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German Pages 362 [363] Year 2015
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 331 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Deniz Halil Deren
Internationales Enteignungsrecht Kollisionsrechtliche Grundlagen und Investitionsschutzfragen
Mohr Siebeck
Deniz Halil Deren, geboren 1984; Studium der Rechtswissenschaften, der Philosophie und antiker Sprachen und Kulturen in Köln und Istanbul; 2006–2014 Mitarbeiter am Institut für internationales und ausländisches Privatrecht der Universität zu Köln; 2014 Promotion; seit 2013 Rechtsreferendar in Köln.
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort und der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung. Zugleich Dissertation Universität Köln 2014. e-ISBN 978-3-16-153743-1 ISBN 978-3-16-153742-4 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck, Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Meiner Familie
Vorwort Mein Dank gilt zuvörderst meinem verehrten Lehrer Professor Dr. HeinzPeter Mansel, der auf vielfältige Weise Geburt und Heranwachsen dieser Schrift gefördert hat. Danken möchte ich auch Herrn Professor Dr. Hanns Prütting für wertvolle Anregungen im Zweitgutachten, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Basedow für die Aufnahme der Schrift in der Reihe der Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht, der Studienstiftung des deutschen Volkes für die finanziell großzügige und ideell prägende Förderung über so viele Jahre und schließlich meinen lieben Freunden Thomas Claeßens, Roger Schulz, Lucas Eigel, Markus Raffelsiefen und Armaghan Naghipour für die unersetzliche Hilfe bei der Korrektur. Die Arbeit stellt die auf den Stand von Mai 2015 aktualisierte Fassung meiner Inauguraldissertation dar; die Disputation fand im Juli letzten Jahres statt. Für die Übernahme der Druckkosten danke ich herzlich der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung und der Verwertungsgesellschaft WORT.
Köln, im Frühjahr 2015
Deniz Halil Deren
Inhaltsübersicht Einleitung §1 §2 §3
Fragestellung des internationalen Enteignungsrechts ........................... 1 Rechtfertigung der Untersuchung ........................................................... 4 Ziel und Gang der Darstellung ............................................................... 7
Allgemeiner Teil
Grundlegung Kapitel 1: Völker- und europarechtliche Vorgaben......................... 16 §4 §5 §6
Völkergewohnheitsrecht ........................................................................ 16 Menschenrechtsverträge .................................................................... 37 Unionsrecht ............................................................................................ 39
Kapitel 2: Investitionsrecht ...................................................................... 43 §7 §8
Bilaterale Investitionsschutzverträge ................................................... 43 Investitionsrecht im Übrigen ................................................................. 57
Kapitel 3: Autonomes deutsches Recht ............................................... 60 §9 § 10 § 11 § 12 § 13
Gebietsgrundsatz als richterrechtliche Grundregel ............................. 60 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes ................................. 70 Anerkennung als Rechtsfolge des Gebietsgrundsatzes ......................... 88 Beweggründe zur Anerkennung .......................................................... 107 Abweichende Lösungsansätze der Literatur ....................................... 132
X
Inhaltsübersicht
Besonderer Teil
Die einzelnen Enteignungsobjekte Kapitel 4: Dingliche Rechte................................................................... 166 § 14 § 15 § 16
Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes ....................... 166 Einschränkungen des positiven Gebietsgrundsatzes .......................... 180 Vollziehung und Verbringung ............................................................. 213
Kapitel 5: Forderungsrechte .................................................................. 229 § 17 § 18 § 19
Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes .......................... 229 Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungen ................. 246 Sonderfragen ........................................................................................ 256
Kapitel 6: Immaterialgüterrechte ......................................................... 261 § 20
Anerkennung nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche .............. 261
Kapitel 7: Rechte von und an Gesellschaften .................................. 269 § 21 § 22 § 23
Einführung und Abgrenzung ............................................................... 269 Entschädigte Gesellschaftsenteignungen ............................................ 277 Entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen ................................ 286
Ergebnis § 24
Zusammenfassung ................................................................................ 302
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ........................................................................................................... VII Inhaltsübersicht ................................................................................................ IX Abkürzungsverzeichnis ..................................................................................XIX
Einleitung §1
Fragestellung des internationalen Enteignungsrechts ........................... 1
§2
Rechtfertigung der Untersuchung ........................................................... 4
§3
Ziel und Gang der Darstellung ............................................................... 7
Allgemeiner Teil!
Grundlegung! Kapitel 1: Völker- und europarechtliche Vorgaben......................... 16 §4
Völkergewohnheitsrecht ........................................................................ 16 I. Weder Anerkennungspflicht noch -verbot ............................................. 16 II. Grenzen staatlicher Vollstreckungs- und Regelungsbefugnis ................ 20 1. Territorialer Geltungsbereich staatlicher Rechtsordnungen ............. 22 2. Territorial begrenzte Vollstreckungsbefugnis .................................. 23 3. Weite Grenzen der Regelungsbefugnis ............................................ 24 III. Abgrenzung zum nationalen Kollisionsrecht ......................................... 26 1. Anerkennung als Frage des nationalen Rechts ................................. 26 2. Folgen für den Sprachgebrauch ........................................................ 28 3. Vollziehungserfordernis im nationalen Recht .................................. 33 4. Zusammenfassung ............................................................................ 34 IV. Besatzungsrecht ...................................................................................... 34 V. Immunität ............................................................................................... 36
XII
Inhaltsverzeichnis
§5
Menschenrechtsverträge .................................................................... 37
§6
Unionsrecht ............................................................................................ 39
Kapitel 2: Investitionsrecht ...................................................................... 43 §7
Bilaterale Investitionsschutzverträge ................................................... 43 I. Einführung .............................................................................................. 43 II. Entscheidung über BIT-Gemäßheit ........................................................ 46 III. Pflicht zur Anerkennung BIT-gemäßer Enteignungen ........................... 48 IV. Keine Pflicht zur Anerkennung BIT-widriger Enteignungen ................ 51 V. Kein Verbot der Anerkennung BIT-widriger Enteignungen .................. 52 VI. Zusammenfassung.................................................................................. 55
§8
Investitionsrecht im Übrigen ................................................................. 57 I. Investor-Staat-Verträge mit Internationalisierungsklausel ..................... 57 II. (Global-)Entschädigungsabkommen ...................................................... 57 III. Versicherungen und Garantien ............................................................... 58 IV. Multilaterale Investitionsschutzabkommen ............................................ 59
Kapitel 3: Autonomes deutsches Recht ............................................... 60 §9
Gebietsgrundsatz als richterrechtliche Grundregel ............................. 60 I. Einführung in den Gebietsgrundsatz ...................................................... 60 1. Internationalenteignungsrechtlicher Begriff der Enteignung ........... 62 2. Körperliche Welt und Rechtliches .................................................... 66 3. Territorialität als Grenzkriterium ...................................................... 67 II. Sonderfrage: Bedeutung von Drittstaaten .............................................. 69 1. Enteignungsanerkennung durch dritten Belegenheitsstaat ............... 69 2. Zweitenteignung durch Drittstaat .................................................... 70
§ 10
Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes ................................. 70
I. Internationales öffentliches Recht .......................................................... 71 1. Drei Bedeutungen des Begriffs ....................................................... 72 2. Internationales Verfahrensrecht als Unterbereich ............................ 73 II. Internationales Privatrecht ..................................................................... 75 1. Dogma der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts ... 75 2. Aufspaltung des ausländischen Enteignungsaktes ........................... 78
Inhaltsverzeichnis
XIII
3. Datumtheorie .................................................................................... 79 4. Rechtstatsachen ................................................................................ 80 III. Internationales Wirtschaftsrecht ............................................................. 82 IV. Unerheblichkeit des dogmatischen Standpunktes .................................. 83 V. Stellungnahme ........................................................................................ 85 § 11
Anerkennung als Rechtsfolge des Gebietsgrundsatzes ......................... 88
I. Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkung ................................ 88 II. Abgrenzung zur Rechtsverkehranerkennung ......................................... 91 1. Rechtsverkehranerkennung als relative Anerkennung ..................... 91 2. Relative Anerkennung bei dinglichen Rechten ................................ 93 3. Relative Anerkennung bei Forderungsrechten ................................. 96 III. Keine Fernwirkung ................................................................................ 97 1. Enteignung von Aneignungsrechten und Produktionsmitteln .......... 97 2. Gutgläubiger Erwerb enteigneter Rechte an Sachen ...................... 102 3. Sonstiger originärer Rechtserwerb nach Enteignung ..................... 106 4. Verwaltungs- und Justizakte, die auf die Enteignung Bezug nehmen ................................................................................ 106 § 12
Beweggründe zur Anerkennung .......................................................... 107
I. Internationale Ordnung als Anerkennungsgrund ................................. 108 1. Gute zwischenstaatliche Beziehungen und deutsche Handelsinteressen ........................................................................... 108 2. Entscheidungseinklang als Folge der Anerkennung ....................... 111 II. Macht als Grenzkriterium .................................................................... 112 1. Mögliche Verständnisweisen von Macht ....................................... 112 2. Schwächen der Machtlehre ............................................................ 115 3. Bestimmung der räumlich-zeitlichen Machtgrenzen: die Verbringung .............................................................................. 118 4. Effektivität und Nichtdurchsetzungsgrundsatz ............................... 120 III. Gegenseitigkeit und Respekt ............................................................... 122 1. Gegenseitigkeit............................................................................... 122 2. Respekt vor fremdem Hoheitsakt .................................................. 124 IV. Vertrauen und Risiko ........................................................................... 126 1. Vertrauen auf Bestand der Umverteilung ....................................... 126 2. Risikogedanke ................................................................................ 128 V. Stellungnahme ..................................................................................... 129 1. Private und staatliche Interessen ................................................... 129 2. Unterscheidung nach Art der Enteignungsobjekte und -umstände ................................................................................. 130
XIV § 13
Inhaltsverzeichnis
Abweichende Lösungsansätze der Literatur ....................................... 132
I. Personale Nähebeziehung .................................................................... 132 1. Innerhalb des Gebietsgrundsatzes ................................................. 132 2. Ergänzung zum Gebietsgrundsatz ................................................. 133 3. Im Rahmen der ausdifferenzierten Anerkennungssysteme ............ 134 II. Situs-Regel: Synonym zum Gebietsgrundsatz oder Einheitsanknüpfung .............................................................................. 135 1. Selten vertretener Ansatz ............................................................... 135 2. Unklare Erheblichkeit .................................................................... 136 3. Einheitsanknüpfung ....................................................................... 137 III. Entscheidung in offener Abwägung: ein Befreiungsschlag ................. 139 1. Mehr Programm als Methode ........................................................ 139 2. Bedürfnis nach Differenzierung gegen das Einerlei des Gebietsgrundsatzes ......................................................................... 141 IV. „Internationalwirtschaftsrechtlicher“ Ansatz nach Behrens ............... 142 1. Kernpunkte und verwandte Vorstöße ............................................ 142 2. Erheblichkeit .................................................................................. 143 3. Kritik .............................................................................................. 144 V. „Internationalverfahrensrechtlicher“ Ansatz nach Kreuzer ................ 148 1. Hohe Anerkennungshürden ........................................................... 148 2. Erheblichkeit .................................................................................. 151 3. Ergänzung bei verändertem Umfeld .............................................. 153 VI. Stellungnahme ..................................................................................... 158 1. Kritik des Gebietsgrundsatzes ....................................................... 158 2. Unterscheidung nach Art der Enteignungsobjekte und -umstände ................................................................................. 161
Besonderer Teil!
Die einzelnen Enteignungsobjekte! Kapitel 4: Dingliche Rechte................................................................... 166 § 14
Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes ....................... 166
I. Rechtmäßigkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates ................. 166 II. Entschädigung .................................................................................. 169 III. Selbständiges Vollziehungserfordernis ................................................ 170 1. Abgrenzung zur Vollziehung als Wirksamkeitsvoraussetzung ...... 170 2. Wertungsbezogene Argumente ...................................................... 171 3. Sonstige Argumente ....................................................................... 173
Inhaltsverzeichnis
XV
IV. Belegenheit .......................................................................................... 175 1. Lagestaat und Belegenheitsstaat .................................................... 176 2. Belegenheit und Vollziehung ........................................................ 177 3. Besondere Sachen und Sachen in besonderen Situationen ............. 178 V. Zusammenfassung ............................................................................... 179 § 15
Einschränkungen des positiven Gebietsgrundsatzes .......................... 180
I. Art. 25 GG und die allgemeinen Regeln des Völkerrechts .................. 181 1. Abgrenzung zu einem völkerrechtlichen Anerkennungsverbot ..... 181 2. Inhaltsändernde Übernahme von Völkerrecht durch Art. 25 GG ............................................................................ 185 3. Neues Unrecht und Fernwirkung ................................................... 186 II. Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG ....................................................... 187 1. Anerkennung als Bezugspunkt der Bindung .................................. 188 2. Grundrechtskollisionsrecht im formellen Sinne ............................. 189 3. Grundrechtskollisionsrecht im materiellen Sinne: Suche nach einem Maßstab ............................................................ 191 4. Sachen in Deutschland ................................................................... 195 5. Sachen im Enteignungsstaat .......................................................... 197 III. Ordre public ......................................................................................... 202 1. Vorbemerkungen ............................................................................ 202 2. Wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts .............................. 205 3. Inlandsbezug .................................................................................. 207 IV. Zusammenfassung ............................................................................... 212 § 16
Vollziehung und Verbringung ............................................................. 213
I. Relative Anerkennung bis zur Verbringung ..................................... 213 II. Nichtanerkennung bei einer Verbringung durch den Enteigneten ....... 214 1. Bei Ablehnung eines selbständigen Vollziehungserfordernisses ... 215 2. Bei Annahme eines selbständigen Vollziehungserfordernisses ..... 216 3. Überführung der Ergebnisse aus dem ordre public in eine Norm ................................................................................... 217 III. Verbringung durch den Enteignungsbegünstigten ............................... 218 1. Keine Fernwirkung etwaiger Nichtanerkennung ............................ 219 2. Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen ................. 219 3. Unterscheidung nach dem Verwendungszweck der Sache und der Staatsangehörigkeit des Enteigneten ................................. 221 IV. Zusammenfassung ............................................................................... 225 1. Dogmatischer Status der vorgeschlagenen Regel ........................... 225 2. Vorschlag einer Prüfung in fünf Schritten ...................................... 226
XVI
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 5: Forderungsrechte .................................................................. 229 § 17
Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes .......................... 229
I. Rechte des Schuldners als Anknüpfungspunkt .................................... 231 1. Spaltungslehre der Forderungsenteignung ..................................... 231 2. Belegenheit und Rechtsschutzräume ............................................. 233 3. „Anerkennung“ als Nichtanerkennung ........................................... 234 II. Person des Schuldners als Anknüpfungspunkt .................................... 237 1. Keine absolute Anerkennung ......................................................... 237 2. Wohnsitz im Ergebnis bedeutungslos............................................. 240 3. Selbständiges Vollziehungserfordernis .......................................... 241 § 18
Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungen ................. 246
I. Gründe für die Untauglichkeit ............................................................ 246 1. Andere Rechtsfolge: keine absolute Anerkennung ........................ 246 2. Andere Beweggründe: Anerkennung im Interesse des Schuldners ..................................... 248 3. Andere Tatbestandsmerkmale: Belegenheit, Vollziehung, Rechtmäßigkeit .................................... 249 II. Vorschlag eines differenzierteren Systems .......................................... 251 1. Nichtanerkennung statt Zweistufenlösung ..................................... 251 2. Schadenstragung als Kern der Problematik .................................... 252 3. Leistungsverweigerungsrecht nach lex causae oder lex fori .......... 255 4. Sicherheitsleistung durch Altgläubiger .......................................... 256 § 19
Sonderfragen ........................................................................................ 256
I. Möglichkeit absoluter Anerkennung ................................................ 256 II. Gesicherte Forderungen, Schuldnermehrheit und Ähnliches ............ 258 III. Verbriefte Rechte ................................................................................. 260
Kapitel 6: Immaterialgüterrechte ......................................................... 261 § 20
Anerkennung nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche .............. 261
I. Handlungen in Deutschland ............................................................. 261 II. Handlungen im Enteignungsstaat ........................................................ 262 1. Realisierte Folgeansprüche ............................................................ 262 2. Nicht realisierte Folgeansprüche ................................................... 264 III. Dogmatische Konstruktionsmöglichkeiten .......................................... 265
Inhaltsverzeichnis
XVII
Kapitel 7: Rechte von und an Gesellschaften .................................. 269 § 21
Einführung und Abgrenzung ............................................................... 269
I. Drei Grundkonstellationen ............................................................... 269 II. Weiter verfassungsrechtlicher Rahmen ................................................ 272 § 22
Entschädigte Gesellschaftsenteignungen ............................................ 277
I. Vollständige Anerkennung ohne Anerkennungsgesetz .................... 277 II. Belegenheitslösungen .......................................................................... 280 1. Lehre der wechselnden Belegenheit .............................................. 280 2. Abfindungslösung .......................................................................... 282 3. Vollständige Anerkennung und selbständiges Vollziehungserfordernis ................................................................. 282 III. Ausnahmelösungen .............................................................................. 283 1. Qualifikation als Zwangskauf ........................................................ 283 2. Interessengleichheit der Staaten .................................................... 285 3. Private Interessen ........................................................................... 285 § 23
Entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen ................................ 286
I. Spaltungslehre und Liquidationslösung ............................................... 287 1. Einführung in die Spaltungslehre .................................................. 287 2. Werbende Spaltgesellschaft oder Liquidationslösung .................... 291 3. Bestimmung der enteignungsfreien Rechte .................................... 292 4. Insbesondere: Forderungen und Verbindlichkeiten ........................ 294 II. Abfindungslösung ................................................................................ 297 1. Enteignung einzelner Anteilsrechte ................................................ 298 2. Gesellschaftsenteignung ................................................................ 299
Ergebnis § 24
Zusammenfassung ................................................................................ 302
I. Zum allgemeinen Teil .......................................................................... 302 1. Völkergewohnheitsrechtliche Vorgaben ........................................ 302 2. Investitionsschutzverträge ............................................................. 303 3. Autonomes deutsches Recht .......................................................... 303 4. Berechtigter Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes ............ 304 II. Zum besonderen Teil ........................................................................... 307 1. Dingliche Rechte ............................................................................ 307 2. Forderungsrechte ............................................................................ 309
XVIII
Inhaltsverzeichnis
3. Immaterialgüterrechte .................................................................... 310 4. Rechte von und an Gesellschaften ................................................. 311 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 313 Sachregister ..................................................................................................... 333
Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. Abs. AcP a.E. AEUV a.F. AG AktG Anh. AöR Art. AVR AWD BAG BAGE BauGB BB Bd. BeckRS Begr. Bekl. BerGesVR BGB BGBl. BGH BGHZ BIT BitbGespr BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzw. DB DDR ders./dies. DtZ DVBl EG EGBGB
andere(r) Ansicht/Auffassung; am Anfang am angegebenen Ort Absatz Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte(r) Fassung Amtsgericht Aktiengesetz Anhang Archiv des öffentlichen Rechts (Zeitschrift) Artikel Archiv des Völkerrechts (Zeitschrift) Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters (heute: Recht der Internationalen Wirtschaft – Betriebsberater International, RIW/AWD) (Zeitschrift) Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Baugesetzbuch Betriebs-Berater (Zeitschrift) Band Beck-Rechtsprechung (über beck-online verfügbar) Begründer Beklagte(r) Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bilateral Investment Treaty/Treaties (Verträge über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen) Bitburger Gespräche (Jahrbuch) Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Der Betrieb (Zeitschrift) Deutsche Demokratische Republik derselbe/dieselbe(n) Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt (Zeitschrift) Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche
XX EGMR EGV Einl. EL EMRK et p. etc. ETC EU EuGH EuGRZ EUV EuZW EWG EWGV EWR f./ff. FAZ Fn. FS GG GmbH GmbHG GRCh GRUR GRUR Int GS ha HEZ HGB HLKO Hrsg. ICSID i.E. IGH IntRDipl IPR IPRax IPRspr IWF IzRspr JahrbIntR JR JurBl juris jurisPK JuS JZ KG
Abkürzungsverzeichnis Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einleitung Ergänzungslieferung Europäische Menschenrechtskonvention et passim et cetera Energy Charter Treaty (Vertrag über die Energiecharta) Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschaftsraum folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Fußnote(n) Festschrift Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Charta der Grundrechte der Europäischen Union Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (Zeitschrift) Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht – Internationaler Teil (Zeitschrift) Gedächtnisschrift Hektar (= 10.000 m2) Höchstrichterliche Entscheidungen – Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Zivilsachen Handelsgesetzbuch Haager Landkriegsordnung Herausgeber International Centre for Settlement of Investment Disputes (Internationales Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten) im Ergebnis Internationaler Gerichtshof Internationales Recht und Diplomatie (Zeitschrift) Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts (Zeitschrift) Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts Internationaler Währungsfonds Sammlung der deutschen Entscheidungen zum interzonalen Privatrecht Jahrbuch für internationales Recht Juristische Rundschau (Zeitschrift) Juristische Blätter (Zeitschrift aus Österreich) Datenbank juris Rechtsprechung juris PraxisKommentar BGB Juristische Schulung (Zeitschrift) JuristenZeitung (Zeitschrift) Kammergericht
Abkürzungsverzeichnis LG lit. l.Sp. ltd. Mio. MDR m.N. MüKo MV NAFTA NJ NJW NJW-RR Nr. NZG OECD OGHBrZ OGHZ ÖJZ OLG RabelsZ RG RGBl. RGZ RIW RIW/AWD Rn. ROW r.Sp. s. S. SBZ SchwJahrbIntR SJZ Sp. StAZ str. TranspR u.a. UN US USA v. vgl. VIZ VwVfG WiR
XXI
Landgericht littera(e) linke Spalte limited company Million Monatsschrift für Deutsches Recht (Zeitschrift) mit Nachweis(en) Münchener Kommentar Deutscher Mustervertrag über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen North American Free Trade Agreement (Nordamerikanisches Freihandelsabkommen) Neue Justiz (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift) Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report (Zeitschrift) Nummer(n) Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Organisation for Economic Co-operation and Development (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Zivilsachen Österreichische Juristen-Zeitung (Zeitschrift) Oberlandesgericht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Recht der Internationalen Wirtschaft – Betriebsberater International (bis 1974: Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters, AWD) (Zeitschrift) Randnummer(n) Recht in Ost und West (Zeitschrift) rechte Spalte siehe Seite/Satz Sowjetische Besatzungszone Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht Süddeutsche Juristen-Zeitung (Zeitschrift) Spalte Das Standesamt (Zeitschrift) streitig Transportrecht (Zeitschrift) und andere United Nations (Vereinte Nationen) United States (Vereinigte Staaten) United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika) von vergleiche Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Verwaltungsverfahrensgesetz Wirtschaftsrecht (Zeitschrift)
XXII WM WTO ZaöRV z.B. ZGR ZP EMRK ZPO ZVglRWiss
Abkürzungsverzeichnis Wertpapiermitteilungen (Zeitschrift) World Trade Organization (Welthandelsorganisation) Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention Zivilprozessordnung Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
Einleitung „Es wäre keine große Übertreibung, wenn man das 20. Jahrhundert, dem man schon alle möglichen Charakteristika nachgesagt hat, als das Jahrhundert der Enteignung bezeichnen würde.“1
§ 1 Fragestellung des internationalen Enteignungsrechts § 1 Fragestellung des internationalen Enteignungsrechts
Jeder Staat verfügt über seine eigene Rechtsordnung. Diese Rechtsordnungen sind im Ansatz voneinander unabhängig. Schafft, entzieht oder beschränkt ein Staat ein subjektives Recht, gilt dies zunächst nur für seine Rechtsordnung, also für das subjektive Recht, das seine Rechtsordnung hervorbringt.2 Auch fremdstaatliche (gleichbedeutend: ausländische) Enteignungen3 als zu bestimmten Zwecken vorgenommene Einwirkungen auf subjektive Rechte wirken aus eigener Kraft nie unmittelbar in die deutsche Rechtsordnung hinein, auch wenn sie Rechte an im Enteignungsstaat befindlichen Sachen betreffen.4 Dass die Rechtsordnungen getrennt sind, ist im Grundsatz unstreitig.5 Es wird aber, zumindest in der Diktion, nicht immer ausreichend beachtet.6 1
Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-123. Vgl. zur Pluralität subjektiver Rechte näher Wengler, FS Universität Berlin 1955, 304 f. 3 Näher zum internationalenteignungsrechtlichen Begriff der Enteignung unten § 9 I 1. 4 Zu Recht stellt Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 119 fest: Es „haftet der Redewendung, ein Recht sei enteignet, eine Spur von Leichtfertigkeit an, weil eigentlich im gleichen Atemzug gesagt werden sollte, in welchem Geltungsraum dieses Recht enteignet gilt.“ 5 Weiß, Anerkennung, 1932, 4, 30; Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 282 f.; Schwarz, Anerkennung, 1935, 4; Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 173, 175, 299; Beitzke, JZ 1956, 673; Reichert, WM 1961, 3 f.; König, Anerkennung, 1965, 23, 105; Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 126; Wiethölter, BerGesVR 7 (1967) 155; Ferid, FS Dölle 1963, Bd. II, 130; Berber, VR I, 1975, 309; Schwander, Sonderanknüpfung, 1975, 81; Siehr, RabelsZ 52 (1988) 84; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ders., IPRax 1990, 366 l.Sp.; Ohler, Kollisionsordnung, 2005, 44 f., 50. 6 Zu abweichenden oder missverständlichen Stellungnahmen unten § 4 II 1 Fn. 24. 2
2
Einleitung
Während die Rechtsordnungen nach diesem Grundmodell rechtlich voneinander unabhängig sind, bestehen zwischen den Staaten vielfältige tatsächliche Verbindungen: Personen können ihren Aufenthaltsort oder Wohnsitz in andere Staaten verlegen, Sachen können ins Ausland verbracht werden, Unternehmen können sich über die Landesgrenzen erstrecken, eine Person kann Eigentum in mehreren Staaten erwerben oder Rechtsbeziehungen zu Personen unterhalten, die im Ausland wohnen, und Ähnliches. Letztlich im Interesse der Rechtsunterworfenen sollte eine Rechtsordnung den Verwicklungen, die durch Vorgänge in anderen Rechtsordnungen entstehen, Rechnung tragen.7 Doch ignorierte ein Staat alle fremdstaatlichen Enteignungen, läge auch darin eine selbständige Stellungnahme. Die deutsche Rechtsordnung muss sich zu ausländischen Enteignungen verhalten. Sie kann nicht offenlassen, wem aus ihrer Sicht das enteignete Recht zugeordnet sein soll. Vor diesem Hintergrund zeichnet sich die Frage des internationalen Enteignungsrechts ab.8 Sie lautet: Unter welchen Voraussetzungen sollte die privatrechtsgestaltende Wirkung, die eine fremdstaatliche Enteignung in der Rechtsordnung des Enteignungsstaates hervorbringt, in die deutsche Rechts7
Vgl. Wengler, RabelsZ 16 (1951) 24 ff.; ders., FS Universität Berlin 1955, 325 f., 350; ders., IntRDipl 1 (1956) 203; Meessen, AöR 110 (1985) 407. 8 Siehe einführend zum deutschen internationalen Enteignungsrecht unten § 9 I. Die wichtigsten monographischen Darstellungen sind Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952 (grundlegend, allerdings teilweise, besonders hinsichtlich der völkerrechtlichen Implikationen – Seidl-Hohenveldern war Völkerrechtler –, veraltet) und Kegel, Probleme, 1956. Bedeutsam sind ferner die Darstellungen in den drei Großkommentaren: MüKoWendehorst, 2015, Rn. 1 ff. zu Art. 46 EGBGB Anh. (bis zur 3. Auflage MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 1 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III mit grundlegend abweichendem Ansatz); Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 1 ff. zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I (zuvor Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 196 ff. zu IntSachenR); Soergel-v.Hoffmann, 1996, Art. 38 EGBGB Anh. III (entspricht fast unverändert Soergel-Kegel, 1983, Rn. 794 ff. vor Art. 7 EGBGB); außerdem die ausführlichen Darstellungen in den Lehrbüchern v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 130 ff. zu § 4, S. 291 ff. und Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II, S. 1098 ff. – Wichtige Entscheidungen ergingen zum Streit um mehrere tausend Tonnen indonesischen Rohtabak auf den Schiffen Ulysses, Äneas und Eumäus im Bremer Hafen (LG Bremen vom 21.4.1959 [7 Q 13/1959], in: AWD 1959, 105 und die sehr ausführlich begründete und äußerst lesenswerte Entscheidung des OLG Bremen vom 21.8.1959 [1 U 159/1959, 1 U 201/1959], in: AVR 9 [1961/62] 318, knapp zusammengefasst in: AWD 1959, 207) sowie zum Chile-Kupfer-Fall (LG Hamburg vom 22.1.1973 [80 O 4/73], in: AWD 1973, 163 und RabelsZ 37 [1973] 579; LG Hamburg vom 13.3.1974 [5 O 80/73], in: AWD 1974, 410) (Literatur zum Tabak- und zum Kupferfall unten § 15 I 1 Fn. 89); bedeutsam ist ferner die Bodenreform-I-Entscheidung des BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 90; umfangreiche Entscheidungssammlung zum interlokalen Enteignungsrecht, auf das dieselben Grundsätze anzuwenden sind wie auf das internationale Enteignungsrecht, in: IzRspr 1945–1954, Nr. 353 bis 427 c und IzRspr 1954–1957, Nr. 197 bis 239. – Repräsentativ für die sogenannten neueren Ansätze sind Behrens, Unternehmen, 1980 (zu ihm unten § 13 IV) und MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm unten § 13 V); origineller, aber kaum rezipierter Ansatz bei Schulze, Recht, 1972.
§ 1 Fragestellung des internationalen Enteignungsrechts
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ordnung übernommen werden? Es besteht Einigkeit, die Wirkung mancher Enteignungen zu übernehmen, anderer nicht. Kern des internationalen Enteignungsrechts ist es damit, die Anerkennungsvoraussetzungen, vor allem ein räumliches Grenzkriterium, zu formulieren. Das internationale Enteignungsrecht kann zu dem Ergebnis kommen, die fremdstaatliche Umverteilung9 nachzuvollziehen. Bei einer solchen Anerkennung10 überträgt die deutsche Rechtsordnung das von ihr eingeräumte Recht so, wie zuvor der Enteignungsstaat das von ihm eingeräumte Recht übertragen hat.11 Der aus der Sicht des Enteignungsstaates Enteignungsbegünstigte ist dann auch aus der Sicht des Anerkennungsstaates – im deutschen internationalen Enteignungsrecht immer Deutschland – Inhaber des entsprechenden Rechts. Man kann von der Erstreckungsfunktion des internationalen Enteignungsrechts sprechen. Werden die privatrechtsgestaltenden Wirkungen hingegen nicht übernommen, verbleibt aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung das Recht bei dem, der aus der Sicht des Enteignungsstaates enteignet ist. Die Rechtsordnung des Enteignungsstaates und die Rechtsordnung des Anerkennungsstaates gewähren dann Rechte, die, weil sie verschiedenen Rechtssubjekten zugeordnet sind, nicht mehr ein solches Maß an Deckungsgleichheit aufweisen, dass sie als einheitliche erscheinen. Es entsteht ein hinkendes Rechtsverhältnis.12 Man kann von der „Abwehrfunktion“ des internationalen Enteignungsrechts sprechen.13 Die schwierigen Ausgleichsfragen, die – wie bei jedem hinkenden Rechtsverhältnis – auch hier entstehen, kann man zumindest in einem weiteren Sinne ebenfalls dem internationalen Enteignungsrecht zuordnen.14 Die Bezeichnung internationales Enteignungsrecht wird zu Recht kritisiert. Einerseits geht es nicht um das im Sinne einer Auswahl auf Enteignun-
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Dazu, dass der internationalenteignungsrechtliche Enteignungsbegriff nicht nur die Umverteilung, sondern auch Rechtsbeschränkungen umfasst, unten § 9 I 1. Der sprachlichen Einfachheit halber sei im Folgenden bei der Rede von Umverteilung (= Übertragung) oder Entziehung stets die Beeinträchtigung als Minus eingeschlossen. 10 Näher zum Begriff der Anerkennung unten § 11 I; zur Kritik des Begriffs unten § 10 II 4. 11 Statt aller Wengler, VR II, 1964, 1133 Fn. 3. 12 Duden, FS Raape 1948, 116; Wengler, FS Universität Berlin 1955, 305, 325; RGRKders., VI/1, 1981, 48 f., 485; Beitzke, in: Schlochauer u.a. (Hrsg.), WBdVR, Bd. I, 1960, 505; Plaßmann, JZ 1962, 18 r.Sp. (es entstehe eine „Art juristischer Relativität“, da verschiedene Rechtsordnungen sich widersprechende Standpunkte einnähmen). – Siehe im Hinblick auf die Spaltungslehre der Gesellschaftsenteignung unten § 23 I 1 a.E. 13 Es geht dabei jedoch nicht um eine „Abwehr“ in einem strengen Sinne, sondern der ausländische Akt wird schlicht nicht beachtet, vgl. unten § 4 III 2. 14 Materiellrechtliche Ausgleichsfragen entstehen insbesondere bei Forderungsenteignungen, siehe unten § 18 II 2.
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Einleitung
gen anzuwendende Recht.15 Andererseits gibt es ein gleichnamiges Gebiet im Völkerrecht, das sich mit der völkerrechtlichen Zulässigkeit von Enteignungen befasst.16 Wenn auch der Begriff des internationalen Enteignungsrechts nicht glücklich gewählt ist, soll er dennoch seiner großen Verbreitung wegen und aus Mangel an überzeugenden Gegenvorschlägen in dieser Arbeit verwendet werden.17 Um den nationalen Charakter des hier behandelten Rechtsgebietes zu betonen, kann man präziser vom deutschen internationalen Enteignungsrecht sprechen.
§ 2 Rechtfertigung der Untersuchung § 2 Rechtfertigung der Untersuchung
Rechtsprechung und Literatur beschäftigten sich mit dem internationalen Enteignungsrecht meist im Zusammenhang mit bedeutenden politischen Ereignissen wie den beiden Weltkriegen, den Dekolonisierungen, den französischen Verstaatlichungen zu Beginn der 1980er Jahre, der Islamischen Revolution im Iran und schließlich der Wiedervereinigung.18 Enteignungen sind eine typische Begleiterscheinung von Kriegen und innerstaatlichen Umwälzungen. Aus der Art und Weise der Enteignungen und aus den speziellen Beziehungen zwischen Deutschland und den jeweiligen Enteignungsstaaten ist es zu erklären, dass stets die sogenannte „Abwehrfunktion“ des internationalen Enteignungsrechts stark betont wurde.19 Die Folgen dieses politischen und auch emotionalen Hintergrundes sind an den durch Richterrecht entstandenen Regeln abzulesen.20 Die vertiefte wissenschaftliche Aufarbeitung der Problematik um fremdstaatliche Enteignungen setzte in Deutschland erst nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Günther Beitzke bemängelte noch im Jahre 1948, dass eine „systematische Behandlung der Enteignungsprobleme im Internationalprivatrecht 15 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 130 zu § 4, S. 292, die von Enteignungsrecht im internationalen Privatrecht sprechen, und ähnlich MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 1 zu Art. 46 EGBGB Anh., die den Begriff des internationalen Enteignungsrechts aber verwende, weil er sich eingebürgert habe; vgl. auch unten § 13 II 3. 16 Diese Begriffsverwendung etwa bei Schäfer, RIW/AWD 1998, 200 l.Sp.; zur völkergewohnheitsrechtlichen Zulässigkeit von Enteignungen unten § 4 I. 17 Auch das BVerfG spricht in seiner wichtigen Entscheidung vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 90 (Bodenreform I) vom internationalen Enteignungsrecht. 18 Zur Entwicklung v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 133 ff. zu § 4, S. 294 ff.; zur Entwicklung in Frankreich Niboyet/de Geouffre de La Pradelle, Droit, 2013, Rn. 91. Einen Überblick zur Geschichte der Enteignung bietet Mann, FS Hundert Jahre deutsches Rechtsleben 1960, Bd. II, 291 ff. 19 Zu dieser bereits § 1; zudem unten § 4 III 2. 20 Ebenso Schricker, GRUR 1977, 441 r.Sp.
§ 2 Rechtfertigung der Untersuchung
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[...] im deutschen Schrifttum bisher zu fehlen“ scheine.21 In den Folgejahren erschien eine große Anzahl an Systematisierungsversuchen. Besonders die späteren Kölner Professoren Gerhard Kegel und Ignaz Seidl-Hohenveldern haben die wissenschaftliche Diskussion in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts maßgeblich mitgestaltet.22 Ihnen hat sich die Rechtsprechung in zahlreichen Fragen angeschlossen. Dass beide, auch aufgrund ihrer langen Lebens- und Schaffenszeit, Kegel zudem aufgrund der Weitergabe seiner Werke an namhafte Nachfolger,23 ihren Einfluss aufrechterhalten konnten, war mitursächlich für die große Konstanz des geltenden Systems. Bedarf nun angesichts dieser Konstanz die erneute Auseinandersetzung mit dem internationalen Enteignungsrecht einer Rechtfertigung? Aus praktischer Sicht mag man geneigt sein, die Frage zu bejahen. Denn seit längerem hatten die deutschen Gerichte keine bedeutenden Fälle von Auslandsenteignungen mehr zu entscheiden. Während noch im Jahre 1963 festgestellt werden konnte, dass sich in „kaum einem Bereich völkerrechtlicher und kollisionsrechtlicher Normen [...] Änderungen so schnell wie im internationalen Enteignungsrecht“ vollzögen,24 war der Begründungsaufwand zwei Jahrzehnte später schon größer. Peter Behrens begann seine kurz vor den französischen Verstaatlichungen25 erschienene viel beachtete Untersuchung mit den oft zitierten Worten: „Das Internationale Enteignungsrecht gehört zu jener Art rechtlicher Problemgebiete, für deren wissenschaftliche Behandlung es günstige und weniger günstige Zeiten gibt.“ Die Rechtswissenschaft solle „Zeiten enteignungsrechtlicher Windstille zur Klärung im Grundsätzlichen nutzen.“26 Die besagte Windstille wurde durch die Wiedervereinigung, insbesondere den Einigungsvertrag, nur vorübergehend durchbrochen.27 Sie ist wieder eingekehrt. Die internationalenteignungsrechtlichen Fragen um Enteignungen von Grundeigentum in der sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949 21
Beitzke, FS Raape 1948, 93. Siehe insbesondere Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952 und Kegel, Probleme, 1956. 23 Siehe Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III und Kegel/Schurig, IPR, 2004. 24 So der erste Satz bei Böckstiegel, AWD 1963, 361, dessen Aufsatz allerdings fast nur die völkerrechtlichen Fragen behandelt; auf diese trifft der Ausspruch denn auch in besonderem Maße zu. 25 Vgl. zu diesen unten § 13 VI 1. 26 Behrens, Unternehmen, 1980, 5. Noch drastischer zu einem Teilaspekt äußert sich Flume, FS Mann 1977, 147: „Der Literatur ist die Spaltungstheorie inzwischen langweilig geworden. Eigentlich ist es erstaunlich, daß noch 1973 auf der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht von ihr gehandelt worden ist.“ 27 Vgl. Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 79 Fn. 7: „Wenn es aber überhaupt je gerechtfertigt war, von einer solchen ‚Windstille‘ zu sprechen, so haben jedenfalls der Einigungsvertrag und die durch ihn aufgeworfene enteignungsrechtliche Problematik sie beendet.“ 22
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Einleitung
hat das BVerfG für die Praxis verbindlich geklärt.28 Auslandsenteignungen bilden seitdem kein Zentralthema der gerichtlichen Tätigkeit mehr. Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts haben fremde Staaten zwar weiterhin in großem Umfang Privateigentum enteignet.29 Es gelangten aber kaum Fälle vor die deutschen Gerichte.30 Die Zeit der Windstille soll denn genutzt werden. Bei näherem Hinsehen nämlich sind zahlreiche internationalenteignungsrechtliche Fragen trotz intensiver wissenschaftlicher Bemühungen nach wie vor ungelöst. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass verschiedene Rechtsbereiche zu berücksichtigen sind, über deren genaues Verhältnis zueinander leicht Missverständnisse entstehen können, nämlich das internationale Privatrecht, unter Umständen ein internationales öffentliches Recht,31 das Verfassungsrecht,32 das Investitionsrecht,33 das Völkergewohnheitsrecht,34 das Völkervertragsrecht35 und in sehr begrenztem Umfang auch das Unionsrecht36. Angesichts dieser vielschichtigen rechtlichen Lage verwundert es, dass die Gerichte bemüht sind, alle Fälle nur unter Berufung auf „das Territorialitätsprinzip“37 zu lösen. Die alte Vorstellung, dass diese Regel völkerrechtlich sei, ist zwar überwunden,38 doch wirkt sie noch nach in den stark unterkomplexen Anerkennungsregeln. Hier gilt es, überfällige Unterscheidungen einzuführen. Neben diesen nur angedeuteten beträchtlichen Unsicherheiten bei den Grundlagen ist insbesondere die Behandlung von Forderungsenteignungen gestern wie heute zweifelhaft. Noch jüngst vermied es der BGH ausdrücklich, 28
Vor allem BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 90 (Bodenreform I); zudem BVerfG vom 18.4.1996 (1 BvR 1452, 1459/90 und 2031/94), in: BVerfGE 94, 12 (Bodenreform II) und BVerfG vom 26.10.2004 (2 BvR 955/00, 1038/01), in: BVerfGE 112, 1 (Bodenreform III). Die politische Diskussion um die Bodenreform haben die Entscheidungen freilich nicht zum Erliegen gebracht. 29 Einige Beispiele für fremdstaatliche Enteignungen der letzten Jahre finden sich bei Berentelg, Act of State, 2010, 1 ff. m.N. 30 Siehe aber OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee) und eine ältere Streitigkeit betreffend OLG Frankfurt vom 5.4.2006 (4 U 153/02), in: BeckRS 2007, 19085 (Jugoslawien, Devisen bei Nationalbank); interlokale Altfälle behandelten BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2389; BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1091 und BGH vom 28.3.2006 (XI ZR 425/04), in: BGHZ 167, 25. 31 Näher unten § 10 I 1, V a.E. 32 Siehe insbesondere unten §§ 15 II, 21 II, ferner unten §§ 10 IV a.E., 15 I, III 2, 18 I 3, 20 III. 33 Siehe insbesondere unten § 7 III, ferner unten §§ 7–8. 34 Siehe insbesondere unten §§ 4 I, III 1, 15 I, 16 III 2, ferner unten §§ 4 II, 15 II 3, III 2, 3, 21 II. 35 Siehe unten §§ 5, 15 I, II 3, III 2, 3, 16 III 2. 36 Siehe unten § 6. 37 Näher unten §§ 3, 4 III 1, 9 I am Anfang. 38 Nachweise unten § 4 II Fn. 19 f.
§ 3 Ziel und Gang der Darstellung
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sich festzulegen.39 Dies ist misslich, weil fremdstaatliche Forderungsenteignungen die Gerichte ungleich häufiger beschäftigen als Enteignungen dinglicher Rechte. Klammert man einmal die (freilich höchst bedeutsamen) Fälle der Enteignungsanerkennung nach der Bodenreform40 und der Anerkennung von Aneignungsrechtsenteignungen41 aus, steht die Bedeutung von Enteignungen dinglicher Rechte zur Bedeutung von Forderungsenteignungen bestenfalls in einem Verhältnis von 1 zu 50.42 Unsicherheiten zeigen sich auch bei Gesellschaftsenteignungen.43 In der lebhaften Diskussion um die Anerkennung der französischen Verstaatlichungen zu Beginn der 1980er Jahre44 waren es gerade die früher ad hoc entwickelten Grundsätze, deren Anwendung auf die aus rechtsstaatlicher Sicht einwandfreien Maßnahmen eines befreundeten Staates Schwierigkeiten bereitete und das alte System in Frage stellte. Die angesprochene Konstanz begann ihre Schatten zu werfen. Sie erwies sich als Stärke und Schwäche zugleich. Das überkommene System erhob und erhebt noch heute Anspruch auf umfassende Geltung, obgleich es stark durch die Nachkriegsstimmung geprägt und auf Enteignungen dinglicher Rechte zugeschnitten ist. Notwendige Nachbesserungen und Paradigmenwechsel blieben aus.
§ 3 Ziel und Gang der Darstellung § 3 Ziel und Gang der Darstellung
Die Arbeit möchte nun aber nicht ohne Not mit allem Hergebrachten brechen und einen völlig neuen Weg beschreiten. Das internationale Enteignungsrecht ist kein neu entdecktes Land, das es nach eigenen Vorstellungen in einer 39
BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 f. (interlokal) und BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1093 f. (interlokal). – Eingehend zur Forderungsenteignung unten §§ 17–19, 24 II 2. 40 Vgl. BVerfG vom 26.10.2004 (2 BvR 955/00, 1038/01), in: BVerfGE 112, 4 f. (Bodenreform III): „Aus dem enteigneten Grundbesitz wurde ein Bodenfonds von rund 3,22 Mio. ha Land gebildet. Der Bodenfonds umfasste damit rund ein Drittel der gesamten bodenwirtschaftlichen Nutzfläche der nachmaligen DDR. Aus dem Bodenfonds wurden 2,1 Mio. ha Land in Grundstücken an landlose oder landarme Bauern, Landarbeiter, Flüchtlinge und Umsiedler verteilt [...]“. 41 Hier geht es um den wirtschaftlich wichtigen Handel mit Rohstoffen, vgl. insbesondere OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 318 (Indonesien, Tabak) und LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 163 (Chile, Kupfer); auch hier herrscht Unsicherheit, siehe näher unten §§ 11 III 1, 12 I 1 a.E., 15 I 1, 16 III 2, 3. 42 Siehe etwa zum interlokalen Recht die Übersicht zu IzRspr 1945–1953, Nr. 5 bis 9, 353 bis 427 c und IzRspr 1954–1957, Nr. 197 bis 239. 43 Siehe zum Begriff der Gesellschaftsenteignung unten § 21 I; zur Behandlung fremdstaatlicher Gesellschaftsenteignungen unten §§ 21–23, 24 II 4. 44 Zu diesen unten § 13 VI 1.
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Weise zu bewohnen und zu gestalten gälte, der nur die Phantasie Grenzen setzte. Im Gegenteil: Rechtsprechung und Lehre haben in den letzten Jahrzehnten ein gefestigtes Grundgerüst geschaffen. Dass sich die richterrechtliche Grundregel, das sogenannte internationalenteignungsrechtliche Territorialitätsprinzip (in dieser Untersuchung zur Abgrenzung von völkerrechtlichen Prinzipien kurz Gebietsgrundsatz45 genannt), so lange halten konnte, dürfte zumindest eine Vermutung dafür begründen, dass sie einen berechtigten Kern hat.46 Der Gebietsgrundsatz wird jedoch nicht vollumfänglich aufrechterhalten werden können. Das sollte man aber nicht bedauern, da der Gebietsgrundsatz bei genauer Betrachtung nie einheitlich galt. Der Begriff des Gebietsgrundsatzes war nur Platzhalter für eine Fülle zu ordnender Erwägungen und Einzelregeln.47 So soll also nicht gewagt werden, den vielen Alternativvorschlägen, die die Literatur in den letzten Jahrzehnten unterbreitet hat, einen weiteren Katalog selbständiger Anerkennungsvoraussetzungen hinzuzugesellen, der grundlegend vom herrschenden System abweicht.48 Die bisherigen Alternativvorschläge zum Gebietsgrundsatz konnten sich nicht durchsetzen. Sie hatten die entscheidende Schwäche, dem Gebietsgrundsatz von außen gegenüberzutreten und eine vollständige Abkehr zu fordern.49 Nötig ist vielmehr eine Kritik, die am geltenden System ansetzt. Gedanklich erfolgt diese Kritik in drei Schritten: (1) Es gilt, in einem ersten Schritt den berechtigten Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes herauszuarbeiten. Dabei wird sich der Gebietsgrundsatz in seiner Ausprägung für dingliche Rechte als archimedischer Punkt erweisen, der es erlaubt, besonders Forderungsenteignungen aus dem Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes herauszuheben und nach anderen Grundsätzen zu behandeln.50 Indem also von diesem Fixpunkt aus Widersprüche aufgezeigt werden, soll das geltende System von innen aufgebrochen werden. Die meisten bisherigen Untersuchungen legten dagegen einen zu starken Schwerpunkt auf einzelne Enteignungsobjekte, seien es dingliche Rechte51, Forderungsrechte52, Immaterialgüterrechte53 oder Anteilsrechte54. 45
Einführung in den Gebietsgrundsatz unten § 9 I. Vgl. dazu und zum Folgenden auch unten § 24 I 4. 47 Vgl. die Kritik von MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 407 ff., 410 zu Einl. IPR (der Gebietsgrundsatz sei untauglich oder überflüssig, je nachdem, ob er schon durch einzelne Anknüpfungselemente konkretisiert worden sei oder nicht); dazu auch unten § 13 VI 1. 48 Zu diesen Bestrebungen unten § 13 IV, V. 49 Siehe insbesondere den Ansatz von Kreuzer (unten § 13 V); zu weiteren abweichenden Vorschlägen unten § 13. 50 Siehe zur Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungsenteignungen unten § 18 I. 51 Auf diese beschränkt sich ausdrücklich Berentelg, Act of State, 2010, 143. 52 Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 18 ff., 108 ff., 118 et p.; davor schon Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 291 ff.; Reichert, WM 1961, 2; Plaßmann, JZ 1962, 17. 46
§ 3 Ziel und Gang der Darstellung
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Sie versäumten es, die Anerkennungsregeln der einzelnen Enteignungsobjekte zueinander in Beziehung zu setzen. So verstellten sie den Blick auf die Zusammenhänge. (2) Wenn der berechtigte Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes bestimmt ist, muss in einem zweiten Schritt untersucht werden, was in den Bereichen, die außerhalb dieses berechtigten Anwendungsbereichs liegen, statt des Gebietsgrundsatzes gilt. Den praktischen Ausgangspunkt bilden dabei die Ergebnisse der Rechtsprechung und herrschenden Lehre. Denn es werden mit Konstanz bestimmte Ergebnisse erzielt. Dies spricht für die Sachberechtigung dieser Ergebnisse. Nur trägt oftmals die gegebene Begründung das Ergebnis nicht. Außerhalb des berechtigten Anwendungsbereichs des Gebietsgrundsatzes gilt es also, ein sachgerechteres System herauszuarbeiten, das die Ergebnisse der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre erklären kann. (3) Diese Begründungsgrundlage wird es schließlich in einem dritten Schritt erlauben, die Ergebnisse der Rechtsprechung und der herrschenden Lehre kritisch zu würdigen. Für die einzelnen Enteignungsobjekte bedeutet dies Folgendes: Für die Behandlung fremdstaatlicher Enteignungen dinglicher Rechte soll die grundsätzliche Richtigkeit des Gebietsgrundsatzes unterstellt und nicht mehr bezweifelt werden.55 Der Gebietsgrundsatz hat sich hier bewährt. Bei genauerer Betrachtung sind allerdings nur die Ergebnisse des negativen Gebietsgrundsatzes unstreitig.56 Zum positiven Gebietsgrundsatz jedoch werden verschiedene Ausnahmen diskutiert, indem entweder zusätzlich zur Belegenheit materielle Anerkennungsvoraussetzungen57, wie die Rechtmäßigkeit58 oder die Vollziehung59 der Enteignung, gefordert werden oder der positive Gebietsgrundsatz aus Gründen, die in einem weiteren Sinne dem ordre public zuzuordnen sind, eingeschränkt60 wird. Die Schwierigkeit bei der Behandlung fremdstaatlicher Enteignungen dinglicher Rechte liegt geradezu darin, die Ausnahmen zum positiven Gebietsgrundsatz zu bestimmen. Da bisher nur wenige Fälle zur Enteignung dinglicher Rechte zu entscheiden waren, sind die Ergebnisse oftmals nicht leicht vorhersehbar. Zunächst soll hier der Stand 53
Troller, Zwangsverwertung, 1955. Siehe insbesondere Beemelmans, Gesellschaft, 1963; Schweizer, Rechtsprobleme, 1979; Behrens, Unternehmen, 1980. 55 Siehe zur Behandlung fremdstaatlicher Enteignungen dinglicher Rechte unten §§ 14–16, 24 II 1. 56 Siehe einführend zur positiven und zur negativen Seite des Gebietsgrundsatzes unten § 9 I; dazu, dass der negative Gebietsgrundsatz bei Enteignungen dinglicher Rechte sogar in der Regel verfassungsrechtlich gefordert ist, unten § 15 II 4. 57 Zu diesen unten § 14 I–III. 58 Siehe unten § 14 I. 59 Siehe unten § 14 III. 60 Siehe zu diesen Einschränkungen unten § 15. 54
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Einleitung
der Diskussion dargestellt werden.61 Nach der in dieser Arbeit zu entwickelnden Ansicht jedoch sind die Fragen nach zusätzlichen materiellen Anerkennungsvoraussetzungen oder nach dem ordre public im weiteren Sinne nicht hinreichend differenziert gestellt, da beide Fragen nur in bestimmten Verbringungskonstellationen bedeutsam werden. Vielmehr sollte entgegen der herrschenden Meinung danach unterschieden werden, ob und gegebenenfalls durch wen die Sache verbracht wurde.62 Mit einer Unterscheidung nach der Person des Verbringenden ist dogmatisch verbunden, zumindest einige Frage aus dem ordre public herauszulösen und gesondert zu behandeln.63 Indem die tragenden Gründe herausgearbeitet werden, wird die Entscheidungsfindung erleichtert werden. Zu Forderungsenteignungen werden zunächst die beiden vorherrschenden Ansichten dargestellt, die auf Forderungen dasselbe System wie auf dingliche Rechte anwenden, nämlich den Gebietsgrundsatz.64 Der Bestand der Auffassungen soll geordnet und auf seine Überzeugungskraft geprüft werden. Es wird aufgezeigt werden, dass das System, das sich für die Anerkennung von Enteignungen dinglicher Rechte herausgebildet hat, für die Anerkennung von Forderungsenteignungen untauglich ist.65 Dies geschieht, indem das System für die Enteignung dinglicher Rechte zum System für die Enteignung von Forderungen in Beziehung gesetzt wird. Wenn herausgearbeitet sein wird, dass die Anerkennungsregeln für die Enteignung dinglicher Rechte auf Forderungsenteignungen nicht passen, so wird sich die Frage aufdrängen, was stattdessen gilt.66 Ausgangspunkt ist dabei – wie bereits ausgeführt – die bisherige Rechtsprechung, die mit großer Konstanz bestimmte Ergebnisse erzielt. Es wird also das hinter der Rechtsprechung stehende System gesucht. Dabei werden die wesentlichen Gründe und Unterscheidungen bestimmt, die es sodann erlauben werden, die Ergebnisse der Rechtsprechung zu beurteilen. Vor allem wird sich die Notwendigkeit zeigen, zwischen den verschiedenen Personenverhältnissen zu unterscheiden.67 Die pauschale Frage nach einer „Anerkennung“ der fremdstaatlichen Forderungsenteignung ist nicht sachgerecht. Kern der Problematik um Forderungsenteignungen ist vielmehr die Frage, ob und, wenn ja, in welchem Umfang der Schuldner den Schaden aus einer gegen einen anderen gerichteten Enteignung tragen soll. Dies ist die Frage nach einem Leistungsverweigerungsrecht. 61
Vgl. unten §§ 14–15. Näher unten § 16; Zusammenfassung unten § 16 IV 2. 63 Näher unten § 16 IV 1. 64 Siehe unten § 17. 65 Die Gründe der Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungsenteignungen sind in § 18 I zusammengefasst. 66 Siehe dazu und zum Folgenden unten § 18 II; zudem unten §§ 11 II 3, 24 II 2. 67 Siehe unten § 11 II 3. 62
§ 3 Ziel und Gang der Darstellung
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Auch bei fremdstaatlichen Enteignungen solcher Rechte, die weder dingliche Rechte noch Forderungsrechte sind, gilt der Gebietsgrundsatz nicht einheitlich. Auch für diese Enteignungsobjekte wird herausgearbeitet werden, welche Regeln statt des Gebietsgrundsatzes gelten und ob die erzielten Ergebnisse sachgerecht sind.68 Die Untersuchung widmet sich dem internationalen Enteignungsrecht. Es geht ihr dabei um die kollisionsrechtlichen Grundlagen. Verfahrensbezogene Detailprobleme, insbesondere bei der Enteignung von Anteilsrechten, können nicht behandelt werden. Darüber hinaus geht es ihr nicht darum, zugleich eine umfassende Theorie zur kollisionsrechtlichen Bedeutung ausländischer Hoheitsakte69 oder des ausländischen öffentlichen Rechts 70 vorzulegen. Die Bescheidung auf das internationale Enteignungsrecht kann man als Schwachpunkt der Untersuchung betrachten. In der isolierten Behandlung liegt aber zugleich ihre Stärke. Fremdstaatliche Enteignungen unter dem Blickwinkel zu betrachten, dass sie ausländische Hoheitsakte oder ausländisches öffentliches Recht sind, führt nämlich nicht weiter. Zwar kann man gewisse kollisionsrechtliche Einzelregelungen zu entsprechenden Rechtsbereichen zusammenfassen, doch böte dies kaum einen Vorteil. Die Bereiche sind in ihren Grundlagen nicht hinreichend ausgebildet und zu umstritten, als dass sie Deduktionen erlaubten.71 Auch die Unterdisziplinen dieser Bereiche sind zu unterschiedlich und konnten sich nicht erfolgreich annähern. Eine isolierte 68
Siehe zur Behandlung fremdstaatlicher Enteignungen von Immaterialgüterrechten unten §§ 20 III, 24 II 3; zur Enteignung von Rechten von und an Gesellschaften unten §§ 21–23, 24 II 4. 69 Es gibt wenige Untersuchungen zu diesem Gegenstand, siehe insbesondere Schwarz, Anerkennung, 1935; König, Anerkennung, 1965 und neuerdings für politische fremde Hoheitsakte Berentelg, Act of State, 2010, 256 ff., die allerdings nur dingliche Rechte behandelt. 70 Um ein System haben sich bemüht Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 169 ff. („Überwirkung“); Heiz, Recht, 1959 und Schulze, Recht, 1972. 71 Ficker, Grundfragen, 1952, 98 (die Lehre von der Anerkennung fremder Staatsakte sei in ihren Grundlagen noch nicht ausreichend geklärt); Schulze, Recht, 1972, 106 f.; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 67 f. (die kollisionsrechtliche Behandlung ausländischen öffentlichen Rechts sei eines „der rechtspolitisch und -theoretisch am stärksten umkämpften Grundlagenprobleme des modernen IPR“); Matscher, FS Beitzke 1979, 648 f. (auch im internationalen Enteignungsrecht sei nur eine vertiefte abgesonderte Darstellung sinnvoll, da sich das internationale Verwaltungsrecht nicht als eigenständige Disziplin herausbilden konnte); Berentelg, Act of State, 2010, 135 (es gebe kaum allgemeine Untersuchungen über die Behandlung fremder Hoheitsakte durch Zivilgerichte), 276 (in Deutschland finde eine Diskussion nur im Teilbereich des internationalen Enteignungsrechts statt); MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 397 zu Einl. IPR („[e]ine umfassende Untersuchung der Behandlung ausländischer Verwaltungsakte in Deutschland, ihrer Rolle für privatrechtliche Beziehungen und damit für das IPR steht derzeit noch aus“); MüKoWendehorst, 2015, Rn. 21 zu Art. 46 EGBGB Anh. (die Anerkennung ausländischer Hoheitsakte sei eine Grauzone).
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Einleitung
Behandlung entspricht zudem der sich verdichtenden Erkenntnis, dass es wie im klassischen internationalen Privatrecht auch bei der Berücksichtigung ausländischer Hoheitsakte oder ausländischen öffentlichen Rechts keine Patentrezepte gibt.72 Doch noch bedeutsamer: Es ist gerade das internationale Enteignungsrecht als Untergebiet der genannten Gebiete, das über ein besonders dichtes Regelwerk verfügt.73 So werden häufig gerade die im internationalen Enteignungsrecht entwickelten Grundsätze als Induktionsgrundlage herangezogen.74 Wenn man aber versuchen will, ein allgemeines System auf dem Boden des internationalen Enteignungsrechts zu errichten, so muss man zuerst die Grundlagen des internationalen Enteignungsrechts gründlich sichern.75 Dies ist das Ziel der Untersuchung. Die Arbeit besteht aus zwei Teilen, einem allgemeinen und einem besonderen. Der allgemeine Teil legt den Grund, indem er in die zu berücksichtigenden Rechtsquellen einführt. Zunächst wird der völker- und europarechtliche Rahmen dargestellt (§§ 4–6), sodann das Investitionsrecht (§§ 7–8). Es gilt insbesondere, dem Irrtum, der Gebietsgrundsatz sei Völkergewohnheits72
Siehe etwa MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 416 zu Einl. IPR („[d]ie Anknüpfungselemente müssen nach Sachgebieten unter Berücksichtigung der jeweilige Besonderheiten entwickelt werden“); Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 138 f. (bei den Versuchen, ein System des internationalen öffentlichen Rechts auszubilden, stehe die Gedankenarbeit zum Ertrag oft in einem auffälligen Missverhältnis). 73 Ebenso Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 2 IV 1, S. 149; Berentelg, Act of State, 2010, 276. 74 Den Gebietsgrundsatz des internationalen Enteignungsrechts als Induktionsgrundlage verwendet Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 111 et p.; vgl. auch Kegel/SeidlHohenveldern, FS Ferid 1978, 246 (der Gebietsgrundsatz sei gerade im internationalen Enteignungsrecht beheimatet) und Heiz, Recht, 1959, 2 (die Beachtung ausländischen öffentlichen Rechts begegne am häufigsten gerade im internationalen Enteignungsrecht). 75 Dies verabsäumt Berentelg, Act of State, 2010, 258 ff., 277, die ein allgemeines System zur Anerkennung politischer fremder Hoheitsakte auf der Grundlage des internationalen Enteignungsrechts entwickeln möchte. Ihre Anerkennungsvoraussetzungen sind die internationale Zuständigkeit, eine wirksame, vollzogene und endgültige Maßnahme und das Nichteingreifen des ordre public. Der Versuch kann aus zwei Gründen nicht glücken: (1) Sie behandelt nur die Enteignung dinglicher Rechte und nicht etwa von Forderungen (a.a.O., S. 143), möchte ihre Ergebnisse aber auf alle Enteignungsobjekte anwenden. Dazu reicht die Induktionsgrundlage nicht aus, da es bei näherer Betrachtung ein ganz anderer Gebietsgrundsatz ist, der auf die Enteignung von Rechten an unkörperlichen Gegenständen angewendet wird, vgl. zur Forderungsenteignung unten §§ 17, 18 I. (2) Zudem räumt sie selbst das Bedürfnis ein, im internationalen Enteignungsrecht Gesellschaftsenteignungen (vgl. unten §§ 21 I, 22) unter bestimmten Voraussetzungen über einen eng verstandenen Gebietsgrundsatz hinaus anzuerkennen. Die damit verbundenen Fragen möchte sie aber ebenfalls nicht behandeln. Die neu gewonnene Regel ist damit aber nur Mindestvoraussetzung (a.a.O., S. 261) und also überhaupt keine Regel. Wenn auch das Ziel der Arbeit – die Induktion über das internationale Enteignungsrecht hinaus – nicht erreicht wird, so ist das Werk nichtsdestotrotz für die Enteignung dinglicher Rechte ein beachtlicher Beitrag gerade zum internationalen Enteignungsrecht.
§ 3 Ziel und Gang der Darstellung
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recht, entgegenzutreten.76 Das Völkergewohnheitsrecht und das internationale Enteignungsrecht teilen sich zentrale Begriffe, verwenden sie aber unterschiedlich. Dass sich Rechtsprechung und Lehre bei der Enteignung von Rechten an unkörperlichen Gegenständen nicht vom Gebietsgrundsatz lösen konnten,77 hängt gerade mit den psychologischen Folgen dieser Vielfalt an Begriffsbedeutungen zusammen. Das dritte Kapitel des allgemeinen Teils führt in das nationale Recht ein. Dazu werden die richterrechtliche Grundregel (§§ 9–12) sowie abweichende Lösungsansätze (§ 13) vorgestellt und kritisch gewürdigt. Welchem Ansatz man auch folgt, die Sachfragen sind doch ähnlich. Diese behandelt der besondere Teil, getrennt nach Enteignungsobjekten, also nach dinglichen Rechten (§§ 14–16), Forderungsrechten (§§ 17–19), Immaterialgüterrechten (§ 20) und Rechten von und an Gesellschaften (§§ 21–23). Am Schluss der Arbeit sind die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst (§ 24).
76 77
Nachweise zu dieser Ansicht unten § 4 II Fn. 20. Zur Notwendigkeit dieses Schrittes bei Forderungsenteignungen unten § 18 I.
Allgemeiner Teil
Grundlegung
Kapitel 1
Völker- und europarechtliche Vorgaben § 4 Völkergewohnheitsrecht § 4 Völkergewohnheitsrecht – I
I. Weder Anerkennungspflicht noch -verbot Völkergewohnheitsrechtlich1 dürfen Staaten Privateigentum enteignen.2 Sie dürfen dabei aber nicht gegen das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht verstoßen. Nach diesem muss eine gegen einen Ausländer gerichtete 3 fremdstaatliche Enteignung dem allgemeinen Wohl dienen und gegen Entschädigung4 erfolgen; sie darf zudem nicht diskriminieren.5 Verstößt der Enteig1
Wenn in dieser Arbeit von Völkerrecht die Rede ist, ist damit regelmäßig das Völkergewohnheitsrecht gemeint. Siehe zum Völkervertragsrecht unten §§ 5, 7, 8 II, IV. 2 Haltern, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2014, Rn. 45 zu § 34; Vannod, Fragen, 1959, 11; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 402; ders., Unternehmen, 1980, 22; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 296; Banz, Eigentumsschutz, 1988, 135; Krajewski, WirtVölkR, 2012, Rn. 543; Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), IntWirtR, 2009, § 8 C, Rn. 58, S. 363; Dolzer, in: Vitzthum (Hrsg.), VR, 2013, 6. Abschnitt I 3 a, Rn. 43. 3 Verdross/Simma, VR, 1984, § 1209, S. 798; Korte, Anerkennung, 1992, 104; Griebel, Investitionsrecht, 2008, Kapitel 2, A I, S. 16; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 16 zu § 7. 4 Zur sehr umstrittenen Höhe der Entschädigung: Dolzer, Eigentum, 1985, 282 ff.; Haltern, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2014, Rn. 56 zu § 34; Kämmerer, BitbGespr 2004/I, 159 (die Praxis gehe in Richtung eines vollen Ausgleichs, aber eine entsprechende opinio iuris sei nicht sicher feststellbar: „völkerrechtliche Grauzone“); Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), IntWirtR, 2009, § 8 C, Rn. 62 ff., S. 364 ff.; Meessen, in: Kewenig (Hrsg.), VR, 1978, 11; siehe ferner Coing, WM 1982, 381 r.Sp. (die französischen Verstaatlichungen der 1980er Jahre [zu ihnen unten § 13 VI] genügten den strengen Anforderungen der Hull-Doktrin nicht); zur Geschichte der Entschädigungspflicht Mann, FS Hundert Jahre deutsches Rechtsleben 1960, Bd. II, 304. – Für volle Entschädigung Birke, Konfiskation, 1960, 191 f.; Doehring, VR, 2004, Rn. 843; Herdegen, IntWirtR, 2014, § 20 Rn. 10 ff.; ders., VR, 2014, § 54 Rn. 3. – Für einen milderen Maßstab, insbesondere bei Nationalisierungen, sind Dahm, FS Kraus 1964, 68; Wengler, VR II, 1964, 1008; Behrens, Unternehmen, 1980, 44 ff.; Verdross/Simma, VR, 1984, § 1217, 1222, S. 807, 812 f.; Banz, Eigentumsschutz, 1988, 156 ff.; Schäfer, RIW/AWD 1998, 201 ff. 5 Zum völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrecht: Dahm, FS Kraus 1964, 84; Wengler, VR II, 1964, 1006 ff.; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 406 ff.; ders., Unternehmen, 1980, 42 ff.; Petersmann, WiR 1973, 277 ff.; Wehser, JZ 1974, 119 ff.; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 271 ff.; Banz, Eigentumsschutz, 1988, 154 ff.; Schäfer, RIW/AWD 1998, 200 r.Sp. f.; Doehring, VR, 2004, Rn. 843; Kämmerer, BitbGespr 2004/I, 157 ff.; Gilbert, in: ders. u.a. (Hrsg.), Eigentumsrecht, 2008, 29 ff.; Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), IntWirtR,
§ 4 Völkergewohnheitsrecht – I
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nungsstaat gegen diese Grundsätze, ist die Enteignung völkerrechtswidrig. Doch was bedeutet das für das deutsche internationale Enteignungsrecht, also für die Frage der Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkungen fremdstaatlicher Enteignungen? Sollte das Völkerrecht zur Anerkennung oder Nichtanerkennung bestimmter Enteignungen verpflichten, gälte diese Anerkennungsregel in Deutschland über Art. 25 GG. Beachtet der Enteignungsstaat den fremdenrechtlichen Mindeststandard, müssen andere Staaten die Enteignung deswegen aber noch nicht anerkennen.6 Dies wird teilweise bestritten:7 Besonders bei ausschließlicher Zustän2009, § 8 C, Rn. 59, S. 363; Dolzer, in: Vitzthum (Hrsg.), VR, 2013, 6. Abschnitt I 3 a, Rn. 44; Herdegen, IntWirtR, 2014, § 20 Rn. 4 ff.; ders., VR, 2014, § 54 Rn. 1; Haltern, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2014, Rn. 53 zu § 34. 6 Ebenfalls gegen eine Anerkennungspflicht, auch bei Völkergewohnheitsrechtsgemäßheit: Wengler, VR II, 1964, 954 Fn. 3, 1008 Fn. 5, 1012 Fn. 1; Großfeld, BerGesVR 18 (1978) 144 f.; Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 241, 244; Wiedemann, FS Beitzke 1979, 812 f.; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 621; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 825 zum IntGesR; Kokott, BerGesVR 38 (1998) 95; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 7 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 65 zu Art. 6 EGBGB; Dolzer/Bloch, in: Kronke u.a. (Hrsg.), IntWirtR, 2005, Rn. 114 zu J, S. 1088; Kläger, JuS 2008, 971 l.Sp.; siehe ferner unten § 4 I Fn. 16 die Nachweise dafür, dass die Anerkennung freisteht. Allgemein gegen eine Pflicht zur Anerkennung fremder Hoheitsakte schon Weiß, Anerkennung, 1932, 34; auch Meng, ZaöRV 44 (1984) 723. 7 Für eine Anerkennungspflicht bei Völkergewohnheitsrechtsgemäßheit, meist vorbehaltlich des nationalen ordre public, sind vor allem ältere Stellungnahmen: Frankenstein, IPR II, 1929, 77; Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 7; Magerstein, JurBl 1954, 424 r.Sp.; Wolff, IPR, 1954, 177; Heiz, Recht, 1959, 31, 163 f. et p.; Geck, in: Schlochauer u.a. (Hrsg.), WBdVR, Bd. I, 1960, 56 l.Sp. (bei anerkannter ausländischer Regierung); Raape, IPR, 1961, 660 f.; Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 143 f.; Dahm, FS Kraus 1964, 77; Jaenicke, BerGesVR 7 (1967) 106 (bei ausschließlicher oder zumindest primärer Regelungsbefugnis des Enteignungsstaates und Vollziehung); Schulte-Uhlenbrock, Rechtsverhältnisse, 1968, 6; Heintzeler, Fall, 1972, 93 f.; Berber, VR I, 1975, 188; Mössner, VR, 1977, 195; Schricker, GRUR 1977, 437 l.Sp.; v.Breitenstein, RIW/AWD 1982, 153; Coing, WM 1982, 382 r.Sp.; Verdross/Simma, VR, 1984, § 1021, S. 637 (bei ausschließlicher Befugnis des Erlassstaates und vollständiger Vollziehung); Bleckmann, JZ 1985, 1073 l.Sp.; Happe, Wirkung, 1987, 44; Dahm/Delbrück/Wolfrum, VR I/1, 1989, § 75 III 1, S. 485 f. (der Enteignungsstaat habe nämlich die ausschließliche völkerrechtliche Befugnis); Andrae, Eingriffe, 1990, 15 f.; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 244; Gloria, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2004, Rn. 27 zu § 47 (etwas unklar, siehe auch Rn. 30 zu § 47); Lakkis, Gestaltungsakte, 2007, 417; Berentelg, Act of State, 2010, 18 ff. (bei ausschließlicher Zuständigkeit des Enteignungsstaates); Kment, Verwaltungshandeln, 2010, 451; Geiger, GG und VR, 2013, § 58 III 2 a, S. 301; im Ergebnis auch diejenigen, die den Gebietsgrundsatz (zu ihm einführend unten § 9 I) für Völkergewohnheitsrecht halten, Nachweise dazu unten § 4 II Fn. 20; ähnlich auch, wer die Act-of-State-Doctrine zumindest im Kern für Völkerrecht hält, etwa Seidl-Hohenveldern, IPRax 1996, 411, der seine frühere, auf dem Gebietsgrundsatz aufbauende Ansicht ausdrücklich als Act-of-StateDoctrine bezeichnet und einschränkt.
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
digkeit des Enteignungsstaates verpflichte das Völkerrecht die Staaten zur Anerkennung völkerrechtsgemäßer Enteignungen, wenn nicht ausnahmsweise der nationale ordre public eingreife. Diese Auffassung ist abzulehnen. Richtigerweise gibt es schon kaum solche ausschließlichen Regelungszuständigkeiten.8 Das zeigt sich besonders deutlich, wenn man in Rechnung stellt, dass bei einer Enteignung dinglicher Rechte regelmäßig Verbringungsfälle zu entscheiden sind.9 Befindet sich die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, aber nunmehr auf deutschem Hoheitsgebiet, wird man kaum von einer ausschließlichen Zuständigkeit des Enteignungsstaates sprechen können. Doch selbst dann, wenn man eine völkerrechtliche Anerkennungspflicht annähme, wäre noch nicht abschließend darüber entschieden, wer aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Inhaber des enteigneten Rechts ist. Der nationale ordre public10 bliebe nämlich unberührt und der Enteignungsbegünstigte könnte aus anderen Gründen wie beispielsweise aufgrund eines gutgläubigen Erwerbs11 durch einen Dritten sein Recht wieder verlieren. Jedenfalls aber genügte der – später ausführlich darzustellende – richterrechtlich entwickelte Gebietsgrundsatz einer solchen vagen Pflicht. Die Frage nach einer völkerrechtlichen Anerkennungspflicht ist daher im Ergebnis für die Rechtsanwendung von ausgesprochen geringer Bedeutung. Verstößt der Enteignungsstaat gegen den fremdenrechtlichen Mindeststandard, ist er zwar dem Heimatstaat des Enteigneten ersatzpflichtig, andere Staaten sind aber von Völkerrechts wegen nicht gehalten, die Enteignung nicht anzuerkennen.12 Auch dies wird zwar bestritten.13 Eine Nichtanerken8
Siehe unten § 4 II 3. Eingehend zur Vollziehungs-Verbringungs-Problematik unten § 16. 10 Siehe zum ordre public bei fremdstaatlichen Enteignungen dinglicher Rechte unten § 15 III; ferner unten §§ 15 I, II, 16. 11 Vgl. dazu unten §§ 11 III 2, 16 III 1. 12 Gegen ein völkergewohnheitsrechtliches Anerkennungsverbot bei völkergewohnheitsrechtswidrigen Enteignungen sind: OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 318, 351 ff., 362 (Indonesien, Tabak); LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 164 l.Sp. (Chile, Kupfer); Baade, JahrbIntR 3 (1954) 134; Mosler, Völkerrecht, 1957, 42; Heiz, Recht, 1959, 206 ff.; Birke, Konfiskation, 1960, 193 f.; Doehring, Regeln, 1963, 159; Dölle/Reichert-Facilides/Zweigert, Betrachtungen, 1964, 51 Fn. 89 mit Verweis auf das für den Enteignungsbegünstigten verfasste Gutachten von Dölle/Zweigert von 1959, S. 31 zum sogenannten Bremer Tabakstreit (Literatur zu diesem unten § 15 I 1), deren Rechtsauffassung OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 354 gefolgt ist; Wengler, VR I, 1964, 651 f., VR II, 1008 Fn. 5, 1012 Fn.1; Seidl-Hohenveldern, FS Heymanns 1965, 606 f.; ders., FS Kegel 1977, 266; Heintzeler, Fall, 1972, 93 f. (er nimmt wohl sogar bei völkerrechtswidrigen Enteignungen eine Anerkennungspflicht an; verfehlte Begründung); Meessen, AWD 1973, 178 l.Sp., 179; Fickel, AWD 1974, 584, 586 l.Sp.; Mössner, VR, 1977, 196; Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 136 ff.; Behrens, Unternehmen, 1980, 1; Verdross/Simma, VR, 1984, § 1178 f., S. 774 ff.; Happe, Wirkung, 1987, 51; Huwyler, Personen, 1989, 34, 40; Lederer, Enteignung, 1989, 100; Andrae, Eingriffe, 1990, 16 (auch bei 9
§ 4 Völkergewohnheitsrecht – I
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nungspraxis und eine entsprechende einheitliche Rechtsüberzeugung lassen sich aber nicht nachweisen. Nur dann, wenn eine fremdstaatliche Enteignung über das Fremdenrecht hinaus gegen völkerrechtliches ius cogens verstößt, nimmt eine im Vordringen befindliche Auffassung an, dass die Anerkennung selbst gegen ius cogens verstoße.14 Die deutsche Rechtsordnung dürfe die privatrechtsgestaltenden Wirkungen solcher Enteignungen nicht übernehmen. Dieser Ansicht kann höchstens eingeschränkt zugestimmt werden.15
völkerrechtswidrigen Enteignungen solle zwar grundsätzlich eine völkerrechtliche Anerkennungspflicht bestehen; es könne aber nicht anerkannt werden, wenn eine Klärung auf zwischenstaatlicher Ebene aussichtslos sei); Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 10 f.; Herdegen, ZGR 20 (1991) 559; ders., VR, 2014, § 54 Rn. 4; ders., IntWirtR, 2014, Rn. 16 zu § 20; Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1659; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 21 f. zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 208 zu IntSachenR; Tomuschat, ZaöRV 56 (1996) 10 f.; Kokott, BerGesVR 38 (1998) 95 (bei Evidenz); MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 7 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 133 zu § 4, S. 294; Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 65 zu Art. 6 EGBGB; Gloria, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2004, Rn. 31 zu § 47; Spickhoff, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 277; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 20 zu Art. 46 EGBGB; Gilbert, in: ders. u.a. (Hrsg.), Eigentumsrecht, 2008, 64 f.; Berentelg, Act of State, 2010, 23 f. (allerdings mit fragwürdiger Begründung über die Souveränität des Erlassstaates), 153; Geiger, GG und VR, 2013, § 58 III 2 b, S. 301; Staudinger-Voltz, 2013, Rn. 76 zu Art. 6 EGBGB; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 53 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; zudem die Nachweise unten § 4 I Fn. 16 dafür, dass die Anerkennung freigestellt ist. 13 Für ein Anerkennungsverbot bei Völkergewohnheitsrechtswidrigkeit sind: Kraus, FS Laun 1953, 231, 233 f.; Dahm, FS Nikisch 1958, 180; ders., FS Kraus 1964, 79 f.; Verzijl, FS Makarov 1958, 543 ff.; Beitzke, BerGesVR 4 (1961) 160 [Diskussionsbeitrag]; Mann, NJW 1961, 707 l.Sp.; Ferid, FS Dölle 1963, Bd. II, 128; Raape/Sturm, IPR, 1977, 201 f.; wohl auch Wolff, IPR, 1954, 12; siehe für einen speziellen Fall auch Herdegen, ZGR 20 (1991) 559 (es bestehe bei der Enteignung von Anteilsrechten dann ein Anerkennungsverbot, wenn der Wert der Anteilsrechte wesentlich durch das außerhalb des Enteignungsstaates belegene Vermögen der Gesellschaft geprägt sei und die Enteignung gerade auf das Auslandsvermögen ziele). 14 Für ein Anerkennungsverbot bei etwa ius-cogens-widrigen Enteignungen sind: Veith/Böckstiegel, Schutz, 1962, 224 (bei besonders schwerwiegenden Verletzungen); Schütz, ordre public, 1984, 22 f., 122 ff.; Wenk, Privatvermögen, 1993, 133, 195; Kokott, BerGesVR 38 (1998) 95; Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 65 zu Art. 6 EGBGB (wenn etwa Vernichtung oder Vertreibung einer Bevölkerungsgruppe verfolgt werde); Spickhoff, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 277; Gilbert, in: ders. u.a. (Hrsg.), Eigentumsrecht, 2008, 64 f.; Anton, Kulturgüterverkehr, 2010, Rn. 135 zu Teil 4, S. 384 f., ebenso Rn. 280 ff. zu Teil 7, S. 1157 ff.; Berentelg, Act of State, 2010, 24 f., 153, 268; Geiger, GG und VR, 2013, § 58 III 2 b, S. 301 (bei besonders schwerem Völkerrechtsverstoß); Staudinger-Voltz, 2013, Rn. 76 zu Art. 6 EGBGB; Breuer, in: Schöbener (Hrsg.), VR, 2014, 38. 15 Bei der Enteignung dinglicher Rechte muss jedenfalls danach unterschieden werden, ob die Sache bereits verbracht wurde (vgl. unten § 16 I). Werden Forderungen (vgl. unten § 18 I 3) oder Immaterialgüterrechte (vgl. unten § 20 III) enteignet, ist ein Anerkennungs-
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
Das Völkerrecht stellt es den Staaten also frei, fremdstaatliche Enteignungen anzuerkennen, seien sie im Einklang mit dem völkerrechtlichen Fremdenrecht oder nicht.16 „Den schwarzen Peter hat hier der Kollisionsrechtler.“ 17 Ob aber völkerrechtswidrige Enteignungen aufgrund des nationalen Rechts – insbesondere wegen Art. 25 GG – zwingend nicht anzuerkennen sind, betrifft nicht die völkerrechtlichen Vorgaben, sondern steht im Gesamtzusammenhang mit dem nationalen ordre public im weiteren Sinne; es soll daher an anderer Stelle behandelt werden.18 II. Grenzen staatlicher Vollstreckungs- und Regelungsbefugnis § 4 Völkergewohnheitsrecht – II
Weder wirken also fremdstaatliche Enteignungen aus eigener Kraft in die deutsche Rechtsordnung hinein noch enthält das Völkerrecht Anerkennungspflichten oder -verbote. Das Völkerrecht regelt aber auch nicht auf andere Weise die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen. Insbesondere ist der Gebietsgrundsatz als richterrechtlich entwickelte Anerkennungsregel kein Völkerrecht.19 Dies wird nicht immer ausreichend beachtet.20 Viele berufen verbot zweckwidrig, da es in letzterem Fall nur um die Rechtsverkehranerkennung geht, in ersterem vor allem um den Schuldnerschutz. 16 Ebenso Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 283; Baade, JahrbIntR 3 (1954) 135; SeidlHohenveldern, AWD 1959, 107 l.Sp., 273 r.Sp.; ders., Investitionen, 1963, 58; Stoll, BerGesVR 4 (1961) 143; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 418; Meessen, AWD 1973, 178 f.; Petersmann, WiR 1973, 302, 304; Böckstiegel, BerGesVR 13 (1974) 38 f.; RGRKWengler, VI/1, 1981, 24, 496; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 284 f.; Kreuzer, IPRax 1990, 366 l.Sp.; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 10 f., 192; Korte, Anerkennung, 1992, 68; Hartung, Kunstraub, 2005, Kapitel 6 E IV 2, S. 375 f.; Menzel/Pierlings/Hoffmann, Völkerrechtsprechung, 2005, Fall 124, S. 692; Spickhoff, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 277; Krajewski, WirtVölkR, 2012, Rn. 619; Ohler, Kollisionsordnung, 2005, 51 f.; Anton, Kulturgüterverkehr, 2010, Rn. 160 zu Teil 7, S. 1084 (außer bei iuscogens-widrigen Enteignungen); MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 10 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Menzel, IÖR, 2011, 273; Breuer, in: Schöbener (Hrsg.), VR, 2014, 38 (außer bei iuscogens-widrigen Enteignungen). 17 Böckstiegel, BerGesVR 13 (1974) 38 f. 18 Zur Enteignung dinglicher Rechte unten §§ 15 I, 16 I, III 2; zur Enteignung von Forderungen unten § 18 I 3; zur Enteignung von Immaterialgüterrechten unten § 20 III. 19 Deutlich BVerfG vom 4.9.2008 (2 BvR 1475/07), in: BeckRS 2010, 51385 Rn. 21 (= WM 2008, 2035); siehe ferner Baade, JahrbIntR 3 (1954) 134; Lewald, RabelsZ 21 (1956) 123; Veith/Böckstiegel, Schutz, 1962, 220; Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 244 f.; Stöcker, WM 1965, 448; ders., WM 1966, 749 f. Fn. 25; Behrens, Unternehmen, 1980, 30 ff., 63 ff. (unklar allerdings noch ders., RabelsZ 37 [1973] 405); Andrae, Eingriffe, 1990, 13, 16; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 171; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 200 zu IntSachenR; Dutta, Durchsetzung, 2006, 333; Berentelg, Act of State, 2010, 145; Menzel, IÖR, 2011, 273; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 15, 21 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 20 Den Gebietsgrundsatz für Völkergewohnheitsrecht halten: RG vom 7.6.1921 (VII 528/20), in: RGZ 102, 252 f. (Herzog von Gotha); OGHBrZ vom 31.3.1949
§ 4 Völkergewohnheitsrecht – II
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sich bei der nationalen Regelbildung immer wieder zu Unrecht auf das Völkerrecht. Die Beharrlichkeit, mit der diese Auffassung vertreten wird, lässt es als geboten erscheinen, vor einer Erörterung des autonomen deutschen Rechts den völkerrechtlichen Rahmen gründlich abzustecken. Nur so kann das internationale Enteignungsrecht richtig in das Gesamtbild eingeordnet werden. (I ZS 169/48), in: NJW 1949, 502 (= OGHZ 1, 386); BGH vom 1.2.1952 (I ZR 23/51), in: NJW 1952, 1015 (= BGHZ 5, 27) (interlokal); BGH vom 1.2.1952 (I ZR 123/50), in: NJW 1952, 540 (= BGHZ 5, 35) (interlokal); BGH vom 22.12.1953 (V ZR 86/52), in: NJW 1954, 796 (= BGHZ 12, 79) (interlokal) (Völkerrecht und internationales Privatrecht); BGH vom 11.7.1957 (II ZR 318/55), in: NJW 1957, 1433 (= BGHZ 25, 134) (Tschechoslowakei, Forderung sudetendeutscher Spalt-Genossenschaft) (Völkerrecht, internationales Privatrecht und internationales Verwaltungsrecht); BGH vom 5.2.1958 (IV ZR 204/57), in: WM 1958, 557 (Russland, Stiftung „Kuratorium zur Förderung russischer Komponisten“) (internationales Privat- und Verwaltungsrecht sowie Völkerrecht); BGH vom 29.9.1966 (II ZR 56/65), in: NJW 1967, 39; OLG Düsseldorf vom 20.12.1949 (2 U 185/49), in: NJW 1950, 471 (interlokal); OLG Nürnberg vom 7.9.1951 (3 W 363/50), in: NJW 1952, 109 (Tschechoslowakei); OLG Frankfurt vom 27.6.1952 (W 85/52), in: NJW 1953, 105 f. (interlokal); OLG Hamburg vom 13.11.1957 (4 U 149/57), in: RIW 1957, 247 (Niederlande); vielleicht auch LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 163 r.Sp. (Chile, Kupfer) (Völkerrecht, internationales Verwaltungs- und Privatrecht). – Aus der Literatur für die völkerrechtliche Natur des Gebietsgrundsatzes sind: Magerstein, JurBl 1950, 349 l.Sp., 353 r.Sp. [Österreich]; Ficker, Grundfragen, 1952, 72, 75, 77, 83; Beitzke, JZ 1956, 678 (er spricht von einem „völkerrechtlich in der Territorialhoheit begründeten Prinzip“); Kuhn, WM 1956, 2 (Völkerrecht, internationales Privatund Verwaltungsrecht); ders., WM 1958, 946 (Völkerrecht und internationales Privatrecht); nur i.E. auch Heiz, Recht, 1959, 157 ff., 174 ff. (er lehnt den Begriff des Territorialitätsprinzips allerdings ab und ersetzt ihn durch Effektivität); Vogt, Geltung, 1960, 2, 28; Jungfleisch, Konfiskation, 1961, 16, 31 ff. (jedenfalls der negative Gebietsgrundsatz); Raape, IPR, 1961, 656, 659; Reichert, WM 1961, 3 f.; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 68 f.; ders., WM 1966, 672; Burth, Enteignung, 1963, 12; König, Anerkennung, 1965, 75 f., 89, 107 f.; Seidl-Hohenveldern, WM 1967, 770; Heintzeler, Fall, 1972, 93 ff. (der positive Gebietsgrundsatz sei Völkerrecht, der negative internationales Verwaltungsrecht); Schricker, GRUR 1977, 437 l.Sp.; Wiedemann, FS Beitzke 1979, 816; Coing, WM 1982, 378; Matthias, FS v.Simson 1983, 266; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-125 ff.; Großfeld, Unternehmensrecht, 1995, Q § 9 II, S. 314; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 819 zum IntGesR; MüKo-Ebenroth, 1999, Rn. 893 zum IntGesR; Hartung, Kunstraub, 2005, Kapitel 6 E III 4, S. 373 Fn. 1571 (unklar, andererseits E IV I, S. 375 Fn. 1580); Lakkis, Gestaltungsakte, 2007, 417; Gruber, NJ 2003, 87 f.; Brödermann/Rosengarten, IPR-IZVR, 2015, Rn. 466; Horn, in: Gilbert u.a. (Hrsg.), Eigentumsrecht, 2008, 97; Anton, Kulturgüterverkehr, 2010, Rn. 137 zu Teil 3, S. 168 f., zudem Rn. 3 zu Teil 7, S. 957 (verworren); MüKo-Kindler, 2010, Rn. 1032 zum IntGesR. – Unklar Niederer, FS Lewald 1953, 553; Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 10, 11; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 17 ff.; Schulte, NJW 1966, 522 l.Sp.; Wuppermann, AWD 1973, 506 l.Sp., 508 l.Sp.; Meessen, AWD 1974, 494 r.Sp.; Polter, Auslandsenteignungen, 1975, 62 f.; Teich, WM 1976, 1323 l.Sp.; Mössner, VR, 1977, 194; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 605 f.; Drobnig, RabelsZ 52 (1988) 3; Schemmer, ordre public, 1995, 86; Kunz, IPR, 1998, Rn. 570; Korte, Anerkennung, 1992, 27 f., 59 ff.; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 10 zu Art. 46 EGBGB.
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
Ausgangspunkt der Missverständnisse ist „das“ Territorialitätsprinzip.21 Der Begriff wird in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht. Die Verwicklungen lassen sich auflösen, wenn man drei Bereiche sorgfältig trennt (sogleich § 4 II 1–3) und vom nationalen Kollisionsrecht abgrenzt (unten § 4 III). 1. Territorialer Geltungsbereich staatlicher Rechtsordnungen § 4 Völkergewohnheitsrecht – II 1
Der Geltungsbereich einer staatlichen Rechtsordnung wird als territorial bezeichnet, weil er auf das Gebiet des jeweiligen Staates beschränkt ist.22 Dieser territoriale Geltungsbereich ist für das internationale Enteignungsrecht und überhaupt für das Kollisionsrecht ohne Bedeutung.23 Das internationale Enteignungsrecht bestimmt, unter welchen Voraussetzungen die privatrechtsgestaltenden Wirkungen fremdstaatlicher Enteignungen in die deutsche Rechtsordnung zu übernehmen sind. Eine solche Übernahme gilt einheitlich für die gesamte deutsche Rechtsordnung. Die neue Zuordnung des Rechts ist für alle staatlichen Stellen, die dieser Rechtsordnung angehören, verbindlich. Wo sich die rechtsanwendenden Stellen befinden oder wo die Rechtsordnung gilt, ist unerheblich. Die vom territorialen Geltungsbereich zu unterscheidende Selbstverständlichkeit der getrennten Rechtsordnungen und ihre Folge, dass auch auf das Gebiet des Enteignungsstaates bezogene Regelungen von der deutschen Rechtsordnung importiert werden müssen, um in ihr beachtlich zu werden, wurde bereits erwähnt.24 21
Mahnend schon Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 121: „Wenige Bezirke der juristischen Mythologie genießen eine gleich große Verehrung wie der Komplex Gebietshoheit. Will man dem Wirrsal von Unklarheiten entgehen, die sich mit dem Schlagwort verbinden, insbesondere die petitiones principii vermeiden, für die das Wort nützlich ist, so wird man zunächst feststellen müssen, in welchen Zusammenhängen dem ‚Gebiet‘ rechtliche Bedeutung zukommt.“ 22 Meng, ZaöRV 44 (1984) 728 m.N. auch zu abweichender Terminologie; Epping, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2014, Rn. 59 ff. zu § 5. 23 Anders offenbar Meessen, AWD 1973, 178 r.Sp. (der Enteignungsstaat überschreite bei extraterritorialen Enteignungen die Grenzen des territorialen Geltungsbereichs seiner Rechtsordnung; derartige Enteignungsmaßnahmen würden nur dann wirksam, wenn sie vom Inland anerkannt würden); unklar auch Ohler, Kollisionsordnung, 2005, 44 f. („[b]esonders deutlich wird die räumliche Geltungsbeschränkung staatlichen Rechts am klassischen Fall des internationalen Enteignungsrechts, das die Wirkung staatlicher Enteignungsmaßnahmen auf Sachen und Rechte beschränkt, die zum Zeitpunkt der Enteignung im Hoheitsgebiet des enteignenden Staates belegen sind“); ebenso ders., in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 148 f. 24 Siehe oben § 1. Die abweichende Auffassung ist überwunden. Anders oder missverständlich aber Vogt, Geltung, 1960, 2, 28 (auch ein Richter außerhalb des Enteignungsstaates sei der Verbindlichkeit der Enteignungsmaßnahme unterworfen; die Verbindlichkeit wohne dem Gesetz schon inne); Teich, WM 1976, 1323 l.Sp. (die Wirkung von Hoheitsmaßnahmen ende kraft immanenter Geltung an den Landesgrenzen); Folz, Geltungskraft,
§ 4 Völkergewohnheitsrecht – II 2
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2. Territorial begrenzte Vollstreckungsbefugnis
§ 4 Völkergewohnheitsrecht – II 2
Im Zusammenhang mit Enteignungen ist vor allem die als völkerrechtliches Territorialitätsprinzip bezeichnete völkerrechtliche Regel bedeutsam, nach der ein Staat auf fremdem Hoheitsgebiet (jedenfalls grundsätzlich) nicht vollstrecken darf.25 Auf seinem eigenen Hoheitsgebiet dagegen hat jeder Staat das 1975, 254, 263, 271; Bleckmann, VR, 2001, Rn. 494, 497, 502 (grundsätzlich seien die staatlichen Rechtsordnungen getrennt und fremdes Recht wirke in der deutschen Rechtsordnung nur aufgrund eines inländischen Befehls; im internationalen Enteignungsrecht sei der Enteignungsstaat für intraterritoriale Enteignungen aber völkerrechtlich ausschließlich zuständig, so dass intraterritoriale Enteignungen in anderen Staaten ohne eine entsprechende Kollisionsregel des nationalen Rechts unmittelbar anwendbar seien [man könnte die Ausführungen allerdings auch abgeschwächt im Sinne einer völkerrechtlichen Anerkennungspflicht verstehen]); ferner Petersen, in: Tagung Bad Godesberg, 1947, 135 (Enteignungsgesetze eines Landes könnten nur die Rechtsverhältnisse an intraterritorialen Gegenständen verändern); Magerstein, JurBl 1950, 349 r.Sp. [Österreich] (alle Sachen im Enteignungsstaat unterlägen dessen Rechtsordnung; durch Gesetze des Belegenheitsstaates werde das Eigentum gültig übertragen); Beitzke, in: Schlochauer u.a. (Hrsg.), WBdVR, Bd. I, 1960, 504 f. (zunächst führt er richtig aus: fremde Enteignungen wirkten im Inland erst durch ihre Anerkennung, nicht aufgrund einer dem Hoheitsakt immanenten Geltungskraft; dann heißt es aber: „[d]ie üblicherweise angenommene gegenständliche Beschränkung von Enteignungsakten auf im Inland befindliche Vermögensstücke ist nur eine besondere Ausdrucksform dieser Territorialität von Enteignungsakten“; die Enteignungswirkungen beschränkten sich auf das Gebiet des Enteignungsstaates, wenn sie nicht anerkannt würden); Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 17 f. (immanente Geltung); Paulick, FS Raschhofer 1975, 184 („[s]oll die Wirkung einer Konfiskation auch auf das in einem fremden Staat belegene Vermögen ausgedehnt werden, bedarf es dazu der Mitwirkung dieses Staates“); Mössner, VR, 1977, 195 (Enteignungen erfassten das intraterritoriale Vermögen „auch mit Wirkung für andere Staaten“); Lederer, Enteignung, 1989, 49; ders., IPRax 1994, 145 r.Sp. (weil ein Staat nicht im Ausland vollziehen könne, hätten Enteignungen für Vermögen außerhalb des Enteignungsstaates keine automatische Wirkung); Kropholler, IPR, 2006, § 55 III 1, S. 583; Kment, Verwaltungshandeln, 2010, 446 ff., 450, 455 f.; etwas unklar auch Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 14 zu § 20 (er hält bis zur Verbringung einer Sache, an der ein Recht enteignet wurde, eine Anerkennung wohl gar nicht für nötig; die Gebietshoheit erstrecke sich auf die Regelung des Eigentums), § 20 Rn. 25, S. 288 (die Anerkennung von durch den Sitzstaat vorgenommenen Gesellschaftsenteignungen sei nicht konstitutiv, weil der Enteignungsstaat die Enteignung auf seinem Gebiet vollziehen könne). – Wohl fälschlich als abweichend wird hier gelegentlich Frankenstein, IPR I, 1926, 327 ff. zitiert, dessen Ausführungen eher abgeschwächt im Sinne einer völkerrechtlichen Anerkennungspflicht zu verstehen sind: „Die neue Rechtsordnung [stehe] dem Tatbestande ohne formelle Bindung gegenüber“ (a.a.O., S. 342). Zwar könne der Enteignungsstaat das Rechtsverhältnis „absolut“ ändern. Dies müsse aber von anderen Rechtsordnungen anerkannt werden (a.a.O., S. 343, 350). Frankenstein zustimmend Henrich, Enteignungsdekrete, 1933, 89 f. 25 Allgemeine Auffassung: Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 282; Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 122; Heiz, Recht, 1959, 32 f.; Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 85 f. [Schweiz]; Wengler, VR II, 1964, 962; Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 123; Beemelmans,
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
Monopol physischen Zwangs.26 Kurz: Die jurisdiction to enforce ist territorial begrenzt. Das bedeutet für das internationale Enteignungsrecht: Auf dem Staatsgebiet des Enteignungsstaates darf grundsätzlich nur dieser hoheitlich beispielsweise Besitz an einer Sache ergreifen, an der er ein Recht enteignet hat. Enteignet aber ein Staat ein Recht an einer Sache, die sich nicht auf seinem Hoheitsgebiet befindet, vollstreckt er dadurch noch nicht auf fremdem Hoheitsgebiet.27 Er entzieht nur für seine Rechtsordnung ein Recht, das er selbst eingeräumt hat. Erst die Vollziehung einer Enteignung kann also mit dem völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip in Konflikt geraten. Missachtet der Enteignungsstaat bei der Vollziehung einer Enteignung das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip, handelt er völkerrechtswidrig. Dies hat aber unmittelbar keine Auswirkung auf die Frage, ob die privatrechtsgestaltenden Wirkungen, die eine fremdstaatliche Enteignung in der Rechtsordnung des Enteignungsstaates hervorruft, in der deutschen Rechtsordnung nachvollzogen werden. Das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip beantwortet die Anerkennungsfrage nicht. 3. Weite Grenzen der Regelungsbefugnis
§ 4 Völkergewohnheitsrecht – II 3
Von der soeben behandelten Vollstreckungsbefugnis ist die Regelungsbefugnis der Staaten scharf abzugrenzen. Für die Regelungsbefugnis hat sich die englische Bezeichnung jurisdiction to prescribe eingebürgert. Die Regelungsbefugnis ist nicht dergestalt territorial beschränkt, dass ein Staat nur Sachverhalte regeln dürfte, die sich auf seinem Hoheitsgebiet abspielen.28 WM 1966, 670; Rudolf, BerGesVR 11 (1973) 33; Berber, VR I, 1975, 307; Mössner, VR, 1977, 194; Großfeld, BerGesVR 18 (1978) 80; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 284; Meng, ZaöRV 44 (1984) 682, 727; Verdross/Simma, VR, 1984, § 1020, S. 636; Dahm/Delbrück/Wolfrum, VR I/1, 1989, § 47 III 1, 4, S. 319, 326, § 75 I, S. 483; Andrae, Eingriffe, 1990, 15; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 200 zu IntSachenR; Bleckmann, VR, 2001, Rn. 450; Kment, Verwaltungshandeln, 2010, 69 ff.; Geiger, GG und VR, 2013, § 62 II 2 c, S. 314 f.; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 21 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 26 Begriff nach Max Weber, zitiert nach Ficker, Grundfragen, 1952, 71. 27 Deutlich Stöcker, WM 1965, 448 (die Territorialhoheit anderer Staaten sei durch Enteignungsgesetzgebung weder mittelbar noch unmittelbar berührt); unzutreffend etwa Serick, JZ 1956, 203 l.Sp. 28 Zutreffend Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 282; Schlochauer, Wirkung, 1962, 40 mit Abdruck des grundlegenden Lotusfalls des IGH von 1927 auf den S. 71 ff.; Dahm, FS Kraus 1964, 75; Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 101 ff., 122 f.; Rudolf, BerGesVR 11 (1973) 17 ff.; Schwander, Sonderanknüpfung, 1975, 74; Mössner, VR, 1977, 194 f.; Großfeld, BerGesVR 18 (1978) 81; Behrens, Unternehmen, 1980, 36 (anders noch ders., RabelsZ 37 [1973] 405); RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 21 f.; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 284 m.N.; Schütz, ordre public, 1984, 37, 125; Dahm/Delbrück/Wolfrum, VR I/1, 1989, § 47 III 2 d, S. 320; Huwyler, Personen, 1989, 1; Lederer, Enteignung, 1989, 89; Andrae, Eingriffe, 1990, 15; Hofmann, Grundrechte, 1994, 141; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 200 zu IntSachenR; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 65 zu § 4, S. 243; Epping, in: Ipsen
§ 4 Völkergewohnheitsrecht – II 3
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Daher stimmt der Satz nicht, dass ein Staat nur Rechte enteignen darf, die (nach welchem Maßstab auch immer) im Enteignungsstaat belegen sind.29 Zur völkerrechtsgemäßen Regelung eines Sachverhaltes ist vielmehr nur eine Mindestbeziehung zwischen dem normierenden Staat und dem normierten Sachverhalt erforderlich.30 Man spricht von einem genuine link.31 Die Anforderungen an eine solche Mindestbeziehung sind äußerst gering. In der Praxis der Enteignungsfälle dürfte diese Beziehung kaum jemals fehlen: Kein Staat entzieht einer Person, die keinerlei Beziehungen zu ihm – sei es über ihre Staatsangehörigkeit, ihren Wohnsitz oder ihren Aufenthaltsort – aufweist, ein Recht an einem Grundstück, das sich außerhalb seines Staatsgebietes befindet.32 (Hrsg.), VR, 2014, Rn. 69 ff. zu § 5; Ohler, Kollisionsordnung, 2005, 44; Mansel, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 117; Berentelg, Act of State, 2010, 12; Kment, Verwaltungshandeln, 2010, 69 ff.; Krajewski, WirtVölkR, 2012, Rn. 623; Geiger, GG und VR, 2013, § 58 I, S. 295; Sachs-Streinz, 2011, Rn. 52 zu Art. 25 GG; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 52 zu § 3; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 21 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 29 Die Regelungsbefugnis für territorial beschränkt halten dagegen offenbar: RG vom 7.6.1921 (VII 528/20), in: RGZ 102, 253 (Herzog von Gotha); OLG Bamberg vom 30.1.1948 (1 W 103/47), in: SJZ 3 (1948) Sp. 258 (interlokal); Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 233 Fn. 15, 505; Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 7, 46 Fn. 25, 58 f., 66; ders., Friedenswarte 53 (1955/56) 10, 17; ders., RabelsZ 28 (1964) 194; Magerstein, JurBl 1954, 424 r.Sp. [Österreich] (jeder Staat könne nur auf seinem Staatsgebiet Hoheitsrechte ausüben; daher sei die Wirksamkeit staatlicher Hoheitsakte auf das eigene Staatsgebiet beschränkt); Wolff, IPR, 1954, 67; Vannod, Fragen, 1959, 11; Vogt, Geltung, 1960, 57; Jungfleisch, Konfiskation, 1961, 25, 34 et p.; Veith/Böckstiegel, Schutz, 1962, 223; Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 11; ders., FS Duden 1977, 295 Fn. 34 („[d]aß die Enteignung kein außerhalb des enteignenden Staates belegenes Vermögen erfassen kann, ist selbstverständlich, weil es an internationaler Jurisdiktion fehlt, und braucht hier nicht behandelt zu werden“); Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 22; ders., WM 1966, 672; Burth, Enteignung, 1963, 13; Jaenicke, BerGesVR 7 (1967) 122 f.; Schulte-Uhlenbrock, Rechtsverhältnisse, 1968, 6; Heintzeler, Fall, 1972, 95; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 244; Hartung, Kunstraub, 2005, Kapitel 6 E I, S. 370 f.; missverständlich Lipstein, in: Holl/Klinke (Hrsg.), Privatrecht, 1985, 53; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-133, 137, 140; Gloria, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2004, Rn. 32 zu § 47. 30 Wengler, VR II, 1964, 935; RGRK-ders., VI/1, 1981, 13; Verdross/Simma, VR, 1984, § 1183, S. 778; Andrae, Eingriffe, 1990, 15; Epping, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2014, Rn. 71 ff. zu § 5; Berentelg, Act of State, 2010, 12; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 1 zu § 20; zur Grenze der Regelungsbefugnis bei Auslandssachverhalten eingehend Meng, ZaöRV 44 (1984) 676 ff., 741 ff. 31 Es sind auch andere Begriffe im Umlauf. Umfangreiche Nachweise zum Sprachgebrauch bei Dahm/Delbrück/Wolfrum, VR I/1, 1989, § 47 III 3 a, S. 321 Fn. 21, die selbst den Begriff der „sinnvollen Anknüpfung“ verwenden. 32 Zu den Grenzen der Regelungsbefugnis ähnlich Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 292 Fn. 1; Beitzke, FS Raape 1948, 94 f.; Stoll, BerGesVR 4 (1961) 134; Wengler, VR II, 1964, 945, 946 Fn. 4.
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
Sollte doch einmal jede sinnvolle Beziehung fehlen, ist die Enteignung zwar völkerrechtlich verboten. Sie kann aber in der Rechtsordnung des Enteignungsstaates wirksam sein.33 Der Enteignungsstaat entzieht dann nur das Recht wieder, das er zuvor als bestehend betrachtet hat.34 Ob eine solche völkerrechtswidrige Enteignung in der Rechtsordnung des Enteignungsstaates wirksam ist oder nicht, richtet sich nach der Rechtsordnung des jeweiligen Enteignungsstaates. Ein Hoheitsakt, bei dem der Erlassstaat die sehr weiten Grenzen seiner Regelungsbefugnis überschreitet, sollte im deutschen Kollisionsrecht nicht anerkannt werden.35 Dies ist aber eine autonome Entscheidung der deutschen Rechtsordnung. Auch die Grenzen der völkerrechtlichen Regelungsbefugnis geben damit keine Antwort auf die Anerkennungsfrage. III. Abgrenzung zum nationalen Kollisionsrecht 1. Anerkennung als Frage des nationalen Rechts
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Doch unter welchen Voraussetzungen werden die privatrechtsgestaltenden Wirkungen fremdstaatlicher Enteignungen in die deutsche Rechtsordnung übernommen? Es ist nicht das Völkerrecht, das diese Frage beantwortet. Ohne Bedeutung ist insbesondere die Souveränität des Enteignungsstaates;36 ebenso der völkerrechtliche Grundsatz der staatlichen Gleichheit (par in pa33
Allgemein König, Anerkennung, 1965, 46. Vgl. Wengler, FS Universität Berlin 1955, 337. 35 So schon Beitzke, FS Raape 1948, 95; allgemein, also nicht speziell zum internationalen Enteignungsrecht, auch König, Anerkennung, 1965, 46. 36 Zutreffend Stöcker, WM 1964, 533; Frank, RabelsZ 34 (1970) 64; zustimmend Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 78; Meessen, AöR 110 (1985) 412; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 39 zu § 4, S. 221 („[d]ie Anwendung ausländischen Rechts im Inland ist aber im Privatrecht a priori ungeeignet, mit dem Konzept der Souveränität zu kollidieren“); zutreffend auch Lederer, Enteignung, 1989, 90. – Dagegen wird verbreitet mit der Souveränität des Enteignungsstaates argumentiert, so Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 7, 31, 59, 183 et p.; ders., Friedenswarte 53 (1955/56) 17; ders., WM 1967, 771; Magerstein, JurBl 1954, 424 r.Sp.; Niederer, SchwJahrbIntR XI (1954) 95; Vannod, Fragen, 1959, 11; Heiz, Recht, 1959, 157 ff.; Reichert, WM 1961, 2; Veith/Böckstiegel, Schutz, 1962, 223; Gurski, NJW 1965, 1353 l.Sp.; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 22; Heintzeler, Fall, 1972, 93 ff.; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 405 (leite man das Enteignungsrecht aus der territorial beschränkten Souveränität ab, sei es zwingend territorial beschränkt); Folz, Geltungskraft, 1975, 15, 255; Teich, WM 1976, 1323 l.Sp.; ders., RIW/AWD 1978, 11 (siehe bereits den Titel des Aufsatzes); Großfeld, BerGesVR 18 (1978) 143; v.Breitenstein, RIW/AWD 1982, 149; Coing, WM 1982, 382 r.Sp.; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 298; Rapp, VIZ 1994, 325; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 822 zum IntGesR; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 8 a, S. 1245; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 243; Korte, Anerkennung, 1992, 36, 59, 69; Berentelg, Act of State, 2010, 146, 186, richtig aber auf S. 9. 34
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rem non habet imperium).37 Auch das Völkervertragsrecht enthält Anerkennungsregeln nur in ganz speziellen Bereichen.38 Die Anerkennung richtet sich vielmehr nach dem Teil des innerstaatlichen Kollisionsrechts, der als internationales Enteignungsrecht bezeichnet wird.39 In Deutschland bedienen sich Rechtsprechung und Literatur der später ausführlicher darzustellenden richterrechtlichen Grundregel, dass Enteignungen anerkannt werden, wenn das enteignete Recht zu einem bestimmten Zeitpunkt auf dem Gebiet des Enteignungsstaates belegen war.40 Diese Regel ist nicht völkerrechtlich.41 Die Gegenauffassung überzeugt schon deshalb nicht, weil die Belegenheitszuschreibung mangels einer völkerrechtlichen Privatrechtsordnung unstreitig nicht nach Völkerrecht, sondern nach nationalem Recht erfolgt.42 Ferner ist die Ausgestaltung der Regel bereits in Deutschland sehr umstritten. Erst recht haben rechtsvergleichende Studien keine einheitliche Gestalt zu Tage gefördert. Schon aufgrund der Unbestimmtheit des Grundsatzes bliebe völlig offen, welche Ausprägung genau völkerrechtlich sein soll. Wie bereits aufgezeigt wurde, lässt sich der Gebietsgrundsatz auch nicht aus den völkerrechtlichen Vorschriften über die staatliche Regelungs- oder Vollstreckungsbefugnis ableiten. Wer den Gebietsgrundsatz für Völkerrecht hält, vermengt meist in einem ersten Schritt verschiedene Ebenen, indem der Gegenstandsbereich der völkerrechtlichen Vorschrift über die Regelungsbefugnis entnommen wird, die territoriale Begrenztheit aber der völkerrechtlichen Vorschrift über die Vollstreckungsbefugnis oder dem Geltungsbereich der staatlichen Rechtsordnungen. Aus dieser Kombination entsteht der völkerrechtlich nicht fundierte Satz der territorial begrenzten Regelungsbefugnis.43 Dieser Satz unterscheidet insbesondere nicht hinreichend zwischen dem Realakt der Vollziehung und dem Rechtsakt der Enteignung. Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt, anzunehmen, dass Enteignungen im dann als ausschließlich gedachten fremdstaatlichen Regelungsbereich entweder auch für andere Rechtsordnungen verbindlich oder zumindest vom diesen anzuerkennen seien. Die irrtümlichen alten Vorstellungen, die völkerrechtliche Regeln und das innerstaatliche Kollisionsrecht nicht klar trennten, führten zu einer unge37
Zutreffend Berentelg, Act of State, 2010, 8 f. Zu Anerkennungspflichten aus BIT unten § 7 III. 39 Treffend Stöcker, WM 1966, 749 f. Fn. 25; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 7 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Lederer, Enteignung, 1989, 134. 40 Einführung ins nationale Recht unten § 9 I; eingehend zur Belegenheit unten §§ 14 IV, 17, 20 III, 22 II, 23. 41 Nachweise, auch zur verbreiteten Gegenansicht, oben § 4 II Fn. 19 f. 42 Siehe in begrüßenswerter Klarheit BVerfG vom 4.9.2008 (2 BvR 1475/07), in: BeckRS 2010, 51385 Rn. 19, 21 (= WM 2008, 2035) gegen OLG Frankfurt vom 5.4.2006 (4 U 153/02), in: BeckRS 2007, 19085 (Jugoslawien, Devisen bei Nationalbank). 43 Dazu bereits § 4 II 3. 38
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
wöhnlich zögerlichen und durch unbegründete Skrupel gehemmten Entwicklung der Anerkennungsregeln. Der Irrtum ist wohl noch deshalb so lebendig, weil die Mehrzahl der entschiedenen Fälle, der richterrechtlich entwickelten Grundsätze, der Stellungnahmen und vor allem auch der Systematisierungsversuche aus einer Zeit stammen, in der die Konturen noch nicht deutlich zu erkennen, vielleicht erst noch zu ziehen waren. Um nun den Unterschied zwischen der von der herrschenden Meinung als internationalenteignungsrechtliches Territorialitätsprinzip bezeichneten innerstaatlichen Anerkennungsregel und völkerrechtlichen Regeln auch sprachlich hervorzuheben und aufgrund der Verwechslungsgefahr soll die innerstaatliche Anerkennungsregel in dieser Arbeit als Gebietsgrundsatz bezeichnet werden.44 Wer kurze Begriffe sperrigen Fremdwörtern vorzieht, wird es nachsehen, wenn der Gebietsgrundsatz entgegen dem üblichen Sprachgebrauch bei seinem deutschen Namen genannt wird.45 2. Folgen für den Sprachgebrauch
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Das alte, völkerrechtlich geprägte Systemverständnis des internationalen Enteignungsrechts hallt in den noch heute gebräuchlichen Begriffen nach. Dass der Gebietsgrundsatz nicht völkerrechtlicher Natur ist, sollte auch in der Diktion deutlich gemacht werden. Die neue Freiheit, hinsichtlich der Anerkennung keinen völkerrechtlichen Bindungen zu unterliegen, sollte sich auch in den Begriffen niederschlagen. Nach heutigem Verständnis sollte besonders auf die folgenden fünf Ausdrucksweisen verzichtet werden: (1) Es heißt, ein Enteignungsakt könne nur „Vermögenswerte“ innerhalb des Enteignungsstaates „erfassen“ bzw. nur auf diese „zugreifen“.46 44
Siehe bereits § 3. Die Übersetzung „Gebietsgrundsatz“ findet sich auch bei Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 234. 46 So BGH vom 11.7.1957 (VII ZR 226/56), in: BeckRS 1957, 31198548 unter D II (= BGHZ 25, 127) (Niederlande); BGH vom 11.7.1957 (II ZR 318/55), in: NJW 1957, 1433 (= BGHZ 25, 134) (Tschechoslowakei, Inlandsforderung sudetendeutscher Genossenschaft); BGH vom 5.5.1960 (VII ZR 92/58), in: NJW 1960, 1569 (= BGHZ 32, 256) (Niederlande); BGH vom 5.5.1977 (III ZR 2/75), in: BeckRS 1977, 30396428 unter I 2 b (= MDR 1977, 822) (Belgien); BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 (interlokal); BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1092 (interlokal); BGH vom 28.3.2006 (XI ZR 425/04), in: NJW-RR 2006, 1278 (= BGHZ 167, 25) (interlokal). – Niederer, SchwJahrbIntR XI (1954) 95; Mertens, JuS 1967, 97 r.Sp. („Rechtsmacht zu konfiskatorischen Eingriffen hat ein Staat nur im Rahmen seines eigenen Herrschaftsbereichs. Vermögenswerte, die in einem anderen Staat belegen sind, kann er ohne dessen Zustimmung nicht ergreifen“); Hofmann, Grundrechte 1995, 151 (der Sitzstaat einer Gesellschaft, die Vermögen in Deutschland habe, könne auf dieses Vermögen zugreifen; Deutschland könne den Zugriff nur abwehren); Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 11 zu Art. 46 EGBGB; Nomos-v.Plehwe, 2012, Rn. 57 zu Art. 43 EGBGB; jurisPK-Teubel, 45
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Die Begriffe „erfassen“ und „zugreifen“ sind jedoch bereits aufgrund ihrer suggestiven Kraft abzulehnen. Sie bedienen sich zur Beschreibung eines rechtlichen Vorgangs einer Metapher der körperlichen Welt.47 Dagegen ist zwar im Allgemeinen nichts einzuwenden, im internationalen Enteignungsrecht ist es aber verfänglich. Es ist zu unterscheiden zwischen den Enteignungsobjekten (rechtliche Ebene) und den körperlichen Bezugsobjekten (körperliche Ebene),48 bezogen auf die Enteignung dinglicher Rechte also zwischen Rechten an einer Sache und der Sache selbst, in der Regel also zwischen Eigentum und Besitz. Ein Staat darf völkerrechtlich auf Sachen und Personen körperlich zugreifen, sofern (und solange) sie sich auf seinem Staatsgebiet befinden. Hinsichtlich der Enteignungsobjekte, also der rechtlichen Ebene, hingegen gilt: Ein Recht, das ein Staat eingeräumt hat, kann er für seine Rechtsordnung unabhängig vom Lageort der körperlichen Bezugsobjekte stets erfassen. Er darf dies völkerrechtlich auch, wenn zwischen ihm und dem geregelten Sachverhalt ein Mindestbezug besteht.49 Einer Gebietshoheit unterliegen Rechte dagegen nicht.50 Dies aber wird durch die Vokabel des Erfassens nahegelegt. Betrachtet man nun also nur den Enteignungsstaat, kann man noch gar nicht sagen, ob er ein Recht im Sinne des deutschen Gebietsgrundsatzes erfassen konnte. Entscheidet sich das deutsche Recht zur Anerkennung, konnte der Enteignungsstaat das entsprechende Recht erfassen; lehnt es die Anerkennung ab, konnte er es nicht. Die Anerkennung beruht damit allein auf einer Entscheidung der deutschen Rechtsordnung. Auch der Begriff des „Vermögens“ ist in diesem Zusammenhang als unklar abzulehnen.51 Vermögen bezeichnet im Privatrecht die Summe aller 2014, Rn. 47 zu Art. 43 EGBGB; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 4, 6, 47 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 47 Zur alten Vorstellung, dass die Enteignung ein Realakt sei, Korte, Anerkennung, 1992, 16. 48 Näher unten § 9 I 2. 49 Zur völkergewohnheitsrechtlichen Regelungsbefugnis soeben § 4 II 3. 50 So aber nahezu alle, siehe nur BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 123 (Bodenreform I); MüKo-Kindler, 2015, Rn. 1011 zum IntGesR („Belegenheit bedeutet dabei die tatsächliche Möglichkeit des Enteignerstaates, auf die Forderung zugreifen zu können“); ähnlich Lüderitz, JZ 1961, 443 l.Sp. (nach dem Gebietsgrundsatz könne ein Staat wirksam in Privatrechte eingreifen, soweit sie räumlich seiner Staatsgewalt unterlägen); auch Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 34 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I (der Territorialhoheit unterliegende Grundpfandrechte); Erman-Hohloch, 2014, Rn. 1 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Palandt-Thorn, 2015, Rn. 12 zu Art. 43 EGBGB; besser dagegen Stöcker, WM 1964, 534. 51 Vgl. zur Forderungsenteignung statt aller Duden, FS Raape 1948, 126 (die Formel bemühe sich, „das Anstößige des Bildes der ‚Lage‘ einer Forderung dadurch abzuschwächen, daß es nicht von der Forderung, sondern dem ‚in ihr verkörperten Vermögen‘ spricht, das man sich vielleicht leichter irgendwo gelegen denken kann“); vgl. zur Kritik des Ver-
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
geldwerten Rechte. Ein „Vermögenswert“ ist also ein einzelnes Recht; ebenso ein „Auslandswert“ etc. Es gibt keinen Grund, im internationalen Enteignungsrecht von diesem Sprachgebrauch abzurücken. Man sollte einfach von Rechten sprechen. Besonders problematisch ist die Rede von Vermögen (das eben eine Summe von Rechten bezeichnet) aber gerade deshalb, weil die einzelnen Enteignungsobjekte – seien es dingliche Rechte, Forderungsrechte, Immaterialgüterrechte oder Rechte von und an Gesellschaften – nach ganz unterschiedlichen Regeln behandelt werden. Nur scheinbar gilt für alle Rechte ein einheitlicher Gebietsgrundsatz.52 (2) Unpräzise ist auch der Ausdruck, die Wirkung von Staatshoheitsakten und damit auch von Enteignungen ende an den „Grenzen“ des Erlassstaates, beschränke sich auf sein „Gebiet“, wirke nicht über sein „Hoheitsgebiet“ hinaus etc.53 Es ist nämlich die deutsche Anerkennungsnorm, die die Wirkunmögensbegriffs bei Forderungsenteignungen auch unten § 17 I 3. – Von Vermögen sprechen dagegen BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 90, 123 (Bodenreform I) („Enteignung [...] erfaßt Vermögen, das zum Zeitpunkt der Enteignung der Gebietshoheit des enteignenden Staates unterlag“); ebenso BGH vom 7.6.1955 (I ZR 64/53), in: NJW 1955, 1436 (= BGHZ 18, 1) (Tschechoslowakei); BGH vom 18.2.1957 (II ZR 287/54), in: NJW 1957, 629 (= BGHZ 23, 333) (interlokal); BGH vom 11.7.1957 (VII ZR 226/56), in: BeckRS 1957, 31198548 unter D II (= BGHZ 25, 127) (Niederlande); BGH vom 5.5.1960 (VII ZR 92/58), in: NJW 1960, 1570 (= BGHZ 32, 256) (Niederlande); BGH vom 28.1.1965 (I a ZR 273/63), in: juris Rn. 42 (= WM 1965, 267) (interlokal) („[i]m internationalen Enteignungsrecht sind Vermögenswerte als dort belegen zu betrachten, wo der Staat sie kraft seiner Gebietshoheit mit Beschlag belegen kann“); BGH vom 5.5.1977 (III ZR 2/75), in: BeckRS 1977, 30396428 unter I 2 b (= MDR 1977, 822) (Belgien); BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 (interlokal); BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1092 (interlokal); KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 343 (interlokal, Standuhr). 52 Siehe zum berechtigten Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes oben § 3 und unten § 24 I 4; zur Anwendung des Gebietsgrundsatzes auf fremdstaatliche Forderungsenteignungen unten § 18 I; zur Enteignung von Immaterialgüterrechten unten § 20 III; zu Gesellschaftsenteignungen unten §§ 21 I, 22 II und 23 I 3, 4. 53 So aber BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 123 (Bodenreform I); BGH vom 10.5.1955 (I ZR 120/53), in: NJW 1955, 1151 (= BGHZ 17, 209) (interlokal) (es „hört die Wirkung der Enteignung da auf, wo die Gebietshoheit der enteignenden Macht endet“); BGH vom 18.2.1957 (II ZR 287/54), in: NJW 1957, 629 (= BGHZ 23, 333) (interlokal) m.N. („[e]s ist anerkannten Rechts, daß eine von einem Staat ausgesprochene Enteignungsmaßnahme in ihrer Wirkung nicht über die räumlichen [sic!] Grenzen des enteignenden Staates hinausreicht“); BGH vom 11.7.1957 (II ZR 318/55), in: NJW 1957, 1434 (= BGHZ 25, 134) (Tschechoslowakei, Inlandsforderung sudetendeutscher Genossenschaft) („Grundsatz, daß die Wirkung von Staatshoheitsakten an den Gebietsgrenzen der tätig werdenden Staatsgewalt endet (Territorialitätsprinzip). Enteignungsmaßnahmen eines Staates [...] erfassen daher nur dasjenige Vermögen, das der Gebietshoheit dieses Landes unterliegt und greifen nicht über dessen Grenzen hinaus“); BGH vom 12.11.1959 (VII ZR 165/58), in: NJW 1960, 191 (= BGHZ 31, 168) (interlokal) m.N.; BGH vom 5.5.1977 (III ZR 2/75), in: BeckRS 1977, 30396428 unter I 2 b
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gen an den „Grenzen“ enden lässt. Aus der Sicht des Enteignungsstaates kann sich die Enteignung dagegen wirksam auf Rechte erstrecken, die sich die deutsche Rechtsordnung als außerhalb des Enteignungsstaates befindlich denkt. Diese Grenzformulierungen sollten gemieden werden.54 (3) Der Gebietsgrundsatz ist eine innerstaatliche Anerkennungsregel, deren Voraussetzungen erfüllt sein können oder nicht. Sind sie nicht erfüllt, wird dadurch der Gebietsgrundsatz aber nicht „verletzt“.55 Der Enteignungsstaat kann nur die soeben unter § 4 II 2, 3 dargestellten völkerrechtlichen Vorschriften über die Grenzen seiner Regelungs- und Vollstreckungsbefugnis verletzen, nicht aber eine fremdstaatliche Kollisionsnorm. (4) Mitunter liest man, Enteignungen würden in „anderen Staaten“ anerkannt, wenn das Enteignungsobjekt im maßgeblichen Zeitpunkt auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates belegen war.56 Der Gebietsgrundsatz ist indes eine Kollisionsregel des deutschen Rechts. Er regelt nur, unter welchen Voraussetzungen die privatrechtsgestaltenden Wirkungen fremdstaatlicher Enteignungen in die deutsche Rechtsordnung übernommen werden. Die Regel ist weder völkerrechtlich noch ist ihre Geltung in allen Staaten der Welt bewiesen. Wenn die Grundregel auch überaus verbreitet ist, bestehen doch in (= MDR 1977, 822) (Belgien); BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 (interlokal); Mann, NJW 1961, 705 l.Sp.; Gurski, WM 1963, 1084 (Enteignungen erfassten nur Vermögen, das der Gebietshoheit des Enteignungsstaates unterliege; die Wirkung von Staatshoheitsakten ende an Grenzen; das sei unstreitig); Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 258; v.Breitenstein, RIW/AWD 1982, 153; Teich, WM 1976, 1323 l.Sp. (Wirkung von Hoheitsmaßnahmen ende kraft immanenter Geltung an Landesgrenzen); Matthias, FS v.Simson 1983, 266 (die Anerkennung einer Enteignung folge aus der Anerkennung der souveränen Rechtsetzungsgewalt des Enteignungsstaates; daher ende die Anerkennung, wo die Souveränität ende, also an den Staatsgrenzen); Großfeld/Lohmann, IPRax 1985, 325 l.Sp. (kein Staat dürfe Hoheitsgewalt auf dem Gebiet eines anderen Staates ausüben; werde also eine Gesellschaft enteignet, so wirke die Enteignung nur im Hoheitsgebiet des enteignenden Staates; Gesellschaftsvermögen in anderen Staaten werde grundsätzlich nicht erfasst); Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 821 zum IntGesR; MüKoKreuzer, 1998, Rn. 7 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Ulmer-Behrens, Bd. 1, 2005, Rn. B 144; Kropholler, IPR, 2006, § 55 III 1, S. 583 (da die staatliche Zwangsgewalt an den Staatsgrenzen ende, könnten Enteignungen nur Vermögensgegenstände ergreifen, die im Enteignungsstaat belegen seien); MüKo-Habersack, 2008, Rn. 103 zu Einl. AktG (jeder Staat könne nur auf seinem Hoheitsgebiet enteignen); Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 10 zu Art. 46 EGBGB. 54 Zutreffend Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 72; Berentelg, Act of State, 2010, 260 f. 55 So aber Seidl-Hohenveldern, VR, 1997, Rn. 1510; Kunze, Restitution, 2000, 96; richtiger Stöcker, WM 1964, 533. 56 So Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 196 et p. zu IntSachenR; Gast, DtZ 1996, 103; auch Schricker, GRUR 1977, 437 l.Sp., der allerdings ohnehin von der völkerrechtlichen Natur des Gebietsgrundsatzes ausgeht; klarstellend nunmehr Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 16 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I.
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
der konkreten Ausgestaltung erhebliche Unterschiede.57 Der Gebietsgrundsatz verfügt nicht einmal im deutschen Recht über scharfe Konturen.58 Man sollte sich daher in seinen Ausführungen auf das deutsche Recht beschränken. (5) Ungenau ist schließlich die Rede von einer „Abwehr“ der ausländischen Enteignungsmaßnahme.59 Auch hier scheinen eigentlich längst überwundene Systemvorstellungen durch. Der ausländische Enteignungsakt ist ein rechtlicher Vorgang: Der Enteignungsstaat überträgt für seine Rechtsordnung ein Recht, das er selbst eingeräumt hat. Aus eigener Kraft kann der Enteignungsstaat nicht bestimmen, ob diese veränderte Rechtslage in der deutschen Rechtsordnung nachvollzogen wird. Die Enteignung muss also nicht abgewehrt werden. Es genügt, die Enteignung schlicht nicht zu beachten. Man kann dies als Nichtbeachtungsfunktion bezeichnen. Da die internationalprivatrechtliche Verweisung fremdstaatliche Enteignungen nicht umfasst,60 könnte man auch von einer Sperrfunktion des internationalen Enteignungsrechts sprechen. Setzt man allerdings das Wort Abwehr in Anführungszeichen und weist auf die Verwechslungsgefahr hin, kann man auch weiterhin von der „Abwehrfunktion“ sprechen. So wird auch in dieser Arbeit verfahren. Eine ähnliche Stoßrichtung wie die Rede von einer „Abwehr“ fremdstaatlicher Enteignungen hat der Ausdruck, Deutschland mache durch eine Nichtanerkennung die Enteignung wieder rückgängig.61 Diese Formulierung stellt zu stark auf die Besitzlage, also die körperliche Ebene, ab. Auf rechtlicher Ebene hingegen – die Enteignung ist ein Rechtsvorgang – setzt das Rückgängigmachen bereits die Anerkennung voraus, über die mit Hilfe dieses Bildes erst entschieden werden soll.
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So werden etwa im französischen Recht entschädigungslose Enteignungen nicht anerkannt, vgl. unten § 12 I 1 a.E. Fn. 228; zum deutschen Recht dagegen unten § 14 II. 58 Zum Beweis sei auf die Ausführungen zur Forderungsenteignung verwiesen, näher unten § 17. 59 So aber viele, etwa Paulick, FS Raschhofer 1975, 183, 197 („[e]s geht um den Schutz der heimischen Rechtsordnung gegenüber Eingriffen fremder Staaten“); Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 205 zu IntSachenR; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 45 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; ähnlich auch Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1104 (knüpfe man bei der Anerkennung von Forderungsenteignungen an den Schuldnerwohnsitz an, könne der Enteignungsstaat seine Macht überschreiten und der Belegenheitsstaat müsse dem tatenlos zusehen); siehe auch Folz, Geltungskraft, 1975, 254 f. zur Act-of-State-Doctrine, nach dem sich gerade aus der Vorstellung der Nichtanerkennung als Abwehr und Aufhebung der fremdstaatlichen Enteignung und der Anerkennung als bloßes Geschehenlassen ergibt, dass die fremdstaatliche Enteignung aus eigener Kraft in anderen Rechtsordnungen wirke. 60 Dazu näher unten § 13 II 3. 61 Dieses Bild verwendet neben vielen anderen etwa Vannod, Fragen, 1959, 41.
