens, d.h. vom Vorliegen einer Willenseinigung der Parteien über das zuständige Gericht für die Entscheidung von Streitigkeiten aus dem geschlossenen Vertrag, zu trennen. Denn aus den Materialien zur Neufassung der Brüssel Ia-VO ergeben sich keine Hinweise darauf, dass durch Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO von der etablierten EuGH-Rechtsprechung zur autonomen Aus1 BGH v. 26.11.2020 – I ZR 245/19, SchiedsVZ 2021, 97 Rz. 50. 2 Alio, NJW 2014, 2395 (2398); Simotta, FS Schütze (2015), S. 541 (543); Weller, GPR 2012, 34 (41); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 15. 3 Magnus, FS Martiny (2014), S. 785 (796); Mankowski in Rauscher, Rz. 39; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV Rz. 114, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

Hausmann | 995

7.52

§ 7 Rz. 7.52 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

legung des Zustandekommens von Gerichtsstandsvereinbarungen (dazu Rz. 7.41) abgewichen, insbesondere die Indizwirkung der Einhaltung der Form nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel IaVO für einen Konsens der Parteien aufgegeben werden sollte1. Das Gebot der einheitlichen Auslegung von Brüssel Ia-VO und Rom I-VO (Erwägungsgrund 7 zur Rom I-VO) spricht vielmehr dafür, den Begriff der materiellen Wirksamkeit in Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ähnlich restriktiv auszulegen wie in Art. 10 Abs. 1 Rom I-VO, der ebenfalls zwischen dem Zustandekommen und der materiellen Wirksamkeit deutlich unterscheidet (dazu Rz. 7.41)2. Das nationale (Kollisions-)Recht am forum prorogatum gilt danach insbesondere für die Voraussetzungen und Folgen von Willensmängeln (z.B. Anfechtungsgründe)3. Es ist auch für die Feststellung von solchen Voraussetzungen einer Gerichtsstandsvereinbarung maßgeblich, von denen die Parteien deren Geltung im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit zusätzlich abhängig gemacht haben4.

7.53

Der Begriff der materiellen Wirksamkeit in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO ist jedoch insofern enger als in Art. 10 Rom I-VO, als er sich nicht auf alle gesetzlichen Schranken von Gerichtsstandsvereinbarungen nach dem nationalen Recht am forum prorogatum bezieht. Denn anerkanntes Ziel schon von Art. 17 EuGVÜ/Art. 23 Brüssel I-VO war es gerade, die Gültigkeit der Prorogation im Interesse der Planungssicherheit der Parteien ohne Rücksicht auf entgegenstehende Prorogations- oder Derogationsverbote des nationalen Rechts der Mitgliedstaaten zu gewährleisten (dazu Rz. 7.34 ff.). Diese Errungenschaft sollte aber durch die Neufassung von Art. 25 Brüssel Ia-VO keinesfalls preisgegegeben werden5. Das nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO maßgebende nationale Recht ist jedoch in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Richtlinie (EG) 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen auszulegen6.

7.54

Daher haben auch schärfere oder mildere Anforderungen der lex causae an den Begriff der „Vereinbarung“ selbst – namentlich für die Einbeziehung von Gerichtsstandsklauseln in AGB – im Geltungsbereich von Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO außer Betracht zu bleiben (dazu schon Rz. 7.36 f.)7. Ebenso kann die Frage, ob eine in fremdsprachigen AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel wirksam vereinbart worden ist, nur mit Hilfe von aus Art. 25 Brüssel Ia1 Gebauer, FS von Hoffmann (2011), S. 577 (587); Freitag, FS Magnus (2014), S. 419 (428); Magnus, IPRax 2016, 521 (524); Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 79a; Mankowski in Rauscher, Rz. 44, 134, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; i. Erg. auch BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257/15, BeckRS 2017, 102068 (Rz. 28) = RIW 2017, 229; Lenaerts/Stapper, RabelsZ 78 (2014) 252 (282); Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 14; Stadler, in Musielak/Voit, Rz. 4; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV, Rz. 86, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 2 Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 13 f.; Gottwald in MünchKom ZPO, Rz. 14; Stadler in Musielak/Voit, Rz. 4; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV Rz. 86, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 3 Magnus, FS Martiny (2014), S. 785 (793); Nunner-Krautgasser, ZZP 127 (2014), 461 (476); Simotta, FS Schütze (2015), S. 541 (542); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 81c, 81g; ebenso schon früher Kohler, IPRax 1983, 268. Demgegenüber wurde bisher überwiegend auf das Statut des Hauptvertrages abgestellt, vgl. Kubis, IPRax 1999, 10 (12); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 28. 4 Vgl. Dörner/Staudinger, IPRax 1999, 338 (341) zur Kaufmannseigenschaft. 5 Weller, FS Schütze (2015), S. 705 (709); Freitag, FS Magnus (2014), S. 419 (429 f.); Mankowski in Rauscher Rz. 54 ff.; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV Rz. 99, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 6 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Delayfix), NJW-RR 2021, 240 (Rz. 51 ff.) = NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger. 7 Schwz. BG v. 31. 7. 2013, unalex CH-520.

996 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.56 § 7

VO selbst zu entwickelnden Kriterien und nicht durch Rückgriff auf nationales Recht beantwortet werden1. Allerdings können die in den Mitgliedstaaten zu Art. 10 Rom I-VO erarbeiteten Grundsätze mitberücksichtigt werden2. Danach kommt die Gerichtsstandsklausel nur dann wirksam zustande, wenn der Hinweis auf die Einbeziehung der AGB in der Verhandlungssprache oder in einer sonst dem Vertragspartner verständlichen Sprache erfolgt3. Etwas anderes kann gelten, wenn der Vertragspartner des Verwenders die AGB trotz seiner mangelnden Sprachkenntnisse gegengezeichnet hat4. War der Einbeziehungshinweis für den Vertragspartner des Verwenders verständlich, so muss er sich eine in den AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel nach h.M. auch dann entgegenhalten lassen, wenn die AGB selbst in einer anderen, für ihn nicht verständlichen Sprache abgefasst sind, sofern er eine uneingeschränkte Annahmeerklärung abgegeben hat5. Die Verweisung auf das Recht des prorogierten Gerichts in Art. 25 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO bezieht sich jedoch nicht auf Fragen der Geschäftsfähigkeit natürlicher Personen; denn diese sind nach Art. 1 Abs. 2 lit. a Rom I-VO ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich jener Verordnung ausgenommen. Es handelt sich vielmehr um eine gesondert anzuknüpfende Teilfrage, die vom – prorogierten wie derogierten – deutschen Gericht auch unter Geltung der Brüssel Ia-VO weiterhin gesondert nach Art. 7 EGBGB anzuknüpfen ist (dazu Rz. 6.1057 ff.)6.

7.55

Demgegenüber werden Fragen der rechtsgeschäftlichen, gesetzlichen oder organschaftlichen Stellvertretung zwar grundsätzlich von der Verweisung in Art. 25 Abs. 1 S.1 Hs. 2 Brüssel IaVO erfasst7. Dies gilt jedoch nur für diejenigen Aspekte, die – wie z.B. die Zulässigkeit der Stellvertretung – dem Vertragsstatut unterliegen (dazu Rz. 6.473 ff.). Hingegen sind Erteilung, Auslegung und Umfang der Vollmacht zum Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung auch im Geltungsbereich von Art. 25 Brüssel Ia-VO von deutschen Gerichten nach dem Vollmachtsstatut des Art. 8 EGBGB zu beurteilen (zur Anknüpfung der Vollmacht näher Rz. 6.385 ff.)8. Denn eine gespaltene Anknüpfung von Geschäftsfähigkeits- und Vollmachts-

7.56

1 Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 86; a.A. OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/87, IPRax 1991, 324 (m. Anm. Kohler, IPRax 1991, 299). 2 Vgl. dazu näher Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 112 ff. m.w.N. 3 OLG Hamm v. 6.12.2005 – 19 U 120/05, IHR 2006, 84; öOGH v. 6.11.2008 – 6 Ob 229/08g, IHR 2009, 126 (127) = unalex AT-581; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 141 m.w.N. 4 OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (Rz. 27) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98). 5 BGH v. 31.10.1989 – VIII ZR 330/88, IPRax 1991, 326 m. krit. Anm. Kohler 299; OLG Hamm v. 19.5.2015 – 7 U 26/15, NJOZ 2015, 1369 (Rz. 27); OLG Köln v. 24.5.2006 – 16 W 25/06, EuLF 2006 II, 94 (95); öOGH v. v. 6.11.2008 – 6 Ob 229/08g, IHR 2009, 126 (127) = unalex AT-581 m. w.N; zust. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 37; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 141. Zur Kritik Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 122 m.w.N. 6 Magnus, FS Martiny (2014), S. 785 (793); Mankowski in Rauscher, Rz. 47 f., 155 f.; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 84; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 19, jeweils zu Art. 25 Brüssel IaVO; a.A. Simotta, FS Schütze (2015), S. 541 (543, 546); Nordmeier, RIW 2016, 331 (335); Stadler in Musielak/Voit, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 5. 7 von Hein, RIW 2012, 97 (105); M. Weller, GPR 2012, 33 (41); Simotta, FS Schütze (2015), S. 541 (543); Domej, RabelsZ 78 (2014), 508 (527). 8 Gebauer, FS von Hoffmann (2011), S. 577 (585); Mankowski in Rauscher, Rz. 51; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 84, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Ebenso schon zu Art. 23 Brüssel I-VO/ Art. 17 EuGVÜ BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 (Rz. 49) = BB 2015, 1418 m. Anm. Mankowski; öOGH v. 3. 8. 2004 – 5 Ob 32/04y, unalex AT-73; schwz. BG v. 23.11.2001, unalex CH-262; LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW 1992, 227 (229); LG Karlsruhe v.

Hausmann | 997

§ 7 Rz. 7.56 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

fragen bei Abschluss des Hauptvertrages einerseits, der Gerichtsstandsvereinbarung andererseits würde zu erheblichen Widersprüchen führen.

7.57

Schließlich enthält Art. 25 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 Brüssel Ia-VO auch keine Regelung für das Zustandekommen und die materielle Wirksamkeit reiner Derogationsvereinbarungen, weil es in diesem Fall an einem zur Ermittlung des anwendbaren Rechts heranzuziehenden forum prorogatum fehlt. Insoweit bleibt es daher beim Grundsatz der autonomen Auslegung. Allerdings sind die ausdrücklichen Derogationsschranken in Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO zu beachten1.

7.58

Nach der Rechtsprechung des EuGH2 kann die Wahl des vereinbarten Gerichts zwar nur anhand von Erwägungen geprüft werden, die im Zusammenhang mit den Erfordernissen des Art. 25 Brüssel Ia-VO stehen. Daraus konnte indessen schon bisher nicht geschlossen werden, dass Gerichtsstandsvereinbarungen überhaupt keiner Missbrauchskontrolle unterliegen3. Allerdings dachte man unter Geltung der Brüssel I-VO vornehmlich über eine „europäische“ Kontrolle nach, die sich an in den Mitgliedstaaten übereinstimmend zugrundegelegten Kriterien orientieren sollte. Demgegenüber spricht Art. 25 Abs. 1 S. 1 a.E. Brüssel Ia-VO ausdrücklich davon, dass die Gerichtsstandsvereinbarung auch nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, dessen Gerichte als zuständig vereinbart worden sind, „materiell nichtig“ sein kann. Dies wird man zwar nicht in dem Sinne verstehen können, dass die nationalen Wertungen des Rechts am forum prorogatum auch dann zur Nichtigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung führen können, wenn sie nicht im Zusammenhang mit den Erfordernissen des Art. 25 Brüssel Ia-VO stehen. Zu diesen Erfordernissen gehört jedoch auch die in der Vorschrift ausdrücklich angesprochene „Vereinbarung“ der Parteien über den Gerichtsstand. Da Art. 25 Brüssel Ia-VO auch nach Ansicht des EuGH4 Ausdruck der Privatautonomie ist, setzt eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung aber voraus, dass die Willensbildung der Parteien nicht durch Zwang oder die Ausnutzung wirtschaftlicher Macht eingeschränkt war. Dieser im deutschen Verfahrensrecht aus § 1025 Abs. 2 ZPO a.F., § 138 BGB zu entnehmende Rechtsgedanke kann daher jedenfalls bei Vereinbarung eines deutschen Gerichtsstands zur materiellen Nichtigkeit der Vereinbarung führen5. Darüberhinaus kommt eine Inhaltskontrolle am Maßstab der Richtlinie Nr. 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen in Betracht (dazu Rz. 7.38). Demgegenüber steht das Verlangen nach einem – über Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO hinausgehenden – berechtigten Interesse an dem gewählten Gerichtsstand oder

1 2 3 4 5

6.4.2001 – O 4/98 KfH IV, RIW 2002, 153 (zu § 38 ZPO); M. J. Schmidt, RIW 1992, 173 (175); Koch, IPRax 1993, 19 (21); Karré-Abermann, ZEuP 1994, 142 (148); Staehelin, S. 148 ff.; a.A. Rauscher, IPRax 1992, 143 (145 f.). Geimer in Geimer/Schütze, Art 25 Brüssel Ia-VO Rz. 153. EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (1654) (Rz. 51) (zu Art. 17 EuGVÜ). So freilich LG Mainz v. 13.9.2005 – 10 HK O 112/04, WM 2005, 2319 (2323); Weigel/Blankenheim, WM 2006, 664 (666 f.); Gottschalk/Breßler, ZEuP 2007, 56 (75 ff.). EuGH v. 24.6.1986 – C-22/85, ECLI:EU:C:1986.255 (Anterist/Crédit lyonnais), Slg. 1986, 1957 (1962) (Rz. 14) = RIW 1986, 636 = IPRax 1987, 105 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1987, 81). Für eine Missbrauchskontrolle aus diesem Grunde schon bisher H. Roth, IPRax 1992, 67 (68); Staehelin, S. 191; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (150 f.); Leible/Röder, RIW 2007, 481 ff.; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 89. Zu Art. 25 Brüssel Ia-VO Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 72; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 74; wohl auch Mankowski in Rauscher, Rz. 68, jeweils zu Art. 25 Brüssel I-VO.

998 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.60 § 7

einer sonstigen Angemessenheit der Klausel mit den Erfordernissen des Art. 25 Brüssel Ia-VO in keinem Zusammenhang und ist deshalb unzulässig (vgl. schon Rz. 7.35)1.

3. Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung Sowohl das Zustandekommen wie die materielle Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung sind unabhängig davon zu prüfen, ob der Hauptvertrag, auf den sich die Vereinbarung bezieht, seinerseits zustandegekommen oder materiell wirksam ist; dies gilt auch dann, wenn die Gerichtstandsklausel in diesen Hauptvertrag integriert ist (sog „doctrine of separability“)2. Der EuGH hat diese Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber dem Hauptvertrag schon bisher zu Recht betont3. Sie wird nunmehr im neuen Verordnungstext – in Anlehnung an Art. 3 lit. d HGÜ – ausdrücklich hervorgehoben. Nach Art. 25 Abs. 5 S. 2 Brüssel IaVO ist demnach eine Gerichtsstandsvereinbarung, die Teil eines Vertrages ist, als eine von den übrigen Vertragsbestimmungen unabhängige Vereinbarung zu behandeln (Rz. 7.148)4. Ihre Gültigkeit kann daher nicht mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass der (Haupt-) Vertrag unwirksam sei; § 139 BGB findet bei Geltung deutschen Vertragsstatuts insoweit keine Anwendung. Vielmehr soll das vereinbarte Gericht im Zweifel gerade auch Streitigkeiten über die Wirksamkeit des Hauptvertrages entscheiden5. Daher bleibt eine Gerichtsstandsvereinbarung auch nach der Kündigung oder sonstigen Beendigung eines schuldrechtlichen Vertrags wirksam, selbst wenn sie in der gleichen Urkunde enthalten ist6.

7.59

4. Auslegung Die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung wurde bisher meist dem Statut des Hauptvertrages unterworfen, auf den sie sich bezog7. Demgegenüber sollte sie soweit als möglich autonom anhand des Wortlauts, des Zwecks und der Systematik des Art 25 Brüssel Ia-VO erfolgen. Dies gilt insbesondere für den Begriff der Gerichtsstandsvereinbarung8. Allerdings lassen sich der Vorschrift z.B. keine Anhaltspunkte für die Beantwortung der Frage entnehmen, welche Ansprüche von einer wirksam geschlossenen Gerichtsstandsvereinbarung erfasst werden. 1 EuGH v. 16.3.1999 –C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1557 (Rz. 51); Huber, RIW 1993, 977; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (151); Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 181. 2 Geimer, EWiR 1988, 471; Killias, S. 150; Staehelin, S. 135. 3 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 (Benincasa/Dentalkit), Slg. 1997 I, 3767 (3795) (Rz. 25) = RIW 1997, 770 = JZ 1998, 896 m. zust. Anm. Mankowski; zust. BGH v. 30.3.2006 – VII ZR 249/04, BGHZ 167, 83, 87 (Nr. 15) = NJW 2006, 1672. Vgl. zur Selbständigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung gegenüber dem Hauptvertrag auch Geimer, EWiR 1988, 471; Killias, S. 150; Staehelin, S. 135. 4 KG v. 15.5.2018 – 7 U 12/17, BeckRS 2018, 14615 (Rz. 15); Weller, ZZPInt 19 (2014), 251 (259 ff.); Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 94; Mankowski in Rauscher, Rz. 77 ff., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 5 KG v. 15.5.2018 – 7 U 112/17, IPRspr. 2018 Nr. 250; LG München I v. 12.2.2008 – 33 O 5434/07, GRUR Int 2009, 527 (528). 6 BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 (Rz. 23); Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel IaVO Rz. 40. 7 Vgl. BGH (vorige Fn.) (Rz. 25); BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, ZIP 1996, 2184 (2188) = NJW 1997, 397 (399) = IPRax 1999, 367 (m. Anm. Dörner/Staudinger, IPRax 1999, 338); schwz. BG v. 17.7.2012, unalex CH-511; High Court London (Q.B.Div.) v. 16.4.2003 (Evialis/SIAT), unalex UK34; Kubis IPRax 1999, 10 (12), jeweils m.w.N. 8 ÖOGH v. 29.6.2020 – 2 Ob 104/19m, unalex AT-1271.

Hausmann | 999

7.60

§ 7 Rz. 7.60 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Insbesondere gilt der Grundsatz, dass Gerichtsstandsvereinbarungen eng auszulegen sind (dazu Rz. 7.63), nur für die (Form-)Vorausetzungen ihres Zustandekommens, nicht für ihre sachliche Reichweite. Insoweit ist daher ergänzend das nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO als Prorogationsstatut maßgebliche nationale Recht, das vom IPR am vereinbarten Gerichtsort zur Anwendung berufen wird, heranzuziehen1. Ein davon abweichendes Statut des Hauptvertrages sollte hingegen nach der Neufassung außer Betracht bleiben2. In jedem Fall ist die Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung zur Bestimmung der in ihren Geltungsbereich fallenden Rechtsstreitigkeiten Sache des nationalen Gerichts, vor dem sie geltend gemacht wird3.

5. Vereins- oder Gesellschaftssatzung 7.61

Für die Zwecke der Brüssel Ia-VO ist auch die Satzung einer Gesellschaft als Vertrag anzusehen, der sowohl die Beziehungen zwischen den Aktionären als auch die Beziehungen zwischen diesen und der von ihnen gegründeten Gesellschaft regelt. Eine in der Satzung einer Aktiengesellschaft enthaltene Gerichtsstandsklausel stellt demzufolge eine „Vereinbarung“ i.S.d. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO dar, die sämtliche Aktionäre bindet4. Dies gilt selbst dann, wenn der Aktionär, dem gegenüber die Gerichtsstandsklausel geltend gemacht wird, gegen die Annahme dieser Klausel gestimmt hat oder erst nach Annahme dieser Klausel Aktionär geworden ist. Denn dadurch, dass er Aktionär einer Gesellschaft wird und bleibt, erklärt er sich damit einverstanden, dass sämtliche Bestimmungen der Gesellschaftssatzung sowie die in Übereinstimmung mit dem anwendbaren nationalen Recht und der Satzung gefassten Beschlüsse der Gesellschaftsorgane für ihn gelten, selbst wenn einige dieser Bestimmungen oder Beschlüsse nicht seine Zustimmung finden. Bei einer anderen Auslegung des Art. 25 Brüssel Ia-VO würden für Rechtsstreitigkeiten aus ein und demselben rechtlichen und tatsächlichen Verhältnis zwischen der Gesellschaft und ihren Aktionären mehrere Zuständigkeiten begründet; dies verstieße aber gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, der mit der Regelung in Art. 25 Brüssel Ia-VO verwirklicht werden sollte5. Gerichtsstandsklauseln in Satzungen einer AG oder in Gesellschaftsverträgen einer GmbH oder einer Personengesellschaft erfassen aber nur gesellschaftsinterne Streitigkeiten, nicht dagegen Klagen von Anlegern wegen Täuschung oder unzureichender Information bei der Anlage6.

1 Wie hier Magnus FS Martiny (2014), S. 785 (796); Heinze, RabelsZ 75 (2012), 581 (585 f.); Peiffer/ Peiffer in Geimer/Schütze, IRV, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 112; Nagel/Gottwald, Rz. 3.244; näher zur objektiven Reichweite von Gerichtsstandsvereinbarungen Rz. 7.143 ff. 2 Anders Mankowski in Rauscher, Rz. 83, 149; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 21; Weller in Wieczorek/Schütze, Rz. 22, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 3 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584 (Rz. 67) = IPRax 2016, 36 (m. Anm. W. H. Roth 318); EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU: C:1997:337 (Benincasa/Dentalkit), Slg. 1997 I, 3767 (Rz. 25) = JZ 1998, 896 m. Anm. Mankowski; EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1745 (1774 f.) (Rz. 37) = NJW 1992, 1671 = IPRax 1993, 32 (m. Anm. Koch IPRax 1993, 19). 4 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Rz. 16; zust. LG München I v. 13.4.2006 – 5 HKO 4326/05, NZG 2007, 255; krit. Jayme/Kohler, IPRax 1992, 350 f; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 24. Art. 19 Nr. 1 Brüssel Ia-VO steht nicht entgegen, weil der Aktionär kein Verbraucher ist, vgl. Mülbert, ZZP 118 (2005), 313 (327 ff.). 5 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), NJW 1992, 1671 (1672) (Rz. 18 ff.); zust. Koch, IPRax 1993, 19 (20); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 182. Zur Form einer solchen Klausel Rz. 7.80. 6 Mormann, AG 2011, 10 (15 ff.); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 135.

1000 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.63 § 7

6. Trust-Bedingungen Schriftlich niedergelegte trust-Bedingungen, welche die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats für Klagen gegen einen Begründer, trustee oder Begünstigten des trust regeln, haben nach Art. 25 Abs. 3 Brüssel Ia-VO die gleiche Wirkung wie eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, wenn es sich um Beziehungen zwischen diesen Personen oder ihre Rechte oder Pflichten im Rahmen des trust handelt. Die Vorschrift bezieht sich also – wie Art. 5 Nr. 6 Brüssel Ia-VO – nur auf Streitigkeiten aus dem Innenverhältnis des trust. Die Sonderregelung wurde eingeführt, weil ein trust nach englischem Recht nicht durch Vertrag begründet zu werden braucht, sondern auch durch einseitiges Rechtsgeschäft entstehen kann1. Für diesen Fall wird auf die nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO notwendige Willenseinigung zwischen den Parteien verzichtet; die einseitige Gerichtsstandsbestimmung entfaltet also Wirkungen gegenüber Dritten2. Weiterhin stellt die Vorschrift klar, dass die in trust-Bedingungen enthaltene Gerichtsstandsklausel auch dann gegen den trustee oder den Begünstigten des trust wirkt, wenn diese ihr nicht in der Form des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zugestimmt haben. Die Schranken des Art. 25 Abs. 4 Brüssel IaVO gelten jedoch auch für Gerichtsstandsvereinbarungen in trust-Bedingungen.

7.62

IV. Form der Gerichtsstandsvereinbarung 1. Allgemeines Die Anforderungen an die Form von Gerichtsstandsvereinbarungen sind im Wege autonomer Interpretation aus Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO selbst zu entnehmen3. Die in den nationalen Rechten anzutreffenden allgemeinen Vorschriften über die Schriftform (z.B. § 126 BGB) oder Sonderregeln über die Form von Gerichtsstandsvereinbarungen (z.B. Art. 1341 Abs. 2 ital. c.c.) finden mithin im Rahmen von Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO keine Anwendung (vgl. schon Rz. 7.35)4. Auch eine für den Hauptvertrag nach der lex causae vorgeschriebene strengere Form (z.B. notarielle Beurkundung) erstreckt sich wegen der Autonomie der Gerichtsstandsklausel nicht auf diese (vgl. schon Rz. 7.35)5; den Parteien steht es aber frei, schärfere Formerfordernisse zu vereinbaren. Da der vereinbarte Gerichtsstand von den in der Verordnung festgelegten (allgemeinen und besonderen) Gerichtsständen und der ihnen zugrunde liegenden Bewertung der Zuständigkeitsinteressen abweicht und keinerlei Bezug zu dem strei-

1 Schlosser-Bericht Rz. 178; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 22. 2 Gebauer, IPRax 2001, 471; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 175. 3 Unstreitig, vgl. statt vieler Schack, Rz. 536; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 30; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 15; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 15, 97; Magnus in Magnus/ Mankowski, Rz. 88; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 26, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO m.w.N. 4 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1841) (Rz. 11) = NJW 1977, 494; EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851 (1860) (Rz. 7) = NJW 1977, 495 = RIW 1977, 104 (m. Anm. G. Müller, RIW 1977, 163); EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1636 (1653) (Rz. 37 f.); BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731 = IPRax 2002, 124 (m. Anm. Kröll, IPRax 2002, 113); OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, RIW 1990, 577 (579); Kohler, IPRax 1983, 265 (269); Stöve, S. 8 f.; Killias, S. 149 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 30; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 97, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 5 Gottwald in MünchKomm-ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 27; a.A. Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 17.

Hausmann | 1001

7.63

§ 7 Rz. 7.63 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

tigen Rechtsverhältnis aufweisen muss, sind die Formerfordernisse in Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO grundsätzlich eng auszulegen1.

7.64

Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form soll insbesondere gewährleisten, dass die Einigung zwischen den Parteien über den Gerichtsstand tatsächlich feststeht2. Die Form dient damit nicht nur Beweiszwecken, sondern auch der Rechtssicherheit3; ihr kommt ferner – namentlich im nicht-kaufmännischen Rechtsverkehr – auch eine Warnfunktion zu4. Sie ist aus diesen Gründen materielle Wirksamkeitsvoraussetzung für die Gerichtsstandsvereinbarung5, so dass diese trotz nachweislicher Einigung der Parteien allein an der Nichteinhaltung der Form scheitern kann. Die Beweislast für die Einhaltung der Formerfordernisse trägt vor dem prorogierten Gericht der Kläger6, vor dem derogierten Gericht der Beklagte7 .Mit welchen Mitteln

1 EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 (Saey Home & Garden), ZIP 2018, 1754 (Rz. 24 f.); EuGH v. 28.6.2017 – C-436-/16, ECLI:EU:C:2017:497 (Leventis); RIW 2017, 507 (Rz. 39) = IPRax 2018, 55 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2018, 22); BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/ 17, NJW 2019, 76 (Rz. 23); schwz. BG v. 1. 7. 2013, unalex CH-502; OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 (87); OLG Düsseldorf v. 23.3.2011 – I-15 U 18/10, IHR 2012, 237; OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444; OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, EuZW 2010, 118 = RIW 2010, 164 (165); OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, IHR 2008, 112 (117); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 38. Ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1841) (Rz. 7) = NJW 1977, 494; EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851 (1860) (Rz. 6) = NJW 1977, 495 = RIW 1997, 416 m. Anm. Holl; EuGH v. 20.2.1997 – C 106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), NJW 1997, 1431 (Rz. 14); zust. BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731 = IPRax 2002, 124 (m. Anm. Kröll, IPRax 2002, 113); öOGH v. 14.3.2001 – 7 Ob 38/01s, ZfRV 2001, 193 (LS) = unalex AT-176; ebenso zu Art. 17 LugÜ 1988 BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150 = IPRax 2005, 338 (m. Anm. Hau, IPRax 2005, 301); krit. dazu Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel IaVO Rz. 16, 18. 2 Vgl. die Nachw. in der vorigen Fn; ferner zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ/Nova), Slg. 1984, 2417 (2432) (Rz. 14) = RIW 1984, 909 m. Anm. Schlosser = IPRax 1985, 152 (m. Anm. Basedow, IPRax 1985, 133); EuGH v. 11.7.1985 – Rs. 221/ 84, ECLI:EU:C:1985:337 (Berghoefer/ASA), Slg. 1985, 2699 (2703) (Rz. 1) = RIW 1985, 736; EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1769 (Rz. 24) = IPRax 1993, 32 (m. Anm. Koch, IPRax 1993, 19); zust. BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 = JR 1995, 456 m. Anm. Dörner; BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (486). 3 EuGH v. 24.6.1981 – Rs. 150/80, ECLI:EU:C:1981:148 (Elefanten Schuh/Jacqmain), Slg. 1981, 1671 (1688) (Rz. 24 f.). 4 Staehelin, S. 13. 5 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C:1976: 177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1841) (Rz. 8) = NJW 1977, 494; EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851 (1862) (Rz. 12) = NJW 1977, 495, jeweils obiter; BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rz. 23 (m. Anm. Roth, IPRax 2019, 397); ebenso Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 32; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 26; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 102, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Schack, Rz. 536; zweifelnd aber Kröll, IPRax 2002, 113 (115 f.). 6 ÖOGH v. 29.8.2000 – 1 Ob 149/00v, JBl. 2001, 327 = unalex AT-117; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 16; Mankowski in Rauscher, Rz. 2, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 7 OLG Düsseldorf v. 14.11.2018 – U (Kart) 7/18, WuW 2019, 103; Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 61 m.w.N.

1002 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.66 § 7

der Nachweis der Einhaltung der Form geführt werden kannn, entscheidet die jeweilige lex fori1. Maßgebender Zeitpunkt für die Einhaltung der Form ist die Klageerhebung2. Die Formerfordernisse des Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO gelten allerdings nur für Gerichtsstandsvereinbarungen, nicht hingegen für bloße Vereinbarungen über den Erfüllungsort. Eine nach dem Vertragsstatut wirksame Vereinbarung des vertraglichen Erfüllungsorts begründet den Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 1 lit. a oder lit. b Brüssel Ia-VO daher selbst dann, wenn die in Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO für Gerichtsstandsvereinbarungen vorgeschriebene Form nicht eingehalten worden ist3. Dies folgt aus der unterschiedlichen systematischen Stellung des besonderen Gerichtsstands in Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO und des ausschließlichen Gerichtsstands in Art. 25 Brüssel Ia-VO in der Verordnung, sowie daraus, dass Art. 7 Nr. 1 Brüssel Ia-VO – im Gegensatz zu Art. 25 Brüssel Ia-VO – einen objektiven Zusammenhang zwischen dem Gegenstand des Rechtsstreits und dem vereinbarten Gerichtsstand erfordert. Die Gültigkeit einer Erfüllungsortsvereinbarung beurteilt sich daher allein nach dem als Vertragsstatut gemäß Art. 3 ff. Rom I-VO zur Anwendung berufenen materiellen Recht4. Über die Formgültigkeit der Vereinbarung entscheiden die mitgliedstaatlichen Gerichte nach Maßgabe von Art. 11 Rom I-VO5.

7.65

Die von Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO abweichende Beurteilung der Formerfordernisse einer Erfüllungsortvereinbarung nach nationalem Recht ist freilich nur dann gerechtfertigt, wenn die Parteien den vereinbarten Erfüllungsort ernsthaft als tatsächlichen Leistungsort festlegen wollen; beweispflichtig hierfür ist der Kläger6. Eine Erfüllungsortsvereinbarung in diesem Sinne liegt dann nicht vor, wenn die Parteien die Zuständigkeit des Gerichts am Erfül-

7.66

1 Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 103. 2 ÖOGH v. 6.11.2008 – 6 Ob 229/08g, IHR 2009, 126 (127) = unalex AT-581; öOGH v. 5.6.2007 – 10 Ob 40/07s, IHR 2007, 243 (248) = unalex AT-375; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 92. 3 Vgl. Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 52; ferner zu Art. 5 Nr. 1 Brüssel I-VO OLG Hamm v. 19.5.2015 – 7 U 26/15, NJOZ 2015, 1369 (Rz. 32); OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, NJW-RR 2010, 136 (138); Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 35; näher Klemm, Erfüllungsortsvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrensrecht (2005). Ebenso schon zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ EuGH v. 17.1.1980 – Rs. 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 (Zelger), Slg. 1980, 89 (97) (Rz. 5) = WM 1980, 720 m. Anm. Schütze = IPRax 1981, 93 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1981, 75); zust. BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 (1821); BGH v. 17.10.1984 – I ZR 130/82, NJW 1985, 560 (561); OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRax 2000, 121 (m. Anm. Haubold, IPRax 2000, 91); OLG Hamm v. 27.2.1985 – 20 U 222/84, IPRax 1986, 104 (m. krit. Anm. Schack, IPRax 1986, 82); öOGH v. 15.1.2002, ZfRV 2002, 191 (LS) = unalex AT-598; ital. Cass. v. 22.1.2002, unalex IT-13. Krit. dazu Leible in Rauscher, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 53; Schack, Rz. 312. 4 Zur Maßgeblichkeit der lex causae für die Bestimmung des Erfüllungsorts nach Art. 7 Nr. 1 lit. a Brüssel Ia-VO vgl. EuGH v. 17.1.1980 – Rs. 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 (Zelger), Slg. 1980, 89 (97) (Nr. 5) = WM 1980, 720 m. Anm. Schütze = IPRax 1981, 93 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 1981, 75); BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, IPRax 2006, 594 (596) (m. zust. Anm. Leible/Sommer, IPRax 2006, 568, 571); BGH v. 2.10.2002 – VIII ZR 163/01, NJW-RR 2003, 192; schwz. BG v. 21.2.1996, BGE 122 III 249 (251); OLG Karlsruhe v. 11.02.1993 – 4 U 61/92, RIW 1994, 1046; Klemm, S. 74; Piltz, IHR 2006, 53 (55); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (493); Schlosser in Schlosser/ Hess, Art. 7 Brüssel Ia-VO Rz. 11. 5 Micklitz/Rott, EuZW 2001, 325 (328). 6 Schwz. BG v.21.2.1996, BGE 122 III 249 (251); Spellenberg IPRax 1981, 75 (79); Rauscher, ZZP 104 (1991), 306 f.; Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 36.

Hausmann | 1003

§ 7 Rz. 7.66 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

lungsort festgelegt haben; für eine solche Vereinbarung besteht vielmehr der Formzwang nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO1. Auch „abstrakte“ Erfüllungsortsvereinbarungen, die keinen Bezug zur Vertragswirklichkeit haben und den gesetzlichen Leistungsort für Vertragspflichten nicht ändern, sondern lediglich zuständigkeitsrechtlich wirken sollen, sind an Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zu messen; denn andernfalls könnten die strengen Formvorschriften für Gerichtsstandsvereinbarungen allein dadurch umgangen werden, dass die Vereinbarung als „Erfüllungsortvereinbarung“ bezeichnet wird2. Dies gilt etwa für die Vereinbarung eines Erfüllungsorts für alle Vertragspflichten am Sitz des Verkäufers, obwohl Lieferung an den Sitz des Käufers (Bringschuld) vereinbart ist3.

7.67

Art. 23 Brüssel Ia-VO bezieht sich schließlich nur auf die Vereinbarung der Zuständigkeit staatlicher Gerichte; auf die Vereinbarung der Zuständigkeit eines Schiedsgerichts ist die Vorschrift auch nicht entsprechend anwendbar4. Für internationale Schiedsvereinbarungen ist sowohl nach Art. II des UN-Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.19585 wie nach Art. I Abs. 2a des Europäischen Übereinkommens über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21.4.19616 grundsätzlich die Einhaltung der vollen Schriftform erforderlich; die „halbe“ Schriftlichkeit i.S.v. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 2 Brüssel Ia-VO genügt insoweit nicht (vgl. dazu näher Rz. 7.326). Eine Schiedsvereinbarung enthält auch nicht die stillschweigende Abrede eines Gerichtsstands am vereinbarten Schiedsort für einstweilige Maßnahmen7.

2. Schriftliche Vereinbarung a) Grundsatz

7.68

Eine schriftliche Vereinbarung i.S.v. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO liegt vor, wenn jede Vertragspartei ihre Willenserklärung schriftlich so niedergelegt hat, dass sie ihren Urheber erkennen lässt. Dagegen ist eine Unterzeichnung oder gar eine eigenhändige Unter-

1 OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 (902) = ZZP 103 (1980), 84 m. Anm. H. Schmidt. 2 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (943 ff.) (Rz. 31 ff.); EuGH v. 28.9.1999 – C-440/97, ECLI:EU:C:1999:456 (GIE Groupe Concorde), Slg. 1999 I, 6307 = NJW 2000, 719 = IPRax 2000, 399 (m. Anm. Hau, IPRax 2000, S. 354); BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37/94, NJW-RR 1998, 755 = RIW 1997, 871 = WiB 1997, 1104 m. Anm. Gaus; frz. Cass. com. v. 27.2.1996, Rev.crit.d.i.p. 1996, 736 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-150; OLG Braunschweig v. 22.5.2019 – 11 U 18/19, IWRZ 2019, 275; LG Trier v. 8.1.2004 – 7 HK O 134/03, IHR 2004, 115 m. Anm. Herber; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (493 f.); Kubis, IPRax 1999, 10 (13); Kropholler/von Hein, Art. 5 Brüssel I-VO Rz. 29; Schack, Rz. 312; Spellenberg, ZZP 91 (1978) 61 f.; a.A. noch OLG Karlsruhe v. v. 11.02.1993 – 4 U 61/92, RIW 1994, 1046 = DZWiR 1994, 70 m. Anm. Chillagano-Busl; Schütze WM 1980, 723. 3 Leible/Sommer, IPRax 2006, 568 (571) gegen BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, IPRax 2006, 594 (596). 4 BGH v. 2.5.1979 – 8 U 550/99 179, RIW 1979, 910; ital. Cass. S.U. v. 28.10.1993, Nr. 10704, Riv. dir.int.priv.proc. 1994, 631 (634). 5 BGBl. II 1961, 122. 6 BGBl. II 1964, 426. 7 ÖOGH v. 4.9.2001, IPRax 2003, 64 m. Anm. Reiner = unalex AT-195; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 56.

1004 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.68 § 7

schrift beider Parteien nicht zwingend erforderlich1. Daher können – wie nunmehr Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ausdrücklich klarstellt – auch Telegramme, Fernschreiben, Telekopien (Telefax) oder elektronische Übermittlungen (E-Mails) das Formerfordernis erfüllen, sofern nur die Identität des Erklärenden feststeht (vgl. auch Rz. 7.81 f.)2. Liegt die Gerichtsstandsvereinbarung in Textform vor, so werden die Ziele der Formvorschrift in Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO schon dann erreicht, wenn die Identität der am Vertrag Beteiligten sowie die Authentizität und Echtheit ihrer in der Vertragsurkunde fixierten Erklärungen feststehen; der Nachweis hierfür kann insbesondere durch den beiderseitigen Vollzug des Vertrags erbracht werden3. Die Schriftform wird in jedem Fall durch eine von beiden Parteien unterzeichnete Vertragsurkunde gewahrt, welche die Gerichtsstandsklauseln selbst enthält4 oder auf einen früheren Vertrag zwischen den Parteien mit einer Gerichtsstandsklausel Bezug nimmt5. Ausreichend ist aber – abweichend von § 126 Abs. 2 BGB – auch eine Vereinbarung in getrennten Schriftstücken, sofern aus ihnen nur die Einigung über einen Gerichtsstand für eine bestimmte Rechtsstreitigkeit ausreichend deutlich hervorgeht. Dem Formerfordernis entspricht daher auch ein Briefwechsel oder ein Austausch von Fernschreiben/Telekopien, sofern in dem Antwortschreiben auf das die Gerichtsstandsvereinbarung enthaltende Angebot erkennbar Bezug genommen wird6. In gleicher Weise genügt ein Vertragsschluss per E-Mail oder Internet, sofern nur für eine dauerhafte Aufzeichnung der Vereinbarung Sorge getragen wird (dazu Rz. 7.81 f.). Die mündliche Annahme eines per E-mail übermittelten Angebots, das die Ge-

1 BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 (Rz. 26 ff.) = RIW 2017, 229; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 57) (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); öOGH v. 28.10.2000 – 1 Ob 358/99z, JBl. 2001, 117 (119) = unalex AT-233; schwz BG v. 13.5.2005, BGE 131 III 398 (401); Tribunal Supremo v. 27.5.2008, unalex ES-331; Mankowski in Rauscher, Rz. 88; Geimer in Zöller, Rz. 13; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 19, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; a.A. zu Unrecht OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10, IHR 2013, 155 (156); OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282 (2284); Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 29; Stadler in Musielak/Voit, Rz. 9; Hk-ZPO/Dörner, Rz. 24, jeweils zu Art. 25 Brüssel IaVO; einschränkend auch ital. Cass. S.U. v. 20.4.2004, Nr. 7503, Riv.dir.int.priv.proc. 2005, 111 (113) und v. 6.7.2005, Nr. 14208, Riv.dir.int.priv.proc. 2006, 447 (449). 2 BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, MDR 2001, 798 = NJW 2001, 1731 = IPRax 2002, 124 (m. Anm. Kröll, IPRax 2002, 113); OLG Saarbrücken v.22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 66) (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); OLG Koblenz v. 1.3.2010 – 2 U 816/09, NJW-RR 2010, 1004; Stadler in Musielak/Voit, Rz. 6; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 105, jeweils zu Art. 25 Brüssel IaVO; Killias, S. 157 f.; Staehelin, S. 50. 3 BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257, 15, BeckRS 2017, 102068 (Rz. 29 ff.) = RIW 2017, 229. 4 BGH v. 30.3.2006 – VII ZR 249/04, BGHZ 167, 83 (86 f.) = NJW 2006, 1672; frz. Cass. v. 12.12.2006, unalex FR-418. 5 Frz. Cass. v. 31.1.2010, unalex FR-1114; Supreme Court England v. 26.2.2007 (7 E Communications/Vertex Antennentechnik), unalex UK-359. 6 BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, ZInsO 2014, 739 (Rz. 9); BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731 = IPRax 2002, 124 (m. Anm. Kröll, IPRax 2002, 113); BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700) = JR 1995, 456 m. Anm. Dörner; OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 67) (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, RIW 2015, 762; OLG Karlsruhe v. 15.3.2001 – 19 U 48/00, RIW 2001, 621 (622); OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U 86/95, IPRax 1997, 419 (420); ebenso öOGH v. 25.2.1999 – 2 Ob 41/99i, ZfRV 1999, 150 (LS) = unalex AT-403; Sieg, RIW 1998, 102 (103); Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 104; Mankowski in Rauscher, Rz. 90, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO m.w.N.

Hausmann | 1005

§ 7 Rz. 7.68 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

richtsstandsklausel enthält, entspricht jedoch der Schriftform des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO nicht1; ebensowenig die Annahme durch ein nicht unterschriebenes Telefax2.

7.69

Auch eine ausdrückliche Vereinbarung über den Gerichtsstand wird von Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO nicht verlangt. Die pauschale Annahme eines Angebots, das eine Gerichtsstandsklausel enthält, reicht vielmehr grundsätzlich aus3. Dem Schriftformerfordernis wird zwar grundsätzlich nicht schon dadurch genügt, dass nur diejenige Partei, zu deren Lasten die Gerichtsstandsvereinbarung geht, eine schriftliche Erklärung abgibt4. An die Erklärung der durch die Prorogation begünstigten Partei, auf deren Betreiben die Gerichtsstandsvereinbarung in den schriftlichen Vertragstext aufgenommen wurde, dürfen jedoch keine übertriebenen Formanforderungen gestellt werden, wenn die durch die Vereinbarung benachteiligte Partei ihr in voller Kenntnis ihres Inhalts ausdrücklich und schriftlich zugestimmt hat. Denn der vom EuGH betonte Zweck der Formvorschrift, „die schwächere Partei davor zu schützen, dass Gerichtsstandsklauseln, die einseitig eingefügt worden sind, unbemerkt bleiben“5, erfordert in diesem Fall keine kleinliche Auslegung der Formerfordernisse6. Fehlt also in einer einheitlichen Urkunde, welche die Gerichtsstandsvereinbarung enthält, zwar die Unterschrift derjenigen Partei, die die Urkunde ausgestellt hat, deren Identität aber feststeht, so ist die Gerichtsstandsvereinbarung auch dann wirksam, wenn sie nur vom anderen Teil zustimmend unterschrieben worden ist7. Demgegenüber verlangte die deutsche Rechtsprechung die Einhaltung der Schriftform bisher grundsätzlich auch für die Erklärung des durch die Gerichtsstandsvereinbarung begünstigten Ausstellers der Urkunde8 .Zuletzt hat aber auch der BGH entschieden, dass allein die wechselseitige Vertragsdurchführung geeignet sein kann, die erzielte Willensübereinstimmung des Vertragspartners der eine Partei begünstigenden Gerichts-

1 BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 (Rz. 25 ff.) = IPRax 2019, 426 (m. Anm. H. Roth, IPRax 2019, 397). 2 OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, RIW 2015, 762. 3 BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, ZInsO 2014, 739 Rz. 10; BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); Kohler, IPRax 1991, 299 (300); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 33. 4 Ital. Cass. v. 27.9.2006, unalex IT-206; OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, RIW 2015, 762 Rz. 108; OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282 (2284); OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, IHR 2010, 81 (83); LG Landshut v. 12.6.2008 – 43 O 1748/ 07, IHR 2008, 184 (185); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 95. 5 Vgl. EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (14740) (Rz. 50) m.w.N.; zust. schwz. BG v. 31.7.2013, unalex CH-520. 6 Zutr. öOGH v. 28.4.2000 – 1 Ob 358/99z, unalex AT-233; Kröll, IPRax 2001, 113 ff.; Furche, WM 2004, 205 ff.; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 19. 7 So ausdrücklich öOGH v. 23.1.2013 – 3 Ob 200/12a, unalex AT-831; a.A. freilich BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, ZInsO 2014, 739 (zur Vereinbarung des Gerichtsstands am Sitz des Anwalts in einem Vollmachtsformular, das nur vom Mandanten, nicht aber vom bevollmächtigten Anwalt unterschrieben worden war). 8 Vgl. BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731 (1732) = IPRax 2002, 124 (m. Anm. Kröll, IPRax 2002, 113); BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150 = EuLF 2004, 230 (Schriftliche Zustimmung der durch die Gerichtsstandsvereinbarung belasteten Partei reicht nicht aus, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung in einem dieser Partei übermittelten Vertragsentwurf enthalten war, der von der begünstigten Partei nicht unterschrieben war, jeweils zu Art. 17 Abs. 1 LugÜ 1988); BGH v. 16.1.2014 – IX ZR 194/13, ZInsO 2014, 739 (Rz. 10); OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, RIW 2015, 762 m. Anm. Mankowski; OLG Karlsruhe v. 15. 1. 2009 – 4 U 72/07, NJOZ 2009, 2282 (2284); OLG Celle v. 24.9.2003 – 3 U 90/03, NJW-RR 2004, 575 (576); ebenso ital. Cass. v. 27.9.2006, ZEuP 2008, 165 (LS m. krit. Anm. Rüfner).

