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German Pages 254 [264] Year 2013
Dirk Wentzel (Hg.) Internationale Organisationen: Ordnungspolitische Grundlagen, Perspektiven und Anwendungsbereiche
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft
Herausgegeben von Prof. Dr. Thomas Apolte, Münster Prof. Dr. Martin Leschke, Bayreuth Prof. Dr. Albrecht F. Michler, Düsseldorf Prof. Dr. Christian Müller, Münster Prof. Dr. Stefan Voigt, Hamburg Prof. Dr. Dirk Wentzel, Pforzheim
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Redaktion:
Dr. Hannelore Hamel
Band 97:
Internationale Organisationen: Ordnungspolitische Grundlagen, Perspektiven und Anwendungsbereiche
L u c i u s & L u c i u s · Stuttgart - 2 0 1 3
Internationale Organisationen Ordnungspolitische Grundlagen, Perspektiven und Anwendungsbereiche
Herausgegeben von
Dirk Wentzel
Mit Beiträgen von Hanno Beck, Oliver Budzinski, Susanne Cassel, Volker Huck, Thomas Jost, Björn Kuchinke, Albrecht F. Michler, Marie Möller, Katalin Monostori, Nils Otter, Julia Pannicke, Rahel Schomaker, Alfred Schüller, Franz Seitz, H. Jörg Thieme und Dirk Wentzel.
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Lucius & Lucius · Stuttgart - 2 0 1 3
Anschrift des Herausgebers: Prof. Dr. Dirk Wentzel Hochschule Pforzheim Tiefenbronner Straße 65 D-75175 Pforzheim dirk. wentzel @ hs-pforzheim.de
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. (Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft; Bd. 97) ISBN 978-3-8282-0579-6
© Lucius & Lucius Verlags-GmbH · Stuttgart -2013 Gerokstraße 51 · D-70184 Stuttgart Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Isabelle Devaux, Stuttgart Druck und Einband: ROSCH-BUCH Druckerei GmbH, 96110 Scheßlitz Printed in Germany
ISBN 978-3-8282-0579-6 ISSN 1432-9220
Vorwort Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gilt als die Geburtsstunde internationaler Organisationen. Die Gründung der Vereinten Nationen, der Weltbank, des GATT und des IWF waren der Auftakt für eine ganze Reihe von Organisationen, die sich mit der Zusammenarbeit der Völker in Wirtschaft und Politik befassen. Heute ist die Zahl internationaler Organisationen kaum noch seriös zu beziffern: Ordnungs- und Wirtschaftspolitik findet vorwiegend im internationalen Kontext statt. Die Innovationen im Bereich der Telekommunikation, die zunehmende wirtschaftliche Verflechtung von Unternehmen, der Zusammenbrach der kommunistischen Staaten und die Erfindung des Internet haben die Welt in einer historisch einmaligen Art und Weise vernetzt. Umgangssprachlich wird hierfür der Begriff Globalisierung verwendet: Dieser wird zwar von Wirtschaftswissenschaftlern gemieden, weil er letztlich nicht methodisch zu erfassen ist und eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten impliziert. Allerdings ist eines unzweifelhaft: Keine nationale Wirtschaftspolitik kann sich der Wirkung der globalisierten Finanz- und Gütermärkte entziehen. Die aktuelle Staatsschuldenkrise dokumentiert, wie sehr die Staaten bereits miteinander verbunden sind. Für die Nationalstaaten bedeutet dies eine Einschränkung ihrer Handlungsmacht. Selbst eine Supermacht wie die USA kann nicht allein die Regulierung der Finanzmärkte nach ihren Vorstellungen durchsetzen: Sie ist auf Zusammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen. Dies geschieht in internationalen Organisationen wie den G8 oder der Europäischen Union, die für den größten Binnenmarkt der Welt Verantwortung trägt. Die Macht der Nationalstaaten verringert sich, je mehr sich die legislative Gewalt de facto in internationale Organisationen verlagert und je mobiler die Menschen werden bei der Suche nach dem für sie besten Arbeitsplatz. Auch in der Volkswirtschaftslehre hat die Theorie internationaler Organisationen verstärkt Einzug gefunden: Die neuen Studiengänge im Bereich international relations erfreuen sich größter Beliebtheit. Die Bereitstellung öffentlicher Güter findet zunehmend über internationale Organisationen statt, die entweder formal legitimiert oder auch als Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) auftreten. Ohne Zweifel ist eine Erklärung internationalen Handels nicht mehr möglich ohne eine empirisch prüfbare Theorie internationaler Organisationen. Vor diesem Hintergrand hat sich das Internationale Forschungsseminar Radein e.V. in seiner 45-jährigen Tradition im Jahre 2012 erstmals systematisch mit der Theorie internationaler Organisationen befasst. Der vorliegende Sammelband setzt die Tradition fort, dass jedes Forschungsseminar durch eine Buchpublikation dokumentiert wird. Die Autoren haben in ihren Beiträgen verschiedene Facetten internationaler Organisationen beleuchtet, so dass der Leser einen Überblick über die Bandbreite des Themas erhält. Angesichts der Komplexität der Fragestellungen und der zeitlichen Begrenztheit des Seminars kann gleichwohl kein Anspruch auf eine vollständige Behandlung des Fachgebietes erhoben werden.
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Erfreulich ist zu vermerken, dass sich die beiden Festredner zu einer schriftlichen Fassung ihres Beitrags bereiterklärt haben. Frau Dr. Susanne Cassel, Absolventin der Kennedy School of Governance an der Havard University und Mitarbeiterin im BMWi, erörtert detailliert, wie Verhandlungen in internationalen Organisationen ablaufen. Prof. Dr. Alfred Schüller belegt mit seinem historisch geprägten Beitrag über Wilhelm Röpke, welchen Stellenwert die Theorie internationaler Wirtschaftsbeziehungen schon früh in der deutschen Volkswirtschaftslehre eingenommen hat. Die Drucklegung des Radein-Bandes gibt mir Gelegenheit, vielen Helfern für ihre engagierte Unterstützung zu danken. Vor allem gilt mein Dank den Teilnehmern des Seminars für ihre gelungenen Beiträge und engagierten Diskussionen. Der Marburger Gesellschaft für Ordnungsfragen der Wirtschaft e.V. sei gedankt, dass sie durch eine finanzielle Spende zur Durchführung des Seminars beigetragen hat. Dr. Raimund Scheffler bin ich außerordentlich dankbar für die professionelle organisatorische Unterstützung im Vorfeld des Seminars. Und schließlich danke ich Privatdozentin Dr. Rahel Schomaker und Frau Dr. Hannelore Hamel für ihre gewissenhafte formale Gestaltung und redaktionelle Überprüfung der Beiträge.
Pforzheim, im Juni 2013
Dirk Wentzel
Inhalt Dirk Wentzel Internationale Organisationen: Historische Entwicklung, theoretische Begründungen und Entwicklungsperspektiven
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Alfred Schüller Der Beitrag von Wilhelm Röpke zu einer Theorie internationaler Ordnung
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Susanne Cassel Global Governance in der Wirtschafte- und Finanzkrise
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Albrecht Michler und H. Jörg Thieme Die Regulierung der Finanzmärkte: Ziele, Methoden und Reformanforderungen
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Thomas Jost und Franz Seitz Zur Rolle des Internationalen Währungsfonds in der Europäischen Finanzkrise
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Hanno Beck und Dirk Wentzel Eine internationale Versicherungslösung als Mittel gegen den Konkurs von Staaten
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Oliver Budzinski, Katalin Monostori und Julia Pannicke Der Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation: Urheberrechte im TRIPS-Abkommen und die digitale Herausforderung
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Oliver Budzinski und Björn Kuchinke Zehn Jahre International Competition Network: Auf dem Weg zu einer globalen Wettbewerbsordnung?
175
Nils Otter The Increasing Importance of Nongovernmental Organizations (NGOs): An Economic Assessment
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Marie Möller Limits and Perspectives of Institutional Transfers
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Volker Huck und Rahel Schomaker International Organizations and the Private Sector Global Public-Private Partnerships for Global Public Goods?
233
Die Autorinnen und Autoren
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Dirk Wentzel (Hg.), Internationale Organisationen Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 97 • Stuttgart • 2013
Internationale Organisationen: Historische Entwicklungen, theoretische Begründungen und Entwicklungsperspektiven
Dirk Wentzel
Inhalt 1. Internationale Studien und ihre akademische Verankerung 2.