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3. Vollziehungserfordernis im nationalen Recht
§ 4 Völkergewohnheitsrecht – III 3
Es ist kein Zufall, dass die völkergewohnheitsrechtlichen Vorgaben und die nationale Regelbildung in der Argumentation häufig miteinander vermengt werden. Bei der Enteignung dinglicher Rechte gewinnt der Gebietsgrundsatz sowohl nach der Vollziehungslehre62 als auch nach der auf die Vollziehbarkeit abstellenden Machtlehre63 einen völkerrechtlichen Bezug. Zur Anerkennung einer solchen Enteignung dinglicher Rechte soll es nämlich erforderlich sein, dass der Enteignungsstaat die Sache körperlich in Besitz nimmt bzw. nehmen kann. Wegen des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips darf er dies aber nur, wenn sich die Sache auf seinem Hoheitsgebiet befindet.64 Der Kreis der anzuerkennenden Rechtsübertragungen wird also mit Blick auf die körperliche Vollziehung bzw. Vollziehbarkeit bestimmt. Um die völkerrechtliche und die kollisionsrechtliche Ebene auch begrifflich auseinanderzuhalten, kann man sagen: Primär (also völkerrechtlich) ist die Vollziehungsbefugnis territorial beschränkt, nur sekundär (also über das innerstaatliche Kollisionsrecht) die privatrechtsgestaltende Wirkung.65 An dieser Stelle nur angedeutet sei die später zu entfaltende These, dass die Sachlage bei der Enteignung von Forderungen und anderen nicht dinglichen Rechten eine völlig andere ist. Der Kreis der anzuerkennenden Enteignungen kann nämlich bei der Enteignung von Rechten an unkörperlichen Gegenständen nicht parallel zur völkerrechtlichen Vollstreckungsbefugnis bestimmt werden. Zwar wird vordergründig auch bei Rechten an unkörperlichen Gegenständen durch deren Lokalisierung an das Gebiet des Enteignungsstaates angeknüpft.66 Doch hat ein Forderungsrecht kein „natürliches“ körperliches Bezugsobjekt, so wie das dingliche Recht mit der Sache verbunden ist. Daher müssen bei Forderungen diejenigen Sachen oder Personen erst noch durch das innerstaatliche Kollisionsrecht bestimmt werden, auf deren Lage- oder Aufenthaltsort oder Wohnsitz es zur Lokalisierung ankommen soll. Dadurch aber kann der Belegenheitsort des Rechts eben nicht mehr allein mit Blick auf die völkerrechtlichen Vollstreckungsgrenzen ermittelt werden. Neben der Belegenheit ist auch das selbständige Vollziehungserfordernis von den völkerrechtlichen Vollstreckungsgrenzen abgekoppelt.67 Außerdem ist bei der Forderungsenteignung und bei Gesellschaftsenteignungen durch die schwache Ausgestaltung des Vollziehungserfordernisses 62
Dazu unten § 14 III. Zu dieser eingehend unten § 12 II 1–3. 64 Zur völkergewohnheitsrechtlichen Vollstreckungsbefugnis oben § 4 II 2. 65 Ähnlich Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 122. 66 Zur Lokalisierung unten § 9 I 3. 67 Zur Vollziehung bei der Forderungsenteignung unten §§ 17 II 3, 18 I 3; zur Vollziehung bei Gesellschaftsenteignungen unten §§ 22 II 3, 23 I 3, 4. 63
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
der Gleichlauf zwischen Belegenheit und Vollziehung aufgelöst. Zur Vollziehung soll nämlich nicht auf die zur Lokalisierung maßgeblichen körperlichen Bezugsobjekte eingewirkt werden.68 Auf diese Unstimmigkeiten sei aber vorerst nur hingewiesen. Es wird noch auszuführen sein, dass Enteignungen von Rechten an Sachen und an unkörperlichen Gegenständen nicht nach einheitlichen Regeln behandelt werden sollten und bei näherer Betrachtung auch nicht werden.69 4. Zusammenfassung Das Völkergewohnheitsrecht beschränkt die Vollziehungsbefugnis70 der Staaten grundsätzlich auf das eigene Hoheitsgebiet, die Regelungsbefugnis71 auf Sachverhalte, die einen Mindestbezug zum regelnden Staat aufweisen. Es enthält keine Regeln über die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen. Völkergewohnheitsrechtlich steht es den Staaten also frei, fremdstaatliche Enteignungen anzuerkennen.72 Die Anerkennung zu regeln, obliegt dem innerstaatlichen internationalen Enteignungsrecht. Anerkennung und Nichtanerkennung sind damit nicht Ausdruck eines Müssens oder eines Nichtkönnens, sondern eines Wollens oder Nichtwollens.73 IV. Besatzungsrecht
§ 4 Völkergewohnheitsrecht – IV
Nach der Haager Landkriegsordnung (HLKO), die Völkergewohnheitsrecht kodifiziert, dürfen Besatzungsmächte Privateigentum nicht enteignen.74 Verstößt eine Besatzungsmacht gegen dieses Verbot, ist die Enteignung völkerrechtswidrig. Aus der Sicht des Enteignungsstaates und auch aus der Sicht des besetzten Staates können die Maßnahmen gleichwohl wirksam sein. Der deutschen Rechtsordnung stellt sich daher die Frage, ob sie die privatrechtsgestaltenden Wirkungen der fremdstaatlichen Enteignung übernehmen darf und möchte. Nach verbreiteter Auffassung sollten Enteignungen, die gegen
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Vgl. unten §§ 17 II 3, 22 II 3, 23 I 3, 4. Vgl. zum berechtigten Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes oben § 3 und unten § 24 I 4; zur Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungsenteignungen unten § 18 I; zum Gebietsgrundsatz bei der Enteignung von Immaterialgüterrechten unten § 20 III; zum Gebietsgrundsatz bei Gesellschaftsenteignungen unten §§ 21 I, 22 II, 23. 70 Vgl. oben § 4 II 2. 71 Vgl. oben § 4 II 3. 72 Vgl. oben § 4 I. 73 Wendung nach Frank, RabelsZ 34 (1970) 65; ebenso Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 78; Lederer, Enteignung, 1989, 131; a.A., mit unzutreffendem Hinweis auf die völkerrechtliche Natur des Gebietsgrundsatzes, Seidl-Hohenveldern, JZ 1975, 83 l.Sp. 74 Einzelheiten bei Schweisfurth, VIZ 2000, 508 f.; Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1659; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 165. 69
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die HLKO verstoßen, nicht anerkannt werden.75 Das wird teilweise völkerrechtlich begründet: Weil das Völkerrecht die Rechtsetzung hier erst ermögliche, sei völkerrechtswidriges Besatzungsrecht bereits von Völkerrechts wegen nichtig. Ergänzend heißt es, die Besatzungsmacht handele jedenfalls nicht intraterritorial im Sinne des im deutschen Recht geltenden Gebietsgrundsatzes. Die Frage der Anerkennung besatzungsrechtswidriger Enteignungen betrifft nur einen Randbereich und soll hier nicht weiter entfaltet werden. Es darf allerdings bezweifelt werden, dass die pauschale Nichtanerkennung, auch etwa bei der Enteignung von Rechten an Grundstücken und auch nach Ablauf fast eines halben Jahrhunderts wie im Fall der Konfiskationen (Bodenreform) in der sowjetischen Besatzungszone zwischen 1945 und 1949, in jedem Fall geboten ist. Bei der Enteignung von Rechten an beweglichen Sachen muss auch hier jedenfalls danach unterschieden werden, ob und, wenn ja, durch wen die Sache aus dem besetzten Staat verbracht wurde.76 Bei der Forderungsenteignung hingegen ist es deshalb zweckwidrig, stets nicht anzuerkennen, da sich die „Anerkennung“ hier entweder in der Rechtsverkehranerkennung erschöpft (Schuldnerrechtelösung) oder nur dem Schuldnerschutz dient (Wohnsitzlösung).77 Schließlich scheidet es auch aus, Enteignungen von 75 OLG Schleswig-Holstein vom 26.2.1954 (5 U 69/53), in: IzRspr 1954–1957, Nr. 2 (interlokal, Musikinstrumente); siehe aus der Literatur insbesondere Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 167 (stets Nichtanerkennung bei Verstoß gegen humanitäres Völkerrecht), 168 (auch gegenüber gutgläubigen privaten Rechtsnachfolgern), 169 (Nichtanerkennung folge aus Art. 25 GG), 170 (hilfsweise Nichtanerkennung wegen Gebietsgrundsatzes), 171 (hilfsweise über ordre public), 176; ferner Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 33; Kraus, FS Laun 1953, 237; Heiz, Recht, 1959, 243 f.; Schütz, ordre public, 1984, 18 f., 120 f.; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 209 zu IntSachenR (da das Völkerrecht hier kompetenzbegründend sei, seien vom Besatzungsrecht nicht gedeckte Enteignungen extraterritorial und damit nicht anzuerkennen); ebenso Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 56 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; Schweisfurth, VIZ 2000, 507, 513 m.N. (mit Verweis auf die authentische französische Fassung der HLKO, nach der Eigentum nicht entzogen werden „kann“, während es nach der amtlichen deutschen Übersetzung nicht entzogen werden „darf“; Privateigentum sei insofern konfiskationsuntauglich; das sei einhelliger Standpunkt in der kriegsrechtlichen Spezialliteratur); Hartung, Kunstraub, 2005, Kapitel 6 E IV 1, S. 375; Horn, in: Gilbert u.a. (Hrsg.), Eigentumsrecht, 2008, 96 ff.; Anton, Kulturgüterverkehr, 2010, Rn. 133 zu Teil 4, S. 383 (Kulturgüter). – A.A. BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 90 (Bodenreform I); Heintzeler, Fall, 1972, 94 (Verstoß führe keinesfalls zur Nichtigkeit); Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1659 r.Sp.; Soergelv.Hoffmann, 1996, Rn. 18, 22 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; zweifelnd, aber letztlich offenlassend, BVerfG vom 18.4.1996 (1 BvR 1452, 1459/90 und 2031/94), in: BVerfGE 94, 47 (Bodenreform II); gegen ein Anerkennungsverbot BVerfG vom 26.10.2004 (2 BvR 955/00, 1038/01), in: BVerfGE 112, 33 (Bodenreform III). 76 Näher zur Vollziehungs-Verbringungs-Problematik unten § 16 I. 77 Siehe näher unten § 18 I 3; zu den beiden vorherrschenden Ansichten zur Forderungsenteignung unten § 17.
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Immaterialgüterrechten notwendigerweise nicht anzuerkennen, da die „Anerkennung“ auch bei diesen nur die Rechtsverkehranerkennung betrifft.78 V. Immunität Der Umfang der staatlichen Immunität ist im Einzelnen umstritten.79 Darauf muss allerdings nicht näher eingegangen werden. Sich im internationalen Enteignungsrecht auf die Immunität des Enteignungsstaates zu berufen, ist nämlich in der Regel verfehlt. Es gilt zu unterscheiden: (1) Der Enteignungsstaat selbst kann vor den deutschen Gerichten etwa auf Herausgabe einer Sache oder auf Zahlung klagen, wenn er durch seine Enteignung auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung ein privates Recht erworben haben will.80 Eine solche Klage des Enteignungsstaates ist in Deutschland aber regelmäßig als unbegründet abzuweisen.81 (2) Hat der Enteignungsstaat ein Recht an einer Sache enteignet und auf seinem Hoheitsgebiet von der Sache Besitz ergriffen, steht einer Herausgabeklage des Enteigneten gegen den Enteignungsstaat in Deutschland die Immunität des Enteignungsstaates entgegen.82 Bei einer bereits im Enteignungsstaat realisierten Forderungsenteignung ist eine Klage des Enteigneten oder des Schuldners gegen den Enteignungsstaat etwa auf Herausgabe der Bereicherung ebenfalls ausgeschlossen; eine solche Klage wäre außerdem unbegründet83. (3) Keine Immunität genießen dagegen selbständige ausländische juristische Personen, auch wenn hinter ihnen der Enteignungsstaat steht.84 (4) Für die Immunität in der Zwangsvollstreckung 78
Zur Enteignung von Immaterialgüterrechten unten § 20 III. Siehe etwa Dahm/Delbrück/Wolfrum, VR I/1, 1989, § 71 III, IV 3, S. 454 f. (keine Immunität, wenn die verklagte Person selbständig ist, auch bei einer selbständigen juristischen Person des öffentlichen Rechts); ferner Epping, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2014, Rn. 264 ff. zu § 5; Hailbronner/Kau, in: Vitzthum (Hrsg.), VR, 2013, 3. Abschnitt II 1 c, Rn. 89 ff., auch zu Vereinheitlichungsbestrebungen, welche die restriktive Immunität festschreiben. 80 Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 172 m.N.; Frank, RabelsZ 34 (1970) 63 f.; Korte, Anerkennung, 1992, 37; auch Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 123 Fn. 2 [Schweiz]. 81 Siehe zur Verbringung durch den Enteigneten unten § 16 II; zu Forderungsenteignungen unten § 18 I 1. 82 Seidl-Hohenveldern, Investitionen, 1963, 54; Dahm, FS Kraus 1964, 75; Bogdan, Expropriation, 1975, 20 f.; Huwyler, Personen, 1989, 29 f. m.N. [Schweiz]; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 173; unterscheidend Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 123 Fn. 2, 127 f. [Schweiz] (der Enteignungsstaat könne verklagt werden, wenn die Enteignung völkerrechtswidrig gewesen sei oder das Rechtsgefühl des Zweitstaates grob verletzt habe); zu den vereinzelten Bestrebungen, die Immunität bei Völkerrechtswidrigkeit einzuschränken, auch Hailbronner/Kau, in: Vitzthum (Hrsg.), VR, 2013, 3. Abschnitt II 1 c, Rn. 96 m.N. 83 Vgl. unten § 11 II 3. 84 BGH vom 7.6.1955 (I ZR 64/53), in: NJW 1955, 1435 (= BGHZ 18, 1) (Tschechoslowakei). Das gilt allerdings nicht bei hoheitlicher Tätigkeit, siehe Epping, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2014, Rn. 284 f. zu § 5. 79
§ 5 Menschenrechtsverträge
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schließlich kommt es darauf an, ob die entsprechende Sache, das Konto etc. hoheitlichen Zwecken dient.85 Dies ist jedoch kein spezifisch internationalenteignungsrechtliches Problem. (5) Meist aber wird die Frage, wer infolge einer fremdstaatlichen Enteignung aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Rechtsinhaber ist, als Vorfrage in Verfahren zwischen Parteien bedeutsam, die selbst keine Immunität genießen. Da die deutsche Rechtsordnung fremdstaatliche Enteignungen von Völkerrechts wegen überhaupt nicht anerkennen muss,86 kann sie die Anerkennung auch von gewissen Voraussetzungen wie der Rechtmäßigkeit der Maßnahme nach dem Recht des Enteignungsstaates87 oder nach dem Völkerrecht88 abhängig machen.89 Die Immunität des Enteignungsstaates steht einer solchen inzidenten Überprüfung nicht entgegen.90 Dies gilt auch dann, wenn die verklagte Partei Rechtsnachfolgerin des Enteignungsstaates ist und der Enteignungsstaat aufgrund seiner Immunität nicht hätte verklagt werden können.91
§ 5 Menschenrechtsverträge § 5 Menschenrechtsverträge
Im System völkergewohnheitsrechtlicher Menschenrechte ist das Eigentum kaum geschützt.92 Auch die (nicht bindende) allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen von 1948 verbietet in Art. 17 Abs. 1 lediglich den willkürlichen Entzug von Eigentum.93 Kollisionsrechtliche Bedeutung kommt der Vorschrift nicht zu. Regional vermittelt Art. 1 ZP EMRK Eigentumsschutz.94 Die Entschädigungspflicht ergibt sich für Ausländer aus dem Verweis in Art. 1 Abs. 1 S. 2 85
Hailbronner/Kau, in: Vitzthum (Hrsg.), VR, 2013, 3. Abschnitt II 1 c, Rn. 93 ff. Vgl. oben § 4 I. 87 Vgl. zur Frage, ob die Enteignung mit dem Recht des Enteignungsstaates im Einklang stehen muss, bei der Enteignung dinglicher Rechte unten §§ 14 I, 16 I. 88 Siehe dazu, ob eine Enteignung im deutschen internationalen Enteignungsrecht zur Anerkennung völkerrechtsgemäß sein muss, bei der Enteignung dinglicher Rechte unten §§ 15 I, 16 I, III 2; bei Forderungsenteignungen unten § 18 I 3; bei Immaterialgüterrechtsenteignungen unten § 20 III. 89 Polter, Auslandsenteignungen, 1975, 76; Korte, Anerkennung, 1992, 36. 90 Allgemeine Auffassung, etwa Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 123 Fn. 2 [Schweiz]; Dahm, FS Kraus 1964, 75; Seidl-Hohenveldern, AWD 1974, 421 l.Sp.; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 173. 91 Seidl-Hohenveldern, Investitionen, 1963, 55. 92 BVerfG vom 26.10.2004 (2 BvR 955/00, 1038/01), in: BVerfGE 112, 34 (Bodenreform III); Kämmerer, BitbGespr 2004/I, 145; Dolzer, Eigentum, 1985, 75 ff. 93 Kämmerer, BitbGespr 2004/I, 146. 94 Siehe zu Art. 1 ZP EMRK ausführlich Dolzer, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. VI/1, 2010, § 140. 86
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
ZP EMRK auf die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts, für Staatsangehörige des Enteignungsstaates aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.95 Volle Entschädigung ist nur bei Einzelenteignungen geschuldet.96 Art. 1 ZP EMRK enthält nach ganz überwiegender Auffassung keine Anerkennungsregeln, weder eine Anerkennungspflicht bei konventionsgemäßen Enteignungen noch ein Anerkennungsverbot bei konventionswidrigen Enteignungen.97 Verstieße die deutsche Anerkennungshandlung selbst gegen die EMRK, dürfte eine Anerkennung zwar nicht erfolgen. Die EMRK beurteilt die ursprüngliche Enteignung und deren Anerkennung aber getrennt voneinander. Eine Anerkennung soll nur dann selbständige Eingriffsqualität aufweisen, wenn sich in ihr „neuerliches Unrecht“ manifestiert.98 Solch neuerliches Unrecht mit selbständiger Eingriffsqualität und damit ein Anerkennungsverbot könnte man für die Anerkennung unmittelbar extraterritorialer99 Enteignungen, die nach ihrer Art den Anforderungen von Art. 1 ZP EMRK nicht genügen, annehmen. Es wird argumentiert, Deutschland verleihe einer extraterritorialen Enteignung durch ihre Anerkennung erstmalig Wirksamkeit.100 Ob die Anerkennung einer unmittelbar extraterritorialen Enteignung gegen die EMRK verstieße, muss freilich nicht entschieden werden, da das deutsche Recht ohnehin nur intraterritoriale Enteignungen anerkennt. Sollte die Anerkennung unmittelbar extraterritorialer Enteignungen aber gegen die EMRK verstoßen, wäre die negative Seite des im deutschen internationalen Enteignungsrecht geltenden Gebietsgrundsatzes101 von der EMRK gefordert.102 95
Kämmerer, BitbGespr 2004/I, 146 Fn. 13; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 2 zu § 20. Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 17 zu § 7 m.N. 97 v.Bar, BerGesVR 33 (1994) 208 f. (überzeugend gegen Moser, ÖJZ 1974, 654 l.Sp., der eine Anerkennungspflicht bei intraterritorialen und konventionsgemäßen Enteignungen annimmt); MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 4 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 7 zu Art. 46 EGBGB Anh. – Abweichend Stöcker, StAZ 1981, 19 l.Sp., 22 r.Sp. (die Anwendung einer konventionswidrigen Norm sei ausgeschlossen), 21 r.Sp. (es sei kein Inlandsbezug erforderlich, da keine Gefahr einer einseitigen Durchsetzung spezifisch deutscher Belange bestehe; die Berufung auf den ordre public sei nicht nötig, als Rechtsgrundlage diene Art. 1 EMRK); Herdegen, ZGR 20 (1991) 570 (Art. 1 ZP EMRK begründe eine Schutzpflicht, die es verbiete, entschädigungslose Anteilsrechtsenteignungen auch hinsichtlich des in Deutschland befindlichen Gesellschaftsvermögens anzuerkennen); ebenso Hofmann, Grundrechte, 1994, 149. 98 v.Bar, BerGesVR 33 (1994) 191 m.N.; siehe auch Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 70 zu Art. 6 EGBGB, der zutreffend feststellt, dass auch EGMR vom 12.7.2001 (42527/98), in: NJW 2003, 649, 653 (Liechtensteinischer Bilderstreit) die internationalenteignungsrechtlichen Probleme nicht geklärt hat. 99 Zu den Begriffen der intra- und extraterritorialen Enteignung unten § 9 I 3. 100 So Hofmann, Grundrechte, 1994, 149 m.N. 101 Einführung zum Gebietsgrundsatz unten § 9 I. 102 Dazu, dass die negative Seite des Gebietsgrundsatzes von Art. 14 GG gefordert ist, unten § 15 II 4. 96
§ 6 Unionsrecht
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Die Anerkennung einer intraterritorialen Enteignung dagegen soll regelmäßig keine selbständige Eingriffsqualität aufweisen. Etwa im (allerdings sehr speziell gelagerten) Fall der SBZ-Enteignungen von 1945 bis 1949 nach der Wiedervereinigung hat der EGMR die EMRK zwar schon zeitlich für unanwendbar gehalten; es bestünden aber auch keine berechtigten Erwartungen der Enteigneten.103 Das praktische Ergebnis ist durchaus billigenswert. Das Gericht hat aber bei seiner Argumentation, indem es allein auf die Enteignung und nicht deren Anerkennung abgestellt hat, nicht ausreichend zwischen den verschiedenen staatlichen Rechtsordnungen unterschieden.104 Denn die Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkungen einer Enteignung in die eigene Rechtsordnung vertieft die Wirkung der Enteignung durchaus. Dies ist besonders dann augenscheinlich, wenn sich eine Sache, an der ein Recht enteignet wurde, inzwischen im Anerkennungsstaat befindet und vom Enteignungsstaat oder einem Rechtsnachfolger herausverlangt wird. Die Zurückhaltung des EGMR im internationalen Enteignungsrecht harmoniert aber gut mit den im deutschen Recht geltenden Anerkennungsregeln, insbesondere der Behandlung der parallelen Frage im deutschen Recht, ob die Anerkennung intraterritorialer Enteignungen dinglicher Rechte gegen Art. 14 GG verstößt.105
§ 6 Unionsrecht § 6 Unionsrecht
Ob dem Unionsrecht Regelungen bezüglich der Anerkennung von Enteignungen anderer Mitgliedstaaten zu entnehmen sind, ist unklar. Das Sekundärrecht behandelt die Anerkennungsfrage nicht, das Primärrecht jedenfalls nicht ausdrücklich. Insbesondere die Reichweite des Art. 345 AEUV ist umstritten.106 Die Mitgliedstaaten haben in jedem Fall weiterhin das Recht, zu ent103
Zu allem König, BitbGespr 2004/I, 122 ff.; siehe ferner EGMR vom 22.1.2004 (46720/99 u.a.), in: NJW 2004, 923 (Enteignung vererbten Bodenreformlandes); EGMR vom 30.6.2005 (46720/99), in: NJW 2005, 2907 (Enteignung vererbten Bodenreformlandes); vgl. auch EGMR vom 12.7.2001 (42527/98), in: NJW 2003, 653 (Liechtensteinischer Bilderstreit); kritisch zur Rechtsprechung des EGMR Horn, in: Gilbert u.a. (Hrsg.), Eigentumsrecht, 2008, 104 f. und ders., in: Gilbert u.a. (Hrsg.), Eigentumsrecht, 2009, 55 ff. 104 Kritisch daher auch König, BitbGespr 2004/I, 123 (das Gericht sei zu kritisieren, weil es bei der Beurteilung der „berechtigten Erwartung“ einseitig auf die Lage im Enteignungsstaat abgestellt habe und nicht auf eine mögliche Nichtanerkennung im Anerkennungsstaat); zur Getrenntheit der staatlichen Rechtsordnungen bereits §§ 1, 4 I 1 a.E. 105 Siehe dazu unten § 15 II 5. 106 Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2012, Rn. 1 zu Art. 345 AEUV („Art. 345 AEUV ist bislang eine weitgehend rätselhafte Norm geblieben“); Art. 345 AEUV entspricht 295 EGV, 222 EWGV und lautet: „Die Verträge lassen die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt.“ – Die französischen Verstaatlichungen Anfang der 1980er Jahre (zu ihnen unten § 13 VI) verletzten aufgrund des Art. 222 EWG
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eignen und zu verstaatlichen.107 Nur die zulässigen Modalitäten sind eingeschränkt und der Kontrolle des EuGH unterworfen.108 An entsprechender EuGH-Rechtsprechung fehlt es allerdings noch.109 Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh), die durch Art. 6 Abs. 1 EUV in Bezug genommen wird, enthält in Art. 17 GRCh eine Eigentumsgarantie. Die Vorschrift ist angelehnt an die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen und Art. 1 ZP EMRK.110 Daneben ist das Grundrecht auf Eigentum ein allgemeiner Rechtsgrundsatz nach Art. 6 Abs. 3 EUV.111 Eine kollisionsrechtliche Bedeutung der Eigentumsgarantie wurde für das internationale Enteignungsrecht – soweit ersichtlich – noch nicht behauptet; zumal die Charta nach Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh „für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union“ gilt. Stimmen, die aus dem Wesen der EU eine Anerkennungspflicht für mitgliedstaatliche Enteignungen herzuleiten erwägen, sind vereinzelt geblieben.112 Dem Vorschlag, der besonders die vollständige113 Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen betrifft, kann nicht gefolgt werden.114 Die Ablehnung einer Anerkennungspflicht schließt freilich nicht aus, dass sich das deutsche internationale Enteignungsrecht autonom dazu entschließt, Enteigden EWG-Vertrag nicht, ebenso Coing, WM 1982, 382 Fn. 22; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 263 ff.; Lederer, Enteignung, 1989, 40 f.; a.A. Weis, NJW 1982, 1910 ff. (die Verstaatlichung ganzer Wirtschaftszweige sei mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar). 107 Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU, 2012, Rn. 3 zu Art. 345 AEUV; Kühling, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2012, Rn. 4 zu Art. 345 AEUV; Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/AEUV, 2012, Rn. 23 zu Art. 17 GRCh. 108 König, BitbGespr 2004/I, 133 f. 109 Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/AEUV, 2012, Rn. 12 zu Art. 17 GRCh; Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU, 2012, Rn. 5 zu Art. 17 GRCh. 110 Schwarze, in: ders. (Hrsg.), EU, 2012, Rn. 1 ff. zu Art. 17 GRCh; Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/AEUV, 2012, Rn. 1 f. zu Art. 17 GRCh; König, BitbGespr 2004/I, 133; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 2 zu § 20. 111 Hatje, in: Schwarze (Hrsg.), EU, 2012, Rn. 9 zu Art. 345 AEUV; Streinz, in: ders. (Hrsg.), EUV/AEUV, 2012, Rn. 4 zu Art. 17 GRCh; sehr ausführlich zur Eigentumsfreiheit Frenz, HbEUR, Bd. IV, 2009, Rn. 2771 ff.; auch Calliess, in: Ehlers (Hrsg.), Grundrechte, 2009, § 16.4. 112 Dafür aber Herdegen, ZGR 20 (1991) 555 (EG); ders., IntWirtR, 2014, Rn. 27 f. zu § 20 (mit Verweis auf die berühmte Entscheidung des britischen House of Lords im Fall Rumasa [Williams & Humbert Ltd. v. W. & H. Trade Mark (Jersey) Ltd. (1986) A.C. 368]). 113 Zum Begriff der vollständigen Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen unten § 22 I. 114 Ebenso Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 3; allgemein gegen eine Pflicht zur Sonderanknüpfung von Eingriffsrecht anderer Mitgliedstaaten v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 118 zu § 4, S. 283 (Eingriffsrecht stehe als Interventionsrecht in latentem Konflikt mit den Grundfreiheiten); zurückhaltend auch Bleckmann, JZ 1985, 1074; Schricker, GRUR 1977, 446 r.Sp.
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nungen anderer Mitgliedstaaten eher anzuerkennen als Enteignungen durch Drittstaaten. Dies ist aber nicht angezeigt. Die Verbundenheit in der EU könnte man auch umgekehrt als Argument dafür anführen, eine Enteignung sogar nur unter erhöhten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen anzuerkennen: Man kann vielleicht von so engen politischen Partnern mehr erwarten als von beliebigen Drittstaaten. Eine unionsrechtliche 115 Anerkennungspflicht wird man jedoch zu erwägen haben, wenn ein Staat – wie im Falle der Bank of Cyprus – Gläubiger einer Bank enteignet, um die Verpflichtung aus einem mit Euro-Staaten und dem IWF ausgehandelten Rettungspaket zu erfüllen.116 Die enteigneten Gläubiger sind dann auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung in Höhe des enteigneten Betrages nicht mehr Forderungsinhaber. Hat also der Schuldner (die Bank) beispielsweise Rechte an in Deutschland befindlichen Sachen oder hat er Forderungen gegen Schuldner, gegen die eine Vollstreckung in Deutschland möglich wäre, so können sich die enteigneten Gläubiger nicht aus diesen Rechten befriedigen. Die Enteignung wird anerkannt. Schwierigkeiten bereitet die Annahme einer Anerkennungspflicht freilich dann, wenn die Enteignungen Ausländer betrafen und daher möglicherweise als völkerrechtswidrig zu qualifizieren sind.117 Die Diskussion um die internationalenteignungsrechtlichen Fragen hat – soweit ersichtlich – noch nicht eingesetzt. Ein besonderer Fall einer höchst mittelbaren Enteignungsanerkennung im Bereich der Enteignung von Markenrechten war Gegenstand der HAG-IEntscheidung des EuGH.118 Aufgrund des EWG-Vertrages konnte ein Inhaber eines Warenzeichens in Luxemburg – das Zeichen wurde durch Enteignung erworben – dem Inhaber des gleichen Zeichens in Deutschland – also dem Enteigneten – nicht verbieten, entsprechend gekennzeichnete Waren in den Enteignungsstaat einzuführen.119 Die Ausübung des Warenzeichenrechts sei mit der Warenverkehrsfreiheit nicht vereinbar. Nach dem EuGH muss es sich der Enteignungsstaat damit gefallen lassen, dass der Enteignete Waren, die mit einem Markennamen gekennzeichnet sind, an dem der Enteignungsstaat ein Recht enteignet hat, in den Enteignungsstaat importiert und dort vertreibt. Damit wird i.E. die Enteignungswirkung im Enteignungsstaat eingeschränkt. 115
Möglicherweise kann man sogar dem IWF-BeitrittsG eine Anerkennungspflicht entnehmen, siehe Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Abkommen über den Internationalen Währungsfonds und über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung vom 28.7.1952, BGBl. II S. 637. 116 Siehe zu den Hintergründen den am 18.4.2013 vom Bundestag angenommenen Antrag des Bundesministeriums der Finanzen in BT-Drs. 17/13060 vom 13.4.2013 und den Beschluss des BVerfG zur Ablehnung einer einstweiligen Anordnung gegen die Beschlussfassung des Bundestages, BVerfG vom 17.4.2013 (2 BvQ 17/13), in: BeckRS 2013, 50057. 117 Zum völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrecht oben § 4 I am Anfang. 118 EuGH vom 3.7.1974 (192/73), in: GRUR Int 1974, 338 (HAG I). 119 Dazu Schricker, GRUR 1977, 444 l.Sp.; Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1658.
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1. Kapitel: Völker- und europarechtliche Vorgaben
Der EuGH formulierte aber nun seine Regel so weit, dass ihr Wortlaut auch den umgekehrten Fall erfasst: Der Enteignungsstaat könnte also in andere Mitgliedstaaten mit dem enteigneten Zeichen versehene Waren exportieren, auch wenn diese Mitgliedstaaten die Enteignung für Handlungen auf ihrem Gebiet eigentlich nicht anerkennen.120 Diese weite Formulierung wurde in der Literatur unterschiedlich beurteilt.121 Inzwischen hatte der EuGH in der sogenannten HAG-II-Entscheidung Gelegenheit, von seiner alten Rechtsansicht abzurücken.122 Jedes Warenzeichen gewährleiste im jeweiligen Schutzbereich die Herkunft eines Erzeugnisses. Das enteignete Warenzeichen im Enteignungsstaat und die Warenzeichen in anderen Mitgliedstaaten seien in ihrer Ausschlussfunktion völlig gleichberechtigt und voneinander unabhängig.123 Dieses Ergebnis harmoniert mit der Behandlung von Immaterialgüterrechten im deutschen internationalen Enteignungsrecht. Damit hat der EuGH im Ergebnis entschieden, dass die Warenverkehrsfreiheit die internationalenteignungsrechtlichen Regeln zur Behandlung von Immaterialgüterrechtsenteignungen nicht überlagert. Das Unionsrecht ist für die Anerkennungsfrage des internationalen Enteignungsrechts damit insgesamt wenig ergiebig.
120 Zur Behandlung fremdstaatlicher Enteignungen von Immaterialgüterrechten im deutschen Recht unten § 20. 121 Gegen eine Ausdehnung der HAG-Doktrin auf Exporte aus dem Enteignungsstaat vor allem Schricker, GRUR 1977, 446 r.Sp. m.N. auch zur Gegenmeinung; ebenso die Entscheidungen im umgekehrten Kaffee-HAG-Fall: OLG Hamburg vom 8.10.1987 (3 U 133/86), in: GRUR Int 1988, 256 und BGH vom 24.11.1988 (I ZR 207/87), in: GRUR Int 1989, 409. 122 EuGH vom 17.10.1990 (RS C-10/89), in: NJW 1991, 626 (HAG II). 123 EuGH vom 17.10.1990 (RS C-10/89), in: NJW 1991, 626 f. (HAG II); Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1658 r.Sp.
Kapitel 2
Investitionsrecht Das Investitionsrecht im hier gemeinten Sinne behandelt den rechtlichen Rahmen grenzüberschreitender Investitionen.1 Die Heimatstaaten schützen ihre Investoren vor allem durch den Abschluss bilateraler Investitionsschutzverträge. Daneben kann der Investor Verträge mit dem Gaststaat abschließen oder sich zum Schutz vor Enteignungen und anderen Investitionsrisiken Versicherungen oder Garantien durch Dritte einräumen lassen. Die genannten Einrichtungen sollen in dieser dem Kollisionsrecht verpflichteten Untersuchung nur insoweit berücksichtigt werden, als sie Einfluss auf die Eigentumszuordnung haben können.
§ 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge § 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – I
I. Einführung Bestehen keine völkerrechtlichen Verträge zwischen dem Heimatstaat des Investors und dem Gaststaat, so beschränkt sich der Schutz des Investors vor Enteignungen durch den Gaststaat im Wesentlichen auf das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht.2 Seit den 1950er Jahren jedoch wurde dieser in seiner genauen Ausgestaltung ohnehin umstrittene völkergewohnheitsrechtliche Schutz als nicht mehr ausreichend erachtet. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesrepublik Deutschland zum Schutz deutscher Investoren ab 1959 Verträge über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen (sogenannte bilaterale Investitionsschutzverträge, englisch: bilateral investment treaties, abgekürzt BIT) abgeschlossen.3 Dem ersten, 1959 mit
1
Siehe einleitend Griebel, Investitionsrecht, 2008; Dolzer/Bloch, in: Kronke u.a. (Hrsg.), IntWirtR, 2005, J, S. 1043 ff.; Krajewski, WirtVölkR, 2012, Rn. 528 ff.; Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), IntWirtR, 2009, § 8; Herdegen, IntWirtR, 2014, § 20 ff. 2 Zum völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrecht bereits § 4 I. 3 Zu den BIT im Allgemeinen Alenfeld, Investitionsförderungsverträge, 1971; Banz, Eigentumsschutz, 1988, 39 ff.; Theodorou, Investitionsschutzverträge, 2001, 508 ff.; Dolzer/Bloch, in: Kronke u.a. (Hrsg.), IntWirtR, 2005, Rn. 60 ff. zu J, S. 1066 ff.; Griebel, Investitionsrecht, 2008, Kapitel 4, C, S. 61 ff.; Schöbener/Herbst/Perkams, IntWirtR, 2010, Rn. 4/101 ff., S. 247 ff.; zum Mustervertrag Griebel, IPRax 2010, 414; sämtliche
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2. Kapitel: Investitionsrecht
Pakistan abgeschlossenen, BIT folgten viele weitere. Sie beruhen inhaltlich auf einem vom Bundeswirtschaftsministerium ausgearbeiteten Mustervertrag (MV). Die BIT schließen das Recht des Gaststaates, Investoren zu enteignen, nicht aus, stellen aber gewisse Enteignungsvoraussetzungen auf.4 Diese Voraussetzungen entsprechen überwiegend dem völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrecht.5 So muss eine Enteignung insbesondere dem allgemeinen Wohl dienen (Art. 4 Abs. 2 S. 1 MV) und gegen eine besonders qualifizierte Entschädigung vorgenommen werden (Art. 4 Abs. 2 MV).6 Sind an die Enteignung von Staatsangehörigen des Enteignungsstaates oder eines Drittstaates besondere Anforderungen gestellt, so müssen diese ferner auch für den vom Vertrag Begünstigten erfüllt sein; Art. 3 MV und Art. 4 Abs. 4 MV sehen nämlich Inländerbehandlung und Meistbegünstigung vor. Außerdem darf der Enteignungsstaat aufgrund der Abschirmklausel des Art. 7 Abs. 2 MV nicht gegen Verpflichtungen verstoßen, die er gegenüber dem Investor übernommen hat. Im Streitfall kann der Investor gemäß Art. 4 Abs. 2 S. 5 MV unter anderem die Rechtmäßigkeit der Enteignung in einem ordentlichen Rechtsverfahren nachprüfen lassen. Wenn eine gütliche Beilegung der Streitigkeit nicht gelingt, kann der Investor zudem gemäß Art. 10 Abs. 2 S. 1 MV ein Schiedsgericht anrufen. Sind die Anforderungen eines BIT erfüllt, ist die Enteignung vertragsgemäß. Doch welche Auswirkungen hat es auf die Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkung aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung, wenn sich der Enteignungsstaat an die Enteignungsvoraussetzungen hält oder sie missachtet? Die Verknüpfung der internationalenteignungsrechtlichen Anerkennungsfrage mit den BIT wurde in der Literatur nur sehr vereinzelt behandelt.7 Zwar gibt es eine stattliche Menge an Schriften zum Investitionsschutzrecht und deutsche BIT im Volltext verfügbar unter [zuletzt abgerufen im Mai 2015]. 4 Einzelheiten bei Alenfeld, Investitionsförderungsverträge, 1971, 120 ff.; Banz, Eigentumsschutz, 1988, 73 ff.; Dolzer/Bloch, in: Kronke u.a. (Hrsg.), IntWirtR, 2005, Rn. 91 ff. zu J, S. 1080 ff.; Griebel, Investitionsrecht, 2008, Kapitel 4, C II 2, S. 67 ff. 5 Alenfeld, Investitionsförderungsverträge, 1971, 25. 6 Art und Umfang der Entschädigung entsprechen der im völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrecht umstrittenen (siehe oben § 4 I) sogenannten Hull-Doktrin, Dolzer, Eigentum, 1985, 285; ders./Bloch, in: Kronke u.a. (Hrsg.), IntWirtR, 2005, Rn. 91 zu J, S. 1080; Banz, Eigentumsschutz, 1988, 85 ff. 7 Namentlich MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm unten § 13 V) will unter anderem aus den Bestimmungen der BIT ein neues System des deutschen internationalen Enteignungsrechts herauslesen. Dieser Ansatz, der das nationale Kollisionsrecht betrifft, unterscheidet sich von der hier behandelten Frage nach Anerkennungspflichten unmittelbar aus den BIT durch die abweichende Rechtsgrundlage der Anerkennung.
§ 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – I
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auch zu den Investitionsschutzverträgen der Bundesrepublik Deutschland. Die Wechselwirkungen zwischen den BIT und dem deutschen internationalen Enteignungsrecht werden aber regelmäßig ausgespart. Auch gibt es – soweit ersichtlich – keine Entscheidungen nationaler Gerichte zu dem Thema.8 Solchen Entscheidungen stehen dabei weder Entscheidungen von Gerichten des Enteignungsstaates über die Rechtmäßigkeit der Enteignung nach Art. 4 Abs. 2 S. 5 MV noch die Schiedsklauseln der BIT, vgl. §§ 1026, 1025 Abs. 2, 1032 Abs. 1 ZPO, entgegen. Denn es sind jeweils unterschiedliche Streitgegenstände betroffen. Zerstört beispielsweise ein Dritter in Deutschland eine nach Deutschland verbrachte Sache, an der zuvor Rechte enteignet wurden, so könnte dieser Rechtsstreit um Schadensersatz gegen den schädigenden Dritten insbesondere vor den Schiedsgerichten gar nicht geführt werden. In Betracht kommen allein die nationalen Gerichte, in diesem Fall die nationalen Gerichte Deutschlands. Diese müssen bei ihrer Entscheidung die Anerkennungsfrage inzident beantworten. Es stellt sich nun also die Frage, inwiefern die Regelungen der BIT die allgemeinen Regeln des deutschen internationalen Enteignungsrechts überlagern, genauer, ob sie Deutschland als Heimatstaat unter bestimmten Voraussetzungen dazu verpflichten, die privatrechtsgestaltende Wirkung einer fremdstaatlichen Enteignung in die deutsche Rechtsordnung zu übernehmen oder nicht zu übernehmen. Hat sich Deutschland völkervertraglich zur Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen verpflichtet, kann daraus grundsätzlich eine entsprechende innerstaatliche Verpflichtung folgen.9 Dass andere völkerrechtliche Verträge10 ausdrücklich eine Anerkennungspflicht vorsehen, lässt zwar an einen Umkehrschluss denken. Doch ist dies schon strukturell ein schwaches Argument gegen eine Anerkennungspflicht aus den BIT. Verträge regeln nicht alles ausdrücklich, was sie regeln sollen. Es ist vielmehr durch vertragsautonome Auslegung zu ermitteln, ob ein BIT eine entsprechende Pflicht enthält. Die Vertragsbestimmungen der einzelnen BIT gelten dabei innerstaatlich über ein Vertragsgesetz (vgl. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG). Enthalten die Investitions8
Ebenso Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 12. BGH vom 11.7.1957 (VII ZR 226/56), in: BeckRS 1957, 31198548 unter D II (= BGHZ 25, 127) (Niederlande); BGH vom 17.12.1959 (VII ZR 198/58), in: NJW 1960, 1103 (= BGHZ 31, 367) (interlokal); BGH vom 5.5.1960 (VII ZR 92/58), in: NJW 1960, 1571 (= BGHZ 32, 256) (Niederlande); Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 283; Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 14; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 20; Wengler, VR II, 1964, 1133 Fn. 3; Coing, WM 1982, 383 l.Sp.; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-134; Korte, Anerkennung, 1992, 41; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 215 zu IntSachenR; Menzel/Pierlings/Hoffmann, Völkerrechtsprechung, 2005, Fall 124, S. 692; MüKo-Habersack, 2008, Rn. 103 zu Einl. AktG; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 6 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 23 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 10 Diese sind älteren Datums und regeln meist Kriegsenteignungen, Nachweise bei MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 6 Fn. 12 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 9
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2. Kapitel: Investitionsrecht
schutzverträge Anerkennungsregeln, gehen diese somit nicht aufgrund des Art. 25 S. 2 GG den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Enteignungsrechts vor, sondern weil sie leges speciales sind. An dieser Stelle sei auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen, dass jede Regelung nur so weit gilt, wie ihr Anwendungsbereich reicht. Dieser kann hier nicht im Einzelnen dargestellt werden.11 Hervorzuheben ist besonders der enge persönliche Anwendungsbereich der BIT: Nach Art. 1 Nr. 3 lit. a MV kann Investor nur eine natürliche Person sein, die Deutsche oder in Deutschland niedergelassene Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der EU oder des EWR ist, oder eine Gesellschaft, die eine im jeweiligen Vertrag näher bezeichnete Beziehung zu Deutschland aufweist. Die BIT erfordern außerdem eine zugelassene Kapitalanlage.12 Keineswegs sind damit alle Fälle des internationalen Enteignungsrechts zugleich Anwendungsfälle der BIT. Wenn also die BIT innerhalb ihres Anwendungsbereichs die Eigentumsfrage verbindlich klären sollten, fänden die Regelungen des deutschen internationalen Enteignungsrechts außerhalb des Anwendungsbereichs der BIT weiterhin Anwendung. Der beschränkte Anwendungsbereich der BIT nimmt der Frage, ob die BIT abschließende Regelungen über die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen enthalten, ihre Sprengkraft. Das internationale Enteignungsrecht wird nicht verzichtbar. II. Entscheidung über BIT-Gemäßheit
§ 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – II
Bei der Beantwortung der Frage nach Anerkennungspflichten und -verboten aus den BIT muss danach unterschieden werden, ob und wie ein Schiedsgericht bereits über die BIT-Gemäßheit einer Enteignung entschieden hat: Hat nun ein Schiedsgericht bereits entschieden und die Enteignung für mit einem BIT vereinbar oder unvereinbar erklärt, muss sich das nationale Gericht des Anerkennungsstaates grundsätzlich eine eigene Rechtmäßigkeitsprüfung versagen.13 Eine Ausnahme ist allenfalls für den seltenen Fall denkbar, dass der Schiedsspruch offensichtlich unzutreffend ist, etwa weil das Schiedsgericht von völlig sachfremden Erwägungen bestimmt war. Ob jedoch eine solche Ausnahme zu machen ist oder ob der Enteignete vorrangig gegen 11
Sachlich: Definition der Kapitalanlage in Art. 1 Nr. 1 MV als Vermögenswert jeder Art; zum Begriff der Kapitalanlage ausführlich Alenfeld, Investitionsförderungsverträge, 1971, 28 ff. Persönlich: Investor nach Art. 1 Nr. 3 MV. Örtlich: nach Art. 1 Nr. 1 MV im Hoheitsgebiet des anderen Vertragsstaates. Umfassend zum Anwendungsbereich Alenfeld, Investitionsförderungsverträge, 1971, 41 ff.; Griebel, Investitionsrecht, 2008, Kapitel 4, C II 1, S. 62 ff.; Krajewski, WirtVölkR, 2012, Rn. 588 ff.; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 10 ff. zu § 23; Banz, Eigentumsschutz, 1988, 39 ff.; Dolzer/Bloch, in: Kronke u.a. (Hrsg.), IntWirtR, 2005, Rn. 65 ff. zu J, S. 1067 ff. 12 Vgl. Art. 2 Abs. 1 MV; zur Zulassung Alenfeld, Investitionsförderungsverträge, 1971, 35 ff. 13 Zu den Folgen für das internationale Enteignungsrecht unten § 7 III, IV, V.
§ 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – II
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den Schiedsspruch vorgehen sollte,14 kann hier nicht entschieden werden. Es fehlt das praktische Anschauungsmaterial. Doch wie verhält es sich, wenn ein Schiedsgericht noch nicht angerufen wurde oder ein angerufenes Schiedsgericht noch nicht entschieden hat? Es stellt sich dann nämlich die Frage, ob die nationalen Gerichte im Rahmen der Anerkennungsentscheidung inzident über die BIT-Gemäßheit fremdstaatlicher Enteignungen entscheiden dürfen. Dagegen, dass die nationalen Gerichte die Enteignung einfach als BITgemäß behandeln und sie anerkennen, sprechen zunächst die Interessen des Investors. Er trüge das Risiko, das nun einmal mit jedem Prozess verbunden ist. Er möchte auch unter Umständen nicht nur den Geldwert, sondern gerade etwa die Sache behalten. Ihn stets auf das schiedsgerichtliche Verfahren zu verweisen, bedeutet für ihn zudem einen enormen Aufwand. Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der BIT sind dem Investor unter Umständen lästig. So kann der Investor nach Art. 10 Abs. 2 MV die Streitigkeit dem ICSID erst nach Ablauf von sechs Monaten unterbreiten.15 Im Interesse der Verfahrensökonomie könnte man geneigt sein, den nationalen Gerichten eine selbständige Stellungnahme zu gestatten – zumal die Möglichkeit, sich an ein Schiedsgericht zu wenden, ohnehin nur dem Schutz des Investors dient. Flüchtet etwa der Investor mit einer Sache, an der ein Recht enteignet wurde, außer Landes, anstatt sich an ein Schiedsgericht zu wenden, kann man es unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten als geboten betrachten, die Enteignung nicht anzuerkennen und die Herausgabeklage des Enteignungsbegünstigten abzuweisen.16 Doch kann die befriedende Funktion der BIT nur erreicht werden, wenn die nationalen Gericht keine eigenen Überlegungen zur BIT-Gemäßheit fremdstaatlicher Enteignungen anstellen, sondern die Streitbeilegung beim Schiedsgericht gebündelt wird. Es wird auch oft nicht eindeutig sein, ob eine Enteignung den Voraussetzungen eines BIT entspricht. Es besteht die Gefahr, dass sich nationale Gerichte in Widerspruch zu einer späteren Schiedsgerichtsentscheidung setzen. Wenn auch im Schiedsverfahren und im nationalen Verfahren, das die Anerkennung zum Gegenstand hat, wie bereits festgestellt, unterschiedliche Streitgegenstände betroffen sind, so kann man doch dem Rechtsgedanken der §§ 1026, 1025 Abs. 2, 1032 Abs. 1 ZPO entnehmen, dass gerade unterschiedliche Entscheidungen zu einer Frage verhindert werden sollen. Möchte man aber das nationale Verfahren nicht aussetzen, verbliebe 14
Vgl. dazu etwa das Aufhebungsverfahren nach Art. 52 der ICSID-Konvention. Dazu Krajewski, WirtVölkR, 2012, Rn. 662. Freilich nehmen die meisten Schiedsgerichte auch Klagen an, die vor Ablauf der Frist erhoben werden, Nachweise bei Griebel, Investitionsrecht, 2008, Kapitel 4, C II 3, S. 94 f., der diese Praxis ablehnt. 16 Zur Regel im deutschen internationalen Enteignungsrecht, dass Enteignungen dinglicher Rechte in der Regel nicht anerkannt werden, wenn gerade der Enteignete die Sache verbringt, unten § 16 II. 15
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2. Kapitel: Investitionsrecht
nur der Verzicht auf die Überprüfung der Enteignung auf ihre BIT-Gemäßheit und damit die Anerkennung der Enteignung. So müssen sich die Gerichte, wenn ein Schiedsgericht noch nicht angerufen wurde oder ein angerufenes Schiedsgericht noch nicht entschieden hat, grundsätzlich, insbesondere in schwierigen Grenzfällen, eine eigene Prüfung der BIT-Gemäßheit versagen, die Enteignung als BIT-gemäß behandeln und also anerkennen.17 Auf offensichtliche BIT-Widrigkeit hingegen sollten – aus den genannten Gründen – die nationalen Gerichte die Enteignung dagegen prüfen. Hält das nationale Gericht die Enteignung aber für offensichtlich BITwidrig, verpflichten es die BIT weder zur Anerkennung noch zur Nichtanerkennung.18 Vielmehr gilt die nationale Regel des Gebietsgrundsatzes, die in der Regel ebenfalls zu einer Anerkennung gelangt. III. Pflicht zur Anerkennung BIT-gemäßer Enteignungen
§ 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – III
Ist nun nach den soeben unter § 7 II entwickelten Grundsätzen eine Enteignung als BIT-gemäß zu behandeln, stellt sich die Frage, ob sich Deutschland durch den Abschluss des BIT zur Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkungen der fremdstaatlichen Enteignung verpflichtet hat.19 Gegen eine solche Verpflichtung spricht auf den ersten Blick ein Vergleich mit dem Völkergewohnheitsrecht, welches ähnliche Enteignungsvoraussetzungen aufstellt, aber keine Anerkennungspflicht vorsieht.20 Aus der Lage im Völkergewohnheitsrecht könnte man folgern, dass auch vertraglich, also in den BIT, keine Anerkennungspflicht vereinbart ist. Doch ist der Schluss nicht zwingend. Denn während das Völkergewohnheitsrecht nur dem Heimatstaat des Investors einen Entschädigungsanspruch zugesteht, dessen Geltendmachung in das Ermessen des Heimatstaates gestellt ist, steht nach Art. 4 Abs. 2 MV dem Investor selbst ein Entschädigungsanspruch zu. Diesen kann der enteignete Investor gemäß Art. 10 Abs. 2 MV auch selbst durchsetzen, indem er sich an
17
Zur Pflicht, BIT-gemäße Enteignungen anzuerkennen, sogleich § 7 III. Näher unten § 7 IV, V. 19 Für eine Anerkennungspflicht aus den BIT bei BIT-gemäßen Enteignungen sind Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 85; Coing, WM 1982, 383; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 194, 242, 247; Korte, Anerkennung, 1992, 44; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 6 zu Art. 38 EGBGB Anh. III („im Vertragstext (als selbstverständlich) nicht ausdrücklich gesagt“); v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 145 zu § 4, S. 303; ErmanHohloch, 2014, Rn. 1 zu Art. 46 EGBGB Anh. (für Freundschaftsverträge, dann wohl erst recht für Investitionsschutzverträge); Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 83 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I („im Regelfall“). 20 Nachweise dazu, dass das Völkergewohnheitsrecht die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen freistellt, oben § 4 I Fn. 16. 18
§ 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – III
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ein Schiedsgericht wendet und den Enteignungsstaat verklagt.21 Er ist dabei nicht von einer günstigen Ermessensentscheidung seines Heimatstaates abhängig.22 Die BIT sehen zur Streitbeilegung regelmäßig ein ICSID-Verfahren vor.23 Dieses gewährt ein hohes Schutzniveau.24 Schiedssprüche des ICSID sind nämlich wie rechtskräftige Urteile inländischer staatlicher Gerichte zu behandeln, Art. 10 Abs. 3 S. 2 MV. Eine spezielle Anerkennungs- oder Vollstreckbarkeitserklärung ist nicht notwendig.25 Dieser prozessuale Behelf ist der Hauptunterschied zwischen dem Schutz, den die BIT gewähren, und dem, den das Völkergewohnheitsrecht gewährt.26 Da also die BIT die Interessen der Investoren besser schützen als das Völkergewohnheitsrecht, kann dem Vergleich zum Völkergewohnheitsrecht kein zwingendes Argument gegen eine Anerkennungspflicht aus den BIT entnommen werden. Werden aber völkervertraglich bestimmte Enteignungsvoraussetzungen aufgestellt, so erscheint es treuwidrig, wenn einer der Vertragsschließenden trotz Vorliegens der geforderten Voraussetzungen die Wirkung der Enteignung im Inland nicht anerkennt. Er setzte sich in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten. Es liegt nahe, anzunehmen, dass der Vertragspartner (Deutschland) grundsätzlich bereit ist, sich mit dem Verlust, den sein Investor erleidet, abzufinden. Eine Entschädigung möchte einen Nachteil ausgleichen. Sie setzt also voraus, dass ein solcher eingetreten ist. Wird aber eine Enteignung nicht anerkannt, wenn etwa eine Sache ins Inland gelangt, so gibt es auch keinen auszugleichenden Nachteil. Zwar kann die Entschädigung auch einen faktischen Verlust ausgleichen, der so lange andauert, wie sich beispielsweise die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, im Enteignungsstaat befindet. Doch wäre es widersprüchlich, wenn Deutschland zugunsten seiner Investoren bei Enteignungen durch den Vertragspartner eine Entschädigung vereinbarte, gleichzeitig aber den Enteignungsstaat seines Vorteiles beraubte, indem die Umverteilung im Inland nicht anerkannt wird. Gelangt die Sache ins Inland, wäre der Investor entweder doppelt begünstigt oder man müsste eine Rückforderungspflicht annehmen, wenn eine Entschädigung schon geleistet wurde, oder die Verpflichtung entfallen lassen, wenn eine Entschädigung noch nicht geleistet wurde. Die Enteignung nur bis zu einer Verbringung anzuerkennen, belastete den Enteignungsstaat daher über Gebühr und 21 Zu den Streitbeilegungsregeln in Investitionsschutzabkommen Griebel, Investitionsrecht, 2008, Kapitel 4, C II 3, S. 92 ff., Kapitel 6, S. 114 ff.; zum Schiedsverfahren ferner Banz, Eigentumsschutz, 1988, 100 ff. und Alenfeld, Investitionsförderungsverträge, 1971, 170 ff. 22 Krajewski, WirtVölkR, 2012, Rn. 651; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 3 zu § 23. 23 Siehe zur ICSID-Konvention Griebel, Investitionsrecht, 2008, Kapitel 6, A, S. 116 ff.; Schreuer u.a., ICSID, 2009; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 28 ff. zu § 23. 24 Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 31 zu § 23. 25 Kämmerer, BitbGespr 2004/I, 166. 26 Krajewski, WirtVölkR, 2012, Rn. 646 ff.
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2. Kapitel: Investitionsrecht
führte zu Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Eigentumslage. Es liegt daher näher, anzunehmen, dass sich die Vertragsparteien mit dem Aufstellen der Enteignungsvoraussetzungen auch zur innerstaatlichen Anerkennung der BIT-gemäßen Güterumverteilung verpflichtet haben. Es fragt sich aber, ob das Ergebnis insoweit zu korrigieren ist, als die Enteignung mittelbar extraterritorial27 wirkt. Dabei geht es namentlich um die Enteignung von Anteilsrechten an Unternehmen, die nach dem Recht des Enteignungsstaates bestehen und Rechte innehaben, deren einzelne Enteignung nicht anerkannt würde. Zwar ist der Anwendungsbereich der BIT territorial begrenzt. Doch gehören nach Art. 1 Nr. 1 lit. b MV zu den Kapitalanlagen auch Anteilsrechte. Die BIT unterscheiden nicht danach, „wo“ die Gesellschaft, deren Anteilsrechte enteignet wurden, Rechte hat. In vertragsgemäßer Weise kann der Enteignungsstaat daher Anteilsrechte an Gesellschaften mit „Auslandsrechten“ enteignen.28 Damit sind solche Enteignungen anzuerkennen. Dies überzeugt auch wertungsmäßig. Der entschädigte Investor wäre sonst nämlich übermäßig bereichert. Das Ergebnis, dass BIT-gemäße Enteignungen anzuerkennen sind, bleibt also auch bei der Enteignung von Anteilsrechten unverändert.29 Einschränkend ist nur zu fordern, dass die Gesellschaft ihren geschäftlichen Mittelpunkt im Enteignungsstaat hat oder die Auslandsaktivitäten zumindest nicht den Schwerpunkt der Gesellschaftstätigkeit ausmachen. Sehen die BIT eine Anerkennungspflicht vor, werden die nationalen Anerkennungsgrundsätze verdrängt. Besondere Anerkennungsvoraussetzungen aufzustellen, ist dann unzulässig. Dies gilt besonders für das im deutschen internationalen Enteignungsrecht oftmals geforderte selbständige Vollziehungserfordernis.30 Wie noch auszuführen sein wird, hängt dieses Vollziehungserfordernis eng mit der Verbringungsproblematik zusammen. BITgemäße Enteignungen sind aber auch dann anzuerkennen, wenn die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, – womöglich noch nach vorangegangener
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Zum Begriff der mittelbar extraterritorialen Enteignung unten § 9 I 3. Ebenso Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 195 f., die aber bei der Enteignung von Anteilsrechten i.E. eine Anerkennungspflicht aus den BIT ablehnt. 29 Für eine Anerkennungspflicht aus den BIT bei mittelbar extraterritorialen Enteignungen sind Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 71 („zwingend“), 85, 94; dazu auch SeidlHohenveldern, BerGesVR 13 (1974) 100 ff. [Diskussionsbeitrag] (die Auslegung Koppensteiners sei zwar überzeugend, doch sei die „Probe aufs Exempel noch nicht gemacht, bisher [...] graue Theorie“); Wohlgemuth, JuS 1981, 524 l.Sp.; Lederer, Enteignung, 1989, 109 f.; wohl auch MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 13 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. – A.A. Einsele, RabelsZ 51 (1987) 612; Herdegen, ZGR 20 (1991) 561 f.; ihm zustimmend Hofmann, Grundrechte, 1994, 149; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 145, 149 Fn. 787 zu § 4, S. 303, 305; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 83 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 30 Vgl. zu diesem bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14 III. 28
§ 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – IV
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gewaltsamer Wiederbemächtigung – aus dem Enteignungsstaat verbracht wird.31 Eine spezielle nationale Anerkennungshürde ist auch der Ordre-publicVorbehalt. Es stellt sich also die Frage, ob die Anerkennungspflicht aus den BIT endgültig ist oder dem Vorbehalt des nationalen ordre public unterliegt. Als allgemeine Regelung muss man den nationalen ordre public (außer vielleicht in den krassesten Ausnahmefällen) als verdrängt ansehen.32 Es ist jedoch ohnehin schwer, sich einen Fall vorzustellen, in dem eine Enteignung BIT-gemäß ist, aber gegen den nationalen ordre public verstößt. Eine vertragsgemäße Enteignung ist schließlich nicht entschädigungslos, nicht diskriminierend, nicht ohne Rechtsschutz erfolgt etc. In der Praxis jedenfalls dürfte der nationale ordre public der Anerkennung einer BIT-gemäßen Enteignung nicht entgegenstehen. IV. Keine Pflicht zur Anerkennung BIT-widriger Enteignungen § 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – IV
Man kann ferner fragen, ob die BIT auch dann eine Anerkennungspflicht vorsehen, wenn die fremdstaatliche Enteignung nach den oben unter § 7 II entwickelten Grundsätzen als BIT-widrig zu behandeln ist. Eine Anerkennungspflicht auch hinsichtlich (im Sinne des Gebietsgrundsatzes) intraterritorialer33 entschädigungsloser Enteignungen aus den BIT abzuleiten, gerät jedenfalls nicht in Konflikt mit dem Grundgesetz. Der innerstaatlich geltende Gebietsgrundsatz,34 der eben dieses Ergebnis erzielt, ist nämlich nach dem BVerfG ebenfalls verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.35 Doch wieso sollte Deutschland sich vertraglich dazu verpflichten, fremdstaatliche Enteignungen anzuerkennen, welche der Enteignungsstaat durch einen Vertragsbruch vorgenommen hat? Auf den ersten Blick scheint die Frage abwegig. Allerdings lässt sich ein starkes Argument für eine Anerkennungspflicht auch in diesem Fall ausfindig machen: Nach Art. 10 MV hat der Investor einen effektiven Rechtsbehelf, der seine befriedende Funktion möglicherweise nicht erfüllen kann, wenn das Schiedsverfahren nicht als abschließend begriffen wird, sondern Deutschland 31
Vgl. zur Vollziehungs-Verbringungs-Problematik im nationalen Recht unten § 16. Vgl. allgemein Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 50 zu Art. 6 EGBGB (bei Staatsverträgen ohne Ordre-public-Klausel sei der nationale ordre public grundsätzlich nicht anzuwenden, es sei denn, es handele sich um offene Abkommen). Ob dies allerdings auch für solche Vertragsbestimmungen gilt, die wie die Anerkennungspflichten aus den BIT nicht ausdrücklich festgeschrieben sind, sondern sich erst durch Auslegung ergeben, ist zweifelhaft. 33 Zum Begriff der intraterritorialen Enteignung unten § 9 I 3. 34 Zu diesem einführend unten § 9 I. 35 BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 90 (Bodenreform I); näher unten § 15 II 5. 32
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2. Kapitel: Investitionsrecht
zugunsten seiner Investoren durch Nichtanerkennung „Selbsthilfe“ übt. Hat ein Schiedsgericht entschieden, dass eine Enteignung gegen einen BIT verstoßen hat, so setzt es zugleich die Entschädigung fest, sofern eine solche noch nicht gezahlt wurde. Wertmäßig hat der Investor keinen Nachteil. Anerkennt man die Enteignung und überlässt den wertmäßigen Ausgleich dem Schiedsgericht, wird der Konflikt in geordnete Bahnen gelenkt. Die Anwendung des deutschen internationalen Enteignungsrechts hingegen würde Gewalt begünstigen, da der Enteignete sich Vorteile verschaffen könnte, wenn er sich der Sache nach Besitzergreifung durch den Enteignungsstaat gewaltsam wieder bemächtigte und sie ins Ausland verbrächte.36 Fasst man also das Sanktionssystem der BIT als abschließend auf, schafft dies Rechtssicherheit. Dieses Argument wiegt noch schwerer, wenn schon einige Zeit verstrichen ist und die Sache schon durch verschiedene Hände gelaufen ist.37 Allerdings führt der starke Rechtsbehelf noch nicht zu einer Anerkennungspflicht. Der Enteignungsstaat oder sein Rechtsnachfolger werden sich nämlich vor nationalen Gerichten schwerlich auf den abschließenden Charakter eines BIT berufen können. Sie verhielten sich treuwidrig, da der Enteignungsstaat die Position zurückzugeben verpflichtet ist.38 Außerdem ist nicht einsichtig, wieso sich Deutschland dazu verpflichten sollte, Unrecht zur Anerkennung zu verhelfen. Allein der starke Rechtsbehelf kann daher eine Pflicht, auch BIT-widrige Enteignungen anzuerkennen, nicht begründen. Eine Anerkennungspflicht kann man insbesondere nicht aus einem Vorrang des Vertragsrechts herleiten. Deutschland ist zwar an einen BIT gebunden, bis es ihn kündigt. Dieses Argument greift aber zu kurz, da bei der Frage nach Anerkennungspflichten oder Anerkennungsverboten aus den BIT gerade der Umfang der Bindung in Rede steht. Das Kündigungsargument hilft hier nicht weiter. Auch ist es zu scharf. Es ist besser, auf gelegentliche Vertragsbrüche des Gaststaates unter Umständen mit Nichtanerkennung zu reagieren, als gleich den Vertrag zu kündigen. Eine Kündigung nämlich kann erheblichen politischen Schaden anrichten. V. Kein Verbot der Anerkennung BIT-widriger Enteignungen § 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – V
Ist also die fremdstaatliche Enteignung nach den oben unter § 7 II entwickelten Grundsätzen als BIT-widrig zu behandeln, so ist Deutschland nicht zur
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Vgl. dazu unten § 16 II 1, 2. Zum gutgläubigen Erwerb im deutschen internationalen Enteignungsrecht unten § 11 III 2. 38 Zur Naturalrestitution bei der Verletzung eines Investitionsschutzvertrages Banz, Eigentumsschutz, 1988, 94; Theodorou, Investitionsschutzverträge, 2001, 511. 37
§ 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – V
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Anerkennung der Enteignung verpflichtet.39 Es fragt sich aber, ob die Enteignung in diesem Fall notwendigerweise nicht anzuerkennen ist.40 Eine Betrachtung des Völkergewohnheitsrechts führt auch hier nicht weiter: Es stellt die Anerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen frei und hat nur innerstaatlich Bedeutung im Rahmen der Prüfung des ordre public in einem weiteren Sinne.41 Eine Pflicht zur Nichtanerkennung aus den BIT liegt nicht im Interesse des Gaststaates. Dieser möchte die beabsichtigte Umverteilung in der deutschen Rechtsordnung lieber wirksam wissen als unwirksam. Es ist nicht anzunehmen, dass sich Deutschland gegenüber seinem Vertragspartner zu etwas verpflichtet, das nicht in dessen Interesse liegt. Damit obliegt die Anerkennungsentscheidung dem nationalen Recht. Eine Nichtanerkennung durch das deutsche internationale Enteignungsrecht kann in einem anschließenden schiedsgerichtlichen Verfahren bei der Entschädigungshöhe berücksichtigt werden. Hat also ein Schiedsgericht eine Enteignung für BIT-widrig erklärt oder hält, wenn eben noch kein Schiedsgericht entschieden hat, das nationale Gericht die Enteignung für offensichtlich BIT-widrig, enthalten die BIT keine Regelungen über die Anerkennung durch nationale Gerichte. Deutschland darf die Enteignung des Gaststaates anerkennen oder nicht. Es gilt die nationale Norm des Gebietsgrundsatzes.42 Man kann allerdings fragen, ob die Bestimmungen des Gebietsgrundsatzes bei BIT-widrigen Enteignungen nicht in Randbereichen modifiziert werden sollten. Die deutschen Gerichte hatten jedoch – wie bereits erwähnt – noch keine entsprechenden Fälle zu entscheiden. Aufgrund dieses Mangels an Anschauungsmaterial aus der Praxis und aufgrund der Vielgestaltigkeit der möglichen Sachverhaltskonstellationen kann die Frage nach Modifikationen 39
Vgl. dazu soeben § 7 IV. Dafür ist Korte, Anerkennung, 1992, 113; siehe auch Wohlgemuth, JuS 1981, 523 r.Sp. (ein Herausgabeverlangen des Enteignungsstaates sei bei Verletzung eines BIT rechtsmissbräuchlich); Polter, Auslandsenteignungen, 1975, 46 (er hält eine innerstaatliche Nichtanerkennung bei Verletzung eines internationalen Vertrages mit Hinweis auf das Verbot widersprüchlichen Verhaltens für möglich, lässt es aber letztlich offen); vgl. zu einem speziellen Fall auch Beemelmans, WM 1966, 675 (der allerdings die Verbringung ausdrücklich nicht behandelt); ferner MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 35 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (i.E. vertritt er eine Nichtanerkennung BIT-widriger Enteignungen, allerdings nicht unmittelbar aufgrund der BIT, sondern aufgrund des deutschen internationalen Enteignungsrechts); ebenso Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 199, 242, 247. – Gegen die notwendige Nichtanerkennung von Enteignungen, die gegen einen BIT verstoßen, zu Recht v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 145 zu § 4, S. 303. 41 Dazu, dass völkergewohnheitsrechtlich die Anerkennung völkergewohnheitsrechtswidriger Enteignungen freisteht, oben § 4 I; zur Bedeutung der Völkergewohnheitsrechtswidrigkeit im deutschen internationalen Enteignungsrecht unten §§ 15 I, 16 III 2, 3, 18 I 3, 20 III. 42 Zum Gebietsgrundsatz einführend unten § 9 I. 40
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2. Kapitel: Investitionsrecht
hier nicht abschließend beantwortet werden. Bei Enteignungen dinglicher Rechte könnte eine Lösung in Parallele zu der in dieser Arbeit für Enteignungen außerhalb des Anwendungsbereichs der BIT vorgeschlagenen Unterscheidung nach der Person des Verbringenden gefunden werden.43 Zudem ist es beispielsweise denkbar, im Anwendungsbereich der BIT, also wenn dem Investor ein Schiedsverfahren zur Verfügung steht, eine gewaltsame Wiederbemächtigung nicht mit der Nichtanerkennung zu belohnen,44 es sei denn, es ist offensichtlich (etwa bei gewaltsamen Umwälzungen), dass sich der Enteignungsstaat zukünftig nicht mehr an den BIT halten wird. Die Verletzung des BIT kann ferner im Rahmen des nationalen ordre public beachtlich sein.45 Der Gebietsgrundsatz anerkennt Enteignungen intraterritorialer dinglicher Rechte vorbehaltlich des ordre public. Für eine Nichtanerkennung nach nationalem Recht aufgrund des ordre public kann man nun ins Feld führen, dass im Anschluss an ein Schiedsverfahren die Völkerrechtswidrigkeit vom Enteigneten nicht nur behauptet wird, sondern durch ein unparteiisches internationales Organ verbindlich festgestellt worden ist. Der Enteignungsstaat ist ohnehin zur Rückübertragung des Eigentums verpflichtet, da der durch den Vertragsbruch ausgelöste Schadensersatzanspruch grundsätzlich auf Naturalrestitution gerichtet ist (Anspruchsinhaber ist aber der Heimatstaat des Enteigneten).46 Es erscheint widersinnig, wenn der Enteignungsstaat sich darauf beruft, dass er selbst die Sache zurückgeben bzw. das Recht rückübereignen möchte. Jedenfalls würde ein solcher Einwand nicht greifen, wenn der Enteignungsstaat sich offen dazu bekennt, nicht entschädigen zu wollen. Er würde sich widersprüchlich verhalten. Der Enteignungsstaat hat sich vertraglich verpflichtet, nur unter bestimmten Voraussetzungen zu enteignen. Hält er sich nicht daran, kann er keine Unterstützung erwarten. Gegen eine Nichtanerkennung aufgrund des ordre public des nationalen Rechts spricht hingegen, dass der Investor den Geldwert seiner Investition erhält. Durch Zulassung seiner Kapitalanlage konnte er auch gerade das erwarten. Hätte nämlich der Enteignungsstaat die Enteignungsvoraussetzungen erfüllt, wäre Deutschland zur Anerkennung verpflichtet. Dann aber wäre dem Investor auch nur der Geldwert verblieben. Sein Recht beispielsweise an der Sache würde er aber auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung verlieren. Anzuerkennen liegt damit besonders nahe, wenn der Investor bereits entschädigt wurde. Andernfalls würde er sich vor deutschen Gerichten dem Vorwurf der Widersprüchlichkeit aussetzen.
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Vgl. dazu unten § 16. Siehe dazu im nationalen Recht unten § 16 II 2. 45 Vgl. dazu auch unten § 15 III 2. 46 Siehe etwa Gilbert, in: ders. u.a. (Hrsg.), Eigentumsrecht, 2008, 47. 44
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Interessen etwa gutgläubiger Dritter hingegen sollten richtigerweise auch hier gesondert geprüft werden.47 VI. Zusammenfassung
§ 7 Bilaterale Investitionsschutzverträge – VI
Besteht ein BIT zwischen Deutschland und dem Enteignungsstaat und wird eine Kapitalanlage BIT-gemäß enteignet, so ist die Enteignung hinsichtlich der privatrechtsgestaltenden Wirkungen in Deutschland anzuerkennen.48 Probleme bereitet dabei die Frage, wer die BIT-Gemäßheit feststellen sollte.49 Hat ein Schiedsgericht entschieden, ist grundsätzlich der Schiedsspruch maßgeblich. Hat noch kein Schiedsgericht entschieden, kann – wollte man das nationale Verfahren nicht aussetzen – das Urteil über die BIT-Gemäßheit nur durch den nationalen Richter gefällt werden. Hält der nationale Richter die Enteignung für BIT-gemäß, muss er dies seiner Entscheidung zugrunde legen. Zudem muss er nicht offensichtlich BIT-widrige Enteignungen als BIT-gemäß behandeln. Die den BIT entnommene Anerkennungsregel scheint damit gerade zu dem Ergebnis zu kommen, zu dem das deutsche Recht ohnehin gelangt. Es gibt aber Unterschiede in der genauen Ausgestaltung der Anerkennungsvoraussetzungen.50 Wer etwa grundsätzlich eine Vollziehung fordert, muss bei einer Anerkennungspflicht aus den BIT auf eine solche Voraussetzung verzichten.51 Außerdem erhöht sich die Rechtssicherheit, da sich ein Rückgriff auf den ordre public verbietet (wobei ohnehin kaum denkbar ist, dass der ordre public bei einer vertragsgemäßen Enteignung eingreift). Weiter kann der Wechsel der Rechtsgrundlage der Anerkennung für die Enteignung von Anteilsrechten bedeutsam sein.52 Während hier die genauen Anerkennungsvoraussetzungen im deutschen internationalen Enteignungsrecht umstritten sind, verpflichten die BIT grundsätzlich zur Anerkennung von Anteilsrechtsenteignungen, die ein Schiedsgericht für mit einem BIT vereinbar erklärt hat oder die, wenn noch kein Schiedsgericht entschieden hat, der nationale Richter für nicht offensichtlich BIT-widrig hält. Hat ein Schiedsgericht eine Enteignung für BIT-widrig erklärt oder hält, wenn noch kein Schiedsgericht entschieden hat, ein nationales Gericht die Enteignung für offensichtlich BIT-widrig, verpflichten die BIT weder zur Anerkennung53 noch zur Nichtanerkennung54. Es gilt die nationale Regel des 47
Vgl. zur Fernwirkung im deutschen internationalen Enteignungsrecht unten § 11 III. Vgl. oben § 7 III. 49 Vgl. oben § 7 II. 50 Vgl. oben § 7 III. 51 Siehe zum selbständigen Vollziehungserfordernis bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14 III. 52 Vgl. oben § 7 III a.E.; zur Behandlung fremdstaatlicher Enteignungen von Anteilsrechten unten §§ 21–23, insbesondere §§ 21 I, 22 I. 53 Vgl. oben § 7 IV. 48
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2. Kapitel: Investitionsrecht
Gebietsgrundsatzes.55 Diese führt regelmäßig ebenfalls zur Anerkennung. Die Gründe, die die BIT-Widrigkeit begründen, und die BIT-Widrigkeit selbst können jedoch zu Modifikationen führen, insbesondere dazu, dass die Enteignung in Ausnahme zur positiven Seite des Gebietsgrundsatzes nicht anerkannt wird.56 Auffällig ist, dass das Völkergewohnheitsrecht und der deutsche Mustervertrag ähnliche Enteignungsvoraussetzungen aufstellen, sich die Folgen für das deutsche internationale Enteignungsrecht aber unterscheiden.57 Das Völkergewohnheitsrecht schreibt weder eine Anerkennungspflicht noch ein Anerkennungsverbot vor.58 Die BIT hingegen zwingen Deutschland zur Anerkennung gewisser Enteignungen durch den Vertragspartner.59 Der Grund für diesen Unterschied liegt im schiedsgerichtlichen Verfahren, in dem der Investor seine Rechte wirksam verfolgen kann. Es wäre ein folgenreiches Ergebnis dieser Untersuchung, wenn die BIT die allgemeinen Anerkennungsgrundsätze des deutschen internationalen Enteignungsrechts vollkommen verdrängten und auch für BIT-widrige fremdstaatliche Enteignungen eine Pflicht60 oder ein Verbot61 zur Anerkennung aufgestellt würde. Das ist aber wie aufgezeigt nicht der Fall. Doch selbst dann, wenn man annimmt, dass die BIT auch zur Anerkennung oder Nichtanerkennung BIT-widriger Enteignungen verpflichteten, wäre das deutsche internationale Enteignungsrecht nicht völlig durch Anerkennungsregeln aus den BIT verdrängt.62 Denn nur ein kleiner Kreis der internationalenteignungsrechtlichen Fälle wird vom Anwendungsbereich der BIT erfasst: Zum einen fallen die meisten Ausländer aus dem Anwendungsbereich heraus, zum anderen gewähren die BIT nur zugelassenen Kapitalanlagen Schutz.63
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Vgl. oben § 7 V. Vgl. oben § 7 V; einführend zum Gebietsgrundsatz unten § 9 I. 56 Vgl. oben § 7 V. 57 Vgl. bereits § 7 III, IV, V. 58 Vgl. oben § 4 I. 59 Vgl. dazu oben § 7 III. 60 Vgl. oben § 7 IV. 61 Vgl. oben § 7 V. 62 Vgl. oben § 7 I a.E. 63 Vgl. zum Anwendungsbereich der BIT oben § 7 I a.E. 55
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§ 8 Investitionsrecht im Übrigen § 8 Investitionsrecht im Übrigen – II
I. Investor-Staat-Verträge mit Internationalisierungsklausel Private können mit fremden Staaten Verträge mit einem dem der BIT ähnlichen Inhalt abschließen und sich das Recht einräumen lassen, im Konfliktfall ein Schiedsgericht anzurufen.64 In sogenannten Unberührbarkeitsklauseln kann sich der Gaststaat sogar dazu verpflichten, ganz von Enteignungen abzusehen.65 Aus solchen Investor-Staat-Verträgen kann allerdings keine Kollisionsnorm gewonnen werden, da die Verträge nur zwischen den Parteien gelten. Damit ist hinsichtlich der Eigentumsfrage aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung das deutsche internationale Enteignungsrecht anzuwenden. Die Anerkennungsvoraussetzungen können allerdings im Einzelfall modifiziert sein. So ist es denkbar, dass ein Vertragsbruch durch den Gaststaat im Rahmen der Gesamtabwägung des ordre public berücksichtigt wird.66 Der Enteignungsstaat verhält sich schließlich dem Investor gegenüber widersprüchlich, wenn er in Deutschland etwa auf Herausgabe einer Sache klagt, an der er ein Recht unter Verletzung eines Vertrages mit dem Investor enteignet hat oder sogar nur so enteignen konnte. Für ein Eingreifen des ordre public kann außerdem sprechen, dass der Schutz des Investors auch bei internationalisierten Verträgen nicht sehr hoch ist.67 II. (Global-)Entschädigungsabkommen Insbesondere bei breit angelegten entschädigungslosen Enteignungen haben die Heimatstaaten der Enteigneten mit den Enteignungsstaaten häufig Globalentschädigungsabkommen abgeschlossen.68 Solche Verträge sehen vor, dass der Enteignungsstaat an den Heimatstaat der Enteigneten eine gewisse Summe zahlt, die der Heimatstaat zur Entschädigung an die Enteigneten weiterleitet. Die Höhe der vereinbarten Summe bleibt regelmäßig hinter dem vollen Wert der enteigneten Rechte zurück. Die Verträge sind jedoch so auszulegen, dass der Heimatstaat auf den restlichen Betrag verzichtet. Man kann nun fragen, ob diese Abkommen Bedeutung für die Anerkennungsfrage des internationalen Enteignungsrechts haben. Welche Wirkung einem solchen Abkommen beizumessen ist, muss letztlich die Auslegung des 64
Krajewski, WirtVölkR, 2012, Rn. 580 ff.; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 2 ff. zu § 22; Kämmerer, BitbGespr 2004/I, 154; Griebel, Investitionsrecht, 2008, Kapitel 3, S. 27 ff. 65 Kämmerer, BitbGespr 2004/I, 154. 66 Ähnlich Seidl-Hohenveldern, AWD 1974, 425 l.Sp. 67 Zu diesem Schutz Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 1 zu § 23. 68 Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg, vgl. die umfangreichen Nachweise bei Makarov, FS Kaufmann 1950, 261 ff.
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2. Kapitel: Investitionsrecht
jeweiligen Vertrages ergeben. Es sind aber einige allgemeine Überlegungen möglich. Es ist jedenfalls nicht anzunehmen, dass die Entschädigungsabkommen für die Anerkennung gänzlich bedeutungslos sind, da der Entscheidung über die Vereinbarkeit einer Anerkennung mit dem nationalen ordre public regelmäßig eine Gesamtbetrachtung zugrunde liegt.69 Die nachgereichte Entschädigung muss zumindest mit in die Überlegungen einbezogen werden.70 Da die Verträge – wie soeben festgestellt – so ausgelegt werden, dass der Heimatstaat auf den restlichen Betrag verzichtet, sollte die Enteignung auch im Sinne des deutschen internationalen Enteignungsrechts hinsichtlich der zunächst mangelnden Entschädigung nicht als völkerrechtswidrig betrachtet werden. Man sollte sie einer von vornherein entschädigten Enteignung gleichstellen. Darüber hinaus dürfte den Entschädigungsabkommen oftmals eine Anerkennungspflicht zu entnehmen sein.71 Diese bezieht sich aber nur auf diejenigen Werte, auf die sich auch die Entschädigung bezog. Welche dies sind, muss durch Auslegung ermittelt werden. Dabei wird insbesondere die Höhe der Entschädigung ein wichtiges Indiz sein. Ansonsten werden diejenigen Rechte umfasst sein, deren Enteignung nach dem deutschen internationalen Enteignungsrecht anerkannt wird. Nur bezüglich dieser Positionen gibt es einen zu entschädigenden Verlust. Eine aus den Entschädigungsabkommen gewonnene Kollisionsnorm überlagert die nationalen Anerkennungsregeln. Insbesondere also gilt bei der Enteignung dinglicher Rechte das nationale Vollziehungserfordernis nicht.72 Andernfalls würden bei einer Verbringung der Sache durch den Enteigneten Rückforderungsansprüche des Enteignungsstaates gegenüber dem Heimatstaat entstehen können.73 Der Heimatstaat hat als Kompromiss vom Enteignungsstaat die Zahlung angenommen und würde nur versuchen, seinen Staatsangehörigen durch Nichtanerkennung nach Verbringung weitere Vorteile zu verschaffen. III. Versicherungen und Garantien Investoren können zur Absicherung gegen Enteignungen und andere Investitionsrisiken Versicherungen abschließen oder sich um staatliche oder private Garantien bemühen.74 Auch hier stellt sich die Frage, welche Auswirkungen 69
Zum ordre public bei der Enteignung dinglicher Rechte näher unten § 15 III. Für den Ausschluss des ordre public bei solchen Abkommen ist Niederer, SchwJahrbIntR XI (1954) 98 f.; ähnlich Lewald, RabelsZ 21 (1956) 128 f.; i.E. auch Petersmann, WiR 1973, 304; ferner Huwyler, Personen, 1989, 68 [Schweiz]. 71 So auch Mann, NJW 1961, 709; Seidl-Hohenveldern, Friedenswarte 53 (1955/56) 18, 26; Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 127. 72 Zu diesem bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14 III. 73 Zur Nichtanerkennung in diesem Fall unten § 16 II. 74 Kurze Einführung dazu bei Griebel, Investitionsrecht, 2008, Kapitel 5, S. 112 f. 70
§ 8 Investitionsrecht im Übrigen – IV
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es auf die Eigentumsfrage hat, wenn der Enteignungsstaat ohne Zahlung einer Entschädigung enteignet, der Investor jedoch durch die genannten Einrichtungen schadlos gehalten wird. Aufgrund dieser von dritter Seite gezahlten Ausgleichsleistungen die privatrechtsgestaltende Wirkung der Enteignung anzuerkennen, ist aber abzulehnen. Zwar sind die Interessen des Investors in Bezug auf das enteignete Recht wertmäßig gewahrt. Der Versicherer oder Garantiegeber aber hat im Fall seiner Haftung ein wirtschaftliches Interesse an der Nichtanerkennung. Daneben kann auch der Investor ein Interesse an der Nichtanerkennung haben, da er sich die Absicherung in der Regel durch eigene Leistungen verschafft hat. Der Enteignungsstaat hingegen ist als in der Regel völkerrechtswidrig Handelnder nicht schutzwürdig.75 Die Zahlung von dritter Seite sollte daher nicht dem Enteignungsbegünstigten zugute kommen. Die Enteignung ist nicht als entschädigt zu betrachten.76 Es gelten die allgemeinen Anerkennungsgrundsätze des internationalen Enteignungsrechts. IV. Multilaterale Investitionsschutzabkommen
§ 8 Investitionsrecht im Übrigen – IV
Es gibt keine allgemeinen multilateralen Investitionsschutzabkommen. Bemühungen insbesondere im Rahmen der OECD und der WTO sind erfolglos geblieben.77 Ausnahmen sind das multilaterale Abkommen NAFTA (North American Free Trade Agreement) und der ETC (Energy Charter Treaty); beide haben aber einen eng begrenzten Anwendungsbereich.78 Aus dem NAFTA können schon deswegen keine Kollisionsnormen des deutschen Rechts gewonnen werden, weil Deutschland nicht Vertragspartei ist. Der Energie-Charta-Vertrag hingegen wurde von Deutschland ratifiziert. Er erlaubt nur entschädigte Enteignungen und gewährt den Enteigneten die Möglichkeit der Streitbeilegung nach ICSID.79 Aus dem ETC könnte man ähnliche Folgerungen wie aus den BIT ziehen.80 Berücksichtigt man allerdings die noch zu behandelnde Fernwirkungsproblematik, dürfte dies praktisch bedeutungslos sein.81
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Zum völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrecht oben § 4 I. Ebenso MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 45 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKoWendehorst, 2015, Rn. 59 zu Art. 46 EGBGB Anh. 77 Krajewski, WirtVölkR, 2012, Rn. 565 ff.; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 6 zu § 23; Kämmerer, BitbGespr 2004/I, 147 f.; Gloria, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2004, Rn. 6 zu § 47. 78 Kämmerer, BitbGespr 2004/I, 152 f.; Griebel, Investitionsrecht, 2008, Kapitel 4, C I, S. 58 ff. 79 Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 26 zu § 23 m.N. 80 Zu Anerkennungsregeln aus den BIT oben § 7 III, IV, V. 81 Vgl. zur Fernwirkung unten § 11 III 1. 76
Kapitel 3
Autonomes deutsches Recht § 9 Gebietsgrundsatz als richterrechtliche Grundregel § 9 Gebietsgrundsatz als richterrechtliche Grundregel – I
I. Einführung in den Gebietsgrundsatz Völker- und europarechtliche Vorgaben zur Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen bestehen also – wie dargelegt – kaum.1 Insbesondere gibt es keine multilateralen Verträge, die die Anerkennung von Enteignungen regeln.2 Die Anerkennung ist damit Sache des autonomen deutschen Rechts. Das Rechtsgebiet innerhalb des deutschen Rechts, das sich mit der Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen befasst, wird als internationales Enteignungsrecht bezeichnet.3 Es ist nicht kodifiziert.4 Zur Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die privatrechtsgestaltenden Wirkungen, die fremdstaatliche Enteignungen in der Rechtsordnung des Enteignungsstaates hervorbringen, in die deutsche Rechtsordnung übernommen werden, hat indes schon das Reichsgericht Grundsätze herausgebildet, die die Rechtsprechung im Wesentlichen noch heute anwendet.5 Diesen Grundsätzen folgt auch die herrschende Lehre.6 1
Vgl. soeben §§ 4 bis 6; siehe zur Abgrenzung von Völkergewohnheitsrecht und innerstaatlichem Kollisionsrecht oben § 4 III 1; zur Anerkennungspflicht aus BIT oben § 7 III. 2 Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 20 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 4 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; eine multilaterale Regel als wünschenswert erachtend schon Lewald, RabelsZ 21 (1956) 120, 140 („[s]icherlich wäre [...] die international verbindliche Regelung aller einschlägigen Fragen durch Staatenkonventionen ein Ziel, aufs innigste zu wünschen, wenn man sich auch über die ungeheure Schwierigkeit dieser Aufgabe keine Illusionen machen darf“); ders., NJW 1958, 284; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 301; siehe zu multilateralen Investitionsschutzabkommen oben § 8 IV. 3 Zum Begriff bereits §§ 1, 4 III 1. 4 OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee); Schricker, GRUR 1977, 434 l.Sp.; Coing, WM 1982, 383 l.Sp.; Lederer, Enteignung, 1989, 68; MüKoKreuzer, 1998, Rn. 3 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Kunz, IPR, 1998, Rn. 570; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 133 zu § 4, S. 294; Berentelg, Act of State, 2010, 143; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 11 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 1 f. zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 5 BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 90, 123 (Bodenreform I); BVerfG vom 5.6.1992 (2 BvR 1613/91 u.a.), in: NJW 1992, 3223 (Zustimmungsgesetz zum deutsch-polnischen Grenzvertrag); BGH vom 11.7.1957 (II ZR 318/55),
§ 9 Gebietsgrundsatz als richterrechtliche Grundregel – I
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Danach richtet sich die Anerkennung fremdstaatlicher7 Enteignungen nach dem sogenannten internationalenteignungsrechtlichen Territorialitätsprinzip. in: NJW 1957, 1433 (= BGHZ 25, 134) (Tschechoslowakei, Forderung sudetendeutscher Spalt-Genossenschaft); BGH vom 5.5.1960 (VII ZR 92/58), in: NJW 1960, 1570 (= BGHZ 32, 256) (Niederlande); BGH vom 8.3.1963 (I b ZR 87/61), in: NJW 1963, 1542 (= BGHZ 39, 220) (Tschechoslowakei, Koh-i-noor); BGH vom 28.2.1971 (III ZR 47/67), in: BeckRS 1972, 31124840 unter II 1 c (= MDR 1972, 494) (interlokal, Ammoniakwerk Me. GmbH gegen gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen G.); BGH vom 21.5.1974 (GSZ 2/72), in: NJW 1974, 1945 (= BGHZ 62, 340) (Niederlande, Spalt-IAK); BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 (interlokal) mit umfangreichen Nachweisen; BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1092 (interlokal); BGH vom 28.3.2006 (XI ZR 425/04), in: NJW-RR 2006, 1278 (= BGHZ 167, 25) (interlokal); BVerwG vom 3.5.1996 (4 B 46/96), in: VIZ 1996, 512; OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee); LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 163 r.Sp. (Chile, Kupfer). 6 Beitzke, FS Raape 1948, 102 f. m.N. zum negativen Gebietsgrundsatz aus der internationalen Praxis seit 1830; Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 686; Lewald, RabelsZ 21 (1956) 124; Lüderitz, JZ 1961, 443; ders., IPR, 1992, Rn. 12, 328; Mann, NJW 1961, 705 l.Sp.; Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 246 ff. m.N. auch auf ausländische Rechtsprechung; Seidl-Hohenveldern, RIW/AWD 1979, 150 r.Sp. (weltweit anerkannt); Wiedemann, FS Beitzke 1979, 812; Wohlgemuth, JuS 1981, 523 l.Sp.; Coing, WM 1982, 384 l.Sp.; Matthias, FS v.Simson 1983, 265 f.; Großfeld/Lohmann, IPRax 1985, 325; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 614, 628; Steinberg, NJ 1991, 3 l.Sp.; Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1659 r.Sp.; Hofmann, Grundrechte, 1994, 143; Großfeld, Unternehmensrecht, 1995, Q § 2 I, S. 292; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 198 zu IntSachenR; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 819, 821 zum IntGesR; Armbrüster, NJW 2001, 3583; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 1, S. 1099; Kropholler, IPR, 2006, § 55 III 1, S. 583; v.Hoffmann/Thorn, IPR, 2007, Rn. 33 zu § 7, S. 293; MüKoHabersack, 2008, Rn. 103 zu Einl. AktG; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 133 zu § 4, S. 294; Looschelders, IPR, 2004, Rn. 67 zu Art. 43 EGBGB; Hartung, Kunstraub, 2005, Kapitel 6 E I, S. 370 f.; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2008, Rn. 10 f. zu Art. 46 EGBGB; Anton, Kulturgüterverkehr, 2010, Rn. 135 zu Teil 3, S. 166; Berentelg, Act of State, 2010, 144 f.; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 13 zu Art. 46 EGBGB Anh.; StaudingerSturm/Sturm, 2012, Rn. 317 zu Einl. IPR; jurisPK-Teubel, 2014, Rn. 47 zu Art. 43 EGBGB; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 15, 21 zu § 20; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 4, 6, 15, 29 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 962 zum IntGesR. 7 Interlokal (= interzonal) galten dieselben Grundsätze: BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 (interlokal) m.N.; Petersen, in: Tagung Bad Godesberg, 1947, 134; Wolff, IPR, 1954, 95; Beitzke, JZ 1956, 673 l.Sp.; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 14 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 216 ff. zu IntSachenR; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 9 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 2, 6, S. 1100, 1110 f.; Berentelg, Act of State, 2010, 144 ff.; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 7, 72 ff. zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. – Bei Gesellschaftsenteignungen a.A. Serick, RabelsZ 20 (1955) 91, 97; ders., JZ 1956, 205 r.Sp.; Lewald, RabelsZ 21 (1956) 131 f., 137; Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 3 f.; Flume, FS Mann 1977, 154 f. – Die internationalenteignungsrechtlichen Grundsätze gelten aber keinesfalls für Neufälle im bundesstaatlichen System, richtig Gast, DtZ 1996, 104.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Zur sprachlichen Einfachheit und zur Abgrenzung vom völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip8 soll – wie bereits ausgeführt9 – in dieser Arbeit anstatt des sperrigen Ausdrucks internationalenteignungsrechtliches Territorialitätsprinzip der gleichbedeutende deutsche Begriff des Gebietsgrundsatzes verwendet werden. Die positive Seite des Gebietsgrundsatzes (oder kurz: der positive Gebietsgrundsatz) führt zur Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen von Rechten, die zum Zeitpunkt der Enteignung auf dem Hoheitsgebiet des enteignenden Staates belegen10 sind. Sind die enteigneten Rechte dagegen außerhalb des Enteignungsstaates belegen, wird gemäß der negativen Seite des Gebietsgrundsatzes (oder kurz: gemäß dem negativen Gebietsgrundsatz) nicht anerkannt. Ein Teil des Schrifttums hält den Gebietsgrundsatz für Gewohnheitsrecht.11 Dem kann in dieser allgemeinen Form nicht zugestimmt werden. Die Detailfragen sind nämlich überaus umstritten.12 Es bliebe unklar, wie diese gewohnheitsrechtliche Regel im Einzelnen ausgestaltet wäre. 1. Internationalenteignungsrechtlicher Begriff der Enteignung
§ 9 Gebietsgrundsatz als richterrechtliche Grundregel – I 1
Zur Anerkennung einer Enteignung ist erste Voraussetzung, dass überhaupt eine Enteignung vorliegt. Eine Enteignung im Sinne des deutschen internationalen Enteignungsrechts kann definiert werden als eine allgemeinpolitischen oder wirtschaftspolitischen Zwecken dienende hoheitliche Einwirkung auf ein Recht. Der Enteignungsbegriff des deutschen internationalen Enteignungsrechts ist damit weit gefasst.13 Er entspricht nicht dem Enteignungsbegriff des Art. 14 Abs. 3 GG.14 Das BVerfG vertritt mittlerweile wieder einen stark 8
Zu diesem oben § 4 II 2. Siehe oben §§ 3, 4 III 1 a.E. 10 Zum Begriff der Belegenheit unten § 9 I 3. 11 Lewald, RabelsZ 21 (1956) 123 (überstaatliches Kollisionsgewohnheitsrecht); MüKoWendehorst, 2015, Rn. 20 zu Art. 46 EGBGB Anh.; gegen einen gewohnheitsrechtlichen Status des Gebietsgrundsatzes Behrens, Unternehmen, 1980, 34, 37, 71. Vom zwingenden Charakter des Gebietsgrundsatzes gehen letztlich auch diejenigen aus, die den Gebietsgrundsatz für Völkergewohnheitsrecht halten, Nachweise oben § 4 II Fn. 20. 12 Siehe zu den Sachfragen unten §§ 14–23; ungeklärt ist insbesondere die Behandlung von Forderungsenteignungen, dazu unten §§ 17, 18. 13 Beitzke, FS Raape 1948, 93 f.; Hofmann, Grundrechte, 1994, 143; Soergelv.Hoffmann, 1996, Rn. 7 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 14 Zutreffend Berentelg, Act of State, 2010, 144 Fn. 45; a.A. v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 132 zu § 4, S. 293; diesen folgend Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 5 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I, der eine Gleichheit der Enteignungsbegriffe nicht lediglich folgenlos feststellt, sondern darüber hinaus das Tatbestandsmerkmal „Enteignung“ der ungeschriebenen Anerkennungsnorm des Gebietsgrundsatzes statt über die Wertungen des internationalen Enteignungsrechts gerade über die verfassungsrechtlichen Begrifflichkeiten und über die Figur der „hypothetische[n] Inhalts- und Schrankenbestimmung“ konkretisie9
§ 9 Gebietsgrundsatz als richterrechtliche Grundregel – I 1
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formalisierten, engen Enteignungsbegriff.15 Es verlangt für eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG eine der Güterbeschaffung dienende hoheitliche Rechtsentziehung durch legislativen oder administrativen Rechtsakt zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben. Eine Enteignung im Sinne des internationalen Enteignungsrechts dagegen erfordert – wie im Folgenden ausgeführt wird – weder eine Rechtsentziehung (eine Beschränkung genügt) noch eine Güterbeschaffung als Zweck der Entziehung (es genügen allgemeinpolitische oder wirtschaftspolitische Zwecke) noch einen legislativen oder administrativen Rechtsakt (es genügen etwa Justizakte) noch überhaupt einen Rechtsakt (Realakte genügen). Ein Gleichlauf der Enteignungsbegriffe des deutschen internationalen Enteignungsrechts und des Grundgesetzes wäre – läge er denn vor – überdies bloß zufällig und beruhte nicht auf einer inneren Verbindung der Begriffe. Ein solcher Gleichlauf könnte mangels Begründungszusammenhangs keine Folgerungen für Einzelfragen des jeweils anderen Rechtsbereichs rechtfertigen. Denn beide Bereiche, das internationale Enteignungsrecht und das Verfassungsrecht, und damit auch die jeweiligen Enteignungsbegriffe sind von unterschiedlichen Wertungen bestimmt und erfüllen unterschiedliche Funktionen. Gegenstand einer Enteignung im Sinne des Gebietsgrundsatzes ist stets und ausschließlich ein Recht.16 Der Gebietsgrundsatz gilt neben dem Eigentum im Sinne des BGB auch für andere Rechte. Der blanke Besitz kann hingegen nicht enteignet werden;17 weder Erstreckung noch „Abwehr“ wären hier sinnvoll.18 Freilich müssen die Vorgänge im Enteignungsstaat mitunter „übersetzt“ werden. Wird der Berechtigte im Enteignungsstaat schlicht aus dem Besitz verdrängt, kann bereits darin zum Ausdruck kommen, dass der Enteignungsstaat den Enteigneten nicht mehr als Berechtigten ansieht.
ren möchte (s. zu diesem Ansatz ergänzend unten § 22 III 1 Fn. 85). – Der verfassungsrechtliche Enteignungsbegriff des BVerfG darf wiederum nicht mit dem in einem weiteren Sinne staatshaftungsrechtlichen Enteignungsbegriff des BGH verwechselt werden, vgl. etwa Maunz/Dürig-Papier, 2014, Rn. 714 ff. zu Art. 14 GG. 15 BVerfG vom 22.5.2001 (1 BvR 1512, 1677/97), in: BVerfGE 104, 10 (Baulandumlegung); BVerfGE vom 18.1.2006 (2 BvR 2194/99), in: BVerfGE 115, 112 (Halbteilungsgrundsatz); eingehend zum verfassungsrechtlichen Enteignungsbegriff Maunz/DürigPapier, 2014, Rn. 527 ff. zu Art. 14 GG. 16 Ficker, Grundfragen, 1952, 88 f.; deutlich nunmehr auch Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 1 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; unklar aber viele, etwa Hartung, Kunstraub, 2005, Kapitel 6 E III, S. 371 („Beschränkung jeglichen Vermögenswerts [...] oder Rechts“); siehe auch unten § 9 I 2. 17 Unklar daher Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 14 zu Art. 46 EGBGB. 18 Zu diesen beiden Funktionen des internationalen Enteignungsrechts oben §§ 1, 4 III 2.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Internationalenteignungsrechtlich ist dieser Fall dann so zu behandeln, als habe der Enteignungsstaat ein Recht entzogen.19 Das Recht muss dabei nicht notwendigerweise entzogen werden. Es genügt, wenn es auf andere Weise beeinträchtigt wird.20 Die Umverteilung im Sinne einer Übertragung der Rechtsinhaberschaft auf ein anderes Rechtssubjekt ist nur der Hauptanwendungsfall des Gebietsgrundsatzes. In dieser Arbeit soll zur sprachlichen Erleichterung nur von der Umverteilung als schärfster Form des Eingriffs gesprochen werden. Für andere Beeinträchtigungen gelten aber dieselben Regeln. Privatrechtliche Handlungen stellen keine Enteignung im Sinne des Gebietsgrundsatzes dar.21 Der danach erforderliche Hoheitsakt muss ferner allgemeinpolitischen oder wirtschaftspolitischen Zwecken dienen.22 Zwar ist 19 OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe) (Polizei und Militär besetzen Kaffeefarm); a.A. OLG Schleswig-Holstein vom 26.2.1954 (5 U 69/53), in: IzRspr 1954– 1957, Nr. 2 (interlokal, Musikinstrumente), nach dem „irgendwelche Anordnungen oder Erklärungen [...] notwendig gewesen“ wären. 20 Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-122; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 7 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 202 zu IntSachenR; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 2, 4, S. 1099, 1107; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 14 zu Art. 46 EGBGB; PalandtThorn, 2015, Rn. 15 zu Art. 43 EGBGB; vgl. auch oben § 1. – Insbesondere der Austausch von Gesellschaftsorganen, s. BGH vom 10.5.1955 (I ZR 120/53), in: NJW 1955, 1151 (= BGHZ 17, 209) (interlokal); BGH vom 27.5.1957 (II ZR 178/56), in: IzRspr 1954– 1957, Nr. 200 (interlokal); BGH vom 11.7.1957 (II ZR 318/55), in: NJW 1957, 1433, 1435 (= BGHZ 25, 134) (Tschechoslowakei, Forderung sudetendeutscher SpaltGenossenschaft); Schricker, GRUR 1977, 436 r.Sp.; Behrens, Unternehmen, 1980, 111 ff.; RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 644; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 26 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 21 Behrens, IPRax 1989, 220, 223; Schwung, RIW/AWD 1989, 483; AmbroschKeppeler, Anerkennung, 1991, 21; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 20 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 148 zu § 4, S. 305; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 36 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 14 zu Art. 46 EGBGB. – A.A. BGH vom 22.9.1988 (IX ZR 263/87), in: NJW 1989, 1353 (interlokal, Standuhr); Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 818 zum IntGesR; nur im Ergebnis dem BGH a.a.O. zustimmend auch Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 82 f. (die Lösung ergebe sich aus dem deutschen internationalen öffentlichen Recht) sowie Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 202 und Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 28 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I, nach denen die Aufrechnung des Enteignungsstaates mit einer enteigneten Forderung keine Enteignung, sondern eine durch das allgemeine Völkerrecht untersagte Beitreibung auf fremdem Staatsgebiet darstellt (womit freilich noch keine Antwort auf die Anerkennungsfrage gegeben wäre). 22 BGH vom 12.11.1959 (VII ZR 165/58), in: NJW 1960, 190 (= BGHZ 31, 168) (interlokal); OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee); Soergelv.Hoffmann, 1996, Rn. 1, 11 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 196 f. zu IntSachenR; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 815 zum IntGesR; MüKoKreuzer, 1998, Rn. 20 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 132 zu § 4, S. 293; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 33 zu Art. 46 EGBGB Anh.
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nicht erforderlich, dass der handelnde Staat völkerrechtlich anerkannt worden ist, doch muss die handelnde Stelle zumindest Hoheitsmacht für sich in Anspruch nehmen und tatsächlich ausüben.23 Unerheblich ist, ob die Enteignung durch die Verwaltung oder die Gesetzgebung erfolgt ist.24 Es sind auch Enteignungen durch die Judikative möglich.25 Unerheblich ist schließlich, ob einzelne Rechte, Gesellschaften (die Enteignung wird dann oftmals als Verstaatlichung bezeichnet) oder gar ganze Wirtschaftsbereiche betroffen sind.26 Der Kreis der enteignungsfähigen Rechte kann nicht mit Blick auf die Praxis der BIT, also den Begriff der Kapitalanlage nach Art. 1 Nr. 1 MV, bestimmt werden.27 Die Begriffe der Kapitalanlage im Sinne der BIT und des Enteignungsobjektes im Sinne des internationalen Enteignungsrechts sind nicht ganz deckungsgleich, wenn auch in der Regel beim Vorliegen des einen auch der andere gegeben sein wird. Der Unterschied hängt mit den verschiedenen Funktionen und damit auch Rechtsfolgen der BIT und des Gebietsgrundsatzes zusammen. Die BIT sichern dem Investor nach Art. 4 MV eine Entschädigung, wollen also vor allem sicherstellen, dass der Investor wertmäßig keine Vermögenseinbuße erleidet. Als Kapitalanlage nennen die BIT daher „Vermögenswerte jeder Art, die [...] angelegt werden“. Im internationalen Enteignungsrecht dagegen geht es nicht darum, einen Nachteil auszugleichen, sondern allein um die Zuordnung des ursprünglichen Rechts: Der positive Gebietsgrundsatz bewirkt nämlich, dass die Einwirkung auf dieses Recht in der deutschen Rechtsordnung nachvollzogen wird.28 So wird man zwar bei den Kapitalanlagen gemäß Art. 1 Nr. 1 lit. e MV, also insbesondere bei Be23
Allgemeine Auffassung: BGH vom 11.7.1957 (II ZR 318/55), in: NJW 1957, 1434 (= BGHZ 25, 134) (Tschechoslowakei, Forderung sudetendeutscher SpaltGenossenschaft); Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 19 f.; Kegel, Probleme, 1956, 12; ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 3, S. 1101 (keine „Räuberbande“); Stoll, BerGesVR 4 (1961) 138; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-130 (keine „Anarchistenbande oder [...] Partisanenhaufen“); Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 206 zu IntSachenR; Bamberger/RothSpickhoff, 2012, Rn. 14 zu Art. 46 EGBGB; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 48 zu Art. 43– 46 EGBGB Anh. I. 24 Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 202 zu IntSachenR; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 132 zu § 4, S. 293; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 33 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 14 zu Art. 46 EGBGB. 25 Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 12 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 27 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 26 Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 9 f.; Schricker, GRUR 1977, 436 l.Sp.; AmbroschKeppeler, Anerkennung, 1991, 20; Korte, Anerkennung, 1992, 10; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 202 zu IntSachenR; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 20 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 27 A.A. Kreuzer, 1998, Rn. 27 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 132 zu § 4, S. 294; ihm zustimmend Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 21 f. 28 Zur Erstreckungsfunktion des internationalen Enteignungsrechts oben § 1.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
triebs- und Geschäftsgeheimnissen, technischen Verfahren, Know-how, Goodwill, eine Übereinstimmung noch annehmen können, wenn man sich auf insofern bestehende Rechte bezieht. Doch sind zum einen internationalenteignungsrechtliche Fällen denkbar über Gegenstände ohne wirtschaftlichen Wert (kein „Kapital“), zum anderen können Gegenstände enteignet werden, die nicht im Enteignungsstaat angelegt worden sind, sondern auf andere Weise in diesen gelangt sind (keine „Anlage“). Der verhältnismäßig klare Enteignungsbegriff des internationalen Enteignungsrechts wird in jüngerer Zeit verwässert. Bestimmte entschädigte Rechtsübertragungen sollen nach einer neueren Lehre als „Zwangskauf“ zu qualifizieren sein. Sie fielen aus dem Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes heraus und seien dem internationalprivatrechtlichen Statut zu unterstellen. Dieser Vorstoß soll an späterer Stelle im Zusammenhang erörtert werden. Besser als diese Qualifikationslösung dürfte es sein, die Anerkennungsnorm differenzierend zu formulieren.29 2. Körperliche Welt und Rechtliches Eine Enteignung im Sinne des internationalen Enteignungsrechts ist also eine aus bestimmten Gründen vorgenommene fremdstaatliche Übertragung eines Rechts.30 Dieses Recht selbst ist Objekt der Enteignung.31 Enteignungsobjekte sind wie alle Rechte unkörperlich. Sie können im Raum nicht angetroffen werden. Sachen sind dagegen körperlich. Sie können aber nicht enteignet werden, sondern nur Rechte an ihnen.32 Neben dinglichen Rechten kommen als Enteignungsobjekte Forderungs-, Immaterialgüter- und Anteilsrechte in Betracht. Die Enteignung als rechtlicher Vorgang ändert in der körperlichen Welt nichts: Die Wegnahme ist nicht die Enteignung.33 Die Bezugsobjekte dieser Enteignungsobjekte können körperlich oder unkörperlich sein. Bei der Enteignung dinglicher Rechte ist Bezugsobjekt des Rechts an der Sache eben diese Sache, die körperlich im Raum anzutreffen ist. Bei der Enteignung von Forderungs-, Immaterialgüter- und Anteilsrechten hingegen sind nicht nur die Enteignungsobjekte, sondern auch die Bezugsobjekte unkörperlich: Die Bezugsobjekte stehen zu den Enteignungsobjekten im Verhältnis des objektiven zum subjektiven Recht. So ist beispielsweise das Forderungsrecht als das subjektive Recht an der Forderung dort belegen, wo 29
Näher zur Qualifikationslösung unten §§ 13 II 3, 22 III 1. Vgl. soeben § 9 I. 31 Deutlich Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 291; Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 50 [Schweiz]. 32 Ficker, Grundfragen, 1952, 88 f.; Wengler, FS Universität Berlin 1955, 285 ff.; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 4 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; a.A., aber nicht überzeugend, Troller, Zwangsverwertung, 1955, 12 ff., 37 et p.; scharf gegen Troller ist Wengler, FS Universität Berlin 1955, 291. 33 Treffend Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 50 [Schweiz]. 30
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die Forderung belegen ist. Die unkörperlichen Bezugsobjekte gewinnen ihren Bezug zur körperlichen Welt über körperliche (Bezugs-)Ersatzobjekte (körperliche Bezugsobjekte im weiteren Sinne). Nur auf diese kann in der körperlichen Welt durch einen Realakt eingewirkt werden. Die Ersatzobjekte können Personen oder Sachen sein.34 Es ist gerade die Bestimmung der jeweils maßgeblichen körperlichen Ersatzobjekte, die bei den Einzelfragen seit jeher zu großer Unsicherheit führt.35 Es soll an dieser Stelle nicht darum gehen, eine Vielzahl unnützer abstrakter Begriffe einzuführen. Der grundlegende Unterschied zwischen der Enteignung von Rechten an Sachen und Rechten an unkörperlichen Gegenständen muss aber auch begrifflich verdeutlicht werden. Der Gebietsgrundsatz schlägt alle Fälle über einen Leisten, indem er die unkörperlichen Bezugsobjekte an einen Ort im Raum denkt, um sie dann wie Sachen zu behandeln.36 Die scheinbare Gleichbehandlung von Enteignungen von Rechten an körperlichen und an unkörperlichen Gegenständen aber überdeckt die jeweils unterschiedliche Interessenlage.37 Es wird noch herauszustellen sein, dass nur vordergründig der Gebietsgrundsatz ein einheitlicher ist und alle Enteignungsobjekte nach denselben Regeln behandelt. Die unterschiedliche Grundstruktur erzwingt es, entgegen der herrschenden Ansicht die Anerkennungsregeln für die Enteignung von Rechten an unkörperlichen Gegenständen aus dem Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes herauszunehmen.38 3. Territorialität als Grenzkriterium
§ 9 Gebietsgrundsatz als richterrechtliche Grundregel – I 3
Nach dem Gebietsgrundsatz werden nur „intraterritoriale“ Enteignungen anerkannt, „extraterritoriale“ hingegen nicht.39 Das Begriffspaar intra- und extraterritorial ist gefährlich mehrdeutig.40 34
Siehe dazu, dass teilweise zur Lokalisierung von Forderungen auf die Belegenheit von Rechten des Schuldners (also auf unkörperliche Bezugsersatzobjekte) abgestellt wird, unten § 17 I. 35 Siehe etwa zur Forderungsenteignung unten § 17. 36 Dazu die Kritik von Wengler, FS Universität Berlin 1955, 285, dass schon die bei römischen Schriftstellern zu findende Verwechslung von Sache und Eigentum an der Sache es nahe legte, von einer Belegenheit von subjektiven Rechten zu sprechen. 37 Zu den Beweggründen zur Anerkennung unten §§ 12, 18 I 3, 20 III, 22 I, 23 I 3. 38 Zum berechtigten Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes oben § 3 und unten § 24 I 4; zur Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungsenteignungen unten § 18 I; zur Enteignung von Immaterialgüterrechten unten § 20 III; zu Gesellschaftsenteignungen unten §§ 21 I, 22 II, 23. 39 Statt extraterritorial wird vereinzelt der Begriff „ultraterritorial“ bevorzugt, so MüKoKreuzer, 1998, Rn. 14 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 40 Vgl. auch die Kritik bei Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 121 f. m.N. [Schweiz]; RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 21; Siehr, RabelsZ 52 (1988) 86; Kment, Verwaltungshandeln, 2010, 69.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Selbstverständlich handelt der Enteignungsstaat nur mit Wirkung für seine Rechtsordnung.41 Für die Rechtsordnung des Enteignungsstaates aber sind seine Enteignungen unabhängig davon wirksam, ob sie im Sinne des deutschen internationalen Enteignungsrechts intra- oder extraterritorial sind.42 In der deutschen Rechtsordnung hingegen wirkt die fremdstaatliche Enteignung nur, wenn sie durch einen inländischen Rechtssatz in Bezug genommen, also anerkannt wird. Verbreitet wird auch die durch die Anerkennung herbeigeführte Wirkungsübernahme als extraterritoriale Wirkung oder ähnlich bezeichnet.43 Diese Begriffsverwendung führt in diesem Zusammenhang nicht weiter. Denn sie betrifft nur die Rechtsfolge und nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes. Intraterritorial im Sinne des Gebietsgrundsatzes meint auch nicht, dass der Enteignungsstaat im Sinne einer tatsächlichen Vollziehung auf seinem eigenen Gebiet handelt. Es ist auch nicht unmittelbar erheblich, wo sich die körperlichen Bezugsobjekte bzw. Bezugsersatzobjekte44 befinden oder wo sich eine Enteignung tatsächlich auswirkt. Vielmehr ist mit dem Begriff „intraterritorial“ gemeint, dass sich das deutsche internationale Enteignungsrecht das Enteignungsobjekt (genauer: das Recht, das durch die Verweisung des deutschen internationalen Privatrechts für die deutsche Rechtsordnung entsteht und für diese durch die Anerkennung umverteilt wird) als auf dem Gebiet des Enteignungsstaates befindlich denkt. Es geht damit streng genommen nicht unmittelbar um einen Ort, an dem etwas körperlich Greifbares vorzufinden wäre. Dies fällt aber zumindest bei Sachen nicht auf, weil ein Recht an einer Sache regelmäßig dort lokalisiert wird, wo sich die Sache körperlich befindet.45
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Zur Getrenntheit der Rechtsordnungen oben §§ 1, 4 II 1. Abzulehnen ist daher der Ausdruck, der Enteignungsstaat greife bei einer extraterritorialen Enteignung von vornherein ins Leere, so aber Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 14 zu § 20 und Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 11 zu Art. 46 EGBGB. 43 So Beitzke, in: Schlochauer u.a. (Hrsg.), WBdVR, Bd. I, 1960, 504 l.Sp.; Dahm/Delbrück/Wolfrum, VR I/1, 1989, § 75 II 2, S. 484; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 71 zu § 4, S. 247; Dolzer/Bloch, in: Kronke u.a. (Hrsg.), IntWirtR, 2005, Rn. 114 zu J, S. 1088; abweichende Begriffsverwendung etwa bei Birke, Konfiskation, 1960, 21 f. und Schlochauer, Wirkung, 1962, 10 ff.; dagegen den Ausdruck der extraterritorialen Wirksamkeit zu Recht ablehnend schon Schwarz, Anerkennung, 1935, 3 f. (bei der Anerkennung ausländischer Staatsakte werde insbesondere in der romanischen Literatur von extraterritorialer Wirksamkeit gesprochen; diese Ausdrucksweise sei aus der Zeit überkommen, in der sich die Begrenztheit der einzelstaatlichen Rechtsbereiche noch nicht so deutlich gezeigt habe; dem Ausdruck der extraterritorialen Wirkung liege die Annahme zugrunde, dass der Staatsakt vermöge seiner ursprünglichen Rechtsgeltung irgendwelche Rechtswirkungen im Ausland unmittelbar hervorbringen könne). 44 Vgl. zu den Begriffen soeben § 9 I 2. 45 Zur Belegenheit dinglicher Rechte unten § 14 IV. 42
§ 9 Gebietsgrundsatz als richterrechtliche Grundregel – II 1
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Extraterritoriale Enteignungen sind dementsprechend bloß gedacht außenbezüglich. Sie beziehen sich auf Rechte, die das deutsche internationale Enteignungsrecht für die Zwecke der Enteignungsanerkennung außerhalb des Enteignungsstaates lokalisiert. Der Enteignungsstaat will mehr enteignen, als der Anerkennungsstaat anerkennen möchte: Aus deutscher Sicht verweist der Enteignungsstaat unzulässig nach außen.46 Man kann daneben noch den Begriff der „mittelbar extraterritorialen“ Enteignung verwenden. Der Enteignungsstaat enteignet dabei Anteilsrechte an Gesellschaften, die selbst Inhaber solcher Rechte sind, deren einzelne Enteignung nicht anerkannt würde. Die enteigneten Anteilsrechte umfassen also mittelbar andere Rechte, die ihrerseits in der Diktion der herrschenden Meinung extraterritorial sind.47 Dass den Rechten eine Belegenheit zugeschrieben wird (die sogenannte Lokalisierung), dient damit ausschließlich der Beantwortung der Anerkennungsfrage. Da sich die Lokalisierung nach deutschem Recht richtet, kann man daher, wenn man nur den Enteignungsstaat betrachtet, noch gar nicht sagen, ob die Enteignung intra- oder extraterritorial ist.48 II. Sonderfrage: Bedeutung von Drittstaaten 1. Enteignungsanerkennung durch dritten Belegenheitsstaat
§ 9 Gebietsgrundsatz als richterrechtliche Grundregel – II 1
Wird das stets unkörperliche Enteignungsobjekt als außerhalb des Enteignungsstaates befindlich gedacht (lokalisiert), ist die Enteignung nach dem im deutschen internationalen Enteignungsrecht üblichen Sprachgebrauch extraterritorial.49 Sie kann nach dem Gebietsgrundsatz eigentlich nicht anerkannt werden. Nach allgemeiner Auffassung soll es aber zur Anerkennung genügen, dass das Enteignungsobjekt als in einem Drittstaat befindlich gedacht wird, wenn dieser Drittstaat die Enteignung anerkennt. Die Enteignung ist dann in den Worten des Gebietsgrundsatzes intraterritorial. Befindet sich also beispielsweise eine Sache, an welcher der Enteignungsstaat ein Recht enteignet hat, auf dem Gebiet eines Drittstaates, der die Enteignung anerkennt, so ist diese Situation so zu beurteilen, als ob sich die Sache auf dem Gebiet des Enteignungsstaates befände.50 46
Siehe zur negativen Seite des Gebietsgrundsatzes einführend oben § 9 I; vgl. ferner oben § 4 III 4 a.E. 47 Zur Enteignung von Anteilsrechten unten §§ 21–23. 48 Vgl. bereits § 4 III 2 (1). 49 Zu den Begriffen soeben § 9 I 3. 50 BGH vom 18.10.1976 (II ARZ 2/75), in: juris Rn. 24, 27 (= WM 1976, 1266) (USA); Teich, WM 1976, 1327 l.Sp.; Wiedemann, FS Beitzke 1979, 812 f.; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 2 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 824 zum IntGesR; Andrae, Eingriffe, 1990, 16; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 965 zum IntGesR. –
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
In Randbereichen sind indes Modifikationen denkbar. So könnte man im Rahmen der Ordre-public-Prüfung eine höhere Nichtanerkennungshürde erwägen, wenn immerhin schon zwei Staaten den Enteignungsbegünstigten als neuen Rechtsinhaber betrachten. Das kann der etwaigen Wertung des internationalen Entscheidungseinklangs51 größeres Gewicht verleihen. Überlegungen dazu wurden – soweit ersichtlich – noch nicht angestellt. Dies dürfte an der geringen praktischen Bedeutung dieser Konstellation liegen. 2. Zweitenteignung durch Drittstaat Ein weiterer Fall, in dem ein Drittstaat eine Rolle spielt, ist der – wohl nicht rein theoretische, man denke an benachbarte verfeindete Staaten – Fall mehrfacher Enteignungen. Wird durch einen fremden Staat beispielsweise ein Recht an einer Sache enteignet und wird diese Sache in einen anderen Staat verbracht, der seinerseits ein Recht an ihr enteignet, so stellt sich die Frage, wie das Konkurrenzverhältnis aufzulösen ist. Beurteilen beide Enteignungsstaaten die Rechtslage unterschiedlich, ist eine Konkurrenzregel erforderlich. Man könnte die jeweils spätere Enteignung für maßgeblich erklären. Kommt die Sache allerdings über das Gebiet des Erstenteignungsstaates nach Deutschland, könnte doch wieder die Erstenteignung durchschlagen. Dann wäre nicht der letzte Enteignungsakt, sondern der letzte Belegenheitsort entscheidend. Soweit ersichtlich wurde die Problematik in Rechtsprechung und Literatur noch nicht behandelt. Entsprechend der in dieser Untersuchung entwickelten Ansicht, also unter Berücksichtigung der VollziehungsVerbringungs-Problematik, sollte man auch hier nach der Person des Verbringenden unterscheiden.52
§ 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes § 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes – I
Welchem Rechtsbereich der Gebietsgrundsatz innerhalb der deutschen Rechtsordnung angehört, ist umstritten. Dabei ist diejenige dogmatische Konstruktion vorzugswürdig, die sich in das übrige System am besten einfügt. Feststeht, dass der Gebietsgrundsatz nicht dem Völkerrecht entstammt.53 Die Rechtsprechung ordnet den Gebietsgrundsatz in manchen Entscheidungen
Vgl. zudem zu den damit verwandten Fragen bei Enteignungen durch eine Besatzungsmacht oben § 4 IV. 51 Dazu, dass der internationale Entscheidungseinklang bei näherer Betrachtung Folge und nicht Grund der Anerkennung ist, unten § 12 I 2. 52 Die Ausführungen zur Vollziehungs-Verbringungs-Problematik (siehe unten § 16) gelten entsprechend. 53 Nachweise, auch zur a.A., oben § 4 II Fn. 19 f.
§ 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes – I
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dem internationalen öffentlichen Recht, in anderen dem internationalen Privatrecht zu.54 Auch in der Literatur finden sich beide Ansichten vertreten. I. Internationales öffentliches Recht Ein beachtlicher Teil des Schrifttums ordnet den Gebietsgrundsatz dem internationalen öffentlichen Recht zu.55 Das internationale Verwaltungsrecht ist dabei Unterkategorie des internationalen öffentlichen Rechts.56 In dieser Untersuchung soll zur besseren Lesbarkeit nur vom internationalen öffentlichen Recht gesprochen werden. Für diese Begriffswahl spricht, dass auch im nationalen Recht das Verwaltungsrecht Teilgebiet des öffentlichen Rechts ist. 54
Für internationales öffentliches Recht BGH vom 17.12.1959 (VII ZR 198/58), in: NJW 1960, 1102 (= BGHZ 31, 367) (interlokal) (allerdings unklar: „[d]ie Wirkungen der aus Gründen des Staatsinteresses angeordneten Verfügungsbeschränkung als einer dem internationalen Verwaltungsrecht zuzurechnenden Maßnahme beurteilen sich dagegen nach öffentlichem Kollisionsrecht“); BGH vom 8.3.1963 (I b ZR 87/61), in: NJW 1963, 1542 (= BGHZ 39, 220) (Tschechoslowakei, Koh-i-noor); BGH vom 28.1.1965 (I a ZR 273/63), in: juris Rn. 34 (= WM 1965, 267) (interlokal). – Für internationales Privatrecht BVerfG vom 4.9.2008 (2 BvR 1475/07), in: BeckRS 2010, 51385 Rn. 21 (= WM 2008, 2035); BGH vom 7.6.1955 (I ZR 64/53), in: NJW 1955, 1435 (= BGHZ 18, 1) (Tschechoslowakei); BGH vom 12.11.1959 (VII ZR 165/58), in: NJW 1960, 191 (= BGHZ 31, 168) (interlokal); BGH vom 11.7.1985 (IX ZR 178/84), in: NJW 1985, 2898 (= BGHZ 95, 256) (Belgien, Konkurs); OLG Hamburg vom 8.5.1951 (1 W 50/51), in: MDR 1951, 560 r.Sp. (interlokal, Rotationsmaschine); KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 343 (interlokal, Standuhr). – Für eine Zuordnung zu mehreren Rechtsgebieten etwa BGH vom 11.7.1957 (II ZR 318/55), in: NJW 1957, 1434 (= BGHZ 25, 134) (Tschechoslowakei, Inlandsforderung sudetendeutscher Genossenschaft) (Völkerrecht, internationales Privatund Verwaltungsrecht). 55 Weiß, Anerkennung, 1932, 4; Schwarz, Anerkennung, 1935, V; Ficker, Grundfragen, 1952, 69; Beitzke, JZ 1956, 674 r.Sp.; Kegel, Probleme, 1956, 6; ders., FS SeidlHohenveldern 1988, 244 f., 252 ff.; ders./Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 236, 245 (internationales Verwaltungsrecht oder internationales Wirtschaftsrecht); Lieberknecht, NJW 1956, 572 r.Sp.; Jungfleisch, Konfiskation, 1961, 15; König, Anerkennung, 1965, 11; Neuhaus, WM 1966, 135; Kopp, DVBl 1967, 470 r.Sp.; Dölle, IPR, 1972, 4 f.; Heintzeler, Fall, 1972, 93 f., 95 (für die negative Seite des Gebietsgrundsatzes, die positive hält er für Völkerrecht); Wuppermann, AWD 1973, 505 l.Sp. (unklar); Drobnig, FS v.Caemmerer 1978, 687; Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 164 f.; Coing, WM 1982, 383 l.Sp.; Kreuzer, IPRax 1990, 367 l.Sp.; Steinberg, NJ 1991, 3 l.Sp.; Lüderitz, IPR, 1992, Rn. 12, 328; Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1659 Fn. 43; Rapp, VIZ 1994, 325; Schemmer, ordre public, 1995, 147; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 8 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Kuckein, Berücksichtigung, 2008, 53 Fn. 247; MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 105, 397, 419 zu Einl. IPR und Rn. 33 zu Art. 6 EGBGB; Nomos-v.Plehwe, 2012, Rn. 567 zu Art. 43 EGBGB; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 51 zu § 3. 56 Die Begriffe werden nicht einheitlich verwendet, abweichend etwa Hofmann, Grundrechte, 1994, 195 ff.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Außerdem kommen auch Legislativenteignungen vor. Diese aber können nicht leicht dem Verwaltungsrecht zugeordnet werden. 1. Drei Bedeutungen des Begriffs Der Begriff des internationalen öffentlichen Rechts ist mehrdeutig: (1) Im Zusammenhang des internationalen Enteignungsrechts nicht gemeint ist das Verwaltungsrecht nicht staatlicher Verwaltungsträger, also das Recht einer internationalen Verwaltung. (2) Es geht auch nicht um das Rechtsgebiet, das bestimmt, welches Recht deutsche Behörden bei ihrer Verwaltungstätigkeit als Rechtsgrundlage anwenden. Dieses Rechtsgebiet kann man im Anschluss an v.Bar/Mankowski als öffentlichrechtliches internationales öffentliches Recht bezeichnen.57 Ob deutsche Behörden bei ihrer Verwaltungstätigkeit überhaupt fremdes Recht anwenden dürfen oder stets eigenes anwenden müssen, ist zwar umstritten.58 Die Frage kann aber für das deutsche Enteignungsrecht unbeantwortet bleiben, da deutsche Behörden ihre Rechtsgrundlage für Enteignungen selbstverständlich nicht im ausländischen Enteignungsrecht suchen.59 Sie kann für das deutsche internationale Enteignungsrecht unbeantwortet bleiben, weil dieses sich nur mit fremdstaatlichen Enteignungen befasst.60 (3) Nach besagter Terminologie interessiert im internationalen Enteignungsrecht nur das privatrechtliche internationale öffentliche Recht.61 Dieses bezeichnet den Teil des deutschen Rechts, der bestimmt, unter welchen Voraussetzungen privatrechtsgestaltende Wirkungen solchen ausländischen
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v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 52 ff., 57 ff. zu § 4, S. 230 ff., 235 ff.; siehe zum internationalen öffentlichen Recht in diesem Sinne etwa den Sammelband Möllers/Voßkuhle/Walter (Hrsg.), IntVwR, 2007. 58 Für die Existenz eines nicht nur einseitigen, also nicht nur als „Grenzrecht“ fungierenden, öffentlichrechtlichen internationalen öffentlichen Rechts sind Kopp, DVBl 1967, 471; Ohler, Kollisionsordnung, 2005, 33 ff.; ders., in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 131 ff.; Menzel, IÖR, 2011, passim; für potentielle Mehrseitigkeit Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 145 f.; diesem folgt Grof, JurBl 1986, 213 l.Sp. – Für Einseitigkeit dagegen grundlegend Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 115 ff.; auch Heiz, Recht, 1959, 52; Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 194 ff.; Wiethölter, BerGesVR 7 (1967) 155; Meng, ZaöRV 44 (1984) 723; Siehr, RabelsZ 52 (1988) 75; Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 38 ff.; Hofmann, Grundrechte, 1994, 197; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 6, S. 1238; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 53, 58 f. zu § 4, S. 232, 236; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 73 zu § 3. 59 Allgemeine Auffassung, Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 2 IV 1, S. 149; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 59 zu § 4, S. 237. 60 Vgl. zum Begriff des internationalen Enteignungsrechts oben §§ 1, 4 III 1, 9 I. 61 Vgl. zur Terminologie v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 52 ff., 80 ff. zu § 4, S. 230 ff., 256 ff.
§ 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes – I 2
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Rechts, das nach deutschen Maßstäben öffentliches Recht62 wäre, in die deutsche Rechtsordnung übernommen werden. Das privatrechtliche internationale öffentliche Recht unterscheidet sich vom öffentlichrechtlichen internationalen öffentlichen Recht durch Perspektive und Zeitpunkt der Betrachtung: Beim privatrechtlichen internationalen öffentlichen Recht haben ausländische Stellen bereits hoheitlich gehandelt, beim öffentlichrechtlichen steht eine hoheitliche Handlung der deutschen Stellen noch bevor. Beim privatrechtlichen internationalen öffentlichen Recht geht es damit in einem gewissen Sinne nur um Vorfragen bei der innerstaatlichen Rechtsanwendung.63 Es ist allerdings zu eng, zu sagen, die Vorfrage betreffe nur zivilrechtliche Hauptfragen vor Zivilgerichten.64 Die sehr beachtliche Bestrebung, das öffentlichrechtliche und das privatrechtliche internationale öffentliche Recht zu einem einheitlichen System zu verbinden, konnte kein umfassendes Rechtsgebiet etablieren, das Deduktionen erlaubte.65 Das internationale Enteignungsrecht betrifft zudem ohnehin nur die zweite Stufe. Daher soll in dieser Arbeit auf diese Lehre nicht näher eingegangen werden. Man kann hier zusammenfassen: Wird das internationale Enteignungsrecht dem internationalen öffentlichen Recht bzw. dem internationalen Verwaltungsrecht zugeordnet, ist damit das privatrechtliche internationale öffentliche Recht gemeint. 2. Internationales Verfahrensrecht als Unterbereich
§ 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes – I 2
Ob der Enteignungsstaat sich einer Enteignungsnorm oder eines enteignenden Verwaltungsaktes bedient hat, wird von manchen Autoren zum Anlass genommen, die ungeschriebene Anerkennungsnorm des Gebietsgrundsatzes verschiedenen Rechtsbereichen zuzuordnen. Die Anerkennungsregel soll bei Legislativenteignungen dem internationalen öffentlichen Recht, bei Administrativenteignungen dagegen dem internationalen Verfahrensrecht angehö-
62
Siehe genauer unten § 13 II 3. Nach der Natur der Hauptfrage unterscheidet Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 296; kritisch zur Unterscheidung in Haupt- und Vorfrage Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 87 und v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 52 zu § 4, S. 231 f.; begrifflich abweichend Kegel, Probleme, 1956, 18 (er bezeichnet die Anerkennung nach Verbringung bei Enteignungen dinglicher Rechte als Hauptfrage; dagegen gehe es in den übrigen Fällen der Enteignungsanerkennung um Vorfragen). 64 So aber Korte, Anerkennung, 1992, 33 f. und MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 4 zu Art. 46 EGBGB Anh. 65 Vgl. zu diesem Ansatz Eichenhofer, FS Jahr 1993, 435 ff., 452. Nach dieser sogenannten Zweistufentheorie fragen sowohl das internationale öffentliche Recht als auch das internationale Privatrecht in einem ersten Schritt nach der Anwendbarkeit des eigenen Rechts und erst in einem zweiten Schritt nach der Beachtung fremden Rechts. 63
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
ren.66 Für die Ausgestaltung der Anerkennungsregel jedoch sei die unterschiedliche Zuordnung ohne Einfluss. Folgt man diesem Vorschlag, muss das internationale Verfahrensrecht aufgespalten werden in ein kollisionsrechtliches und ein prozessbezogenes internationales Verfahrensrecht; je nachdem, ob der Begriffsbestandteil „Verfahren“ auf die Natur des ausländischen Aktes (wenn Verwaltungsakt, dann internationales Verfahrensrecht) oder auf ein Gerichtsverfahren in Deutschland bezogen ist.67 Das internationale Verfahrensrecht, welches die Anerkennung von Administrativenteignungen betrifft, erfordert jedoch kein förmliches Anerkennungsverfahren in Deutschland.68 Es hat vielmehr eine kollisionsrechtliche Funktion. Die Anerkennung von Administrativ- und Legislativenteignungen unterschiedlichen Rechtsbereichen zuzuordnen, bringt keinen Vorteil. Die Problematik wird nur scheinbar greifbarer, wenn man sie in diese größeren Zusammenhänge stellt. Beide Rechtsbereiche sind kaum erschlossen.69 Erkenntnisse über das internationale Enteignungsrecht können durch Rückgriff auf eine so unbestimmte Kategorie wie die des kollisionsrechtlichen internationalen Verfahrensrechts nicht gewonnen werden. Der Gebietsgrundsatz, der nach herrschender Meinung der Beantwortung der Anerkennungsfrage bei Auslandsenteignungen zugrunde liegt,70 ebenso aber die abweichenden Ansätze der Literatur,71 behandeln Administrativenteignungen und Legislativenteignungen nach denselben Regeln. Selbst wenn es also einen allgemeinen Teil des privatrechtlichen internationalen öffentlichen Rechts und des kollisionsrechtlichen internationalen Verfahrensrechts gäbe, so würde das internationale Enteignungsrecht jedenfalls den spezielleren Rechtssatz aufstellen. 66
Vgl. Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 164 f.; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 16, 228 f., 243; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 142 zu § 4, S. 301; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 2 IV 1, S. 149; Kuckein, Berücksichtigung, 2008, 53 Fn. 247; MüKoSonnenberger, 2010, Rn. 422 zu Einl. IPR; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 33 zu Art. 46 EGBGB Anh.; allgemein, also nicht zum internationalen Enteignungsrecht, auch Drobnig, FS v.Caemmerer 1978, 697; König, Anerkennung, 1965, 13. 67 Das internationale Zivilverfahrensrecht, wie es gewöhnlich verstanden wird, beinhaltet die Gesamtheit der Regeln, die einen Bezug zu einem in Deutschland stattfindenden, aber auslandsbezogenen, Prozess aufweisen. Die gängigen Werke zu diesem Bereich behandeln denn auch konsequenterweise das internationale Enteignungsrecht nicht. Siehe beispielsweise Nagel/Gottwald, IZPR, 2007, § 1 Rn. 38, 40; Geimer, IZPR, 2015, Rn. 18; Schack, IZVR, 2014, § 1 Rn. 10. 68 Dazu bedürfte es einer gesetzlichen Grundlage, vgl. v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 75 zu § 4, S. 251. 69 Für das internationale Verfahrensrecht immer noch gültig König, Anerkennung, 1965, 9, 11 f., 73 (bei der Anerkennung ausländischer Staatsakte seien allgemeine Regeln nicht möglich; es fehle bereits an einer hinlänglichen Typisierung der fremden Akte). 70 Vgl. oben § 9 I 1. 71 Zu diesen unten § 13.