1006 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.72 § 7

standsklausel in einer Weise zu belegen, die dem Zweck des Schriftformerfordernisses und dem damit einhergehenden Bedürfnis nach Rechtsklarheit und Rechtssicherheit gerecht wird1. Dient ein zeitlich befristeter schriftlicher Vertrag, der auch für seine Verlängerung die Schriftform vorschreibt und eine Gerichtsstandsklausel enthält, auch nach Fristablauf weiter als rechtliche Grundlage für die Beziehungen der Parteien, so genügt die Gerichtsstandsvereinbarung der Schriftform nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO auch dann, wenn die Parteien den Vertrag nach Maßgabe des auf ihn anzuwendenden nationalen Rechts – auch nur mündlich – wirksam verlängert haben2. Gleiches gilt für eine Gerichtsstandsvereinbarung, die sich auf Rechtsstreitigkeiten bezieht, die aus einer im Anschluss an die Kündigung eines Vertrages mündlich vereinbarten Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen entspringen.3

7.70

b) Allgemeine Geschäftsbedingungen aa) Ausdrücklicher Hinweis Ist die Gerichtsstandsklausel – wie im internationalen Handelsverkehr sehr häufig – nicht im Vertrag selbst, sondern in nur rückseitig abgedruckten oder dem Vertrag beigefügten AGB enthalten, so wird die Form des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO nur gewahrt, wenn der von beiden Parteien unterzeichnete Vertragstext ausdrücklich auf die AGB mit der Gerichtsstandsklausel Bezug nimmt4. Ein solcher ausdrücklicher Hinweis kann allenfalls auf Grund der zwischen den Parteien im Rahmen langjähriger Geschäftsbeziehungen entstandenen Gepflogenheiten (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO) (dazu Rz. 7.91 ff.)5 oder im kaufmännischen Rechtsverkehr entbehrlich sein, wenn die AGB (einschließlich der Gerichtsstandsklausel) branchenüblich sind und deshalb auch dem Vertragspartner des Verwenders bekannt sein mussten (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO) (dazu Rz. 7.95 ff.)6.

7.71

Danach genügt es jedenfalls zur Einhaltung der Schriftform, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung in AGB enthalten ist, die auf der Vorderseite des verwandten Vertragsformulars abgedruckt und vom Vertragspartner gegengezeichnet sind7 oder wenn die AGB vom Vertrags-

7.72

1 BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257/15, ZIP 2017, 2324 (Rz. 27 f., 32) = RIW 2017, 229; a.A. noch OLG Düsseldorf v. 14.11.2018 – U (Kart) 7/18, WuW 2019, 108. 2 EuGH v. 11.11.1986 – C 313/85, ECLI:EU:C:1986:423 (Iveco), Slg. 1986, 3353 (3355 f.) (Rz. 7 f.) = NJW 1987, 2155; krit. zu diesem weitreichenden Rückgriff auf die lex causae Jayme, IPRax 1989, 361; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 108. 3 BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 (Rz. 24): Darlehensvertrag. 4 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1841) (Rz. 10) = NJW 1977, 494; BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, EuZW 1992, 514 m. Anm. Geimer; OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, NJW 1990, 652; OLG Stuttgart v. v. 27.4.2015 – 5 U 120/ 14, RIW 2015, 762; OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, RIW 1999, 968 (969); ebenso öOGH v. 14.7.1999 – 7 Ob 176/98b, JBl. 2000, 121 = unalex AT-400; öOGH v. 22.1.2009 – 2 Ob 159/08h, unalex AT-751; schwz. BG v. 1.7.2013, unalex CH-502; ital. Cass. v. 20.3.2008, unalex IT-361; Heiss, ZfRV 2000, 202 (207); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (285); Sieg, RIW 1998, 102; Saenger, FS Sandrock (1999), S. 811 ff. und ZZP 110 (1997), 477 (486 f.); Kropholler/von Hein, Rz. 35 ff.; Hausmann in unalexKomm, Rz. 67, jeweils zu Art. 23 Brüssel I-VO m.w.N. 5 Frz. Cass. v. 9.1.1996, Rev.crit.d.i.p. 1996, 731 m. zust. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-115. 6 Vgl. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 35. 7 Frz. Cass. v. 9.2.1999, unalex FR-114; OLG München v. 29.1.1980 – 25 U 3274/79, RIW 1982, 281 (282).

Hausmann | 1007

§ 7 Rz. 7.72 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

partner des Verwenders mit dem Vermerk „gelesen und genehmigt“ unterzeichnet werden1. Auch durch die Verwendung eines Aufklebers, der die Gerichtsstandsklausel enthält, auf der beiderseits unterzeichneten Vertragsurkunde wird die Schriftform gewahrt2. Als von der Unterzeichnung des Vertrages miterfasst gilt auch eine zwar unter der Unterschrift stehende, aber deutlich erkennbare Klausel auf der Vorderseite der Vertragsurkunde3. Ausreichend ist es ferner, wenn in dem unterzeichneten Vertragstext ausdrücklich auf die auf der Rückseite der Urkunde abgedruckten oder dem Vertrag beigefügten AGB verwiesen ist4. Eines ausdrücklichen Hinweises auf die Gerichtsstandsvereinbarung selbst oder ihrer besonderen Hervorhebung im Klauseltext bedarf es hingegen nicht5.

7.73

Kommt der Vertrag durch Angebot und Annahme in verschiedenen Urkunden zustande, so ist das Erfordernis der Schriftlichkeit auch dann gewahrt, wenn eine der Parteien im Text ihres – schriftlich angenommenen6 – Angebots ausdrücklich auf ihre AGB hingewiesen hatte, die die Gerichtsstandsklausel enthalten7. Ausreichend ist es auch, wenn in einer invitatio ad offerendum auf mitübersandte AGB Bezug genommen wird und das hierauf verweisende Angebot schriftlich angenommen wird8. Wird hingegen erstmals in der Annahmeerklärung oder in einer Auftragsbestätigung auf die AGB Bezug genommen, so muss der Anbietende bzw. Emp-

1 Vgl. OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 (902) = ZZP 103 (1990), 84 m. krit. Anm. H. Schmidt. 2 OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, NJW-RR 1989, 1330 = RIW 1990, 577. 3 Ital. Cass. v. 19.12.1994, unalex IT-79; LG Hamburg v. 18.8.1976 – 26 O 122/76, RIW 1977, 424 m. Anm. Magnus; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 38. 4 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 39 f.); ital. Cass. v. 28.3.1987, Riv.dir.int.priv.proc. 1988, 711 (713) = unalex IT-245; öOGH v. 24.11.1999,, unalex AT-209; BayObLG v. 11.4.2001 – 4Z AR 29/01, ZIP 2001, 1564; OLG Saarbrücken v. 9.12.2003 – 4 U 645/02-83, OLGR 2004, 285; OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, RIW 1999, 968 (969); Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 8; Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 69 m.w.N. 5 OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 59) (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); zust. Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23a; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 16; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 31, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO m.w.N. Ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ BayObLG v. 11.4.2001 – 4Z AR 29/01, ZIP 2001, 1564 = RIW 2001, 699; OLG Karlsruhe v. 15.3.2001 – 19 U 48/00, RIW 2001, 621 (622); OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/ 99, RIW 2001, 63 (64); OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/87, IPRax 1991, 324 (325) (m. Anm. Kohler, IPRax 1991, 299); OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (146) = IPRax 1987, 308 (m. Anm. Schwarz, IPRax 1987, 29). Ferner frz. Cass. v. 23.1.2008, D. 2008, 490 = unalex FR-404 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2010, 464); Supreme Court England v. 26.2.2007 (7 E Communications v. Vertex Antennentechnik) (Rz. 80 ff.), unalex UK-359. 6 Eine pauschale schriftliche Annahme reicht aus; die Annahmeerklärung muss also nicht auf die AGB oder gar die darin enthaltene Gerichtsstandsklausel Bezug nehmen, vgl. BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 (Rz. 35) = BB 2015, 1418 m. Anm. Mankowski. 7 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 24/76, ECLI:EU:C:1976:177 (Estasis Salotti), Slg. 1976, 1831 (1842) (Rz. 12) = NJW 1977, 494; zust. öOGH v. 1.3.2011, unalex AT-714; OGH v. 10.1.2006 – 5 Ob 233/ 05h, unalex AT-263; OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10, IHR 2013 155 (156); OLG Celle v. 2.3.1984 – 15 U 78/83, RIW 1985, 571 (572) = IPRax 1985, 284 (m. Anm. Duintjer Tebbens, IPRax 1985, 262); OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, s. a. ital. Cass. S.U. v. 5.9.1989, Riv. dir.int.priv.proc. 1991, 118 = unalex IT-43; Geimer in Zöller, Rz. 25 f. Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 33, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 8 HandelsG Zürich v. 17.6.1993, SZIER 1995, 34 m. Anm. Volken; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 93.

1008 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.75 § 7

fänger der in den AGB der Gegenseite enthaltenen Gerichtsstandsklausel noch schriftlich zustimmen1. Die widerspruchslose Ausführung des Vertrages2 reicht für die Einhaltung der Formerfordernisse nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO dann ebenso wenig aus wie eine nur mittelbare oder stillschweigende Verweisung auf einen früheren Schriftverkehr3. Ist die Gerichtsstandsvereinbarung im Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen enthalten, so wird dem Schriftformerfordernis nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO nur genügt, wenn in dem von den Parteien auf dem Primärmarkt unterzeichneten Vertrag die Übernahme dieser Klausel erwähnt oder ausdrücklich auf den Prospekt Bezug genommen wird4. Ein Konsens über den Gerichtsstand scheitert auch dann regelmäßig, wenn beide Parteien auf die jeweils eigenen AGB Bezug nehmen, die kollidierende Gerichtsstandsklauseln i.S.v. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO enthalten5. Anders liegt es aber dann, wenn nur die AGB einer Vertragspartei wirksam in den Vertrag einbezogen wurden6 oder wenn nur die AGB einer Partei eine Vorrangklausel enthalten, der von der anderen Partei nicht widersprochen wurde7. Die Frage, wessen AGB wirksam einbezogen wurden, kann auch dann offenbleiben, wenn die in den AGB enthaltenen Gerichtsstandsklauseln jeweils zur Zuständigkeit desselben Gerichts führen8.

7.74

Entscheidend ist, dass der andere Vertragsteil bei Anwendung gewöhnlicher Sorgfalt von der Gerichtsstandsklausel Kenntnis nehmen konnte und damit gewährleistet ist, dass er sich durch die Annahme der AGB mit dem Gerichtsstand tatsächlich einverstanden erklärt hat. Die bloße Übergabe oder Beifügung der AGB9 reicht daher für die formwirksame Einbeziehung der in den AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel ebenso wenig aus wie der bloße Abdruck auf der Rückseite des Geschäftspapiers, auf dem der Vertrag niedergelegt wurde10. Umso weniger genügt der mangelnde Widerspruch des Empfängers gegen eine nur auf der

7.75

1 BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700); OLG Saarbrücken v. 18.10.2011 – 4 U 548/10, NJOZ 2012, 923; OLG Karlsruhe v. 28.3.2006 – 8 U 218/05, IPRspr. 2006 Nr. 111; OLG Stuttgart v. 5.11.2007 – 5 U 99/07, IPRax 2009, 64 (m. Anm. Hau, IPRax 2009, 44). 2 Vgl. frz. Cass. v. 6. 2. 2010, unalex FR-194; ital. Cass. v. 20. 4. 2004, unalex IT-215; ital. Cass. S.U. v. 22.1.2002, Riv.dir.int.priv.proc. 2002, 697 (699) = unalex IT-13; OLG Karlsruhe v. 28.5.2002 – 8 U 158/01, IPRspr. 2002 Nr. 31b; Stürner, ZEuP 2012, 353. 3 Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23b, 26; Saenger, ZEuP 2000, 160 (169). 4 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419 (Rz. 29) m. Anm. Müller; zur Drittwirkung einer solchen Gerichtsstandsklausel Rz. 7.141. 5 Frz. Cass. v. 22.2.2017, unalex FR-2517; frz. Cass. v. 16.6.2000, unalex FR-40; ital. Cass. v. 6.7.1991, unalex IT-61; LG Gießen v. 17.12.2002 – 6 O 23/02, IHR 2003, 276; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 95; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 63. Vgl. auch OLG Hamburg v. 11.10.2001 – 6 U 163/00, TranspR 2002, 111 (zu Art. 31 CMR); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 36 (zu kollidierenden Rechtswahlklauseln). 6 Vgl. OLG Karlsruhe v. 15.3.2001 – 19 U 48/00, RIW 2001, 621 (622); HandelsG Zürich v. 30.11.1996, SZIER 1997, 369 m. Anm. Volken. 7 LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, WM 1992, 1208. 8 OLG Köln v. 24.5.2006 – 16 W 25/06, EuLF 2006 II, 94. 9 Vgl. OLG Hamm v. 20.1.1977 – 2 U 120/76, IPRspr. 1977 Nr. 118. 10 Der rückseitige Abdruck der Gerichtsstandsklausel genügt auch dann nicht, wenn sich auf der Vorderseite zwar ein Hinweis auf die AGB findet, dieser Hinweis aber nicht unterschrieben ist, vgl. ital. Cass. S.U. v. 19.12.1994, Nr. 10910, Riv.dir.int.priv.proc. 1997, 414 (416 f.) = unalex IT-79 (Einbeziehungshinweis in der Fußzeile der Bestellung unterhalb der Unterschrift).

Hausmann | 1009

§ 7 Rz. 7.75 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Rückseite von Auftragsbestätigungen oder Rechnungen abgedruckte Gerichtsstandsklausel1. Ein sog. Fakturengerichtsstand erfüllt also – vorbehaltlich abweichender Gepflogenheiten – die Form nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO nicht. bb) Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt der AGB

7.76

Neben dem ausdrücklichen Hinweis im Vertragstext ist erforderlich, dass die AGB dem Vertragspartner spätestens bei Vertragsschluss auch tatsächlich vorgelegen haben2, also z.B. auf der Rückseite der Vertragsurkunde oder auf dem beigefügten Formular abgedruckt waren, denn andernfalls bringt das erklärte Einverständnis mit der Geltung der AGB nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass es sich auch auf eine in den AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel erstreckt3. Allerdings genügt es auch, wenn sie bereits einem früheren Angebot beigefügt waren oder wenn auf die bei früheren Geschäften zwischen den Parteien verwandten Bedingungen verwiesen wird; in diesem Fall ist es unschädlich, wenn die AGB beim Vertragsschluss selbst nicht mehr vorliegen4. Hingegen reicht die bloße Möglichkeit des Vertragspartners, sich den Text der ihm unbekannten AGB zu verschaffen und sich dadurch über ihren Inhalt zu informieren, auch im kaufmännischen Verkehr zur Einhaltung der Schriftform des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO grundsätzlich nicht aus5. Die im deutschen Recht geltenden Grundsätze über die erleichterte Einbeziehung von AGB im Rechtsverkehr zwischen Kaufleuten6 gelten mithin im europäischen Prozessrecht nicht, weil dieses kein Sonderrecht für Kaufleute kennt7. Eine formularmäßige Bestätigung des Vertragspartners, die AGB gelesen zu haben, ist für die Beurteilung seiner Kennnis der in den AGB enthaltenen

1 EuGH v. 4.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851 (1860 f.) (Rz. 8–10) = NJW 1977, 495; ital. Cass. v. 27.9.2006, unalex IT-206; OLG Hamburg v. 19.9.1984 – 5 U 56/84, RIW 1984, 916 = IPRax 1985, 281 (m. Anm. Samtleben, IPRax 1985, 261); OLG Düsseldorf v. 30.1.2004 – 23 U 70/03, NJOZ 2004, 3118 = IHR 2004, 108 (m. Aufs. Herber, IHR 2004, 117); LG Köln v. 5.5.1988 – 83 O 42/87, RIW 1988, 644 = IPRax 1989, 290 (m. Anm. Schwenzer, IPRax 1989, 274); Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 22; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 31; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 20, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 2 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 39 f.); öOGH v. 24.9.2019 – 6 Ob 120/19v, unalex AT-1238. 3 OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 (87); OLG Celle v. 24. 7. 2009 – 13 W 48/ 09, NJW-RR 2010, 136 (137); OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, IHR 2008, 112 (117); OLG Karlsruhe v. 15.3.2001 – 19 U 48/00, RIW 2001, 621 (622); OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63 (64 f.); s. a. frz. Cass. v. 23.2.1994, unalex FR-266; Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 74 m.w.N. 4 OLG Saarbrücken v. 22.12.2016 – 4 U 130/13, IPRax 2018, 61 (Rz. 60) (m. Anm. G. Schulze, IPRax 2018, 26); OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, TranspR 1999, 454; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 25; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 20; Mankowski in Rauscher, Rz. 96, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. S. a. frz. Cass. v. 18.1.2017, unalex FR-2504; frz. Cass. v. 31.3.2010, unalex FR-1114; öOGH v. 25.2.1999 – 2 Ob 41/99i, ZfRV 1999, 150 (LS) = unalex AT-403. 5 OLG München v. 7.6.2011 – 9 U 5019/10, NJW-RR 2011, 1169; schwz. BG v. 1.7.2013, unalex CH502 (für die angebotene Möglichkeit, die AGB per Telefax abzurufen); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 31. 6 Vgl. dazu Mäsch in Staudinger, § 305 BGB Rz. 138. 7 BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, IHR 2008, 112 (117); OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63 (64); OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, TranspR 1999, 454; a.A. (Möglichkeit der Beschaffung der nicht beigefügten AGB reicht aus) Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 20.

1010 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.78 § 7

Gerichtsstandsklausel unerheblich1. Die Übersendung der AGB kann jedoch entbehrlich sein, wenn es sich um allgemein bekannte Standardbedingungen einer Branche handelt2 oder wenn der AGB-Verwender seinen Vertragspartner deutlich auf die auf seiner Homepage im Internet unschwer zugänglichen AGB hinweist3; dies muss zumindest für den Fall gelten, dass die Parteien den Vertrag durch Austausch von E-Mails abgeschlossen haben, weil dann idR nur ein weiterer Klick erforderlich ist4. Werden die AGB dem anderen Teil erst nach Vertragsschluss übermittelt, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass dieser sich auch mit der in den AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel einverstanden erklären wollte. Deshalb ist die bloße Erwähnung der AGB in einer Rechnung nach einem nur mündlichen Vertragsschluss nicht ausreichend5. Nicht eingehalten ist die Form nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 1 Brüssel Ia-VO auch dann, wenn die auf der Rückseite abgedruckten oder dem Vertrag beigefügten AGB die Gerichtsstandsklausel nicht unmittelbar enthalten, sondern insoweit auf ein weiteres – nicht beigefügtes – Klauselwerk Bezug nehmen6. Enthalten die AGB hingegen selbst eine Gerichtsstandsklausel, verweisen sie aber außerdem auf ein weiteres Klauselwerk, das ebenfalls eine – inhaltlich abweichende – Gerichtsstandsklausel enthält, so hat die in den AGB des Vertragspartners enthaltene spezielle Gerichtsstandsklausel Vorrang7. Hat der Besteller in seinem Angebot auf seine Einkaufsbedingungen Bezug genommen, die eine Gerichtsstandsklausel enthalten, so reicht die widerspruchslose Durchführung des Vertrages durch den Angebotsempfänger für die Einhaltung der Schriftform nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO nicht aus8.

7.77

Auch die Frage der Lesbarkeit von AGB betrifft die Einhaltung der Schriftform und ist deshalb möglichst im Wege autonomer Auslegung aus Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO selbst zu entnehmen. Danach steht zwar der übliche Kleindruck von AGB der wirksamen Einbeziehung einer Gerichtsstandsklausel grundsätzlich nicht entgegen9. Ist die Gerichtsstandsklausel

7.78

1 BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405). 2 Ital. Cass. v. 18.11.1982, unalex IT-182; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 92; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 35; a.A. öOGH v. 24.1.2008 – 2 Ob 192/07k, unalex AT-384 (zu den VOB/B). 3 OLG Dresden v. 7.5.2009 – 10 U 1816/08, EuLF 2009 II, 68 (70); Saenger, ZEuP 2000, 666 (668); Mankowski in Rauscher, Rz. 92; Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, IRV, Rz. 162 f., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.; a.A. öOGH v. 24.1.2008 – 2 Ob 192/07k, unalex AT-384; OLG v. Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, RIW 2010, 164 (165) (m. Anm. Jungemeyer, RIW 2010, 106) = EuZW 2010, 118; OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63 (64 f.); Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 31; Geimer in Zöller, Rz. 22, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 35. 4 So auch schwz. BG v. 1.7.2013, IHR 2014, 254 = unalex CH-502. 5 EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 (Saey Home & Garden), ZIP 2018, 1754 (Rz. 32); dazu Dostal, EuZW 2018, 944 ff. und 983 ff.; Mankowski, EWiR 2018, 381. 6 OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10, IPRspr. 2011 Nr. 215; Aud. Prov. Tarragona v. 12.4.2010, unalex ES-456; Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (288); Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 31; Mankowski in Rauscher, Rz. 94, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; a.A. OLG München v. 17.10.1986 – 23 U 2762/86, RIW 1987, 998 = IPRax 1987, 307 (m. Anm. E. Rehbinder, IPRax 1987, 289). 7 OLG Bremen v. 19.5.1994 – 11 O 728/1992, TranspR 1995, 32. 8 Frz. Cass. v. 6.2.2010, unalex FR-194; ital. Cass. v. 20.4.2004, unalex IT-115; OLG Karlsruhe v. 28.5.2002 – 8 U 158/01, IPRspr. 2002 Nr. 131b; Trib. Lecco v. 5.6.1997, Riv.dir.int.priv.proc. 1998, 881 = unalex IT-442; Stürner, ZEuP 2012, 353. 9 Anders aber OLG Stuttgart v. 18.7.1988 – 5 U 85/87, IPRspr. 1988 Nr. 148 (zu § 38 ZPO).

Hausmann | 1011

§ 7 Rz. 7.78 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

allerdings völlig unleserlich oder ist sie an einer Stelle des Vertragstextes abgedruckt, wo mit ihr – wie z.B. in der Fußzeile unterhalb der Unterschriften1 – nicht zu rechnen ist, so ist die Schriftform nach lit. a nicht erfüllt2. Dies gilt auch dann, wenn das entsprechende Formular im Rahmen einer ständigen Geschäftsbeziehung wiederholt verwendet worden ist, sofern es in der Vergangenheit nie zu einem Rechtsstreit zwischen den Parteien gekommen ist3.

7.79

Die Möglichkeit einer Kenntnisnahme von der in AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel ist schließlich auch dann nicht immer gewährleistet, wenn der Hinweis auf die AGB im Vertrag in einer von der Verhandlungs- bzw. Vertragssprache abweichenden, dem Empfänger nicht geläufigen Sprache abgefasst ist4. Über das Problem der wirksamen Einbeziehung fremdsprachiger AGB ist – als Frage des Zustandekommens der Gerichtsstandsvereinbarung – im Wege einheitlicher europäischer Auslegung zu entscheiden 5. Danach sollte verlangt werden, dass nicht nur der Hinweis, sondern auch der Text der AGB einschließlich der Gerichtsstandsklausel für den Empfänger verständlich ist6. Ist dem Verwender bekannt, dass der andere Teil die fremdsprachigen AGB nicht versteht, so reicht daher selbst ein in der Verhandlungssprache gegebener allgemeiner Hinweis auf diese AGB zur Einbeziehung einer darin enthaltenen Gerichtsstandsklausel nicht aus7; erforderlich ist vielmehr ein für den Empfänger verständlicher Hinweis, dass die AGB eine Gerichtsstandsklausel enthalten8. Die überwiegende deutsche Praxis lässt hingegen einen Hinweis in der Verhandlungs- oder Vertragssprache auch auf AGB in einer anderen Sprache für die Einbeziehung der darin enthaltenen Gerichtsstandsklausel ausreichen; der Empfänger sei in diesem Fall gehalten, eine Übersetzung der AGB anzufordern oder sich selbst zu beschaffen9. Der Vertragspartner des Verwenders muss die Gerichtsstandsklausel jedenfalls dann gegen sich gelten lassen, wenn er sie gegengezeichnet hat,

1 ÖOGH v. 24.4.2013 – 9 Ob 25/13m, unalex AT-892. 2 OLG Hamm v. 21.3.2011 – 32 Sbd 17/11, IPRspr. 2011 Nr. 190; OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/ 96, TranspR 1999, 454; s. a. öOGH v. 26.5.2011 – 9 Ob 19/11a, unalex AT-733; öOGH v. 30.3.2001 – 7 Ob 320/00k, ZfRV 2001, 231 (LS) = unalex AT-113; frz. Cass. com. v. 27.2.1996, Rev.crit.d.i. p. 1996, 732 m. zust. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-150; App. Grenoble v. 23.10.1996, Rev. crit.d.i.p. 1997, 756 m. Anm. Sinay-Cytermann 762 (765 f.) = unalex FR-44; Schack, Rz. 536; Mankowski in Rauscher, Rz. 92; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 20a, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 3 OLG Hamburg v. 25.5.2018 – 8 U 51/17, IWRZ 2019, 88 = IPRax 2019, 527 (m. Anm. Mayer, IPRax 2019, 496). 4 Allg. M., vgl. OLG Hamm v. 19.5.2015 – 7 U 26/15, NJOZ 2015, 1369 (1371); OLG Frankfurt v. 11.12.2002 – 23 U 185/01, NJW-RR 2003, 704 (705); Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 120 f. 5 Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 86. Der EuGH hat die Frage bisher offen gelassen, vgl. EuGH v. 29.6.1994 – C-288/92, ECLI:EU:C:1994:268 (Custom Made Commercial), Slg. 1994, 2913 = NJW 1095, 183. 6 Dazu näher Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 73; a.A. BGH v. 31.10.1989 – VIII ZR 330/88, IPRax 1991, 326; OLG Köln v. 24.5.2006 – 16 W 25/06, EuLF 2006 II, 94; = IHR 2006, 147. 7 OLG Karlsruhe v. 28.3.2006 – 8 U 218/05, IPRspr. 2006 Nr. 111; App. Grenoble v. 23.10.1996, Rev. crit.d.i.p. 1996, 756 m. Anm. Sinay-Cytermann = Clunet 1998, 125 m. Anm. Huet = unalex FR442; Kohler, IPRax 1991, 299 (301); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (487); Spellenberg, IPRax 2007, 98 (104 f.); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 40; vgl. auch Spellenberg in MünchKomm, Art. 10 Rom I-VO Rz. 216 ff.; Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 120 ff. 8 ÖOGH v. 6.11.2008 – 6 Ob 229/08g, unalex AT-581. 9 Vgl. BGH v. 31.10.1989 – VIII ZR 330/88, IPRax 1991, 326; OLG Hamm v. 10.10.1988 – 2 U 196/ 87, IPRax 1991, 324 (325); OLG Köln v. 24.5.2006 – 16 W 25/06, EuLF 2006 II, 94; zust. öOGH v. 1.3.2011 – 10 Ob 9/11p, unalex AT-714; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 141.

1012 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.80 § 7

obwohl er sie aus sprachlichen Gründen nicht verstanden hat1. Keinesfalls kommt die Gerichtsstandsvereinbarung hingegen wirksam zustande, wenn bereits die Verweisung auf die fremdsprachigen AGB weder in der Verhandlungs-, noch in der Vertragssprache erfolgt2. Auch ein Hinweis in englischer Sprache reicht dann nicht in jedem Fall aus3. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO bezieht sich allerdings allein auf die Formerfordernisse für die wirksame Einbeziehung der in den AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel4. Soweit hingegen deren materiell-rechtliche Wirkungen – z.B. für Schadenersatzansprüche wegen der Klage einer Partei in einem derogierten Gerichtsstand (dazu Rz. 7.176 ff.) – zu beurteilen sind, richtet sich die Wirksamkeit der Einbeziehung nach dem Prorogationsstatut, d.h. bei Geltung deutschen Rechts nach § 305 Abs. 2 und 3, §§ 305a und 305c Abs. 1 BGB5. Ob die AGB im Übrigen Bestandteil des Hauptvertrages geworden sind, ist schließlich nach dem auf diesen Vertrag nach Art. 3 ff. Rom I-VO anwendbaren innerstaatlichen Recht zu entscheiden (Rz. 3.63 ff.)6. Allerdings erstreckt sich die nach der lex causae wirksame Einbeziehung der AGB nicht auf die Gerichtsstandsklausel; für deren Wirksamkeit ist allein Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO maßgebend7.

7.79a

c) Vereins- oder Gesellschaftssatzung Wenn die Formerfordernisse des Art. 23 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO auch gewährleisten sollen, dass die Einigung zwischen den Parteien tatsächlich feststeht, so können im Hinblick auf die Gemeinsamkeit der Interessen von Gesellschaftern oder Vereinsmitgliedern an die Form von Gerichtsstandsvereinbarungen in Satzungen doch nicht die gleichen strengen Anforderungen gestellt werden wie an die Form von Gerichtsstandsvereinbarungen in gegenseitigen Verträgen. Da Gesellschaftssatzungen in den Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten wegen ihrer besonderen Tragweite und Funktion als der grundlegenden Regelung der Beziehungen zwischen Aktionär und Gesellschaft der Schriftform bedürfen, muss auch jeder, der Aktionär einer Gesellschaft wird, wissen, dass er an die Satzung dieser Gesellschaft und an solche Änderungen gebunden ist, die die Organe der Gesellschaft in Übereinstimmung mit dem anwendbaren nationalen Recht und der Satzung an dieser vornehmen. Dies gilt aber auch für eine in der Gesellschaftssatzung enthaltene Gerichtsstandsklausel; folglich stimmt jeder Aktionär der darin

1 OLG Hamm v. 28.6.1994 – 19 U 179/93, RIW 1994, 877 = NJW RR 1995, 188; OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 35. 2 OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, TranspR 1999, 454; OLG Frankfurt a.M. v. 11.12.2002 – 23 U 185/01, NJW-RR 2003, 704; OLG Hamm v. 6.12.2005 – 19 U 120/05, IHR 2006, 84 = IPRax 2006, 290 m. Anm. Jayme; öOGH v. 14.7.1999 – 7 Ob 176/98b, JBl. 2000, 121 = unalex AT-400; Kohler, IPRax 1991, 299 (301); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (487); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 37; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 12 a.E.; dazu näher Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 119 ff. m.w.N. 3 Zurecht zurückhaltend auch Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 141; a.A. öOGH v. 1.3.2011, EuLF 2011 II, 79 = unalex AT-714; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 20; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 93, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 4 Dostal, EuZW 2018, 944 (949). 5 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, NJW 2020, 399 Rz. 23. 6 OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (146); Kohler, IPRax 1983, 266 (269); dazu näher Staudinger/Hausmann, Art. 10 Rom I Rz. 80 ff. 7 OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63 (64 f.); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 36.

Hausmann | 1013

7.80

§ 7 Rz. 7.80 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

enthaltenen Begründung eines Gerichtsstands zu, wenn die Satzung der Gesellschaft an einem ihm zugänglichen Ort, etwa dem Sitz der Gesellschaft, hinterlegt ist oder in einem öffentlichen Register enthalten ist. Dies genügt – unabhängig von der Art und Weise des Erwerbs der Aktien – zur Erfüllung der Formerfordernisse nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO (vgl. auch Rz. 7.136)1. d) Elektronische Übermittlungen

7.81

Mit der in Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO neu eingefügten Bestimmung wird klargestellt, dass auch elektronische Übermittlungen, die – wie z.B. ein Telefax2 – eine dauerhafte Aufzeichnung der Gerichtsstandsvereinbarung ermöglichen, ihren Urheber erkennen lassen und in Textform ausgedruckt werden können, der Schriftform gleichgestellt sind3. Auch die hiernach zu stellenden Anforderungen sind autonom zu bestimmen; auf die Einhaltung der nach nationalem Recht – z.B. für die elektronische Form nach § 126a BGB – vorgeschriebenen Voraussetzungen kommt es insoweit nicht an4. Da es dem europäischen Gesetzgeber in Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO – ähnlich wie in der E-Commerce-Richtlinie5 – darum geht, den elektronischen Rechtsverkehr zu fördern, sollten die Anforderungen an die elektronische Form von Gerichtsstandsvereinbarungen nicht zu restriktiv ausgelegt worden. Erfasst ist daher insbesondere der Austausch von E-Mails6; dabei ist es auch ausreichend, dass die Gerichtsstandsvereinbarung in einem Anhang zu einer E-mail übermittelt wird7. Einer Verschlüsselung oder elektronischen Signatur bedarf es nicht, weil dies den eletronischen Rechtsverkehr erheblich erschweren würde8. Die mündliche Annahmeerklärung des per E-mail übermittelten Angebots, das die Gerichtsstandsklausel enthält, durch den Empfänger reicht hingegen nicht aus9.

7.82

Auch bei einem Vertragsschluss im Internet muss die Möglichkeit zum jederzeitigen Ausdruck oder zur sonstigen dauerhaften Speicherung der Gerichtsstandsvereinbarung (z.B. in einer Mailbox, auf einem USB-Stick, einer Diskette oder auf der Festplatte) bestehen, um die

1 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1745 (1776 f.) (Rz. 25 f.) = NJW 1992, 1671 (1672) = IPRax 1993, 32 (m. Anm. Koch, IPRax 1993, 19); vgl. auch OLG Koblenz v. 31.7.1992 – 6 U 1946/87, ZIP 1992, 1234 = RIW 1993, 141 = EWiR 1992, 989 (LS) m. Anm. Geimer = WuB VII B 1 Art. 17 EuGVÜ Nr. 1.93 m. Anm. Ebenroth/Reiner; BGH v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, NJW 1994, 51 = RIW 1994, 237 = WuB VII B 1. Art. 17 EuGVÜ Nr. 1.94 m. Anm. Ebenroth/Reiner; LG München I v. 13.4.2006 – 5 HK O 4326/05, ZIP 2006, 1320, 255; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 130. 2 Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 43. 3 Auf die Art und Weise der dauerhaften Aufzeichnung (z.B. Mailbox, USB-Stick, Diskette, Festplatte) kommt es nicht an, vgl. Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 127. 4 OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 106/12, IHR 2015, 60; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 29. 5 Richtlinie (EG) 2000/31 über den elektronischen Geschäftsverkehr v. 8.6.2000 (ABl. EG 2000 L 178, S. 1). 6 BGH v. 25.3.2015 – VIII ZR 125/14, NJW 2015, 2584 Rz. 44 = BB 2015, 1418 m. Anm. Mankowski; KG v. 15.5.2018 – 7 U 12/17, BeckRS 2018, 14615 (Rz. 16); OLG Dresden v. 7.5.2009 – 10 U 1816/08, EuLF 2009 II, 68 (70). S. a. ital. Cass. v. 10.9.2009, unalex IT-455; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 14; Mankowski in Rauscher, Rz. 127; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 130, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 7 OLG Köln v. 24.4.2013 – 16 U 106/12, IHR 2015, 60. 8 BGH v. 7.1.2014 – VIII ZR 137/13, ZInsO 2014, 739. 9 BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rz. 26 ff.

1014 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.83 § 7

Form des Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO zu erfüllen1; die bloße Anzeige auf dem Bildschirm reicht nicht aus (vgl. Art. 10 Abs. 3 E-Commerce-Richtlinie)2. Ein tatsächlicher Ausdruck muss allerdings – anders als nach Art. 3 lit. c (ii) HGÜ – nicht erfolgen. Für die Einbeziehung einer in AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel beim elektronischen Vertragsschluss gilt das zur Schriftform Gesagte (Rz. 7.68 ff.) entsprechend, d.h. auf die AGB muss in der E-mail oder auf der Website deutlich hingewiesen werden und es muss die Möglichkeit zu ihrem Ausdruck eröffnet werden3. Nach Ansicht des EuGH genügt auch das sog. „click-wrapping“- Verfahren der elektronischen Form des Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO, wenn das Ausdrucken und Speichern des Textes der die Gerichtsstandsvereinbarung enthaltenden AGB vor Abschluss des Vertrages möglich ist4.

3. Schriftliche Bestätigung einer mündlichen Vereinbarung a) Mündliche Vereinbarung Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO lässt im Interesse einer Erleichterung des internationalen Handelsverkehrs auch eine mündliche Zuständigkeitsvereinbarung genügen, wenn diese anschließend von einer Partei schriftlich bestätigt worden ist. Diese Vorschrift hat allerdings nach Auflockerung der früheren Formstrenge durch die weiteren Formalternativen in Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b und lit. c Brüssel Ia-VO erheblich an praktischer Bedeutung verloren5. Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf den Fall, dass die in einem schriftlichen Angebot enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung vom Empfänger durch schlüssiges Verhalten angenommen wird, kommt nicht in Betracht, weil in diesem Fall die Einigung über den Gerichtsstand nicht zweifelsfrei feststeht6. Für die sog. „halbe Schriftlichkeit“ kommt es maßgeblich darauf an, dass sich die Parteien bereits bei dem mündlichen Vertragsschluss in rechtsverbindlicher Weise gerade auch über den Gerichtsstand geeinigt haben7. Wird diese Einigung bestritten, so muss der Kläger sie dem prorogierten Gericht nachweisen8. Bloße vorbereitende Gespräche über den erst für später geplanten (schriftlichen) Vertragsschluss reichen hierfür 1 Junker, RIW 1999, 809 (813); Mankowski, RabelsZ 23 (1999), 203 (218 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 41; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 105 ff.; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 43; zweifelnd Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 11, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 2 Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 131; Mankowski in Rauscher, Rz. 129; Geimer in Geimer/ Schütze, Rz. 105d, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 3 High Court Dublin v. 26.2.2010 (Ryan Air v. Billigfluege.de), unalex IE-47. 4 EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 (El Majdoub), NJW 2015, 2171 (Rz. 39) = EuZW 2015, 565 m. zust. Anm. Wurmnest; a.A. noch AG Geldern v. 20.4.2011 – 4 C 33/11, NJWRR 2011, 1503; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 129. 5 Krit. zu dieser Formalternative Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 21; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (487 f.). 6 Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 13 a.E.; Mankowski in Rauscher, Rz. 98; jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; a.A. LG Berlin v. 18.2.2000 – 94 O 93/99, IPRax 2000, 526 (m. abl. Anm. Haß, IPRax 2000, 494); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 19. 7 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ/Nova), Slg. 1984, 2417 (2433) (Rz. 17) = RIW 1984, 909 m. Anm. Schlosser; BGH v. 25.1.2017 – III ZR 257/15, RIW 2017, 229; OLG Saarbrücken v. 18.10.2011 – 4 U 548/10, IPRspr. 2011 Nr. 214; OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, NJOZ 2009, 2282 (2284 f.); OLG Stuttgart v. 5.11.2007 – 5 U 99/07, NJOZ 2008, 2648 (Rz. 22) = IPRax 2009, 64 (m. Anm. Hau, IPRax 2009, 44); OLG Saarbrücken v. 17.1.2007 – 5U 426/06-54, TranspR 2007, 488; OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U 86/95, IPRax 1997, 419 (420); Heiss, ZfRV 2000, 202 (207); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 103; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 42. 8 OLG Stuttgart v. 18.4.2011 – 5 U 199/10, IHR 2011, 236.

Hausmann | 1015

7.83

§ 7 Rz. 7.83 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

nicht aus1. Zwar ist auch insoweit eine ausdrückliche Vereinbarung entbehrlich; die Willensübereinstimmung muss jedoch klar und deutlich zum Ausdruck gekommen sein (dazu schon Rz. 7.42)2.

7.84

Ist die Gerichtsstandsklausel daher in AGB enthalten, so kommt auch eine mündliche Einigung über den Gerichtsstand nur zustande, wenn diese Bedingungen dem Vertragspartner bereits bei Vertragsschluss vorgelegen haben, so dass er bei normaler Sorgfalt davon Kenntnis nehmen konnte3. Hingegen reicht es nicht aus, dass eine Partei während der Vertragsverhandlungen zwar darauf hingewiesen hatte, dass sie zu ihren AGB abschließen wolle, diese Bedingungen mit der darin enthaltenen Gerichtsstandsklausel jedoch erst ihrer schriftlichen Auftragsbestätigung beigelegt hat. Für diesen Fall hat der EuGH vielmehr volle Schriftlichkeit verlangt: Die schriftliche Bestätigung des mündlichen Vertragsschlusses unter erstmaliger Beifügung der AGB müsse von der anderen Partei schriftlich angenommen werden, weil nicht unterstellt werden könne, dass diese sich auch einer in den AGB enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung habe unterwerfen wollen4. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Verwender der AGB seinen Vertragspartner während der Verhandlungen ausdrücklich auf die in seinen AGB enthaltene Gerichtsstandsklausel hingewiesen hat oder wenn der Vertragspartner den Inhalt der AGB kennt5. Denn für diesen Fall liegt eine wirksame mündliche Zuständigkeitsvereinbarung vor, die lediglich noch schriftlich bestätigt werden muss6.

7.85

Fügt sich der mündlich geschlossene Vertrag allerdings in laufende Geschäftsbeziehungen ein, die zwischen den Parteien auf der Grundlage der AGB einer Partei bestehen, so kann auch das Schweigen des Empfängers auf eine Auftragsbestätigung, der erstmals die – eine Gerichtsstandsklausel enthaltenden – AGB beigefügt sind, zur formgültigen Vereinbarung des Gerichtsstands führen. Der Empfänger der schriftlichen Bestätigung verstößt bei dieser Sachlage gegen Treu und Glauben, wenn er das Zustandekommen einer Gerichtsstandsvereinbarung mit dem Argument ablehnt, es fehle an einer schriftlichen Annahmeerklärung seinerseits7. Notwendige Voraussetzung der „halben“ Schriftlichkeit iSv. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a

1 BGH v. 22.2.2001 – IX ZR 19/00, NJW 2001, 1731 (m. krit. Anm. Kröll, IPRax 2002, 113); OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282. 2 Killias, S. 167; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 37 f.; Wagner in Stein/ Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 65. 3 BGH v. 28.3.1996 – III ZR 95/95, NJW 1996, 1819 = IPRax 1997, 416 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700); OLG Köln v. 9.2.1990 – 3 U 156/89, IPRspr. 1991 Nr. 165; OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282; OLG Düsseldorf v. 23.3.2011, IHR 2012, 237; Saenger, ZEuP 2000, 666 (670); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 42. 4 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851 (1862) (Nr. 12) = NJW 1977, 495; zust. BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, EuZW 1992, 515 (516 f.) m. Anm. Geimer; OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, RIW 1999, 968 = IPRax 2000, 121 (m. Anm. Haubold, IPRax 2000, 91). 5 OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, TranspR 1999, 454; High Court England (Q.B.Div.) v. 15.12.2004 (Standard Steamship v. GIE Vision Bail), unalex UK-169. 6 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 89; Mankowski in Rauscher, Rz. 99, jeweils zu Art. 25 Brüssel IaVO. 7 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851 (1861) (Nr. 11); BGH v. 16.5.1977 – VIII ZR 225/75, RIW 1977, 432; ital. Cass. v. 26.4.1995, Nr. 4625, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 302 (309) = unalex IT-80; frz. Cass. v. 9.1.1996, Rev.crit.d.i. p. 1996, 731 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-115; Hausmann in unalexKomm, Rz. 82 f.; im Erg. auch Kropholler/von Hein, Rz. 42, jeweils zu Art. 23 Brüssel I-VO

1016 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.87 § 7

Alt. 2 Brüssel Ia-VO ist aber auch im Rahmen von laufenden Geschäftsbeziehungen, dass der Bestätigung ein mündlicher Vertragsschluss vorausgegangen ist, durch den auch die AGB einschließlich der Gerichtsstandsklausel zumindest konkludent einbezogen wurden. Das Formerfordernis der „halben Schriftlichkeit“ ist daher auch im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen dann nicht erfüllt, wenn eine Partei regelmäßig Bestätigungsschreiben oder Rechnungen mit einer nur rückseitig abgedruckten Gerichtsstandsklausel verwendet, ohne jemals ausdrücklich auf diese bzw. die sie enthaltenden AGB hingewiesen zu haben1. Erst recht scheitert eine Einigung über die Gerichtsstandsklausel, wenn die AGB der anderen Seite erst nach dem schriftlichen Bestätigungsschreiben übermittelt werden2. Auch im Rechtsverkehr zwischen Kaufleuten führt das bloße Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben, dem erstmals eine Gerichtsstandsklausel beigefügt ist, daher nicht zur Fiktion einer mündlichen Einigung über den Gerichtsstand nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 2 Brüssel Ia-VO. Die mündliche Einigung muss vielmehr auch dann nachgewiesen werden, wenn der Empfänger nicht widerspricht3. Die Formwirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ergibt sich freilich in diesem Fall heute regelmäßig aus einer zwischen den Parteien bestehenden Gepflogenheit (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO) oder aus einem internationalen Handelsbrauch (Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO) ergeben (dazu Rz. 7.91 ff., Rz. 7.95 ff.).

7.86

b) Schriftliche Bestätigung Haben sich die Parteien mündlich geeinigt, so bedarf es noch der schriftlichen Bestätigung einer Seite. Diese führt freilich nur dann zur Formgültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung, wenn ihr Inhalt mit der vorher erzielten Einigung übereinstimmt. Die Beweislast hierfür trägt diejenige Vertragspartei, die sich auf die Gerichtsstandsvereinbarung beruft4. Durch das Erfordernis der halben Schriftlichkeit soll der Nachweis der Einigung der Parteien über die internationale Prorogation erleichtert, nicht aber der Zeugenbeweis ausgeschlossen werden. Die schriftliche Bestätigung kann daher nicht nur durch Urkundenvorlage, sondern auch durch Zeugen bewiesen werden5. Wird die Gerichtsstandsklausel erstmals in einer Auftragsbestätigung in das Vertragsverhältnis der Parteien eingeführt, so ist – wie gezeigt (vgl. Rz. 7.84) – eine erneute schriftliche Bestätigung der anderen Seite notwendig. Diese Bestätigung muss das ausdrückliche Einverständnis mit der Gerichtsstandsvereinbarung erkennen lassen; eine

1 BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 = JR 1995, 456 m. Anm. Dörner; OLG Stuttgart v. 18.4.2011 – 5 U 199/10, IHR 2011, 236; OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, NJW 1990, 652; OLG Hamburg v. 19.9.1984 – 5 U 56/84, ZIP 1984, 1241 = RIW 1984, 916 = IPRax 1985, 281 (m. Anm. Samtleben, IPRax 1985, 261); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 43; Gottwald in MünchKomm-ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 38. 2 OLG Köln v. 9.2.1990 – 3 U 156/89, IPRspr. 1991 Nr. 165; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 103. 3 Vgl. EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851 (1862) = NJW 1977, 495; OLG Hamm v. 20.1.1989 – 29 U 155/86, NJW 1990, 662 (663); OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 38; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 45 m.w.N. 4 OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182; Killias, S. 168; Hau, IPRax 1999, 24; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 113; a.A. Ebenroth, ZVglRW 1978, 382; Schlosser, EWiR 1997, 359, die im Handelsverkehr eine Beweislastumkehr befürworten, wenn die Bestätigung unwidersprochen bleibt. 5 Vgl. Geimer, IPRax 1986, 85 (87).

Hausmann | 1017

7.87

§ 7 Rz. 7.87 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Annahme durch konkludentes Verhalten (z.B. durch die bloße Aufforderung zur Vertragserfüllung) genügt ebenso wenig wie das bloße Unterlassen eines Widerspruchs1.