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Die Entwicklung internationaler Organisationen: Ein kurzer historischer Überblick
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2.1. Wiener Kongress und Telekommunikation 2.2. Die Phase nach dem Zweiten Weltkrieg 2.3. Zwischenergebnis
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3. Normative Theorie internationaler Organisationen
9
4.
5.
3.1. Grenzüberschreitende positive und negative Externalitäten 3.2. Skaleneffekte und Risikoreduktion 3.3. Spieltheoretische Perspektive der Handelstheorie 3.4. Netzwerkextemalitäten und Standards 3.5. Normative Funktionen internationaler Organisationen
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Positive Theorie internationaler Organisationen
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4.1. Kritik an der normativen Theorie 4.2. Annahmen der positiven Theorie 4.3. Entwicklungen der positiven Theorie 4.4. Leistungsfähigkeit der positiven Theorie: Ein Zwischenergebnis
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Handeln internationale Organisationen rational und effizient?
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5.1. Die politische Ökonomik internationaler Organisationen 5.2. Komplexität als inhärente Eigenschaft internationaler Organisationen
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Dirk Wentzel
6.
7.
8.
Die Rolle von Abstimmungsregeln und Agenda Setting
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6.1. Abstimmungsregeln und Entscheidungsfindung 6.2. Konkurrierende Gerechtigkeitsprinzipien
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Die Weiterentwicklung internationaler Organisationen
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7.1. Parkinsons Gesetz als Entwicklungsbremse
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7.2. Die Gründung der EU: Handel als Entwicklungsbeschleuniger 7.3. Handelsintensivierung und politische Integration
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Zusammenfassung und offene Forschungsfragen
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Literatur
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Internationale Organisationen
1.
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Internationale Studien und ihre akademische Verankerung1
Das Studium internationaler Organisationen ist eine akademisch eher neue Disziplin. Dies hängt u.a. damit zusammen, dass erst nach dem 2. Weltkrieg ein sprunghafter Anstieg internationaler Kooperationen stattfand und die meisten internationalen Organisationen - etwa die Vereinten Nationen, der Internationale Währungsfonds (IWF) oder die Weltbankgruppe - gegründet wurden. Die Europäische Integration begann 1957 mit den Römischen Verträgen und hat zahlreiche internationale Organisationen hervorgebracht, die zunehmend als Ordnungsrahmen für Europa wirken. Auch im asiatischen Raum, in Lateinamerika und in Afrika sind internationale Organisationen entstanden, die sich nach Zielrichtung, Wirkungsgrad und Effektivität unterscheiden. Aus heutiger Sicht ist zu vermuten, dass weitere internationale Organisationen entstehen und dass zudem besonders wichtige Einrichtungen - etwa die G20 - weiter wachsen und an Bedeutung gewinnen werden. Das Fachgebiet der internationalen Beziehungen (international relations) hat sich in den vergangenen Jahren als zunehmend eigenständiges Forschungsgebiet entwickelt und erfreut sich bei den Studierenden größter Beliebtheit, wie die stark steigenden Bewerberzahlen an deutschen Hochschulen dokumentieren. Üblicherweise wurden Fragen grenzüberschreitender Beziehungen wissenschaftlich in der Politikwissenschaft, der Volkswirtschaftslehre, dem internationalen Recht oder Völkerrecht thematisiert. Fragen über die Bestimmungsfaktoren internationalen Handels wurden schon sehr früh und sehr präzise analysiert - etwa in den nach wie vor lesenswerten Arbeiten von Gottfried von Haberler (1933/70). Aber gerade die Volkswirtschaftslehre, in der beispielsweise die frühen Arbeiten von Wilhelm Röpke (1945/79; 1958) zumindest im deutschsprachigen Raum als Grundlage für die Analyse internationaler Ordnung angesehen wurden (siehe Schüller i.d.B.), hat sich durch die sehr starke Fokussierung auf formal mathematische Methoden vom Forschungsgegenstand zunehmend entfernt. Röpkes Gedanken beispielsweise über die notwendige Verknüpfung von innerer und äußerer Ordnung in Integrationsgemeinschaften sind an Aktualität nicht zu überbieten, wie das Ringen um eine glaubwürdige Stabilitätsordnung in Europa dokumentiert. Gleichwohl ist Röpke in modernen volkswirtschaftlichen Curricula nicht mehr zu finden, und seine Rezeption findet - wenn überhaupt - zumeist in den Politik- oder Geisteswissenschaften statt. Die Bedeutung internationaler Organisationen in Wirtschaft und Politik nimmt stark zu (ausführlich Freistein und Leininger 2011). Die Globalisierung und vor allem auch die Bedeutung des Internet und der Telekommunikation haben die Interdependenz der Volkswirtschaften stark intensiviert (vgl. Geruschkat und Wentzel 2003). Praktisch alle Themen, die auf der Agenda der nationalen Wirtschaftspolitik ganz oben stehen, sind grenzüberschreitend und entziehen sich dem Regulierungspotential einer singulären nationalen Regierung. Die Bekämpfung der aktuellen Staatsschuldenkrise, die Regulie-
Ich danke den Teilnehmern des internationalen Forschungsseminars Radein, das im Februar 2012 traditionell im Zirmerhof stattfand, für kritische Anmerkungen bei der Abfassung des vorliegenden Beitrags. Besonderer Dank gilt Privatdozentin Dr. Rahel Schomaker und Dr. Hannelore Hamel für eine kritische Durchsicht des Beitrages.
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rung internationaler Finanzmärkte, .Steueroasen' und Geldwäsche, ökologische Themen wie die zunehmende Erderwärmung oder Umweltzerstörung, bevölkerungspolitische Themen wie Migration oder Armutswanderung und nicht zuletzt die Terrorismusbekämpfung zeigen, dass Staaten kooperieren müssen, um drängende Probleme zu lösen: Man kann in diesem Zusammenhang von globalen öffentlichen Gütern sprechen, deren Zustandekommen häufig durch das sog. Trittbrettfahrerproblem erschwert wird und die nur durch enge internationale Kooperation bereitgestellt werden können. Die Plattform für eine solche Zusammenarbeit sind zunehmend internationale Organisationen: So ist beispielsweise nach dem Ausbruch der Finanzkrise 2008 die G20-Gruppe beim internationalen Gipfel in Pittsburgh quasi zu der Keimzelle geworden, die federführend an der Entwicklung einer neuen internationalen Finanz- und Handelsordnung arbeitet (ausführlich Cassel i.d.B.). Internationale Organisationen sind ein temporärer Baustein auf dem Weg zu einer internationalen Wirtschaftsordnung (siehe Fratianni und Pattison 1982). Diese kann nur dann wirkungsvoll werden, wenn es keine Widersprüche zwischen innerer und äußerer Ordnung gibt. International ist also ein „Kodex von Normen, Prinzipien, Verhaltensregeln und Wertvorstellung notwendig" (Schüller i.d.B.), der mit der inneren Ordnung eines Landes zumindest nicht im offenen Widerspruch stehen darf, im Idealfall aber harmonisiert. Die Bereitstellung von globalen kollektiven Gütern ist zudem unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit zu betrachten, denn in der Regel profitieren erst die nachwachsenden Generationen von den heutigen Investitionen in globale öffentliche Güter - etwa den Klimaschutz (vgl. Nordhaus 2005). Internationaler Handel wird getragen und gefördert durch Unternehmen, die ihre Wertschöpfungsketten über verschiedene Länder verteilen. Damit es effiziente Marktzutrittsbedingungen gibt, sind klare Absprachen notwendig, welche Produkte am Markt gehandelt werden dürfen. In der EU wird dies grundsätzlich über die vier Grundfreiheiten gelöst, also die Freiheit des Güter-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehrs. Die Grundfreiheiten haben mit wenigen Ausnahmen allgemeingültigen Charakter. In speziellen Sektoren sind jedoch weitergehende Regeln notwendig, die internationale Koordination erfordern: Die Zulassung von Arzneimitteln beispielsweise erfordert grundsätzlich eine internationale Absprache, da der relevante Markt für Arzneien und Impfstoffe ausnahmslos grenzüberschreitend ist (siehe Schomaker und Huck i.d.B.). So regelt beispielsweise die International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) die Zulassung neuer Medikamente und ist damit Voraussetzung, dass überhaupt ein grenzüberschreitender Markt für Arzneimittel und Generika zum Vorteil der Verbraucher entstehen kann. Der Verbraucher ist der größte Nutznießer dieser Koordination, denn ihm ist es im Zweifelsfall völlig egal, ob sein lebensverlängerndes Medikament im Inland oder im Ausland hergestellt wird. Die Entstehung internationaler Ordnung ist ein evolutorischer Prozess, der von Staaten, Staatengemeinschaften, nicht-staatlichen Organisationen (NGO), Unternehmen und Menschen getragen wird. Die Vielfalt möglicher Erscheinungs- und Organisationsformen ist dabei beachtlich (Überblick bei Freistein und Leininger 2011). Da es auf absehbare Zeit keine internationale Weltregierung geben wird und die faktische Durchset-