§ 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes – II 1
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Da sich die dogmatische Zuordnung auf die Ergebnisse nicht auswirkt, empfiehlt es sich der besseren Lesbarkeit wegen, begrifflich einen Bereich dominieren zu lassen und den anderen entsprechend zu behandeln. Terminologisch soll in dieser Arbeit weiterhin eine enteignende Norm den Ausgangspunkt bilden und die Enteignungen durch einen Verwaltungsakt gleichbehandelt werden.72 Als Enteignung zu qualifizierende Justizakte können bei dieser Lösung ebenfalls einfach entsprechend behandelt werden, ohne dass man wiederum einen gesonderten Rechtsbereich schaffen müsste, der sich mit der letztlich kollisionsrechtlichen Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkungen ausländischer Urteile befasste. II. Internationales Privatrecht Verbreitet wird der Gebietsgrundsatz dem internationalen Privatrecht zugeordnet.73 1. Dogma der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts § 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes – II 1
Ausgangspunkt der dogmatischen Kontroverse ist die leider immer noch umstrittene Frage, ob ausländisches öffentliches Recht in Deutschland „angewendet“ werden kann.74 Zwar sind nach allgemeiner Auffassung die privatrechtsgestaltenden Wirkungen, die ausländische Enteignungen im Enteignungsstaat hervorbringen, unter bestimmten Voraussetzungen in die deutsche Rechtsordnung zu übernehmen. Es ist aber umstritten, ob dies als „Anwen72
Den Primat der Legislativenteignung wählen auch Schulze, Recht, 1972, 201; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 80 zu § 3; allgemein auch Wengler, RabelsZ 16 (1951) 21; siehe auch Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 333. 73 So Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 291; Vogel, FS Raape 1948, 215; Baade, JahrbIntR 3 (1954) 134; Mann, NJW 1961, 705 l.Sp.; ders., RabelsZ 27 (1962/63) 3; Fickel, AWD 1974, 69; Féaux de la Croix, FS Möhring 1965, 28; Stöcker, WM 1965, 451 (er ist besonders gegen eine Zuordnung zum internationalen Verwaltungsrecht; dieses unterentwickelte Rechtsgebiet sei „mit Rechtsinstituten so sparsam ausgestattet, wie wohl kaum ein anderes Rechtsgebiet; es [... gebe] eigentlich nur das Territorialitätsprinzip, nicht einmal eine Notstandsklausel“, die im Einzelfall extraterritoriale Wirkungen zuließe, existiere); Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 294 ff.; Petersmann, WiR 1973, 299; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 72; Flume, FS Mann 1977, 143; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-122; Lederer, Enteignung, 1989, 99, 131; ders., IPRax 1994, 146 l.Sp.; Junker, in: Jayme/Furtak (Hrsg.), Rechtseinheit, 1991, 197; Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 83 ff.; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 199 zu IntSachenR; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 76 zu § 4, S. 251; Menzel/Pierlings/Hoffmann, Völkerrechtsprechung, 2005, Fall 124, S. 692; Kläger, JuS 2008, 971; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 2, 14 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Menzel, IÖR, 2011, 273; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 12, 14 zu Art. 46 EGBGB; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 962 zum IntGesR; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 1 f., 15 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I (für den positiven Gebietsgrundsatz). 74 Es geht hierbei genauer gesagt um diejenigen fremdstaatlichen Normen, die von der internationalprivatrechtlichen Verweisung nicht umfasst werden, dazu unten § 13 II 3.
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dung“ bezeichnet werden kann.75 Wer den Begriff der Anwendung ablehnt, sieht sich in einem nächsten Schritt dazu gezwungen, die in manchen Fällen erwünschte Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkungen mit einer anderen Vokabel zu belegen.76 Dazu gibt es verschiedene Vorschläge.77 Man ist geneigt, dem Unanwendbarkeitsdogma seiner Bedeutungslosigkeit wegen keinen größeren Raum zu gewähren. Dies stünde in keinem Verhältnis zu seiner materiellen Bedeutung. Der Nichtanwendbarkeitsgrundsatz wird in
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Gegen den Begriff der Anwendung BGH vom 17.12.1959 (VII ZR 198/58), in: NJW 1960, 1102 m.N. (= BGHZ 31, 367) (interlokal) („Grundsatz der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts, zu dem sich der BGH im internationalen und interlokalen Enteignungsrecht in ständiger Rechtsprechung bekannt hat“); Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 58; Vannod, Fragen, 1959, 50 f.; Schulte-Uhlenbrock, Rechtsverhältnisse, 1968, 11; Lederer, Enteignung, 1989, 126 Fn. 4, 132 (selbst allerdings immerzu von Anwendung sprechend); Kreuzer, IPRax 1990, 365 Fn. 7, 366 (die Beurteilungsmaßstäbe bei der Ordre-public-Kontrolle seien unterschiedlich); Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 225 ff.; Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 84; ders., IPRax 2003, 434 r.Sp.; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 199 zu IntSachenR; MüKoKreuzer, 1998, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 1, 14 zu Art. 46 EGBGB Anh. (offener aber in Rn. 33); Anton, Kulturgüterverkehr, 2010, Rn. 132 zu Teil 3, S. 165; Berentelg, Act of State, 2010, 140, 271, 276; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 51, 73 zu § 3; ausdrücklich gegen den Begriff der Anwendung auch StaudingerMansel, 2015, Rn. 3, 10, 18 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I, der jedoch in Rn. 3 einräumt, dass es zu einer „unmittelbaren Anwendung des Rechts des [...] Enteignungsstaates“ komme, da geprüft werde, „ob und wie der Enteignungsakt [...] nach dem Recht des ausländischen Enteignungsstaates die Rechtslage im Enteignungsstaat geändert“ habe, und damit das ausländische Enteignungsrecht selbst anwenden möchte. – Ausdrücklich für den Begriff der Anwendung dagegen Wengler, IntRDipl 1 (1956) 194; Mann, NJW 1961, 707 r.Sp.; Neuhaus, WM 1966, 136; Kopp, DVBl 1967, 470 r.Sp.; Schulze, Recht, 1972, 75; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 76 f.; Schwander, Sonderanknüpfung, 1975, 93; Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 240; Grof, JurBl 1986, 212; Leisner, NJW 1991, 1571 Fn. 20; Korte, Anerkennung, 1992, 27; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 1, S. 1099 („[e]ine fremde Enteignung anerkennen heißt das fremde Enteignungsrecht anwenden“); Dutta, Durchsetzung, 2006, 25, 31; Kuckein, Berücksichtigung, 2008, 53; Nomos-v.Plehwe, 2012, Rn. 56 zu Art. 43 EGBGB. – Selbstverständlich von Anwendung sprechen beispielsweise Duden, FS Raape 1948, 119, 125 et p.; Wolff, IPR, 1954, 68 et p.; Heiz, Recht, 1959, 94 f. et p.; Raape, IPR, 1961, 661; Stöcker, WM 1965, 451 et p.; Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 121 et p.; Heintzeler, Fall, 1972, 96; Behrens, Unternehmen, 1980, 15, 29, 64, 77; Matthias, FS v.Simson 1983, 268; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 617; Drobnig, RabelsZ 52 (1988) 4; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 75 zu § 4, S. 250 (Anwendung aber nur des privatrechtlichen Teils); Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 191 bezeichnet sogar die Berücksichtigung im Rahmen des Tatbestandes (dazu unten § 10 II 3) als Anwendung. 76 Treffend Schwander, Sonderanknüpfung, 1975, 93. 77 Dazu sogleich § 10 II 2 und 4.
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anderen Rechtsbereichen fast allgemein abgelehnt. Im internationalen Enteignungsrecht aber kann er sich bemerkenswerterweise noch behaupten.78 Kern der begrifflichen Auseinandersetzung ist eine Vermengung des privatrechtlichen und des öffentlichrechtlichen internationalen öffentlichen Rechts.79 Nach verbreiteter Ansicht kann ausländisches öffentliches Recht im Rahmen des öffentlichrechtlichen internationalen öffentlichen Rechts nicht angewendet werden. Ein so verstandener Unanwendbarkeitsgrundsatz ist Kehrseite der verbreitet angenommenen Einseitigkeit des öffentlichrechtlichen internationalen öffentlichen Rechts.80 Wie bereits dargelegt, geht es im internationalen Enteignungsrecht aber um das privatrechtliche internationale öffentliche Recht. Die Argumente gegen die Anwendung ausländischen Enteignungsrechts richten sich nun jedoch nur gegen das öffentlichrechtliche internationale öffentliche Recht.81 Sie gehen daher an der Sache vorbei. Der für das öffentlichrechtliche internationale öffentliche Recht entwickelte Unanwendbarkeitsgrundsatz wurde nur so allgemein formuliert, dass er sprachlich auch das privatrechtliche internationale öffentliche Recht umschloss. Dieser unpräzise Sprachgebrauch ist Kern des oft behaupteten, doch nie nachgewiesenen, Grundsatzes der Nichtanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts und Grund für die zahlreichen internationalprivatrechtlichen Theorien des internationalen Enteignungsrechts. Diese sind geradezu nur vor dem Hintergrund des Unanwendbarkeitsdogmas verständlich. Bei näherer Betrachtung verbergen sich hinter dem Nichtanwendungsgrundsatz 78
Gegen den Unanwendbarkeitsgrundsatz Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 426 (der Satz schieße weit über das Ziel hinaus); Mann, RabelsZ 21 (1956) 3; ders., FS Wahl 1973, 142 ff.; Heiz, Recht, 1959, 113 ff.; Jaenicke, BerGesVR 7 (1967) 97, 104; Wiethölter, BerGesVR 7 (1967) 138; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 73, 77, 81, 94; Behrens, Unternehmen, 1980, 64; Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 144; RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 122, VI/2, 792 Fn. 177; Schütz, ordre public, 1984, 36; Meessen, AöR 110 (1985) 411 f.; Kreuzer, Wirtschaftsrecht, 1986, 77 ff.; Huwyler, Personen, 1989, 52 ff. [Schweiz]; Mankowski, RIW/AWD 1994, 692 (der Nichtanwendbarkeitsgrundsatz entstamme gerade dem internationalen Enteignungsrecht und diene dort nur dazu, die Nichtanerkennung extraterritorialer Enteignungen zu begründen); Lederer, Enteignung, 1989, 137 ff. (im internationalen Enteignungsrecht liege aber keine Anwendung vor); ders., IPRax 1994, 146 l.Sp.; Zeppenfeld, Anknüpfung, 2001, 40 ff.; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 2 IV 1, S. 148; MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 399 zu Einl. IPR. 79 Ähnlich Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 198; zu den Begriffen oben § 10 I 1. 80 Siehe zur Einseitigkeit oben § 10 I 1. 81 Dass sich der Widerwille gegenüber dem Begriff der Anwendung nur gegen das öffentlichrechtliche internationale öffentliche Recht richtet, geht aus den gegebenen Begründungen hervor, siehe etwa bei Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 196 ff. zu IntSachenR; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (es gehe nicht um eine Enteignung durch deutsche Gerichte, daher könne man nicht von einer Anwendung sprechen); Berentelg, Act of State, 2010, 139; siehe auch MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 1 zu Art. 46 EGBGB Anh. und Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 73 zu § 3.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
aber nur eine Ablehnung der Einheitsanknüpfung und der Gebietsgrundsatz als Sonderanknüpfungsnorm.82 Wie bereits in der Einleitung hervorgehoben, besteht Einigkeit, manche fremdstaatlichen Enteignungen anzuerkennen, andere nicht. Es geht im internationalen Enteignungsrecht damit um ein Grenzkriterium.83 Der Unanwendbarkeitsgrundsatz konnte sich im internationalen Enteignungsrecht wahrscheinlich gerade deshalb so lange halten, weil sich aus ihm ein solches Grenzkriterium deduzieren zu lassen schien. Das Dogma der Unanwendbarkeit diente im internationalen Enteignungsrecht nämlich insbesondere der Nichtanerkennung extraterritorialer Enteignungen.84 Es ist freilich zweifelhaft, ob die Lösung der Anerkennungsproblematik auf einer so begrifflichen Ebene gesucht werden sollte. Für den Begriff der Anwendung streitet auch, dass er der Terminologie im deutschen Recht für Inlandssachverhalte entspricht. Enteignet eine deutsche Stelle, wendet sie eine Ermächtigungsnorm an. Möchten nun andere inländische Rechtsanwender wissen, ob durch die Enteignung das Recht auf ein anderes Rechtssubjekt übergegangen ist, wenden sie diesen Enteignungsakt an (dessen Wirksamkeit ergibt sich freilich aus einer Anwendung der Rechtsgrundlage). Sie enteignen nicht nochmals, sondern prüfen, was durch eine bereits erfolgte Enteignung geschehen ist. Dieser Vorgang heißt im nationalen Recht Anwendung. Es ist kein Grund ersichtlich, ihn im internationalen Recht nicht Anwendung zu nennen. 2. Aufspaltung des ausländischen Enteignungsaktes Eine bereits vorgestellte terminologische Unterscheidung geht dahin, zwischen einem privatrechtlichen und einem öffentlichrechtlichen internationalen öffentlichen Recht zu unterscheiden.85 Eine „Anwendung“ sei nur beim privatrechtlichen internationalen öffentlichen Recht – dem auch das internationale Enteignungsrecht zugehöre – möglich.86 Die ausländische Enteignungsnorm müsse aufgespalten werden. Nur ihr privatrechtsgestaltender Teil werde angewendet, nicht aber der öffentlichrechtliche Vorgang des Enteignens. 87 Deutsche Behörden enteigneten nämlich nicht nach ausländischem Enteignungsrecht. Sie wendeten das ausländische Enteignungsrecht nicht als Enteignungsrecht an.88 82
Vgl. auch unten § 13 II 3. Vgl. oben §§ 1, 9 I 3. 84 Ebenso Mankowski, RIW/AWD 1994, 692. 85 Dafür sind v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 52 ff. zu § 4, S. 230 ff.; siehe dazu bereits § 10 I 1. 86 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 80 zu § 4, S. 256. 87 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 75 zu § 4, S. 250; gegen eine Aufspaltung Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 228. 88 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 75 zu § 4, S. 250. 83
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Die vorliegende Untersuchung schließt sich dieser begrifflichen Unterscheidung im Grundsatz an. Eine Aufspaltung des ausländischen Enteignungsaktes ist aber nicht nötig und bei näherer Betrachtung auch nicht möglich. Möchte ein Rechtsanwender, gehöre er dem Enteignungsstaat oder einem anderen Staat an, feststellen, wem ein Recht infolge einer bereits erfolgten Enteignung bei Zugrundelegung dieser Enteignungsnorm zugeordnet ist, wendet er eben nur die Enteignungsnorm an. Diese selbst kann nur „privatrechtlich“ angewendet werden. In Deutschland wird zwar selbstverständlich nicht nach ausländischem Enteignungsrecht enteignet. Dies könnte man unter Berufung auf die Enteignungsnorm jedoch auch gar nicht. Diese enthält nämlich keinen ermächtigenden Teil, sondern nur einen privatrechtsgestaltenden. Die Rechtsgrundlage ist dem Enteignungsakt vorgelagert. Die ermächtigende Norm aber spielt nur inzident bei der Frage der Rechtmäßigkeit des Enteignungsaktes nach dem Recht des Enteignungsstaates eine Rolle. Die Enteignungsnorm selbst wird daher stets in ihrer Gesamtheit angewendet. 3. Datumtheorie
§ 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes – II 3
Die Anerkennung ausländischer Enteignungen kann nicht mit der sogenannten Datumtheorie erklärt werden. 89 Der ausländische Enteignungsakt kann auf zwei Ebenen für die innerstaatliche Rechtsordnung bedeutsam werden. Es gilt zu unterscheiden: Zum einen besteht die Möglichkeit einer materiellrechtlichen Berücksichtigung der ausländischen Enteignung als Teil des Sachverhaltes.90 Dies läuft auf die Auslegung einer inländischen Norm hinaus. Beispielsweise kann eine Sache, an der der Enteignungsstaat ein Recht enteignet hat, im Sinne einer Vorschrift des inländischen Versicherungsrechts als abhanden gekommen gelten.91 Ferner kann jemand im Sinne einer deutschen Unterhaltsnorm als nicht bedürftig anzusehen sein, weil ihm im Ausland tatsächlich geldwerte Rechte zur Verfügung stehen, auch wenn die deutsche Rechtsordnung sie einem anderen zuordnet. Diese Art der Faktenberücksichtigung ist unbestritten möglich. Es heißt, sie erfolge im Privatinteresse.92 Genauer gesagt erfolgt 89
Zu dieser einführend v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 124 zu § 4, S. 286 ff. Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 190 ff.; Kegel, Probleme, 1956, 20; Schulze, Recht, 1972, 250 ff.; RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 106, 276 f.; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 79 zu § 3; Jayme, GS Ehrenzweig 1976, 40; Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 28; siehe auch Mülbert, Eingriffsnormen, IPRax 1986, 140. 91 Beispiel nach Wengler, IntRDipl 1 (1956) 203. 92 So schon Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 190 („[e]s gibt Fälle einer Beachtung fremden Verwaltungsrechts, deren Motiv augenscheinlich nicht in Rücksichten auf die fremde Regelung als solche begründet ist, sondern in der Rückwirkung, die eine derartige Regelung gegenüber Dritten besitzt“); Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 79 zu § 3 (die Berücksichtigung diene der Einzelfallgerechtigkeit). 90
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
sie in den von der entsprechenden Hauptfragenorm geschützten Interessen. Diese Berücksichtigung betrifft nicht den normativen Gehalt des ausländischen Eingriffsrechts, sondern die tatsächlichen Auswirkungen desselben.93 Allein hier sollte man – in Abgrenzung zur Anwendung und Anerkennung – von einer „bloßen Berücksichtigung“ der ausländischen Enteignung sprechen, da die innerstaatlichen Rechtsfolgen nur dem deutschen Recht (als lex causae) entnommen werden.94 Diese Art der Berücksichtigung beantwortet aber nicht die Frage, wer infolge einer fremdstaatlichen Enteignung aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Rechtsinhaber geworden ist. Sie betrifft also nicht den Gebietsgrundsatz. Es wird allerdings noch aufgezeigt werden, dass der berechtigte Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes nur Enteignungen dinglicher Rechte, nicht aber etwa Forderungsenteignungen umfasst. Bei diesen ist der ausländische Enteignungsakt bei der Frage, ob ein Leistungsverweigerungsrecht nach der lex fori gewährt werden sollte, nur in diesem Sinne zu berücksichtigen.95 Abzulehnen ist jedoch eine andere Art der Faktenwirkung. Bei dieser stellt das „Faktum“ schon das Ergebnis dar, das einheitlich für die gesamte deutsche Rechtsordnung gelten soll. Dieses Faktum kann hier also nicht der jeweiligen Hauptfragenorm entnommen werden. Beispielsweise kann § 985 BGB nicht durch Auslegung entnommen werden, unter welchen Voraussetzungen der Anspruchsteller infolge einer ausländischen Enteignung auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung als Eigentümer anzusehen ist. Die ausländische Enteignung ist also nicht Teil des Sachverhaltes, sondern eine kollisionsrechtlich gesondert zu behandelnde Frage. Sie geht jeder Norm vor, die das Eigentum zur Tatbestandsvoraussetzung hat. Da der Gebietsgrundsatz diese zweite Art der Faktenberücksichtigung betrifft, kann ihn der Datumsansatz nicht erklären. Gleiches gilt für die Rechtsverkehranerkennung. 96 Auch diese kann der Datumsansatz nicht erklären. 4. Rechtstatsachen
§ 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes – II 4
Wer vom Unanwendbarkeitsdogma97 oder von der Nichtanerkennung 98 ausländischer Enteignungen nach internationalem öffentlichen Recht ausgeht, 93
Schulze, Recht, 1972, 251; allgemein auch v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 124 zu § 4, S. 286 f. und Zimmer, IPRax 1993, 68 f. 94 Ebenso Ohler, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 150. 95 Vgl. zur Frage nach Leistungsverweigerungsrechten bei der Forderungsenteignung unten § 18 II. 96 Vgl. zu dieser unten § 11 II 1. 97 Vgl. oben § 10 II 1. 98 Vgl. unten § 11 I.
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aber die privatrechtsgestaltenden Wirkungen gewisser ausländischer Enteignungen in die deutsche Rechtsordnung übernehmen möchte, scheint in eine Sackgasse geraten zu sein. Denn wie bereits festgestellt wurde, wirkt die fremdstaatliche Enteignung in der deutschen Rechtsordnung nicht aus eigener Kraft.99 Es gibt auch keine völkergewohnheitsrechtliche Pflicht, fremdstaatliche Enteignungen anzuerkennen.100 Es gilt nun, einen Weg zu finden, dem ausländischen Enteignungsakt auch in der deutschen Rechtsordnung Wirkung beizumessen, ohne aber das ausländische öffentliche Recht „anzuwenden“ oder den ausländischen Enteignungsakt „anzuerkennen“. Als Ausweg wird vorgeschlagen, in der fremdstaatlichen Enteignung eine „hinzunehmende Rechtstatsache“ zu erblicken.101 Der Begriff der Rechtstatsache ist ein Produkt der Not. Dieser Weg empfiehlt sich aus folgenden Gründen nicht: Der Begriff der Tatsache (des Gegebenen, also des Datums) ist schon besetzt für Umstände, die als Teil des Sachverhaltes (materiellrechtlich) berücksichtigt werden. Es würden ähnliche Begriffe für verschiedene Dinge verwendet werden. Die „Hinnahme einer Rechtstatsache“ im Sinne der Genannten ist nämlich etwas grundlegend anderes als die Berücksichtigung von „Daten“.102 Die Rechtsfolgen beider Arten der Faktenberücksichtigung sind verschieden, wenn sie auch im Einzelfall zu ähnlichen Ergebnissen führen können. Ähnliche Ergebnisse werden etwa dann erzielt, wenn einem Verkäufer ein Recht an einem Kaufgegenstand enteignet wird, noch bevor er erfüllen konnte. Wird die Rechtswirkung der Enteignung in die deutsche Rechtsordnung übernommen, liegt rechtliche Unmöglichkeit vor, sonst faktische. 99
Dazu oben §§ 1, 4 II 1 a.E. Dazu oben § 4 I. 101 Von der Hinnahme einer Rechtstatsache oder Ähnlichem sprechen OLG Braunschweig vom 23.3.1948 (1 U 59/46), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 358 a (interlokal); OLG Hamburg vom 8.5.1951 (1 W 50/51), in: MDR 1951, 560 r.Sp. (interlokal, Rotationsmaschine); Lewald, RabelsZ 21 (1956) 124; Jungfleisch, Konfiskation, 1961, 26; Stoll, BerGesVR 4 (1961) 140; ders., in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 83 ff.; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 196, 198 f., 207 zu IntSachenR; Mössner, VR, 1977, 195; Schricker, GRUR 1977, 437 l.Sp.; Spickhoff, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 288; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 1, 3, 6, 9, 18, 47, 50 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 1, 14 zu Art. 46 EGBGB Anh.; zu einem speziellen Fall auch Flume, FS Mann 1977, 167 (der Ausschluss nur einzelner Gesellschafter sei eine Rechtstatsache, die auch hinsichtlich des inländischen Vermögens hinzunehmen sei). – Gegen die Rede von einer Hinnahme v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 130 zu § 4, S. 292 (aufgrund der normativen Folge der Anerkennung); Ficker, Grundfragen, 1952, 96 („[v]iel ist mit dieser Vokabel nicht gewonnen“); Polter, Auslandsenteignungen, 1975, 75 Fn. 2; Ferid, FS Dölle 1963, Bd. II, 130 (die Entscheidung werde nämlich durch einen Subsumtionsprozess getroffen; man könne aber nicht Tatsachen wiederum unter Tatsachen subsumieren); auch Münch, JahrbIntR 9 (1959/60) 90. 102 Zur Datumtheorie soeben § 10 II 3. 100
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Die begriffliche Nähe zur Datumtheorie scheint ferner zur gedanklichen Anlehnung an dieselbe zu verführen. Zunächst wird zu Unrecht behauptet, dass die Hinnahme im internationalen Enteignungsrecht rein im privaten Interesse der Beteiligten erfolge.103 Gerade aus dieser Interessenlage wird weiter unzulässig gefolgert, dass Deutschland als Anerkennungsstaat für die Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkungen der fremdstaatlichen Enteignung weder völkerrechtlich noch verfassungsrechtlich verantwortlich sei. Darüber muss aber richtigerweise das Völkerrecht beziehungsweise das Grundgesetz befinden, nicht die internationalprivatrechtliche Dogmatik. Die Rede von Tatsachen gibt sich den Anstrich sachlicher Legitimation, indem sie Sachzwänge nahelegt, die nicht bestehen. Dass die ausländische Enteignung keine Tatsache darstellt, wird schon daraus ersichtlich, dass im deutschen Recht zur Anerkennung eine ganze Reihe zusätzlicher Voraussetzungen diskutiert wird wie die Rechtmäßigkeit der Enteignung oder ein selbständiges Vollziehungserfordernis.104 Damit behandelt man die Enteignung aber schon nicht mehr als Tatsache. Der Begriff der Hinnahme deutet außerdem weniger an, als tatsächlich geschieht. Er ist daher abzulehnen, wenn ein passenderer Begriff zur Verfügung steht. Die Hinnahme von Rechtstatsachen ist dogmatisch kein Vorgang eigener Art, der eine Alternative zur Rechtsanwendung darstellte. Der Ausdruck dient nur der Begründung des im Gebietsgrundsatz enthaltenen räumlichen Grenzkriteriums für die Anwendung des ausländischen Enteignungsrechts.105 III. Internationales Wirtschaftsrecht In jüngerer Zeit wurde vorgeschlagen, das internationale Enteignungsrecht einem internationalen Wirtschaftsrecht zuzuordnen.106 Doch ist das Rechtsgebiet des internationalen Wirtschaftsrechts keine eigenständige dogmatische Kategorie wie das internationale Privatrecht oder das internationale öffentliche Recht.107 Vielmehr ist der Begriff des internationalen Wirtschaftsrechts ein Sammelbegriff für Regelungen, die einen Bezug zur internationalen Wirtschaft haben. Das Gebiet ist rechtlich breit und vielgestaltig. Es verfügt über einen sehr heterogenen Normenbestand. Ein allgemeiner Teil, der Ableitungen zuließe, besteht nicht.
103
Vgl. unten §§ 10 IV, 12 V. Zu den Einzelvoraussetzungen bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14. 105 Vgl. zu diesem Zweck des Unanwendbarkeitsgrundsatzes oben § 10 II 1 a.E. 106 Behrens, Unternehmen, 1980, 36 f. (die Grundwertung des internationalen Wirtschaftsrechts sei die Gegenseitigkeit); s. auch Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 242; Meessen, AöR 110 (1985) 413 ff. 107 Wiethölter, BerGesVR 7 (1967) 170; Joerges, RabelsZ 43 (1979) 7; Siehr, RabelsZ 52 (1988) 45. 104
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Wer also das internationale Enteignungsrecht dem internationalen Wirtschaftsrecht zuordnet, gewinnt dadurch nichts. Häufig ist es sogar neben dem internationalen Kartellrecht gerade das internationale Enteignungsrecht, das bei der Herausbildung eines internationalen Wirtschaftsrechts als Induktionsgrundlage dienen soll. Von diesen induktiv gewonnenen Erkenntnissen dann Rückschlüsse auf das internationale Enteignungsrecht zu ziehen und Sachfragen zu entscheiden, ist jedoch unzulässig. Dagegen, das gesamte internationale Enteignungsrecht dem internationalen Wirtschaftsrecht zu subsumieren, spricht ferner, dass es im internationalen Enteignungsrecht gar nicht immer um Wirtschaft geht. Behrens, der den internationalwirtschaftsrechtlichen Ansatz in die internationalenteignungsrechtliche Diskussion gebracht hat, behandelt zwar insbesondere Gesellschaftsenteignungen. Die vereinzelte Enteignung privater Nähmaschinen etwa hat aber schon begrifflich wenig mit einem internationalen Wirtschaftsrecht zu tun.108 In einem solchen Fall erscheint insbesondere die Wertung der Gegenseitigkeit als verfehlt, da sie die privaten Interessen der konkret Beteiligten dem abstrakten Gut der Gegenseitigkeit unterordnet.109 IV. Unerheblichkeit des dogmatischen Standpunktes
§ 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes – IV
Ob der Gebietsgrundsatz dem internationalen Privatrecht oder dem internationalen öffentlichen Recht zuzuordnen ist, ist eine rein begriffliche Frage.110 Für die Rechtsanwendung ergibt sich kein Unterschied. Im internationalen öffentlichen Recht wie im internationalen Privatrecht müssen die Anknüpfungspunkte präzise bezeichnet werden. Aus einer bestimmten dogmatischen Konstruktion lassen sich keine Antworten auf Einzelfragen ableiten. Der dogmatische Ausgangspunkt hat insbesondere auf die konkrete Ausgestaltung der Anerkennungsnorm – etwa die Frage nach einem selbständigen Vollziehungserfordernis111 – keinen Einfluss. Dies wird schon daran deutlich, dass Stoll, ein Vertreter der Hinnahmelösung, erst in der letzten Auflage sei-
108
Zu den Nähmaschinenfällen unten § 16 III 3. Zur Gegenseitigkeit beim internationalwirtschaftsrechtlichen Ansatz von Behrens unten § 13 IV 1, 3; zur Gegenseitigkeit als Wertung hinter dem Gebietsgrundsatz unten § 12 III 1. 110 Richtig schon Ficker, Grundfragen, 1952, 71 („handelt es sich doch nicht etwa darum, aus deduktiv gewonnenen Grundsätzen irgendwelche Lösungen für den konkreten Einzelfall abzuleiten“); ebenso Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 287 f.; Bogdan, Expropriation, 1975, 29; Huwyler, Personen, 1989, 40 Fn. 190; Berentelg, Act of State, 2010, 140, 142, 146; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 14 Fn. 55 zu Art. 46 EGBGB Anh.; vgl auch v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 56 zu § 4, S. 235; allgemein auch MüKoSonnenberger, 2010, Rn. 420 zu Einl. IPR. 111 Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14; zum selbständigen Vollziehungserfordernis unten § 14 III. 109
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
ner Staudinger-Kommentierung eine Vollziehung gefordert hat.112 Doch ist auch bei einer Zuordnung des Gebietsgrundsatzes zum internationalen öffentlichen Recht der Verzicht auf ein selbständiges Vollziehungserfordernis nicht zwingend. Man kann es als selbständige Voraussetzung des deutschen Rechts betrachten.113 Für die zu berücksichtigenden Interessen spielt es ebenfalls keine Rolle, ob der Gebietsgrundsatz dem internationalen Privatrecht oder dem internationalen öffentlichen Recht angehört.114 Auch wer den Gebietsgrundsatz dem internationalen Privatrecht zuordnet, muss wie allgemein bei Eingriffsnormen vom klassischen internationalprivatrechtlichen Interessenmodell abrücken und die spezifischen internationalenteignungsrechtlichen Interessen herausarbeiten. Insbesondere schließt die Zuordnung zum internationalen Privatrecht nicht aus, dass auch staatliche Interessen bedeutsam werden können. Die Zuordnung des Gebietsgrundsatzes zum internationalen Privatrecht oder zum internationalen öffentlichen Recht beeinflusst auch nicht die völkerrechtliche oder verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit Deutschlands als Anerkennungsstaat. Die Vertreter einer Einordnung in das internationale Privatrecht nehmen zwar teilweise an, Deutschland sei verfassungsrechtlich und völkerrechtlich nicht verantwortlich, da nur eine Rechtstatsache hingenommen werde,115 nur der privatrechtliche Teil des ausländischen Aktes angewendet werde116 oder die Hinnahme nur der beteiligten Individualinteressen wegen erfolge117. Diesen Vorstößen kann aber nicht gefolgt werden. Gegen sie sprechen schon normhierarchische Gesichtspunkte. Ob Deutschland verantwortlich ist, müssen die entsprechenden völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Normen selbst beantworten.118 Man sollte verfassungsrechtliche Wertungen und Überlegungen nicht auf die einfachrechtliche Ebene 112 Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 198, 206 f. zu IntSachenR (a.A. noch in Rn. 145 der Vorauflage); Stoll folgend Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 2, 9 ff., 48 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 113 Dagegen scheinen Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 2, S. 1099 ihre Ablehnung eines selbständigen Vollziehungserfordernisses auch damit begründen zu wollen, dass fremdes Recht „angewendet“ werde. 114 Zu den Interessen ausführlich unten § 12. 115 So Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 210 zu IntSachenR; ders., in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 82, 89 f., 95; ders., IPRax 2003, 434 r.Sp.; ebenso Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 61 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; ähnlich AmbroschKeppeler, Anerkennung, 1991, 221; vgl. auch oben § 10 II 4. 116 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 75 zu § 4, S. 250; siehe aber zutreffend v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 261 zu § 7, S. 716, nach denen die Anwendbarkeit der Verfassung nicht von Normen abhängen kann, die im Rang unter dieser stehen; vgl. auch oben § 10 II 2. 117 Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 199, 208 zu IntSachenR. 118 Zum Völkergewohnheitsrecht oben § 4 I; zum Verfassungsrecht unten §§ 15 II, 21 II.
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verlagern, sondern aufdecken und etwa beim Anwendungsbereich der jeweiligen Grundrechte erörtern. Die Rede von Rechtstatsachen kann den deutschen Staat seiner verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Verantwortlichkeit nicht entheben, wenn er verantwortlich ist. Ob er aber verantwortlich ist, beantwortet hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Verantwortlichkeit das Grundgesetz selbst, insbesondere die Grundrechte. Man kann der Verantwortlichkeit weder über einen sprachlichen Kniff („Hinnahme einer Rechtstatsache“) entkommen noch durch eine künstliche Aufspaltung einheitlicher Enteignungsvorgänge. Die dogmatische Einordnung des Gebietsgrundsatzes ist insbesondere bedeutungslos für die verfassungsrechtliche Frage nach dem Vorbehalt des Gesetzes. Das öffentlichrechtliche internationale öffentliche Recht119 unterliegt zwar dem Vorbehalt des Gesetzes.120 Das hier in Rede stehende internationale Enteignungsrecht dagegen, das dem privatrechtlichen internationalen öffentlichen Recht zugehört, unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes nur im gleichen Umfang wie auch sonst das internationale Privatrecht. Denn der deutsche Staat steht im internationalen Enteignungsrecht den Privaten nur so eingreifend gegenüber wie im klassischen internationalen Privatrecht. Anspruchsbezogen gesprochen geht es um die Beantwortung von Vorfragen. Die Folgerungen, die im deutschen Recht an die Unterscheidung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht geknüpft sind, sind bei der Beantwortung solcher Vorfragen aber bedeutungslos. So hat denn auch das BVerfG in seiner für das internationale Enteignungsrecht bedeutsamen Bodenreform-IEntscheidung die Frage nach dem Vorbehalt des Gesetzes nicht einmal angesprochen.121 V. Stellungnahme
§ 10 Dogmatische Verortung des Gebietsgrundsatzes – V
Die dogmatische Einordnung des internationalen Enteignungsrechts in das internationale Privatrecht oder das internationale öffentliche Recht ist damit für die Sachfragen ohne jede Bedeutung.122 Man kann auch die Zuordnung zu einem eigenständigen Bereich des Kollisionsrechts erwägen.123 Auch dies würde die Sachfragen nicht beeinflussen. 119
Vgl. zu den Begriffen oben § 10 I 1. Siehe ausführlich Ohler, Kollisionsordnung, 2005, 267 ff.; ders., in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 137. 121 BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 90 (Bodenreform I); Dutta, Durchsetzung, 2006, 203 f.; siehe ferner v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 76 zu § 4, S. 251, unklar aber das Verhältnis zu Rn. 125 zu § 4, S. 287, wo für die Sonderanknüpfung vertraglicher (!) Eingriffsnormen eine geschriebene deutsche Verweisungsnorm aufgrund des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG erforderlich sein soll, was für die materiellrechtliche Berücksichtigung solcher Normen spreche; siehe auch unten § 15 II 5. 122 Vgl. soeben § 10 IV. 123 So Berentelg, Act of State, 2010, 142, 259; vgl. auch König, Anerkennung, 1965, 13. 120
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Nun ist diejenige Einordnung vorzugswürdig, die sich am besten in die übrige Terminologie einfügt. Das internationale Enteignungsrecht gehört jedenfalls nicht zum internationalen Privatrecht im engeren Sinne, also dem internationalen Privatrecht der Verweisung, das die Frage beantwortet, welches Recht auf einen Sachverhalt mit einer Verbindung zu einem ausländischen Staat anzuwenden ist.124 Damit verbleiben die beiden Möglichkeiten, das internationale Enteignungsrecht dem internationalen Privatrecht im weiteren Sinne oder dem privatrechtlichen internationalen öffentlichen Recht125 zuzuordnen. Im letzteren Fall wird die (aus deutscher Sicht) öffentlichrechtliche Natur der Umverteilung im Enteignungsstaat, also die durch die Art der Rechtsgestaltung bewirkte Unterordnung im Verhältnis zum ausländischen Staat, betont.126 Vertreter dieser Auffassung bezeichnen die privatrechtsgestaltende Wirkung der Enteignung als bloßen Reflex. Wer hingegen das internationale Enteignungsrecht als Teil des internationalen Privatrechts im weiteren Sinne versteht, hebt damit die Natur des enteigneten Rechts beziehungsweise die privatrechtsgestaltende Wirkung der Enteignung hervor.127 Mitunter wird der Gebietsgrundsatz anstelle oder neben einer exakten dogmatischen Einordnung (jedenfalls) „funktional“ dem internationalen Privatrecht zugeordnet, da er über die Vorfrage entscheide, wer Inhaber eines privaten Rechts sei.128 Was das bedeuten soll, erschließt sich nicht unmittelbar: (1) In Betracht kommt, dass sich die Vorfrage nur bei privatrechtlichen Hauptfragenormen stellt.129 Dies scheidet aber, etwa in Anbetracht der polizeilichen Zustandsstörerhaftung, aus.130 (2) Ferner könnte es heißen, dass 124
Vgl. dazu auch unten § 13 II 3. Vgl. zum Begriff oben § 10 I 1. 126 Ficker, Grundfragen, 1952, 69 (bei einer Rechtsgestaltung durch öffentlichrechtlichen Eingriff sei das internationale Verwaltungsrecht einschlägig; dass der Eingriff aber meist in private Rechtsverhältnisse erfolge, verleihe dem Grenzbezirk eine „besondere Note“); ähnlich Veith/Böckstiegel, Schutz, 1962, 220 (das internationale Enteignungsrecht liege auf der Grenze zwischen internationalem Privatrecht und internationalem Verwaltungsrecht; es sei schwer einzuordnen). 127 So etwa v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 76 zu § 4, S. 251 (internationales Privatrecht, da es um den Bestand zivilrechtlicher Positionen gehe). 128 So vor allem MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ferner Kassaye, Entwicklungen, 1983, 271; Steinberg, NJ 1991, 3 l.Sp.; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 2 zu Art. 46 EGBGB Anh.; vgl. auch Drobnig, FS Neumayer 1985, 175 f.; unklar dagegen Anton, Kulturgüterverkehr, 2010, Rn. 137 zu Teil 3, S. 168 f. (das internationale Enteignungsrecht sei funktional ein Sondergebiet des innerstaatlichen Kollisionsrechts; seine Kernaussage aber entstamme dem allgemeinen Völkerrecht). 129 So Lederer, Enteignung, 1989, 97; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 228; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 31 zu Art. 46 EGBGB Anh. 130 Zuzugeben ist allerdings, dass bei kollisionsrechtlichen Vorfragen zu öffentlichrechtlichen Hauptfragenormen die Eigenart der Hauptfragenorm eine vom internationalen 125
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gerade das Privatrecht die Eigentumszuordnung regelt, das internationale Enteignungsrecht also wegen der privatrechtlichen Rechtsfolge der ausländischen Enteignung dem internationalen Privatrecht angehören soll. Das träfe aber ebenfalls nicht zu, da es auch im öffentlichen Recht Normen gibt (z.B. eben Enteignungsnormen), die als Rechtsfolge eine Eigentumsübertragung vorsehen. (3) Letztlich kann man die funktionale Zuordnung daher nur so verstehen, dass das internationale Privatrecht nun einmal entscheidet, wem das Eigentum nach gewissen Vorgängen im Ausland zugeordnet werden soll. Für eine funktionale Zuordnung zum internationalen Privatrecht spricht damit jedenfalls eine gewisse Sachnähe bei der Rechtsanwendung. Daher ist es auch verbreitet, das internationale Enteignungsrecht in Kommentaren im Anschluss an Art. 46 EGBGB darzustellen.131 Ob nun also der Gebietsgrundsatz dogmatisch dem internationalen Privatrecht oder dem internationalen öffentlichen Recht zuzuordnen ist, bleibt eine Frage terminologischer Vorliebe. Ordnet man ihn dem internationalen Privatrecht zu, muss man ein engeres von einem weiteren internationalen Privatrecht unterscheiden; betrachtet man ihn als internationales öffentliches Recht, ist zwischen einem privatrechtlichen und einem öffentlichrechtlichen internationalen öffentlichen Recht zu differenzieren. Beide Auffassungen betonen dabei einseitig einen Aspekt der Enteignung als eines hoheitlichen Eingriffs in ein privates Recht.132 Die Zuordnung erscheint als eine Frage des Akzents. Sich zwischen den Auffassungen zu entscheiden, ist jedoch gar nicht nötig. Beide Auffassungen sind gemessen an ihren jeweiligen Definitionen zutreffend. Betrachtet man diese Definitionen näher, so zeigt sich, dass die Auffassungen nur einen unterschiedlichen Abstraktionsgrad wählen. In der Sache geht es um dieselbe Erscheinung: Das privatrechtliche internationale öffentliche Recht ist nämlich Teil des internationalen Privatrechts in einem weiteren Sinne.133
Privatrecht abweichende Beurteilung der Vorfrage erfordern kann, vgl. dazu allgemein Samtleben, RabelsZ 52 (1988) 468 ff. 131 Dies befriedigt allerdings auch nicht ganz, da Art. 43 EGBGB explizit von Sachen spricht, während das internationale Enteignungsrecht auch die Enteignungsfolgen bei Rechten an unkörperlichen Gegenständen regelt. 132 Statt aller Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 2 f.: „Je nachdem, ob man dem hoheitsrechtlichen Charakter der ursprünglichen Entziehung oder den dadurch ausgelösten zahlreichen privatrechtlichen Konflikten die größere Bedeutung beimißt, fällt die Lösung dieser Konflikte in das Internationale Verwaltungsrecht oder in das Internationale Privatrecht.“ 133 Ähnlich v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 52 ff. zu § 4, S. 231 f.; ferner Siehr, RabelsZ 52 (1988) 46; siehe auch Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 4, 296, der das privatrechtliche internationale öffentliche Recht ausdrücklich nicht behandeln möchte und es aus Gründen des Sachzusammenhangs als zum internationalen Privatrecht gehörig betrachtet; zur Schwierigkeit der Begriffsbildung Ficker, Grundfragen, 1952, 5, der als Oberbegriff
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
§ 11 Anerkennung als Rechtsfolge des Gebietsgrundsatzes § 11 Anerkennung als Rechtsfolge des Gebietsgrundsatzes – I
I. Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkung Wie bereits festgestellt, behandelt das internationale Enteignungsrecht die Frage, unter welchen Voraussetzungen die privatrechtsgestaltenden Wirkungen, die der Enteignungsstaat einer Enteignung für seine Rechtsordnung beilegt, in die deutsche Rechtsordnung übernommen werden.134 Dieser Nachvollzug fremdstaatlicher Enteignungen wird nahezu allgemein als Anerkennung bezeichnet.135 Man kann präziser von einer Rechtslagenanerkennung oder Rechtslagenübernahme sprechen.136 Die Anerkennung im hier gemeinten Sinne erfolgt ohne behördlichen oder gerichtlichen Anerkennungsakt.137 Die (ungeschriebene) Anerkennungsnorm übernimmt die im Enteignungsstaat bestehende Rechtslage in dem Moment, in dem die Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt sind. Anerkennt etwa ein deutsches Gericht unter Berufung auf den Gebietsgrundsatz inzident eine fremdstaatliche Enteignung, wirkt dies hinsichtlich der Rechtsinhaberschaft aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung nicht konstitutiv. Man kann, in Abgrenzung zur förmlichen Anerkennung durch Anerkennungsakt, von einer kollisionsrechtlichen Anerkennung sprechen.138
für das internationale Privatrecht und das internationale Verwaltungsrecht den Begriff des Kollisionsrechts wählt. 134 Zur Fragestellung des internationalen Enteignungsrechts oben § 1; ferner oben §§ 4 III 1, 9 I am Anfang. 135 Siehe etwa BGH vom 28.2.1971 (III ZR 47/67), in: BeckRS 1972, 31124840 unter II 1 a, c (= MDR 1972, 494) (interlokal, Ammoniakwerk Me. GmbH gegen gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen G.); KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 343 (interlokal, Standuhr); LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 164 l.Sp. (Chile, Kupfer); ferner schon AG Berlin-Schöneberg vom 5.11.1928 (27 G 107/28), in: IPRspr 1928, Nr. 16 (Russland, Kunstgegenstände). 136 Vgl. auch Wengler, FS Universität Berlin 1955, 322 (Rechtslagenanerkennung als Nachahmung); terminologisch ähnlich schon Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 308 (Rechtslagenanerkennung oder Rechtslagenhinnahme); jüngst auch Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 1, 3, 47 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I (Rechtslagenübernahme). 137 Vgl. bereits § 10 I 2; siehe zudem v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 71 zu § 4, S. 247; Korte, Anerkennung, 1992, 34. – Dagegen ist Wölker, ZaöRV 43 (1983) 298 f. bei Gesellschaftsenteignungen (zum Begriff unten § 21 I) für ein gerichtliches Anerkennungsverfahren ähnlich dem Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile (unklar, ob de lege ferenda); dazu, dass ein solches Verfahren nicht existiert und insbesondere die Feststellungsklage als nur inter partes wirkend ungeeignet ist, Einsele, RabelsZ 51 (1987) 612. 138 Zur Unterscheidung RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 164; siehe auch v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 71 zu § 4, S. 247 (kollisionsrechtssubstituierend); vgl. auch die Ausführungen oben § 10 I 2 zum kollisionsrechtlichen internationalen Verfahrensrecht.
§ 11 Anerkennung als Rechtsfolge des Gebietsgrundsatzes – I
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Anerkannt wird dabei nicht der fremdstaatliche Rechtsakt schlechthin (was auch immer das bedeuten mag), sondern es wird nur die Wirkung, die dieser in der Rechtsordnung des Enteignungsstaates hervorbringt, in die deutsche Rechtsordnung übernommen.139 Unbegründet ist daher die von Stoll geübte Kritik, dass fremdstaatliche Enteignungen, weil sie mit der deutschen Rechtsordnung unvereinbar seien, nicht „anerkannt“ werden könnten.140 Gegen Stolls Terminologie ließe sich insbesondere einwenden, dass ein internationales öffentliches Recht ohne Anwendungsbereich für das internationale Enteignungsrecht nicht ins Leben gerufen zu werden braucht. Das BVerfG vermeidet es zwar, im Zusammenhang des internationalen Enteignungsrechts von einer Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen zu sprechen.141 Damit dürfte es sich aber nicht zur internationalenteignungsrechtlichen Dogmatik geäußert haben. Die übrige Rechtsprechung und die Literatur verwenden den Begriff der Anerkennung ohne Bedenken. 142 Gegen den Begriff der Anerkennung spricht jedoch, dass er in hohem Maße unbestimmt ist. Er hat keinen klar umrissenen Inhalt, sondern bezeichnet in der Rechtssprache sehr verschiedene Dinge.143 Doch macht ihn dies zugleich ungefährlich. Der Begriff der Anerkennung unterscheidet beispielsweise nicht zwischen Legislativ- und Administrativenteignungen. Dies aber ist sogar ein Vorteil, da beide gleichbehandelt werden.144 Seiner großen Verbreitung, seiner angenehmen Kürze und seines weiten Bedeutungsumfangs wegen 139
Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 296; ähnlich Polter, Auslandsenteignungen, 1975, 76. Siehe Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 81 ff. (Anerkennung bedeute Integration in die deutsche Rechtsordnung; fremdstaatliche Enteignungen seien aber regelmäßig mit der deutschen Rechtsordnung unvereinbar und könnten daher nicht anerkannt werden) und in: Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 196 zu IntSachenR (nach internationalem öffentlichen Recht würden Enteignungen ohne Anerkennungsgesetz nicht anerkannt; Anerkennung bedeute, den Akt in die eigene Rechtsordnung zu übernehmen und eigenen Akten gleichzustellen); ähnlich nunmehr auch Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 2 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; wie hier dagegen Berentelg, Act of State, 2010, 136 f. 141 So auch die Beobachtung von Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 80, der den Begriff der Anerkennung im internationalen Enteignungsrecht ablehnt und stattdessen den nicht minder kritikwürdigen Begriff der Hinnahme wählt; siehe etwa BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 123 (Bodenreform I) („als wirksam angesehen“); später verwendete das BVerfG den Begriff der Anerkennung besonders bei der Wiedergabe fremder Rechtsansichten, so in BVerfG vom 18.4.1996 (1 BvR 1452, 1459/90 und 2031/94), in: BVerfGE 94, 20 (Bodenreform II) und BVerfG vom 4.9.2008 (2 BvR 1475/07), in: BeckRS 2010, 51385 Rn. 6 ff., 19 (= WM 2008, 2035). 142 Dass das jüngere Schrifttum den Ausdruck Anerkennung bevorzugt, räumt auch Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 80 ein. 143 Schon Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 295 f. hat einen „verwilderten Sprachgebrauch“ beobachtet. Er gibt Beispiele für die vielfältige Begriffsverwendung. 144 Dazu oben § 10 I 2. 140
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
soll auch in dieser Untersuchung weiterhin von Anerkennung gesprochen werden. Im klassischen internationalen Privatrecht gibt es neben der Verweisungsebene noch eine anerkennungsrechtliche Ebene. Die Anerkennung ergänzt und überlagert die Verweisung. Es werden nämlich gewisse fremdstaatliche Akte in Deutschland anerkannt, auch wenn sie im Erlassstaat aufgrund eines Rechts ergangen sind, welches der deutsche Richter nach seinem internationalen Privatrecht einer Entscheidung nicht zugrunde gelegt hätte. Man kann von einer kollisionsrechtlichen Anerkennung sprechen.145 Die kollisionsrechtliche Anerkennung weist gewisse Parallelen zum internationalen Enteignungsrecht auf. Auch im internationalen Enteignungsrecht wird nämlich eine Rechtslage, die im Enteignungsstaat wirksam entstanden ist, unter bestimmten Voraussetzungen übernommen. Der Unterschied zwischen der klassischen kollisionsrechtlichen Anerkennung und der Anerkennung im internationalen Enteignungsrecht aber liegt darin, dass ausländische Enteignungen von der internationalprivatrechtlichen Verweisung nicht umfasst werden. Im internationalen Enteignungsrecht gibt es also keine Konkurrenz von Anerkennung und Verweisung, sondern nur die Anerkennung. Die Beziehung der Anerkennung im klassischen internationalen Privatrecht zur Anerkennung im internationalen Enteignungsrecht oder zur Behandlung ausländischer Eingriffsnormen ist noch nicht in aller Tiefe durchdrungen. Parallelen wie die Forderung, der anzuerkennende Akt müsse sich im Erlassstaat manifestiert haben, zeigen jedoch zumindest eine starke Verwandtschaft der Bereiche auf.146 Weite Teile der aktuellen Anerkennungsdiskussion lesen sich geradezu wie eine Beschreibung des Gebietsgrundsatzes des internationalen Enteignungsrechts.147 Allerdings gilt auch hier: Verschiedene Erscheinungen dem Begriff der Anerkennung zuzuordnen, löst die Probleme noch nicht. Die einzelnen Rechtsbereiche müssen gesondert untersucht werden.148
145
Siehe etwa Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 l.Sp. (bei der kollisionsrechtlichen Anerkennung gehe es um die Behandlung eines im Ausland vollzogenen Aktes als wirksam, unabhängig von der Frage des anwendbaren oder angewendeten Rechts), 393 l.Sp., 399 r.Sp.; zur Anerkennung im europäischen Rechtsraum Mansel, RabelsZ 70 (2006) 651. 146 Zur Manifestation etwa Coester-Waltjen, IPRax 2006, 392 l.Sp. 147 Vgl. auch Coester-Waltjen, IPRax 2006, 399 r.Sp. (die Gerechtigkeitsgehalte von Anerkennung und lex rei sitae seien ähnlich; auch die Behandlung ausländischen Eingriffsrechts ähnele der Anerkennung). 148 Ebenso Coester-Waltjen, IPRax 2006, 399 l.Sp.
§ 11 Anerkennung als Rechtsfolge des Gebietsgrundsatzes – II 1
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II. Abgrenzung zur Rechtsverkehranerkennung 1. Rechtsverkehranerkennung als relative Anerkennung
§ 11 Anerkennung als Rechtsfolge des Gebietsgrundsatzes – II 1
Eine fremdstaatliche Enteignung anzuerkennen, bedeutet also, ihre privatrechtsgestaltenden Wirkungen in die eigene Rechtsordnung zu übernehmen.149 Der Enteignete verliert sein Recht auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung, der Enteignungsbegünstigte erwirbt es. Die nachvollzogene Umverteilung wird dabei auch der Beurteilung von Folgeansprüchen zugrunde gelegt, deren Entstehung die Rechtsinhaberschaft zur Voraussetzung hat. Der Enteignungsbegünstigte wird damit aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung in jeder Hinsicht Rechtsinhaber. Man kann diese Art der Anerkennung als absolute Anerkennung bezeichnen. Wann in diesem Sinne absolut anerkannt wird, regelt nach herrschender Meinung der Gebietsgrundsatz. Wenn in dieser Arbeit lediglich von Anerkennung die Rede ist, ist damit stets die absolute Anerkennung gemeint. Wird in diesem Sinne absolut anerkannt, bedarf es keiner Ergänzung durch die sogleich zu besprechende relative Anerkennung. Denn die absolute umfasst die relative Anerkennung. Die positive Seite des Gebietsgrundsatzes regelt also sowohl die absolute als auch die relative Anerkennung. Wird beispielsweise die Enteignung des Eigentums an einem Feld absolut anerkannt, steht dem Enteignungsbegünstigten auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung das Eigentum an der Ernte zu, wenn dessen Erwerb nach Lageortsrecht das Eigentum am Feld voraussetzt. Oder: Wird das Feld von einem Dritten beschädigt, steht dem Enteignungsbegünstigten bei einer absoluten Anerkennung auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung der Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger zu. Wird eine Enteignung dagegen nicht absolut anerkannt, so ordnen der Enteignungsstaat und Deutschland als Anerkennungsstaat ein Recht verschiedenen Personen zu. Es entsteht ein hinkendes Rechtsverhältnis.150 Dass aber im Enteignungsstaat eine andere Rechtslage als in Deutschland faktisch gilt, kann nicht in jeder Hinsicht unberücksichtigt bleiben. Es stellt sich daher die Frage, ob die unterschiedliche Zuordnung des Rechts auch für Folgeansprüche gilt, die nur mittelbar auf die Enteignung gestützt werden. Es geht dabei um Ansprüche, die „im Enteignungsstaat“ realisiert werden und deren Entstehung die Rechtsinhaberschaft des Enteignungsbegünstigten zur Voraussetzung hat. Wird hinsichtlich dieser Folgeansprüche auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung die Rechtslage im Enteignungsstaat zugrunde gelegt, so wird die Enteignung im Hinblick auf „den Rechtsverkehr im Enteignungsstaat“,
149 150
Vgl. soeben § 11 I. Vgl. bereits § 1.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
also relativ, anerkannt.151 Der negative Gebietsgrundsatz, wie er in § 9 I dargestellt wurde, betrifft damit nur die absolute Anerkennung. Eine relative Anerkennung schließt er aber nicht aus. Abzugrenzen ist die Rechtsverkehranerkennung von der Berücksichtigung einer fremdstaatlichen Enteignung als Teil des Sachverhaltes: Die Datumtheorie unterscheidet sich von der Rechtsverkehranerkennung schon dadurch, dass sie stets die Anwendung deutschen Rechts als lex causae voraussetzt.152 Die Rechtsverkehranerkennung betrifft ferner nicht die Frage, ob der Enteignungsbegünstigte aus der Sicht der Rechtsordnung des Enteignungsstaates Rechtsinhaber geworden ist; dies ist nämlich stets der Fall und Voraussetzung jeder Anerkennung. Den Kreis der Folgeansprüche einzugrenzen, bei denen eine solche relative Anerkennung in Betracht kommt, bereitet noch größere Schwierigkeiten, als das Grenzkriterium bei der absoluten Anerkennung zu bestimmen. Es besteht Einigkeit, dass eine solche relative Anerkennung in manchen Fällen geboten ist, in anderen nicht. Damit geht es auch hier um ein Grenzkriterium.153 Das Argument, dass ein „sinnloses Hin und Her“ sich korrigierender Entscheidungen vermieden werden soll, trägt daher die relative Anerkennung nicht. Zu einer solchen Kette sich gegenseitig korrigierender Entscheidungen kann es bei hinkenden Rechtsverhältnissen nämlich stets kommen. Es erhebt sich also die Frage, wann ein solcher Korrekturzirkel vermieden werden sollte und wann er in Kauf zu nehmen ist. Um das Feld der in diesem Sinne relativ anzuerkennenden Enteignungen etwas zu ordnen und die tragenden Gründe herauszuarbeiten, soll zwischen den verschiedenen Enteignungsobjekten, also insbesondere zwischen dinglichen Rechten und Forderungen, unterschieden werden.154 Bei der Enteignung von Immaterialgüterrechten erschöpft sich die „Anerkennung“ der herrschenden Meinung im Ergebnis sogar in der relativen Anerkennung. Daher braucht die relative Anerkennung bei Immaterialgüterrechten an dieser Stelle nicht gesondert behandelt zu werden. Es kann auf die Ausführungen zu Immaterialgüterrechtsenteignungen verwiesen werden.155 151
Kegel, Probleme, 1956, 18 und ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1104 sprechen von einer „mittelbaren Exportwirkung“, wenn die Wirksamkeit einer Enteignung nicht Hauptfrage, sondern Vorfrage für andere Rechtsverhältnisse sei. Dagegen liege eine „unmittelbare Exportwirkung“ vor, wenn die Enteignung auch nach Verbringung anerkannt werde; die Wirksamkeit sei dann Hauptfrage. Der Begriff der Exportwirkung ist anschaulich. Treffender vielleicht könnte man von mittelbarer und unmittelbarer Importwirkung sprechen, weil es die deutsche Rechtsordnung ist, die die Wirkung hereinträgt, und nicht die Rechtsordnung des Enteignungsstaates, die sie hinaustrüge. 152 Dazu oben § 10 II 3. 153 Vgl. zum Begriff des Grenzkriteriums auch oben §§ 1, 9 I 3. 154 Siehe zur Rechtsverkehranerkennung bei der Enteignung dinglicher Rechte sogleich § 11 II 2; zur Rechtsverkehranerkennung bei Forderungsenteignungen unten § 11 II 3. 155 Siehe näher unten § 20 III.
§ 11 Anerkennung als Rechtsfolge des Gebietsgrundsatzes – II 2
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Bei Gesellschaftsenteignungen stellt sich das Problem der relativen Anerkennung nur, wenn die Enteignung nicht vollständig anerkannt wird. Der Begriff der vollständigen Anerkennung bezeichnet dabei die absolute Anerkennung im Hinblick auf alle Rechte der Gesellschaft.156 Wird eine Gesellschaftsenteignung jedoch nicht vollständig anerkannt, spaltet sich die Gesellschaft.157 Es entstehen aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung zwei Rechtsträger. Unten diesen sind die Rechte der vormals einheitlichen Gesellschaft zu verteilen, als seien diese Rechte einzeln enteignet worden. Ordnet nun die deutsche Rechtsordnung die Rechte anders als der Enteignungsstaat zu, entstehen hinsichtlich dieser Rechte hinkende Rechtsverhältnisse. Die relative Anerkennung ist dabei hinsichtlich der einzelnen Rechte der Gesellschaft gesondert zu prüfen, als seien unmittelbar diese Rechte einzeln enteignet worden. Gesellschaftsenteignungen müssen hier daher nicht gesondert besprochen werden. 2. Relative Anerkennung bei dinglichen Rechten
§ 11 Anerkennung als Rechtsfolge des Gebietsgrundsatzes – II 2
Nach der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht spielt die absolute Anerkennung von Enteignungen dinglicher Rechte erst nach Verbringung der Sache eine Rolle.158 Bis zur Verbringung hingegen kann über die absolute Anerkennung nicht entschieden werden. Wird nun nach Verbringung absolut anerkannt, ist damit zugleich über Folgeansprüche entschieden. Wird nach Verbringung nicht absolut anerkannt (weil beispielsweise der Enteignete die Sache verbringt)159, besteht aber ebenfalls kein Bedürfnis für eine relative Anerkennung. Notwendige Voraussetzung der relativen Anerkennung ist es also, dass sich die Sache beispielsweise zu dem Zeitpunkt, zu dem der entsprechende Folgeanspruch nach dem Recht des Enteignungsstaates entsteht, im Enteignungsstaat befindet. Dass sich die Sache im Enteignungsstaat befindet, ist aber nicht hinreichend. Es fragt sich, im Hinblick auf welche Folgeansprüche und aus welchen Gründen Enteignungen dinglicher Rechte vor Verbringung der Sache anerkannt werden sollten? Folgt man übrigens der hier vertretenen Ansicht nicht und möchte man beispielsweise völkerrechtswidrige Enteignungen nicht anerkennen, obwohl sich die Sache (noch) im Enteignungsstaat befindet,160 muss man die Frage nach einer relativen Anerkennung gleichwohl beantworten. Auch bei Nichtanerkennung muss nämlich der Beurteilung von Folgeansprüchen in gewis156
Vgl. unten § 22 I. Vgl. näher unten § 23 I 3, 4. 158 Vgl. auch unten § 16 I; siehe auch Schulze, Recht, 1972, 210. 159 Vgl. zu diesem Fall unten § 16 II. 160 Siehe zur Nichtanerkennung intraterritorialer Enteignungen unten § 15; speziell zu völkergewohnheitsrechtswidrigen Enteignungen unten § 15 I. 157
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
sem Umfang die Rechtslage im Enteignungsstaat zugrunde gelegt werden. Die folgenden Ausführungen gelten dann entsprechend. Zur Beantwortung der oben aufgeworfenen Frage muss nach Personenverhältnissen unterschieden werden. Zwischen dem Enteigneten und dem Enteignungsbegünstigten gilt: Befindet sich die Sache im Enteignungsstaat, kann der Enteignete in Deutschland vom Enteignungsbegünstigten weder Herausgabe verlangen noch sonstige Ansprüche, beispielsweise auf Schadensersatz, gegen ihn geltend machen.161 Umgekehrt können auf Nutzungs- oder Schadensersatz, Bereicherungsausgleich etc. gerichtete Ansprüche des Enteignungsbegünstigten gegen den Enteigneten – auch wenn sie auf Handlungen im Enteignungsstaat beruhen – in Deutschland in der Regel nicht geltend gemacht werden; so etwa, wenn der Enteignete eine Sache, an welcher der Enteignungsstaat ein Recht enteignet hat, im Enteignungsstaat zerstört, damit sie dem Enteignungsbegünstigten nicht in die Hände fällt. Kurz: Wechselseitige Folgeansprüche zwischen Enteignetem und Enteignungsbegünstigtem sind regelmäßig162 ausgeschlossen. Im Verhältnis zwischen dem Enteigneten oder dem Enteignungsbegünstigten auf der einen Seite und Dritten auf der anderen Seite dagegen sollten Enteignungen bis zur Verbringung regelmäßig anerkannt werden. Die Frage, ob die Enteignung vollzogen wurde, und andere mögliche Ausnahmen zum positiven Gebietsgrundsatz sollten bis zur Verbringung unerheblich sein.163 Die Gründe, die für die Anerkennung bis zur Verbringung sprechen, unterscheiden sich dabei von den Gründen, die die Anerkennung nach einer Verbringung stützen.164 So hat ein Dritter zwar kein unmittelbares Interesse an der absoluten Anerkennung einer Enteignung; sie ist ihm regelmäßig gleichgültig. Er hat aber in Bezug auf Folgeansprüche ein (schützenswertes) Interesse daran, keinen Nachteil dadurch zu erleiden, dass er im gewöhnlichen Rechtsverkehr mit einem hinkenden Rechtsverhältnis in Berührung kommt. Das Hinken eines Rechtsverhältnisses ist nämlich nur das Ergebnis einer Abwägung der Interessen des Enteignungsbegünstigten und des Enteigneten. Dritte aber dürfen in die Spaltungsfolgen nicht hineingezogen werden. Beschädigt oder zerstört nun ein Dritter eine im Enteignungsstaat befindliche Sache, ist er (unabhängig von der Frage der absoluten Anerkennung) auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung nicht dem Enteigneten zum Schadensersatz verpflichtet. Nutzt ein Dritter eine Sache im Enteignungs161
Vgl. LG Braunschweig vom 28.3.1990 (9 O 30/90), in: DtZ 1990, 214 ff. (interlokal, kartographische Verlagsprodukte) und RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 107, 124, 650, VI/2, 1042 Fn. 59. 162 Anderes könnte allerdings bei entschädigten Enteignungen gelten. Dies kann hier nicht entschieden werden. Der Fall ist jedoch ohnehin nicht besonders praktisch. 163 Vgl. zu den Ausnahmen oben §§ 14 I–III, 15. 164 Zu den Beweggründen ausführlich unten § 12; zur Anerkennung nach Verbringung unten § 16 II, III.
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staat, etwa aufgrund eines Mietvertrages mit dem Enteignungsbegünstigten, ist er dem Enteigneten in Deutschland – ganz unabhängig von der Frage der absoluten Anerkennung – nicht zur Herausgabe von Nutzungen verpflichtet.165 Der Dritte würde nämlich unangemessen belastet, wenn er als Mieter, Schädiger etc. aufgrund der hinkenden Rechtsinhaberschaft einer doppelten (denn der Enteignungsstaat betrachtet den Enteignungsbegünstigten als Eigentümer) Inanspruchnahme ausgesetzt wäre, obwohl sich die Enteignung allein gegen den Enteigneten richtet. Die Spaltung könnte zudem im internationalen Rechtsverkehr immer größere Kreise ziehen. Die Interessen Dritter wiegen also hinsichtlich von Folgeansprüchen schwerer als diejenigen des Enteigneten, die gegen eine absolute Anerkennung sprechen. Doch darf der Dritte auch nicht besser stehen, als er stünde, wenn er beispielsweise eine Sache zerstört hätte, an der der Enteignungsstaat und die deutsche Rechtsordnung ein Recht nicht abweichend zuordnen. Dann nämlich wäre er auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung einer Person schadensersatzpflichtig. Da dies – wie soeben festgestellt – nicht der Enteignete sein kann, steht wohl dem Enteignungsbegünstigten auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung der Schadensersatzanspruch gegen den schädigenden Dritten zu.166 Aus dem Grund für die relative Anerkennung im Verhältnis zu Dritten (nämlich dass einerseits Dritte keiner doppelten Inanspruchnahme ausgesetzt sein dürfen, andererseits aber auch nicht von der Enteignung profitieren sollen) ergibt sich die Grenze der Anerkennung. Wenn für den Dritten keine Gefahr einer Inanspruchnahme im Enteignungsstaat besteht, ist der Enteignete im Verhältnis zum Dritten aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung weiterhin Rechtsinhaber. Wenn also beispielsweise ein Dritter, der im Enteignungsstaat eine Sache beschädigt hat, inzwischen keine Beziehung mehr zum Enteignungsstaat hat und dort auch bislang nicht in Anspruch genommen wurde, würde er durch das Hinken des Rechtsverhältnisses keinen Nachteil 165
Zur Nichtanerkennung bei Völkergewohnheitsrechtswidrigkeit anschaulich SeidlHohenveldern, Investitionen, 1963, 55 („[w]enn man völlig logisch sein wollte, müßte man die Konsequenz einer solchen Nichtigkeit noch weiter ausbauen. Wenn ein Reporter berichtet, er sei bei einem Besuch in Cuba in einem nationalisierten Luxushotel untergebracht gewesen, das früher Eigentum einer amerikanischen Gesellschaft gewesen ist, könnte ihm diese Gesellschaft dann nicht eine Rechnung über seinen Aufenthalt in ihrem Hotel schicken?“); siehe auch Schulze, Recht, 1972, 210. 166 Dieses Ergebnis steht freilich in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der Erkenntnis, dass bei Forderungsenteignungen der Neugläubiger den Schuldner in Deutschland in der Regel nicht mit Erfolg auf Leistung verklagen kann, vgl. unten § 18 I 1. Man könnte ferner erwägen, den Enteigneten weiterhin als Berechtigten anzusehen, sofern er dem Dritten, wenn dieser im Enteignungsstaat tatsächlich in Anspruch genommen wird, für den Fall eben dieser Inanspruchnahme Sicherheit leistet; vgl. zu ähnlichen Fragen bei der Forderungsenteignung unten § 18 II 4.
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erleiden. Man kann daher in diesem Fall den Enteigneten im Hinblick auf den Schadensersatzanspruch weiterhin als aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Berechtigten ansehen und ihm also einen Schadensersatzanspruch zugestehen. 3. Relative Anerkennung bei Forderungsrechten Bei Forderungsenteignungen167 sind neben den Interessen des Enteigneten (Altgläubiger) und des Enteignungsbegünstigten (Neugläubiger) die Interessen des Schuldners zu berücksichtigen. Dritte dagegen spielen bei Forderungsenteignungen, anders als bei der Enteignung dinglicher Rechte, keine Rolle, da sie regelmäßig nicht auf die Forderung, die schließlich ein Rechtsverhältnis zwischen anderen Rechtssubjekten ist, einwirken können. Der Schuldner oder etwaige Sicherungsgeber168 sind dabei keine Dritten in diesem Sinne, da sie schon vor der Enteignung am Rechtsverhältnis beteiligt waren. Es ist auch hier zu unterscheiden: Zwischen dem Altgläubiger und dem Neugläubiger bestehen aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung keinerlei Ansprüche. Insbesondere dann, wenn es dem Neugläubiger (auf welche Weise auch immer) gelingt, sich im Enteignungsstaat aus den Rechten des Schuldners zu befriedigen, kann der Altgläubiger den Betrag in Deutschland nicht vom Neugläubiger kondizieren.169 Ist deutsches Recht anwendbar, kann man die Enteignung als Rechtsgrund ansehen. Der Neugläubiger hat im Enteignungsstaat einen tatsächlichen Zustand hergestellt, der der veränderten Rechtslage entspricht. Eine Kette sich gegenseitig korrigierender Verfahren im Enteignungsstaat und in Deutschland, die nur dadurch unterbrochen werden könnte, dass der Altgläubiger oder der Neugläubiger jeden Bezug zum jeweils nichtanerkennenden Staat abbricht, ist zu vermeiden. Solche Sturheiten sind nicht im Interesse des Rechts. Das deutsche Recht „lässt es gut sein“. Zwischen dem Schuldner und dem Neugläubiger gilt, dass ein im Enteignungsstaat geschaffener tatsächlicher Zustand, welcher der durch die Enteignung bewirkten veränderten Rechtslage entspricht, in Deutschland wirtschaftlich nicht rückgängig gemacht werden sollte. Der Schuldner kann also in Deutschland das Geleistete vom Neugläubiger nicht kondizieren. 170 Die Ent167 168 169
Zur Forderungsenteignung näher unten §§ 17–19. Siehe näher unten § 19 II. Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1104; vgl. auch Drobnig, RabelsZ 18 (1953)
685 f. 170
Kegel, Probleme, 1956, 20; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 43 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. – Wurde im Enteignungsstaat zur Erfüllung einer Forderung Eigentum an einer Sache durch freiwillige Verfügung oder durch Zwangsvollstreckung übertragen, ist wohl keine Ausnahme für den Fall zu machen, dass sich der Enteignete den Besitz an der Sache wiederverschafft. Das kann man zwar als Widerspruch zur Enteignung von Rechten an
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eignung im Enteignungsstaat ist Rechtsgrund. Sollte es hingegen an einem entsprechenden tatsächlichen Zustand im Enteignungsstaat fehlen, wird er auch in Deutschland nicht geschaffen: Der Neugläubiger kann in Deutschland keinesfalls erfolgreich gegen den Schuldner auf Leistung klagen.171 Dies wird oft verkannt. Kern jedoch der schwierigen Problematik um die Forderungsenteignung ist das Verhältnis zwischen dem Schuldner und dem Altgläubiger, also zwischen den schon vor der Enteignung am Rechtsverhältnis Beteiligten. Es geht dabei um die Frage, ob der Altgläubiger auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung als enteignet gilt oder der Schuldner weiterhin an ihn leisten muss. Dies aber ist kein Problem der relativen Anerkennung im Sinne einer Anerkennung für den Rechtsverkehr im Enteignungsstaat. Es geht dabei vielmehr um die Frage, ob dem Schuldner wegen einer drohenden doppelten Inanspruchnahme ein Leistungsverweigerungsrecht zugestanden werden sollte. Dies ist richtigerweise ein materiellrechtliches Problem.172 III. Keine Fernwirkung Der Gebietsgrundsatz entscheidet darüber, ob der Enteignungsbegünstigte nach einer fremdstaatlichen Enteignung auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung als Rechtsinhaber anzusehen ist. Wird die Enteignung anerkannt, gelten ab der Anerkennung die allgemeinen Vorschriften, die für Rechte der entsprechenden Art gelten. Wird die Enteignung hingegen nicht anerkannt, stellt sich die Frage, ob die Nichtanerkennung in gewisser Weise auf die Handhabung anderer Vorschriften durchschlägt, ob ihr also Fernwirkung zukommt. Dabei sind die folgenden Fälle zu unterscheiden: 1. Enteignung von Aneignungsrechten und Produktionsmitteln
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Dem Begriff der Aneignungsrechte im Sinne dieser Untersuchung unterfallen Fischerei-, Ölförderungs-, Schürf- und ähnliche Rechte, die den Aneignenden zu Handlungen wie der Förderung von Rohstoffen berechtigen, die originär Eigentumsrechte entstehen lassen. Diese Rechte können auch mit dem Grundeigentum verbunden sein, so dass die folgenden Ausführungen auch beispielsweise für den Fall gelten, dass jemandem das Eigentum an einem Feld enteignet wird. Die folgenden Ausführungen sind zudem auf Rechte an
Sachen begreifen (vgl. dazu unten § 16 II 2), es dürfte aber zur Verhinderung von Selbstjustiz gerechtfertigt sein. 171 Nachweise unten § 18 I 1 Fn. 86; dass der Neugläubiger nicht auf Leistung klagen kann, gilt auch hinsichtlich solcher Ansprüche, die an die Stelle der enteigneten Forderung treten, Schulze, Recht, 1972, 250. 172 Eingehend unten § 18 I 2, II 1, 2.
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Produktionsmitteln übertragbar. Zur besseren Lesbarkeit soll aber nur von Aneignungsrechten gesprochen werden. Enteignet nun ein fremder Staat einen Aneignungsberechtigten, ist für die rechtliche Beurteilung durch das deutsche internationale Enteignungsrecht danach zu unterscheiden, ob das Aneignungsrecht selbst oder Rechte an geförderten Sachen enteignet werden: Enteignungen von Aneignungsrechten sollten jedenfalls anerkannt werden im Hinblick auf die Aneignungsrechte selbst, da diese eine bestimmte Tätigkeit auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates betreffen.173 Über solche Rechte wird in Deutschland aber ohnehin nicht prozessiert. Die Verfahren vor deutschen Gerichten betreffen vielmehr Rechte an Sachen, die durch den früheren oder heutigen Aneignungsberechtigten gefördert worden sind und sich mittlerweile in Deutschland befinden. Wurde eine Sache vor der Enteignung des Aneignungsrechts durch den Enteigneten gefördert und hat der Enteignete ein Recht an ihr erworben,174 richtet sich die Anerkennung der Enteignung dieses Rechts an der bereits geförderten Sache nach den allgemeinen Vorschriften über Enteignungen dinglicher Rechte.175 Bedeutsam aber ist ein anderer Fall: Es stellt sich die Frage, wem das Eigentum an einer Sache zusteht, die nach der Enteignung des Aneignungsrechts durch den Enteignungsbegünstigten oder einen Rechtsnachfolger des Enteignungsbegünstigten gefördert wurde.176 Das streitige Recht ist hier mit dem Enteignungsobjekt nicht identisch.177 Der Enteignete hat, da er (bei Anerkennung der Aneignungsrechts173
So i.E. auch MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 55 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. Die Frage, wer Eigentum an geförderten Sachen erwirbt, richtet sich nach dem Lageortsrecht und kann äußerst verwickelt sein. Siehe exemplarisch die ausführliche Begründung des OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 339 ff. (Indonesien, Tabak). Das Gericht hat die Entscheidung der Frage, ob die Antragstellerinnen überhaupt Eigentum am Tabak erworben haben, dahinstehen lassen und die Enteignung jedenfalls anerkannt. Ob ein Erwerb stattgefunden hat, ist kein spezifisch internationalenteignungsrechtliches Problem, sondern eine Frage des internationalen Privatrechts im engeren Sinne. 175 Zu diesen unten §§ 14–16. So lag der im Fall des OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee). Das Gericht hat zugunsten der Klägerin unterstellt, dass sie selbst den Kaffee geerntet hat. Bereits hergestellt („abgefallen“) war auch die Zinkasche in OLG Oldenburg vom 30.11.1953 (4 U 88/53), in: BB 1954, 326 (= IzRspr 1945– 1953, Nr. 8 b) (interlokal, Zinkasche). Der verbringende Rechtsnachfolger musste die Sachen nicht herausgeben, nachdem sie nach Westdeutschland verbracht wurden. Für ein Eingreifen des ordre public fehle der Inlandsbezug. 176 Um durch den Enteignungsbegünstigten geförderte Sachen ging es im indonesischen Tabak-Streit des OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 340, 345, da die Antragstellerinnen „unstreitig sowohl zur Zeit der Aussaat wie auch der Ernte des hier streitigen Tabaks den Besitz der Plantagen verloren hatten und von jeder Einwirkung auf die Bewirtschaftung ausgeschlossen waren.“ 177 Deutlich Petersmann, WiR 1973, 304. 174
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enteignung) weder Inhaber des Aneignungsrechts ist noch entsprechende Förderhandlungen vorgenommen hat, nach dem auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung für den Eigentumserwerb maßgeblichen Lageortsrecht (= lex rei sitae) nie Eigentum an den geförderten Sachen erworben.178 Er kann daher aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung nur dann Eigentümer einer geförderten Sache sein, wenn die Enteignung des Aneignungsrechts nicht anerkannt wird und dieser Nichtanerkennung eine gewisse Fernwirkung im Hinblick auf Rechte an später geförderten Sachen zukommt. Es fragt sich also, ob der Enteignete so gestellt werden sollte, wie er stünde, wenn sein Aneignungsrecht nicht enteignet worden wäre. In diesem Fall hätte er die Sachen selbst gefördert und das Eigentum an ihnen erworben. In einem ersten Schritt müsste man dann den Enteigneten als Eigentümer der geförderten Sachen betrachten. In der Enteignung des Aneignungsrechts und der Förderung durch den Enteignungsbegünstigten müsste aber in einem zweiten Schritt zumindest eine intraterritoriale Enteignung der Rechte an den geförderten Sachen gesehen werden. Solche Enteignungen jedoch werden nach dem Gebietsgrundsatz anerkannt. Die Frage nach einer etwaigen Fernwirkung der Nichtanerkennung einer Aneignungsrechtsenteignung ist daher überhaupt nur bedeutsam, wenn Umstände vorliegen, die in Ausnahme vom positiven Gebietsgrundsatz die Nichtanerkennung der Enteignung intraterritorialer dinglicher Rechte erfordern.179 Die Bedeutung dieser Unterscheidung erschließt sich erst im Zusammenhang mit der später zu behandelnden Frage, ob bestimmten, insbesondere völkerrechtswidrigen, intraterritorialen Enteignungen dinglicher Rechte die Anerkennung versagt werden sollte. Dies wird verbreitet gefordert.180 Dagegen möchte eine abweichende Auffassung auch völkerrechtswidrige Enteignungen anerkennen. Grund dürfte das massive deutsche Interesse am Handel mit völkerrechtswidrig enteigneter Ware sein. Also: Völkerrecht oder Handel? Die wenigen instanzgerichtlichen Entscheidungen haben sich für den Handel entschieden. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hatte noch keine Gelegenheit, Stellung zu beziehen. Anerkennt man aber Aneignungsrechtsenteignungen oder lässt man zumindest einer Nichtanerkennung einer Aneignungsrechtsenteignung keine 178 Das LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 165 r.Sp. (Chile, Kupfer) scheint es dagegen auf eine Weise für vergleichbar zu halten, wenn der Enteignungsbegünstigte oder ein Nichtberechtigter schürfen. Die knappen, ohnehin nur hilfsweisen, Ausführungen des Gerichts sind allerdings nicht einmal innerhalb der Hilfsbegründung tragend. 179 Zu diesen Ausnahmen der positiven Seite des Gebietsgrundsatzes eingehend unten §§ 14 I–III, 15. 180 Nachweise zur Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen unten § 15 I 1 Fn. 86, 3 Fn. 100; zu den nach der in dieser Arbeit entwickelten Ansicht nötigen Unterscheidungen unten § 16 III 2, 3; siehe ferner unten § 12 I 1 a.E.
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Fernwirkung zukommen, verliert die Frage der Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen dinglicher Rechte ihre wirtschaftliche Schärfe.181 Der Fördernde ist dann nämlich als Eigentümer der geförderten Sache zu betrachten, weil er nach dem auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung maßgeblichen Lageortsrecht originär Eigentum erwirbt.182 Man versetzt sich damit in die komfortable Lage, nicht bekennen zu müssen, ob das deutsche Interesse am Handel mit völkerrechtswidrig enteignetem Gut maßgeblicher Anerkennungsgrund ist. Es kommt nicht zum Schwur. Der Handel ist nicht nennenswert gefährdet, gleichzeitig aber ist der Völkerrechtswidrigkeit der Enteignung des Aneignungsrechts Rechnung getragen. Das Ergebnis überzeugt auch wertungsmäßig, da der neue Inhaber des Aneignungsrechts zur Förderung jedenfalls eigene Arbeitskraft und meist auch (möglicherweise mitenteignete) Betriebsmittel und (möglicherweise ebenfalls mitenteignetes) Material eingesetzt hat.183 181 Die vorgeschlagene Unterscheidung dürfte auch die Befürchtungen von Behrens, EuZW 2005, 33 f. bei einer völkergewohnheitsrechtswidrigen Enteignung eines ausländischen Energiekonzerns zerstreuen. 182 RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 651 (auch bei Völkerrechtswidrigkeit), VI/2, 1041 Fn. 59 (Beispiel der Ölgewinnungskonzession); MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 55 zu Art. 38 EGBGB Anh. III („[d]ie Nichtanerkennung der Enteignung eines Produktionsmittels bzw. Aneignungsrechts kann die zur Erlangung des Eigentums erforderlichen Rechtshandlungen (z.B. Gewinn bzw. Abbau von Bodenschätzen, Herstellung von Industrieprodukten, Aussaat und Ernte von landwirtschaftlichen Produkten) nicht ersetzen“); zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man, wenn man die Produkte als ebenfalls enteignet begreift, aber den ordre public mangels Inlandsbezugs nicht eingreifen lässt; vgl. auch LG Mannheim vom 12.10.1950 (1 O 125/50), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 7 (interlokal, Bremstrommeln), das allerdings die Fernwirkungsproblematik nicht erkennt; abzulehnen ist dagegen die Unterscheidung von Mann, NJW 1961, 709 r.Sp. (bei der Enteignung von Nutzungsberechtigungen, z.B. dem Recht, Öl zu fördern, werde nicht anerkannt, auch hinsichtlich des noch zu gewinnenden Öls; sonst entstünden Beweisschwierigkeiten und die Völkerrechtswidrigkeit sei nur temporär hindernd; er schreibt weiter: „[d]agegen wird man wohl nicht so weit gehen dürfen, daß man dem Eigentümer einer enteigneten Fabrik auch das Eigentum an denjenigen Erzeugnissen zuspricht, die nach der Enteignung fabriziert worden sind“); weiter gehend (unter wohl unzutreffender Berufung auf MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 63 zu Art. 46 EGBGB Anh.) nur Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 63 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I (der zwar die Völkerrechtswidrigkeit einer Enteignung nicht zur Nichtanerkennung ausreichen lassen möchte, aber einen für den ordre public ausreichenden Inlandsbezug schon dann erwägt, „wenn nur Früchte der enteigneten Gegenstände in das Inland gelangen“; dabei zitiert er die Entscheidungen im Bremer Indonesien-Tabakstreit von 1959 und dem Hamburger Chile-Kupferfall von 1973 [zu diesen unten § 15 I 1 Fn. 89] ausdrücklich als abweichende Ansichten). 183 Vgl. Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 161 (die allerdings die Fernwirkungsproblematik nicht als solche behandelt, sondern den Schutz des Erwerbers etwa eines Bergwerks als Wertung hinter dem Gebietsgrundsatz begreift) und v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 146 f. zu § 4, S. 303 f.
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Ein Einwand liegt auf der Hand: Gefährdet es den Handel nicht ebenso, wenn eine völkerrechtswidrige Enteignung hinsichtlich bereits geförderter Sachen nicht anerkannt wird? Hätte im Kupfer- und im Tabakfall184 der Enteignete die Sachen gefördert, so wäre zweifelhaft, ob die Unterscheidung zwischen bereits geförderter und noch nicht geförderter Ware den Handel wirksam hätte schützen können. Würde der Enteignete jeweils vor deutschen Gerichten mit seinem Herausgabeverlangen durchdringen, würden Exporte nach Deutschland möglicherweise eingestellt werden. Da die hier vorgeschlagene Unterscheidung – selbst wenn die Gerichte sie teilten – nicht kodifiziert ist, wäre es für den Enteignungsstaat zu riskant, weitere Güter nach Deutschland zu exportieren. Im Kupferfall beispielsweise hat die Regierung Chiles mit Konsequenzen für den Fall gedroht, dass das Hamburger Gericht die Enteignung nicht anerkennt. Der Einwand ist gewichtig. Allerdings geht es im internationalen Enteignungsrecht um ein Grenzkriterium.185 Es wäre möglicherweise dem Handel noch zuträglicher, alle erdenklichen Akte anzuerkennen. Doch bringt die hier vorgeschlagene Unterscheidung die Bestandsinteressen des Enteigneten und die deutschen Handelsinteressen in einen angemessenen Ausgleich. Streng auf die Lage im Enteignungsstaat abzustellen, befriedigt allerdings nicht immer.186 Andernfalls würde es einen Unterschied machen, ob das Lageortsrecht zwischen Aneignungsrechten und Rechten an den geförderten Sachen unterscheidet. Eine solche gesetzestechnische Zufälligkeit im nationalen Recht des Enteignungsstaates sollte durch die spezielleren Wertungen des deutschen internationalen Enteignungsrechts überlagert werden. Es macht also keinen Unterschied, ob beispielsweise das noch nicht geförderte Kupfer im Erdreich aus der Sicht des Enteignungsstaates schon im Eigentum einer Person stand oder diese nur aneignungsberechtigt war. Beide Fälle sollten gleichbehandeln werden. Nach einer fremdstaatlichen Enteignung eines Aneignungsrechts sollten also Rechte an Sachen, die der Enteignungsbegünstigte oder ein Rechtsnachfolger des Enteignungsbegünstigten fördert, diesem zustehen. Entweder wird damit die Enteignung des Aneignungsrechts anerkannt oder einer Nichtanerkennung kommt jedenfalls keine Fernwirkung zu. Dies harmoniert auch mit der Wertung des deutschen materiellen Rechts, das etwa in den
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Zu beiden unten §§ 15 I 1, 16 III 2, 3. Vgl. oben §§ 1, 9 I 3. 186 So aber Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 174, die allein darauf abstellt, ob nach der lex rei sitae originär Eigentum erworben wird. – Das LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 165 r.Sp. (Chile, Kupfer) hat zu dem Problem nicht Stellung genommen: „Daß die noch nicht geförderten Mineralien [nach dem Recht des Enteignungsstaates] bereits im Eigentum des Inhabers der Bergbauberechtigung stehen, [... sei] nicht hinreichend dargetan.“ 185
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§§ 946 ff. BGB den originären Erwerb im Interesse einer klaren Eigentumszuordnung stark schützt. 2. Gutgläubiger Erwerb enteigneter Rechte an Sachen
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Die herrschende Meinung baut ihr Anerkennungssystem nicht auf Vertrauenserwägungen auf. Das Vertrauen Dritter spielt aber, oftmals unausgesprochen, als Wertungsgesichtspunkt im Rahmen des Gebietsgrundsatzes und des ordre public im weiteren Sinne eine Rolle.187 So können beispielsweise nach manchen grundsätzlich auch völkerrechtswidrige Enteignungen anerkannt werden, weil bei der Anerkennungsentscheidung alle Folgen berücksichtigt werden müssten.188 Welche Folgen dies sind, ist jedoch kaum zu sagen. Die Gewohnheit, im internationalen Enteignungsrecht verschiedene Dinge in einen Topf zu werfen, hat zu einem stark unterkomplexen Regelwerk geführt. Man sollte daher Problemkreise abschichten, insbesondere die Frage nach einem redlichen Erwerb nach Nichtanerkennung gesondert behandeln. Die hier aufgeworfene Frage, ob das aus der Sicht des Enteignungsstaates enteignete Recht von einem Dritten gutgläubig erworben werden kann, ist zu unterscheiden vom Vertrauen des Enteignungsbegünstigten auf den Bestand der im Enteignungsstaat durch Hoheitsakt bewirkten Umverteilung.189 Es geht beim gutgläubigen Erwerb um ein Rechtsgeschäft etwa zwischen dem Enteignungsbegünstigten und einem Dritten, das zeitlich der Enteignung nachfolgt. Der Erwerber wird dabei regelmäßig Privatperson sein. Er darf jedenfalls nicht dem Enteignungsstaat zuzurechnen sein, da Übertragungsvorgänge zwischen staatlichen Stellen keinen gutgläubigen Erwerb begründen.190 Die Frage nach einem gutgläubigen Erwerb ist damit nicht unmittelbar Teil der Anerkennungsentscheidung, sondern setzt voraus, dass eine Enteignung nicht anerkannt wurde. Zwar ist auch nach Anerkennung einer fremdstaatlichen Enteignung ein gutgläubiger Erwerb denkbar. In diesem Fall spielt aber die ursprüngliche Enteignung keine Rolle mehr. Das Band zur Enteignung ist dann durchtrennt. 187
Siehe etwa KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 344 m.N. (interlokal, Standuhr) („[v]on entscheidender Bedeutung für die Anwendung des Art. 30 EGBGB a. F. ist aber der Umstand, daß die Bekl. beim Erwerb der Standuhr nicht gutgläubig gewesen ist“); siehe ferner Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 19 et p.; Dahm, FS Kraus 1964, 81 (es bestehe kein völkerrechtliches Anerkennungsverbot, wenn die Sache bei einem gutgläubigen Dritten sei); Spickhoff, ordre public, 1989, 221; angedeutet auch bei OLG Nürnberg vom 10.7.1953 (4 U 218/51), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 9 (interlokal, Rundstrickmaschine) und LG Oldenburg vom 20.11.1951 (8 O 5/51), in: IzRspr 1945– 1953, Nr. 8 a (interlokal, Zinkasche). 188 So v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 146 f. zu § 4, S. 303 f.; näher unten § 15 I 3. 189 Dazu, ob das Vertrauen des Enteignungsbegünstigten eine Wertung hinter dem Gebietsgrundsatz ist, unten § 12 IV 1. 190 Ebenso Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 173.
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Nach der in dieser Arbeit entwickelten Ansicht kann bis zu einer Verbringung der Sache über die absolute Anerkennung einer Enteignung eines dinglichen Rechts nicht abschließend entschieden werden.191 Im Verhältnis zu Dritten hingegen sollte die Enteignung bis zur Verbringung ohnehin anerkannt werden. Ein gutgläubiger Erwerb ist daher im Verhältnis zwischen dem Enteigneten und Rechtsnachfolgern des Enteignungsbegünstigten insbesondere für den Fall der Verbringung bedeutsam.192 Maßgeblich für Fragen des gutgläubigen Erwerbs ist das internationale Privatrecht im engeren Sinne. Ob und unter welchen Voraussetzungen dingliche Rechte193 gutgläubig erworben werden können, richtet sich grundsätzlich nach dem Recht des Lageortes der Sache.194 Ist der Lagestaat der Enteignungsstaat, entsteht die auf den ersten Blick seltsam anmutende Situation, dass ein gutgläubiger Erwerb nach einer Rechtsordnung erfolgen soll, aus deren Sicht der Veräußerer Berechtigter ist. Die Gutglaubensvorschriften des Enteignungsstaates sind aber dennoch anzuwenden. Der Enteignungsakt ist insofern zu ignorieren. Lässt das Lageortsrecht einen gutgläubigen Erwerb nicht zu, so ist es auch aus Vertrauensschutzgesichtspunkten nicht angezeigt, deutsches Spezialrecht zu bilden, um dem vermeintlichen Erwerber den gutgläubigen Erwerb zu ermöglichen.195 Ein Vertrauen, welches das Lageortsrecht für nicht schutzwürdig erachtet, muss auch im internationalen Enteignungsrecht nicht geschützt werden. Wann der Erwerber gutgläubig ist und worauf sich der gute Glaube beziehen muss, bestimmt also grundsätzlich das Lageortsrecht. Zu den Anforderungen an die Gutgläubigkeit im Fall einer vorhergegangenen Enteignung dürfte dem Lageortsrecht, insbesondere wenn es sich um das Recht des Enteignungsstaates handelt, jedoch regelmäßig nichts zu entnehmen sein. Dann ist internationalenteignungsrechtliches Spezialrecht zu bilden. Dieses muss einen angemessenen Ausgleich zwischen den Wertungen des internationalen Enteignungsrechts und dem nötigen Vertrauensschutz herstellen. Die Missbilligung der Enteignung als Grund der Nichtanerkennung legt es nahe, den Erwerber nur dann als gutgläubig anzusehen, wenn er von der Enteignung 191
Vgl. dazu und zum Folgenden oben § 11 II 2 und unten § 16 I. Vgl. auch unten § 16 III 1. 193 Streng genommen, allerdings kaum praktisch, stellt sich das Problem nicht nur bei der Enteignung dinglicher Rechte, sondern auch bei anderen Rechten, die gutgläubig erworben werden können. Man denke etwa an Fälle, in denen die erforderliche Vertrauensgrundlage durch ein Register oder eine Verbriefung geschaffen wird. Diese Sonderfragen sollen hier aber außer Betracht bleiben. Das Gesagte gilt entsprechend. 194 KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 342 m.N. (interlokal, Standuhr); Armbrüster/Jopen, ROW 1989, 337 l.Sp.; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 173. 195 Abweichend schlägt RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 651 vor, in diesem Fall den gutgläubigen Erwerb durch wohl vom Richter ad hoc zu bildendes Spezialrecht zu ermöglichen. 192
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und gegebenenfalls ihren durch das deutsche internationale Enteignungsrecht missbilligten Umständen keine Kenntnis oder zu vertretende Unkenntnis hat.196 Erwirbt jemand beispielsweise vom Enteignungsstaat in „turbulenten Zeiten“ zu Schleuderpreisen dingliche Rechte, kann es sich je nach den Umständen schon aufdrängen, dass die Sachen aus einer entschädigungslosen Enteignung herrühren. Hat der Erwerber hingegen einen marktüblichen Preis gezahlt und wollte er also von der (entschädigungslosen) Enteignung als solcher nicht profitieren, wird man ihn unter Umständen noch als gutgläubig ansehen können. Ein gutgläubiger Erwerb von Rechten an enteigneten Sachen kann allerdings gerade deshalb ausgeschlossen sein, weil die Sache dem früheren Besitzer im Zuge einer Enteignung weggenommen wurde. Es ist auch hier zu unterscheiden: Das Lageortsrecht, das bei Rechten an Sachen auf den gutgläubigen Erwerb anwendbar ist, kann selbst den gutgläubigen Erwerb bei abhandengekommenen Sachen ausschließen. Dann stellt sich die Frage, ob eine Enteignung durch den Enteignungsstaat ein Abhandenkommen im Sinne des Lageortsrechts darstellen kann.197 Dies ist durch Auslegung der entsprechenden fremden Redlichkeitsnorm zu ermitteln. Wenn die Sache sich noch im Enteignungsstaat befindet, wird man der Norm, die den gutgläubigen Erwerb regelt, die Lösung freilich kaum entnehmen können. Ist das Lageortsrecht dagegen deutsches Recht, wird die Sache oftmals als abhandengekommen betrachtet.198 Ist das Lageortsrecht nicht deutsches Recht, könnte das deutsche Recht dennoch als lex fori durch eine internationalenteignungsrechtliche Sachnorm den gutgläubigen Erwerb ausschließen. Man kann auch hier von einer Fernwirkung der Nichtanerkennung sprechen. Ob eine solche weitere Einschrän-
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So etwa Vannod, Fragen, 1959, 56; Seidl-Hohenveldern, FS Heymanns 1965, 614 (guter Glaube nur in „äußerst seltenen“ Fällen); Graf, FS Koziol 2010, 1409 [Österreich]; siehe auch RGRK-Wengler, VI/2, 1981, 1041 Fn. 58; ferner Magerstein, JurBl 1954, 427 [Österreich] (der Erwerb müsse entgeltlich sein; die Gutgläubigkeit werde vermutet); zum guten Glauben beim Erwerb von Kulturgütern Armbrüster, NJW 2001, 3585. 197 Dagegen RGRK-Wengler, VI/2, 1981, 1041 Fn. 58 (sollte nach Lageortsrecht ein gutgläubiger Eigentumserwerb bei abhandengekommenen Sachen ausgeschlossen sein, sei über deutsches Spezialrecht zu verhindern, dass diese Vorschrift aufgrund der Enteignung eingreife). 198 So KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 345 (interlokal, Standuhr); Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 212 zu IntSachenR (werde wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public nicht anerkannt, sei bei Anwendbarkeit deutschen Sachenrechts auch ein gutgläubiger Erwerb gemäß § 935 BGB ausgeschlossen); Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 65 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; i.E. auch Raape, IPR, 1961, 668 [interlokal]; a.A. OLG Nürnberg vom 10.7.1953 (4 U 218/51), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 9 (interlokal, Rundstrickmaschine).
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kung zu machen ist, wird unterschiedlich beurteilt.199 Die Grundlage dafür könnte man durch vorsichtige Anlehnung an § 935 Abs. 1 BGB als Wertung des deutschen materiellen Rechts gewinnen, die dann auf das internationale Enteignungsrecht durchschlägt.200 Bei unfreiwilligem Besitzverlust löst das deutsche materielle Recht bei nationalen Sachverhalten den Interessenkonflikt zulasten des Erwerbers und zugunsten des früheren Rechtsinhabers. Dass ein Veräußerer kein Eigentum verschaffen kann, ist gerade typisches Risiko eines jeden Kaufs. Der Erwerber ist aber nicht schutzlos. Er kann sich immer noch an den Veräußerer halten, der seine Verpflichtung, Eigentum zu verschaffen, nicht erfüllt hat. Eine solche Übertragung materiellrechtlicher Wertungen auf das internationale Enteignungsrecht begegnet Bedenken. Zunächst gilt die Regel des § 935 Abs. 1 BGB schon im materiellen Recht nicht uneingeschränkt. Sie tritt gemäß § 935 Abs. 2 BGB zurück aus Gründen des Verkehrsschutzes (Geld, Inhaberpapiere) und gegenüber der staatlichen Autorität (Versteigerungen). Diese Ausnahmen spielen auch im internationalen Enteignungsrecht eine gewisse Rolle: Die Anerkennung von Enteignungen dinglicher Rechte schützt gerade auch den Verkehr.201 Die Enteignung ist überdies ein mit staatlicher Autorität ausgestatteter Hoheitsakt. § 935 Abs. 1 BGB bietet mithin zumindest im internationalen Enteignungsrecht keine ausreichende Grundlage für eine entsprechende Sachnorm, die einen gutgläubigen Erwerb von Rechten an enteigneten Sachen unabhängig vom Lageortsrecht ausschließt. Davon, dass der Erwerber vom Enteignungsbegünstigten auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung wirksam Eigentum erwerben kann, geht im Ergebnis auch die 199
Dagegen Vannod, Fragen, 1959, 55; Stöcker, WM 1966, 751 („wobei es sich versteht, daß die Anwendung des § 935 BGB verfehlt wäre“; Konfiskation und Diebstahl seien nicht vergleichbar); Armbrüster/Jopen, ROW 1989, 337 f.; Spickhoff, ordre public, 1989, 221 Fn. 31; ders., in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 290 Fn. 63; i.E. auch RGRK-Wengler, VI/2, 1981, 1041 Fn. 58 (die Redlichkeitsvorschriften des Lageortsrechts scheiterten nicht am deutschen ordre public) und Beitzke, FS Raape 1948, 102 Fn. 30; vgl. auch KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 344 (interlokal, Standuhr). – A.A. Mann, NJW 1961, 709 f.; ihm zustimmend Erman-Arndt, 1981, Rn. 9 zu Art. 30 EGBGB und Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 173; gegen das Ergebnis und die völkerrechtliche Begründung Manns ist Stöcker, WM 1965, 447; vgl. auch Hartung, Kunstraub, 2005, Kapitel 7 C, D, S. 402 ff. (bei schwersten Verstößen gegen das Völkerrecht möchte er, allerdings erst nach einer „sorgfältigen Einzelfallprüfung“, i.E. einen gutgläubigen Erwerb ausschließen); für einen Kompromiss zwischen dem gutgläubigen Dritten und dem Enteigneten nach Billigkeit ist RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 651. 200 Vgl. im internationalen Privatrecht im engeren Sinne Mansel, IPRax 1998, 271 l.Sp. m.N., der für die Frage des Abhandenkommens in gewissem Umfang die materiellrechtliche Wertung des § 935 BGB auf das internationale Privatrecht übertragen möchte, sofern der Eigentümer auf die Anwendung eines bestimmten Sachenrechts vertrauen durfte. 201 Vgl. zum möglichen Anerkennungsgrund der internationalen Ordnung, unter die auch der Schutz des Handels fällt, unten § 12 I 1.
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ganz herrschende Meinung aus, indem sie intraterritoriale Enteignungen unter anderem im Verkehrsinteresse anerkennt, so dass sie statt eines gutgläubigen Erwerbs sogar einen Erwerb vom Berechtigten annimmt. Bei Kunstwerken könnten dagegen in Anlehnung an § 935 BGB Sonderregelungen gelten; zumindest wenn sie in Verzeichnissen aufgeführt sind. Dies jedoch kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. 3. Sonstiger originärer Rechtserwerb nach Enteignung Die Nichtanerkennung einer Enteignung hat auch keine Fernwirkung gegenüber anderen Tatbeständen originären Eigentumserwerbs nach dem Lageortsrecht. Nehmen etwa der aus der Sicht des Enteignungsstaates Enteignungsbegünstigte oder ein Dritter Veränderungen an der Sache vor, indem sie etwa Kupfer zu Leitungen verarbeiten, die sie oder andere nach dem Lageortsrecht originär Eigentum erwerben lassen, sind sie auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Eigentümer.202 Der Zweck des jeweiligen Erwerbstatbestandes – sei es eine starke Betonung der aufgewendeten Arbeit oder einer erzielten Wertsteigerung, sei es schlicht Praktikabilität oder Ähnliches – wiegt schwerer als die Gründe für die Nichtanerkennung nach internationalem Enteignungsrecht. Die Frage nach einem sonstigen originären Eigentumserwerb ist wie auch die soeben behandelte Frage des gutgläubigen Erwerbs insbesondere nach einer Verbringung der Sache bedeutsam.203 Bis zur Verbringung nämlich kann über die absolute Anerkennung nicht abschließend entschieden werden. Im Verhältnis zu Dritten aber wird die Enteignung bis zur Verbringung regelmäßig ohnehin anerkannt. 4. Verwaltungs- und Justizakte, die auf die Enteignung Bezug nehmen Eine spezielle Frage ist, ob sich die Eigentumszuordnung aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung infolge fremdstaatlicher Enteignungen auch dann nach dem Gebietsgrundsatz richten soll, wenn die Umverteilung nicht nur im Enteignungsakt, sondern darüber hinaus noch in anderen Hoheitsakten des Enteignungsstaates ihren Ausdruck gefunden hat. Diese anderen Akte – denkbar sind beispielsweise bestandskräftige Verwaltungsakte oder rechtskräftige Gerichtsurteile – können in ihrer Rechtsordnung der Rechtssicherheit in besonderem Maße dienen. Es fragt sich, wie diese Akte in Deutschland zu behandeln sind und ob sie die Interessenbewertung vom gewöhnlichen Fall abweichend ausfallen lassen. Nach allgemeiner Auffassung jedoch wirkt die 202
Vgl. LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 165 r.Sp. (Chile, Kupfer); Petersmann, WiR 1973, 304; Meessen, AWD 1974, 494 r.Sp.; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 173. 203 Vgl. oben § 11 II 2 und unten § 16 II, III 1; zum gutgläubigen Erwerb soeben § 11 III 2.
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung
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Nichtanerkennung fort.204 Auch wenn sich die veränderte Rechtslage in weiteren Akten im Enteignungsstaat niedergeschlagen hat, bleibt also der Enteignete aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Eigentümer. Wird hingegen in einem deutschen Justizakt eine Enteignung dinglicher Rechte vor Verbringung der Sache inzident anerkannt, steht dies einer Nichtanerkennung nach Verbringung nicht entgegen. Die Rechtskraft umfasst eine Rechtsänderung nach Verbringung nicht.205 Dies hängt damit zusammen, dass bis zur Verbringung über die absolute Anerkennung noch gar nicht abschließend entschieden werden kann.206
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung § 12 Beweggründe zur Anerkennung
Die internationalprivatrechtliche Verweisung umfasst ausländische Enteignungen nicht.207 Denn der Enteignungsanerkennung liegen andere Wertungen zugrunde als der internationalprivatrechtlichen Verweisung. Diese Beweggründe zur Anerkennung sollen im Folgenden untersucht werden. Als Synonyme zu den Beweggründen werden in dieser Arbeit die Begriffe des Interesses und der Wertung verwendet. Ausgangspunkt der Betrachtung ist der Gebietsgrundsatz der herrschenden Meinung. Daneben werden abweichende Stimmen der Literatur berücksichtigt. An dieser Stelle sei auch noch einmal daran erinnert, dass weder die positive noch die negative Seite des Gebietsgrundsatzes aus dem Völkerrecht folgen.208 Eine Enteignung wird nur insoweit anerkannt, als es die Wertungen hinter dem positiven Gebietsgrundsatz verlangen. Die Aussage, der negative Gebietsgrundsatz schütze in Deutschland befindliche Gläubiger und Schuldner, was schon begrifflich nur auf Forderungsenteignungen passt, vor fremdhoheitlichen Eingriffen oder wahre die Gebietssouveränität Deutschlands als Belegenheitsstaat, ist dagegen nicht weiterführend.209 Ist nämlich der maß204 BGH vom 22.9.1988 (IX ZR 263/87), in: NJW 1989, 1353 (interlokal, Standuhr); KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 343 (interlokal, Standuhr); KG vom 20.10.1950 (6 WM 1386/50), in: JR 1951, 152 r.Sp., 153 r.Sp. (interlokal); Armbrüster/Jopen, ROW 1989, 336 l.Sp.; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 29 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 35 zu Art. 46 EGBGB Anh. m.N. 205 Statt aller Schulze, Recht, 1972, 195 f. 206 Vgl. oben § 11 II 2; im Ergebnis ähnlich Schulze, Recht, 1972, 210 (solange sich die Sache noch im Enteignungsstaat befinde, sei eine Klage des Enteigneten oder des Enteignungsbegünstigten in Deutschland auf Feststellung des Eigentums mangels Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen; ein entsprechendes Urteil wäre in Deutschland bis zu einer Verbringung nicht vollstreckbar). 207 Dazu auch unten § 13 II 3. 208 Zur abweichenden älteren Lehre oben § 4 II am Anfang. 209 So aber MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 15 zu Art. 46 EGBGB Anh. m.N.; Berentelg, Act of State, 2010, 146 und Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 45 zu Art. 43–46 EGBGB Anh.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
gebliche Anerkennungsgrund gefunden, der freilich bereits eine Abwägung mit den widerstreitenden Interessen enthält, muss die aus der negativen Seite des Gebietsgrundsatzes folgende Nichtanerkennung einer Enteignung extraterritorial210 belegener Rechte nicht gesondert begründet werden.211 Doch aus welchem Grund anerkennt der positive Gebietsgrundsatz intraterritoriale Enteignungen? I. Internationale Ordnung als Anerkennungsgrund 1. Gute zwischenstaatliche Beziehungen und deutsche Handelsinteressen § 12 Beweggründe zur Anerkennung – I 1
Am häufigsten wird zur Begründung der positiven Seite des Gebietsgrundsatzes das Interesse Deutschlands an einer friedlichen internationalen Ordnung genannt.212 Dieser Gesichtspunkt bedarf freilich der Konkretisierung.213 Der Wertung der internationalen Ordnung unterfällt zweierlei: Die Nichtanerkennung einer fremdstaatlichen Enteignung belaste zum einen das politische
I. Die Begründung entspricht der missverständlichen „Abwehrfunktion“ des Gebietsgrundsatzes, zu dieser bereits §§ 1, 4 III 2. 210 Zum Begriff oben § 9 I 3. 211 Dazu, dass der negative Gebietsgrundsatz bei der entschädigungslosen Enteignung dinglicher Rechte verfassungsrechtlich geboten ist, wenn sich die Sache gerade in Deutschland befindet, unten § 15 II 4. 212 So BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 124 (Bodenreform I); BGH vom 28.2.1971 (III ZR 47/67), in: BeckRS 1972, 31124840 unter II 1 a (= MDR 1972, 494) (interlokal, Ammoniakwerk Me. GmbH gegen gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen G.); LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 164 l.Sp. (Chile, Kupfer); Kegel, Probleme, 1956, 9, 13; ders./Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 242; Stoll, BerGesVR 4 (1961) 140; ders., in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 84; ders., IPRax 2003, 434 (Rechtsverkehr und Rechtsfrieden); Dölle, IPR, 1972, 5; Wuppermann, AWD 1973, 506 l.Sp.; Kassaye, Entwicklungen, 1983, 272; Gertner, VIZ 1995, 391; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 2 IV 1, § 23 II 1, 3, 4, S. 149, 1099, 1101, 1104; Dutta, Durchsetzung, 2006, 322 ff. (Duttas Beobachtung, der BGH habe sich nie ausdrücklich auf die internationale Ordnung berufen, trifft allerdings ausweislich des obigen Nachweises in dieser Fn. nicht zu); Berentelg, Act of State, 2010, 147 f.; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 161, 200 (sie möchte aber „sehr bezweifeln“, dass die Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen die internationale Ordnung zerstören und zum Krieg führen könne); MüKoWendehorst, 2015, Rn. 2, 15 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Erman-Hohloch, 2014, Rn. 1 zu Art. 46 EGBGB Anh. – A.A. ist Mann, FS Duden 1977, 290 f. (die internationale Ordnung sei nicht in Gefahr; zudem handele es sich um bloße Opportunitätserwägungen). 213 Kritisch daher v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 145 f. zu § 4, S. 303 f. (die internationale Ordnung gleiche einem „verbrämenden Schirm“).
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – I 1
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Verhältnis zwischen Deutschland und dem Enteignungsstaat,214 zum anderen den internationalen Handel215. Beides gelte es zu verhindern. Dass es bei der Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen um die politischen Beziehungen zwischen dem Enteignungsstaat und Deutschland geht, ist indes unwahrscheinlich.216 Dies wird schon daraus ersichtlich, dass das Verhältnis zu den Enteignungsstaaten in den meisten bisher entschiedenen Enteignungsfällen ausgesprochen schlecht war. So hat auch jüngst das OLG 214
OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 355 (Indonesien, Tabak); LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 164 l.Sp. (Chile, Kupfer); Kegel, Probleme, 1956, 9; ders./Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 242 (eine Nichtanerkennung „könnte unter Umständen sogar zum Kriege führen“); Meessen, AWD 1973, 180 l.Sp.; Wuppermann, AWD 1973, 505 l.Sp.; Teich, WM 1976, 1324 l.Sp.; Huwyler, Personen, 1989, 61; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III („erhebliche Spannungen“); Junker, IPR, 1998, Rn. 488; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 1, S. 1099; Berentelg, Act of State, 2010, 147, 166, 257; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 2 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 25 zu § 20 (zu Gesellschaftsenteignungen); dagegen insbesondere OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee); ferner Schaumann, SchwJahrbIntR X (1953) 174 (eine ernsthafte Störung sei nicht zu erwarten). 215 OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 352 (Indonesien, Tabak); OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee); LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 164 l.Sp. (Chile, Kupfer); SeidlHohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 12 f., 53 (später zurückhaltender, siehe den Nachweis unten in dieser Fn.); Kegel, Probleme, 1956, 9; ders./Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 242; Bogdan, Expropriation, 1975, 39 f.; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 432 f.; Fickel, AWD 1974, 73 r.Sp.; Matthias, FS v.Simson 1983, 266; Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 108 f.; Huwyler, Personen, 1989, 61; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Junker, IPR, 1998, Rn. 488; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 1, S. 1099; Berentelg, Act of State, 2010, 147 (Gefahr eines Wirtschaftskrieges), 166, 258, 272 f. (bei der Abwägung im Rahmen der Ordre-public-Prüfung seien auch wirtschaftspolitische Interessen beachtlich; dies könne zur Anerkennung völkerrechtswidrig enteigneter dinglicher Rechte führen); Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 161; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 12 zu Art. 46 EGBGB (er stellt sogar nur auf den Handel ab); bei anderem Ansatz ähnlich Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 5 (neben „materieller Gerechtigkeit“ seien auch rechtspolitische Aspekte wie der Schutz des internationalen Wirtschaftsverkehrs und der zwischenstaatlichen Beziehungen zu berücksichtigen). – Gegen das Welthandelsargument Dahm, FS Nikisch 1958, 179; Münch, JahrbIntR 9 (1959/60) 85; Mann, NJW 1961, 709 l.Sp. (sonst sei der Kapitalverkehr blockiert, weil Investitionen zu riskant würden; es sei übertrieben, von einer Blockierung des Enteignungsstaates zu sprechen; Zweckmäßigkeitserwägungen seien nicht Sache des Richters); Dahm, FS Kraus 1964, 77; Seidl-Hohenveldern, FS Heymanns 1965, 615 ff. (vormals abweichend; eine Behinderung des Handels sei gerade die Sanktion für die völkerrechtswidrige Enteignung; werde auf die Völkerrechtswidrigkeit nicht reagiert, bestehe eine Eskalationsgefahr); Petersmann, WiR 1973, 304 (einer Blockierung des Handels stehe die Gefährdung des Kapitalverkehrs gegenüber); Schütz, ordre public, 1984, 37, 145 f. 216 Siehe zur ähnlichen Wertung des Respekts, die nach hier vertretener Ansicht ebenfalls nicht maßgeblicher Anerkennungsgrund ist, unten § 12 III 2.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Hamburg, als es eine entschädigungslose Enteignung durch Simbabwe anerkannt hat, offen eingeräumt, es gehe „im vorliegenden Zusammenhang nicht maßgeblich um politische Rücksichtnahme auf einen Staat, der ohnehin in eine weitgehende internationale Isolation geraten“ sei.217 Die Erwägungen, den Enteignungsstaat gewogen zu stimmen, war – soweit ersichtlich – in noch keinem Fall der tragende Anerkennungsgrund. Doch sprechen auch gegen eine starke Betonung der deutschen Handelsinteressen gewichtige Argumente. Besonders vier Punkte sind von Bedeutung. (1) Zunächst ist der Handel nicht notwendigerweise betroffen. Man denke an die Nähmaschinenfälle, in denen Flüchtlinge in Deutschland ihre durch Dritte verbrachten Nähmaschinen218 vindizieren konnten; ferner an Fälle, in denen sich der Enteignungsstaat abgeschottet hat und daher keine Handelsbeziehungen bestehen. (2) Schließt man Spätfolgen in die Betrachtung ein, dürften zudem die Folgen für den Welthandel ohnehin nicht zu überblicken sein. Ein schwacher Schutz von Auslandsinvestitionen kann den Welthandel ebenso berühren wie die Nichtanerkennung.219 Es ist nämlich dem internationalen Verkehr nicht förderlich, anderen Staaten alles „durchgehen“ zu lassen, zumal die Enteignungsstaaten selbst ein großes Interesse daran haben, beispielsweise Kupfer, Tabak, Kaffee oder andere Rohstoffe nach Deutschland zu exportieren. (3) Ein weiteres Argument betrifft völkerrechtswidrige Enteignungen. Das Völkerrecht beurteilt Enteignung und Anerkennung getrennt voneinander.220 Völkerrechtswidrige Enteignungen anzuerkennen, ist nämlich völkerrechtlich zulässig. Es kann jedoch schwerlich ein legitimes staatliches Interesse sein, den Handel mit Sachen zu fördern, an denen in völkerrechtswidriger Weise Rechte enteignet wurden.221 Die wenigen (durchweg instanzgerichtlichen) Gerichtsentscheidungen widersprechen dem nur vordergründig: Im ChileKupferfall222 hat das Hamburger Landgericht zwar die Stellung deutscher Häfen als Kupferumschlagsplatz gestärkt.223 Auch die Entscheidung im Tabakfall224 war der Wirtschaft Bremens zwar von großem Wert.225 Die genann217
OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee). Nachweise unten § 16 III 3 Fn. 306. 219 Ähnlich Dahm, FS Kraus 1964, 77 m.N. 220 Dazu bereits § 4 I. 221 Vgl. auch die Kritik von Mann, NJW 1961, 710, der von Opportunismus und einem „Tiefstand des Niveaus“ spricht. 222 LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 163. 223 Siehe zu den Hintergründen Petersmann, WiR 1973, 296: Die chilenische Botschaft, die mit „nicht übersehbaren Konsequenzen“ für die chilenische und deutsche Wirtschaft gedroht hatte, bezeichnete sich nach dem anerkennenden Urteil des LG Hamburg als „sehr zufrieden“. 224 OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 318 (Indonesien). 218
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – I 2
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ten Entscheidungen sind jedoch im Ergebnis durchaus zutreffend. Sie sind nur in ihren Begründungen anfechtbar.226 Nach hier vertretener Ansicht handelt es sich in beiden Fällen um ein Problem der Fernwirkung einer etwaigen Nichtanerkennung einer Aneignungsrechtsenteignung. Es wurden also gar nicht völkerrechtswidrige Enteignungen dinglicher Rechte anerkannt. Sondern es wurden nur diejenigen, denen Aneignungsrechte enteignet wurden, nicht so gestellt, wie sie stünden, wenn die Aneignungsrechte nicht enteignet worden wären und sie die nun streitbefangenen Sachen selbst gefördert hätten. Teilt man die hier vertretene Ansicht hingegen nicht, fragt sich, welchen Preis man für den wirtschaftlichen Vorteil durch Handel mit völkerrechtswidrig enteignetem Gut zu zahlen bereit ist. Frankreich beispielsweise verweigerte auch im Enteignungsstaat vollzogenen entschädigungslosen Enteignungen die Anerkennung.227 Diese Gerichtspraxis hat die französische Wirtschaft aber nicht nennenswert beeinträchtigt.228 (4) Durch eine Überbetonung von Handelsinteressen wird (insbesondere bei völkerrechtswidrigen Enteignungen) das Bestandsinteresse des Enteigneten einer bloßen Aussicht auf Handel mit „heißer Ware“ geopfert. 2. Entscheidungseinklang als Folge der Anerkennung
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – I 2
Teilweise wird die Anerkennung einer fremdstaatlichen Enteignung auf den Entscheidungseinklang gestützt, der durch die Anerkennung im Verhältnis zum Enteignungsstaat erzielt würde.229 Dieser Gesichtspunkt ist verwandt mit
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Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 19 zu § 20 („[d]iese Rechtsprechung hat jedenfalls der Stellung Bremens als Umschlagplatz für Tabak einen wichtigen Dienst erwiesen“); siehe auch den Hinweis von Großfeld, Unternehmensrecht, 1995, Q § 5 II 2, S. 298 auf die Zeitungsnotiz in der FAZ vom 5.1.1974 Nr. 9 auf S. 13: „Heute ist Bremen mit seiner 1959 gegründeten Tabakbörse der zentrale Umschlagplatz für indonesische Rohtabake. Alle europäischen Zigarrenhersteller, auch die Holländer, decken hier ihren Bedarf an diesen Sorten.“ 226 Vgl. dazu und zum Folgenden oben § 11 III 1 und unten §§ 15 I 1, 16 III 2, 3. 227 Zum französischen Recht Mayer/Heuzé, Droit, 2014, Rn. 702, 707; Audit, Droit, 2010, Rn. 795; Niboyet/de Geouffre de La Pradelle, Droit, 2009, Rn. 47; die französische Praxis ist in Deutschland durchaus bekannt, siehe Beitzke, RabelsZ 15 (1949/50) 145; Baade, JahrbIntR 3 (1954) 139; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 425; Huwyler, Personen, 1989, 42 [Schweiz]; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 163. 228 Siehe aber auch Petersmann, WiR 1973, 296 und Wuppermann, AWD 1973, 506 Fn. 7 m.N. (nachdem ein französisches Gericht infolge der Kupferenteignungen eine für Chile ungünstige Entscheidung getroffen hatte, wurden die Kupferlieferungen nach Frankreich eingestellt). 229 So Stoll, BerGesVR 4 (1961) 140; Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 295; Berentelg, Act of State, 2010, 258; a.A. Coing, WM 1982, 384 l.Sp. (der Gesichtspunkt der Entscheidungsharmonie sei nie sehr beachtlich).
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
der zur internationalen Ordnung zählenden Wertung der guten zwischenstaatlichen Beziehungen. Er kann jedoch die Anerkennung nicht stützen. Ein Gleichlauf der rechtlichen Bewertung ist nämlich relativ. Wird im Verhältnis zum Enteignungsstaat der Einklang gesucht, wird er unter Umständen zu anderen Staaten aufgehoben. In Frankreich etwa werden, wie bereits erwähnt, entschädigungslose Enteignungen nicht anerkannt.230 Die Anerkennung einer entschädigungslosen Enteignung stellt damit den Einklang im Verhältnis zum (möglicherweise sehr weit entfernten und mit Deutschland in unbedeutender Wirtschaftsbeziehung stehenden) Enteignungsstaat her, hebt ihn aber im Verhältnis zu Frankreich, mit dem enorme Verflechtungen auch gerade im Privatrechtsverkehr bestehen, auf. Das Schlagwort des Entscheidungseinklangs ist also nicht Begründung, sondern nur Ergebnis einer bejahenden Anerkennungsentscheidung. Es erlaubt auch keine Grenzziehung. Dem Entscheidungseinklang zum Enteignungsstaat diente es am meisten, alle erdenklichen Akte anzuerkennen, um jedes hinkende Rechtsverhältnis zu vermeiden. Der Gedanke des Entscheidungseinklangs hilft bei der Anerkennungsentscheidung daher nicht. Doch lässt auch der Hinweis auf die internationale Ordnung offen, wie die Grenze der Anerkennung zu bestimmen ist. Das Grenzkriterium finden die Vertreter der internationalen Ordnung in der sogleich zu besprechenden Machtlehre. II. Macht als Grenzkriterium 1. Mögliche Verständnisweisen von Macht
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Fast alle Autoren und Gerichte bedienen sich der Formel, dass Enteignungen anzuerkennen seien, soweit die Macht des Enteignungsstaates reiche.231 230
Siehe soeben § 12 I 1 a.E. Die verfassungsgemäße (BVerfG vom 23.4.1991 [1 BvR 1170, 1174, 1175/90], in: BVerfGE 84, 123 f. [Bodenreform I]) Machtlehre vertreten BGH vom 11.2.1953 (II ZR 51/52), in: NJW 1953, 543 (= BGHZ 9, 34); BGH vom 12.11.1959 (VII ZR 165/58), in: NJW 1960, 190 (= BGHZ 31, 168) (interlokal); BGH vom 5.5.1960 (VII ZR 92/58), in: NJW 1960, 1570 (= BGHZ 32, 256) (Niederlande); BGH vom 28.2.1971 (III ZR 47/67), in: BeckRS 1972, 31124840 unter II 1 a (= MDR 1972, 494) (interlokal, Ammoniakwerk Me. GmbH gegen gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen G.); BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 (interlokal); BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1092 (interlokal); Wolff, IPR, 1954, 152; Kegel, Probleme, 1956, 7 ff.; ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 1, S. 1099; Reichert, WM 1961, 2; Schulte, NJW 1966, 522 r.Sp.; Schulte-Uhlenbrock, Rechtsverhältnisse, 1968, 14; Dölle, IPR, 1972, 5; Heintzeler, Fall, 1972, 96; Paulick, FS Raschhofer 1975, 192; Polter, Auslandsenteignungen, 1975, 63; Teich, WM 1976, 1324 r.Sp.; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-137; Lederer, Enteignung, 1989, 134; Steinberg, NJ 1991, 3 l.Sp.; Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 79 ff.; ders., IPRax 2003, 434 l.Sp. (Inhalt und Grenze des Gebietsgrundsatzes seien aus dem Machtgedanken abgeleitet); Staudinger-Stoll, 1996, 231
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Macht ist also Grenzkriterium, nicht Wertung.232 Doch welche Macht ist gemeint und wie kann sie bestimmt werden? Es geht bei der Macht nicht darum, ob der Enteignungsstaat auch für die deutsche Rechtsordnung die Eigentumszuordnung umgestalten kann. Die ausländische Enteignung wirkt in der deutschen Rechtsordnung nie aus eigener Kraft.233 Deutschland „hilft“ dem Enteignungsstaat bei jeder Anerkennung.234 Hat der Enteignungsstaat im Sinne der herrschenden Meinung die Macht, bedeutet das für Deutschland also nicht, dass jede Zuwiderhandlung zwecklos ist. Auch solange sich eine Sache noch auf dem Gebiet des Enteignungsstaates befindet, ist es die autonome Entscheidung des deutschen interRn. 196 zu IntSachenR; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III mit äußerst umfangreichen Nachweisen zur Rechtsprechung; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 899 zum IntGesR; Junker, IPR, 1998, Rn. 488; Lakkis, Gestaltungsakte, 2007, 419; Looschelders, IPR, 2004, Rn. 67 zu Art. 43 EGBGB; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 161; jurisPK-dies., 2012, Rn. 48 zu Art. 43 EGBGB; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 46 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Nomos-v.Plehwe, 2012, Rn. 56 zu Art. 43 EGBGB; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 12 zu Art. 46 EGBGB; jurisPK-Teubel, 2014, Rn. 47 zu Art. 43 EGBGB; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 963 f. zum IntGesR; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 2, 4, 42, 45 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; i.E. auch Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 110 f. (Durchsetzbarkeit) und Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 290 f. – Gegen die Machtlehre sind Ficker, Grundfragen, 1952, 75 (es wirke verwirrend, wenn man „einen juristisch so suspekten Begriff wie den der Macht in den Vordergrund stellt“); Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 43; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 22 Fn. 73 (er verwendet den Begriff der Macht auf S. 69 freilich selbst und stellt ihn in einen unzutreffenden völkerrechtlichen Zusammenhang); Fickel, AWD 1974, 69 Fn. 11; Behrens, Unternehmen, 1980, 35 (der Gesichtspunkt der faktischen Macht sei inhaltlich „zu vage, als daß er bereits substantiell zu befriedigen vermöchte“); Sonnenberger, FS Rebmann 1989, 831; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 168 (Vorwurf einer einseitigen Betonung reiner Durchsetzbarkeitserwägungen); MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 17 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Kuckein, Berücksichtigung, 2008, 109; MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 412 zu Einl. IPR (das inländische Anwendungsinteresse müsse herausgearbeitet werden, sonst erscheine die Anknüpfung als zufällig und als bloßes Zurückweichen vor dem ausländischen Machtanspruch). 232 So in der Sache, wenn auch nicht ausdrücklich, Kegel, Probleme, 1956, 13; ders./Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 234; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 3, S. 1101; Erman-Hohloch, 2014, Rn. 1 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. – Dies missverstehen viele, etwa Lederer, Enteignung, 1989, 127, dessen Kritik an der Machtlehre, die Durchsetzung oder ihre Möglichkeit könne nicht Anerkennungsgrund sein, daher ins Leere geht; siehe außerdem die Kritiker in der vorherigen Fn.; unklar auch BGH vom 28.2.1971 (III ZR 47/67), in: BeckRS 1972, 31124840 unter II 1 c (= MDR 1972, 494) (interlokal, Ammoniakwerk Me. GmbH gegen gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen G.) („[n]ach dem dargelegten ‚Territorialitätsprinzip‘ wirken also Enteignungen durch staatlichen Zwangsakt nicht über das Gebiet des enteignenden Staates hinaus, weil [sic!] die Machtbefugnisse einer jeden Staatsgewalt an den Staatsgrenzen enden“). 233 Siehe bereits §§ 1, 4 II 1 a.E. 234 Deutlich Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
nationalen Enteignungsrechts, ob es die Enteignung eines Rechts an der Sache anerkennen möchte oder nicht. Gemeint ist auch nicht in einem strengen Sinne die Macht zur Enteignung.235 Die Enteignung als bloße Anordnung der Umverteilung ist ein rechtlicher Vorgang. Der Enteignungsstaat kann für seine Rechtsordnung alle Rechte enteignen, die er zuvor eingeräumt hat. Das Völkerrecht erlaubt dies bereits dann, wenn eine Mindestbeziehung zum Enteignungsstaat besteht. Die staatliche Regelungsbefugnis ist völkerrechtlich nicht territorial beschränkt.236 Es kommt aber auch nicht unmittelbar auf die territorial begrenzte Vollstreckungsmöglichkeit des Enteignungsstaates an; es werden Rechte und nicht körperliche Bezugsobjekte enteignet.237 Der Begriff der Macht meint vielmehr die (voraussichtliche)238 Realisierung des rechtlichen Vorgangs der Enteignung in der körperlichen Welt.239 Der Rechtsvorgang der Enteignung soll nämlich nach dem Gebietsgrundsatz anerkannt werden, soweit sich bestimmte körperliche Bezugsobjekte auf dem Gebiet des Enteignungsstaates befinden.240 Die Machtfrage wird also mit Blick auf die Grenze des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips241 beantwortet: Der Enteignungsstaat darf nämlich nur auf diejenigen körperlichen Bezugsobjekte zugreifen, die sich auf seinem Gebiet befinden.242 Diese Macht richtet sich aber in zwei Hinsichten nicht streng nach der Macht zur körperlichen Realisierung. Zum einen geht es, indem beispielsweise bloß an den Lageort einer Sache angeknüpft wird, nicht um die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit des Enteignungsstaates, sondern eine normative; es wird also unterstellt, dass ein Staat nicht nur auf seinem Gebiet vollstrecken darf, sondern dies auch faktisch kann, also beispielsweise über ausreichend Vollstreckungspersonal verfügt oder die Sache nicht unauffindbar ist. Man kann auch sagen: Die Macht im Sinne der Machtlehre erfordert kein Können, sondern nur ein Dürfen. Zum anderen tritt (insbesondere bei der Enteignung unkörperlicher Gegenstände) zwischen die Macht und das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip eine weitere Wertung. Es soll nämlich nicht die Anwesenheit beliebiger körperlicher Bezugsobjekte auf dem Gebiet des Enteignungsstaates genügen. 235 Unklar viele, etwa Plaßmann, JZ 1962, 18 r.Sp. (es komme nicht auf die Macht zur Zwangsvollstreckung, sondern auf die „Macht zur Rechts-(um-)gestaltung“ an). 236 Zu allem bereits oben § 4 II 3. 237 Vgl. oben § 9 I 2. 238 Str., siehe zur Vollziehung bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14 III. 239 Nach wie vor zutreffend Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 291. 240 Vgl., auch zu den Begriffen, bereits § 9 I 2. 241 Vgl. oben § 4 II 2. 242 Die Nähe zum Völkerrecht wird bei der Regelbildung bewusst gesucht, so etwa bei Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 242; vgl. auch Schulze, Recht, 1972, 95.