7.88

An Form und Inhalt der Bestätigung sind die gleichen Anforderungen zu stellen wie an einen beiderseits schriftlichen Vertrag2. Es genügt daher jedenfalls die Bezugnahme auf die Vertragsurkunde, in der die Gerichtsstandsvereinbarung an herausgehobener Stelle außerhalb des Formulartexts eingefügt war3. Ausreichend ist aber auch der deutliche Hinweis auf AGB, in denen die Gerichtsstandsklausel enthalten ist; eines besonderen schriftlichen Hinweises auf die Klausel selbst bedarf es auch insoweit nicht (vgl. auch Rz. 7.72 a.E.)4. Ferner kann die Bestätigung auch per Telegramm, Telefax oder in elektronischer Form nach Art. 25 Abs. 2 Brüssel Ia-VO5 übermittelt werden; die bloße Übersendung einer Zahlungsaufforderung oder Rechnung reicht hingegen nicht aus6. Die Bestätigung muss auch nicht notwendig durch diejenige Vertragspartei erfolgen, der die Zuständigkeitsvereinbarung entgegengehalten werden soll7; ausreichend ist vielmehr – wie der EuGH8 klargestellt hat – eine „von einer, gleich welcher der Parteien stammende schriftliche Bestätigung“. Bei einer Gerichtsstandsvereinbaung zugunsten Dritter genügt auch die schriftliche Bestätigung durch den (am Prozess nicht beteiligten) Vertragspartner9.

7.89

Nicht entschieden hat der EuGH bisher die Frage, welche Wirkung der Erhebung eines Widerspruchs durch den Empfänger des Bestätigungsschreibens zukommt. Aus dem Umstand, dass Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Alt. 2 Brüssel Ia-VO nicht ausdrücklich voraussetzt, dass die Bestätigung unwidersprochen bleibt, wird überwiegend abgeleitet, dass ein Widerspruch die

1 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851 (1860 ff.) (Rz. 8–12) = NJW 1977, 495; BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700); OLG Karlsruhe v. 28.5.2002 – 8 U 158/01, IPRspr. 2002 Nr. 131b; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 44; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 115, Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 13; Mankowski in Rauscher, Rz. 98, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; a.A. LG Berlin v. 18.2.2000 – 94 O 93/99, IPRax 2000, 526 (m. abl. Anm. Haß, IPRax 2000, 494). 2 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 46. 3 BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, BGHZ 116, 77 (81) = IPRax 1992, 377 (m. Anm. Heß, IPRax 1992, 358) = ZZP (1992), 330 m. Anm. Bork. 4 Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 22; Mankowski in Rauscher, Rz. 100, jeweils zu Art. 25 Brüssel IaVO. 5 Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 109; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel IVO Rz. 49. 6 OLG Karlsruhe v. 28.5.2002 – 8 U 158/01, IPRspr. 2002 Nr. 131b. 7 So noch OLG München v. 11.2.1981 – 7 U 3886/80, NJW 1982, 1951 (1952); OLG Celle v. 2.3.1984 – 15 U 78/83, RIW 1985, 571 = IPRax 1985, 284 (m. Anm. Duintjer Tebbens, IPRax 1985, 262). 8 EuGH v. 11.7.1985 – Rs. 221/84, ECLI:EU:C:1985:337 (Berghofer/ASA), Slg. 1985, 2699 (2703) (Rz. 16) = RIW 1985, 736; EuGH v. 11.11.1986 – Rs. 313/85, ECLI:EU:C:1986:423 (Iveco Fiat/van Hool), Slg. 1986, 3337 (3356) (Rz. 9) = NJW 1987, 2155 = IPRax 1989, 383 (m. Anm. Jayme, IPRax 1989, 361); zust. BGH v. 14.11.1991 – IX ZR 250/90, BGHZ 116, 77 (82) = NJW 1986, 2196; schwz. BG v. 21.11.2007, unalex CH-248; ital. Cass. v. 3.1.2007, unalex IT-227; OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/98, RIW 1999, 621; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 13; Geimer in Geimer/ Schütze, Rz. 111 f.; jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 47 f. m.w.N. 9 EuGH v. 11.7.1985 – Rs. 221/8, ECLI:EU:C:1985: 337 (Berghoefer ASA), Slg.1985, 2699 (2708 f., Rz. 16); Geimer, NJW 1985, 533.

1018 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.92 § 7

Wirkung des Bestätigungsschreibens nicht zwingend aufhebt; er begründet lediglich Zweifel am wirksamen Zustandekommen einer mündlichen Einigung1. Ebenfalls nicht geklärt ist die Frage, innerhalb welcher Frist die mündliche Einigung über den Gerichtsstand schriftlich bestätigt werden muss. Ein Rückgriff auf nationales Recht – z.B. auf § 147 Abs. 2 BGB – hat insoweit auszuscheiden. Vielmehr ist die zeitliche Grenze für ein Bestätigungsschreiben in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu bemessen2. Nach vollständiger Erfüllung der Vertragsleistung durch eine Partei kann eine auf diesen Vertrag bezogene mündliche Gerichtsstandsvereinbarung jedoch nicht mehr schriftlich bestätigt werden3.

7.90

4. Vertragsschluss nach den Gepflogenheiten zwischen den Parteien a) Begriff der Gepflogenheit Nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO genügt neben der vollen und der halben Schriftform auch die Einhaltung der „Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind“. Damit soll die Rechtsprechung des EuGH, der bei laufenden Geschäftsbeziehungen zwischen den Vertragspartnern die Formanforderungen an Gerichtsstandsvereinbarungen tendenziell großzügig ausgelegt hatte (vgl. Rz. 7.85), auf eine klare gesetzliche Grundlage gestellt werden. Die Vorschrift ist daher im Lichte dieser EuGH-Rechtsprechung autonom auszulegen4; die Feststellung einer Gepflogenheit hängt somit nicht von dem auf den Vertrag anwendbaren Recht ab. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO führt jedoch nur zu einer Erweiterung der Formwirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen; aus der mangelnden Beachtung von zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten kann daher nicht die Unwirksamkeit einer nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel Ia-VO formgültigen Zuständigkeitsvereinbarung hergeleitet werden5.

7.91

Gepflogenheiten unterscheiden sich von Handelsbräuchen i.S.v. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO dadurch, dass sie nicht für ganze Geschäftszweige, sondern stets nur im Verhältnis zwischen den konkreten Vertragsparteien bestehen6. Für die Annahme einer laufenden Geschäftsbeziehung bzw. einer „Gepflogenheit“ bedarf es allerdings einer gewissen Häufigkeit von Vertragsschlüssen, denen jeweils die AGB mit der Gerichtsstandsklausel zugrunde gele-

7.92

1 Mankowski in Rauscher, Rz. 102; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 114; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 42, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO m.w.N.; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 49; a.A. (Unwirksamkeit der Vereinbarung) ital. Cass. v. 3.1.2007, unalex IT-227; Heiss, ZfRV 2002, 202 (207 ff.). 2 Vgl. Hau, IPRax 1999, 24 (25) unter Hinweis auf Art. 18 Abs. 2 CISG und Art. 2.7 der UNIDROIT-Principles of International Commercial Contracts; ähnlich Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 110; Mankowski in Rauscher, Rz. 102, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 44. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 2.10.1997 – 12 U 180–96, IPRax 1999, 38 (m. Anm. Hau, IPRax 1999, 24) (Erfordernis eines „engen zeitlichen Zusammenhangs“). 3 Staehelin, S. 52; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 110. 4 BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150 (m. Anm. Hau, IPRax 2005, 301); Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 30. 5 Frz. Cass. v. 4.11.2010, unalex FR-2126. 6 ÖOGH v. 14.3.2001 – 7 Ob 38/01s, unalex AT-176; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel IaVO Rz. 117a.

Hausmann | 1019

§ 7 Rz. 7.92 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

gen haben1. Eine einzige vorangegangene Bestellung reicht hierfür nicht aus2; ebenso wenig genügen einzelne isolierte Geschäfte, die zwischen den Parteien mit großem zeitlichen Abstand abgeschlossen worden sind3. Maßgebender Zeitpunkt für die Feststellung einer „Gepflogenheit“ ist nicht die Einreichung der Klage, sondern der Vertragsschluss, weil nur die bereits bei Vertragsschluss zwischen den Parteien bestehenden Usancen maßgebend sein können4. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO enthält auch keine Beschränkung auf Geschäfts- oder Handelsbeziehungen mehr; formerleichternde Gepflogenheiten können sich daher auch im rein privaten Bereich oder – in den Grenzen des Art. 19 Brüssel Ia-VO – bei Verbrauchergeschäften herausbilden5. Die Beweislast für eine bestehende Gepflogenheit obliegt derjenigen Partei, die sich hierauf beruft6. b) Beispiele

7.93

Durch Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO soll zum Ausdruck gebracht werden, dass eine Partei, die sich bei einem Geschäft nicht mehr an die Gepflogenheiten gebunden fühlt, die für die Geschäftsbeziehungen der Parteien über einen längeren Zeitraum gegolten haben, damit gegen die Gebote von Treu und Glauben verstoßen würde7. Praktische Bedeutung kommt den „Gepflogenheiten“ vor allem für die Einbeziehung von Gerichtsstandsklauseln in AGB zu. Denn haben die Parteien ihre Geschäftsbeziehungen in ihrer Gesamtheit den AGB einer Partei unterstellt, so kann auch das bloße Schweigen der anderen Partei oder ein mündlicher Vertragsschluss zur wirksamen Einbeziehung einer in diesen AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel genügen8.

7.94

Die deutsche Praxis hat es zwar weitergehend im kaufmännischen Verkehr zum Teil ausreichen lassen, dass eine Partei laufend Geschäfte auf der Grundlage von AGB abwickelt, die lediglich auf der Rückseite von erst nach Vertragsschluss übermittelten Rechnungen oder Lie1 Vgl. OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 (86) (jedenfalls drei vorangegangene Vertragsschlüsse reichen aus); ferner OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, RIW 1988, 555 (557); OLG Celle v. 2.3.1984 – 15 U 78/83, RIW 1985, 571 = IPRax 1985, 284 (m. Anm. Duintjer Tebbens, IPRax 1985, 262); Burgstaller JBl. 1998, 691 (692); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23. 2 Ital. Cass. v. 15.2.2005, unalex IT-187; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23. 3 Ital. Cass. S.U. v. 26.4.1995, Nr. 4625, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 302 (309) = unalex IT-80; OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282; Burgstaller, JBl. 1998, 691 (692); a.A. OLG Dresden v. 7.5.2009 – 10 U 1816/08, NJW-RR 2009, 129 (zwei vorangegangene geschäftliche Kontakte genügen); ebenso Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 106. 4 OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 (86), OLG Karlsruhe v. 28.5.2002 – 8 U 158/01, IPRspr. 2002 Nr. 131b; Hau, IPRax 2005, 301 (304); Hausmann in Staudinger, Rom I-VO/ IntVertrVerfR Rz. 455; Stadler in Musielak/Voit, Rz. 10; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 30, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; offen gelassen in BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJWRR 2005, 150 (152); a.A. noch LG Karlsruhe v. 1.6.2001 – O 22/00 KfH I, RIW 2001, 702. 5 Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23. 6 ÖOGH v. 25.2.2009 – 3 Ob 24/09i, unalex AT-613. 7 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ/Nova), Slg. 1984, 2417 (2433) (Rz. 18) = RIW 1984, 909 m. Anm. Schlosser; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 105 m.w.N. 8 Vgl. EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1851 (1861) (Rz. 11); frz. Cass. v. 16.10.2001, unalex FR-42; ital. Cass. S.U. v. 11.6.2001, Nr. 7854, Riv.dir.int.priv.proc. 2002, 152 (156 f.) = unalex IT-8; OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, VersR 1999, 639; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 23.

1020 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.94 § 7

ferscheinen abgedruckt sind. Sofern der Vertragspartner diesen AGB nicht widerspreche, werde das Klauselwerk in seiner Gesamtheit, dh. einschließlich der Gerichtsstandsklausel Vertragsinhalt1. Demgegenüber setzt Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO nach zutreffender Interpretation der Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ und zur Brüssel I-VO voraus, dass die Parteien sich zumindest zu Beginn ihrer Geschäftsbeziehung einmal über die Geltung der Gerichtsstandsklausel ausdrücklich geeinigt haben müssen2. Nur wenn diese Einigung nachgewiesen wird, kann bezüglich der nachfolgenden Geschäfte auf die Feststellung eines erneuten Konsenses der Parteien verzichtet werden3. Gepflogenheiten können also nur die Form, nicht jedoch die Einigung ersetzen4. Die Einigung muss allerdings weder ausdrücklich noch schriftlich erfolgt sein, sondern kann sich auch konkludent aus einer über Jahre gleichförmig geübten Praxis des Vertragsschlusses und seiner Abwicklung ergeben5. Hat eine Partei der anderen hingegen auch über einen längeren Zeitraum stets nur Rechnungen mit rückseitig abgedruckten AGB übermittelt, so begründet die widerspruchslose Bezahlung dieser Rechnungen durch die Gegenpartei allein noch keine „Gepflogenheit“, die zur Einbeziehung der in den AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel in die geschlossenen Verträge führt, es sei denn der Verwender hat auf die Geltung der AGB deutlich hingewiesen6. Daran fehlt es aber, wenn die Gerichtsstandsklausel jeweils nur versteckt in der Fußzeile von Auftragsbestätigungen oder Rechnungen abgedruckt

1 So BGH v. 2.10.2002 – VIII ZR 163/01, ZIP 2003, 213 = RIW 2003, 220 (222); ebenso frz. Cass. v. 12.2.2002, unalex FR-31; App. Colmar v. 24.1.12006, unalex FR-412; dazu Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 93 m.w.N. 2 OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 (86 f.); OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10, IHR 2013, 155 (156) = IPRspr. 2011 Nr. 215; OLG Celle v. 24. 7. 2009 – 13 W 48/09, NJW-RR 2010, 136 (138); OLG Hamm v. 6.12.2005 – 19 U 120/05, IHR 2006, 84; Hau, IPRax 2005, 301 (304); Hausmann in Staudinger, Rom I-VO/IntVertrVerfR Rz. 278; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 74; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 14. 3 OLG Stuttgart v. 18.4.2011 – 5 U 199/10, IHR 2011, 236; OLG Zweibrücken v. 4.11.1983 – 4 U 221/82, IPRspr. 1983 Nr. 142; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 110. Die Einhaltung der Schriftform nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. a Brüssel I-VO ist freilich auch für diese Einigung bei Anbahnung der Geschäftsbeziehungen nicht erforderlich; a.A. ital. Cass. S.U. v. 26.4.1995, Nr. 4625, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 302 (307 ff.) = unalex IT-80, wo verlangt wird, dass die Gerichtsstandsvereinbarung „si riferisca ad operazioni successive a quelle in cui vi si è stata esplicita accettazione scritta“. 4 BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150 = IPRax 2005, 338 (m. Anm. Hau, IPRax 2005, 301); öOGH v. 14.3.2001 – 7 Ob 38/01s, unalex AT-176; Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83 (87); OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10, IPRspr. 2011 Nr. 215; Mankowski, RIW 2005, 561 (567). 5 OLG Stuttgart v. 5.11.2007 – 5 U 99/07, IPRax 2009, 64 (66 f.) (m. Anm. Hau, IPRax 2009, 44). Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 111. 6 BGH v. 6.7.2004 – X ZR 171/02, NJW-RR 2005, 150 = IPRax 2005, 338 (m. Anm. Hau, IPRax 2005, 301); BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700); OLG Hamm v. 6.12.2005 – 5 U 99/07, IHR 2006, 84; OLG Hamburg v. 25.5. 2018 – 8 U 51/17, IPRax 2019, 527 (m. Anm. Mayer, IPRax 2019, 496); OLG Düsseldorf v. 30.1.2004 – 23 U 70/03, IHR 2005, 108; OLG Hamburg v. 19.9.1984 – 5 U 56/84, RIW 1984, 916 = IPRax 1985, 281 (m. Anm. Samtleben, IPRax 1985, 261); öOGH v. 14.3.2001, unalex AT-176; frz. Cass. v. 18.1.2011, unalex FR-2180 und frz. Cass. v. 3.10.2006, unalex FR-297; Mankowski in Rauscher, Rz. 109; Gottwald in MünchKommm ZPO, Rz. 45; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 23, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 50. Ebenso zu Art. 17 LugÜ OG Basel v. 16.3.1999, BJM 2001, 15 (22 f.); a.A. offenbar BGH v. 2.1.2002 – VIII ZR 163/01, RIW 2003, 220 (222) = EuLF 2004, 130.

Hausmann | 1021

§ 7 Rz. 7.94 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

war1. Auch eine solche einseitige Bezugnahme reicht nicht aus, wenn nicht nachgewiesen werden kann, dass beide Parteien ihre Vertragsbeziehungen insgesamt den AGB unterstellen wollten und sie danach auch tatsächlich abgewickelt haben2. Maßgeblich ist also das Bestehen einer Vertragspraxis, die von einer grundsätzlichen Einigkeit der Parteien über die Geltung der Gerichtsstandsklausel für die in ihrer Geschäftsbeziehung abzuschließenden Geschäfte getragen ist und in der diese Einigkeit in der Folge mit einem hohen Maß an Beständigkeit über einen längeren Zeitraum hinweg ihren Ausdruck gefunden hat3. BGH v. 25.2.2004 – VIII ZR 119/03, EuLF 2004 I, 129 = IPRax 2005, 338 (m. Anm. Hau, IPRax 2005, 301). Wiederholter Abschluss von mündlichen Kaufverträgen und anschließende Überreichung von Rechnungen, die auf die rückseitig abgedruckten AGB des deutschen Verkäufers verwiesen, in denen ein deutscher Gerichtsstand bestimmt war, reichen für die Einhaltung der Form nach Art. 23 Abs. 1 S. 3 lit. b Brüssel Ia-VO nur aus, wenn nachgewiesen wird, dass die Vertragsbeziehungen tatsächlich nach diesen AGB abgewickelt wurden.

5. Vertragsschluss gemäß internationalen Handelsbräuchen a) Entstehungsgeschichte und Normzweck

7.95

Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO lässt schließlich auch solche Zuständigkeitsvereinbarungen zu, die „im internationalen Handel in einer Form“ geschlossen werden, „die einem Handelsbrauch entspricht, den die Parteien kannten sind oder kennen mussten“. Die Vorschrift ist auch auf Gerichtsstandsvereinbarungen anzuwenden, die vor In-Kraft-Treten der Brüssel IaVO geschlossen wurden, sofern die Verordnung nur im Zeitpunkt der Klageerhebung gegolten hat4. Einschränkungen sind nur bei einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach Abschluss der Vereinbarung anzuerkennen (vgl. Rz. 7.26 ff.). Die Auslegung dieser Sonderregel für den internationalen Handel wirft trotz gewisser Klarstellungen durch den EuGH noch immer zahlreiche Probleme auf5.

7.96

Entstehungsgeschichte und Zweck dieser Formalternative deuten darauf hin, dass mit ihr vor allem die restriktive Rechtsprechung des EuGH zum Tatbestandsmerkmal der „Vereinbarung“ korrigiert werden sollte. Das Erfordernis einer schriftlichen Bestätigung der in AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel (Rz. 7.87 ff.) ist dem internationalen Handel nicht immer zumutbar. Der Vertragsschluss muss vielmehr „aus Gründen der Kalkulation auf der Grundlage der momentan gegebenen Marktpreise rasch durch Auftragsbestätigung unter Einbeziehung von AGB möglich sein“6. Dieses Ziel bliebe aber unerreicht, wenn Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO als bloße Formvorschrift verstanden würde. Sachgerechter ist es deshalb, die Berücksichtigung der internationalen Handelsbräuche bereits auf die materielle Willenseini1 ÖOGH v. 3.4.2019 – 1 Ob 53/19d, unalex AT-1214. 2 BGH v. 25.2.2004 – VIII ZR 119/03, EuLF 2004 I, 129 = IPRax 2005, 338 (m. Anm. Hau, IPRax 2005, 301); OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/11, NJW 2013, 83; OLG Köln v. 19.10.2011 – 16 U 161/10, IPRspr. 2011 Nr. 215; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 74. 3 BGH v. 25.3.2015 – III ZR125/14, NJW 2015, 2584 (Rz. 58 f.). 4 So zu Art. 17 EuGVÜ OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (146); OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, RIW 1988, 555 (557); a.A. aus Gründen des Vertrauensschutzes Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 46 a.E. 5 Vgl. BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, IPRax 1992, 373 (m. Anm. Jayme, IPRax 1992, 357) = EuZW 1992, 514 m. Anm. Geimer; ferner Staehelin, S. 53 ff.; Stöve, S. 74 ff.; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (488 ff.); Girsberger, IPRax 2000, 87 ff. 6 Vgl. Schlosser-Bericht Nr. 174, 179, ABl. EG 1979 C 59, S. 1; J. Schmidt, RIW 1992, 173 (176).

1022 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.98 § 7

gung zu beziehen: Die internationalen Handelsbräuche entscheiden somit auch, welche Anforderungen an den – autonom auszulegenden (Rz. 7.41) – Begriff der „Vereinbarung“ zu stellen sind1. EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (940 f.) (Rz. 18) = NJW 1997, 1431 = RIW 1997, 415 m. Anm. Holl = IPRax 1999, 31 (m. Anm. Kubis, IPRax 1999, 10) „Diese Erleichterung betrifft nicht nur die Formerfordernisse des Art. 17 EuGVÜ“.

Durch diese Formerleichterung in Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO wird zwar nicht auf eine Willenseinigung der Parteien über den Gerichtsstand verzichtet; denn die schwächere Vertragspartei soll auch in diesem Fall davor geschützt werden, dass die Gerichtsstandsklausel unbemerkt Eingang in den Vertrag findet2. Besteht aber in dem jeweiligen Geschäftszweig des internationalen Handelsverkehrs ein das Zustandekommen von Gerichtsstandsvereinbarungen betreffender Handelsbrauch, der den Parteien bekannt ist oder als ihnen bekannt gelten muss, so wird die nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO erforderliche Einigung der Vertragsparteien über den Gerichtsstand widerleglich vermutet3.

7.97

b) Handelsbrauch Die Formerleichterung nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO setzt zunächst voraus, dass die Art und Weise des Zustandekommens der Gerichtsstandsvereinbarung einem Handelsbrauch entsprochen hat. Ob ein solcher Handelsbrauch besteht, ist nicht nach dem nationalen Recht der lex fori oder der lex causae zu bestimmen. Der in der deutschen Fassung verwendete Begriff „Handelsbrauch“ darf daher von einem deutschen Gericht nicht im technischen Sinne des deutschen Rechts (§ 346 HGB) verstanden werden, sondern ist autonom zu auszulegen4. Insoweit kommt es allein auf die faktische Gebräuchlichkeit einer bestimmten Form an, nicht auf die formelle Kaufmannseigenschaft der Parteien nach nationalem Recht5. Nationales Recht kann auch nicht herangezogen werden, um einen bestehenden Handelsbrauch zu verdrängen oder einzuschränken (vgl. dazu schon Rz. 7.64). 1 Ebenso EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 19 ff.); ferner Kropholler/Pfeifer, FS Nagel (1987), S. 157 (162 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 27 a.E.; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 46; Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (288 ff.); Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (143 ff.); Killias, S. 200 ff.; a.A. Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 24b; Staehelin, S. 33 ff. 2 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (Rz. 17) = ZIP 1997, 475. 3 EuGH v. 20.2.1997 (vorige Fn.), Rz. 19; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 19 ff.); Saenger, ZZP 110 (1997), 488 ff. 4 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (Rz. 23) = ZIP 1997, 475; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 25); HandelsG Zürich v. 9.1.1996, SZIER 1997, 373 (381) = unalex CH-382; Kropholler, RIW 1986, 929 (931); Schlosser, RIW 1984, 911 (913); Kohler, IPRax 1987, 201 (204); Schütze, DZWiR 1992, 89 (91); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (491); Staehelin, S. 60 f.; Girsberger, IPRax 2000, 87 (90); Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (151 ff.); a.A. Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (292 f.). 5 OLG Hamburg v. 30.7.1992 – 6 U 7/92, TranspR 1993, 25 (27); OLG Celle v. 1.11.1995 – 2 U 145/ 92, IPRax 1997, 417 (418); frz. Cass. civ. v. 11.2.1997, J.C.P. 1997.IV.747 = Clunet 1998, 138 m. Anm. Huet = unalex FR-135; Schlosser, RIW 1984, 911 (913); Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (292); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (485); Stöve, S. 36 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel IVO Rz. 54; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 24.

Hausmann | 1023

7.98

§ 7 Rz. 7.98 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1557 (1608 ff.) (Rz. 35 f.) = IPRax 2000, 119 (m. Anm. Girsberger, IPRax 2000, 87) = ZEuP 2000, 656 m. Anm. Saenger Ein Handelsbrauch im internationalen Seetransportrecht zur Einbeziehung von Gerichtsstandsklauseln in Konnossemente ist auch dann zu beachten, wenn er von zwingenden Vorschriften des nationalen Rechts – z.B. von Art. 1341 ital. c.c., der eine gesonderte Abzeichnung von „lästigen“ Klauseln erfordert – abweicht.

7.99

Die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) gelten im internationalen Rechtsverkehr nicht als Handelsbrauch. Die Gerichtsstandsklausel in Ziff. 30.2 ADSp. wird daher nur nach Maßgabe der Grundsätze über die Einbeziehung von AGB nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. a oder b Brüssel Ia-VO Vertragsinhalt1. Demgegenüber entspricht eine auf der Rückseite eines Frachtscheins für einen multi-modalen Transport abgedruckte Gerichtsstandsklausel internationalem Handelsbrauch, selbst wenn sie nur vom Beförderer unterzeichet wurde2.

7.100

Die Existenz eines Handelsbrauchs kann auch nicht für den internationalen Handelsverkehr generell festgestellt werden, sondern nur für den Geschäftszweig, in dem die Vertragsparteien tätig sind3. Demgemäß verlangt Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO, dass diesen Handelsbrauch „Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig“ allgemein kennen und regelmäßig beachten“4; ausschlaggebend ist mithin – ebenso wie nach Art. 9 Abs. 2 CISG – eine tatsächliche ständige Übung in dem jeweiligen Verkehrskreis5. Deren Feststellung obliegt dem angerufenen nationalen Gericht6; dieses hat insbesondere zu ermitteln, ob die äußere Gestaltung der Gerichtsstandsklausel, ihre Aufnahme in einen vom Vertragspartner des Verwenders nicht unterzeichneten Vordruck sowie die Abfassung in einer bestimmten Sprache dem in dem betreffenden Geschäftszweig bestehenden internationalen Handelsbrauch entspricht7.

7.101

Der Nachweis eines entsprechenden Handelsbrauchs obliegt zwar grundsätzlich derjenigen Partei, die sich auf ihn beruft8. Das angerufene deutsche Gericht hat jedoch der Behauptung einer Partei, eine bestimmte Form der Gerichtsstandsvereinbarung entspreche unter Kaufleuten in dem betreffenden Geschäftszweig des internationalen Handelsverkehrs einem Handelsbrauch i.S.v. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO im Rahmen der von Amts wegen durchzuführenden

1 OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRax 2000, 121 (122) (m. Anm. Haubold, IPRax 2000, 91); Gottwald in MünchKomm-ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 32. Zur Einbeziehung der ADSp in den Vertrag näher Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I-VO Rz. 87a, b. 2 Ital. Cass 7.9.2016, unalex IT-763. 3 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419 Rz. 45 m. Anm. Müller; EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (Rz. 23) = ZIP 1997, 475; dazu näher Stöve, S. 51 ff.; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (154); Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 119b; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 119, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 4 EuGH v. 20.2.1997 (vorige Fn.), Rz. 23; EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 27); BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rz. 33 (m. Anm. G. Roth, IPRax 2019, 397). 5 OLG Celle v. 1.11.1995 – 2 U 145/92, IPRax 1997, 417 (418 f.). 6 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 23); krit. dazu Haß, EuZW 1999, 444 (445); Girsberger, IPRax 2000, 87 (89). 7 EuGH v. 16.3.1999 (vorige Fn.), Rz. 36. 8 ÖOGH v. 3.4.2019 – 1 Ob 53/19d, unalex AT-1214 und öOGH v. 24.1.2018 – 7 Ob 183/17p, unalex AT-1150; frz. Cass v. 8. 4. 2009, unalex FR-1050; ital. Cass 15. 2. 2005, unalex IT-187; OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U 86/95, IPRax 1997, 420 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 119.

1024 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.102 § 7

Prüfung der internationalen Zuständigkeit grundsätzlich nachzugehen; es ist dabei von Beweisanträgen unabhängig und kann im Wege des Freibeweises vorgehen1. Der Nachweis wird erleichtert, wenn Vordrucke von Formularen oder AGB, in denen die Gerichtsstandsklausel enthalten ist, von Fachverbänden oder -organisationen eines bestimmten Geschäftszweigs für ihre Mitglieder bereitgehalten werden; eine bestimmte Form der Publizität des Handelsbrauchs wird jedoch nicht verlangt2. Ein Verhalten, das die Merkmale eines Handelsbrauchs erfüllt, verliert diese Eigenschaft auch nicht allein dadurch, dass es von Angehörigen des betreffenden Geschäftszweigs – z.B. durch Anrufung anderer als der vereinbarten Gerichte – in Frage gestellt wird3. c) Internationaler Handel Der Brauch muss sich im internationalen Handel, d.h. zumindest auch bei grenzüberschreitenden Transaktionen, entwickelt haben4. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass ein solcher Handelsbrauch in bestimmten Ländern, insbesondere nicht in allen oder den meisten Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO besteht5. Es muss vielmehr genügen, dass der Handelsbrauch in den für die jeweilige Branche wichtigen Staaten existiert6. Gelten in den Sitzstaaten der Vertragsparteien unterschiedliche Bräuche für das Zustandekommen von Gerichtsstandsvereinbarungen, so müssen diese nicht kumulativ beachtet werden. Es reicht vielmehr aus, wenn ein entsprechender Handelsbrauch am (Wohn-)Sitz einer der Vertragsparteien für internationale Geschäfte besteht (vgl. auch Rz. 7.108)7. Für die Beachtlichkeit eines nationalen oder lokalen Brauchs ist aber dessen Anerkennung durch eine größere Zahl ausländischer Marktteilnehmer erforderlich8. Der Schutz der anderen Vertragspartei wird dadurch gewährleistet, dass sie diesen Handelsbrauch nur dann gegen sich gelten lassen muss, wenn er branchenüblich ist und sie ihn deshalb zumindest kennen musste (vgl. dazu Rz. 7.107 f.)9. Auch die Frage, ob ein Vertrag dem internationalen Handelsverkehr zuzuordnen ist, hat nicht der EuGH, sondern – als Tatfrage – das angerufene nationale Gericht zu entscheiden10. Dies trifft etwa für die Rheinschifffahrt11 und den Seehandel12 ohne Weiteres zu. 1 BGH v. 26.4.2018 – VII ZR 139/17, NJW 2019, 76 Rz. 34 (m. Anm. G. Roth, IPRax 2019, 397). 2 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 28, 44). 3 EuGH v. 16.3.1999 (vorige Fn.) Rz. 29; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 56. 4 Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (152 f.); Mankowski in Rauscher, Rz. 118; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 119a, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; ähnlich schon Stöve, S. 64 ff. 5 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 27); Girsberger, IPRax 2000, 87 (89); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 55. 6 Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (154); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 24a. 7 Vgl. OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182; Kohler, Dir.com.int. 1990, 620; Stöve, S. 66 ff.; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 124; a.A. (Geltung des Brauchs in den Wohnsitzstaaten der Parteien nicht erforderlich) Huber, ZZP Int. 2 (1997), 168 (173); Saenger, ZEuP 2000, 656 (673); Mankowski in Rauscher, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 118. 8 Holl, RIW 1997, 417; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (492). 9 Trunk, S. 48; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (154); Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 16. 10 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (Rz. 21); Huber, ZZPInt. 2 (1997), 168 (173); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 118; a.A. (Anwendung von § 293 ZPO) Vestmann, JZ 1993, 285; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 18. 11 EuGH v. 20.2.1997 (vorige Fn.), Rz. 22. 12 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1557 (Rz. 23 f.).

Hausmann | 1025

7.102

§ 7 Rz. 7.103 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

d) Beispiele

7.103

In diesem Sinne entspricht es zwar internationalem Handelsbrauch, dass Kaufleute bei Geschäften mit ausländischen Vertragspartnern AGB verwenden, die Gerichtsstandsklauseln zugunsten des Wohnsitzgerichts des Verwenders enthalten1. Wird in diesem Fall ausdrücklich im Vertragsangebot auf die AGB hingewiesen, so werden diese (einschließlich der Gerichtsstandsklausel) durch die pauschale Annahme des Angebots kraft internationalen Handelsbrauchs Vertragsinhalt2. Dies gilt – wie Ziff. 30.2 ADSp 1999 zeigt – insbesondere auch für international arbeitende Spediteure3. Allerdings besteht kein Handelsbrauch dahin, dass die einem Vertragsangebot beigefügten oder auf der Rückseite von Warenbestellungen abgedruckten AGB, die eine Gerichtsstandsklausel enthalten, vom Empfänger durch schlüssiges Verhalten oder bloßes Schweigen angenommen werden4. Ebenso wenig entspricht es internationalem Handelsbrauch, dass allein das Einverständnis mit der Geltung der AGB des Offerenten zur Einbeziehung einer in diesen AGB enthaltenen Gerichtsstandsklausel führt, wenn die AGB dem Empfänger im Zeitpunkt seiner Einverständniserklärung nicht vorgelegen haben5.

7.104

Hingegen gilt in den meisten Branchen das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben kraft internationalen Handelsbrauchs als Zustimmung zu einer darin (bzw. in den in Bezug genommenen AGB) enthaltenen Gerichtsstandsklausel6. Festgestellt wurde ein solcher Handelsbrauch ausdrücklich auf dem Gebiet der Rheinschifffahrt7; er dürfte aber auch sonst im internationalen Handel weit verbreitet sein8. Allerdings kennen die Rechte eini-

1 LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW 1992, 227 f.; LG Münster v. 25.1.1991 – 23 O 141/90, RIW 1992, 230; App. Paris v. 30.11. und v. 14.12.1988, D. 1989 I. R. 11 und 32 = unalex FR-1118; dazu Bericht Huet, Clunet 1990, 159; einschränkend OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/07, IHR 2008, 112 (117). 2 Supreme Court (Irland) v. 12.5.2005 (Leo Laboratories/Crompton BV), unalex IE-10; vgl. auch LG Hamburg v. 3.9.2018 – 419 HKO 103/17, BeckRS 2018, 50297 (Rz. 11). 3 Vgl. OLG Düsseldorf v. 21.6.1990 – 18 U 59/90, RIW 1990, 752; OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRax 2000, 121 (m. Anm. Haubold, IPRax 2000, 91); OLG Hamburg v. 11.1.2001 – 6 U 72/00, TranspR 2001, 300. 4 OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRax 2000, 121; OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U 86/95, IPRax 1997, 419 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405); LG Duisburg v. 17.4.1996 – 45 (19) O 80/94, RIW 1996, 774; ebenso ital. Cass. S.U. v. 29.1.2002, Nr. 1150, Riv.dir.int.priv.proc. 2002, 701 (706 ff.) = unalex IT-15. 5 OLG Celle v. 24.7.2009 – 13 W 48/09, RIW 2010, 164; OLG Oldenburg v. 20.12.2007 – 8 U 138/ 07, IHR 2008, 112 (117); OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, RIW 2001, 63 (65) = IPRspr. 2000 Nr. 119. 6 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (Rz. 20, 25); BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37–94, RIW 1997, 871 = IPRax 1999, 34 (m. Anm. Kubis, IPRax 1999, 10); ital. Cass. v. 5.9.1989, unalex IT-43; Supremo Tribunal de Justica v. 8.10.2009, unalex PT-106. 7 BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37/94, RIW 1997, 871; OLG Nürnberg v. 30.7.1998 – 8 U 3905/92, TranspR 1998, 414. 8 Vgl. OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182; LG Münster v. 25.1.1991 – 23 O 141/90, RIW 1992, 230; zust. die ganz h.L., vgl. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 61; Mankowski in Rauscher, Rz. 122; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 121; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 49, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Rauscher, ZZP 104 (1991), 289 ff.; Holl, RIW 1997, 418; Stöve, S. 146; Killias, S. 189; Staehelin, S. 94 ff.; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (490 f.); zweifelnd Kohler, IPRax 1983, 265 (270); M. J. Schmidt, RIW 1992, 173 (178 f.); einschränkend auch Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 27, der zusätzlich verlangt, dass auch das Vertragsabschlussstatut eine Bindung annimmt.

1026 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.106 § 7

ger Mitgliedstaaten einen solchen Handelsbrauch nicht1, was namentlich in Bezug auf das subjektive Element der Kenntnis des Handelsbrauchs Bedeutung erlangen kann. Ein Rückgriff auf die lex causae ist allerdings auch insoweit unzulässig. Demgegenüber führt der mangelnde Widerspruch des Empfängers einer schriftlichen Auftragsbestätigung gegen die erstmals in ihr – oder in den ihr beigefügten AGB – enthaltene Gerichtsstandsklausel auch nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO nicht zu ihrer Einbeziehung in den Vertrag, weil ein entsprechender Handelsbrauch nicht besteht2. Auf die abweichende Haltung des deutschen materiellen Rechts3 kommt es im europäischen Prozessrecht nicht an4. Ebensowenig begründet die bloße Durchführung des Vertrages durch den Verkäufer sein stillschweigendes Einverständnis mit einer in den AGB des Käufers enthaltenen Gerichtsstandsklausel, die dieser seiner Bestellung beigefügt hatte5. Auch dürfte sich für die meisten Branchen kein internationaler Handelsbrauch dahin feststellen lassen, dass schon die widerspruchslose Bezahlung von Rechnungen als Einverständnis mit der erstmals auf den Rechnungsformularen aufgedruckten Gerichtsstandsklausel gewertet werden kann6. Dies schließt freilich die Feststellung eines solchen Handelsbrauchs für einzelne Geschäftszweige, z.B. die Binnenschifffahrt7, nicht aus.

7.105

Die Aufnahme einer Gerichtsstandsklausel in einen Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen kann als eine internationalem Handelsbrauch entsprechende Form i.S.v. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO angesehen werden, die es ermöglicht, die Zustimmung der Person zu vermuten, der die Klausel entgegengehalten werden soll. Dies gilt, sofern nachgewiesen wird, dass zum einen die im betreffenden Geschäftszweig tätigen Wirtschaftsteilnehmer beim Abschluss derartiger Verträge allgemein und regelmäßig ein solches Verhalten zeigen und zum anderen entweder die Parteien zuvor untereinander oder mit anderen im betreffenden Geschäftszweig tätigen Parteien regelmäßige Handelsbeziehungen unterhielten oder das in Rede stehende Verhalten hinreichend bekannt ist, um als ständige Übung angesehen werden zu können8. Auch dürfte es internationalem Handelsbrauch entsprechen, dass Kreditgeber, die in

7.106

1 Vgl. BGH v. 26.3.1992 – VII ZR 258/91, MDR 1992, 996 (England). 2 BGH v. 9.3.1994 – VIII ZR 185/92, NJW 1994, 2699 (2700); OLG Karlsruhe v. 15.1.2009 – 4 U 72/ 07, ZIP 2009, 1444 = NJOZ 2009, 2282; OLG Dresden v. 24.11.1998 – 14 U 713/98, IPRax 2000, 121 (m. Anm. Haubold, IPRax 2000, 91); Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 26; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 48, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Ebenso für widerspruchslose Entgegennahme eines Bestellscheins mit aufgedruckter Gerichtsstandsklausel LG Duisburg v. 17.4.1996 – 45 (19) O 80/94, RIW 1996, 774. 3 Vgl. Busche in MünchKomm, § 150 BGB Rz. 12. 4 Koch, IPRax 1997, 405 (406). 5 OLG Hamburg v. 8.3.1996 – 14 U 86/95, IPRax 1997, 419 (420) (m. zust. Anm. Koch, IPRax 1997, 406). 6 ÖOGH v. 8.9.2009 – 1 Ob 146/09s, unalex AT-647; OLG Frankfurt a.M. v. 21.3.2003 – 24 U 241/ 98, NJOZ 2003, 942 (Viehkauf); OG Basel v. 16.3.1999, BJM 2001, 15 (23 f.); Mankowski, EWiR 1995, 577 (578); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (491); Staehelin, S. 122 ff.; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 122; einen solchen Handelsbrauch für möglich halten demgegenüber EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (Rz. 20, 24); BGH v. 16.6.1997 – II ZR 37/94, RIW 1997, 871 = WiB 1997, 1104 m. Anm. Gaus; Stöve, S. 171 ff.; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 31; Schlosser in Schlosser/Hess Rz. 24b; Gottwald in MünchKomm-ZPO, Rz. 50 f., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 7 OLG Nürnberg v. 30.7.1998 – 8 U 3905/92, TranspR 1998, 414. 8 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419 Rz. 38 ff., 51 m. Anm. Müller.

Hausmann | 1027

§ 7 Rz. 7.106 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

einer schriftlichen Patronatserklärung typischerweise enthaltene Gerichtsstandsklausel allein durch schlüssiges Verhalten – nämlich die Darlehensgewährung – annehmen1. Hingegen kann die englische Praxis, wonach aus einer Rechtswahl für die Hauptsache i.d.R. auf eine ergänzende Gerichtsstandsvereinbarung geschlossen wird, nicht als internationaler Handelsbrauch anerkannt werden2. e) Kenntnis der Parteien

7.107

Auch die Beobachtung einer im internationalen Handelsverkehr gebräuchlichen Form führt nur dann zur Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO, wenn die Parteien den betreffenden Handelsbrauch „kannten oder kennen mussten“ und wenn „Parteien von Verträgen dieser Art in dem betreffenden Geschäftszweig [ihn] allgemein kennen und regelmäßig beachten“. Damit knüpft die Brüssel Ia-VO an die Formulierung in Art. 9 Abs. 2 CISG an; dessen Auslegung in der Praxis der Vertragsstaaten3 kann daher auch eine Hilfestellung zum richtigen Verständnis von Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO bieten4. Von der erforderlichen Kenntnis eines Handelsbrauchs, deren Vorliegen das angerufene nationale Gericht festzustellen hat5, ist danach jedenfalls ohne Weiteres auszugehen, wenn die Vertragsparteien „untereinander oder mit anderen in dem betreffenden Geschäftszweig tätigen Vertragspartnern schon früher Geschäftsbeziehungen angeknüpft hatten“. Ist dies nicht der Fall, so wird die Kenntnis jedenfalls widerleglich vermutet, „wenn in diesem Geschäftszweig ein bestimmtes Verhalten bei Abschluss einer bestimmten Art von Verträgen allgemein und regelmäßig befolgt wird und daher hinreichend bekannt ist, um als ständige Übung angesehen werden zu können“6; dies bedeutet, dass eine Partei i.d.R. dann nicht mehr damit gehört wird, dass sie diesen Handelsbrauch nicht kannte7.

7.108

Auch diese subjektive Voraussetzung ist von derjenigen Partei zu beweisen, die sich auf das Bestehen eines solchen Handelsbrauchs beruft8. Eine Kenntnis der Parteien von dem Handelsbrauch ist regelmäßig anzunehmen, wenn ein entsprechender internationaler Handelsbrauch in den Wohnsitzstaaten beider Parteien anerkannt ist. Darüber hinaus dürfte es aber auch ausreichen, dass ein solcher Handelsbrauch nur im Wohnsitzstaat derjenigen Partei besteht, der die Zuständigkeitsvereinbarung entgegengehalten werden soll, sofern ihn auch die andere Partei gekannt hat9. Dies wird man beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben dann annehmen dürfen, wenn der Empfänger nach seinem Aufenthaltsrecht (zur

1 Haß, IPRax 2000, 494 (496). 2 Schlosser-Bericht, Rz. 175; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 47; a.A. Volken, SchwJbIntR 1987, 97 (109). 3 Vgl. dazu Magnus in Staudinger, Art. 9 CISG Rz. 20 ff. 4 Jenard-Möller-Bericht S. 76 f., Nr. 58 ABl. EG 1990 Nr. C 189, S. 57; Almeida Cruz/Desantes Real/ Jenard-Bericht S. 47, Nr. 26 ABl. EG 1979 Nr. C 59, S. 1. Die Ermittlung der Branchenüblichkeit ist im Wesentlichen Tatfrage; dazu Droz, Rev.crit.d.i.p. 1989, 1/22 ff.; Jayme/Kohler, IPRax 1989, 337 (339). 5 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (Rz. 21). 6 EuGH v. 20.2.1997 (vorige Fn,), Rz. 24 f.; dazu Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (490); Kubis, IPRax 1999, 10 (13). 7 Supreme Court (Irland) v. 1.7.2009 – O’Connor/Masterwood, unalex IE-42. 8 ÖOGH v. 22.1.2020 – 7 Ob 150/19p, unalex AT-1252. 9 OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182 (2183); Holl/Kessler, RIW 1995, 457 (459); Holl, RIW 1997, 417 (418); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 49.

1028 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.110 § 7

Sonderanknüpfung des Schweigens näher Rz. 3.7 ff.)1 damit rechnen musste, dass sein Schweigen als Einverständnis mit einer in dem Bestätigungsschreiben enthaltenen Gerichtsstandsklausel angesehen wird2. Dies ist für das deutsche Recht zu bejahen3, hingegen nach englischem4 und italienischem Recht5 zu verneinen. Die Übersendung einer nicht in der Verhandlungssprache abgefassten „Ladevereinbarung“ durch den Hauptfrachtführer ohne deutlichen Hinweis auf die darin enthaltene Vereinbarung eines Gerichtsstands an dessen Sitz reicht nicht dafür aus, dass der Empfänger einen diesbezüglichen Handelsbrauch kennen musste6. Die Unterhaltung langjähriger Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien kann aber dazu führen, dass der Empfänger des Bestätigungsschreibens sich auch die Kenntnis eines Handelsbrauchs zurechnen lassen muss, der nur im (Wohn-)Sitzstaat seines Vertragspartners gilt7. Das bloße Bestehen eines entsprechenden Handelsbrauchs nach dem auf die Vertragsbeziehungen anwendbaren Recht (lex causae) reicht hingegen – schon im Hinblick auf Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO (dazu Rz. 3.7 ff.) – nicht aus8. Wird der Vertrag durch einen Vertreter geschlossen, so hat sich der Empfänger die Kenntnis seines Vertreters nach Maßgabe des jeweiligen Vertragsstatuts zurechnen zu lassen (näher Rz. 6.438 f.)9. Ist Rechtsnachfolge eingetreten, so kommt es auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen der ursprünglichen Parteien an10.