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zungsfähigkeit der Vereinten Nationen begrenzt ist, kommt den Unternehmen als den eigentlichen Trägern der Globalisierung besondere Bedeutung zu. Diese haben beispielsweise mit dem Global Compact eine freiwillige Plattform geschaffen, um durch zehn universell anerkannte Prinzipien in den Bereichen der Menschenrechte, der Arbeitsnormen, des Umweltschutzes und der Bekämpfung der Korruption Standards zu setzen. Die empirische Beobachtung, dass sich Unternehmen freiwillig auf kostenerhöhende Standards einigen und dass auch die Verbraucher zumindest in den westlichen Ländern beim Kauf eines Produktes nicht nur auf den Preis, sondern auch auf die Information über die gesamte Wertschöpfungskette achten, ist ein Beispiel dafür, wie wichtig internationale Koordination geworden ist. Obwohl der Global Compact nicht rechtskräftig ist und auch viele schwarze Schafe gegen die Prinzipien verstoßen, entsteht gleichwohl ein internationaler Verhaltenskodex, der als Orientierung für unternehmerisches Handeln dienen kann. Im vorliegenden Beitrag2 geht es darum, einen Überblick über den Status quo ökonomischer Forschung auf dem Gebiet der internationalen Organisationen zu geben. Nach den einleitenden Bemerkungen über die akademische Verankerung des Fachgebiets wird ein historischer Überblick über die Entwicklung internationaler Organisationen gegeben. Anschließend wird die normative Theorie internationaler Organisationen vorgestellt und im darauffolgenden Kapitel mit der positiven Theorie konfrontiert. Danach wird die Frage diskutiert, ob internationale Organisationen als handelnde Kollektive (im Sinne von Olson 1985) rational und effizient handeln und welche Rolle Abstimmungsregeln und Agenda Setting haben. Daran anschließend wird diskutiert, ob internationale Organisationen auch wieder abgeschafft werden können, wenn sie einmal erschaffen wurden, oder ob sie im Verständnis von Parkinsons Gesetz ein bürokratisches Eigenleben fuhren. Schließlich wird die Weiterentwicklung internationaler Organisationen durch Handel am Beispiel der Europäischen Union (EU) thematisiert. Die Ergebnisse des Artikels und offene Forschungsfragen werden am Ende komprimiert zusammengefasst.
2.
Die Entwicklung internationaler Organisationen: Ein kurzer historischer Überblick
2.1. Wiener Kongress und Telekommunikation Die meisten Forscher sehen den Wiener Kongress von 1815 als die eigentliche Geburtsstunde internationaler Organisationen. Nach dem Sieg über Napoleon 1814 kamen die europäischen Mächte - das Vereinigte Königreich, Preußen, Österreich, Russland, Frankreich und der Vatikan - zusammen, um über die Neugestaltung der europäischen Grenzen zu verhandeln. Üblicherweise wird dies als erster Versuch angesehen, durch
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Der Beitrag ist die schriftliche Fassung des Eröffnungsvortrags im Internationalen Forschungsseminar Radein im Februar 2011 in Südtirol/Italien. Generalthema des Forschungsseminars waren internationale Organisationen. Der Beitrag erhebt nicht den Anspruch, einen vollständigen enzyklopädischen Uberblick Uber das Fachgebiet zu geben - hier wird an verschiedenen Stellen auf die aktuelle und weiterfuhrende Literatur verwiesen.
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Verhandlungslösungen zu einem für alle Mächte tragfähigen Ergebnis zu gelangen und militärische Optionen zurückzustellen. Zum Zeitpunkt des Wiener Kongresses waren die europäischen Mächte mit den Weltmächten gleichzusetzen, was die Bedeutung und Tragweite der Verhandlungen unterstreicht. Als erste internationale Organisation im modernen Verständnis wird die International Telecommunications Union (ITU) angesehen, die 1865 gegründet wurde. An diesem simplen historischen Beispiel lässt sich schon eine wichtige theoretische Begründung ablesen: Telekommunikation ist, wie das Wort es schon ausdrückt, dem Wesen nach darauf angelegt, über weite Strecken (grenzüberschreitend) zu kommunizieren. Dieser Aspekt kann durchaus verallgemeinert werden: Wenn immer eine Transaktion (Handel, Kommunikation, Kapitalfluss, politische Entscheidung) grenzüberschreitend angelegt ist, muss eine Form von internationalem Recht bzw. eine internationale Institution, etwa in Form einer Organisation oder Behörde, involviert sein. Dieses Recht kann schriftlich fixiert oder aber als ordentlicher Kaufmannsbrauch als nicht-schriftliches Gewohnheitsrecht oder Handelsbrauch verankert sein. Bei grenzüberschreitenden Transaktionen bedarf es der Kooperation über Sachverhalte wie etwa Sprache, Transferprotokolle, Dienstleistungen, Lieferfristen, Haftung und Zahlungsverkehr. Demzufolge war historisch auch die zweite internationale Organisation im Gebiet der Kommunikation angesiedelt, und zwar handelt es sich um den Weltpostverein (Union Postale Universelle, UPU), der 1874 gegründet wurde.
2.2. Die Phase nach dem Zweiten Weltkrieg Der Völkerbund aus dem Jahre 1920 war der erste, jedoch letztlich nicht sehr erfolgreiche Versuch, die weltweite politische Zusammenarbeit der Staaten zu institutionalisieren. Den Zweiten Weltkrieg konnte er nicht verhindern, so dass er 1946 aufgelöst wurde. Die eigentliche Geburtsstunde für internationale Organisationen war dann jedoch die unmittelbare Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg 1945. Bei der Gründung der Vereinten Nationen mit Sitz in New York im gleichen Jahr versprachen die Gründerstaaten, alles Erdenkliche dafür zu tun, um eine vergleichbare Katastrophe zukünftig zu verhindern. Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank entstanden schon kurz zuvor (1944) gleichzeitig auf der Konferenz von Bretten Woods mit dem primären Ziel, den kriegsbedingt zusammengebrochenen Welthandel wieder zu beleben, Investitionen zu fördern und das vermeintliche Problem der Zahlungsbilanzungleichgewichte3 zu reduzieren. Die Organization for European Economic Cooperation (OEEC) wurde auf europäischer Ebene gegründet, um die Marschall-Plan Hilfe der USA für Europa (19481952) zu koordinieren. Das Kinderhilfswerk UNICEF als Unterorganisation der Vereinten Nationen wurde 1946 gegründet - zunächst mit dem Ziel, Kinder in Not im kriegs3
Eigentlich ist es ökonomisch nicht sinnvoll, vom „Problem der Zahlungsbilanz" zu sprechen. Auch kann es keine strukturellen Ungleichgewichte geben: Ein Land kann sich ein Zahlungsbilanzungleichgewicht nur leisten, solange es Gläubiger findet, die die hierfür notwendigen liquiden Mittel bereitstellen. Auch kann ein Land im sog. Verschuldungszyklus von einem Gläubigerland zu einem Schuldnerland werden - und umgekehrt. Der BöhmBawerksche Satz: „Die Kapitalbilanz befielt, die Leistungsbilanz gehorcht", scheint nach wie vor gültig zu sein: Er gilt übrigens auch für Griechenland und andere überschuldete Staaten. Ein Zahlungsbilanzsaldo bedarf daher immer der Interpretation im Zeitablauf.