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Das deutsche internationale Enteignungsrecht bestimmt vielmehr erst durch die Lokalisierung der Rechte, auf welche körperlichen Bezugsobjekte abzustellen ist.243 Der Gleichlauf zwischen der Macht und den völkerrechtlichen Vollstreckungsgrenzen ist dadurch bei unkörperlichen Gegenständen aufgehoben. 2. Schwächen der Machtlehre
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – II 2
Der Gebietsgrundsatz beantwortet die Frage nach der Übernahme der rechtlichen Wirkungen fremdstaatlicher Enteignungen mit Blick auf den Ort im Raum, an dem sich bestimmte244 Sachen oder Personen befinden. Durch die Verknüpfung von Enteignungsobjekt und körperlichem Bezugsobjekt wird Rechtliches mit Körperlichem, Sollen mit Sein verbunden. Zur Ausmalung wird verbreitet von der „normativen Kraft des Faktischen“ gesprochen.245 Das Faktische selbst verfügt dabei über keine normative Kraft.246 Der Enteignungsstaat kann keine Realitäten schaffen, die in anderen Rechtsordnungen beachtet werden müssen. Wann eine fremdstaatliche Enteignung ein zu berücksichtigendes „Faktum“ (im Sinne der Formel der normativen Kraft des Faktischen) darstellt, wird erst über die Anerkennungsnorm des Gebietsgrundsatzes bestimmt. Dieser ist Umschaltnorm. Ist aber Bindeglied zwischen Gebot und Faktischem, also zwischen Sollen und Sein, die im Gebietsgrundsatz zum Ausdruck kommende Willensbetätigung des Anerkennungsstaates, liegt auch kein unzulässiger Schluss vom Sein auf das Sollen vor.247 Der Wille vermittelt zwischen Sein und Sollen. Mit der Formel der normativen Kraft des Faktischen ist denn auch schlicht die Selbstverständlichkeit gemeint, dass die Regelbildung den tatsächlichen Umständen Rechnung tragen muss, um sinnvolles Recht zu sein.248 Wenn 243
Vgl. oben § 9 I 3. Zur Bestimmung der jeweils maßgeblichen Sachen oder Personen allgemein oben § 9 I 3; zur Bestimmung bei der Forderungsenteignung unten § 17. 245 So Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 69; Seidl-Hohenveldern, FS Kegel 1977, 265; ähnlich MüKo-Kindler, 2015, Rn. 963 f. und Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 84; ähnlich OLG Köln vom 15.3.1957 (1 U 190/55), in: ROW 1 (1957) 209 r.Sp. (Russland, Stiftung „Kuratorium zur Förderung russischer Komponisten“). – Kritisch v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 146 zu § 4, S. 304 („[e]twas weniger vornehm kann man insoweit auch eine resignierende Kapitulation vor der normativen Kraft des Faktischen sehen“). 246 Dies ist selbstverständlich, siehe etwa Polter, Auslandsenteignungen, 1975, 90 (das „Faktische [habe] keine im Rechtssinne normierende Kraft“). 247 A.A. Kuckein, Berücksichtigung, 2008, 109 m.N. 248 Erfreulich klar Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 242 („[d]ie Grenze zwischen [...] anerkannten und nicht anerkannten ausländischen Enteignungen [...] wird so gezogen, daß man freiwillig, nicht kraft rechtlichen Zwanges, den Machtverhältnissen Rechnung trägt, daß man Macht zu Recht macht“); vgl. bereits § 1; siehe auch Habscheid, 244
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
etwa eine Sache, an der ein Recht enteignet wurde, sich nun einmal im Enteignungsstaat befindet, kann es – allerdings im Hinblick auf andere Zwecke (wie den Schutz der internationalen Ordnung) – verfehlt sein, das enteignete Recht vom Enteignungsstaat abweichend zuzuordnen. Auf der anderen Seite ist es aber auch nicht überzeugend, die Machtlehre abzulehnen, weil sie „Macht vor Recht“ setze.249 Das Argument ist suggestiv und enthält keine sachliche Aussage. Welche Enteignungen anerkannt werden sollen, was also in diesem Sinne das Recht ist, dem die Macht vorgehen soll, kann nur vor dem Hintergrund einer bestimmten Anerkennungsnorm bestimmt werden. Dass sich diese Anerkennungsnorm aber als Grenzkriterium am Tatsächlichen orientiert, wie sich kein Recht vor Gegebenheiten der körperlichen Welt verschließen sollte, ist nicht verwerflich. Hinter dem Einwand, es werde Macht vor Recht gesetzt, verbirgt sich also wohl nur der Vorwurf, der über die Machtlehre veranschaulichte Gebietsgrundsatz vernachlässige die Bestandsinteressen des Enteigneten. Dieser Einwand aber beruht auf einem Missverständnis der Funktion des Machtgedankens: Die Macht ist nicht Grund, sondern Grenze der Anerkennung. Wie bereits ausgeführt, entstammt der Gebietsgrundsatz nahezu unstreitig nicht dem Völkerrecht.250 Die Machtlehre, die das Grenzkriterium der Anerkennungsnorm nur veranschaulicht, nimmt aber auf das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip251 Bezug. Die Nähe zum Völkerrecht darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Macht ein spezieller internationalenteignungsrechtlicher Begriff ist. Außerhalb des internationalen Enteignungsrechts ist sie bedeutungslos. Aus dieser Feststellung ergibt sich ein weiterer Kritikpunkt. Die Berufung auf diese spezielle internationalenteignungsrechtliche Macht zur Enteignungsanerkennung verdeckt die konkurrierende völkergewohnheitsrechtliche Regelungsbefugnis der Staaten. Die Rechtsordnungen dürfen die Zuordnung von Rechten abweichend voneinander regeln. Auf ein körperliches Bezugsobjekt rechtmäßig zugreifen, darf hingegen zu einem bestimmten Zeitpunkt nur ein Staat. Der Erfolg der Machtlehre beruht auf zwei ähnlichen Sätzen des Völkerrechts, die miteinander vermengt eine Wertungsgleichheit nahelegen, die bei näherer Betrachtung nicht besteht.252 Voraussetzung der Macht im Sinne der Machtlehre soll sein, dass das enteignete Recht auf dem Gebiet des Enteignungsstaates belegen ist. Die ungeschriebenen Hilfsnormen zum Gebietsgrundsatz schreiben den Rechten ihre Belegenheit aber erst zu. So ist bei BerGesVR 11 (1973) 55 und Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 111 (der Machtgedanke sei mit der Unmöglichkeitslehre eng verwandt). 249 So aber Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 43. 250 Siehe bereits § 4 II am Anfang. 251 Zu diesem oben § 4 II 2. 252 Vgl. bereits oben § 4 III 1.
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Rechten an Sachen zwar der Lageort der Sache maßgeblich. Bei Rechten an unkörperlichen Gegenständen aber wird die Nähe zum völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip aufgehoben. Da das Völkerrecht keine Belegenheitsregeln enthält, ist die Berufung auf die Macht des Enteignungsstaates nur ein unnötiger Zwischenschritt bei der nationalen Regelbildung. So räumen denn auch die Vertreter der Machtlehre ein, dass die Machtgrenzen bei der Enteignung unkörperlicher Gegenstände schwer zu bestimmen sind.253 Die Machtlehre hat die Aufgabe, ein Grenzkriterium zu begründen. Bei der Enteignung von Rechten an Sachen entspricht die Macht der Vollziehbarkeit.254 Der Enteignungsstaat darf Besitz an Sachen ergreifen und eine Enteignung in diesem Sinne vollziehen, wenn sich die Sachen auf seinem Gebiet befinden. Wer aber nun der Machtlehre folgt und zugleich eine Vollziehung fordert, unterliegt einem Missverständnis.255 Die Anerkennungsgrenze bei Enteignungen dinglicher Rechte ist nämlich je nach vertretener Auffassung Macht oder Vollziehung. Man benötigt nur ein Grenzkriterium. Vollzieht der Enteignungsstaat eine Enteignung dinglicher Rechte, so konnte er dies im Sinne der Machtlehre auch, hatte also stets auch Macht.256 Nimmt man also ein selbständiges Vollziehungserfordernis an, ist die Machtlehre bei der Enteignung dinglicher Rechte entbehrlich. Bei der Anerkennung von Enteignungen von Rechten an unkörperlichen Gegenständen hingegen schließen sich nach der ganz herrschenden Auslegung des Gebietsgrundsatzes Macht und Vollziehung nicht aus, sondern ergänzen sich. Dies ist eine Unregelmäßigkeit, auf die vorerst nur aufmerksam gemacht werden soll, deren Tragweite aber erst später im Zusammenhang zu voller Breite entfaltet werden kann.257 Sie hängt damit zusammen, dass der Gebietsgrundsatz Enteignungen dinglicher und sonstiger Rechte nur sehr vordergründig nach einem einheitlichen Prinzip behandelt. Der Gebietsgrundsatz dinglicher Rechte ist auf andere Enteignungsobjekte nicht übertragbar. So hat auch die Machtlehre bei der Enteignung unkörperlicher Gegenstände einen anderen Inhalt als bei der Enteignung dinglicher Rechte.258 253
Siehe etwa Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 5 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; siehe zu Forderungen unten § 17. 254 Siehe zur Frage nach einem selbständigen Vollziehungserfordernis bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14 III. 255 So etwa Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 196, 206 f. zu IntSachenR (der noch in der Vorauflage seiner Kommentierung in Rn. 145 konsequent ein selbständiges Vollziehungserfordernis abgelehnt hatte); vgl. auch unten § 14 III 2, IV 2. 256 Dazu, dass der Enteignungsstaat grundsätzlich nur auf seinem Gebiet vollziehen darf, oben § 4 II 2. Vollzieht er unter Verletzung des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips auf fremdem Hoheitsgebiet, sind solche Enteignungen nicht anzuerkennen. Zur speziellen Situation der Enteignung durch Besatzungsmächte oben § 4 IV. 257 Zu Forderungen unten §§ 17 II 3, 18 I 3. 258 Siehe zur Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungsenteignungen unten § 18 I; zum berechtigten Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes unten § 24 I 4.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
3. Bestimmung der räumlich-zeitlichen Machtgrenzen: die Verbringung § 12 Beweggründe zur Anerkennung – II 3
Es ergibt sich weiter eine Schwierigkeit in räumlich-zeitlicher Hinsicht. Dies soll am Beispiel der Enteignung dinglicher Rechte dargestellt werden.259 Macht über die nach dem Gebietsgrundsatz maßgeblichen Sachen hat ein Staat nur so lange, wie diese sich auf seinem Hoheitsgebiet befinden. Er hat keine Macht mehr, wenn die Sachen in einen anderen Staat verbracht worden sind.260 Würde nun diese Macht infolge einer fremdstaatlichen Enteignung in Recht „verwandelt“,261 so wäre der Enteignungsstaat aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung so lange Eigentümer, wie sich die Sache auf seinem Staatsgebiet befindet. So wird aber nicht verfahren. Vielmehr soll es auf den Zeitpunkt der Enteignung ankommen. Nur haben die deutschen Gerichte regelmäßig Verbringungsfälle zu entscheiden.262 Zum Zeitpunkt der Anerkennungsentscheidung jedoch hat der Enteignungsstaat keine Macht mehr. Im Gegenteil: Die Macht hat nun der Anerkennungsstaat als neuer Belegenheitsstaat. Er kann jetzt diejenige Nähebeziehung für sich in Anspruch nehmen, die zuvor den Enteignungsstaat dazu gebracht hat, das Recht an der Sache zu enteignen. Eine konsequente Machtlehre spräche also gegen die Anerkennung nach Verbringung der Sache. Die zeitliche Fixierung, also das Abstellen auf den Enteignungszeitpunkt bei Enteignungen dinglicher Rechte, bedarf daher zumindest einer Erklä-
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Zwar können auch bei der Enteignung nicht dinglicher Rechte die jeweiligen körperlichen Bezugsobjekte (zum Begriff oben § 9 I 2) ihren Ort wechseln; die Problematik etwa bei der Forderungsenteignung ist aber nicht mit der Verbringung von Sachen vergleichbar, da auf die Forderungsenteignung bei näherer Betrachtung nicht der von der Enteignung dinglicher Rechte her bekannte Gebietsgrundsatz angewendet wird, vgl. unten § 18 I. – Der oft anzutreffende Ausdruck, dass „Vermögensgegenstände“ verbracht werden, ist terminologisch anfechtbar und verdunkelt die Problematik, so aber MüKo-Kindler, 2015, Rn. 964 zum IntGesR. Verbracht werden können nur Sachen. 260 BGH vom 12.11.1959 (VII ZR 165/58), in: NJW 1960, 189 (= BGHZ 31, 168) (interlokal), der ausdrücklich dahinstehen lässt, ob die Formel der „normativen Kraft des Faktischen“ auch in Verbringungsfällen sinnvoll ist; die Schwierigkeit erkennt auch Kegel, Probleme, 1956, 18 (er formuliert für den Fall der Verbringung: „[w]ir setzen unsere Macht ein, um den Machtakt des Enteignungsstaates zu stützen“); jüngst auch Berentelg, Act of State, 2010, 147 (der Begriff der Macht erkläre nicht die Anerkennung nach Verbringung). 261 Ausdruck nach Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 1, S. 1099; aufgreifend etwa Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 12 zu Art. 46 EGBGB. 262 Kraus, FS Laun 1953, 226; Seidl-Hohenveldern, Friedenswarte 53 (1955/56) 9; Heiz, Recht, 1959, 211; Veith/Böckstiegel, Schutz, 1962, 220; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 417; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 2; vgl. auch Schöbener/Herbst/Perkams, IntWirtR, 2010, Rn. 4/75, S. 240, die von vornherein nur die Fälle der unmittelbar extraterritorialen Enteignung und der Verbringung unterscheiden.
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rung.263 Durch die zeitliche Fixierung nämlich wird bei der „Verwandlung“ eine Zutat beigemengt, die aus dem Machtgedanken heraus nicht zu erklären ist.264 Es wird etwas hinzugefügt, über das der Enteignungsstaat keine Macht hatte. Die blanke Macht allein taugt folglich nicht einmal als Grenzkriterium. Daher muss entweder die Macht als Grenzkriterium aufgegeben werden oder es muss ein zusätzlicher Grund genannt werden, wieso es auf den Zeitpunkt der Enteignung ankommen soll. Dass es auch sonst im internationalen Privatrecht auf einen bestimmten Zeitpunkt ankommen kann, der vor dem Entscheidungszeitpunkt liegt, kann die Anerkennung nach einer Verbringung nicht stützen.265 Auch der Satz, dass Rechte bei einem Statutenwechsel bestehen bleiben, kann auf das internationale Enteignungsrecht nicht einfach übertragen werden. Die Übertragung wäre eine unzulässige Anleihe aus dem internationalen Sachenrecht;266 jedenfalls müsste sie erst begründet werden, und zwar mit Blick auf die Beweggründe und Grenzkriterien des internationalen Enteignungsrechts, also hier insbesondere mit Blick auf die Machtlehre. Nur ein Bild und kein Argument ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Sache ihre „Prägung“ vor dem Grenzübertritt erhalte und bei Verbringung nicht verliere.267 Es lässt sich also kein überzeugender Grund finden, wieso es auf den Zeitpunkt der Enteignung ankommen sollte. Die Fixierung des Zeitpunktes ist denn auch zu weit und zu pauschal. Die herrschende Meinung sieht sich daher dazu veranlasst, die Fixierung durch Ausnahmen wieder einzuschränken.268 Eine Fixierung des maßgeblichen Zeitpunktes (und damit auch die Übertragung der Lehre vom Statutenwechsel) ist denn auch im internationalen Enteignungsrecht nicht sachgerecht, weil sie die Bedeutung der Verbringung im internationalen Enteignungsrecht verkennen würde. Nach hier vertretener Auffassung muss man bereits bei der Regelbildung danach unter263
Bei der Forderungsenteignung dagegen soll der Zeitpunkt nicht derart fixiert werden. Zu den Gründen und der Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungen unten § 18 I. 264 Unklar Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1104 („man fügt nichts hinzu“). 265 Vgl. auch die Ausführungen zur Sonderanknüpfung unten § 13 II 3; zur Spezialität der Belegenheit unten § 14 IV am Anfang. 266 Dass die Regelbildung im internationalen Enteignungsrecht teilweise dem inter– nationalen Sachenrecht analog erfolgt, stellen zutreffend fest: Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 199 zu IntSachenR und Spickhoff, ordre public, 1989, 288. 267 So aber v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 135 zu § 4, S. 295; Ficker, Grundfragen, 1952, 96 (der „Stempel der Enteignung“ sei bereits aufgedrückt); besonders unklar Anton, Kulturgüterverkehr, 2010, Rn. 136 zu Teil 3, S. 167 f. (dass die Eigentumszuordnung auch nach Verbringung bestehen bleibe, ergebe sich aus dem Grundsatz der lex rei sitae zusammen mit der Prägungstheorie, die dem Grundsatz der wohlerworbenen Rechte entspreche, der selbst wiederum Ausprägung der lex rei sitae sei). 268 Siehe zu diesen Einschränkungen, die in einem weiteren Sinne dem ordre public zuzurechnen sind, unten § 15.
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scheiden, ob sich die Sache noch im Enteignungsstaat befindet oder bereits verbracht wurde. Wurde sie verbracht, hängt die Anerkennung insbesondere von der Person des Verbringenden ab.269 Auf dem Boden einer strengen Machtlehre kann man hinsichtlich einer Verbringung zwei Fälle unterscheiden. Dabei lassen sich durchaus Ausnahmen von der zeitlichen Fixierung auf den Enteignungszeitpunkt rechtfertigen. Gelangt etwa eine Sache, an der ein Recht enteignet wurde, erst nach der Enteignung in den Enteignungsstaat, kommt eine heilende Verbringung in Betracht.270 Fasst man den Enteignungsakt als nicht punktuell, sondern als sich fortwährend erneuernd auf, dann genügt es, wenn die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, in den Machtbereich des Enteignungsstaates gelangt. In dem Moment, in dem die Sache in den Enteignungsstaat verbracht wird, entsteht nämlich die geforderte Übereinstimmung von Enteignungsakt und Zugriffsmöglichkeit. Damit wäre ab diesem Moment anzuerkennen. Fordert man trotz des Machtansatzes hingegen eine Vollziehung,271 ist im Moment der Vollziehung anzuerkennen. Geht es dem Gebietsgrundsatz darum, den tatsächlichen Verhältnisse Rechnung zu tragen, kann es keine Rolle spielen, ob die Sache schon im Enteignungsstaat war oder erst später in diesen gelangt ist. Freilich verbietet es sich nach überwiegender Auffassung, umgekehrt zu verfahren, also anzunehmen, dass ein dingliches Recht entsprechend der Machtsituation nur so lange enteignet ist, wie sich die Sache auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates befindet. Gelangt eine Sache aus dem Enteignungsstaat, dürfte sonst nicht anerkannt werden. Man kann dies als vernichtende Verbringung bezeichnen. Die Problematik soll später im Zusammenhang dargestellt werden.272 4. Effektivität und Nichtdurchsetzungsgrundsatz
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Verbreitet wird gefordert, nur vollzogene Enteignungen anzuerkennen. 273 Erkenne Deutschland noch nicht vollzogene Enteignungen an, mache es sich
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Näher zu allem unten § 16. Es geht dabei nicht eigentlich um einen heilenden Statutenwechsel, da im inter– nationalen Enteignungsrecht danach gefragt wird, ob Rechtswirkungen eines bestimmten ausländischen Aktes in die deutsche Rechtsordnung übernommen werden sollten, und nicht, welches Recht anzuwenden ist, vgl. unten § 13 II 3. – Gegen eine heilende Verbringung, allerdings bei veraltetem völkerrechtlichem Ansatz, nicht überzeugend Ficker, Grundfragen, 1952, 103. 271 Dazu, dass sich Macht und Vollziehung nach hier vertretener Ansicht ausschließen, oben § 12 II 2. 272 Siehe unten § 16 II. 273 Nachweise zum selbständigen Vollziehungserfordernis bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14 III 1 Fn. 20. 270
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zum „Büttel“ des Enteignungsstaates.274 Das Grenzkriterium eines selbständigen Vollziehungserfordernisses entspringt dabei der Forderung nach Effektivität.275 Da die Vollziehung die Vollziehbarkeit einschließt, unterscheiden sich Effektivität und Macht nicht hinsichtlich der körperlichen Bezugsobjekte, sondern nur in Bezug auf die Vollziehungsintensität. Sie stehen zueinander im Verhältnis von Wirklichkeit und Möglichkeit. Effektivität ist verwirklichte Macht. Dies gilt zumindest für die Enteignung dinglicher Rechte. Während der Nichtanwendungsgrundsatz276 im internationalen Enteignungsrecht schon immer umstritten war und heute praktisch nicht mehr vertreten wird, erfreut sich der Nichtdurchsetzungsgrundsatz als sein enger formulierter Verwandter großer Beliebtheit.277 Es ist zu unterscheiden: Ein dem internationalen Enteignungsrecht vorgelagerter Grundsatz, dass ausländisches 274
Büttel-Bild nach Beitzke, JZ 1956, 674; aufgreifend BGH vom 18.2.1957 (II ZR 287/54), in: NJW 1957, 629 (= BGHZ 23, 333) (interlokal); BGH vom 11.7.1957 (II ZR 318/55), in: NJW 1957, 1434 (= BGHZ 25, 134) (Tschechoslowakei, Inlandsforderung sudetendeutscher Genossenschaft); Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 51 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; ferner Seidl-Hohenveldern, JZ 1975, 82 r.Sp. (keine Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen hinsichtlich des Auslandsvermögens, sonst Büttel); ders., in: ders./Nagel (Hrsg.), Rechtsfragen, 1983, 53; in anderem Zusammenhang auch Staudinger-Sturm/Sturm, 2012, Rn. 539 zu Einl. IPR (Büttel bei Anerkennung völkerrechtswidriger intraterritorialer Enteignungen). 275 Siehe schon Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 58; Kuhn, WM 1958, 948; Heiz, Recht, 1959, 174 ff. (mit unzutreffender völkerrechtlicher Untermalung; nicht effektive Enteignungen könnten nur über das internationale Privatrecht anerkannt werden), 248; Drobnig, FS Neumayer 1985, 170; Stoll, BerGesVR 4 (1961) 140 (Hinnahme von intraterritorialen Enteignungen einer effektiven Macht); Happe, Wirkung, 1987, 47 (die Staatenpraxis orientiere sich an Effektivitätsgesichtspunkten); ähnlich Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 109 (bei Enteignungen dinglicher Rechte sei ein dauerhaftes Auseinanderfallen von Besitz und Eigentum zu verhindern). 276 Zu diesem oben § 10 II 1. 277 Einen Nichtdurchsetzungsgrundsatz führen im internationalen Enteignungsrecht an: Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 252; Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 59; Beitzke, JZ 1956, 674; Jaenicke, BerGesVR 7 (1967) 105; Coing, WM 1982, 382 r.Sp.; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 220 f. (Unterscheidung von Durchsetzung und bloßer Hinnahme); Korte, Anerkennung, 1992, 62; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 74 zu § 3 (der Nichtdurchsetzungsgrundsatz sei der berechtigte Kern des Nichtanwendungsgrundsatzes); vgl. auch Mann, RabelsZ 21 (1956) 6 ff. und Bogdan, Expropriation, 1975, 47 ff. – Für die Bedeutungslosigkeit eines Nichtdurchsetzungsgrundsatzes im internationalen Enteignungsrecht dagegen Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 77, 94 f.; Hahn, FS Beitzke 1979, 501 f. (das erworbene Recht habe nämlich zivilrechtlichen Charakter); Lederer, Enteignung, 1989, 92 ff.; Dutta, Durchsetzung, 2006, 23 ff., 31, 53 f., 81, 88, 134, 357 et p. (der Nichtdurchsetzungsgrundsatz gelte keineswegs im internationalen Enteignungsrecht, da sich der Enteignungsstaat nur auf eine privatrechtliche Position berufe; Dutta geht allerdings von einem verfahrensrechtlichen Nichtdurchsetzungsgrundsatz aus); Dutta zustimmend Berentelg, Act of State, 2010, 265 Fn. 598, 285.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
öffentliches Recht nicht durchgesetzt werden dürfe, existiert nicht. Dagegen ist es möglich, einen Nichtdurchsetzungsgrundsatz als Grenzkriterium des Gebietsgrundsatzes zu begreifen. Doch wäre dadurch nichts gewonnen. Denn Anwendung und Durchsetzung sind verschiedene Stufen eines Vorgangs mit gleicher Stoßrichtung. Sie ähneln sich äußerlich und sind nicht eindeutig voneinander abzugrenzen.278 Das Problem würde nur verlagert. Jede Enteignungsanerkennung fördert die Enteignung auf eine Weise. Der Umstand, dass der Enteignungsbegünstigte oder sein Rechtsnachfolger in Deutschland klagen, offenbart schon, dass der Enteignungsstaat selbst die Enteignung jedenfalls nicht in der Weise durchsetzen konnte, die der Enteignungsbegünstigte oder ein Rechtsnachfolger vor deutschen Gerichten begehren. Auch eine Unterscheidung zwischen mittelbarer und unmittelbarer Durchsetzung trägt nicht. Die Topoi der Effektivität und der Nichtdurchsetzung können jedenfalls nicht die Anerkennung aller Arten von Enteignungen befriedigend lösen. Als Zauberformeln sind sie ungeeignet. Dafür sind sie zu vage und zu undifferenziert. Letztlich kann denn auch nicht die begriffliche Zuordnung zu einem abstrakten und selbst nicht begründeten Begriff entscheidend sein, sondern die Anerkennungsvoraussetzungen müssen mit Blick auf die jeweiligen Begriffe und Gründe der Anerkennung differenziert nach Enteignungsobjekten durch Sachargumente bestimmt werden. Bei gewissen entschädigten Gesellschaftsenteignungen beispielsweise ist es zu streng, stets (volle) Effektivität zu fordern.279 Enteignungen dinglicher Rechte hingegen sollten im Verhältnis zu Dritten ungeachtet einer Besitzergreifung jedenfalls so lange anerkannt werden, wie sich die Sache auf dem Gebiet des Enteignungsstaates befindet.280 III. Gegenseitigkeit und Respekt 1. Gegenseitigkeit
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – III 1
Im internationalen Enteignungsrecht kann der Gesichtspunkt der Gegenseitigkeit auf zwei Weisen berücksichtigt werden: als Tatbestandsmerkmal und als Wertung. Es soll im Folgenden danach unterschieden werden, ob man grundsätzlich (1) dem Gebietsgrundsatz folgt oder ihn durch (2) andere Anerkennungsregeln ersetzen möchte.
278
Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 254; Wengler, IntRDipl 1 (1956) 195; Jaenicke, BerGesVR 7 (1967) 105 f.; Huwyler, Personen, 1989, 95 [Schweiz]. 279 Vgl. zu diesen Enteignungen unten § 22; zur Notwendigkeit, nach den Enteignungsumständen zu unterscheiden, unten § 13 VI 2. 280 Einzelheiten oben § 11 II 2 und unten § 16 I.
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – III 1
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Zu (1): Die Gegenseitigkeit ist kein Tatbestandsmerkmal des Gebietsgrundsatzes. Sie wird bei der Anerkennungsentscheidung nicht geprüft.281 Dagegen ist nach manchen die Gegenseitigkeit eine Wertung hinter dem Gebietsgrundsatz.282 Es bestehe schließlich in gewissem Umfang faktische Gegenseitigkeit, da der Gebietsgrundsatz international anerkannt sei.283 Die Gegenseitigkeit als Wertung zu betrachten, ist jedoch abzulehnen. Denn bei näherem Hinsehen unterscheidet sich die Ausgestaltung der Anerkennungsregeln in den verschiedenen Staaten erheblich; genannt sei nur die französische Praxis, entschädigungslose Enteignungen dinglicher Rechte nicht anzuerkennen.284 Faktische Gegenseitigkeit besteht nur sehr vordergründig. Doch auch dann, wenn sich die Anerkennungsgrundsätze faktisch ähnelten, könnte daraus noch nicht abgeleitet werden, dass gerade diese Ähnlichkeit die Anerkennung begründet. Im Gegenteil ist es beispielsweise im Interesse des internationalen Handels wahrscheinlich, dass die deutschen Gerichte in gewissen Fällen fremdstaatliche intraterritoriale Enteignungen dinglicher Rechte auch dann anerkennen würden, wenn fremde Staaten deutsche Enteignungen durchweg ignorierten. Zu (2): Wer den Gebietsgrundsatz ablehnt und abweichende Anerkennungsvoraussetzungen ausformuliert, kann die Gegenseitigkeit zum Tatbestandsmerkmal erheben. Dies wird jedoch für eine strenge (also spiegelbildliche) Gegenseitigkeit nicht vertreten. Strenge Gegenseitigkeit bedeutet dabei, die ausländische Enteignung dann und nur dann anzuerkennen, wenn der Enteignungsstaat im umgekehrten Fall, also als Anerkennungsstaat, ebenso entschiede. Eine so verstandene Gegenseitigkeit würde zu hohe Anforderungen an die fremdstaatliche Enteignung stellen. Denn sie bedeutete im Ergebnis, dass eine fremdstaatliche Enteignung nur anerkannt werden könnte, wenn sie auch in Deutschland rechtmäßig hätte ergehen können. Eine streng verstandene Gegenseitigkeit schlösse daher schon die Anerkennung beispiels281
Siehe zu den Tatbestandsmerkmalen des Gebietsgrundsatzes bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14; zum ordre public im weiteren Sinne § 15. 282 So Matthias, FS v.Simson 1983, 266; Korte, Anerkennung, 1992, 67, 147 ff.; ferner Behrens, Unternehmen, 1980, 36 (zu ihm unten § 13 IV); bei der Enteignung von Anteilsrechten auch Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 87; vgl. zudem Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 2 IV 1, S. 149 (der Anerkennungsstaat habe ein Interesse daran, dass andere Staaten seine eigenen anerkennenswerten Interessen unterstützen; das sei am besten zu erreichen, wenn er mit gutem Beispiel vorangehe) und Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 4 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; auf Grundlage des veralteten (dazu oben § 4 II) völkerrechtlichen Verständnisses auch Ficker, Grundfragen, 1952, 98 (die Anerkennung fließe aus zwei Maximen des Völkerrechts: der Gleichberechtigung der Staaten und einer Erwartung der Gegenseitigkeit); gegen die Berufung auf Gegenseitigkeit, besonders bei völkerrechtswidrigen Enteignungen, ist Schütz, ordre public, 1984, 146 f.; vgl. ferner Matscher, FS Schima 1969, 268 (seine Wurzeln habe das Institut der Gegenseitigkeit in der Lehre von der comitas gentium). 283 So Dutta, Durchsetzung, 2006, 350. 284 Siehe bereits § 12 I 1 a.E. Fn. 227.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
weise entschädigungsloser Enteignungen aus. Außerdem kann Deutschland kein legitimes Interesse daran haben, etwa eigene völkerrechtswidrige Enteignungen im Ausland anerkannt zu sehen. Wer den Gebietsgrundsatz (zumindest für gewisse Enteignungsobjekte) durch andere Anerkennungsregeln ersetzen möchte und zur Anerkennung eine Gegenseitigkeit fordert, lässt denn auch eine abgeschwächte Gegenseitigkeit genügen. Bei abgeschwächten Formen der Gegenseitigkeit darf beispielsweise eine entsprechende Anerkennung durch den Enteignungsstaat nur nicht ausgeschlossen sein. Die Anerkennung von einer abgeschwächten Gegenseitigkeit abhängig zu machen, wird vor allem bei der Anerkennung von entschädigten Gesellschaftsenteignungen vorgeschlagen.285 Knüpft ein Staat die Anerkennung an die Gegenseitigkeit, möchte er dadurch seine Handlungsmöglichkeiten erweitern.286 Dass jedoch dem hypothetischen Verhalten des Enteignungsstaates solche Relevanz zukommt, darf bezweifelt werden. Deutschland kann zwar bei bestimmten Enteignungen durchaus ein Interesse an Gegenseitigkeit haben – in Anbetracht der jüngsten Wirtschafts- und Bankenkrise ist es nicht völlig ausgeschlossen, dass es in Deutschland zu weitreichenden Gesellschaftsenteignungen kommt.287 Doch dürfte dies nicht der Grund der Anerkennung sein. So setzen denn auch die Vertreter dieser Auffassung die Anforderungen an die Gegenseitigkeit recht weit herab. Die Gegenseitigkeit behält nur ihren Namen, ist als Gegenseitigkeit aber kaum noch zu erkennen.288 2. Respekt vor fremdem Hoheitsakt
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – III 2
Eine besonders früher vertretene Auffassung möchte fremdstaatliche Enteignungen aus Respekt vor dem Enteignungsstaat oder dem fremden Hoheitsakt anerkennen.289 Das einzige bei der Anerkennungsentscheidung relevante 285
Behrens, Unternehmen, 1980, 36 (zu ihm unten § 13 IV); MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 36 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm unten § 13 V); siehe bereits SeidlHohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 183; ders., BerGesVR 13 (1974) 100 [Diskussionsbeitrag]; zur entschädigten Gesellschaftsenteignung eingehend unten § 22. 286 Die Gestaltungsfreiheit nennen Beemelmans, WM 1966, 675; Andrae, Eingriffe, 1990, 16; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 28 zu Art. 38 EGBGB Anh. III und referierend auch MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 15 zu Art. 46 EGBGB Anh. 287 Erinnert sei an die Übernahme der Hypo Real Estate Holding-AG, Zusammenfassung der Geschehnisse bei Voland, NZG 2012, 694 m.N. und Götz, Verstaatlichung, 2011, 52 ff. 288 Näher unten § 13 IV 3. 289 So OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 355 (Indonesien, Tabak); Lewald, RabelsZ 21 (1956) 122 (der Respekt vor fremden Hoheitsakten beruhe auf dem völkerrechtlichen Prinzip der gegenseitigen Anerkennung souveräner Staaten); Heiz, Recht, 1959, 157 ff.; Stoll, BerGesVR 4 (1961) 136; Schricker, GRUR 1977, 437 l.Sp.; Korte, Anerkennung, 1992, 22; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 20 zu Art. 46 EGBGB Anh. – Dagegen überzeugend das Argument von Baade,
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – III 2
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private Interesse sei das der Anerkennung gegenläufige des Schutzes des Enteigneten.290 Die Achtung der Staatsnatur des Enteignungsstaates oder die Gleichheit der Staaten geböten die Anerkennung.291 Ähnlich wird auch oft angeführt, dass durch eine Nichtanerkennung intraterritorialer Enteignungen unzulässiger Druck auf den Enteignungsstaat ausgeübt werde oder umgekehrt der negative Gebietsgrundsatz aus einem Interventionsverbot folge.292 Dass jedoch der Gebietsgrundsatz auf der Wertung des Respekts beruht, ist unwahrscheinlich.293 Dies liegt zum einen an der Art und Weise der Maßnahmen, zum anderen am Verhältnis zum Enteignungsstaat: Die Maßnahmen sind nach deutschen und internationalen Maßstäben oft zu missbilligen. Entschädigungslose, diskriminierende und völkerrechtswidrige Enteignungen können schwerlich respektiert werden. Zudem soll der Gebietsgrundsatz auch dann gelten, wenn der fremde Staat inzwischen untergegangen ist oder ausdrücklich nicht respektiert wird.294 Doch muss man einräumen: Im internationalen Enteignungsrecht werden Vorgänge anerkannt, die auf deutschem Gebiet undenkbar sind. Dies kann nicht allein mit den Besitzverhältnissen begründet werden. Zwar kann der Enteignungsstaat die Enteignung (etwa bei einer Enteignung dinglicher Rechte durch Inbesitznahme) bereits vollzogen und damit die Außenwelt seinem Befehl angepasst haben. Den Besitz kann jedoch auch ein Dieb oder eine Räuberbande erlangen. Eine etwa entschädigungslose fremdstaatliche Enteignung unterscheidet sich von einem Diebstahl zumindest darin, dass der Enteignungsstaat Hoheitsmacht in Anspruch nimmt. Der Einzelne ist im Enteignungsstaat faktisch dem staatlichen Gewaltmonopol untergeordnet.
JahrbIntR 3 (1954) 135, zustimmend Seidl-Hohenveldern, Friedenswarte 53 (1955/56) 12 f., dass sich der Enteignungsstaat über die Nichtanerkennung einer Konfiskation nicht beschweren könne, weil die Nichtanerkennung aus seiner Sicht höchstens eine Konfis– kation durch den Anerkennungsstaat darstelle. Die Nichtanerkennung sei damit ebenfalls ein Staatsakt, der Respekt verdiene. 290 Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 6 f. 291 Grundlegend Ficker, Grundfragen, 1952, 73 f., 98 et p. und Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 6 f.; ferner Schütz, ordre public, 1984, 134 und Schöbener/Herbst/Perkams, IntWirtR, 2010, Rn. 1/92, S. 27; kritisch zu Recht König, Anerkennung, 1965, 64 (aus der Gleichberechtigung der Staaten könne man auch das Gegenteil ableiten) und Schwander, Sonderanknüpfung, 1975, 86. 292 In dieser Richtung Ficker, Grundfragen, 1952, 74. 293 Siehe dazu, dass auch die dem Respekt ähnliche Wertung der Pflege der politischen Beziehung zwischen Deutschland und dem Enteignungsstaat nicht maßgeblicher Anerkennungsgrund ist, oben § 12 I 1. 294 Dazu Gast, DtZ 1996, 106; vgl. auch Schemmer, ordre public, 1995, 86, der im Fall der DDR und auch sonst bei Enteignungen durch untergegangene Völkerrechtssubjekte den Gebietsgrundsatz teleologisch reduzieren möchte. Das Interesse an internationaler Ordnung sei dann nicht betroffen.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Doch dies bedeutet nicht, dass der Respekt vor dem fremden Staat maßgeblicher Anerkennungsgrund ist. Sich pauschal auf den Respekt zu berufen, lenkt vielmehr von den wahren Beweggründen ab.295 Die Anerkennungsmotivation kann genauer umrissen werden. Es gilt, nach Enteignungsobjekten und -umständen zu unterscheiden.296 IV. Vertrauen und Risiko Anders als bei den soeben besprochenen Wertungen der Gegenseitigkeit und des Respekts stellen die möglichen Wertungen Vertrauen und Risiko unmittelbar auf die privaten Interessen des Enteigneten und des Enteignungsbegünstigten ab. 1. Vertrauen auf Bestand der Umverteilung
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – IV 1
Von der im Folgenden zu behandelnden Frage, ob das Vertrauen des Enteignungsbegünstigten auf den Bestand der Umverteilung maßgeblicher Anerkennungsgrund ist, ist der bereits behandelte gutgläubige Erwerb durch einen Rechtsnachfolger zu unterscheiden. Auf diesen wird hier nicht mehr eingegangen.297 Einige Autoren suchen die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen mit dem Gedanken des Vertrauens- oder Verkehrsschutzes zu begründen.298 Ein Vertrauen des Enteignungsbegünstigten kann insbesondere unter drei Voraussetzungen beachtlich sein: (1) Es besteht eine Vertrauensgrundlage. (2) Der Enteignungsbegünstigte hat tatsächlich auf diese vertraut. (3) Das Vertrauen ist schutzwürdig. Zu (1): Bietet die fremdstaatliche Enteignung eine Vertrauensgrundlage? Der Enteignungsstaat hat durch seine Enteignung und gegebenenfalls durch ihre Vollziehung299 auf seinem Hoheitsgebiet einen Zustand geschaffen, der dort wahrscheinlich Bestand haben wird und der mit staatlicher Autorität 295 Treffend spricht Schwander, Sonderanknüpfung, 1975, 86 von der Alibifunktion des Prinzips der Respektierung fremder Hoheitsakte. 296 Vgl. näher unten § 12 V 2. 297 Dazu oben § 11 III 2. 298 Siehe zum Vertrauen Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 85 („[k]einer Privatperson soll zugemutet werden, eine solche Rechtstatsache zu hinterfragen und gewissermaßen klüger zu sein als der Staat, der sie auf seinem Hoheitsgebiet geschaffen hat“); Stöcker, WM 1965, 453; Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 109 (bei Enteignungen dinglicher Rechte sei das Vertrauen des privaten Rechtsverkehrs zu schützen; das sei bei Forderungsenteignungen aber unerheblich); Spickhoff, ordre public, 1989, 221, 288; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 146 zu § 4, S. 304, auch Rn. 268 zu § 7, S. 719 f.; Berentelg, Act of State, 2010, 148, 166, 257, 276; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 161. 299 Siehe zum selbständigen Vollziehungserfordernis bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14 III.
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ausgestattet ist. Der ausländische Enteignungsakt erfüllt zum Zeitpunkt der Enteignung eine gewisse Ordnungsfunktion. Es gibt zwar Ausnahmen wie bei revolutionären Umwälzungen, wenn sogar im Enteignungsstaat oftmals unklar sein wird, ob die Umverteilung innerstaatlich Bestand haben wird. Gerade in Kriegsfällen mit Flüchtlingsscharen vertraut niemand auf den Bestand. Typischerweise – und der Gebietsgrundsatz orientiert sich an den typischen Interessen – dürfte eine staatliche Enteignung aber eine Vertrauensgrundlage darstellen. Zu (2): Ferner müsste der Enteignungsbegünstigte tatsächlich auf diese Grundlage vertrauen. Oft heißt es, neben dem Vertrauen des Enteignungsbegünstigten werde das Vertrauen des Rechtsverkehrs geschützt. Dies ist aber nicht nötig: Hat jemand durch eine Enteignung im Enteignungsstaat ein Recht erworben, kann man gleich auf den Erwerber abstellen; hat keiner ein Recht erworben, stellt sich die Frage nach der Enteignungsanerkennung nicht. Zu (3): Die Kernfrage jedoch lautet, ob das Vertrauen schutzwürdig ist. In internationalen Fällen ist insbesondere die Frage der Zurechnung der Vertrauensgrundlage problematisch. Man kann hier entweder auf die Enteignung oder die Anerkennung abstellen. Betrachtet man die Anerkennung, wäre das Vertrauen nicht schutzwürdig. Es wäre nämlich bei dem einzulösen, der es hervorgerufen hat.300 Aus einer Enteignung selbst kann keiner berechtigterweise schließen, dass andere Rechtsordnungen die Umverteilung nachvollziehen. Die Vertrauensgrundlage ist dem Anerkennungsstaat nicht zuzurechnen. Ein diesbezüglicher Rechtsirrtum dürfte kaum beachtlich sein, zumal auch intraterritoriale fremdstaatliche Enteignungen dinglicher Rechte unter bestimmten Voraussetzungen tatsächlich nicht anerkannt werden. Man kann zur Beurteilung der Schutzwürdigkeit aber auch auf das Vertrauen auf den Bestand der Umverteilung abstellen. Das deutsche materielle Recht bewertet auch bei nationalen Sachverhalten die staatliche Autorität hoch. So können beispielsweise in öffentlichen Versteigerungen gemäß § 935 Abs. 2 BGB selbst Rechte an abhanden gekommenen Sachen gutgläubig erworben werden.301 Im internationalen Enteignungsrecht wirken allerdings auch starke Gegenwertungen. So dürfte ein Vertrauen insbesondere bei völkerrechtswidrigen Enteignungen nicht schutzwürdig sein.302 Aber auch sonst würde es den Enteigneten übermäßig belasten, wenn man die Anerkennung 300
In dieser Richtung wohl auch Seidl-Hohenveldern, FS Heymanns 1965, 614. Zum Zweck des § 935 Abs. 2 BGB näher MüKo-Oechsler, 2013, Rn. 17 zu § 935 BGB m.N. Bei Versteigerungen nach der Zivilprozessordnung und dem ZVG (Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung) dagegen ist die Gutgläubigkeit und ein Abhandenkommen ohnehin unerheblich, da hier das Eigentum kraft hoheitlicher Gewalt erworben wird, siehe Staudinger-Wiegand, 2011, Rn. 27 zu § 935 BGB. 302 Bei starken gegenläufigen Interessen ist auch sonst der Vertrauensschutz mitunter sehr schwach ausgestaltet, vgl. etwa die Rückforderung von Subventionen im Europarecht. 301
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auf das Vertrauen des Enteignungsbegünstigten stützte. Wird die Enteignung nicht anerkannt, kann sich der Begünstigte schließlich noch an den Enteignungsstaat wenden; wird sie aber anerkannt, geht der Enteignete leer aus.303 Das Vertrauen auf den Bestand der Umverteilung ist also ebenfalls nicht maßgeblicher Anerkennungsgrund. 2. Risikogedanke Eng verwandt mit dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes ist der Risikogedanke.304 Auch hier muss man zwischen dem Risiko einer Enteignung und dem Risiko der Anerkennung unterscheiden: Das Risiko der Anerkennung hat der Enteignete jedenfalls nicht begründet. Verbringt etwa der Enteignete eine Sache in einen bestimmten Staat, geht er unmittelbar nur das Risiko ein, durch diesen Staat enteignet zu werden oder dass der Enteignungsstaat die Enteignung vollzieht, nicht aber das Risiko, dass die Umverteilung in Deutschland anerkannt wird. Über ein so verstandenes Risiko entscheidet erst die Anerkennungsregel. Dieses Risiko kann also nicht erklären, wieso Deutschland die Enteignung anerkennen sollte. Es kann vielmehr auch das entgegengesetzte Ergebnis begründen.305 Wie der Vertrauensgedanke so ist auch der Risikogedanke einem Zirkelschluss gefährlich nahe, wenn man das Risiko auf die Anerkennung bezieht. Wenn von einem Risiko, das der Enteignete begründet habe, die Rede ist, ist denn auch meist das Risiko der Enteignung oder ihrer Vollziehung gemeint. Die Anerkennung einer Enteignung begünstigt nicht nur den Erwerber, sie belastet auch den Enteigneten als vormaligen Rechtsinhaber. Dieser ist aber nicht so schutzwürdig, wenn er das Risiko der Enteignung oder der Vollziehung der Enteignung in irgendeiner Weise geschaffen hat, beispielsweise, indem er in den Enteignungsstaat eingereist oder nicht ausgereist ist, in ihm investiert hat oder Ähnliches. Muss also derjenige, der seine Sachen einem Staat anvertraut oder zu ihm eine gewisse Nähebeziehung herstellt, die im Sinne des Gebietsgrundsatzes die Belegenheit begründet, auch das Risiko tragen, dass dieser Staat seine Einwirkungsmöglichkeiten ausnutzt? Verhält sich derjenige, der beispielsweise eine Sache in ein fremdes Land verbringt und den Schutz in Anspruch nimmt, den diese Sache dort erfährt, widersprüchlich, wenn er den Entzug des Rechts an der Sache nicht akzeptiert? Ähnliche Fragen stellen sich bei unkörperlichen Gegenständen hinsichtlich
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Ähnlich lautet ein Argument von Schaumann, SchwJahrbIntR X (1953) 186 [Schweiz] (verbringe ein bösgläubiger Dritter die Sache, sei nicht anzuerkennen, da der Dritte bei seinem Geschäftspartner Regress nehmen könne). 304 Vgl. zu diesem auch unten §§ 21 II, 22 III 3, ferner auch unten §§ 18 II 2, 19 II. 305 Zur Umkehrbarkeit des Risikoarguments Seidl-Hohenveldern, AWD 1974, 422 l.Sp.
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – V 1
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der körperlichen Bezugsobjekte306 und bei Gesellschaften hinsichtlich des Staates der Gründung oder des Verwaltungssitzes307. Die genannten Fragen kann man bejahen. Nach hier vertretener Ansicht ist es hingegen unwahrscheinlich, dass dieses Risiko die maßgebliche Wertung hinter dem Gebietsgrundsatz ist. Ein so verstandener Risikogedanke überzeugt schon deshalb nicht, weil nach verbreiteter Ansicht auch völkerrechtswidrige Enteignungen unter bestimmten Voraussetzungen anerkannt werden sollen. Man wird aber kaum sagen können, dass der Enteignete auch das Risiko zu tragen habe, dass der Enteignungsstaat ihn unter Verletzung des Völkerrechts enteigne. Auch der Risikogedanke ist nur Platzhalter für andere Erwägungen, die herausgearbeitet werden müssen. Weder Vertrauen noch Risiko legen damit die Beweggründe der Anerkennung in zufriedenstellender Weise offen. V. Stellungnahme 1. Private und staatliche Interessen
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – V 1
Manche Autoren möchten die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen vorwiegend auf private308, andere vor allem auf staatliche309 Interessen stützen. Unter die staatlichen Interessen fallen nur deutsche staatliche Interessen; ausländische werden als solche nicht berücksichtigt.310 Sie können aber mittelbar über die inländischen beachtlich sein, wenn das Inland selbst ein Interesse an ihrer Berücksichtigung hat. Ob allerdings die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen einseitig auf private oder staatliche Interessen gestützt werden kann, ist zweifelhaft.
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Vgl. zum Begriff oben § 9 I 2. Näher dazu, welcher Sitz im internationalen Enteignungsrecht maßgeblich ist, unten § 21 I. 308 So wohl Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 199, 208 zu IntSachenR („Hinnahme einer Rechtstatsache um der beteiligten Individualinteressen willen“); anders nunmehr Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 4, 9, 51 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I (die Anerkennung diene sowohl den privaten Interessen der Teilnehmer am Rechtsverkehr als auch der Spannungsfreiheit der internationalen Ordnung). 309 Dafür sind Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 7, 13, 19 et p. (der Schutz des Privateigentums wirke nur gegenläufig; im Einzelfall könne aber durch die Anerkennung auch ein redlicher Käufer geschützt werden); Schricker, GRUR 1977, 437 l.Sp. (der Schutz von Privateigentum wirke nur begrenzend); Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 236; vgl. auch Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 2 IV 1, S. 148 (es gehe nicht um eine internationalprivatrechtliche Gerechtigkeit zwischen den Einzelnen, sondern um die „Abgrenzung der Befugnisse der Staaten im Verhältnis zu den Einzelnen“). 310 Abweichend der dem Governmental-interest-Ansatz verwandte Versuch von Fickel, AWD 1974, 69 ff., 584 ff., zu diesem unten § 13 III; unklar Berentelg, Act of State, 2010, 257, 276 (Berücksichtigung berechtigter Erwartungen des Erlassstaates). 307
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Ein Fall, in dem allein staatliche Interessen in Betracht kommen, ist besonders deutlich: Verbringt der Enteignungsstaat selbst die Sache, an der er ein Recht enteignet hat, aus dem Enteignungsstaat, könnte diese Enteignung anerkannt werden, obwohl der Enteignungsstaat kein Privater ist.311 Auch die außerordentliche Zurückhaltung der deutschen Gerichte beim Einsatz des ordre public kann man darauf zurückführen, dass Interessen zu berücksichtigen sind, die nicht den am konkreten Prozess Beteiligten zuordenbar sind. Dass der entschädigungslos Enteignete wie im Simbabwe-Kaffee-Fall312 so schwer zu tragen hat, kann insbesondere über ein staatliches Interesse wie das an der Aufrechterhaltung des Handels313 mit dem Enteignungsstaat erklärt werden. Da der Enteignungsakt privatrechtsgestaltend ist, muss die Anerkennung allerdings auch private Interessen berücksichtigen. Die Nichtanerkennung kommt dem Enteigneten zugute. Die Anerkennung zugunsten eines Privaten nützt diesem. Schon anhand dieser nur angedeuteten Beispiele zeigt sich, dass man die im internationalen Enteignungsrecht zu berücksichtigenden Interessen nicht mit Gewinn auf private oder staatliche Interessen reduzieren kann.314 Die Unterscheidung zwischen privaten und staatlichen Interessen führt im internationalen Enteignungsrecht nicht weiter. 2. Unterscheidung nach Art der Enteignungsobjekte und -umstände § 12 Beweggründe zur Anerkennung – V 2
Nach herrschender Meinung werden fremdstaatliche Enteignungen im Interesse der internationalen Ordnung anerkannt. Deutschland sei an guten Beziehungen zum Enteignungsstaat in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht interessiert.315 Der Kreis der anerkennungsfähigen Enteignungen wird räumlich durch den Macht- oder Effektivitätsgedanken beschränkt, je nachdem, ob man ein selbständiges Vollziehungserfordernis aufstellt oder nicht.316 Diese herrschende Meinung ist abzulehnen. Die Berufung auf die durch den Machtgedanken begrenzte internationale Ordnung ist auf die Enteignung dinglicher Rechte zugeschnitten.317 Doch kann sie nicht einmal dort die 311
Vgl. allerdings auch oben § 4 V zur Immunität. OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04); siehe näher unten § 16 III 3. 313 Zum Handelsargument oben § 12 I 1. 314 Dazu, dass sowohl private als auch staatliche Interessen zu beachten sind, Drobnig, RabelsZ 52 (1988) 2 (die Eigenart und der Reiz des Wirtschaftskollisionsrechts, unter welches er auch das internationale Enteignungsrecht fasst, lägen gerade in dem Zwang, sowohl staatliche als auch private Interessen zu berücksichtigen); siehe auch ders., FS Neumayer 1985, 166; zudem Dutta, Durchsetzung, 2006, 323 und Berentelg, Act of State, 2010, 166, 185, 256. 315 Vgl. oben § 12 I 1. 316 Zur Machtlehre oben § 12 II 1–3; zur Effektivität als Grenzkriterium oben § 12 II 4. 317 Treffend stellt Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 80 f. fest, die Gründe, die zur Anerkennung von Enteignungen dinglicher Rechte geführt hätten, gälten nicht ohne Weite312
§ 12 Beweggründe zur Anerkennung – V 2
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Interessenlage auf eine Formel bringen. Enteignet ein inzwischen nicht mehr vorhandenes Völkerrechtsubjekt, sind keine zwischenstaatlichen Beziehungen zu pflegen;318 in den Nähmaschinenfällen319 oder bis zu einer Verbringung320 ist der Handel nicht in Gefahr. Untauglich sind die internationale Ordnung und damit auch die Machtlehre vor allem bei anderen Enteignungsobjekten. Bei Forderungsenteignungen liegt dies schon am abweichenden Anerkennungsbegriff.321 Wertungsmäßig geht es bei der „Anerkennung“ von Forderungsenteignungen nach der Wohnsitzlösung ausschließlich um das private Interesse des Schuldners, nicht doppelt leisten zu müssen; hinter der „Anerkennung“ nach der Schuldnerrechtelösung dagegen stehen die Beweggründe, die hinter der Rechtsverkehranerkennung stehen.322 Handelsinteressen sind nicht betroffen. Die Andersartigkeit der Beweggründe wird aber erst deutlich, wenn man die Forderungsenteignung nicht mehr nach dem Gebietsgrundsatz behandelt.323 Dass die herrschende Meinung über die Behandlung fremdstaatlicher Forderungsenteignungen noch heute nach dem Gebietsgrundsatz entscheidet, hat dazu geführt, dass die Entscheidungen der Gerichte nach wie vor nur schwer berechenbar sind.324 Bei Immaterialgüterrechtsenteignungen geht es ausschließlich um die Beweggründe der Rechtsverkehranerkennung.325 Bei Gesellschaftsenteignungen ist nach den Enteignungsumständen zu unterscheiden.326 In den verschiedenen Konstellationen wirken also unterschiedliche Interessen in unterschiedlichem Maße. Es ist daher recht kühn, die Fälle einer enteigneten Nähmaschine327 und die französischen Massenverstaatlichungen des Bankensektors zu Beginn der 1980er Jahre328 mit ein und demselben Schlagwort des Gebietsgrundsatzes aburteilen zu wollen. Diese Praxis kann man sich nur durch die Hemmung erklären, die auf dem Irrtum beruhte, dass der
res auch für unkörperliche Gegenstände. Er entwirrt das Interessengeflecht aber leider nicht. 318 Näher zur Kritik der Ansicht, dass die Anerkennung zur Wahrung guter politischer Beziehungen zum Enteignungsstaat erfolge, oben § 12 I 1. 319 Vgl. zu diesen unten § 16 III 3. 320 Vgl. oben § 11 II 2 und unten § 16 I. 321 Vgl. unten § 18 I 1. 322 Vgl. unten § 18 I 2. 323 Dazu und zu den Regeln, die nach hier vertretener Ansicht bei Forderungsenteignungen an die Stelle des Gebietsgrundsatzes treten sollen, unten § 18 II. 324 Zur Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungsenteignungen unten § 18 I. 325 Vgl. unten § 20 III. 326 Näher unten §§ 22 I, 23 I 3. 327 Vgl. zu den Nähmaschinenfällen unten § 16 III 3. 328 Vgl. zu den französischen Verstaatlichungen unten § 13 VI.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Gebietsgrundsatz Völkerrecht sei.329 Für eine angemessene Interessenbewertung muss jedoch nach Enteignungsobjekten und -umständen unterschieden werden. Welche Interessen wann den Ausschlag geben, soll im Einzelnen bei den Sachfragen im Besonderen Teil der Arbeit erörtert werden.
§ 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur § 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – I 2
Der weitgehend anerkannte Gebietsgrundsatz ist Richterrecht. Er ist weder gesetzlich festgeschrieben330 noch völkerrechtlich zwingend 331. Man sollte von ihm ablassen, wenn ein tragfähiges und eindeutig besseres Konzept vorhanden ist.332 Ob es ein solches überlegenes Modell gibt, soll in diesem Paragraphen untersucht werden. Dabei wird auch auf die für die Praxis wichtigste Frage eingegangen, ob der jeweilige Ansatz zu anderen Ergebnissen als der Gebietsgrundsatz führt. I. Personale Nähebeziehung Eine Nähebeziehung zwischen einer Person und dem Enteignungsstaat wird im Hinblick auf die Anerkennungsfrage von verschiedenen Ansätzen in unterschiedlicher Weise berücksichtigt. 1. Innerhalb des Gebietsgrundsatzes Wer den Gebietsgrundsatz auch auf Enteignungen von Rechten an unkörperlichen Gegenständen anwenden möchte, stellt zur Lokalisierung dieser Rechte oftmals auf eine Nähebeziehung zwischen dem Enteignungsstaat und einer Person ab. Diese Person ist regelmäßig nicht der Enteignete.333 Beispielsweise wird verbreitet eine Forderung an dem Ort lokalisiert, an dem der Schuldner seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat.334 Anteilsrechte sollen, wenn die Enteignung unter anderem entschädigt ist oder wenn nur einzelne Anteilsrechte enteignet werden, nach häufig vertretener Auffassung im Statutarstaat der juristischen Person belegen sein.335 In diesen Fällen besteht 329
Vgl. dazu oben § 4 II Fn. 19 f., ferner oben § 4 III 1. Nachweise oben § 9 I Fn. 4. 331 Nachweise, auch zur a.A., oben § 4 II Fn. 19 f. 332 Ebenso MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 20 f. zu Art. 46 EGBGB Anh., die keines der abweichenden Modelle für derart überlegen hält. 333 An den Wohnsitz des Enteigneten, also des ursprünglichen Rechtsinhabers, wollen nur wenige anknüpfen, siehe zur Forderungsenteignung unten §§ 13 V 2, 19 I; ebenso bei Gesellschaftsenteignungen, wenn (fast) alle Rechte der Gesellschaft gegen Entschädigung enteignet werden, dazu unten §§ 21 I, 22 II. 334 Vgl. unten § 17 II. 335 Näher unten §§ 21 I, 22 II, 23 II. 330
§ 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – I 2
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zwischen einer Person und dem Enteignungsstaat eine räumliche Nähebeziehung. Die Beziehung ist personal-territorial.336 Die Person selbst, auf die es nach der entsprechenden Lokalisierungsregel ankommt, ist der territorial beschränkten staatlichen Vollstreckungsbefugnis des Enteignungsstaates ausgesetzt. Der Ausdruck der personalen Nähebeziehung meint im Rahmen des Gebietsgrundsatzes also nicht die Staatsangehörigkeit. Der Gebietsgrundsatz misst der Staatsangehörigkeit nur bei der Prüfung der Anerkennungshindernisse Bedeutung bei: Wenn der Enteignete deutscher Staatsangehöriger ist, soll dies nach herrschender Auffassung einen hinreichenden Inlandsbezug dafür begründen, beispielsweise entschädigungslose Enteignungen intraterritorialer dinglicher Rechte aufgrund des ordre public nicht anzuerkennen.337 2. Ergänzung zum Gebietsgrundsatz Eine nicht mehr vertretene Ansicht wollte den Gebietsgrundsatz um einen echten Personalitätsgrundsatz ergänzen. Enteignungen eigener Staatsangehöriger seien danach unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere bei Zahlung einer Entschädigung, anzuerkennen, ohne dass ein territorialer Bezug einer Person oder einer Sache zum Enteignungsstaat bestehen müsse.338 Gegen diesen Ansatz wird vorgebracht: Über das regelmäßig geforderte Entschädigungserfordernis halte Rechtsunsicherheit Einzug, da es schwer zu beweisen sein könne, ob eine Entschädigung geleistet worden und ob sie der Höhe nach ausreichend gewesen sei. Der Ansatz sei außerdem in Zeiten zunehmender mehrfacher Staatsangehörigkeit praktisch schwer zu handhaben.339 Ferner überschreite der Enteignungsstaat seine Macht.340 Die Einwände überzeugen nicht. Die Beweisschwierigkeiten wiegen nicht schwer. In der Regel sind entschädigungslose Enteignungen deutlich als solche zu erkennen. Für Personen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit müsste man die Regel schlicht verfeinern. Die Machtlehre schließlich ist ohnehin zweifelhaft.341 Doch muss man zugeben: Es besteht in der Tat kein Bedürfnis dafür, solche Enteignungen anzuerkennen. So wird der Ansatz in dieser Form denn auch nicht mehr vertreten. 336
Ähnlich Duden, FS Raape 1948, 114 und Ficker, Grundfragen, 1952, 22. Nachweise unten § 15 III 3 Fn. 230. 338 So Ehrenzweig, JurBl 1949, 426 r.Sp. [Österreich]; Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 179 ff., 184 (eine entschädigte und nicht gegen die public policy verstoßende Enteignung durch eine de jure anerkannte Regierung werde anerkannt; das sei Gewohnheitsrecht im internationalen Privatrecht); ders., Friedenswarte 53 (1955/56) 17, 24 f.; Heiz, Recht, 1959, 293 f. 339 Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 13 zu Art. 46 EGBGB. 340 Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 9 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ähnlich StaudingerStoll, 1996, Rn. 205 zu IntSachenR. 341 Zur Machtlehre oben § 12 II 1–3. 337
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Der Ansatz hat aber einen berechtigten Kern. Er ist bedeutsam als ein frühes Modell, das zwischen entschädigten und entschädigungslosen Enteignungen unterscheidet und das Bedürfnis artikuliert, Enteignungen anzuerkennen, die sich auf Rechte beziehen, welche nach einem gewissen Verständnis des Gebietsgrundsatzes extraterritorial sind.342 Ein solches Bedürfnis besteht freilich nur, wenn man den Ansatz auch auf Gesellschaftsenteignungen anwendet. Nach überwiegender Ansicht sind nämlich bestimmte Gesellschaftsenteignungen durch den Sitzstaat anzuerkennen.343 Die Verbindung zwischen der Gesellschaft, der Rechte enteignet werden, und dem Sitzstaat kann man jedoch auch als personal-territorial344 betrachten. Insofern aber ist der Ansatz keine Ergänzung mehr zum Gebietsgrundsatz. Er enthält dann nur eine bestimmte Auslegung des Gebietsgrundsatzes. Jedenfalls aber ist der Ansatz für den Bereich von Gesellschaftsenteignungen in der Auffassung, die sich um ausformulierte Kollisionsnormen bemüht, aufgegangen. Es sei daher zur Diskussion auf die dortigen Ausführungen verwiesen.345 Ein Unterschied jedoch zwischen den beiden zuletzt genannten Ansichten besteht darin, dass die neueren Ansätze den Gebietsgrundsatz aufgeben wollen, während sich der hier besprochene als Ergänzung zum Gebietsgrundsatz verstand. 3. Im Rahmen der ausdifferenzierten Anerkennungssysteme Personale Nähebeziehungen können also nun bei den Ansätzen bedeutsam sein, die gänzlich vom Gebietsgrundsatz abrücken und einen eigenständigen Katalog von Anerkennungsvoraussetzungen entwerfen wollen.346 Diese Vorschläge stellen jedoch nicht auf die Staatsangehörigkeit ab, sondern haben personal-territoriale347 Kriterien. Daher können die angestrebten Ergebnisse bei entsprechender Lokalisierung der Enteignungsobjekte auch über den Gebietsgrundsatz erzielt werden. Es ist daher nicht weiterführend, hier in Abgrenzung zur Territorialität von Personalität oder Personalhoheit zu sprechen.348 Auch im Völkerrecht wird mit Personalhoheit die Verbindung eines 342
Dazu, dass in gewissen Fällen nach den Enteignungsumständen unterschieden werden sollte, auch unten § 13 VI. 343 Näher unten § 22. 344 Vgl. zum Begriff soeben § 13 I 1. 345 Siehe sogleich § 13 I 3; zudem Behrens, Unternehmen, 1980, 30 (zu ihm unten § 13 IV) und MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16, 31 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm unten § 13 V). 346 Etwa MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 30 zu Art. 38 EGBGB Anh. III m.N. (zu ihm unten § 13 V); siehe ferner unten § 13 IV. 347 Vgl. zum Begriff oben § 13 I 1. 348 So aber MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 58 zu Art. 38 EGBGB Anh. III.
§ 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – II 1
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Staates zu seinen Staatsangehörigen bezeichnet, nicht zu Personen, die sich auf dem Staatsgebiet aufhalten oder dort wohnen. II. Situs-Regel: Synonym zum Gebietsgrundsatz oder Einheitsanknüpfung 1. Selten vertretener Ansatz
§ 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – II 1
Wird im internationalen Enteignungsrecht von der lex rei sitae oder – was gleichbedeutend ist – von der Situs-Regel gesprochen, kann damit zum einen schlicht der Gebietsgrundsatz gemeint sein.349 Dies bedeutet keine Abkehr vom geltenden System. Es ist mit diesem identisch. Lex rei sitae ist dann nur eine abweichende Bezeichnung. Dieses Begriffsverständnis ist hier indes nicht gemeint. Es geht an dieser Stelle vielmehr um einen vom Gebietsgrundsatz abweichenden Vorschlag. Einen solchen wollen bei der Enteignung dinglicher Rechte diejenigen unterbreiten, die unmittelbar Art. 43 ff. EGBGB anwenden wollen; bei anderen Enteignungsobjekten müsste dann ebenfalls die lex causae einschlägig sein.350 Der Ansatz ist sehr vereinzelt geblieben. In der gebotenen Kürze soll er dennoch diskutiert werden, weil dabei Grundsätzliches deutlich wird. Insbesondere sind Folgerungen gegen eine neuere Lehre möglich.
349
Den Ausdruck der lex rei sitae als Synonym zum Gebietsgrundsatz verwenden Vogel, FS Raape 1948, 215, 218 (er meint den Gebietsgrundsatz, weil er auch Forderungen nach diesem behandelt und zudem ausdrücklich von der Territorialität der Zwangsmaßnahmen spricht); Wolff, IPR, 1954, 176 f. (er spricht zwar von der lex rei sitae, meint aber eine Sonderanknüpfung, da er Forderungsenteignungen nicht nach der lex causae behandelt); Vannod, Fragen, 1959, 36 f., 59 f.; Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 1 et p.; Wiesböck, lex rei sitae, 1974, 44 ff. (seine Ausführungen können kaum als dogmatische Stellungnahme im Sinne der lex rei sitae verstanden werden, da er auf Kegel verweist und außerdem auch bei Enteignungen von Rechten an unkörperlichen Gegenständen die Territorialität für entscheidend hält); Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1102; Kläger, JuS 2008, 971 l.Sp.; Nomos-v.Plehwe, 2012, Rn. 58 zu Art. 43 EGBGB. 350 Dafür wohl Münch, JahrbIntR 9 (1959/60) 87; Stöcker, WM 1965, 451, 453; Mann, RabelsZ 21 (1956) 3 ff.; ders., FS Wahl 1973, 146 ff.; Lakkis, Gestaltungsakte, 2007, 419 f.; ebenso einige ältere Entscheidungen, etwa LG Mannheim vom 12.10.1950 (1 O 125/50), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 7 (interlokal, Bremstrommeln). – Gegen den Situs-Ansatz sind Beitzke, FS Raape 1948, 94; Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 165; Neuhaus, WM 1966, 136; ders., Grundbegriffe, 1976, 245 f.; Behrens, Unternehmen, 1980, 33; Schulze, Recht, 1972, 76; Korte, Anerkennung, 1992, 53; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 199 zu IntSachenR; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 143 zu § 4, S. 301 f.; Berentelg, Act of State, 2010, 164; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 14, 16 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 13 zu Art. 46 EGBGB; StaudingerMansel, 2015, Rn. 6, 18 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
2. Unklare Erheblichkeit Inwiefern dieser Ansatz zu abweichenden Ergebnissen führt, ist unklar. Dies liegt vor allem daran, dass die Konzepte, die auf die internationalprivatrechtliche lex rei sitae abstellen, wenig ausgearbeitet sind. Bei Enteignungen dinglicher Rechte werden der Gebietsgrundsatz und die Situs-Regel meist zum selben Ergebnis gelangen.351 Denn nach beiden Ansätzen kommt es für die Anerkennung einer Enteignung eines Rechts an einer Sache nur grundsätzlich auf den Lageort der Sache an. Man müsste nach der Situs-Regel insbesondere dann vom Lageort der Sache abrücken, wenn auch die Art. 43 ff. EGBGB vom Lageort abweichen. Ob dieser vom Ansatz her konsequente Schluss von den Vertretern der Situs-Regel gezogen würde, bleibt offen. Auch auf dem Boden des Gebietsgrundsatzes ist es indes nicht zwingend, den Lageort der Sache für die Belegenheit des Rechts an der Sache als maßgeblich zu erachten.352 Insofern können sich die Ergebnisse bei Enteignungen dinglicher Rechte unterscheiden, sie müssen es aber nicht. Der Hauptunterschied zwischen dem Gebietsgrundsatz und der als Einheitsanknüpfung verstandenen Situs-Regel dürfte bei der Enteignung dinglicher Rechte denn auch nicht in der Bestimmung der räumlichen Grenze liegen, sondern in den zusätzlichen materiellen Anerkennungsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes. Ein selbständiges Vollziehungserfordernis beispielsweise ist nämlich über Art. 43 ff. EGBGB nicht zu begründen.353 Insofern können sich die Ergebnisse unterscheiden. Sie müssen es freilich auch hier nicht. Die Vertreter des Situs-Ansatzes könnten nämlich zusätzliche materielle Anerkennungsvoraussetzungen, wie die Rechtmäßigkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates354 oder das selbständige Vollziehungserfordernis355, im Rahmen des ordre public berücksichtigen. Die Behandlung anderer Enteignungsobjekte bleibt bei Anwendung der lex rei sitae offen. Es gibt zwei Möglichkeiten. Zum einen kann man diese Rechte an unkörperlichen Gegenständen lokalisieren und als Sachen nach Art. 43 ff. EGBGB behandeln. Diese Auffassung steht im Hinblick auf Konstruktion und Ergebnis in unmittelbarer Nähe zum Gebietsgrundsatz oder ist mit diesem identisch. Zum anderen kann man die anderen Enteignungsobjekte jeweils nach ihrem eigenen internationalprivatrechtlichen Statut behandeln, beispielsweise also Forderungen nach ihrer lex causae. Dies entspräche der Einheitsanknüpfung ausländischer Enteignungsnormen. Die Ergebnisse der 351 Ebenso die Einschätzung von Schulze, Recht, 1972, 75; Raape, IPR, 1961, 659 und Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 208. 352 Ausführlich unten § 14 IV 3. 353 Zum selbständigen Vollziehungserfordernis nach dem Gebietsgrundsatz bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 14 III. 354 Vgl. unten § 14 I. 355 Vgl. unten § 14 III.
§ 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – II 3
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Einheitsanknüpfung unterscheiden sich von denjenigen des Gebietsgrundsatzes stark. Gegen die Ergebnisse der Situs-Regel wird allgemein eingewendet, „Enteignungsstatut und internationalprivatrechtliche lex causae“ fielen gar nicht immer zusammen.356 Dieses Argument überzeugt nicht. Denn wer es anführt, geht von feststehenden Ergebnissen aus, für die nur ein dogmatischer Überbau gesucht wird. Er gleicht die von ihm erwünschten Ergebnisse ab, die man bei konsequenter Anwendung der Situs-Regel eben ablehnen müsste. Die zu erhebenden Einwände gehen tiefer. Sie richten sich gegen die Einheitsanknüpfung. 3. Einheitsanknüpfung
§ 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – II 3
Ausländische Enteignungsakte werden von der internationalprivatrechtlichen Verweisung nicht umfasst.357 Zwar ist allgemein umstritten, auf welche ausländischen Normen genau sich die internationalprivatrechtliche Verweisung nicht bezieht; vorgeschlagen werden etwa öffentlichrechtliche358, artfremde359 356
So MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 18 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; auch Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 199 zu IntSachenR. 357 OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee); Beitzke, FS Raape 1948, 94; ders., JZ 1956, 674 l.Sp.; Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 683; Raape, IPR, 1961, 675; Beemelmans, WM 1966, 671; Neuhaus, WM 1966, 136; Wiethölter, BerGesVR 7 (1967) 161; Schulze, Recht, 1972, 76; Fickel, AWD 1974, 70 l.Sp., 584 l.Sp.; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 80, 95; Behrens, Unternehmen, 1980, 32, 60; Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 142; Drobnig, FS Neumayer 1985, 159 f.; Armbrüster/Jopen, ROW 1989, 333 l.Sp.; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 3; Herdegen, ZGR 20 (1991) 552; ders., IntWirtR, 2014, Rn. 73 zu § 3; Junker, in: Jayme/Furtak (Hrsg.), Rechtseinheit, 1991, 197 f.; ders., IPR, 1998, Rn. 488 f.; Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 83 ff.; Korte, Anerkennung, 1992, 27, 54; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 196, 199 zu IntSachenR; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 12 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Kunz, IPR, 1998, Rn. 568; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 120 zu § 4, S. 284, Rn. 142 f. zu § 4, S. 301 f.; Berentelg, Act of State, 2010, 143; MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 399 zu Einl. IPR; Neuhaus, Grundbegriffe, 1976, 245 f.; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 950 zum IntGesR; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 1, 4 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; a.A. ist nur die inzwischen ausgestorbene Lehre von der Einheitsanknüpfung; vgl. auch soeben § 13 II 1; grundlegend zur Sonderanknüpfungslehre Zweigert, RabelsZ 14 (1942) 283 ff. (zu ausländischen Leistungsverboten, m.N. auf älteres Schrifttum auf S. 289) und Wengler, ZVglRWiss 54 (1941) 168 ff. 358 Dagegen Drobnig, RabelsZ 52 (1988) 3 (die Unterscheidung sei unsicher, national unterschiedlich und teilweise unbekannt; das maßgebliche Kriterium zu finden, sei ein ungelöstes Problem). 359 Den Begriff des „artfremden“ Eingriffs hat Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 243 ff. geprägt. Er versteht darunter einen Eingriff in ein Privatrechtsverhältnis „aus Gründen, die außerhalb des einzelnen Rechtsverhältnisses liegen.“ Den Begriff übernommen haben Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 196 f. zu IntSachenR; Seidl-Hohenveldern, in: ders./Nagel (Hrsg.), Rechtsfragen, 1983, 60; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 953 zum IntGesR und Nomos-
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
oder staats-/wirtschaftspolitischen Zwecken und nicht dem Privatrechtsverkehr dienende360 Normen. Diese Auseinandersetzung ist für das internationale Enteignungsrecht aber ohne Bedeutung. Fremdstaatliche Enteignungsnormen stellen nämlich nach allen Kategorisierungsversuchen geradezu den Musterfall von Normen dar, welche die geforderten Merkmale aufweisen.361 Jedenfalls ausländische enteignende Normen unterliegen einer Sonderanknüpfung.362 Sie werden nach besonderen (ungeschriebenen) internationalenteignungsrechtlichen Regeln behandelt. Dies bestreitet die Lehre von der Einheitsanknüpfung. Sie verkennt dabei, dass bei der Anerkennung ausländischer Enteignungen andere Wertungen zu berücksichtigen sind als im klassischen internationalen Privatrecht der Verweisung. Die allgemeinen internationalprivatrechtlichen Regeln werden der Interessenlage bei einer hoheitlichen Eigentumsentziehung im staatlichen Interesse nicht gerecht.363 Auch die Struktur der Rechtsfindung unterscheidet sich. Ausgangspunkt ist bei der Sonderanknüpfung ausländischer Enteignungsnormen nicht ein regelungsbedürftiges Rechtsverhältnis, für dessen Behandlung im Sinne einer Auswahl nach einem anwendbaren Recht gesucht wird.364 Vielmehr ist ein Enteignungsakt in der Welt, sei es eine Norm oder ein Einzelakt. Der Enteignungsstaat hat bereits gehandelt und dabei sein eigenes Recht angewendet.365 v.Plehwe, 2012, Rn. 56 zu Art. 43 EGBGB. – Kritisch gegenüber dem Begriff der Artfremdheit sind Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 74 ff. und Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 230. 360 BGH vom 17.12.1959 (VII ZR 198/58), in: NJW 1960, 1102 (= BGHZ 31, 367) (interlokal); aus der Literatur so oder ähnlich Niederer, SchwJahrbIntR XI (1954) 94; Wengler, IntRDipl 1 (1956) 200; Vannod, Fragen, 1959, 60; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 21; ders., WM 1966, 671; Schulte-Uhlenbrock, Rechtsverhältnisse, 1968, 11; Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 241; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Sonnenberger, FS Rebmann 1989, 822; MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 33 zu Art. 6 EGBGB; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 73 zu § 3; StaudingerMansel, 2015, Rn. 1, 5 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 361 Vgl. auch Seidl-Hohenveldern, JZ 1975, 82. 362 In dieser Arbeit soll sprachlich der Fall einer fremdstaatlichen enteignenden Norm zugrunde gelegt werden, siehe bereits § 10 I 2. Bedient sich der ausländische Staat eines enteignenden Verwaltungsaktes, lehnen viele den Begriff der Sonderanknüpfung ab; es gelten aber dieselben Regeln. 363 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 143 zu § 4, S. 302; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 16 zu Art. 46 EGBGB Anh., die aber in Rn. 41 die analoge Anwendung des Art. 45 EGBGB vorschlägt, was ebenso der unterschiedlichen Interessenlage nicht gerecht werden dürfte; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 18 zu Art. 38 EGBGB Anh. III mit der Unterscheidung in iustitia distributiva und commutativa; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 13 zu Art. 46 EGBGB 364 Zutreffend Junker, IPR, 1998, Rn. 488; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 4, 15 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; vgl. zum französischen Recht Mayer/Heuzé, Droit, 2014, Rn. 704. 365 Junker, IPR, 1998, Rn. 488; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 159.
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Damit beschränkt sich das möglicherweise anwendbare Recht auf das des Enteignungsstaates. Es kann angewendet werden oder nicht, ein Drittes gibt es nicht.366 Die Frage nach der Anerkennung beginnt damit nicht bei einem regelungsbedürftigen Rechtsverhältnis, sondern unmittelbar bei einer bestimmten ausländischen Regelung. Die generelle Einheitsanknüpfung ausländischen Eingriffsrechts wird heutzutage wohl allgemein als verfehlt betrachtet. Im internationalen Enteignungsrecht aber wird die Einheitsanknüpfung bei gewissen entschädigten Gesellschaftsenteignungen367 in jüngerer Zeit wieder vertreten.368 Dabei sei nicht insgesamt die Sonderanknüpfung aufzugeben. Nur soll sie aus Sorge, das erwünschte Ergebnis sonst nicht erreichen zu können, eingeschränkt werden. Maßgeblich sei bei bestimmten entschädigten Gesellschaftsenteignungen einfach das Gesellschaftsstatut (Qualifikationslösung). Damit wird jedoch über das Ziel hinausgeschossen. Die Ansicht möchte nur eines einzigen Problems Herr werden, und zwar der vollständigen369 Anerkennung bestimmter entschädigter Gesellschaftsenteignungen. Dies aber ist auch mit einem geringeren dogmatischen Aufwand möglich. An dieser Stelle sollte freilich auf die Zusammenhänge nur kurz hingewiesen werden. Die weitere Diskussion dieses Ansatzes wird im Kapitel über Gesellschaftsenteignungen erfolgen.370 III. Entscheidung in offener Abwägung: ein Befreiungsschlag 1. Mehr Programm als Methode
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Nur der Vollständigkeit halber sei der nur von Fickel vertretene, in allen Abhandlungen noch mitgeschleppte und kaum einmal in seinen Grundzügen ausgearbeitete Vorschlag genannt, in offener Abwägung zu entscheiden, ob eine Enteignung anzuerkennen sei oder nicht.371 Die ohnehin „vorhandenen politischen Gehalte der Argumentation“, von denen sich die Gerichte in erheblichem Maße leiten ließen, müssten offengelegt werden.372 Man müsse 366
Vgl. auch Drobnig, FS Neumayer 1985, 159. Zum Begriff unten § 21 I. 368 Siehe insbesondere Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 93 ff.; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 68 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I und Lakkis, Gestaltungsakte, 2007, 419 f.; ebenso schon Serick, JZ 1956, 201 r.Sp.; weitere Nachweise unten § 22 III 1 Fn. 85; vgl. auch oben § 9 I 1 a.E. 369 Vgl. zum Begriff unten § 22 I. 370 Siehe zur Qualifikationslösung näher unten § 22 III 1. 371 Fickel, AWD 1974, 69 ff., 584 ff. sind – soweit ersichtlich – die einzigen Äußerungen Fickels zu dem Thema. 372 Fickel, AWD 1974, 70 f., 74 l.Sp. (keine darüber hinausgehende „Politisierung“); vgl. auch Berentelg, Act of State, 2010, 273 (über die Vereinbarkeit mit dem ordre public sei im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu entscheiden; im Interesse einer 367
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danach unterscheiden, ob eine Enteignung sympathisch sei oder nicht.373 Eine begleitende politische Argumentation erhöhe die internationale Akzeptanz der Entscheidungen.374 Da die Richter aber nicht zu sehr in die Tagespolitik verstrickt werden sollten, könnten nur solche politischen Standpunkte berücksichtigt werden, die in „offiziösen Formen“ artikuliert worden seien.375 Inwiefern eine offene Abwägung andere Ergebnisse als der Gebietsgrundsatz erzielt, ist unklar. Fickel fordert schließlich nur ein bestimmtes Verfahren. Die Ergebnisse des Gebietsgrundsatzes seien jedenfalls „in der Mehrzahl der Fälle sachgerecht“.376 Besonders der negative Gebietsgrundsatz wird zwar in seiner Resolutheit abgelehnt, sei aber meist zutreffend.377 Eine Prognose der praktischen Ergebnisse wird durch Unwägbarkeiten wie das zu berücksichtigende Verhältnis zwischen den Staaten zusätzlich erschwert. Dieser Vorschlag, der in seiner aktuellen Gestalt nicht einmal von seinem einzigen Vertreter ernstgenommen wird,378 ist jedenfalls nicht derart überlegen, dass es gerechtfertigt wäre, vom Gebietsgrundsatz abzurücken. Dem Richter wird eine politische Abwägung aufgebürdet, bei der er auch noch von „offiziösen“ Meinungsäußerungen der Exekutive abhängig sein soll. Damit wird er überfordert und Rechtssicherheit kann nicht gewährleistet werden.379 Das Modell widerspricht zudem dem durch das Grundgesetz geprägten Bild transparenten richterlichen Entscheidungsfindung müssten die Gerichte die jeweils zu berücksichtigenden Interessen in ihrem Urteil aufschlüsseln). 373 Fickel, AWD 1974, 70 l.Sp.; anschaulich Menzel, IÖR, 2011, 2273 f. (es mache einen Unterschied, ob ein Mafiaboss nach rechtsstaatlichem Strafverfahren vollständig enteignet werde [Kritik: Hier dürfte schon keine Enteignung im Sinne des internationalen Enteignungsrechts vorliegen, zum Enteignungsbegriff oben § 9 I 1] oder eine religiöse oder ethnische Minderheit); ähnlich auch Herdegen, ZGR 20 (1991) 555 ff. 374 Fickel, AWD 1974, 587 l.Sp. (Entwicklungsländer würden eher auf politische Argumente reagieren als auf die Berufung auf Grundsätze, die aus ihrer Sicht übersteigerte Bestandsschutzinteressen festschrieben). 375 So Fickel, AWD 1974, 75 l.Sp.; neuerdings de lege ferenda auch Berentelg, Act of State, 2010, 278, 283 (nach geltendem Prozessrecht bestehe allerdings derzeit kein formeller Weg, auf dem die Exekutive dem Gericht außenpolitische Bedenken gegen eine Nichtanerkennung mitteilen könne; die Schaffung eines entsprechenden Instituts sei empfehlenswert). 376 Fickel, AWD 1974, 72 l.Sp. 377 Fickel, AWD 1974, 72 l.Sp. fordert eine „Erweiterung des Spektrums der Entscheidungsalternativen“. 378 Selbst nach Fickel, AWD 1974, 75 r.Sp. ist der Ansatz mehr „Programm“ als Methode. 379 Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 222; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 17 zu Art. 46 EGBGB Anh.; siehe sogar Fickel, AWD 1974, 74 l.Sp. selbst (er spricht von einem „evidenten Verlust justiziabler Standards, der die Legitimation richterlicher Tätigkeit anzweifelbar werden lässt“; das Rechtssicherheitsargument sei aber nur auf kurze Sicht durchschlagend; es würden sich neue, differenziertere Strukturen herausbilden, a.a.O., S. 75 r.Sp.).
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von einem unabhängigen Richter und von Gewaltenteilung.380 Ferner werden zwar die „widerstreitenden Rechtsanwendungsinteressen sowie die Gemeininteressen der beteiligten Staaten“ berücksichtigt, nicht aber Privatinteressen.381 Dies jedoch ist verkürzend.382 Aufgrund der bezeichneten Schwächen ist der Ansatz abzulehnen.383 2. Bedürfnis nach Differenzierung gegen das Einerlei des Gebietsgrundsatzes
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Die zwei knappen Aufsätze von Fickel sind nicht wegen ihrer Wirkmacht bedeutsam. Im Gegenteil wurden sie kaum ernsthaft beachtet und regelmäßig mit einem knappen Absatz abgetan, der sich meist darauf stützte, dass Fickel kein fertiges System biete. Fickels Vorstoß ist aber aus anderen Gründen wichtig. Er fordert eine differenziertere Anerkennungsnorm als den Gebietsgrundsatz. Sein Grundanliegen entspricht damit demjenigen von Rudolf, Koppensteiner, Behrens, Wölker,384 Kreuzer und Ambrosch-Keppeler385. Fickel greift die ergebnisorientierte Vorgehensweise des LG Hamburg im Chile-Kupfer-Fall386 scharf an. Der für ein Eingreifen des ordre public nötige Inlandsbezug kann in der Tat kaum davon abhängen, Gegenstand welchen Vertrages das im Hamburger Hafen liegende Kupfer ist.387 Zwar kann Fickel mitnichten gefolgt werden, da er keinen Weg aus dem Dschungel weist; als Merkzettel sollte der Ansatz aber nicht unterschätzt werden. Fickel fordert zu Recht, die bei der Anerkennungsentscheidung leitenden Interessen genauer zu bezeichnen. Dabei sind freilich entgegen Fickel nicht unmittelbar die Interessen ausländischer Staaten zu berücksichtigen. Diese sind richtigerweise nur mittelbar und nur so weit erheblich, als ihre Befolgung im deutschen Interesse liegt.388 Dies spricht aber nicht gegen den Appell zu mehr Offenheit in der Rechtsanwendung. Mit zunehmendem zeitlichen Abstand zu den Enteignungen während und nach dem zweiten Weltkrieg setzt sich nämlich die Erkenntnis 380
Seidl-Hohenveldern, FS Kegel 1977, 272; Korte, Anerkennung, 1992, 55. So ausdrücklich Fickel, AWD 1974, 72 l.Sp., 587 l.Sp. 382 Dazu, dass sowohl private als auch staatliche Interessen zu berücksichtigen sind, oben § 12 V 1. 383 Ebenso Seidl-Hohenveldern, AWD 1974, 428 l.Sp.; ders., JZ 1975, 82 f. Fn. 54 („[g]anz arg würde es, [...] Abschied vom Rechtsstaat“); Polter, Auslandsenteignungen, 1975, 77 Fn. 5; Behrens, Unternehmen, 1980, 35, 67, 83; Schütz, ordre public, 1984, 143 f.; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 19 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 222; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 17 zu Art. 46 EGBGB Anh. 384 Zu diesen vier Autoren sogleich § 13 IV. 385 Zu diesen beiden unten § 13 V. 386 LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 163. 387 Zum Inlandsbezug beim ordre public unten § 15 III 3. 388 Vgl. bereits § 12 V 1. 381
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durch, dass die Anerkennungsfrage ohne einen Blick auf die politischen Beziehungen zum Enteignungsstaat nicht in jedem Fall abschließend beantwortet werden kann.389 Der Gebietsgrundsatz gibt eine Antwort nur auf eine mehrerer möglicher Konstellationen. Der Ansatz ist denn auch eher als ein Befreiungsschlag gegen den einengenden und bewusst unterkomplexen Gebietsgrundsatz zu sehen.390 Die Resolutheit, mit der Fickel alles Hergebrachte wegfegen möchte, ist charakteristisch für Phasen der Befreiung. Charakteristisch für solche Phasen ist es jedoch auch, dass das, was an die Stelle der alten Fesseln gesetzt wird, eine allzu lose Bindung bedeutet. Die übergroße Freiheit lässt Fickels Verfahren als unausgewogen und für die Praxis untauglich erscheinen. Fickel wollte Zerstörung für einen späteren Neuaufbau. Er wollte nichts errichten. Das sollte anderen überlassen werden. Dabei haben sich besonders die zwei im Folgenden unter § 13 IV und § 13 V zu besprechenden Ansätze hervorgetan. IV. „Internationalwirtschaftsrechtlicher“ Ansatz nach Behrens 1. Kernpunkte und verwandte Vorstöße Unter denjenigen, die eigenständige Anerkennungsvoraussetzungen formuliert haben, hat neben Kreuzer391 Behrens392 die größte Beachtung gefunden. Behrens, seine Vorläufer Rudolf393 und Koppensteiner394 sowie auf Behrens 389
Dazu, dass die Anerkennung auch vom politischen Umfeld abhängig ist, Matthias, FS v.Simson 1983, 264 f.; Kreuzer, Wirtschaftsrecht, 1986, 88 (die Machtlehre des internationalen Enteignungsrechts sei zu sehr von Nachkriegsumständen geprägt); Spickhoff, ordre public, 1989, 218 (Zeitgeist und emotionale Erregung kurz nach dem Krieg und der Spaltung Deutschlands); siehe zudem unten § 13 VI. 390 Vgl. Fickel, AWD 1974, 72 l.Sp. (er fordert eine „Entschematisierung“); ferner Lederer, Enteignung, 1989, 131; ders., IPRax 1994, 146 l.Sp. (er wünscht sich ebenfalls eine offene Anwendungsdiskussion, allerdings nicht im Anschluss an Fickel; Ziel der Diskussion sei die Herausbildung sachgerechter Anknüpfungspunkte). 391 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 f., 31, 35 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm unten § 13 V). 392 Behrens, Unternehmen, 1980, 86 ff. 393 Rudolf, BerGesVR 11 (1973) 40 f. (seine Anerkennungsvoraussetzungen sind (1) die räumliche Geltungserstreckung der Norm auf den Forumsstaat, (2) ein enger territorialer Bezug zum ausländischen Staat, (3) die Fungibilität bzw. Homogenität mit inländischen Normen, (4) die Gegenseitigkeit und (5) die Vereinbarkeit mit dem innerstaatlichen ordre public). 394 Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 81 ff., 95 (nur für Anteilsrechte; Anerkennungsvoraussetzungen sind nach ihm (1) eine enge territoriale Verbindung, (2) eine Entschädigung [sonst Abfindung, keine Spaltgesellschaft; dazu allgemein unten § 23 II], (3) kein Eingreifen des ordre public; damit folgt er im Ansatz Rudolf, lehnt aber zwei seiner Voraussetzungen ab und möchte die Gegenseitigkeit beim ordre public behandeln); siehe zu Rudolf und Koppensteiner die ausführliche Besprechung bei Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 209 ff.
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aufbauend Wölker395 haben dabei nur ein Ziel. Sie möchten gewisse Gesellschaftsenteignungen vollständig anerkennen; vollständig bedeutet, dass sich die Anerkennung auch auf solche Rechte der Gesellschaft bezieht, deren einzelne Enteignung nicht anerkannt würde.396 Im Folgenden soll insbesondere der Vorschlag von Behrens besprochen werden, da er am umfangreichsten ausgearbeitet ist und am meisten beachtet wurde. Behrens wählt eine „internationalwirtschaftsrechtliche Begründung“ seiner Norm. Das nationalstaatliche Eigeninteresse werde zum Prinzip der Gegenseitigkeit verallgemeinert.397 Er stellt sieben Anerkennungsvoraussetzungen auf:398 (1) die Rechtmäßigkeit der Enteignung nach dem Recht des enteignenden Staates, (2) ein extraterritorialer Geltungsanspruch des ausländischen Enteignungsgesetzes, (3) ein enger territorialer Bezug der Rechte der Gesellschaft zum Enteignungsstaat, (4) die Effektuierung der Enteignung im Enteignungsstaat, (5) die Fungibilität oder Homogenität des ausländischen Enteignungsrechts mit dem deutschen Recht, (6) die Gegenseitigkeit und schließlich (7) die Vereinbarkeit mit dem ordre public. 2. Erheblichkeit
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Behrens hält die Ergebnisse, welche der Gebietsgrundsatz bei intraterritorialen Enteignungen dinglicher Rechte erzielt, für richtig, möchte sein Konzept weitestgehend aber auch hier anwenden.399 Damit dürfte er jedoch teilweise andere Ergebnisse erzielen, als er als erwünscht bezeichnet hat.400 Dies aber bleibt letztlich unklar. Die Behandlung von Forderungsenteignungen und Immaterialgüterrechtsenteignungen bleibt nach diesem Ansatz offen. Zu tun ist es dem Ansatz von Behrens – wie bereits festgestellt – um die Anerkennung gewisser Gesellschaftsenteignungen durch den Sitzstaat auch hinsichtlich derjenigen Rechte der Gesellschaft, deren einzelne Enteignung nach dem Gebietsgrundsatz nicht anerkannt würde. Die Enteignung von An395
Wölker, ZaöRV 43 (1983) 297 ff. (er möchte den Ansatz von Behrens um ein gerichtliches Anerkennungsverfahren ergänzen). 396 Zum Begriff der Gesellschaftsenteignung unten § 21 I; zum Begriff der vollständigen Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen unten § 22 I. 397 Behrens, Unternehmen, 1980, 14 ff., 36. 398 Vgl. Behrens, Unternehmen, 1980, 86 ff. 399 Behrens, Unternehmen, 1980, 29 („[e]s besteht Einmütigkeit über das Ergebnis“), 118 (Ergebnisse des positiven Gebietsgrundsatzes bedürften bei intraterritorialen Enteignungen keiner Korrektur), 119 (bei intraterritorialen Enteignungen seien die Voraussetzungen (2) [extraterritorialer Geltungsanspruch] und (5) [Fungibilität bzw. Homogenität] nicht erforderlich; es liege aber dieselbe Kollisionsnorm vor). 400 Vgl. dagegen MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 35 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm unten § 13 V), der auch bei intraterritorialen Enteignungen dinglicher Rechte bewusst von der herrschenden Ansicht abweichen möchte.
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teilsrechten und die Enteignung des gesamten Gesellschaftsvermögens werden gleichbehandelt.401 Die durch Behrens’ Ansatz erzielte Anerkennung gewisser Gesellschaftsenteignungen entspricht im Ergebnis der nahezu allgemeinen Auffassung. Dieser fehlt lediglich ein klares dogmatisches Konzept.402 Doch auch bei solchen Gesellschaftsenteignungen, welche die aufgestellten Anerkennungsvoraussetzungen nicht erfüllen, weicht Behrens im Ergebnis nicht notwendigerweise vom Gebietsgrundsatz ab. Bei einer entschädigungslosen Gesellschaftsenteignung beispielsweise gelangt Behrens über den ordre public zu den Ergebnissen, die auch der Gebietsgrundsatz erzielt.403 3. Kritik
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Behrens unterteilt zu Beginn seiner Untersuchung die bislang vorhandenen Lösungsansätze in normative und rechtspolitische.404 Diese Unterscheidung überzeugt nicht, da sie die vertretenen Auffassungen nicht im Zusammenhang darstellt, sondern verzerrt. Kegel etwa wird hier wie dort aufgeführt. Aus dieser Trennung jedoch ergibt sich die Rechtfertigung der Unternehmung. Unabhängig von den Bedenken gegen den dogmatischen Ausgangspunkt sind auch Behrens’ Kriterien im Einzelnen nicht durchweg überzeugend. Zu (1): Indem Behrens die Rechtmäßigkeit der Enteignung nach dem Recht des Enteignungsstaates fordert, setzt er sich jedenfalls bei Enteignungen dinglicher Rechte in Widerspruch zu seiner Aussage, dass die Ergebnisse, die durch den positiven Gebietsgrundsatz erreicht werden, richtig seien. Die Rechtsprechung prüft die Rechtmäßigkeit nämlich nicht. 405 Zu (2): Das Kriterium des ultraterritorialen Geltungsanspruchs ist verzichtbar, wenn nur der Enteignungsakt ausgelegt wird.406 Schon begrifflich kann nicht mehr anerkannt werden, als der Enteignungsstaat selbst enteignet hat. Dass Behrens dies aber als eigenen Prüfungspunkt vorsieht, geht wohl auf eine nicht sachgerechte Parallelbetrachtung zu ausländischen Verbotsnormen zurück, die oft gar nicht mit Rücksicht auf Auslandssachverhalte 401
Zur Enteignung von Anteilsrechten Behrens, Unternehmen, 1980, 95; zur Enteignung des Gesellschaftsvermögens a.a.O., S. 25 ff. 402 Ausführlich unten § 22. 403 Behrens, Unternehmen, 1980, 91; siehe zu entschädigungslosen Gesellschaftsenteignungen unten § 23. 404 Vgl. Behrens, Unternehmen, 1980, 30 ff. 405 Freilich ist es auch möglich, auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes zu arbeiten, die Rechtmäßigkeit aber zu einer zusätzlichen Anerkennungsvoraussetzung zu erheben; siehe unten § 14 I. 406 Behrens, Unternehmen, 1980, 88 selbst scheint dieser Voraussetzung keinen großen praktischen Wert beizumessen. Auch Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 83 bejaht den extraterritorialen Geltungsanspruch nur knapp. – Vgl. zu einem Fall, in dem bereits die Auslegung genügt, Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 2 f. m.N.
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formuliert worden sind.407 Dort ist dieser zusätzliche Filter sinnvoll. Im internationalen Enteignungsrecht dagegen genügt die Auslegung. Möchte man den ultraterritorialen Geltungsanspruch aber stets prüfen, ändert sich am Ergebnis nichts. Würde nämlich eine ausländische Enteignungsnorm angewendet, die jedoch bestimmte Rechte gar nicht enteignet, bewirkte die Anwendung keine Rechtsänderung aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung. Zu (3): Als Kernkriterium dient Behrens ein enger territorialer Bezug. Dieser werde „durch die Belegenheit des enteigneten Vermögenswertes hergestellt“.408 Diese Neuerung kann man terminologisch begrüßen. Der Gebietsgrundsatz aber fordert aufgrund der stark normativen Lokalisierung ebenfalls nur eine Nähebeziehung.409 Die Umbenennung erlaubt daher nur eingeschränkt einen freieren Umgang mit der Anerkennungsfrage. Indem nämlich die Nähebeziehung über die Belegenheit bestimmt wird, sitzt der unliebsame Gebietsgrundsatz doch wieder im Boot. Die soeben gewonnene Bewegungsfreiheit wird wieder aufgegeben. Zu (4): Behrens bezeichnet eine Enteignung als effektuiert, wenn Deutschland als Anerkennungsstaat den durch den Enteignungsstaat geschaffenen Zustand bloß hinnehmen könne, ihn aber nicht billigen müsse.410 Dieses Merkmal weist wertungsmäßig eine Parallele zu dem Vorschlag auf, den Gebietsgrundsatz über Effektivitätserwägungen zu begründen.411 Es geht über den Gebietsgrundsatz aber kaum hinaus. Fragwürdig ist insbesondere, dass die Anforderungen an eine effektuierte Enteignung recht niedrig sind: So soll der Sitzstaat einer Gesellschaft die Enteignung auch hinsichtlich des „Auslandsvermögens“ effektuieren können, obwohl es ihm aufgrund des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips verwehrt ist, auf fremdem Gebiet auf Sachen oder Personen zuzugreifen.412 Zu (5): Bei der Fungibilität oder Homogenität des ausländischen Enteignungsrechts mit dem deutschen gehe es um die rechtlichen Grenzen von Enteignungen in Deutschland überhaupt.413 Das Kriterium hat kaum Aussage-
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Dazu, dass zu einer Sonderanknüpfung ausländischer Verbotsgesetze die ausländische Norm anwendungswillig sein muss, grundlegend Wengler, ZVglRWiss 54 (1941) 183 und Zweigert, RabelsZ 14 (1942) 295. 408 Behrens, Unternehmen, 1980, 88; nur i.E. ähnlich, eine Lokalisierung von Anteilsrechten aber ablehnend, Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 83 f. (Statutarstaat, sofern nicht bloße Briefkasten-AG ohne industrielles Substrat); ihm folgt Huwyler, Personen, 1989, 97, 125 f. [Schweiz]. 409 Siehe näher oben § 9 I 3 und unten § 14 IV. 410 Behrens, Unternehmen, 1980, 89. 411 Vgl. bereits § 12 II 4. 412 Behrens, Unternehmen, 1980, 109. 413 Behrens, Unternehmen, 1980, 90.
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kraft.414 Es dürfte nämlich (nicht nur für die Zivilrichter) kaum zu bestimmen sein, was der die Vergesellschaftung regelnde Art. 15 GG an Enteignungsmaßnahmen zulässt.415 Die Vorschrift wurde schließlich noch nie angewendet. Zu (6): Die Gegenseitigkeit als Wertung hinter dem Gebietsgrundsatz zu betrachten, wurde bereits gelegentlich erwogen.416 Behrens’ internationalwirtschaftsrechtlicher Ansatz erhebt die Gegenseitigkeit sogar zur Grundlage seines gesamten Systems und damit zum Ausgangspunkt für alle weiteren Überlegungen. Die Gegenseitigkeit soll zudem Tatbestandsmerkmal der Anerkennungsnorm sein. Gegenseitigkeit wird hier freilich nicht in einem strengen Sinne, nicht spiegelbildlich, sondern abgeschwächt, verstanden. Sie soll nämlich nicht erst dann vorliegen, wenn der Enteignungsstaat im umgekehrten Fall eine entsprechende deutsche Enteignung ebenfalls anerkennen würde; der Nachweis einer aktuellen reziproken Anerkennungsbereitschaft sei „kaum jemals möglich“.417 Vielmehr müsse zum einen im umgekehrten Fall bloß überhaupt ein Interesse Deutschlands an einer extraterritorialen Wirkung bestehen. Nach Behrens „wird man davon auszugehen haben“.418 Deutschland hat immer ein Interesse daran, seine Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Diese Einschränkung ist daher keine und damit überflüssig. Zum anderen müsse ausländischer Unternehmensbesitz im Enteignungsstaat grundsätzlich zulässig sein. Andernfalls sei die Anerkennung einer entsprechenden deutschen Maßnahme durch den Enteignungsstaat nicht zu erwarten.419 Dies dürfte allerdings einen so kleinen Bereich betreffen, dass es sich allein schon
414 Kritisch daher Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 219; ablehnend auch Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 82 (er möchte anstößiges und damit nicht anwendungswürdiges ausländisches Enteignungsrecht über den ordre public ausschalten). 415 Vgl. unten § 15 II 3. 416 Dazu oben § 12 III 1. 417 So Behrens, Unternehmen, 1980, 90; siehe ferner Wölker, ZaöRV 43 (1983) 301 (er fordert keine strenge Gegenseitigkeit, sondern nur, dass eine Anerkennung durch den Enteignungsstaat im umgekehrten Fall nicht ausgeschlossen sei); unbegründet ist daher die Kritik von MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 21 zu Art. 46 EGBGB Anh. (das Verhalten der Gegenseite sei mangels Erfahrungsgrundlage kaum abzuschätzen) und von Einsele, RabelsZ 51 (1987) 611 (die deutschen Richter würden durch dieses Erfordernis zu einer unerwünschten politischen Prognose veranlasst). 418 Behrens, Unternehmen, 1980, 91; kritisch Einsele, RabelsZ 51 (1987) 611 (spezifisch außenpolitische Dimension), 623 (Gegenseitigkeit sei nicht justiziabel, da Behrens nicht ausführe, wann denn die Gegenseitigkeit positiv angenommen werden könne [Einwand: Behrens sieht diese Voraussetzung gar nicht als wirksamen Filter an; daher muss er auch nicht weiter präzisieren; er möchte eben nur diese speziellen Fälle ausschließen]). 419 Behrens, Unternehmen, 1980, 91.
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wegen der geringen Bedeutung nicht lohnt, die Gegenseitigkeit in dieser Form zu einer stets zu prüfenden Anerkennungsvoraussetzung zu erheben.420 Außerdem bewirkt die Gegenseitigkeit nicht nur als Wertung, sondern als stets zu prüfende Anerkennungsvoraussetzung, dass die Interessen der am konkreten Rechtsverhältnis Beteiligten in den Hintergrund gestellt werden. Schon deshalb ist dieses Merkmal abzulehnen.421 Zu (7): Behrens’ Sonderkollisionsnorm unterscheidet – ebenso wie der Gebietsgrundsatz422 – nicht zwischen entschädigten und entschädigungslosen Enteignungen. Dies offenbart, dass der Ansatz sich psychologisch noch nicht ganz vom Grobschema des Gebietsgrundsatzes lösen konnte. Die Entschädigungslosigkeit könne zwar im Rahmen des ordre public berücksichtigt werden; doch nach welcher Maßgabe, bleibt offen.423 Wird aber die Behandlung entschädigungsloser Enteignungen dem ordre public überlassen, kann die angestrebte Rechtssicherheit nicht erreicht werden.424 Es ist in der Tat schwer, ganz auf den ordre public zu verzichten. Gerade die mangelnde Entschädigung ist in Enteignungsfällen aber der Hauptanwendungsfall des ordre public. Gerade hier gälte es, durch die Unterscheidung nach verschiedenen Enteignungsobjekten unfertiges Recht aus dem ordre public zu gewinnen und in eine Norm aufzunehmen. Damit überzeugen die Anerkennungsvoraussetzungen im Einzelnen nicht. Die Anerkennungsregel ist zu kompliziert. Die verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe können überdies zu widersprüchlichen Ergebnissen einzelner Gerichte und zu Rechtsunsicherheit führen.425 Behrens’ viel beachtetem Versuch, dem veränderten Umfeld von Enteignungen Rechnung zu tragen, kann und wird aufgrund der genannten Schwächen in seiner Gesamtheit nicht gefolgt werden.426 420 Dagegen auch Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 82 Fn. 57 (wenn die Gegenseitigkeit aber in Zukunft nicht zu erwarten sei, könne der ordre public angewendet werden). 421 Ebenso Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 82 (der rechtspolitische Sinn der Gegenseitigkeit sei fragwürdig, eine Vorleistung wünschenswert); Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 238 (das Gegenseitigkeitserfordernis habe keinen konkreten Bezug zu dem zu entscheidenden Sachverhalt); Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 6 Fn. 11 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. (das Richtige solle nicht von Gegenseitigkeit abhängen); ein Gegenseitigkeitserfordernis ablehnend schon Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 337. 422 Siehe unten § 14 II. 423 Dagegen, die Entschädigungsfrage im Rahmen des ordre public zu prüfen, ist Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 219. 424 Besser insofern Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 84 f.; siehe auch die Kritik von Einsele, RabelsZ 51 (1987) 611 (sie befürchtet Rechtsunsicherheit, da gerade die völkerrechtlich geforderte Entschädigung äußerst umstritten sei). 425 Einsele, RabelsZ 51 (1987) 611 (unbestimmte Rechtsbegriffe und politische Einschätzungen). 426 Ebenso die Einschätzung von Seidl-Hohenveldern, in: ders./Nagel (Hrsg.), Rechtsfragen, 1983, 60 f.
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Der Ansatz kann aber beschränkt auf die Problematik der Gesellschaftsenteignung fruchtbar sein. Die herrschende Lehre möchte nämlich gewisse Gesellschaftsenteignungen auch hinsichtlich solcher Rechte einer Gesellschaft anerkennen, deren einzelne Enteignung nicht anerkannt würde; sie ist sich jedoch über die Dogmatik und die genauen Anerkennungsvoraussetzungen uneins.427 Der Ansatz kann hier Ausgangspunkt für weitere Überlegungen sein. V. „Internationalverfahrensrechtlicher“ Ansatz nach Kreuzer 1. Hohe Anerkennungshürden
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Während es dem soeben besprochenen, sich als „internationalwirtschaftsrechtlich“ bezeichnenden, Entwurf von Behrens in der Sache um Gesellschaftsenteignungen geht, möchte der im Folgenden zu besprechende „internationalverfahrensrechtliche“ Ansatz von Kreuzer das internationale Enteignungsrecht umfassend regeln.428 Zu diesem Zweck werden detaillierte Anerkennungsvoraussetzungen aufgestellt, die eine Berufung auf den ordre public weitgehend entbehrlich machen sollen. Das vorgeschlagene System bilde materielle Wertungen der deutschen Rechtsordnung besser ab als der Gebietsgrundsatz.429 Durch die vielen Anerkennungsvoraussetzungen erscheint es deutlich komplexer als der Gebietsgrundsatz. Kreuzers Anerkennungsvoraussetzungen sind: (1) eine nach dem Recht des Enteignungsstaates abgeschlossene, (2) enteignungskollisionsrechtlich rechtmäßige und (3) durch einen international zuständigen Staat vorgenommene Enteignung sowie (4) das Nichteingreifen des ordre public.430 Die Anerkennungsvoraussetzungen werden in Anlehnung an § 328 ZPO, über die BIT und über das Grundgesetz weiter ausdifferenziert. § 328 ZPO seien durch einen Erst-recht-Schluss (a minore ad maius) Mindestanforderungen zur Anerkennung zu entnehmen. Wenn schon für die Anerkennung zivilrechtlicher Urteile, die durch unabhängige Gerichte in einem justizförmigen Verfahren gefällt würden, die Voraussetzungen des § 328 ZPO vorliegen müssten, so erst recht für die Anerkennung ausländischer Hoheitsakte.431 427
Dazu unten § 22. Hauptvertreter ist MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 1 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ihm folgt – soweit ersichtlich – nur seine Schülerin Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 225 ff.; Wendehorst, die seit der 4. Auflage das internationale Enteignungsrecht im Münchener Kommentar bearbeitet, hat den Ansatz aufgegeben, MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 18, 21 zu Art. 46 EGBGB Anh. 429 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 17 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 430 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 431 Siehe zur Anlehnung an § 328 ZPO MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ders., IPRax 1990, 367 l.Sp.; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 214 ff.; sehr ähnlich Korte, Anerkennung, 1992, 71; jüngst auch Berentelg, Act of State, 428
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Diese Mindestvoraussetzungen seien die internationale Zuständigkeit des entscheidenden Organs (entspricht (3)), die Vereinbarkeit der Entscheidung mit Grundwertungen der lex fori, insbesondere mit Art. 3, 14, 15, 103 GG, teilweise konkretisiert in den BIT432 (entspricht (1), (2), und (4)) sowie die Verbürgung der Gegenseitigkeit433. Für die enteignungskollisionsrechtliche Rechtmäßigkeit der Enteignung (entspricht (2)) komme es nicht auf die Rechtmäßigkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates an.434 Es müssten nur die Enteignungsvoraussetzungen der BIT und einiger multilateraler Regelwerke erfüllt sein: Diese seien ein Allgemeinwohlzweck, eine angemessene Entschädigung, die Nichtdiskriminierung und der Zugang zu einem Rechtsschutzverfahren im Enteignungsstaat zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Enteignung und der Entschädigungshöhe.435 Das räumliche Kriterium, den Kreis der anerkennungsfähigen Enteignungen zu bestimmen, sei die internationale Zuständigkeit (auch Kompetenz) des
2010, 187 f. (eine Parallele zu § 328 ZPO sei erwägenswert, allerdings mit Einschränkungen: § 328 Nr. 1 [spiegelbildliche Zuständigkeit], Nr. 2 [Rechtliches Gehör; dies könne beim ordre public berücksichtigt werden] und Nr. 3 [Verwaltungsakte zum selben Gegenstand seien kaum denkbar; der ordre public genüge] ZPO passten nicht). – Gegen eine Anlehnung an § 328 ZPO im internationalen Enteignungsrecht schon Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 305; allgemein bei der Anerkennung ausländischer Verwaltungsakte auch Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 336 ff. und König, Anerkennung, 1965, 50 f. 432 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16, 36 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; siehe auch Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 71, 84 (er möchte ebenfalls den BIT Anhaltspunkte für die innerstaatliche Regelbildung entnehmen); zurückhaltender hinsichtlich der Bedeutung der BIT als Kreuzer ist Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 220; gegen eine Ausstrahlung der BIT auf den staatsvertragsfreien Raum v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 145 zu § 4, S. 303; zur anders gelagerten Frage nach Anerkennungspflichten gerade aus den BIT oben § 7 III. 433 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16, 35 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III (das Gegenseitigkeitserfordernis ergebe sich ferner aus der Bilateralität der Staatsverträge, a.a.O., Rn. 36 a.E.); das Gegenseitigkeitserfordernis ablehnend Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 238; kritisch auch Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 82. 434 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 37 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 435 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 36, 38 zu Art. 38 EGBGB Anh. III stellt diese enteignungskollisionsrechtlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen zunächst nur für die Enteignung deutschen Auslandsvermögens auf, dehnt sie dann aber auf alle aus, die im Hinblick auf ihr Vermögen Inländerbehandlung genießen, und schließlich über Art. 14 GG auf alle Menschen. Ausgenommen sollen nur ausländische juristische Personen sein, die keine Inländerbehandlung genießen. Anderes könne gelten, wenn die Gegenseitigkeit verbürgt sei. Da die Gegenseitigkeit aber ohnehin selbständige Anerkennungsvoraussetzung sein soll, ist eine Unterscheidung nach der Person des Enteigneten nach diesem Ansatz wohl regelmäßig insgesamt entbehrlich. – Zu den Regelungen der BIT bereits § 7 I.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Enteignungsstaates zur Vornahme der Enteignung (entspricht (3)).436 Das Merkmal der Zuständigkeit erfüllt dabei die gleiche Funktion wie beim Gebietsgrundsatz die Belegenheit. Es ist räumliches Grenzkriterium.437 Wann der Enteignungsstaat in diesem Sinne zuständig sei, solle anhand von Fallgruppen bestimmt werden, bei deren Bildung die Territorialität nur eines von mehreren Kriterien sei.438 Maßgeblich sei eine enge Verbindung zwischen dem enteigneten Recht und dem Enteignungsstaat, die über die Gebiets- oder über die Personalhoheit des Enteignungsstaates bestimmt werde.439 Durch die Einbeziehung der Personalhoheit sei die Ausgangsunterscheidung nicht diejenige zwischen Intra- und Extraterritorialität. Vielmehr müsse danach unterschieden werden, ob das Enteignungsobjekt ein Einzelgegenstand sei oder einer Wirtschaftseinheit zugehöre.440 Kreuzers Schülerin Ambrosch-Keppeler schlägt ein weiter differenzierendes System vor.441 Besteht zwischen Deutschland und dem Enteignungsstaat ein BIT, folgt sie Kreuzer. Ansonsten möchte sie anders als Kreuzer danach unterscheiden, ob der Enteignungsstaat zur Enteignung ausschließlich oder konkurrierend zuständig sei.442 Sei der Enteignungsstaat ausschließlich zuständig, sollten seine Enteignungen anerkannt werden. Nur ausnahmsweise könne der Vorbehalt des ordre public eingreifen. Sei der Enteignungsstaat dagegen nur konkurrierend zuständig, müsse die Enteignung bestimmten Standards entsprechen. Diese sind i.E. diejenigen der BIT.443 AmbroschKeppeler verzichtet damit letztlich zur Anerkennung von Enteignungen dinglicher Rechte und von Immaterialgüterrechten auf die zusätzlichen Voraussetzungen Kreuzers und entscheidet nach dem ordre public. Bei ausschließlicher Zuständigkeit des Enteignungsstaates entsprechen ihre Ergebnisse den-
436 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 12, 16 f., 31 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; AmbroschKeppeler, Anerkennung, 1991, 231 ff. 437 Zum Begriff des Grenzkriteriums oben §§ 1, 9 I 3. 438 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 14, 31, 46 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III; insofern ähnlich Korte, Anerkennung, 1992, 74 ff. (seine Anerkennungsvoraussetzungen sind: (1) Enteignungszuständigkeit des Enteignungsstaates nach Fallgruppen, (2) Rechtmäßigkeit der Enteignung nach dem Recht des Enteignungsstaates, (3) Völkerrechtsgemäßheit der Enteignung und (4) kein Verstoß gegen den deutschen ordre public); auch Fickel, AWD 1974, 585 l.Sp. (zu ihm oben § 13 III) möchte die Territorialität als nur eines mehrerer Kriterien verstanden wissen und sie also aus dem Tatbestand der Anerkennungsregel streichen. 439 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 31 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 233 ff. 440 Näher MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 31 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ebenso Huwyler, Personen, 1989, 96 [Schweiz] und Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 234 ff. 441 Einzelheiten bei Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 232 ff., 247. 442 Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 232. 443 Vgl. zu diesen oben § 7 I.
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jenigen, die die herrschende Meinung auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes erzielt.444 2. Erheblichkeit
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Dass innerhalb des Anwendungsbereichs der BIT vertragsgemäße Enteignungen anerkannt werden sollten, entspricht allgemeiner Auffassung.445 Es geht aber über das allgemein Akzeptierte hinaus, vertragswidrige Enteignungen nie anzuerkennen.446 Auf dem Boden des Gebietsgrundsatzes würden nämlich auch BIT-widrige intraterritoriale Enteignungen vorbehaltlich des ordre public anerkannt werden. Ein solcher Fall war allerdings von den deutschen Gerichten – soweit ersichtlich – noch nicht zu entscheiden. Auch außerhalb des Anwendungsbereichs der BIT unterscheiden sich die Ergebnisse dieses Ansatzes teilweise von denjenigen, welche die überwiegend vertretene Auffassung auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes erzielt. Bei der folgenden Betrachtung soll nach den verschiedenen Enteignungsobjekten, also nach (1) dinglichen Rechten, (2) Forderungsrechten, (3) Immaterialgüterrechten und (4) Rechten von und an Gesellschaften, unterschieden werden. Zu (1): Kreuzer möchte entschädigungslose Enteignungen intraterritorialer dinglicher Rechte nie anerkennen. Dies begründet er über die deutsche Praxis der BIT und außerhalb des Anwendungsbereichs der BIT unmittelbar mit dem Grundgesetz.447 Der von der herrschenden Meinung vertretene Gebietsgrundsatz ist hier nicht so streng und anerkennt solche Enteignungen vorbehaltlich des ordre public.448 Wie man aber an den Modifizierungen AmbroschKeppelers sieht, ist das Ergebnis nicht zwingend durch den Ansatz vorgezeichnet. Sie möchte die erschwerten Anerkennungsvoraussetzungen Kreuzers nämlich bei intraterritorialen Enteignungen dinglicher Rechte nicht anwenden, da der Enteignungsstaat hier ausschließlich zuständig sei.449 Die Ergebnisse Ambrosch-Keppelers decken sich bei intraterritorialen Enteignungen dinglicher Rechte daher mit denjenigen der herrschenden Ansicht.
444
Zum berechtigten Bedürfnis, Enteignungen dinglicher Rechte nach anderen Regeln zu behandeln als etwa die Enteignung einer Forderung, ausführlich unten § 18 I. 445 Siehe oben § 7 III. 446 So aber Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 242; dazu, dass die BIT die Anerkennung BIT-widriger Enteignungen freistellen, oben § 7 IV, V. 447 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 17, 35 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 448 Völkergewohnheitsrechtswidrige Enteignungen sollen dagegen nach der in der Literatur überwiegend vertretenen Ansicht nicht anerkannt werden, vgl. unten § 15 I. 449 Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 235, 242 f. (sonst würden die deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen verabsolutiert, was einen Eingriff in den Handlungsspielraum des Enteignungsstaates darstelle).
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Enteignungen von Rechten an außerhalb des Enteignungsstaates befindlichen Sachen möchte Kreuzer wie die herrschende Meinung grundsätzlich nicht anerkennen.450 Zu (2): Die entschädigte Enteignung einer Forderung ist nach Kreuzer anzuerkennen, wenn der Gläubiger seinen ständigen Aufenthalt im Enteignungsstaat hat.451 Ambrosch-Keppeler möchte im Sinne einer konkurrierenden Zuständigkeit zusätzlich auf den ständigen Aufenthalt bzw. effektiven Verwaltungssitz des Schuldners abstellen.452 Hier wird von Personalhoheit des Enteignungsstaates gesprochen. Die Kriterien sind aber bei näherer Betrachtung personal-territorial.453 Sind die aufgestellten hohen Voraussetzungen erfüllt, erfolgt eine absolute Anerkennung der Enteignung.454 Der Enteignungsbegünstigte ist also auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Inhaber der Forderung und kann sie in Deutschland einklagen. Nach dem Gebietsgrundsatz hingegen soll eine Forderungsenteignung nach manchen „anerkannt“ werden, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz im Enteignungsstaat hat, nach anderen, wenn sich dort „Schuldnervermögen“ befindet.455 Mit einer solchen „Anerkennung“ ist aber kein Anspruch des Enteignungsbegünstigten vor deutschen Gerichten verbunden, sondern nach der Wohnsitzlösung nur die Frage berührt, ob der Schuldner dem Altgläubiger gegenüber frei wird; nach der Schuldnerrechtelösung hingegen nur Fragen der Rechtsverkehranerkennung. Es gibt keine absolute Anerkennung von Forderungsenteignungen nach dem Gebietsgrundsatz.456 Die Frage, ob der Schuldner nach einer entschädigungslosen Enteignung frei wird, stellt sich (nach Nichtanerkennung) aber auch für Kreuzer.457 Auch er wird, wie die herrschende Auffassung, dabei wohl letztlich auf die Gefahr der doppelten Inanspruchnahme des Schuldners abstellen müssen. Auch andere Fragen, die auf dem (durch die Nichtanerkennung bewirkten) Hinken des Rechtsverhältnisses beruhen, muss Kreuzer beantworten. Im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche ist nämlich die Anerkennung mancher Enteignungen geboten, die Kreuzer nicht „anerkennen“ möchte.458 Es klingt verwunderlich: Kreuzer dürfte daher bei Forderungsenteignungen, die seine hohen Anerken-
450
MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 51 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (bei Verkehrsmitteln dagegen möchte er auf den Staat der Registrierung oder des gewöhnlichen Aufenthalts abstellen). 451 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 58 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 452 Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 235. 453 Zur Unterscheidung oben § 13 I 1, 3. 454 Siehe zur absoluten Anerkennung von Forderungsenteignungen auch unten § 19 I. 455 Siehe unten § 17. 456 Siehe näher unten § 18 I 1. 457 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 62 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 458 Siehe zur Rechtsverkehranerkennung oben § 11 II.
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nungsvoraussetzungen nicht erfüllen, dasselbe Ergebnis erreichen, zu dem die herrschende Meinung auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes gelangt. Doch dürften sich auch bei solchen Forderungsenteignungen, die die hohen Kreuzerschen Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen, keine nennenswerten Abweichungen ergeben. Zunächst kommen solche Enteignungen in der Praxis ohnehin kaum vor.459 Wenn doch einmal, dann wird man auch nach dem Gebietsgrundsatz wohl keine Bedenken haben, die Zahlungsklage des gegen volle Entschädigung enteigneten Altgläubigers (notfalls über § 242 BGB) abzuweisen und den Neugläubiger als Forderungsinhaber zu betrachten.460 Damit unterscheiden sich die Ergebnisse dieses Ansatzes bei Forderungsenteignungen nicht von denjenigen der herrschenden Meinung, sei die Forderungsenteignung entschädigt oder entschädigungslos. Das verwundert. Zu (3): Bei Immaterialgüterrechtsenteignungen bestimmt Kreuzer die räumlichen Anerkennungsgrenzen wie die herrschende Meinung.461 Der Schutzstaat sei international zuständig. Aufgrund der hohen Anerkennungsvoraussetzungen dürfte es aber, beispielsweise bei entschädigungslosen Enteignungen, auch hier nicht zu einer Anerkennung kommen. Damit erreicht Kreuzer ein anderes Ergebnis als die herrschende Meinung. 462 AmbroschKeppeler dagegen möchte bei der Enteignung von Immaterialgüterrechten auf die hohen Anerkennungsvoraussetzungen Kreuzers verzichten, weil der Enteignungsstaat ausschließlich international zuständig sei.463 Sie dürfte damit zu denselben Ergebnissen wie die herrschende Meinung gelangen. Zu (4): Kreuzers Ansatz erlaubt es, unter den dargestellten Voraussetzungen Gesellschaftsenteignungen durch den Sitzstaat auch hinsichtlich solcher Rechte der Gesellschaft anzuerkennen, deren einzelne Enteignung nicht anerkannt würde.464 Dieses Ergebnis kann bei entsprechender Auslegung auch auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes erzielt werden.465 3. Ergänzung bei verändertem Umfeld
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Kreuzer verwendet den Terminus der internationalen Enteignungszuständigkeit. Dies wird – soweit ersichtlich – nur von Stoll und diesem folgend nun-
459
Das räumt auch MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 58 a.E. zu Art. 38 EGBGB Anh. III ein. Vgl. zur absoluten Anerkennung von Forderungsenteignungen unten § 19 I. 461 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 63 a.E. zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 462 Zur Behandlung fremdstaatlicher Immaterialgüterrechtsenteignungen nach dem Gebietsgrundsatz unten § 20. 463 Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 232. 464 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 31 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 234, 239 ff. 465 Einzelheiten sind stark umstritten, eingehend unten § 22. 460
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
mehr auch von Mansel angegriffen.466 Es geht dabei nicht um die weitere467 völkerrechtliche Zuständigkeit468 oder die interne Zuständigkeit nach der Rechtsordnung des Enteignungsstaates469. Die hier gemeinte Zuständigkeit des Enteignungsstaates ergibt sich vielmehr erst aus der internationalenteignungsrechtlichen Zuständigkeitszuschreibung durch das deutsche Recht. Der Begriff der Zuständigkeit ist freilich auch im Rahmen des Gebietsgrundsatzes durchaus gebräuchlich; die Zuständigkeit ergibt sich dann aus der Belegenheit des Enteignungsobjektes.470 Der Ausdruck ist nur einer terminologischen Vorliebe geschuldet und für die Ergebnisse ohne jede Bedeutung. Gegen Kreuzers Ansatz werden auch grundsätzlichere Bedenken erhoben. So wird schon die Herleitung der Anerkennungsvoraussetzungen kritisiert. Zum einen passe die Anlehnung an § 328 ZPO nicht auf Legislativenteignungen.471 Zum anderen regele die zivilverfahrensrechtliche Norm des § 328 ZPO das horizontale Verhältnis zwischen Privaten. Enteignungen aber hätten die vertikale Beziehung zwischen Hoheitsträger und Betroffenem zum Gegenstand.472 Es gehe zwar in beiden Fällen um die Übernahme von Wir466
Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 199, 203 zu IntSachenR; ders., in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 81; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 32 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 467 Allgemein König, Anerkennung, 1965, 44 f. 468 Zu dieser oben § 4 II 3. 469 Diese kann im Rahmen der Rechtmäßigkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates (dazu unten § 14 I) eine Rolle spielen, sofern man sie, anders als MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 37 zu Art. 38 EGBGB Anh. III, prüfen möchte. 470 Ausdrücklich oder selbstverständlich von Zuständigkeit, besonders bei Administrativenteignungen, sprechen Weiß, Anerkennung, 1932, 16 f.; Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 278, 290 f.; Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 248, 252 f. et p.; Duden, FS Raape 1948, 120; Wengler, RabelsZ 16 (1951) 21; Niederer, FS Lewald 1953, 553; ders., SchwJahrbIntR XI (1954) 95, 102; Seidl-Hohenveldern, Friedenswarte 53 (1955/56) 18 (völkerrechtlich verstanden); Lewald, RabelsZ 21 (1956) 136 f.; Geck, in: Schlochauer u.a. (Hrsg.), WBdVR, Bd. I, 1960, 56 l.Sp.; Jungfleisch, Konfiskation, 1961, 21, 63 (völkerrechtlich); Raape, IPR, 1961, 16, 675; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 22 (völkerrechtlich); Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 84, 86 et p.; Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 164 f.; Huwyler, Personen, 1989, 60, 89 et p.; Korte, Anerkennung, 1992, 75 ff.; MüKo-Ebenroth, 1999, Rn. 876 zum IntGesR; Hartung, Kunstraub, 2005, Kapitel 6 E IV I, S. 375; Berentelg, Act of State, 2010, 183, 260; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 12 f., 38 ff. zu Art. 46 EGBGB Anh.; MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 410 zu Einl. IPR; unklar MüKo-Kindler, 2015, Rn. 962 zum IntGesR (die kompetenzbegründende Belegenheit sei maßgeblich, da der Gebietsgrundsatz zu unscharf sei); auch im französischen Recht wird von „compétence internationale“ gesprochen, siehe Mayer/Heuzé, Droit, 2014, Rn. 704 f. 471 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 141 zu § 4, S. 301. 472 So Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 6 Fn. 11 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Spickhoff, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 289; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 13 zu Art. 46 EGBGB und MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 21 zu Art. 46 EGBGB Anh.; vorsichtiger Berentelg, Act of State, 2010, 185 (die Interessen seien ähnlich,
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kungen fremder Hoheitsakte, doch würden Entscheidungen über private Streitigkeiten durch unabhängige Gerichte im Inland leichter anerkannt als politisch motivierte Hoheitsakte.473 Ferner orientiere sich die inzidente Anerkennung einer Enteignung an anderen Prinzipien als die letztlich der Vollstreckung dienende Urteilsanerkennung.474 Diese Argumente gegen Kreuzer sind beachtlich. Sie überzeugen aber nicht. Kreuzer ist sich nämlich dieser – übrigens durchaus auf der Hand liegenden – Einwände selbst bewusst und diskutiert sie ausführlich.475 Der Einwand etwa, dass dem Privatrecht dienende Akte leichter anerkannt würden, ist bereits in sich nicht schlüssig. Eine leichtere Anerkennung ist nämlich geradezu Ausgangspunkt von Kreuzers Erst-recht-Schluss. Seine Gegner müssten vielmehr nachweisen oder zumindest behaupten, dass dem Privatrechtsverkehr dienende Akte aus anderen Gründen anerkannt werden und die Voraussetzungen daher nicht passen. Überdies möchte auch Kreuzer § 328 ZPO nicht analog anwenden. Er lehnt sich nur sehr vorsichtig an die Vorschrift an. Besonders im Vergleich zu anderen Auffassungen, einschließlich der herrschenden, fällt auf, dass Kreuzer immerhin überhaupt bei der Regelbildung die Nähe zu parlamentarisch verabschiedeten Gesetzen sucht. Andere Auffassungen hantieren dagegen eher „freihändig“. Doch selbst dann, wenn der – nur der Konstruktion dienende – Erst-recht-Schluss erfolgreich angegriffen werden könnte, ist Kreuzer noch nicht widerlegt. Dazu müsste nachgewiesen werden, dass gerade die einzelnen Voraussetzungen und Ergebnisse untauglich sind.476 Methodisch aber ist gegen eine so vorsichtige Anlehnung an § 328 ZPO nichts einzuwenden. Wesentlich für Kreuzers Anerkennungsvoraussetzungen sind freilich nicht so sehr die Anlehnung an § 328 ZPO, sondern die Wertungen der BIT. Diese seien bei der autonomen Regelbildung zu berücksichtigen, da sich in ihnen die Auffassung des Bundesgesetzgebers konkretisiert habe.477 Leider begründet Kreuzer aber nicht hinreichend, weshalb die Regeln, die er den BIT entnehmen möchte, auch außerhalb des Anwendungsbereichs der BIT gelten sollen und wieso die BIT das Grundgesetz – und das auch außerhalb des Anim internationalen Enteignungsrecht gebe es nur eine Schwerpunktverlagerung auf Staatsinteressen). 473 So auch MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III selbst; ferner Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 11 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 474 MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 21 zu Art. 46 EGBGB Anh.; dagegen Berentelg, Act of State, 2010, 186 (die ZPO trenne strikt zwischen Anerkennung und Vollstreckung; gerade bei Gestaltungsurteilen sei eine Anerkennung ohne Vollstreckung sinnvoll). 475 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 476 Einen ausführlichen Vergleich zwischen dem internationalen Enteignungsrecht und § 328 ZPO hat jüngst Berentelg, Act of State, 2010, 180 ff. vorgelegt. 477 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 zu Art. 38 EGBGB Anh. III.
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wendungsbereichs des BIT – konkretisieren sollen. Die Geltung der Anerkennungsvoraussetzungen im BIT-freien Raum ist denn auch durchaus zweifelhaft; der Enteignete hat dann nämlich keine Möglichkeit, sich an ein unabhängiges Schiedsgericht zu wenden. Er ist vielmehr auf den innerstaatlichen Rechtsweg des Enteignungsstaates verwiesen. Die BIT betreffen zudem nur den wirtschaftlichen Verkehr, da sie eine zugelassene Kapitalanlage voraussetzen.478 Es müsste begründet werden, wieso ihnen auch für Fälle außerhalb des wirtschaftlichen Verkehrs eine Ausstrahlungswirkung zukommen soll. Überzeugender wäre es gewesen, wenn sich Kreuzer gleich auf das Grundgesetz berufen hätte.479 Alle Ergebnisse, die Kreuzer erzielt, können mühelos auch auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes erreicht werden. Der Kreis der anerkennungsfähigen Enteignungen soll zwar über die Territorial- und über die Personalhoheit bestimmt werden. Diese „Personalhoheit“ begründet aber ein territoriales Kriterium, da es nur auf eine räumliche Beziehung des Enteignungsstaates zu einer Person ankommen soll. In der Sprache des Gebietsgrundsatzes lässt sich diese Personalhoheit daher in eine schlichte Lokalisierungsregel übersetzen.480 Die konkreten Ergebnisse unterscheiden sich jedoch – wie bereits untersucht – teilweise von denjenigen, die der Gebietsgrundsatz in seiner herrschenden Auslegung erzielt.481 Dabei muss man dem Ansatz sein deduktives Vorgehen vorwerfen. Denn es wird nicht hinreichend auf die praktischen Konsequenzen der vorgeschlagenen Anerkennungsregeln geschaut. So ist es zu streng, entschädigungslose Enteignungen intraterritorialer dinglicher Rechte – ohne Rücksicht darauf, ob und durch wen die Sache verbracht wurde – stets nicht anzuerkennen.482 Bis zu einer Verbringung der Sache aus dem Enteignungsstaat geht es schließlich nur um die Rechtsverkehranerkennung im Drittinteresse. Diese aber kann schwerlich von Kreuzers hohen Anerkennungsvoraussetzungen abhängen.483 Auch die Ergebnisse bei Immaterialgüterrechtsenteignungen nach Kreuzers Ansatz sind nicht sachgerecht, da entschädigungslose Immaterialgüter478
Vgl. Art. 2 Abs. 1 MV; dazu oben § 7 I a.E. So geht Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 241 vor, wenn der Enteignungsstaat konkurrierend zuständig sei, was bei Enteignungen von Gesellschaften mit Auslandsvermögen und bei Enteignungen von Forderungen, sofern Schuldner und Gläubiger in verschiedenen Staaten ihren ständigen Aufenthalt hätten, der Fall sei. Die Anerkennungsvoraussetzungen seien dann: (1) keine Diskriminierung, (2) eine qualifizierte Entschädigung und (3) die Gewährleistung angemessenen Rechtsschutzes. 480 Vgl. schon § 13 I 1, 3. 481 Siehe soeben § 13 V 2. 482 Siehe zu den nötigen Unterscheidungen unten § 16. 483 Vgl. zur Rechtsverkehranerkennung bei der Enteignung dinglicher Rechte oben § 11 II 2 und unten § 16 I. 479
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rechtsenteignungen auch für Handlungen auf dem Gebiet des Enteignungsstaates nicht anerkannt werden könnten.484 Die in der Sache gebotene „Anerkennung“ der herrschenden Meinung entspricht hier aber ohnehin nur der Rechtsverkehranerkennung und kann ebenfalls nicht von den hohen Anerkennungsvoraussetzungen abhängen. Hier wären verschiedene Anerkennungsbegriffe zu unterscheiden gewesen.485 Auf die Folgen des Hinkens des Rechtsverhältnisses, also hier auf die Rechtsverkehranerkennung, geht der Ansatz ebenfalls nicht ein. Ambrosch-Keppeler dagegen bemüht sich zwar um mehr Differenzierung und erreicht bei Enteignungen von dinglichen Rechten und von Immaterialgüterrechten (sie spricht in diesen beiden Fällen von einer ausschließlichen Zuständigkeit des Enteignungsstaates) sachgerechte Ergebnisse. Doch indem sie zwischen ausschließlicher und konkurrierender Zuständigkeit des Enteignungsstaates und nicht nach Anerkennungsbegriffen und -gründen unterscheidet, stößt sie nicht zu den eigentlichen Fragen vor. Sie hält vielmehr an einer durch Deduktion gewonnenen Unterscheidung fest, die die Sachfragen nicht ausreichend in den Blick nimmt. In der für die Gerichtspraxis wichtigsten 486 Fallgruppe, derjenigen der Forderungsenteignung, jedoch gelangt Kreuzer überraschenderweise zu ähnlichen Ergebnissen wie die herrschende Meinung.487 Dies liegt daran, dass Kreuzer nur solche Enteignungen behandelt, die seine hohen Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen. Diese sind aber gerade nicht die Fälle, auf welche die herrschenden Entscheidungsregeln gemünzt sind. Kreuzer und die herrschende Meinung reden also gewissermaßen aneinander vorbei. Es scheint etwa zwar recht rigoros, wenn Kreuzer die Nichteinhaltung seiner hohen Anerkennungsvoraussetzungen stets mit Nichtanerkennung sanktionieren möchte. Bei Forderungen etwa dürfte dies freilich nicht weiter auffallen, da hier auch die herrschende Meinung im Ergebnis nicht im eigentlichen Sinne „anerkennt“.488 Auch hier gälte es, verschiedene Anerkennungsbegriffe zu unterscheiden. Kreuzer führt nun ferner für seine Auffassung an, dass durch die genaueren Anerkennungsvoraussetzungen eine Berufung auf den ordre public weitgehend entbehrlich werde.489 Dies erlaube es ihm, nicht anzuerkennen, ohne dem Enteignungsstaat einen Vorwurf zu machen.490 Beides überzeugt nicht. 484
Näher unten § 20. Siehe zur Abgrenzung der absoluten Anerkennung von der Rechtsverkehranerkennung oben § 11 II. 486 Vgl. oben § 2. 487 Siehe näher oben § 13 V 2. 488 Ausführlich zum Begriff der Anerkennung bei Forderungsenteignungen unten § 18 I 1. 489 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 37, 53 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 490 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 17 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 485
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Es ist erstens schon fraglich, ob mit der Feststellung der Ordre-publicWidrigkeit ein größerer Vorwurf verbunden ist als mit der Feststellung, dass die in einem positiven Katalog aufgeführten Mindestvoraussetzungen nicht erfüllt sind. Zweitens stimmt es zwar, dass der ordre public nicht mehr bemüht werden müsste; dies aber nur, weil fast alle fremdstaatlichen Enteignungen, wie sie in der Praxis vorkommen, pauschal nicht anerkannt würden. Die gewonnene Rechtssicherheit wäre teuer erkauft, wenn beispielsweise entschädigungslose Enteignungen fortan schlichtweg ignoriert würden. Sollten sich freilich in Zukunft die Umstände, unter denen fremde Staaten enteignen, ändern, könnte Kreuzers Ansatz größere Beachtung finden. Indem er jedoch nur bestimmte Enteignungen, die in besonderem Maße anerkennenswert sind, im Blick hat, ist sein System hinsichtlich der Vielfalt möglicher Enteignungen ebenso einseitig wie der Gebietsgrundsatz der herrschenden Meinung. Auf die Fälle, die die Rechtsprechung bisher zu entscheiden hatte, antwortet er recht streng: Unter der Masse der bisher durch die deutschen Gerichte beurteilten fremdstaatlichen Enteignungen befand sich wohl noch keine, welche den hohen Ansprüchen des Kreuzerschen Anerkennungssystems genügt hätte. Eine stete Nichtanerkennung ist zwar auch eine Lösung. Das System ist aber dafür, dass es keinen realistischen Anwendungsbereich hat, zu komplex. Die Rechtsfragen, die sich aus dem nach Nichtanerkennung hinkenden Rechtsverhältnis ergeben, werden zudem leider völlig ausgespart. Der Vorstoß ist daher als Alternativvorschlag dem Gebietsgrundsatz jedenfalls nicht „in jeder Hinsicht überlegen“.491 Ein Abgehen vom Gebietsgrundsatz kann er nicht stützen. Kreuzers Ansatz hat denn auch nur seine Schülerin Ambrosch-Keppeler als Fürsprecherin gefunden. Ihm wird auch in Zukunft nicht gefolgt werden, jedenfalls nicht für alle denkbaren Enteignungen. Für die Anerkennung gewisser Enteignungen, die in einem besonderen Maße anerkennenswert sind, ist sein System aber eine ernsthaft zu erwägende Alternative zum Gebietsgrundsatz. Ob die Praxis jedoch einmal solche Fälle vor die deutschen Gerichte bringen wird, bleibt abzuwarten. VI. Stellungnahme 1. Kritik des Gebietsgrundsatzes
§ 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – VI 1
Das deutsche internationale Enteignungsrecht ist Richterrecht. Aus welchem Umfeld die Fälle stammen, anhand deren sich dieses Richterrecht herausgebildet hat, kann man am Gebietsgrundsatz ablesen. In einer Zeit ideologischer Gegensätze und der Spaltung der Welt in Ost und West wurde die sogenannte „Abwehrfunktion“ des internationalen Enteignungsrechts stark betont.492 491 492
A.A. ist Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 231. Zu dieser bereits §§ 1, 4 III 2.