7.109

f) Konnossement Da das Konnossement i.d.R. einseitig vom Verfrachter ausgestellt wird, wurden darin enthaltene Gerichtsstandsklauseln unter der Geltung des Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ 1968 teilweise schon im Verhältnis zwischen Verfrachter und Befrachter als formnichtig bewertet11. Auch der EuGH hatte Formerleichterungen für Gerichtsstandsvereinbarungen in Konnossementen unter Geltung des EuGVÜ 1968 abgelehnt, weil sonst nicht gewährleistet sei, dass die Parteien sich tatsächlich über den Gerichtsstand geeinigt hätten. Wurde das Konnossement also – wie üblich – nur vom Verfrachter oder von dessen Hilfspersonen, nicht aber vom Konnossementsberechtigten unterschrieben, so war die Schriftform i.S.v. Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ 1968 nicht

1 Ferner Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 43 ff. 2 So OLG Köln v. 16.3.1988 – 24 U 182/87, NJW 1988, 2182 (2183); OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 – 16 U 77/88, RIW 1990, 577 = NJW-RR 1989, 1330; Stöve, S. 121 ff.; Kröll, ZZP 113 (2000), 135 (156 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 61. 3 Vgl. Hausmann in Staudinger, Art. 10 Rom I Rz. 105 m.w.N. 4 Ebenroth, Kaufmännisches Bestätigungsschreiben im internationalen Rechtsverkehr, ZVglRW 77 (1978), 161 (164 ff.). 5 Vgl. OLG Köln v. 16.3.1988 und OLG Düsseldorf v. 6.1.1989 (jeweils Fn. 439); zur Rechtslage in weiteren Mitgliedstaaten vgl. Ebenroth, ZVglRWiss 77 (1978), 161 (164 ff.). 6 ÖOGH v. 22.1.2020 – 7 Ob 150/19p, unalex AT-1252. 7 LG Münster v. 25.1.1991 – 23 O 141/90, RIW 1992, 230; a.A. M.J. Schmidt, RIW 1992, 173 (177 f.); einschränkend auch von Westphalen, NJW 1994, 2113 (2119). 8 EuGH v. 20.2.1997 – C-106/95, ECLI:EU:C:1997:70 (MSG/Les Gravières Rhénanes), Slg. 1997 I, 932 (Rz. 23); Holl, RIW 1997, 417; a.A. Rauscher, ZZP 104 (1991), 271 (292). 9 Vgl. High Court (Q.B.Div.) v. 15.12.2004 (Standard Steamship/GIE Vision Bail), (2005) 1 All E. R.618 (633 f.) = unalex UK-169; a.A. (Vollmachtstatut) LG Essen v. 12.12.1990 – 41 O 122/89, RIW 1992, 227 (230); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 120. 10 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 42). 11 OLG Düsseldorf v. 20.11.1975 – 18 U 44/75, RIW 1976, 297; ebenso ital. Cass. v. 17.2.1992, unalex IT-69.

Hausmann | 1029

7.110

§ 7 Rz. 7.110 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

eingehalten1 .Etwas anderes galt nur, wenn das Konnossement im Rahmen laufender Geschäftsbeziehnungen zwischen Verfrachter und Befrachter ausgestellt worden war2.

7.111

Unter der Geltung von Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO entspricht die in einem einseitig vom Verfrachter ausgestellten Konnossement enthaltene Gerichtsstandsklausel jedoch einem internationalen Handelsbrauch, der jedem am Seehandelsverkehr Beteiligten bekannt sein muss. Im Verhältnis zwischen Verfrachter und erstem Konnossementsberechtigten (Befrachter) erfüllt diese Gerichtsstandsklausel daher stets die Voraussetzungen des Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO3. Dies gilt allerdings nur dann, wenn die Gerichtsstandsklausel auch tatsächlich auf dem Konnossement abgedruckt ist; die bloße Verweisung im Konnossement auf nicht beigefügte AGB (z.B. in einer Charterparty), die erst die Gerichtsstandsklausel enthalten, reicht – vorbehaltlich einer abweichenden Gepflogenheit im Einzelfall – insoweit nicht aus4. Zur Drittwirkung im Verhältnis zum Konnossementsempfänger Rz. 7.138 ff.

V. Zulässigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung 1. Hinreichende Bestimmtheit a) Bestimmtes Rechtsverhältnis

7.112

Nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO muss sich die Zuständigkeitsvereinbarung auf eine bereits entstandene oder auf eine „künftige, aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit“ beziehen. Durch dieses Erfordernis soll „die Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung auf die Rechtsstreitigkeiten eingeschränkt werden, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde“5. Vor allem soll verhindert werden, dass die wirtschaftlich stärkere Vertragspartei der schwächeren mit einer einzigen umfassenden Klausel (sog. „catch-all-clause“) auch für Streitigkeiten aus

1 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ/Nova), Slg. 1984, 2417 (2433 f.) (Rz. 16) = RIW 1984, 909 m. Anm. Schlosser = IPRax 1985, 152 (m. Anm. Basedow, IPRax 1985, 133). Vgl. dazu Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 109 m.w.N. 2 Vgl. dazu näher Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 249 ff. m. ausf. Nachw. 3 Vgl. BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BGHZ 171, 141 Rz. 26 = NJW 2007, 2036 (2037 f.); OLG Stuttgart v. 23.12.2003 – 3 U 147/03, TranspR 2004, 406 m. Anm. Herber; OLG Hamburg v. 30.7.1992 – 6 U 7/92, TranspR 1993, 25; öOGH v. 8.7.2009 – 7 Ob 18/09m, unalex AT-632; frz. Cass. v. 23.9.2014, unalex FR-2398; frz. Cass. v. 23.9.2014, unalex FR-2398 und v. 19.11.2013, unalex FR-1475; ital. Cass. v. 17.1.2005, unalex IT-278; Schack, Rz. 535; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 62; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 28; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 52; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 122, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; ferner Stöve, S. 169; Staehelin, S. 85 ff.; Rabe, TranspR 2000, 389 (393); Girsberger, IPRax 2000, 87 (89) (lex mercatoria); Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 274 f.; Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 119 m. ausf. Nachw. 4 Frz. Cass. v. 27.6.1995, unalex FR-263; OLG Köln v. 27.2.1998 – 3 U 176/96, TranspR 1999, 454 (456); Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 28; Mankowski in Rauscher, Rz. 123, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; a.A. OLG Celle v. 1.11.1995 – 2 U 145/92, IPRax 1997, 417 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405). 5 EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 (Apple Sales International), NJW 2019, 349 (Rz. 22); EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1745 (1777 f.) (Rz. 30 ff.) = NJW 1992, 1671 = IPRax 1993, 32 (m. Anm. Koch, IPRax 1993, 19); vgl. dazu den Vorlagebeschluss des OLG Koblenz v. 1.6.1989 – 6 U 1946/87, RIW 1989, 739 = EWiR 1989, 885 m. Anm. Geimer.

1030 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.114 § 7

noch nicht voraussehbaren künftigen Verträgen einen Gerichtsstand aufzwingt1. Soll die Gerichtsstandsklausel daher nicht nur für den Vertrag gelten, in dem sie selbst enthalten ist, so muss zumindest das Rechtsverhältnis, auf das sie sich bezieht, im Zeitpunkt der Einigung über die Zuständigkeit nach Art und Gegenstand bereits hinreichend bestimmbar sein. Daher bindet die in AGB des Herstellers enthaltene Gerichtsstandsklausel für die einzelnen Kaufverträge den Vertragshändler nicht bei Streitigkeiten aus dem Rahmenvertrag mit dem Hersteller2. Ferner erfasst eine Klausel, die sich nur in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen bezieht, nicht einen Rechtsstreit, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seiner Beteiligung an einem rechtswidrigen Kartell belangt wird, weil dem geschädigten Unternehmen diese Beteiligung im Zeitpunkt seiner Zustimmung zur Gerichtsstandsklausel nicht bekannt war und deshalb nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Kartellverstoß auf den Vertragsverhältnissen beruht3. Etwas anderes gilt nur, wenn die Parteien die Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung auch auf solche Ansprüche ausdehnen wollten; dies kann auch stillschweigend geschehen und kann sich auch auf künftige Vorsatztaten beziehen4. An die Bestimmtheit der erfassten Rechtsverhältnisse sind jedoch keine überzogenen Anforderungen zu stellen. Es genügt daher, wenn nach dem Inhalt der Gerichtsstandsklausel der Wille der Parteien feststeht, für möglichst alle Ansprüche aus einem Rechtsverhältnis eine Gerichtsstandskonzentration zu erzwingen; erfasst werden daher auch Ansprüche, die erst nach Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung zur Entstehung gelangen5. Die in internationalen Verträgen häufig verwandte Formulierung, wonach sich die Gerichtsstandsklausel auf „all claims and disputes arising out of or in connection with this contract“ beziehen soll, ist daher bestimmt genug6.

7.113

Ebenfalls ausreichend ist es, wenn sich die Gerichtsstandsvereinbarung auf Verträge bezieht, die im Rahmen laufender Geschäftsbeziehungen auf der Grundlage eines Rahmenvertrages – etwa mit einem Vertragshändler – zustande kommen7. Die Gerichtsstandsvereinbarung kann in diesem Falle auch auf Geschäfte zur Förderung der Kreditfähigkeit des Vertragshändlers

7.114

1 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 69; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel IaVO Rz. 158b; Heinig S. 168 f. 2 Frz. Cass. v. 29.10.1985, unalex FR-175; s.a. OLG Bamberg v. 24.4.2013 – 3 U 198/12, IPRax 2015, 154 (Rz. 44 ff.) (m. Anm. Wais, IPRax 2015, 127). 3 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584 (Rz. 68) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt = IPRax 2016, 36 (m. Anm. W. H. Roth, IPRax 2016, 318); dazu G. Wagner, ZVglRW 114 (2015), 494 (505); Heinze, FS Ahrens (2016), S. 521 (526); Weitbrecht, SchiedsVZ 2018, 159. 4 EuGH v. 21.5.2015 (vorige Fn.), Rz. 71. 5 BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 Rz. 32 f. 6 Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 165. Vgl. auch EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9344) (Rz. 14 f.) = NJW 2001, 501: Die Formulierung „any dispute arising under this Bill of Lading“ ist hinreichend bestimmt. 7 OLG Oldenburg v. 28.7.1997 – 15 U 59/97, IPRax 1999, 458 (m. Anm. Kindler/Haneke, IPRax 1999, 435); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 70; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 158a; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 63, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; vgl. auch OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901. Umgekehrt bindet eine in den AGB des Herstellers enthaltene Gerichtsstandsklausel für die einzelnen Kaufverträge den Vertragshändler aber nicht bei Streitigkeiten aus dem Rahmenvertrag, vgl. frz. Cass. v. 29.10.1985, unalex FR-175; OLG Bamberg v. 24.4.2013 – 3 U 198/12, IHR 2013, 253 m. Anm. Smyrek = IPRax 2015, 154 (m. Anm. Wais, IPRax 2015, 127).

Hausmann | 1031

§ 7 Rz. 7.114 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

(Stundungsvereinbarung, Darlehen, Bürgschaft) erstreckt werden, soweit diese in einem engen Zusammenhang mit dem geschlossenen Rahmenvertrag stehen1. Auch für sonstige Dauerschuldverhältnisse (z.B. ein Gesellschafts-, Versicherungs- oder Kontokorrentverhältnis) können Gerichtsstandsvereinbarungen im Vorhinein wirksam getroffen werden2. Zulässig ist auch die Vereinbarung eines Gerichtsstands für alle von einer Partei an die andere vermittelten Geschäfte3. Ferner genügt es auch, dass sich das von der Gerichtsstandsvereinbarung erfasste Rechtsverhältnis im Wege der Auslegung feststellen lässt4. Demgemäß erfüllt etwa die in der Satzung einer Gesellschaft enthaltene Gerichtsstandsklausel dieses Bestimmtheitserfordernis, wenn sie dahin auszulegen ist, dass sie sich nur auf Rechtsstreitigkeiten zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern als solchen bezieht5.

7.114a

Unwirksam sind hingegen Gerichtsstandsvereinbarungen, die ganze Kategorien von Klagen erfassen sollen, etwa alle künftigen Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien oder alle Streitigkeiten aus der bestehenden Geschäftsverbindung (sog. Globalvereinbarung). Die in einem Anlageberatungsvertrag enthaltene Gerichtsstandsklausel ersteckt sich daher nicht auf Pflichtverletzungen im Rahmen des parallel geschlossenen Auftrags zur Konto- und Depotführung6. b) Bestimmtes Gericht

7.115

Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO setzt ferner voraus, dass das als zuständig vereinbarte Gericht zumindest bei Klageerhebung eindeutig bestimmbar ist. Allerdings muss die Gerichtsstandsvereinbarung nicht so formuliert sein, dass sich das zuständige Gericht schon aufgrund ihres Wortlauts bestimmen lässt. Da nämlich Art. 25 Brüssel IaVO die Parteiautonomie in den Grenzen des Abs. 4 respektiert, muss es genügen, wenn die Vereinbarung die objektiven Kriterien nennt, über die sich die Parteien zur Bestimmung des zuständigen Gerichts geeinigt haben. Diese Kriterien müssen allerdings so genau festgelegt werden, dass das später angerufene Gericht zumindest unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des konkreten Falles entscheiden kann, ob es zuständig ist oder nicht7. Ausreichend ist daher die Bezeichnung des Gerichts am vertraglichen Erfüllungsort, sofern sich letzterer aus dem Vertrag oder 1 Kindler/Haneke, IPRax 1999, 435 (436 f.) gegen OLG Oldenburg v. 28.7.1997 – 15 U 59/97, IPRax 1999, 458. 2 Vgl. OLG München v.8.3.1989 – 15 U 5989/88, ZZP 103 (1990) 84 (87) m. Anm. H. Schmidt; Geimer, Rz. 1682 f. 3 Vgl. OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/98, RIW 1999, 621. 4 Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 8. 5 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell/Duffryn), NJW 1992, 1671 (1672) (Rz. 30 ff.) = ZIP 1992, 472; vgl. dazu auch OLG Koblenz v. 31.7.1992 – 6 U 1946/87, RIW 1993, 141 = WuB VII B 1 Art. 17 EuGVÜ Nr. 1 93 m. Anm. Ebenroth/Reiner = EWiR 1992, 989 m. Anm. Geimer; BGH v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347 (354 f.) = NJW 1994, 51 = RIW 1994, 237 = EWiR 1994, 49 (LS) m. Anm. Bork; ferner Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel IaVO Rz. 183. 6 OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, RIW 2015, 762 m. Anm. Mankowski. 7 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9344) (Rz. 14 f.); EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 43 f.); ital. Cass. v. 20.2.2007, unalex IT-213; öOGH v. 1.12.2004 – 9 Ob 134/04b, unalex AT69; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 70. Vgl. auch OLG Celle v. 24.9.2003 – 3 U 90/03, NJW-RR 2004, 575 („Internationales Handelsgericht in Brüssel“ ist hinreichend bestimmt, obwohl es in Brüssel nur ein nationales Tribunal de commerce gibt); LG Frankenthal v. 30.4.2008 – 6 O 339/07, IRspr. 2008 Nr. 131. S. aber als Beispiele für mangelnde Bestimmbarkeit schwz. BG v. 28.1.2000, unalex CH-264; ital. Cass. v. 10.3.1998, unalex IT-246.

1032 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.117 § 7

den wirksam einbezogenen AGB ergibt1. Auch die Benennung einer bestimmten Stadt genügt2. Ist die Zuständigkeit der Gerichte am Sitz oder Wohnsitz einer Vertragspartei vereinbart, so kommt es im Zweifel auf den (Wohn-)Sitz im Zeitpunkt der Klageerhebung an3. Zulässig ist auch die Vereinbarung Wahlgerichtsständen4. Das Wahlrecht steht dabei – soweit nichts anderes vereinbart ist – dem Kläger zu5. Auch die Ermächtigung einer Partei, außer dem vereinbarten „ein anderes zuständiges Gericht“ anzurufen, dürfte noch hinreichend bestimmt sein; denn gemeint ist damit im Zweifel die – nach Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO ausdrücklich zugelassene – konkurrierende Zuständigkeit von Gerichten nach der Brüssel IaVO6. Eine Abrede, wonach die Bestimmung des Gerichtsstands der freien Wahl einer Partei überlassen bleibt, genügt hingegen nicht7.

7.116

Aus Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO ist auch nicht zu schließen, dass die Parteien nur ein einziges Gericht oder die Gerichte nur eines Mitgliedstaats als zuständig bestimmen können. Da sie nämlich ohne Weiteres zwei getrennte Vereinbarungen schließen und darin – dem Wortlaut des Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO entsprechend – jeweils für die künftigen Klagen einer Partei ein Gericht oder die Gerichte eines Mitgliedstaates bestimmen könnten, muss ihnen auch die Zusammenfassung dieser beiden einzeln jeweils zulässigen Abreden in einer Klausel gestattet sein8. Wirksam ist daher auch eine Vereinbarung, welche die Zuständigkeit von der – im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht vorhersehbaren – Rolle der Parteien im künftigen Prozess abhängig und damit zunächst nur alternativ bestimmbar macht (sog. „reziproke Gerichtsstandsklauseln“). Dies gilt insbesondere dann, wenn zwei in verschiedenen Mitgliedstaaten wohnende Vertragsparteien vereinbaren, dass jede nur vor den Gerichten ihres Heimatstaates zu verklagen sein soll9. Denn eine solche Vereinbarung entspricht dem in Art. 4 Abs. 1 Brüssel Ia-VO zum Ausdruck kommenden Grundsatz „actor sequitur forum rei“. Ihre Bedeutung liegt darin, dass die fakultativen Gerichtsstände nach Art. 7 und 8 Brüssel Ia-VO ausgeschlossen werden. Darüber hinaus ist aber auch die Prorogation der Gerichte am Wohnsitz bzw. Sitz des jeweiligen Klägers als zulässig zu erachten10. Schließlich kann dem Kläger auch die Auswahl zwischen

7.117

1 OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 12. 2 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 Rz. 45 ff.: „Paris“. 3 Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 169; a.A. Weber, ZVglRW 2008, 193 (200). 4 OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (Rz. 30) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98); Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 8. 5 OLG Frankfurt a.M. v. 17.11.1999 – 9 U 41/99, OLGR 2000, 71. 6 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 72; a.A. Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel IaVO Rz. 172, sowie zu Art. 17 EuGVÜ OLG Köln v. 9.2.1990 – 3 U 156/89, IPRspr. 1991 Nr. 165. 7 OLG Hamm v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, IPRax 2007, 125 (Rz. 30) (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98); LG Braunschweig v. 28.2.1974 – 9a O 115/73, AWD 1974, 346; App. Paris v. 5.7.1989, Bericht Huet, Clunet 1990, 151; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 171; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 71, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 8 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 73 m.w.N. 9 EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 (Meeth/Glacetal), Slg. 1978, 2133 (2141) (Rz. 5) = RIW 1978, 814; BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, NJW 1979, 2477 (2478); öOGH v. 1.12.2004 – 9 Ob 134/04b, unalex AT-69; OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934 (935); zust. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 73; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 65. 10 ÖOGH v. 6.5.2002 – 2 Ob 78/02p, IPRax 2004, 259 (261) (m. Anm. Oberhammer, IPRax 2004, 264) = unalex AT-595; OLG München v. 1.3.2000 – 7 U 5080/99, EuLF 2000/01, 136 m. Anm. Simons; LG Frankfurt v. 9.5.1986 – 3/11 O 138/85, RIW 1986, 543; ebenso in Frankreich Cass. civ.

Hausmann | 1033

§ 7 Rz. 7.117 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

mehreren für zuständig erklärten Gerichten überlassen1 oder das Recht eingeräumt werden, neben dem vereinbarten ein anderes Gericht anzurufen, das nach Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO (bzw. §§ 12 ff. ZPO) international zuständig ist2. Denn die Parteiautonomie wird insoweit durch die Brüssel Ia-VO nicht beschränkt und dem Bestimmtheitsgebot des Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel IaVO wird auch durch eine solche Vereinbarung entsprochen, weil das zuständige Gericht jedenfalls im Zeitpunkt der Klageerhebung objektiv bestimmt werden kann. Die Gültigkeit einer Gerichtstandsvereinbarung wird auch durch eine alternative Schiedsklausel nicht in Frage gestellt.

7.118

Die Parteien können sich – wie der Wortlaut des Art. 25 Abs. 1 S. 1 Brüssel Ia-VO („Gerichte eines Mitgliedstaats“) ausdrücklich klarstellt – auf die Vereinbarung der internationalen Zuständigkeit eines bestimmten Mitgliedstaates beschränken, um damit die Zuständigkeit der Gerichte aller anderen Mitgliedstaaten zu derogieren. Für diesen Fall bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach dem nationalen Verfahrensrecht des prorogierten Staates3. Zwischen mehreren örtlich zuständigen Gerichten kann der Kläger dann wählen4. Fehlt nach diesem Recht ein Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit, so ist auf die in den Rechten sämtlicher Mitgliedstaaten vorgesehene örtliche Ersatzzuständigkeit zurückzugreifen, um die getroffene Gerichtsstandsvereinbarung nicht leer laufen zu lassen5. Denn der prororogierte Mitgliedstaat ist verpflichtet, das nationale Recht so auszulegen, dass es danach das Gericht feststellen oder bestimmen kann, das örtlich und sachlich zuständig ist6. Nach innerstaatlichem deutschen Verfahrensrecht besteht die örtlich Zuständigkeit für Zivil- und Handelssachen i.S.v. Art. 1 Brüssel Ia-VO bei dem Gericht, bei dem der Kläger seinen allgemeinen Gerichtsstand hat bzw. – analog § 15 Abs. 1 S. 2, § 27 Abs. 2 ZPO – am Sitz der Bundesregierung, d.h. in Berlin. Notfalls ist das zuständige Gericht in entsprechender Anwendung von § 36 ZPO zu bestimmen7. Haben die Parteien – umgekehrt – nur einen örtlichen Gerichts-

1 2 3

4

5 6 7

v. 19.2.1980, Rev.crit.d.i.p. 1981, 134 = unalex FR-255 m. Anm. Gaudemet-Tallon; App. Bordeaux v. 6.9.2005, unalex FR-1146; in Italien Cass. v. 13.12.1994, Nr. 10620, Riv.dir.int.priv.proc. 1996, 577 = unalex IT-378; Cass. v. 23.4.1990, unalex IT-53; zust. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel IVO Rz. 74; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 170; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 65, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Heinig, S. 173 f. m.w.N. OLG München v. 8.8.1984 – 7 U 1880/84, RIW 1986, 381 (382) = IPRax 1985, 341 (m. Anm. Jayme/Haack, IPRax 1985 323); OLG Hamm IPRax 2007, 125 (m. Anm. Spellenberg, IPRax 2007, 98); Geimer, Rz. 1660 f. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 72; a.A. OLG Köln v. 9.2.1990 – 3 U 156/89, IPRspr 1991 Nr. 165. EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 48); öOGH v. 25.8.2017, unalex AT-1134; öOGH v. 6.7.2011, unalex AT-734; öOGH v. 9.4.2010, unalex AT-668; öOGH v. 13.7.2007, unalex AT-350; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 76; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 4; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 66, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. ÖOGH v. 2.6.2009 – 7 Nc 10/09v, unalex AT-616 und öOGH v. 1.12.2003 – 4 Nc 32/03y, unalex AT-19; HandelsG Zürich v. 15.11.1995, SZIER 1997, 360 (361) m. zust. Anm. Volken = unalex CH-38 (zu Art. 17 LugÜ); Killias, S. 112 ff.; Linke/Hau, Rz. 224; Gaudemet-Tallon, Rz. 154. Bedenken gegen ein solches Wahlrecht bei Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 170. Kohler, IPRax 1983, 265 (268 f.); Aull, S. 134 ff.; Heinig, S. 171 f.; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 78; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 146; a.A. Schack, Rz. 507: Unwirksamkeit der Vereinbarung. EuGH v. 10.3.2016 – C-94/14, ECLI:EU:C:2016:148 (Flight Refund), IPRax 2017, 277 (Rz. 67) (m. Anm. Gruber, IPRax 2017, 259); dazu Klöpfer/Wendelstein, JZ 2017, 101; ferner Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 14; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 1b, 5. Hausmann in Wieczorek/Schütze, § 36 ZPO Rz. 77; vgl. auch öOGH v. 6.5.2002, unalex AT-595 (Ordination).

1034 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.121 § 7

stand vereinbart, so bezieht sich diese Vereinbarung – bei Vorliegen einer Auslandsbeziehung im Zeitpunkt der Klageerhebung – im Zweifel auch auf die internationale Zuständigkeit1.

2. Keine ausschließliche Zuständigkeit Unzulässig sind nach Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO Gerichtsstandsvereinbarungen, die darauf abzielen, ausschließliche Zuständigkeiten i.S.d. 6. Abschnitts (Art. 24 Brüssel Ia-VO) zu derogieren. Dieses Derogationsverbot gilt insbesondere für eine von Art. 24 Brüssel Ia-VO abweichende – ausschließliche oder fakultative – Wahl der Gerichte in einem anderen Mitgliedstaat2. Darüber hinaus sprechen freilich gute Gründe dafür, Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 24 Brüssel Ia-VO auch insoweit als zwingende Schranke der Prorogationsfreiheit anzusehen, als die Zuständigkeit der Gerichte von Drittstaaten vereinbart wird3. Dies gilt in beiden Fällen unabhängig davon, ob die Parteien einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU haben4.

7.119

Zu beachten ist freilich, dass Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 24 Brüssel Ia-VO die Prorogationsfreiheit lediglich in Bezug auf die internationale Zuständigkeit einschränkt. Eine Bestimmung darüber, welches Gericht in dem nach Art. 24 Brüssel Ia-VO international zuständigen Staat örtlich zuständig sein soll, können die Parteien nach der Verordnung frei treffen. Zulässigkeitsschranken für diese Vereinbarung – durch die Bestimmung ausschließlicher örtlicher Gerichtsstände, die Aufstellung von Formerfordernissen u.Ä. – ergeben sich dann nur aus dem jeweiligen innerstaatlichen Verfahrensrecht5.

7.120

3. Schutz von Versicherungsnehmern, Verbrauchern und Arbeitnehmern Die Zuständigkeiten im 3.-5. Abschnitt der Verordnung (Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen) sind zum Schutz der schwächeren Partei nur eingeschränkt abdingbar. Von dem Grundsatz, dass Versicherungsnehmer, Verbraucher oder Arbeitnehmer6 nur in ihrem Wohnsitzstaat verklagt werden können7, darf nach Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO im Wege der Vereinbarung nur in den Grenzen der Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO abgewichen werden, dh. grundsätzlich nur dann, wenn die Vereinbarung entweder nach Entstehung der Streitig-

1 OLG Saarbrücken v. 9.12.2003 – 4 U 645/02-83, OLGR 2004, 285. 2 LG Frankfurt v. 6.9.1991 – 2/10 O 206/90, IPRax 1992, 241 (m. Anm. Endler, IPRax 1992, 212); AG München v. 15.3.1990 – 232 C 40995/89, ZMR 1991, 183 (m. Anm. Busl, ZMR 1991, 167); Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 159; vgl. aber OLG Frankfurt a.M. v. 10.6.1992 – 23 U 141/91, IPRspr. 1992 Nr. 183b. 3 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO, Rz. 84; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 42; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 133; jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 4 Vgl. schon zu Art. 23 Abs. 5 Brüssel I-VO öOGH v. 31.1.2007, unalex AT-521; öOGH v. 13.7.2007 – 6 Nc 12/07b, unalex AT-350. 5 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 85; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 69; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 160, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 6 Eine analoge Anwendung der von Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO bestimmten Prorogationsschranken auf vergleichbar schutzbedürftige Personen kommt nicht in Betracht, vgl. zu Handelsvertretern OLG Hamburg v. 14.4.2004 – 13 U 76/03, IPRspr. 2004 Nr. 109. Allerdings darf Handelsvertretern der durch die Richtlinie 86/653/EWG garantierte Schutz auch durch Vereinbarung eines drittstaatlichen Gerichtsstands nicht entzogen werden, vgl. BGH v. 5.9.2012 – VII ZR 25/12, ZVertriebsR 2013, 89; OLG München v. 17.5.2006 – 7 U 1781/06, WM 2006, 1556 = IPRax 2007, 322 (m. Anm. Rühl, IPRax 2007, 294). 7 Vgl. Art. 14 Abs. 1, 18 Abs. 2, 22 Abs. 1 Brüssel Ia-VO.

Hausmann | 1035

7.121

§ 7 Rz. 7.121 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

keit getroffen wird1 oder wenn sie die Klagemöglichkeiten des zu schützenden Personenkreises erweitert2. Wird gegen diese Schranken verstoßen, so ist auch eine formgültig nach Art. 25 Abs. 1–3 Brüssel Ia-VO getroffene Gerichtsstandsvereinbarung nichtig3. Dies gilt selbst dann, wenn sich die geschützte Partei auf die Vereinbarung beruft oder wenn sie für diese Partei von Vorteil ist4.

7.122

Daneben sind insbesondere die Formerfordernisse nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO auch für Zuständigkeitsvereinbarungen in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen einzuhalten5. Weitere Schranken für deren Gültigkeit können sich aus dem sekundären Gemeinschaftsrecht, insbesondere aus der EG Richtlinie 93/13 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ergeben (vgl. dazu Rz. 7.38); demgegenüber findet eine ergänzende Kontrolle am Maßstab nationalen Rechts zum Schutz der schwächeren Vertragspartei nicht statt (näher Rz. 7.36 f.).

7.123

Fraglich könnte sein, ob das Prorogationsverbot des Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO nur unter den besonderen Anwendungsvoraussetzungen des Abs. 1 eingreift, oder ob eine Zuständigkeitsvereinbarung, die den Vorschriften der Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO zuwiderläuft, auch dann unzulässig ist, wenn die Zuständigkeit der Gerichte eines Nichtmitgliedstaats vereinbart wurde. Da Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO seinen Anwendungsbereich nicht eigenständig bestimmt, scheint es nahe zu liegen, die Vorschrift ebenfalls nur unter den Voraussetzungen des Abs. 1 anzuwenden6. Mit dem Wortlaut der genannten Schutzvorschriften steht eine solche restriktive Auslegung freilich kaum im Einklang; denn diese verbieten verbieten jede über Art. 15, 19 oder 23 Brüssel Ia-VO hinausgehende vertragliche Abweichung von den gesetzlichen Zuständigkeiten in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen. Wenn von diesen Zuständigkeiten aber nicht einmal durch die Vereinbarung der Zuständigkeit in einem Mitgliedstaat abgewichen werden kann, so wird dem Normzweck nur ein Verständnis gerecht, das Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO im Wege der Analogie auch – und erst recht – auf die Prorogation zugunsten der Gerichte von Nichtmitgliedstaaten erstreckt7.

1 Vgl. Art. 15 Nr. 1, 19 Nr. 1, 23 Nr. 1 Brüssel Ia-VO; vgl. auch BAG v. 8.12.2010 – 10AZR 562/08, IPRspr. 2010 Nr. 206 (zum LugÜ). 2 Vgl. Art. 15 Nr. 2, 19 Nr. 2, 23 Nr. 2 Brüssel Ia-VO. 3 Allg.M., vgl. Areopag v. 4.4.2001, unalex GR-19; öOGH v. 13.10.1999 – 19 ObA 230/99k, unalex AT-399; frz. Cass. v. 17.12.1997, unalex FR-94; span. Trib. Supremo v. 24.4.2000, unalex ES-4. Vgl. zu Verbrauchersachen nach Art. 17 Abs. 3 i.V.m. Art. 15 EuGVÜ; LG Berlin IPRax 1992, 243 (244); vgl. auch OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (145 f.) = IPRax 1987, 308 (m. Anm. Schwarz, IPRax 1987, 291). 4 OLG Köln v. 16.3.1989 – 12 U 197/88, ZIP 1989, 838. 5 Schlosser-Bericht, Rz. 161; Samtleben, NJW 1974, 1593; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 79. 6 So Schlosser-Bericht, Rz. 176; Jayme/Kohler, IPRax 2001, 501 (506). 7 So auch EuGH v. 19.7.2012 – C-154/11, ECLI:EU:C:2012:491 (Mahamdia), NZA 2012, 936 (Rz. 66) = IPRax 2013, 572 (m. Anm. Martiny, IPRax 2013, 536); OLG Dresden v. 15.12.2004 – 8 U 1855/04, IPRax 2006, 131 (m. Anm. von Hein, IPRax 2006, 16) (Vereinbarung eines Gerichtsstands auf den Virgin Islands zu Lasten eines deutschen Verbrauchers); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 83; Mankowski in Rauscher, Rz. 14; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 69; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 42, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Heinig, S. 132 ff. m.w.N.

1036 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.125 § 7

VI. Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung 1. Ausschließliche oder konkurrierende Zuständigkeit der prorogierten Gerichte? Eine Zuständigkeitsvereinbarung hatte nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ die ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts oder Vertragsstaats zur Folge und schloss damit sowohl die allgemeine Wohnsitzzuständigkeit nach Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ wie auch die besonderen Zuständigkeiten nach Art. 5 und 6 EuGVÜ aus1. Sinn dieser Regelung war es, schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses möglichst Klarheit über das anzurufende Gericht zu schaffen2. Wie schon die Brüssel I-VO3 schwächt die Brüssel Ia-VO diesen Grundsatz in Art. 25 Abs. 1 S. 2 zwar dahingehend ab, dass das prorogierte Gericht nur dann ausschließlich zuständig ist, „wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben“. Auch nach geltendem Recht bleibt es aber im Interesse der Rechtssicherheit dabei, dass eine Prorogation im Zweifel die ausschließliche Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts begründet4 und damit alle gesetzlichen Zuständigkeiten nach Art. 4, 7 und 8 Brüssel Ia-VO verdrängt (vgl. zu Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO Rz. 7.168 f.; zu Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO Rz. 7.161 f.)5. Dies gilt auch dann, wenn der Wortlaut der Gerichtsstandsvereinbarung keinen Hinweis auf die gewollte Ausschließlichkeit enthält6. Die gesetzlichen Zuständigkeiten leben allerdings wieder auf, wenn das prorogierte Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung für unwirksam hält und die Klage deshalb als unzulässig abweist7.

7.124

Ausschließlich ist insbesondere eine Gerichtsstandsvereinbarung, die für eine Vielzahl von Parteien mit unterschiedlichem Wohnsitz einen einheitlichen Gerichtsstand festlegt8. Ferner ist auch eine Rechtswahl zugunsten des am vereinbarten Gerichtsstand geltenden materiellen

7.125

1 EuGH v. 14.12.1976 – Rs. 25/76, ECLI:EU:C:1976:178 (Segoura/Bonakdarian), Slg. 1976, 1831 (1841) (Rz. 7) = NJW 1977, 494; EuGH v. 17.1.1980 – Rs. 56/79, ECLI:EU:C:1980:15 (Zelger), Slg. 1980, 89 (96 f.) (Rz. 4) = WM 1980, 720; EuGH v. 24.6.1986 – Rs. 22/85, ECLI:EU:C:1986:255 (Anterist/Crédit lyonnais), Slg. 1986, 1951 (1962) (Rz. 12) = IPRax 1987, 105 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1987, 81); BGH v. 19.3.1987 – I ARZ 903/86, NJW 1988, 646 = RIW 1987, 624; öOGH v. 15.4.1999 – 2 Ob 96/99b, ZfRV 1999, 191 (192) (LS) = unalex AT-401; öOGH v. 31.1.2002 – 6 Ob 275/01m, ZfRV 2002, 192 (LS) = unalex AT-666; frz. Cass. v. 18.10.1989, D. 1989 I R. 283 = unalex FR-301; OLG Düsseldorf v. 16.3.2000 – 6 U 90/99, IPRspr. 2000 Nr. 119; OLG Hamm v. 22.2.1999 – 8 U 255/97, RIW 2000, 382. 2 Jenard-Bericht zu Art. 17 EuGVÜ. 3 Vgl. Ö OGH v. 8.7.2009 – 7 Ob 18/09m, unalex AT-632; öOGH v. 3.8.2004 – 5 Ob 32/04y, unalex AT-73; LG Berlin v. 29.9.2004 – 26 O 530/02, IPRspr. 2004 Nr. 124; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 90. 4 EuGH v. 7.7.2016 – C-222/15, ECLI:EU:C:2016:525 (Höszig), EuZW 2016, 635 (Rz. 28); EuGH v. 21.5.2015 – C-322/14, ECLI:EU:C:2015:334 (El Majdoub), EuZW 2015, 565 (Rz. 24); OLG Hamm v. 29.5.2017 – 32 SA 4/17, IPRspr. 2017 Nr. 244; OLG Brandenburg v. 27.2.2014 – 12 U 10/13, IPRspr. 2014 Nr. 176; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 1a, 42; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 198. 5 Vgl. zu Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO OLG Stuttgart v. 20.4.2009 – 5 U 197/08, IPRspr. 2010 Nr. 184a; zu Art. 6 Nr. 1 Brüssel I-VO frz. Cass. v. 9.2.2011, unalex FR-2182; frz. Cass, v. 20.6.2006, unalex FR-324; Hoge Raad v. 24.9.1999, unalex NL-16; einschränkend aber frz. Cass. v. 2.3.1999, unalex FR-74. 6 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, NJW 2020, 399 (Rz. 38 f.) zur Klausel „Bonn shall be the place of jurisdiction“. 7 Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 191. 8 OLG Hamm v. 22.2.1999 – 8 U 2555/97, RIW 2000, 382.

Hausmann | 1037

§ 7 Rz. 7.125 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Rechts ein Indiz für die gewollte Ausschließlichkeit1. Diese wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Parteien – z.B. in einer alternativen Gerichtsstandsvereinbarung – mehr als ein Gericht für zuständig erklärt haben2. Im Hinblick auf die Ausschließlichkeit der Gerichtsstandsvereinbarung kann das prorogierte Gericht deren Wirksamkeit auch nicht mit der Begründung dahingestellt sein lassen, dass jedenfalls ein besonderer Gerichtsstand nach Art. 7 oder Art. 8 Brüssel Ia-VO begründet sei3.

7.126

Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO bekräftigt andererseits die schon zu Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ vertretene Auffassung, die es den Parteien unter Berufung auf die vom europäischen Prozessrecht grundsätzlich respektierte Vertragsfreiheit gestattet, einen Gerichtsstand zu vereinbaren, der nur konkurrierend neben die übrigen Zuständigkeiten des Übereinkommens treten soll4. Hierfür ist zwar eine ausdrückliche Vereinbarung nicht erforderlich5; ein entsprechender Wille der Parteien muss aber in der Vereinbarung eindeutig zum Ausdruck kommen6. Denn auch nach der Neufassung spricht eine Vermutung für die Ausschließlichkeit des vereinbarten Gerichtsstands. Daraus folgt, dass diejenige Partei, die die Ausschließlichkeit bestreitet (z.B. indem sie Klage vor einem derogierten Gericht in einem anderen Mitgliedstaat erhebt), dafür beweispflichtig ist, dass die Gerichtsstandsvereinbarung nur einen zusätzlichen, konkurrierenden Gerichtsstand begründen sollte7. Der bloße Umstand, dass die Parteien ein anderes Recht als dasjenige des Gerichtsstaats gewählt haben, reicht als Grund für die Annahme einer nur konkurrierenden Gerichtsstandsvereinbarung nicht aus8. Die Vermutung der Ausschließlichkeit erlangt nach neuem Recht insbesondere für die Kompetenz-Kompetenz des prorogierten Gerichts nach Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO Bedeutung (dazu Rz. 7.156 ff.).

1 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, NJW 2020, 399 (Rz. 40); OLG Hamm v. 22.2.1999 – 8 U 2555/ 97, RIW 2000, 382. 2 EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 (Meeth/Glacetal), Slg. 1978, 2133 (2141) = RIW 1978, 814; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 145. 3 Leible/Sommer, IPRax 2006, 568 (569) gegen BGH v. 1.6.2005 – VIII ZR 256/04, RIW 2005, 776. 4 Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 81; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 144 ff., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ Court of Appeal v. 28.1.2003 (Insured Financial Structures Ltd./Elektrocieplownia Tychy SA), unalex UK-205; High Court (Ch. D.) v. 26.7.1991 (Kurz v. Stella Musical Veranstaltungs-GmbH), [1992] 1 All E. R. 630 = RIW 1992, 139 m. zust. Anm. Ebert-Weidenfeller = unalex UK-403; OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 106b; Jayme/Haack, IPRax 1985, 323; Kohler, IPRax 1986, 342; vgl. auch zu Art. 17 LugÜ 1988 BGH v. 23.7.1998 – II ZR 286/97, RIW 1998, 964 = IPRax 1999, 246 (m. krit. Anm. Schulze, IPRax 1999, 229), sowie zu Art. 23 Brüssel I-VO OLG Köln v. 12.1.2007 – 19 U 11/ 07, IHR 2007, 200; Aud.Prov. Barcelona v. 5.3.2009, unalex ES-396; Heinig, S. 175 ff. m.w.N. 5 OLG Köln v. 12.1.2007 – 19 U 11/07, IHR 2007, 200; Geimer in Zöller, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 1; Mankowski in Rauscher, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 61. 6 OLG Stuttgart v. 20.4.2009 – 5 U 197/08, IPRspr. 2010 Nr. 184a; Aud. Prov. Barcelona v. 28.2.2009, unalex ES-406; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 92. 7 OLG Hamm v. 29.5.2017 – 32 SA 4/17, IPRspr. 2017 Nr. 244; OLG Hamburg v. 14.9.2004 – 13 U 76/03, NJW 2004, 3126; LG Berlin v. 29.9.2004 – 26 O 530/02, IPRspr. 2004 Nr. 124; Geimer, Rz. 1647. 8 OLG Hamburg v. 14.9.2004 (vorige Fn.). Anders liegt es dann, wenn die Parteien nach dem Inhalt ihrer Gerichtsstandsvereinbarung nur das Recht (aber nicht die Pflicht) haben, das prorogierte Gericht anzurufen, vgl. OLG Köln v. 12.1.2007 – 19 U 11/07, IHR 2007, 200.

1038 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.128 § 7

2. Vereinbarungen nur zugunsten einer Partei a) Allgemeines Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ ermöglichte ausdrücklich den Abschluss von Zuständigkeitsvereinbarungen „nur zugunsten einer Partei“. Danach war das prorogierte Gericht nur für Klagen einer Partei ausschließlich zuständig, während die begünstigte Partei auch an allen oder bestimmten anderen durch das Übereinkommen bereitgestellten Gerichtsständen klagen konnte1. Der gewählte Gerichtsstand war in diesem Falle also nur für eine der Parteien obligatorisch, während die andere – regelmäßig die wirtschaftlich stärkere – Partei für ihre Aktivprozesse das Wahlrecht zwischen dem forum prorogatum und den nur zu Lasten der anderen Partei derogierten Zuständigkeiten behielt (sog. „asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung“). Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ ist zwar schon in die Brüssel I-VO nicht übernommen worden. Die den Parteien in Art. 25 Abs. 1 S. 2 Brüssel Ia-VO eingeräumte Möglichkeit, auch nicht ausschließliche Gerichtsstände zu vereinbaren, umfasst aber weiterhin auch die Vereinbarung eines Gerichtsstands, der nur zugunsten einer Partei ausschließlich wirkt2.

7.127

Diese Auffassung war zwar in der jüngeren Rechtsprechung einiger Mitgliedstaaten auf Widerspruch gestoßen. So hat die französische Cour de Cassation eine Gerichtsstandsvereinbarung, die nur einer Partei die Wahl zwischen dem vereinbarten Gericht und anderen nach der Brüssel I-VO zuständigen Gerichten eingeräumt hatte, während die andere Partei nur im prorogierten Gerichtstand klagen konnte, als mit den Zielsetzungen des Art. 23 Brüssel I-VO für unvereinbar und deshalb unwirksam erklärt3. Zur Begründung hat sich das Gericht vor allem auf die Unzulässigkeit einer „condition potestative“ nach französischem Vertragsrecht berufen. Ein solcher Rückgriff auf nationales Recht mit dem Ziel, Gerichtsstandsvereinbarungen für unwirksam zu erklären, die den Anforderungen des Art. 25 Brüssel Ia-VO genügen, ist jedoch ebensowenig zulässig wie eine allgemeine Missbrauchskontrolle zum Schutz der schwächeren Vertragspartei, die über Art. 25 Abs. 4 i.V.m. Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO hinausgeht. Möglich bleibt allein eine Überprüfung der in AGB enthaltenen asymmetrischen Gerichtsstandsklausel zu Lasten eines Verbrauchers am Maßstab der Klauselrichtlinie 93/134. Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift und der vom EuGH betonte Grundsatz der Privatautonomie, der ihr zugrunde liegt, sprechen vielmehr für die Zulässigkeit von einseitig begünstigenden Gerichtsstandsvereinbarungen auch unter Geltung der Brüssel Ia-VO, zumal es der schwächeren Vertragspartei eher entgegenkommt, wenn die stärkere Partei sich aufgrund einer solchen Klausel dafür entscheidet, nicht an ihrem eigenen Sitz, sondern am (Wohn-)Sitz der schwächeren Partei zu klagen5. Auch dem Erfordernis der Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit des zuständigen Gerichts wird durch eine solche Klausel genügt6. In ihrer jüngeren

7.128

1 OLG Bamberg v. 9.2.1978 – 2 U 127/77, RIW 1979, 566; OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 106b; OLG Koblenz v. 18.2.1999 – 2 U 1897/97, IPRspr. 1999 Nr. 109; App. Brüssel v. 24.2.2000, unalex BE-23; Kohler, IPRax 1986, 340 (342 f.); Gottwald, IPRax 1987, 81 (82); Schulze, IPRax 1999, 229 ff., der zutreffend darauf hinweist, dass Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ nicht nur für Aktivprozesse der begünstigten Partei maßgebend war. 2 Hausmann, EuLF 2000/01, 40 (47 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VORz. 93; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 33; Heinig, S. 177 f.; Linke/Hau, Rz. 223. 3 Frz. Cass. v. 26.9.2012 (Rothschild), unalex FR-1391; dazu Niggemann, IPRax 2014, 194. 4 OLG Bamberg v.31.10.2018 – 8 U 73/18, BeckRS 2018, 29192 Rz. 40 f.; dazu Rz. 7.38. 5 Dazu näher Hausmann, EuLF 2013, 37 (42 f.); Lehmann/Grimm, ZEuP 2013, 891 ff.; Freitag, FS Magnus (2014), S. 419 ff.; Heinig, S. 177 f; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 33; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 3a; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 93. 6 Lehmann/Grimm, ZEuP 2013, 891(901); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 202.