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zerstörten Europa zu unterstützen. Heute kümmert sich UNICEF primär um notleidende Kinder in Entwicklungsländern. 1947 wurde dann das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) gegründet mit dem Ziel, weltweite Handelshemmnisse zu beseitigen (hierzu Gröner und Schüller 1989). Das GATT war im eigentlichen Sinne keine internationale Organisation, sondern nur ein völkerrechtlicher Vertrag, weshalb man auch nicht von Mitgliedsländern, sondern von Vertragsparteien sprach. Aber das GATT war der überaus erfolgreiche Grundstein für den allgemeinen Zollabbau und für die Verwirklichung von liberalen Handelsprinzipien. Letztlich sind Zölle als staatliche Einnahmequellen durch die Überzeugungsarbeit des GATT auf ein Minimum reduziert worden. Die Geburtsstunde der Europäischen Union und zahlreicher europäischer Organisationen schlug dann 1951 mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Die Gründungsstaaten waren (West-)Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande und Luxemburg. Der Monnet-Plan schlug die gemeinsame Nutzung von Kohle und Stahl vor, den unmittelbar nach dem Krieg wichtigsten Ressourcen, die synonym standen für Energie und Wiederaufbau. Gleichzeitig schlug Jean Monnet ein ganzes Bündel von wirtschaftlichen und politischen Institutionen vor, etwa eine gemeinsame Versammlung, einen Streitschlichtungsmechanismus sowie eine handlungsfähige und von nationalen Regierungen unabhängige Hohe Behörde (siehe auch Kapitel 7). Die EGKS war die erste mit supranationalen Befugnissen ausgestattete europäische Behörde. Heute wäre - ganz aktuell - die Europäische Zentralbank (EZB) ein Beispiel für eine supranationale europäische Institution. Zugleich wurde durch die EGKS quasi das Europa-Recht begründet, denn die Gründungsstaaten unterwarfen sich in einem freiwilligen, rechtsschöpferischen Akt den Entscheidungen der EGKS und stellten damit ein neu entstehendes Europa-Recht Uber das nationale Recht. Mit den Römischen Vertragen 1957 begann die Zusammenarbeit in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Anfänglich war das Misstrauen zwischen den europäischen Staaten durch die noch frischen und verheerenden Kriegserfahrungen so groß, dass es für politische oder kulturelle Zusammenarbeit noch zu früh war. Ganz im Sinne von Jean Monnet einigte man sich zunächst auf wirtschaftliche Kooperationen mit wechselseitiger Vorteilhaftigkeit. Auf monetäre Kooperation oder gar eine Währungsunion verzichtete man in den Römischen Verträgen ausdrücklich: Die eigene Währung und der Wechselkurs wurden damals noch als wichtiges wirtschaftspolitisches Steuerungsinstrument und als Indikator politischer und nationalstaatlicher Unabhängigkeit angesehen. Auch in anderen Regionen der Welt wurden mit zunehmender wirtschaftlicher Entwicklung Kooperationen begründet und entsprechende Organisationen ins Leben gerufen, um diese institutionell abzusichern. In Asien wurde die Asia Pacific Economic Cooeration (APEC) auf Anregung der USA, Australiens und Japans 1989 in Canberra gegründet mit dem Ziel, die asiatisch-pazifische Wirtschaftskooperation durch eine Freihandelszone zu fördern. Auch China ist seit 1991 Mitglied der APEC geworden. Eine weitere Wirtschaftskooperation entstand mit der North America Free Trade Association (NAFTA), die 1994 gegründet wurde. Sie umfasst die USA, Kanada und Mexiko. Allerdings handelt es sich bei der NAFTA nicht um eine internationale Organisation im
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eigentlichen Sinne, sondern um einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen Staaten, die sich gegenseitig Zollfreiheit zusichern. Die Welthandelsorganisation (WTC)) ist eine aus dem GATT hervorgegangene typische internationale Organisation, die seit 1995 als zentrale internationale Behörde existiert und sich um Fragen des Welthandels kümmert. Neben Zoll- und Handelsabkommen integriert die WTO auch das GATS, das allgemeine Abkommen über Dienstleistungen und den weltweiten Schutz der internationalen Eigentumsrechte (TRIPS) (ausführlich Budzinski, Monostori und Pannicke i.d.B.). Der Schutz geistigen Eigentums in grenzüberschreitenden Märkten ist keineswegs ein neues Anliegen und reicht in den Anfängen bereits bis ins 19. Jahrhundert zurück. Die Sicherung von Patenten - etwa der deutschen Pharmaindustrie - stellten schon früh ein zentrales Anliegen nationaler Wirtschaftspolitik dar. Allerdings hat die Öffnung der asiatischen Märkte - allen voran China - und die Öffnung Osteuropas nach dem Zusammenbruch des Kommunismus - allen voran Russland - in Verbindung mit der Entstehung des Internet und des World Wide Web, eine völlig neue Problemdimension begründet. Ohne einen glaubwürdigen Schutz von Eigentumsrechten wäre die internationale Handelsordnung existentiell bedroht: Hier liegt eine der wichtigsten Ordnungsfragen des Welthandels vor. Neben den formell etablierten Organisationen gibt es zunehmend auch solche internationale Organisationen, die als mehr oder minder spontane Netzwerke entstehen. Beispiel hierfür wäre das International Competition Network (ICN), das seit nunmehr zehn Jahren existiert und in dem sich die Wettbewerbs- und Kartellbehörden aus derzeit 121 Ländern freiwillig zusammengeschlossen haben, um ihre Wettbewerbspolitiken abzustimmen und kostenintensive Parallelprozesse zu reduzieren (siehe Bukzinski und Kuchinke i.d.B.). Es ist unverkennbar, dass sich weltweit eine Tendenz hin zu einem globalen Wettbewerbsrecht und zu koordinierten Wettbewerbspolitiken ergibt (ausführlich Klodt 2005). Ob sich dies in Form einer zentralen internationalen Organisation (Behörde) oder als spontanes Netzwerk entwickeln wird, ist eine noch völlig offene Frage. Offensichtlich gibt es aber eine Nachfrage nach internationalen Wettbewerbsordnungen, und zwar von Unternehmen und von Regierungen gleichermaßen. Nicht-Regierungs-Organisationen (Non Governmental Organizations, NGOs) stellen eine weitere Säule in der Verdichtung des Netzwerks internationaler Organisationen dar (siehe Otter i.d.B.). Im Sinne einer informierten Öffentlichkeit verfügen viele dieser NGOs oder auch INGOs (International Non-Governmental Organizations) über eine beachtliche politische Macht, die gerade auch Uber die Medien verbreitet wird. Das inzwischen zum Stoff für Lehrbücher über Medienwirkungsforschung gewordene Beispiel der Brent Spar-Affäre, bei der Greenpeace die Versenkung einer Ölplattform in der Nordsee verhinderte, dokumentiert nachdrücklich die ungeheure Macht, die solche Organisationen gerade auch durch die Vernetzung der Kommunikationsmedien heute spielen können (ausführlich Tietzel und Wentzel 2005). Bei jüngeren Leuten sind NGOs und INGOs häufig sehr populär wegen ihrer unkonventionellen Auftritte und ihres ,Robin Hood Images', was allerdings nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass sie demokratietechnisch teilweise äußerst bedenklich sind. Viele dieser NGOs bewegen sich in rechtsfreien Räumen und sind demokratisch nicht oder nur unzureichend legitimiert. Ob das durchaus berechtigte Anliegen zu effektivem
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Umweltschutz gleichzeitig Rechtsverstöße rechtfertigen kann im Sinne des juristischen Grundsatzes „Not kennt kein Gebot", ist politisch wie auch unter Rechtswissenschaftlern umstritten.
2.3. Zwischenergebnis Als Zwischenergebniss der geschichtlichen Betrachtung kann festgehalten werden: 1. Historisch ist die Entstehung von internationalen Organisationen meistens die Reaktion auf einen militärischen Konflikt, auf ein ökologisches oder politisches Problem. 2. Internationale Organisationen entstehen durch gleichgelagerte transnationale Interessen. Kein Staat wird bereit sein, einer internationalen Organisation beizutreten, wenn dies den eigenen Interessen fundamental entgegenläuft. 3. Oftmals können Staaten ihre eigenen Interessen nur noch in direkter Kooperation mit anderen Staaten erreichen. In solchen Situationen sind sie auch bereit, Handlungsmacht zu delegieren (siehe Voigt und Salzberger 2002). 4. Sobald grenzüberschreitende Transaktionen durchgeführt werden, ist internationales Recht oder Handelsrecht betroffen und zumeist eine internationale Organisation/Institution involviert. 5. Bei der Analyse internationaler Organisationen ist es fast unmöglich, zwischen politischen und ökonomischen Sachverhalten zu separieren. In kaum einem anderen Fachgebiet ist der Begriff der „politischen Ökonomik" so angemessen wie im Bereich der internationalen Organisationen (siehe Svendson 2003).