§ 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – VI 1
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Doch Anfang der 1980er Jahre wehte aus Frankreich ein frischer Wind in die deutschen Studierstuben. Frankreich hat in dieser Zeit zahlreiche Unternehmen verstaatlicht, die in Frankreich ihren Sitz hatten, aber international tätig waren.493 Da Frankreich und Deutschland als Mitglieder der EWG eng verbunden und die Art und Weise der Enteignungen aus rechtsstaatlicher Sicht nicht zu beanstanden waren, entstand fast allgemein das Bedürfnis, die privatrechtsgestaltenden Wirkungen solcher Enteignungen auch ohne Anerkennungsgesetz oder völkerrechtlichen Anerkennungsvertrag in die deutsche Rechtsordnung zu übernehmen.494 Die deutschen Gerichte hatten allerdings keinen entsprechenden Fall zu entscheiden. Wohl deshalb ist es zu einem Paradigmenwechsel im Anerkennungssystem nicht gekommen. Der frische Luftzug aus Frankreich war diesmal nur eine leichte Brise. Das veränderte Umfeld blieb aber nicht folgenlos. Es hat neue dogmatische Ansätze hervorgebracht. Nennenswert sind vor allem die kurz vor den französischen Verstaatlichungen erschienene Monographie von Behrens, die wohl unter dem Eindruck der bevorstehenden Verstaatlichungen stand, und die Kommentierung von Kreuzer im Münchener Kommentar.495 Doch waren diese nicht die einzigen Gegner des Gebietsgrundsatzes. Kritik am Gebietsgrundsatz hat Tradition.496 So wird vorgebracht, dass der Gebietsgrundsatz, indem er allein auf die räumliche Lage abstelle, die eigentlichen Entscheidungsgründe nicht offenlege.497 Dieser Einwand vermag den 493
Zu den Hintergründen der französischen Verstaatlichungen v.Breitenstein, RIW/AWD 1982, 149 ff.; Coing, WM 1982, 378 f.; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 214 ff. und Burdeau, Verstaatlichungen, 1984. 494 Einzelheiten und Nachweise, auch zur Gegenansicht, unten § 22 I. 495 Siehe Behrens, Unternehmen, 1980 (zu ihm oben § 13 IV) und MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 16 f., 31, 35 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm soeben § 13 V). 496 Den Gebietsgrundsatz kritisieren Reichert, WM 1961, 5, 11; Stöcker, WM 1965, 451; ders., WM 1966, 749 f. Fn. 25; Beemelmans, WM 1966, 672 (mit völkerrechtlichen Grundsätzen vermengend); Frank, RabelsZ 34 (1970) 59; Fickel, AWD 1974, 585; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 72 ff.; Behrens, Unternehmen, 1980, 21; Lederer, Enteignung, 1989, 129, 135; ders., IPRax 1994, 146 l.Sp.; Sonnenberger, FS Rebmann 1989, 831; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 184 ff., 192; Korte, Anerkennung, 1992, 68 (ebenfalls mit völkerrechtlichen Grundsätzen vermengend); MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 407 ff., 410 zu Einl. IPR (der Gebietsgrundsatz sei untauglich oder überflüssig, je nachdem, ob er schon durch einzelne Anknüpfungselemente konkretisiert worden sei oder nicht). 497 Fickel, AWD 1974, 72 l.Sp., 585 l.Sp.; Hahn, FS Beitzke 1979, 493; Behrens, Unternehmen, 1980, 34, 120 (der Gebietsgrundsatz führe zu Problemverschiebungen; die eigentlichen Konflikte würden nicht erkannt und gelöst); Herdegen, ZGR 20 (1991) 549 (dürftiges Begründungssurrogat); MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 17 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 19 zu Art. 46 EGBGB Anh.; ebenso die Vertreter des Gebietsgrundsatzes Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 234 (der Begriff sei mehrdeutig und liege „wie ein Schleier über der wirklichen Sachlage“; klarer sei der Machtgedanke [zur Machtlehre oben § 12 II 1–3]).
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
Gebietsgrundsatz jedoch noch nicht zu Fall zu bringen. Dass nämlich eine Regel, die ihr zugrunde liegenden Wertungen nicht gleich zu erkennen gibt, bedeutet nicht, dass ihr keine Wertungen zugrunde lägen.498 Alle Wertungen, die eine Norm stützen, müssen nicht gleich zu Tatbestandsvoraussetzungen erhoben werden und somit aus ihr ersichtlich sein. Die Wertungen bedürfen oftmals der Herleitung und Erläuterung. Gegen den Gebietsgrundsatz wird darüber hinaus angeführt, die Unterscheidung zwischen intraterritorialen und extraterritorialen Enteignungen sei irreführend. Es gehe nämlich bei der Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen – seien sie nun intra- oder extraterritorial – immer um eine Übernahme der Wirkungen in die deutsche Rechtsordnung.499 Der Einwand ist berechtigt. Doch beruht die Irreführung nicht so sehr auf dem Gebietsgrundsatz als vielmehr auf suggestiven Begriffen wie „ergreifen“, „an den Grenzen enden“ und der „Macht“ des Enteignungsstaates.500 Für den Gebietsgrundsatz wird in die Waagschale geworfen: Indem er ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre entspreche, gewährleiste er Rechtssicherheit und internationale Ordnung.501 Er sei griffig und klar in der Anwendung.502 Diese Argumente überzeugen nicht. Die Sehnsucht nach einem schneidigen Prinzip wird bei näherem Hinsehen nicht befriedigt. Der Gebietsgrundsatz ist nur Basis für weitere Überlegungen, eine Arbeitsgrundlage.503 Im Detail herrscht durchaus Unsicherheit. Insofern der Gebietsgrundsatz bewusst stark vereinfacht, wandelt sich überdies seine einfache Form zu einem großen Nachteil: Die Anerkennung gewisser Enteignungen, die bei einer auf einzelne Rechte bezogenen Betrachtung in der Sprache des Gebietsgrundsatzes extraterritorial sind, wird allge-
498 Siehe etwa BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 124 (Bodenreform I) („[d]ie Geltung des Territorialitätsprinzips beruht insoweit auf dem Interesse an internationaler Ordnung [...], der auch die Verfassungsordnung der Bundesrepublik verpflichtet ist“); Einsele, RabelsZ 51 (1987) 618 (der Gebietsgrundsatz sei Ausdruck des je nach Inlandsbezug graduell abgestuften Geltungsanspruchs der Grundrechte; sie selbst sieht den Gebietsgrundsatz jedoch in Gefahr und bezeichnet ihn als noch herrschende Meinung, a.a.O., S. 614). 499 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 17 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ebenso MüKoWendehorst, 2015, Rn. 19 zu Art. 46 EGBGB Anh. 500 Zur Begriffskritik ausführlich oben § 4 III 2; zur Machtlehre oben § 12 II 1–3. 501 MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 20 zu Art. 46 EGBGB Anh. 502 So Seidl-Hohenveldern, FS Kegel 1977, 265, 272; ähnlich Großfeld, Unternehmensrecht, 1995, Q § 9 II, S. 314 (die Nichtanerkennung von Gesellschaftsenteignungen hinsichtlich des Auslandsvermögens wirke zwar anfangs scharf, verringere aber langfristig die internationalen Spannungen); siehe auch Berentelg, Act of State, 2010, 166 f. (der Gebietsgrundsatz sei pragmatisch und er erreiche einen angemessenen Interessenausgleich). 503 Ebenso MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 22 zu Art. 46 EGBGB Anh., nach der es aber nicht angezeigt ist, „auf gänzlich abweichender Grundlage zu arbeiten.“
§ 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – VI 2
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mein als erwünscht betrachtet, ist aber auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes nur schwer zu erreichen.504 Ein Abrücken vom Gebietsgrundsatz ist aber insbesondere deshalb schwierig, weil sich die soeben behandelten Alternativvorschläge in der Diskussion nicht durchsetzen konnten. Es wurde denn auch in der Tat kein überlegenes Konzept vorgestellt.505 Der Abschied vom Gebietsgrundsatz, den viele, auch Vertreter, in den 1980er Jahren eingeleitet sahen, wurde nicht vollzogen. Vielmehr kann der Gebietsgrundsatz heute wieder als gefestigt angesehen werden, zumal ihm die Kommentierungen in den drei maßgeblichen Großkommentaren folgen und er inzwischen auch vom BVerfG gebilligt wurde.506 Bei entsprechender Auslegung der Tatbestandsmerkmale, insbesondere bei der Bestimmung der Belegenheit, ist er flexibler, als es zunächst scheint. Er ist sogar nicht nur flexibel, sondern der Ausgestaltung und Konkretisierung geradezu bedürftig.507 Er ist keine umfassende und erschöpfende Regel. Sich für den Gebietsgrundsatz zu entscheiden, legt das Ergebnis noch nicht fest.508 Daher verwundert es nicht, dass die zentralen Sachfragen nach wie vor äußerst umstritten sind. Sie sollen im sich nun anschließenden besonderen Teil dieser Schrift zunächst auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes erörtert werden. Die Stellschrauben sind dabei insbesondere die Bestimmung der Belegenheit sowie die Einschränkungen.509 2. Unterscheidung nach Art der Enteignungsobjekte und -umstände § 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – VI 2
Es soll also auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes weitergearbeitet werden. Er muss indes auch kritisch gewürdigt werden. Aufgrund des Mangels an überzeugenden Alternativvorschlägen fällt es schwer, sich vom Gebietsgrundsatz zu lösen. Dies ist aber nötig. Dabei muss man freilich behutsam auf den zutreffenden Kern des Gebietsgrundsatzes achten. Kurz: Es gilt, den 504
Ähnlich die Kritik von Stöcker, WM 1965, 451, der gerade das Fehlen einer Notstandsklausel zur Anerkennung extraterritorialer Enteignungen bemängelt. 505 So auch Spickhoff, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 289; Berentelg, Act of State, 2010, 166; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 20 f. zu Art. 46 EGBGB Anh.; siehe schon Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 686 (der Gebietsgrundsatz habe institutionell bedingte Schranken, sei aber nicht ganz aufzugeben). 506 BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 123 f. (Bodenreform I); Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 1 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 1 ff. zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 13 zu Art. 46 EGBGB Anh. 507 Treffend MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 410 zu Einl. IPR; ferner Kegel/SeidlHohenveldern, FS Ferid 1978, 234 und Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 508 MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 12, 22 zu Art. 46 EGBGB Anh. 509 Zur Belegenheit dinglicher Rechte unten § 14 IV; zu den Einschränkungen unten § 15.
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3. Kapitel: Autonomes deutsches Recht
berechtigten Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes zu bestimmen.510 Verwunderlich ist, dass dies noch nicht geschehen ist. Bisher scheint es nur Befürworter oder Gegner des Gebietsgrundsatzes zu geben. Die „Wahrheit“ aber liegt dazwischen. Schwarz-Weiß-Lösungen sind der Vielfalt der Fallkonstellationen nicht angemessen. Es wird noch aufzuzeigen sein, dass der Gebietsgrundsatz nur für Enteignungen dinglicher Rechte tauglich ist.511 Bei der Enteignung von Forderungen und Immaterialgüterrechten dagegen genügt regelmäßig die relative Anerkennung (Rechtsverkehranerkennung).512 Bei der Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen ist nach den Enteignungsumständen zu unterscheiden.513 Es genügt jedoch noch nicht, lediglich nach der Art der Enteignungsobjekte zu unterscheiden. Es gibt bestimmte Enteignungen, die in einem besonderen Maße anerkennenswert sind. Die zusätzlichen Gründe, die bei diesen Enteignungen für eine Anerkennung sprechen, ergeben sich aus den Umständen der Enteignung. Welche Enteignungen darunter fallen, ist jedoch nicht leicht zu sagen und muss für die jeweiligen Enteignungsobjekte gesondert diskutiert und festgelegt werden. Die einzelnen Anerkennungskriterien, beispielsweise für Gesellschaftsenteignungen, wird die Rechtsprechung herauszubilden haben. Orientieren kann man sich dabei am Konzept Kreuzers, da er die klarsten und bestbegründeten Kriterien bietet.514 Ob ihm aber gefolgt werden wird, wenn einmal wider Erwarten ein Fall einer solchen Enteignung vor die deutschen Gerichte gelangt, und ob sich die Rechtsprechung überhaupt zur Dogmatik äußern wird, bleibt abzuwarten. Die Fragen nach gewissen Enteignungen, die in einem besonderen Maße anerkennenswert sind, betreffen vor allem die Enteignung von Forderungen und die Enteignung von Gesellschaften.515 Bei der Enteignung von Immaterialgüterrechten besteht ein solches Bedürfnis, nach den Enteignungsumstän510
Vgl. oben §§ 3, 12 V 2 und unten § 24 I 4; zur Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungsenteignungen unten § 18 I. 511 Unproblematisch ist der Gebietsgrundsatz für Enteignungen dinglicher Rechte allerdings nur dann, wenn sich die Sache zum Zeitpunkt der Enteignung außerhalb des Enteignungsstaates befunden hat (negativer Gebietsgrundsatz). Für den positiven Gebietsgrundsatz wird dagegen eine Reihe von Ausnahmen diskutiert, sei es in Form zusätzlicher materieller Anerkennungsvoraussetzungen (dazu unten § 14 I–III), sei es in Form von Einschränkungen aus Gründen, die in einem weiteren Sinne dem ordre public zuzuordnen sind (dazu unten § 15); zu den nach der in dieser Arbeit entwickelten Ansicht nötigen Unterscheidungen unten § 16. 512 Siehe zur Rechtsverkehranerkennung oben § 11 II, zudem für Forderungsenteignungen unten § 18 II 1, für Immaterialgüterrechtsenteignungen unten § 20 III. 513 Siehe unten §§ 22 I, 23 I 3. 514 Siehe soeben § 13 V. 515 Siehe zur absoluten Anerkennung gewisser entschädigter Forderungsenteignungen unten § 19 I; zur vollständigen Anerkennung gewisser entschädigter Gesellschaftsenteignungen unten § 22.
§ 13 Abweichende Lösungsansätze der Literatur – VI 2
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den zu unterscheiden, nicht.516 Bei der Enteignung von dinglichen Rechten spielt die Unterscheidung nach den Umständen der Enteignung nur eine geringe Rolle.517 Hervorzuheben, dass gewisse Enteignungen in einem besonderen Maße anerkennenswert sind, dient vor allem der Herausbildung eines umfassenden theoretischen Systems. Bei der Lösung praktischer Fälle hingegen sind solche Enteignungen kaum relevant, weil sie außerhalb von Gesellschaftsenteignungen nur selten vorkommen dürften. Doch auch über die Anerkennung insbesondere entschädigter Gesellschaftsenteignungen hatten die deutschen Gerichte noch nicht zu befinden. Daran liegt es wohl, dass die neueren Lehren kaum Anhänger gefunden haben und die herrschende Meinung ihr System noch nicht auf dessen berechtigten Anwendungsbereich hin überprüft hat.
516
Zur Enteignung von Immaterialgüterrechten unten § 20. Siehe zur herrschenden Meinung unten §§ 14 I–III, 15; zu den Unterscheidungen, die nach der in dieser Arbeit entwickelten Ansicht nötig sind, unten § 16 II 1, 2, III am Anfang. 517
Besonderer Teil
Die einzelnen Enteignungsobjekte
Kapitel 4
Dingliche Rechte § 14 Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes § 14 Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes – I
I. Rechtmäßigkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates Die fremdstaatliche Enteignung muss in der Rechtsordnung des Enteignungsstaates wirksam sein.1 Es gäbe sonst keine Wirkungen, die übernommen werden könnten. Von der Frage der Wirksamkeit zu trennen ist die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Enteignung.2 Es ist umstritten, ob die Enteignung mit dem einfachen Recht3 oder gar dem Verfassungsrecht4 des Enteignungsstaates in Einklang stehen muss. Richtigerweise ist zu unterscheiden:
1 Neumayer, RabelsZ 23 (1958) 585 f.; König, Anerkennung, 1965, 53 ff., 106; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 206 zu IntSachenR; Looschelders, IPR, 2004, Rn. 68 zu Art. 43 EGBGB; Berentelg, Act of State, 2010, 151 f. (es komme nicht allein auf die abstrakte Wirksamkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates an, sondern auf die tatsächliche Beurteilung durch dessen Organe), 262; Nomos-v.Plehwe, 2012, Rn. 58 zu Art. 43 EGBGB; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 11, 49 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 2 Richtig Berentelg, Act of State, 2010, 151; nicht deutlich genug unterscheiden dagegen Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 19 zu Art. 38 EGBGB Anh. III, Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 206 zu IntSachenR und nunmehr auch Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 11, 49 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 3 Dafür Ficker, Grundfragen, 1952, 86; Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 46 f.; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-132; Korte, Anerkennung, 1992, 97 ff.; Gertner, VIZ 1995, 391; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 19, 23 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 206 zu IntSachenR; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 49 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 3, S. 1101; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 28, 58 zu Art. 46 EGBGB Anh.; ähnlich König, Anerkennung, 1965, 53 ff., 85 f. – Dagegen prüft die Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit nicht, siehe insbesondere BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 123 (Bodenreform I) und OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee); aus der Literatur gegen eine Rechtmäßigkeitsprüfung Berentelg, Act of State, 2010, 150 (eine krasse oder offensichtliche Rechtswidrigkeit sei aber über den ordre public zu berücksichtigen), 150 Fn. 85 (das Vertrauen Dritter und des Rechtsverkehrs sei bei rechtswidrigen Enteignungen geringer zu bewerten), 263 f.; Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 159; Schulze, Recht, 1972, 204; Andrae, Eingriffe, 1990, 16; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 35 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III (die BIT sähen nämlich ebenfalls keine Rechtmäßigkeitsprüfung vor; er stellt allerdings sehr hohe Anerkennungshürden auf; zu ihm eingehend oben § 13 V); Kunz, IPR, 1998, Rn. 569.
§ 14 Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes – I
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Die Rechtswidrigkeit des Enteignungsaktes ist im Rahmen der Anerkennungsentscheidung jedenfalls unbeachtlich, wenn sie etwa aus Gründen der Rechtssicherheit die Wirksamkeit des Aktes im Enteignungsstaat nicht berührt und vor den Gerichten des Enteignungsstaates nicht geltend gemacht werden kann. Der Kontrollumfang in Deutschland sollte nicht weiter gehen, als die Rechtsschutzmöglichkeiten im Enteignungsstaat reichen.5 Wenn der Enteignungsstaat etwa ein Rechtsinstitut wie den Verwaltungsakt kennt, der in Deutschland trotz einfacher Rechtswidrigkeit (bis zur Grenze der Nichtigkeit, § 44 VwVfG) wirksam ist und wegen mancher Mängel trotz Rechtswidrigkeit auch nicht aufgehoben werden kann (§ 46 VwVfG), so muss die Wirksamkeit genügen. Ähnliche Vorschriften enthält das deutsche Recht etwa für Satzungen in den Gemeindeordnungen der Länder oder im BauGB. Schwieriger zu beurteilen ist die Lage, wenn die Enteignung aufgrund ihrer Rechtswidrigkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates unwirksam oder aufhebbar ist, die Staatsorgane des Enteignungsstaates sie aber als wirksam betrachten. Verbreitet wird vertreten, solche Enteignungen nicht anzuerkennen. Der Enteignungsstaat habe sich schließlich durch sein Recht selbst gebunden und ein berechtigtes Interesse daran, eine rechtswidrige Lage aufrechtzuerhalten, könne schwerlich bestehen.6 Der Enteignungsbegünstigte ist überdies bei rechtswidrigen Enteignungen weniger schutzwürdig als bei
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Die Verfassungswidrigkeit ist jedenfalls unbeachtlich, wenn sie auch vor den Gerichten des Enteignungsstaates nicht geltend gemacht werden kann: OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 356 (Indonesien, Tabak); LG Bremen vom 21.4.1959 (7 Q 13/1959), in: AWD 1959, 105 r.Sp. (Indonesien, Tabak); Münch, JahrbIntR 9 (1959/60) 88; Teich, WM 1976, 1325 r.Sp.; Behrens, Unternehmen, 1980, 39, 87; Lederer, Enteignung, 1989, 27 f.; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 237; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 23 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 206 zu IntSachenR; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 49 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. – Gegen eine Prüfung der Verfassungswidrigkeit Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 44; ders., IPRax 1996, 411 r.Sp. (eine Prüfung sei müßig und nutzlos); Korte, Anerkennung, 1992, 99 f. (eine etwaige Verfassungswidrigkeit sei nur erheblich, wenn sie im Enteignungsstaat verbindlich festgestellt worden sei; allerdings mit unzutreffender Begründung über Immunität); i.E. ähnlich Vannod, Fragen, 1959, 34 (der Enteignungsakt müsse im Enteignungsstaat als verfassungswidrig aufgehoben worden sein, damit die Verfassungswidrigkeit beachtlich werde). – Gewagt dagegen Neumayer, RabelsZ 23 (1958) 591 ff. (wenn die Entscheidung im Erlassstaat bei einem Verfassungsgericht monopolisiert sei, dieses aber noch nicht entschieden habe, dürfe der deutsche Richter die Tätigkeit des fremden Verfassungsgerichts nicht nachahmen; er müsse die Sache über das heimische höchste Gericht oder gar auf diplomatischem Wege dem Verfassungsgericht des Erlassstaates vorlegen). 5 Neumayer, RabelsZ 23 (1958) 588 f.; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 28, 58 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 20 zu Art. 46 EGBGB. 6 So Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 19 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; auch Gertner, VIZ 1995, 390 f.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
rechtmäßigen. Er trägt auch sonst das Risiko eines fehlerhaften Rechtserwerbs. Diese Argumente sind beachtlich. Doch prüft die Rechtsprechung die Rechtmäßigkeit der Enteignung zu Recht nicht. Das angeführte Gegenargument, der Enteignungsstaat habe sich selbst an sein Recht gebunden, überzeugt jedenfalls nicht, wenn zugleich behauptet wird, auch völkergewohnheitsrechtswidrige Enteignungen könnten anerkannt werden.7 Während der Enteignungsstaat sich nämlich an sein Recht (nur) selbst gebunden hat und die Bindung jederzeit aufheben kann, steht die völkerrechtliche Bindung an das Fremdenrecht nicht zur Disposition des Enteignungsstaates.8 Völkergewohnheitsrechtswidrige Enteignungen dürften dann erst recht nicht anerkannt werden. Da der Enteignungsstaat seine Rechtsordnung nach Belieben gestalten kann, ist es überdies nur eine organisatorische Nachlässigkeit, wenn er bei einer Enteignung gegen sein eigenes Recht verstößt. Der Enteignungsstaat könnte schließlich die Enteignungen mit Leichtigkeit für rechtmäßig erklären. Man könnte diesen Gedanken auch so ausdrücken, dass die Rechtswidrigkeit an sich für den Rechtsentzug nicht kausal war. Vor allem aber sollte der deutsche Richter die Enteignung deshalb nicht auf ihre Rechtmäßigkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates prüfen, weil dies geradezu den Beweggründen, die hinter dem Gebietsgrundsatz stehen, widerspräche. Bis zur Verbringung der Sache geht es nämlich nur um den Schutz Dritter.9 Nach Verbringung hingegen soll der Handel geschützt werden.10 Besonders verfehlt ist die Prüfung der Rechtmäßigkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates dann, wenn man den Gebietsgrundsatz auch auf Rechte an unkörperlichen Gegenständen anwenden möchte. Denn bei der „Anerkennung“ von Forderungsenteignungen geht es im Ergebnis nur um den Schuldnerschutz und die Rechtsverkehranerkennung, bei Immaterialgüterrechtsenteignungen nur um die Rechtsverkehranerkennung und bei entschädigungslosen Gesellschaftsenteignungen schließlich sind die Anerkennungsgrundsätze maßgeblich, die für eine einzelne Enteignung der Rechte der Gesellschaft gelten würden und bei denen also – wie soeben festgestellt – die Rechtmäßigkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates nicht geprüft werden sollte.11
7 Zur Anerkennung völkergewohnheitsrechtswidriger Enteignungen unten §§ 15 I, 16 III 2, 3. 8 Zum Fremdenrecht oben § 4 I. 9 Näher oben § 11 II 2 und unten § 16 I. 10 Vgl. dazu oben § 12 I 1. 11 Siehe zu Forderungsenteignungen unten § 18 I 3; zu Immaterialgüterrechtsenteignungen unten § 20 III; zu entschädigungslosen Gesellschaftsenteignungen unten § 23 I 3.
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Dass die Rechtmäßigkeit nicht geprüft wird, muss besonders dann gelten, wenn im Enteignungsstaat kein Rechtsschutz mehr möglich ist, weil der Enteignete es unterlassen hat, zumutbare Schritte einzuleiten. II. Entschädigung
§ 14 Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes – II
Für die Grundregel des Gebietsgrundsatzes ist es nach ganz herrschender Auffassung ohne Bedeutung, ob der Enteignungsstaat eine Entschädigung gezahlt hat oder nicht.12 Dennoch werden entschädigungslose Enteignungen verbreitet als Konfiskation bezeichnet.13 Begrifflich unterscheidet insbesondere das völkerrechtliche Schrifttum, was damit zusammenhängen dürfte, dass die entschädigungslose Enteignung eines Ausländers völkergewohnheitsrechtswidrig ist.14 Das internationalprivatrechtliche Schrifttum unterscheidet überwiegend nicht.15 Doch ist es im Rahmen der Einschränkungen auch für den Gebietsgrundsatz bedeutsam, ob entschädigt wurde oder nicht. Entschädigungslose Enteignungen intraterritorialer dinglicher Rechte können nämlich abweichend vom positiven Gebietsgrundsatz etwa aufgrund des ordre public nicht anerkannt werden. Die damit verbundenen Rechtsfragen sollen an späterer Stelle im Zusammenhang dargestellt werden.16 12 Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 10; Flume, FS Mann 1977, 144 f.; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-122; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 8 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 201 zu IntSachenR; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 132 zu § 4, S. 293; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 2, S. 1100; Berentelg, Act of State, 2010, 144 Fn. 44; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 14 zu Art. 46 EGBGB; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 24 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 13 Von Konfiskation sprechen BGH vom 31.3.1971 (VIII ZR 40/69), in: NJW 1971, 1515 (= BGHZ 56, 66) (Ungarn, ungarische Zentralbank gegen die Spaltgesellschaft der ungarischen Waggon- und Maschinenfabrik AG); Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 5; Beitzke, FS Raape 1948, 94 Fn. 3 (der Sprachgebrauch sei aber nicht einheitlich); Vannod, Fragen, 1959, 31; Birke, Konfiskation, 1960, 3 („[n]ach heute fast allgemein üblichem Sprachgebrauch“); Jungfleisch, Konfiskation, 1961, 18; Schricker, GRUR 1977, 436 l.Sp.; Hahn, FS Beitzke 1979, 491; Gloria, in: Ipsen (Hrsg.), VR, 2004, Rn. 16 zu § 47; Reinisch, in: Tietje (Hrsg.), IntWirtR, 2009, § 8 C, Rn. 58, S. 363; Dolzer, in: Vitzthum (Hrsg.), VR, 2013, 6. Abschnitt I 3 a, Rn. 43; pleonastisch unentschieden dagegen BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 90 (Bodenreform I) (entschädigungslose Konfiskation); ebenso Coing, WM 1982, 384 l.Sp. – Neben dem internationalenteignungsrechtlichen bestehen noch andere Konfiskationsbegriffe, die hier nicht gemeint sind, vgl. etwa Wolff, IPR, 1954, 68, 176 (Konfiskation bei Strafcharakter); Papier, NJW 1991, 194 (Konfiskation als Entziehung aus politischen Gründen) und Leisner, NJW 1991, 1572 r.Sp. f. (Konfiskation als personenbezogene Enteignung). 14 Siehe zum völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrecht oben § 4 I am Anfang. 15 Siehe beispielsweise Flume, FS Mann 1977, 144 f.; Behrens, Unternehmen, 1980, 13 Fn. 1 und MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 20 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 16 Zu den Einschränkungen der positiven Seite des Gebietsgrundsatzes bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 15.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
III. Selbständiges Vollziehungserfordernis 1. Abgrenzung zur Vollziehung als Wirksamkeitsvoraussetzung Ist eine Enteignung nach dem Recht des Enteignungsstaates erst wirksam, wenn der Enteignungsstaat sie vollzogen hat, kann vor dieser Vollziehung auch keine Wirkung in die deutsche Rechtsordnung übernommen werden. Auch hier gilt: Enteignungen, die im Enteignungsstaat nicht wirken, werden nicht anerkannt.17 Da aber nicht unmittelbar körperliche Bezugsobjekte, sondern Rechte an diesen, enteignet werden, muss der Enteignungsstaat keine Vollziehung vorsehen.18 Wann nach den Maßstäben des Enteignungsstaates eine etwaige Vollziehung vorliegt, wann also der Enteignungstatbestand vollendet ist, richtet sich selbstverständlich nach dem Recht des Enteignungsstaates.19 Dies ist unproblematisch. Sehr streitig ist dagegen die davon zu trennende Frage, ob das deutsche internationale Enteignungsrecht ein selbständiges Vollziehungserfordernis aufstellt.20 Nimmt man ein solches an, richtet sich seine Ausgestaltung nach deutschem Recht. Es wird dabei zur Vollziehung jedenfalls ein manifestie17
Vgl. dazu oben § 14 I am Anfang. Zur Unterscheidung zwischen Enteignungsobjekten und körperlichen Bezugsobjekten oben § 9 I 2. 19 So auch Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 206 zu IntSachenR und MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 20 Dafür ist die ständige Rechtsprechung, etwa OLG Köln vom 9.7.1996 (22 U 215/95), in: VIZ 1998, 217 (Liechtenstein, „Der große Kalkofen“ von Pieter van Laer); ferner Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 39 (sonst vollziehe erst der Anerkennungsstaat, was aber der public policy widerspreche „wie die Ausfolgung eines nach England geflohenen Sklaven an den Sklavenhalter“; eine Manifestation diene auch der Rechtssicherheit); Lewald, RabelsZ 21 (1956) 124 f.; Heiz, Recht, 1959, 248 (nur i.E.); Vannod, Fragen, 1959, 35, 42 [Schweiz] (nur bei Konfiskationen); Schulze, Recht, 1972, 76; Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 84; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 198, 206 f. zu IntSachenR (a.A. noch in Rn. 145 der Vorauflage); ders., IPRax 2003, 434 l.Sp. (nicht aber bei Grundstücken); Hartung, Kunstraub, 2005, Kapitel 6 E III 3, S. 373; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 161; jurisPK-dies., 2012, Rn. 51 zu Art. 43 EGBGB; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 11, 15 zu Art. 46 EGBGB; jurisPK-Teubel, 2014, Rn. 50 zu Art. 43 EGBGB; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 2, 9 ff., 48 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; vielleicht auch Berentelg, Act of State, 2010, 152 (zwar richte sich die Vollziehung nach dem Recht des Enteignungsstaates, jedenfalls sei aber eine Manifestation erforderlich), 265 (letztlich sei aber doch nur auf die rechtliche Lage im Enteignungsstaat abzustellen). – Dagegen sind Raape, IPR, 1961, 658 Fn. 8; AmbroschKeppeler, Anerkennung, 1991, 237 Fn. 78; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Armbrüster, NJW 2001, 3583; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 2, S. 1099 f.; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (allerdings bei abweichendem Ansatz mit sehr strengen Anerkennungsvoraussetzungen, zu ihm oben § 13 V); Anton, Kulturgüterverkehr, 2010, Rn. 132 zu Teil 3, S. 164; MüKoWendehorst, 2015, Rn. 37 zu Art. 46 EGBGB Anh. (etwas unklar); wohl auch Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 277. 18
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render Vorgang in der körperlichen Welt (Realakt) verlangt. Bei dinglichen Rechten müsse der Enteignungsstaat den Besitz an der Sache ergreifen.21 Bei unbeweglichen Sachen sei zusätzlich oder alternativ eine Umbuchung erforderlich. Der Vollzug kann nach teilweise vertretener Ansicht wieder aufgehoben werden, wenn sich der Enteignete im Enteignungsstaat den Besitz an der Sache (auch gewaltsam) wiederverschafft.22 Es stellt sich die Frage nach den Gründen für ein solches Vollziehungserfordernis. Vor der ausführlichen Behandlung dieses Streitpunktes ist in Erinnerung zu rufen, dass es im Anwendungsbereich eines BIT zur Anerkennung vertragsgemäßer Enteignungen keiner Vollziehung bedarf. Die speziellen Anerkennungsvoraussetzungen der BIT kennen kein Vollziehungserfordernis.23 2. Wertungsbezogene Argumente
§ 14 Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes – III 2
Hinter dem positiven Gebietsgrundsatz steht nach herrschender Meinung das Bestreben, den internationalen Handel zu schützen und Konflikte mit dem Enteignungsstaat zu vermeiden, also der Schutz der sogenannten internationalen Ordnung.24 Konflikte können durch Nichtanerkennung einer Enteignung aber auch dann entstehen, wenn der Enteignungsstaat die Sache noch nicht in Besitz genommen hat, die Enteignung also noch nicht vollzogen wurde. Fordert man zur Anerkennung der Umverteilung eine Vollziehung, welche die Rechtsordnung des Enteignungsstaates nicht vorsieht, so zwingt man ihn, seine Rechtsordnung ausländischen Vorstellungen anzupassen, wenn er seine Anordnungen auch im Ausland wirksam wissen möchte.25 Erfordert also der Schutz der internationalen Ordnung, auf ein selbständiges Vollziehungserfordernis zu verzichten? Dies wird teilweise vertreten.26 Freilich möchten auch die Gegner eines Vollziehungserfordernisses fremdstaatliche Enteignungen nicht grenzenlos anerkennen. Wieso ausgerechnet die Vollziehung keine Grenze sein soll, ist unklar. Stellt man ein selbständiges Vollziehungserfordernis auf, ist darin jedenfalls kein unzulässiger Druck zu erblicken. Das Völkerrecht stellt es den Staaten nämlich frei, ob und unter welchen Voraussetzungen sie Rechtswirkungen ausländischer Hoheitsakte in 21
Etwa Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 15 zu Art. 46 EGBGB; StaudingerMansel, 2015, Rn. 12 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 22 Dazu ausführlich unten § 16 II 2. 23 Näher oben § 7 III a.E. 24 Vgl. oben § 12 I. 25 Anders Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 198 zu IntSachenR (besonders die Ignorierung vollzogener Enteignungen sei völkerrechtlich bedenklich, zumindest international störend) und ebenso Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 10 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 26 Dafür sind Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III und Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 2, S. 1099 f.; dagegen ist nach Berentelg, Act of State, 2010, 152 eine Vollziehung nötig, da nur durch sie ein Faktum geschaffen werde, dessen Nichtanerkennung geeignet sei, zwischenstaatliche Verstimmungen herbeizuführen.
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ihre Rechtsordnung übernehmen wollen.27 Wenn Deutschland also die Wirkungen ausländischer Hoheitsakte unter bestimmten Voraussetzungen in die deutsche Rechtsordnung übernimmt, steht der Enteignungsstaat dadurch schon besser, als er es aus völkerrechtlicher Sicht hätte erwarten können. Allein der Hinweis auf die internationale Ordnung kann ein selbständiges Vollziehungserfordernis also nicht befriedigend begründen. Auch die Machtlehre führt in dieser Hinsicht nicht weiter. Wie bereits ausgeführt wurde, dürfte es im Hinblick auf Enteignungen dinglicher Rechte nur ein Irrtum sein, wenn sich eine verbreitet vertretene Auffassung auf die Machtlehre beruft, zugleich aber eine (stets intraterritoriale) Besitzergreifung als Vollziehung fordert.28 Lässt man diese Feststellung unberücksichtigt und untersucht die vertretenen Spielarten der Machtlehre, so sind zwei Positionen denkbar: So kann man es einerseits als ausreichend ansehen, wenn sich die Sache körperlich auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates befindet, der Enteignungsstaat also auf die Sache zugreifen könnte. Diese Forderung nach bloßer Vollziehbarkeit bedeutet die Ablehnung eines Vollziehungserfordernisses. Die Belegenheit würde genügen.29 Man könnte andererseits fordern, dass der Enteignungsstaat seine Macht tatsächlich durch Inbesitznahme der Sache ausübt. Der Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Macht ist in beiden Fällen der Lageort der Sache, weil der Enteignungsstaat hier auf die Sache zugegriffen hat beziehungsweise zugreifen könnte. Streitig ist nur der Grad der Betätigung dieser Macht. Eine so verstandene Machtlehre ist für beide Ansätze offen, kann also ebenfalls ein Vollziehungserfordernis nicht begründen.30 Verbreitet wird ein selbständiges Vollziehungserfordernis auf Vertrauenserwägungen gestützt. Erst wenn der Besitz an der Sache auf den Enteignungsbegünstigten übergegangen sei, trete die Enteignung eines dinglichen Rechts in der körperlichen Welt in Erscheinung und schaffe eine Vertrauensgrundlage für den Rechtsverkehr.31 Wenn der Enteignete den Besitz wiedererlange, werde auch die Vertrauensgrundlage wieder zerstört.32 Es ist allerdings bereits unklar, wieso überhaupt eine Vertrauensgrundlage für den Rechtsverkehr erforderlich sein soll. Der Gebietsgrundsatz anerkennt fremdstaatliche 27
Siehe die Nachweise oben § 4 I Fn. 6, 12, 16. Siehe oben § 12 II 2 und ferner unten § 14 IV 2. 29 Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 239 möchten dies begrifflich mit einem Verweis auf Luhmann erhärten, nach dem ausgeübte Macht keine mehr sei. 30 Im Gegenteil lehnt Kegel, der Hauptvertreter der Machtlehre, ein selbständiges Vollziehungserfordernis ab; ebenso die Fortführer seiner Werke: Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 2, S. 1099 f. und Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 31 Eine Vollziehung aus Vertrauenserwägungen fordern Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 198 zu IntSachenR; Berentelg, Act of State, 2010, 152 und Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 15 zu Art. 46 EGBGB. 32 So Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 207 zu IntSachenR; ausführlich dazu unten § 16 II 2. 28
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Enteignungen nicht deshalb, weil jemand auf den Bestand der Umverteilung vertraut hat.33 Doch selbst dann, wenn man diesen Schritt mitginge und eine Vertrauensgrundlage für erforderlich hielte, so wäre in einem nach dem Recht des Enteignungsstaates wirksamen Hoheitsakt jedenfalls eine ausreichende Vertrauensgrundlage zu erblicken. Auch diese Begründung kann daher nicht überzeugen. 3. Sonstige Argumente
§ 14 Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes – III 3
Schwächer als der Gesichtspunkt des Vertrauens, aber in die gleiche Richtung weisend, ist der Topos der Publizität. Doch kann man hinter dem selbständigen Vollziehungserfordernis eine Übertragung des im nationalen Sachenrecht des BGB geltenden Publizitätsprinzips auf das internationale Enteignungsrecht erblicken? Eine Analogie würde zumindest erklären, weshalb bei der Enteignung des Eigentumsrechts an einem Grundstück eine Umbuchung erforderlich sein soll; ferner, warum nur bei dinglichen Rechten eine tatsächliche Veränderung an einem körperlichen Objekt gefordert wird, nicht aber bei unkörperlichen Gegenständen.34 Sollte hinter dem internationalenteignungsrechtlichen Vollziehungserfordernis eine solche Übertragung bürgerlichrechtlicher Grundsätze stehen, wäre sie abzulehnen. Zum einen ist das Publizitätserfordernis schon im deutschen Privatrecht so stark aufgeweicht, dass man kaum mehr von einem Prinzip sprechen kann. Außerdem werden Enteignungen aus anderen Gründen anerkannt als denjenigen, die im nationalen Sachenrecht die Publizität erfordern. Das internationale Enteignungsrecht hat seine eigene Gerechtigkeit. Ähnlich der Publizitätsbegründung kann man versucht sein, das Vollziehungserfordernis als einen Ernsthaftigkeitsvorbehalt aufzufassen. Wenn der Enteignungsstaat etwa „allen Goldschmuck“ auf seinem Gebiet enteignet, ist unklar, ob diese Anordnung auf dem Papier genügt. Zu vage formulierte Eingriffsgesetze könnten die Rechtssicherheit gefährden, wenn man zur Anerkennung keine Vollziehung fordert.35 Den Anforderungen der Rechtssicherheit wird freilich eine enge Auslegung genügen.36 Sofern andererseits gerade dann Zufallsergebnisse befürchtet werden, wenn man die Anerkennung einer fremdstaatlichen Enteignung von ihrer Vollziehung abhängig macht,37 dürfte 33
Dazu oben § 12 IV 1. Siehe zum Vollziehungserfordernis bei Forderungsenteignungen unten §§ 17 II 3, 18 I 3. 35 Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 38 f. 36 Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 37 So Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 2, S. 1100 (Ausnahme: der Rechtssatz werde allgemein nicht befolgt; dann sei er kein Recht und damit unbeachtlich); ebenso Soergelv.Hoffmann, 1996, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (eine Enteignung sei kein Rechtssatz, wenn sie tatsächlich nicht durchführbar sei). 34
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die durch eine Vollziehung gewonnene Rechtssicherheit die Waagschalen wieder ausgleichen. Auch aus dem Begriff der Anwendung kann man kein überzeugendes Argument für oder gegen ein selbständiges Vollziehungserfordernis ableiten. Geht man davon aus, dass bei der Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen ausländisches Enteignungsrecht „angewendet“ wird, so spricht dies also nicht gegen ein selbständiges Vollziehungserfordernis.38 Der Ausgangspunkt ist schon zu unsicher: Derart technische Argumente überzeugen im noch unzureichend erschlossenen Gebiet des privatrechtlichen internationalen öffentlichen Rechts nicht.39 Es ist durchaus denkbar, dass das ausländische Enteignungsrecht eben nur dann angewendet wird, wenn der Enteignungsstaat die Enteignung vollzogen hat. Wenn die Vollziehbarkeit als Anwendungsvoraussetzung dienen kann, dann auch eine Vollziehung. Nur durch Besitzergreifung vollzogene Enteignungen dinglicher Rechte anzuerkennen, gerät aber in Konflikt mit der Behandlung anderer Enteignungsobjekte. Die Anforderungen an die Vollziehung sollen sich nämlich bei den verschiedenen Enteignungsobjekten unterscheiden. Zwar wurde nur vereinzelt gefordert, gewisse Enteignungen dinglicher Rechte auch dann anzuerkennen, wenn sich die Sache außerhalb des Enteignungsstaates befindet.40 Die herrschende Lehre möchte aber gewisse Gesellschaftsenteignungen vollständig, also auch etwa hinsichtlich (in der Sprache des Gebietsgrundsatzes) extraterritorialer dinglicher Rechte einer Gesellschaft, anerkennen.41 In Bezug auf diese Rechte ist die Enteignung aber nur in einem sehr abgeschwächten Sinne vollzogen; der Enteignungsstaat darf die außerhalb seines Hoheitsgebietes befindliche Sache aufgrund des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips42 nämlich nicht in Besitz nehmen. Im Vergleich zu diesen Gesellschaftsenteignungen scheint es nicht stimmig, bei intraterritorialen Enteignungen dinglicher Rechte für eine Anerkennung zu fordern, dass sich der Enteignungsstaat bereits in den Besitz gesetzt hat; zumal der Enteignungsstaat in diesem Fall mit dem Enteignungsobjekt noch stärker verbunden ist als der Sitzstaat einer Gesellschaft mit deren Rechten an außerhalb des Enteignungsstaates befindlichen Sachen. Den Widerspruch kann man mit einem holzschnittartigen Gebietsgrundsatz nur sehr vordergründig auflösen, indem etwa das Recht an der Gesellschaft (Anteilsrecht) von einem Recht der Gesellschaft (z.B. ein dingliches Recht) geschieden wird und nur die Enteignung des Anteilsrechts vollzogen werden 38 So aber Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 2, S. 1099 f.; ihnen folgend Armbrüster, NJW 2001, 3583; siehe zum Unanwendbarkeitsdogma oben § 10 II 1. 39 Zu diesem Rechtsgebiet oben § 10 I 1. 40 Dafür etwa Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 179 ff.; siehe auch oben § 13 I 2. 41 Nachweise unten § 22 I Fn. 49. 42 Zu diesem oben § 4 II 2.
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müsse. Die Unstimmigkeit wurzelt im alten Verständnis vom Gebietsgrundsatz, der es bei einseitiger Überbetonung des räumlichen Aspektes versäumt hat, zwischen den verschiedenen Enteignungsobjekten und -umständen zu unterscheiden. Richtigerweise muss aber unterschieden werden: Enteignungen dinglicher Rechte werden oft schon dann anerkannt, wenn sie effektiv sind. Nicht (voll) effektive Gesellschaftsenteignungen hingegen werden nur dann anerkannt, wenn sie gerade aufgrund der Enteignungsumstände in einem besonderen Maße als anerkennenswert betrachtet werden.43 Ist daher eine Enteignung dinglicher Rechte so beschaffen, dass sie die hohen Anforderungen, die zur vollständigen Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen aufgestellt werden, erfüllt (der Fall ist kaum praktisch), müsste sie wohl zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen ungeachtet einer Besitzergreifung anerkannt werden.44 Es besteht also kein Wertungswiderspruch, wenn man nach den Enteignungsumständen unterscheidet.45 Da jedoch das scheinbar einheitliche selbständige Vollziehungserfordernis bei näherer Betrachtung bei den verschiedenen Enteignungsobjekten ohnehin unterschiedliche Funktionen erfüllt, ist es auch jeweils ein anderes.46 IV. Belegenheit
§ 14 Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes – IV
Zentrale Anwendungsvoraussetzung des Gebietsgrundsatzes ist es, zu bestimmen, ob das aus der Sicht des Enteignungsstaates enteignete Recht (Enteignungsobjekt) zum Zeitpunkt der Enteignung auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates belegen war oder nicht.47 Wo nach dem Gebietsgrundsatz ein Recht in diesem Sinne belegen ist, bestimmt das deutsche Recht, da es um die Auslegung einer deutschen Rechtsnorm geht.48 Nicht maßgeblich ist der 43
Näher unten § 22 I. Vgl. dazu MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (er geht einseitig nur von solchen Enteignungen aus, die seine hohen Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen, und fordert wohl gerade deshalb nicht unabhängig vom Recht des Enteignungsstaates, dass die Enteignung vollzogen sein müsse) und Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 237 Fn. 78 (sie verzichtet ebenfalls auf ein selbständiges Vollziehungserfordernis; dies ist von ihrem Standpunkt aus allerdings nicht so zwingend wie bei Kreuzer, da sie Enteignungen dinglicher Rechte unter geringeren Voraussetzungen anerkennen möchte); zu beiden eingehend oben § 13 V. 45 Siehe zur Vollziehung bei der Enteignung dinglicher Rechte bis zur Verbringung der Sache unten § 16 I; zum Sonderproblem der Vollziehung bei Enteignungen von Gesellschaften, die dingliche Rechte haben, unten §§ 22 II 3, 23 I 3. 46 Zur Vollziehung bei der Enteignung dinglicher Rechte unten § 16 II 2; bei der Forderungsenteignung unten §§ 17 II 3, 18 I 3; bei Immaterialgüterrechtsenteignungen unten § 20 III; bei Gesellschaftsenteignungen unten §§ 22 II 3, 23 I 3, 4. 47 Vgl. etwa BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 (interlokal). 48 Sehr deutlich BVerfG vom 4.9.2008 (2 BvR 1475/07), in: BeckRS 2010, 51385 Rn. 19 (= WM 2008, 2035); ferner BGH vom 11.7.1957 (VII ZR 226/56), in: BeckRS 1957, 31198548 unter D II (= BGHZ 25, 127) (Niederlande); MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 46 44
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Belegenheitsbegriff völkerrechtlicher Verträge; dieser ist vertragsautonom zu bestimmen.49 Innerhalb der deutschen Rechtsordnung ist die Belegenheit spezifisch internationalenteignungsrechtlich und nicht unter Rückgriff auf Anknüpfungen des klassischen internationalen Privatrechts zu bestimmen.50 1. Lagestaat und Belegenheitsstaat Maßgebliches Kriterium zur Bestimmung der Belegenheit des Rechts soll nach allgemeiner Ansicht die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit des Enteignungsstaates sein.51 Es muss allerdings präzisiert werden: Das Hauptkriterium des Gebietsgrundsatzes ist zwar räumlich. Rechte sind aber in der körperlichen Welt nirgends anzutreffen. Es geht damit nicht um die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit des Enteignungsstaates auf die Enteignungsobjekte (= Rechte). Zur Bestimmung der Belegenheit des Rechts wird vielmehr auf den Lageort von bestimmten körperlichen Bezugsobjekten abgestellt.52 Es drängt sich daher die Frage auf, über welche körperlichen Bezugsobjekte die Enteignungsobjekte lokalisiert werden sollten.53 Dingliche Rechte sind Rechte an Sachen. Sie sind nach allgemeiner Auffassung dort belegen (Belegenheitsort), wo sich die entsprechende Sache körperlich befindet (Lageort), da die Sache dort dem hoheitlichen Zugriff des Enteignungsstaates ausgesetzt ist.54 Dies gilt nicht nur für das Eigentum, zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 827 zum IntGesR (mit unzutreffender Begründung über die vermeintliche „Abwehrfunktion“ [zu ihr bereits §§ 1, 4 III 2] des negativen Gebietsgrundsatzes); v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 135 zu § 4, S. 295; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 38 zu Art. 46 EGBGB Anh.; StaudingerMansel, 2015, Rn. 8, 29 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 49 Siehe etwa BVerfG vom 9.12.1970 (1 BvL 7/66), in: BVerfGE 29, 366 ff. (DeutschNiederländischer Finanzvertrag). 50 Zutreffend Niederer, SchwJahrbIntR XI (1954) 95 und allgemein auch Wengler, FS Universität Berlin 1955, 317 f.; unklar dagegen Einsele, RabelsZ 51 (1987) 616; siehe zur Sonderanknüpfung bereits § 13 II 3. 51 Niederer, SchwJahrbIntR XI (1954) 95; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 46 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (selbst einem anderen Ansatz folgend); MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 38 zu Art. 46 EGBGB Anh. und i.E. auch Einsele, RabelsZ 51 (1987) 615. 52 Deutlich dazu, dass es um die Belegenheit des Rechts geht, Wengler, FS Universität Berlin 1955, 278; auch MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 39 zu Art. 46 EGBGB Anh.; siehe auch bereits § 9 I 2, 3. 53 Probleme der Lokalisierung bestehen besonders bei Rechten an unkörperlichen Gegenständen, siehe zu Forderungen unten § 17. 54 BGH vom 28.2.1971 (III ZR 47/67), in: BeckRS 1972, 31124840 unter II 1 c (= MDR 1972, 494) (interlokal, Ammoniakwerk Me. GmbH gegen gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen G.); OLG Bamberg vom 30.1.1948 (1 W 103/47), in: SJZ 3 (1948) Sp. 258 (interlokal); Ficker, Grundfragen, 1952, 102; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1102; Looschelders, IPR, 2004, Rn. 69 zu Art. 43 EGBGB; Behrens, Unternehmen, 1980, 26; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-144; Andrae, Eingriffe, 1990, 17; Soergel-v.Hoffmann,
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sondern auch für beschränkte dingliche Rechte.55 Maßgeblich soll der Zeitpunkt sein, zu dem die Enteignung wirksam wird.56 Verlangt man zur Anerkennung eine Vollziehung, kann man auf den Vollziehungszeitpunkt abstellen.57 2. Belegenheit und Vollziehung
§ 14 Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes – IV 2
Es wurde bereits gezeigt: Fordert man zur Anerkennung einer ausländischen Enteignung dinglicher Rechte ihre Vollziehung, so ist die Belegenheit als eigenständiges Kriterium bedeutungslos.58 Der Enteignungsstaat darf nämlich nur auf seinem Gebiet vollziehen.59 Die Belegenheit ist dann kein zusätzlicher Filter. Befindet sich die Sache auf staatenlosem Gebiet, wurde die Enteignung aber vollzogen, kann die Belegenheitslehre sogar erwünschte Ergebnisse nur schwer erklären.60 Nach hier vertretener Ansicht ist dagegen zu unterscheiden:61 Eine Enteignung dinglicher Rechte sollte jedenfalls so lange anerkannt werden, wie sich die Sache im Enteignungsstaat befindet.62 Dies betrifft allerdings nur Folgeansprüche und damit die Rechtsverkehranerkennung. Man kann zwar auch hier von einer Belegenheit sprechen und einen Zeitpunkt fixieren. Für die Eigentümerstellung hinsichtlich der Beurteilung von Folgeansprüchen ist aber keinesfalls der Enteignungszeitpunkt entscheidend, sondern der Zeitpunkt etwa der entsprechenden Verletzungshandlung oder des Verletzungserfolges. Der Zweck dieser Art der Anerkennung ist es nämlich, beispielsweise einen schädigenden Dritten nicht in die Folgen eines hinkenden Rechtsver1996, Rn. 4 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 16 zu Art. 46 EGBGB; jurisPK-Teubel, 2014, Rn. 48 zu Art. 43 EGBGB; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 29 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 55 BGH vom 26.1.1951 (V ZR 43/50), in: NJW 1951, 401 (= BGHZ 1, 109) (interlokal); BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1092 (interlokal); Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-144; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 39 zu Art. 46 EGBGB Anh.; ebenso für Herausgabeansprüche, Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 16 zu Art. 46 EGBGB; siehe zu Hypotheken vor allen Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 663 und ferner Andrae, Eingriffe, 1990, 19. 56 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 135 zu § 4, S. 295; Behrens, Unternehmen, 1980, 29 (Zeitpunkt der Durchführung); Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 27 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 26, 49, 53 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 57 So wohl Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 16 zu Art. 46 EGBGB. 58 Vgl. oben §§ 12 II 2, 14 III 2. 59 Greift der fremde Staat dagegen unter Verletzung des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips (zu diesem oben § 4 II 2) auf eine Sache außerhalb seines Hoheitsgebietes zu, würde eine solche Enteignung jedenfalls wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht anerkannt werden: Heiz, Recht, 1959, 240 f.; Seidl-Hohenveldern, WM 1967, 775. 60 Siehe sogleich § 14 IV 3. 61 Näher unten § 16. 62 Vgl. oben § 11 II 2 und unten § 16 I.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
hältnisses hineinzuziehen. Nach einer Verbringung hingegen ist die unten auszubreitende Vollziehungs-Verbringungs-Problematik zu beachten.63 Diese sollte nicht – wie von der herrschenden Meinung – dadurch verdeckt werden, dass ohne Begründung ein bestimmter Belegenheitszeitpunkt fixiert wird. 3. Besondere Sachen und Sachen in besonderen Situationen Das internationale Sachenrecht der Art. 43 ff. EGBGB unterstellt internationalsachenrechtliche Vorgänge nur grundsätzlich dem Recht des Lageortes der Sache. Es kennt Ausnahmen. Man kann nun fragen, ob der Gebietsgrundsatz ebenfalls solche oder andere Ausnahmen zulassen sollte. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass dem Gebietsgrundsatz andere Wertungen zugrunde liegen als dem internationalen Sachenrecht.64 Es ist allein auf die speziellen internationalenteignungsrechtlichen Wertungen abzustellen. Käme man zu denselben oder ähnlichen Ausnahmegruppen wie das internationale Sachenrecht, beruhte dies mithin auf anderen Gründen. Jedenfalls ist der Lagestaat stets auch Belegenheitsstaat im Sinne des Gebietsgrundsatzes. Eine Enteignung durch den Staat, in dem sich die Sache befindet, wird auch dann anerkannt, wenn das internationalsachenrechtliche Statut ausnahmsweise nicht das Recht des Lagestaates ist. Dies ergibt sich aus den den Gebietsgrundsatz stützenden Wertungen. Es gelten, insbesondere in Bezug auf eine etwaige Vollziehung und Verbringung, die allgemeinen Regeln. Problematisch ist hingegen, ob in bestimmten Fällen ein Nichtlagestaat der Sache als Belegenheitsstaat des Rechts an der Sache anzusehen sein kann.65 63
Vgl. unten § 16 II, III. Siehe bereits § 13 II 3. 65 Dafür ist MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 41 zu Art. 46 EGBGB Anh. (sie möchte Art. 45 EGBGB analog anwenden und beruft sich letztlich auf die Beweisbarkeit); vgl. auch MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 51 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (er möchte zwar bei Verkehrsmitteln wie Flugzeugen und Schiffen Enteignungen durch den Staat der Registrierung bzw. des gewöhnlichen Standorts anerkennen; er stellt aber sehr hohe Anerkennungsvoraussetzungen auf, die die in der Gerichtspraxis bisher vorkommenden Enteignungen nicht erfüllen; unklar ist ferner, ob dies abschließend gemeint ist oder ob er Enteignungen durch einen aktuellen Lagestaat des Verkehrsmittels ebenfalls anerkennen würde, was in bestimmten Fällen geboten sein dürfte). – A.A. grundlegend der berühmte Jupiter-Fall, in: RabelsZ 3 (1929) 142, in dem die Enteignung des Eigentums am Schiff Jupiter nicht anerkannt wurde, obwohl der Kapitän das Schiff in einem englischen Hafen der Londoner Sowjethandelsvertretung ausgehändigt hatte; ferner Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 291; Niederer, SchwJahrbIntR XI (1954) 95; Ficker, Grundfragen, 1952, 103; SeidlHohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 102 f. (eine Belegenheitsfiktion sei „mehr als fraglich“, zudem fehle die Vollziehung); Kegel, Probleme, 1956, 26; Vannod, Fragen, 1959, 36; Schulte-Uhlenbrock, Rechtsverhältnisse, 1968, 14; Neuhaus, Grundbegriffe, 1976, 245; Andrae, Eingriffe, 1990, 17; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 37 zu Art. 38 64
§ 14 Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes – V
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Dabei kann die Sache in Deutschland oder in einem nicht anerkennenden Drittstaat sein.66 Befindet sich eine Sache außerhalb des Enteignungsstaates auf fremdem Staatsgebiet und fordert man zur Anerkennung eine Vollziehung, ist die Frage nicht erheblich; im Ausland darf der Nichtlagestaat nämlich nicht vollziehen.67 Doch auch bei Ablehnung eines selbständigen Vollziehungserfordernisses dürften Enteignungen durch einen Nichtlagestaat nicht anzuerkennen sein, wenn sich die Sache auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates befindet. Es wird zu Recht ganz überwiegend abgelehnt, das Merkmal der Belegenheit eines Rechts an der Sache vom Lageort der Sache abzukoppeln. Zwar ist der inländische Registerort (der der Anknüpfung an die Flagge entspricht) oder ein inländischer gewöhnlicher Standort etwa eines Schiffes ein territorialer Anknüpfungspunkt.68 Der Enteignungsstaat kann aber auf die Sache nicht zugreifen. Das Ergebnis kann man auch über einen Erst-recht-Schluss begründen: Verbringt gerade der Enteignete eine Sache, an der ein Recht enteignet wurde, aus dem Enteignungsstaat nach Deutschland, bevor der Enteignungsstaat die Enteignung vollziehen konnte, wird die Enteignung i.E. nicht anerkannt.69 Dann sollte die Enteignung aber erst recht nicht anerkannt werden, wenn sich die Sache von vornherein außerhalb des Enteignungsstaates befand, sei sie auch im Enteignungsstaat registriert oder Ähnliches. Eine Vollziehung auf staatsfreiem Gebiet sollte man dagegen zur Anerkennung grundsätzlich für ausreichend erachten.70 Dies gilt unabhängig davon, ob man ein selbständiges Vollziehungserfordernis aufstellt oder nicht. Nach hier vertretener Ansicht gelten die Regeln entsprechend, die nach Verbringung der Sache, an der ein Recht enteignet wurde, gelten.71 V. Zusammenfassung
§ 14 Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes – V
Ob infolge einer fremdstaatlichen Enteignung eines dinglichen Rechts das enteignete Recht auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung auf den EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 199 zu IntSachenR; Nomos-v.Plehwe, 2012, Rn. 61 zu Art. 43 EGBGB. 66 Anerkennt nämlich der Lagestaat die Enteignung, ist die Drittstaatenproblematik zu beachten, dazu oben § 9 II 1. 67 Vgl. auch soeben § 14 IV 2; siehe zum Besatzungsrecht oben § 4 IV. 68 Vgl. Ficker, Grundfragen, 1952, 24. 69 Dazu unten § 16 II. 70 Einen solchen Fall nennt RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 650 (der Heimatstaat enteignet das Eigentum an einem Schiff, das sich auf hoher See befindet, und die Besatzung fügt sich); vgl. auch Rudolf, BerGesVR 11 (1973) 34 (nicht bei ausländischen Schiffen auf hoher See); siehe zu den staatlichen Befugnissen auf staatsfreiem Gebiet wie den Polarregionen und im Weltraum Verdross/Simma, VR, 1984, §§ 1144 ff., S. 742 ff. 71 Siehe näher unten § 16 II, III.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
Enteignungsbegünstigten übergeht, richtet sich nach dem Gebietsgrundsatz. Nach herrschender Auffassung kommt es zur Beantwortung der Anerkennungsfrage – auch bei entschädigungslosen72 und nach dem Recht des Enteignungsstaates rechtswidrigen73 Enteignungen – allein auf den Belegenheitsort74 des dinglichen Rechts und damit auf den Lageort der Sache im Enteignungs- bzw. Vollziehungszeitpunkt75 an. Die Umstände der Enteignung werden nur im Rahmen der sogleich unter § 15 zu behandelnden Einschränkungen, die im weiteren Sinne dem ordre public zuzurechnen sind, berücksichtigt. Die herrschende Meinung gleicht über die Einschränkungen aus, was ihrer Regel fehlt. Der Gebietsgrundsatz in seiner einfachen Form ist – der Name sagt es schon – rein räumlich. Dagegen enthalten die im Folgenden unter § 15 zu besprechenden Einschränkungen qualitative Kriterien. Nach hier vertretener Ansicht, die erst nach der in § 15 folgenden Darstellung der Einschränkungen entfaltet werden kann, ist dagegen zu unterscheiden:76 Solange sich die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, auf dem Gebiet des Enteignungsstaates befindet, wird über die absolute Anerkennung nicht entschieden. Im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche wird aber unabhängig von einer Vollziehung und den übrigen Umständen der Enteignung im Drittinteresse anerkannt (Rechtsverkehranerkennung).77 Erst nach einer Verbringung der Sache sind die Enteignungsumstände sowie die Frage, ob die Enteignung vollzogen wurde, und damit auch die Person des Verbringenden bedeutsam.78
§ 15 Einschränkungen des positiven Gebietsgrundsatzes § 15 Einschränkungen des positiven Gebietsgrundsatzes – I 1
Nach dem Gebietsgrundsatz sind die privatrechtsgestaltenden Wirkungen fremdstaatlicher Enteignungen nur dann in die deutsche Rechtsordnung zu übernehmen, wenn das Enteignungsobjekt auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates belegen ist. Enteignungen können aber unter bestimmten Voraussetzungen entgegen dem positiven Gebietsgrundsatz nicht anerkannt werden. Solche Einschränkungen können sich aus Art. 25 GG79, unmittelbar aus den Grundrechten80 und aus dem ordre public81 ergeben. 72
Vgl. oben § 14 II. Vgl. oben § 14 I. 74 Vgl. oben § 14 IV. 75 Vgl. zum selbständigen Vollziehungserfordernis oben § 14 III. 76 Näher unten § 16. 77 Vgl. oben § 11 II 2 und unten § 16 I. 78 Näher unten § 16 II, III. 79 Siehe sogleich § 15 I. 80 Siehe unten § 15 II, insbesondere unten § 15 II 5. 73
§ 15 Einschränkungen des positiven Gebietsgrundsatzes – I 1
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I. Art. 25 GG und die allgemeinen Regeln des Völkerrechts 1. Abgrenzung zu einem völkerrechtlichen Anerkennungsverbot Art. 25 GG erklärt die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu einem Bestandteil des Bundesrechts. Unter diese allgemeinen Regeln fallen jedenfalls das universell geltende Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Völkerrechts.82 Nach dem universellen Völkergewohnheitsrecht dürfen Staaten grundsätzlich Privateigentum enteignen.83 Sie müssen aber bei der Enteignung von Ausländern das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht beachten. Tun sie das nicht, ist die Enteignung völkerrechtswidrig. Doch was folgt daraus für die Zuordnung von Privateigentum? Man muss nach Rechtsordnungen unterscheiden: In der Rechtsordnung des Enteignungsstaates kann die Enteignung trotz ihrer Völkerrechtswidrigkeit wirksam sein; die Folgen der Völkerrechtswidrigkeit bestimmt der Enteignungsstaat für seine Rechtsordnung selbst.84 Die Rechtsordnungen der Anerkennungsstaaten hingegen entscheiden selbständig über die Wirkungsübernahme; das Völkerrecht stellt ihnen die Anerkennung frei. Andere Staaten müssen völkerrechtswidrigen Enteignungen die Anerkennung nicht versagen. Da also das Völkergewohnheitsrecht kein Anerkennungsverbot enthält, kann über Art. 25 GG auch kein Anerkennungsverbot in das deutsche Recht übernommen werden. Davon zu trennen ist die hier zu behandelnde Frage, ob völkerrechtswidrige Enteignungen in Deutschland gerade aufgrund der deutschen Rechtsordnung nicht anerkannt werden dürfen. Da das Völkergewohnheitsrecht die Anerkennung freistellt, setzt solch ein Anerkennungsverbot entweder voraus, dass Art. 25 GG mehr als eine bloße „Umschaltnorm“ ist und im internationalen Enteignungsrecht auch gerade die Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen fordert, oder, dass sonstige Wertungen der deutschen Rechtsordnung zwingend die Nichtanerkennung gebieten. Wer Art. 25 GG (entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts) als bloße Umschaltnorm betrachtet,85 also annimmt, die Norm übernehme nur, was im Völkerrecht 81
Siehe unten § 15 III. Näher Maunz/Dürig-Herdegen, 2014, Rn. 19 zu Art. 25 GG. 83 Dazu und zum Folgenden bereits § 4 I. 84 Dahm, FS Kraus 1964, 87; Schütz, ordre public, 1984, 120. 85 So Raape, IPR, 1961, 663; Doehring, Regeln, 1963, 159 f.; Seidl-Hohenveldern, FS Heymanns 1965, 610 (offenlassend noch ders., AWD 1959, 275 l.Sp.); Stöcker, WM 1966, 750 Fn. 26; Meessen, AWD 1973, 179; Behrens, Unternehmen, 1980, 50 f.; Lederer, Enteignung, 1989, 102 f.; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 202; Herdegen, ZGR 20 (1991) 560 (nach ihm macht sich Deutschland bei Nichtanerkennung aufgrund der Völkerrechtswidrigkeit zum „Büttel“ der Völkerrechtsgemeinschaft); BK-Tomuschat, 2009, Rn. 109, 111 zu Art. 25 GG; Menzel, IÖR, 2011, 274; ähnlich Lübbe-Wolff, Sondervotum zu BVerfG vom 26.10.2004 (2 BvR 955/00, 1038/01), in: BVerfGE 112, 1, 49; 82
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
bereits enthalten sei, kann also dennoch dafür sein, völkerrechtswidrigen Enteignungen stets die Anerkennung zu versagen. Die in der Literatur überwiegend vertretene Ansicht möchte völkerrechtswidrige Enteignungen stets nicht anerkennen.86 Die höchstrichterliche RechtStaudinger-Mansel, 2015, Rn. 53 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. – A.A. Münch, JahrbIntR 9 (1959/60) 88; Petersmann, WiR 1973, 303; Mann, FS Duden 1977, 301 f.; StaudingerVoltz, 2013, Rn.78 zu Art. 6 EGBGB; auch das BVerfG betrachtet Art. 25 GG nicht als bloße Umschaltnorm, wobei die Folgen für das internationale Enteignungsrecht offenbleiben, siehe hierzu sogleich § 15 I 2. 86 Für Nichtanerkennung sind Wolff, IPR, 1954, 12; Münch, JahrbIntR 9 (1959/60) 87 f.; Beitzke, BerGesVR 4 (1961) 156 [Diskussionsbeitrag]; Veith/Böckstiegel, Schutz, 1962, 224; Kimminich, JZ 1971, 486; Petersmann, WiR 1973, 303 f. (wenn Völkerrechtswidrigkeit eindeutig); Teich, WM 1976, 1326 (Unwirksamkeit werde zunehmend vertreten); Raape/Sturm, IPR, 1977, 201 f.; Mann, FS Duden 1977, 302; Erman-Arndt, 1981, Rn. 9 zu Art. 30 EGBGB; Verdross/Simma, VR, 1984, § 1182, S. 778 (als Vorschlag formuliert, bei klar erwiesener Völkerrechtswidrigkeit); Hofmann, FS Zeidler 1987, 1892 f. (wenn eindeutig); ders., ZaöRV 49 (1989) 54; Korte, Anerkennung, 1992, 107 ff., 111; Kokott, BerGesVR 38 (1998) 95 f.; Kunze, Restitution, 2000, 96 f.; StaudingerBlumenwitz, 2003, Rn. 64, 67 ff. zu Art. 6 EGBGB; Looschelders, IPR, 2004, Rn. 68 zu Art. 43 EGBGB; Hartung, Kunstraub, 2005, Kapitel 6 E IV, S. 375 (verworren, siehe auch Kapitel 7 B, S. 395 ff.); Anton, Kulturgüterverkehr, 2010, Rn. 135 zu Teil 4, S. 384 f. (Völkerrechtswidrige Staatsakte seien gemäß Art. 25 GG in Deutschland a priori unanwendbar; kein Inlandsbezug erforderlich), auch Rn. 281 zu Teil 7, S. 1158; Basedow, BerGesVR 44 (2010) 197 [Diskussionsbeitrag]; v.Münch-Rojahn, 2012, Rn. 38 f. zu Art. 25 GG; Staudinger-Sturm/Sturm, 2012, Rn. 538 f. zu Einl. IPR (Nichtanerkennung auch bei entschädigungsloser Enteignung von Staatsangehörigen des Enteignungsstaates, Argument: Wertungen von Art. 17 Abs. 2 UN-Menschenrechtscharta, Art. 1 Abs. 1 ZP EMRK und Art. 14 Abs. 3 S. 2, 15 GG); in dieser Richtung wohl auch Dolzer/Bloch, in: Kronke u.a. (Hrsg.), IntWirtR, 2005, Rn. 114 zu J, S. 1088 (ob auch heute noch völkerrechtswidrige Enteignungen anerkannt werden könnten, sei vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 25 GG unklar); möglicherweise auch Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 3, S. 1110 („[m]eist wird aber nur eine Entschädigungspflicht behauptet“) und Sachs-Streinz, 2011, Rn. 56 zu Art. 25 GG. – Für Nichtanerkennung unmittelbar aufgrund des Art. 25 GG, ohne Umweg über den ordre public, auch die Privatgutachten im Bremer Tabakstreit von Beitzke (S. 40) und Dahm (S. 67), zitiert nach OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 355 (Indonesien, Tabak); zitiert auch bei Münch, JahrbIntR 9 (1959/60) 87 f. – I.E. ebenfalls für Nichtanerkennung, allerdings etwa über den ordre public: Niederer, FS Lewald 1953, 554 [Schweiz]; ders., SchwJahrbIntR XI (1954) 99 („gar keine Zweifel [...] immer und in jedem Falle“) [Schweiz]; Schaumann, SchwJahrbIntR X (1953) 167 [Schweiz]; Stoll, BerGesVR 4 (1961) 144; Seidl-Hohenveldern, Friedenswarte 53 (1955/56) 15, 17 (im neueren Schrifttum gewinne die Ansicht der Nichtanerkennung Raum; eine Änderung der Spruchpraxis wäre zu begrüßen); ders., BerGesVR 4 (1961) 158 [Diskussionsbeitrag] (die Tendenz gehe dahin, völkerrechtswidrige Enteignungen als nichtig anzusehen); ders., FS Heymanns 1965, 612 ff.; ders., AWD 1974, 427 f.; ders., FS Kegel 1977, 278 ff.; ders., RIW/AWD 1979, 154 r.Sp.; ders., in: ders./Nagel (Hrsg.), Rechtsfragen, 1983, 55; ders., IPRax 1996, 411 r.Sp.; ders., BerGesVR 38 (1998) 116 f. [Diskussionsbeitrag] (man solle sich trauen,
§ 15 Einschränkungen des positiven Gebietsgrundsatzes – I 1
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sprechung hatte noch keine Gelegenheit, zu dem Problem Stellung zu beziehen.87 Die meisten instanzgerichtlichen Entscheidungen zur Enteignung deutschen „Auslandsvermögens“ in der Tschechoslowakei und Polen nach dem Zweiten Weltkrieg haben die völkerrechtswidrigen Enteignungen – betroffen waren Sachen des persönlichen Gebrauchs von Deutschen – nicht anerkannt.88 In den zwei bisher entschiedenen Fällen, die Sachen des in einem weiten Sinne verstandenen betrieblichen Gebrauchs (hier: Rohstoffe) betrafen, dagegen, dem Bremer Indonesien-Tabakstreit von 1959 und dem Hamburger Chile-Kupferfall von 1973 haben die Instanzgerichte die Enteignungen dagegen anerkannt.89 In beiden Fällen waren die Enteigneten keine Deutschen. Ob die „päpstlicher zu sein als der Papst [...]. Ich bin also immer schockiert gewesen über das Urteil im chilenischen Kupferfall [...]. Es gäbe keine Binnenbeziehung“); Bleckmann, ZaöRV 34 (1974) 130 f.; Matthias, FS v.Simson 1983, 270; Schütz, ordre public, 1984, 128 ff., 150; Wenk, Privatvermögen, 1993, 135, 195 f.; Doehring, IPRax 1998, 467; Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1660 l.Sp. (wohl unabhängig vom Inlandsbezug); Schemmer, ordre public, 1995, 87 Fn. 284, 90 Fn. 289, 147 ff.; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 35 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III (er möchte sogar überhaupt nur Enteignungen anerkennen, die i.E. den Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der BIT, die strenger als das völkerrechtliche Fremdenrecht sind, genügen; zu ihm oben § 13 V); Siehr, IPR, 2001, § 38 IV 5, S. 276; Voltz, Menschenrechte, 2002, 58 f. Fn. 232; Staudinger-Voltz, 2013, Rn. 78, 80, 159 zu Art. 6 EGBGB; Czarnecki/Lenksi, VR, 2007, Fall 5, S. 105, 107; Gilbert, in: ders. u.a. (Hrsg.), Eigentumsrecht, 2008, 66; siehe auch Geiger, GG und VR, 2013, § 64 II 2 c, S. 301 f. (die Entscheidung des LG Hamburg im Kupferfall sei bedenklich). – Zum selben Ergebnis kommen in der Regel auch die unten in § 15 III 3 Fn. 236 aufgeführten Stimmen, die den ordre public bei völkerrechtswidrigen Enteignungen schon bei Verbringung eingreifen lassen wollen, da die Fälle vor deutschen Gerichten stets Verbringungsfälle sind (Nachweise zu dieser Aussage oben § 12 II 3 Fn. 262); dies vertritt etwa Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 211 zu IntSachenR m.N. (wer das nicht so sehe, habe keine klaren anderen Kriterien; er wendet sich ausdrücklich gegen die Entscheidungen im Kupferfall). – Zum gleichen Ergebnis gelangt auch, wer annimmt, völkerrechtswidrige Enteignungen seien bereits von Völkerrechts wegen zwingend nicht anzuerkennen, so etwa Dahm, FS Kraus 1964, 79 ff. und Mann, NJW 1961, 707 ff., weitere Nachweise zum völkerrechtlichen Anerkennungsverbot oben § 4 I Fn. 13 f. – Ein Anerkennungsverbot bei schwerem Verstoß gegen das Völkerrecht, insbesondere bei ius-cogens-widrigen Enteignungen, nehmen an: Magerstein, JurBl 1950, 351 f. [Österreich] (bei Verstoß gegen Menschenrechte, wenn diskriminierend oder Konfiskation mit Strafcharakter); v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 146 Fn. 777 zu § 4, S. 303 f. (bei Verstoß gegen allgemeine Grundsätze des Völkerrechts) und Berentelg, Act of State, 2010, 160. – Nachweise zur a.A. unten § 15 I 3 Fn. 100. 87 Gegen die Anerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen aber BVerwG vom 10.5.1961 (IV C 286/59), in: NJW 1961, 2226 (Erwägungen allerdings nicht tragend). 88 Siehe etwa AG Dingolfing vom 7.12.1948 (C 119/48), in: RabelsZ 15 (1949/50) 141 (Tschechoslowakei, Sudetendeutsche, Nähmaschine); weitere Nachweise unten § 16 III 3. 89 OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 357; LG Bremen vom 21.4.1959 (7 Q 13/1959), in: AWD 1959, 105 r.Sp.; LG Hamburg
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
Gerichte in solchen Fällen auch heute noch völkerrechtswidrige Enteignungen von Rechten an Sachen des in diesem Sinne verstandenen betrieblichen Gebrauchs anerkennen würden, ist ungewiss. Besonders das deutsche Interesse am Handel mit dem Enteignungsstaat und letztlich auch mit völkerrechtswidrig enteigneten Gütern könnte die Richter aber aus Furcht vor den wirtschaftlichen Konsequenzen (wohl schweren Herzens) nach wie vor zu einer Anerkennung bewegen. Beachtet man die Fernwirkungsproblematik, sind die beiden genannten Entscheidungen freilich im Ergebnis zutreffend, ohne dass es einer Anerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen bedürfte.90 In den interlokalen Fällen der Enteignungen in der SBZ und später der DDR, die sowohl Sachen des persönlichen als auch Sachen des betrieblichen Gebrauchs betrafen, mussten die Gerichte die völkerrechtliche Dimension nicht behandeln, weil keine Ausländer betroffen waren.91 Im Liechtensteinischen Bilderstreit sind die Gerichte auf die Problematik der Anerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen nicht eingegangen. Dies wurde allgemein kritisiert.92 Lehnt man es ab, völkerrechtswidrige Enteignungen (beispielsweise über Art. 25 GG) nicht anzuerkennen, kann die Völkerrechtswidrigkeit noch im Rahmen des flexibleren ordre public Bedeutung erlangen.93
vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 165 l.Sp.; siehe zum Tabakstreit SeidlHohenveldern, AWD 1959, 272 und die Zusammenfassung bei Meessen, AWD 1973, 177; zum Kupferfall Behrens, RabelsZ 37 (1973) 394 ff.; Meessen, AWD 1973, 177 ff.; Petersmann, WiR 1973, 274, zu den Hintergründen 284 ff.; Wuppermann, AWD 1973, 505 ff.; Fickel, AWD 1974, 69 ff., 584 ff.; Wehser, JZ 1974, 117 ff. und Seidl-Hohenveldern, AWD 1974, 421 ff. – Anerkannt hat auch OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee), bei dem Simbabwe allerdings eigene Staatsangehörige enteignet, also nicht gegen völkergewohnheitsrechtliches Fremdenrecht verstoßen hat. 90 Siehe oben §§ 11 III 1, 12 I 1 a.E. und unten § 16 III 2, 3. 91 Zutreffend Münch, JahrbIntR 9 (1959/60) 87; Rechtsprechungsnachweise unten § 16 III 3. 92 Siehe zum liechtensteinischen Bilderstreit LG Köln vom 10.10.1995 (5 O 182/92), in: IPRax 1996, 419; OLG Köln vom 9.7.1996 (22 U 215/95), in: VIZ 1998, 213; BVerfG vom 28.1.1998 (2 BvR 1981/97), in: IPRax 1998, 482 (Nichtannahmebeschluss); EGMR vom 12.7.2001 (42527/98), in: NJW 2003, 649; Seidl-Hohenveldern, IPRax 1996, 410; Doehring, IPRax 1998, 465; Weber, AVR 36 (1998) 188; Blumenwitz, FS Sturm 1999, Bd. II, 1389 ff.; ders., AVR 40 (2002) 236 ff. (er kritisiert, dass der EGMR die „berechtigten Erwartungen“ aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung hätte prüfen müssen); Fassbender, NJW 1999, 1445; ders., EuGRZ 2001, 459; Voltz, Menschenrechte, 2002, 58 f. Fn. 232; Staudinger-Voltz, 2013, Rn. 81 zu Art. 6 EGBGB; weitere Nachweise bei Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 70 zu Art. 6 EGBGB. 93 LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 164 l.Sp. (Chile, Kupfer), das im Fall aber anerkannt hat, weil ein hinreichender Inlandsbezug gefehlt habe; zudem Behrens, Unternehmen, 1980, 51; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 30 zu Art. 46 EGBGB Anh. und Doehring, VR, 2004, Rn. 93; näher zum ordre public unten § 15 III.
§ 15 Einschränkungen des positiven Gebietsgrundsatzes – I 2
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2. Inhaltsändernde Übernahme von Völkerrecht durch Art. 25 GG § 15 Einschränkungen des positiven Gebietsgrundsatzes – I 2
Das BVerfG hat die Anerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen dinglicher Rechte bisher nicht behandelt. Es hat aber in anderem Zusammenhang geäußert, „daß die Behörden und Gerichte der Bundesrepublik Deutschland kraft Art. 25 GG grundsätzlich daran gehindert sind, innerstaatliches Recht in einer Weise auszulegen und anzuwenden, welche die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verletzt. Sie sind auch verpflichtet, alles zu unterlassen, was einer unter Verstoß gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts vorgenommenen Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger im Geltungsbereich des Grundgesetzes Wirksamkeit verschafft, und gehindert, an einer gegen die allgemeinen Regeln des Völkerrechts verstoßenden Handlung nichtdeutscher Hoheitsträger bestimmend mitzuwirken.“94
Problematisch an dieser Formel ist der Begriff der Wirksamkeitsverschaffung. Das BVerfG betrachtet Art. 25 GG jedenfalls nicht als bloße Umschaltnorm.95 Ob allerdings unter die Wirksamkeitsverschaffung auch die Anerkennung einer völkerrechtswidrigen intraterritorialen Enteignung dinglicher Rechte fällt, ist ungewiss. Die Folgerungen für das internationale Enteignungsrecht sind nicht geklärt. Man kann den Zweck des Art. 25 GG darin sehen, zu verhindern, dass sich Deutschland völkerrechtlich verantwortlich macht. Wenn aber das Völkergewohnheitsrecht den Staaten die Anerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen freistellt, kann sich Deutschland durch die Anerkennung nicht völkerrechtlich verantwortlich machen. Zwar wird ein völkerrechtswidriger Akt durch den Anerkennungsstaat aufrechterhalten. Dieses Aufrechterhalten beurteilt das Völkerrecht aber gesondert, und zwar neutral. Die Wirksamkeit des Völkerrechts wird also jedenfalls nicht unmittelbar durch die Nichtanerkennung erhöht: Dem Völkerrecht kann keine Wirksamkeit verschafft werden, indem eine Handlung ausgeführt wird, die es nicht verlangt.96 Höchstens in einem anderen, mittelbaren Sinne kann man sagen, dass durch die Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen die Wirk-
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So BVerfG vom 31.3.1987 (2 BvM 2/86), in: BVerfGE 75, 19; dazu Hofmann, ZaöRV 49 (1989) 44; siehe auch Petersmann, WiR 1973, 303 (er nimmt ebenfalls an, dass bei einer Anerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen der völkerrechtswidrige Zustand unterstützt werde); die Formel des BVerfG einschränkend dagegen BK-Tomuschat, 2009, Rn. 108 zu Art. 25 GG; vgl. ferner BVerfG vom 26.10.2004 (2 BvR 955/00, 1038/01), in: BVerfGE 112, 27 (Bodenreform III) („[d]iese nach außen gerichtete Pflicht kann allerdings in ein Spannungsverhältnis zu der gleichfalls verfassungsrechtlich gewollten internationalen Zusammenarbeit zwischen den Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten geraten“). 95 Weitere Nachweise zu dieser und zur Gegenauffassung soeben § 15 I 1 Fn. 85. 96 Vgl. auch Hofmann, ZaöRV 49 (1989) 51, 54.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
samkeit des Völkerrechts erhöht werde.97 Der Anerkennungsstaat würde durch seine Anerkennungspraxis nämlich Druck auf den Enteignungsstaat ausüben, sich künftig völkerrechtsgemäß zu verhalten. Freilich dürfte durch vereinzelte Nichtanerkennung eine erzieherische Wirkung kaum eintreten.98 Auch die schwachen völkerrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten erfordern nicht, dass die nationalen Gerichte das Völkerrecht in einer Weise durchsetzen, die das Völkerrecht selbst nicht verlangt.99 3. Neues Unrecht und Fernwirkung Einige empfinden es als zu strikt, völkerrechtswidrige Enteignungen stets nicht anzuerkennen.100 Man dürfe auf das Unrecht einer völkerrechtswidrigen Enteignung kein neues Unrecht folgen lassen. Durch eine weitere Rechtsverletzung werde die erste nicht beseitigt. Die deutschen Gerichte müssten alle Folgen im Blick haben.101 Neues Unrecht werde etwa dann geschaffen, wenn 97 Schaumann, SchwJahrbIntR X (1953) 167; Heiz, Recht, 1959, 234; Dahm, FS Kraus 1964, 78; Mann, FS Duden 1977, 301; Schütz, ordre public, 1984, 147 f.; Verdross/Simma, VR, 1984, § 1182, S. 778; Dahm/Delbrück/Wolfrum, VR I/1, 1989, § 75 IV, S. 491 (die Zurückhaltung der Gerichte bei der Überprüfung fremder Hoheitsakte sei rechtspolitisch nicht befriedigend; in einer Überprüfung läge ein Mittel, die Effektivität des Völkerrechts zu stärken); Kokott, BerGesVR 38 (1998) 96 (Möglichkeit der Sanktionierung und Mittel zur Durchsetzung). 98 So schon OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 352 (Indonesien, Tabak); Baade, JahrbIntR 3 (1954) 141; Seidl-Hohenveldern, Friedenswarte 53 (1955/56) 16 und Schütz, ordre public, 1984, 147 f. 99 Nach Stöcker, WM 1966, 750 Fn. 26 urteilt man sonst „päpstlicher […] als das Völkerrecht, das die Anerkennung freistellt“. 100 So Raape, IPR, 1961, 663; Jaenicke, BerGesVR 7 (1967) 156 f. [Diskussionsbeitrag]; Meessen, AWD 1973, 179; Fickel, AWD 1974, 586 l.Sp.; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 429; ders., Unternehmen, 1980, 50; Andrae, Eingriffe, 1990, 16 (die Nichtanerkennung sei möglich, wenn eine zwischenstaatliche Klärung ausgeschlossen sei); AmbroschKeppeler, Anerkennung, 1991, 244 f. (eine Nichtanerkennung ohne Inlandsbezug sei sogar völkerrechtswidrig); Steinberg, NJ 1991, 4 l.Sp.; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 199, 208 ff. zu IntSachenR (er lässt allerdings eine Verbringung für den Inlandsbezug im Rahmen des ordre public ausreichen und wendet sich damit ausdrücklich gegen die Rechtsprechung im Tabak- und im Kupferfall); ebenso Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 19, 52 ff., 63 zu Art. 43– 46 EGBGB Anh. I; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 146 zu § 4, S. 303 f.; Menzel/Pierlings/Hoffmann, Völkerrechtsprechung, 2005, Fall 124, S. 693; BK-Tomuschat, 2009, Rn. 109, 111 zu Art. 25 GG; Berentelg, Act of State, 2010, 160, 268 f.; MüKoWendehorst, 2015, Rn. 61, 63 zu Art. 46 EGBGB Anh. (eine nicht nur kurze und zufällige Belegenheit genüge aber für den Inlandsbezug); Menzel, IÖR, 2011, 274; Nomosv.Plehwe, 2012, Rn. 62 zu Art. 43 EGBGB. – Nachweise zur a.A. oben § 15 I 1 Fn. 86. 101 So vor allem v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 146 zu § 4, S. 303; diesen zustimmend jüngst Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 61 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I (Folgen für die Beteiligten und die internationalen Beziehungen); ähnlich Huwyler, Personen, 1989, 69 [Schweiz].
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man eine Enteignung zulasten eines gutgläubigen Rechtsnachfolgers nicht anerkenne.102 Außerhalb der Enteignung dinglicher Rechte bedeute es neues Unrecht, wenn nach einer Enteignung von Produktionsstätten dem Enteigneten in Deutschland unbegrenzter Zugriff auf vom Enteignungsbegünstigten produzierte Güter gestattet werde, obwohl dieser eigene Materialien verwendet und eigene Arbeitsleistung aufgewendet habe.103 Es seien das wirtschaftliche Interesse am internationalen Handel, die Interessen des Enteigneten und des Enteignungsbegünstigten zu berücksichtigen.104 Wenn dies auch nicht so gesagt wurde, so dürfte die Anerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen dinglicher Rechte besonders um deutscher Handelsinteressen willen erfolgt sein. Die Gerichte wollten den Handel mit völkerrechtswidrig enteigneten Produkten nicht behindern.105 Doch erheben sich gegen die Unrechtsformel Bedenken. Die Rede von neuem Unrecht verleitet zu Fehlschlüssen. Da die Anerkennung völkergewohnheitsrechtlich freigestellt ist, sind weder Anerkennung noch Nichtanerkennung im völkerrechtlichen Sinne Recht oder Unrecht. Aber auch im Sinne des nationalen Rechts kann man mit Recht oder Unrecht die Anerkennungsregel nicht begründen, weil erst diese Anerkennungsregel bestimmt, was rechtens ist. Außerdem kann man auch genau umgekehrt argumentieren, dass gerade die Anerkennung und damit Aufrechterhaltung einer völkerrechtswidrigen Enteignung in diesem Sinne neues Unrecht darstellen. Nach hier vertretener Ansicht dürfte überdies neues Unrecht im Sinne der genannten Formel regelmäßig bereits dann ausgeschlossen sein, wenn die Fernwirkungsproblematik berücksichtigt wird.106 II. Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG
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Das Grundgesetz, insbesondere die Grundrechte, können der richterrechtlichen Regelbildung bei der Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen Grenzen setzen. Die Frage, wie das Grundgesetz zur Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkungen fremdstaatlicher Enteignungen in die deutsche Rechtsordnung steht, berührt hochkomplexe und in weiten Teilen ungeklärte Fragen der Grundrechtsdogmatik, die hier nicht in aller Tiefe erörtert werden können. Nach einer kurzen Einführung, die nur Grundlegendes hervorheben 102 Vannod, Fragen, 1959, 50 f.; Huwyler, Personen, 1989, 70 [Schweiz]; gegen eine Prüfung der Gutgläubigkeit innerhalb des ordre public sind Armbrüster/Jopen, ROW 1989, 334 r.Sp. 103 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 146 zu § 4, S. 303. 104 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 146 zu § 4, S. 303. 105 Siehe zum Welthandelsargument bei völkerrechtswidrigen Enteignungen bereits § 12 I 1. 106 Siehe zur Fernwirkungsproblematik oben § 11 III; zur Anerkennung völkergewohnheitsrechtswidriger Enteignungen dinglicher Rechte auch die weiteren Ausführungen unten § 16 III 2.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
wird, soll die Kasuistik für Enteignungen dinglicher Rechte bezogen auf Art. 14 GG dargestellt werden.107 1. Anerkennung als Bezugspunkt der Bindung Die Grundrechte des Grundgesetzes binden nicht den fremden Enteignungsstaat, sondern gemäß Art. 1 Abs. 3 GG nur die deutsche Staatsgewalt.108 Die fremdstaatliche Enteignung selbst kann daher die Grundrechte nicht verletzen. Nur die mit der Anerkennungsentscheidung befassten deutschen Stellen müssen die Grundrechte beachten. Verstößt die Anerkennung gegen Grundrechte, darf sie nicht erfolgen. Es wird nicht zwischen tragbaren und untragbaren Grundrechtsverstößen unterschieden.109 Kern der Problematik ist damit die Frage, wann es gegen Grundrechte verstößt, eine fremdstaatliche Enteignung anzuerkennen. Teilweise wird zur Bestimmung der verfassungsrechtlichen Verantwortlichkeit Deutschlands als Anerkennungsstaat nicht auf verfassungsrechtliche Erwägungen abgestellt, sondern auf einfachrechtliche Dogmatik. Diejenigen, die bei der Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen nicht von einer „Anwendung“ ausländischen Rechts ausgehen, sondern nur „Rechtstatsachen hinnehmen“, möchten dadurch ausdrücklich die verfassungsrechtliche Verantwortlichkeit des Anerkennungsstaates Deutschland ausschließen.110 Dies aber ist aus normhierarchischen Gründen abzulehnen. Jedenfalls kann es verfassungsrechtliche Überlegungen nicht ersetzen.111
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Siehe zur Enteignung von Rechten an Sachen, die sich in Deutschland befinden, unten § 15 II 4; zur Enteignung von Rechten an Sachen, die sich im Enteignungsstaat befinden, unten § 15 II 5; zum weiten verfassungsrechtlichen Rahmen bei der Behandlung fremdstaatlicher Enteignungen von Rechten von und an Gesellschaften unten § 21 II. 108 Siehe allgemein BVerfG vom 4.5.1971 (1 BvR 636/68), in: BVerfGE 31, 75 (Spanier-Beschluss); Schröder, FS Schlochauer 1981, 138; Kronke, BerGesVR 38 (1998) 38; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 4, 5, S. 1228 f.; Hofmann, Grundrechte, 1994, 28 f., 72; Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 477 f., 481; Badura, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. II, 2006, § 47 Rn. 4, 9; Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. II, 2006, § 54 Rn. 10; Kloepfer, GR, 2010, Rn. 65 zu § 50 m.N.; ferner Bernstein, NJW 1965, 2275 l.Sp.; Stöcker, JR 1965, 457 r.Sp.; Behrens, Unternehmen, 1980, 79; AmbroschKeppeler, Anerkennung, 1991, 181, 200; Papier, NJW 1991, 194 r.Sp. f.; Berentelg, Act of State, 2010, 196; ungenau aber viele, etwa Lederer, Enteignung, 1989, 195 (man könne nicht davon ausgehen, daß die Art. 14 f. GG nur der deutschen Staatsgewalt Schranken setzten und deshalb bei der Anerkennung ausländischer Enteignungen keine Rolle spielten). 109 So BVerfG vom 4.5.1971 (1 BvR 636/68), in: BVerfGE 31, 86 (Spanier-Beschluss); Behrens, Unternehmen, 1980, 39 ff.; Kronke, BerGesVR 38 (1998) 49; Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 478 f. m.N. 110 Vgl. oben § 10 II 4, IV. 111 Ebenso Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 4, S. 1228.
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Das Grundgesetz regelt nun aber nicht ausdrücklich, welche fremdstaatlichen Enteignungen anerkannt werden können. Die Grundrechte sind für den innerstaatlichen Bereich konzipiert und berücksichtigen in ihren Formulierungen Auslandssachverhalte kaum.112 Die Reichweite der Grundrechte kann daher nur durch Auslegung der Grundrechte selbst ermittelt werden.113 Dabei stellt sich die Ausgangssituation auch hier ungünstig dar, wenn man seine Erkenntnisse in ein größeres System eingebettet wissen möchte. Die Reichweite der Grundrechte bei Auslandssachverhalten zu bestimmen, ist nämlich – wie die kollisionsrechtliche Bedeutung ausländischer Hoheitsakte oder ausländischen öffentlichen Rechts114 – in weiten Teilen ein weißer Fleck auf der juristischen Landkarte.115 Es soll denn auch nur versucht werden, einige grobe Linien zu ziehen. 2. Grundrechtskollisionsrecht im formellen Sinne
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Im internationalen Privatrecht der Verweisung116 stellen sich bei der Anwendung ausländischen Rechts in Deutschland zwei voneinander zu unterscheidende Grundrechtsfragen. Die erste Frage geht dahin, wann eine deutsche Kollisionsnorm mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Grundrechte sind hier unstreitig unmittelbar anzuwenden.117 Daneben stellt sich die wohl schwieriger zu beantwortende Frage, wann das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts mit den Grundrechten vereinbar ist. Nach überwiegend vertretener Auffassung bilden die Grundrechte keine unmittelbare Schranke gegenüber dem Anwendungsergebnis, sondern sind im Rahmen des Art. 6 S. 2 112
Schröder, FS Schlochauer 1981, 141; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 2, S. 1226; Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 17; Hofmann, Grundrechte, 1994, 1; Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 474, 482; Berentelg, Act of State, 2010, 195. 113 BVerfG vom 4.5.1971 (1 BvR 636/68), in: BVerfGE 31, 73, 77 (Spanier-Beschluss); Schröder, FS Schlochauer 1981, 144; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 617; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 4, S. 1228; Schemmer, ordre public, 1995, 117; Kronke, BerGesVR 38 (1998) 47, 66; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 2, 6 a, S. 1226, 1239; Bernstein, NJW 1965, 2275; Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 37; Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 481; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 261 zu § 7, S. 716; Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 137 zu Art. 6 EGBGB; Badura, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. II, 2006, § 47 Rn. 14. 114 Vgl. zu diesen beiden Fragen oben § 3. 115 Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 2, S. 1226 („überaus komplexe Probleme [...] in Verästelungen noch nicht vollständig durchdacht und gelöst“); Friauf/Scholz, Europarecht, 1990, 17; Hofmann, Grundrechte, 1994, 2 f.; Kropholler, IPR, 2006, § 36 IV 1, S. 252 („[h]ier das Richtige zu treffen und rational zu begründen, gehört gewiß zu den praktisch besonders schwierigen Aufgaben der Rechtsanwendung“). 116 Vgl. oben § 13 II 3. 117 BVerfG vom 4.5.1971 (1 BvR 636/68), in: BVerfGE 31, 71 (Spanier-Beschluss); Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 465 ff.; Ohler, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. VI/2, 2009, § 184 Rn. 20; davor schon Bernstein, NJW 1965, 2273.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
EGBGB, also des Ordre-public-Vorbehaltes, zu berücksichtigen.118 Nach anderer Auffassung soll ein in einem formellen Sinne verstandenes Grundrechtskollisionsrecht gebildet werden.119 Das BVerfG hat den Weg freigestellt.120 Für die verfassungsrechtlichen Fragen ist dieser Streitstand ohne jede Bedeutung. Gemäß Art. 6 S. 2 EGBGB greift der ordre public nämlich insbesondere dann ein, wenn das Anwendungsergebnis mit den Grundrechten unvereinbar ist. Die Vereinbarkeit des Anwendungsergebnisses mit den Grundrechten muss also ohnehin geprüft werden. Die Frage, ob die Grundrechte eine unmittelbare Schranke gegenüber dem Anwendungsergebnis darstellen, ist damit im internationalen Privatrecht der Verweisung ohne praktische Relevanz.121 Wie verhält es sich nun aber im internationalen Enteignungsrecht? Das internationale Enteignungsrecht verfügt über keine geschriebenen Kollisionsnormen.122 Man kann daher entweder fragen, inwiefern bereits die ungeschriebene Norm des Gebietsgrundsatzes zu weit gefasst ist (der „Vorwurf“ richtet sich dann gegen diejenigen, die die Regel aus den entschiedenen Fällen herausdestilliert haben),123 oder, inwiefern das Anwendungsergebnis im
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Sandrock, FS Mann 1977, 269; Schütz, ordre public, 1984, 132; Jayme, Methoden, 1989, 14 f.; Kronke, BerGesVR 38 (1998) 40; Spickhoff, ordre public, 1989, 116 ff., 118 m.N.; Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 24; Coester-Waltjen, BerGesVR 38 (1998) 19; Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 474; Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 135 f. zu Art. 6 EGBGB; Berentelg, Act of State, 2010, 217; MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 48 zu Art. 6 EGBGB; zudem besonders das öffentlichrechtliche Schrifttum: Badura, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. II, 2006, § 47 Rn. 4, 9, 34; Kempen, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. II, 2006, § 54 Rn. 11; Rüfner, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbStR, Bd. IX, 2011, § 197 Rn. 24; Dreier-ders., 2013, Rn. 87 zu Art. 1 Abs. 3 GG. 119 Siehe dazu, allerdings zur Rechtslage vor Einführung des Art. 6 S. 2 EGBGB, Wengler, JZ 1965, 102 r.Sp. und Bernstein, NJW 1965, 2275 r.Sp. (eine Behandlung im ordre public behindere die Erkenntnis); im internationalen Enteignungsrecht unmittelbar die Grundrechte heranziehen möchte wohl auch MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 27 zu Art. 46 EGBGB Anh.; vgl. auch Becker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbStR, Bd. XI, 2013, § 240 Rn. 54 (Art. 6 S. 2 komme nur eine deklaratorische Bedeutung zu). 120 BVerfG vom 4.5.1971 (1 BvR 636/68), in: BVerfGE 31, 86 (Spanier-Beschluss). 121 Ebenso Sandrock, FS Mann 1977, 269; Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 268 f.; Spickhoff, ordre public, 1989, 117, 119 f., 127; Kronke, BerGesVR 38 (1998) 48; Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 474; Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 137 zu Art. 6 EGBGB; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 27 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Becker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbStR, Bd. XI, 2013, § 240 Rn. 56. 122 Nachweise oben § 9 I Fn. 4. 123 Vgl. dazu den Ausspruch des BVerfG vom 4.5.1971 (1 BvR 636/68), in: BVerfGE 31, 75 (Spanier-Beschluss) zu kodifizierten Normen: „Ein Vorwurf könnte aber – wenn überhaupt – nur gegenüber dem deutschen Gesetzgeber erhoben werden, soweit er etwa bei der Berufung ausländischen Rechts voraussehbaren Konflikten mit einzelnen Grundrechten nicht durch mögliche Sonderregeln Rechnung getragen hat.“
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Einzelfall gegen ein Grundrecht verstößt. Der Maßstab der Prüfung ist in beiden Fällen derselbe.124 Das Ergebnis der Rechtsanwendung umfasst dabei nicht bloß den Umstand, dass fortan der Enteignungsbegünstigte Rechtsinhaber ist. Denn bloß ein Recht innezuhaben, ist neutral.125 Das Ergebnis der Rechtsanwendung bezieht vielmehr den Vorgang der Umverteilung mit ein.126 Gegenüber dem konkreten Anwendungsergebnis ist es auch im internationalen Enteignungsrecht unerheblich, ob man die Grundrechte für unmittelbar oder für (über den ordre public)127 mittelbar anwendbar erachtet. 3. Grundrechtskollisionsrecht im materiellen Sinne: Suche nach einem Maßstab § 15 Einschränkungen des positiven Gebietsgrundsatzes – II 3
Die Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen kommt in reinen Inlandsfällen nicht vor. Eine Anerkennung setzt immer schon den Bezug zu einer anderen Rechtsordnung voraus. Die Anerkennungsfrage kann daher nicht durch ein schlichtes „Ja“ oder „Nein“ der Anwendbarkeit der Grundrechte, wie sie aus innerstaatlichen Sachverhalten bekannt ist, beantwortet werden. Die Frage nach den Grenzen der Anerkennung ist gegenüber der Frage nach den Grenzen einer Enteignung bei rein nationalen Sachverhalten eigenständig und bedarf also eines eigenständigen Maßstabes. Bei der Herausbildung dieses Maßstabes ist zu beachten, dass das Grundgesetz berücksichtigt, dass Deutschland nur ein Staat unter vielen ist. Es möchte nicht mit der deutschen Elle die Welt vermessen.128 Deutschland hat sich der Welt und fremden Rechtsordnungen gegenüber in einem gewissen Sinne geöffnet.129 Dies kann im Ergebnis das Maß der Grundrechtswirkung herabsenken.130 124
Zum Maßstab sogleich § 15 II 3. Vgl. zur parallelen Frage beim ordre public unten § 15 III 2. 126 Siehe allgemein Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 478 Fn. 75. 127 Zur Frage, ob Art. 6 EGBGB unmittelbar oder analog anzuwenden ist oder ob im internationalen Enteignungsrecht auf den allgemeinen ordre public zurückgegriffen werden muss, unten § 15 III 1. 128 Vgl. auch BVerfG vom 4.5.1971 (1 BvR 636/68), in: BVerfGE 31, 74 f. (SpanierBeschluss) („[d]iese Anerkennung des Geltungsanspruchs der Grundrechte auch für die Anwendung des berufenen ausländischen Rechts bedeutet keine unzulässige Ausweitung des Geltungsbereichs des Grundgesetzes gegenüber dem fremden Staat oder einen Oktroi deutscher Wertvorstellungen gegenüber dem Ausland“); zudem BVerfG vom 26.10.2004 (2 BvR 955/00, 1038/01), in: BVerfGE 112, 27 (Bodenreform III) („Spannungsverhältnis zu der [...] verfassungsrechtlich gewollten internationalen Zusammenarbeit zwischen den Staaten“). 129 Näher, insbesondere zu den gängigen Formulierungen, Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 7, S. 1242 f. (völkerrechtsfreundliche Tendenz des Grundgesetzes, die Verfassungsentscheidung für internationale Zusammenarbeit und die Öffnung der deutschen Staatlichkeit, die Respektierung der Eigenständigkeit fremder Rechtsordnungen und die 125
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
Wenn nun aber der Grund für die zurückhaltende Durchsetzung eigener Vorstellungen die Achtung der Andersartigkeit fremder Rechtsordnungen ist, so muss bei einem Verstoß des Enteignungsstaates gegen einen übernationalen Maßstab keine Zurückhaltung mehr geübt werden.131 Im internationalen Enteignungsrecht ist dabei insbesondere an das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht132 und an die Menschenrechte133 zu denken. Diese übernationalen Maßstäbe sollen nach neuerer Ansicht sogar unmittelbar über Art. 25 GG den Inhalt des ordre public bestimmen und damit die Grundrechtsprüfung, sei es unmittelbar oder im Rahmen des ordre public, verzichtbar machen.134 Sie können aber auch dazu dienen, die unmittelbar oder im Rahmen des Art. 6 S. 2 EGBGB zu prüfenden Grundrechte zu stärken.135 Dieser Weg, also sich an übernationalen Maßstäben zu orientieren, ist zukunftsträchtig, da er den „außerordentlich hohen Grad an Komplexität zu reduzieren“ helfen kann, was die Lösungen vorhersehbarer macht und damit Rechtssicherheit schafft.136 Noch ist er allerdings nicht gangbar. Er hat die Schwierigkeit, dass die übernationalen Maßstäbe zu den kollisionsrechtlichen Problemen keine Stellung beziehen. Eine entschädigungslose Enteignung eines Ausländers etwa verstößt zwar gegen übernationale Maßstäbe.137 Der Verstoß schließt aber ihre Anerkennung nicht aus.138 Auch die EMRK beurteilt Enteignung und Anerkennung getrennt voneinander.139 Um die Grundrechtswirkung bei Auslandssachverhalten zu bestimmen, ist es also zumindest
Einbettung der Bundesrepublik Deutschland in die Staaten- und Rechtsgemeinschaft); ferner Vogel, Anwendungsbereich, 1965, 413 ff.; Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 20 f.; Hofmann, Grundrechte, 1994, 69 f., 72; Kokott, BerGesVR 38 (1998) 98 f.; Ohler, Kollisionsordnung, 2005, 295; Berentelg, Act of State, 2010, 199 f. m.N. 130 Hofmann, Grundrechte, 1994, 152; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 147 Fn. 780 zu § 4, S. 304; Papier, NJW 1991, 195 l.Sp.; Kloepfer, GR, 2010, Rn. 65 zu § 50; allgemein auch Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 479 ff.; ders., IPR, 2004, Rn. 26 zu Art. 6 EGBGB; Hofmann, Grundrechte, 1994, 69, 72; Kokott, BerGesVR 38 (1998) 99; Ohler, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. VI/2, 2009, § 184 Rn. 24 f.; Becker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbStR, Bd. XI, 2013, § 240 Rn. 33. 131 Vgl. zu diesem Gedanken beim ordre public unten § 15 III 3. 132 Zu diesem oben § 4 I am Anfang. 133 Zu diesen oben § 5. 134 Dafür sind Kokott, BerGesVR 38 (1998) 105 ff. und Voltz, Menschenrechte, 2002, 52 ff. 135 So Stöcker, StAZ 1981, 16 ff.; Kronke, BerGesVR 38 (1998) 52; Kokott, BerGesVR 38 (1998) 110 f.; Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 482; Ohler, Kollisionsordnung, 2005, 297; vgl. auch Coester-Waltjen, BerGesVR 38 (1998) 27 m.N.; in derselben Richtung, aber vorsichtiger, v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 269 zu § 7, S. 720. 136 Ohler, Kollisionsordnung, 2005, 302. 137 Vgl. oben § 4 I am Anfang. 138 Dazu, dass das Völkergewohnheitsrecht die Anerkennung freistellt, oben § 4 I. 139 Siehe oben § 5.
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beim derzeitigen Stand nicht möglich, auf einen übernationalen Maßstab zurückzugreifen. Doch kann die Problematik auch ohne Rückgriff auf einen übernationalen Maßstab weiter eingegrenzt werden. So wurde für das internationale Privatrecht der Verweisung140 eine „Dreistufenprüfung“ vorgeschlagen, um zu ermitteln, ob überhaupt ein verfassungsrechtliches Problem vorliegt.141 Die Stufen lauten: (1) Der ausländische Akt darf nicht in Deutschland in der gleichen Weise verfassungsgemäß ergehen können. (2) Das Ergebnis darf in Deutschland nicht auf andere Weise, etwa durch die Wahl anderer Anknüpfungspunkte, zu erreichen sein. (3) Es muss ein ausreichender Inlandsbezug vorliegen (da das deutsche Grundrechtssystem anderen Rechtsordnungen nicht aufgedrängt werden dürfe).142 Wendet man diesen Dreischritt auf die Anerkennung entschädigungsloser Enteignungen an, sind die ersten beiden Stufen unproblematisch erfüllt: In Deutschland darf gemäß Art. 14 Abs. 3 GG nicht entschädigungslos enteignet werden.143 Das Ergebnis des entschädigungslosen Rechtsentzugs kann auch nicht auf anderem Wege erreicht werden. Entscheidend wäre damit letztlich der Bezug des Sachverhaltes zur deutschen Rechtsordnung, der sogenannte Inlandsbezug.144 140
Vgl. oben § 13 II 3. Coester-Waltjen, BerGesVR 38 (1998) 22 f.; ihr folgend Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 147 zu Art. 6 EGBGB; ähnlich Kronke, BerGesVR 38 (1998) 48; siehe auch v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 266 zu § 7, S. 718 (das Ergebnis sei jedenfalls tolerabel, wenn das deutsche Recht es mit anderen Mitteln selbst erreichen könne); siehe auch Jayme, Methoden, 1989, 33, 41 ff. (er möchte den ordre public in einem Fünfschritt konkretisieren; zu prüfen seien: (1) der Sinn und Zweck des ausländischen Rechts, (2) eine etwaige rechtspolitische Erschütterung des ausländischen Rechtssatzes, (3) die Vereinbarkeit mit rechtsvergleichenden und internationalen Maßstäben, (4) die Wesentlichkeit des eigenen Rechtssatzes, (5) der Inlandsbezug). 142 Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 269; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 4, 7, S. 1228, 1242 f.; Schröder, FS Schlochauer 1981, 138; Hofmann, Grundrechte, 1994, 70; Ohler, Kollisionsordnung, 2005, 294; Kloepfer, GR, 2010, Rn. 65 zu § 50. 143 Die Besonderheit des Art. 15 GG sei beiseitegelassen. Die Vorschrift wurde noch nie angewendet. Ob sie auch einen entschädigungslosen Entzug zulässt, ist umstritten; dazu Epping/Hillgruber-Axer, 2013, vor Rn. 1 zu Art. 15 GG und Kloepfer, GR, 2010, Rn. 186 zu § 72. 144 Vgl. BVerfG vom 4.5.1971 (1 BvR 636/68), in: BVerfGE 31, 77 (SpanierBeschluss) (es „kann ein Grundrecht wesensgemäß eine bestimmte Beziehung zur Lebensordnung im Geltungsbereich der Verfassung voraussetzen, so daß eine uneingeschränkte Durchsetzung in ganz oder überwiegend auslandsbezogenen Sachverhalten den Sinn des Grundrechtsschutzes verfehlen würde. Wieweit dies der Fall ist, läßt sich nicht allgemein bestimmen. Vielmehr ist jeweils durch Auslegung der entsprechenden Verfassungsnorm festzustellen, ob sie nach Wortlaut, Sinn und Zweck für jede denkbare Anwendung hoheitlicher Gewalt innerhalb der Bundesrepublik gelten will oder ob sie bei Sachverhalten mit mehr oder weniger intensiver Auslandsbeziehung eine Differenzierung zuläßt oder ver141
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
Dieser Inlandsbezug, der die Reichweite der Grundrechte bestimmt, ist dabei von demjenigen zu unterscheiden, der den ordre public betrifft.145 Wann ein hinreichender Inlandsbezug in jenem Sinne vorliegen soll, bleibt aber im Dunkeln. Die Prüfung bestätigt damit, dass ein verfassungsrechtliches Problem besteht, löst es aber nicht. Es müsste nämlich noch festgestellt werden, wann der Inlandsbezug ausreichend stark ist, um letztlich die eigenen Maßstäbe mittelbar, also im Rahmen der Anerkennungsentscheidung, an den ausländischen Enteignungsakt anzulegen. Die anzustellenden Erwägungen dürften freilich nicht rein räumlich sein. Man kann nun neben dem Bereich, der sich mit der bereits behandelten, belanglosen Frage, ob die Grundrechte gegenüber dem Anwendungsergebnis unmittelbar eine Schranke bilden oder über Art. 6 S. 2 EGBGB zu berücksichtigen sind, beschäftigt,146 auch das Gebiet als Grundrechtskollisionsrecht bezeichnen, das den materiellen Gewährleistungsgehalt der Grundrechte bei Auslandssachverhalten bestimmt. Ein solcher Bereich ist unverzichtbar.147 Man kann bei diesem vom Grundrechtskollisionsrecht im materiellen Sinne sprechen. Dieses Grundrechtskollisionsrecht ist einseitig, da es sich nur mit den Aussagen der Grundrechte des Grundgesetzes beschäftigt.148 Grundrechtsdogmatisch sollte das Problem dabei nicht beim internationalen Anwendungsbereich der Grundrechte angesiedelt werden, sondern aufgrund der dann möglichen Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Rechtfertigung.149
langt“); Einsele, RabelsZ 51 (1987) 617; Kronke, BerGesVR 38 (1998) 49; vgl. auch Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 467 ff.; Behrens, Unternehmen, 1980, 40; zurückhaltender Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 34 f.; unzutreffend dagegen Schemmer, ordre public, 1995, 147 ff., 151 (die Grundrechte kämen im internationalen Verwaltungsrecht uneingeschränkt zur Anwendung; Kritik: Schemmer unterscheidet nicht ausreichend zwischen den unterschiedlichen Bedeutungsebenen des Begriffs des internationalen Verwaltungsrechts oder des internationalen öffentlichen Rechts, zu diesen oben § 10 I 1). 145 Ebenso Einsele, RabelsZ 51 (1987) 617 f.; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 264 zu § 7, S. 717 und Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 138 zu Art. 6 EGBGB; anders vielleicht Sandrock, FS Mann 1977, 277; zum Inlandsbezug beim ordre public unten § 15 III 3. 146 Zu dieser Frage soeben § 15 II 2. 147 Siehe schon Wengler, JZ 1965, 102 r.Sp. und Bernstein, NJW 1965, 2275 f., 2276 r.Sp.; ferner Schurig, Kollisionsnorm, 1981, 267 f.; Spickhoff, ordre public, 1989, 120; Friauf/Scholz, Europarecht, 1990, 18; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 2, S. 1226; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 261 f. zu § 7, S. 716 f.; Kropholler, IPR, 2006, § 36 IV 3, S. 253; Ohler, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. VI/2, 2009, § 184 Rn. 21; MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 333 zu Einl. IPR und Rn. 50 Fn. 170 zu Art. 6 EGBGB (sachrechtliche Reichweite der Grundrechte); vgl. auch Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 23 f., 34 ff., 314 und Becker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbStR, Bd. XI, 2013, § 240 Rn. 32. 148 MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 333 zu Einl. IPR; i.E. ähnlich Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 38 f., 313. 149 Vgl. auch Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 169 m.N.
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Ein Grundrechtskollisionsrecht im materiellen Sinne ist notwendigerweise unbestimmt.150 Man kann sich der Lösung auf zweierlei Weise nähern. Es können einerseits allgemeine Leitlinien herausgearbeitet werden, die bei der Regelbildung zu berücksichtigen sind.151 Andererseits können in den einzelnen Bereichen die durch die Rechtsprechung und Literatur erzielten und gebilligten Ergebnisse in Fallgruppen geordnet152 und kritisch gewürdigt werden. Eine solche kritische Fallgruppenbildung soll im Folgenden für die Enteignung dinglicher Rechte versucht werden.153 Dabei soll danach unterschieden werden, ob sich die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, in Deutschland oder im Enteignungsstaat befindet. Die Prüfung der verfassungsrechtlichen Verantwortlichkeit sei in dieser Untersuchung auf Art. 14 GG beschränkt. Ferner wäre insbesondere an die Art. 3, 4 und 103 GG zu denken.154 4. Sachen in Deutschland
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Enteignet die deutsche Staatsgewalt, muss sie sich an die Vorgaben des Art. 14 Abs. 3 GG155 halten. Eine teilweise vertretene Ansicht betrachtet nun die Anerkennung einer fremdstaatlichen Enteignung von Rechten an in Deutschland befindlichen Sachen als Enteignung durch Deutschland.156 Sie 150 Schröder, FS Schlochauer 1981, 138, 141; Kronke, BerGesVR 38 (1998) 51 (es handele sich um ein offenes, bewegliches Argumentationsprinzip ohne Anbetung dogmatischer Götzen wie des Territorialitätsprinzips), 66; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 3, S. 1227; Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 43 („[d]as Grundrechtskollisionsrecht kann nun nicht weniger konkretisierungsbedürftig sein als die Grundrechte selbst“), 69, 71 (es sei kein widerspruchsfreies System aus einem Guss), 312, 319; Hofmann, Grundrechte, 1994, 29 f. 151 Dazu MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 59 zu Art. 6 EGBGB. 152 Schröder, FS Schlochauer 1981, 141; Kronke, BerGesVR 38 (1998) 48; MüKoSonnenberger, 2010, Rn. 59 zu Art. 6 EGBGB; vgl. auch Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 172. 153 Zum verfassungsrechtlichen Rahmen bei der Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen unten § 21 II. 154 Zur Bedeutung dieser Vorschriften im Rahmen des ordre public unten § 15 III 2. 155 Art. 14 Abs. 3 GG: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. [...]“ 156 Stöcker, WM 1964, 536 Fn. 50, 537; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 622 ff., 627 Fn. 120; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 179, 183, 192, 200, 226 f.; Hofmann, Grundrechte, 1994, 151 f.; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 824 zum IntGesR; Berentelg, Act of State, 2010, 208; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 24 zu Art. 46 EGBGB Anh.; ähnlich i.E. Herdegen, ZGR 20 (1991) 565 f.; vgl. auch die verwandte Begründung von Schulze, Recht, 1972, 168 (Enteignungen dinglicher Rechte seien, wenn sich die Sache in Deutschland befinde, nicht anzuerkennen, weil das Rechtsverhältnis der inländischen Freiheitsgarantie unterfalle).
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stellt Enteignung und Anerkennung gleich. Als Argument wird angeführt, dass aufgrund der Getrenntheit der Rechtsordnungen157, des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips158 oder Ähnlichem die fremdstaatliche Enteignung nicht über die Staatsgrenzen des Enteignungsstaates hinaus „wirke“159 oder außerhalb des Enteignungsstaates nicht vollstreckt werden könne. Die Anerkennung selbst verlange daher ein den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG bei Inlandssachverhalten genügendes deutsches Gesetz. Die Hoffnung auf Gegenseitigkeit genüge dabei als deutscher Allgemeinwohlbelang im Sinne des Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG nicht.160 Da die Voraussetzungen regelmäßig nicht erfüllt seien, komme die Anerkennung einer solchen Enteignung (ob entschädigt oder entschädigungslos) nicht in Betracht.161 Die Gleichstellungslösung ist abzulehnen. Sie geht von einem veralteten verfassungsrechtlichen Enteignungsbegriff aus. Das BVerfG grenzt Enteignungen von Inhalts- und Schrankenbestimmungen formal nach Form und Zweck ab.162 Der Enteignungsbegünstigte kann dabei zwar auch Privater sein.163 Eine Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne erfordert jedoch eine mindestens teilweise Entziehung konkreter Positionen zur Güterbeschaffung zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben.164 Gemessen an dieser Definition wäre es keine Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne, wenn deutsche rechtsanwendende Stellen (über den Gebietsgrundsatz hinaus)165 annähmen, auch Enteignungen extraterritorialer dinglicher Rechte wären anzuerkennen. Legten sie ihrer Entscheidung eine allgemeine Regel zugrunde, durchbrächen sie nicht punktuell die Güterzuordnung; jedenfalls aber diente die Rechtsentziehung nicht der Güterbeschaffung zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben. Die Anerkennung einer fremdstaatlichen Enteignung und eine Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne durch deutsche Stellen sind also unterschiedliche Dinge. 157
Vgl. oben § 4 I 1 a.E. Vgl. oben § 4 II 2. 159 Zur Begriffskritik oben § 4 III 2. 160 So, allerdings zu Gesellschaftsenteignungen, Einsele, RabelsZ 51 (1987) 623 und Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 823 zum IntGesR; a.A. Behrens, Unternehmen, 1980, 79. 161 So i.E. Herdegen, ZGR 20 (1991) 565 f.; ders., IntWirtR, 2014, Rn. 21 zu § 20; Hofmann, Grundrechte, 1994, 150 f.; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 824 zum IntGesR; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 24 zu Art. 46 EGBGB Anh.; ihr wohl auch insofern folgend Becker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbStR, Bd. XI, 2013, § 240 Rn. 94. 162 Epping/Hillgruber-Axer, 2013, Rn. 78 zu Art. 14 GG; Kloepfer, GR, 2010, Rn. 106 zu § 72; vgl. zum verfassungsrechtlichen Begriff der Enteignung auch oben § 9 I 1. 163 Epping/Hillgruber-Axer, 2013, Rn. 75 zu Art. 14 GG. 164 BVerfG vom 22.5.2001 (1 BvR 1512, 1677/97), in: BVerfGE 104, 10 (Baulandumlegung); BVerfGE vom 18.1.2006 (2 BvR 2194/99), in: BVerfGE 115, 112 (Halbteilungsgrundsatz); Kloepfer, GR, 2010, Rn. 107 zu § 72; Epping/Hillgruber-Axer, 2013, Rn. 73, 80 zu Art. 14 GG; Sachs, GR, 2003, B 14 Rn. 21, S. 439. 165 Siehe einführend zum Gebietsgrundsatz oben § 9 I am Anfang. 158
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Ist die Gleichstellungslösung auch dogmatisch fragwürdig, sind ihre praktischen Ergebnisse doch in der Regel zutreffend. Besser aber als mit dem Gleichstellungsargument kann man das Ergebnis, dass eine Anerkennung von Enteignungen extraterritorialer dinglicher Rechte verfassungswidrig wäre, über das starke Abweichen des ausländischen (entschädigungslosen) Enteignungsaktes von grundlegenden Prinzipien der deutschen Rechtsordnung begründen. Der starke Inlandsbezug über den Lageort der Sache zum Zeitpunkt der Enteignung erlaubt es, die deutschen Vorstellungen mittelbar an den ausländischen Enteignungsakt anzulegen.166 Die Gleichstellungslösung führt indes zwangsläufig zur Nichtanerkennung von Enteignungen extraterritorialer dinglicher Rechte. Dies aber ist zu streng. Wenn der richterrechtliche Gebietsgrundsatz einem in Sonderfällen möglichen Bedürfnis nach weitergehender Anerkennung auch nicht stattgibt, so kann doch nicht gesagt werden, dass eine Anerkennung gewisser extraterritorialer entschädigter Enteignungen auch in besonders gelagerten Fällen von vornherein bereits durch das Grundgesetz ausgeschlossen wäre. Man sollte daher eine Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen von Rechten an in Deutschland befindlichen Sachen nicht als Enteignung im verfassungsrechtlichen Sinne auffassen, sondern als einen rechtfertigungsbedürftigen sonstigen Eingriff. Regelmäßig dürfte freilich die verfassungsrechtliche Rechtfertigung einer ohne gesetzliche Grundlage erfolgenden Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen von Rechten an in Deutschland befindlichen Sachen nicht möglich sein. Dies gilt insbesondere bei entschädigungslosen Enteignungen. Ein solches verfassungsrechtliches Anerkennungsverbot wird allerdings ohnehin nicht wirksam. Denn nach dem richterrechtlichen (negativen) Gebietsgrundsatz167 sind Enteignungen extraterritorialer dinglicher Rechte nicht anzuerkennen. Der negative Gebietsgrundsatz hält sich damit im verfassungsrechtlichen Rahmen. Im Regelfall ist er sogar verfassungsrechtlich geboten. 5. Sachen im Enteignungsstaat
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Die richterrechtliche Anerkennungsregel des positiven Gebietsgrundsatzes anerkennt, vorbehaltlich des ordre public, (auch entschädigungslose) Enteignungen intraterritorialer dinglicher Rechte. Nach fast ausschließlich vertretener Ansicht ist dieses einfachrechtliche Ergebnis mit Art. 14 GG vereinbar.168 166
Vgl. zur Dreistufenprüfung und zur Bedeutung des Inlandsbezugs oben § 15 II 3. Zu diesem oben § 9 I. 168 So vor allem die berühmte Bodenreform-I-Entscheidung des BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 124 (siehe zur Bodenreform-Entscheidung Maurer, JZ 1992, 183 ff.; Schildt, DtZ 1992, 97 und Horn, in: Gilbert u.a. [Hrsg.], Eigentumsrecht, 2008, 91 f. mit umfangreichen Nachweisen in Fn. 50); zudem Leisner, NJW 1991, 1569; Stöcker, WM 1965, 453; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 620 Fn. 85; Ambrosch167
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Die Anerkennung erfordert dabei keine gesetzliche Grundlage. Der Vorbehalt des Gesetzes greift nicht.169 Der deutsche Staat kann zwar selbst nur aufgrund einer gesetzlichen Grundlage enteignen. Anerkennt Deutschland eine fremdstaatliche Enteignung, hat es aber nur einen Rechtsstreit zwischen Privaten zu entscheiden. Die hoheitliche Unterordnung des Enteigneten im Verhältnis zum deutschen Richter beschränkt sich auf dessen Richterrolle. Es wäre aber verfehlt, wenn der deutsche Richter mangels gesetzlicher Regelung einen solchen Konflikt zwischen Privaten nicht entscheiden würde. Während das praktische Ergebnis fast allgemein geteilt wird, ist die grundrechtsdogmatische Konstruktion schwierig. Unklar ist insbesondere, welche Grundrechtsfunktion bei der Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen einschlägig ist. Dabei ist schon bei nationalen Sachverhalten umstritten, wie die Grundrechte im Privatrecht wirken. Schwieriger liegen die Dinge im internationalen Privatrecht bzw. im privatrechtlichen internationalen öffentlichen Recht170 und noch schwieriger schließlich dort (aufgrund dessen Normgeprägtheit) im Hinblick auf Art. 14 GG. Die Frage nach der Funktion ist nun aber wichtig, weil der Maßstab der Grundrechtsprüfung von ihr abhängt. 171 Im Privatrecht bei nationalen Sachverhalten wirken die Grundrechte nach dem BVerfG nicht als subjektive Rechte, also insbesondere nicht als Abwehroder Leistungsrechte, sondern über ihren objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalt.172 Das BVerfG spricht von der „Ausstrahlungswirkung“ der Grund-
Keppeler, Anerkennung, 1991, 245; Hofmann, Grundrechte, 1994, 52; Kronke, BerGesVR 38 (1998) 48; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 147 zu § 4, S. 304, Rn. 267 zu § 7, S. 719; Spickhoff, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 288, 290. – A.A. Peters, in: Kegel (Vortragender), Probleme, 1956, 43 f. [Diskussionsbeitrag]; für einen Verstoß gegen Art. 14 GG, jedenfalls bei persönlichkeitsbezogenem Eigentum, auch MüKoKreuzer, 1998, Rn. 17 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; unterscheidend Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 6 c, S. 1241 („[s]o brauchen z.B. ausschließlich im fremden Recht gegen Nicht-Deutsche durchgeführte entschädigungslose Enteignungen nicht in jedem Falle wegen Verstoßes gegen Art. 14 Abs. 3 GG für unwirksam gehalten zu werden“), § 72 V 8 c, S. 1247 (entschädigungslose Enteignungen deutschen Eigentums könnten aber nicht anerkannt werden). 169 A.A. wohl nur Berentelg, Act of State, 2010, 215 (sie geht davon aus, dass eine Anerkennung mangels gesetzlicher Grundlage verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden könne und also der Gebietsgrundsatz verfassungswidrig sei; bis zu einer Kodifikation möchte sie aber mit der herrschenden Meinung anerkennen); vgl. zum Vorbehalt des Gesetzes bereits § 10 IV; ferner BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 123 f. (Bodenreform I) (das Gericht ist auf die Frage nach dem Vorbehalt des Gesetzes nicht eingegangen). 170 Zum Begriff oben § 10 I 1. 171 Vgl. zu konkreten Folgerungen aus den Grundrechtsfunktionen auch unten § 21 II. 172 Kloepfer, GR, 2010, Rn. 34 zu § 48.
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rechte.173 Nach neuerer Einsicht eines Teils des Schrifttums dagegen sind die Grundrechte auch gegenüber privatrechtlichen Normen als Abwehrrechte einschlägig und wirken also für den Staat als Eingriffsverbote.174 Privatrechtsnormen dienen daneben häufig zugleich der Verwirklichung grundrechtlicher Schutzgebote.175 Hier gilt nur das Untermaßverbot. In das Grundrecht des einen wird eingegriffen, um das Grundrecht eines anderen zu schützen. Ordnet man nun, anders als das BVerfG, zumindest bestimmte privatrechtliche Normen auch der Abwehrfunktion zu, darf man freilich nicht alles, was das BVerfG mit der Zuordnung verbindet, übernehmen.176 Die Zuordnung ist aber bedeutsam für den Maßstab der Prüfung. Bei Eingriffsverboten ist nämlich nicht nur das Willkürverbot zu beachten, sondern auch das Übermaßverbot, es muss also die Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.177 Ob der zugrunde liegende Rechtssatz gesetzlich festgeschrieben ist oder durch den Richter gebildet wird, ist unerheblich.178 Der Grundrechtsbindung ist dabei der Satz unterworfen, den der Richter seiner Entscheidung zugrunde legt; die Grundrechtsbindung erfolgt nicht erst aus der Entscheidung des Gerichts.179 Der Streit kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. Die weiteren Ausführungen aber sollen (insbesondere begrifflich) auf der Grundlage der erwähnten Literaturansicht erfolgen, da sie die sachgerechtere Dogmatik bietet und in der Sache ohnehin mit der Ansicht des BVerfG übereinstimmt.180 Es fragt sich nun, wie die Dinge im internationalen Enteignungsrecht liegen. Der Inhalt des verfassungsrechtlichen Eigentums im Sinne des Art. 14 GG wird in gewisser Weise durch das einfache Recht, also auch das deutsche
173
Erstmalig BVerfG vom 15.1.1958 (1 BvR 400/51), in: BVerfGE 7, 207 (Lüth); vgl. auch Sandrock, FS Mann 1977, 288; kritisch zur Lüth-Entscheidung Canaris, Grundrechte, 1999, 27 ff. 174 Canaris, JuS 1989, 162 l.Sp. m.N.; ders., AcP 184 (1984) 210 ff., 245 unter Berufung beispielsweise auf BVerfG vom 4.5.1971 (1 BvR 636/68), in: BVerfGE 31, 58 (Spanier-Beschluss) auf S. 212 in Fn. 40; ders., Grundrechte, 1999, 19, 22 f. m.N., 25, 91; Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 485; Maunz/Dürig-Herdegen, 2014, Rn. 61 zu Art. 1 Abs. 3 GG. 175 Canaris, Grundrechte, 1999, 20. 176 So der Einwand von Kloepfer, GR, 2010, Rn. 63 zu § 50; dies räumt Canaris, Grundrechte, 1999, 22 freilich selbst ein. 177 Siehe nur Canaris, Grundrechte, 1999, 19, 33. 178 Canaris, JuS 1989, 162 l.Sp.; ders., Grundrechte, 1999, 26 f., 92; siehe auch Kloepfer, GR, 2010, Rn. 95 zu § 72. 179 Canaris, Grundrechte, 1999, 26 f. 180 Siehe Canaris, Grundrechte, 1999, 19, 22 f. m.N. (dies sei im Ergebnis ganz herrschende Lehre und stimme der Sache nach auch mit der Ansicht des BVerfG überein).