Hausmann | 1039

§ 7 Rz. 7.128 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Rechtsprechung hat daher auch die französische Cour de cassation asymmetrische Gerichtsstandsklauseln wieder als wirksam erachtet1. b) Objektive Begünstigung

7.129

Hält man an der Zulässigkeit einseitig begünstigender Gerichtsstandsvereinbarungen fest, so ist bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung, dass die Vereinbarung nur zugunsten einer Partei wirken soll, im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob eine einseitig begünstigende Klausel vorliegt. Deutsche Gerichte ließen früher bereits eine objektive Begünstigung einer Partei durch die Gerichtsstandsvereinbarung genügen. Eine solche wurde insbesondere darin gesehen, dass die Vertragsparteien den Wohnsitzgerichtsstand des Klägers vereinbart hatten2. Der EuGH hat diese extensive Auslegung des Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ indes mit Recht verworfen. Danach ist eine Gerichtsstandsvereinbarung also keinesfalls schon dann nur zugunsten einer der Parteien getroffen, wenn die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines Mitgliedstaats vereinbart wurde, in dessen Hoheitsgebiet diese Partei ihren Wohnsitz bzw. Sitz hat3. c) Subjektiver Parteiwille

7.130

Der EuGH sah vielmehr in Art. 17 Abs. 4 EuGVÜ lediglich eine Bestätigung des Grundsatzes der Privatautonomie und legte die Vorschrift daher so aus, dass der beiderseits erklärte subjektive Wille der Parteien bei Abschluss des Vertrages zu respektieren sei. Da die Vorschrift jedoch eine Ausnahme von der grundsätzlichen Ausschließlichkeit des prorogierten Gerichtsstands nach Art. 17 Abs. 1 EuGVÜ ermögliche, müsse sich der gemeinsame Wille, eine der Parteien zu begünstigen, „klar aus dem Wortlaut der Gerichtsstandsvereinbarung oder aus der Gesamtheit der dem Vertrag zu entnehmenden Anhaltspunkte oder der Umstände des Vertragsschlusses“ ergeben. Diese Voraussetzungen sah der EuGH etwa bei Vereinbarungen als erfüllt an, „welche die Partei, zu deren Gunsten sie getroffen wurden, ausdrücklich nennen“, sowie bei Vereinbarungen, „die zwar angeben, vor welchen Gerichten jede Partei die andere verklagen muss, die aber einer von ihnen insoweit eine größere Wahlmöglichkeit einräumen“4. 1 Frz. Cass 11.5.2017, unalex FR-2526. 2 OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/98, RIW 1999, 621; OLG Saarbrücken v. 26.1.1984 – 8 U 79/82, RIW 1984, 478 (479) m. krit. Anm. Tosi-Hesse; zust. Schwarz, IPRax 1987, 291 (292); LG Gießen v. 10.12.1982 – 8 O 57/80, IPRax 1984, 160 m. zust. Anm. Jayme; LG Bonn v. 21.4.1982 – 12 O 154/81, IPRax 1983, 243 m. zust. Anm. Jayme; vgl. ferner HandelsG Zürich v. 17.6.1993, SZIER 1995, 34 m. abl. Anm. Volken. 3 EuGH v. 24.6.1986 – Rs. 22/85, ECLI:EU:C:1986:255 (Anterist/Crédit Lyonnais), Slg. 1986, 1951 (1962) (Rz. 16 f.) = IPRax 1987, 105 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1987, 81); vgl. auch die Abschlussentscheidung BGH v. 18.9.1986 – IX ZR 32/84, NJW 1987, 3080 (3081) = IPRax 1987, 107 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1987, 81); ferner BGH v. v. 23.7.1998 – II ZR 286/97, RIW 1998, 964 = IPRax 1999, 246 (m. Anm. Schulze, IPRax 1999, 229); öOGH v. 8.7.2009 – 7 Ob 18/09m, IPRax 2011, 273 (m.Anm. Markus/Arnet, IPRax 2011, 283) = unalex AT-632; öOGH v. 15.4.1999 – 2 Ob 96/99b, ZfRV 1999, 191 (192) (LS) = unalex AT-401; App. Paris v. 25.4.1989, D. S. 1989 Somm. 255 m. Anm. Audit, bestätigt durch Cass. v. 4.12.1990, Rev.crit.d.i.p. 1991, 613 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-123; OLG Koblenz v. 9.1.1987 – 2 U 470/85, RIW 1987, 144 (147); zust. Tosi-Hesse, RIW 1984, 478 (480); Kohler, IPRax 1986, 340 (344 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 95; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel I-VO Rz. 169; vgl. aber auch OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115. 4 EuGH v. 24.6.1986 (vorige Fn.), Rz. 15; zust. BGH v. 18.9.1986 – IX ZR 32/84, NJW 1987, 3080; ferner App. Paris v. 25.4.1989 D. S. 1989 Somm. 255 m. Anm. Audit und frz. Cass. v. 4.12.1990, Rev.crit.d.i.p. 1991, 613 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-123.

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A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.132 § 7

An dieser restriktiven Annahme einer nur konkludent vereinbarten einseitigen Begünstigung ist auch unter Geltung des Art. 25 Brüssel Ia-VO festzuhalten. Diejenige Partei, deren Wohnsitzgericht als aussschließlich zuständig vereinbart ist, kann daher nicht ohne weiteres auf die darin liegende Begünstigung verzichten und am Wohnsitz der anderen Partei klagen, wenn ihr dieses Recht nicht audrücklich vorbehalten worden ist1. Vereinbaren daher zwei im Inland ansässige Parteien einen „neutralen“ Gerichtsstand in einem anderen Mitgliedstaat, so begünstigt diese Vereinbarung aber nicht schon allein deshalb einseitig eine Partei, weil diese in den Vertragsverhandlungen auf den Abschluss einer solchen Zuständigkeitsvereinbarung gedrängt hatte2. Ebenso wenig dürfte die bloße Ergänzung der Gerichtsstandsvereinbarung um eine Rechtswahlklausel zugunsten des im Gerichtsstaat geltenden Rechts ausreichen, um von einer einseitigen Begünstigung derjenigen Partei auszugehen, deren Wohnsitzgericht als zuständig vereinbart wurde; denn ein Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht kann durchaus auch im Interesse der anderen Partei liegen, weil damit die idR langwierige und kostspielige Ermittlung ausländischen Rechts durch dass vereinbarte Gericht vermieden wird3.

7.131

3. Gerichtsstandsvereinbarungen mit Wirkung für Dritte a) Grundsatz In bestimmten Sparten des Geschäftsverkehrs sind Gerichtsstandsklauseln nur dann von Nutzen und deshalb üblich, sofern sie auch für und gegen Dritte wirken, auch wenn diese Dritten an der Willensbildung und der Einhaltung der Formvorschriften nicht beteiligt wurden. Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO lässt eine solche Drittwirkung grundsätzlich nicht zu. Eine Gerichtsstandsklausel gilt vielmehr nur für Rechtsstreitigkeiten, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, das Anlass ihrer Vereinbarung war4. Daher muss ein an diesem Rechtsverhältnis nicht beteiligter Dritter der Klausel zugestimmt haben, damit sie ihm entgegengehalten werden kann5. Auch die Einhaltung der vorgeschriebenen Form wird gerade zwischen den Parteien des Rechtsstreits gefordert. Von mehreren Streitgenossen auf Klägeroder Beklagtenseite sind daher nur diejenigen an eine Gerichtsstandsvereinbarung gebunden, die sie auch unterzeichnet haben6. Daher wirkt auch eine Gerichtsstandsklausel, die von ei-

1 App. Luxemburg v. 6.12.2006, unalex LU-22. 2 OLG Köln v. 2.12.2003 – 24 U 40/03, OLGR 2004, 65; Schulze, IPRax 1999, 229 ff.; Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 44; a.A. BGH v. 23.7.1998 – II ZR 286/97, RIW 1998, 964 = IPRax 1999, 246. 3 ÖOGH v. 8.7.2009 – 7 Ob 18/09m, unalex AT-632; a.A. OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/ 98, RIW 1999, 621 (622); OLG Dresden v. 7.5.2009 – 10 U 1816/08, EuLF 2009 II, 68. 4 EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2018:854 (Apple Sales International), NJW 2019, 349 (Rz. 22). 5 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Delayfix), NJW-RR 2021, 240 (Rz. 42) = NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger; EuGH v. 8.3.2018 – C-64/17, ECLI:EU:C:2018:173 (Saey Home & Garden), ZIP 2018, 1754 (Rz. 30); EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 (Leventis), NZG 2018, 226 (Rz. 35) = IPRax 2018, 55 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2018, 22); EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584 (Rz. 64) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt; EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp), EuZW 2013, 316 (Rz. 29) (m. Anm. Moebus, 319 und Anm. Weller, IPRax 2013, 501); BGH v. 26.3.2019 – XI ZR 228/17, NJW 2019, 2780 (Rz. 30); Dostal, EuZW 2018, 944; Geimer, Rz. 1723 ff.; MünchKomm ZPO/Gottwald, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 53. 6 Court of Appeal v. 19.7.1991 (Dresser UK Ltd./Falcongate Freight), unalex UK-154; ital. Cass. v. 5.5.2006, unalex IT-207 (jeweils zur Zession); Mankowski in Rauscher, Rz. 228; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 158, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

Hausmann | 1041

7.132

§ 7 Rz. 7.132 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

nem Hauptunternehmer vereinbart wurde, nicht gegen einen Subunternehmer, der eigene Rechtspersönlichkeit besitzt1. Ebenso wenig gilt der zwischen einem Angestellten und einem Konzernunternehmen vereinbarte Gerichtsstand für Streitigkeiten dieses Angestellten mit einem anderen Konzernunternehmen2. Eine Drittwirkung wird vielmehr nur dann anerkannt, wenn der Dritte eindeutig in die Geltung der Vereinbarung einbezogen wurde und ihr zugestimmt hat3.

7.133

Die vorgenannten Grundsätze gelten auch dann, wenn die im Ursprungsvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung nach Maßgabe der lex causae automatisch gegen Dritte wirkt, die in die vertraglichen Rechte einer Vertragspartei eingetreten sind, wie dies etwa im Rahmen einer Vertragskette („chaine de contrats“) nach französischem Recht der Fall ist. Dem Endkäufer, der Gewährleistungsansprüche gegen gegen den Hersteller geltendmachen möchte, kann eine Gerichtsstandsvereinbarung, die der Hersteller mit einem Vorerwerber in der Vertragskette getroffen hatte, daher nicht entgegengehalten werden; etwas anderes gilt nur dann, wenn der Letzterwerber der Klausel tatsächlich zugestimmt hat4. Mit dieser Auslegung knüpft der EuGH an seine Rechtsprechung an, mit der er die von der französischen lex causae vorgenommene vertragliche Qualifikation der Rechtsbeziehung zwischen Hersteller und Letztabnehmer für die Zwecke des europäischen Zivilprozessrechts zurückweist5. Ebensowenig kann eine Fluggesellschaft eine Gerichtsstandsklausel, die im Beförderungsvertrag zwischen ihr und einem Fluggast enthalten ist, einer Inkassogesellschaft, an die der Fluggast seine Forderung abgetreten hat, entgegenhalten, um die Zuständigkeit eines Gerichts für die Entscheidung einer gegen sie auf der Grundlage der Verordnung Nr. 261/2004 erhobenen Klage auf eine Ausgleichsleistung in Abrede zu stellen6. Demgegenüber ist bei einem Vertrag zugunsten Dritter auch der Dritte an eine in diesem Vertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung gebunden7. b) Ausnahmen aa) Rechtsnachfolge

7.134

Eine allgemeine Ausnahme gilt allein für die Rechtsnachfolger einer Partei, die ihrerseits eine formgültige Gerichtswahl mit dem Prozessgegner getroffen hatten, und zwar gleichermaßen

1 App. Paris v. 19.3.1987, ECC 1988, 291; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 63. 2 Frz. Cass. v. 8.3.2005, unalex FR-227; vgl. auch Mankowski in Rauscher, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 230. 3 OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115; OLG Köln v. 13.3.1998 – 19 U 231/ 97, NJW-RR 1998, 1350 (1351). 4 EuGH v. 7.2.2013 – C-543/10, ECLI:EU:C:2013:62 (Refcomp), IPRax 2013, 552 (Rz. 29 ff., 41) (m. Anm. Weller, IPRax 2013, 501) = EuZW 2013, 316 m. Anm. Moebus; dazu die Abschlussentscheidung frz. Cass. v. 11.9.2013, unalex FR-1467; ebenso schon früher frz. Cass civ. v. 18.10.1994, Rev. crit.d.i.p. 1995, 721 m. Anm. Sinay-Cytermann; frz. Cass. civ. v. 23.3.1999, Rev.crit.d.i.p. 2000, 224 m. Anm. Leclerc; a.A. noch frz. Cass. v. 17.11.2010, unalex FR-2123; Gaudemet-Tallon (2018), Rz. 161; ferner Gebauer, IPRax 2001, 471 (474 f.); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 232 ff.; dazu näher Beaumart, Haftung in Absatzketten im französischen Recht und im europäischen Zuständigkeitsrecht (1999), S. 148 ff. 5 EuGH v. 17.6.1992 – C-26/91, ECLI:EU:C:1992:268 (Handte), Slg. 1992 I, 3967 (Rz. 16); zu Recht krit. zu dieser Begründung Weller, IPRax 2013, 501 (503 f.). 6 EuGH v. 18.11.2020 – C-519/19, ECLI:EU:C:2020:1023 (Ryanair/DelayFix), NJW-RR 2021, 240 (Rz. 46) = NZV 2021, 36 m. Anm. Staudinger; dazu Rieländer, EuZW 2021, 321. 7 Vgl. frz. Cass. v. 13.11.2013, unalex FR-1476 (Lizenzvertrag).

1042 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.135 § 7

für Gesamt- wie Einzelrechtsnachfolger (z.B. Erben, Zessionar)1. In diesem Zusammenhang ist die Frage, ob Rechtsnachfolge eingetreten ist, nicht nach dem Prorogationsstatut des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO, sondern nach dem vom IPR des Gerichtsstaats zur Anwendung berufenen nationalen Recht (z.B. dem Erb- oder Zessionsstatut) zu beurteilen2. Über die Gültigkeit einer Forderungsabtretung oder einer Legalzession ist daher in allen Mitgliedstaaten einheitlich nach Art. 14, 15 Rom I-VO zu entscheiden (dazu Rz. 3.264 ff., Rz. 3.308 ff.). Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung ist auch in Fällen der Rechtsnachfolge ausschließlich im Verhältnis der ursprünglichen Parteien zu beurteilen3. Dies gilt insbesondere für die Einhaltung der Formvorschriften nach Art. 25 Abs. 1 und 2 Brüssel Ia-VO; im Rahmen von dessen Abs. 1 lit. c ist daher entscheidend, ob die ursprünglichen Parteien einen entsprechenden Handelsbrauch kannten oder kennen mussten4. Hingegen ist die Bindung des Rechtsnachfolgers an die Gerichtsstandsvereinbarung nicht davon abhängig, dass auch er ihr zugestimmt oder überhaupt von ihr Kenntnis hatte5. bb) Schuld- und Vertragsübernahme Auch der Eintritt in ein Vertragsverhältnis aufgrund gesetzlichen Forderungsübergangs6 oder durch Vertragsübernahme7 kann die Bindung an eine Gerichtsstandsvereinbarung begründen. Auch wer befreiend die Schuld eines anderen übernimmt, ist an die mit dem Gläubiger vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung gebunden, weil der Schutz des Gläubigers durch die privative Schuldübernahme nicht eingeschränkt werden kann8. Demgegenüber besteht im Fall eines bloßen Schuldbeitritts kein schutzwürdiges Interesse des Gläubigers an einer Drittwirkung der Gerichtsstandsvereinbarung zu Lasten des Übernehmers9. In gleicher Weise schließt der 1 KG v. 15.5.2018 – 7 U 12/17, BeckRS 2018, 14615 (Rz. 14); OLG Stuttgart v. 31.7.2012 – 5 U 150/ 11, NJW 2013, 83; OLG Hamburg v. 21.12.2007 – 12 U 11/05, IHR 2008, 108; frz. Cass. v. 13.3.2007, unalex FR-1110; ital. Cass. v. 5.5.2006, unalex IT-207; Jungermann, S. 74 ff., 193 ff.; Gebauer, IPRax 2001, 471; Kropholler/von Hein, Rz. 64; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 43; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 200 ff., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Ebenso schon zu Art. 17 EuGVÜ: BayObLG v. 11.4.2001 – 4Z AR 29/01, ZIP 2001, 1564 = BB 2001, 1498; Geimer, NJW 1983, 533 (534); Gebauer, IPRax 2001, 471. Vgl. auch unalexKomm/Hausmann, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 131 m.w.N. 2 ÖOGH v. 5.6.2007 – 10 Ob 40/07s, unalex AT-375; frz. Cass. v. 4.6.2009, unalex FR-1067; High Court London v. 7.2.2008 (Knorr Bremse Systems/Haldex Brake Products), unalex UK-399 (Rz. 30); Mankowski, IPRax 1996, 427 (430 f.); Gebauer, IPRax 2001, 471 ff.; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 232. 3 ÖOGH v. 5.6.2007 (vorige Fn.); Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 161. 4 EuGH v. 16.3.1999 – C-159/97, ECLI:EU:C:1999:142 (Coreck Maritime), Slg. 1999 I, 1597 (Rz. 42); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 230; a.A. Rabe, TranspR 2000, 380 (391) ff., der im Seerecht bei Geltung deutschen Vertragsstatuts auf die Kenntnis bzw. das Kennenmüssen des Konnossementsempfängers abstellt. 5 High Court London (Q.B.Div.) v. 12.10.2000 (Glencore International/Metro Trading International), unalex UK-266; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 230. Ebenso für Bindung des Versicherers, auf den die Ansprüche des Käufers kraft Gesetzes übergegangen sind, an die im Kaufvertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung frz. Cass. v. 13.3.2013, unalex Fr-2352. 6 Vgl. zur „subrogation“ App. Rouen v. 21.10.1992, Rev.crit.d.i.p. 1994, 803. 7 Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 43. 8 ÖOGH v. 5.6.2007 – 10 Ob 40/07s, IHR 2008, 40 (44) = unalex AT-375. 9 ÖOGH v. 5.6.2007 – 10 Ob 40/07s, unalex AT-375; High Court London (Ch.Div.) v. 7.8.2008 (Knorr Bremse Systems/Haldex Brake Products), unalex UK-399; a.A. OLG Hamburg v. 21.12.2007 – 12 U 11/05, IHR 2008, 108.

Hausmann | 1043

7.135

§ 7 Rz. 7.135 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

selbständige Haftungsgrund der Bürgschaft eine Bindung des Bürgen oder Garanten an die vom Hauptschuldner mit dem Gläubiger getroffene Gerichtsstandsvereinbarung aus, wenn diese nicht in den Bürgschaftsvertrag übernommen wurde1. Demgegenüber wirkt die in einem echten Vertrag zugunsten Dritter enthaltene Gerichtsstandsklausel für und gegen den Dritten2, während der in einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte vereinbarte Gerichtsstand nur zugunsten des Dritten wirkt, ihm aber nicht entgegengehalten werden kann3. cc) Gesellschaftsrecht

7.136

Eine internationale Gerichtsstandsvereinbarung im Vertrag einer Personengesellschaft gilt auch für die einzelnen Gesellschafter4. Ferner binden Gerichtsstandsvereinbarungen in der Satzung einer Kapitalgesellschaft (AG, GmbH) auch die einzelnen Gesellschafter (dazu schon Rz. 7.61)5. Demgegenüber ist der Organvertreter einer Gesellschaft weder an dem von letzterer mit einer anderen Gesellschaft vereinbarten Gerichtsstand gerichtspflichtig, noch kann er sich auf diese Gerichtsstandsvereinbarung berufen, um die Zuständigkeit eines Gerichts für die Entscheidung über eine Schadensersatzklage zu bestreiten, mit der er für unerlaubte Handlungen in Ausübung seiner Organpflichten zur Verantwortung gezogen werden soll6. Der vom Gemeinschuldner vereinbarte Gerichtsstand ist hingegen auch für den Insolvenzverwalter verbindlich, der vertragliche Ansprüche gegen Dritte geltend macht7. dd) Versicherungsvertrag

7.137

Ist nach dem Inhalt des geschlossenen Versicherungsvertrages der Versicherte/Begünstigte nicht mit dem Versicherungsnehmer identisch, so gestattet Art. 15 Nr. 2 Brüssel Ia-VO die Vereinbarung einer von den Vorschriften des 3. Abschnitts abweichenden Zuständigkeit, „wenn sie dem Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen“. Aus dieser Vorschrift folgt, dass Gerichtsstandsvereinbarungen nicht nur zugunsten des Versicherungsnehmers als Vertragspartei, sondern auch zugunsten eines vom Versicherungsnehmer verschiedenen Versicherten oder Begünstigten getroffen werden können8. Die Vorschrift hätte freilich nur geringe praktische Bedeutung, wenn der Dritte sich auf die zu seinen Gunsten getroffene Vereinbarung nur berufen könnte, wenn er selbst an deren Abschluss in der Form des Art. 25 Abs. 1 1 Trib. d’arrondissement Luxemburg v. 16.5.2007, unalex LU-29; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 231; für Bindung des Bürgen an die ihm bekannte Klausel hingegen frz. Cass. v. 23.3.2011, unalex FR-1293; Trib. d’arrondissement Luxemburg v. 13.4.2005, unalex LU-47. 2 OLG Köln v. 2.12.2003 – 24 U 40/03, OLGR 2004, 65; frz. Cass v. 13. 11. 2013, unalex FR-1476; Gebauer IPRax 2001, 471 (472); Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 43; Mankowski in Rauscher, Rz. 229, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 3 ÖOGH v. 29.6.2020 – 2 Ob 104/19m, unalex AT-1271. 4 Vgl. zu § 38 ZPO BGH v. 8.7.1981 – VIII ZR 256/80, NJW 1981, 2644 (2646) und OLG Bamberg v. 22.9.1988 – 1 U 302/87, IPRax 1990, 105 (106) m. Anm. Prinzing IPRax 1990, 83. 5 EuGH v. 10.3.1992 – Rs. 214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1756 Rz. 16 ff. = NJW 1992, 1671. 6 EuGH v. 28.6.2017 – C-436/16, ECLI:EU:C:2017:497 (Leventis), NZG 2018, 226 Rz. 35 = IPRax 2018, 55 (m. Anm. Schlosser, IPRax 2018, 22). 7 Vgl. Court of Appeal v. 21.12.1993 (In re Leyland DAF Ltd.), unalex UK-220; dazu Vorpeil, RIW 1994, 1055; ital. Cass. v. 14.4.2008, unalex IT-360; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 55. 8 BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BGHZ 171, 141 = NJW 2007, 2036.

1044 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.138 § 7

S. 3 Brüssel Ia-VO mitgewirkt hat. Für diesen Fall würde auch der – auf den Schutz des Versicherten als der wirtschaftlich schwächeren Vertragspartei abzielende – Normzweck häufig verfehlt. Da schutzwürdige Interessen des Versicherers einer Drittwirkung nicht entgegenstehen, verzichtet auch der EuGH auf eine Beteiligung des begünstigten Dritten am Zustandekommen der Gerichtsstandsvereinbarung. Diese ist vielmehr schon dann formgültig, wenn „das Schriftformerfordernis ... im Verhältnis zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer eingehalten worden und die Zustimmung des Versicherers zu der genannten Klausel klar und deutlich zum Ausdruck gekommen ist“1. Nichts anderes kann aber konsequenterweise dann gelten, wenn die Gerichtsstandsabrede in dem Sinne zu Lasten des Versicherten oder sonstigen Drittbegünstigten wirkt, dass dieser nur am vereinbarten Gerichtsstand klagen kann2. Die Schranken des Art. 25 Abs. 4 iVm. Art. 15 Brüssel Ia-VO sind freilich auch insoweit zu beachten3. ee) Konnossement Die Erwägungen zur Zulässigkeit einer Drittwirkung von Gerichtsstandsklauseln in Versicherungsverträgen treffen zwar auf Konnossemente nur eingeschränkt zu. Denn zum einen ist der Konnossementsempfänger nicht unbedingt die wirtschaftlich schwächere Vertragspartei, zum anderen wird er durch die Klausel im Regelfall – anders als der Versicherte – nicht begünstigt, sondern zur Klage oder Verteidigung vor einem Gericht gezwungen, mit dessen Zuständigkeit er sich nicht einverstanden erklärt hätte, wenn er vorher gefragt worden wäre. Dennoch ist eine Drittwirkung der im Verhältnis Verfrachter-Befrachter getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung in einem Konossement4 jedenfalls insoweit anzuerkennen, als der Konnossementsempfänger in die Rechte und Pflichten des Befrachters nach dem geschlossenen Seefrachtvertrag eingetreten ist5. Der Normzweck des Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO erfordert es nicht, die Gerichtsstandsvereinbarung von dieser Rechtsnachfolge auszunehmen, denn der Erwerb des Konnossements kann den Drittinhabern nicht mehr Rechte verleihen als sie der Befrachter innehatte. Für die Frage, ob der Konnossementsempfänger im die Rechte und

1 EuGH v. 14.7.1983 – Rs. 201/82, ECLI:EU:C:1983:217 (Gerling), Slg. 1983, 2503 (2517) (Rz. 20) = NJW 1984, 2760 = IPRax 1984, 259 (m. Anm. Hübner, IPRax 1984, 237); zust. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 65; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 58. 2 Vgl. frz. Cass. v. 17.2.2010, unalex FR-1103, wonach die in den AGB eines Versicherers im Flugverkehr enthaltene Gerichtsstandsklausel gegenüber allen im versicherten Gebiet tätigen Fluggesellschaften durchsetzbar ist, wenn die die AGB in den Flughäfen durch Anschläge bekanntgemacht worden sind; ferner App. Aix-en-Provence v. 16.3.1995, IPRax 1996, 427 (430 ff.) m. zust. Anm. Mankowski. 3 Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 134. 4 Für Gerichtsstandsvereinbarungen in einem Frachtbrief gilt dies nicht; vgl. OLG Stuttgart v. 23.12.2003 – 3 U 147/03, TranspR 2004, 406 m. Anm Herber; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 66; a.A. Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 194. 5 Vgl. zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ), Slg. 1984, 2417 (2435) (Rz. 24) = RIW 1984, 909; EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9347) (Rz. 23 ff.) = NJW 2001, 501; zust. BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BGHZ 171, 141 = RIW 2007, 312 (314); EuGH v. 14.7.1983 – Rs. 201/82, ECLI:EU: C:1983:217 (Gerling), Slg. 1983, 2503 (2517) (Rz. 20). Dieser Auffassung hat sich auch der frz. Kassationshof in zwei gleichlautenden Entscheidungen der Chambre civile und der Chambre commerciale angeschlossen, vgl. Cass. v. 16.12.2008, unalex FR-1038. Zur abweichenden früheren Haltung des frz. Kassationshofs und zur Rechtsprechung anderer EU-Mitgliedstaaten vgl. Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 137 in Fn. 565.

Hausmann | 1045

7.138

§ 7 Rz. 7.138 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Pflichten des Befrachtgers eingetreten ist, lassen sich dem Art. 25 Brüssel Ia-VO selbst freilich keine Maßstäbe entnehmen; diese Regelungslücke muss durch einen Rückgriff auf das anwendbare nationale Recht geschlossen werden1.

7.139

Da Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. b und lit. c Brüssel Ia-VO Erleichterungen nur für den formgerechten Konsens zwischen den (ursprünglichen) Parteien einer Gerichtsstandsvereinbarung bringt, jedoch Fragen der Rechtsnachfolge selbst nicht regelt, sondern dem nationalen Recht überlässt, gelten die Grundsätze der „Tilly Russ“-Entscheidung des EuGH zur Drittwirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen auch unter der Brüssel Ia-VO uneingeschränkt fort2. Deutsche Gerichte müssen also auf das deutsche IPR zurückgreifen, um die Parteien des Konnossementsverhältnisses zu bestimmen. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass es sich bei der Bestimmung der Parteien einer Gerichtsstandsvereinbarung um eine prozessuale Frage handelt; denn das Prozessrecht bedarf insoweit notwendig der Ergänzung durch das materielle Recht3. Maßgebend ist insoweit daher nicht die lex fori, sondern das jeweilige Konnossementsstatut4. Die Frage, ob ein Drittinhaber Rechtsnachfolger des Konnossementsberechtigten geworden ist, bestimmt sich aus der Sicht des deutschen IPR für Order-Konnossemente nach der lex loci indossamenti, für Inhaberkonnossemente nach der jeweiligen lex cartae sitae und für Rektakonnossemente nach dem Zessionsstatut (Art. 14 Rom I-VO)5.

7.140

Ist der an dem ursprünglichen Vertrag nicht beteiligte Konnossementsempfänger nach dem anwendbaren nationalen Recht nicht in die Rechte und Pflichten einer der ursprünglichen Parteien eingetreten, so hat das angerufene Gericht allerdings in einem zweiten Schritt stets noch zu prüfen, ob er der ihm entgegengehaltenen Gerichtsstandsklausel nicht selbst nachträglich in der Form des Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO zugestimmt hat6. Eine solche Zustimmung ergibt sich aber im internationalen Seefrachtverkehr i.d.R. aus einem entsprechenden internationalen Handelsbrauch i.S.v. Art. 25 Abs. 1 S. 3 lit. c Brüssel Ia-VO. Sind nämlich Gerichtsstandsklauseln in Konnossementen im internationalen Seerecht handelsüblich (Rz. 7.110 f.), so ist davon auszugehen, dass der Konnossementsberechtigte, der als Empfänger Ansprüche aus dem Konnossement geltend macht, aufgrund dieses Handelsbrauchs der Ge-

1 EuGH v. 19.6.1984 – Rs. 71/83, ECLI:EU:C:1984:217 (Tilly Russ), Slg. 1984, 2417 (2435) (Rz. 25); EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9347) (Rz. 24); zust. Girsberger, IPRax 2000, 87 (89 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 66; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 192; a.A. (autonome Auslegung) Stöve, S. 162 ff. Zum deutschen Seefrachtrecht vgl. näher Rabe, TranspR 2000, 389 (391 ff.). 2 Vgl. zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 16.3.1999 – C-159/67, ECLI:EU:C:1999:142 (Trasporti Castelletti), Slg. 1999 I, 1597 (1609) (Rz. 41); EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), Slg. 2000 I, 9337 (9347) (Rz. 24) = NJW 2001, 501; frz. Cass. civ. v. 4.3.2003, Rev.crit.d. i.p. 2003, 285 m. Anm. Lagarde = unalex FR-202; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 66 f. 3 Zutr. Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 244 ff.; a.A. Rauscher, IPRax 1992, 143 (145). 4 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), NJW 2001, 501 Rz. 23 ff.; Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 297 ff.; Gaudemet-Tallon, Rz. 161; z.T. abw. Stöve, S. 160. 5 Vgl. dazu eingehend Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 255 ff. m. umf. Nachw.; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 192. 6 EuGH v. 9.11.2000 – C-387/98, ECLI:EU:C:2000:606 (Coreck Maritime), NJW 2001, 501 (Rz. 26 f.)

1046 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.142 § 7

richtsstandsvereinbarung zugestimmt hat1; daher kommt es nicht mehr darauf an, ob er in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten ist oder nicht. Gegenüber sonstigen Dritten (z.B. dem Reeder) wirkt die Gerichtsstandsvereinbarung hingegen nur, wenn diese an der Vereinbarung beteiligt waren, die die Gerichtsstandsklausel enthält, oder dieser nachträglich zugestimmt haben2. ff) Emissionsprospekt

Den für Gerichtsstandsklauseln in Konossementen entwickelten Grundsatz, dass diese auch gegen solche Dritte wirken, die der Gerichtstandsklausel zwar nicht zugestimmt haben, die aber nach dem anwendbaren nationalen Recht in die Rechte und Pflichten einer der ursprünglichen Vertragsparteien eingetreten sind, hat der EuGH inzwischen verallgemeinert3. Deshalb kann auch eine Gerichtsstandsklausel in einem Emissionsprospekt von Schuldverschreibungen, der vom Emittenten der fraglichen Wertpapiere erstellt wurde, einem Dritten, der die Wertpapiere von einem Finanzmittler (Intermediär) erworben hat, entgegengehalten werden, wenn zum einen nachgewiesen wird, dass die Klausel im Verhältnis zwischen dem Emittenten und dem Finanzmittler (als erstem Zeichner der Wertpapiere) wirksam geworden ist, zum anderen, dass der Dritte durch die Zeichnung der in Rede stehenden Wertpapiere auf dem Sekundärmarkt in die nach dem anwendbaren nationalen Recht mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte und Pflichten des Finanzmittlers eingetreten ist und schließlich, dass der betreffende Dritte die Möglichkeit hatte, von dem die Klausel enthaltenden Prospekt Kenntnis zu erlangen4. Scheidet ein Eintritt des Dritten in die Rechte und Pflichten aus dem Ursprungsvertrag aus, weil diese erloschen sind, und macht der Dritte deshalb Bereicherungsansprüche geltend, so kann er sich hingegen auf die in dem Vertrag enthaltene Gerichtsstandsklausel nicht berufen5.

7.141

gg) Sonstige Fälle Auch die in einem Vertrag zugunsten Dritter enthaltene Gerichtsstandsklausel wirkt jedenfalls in dem Sinne zugunsten des Dritten, dass er in dem vereinbarten Gerichtsstand klagen kann; insoweit lässt sich die vom EuGH für Versicherungsverträge entwickelte Lösung (Rz. 7.137) verallgemeinern6. Wird dem Dritten das Recht nur mit der Maßgabe eingeräumt,

1 BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, BGHZ 117, 141 (Rz. 29) = NJW 2007, 2036; LG Hamburg v. 13.3.2008 – 413 O 92/06, IPRspr. 2008 Nr. 125; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO; Rz. 67; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 56; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 202; Magnus in Magnus/ Mankowski, Rz. 138, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Stöve, S. 271; Rabe, TranspR 2000, 389 ff.; Herber, TranspR 2004, 406 (410 f.); a.A. (zu Art. 17 EuGVÜ) noch Court of Appeal v. 19.7.1991 (Dresser U.K. Ltd./Falcongate Ltd.) [1992] 2 All E.R. 450 (457) = unalex UK-154; frz. Cass. civ. v. 4.3.2003, unalex FR-202; Huber, IPRax 1993, 114; Staehelin, S. 91; Girsberger, IPRax 2000, 87 (89 f.); Contaldi, Riv.dir.int.priv.proc. 1999, 889 ff.; Mankowski, Seerechtliche Vertragsverhältnisse im IPR (1995), S. 276 ff. m.w.N. Abl. auch noch zu Art. 25 Brüssel Ia-VO Mankowski in Rauscher, Rz. 188 f. 2 BGH v. 15.2.2007 – I ZR 40/04, = NJW 2007, 2036 (Rz. 32). 3 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584 (Rz. 65) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt = IWRZ 2015, 33 m. Anm. Dohrn. 4 EuGH v. 20.4.2016 – C-366/13, ECLI:EU:C:2016:282 (Profit Investment), EuZW 2016, 419 (Rz. 31 ff., 36) m. Anm. Müller. 5 BGH v. 26.3.2019 – XI ZR 228/17, NJW 2019, 2780 (Rz. 31). 6 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 204; Mankowski in Rauscher, Rz. 229, jeweils zu Art. 25 Brüssel IaVO.

Hausmann | 1047

7.142

§ 7 Rz. 7.142 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

dass er seinen Anspruch im Streitfall im forum prorogatum gegen den Schuldner durchzusetzen hat, so muss er die Gerichtsstandsvereinbarung auch gegen sich gelten lassen1. Dies gilt auch zu Lasten von Arbeitnehmern, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung in einem Tarifvertrag enthalten ist2. Ob die Klausel darüber hinaus in dem Sinne auch gegen den Dritten wirkt, dass er sich in dem ohne seine Mitwirkung vereinbarten Gerichtsstand auch verklagen lassen muss, erscheint hingegen fraglich3. Nach Maßgabe der EuGH-Rechtsprechung zur Bindungswirkung von Gerichtsstandsvereinbarungen in einer Gesellschaftssatzung für die Gesellschafter (Rz. 7.61 und Rz. 7.136) wirkt schließlich eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Brüssel Ia-VO ganz allgemein gegen solche Dritte, die der Vereinbarung nachweislich zugestimmt haben und die am vereinbarten Gerichtsstand aus dem Gesichtspunkt einer vertraglichen Mithaftung4 oder kraft Rechtsscheins5 in Anspruch genommen werden. Im Zweifel muss sich auch der falsus procurator an einer Gerichtsstandsvereinbarung festhalten lassen, die in dem von ihm ohne Vertretungsmacht geschlossenen Vertrag enthalten ist6.

4. Objektive Reichweite der Gerichtsstandsvereinbarung a) Auslegung

7.143

Die Frage nach der objektiven Reichweite von Gerichtsstandsvereinbarungen stellt sich insbesondere dann, wenn Schadensersatzansprüche einer Partei sowohl auf vertragliche wie auch auf außervertragliche, insbesondere deliktische oder bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlagen oder auf culpa in contrahendo gestützt werden. In diesem Falle ist durch Auslegung zu ermitteln, ob die Gerichtsstandsvereinbarung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände auch die gerichtliche Durchsetzung von solchen Ansprüchen umfassen sollte. Diese Auslegung obliegt allerdings nicht dem EuGH, sondern ist allein Sache des angerufenen nationalen Gerichts7. Da Art. 23 Brüssel I-VO hierfür keine Maßstäbe bot, haben die Gerichte der Mitgliedstaaten hierfür bisher überwiegend das auf den Hauptvertrag anzuwendende Recht und die in diesem Recht anerkannten Auslegungskriterien zugrundegelegt8. Da Art. 25 1 LAG Berlin-Brandenburg v. 8.2.2011 – 7 TaBV 2744/10, IPRspr. 2011 Nr. 186; Geimer in Geimer/ Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 205. 2 LAG Berlin-Brandenburg v. 8.2.2011 (vorige Fn.). 3 Vgl. ArbG Wiesbaden v. 7.10.1997 – 8 Ca 1172/97, DB 1997, 2284; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 205; Gaudemet-Tallon, Rz. 162; a.A. Mankowski, IPRax 1996, 427 (431); Gebauer, IPRax 2001, 471 (472); Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 43. 4 OLG Köln v. 13.3.1998 – 19 U 231/97, NJW-RR 1998, 1350 (Gerichtsstandsvereinbarung in Finanzierungsleasingvertrag wirkt auch für und gegen den Lieferanten, der den Vertrag mitunterzeichnet hat). 5 Rauscher, IPRax 1992, 143 (146) gegen OLG Saarbrücken v. 2.10.1991 – 5 U 21/91, NJW 1992, 987 (988) = IPRax 1992, 165. 6 Vgl. OLG Koblenz v. 24.6.2004 – 5 U 1353/02, IPRax 2006, 469 (m. Anm. Weller, IPRax 2006, 444 (447 ff.)); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 62. 7 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584 (Rz. 67) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt = IPRax 2016, 36 (m. Anm. W. H. Roth, IPRax 2016, 318); EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 (Benincasa/Dentalkit), Slg. 1997 I, 3767 (3795) (Rz. 31) = RIW 1997, 775; EuGH v. 10.3.1992 – C-214/89, ECLI:EU:C:1992:115 (Powell Duffryn), Slg. 1992 I, 1745 (1778) (Rz. 37) = ZIP 1992, 472; öOGH v. 9.9.2002 – 7 Ob 181/02x, unalex AT-45; High Court London (Q.B.Div.) v. 4.4.2007 (Hewden Tower Cranes Ltd/Wolffkran GmbH), unalex UK-397; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 208. 8 Vgl. BGH v. 6.12.2018 – XI ZR 228/17, NJW 2019, 1300 (Rz. 25); BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/ 95, BGHZ 134, 127 = IPRax 1999, 367 (m. Anm. Dörner/Staudinger, IPRax 1999, 338); schwz. BG v. 17.7.2012, unalex CH-511; High Court London (Q.B.Div.) v. 16.4.2003 (Evialis/SIAT), unalex

1048 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.145 § 7

Brüssel Ia-VO in seinem Abs. 5 noch stärker als der bisherige Art. 23 Brüssel I-VO die Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung betont (Rz. 7.59) und in Abs. 1 S. 1 für deren materielle Wirksamkeit eine ausdrückliche Verweisung auf das Recht am vereinbarten Gerichtsort enthält (Rz. 7.48 ff.), liegt es nahe, auch die Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung künftig an diesem Recht zu orientieren1. Auch für die gebotene Prüfungsintensität lassen sich aus Art. 25 Brüssel Ia-VO keine autonomen Maßstäbe gewinnen; hierüber entscheidet das angerufene – prorogierte oder derogierte – Gericht vielmehr nach seiner eigenen lex fori. Während die französischen Gerichte diesbezüglich eine eher restriktive Haltung einnehmen2, genügt nach deutschem Recht die schlüssige Darlegung der Ansprüche, auf die sich die Gerichtsstandsvereinbarung beziehen soll3. Auch eine enge Gerichtsstandsklausel, die sich nach ihrem Wortlaut nur auf Ansprüche „aus dem Vertrag“, d.h. auf Streitigkeiten über dessen Auslegung und Durchführung, bezieht, erfasst daher im Zweifel auch Streitigkeiten über die Beendigung und Rückabwicklung dieses Vertrages. soweit hierfür die Feststellung der Nicht- oder Schlechterfüllung von Vertragspflichten vorausgesetzt wird4.

7.144

b) Einzelfälle Dem Interesse der Parteien entspricht zumeist eine weite Auslegung der Gerichtsstandsvereinbarung, dh eine Erstreckung auf alle Ansprüche, die einen engen Zusammenhang mit dem geschlossenen Vertrag aufweisen5. Daher ist im Zweifel anzunehmen, dass sich die für vertragliche Ansprüche getroffene Gerichtsstandsvereinbarung auch auf konkurrierende deliktische Ansprüche einer Vertragspartei erstreckt, wenn zwischen der unerlaubten Handlung und einer Vertragsverletzung ein hinreichender Zusammenhang besteht; denn andernfalls könnte

1 2

3

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5

UK-34; High Court London v. 6.11.2009 (Skype TechnologiesSA/Joltid Ltd), unalex UK-387 (Rz. 14); Vischer, FS Jayme (2004), S. 993 (994). Zust. auch Magnus in Magnus/Mankowski; Rz. 141 ff., 143; Mankowski in Rauscher, Rz. 209, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Abweichend Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 211. Frz. Cass. civ. v. 21.3.2000, Rev.crit.d.i.p. 2000, 792 m. Anm. Sinay-Cytermann = unalex FR-54; frz. Cass. civ. v. 27.2.1996, Rev.crit. d.i.p. 1996, 736 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-150; frz. Cass. civ. v. 12.12.1989, Rev.crit.d.i.p. 1990, 358 m. krit. Anm. Gaudemet-Tallon = Clunet 1991, 158 m. Anm. Huet = unalex FR-300; App. Paris v. 10.5.1989, RIW 1989, 569 m. abl. Anm. Sterzing; großzügiger aber App. Orléans v. 7.11.2003, Rev.crit.d.i.p. 2003, 326 m. Anm. Ancel = unalex FR1126. Im englischen Recht muss die Erstreckung der Gerichtsstandsvereinbarung auf die geltend gemachten Ansprüche als „a good arguable case“ dargelegt werden, vgl. die Nachw. bei Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 141 in Fn. 580 f. BGH v. 25.11.1993 – IX ZR 32/93, BGHZ 124, 237 (240 f.) = EuZW 1994, 283 = IPRax 1995, 101 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1995, 75); BGH v. 11.7.1996 – V ZB 6/96, BGHZ 133, 240 (243); BGH v. 30.10.2003 – I ZR 59/00, RIW 2004, 228; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 69; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 83. Aud. Prov. Madrid v. 22.2.2010, unalex ES-466; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 39; a.A. frz. Cass. civ. v. 27.2.1996, Rev.crit.d.i.p. 1996, 736 m. Anm. Gaudemet-Tallon = unalex FR-150. Dies gilt erst recht, wenn die Gerichtsstandsklausel weit gefasst ist, vgl. frz. Cass. v. 6.3.2007, unalex FR-441 (Schadensersatzklage wegen ungerechtfertigter Kündigung eines Handelsvertretervertrages); frz. Cass. v. 12.5.2010, unalex FR-1135 (Schadensersatzklage wegen Verletzung des Ausschließlichkeitsrechts eines Vertragshändlers). Frz. Cass. v.18.1.2017, unalex FR-2506 (Schadensersatzansprüche wegen „rupture brutale“ eines Vertragshändlervertrags); Supreme Court London v. 18.6.2009, unalex UK-425; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 208.

Hausmann | 1049

7.145

§ 7 Rz. 7.145 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

die als ausschließlich gewollte Prorogation vom Kläger leicht unterlaufen werden1. Ging also der Wille der Parteien dahin, dem vereinbarten Gericht eine möglichst umfassende Zuständigkeit für Ansprüche aus der bestehenden Rechtsbeziehung einzuräumen, so versperrt die Gerichtsstandsvereinbarung auch den Deliktsgerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO2.

7.146

Dies gilt auch für Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb, die im Rahmen eines Handelsvertreter- oder Vertragshändlervertrages geltend gemacht werden3. Demgegenüber erstreckt sich eine Gerichtsstandsvereinbarung für Streitigkeiten aus einem Vertrag im Zweifel nicht auf Ansprüche, die ihren Grund in einem Betrug oder einer sonstigen unerlaubten Handlung einer Partei bereits bei Vertragsschluss haben4, und auch regelmäßig nicht auf künftige Vorsatztaten5. Auch für eine Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung, die zu einer Aufspaltung der internationalen Zuständigkeit nach Anspruchsgrundlagen führen würde, bedarf es besonderer Anhaltspunkte6.

7.147

Bei kartellrechtlichen Streitigkeiten ist zu unterscheiden: Bezieht sich eine Gerichtsstandsklausel nur in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen, so erfasst sie einen Rechtsstreit, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seiner Teilnahme an einem rechtswidrigen Kartell belangt wird, nicht. Bei Schadensersatzklagen wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV führt eine Gerichtsstandsvereinbarung daher nur dann zur Derogation des Deliktsgerichtsstand in Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO, wenn sie sich auch auf Streitigkeiten wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht bezieht7. Demgegenüber ist die Anwendung einer in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag enthaltenen Gerichtsstandsklausel auf eine auf Art. 102 AEUV gestützte Schadensersatzklage eines Händlers gegen seinen Lieferanten nicht allein aus dem Grund ausgeschlossen, dass sie sich nicht ausdrücklich auf Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Haftung wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht bezieht; denn der Missbrauch einer marktbeherr1 OLG Brandenburg v. 27.2.2014 – 12 U 10/13, IPRspr. 2014 Nr. 176; OLG Karlsruhe v. 9.8.2006 – 19 U 8/05, ZMR 2007, 929; OLG Stuttgart v. 9.11.1990 – 2 U 16/90, RIW 1991, 333 = IPRax 1992, 86 (m. Anm. H. Roth, IPRax 1992, 67); OLG München v. 8.3.1989 – 15 U 5989/88, RIW 1989, 901 (902) = ZZP 103 (1991), 84 (88 f.) m. Anm. H. Schmidt; LG Berlin v. 9.9.2004 – 26 O 530/02, IPRax 2005, 261 (LS) m. Anm. Jayme; LG München v. 2.2.2004 – 10 O 1080/03, NJOZ 2004, 1029; zust. Geimer in Zöller, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 39; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 69; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 38; Mankowski in Rauscher, Rz. 212, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; Vischer, FS Jayme (2004), S. 993 ff. Ebenso vor allem die englische Rechtsprechung, vgl. Court of Appeal v. 10.11.1993 (Continental Bank/Aekos Compania Naviera), unalex UK-140 (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung); Court of Appeal v. 28.4.1994 (Kittechnology BV/Unicor GmbH), unalex-UK-128 („claims for misuse of confidential information obtained“); ferner Supreme Court (Irland) v. 12.5.2005 (Leo Laboratories/Crompton BV), unalex IE-10; App. Orléans v. 7.11.2003, Rev. crit. 2003, 326 m. Anm. Ancel = Clunet 2004, 203 m. Anm. Huet. 2 OLG Stuttgart v. 20.4.2004 – 8 W 234/03, NJW-RR 2004, 1581; vgl. auch Court of Appeal v. 27.6.2001 (Maimann/Maimann), unlex UK-106 (Ansprüche wegen Vollmachtsmissbrauch); anders für eine ausdrücklich auf vertragliche Ansprüche beschränkte enge Gerichtsstandsvereinbarung LG Düsseldorf v. 29.4.2011 – 15 O 601/98, RIW 2011, 810 m. Anm. von Hein. 3 Frz. Cass. v. 12.5.2010, unalex FR-1135; anders noch frz. Cass. v. 21.3.2000, unalex FR-54; ital. Cass. v. 5.9.1989, unalex IT-43. 4 OLG Hamburg v. 12.2.1981 – 6 U 150780, RIW 1982, 669. 5 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584 (Rz. 68 ff.) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt = IPRax 2016, 362 (m. Anm. W. H. Roth, IPRax 2016, 318). 6 OLG München v. 3.5.2017 – 7 U 4817/16, BeckRS 2017, 121060 (Rz. 46). 7 EuGH v. 21.5.2015 – C-352/13, ECLI:EU:C:2015:335 (CDC Hydrogen Peroxide), EuZW 2015, 584 (Rz. 69 f.) m. Anm. Harms/Sanner/Schmidt.