3.
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3.1. Grenzüberschreitende positive und negative Externalitäten Die Entstehung und der Wandel von Institutionen sind eine zentrale Fragestellung der Ordnungsökonomik (etwa Olson 1985; North 1994 oder Leipold 2005). Als Rechtfertigung und Erklärung für das Entstehen von internationalen Organisationen werden vor allem politische und ökonomische Externalitäten (positive und negative) genannt, die in einen internationalen Rechnungszusammenhang integriert werden müssen. Beispiele wären etwa Verteidigung und internationale Sicherheit, Forschung und Entwicklung und hiermit verbunden der Schutz geistiger Eigentumsrechte, die Durchsetzung von internationalem Recht und der Schutz internationalen Handels oder auch die ökologisch nachhaltige Nutzung von Allmende-GUtern, um beispielsweise das Überfischen der Ozeane zu verhindern (hierzu Ostrom 1999). Aus den Externalitäten leitet sich die sog. funktionalistische Theorie ab: Innerhalb der vergangenen 200 Jahre - also quasi seit dem Wiener Kongress - haben die wechselseitigen Abhängigkeiten stark zugenommen, und die Auswirkungen der skizzierten Externalitäten sind wesentlich offensichtlicher geworden. Um diese Externalitäten ökonomisch zweckmäßig in einen Rechnungszusammenhang integrieren zu können, sind internationale Organisationen als Handlungsplattformen entstanden.
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3.2. Skaleneffekte und Risikoreduktion Weitere ökonomische Argumente für die Entstehung internationaler Organisationen sind Skaleneffekte und Risikoreduktion. Die freiwillige und glaubwürde Bindung eines Landes an das Recht einer internationalen Organisation - etwa die Spielregeln der Welthandelsorganisation WTC) - wirkt quasi wie eine Versicherung auf Gegenseitigkeit. Dadurch werden Transaktionskosten gesenkt und das Welthandelsvolumen insgesamt gesteigert. Dies ist beispielsweise eine Hypothese, die durch zahlreiche empirische Evidenzen gestützt wird. So kann gezeigt werden, dass Länder, die der WTO beigetreten sind, im Anschluss daran verstärkt zum Ziel fUr Direktinvestitionen geworden sind. Die internationalen Organisationen wirken quasi wie eine Infrastruktur für grenzüberschreitenden Handel und Verkehr. Die WTO-Mitgliedschaft wirkt wie eine Akkreditierung. Die neuen Mitglieder müssen ein ökonomisches Qualitätsmanagement nachweisen und Rechtsstaatlichkeit garantieren: Dies macht ein Land unmittelbar attraktiver für Direktinvestitionen.
3.3. Spieltheoretische Perspektive der Handelstheorie Die Spieltheorie wird in vielfältiger Weise in der Handelstheorie angewandt. Meist geht es in den Modellen um die Verhandlungen zwischen großen und kleinen Ländern mit jeweils unterschiedlichen Präferenzen. Während die klassische Handelstheorie im Anschluss an Adam Smith und David Ricardo die wechselseitige Vorteilhaftigkeit von Handel thematisiert - Handel als Positivsummenspiel zum wechselseitigen Vorteil aller Beteiligten - werden in der Spieltheorie die Konflikte stärker thematisiert. Vor dem Hintergrund von immer wieder neu aufflackernden Währungs- und Handelskriegen, industriepolitisch motiviertem Protektionismus und vielfältigen Konflikten in der Welthandelskonferenz ist es wissenschaftlich durchaus zweckdienlich, diese Interessensdivergenzen stärker zu erforschen. Große Länder haben üblicherweise eine andere Verhandlungsmacht als kleine Länder. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein großes Land freiwillig bindet und auf strategische Vorteile verzichtet, ist eher unwahrscheinlich. Auch die USA, die als .Freihandelshegemon' nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus positive Handelsliberalisierungen zu wechselseitigem Vorteil erwirkt haben, sind stets an der Wahrung eigener Interessen orientiert. Die gegenwärtige Blockade der Doha-Runde ist vor allem den spezifischen Partikularinteressen europäischer und amerikanischer Farmer geschuldet. Aus diesem Grund benötigen kleinere Länder eine international durchsetzungsfähige Organisation, die einen allgemein akzeptierten Ordnungsrahmen beschließt, überwacht und im Konfliktfall auch durchsetzt. Internationale Organisationen erfüllen eine Art Schiedsrichterfunktion, indem sie Konflikte schlichten und Eskalationen zu Handelskriegen und Beggar thy neighor policy verhindern. Spieltheoretisch gut erklärbar sind auch Zusammenschlüsse von mehreren kleinen oder wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern zu einer verhandlungsmächtigen Gruppe im Sinne einer Countervailing Power, wenn diese ihre Interessen nicht ausreichend geschützt sehen. Die Formierung der sog. BRICS-Gruppe, bestehend aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, wäre ein solches Beispiel: Da die WTO nicht in der Lage war, die abgeschotteten amerikanischen und europäischen Agrarmärk-
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te zu öffnen, in denen die BRICS-Staaten vermutlich komparative Kostenvorteile haben dürften, haben sich diese Staaten zu einer Veto-Gemeinschaft zusammengeschlossen, um die weitere Liberalisierung des Welthandels zum primären Vorteil der westlichen Länder zu verhindern. Aus spieltheoretischer Perspektive kann eine solche Lösung ein inferiores, aber durchaus stabiles MwA-Gleichgewicht sein, welches über einen längeren Zeitraum Bestand haben kann.
3.4. Netzwerkexternalitäten und Standards Die ökonomische Theorie ist üblicherweise auf den Annahmen fallender Skalenerträge und sinkender Grenznutzen aufgebaut. Zudem liegt üblicherweise rivalisierender Konsum vor. Ein Gut wird normalerweise weniger attraktiv, je mehr Menschen es gleichzeitig nutzen wollen: eine verstopfte Autobahn oder U-Bahn in der Hauptverkehrszeit, Arbeitsmärkte oder auch überfüllte Ski-Hänge an schönen Wintertagen sind beste Beispiele für die Rivalität im Konsum knapper Güter. Allerdings ändert sich die ökonomische Betrachtung, wenn sog. Netzwerkexternalitäten vorliegen oder Güter direkt als Netzwerkgüter klassifiziert werden können. Je mehr Nutzer ein Handy besitzen, desto attraktiver wird es für neue Kunden, ebenfalls ein Mobiltelefon zu erwerben. Das gleiche gilt für die Nutzung des Internet und sozialer Netzwerke wie facebook, die gerade ihren Nutzen daraus ziehen, dass mehr oder minder jeder Mitglied ist und man (fast) jeden Menschen erreichen kann. Gerade für die Theorie internationaler Organisationen sind diese sozialen Netzwerke außerordentlich interessant, denn sie stellen quasi selbst eine internationale Organisation auf spontaner Basis dar. Allerdings ist keinesfalls sichergestellt, dass sich im Markt der wirklich beste Standard für ein Netzwerkgut durchsetzt. In den 1990er Jahren gab es im Anschluss an David (1985) eine sehr aufschlussreiche Diskussion um den QWERTY-Standard, der als Tastatur-Standard für mechanische Schreibmaschinen entwickelt worden war, aber durch technische Innovationen wie die Kugelkopfschreibmaschine und später den Computer weitgehend obsolet wurde - und dennoch nicht mehr geändert werden konnte. Jeder moderne laptop der Neuzeit verfügt noch heute über eine QWERTY-Tastatur, obwohl vermutlich mit einer anderen Anordnung der Buchstaben eine höhere Schreibgeschwindigkeit erzielt werden könnte. Wenn einmal ein technischer Pfad eingeschlagen wurde, ist es zeitweilig sehr schwierig, auf neue und bessere Standards zu kommen: In der Literatur ist von technologischen oder institutionellen Pfadabhängigkeiten die Rede (siehe Leipold 2005). Bei Vorliegen von Netzwerkgtttern besteht eine ganz klare Nachfrage seitens der Verbraucher, einen einheitlichen Standard zu entwickeln. Damit wird der Wettbewerb auf Märkten zu einem Wettbewerb um Märkte, denn es besteht eine gewisse Monopolisierungstendenz zu Gunsten eines einheitlichen Standards - auch hier kann facebook wieder als Beispiel genannt werden. Bei Vorliegen von Netzwerkgütern können internationale Organisationen sehr hilfreich sein, damit sich Standards entwickeln können und damit Wettbewerb auf Märkten überhaupt erst ermöglicht wird. So war beispielsweise in der EU die Festlegung von Telekommunikationsstandards Voraussetzung dafür, dass
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ein kompetitiver europäischer Markt mit grenzüberschreitendem Wettbewerb im Bereich des Mobilfunks entstehen konnte.