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Kollisionsrecht, bestimmt.181 Ist jemand Eigentümer einer im Ausland befindlichen Sache, dann ist die Position im Sinne des Art. 14 GG diejenige, die ihm das deutsche Kollisionsrecht vermittelt. Ordnet das Kollisionsrecht an, dass ein Recht an einer Sache, die sich im Ausland befindet, aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung nur so lange besteht, bis der Lagestaat der Sache das Recht an ihr enteignet, so war die Position von vornherein begrenzt und besteht nach einer entsprechenden fremdstaatlichen Enteignung nicht mehr fort. Weitere Akte der deutschen Staatsgewalt, die auf der auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung veränderten Rechtslage aufbauen, greifen daher in der Tat nicht in Art. 14 GG ein.182 Dies führt aber nicht dazu, dass das internationale Enteignungsrecht bloße Vorfrage für eine Prüfung des Art. 14 GG als Abwehrrecht ist.183 Die richterrechtliche Anerkennungsregel selbst muss nämlich verfassungsgemäß sein, insbesondere die Verhältnismäßigkeit wahren.184 Die herrschende Meinung scheint dagegen bereits den Schutzbereich des Art. 14 GG als Abwehrrecht des Enteigneten als nicht eröffnet anzusehen. Die Anerkennung habe keine selbständige Eingriffsqualität.185 Dabei wird 181
Vgl. Berentelg, Act of State, 2010, 214 Fn. 419, nach der die Anerkennungsregel Inhalts- und Schrankenbestimmung ist; vgl. allgemein Maunz/Dürig-Papier, 2014, Rn. 35 ff. zu Art. 14 GG; Kloepfer, GR, 2010, Rn. 16 zu § 72. 182 Vgl. BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 123 (Bodenreform I) („[n]ach der Rechtslage, die in den westlichen Besatzungszonen und später in der Bundesrepublik bestand, war den Betroffenen [...] keine vermögenswerte, durchsetzbare Rechtsposition verblieben“); BVerwG vom 3.5.1996 (4 B 46/96), in: VIZ 1996, 512. 183 So aber Steinberg, NJ 1991, 4 l.Sp. (es sei ein Zirkel, bei der Prüfung des ordre public mit Art. 14 GG zu argumentieren, da es gerade um dessen Anwendbarkeit gehe); Czarnecki/Lenksi, VR, 2007, Fall 5, S. 107 (zu prüfen, ob die Anerkennungsentscheidung gegen Art. 14 GG verstoße, führe zu einem Zirkelschluss); umgekehrt Berentelg, Act of State, 2010, 214 (das Argument, es bestehe keine geschützte Rechtsposition mehr, sei ein Zirkel, da die Anerkennungsregel erst entscheide, ob die Rechtsposition aus deutscher Sicht noch bestehe). 184 Vgl. allgemein Maunz/Dürig-Papier, 2014, Rn. 38 zu Art. 14 GG. 185 Vgl. die sehr speziellen und nicht den Gebietsgrundsatz, sondern eine gesetzliche Anerkennung betreffenden Entscheidungen BVerfG vom 18.4.1996 (1 BvR 1452, 1459/90 und 2031/94), in: BVerfGE 94, 47 (Bodenreform II) (aus der Nichtanerkennung erwachsende „Rechtspositionen wären auch ohne die angegriffenen Regelungen jedenfalls nicht durchsetzbar und damit praktisch wertlos gewesen“) und BVerfG vom 26.10.2004 (2 BvR 955/00, 1038/01), in: BVerfGE 112, 20 f. (Bodenreform III) („[w]er langfristig von der Verfügung über sein Eigentum völkerrechtlich legitim durch eine fremde Hoheitsgewalt ausgeschlossen wird, verliert seine Rechtsstellung als Eigentümer. [...] Durchtrennt eine völkerrechtlich legitim ins Leben getretene Rechtsordnung wie das sowjetische Besatzungsregime die Verbindung von Eigentümer und Eigentumsgegenstand, so endet unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit des Entzugs mit der Enteignung die förmliche Rechtsstellung des Eigentümers“); siehe ferner OLG Nürnberg vom 10.7.1953 (4 U 218/51), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 9 (interlokal, Rundstrickmaschine); mit einem „bereits
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entweder auf die Lage der körperlichen Bezugs- bzw. Bezugsersatzobjekte (zu den Begriffen oben § 9 I 2) oder einseitig auf die Rechtsordnung des Enteignungsstaates abgestellt: Der Enteignungsstaat könne die Enteignung auf seinem Gebiet selbst vollziehen, der Rechtsverlust sei in der Rechtsordnung des Enteignungsstaates schon endgültig eingetreten, eine etwaige Rechtsposition sei ohnehin wertlos etc. Erst der Gebietsgrundsatz als innerstaatliche Anerkennungsregel entzieht jedoch dem Enteigneten für die deutsche Rechtsordnung sein Eigentum. Dies verschlechtert seine Stellung erheblich. Dass vor den deutschen Gerichten um die Anerkennung gestritten wird, belegt, wie erheblich sie ist. Man kann die Problematik und die Wirkungsweise des Art. 14 GG hier etwas präzisier fassen, indem man Extremfälle betrachtet. Einerseits wäre eine internationalenteignungsrechtliche Anerkennungsregel, die alle denkbaren (etwa entschädigungslosen) fremdstaatlichen Enteignungen anerkennen würde, auch beispielsweise im Hinblick auf Rechte an Sachen in Deutschland, verfassungswidrig, da sie aufgrund ihrer Unverhältnismäßigkeit das Abwehrrecht des Enteigneten aus Art. 14 GG verletzten würde. Andererseits wäre (sofern man das allein durch die ausländische Rechtsordnung gewährte Eigentum als im Sinne des Art. 14 GG tatbestandsmäßig begreift)186 eine Regel, die keine Enteignungen anerkennt, nicht einmal inzident im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche für Sachen, die sich nach wie vor im Enteignungsstaat befinden,187 wohl ebenfalls verfassungswidrig, weil sie eine aus Art. 14 GG folgende Schutzpflicht (Anknüpfungspunkt wäre wohl das Eigentumsrecht, dass der ausländische Staat einräumt) verletzen würde. Hier ginge es um das Unterlassen einer grundrechtlich gebotenen Handlung (Untermaßverbot). eingetretenen Rechtszustand“ argumentiert zum ordre public schon AG Berlin-Schöneberg vom 5.11.1928 (27 G 107/28), in: IPRspr 1928, Nr. 16 (Russland, Kunstgegenstände); auch LG Berlin vom 11.12.1928, in: IPRspr 1929, Nr. 9 (Russland, Kunstgegenstände); aus der Literatur so oder ähnlich Behrens, Unternehmen, 1980, 41; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 181 (sogar zu Gesellschaftsenteignungen: die Änderung der Rechtslage sei durch die ausländische Enteignung bereits eingetreten; der anerkennenden Entscheidung fehle es an jeglicher Eingriffsqualität); Herdegen, ZGR 20 (1991) 566; Papier, NJW 1991, 195 l.Sp., 196; Becker, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbStR, Bd. XI, 2013, § 240 Rn. 35, 93, 94 (ein Eingriff einer „ausländische[n], nicht an die Grundrechte gebundene[n] Staatsgewalt in eine durch eine fremde Rechtsordnung begründete, geschützte und im Ausland belegene Eigentumsposition [...] ist [...] von der deutschen Staatsgewalt hinzunehmen, da die deutschen Grundrechte hier kein Maßstab sein können“; „der als Vorfrage zu beurteilende Sachverhalt unterliegt unter keinem Gesichtspunkt der Grundrechtsbindung“); kritisch hingegen Berentelg, Act of State, 2010, 212 ff. 186 Zumindest auch an die Rechtsordnung des Enteignungsstaates anzuknüpfen, erwägt auch das BVerfG, vgl. BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 122 (Bodenreform I). 187 Vgl. zur Rechtslage bis zur Verbringung der Sache unten § 16 I.
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Nun nimmt aber die richterrechtliche Regel des Gebietsgrundsatzes keine so extreme Position ein. Nach dem Gebietsgrundsatz sind nämlich (auch entschädigungslose) Enteignungen (vorbehaltlich des ordre public) dann und nur dann anzuerkennen, wenn sich die Sache zum Zeitpunkt der Enteignung auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates befunden hat. Es fragt sich, wie diese Regel verfassungsrechtlich zu beurteilen ist. Das BVerfG erklärt zwar in seiner Grundeigentum betreffenden Bodenreform-I-Entscheidung den unter dem Vorbehalt des ordre public stehenden Gebietsgrundsatz für verfassungsgemäß.188 Der ordre public aber verlangt die Vereinbarkeit des Anwendungsergebnisses mit den Grundrechten. Das BVerfG hat also letztlich den Gebietsgrundsatz nur vorbehaltlich eines Grundrechtsverstoßes für grundrechtsgemäß erklärt. Seinen Ausführungen kann daher nicht ohne Weiteres entnommen werden, dass auch die Anerkennung von Enteignungen dinglicher Rechte an inzwischen verbrachten beweglichen Sachen in jedem Fall verfassungsgemäß ist. Es ist denn auch in der Tat zu erwägen, ob nicht eine Anerkennung in gewissen Fällen gegen die Verfassung verstieße. Dies kann der Fall sein, wenn der Enteignete selbst die Sache unmittelbar nach einer entschädigungslosen Enteignung und vor ihrer Vollziehung verbringt.189 Schwierig ist es dagegen, zu bestimmen, was gelten soll, wenn der Enteignungsbegünstigte die Sache verbringt. Hier dürfte angesichts zu schützender Handelsinteressen und politischer Beziehungen zum Enteignungsstaat190 sowohl eine Anerkennung (sie verletzt nicht das Abwehrrecht des Enteigneten aus Art. 14 GG, Maßstab: Übermaßverbot) als auch eine Nichtanerkennung (sie verletzt keine Schutzpflicht zugunsten des Enteignungsbegünstigten, Maßstab: Untermaßverbot) verfassungsrechtlich vertretbar sein. Es dürfte daher Sache des einfachen Rechts sein, hier die Anerkennungsregeln zu bestimmen.191 III. Ordre public 1. Vorbemerkungen
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Führt die Anwendung einer ausländischen Rechtsnorm zu einem Ergebnis, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, ist sie nach Art. 6 S. 1 EGBGB nicht anzuwenden.192 Wie bereits 188
Vgl. BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 124. Hier allerdings kommt auch das einfache Recht zur Nichtanerkennung, vgl. unten § 16 II. 190 Zu diesen beiden Anerkennungsgründen, die zusammenfassend als internationale Ordnung bezeichnet werden, oben § 12 I 1. 191 Vgl. zum einfachen Recht bei einer Verbringung der Sache durch den Enteignungsbegünstigten unten § 16 III. 192 Art. 6 EGBGB bestimmt: „Eine Rechtsnorm eines anderen Staates ist nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsät189
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festgestellt wurde, ist es umstritten, ob im internationalen Enteignungsrecht ausländisches Enteignungsrecht angewendet wird oder etwa nur Rechtstatsachen hingenommen werden.193 Wer den Begriff der Anwendung ablehnt, wendet Art. 6 EGBGB entsprechend an oder stellt (dann vorzugswürdig) auf den allgemeinen Ordre-public-Vorbehalt ab.194 Wie zurückhaltend der ordre public im internationalen Enteignungsrecht gehandhabt werden sollte, wird unterschiedlich beurteilt.195 Der Wortlaut des Art. 6 S. 2 EGBGB, nach dem das Ergebnis der Rechtsanwendung mit wesentlichen Grundsätzen offensichtlich unvereinbar sein muss, legt bereits eine gewisse Zurückhaltung nahe. Im internationalen Enteignungsrecht besteht darüber hinaus eine ganz besondere Scheu, fremdstaatlichen Enteignungen intraterritorialer dinglicher Rechte die Anerkennung zu versagen. Es fragt sich, woher diese im Vergleich zum sonstigen internationalen Privatrecht außerordentlich restriktive Handhabe rührt.196 Die Antworten zielen meist auf
zen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Sie ist insbesondere nicht anzuwenden, wenn die Anwendung mit den Grundrechten unvereinbar ist.“ 193 Dazu oben § 10 II 4. 194 So Kreuzer, IPRax 1990, 365 r.Sp., 366 l.Sp.; Berentelg, Act of State, 2010, 155 f. (der Prüfungsmaßstab sei aber derselbe), 194 f., 266, anders 270 (der Beurteilungsgegenstand sei das ausländische Rechtsanwendungsergebnis, was zu einer abgeschwächten Kontrolle führe; Kritik: Dies trifft nicht auf Legislativenteignungen zu); MüKoWendehorst, 2015, Rn. 26 f., 56 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 58 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. – Für die Anwendung des internationalprivatrechtlichen ordre public (Art. 30 EGBGB a.F.) dagegen ausdrücklich OLG Oldenburg vom 30.11.1953 (4 U 88/53), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 8 b (interlokal, Zinkasche) und OLG Nürnberg vom 10.7.1953 (4 U 218/51), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 9 (interlokal, Rundstrickmaschine). 195 Für eine zurückhaltende Handhabe sind OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 356 (Indonesien, Tabak); LG Bremen vom 21.4.1959 (7 Q 13/1959), in: AWD 1959, 106 l.Sp. (Indonesien, Tabak); SeidlHohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 48; ders., Friedenswarte 53 (1955/56) 11 (der Gebietsgrundsatz „ist gewiss mit den Grundsätzen der Moral nicht leicht zu vereinbaren“; beispielsweise sei Eigentum an Sklaven nicht anzuerkennen; Konfiskationen seien aber nichts derart „Ungeheuerliches und Barbarisches“), 25 (die Maßnahme müsse ungeheuerlich und barbarisch sein wie die „Einführung [sic!] der Sklaverei“); Magerstein, JurBl 1954, 426 r.Sp. [Österreich]; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 433 („so eng wie möglich“, sonst erhebliche Gefahren für internationalen Handel); Stoll, in: Gesellschaft OsnabrückEmsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 89 (wegen des auf die Enteignungswirkung vertrauenden Verkehrs müsse das Ergebnis „schlechthin untragbar“ sein); Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 210 zu IntSachenR (bei einem „unerträglichen, fundamentalen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich widersprechenden Ergebnis“), Rn. 211 (für den Inlandsbezug genüge aber eine Verbringung); siehe auch MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 85 zu Art. 6 EGBGB; allgemein auch Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 19 zu Art. 6 EGBGB. 196 Nach dem Grund fragen sich auch Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 199 f. und Basedow, BerGesVR 44 (2010) 197 [Diskussionsbeitrag], die sich ebenfalls keinen rechten
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eine tatsächliche Lage im Enteignungsstaat ab:197 Die Anerkennung stelle rechtlich nur die Lage her, die dem Zustand entspreche, den der Enteignungsstaat in der körperlichen Welt selbständig auf seinem Gebiet hergestellt habe. Berücksichtigt man allerdings, dass in Deutschland regelmäßig Verbringungsfälle zu entscheiden sind,198 so gibt es auch keine über die Zugriffsmöglichkeit oder den Zugriff des Enteignungsstaates vermittelten Fakten mehr. Das Faktische ist keine Begründung.199 Dass vom ordre public im internationalen Enteignungsrecht kaum Gebrauch gemacht wird, kann jedenfalls nicht mit dem Vorfragecharakter der Anerkennung begründet werden.200 Die Gruppe der Vorfragen ist zu uneinheitlich. So kann man etwa einen Herausgabeanspruch aufgrund eines durch völkerrechtswidrige Enteignung erlangten Eigentumstitels nicht mit Unterhaltsansprüchen aus einer polygamen Ehe vergleichen. Eine Mehrehe kann bekanntlich zwar in Deutschland nicht geschlossen werden, aber sie kann vermögensrechtliche Auswirkungen haben, wenn sie wirksam im Ausland geschlossen wurde.201 Wird eine polygame Ehe im Rahmen einer Vorfrage im Hinblick auf einen Unterhaltsanspruch als bestehend angesehen, ergibt sich diese Beachtung aus dem Zweck der Norm, die eben als Rechtsfolge die Unterhaltspflicht anordnet. Die Lösung folgt aus einer Auslegung der Hauptfragenorm, also etwa daraus, dass eine nach ausländischem Recht geschlossene Mehrehe zur Unterhaltspflicht genügen soll. Legt man aber etwa die Herausgabenorm des § 985 BGB aus, so ergibt sich, dass nur derjenige Anspruchsinhaber sein soll, der aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung auch vollständig Eigentümer ist. Hier genügt also Eigentum im Hinblick auf den Herausgabeanspruch nicht. Die Eigentumsfrage kann nur einheitlich für die geReim darauf bilden können und insbesondere völkerrechtswidrige Enteignungen nicht anerkennen wollen. 197 So Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 86 (er führt es auf die „Eigenart der [...] Sondernorm [... zurück, dass] von jeher in ganz erstaunlichem Maße und entgegen der üblichen Handhabung der Vorbehaltsklausel darauf verzichtet wird, das ausländische Recht an den allgemeinen Regeln des Völkerrechts und den Grundwerten der eigenen Verfassung zu messen“); Berentelg, Act of State, 2010, 270, 272; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 26 zu Art. 46 EGBGB Anh. 198 Nachweise dazu oben § 12 II 3 Fn. 262. 199 Vergleiche zur Machtlehre bereits § 12 II 2. 200 Vgl. Meise, Relativität, 1966, 179 ff. (die Unterscheidung in Haupt- und Vorfrage sei ungeeignet, den ordre public zu präzisieren); Spickhoff, ordre public, 1989, 221 (er misst der Unterscheidung Bedeutung bei); MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 85 zu Art. 6 EGBGB (der ordre public sei bei Vorfragen abgeschwächt, wenn das Rechtsverhältnis nicht erst begründet werde). 201 Siehe zu polygamen Auslandsehen im internationalen Privatrecht aus grundrechtlicher Sicht Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 465; ferner schon Raape, IPR, 1961, 95 (die Unterscheidung in Haupt- und Vorfrage führe aber nicht immer zum Ziel; eine schematische Anwendung sei nicht möglich); Sandrock, FS Mann 1977, 271 ff.
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samte deutsche Rechtsordnung beantwortet werden. Die Zurückhaltung beim Gebrauch des ordre public kann damit im internationalen Enteignungsrecht nicht mit dem Vorfragecharakter der Anerkennung begründet werden.202 Der Ordre-public-Vorbehalt ist eine Generalklausel und als solche durch Einzelfallentscheidungen zu konkretisieren.203 Damit erfolgt die Problemlösung induktiv. Im Folgenden sollen die groben Linien des Meinungsstands nachgezeichnet werden. Einige Fälle scheinen zwar kaum einer Fallgruppe zuordenbar.204 Die Anerkennungsentscheidung vollständig zu determinieren, liefe aber ohnehin der Natur des ordre public als Generalklausel zuwider. 2. Wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts
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Die Anwendung des Art. 6 EGBGB setzt voraus, dass das Ergebnis der Anerkennungsprüfung mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Das Ergebnis umfasst auch hier nicht nur die veränderte Rechtslage; isoliert betrachtet ist diese neutral. Es sind auch die Enteignungsumstände zu berücksichtigen.205 Nach Art. 6 S. 2 EGBGB ist der ordre public wesentlich durch die Grundrechte geprägt.206 Jede Grundrechtsverletzung ist ein Verstoß gegen den ordre public; es wird nicht zwischen tragbaren und untragbaren Grundrechtsverstößen unterschieden.207 Umgekehrt muss jedoch nicht jeder Ordre-publicVerstoß zugleich einen Grundrechtsverstoß bedeuten, was sich schon aus dem Wort „insbesondere“ in Art. 6 S. 2 EGBGB ergibt. Dennoch sind hier ähnliche Überlegungen anzustellen wie im vorangegangenen Abschnitt.208 Bei 202
Siehe aber zur Rechtsverkehranerkennung oben § 11 II. Allgemeine Auffassung, siehe Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 18 zu Art. 6 EGBGB. 204 Vgl. etwa Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 24 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (Enteignung wegen Republikflucht und Ähnliches); BGH vom 28.1.1965 (I a ZR 273/63), in: juris Rn. 44 ff. (= WM 1965, 267) (interlokal) (der BGH hat sich zur Nichtanerkennung einer Forderungsenteignung auf einen ordre public wegen Republikflucht berufen; hier war es jedoch schon verfehlt, den ordre public überhaupt zu bemühen; Forderungsenteignungen werden nämlich ohnehin nicht im eigentlichen Sinne anerkannt [dazu unten § 18 I 1]; nach dem BGH war auch keine doppelte Inanspruchnahme des Schuldners [dazu allgemein unten § 18 II 2] zu befürchten); die aufgrund des Rapallo-Vertrages speziell gelagerten Enteignungen dinglicher Rechte wegen Republikflucht zwischen den Weltkriegen wurden dagegen anerkannt, etwa LG Berlin vom 11.12.1928, in: IPRspr 1929, Nr. 9 (Russland, Kunstgegenstände), zu diesen Fällen auch unten § 16 III 3. 205 Vgl. zur Parallele bei der Frage, ob eine Anerkennung mit Grundrechten vereinbar ist, oben § 15 II 2. 206 Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-139; Nachweise zur Rechtsprechung bei MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 40 Fn. 162 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 207 BVerfG vom 4.5.1971 (1 BvR 636/68), in: BVerfGE 31, 86 (Spanier-Beschluss); Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 134 zu Art. 6 EGBGB; siehe bereits § 15 II 1. 208 Vgl. oben § 15 II. 203
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entschädigungslosen Enteignungen ist an Art. 14, 15 GG zu denken,209 bei diskriminierenden an Art. 3 GG,210 bei einer Versagung rechtlichen Gehörs an Art. 103 Abs. 1 GG211. Die Entschädigungslosigkeit allein wird teilweise als nicht ausreichend erachtet.212 Hat im Enteignungsstaat ein Verfahren stattgefunden, also insbesondere bei Administrativenteignungen, bezieht sich der ordre public selbstverständlich auch auf das Verfahren.213 Auch bei völkerrechtswidrigen Enteignungen liegt es nahe, wegen Verstoßes gegen den ordre public nicht anzuerkennen.214 Der ordre public ist aufgrund des Art. 25 GG wesentlich durch die allgemeinen Regeln des Völkerrechts geprägt.215 Die über Art. 1 Abs. 2 GG in Bezug genommenen Menschenrechte können ebenfalls die Ordre-public-Widrigkeit begründen.216 Die EMRK findet über Art. 6 S. 2 EGBGB, über das Vertragsgesetz zum Staats209
OLG Nürnberg vom 19.9.1949 (W 541/49), in: NJW 1950, 228 (interlokal, Altwaren aus enteignetem Betrieb); LG Berlin vom 16.6.1952 (7 O 99/52), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 6 (interlokal, Lieferwagen); Coing, WM 1982, 380 l.Sp.; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-141; die deutsche Rechtsprechung ist uneinheitlich, zu ihr Spickhoff, ordre public, 1989, 218 m.N. – A.A. LG Mannheim vom 12.10.1950 (1 O 125/50), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 7 (interlokal, Bremstrommeln) (zwischen entschädigten und entschädigungslosen Enteignungen bestehe nur ein „Gradunterschied“; die Ausführungen des LG Mannheim sind aber nicht tragend, wenn man die Fernwirkungsproblematik [zu ihr oben § 11 III] berücksichtigt). 210 Seidl-Hohenveldern, FS Kegel 1977, 273 f.; Spickhoff, ordre public, 1989, 219. – Diskriminierend waren die Enteignungen der Sudetendeutschen (zu ihnen unten § 16 III 3); ebenso die Enteignungen in den berühmten Fällen des OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 318 (Indonesien enteignet Niederländer, Tabak) und des LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 163 (Chile enteignet amerikanisches Unternehmen, Kupfer). 211 Wuppermann, AWD 1973, 509 l.Sp. (im Kupferfall hätte schon allein wegen der Behandlung der Enteigneten durch das chilenische Gericht nicht anerkannt werden dürfen); siehe auch Seidl-Hohenveldern, FS Kegel 1977, 274; unterscheidend, aber nicht überzeugend, MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 21 zu Art. 6 EGBGB (die Wertung des Art. 103 Abs. 1 GG sei nur im Rahmen eines verfahrensrechtlichen ordre public, also bei ausländischen Einzelfallentscheidungen, beachtlich). 212 So Spickhoff, ordre public, 1989, 220; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 201 zu IntSachenR (die Enteignung müsse sich als Willkürakt darstellen), Rn. 210 (zu berücksichtigen seien vor allem die persönlichen Auswirkungen und die Art und Weise, in der der Enteignungsstaat vorgegangen sei; daher seien Enteignungen persönlicher Gebrauchsgegenstände in der Nachkriegszeit mit Recht nicht hingenommen worden); ebenso Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 60 f. zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 213 Kreuzer, IPRax 1990, 366 l.Sp.; Berentelg, Act of State, 2010, 183, 270. 214 Siehe die Nachweise oben § 15 I 1 Fn. 86. 215 Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 208, 210 zu IntSachenR; Voltz, Menschenrechte, 2002, 52 ff., 66; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 21 zu Art. 46 EGBGB; Herdegen, VR, 2015, § 54 Rn. 4. 216 Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 171 m.N. in Fn. 88.
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vertrag der EMRK oder über das Unionsrecht Anwendung.217 Auch hier kommt es freilich nicht auf die Enteignung, sondern auf die Anerkennung an. Der ausländische Akt wird dabei nicht abstrakt auf seine Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht überprüft.218 Da es nur auf inländische Stellen, also auf die Anerkennung, ankommt, ist es auch unerheblich, ob der Enteignungsstaat überhaupt Vertragsstaat der EMRK ist.219 Verletzt der Gaststaat durch eine Enteignung einen BIT mit Deutschland, so besteht zwar kein Anerkennungsverbot aus dem BIT.220 Die Vertragsverletzung kann aber im Rahmen der Gesamtabwägung, die dem ordre public zugrunde liegt, berücksichtigt werden, da hier ein besonderes Vertrauen des Investors enttäuscht wurde. Umgekehrt dürfte eine Berufung auf den ordre public regelmäßig ausgeschlossen sein, wenn der Enteignungsstaat die in einem ratifizierten Staatsvertrag mit Deutschland enthaltenen Enteignungsvoraussetzungen beachtet hat.221 Die Verletzung eines BIT oder eines anderen völkerrechtlichen Vertrages zwischen dem Enteignungsstaat und einem Drittstaat ist dagegen kein für den deutschen ordre public relevanter Umstand.222 3. Inlandsbezug
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Teilweise wird ein Verstoß gegen den ordre public allein wegen Entschädigungslosigkeit223 oder Diskriminierung224 zwar angenommen. Überwiegend 217
v.Bar, BerGesVR 33 (1994) 207; Spickhoff, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 293. 218 v.Bar, BerGesVR 33 (1994) 208. 219 v.Bar, BerGesVR 33 (1994) 208. 220 Vgl. bereits § 7 V. 221 MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 13 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; vgl. zu den BIT oben § 7 III. 222 Vgl. allgemein zum Nichteingreifen des ordre public, wenn ein anderer Staat einen bilateralen Vertrag verletzt, den er mit einem Drittstaat geschlossen hat, auch MüKoSonnenberger, 2010, Rn. 48 zu Art. 6 EGBGB. 223 BGH vom 28.4.1988 (IX ZR 127/87), in: NJW 1988, 2174 m.N. (= BGHZ 104, 240) (Iranischer Bürgschaftsfall) („entschädigungslose Enteignungen [...] im Geltungsbereich des Grundgesetzes nicht anzuerkennen“; allerdings zur Forderungsenteignung, bei der es ohnehin keine absolute Anerkennung gibt, siehe unten § 18 I 1; spezieller Fall, dessen Lösung keinesfalls auf Enteignungen dinglicher Rechte übertragen werden kann); LG Braunschweig vom 28.3.1990 (9 O 30/90), in: DtZ 1990, 215 (interlokal, kartographische Verlagsprodukte) (ebenfalls nicht tragend, da es nur um die Rechtsverkehranerkennung [zu ihr oben § 11 II] ging); Niederer, SchwJahrbIntR XI (1954) 100 [Schweiz]; Schemmer, ordre public, 1995, 87 Fn. 284, 90 Fn. 289, 147 ff.; Badura, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. II, 2006, § 47 Rn. 9 (unter Berufung auf BGHZ 104, 240); StaudingerSturm/Sturm, 2012, Rn. 539 zu Einl. IPR; bei abweichendem Ansatz i.E. auch MüKoKreuzer, 1998, Rn. 35 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm oben § 13 V); wohl auch Coing, WM 1982, 380 l.Sp.; Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1660 l.Sp. 224 Magerstein, JurBl 1950, 351 r.Sp. [Österreich] (unter Berufung auf die UN-Charta) (auf die UN-Charta beruft sich auch AG Berchtesgaden vom 18.7.1951 [C 499/50],
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wird aber entgegnet, das trage dem Auslandsbezug des Sachverhaltes nicht hinreichend Rechnung. Zusätzlich zur Unvereinbarkeit des Anwendungsergebnisses mit wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung wird dann ein hinreichender Inlandsbezug zum Zeitpunkt der Entscheidung gefordert.225 Wann ein solcher Inlandsbezug vorliegen soll, wird unterschiedlich beurteilt: Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte genügt jedenfalls nicht.226 Der Inlandsbezug könne über die Person des Enteigneten oder über die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, begründet werden. Bei übernationalem Maßstab könne der Inlandsbezug überhaupt verzichtbar sein. Je größer die Bedenken hinsichtlich wesentlicher Grundsätze des deutschen Rechts seien, desto geringere Anforderungen seien an den Inlandsbezug zu stellen.227 Spiegelbildlich: Je stärker der Inlandsbezug, desto geringere Anforderungen an die inhaltliche Abweichung. Man spricht von der Relativität der Vorbe-
in: IPRspr 1952–1953, Nr. 6 [Tschechoslowakei, Schlafzimmermöbel]); ders., JurBl 1954, 427 r.Sp.; Seidl-Hohenveldern, FS Kegel 1977, 273 (er sei seit dem Spanier-Beschluss dieser Auffassung; heute dürfe allein schon wegen der Diskriminierung bei einem dem Tabak- oder dem Kupferfall vergleichbaren Sachverhalt nicht anerkannt werden). 225 Für das Erfordernis eines Inlandsbezugs sind BVerfG vom 23.4.1991 (1 BvR 1170, 1174, 1175/90), in: BVerfGE 84, 123 (Bodenreform I); BVerwG vom 3.5.1996 (4 B 46/96), in: VIZ 1996, 512; OLG Hamburg vom 8.5.1951 (1 W 50/51), in: MDR 1951, 560 r.Sp. f. (interlokal, Rotationsmaschine); OLG Oldenburg vom 30.11.1953 (4 U 88/53), in: BB 1954, 326 r.Sp. (interlokal, Zinkasche); OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 318 (Indonesien, Tabak); OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee); LG Bremen vom 21.4.1959 (7 Q 13/1959), in: AWD 1959, 105 r.Sp. (Indonesien, Tabak); LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 164 l.Sp. (Chile, Kupfer); Blomeyer, MDR 1951, 861 r.Sp.; Raape, IPR, 1961, 663; Meessen, AWD 1973, 180; Behrens, Unternehmen, 1980, 52; Jayme, Methoden, 1989, 35; Lederer, Enteignung, 1989, 181; Spickhoff, ordre public, 1989, 220 f.; ders., in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 290; Soergelv.Hoffmann, 1996, Rn. 24 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 211 zu IntSachenR; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 820 zum IntGesR; Voltz, Menschenrechte, 2002, 30 ff.; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 147 zu § 4, S. 304, Rn. 263 zu § 7, S. 717; Berentelg, Act of State, 2010, 158 ff.; Erman-Hohloch, 2014, Rn. 4 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 63 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. – Anschauliche Kritik zur Überbetonung des Erfordernisses eines Inlandsbezugs bei Raape/Sturm, IPR, 1977, 217 („[n]achdem man über 20 Jahre die Verfassung überhaupt nicht beachtete, besteht eine ernste Gefahr, daß man jetzt der Versuchung erliegt, fehlenden Inlandsbezug vorzuschützen, um den ausgetretenen breiten Weg zur Hölle weiterzugehen“; die Entscheidung des LG Hamburg im Kupferfall sei grotesk). 226 MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 63 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Bamberger/RothSpickhoff, 2012, Rn. 21 zu Art. 46 EGBGB. 227 Siehe etwa Spickhoff, ordre public, 1989, 217 f., 288 und ders., in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 291.
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haltsklausel.228 Von einem Verstoß gegen den ordre public sollte man nur dann sprechen, wenn er eingreift.229 Verbreitet wird der Inlandsbezug über die Person des Enteigneten bestimmt: Es genüge, wenn er Deutscher,230 staatsvertraglich einem Deutschen Gleichgestellter231 oder Unionsbürger232 sei oder in Deutschland seinen ge228 Dahm, FS Kraus 1964, 91; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 428; ders., Unternehmen, 1980, 52; Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 158 zu Art. 6 EGBGB; Coester-Waltjen, BerGesVR 38 (1998) 28; Ohler, in: Merten/Papier (Hrsg.), HbGR, Bd. VI/2, 2009, § 184 Rn. 27 (Wechselwirkungslehre); Berentelg, Act of State, 2010, 160; ausführlich Meise, Relativität, 1966, 84 ff.; kritisch Raape/Sturm, IPR, 1977, 217 (die Relativität sei „als Magie, nicht als Jurisprudenz“ anzusehen). 229 Begrifflich abweichend das LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 164 (Chile, Kupfer), das erst in aller Breite begründet, wieso „ein Verstoß gegen die deutsche Sittenordnung zu bejahen [... und] diese Zusammenballung verletzender Akte so schwerwiegend [sei], daß sie für unsere Anschauung von Recht und Sitte schlechthin untragbar“ sei, dann aber auf der nächsten Seite den Inlandsbezug verneint, weil sich das Kupfer „lediglich zur Erfüllung eines Werkvertrages“ und nicht zum Verkauf in Deutschland befinde. 230 So KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 343 (interlokal, Standuhr); Blomeyer, MDR 1951, 861 r.Sp.; Raape, IPR, 1961, 663; Mann, FS Duden 1977, 292; Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 8 c, S. 1247; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 245; Leisner, NJW 1991, 1571 r.Sp.; Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1660 l.Sp.; Berentelg, Act of State, 2010, 159; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 163; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 62 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 21 zu Art. 46 EGBGB; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 17 zu § 20; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 64 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I („kann“ hinreichenden Inlandsbezug vermitteln); vgl. auch unten § 16 III 3 zu den frühen Entscheidungen zu den russischen Enteignungen russischer Staatsbürger: Nach LG Berlin vom 11.12.1928, in: IPRspr 1929, Nr. 9 (Russland, Kunstgegenstände) etwa soll der ordre public nicht greifen, wenn Staatsangehörige des Enteignungsstaates betroffen sind. – Dagegen OLG Oldenburg vom 30.11.1953 (4 U 88/53), in: BB 1954, 326 r.Sp. (interlokal, Zinkasche); Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 210 zu IntSachenR; Seidl-Hohenveldern, Friedenswarte 53 (1955/56) 13; ders., AWD 1959, 106 r.Sp.; ders., FS Heymanns 1965, 611 („engstirniger Nationalismus“); Dahm, FS Kraus 1964, 91 (er spricht von einem „juristischen Provinzialismus“); Baade, JahrbIntR 3 (1954) 140 (in Deutschland komme es auf die Staatsangehörigkeit des Enteigneten an, „was ungefähr der willkürlichste Maßstab für die Feststellung von dinglichen Rechten wäre“). 231 Seidl-Hohenveldern, AWD 1974, 428 l.Sp.; ders., FS Kegel 1977, 280 ff.; Mann, FS Duden 1977, 292; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 245; Korte, Anerkennung, 1992, 145; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 62 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 64 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I („kann“); vgl. auch BGH vom 8.3.1963 (I b ZR 87/61), in: NJW 1963, 1543 (= BGHZ 39, 220) (Tschechoslowakei, Koh-i-noor) (die Erwägungen sind allerdings nicht tragend, da bei Enteignungen von Immaterialgüterrechten ohnehin keine absolute Anerkennung in Betracht kommt, siehe unten § 20 III). – A.A. OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 357 f. (Indonesien, Tabak); LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 164 l.Sp. (Chile, Kupfer) (Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika); Meessen, AWD 1973, 180.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
wöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz233 habe. Die Rechtsprechung hat in den wenigen bisher zu entscheidenden Fällen – soweit ersichtlich – gegen Nichtdeutsche gerichtete fremdstaatliche Enteignungen dinglicher Rechte stets anerkannt.234 Nach hier vertretener Ansicht, die insofern im Ergebnis mit der bisherigen Rechtsprechung vereinbar ist, kann der Inlandsbezug jedenfalls nicht allein über die Person des Enteigneten hergestellt werden. Solange sich nämlich die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, noch auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates befindet, also noch dem tatsächlichen Zugriff des Enteignungsstaates ausgesetzt ist, sollte die Enteignung im Drittinteresse im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche anerkannt werden.235 Eine Verbringung ist also für die vollständige Nichtanerkennung unerlässlich. Doch ist die Verbringung auch hinreichend? Wird die Sache nach der Enteignung nach Deutschland verbracht, darf der Enteignungsstaat auf diese Sache grundsätzlich nicht mehr hoheitlich körperlich zugreifen. Deutschland kann als Anerkennungsstaat seine eigene Bewertung wirksam auch in der körperlichen Welt durchsetzen. Verbreitet wird denn auch angenommen, es genüge, wenn die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, nach der Enteignung (sonst griffe der Gebietsgrundsatz bereits nicht) aus dem Enteignungsstaat nach Deutschland verbracht werde.236 Da es regelmäßig um Verbrin232
Dafür (bzw., bei früheren Äußerungen, bei Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der EWG oder EG) sind Dahm, FS Kraus 1964, 94; Meise, Relativität, 1966, 279 f.; Schütz, ordre public, 1984, 69 f., 133; Seidl-Hohenveldern, FS Kegel 1977, 279 (früher noch anders ders., AWD 1959, 106 r.Sp.); Korte, Anerkennung, 1992, 145; StaudingerMansel, 2015, Rn. 64 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I („kann“); tendenziell auch v.Hoffmann/Thorn, IPR, 2007, § 1 Rn. 127, S. 37. – A.A. LG Bremen vom 21.4.1959 (7 Q 13/1959), in: AWD 1959, 106 l.Sp. (Indonesien, Tabak); Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 245 Fn. 125 (vorsichtig ablehnend, zur EG); vgl. allgemein auch StaudingerBlumenwitz, 2003, Rn. 157 zu Art. 6 EGBGB (keine Gleichstellung, wenn der entsprechende Rechtsbereich nicht angeglichen sei; allerdings möchte er völkerrechtswidrige Enteignungen stets nicht anerkennen). 233 KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 343 (interlokal, Standuhr); Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 245; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 21 zu Art. 46 EGBGB; a.A. OLG Oldenburg vom 30.11.1953 (4 U 88/53), in: BB 1954, 326 r.Sp. (interlokal, Zinkasche) (der Wohnsitz genüge nicht); unentschieden Raape, IPR, 1961, 663 (der Wohnsitz sei möglicherweise ausreichend). 234 Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 28. 235 Näher oben § 11 II 2 und unten § 16 I. 236 Eine Verbringung für den Inlandsbezug ausreichen lassen wollen: OLG Nürnberg vom 19.9.1949 (W 541/49), in: NJW 1950, 228 (interlokal, Altwaren aus enteignetem Betrieb); LG Berlin vom 16.6.1952 (7 O 99/52), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 6 (interlokal, Lieferwagen); ferner die Entscheidungen zu den Nachkriegsenteignungen in der Tschechoslowakei und in Polen, siehe etwa den eine Nähmaschine betreffenden Fall des AG Dingolfing vom 7.12.1948 (C 119/48), in: RabelsZ 15 (1949/50) 141 (die Enteigneten waren hier allerdings deutsche Staatsangehörige, vgl. unten § 16 III 3); siehe auch OLG Bremen vom
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gungsfälle geht,237 bedeutete freilich die Forderung nach einem Inlandsbezug dann im Ergebnis keine zusätzliche Einschränkung. Ob dagegen die Belegenheit in einem anderen EU-Staat genügt, darf bezweifelt werden.238 In jüngeren Stellungnahmen wird das Erfordernis eines Inlandsbezugs überwiegend abgelehnt, wenn der Enteignungsstaat gegen einen übernationalen Maßstab, namentlich das Völkerrecht, verstoßen hat.239 Das Erfordernis des Inlandsbezugs dient gewöhnlich dem Zweck, der Andersartigkeit der Rechtsordnung des Enteignungsstaates Rechnung zu tragen und dem Vorwurf 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 356 f. (Indonesien, Tabak) (wenn die Ladung bestimmungsgemäß in Deutschland gelöscht und ein deutscher Hafen nicht bloß als Nothafen angesteuert worden sei; das OLG ließ die Frage nur wirtschaftlich, kaum aber rechtlich vertretbar dahinstehen, weil jedenfalls kein schwerer Verstoß gegen deutsche Grundsätze vorliege); Mann, NJW 1961, 707 r.Sp.; ders., FS Duden 1977, 291; Petersmann, WiR 1973, 302 Fn. 56; Kassaye, Entwicklungen, 1983, 281, 284; Schütz, ordre public, 1984, 64; Lederer, Enteignung, 1989, 179; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 211 zu IntSachenR m.N. (wer das nicht so sehe, habe keine klaren anderen Kriterien; er wendet sich ausdrücklich gegen die Entscheidungen im Kupferfall); Kunze, Restitution, 2000, 96; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 195; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 63 zu Art. 46 EGBGB Anh. (wenn nicht kurz und zufällig; Löschung und Verarbeitung von Ware im Inland sei ausreichend); Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 63 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; vielleicht auch Baade, JahrbIntR 3 (1954) 140. – Die nachträgliche Belegenheit nicht für ausreichend erachten dagegen: OLG Hamburg vom 8.5.1951 (1 W 50/51), in: MDR 1951, 561 l.Sp. (interlokal, Rotationsmaschine); OLG Oldenburg vom 30.11.1953 (4 U 88/53), in: BB 1954, 326 r.Sp. (interlokal, Zinkasche nur vorübergehend zur Veredelung verbracht); OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee); LG Mannheim vom 12.10.1950 (1 O 125/50), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 7 (interlokal, Bremstrommeln) (nicht tragend, wenn man Fernwirkungsproblematik [zu ihr oben § 11 III] beachtet); LG Bremen vom 21.4.1959 (7 Q 13/1959), in: AWD 1959, 105 r.Sp. (Indonesien, Tabak); LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 164 l.Sp. (Chile, Kupfer) (nicht ausreichend sei es, wenn die enteignete Sache nur zur Erfüllung eines Werkvertrages in Deutschland sei; sei sie zum Zweck eines Kaufs in Deutschland, genüge dies „möglicherweise“); Beitzke, FS Raape 1948, 95; Blomeyer, MDR 1951, 861 r.Sp.; Raape, IPR, 1961, 663; Meessen, AWD 1973, 180 l.Sp. (immer Einzelfallabwägung); Behrens, RabelsZ 37 (1973) 432 f.; ders., Unternehmen, 1980, 55; Spickhoff, ordre public, 1989, 220; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 147 zu § 4, S. 304; Berentelg, Act of State, 2010, 160 (unter Berufung auf die deutschen Handelsinteressen); Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 21 zu Art. 46 EGBGB. 237 Nachweise dazu oben § 12 II 3 Fn. 262. 238 Siehe auch Staudinger-Blumenwitz, 2003, Rn. 157 zu Art. 6 EGBGB (jedenfalls in nicht angeglichenen Gebieten sei ein echter Inlandsbezug notwendig). 239 So Kokott, BerGesVR 38 (1998) 101 ff. (sogar bei vertraglichen Menschenrechten, die nur den Erlassstaat oder nur den Forumsstaat binden); Coester-Waltjen, BerGesVR 38 (1998) 132 [Diskussionsbeitrag]; allgemein auch Voltz, Menschenrechte, 2002, 44 ff., 65 f.; zurückhaltend dagegen Looschelders, RabelsZ 65 (2001) 491 (auch bei den Menschenrechten sei die räumliche Relativität nicht geklärt); dagegen auch Raape, IPR, 1961, 663 (sofern kein gröblichster Verstoß vorliege); vgl. ferner zur Bedeutung übernationaler Maßstäbe oben § 15 I 1, II 3.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
eines Werteoktrois zu begegnen. Der nationale Maßstab soll nicht unbesehen auf Auslandssachverhalte übertragen werden. Nun ist aber ein solches Aufzwängen von Werten bei völkerrechtswidrigen fremden Akten nicht zu besorgen. Der Inlandsbezug kann seinen Zweck damit nicht erfüllen. Der legitimierende Bezug, um sich auf die eigenen Wertvorstellungen zu berufen, wird also nur grundsätzlich räumlich hergestellt. Der mögliche Einwand, das Völkerrecht kenne auch andere Prinzipien wie das des Vertrauensschutzes, die ebenfalls zu berücksichtigen seien, ist nicht durchschlagend. Die Frage des Vertrauensschutzes etwa ist nämlich erst im Anschluss an die Anerkennungsentscheidung unter dem Gesichtspunkt des gutgläubigen Erwerbs gesondert zu beantworten.240 IV. Zusammenfassung Die negative Seite des Gebietsgrundsatzes, die anordnet, dass Enteignungen dinglicher Rechte nicht anzuerkennen sind, wenn sich die Sache zum Enteignungszeitpunkt in Deutschland befindet, ist regelmäßig verfassungsrechtlich geboten.241 Die positive Seite des Gebietsgrundsatzes, nach der Enteignungen intraterritorialer dinglicher Rechte, seien sie auch entschädigungslos oder nach dem Recht des Enteignungsstaates rechtswidrig, grundsätzlich anzuerkennen sind, steht mit der Verfassung im Einklang.242 Jedoch kann eine Enteignung entgegen dem positiven Gebietsgrundsatz aufgrund des Art. 25 GG 243, aufgrund des ordre public244 oder nach teilweise vertretener Ansicht auch unmittelbar aufgrund der Grundrechte245 ausnahmsweise nicht anzuerkennen sein. Der ordre public steht der Anerkennung einer fremdstaatlichen Enteignung nur bei ausreichendem Inlandsbezug entgegen.246 Die überwiegend vertretene Lehre möchte jedoch völkerrechtswidrigen Enteignungen stets die Anerkennung versagen.247 Die sehr wenigen Entscheidungen zur Anerkennung von Enteignungen dinglicher Rechte ergeben kein klares Bild zu der Frage, wann genau eine Enteignung entgegen dem positiven Gebietsgrundsatz nicht anzuerkennen ist.248 240
Zum gutgläubigen Erwerb und dazu, dass eine Nichtanerkennung keine Fernwirkung hat, bereits § 11 III 2; siehe zur ähnlichen Diskussion im Zusammenhang mit der NeuesUnrecht-Formel bei der Nichtanerkennung völkergewohnheitsrechtswidriger Enteignungen oben § 15 I 3. 241 Vgl. oben § 15 II 4. 242 Vgl. oben § 15 II 5. 243 Vgl. oben § 15 I. 244 Vgl. oben § 15 III. 245 Vgl. oben § 15 II 5. 246 Vgl. oben § 15 III 3. 247 Vgl. oben § 15 I 1 Fn. 86; Nachweise zur a.A. oben § 15 I 3 Fn. 100. 248 Umfassende Zusammenstellung der Rechtsprechung unten § 16 III 2, 3.
§ 16 Vollziehung und Verbringung – I
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Nach hier vertretener und im Folgenden in § 16 zu entwickelnder Ansicht, die ihren Überlegungen die bisher entschiedenen Fälle zugrunde legt, aber diese auch kritisch würdigt, sind weitere Unterscheidungen nötig. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, dass in Deutschland regelmäßig Verbringungsfälle zu entscheiden sind.249 Dann kann aber nicht unberücksichtigt bleiben, wer die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, verbracht hat. Es soll daher der Versuch unternommen werden, die bisherigen Entscheidungen zur Enteignung dinglicher Rechte anhand des zusätzlichen Kriteriums der Person des Verbringenden zu ordnen.250
§ 16 Vollziehung und Verbringung § 16 Vollziehung und Verbringung – I
I. Relative Anerkennung bis zur Verbringung Befindet sich die Sache zu dem Zeitpunkt, zu dem die Rechtsinhaberschaft aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung in Frage steht, noch auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates und ist sie damit körperlich seinem Zugriff ausgesetzt, sollte die Enteignung eines Rechts an der Sache nach verbreiteter Ansicht anerkannt werden.251 Eine Anerkennung liegt insbesondere bei Grundstücken nahe, da diese nicht einmal verbracht werden können.252 Teilweise wird sogar eine völkerrechtliche Anerkennungspflicht angenommen, solange sich die Sache im Enteignungsstaat befindet.253 Die Anerkennung bis zur Verbringung lässt sich auch mit der herrschenden Machtlehre begründen.254 Richtigerweise muss allerdings unterschieden werden:255 Klagen im Verhältnis zwischen dem Enteigneten und dem Enteignungsbegünstigten nämlich sollten bis zur Verbringung der Sache von deutschen 249
Nachweise dazu oben § 12 II 3 Fn. 262. Dazu, ob diese Erwägungen methodisch Fragen des ordre public sind oder ob die vorgeschlagenen Regeln aus dem ordre public herausgelöst werden können, unten § 16 IV. 251 Siehe vor allem Schulze, Recht, 1972, 210; ferner Beitzke, BerGesVR 4 (1961) 160 [Diskussionsbeitrag]; Matthias, FS v.Simson 1983, 268; Magerstein, JurBl 1954, 427 r.Sp. [Österreich]; Wenk, Privatvermögen, 1993, 136 f.; wohl auch Baade, JahrbIntR 3 (1954) 140; vgl. auch die Ausführungen des LG Braunschweig vom 28.3.1990 (9 O 30/90), in: DtZ 1990, 214 ff. (interlokal, kartographische Verlagsprodukte) (das Gericht spricht allgemein von Vermögen); bei völkerrechtswidrigen Enteignungen a.A. Mann, NJW 1961, 709 l.Sp. (er möchte nicht einmal intraterritoriale Enteignungen von Immobilien anerkennen, wenn der Enteignungsstaat gegen das Völkerrecht verstoßen hat); stets auf den Einzelfall abstellend Raape, IPR, 1961, 660 f., 668 f. 252 Vgl. zu Rechten an Grundstücken auch unten § 16 II 3. 253 So Kokott/Doehring/Buergenthal, VR, 2003, Rn. 463; a.A. Wengler, VR II, 1964, 1133 Fn. 3. 254 Vgl. oben § 12 II 3. 255 Siehe zum Folgenden ausführlich oben § 11 II 2. 250
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
Gerichten regelmäßig abgewiesen werden. Damit kann auch über die absolute Anerkennung256 vor Verbringung nicht entschieden werden. Dies gilt jedenfalls für entschädigungslose Enteignungen. Im Verhältnis zu Dritten dagegen sollte bis zur Verbringung im Regelfall die Rechtslage im Enteignungsstaat maßgeblich sein. Die Ausnahmen, die zum positiven Gebietsgrundsatz diskutiert werden, sei es in Form materieller Anerkennungsvoraussetzungen257, sei es in Form von Einschränkungen258 aus Gründen, die in einem weiteren Sinne dem ordre public zuzuordnen sind, spielen dabei keine Rolle. Denn anerkennte man die Enteignung nicht, wäre der Dritte in die Spaltungsfolgen eines hinkenden Rechtsverhältnisses hineingezogen. Die Anerkennung erfolgt also im Drittinteresse und nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche. Es sind dabei die Gründe der Rechtsverkehranerkennung, die die Anerkennung bis zur Verbringung gebieten. Anerkennungsgrund ist hier damit insbesondere nicht die internationale Ordnung, da beispielsweise der Handel erst dann betroffen ist, wenn die Sache nach Deutschland gelangt.259 Die eigentliche Frage ist aber, ob die Umverteilung dann Bestand haben soll, wenn die Sache aus dem Enteignungsstaat verbracht wird. Es verwundert, dass die Vollziehungs-Verbringungs-Problematik bisher nur am Rande behandelt wurde. Die Verbringung ist nämlich geradezu Voraussetzung dafür, dass fremdstaatliche Enteignungen dinglicher Rechte vor deutschen Gerichten erheblich werden.260 Die Verbringung ist kein Ausnahmetatbestand. Im Folgenden soll versucht werden, die Ausnahmen261 zur positiven Seite des Gebietsgrundsatzes zu systematisieren, indem nach der Person des Verbringenden unterschieden wird. Der ordre public enthält unfertiges Recht. So weit wie möglich sind Fallgruppen aus dem ordre public in eine ausformulierte Regel herüberzuretten.262 II. Nichtanerkennung bei einer Verbringung durch den Enteigneten Schafft gerade der Enteignete die Sache aus dem Enteignungsstaat fort, möchte die herrschende Meinung i.E. regelmäßig nicht anerkennen.263 Die 256
Zum Begriff der absoluten Anerkennung oben § 11 II 1. Vgl. oben § 14 I–III. 258 Vgl. oben § 15. 259 Zur internationalen Ordnung als Anerkennungsgrund oben § 12 I 1. 260 Nachweise oben § 12 II 3 Fn. 262. 261 Zu diesen oben §§ 14 I–III, 15. 262 Vgl. zum dogmatischen Status der hier zu entwickelnden Regel ausführlich unten § 16 IV. 263 Dafür statt aller Schulze, Recht, 1972, 175 f., 194, 211 f.; ferner Bieringer, BB 1950, 926 f.; Kegel, Probleme, 1956, 15; Mann, RabelsZ 21 (1956) 15; Heiz, Recht, 1959, 248 f.; Vannod, Fragen, 1959, 42 [Schweiz] (für Konfiskationen); Reichert, WM 1961, 5; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 51, 62 f. zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; i.E. auch Frank, 257
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begehrte Anerkennung stünde der Anerkennung einer extraterritorialen Enteignung näher als der Anerkennung einer intraterritorialen Enteignung. Extraterritoriale Enteignungen werden aber nach dem (im Regelfall verfassungsrechtlich gebotenen)264 negativen Gebietsgrundsatz nicht anerkannt. Man kann hier auch von mangelnder Effektivität sprechen.265 Die dogmatischen Begründungen für die Nichtanerkennung unterscheiden sich je nachdem, ob man grundsätzlich ein selbständiges Vollziehungserfordernis aufstellt oder nicht:266 1. Bei Ablehnung eines selbständigen Vollziehungserfordernisses § 16 Vollziehung und Verbringung – II 1
Wer ein selbständiges Vollziehungserfordernis ablehnt, kann die Nichtanerkennung nicht vollzogener fremdstaatlicher Enteignungen nach Verbringung der Sache nicht mit einer fehlenden Vollziehung begründen. Verbringe gerade der Enteignete die Sache, diene sie dem persönlichen oder dem betrieblichen Gebrauch, sei aber aufgrund des ordre public nicht anzuerkennen. 267 Einschränkungen sind bei solchen (die Gerichtspraxis bisher nicht beschäftigenden) Enteignungen denkbar, die aufgrund der Enteignungsumstände in besonderem Maße anerkennenswert sind;268 so könnte man Wertungswidersprüche zur vollständigen269 Anerkennung gewisser Gesellschaftsenteignungen vermeiden.270 Fordert man zur Anerkennung keine Vollziehung, wurde die Enteignung aber dennoch vollzogen, und macht der Enteignete den Vollzug faktisch rückgängig, gelten die nun in § 16 II 2 folgenden Ausführungen entsprechend. RabelsZ 34 (1970) 69; RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 650; Lipstein, in: Holl/Klinke (Hrsg.), Privatrecht, 1985, 54; Schwind, IPR, 1990, Rn. 225 (bei Konfiskationen); v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 147 zu § 4, S. 304 f.; offenlassend etwa OLG Hamburg vom 8.5.1951 (1 W 50/51), in: MDR 1951, 561 l.Sp. (interlokal, Rotationsmaschine). 264 Siehe dazu oben § 15 II 4. 265 Zur Effektivität oben § 12 II 4. 266 Zum selbständigen Vollziehungserfordernis oben § 14 III; Nachweise zu beiden Ansichten oben § 14 III 1 Fn. 20. 267 Kegel, Probleme, 1956, 15; ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1103 (damit würden harte Fälle der nicht vollzogenen Enteignung gemildert); Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 24, 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 60 zu Art. 46 EGBGB Anh.; i.E. für Flüchtlinge auch Heiz, Recht, 1959, 238 f. 268 Zu diesem Ergebnis gelangt bei vom Gebietsgrundsatz abweichendem Ansatz auch MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 26, 53 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm oben § 13 V) (er möchte nur entschädigte Enteignungen anerkennen; ein selbständiges Vollziehungserfordernis lehnt er ab; ein Lageortswechsel ändere an der Anerkennung nichts); vgl. zum berechtigten Bedürfnis, nach den Enteignungsumständen zu unterscheiden, auch oben §§ 12 V 2, 13 VI 2. 269 Zum Begriff unten § 22 I. 270 Siehe bereits § 14 III 3.
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2. Bei Annahme eines selbständigen Vollziehungserfordernisses Nimmt man ein selbständiges Vollziehungserfordernis an und wird die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, vor dieser Vollziehung durch den Enteigneten aus dem Enteignungsstaat verbracht, so ist die Enteignung unstreitig nicht anzuerkennen.271 Schwieriger zu beantworten ist die Anerkennungsfrage, wenn sich der Enteignete nach vollzogener Enteignung gewaltsam den Besitz wiederverschafft hat und die Sache aus dem Enteignungsstaat fortschafft. Kurz gesagt geht es darum, ob der Enteignete rechtlich den Vollzug der Enteignung gewaltsam rückgängig machen kann.272 Mangels Vollzugs wären dann die Anerkennungsvoraussetzungen nicht (mehr) erfüllt und es könnte nicht anerkannt werden. Dass der Enteignete durch eine gewaltsame Wiederbemächtigung den Vollzug rückgängig machen kann, sollte allerdings nur unter engen Voraussetzungen zugelassen werden. Es sind insbesondere vier Punkte zu beachten: (1) Die Wiederbemächtigung muss im Enteignungsstaat erfolgen. Eine gewaltsame Wiederbemächtigung außerhalb des Enteignungsstaates darf keinesfalls mit der Nichtanerkennung der Enteignung „belohnt“ werden. Eine solche Anerkennungsregel würde zu Selbstjustiz im Lagestaat führen, sei dieser Deutschland oder ein Drittstaat. Dies aber würde den Rechtsfrieden in einem Umfang beeinträchtigen, der nicht hingenommen werden kann. Zwar würde es ebenfalls Selbstjustiz begünstigen, wenn man dem Enteigneten die Möglichkeit einräumte, den Vollzug im Enteignungsstaat gewaltsam rückgängig zu machen. Doch hat der Enteignungsstaat den Rechtsfrieden durch seine deutschen und internationalen Maßstäben widersprechende Enteignung selbst in Gefahr gebracht. (2) Zwischen der Enteignung und der Wiederbemächtigung muss ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen.273 Die Zeit heilt alle Wunden. 271 Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 38 ff.; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 161. 272 Dafür sind Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 253; Heiz, Recht, 1959, 248 f.; Schulze, Recht, 1972, 175 f., 194, 212; RGRK-Wengler, VI/2, 1981, 1040 Fn. 55 (durch die Wegnahme entstandene Schäden, etwa wegen Körperverletzung, seien aber zu ersetzen); Lederer, Enteignung, 1989, 94 f.; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 24, 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (selbst ein Vollziehungserfordernis ablehnend); Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 207 zu IntSachenR (der Vollzug sei dann praktisch wieder aufgehoben, der Anerkennungsstaat sei sonst ein „Büttel“); ebenso Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 51, 62 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. – A.A. Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 15, 41 f.; Kieninger, BerGesVR 44 (2010) 161 und Mann, RabelsZ 21 (1956) 15, die aber alle bei Völkerrechtswidrigkeit nie anerkennen möchten; siehe zur Anerkennung völkergewohnheitsrechtswidriger Enteignungen oben § 15 I. 273 Vgl. Dölle, IPR, 1972, 107 (der ordre public greife nicht, wenn der Sachverhalt lange Zeit zurückliege und sich infolgedessen die Lage verfestigt habe: quieta non movere;
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(3) Hat der Enteignungsstaat den Rechtsfrieden auf seinem Gebiet nicht durch eine solche Enteignung, bei der die Enteignungsumstände in besonderem Maße gegen eine Anerkennung sprechen,274 gefährdet, sollte Deutschland keine Anreize setzen, dass sich der Enteignete im Enteignungsstaat außerstaatlicher Durchsetzungspraktiken bedient. Entsprechen die Enteignungsumstände gewissen materiellen Voraussetzungen oder ist die Enteignung zumindest völkerrechtsgemäß, sollte der Vollzug nicht aufgehoben werden können.275 Denn Enteignungen können legitime Mittel der Wirtschaftsgestaltung sein. (4) Der Vollzug sollte ferner nicht rückgängig gemacht werden können, wenn inzwischen etwa ein gutgläubiger Nachmann auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung originär Eigentum erworben hat.276 Einer Nichtanerkennung nach Verbringung durch den Enteigneten kommt also jedenfalls keine Fernwirkung zu.277 3. Überführung der Ergebnisse aus dem ordre public in eine Norm § 16 Vollziehung und Verbringung – II 3
Gelingt es dem Enteigneten, mit der Sache, an der der Enteignungsstaat ein Recht enteignet hat, den Enteignungsstaat zu verlassen, wird die Enteignung nach fast allgemeiner Auffassung regelmäßig nicht anerkannt. Dies gilt jedenfalls für entschädigungslose und sonstige Enteignungen, bei denen nicht die Enteignungsumstände in besonderem Maße für eine Anerkennung sprechen; mit anderen Enteignungen sind die deutschen Gerichte aber (zumindest bislang) ohnehin nicht befasst.278 Unerheblich ist, ob man grundsätzlich eine Vollziehung fordert oder nicht.279 Dass hier die Anhänger und die Gegner der Vollziehungslehre zum selben Ergebnis kommen, verwundert nicht. Denn bei Enteignungen dinglicher Rechte ist das selbständige Vollziehungserfordernis gerade mit Blick auf die Verbringungsfälle formuliert worden, wenn auch der Zusammenhang nicht
eine Enteignung in Moskau aus dem Jahre 1918 könne 1964 in Deutschland nicht mehr über den ordre public nicht anerkannt werden); v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 147 f. zu § 4, S. 304 f.; Spickhoff, in: Leible/Ruffert (Hrsg.), VR und IPR, 2006, 291; vgl. auch Tomuschat, ZaöRV 56 (1996) 20; a.A. Graf, FS Koziol 2010, 1409 [Österreich] (zeitlich unbegrenzter Zugriff des Enteigneten). 274 Vgl. zu der Notwendigkeit, in bestimmten Fällen nach den Umständen der Enteignung zu unterscheiden, oben §§ 12 V 2, 13 VI 2. 275 Ähnlich RGRK-Wengler, VI/2, 1981, 1040 Fn. 55. 276 RGRK-Wengler, VI/2, 1981, 1040 Fn. 55. 277 Siehe zur Fernwirkung bereits § 11 III 2, 3. 278 Vgl. soeben § 16 II 1, 2. 279 Siehe soeben § 16 II 1, 2; zur Aufhebung der Vollziehung oben § 16 II 2; allgemein zum selbständigen Vollziehungserfordernis bei der Enteignung dinglicher Rechte oben § 14 III.
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deutlich herausgestellt wird.280 Das selbständige Vollziehungserfordernis ist bereits ein Norm gewordener Teil des ordre public. Denn fordert man zur Anerkennung eine Vollziehung, ist es bei einer Verbringung durch den Enteigneten nicht mehr nötig, auf die Problematik der Einschränkungen, insbesondere auf den ordre public, einzugehen.281 III. Verbringung durch den Enteignungsbegünstigten Nach herrschender Meinung sind intraterritoriale fremdstaatliche Enteignungen dinglicher Rechte grundsätzlich auch dann anzuerkennen, wenn der Enteignungsbegünstigte oder ein Rechtsnachfolger des Enteignungsbegünstigten die Sache aus dem Enteignungsstaat verbringt.282 Die große Frage ist dabei, wann der Vorbehalt des ordre public eingreift. Während der soeben in § 16 II besprochene Fall der Verbringung durch den Enteigneten über die mangelnde Vollziehung gelöst werden kann und also auf den ordre public nicht eingegangen werden muss, liegen die Dinge bei einer Verbringung durch den Enteignungsbegünstigten oder einen Rechtsnachfolger schwieriger. Die Enteignung wurde in diesem Fall nämlich bereits vollzogen. Die territorial begrenzte Vollstreckungsbefugnis des Enteignungsstaates ist auch nach Verbringung der Sache noch äußerlich erkennbar, da es der neue Besitzer ist, der die Sache verbracht hat. Damit liegt der Fall aber anders als der oben besprochene einer Verbringung durch den Enteigneten, bei dem die Enteignungsanerkennung nach Verbringung der Anerkennung einer extraterritorialen Enteignung nahekäme.283 Die Frage lautet also: Sollte der Enteignete nach Verbringung der Sache in Deutschland mit Erfolg auf Herausgabe klagen können? Betrachtet man die 280
Nur vage angedeutet etwa bei Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 51 Fn. 15. Die Beziehung zwischen Vollziehung und Verbringung kann ferner erklären, wieso Stoll, IPRax 2003, 434 l.Sp. bei Grundstücken keine Vollziehung fordert; unbewegliche Sachen können nicht verbracht werden; in diesem Punkt anders als Stoll StaudingerMansel, 2015, Rn. 12 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I (Grundstücksumschreibung oder Inbesitznahme). 281 Zu den Einschränkungen der positiven Seite des Gebietsgrundsatzes oben § 15. 282 Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 252 f.; Kegel, Probleme, 1956, 18 („unmittelbare Exportwirkung“); Raape, IPR, 1961, 659; Schulze, Recht, 1972, 210 f.; Behrens, RabelsZ 37 (1973) 427, 432; Lipstein, in: Holl/Klinke (Hrsg.), Privatrecht, 1985, 54; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-128, 140; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 26 f. zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 207 zu IntSachenR; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 828 zum IntGesR; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 53 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (für solche Enteignungen, die seine hohen Anerkennungsvoraussetzungen erfüllen); v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 135 zu § 4, S. 135; Kläger, JuS 2008, 971; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 40 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 76 zu § 3, Rn. 15 ff. zu § 20; StaudingerMansel, 2015, Rn. 13, 18, 50 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 963 zum IntGesR. 283 Dazu oben § 16 II am Anfang.
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körperliche Lage und nicht die rechtliche, erscheint es in der Tat wie eine Rückgängigmachung der Enteignung, wenn man dem Herausgabeverlangen des Enteigneten entspricht. Die Problematik betrifft insbesondere solche ausländischen Enteignungen, die in der Praxis vorkommen. Bei Enteignungen hingegen, bei denen die Enteignungsumstände in besonderem Maße für eine Anerkennung sprechen,284 gibt es keinen Grund, dem Enteignungsbegünstigten oder einem Rechtsnachfolger die Sache wegzunehmen; wie aber bereits gesagt, sind solche fremdstaatlichen Enteignungen (zumindest bislang) nicht Gegenstand der Entscheidungen gewesen. 1. Keine Fernwirkung etwaiger Nichtanerkennung Eine Herausgabeklage des Enteigneten in Deutschland bleibt erfolglos, wenn sich der Besitzer nicht oder nicht nur auf die Enteignung beruft, sondern Eigentum jedenfalls etwa gutgläubig oder durch Verarbeitung erworben hat.285 Die Herausgabeklage wird dann aber nicht aufgrund einer Enteignungsanerkennung abgewiesen, sondern aus anderen Gründen, nämlich denen, die hinter dem entsprechenden Erwerbstatbestand stehen. Doch wie ist zu entscheiden, wenn sich der Enteignungsbegünstigte oder ein Rechtsnachfolger des Enteignungsbegünstigten nicht auf einen besonderen Erwerbstatbestand berufen können? Man kann bei der Beantwortung dieser Frage danach unterscheiden, ob die Enteignung völkerrechtswidrig ist286 oder nicht287. 2. Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen § 16 Vollziehung und Verbringung – III 2
Nach überwiegend vertretener Ansicht in der Literatur ist völkerrechtswidrigen288 Enteignungen die Anerkennung zu versagen. 289 Dogmatisch lässt sich die Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen auf vier Weisen begründen: (1) über ein gemäß Art. 25 GG in Deutschland wirkendes völkerrechtliches Anerkennungsverbot,290 (2) über die
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Vgl. oben § 13 VI 2. Näher oben § 11 III 2, 3; vgl. auch OLG Hamburg vom 8.5.1951 (1 W 50/51), in: MDR 1951, 560 (interlokal, Rotationsmaschine); gegenläufig die Entscheidung OLG Nürnberg vom 19.9.1949 (W 541/49), in: NJW 1950, 228 (interlokal, Altwaren aus enteignetem Betrieb). 286 Siehe sogleich § 16 III 2. 287 Siehe unten § 16 III 3. 288 Siehe zum völkergewohnheitsrechtlichen Fremdenrecht oben § 4 I; zu den Menschenrechten oben § 5. 289 Nachweise oben § 15 I 1 Fn. 86; Nachweise zur a.A. oben § 15 I 3 Fn. 100. 290 Nachweise zu diesem veralteten Ansatz oben § 4 I Fn. 13. 285
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Art, wie Art. 25 GG das Völkerrecht beachtet,291 (3) über den Ordre-publicVorbehalt unter Verzicht auf einen über die Verbringung der Sache nach Deutschland hinausgehenden Inlandsbezug wegen des übernationalen Maßstabes292 und schließlich (4) über entsprechend ausformulierte Anerkennungsregeln293. Gegen den Weg über den ordre public wird angeführt, der ordre public betreffe nur das Ergebnis der Rechtsanwendung und erlaube keine Anknüpfungskorrektur, die schlichtweg fremdes völkerrechtswidriges Recht von der Anwendung ausschließe.294 Da jedoch der dogmatische Weg auf das praktische Ergebnis keinen Einfluss hat, muss hier über die Berechtigung dieses Einwandes für das internationale Enteignungsrecht nicht entschieden werden. Man könnte auch erwägen, nur bei offensichtlicher Völkerrechtswidrigkeit nicht anzuerkennen; es kann nämlich bedenklich sein, wenn der deutsche Richter selbständig Feststellungen über die Völkerrechtswidrigkeit fremdstaatlicher Enteignungen trifft.295 In den zu entscheidenden Fällen ist die Völkerrechtswidrigkeit aber regelmäßig offensichtlich. Die Rechtsprechung hat völkerrechtswidrige Enteignungen von Rechten an Sachen des persönlichen Gebrauchs ganz überwiegend nicht anerkannt.296 Die entschiedenen Fälle betrafen alle, anders als die sogleich zu besprechenden Fälle um indonesischen Tabak und chilenisches Kupfer, Deutsche. Wie die Rechtsprechung entschieden hätte und entscheiden wird, wenn einem Nichtdeutschen Rechte an Sachen des persönlichen Gebrauchs völkerrechtswidrig enteignet werden, ist ungewiss. Besondere Schwierigkeiten bereiten völkerrechtswidrige Enteignungen von Rechten an Sachen des in einem weiten Sinne verstandenen betrieblichen Gebrauchs. Bei diesen gilt es, das Bestandsinteresse des Enteigneten, die Erwerbsinteressen des Enteignungsbegünstigten sowie das deutsche Handelsinteresse in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Die Literatur bevorzugt den Enteigneten;297 die instanzgerichtliche Rechtsprechung in den beiden bisher entschiedenen, Rohstoffe betreffenden, berühmten Fällen um indonesischen Tabak von 1959298 und chilenisches Kupfer von 1973299 zumindest im Ergebnis den Handel. Nach hier vertretener Ansicht dagegen wiegen die Fol291
Vgl. oben § 15 I 1. Vgl. oben § 15 III 3 Fn. 236. 293 In dieser Richtung i.E. MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 35 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm oben § 13 V). 294 So MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 79 zu Art. 6 EGBGB. 295 Vgl. Wengler, VR I, 1964, 651 f. 296 Nachweise sogleich § 16 III 3 Fn. 306. 297 Nachweise oben § 15 I 1 Fn. 86. 298 OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 318 und LG Bremen vom 21.4.1959 (7 Q 13/1959), in: AWD 1959, 105. 299 LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 163. 292
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gen für den Handel und die zwischenstaatlichen Beziehungen bei Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen aufgrund der begrenzten Fernwirkung einer Nichtanerkennung von Aneignungsrechtsenteignungen nicht besonders schwer.300 Die Entscheidungen im Tabak- und Kupferfall sind im Ergebnis richtig, wenn man die Fernwirkungsproblematik beachtet.301 3. Unterscheidung nach dem Verwendungszweck der Sache und der Staatsangehörigkeit des Enteigneten § 16 Vollziehung und Verbringung – III 3
Enteignungen dinglicher Rechte bilden kein Zentralthema der gerichtlichen Praxis.302 Die fast ausschließlich instanzgerichtliche Rechtsprechung zur Enteignung dinglicher Rechte geht auch (wie es in der Natur von Rechtsprechung liegt) nicht planvoll vor, sondern entscheidet Einzelfälle. Verallgemeinerungsfähige Entscheidungsgrundsätze lassen sich erst den Fällen nach dem Zweiten Weltkrieg entnehmen. Insbesondere aus den Entscheidungen zu den Enteignungen durch Sowjetrussland nach dem Ersten Weltkrieg können dagegen keine allgemeinen Regeln gewonnen werden. Zwar haben die deutschen Gerichte, anders als die französischen,303 die Enteignungen anerkannt. Diese Fälle, in denen übrigens enteignete Staatsangehörige des Enteignungsstaates auf Herausgabe klagten, lagen aber dadurch besonders, dass sich die deutschen Richter oftmals durch den Rapallo-Vertrag zur Anerkennung verpflichtet sahen.304 Aufschlussreicher ist es also, die nach dem Zweiten Weltkrieg entschiedenen Fälle zu betrachten. Die Entscheidungen kann man in einem ersten Schritt nach dem Verwendungszweck der Sache ordnen, also danach, ob sie (1) persönlichen oder (2) betrieblichen Zwecken dient. In einem zweiten Schritt lässt sich nach der Person des Enteigneten, insbesondere seiner Staatsangehörigkeit, unterscheiden. Diese Unterscheidungen haben keine dogmatische Bedeutung, sondern stellen reine Billigkeitsrechtsprechung dar.
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Siehe zu allem oben §§ 11 III 1, 12 I 1 a.E., 15 I und sogleich § 16 III 3. Näher sogleich § 16 III 3. 302 Vgl. oben § 2. 303 Vgl. oben § 12 I 1 a.E. 304 Siehe etwa AG Berlin-Schöneberg vom 5.11.1928 (27 G 107/28), in: IPRspr 1928, Nr. 16 (Russland enteignet Kunstgegenstände von Russen) (wegen des Rapallo-Vertrages, der über seinen Wortlaut hinaus auch dann die Anerkennung gebiete, wenn russische Staatsangehörige enteignet würden) und LG Berlin vom 11.12.1928, in: IPRspr 1929, Nr. 9 (Russland enteignet Kunstgegenstände von Russen) (kein ordre public bei Enteignung von Staatsangehörigen des Enteignungsstaates, Anwendbarkeit des Rapallo-Vertrages daher unerheblich), beide mit Nachweisen; siehe auch Seidl-Hohenveldern, FS Kegel 1977, 283; ferner Beitzke, FS Raape 1948, 95 m.N.; Heiz, Recht, 1959, 222; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 27 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 11 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 301
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Zu (1): Enteignungen von Rechten an Sachen des persönlichen Gebrauchs hat die deutsche Rechtsprechung nach dem Zweiten Weltkrieg meist aufgrund des ordre public die Anerkennung versagt.305 Der verbringende Enteignungsbegünstigte oder ein Rechtsnachfolger des Enteignungsbegünstigten mussten also die Sache dem Enteigneten herausgeben. Dieser Gruppe von Entscheidungen unterfallen (a) zum einen die Enteignungen der Sudetendeutschen in Böhmen und Mähren durch die Tschechoslowakei und Polen, die im Zusammenhang mit den nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen Ländern einsetzenden Enteignungen deutschen „Auslandsvermögens“ stehen.306 Diese Enteignungen waren zudem völkerrechtswidrig.307 (b) Zum anderen unterfallen ihr die interlokalen Fälle von Enteignungen in der SBZ ab 1945 bzw. ab 1949 durch die DDR308. All diese Fälle wiesen freilich die Besonderheit auf, dass sowohl die Enteigneten als auch die Enteignungsbegünstigten Deutsche wa305
Ebenso Kegel, Probleme, 1956, 15; Dölle, IPR, 1972, 110 (z.B. Nähmaschinen); Spickhoff, ordre public, 1989, 219 f. m.N.; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 24, 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; für Flüchtlinge i.E. auch Heiz, Recht, 1959, 238 f.; für Nichtanerkennung bei Verbringung durch bösgläubigen Dritten auch Schaumann, SchwJahrbIntR X (1953) 186 [Schweiz] mit dem Argument, der Rechtsnachfolger könne Regress bei seinem Geschäftspartner nehmen. 306 Gegen eine Anerkennung OLG München vom 14.6.1951 (4 U 157/51), in: MDR 1952, 425 f. (Tschechoslowakei, Möbel und Einrichtungsgegenstände); LG Kassel vom 20.7.1948 (1 S 114/48), in: NJW 1947/48, 628 r.Sp. (Tschechoslowakei, Nähmaschine); AG Waiblingen vom 21.6.1948 (2 C 48/48), in: MDR 1949, 163 (Tschechoslowakei, Nähmaschine); AG Dingolfing vom 7.12.1948 (C 119/48), in: RabelsZ 15 (1949/50) 141 (Tschechoslowakei, Nähmaschine); AG Berchtesgaden vom 18.7.1951 (C 499/50), in: IPRspr 1952–1953, Nr. 6 (Tschechoslowakei, Schlafzimmermöbel); Arndt, SJZ 3 (1948) Sp. 144 f. (die Entscheidung des LG Hildesheim vom 18.11.1947 [1 S 311/47], in: SJZ 3 [1948] Sp. 143 [Polen, Bettumrandung] sei ein „Gradmesser für den Tiefstand unserer Rechtsordnung und ein bitteres Warnzeichen [..., ein] Leichenstein auf dem Todesweg des Positivismus“); Laun, MDR 1949, 165; den Entscheidungen zustimmend auch Beitzke, RabelsZ 15 (1949/50) 148 und Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 62 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; siehe auch BGH vom 29.1.1953 (IV ZR 201/51), in: NJW 1953, 545 (= BGHZ 8, 378) (Tschechoslowakei, Sudetendeutsche, Wohnungseinrichtung) (der BGH hat die Anerkennung dahinstehen lassen, weil die deutsche Gerichtsbarkeit ausgeschlossen sei; die Vorinstanzen hatten dem Herausgabeverlangen des Enteigneten stattgegeben). – A.A., also für eine Anerkennung, LG Cottbus vom 5.4.1950 (S 33/49), in: IPRspr 1950/1951, Nr. 60 (Tschechoslowakei, Sudetendeutsche, Nähmaschine) und LG Hildesheim vom 18.11.1947 (1 S 311/47), in: SJZ 3 (1948) Sp. 143 (Polen, Bettumrandung). 307 Siehe zu völkerrechtswidrigen Enteignungen auch oben §§ 15 I, 16 III 2. 308 OLG Schleswig-Holstein vom 26.2.1954 (5 U 69/53), in: IzRspr 1954–1957, Nr. 2 (interlokal, Musikinstrumente) (hier: Verstoß gegen HLKO); ebenfalls nicht anerkennend KG vom 29.9.1987 (17 U 492/87), in: NJW 1988, 343 (interlokal, Standuhr aus privater Antiquitätensammlung eines Möbelrestaurators) (der BGH hat sich nachfolgend nicht zu den internationalenteignungsrechtlichen Fragen geäußert, sondern ausgeführt, die sehr hohe Steuer sei in diesem Fall bereits keine Enteignung, BGH vom 22.9.1988 [IX ZR 263/87], in: NJW 1989, 1353).
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ren. Teilweise wurde angeführt, dass sich jedenfalls Deutsche untereinander nicht auf solche Unrechtsenteignungen berufen können sollten.309 Zu (2): Bei Enteignungen von Rechten an Sachen des in einem weiten Sinne verstandenen betrieblichen Gebrauchs, denen auch Rohstoffe, Waren etc. unterfallen, ist zu unterscheiden: (a) In den interlokalen Fällen – in diesen waren Enteignete und Enteignungsbegünstigte Deutsche – wurden die Enteignungen in einigen Entscheidungen anerkannt, in anderen nicht. 310 (b) In den drei internationalprivatrechtlichen Fällen dagegen – diese betrafen alle Nichtdeutsche – haben die Gerichte die Enteignungen anerkannt. In diesen Fällen dominierten zugleich die deutschen Handelsinteressen. Die Rede ist neben den berühmten Entscheidungen zum indonesischen Tabak von 1959 (Indonesien enteignet Niederländer) und zum chilenischen Kupfer von 1973 (Chile enteignet US-Amerikaner) vom Streit um Kaffee aus Simbabwe von 2005 (Simbabwe enteignet Inländer).311 Im Tabakfall war es richtig, dass der Enteignete den Tabak nicht mit Erfolg herausverlangen konnte, weil der Tabak nicht durch den Enteigneten gesät und geerntet wurde; auf Entsprechendes hätte man sich auch im Kupferfall berufen können.312 Der Kaffeefall dagegen hatte zwei Besonderheiten: Zum einen hat der Enteignungsstaat einen eigenen Staatsangehörigen enteignet, so dass die Enteignung nicht gegen das völkergewohnheitsrechtliche Fremdenrecht verstoßen
309 AG Waiblingen vom 21.6.1948 (2 C 48/48), in: MDR 1949, 163 (Tschechoslowakei, Nähmaschine); zustimmend Beitzke, RabelsZ 15 (1949/50) 145. – A.A. LG Cottbus vom 5.4.1950 (S 33/49), in: IPRspr 1950/1951, Nr. 60 (Tschechoslowakei, Sudetendeutsche, Nähmaschine). 310 Für eine Anerkennung OLG Hamburg vom 8.5.1951 (1 W 50/51), in: MDR 1951, 560 (interlokal, Rotationsmaschine) mit ablehnender Anmerkung Blomeyer, MDR 1951, 862; OLG Oldenburg vom 30.11.1953 (4 U 88/53), in: BB 1954, 326 (interlokal, Zinkasche) mit ablehnender Anmerkung Patschke, BB 1954, 327. – A.A., also gegen eine Anerkennung, OLG Nürnberg vom 19.9.1949 (W 541/49), in: NJW 1950, 229 (interlokal, Altwaren aus enteignetem Betrieb); LG Berlin vom 16.6.1952 (7 O 99/52), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 6 (interlokal, Lieferwagen) m.N.; weitere Nachweise bei Soergelv.Hoffmann, 1996, Rn. 24 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. – Siehe auch OLG Nürnberg vom 10.7.1953 (4 U 218/51), in: IzRspr 1945–1953, Nr. 9 (interlokal, Rundstrickmaschine), das zwar anerkennt, aber den ordre public gerade deshalb nicht eingreifen lässt, weil „die Maschinen im privaten Rechtsverkehr durch mehrere Hände gegangen“ seien. Nach hier entwickelter Ansicht sollte die Frage eines besonderen Vertrauens eines Nacherwerbers nicht in den ordre public integriert, sondern abgeschichtet werden, siehe bereits §§ 11 III 2, 16 III 1. 311 OLG Bremen vom 21.8.1959 (1 U 159/1959, 1 U 201/1959), in: AVR 9 (1961/62) 357 und LG Bremen vom 21.4.1959 (7 Q 13/1959), in: AWD 1959, 105 r.Sp. (Indonesien, Tabak); LG Hamburg vom 22.1.1973 (80 O 4/73), in: AWD 1973, 165 l.Sp. (Chile, Kupfer); OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee). 312 Vgl. oben § 11 III 1; zudem oben §§ 12 I 1 a.E., 15 I, 16 III 2.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
hat.313 Zum anderen war der Kaffee zum Enteignungszeitpunkt bereits geerntet. Den Kaffeefall hätte man daher nicht mit Verweis darauf lösen können, dass der Nichtanerkennung einer Aneignungsrechtsenteignung jedenfalls keine Fernwirkung zukomme.314 Das OLG Hamburg hat die Enteignung anerkannt. Es hat ein Eingreifen des ordre public ausdrücklich aufgrund mangelnden Inlandsbezugs verneint.315 Denn der Enteignete sei weder Deutscher noch habe er in Deutschland seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort.316 Eine verlässliche Regel kann man den wenigen bisher zur Enteignung von Rechten an Sachen des betrieblichen Gebrauchs entschiedenen Fällen nicht entnehmen. Es gibt nun im Wesentlichen zwei Möglichkeiten. Erstens: Man anerkennt die Enteignung, wenn der Enteignungsbegünstigte oder ein Rechtsnachfolger des Enteignungsbegünstigten die Sache verbringt, behält sich aber vor, das Ergebnis insbesondere dann nach Billigkeit über den ordre public zu korrigieren, wenn der Enteignete Deutscher ist. Zweitens: Man anerkennt entschädigungslose und sonstige Enteignungen dinglicher Rechte, bei denen nicht die Enteignungsumstände in besonderem Maße für eine Anerkennung sprechen, nach Verbringung nicht (wie es seit jeher beispielsweise Frankreich tut)317, prüft aber zum Schutz deutscher Handelsinteressen, zum Schutz eines besonderen Vertrauens eines Rechtsnachfolgers etc. genau die Fernwirkung, also insbesondere die Reichweite der Nichtanerkennung bei der Enteignung von Aneignungsrechten sowie den gutgläubigen und sonstigen originären Eigentumserwerb.318 Der sogleich in § 16 IV 2 darzustellende Fünfschritt ist mit beiden Möglichkeiten vereinbar. Die Rechtsprechung wählt den ersten Weg. Das schadet der Rechtssicherheit. Nicht nur bei völkerrechtswidrigen Enteignungen (also auch dann, wenn Staatsangehörige des Enteignungsstaates beispielsweise entschädigungslos enteignet werden) ist der zweite Weg vorzugswürdig.319 Dieser beinhaltet dabei den Vorschlag einer Regel, die über die bisherige Rechtsprechung, die – wie bereits festgestellt – nach Billigkeit im Einzelfall entscheidet, hinausgeht. Er bringt jedoch vor allem bei der Enteignung von Aneignungsrechten oder Produktionsmitteln die Bestandsinteressen des Enteigneten, die Erwerbsinteressen und Vertrauensinteressen eines fördernden
313
Zum Fremdenrecht oben § 4 I am Anfang; zur Nichtanerkennung völkergewohnheitsrechtswidriger Enteignungen oben §§ 15 I 1, 16 III 2. 314 Vgl. zur Fernwirkung bei der Enteignung von Aneignungsrechten oben § 11 III 1. 315 Siehe zum Inlandsbezug beim ordre public oben § 15 III 3. 316 OLG Hamburg vom 7.1.2005 (1 W 78/04) (Simbabwe, Kaffee). 317 Nachweise oben § 12 I 1 a.E. 318 Siehe zur Fernwirkungsproblematik oben § 11 III. 319 Insofern im Ergebnis ähnlich MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 17, 35 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III (siehe oben § 13 V 2).
§ 16 Vollziehung und Verbringung – IV 1
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Enteignungsbegünstigten oder Rechtsnachfolgers des Enteignungsbegünstigten sowie die deutschen Handelsinteressen in einen gerechten Ausgleich.320 IV. Zusammenfassung Der negative Gebietsgrundsatz, der anordnet, dass Enteignungen dinglicher Rechte nicht anerkannt werden, wenn sich die Sache zum Enteignungszeitpunkt außerhalb des Enteignungsstaates befindet, bereitet keine Schwierigkeiten. Befindet sich die Sache zum Enteignungszeitpunkt in Deutschland, ist der negative Gebietsgrundsatz sogar regelmäßig verfassungsrechtlich gefordert.321 Zum positiven Gebietsgrundsatz dagegen werden Ausnahmen diskutiert. So werden zusätzlich zur Belegenheit materielle Anerkennungsvoraussetzungen aufgestellt322 oder es werden gewisse Einschränkungen323 aus Gründen gefordert, die in einem weiteren Sinne dem ordre public zuzuordnen sind. Nach hier entwickelter Ansicht jedoch sind die pauschalen Fragen nach zusätzlichen materiellen Anerkennungsvoraussetzungen oder nach Einschränkungen nicht zutreffend gestellt. Denn beide Ausnahmearten wirken sich nur in bestimmten Verbringungskonstellationen aus. Nach hier vertretener Ansicht empfiehlt es sich, in fünf Schritten zu prüfen, wer infolge einer fremdstaatlichen Enteignung eines dinglichen Rechts aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Inhaber des Rechts ist. Es wird dabei danach unterschieden, ob und gegebenenfalls durch wen die Sache verbracht wurde. 1. Dogmatischer Status der vorgeschlagenen Regel
§ 16 Vollziehung und Verbringung – IV 1
Rechtsprechung und Literatur unterscheiden jedoch nicht in der Weise. Es fragt sich daher, wie der hier vorgeschlagene Fünfschritt dogmatisch einzuordnen ist. Jedenfalls versteht er sich nicht als eine Regel, die durch schlichte Induktion aus dem ordre public herausgelöst wurde.324 Denn wie bereits ausgeführt wurde, hatte die Rechtsprechung bisher nur sehr wenige Fälle von Enteignungen dinglicher Rechte zu entscheiden.325 In den wenigen entschiedenen Fällen hat sich jedoch keine Regel in einem solchen Maße verdichtet, dass es möglich wäre, aus dem ordre public eine feste Entscheidungsregel zu gewinnen. 320
Vgl. oben § 11 III 1. Dazu oben § 15 II 4. 322 Vgl. oben § 14 I–III. 323 Vgl. oben § 15. 324 Dazu, dass man das selbständige Vollziehungserfordernis, das im Ergebnis nach einer Ansicht hinter der zweiten Stufe steht, als Norm gewordenen Teil des ordre public begreifen kann, oben § 16 II 3. 325 Vgl. oben § 2. 321
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
Doch soll der Fünfschritt auch nicht bloß den ordre public ausfüllen. Vielmehr versteht er sich als Vorschlag einer Regel, die weitgehend an die Stelle der bisherigen Ordre-public-Prüfung treten soll. Allenfalls beim fünften Schritt soll Raum bleiben für eine Gesamtabwägung. Dies wäre dem Umstand geschuldet, dass eine Regel zur Erklärung der bisherigen Fälle keine konkreteren Ergebnisse liefern kann als diese bisherige Rechtsprechung selbst. Nach der hier vorgeschlagenen Lösung sollte man allerdings auch beim fünften Schritt nach klaren Grundsätzen entscheiden. Der Bereich reiner Billigkeitsrechtsprechung ohne feste Entscheidungsgrundsätze sollte nach Möglichkeit zurückgedrängt werden. Der hier vorgeschlagene Fünfschritt kann – anders als der nur unter dem Vorbehalt des ordre public stehende Gebietsgrundsatz – die bisher entschiedenen und andere Fälle mit Sachgründen erklären. Es werden Problembereiche unterschieden, die jeweils ihre eigenen Gründe haben. Entscheidungen werden besser nachvollziehbar und vorhersehbarer. Dies erhöht die Rechtssicherheit und erleichtert die Rechtsanwendung. 2. Vorschlag einer Prüfung in fünf Schritten
§ 16 Vollziehung und Verbringung – IV 2
Nach hier entwickelter Ansicht sollte also folgendermaßen unterschieden werden: (1) Solange sich die Sache, an der ein Recht enteignet wurde, auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates befindet, sollte die Enteignung unabhängig von einer Vollziehung und unabhängig von den Enteignungsumständen im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche im Verhältnis zu und im Interesse von Dritten regelmäßig anerkannt werden. Dabei geht es allerdings nur um die Rechtsverkehranerkennung.326 Ansprüche zwischen Enteignetem und Enteignungsbegünstigtem dagegen bestehen aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung bis zur Verbringung der Sache in der Regel nicht. Die Fälle, die die deutschen Gerichte beschäftigen, sind jedoch regelmäßig Verbringungsfälle.327 Entgegen der herrschenden Ansicht führt die Machtlehre hier nicht weiter, da sie Verbringungsfälle nicht erklären kann.328 Es ist nach der Person des Verbringenden zu unterscheiden: (2) Zumindest entschädigungslose und sonstige Enteignungen dinglicher Rechte, bei denen nicht die Enteignungsumstände in besonderem Maße für eine Anerkennung sprechen, sind in der Regel dann nicht anzuerkennen, wenn gerade der Enteignete die Sache verbringt.329 Wurde die Enteignung allerdings schon vollzogen, sollte der Enteignete rechtlich den Vollzug durch 326 327 328 329
Näher oben §§ 11 II 2, 16 I. Dazu oben § 12 II 3. Vgl. oben § 12 II 3. Vgl. oben § 16 II.
§ 16 Vollziehung und Verbringung – IV 2
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eine gewaltsame Wiederbemächtigung nur unter bestimmten Voraussetzungen rückgängig machen können.330 Schwieriger ist es dagegen, zu entscheiden, was gelten soll, wenn der Enteignungsbegünstigte oder ein Rechtsnachfolger des Enteignungsbegünstigten die Sache aus dem Enteignungsstaat nach Deutschland verbringt. Es ist wiederum zu unterscheiden: (3) Eine Nichtanerkennung hat jedenfalls keine Fernwirkung. Kann sich der Verbringende also auf einen anderen Erwerbstatbestand, wie etwa einen gutgläubigen Erwerb, berufen, muss er die Sache nicht herausgeben.331 In diesem Fall darf er die Sache aber nicht deshalb behalten, weil die Enteignung anerkannt worden wäre, sondern aus anderen Gründen. (4) Verbringt die Sache nicht der Enteignete und liegt auch kein spezieller Erwerbstatbestand vor, möchte die überwiegende Auffassung im Schrifttum den Enteigneten weiterhin als Berechtigten ansehen und ihm also einen Herausgabeanspruch zugestehen, wenn die Enteignung völkerrechtswidrig ist.332 Die Rechtsprechung teilt diese Ansicht nur bei völkerrechtswidrigen Enteignungen von Rechten an Sachen des persönlichen Gebrauchs; freilich waren in diesen Fällen die Betroffenen stets Deutsche.333 Beachtet man die Fernwirkungsproblematik, ist die Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen auch mit den zwei bisher entschiedenen Fälle zur Enteignung von Rechten an Sachen des (in einem weiten Sinne verstandenen) betrieblichen Gebrauchs, es ging um Rohstoffe, vereinbar. Bei konsequenter Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen befürchtete harte Folgen für den Handel dürften ausbleiben, wenn man die mangelnde Fernwirkung einer Nichtanerkennung beachtet.334 Insbesondere ist derjenige, dem im Enteignungsstaat völkerrechtswidrig beispielsweise ein Aneignungsrecht oder eine Produktionsstätte enteignet wurde, nicht als Eigentümer derjenigen Sachen anzusehen, die nach der Enteignung durch den Enteignungsbegünstigten oder einen Rechtsnachfolger des Enteignungsbegünstigten gefördert oder hergestellt wurden. Denn nur diese haben eigene Arbeitskraft und meist auch eigene Betriebsmittel und eigenes Material aufgewendet. Eine auf diese Weise unterscheidende Regel erlaubt es, völkerrechtswidrige Enteignungen nicht anzuerkennen, ohne den Handel über Gebühr zu gefährden. (5) Die Rechtsprechung hat sich also nicht zur notwendigen Nichtanerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen bekannt. Sie prüft die Völkerrechtswidrigkeit im Rahmen des ordre public. Man kann die Ergebnisse der Ordre-public-Prüfung der Rechtsprechung zu völkerrechtswidrigen und sons330 331 332 333 334
Vgl. oben § 16 II 2. Vgl. oben §§ 11 III 2, 3, 16 III 1. Vgl. oben §§ 15 I, 16 III 2. Zur Rechtsprechung oben §§ 15 I 1, 16 III 2, 3. Vgl. dazu und zum Folgenden oben §§ 11 III 1, 12 I 1 a.E., 15 I, 16 III 2, 3.
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4. Kapitel: Dingliche Rechte
tigen Enteignungen ordnen, indem man nach der Verwendung der Sache und der Person des Enteigneten unterscheidet.335 Enteignungen von Rechten an Sachen des persönlichen Gebrauchs anerkennt die Rechtsprechung ganz überwiegend nicht; allerdings betrafen die entschiedenen Fälle stets Deutsche. Bei anderen Sachen – sie werden hier zusammenfassend als Sachen des betrieblichen Gebrauchs bezeichnet – dagegen setzt sie den ordre public zurückhaltender ein. Die Anerkennung hängt hier im Ergebnis wesentlich von der Person des Enteigneten ab. Den wenigen bisher zu Enteignungen dinglicher Rechte entschiedenen Fällen kann man keine verlässliche Regel entnehmen. Die Rechtsprechung entscheidet im Einzelfall nach Billigkeit. So kann man auch weiterhin verfahren. Die ersten drei bzw. vier Stufen des hier vorgeschlagenen Fünfschritts sollten aber dennoch gelten. Nach der hier vorgeschlagenen Lösung dagegen sollten Enteignungen dinglicher Rechte, bei denen nicht die Enteignungsumstände in besonderem Maße für eine Anerkennung sprechen, auch dann nicht anerkannt werden, wenn der Enteignungsbegünstigte oder ein Rechtsnachfolger des Enteignungsbegünstigten die Sache verbringt; es sollte aber genau die Fernwirkung der Nichtanerkennung geprüft werden.336 Dies bringt die deutschen Handelsinteressen, die Bestandsinteressen des Enteigneten und die Erwerbsinteressen des Enteignungsbegünstigten in einen gerechten Ausgleich. Ein besonderes Interesse des Verbringenden, die Sache nicht an den Enteigneten herauszugeben, kann in einem angemessenen Umfang über die bereits angesprochene Ablehnung der Fernwirkung berücksichtigt werden.337 Die Gefahren für den Handel, die mit einer Nichtanerkennung, insbesondere bei der Enteignung von Aneignungsrechten und Produktionsmitteln, verbunden sind, halten sich dann in vertretbaren Grenzen, ohne dass man etwa vor einer vermeintlichen Macht des Enteignungsstaates in die Knie gehen müsste.
335 336 337
Vgl. oben § 16 III 3. Vgl. näher oben § 16 III 3 a.E. Siehe oben §§ 11 III, 16 III 2.
Kapitel 5
Forderungsrechte § 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes § 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes
Während in Deutschland über die Anerkennung von Enteignungen dinglicher Rechte selten zu entscheiden ist, sind Enteignungen von Forderungen (= Forderungsrechten) im internationalen Enteignungsrecht das Zentralthema der gerichtlichen Praxis.1 Auch drehen sich viele Fälle von Gesellschaftsenteignungen letztlich um Forderungen.2 Nach fast ausschließlich vertretener Auffassung sollen auch fremdstaatliche Forderungsenteignungen nach dem Gebietsgrundsatz behandelt werden. Wichtigstes Tatbestandsmerkmal ist dann die Belegenheit des Enteignungsobjektes.3 Für die Bestimmung der Belegenheit von Forderungen auf den Erfüllungsort, den (ausschließlichen) Gerichtsstand, das (auch durch Rechtswahl bestimmte)4 Schuldstatut, den Gläubigersitz5, die Staatsangehörigkeit des Schuldners oder den Lageort eines die Forderung sichernden Grundstücks abzustellen, wird nur sehr vereinzelt vertreten.6 Eine Forderung soll vielmehr dort belegen sein, wo der Enteignungsstaat auf bestimmte körperliche Ersatzobjekte7 tatsächlich zugreifen kann.8 Auf welche körperlichen Ersatzobjekte dabei abzustellen ist, ist umstritten. In 1
Vgl. oben § 2. Näher unten § 23 I 4. 3 Zur Belegenheit einführend oben §§ 9 I 3, 14 IV. 4 Dazu Lüderitz, JZ 1961, 446 l.Sp. 5 Vgl. aber bei vom Gebietsgrundsatz abweichendem Ansatz MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 58 zu Art. 38 EGBGB Anh. III, der zwar auf den ständigen Aufenthalt des Gläubigers abstellen möchte, aber nur (kaum vorkommende) entschädigte Enteignungen behandelt; ähnlich Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 235, die den gewöhnlichen Aufenthalt oder effektiven Verwaltungssitz von Gläubiger und Schuldner für maßgeblich erachtet, aber ebenfalls nur entschädigte Enteignungen behandelt; siehe zu beiden ausführlich oben § 13 V. 6 Dagegen etwa Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 1 zu Art. 38 EGBGB Anh. III m.N. und MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 42 zu Art. 46 EGBGB Anh. 7 Zum Begriff oben § 9 I 2. 8 Ficker, Grundfragen, 1952, 107; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 110; Andrae, Eingriffe, 1990, 18; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 5 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; StaudingerStoll, 1996, Rn. 203 zu IntSachenR; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 1011 zum IntGesR. 2
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5. Kapitel: Forderungsrechte
Betracht kommen (1) die Person9 des Schuldners und (2) Sachen10 des Schuldners. Zudem werden auch unkörperliche Ersatzobjekte als Anknüpfungspunkt vorgeschlagen, nämlich (3) Rechte des Schuldners.11 (4) Stoll12 hingegen möchte zur Bestimmung der Belegenheit des Rechts an die deutsche Rechtsordnung insgesamt anknüpfen. Zwei Auffassungen, die sich gegenseitig ausschließen, sind vorherrschend.13 Nach der einen sind Forderungen etwa am Schuldnerwohnsitz, nach der anderen am Ort des „Schuldnervermögens“14 (worunter entweder der Lageort der Sachen des Schuldners oder der Belegenheitsort der Rechte des Schuldners verstanden wird) belegen.15 Die Rechtsprechung schwankt zwischen beiden Auffassungen.16 Forderungen und überhaupt Rechte an unkörperlichen Gegenständen zu lokalisieren, bereitet beträchtliche Schwierigkeiten.17 So ist denn auch trotz 9
Dazu unten § 17 II. Vgl. unten § 17 I 1. 11 Näher unten § 17 I 1. 12 So Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 203 zu IntSachenR; ders., IPRax 2003, 434 r.Sp.; folgend Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 32 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; näher unten § 17 I 2. 13 Die Rede von zwei „(vor-)herrschenden“ Ansichten ist kein Widerspruch, siehe unten § 18 I 1. 14 Vgl. zur Begriffskritik oben § 4 III 2. 15 Zur Schuldnerrechtelösung unten § 17 I; zur Wohnsitzlösung unten § 17 II. 16 Siehe nur jüngst BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2391 (interlokal); ferner die Nachweise sogleich im Rahmen der Darstellung der einzelnen Auffassungen. 17 Statt aller eindringlich Wengler, FS Universität Berlin 1955, 288 (der „Begriff der Belegenheit von Rechten [gehört] zu denjenigen Fällen, wo ein Wort dazu verwendet wird, um Unklarheiten der Vorstellungen oder gar eine Gedankenlosigkeit zu verbergen. Der Hinweis auf die Lage eines Rechts ist keine Bezugnahme auf einen sicher feststehenden Sachverhalt, sondern die Verschleierung einer Frage, wobei die Unsicherheit über den Sinn und die Beantwortung der Frage durch das Bild verdeckt wird“). – Siehe ferner BGH vom 1.2.1952 (I ZR 123/50), in: NJW 1952, 540 (= BGHZ 5, 35) (interlokal) („in Wirklichkeit nur eine Hilfskonstruktion, um die Lokalisierung eines schuldrechtlichen Anspruches anschaulich zu machen“); aufgreifend BGH vom 11.7.1957 (II ZR 318/55), in: NJW 1957, 1434 (= BGHZ 25, 134) (Tschechoslowakei, Forderung sudetendeutscher SpaltGenossenschaft); LG Tübingen vom 23.12.1960 (HO 47/60), in: JZ 1961, 451 l.Sp. (Österreich) (eine Forderung sei „an sich nicht irgendwo ‚belegen‘“, es bestehe „gar kein Bedürfnis, den der Natur der Forderung fremden Begriff der ‚Belegenheit‘ zu verwenden“); Beitzke, FS Raape 1948, 108; ders., in: Schlochauer u.a. (Hrsg.), WBdVR, Bd. I, 1960, 505 l.Sp.; Duden, FS Raape 1948, 126 („das Anstößige des Bildes der ‚Lage‘ einer Forderung“); Ficker, Grundfragen, 1952, 92 (alle Rechte, die sich einer Radizierung entzögen, weichten den Zwangsmaßnahmen aus); Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 87; Troller, Zwangsverwertung, 1955, 87 („[d]as Belegensein ist eine Fiktion und dient nur als Bild für ein nicht völlig klar vorgestelltes Verhältnis des Staates zum Immaterialgut“); Kegel, Probleme, 1956, 26; ders., FS Seidl-Hohenveldern 1988, 252; ders./SeidlHohenveldern, FS Ferid 1978, 242 (keine Belegenheit im strengen Sinne); Lewald, 10
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – I 1
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etwa 100-jährigen Bemühens die Behandlung fremdstaatlicher Forderungsenteignungen immer noch zweifelhaft.18 Die beiden vorherrschenden Ansichten zur Behandlung fremdstaatlicher Forderungsenteignungen halten die Lokalisierungsprobleme freilich nicht für schwerwiegend genug, um eine Lösung außerhalb des Gebietsgrundsatzes zu suchen. Im Folgenden werden in § 17 I und II die beiden vorherrschenden Ansichten dargestellt und kritisch gewürdigt. Eine Zusammenfassung der Kritik findet sich in § 18 I. I. Rechte des Schuldners als Anknüpfungspunkt 1. Spaltungslehre der Forderungsenteignung
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – I 1
Leistet der Schuldner nicht freiwillig an denjenigen, der aus der Sicht des Enteignungsstaates der neue Gläubiger ist (Neugläubiger), kann der Enteignungsstaat die Forderungsenteignung durchsetzen, indem er auf Sachen des Schuldners zugreift oder dem Schuldner Rechte entzieht. Daher lokalisiert eine verbreitete Ansicht Forderungen am Ort des „Schuldnervermögens“.19 RabelsZ 21 (1956) 135; Vannod, Fragen, 1959, 61 (aus einer Belegenheit seien keine Folgerungen möglich); Reichert, WM 1961, 11; Plaßmann, JZ 1962, 18 (der Begriff der Belegenheit könne die wirkliche Rechtslage nur verwirren und verdunkeln); Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 2 („keineswegs immer eindeutig zu ermitteln“); Pammel, Begriff, 1966, 9, 14 ff., 131 et p.; Mertens, JuS 1967, 98 l.Sp. (die „Belegenheit eines Rechtes [ist], sofern eine Norm nicht klar sagt, was darunter zu verstehen sei, ein beliebig manipulierbares Bild ohne konkreten juristischen Gehalt“); Schulte-Uhlenbrock, Rechtsverhältnisse, 1968, 14; Neuhaus, Grundbegriffe, 1976, 245; Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 93 f. (Lokalisierung sei irreführend), 100 [Schweiz]; Behrens, Unternehmen, 1980, 21; Huwyler, Personen, 1989, 90 ff.; Andrae, Eingriffe, 1990, 18; Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 110 (nur Bild); Lederer, Enteignung, 1989, 18; Spickhoff, ordre public, 1989, 288 (nur eingeschränkt lokalisierbar); Korte, Anerkennung, 1992, 73; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 5 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (Lokalisierung sei begriffsjuristisch und leicht irreführend); Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 203 zu IntSachenR; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 47 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (der Belegenheitsbegriff passe nicht auf unkörperliche Vermögensgegenstände); Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1103 (sicherlich nütze es nichts, nach einer „Belegenheit“ zu fragen: „ein Bild hilft nicht weiter“); MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 38 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 17 zu Art. 46 EGBGB („[d]ie Anwendung des Territorialitätsgrundsatzes auf die Enteignung von Forderungen ist überaus zweifelhaft“); Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 31 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 18 Siehe etwa Andrae, Eingriffe, 1990, 18 (noch heute müsse „die Problematik der Belegenheit von Forderungen und Rechten im Zusammenhang mit der Anerkennung ausländischer Enteignungen als ungeklärt angesehen werden“); kritisch schon Reichert, WM 1961, 2 („[d]ie bisherige systematische Behandlung der Forderungsenteignung durch einen ausländischen Staat ist, soweit übersehbar, wenigstens im deutschen Schrifttum wenig befriedigend“). 19 So oder ähnlich BAG vom 5.9.1972 (3 AZR 212/69), in: BAGE 24, 411 unter A II; Kegel, Probleme, 1956, 19, 26 ff.; ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1104; Lüderitz, JZ 1961, 444 r.Sp. f.; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 110; Teich, WM 1976, 1325 l.Sp.;
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5. Kapitel: Forderungsrechte
Die „Vermögenslösung“ wird dabei in zwei Varianten vertreten, indem unter Vermögen entweder der Lageort der Sachen des Schuldners oder der Belegenheitsort der Rechte des Schuldners verstanden wird. Der Begriff des „Vermögens“20 bezeichnet üblicherweise die Gesamtheit der geldwerten Rechte des Schuldners; daher soll im Folgenden zur Verdeutlichung von der Schuldnerrechtelösung gesprochen werden. Daneben jedoch scheint der Begriff des „Vermögens“ auch auf Sachen des Schuldners bezogen zu werden. Wer auf Sachen des Schuldners abstellen möchte, gelangt zu denselben Ergebnissen wie die Schuldnerrechtelösung.21 Diese Variante soll daher im Folgenden nicht gesondert besprochen werden. Seien nun Schuldnerrechte im Enteignungsstaat belegen, so seien fremdstaatliche Forderungsenteignungen „anzuerkennen“; allerdings nur für den Rechtsverkehr im Enteignungsstaat.22 Der Enteignete könne den Schuldner hinsichtlich der außerhalb des Enteignungsstaates belegenen Schuldnerrechte weiterhin in Anspruch nehmen.23 Die Forderung vervielfache sich.24 Sie spalte sich auf.25 Dies sei aber hinzunehmen, da es (wirtschaftlich) keinen Unterschied mache, ob Rechte des Schuldners vermindert oder Verbindlichkeiten
Huwyler, Personen, 1989, 98; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 5, 40 f. zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 203 zu IntSachenR; Erman-Hohloch, 2014, Rn. 2 zu Art. 46 EGBGB Anh.; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 32, 35 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; vorsichtig bejahend auch Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 17 zu Art. 46 EGBGB; unterscheidend, i.E. aber ebenso, Schulze, Recht, 1972, 91 ff., 244 ff. – A.A. Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 301; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 235; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 57 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 44 zu Art. 46 EGBGB Anh. 20 Zum Begriff des Vermögens bereits § 4 III 2. 21 Dies liegt am Begriff der „Anerkennung“, zu ihm unten § 17 I 3. 22 Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 5, 28, 40 f. zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1104; vgl. auch Kegel, FS Seidl-Hohenveldern 1988, 256. 23 Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1105. 24 Kegel, Probleme, 1956, 19, 28; ders., FS Seidl-Hohenveldern 1988, 256; ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1105; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 111; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 5, 40 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. – Dagegen Stoll, IPRax 2003, 434 l.Sp. f., aber i.E. ohne Abweichung, vgl. auch Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 203 zu IntSachenR. 25 Auch der Begriff der Spaltungslehre wird für unterschiedliche Dinge verwendet, was wieder den Anschein eines einheitlichen Systems erweckt. Während Forderungsenteignungen im eigentlichen Sinne überhaupt nicht anerkannt werden, bedeutet Spaltungslehre bei Gesellschaftsenteignungen eine teilweise absolute Anerkennung, näher unten § 23 I. Beide Spaltungslehren bringt durcheinander etwa BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJWRR 2006, 1093 (interlokal); zutreffend dagegen Plaßmann, JZ 1962, 19 l.Sp. Siehe zur wiederum anderen Spaltungslehre bei der Enteignung von Immaterialgüterrechten unten § 20 III.
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – I 2
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des Schuldners begründet würden.26 Dieser Ansatz habe den Vorteil, dass der Enteignungsstaat in seine Machtgrenzen verwiesen werde und nicht auf andere Staatsgebiete zugreifen könne.27 Es seien nur die jeweils im Enteignungsstaat befindlichen Rechte betroffen. Diese bildeten einen Haftungsverbund.28 Der Ansatz überzeugt aus folgenden Gründen nicht: 2. Belegenheit und Rechtsschutzräume
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – I 2
Die Schuldnerrechtelösung entleiht ihr Grenzkriterium der Machtlehre.29 Man könnte ihr nun vorwerfen, sie berücksichtige bei der Bestimmung der Machtgrenzen nicht, dass der Enteignungsstaat körperlich nicht nur auf Sachen des Schuldners, sondern auch auf die Person des Schuldners einwirken kann, wenn dieser in einer bestimmten Beziehung zum Enteignungsstaat steht.30 Der Einwand träfe auf der Grundlage der von der Enteignung dinglicher Rechte her bekannten Machtlehre zu, liegt aber schief zur etwas anderen 31 Machtlehre der Forderungsenteignung. Die „Schuldnervermögenslösung“ bestimmt nämlich überwiegend die (für die Belegenheitszuschreibung maßgebliche) „Zugriffsmöglichkeit“ des Enteignungsstaates nicht wie bei der Enteignung dinglicher Rechte in Bezug auf körperliche Bezugsobjekte32, sondern letztlich hinsichtlich von Rechten des Schuldners (die freilich ihrerseits körperliche Bezugsobjekte haben können). Abzulehnen ist auch eine in der Konstruktion ähnliche Auffassung, die im praktischen Ergebnis der Schuldnerrechtelösung entspricht, die Belegenheit der Forderung aber nicht über die „Zugriffsmöglichkeit“ des Enteignungsstaates auf Rechte des Schuldners bestimmt, sondern über die Zugriffsmöglichkeit auf die gegen den Schuldner gerichtete Forderung des Altgläubigers (Rechtsschutzperspektive).33 Zwar stimmt es, dass jeder Staat für seine 26 Kegel, FS Seidl-Hohenveldern 1988, 256; ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1105; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 40 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; gegen diese Gleichstellung Loos, AWD 1958, 113 Fn. 39 (denn eine Forderungsenteignung, die die Vermehrung der Passiva bewirke, sei nicht gegen den Schuldner gerichtet, sondern treffe ihn eher zufällig). 27 Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 40 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 28 Kegel, Probleme, 1956, 19; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 28 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 29 Zur Machtlehre, insbesondere bei der Enteignung dinglicher Rechte, einführend oben § 12 II 1–3; zur Kritik der Machtlehre bei Forderungsenteignungen unten § 18 I 2. 30 Dies möchten ausdrücklich unberücksichtigt lassen: Kegel, Probleme, 1956, 17; ders., FS Seidl-Hohenveldern 1988, 252 und Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 5 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 31 Vgl. auch unten § 18 I 2 a.E. 32 Zum Begriff oben § 9 I 2; zur Belegenheit bei der Enteignung dinglicher Rechte oben § 14 IV. 33 So unter unzutreffender Berufung auf Wengler Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 203 zu IntSachenR; ders., IPRax 2003, 434 r.Sp. (eine Forderung sei nicht in einem bestimmten
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5. Kapitel: Forderungsrechte
Rechtsordnung diejenigen Rechte entziehen kann, die er zuvor eingeräumt hat.34 Darum geht es aber nicht.35 Dies könnte er auch bei der Enteignung dinglicher Rechte. Während die Machtgrenzen bei der Enteignung dinglicher Rechte also entlang der Gebietsgrenzen in Bezug auf die körperlichen Bezugsobjekte verlaufen (territoriale Vollstreckungsgrenzen nach dem völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip36), verlaufen sie nach dieser Ansicht bei der Forderungsenteignung zwischen den Rechtsordnungen.37 Soll die Anerkennung einer Forderungsenteignung aber von der Belegenheit der Forderung abhängen, ist der Rechtsschutzraum bedeutungslos. Dass verschiedene Rechtsschutzräume bestehen, ist nämlich geradezu Voraussetzung dafür, dass sich überhaupt die Frage der Anerkennung stellt. Doch wiegen auch diese Einwände nicht besonders schwer. 3. „Anerkennung“ als Nichtanerkennung
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – I 3
Wo eine Forderung im Sinne der Schuldnerrechtelösung belegen ist, kann allerdings auch ganz dahinstehen. Der Gebietsgrundsatz, dessen Tatbestandsvoraussetzung die Belegenheit ist, hat nämlich nach dieser Ansicht ohnehin praktisch keine Rechtsfolge. Die Rechtsfolge trägt nur den Namen „Anerkennung“. Denn nach dem hier besprochenen Ansatz bedeutet Anerkennung bei der Forderungsenteignung nicht, dass die im Enteignungsstaat geschaffene Rechtslage in die deutsche Rechtsordnung übernommen wird.38 Die Anerkennung soll nur dazu führen, dass sich die Forderung vervielfacht. Die Forderung vervielfacht sich streng genommen aber nicht. In jeder die Forderung als bestehend ansehenden Rechtsordnung bestand ohnehin jeweils eine Forderung.39 Dies war bis zur Enteignung nur nicht sichtbar, da insbesondere Entstehen und Erlöschen der verschiedenen Forderungen durch gegenseitige Verweise der Rechtsordnungen parallel gerichtet waren. Dass sich die Forderung in Folge der Anerkennung vervielfache, bedeutet also nur, dass der Gleichlauf aufgelöst wird: Die Forderung ist aus der Sicht des Ent-
Staat belegen, sondern überall dort, wo der Gläubiger in der Ausübung seines Rechts geschützt werde) und Stoll folgend Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 32 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; ähnlich Beitzke, JZ 1956, 675 l.Sp.; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 110 und Polter, Auslandsenteignungen, 1975, 64. 34 Vgl. oben § 4 III 2. 35 In den Worten Wenglers geht es bei der Forderungsenteignung nicht um den „Rechtsschutzraum“, sondern um den „Realisierungsraum“, vgl. Wengler, FS Universität Berlin 1955, 337; RGRK-ders., VI/1, 1981, 252, 746 und VI/2, 1045 Fn. 13; vgl. auch oben § 4 II 3, III 1, 2. 36 Zu diesem oben § 4 II 2. 37 Zur Getrenntheit der Rechtsordnung oben §§ 1, 4 II 1 a.E. 38 Zum Begriff der Anerkennung bei der Enteignung dinglicher Rechte oben § 11 I. 39 Vgl. zur Pluralität subjektiver Rechte auch oben § 1.
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – I 3
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eignungsstaates einem anderen zugeordnet.40 Für die deutsche Rechtsordnung besteht aber nach wie vor nur eine Forderung. Es entsteht ein hinkendes Rechtsverhältnis. Die irreführende Rede von einer mehrfachen Forderungsbelegenheit ist in diesem Zusammenhang unbedingt abzulehnen.41 Mit anderen Worten: „Anerkennung“ nach der Schuldnerrechtelösung bedeutet in der herkömmlichen Terminologie Nichtanerkennung. Der Übergang der Rechtsinhaberschaft wird nicht nachvollzogen. Der Altgläubiger kann also in Deutschland weiterhin gegen den Schuldner vorgehen, ebenso gegen Bürgen und Mitschuldner.42 Die Bedeutung dieser „Anerkennung“ verkennen die Gegner der Schuldnerrechtelösung.43 40
Vgl. Kegel, Probleme, 1956, 19; ders., FS Seidl-Hohenveldern 1988, 256 (im Enteignungsstaat erhalte der Schuldner einen neuen Gläubiger, in der übrigen Welt bleibe alles beim Alten); ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1105; i.E. ähnlich, allerdings mit unklarer Herleitung, Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 110. 41 Gegen den Ausdruck der mehrfachen Belegenheit eines Rechts ist Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 46 (die Stelle betrifft Anteilsrechte); vgl. auch Neuhaus, Grundbegriffe, 1976, 247 (es sei eine Frage der Zweckmäßigkeit, ob man in bestimmten Fällen von mehrfacher oder einer einzigen Belegenheit spreche); ferner Drobnig, FS Neumayer 1985, 171 (die Gerichte neigten dazu, eine mehrfache Belegenheit nicht ausreichen zu lassen). 42 Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 50 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Bamberger/RothSpickhoff, 2012, Rn. 17 zu Art. 46 EGBGB; Palandt-Thorn, 2015, Rn. 12 zu Art. 43 EGBGB. 43 Unklar schon BGH vom 5.5.1977 (III ZR 2/75), in: BeckRS 1977, 30396428 unter I 2 b (= MDR 1977, 822) (Belgien); besonders verfehlt jüngst BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2391 (interlokal) („[t]eile des Schrifttums stellen darüber hinaus ganz allgemein bei der Frage der Belegenheit einer Forderung darauf ab, wo ein Zugriff auf das Schuldnervermögen möglich ist, und befürworten für den Fall, dass der Schuldner in mehr als einem Staat Vermögen hat, eine Forderungsaufspaltung, die zu einer Verdoppelung oder Vervielfachung der Forderung führt [...]. Ob dieser Spaltungstheorie zu folgen ist [...], bedarf keiner Entscheidung, da dem Ost-Berliner Magistrat und später der DDR eine persönliche Forderung gegen die Bekl. auch dann nicht zugestanden hätte. Im Zeitpunkt der Enteignung vom 10. 5. 1949 hatte die Bekl. kein im Ostteil Berlins belegenes Vermögen. Auch ein auf das hypothekarisch belastete Grundstück in Ost-Berlin bezogener Restitutionsanspruch der Beklagten, der einem Zugriff des Ost-Berliner Magistrats zugänglich gewesen wäre und die Annahme eines durch Aufspaltung entstandenen Ost-Berliner Teils der Darlehensforderung gegen die Beklagte hätte rechtfertigen können, bestand damals nicht“) und BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1093 f. (interlokal) („[l]ieße man das Grundstück als die Belegenheit der Forderung begründendes Vermögen ausreichen, ermöglichte man gerade erst unberechtigte Eingriffe eines Staates in den Hoheitsbereich eines anderen, was eine Aushöhlung des Territorialitätsprinzips bewirken würde“); unzutreffend auch MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 44 zu Art. 46 EGBGB Anh. (nach ihr ist die Spaltungslehre bei Forderungen deshalb abzulehnen, weil sie zu einer ungerechtfertigten Ausweitung des Gebietsgrundsatzes führe; keinesfalls dürfe sie dazu führen, dass eine hypothekarisch gesicherte Forderung allein wegen der Belegenheit des Grundstücks von der Enteignung erfasst werde); nicht sehr deutlich auch Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-145 ff.
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5. Kapitel: Forderungsrechte
Knüpft man nun an die „Anerkennung“ außer der ohnehin selbstverständlichen Rechtsverkehranerkennung44 keine Rechtsfolgen, kann man auch gleich auf das Erfordernis, dass sich Sachen des Schuldners im Enteignungsstaat befinden oder Rechte des Schuldners dort belegen sind, und überhaupt auf eine Lokalisierung der Forderung verzichten. Wird eine Enteignung bei „Zugriffsmöglichkeit“ des Enteignungsstaates auf Sachen oder Rechte des Schuldners nicht im eigentlichen Sinne anerkannt, dann erst recht nicht, wenn diese Sachen oder Rechte nicht dem „Zugriff“ des Enteignungsstaates ausgesetzt sind. Im letzteren Fall kommt es auch zu keiner Rechtsverkehranerkennung. Wo Sachen oder Rechte des Schuldners sind, ist damit nach der Schuldnerrechtelösung im Ergebnis bedeutungslos. Unverständlich ist es daher, dass ein dynamischer Haftungsverbund entstehen soll.45 Zwar stimmt es, dass der Enteignungsstaat nur so lange etwa auf Sachen zugreifen kann, wie sie sich auf seinem Hoheitsgebiet befinden. Da aber aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung ohnehin weiterhin der Altgläubiger Forderungsinhaber ist, spielt der Haftungsverbund letztlich überhaupt keine Rolle. Daher muss auch kein Zeitpunkt fixiert oder nicht fixiert werden. Dass eine Zahlung oder Vollstreckung im Enteignungsstaat nicht (etwa durch Kondiktionsansprüche) wirtschaftlich rückgängig gemacht werden sollte, ist ohnehin allgemeine Auffassung.46 Unklar ist schließlich auch der Inhalt des Haftungsverbundes. Er beziehe sich nämlich nicht nur auf dingliche Rechte des Schuldners, sondern auf alle seine geldwerten Rechte, also sein „Vermögen“. Forderungen, die dem Schuldner gegenüber Dritten zustehen, würden daher ebenfalls gespalten.47 Problematisch ist in diesem Zusammenhang etwa der Fall, dass der Neugläubiger im Enteignungsstaat zur Befriedigung eine Forderung des Schuldners gegen einen Dritten einzieht und gegen diesen Dritten im Enteignungsstaat vollstreckt. Kann nun der Schuldner gegen seinen eigenen Schuldner außerhalb des Enteignungsstaates weiterhin vorgehen? Mit anderen Worten: Setzt sich die Spaltung fort oder wird die Einziehung einer Forderung des Schuldners als Folgeanspruch behandelt und über die Rechtsverkehranerkennung, bei der die Rechtslage im Enteignungsstaat zugrunde gelegt wird, relativ anerkannt? All dies führt in der Konstruktion zwar zu äußerst komplizierten Folgeproblemen. Die Schwierigkeit ist aber nicht größer, als es auch sonst die Ausgleichsfragen bei hinkenden Rechtsverhältnissen sind. Das eigentliche Problem aber, wann der Schuldner gegenüber dem Altgläubiger frei wird, löst die Schuldnerrechtelösung – anders als die sogleich 44
Zur Rechtsverkehranerkennung bei Forderungsenteignungen oben § 11 II 3. Dazu, dass es nicht auf die Belegenheit zu einem bestimmten Zeitpunkt ankomme, etwa Lüderitz, JZ 1961, 444 r.Sp. 46 Vgl. zur Rechtsverkehranerkennung oben § 11 II 3. 47 So Kegel, Probleme, 1956, 28 f.; zum unklaren Begriff des Vermögens bereits §§ 4 III 2, 17 I 1. 45
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – II 1
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zu besprechende zweistufige Wohnsitzlösung – nicht einmal teilweise über die Anerkennungsregel. II. Person des Schuldners als Anknüpfungspunkt 1. Keine absolute Anerkennung
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – II 1
Ein Großteil der Rechtsprechung und Literatur lokalisiert Forderungen am Sitz, Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Schuldners.48 Zur 48 RG vom 3.11.1911 (VII 150/11), in: RGZ 77, 252; RG vom 2.5.1924 (III 304/23), in: RGZ 108, 267; RG vom 3.4.1925 (VI 222/24), in: RGZ 110, 381; RG vom 22.9.1930 (IV 493/29), in: RGZ 130, 27; OGHBrZ vom 31.3.1949 (I ZS 169/48), in: NJW 1959, 502 (= OGHZ 1, 368); BGH vom 26.1.1951 (V ZR 43/50), in: NJW 1951, 401 (= BGHZ 1, 109) (interlokal); BGH vom 1.2.1952 (I ZR 123/50), in: NJW 1952, 540 (= BGHZ 5, 35) (interlokal); BGH vom 7.10.1952 (I ZR 45/52), in: NJW 1953, 20 (= BGHZ 7, 302) (interlokal); BGH vom 11.2.1953 (II ZR 51/52), in: NJW 1953, 543 (= BGHZ 9, 34); BGH vom 11.7.1957 (VII ZR 226/56), in: BeckRS 1957, 31198548 unter D II (= BGHZ 25, 127) (Niederlande); BGH vom 14.1.1959 (V ZR 38/58), in: BeckRS 1959, 31204852 (Niederlande); BGH vom 17.12.1959 (VII ZR 198/58), in: NJW 1960, 1102 (= BGHZ 31, 367) (interlokal); BGH vom 25.2.1960 (VII ZR 17/59), in: NJW 1960, 1052 (= BGHZ 32, 97) (Frankreich); BGH vom 5.5.1960 (VII ZR 92/58), in: NJW 1960, 1570 (= BGHZ 32, 256) (Niederlande); BGH vom 28.1.1965 (I a ZR 273/63), in: juris Rn. 42 (= WM 1965, 267) (interlokal); BGH vom 5.5.1977 (III ZR 2/75), in: BeckRS 1977, 30396428 unter I 2 b (= MDR 1977, 822) (Belgien); BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 (interlokal) m.N.; BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1093 (interlokal); OLG Hamburg vom 13.11.1957 (4 U 149/57), in: RIW 1957, 246 (Niederlande); umfangreiche Nachweise zur Rechtsprechung bei Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 38 Fn. 99 zu Art. 38 EGBGB Anh. III, der selbst a.A. ist. – Siehe aus der Literatur Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 291, 293 (da dort der Vermögensmittelpunkt sei); Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 248; Petersen, in: Tagung Bad Godesberg, 1947, 138; Vogel, FS Raape 1948, 218; Ficker, Grundfragen, 1952, 106 f. m.N. zu Begründungsversuchen über § 23 S. 2 ZPO, § 2369 BGB etc.; Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 669 f., 686; Niederer, FS Lewald 1953, 553; ders., SchwJahrbIntR XI (1954) 95; Wolff, IPR, 1954, 153; Kuhn, WM 1958, 946; Vannod, Fragen, 1959, 62 f.; Raape, IPR, 1961, 675, 677 f. (in Fn. 24 b auf S. 675 f. neigt er freilich selbst der Schuldnerrechtelösung zu); Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 47 (Gewohnheitsrecht); Burth, Enteignung, 1963, 17; Schulte-Uhlenbrock, Rechtsverhältnisse, 1968, 15; Neuhaus, Grundbegriffe, 1976, 246; Looschelders, IPR, 2004, Rn. 70 zu Art. 43 EGBGB; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 42 zu Art. 46 EGBGB Anh.; jurisPK-Kieninger, 2012, Rn. 49 zu Art. 43 EGBGB; jurisPK-Teubel, 2014, Rn. 48 zu Art. 43 EGBGB; PalandtThorn, 2015, Rn. 12 zu Art. 43 EGBGB; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 1016 zum IntGesR. – Bei natürlichen Personen auf den gewöhnlichen Aufenthalt statt auf den Wohnsitz abzustellen, wird teilweise bevorzugt, da der gewöhnliche Aufenthalt auch sonst im räumlichen Kollisionsrecht maßgeblich sei. So die Folgenden, die selbst alle eine Anknüpfung an die Person des Schuldners ablehnen: Kegel, Probleme, 1956, 18 Fn. 18; ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1103; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 42 zu Art. 38 EGBGB Anh. III und MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 56 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. Der Einwand ist nicht begründet. Gegen ihn spricht, dass der Gebietsgrundsatz von einer spezifischen internationalenteignungsrechtlichen Lokalisierung ausgeht. Gerade aus den dem Gebietsgrund-
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5. Kapitel: Forderungsrechte
sprachlichen Einfachheit sei im Folgenden nur vom Wohnsitz die Rede. Die Ausführungen gelten für die anderen Vorschläge entsprechend. Die Wohnsitzanknüpfung wird gestützt etwa auf den Rechtsgedanken des § 23 S. 2 ZPO49 und die Möglichkeit des Enteignungsstaates, auf den Schuldner einzuwirken50. Auf welchen Zeitpunkt bei der Lokalisierung abzustellen ist, ist streitig. Erwogen wird der Zeitpunkt der Enteignung, der Klageerhebung oder der Entscheidung.51 Gegen die Anknüpfung bestehen erhebliche Einwände: Aus der Sicht der Machtlehre, der sich auch dieser Ansatz bedient, um den Kreis der anerkennungsfähigen Enteignungen abzugrenzen, dürften die Machtgrenzen nicht richtig abgesteckt sein. Zum einen sind die Zwangsmöglichkeiten gegen die Person stark normativ aufgeweicht, da der tatsächliche Aufenthalt einer Person zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht genügen soll, vielmehr etwa der Wohnsitz. Zum anderen wird nicht beachtet, dass der Enteignungsstaat auch auf Sachen des Schuldners, die sich auf seinem Gebiet befinden, einwirken kann. Zwar lokalisiert diese Auffassung Forderungen gerade deshalb am Schuldnerwohnsitz, weil dort zumindest regelmäßig Sachen des Schuldners gelegen oder Rechte des Schuldners belegen seien. Wenn es aber i.E. um den Wohnsitz als Ort des vermuteten Schwerpunktes der Sachen oder Rechte des Schuldners geht, kann man auch gleich auf diese abstellen. Der Ansatz überzeugt jedoch vor allem bei gesonderter Betrachtung der verschiedenen Rechtsverhältnisse nicht.52 Eine Enteignung soll zwar grundsatz zugrunde liegenden Wertungen müsste man begründen, dass der gewöhnliche Aufenthalt vorzugswürdig ist. Der Hinweis auf die Anknüpfung in anderen Zusammenhängen genügt zur Begründung nicht; vgl. allgemein oben §§ 9 I 3, 14 IV am Anfang. 49 BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 (interlokal); Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 291, 293; Kuhn, WM 1958, 946; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 42 zu Art. 46 EGBGB Anh.; gegen eine Anlehnung an § 23 S. 2 ZPO zu Recht Reichert, WM 1961, 7 f. und Schulze, Recht, 1972, 83 f. 50 BGH vom 11.2.1953 (II ZR 51/52), in: NJW 1953, 543 (= BGHZ 9, 34); BGH vom 17.12.1959 (VII ZR 198/58), in: NJW 1960, 1102 (= BGHZ 31, 367) (interlokal) („[d]iese Unterstellung rechtfertigt sich für hoheitliche Eingriffe in eine Forderung daraus, daß der eingreifende Staat seine Anordnung nur gegen einen seiner Macht unterworfenen Schuldner durchsetzen kann und er Zwangsbefugnisse in der Regel nur über einen Schuldner hat, der in seinem Gebiet wohnt“); BGH vom 5.5.1960 (VII ZR 92/58), in: NJW 1960, 1570 (= BGHZ 32, 256) (Niederlande); MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 42 zu Art. 46 EGBGB Anh.; vgl. dagegen früher etwa OLG Hamburg vom 31.5.1930 (VI 115/29), in: IPRspr 1931, Nr. 160 (England, Forderung einer deutschen oHG gegen die Londoner Zweigniederlassung einer schwedischen Bank) (maßgeblich sei nicht der Sitz, sondern die Frage, ob in die Forderung vollstreckt werden könne). 51 MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 43 zu Art. 46 EGBGB Anh. m.N.; Raape, IPR, 1961, 678. 52 Vgl. oben § 11 II 3.
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sätzlich „anerkannt“53 werden, wenn der Schuldner im enteignenden Staat seinen Wohnsitz hat. Diese „Anerkennung“ bedeutet aber nicht, dass der Inhaberwechsel mit der Folge nachvollzogen würde, dass der Neugläubiger den Schuldner in Deutschland erfolgreich auf Leistung verklagen könnte.54 Dies verkennen die Kritiker dieser Lösung, die ihr vorwerfen, der Enteignungsstaat könne bei der Wohnsitzanknüpfung seine Macht überschreiten.55 Es verkennen aber auch die Anhänger der Wohnsitzlösung selbst, die sich stets dazu veranlasst sehen, gesondert zu begründen, wieso der Enteignungsbegünstigte in Deutschland nicht mit Erfolg klagen kann.56 Dass es bei der Frage der „Anerkennung“ nur grundsätzlich auf den Schuldnerwohnsitz ankommen soll,57 verhindert nämlich nur, dass die Anerkennung außerhalb des Verhältnisses Schuldner – Altgläubiger wirkt, also insbesondere zugunsten des Neugläubigers (er kann in Deutschland nicht klagen) oder zugunsten Dritter58 (sie schulden dem Altgläubiger weiterhin).