1050 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.149 § 7

schenden Stellung durch ein Unternehmen kann sich auch in den vertraglichen Beziehungen und über die Vertragsbedingungen manifestieren1. Die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung hängt im letzteren Fall auch nicht davon ab, dass zuvor ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht durch eine nationale oder euroäische Behörde festgestellt worden ist2.

Da Gerichtsstandsklauseln nach dem Parteiwillen – wie Schiedsklauseln (§ 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO; dazu Rz. 7.311) – im Regelfall in ihrer Wirksamkeit nicht von dem Hauptvertrag, für den sie geschlossen werden, abhängen sollen (Autonomie der Gerichtsstandsvereinbarung, Art. 25 Abs. 5 Brüssel Ia-VO; dazu Rz. 7.59), kann auch eine auf die Feststellung der Nichtigkeit des Hauptvertrages gerichtete Klage grundsätzlich nur vor dem prorogierten Gericht erhoben werden. Denn die mit Art. 25 Brüssel Ia-VO angestrebte Rechtssicherheit wäre gefährdet, wenn einer Vertragspartei die Möglichkeit eingeräumt würde, die Wirksamkeit der Prorogation allein durch die Behauptung zu vereiteln, dass der Hauptvertrag nach Maßgabe des anzuwendbaren materiellen Rechts unwirksam sei. Die Nichtigkeit des Vertrages, in dem die Gerichtstandsklausel enthalten ist, lässt deren Wirksamkeit daher grundsätzlich unberührt3. Etwas anderes gilt nur, wenn der Nichtigkeitsgrund (z.B. Geschäftsunfähigkeit einer Partei) ausnahmsweise auch auf die Gerichtsstandsvereinbarung durchschlägt. Grundsätzlich erfasst eine Gerichtsstandsklausel daher auch Streitigkeiten über die Rückabwicklung fehlgeschlagener Vertragsschlüsse, mag es sich nach der maßgeblichen lex causae – wie z.B. nach deutschem Recht (§ 812 BGB) – auch um gesetzliche Ansprüche handeln4. Von ihr erfasst werden daher auch etwaige Streitigkeiten über Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung als Folge der Unwirksamkeit des Vertrages5.

7.148

Setzen die Parteien das Vertragsverhältnis nach einer Kündigung aufgrund einer neuen (mündlichen) Vereinbarung unverändert fort, so gilt die im Vertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung weiter6. Die Frage, ob die in einem zeitlich befristeten Hauptvertrag enthaltene Gerichtsstandsklausel im Falle einer Vertragsverlängerung fortwirkt, soll sich hingegen nach der Rechtsprechung des EuGH nach nationalem Recht beurteilen7.

7.149

1 EuGH v. 24.10.2018 – C-595/17, ECLI:EU:C:2019:854 (Apple Sales International), NJW 2019, 349 (Rz. 26 ff.) = EuZW 2019, 81 m. Anm. Seggewiße = JZ 2019, 139 m. Anm. Mankowski = IPRax 2019, 524 (m. Anm. Sirakova/Westhoven, IPRax 2019, 493). 2 EuGH v. 24.10.2018 (vorige Fn.), Rz. 36. 3 EuGH v. 3.7.1997 – C-269/95, ECLI:EU:C:1997:337 (Benincasa/Dentalkit), Slg. 1997 I, 3767 (3795) (Rz. 27 ff.) = RIW 1997, 775; zust. BGH v. 30.3.2006 – VII ZR 249/04, BGHZ 167, 83 (86 f.) = NJW 2006, 1672; öOGH v. 28.3.2018 – 6 Ob 19/18i, unalex AT-1161; KG v. 15.5.2018 – 7U 112/17, BeckRS 2018, 14615 (Rz. 15); LG Berlin v. 29.9.2004 – 26 O 530/02, IPRax 2005, 261 (LS) m. Anm. Jayme; LG Mainz v. 13.9.2005 – 10 HK. O 112/04, WM 2005, 2319; Mankowski, JZ 1998, 898 (899 f.); Staehelin, S. 128; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 91; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 39; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 94, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; vgl. auch schon OLG München v. 13.2.1985 – 7 U 3867/84, IPRspr. 1985 Nr. 133A. Ebenso etwa frz. Cass. v. 13.3.2007, unalex FR-1110; ital. Cass. v. 4.1.1995, unalex IT-383; Supremo Tribunal de Justica v. 16.12.2004, unalex PT-5; High Court (Ireland) v. 20.1.2009 (Ryanair/Bravofly), unalex IE40; a.A. noch frz. Cass. civ. v. 25.1.1983, Rev.crit.d.i.p. 1983, 316 m. Anm. Gaudemet-Tallon. 4 Mankowski in Rauscher, Rz. 213, 217; a.A. Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 140, 153, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 5 Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 39; Mankowski in Rauscher, Rz. 217; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 151, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 6 BGH v. 6.12.2018 – IX ZR 22/18, NJW 2019, 1300 (Rz. 24). 7 EuGH v. 11.11.1986 – C 313/85, ECLI:EU:C:1986:423 (Iveco), Slg 1986, 3353 (Rz. 7 f.) = NJW 1987, 2155; sie wird in der Praxis regelmäßig positiv beantwortet, vgl. frz. Cass v. 5.4.2016, unalex FR-2471.

Hausmann | 1051

§ 7 Rz. 7.150 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.150

Darüber hinaus erfasst eine Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Parteiwillen auch Ansprüche aus culpa in contrahendo1 sowie wegen der Verletzung von Pflichten aus einem Vorvertrag2. Demgegenüber ist durch Auslegung im Einzelfall festszustellen, ob die für einen Vertrag getroffene Gerichtsstandsvereinbarung sich auch auf Ansprüche aus weiteren Verträgen erstreckt, die in engem zeitlichen und/oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit diesem Vertrag abgeschlossen wurden, aber ihrerseits keine Gerichtsstandsvereinbarung enthalten. Nach Ansicht des OLG Köln3 erstreckt sich die in einem langfristig angelegten Vertrag enthaltene Gerichtsstandsvereinbarung auch auf Geschäfte der Parteien, die mit dem ursprünglichen Vertrag in engem Zusammenhang stehen, bei denen aber die Zahlungs- und Lieferbedingungen aufgrund von Marktveränderungen nachträglich angepasst worden sind. Die Praxis der anderen Mitgliedstaaten ist diesbezüglich hingegen eher zurückhaltend4. So soll sich die in einem Handelsvertretervertrag vereinbarte Gerichtsstandsklausel nicht auf einen kurz danach zwischen den Parteien geschlossenen Beratungsvertrag erstrecken5. Ebenso wurde entschieden, dass der in einem Darlehensvertrag vereinbarte Gerichtsstand nicht ohne weiteres auch für Streitigkeiten aus einem späteren Vertrag zur Umschuldung dieses Darlehens6 oder für einen am gleichen Tag geschlossenen Bürgschaftsvertrag7 maßgeblich ist. Dementsprechend wird der Hersteller durch eine im Vertragshändlervertrag enthaltene Gerichtsstandsklausel nicht daran gehindert, ausstehende Kaufpreisforderungen gegen den Händler aus einzelnen Liefergeschäften vor den nach Art. 4 ff. Brüssel Ia-VO zuständigen Gerichten einzuklagen8. Umgekehrt gilt die in die einzelnen Lieferverträge einbezogene Gerichtsstandsklausel grundsätzlich nicht für Klagen aus dem Händlervertrag9. Auch erstreckt sich die in einem Konto- und Depotführungsvertrag mit einer Bank enthaltene Gerichstandsvereinbarung nicht ohne weiteres auf Streitigkeiten aus einem Anlageberatungsvertrag10.

7.151

Konflikte zwischen sich widersprechenden Gerichtsstandsklauseln in verschiedenen Teilverträgen eines komplexen Vertragswerks sind so zu lösen, wie es den Interessen vernünftig denkender Vertragsparteien entspricht11. Auch eine enge Gerichtsstandsklausel, die sich nach ih1 Supreme Court London v. 18.6.2009 (UBS/HSH Nordbank), unalex UK-425 (arglistige Täuschung beim Vertragsschluss); frz. Cass. v. 9.2.2011, unalex FR-2182. 2 LG Berlin v. 29.9.2004 – 26 O 530/02, IPRspr. 2004 Nr. 124. 3 OLG Köln v. 25.5.2012 – 19 U 159/11, IHR 2013, 68. 4 Vgl. außer der nachfolgend zitierten Rechtsprechung etwa öOGH v. 28.10.1997 – 4 Ob 313/97a, unalex AT-127; ital. Cass. v. 17.2.2017, unalex IT-719 und v. 14.6.2007, unalex IT-230; Aud.Prov. Madrid v. 6.11.2001, unalex ES-374. 5 Frz. Cass. v. 12.12.1989, Rev.crit. d.i.p.1990, 358 m. Anm. Gaudemet-Tallon = Clunet 1991, 158 m. Anm. Huet = unalex FR-300. 6 High Court London v. 13.5.1994 (Ocarina Marine/Marcard Stein & Co.), unalex UK-217. Anders aber, wenn im Folgevertrag die Fortgeltung des Grundvertrags im Übrigen vereinbart worden ist, vgl. OLG Celle v. 24.9.2003 – 3 U 90/03, NJW-RR 2004, 575; AG Hamburg-Blankenese v. 7.1.2004 – 508 C 340/02, NJW-RR 2004, 757. 7 ÖOGH v. 23.7.2013 – 10 Ob 24/13x, unalex AT-907. 8 App. Versailles v. 30.11.2000, unalex FR-232; vgl. auch OLG München v. 27.4.1999 – 25 U 4375/ 98, RIW 1999, 621. 9 Supreme Court (Irland) v. 21.12.2000 (Bio Medical Research/Delatex), unalex IE-39; frz. Cass. v. 29.10.1985, unalex FR-175; OLG Bamberg v. 24.4.2013 – 3 U 198/12, IPRax 2015, 154 (Rz. 44 ff.) (m. Anm. Wais, IPRax 2015, 127); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 218. Anders freilich bei entsprechend weiter Formulierung der Gerichtsstandsvereinbarung, vgl. frz. Cass. v. 19.3.2008, unalex FR-533; öst. OGH v. 7.2.2007, unalex AT-347. 10 OLG Stuttgart v. 27.4.2015 – 5 U 120/14, BeckRS 2015, 12064 (Rz. 111 f.) = RIW 2015, 762. 11 Vgl. dazu näher Supreme Court London v. 18.6.2009 (UBS/HSH Nordbank), unalex UK-425; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 219 m.w.N.

1052 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.153 § 7

rem Wortlaut nur auf Ansprüche „aus dem Vertrag“, d.h. auf Streitigkeiten über desssen Auslegung und Durchführung, bezieht, erfasst im Zweifel Streitigkeiten über die Beendigung und Rückabwicklung dieses Vertrages, soweit hierfür die Feststellung der Nicht- oder Schlechterfüllung von Vertragspflichten vorausgesetzt wird1. Dies gilt erst recht, wenn die Gerichtsstandsklausel weit gefasst ist2.

5. Wirkungen der Gerichtsstandsvereinbarung im Prozess a) Klage vor dem prorogierten Gericht Wird das in einer Gerichtsstandsvereinbarung bezeichnete Gericht eines Mitgliedstaats von einer Partei angerufen, so hat es an Hand der zuvor beschriebenen materiellen Voraussetzungen und Formvorschriften des Art. 25 Brüssel Ia-VO zu prüfen, ob die Vereinbarung wirksam ist. Bejaht es diese Frage, so hat es seine internationale Zuständigkeit zur Streitentscheidung festzustellen. Ein Ermessen des Gerichts – etwa nach Maßgabe der englischen forum non conveniens-Lehre – besteht insoweit nicht3. Für diesen Fall sind die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten an diese Entscheidung des prorogierten Gerichts gebunden und haben sich, sofern sie später angerufen werden, gem. Art. 29 Abs. 3 Brüssel Ia-VO zugunsten dieses Gerichts für unzuständig zu erklären. Hält das prorogierte Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung hingegen für unwirksam, so hat es die Klage wegen mangelnder internationaler Zuständigkeit abzuweisen, wenn es nicht auch kraft Gesetzes nach Art. 7 ff. Brüssel Ia-VO zuständig ist. Auch das klageabweisende Prozessurteil ist dann in allen anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen; deren Gerichte sind daher an die in den Gründen dieses Urteils enthaltene Feststellung gebunden, dass es an einer gültigen Gerichtsstandsvereinbarung fehlt4.

7.152

b) Klage vor dem derogierten Gericht Rief eine Partei entgegen der getroffenen Gerichtsstandsvereinbarung zuerst das Gericht eines derogierten Mitgliedstaats an, so war dieses unter Geltung von Art. 23 Brüssel I-VO verpflichtet, die Wirksamkeit der Vereinbarung eigenständig zu prüfen; es war also nicht berechtigt, das Verfahren auszusetzen, um dem prorogierten Gericht die Möglichkeit zu geben, verbindlich über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zu entscheiden. Eine Kompetenz-Kompetenz des prorogierten Gerichts bestand insoweit nicht5. Daher hatte auch das prorogierte Gericht, wenn es später angerufen wurde, nach der Grundregel des Art. 27 Brüs1 Aud. Prov. Madrid v. 22. 2. 2010, unalex ES- 466; Schlosser in Schlosser/Hess, Art. 25 Brüssel IaVO Rz. 39; a.A. frz. Cass. civ. 27. 2. 1996, Rev. crit. d.i.p. 1996, 736 m. Anm. Gaudemet-Tallon. 2 Vgl. frz. Cass. v. 6. 3. 2007, unalex FR-441; frz. Cass. v. 12. 5. 2010, unalex FR-1135. 3 Vgl. zu Art. 2 Brüssel I-VO EuGH v. 1.3.2005 – C-281/02, ECLI:EU:C:2005:120 (Owusu), Slg. 2005 I, 1383 (Rz. 37); ebenso zu Art. 17 EuGVÜ Court of Appeal v. 10.11.1993 (Continental Bank NA/Aeokos Cia Naviera SA), unalex UK-140; Magnus in Magnus/Mankowski, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 46. 4 EuGH v. 15. 11. 2012 – C-456/11, ECLI:EU:C:2012:719 (Gothaer Allg.Versicherung AG), EuZW 2013, 60 (Rz. 33 ff.) (m. Anm. Bach, EuZW 2013, 56) = IPRax 2014, 163 (m. Anm. H. Roth, IPRax 2014, 136); OLG Bremen v. 25.4.2014 – 2 U 102/13, IPRax 2015, 354 m. Anm. H. Roth, IPRx 2015, 329). Krit. zur Begründung des EuGH Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 213. 5 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (14738) (Rz. 41 ff.) = IPRax 2004, 243 (m. Anm. Grothe, IPRax 2004, 205); dazu die Vorlage des OLG Innsbruck v. 25.3.2002, unalex AT-92; Thiele, JZ 2004, 285 (287); ebenso schon zuvor öOGH v. 25.2.1999, unalex AT-404; High Court London v. 22.3.2000 (Lafi Office/Meriden Animal Health), unalex UK-126; Mankowski; JZ 1998, 898 (901); Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 126.

Hausmann | 1053

7.153

§ 7 Rz. 7.153 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

sel I-VO das Verfahren solange auszusetzen, bis das zuerst angerufene derogierte Gericht über seine Zuständigkeit entschieden hatte1.

7.154

War die Gerichtsstandsvereinbarung aus der Sicht des derogierten Gerichts wirksam, so hatte sich dieses Gericht auf entsprechende Rüge des Beklagten bzw. im Fall der Nichteinlassung des Beklagten von Amts wegen (Art. 26 Abs. 1 Brüssel I-VO) – für unzuständig zu erklären und die Klage abzuweisen2. Die Klageabweisung hatte auch dann zu erfolgen, wenn der Kläger hilfsweise Ansprüche erhoben hatte, die nicht von der Gerichtsstandsvereinbarung erfasst wurden3. Das Urteil des derogierten Gerichts war dann in allen übrigen Mitgliedstaaten anzuerkennen; daher war auch das prorogierte Gericht an diese Entscheidung gebunden und musste sich für zuständig erklären4. Ein negativer internationaler Kompetenzkonflikt war auf diese Weise ausgeschlossen5. Hielt das angerufene derogierte Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung hingegen für unwirksam und sich selbst nach Art. 2 ff. Brüssel I-VO für international zuständig, so setzte es das Verfahren fort. Für diesen Fall hatte sich das später angerufene prorogierte Gericht auch dann nach Art. 27 Abs. 2 Brüssel I-VO für unzuständig zu erklären, wenn es hinsichtlich der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung anderer Ansicht war6. Denn nach Ansicht des EuGH war das prorogierte Gericht „in keinem Fall besser als das zuerst angerufene Gericht in der Lage, über die Zuständigkeit zu befinden“7.

7.155

Mit dieser Rechtsprechung, die den Rechtshängigkeitsregeln des Art. 27 Vorrang auch vor einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 23 Brüssel I-VO einräumte, belohnte der EuGH im Ergebnis diejenige Partei, die sich über die getroffene Gerichtsstandsvereinbarung hinweggesetzt und Klage vor dem derogierten Gericht eines anderen Mitgliedstaats erhoben hatte. Hierdurch sicherte sich der Kläger insbesondere dann prozesstaktische Vorteile, wenn die Klage in einem Mitgliedstaat erhoben wurde, dessen Gerichte bekanntermaßen sehr langsam arbeiten („Torpedoklage“)8. Auch Versuchen englischer Parteien, die Fortsetzung des Verfahrens vor dem derogierten Gericht mit Hilfe von „antisuit injunctions“ zu verbieten, hat der EuGH eine Absage erteilt9. Zur Lösung dieses Problems wurde in der Literatur – in Anlehnung an die frühere englische Gerichtspraxis10 – vorgeschlagen, den Prioritäts1 Ital. Cass. v. 15.2.2007, unalex IT-224; LG Bonn v. 26.6.2003 – 7 O 22/02, RIW 2004, 460; Layton/ Mercer, Rn. 20.004; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 215; Kropholler/von Hein, Art. 27 Brüssel I-VO Rz. 19; Heinig, S. 210 ff. m.w.N. 2 Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 96; ebenso zu Art. 17 EuGVÜ Court of Appeal v. 10.11.1993 (Continental Bank NA/Aeokos Cia Naviera SA), unalex UK-140. 3 Ital. Cass. v. 20.2.2007, unalex IT-213. 4 OLG Celle v. 1.11.1995 – 2 U 145/92, IPRax 1997, 417 (m. Anm. Koch, IPRax 1997, 405). 5 Geimer, FS Kralik (1986), S. 179 (185 ff.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 97. 6 ÖOGH v. 25.2.1999, ZfRV 1999, 150 (151) (LS). 7 EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (Rz. 48 ff.) = RIW 2004, 289 (m. Anm. Thiele, RIW 2004, 285 = IPRax 2004, 243 m. Anm. Grothe, IPRax 2004, 205 und Schilling, IPRax 2004, 294). 8 Vgl. Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 238 ff. 9 Vgl. (zu einer Schiedsklausel) EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 (Allianz/West Tankers), Slg. 2009 I, 663 (Rz. 28 ff.). 10 Court of Appeal v. 10.11.1993 (Continental Bank NA/Aeokos Cia Naviera SA), [1994] 1 WLR 588 = unalex UK-140; Court of Appeal v. 14.1.1994 (IP Metal Ltd./Ruote Oz SpA), unalex UK-224; Court of Session v. 31.3.1995 (Bank of Scotland/Banque Nationale de Paris), unalex UK-112; High Court London v. 17.1.1996 (Toepfer International/Molino Boschi), unalex UK-216; High Court London (Q.B.Div.) v. 12.10.2000 (Glencore International AG/Metro Trading International), unalex UK-266; High Court London v. 5.10.2001 (Digit Srl/Apple Computer International), unalex UK-222.

1054 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.158 § 7

grundsatz des Art. 27 Brüssel I-VO in Fällen eines ausschließlich vereinbarten Gerichtsstands einzuschränken1. Dieser Anregung ist im Zuge der Reform der Brüssel I-VO auch der europäische Gesetzgeber gefolgt und hat dies in Erwägungsgrund 22 zur Brüssel Ia-VO wie folgt zum Ausdruck gebracht:

7.156

„Um allerdings die Wirksamkeit von ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarungen zu verbessern und missbräuchliche Prozesstaktiken zu vermeiden, ist es erforderlich, eine Ausnahme von der allgemeinen Rechtshängigkeitsregel vorzusehen, um eine befriedigende Regelung in einem Sonderfall zu erreichen, in dem es zu Parallelverfahren kommen kann. Dabei handelt es sich um den Fall, dass ein Verfahren bei einem Gericht, das nicht in einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart wurde, anhängig gemacht wird und später das vereinbarte Gericht wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien angerufen wird. In einem solchen Fall muss das zuerst angerufene Gericht das Verfahren aussetzen, sobald das vereinbarte Gericht angerufen wurde, und zwar so lange, bis das letztere Gericht erklärt, dass es gemäß der ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung nicht zuständig ist. Hierdurch soll in einem solchen Fall sichergestellt werden, dass das vereinbarte Gericht vorrangig über die Gültigkeit der Vereinbarung und darüber entscheidet, inwieweit die Vereinbarung auf den bei ihm anhängigen Rechtsstreit Anwendung findet. Das vereinbarte Gericht sollte das Verfahren unabhängig davon fortsetzen können, ob das nicht vereinbarte Gericht bereits entschieden hat, das Verfahren auszusetzen“.

Dementsprechend stellt Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO klar, dass im Falle der Vereinbarung einer ausschließlichen Zuständigkeit des Gerichts (oder der Gerichte) eines Mitgliedstaats die Gerichte anderer Mitgliedstaaten in der Sache nicht mehr entscheiden dürfen, sobald das prorogierte Gericht angerufen wird. Der Beklagte in dem Verfahren vor dem derogierten Gericht hat daher jederzeit die Möglichkeit, dieses Gericht zur Aussetzung des Verfahrens zu zwingen, indem er nachträglich das prorogierte Gericht anruft. Hält dieses die Gerichtsstandsvereinbarung für wirksam und bejaht es aus diesem Grunde seine internationale Zuständigkeit, so hat sich das derogierte Gericht gem. Art. 31 Abs. 3 Brüssel Ia-VO zugunsten des vereinbarten Gerichts für unzuständig zu erklären und die Klage abzuweisen, auch wenn das Verfahren vor dem derogierten Gericht zuerst anhängig war.

7.157

Mit dieser Regelung hat sich der europäische Gesetzgeber am Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen (HGÜ) vom 30.6.2005 (dazu Rz. 7.12, Rz. 7.28)2 orientiert, das ebenfalls eine solche Kompetenz-Kompetenz des prorogierten Gerichts vorsieht. Diese wird freilich in Art. 6 lit. a bis lit. e HGÜ in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt. Insbesondere ist ein derogiertes Gericht nach Art. 6 lit. a HGÜ dann nicht verpflichtet, das Verfahren auszusetzen, wenn es selbst die Gerichtsstandsvereinbarung nach dem Recht des Staates des vereinbarten Gerichts für ungültig hält. Die der Kompetenz-Kompetenz des vereinbarten Gerichts in Art. 6 HGÜ gezogenen Schranken wurden allerdings aus Gründen der Rechtssicherheit nicht in die Brüssel Ia-VO übernommen. Damit bleibt aber das Problem zu lösen, welche Anforderungen an eine „ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung“ zu stellen sind, damit sie die Rechtsfolgen des Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO auslöst3. In Fällen alternativer Gerichtsstandsvereinbarungen dürfte die Prioritätsregelung des Art. 29 Brüssel Ia-VO zur An-

7.158

1 Vgl. Magnus/Mankowski, ZVglRW 2010, 1 (13 f.). 2 ABl. EU 2009 Nr. L 133, S. 3 = Jayme/Hausmann, Nr. 151. 3 Insoweit dürfte das in Rz. 7.124 ff. zur Abgrenzung von ausschließlichen und nur konkurrierenden Gerichtsstandsvereinbarungen Gesagte entsprechend gelten. Zur Kritik an der Neuregelung in Art. 31 Abs. 2, 3 Brüssel Ia-VO vgl. ausführlich Simons in unalexKomm, Einf. vor Art. 27 Brüssel I-VO Rz. 22 ff.

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§ 7 Rz. 7.158 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

wendung kommen, so dass zunächst das früher angerufene Gericht über die Wirksamkeit der Vereinbarung zu seinen Gunsten zu entscheiden hat.

7.159

Im Übrigen gilt: Klagt eine Partei unter der Brüssel Ia-VO entgegen der Vereinbarung vor dem derogierten Gericht eines Mitgliedstaats, so prüft dieses das Vorliegen und die Wirksamkeit der Vereinbarung, solange nicht auch das prorogierte Gericht angerufen wird, nur auf Rüge des Beklagten1. Dies gilt auch bei Vereinbarung der Zuständigkeit der Gerichte eines Drittstaats2. Lässt der Beklagte sich also nicht gemäß Art. 26 Brüssel Ia-VO rügelos auf das Verfahren ein und hält das Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung für wirksam, so hat es sich für unzuständig zu erklären (Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO). An diese Entscheidung ist auch das später angerufene Gericht am forum prorogatum gebunden3. Hält das derogierte Gericht die Vereinbarung hingegen für unwirksam, sich selbst aber für zuständig, so setzt es das Verfahren ohne Rücksicht auf die Gerichtsstandsvereinbarung fort4. Wird ein derogiertes Gericht eines Mitgliedstaats hingegen erst nach Rechtshängigkeit des Verfahrens im forum prorogatum angerufen, so hat es das Verfahren nach der allgemeinen Regel des Art. 29 Abs. 1 Brüssel Ia-VO von Amts wegen auszusetzen, bis die Zuständigkeit des prorogierten Gerichts feststeht; für letzteren Fall hat sich das derogierte Gericht dann nach Art. 29 Abs. 3 Brüssel IaVO für unzuständig zu erklären5.

7.160

Die Pflicht des derogierten Gerichts zur Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des prorogierten Gerichts über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung besteht nach Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO freilich nur „unbeschadet des Artikels 26“. Hat sich die beklagte Partei also auf das Verfahren vor dem derogierten Gericht nach Art. 26 Brüssel Ia-VO rügelos eingelassen, so beschränkt sich die Prüfung dieses Gerichts auf die durch die ausschließlichen Zuständigkeiten des Art. 24 Brüssel Ia-VO gezogenen Prorogationsschranken, Art. 27 Brüssel Ia-VO. Eine Gerichtsstandsvereinbarung steht nämlich einer stillschweigenden Prorogation durch rügelose Einlassung vor einem anderen als dem nach Art. 25 Brüssel Ia-VO vereinbarten Gericht nicht entgegen, weil Art. 26 Abs. 1 Brüssel Ia-VO einen Vorbehalt nur zugunsten der ausschließlichen Zuständigkeiten nach Art. 24 Brüssel Ia-VO enthält und Art. 25 Brüssel Ia-VO eine nachträgliche Aufhebung der getroffenen Zuständigkeitsvereinbarung, wie sie in der rügelosen Einlassung auf die Klage vor dem derogierten Gericht zum Ausdruck kommt, nicht hindert6. 1 Zum Erfordernis der Rüge vgl. Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 173; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 26; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 84, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. Die Rüge setzt nicht voraus, dass der Beklagte sich ausdrücklich auf die Gerichtsstandsvereinbarung beruft; es genügt, dass er die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestreitet und die Gerichtsstandsvereinbarung vorgelegt hat; vgl. OLG Stuttgart v. 20.4.2009 – 5 U 197/08, IPRspr. 2010 Nr. 184a. 2 EuGH v. 17.3.2016 – C-175/15, ECLI:EU:C:2015:176 (Taser International), EuZW 2016, 558 (Rz. 24) = IWRZ 2016, 175 m. Anm. Kaufhold; dazu Koechel, GPR 2016, 204; Gebauer, GPR 2016, 245. 3 Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 217. 4 Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 86; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 26, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 5 Leible in Rauscher, Art. 29 Brüssel Ia-VO Rz. 38 ff.; ebenso schon zu Art. 23, 27 Brüssel I-VO Kropholler/von Hein, Rz. 97. 6 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 127 f.; Mankowski in Rauscher, Rz. 3, jeweils zu Art. 25 Brüssel IaVO; vgl. i.d.S. schon zu Art. 17 EuGVÜ EuGH v. 9.12.2003 – C-116/02, ECLI:EU:C:2003:657 (Gasser/MISAT), Slg. 2003 I, 14721 (Rz. 49); EuGH v. 7.3.1985 – Rs. 48/84, ECLI:EU:C:1985:105, ZIP 1985, 1228 (Spitzley/Sommer), Slg. 1985, 787 (799) (Rz. 23 ff.) = NJW 1985, 2893 = IPRax

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A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.163 § 7

c) Widerklage Da der Gerichtsstand der Widerklage nach Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO in der abschließenden Ausnahmeregelung des Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO nicht erwähnt ist, kann er grundsätzlich durch eine Zuständigkeitsvereinbarung abbedungen werden, die sich dann auch auf Widerklagen erstreckt1. Trotz der Vermutung zugunsten der Ausschließlichkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen (Rz. 7.124) ist jeweils im Wege der Auslegung des Parteiwillens zu ermitteln, ob die Parteien die Geltendmachung der Forderung am forum derogatum im Wege der Widerklage auch für den Fall ausschließen wollten, dass der Widerkläger selbst an diesem forum belangt wird. Dies wird häufig dem vermutlichen Parteiwillen nicht entsprechen, so dass der Beklagte/Widerkläger in diesem Fall nicht gezwungen ist, seine Forderung ausschließlich im forum prorogatum geltend zu machen2. Die Widerklage kann in jedem Fall am forum derogatum erhoben werden, wenn der Kläger sich dort rügelos nach Art. 26 Brüssel Ia-VO auf die Widerklage einlässt3.

7.161

Eine Ausnahme ist allerdings für einseitig begünstigende Gerichtsstandsvereinbarungen anzuerkennen. Erhebt also der durch die Vereinbarung begünstigte Vertragspartner Klage an dem nur ihm wahlweise zugänglichen Gericht, so kann der Beklagte mangels gegenteiliger Anhaltspunkte bei diesem Gericht nicht auch Widerklage erheben, weil er den Kläger sonst um den Vorteil der nur ihn begünstigenden Vereinbarung bringen würde4. In jedem Fall kann der Ausschluss der Widerklage am forum derogatum durch die rügelose Einlassung des Klägers auf die Widerklage analog Art. 26 Brüssel Ia-VO überwunden werden5.

7.162

d) Prozessaufrechnung Ähnliche Erwägungen wie für die Widerklage gelten auch für die Prozessaufrechnung, obwohl diese bloßes Verteidigungsmittel ist. Art. 25 Brüssel Ia-VO kann nicht dahin ausgelegt werden, dass er ein für den Hauptanspruch als ausschließlich zuständig bestimmtes Gericht daran

1 2

3 4 5

1986, 27 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1986, 10); EuGH v. 24.6.1981 – Rs. 150/80, ECLI:EU: C:1981:148 (Elefanten Schuh/Jacqmain), Slg. 1981, 1671 (1684) (Rz. 10) = IPRax 1982, 234 (m. Anm. Leipold, IPRax 1982, 222); EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 (Meeth/Glacetal), Slg. 1978, 2133 (2142) (Rz. 8) = RIW 1978, 814; BGH v. 21.11.1996 – IX ZR 264/95, BGHZ 134, 127 (133) = ZIP 1996, 2184; BGH v. 3.12.1992 – IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 (337 f.) = MDR 1993, 473; OLG Dresden v. 2.6.1999 – 8 U 550/99, IPRspr. 1999 Nr. 115; OLG Koblenz v. 28.3.1991 – 2 U 849/89, RIW 1991, 592; OLG Koblenz v. 30.11.1990 – 2 U 1072/89, RIW 1991, 63 = EuZW 1991, 158; OLG Stuttgart v. 15.2.1989 – 9 U 207/88, IPRax 1989, 247; OLG Koblenz v. 3.3.1989 – 2 U 1543/87, RIW 1989, 310; zum LugÜ 1988 öOGH v. 23.2.1998, ZfRV 1998, 159 = unalex AT-133. Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 95; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 98; vgl. schon zum EuGVÜ OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934 (935); App. Versailles v. 30.11.2000, unalex FR-232; Kohler, IPRax 1983, 265 (272. Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 195; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 98; vgl. schon zum EuGVÜ Gottwald, IPRax 1986, 10 f.; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (496); a.A. (Vorrang der Vereinbarung vor Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO) OLG Saarbrücken v. 17.1.2007 –5 U 426/96-54, IHR 2008, 55; öOGH v. 30.3.2000, unalex AT-203; App. Versailles v. 30.11.2000, unalex FR-232; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 40; Mankowski in Rauscher, Rz. 223, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934 (935). Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 95, a.A. Rauscher, RIW 1985, 889. OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934 (935); Gottwald, IPRax 1986, 10 (13); Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (496).

Hausmann | 1057

7.163

§ 7 Rz. 7.163 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

hindert, die Aufrechnung mit einer konnexen Gegenforderung zu berücksichtigen, wenn es dies mit dem Wortlaut und Sinn der Gerichtsstandsklausel für vereinbar hält; dies gilt auch dann, wenn für die klageweise Geltendmachung der zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaats vereinbart ist1. Eine Gerichtsstandsvereinbarung schließt aber auch die Aufrechnung mit Gegenforderungen, die nicht auf demselben Vertrag oder Sachverhalt beruhen, am forum derogatum nicht notwendig aus, weil das Erfordernis der Konnexität als materielle Aufrechnungsvoraussetzung allein der vom IPR des Gerichtsstaats – nunmehr einheitlich nach Art. 17 Rom I-VO bestimmten – lex causae zu entnehmen ist2. Über die Bewertung einer Gerichtsstandsvereinbarung als Aufrechnungsverbot ist daher im Wege der Auslegung im Einzelfall zu entscheiden, bei der nicht nur auf den Wortlaut der Abrede, sondern auch auf die Interessenlage der Parteien und den Zweck der Abrede abzustellen ist3.

7.164

Diese Auslegung ergibt in der Regel, dass die Aufrechnung jedenfalls mit rechtskräftig festgestellten oder unstreitigen Forderungen zulässig ist4. Gleiches gilt, wenn der Kläger von einer ihn einseitig begünstigenden Gerichtsstandsvereinbarung keinen Gebrauch macht, sondern den Beklagten an dessen Heimatgerichtsstand angreift. Denn damit hat er auf sein Recht, etwaige Streitigkeiten aus dem Vertragsverhältnis nur vor seinen Heimatgerichten austragen zu müssen, selbst verzichtet. Eine solche Ausübung des Wahlrechts durch den Kläger kann aber nicht dazu führen, dass dem Beklagten das ihm am forum prorogatum zur Verfügung stehende Verteidigungsmittel entzogen wird und er zur doppelten Prozessführung gezwungen wird5.

7.165

Ist die Aufrechnungsforderung streitig, so wird eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung in der Rechtsprechung überwiegend dahin ausgelegt, dass sie ein prozessuales Aufrechnungsverbot enthält6. Dies widerspricht jedoch dem Interesse der Parteien an einer ökonomischen Prozessführung und dem Gebot der Waffengleichheit. In Ermangelung besonderer Anhaltspunkte für einen darauf gerichteten Parteiwillen sollte man aus einer Zuständigkeits-

1 EuGH v. 9.11.1978 – Rs. 23/78, ECLI:EU:C:1978:198 (Meeth/Glacetal), Slg. 1978, 2133 (2142) (Rz. 9) = RIW 1978, 814; zust. BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, RIW 1979, 713; Dageförde, RIW 1990, 873 (878). Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 99; a.A. aber BGH v. 21.1.2015 – VIII ZR 352/13, NJW 2015, 1118 (Rz. 19 ff., 25) (m. krit. Anm. Gebauer, IPRax 2018, 172; zu § 38 ZPO). 2 EuGH v. 7.3.1985 – Rs. 48/84, ECLI:EU:C:1985:105 (Spitzley/Sommer), Slg. 1985, 787 (799) (Rz. 22) = NJW 1985, 2893 = RIW 1985, 313 (m. Anm. Rauscher, RIW 1985, 887) = IPRax 1986, 27 (m. Anm. Gottwald, IPRax 1986, 10). 3 BGH v. 21.1.2015 – VIII ZR 352/13, NJW 2015, 1118 (1119) OLG München v. 13.10.2016 – 23 U 1848/16, NJOZ 2017, 796 (Rz. 25) LG Berlin v. 19.3.1996 – 102 O 261/95, RIW 1996, 960 = IPRax 1998, 97 (m. Anm. Gebauer, IPRax 1998, 79); Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 193; Mankowski in Rauscher, Rz. 226, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 4 Allg. M., vgl. Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 90. 5 Gebauer, IPRax 1998, 79 (81 f.). 6 So BGH v. 21.1.2015 – VIII ZR 352/13, NJW 2015, 1118 (1119) = ZIP 2015, 1190 = IPRax 2018, 205 (m. krit. Anm. Gebauer, IPRax 2018, 172); BGH v. 20.6.1979 – VIII ZR 228/76, RIW 1979, 713; OLG München v. 13.10.2016 – 23 U 1848/16, NJOZ 2017, 796 (Rz. 25) = IPRax 2019, 314 (m. Anm. Brand, IPRax 2019, 294); OLG Hamm v. 13.10.1998 – 19 U 59/98, RIW 1999, 787; App. Versailles v. 30.11.2000, unalex FR-232; zust. Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 24.

1058 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.167 § 7

vereinbarung daher kein prozessuales Aufrechnungsverbot mit einer streitigen Gegenforderung vor einem derogierten Gericht ableiten1.

Ist die Aufrechnung durch die Gerichtsstandsvereinbarung nicht ausgeschlossen, so kann das für die Hauptforderung zuständige Gericht über die Aufrechnung mit einer streitigen Gegenforderung auch dann sachlich entscheiden, wenn es (ohne die Gerichtsstandsvereinbarung) für eine klageweise Geltendmachung der Gegenforderung nach der Brüssel Ia-VO international nicht zuständig wäre. Insbesondere ist die Zulässigkeit der Aufrechnung nicht davon abhängig, dass das angerufene Gericht über die zur Aufrechnung gestellte Forderung auch dann befinden könnte, wenn der Beklagte sie zum Gegenstand einer Widerklage machen würde. Denn Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO gilt nach Ansicht des EuGH nur für eine (Wider-)Klage des Beklagten auf gesonderte Verurteilung des Klägers, nicht aber für die Geltendmachung bloßer Verteidigungsmittel (wie der Aufrechnung)2. Darüber hinaus darf die Zulässigkeit der Prozessaufrechnung aber auch nicht davon abhängig gemacht werden, dass das Gericht der Hauptsache für eine klageweise Geltendmachung der Aufrechnungsforderung nach seinem autonomen Prozessrecht – z.B. in Deutschland nach § 33 ZPO – zuständig wäre3. Denn das deutsche Prozessrecht kennt für die Prozessaufrechnung kein Konnexitätserfordernis (vgl. § 145 Abs. 3 ZPO)4.

7.166

Schließlich kann das Aufrechnungsverbot in jedem Fall analog Art. 26 Brüssel Ia-VO durch die rügelose Einlassung des Klägers auf die Aufrechnungsforderung überwunden werden, und zwar auch für den Fall der Aufrechnung mit einer inkonnexen Gegenforderung5.

7.167

1 So zu Recht LG Berlin v. 30.1.1996 – 102 O 261/95, IPRax 1998, 97 (99); zust. – mit eingehender Interessenabwägung – Gebauer, IPRax 2018, 172 (176 f.) und IPRax 1998, 79 (83); ferner Busse, MDR 2001, 729 (732); Gottwald, IPRax 1986, 10 (12); Rauscher, RIW 1985, 887 f.; von Falkenhausen, RIW 1982, 386 (389); Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1998), S. 194 ff.; Schack, Rz. 523; Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 93; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 194; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 35, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; wohl auch Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO, Rz. 100; a.A. (aufgrund der besonderen Umstände des Falls) OLG Köln v. 2.12.2003 – 24 U 40/03, OLGR 2004, 65. 2 EuGH v. 13.7.1995 – C-341/93, ECLI:EU:C:1995:239 (Danvaern/Otterbeck), Slg. 1995 I, 2053 (2067) (Rz. 42) = EuZW 1995, 639 m. Anm. Geimer = NJW 1996, 42 = IPRax 1997, 110 (m. Anm. Philip, IPRax 1997, 97) = ZZP 109 (1996), 373 m. Anm. Mankowski; a.A. noch BGH v. 12.5.1993 – VIII ZR 110/92, NJW 1993, 2753 (2754 f.) = IPRax 1994, 115 (m. Anm. Geimer, IPRax 1994, 82) = ZZP 107 (1994), 211 (215) m. Anm. Leipold. 3 So aber OLG Celle v. 11.11.1998 – 9 U 97/98, IPRax 1999, 456 (457) (m. Anm. Gebauer, IPRax 1999, 432); OLG Hamm v. 5.11.1997 – 11 U 41/97, IPRspr. 1997 Nr. 160A; Jayme/Kohler, IPRax 1995, 349; Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (495); Kropholler/von Hein, Art. 6 Brüssel I-VO Rz. 43; für inkonnexe Forderungen auch Wagner, IPRax 1999, 65 (70 ff.). 4 Kannengießer, Die Aufrechnung im internationalen Privat- und Verfahrensrecht (1998), S. 172 ff., 184 f.; Mankowski, ZZP 109 (1996), 367 (381 f.); Coester-Waltjen, FS Lüke (1997), S. 35 (47 ff.); Gebauer, IPRax 1998, 79 (84 ff.); H. Roth, RIW 1999, 819 (822 f.); Busse, MDR 2001, 729 ff.; Gruber, IPRax 2002, 285 (287 ff.); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 93; Schlosser in Schlosser/Hess, vor Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 15; Hüßtege in Thomas/Putzo, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 7; Leible in Rauscher, Art. 8 Brüssel Ia-VO Rz. 32. Offenlassend BGH v. 7.11.2001 – VIII ZR 263/00, BGHZ 149, 120 (127) = NJW 2002, 2182 = IPRax 2002, 299 (m. Anm. Gruber, IPRax 2002, 285) = JZ 2002, 605 m. Anm. Hess/Müller = JR 2002, 501 m. Anm. Dörner. 5 EuGH v. 7.3.1985 – Rs. 48/84, ECLI:EU:C:1985:105 (Spitzley/Sommer), Slg. 1985, 787 (799) (Rz. 27) = ZIP 1985, 1228; BGH v. 4.2.1993 – VII ZR 179/91, NJW 1993, 1399 = IPRax 1994, 114 (m. Anm. Geimer, IPRax 1994, 82); OLG Koblenz v. 18.2.1999 – 2 U 1897/97, IPRspr. 1999 Nr. 109; OLG Koblenz v. 17.9.1993 – 2 U 1230/91, RIW 1993, 934 (935); OLG Stuttgart v. 15.2.1989 – 9 U 207/88, IPRax 1989, 247 m. Anm. Jayme.

Hausmann | 1059

§ 7 Rz. 7.168 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

e) Gewährleistungs- und Interventionsklage

7.168

Ein gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO derogiertes Gericht kann von einer an die Gerichtsstandsvereinbarung gebundenen Partei auch nicht im Wege der Gewährleistungs- oder Interventionsklage nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO angerufen werden1. Zwar kann diese Zuständigkeit vor deutschen Gerichten gem. Art. 65 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nicht in Anspruch genommen werden. Da aber ausländische Urteile, die im Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ergangen sind, in Deutschland nach Art. 65 Abs. 2 Brüssel Ia-VO anerkannt und vollstreckt werden müssen, wird es sich auch für Parteien mit Sitz in Deutschland häufig empfehlen, die mögliche Gerichtspflichtigkeit nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO im Ausland durch eine Vereinbarung auszuschließen2. Selbst wenn aber die Parteien eines in Deutschland geschlossenen Kaufvertrags, der eine Gerichtsstandsvereinbarung enthält, an die Möglichkeit, im Rahmen einer Gewährleistungsklage in Frankreich verklagt zu werden, nicht gedacht haben, wird durch die Gerichtsstandsvereinbarung eine Gewährleistungsklage am Sitz eines französischen Zweitkäufers nach Art. 8 Nr. 2 Brüssel Ia-VO ausgeschlossen3.

7.169

Demgegenüber wird die Zulässigkeit einer Streitverkündung nach deutschem Prozessrecht von einer Gerichtsstandsvereinbarung gem. Art. 25 Brüssel Ia-VO nicht berührt; denn die Streitverkündung ist nach der deutschen lex fori keine Klage und deshalb grundsätzlich unabhängig von der Zuständigkeit des befassten Gerichts zulässig; sie ist deshalb auch vor einem wirksam derogierten deutschen Gericht möglich4. f) Einstweiliger Rechtsschutz

7.170

Eine Gerichtsstandsklausel erstreckt sich grundsätzlich auf die Gewährung von Rechtsschutz durch staatliche Gerichte in jeglicher Form, also nicht nur auf Leistungs-, sondern auch auf Feststellungs- und Gestaltungsklagen. Ob sich die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands für die Hauptsache auch auf den Erlass von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes erstreckt, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Diese wird regelmäßig ergeben, dass die Zuständigkeit des prorogierten Gerichts im Zweifel auch die Kompetenz zur Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz umfassen wird5. Dagegen lässt sich eine Ver1 Vgl. in Frankreich Cass. civ. v. 12.7.1982, Rev.crit.d.i.p. 1983, 658 m. Anm. Lagarde = J. C. P. 1983, 2015 m. Anm. Bourel = unalex FR-215; dazu auch Holleaux, Clunet 1983, 405; Audit, D. S. 1983. I. R. 145; Mezger, IPRax 1984, 331; Cass. v. 18.10.1989, D.S. 1989. I.R. 283; dazu Huet, Clunet 1991, 155; ferner Cass. v. 12.5.1992, unalex FR-32; Cass. v. 20.12.1993, unalex FR-2094; App. Amiens v. 1.7.1985, RIW 1985, 966 m. Anm. Schütze; Gaudemet-Tallon, Rz. 256 ff.; in Belgien Cass. v. 14.11.2002, unalex BE-17; App. Liège v. 3.12.1990, unalex BE-56; in England High Court London (Q.B.Div.) v. 25.3.1998 (Hough/P. & O. Containers Ltd.) [1998], 2 All E.R. 978 (986) = unalex UK103. Anders bei Unteilbarkeit des Rechtsstreits, vgl. frz. Cass. v. 2.3.1999, unalex FR-74; App. Riom v. 14.9.2006, unalex FR-371; zust. Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 96; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 140. 2 Geimer, WM 1979, 351; Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 101; zur Formulierung einer entsprechenden Gerichtsstandsvereinbarung vgl. Hausmann in Wieczorek/Schütze, Anh. I zu § 40 ZPO, Art. 6 EuGVÜ Rz. 28. 3 Frz. Cass. v. 4.6.2009, unalex FR-1067. 4 Mansel, ZZP 109 (1996), 61 (74 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz 102; Mankowski in Rauscher, Rz. 237; Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 196, jeweils zu Art. 25 Brüssel I-VO; a.A. von Hoffmann/Hau, RIW 1997, 89 (91 f.); Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 97. 5 App. Orléans v. 7.11.2002, Rev.crit.d.i.p. 2003, 326 m. Anm. Ancel = Clunet 2004, 203 m. Anm. Huet = unalex FR-1126; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 225; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 42; Hüßtege in Thomas/Putzo, Rz. 28, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO.