3.5. Normative Funktionen internationaler Organisationen Aus normativer Sicht können vor allem vier wichtige Funktionen internationaler Organisationen hervorgehoben werden. Erstens geht es um die Konfliktvermeidung bzw. die Konfliktlösung (conflict settlement body) auf internationaler Ebene. Solange die Diplomatie noch funktioniert und Gespräche zwischen den Konfliktpartnem aufrechterhalten werden können, können Handelskriege und militärische Konflikte vermieden werden, die abseits jeder moralischer Verurteilung als große Vernichtung von Kapital angesehen werden können. Zweitens können internationale Organisationen als Dienstleistungseinrichtungen angesehen werden (service agencies), die beispielsweise über Kommunikationsstandards und Übertragungsprotokolle entscheiden. Eine solche Serviceeinrichtung ist für alle Marktteilnehmer von großem Vorteil. Drittens können internationale Organisationen als C/earmg-Gesellschaften angesehen werden, die die Verrechnung von wechselseitigen Forderungen ermöglicht. Und viertens können internationale Organisationen wichtige Informationsfunktionen erfüllen, sowohl für Unternehmen, Banken und auch Staaten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es ökonomisch gut erklärbar ist, dass sich internationale Organisationen historisch in Sektoren entwickelt haben, die typischerweise grenzüberschreitend angelegt sind und bei denen es sich primär um Netzwerkgüter handelt. Oftmals muss erst ein Ordnungsrahmen festgelegt werden, damit sich ein Markt entwickeln kann - eine Aussage, die durchaus mit der deutschen Ordnungstheorie im Anschluss an Eucken (1952/90) und andere kompatibel ist. Auch die gegenwärtige Debatte um einen europäischen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte und die Staatsfinanzierung, in dem von verschiedenen Marktteilnehmern neue Organisationen gefordert werden, basieren grundsätzlich auf den Argumenten der normativen Theorie. Andere Autoren hingegen lehnen diese Theorie grundsätzlich und in allen Varianten vollständig ab (etwa fundamental Vaubel 1986) und fordern eine positive und mikroökonomisch fundierte Theorie internationaler Organisationen, in der diese nicht als handelnde Abstrakte, sondern als Summe von eigeninteressierten Bürokraten und Politikern gesehen werden, die ihre Wiederwahlchancen und persönliches Einkommen und Macht maximieren wollen.
4.
Positive Theorie internationaler Organisationen
4.1. Kritik an der normativen Theorie Die Vertreter der positiven Theorie kritisieren die impliziten Annahmen der normativen Theorie in vielfältiger Weise. Zu Recht wird vermerkt, dass internationale Organisationen häufig als .wohlmeinender Diktator' angesehen werden, der eine vorher definierte internationale Wohlfahrtsfunktion zum Wohle aller Beteiligten maximiert. Unter Ökonomen ist jedoch spätestens seit dem Amnv-Paradoxon bekannt, dass es unmöglich ist, eine solche Wohlfahrtsfunktion selbst unter einfachsten mathematischen Bedingungen aus individuellen Präferenzen zu generieren. In der Realität internationaler Ver-
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handlungen - man denke nur an die EU-Gipfel zur Finanzkrise oder die WTOVerhandlungen - zeigt sich sehr deutlich, wie heterogen die Interessen der beteiligten Länder de facto sind. Welche Wohlfahrtsfunktion sollte oder könnte also ein wohlmeinender internationaler Diktator maximieren?
4.2. Annahmen der positiven Theorie Die positive Theorie basiert auf einem sehr strikten Rationalitätsprinzip und verwendet die typischen Annahmen der MikroÖkonomie (etwa Vaubel 1986): Erstens verhalten sich Politiker vollkommen eigeninteressiert im Sinne eines Homo oeconomicus. Ihre primären Ziele sind Wiederwahl und Einkommensmaximierung. Zweitens versuchen Politiker ihre Macht zu maximieren und neue Tätigkeitsfelder zu erschließen. Drittens wird Macht als Funktion mit zwei Variablen modelliert, nämlich der Wahrscheinlichkeit der Wiederwahl sowie der Möglichkeit, eigene politische Ideen zu verwirklichen. Es geht mithin also um eine Mikrofundierung internationaler Organisationen mit Hilfe der ökonomischen Theorie der Politik und der Bürokratie, etwa im Anschluss an Downs (1967) und Niskanen (1971). Vaubel (1986) verdeutlicht anhand von Optimierungsentscheidungen, inwieweit Politiker internationale Organisationen instrumentalisieren, um eigene persönliche Ziele durchzusetzen: Wenn eine Entscheidung populär ist und zugleich im öffentlichen Interesse (Ql), dann wird er dies ebenso unterstützen wie im Fall von einer unpopulären Entscheidung, die zudem nicht im öffentlichen Interesse wäre (Q8). Die Entscheidungen 1 und 2 werden in jedem Falle realisiert - weil sie populär sind, die Entscheidungen 7 und 8 werden in keinem Falle realisiert - weil sie unpopulär sind. Dominant bei der Entscheidung ist die Popularität, weil sie direkt die Wiederwahlchancen positiv beeinflusst, während das öffentliche Interesse {public interest), wenn es denn überhaupt definierbar wäre, nachgelagert ist. Die Entscheidungsfelder 3, 4, 5 und 6 sind letztlich nicht eindeutig zu prognostizieren: Hier könnte es sein, dass internationale Organisationen das Ergebnis beeinflussen können, und zwar in beide möglichen Richtungen - also auch zum schlechteren. So wäre es beispielsweise denkbar, dass Freihandel durchgesetzt werden könnte, der zwar im öffentlichen Interesse ist, aber meistens durch Interessengruppen blockiert wird: Dies entspräche beispielsweise einer Bewegung von Feld 5 nach Feld 1, die im Endeffekt zu einer Pareto-Verbesserung führen würde. Ebenso wäre aber denkbar, dass eine Bewegung von Feld 6 nach Feld 2 stattfinden, beispielsweise in Form einer Wechselkursmanipulation, die üblicherweise in der Bevölkerung und bei den Interessengruppen immer sehr populär ist. Das realisierte Ergebnis dürfte auch die Kräfteverhältnisse der beteiligten Interessengruppen widerspiegeln.