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Zum Begriff der Anerkennung bei der Enteignung dinglicher Rechte oben § 11 I. Wengler, FS Universität Berlin 1955, 339; zutreffend auch die Analyse von Plaßmann, JZ 1962, 17 r.Sp. (eine Klage durch den Neugläubiger werde von der herrschenden Meinung entschieden abgelehnt, ergebe sich aber eigentlich notwendigerweise aus dem Begriff der Belegenheit); Pammel, Begriff, 1966, 132 et p.; siehe auch Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 21 (die Wohnsitzbelegenheit habe sich vor dem Zweiten Weltkrieg nur aufgrund des Versailler Vertrages nicht ausgewirkt), 22, 25; i.E. auch, aber noch nicht klar herausgearbeitet, sondern über den ordre public, Raape, IPR, 1961, 675 f. Fn. 24 b (über die Wohnsitzanknüpfung werde eine Forderung nicht in allen ihren Verzweigungen, also nicht auch hinsichtlich der Zugriffsmöglichkeit im Anerkennungsstaat, erfasst), 681 Fn. 28 a, 682. 55 So etwa Kegel, Probleme, 1956, 18 f.; ders./Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 258; Korte, Anerkennung, 1992, 84; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1104. 56 So etwa BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 f. m.N. (interlokal). 57 Siehe zu den zahlreichen Ausnahmen der vordergründigen Wohnsitzanknüpfung der Rechtsprechung vor allem Reichert, WM 1961, 9 ff. m.N. und Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 21 ff. ebenfalls m.N.; ferner Raape, IPR, 1961, 681 f. 58 Siehe BGH vom 1.2.1952 (I ZR 123/50), in: NJW 1952, 540 (= BGHZ 5, 35) (interlokal) (Weiterhaftung eines persönlich haftenden Gesellschafters einer oHG); BGH vom 12.11.1959 (VII ZR 165/58), in: NJW 1960, 191 (= BGHZ 31, 168) (interlokal) (Weiterhaftung eines Westbürgen trotz Schuldnersitzes im Osten); BGH vom 25.2.1960 (VII ZR 17/59), in: NJW 1960, 1052 (= BGHZ 32, 97) (Frankreich) (ein Westbürge hafte weiter, obwohl die Forderung gegen den Schuldner wirksam enteignet sei); siehe auch die Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung bei BGH vom 28.2.1971 (III ZR 47/67), in: BeckRS 1972, 31124840 unter II 1 c m.N. (= MDR 1972, 494) (interlokal, Ammoniakwerk Me. GmbH gegen gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen G.); siehe auch unten § 19 II. 54
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5. Kapitel: Forderungsrechte
2. Wohnsitz im Ergebnis bedeutungslos Die „Anerkennung“ hat im Verhältnis zwischen Schuldner und Neugläubiger also keine Bedeutung. Sie betrifft vielmehr nur die Beziehung zwischen Schuldner und Altgläubiger. Es geht dabei um die Frage, ob der Schuldner gegenüber dem Altgläubiger aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung von seiner Leistungspflicht frei wird. Dies wird selten erkannt.59 Die Wohnsitzlösung beantwortet die Frage nach einer Befreiung des Schuldners von seiner Pflicht in einem merkwürdigen zweistufigen Verfahren: (1) Hat der Schuldner seinen Wohnsitz im Enteignungsstaat, wird die Enteignung zwischen ihm und dem Altgläubiger anerkannt. Der Schuldner wird also aufgrund der Anerkennung gegenüber dem Altgläubiger frei. (2) Hat der Schuldner dagegen seinen Wohnsitz außerhalb des Enteignungsstaates und wird die Enteignung daher nicht „anerkannt“, kommt es nachgeschaltet doch auf Sachen oder Rechte des Schuldners an. Dem Schuldner wird nämlich auf der zweiten Stufe unter bestimmten Voraussetzungen ein materiellrechtliches Leistungsverweigerungsrecht zugestanden.60 Damit aber ist es i.E. ohne Bedeutung, ob der Schuldner im Enteignungsstaat wohnt oder nicht.61 Die Wohnsitzlösung ist entschieden abzulehnen. Sie möchte – wohl in Parallele zum Gebietsgrundsatz der Enteignung dinglicher Rechte – einen einzigen Ort ausmachen, an dem eine Forderung belegen ist.62 Bei näherer Be-
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Siehe aber insbesondere BGH vom 1.2.1952 (V ZR 16/51), in: NJW 1952, 421 (interlokal) (nach dem BGH zielt die Frage nach einer Belegenheit darauf ab, „wer im Verhältnis zwischen Gläubiger und persönlichem Schuldner die Gefahr eines von der sowjetzonalen Gesetzgebung ausgeübten Zwanges trägt“); vgl. ferner RG vom 22.9.1930 (IV 493/29), in: RGZ 130, 27; RG vom 18.3.1931 (I 254/30), in: RGZ 132, 130; OGHBrZ vom 13.4.1950 (I ZS 89/49), in: NJW 1950, 645 (Lösung über materielles Hypothekenrecht); BGH vom 22.12.1953 (V ZR 86/52), in: NJW 1954, 796 (= BGHZ 12, 79) (interlokal). 60 So fragte schon Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 669: „Lassen sich nicht die zwei Akte dieses gedanklichen Schlusses, von denen der zweite das Ergebnis des ersten praktisch aufhebt, durch einen einzigen erreichen?“ Er spricht bei der zweiten Stufe von einer „Reflexwirkung“. 61 Treffend bereits Garcke, ROW 5 (1961) 206 l.Sp.; vgl. auch BGH vom 1.2.1952 (V ZR 16/51), in: NJW 1952, 420 (interlokal). 62 So verfährt in abzulehnender Weise schon Rheinstein, RabelsZ 8 (1934) 291 (die Durchsetzbarkeit sei zwar entscheidend und Forderungen seien überall durchsetzbar, wo der Schuldner Vermögen habe; das wäre aber willkürlich und für den Schuldner unzuträglich; daher solle die Einwirkungsmöglichkeit als im Wohnsitzstaat als Staat des Vermögensmittelpunktes konzentriert betrachtet werden und nur dieser die Kompetenz zur Enteignung innehaben); dagegen zu Recht Reichert, WM 1961, 9 (die Wohnsitzlösung sei nicht überzeugend, da sie auf zu vielen Vermutungen aufgebaut sei und zu Ausnahmen zwinge); Schulze, Recht, 1972, 83 und Kegel, FS Seidl-Hohenveldern 1988, 252 („[h]ier
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trachtung aber zeigt sich, dass ein Gleichlauf zur Enteignung dinglicher Rechte wegen der Verschiedenartigkeit der Enteignungsobjekte nicht vorliegt und auch nicht hergestellt werden kann. Dass es der Wohnsitzlösung letztlich nur um billige Ergebnisse im Einzelfall geht, sieht man schon daran, dass sie sich nicht einmal auf den für die Belegenheit maßgeblichen Zeitpunkt einigen kann.63 Ferner gerät man in heillose Begriffsverwirrung, wenn man den Gedanken der Forderungsbelegenheit fortspinnt.64 3. Selbständiges Vollziehungserfordernis
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – II 3
Wer ein selbständiges Vollziehungserfordernis aufstellt, tut dies nicht nur für die Enteignung dinglicher Rechte, sondern regelmäßig auch für Rechte an unkörperlichen Gegenständen.65 Da jedoch der Gebietsgrundsatz nach der Schuldnerrechtelösung ohnehin praktisch keine Rechtsfolge hat, spielt die Vollziehung nur eine Rolle, wenn man die Belegenheit über die Person des Schuldners bestimmt, also der Wohnsitzlösung folgt.66 Doch wann ist eine Forderungsenteignung in diesem Sinne vollzogen? Der BGH antwortet: „Bei einem Anspruch auf Zahlung von Geld ist eine solche tatsächliche Lage jedenfalls so lange noch nicht geschaffen, als noch nicht der durch die Enteignungsmaßnahme Begünstigte dem Schuldner wenigstens in der Weise als neuer Gläubiger gegenübergetreten ist, daß er ihn zur Zahlung auffordert. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob die entscheidende Wirkung schon durch eine solche Zahlungsaufforderung eintreten könnte, oder ob es dazu der Erhebung einer Klage, des Erlasses eines Urteils oder gar der Zahlung bedürfen würde.“67 steht man vor der Frage, ob man sich mit einer handlichen und bequemen Anknüpfung begnügen sollte“). 63 Vgl. schon Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 91 (eine Fixierung des Zeitpunktes führe zu unbilligen Ergebnissen; daher müsse der Zeitpunkt nach Billigkeit bestimmt werden). 64 Treffend Plaßmann, JZ 1962, 18 l.Sp. („[d]iese dem Forderungsbegriff widersprechende Unterstellung [also die Belegenheit einer Forderung] zwang, um ihren Folgen zu entgehen, zu ebenso begriffswidrigen Abweichungen von anderen Rechtsbegriffen“); siehe näher unten § 18 I 1 und 3. 65 Zum selbständigen Vollziehungserfordernis bei der Enteignung dinglicher Rechte oben § 14 III. 66 Teilweise wird dagegen ein selbständiges Vollziehungserfordernis auch auf der Grundlage der Schuldnerrechtelösung gefordert (so etwa Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 10, 14 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I), was jedoch aufgrund des Anerkennungsbegriffs (zu diesem oben § 17 I 3) dieser Ansicht keine Auswirkungen auf die Anerkennungsentscheidung hat. 67 BGH vom 18.2.1957 (II ZR 287/54), in: NJW 1957, 629 (= BGHZ 23, 333) (interlokal); ähnlich zu den Anforderungen an eine Vollziehung (allerdings auf der Grundlage der Schuldnerrechtelösung) Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 14 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; weitere Nachweise bei Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III.
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5. Kapitel: Forderungsrechte
Eigenständige Stellungnahmen aus der Literatur zu der Frage nach einem selbständigen Vollziehungserfordernis fehlen.68 Kurz: Wann eine Forderungsenteignung vollzogen ist, ist seit über 50 Jahren in jeder Hinsicht ungeklärt.69 Es wäre aber nun verfehlt, den Grund der Verwirrung ausschließlich in mangelhaften Antworten zu suchen. Ungereimt ist schon die Frage, die man kaum besser beantworten kann, als sich alle Wege offenzuhalten. Die einfachste Erklärung für ein selbständiges Vollziehungserfordernis bei der Forderungsenteignung wäre es, in ihm nur eine Analogie zum selbständigen Vollziehungserfordernis von Enteignungen dinglicher Rechte70 zu sehen. Eine solche Analogie sollte jedoch nicht weiter reichen, als die Unterschiede der Enteignungsobjekte es zulassen. Das selbständige Vollziehungserfordernis bei Forderungen unterscheidet sich nun aber vom selbständigen Vollziehungserfordernis bei der Enteignung dinglicher Rechte, da es (1) schwächer ist und dadurch eine andere (2) wirtschaftliche und (3) dogmatische Bedeutung hat. Zu (1): Da der Enteignungsstaat an einer Forderung keinen Besitz ergreifen kann, ist die Vollziehung bei der Forderungsenteignung notwendigerweise anders ausgestaltet als bei der Enteignung dinglicher Rechte. Die konkrete Ausgestaltung erinnert an Vorschriften über Forderungen aus dem BGB. Zwar verlangt das BGB zur Abtretung einer Forderung keine Mitteilung an den Schuldner, es berücksichtigt eine unterbliebene Mitteilung aber über § 407 BGB; nach § 1280 BGB ist die Verpfändung einer Forderung nur wirksam, wenn sie der Gläubiger dem Schuldner anzeigt etc. Doch macht man es sich nicht zu einfach, wenn man im Vollziehungserfordernis nur eine Übertragung privatrechtlicher Vorstellungen erblickt? Es ist zwar notwendig, dass das Vollziehungserfordernis anders ausgestaltet ist, nicht aber, dass es so viel schwächer ist als bei der Enteignung dinglicher Rechte. Eine Enteignung von Rechten an Sachen ist schließlich nicht schon dann vollzogen, wenn der Alteigentümer zur Herausgabe aufgefordert wird.71 Zu (2): Dadurch, dass das Vollziehungserfordernis bei der Forderungsenteignung ungleich schwächer als bei der Enteignung dinglicher Rechte ist, hat es auch eine andere wirtschaftliche Bedeutung. Zwar heißt es allgemein: Vollziehung bedeute Realisierung.72 Dass eine Forderungsenteignung aber – etwa durch Zwangsvollstreckung in Rechte des Schuldners oder die Anordnung von Zwangshaft (Freikaufen) – in einer der Besitzergreifung bei der 68
Nur die Äußerung des BGH referierend etwa MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 1 zu Art. 46 EGBGB Anh. m.N., die ein selbständiges Vollziehungserfordernis selbst aber wohl ablehnt. 69 Siehe auch Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 26 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. 70 Zu diesem oben § 14 III. 71 Der Enteignungsbegünstigte müsse sich vielmehr in den Besitz gesetzt haben, vgl. oben § 14 III 1. 72 So etwa Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 206 zu IntSachenR.
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – II 3
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Enteignung dinglicher Rechte vergleichbaren Weise realisiert wird, wäre zwar in gewisser Weise konsequent, wird aber nicht vertreten. Zu (3): Aus dem schwachen Vollziehungserfordernis ergeben sich weitere Unterschiede. Dingliche Rechte sind dort belegen, wo sich die entsprechende Sache befindet. Der Enteignungsstaat darf aufgrund des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips nur dort auf die Sache zugreifen.73 Vollzogen ist die Enteignung, wenn der Enteignungsstaat tatsächlich auf eben diese Sache zugreift. Anders bei der Forderungsenteignung: Die Wohnsitzlösung bestimmt zwar die Belegenheit auch bei Forderungsenteignungen über körperliche Bezugsobjekte, nämlich die Person des Schuldners. Zur Vollziehung soll aber nicht auf diese eingewirkt werden müssen. Dem Schuldner müsse nur etwa eine Zahlungsaufforderung zugehen. Damit wird der Gleichlauf zwischen Belegenheit und Vollziehung, der bei der Enteignung dinglicher Rechte besteht und dort die Belegenheitsbestimmung überflüssig macht, inkonsequenterweise aufgehoben.74 Wertungsmäßig wird dadurch der Gebietsgrundsatz vom völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip, welches die territorial beschränkte Vollstreckungsmöglichkeit des Enteignungsstaates betrifft, abgekoppelt. Anders als bei der Enteignung dinglicher Rechte kann die Vollziehung bei der Forderungsenteignung daher auch nicht Grenzkriterium sein. 75 Indem der Neugläubiger den Schuldner zur Zahlung auffordert, übt der Enteignungsstaat auch keine tatsächliche Macht aus. Doch auch dann, wenn man nicht die Macht, sondern die Effektivität als Abgrenzungskriterium ansieht, bleibt unklar, wieso es besonders aussichtslos sein soll, eine Forderungsenteignung beispielsweise nach einer Zahlungsaufforderung nicht anzuerkennen.76 Ein gemeinsamer Zweck des Vollziehungserfordernisses bei der Enteignung dinglicher Rechte und der Forderungsenteignung kann also nicht ausfindig gemacht werden. Das selbständige Vollziehungserfordernis bei Forderungsenteignungen kann daher nicht als Analogie zum selbständigen Vollziehungserfordernis bei Enteignungen dinglicher Rechte begriffen werden. Das Tatbestandsmerkmal der Vollziehung bezeichnet bei den verschiedenen Enteignungsobjekten denn auch etwas grundlegend Unterschiedliches. Dies verwundert nicht, weil sich die Anerkennung als Rechtsfolge grundle-
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Zur Belegenheit dinglicher Rechte oben § 14 IV; zum völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip oben § 4 II 2. 74 Vgl. oben §§ 12 II 2, 14 IV 2 dazu, dass es bei der Enteignung dinglicher Rechte auf einem Missverständnis beruht, eine Vollziehung zu fordern, zusätzlich aber die Belegenheit zu bestimmen. Dieses Missverständnis wirkt hier in der bezeichneten Ungereimtheit bei der Forderungsenteignung fort. 75 Zur Grenzfunktion des selbständigen Vollziehungserfordernisses bei Enteignungen dinglicher Rechte oben § 14 IV 2. 76 Zur Machtlehre oben § 12 II 1–3; zur Effektivität oben § 12 II 4.
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5. Kapitel: Forderungsrechte
gend unterscheidet.77 Mit dem Schlagwort des Gebietsgrundsatzes wird eine parallele Anerkennungsregel für Enteignungen dinglicher Rechte und Enteignungen sonstiger Objekte angedeutet, die bei näherer Betrachtung nicht besteht. Während das Rechtsverhältnis, in das eine Enteignung dinglicher Rechte eingreift, sich vor der Enteignung nur auf den Eigentümer beschränken kann, sind bei dem Rechtsverhältnis, in das eine Forderungsenteignung eingreift, vor der Enteignung mindestens zwei Personen beteiligt. Dies aber kann nicht ohne Folgen für die Behandlung fremdstaatlicher Forderungsenteignungen bleiben. Betrachtet man nun die verschiedenen Rechtsverhältnisse, schiebt man gleichsam den Schleier beiseite, ist die Bedeutung der Vollziehung nicht länger verborgen. Die „Anerkennung“ als Rechtsfolge und damit auch das Tatbestandsmerkmal der Vollziehung zielen nämlich nicht auf (1) das Verhältnis Schuldner – Neugläubiger, sondern auf (2) das Verhältnis Schuldner – Altgläubiger. Zu (1): Im Verhältnis Schuldner – Neugläubiger genügt die Rechtsverkehranerkennung.78 Gelingt es dem Neugläubiger, im Enteignungsstaat gegen den Schuldner zu vollstrecken oder den Schuldner zur Zahlung zu bewegen, sind Ansprüche des Schuldners etwa aus ungerechtfertigter Bereicherung in Deutschland ausgeschlossen. Umgekehrt kann der Neugläubiger den Schuldner in Deutschland nicht mit Erfolg auf Zahlung verklagen. Es gilt: Deutschland akzeptiert eine Realisierung, vollstreckt aber nicht selbst. Würde man zur Vollziehung die Realisierung (und nicht bloß etwa eine Zahlungsaufforderung) fordern, könnte man den Ausschluss der Kondiktionsansprüche des Schuldners freilich als „Anerkennung“ bezeichnen. Der Gebietsgrundsatz würde dann dazu dienen, nicht in Frage zu stellen, was in der körperlichen Welt schon verfestigt ist. Das Vollziehungserfordernis hätte dann auch im Verhältnis zwischen Schuldner und Neugläubiger einen Sinn. Anders aber die herrschende Meinung: Sie setzt die Anforderungen an die Vollziehung stark herab. Eine Forderungsenteignung sei bereits etwa durch eine Zahlungsaufforderung vollzogen und damit „anzuerkennen“. Dies betrifft aber im Ergebnis nicht das Verhältnis Schuldner – Neugläubiger. Der Neugläubiger könne nämlich gegen den Schuldner in Deutschland nicht vorgehen. Er sei aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung nicht Rechtsinhaber geworden. Das schwache Vollziehungserfordernis wird also insofern mit einem schwachen Anerkennungsbegriff erkauft. Zu (2): Der Gebietsgrundsatz der Forderungsenteignung zielt nach dem Verständnis der Wohnsitzlösung nun also nicht auf die soeben besprochene Beziehung zwischen Schuldner und Neugläubiger, sondern ausschließlich auf das Verhältnis Schuldner – Altgläubiger. Wie die Rechtsverkehranerkennung 77 78
Vgl. zur Rechtsfolge oben § 17 II 1 und unten § 18 I 1. Siehe oben § 17 II 1; zur Rechtsverkehranerkennung oben § 11 II 3.
§ 17 Ansätze auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes – II 3
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im Hinblick auf die Folgeansprüche relativ ist, ist die Anerkennung im hier behandelten Sinne relativ im Hinblick auf die verschiedenen Personenverhältnisse. Die Ausgangslage ist die folgende: Die Forderungsenteignung im Enteignungsstaat richtet sich gegen den Altgläubiger. Wird sie aber in Deutschland nicht nachvollzogen, besteht für den Schuldner die Gefahr, in Deutschland dem Altgläubiger, im Enteignungsstaat aber dem Neugläubiger leisten zu müssen. Die Wohnsitzlösung hilft nun dem Schuldner gegen die Gefahr doppelter Inanspruchnahme, indem sie die Forderungsenteignung im Verhältnis Altgläubiger – Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen „anerkennt“. Es wird also letztlich als unbillig empfunden, den Schuldner den wirtschaftlichen Schaden einer gegen einen anderen gerichteten Enteignung tragen zu lassen. Aus dieser Begründung der „Anerkennung“ im Sinne der Wohnsitzlösung ergeben sich ihre Grenzen: Der Schuldner soll zwar nicht den Schaden aus einer gegen einen anderen gerichteten Enteignung tragen, er soll aber auch keinen Vorteil aus der Forderungsenteignung ziehen. Dass der Neugläubiger ihn im Enteignungsstaat in Anspruch nimmt, muss daher hinreichend wahrscheinlich sein.79 Fordert der Neugläubiger den Schuldner aber nun zur Zahlung auf, verdichtet sich die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme für den Schuldner. Die Vollziehung soll also nur sicherstellen, dass der Schuldner von der Enteignung nicht profitiert.80 Die „Anerkennung“ dient damit bei Forderungsenteignungen nach der Wohnsitzlösung dem privaten Interesse des Schuldners, das selbständige Vollziehungserfordernis hingegen dem privaten Interesse des Altgläubigers. Auch hierin liegt ein Unterschied zur Anerkennung bei Enteignungen dinglicher Rechte.81 Es wird sogleich zu zeigen sein, dass der Gebietsgrundsatz kein geeignetes Instrument ist, den Interessenwiderstreit bei Forderungsenteignungen zu lösen.
79
Dazu, dass ein Leistungsverweigerungsrecht eine verdichtete Gefahr („greifbare Anhaltspunkte“) voraussetzt, BGH vom 1.4.1955 (I ZR 37/53), in: NJW 1955, 1065; BGH vom 10.4.1957 (V ZR 131/55), in: NJW 1957, 1072 (= BGHZ 24, 83) (interlokal); BGH vom 4.7.1957 (II ZR 346/55), in: IzRspr 1954–1957, Nr. 232 a (interlokal); BGH vom 28.2.1971 (III ZR 47/67), in: BeckRS 1972, 31124840 unter II 1 f (= MDR 1972, 494) (interlokal, Ammoniakwerk Me. GmbH gegen gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen G.); Kuhn, WM 1958, 949; Raape, IPR, 1961, 680 f.; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 827 zum IntGesR; Palandt-Thorn, 2015, Rn. 12 zu Art. 43 EGBGB. 80 Vgl. insbesondere BGH vom 18.2.1957 (II ZR 287/54), in: NJW 1957, 629 (= BGHZ 23, 333) (interlokal); BGH vom 21.2.1958 (II ZR 297/56), in: NJW 1958, 745 (interlokal). 81 Zu den Beweggründen der Anerkennung bei dinglichen Rechten oben § 12.
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5. Kapitel: Forderungsrechte
§ 18 Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungen § 18 Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungen – I 1
I. Gründe für die Untauglichkeit Die beiden soeben dargestellten vorherrschenden Ansätze, die den Gebietsgrundsatz für Forderungsenteignungen aufrechterhalten möchten, haben erhebliche Schwächen. Dies ist auch aus der unentschlossenen Haltung der Rechtsprechung ersichtlich, die seit jeher im Streben nach einem billigen Ergebnis die Belegenheit in einigen Entscheidungen nach der Schuldnerrechtelösung, in anderen Entscheidungen nach der Wohnsitzlösung bestimmt.82 Um der Machtsituation besser gerecht zu werden, könnte man erwägen, alternativ auf den Wohnsitz des Schuldners und auf den Lageort seiner Sachen bzw. den Belegenheitsort seiner Rechte abzustellen.83 Dies würde aber die grundlegend unterschiedliche Struktur der beiden Lösungen verkennen. Die Kritik betrifft überdies nicht so sehr die einzelnen Ergebnisse als vielmehr die Anwendung des Gebietsgrundsatzes auf die Forderungsenteignung überhaupt. Den Gebietsgrundsatz der Anerkennung von Forderungsenteignungen überzustülpen, hat ihn bis zur Unkenntlichkeit verändert.84 Er sollte auf die Forderungsenteignung nicht angewendet werden. Der Gebietsgrundsatz der Forderungsenteignung ist jedenfalls ein anderer als der Gebietsgrundsatz der Enteignung dinglicher Rechte. Möchte man also auch Forderungsenteignungen nach dem Gebietsgrundsatz behandeln, bezeichnet man nur zwei unterschiedliche Dinge mit demselben Namen. Es unterscheiden sich nämlich die Rechtsfolgen, die Beweggründe und die Tatbestandsvoraussetzungen: 1. Andere Rechtsfolge: keine absolute Anerkennung Zunächst unterscheiden sich die Rechtsfolgen. „Anerkennung“ bedeutet bei der Enteignung dinglicher Rechte, die privatrechtsgestaltende Wirkung fremdstaatlicher Enteignungen in die deutsche Rechtsordnung zu übernehmen, indem der Inhaberwechsel nachvollzogen wird.85 Dagegen bedeutet die 82
Siehe BGH vom 4.6.2002 (XI ZR 301/01), in: NJW 2002, 2390 m.N. auf ältere Rechtsprechung (interlokal); BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1093 f. (interlokal) und BGH vom 1.2.1952 (V ZR 16/51), in: NJW 1952, 421 (interlokal); Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 87; Heiz, Recht, 1959, 281; Reichert, WM 1961, 13; Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 23 f. 83 So Wolff, IPR, 1954, 153; zudem vielleicht Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-145; über Billigkeitserwägungen zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 87, 91 ff. 84 Insofern unzutreffend Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 35 (die Natur des Konfiskationsobjektes sei für die Enteignungsanerkennung nur bei der Lokalisierung bedeutsam). 85 Zum Begriff der Anerkennung bei der Enteignung dinglicher Rechte oben § 11 I.
§ 18 Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungen – I 1
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„Anerkennung“ einer Forderungsenteignung nach den beiden vorherrschenden Auffassungen nicht, dass der Wechsel der Rechtsinhaberschaft in der deutschen Rechtsordnung nachvollzogen würde. Nach beiden Ansichten soll der Neugläubiger trotz der „Anerkennung“ der Forderungsenteignung in Deutschland gegen den Schuldner nicht mit Erfolg auf Leistung klagen können.86 Dieses Ergebnis erreicht die Wohnsitzlösung87, indem sie durch den Ausschluss eines Klagerechts des Enteignungsbegünstigten ergänzt wird, die Schuldnerrechtelösung88, indem sie trotz „Vervielfachung“ der Forderung eine „unmittelbare Exportwirkung“ ausdrücklich ablehnt. Auch gegenüber Dritten (wie Gesamtschuldnern, persönlich haftenden Gesellschaftern, Realsicherungsgebern und Bürgen) wirkt die „Anerkennung“ nach beiden Auffassungen nicht.89 Nach der Schuldnerrechtelösung betrifft die „Anerkennung“ einer Enteignung nur die ohnehin selbstverständliche Rechtsverkehranerkennung. Nach der Wohnsitzlösung betrifft die „Anerkennung“ dagegen im Ergebnis nur die Frage, ob der Schuldner dem Altgläubiger weiterhin zur Leistung verpflichtet ist.90 Nicht einmal diese Frage wird allerdings durch den Gebietsgrundsatz erschöpfend beantwortet. Nachgeschaltet ist nämlich noch eine materiellrechtliche Prüfung eines Leistungsverweigerungsrechts bei Gefahr doppelter Inanspruchnahme. Wem im Verhältnis zur Enteignung dinglicher Rechte an einer einheitlichen Terminologie gelegen ist, der sollte bei der Forderungsenteignung nicht von „Anerkennung“ sprechen. Die Rede von Anerkennung erschwert das Verständnis.91 Man kann höchstens von einer „unechten“ Anerkennung sprechen.92 Findet aber nun bei der Forderungsenteignung keine absolute Anerkennung statt, ist auch der Gebietsgrundsatz in der von der Enteignung dinglicher Rechte her bekannten Form, dessen Rechtsfolge eben die absolute Anerkennung ist,93 unbrauchbar. Der Gebietsgrundsatz, wie er sich für die Enteignung dinglicher Rechte herausgebildet hat, kann auf Forderungen nicht übertragen 86
Reichert, WM 1961, 13; Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 25 m.N.; Drobnig, FS Neumayer 1985, 171, 178; vgl. auch Heiz, Recht, 1959, 281; abweichend nur Duden, FS Raape 1948, 123 (er möchte auf den Wohnsitz des Schuldners abstellen); abweichend auch die Ansätze, die unter gewissen Voraussetzungen eine absolute Anerkennung für möglich halten, zu ihnen oben § 13 V und unten § 19 I. 87 Siehe oben § 17 II 1. 88 Siehe oben § 17 I 3. 89 Vgl. dazu eingehend unten § 19 II. 90 Vgl. Reichert, WM 1961, 11 und Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 663, 686. 91 Siehe vor allen Wengler, FS Universität Berlin 1955, 339; ferner Schulze, Recht, 1972, 85 f., 91, 187 f., 249 Fn. 14, 250 f. et p. und Reichert, WM 1961, 11 f. 92 Schulze, Recht, 1972, 249 Fn. 14. 93 Dazu oben § 11 I.
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5. Kapitel: Forderungsrechte
werden.94 Es ist wohl gerade das Streben nach Parallelen zur Enteignung dinglicher Rechte, das den Blick so lange verstellt hat.95 Betrachtet man die Ergebnisse genauer, hat der Gebietsgrundsatz in der Auslegung der vorherrschenden Ansichten bei Forderungen sogar überhaupt keine Wirkung. Die Schuldnerrechtelösung anerkennt Forderungsenteignungen im eigentlichen Sinne nicht, ob nun Rechte des Schuldners im Enteignungsstaat belegen sind oder nicht. Die Wohnsitzlösung schützt den Schuldner im Ergebnis unabhängig davon, wo er wohnt. Kurz: Die Schuldnerrechtelösung hat keine Rechtsfolge, die Wohnsitzlösung einen zweiten Boden. Angesichts der Tatsache, dass sich die praktischen Ergebnisse bei Forderungsenteignungen nicht unterscheiden würden, wenn es den Gebietsgrundsatz nicht gäbe, kann der Gebietsgrundsatz nicht ernsthaft aufrechterhalten werden. Ihn anzuwenden lässt an einen Mathematiker denken, der zum Abschluss jeder Rechnung seinem Ergebnis einen bestimmten Betrag addiert, um ihn sogleich wieder zu subtrahieren, aber darauf beharrt, erst dieser letzte Kniff habe seine Lösung hervorgebracht. Daraus, dass beide Ansichten nicht nur zum selben Ergebnis kommen, sondern überhaupt verzichtbar sind, erklärt sich auch die Bezeichnung sowohl der Wohnsitzlösung als auch der Schuldnerrechtelösung als „(vor-)herrschend“. 2. Andere Beweggründe: Anerkennung im Interesse des Schuldners Wenn sich aber die Rechtsfolgen so grundlegend unterscheiden, müssen auch die Beweggründe andere sein. Die einer Forderungsenteignung zugrunde liegenden rechtlichen Beziehungen sind komplexer als bei Enteignungen dinglicher Rechte.96 Neben den Interessen des Enteigneten und des Enteignungsbegünstigten sind diejenigen des Schuldners zu berücksichtigen. Schon deshalb vermag die auf Enteignungen dinglicher Rechte geradezu zugeschnittene „zweidimensionale“ Regel des Gebietsgrundsatzes bei der Forderungsenteignung, an der mindestens drei Personen beteiligt sind, nicht zu befriedigen. Doch ist die Ausgangslage nicht nur komplexer, die Beweggründe zur Anerkennung sind auch andere. Denn maßgebliche Wertung ist bei der Forderungsenteignung – anders als bei der Enteignung dinglicher Rechte – keines-
94 Ebenso Reichert, WM 1961, 11; a.A. vielleicht Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 40 zu Art. 38 EGBGB Anh. III („folgerichtige Anwendung“, selbst aber zurückhaltend in Rn. 5). 95 Zutreffend Reichert, WM 1961, 2, 5 („rechtssystematisch nicht unbedenkliche Gleichstellung“); Schulze, Recht, 1972, 81; Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 110; allgemein schon Wengler, FS Universität Berlin 1955, 285. 96 Siehe statt aller Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 686 f.; Reichert, WM 1961, 3, 12 und Duden, FS Raape 1948, 126.
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wegs die internationale Ordnung. Insbesondere ist der Handel mit dem Enteignungsstaat nicht in Gefahr.97 Vielmehr werden Forderungsenteignungen nach der Wohnsitzlösung ausschließlich im Interesse des Schuldners „anerkannt“.98 Es geht allein darum, ob der Schuldner dem Altgläubiger gegenüber frei wird. Dass wertungsmäßig nur das Verhältnis zwischen Schuldner und Altgläubiger betroffen ist, ist allerdings bei der zweiten Stufe (Leistungsverweigerungsrecht) deutlicher als bei der ersten (der „Anerkennung“ im Sinne der Wohnsitzlösung). Der Schuldnerrechtelösung hingegen, bei der sich die „Anerkennung“ in der Rechtsverkehranerkennung erschöpft, liegen die Wertungen der Rechtsverkehranerkennung zugrunde.99 Beispielsweise also werden Dritte davor geschützt, in die Folgen hinkender Rechtsverhältnisse hineingezogen zu werden. Sind nun die Beweggründe andere, müssen es auch die Grenzkriterien sein. Der Gebietsgrundsatz der Enteignung dinglicher Rechte soll der internationalen Ordnung dienen.100 Nur für die Wertung der internationalen Ordnung bietet die Machtlehre das Grenzkriterium.101 Zwar könnte man sich auch bei der Forderungsenteignung zur Begründung der Gefahr der doppelten Inanspruchnahme auf eine Machtlehre berufen. Dies geschieht aber nicht, weil nicht so genau erkannt wird, dass es bei Forderungsenteignungen im Kern um die Frage geht, ob der Schuldner doppelt leisten muss. Wendete man nun zur Bestimmung der Gefahr der doppelten Inanspruchnahme als Grenzkriterium ebenfalls eine Machtlehre an, wäre dies eine andere Machtlehre als bei der Enteignung dinglicher Rechte. Der Schuldner wird nämlich nicht im Interesse der von der Enteignung dinglicher Rechte her bekannten internationalen Ordnung (also insbesondere nicht zum Schutz des Handels mit dem Enteignungsstaat) vor einer doppelten Inanspruchnahme geschützt, sondern zum Schutz seines privaten Interesses, nicht den Schaden aus einer gegen einen anderen gerichteten Enteignung tragen zu müssen. 3. Andere Tatbestandsmerkmale: Belegenheit, Vollziehung, Rechtmäßigkeit § 18 Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungen – I 3
Auch die Tatbestandsvoraussetzungen erhalten eine andere Bedeutung, wenn man den Gebietsgrundsatz auf die Forderungsenteignung anwendet. Die Bestimmung der Tatbestandsmerkmale ist ungereimt, wenn man sie nicht in Verbindung mit der jeweiligen Rechtsfolge liest. Da die Rechtsfolge „Anerkennung“ bei den verschiedenen Enteignungsobjekten Unterschiedliches
97
Zur internationalen Ordnung oben § 12 I 1. Siehe oben § 17 II 3 a.E. 99 Dazu oben § 11 II. 100 Siehe zur Wertung der internationalen Ordnung oben § 12 I 1. 101 Siehe oben § 12 II 1. 98
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5. Kapitel: Forderungsrechte
bedeutet, müssen sich auch die Tatbestandsvoraussetzungen, etwa die Belegenheit, unterscheiden: Der Begriff der Belegenheit einer Forderung ist schon für sich nicht sachgerecht.102 Diese Ansicht hat auch der BGH einmal geäußert.103 Der Gebietsgrundsatz beruht ausweichlich seines Namens aber geradezu auf der Annahme, dass eine Forderung für die Zwecke des internationalen Enteignungsrechts sinnvoll als im Raum befindlich gedacht werden kann. Also: Kein Gebiet, kein Gebietsgrundsatz. Nach der Schuldnerrechtelösung, bei der die „Anerkennung“ nur die ohnehin selbstverständliche Rechtsverkehranerkennung meint, sind Belegenheit und Vollziehung verzichtbar und erfüllen überhaupt keine Funktion. Nach der Wohnsitzlösung dagegen, bei der die Anerkennung nur den Schuldnerschutz betrifft, begründet die Belegenheit, die durch den Wohnsitz des Schuldners hergestellt wird, die abstrakte Gefahr für den Schuldner, im Enteignungsstaat in Anspruch genommen zu werden. Diese Gefahr wird beispielsweise dann konkret, wenn der Enteignungsbegünstigte Zahlung verlangt; die Wohnsitzlösung bezeichnet dies verdunkelnd als Vollziehung.104 Diese Vollziehung dient dazu, den Schuldner nicht über Gebühr zu begünstigen. Er soll in Deutschland nur dann vor der Gefahr doppelter Inanspruchnahme geschützt werden, wenn ihm im Enteignungsstaat tatsächlich eine Inanspruchnahme droht. Betrachtet man den Gebietsgrundsatz bei Forderungsenteignungen unter dem Gesichtspunkt des Schuldnerschutzes, klären sich auch die dogmatischen Ungereimtheiten wie – im Rahmen der Wohnsitzlösung – das abgeschwächte Vollziehungserfordernis auf. Nicht sachgerecht wäre es auch, auf dem Boden der Wohnsitzlösung die „Anerkennung“ von Forderungsenteignungen (wie mitunter bei Enteignungen dinglicher Rechte) davon abhängig zu machen, ob die Enteignung mit dem Recht des Enteignungsstaates im Einklang steht.105 Die Wohnsitzlösung aner102
Statt aller Wengler, FS Universität Berlin 1955, 346 Fn. 90 (er ist gegen Beitzke, „der zum Teil noch in herkömmlicher Weise mit einer gewaltsam begründeten Belegenheit der Forderung an einem Ort operiert“); ferner Seeger, JR 1951, 360 (die Frage nach der Belegenheit scheint ihm „verfehlt zu sein, denn das eigentliche Problem liegt auf anderer Ebene; die gelehrteste und bestbegründete Beantwortung der Frage nach der Belegenheit vermag den Schuldner-Eigentümer nicht vor der Doppelinanspruchnahme zu bewahren“); Reichert, WM 1961, 4; Schulze, Recht, 1972, 85 f.; RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 746, VI/2, 1045 ff.; siehe auch die Nachweise oben § 17 Fn. 17. 103 BGH vom 28.2.1971 (III ZR 47/67), in: BeckRS 1972, 31124840 unter II 1 c (= MDR 1972, 494) (interlokal, Ammoniakwerk Me. GmbH gegen gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen G.): „Soll das Territorialitätsprinzip wirklich gelten [...], so kann die Belegenheit einer Forderung im herkömmlichen Sinne nicht maßgebend sein [...]. Der Bundesgerichtshof hat bei Anwendung des Territorialitätsprinzips [...] ausgesprochen, daß es auf die Belegenheit der Forderung nicht entscheidend ankommt [...].“ 104 Siehe bereits § 17 II 3. 105 Zur Rechtmäßigkeit bei der Enteignung dinglicher Rechte oben § 14 I.
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kennt Forderungsenteignungen nämlich ausschließlich im Interesse des Schuldners. Der Schuldner wird vor den faktischen Auswirkungen der Enteignung, also der Gefahr der doppelten Inanspruchnahme, geschützt. Dieses Schutzes bedarf er aber auch, wenn die Enteignung rechtswidrig ist, der Enteignungsstaat sie aber als wirksam behandelt. Es ist ferner nicht angezeigt bei Forderungsenteignungen den positiven Gebietsgrundsatz wie bei Enteignungen dinglicher Rechte aus Gründen einzuschränken, die in einem weiteren Sinne dem ordre public zuzurechnen sind.106 Würde etwa die Wohnsitzlösung völkerrechtswidrige Forderungsenteignungen nie anerkennen, träfe dies nämlich nur den Schuldner, es sei denn, man hülfe ihm materiellrechtlich. II. Vorschlag eines differenzierteren Systems Bei der Forderungsenteignung hat die „Anerkennung“ damit nach den beiden vorherrschenden Ansichten schlicht keine Bedeutung (nach der Schuldnerrechtelösung bis auf die selbstverständliche Rechtsverkehranerkennung ausdrücklich, nach der Wohnsitzlösung nur im Ergebnis über die zahlreichen Ausnahmen und die Leistungsverweigerungsrechte). Da der Gebietsgrundsatz bei Forderungsenteignungen aber praktisch keine Rechtfolge hat, ist es auch gleichgültig, dass mit einem unklaren Belegenheitsbegriff gearbeitet wird und dass die Tatbestandsmerkmale des Gebietsgrundsatzes überhaupt etwas anderes bedeuten als bei der Enteignung dinglicher Rechte. Dem eigentlichen Kern der Problematik um Forderungsenteignungen jedoch nähert man sich erst, wenn man unumwunden fragt, ob der Schuldner dem Altgläubiger gegenüber weiterhin zur Leistung verpflichtet ist. Davon sogleich. 1. Nichtanerkennung statt Zweistufenlösung
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Von den scheinbar kollisionsrechtlichen Lösungen der vorherrschenden Meinungen, die jedoch aufgrund der gewährten Leistungsverweigerungsrechte gemischt kollisionsrechtlich-sachrechtlich sind, sollte zugunsten einer sachrechtlichen (also materiellrechtlichen) Lösung abgerückt werden.107 Dass dieser überfällige Schritt, der Abschied vom Gebietsgrundsatz bei der Forderungsenteignung, noch nicht getan wurde, dürfte psychologisch im Zusammenhang stehen mit den völkerrechtlichen Grundlagen der Anerkennungsproblematik. Besonders durch die unterschiedliche Verwendung von Begrif106 Zu den Einschränkungen der positiven Seite des Gebietsgrundsatzes bei der Enteignung dinglicher Rechte oben § 15. 107 Vgl. auch die Kritik von Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 109; abzulehnen ist der Versuch, den Gebietsgrundsatz für Forderungsenteignungen durch erhebliche Umgestaltungen zu retten, weil dann weiterhin nach einer Belegenheit der Forderung gefragt würde und die eigentlichen Sachfragen nicht unmittelbar angesprochen würden, so aber Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 686 ff.
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5. Kapitel: Forderungsrechte
fen wie Territorialität entstand der Eindruck, dass der Gebietsgrundsatz durch das Völkerrecht vorgegeben sei.108 Dann wiederum wurde zwar von vielen erkannt, dass der Gebietsgrundsatz nationales Recht ist. Die eigentliche Funktion des Gebietsgrundsatzes (die Erstreckungsfunktion) wurde aber nicht ausreichend beachtet.109 Geprüft wird bei Forderungsenteignungen (insbesondere nach der Wohnsitzlösung) mit dem Rechtsübergang nämlich stets ein Umstand, der für das anhängige Verfahren nur mittelbar von Bedeutung ist, weil der neue Inhaber an dem Verfahren nicht beteiligt ist: Der Enteignungsbegünstigte wird mit seiner Klage stets abgewiesen. Mangels Erstreckungsfunktion bei der ersten Stufe ist aber die Zweistufenlösung überflüssig. Wenn nämlich erkannt wird, dass es vor den deutschen Gerichten nur um das Verhältnis zwischen den Altbeteiligten geht, dann kann man sich auch auf dieses konzentrieren. Nach hier vertretener Ansicht kommt es daher allein auf die Gefahr der doppelten Inanspruchnahme an. Die übrigen Fragen werden durch die ohnehin selbstverständliche Rechtsverkehranerkennung zufriedenstellend gelöst.110 Die Frage des Übergangs der Forderung auf den Enteignungsbegünstigten spielt dann keine Rolle und muss auch nicht gestellt werden. Fremdstaatliche Forderungsenteignungen grundsätzlich nicht anzuerkennen, erscheint auf den ersten Blick zu rigoros. Auf den zweiten Blick entspricht die Nichtanerkennung aber dem geltenden Recht. Es entsteht ein hinkendes Rechtsverhältnis, das im Schuldnerinteresse materiellrechtlich ausgeglichen werden muss. Zuzugeben ist, dass die Lösung im Einzelfall verwickelt sein wird.111 Sie ist allerdings nur so verwickelt, wie es nun einmal die Ausgleichsfragen bei einem hinkenden Rechtsverhältnis sind. 2. Schadenstragung als Kern der Problematik
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Wird der Schuldner selbst enteignet und erschwert ihm dies die Befriedigung des Gläubigers, kann ihm materiellrechtlich geholfen werden.112 Voraussetzungen und Umfang dieser Hilfe richten sich nach dem Forderungsstatut. Gesetzliche Spezialregelungen zur Risikotragung gibt es nicht.113 Da diese 108
Zu dieser Auffassung oben § 4 II am Anfang. Zu den Funktionen des Gebietsgrundsatzes oben §§ 1, 4 III 2. 110 Zur Rechtsverkehranerkennung bei Forderungsenteignungen oben § 11 II 3. 111 Siehe zur Komplexität des materiellen Ausgleichs statt aller Schulze, Recht, 1972, 244 ff. 112 Kegel, Probleme, 1956, 24 (anteilig); Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 32 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III m.N.; Pammel, Begriff, 1966, 139; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 32 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; a.A. Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 670 ff. (der Schuldner werde nicht frei, da sich die Enteignung gegen ihn richte; außerdem könne man nicht von einer Gefahr der Doppelleistung sprechen). 113 Siehe zu Sondergesetzen, die die Risikoverteilung nach dem Zweiten Weltkrieg in bestimmten Bereichen regelten, Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 114. 109
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Fragen nicht speziell die Forderungsenteignung betreffen, werden sie an dieser Stelle nicht vertieft. Ein Leistungsverweigerungsrecht ist allerdings nicht nur denkbar, wenn der Schuldner Rechte verliert. Wird eine Forderungsenteignung nicht zumindest im Verhältnis Schuldner – Altgläubiger schuldbefreiend anerkannt (nach der Wohnsitzlösung also, wenn der Schuldner seinen Sitz außerhalb des Enteignungsstaates hat und im Verhältnis zu Dritten, nach der Schuldnerrechtelösung stets), ist aus der Sicht der Rechtsordnung des Enteignungsstaates der Neugläubiger, aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung der Altgläubiger Forderungsinhaber. Hat der Schuldner nun im Enteignungsstaat und in Deutschland der Vollstreckung ausgesetzte Rechte, besteht für ihn die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme. Dieser Fall trifft den Schuldner wirtschaftlich so, als wäre er selbst enteignet worden.114 Doch wann sollte der Schuldner vor einer doppelten Inanspruchnahme geschützt werden? Die Wohnsitzlösung beantwortet die Frage zweistufig: Auf der ersten Stufe bemüht sie den Gebietsgrundsatz, lokalisiert die Forderung und anerkennt schuldbefreiend im Verhältnis Schuldner – Altgläubiger, auf der zweiten Stufe gewährt sie ein materiellrechtliches Leistungsverweigerungsrecht; die Schuldnerrechtelösung hingegen überlässt die Antwort stets der zweiten Stufe. Beide Auffassungen antworten nicht exakt auf die eigentliche Frage. Es verwundert denn auch nicht, dass die Rechtsprechung in einigen Entscheidungen der Wohnsitzlösung, in anderen der Schuldnerrechtelösung folgt. Es heißt, die wechselnde Lokalisierung diene einem billigen Schadensausgleich.115 Bei näherer Betrachtung aber können beide Ansichten durchaus dieselben Ergebnisse erzielen. Doch welche Ergebnisse sind dies? In Anbetracht der Vielgestaltigkeit der zu entscheidenden Fälle gelingt der Versuch, starre Regeln aufzustellen, nur sehr vordergründig.116 Rechtsprechung und Schrifttum müssen sich darauf bescheiden, durch Kriterien- und Fallgruppenbildung den Prozess der Entscheidungsfindung in geordnete Bahnen zu lenken. Wie hier vorgeschlagen unmittelbar nach der Schadenstragung 114
Kegel, Probleme, 1956, 24. Statt aller Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 84 ff., 87 (eine Entscheidung nach Billigkeit sei das begrüßenswerte Ergebnis der Unsicherheit der Regeln über den Sitz nicht körperlicher Gegenstände), 102, 153; ferner Heiz, Recht, 1959, 281; Schulze, Recht, 1972, 86; vgl. auch MüKo-Kindler, 2015, Rn. 1016 zum IntGesR. 116 So schon BGH vom 22.12.1953 (V ZR 86/52), in: NJW 1954, 796 (= BGHZ 12, 79) (interlokal) („[a]llgemeine Regeln lassen sich [...] kaum aufstellen. Es kommt alles auf die Umstände des einzelnen Falles an“) und BGH vom 10.4.1957 (V ZR 131/55), in: NJW 1957, 1072 (= BGHZ 24, 83) (interlokal) m.N.; siehe zur Kasuistik der Rechtsprechung die Entscheidungen in: IzRspr 1954–1957, Nr. 224–239; ferner Reichert, WM 1961, 14 und Pammel, Begriff, 1966, 139; vgl. auch Kegel, Probleme, 1956, 20 (er möchte den Schaden nur grundsätzlich (!) hälftig teilen). 115
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zu fragen, hat dabei den Vorteil, das Problem präzise zu bezeichnen. Es löst selbstverständlich nicht auf einen Schlag alle Zweifelsfragen. Mit dem Schlagwort der Schadenstragung hält der Rechtsanwender die Lösung für jeden erdenklichen Sonderfall noch nicht in seiner Hand; zumal letztgültige und umfassende Typisierungen nicht nur nicht möglich, sondern ausdrücklich nicht erwünscht sind. Da der hier vorgeschlagene Weg im praktischen Ergebnis der Schuldnerrechtelösung und auch der Wohnsitzlösung entspricht, gelten die bisher vertretenen Auffassungen zum Leistungsverweigerungsrecht bei dem hier vertretenen Ansatz fort.117 Die Rechtsprechung schwankt zwar bei der Lokalisierung, gewährt dem Schuldner aber im Ergebnis ein volles Leistungsverweigerungsrecht.118 Da sich die Enteignung gegen den Altgläubiger richtet, soll dieser den Schaden tragen.119 In der Literatur wird dagegen teilweise eine hälftige120, teilweise eine billige121 Schadensteilung vertreten. Jedenfalls dann, wenn der Enteignungsstaat den Altgläubiger voll entschädigt hat (der Fall ist nicht wahr117
In diesem Fall ist freilich auch eine absolute Anerkennung möglich, siehe unten
§ 19 I. 118
So schon OLG Hamburg vom 31.5.1930 (VI 115/29), in: IPRspr 1931, Nr. 160 (England, Forderung einer deutschen oHG gegen die Londoner Zweigniederlassung einer schwedischen Bank); siehe ferner BGH vom 17.3.1953 (I ZR 77/52), in: NJW 1953, 862 (interlokal); BGH vom 22.12.1953 (V ZR 86/52), in: NJW 1954, 796 (= BGHZ 12, 79) (interlokal); Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 827 zum IntGesR m.N.; umfangreiche Nachweise zur Rechtsprechung bei Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 32 zu Art. 38 EGBGB Anh. III, der selbst für eine hälftige Schadensteilung eintritt. 119 Siehe bereits RG vom 18.3.1931 (I 254/30), in: RGZ 132, 130; ferner Garcke, ROW 5 (1961) 207 r.Sp.; Raape, IPR, 1961, 680 f. und Schulze, Recht, 1972, 262. 120 Grundlegend Kegel, Probleme, 1956, 20 et p.; ebenso Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 115 f.; Pammel, Begriff, 1966, 139; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 36 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; erwägend auch RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 277. – A.A. Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 667 (die Risikoverteilung sei eine dem Gesetzgeber vorbehaltene Aufgabe); Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 828 zum IntGesR (die Vermehrung der Passiva belaste den Schuldner nämlich in der Zukunft); MüKo-Kindler, 2015, Rn. 1015, 1017 zum IntGesR. 121 Ficker, Grundfragen, 1952, 114; vgl. auch BGH vom 25.2.1960 (VII ZR 17/59), in: NJW 1960, 1053 (= BGHZ 32, 97) (Frankreich) (der BGH erwägt in diesem sehr speziell gelagerten Fall, den Schaden zwischen Altgläubiger und Bürgen zu verteilen; er weist die Klage aber letztlich wegen Vorrangs des Vertragshilfegesetzes ab); zahlreiche Beispiele zur Risikotragung bei RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 657, VI/2, 1981, 1045 Fn. 15 f. und ders., FS Universität Berlin 1955, 325 (er präsentiert aber kein vollständiges oder auch nur anwendbares Risikokonzept); sehr ausführlich zum „Risikoausgleich“ Schulze, Recht, 1972, 217 ff., 244 ff., 262 (eine Kasuistik sei nötig; im Zweifel müsse aber der Gläubiger das Risiko tragen, da er als Enteigneter der Schadensursache näher stehe). – Zurückhaltend Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 667 (Wissenschaft und Praxis verteilten das Risiko nach elastischen, dem Einzelfall angepassten Regeln unter den Parteien), 670 (er fordert zumindest eine formelhafte Fixierbarkeit der Billigkeitserwägungen; primär solle der Enteignete das Risiko tragen).
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scheinlich), wird dem Schuldner regelmäßig ein volles Leistungsverweigerungsrecht zuzugestehen sein. Keinesfalls kann der Schuldner den geschuldeten Betrag hinterlegen, weil das die Probleme nicht löst.122 Eine Hinterlegung in Deutschland würde die doppelte Inanspruchnahme nicht verhindern. Eine Hinterlegung im Enteignungsstaat hingegen wäre für den Enteigneten (Altgläubiger) wertlos, da sie ihm einseitig den gesamten Schaden aufbürdete. Dass der Altgläubiger den gesamten Schaden tragen soll, kann zwar im Ergebnis richtig sein, dazu bedarf es aber keiner Hinterlegung im Enteignungsstaat. 3. Leistungsverweigerungsrecht nach lex causae oder lex fori
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Die Umstände, unter denen ein Leistungsverweigerungsrecht gewährt werden sollte, können im Rahmen des deutschen Rechts nur dann sinnvoll entfaltet werden, wenn überhaupt deutsches Recht anwendbar ist. Sofern sich überhaupt jemand mit der Frage nach dem anwendbaren Recht auseinandersetzt, wird meist auf die lex causae abgestellt.123 Dies ist freilich problematisch, wenn die lex causae der Rechtsordnung des Enteignungsstaates angehört. Sie wird keine Regeln über ein Leistungsverweigerungsrecht für einen solchen Fall enthalten.124 Der deutsche Richter müsste nach Maßgabe der ausländischen Rechtsordnung Billigkeitserwägungen anstellen, die diese Rechtsordnung nun einmal nicht regelt; zumal die Enteignung für den Enteignungsstaat wirksam ist. Das deutsche Recht gäbe außerdem die Entscheidung über die Folgen einer fremdstaatlichen Enteignung aus der Hand, die es bei der Enteignung dinglicher Rechte über den Gebietsgrundsatz selbst trifft. Diese unterschiedliche Behandlung könnte man allenfalls damit rechtfertigen, dass das Leistungsverweigerungsrecht ausschließlich dem Interesse des Schuldners dient. Über einen privaten Interessenwiderstreit aber kann auch das ausländische Recht entscheiden. Die deutsche Rechtsprechung hat bislang freilich noch kein 122
Im Ergebnis ebenso BGH vom 17.10.1952 (I ZR 45/52), in: NJW 1953, 19 (= BGHZ 7, 302) (interlokal); BGH vom 17.3.1953 (I ZR 77/52), in: NJW 1953, 862 (interlokal); Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 151; Kuhn, WM 1958, 949; Ebenroth, JZ 1988, 88 r.Sp. (allerdings mit der unzutreffenden Begründung, der Schuldner wisse, wem er schulde); Raape, IPR, 1961, 680; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 829 zum IntGesR; MüKo-Ebenroth, 1999, Rn. 847 zum IntGesR; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 1018 zum IntGesR; a.A. OLG Hamm vom 20.1.1949 (2 W 253/48), in: HEZ 2, 244; unklar ist der Vorschlag von RGRK-Wengler, VI/1, 1981, 277 (Hinterlegung von Teilbeträgen in beiden Staaten). 123 So MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 62 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Korte, Anerkennung, 1992, 87; wohl auch Schulze, Recht, 1972, 257; siehe ferner MüKo-Sonnenberger, 2010, Rn. 121 zu Einl. IPR. 124 Ebenso Kegel, Probleme, 1956, 21, der daher deutsches materielles Geschäftsgrundlagenrecht anwenden möchte.
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5. Kapitel: Forderungsrechte
Leistungsverweigerungsrecht nach ausländischem Recht gewährt. Es dürfte denn auch vorzugswürdig sein, gleich nach deutschem Recht, also der lex fori, zu entscheiden, indem (richterrechtlich) internationalprivatrechtliche Sachnormen über die Schadenstragung gebildet werden. 4. Sicherheitsleistung durch Altgläubiger Kern der Problematik um fremdstaatliche Forderungsenteignungen ist also die Frage, ob der Schuldner dem Altgläubiger gegenüber frei wird, weil er sonst einer doppelten Inanspruchnahme ausgesetzt wäre. Man kann bei der Beantwortung dieser Frage nun danach unterscheiden, ob sich der Neugläubiger im Enteignungsstaat schon an den Rechten des Schuldners befriedigt hat oder eine Inanspruchnahme bloß möglich ist. Zwar ändert der Stand der Eintreibung im Enteignungsstaat nichts daran, ob und gegebenenfalls zu welcher Quote Schuldner und Altgläubiger aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung den Schaden zu tragen verpflichtet sind, wenn eine Vollstreckung, Zahlung etc. schließlich erfolgt. Der Schuldner darf aber keinen Vorteil aus der Enteignung ziehen. Ist noch nicht absehbar, ob der Neugläubiger seine Forderung im Enteignungsstaat geltend machen wird, würde es den Schuldner nun aber ungerechtfertigt begünstigen, wenn er die Leistung an den Altgläubiger allein schon unter Berufung auf eine bloß mögliche Inanspruchnahme verweigern könnte. Leistet der Altgläubiger dem Schuldner Sicherheit für den Fall einer Inanspruchnahme im Enteignungsstaat, sollte daher der Anspruch des Altgläubigers gegen den Schuldner in Deutschland zunächst ungeschmälert durchsetzbar sein.125 Die Höhe der Sicherheit bemisst sich nach demjenigen Anteil der Forderung, den der Altgläubiger letztlich zu tragen haben wird, wenn der Schuldner im Enteignungsstaat in Anspruch genommen wird. Lehnt man eine Quotelung ab, wie es die Rechtsprechung tut, müsste Sicherheit in voller Höhe geleistet werden.
§ 19 Sonderfragen § 19 Sonderfragen – I
I. Möglichkeit absoluter Anerkennung Die bisherigen Ausführungen zur Behandlung von Forderungsenteignungen nach den beiden vorherrschenden Auffassungen126 und der hier unterbreitete
125
BGH vom 4.7.1957 (II ZR 346/55), in: IzRspr 1954–1957, Nr. 232 a (interlokal); BGH vom 24.10.1957 (II ZR 346/55), in: IzRspr 1954–1957, Nr. 232 b (interlokal); Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 115 f. 126 Siehe oben § 17.
§ 19 Sonderfragen – I
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Vorschlag127, den Gebietsgrundsatz bei der Forderungsenteignung durch eine materiellrechtliche Lösung zu ersetzen, beziehen sich auf Fälle, wie sie die Rechtsprechung zu entscheiden hatte. Diese Enteignungen waren entschädigungslos und wurden als Unrecht empfunden. Es soll allerdings nicht vorenthalten werden, dass in einem veränderten Umfeld eine andere Regel entstehen kann. Eine absolute Anerkennung, die dem Enteignungsbegünstigten ein Klagerecht gegen den Schuldner in Deutschland einräumt, ist durchaus denkbar. Manche fordern dazu, dass sich Schuldner- und Gläubigersitz im Enteignungsstaat befinden.128 Nach anderen muss die Enteignung unter anderem entschädigt sein;129 diese Fallkonstellation allerdings dürfte kaum praktisch sein.130 Sollte sich aber ein solcher Fall wider Erwarten der Praxis darbieten, gilt es zu unterscheiden: Bei voll entschädigten Enteignungen von auf Geld oder vertretbare Sachen gerichteten Forderungen dürfte schon ein geringer Bezug zum Enteignungsstaat wie der Gläubigersitz genügen, um die Enteignung absolut anzuerkennen. Die Rechte des Altgläubigers werden nicht beeinträchtigt. Er hat an der Leistung nur ein wertmäßiges Interesse und wurde voll entschädigt. Die Interessen des Schuldners dürften ebenfalls nicht nennenswert betroffen sein, da dieser auch sonst nicht vor einem Gläubigerwechsel geschützt ist und außerdem keine Gefahr doppelter Inanspruchnahme besteht. Ausnahmen sind etwa dann möglich, wenn gerade eine mit der Enteignung verbundene Änderung des Forderungsinhaltes, wie beispielsweise des Leistungsortes, den Schuldner unangemessen belastet. Denkbar ist es auch, nicht anzuerkennen, wenn der Altgläubiger die empfangene Entschädigung nicht frei aus dem Enteignungsstaat transferieren kann oder Ähnliches. Ist die gegen Entschädigung enteignete Forderung dagegen auf Nichtvertretbares, eine konkrete vertretbare Sache oder eine bestimmte Handlung gerade des Schuldners etc. gerichtet, ist zusätzlich das Interesse des Altgläubigers an der speziellen Leistung betroffen. Es dürfte dem Neugläubiger wohl jedenfalls kein Recht eingeräumt werden, in Deutschland gegen den Schuldner auf Leistung zu klagen. Problematischer ist die Frage, inwiefern der Schuldner in Deutschland weiterhin als dem Altgläubiger gegenüber zur Leistung verpflichtet angese127
Zu diesem oben § 18 II. So Reichert, WM 1961, 12 f.; Plaßmann, JZ 1962, 17 l.Sp. und Andrae, Eingriffe, 1990, 19; dagegen stellt zwar auch das LG Tübingen vom 23.12.1960 (HO 47/60), in: JZ 1961, 450 r.Sp., 452 r.Sp. (Österreich) in gewissem Sinne auf Schuldner und Altgläubiger ab, es geht aber in dem Fall nicht um eine absolute Anerkennung, sondern nur um die Frage der Leistungsbefreiung. 129 So i.E. MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 58 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm oben § 13 V) und Anderegg, Eingriffsnormen, 1989, 126, 165 ff. 130 Vgl. MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 58 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ferner Plaßmann, JZ 1962, 18. 128
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5. Kapitel: Forderungsrechte
hen werden sollte, wenn der Enteignungsbegünstigte bewirkt, dass der Schuldner im Enteignungsstaat an ihn leistet, oder zumindest die Gefahr einer Inanspruchnahme besteht. Der Altgläubiger hat wertmäßig keinen Schaden. Im Vergleich zur entschädigungslosen Forderungsenteignung müsste man wohl annehmen, dass der Schuldner erst recht vor der Gefahr doppelter Inanspruchnahme geschützt werden müsste, also dem Altgläubiger gegenüber frei wird. Allgemeine Grundsätze aufzustellen, ist freilich – auch mangels Anschauungsmaterials aus der Praxis – kaum möglich. Wenn beispielsweise der Neugläubiger den Schuldner im Enteignungsstaat zwingt, ein Klavierkonzert zu geben, und ihm seine Gage zahlt, müsste der Schuldner wohl vor der Gefahr der Doppelinanspruchnahme geschützt werden. Wenn er nach Deutschland kommt, müsste er nicht gleich noch einmal spielen. Die Lösung dürfte letztlich aber durch Auslegung des konkreten Vertrages unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu finden sein. Die Fälle sind jedoch – wie bereits festgestellt – nicht praktisch. II. Gesicherte Forderungen, Schuldnermehrheit und Ähnliches § 19 Sonderfragen – II
Forderung und Sicherheit werden nach den beiden vorherrschenden Auffassungen getrennt behandelt.131 Der Altgläubiger kann sich daher in Deutschland grundsätzlich auch dann noch aus der Sicherheit befriedigen, wenn die Forderungsenteignung im Verhältnis zum Schuldner und in Beziehung auf die Forderung anerkannt wird. Umgekehrt kann der Altgläubiger eine Forderung grundsätzlich auch dann noch in Deutschland gegen den Schuldner geltend machen, wenn die Enteignung einer Sicherheit anerkannt wurde; sonst stünde der ungesicherte Gläubiger besser als der gesicherte. Ist jedoch der Schuldner zugleich Sicherungsgeber oder ist er Rückgriffsansprüchen eines dritten Sicherungsgebers ausgesetzt, kann ihm gegen die Gefahr der doppelten Inanspruchnahme materiellrechtlich geholfen wer-
131
Allgemeine Auffassung, BGH vom 26.1.1951 (V ZR 43/50), in: NJW 1951, 401 (= BGHZ 1, 109) (interlokal); BGH vom 1.2.1952 (V ZR 16/51), in: NJW 1952, 420 (interlokal); BGH vom 22.3.2006 (IV ZR 6/04), in: NJW-RR 2006, 1093 f. (interlokal); OLG Hamburg vom 3.6.1953 (4 U 411/52), in: NJW 1953, 1633 (interlokal); OLG Celle vom 22.12.1959 (4 U 141/58), in: NJW 1960, 1351 (Niederlande); siehe zur Herausbildung der Regeln die Entscheidungen in IzRspr 1945–1953, Nr. 371 bis 400 a (zu Bürgschaft und Hypothek); siehe aus der Literatur Ficker, Grundfragen, 1952, 115 ff.; SeidlHohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 97; Wolff, IPR, 1954, 153; Korte, Anerkennung, 1992, 87 f.; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 47 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1107; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 46 f. zu Art. 46 EGBGB Anh.; jurisPK-Kieninger, 2012, Rn. 49 zu Art. 43 EGBGB; Nomos-v.Plehwe, 2012, Rn. 60 zu Art. 43 EGBGB; jurisPK-Teubel, 2014, Rn. 48 zu Art. 43 EGBGB; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 35 ff. zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I.
§ 19 Sonderfragen – II
259
den.132 Ähnliche Fragen stellen sich bei Bürgen, Personengesellschaftern, Mithaftenden etc. hinsichtlich der Rückgriffsmöglichkeit.133 Wenn allerdings ein Bürge oder Gesellschaftsschuldner selbst seine Rückgriffsmöglichkeit verliert, gewährt die Rechtsprechung nicht stets ein Leistungsverweigerungsrecht.134 Sie hat sich ausdrücklich nicht festgelegt.135 Nach hier vertretener Ansicht, die – dies sei betont – vor allem Begründung und Konstruktion betrifft, nicht aber notwendigerweise das Ergebnis, ist es nicht erforderlich, eine weitere Ausnahme einzuführen. Forderungen und Sicherungsmittel müssen nicht ausnahmsweise getrennt behandelt werden. Es sind die unterschiedlichen Begriffe der Anerkennung, die die getrennte Behandlung von Forderung und Sicherheit als Ausnahme erscheinen lassen. Forderungsenteignungen werden nämlich bei näherer Betrachtung nicht in dem Sinne anerkannt, dass der Inhaberwechsel nachvollzogen wird. Wie das Kernproblem bei der Enteignung ungesicherter Forderungen die Schadenstragung im Verhältnis zwischen Schuldner und Altgläubiger ist,136 geht es bei gesicherten Forderungen um die Schadenstragung zwischen Sicherungsgeber (= Schuldner oder Dritter), Sicherungsnehmer (= Altgläubiger) und Schuldner. Räumt man dem Sicherungsgeber kein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem Altgläubiger ein, könnte der Sicherungsgeber unter Umständen beim Schuldner Rückgriff nehmen. Die gegen den Altgläubiger gerichtete Enteignung im Enteignungsstaat träfe dann wirtschaftlich doch wieder den 132 Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 98; vgl. aus der Rechtsprechung BGH vom 1.2.1952 (V ZR 16/51), in: NJW 1952, 420 (interlokal); BGH vom 14.1.1959 (V ZR 38/58), in: BeckRS 1959, 31204852 (Niederlande); i.E. ähnlich BGH vom 28.4.1988 (IX ZR 127/87), in: NJW 1988, 2174 (= BGHZ 104, 240) (Iranischer Bürgschaftsfall) (mit verfehlter ergänzender Berufung auf den Gebietsgrundsatz). 133 Nachweise bei Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 33 ff. zu Art. 38 EGBGB Anh. III; vgl. auch Drobnig, RabelsZ 18 (1953) 681, 684 f. und zur Hypothek ders., RabelsZ 18 (1953) 672 ff. (Abgrenzung danach, ob die Enteignung gegen den Schuldner, den Gläubiger oder gegen Dritte gerichtet sei, und nach Risikosphären). 134 BGH vom 12.11.1959 (VII ZR 165/58), in: NJW 1960, 191 (= BGHZ 31, 168) (interlokal); BGH vom 25.2.1960 (VII ZR 17/59), in: NJW 1960, 1052 (= BGHZ 32, 97) (Frankreich); weitere Nachweise zur Rechtsprechung bei Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 35 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; den Bürgen über eine Auslegung des Bürgschaftsvertrages grundsätzlich befreien möchte Staudinger-Horn, 2012, Rn. 157 vor §§ 765–778 BGB, Rn. 53 zu § 767 BGB. 135 BGH vom 3.10.1957 (VII ZR 421/56), in: MDR 1958, 88 unter III 2 (interlokal): „Die Frage, wie sich die Störung eines Schuldverhältnisses durch Enteignung in der SBZ und durch den darauf beruhenden Verlust von Vermögen und Rückgriffsansprüchen auswirkt, kann aber nicht allgemein, sondern nur für jeden einzelnen Fall unter Berücksichtigung der jeweils gegebenen besonderen Umstände beantwortet werden.“ Der BGH setzt sich in dieser lesenswerten Entscheidung auch mit sonstigen Fällen von enteignungsbedingten Leistungsverweigerungsrechten auseinander. 136 Vgl. oben § 18 I 2, II 2.
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5. Kapitel: Forderungsrechte
Schuldner. Erlaubt man es dem Sicherungsgeber hingegen nicht, beim Schuldner Rückgriff zu nehmen, müsste der Sicherungsgeber den Schaden tragen, obwohl sich die Enteignung gegen den Altgläubiger richtet. Wie man sich auch entscheidet: Die Frage, wohin eine Forderung im Raum gedacht werden soll, verdeckt alle tragenden Erwägungen. Man sollte daher besser materiellrechtlich fragen, wer den Schaden zu tragen hat. Wie bei der Enteignung einer ungesicherten Forderung sollte auch bei gesicherten Forderungen eine anteilige oder billige Schadensteilung nicht von vornherein ausgeschlossen werden.137 III. Verbriefte Rechte Enteignet ein Staat das Eigentum an einem Wertpapier, das sich auf seinem Hoheitsgebiet befindet, wird dies nach dem Gebietsgrundsatz als Enteignung eines intraterritorialen dinglichen Rechts anerkannt. Der Enteignungsbegünstigte ist also auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Eigentümer des Papiers.138 Die Behandlung einer Enteignung des verbrieften Rechts hingegen folgt den allgemeinen Regeln, die für die entsprechende Art von Rechten gelten.139 Ist also beispielsweise ein Forderungsrecht verbrieft, steht das Eigentumsrecht am Papier zwar fortan dem Enteignungsbegünstigten zu, die Forderung aber keineswegs. Der Lageort solcher letztlich etwa der Verkehrsfähigkeit des Rechts oder dem Beweise dienenden Papiere vermittelt zum Enteignungsstaat keinen ausreichenden Bezug, der die Anerkennung einer Enteignung des verbrieften Rechts rechtfertigen könnte. Auch Rechte an Wertpapieren und die verbrieften Rechte werden damit getrennt behandelt.
137
Den Schaden auch hier hälftig teilen möchten Kegel, Probleme, 1956, 30 ff.; ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4 d, S. 1108; a.A. MüKo-Kindler, 2015, Rn. 1015, 1017 zum IntGesR. 138 Siehe zur Enteignung dinglicher Rechte ausführlich oben §§ 14–16. 139 Allgemeine Auffassung, KG vom 3.2.1961 (2 W 760/58), in: NJW 1961, 1214 (England); Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 99; Lewald, RabelsZ 21 (1956) 134 (Aktie); Andrae, Eingriffe, 1990, 18 (zu Anteilsrechten); Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 59, 78 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 947 zum IntGesR (zu Anteilsrechten); Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4 d, S. 1108; MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 54 zu Art. 46 EGBGB Anh.; a.A. früher Petersen, in: Tagung Bad Godesberg, 1947, 135, 140 und Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 46 f.
Kapitel 6
Immaterialgüterrechte § 20 Anerkennung nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche § 20 Anerkennung nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche – II 1
Enteignungen von Immaterialgüterrechten (= geistigem Eigentum) treten regelmäßig im Zusammenhang mit Gesellschaftsenteignungen auf.1 Es sind jedoch auch einzelne Enteignungen von Immaterialgüterrechten denkbar. Dies rechtfertigt die gesonderte Behandlung in einem eigenen Kapitel. Der Begriff der Immaterialgüterrechte umfasst dabei insbesondere Markenrechte (früher: Warenzeichenrechte), Patentrechte und Urheberrechte. Enteignungen von Immaterialgüterrechten werden nicht in vollem Umfang anerkannt.2 Der Enteignungsbegünstigte tritt also aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung nicht in die Position ein, die zuvor dem Enteigneten zustand. Vielmehr wird nur für tatsächliche Handlungen auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates und nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung die neue Rechtslage im Enteignungsstaat zugrunde gelegt. In welchem Staat eine Handlung in diesem Sinne begangen wird, ist dabei mit Blick auf die körperliche Welt zu bestimmen. Der Handlungsort lässt sich dadurch in der Regel eindeutig ermitteln. I. Handlungen in Deutschland Jedenfalls im Hinblick auf tatsächliche Handlungen auf deutschem Hoheitsgebiet ist weiterhin die alte Rechtslage maßgeblich. Dies gilt auch für entschädigte Immaterialgüterrechtsenteignungen. Der Enteignete ist also in diesem Fall aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung immer noch Inhaber des Rechts. Allein er darf beispielsweise entsprechend gekennzeichnete Produkte am deutschen Markt anbieten,3 aufgrund von Urheberrechtsverletzungen in Deutschland Unterlassungsansprüche geltend machen4 oder ein enteignetes 1 Siehe die Rechtsprechungsnachweise unten § 20 I Fn. 6; zur Enteignung des Rechts an der Firma unten §§ 20 II 1 a.E., 22 I, 23 I 3. 2 Siehe aber unten § 22 I zur vollständigen Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen, in deren Rahmen grundsätzlich (zu möglichen Einschränkungen unten §§ 20 II 1, 22 I) auch Enteignungen von Immaterialgüterrechten absolut anerkannt werden. 3 Vgl. § 14 Markengesetz. 4 Vgl. § 97 Abs. 1 Urheberrechtsgesetz.
262
6. Kapitel: Immaterialgüterrechte
Firmenrecht in Deutschland verwenden5. Dies ist unstreitig.6 Der genaue Umfang des Schutzes für Handlungen in Deutschland ergibt sich dabei aus den jeweiligen Vorschriften des deutschen Rechts über Immaterialgüterrechte des entsprechenden Typs.7 II. Handlungen im Enteignungsstaat Fast alle bisher entschiedenen Fälle von Immaterialgüterrechtsenteignungen betrafen Handlungen in Deutschland. Es ist daher nicht leicht zu sagen, was für Handlungen im Enteignungsstaat gilt. Für solche ist aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung regelmäßig jedenfalls nicht die Rechtslage vor der Enteignung maßgeblich. Es ist aber auch nicht uneingeschränkt die neue Rechtslage im Enteignungsstaat zugrunde zu legen. Man kann danach unterscheiden, ob es um einen Folgeanspruch geht, der erst in Deutschland geltend gemacht wird, oder ob es um die Rückgängigmachung einer im Enteignungsstaat bereits erfolgten Realisierung eines Folgeanspruchs geht: 1. Realisierte Folgeansprüche Im Hinblick auf im Enteignungsstaat realisierte Folgeansprüche ist die Rechtslage im Enteignungsstaat zugrunde zu legen. Verletzen beispielsweise der Enteignete oder ein Dritter im Enteignungsstaat ein Patent, das aus der Sicht des Enteignungsstaates dem Enteignungsbegünstigten zusteht, können diese dem Enteignungsbegünstigten aus der Sicht des Enteignungsstaates 5
Vgl. § 37 Abs. 2 HGB, §§ 12, 823 Abs. 1 BGB und §§ 5, 15 Markengesetz. Grundlegend OLG Hamburg vom 19.7.1948 (3 U 49/48), in: MDR 1948, 286 l.Sp. (= IzRspr 1945–1953, Nr. 415 b) (interlokal, Knäckebrot) (Firma und Warenzeichen); siehe ferner BGH vom 10.5.1955 (I ZR 120/53), in: NJW 1955, 1151 (= BGHZ 17, 209) (interlokal) (Patente und Warenzeichen); BGH vom 7.6.1955 (I ZR 64/53), in: NJW 1955, 1436 (= BGHZ 18, 1) (Tschechoslowakei) (Warenzeichen); BGH vom 24.7.1957 (I ZR 21/56), in: NJW 1958, 17 (interlokal, Carl-Zeiß-Stiftung) (Firma); BGH vom 7.3.1961 (I ZR 2/60), in: NJW 1961, 1206 (= BGHZ 34, 345) (interlokal) (Firma und Warenzeichen); BGH vom 8.3.1963 (I b ZR 87/61), in: NJW 1963, 1542 (= BGHZ 39, 220) (Tschechoslowakei, Koh-i-noor) (Warenzeichen); LG Düsseldorf vom 11.5.1949 (4 Q 15/49), in: GRUR 1949, 299 (interlokal, Wella) (Warenzeichen); weitere Entscheidungen in: IzRspr 1945–1953, Nr. 415 bis 423; IzRspr 1954–1957, Nr. 209 bis 223; IzRspr 1958–1959, Nr. 140 bis 144 und IzRspr 1960–1961, Nr. 133 bis 136. 7 Vgl. beispielsweise zur Auslegung der §§ 15, 24 Warenzeichengesetz a.F. die Entscheidung des BGH vom 15.1.1957 (I ZR 39/55), in: IzRspr 1954–1957, Nr. 221 (Auszüge in NJW 1957, 910 und BGHZ 23, 100) (interlokal, Taeschner und Pertussin) (Warenzeichen) („[w]erden Waren, die in der Sowjetzone hergestellt und dort mit einem Warenzeichen versehen worden sind, welches im Bundesgebiet einem anderen Inhaber zusteht, durch das Bundesgebiet zum Export in dritte Länder lediglich durchbefördert, so wird dadurch allein ein Warenzeichenrecht im Bundesgebiet noch nicht verletzt“; eine Verletzung liege aber vor, wenn der aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Berechtigte auch aus der Sicht des Zielstaates Inhaber entsprechender Warenzeichenrechte sei). 6
§ 20 Anerkennung nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche – II 1
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schadensersatzpflichtig werden. Wird nun im Enteignungsstaat zur Erfüllung des Schadensersatzanspruchs an den Enteignungsbegünstigten geleistet oder gelingt ihm dort die Vollstreckung, so ist er in Deutschland keinen Kondiktions- oder sonstigen Ansprüchen ausgesetzt, die die Leistung oder Vollstreckung rückgängig machen. Dass Enteignungen im Hinblick auf realisierte Folgeansprüche anerkannt werden, wird auch für solche Immaterialgüterrechte gelten müssen, die unionsweit einheitlich wirken.8 Die Mitgliedstaaten können solche Rechte zwar nicht mit Wirkung für die Unionsrechtsordnung enteignen. Sie können aber (wohl in unionsrechtswidriger Weise) das Recht als für ihre Rechtsordnung enteignet betrachten. Solche Maßnahmen wird die deutsche Rechtsordnung zwar nicht absolut anerkennen, weder für Handlungen im Enteignungsstaat und erst recht nicht für Handlungen in Deutschland.9 Im Hinblick auf realisierte Folgeansprüche jedoch sollte wohl regelmäßig die im Enteignungsstaat geltende Rechtslage maßgeblich sein. Dies gebieten die Gründe der Rechtsverkehranerkennung.10 Die Rechtslage im Enteignungsstaat wird der Beurteilung von realisierten Folgeansprüchen auch dann zugrunde zu legen sein, wenn das Immaterialgüterrecht einen bürgerlichen Namen enthält. Wenn Einschränkungen für den bürgerlichen Namen formuliert werden, sind damit wohl regelmäßig Handlungen in Deutschland gemeint. Für diese aber werden Enteignungen von Immaterialgüterrechten ohnehin nicht anerkannt. Eine Einschränkung für den bürgerlichen Namen ist damit nicht erforderlich.11
8
Siehe beispielsweise die Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (kodifizierte Fassung); Nachweise zu weiteren Verordnungen bei Pierson/Ahrens/Fischer, Recht des geistigen Eigentums, 2010, § 4 IV 4, S. 24 ff. – Diese supranationalen Schutzrechte sind nicht ein bloßes Bündel nationaler Schutzrechte wie beispielsweise die nach dem Madrider Markenabkommen über die internationale Registrierung von Marken von 14.4.1891, vgl. a.a.O., § 4 IV 2 c, S. 19. 9 Inwiefern dies die vollständige Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen (dazu unten § 22 I) ausschließt, kann man nicht vorhersagen. Es wird wohl auf die Umstände des Einzelfalls ankommen. 10 Vgl. zur Rechtsverkehranerkennung allgemein oben § 11 II. 11 Anders BGH vom 10.5.1955 (I ZR 120/53), in: NJW 1955, 1151 f. (= BGHZ 17, 209) (interlokal) (der Firmenname einer KG könne nicht enteignet werden, wenn der bürgerliche Name eines persönlich haftenden Gesellschafters darin enthalten sei); Einschränkungen für den bürgerlichen Namen formulieren auch Korte, Anerkennung, 1992, 18; MüKoWendehorst, 2015, Rn. 32 zu Art. 46 EGBGB Anh. und Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 18 zu Art. 46 EGBGB; vgl. auch Kunz, IPR, 1998, Rn. 569. – Eine Einschränkung für den bürgerlichen Namen muss man jedoch bei der vollständigen Anerkennung einer Gesellschaftsenteignung (dazu unten § 22 I) erwägen, da bei dieser grundsätzlich auch Immaterialgüterrechtsenteignungen im vollen Umfang anerkannt werden.
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6. Kapitel: Immaterialgüterrechte
2. Nicht realisierte Folgeansprüche Schwer zu sagen ist dagegen, ob hinsichtlich bestimmter noch nicht realisierter Folgeansprüche die Rechtslage im Enteignungsstaat maßgeblich sein sollte, ob es also bestimmte Folgeansprüche gibt, die in Deutschland geltend gemacht werden können. Die Geltendmachung solcher Folgeansprüche aufgrund von Handlungen im Enteignungsstaat dürfte jedenfalls im Verhältnis Enteigneter – Enteignungsbegünstigter ausgeschlossen sein: Einerseits kann also der Enteignete vom Enteignungsbegünstigten das durch die Enteignung aus der Sicht des Enteignungsstaates erlangte Immaterialgüterrecht in Deutschland nicht kondizieren. Er kann in Deutschland auch keine Unterlassungsansprüche für Handlungen im Enteignungsstaat geltend machen.12 Ferner schuldet beispielsweise der neue Inhaber eines Markenrechts dem Enteigneten keine Herausgabe, Ersatz oder anderes, wenn er entsprechend gekennzeichnete Waren im Enteignungsstaat vertreibt. Andererseits kann auch der Enteignungsbegünstigte keine Sekundäransprüche geltend machen. Enteignet ein Staat etwa ein Patent entschädigungslos und verletzt der Enteignete das Patent, das ihm aus der Sicht des Enteignungsstaates nicht mehr zusteht, im Enteignungsstaat, wird ein Schadensersatzbegehren des Enteignungsbegünstigten gegen den Enteigneten in Deutschland keinen Erfolg haben.13 Im Verhältnis zwischen dem Enteigneten und dem Enteignungsbegünstigten auf der einen Seite und Dritten auf der anderen Seite wird der Beurteilung von im Enteignungsstaat noch nicht realisierten Schadensersatzansprüchen und sonstigen Folgeansprüchen jedenfalls nicht die Rechtslage zugrunde gelegt werden können, die im Enteignungsstaat vor der Enteignung bestand. Vertreibt also beispielsweise ein Dritter im Enteignungsstaat mit dem enteigneten Zeichen gekennzeichnete Waren und verletzt er dabei das Markenrecht, so ist wohl jedenfalls nicht der Enteignete aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Inhaber eines Schadensersatzanspruchs. Ebenso kann der 12
Vgl. die (nicht Immaterialgüterrechte betreffenden, sondern in einem anderen Zusammenhang stehenden) Ausführungen des LG Braunschweig vom 28.3.1990 (9 O 30/90), in: DtZ 1990, 214 ff. (interlokal, kartographische Verlagsprodukte) („[f]ür die bundesdeutsche Rechtsordnung besteht [...], auch wenn sie für ihren Bereich die Rechtswirkungen der eingetretenen Enteignungen anders beurteilt als der Enteignungsstaat, keine Veranlassung, der Rechtsordnung der DDR zuwider für deren Bereich drohende Eingriffe in dort nicht anerkannte Eigentumsrechte zu verbieten“). 13 Vgl. dazu den eine Urteilsanerkennung betreffenden Fall des LG Braunschweig vom 26.1.1971, in: GRUR Int 1972, 92, 94 (Italien, Gewindeschälgerät Filux) (das Gericht hat eine Verfallserklärung Italiens wegen dreijähriger Nichtausübung eines Patentes als entschädigungslose Enteignung qualifiziert; Schadensersatzansprüche des Enteignungsbegünstigten gegen den deutschen Enteigneten bestünden aber für Handlungen im Enteignungsstaat aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung aufgrund des Territorialitätsprinzips nicht).
§ 20 Anerkennung nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche – III
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Enteignete keine Unterlassung von einem Dritten verlangen, der für den Gebrauch im Enteignungsstaat entsprechend gekennzeichnete Artikel im Enteignungsstaat erworben hat. Bei der Beurteilung von Ansprüchen zwischen Enteignungsbegünstigtem und Dritten könnte man dagegen die Rechtslage nach der Enteignung für maßgeblich erachten. Da der Dritte beispielsweise für eine ein Immaterialgüterrecht verletzende Handlung im Enteignungsstaat jedenfalls nicht dem Enteigneten Ersatz schuldet, wäre er sonst unter Umständen ungerechtfertigt begünstigt. Man könnte allerdings auch diese Ansprüche ausschließen. So würde wohl die Rechtsprechung verfahren. Mangels praktischen Anschauungsmaterials kann die Frage hier nicht abschließend beantwortet werden. III. Dogmatische Konstruktionsmöglichkeiten
§ 20 Anerkennung nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche – III
Über die praktischen Ergebnisse ist man sich weitgehend einig. Man kann sie dogmatisch auf zwei Arten begründen: über die (1) absolute und über die (2) relative Anerkennung. Zu (1): Die herrschende Meinung wendet auch auf Immaterialgüterrechtsenteignungen den Gebietsgrundsatz an.14 Der Gebietsgrundsatz hat sogar seinen Ursprung in einem Fall zu Immaterialgüterrechten.15 Klar ist aber wiederum nur die negative Seite des Gebietsgrundsatzes. Hinsichtlich der positiven Seite heißt es, Enteignungen von Immaterialgüterrechten würden räumlich beschränkt anerkannt werden. Äußerlich erscheint es dabei, als werde ein einheitliches Recht gespalten. Der Ausdruck der Spaltungslehre („Spaltungstheorie“) hat sich auch hier durchgesetzt.16 Die Anwendung des Gebietsgrundsatzes passe gut zusammen mit dem Schutzlandprinzip, nach dem Immaterialgüterrechte ihrem Inhalt nach räumlich beschränkte Rechte seien, deren Inhaberschaft sich nach dem Recht des 14
Siehe die Nachweise zur Rechtsprechung oben § 20 I Fn. 6; aus der Literatur SeidlHohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 99 f.; Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1657 l.Sp., 1659 r.Sp. (auch zu Besonderheiten nach der Wiedervereinigung); Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 52 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 42 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I und MüKo-Wendehorst, 2015, Rn. 49 ff. zu Art. 46 EGBGB Anh.; zu den infolge der HAG-I-Entscheidung des EuGH diskutierten unionsrechtlichen Besonderheiten oben § 6. 15 RG vom 29.5.1908 (II 580/07), in: RGZ 69, 1 (Frankreich, Cartreuse-Likör) (der Fall betraf freilich Handlungen in Deutschland, also nur die negative Seite des Gebietsgrundsatzes); dazu Schricker, GRUR 1977, 434 r.Sp. 16 Von einer Spaltung sprechen beispielsweise OLG Hamburg vom 19.7.1948 (3 U 49/48), in: MDR 1948, 286 l.Sp. (interlokal, Knäckebrot); Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1657 l.Sp. (Markenaufspaltung); Vannod, Fragen, 1959, 68. – Die Spaltungslehre bei Immaterialgüterrechten ist dabei von der Spaltungslehre bei Forderungsenteignungen (zu ihr oben § 17 I 1) und der Spaltungslehre bei Gesellschaftsenteignungen (zu ihr unten § 23 I) zu unterscheiden.
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6. Kapitel: Immaterialgüterrechte
Gebietes richte, auf dem die fraglichen Handlungen erfolgt seien.17 Das Schutzlandprinzip ist dabei Teil des internationalen Privatrechts. Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO18 dagegen regelt die Rechtsinhaberschaft nicht.19 Das internationalprivatrechtliche Schutzlandprinzip bewirkt, dass es vor der Enteignung aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung eine Vielzahl räumlich beschränkter subjektiver Rechte gibt, nämlich zum einen ein Immaterialgüterrecht für Handlungen auf deutschem Gebiet, zum anderen (durch die internationalprivatrechtliche Verweisung) jeweils ein weiteres für die Gebiete der Staaten, die ebenfalls entsprechende Rechte einräumen.20 Aus der Sicht der Rechtsordnung des Enteignungsstaates wird es sich ebenso verhalten. Hat nun der Enteignungsstaat ein Recht enteignet, stellt sich für die deutsche Rechtsordnung die Anerkennungsfrage, also die Frage, ob sie die privatrechtsgestaltenden Wirkungen der fremdstaatlichen Enteignung in die deutsche Rechtsordnung übernehmen möchte. Der Enteignungsstaat kann dabei für seine Rechtsordnung alle Rechte, die er selbst gewährt, sei es für Handlungen auf seinem Gebiet, sei es (die in der Regel durch eine internationalprivatrechtliche Verweisung seinerseits aus seiner Sicht bestehenden Rechte) für Handlungen auf anderen Gebieten, enteignen.21 Er muss sich dabei nicht auf das Recht beschränken, das Handlungen auf seinem Gebiet betrifft. Hat der Enteignungsstaat für seine Rechtsordnung auch ein Recht enteignet, das Handlungen auf deutschem Hoheitsgebiet betrifft, wird die Enteignung insofern jedoch grundsätzlich nicht anerkannt werden.22 Man kann dies dem negativen Gebietsgrundsatz zuschreiben, der sich insofern im Ergebnis mit dem Schutzlandprinzip deckt. Die interessantere Frage jedoch ist die nach der Reichweite des positiven Gebietsgrundsatzes. Hat der Enteignungsstaat ein Immaterialgüterrecht, das Handlungen auf seinem Gebiet betrifft, enteignet, so richtet sich die Zuordnung des Rechts aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung nicht nach dem internationalprivatrechtlichen Schutzlandprinzip, da ausländische Enteignun17 Vgl. Ulmer, SJZ 3 (1948) Sp. 679; Niederer, SchwJahrbIntR XI (1954) 96; Raape, IPR, 1961, 694 ff.; Schricker, GRUR 1977, 438 l.Sp.; Andrae, Eingriffe, 1990, 19; Ebenroth/Karuth, DB 1993, 1657 Fn. 6; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 18 zu Art. 46 EGBGB. 18 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht. 19 Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 3 zu Art. 8 Rom II-VO m.N. 20 Vgl. zur Pluralität subjektiver Rechte oben § 1. – Unionsweit geltende Immaterialgüterrechte wird man dagegen als einheitliche Rechte auffassen müssen. Ihre Enteignung durch einen Staat wird nicht absolut anerkannt werden können (zu einer möglichen Ausnahme im Rahmen einer Gesellschaftsenteignung oben § 20 II 1 und unten § 22 I). Eine relative Anerkennung ist jedoch denkbar, dazu oben § 20 II 1. 21 Vgl. allgemein oben § 4 II 3, III 2. 22 Siehe oben § 20 I; praktisch wird eine solche Enteignung insbesondere im Rahmen von Gesellschaftsenteignungen, siehe näher unten § 22 I.
§ 20 Anerkennung nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche – III
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gen nicht dem internationalprivatrechtlichen Statut unterfallen.23 Vielmehr müsste die innerstaatliche internationalenteignungsrechtliche Kollisionsnorm (also nach herrschender Ansicht der Gebietsgrundsatz) befragt werden, ob die ausländische Enteignungsnorm anzuwenden ist. Dies müsste die herrschende Ansicht eigentlich bejahen. Denn der positive Gebietsgrundsatz müsste dazu führen, dass der Enteignungsbegünstigte auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung für Handlungen im Enteignungsstaat in jeder Hinsicht Inhaber des Immaterialgüterrechts geworden ist.24 Es müsste also auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung ein Recht den Inhaber wechseln. Diese Folgerung wird aber nicht gezogen. Zu (2): Die „Anerkennung“ bei Enteignungen von Immaterialgüterrechten bezieht sich nämlich bei näherer Betrachtung nur auf gewisse (nämlich insbesondere realisierte) Folgeansprüche.25 Enteignungen von Immaterialgüterrechten werden also nicht absolut anerkannt.26 Die „Anerkennung“ von Immaterialgüterrechtsenteignungen ist damit enger als die Verweisung des internationalprivatrechtlichen Schutzlandprinzips. Da nun der Enteignungsstaat die Immaterialgüterrechte (mit oder ohne Beschränkung für Handlungen auf seinem Gebiet) im vollen Umfang dem Enteignungsbegünstigten zuordnet, die deutsche Rechtsordnung hingegen (wie bei einer Enteignung dinglicher Rechte bis zur Verbringung der Sache)27 über die Zuordnung des Immaterialgüterrechts, das Handlungen auf dem Gebiet des Enteignungsstaates betrifft, nicht entscheidet, entstehen ein oder mehrere hinkende Rechtsverhältnisse. Dies als Spaltung zu bezeichnen, stiftet jedoch mehr Verwirrung, als es zur Klärung der Probleme beiträgt, da der Begriff der Spaltung suggeriert, dass das Immaterialgüterrecht, das Handlungen auf dem Gebiet des Enteignungsstaates betrifft, nunmehr auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung dem Enteignungsbegünstigten zusteht. Es sind jedoch nur die Folgen des Hinkens, die für Handlungen im Enteignungsstaat im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche die relative Anerkennung (also die Rechtsverkehranerkennung) ausgleicht. Folgt man der hier vertretenen Ansicht nicht und verwendet man also auch hier den Begriff des Gebietsgrundsatzes, gibt man ihm also aufgrund der abweichenden Rechtsfolge wiederum eine andere Bedeutung als bei dinglichen Rechten. Mit der abweichenden Rechtsfolge hängt zusammen, dass sich auch die Beweggründe unterscheiden. Die Anerkennung erfolgt nämlich (wie bei der Anerkennung von Enteignungen dinglicher Rechte bis zur Verbrin23
Siehe zur Sonderanknüpfung oben § 13 II 3. Vgl. zum Begriff der Anerkennung nach dem Gebietsgrundsatz oben § 11 I. 25 Siehe soeben § 20 II. 26 Siehe zur absoluten Anerkennung oben § 11 I, II 1; zur relativen Anerkennung oben § 11 II. 27 Vgl. oben § 16 I. 24
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6. Kapitel: Immaterialgüterrechte
gung)28 aus den Gründen, die hinter der Rechtsverkehranerkennung stehen, und nicht zum Schutz der internationalen Ordnung, also etwa des Handels.29 Unterscheiden sich jedoch die Rechtsfolge und die Beweggründe, müssen auch die Tatbestandsvoraussetzungen andere sein. So erklärt sich daraus, dass sich die „Anerkennung“ bei der Enteignung von Immaterialgüterrechten in der Rechtsverkehranerkennung erschöpft, dass bei der Enteignung von Immaterialgüterrechten keine Ausnahmen vom positiven Gebietsgrundsatz aus Gründen zu machen sind, die in einem weiteren Sinne dem ordre public zuzurechnen sind, wenn also beispielsweise die Enteignung völkerrechtswidrig ist.30 Eine Vollziehung ist ebenfalls nicht nötig.31 Es kann auch nicht gefordert werden, dass die Enteignung mit dem Recht des Enteignungsstaates in Einklang stehen muss.32 Der Gebietsgrundsatz der Enteignung von Immaterialgüterrechten unterscheidet sich auch in diesen Punkten vom Gebietsgrundsatz der Enteignung dinglicher Rechte.
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Vgl. oben § 16 I. Zur internationalen Ordnung näher oben § 12 I 1. 30 Zur Nichtanerkennung völkergewohnheitsrechtswidriger Enteignungen dinglicher Rechte oben §§ 4 I, 15 I, 16 III 2; vgl. zu Forderungen oben § 18 I 3. 31 Vgl. zum selbständigen Vollziehungserfordernis bei der Enteignung dinglicher Rechte bis zur Verbringung der Sache oben § 16 I. 32 Siehe die Nachweise oben § 14 I Fn. 3 f.; die herrschende Meinung unterscheidet freilich nicht zwischen den verschiedenen Enteignungsobjekten. 29
Kapitel 7
Rechte von und an Gesellschaften § 21 Einführung und Abgrenzung § 21 Einführung und Abgrenzung – I
I. Drei Grundkonstellationen Der Gebietsgrundsatz der Enteignung dinglicher Rechte ist nun also auf die Enteignung von Forderungsrechten und Immaterialgüterrechten nicht anwendbar.1 Die rechtliche und tatsächliche Lage ist jeweils zu unterschiedlich. Enteignet ein Staat Rechte einer Gesellschaft oder Anteilsrechte an einer Gesellschaft, bilden die zu berücksichtigenden Interessen eine Gemengelage, die erst recht kaum noch durch ein so grobes Instrument wie den Gebietsgrundsatz der Enteignung dinglicher Rechte beherrscht werden kann. Die herrschende Meinung jedoch entscheidet auch hier nach dem Gebietsgrundsatz. Bei der rechtlichen Behandlung sind insbesondere drei Konstellationen auseinanderzuhalten: (1) Enteignet ein Staat nur einzelne Rechte einer Gesellschaft wie das Eigentumsrecht an einer Maschine, so gelten die oben entfalteten Regeln über die Enteignung natürlicher Personen entsprechend.2 Enteignungen dinglicher Rechte richten sich also nach dem Gebietsgrundsatz.3 Bei Forderungsenteignungen stellt sich neben der Rechtsverkehranerkennung die Frage, ob der Schuldner dem Altgläubiger weiterhin zur Leistung verpflichtet ist.4 Bei der Enteignung von Immaterialgüterrechten ist nach dem Ort der in Rede stehenden Handlung und der Art des Folgeanspruchs zu unterscheiden.5 Kurz: Bei der Enteignung nur einzelner Rechte einer Gesellschaft ist es ohne Auswirkung, ob der Rechtsinhaber eine natürliche Person oder eine Gesellschaft ist. (2) Ein Staat kann aber nicht nur Rechte einer Gesellschaft enteignen, sondern auch Anteilsrechte an einer Gesellschaft. Enteignet der Sitzstaat, auch 1
Die herrschende Meinung widerspricht dem nur vordergründig; zur Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungsenteignungen oben § 18 I; zur Anwendung des Gebietsgrundsatzes auf Immaterialgüterrechtsenteignungen oben § 20 III. 2 Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 831 zum IntGesR; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 55 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; siehe schon Beitzke, FS Janssen 1958, 29. 3 Vgl. oben §§ 14–16; zu der in dieser Arbeit vorgeschlagenen Prüfung in fünf Schritten oben § 16 IV 2. 4 Vgl. oben § 18 II 1, 2. 5 Vgl. oben § 20.
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7. Kapitel: Rechte von und an Gesellschaften
entschädigungslos, nur einzelne Anteilsrechte, wird dies nach weit überwiegender Auffassung anerkannt.6 Der Sitzstaat ist dabei der Staat, nach dessen Recht die Gesellschaft besteht.7 Er soll in dieser Arbeit als Statutarstaat bezeichnet werden. Es kommt hier nicht auf die Sitz- oder Gründungstheorie nach dem klassischen internationalen Privatrecht an. Welcher Sitz entscheidet, ist aus dem Zweck des internationalen Enteignungsrechts heraus zu bestimmen.8 Eine Enteignung einzelner Anteilsrechte durch den Statutarstaat wird dabei gerade deswegen anerkannt, weil das Recht dieses Staates einer Gesellschaft ihre Existenz verleiht und sie aufrechterhält.9 Keineswegs ist der Lageort einer das Anteilsrecht verbriefenden Urkunde maßgeblich.10 (3) Schwierigkeiten bereitet die dritte Konstellation: Der Sitzstaat enteignet (nahezu) alle Rechte einer Gesellschaft oder (nahezu) alle11 Anteilsrechte an einer Gesellschaft. Formal werden bei der Enteignung von Anteilsrechten 6
Anders nur die „extreme“ Spaltungslehre: Kuhn, WM 1956, 9 f.; Beitzke, FS Janssen 1958, 35; Seidl-Hohenveldern, JahrbIntR 6 (1956) 264; ders., FS Kegel 1977, 269; Raape, IPR, 1961, 685 („Spaltung um eines Mannes willen!“); Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 84 f.; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 623 Fn. 98; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 56 zu Art. 38 EGBGB Anh. III. – Gegen die extreme Spaltungslehre Ebenroth, JZ 1988, 87 r.Sp. f. (denn es sei keine Gleichsetzung mit einer Enteignung des Gesamtvermögens möglich); offenlassend noch BGH vom 5.5.1960 (VII ZR 92/58), in: NJW 1960, 1570 (= BGHZ 32, 256) (Niederlande). – Dagegen sind für die sogenannte „gemäßigte“ Spaltungslehre, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung: Junker, in: Jayme/Furtak (Hrsg.), Rechtseinheit, 1991, 198; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 886 ff., 944 f. zum IntGesR; Ulmer-Behrens, Bd. 1, 2005, Rn. B 153; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 1001 f. zum IntGesR (Beispiel: Ausschluss der Minderheitsaktionäre der Hypo Real Estate Holding-AG nach dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz); Palandt-Thorn, 2015, Rn. 13 zu Art. 43 EGBGB; umfangreiche Nachweise zu beiden Ansichten bei Teich, RIW/AWD 1978, 12. 7 So auch Kuhn, WM 1956, 2; Lewald, RabelsZ 21 (1956) 134 (der stützende Hinweis auf Art. 1 Abs. 2 lit. a des Gesetzes 63 der Alliierten Oberkommission geht allerdings fehlt, da die Belegenheit im Sinne des internationalen Enteignungsrechts aus diesem heraus zu bestimmen ist); Lederer, Enteignung, 1989, 165 ff.; ders., IPRax 1994, 147 l.Sp.; Huwyler, Personen, 1989, 69; Andrae, Eingriffe, 1990, 19; Ulmer-Behrens, Bd. 1, 2005, Rn. B 143. – A.A., also für die Maßgeblichkeit des Verwaltungssitzes, Vogel, FS Raape 1948, 217 und MüKo-Habersack, 2008, Rn. 103 zu Einl. AktG. 8 Unzutreffend daher Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 944 f. zum IntGesR und Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 25 zu § 20; vgl. auch oben §§ 9 I 3, 13 II 3, 14 IV am Anfang. 9 Diese Begründung ist freilich anfechtbar, weil aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung eine ausländische Gesellschaft in erster Linie durch den Verweis des deutschen internationalen Privatrechts entsteht und nicht unmittelbar durch die Vorschriften des ausländischen Rechts, auf die verwiesen wird. Vgl. zur Pluralität subjektiver Rechte bereits § 1. 10 Die Ausführungen zu verbrieften Forderungen gelten entsprechend, siehe oben § 19 III. 11 Voraussetzung ist, dass der Enteignungsstaat die Gesellschaft „vermögens- und verwaltungsmäßig [...] beherrscht“, BGH vom 18.10.1976 (II ARZ 2/75), in: juris Rn. 24 (= WM 1976, 1266) (USA).
§ 21 Einführung und Abgrenzung – I
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unmittelbar die Anteilseigner enteignet, bei der Enteignung von Rechten der Gesellschaft hingegen unmittelbar die Gesellschaft als Rechtsträger und nur mittelbar die Anteilseigner. Doch sind beide Fälle nach „allgemeiner, auf eine natürliche Betrachtungsweise gestützter Rechtsüberzeugung“ gleichzubehandeln.12 In dieser Arbeit wird daher der zusammenfassende Begriff der Gesellschaftsenteignung verwendet.13 Nur sprachlich soll dabei der Fall der Enteignung von Anteilsrechten zugrunde gelegt werden. Die folgenden Ausführungen gelten also für die Enteignung (nahezu) aller Rechte der Gesellschaft entsprechend. Hat nun eine Gesellschaft ausschließlich Beziehungen zum Enteignungsstaat, stellt sich die Anerkennungsfrage in der Praxis nicht. Schwierig wird es hingegen, wenn der Statutarstaat eine Gesellschaft enteignet, die Rechte hat, deren einzelne Enteignung nicht anerkannt würde und deren Rechtsbeziehungen in einem weiten Sinne Auslandsberührung haben. Nur von dieser Konstellation soll im Folgenden die Rede sein. Die Ausführungen werden sich auf die Grundzüge einer Lösung beschränken müssen. Mehr technische, insbesondere gesellschaftsrechtliche, Einzelfragen können nicht berücksichtigt werden.14 Die herrschende Ansicht möchte nun auch bei der Behandlung fremdstaatlicher Gesellschaftsenteignungen den Gebietsgrundsatz anwenden. Der Gebietsgrundsatz stellt jedoch – zumindest in seiner einfachen Form – allein auf die Belegenheit von Rechten ab. Er verwendet damit ein räumliches Kriterium. Den Umständen der Enteignung schenkt er nur im Rahmen des ordre public Beachtung. Dass aber die Enteignungsumstände nicht ganz ignoriert werden können,15 zeigt sich am deutlichsten gerade bei den Anerkennungsregeln für Gesellschaftsenteignungen. Rechtsprechung und Wissenschaft waren insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg mit Gesellschaftsenteignungen befasst.16 Die gefundenen Lösungen 12
So BGH vom 21.5.1974 (GSZ 2/72), in: NJW 1974, 1945 (= BGHZ 62, 340) (Niederlande, Spalt-IAK); ebenso BGH vom 31.3.1971 (VIII ZR 40/69), in: NJW 1971, 1515 m.N. (= BGHZ 56, 66) (Ungarn, ungarische Zentralbank gegen die Spaltgesellschaft der ungarischen Waggon- und Maschinenfabrik AG); BGH vom 18.10.1976 (II ARZ 2/75), in: juris Rn. 24 (= WM 1976, 1266) (USA); Behrens, Unternehmen, 1980, 95 ff.; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 288 f.; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1105 ff. 13 Ebenso Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 234; kritisch dagegen Wolff, IPR, 1954, 153 („[j]uristische Personen können nicht enteignet werden; sie sind fähig, Rechte zu haben, nicht Rechte zu sein. Die Rechte, die sie haben, können enteignet werden“) und Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 53 [Schweiz]. 14 Vgl. Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 93 zur Spaltungslehre: „Dabei ist es allerdings weder möglich, noch wäre es angebracht, ein vollständiges System zu entwickeln. Die Gestaltung der Einzelfälle ist zu mannigfaltig, als daß man mehr als einige typische Fallgestaltungen und die Grundzüge ihrer Lösung aufzeigen könnte.“ 15 Vgl. bereits §§ 12 V 2, 13 VI 2. 16 Allerdings auch schon davor, siehe Beitzke, FS Janssen 1958, 30.
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7. Kapitel: Rechte von und an Gesellschaften
spiegelten das Umfeld der Kriegsenteignungen wider.17 Da alle zu entscheidenden Fälle aus einem vergleichbaren Umfeld stammten, genügte das Richterrecht den Anforderungen der Praxis. So ist es auch zunächst ruhig um das Thema der Gesellschaftsenteignungen geworden. Das änderte sich Anfang der 1980er Jahre, als Frankreich Banken und andere Unternehmen verstaatlichte.18 Das Besondere an diesen Maßnahmen war, dass die Enteignungen rechtsstaatlichen Maßstäben genügten, insbesondere wurden die Anteilseigner voll entschädigt. Die deutsche Rechtsprechung hatte nun zwar noch keine Gelegenheit, zu dem Problem der Anerkennung entschädigter Gesellschaftsenteignungen Stellung zu beziehen. Das Schrifttum aber fordert immer lauter, von den alten kriegsgeprägten Dogmen der Rechtsprechung und der vordergründig rein räumlichen Betrachtung abzurücken und gewisse Gesellschaftsenteignungen vollständig anzuerkennen.19 II. Weiter verfassungsrechtlicher Rahmen
§ 21 Einführung und Abgrenzung – II
Die einfachrechtlichen Regeln müssen sich im verfassungsrechtlichen Rahmen halten. Nach überwiegend vertretener Auffassung soll es den Richtern unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein, Gesellschaftsenteignungen auch hinsichtlich derjenigen Rechte der Gesellschaft ohne Anerkennungsgesetz anzuerkennen, deren einzelne Enteignung nicht anerkannt würde und teilweise (wie bei Enteignungen von Rechten an in Deutschland befindlichen Sachen)20 von Verfassungs wegen regelmäßig auch nicht anerkannt werden dürfte.21 Die von Ebenroth, Einsele und Großfeld vertretene Gegenansicht konnte sich nicht durchsetzen.22 In der Sprache des Gebietsgrundsatzes geht es um mittelbar extraterritoriale Enteignungen. 23 17 Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 76 zu Art. 38 EGBGB Anh. III („[d]ie Konstruktionen der Spalt- und Restgesellschaft sind Produkte der Bewältigung der Spaltung Deutschlands und Europas nach dem 2. Weltkrieg“); Drobnig, FS Serick 1992, 37 (die Spaltungslehre habe sich „zweifelsohne auch unter dem Eindruck der zahlmäßig überwältigenden innerdeutschen Fälle“ durchgesetzt); siehe zu Besonderheiten nach der Wiedervereinigung ders., FS Großfeld 1999, 161 ff. 18 Zu den französischen Verstaatlichungen oben § 13 VI 1. 19 Nachweise unten § 22 I Fn. 49. 20 Siehe oben § 15 II 4. 21 So im Ergebnis Behrens, Unternehmen, 1980, 78; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 296 ff.; Herdegen, ZGR 20 (1991) 566 f.; ders., IntWirtR, 2014, Rn. 26 zu § 20; Hofmann, Grundrechte, 1994, 151; weitere Nachweise unten § 22 I Fn. 49. 22 Ebenroth, JZ 1988, 86 r.Sp. (die ausländische Enteignung [wohl gemeint ist: ihre Anerkennung] erfolge nämlich nicht im deutschen Interesse); Einsele, RabelsZ 51 (1987) 606 ff., 623 f., 627 ff. (eine Anerkennung sei nur durch völkerrechtlichen Vertrag möglich; die Entschädigung müsse im Zustimmungsgesetz geregelt werden); Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 823, 877 zum IntGesR (Eingriff in die nationale Vermögensstruktur und Wirtschaftsordnung, der das inländische Gemeinwohl nicht fördere); ders., Unternehmensrecht,
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Doch unter welchen Voraussetzungen dürfen solche Gesellschaftsenteignungen anerkannt werden? Wichtigste Voraussetzung ist zweifellos, dass die Enteigneten in bestimmter Höhe entschädigt oder abgefunden wurden. Den Anforderungen des Art. 14 GG kann dabei auch durch einen schuldrechtlichen Zahlungsanspruch der enteigneten Gesellschafter gegen die einheitlich fortbestehende Gesellschaft Genüge getan werden.24 Nicht einmal bei entschädigungslosen Enteignungen ist die Spaltungslehre damit von der Verfassung gefordert.25 Es fragt sich nun, ob die Art. 14 f. GG zur Anerkennung fordern, dass den enteigneten Gesellschaftern der volle Wert ihres Anteilsrechts zufließt. Während die herrschende Meinung eine volle Entschädigung fordert,26 lässt eine neuere, vordringende Ansicht27 eine geringere Entschädigung genügen. Die Vertreter der Abfindungslösung schließlich, die stets, also auch bei Entschädigungslosigkeit, anerkennen, den Enteigneten aber Ausgleichsansprüche gegen die Gesellschaft gewähren möchten, fordern ebenfalls nicht notwendigerweise den vollen Wert. Denn die Höhe der Abfindung soll durch eine umfassende Abwägung bestimmt werden, bei der auch etwa die Interessen nicht enteigneter Gesellschafter, der Gesellschaftsgläubiger und der Gesellschaftsschuldner berücksichtigt werden.28 Wenn auch noch keine Entscheidungen zu der Frage ergangen sind, dürfte doch die Anerkennung bei einer Entschädigung bzw. Abfindung unter dem vollen Wert verfassungsrechtlich zulässig sein. Art. 14 GG fordert schon bei Enteignungen durch die deutsche Staatsgewalt nicht stets eine volle, sondern
1995, Q § 9 I, II, S. 312 ff. (eine Anerkennung diene nicht dem deutschen Gemeinwohl; das Gesellschaftsvermögen in Deutschland stehe unter deutschem Schutz). 23 Zum Begriff bereits § 9 I 3. 24 Vgl. im deutschen Verfassungsrecht dazu, dass die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme über (nicht notwendigerweise vom Staat zu erbringende) Ausgleichsleistungen gewahrt werden kann, Sachs, GR, 2003, B 14 Rn. 37, S. 444 mit dem Beispiel des Ausschlusses von Minderheitsaktionären durch Gesetz. 25 Stöcker, WM 1964, 537 f.; ders., WM 1965, 453; ders., WM 1966, 755; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 88 f.; Lederer, Enteignung, 1989, 183 f., 208; ders., IPRax 1994, 147 r.Sp.; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 150 zu § 4, S. 306; a.A., also dafür, dass die Spaltungslehre von der Verfassung gefordert ist, Einsele, RabelsZ 51 (1987) 606 f.; sogar für die Verfassungswidrigkeit (!) der Spaltungslehre ist Gurski, WM 1963, 1083 f. (Gewaltenteilung, Art. 14 GG); ders., WM 1964, 1142 f. und ders., NJW 1965, 1357 l.Sp. 26 Vgl. die Nachweise unten § 22 I Fn. 49. 27 Maunz/Dürig-Herdegen, 2014, Rn. 84 zu Art. 1 Abs. 3 GG; ders., ZGR 20 (1991) 568, 571 (eine mehr als hälftige Entschädigung sei ausreichend, sofern es dem Enteignungsstaat nicht gerade auf den Zugriff auf die Werte in Deutschland ankomme); ders., IntWirtR, 2014, Rn. 26 zu § 20; sympathisierend Hofmann, Grundrechte, 1994, 152 f.; a.A. Seidl-Hohenveldern, in: ders./Nagel (Hrsg.), Rechtsfragen, 1983, 61. 28 Näher zur Abfindungslösung unten §§ 22 II 2, 23 II.
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7. Kapitel: Rechte von und an Gesellschaften
ausweichlich des Wortlautes nur eine angemessene Entschädigung.29 Art. 15 GG lässt möglicherweise noch weitergehende Einschränkungen zu.30 Dass die Art. 14 f. GG zur Anerkennung weder eine volle Entschädigung noch eine volle Abfindung fordern, wird ferner mit der konkurrierenden völkergewohnheitsrechtlichen Regelungsbefugnis des Enteignungsstaates hinsichtlich der Inlandswerte der Gesellschaft begründet;31 zudem damit, dass der Enteignungsstaat die Enteignung der Anteilsrechte auf seinem Staatsgebiet selbst vollziehen könne.32 Der Enteignete habe überdies selbst das Risiko der Enteignung geschaffen, indem er sich an einer Gesellschaft im Enteignungsstaat beteiligt habe.33 Diese zusätzlichen Argumente überzeugen nicht: Eine konkurrierende völkergewohnheitsrechtliche Regelungsbefugnis kann auch bei einer einzelnen Enteignung dinglicher Rechte gegeben sein, wenn etwa der Eigentümer Staatsangehöriger des Enteignungsstaates ist, die Sache sich aber außerhalb des Enteignungsstaates befindet.34 Der Statutarstaat kann ferner zwar auf seinem Gebiet Enteignungen von Anteilsrechten vollziehen, aber gerade nicht hinsichtlich der in Frage stehenden Rechte der Gesellschaft, die (in den Worten des Gebietsgrundsatzes) außerhalb des Enteignungsstaates belegen sind. Auch das Risikoargument überzeugt nicht.35 Investoren gehen unmittelbar nämlich nur das Risiko ein, durch den Enteignungsstaat enteignet zu werden, nicht aber das Risiko, dass die Enteignung in Deutschland anerkannt wird. Dass keine volle Entschädigung oder Abfindung nötig sei, wird teilweise auch mit Verweis auf die verschiedenen Grundrechtsfunktionen36 zu begründen versucht. Deutschland habe hinsichtlich derjenigen Rechte der Gesellschaft, die (nach dem Gebietsgrundsatz) auf seinem Gebiet belegen sind, nur eine Schutzpflicht aus Art. 14 f. GG; der Enteignungsstaat könne aus eigener 29 BVerfG vom 18.12.1968 (1 BvR 638, 673/64 und 220, 238, 249/65), in: BVerfGE 24, 421 (Hamburgisches Deichordnungsgesetz) („[e]ine starre, allein am Marktwert orientierte Entschädigung ist somit dem Grundgesetz fremd. Es trifft auch nicht zu, daß den Enteigneten durch die Entschädigung stets das ‚volle Äquivalent für das Genommene gegeben werden muß‘“); dazu kritisch Leisner, NJW 1992, 1409 ff. und ders., in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HbStR, Bd. VIII, 2010, § 173 Rn. 229; siehe ferner Behrens, Unternehmen, 1980, 55; Epping/Hillgruber-Axer, 2013, Rn. 129 zu Art. 14 GG; vgl. auch Maurer, JZ 1992, 191 r.Sp. im Zusammenhang mit der Beurteilung der SBZ-Enteignungen. 30 Vgl. oben § 15 II 3. 31 So insbesondere Herdegen, ZGR 20 (1991) 566 und Hofmann, Grundrechte, 1994, 151. 32 Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 26 zu § 20. 33 Herdegen, ZGR 20 (1991) 566; Hofmann, Grundrechte, 1994, 152; vgl. in anderem Zusammenhang auch Elbing, Anwendbarkeit, 1991, 254 f.; zu Recht das Risikoargument ablehnend dagegen Berentelg, Act of State, 2010, 203. 34 Zu den weiten Grenzen der Regelungsbefugnis oben § 4 II 3. 35 Siehe zur Kritik des Risikoarguments unten § 22 III 3 und oben § 12 IV 2. 36 Vgl. zu den Grundrechtsfunktionen auch oben § 15 II 5.
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Macht auf das „Gesellschaftsvermögen“ in Deutschland zugreifen, Deutschland dies nur verhindern.37 Die Anerkennung vom Sitzstaat vorgenommener fremdstaatlicher Gesellschaftsenteignungen erscheine als ein Unterlassen.38 Bei der Wahrnehmung von Schutzpflichten aber habe der Gesetzgeber (und ergänzend die Rechtsprechung) einen weiten Gestaltungsspielraum. Es gelte das Untermaßverbot.39 Diesem genüge eine etwa hälftige Entschädigung. Der Auffassung, die bei der Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen nur eine Schutzpflicht annimmt, kann nicht beigetreten werden. Schutzpflichten schützen die grundrechtlich geschützten Güter vor Beeinträchtigungen durch Dritte, also durch andere Private oder fremde Staaten.40 Das (aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung bestehende) Eigentum aber kann weder vom Enteignungsstaat noch vom Enteignungsbegünstigten so gefährdet werden, dass Schutzansprüche gegen den deutschen Staat geltend gemacht werden könnten. Schutzpflichten träfen Deutschland nur hinsichtlich der aus dem Eigentumsrecht fließenden Rechte wie des Rechts auf ungestörten Besitz, um die es aber im internationalen Enteignungsrecht41 nicht geht. Das Recht entzieht für die deutsche Rechtsordnung erst die internationalenteignungsrechtliche Anerkennungsregel, also der Gebietsgrundsatz. Art. 14 GG ist daher für die Enteigneten in seiner Abwehrfunktion betroffen. Der Gewährleistungsgehalt der Grundrechte ist aber aufgrund des Auslandssachverhaltes geringer als etwa bei Enteignungen von Rechten an in Deutschland befindlichen Sachen.42 Es ist dieser Umstand, der zu einem abgeschwächten Maßstab führt und eine unter dem vollen Wert des Anteilsrechts liegende Entschädigung ausreichen lässt. Ein weiteres Argument könnte wie folgt lauten: Bei entschädigungslosen Gesellschaftsenteignungen vertritt die herrschende Meinung die Spaltungslehre. Die Spaltungslehre ist auch verfassungsgemäß. Sie sichert den entschädigungslos Enteigneten jedoch letztlich nur gewisse „enteignungsfreie“ Rechte.43 Die übrigen Rechte aber stehen der Rumpfgesellschaft im Enteignungsstaat zu. Diese Rechte verlieren die Enteigneten also aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung, ohne dass ihr Wert in irgendeiner Weise ausgeglichen 37
So Herdegen, ZGR 20 (1991) 566 f. und Hofmann, Grundrechte, 1994, 151 f.; bei Enteignungen intraterritorialer dinglicher Rechte ähnlich Stern, Staatsrecht, Bd. III/1, 1988, § 72 V 8 c, S. 1247; für einen Eingriff dagegen Berentelg, Act of State, 2010, 212; zur Begriffskritik oben § 4 III 2. 38 Vergleiche zur vermeintlichen „Abwehrfunktion“ des internationalen Enteignungsrechts bereits §§ 1, 4 III 2. 39 Siehe allgemein Canaris, JuS 1989, 163; Kloepfer, GR, 2010, Rn. 70 zu § 48. 40 Kloepfer, GR, 2010, Rn. 55, 57 zu § 48; Epping/Hillgruber-Axer, 2013, Rn. 22 zu Art. 14 GG. 41 Dazu, dass Gegenstand des internationalen Enteignungsrechts die Frage nach der Rechtsinhaberschaft ist, oben §§ 1, 9 I am Anfang. 42 Näher oben § 15 II 3. 43 Vgl. unten § 23 I 3, 4.
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würde. Man könnte nun argumentieren, dass die Enteigneten bei einer vollständigen44 Anerkennung einer Gesellschaftsenteignung wertmäßig im Ergebnis schon dann so gestellt sind wie nach der Spaltungslehre, wenn sie nur in Höhe des Wertes derjenigen Rechte entschädigt oder abgefunden werden, die bei einer entschädigungslosen Enteignung der Spaltgesellschaft zustünden. Eine Enteignung derjenigen Rechte, die bei einer entschädigungslosen Enteignung der Rumpfgesellschaft zustünden, würde ohnehin anerkannt werden. Je nach dem Verhältnis der Rechte, deren Inhaber nach einer entschädigungslosen Enteignung aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung die Spaltoder die Rumpfgesellschaft wären, kann eine gemessen an dem Wert des Anteilsrechts etwa hälftige Entschädigung die Enteigneten schon deutlich besser stellen, als sie die Spaltungslehre stellen würde. Man könnte auf diesem Wege auch begründen, dass die Entschädigung bzw. Abfindung sich der Höhe nach von vornherein nur auf diejenigen Rechte beziehen muss, die bei einer entschädigungslosen Enteignung die Spaltgesellschaft hätte. Ob die Enteignung allerdings dann ihren gesamten Umständen nach noch als anerkennungswürdig erscheint, werden die Gerichte im Einzelfall prüfen und entscheiden müssen. Dies ist freilich keine verfassungsrechtliche Frage, sondern Gegenstand des einfachen Rechts. Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich aber, dass man zur vollständigen Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen keine zu strengen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Entschädigung bzw. Abfindung stellen sollte. Die einfachrechtlich vorgeschlagenen Lösungen zur Behandlung von Gesellschaftsenteignungen halten sich jedenfalls alle im verfassungsrechtlichen Rahmen. Auf das Problem des persönlichen Anwendungsbereichs der Art. 14 f. GG muss daher nicht eingegangen werden. Zieht man aber den verfassungsrechtlichen Rahmen enger als hier geschehen, sollte man es auch in Bezug auf die verfassungsrechtlichen Erwägungen folgenlos sein lassen, welche Staatsangehörigkeit die Gesellschafter haben und ob es sich um eine in- oder ausländische Gesellschaft handelt.45 Zwar sind nichteuropäische46 Gesellschaften selbst wegen Art. 19 Abs. 3 GG nicht durch Art. 14 GG geschützt,47 die Anteilsrechte an der Gesellschaft aber schon.48 Das sollte genügen.
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Zum Begriff unten § 22 I. Ähnlich Einsele, RabelsZ 51 (1987) 619; Herdegen, ZGR 20 (1991) 569. 46 Zur Grundrechtsberechtigung juristischer Personen aus Mitgliedstaaten der EU siehe BVerfG vom 19.7.2011 (1 BvR 1916/09), in: NJW 2011, 3428. 47 Behrens, Unternehmen, 1980, 41; Epping/Hillgruber-Axer, 2013, Rn. 38 zu Art. 14 GG; Maunz/Dürig-Papier, 2014, Rn. 217 zu Art. 14 GG. 48 Einsele, RabelsZ 51 (1987) 619 (in Deutschland müsse aber reales Vermögenssubstrat der Gesellschaft sein); Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 27; Epping/Hillgruber-Axer, 2013, Rn. 38 zu Art. 14 GG. 45
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§ 22 Entschädigte Gesellschaftsenteignungen § 22 Entschädigte Gesellschaftsenteignungen – I
I. Vollständige Anerkennung ohne Anerkennungsgesetz Die Literatur ist sich heute weitestgehend einig, bestimmte Gesellschaftsenteignungen durch den Statutarstaat vollständig anzuerkennen.49 Etwa den französischen Verstaatlichungen von Banken und Unternehmen zu Beginn der 1980er Jahre die Anerkennung zu versagen, ist kaum vorstellbar.50 Der bisherigen deutschen Rechtsprechung zur Spaltungslehre51 kann nichts Gegenteiliges entnommen werden, da sie ausschließlich entschädigungslose 49
Dafür sind Petersen, in: Tagung Bad Godesberg, 1947, 141; Serick, JZ 1956, 199 ff.; Lewald, AWD 1958, 86 r.Sp.; Heiz, Recht, 1959, 293; Vannod, Fragen, 1959, 39 [Schweiz]; Burth, Enteignung, 1963, 69 ff.; Stöcker, WM 1966, 753; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 81 ff., 95 f.; Seidl-Hohenveldern, BerGesVR 13 (1974) 102 [Diskussionsbeitrag]; ders., in: ders./Nagel (Hrsg.), Rechtsfragen, 1983, 60; ders., VR, 1997, Rn. 1518; ders./Stein, VR, 2000, Rn. 1518; Beitzke, BerGesVR 13 (1974) 108 [Diskussionsbeitrag]; Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 243; Behrens, Unternehmen, 1980, 72 ff., 86 ff. (zu ihm ausführlich oben § 13 IV); Coing, WM 1982, 384; Kassaye, Entwicklungen, 1983, 273, 276; Soergel-Kegel, 1983, Rn. 802 vor Art. 7 EGBGB; ders., FS SeidlHohenveldern 1988, 255; ders./Schurig, IPR, 2004, § 23 II 2, S. 1100; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 289, 296 ff. mit rechtsvergleichendem Überblick auf S. 290 ff.; Meessen, AöR 110 (1985) 415; Huwyler, Personen, 1989, 90 ff., 124 f.; Lederer, Enteignung, 1989, 187 ff., 207; ders., IPRax 1994, 147 l.Sp.; Andrae, Eingriffe, 1990, 16 f.; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 234 (zu ihr oben § 13 V); Herdegen, ZGR 20 (1991) 555 ff., 571 (mindestens hälftige Entschädigung); ders., IntWirtR, 2014, Rn. 25 zu § 20 (für ein flexibles Modell der Interessenabwägung); Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 93; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 201, 214 zu IntSachenR; StaudingerMansel, 2015, Rn. 68 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I; Hofmann, Grundrechte, 1994, 148; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 10 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ders./Thorn, IPR, 2007, § 7 Rn. 34, S. 294; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 39 zu Art. 38 EGBGB Anh. III (zu ihm oben § 13 V); v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 150 f. zu § 4, S. 306 f.; Ulmer-Behrens, Bd. 1, 2005, Rn. B 144; ebenso im Ergebnis die Vertreter der Abfindungslösung (Nachweise unten § 23 II Fn. 144). – A.A. insbesondere Einsele, RabelsZ 51 (1987) 625 f. Die meisten Gegenstimmen fallen nicht besonders ins Gewicht, weil sie sich zu Unrecht (eingehend oben § 4 I–III) völkerrechtlich gebunden fühlen: Ficker, Grundfragen, 1952, 73 Fn. 25, 157 ff.; Mann, RabelsZ 21 (1956) 12 Fn. 45; ders., RabelsZ 27 (1962/63) 11; Raape, IPR, 1961, 685; Veith/Böckstiegel, Schutz, 1962, 223; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 823 zum IntGesR; ders., Unternehmensrecht, 1995, Q § 2 I, § 9 II, S. 292, 313 ff.; MüKo-Ebenroth, 1999, Rn. 888, 893 zum IntGesR; ders., JZ 1988, 86 r.Sp; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 13 zu Art. 46 EGBGB; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 962, 969 zum IntGesR (deutlicher in Rn. 1032 der Vorauflage); wohl auch v.Breitenstein, RIW/AWD 1982, 154 l.Sp. 50 Vgl. zu den Hintergründen der französischen Verstaatlichungen die Nachweise oben § 13 VI 1 Fn. 493. Auch Gerichte in Belgien und der Schweiz haben die französischen Enteignungen anerkannt, Nachweise bei Burdeau, Verstaatlichungen, 1984, 59 Fn. 95; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 290 ff.; dazu auch Herdegen, ZGR 20 (1991) 553 f. und Matthias, RIW/AWD 1982, 640 ff. 51 Zur Spaltungslehre unten § 23 I.
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Enteignungen betraf.52 Die richterrechtlichen Grundsätze sind auf entschädigte Enteignungen nicht übertragbar;53 zumal der BGH die Spaltungslehre nicht einmal bei entschädigungslosen Enteignungen konsequent durchführt.54 Doch was bedeutet es überhaupt, Gesellschaftsenteignungen vollständig anzuerkennen? Auf der Grundlage des Gebietsgrundsatzes könnte man von einer Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen sprechen, die auch das außerhalb des enteignenden Staates belegene „Gesellschaftsvermögen“ umfasst.55 Der Terminus des „Auslandsvermögens“ (oder des „Auslandswertes“), der die im Ausland lokalisierten Rechte der Gesellschaft bezeichnet, ist jedoch zu ungenau und sagt zu wenig. Denn eine Forderungsenteignung beispielsweise würde auch dann nicht im eigentlichen Sinne anerkannt werden, wenn sie für die enteignete Gesellschaft einen „Inlandswert“ darstellte, also nach dem Gebietsgrundsatz im Enteignungsstaat belegen wäre. Nach den beiden vorherrschenden Ansichten zur Forderungsenteignung soll der Neugläubiger nämlich nicht in Deutschland mit Erfolg gegen den Schuldner auf Leistung klagen können.56 Vollständig anzuerkennen bedeutet vielmehr, dass auch solche Rechte der Gesellschaft aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung den Inhaber wechseln, deren einzelne Enteignung nicht in diesem Sinne anerkannt würde. 57 Spricht man von einer vollständigen Anerkennung, hat das insbesondere den Vorteil, dass man die Begriffe „Vermögen“ und „Werte“, die einen einheitlichen Gebietsgrundsatz nahelegen, vermeidet. Die vollständige Anerkennung gewisser Gesellschaftsenteignungen obliegt der Rechtsprechung. Die Rechtsprechung wird die einzelnen Anerkennungsvoraussetzungen herauszubilden haben. Denn da das praktische Anschauungsmaterial fehlt und die Anerkennungsvoraussetzungen im Einzelnen zu 52 Ebenso Behrens, Unternehmen, 1980, 68, 81; Coing, WM 1982, 384 l.Sp.; SeidlHohenveldern, in: ders./Nagel (Hrsg.), Rechtsfragen, 1983, 59; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 289 f.; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 605; Lederer, Enteignung, 1989, 74 m.N. in Fn. 3; Herdegen, ZGR 20 (1991) 551, 556; ders., IntWirtR, 2014, Rn. 25 zu § 20; Stoll, in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 91; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 77 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; MüKo-Kreuzer, 1998, Rn. 29 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 150 zu § 4, S. 306; Berentelg, Act of State, 2010, 163 Fn. 163. Schon im 19. Jahrhundert ging es fast ausnahmslos um entschädigungslose Enteignungen, vgl. Beitzke, FS Raape 1948, 105. 53 Wölker, ZaöRV 43 (1983) 294 f.; Meessen, AöR 110 (1985) 414 f.; Herdegen, ZGR 20 (1991) 552. 54 Zutreffend Herdegen, ZGR 20 (1991) 556 mit Verweis auf die gemäßigte Spaltungslehre, zu dieser oben § 21 I. 55 Zum abzulehnenden Begriff des Vermögens oben § 4 III 2. 56 Vgl. oben § 18 I 1. 57 Einschränkungen können sich jedoch bezüglich des Firmenrechts ergeben, wenn die Firma einen bürgerlichen Namen enthält (vgl. oben § 20 II 1 a.E.); ferner bei unionsweiten Immaterialgüterrechten wie der Gemeinschaftsmarke (vgl. oben § 20 I 1).