1060 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.172 § 7

mutung, dass die internationale Zuständigkeit der durch die Gerichtsstandsvereinbarung derogierten Gerichte anderer Mitgliedstaaten auch für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes stets ausgeschlossen sein soll1, nicht aufstellen. Vielmehr kann der Zweck, den Parteien effektiven einstweiligen Rechtsschutz zu gewährleisten, auch eine andere Auslegung gebieten2. In jedem Fall steht es den derogierten Gerichten unter den Voraussetzungen des Art. 35 Brüssel Ia-VO frei, ihre Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes auf Vorschriften des autonomen Rechts zu gründen3. Auch wenn sie von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, kann die anschließende Hauptsacheklage aber nur vor dem nach Art. 25 Brüssel I-VO als ausschließlich zuständig vereinbarten Gericht erhoben werden4. Wenn der Kläger also aus Gründen der höheren Effizienz Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes an einem derogierten Gericht beantragt, so verzichtet er damit nicht auf die Rechte aus der Gerichtsstandsvereinbarung für das Hauptverfahren5. Nach deutschem Recht sind die für Arreste und einstweilige Verfügungen vorgesehenen Gerichtsstände bei dem Gericht der Hauptsache (§ 919 Alt. 1, § 937 Abs. 1 ZPO) oder am Ort der Belegenheit des Vollstreckungsgegenstandes (§ 919 Alt. 2, § 942 Abs. 1 ZPO) gem. § 802 ZPO ausschließlich und damit derogationsfest (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO); dies gilt freilich nicht für die internationale Zuständigkeit6.

7.171

6. Aufhebung und Änderung einer Gerichtsstandsvereinbarung Die Parteien sind jederzeit berechtigt, eine Gerichtsstandsvereinbarung wieder aufzuheben oder zu ändern7. Die hierauf gerichtete Vereinbarung der Parteien bedarf wiederum der Form nach Art. 25 Brüssel Ia-VO. Allerdings müssen die Parteien sich nicht notwendig der gleichen Form bedienen wie bei der ursprünglichen Gerichtsstandsvereinbarung; vielmehr reicht irgendeine Form nach Art. 25 Brüssel Ia-VO aus8. Außerdem wird die Gerichtsstandsvereinbarung – wie gezeigt (Rz. 7.160) – gegenstandslos, wenn sich der Beklagte auf das Verfahren vor einem derogierten Gericht nach Maßgabe von Art. 26 Brüssel Ia-VO rügelos einlässt.

1 So aber Saenger, ZZP 110 (1997), 477 (496 f.); Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 103; Geimer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 192. 2 Wie hier schwz. BG v. 17.9.1999, BGE 125 III 451 = unalex CH-1; Hoge Raad v. 17.12.1993, unalex NL-179; Aud.Prov. Barcelona v. 31.3.2010, unalex ES-459; Hess, § 6 Rz. 142; Mankowski in Rauscher, Rz. 225; Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 152, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 3 Schwz. BG v. 17.9.1999, BGE 125 III 451 = unalex CH-1; Gottwald in MünchKomm ZPO, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 98; Hausmann in unalexKomm, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 162 m.w.N. 4 Ital. Cass. v. 21.4.1995, unalex IT-380; Tribunal Supremo de Justica v. 16.12.2004, unalex PT-5. Einschränkend aber Cass. (Belgien) v. 3.9.2009, unalex BE-603, wonach die Bestellung eines Sachverständigen zur Schadensermittlung keine einstweilige Maßnahme i.S.v. Art. 31 Brüssel I-VO sei und deshalb allein dem prorogierten Gericht obliege. 5 App. Luxemburg v. 23.5.2007, unalex LU-30. 6 Vgl. Geimer, Rz. 877b, 1755a; Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 225; a.A. Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 104. 7 Geimer in Geimer/Schütze, Rz. 127; Mankowski in Rauscher, Rz. 195 ff., jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO. 8 Mankowski in Rauscher, Rz. 196; abweichend Magnus in Magnus/Mankowski, Rz. 154, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO, der nur die Änderung, nicht die Aufhebung der Vereinbarung der Form des Art. 25 Brüssel Ia-VO unterwerfen möchte.

Hausmann | 1061

7.172

§ 7 Rz. 7.173 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7. Rechtsfolgen einer unwirksamen Gerichtsstandsvereinbarung 7.173

Erfüllt eine Gerichtsstandsvereinbarung die Form- oder Bestimmtheitsanforderungen des Art. 25 Abs. 1–3 Brüssel Ia-VO nicht oder missachtet sie die ihr in Art. 25 Abs. 4 Brüssel IaVO gezogenen Schranken, so entfaltet sie keine prozessualen Wirkungen. Das angerufene – prorogierte oder derogierte1 – Gericht eines Mitgliedstaats hat in diesem Fall zu prüfen, ob es nach Art. 4 oder nach Art. 5 ff. Brüssel Ia-VO international zuständig ist Ist auch dies nicht der Fall, so hat es seine Zuständigkeit zu verneinen und die Klage als unzulässig abzuweisen.

8. Rechtsfolgen des Verstoßes gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung a) Verbot von anti-suit injunctions

7.174

Vor allem die englischen Gerichte vertraten schon unter Geltung von Art. 17 EuGVÜ/Art. 23 Brüssel I-VO die Auffassung, dass die Bindungswirkung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung Vorrang gegenüber der Verpflichtung zur Beachtung der früheren Rechtshängigkeit eines Verfahrens zwischen den gleichen Parteien über den gleichen Streitgegenstand vor einem derogierten Gericht habe. War daher die ausschließliche Zuständigkeit der englischen Gerichte vereinbart, so hielten diese sich für berechtigt, die frühere Rechtshängigkeit vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaats zu ignorieren und ihre eigene Zuständigkeit festzustellen. Denn es könne einer Partei nicht gestattet sein, die ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten englischen Gerichts durch Klageerhebung in einem anderen Mitgliedstaat zu unterlaufen, weil hierdurch das Prinzip der Privatautonomie verletzt werde (vgl. Rz. 7.155 f. m. Nachw.). Darüber hinaus nahmen die englischen Gerichte in einem solchen Falle für sich das Recht in Anspruch, dem Kläger in dem Verfahren vor dem derogierten Gericht die Fortsetzung dieses Verfahrens durch eine „anti-suit injunction“ bei Meidung einer Geldstrafe zu verbieten2.

7.175

Der EuGH hat freilich durch seine Entscheidungen in den Rechtssachen Turner/Grovit3 und West Tankers4 klargestellt, dass „anti-suit injunctions“ im Anwendungsbereich des europäischen Zivilprozessrechts unzulässig sind, weil sie in die Justizhoheit und Souveränität anderer Mitgliedstaaten eingreifen und deshalb mit dem gegenseitigen Vertrauen, das sich die Gerichte der Mitgliedstaaten entgegenzubringen haben, unvereinbar sind. Auch wenn diese Entscheidungen nicht zu Art. 23 Brüssel I-VO ergangen sind, lassen sich insbesondere die Aussagen des EuGH in der West Tankers-Entscheidung zum Verbot der Durchsetzung einer Schiedsvereinbarung mit Hilfe einer „anti-suit injunction“ ohne Weiteres auf Gerichtsstandsvereinbarungen übertragen. Das Problem hat sich freilich durch die Neuregelung in Art. 31 Abs. 2 und 3 Brüssel Ia-VO weitgehend erledigt, weil der Beklagte im Verfahren vor dem derogierten Gericht diesen Prozess nunmehr durch die nachträgliche Einleitung eines Verfahrens vor dem prorogierten Gericht jederzeit zum Stillstand bringen kann (Rz. 7.157).

1 Das derogierte Gericht hat diese Prüfungskompetenz allerdings nur, solange das prorogierte Gericht nicht angerufen wird, vgl. Art. 31 Abs. 2 und 3 Brüssel Ia-VO. 2 Vgl. grundlegend Court of Appeal v. 10.11.1993 (Continental Bank NA/Aeokos Cia Naviera SA), unalex UK-140; ferner etwa High Court London v. 12.10.2000 (Glencore International AG/Metro Trading International Inc), unalex UK-266. 3 EuGH v. 27.4.2004 – C-159/02, ECLI:EU:C:2004:228 (Turner/Grovit), Slg. 2004 I, 3565 (Rz. 24 ff.). 4 EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 (Allianz/West Tankers), Slg. 2009 I, 663 (Rz. 28 ff.); vgl. Mankowski in Rauscher, Vorbem. zu Art. 4 Brüssel Ia-VO Rz. 49 ff. m.w.N.

1062 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.177 § 7

b) Schadensersatzansprüche aa) Allgemeines Der Verstoß gegen eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung durch Klage vor einem derogierten Gericht eines anderen Staats wurde in ausländischen Rechten schon seit längerem durch Schadensersatzpflichten sanktioniert1. Demgegenüber haben deutsche Gerichte einen solchen Anspruch bisher nicht gewährt. Dagegen wurde insbesondere eingewandt, die Begründung einer materiell-rechtlichen Verpflichtung durch den Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung lasse sich allein mit dem Bedürfnis für einen solchen Schadensersatzanspruch nicht rechtfertigen. Außerdem könne dieser ohne einen primären Unterlassungsanspruch nicht begründet werden. Gerichtsstandsvereinbarungen hätten aber nur prozessuale, hingegen grundsätzlich keine materiell-rechtlichenen Wirkungen. Allein aus ihrem Abschluss auf einen materiellen Haftungswillen der Vertragsparteien zu schließen, sei unzulässig. Hierfür bedürfe es vielmehr konkreter Anhaltspunkte, dass der Gerichtsstandsvereinbarung eine entsprechende wirtschaftliche Bedeutung beigemessen worden sei. Von dieser bisherigen Linie ist der BGH nunmehr in einer Grundsatzentscheidung vom 17.10.2019 abgewichen und hat sich erstmals auch für eine Schadenseratzsanktion der Verletzung einer ausschließlichen internationalen Gerichstandsvereinbarung ausgesprochen2.

7.176

Der Vereinbarung einer schadensersatzbewehrten Verpflichtung, ein bestimmtes Gericht anzurufen, steht die Rechtsnatur der Gerichtsstandsvereinbarung nicht entgegen. Dies gilt unabhängig davon, ob man diese mit der ständigen Rechtsprechung des BGH3 als materiellrechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen oder aber mit der im zivilprozessualen Schrifttum vorherrschenden Ansicht4 als Prozessvertrag wertet. Denn auch nach der von der Rechtsprechung bevorzugten Qualifikation ist es den Parteien im Rahmen der Vertragsfreiheit ohne Weiteres möglich, neben der Regelung rein prozessualer (Verfügungs-)Wirkungen ergänzende materiell-rechtliche Verpflichtungen zu vereinbaren5. Andererseits schließt es auch die Einordnung als Prozessvertrag nicht aus, dass die Parteien daneben – ausdrücklich oder stillschweigend – materiell-rechtliche Verpflichtungen vereinbaren6. Auch der Umstand, dass ein (gerichtlich durchsetzbarer) Hauptanspruch auf Unterlassung der Klage vor einem derogierten Gericht nicht wirksam vereinbart werden kann, steht einem auf Verletzung dieser Unterlassungspflicht gestützten Schadensersatzanspruch nicht entgegen. Denn auch Verstöße gegen unselbständige, nicht einklagbare Nebenpflichten sind jedenfalls nach deutschem Recht (§ 241 Abs. 1 und 2 BGB) schadensersatzbewehrt7.

7.177

1 E. Peiffer, S. 431 ff. 2 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399 m. Anm. Wais = EuZW 2020, 143 m. Anm. Antomo = IWRZ 2020, 39 m. Anm. Graf von Westphalen = RIW 2020, 64 m. Anm. Mankowski = JZ 2020, 797 m. Anm. Mäsch = BB 2019, 3023 m. Anm. Unseld = IPRax 2020, 459 m. Anm. Colberg, 426. 3 BGH v. 29.2.1968 – VII ZR 102/65, BGHZ 49, 384 (386 f.) = NJW 1968, 1233; BGH v. 20.1.1986 – II ZR 56/85, NJW 1986, 1438 (1439); BGH v. 24.11.1988 – III ZR 150/87, NJW 1989, 1431 (1432); BGH v. 18.3.1997 – XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 (2886). 4 Vgl. Bork in Stein/Jonas, § 38 ZPO Rz. 50; Schultzky in Zöller, § 38 ZPO Rz. 4, 52, jeweils m.w.N. 5 Gebauer, FS Kaissis (2012), S. 267 (276); Schröder, FS Kegel (1987), S. 523 (530 ff.); Gottwald, FS Henckel (1995), S. 295 (307). 6 Allg. A., vgl. Antomo, S. 400; Gebauer, FS Kaissis (2012), 267 (275); Pfeiffer, Liber amicorum W. Lindacher (2007), S. 77 (80); Gottwald in Rosenberg/Schwab/Gottwald, § 37 Rz. 24. 7 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399 Rz. 29.

Hausmann | 1063

§ 7 Rz. 7.178 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.178

Eine für alle Rechtsstreitigkeiten aus dem Vertrag getroffene ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung erstreckt sich im Zweifel auch auf Ansprüche wegen der Verletzung der in diesem Vertrag enthaltenen Gerichtsstandsklausel1. In dem vereinbarten Gerichtsstand können daher auch Ansprüche auf Ersatz solcher Schäden geltend gemacht werden, die dem Kläger durch die abredewidrige Klage des Beklagten vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats oder Drittstaats entstanden sind, wie insbesondere die Kosten für die Rechtsverteidigung im Verfahren vor dem derogierten Gericht, die dort bis zur Aussetzung des Verfahrens bzw. bis zur Klageabweisung entstanden sind2. Die Frage, ob sich das Bestehen und der Inhalt vertraglicher Sekundäransprüche wegen Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung nach der lex fori des angerufenen Gerichts, dem Prorogationsstatut des Art. 25 Abs. 1 S. 1, 2. HS. Brüssel Ia-VO oder dem Statut des Hauptvertrages richtet, auf den sich die Gerichtsstandsvereinbarung bezieht3, hat der BGH offengelassen, weil jede dieser Anknüpfungen im konkreten Fall zum deutschen Recht führte4. Vorzugswürdig ist eine Anknüpfung an das Prorogationsstatut, weil die verletzte Pflicht ihren Grund im Abschluss der Gerichtsstandsvereinbarung, nicht des Hauptvertrags, hat5. Außerdem begünstigt die Anwendung des eigenen Rechts durch das vereinbarte Gericht eine schnelle und richtige Entscheidung über die eigene Zuständigkeit6. Maßgebend ist daher das Recht des Mitgliedstaates, dessen Gerichte in der Vereinbarung als ausschließlich zuständig bestimmt worden sind. Dies gilt unabhängig davon, ob das vereinbarungswidrig angerufene Gericht seinen Sitz auch in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem Drittstaat hat. Im Übrigen ist aber zwischen diesen beiden Fällen zu differenzieren: bb) Vereinbarungswidrige Klage in einem Drittstaat

7.179

Bei Vereinbarung eines deutschen Gerichts und der hieraus nach Art. 25 Abs. 1 S. 1, 2. HS. Brüssel Ia-VO folgenden Geltung deutschen Rechts als Prorogationsstatut hat diejenige Vertragspartei, die vor einem derogierten Gericht in einem Drittstaat verklagt wird, gegen den dortigen Kläger einen Schadensersatzanspruch gemäß § 280 Abs. 1 BGB auf Ersatz der ihr in dem dortigen Verfahren entstandenen Anwaltskosten, soweit diese – wie z.B. nach der American rule of costs – vom unterlegenen Kläger nicht erstattet werden müssen. Denn der Kläger hatte sich verpflichtet, Ansprüche aus dem geschlossenen Vertrag ausschließlich vor dem vereinbarten deutschen Gericht geltend zu machen. Diese Pflicht hat er durch die Klage vor dem drittstaatlichen Gericht schuldhaft verletzt (§ 280 Abs. 1 BGB); daher hat er die dem Beklagten durch seine Rechtsverteidigung entstandenen Kosten zu ersetzen (§ 249 Abs. 1 BGB)7. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich bei der Gerichtsstandsvereinbarung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung oder um eine Individualvereinbarung der Parteien handelt. Auch eine in dem drittstaatlichen Verfahren ergangene Kostenentscheidung stünde, selbst wenn sie anerkennungsfähig wäre, einem weitergehenden materiell-rechtlichen Schadensersatzanspruch vor deutschen Gerichten nicht entgegen8. 1 Vgl. Sandrock, FS Schlosser (2005), S. 821 (831 f.); Merrett, ICLQ 2006, 315 ff. 2 App. Luxemburg v. 24.10.2001, unalex LU-6; Schlosser, FS Lindacher (2007), S. 111 ff.; Schlosser in Schlosser/Hess, Rz. 36a; a.A. Gottwald in MünchKomm ZPO, Rz. 100, jeweils zu Art. 25 Brüssel Ia-VO; zweifelnd auch Kropholler/von Hein, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 97. 3 Vgl. dazu ausführlich Mankowski, IPRax 2009, 23 (28 ff.). 4 BGH v. 17.10.2019 – III ZR 42/19, BGHZ 223, 269 = NJW 2020, 399 Rz. 21. 5 Wie hier Gebauer, FS Kaissis (2012), S. 267 (282); Mankowski, RIW 2010, 70 (71); Antomo, S. 382 f. m.w.N. 6 Colberg, IPRax 2020, 426 (427). 7 Zu weiteren ersatzfähigen Kosten Mankowski, RIW 2010, 70 (71). 8 Antomo, S. 370 ff.; Peiffer, S. 455; Colberg, IPRax 2020, 426 (427).

1064 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.181 § 7

cc) Vereinbarungswidrige Klage in einem EU-Mitgliedstaat Fraglich ist allerdings, ob sich die zu einer vereinbarungswidrigen Klage in den USA entwickelte Argumentation des BGH auch auf den Fall der Klage vor einem derogierten Gericht eines anderen Mitgliedstaats der Verordnung übertragen lässt, oder ob ihr die Unvereinbarkeit von gerichtlich angeordneten Prozessführungsverboten (sog. anti-suit-injunctions) mit der Brüssel Ia-VO (dazu Rz. 7.174 f.) entgegensteht1. Grund für die Unzulässigkeit von anti-suitinjunctions ist der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens. Aus diesem folgt, dass die Zuständigkeitsregeln der Verordnung, die allen Gerichten der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, von jedem dieser Gerichte mit gleicher Sachkenntnis ausgelegt und angewandt werden können und dass die Nachprüfung der Zuständigkeit eines Gerichts durch das Gericht eines anderen Mitgliedstaats nicht gestattet ist2. Damit ist jedenfalls eine Primärpflicht zur Unterlassung der Klageerhebung vor einem derogierten Gericht im Geltungsbereich der Verordnung nicht zu begründen. Ferner hat auch eine schadensersatzrechtliche Sanktion einer solchen Klage dann auszuscheiden, wenn das angerufene derogierte Gericht die Gerichtsstandsvereinbarung für unwirksam und seine internationale Zuständigkeit deshalb für gegeben erachtet hat. Denn auch in diesem Fall würde die Zusprechung von Schadensersatz gegen das Verbot der Überprüfung einer Annahme der internationalen Zuständigkeit durch das Gericht im Erststaat (vorbehaltlich Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO) und gegen das Verbot einer révision au fond (Art. 52 Brüssel Ia-VO) verstoßen3.

7.180

Dies schließt jedoch die Annahme einer sekundären Schadensersatzpflicht wegen Verletzung einer ausschließlichen Gerichtsstandsvereinbarung auch im Geltungsbereich der Brüssel IaVO nicht notwendig aus, wenn das derogierte Gericht die dort erhobene Klage – wie im Regelfall – seinerseits wegen Unzuständigkeit für unzulässig hält oder bereits als unzulässig abgewiesen hat. Zwar würde das einen solchen Schadensersatz zusprechende prorogierte Gericht damit incidenter auch die Unzuständigkeit des abredewidrig angerufenen Gerichts feststellen; insoweit ist jedoch zu berücksichtigen, dass dem prorogierten Gericht vom Zeitpunkt seiner Anrufung an gemäß Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO ohnehin die Kompetenz-Kompetenz zur Entscheidung über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung zusteht (dazu Rz. 7.157). Ferner steht ein im prorogierten Gerichtsstand ergehendes Schadensersatzurteil der Anerkennung eines vom derogierten Gericht in der Hauptsache erlassenen Urteils auch bei der gebotenen weiten Auslegung des Begriffs der „Unvereinbarkeit“ in Art. 45 Abs. 1 lit. c Brüssel Ia-VO nicht entgegen4. Im Übrigen ist die praktische Bedeutung einer Schadensersatzsanktion für die Verletzung einer Gerichtsstandsvereinbarung durch Anrufung des derogierten Gerichts eines anderen Mitgliedstaats im Geltungsbereich der Brüssel Ia-VO wesentlich geringer als im Fall der Anrufung eines drittstaatlichen Gerichts, weil der Beklagte die Fortsetzung des Verfahrens vor dem derogierten Gericht – und damit die Entstehung dortiger Gerichts- und Anwaltskosten – nach Art. 31 Abs. 2 Brüssel Ia-VO jederzeit durch Anrufung des prorogierten Gerichts unterbinden kann.

7.181

1 Zu diesbezüglichen Bedenken Mankowski, IPRax 2009, 23 (29); Mankowski in Rauscher, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 248 ff.; Schack, Rz. 861 ff.; Wagner in Stein/Jonas, Art. 23 Brüssel I-VO Rz. 148. 2 EuGH v. 27.4.2004 – C-159/02, ECLI:EU:C:2004:228 (Turner/Grovit), EuZW 2004, 568 Rz. 24; EuGH v. 10.2.2009 – C-185/07, ECLI:EU:C:2009:69 (West Tankers), NJW 2009, 1655 (Rz. 30). 3 Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 298 f. 4 So auch Gebauer, FS Kaissis (2012), 267 (279); Peiffer/Peiffer in Geimer/Schütze, Art. 25 Brüssel Ia-VO Rz. 301 ff.

Hausmann | 1065

§ 7 Rz. 7.182 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

VII. Zusammenfassung mit Handlungsanleitung 1. Vorrang von EU-Recht und Staatsverträgen 7.182

a) Das Recht der internationalen Prorogation wird heute weitgehend durch das Recht der EU und staatsvertragliche Regelungen beherrscht. Die größte praktische Bedeutung kommt dabei der Brüssel Ia-VO zu, die im Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der EU – mit Ausnahme Dänemarks – mit Wirkung vom 10.1.2015 die bisherige Brüssel I-VO abgelöst hat und die Gerichtsstandsvereinbarungen in Art. 25 regelt. Demgegenüber gilt nach einem zwischen der EU und Dänemark geschlossenen Parallelübereinkommen von 2005 im Verhältnis zu Dänemark, sowie nach dem neuen Luganer Übereinkommen von 2007 im Verhältnis zu Island, Norwegen und der Schweiz die bisherige Regelung in Art. 23 Brüssel I-VO vorerst weiter.

7.183

b) Art. 25 Brüssel Ia-VO verdrängt in seinem Anwendungsbereich nicht nur die §§ 38–40 ZPO in vollem Umfang, sondern schließt auch die Anwendung sonstiger nationaler Prorogationsbeschränkungen (z.B. in Arbeits- oder Verbrauchersachen) aus. Ferner sind die Gerichte der Mitgliedstaaten durch Art. 25 Brüssel Ia-VO auch gehindert, Zuständigkeitsvereinbarungen zum Zwecke der Durchsetzung international zwingender Normen (z.B. auf dem Gebiet des Kartellrechts) für unwirksam zu erklären. Zulässig bleibt jedoch eine Inhaltskontrolle am Maßstab europäischen Rechts (z.B. der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in AGB).

7.184

c) Art. 25 Brüssel Ia-VO tritt hingegen zurück, soweit Staatsverträge auf besonderen Rechtsgebieten auch die internationale Prorogation regeln. Dieser Vorrang gilt etwa im internationalen Luftverkehr für Art. 33 des Montrealer Übereinkommens von 1999 und auf dem Gebiet des internationalen Straßengüterverkehrs für Art. 31 CMR. Das für die EU seit dem 1.10.2015 geltende Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen von 2005, harmonisiert das Recht der Gerichtsstandsvereinbarungen im Verhältnis zu Vertragsstaaten, die nicht der EU angehören, und stellt die Anerkennung von Entscheidungen, die im vereinbarten Gerichtsstand ergangen sind, in den anderen Vertragsstaaten sicher.

2. Gerichtsstandsvereinbarungen nach Art. 25 Brüssel Ia-VO 7.185

a) Art. 25 Brüssel Ia-VO ist auf internationale Gerichtsstandsvereinbarungen anwendbar, wenn die Parteien die Zuständigkeit der Gerichte in einem Mitgliedstaat vereinbart haben. Auf das bisherige Erfordernis, dass mindestens eine Partei ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben mussste, ist in der Neufassung der Verordnung verzichtet worden; es gilt aber weiter im Rahmen des Luganer Übereinkommens. Die Gerichtsstandsvereinbarung muss Bezug zu mindestens zwei Staaten haben; der Bezug zu einem weiteren Mitgliedstaat der Brüssel Ia-VO ist hingegen nicht erforderlich.

7.186

b) Der Begriff der „Vereinbarung“ in Art. 25 Brüssel Ia-VO ist autonom auszulegen. Danach muss gewährleistet sein, dass beide Vertragsparteien der Zuständigkeitsvereinbarung tatsächlich zugestimmt haben; diese Zustimmung kann auch stillschweigend erklärt worden sein. Für die Beurteilung der materiellen Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung verweist Art. 25 Abs. 1 Brüsssel Ia-VO hingegen auf das Recht am forum prorogatum.

7.187

c) Die Einhaltung der Form nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO ist Wirksamkeitsvoraussetzung; dieser Form bedarf es nicht für bloße Vereinbarungen über den Erfüllungsort.

1066 | Hausmann

A. Gerichtsstandsvereinbarungen | Rz. 7.195 § 7

7.188

Art. 25 Abs. 1 S. 3 Brüssel Ia-VO stellt folgende Formalternativen zur Wahl: – Schriftliche Vereinbarung, wobei ein Briefwechsel, ein Austausch von Fernschreiben oder die Bezugnahme auf AGB, die eine Gerichtsstandsklausel enthalten, genügt; – Schriftliche Bestätigung einer mündlichen Vereinbarung; – Form nach Maßgabe der zwischen den Parteien entstandenen Gepflogenheiten; – Vertragsschluss gem. internationalen Handelsbräuchen. d) Gerichtsstandsvereinbarungen sind nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO nur für Rechtsstreitigkeiten aus einem hinreichend bestimmten Rechtsverhältnis zulässig. Ferner muss das zuständige Gericht zumindest bei Klageerhebung bestimmbar sein. Zulässig sind jedoch auch alternative Gerichtsstandsvereinbarungen.

7.189

Unzulässig sind nach Art. 25 Abs. 4 Brüssel Ia-VO Gerichtsstandsvereinbarungen, die eine ausschließliche Zuständigkeit i.S.v. Art. 24 Brüssel Ia-VO zu derogieren suchen. Die Zuständigkeiten in Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sind gem. Art. 25 Abs. 4 Brüssel IaVO nur in den engen Grenzen der Art. 15, 19 und 23 Brüssel Ia-VO abdingbar. Diese Schranken gelten auch dies gilt auch für die Vereinbarung der Zuständigkeit von drittstaatlichen Gerichten.

7.190

e) Eine Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 25 Abs. 1 Brüssel Ia-VO hat grundsätzlich die ausschließliche Zuständigkeit des prorogierten Gerichts oder Mitgliedstaats zur Folge. Die Gerichte aller anderen Mitgliedstaaten sind daher verpflichtet, sich auf Rüge des Beklagten oder bei dessen Säumnis gem. Art. 28 Abs. 1 Brüssel Ia-VO von Amts wegen für unzuständig zu erklären. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Parteien ausdrücklich eine nur fakultativ wirkende Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben, der keine Ausschließlichkeitswirkung zukommen soll, oder wenn die beklagte Partei sich rügelos auf das Verfahren eingelassen hat.

7.191

Zulässig sind auch sog. asymmetrische Zuständigkeitsvereinbarungen nur „zugunsten einer Partei“. Erforderlich ist hierfür eine objektive Begünstigung, die einer Partei größere Wahlmöglichkeiten als der anderen einräumt.

7.192

Eine formgültig nach Art. 25 Abs. 1, 2 Brüssel Ia-VO geschlossene Gerichtsstandsvereinbarung bindet auch Rechtsnachfolger der Parteien. Eine erweiterte Drittwirkung gilt für Gerichtsstandsvereinbarungen in Gesellschafts- und Versicherungsverträgen, Konnossementen und Trust-Bedingungen.

7.193

Bei Parallelprozessen vor dem prorogierten Gericht und vor einem derogierten Gericht in einem anderen Mitgliedstaat ist der ansonsten geltende Prioritätsgrundsatz (Art. 29 Brüssel IaVO) eingeschränkt worden. Danach hat das derogierte Gericht das bei ihm anhängige Verfahren auch dann auszusetzen, wenn das progogierte Gericht erst nachträglich angerufen wird. Der Beurteilung der Gültigkeit der Gerichtsstandsvereinbarung durch das prorogierte Gericht kommt damit stets Vorrang zu.

7.194

Auch der Gerichtsstand der Widerklage nach Art. 8 Nr. 3 Brüssel Ia-VO kann durch eine Zuständigkeitsvereinbarung abbedungen werden. Ob die Parteien ihrer Zuständigkeitsvereinbarung diese Wirkung beilegen wollten, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln. Im Zweifel widerspricht ein solcher Ausschluss der Widerklagemöglichkeit dem vermuteten Parteiwillen. Aus dem gleichen Grund steht eine Gerichtsstandsvereinbarung auch der Aufrechnung mit (konnexen wie inkonnexen) Gegenforderungen in einem anderen Gerichtsstand grundsätzlich nicht entgegen.

7.195

Hausmann | 1067

§ 7 Rz. 7.196 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.196

f) Die vorstehenden Grundsätze gelten mit geringfügigen Abweichungen auch für Gerichtsstandsvereinbarungen im Rahmen des Luganer Übereinkommens von 2007. Eine Kompetenz-Kompetenz des prorogierten Gerichts besteht im Rahmen des Art. 23 LugÜ 2007 jedoch nicht.

3. Autonomes Recht 7.197

Da Art. 25 Brüssel Ia-VO für die Prorogation deutscher Gerichte oder der Gerichte eines anderen EU-Mitgliedstaats ohne Einschränkung durch das bisherige Wohnsitzerfordernis gilt, beschränkt sich die Geltung des autonomen deutschen Rechts (§§ 38–40 ZPO) auf dem Gebiet der internationalen Zuständigkeit im Wesentlichen auf die seltenen Fälle der Prorogation drittstaatlicher Gerichte. Wegen der Einzelheiten wird auf die 6. Auflage (Rz. 3103–3209) verwiesen.

4. Klauselbeispiele a) Ausschließliche Gerichtsstandsklausel

7.198

Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem Vertrag und seiner Durchführung ist München/der Sitz des Verkäufers.

b) Fakultative Gerichtsstandsklausel

7.199

Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem Vertrag und seiner Durchführung ist München. Die Parteien sind jedoch berechtigt, auch an sonstigen gesetzlichen Gerichtsständen zu klagen.

c) Alternative Gerichtsstandsklausel

7.200

Ausschließlicher Gerichtsstand für alle Rechtsstreitigkeiten aus und im Zusammenhang mit diesem Vertrag und seiner Durchführung ist nach Wahl des Klägers München oder Mailand.

d) Einseitig begünstigende Gerichtsstandsklausel

7.201

Ausschließlicher Gerichtsstand für Rechtsstreitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem Vertrag und seiner Durchführung ist München. Der Verkäufer ist jedoch auch berechtigt, stattdessen am Sitz des Käufers in Mailand zu klagen.

B. Schiedsvereinbarungen Literatur: (zum älteren Schrifttum vgl. Vorauflagen; zu dem in der Hauptsache vor Schiedsgerichten anwendbaren Recht s. das Schrifttum vor Rz. 7.437): A. Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit/Allgemeine Literatur: I. Deutsche Literatur: Aden, Internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2003; Barber, Objektive Schiedsfähigkeit und ordre public in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit (1994); Baumann, Aspekte der Verrechnung in der Schiedsgerichtsbarkeit (1999); Berger, Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit (1992); Berger, Aufgaben und Grenzen der Parteiautonomie in der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, RIW 1994, 12; Berger, Die Aufrechnung im inter-

1068 | Hausmann

B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.201 § 7 nationalen Schiedsverfahren, RIW 1998, 426; Berger, Private Dispute Resolution in International Business (2006); Berger, Schiedsgerichtsbarkeit und Bankgeschäft, WM 2012, 1701; Beulker, Die Eingriffsnormenproblematik im internationalen Schiedsverfahren (2005); Böckstiegel, Recht und Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit der internationalen Handelskammer (1994); Böckstiegel (Hrsg.), Rechtsfortbildung durch internationale Schiedsgerichtsbarkeit (1989); Böckstiegel, Recht und Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit der internationalen Handelskammer (1994); Böckstiegel, Acts of State and Arbitration (1997); Böckstiegel, Die Anerkennung der Parteiautonomie in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, in FS Schütze (1999), S. 141; Böckstiegel (Hrsg.), Beweiserhebung im internationalen Schiedsverfahren (2000); Bösch, Einstweiliger Rechtsschutz in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1989); Boog, Die Durchsetzung einstweiliger Maßnahmen in internationalen Schiedsverfahren aus schweizerischer Sicht mit rechtsvergleichenden Aspekten (2011); Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen (1997); Borges, Beweiserhebung im internationalen Schiedsverfahren (2000); Bork/ Stöve, Schiedsgerichtsbarkeit bei Börsentermingeschäften (1992); Breder, Die Verzahnung der Brüssel Ia-VO mit der Schiedsgerichtsbarkeit bei Parallelverfahren (2020); Centner, Iura novit curia in internationalen Schiedsverfahren (2019); Czernich/Geimer, Handbuch der Streitbeilegungsklauseln im internationalen Vertragsrecht (2017); Distler, Private Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung (2000); Drobnig, Internationale Schiedsgerichtsbarkeit und wirtschaftsrechtliche Eingriffsnormen, FS Kegel (1987), S. 95; Ferrari/Kröll (Hrsg), Conflict of Laws in International Arbitration (2011); Gentinetta, Die lex fori internationaler Handelsschiedsgerichte (1973); Gessner, Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen in den USA und in Deutschland (2001); Glossner/Bredow/Bühler, Das Schiedsgericht in der Praxis, 4. 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Hausmann | 1069

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1070 | Hausmann

B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.201 § 7 Mixed International Arbitration: Studies in Arbitration Between States and Private Persons (1990); Weintraub, International Litigation and Arbitration (2006). III. New Yorker UN-Übereinkommen von 1958: Arfazadeh, Arbitrability under the New York Convention: the Lex Fori Revisited, J.Int.Arb. 2001, 73; van den Berg, The New York Arbitration Convention of 1958 (1981); Bertheau, Das New Yorker Abkommen vom 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (1965); Blessing (Hrsg), The New York Convention of 1958 (1996); Deshpande, „Foreign Awards“ in the 1958 New York Convention, J.Int.Arb. 1992, 51; Gaillard/Di Pietro, Enforcement of Arbitration Agreements and International Arbitral Awards – The New York Convention in Practice (2008); Graffi, Die Ungültigkeit des Schiedsvertrages wegen Formfehlern bei der Vollstreckung des Schiedsspruchs nach dem New Yorker UN-Übereinkommen: die Orientierung der italienischen Schiedsgerichtsbarkeit, TranspR 1998, 177; Harris, The „Public Policy“ Exception to Enforcement of International Arbitration Awards under the New York Convention, J.Int. Arb. 2007, 9; Hess, Sportgerichtsbarkeit im Lichte der New Yorker Konvention, ZZPInt 3 (1998) 457; Kaplan, The writing requirement as expressed in the New York convention and commercial practice, Arb. Int. 1996, 27; Klein, La Convention de New York pour la reconnaissance et l´exécution des sentences arbitrales étrangères, SchwJZ 1961, 239 und 247; Kröll, 50 Jahre UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche – Standortbestimmung und Zukunftsperspektive, SchiedsVZ 2009, 40; Kuner, The Public Policy Exception to the Enforcement of Foreign Arbitral Awards in the U.S. and West-Germany under the New York Convention, J.Int.Arb. 1990, 71; Kühn, Aktuelle Fragen zur Anwendung der New Yorker Konvention von 1958 im Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche – Eine Betrachtung der deutschen Rechtsprechung, SchiedsVZ 2009, 53; Moller, Der Vorrang des UN-Übereinkommens über Schiedsgerichtsbarkeit vor dem Europäischen Übereinkommen über Handelsschiedsgerichtsbarkeit, EWS 1996, 297; di Pietro/Platte, Enforcement of International Arbitration Awards: The New York Convention of 1958 (London 2001); Poudret, La clause arbitrale par référence selon la Convention de New York et l´art. 6 du Concordat sur l´arbitrage, FS Flattet (1985), S. 523; Poudret/Cottier, Remarques sur l´application de l´article II de la convention de New York, Bull. ASA 1995, 383; Pryles, Foreign Awards and the New York Convention, ArbInt 1993, 259; Shen Wie, Rethinking the New York Convention (2013); Trittmann, New York Convention, 2. Aufl. 2019. Vgl. ferner die laufende Kommentierung der Rechtsprechung zum UNÜ durch van den Berg im Yearbook for Commercial Arbitration. IV. Europäisches Übereinkommen von 1961: Gentinetta, Das Verhältnis des Europäischen Übereinkommens über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1961 zu anderen multilateralen Abkommen auf dem Gebiet der privaten Schiedsgerichtsbarkeit, SchwJbIntR 25 (1968) 149; Hascher, European Convention on International Commercial Arbitration of 1961, YCA XXXVI (2011), 507; Kaiser, Das Europäische Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. April 1961 (Diss. Zürich 1967); Klein, La Convention européenne sur l´arbitrage commercial international, Rev crit 1962, 621 (deutsche Neubearbeitung: ZZP 76 (1963) 342); Kröll, The European Convention of International Commercial Arbitration – the Tale of a Sleeping Beauty, Austrian Arbitration Yearbook 2013, 3; Mezger, Das Europäische Übereinkommen über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit, RabelsZ 29 (1965) 231; Moller, Der Vorrang des UN-Übereinkommens über Schiedsgerichtsbarkeit vor dem Europäischen Übereinkommen über Handelsschiedsgerichtsbarkeit, EWS 1996, 297; Moller, Schiedsverfahrensnovelle und Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit, NZG 2000, 57; Tarzia, Controllo arbitrale e controllo giudiziario della competenza dell´arbitro secondo la Convenzione europea sull´ arbitrato commerciale internazionale, Riv. dir. proc. 1974, 321. Vgl. ferner die laufende Kommentierung der Rechtsprechung zum EuÜ durch Hascher im Yearbook for Commercial Arbitration. V. UNCITRAL-Modellgesetz: Binder, International Arbitration and Conciliation in UNCITRAL Model Law Jurisdictions, 3. Aufl. 2010; Broches, Commentary on the UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration (1990); Calavros, Das UNCITRAL-Modellgesetz über die Internationale Handelsgerichtsbarkeit (1988); Granzow, Das UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit von 1985 (Diss. München 1987); Holtzmann/Neuhaus, A Guide To The

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Ahrens, Die subjektive Reichweite internationaler Schiedsvereinbarungen und ihre Erstreckung in der Unternehmensgruppe (2001); Alexander, Gerichtsstands- und Schiedsstandsvereinbarungen im E-Commerce sowie außergerichtliche Streitbeilegung (2006); Alpa, La clausola arbitrale nei contratti dei consumatori, Riv.arb. 1997, 657; Bälz/Strompfe, Asymmetrische Streitbeilegungsklauseln in internationalen Wirtschaftsverträgen: Zulässigkeit, Grenzen, Gestaltungsmöglichkeiten, SchiedsVZ 2017, 157; von Baum, Die prozessuale Modifizierung von Wertpapieren durch Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen (1998); Beckmann, Statutarische Schiedsklauseln im deutschen Recht und internationalen Kontext (2007); Berger, „Sitz des Schiedsgerichts“ oder „Sitz des Schiedsverfahrens“?, RIW 1993, 8; Berger, Zur Geltung einer Schiedsabrede kraft Handelsbrauchs, DZWiR 1993, 466; Bernardini, The Arbitration Clause of an International Contract, J.Int.Arb. 1992, 45; Beulker, Die Eingriffsnormenproblematik in internationalen Schiedsverfahren (2005); Blessing, Arbitration Argeements – Multifold Critical Aspects (Basel 1994); Blessing, Drafting an Arbitration Clause, Bull. 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Habscheid/E. Habscheid, Wegfall einer internationalen Schiedsinstitution, Schiedsvertrag und Schiedsrichtervertrag, JZ 1994, 945; Hahnkämper, Neue Regeln für Schiedsvereinbarungen, SchiedsVZ 2006, 65; Hanefeld/Wittinghofer, Schiedsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, SchiedsVZ 2005, 217; Hanotiau, What Law Governs the Issue of Arbitrability? J.Int.Arb. 1996 Nr. 4, 391; Hascher, Recognition and Enforcement of Judgments on the Existence and Validity of an Arbitration Clause under the Brussels Convention, J.Int.Arb. 1997,

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B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.201 § 7 33; Hau, Durchsetzung von Zuständigkeits- und Schiedsvereinbarungen mittels Prozessführungsverboten im EuGVÜ, IPRax 1996, 44; Hau, Grenzen der Beachtlichkeit von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen nach lex fori und Vereinbarungsstatut, IPRax 1999, 232; Hausmann, Einheitliche Anknüpfung internationaler Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, FS W. Lorenz (1991), S. 359; Heinig, Grenzen von Schiedsgerichtsvereinbarungen im EuZPR (2011); Hilbig, Das gemeinschaftsrechtliche Kartellverbot im internationalen Handelsschiedsverfahren (2006); Hochbaum, Missglückte internationale Schiedsvereinbarungen (1995); Hollweg, Schiedsvereinbarungen und Strohmanngesellschaften (1997); van Houtte, Consent to Arbitration through Agreement to Printed Contracts: the Continental Experience, J.Int.Arb. 2000, 1; von Hülsen, Die Gültigkeit von internationalen Schiedsvereinbarungen (1973); Iriberri, El convenio arbitral en el arbitraje comercial internacional (Madrid 1997); Jarvin, Zur Abtretung von Rechten aus einem Vertrag mit Schiedsklausel, BB 1998 Beil. Nr. 9, S. 12; Jordans, Schiedsgerichte bei Termingeschäften und Anlegerschutz (2007); Jürschik, Die Ausdehnung der Schiedsvereinbarung auf konzernzugehörige Unternehmen (2011); Kaplan, Is the Need for Writing as Expressed in the New York Convention and the Model Law Out of Step with Commercial Practice?, Arb.Int. 12 (1996), Nr. 1, 27; Kaufmann-Kohler, Arbitration Agreements in Online Business to Business Transactions, FS Böckstiegel (2001), S. 355; Kirry, Arbitrability: Current Trends in Europe, ArbInt 1996, 373; König, Zur Bestimmung des Schiedsvertragsstatuts bei fehlender Gesetzesgrundlage nach Inkrafttreten der Rom I-Verordnung, SchiedsVZ 2012, 129; Koussoulis, Zur Dogmatik des auf die Schiedsvereinbarung anwendbaren Rechts, FS Schlosser (2005), S. 415; Kowalke, Die Zulässigkeit von internationalen Gerichtsstands-, Schiedsgerichts- und Rechtswahlklauseln bei Börsentermingeschäften (2002); Kröll, Die Schiedsvereinbarung im Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche ZZP 117 (2004), 453; Kröll, Zur kollisionsrechtlichen Behandlung von Schiedsvereinbarungen – Rechtsfragen der subjektiven Reichweite, IPRax 2016, 43; Labes, Schiedsgerichtsvereinbarungen in Rückversicherungsverträgen (1996); Landrove, Assignment and Arbitration (2009); Lindacher, Schiedsklauseln und Allgemeine Geschäftsbedingungen im internationalen Handelsverkehr, FS Habscheid (1989), S. 167; Magnus, Sonderkollisionsnorm für das Statut von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen?, IPRax 2016, 521; Mallmann, Die Bedeutung der Schiedsvereinbarung im Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Schiedssprüche, SchiedsVZ 2004, 152; Martens, Wirkungen der Schiedsvereinbarung und des Schiedsverfahrens auf Dritte (2005); Mäsch, Schiedsvereinbarungen mit Verbrauchern, FS Schlosser (2005), S. 529; C. U. Mayer, Die Überprüfung internationaler Schiedsvereinbarungen durch staatliche Gerichte, Bull. 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ASA 1994, 23; Rahmann, Ausschluss staatlicher Gerichtsbarkeit – Eine rechtsvergleichende Untersuchung des Rechts der Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen in der BRD und den USA (1984); Rechberger, Evergreen: Gültigkeit der Schiedsklausel, FS Schlosser (2005), S. 733; Rüssmann/Timár, The laws applicable to the arbitration agreement, FS Kaissis (2012), S. 837; Samtleben, Wirksamkeit von Schiedsklauseln bei grenzüberschreitenden Börsentermingeschäften, ZEuP 1999, 974; Sandrock, Gerichtsstands- oder Schiedsklauseln in Verträgen zwischen US-amerikanischen und deutschen Unternehmen: Was ist zu empfehlen?, FS Stiefel (1987), S. 254; Sandrock, Arbitration Agreements and

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§ 7 Rz. 7.201 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen Groups of Companies, FS Lalive (1993), S. 625; Sandrock, „Ex aequo et bono“ – und „amiable composition“-Vereinbarungen: ihre Qualifikation, Anknüpfung und Wirkungen, JbPraxSchG 2 (1988), 120; Sandrock, Die Erstreckung von Schiedsvereinbarungen auf Staaten, RIW 2012, 9; Schlosser, Schiedsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ZEuP 1994, 682; Schlosser, Rechtswahlvereinbarung für den Hauptvertrag auch gültig für die Schiedsvereinbarung?, IPRax 2020, 222; K. Schmidt, Schiedsklauseln in Konnossementen unter einer Charterparty, FS Herber (1999), S. 281; Schulz/Niedermaier, Unwirksame Schiedsklausel in Franchiseverträgen durch Wahl des Tagungsorts im Ausland, SchiedsVZ 2009, 196; Schütze, Zur Wirksamkeit von internationalen Schiedsvereinbarungen und zur Wirkungserstreckung ausländischer Schiedssprüche über Ansprüche aus Börsentermingeschäften, JbPraxSchG 1 (1987), 94; Schütze, Die verkannte Funktion der Schiedsvereinbarung im internationalen Zivilprozessrecht, IPRax 2006, 442; Schütze, Kollisionsrechtliche Probleme der Schiedsvereinbarung, insbesondere der Erstreckung ihrer Bindungswirkung auf Dritte, SchiedsVZ 2014, 274; Schwarz, La forme écrite de l´article II, al. 2 de la Convention de New York, SchwJZ 1968, 49; Sieg, Internationale Gerichtsstands- und Schiedsklauseln in AGB, RIW 1998, 102; Spieker, Schiedsvereinbarungen in AGB im Bereich des nicht-kaufmännischen Verkehrs, ZIP 1999, 2138; Stürner/Wendelstein, Das Schiedsvereinbarungsstatut bei vertraglichen Streitigkeiten, IPRax 2014, 473; Thönissen, Die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen in Deutschland und den USA, ZZPInt 23 (2018), 315; Thümmel, Die Schiedsvereinbarung zwischen Formzwang und favor validitatis, FS Schütze (1999), S. 935; Todd, Incorporation of Arbitration Clauses into Bills of Lading, J.B.L. 1997, 331; Trappe, Zur Schiedsgerichtsklausel im Konnossement, FS Herber (1999), S. 305; Trappe, The Arbitration Clause in a Bill of Lading, LMCLQ 1999, 337; Wächter, Kollisionsrechtliche Aspekte der Schiedsvereinbarung am Beispiel der „Husten-Affäre“, SchiedsVZ 2018, 294; Wackenhuth, Ersetzbarkeit der Formerfordernisse, des Art. 2 Abs. 2 des UN-Übereinkommens durch Klageerhebung und rügelose Einlassung, RIW 1985, 568; Wackenhuth, Die Schriftform für Schiedsvereinbarungen nach dem UN-Übereinkommen und Allgemeine Geschäftsbedingungen, ZZP 99 (1986), 445; Wagner, Prozessverträge – Parteiautonomie im Verfahrensrecht (1998); Walder, Die Vollmacht zum Abschluss einer Schiedsabrede, insb. im internationalen Verhältnis, FS Keller (1989), S. 677; Weller, Keine Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen bei der Wirksamkeitsprüfung der Schiedsvereinbarung nach § 1030 ZPO, IPRax 2016, 48; Wörle, Die internationale Effektivität von Schiedsvereinbarungen (2014); Wyler, La convention d´arbitrage en droit du sport, ZSR 1997, 45. C. ADR/Mediation Aschauer, Mediation, in Czernich/Geimer (Hrsg.), Streitbeilegungsklauseln im internationalen Vertragsrecht (2017), S. 491; Eidenmüller, Vertrags- und Verfahrensrecht der Wirtschaftsmediation (2001); Esplugues Mota, Civil and Commercial Mediation in Europe, Vol. 2: Cross-Border Mediation (2014); Ewert, Grenzüberschreitende Mediation in Zivil- und Handelssachen (2012); Hutner, Das internationale Privat- und Verfahrensrecht der Wirtschaftsmediation (2005); Landbrecht/Gabriel, Konfliktmanagement im internationalen Rechtsverkehr (2017); Rubino-Sammartano, Domestic, Transnational, Foreign and International Mediations, FS Elsing (2015), S. 465; Unberath, Mediationsklauseln in der Vertragsgestaltung – Prozessuale Wirkungen und Wirksamkeit, NJW 2011, 1320; Unberath, Internationale Mediation – Die Bestimmung des maßgeblichen Rechts, FS von Hoffmann (2011), S. 500.