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Tabelle 1: Entscheidungsmatrix
Politicians support this
Popular
Not popular
1
5
Within the public interest
position 2
6
Not within the public interest
Politicians do not support this
3
7
position
Within the public interest
4
8
Not within the public interest
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Vaubel (1986). 4.3. Entwicklungen der positiven Theorie Die positive Theorie internationaler Organisationen ist durch zahlreiche aktuelle Forschungsbeiträge weiterentwickelt worden. Frattianni und Pattison (1982) haben beispielsweise einen Entwurf für eine ökonomische Theorie internationaler Organisationen vorgelegt. Putnam (1988) geht mit Hilfe eines Zwei-Ebenen-Spiels der Frage nach, inwieweit Diplomatie und nationale Politik miteinander kooperieren oder konkurrieren. Abbott und Snidal (1998) analysieren, warum Staaten häufig durch internationale Organisationen handeln oder handeln lassen. Voigt und Salzberger (2002) gehen noch einen Schritt weiter und fragen konkret: „Choosing not do choose: When Politicians choose to delegate Power". Ebenfalls sei auf Svendson (2003) verwiesen, der die politische Ökonomie der Europäischen Union analysiert. Dreher und Voigt (2008) untersuchen, inwieweit die Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation die Glaubwürdigkeit einer Regierung verbessern kann. Grundsätzlich kann das Verhältnis von (National-)Staaten und internationalen Organisationen, dem Ansatz von Putnam (1988) folgend, als Zwei-Ebenen-Spiel verstanden werden. Auf einer ersten, unteren Ebene agieren Staaten miteinander im Wettbewerb: Wie jedes zwischenmenschliche oder auch zwischenstaatliche Verhältnis ist es konfliktbeladen. Zwar ist Freihandel prinzipiell ein Positivsummenspiel, von dem alle Teilnehmer profitieren. Gleichwohl gibt es zahlreiche Konfliktsituationen, beispielsweise beim Kampf um Marktanteile oder den offen oder verdeckt vorgetragenen Bemühungen zum Schutz der eigenen Industrie. Aus diesem Grund dürfte es im Interesse aller Beteiligten liegen, auf der zweiten, übergeordneten Ebene einen Konfliktlösungsmechanismus (conflict settlement body) zu implementieren, der im Zweifelsfall eine international akzeptierte Ordnung durchsetzt. Internationaler Handel kann spieltheoretisch als wie-
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derholtes Spiel (repeated game) angesehen werden, so dass ein eskalierender Dauerkonflikt nicht im Interesse der Spieler ist. Die Überlegungen von Putnam haben einen hohen Erklärungsgehalt. Wenn ein Gefangenendilemma der ersten Ebene eintritt, beide Spieler in einem Pareio-inferioren ΜκΑ-Gleichgewicht festsitzen, aber keiner die Bereitschaft aufbringt, den ersten Schritt zu wagen, dann entsteht eine Nachfrage nach einer Regelungsinstanz auf der nächsthöheren Regelungsebene. Konkrete und sehr aktuelle Beispiele sind der Ruf nach einer Europäischen Schuldenagentur, nach einer Europäischen Rating-Agentur oder auch nach einer Europäischen Monopolkommission. Auch aus diesem Blickwinkel ist eher mit der weiteren Zunahme internationaler Organisationen zu rechnen. Ein weiterer interessanter Ansatzpunkt ist die sog. , Sündenbock-Theorie' (ausführlich Voigt und Salzberger 2002). Eine Regierung will zunächst ihre Wiederwahlchancen maximieren und unpopuläre Entscheidungen vermeiden. Gleichwohl kann es die wirtschaftliche Situation erfordern, dass notwendige Entscheidungen gegen die Stimmen einflussreicher Interessengruppen durchgesetzt werden müssen. Hier bieten sich internationale Organisationen als ein Sündenbock (scapegoat) an, der bestimmte unpopuläre Entscheidungen erzwingt. Auch diese Theorie hat hohen Erklärungsgehalt, wenn man beispielsweise an die Rolle des IWF denkt, der seine Kreditvergabe an notleidende Länder stets an konkrete Konditionalitäten bindet (siehe Jost und Seitz i.d.B.). Zwar schimpfen die Politiker in den Nehmerländern über den sog. Washington Consensus, gleichwohl müssen sie die Bedingungen erfüllen, wenn sie neue Liquidität erhalten wollen. Ein zweites Beispiel für die Erklärungskraft der Sündenbock-Theorie wäre die Periode monetärer und fiskalischer Konvergenz in Europa zwischen 1992 und 1999, als die EU-beitrittswilligen Länder sich auf die Einführung des Euro vorbereiteten (siehe Wentzel 2005). Die erstaunliche Konvergenz in diesem Zeitraum und der Rückgang der Staatsverschuldung war dem Umstand zu verdanken, dass alle Länder davon ausgehen mussten, dass die Beitrittsprüfung streng und kompromisslos durchgeführt werden würde. Die notwendigen und häufig sehr unpopulären Reformmaßnahmen - etwa in Italien oder Spanien - wurden in politischen Debatten direkt der EU und dem , Spardiktat aus Brüssel' angelastet. Nach der Aufnahme in die Eurozone war es jedoch schnell mit der Disziplin vorbei - leider auch in Deutschland - , weil die EU über kein glaubwürdiges Sanktionsinstrument mehr verfügte: Auch dies ist eine fallweise empirische Evidenz für die Gültigkeit der Sündenbock-Theorie. Ein drittes, sehr aktuelles Beispiel ist die Arbeit der sog. TROKA - bestehend aus Vertretern der Europäischen Zentralbank, der Europäischen Kommission und des IWF in Griechenland. Vieles spricht dafür, dass Griechenland als .gescheiterter Staat' anzusehen ist (ausführlich Wentzel 2012c), der aus eigener Kraft nicht mehr reformfähig ist. Zwar kann und muss man die Transferierbarkeit von Institutionen sehr stark in Zweifel ziehen (siehe Möller i.d.B.) - kein Land und seine Bevölkerung können gegen ihren Willen zu Reformen gezwungen werden. Anderseits kann man ein Land der Eurozone nicht einfach in den Bankrott gehen lassen, weil in der Tat die Gefahr von schwer einschätzbaren Ansteckungseffekten existiert. Deshalb kann die TROIKA quasi als Versuch angesehen werden, einen minimal lebensnotwendigen Institutionentransfer zu er-
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zwingen - notfalls auch gegen den Willen von Teilen der Bevölkerung. Die Arbeit der .helfenden' T R O K A ist in Griechenland keineswegs populär, und die Mitarbeiter leben und arbeiten unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen. Die Mitarbeiter der TROIKA werden im sprichwörtlichen Sinne zu Sündenböcken für das langjährige Versagen griechischer Regierungen gemacht.
4.4. Leistungsfähigkeit der positiven Theorie: Ein Zwischenergebnis Grundsätzlich kann festgehalten werden, dass die positive Theorie in ihren verschiedenen Facetten und Ansätzen einen beachtlichen Erklärungsgehalt aufweist. Der Public Choice-Ansatz ist sehr hilfreich, um die große Dynamik internationaler Organisationen analysieren zu können. Die Mikrofundierung ist methodisch von großem Vorteil, denn letztlich handeln auch große Unternehmen, Staaten oder internationale Organisationen nur durch Menschen, die bestimmte Interessen verfolgen. Dass die Ergebnisse keineswegs immer positiv sein müssen und dass die Logik kollektiven Handelns auch suboptimale Ergebnisse hervorbringen kann, ist spätestens durch die Arbeiten von Olson (1985) klar aufgezeigt worden. Ein weiterer Vorteil der positiven Analyse ist die Möglichkeit, die Forschung durch quantitative Methoden zu unterstützen. Einzelne Hypothesen, etwa über die Rolle von Notenbankunabhängigkeit, Rechtstaatlichkeit (rule of law) oder Korruptionsneigung, können ökonometrisch überprüft werden, wodurch sich die Robustheit der Theorie stark verbessert. Allerdings gibt es auch Grenzen für den positiven Ansatz, und man kann diese Theorie kritisch prüfen und in Teilen widerlegen. So schießt Vaubel (2009) beispielsweise über sein (Erklärungs-)Ziel hinaus, wenn er die europäischen Institutionen ausschließlich als Interessengruppen definiert und daraus eine ungebremste und aus seiner Sicht schädliche Zentralisierungstendenz ableitet: Die EU quasi als neuer Leviathan. Die Europäische Kommission, besondere Zielscheibe seiner Kritik, hat sich ohne Zweifel auch beachtliche Meriten erworben, etwa bei der Durchsetzung des Binnenmarktes, der Öffnung nationaler Monopole und der schrittweisen Zurückführung von staatlichen Subventionen. Die Öffnung des öffentlich-rechtlichen Femsehmonopols in Deutschland wäre ohne die EU-Kommission nicht durchsetzbar gewesen. Auch der Europäische Gerichtshof hat mit vielen Entscheidungen, etwa zum Herkunftslandprinzip im Anschluss an das Cassis de Dyon-Urteil oder aber zur Freizügigkeit von Sportlern nach dem Bosman-Urteil, beachtliche Liberalisierungsfortschritte bewirkt. Ordnungspolitisch ist also durchaus einiges in die richtige Richtung bewegt worden - nicht zuletzt auch aufgrund der faktischen Durchsetzungsfähigkeit der EU. Außerdem ist festzuhalten, dass die Nachfrage nach Harmonisierung in Europa und daraus resultierende Zentralisierungstendenzen nicht allein auf Regierungsebene und bei den europäischen Institutionen auftreten. Auch Unternehmen und Menschen, die im Binnenmarkt engagiert sind, fordern einheitliche Gesetze und verlässliche Standards, um Transaktionskosten zu senken. So zeigen beispielsweise de Haan, Oosterloo und Schoenmaker (2012), dass die europäische Finanzmarktintegration von Unternehmen und Banken getrieben wird, die Rechtssicherheit und verlässliche Rahmenbedingungen fordern. Eine Angleichung von indirekten Steuern und Körperschaftssteuer ist auch im Interesse der Bürger und der Unternehmen - und nicht ausschließlich Ergebniss europä-
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ischer Regulierungswut. Wenn es um die maximale Erklärungskraft von Theorien geht, so scheint auch hier eine methodische Vielfalt angeraten und keine Verengung auf nur einen Theorieansatz: Auch die positive Theorie und ihre quantitativen Methoden haben ihre Grenzen.