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umstritten sind, werden die Anerkennungsregeln zu Gesellschaftsenteignungen in absehbarer Zeit nicht kodifiziert werden.58 Eine zu abstrakte Kodifikation hingegen würde die Rechtssicherheit nicht nennenswert fördern.59 Ein Staatsvertrag, der das internationale Enteignungsrecht abstrakt regelt, ist ebenfalls nicht zu erwarten.60 Auch Staatsverträge aus Anlass konkreter Enteignungen sind eher unwahrscheinlich.61 Bei der Verstaatlichung einer international agierenden Bank etwa müsste der Enteignungsstaat unter Umständen mit über hundert Staaten solche Verträge abschließen, die jeweils innerstaatlich ratifiziert werden müssten.62 Schließlich ist auch nicht in Sicht, dass ein gerichtliches Anerkennungsverfahren eingeführt wird, um sich widersprechende Entscheidungen deutscher Gerichte zu vermeiden.63 Doch unter welchen Voraussetzungen sollten Gesellschaftsenteignungen durch den Richter vollständig anerkannt werden? Klar ist nur, dass der bedeutsamste Punkt die Entschädigung ist. Man kann allerdings nicht mit Bestimmtheit sagen, ob zur Anerkennung in Höhe des vollen Wertes entschädigt und ob (anders als beispielsweise im französischen Recht)64 die Entschädigung schon tatsächlich geleistet worden sein muss. Auch die über die Entschädigung hinaus aufgestellten Anerkennungsvoraussetzungen und die vorgeschlagenen dogmatischen Begründungen weichen erheblich voneinander ab.65 Dies dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass es nicht einmal möglich ist, 58
Für eine Kodifikation ist Wölker, ZaöRV 43 (1983) 301. Zu den Schwierigkeiten, die mit der Formulierung eines Anerkennungsgesetzes verbunden wären, auch Einsele, RabelsZ 51 (1987) 626. 60 Einen Staatsvertrag empfehlen v.Breitenstein, RIW/AWD 1982, 151 l.Sp.; SeidlHohenveldern, in: ders./Nagel (Hrsg.), Rechtsfragen, 1983, 61; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 301 und Einsele, RabelsZ 51 (1987) 613, 626; dagegen Féaux de la Croix, FS Schmidt 1959, 207 (die Lösung sei der Praxis zu überlassen, da anderes einer „Vertagung der Lösung auf den St. Nimmerleins-Tag“ gleichkäme). 61 Weil allerdings in der deutschen Rechtsprechung noch kein Fall einer vollständigen Anerkennung zu entscheiden war, ist enteignungswilligen Ländern sicherheitshalber die Verhandlungslösung, also der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages, anzuempfehlen, sofern dies im Einzelfall doch als praktikabel erscheinen sollte. 62 Skeptisch zur Umsetzbarkeit auch Wölker, ZaöRV 43 (1983) 296 f. 63 Dafür ist Wölker, ZaöRV 43 (1983) 298 f., vgl. bereits § 11 I. 64 Im französischen Recht wird es zur vollständigen Anerkennung einer Gesellschaftsenteignung als ausreichend erachtet, wenn eine Entschädigung vorgesehen ist und keine Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Enteignungsstaat die Entschädigung nicht leisten wird, siehe näher Mayer/Heuzé, Droit, 2014, Rn. 707; Niboyet/de Geouffre de La Pradelle, Droit, 2009, Rn. 47; Audit, Droit, 2010, Rn. 795. 65 Vgl. Beitzke, BerGesVR 13 (1974) 108 [Diskussionsbeitrag] („[e]s kommt auf die Frage der entschädigungslosen oder nicht entschädigungslosen Enteignung und auf die sonstigen Zusammenhänge der Enteignung an. Daß wir da immer noch keinen voll ausgebauten Katalog der Gründe haben, wann wir eigentlich die Enteignung anerkennen und wann wir sie nicht anerkennen, ist in meinen Augen ein Manko der bisherigen Theorie“); zustimmend Behrens, Unternehmen, 1980, 21. 59
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die Anerkennungsmotivation präzise zu bezeichnen.66 Es fehlt schlicht das Anschauungsmaterial aus der Praxis. Die Rücksichtnahme auf wirtschaftspolitische Entscheidungen fremder Staaten etwa dürfte nur das Ergebnis, nicht aber der Beweggrund der Anerkennung sein.67 Auch ein deutsches Gegenseitigkeitsinteresse wird nicht der entscheidende Gesichtspunkt sein.68 Vielmehr gilt es, die internationale Wirtschaft zu schützen und nachteilige Rückwirkungen auf die deutsche Wirtschaft, die durch die Nichtanerkennung entstehen könnten, zu vermeiden. Die vollständige Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen kann man auf der Grundlage verschiedener Ansätze erklären. Die Ansätze, die den Gebietsgrundsatz ablehnen, insbesondere diejenigen, die eigenständige Kollisionsnormen zu entwickeln suchen, wurden bereits behandelt. 69 Die im Folgenden darzustellenden Auffassungen dagegen wollen den Gebietsgrundsatz grundsätzlich weiterhin anwenden. Sie stehen also vor der Aufgabe, die vollständige (in der anfechtbaren Sprache des Gebietsgrundsatzes also: die auch „Auslandswerte“ umfassende) Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen mit einem Grundsatz zu erklären, der ausweichlich seines Namens nur intraterritoriale Enteignungen anerkennt. Zur besseren Übersicht kann man die Ansätze in zwei Gruppen einteilen. Die eine will den Gebietsgrundsatz nicht nur grundsätzlich beibehalten, sondern möchte auch gerade die Lösung bei Gesellschaftsenteignungen durch Lokalisierungsregeln erreichen.70 Die andere wendet den Gebietsgrundsatz zwar ebenfalls grundsätzlich weiterhin an, macht aber für gewisse Gesellschaftsenteignungen schlicht eine Ausnahme;71 besonders für diese Gruppe bleibt die vollständige Anerkennung gewisser Gesellschaftsenteignungen ein Fremdkörper in ihrem System. II. Belegenheitslösungen 1. Lehre der wechselnden Belegenheit
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Betrachtet man die einzelnen Rechte der Gesellschaft, ist eine Enteignung von Anteilsrechten an der Gesellschaft in der Sprache des Gebietsgrundsatzes 66
Vgl. zu den für den Gebietsgrundsatz im Allgemeinen diskutierten Beweggründen oben § 12. 67 Vgl. oben § 12 III 2. 68 Vgl. oben § 12 III 1. 69 Siehe oben § 13 IV, V; dazu Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 6 zu Art. 38 EGBGB Anh. III („[e]s ist aber nicht auszuschließen, daß sie [gemeint ist die neuere Lehre] in einem veränderten Umfeld, das nicht mehr durch die entschädigungslose Enteignung von Inländern geprägt wird, größere Beachtung findet“); vgl. auch Coing, WM 1982, 384 l.Sp. (er möchte ebenfalls eine eigene Kollisionsnorm entwickeln; nach ihm muss eine Enteignung gesetzmäßig, nicht diskriminierend und mindestens nach dem Standard des Art. 14 Abs. 3 GG entschädigt sein). 70 Siehe sogleich § 22 II. 71 Siehe unten § 22 III.
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mittelbar extraterritorial.72 Das nächstliegende Mittel, solche Enteignungen anzuerkennen, ist es, sie schlicht als intraterritorial zu betrachten. Dazu werden die Anteilsrechte am Sitz der Gesellschaft lokalisiert.73 Der Ansatz verträgt sich gut mit der herrschenden Auffassung, (auch entschädigungslose) Enteignungen nur einzelner Anteilsrechte durch den Statutarstaat anzuerkennen.74 Die Lokalisierung erfolgt dabei aus internationalenteignungsrechtlichen Gründen. Sie kann parallel zum Gesellschaftsstatut laufen, ist aber nicht mit diesem identisch.75 Hat der Enteignungsstaat nicht entschädigt oder wird die Enteignung aus sonst einem Grund als nicht anerkennungswürdig empfunden, sollen die Anteilsrechte doch nicht am Sitz, sondern am Belegenheitsort der Rechte der Gesellschaft belegen sein.76 Die Belegenheit des Anteilsrechts soll sich also nach den Umständen der Enteignung, also die Belegenheit eines Rechts nach der Art der Einwirkung auf eben dieses Recht richten. Dies ist dogmatisch zumindest auffällig.77 Die Lehre der wechselnden Belegenheit macht die Anerkennungsfrage begrifflich an der Belegenheit der Anteilsrechte fest. Das ist möglich. Über eine wechselnde Lokalisierung kann man das erwünschte (und jedes andere) Ergebnis erzielen. Die Belegenheit ist aber nur Schlusspunkt und nicht Ausgangspunkt der Überlegungen.78 Erwägungen, denen der Gebietsgrundsatz keinen Raum gibt, werden über die Lokalisierung in die Sprache des Gebietsgrundsatzes übersetzt.79 Dies sieht man auch daran, dass die entschädigungslose Enteignung nur einzelner Anteilsrechte stets anerkannt werden soll.80 Hinter dem vordergründig allein auf die Belegenheit abstellenden Gebietsgrundsatz verbirgt sich aber nur scheinbar ein einheitliches Konzept. Verzichtet man auf den Gebietsgrundsatz, gewinnt man größere Freiheit und, da die Fragen präziser gestellt werden, letztlich Rechtssicherheit.
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Zum Begriff oben § 9 I 3. So v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 150 f. zu § 4, S. 306 f.; siehe auch Vogel, FS Raape 1948, 217 und Herdegen, ZGR 20 (1991) 556. 74 Nachweise dazu und zur abweichenden Auffassung, der sogenannten extremen Spaltungslehre, oben § 21 I Fn. 6. 75 Vgl. oben §§ 9 II 3, 14 IV am Anfang, 21 I. 76 v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 151 zu § 4, S. 307. 77 Kritisch auch Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 80 f. und Einsele, RabelsZ 51 (1987) 609 (sie wirft der Auffassung einen „logischen Zirkelschluß“ vor). 78 Formulierung in Anlehnung an Raape, IPR, 1961, 684. 79 Ähnlich die Kritik von Einsele, RabelsZ 51 (1987) 615, das Belegenheitskriterium verwische die wahren rechtlichen Wertungen. 80 Vgl. auch Stöcker, WM 1965, 444 (es sei unklar, wieso „das sonst so hoch gehaltene Territorialitätsprinzip, das angeblich jede extraterritoriale Konfiskationswirkung verhindert, Abstriche zuläßt, wenn Minderheitsaktionäre in ihren Mitgliedschaftsrechten entschädigungslos enteignet werden“). 73
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2. Abfindungslösung Mit der Lehre der wechselnden Belegenheit und den sogleich zu besprechenden Ausnahmelösungen nicht zu verwechseln ist der Ansatz, der Gesellschaftsenteignungen durch den Sitzstaat stets vollständig anerkennen möchte. Unabhängig von den Umständen der Enteignung, also auch bei Entschädigungslosigkeit, sollen die Enteignungsbegünstigten auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung Inhaber etwa der Anteilsrechte werden. Sollte der Enteignungsstaat die Enteigneten nicht ausreichend entschädigen, entstehe nur ein schuldrechtlicher Zahlungsanspruch gegen die Gesellschaft.81 Die Ergebnisse der Abfindungslösung unterscheiden sich von den Ergebnissen der anderen Ansätze nur bei Enteignungen, die nicht vollständig anerkannt werden. Nur die Abfindungslösung möchte auch solche Enteignungen anerkennen und schuldrechtlich ausgleichen. 3. Vollständige Anerkennung und selbständiges Vollziehungserfordernis Wer einerseits Gesellschaftsenteignungen vollständig anerkennen möchte, andererseits aber an einem selbständigen Vollziehungserfordernis festhält, muss die Anforderungen an die Vollziehung im Vergleich zur Enteignung dinglicher Rechte stark herabsetzen. Man müsste sich mit einer Handlung im Enteignungsstaat begnügen, um die Gesellschaftsenteignung auch hinsichtlich derjenigen Rechte der Gesellschaft zu vollziehen, bei deren einzelner Enteignung zur Vollziehung eine Handlung außerhalb des Enteignungsstaates nötig wäre. Gesellschaftsenteignungen müssen also beispielsweise als vollständig vollzogen angesehen werden, ohne dass der Enteignungsstaat oder der Enteignungsbegünstigte Besitz an einer der Gesellschaft gehörenden und in Deutschland befindlichen Maschine ergreift. Die Anforderungen an eine Vollziehung so stark herabzusetzen, ist zwar möglich.82 Der Gebietsgrundsatz erscheint dann aber bereits nicht mehr als einheitliche Regel. Zudem wird der Gleichlauf zwischen dem Gebietsgrundsatz und den völkerrechtlichen Vollstreckungsgrenzen, der bei der Enteignung dinglicher Rechte Ausgangspunkt der Regelbildung ist, aufgegeben. 83 Das Defizit an Macht oder Effektivität wiegt freilich nicht schwer, da Gesellschaftsenteignungen hohen Anforderungen genügen müssen, um vollständig anerkannt zu werden. Auch hier zeigt sich nur, dass stärker nach den Umständen der Enteignung unterschieden werden muss.84 Die Gründe, die für eine vollständige Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen, also für die 81
Etwa Lederer, Enteignung, 1989, 198 und ders., IPRax 1994, 147 l.Sp.; näher unten § 23 II. 82 Zu den Folgen bei entschädigungslosen Gesellschaftsenteignungen unten § 23 I 3. 83 Siehe zu diesem Gleichlauf oben § 4 III 3. 84 Vgl. dazu auch oben §§ 12 V 2, 13 VI 2, 14 III 3 a.E.
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Aufrechterhaltung der Gesellschaft als Einheit, sprechen, rechtfertigen es, die Voraussetzungen an die Vollziehung herabzusetzen. III. Ausnahmelösungen 1. Qualifikation als Zwangskauf
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Auch die Qualifikationslösung möchte den Gebietsgrundsatz grundsätzlich auf alle Arten von Enteignungsobjekten anwenden.85 Sie begründet die vollständige Anerkennung gewisser Gesellschaftsenteignungen in folgendem Zweischritt: Zunächst nimmt sie gewisse entschädigte Enteignungen, die sie als „Zwangskauf“ qualifiziert, aus dem Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes heraus; dies ist billigenswert, da der Gebietsgrundsatz die Anerkennung solcher Enteignungen nie regeln wollte. Sodann werden solche „Zwangskäufe“ als privatrechtliche Vorgänge behandelt und dem internationalprivatrechtlichen Statut unterstellt. Die Ansicht erzielt das allgemein erwünschte Ergebnis, gewisse Gesellschaftsenteignungen vollständig anzuerkennen. Es erheben sich aber dogmatische Bedenken. Stoll, der Hauptvertreter dieser Ansicht, bezeichnet den Gebietsgrundsatz ganz allgemein, also nicht bezogen auf die Problematik der Gesellschaftsenteignungen, als Sondernorm des internationalen Privatrechts. Eine Sonder85
Vertreter ist insbesondere Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 201, 214 zu IntSachenR (wenn die Maßnahme maßvoll und wirtschaftspolitisch vertretbar sei); ders., in: Gesellschaft Osnabrück-Emsland (Hrsg.), Rechtsfragen, 1992, 93 ff. (er qualifiziert die Enteignung als „Zwangskauf [...], sofern nach allgemeiner Auffassung der ‚civilized nations‘ die Enteignung nach den gesamten Umständen als fair und wirtschaftspolitisch vertretbar gelten darf“); Stoll zustimmend Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 5, 25, 66–68 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I (mit ergänzender Begründung über den verfassungsrechtlichen Enteignungsbegriff [vgl. oben § 9 I 1 Fn. 14] und die Figur der „hypothetische[n] Inhalts- und Schrankenbestimmung“; dahinter steht offenbar die Annahme, dass eine Nationalisierung von Industrieunternehmen und Banken, wie sie zu Beginn der 1980er Jahre in Frankreich erfolgt ist [dazu oben § 13 VI], von Deutschland durchgeführt eine Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG darstellte); siehe auch Lederer, Enteignung, 1989, 167 ff., 192 und Lakkis, Gestaltungsakte, 2007, 419 f.; ähnlich wie Stoll schon Serick, JZ 1956, 201 r.Sp. und Stöcker, WM 1966, 753; vgl. ferner Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 8 (bestimmte Arten entschädigter Enteignungen seien nicht nach „Enteignungsrecht“ zu behandeln, wenn die Enteignung nach ihrer Zielsetzung keinen Angriff auf das Privateigentum als Rechtsinstitut darstelle; er nennt als Beispiel die Grundstücksenteignung zum Straßenbau; die Übertragbarkeit auf Gesellschaftsenteignungen ist ungewiss). – Gegen die Qualifikationslösung Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 80 (er ist „gegen alle Versuche, die Enteignung von Mitgliedschaftsrechten am Sitz der Gesellschaft über eine kollisionsgesellschaftsrechtliche Qualifikation des Problems bewältigen zu wollen; Enteignungsfragen werden von keinem materiellen Gesellschaftsrecht normiert; schon deshalb können sie vernünftigerweise nicht dem Geltungsbereich des Gesellschaftsstatuts zugeordnet werden“) und Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 14 zu Art. 46 EGBGB; siehe zur Kritik der Qualifikationslösung auch oben § 13 II 3 und ferner oben § 9 I 1 a.E.
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norm sei nötig, weil Enteignungen (wie alle artfremden Eingriffe) nicht von der internationalprivatrechtlichen Verweisung umfasst würden. Der Begriff der Artfremdheit habe zwar unscharfe Konturen, bei Enteignungen sei der artfremde Zweck aber „schlechthin konstitutiv“.86 Bis hierher entspricht der Ansatz weit überwiegender Auffassung. Dieser klare Ausgangspunkt wird aber sogleich verwässert: Bestimmte als „Zwangskauf“ zu qualifizierende Enteignungen würden nämlich doch von der allgemeinen Verweisung umfasst werden. Der Begriff des artfremden Eingriffs wird jedoch unbrauchbar, wenn man ihn selbst bei Enteignungen als schärfster Form des Eingriffs in private Rechte nur gelegentlich anwenden möchte. Gerade ein „Zwangskauf“ ist überdies nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch ein typischer Anwendungsfall des Gebietsgrundsatzes. 87 Zwangskauf ist schlicht ein Euphemismus für eine entschädigte Enteignung. Wenn nun im herkömmlichen Sinne artfremde Eingriffe nach dem allgemeinen Statut behandelt werden sollen, wird das Problem der materiellen Anerkennungsvoraussetzungen vom nebeligen Belegenheitswechsel 88 nur weitergeschoben in den nicht minder vagen Enteignungsbegriff89. Da aber ein Zwangskauf nur unter bestimmten Voraussetzungen dem allgemeinen Statut unterstellt werden soll, wäre es besser, die einzelnen Voraussetzungen zu benennen und eine entsprechende Anerkennungsnorm zu formulieren. Die Qualifikationslösung ist ferner nicht konsequent. Enteignungen sonstiger Enteignungsobjekte, seien es dingliche Rechte, Forderungsrechte oder Immaterialgüterrechte, sollen nämlich nicht unter bestimmten Voraussetzungen als Zwangskauf qualifiziert werden und der lex causae unterstehen. Die Zwangskauflösung tritt zwar breit auf, hat aber bei näherer Betrachtung nur die Anerkennung gewisser Gesellschaftsenteignungen im Sinn. Damit werden zu schwere Geschütze aufgefahren. Die Qualifikationslösung muss sich die Flucht vor der sonst vermeintlich drohenden Gesellschaftsspaltung teuer erkaufen. Da aber die Qualifikationslösung die Sonderanknüpfung nicht aufgeben will, ist die Qualifikation als Zwangskauf in der Sache nichts anderes als eine differenzierende Kollisionsnorm (in der Sprache Stolls eben eine Sondernorm des internationalen Privatrechts).
86 So Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 196 f. zu IntSachenR (er führt weiter aus, die Qualifikation als artfremder Eingriff sei meist unzweifelhaft; er möchte aber einräumen, dass nach neuerer Einsicht gewisse Zwangseingriffe dem allgemeinen Statut zu unterstellen seien); ähnlich nunmehr Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 5 zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 87 MüKo-Kindler, 2015, Rn. 954 zum IntGesR („Zwangsverkauf jeder Art“); Vannod, Fragen, 1959, 32, 40 f.; Seidl-Hohenveldern, in: ders./Nagel (Hrsg.), Rechtsfragen, 1983, 60 (zu Gesellschaftsenteignungen). 88 Siehe zur Lehre der wechselnden Belegenheit oben § 22 II 1. 89 Zum Begriff der Enteignung im Sinne des internationalen Enteignungsrechts oben § 9 I 1 a.E.
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2. Interessengleichheit der Staaten Eine andere Möglichkeit, die vollständige Anerkennung gewisser Gesellschaftsenteignungen zu erklären, ist es, den Gebietsgrundsatz zwar grundsätzlich auch auf Gesellschaftsenteignungen anzuwenden, bei bestimmten Enteignungen aber schlicht eine Ausnahme einzuführen.90 Dies läuft im Ergebnis darauf hinaus, die ungeschriebene Sonderanknüpfungsnorm des Gebietsgrundsatzes weiter auszudifferenzieren. Gesellschaftsenteignungen sollen danach etwa dann anerkannt werden, wenn der Enteignungsstaat und der Anerkennungsstaat gleichgerichtete Interessen hätten.91 Dieser Ansatz erzielt zwar ebenfalls das erwünschte Ergebnis. Gegen ihn spricht aber, dass er ein überkommenes System, das nur für bestimmte Fälle entwickelt wurde, durch Zugeständnisse künstlich am Leben zu halten versucht.92 3. Private Interessen
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Gewisse Gesellschaftsenteignungen vollständig anzuerkennen, kann man auch mit den privaten Interessen der Beteiligten begründen. Die Enteigneten wären ungerechtfertigt begünstigt, wenn der Enteignungsstaat sie entschädigen, Deutschland die Enteignung aber nicht vollständig anerkennen würde.93 Zwar könnte man Rückforderungsansprüche annehmen; dies aber würde zu erheblichen praktischen Problemen führen.94 Nimmt der Enteignete die Entschädigung freiwillig und als gerechten Ausgleich an und nicht aus der Not heraus, weil er sich sonst schutzlos gestellt sieht, kann er
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Dieses Vorgehen erinnert an den im deutschen Recht abgelehnten positiven ordre public. Einen solchen fordern im internationalen Enteignungsrecht allgemein, also nicht speziell bei Gesellschaftsenteignungen, Wolff, IPR, 1954, 67; Lewald, RabelsZ 21 (1956) 126 f., 129 und Seidl-Hohenveldern, AWD 1974, 426 r.Sp. 91 So Kegel/Seidl-Hohenveldern, FS Ferid 1978, 243 und Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 10 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ähnlich Herdegen, ZGR 20 (1991) 555, 570; Hofmann, Grundrechte, 1994, 148 (besonders gegenüber Mitgliedstaaten der EG) und schon Neumeyer, IntVwR IV, 1936, 428. 92 Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 9 zu Art. 38 EGBGB Anh. III beispielsweise lehnt den frühen Vorstoß Seidl-Hohenvelderns (dazu oben § 13 I 2), den Gebietsgrundsatz in bestimmten Konstellationen durch ein Personalitätsprinzip zu ergänzen, strikt ab, tut aber i.E. nichts anderes. 93 Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 183 Fn. 21; ders., VR, 1997, Rn. 1518; zustimmend Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 86; ferner Wölker, ZaöRV 43 (1983) 295; Meessen, AöR 110 (1985) 415; Huwyler, Personen, 1989, 93; Herdegen, ZGR 20 (1991) 560. 94 Coing, WM 1982, 384 r.Sp.; dagegen Großfeld, Unternehmensrecht, 1995, Q § 9 II, S. 315 (er möchte die praktischen Probleme in Kauf nehmen und nach Bereicherungsrecht rückabwickeln; das „Risiko der Rückzahlung trägt zurecht der enteignende Staat“).
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7. Kapitel: Rechte von und an Gesellschaften
ferner aufgrund des Einwandes widersprüchlichen Verhaltens nicht gehört werden.95 Man könnte zudem anführen, dass der Erwerb eines Anteilsrechts ein gewisses Risiko begründet hat. Wer Anteilsrechte an Unternehmen erwirbt, die nach dem Recht des Enteignungsstaates bestehen, und sich durch Aktivitäten in mehreren Staaten Vorteile verschafft, kann unredlich handeln, wenn er das Risiko der Enteignung, das mit solchen Tätigkeiten verbunden ist, nicht tragen möchte. Würde Deutschland nicht anerkennen und das Risiko auffangen, ginge dies unter Umständen auf Kosten der internationalen Ordnung.96 Das Risikoargument hat freilich Schwächen.97 Denn in Rede steht nicht die Enteignung, sondern die Anerkennung. Das Risiko der Nichtanerkennung aber richtet sich gerade nach den inländischen Anerkennungsregeln. Ein Gesellschafter geht damit unmittelbar nur das Risiko ein, dass er nach einer Enteignung aus der Sicht der Rechtsordnung des Enteignungsstaates nicht mehr Inhaber eines Anteilsrechts ist. Wenn auch das Risikoargument nicht zwingend ist, hat es doch eine gewisse Plausibilität: Der Enteignete hat durch die Entscheidung, in einem bestimmten Staat zu investieren, selbst zu diesem Staat eine gewisse Nähebeziehung hergestellt und sich von der deutschen Rechtsordnung entfernt. Die Anerkennung zu begründen, reicht dieser Gesichtspunkt allerdings nicht aus.
§ 23 Entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen § 23 Entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen – I 1
Enteignet ein Staat entschädigungslos alle Anteilsrechte an einer Gesellschaft, die Rechte hat, deren einzelne Enteignung (zumindest relativ)98 anerkannt würde, so ist die Enteignung der Anteilsrechte unstreitig zumindest in der Form anzuerkennen, dass auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung im Enteignungsstaat ein Rechtsträger mit neuem Mitgliederbestand vorhanden ist, der (im Fall der relativen Anerkennung nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche) Inhaber jedenfalls eben dieser Rechte ist.99 Hat also beispielsweise eine Gesellschaft zwei Fabrikhallen, eine in Deutschland und eine im Enteignungsstaat, und enteignet nun der Enteignungsstaat alle An95 Kritisch Großfeld, Unternehmensrecht, 1995, Q § 9 I, S. 312 („[w]ie freiwillig ist freiwillig, wie grenzt man ab vom ‚freiwilligen Zwang‘?“), Q § 9 II, S. 314 (zumeist werde nur Geld angenommen, weil der Spatz in der Hand besser sei als die Taube auf dem Dach). 96 In dieser Richtung Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 25 zu § 20; vgl. auch ders., ZGR 20 (1991) 550, 556; siehe zur internationalen Ordnung bei der Enteignung dinglicher Rechte oben § 12 I 1. 97 Vgl. zum Risikogedanken bereits § 12 IV 2. 98 Zur relativen Anerkennung oben § 11 II. 99 Zur Enteignung nur einzelner Anteilsrechte und zur Gleichbehandlung der Enteignung aller Anteilsrechte und aller Rechte der Gesellschaft oben § 21 I.
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teilsrechte an der Gesellschaft, so gibt es auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung einen Rechtsträger mit neuem Mitgliederbestand, der jedenfalls Eigentümer der Fabrikhalle im Enteignungsstaat ist; die einzelne Enteignung des Eigentumsrechts an der Fabrikhalle wäre nämlich ebenfalls anerkannt worden.100 Die herrschende Meinung würde verkürzend formulieren, dass Gesellschaftsenteignungen jedenfalls hinsichtlich des im Enteignungsstaat belegenen „Gesellschaftsvermögens“ anzuerkennen seien. Der Enteignungsstaat muss dabei nicht Sitzstaat der Gesellschaft sein.101 Problematisch ist dagegen die Frage, wem solche Rechte der nun enteigneten Gesellschaft zugeordnet sein sollen, deren einzelne Enteignung nicht absolut anerkannt würde, im Beispiel des vorherigen Absatzes also das Eigentumsrecht an der Fabrikhalle in Deutschland. Es sind zwei Lösungen denkbar: Eine teilweise vertretene Auffassung möchte (auch entschädigungslose) Gesellschaftsenteignungen durch den Sitzstaat stets vollständig anerkennen und schuldrechtlich ausgleichen. Dann stehen alle Rechte der enteigneten Gesellschaft einheitlich eben dieser Gesellschaft zu, die nur einen veränderten Mitgliederbestand hat (Abfindungslösung). 102 Nach anderer Ansicht wird eine entschädigungslose Gesellschaftsenteignung nicht vollständig anerkannt. Die Rechte, deren einzelne Enteignung nicht absolut anerkannt würde, stehen dann entweder einer unter Umständen werbenden Spaltgesellschaft mit altem Mitgliederbestand zu (Spaltungslehre im engeren Sinne) oder sie werden über eine Spaltgesellschaft oder unmittelbar liquidiert (Liquidationslösung im weiteren Sinne). In den anfechtbaren Worten der herrschenden Meinung: Das außerhalb des Enteignungsstaates belegene „Gesellschaftsvermögen“ wird von der Enteignung nicht erfasst. I. Spaltungslehre und Liquidationslösung 1. Einführung in die Spaltungslehre Die Rechtsprechung anerkennt entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen nicht vollständig. Die enteignungsfreien Rechte der Gesellschaft sollen einem neu entstehenden Rechtsträger, einer sogenannten Spaltgesellschaft, zugeordnet werden.103 Dem folgt der Großteil der Literatur.104 An der Spal100 Zu den Anerkennungsregeln für Enteignungen einzelner dinglicher Rechte oben §§ 14–16. 101 Vgl. oben § 21 I. 102 Näher unten § 23 II, siehe auch oben § 22 II 2. 103 Siehe zur Spaltungslehre schon RG vom 29.6.1923 (II 552/22), in: RGZ 107, 98 (Frankreich, Lothringer Portland-Zementwerke AG) (a.A. allerdings RG vom 20.5.1930 [II 385/29], in: RGZ 129, 105 f. [Russland] [Besonderheiten durch Rapallo-Vertrag]); aus neuerer Zeit etwa OLG Karlsruhe vom 17.4.2014 (11 AR 2/14), in: NZG 2014, 667; KG vom 17.3.2014 (20 U 254/12), in: NZG 2014, 901; ferner für die Spaltungslehre BGH vom 1.2.1952 (I ZR 123/50), in: NJW 1952, 540 (= BGHZ 5, 35) (interlokal); BGH vom
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30.1.1956 (II ZR 168/54), in: NJW 1956, 785 f. (= BGHZ 20, 4) (interlokal); BGH vom 11.7.1957 (II ZR 318/55), in: NJW 1957, 1433 f. (= BGHZ 25, 134) (Tschechoslowakei, Forderung sudetendeutscher Spalt-Genossenschaft); BGH vom 24.7.1957 (I ZR 21/56), in: NJW 1958, 17 (interlokal, Carl-Zeiß-Stiftung); BGH vom 5.2.1958 (IV ZR 204/57), in: WM 1958, 560 r.Sp. (Russland, Stiftung „Kuratorium zur Förderung russischer Komponisten“) (vorgehend OLG Köln vom 15.3.1957 [1 U 190/55], in: ROW 1 [1957] 209); BGH vom 5.5.1960 (VII ZR 92/58), in: NJW 1960, 1569 (= BGHZ 32, 256) (Niederlande); ausdrücklich allerdings erst in BGH vom 6.10.1960 (VII ZR 136/59), in: NJW 1961, 23 (= BGHZ 33, 195) (Tschechoslowakei, Genossenschaft) („[e]ine andere Lösung bleibt nicht übrig“); BGH vom 31.3.1971 (VIII ZR 40/69), in: NJW 1971, 1515 (= BGHZ 56, 66) (Ungarn, ungarische Zentralbank gegen die Spaltgesellschaft der ungarischen Waggonund Maschinenfabrik AG); BGH vom 28.2.1971 (III ZR 47/67), in: BeckRS 1972, 31124840 unter II 1 a (= MDR 1972, 494) (interlokal, Ammoniakwerk Me. GmbH gegen gemeinnütziges Wohnungsbauunternehmen G.); BGH vom 5.5.1977 (III ZR 2/75), in: BeckRS 1977, 30396428 unter I 2 b (= MDR 1977, 822) (Belgien); OLG Bamberg vom 30.1.1948 (1 W 103/47), in: SJZ 3 (1948) Sp. 257 (interlokal); OLG Hamburg vom 13.11.1957 (4 U 149/57), in: RIW 1957, 247 (Niederlande); LG Hamburg vom 13.3.1974 (5 O 80/73), in: AWD 1974, 412 l.Sp. (Chile, Kupfer) (eine Spaltgesellschaft entstehe auch dann, wenn nachträglich enteignungsfreie Sachen nach Deutschland verbracht würden); äußerst umfangreiche Nachweise zur Rechtsprechung bei Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 56 Fn. 150 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; nützliche Rechtsprechungsübersicht mit kurzen Inhaltsangaben bei Wiedemann, FS Beitzke 1979, 823 ff. – Das BVerfG hat sich die Spaltungslehre nicht zu eigen gemacht, siehe etwa BVerfG vom 9.12.1970 (1 BvL 7/66), in: BVerfGE 29, 359 (Deutsch-Niederländischer Finanzvertrag) („[d]er Bundesgerichtshof ist ersichtlich folgender Rechtsansicht: Nach der von ihm vertretenen Spaltungstheorie [...]“); dazu, dass das BVerfG der Spaltungslehre gegenüber eine distanzierte Stellung einnimmt, auch Hahn, FS Beitzke 1979, 498. 104 Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 113 ff.; Beitzke, JZ 1956, 675 ff.; ders., FS Janssen 1958, 33 ff.; Jungfleisch, Konfiskation, 1961, 52 ff., 117 ff.; Raape, IPR, 1961, 684 ff.; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 63 ff.; Burth, Enteignung, 1963, 1 (er ist erklärter Gegner der Spaltungslehre, kommt aber über den ordre public zu ähnlichen Ergebnissen); Schweizer, Rechtsprobleme, 1979, 191 ff. [Schweiz]; Schulte, NJW 1966, 522 ff.; Mertens, JuS 1967, 104 f.; Schulte-Uhlenbrock, Rechtsverhältnisse, 1968, 51 ff.; Heintzeler, Fall, 1972, 117; Schulze, Recht, 1972, 212 f.; Paulick, FS Raschhofer 1975, 184 ff., 190; Teich, WM 1976, 1323 mit umfangreichen Nachweisen; Kegel/SeidlHohenveldern, FS Ferid 1978, 261; Wiedemann, FS Beitzke 1979, 816 ff.; Coing, WM 1982, 384 l.Sp.; Matthias, FS v.Simson 1983, 273 f.; Wölker, ZaöRV 43 (1983) 288; Verdross/Simma, VR, 1984, § 1218, S. 808; Ferid, IPR, 1986, Rn. 7-153 f.; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 603 f., 616, 628; Drobnig, FS Serick 1992, 37 ff.; Großfeld, Unternehmensrecht, 1995, Q § 6, S. 301 ff.; Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 56 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; ders./Thorn, IPR, 2007, § 7 Rn. 34, S. 294; Staudinger-Stoll, 1996, Rn. 204 zu IntSachenR; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 832 ff. zum IntGesR; Junker, IPR, 1998, Rn. 604; Kunz, IPR, 1998, Rn. 571; Kegel/Schurig, IPR, 2004, § 23 II 4, S. 1105 ff.; Ulmer-Behrens, Bd. 1, 2005, Rn. B 151; v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 149 ff. zu § 4, S. 306 f.; Looschelders, IPR, 2004, Rn. 71 zu Art. 43 EGBGB; Kropholler, IPR, 2006, § 55 III, S. 583 ff.; MüKo-Habersack, 2008, Rn. 103 zu Einl. AktG; MüKo-Kindler, 2010, Rn. 1023 ff. zum IntGesR; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 19 zu Art. 46 EGBGB; jurisPK-Teubel,
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tungslehre wurde aber auch seit jeher heftige Kritik geübt.105 Sie konnte daher nicht zu Gewohnheitsrecht erstarken.106 Die Spaltungslehre ist auch nicht von der Verfassung gefordert.107 Die Spaltungslehre wurde insbesondere für interlokale Fälle vertreten. In diesen wurde sie damit begründet, dass die enteignete Gesellschaft einheitlich nach Reichsrecht gegründet worden sei und daher nicht nach dem Recht einer einzigen Zone zerstört werden könne.108 In internationalen Fällen erklärt sich die Spaltungslehre über einen Vergleich zur Enteignung einzelner Rechte einer Gesellschaft: Wenn die Enteignung einzelner Rechte nur bei intraterritorialen Rechten anerkannt werde, solle auch über die Enteignung von Anteilsrechten nicht mehr zugelassen werden.109 Erlischt die Gesellschaft im Enteignungsstaat, entstehe eine Restgesellschaft, sonst eine Spaltgesellschaft. Da beide gleichbehandelt werden, wird in dieser Arbeit für beide Erscheinungsformen der Begriff der Spaltgesellschaft 2014, Rn. 49 zu Art. 43 EGBGB; Palandt-Thorn, 2015, Rn. 13 zu Art. 43 EGBGB; Staudinger-Mansel, 2015, Rn. 43 f. zu Art. 43–46 EGBGB Anh. I. 105 Gegen die Spaltungslehre sind Lewald, AWD 1958, 88 r.Sp. („Irrlehre“, „eine mit grundsätzlichen Irrtümern behaftete Lehre“); ders., NJW 1958, 283 f.; Loos, AWD 1961, 278 l.Sp.; Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 22 f., 32; Gurski, WM 1963, 1082 (die Spaltungslehre sei eine Irrlehre mit unerträglichen und gefährlichen Folgen); ders., WM 1964, 1143; ders., NJW 1965, 1354 r.Sp. (keine Rechtssicherheit und nachteilige Folgen für den Handel), 1356 r.Sp. (die Spaltungslehre greife in die politische Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers ein), 1357 l.Sp. (die Spaltungslehre sei verfassungswidrig); Féaux de la Croix, FS Möhring 1965, 34 ff.; Czapski, WM 1967, 474; ders., RIW/AWD 1975, 698 l.Sp.; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 66 („[i]ndessen glaube ich, daß diese Position [gemeint ist die Spaltungslehre] auch nach zwanzigjähriger Schanzarbeit noch so viele offene Flanken aufweist, daß ein weiterer Belagerungsversuch nicht von vornherein aussichtslos ist“); Lederer, Enteignung, 1989, 167 ff.; Lakkis, Gestaltungsakte, 2007, 417; vgl. zur Kodifikationsfrage in Bezug auf die Spaltungslehre Meessen, AWD 1974, 495 l.Sp. („[i]m übrigen erscheint es nicht undenkbar, daß die Lösung nicht mehr durch immer gewagtere Konstruktionen richterlicher Rechtsfortbildung, sondern nur noch durch eine Entscheidung des Gesetzgebers gefunden werden kann“). 106 Ebenso Flume, FS Mann 1977, 147; Behrens, Unternehmen, 1980, 34, 37, 71 und Lederer, Enteignung, 1989, 73; a.A., also für einen Gewohnheitsrechtsstatus der Spaltungslehre bei Entschädigungslosigkeit, Einsele, RabelsZ 51 (1987) 603 f. und v.Bar/Mankowski, IPR I, 2003, Rn. 149 zu § 4, S. 306. 107 Nachweise oben § 21 II Fn. 25. 108 Anschaulich Ulmer, SJZ 3 (1948) Sp. 683 („[m]it der Spaltung des Unternehmens hat sich ein Vorgang vollzogen, der mit der in der Biologie bekannten Spaltung von Lebewesen vergleichbar ist“); ferner Serick, RabelsZ 20 (1955) 96 f.; Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 4; Flume, FS Mann 1977, 154 f. 109 BGH vom 21.5.1974 (GSZ 2/72), in: NJW 1974, 1945 (= BGHZ 62, 340) (Niederlande, Spalt-IAK); ferner BGH vom 18.10.1976 (II ARZ 2/75), in: juris Rn. 24 (= WM 1976, 1266) (USA). Siehe ausführlich zu den unterschiedlichen Ansätzen, die Spaltungslehre zu begründen, die schöne Darstellung von Féaux de la Croix, FS Schmidt 1959, 171 ff., der die Spaltungslehre allerdings selbst ablehnt.
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7. Kapitel: Rechte von und an Gesellschaften
verwendet.110 Die Gesellschaft im Enteignungsstaat mit neuem Mitgliederbestand, der diejenigen Rechte zugeordnet werden, deren einzelne Enteignung (zumindest relativ)111 anerkannt würde, wird als Rumpfgesellschaft bezeichnet.112 In der Sprache des Gebietsgrundsatzes lokalisiert die Spaltungslehre Anteilsrechte, wenn nicht nur einzelne durch den Sitzstaat enteignet werden,113 dort, wo sie die einzelnen Rechte der Gesellschaft als belegen ansieht.114 Vor der Enteignung bestand aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung nur eine Gesellschaft, die Inhaberin aller Rechte der Gesellschaft war. Nach der Enteignung hingegen gibt es zwei Rechtsträger (die Rumpfgesellschaft und die Spaltgesellschaft), unter denen die Rechte der früher einheitlichen Gesellschaft zu verteilen sind. Gespalten wird also der Rechtsträger. Beide Rechtsträger bestehen aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung. Die Spaltung ist damit nicht Ausdruck eines hinkenden Rechtsverhältnisses, weil über die Zuordnung aus der Sicht des Enteignungsstaates noch nichts gesagt ist.115 Ein hinkendes Rechtsverhältnis entsteht damit im Hinblick auf die Rechtsträger nur dann, wenn der Enteignungsstaat etwa nur eine einzige Gesellschaft als bestehend betrachtet, im Hinblick auf die Rechte einer Gesellschaft dagegen, wenn der Enteignungsstaat sie nach einem anderen Schlüssel verteilt als die deutsche Rechtsordnung.116
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Ebenso Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 61 zu Art. 38 EGBGB Anh. III („[m]an braucht aber nicht zwei Namen“); siehe zur weitgehenden Gleichbehandlung auch Drobnig, FS Serick 1992, 42; a.A. Ulmer-Behrens, Bd. 1, 2005, Rn. B 145. 111 Zur relativen Anerkennung oben § 11 II. 112 Auch „Altgesellschaft“, so Flume, FS Mann 1977, 162 und Drobnig, FS Serick 1992, 43; ferner „Hauptgesellschaft“, so Loos, AWD 1961, 276 r.Sp. 113 Dazu oben § 21 I. 114 BGH vom 30.1.1956 (II ZR 168/54), in: NJW 1956, 787 (= BGHZ 20, 4) (interlokal); BGH vom 5.5.1960 (VII ZR 92/58), in: NJW 1960, 1570 (= BGHZ 32, 256) (Niederlande); OLG Hamburg vom 13.11.1957 (4 U 149/57), in: RIW 1957, 247 (Niederlande); Seidl-Hohenveldern, JahrbIntR 6 (1956) 264 f.; ders., WM 1967, 771, 773. – Kritisch gegenüber einer anteiligen Belegenheit von Anteilsrechten am Belegenheitsort der Rechte der Gesellschaft Serick, JZ 1956, 203 l.Sp.; Lewald, NJW 1958, 282; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 68; Wiedemann, FS Beitzke 1979, 815 f.; Matthias, FS v.Simson 1983, 273 f.; Einsele, RabelsZ 51 (1987) 613, 616, 629; Ambrosch-Keppeler, Anerkennung, 1991, 188; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 880 zum IntGesR; MüKo-Kindler, 2015, Rn. 969 zum IntGesR. 115 Unklar Beitzke, FS Janssen 1958, 35 und Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 897 zum IntGesR, nach denen die Spaltgesellschaft bloß ein hinkendes Rechtsverhältnis ist. 116 Siehe zur Verteilung der Rechte zwischen Rumpfgesellschaft und Spaltgesellschaft unten § 23 I 3, 4.
§ 23 Entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen – I 2
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2. Werbende Spaltgesellschaft oder Liquidationslösung
§ 23 Entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen – I 2
Besonders umstritten ist die Frage, ob die Spaltgesellschaft „werbend“ sein kann oder automatisch liquidiert wird.117 Die Liquidation ist in der Praxis der Regelfall.118 Doch kann die Spaltgesellschaft ausnahmsweise in Deutschland ohne Rückumwandlung oder Neugründungsbeschluss weiter ihren Geschäften nachgehen? Die Rechtsprechung hat dies bejaht (Spaltungslehre im engeren Sinne). In der Nachkriegszeit war das notwendig und den Kriegswirren geschuldet. Doch sprechen in Neufällen die besseren Argumente für die Liquidationslösung, da durch diese gesellschaftsrechtliche Prinzipien wie das Eintragungserfordernis bei Kapitalgesellschaften nicht durchbrochen werden. Wollen die Gesellschafter ihre Geschäfte fortführen, bleibt es ihnen unbenommen, im Einklang mit den deutschen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften eine neue Gesellschaft zu gründen. Der Begriff der Liquidationslösung wird hier in einem weiteren Sinne verwendet: Er umfasst einerseits diejenige Spaltungslehre, die eine automatische Liquidation der Spaltgesellschaft in Deutschland annimmt; andererseits aber auch die Ansicht, die die Spaltungslehre zwar ausdrücklich ablehnt, aber 117
Für die Entstehung einer Liquidationsgesellschaft, die rückumgewandelt oder neugegründet werden könne, vor allen MüKo-Kindler, 2015, Rn. 970 ff. zum IntGesR (vormals MüKo-Ebenroth, 1999, Rn. 898, 918 ff. zum IntGesR) und Flume, FS Mann 1977, 162 ff., 163 (Rechtsform der juristischen Person in Liquidation; dies sei aber nur ein rechtstechnisches Mittel zur Abwicklung), 164 (für die Fortsetzung als aktive juristische Person sei ein einstimmiger Neugründungsbeschluss nötig); für eine Liquidationsgesellschaft ferner Lewald, NJW 1958, 284 r.Sp.; Mann, RabelsZ 27 (1962/63) 22 f., 32, 38 ff. (das Auslandsvermögen solle liquidiert werden; der dogmatische Weg sei dabei unerheblich; die Spaltungslehre betreffe nur eine untergeordnete Frage der Technik; keineswegs solle eine werbende Spaltgesellschaft entstehen) und Mertens, JuS 1967, 104 ff.; siehe dazu, dass die Lehre einer werbenden Spaltgesellschaft in der Schweiz fast allgemein abgelehnt wird, Huwyler, Personen, 1989, 133 [Schweiz] m.N. – Ähnlich, allerdings nur im Ergebnis, die erklärten Gegner der Spaltungslehre, die eine unmittelbare Liquidation derjenigen Rechte annehmen, deren einzelne Enteignung nicht anerkannt würde: Huwyler, Personen, 1989, 108, 112, 116, 135 f., 145 f. et p.; Andrae, Eingriffe, 1990, 23 (Sonderkonkurs der Inlandswerte; möglich sei aber eine Neugründung mit Übergangsregeln) und Siehr, IPR, 2001, § 40 VII, S. 318. – Dagegen halten eine werbende Spaltgesellschaft für möglich: Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 96 ff.; ders., WM 1966, 673 f.; Burth, Enteignung, 1963, 101 ff. (i.E.); Schulte-Uhlenbrock, Rechtsverhältnisse, 1968, 59 ff.; Heintzeler, Fall, 1972, 118 f.; Behrens, Unternehmen, 1980, 104 f.; Großfeld/Lohmann, IPRax 1985, 326; Drobnig, FS Serick 1992, 46; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 900, 907 zum IntGesR m.N.; Kropholler, IPR, 2006, § 55 III 2 c, S. 585. 118 Seidl-Hohenveldern, BerGesVR 13 (1974) 107 [Diskussionsbeitrag] (die Spaltgesellschaft sei „in 99 % der Fälle [...] nur eine Eselsbrücke [...] zu einer Liquidation“); Beitzke, BerGesVR 13 (1974) 109 [Diskussionsbeitrag] (nur „Übergangsstadium entweder zu einer Liquidation oder in der Tat zu einer Neukonstituierung“); Großfeld/Lohmann, IPRax 1985, 326 l.Sp.; Ebenroth, JZ 1988, 87; Drobnig, FS Serick 1992, 46; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 836 zum IntGesR.
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7. Kapitel: Rechte von und an Gesellschaften
die Rechte, die nicht der im Enteignungsstaat entstehenden Gesellschaft zuzuordnen sind, unmittelbar liquidieren möchte (Liquidationslösung im engeren Sinne). Beide Auffassungen, die hier unter dem Begriff der Liquidationslösung im weiteren Sinne zusammengefasst sind, unterscheiden sich nur in der Konstruktion, nicht im Ergebnis. 3. Bestimmung der enteignungsfreien Rechte
§ 23 Entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen – I 3
Erwerben die Spalt- oder die Rumpfgesellschaft nach der Enteignung weitere Rechte, sei es an Sachen, Forderungen oder Immaterialgütern, stehen diese aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung der die Rechte erwerbenden Gesellschaft zu.119 Auch die Rumpfgesellschaft kann also mit ihren nach der Enteignung neu erworbenen Rechten in Deutschland tätig sein.120 Dies ist unproblematisch. Schwierig zu beantworten ist dagegen die Frage, was mit Altrechten geschieht. Die herrschende Meinung formuliert, die Enteignung würde nur für das „Gesellschaftsvermögen im Enteignungsstaat“ anerkannt; das übrige „Gesellschaftsvermögen“ solle einer Spaltgesellschaft zustehen. Die Problematik kann mit dieser Formel jedoch nur andeutungsweise eingefangen werden. Es stellt sich die Frage, welche Rechte nun genau der Spaltgesellschaft und welche der Rumpfgesellschaft zuzuordnen sind. Die gleiche Frage stellt sich der Liquidationslösung im engeren Sinne; es werden schließlich diejenigen Rechte liquidiert, die nicht der im Enteignungsstaat entstehenden Gesellschaft mit neuem Mitgliederbestand zustehen. Die Lage ist scheinbar sehr komplex und verwickelt. Die den Entscheidungen zugrunde liegenden Regeln sind jedoch bei näherer Betrachtung nur Modifikationen der Anerkennungsgrundsätze für die Enteignung einzelner Rechte. Ausgangspunkt der Lösung ist die oben121 angeführte Begründung der Spaltungslehre, dass eine Enteignung von Anteilsrechten nur so weit anzuerkennen sei, wie die unmittelbare Enteignung einzelner Rechte der Gesellschaft anerkannt würde. Die Beweggründe der teilweisen Anerkennung nach der Spaltungslehre sind damit die Beweggründe, die die Behandlung einer einzelnen Enteignung der Rechte der Gesellschaft stützen würden. Die 119
Vgl. dazu BGH vom 23.1.1963 (I b ZR 78/61), in: NJW 1963, 1545 mit ablehnender Anmerkung Drobnig (interlokal, Kodak AG Filmfabrik Köpenick): Eine Ostgesellschaft wurde in der sowjetischen Besatzungszone unter Schutzverwaltung gestellt, nicht förmlich enteignet. Nach dem BGH könne es sich aus dem Zweck der Verwaltung ergeben, „daß Gegenstände, die mit Mitteln des Betriebes erlangt werden, mit dinglicher Wirkung dem Inhaber des Betriebsvermögens anwachsen, obwohl dies sich nicht von selbst versteht. Von Warenzeichen, die der von der Verwaltung eingesetzte tatsächliche Betriebsinhaber neu geschaffen hat, läßt sich jedoch nicht sagen, sie seien mit Mitteln des Betriebes erworben.“ 120 BGH vom 23.1.1963 (I b ZR 78/61), in: NJW 1963, 1543 m.N. (interlokal, Kodak AG Filmfabrik Köpenick). 121 Siehe oben § 23 I 1.
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Verteilung der Rechte zwischen Spalt- und Rumpfgesellschaft muss sich also orientieren an den Anerkennungsgrundsätzen, die für die Enteignung einzelner Rechte gelten. Nun wurde aber bereits herausgearbeitet, dass der Gebietsgrundsatz insbesondere für die Enteignung von Rechten an unkörperlichen Gegenständen unscharf und überhaupt untauglich ist.122 Diese Erkenntnis muss nun auch auf die Gesellschaftsenteignung übertragen werden. Dabei soll nach der Art der Rechte der Gesellschaft, seien es dingliche Rechte, Forderungsrechte oder Immaterialgüterrechte, unterschieden werden. Einzelne Enteignungen von Immaterialgüterrechten werden nur für Handlungen auf dem Gebiet des Enteignungsstaates und nur im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche anerkannt; dies entspricht der Rechtsverkehranerkennung.123 Nach eben diesem Schlüssel der Enteignungen einzelner Rechte sind die Immaterialgüterrechte auch zwischen Spalt- und Rumpfgesellschaft zu verteilen. Zu unterscheiden ist dabei insbesondere zwischen der Spaltung des Rechtsträgers und der Spaltung der Firma.124 Dass im Enteignungsstaat ein neuer Rechtsträger entsteht, wird unstreitig anerkannt. Dieser kann auch unstreitig in Deutschland tätig werden. Damit ist aber noch nicht gesagt, unter welcher Firma Spalt- und Rumpfgesellschaft auftreten dürfen. Der Rumpfgesellschaft steht der enteignete Firmenname für Handlungen in Deutschland nämlich nicht zu. Auch die dinglichen Rechte der enteigneten Gesellschaft sind mit Blick auf die Anerkennungsgrundsätze, die für Enteignungen einzelner dinglicher Rechte gelten, zwischen Spalt- und Rumpfgesellschaft zu verteilen. Danach stehen dingliche Rechte etwa dann der Spaltgesellschaft zu, wenn sich die Sache zum Enteignungszeitpunkt in Deutschland befand; war sie im Enteignungsstaat, ist dagegen die Rumpfgesellschaft Inhaberin des dinglichen Rechts. Die Grundregel ist klar. Doch erzwingt die VollziehungsVerbringungs-Problematik Modifikationen.125 Wie bereits festgestellt, werden in Deutschland Fälle von Enteignungen dinglicher Rechte regelmäßig nur entschieden, wenn die Sache nach Deutschland verbracht wurde. Verbringt aber gerade der Enteignete eine Sache, wird die einzelne Enteignung eines Rechts an ihr im Ergebnis nicht anerkannt.126 122
Siehe zur Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungsenteignungen oben § 18 I; zu Immaterialgüterrechtsenteignungen oben § 20 III. 123 Siehe zur Enteignung von Immaterialgüterrechten oben § 20. 124 BGH vom 24.7.1957 (I ZR 21/56), in: NJW 1958, 17 (interlokal, Carl-ZeißStiftung); BGH vom 23.1.1963 (I b ZR 78/61), in: NJW 1963, 1543 m.N. (interlokal, Kodak AG Filmfabrik Köpenick); OLG Hamburg vom 19.7.1948 (3 U 49/48), in: MDR 1948, 285 (interlokal, Knäckebrot) (Firma und Warenzeichenrechte); siehe auch die Ausführungen und Nachweise oben §§ 11 II 1, 20 II 1. 125 Vgl. zur Vollziehungs-Verbringungs-Problematik bei der Enteignung einzelner dinglicher Rechte oben § 16. 126 Vgl. oben § 16 II.
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7. Kapitel: Rechte von und an Gesellschaften
Stellt man wie die überwiegend vertretene Auffassung ein selbständiges Vollziehungserfordernis auf, fehlt es an einer Vollziehung; lehnt man ein solches selbständiges Vollziehungserfordernis ab, ergibt sich die Nichtanerkennung aus dem ordre public. Doch welche Auswirkungen haben diese Regeln der Enteignung einzelner dinglicher Rechte auf die Verteilung der dinglichen Rechte der enteigneten Gesellschaft? Auch die Enteignung von Anteilsrechten kann nach verbreiteter Ansicht nur anerkannt werden, wenn sie vollzogen wird. Die Vollziehung müsse sich aber nicht auf einzelne Rechte der Gesellschaft beziehen; ist die Gesellschaft beispielsweise Eigentümerin einer Maschine, müsse diese Maschine zur Vollziehung nicht in Besitz genommen werden.127 Es genüge, wenn die Enteignung insgesamt in irgendeiner Form nach außen in Erscheinung trete. Das Vollziehungserfordernis ist damit schwächer ausgestaltet als bei der Enteignung einzelner dinglicher Rechte. Dies nötigt in gewissen Fällen zu Ausnahmen. So sollen nach verbreiteter Auffassung Rechte an einer Sache, die nach Entstehung der Spaltgesellschaft aus dem Enteignungsstaat verbracht wird, fortan der Spaltgesellschaft zustehen.128 Diese Ansicht ist jedoch zu strikt. Parallel zur Enteignung einzelner dinglicher Rechte sollte dies nur uneingeschränkt gelten, wenn die Sache durch jemanden verbracht wird, der auf eine gewisse Weise der Spaltgesellschaft zuzurechnen ist.129 Wird die Sache dagegen durch den Enteignungsbegünstigten oder einen Rechtsnachfolger des Enteignungsbegünstigten verbracht, sollte man sich entscheiden wie bei der einzelnen Enteignung dinglicher Rechte.130 4. Insbesondere: Forderungen und Verbindlichkeiten
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Sehr umstritten und nur angeschnitten sei die Frage, was mit Forderungen und Verbindlichkeiten der enteigneten Gesellschaft geschehen soll. Hier wird ersichtlich, dass nicht nur die Rechte der alten Gesellschaft (Forderungen),
127
BGH vom 18.10.1976 (II ARZ 2/75), in: juris Rn. 27 (= WM 1976, 1266). Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 28 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; StaudingerGroßfeld, 1998, Rn. 828 zum IntGesR (wenn die Spaltgesellschaft die Sache selbst verbringe, sei die Enteignung nicht anzuerkennen); Palandt-Thorn, 2015, Rn. 13 zu Art. 43 EGBGB; a.A. RGRK-Wengler, VI/2, 1981, 1106 Fn. 61. 129 Vgl. zur Lage bei der Enteignung einzelner dinglicher Rechte oben § 16 II; offenlassend OLG Hamburg vom 8.5.1951 (1 W 50/51), in: MDR 1951, 561 l.Sp. (interlokal, Rotationsmaschine). 130 Vgl. zur Lage bei der Enteignung einzelner dinglicher Rechte oben § 16 III; siehe zur Anerkennung bei Verbringung durch einen Rechtsnachfolger OLG Hamburg vom 8.5.1951 (1 W 50/51), in: MDR 1951, 561 l.Sp. (interlokal, Rotationsmaschine) und OLG Oldenburg vom 30.11.1953 (4 U 88/53), in: BB 1954, 326 (interlokal, Zinkasche); für Nichtanerkennung (allerdings über den ordre public) OLG Nürnberg vom 19.9.1949 (W 541/49), in: NJW 1950, 229 (interlokal, Altwaren aus enteignetem Betrieb). 128
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sondern auch ihre Pflichten131 (Verbindlichkeiten) zwischen der Spalt- und der Rumpfgesellschaft zu verteilen sind. Problematisch ist dabei nur die Behandlung von Forderungen und Verbindlichkeiten, die vor der Spaltung begründet wurden. Nach der Enteignung neu entstehende Forderungen der Rumpfgesellschaft dagegen können nicht durch die Spaltgesellschaft geltend gemacht werden. Umgekehrt kann die Rumpfgesellschaft in Deutschland nicht erfolgreich gegen einen Neuschuldner der Spaltgesellschaft klagen. Andernfalls würde die Spaltung auf unbeteiligte Dritte ausgedehnt; die Dritten wären der Gefahr doppelter Inanspruchnahme ausgesetzt.132 Einfache Regeln, die alle denkbaren Fälle gerecht lösen, wird man vergebens suchen. Die Billigkeit im Einzelfall ist – wie bei der Enteignung einzelner Forderungen133 – auch hier leitend.134 Die Interessenlage ist bei Forderungen von und gegen Spaltgesellschaften sogar noch deutlich verwickelter als bei der unmittelbaren Forderungsenteignung. Neben den Interessen des Altgläubigers, des Neugläubigers, des Schuldners und gegebenenfalls von Sicherungsgebern etc. sind noch diejenigen der Anteilseigner und der übrigen Gesellschaftsschuldner und -gläubiger in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Die Rechtslage im Hinblick auf Altforderungen der Gesellschaft ist wie bei einer Enteignung einzelner Forderungen ungeklärt.135 Da Forderungsenteignungen nicht im eigentlichen Sinne anerkannt werden,136 sieht sich der Schuldner zwei Gläubigern gegenübergestellt: im Enteignungsstaat der Rumpfgesellschaft, in Deutschland der Spaltgesellschaft. Ihm droht die doppelte Inanspruchnahme.137 Wer den Schaden zu tragen hat, muss auch hier 131
Es werden dabei aber nicht die Pflichten der Gesellschaft enteignet, sondern nur unter Umständen die Rechte der Gesellschaftsgläubiger. Von Pflichten ist hier also aus der Sicht der Gesellschaft die Rede. 132 A.A. bei Völkerrechtswidrigkeit offenbar Mann, NJW 1961, 705, 709 Fn. 60 gegen eine Entscheidung des schwedischen Höchsten Gerichts (liefere der kommissarische Verwalter eines jüdischen Unternehmens Waren, müsse der Käufer an den enteigneten Eigentümer des Unternehmens und nicht an den Verwalter zahlen; die Völkerrechtswidrigkeit müsse auch Folgeansprüche blockieren). 133 Vgl. oben §§ 18 II 1, 2, 19 II. 134 Vgl. zu Gesellschaftsverbindlichkeiten BGH vom 31.3.1971 (VIII ZR 40/69), in: NJW 1971, 1515 (= BGHZ 56, 66) (Ungarn, ungarische Zentralbank gegen die Spaltgesellschaft der ungarischen Waggon- und Maschinenfabrik AG) („[i]n Anbetracht der großen Verschiedenheit der Fälle, meint schließlich Seidl-Hohenveldern, müsse eine Entscheidung jeweils nach billigem Ermessen getroffen werden [...]. Der zu entscheidende Fall gibt dem Senat keine Veranlassung, nach allgemeinen Prinzipien für die Schuldenhaftung der Spaltgesellschaft zu suchen, wobei dahinstehen mag, ob solche überhaupt gefunden werden können“). 135 Für höchst streitig erklärt die Frage auch Ebenroth, JZ 1988, 88 m.N., der auf den Schuldnerwohnsitz abstellen möchte. 136 Siehe oben § 18 I 1. 137 Vgl. schon RG vom 20.5.1930 (II 385/29), in: RGZ 129, 105 (Russland).
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7. Kapitel: Rechte von und an Gesellschaften
über Risikoerwägungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden. Die Überlegungen zur einzelnen Forderungsenteignung gelten entsprechend: Dem Schuldner sollte regelmäßig ein zumindest anteiliges Leistungsverweigerungsrecht zugestanden werden, wenn er im Enteignungsstaat leisten musste oder eine Inanspruchnahme wahrscheinlich ist. Die schwierigste Frage aber ist die, ob die Spaltgesellschaft für alle Altverbindlichkeiten der früheren Gesellschaft haften soll.138 Bei dieser sehr komplexen Interessenlage muss endgültig Abschied genommen werden von Scheinbegründungen, die Forderungen in irgendeine Ecke in den Raum stellen. Zwei Argumente haben in diesem Zusammenhang Gewicht: Zum einen wird die Spaltgesellschaft regelmäßig nicht überlebensfähig sein, wenn sie in vollem Umfang für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft einzustehen hat, aus der sie hervorgegangen ist. Die Interessen der enteigneten Gesellschafter stehen den Interessen der Gesellschaftsgläubiger gegenüber; es ist dabei gerade eine beschränkte Haftung, die die Gegner der Spaltungslehre ablehnen.139 Wem man nun den Vorzug gibt, ist Bekenntnisfrage. Der Fall einer liquidationslosen Vernichtung der schuldenden Gesellschaft im Enteignungsstaat, in dem man zugleich eine Enteignung der Gesellschaftsgläubiger erblicken kann, liegt interessenmäßig aber etwas anders als eine unmittelbare 138
Die herrschende Meinung bejaht eine grundsätzliche Weiterhaftung, siehe i.E. schon RG vom 20.5.1930 (II 385/29), in: RGZ 129, 107 (Russland); ferner BGH vom 27.5.1957 (II ZR 178/56), in: IzRspr 1954–1957, Nr. 200 (interlokal); BGH vom 31.3.1971 (VIII ZR 40/69), in: NJW 1971, 1515 (= BGHZ 56, 66) (Ungarn, ungarische Zentralbank gegen die Spaltgesellschaft der ungarischen Waggon- und Maschinenfabrik AG) mit umfangreichen Nachweisen, auch zur Möglichkeit, die Haftung einzuschränken; ferner Beitzke, FS Janssen 1958, 39 (Einschränkung nur bei Forderungen von staatlichen Stellen des Enteignungsstaates); Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 69 zu Art. 38 EGBGB Anh. III; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 932 ff. zum IntGesR m.N.; Bamberger/Roth-Spickhoff, 2012, Rn. 19 zu Art. 46 EGBGB; einschränkend Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 113 (er möchte die Spaltgesellschaft für diejenigen Altschulden voll weiterhaften lassen, die in Deutschland, etwa bei einer Zweigniederlassung, entstanden seien oder gerade im Vermögen in Deutschland ihre natürliche Haftungsgrundlage hätten; sonst sei der Spaltgesellschaft zumindest die Einrede der Vorausklage zuzugestehen) und Ebenroth, JZ 1988, 88 (grundsätzliche Haftung im Verhältnis der Vermögensmassen von Spalt- und Rumpfgesellschaft); für den Ausschluss solcher Verbindlichkeiten, die ihren Schwerpunkt im Osten hätten, etwa KG vom 22.12.1950 (5 U 1645/50), in: NJW 1951, 486 (interlokal); siehe zum Sonderfall der Filialschuld Soergel-v.Hoffmann, 1996, Rn. 45 f. zu Art. 38 EGBGB Anh. III und MüKoWendehorst, 2015, Rn. 45 zu Art. 46 EGBGB Anh. 139 So Gurski, NJW 1965, 1355 r.Sp., 1357 l.Sp. (er lehnt die Spaltungslehre aufgrund der regelmäßig angenommenen Schuldenkappung und der damit verbundenen Beschneidung der Gläubigerrechte ab) und Flume, FS Mann 1977, 165 (nur Forderungen des Enteignungsstaates gegen die inländische Gesellschaft scheiterten am Einwand des Rechtsmissbrauchs).
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Forderungsenteignung. In jenem Fall richtet sich die Enteignung nämlich gegen die Gesellschaft bzw. die Gesellschafter (also die Schuldner), in diesem gegen den Gläubiger.140 Dass sich die Enteignung gegen den Gläubiger richtet, war nun aber bei der einzelnen Forderungsenteignung der Hauptgrund dafür, den Schaden dem Gläubiger aufzubürden. Wichtiger noch dürfte aber das zweite Argument sein: Man muss den Enteignungsstaat in die Betrachtung einbeziehen. Die volle Weiterhaftung der Spaltgesellschaft würde dem (entschädigungslos enteignenden) Enteignungsstaat zugute kommen, da die Rumpfgesellschaft nach dem Recht des Enteignungsstaates wohl von der entsprechenden Verbindlichkeit frei würde. Es ist nun aber den Gesellschaftsgläubigern durchaus zuzumuten, sich mit ihren Forderungen (zumindest auch) an den Enteignungsstaat zu wenden. Zu weit ginge es hingegen, bestimmte Gruppen von Gläubigern pauschal auszuschließen, weil sie beispielsweise in irgendeiner Hinsicht dem Enteignungsstaat zuzurechnen wären.141 II. Abfindungslösung
§ 23 Entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen – II
Andere Stimmen in der Literatur schlagen vor, auch entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen durch den Sitzstaat142 (ebenso wie entschädigte) vollständig143 anzuerkennen, den Enteigneten gegen die Gesellschaft aber schuldrechtliche Ersatzansprüche etwa analog § 738 Abs. 1 S. 2 BGB zuzugestehen.144 In den Worten des Gebietsgrundsatzes werden Anteilsrechte im Sitzstaat lokalisiert. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass er gesellschaftsrechtliche Prinzipien, wie das Eintragungserfordernis bei Kapitalgesellschaften, 140
Vgl. BGH vom 12.11.1959 (VII ZR 165/58), in: NJW 1960, 191 (= BGHZ 31, 168) (interlokal). 141 Ebenso Loos, AWD 1958, 111 Fn. 19; Überblick zum Meinungsstand bei Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 935 ff. zum IntGesR. 142 Die Ausführungen oben § 21 I zur Bestimmung des Sitzstaates gelten entsprechend. 143 Zum Begriff der vollständigen Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen oben § 22 I. 144 Die Abfindungslösung vertreten Féaux de la Croix, FS Schmidt 1959, 201 ff., 204 (mit gewagter Begründung); ders., FS Möhring 1965, 34 ff.; Loos, AWD 1961, 278 l.Sp.; Gurski, WM 1964, 1145 (das ausländische Unternehmen solle weiterhin Vermögensträger sein, könne aber auf das außerhalb des Enteignungsstaates belegene Vermögen nicht zugreifen); ders., NJW 1965, 1356 l.Sp. (Gesellschaftsenteignungen durch den Sitzstaat seien anzuerkennen, die finanziellen Fragen seien im Wege internationaler Verhandlungen zu lösen); Stöcker, WM 1966, 754; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 88 ff., 96; Lederer, Enteignung, 1989, 198 ff. (die Höhe der Abfindung richte sich nach dem Wert des inländischen Gesellschaftsvermögens); ders., IPRax 1994, 147; MüKo-Ebenroth, 1999, Rn. 927 ff. zum IntGesR; Lakkis, Gestaltungsakte, 2007, 419; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 25 zu § 20 (dies sei besser als eine „mysteriöse Verdoppelung der juristischen Person“). – A.A. Flume, FS Mann 1977, 162 und Seidl-Hohenveldern, BerGesVR 38 (1998) 115 f. [Diskussionsbeitrag].
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7. Kapitel: Rechte von und an Gesellschaften
nicht verletzt wie die Spaltungslehre. Man könnte ihn über einen Vergleich mit der vollständigen Anerkennung gewisser Gesellschaftsenteignungen begründen. Die Gewährung eines Abfindungsanspruchs macht nämlich im wirtschaftlichen Ergebnis aus der entschädigungslosen eine entschädigte Gesellschaftsenteignung. Die Abfindungslösung unterscheidet sich im Ansatz erheblich von der Spaltungslehre und der Liquidationslösung. Die wirtschaftlichen Ergebnisse hingegen dürften überraschenderweise in der Regel ähnlich sein.145 Es gilt zu unterscheiden: 1. Enteignung einzelner Anteilsrechte Die Abfindungslösung und die Spaltungslehre im weiteren Sinne gelangen in denjenigen Fällen zum selben Ergebnis, in denen auch nach der Spaltungslehre keine Spaltgesellschaft entsteht (oder die Spaltgesellschaft zumindest nach außen nicht als selbständige Gesellschaft in Erscheinung tritt).146 Dies ist der Fall bei einer entschädigungslosen147 Enteignung nur einzelner Anteilsrechte durch den Sitzstaat. Die Abfindungslösung gewährt den Enteigneten hier (wie auch sonst) einen Abfindungsanspruch. Zu diesem Ergebnis gelangen jedoch auch die gemäßigte und die extreme Spaltungslehre. Sie schützen enteignete Minderheitsgesellschafter, die sich in einer Spaltgesellschaft unter Umständen nicht durchsetzen könnten, indem sie ihnen einen schuldrechtlichen Zahlungsanspruch gegen die Gesellschaft zusprechen.148 Nach der gemäßigten Spaltungslehre entsteht ohnehin keine Spaltgesellschaft, solange der Enteignungsstaat nicht so viele Anteilsrechte enteignet, dass er die Gesellschaft verwaltungs- und vermögensmäßig beherrscht.149 Nach der extremen Spaltungslehre hingegen entsteht zwar eine Spaltgesellschaft, diese tritt aber aufgrund des auf Fortsetzung gerichteten Mehrheitswillens nach außen nicht in Erscheinung.150 Es stimmt daher nicht, dass die Abfindungslösung enteignete Minderheitsgesellschafter besser schützt als die Spaltungslehre. Bei der Bestimmung der Höhe des Zahlungsanspruchs müssen sowohl auf dem Boden der Abfindungslösung als auch nach der Spaltungslehre alle Inte145
Ebenso Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 69; auch Wiedemann, FS Beitzke 1979, 816 f., der selbst der Spaltungslehre anhängt. 146 Entsprechendes gilt für die Liquidationslösung im engeren Sinne, wenn keine zu liquidierenden Rechte vorhanden sind. 147 Entschädigte Gesellschaftsenteignungen einzelner Anteilsrechte durch den Sitzstaat würden wohl nach allen Ansichten anerkannt werden. 148 Stöcker, WM 1966, 748. 149 Dazu oben § 21 I. 150 Stöcker, WM 1964, 538; ders., WM 1965, 444; Flume, FS Mann 1977, 166 ff.; Ebenroth, JZ 1988, 88 l.Sp.; Staudinger-Großfeld, 1998, Rn. 946 zum IntGesR; Beemelmans, Gesellschaft, 1963, 81, 84 f.; ders., WM 1966, 674.
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ressen, also diejenigen der enteigneten und nicht enteigneten Gesellschafter sowie der Gesellschaftsgläubiger und der Gesellschaftsschuldner, berücksichtigt werden.151 Nicht durchgreifend ist daher der Einwand gegen die Abfindungslösung, dass sich die Gewährung eines Abfindungsanspruchs nachteilig auf die nicht enteigneten Gesellschafter auswirke, da diese den enteigneten i.E. die Abfindung zahlen müssten, obwohl der Enteignungsstaat sie nicht treffen wollte.152 Die Höhe der Abfindung ist dem Ansatz nämlich nicht zwingend vorgezeichnet. 2. Gesellschaftsenteignung
§ 23 Entschädigungslose Gesellschaftsenteignungen – II 2
Die Ergebnisse von Abfindungslösung und Spaltungslehre im weiteren Sinne unterscheiden sich aber dann, wenn nach der Spaltungslehre eine Spaltgesellschaft entsteht, die auch nach außen in Erscheinung tritt. Nach der Spaltungslehre wird die Spaltgesellschaft zwar in der Regel liquidiert und ist also nur ausnahmsweise weiter werbend tätig. In jedem Fall aber entstehen zwei Rechtsträger (die Rumpfgesellschaft und die Spaltgesellschaft), unter denen die Rechte der früher einheitlichen Gesellschaft zu verteilen sind. Nach der Abfindungslösung hingegen gibt es nach einer Gesellschaftsenteignung durch den Sitzstaat aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung nur einen Rechtsträger.153 Formal stehen diesem alle Rechte der enteigneten Gesellschaft zu. Insofern unterscheiden sich die Ergebnisse der Abfindungslösung von denen der Spaltungslehre. Wenn allerdings die Verbindlichkeiten der Gesellschaft ihre geldwerten Rechte, in die mit Erfolg in Deutschland vollstreckt werden könnte, übersteigen (Überschuldung), wird es letztlich auch nach der Abfindungslösung zu einer Liquidation dieser Rechte kommen.154 Bei einer Überschuldung kommen Abfindungslösung und Spaltungslehre also oftmals wirtschaftlich zum selben Ergebnis. Unterschiede ergeben sich jedoch vor allem in zwei Punkten: (1) Bei einer Überschuldung steht es nach der Abfindungslösung der Gesellschaft frei, alle enteigneten Gesellschafter abzufinden („Freikaufen“). Dann können die enteigneten Gesellschafter wertmäßig besser stehen als nach der Spaltungslehre, auf deren Grundlage sie nämlich bei einer Überschuldung 151
Vgl. etwa Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 89, 96, nach dem die Enteigneten wertmäßig nicht besser stehen dürfen als die Nichtenteigneten. 152 Diese Kritik findet sich bei Seidl-Hohenveldern, JZ 1975, 83 r.Sp.; ders., FS Kegel 1977, 270. 153 Bei einer Gesellschaftsenteignung durch einen anderen Staat wird die Abfindungslösung wohl zu dem Ergebnis gelangen, zu dem auch die Spaltungslehre gelangt. 154 Diese Liquidation müsste freilich durch Gläubiger der Gesellschaft oder die enteigneten Gesellschafter in die Wege geleitet werden; in diesem Punkt stehen die Genannten schlechter als nach der Spaltungslehre.
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7. Kapitel: Rechte von und an Gesellschaften
der Spaltgesellschaft leer ausgehen könnten.155 Anders als die Spaltungslehre und die Liquidationslösung ermöglicht es die Abfindungslösung nämlich, einen Abfindungsanspruch in voller Höhe des Wertes der enteigneten Anteilsrechte zu begründen.156 Die Gesellschaft könnte in diesem Fall in Deutschland nur dann weiterhin etwa ihre alten Immaterialgüterrechte ausüben, wenn sie die Enteigneten aus ihren sonstigen Rechten abfindet. In manchen Fällen dürften sogar sowohl die enteigneten als auch die nicht enteigneten Gesellschafter besser stehen als nach der Spaltungslehre oder der Liquidationslösung, da diese beiden Ansätze zu einer fragwürdigen Zerschlagung wirtschaftlicher Werte führen.157 Die Abfindungslösung dagegen hält die wirtschaftliche Einheit der enteigneten Gesellschaft aufrecht. (2) Die Enteigneten stehen nach der Abfindungslösung jedoch dann schlechter als nach der Spaltungslehre oder der Liquidationslösung, wenn es ihnen nicht auf den Wert eines Rechts ankommt, sondern auf das Recht selbst. Dies ist insbesondere bei Immaterialgüterrechten denkbar, aber auch bei dinglichen Rechten. Dass allerdings der nach der Abfindungslösung einheitlichen Gesellschaft, wenn sie nur die Abfindungsansprüche erfüllt, beispielsweise einzelne Marken- und Firmenrechte auch für Handlungen in Deutschland zustehen, kann schon hinreichen, die Abfindungslösung abzulehnen. Hier ist allerdings zu bedenken, dass gewisse entschädigte Gesellschaftsenteignungen vollständig anerkannt werden.158 In diesem Fall jedoch würde der Enteignete ebenfalls sein Recht auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung verlieren. Im Detail erlauben sowohl die Abfindungslösung als auch die Spaltungslehre bzw. die Liquidationslösung Korrekturen nach Billigkeit. Welchem Weg man folgt, lässt sich jedenfalls nicht aus irgendwelchen vermeintlichen Prinzipien, insbesondere nicht aus dem Gebietsgrundsatz, zwingend ableiten. Es ist eine Entscheidung nötig für den einen oder für den anderen Weg.159 Die Spaltungslehre der Rechtsprechung hat sich bewährt. Anders als in den interlokalen Altfällen sollte jedoch in internationalrechtlichen Fällen eine Liquidationsgesellschaft angenommen werden.160 Doch sind die wirtschaftlichen 155
Zur Verteilung der Rechte und Pflichten der enteigneten Gesellschaft zwischen Restund Spaltgesellschaft eingehend oben § 23 I 4. 156 Denkbar ist freilich auch eine Abfindung in geringerer Höhe; vgl. zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Bezug auf die Höhe von Abfindung und Entschädigung oben § 21 II. 157 Zu dieser Zerschlagung auch Seidl-Hohenveldern, Enteignungsrecht, 1952, 183 Fn. 21; Stöcker, WM 1964, 538; Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 87; Meessen, AöR 110 (1985) 415; Huwyler, Personen, 1989, 92; Herdegen, IntWirtR, 2014, Rn. 25 zu § 20. 158 Näher oben § 22. 159 Ähnlich Koppensteiner, BerGesVR 13 (1974) 71; Gurski, NJW 1965, 1354 r.Sp.; Mertens, JuS 1967, 104 r.Sp. 160 Siehe oben § 23 I 2.
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Ergebnisse der Spaltungslehre bzw. der Liquidationslösung den Ergebnissen der Abfindungslösung ohnehin meist ähnlich. Folgt man der Abfindungslösung, zählt man daher jedenfalls nicht gleich zu den „nützlichen Idioten“, die im eigenen Land befindliche Rechte der Gesellschaft einem fremden Konfiskator preisgeben.161
161
A.A. Kegel, FS Seidl-Hohenveldern 1988, 253.
Ergebnis § 24 Zusammenfassung § 24 Zusammenfassung – I 3
Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung kann man in folgenden Punkten zusammenfassen: I. Zum allgemeinen Teil 1. Völkergewohnheitsrechtliche Vorgaben Fremdstaatliche Enteignungen wirken in der deutschen Rechtsordnung nicht aus eigener Kraft. Die deutsche Rechtsordnung muss sie erst in Bezug nehmen, damit sie in ihr Wirkung entfalten können.1 Das Völkergewohnheitsrecht stellt es den Staaten frei, privatrechtsgestaltende Wirkungen fremdstaatlicher Enteignungen in die eigene Rechtsordnung zu übernehmen. Es besteht weder eine Anerkennungspflicht noch ein Anerkennungsverbot.2 Dies gilt unabhängig davon, ob die Enteignung völkerrechtsgemäß oder -widrig ist. Das Völkergewohnheitsrecht begrenzt die staatliche Vollstreckungsbefugnis grundsätzlich territorial.3 Der Enteignungsstaat darf also grundsätzlich außerhalb seines Hoheitsgebietes beispielsweise Sachen nicht hoheitlich in Besitz nehmen. Dagegen erlaubt das Völkergewohnheitsrecht die Regelung eines Sachverhaltes bereits dann, wenn ein legitimierender Anknüpfungspunkt zum regelnden Staat besteht.4 Die Anforderungen an einen solchen Anknüpfungspunkt sind äußerst gering. Ordnet ein Staat beispielsweise an, dass für seine Rechtsordnung ein Recht an einer im Ausland befindlichen Sache enteignet ist, überschreitet er damit schon dann nicht die Grenzen seiner völkergewohnheitsrechtlichen Regelungsbefugnis, wenn der Rechtsinhaber Staatsangehöriger des Enteignungsstaates ist oder im Enteignungsstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Ob der Enteignungsstaat die Grenzen seiner völkergewohnheitsrechtlichen Vollstreckungs- und Regelungsbefugnis wahrt oder überschreitet, sagt noch 1
Vgl. §§ 1, 4 II 1 a.E. Vgl. § 4 I. 3 Vgl. § 4 II 2. 4 Vgl. § 4 II 3. 2
§ 24 Zusammenfassung – I 3
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nichts über die Übernahme der privatrechtsgestaltenden Wirkungen fremdstaatlicher Enteignungen durch die deutsche Rechtsordnung aus.5 Die Anerkennung richtet sich vielmehr nach dem Teil des innerstaatlichen Kollisionsrechts, der als internationales Enteignungsrecht bezeichnet wird. 2. Investitionsschutzverträge Aus einem bilateralen Investitionsschutzvertrag zwischen dem Enteignungsstaat und der Bundesrepublik Deutschland folgt dann die Verpflichtung, die privatrechtsgestaltenden Wirkungen einer fremdstaatlichen Enteignung in die deutsche Rechtsordnung zu übernehmen, wenn ein Schiedsgericht die Enteignung für mit einem BIT vereinbar erklärt hat oder (wenn noch kein Schiedsgericht entschieden hat) das mit der Anerkennungsentscheidung befasste nationale Gericht die Enteignung für BIT-gemäß oder zumindest für nicht offensichtlich BIT-widrig hält.6 Anerkennungsvoraussetzungen, die das deutsche internationale Enteignungsrecht für die Enteignungsanerkennung im staatsvertragsfreien Raum aufstellt, gelten in diesem Fall nicht.7 Die Enteignung muss insbesondere nicht im Sinne des nationalen Rechts vollzogen worden sein.8 Dagegen bestehen weder eine Anerkennungspflicht9 noch ein Anerkennungsverbot10, wenn ein Schiedsgericht einen Verstoß des Enteignungsstaates gegen einen BIT festgestellt hat oder (wenn noch kein Schiedsgericht entschieden hat) das mit der Sache befasste nationale Gericht die Enteignung für offensichtlich BIT-widrig hält. In diesem Fall gilt das deutsche internationale Enteignungsrecht.11 3. Autonomes deutsches Recht Das deutsche internationale Enteignungsrecht ist nicht kodifiziert.12 Ausländische Enteignungen unterstehen auch nicht dem internationalprivatrechtlichen Statut. Jedenfalls bei Legislativenteignungen findet eine Sonderanknüpfung statt.13 Administrativenteignungen werden entsprechend behandelt, auch wenn man ihre Anerkennung dogmatisch dem allgemeineren Problem der Anerkennung ausländischer Hoheitsakte subsumiert.14 5
Vgl. § 4 III 1. Vgl. § 7 II, III. 7 Vgl. § 7 III a.E. 8 Vgl. zum selbständigen Vollziehungserfordernis bei dinglichen Rechten § 14 III. 9 Vgl. § 7 IV. 10 Vgl. § 7 V. 11 Siehe einführend zum deutschen internationalen Enteignungsrecht § 9 I. 12 Vgl. § 9 I am Anfang. 13 Vgl. § 13 II 3. 14 Vgl. §§ 9 I 1, 10 I 2. 6
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Ergebnis
Die ungeschriebene Sonderanknüpfungsnorm der ständigen Rechtsprechung und herrschenden Lehre für fremdstaatliche Enteignungen ist das sogenannte internationalenteignungsrechtliche Territorialitätsprinzip.15 Zur Abgrenzung von völkerrechtlichen Regeln wird in dieser Arbeit der handlichere gleichbedeutende Begriff des Gebietsgrundsatzes verwendet.16 Nach dem Gebietsgrundsatz werden die privatrechtsgestaltenden Wirkungen fremdstaatlicher Enteignungen dann und nur dann in die deutsche Rechtsordnung übernommen, wenn das enteignete Recht zum Enteignungszeitpunkt als auf dem Hoheitsgebiet des Enteignungsstaates befindlich gedacht, also dort lokalisiert wird und damit dort belegen ist.17 Der Gebietsgrundsatz folgt nicht aus dem völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip.18 Dieses besagt nur, dass Staaten auf fremdem Staatsgebiet grundsätzlich nicht vollstrecken dürfen.19 Ob man den Gebietsgrundsatz innerhalb der deutschen Rechtsordnung dem internationalen Privatrecht im weiteren Sinne oder dem privatrechtlichen internationalen öffentlichen Recht zuordnet, ist für die Sachfragen ohne jede Bedeutung. Es ist nur eine Frage der begrifflichen Abstraktionshöhe. Denn das privatrechtliche internationale öffentliche Recht ist Teil des internationalen Privatrechts im weiteren Sinne.20 Der Gebietsgrundsatz war schon immer umstritten.21 Abweichende Vorschläge konnten sich aber aus verschiedenen Gründen nicht durchsetzen.22 4. Berechtigter Anwendungsbereich des Gebietsgrundsatzes § 24 Zusammenfassung – I 4
Die Regeln des deutschen internationalen Enteignungsrechts zur Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen sind während des 20. Jahrhunderts bemerkenswert stabil geblieben.23 Dies könnte man als Indiz dafür betrachten, dass der Gebietsgrundsatz der herrschenden Meinung eine taugliche Lösung für die Anerkennungsfrage bereithält. Unterscheidet man nach den verschiedenen Enteignungsobjekten und den jeweiligen Umständen der Enteignung, ergibt sich freilich ein differenzierteres Bild.24 Die herrschende Meinung wendet den Gebietsgrundsatz einheitlich auf alle Enteignungsobjekte an, seien es dingliche Rechte, Forderungsrechte, Immate15
Vgl. § 9 I; zum internationalenteignungsrechtlichen Begriff der Enteignung § 9 I 1. Vgl. §§ 3, 4 III 1, 9 I. 17 Vgl. § 9 I 3. 18 Vgl. § 4 III 1. 19 Vgl. § 4 II 2. 20 Vgl. § 10 V. 21 Vgl. § 13 VI 1. 22 Vgl. zu diesen abweichenden Vorschlägen § 13. 23 Vgl. § 2. 24 Vgl. auch § 3. 16
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rialgüterrechte oder Rechte von und an Gesellschaften.25 Sie unterscheidet weder bei der Frage nach den Anerkennungsvoraussetzungen noch bei der Frage nach den Beweggründe zur Anerkennung zwischen den verschiedenen Enteignungsobjekten.26 Dieses Vorgehen der herrschenden Meinung ist abzulehnen. Denn der Gebietsgrundsatz bietet nur vordergründig eine einheitliche Regel. Entgegen der herrschenden Meinung sollten daher die Anerkennungsvoraussetzungen differenziert nach Enteignungsobjekten mit Blick auf die Beweggründe und den jeweiligen Anerkennungsbegriff durch Sachargumente bestimmt werden. 27 Gedanklich liegt der Untersuchung folgender Dreischritt zugrunde:28 In einem ersten Schritt wurde der berechtigte Anwendungsbereich des geltenden Systems, also des Gebietsgrundsatzes, abgesteckt. In einem zweiten wurde das System herausgearbeitet, das bei genauerer Betrachtung außerhalb des berechtigten Anwendungsbereichs des Gebietsgrundsatzes hinter den Ergebnissen der Rechtsprechung und herrschenden Lehre steht. In einem dritten Schritt schließlich wurde die Frage aufgeworfen, ob die erzielten Ergebnisse nach dem Maßstab des zuvor erarbeiteten Systems sachgerecht sind. Gefestigt ist der Gebietsgrundsatz nur für die Behandlung fremdstaatlicher Enteignungen dinglicher Rechte.29 Bei anderen Enteignungsobjekten ist die Rechtslage unsicher. Insbesondere die Behandlung fremdstaatlicher Forderungsenteignungen nach dem Gebietsgrundsatz ist ungeklärt.30 Ein Vergleich der Anerkennungsregeln, die sich zur Behandlung fremdstaatlicher Enteignungen dinglicher Rechte herausgebildet haben, mit denjenigen, die auf Forderungsenteignungen angewendet werden, hat gezeigt, dass auf Forderungsenteignungen jedenfalls nicht der von der Enteignung dinglicher Rechte her bekannte Gebietsgrundsatz angewendet wird.31 Der Gebietsgrundsatz, wie er sich zur Anerkennung fremdstaatlicher Enteignungen dinglicher Rechte herausgebildet hat, hat auch für die Behandlung fremdstaatlicher Enteignungen von Immaterialgüterrechten keine Berechtigung.32 25
Zur herrschenden Meinung § 9 I. Siehe zu den Beweggründen, die zur Anerkennung diskutiert werden, § 12; zu den Anerkennungsvoraussetzungen § 14 I–III. 27 Vgl. §§ 12 V 2, 13 VI 2. 28 Vgl. dazu auch § 3. 29 Siehe dazu, dass bei genauerer Betrachtung nur die negative Seite des Gebietsgrundsatzes unstreitig ist, von der positiven Seite aber Ausnahmen diskutiert werden, § 3 und unten § 24 II 1; die Ausnahmen bestehen in zusätzlichen materiellen Anerkennungsvoraussetzungen (zu diesen § 14 I–III) oder Einschränkungen aus Gründen, die in einem weiteren Sinne dem ordre public zuzuordnen sind (zu diesen § 15); zu den nach der in dieser Arbeit vertretenen Ansicht nötigen Unterscheidungen eingehend § 16. 30 Vgl. § 17. 31 Siehe eingehend § 18 I, ferner § 3 und unten § 24 II 2. 32 Vgl. § 20 III. 26
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Ergebnis
Das angesprochene Indiz, dass der Gebietsgrundsatz, weil er sich so lange halten konnte, eine taugliche Lösung bietet, kann sich denn auch nur auf die Enteignung dinglicher Rechte beziehen. Dass der Gebietsgrundsatz so gut auf die Enteignung dinglicher Rechte passt, hat sogar seine Untauglichkeit für andere Enteignungsobjekte lange überstrahlt. Der Abschied vom Gebietsgrundsatz wurde bei anderen Enteignungsobjekten wahrscheinlich gerade deshalb nicht vollzogen, weil man ihn für den Bereich der Enteignung dinglicher Rechte nicht aufgeben wollte. Den Gebietsgrundsatz für andere Enteignungsobjekte als dingliche Rechte aufzugeben, ist aber der einzige Weg, ihn zu retten. Da erkannt ist, dass „der“ Gebietsgrundsatz nur ein Bündel verschiedener innerstaatlicher Kollisionsnormen ist, gibt es keinen Grund, für alle Enteignungsobjekte an einem einheitlichen Begriff festzuhalten. Den Gebietsgrundsatz nur auf Enteignungen dinglicher Rechte anzuwenden, hat nebenbei zur Folge, dass man nicht mehr von einer Belegenheit subjektiver Rechte sprechen muss, sondern bei Enteignungen dinglicher Rechte gleich auf den Lageort der Sache abstellen kann.33 Dies ist ein Vorteil. Auch im Hinblick auf die Enteignung von Rechten an unkörperlichen Gegenständen ist es nicht mehr nötig, von einer Belegenheit des Rechts zu sprechen. Denn der Gebietsgrundsatz, der die Belegenheit des Recht zum Tatbestandsmerkmal hat, sollte auf Enteignungen anderer Rechte gerade nicht angewendet werden. Wenn nun in dieser Arbeit vorgeschlagen wurde, den Gebietsgrundsatz auf seinen berechtigten Anwendungsbereich zurückzudrängen und zu den eigentlichen Fragen vorzustoßen, kann man dagegen die Gefährdung der Rechtssicherheit ins Feld führen. Doch ging es der Arbeit nicht primär um die Begründung anderer Ergebnisse als der bisherigen herrschenden Meinung, sondern um eine sachgerechte Dogmatik. Zwar sind einfache Regeln leichter in der Handhabung als komplexere. Dies gilt indes nur, wenn der Sachverhalt nicht komplexer ist als die Regel. Ziel war eine dogmatische Konstruktion, die so einfach wie möglich und so komplex wie nötig ist. Der Gebietsgrundsatz als innerstaatliche Anerkennungsregel aber, die die große Vielfalt der Enteignungsfälle auf einen Nenner bringen möchte, ist – gemessen an der Problemtiefe – stark unterkomplex. Streben nach Konstanz kann nicht gebieten, ein System aufrecht zu erhalten, das nur sehr vordergründig angewendet wird. Die Arbeit hat also von den Bindungen befreit, die der Gebietsgrundsatz der Regelbildung auferlegt. Doch was genau gilt außerhalb des berechtigten Anwendungsbereichs des Gebietsgrundsatzes? Bei der Beantwortung dieser Frage wurde von den Ergebnissen der Rechtsprechung und herrschenden Lehre ausgegangen. Denn diese erzielen mit Konstanz bestimmte Ergebnisse. Sie verfügen jedoch über keine kohärente Entscheidungsgrundlage. Es wurde 33
Vgl. zur Kritik auch § 17 am Anfang.
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also den erzielten praktischen Ergebnissen eine verlässlichere Begründungsgrundlage gegeben. Dazu wurde das hinter der Rechtsprechung stehende System herausgearbeitet. Da es etwa bei der Forderungsenteignung (neben der Rechtsverkehranerkennung) allein um die Schadenstragung im Verhältnis zwischen Schuldner und Altgläubiger geht, ist die Frage nach einer Belegenheit der Forderung falsch gestellt.34 Bei Immaterialgüterrechten dagegen geht es nur um die Rechtsverkehranerkennung.35 Bei Gesellschaftsenteignungen schließlich wurde deutlich, dass nach den Umständen der Enteignung, insbesondere danach, ob eine Entschädigung gezahlt wurde, unterschieden werden muss.36 Bei der Untersuchung der verschiedenen Enteignungsobjekte hat sich gezeigt, dass hinter der scheinbar einheitlichen Rechtsfolge des Gebietsgrundsatzes, der „Anerkennung“ der fremdstaatlichen Enteignung, bei genauerer Betrachtung drei verschiedene Rechtsfolgen stehen, deren Eintreten jeweils wiederum bei den unterschiedlichen Enteignungsobjekten unterschiedliche Gründe hat und die Erfüllung unterschiedlicher Tatbestandsmerkmale voraussetzt. Die Anerkennung als Nachvollzug des Inhaberwechsels eines Rechts kommt vor allem bei Enteignungen dinglicher Rechte nach Verbringung der Sache vor, in seltenen Fällen möglich ist sie allerdings auch bei Forderungsund Gesellschaftsenteignungen.37 Davon zu unterscheiden ist die Rechtsverkehranerkennung. Diese ist bei allen Enteignungsobjekten bedeutsam.38 Schließlich regelt die dritte Form der „Anerkennung“ bei der Forderungsenteignung nach der Wohnsitzlösung teilweise die Schadenstragung im Verhältnis Schuldner – Altgläubiger.39 II. Zum besonderen Teil 1. Dingliche Rechte
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Rechtsprechung und herrschende Lehre beantworten die Frage, wann fremdstaatliche Enteignungen dinglicher Rechte anzuerkennen sind, mit dem Gebietsgrundsatz.40 Zur Anerkennung müsse das Recht an der Sache im Enteignungsstaat belegen sein; die Belegenheit des Rechts richte sich nach dem Lageort der Sache.41 Für die Anerkennung intraterritorialer Enteignungen 34 Zur Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes bei Forderungen § 18 I; zum Vorschlag eines differenzierteren Systems § 18 II; siehe auch die Zusammenfassung unten § 24 II 2. 35 Vgl. § 20 III; siehe auch die Zusammenfassung unten § 24 II 3. 36 Zur Notwendigkeit, nach den Enteignungsumständen zu unterscheiden, §§ 12 V 2, 13 VI 2; siehe auch die Zusammenfassung unten § 24 II 4. 37 Zu dinglichen Rechten §§ 16 III, 11 I; zu Forderungen § 19 I; zu Gesellschaften § 22. 38 Vgl. § 11 II. 39 Vgl. § 17 II 1. 40 Vgl. § 9 I; siehe auch zusammenfassend §§ 14 V, 15 IV. 41 Vgl. § 14 IV 1.
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dinglicher Rechte spreche dabei das Interesse an guten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Enteignungsstaat (internationale Ordnung).42 Die Anerkennungsgrenze wird über die Machtlehre bestimmt.43 Bei näherer Betrachtung jedoch ist nur der negative Gebietsgrundsatz, nach dem fremdstaatliche Enteignungen dinglicher Rechte nicht anzuerkennen sind, wenn sich die Sache zum Enteignungszeitpunkt außerhalb des Enteignungsstaates befindet, in der Anwendung unproblematisch. Der negative Gebietsgrundsatz ist sogar in der Regel verfassungsrechtlich geboten.44 Problematisch ist dagegen der positive Gebietsgrundsatz. Denn zum positiven Gebietsgrundsatz werden verschiedene Ausnahmen diskutiert, indem entweder zusätzlich zur Belegenheit materielle Anerkennungsvoraussetzungen 45 aufgestellt werden oder Einschränkungen46 aus Gründen gefordert werden, die in einem weiteren Sinne dem ordre public zuzuordnen sind. Die herrschende Ansicht lehnt dabei (abgesehen vom selbständigen Vollziehungserfordernis)47 zusätzliche materielle Anerkennungsvoraussetzungen ab: Die Enteignung müsse weder entschädigt48 noch nach dem Recht des Enteignungsstaates rechtmäßig49 sein. Die Enteignungsumstände berücksichtigt die herrschende Meinung nur mehr oder weniger freihändig bei der Prüfung des ordre public.50 Nach der in dieser Arbeit entwickelten Ansicht dagegen kann man weder die Frage nach zusätzlichen materiellen Anerkennungsvoraussetzungen noch die Frage nach den Einschränkungen befriedigend beantworten, da diese Fragen zu undifferenziert gestellt sind. Beide Ausnahmearten wirken sich nämlich nur in bestimmten Verbringungskonstellationen aus. Die Rechtslage wird schon klarer, wenn man entgegen der herrschenden Meinung danach unterscheidet, ob und durch wen die Sache verbracht wurde.51 Man kann sich der Lösung in fünf Schritten nähern. Aus dem Gebietsgrundsatz wird dann eine Gebietsregel. Um allzu große Wiederholungen zu vermeiden sei auf die Zusammenfassung in § 16 IV verwiesen.
42
Zu den Beweggründen der Anerkennung § 12; zur internationalen Ordnung als Beweggrund § 12 I 1. 43 Vgl. § 12 II 1–3. 44 Vgl. § 15 II 4. 45 Vgl. § 14 I–III. 46 Vgl. § 15. 47 Vgl. § 14 III. 48 Vgl. § 14 II. 49 Vgl. § 14 I. 50 Vgl. § 15 III; vgl. ferner § 15 I, II. 51 Vgl. § 16.
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2. Forderungsrechte
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Zur Behandlung fremdstaatlicher Forderungsenteignungen werden im Wesentlichen drei Ansichten vertreten, für die hier paradigmatisch Kreuzer, Kegel und Wendehorst stehen sollen. Keine der Ansichten vermag zu überzeugen. Alle betonen mit ihrem jeweiligen Anerkennungsbegriff nur einen Aspekt der Problematik um Forderungsenteignungen und sind damit einseitig: Kreuzer behandelt nur die absolute Anerkennung,52 Kegel nur die Rechtsverkehranerkennung (Schuldnerrechtelösung)53 und Wendehorst in einem zweistufigen Verfahren das eigentlich materiellrechtliche Problem eines Leistungsverweigerungsrechts (Wohnsitzlösung)54. Gegen die Ansicht Kreuzers spricht insbesondere, dass er nur die Anerkennung solcher Enteignungen im Blick hat, die aufgrund der Enteignungsumstände in besonderem Maße anerkennenswert sind, die aber in der Realität nicht vorkommen.55 Er entwirft ein System ohne praktischen Anwendungsbereich. Gegen die Schuldnerrechtelösung spricht, dass die Rechtsverkehranerkennung ohnehin selbstverständlich ist und auch bei der Enteignung dinglicher Rechte nicht vom Gebietsgrundsatz geregelt wird.56 Die Wohnsitzlösung dagegen ist abzulehnen, weil die Frage des Schuldnerschutzes bzw. der Schadenstragung besser gelöst werden kann, indem sie offen angesprochen wird.57 Die Schuldnerrechtelösung und die Wohnsitzlösung sind außerdem schon deshalb nicht sachgerecht, weil sie am Gebietsgrundsatz (bzw. Kegel an der Machtlehre) auch für Forderungsenteignungen festhalten möchten. Entgegen der ganz herrschenden Ansicht sollte der Gebietsgrundsatz auf Forderungsenteignungen nicht angewendet werden.58 Der Gebietsgrundsatz der Enteignung dinglicher Rechte passt auf Forderungsenteignungen nicht, weil sich die Rechtsfolgen, die Beweggründe und die Tatbestandsvoraussetzungen unterscheiden.59 Wendet man also auf Forderungsenteignungen einen Gebietsgrundsatz an, wäre es ein ganz anderer als bei dinglichen Rechten. Doch was gilt anstatt des Gebietsgrundsatzes? Für die Behandlung fremdstaatlicher Forderungsenteignungen genügen in der Regel die ohnehin selbstverständliche Rechtsverkehranerkennung und materiellrechtliche Schuldnerschutzerwägungen.60 Man kann die hier entwickelte Lösung als einstufig oder materiellrechtlich bezeichnen. Sie hat den Vorteil, dass sie Problembereiche 52
Zu ihm § 13 V; zur absoluten Anerkennung § 19 I. Vgl. § 17 I; zur Rechtsverkehranerkennung einführend § 11 II 1, 3. 54 Vgl. § 17 II. 55 Vgl. § 13 V 3. 56 Vgl. § 17 I 3. 57 Vgl. § 17 II 2. 58 Vgl. § 18. 59 Vgl. § 18 I. 60 Vgl. § 18 II. 53
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Ergebnis
abschichtet und die eigentlichen Fragen, wie die nach einem Leistungsverweigerungsrecht des Schuldners, unmittelbar anspricht. Die vorgeschlagene Lösung ist dabei vor dem Hintergrund der Erkenntnis zu sehen, dass Forderungsenteignungen nicht im eigentlichen Sinne anerkannt werden.61 Dies führt dazu, dass der Enteignungsstaat und Deutschland das Forderungsrecht verschiedenen Personen zuordnen. Es entsteht ein hinkendes Rechtsverhältnis und damit unter Umständen für den Schuldner die Gefahr, im Enteignungsstaat dem Enteignungsbegünstigten, in Deutschland aber dem Altgläubiger leisten zu müssen. Eine doppelte Inanspruchnahme des Schuldners wird aber nun als unbillig empfunden, da sich die Enteignung im Enteignungsstaat gegen den Altgläubiger richtet. In gewissem Umfang ist dem Schuldner daher ein materiellrechtliches Leistungsverweigerungsrecht zuzugestehen, wenn ihm tatsächlich im Enteignungsstaat eine Inanspruchnahme droht.62 Der Altgläubiger sollte den Schuldner allerdings weiterhin mit Erfolg auf Leistung verklagen können, wenn er ihm für den Fall einer tatsächlichen Inanspruchnahme Sicherheit leistet.63 3. Immaterialgüterrechte Nach herrschender Ansicht ist der Gebietsgrundsatz auch auf fremdstaatliche Immaterialgüterrechtsenteignungen anzuwenden.64 Dies ist im Hinblick auf den negativen Gebietsgrundsatz unproblematisch. Denn für Handlungen in Deutschland ist aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung nach wie vor der (aus der Sicht des Enteignungsstaates) Enteignete Inhaber des Immaterialgüterrechts.65 Die Anwendung des positiven Gebietsgrundsatzes müsste aber eigentlich dazu führen, dass dem Enteignungsbegünstigten das Immaterialgüterrecht für Handlungen auf dem Gebiet des Enteignungsstaates auch aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung zusteht. Bei näherer Betrachtung jedoch entscheidet die deutsche Rechtsordnung über die absolute Anerkennung der Enteignung des Rechts, das Handlungen auf dem Gebiet des Enteignungsstaates betrifft, nicht. Dadurch entsteht ein hinkendes Rechtsverhältnis. Dieses gleicht im Hinblick auf gewisse Folgeansprüche die relative Anerkennung (also die Rechtsverkehranerkennung) aus. Die Rechtsverkehranerkennung aber ist auch bei Enteignungen dinglicher Rechte selbstverständlich und nicht Gegenstand des Gebietsgrundsatzes.66 Der Gebietsgrundsatz der Enteignung 61
Vgl. § 18 I 1; zu Ausnahmen § 19 I. Vgl. § 18 II 2; vgl. zur Frage, wann Dritten ein Leistungsverweigerungsrecht zuzugestehen ist, § 19 II. 63 Vgl. § 18 II 4. 64 Vgl. dazu und zum Folgenden § 20 III. 65 Vgl. § 20 I. 66 Vgl. § 16 I. 62
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dinglicher Rechte und der Gebietsgrundsatz der Immaterialgüterrechtsenteignung haben also jeweils andere Rechtsfolgen. Darüber hinaus unterscheiden sich die Beweggründe und die Tatbestandsvoraussetzungen.67 Wendet man also auf Immaterialgüterrechtsenteignungen einen Gebietsgrundsatz an, ist dies wiederum ein anderer als bei der Enteignung dinglicher Rechte. 4. Rechte von und an Gesellschaften
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Die herrschende Meinung behandelt Gesellschaftsenteignungen nach dem Gebietsgrundsatz. Das ist möglich. Man kann das erwünschte (und jedes andere) Ergebnis erzielen.68 Der Gebietsgrundsatz stellt jedoch – zumindest in seiner einfachen Form – allein auf die Belegenheit des enteigneten Rechts ab. Er bietet damit nicht den nötigen Freiraum, zu den tragenden Wertungen vorzudringen und sachgerechte Regeln herauszubilden. Für die Behandlung fremdstaatlicher Gesellschaftsenteignungen ist eine differenzierende Kollisionsnorm notwendig, die auch die Umstände der Enteignung berücksichtigt.69 Der Gebietsgrundsatz nämlich gibt solchen qualitativen Erwägungen keinen Raum. Bei fremdstaatlichen Enteignungen im Zusammenhang mit Gesellschaften sind drei Konstellationen zu unterscheiden:70 (1) Wird ein einzelnes Recht einer Gesellschaft enteignet, gelten die gewöhnlichen Anerkennungsregeln, die auch für Rechte natürlicher Personen gelten. (2) Enteignet der Statutarstaat nur einzelne Anteilsrechte an einer Gesellschaft, wird dies regelmäßig anerkannt. (3) Problematisch ist hingegen der dritte Fall, dass der Statutarstaat oder ein anderer Staat (fast) alle Anteilsrechte an einer Gesellschaft oder (fast) alle Rechte der Gesellschaft enteignet. Beide Fälle werden gleichbehandelt. Man kann etwas ungenau von Gesellschaftsenteignungen sprechen. Gewisse entschädigte Gesellschaftsenteignungen durch den Statutarstaat sollen nach in der Literatur weit überwiegend vertretener Ansicht vollständig anerkannt werden.71 Der in dieser Arbeit eingeführte Begriff der vollständigen Anerkennung meint dabei, dass auch diejenigen Rechte der Gesellschaft aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung auf den Enteignungsbegünstigten übergehen, deren einzelne Enteignung nicht im eigentlichen Sinne anerkannt würde. Unter welchen Voraussetzungen und aus welchen Gründen genau gewisse fremdstaatliche Gesellschaftsenteignungen vollständig anerkannt werden sollten, ist eine Frage des einfachen Rechts.72 Die Rechtsprechung wird sie zu beantworten haben. In vielen Fällen – wie bei den französischen 67
Vgl. § 20 III a.E. Vgl. zu den Konstruktionsmöglichkeiten §§ 13 IV 2, V 2, 22 II, III, 23 I, II. 69 Vgl. § 21 I, ferner §§ 12 V 2, 13 VI 2. 70 Vgl. dazu und zum Folgenden § 21 I. 71 Vgl. § 22 I. 72 Zum verfassungsrechtlichen Rahmen § 21 II. 68
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Ergebnis
Verstaatlichungen zu Beginn der 1980er Jahre73 – wird es dabei offensichtlich sein, ob die Enteignung anzuerkennen ist. Da die deutsche Rechtsprechung jedoch noch über keinen Fall einer solchen Enteignung zu entscheiden hatte, fehlt es noch am praktischen Anschauungsmaterial, um die Beweggründe und die einzelnen Voraussetzungen für eine vollständige Anerkennung präzise zu bestimmen. Erfüllt der enteignende Statutarstaat die Voraussetzungen für eine vollständige Anerkennung nicht, zahlt er insbesondere keine Entschädigung, oder enteignet ein anderer Staat die Gesellschaft, so wird die ursprünglich einheitliche Gesellschaft nach herrschender Meinung gespalten (Spaltungslehre).74 Die teilweise vertretene Abfindungslösung, die auch entschädigungslose Enteignungen vollständig anerkennen, den Enteigneten aber einen schuldrechtlichen Ersatzanspruch gegen die einheitlich fortbestehende Gesellschaft zusprechen möchte, konnte sich nicht durchsetzen.75 Die Spaltungslehre wird damit begründet, dass der Enteignungsstaat insbesondere über eine Enteignung der Anteilsrechte einer Gesellschaft nicht mehr erreichen können sollte als durch eine unmittelbare Enteignung einzelner Rechte der Gesellschaft. 76 Die Spaltungslehre hat zur Folge, dass aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung zwei Rechtsträger entstehen: eine Rumpfgesellschaft (mit neuem Mitgliederbestand) und eine Spaltgesellschaft (mit altem Mitgliederbestand). Die Rechte der Spaltgesellschaft werden regelmäßig liquidiert.77 Die Rumpfgesellschaft wird anerkannt als Träger ihrer Rechte. Welche Rechte der Rumpf- und welche Rechte der Spaltgesellschaft zustehen, ist für jedes Recht gesondert zu bestimmen, als wäre eben dieses Recht unmittelbar enteignet worden.78 Hinter der teilweisen „Anerkennung“ einer solchen Gesellschaftsenteignung nach der Spaltungslehre stehen daher die Beweggründe, die die jeweilige Behandlung einer einzelnen Enteignung der Rechte der Gesellschaft stützen würde.
73
Vgl. zu diesen §§ 13 VI 1, 21 I, 22 I. Vgl. § 23 I 1. 75 Vgl. zu dieser Ansicht § 23 II, ferner §§ 21 II, 22 II 2. 76 Vgl. § 23 I 1. 77 Vgl. § 23 I 2. 78 Vgl. § 23 I 3, 4. 74
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Sachregister (Hauptfundstellen kursiv) Abhandenkommen, s. gutgläubiger Erwerb, Abhandenkommen Abweichende Lösungsansätze 132 ff. – Ansatz nach Behrens, Rudolf, Koppensteiner, Wölker 141 ff. – Ansatz nach Kreuzer, AmbroschKeppeler 148 ff. – lex rei sitae 135 ff. – offene Abwägung 139 ff. – personale Nähebeziehung als Ergänzung zum Gebietsgrundsatz 133 f. – personale Nähebeziehung innerhalb des Gebietsgrundsatzes 132 f. – Stellungnahme und Kritik 158 ff. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 37 Aneignungsrechte und Produktionsmittel 7, 97 ff., 111, 220 f., 223 ff., 227 f. Anerkennung – Begriff 88 ff. – Beweggründe, s. dort – bei Forderungen 234 ff., 243 ff. – förmliche 88 – im klassischen IPR 90 – kollisionsrechtliche 90 – Rechtsverkehranerkennung, s. dort – Urteilsanerkennung nach § 328 ZPO und das IPR 148 f., 154 f. Anwendung, s. ausländisches öffentliches Recht, Unanwendbarkeitsdogma Ausländisches öffentliches Recht – Artfremdheit 137, 284 – Berücksichtigung 79 ff. – Nichtdurchsetzungsgrundsatz 120 ff. – Sonderanknüpfung 138 f., 284, 303 f. – Unanwendbarkeitsdogma 75 ff.
Begriffskritik 28 ff. Belegenheit – Anteilsrechte 66, 69, 132, 271, 274, 280 ff. – Belegenheitsort und Lageort 29, 114, 116 f., 176 ff. – Dingliche Rechte 175 ff. – Einführung 27, 62, 66 f., 69, 116 f., 175 f. – Forderungen 66 f., 229 ff. – Immaterialgüterrechte 265 – Spezialität der 176 – Verzichtbarkeit bei genauer Bestimmung der Anknüpfungspunkte 306 f. – und Vollziehung 33 f., 117, 177 ff., 241 ff. Besatzungsrecht 34 ff. Beweggründe zur Anerkennung – Abgrenzung zu den Beweggründen der Rechtsverkehranerkennung 94 ff., 214, 248 f., 267 f. – Interessen ausländischer Staaten 129, 141 – gute Beziehungen zum Enteignungsstaat 108 ff. – bei dinglichen Rechten 107 ff. – nicht aus dogmatischer Zuordnung des Gebietsgrundsatzes ableitbar 83 – Effektivität 120 ff., 130, 145, 175, 215, 243, 282 – Entscheidungseinklang 70, 111 f. – bei Forderungsenteignungen 96 f., 131, 248 f., 309 f. – Gegenseitigkeit 83, 122 ff., 143, 146 f., 149, 196 – bei Gesellschaftsenteignungen 279 f., 292 f.
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Sachregister
– deutsche Handelsinteressen 99 ff., 109 ff., 123, 130, 168, 171, 184, 187, 220 f., 223 ff., 227 f. – bei Immaterialgüterrechten 92, 263, 267 f., 310 – internationale Ordnung 108 ff., 130 f., 160, 171 f. – Macht 33, 112 ff., 130 ff., 160, 172, 213, 226, 228, 233 f., 238 f., 243, 249, 282 – private und staatliche Interessen 129 – Respekt 124 ff. – Risiko 128 f., 252, 274, 286, 296 – Unterscheidung nach Art der Enteignungsobjekte 130 ff. – Verkehrsschutz 126 ff. – Vertrauen 102 f., 126 ff., 172 f., 207, 212, 224 Bilaterale Investitionsschutzverträge – Anerkennungspflicht bei BITgemäßen Enteignungen 48 ff. – keine Anerkennungspflicht bei BITwidrigen Enteignungen 51 f. – kein Anerkennungsverbot bei BITwidrigen Enteignungen 52 ff. – Anwendungsbereich 46 – Einführung 43 ff. – Enteignungsvoraussetzungen 44 – Entscheidung über BIT-Gemäßheit 46 ff. – Kapitalanlage, Begriff 46, 50, 65 f. – und mittelbar extraterritoriale Enteignungen 50 – und das nationale Kollisionsrecht 44 ff., 50 f., 53 f., 148 ff., 171, 207 – und nationaler ordre public 51, 207 – und das selbständige Vollziehungserfordernis im nationalen Recht 50, 171 – Zusammenfassung 303 Bodenreform 7, 35, 85, 93, 202, 213 f. Bürgschaft 235, 247, 259 Chile-Kupfer-Fall 101, 110 f., 141, 183 f., 220 f., 223 Datumtheorie 79 ff. Dingliche Rechte, als Enteignungsobjekte 7 ff., 166 ff., 307 f.
– – – –
und Art. 14 GG 187 ff. Belegenheit 175 ff. und ordre public 202 und Rechtsverkehranerkennung 93 ff., 213 f. – Sachen des persönlichen Gebrauchs 183 f., 215, 220 ff., 227 f. – Sachen des betrieblichen Gebrauchs 183 f., 215, 220 ff., 227 f. – Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes 166 ff. – völkerrechtswidrige Enteignung 16 ff., 110 f., 181 ff., 219 ff. – Vollziehung und Verbringung 93, 178 f., 213 ff. – Vorschlag einer Regel 226 ff. Dreistufenprüfung 193 Drittstaat – Belegenheit 69 f. – Entscheidungseinklang 112 – Zweitenteignung 70 Effektivität, s. Beweggründe zur Anerkennung, Effektivität Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG – Begriff der Enteignung 62 f., 195 ff., 283 – und extraterritoriale Enteignung dinglicher Rechte 195 ff. – bei Gesellschaftsenteignungen 272 ff. – Gleichstellungslösung bei Enteignungen dinglicher Rechte 195 ff. – und intraterritoriale Enteignung dinglicher Rechte 197 ff. Einheitsanknüpfung, s. Sonderanknüpfung EMRK 37 ff., 192 f., 206 f. Energy Charter Treaty (ETC; Vertrag über die Energiecharta) 59 Enteignung, fremdstaatliche – Administrativenteignung 63, 73 ff., 89, 206, 303 – Begriff im Sinne des internationalen Enteignungsrechts 62 ff. – Begriff im Sinne des Verfassungsrechts,
Sachregister s. Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG, Begriff der Enteignung – durch Entzug oder andere Beeinträchtigung 3, 62 ff. – extraterritoriale 38, 67 ff., 78, 134, 150, 160 f., 174, 195 ff., 214 f., 280 f. – intraterritoriale 35, 38 f., 50, 67 ff., 99, 123, 125, 127, 133, 143, 151, 156, 160, 169, 174, 185, 197 ff., 212, 214 f., 280 f. – durch Justizakt 63, 75 – Legislativenteignungen 63, 73 – mittelbar extraterritoriale 38, 50, 69, 272, 281 – Nichtanerkennungsgrundsatz 80 f. – nicht durch privatrechtliche Handlung 64 – Qualifikation 62 ff., 138, 283 f. – Recht als Gegenstand 1, 62 ff. – sympathische 139 f. – ultraterritoriale, s. Enteignung, extraterritoriale – Unterscheidung nach Enteignungsumständen 122, 131 f., 158, 162 f., 174 f., 215, 217, 305 ff. – völkerrechtswidrige, s. dingliche Rechte, völkerrechtswidrige Enteignung – Zwangskauf 66, 139, 283 f. Enteignungsobjekte im internationalen Enteignungsrecht – Abgrenzung zum Begriff der Kapitalanlage im Sinne der bilateralen Investitionsschutzverträge 65 f. – Abgrenzung zu Bezugsobjekten 66 ff. – Allgemeines 62 ff. – dingliche Rechte 166 ff., s. näher dort – Forderungen 229 ff., s. näher dort – Gesellschaften 269 ff., s. näher bei Gesellschaftsenteignungen – Immaterialgüterrechte 261 ff. – Lokalisierung 68 f., 175 f. Entschädigung – bei Forderungsenteignungen 254 f., 257 f. – Fremdenrecht, s. dort
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– bei Immaterialgüterrechtsenteignungen 261 – kein Tatbestandsmerkmal des Gebietsgrundsatzes 169 – nur hälftige zur vollständigen Anerkennung von Gesellschaftsenteignungen 275 ff. Europarecht, s. Unionsrecht Fernwirkung, keine _ der Nichtanerkennung – Aneignungsrechte und Produktionsmittel, s. dort – gutgläubiger Erwerb, s. dort – und Justizakte 106 f. – originärer Erwerb 106 – und Verwaltungsakte 106 f. Fischereirechte, s. Aneignungsrechte und Produktionsmittel Flugzeuge 178 Folgeansprüche, s. Rechtsverkehranerkennung Forderungen, als Enteignungsobjekte 8, 10 f., 229 ff., 309 f. – Ablösung der Anerkennungsregeln 246 ff. – absolute Anerkennung 256 ff. – Begriff der Anerkennung, s. Anerkennung, bei Forderungen – Behandlung nach Ansatz Kreuzers 152 f. – Belegenheit 229 ff., 249 ff. – Beweggründe zur Anerkennung 248 f. – Entschädigung 254 ff. – und Gebietsgrundsatz 229, 246 ff. – und Hinterlegung 255 – Leistungsverweigerungsrecht 10, 80, 97, 240, 245 ff., 251 ff., 258 ff., 295 ff. – und ordre public 251 – praktische Bedeutung 7, 229 – und Rechtmäßigkeit der Enteignung 250 f. – und Rechtsverkehranerkennung 96 f. – und Sicherheiten, Schuldnermehrheiten etc. 235, 247, 258 ff. – Sicherheitsleistung gegen Leistungsverweigerungsrecht 256
336 – Untauglichkeit des Gebietsgrundsatzes 246 ff. – verbriefte 260 – und Völkerrechtswidrigkeit 251 – und Vollziehung 241 ff., 250 – Vorschlag einer Regel 251 ff. Französische Verstaatlichungen zu Beginn der 1980er Jahre 4, 7, 131, 159, 161, 272, 277, 311 f. Fremdenrecht 16 ff., 43 f., 168, 181 ff., 192, 219 ff. Gebietsgrundsatz – Abgrenzung zu völkerrechtlichen Regeln 26 ff., 112 ff. – Abweichende Lösungsansätze, s. dort – Belegenheit, s. dort – berechtigter Anwendungsbereich 8 f., 80, 161 ff., 246 ff., 267 f., 304 ff. – Beweggründe zur Anerkennung, s. dort – Bezeichnung besser als Territorialitätsprinzip 8, 28, 62 – Dogmatische Verortung 70 ff. – Dogmatische Verortung für Sachfragen bedeutungslos 83 ff. – Einführung 60 ff., 303 f. – Einschränkung der positiven Seite 180 ff., 213 ff. – kein Gewohnheitsrecht 62, 289 – internationales öffentliches Recht 71 ff., 83 ff. – internationales Privatrecht 75 ff., 83 ff. – Kritik 158 ff. – Konkretisierungsbedürftigkeit 161 – Lokalisierung, s. Belegenheit – negative Seite 62 – positive Seite 62 – Rechtsfolge, s. Anerkennung – Tatbestandsvoraussetzungen, s. dort – kein überlegenes Alternativkonzept 161 – kein Völkerrecht 20 f., 27 ff. – Wertungen, s. Beweggründe zur Anerkennung Gebietshoheit 23 f., 29
Sachregister Gegenseitigkeit – als Anerkennungsvoraussetzung 122 ff., 143, 146 f., 149 – als Wertung hinter dem Gebietsgrundsatz, s. Beweggründe, Gegenseitigkeit Geltungsbereich staatlicher Rechtsordnungen 22 Gemeinschaftsmarke 263, 278 genuine link 25 Gesellschaftsenteignungen 7, 269 ff., 311 f. – Abfindungslösung 282, 297 ff. – Begriff 271 – Enteignung nur einzelner Anteilsrechte an einer Gesellschaft 269 f. – Enteignung einzelner Rechte einer Gesellschaft 269 – entschädigte 277 ff. – entschädigungslose 286 ff. – Forderungen und Verbindlichkeiten bei nicht vollständiger Anerkennung 294 ff. – und Gesellschaftsstatut 139, 283 f. – Gleichbehandlung von Enteignungen aller Anteilsrechte an einer Gesellschaft und aller Rechte einer Gesellschaft 271 – und Interessengleichheit der Staaten 285 – Liquidationsgesellschaft, s. dort – und neuere Lehren 143 ff., 153 – Spaltungslehre, s. dort – verfassungsrechtlicher Rahmen 272 ff. – vollständige Anerkennung 40, 93, 139, 143, 153, 174 f., 215, 269 ff., 277 ff., 297 f., 311 f. – wechselnde Belegenheit der Anteilsrechte 280 f. Getrenntheit der Rechtsordnungen 1 f., 22, 68, 113 f., 302 Gleichheit der Staaten für Anerkennungsfrage bedeutungslos 26 f. Grenzkriterium 3, 67 ff., 78, 82, 92, 101, 112 ff. Grundgesetz, s. Verfassungsrecht Grundrechte
Sachregister – Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG, s. dort – kein Oktroi 191 – und ordre public 189 ff., 205 f. – Relativierung der Wirkung bei Auslandssachverhalten 191 ff. – und Völkerrecht 192 f., 206 f., 211 f. Grundrechtskollisionsrecht – im formellen Sinne 189 ff. – im materiellen Sinne 191 ff. Gutgläubiger Erwerb dinglicher Rechte – Abhandenkommen 104 ff., 127 f. – Anforderungen an den guten Glauben 103 f. – nach lex rei sitae 103 – und ordre public 102 Haager Landkriegsordnung 34 f. HAG-Doktrin 41 f. Hinkendes Rechtsverhältnis – bei dinglichen Rechten 93 ff., 177 f., 213 f. – als Folge der Nichtanerkennung 3, 91 ff., 112, 152 f., 157 f. – bei Forderungen 235 f., 249, 252, 310 – bei Gesellschaftsenteignungen 290 – bei Immaterialgüterrechten 267 Hinnahme, s. Rechtstatsachen, Hinnahme Hypo Real Estate Holding-AG 124, 270 Hypotheken 177, 235, 258 ff. ICSID 47, 49, 59 Immaterialgüterrechte, als Enteignungsobjekte 41 f., 92, 131, 153, 156 f., 162, 168, 261 ff., 269, 278, 293, 300, 304 ff., 310 f. Immunität 36 f. Indonesien-Tabak-Fall 97 ff., 109 ff., 181 ff., 186, 220 ff. Inlandsbezug – bei Grundrechten 193 f. – beim ordre public 207 ff. Interesse zur Anerkennung, s. Beweggründe zur Anerkennung Interlokales Enteignungsrecht – Gleichbehandlung mit internationalem Enteignungsrecht 61
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– und Spaltungslehre bei Gesellschaften 289 Internationale Ordnung 108 ff., 112, 116, 130 f., 160, 171 f., 214, 248 f., 268, 308 Internationaler Währungsfonds 41 Internationales Enteignungsrecht – „Abwehrfunktion“ 3 f., 32, 63, 158 – Begriff 2 f., 27, 60 – Erstreckungsfunktion 3, 63, 252 – als Induktionsgrundlage 12 – nicht kodifiziert 60 – praktische Bedeutung 4 ff. Internationales öffentliches Recht – Abgrenzung zum Recht der internationalen Verwaltung 72 – Begriff 72 f. – kein einheitliches Rechtsgebiet 11 f. – Einseitigkeit 72, 77 – als Grenzrecht bei Verwaltung durch deutsche Stellen 72, 77 – öffentlichrechtliches 72, 77 f., 86 f. – privatrechtliches 72 f., 77 ff., 86 f. – Zweistufentheorie 73 Internationales Privatrecht – Anerkennungsebene 90 – funktionale Zuordnung 86 f. – Sonderanknüpfung, s. dort – Verweisungsebene 90, 137 ff. Internationales Verfahrensrecht 73 ff. Internationales Verwaltungsrecht, s. internationales öffentliches Recht Internationales Wirtschaftsrecht 82 f., 142 f. Interventionsverbot und Gebietsgrundsatz 125 Interzonales Enteignungsrecht, s. interlokales Enteignungsrecht Investitionsrecht 43 ff. – bilaterale Investitionsschutzverträge, s. dort – Globalentschädigungsabkommen 57 f. – Investor-Staat-Verträge 57 – multilaterale Regelwerke 59 – Versicherungen und Garantien 58 f. iurisdiction to enforce, s. Territorialitätsprinzip, völkerrechtliches
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Sachregister
iurisdiction to prescribe, s. Regelungsbefugnis der Staaten Justizakte – Enteignung durch, s. Enteignung, durch Justizakte – nach einer Enteignung 106 f. Kodifikation, keine _ des internationalen Enteignungsrechts 60 Konfiskation, Begriff 169 Lagestaat 176 ff. Lex rei sitae, s. abweichende Lösungsansätze, lex rei sitae Liechtensteinischer Bilderstreit 38 f., 184 Liquidationsgesellschaft 287 ff., 299 ff. Machtlehre – Bedeutung 112 ff. – und Effektivität 121 – bei dinglichen Rechten 117 – bei Forderungen 233 f., 238 f., 243, 249 – als Grenzkriterium 112 ff. – Macht als internationalenteignungsrechtlicher Begriff 116 f. – Schwächen 115 ff. – und Verbringung/Vollziehung 118 ff., 172 Madrider Markenabkommen 263 Menschenrechte 37 ff., 192, 206 f., 211 f. Multilaterale Investitionsschutzabkommen 59 Multilaterale Abkommen zur Enteignungsanerkennung 60 NAFTA 59 Nähmaschinenfälle 83, 110, 131, 183, 210, 222 f. Neues-Unrecht-Formel 186 f. Nichtdurchsetzungsgrundsatz 121 f. Normative Kraft des Faktischen 115 Objekte – Bezugsersatzobjekte 67 f. – Enteignungsobjekte 29 f., 63, 66, 68
– körperliche Bezugsobjekte 29, 33 f., 66 f., 114 ff., 121, 128 f., 170 f., 176, 233 f., 243 OECD 59 Ölförderungsrechte, s. Aneignungsrechte und Produktionsmittel Ordre public bei der Enteignung dinglicher Rechte – Art. 6 S. 2 EGBGB analog 203 – Dreistufenprüfung 193 f. – Grundrechte 189 ff., 205 f. – Inlandsbezug 207 ff. – und Investitionsschutzverträge 51, 207 – konkretisierungsbedürftig 205 – übernationale Maßstäbe 206 f., 211 f. – und Völkerrechtswidrigkeit 181 ff., 206 f., 211 f. – und Vorfrage 204 f. – wesentliche Grundsätze des deutschen Rechts 205 ff. – zurückhaltender Gebrauch 203 ff. Originärer Eigentumserwerb, s. Fernwirkung, originärer Erwerb par in parem non habet imperium, s. Gleichheit der Staaten Personalhoheit 132 ff., 150 Pluralität subjektiver Rechte 1, 234, 266, 270 Produktionsmittel, s. Aneignungsrechte und Produktionsmittel Publizität 173 Qualifikation als Zwangskauf, s. Enteignung, Zwangskauf Rechtmäßigkeit der Enteignung nach dem Recht des Enteignungsstaates 166 ff., 250, 268 Rechtslagenanerkennung 88 Rechtslagenhinnahme 88 Rechtstatsachen, Hinnahme 80 ff., 188 Rechtsverkehranerkennung 91 ff. – Abgrenzung zur absoluten Anerkennung 91 ff. – Begriff 91 – bei dinglichen Rechten 93 ff., 213 f.
Sachregister – bei Forderungsrechten 96 f. – bei Gesellschaftsenteignungen 93 – bei Immaterialgüterrechten 92, 267 f. – als relative Anerkennung 91 Regelungsbefugnis der Staaten 24 ff., 31, 34, 114, 116, 274, 302 Respekt, s. Beweggründe zur Anerkennung, Respekt Rohstoffe, s. Aneignungsrechte und Produktionsmittel SBZ-Enteignungen 5 f., 35, 39, 184, 222 f. Schiffe 179 Schürfrechte, s. Aneignungsrechte und Produktionsmittel Selbständiges Vollziehungserfordernis, s. Vollziehungserfordernis, selbständiges Simbabwe-Kaffe-Fall 108 ff., 130, 184, 223 f. Sonderanknüpfung 78, 107, 138 f., 175, 178, 283 ff., 303 f. Souveränität für Anerkennungsfrage bedeutungslos 26, 107 Spaltungslehre, bei Gesellschaften – enteignungsfreie Rechte 292 ff. – bisher nur bei Entschädigungslosigkeit 277 f. – extreme 270, 298 – Forderungen und Verbindlichkeiten der Gesellschaft 294 ff. – gemäßigte 270, 298 – kein hinkendes Rechtsverhältnis 290 – in internationalprivatrechtlichen und interlokalrechtlichen Fällen 289 – Liquidationsgesellschaft, s. dort – bei Gesellschaften nicht verfassungsrechtlich gefordert 273 – werbende Spaltgesellschaft 291 f. Spaltungslehren, sonstige – bei Forderungen 231 ff. – bei Immaterialgüterrechten 265, 267 Spaltungstheorie, s. Spaltungslehre(n) Sprachgebrauch, s. Begriffskritik Staatsangehörigkeit 25, 38, 44, 46, 58, 132 ff., 209 Staatsfreies Gebiet 179
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Tatbestandsvoraussetzungen des Gebietsgrundsatzes bei Enteignungen dinglicher Rechte – Belegenheit, s. dort – Entschädigung 169 – Rechtmäßigkeit nach dem Recht des Enteignungsstaates 166 ff. – Vollziehungserfordernis, nicht selbständiges, s. dort – Vollziehungserfordernis, selbständiges, s. dort – Wirksamkeit 166, 170 Territorialität – Abgrenzung zur Personalität 132 – Geltungsbereich staatlicher Rechtsordnungen 22 – staatliche Regelungsbefugnis nicht territorial begrenzt 24 – als Tatbestandsmerkmal der Anerkennungsnorm 67 ff. – staatliche Vollstreckungsbefugnis, s. Territorialitätsprinzip, völkerrechtliches Territorialitätsprinzip – als Kollisionsregel, s. Gebietsgrundsatz – und völkerrechtliche Regelungsbefugnis 27 – völkerrechtliches 23 f., 33, 114 ff., 145, 174, 196, 234, 243, 302 f., 304 – und Vollziehung 33 f. Unionsrecht 39 ff. Verbindung, Vermischung, Verarbeitung 106 Verbriefung 260 Verbringung von Sachen – durch Enteigneten 214 ff. – durch Enteignungsbegünstigten/ Rechtsnachfolger 218 ff. – heilende 120 – und Machtlehre 118 ff., 213 f. – Sache noch im Enteignungsstaat 213 f. – Prägungstheorie 119 – vernichtende 120 – und Vollziehung 213 ff. Verfassungsrecht
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Sachregister
– Art. 25 GG 17, 20, 181 ff., 192, 206, 212, 219 f. – Eigentumsfreiheit des Art. 14 GG, s. dort – Grundrechte, s. dort – Verantwortlichkeit nicht aus Rechtsnatur des Gebietsgrundsatzes ableitbar 82 ff. – Vorbehalt des Gesetzes 85, 198, 272 Vermögen, Bedeutung und Begriffskritik 29 f., 230 ff., 278, 287, 292 Verstaatlichung 65 Vertrauen – auf den Bestand der Umverteilung, s. Beweggründe, Vertrauen – gutgläubiger Erwerb nach Enteignung, s. gutgläubiger Erwerb dinglicher Rechte Verwaltungsakte – Enteignung durch, s. Enteignung, Administrativenteignung – nach einer Enteignung 106 f. Völkergewohnheitsrecht – Fremdenrecht, s. dort – keine Pflicht zur Anerkennung völkerrechtsgemäßer Enteignungen 17 ff., 302 – Regelungsbefugnis der Staaten, s. dort – Verantwortlichkeit nicht aus Rechtsnatur des Gebietsgrundsatzes ableitbar 82 ff. – kein Verbot der Anerkennung völkerrechtswidriger Enteignungen 18 ff., 302 – Vollstreckungsbefugnis der Staates, s. Territorialitätsprinzip, völkerrechtliches – Enteignungen grundsätzlich zulässig 16
Vollziehungserfordernis, nicht selbständiges, und Wirksamkeit 170 Vollziehungserfordernis, selbständiges – Abgrenzung zur Vollziehung als Wirksamkeitsvoraussetzung 170 f. – Aufhebung des Vollzugs 171, 216 f. – Ausgestaltung nach deutschem Recht 170 – und der Begriff der Anwendung 174 – und BIT 50 f., 171 – Dingliche Rechte 33, 170 ff., 213 ff. – Ernsthaftigkeitsvorbehalt 173 f. – Forderungen 33 f., 241 ff., 250 – und Gesellschaftsenteignungen 282 f., 293 f. – und internationale Ordnung 171 f. – und Machtlehre, s. Machtlehre, und Verbringung/Vollziehung – und Publizität 173 – nicht aus Rechtsnatur des Gebietsgrundsatzes ableitbar 83 f. – nach Enteignungsobjekten 174 f. – und Vertrauen auf den Bestand der Umverteilung 172 f. Vorbehalt des Gesetzes, s. Verfassungsrecht, Vorbehalt des Gesetzes Vorfragen 37, 73, 85 f., 204 f. Wertpapiere 260 Zuständigkeit zur Enteignung – als Tatbestandsmerkmal der innerstaatlichen Kollisionsnorm 148 ff., 154 – völkergewohnheitsrechtliche, s. Regelungsbefugnis der Staaten Zypern 41 Zwangskauf, s. Enteignung, Zwangskauf