I. Allgemeine Grundsätze 1. Bedeutung 7.202

Im internationalen Handelsverkehr werden Gerichtsstandsvereinbarungen heute in erheblichem Umfang durch Schiedsvereinbarungen verdrängt. Die Vorteile, die eine schiedsrichterliche Streiterledigung gegenüber einem Verfahren vor den staatlichen Gerichten bereits in reinen Inlandsfällen hat, wie z.B. die Abkürzung der Verfahrensdauer durch Beschränkung auf eine Instanz, die Diskretion des Verfahrens, die spezielle Sachkunde der Schiedsrichter, die

1074 | Hausmann

B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.204 § 7

Freiheit der Verfahrensausgestaltung und die Kostenvorteile1, werden im internationalen Rechtsverkehr noch erheblich verstärkt. So können die Parteien etwa Schiedsrichter mit besonderen Kenntnissen des ausländischen und zwischenstaatlichen Rechts bestellen und damit die mit der Einholung von Sachverständigengutachten verbundenen Kosten und Verzögerungen vermeiden. Die Freiheit der Verfahrensausgestaltung hat im internationalen Bereich ferner den Vorzug, dass das Erfordernis einer förmlichen Zustellung von Schriftstücken an im Ausland wohnende Verfahrensbeteiligte entfällt. Darüber hinaus können die Parteien sich für das Verfahren vor dem Schiedsgericht auf eine bestimmte Sprache einigen und Schiedsrichter bestellen, die dieser Sprache kundig sind; damit erübrigt sich die im Verfahren vor staatlichen Gerichten notwendige Übersetzung von Urkunden in die Gerichtssprache und die Zuziehung von Dolmetschern für die Anhörung von Beteiligten, die der Gerichtssprache nicht mächtig sind2. Hinzu kommt, dass durch die Vereinbarung schiedsgerichtlicher Streiterledigung das vielfach bestehende Misstrauen gegenüber einer in ihrer Funktion unbekannten fremden staatlichen Gerichtsbarkeit ausgeschaltet werden kann. Vor allem aber ist die Durchsetzung von Schiedssprüchen im internationalen Rechtsverkehr mit Hilfe staatlicher Zwangsmittel in weit größerem Umfang staatsvertraglich gewährleistet als die Wirkungserstreckung von Zivilurteilen. Während die Vollstreckung deutscher Zahlungsurteile derzeit nur in den Mitgliedstaaten der Brüssel Ia-VO und den Vertragsstaaten des Luganer Übereinkommens sowie aufgrund bilateraler Übereinkommen weiterhin im Verhältnis zu Israel und Tunesien gewährleistet ist, gilt das UN-Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10.6.1958 (Rz. 7.226) derzeit im Verhältnis zu mehr als 150 Staaten. Darüber hinaus werden Schiedssprüche von den im internationalen Handel tätigen Unternehmen ganz überwiegend freiwillig erfüllt3. Aus diesem Grund enthalten heute ca. 80-90 % aller grenzüberschreitenden Wirtschaftsverträge eine Schiedsvereinbarung4.

7.203

2. Begriff Das neue deutsche Schiedsverfahrensrecht enthält – in Anlehnung an Art. 7 Abs. 1 S. 1 UNCITRAL-ModG5 – eine Legaldefinition der Schiedsvereinbarung in § 1029 Abs. 1 ZPO. Während das frühere Schiedsverfahrensrecht vom „Schiedsvertrag“ sprach, verwendet der Gesetzgeber seit der Reform von 1997 den Begriff „Vertrag“ nur noch im Zusammenhang mit dem Hauptvertrag (vgl. § 1029 Abs. 2, § 1031 Abs. 3, § 1040 Abs. 1, § 1051 Abs. 4 ZPO); der frühere „Schiedsvertrag“ wird hingegen durchgängig als „Schiedsvereinbarung“ bezeichnet. Damit betont das geltende Recht die strikte Trennung von Hauptvertrag und Schiedsvereinbarung (vgl. § 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO; dazu näher Rz. 7.207). Durch eine Schiedsvereinbarung müssen Streitigkeiten der Entscheidung durch ein Schiedsgericht unter Ausschluss des Rechtswegs zu den staatlichen Gerichten unterworfen werden. Die Absichtserklärung, eine schiedsgerichtliche Streiterledigung anzustreben, ist noch keine Schiedsvereinbarung6. Die Wirksamkeit der 1 Zu den Vorzügen der schiedsrichterlichen Streiterledigung näher Diedrich, JuS 1998, 158 f.; Schwab/Walter, Kap. 1 Rz. 8; Nagel/Gottwald, Rz.18.6 f. 2 Schütze/Tscherning/Wais, Rz. 5 ff.; Schütze, Rz. 18 ff.; Lachmann, Rz. 368 f. 3 Raeschke-Kessler/Berger, Rz. 51. 4 Berger, RIW 1994, 12. 5 UNCITRAL-Modellgesetz über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit v. 21.6.1985; deutscher Text bei Schwab/Walter, Anh. A III. 6 OLG Oldenburg v. 10.7.2014 – 8 Sch 2/13, IPRspr. 2014 Nr. 271, bestätigt durch BGH v. 7.5.2015 – I ZB 83/14, SchiedsVZ 2016, 42.

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7.204

§ 7 Rz. 7.204 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

Schiedsvereinbarung wird aber nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Parteien innerhalb einer bestimmten Frist die staatlichen Gerichte gegen den Schiedsspruch anrufen können1.

7.205

Die Schiedsvereinbarung ist ferner abzugrenzen vom Schiedsrichtervertrag (dazu Rz. 7.211 ff.) und von bloßen Vereinbarungen über die Gestaltung des Schiedsverfahrens (dazu Rz. 7.208 f.). Sie kann – in Übereinstimmung mit Art. II Abs. 1 UNÜ – sich sowohl auf bereits entstandene Streitigkeiten („compromis“) wie auf erst künftig entstehende Streitigkeiten („clause compromissoire“) beziehen. Bildet sie den Gegenstand einer selbständigen Vereinbarung, wird sie in der Terminologie des geltenden Rechts als „Schiedsabrede“ bezeichnet, während man von „Schiedsklausel“ spricht, wenn die Schiedsvereinbarung in den Hauptvertrag integriert ist, auf den sie sich bezieht (§ 1029 Abs. 2 ZPO).

3. Rechtsnatur 7.206

Die Rechtsnatur der Schiedsvereinbarung wird von der rechtlichen Bewertung der Schiedsgerichtsbarkeit insgesamt bestimmt. Diese ist nach deutscher Auffassung Ausübung echter – privater – Gerichtsbarkeit2, die den Parteien einen grundsätzlich gleichwertigen Rechtsschutz wie die staatliche Gerichtsbarkeit ermöglicht3. Aus diesem Grunde ist der Schiedsspruch ein Rechtsprechungsakt und kein materiell-rechtlicher Gestaltungsakt; dementsprechend kann auch die Schiedsvereinbarung kein rein materiell-rechtlicher Vertrag sein4. Dennoch stand die deutsche Rechtsprechung lange Zeit der materiell-rechtlichen Theorie nahe, wenn sie die Schiedsvereinbarung als einen „materiellrechtlichen Vertrag über prozessrechtliche Beziehungen“ wertete, dessen Zustandekommen sich nach bürgerlichem Recht richte5. Parallel zu der Entwicklung im Recht der Gerichtsstandsvereinbarungen (dazu Rz. 7.7) hat sich im zivilprozessualen Schrifttum hingegen die prozessuale Qualifikation der Schiedsvereinbarung durchgesetzt. Diese Lehre sieht die charakteristische Wirkung einer Schiedsvereinbarung mit Recht in der Ermöglichung eines auf einen urteilsgleichen Spruch gerichteten Verfahrens einerseits und im Ausschluss der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Entstehung einer prozesshindernden Einrede andererseits6. Das Erfordernis, auf gewisse Aspekte der Schiedsvereinbarung 1 BGH v. 1.3.2007 – III ZB 7/06, NJW-RR 2007, 1511 (Rz. 18 ff.) = MDR 2007, 902. 2 BGH v. 15.5.1986 – III ZR 192/84, BGHZ 98, 70 (72) = NJW 1986, 3027 = EWiR 1986, 835 (LS) m. Anm. Schütze; Habscheid, JZ 1998, 446; Geimer in Zöller, vor § 1025 ZPO Rz. 1. 3 Amtliche Begründung zum SchiedsverfahrensreformG, BT-Drucks. 13/5274, S. 34. 4 Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 1. 5 BGH v. 27.2.1970 – VII ZR 68/68, BGHZ 53, 315 = NJW 1970, 1046 f.; BGH v. 28.11.1963 – VII ZR 112/62, BGHZ 40, 320 (322) = NJW 1964, 591; BGH v. 30.1.1957 – V ZR 80/55, BGHZ 23, 198 (200) = NJW 1957, 589; OLG Hamburg v. 22.9.1978 – 14 U 76/77, RIW 1979, 482 (484) m. zust. Anm. Mezger. Für eine solche Doppelnatur der Schiedsvereinbarung noch heute Lachmann, Rz. 266; Schütze in Wieczorek/Schütze, Rz. 5; Voit in Musielak/Voit, Rz. 3; Reichold in Thomas/ Putzo Rz. 1, jeweils zu § 1029 ZPO. 6 Hausmann, FS W. Lorenz (1991), S. 359 (361); König, IPRax 2012, 129; Wagner, S. 578 ff.; Nagel/ Gottwald Rz. 18.14; Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 92 Rz. 12; Schwab/Walter, Kap. 7 Rz. 37; Münch in MünchKomm ZPO, Rz. 12 ff.; Schlosser in Stein/Jonas, Rz. 2; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 15 ff., jeweils zu § 1029 ZPO. Auch der BGH hat die Schiedsvereinbarung später zu Recht als „Unterfall des Prozessvertrages“ bezeichnet, vgl. BGH v. 3.12.1986 – IVb ZR 80/85, BGHZ 99, 143 (147) = MDR 1987, 302 (147) = NJW 1987, 651 = ZZP 100 (1987), 452 = ZZP 100 (1986), 452 m. zust. Anm. Schwab; zust. auch öOGH v. 5.5.1998, RIW 1999, 789 m. Anm. Seidl-Hohenveldern; OLG Koblenz v. 28.7.2005 – 2 Sch 4/05, SchiedsVZ 2005, 260 (261); LG München I v. 26.2.2014 – 37 O 28331/12, SchiedsVZ 2014, 100 (105); Wagner, S. 578 ff. m.w.N; ähnlich OLG Frankfurt a.M. v. 25.1.1993 – 8 W 8/93, DtZ 1993, 183: „verfahrensrechtlicher Vertragsgegenstand“.

1076 | Hausmann

B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.209 § 7

Vorschriften des bürgerlichen Rechts entsprechend anzuwenden, steht der prozessualen Qualifikation nicht entgegen.

4. Abgrenzungen a) Hauptvertrag Die kollisionsrechtliche Einordnung der Schiedsvereinbarung wird dadurch erschwert, dass im Verlaufe des Verfahrens nicht nur das Schiedsgericht, sondern auch staatliche Gerichte in ihrer Eigenschaft als Einredegerichte, sowie bei Schiedsrichterernennung oder -ablehnung, Beweiserhebung und Vollstreckung mit der Beurteilung kollisionsrechtlicher Fragen befasst werden können. Dabei ist es für jedes dieser Gerichte wesentlich, die Bestimmung des Statuts der Schiedsvereinbarung von weiteren kollisionsrechtlichen Fragen abzugrenzen, die sich im Zusammenhang mit der Durchführung eines internationalen Schiedsverfahrens typischerweise stellen.

7.207

Schiedsvereinbarung und Hauptvertrag sind grundsätzlich streng auseinander zu halten („Autonomie der Schiedsvereinbarung“)1. Dies gilt – wie § 1040 Abs. 1 S. 2 ZPO ausdrücklich klarstellt – auch dann, wenn die Schiedsklausel Bestandteil des geschlossenen Hauptvertrages ist (dazu näher Rz. 7.294, Rz. 7.311 f.)2. Damit wird freilich eine – auch kollisionsrechtlich relevante – Wechselbeziehung von Schiedsvereinbarung und Hauptvertrag nicht ausgeschlossen. So enthält die Schiedsabrede – ebenso wie eine Gerichtsstandsvereinbarung (dazu Rz. 7.5) – einen starken Hinweis auf das Recht am Sitz des gewählten Schiedsgerichts, der idR die Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl i.S.v. Art. 3 Abs. 1 S. 2 Rom I-VO bzw. § 1051 Abs. 1 ZPO für den Hauptvertrag rechtfertigt (vgl. dazu Rz. 2.92 ff. m. ausf. Nachw.); dies gilt sogar dann, wenn die Schiedsvereinbarung nicht wirksam getroffen worden ist3. Diese Indizwirkung setzt allerdings voraus, dass der Schiedsort bereits in der Schiedsvereinbarung bestimmt und seine Festlegung nicht den Schiedsrichtern oder einer Schiedsorganisation überlassen worden ist4. Umgekehrt kann eine für den Hauptvertrag getroffene Rechtswahl auch für die Ermittlung des Statuts der Schiedsvereinbarung Bedeutung erlangen. Eine verbreitete Auffassung unterwirft die Schiedsvereinbarung nämlich im Zweifel dem von den Parteien für den Hauptvertrag gewählten Recht; dazu und zur Kritik an dieser Auffassung näher Rz. 7.278 ff. m. ausf. Nachw.

7.208

b) Schiedsverfahren Abzugrenzen ist das Statut der Schiedsvereinbarung weiterhin vom Schiedsverfahrensstatut. Das Schiedsverfahren unterliegt grundsätzlich dem Recht am vereinbarten Schiedsort. Die Parteien können jedoch auch ein hiervon abweichendes Verfahrensrecht vereinbaren, insbesondere die Schiedsordnung eines institutionellen Schiedsgerichts. Die Wahl des Verfahrensrechts bedarf keiner besonderen Form und kann auch stillschweigend erfolgen5. Zwar 1 OLG Hamburg v. 21.12.2012 – 6 Sch 19/12, SchiedsVZ 2013, 180; OLG Frankfurt a.M. v. 20.7.2007 – 26 Sch 3/06, NJOZ 2007, 5712; OLG Köln v. 18.5.1992 – 19 U 22/92, MDR 1993, 80 = RIW 1992, 760; Epping, S. 24; Schlosser, Rz. 248; Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 21. 2 Sanders, Arbitration, S. 59 ff.; Epping, S. 24 f.; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 1. 3 BAG v. 4.10.1974 – 5 AZR 550/73, DB 1975, 63 = AP Nr. 7 zu § 38 ZPO (m. Anm. E. Lorenz); LAG Hamburg v. 3.9.1973 – 2 Sa 82/73, BB 1974, 1411. 4 Court of Appeal v. 20.5.1993 (Star Shipping AS v. China NFTT Corp.), YCA XXII (1997), 815 (819). 5 Voit in Musielak/Voit, § 1042 ZPO Rz. 32.

Hausmann | 1077

7.209

§ 7 Rz. 7.209 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

wird es sich häufig empfehlen, die Schiedsvereinbarung der gleichen Rechtsordnung zu unterstellen, die auch das Schiedsverfahren beherrscht (dazu Rz. 7.264, Rz. 7.269 f., Rz. 7.280 f.); zwingend ist dieser Gleichlauf jedoch nicht. Mittelbar wirkt das Schiedsverfahrensstatut freilich auch auf die Ermittlung des Statuts der Schiedsvereinbarung insofern ein, als es bestimmt, welche Kollisionsregeln der Schiedsrichter zugrunde zu legen hat, um die Gültigkeit der Schiedsvereinbarung zu beurteilen. So gilt § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. a ZPO – jedenfalls unmittelbar – nur, wenn aufgrund des Territorialitätsprinzips (§ 1025 Abs. 1 ZPO) deutsches Recht auf das Schiedsverfahren anzuwenden ist (dazu Rz. 7.272). Besondere Schwierigkeiten bereitet die Ermittlung des maßgeblichen Kollisionsrechts daher dann, wenn die Parteien weder das maßgebliche Verfahrensrecht noch den Sitz des Schiedsgerichts festgelegt haben.

7.210

Von der Schiedsvereinbarung zu unterscheiden sind daher die mit ihr i.d.R. verbundenen Vereinbarungen über die Durchführung des Schiedsverfahrens (z.B. über die Zusammensetzung und Konstituierung des Schiedsgerichts, den Schiedsort, die Verfahrenssprache etc.)1, die in Ermangelung einer abweichenden Rechtswahl der Parteien nach der lex fori des vereinbarten Schiedsgerichts zu beurteilen sind. Nach deutschem Recht setzt die Wirksamkeit einer Schiedsvereinbarung nicht voraus, dass die Parteien sich auch über die Modalitäten der Schiedsrichterbestellung verständigt haben; vielmehr greifen dann die gesetzlichen Bestimmungen (§§ 1034 ff. ZPO) ein. Nichts anderes gilt grundsätzlich, wenn die Parteien zwar eine entsprechende Abrede getroffen haben, diese aber undurchführbar oder unwirksam ist. Insbesondere kann die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung in diesem Fall nicht unter Hinweis auf § 139 BGB damit begründet werden, dass Bestimmungen der Parteien über die Bildung des Schiedsgerichts fehlen bzw. unwirksam oder undurchführbar sind2. Die Schiedsvereinbarung gilt in einem solchen Fall vielmehr grundsätzlich fort und das schiedsgerichtliche Verfahren richtet sich dann nach den gesetzlichen Regeln der lex fori3. Haben die Parteien daher eine Schiedsabrede getroffen und zusätzlich eine Kompetenz-Kompetenz-Klausel vereinbart, so berührt die Nichtigkeit der Kompetenz-Kompetenz-Klausel die übrige Schiedsabrede nicht4. Ist die ursprünglich getroffene Schiedsvereinbarung unwirksam, so kann sich eine solche – die Einhaltung der vorgeschriebenen Form vorausgesetzt – allerdings auch aus nachträglich wirksam getroffenen Verfahrensvereinbarungen ergeben. c) Lex fori staatlicher Gerichte

7.211

Wenig geklärt sind bisher die Konsequenzen, die sich aus einer prozessualen Qualifikation der Schiedsvereinbarung für das Verfahren vor den staatlichen Einredegerichten ergeben. Zwar besteht Einvernehmen darüber, dass sich die prozessualen Wirkungen der Schiedsvereinbarung im Einredeverfahren allein nach der lex fori des angerufenen staatlichen Gerichts be1 Vgl. im deutschen Recht § 1029 Abs. 1 ZPO einerseits, § 1042 Abs. 3 ZPO andererseits; dazu Schlosser in Stein/Jonas, § 1029 ZPO Rz. 12 ff.; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 11; Münch in MünchKomm ZPO, § 1029 Rz. 11; Lachmann, Rz. 265. 2 BGH v. 18.6.2014 – III ZB 89/13, MDR 2014, 1167= SchiedsVZ 2014, 254 (255); KG v. 28.4.2011 – 23 U 337/11, NJW 2011, 2978 = MDR 2011, 952; Geimer in Zöller, § 1029 ZPO Rz. 31, 60; vgl. auch öOGH v. 9.9.1987, YCA XV (1990), 367 (368). 3 BGH v. 1.3.2007 – III ZR 164/06, NJW-RR 2007, 1466 (Rz. 16 ff.) = SchiedsVZ 2007, 163; OLG Frankfurt a.M. v. 11.7.2013 – 26 SchH 8/12, SchiedsVZ 2013, 294 (296) und v. 12.5.2009 – 14 Sch 4/09, NJW-RR 2010, 788 (789); Schwab/Walter, Kap. 6 Rz. 8; Voit in Musielak/Voit, § 1042 ZPO Rz. 33. 4 BGH v. 24.7.2014 – III ZB 83/13, BGHZ 202, 68 Rz. 11 = NJW 2014, 3652; BGH v. 13. 1. 2005 – III ZR 265/03, BGHZ 162, 9 (14) = NJW 2005, 1125.

1078 | Hausmann

B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.213 § 7

urteilen (dazu Rz. 7.421). Weithin unklar bleibt hingegen, inwieweit sich die prozessualen Regeln der lex fori zu den inhaltlichen und formellen Voraussetzungen einer gültigen Schiedsvereinbarung gegen das von den Parteien gewählte Statut der Schiedsvereinbarung bzw. das Recht am gewählten Schiedsort durchsetzen. Anders als im Recht der Gerichtsstandsvereinbarungen1 schreckt man vor einer Qualifikation dieser Normen (z.B. der §§ 1029–1032 ZPO) i.S.v. prozessualen Schranken der Zulässigkeit von internationalen Schiedsvereinbarungen, die nach dem lex-fori-Prinzip im Verfahren vor dem staatlichen Einredegericht stets Beachtung erheischen, bisher überwiegend zurück (dazu näher Rz. 7.359 ff.). d) Schiedsrichter- und Schiedsorganisationsvertrag aa) Vertragsinhalt Die Schiedsvereinbarung ist auch vom Schiedsrichtervertrag zu unterscheiden, der zwischen den Parteien einerseits und dem Schiedsrichter andererseits geschlossen wird und die Grundlage für die Ausübung der schiedsrichterlichen Tätigkeit bildet2. In ihm werden insbesondere Honorar- und Haftungsfragen geregelt. Der Schiedsrichtervertrag wird – ebenso wie der mit einer Schiedsorganisation geschlossene Schiedsorganisationsvertrag3 – überwiegend noch als ein reiner Schuldvertrag sui generis gewertet, auf den bei Geltung deutschen Rechts die gesetzlichen Bestimmungen über den Dienstvertrag (§§ 611 ff. BGB) bzw. – im Falle der Unentgeltlichkeit – des Auftrags (§§ 662 ff. BGB) entsprechend anzuwenden sind4.

7.212

bb) Anknüpfung

Der Schiedsrichtervertrag untersteht nicht notwendigerweise demselben Recht wie die Schiedsvereinbarung oder das Schiedsverfahren. Den Parteien steht es vielmehr nach Art. 3 Rom I-VO frei, ihre Beziehungen zu den Schiedsrichtern auch einem hiervon abweichenden Recht zu unterstellen5. Treffen die Parteien keine ausdrückliche Rechtswahl, so kann das auf die Schiedsvereinbarung oder das Schiedsverfahren anwendbare Recht allerdings ein starkes Indiz für einen stillschweigenden Parteiwillen oder für eine „offensichtlich engere Verbindung“ des Schiedsrichtervertrages zu einer anderen Rechtsordnung i.S.v. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO sein, wobei im Zweifel das auf das Schiedsverfahren anwendbare Recht stärker wiegt6. Denn die Stellung des Schiedsrichters wird von diesem Recht entscheidend mitbestimmt, etwa hinsichtlich 1 Vgl. zu § 38 ZPO 6. Aufl., Rz. 3147 ff. 2 Ausführlich zum Schiedsrichtervertrag Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 15 ff. 3 Vgl. Ch. Wolf, Die institutionelle Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1992), S. 70 ff., 228 ff.; Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 15 ff. 4 So insb. – im Anschluss an die st. Rspr. des Reichsgerichts (RGZ 59, 247; RGZ 74, 323; RGZ 94, 213) – BGH v. 5.5.1986 – III ZR 233/84, BGHZ 98, 32 (34 f.) = NJW 1986, 3077 m.w.N.; zust. Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 23 ff.; Ch. Wolf, Die institutionelle Handelsschiedsgerichtsbarkeit (1992), S. 75 f.; a.A. Schwab, Schiedsrichterernennung und Schiedsrichtervertrag, FS Schiedermair (1976), S. 499 ff.; Real, Der Schiedsrichtervertrag (1983); Schwab/Walter, Kap. 11 Rz. 9, die dem Schiedsrichtervertrag auch prozessuale Funktionen beimessen. 5 Müller-Freienfels, Der Schiedsrichtervertrag in kollisionsrechtlicher Beziehung, FS Cohn (1975), S. 147 (158); Basedow, JbPraxSchG 1 (1987), 1 (20); von Hoffmann, Der internationale Schiedsrichtervertrag – eine kollisionsrechtliche Skizze, FS Glossner (1994), S. 143 f.; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 393. 6 Real, Der Schiedsrichtervertrag (1983), S. 189 ff.; Schlosser, Rz. 491; Geimer, Rz. 3851; Schütze/ Tscherning/Wais, Rz. 575. Für eine akzessorische Anknüpfung an das Recht der Schiedsvereinbarung hingegen Müller-Freienfels, FS Cohn (1975), S. 147 (160 ff.).

Hausmann | 1079

7.213

§ 7 Rz. 7.213 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

seiner Ernennung oder Abberufung und hinsichtlich der Anforderungen an seine Qualifikation oder Unparteilichkeit. Diese akzessorische Anknüpfung des Schiedsrichtervertrages an das Verfahrensstatut hat gem. Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO im Zweifel Vorrang vor der Anknüpfung an den „Praxisort“ als den Ort, an dem der Schiedsrichter seine vertragscharakteristische Leistung i.S.v. Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO erbringt1. Dies gilt im Interesse einer einheitlichen Bestimmung des auf die Pflichten der Schiedsrichter anzuwendenden Rechts jedenfalls dann, wenn ein Kollegialgericht entscheidet, dem Schiedsrichter aus verschiedenen Ländern angehören2. e) Schiedsgutachtenvertrag aa) Vertragsinhalt und Rechtsnatur

7.214

Besonders schwierig ist die Abgrenzung zwischen einer Schiedsvereinbarung und einem bloßen Schiedsgutachten3. Gegenstand eines Schiedsgutachtens kann sowohl die Feststellung von Tatsachen (z.B. der Qualität des Kaufgegenstandes, der Höhe des eingetretenen Schadens, des Werts eines Gebrauchtwagens etc.) als auch die Entscheidung von sachlich begrenzten Rechtsfragen sein. Überwiegend wird verlangt, dass dem Schiedsgutachter eine rechtsgestaltende Bestimmung der Leistung übertragen wird, bei der ihm ein gewisser Ermessenspielraum zusteht4. Die vor allem in der Rechtsprechung h.M.5 qualifiziert Schiedsgutachten rein privatrechtlich mit der Folge, dass die prozessualen Kautelen des Schiedsverfahrens (Gewährung rechtlichen Gehörs, Kontrolle der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit) für Schiedsgutachten und Schiedsgutachter nicht gelten. Das Gutachten kann vielmehr nur wegen offenbarer Unbilligkeit bzw. Unrichtigkeit nach §§ 317, 319 BGB angegriffen werden. Nach der Gegenansicht6 sind „rechtsklärende“ bzw. „Tatbestandselemente feststellende“ Schiedsgutachten prozessualer Natur, weil der Gutachter insoweit schiedsrichterliche Teilaufgaben übernehme. Einigkeit besteht jedoch darüber, dass die Vorschriften über Schiedsvereinbarungen wegen der unterschiedlichen Interessenlage und dem geringeren Schutzbedürfnis der Parteien auf den Schiedsgutachtenvertrag keine (entsprechende) Anwendung finden; dies gilt insbesondere für die Formvorschrift in § 1031 ZPO7. bb) Anknüpfung

7.215

Der Schiedsgutachtenvertrag ist ein Schuldvertrag, der die Erbringung einer Dienstleistung zum Gegenstand hat8. Die Parteien können das auf ihn anzuwendende Recht daher nach 1 Schlosser, Rz. 491; Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 33; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 394; Martiny in MünchKomm, vor Art. 1 Rom I-VO Rz. 118; Münch in MünchKomm ZPO, vor § 1034 Rz. 10; ebenso schon früher Müller-Freienfels, FS Cohn (1975), S. 147 (162); Basedow, JbPraxSchG 1 (1987), 1 (21). 2 Schwab/Walter, Kap. 48 Rz. 3; Magnus in Staudinger, Art. 4 Rom I Rz. 394; zust. öOGH v. 28.4.1998, BB 1999, Beil. 11, S. 7 m. Anm. Liebscher, Schiedsrichtervertrag und anwendbares Recht, S. 2. 3 Ausführlich zum Schiedsgutachten und zur Abgrenzung von der Schiedsgerichtsbarkeit Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 42 ff. 4 BGH v. 26.4.1991 – V ZR 61/90, NJW 1991, 2761 = MDR 1991, 1169. 5 BGH v. 26.4.1991 (vorige Fn.); BAG v. 20.1.2004 – 9 AZR 23/03; BeckRS 2004, 30800613; w. umf. Nachw. bei Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 48 ff. 6 Habscheid, FS Lehmann II (1956), S. 789; Habscheid, FS Laufke (1971), S. 303 ff.; Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 56 ff. m.w.N. 7 Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 65 m.w.N. 8 Im deutschen Recht wird der Schiedsgutachtenvertrag als Werkvertrag qualifiziert, vgl. Gehrlein, VersR 1994, 1009 f.

1080 | Hausmann

B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.217 § 7

Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO frei wählen. In Ermangelung einer Rechtswahl ist objektiv nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO an das Recht des Staates anzuknüpfen, in dem der Schiedsgutachter seinen gewöhnlichen Aufenthalt, d.h. seine Hauptniederlassung (Art. 19 Abs. 1 UAbs. 2 Rom I-VO), hat. Stellt man an den Schiedsgutachter in Bezug auf Unparteilichkeit und Unabhängigkeit die gleichen Anforderungen wie an einen Schiedsrichter1, so sind diese dem Recht des Staates zu entnehmen, in dem das Schiedsgutachten erstellt werden soll; in Deutschland gilt dann § 1036 ZPO entsprechend. f) Mediationsvereinbarung aa) Rechtsquellen Im Verlauf des letzten Jahrzehnts haben Verfahren der alternativen Streitbeilegung („Alternative Dispute Regulation“, ADR) auch auf internationaler Ebene erheblich an Bedeutung gewonnen. Sie verdrängen nicht nur Verfahren vor staatlichen Gerichten, sondern wegen der schnelleren Konfliktlösung und der geringeren Kosten zunehmend auch Schiedsverfahren2. Dies gilt nicht nur für Schlichtungsverfahren3, sondern insbesondere für die Mediation. Diese hat in Europa vor allem durch die EU-Mediationsrichtlinie4 einen wichtigen Impuls erhalten. Die Richtlinie regelt im Wesentlichen die Absicherung der Vertraulichkeit der Mediation, ihre Auswirkungen auf die Verjährungsfristen und die Vollstreckbarkeit der in einer Mediation getroffenen Vereinbarung. Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie durch das Mediationsgesetz vom 21.6.20125 umgesetzt. Während die Richtlinie auf grenzüberschreitende Sachverhalte beschränkt ist, gilt das Mediationsgesetz auch für Binnensachverhalte. Es definiert die Mediation in seinem § 1 Abs. 1 als „vertrauliches und strukturiertes Verfahren, bei dem die Parteien mit Hilfe eines oder mehrerer Mediatoren freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts anstreben“. Nach § 278a Abs. 1 ZPO kann auch das angerufene staatliche Gericht den Parteien eine Mediation (oder ein anderes Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung) vorschlagen. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass am 20.12.2018 in Singapur die „UN Convention on International Settlement Agreements Resulting from Mediation“ abgeschlossen wurde, die am 12.9.2020 in Kraft getreten ist. Die Bundesrepublik Deutschland ist diesem Übereinkommen allerdings bisher nicht beigetreten.

7.216

bb) Vertragsinhalt Gegenstand der Mediationsvereinbarung ist die Durchführung der Mediation. Danach ist der Mediator also – im Gegensatz zum Schiedsrichter – nicht befugt, eine bindende Entscheidung zu treffen; er soll vielmehr nur auf eine Vereinbarung der Parteien zur Beilegung ihrer Streitigkeiten hinwirken. Anders als ein Schlichter hat der Mediator aber auch nicht die Aufgabe, einen Vorschlag zur Lösung des Konflikts zu unterbreiten; er soll vielmehr die Parteien nur un-

1 So Schlosser in Stein/Jonas, vor § 1025 ZPO Rz. 66. 2 Möglich sind allerdings auch Mischformen, z.B. Vereinbarungen, wonach ein Schiedsverfahren erst nach einer erfolglosen Mediation stattfinden soll, vgl. Eidenmüller, Hybride ADR-Verfahren bei internationalen Wirtschaftskonflikten, RIW 2002, 1 ff.; Berger, Law and Practice of Escalation Clauses, Arb.Int. 22 (2006) 1 ff. 3 Vgl. zur obligatorischen Streitschlichtung nach § 15a EGZPO statt vieler Heßler in Zöller, § 15a EGZPO Rz. 1 ff. 4 Richtlinie 2008/52/EG über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. EU L 136 v. 24.5.2008, S. 3 = Jayme/Hausmann, Nr. 243. 5 BGBl. I 2012, 1577; in Kraft seit dem 26.7.2012.

Hausmann | 1081

7.217

§ 7 Rz. 7.217 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

terstützen, ihre Einigungshindernisse zu überwinden. Die Mediationsvereinbarung weist daher eine Doppelnatur auf: einerseits begründet sie materiell-rechtliche Kooperationspflichten der Parteien im Rahmen der Mediation; andererseits enthält sie Absprachen in Bezug auf das Mediationsverfahren, z.B. hinsichtlich der Vertraulichkeit, der Auswahlkriterien für den Mediator oder den Verfahrensablauf1. Abzugrenzen von dieser Mediationsvereinbarung ist der Mediatorvertrag, der – ähnlich dem Schiedsrichtervertrag im Schiedsverfahren (Rz. 7.212) – die Vertragsbeziehungen zwischen dem Mediator und den beiden Streitparteien regelt, sowie die Abschlussvereinbarung, die die Parteien im Falle einer erfolgreichen Mediation zur Lösung ihres Konflikts treffen2. cc) Anknüpfung

7.218

Weder die Mediationsrichtlinie noch das deutsche Mediationsgesetz enthalten Kollisionsregeln. Ähnlich wie eine Schiedsvereinbarung (Rz. 7.208) ist die Mediationsvereinbarung grundsätzlich unabhängig von der Rechtsnatur der zwischen den Parteien streitigen (Haupt-) Rechtsbeziehung, die den Gegenstand der Mediation bildet. Die materiell-rechtlichen Verpflichtungen aus der Mediationsvereinbarung sind daher in jedem Falle schuldvertraglich zu qualifizieren und werden von der Rom I-VO erfasst3; denn im Gegensatz zu Gerichtsstandsund Schiedsvereinbarungen sind Mediationsvereinbarungen nicht aus dem sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausgeschlossen. Ferner hat – anders als bei Schiedsvereinbarungen (Rz. 7.206) – eine umfassende prozessuale Qualifikation auszuscheiden; denn prozessuale Wirkungen entfaltet die Mediationsvereinbarung nur insoweit, als mit ihr regelmäßig ein dilatorischer Klageverzicht verbunden ist, weil die Mediation nur erfolgreich sein kann, wenn die Parteien zumindest vorübergehend auf die (schieds-)gerichtliche Durchsetzung ihrer Forderungen verzichten. Allein dieser Klageverzicht ist prozessual zu qualifizieren und unterliegt der lex fori des angerufenen staatlichen Gerichts oder Schiedsgerichts4. Wird die Mediation den Parteien von einem deutschen staatlichen Gericht vorgeschlagen, so ordnet dieses nach § 278a Abs. 2 ZPO das Ruhen des Verfahrens (§§ 251, 329 Abs. 2 ZPO) an.

7.219

Im Übrigen können die Parteien das auf die Mediationsvereinbarung anzuwendende Recht nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO frei wählen. Erstaunlicherweise machen die Muster-Mediationsklauseln der bekannten institutionellen Verfahrensordnungen5 von der Möglichkeit einer ausdrücklichen Rechtswahl bisher keinen Gebrauch. Ausreichend ist aber auch eine stillschweigende Rechtswahl, die sich eindeutig aus den Bestimmungen der Vereinbarung oder den Umständen ergibt. Die für den Hauptvertrag getroffene Rechtswahl ist, auch wenn die Mediationsklausel einen Bestandteil dieses Vertrages bildet, nur ein schwaches Indiz für einen diesbezüglichen konkludenten Parteiwillen (insoweit gilt das zu Schiedsvereinbarungen in Rz. 7.287 f. Gesagte entsprechend)6. In Ermangelung einer Rechtswahl ist das anzuwendende Recht mit Hilfe des allgemeinen Kriteriums der „engsten Verbindung“ gem. Art. 4 Abs. 4 Rom I-VO zu bestimmen, da es an einer charakteristischen Leistung einer der Vertragsparteien i.S.v. Art. 4 Abs. 2 Rom I-VO fehlt. Dabei kommt dem Mediationsort keine so wesentliche 1 2 3 4 5

Unberath, NJW 2011, 1320 ff. Vgl. Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (503). Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (504 f.); Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 19. Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (506). Vgl. dazu das UNCITRAL Model Law on International Commercial Mediation and International Settlement Agreements Resulting from Mediation von 2018; ferner die DIS-Mediationsordnung von 2010 und die Mediation Rules der Internationalen Handelskammer in Paris von 2014. 6 Anders Eidenmüller, S. 54.

1082 | Hausmann

B. Schiedsvereinbarungen | Rz. 7.222 § 7

Bedeutung zu wie dem Schiedsort im Schiedsverfahren (zur objektiven Anknüpfung an den Schiedsort in internationalen Schiedsverfahren Rz. 7.287 ff.)1. Als Kriterien kommen insbesondere das auf den Hauptvertrag anzuwendende Recht sowie bei institutionellen Mediationsverfahren der Sitz der gewählten Mediationsorganisation in Betracht2. Demgegenüber handelt es sich bei dem Mediatorvertrag um einen Dienstleistungsvertrag. Für diesen können die Parteien das anwendbare Recht zwar ebenfalls nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 Rom I-VO frei wählen. In Ermangelung einer Rechtswahl ist jedoch nach Art. 4 Abs. 1 lit. b Rom I-VO das Recht des Staates anwendbar, in dem der Mediator als Dienstleister seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom I-VO eingreift, weil der Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung mit dem Recht eines anderen Staates aufweist. Als solche kommt insbesondere eine akzessorische Anknüpfung an das Statut der Mediationsvereinbarung in Betracht, namentlich wenn letztere dem gleichen Recht wie das Mediationsverfahren unterliegt3.

7.220

Die aufgrund der Mediation zwischen den Konfliktparteien getroffene Abschlussvereinbarung enthält typischerweise materiell-rechtliche Regelungen bezüglich des Streitgegenstandes. Insoweit unterliegt sie grundsätzlich dem gleichen Recht wie das zwischen den Parteien bestehende Hauptrechtsverhältnis (akzessorische Anknüpfung)4. Handelt es sich – wie häufig – um einen außergerichtlichen Vergleich, so gelten die Ausführungen in Rz. 3.248 entsprechend. Den Parteien steht es aber frei, die Abschlussvereinbarung durch Rechtswahl auch einem anderen Recht zu unterstellen; dies kommt insbesondere in Betracht, wenn die verglichenen Forderungen unterschiedlichen Rechten unterliegen, für die Abschlussvereinbarung aber ein einheitliches Regime gelten soll. Für prozessuale Aspekte der Abschlussvereinbarung – insbesondere die Frage ihrer Vollstreckbarerklärung – gilt wiederum die lex fori.

7.221

g) Gerichtsstandsvereinbarung Die Abgrenzung von Schieds- und Gerichtsstandsvereinbarungen bereitet im Regelfall keine Schwierigkeiten. Während durch eine ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarung nur die internationale Zuständigkeit der Gerichte einzelner Staaten ausgeschlossen wird (vgl. Rz. 7.3), wird durch eine Schiedsvereinbarung die Zuständigkeit der staatlichen Gerichtsbarkeit insgesamt abbedungen. Dies muss allerdings in der Vereinbarung hinreichend deutlich zu Ausdruck kommen5. Die Umdeutung einer unwirksamen Schiedsvereinbarung in eine gültige Gerichtsstandsvereinbarung kommt nur in äußerst engen Grenzen und bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht6.

1 2 3 4 5

Hutner, S. 142 f.; Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (505). Nagel/Gottwald, § 18 Rz. 19. Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (507). Unberath, FS von Hoffmann (2011), S. 500 (510). Vgl. Trib. Vaud v. 30.3.1993, Bull. ASA 1995, 64 = YCA XXI (1996), 681 (683): Klausel „Jurisdiction of the (State) courts of the International Chamber of Commerce, Paris“ ist zweideutig und bringt Ausschluss der staatlichen Gerichtsbarkeit nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck. 6 OLG Hamburg v. 6.1.1972 – 6 U 153/71, VersR 1972, 854 = AWD 1974, 162; a.A. LAG Hamburg v. 3.9.1973 – 2 SA 82/73, BB 1974, 1411; BAG v. 4.10.1974 – 5 AZR 550/73, DB 1975, 63 = AP ZPO § 38 Internationale Zuständigkeit (m. Anm. E. Lorenz), wo die nichtige Vereinbarung des Schiedsorts Hamburg im Wege ergänzender Vertragsauslegung dahin interpretiert wurde, dass für diesen Fall das Arbeitsgericht in Hamburg international zuständig sein sollte.

Hausmann | 1083

7.222

§ 7 Rz. 7.223 | Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen

7.223

Haben die Parteien sowohl eine Gerichtsstandsvereinbarung als auch eine Schiedsvereinbarung für künftige Rechtsstreitigkeiten getroffen, so ist deren Verhältnis zunächst im Wege der Auslegung nach Maßgabe des Statuts der Schiedsvereinbarung (dazu Rz. 7.295 ff.) zu ermitteln1. Diese Auslegung kann ergeben, dass die Schiedsvereinbarung Vorrang vor der Gerichtsstandsvereinbarung haben soll2. So geht etwa eine individuell ausgehandelte Schiedsvereinbarung für einen bestimmten Vertrag der in den AGB einer Partei enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung vor, auch wenn die AGB wirksam in den Vertrag einbezogen wurden (vgl. § 305b BGB)3. Die Auslegung kann freilich auch zum umgekehrten Ergebnis, dh. zum Vorrang der Gerichtsstandsklausel führen4. Enthalten die den Vertragsbeziehungen zugrunde liegenden AGB einer Partei sowohl eine Gerichtsstands- wie eine Schiedsvereinbarung, so ist i.d.R. die Auslegung gerechtfertigt, dass die Gerichtsstandsklausel dann gelten soll, wenn die Parteien übereinstimmend nicht das Schiedsgericht, sondern staatliche Gerichte anrufen5. Ferner kann die Gerichtsstandsklausel eine die Schiedsklausel lediglich ergänzende Funktion haben6.

7.224

Die Parteien können auch vereinbaren, dass die klagende Partei die Wahl haben soll, entweder das staatliche Gericht oder das Schiedsgericht anzurufen. Mit der Entscheidung des Klägers zugunsten der Durchführung eines Schiedsverfahrens wird die Schiedsklausel dann voll gültig7. Dies gilt auch dann, wenn die Vereinbarung eine Partei einseitig begünstigt, in dem sie nur ihr das Wahlrecht zwischen staatlichem Gericht und Schiedsgericht einräumt, während die andere Partei in jedem Falle das Schiedsgericht anrufen muss. Die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass dieses Wahlrecht in einer vorformulierten Klausel allein dem Verwender als Kläger eingeräumt wird8. Demgegenüber benachteiligt eine Klausel, die dieses Wahlrecht zwischen staatlichem Gericht und Schiedsgericht dem AGB-Verwender auch dann einseitig zubilligt, wenn er verklagt wird, den anderen Teil unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 2 BGB. Denn der Kläger läuft dann Gefahr, dass seine beim vereinbarten staatlichen Gericht erhobene Klage nachträglich dadurch unzulässig wird, dass der Verwender die Schiedseinrede erhebt; dies ist dem Kläger nicht zumutbar9.

1 Vgl. dazu High Court (Q.B.Div.) v. 18.2.1991 (Paul Smith Ltd. v. H & S Int’l Holdings Co.), YCA XIX (1994), 725 (726 f.); Haas in Weigand, Art. II UNÜ Rz. 68. 2 Vgl. OLG Bremen v. 29.2.1996 – 2 U 97/95, OLGR 1996, 139 (140 f.); Reichold in Thomas/Putzo, § 1029 ZPO Rz. 3. 3 BGH v. 20.3.1980 – III ZR 151/79, BGHZ 77, 32 (36) = NJW 198