5.
Handeln internationale Organisationen rational und effizient?
5.1. Die politische Ökonomik internationaler Organisationen Internationale Organisationen unterliegen starken politischen Einflüssen und sind mit einem eng ausgelegten ökonomischen Rationalitätsbegriff kaum zu analysieren. Dies heißt keineswegs, dass die handelnden Wirtschaftssubjekte „irrational" handeln: Ganz im Sinne der positiven Theorie ist durchaus davon auszugehen, dass die einzelnen Beteiligten ihre eigenen Interessen verfolgen und im politischen Prozess auch durchsetzen wollen. Allerdings gibt es in der nicht-kooperativen Spieltheorie zahlreiche Bespiele für individuell rationales Verhalten, dass sich jedoch auf einer höheren Spielebene als suboptimal erweist und zu nicht optimalen, gleichwohl stabilen MwA-Gleichgewichten führt (vgl. Wentzel 2000). Dieser Zusammenhang ist auch von Olson (1985) deutlich aufgezeigt worden. Jost und Seitz (i.d.B.) verweisen ausführlich auf die politische Ökonomie internationaler Organisationen. Der IWF ist beispielsweise sehr häufig in der Rolle eines Feuerwehrmannes, der geholt wird, wenn bereits ein ernstes Problem durch die Wirtschaftspolitik verursacht worden ist. Jede Form von Konditionalität zeigt Schwachstellen in der Politik auf und erfordert Reformen, die letztlich auf politischer Ebene durchgesetzt werden müssen. Die alte und teilweise sehr ideologisch geführte Debatte, ob Staatsoder Marktversagen die Ursache von Krisen ist, kann eigentlich als überholt und abgeschlossen angesehen werden. Allerdings ist eine systematische Asymmetrie zu verzeichnen: Während Marktversagen mit staatlicher Ordnungspolitik begegnet werden kann, liegen beim Staats- oder Politikversagen Interessenkonflikte vor, weil dem Verursacher des Problems gleichzeitig die Aufgabe zufällt, ordnungspolitische Veränderungen anzustoßen: Italien und die besondere Rolle des langjährigen Ministerpräsidenten Berlusconi können hier als anschauliches Beispiel dienen. Aus diesem Teufelskreis können oftmals nur internationale Organisationen durch eine Anleihe von Vertrauen und Autorität einen Ausweg ermöglichen. Aber selbst wenn ein Land und seine Regierung .objektiv' gegen Regeln verstößt, ist keineswegs sicher, ob Sanktionen durch internationale Organisationen durchgesetzt werden können: Das traurige Scheitern des Stabilitätspaktes (ausführlich Wentzel 2005) ist hier ein anschauliches Beispiel. Obwohl die Verletzung der Maastrichter Konvergenzkriterien selbst für einen Laien sehr einfach feststellbar ist, gelang es dem European Council of Finance (ECOFIN), einem Unterausschuss des Rates der Europäischen Union, zu keinem Zeitpunkt, Sanktionen gegen die Vertragsverletzer durchzusetzen. Die entscheidungstragenden Finanzminister waren nicht bereit, die offensichtlichen Sünder zu bestrafen, weil man nicht wusste, ob man sich im nächsten Haushaltsjahr nicht eventuell in einer ähnlichen Lage befinden könnte: Potentielle Sünder richten nicht Uber aktuelle Sünder. Dieses Verhalten mag einzelwirtschaftlich rational sein,
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fuhrt aber gesamtwirtschaftlich zu einem suboptimalen und damit irrationalen Ergebnis, weil die Stabilitätsgrundlagen der Gemeinschaftswährung zum Nachteil aller Beteiligten aufgeweicht werden. Im Bereich der internationalen Organisationen hat Rationalität keinen direkten Zusammenhang mit der Effizienz des Gesamtergebnisses. Auch im Bereich des Weltsicherheitsrates, dem als permanente Mitglieder die USA, Russland, England, Frankreich und China angehören, lässt sich dieser innere Widerspruch leicht aufzeigen. Alle Länder verhalten sich streng rational und setzen ihre Machtinteressen rücksichtslos durch mit dem Ergebnis einer dauerhaften wechselseitigen Blockade, die die gesamte Legitimität der Institution in Frage stellt. Es kommt also weniger auf die Handlungsmotivation an als auf die Qualität der Institutionen und der Abstimmungsmechanismen. Trotz rationalen Verhaltens seiner Mitglieder ist der Weltsicherheitsrat eine gescheiterte Institution. Historisch ist feststellbar, dass Krisen fast immer der Auslöser für die Entwicklung internationaler Organisationen waren. Insofern ist die These vertretbar und empirisch gehaltvoll, dass die Entstehung internationaler Organisationen eher reaktiv denn proaktiv abläuft. Auch dies widerspricht einem eng ausgelegten Rationalitätsbegriff, nach dem zu vermuten wäre, dass es einen durchdachten Gesamtplan für eine neue internationale Organisation geben mUsse: Dies ist keineswegs der Fall. Die aktuelle Debatte über eine europäische Bankenaufsicht und die Umsetzung von Basel III und Insolvency II zu einem gemeinsamen Brüsseler Standard zeigen, dass diese Prozesse immer wieder von historischen Ereignissen und den politischen Reaktionen auf diese angetrieben werden.
5.2. Komplexität als inhärente Eigenschaft internationaler Organisationen Internationale Organisationen sind teilweise hochkomplexe Gebilde. Die EUKommission verfügt beispielsweise über 27 Kommissare aus den Teilnehmerländern der EU: Insgesamt arbeiten ca. 23.000 Beamte aus sämtlichen Ländern in der Kommission. Wie die Entscheidungsprozesse in dieser Institution ablaufen, ist letztlich wissenschaftlich weder genau zu klären, noch sind Ergebnisse klar zu prognostizieren. Mit Hayek (1972) kann man die Europäische Kommission als ein Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs bezeichnen: Sie ist im doppelten Sinne des Wortes .gewachsen'. Wenn eine internationale Organisation aus 28 Teilnehmerländern (die EU mit dem neuen Mitglied Kroatien ab dem 1.7.2013) besteht, dann ist Komplexität ein eigenständiger Sachverhalt, der wissenschaftlich zu berücksichtigen ist. Damit ist die Volkswirtschaftslehre als erklärende Wissenschaft mit ihrer Vorliebe für modellhafte, stark vereinfachende Erklärungsversuche jedoch in ihrem blinden Fleck getroffen: Nur wenige Ökonomen, etwa Schenk (2003), haben sich systematisch mit Komplexität befasst: Komplexität heißt in diesem Zusammenhang, dass politische und ökonomische Interaktionen innerhalb einer arbeitsteiligen Ordnung nicht mehr einfach und durchschaubar sind, sondern stattdessen vielschichtig, interdependent und teilweise sogar auch unübersichtlich: Stark vereinfachende Modelle haben hier wenig Erklärungsgehalt, worauf Hayek in seiner „Theorie komplexer Phänomene" (1972) nachdrücklich hingewiesen hat. Komplexität bezeichnet also das Ausmaß der Vielschichtigkeit, Vernetzung und
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Folgelastigkeit einer Entscheidung. Je stärker sich eine politische und wirtschaftliche Ordnung im Laufe der Zeit weiter ausdifferenziert, desto höher wird der Komplexitätsgrad und desto schwieriger wird es, eindeutige Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge aufzuzeigen. Man kann hier auch von funktioneller Ausdifferenzierung im Verständnis von Luhmann (1994) sprechen. Komplexe Wirtschaftsordnungen sind nach Schenk durch den Sachverhalt der Emergenz gekennzeichnet. Eine Ordnung ist emergent, wenn sie nicht allein aus den summierten Eigenschaften der einzelnen Teile erklärbar ist: „In other words: how a component of an economic system behaves and performs can only be explained when it is manifest how it is embedded in the structure of an economic system composed of long-term interaction linkages, and when these linkages are interpreted as decision-making constraints for organizations" (Schenk 2003, S. 4). Auch für große internationale Organisationen gilt demnach, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile. Für große internationale Organisationen wie die EU-Kommission oder die Vereinten Nationen spielen deshalb Ablaufroutinen eine wichtige Rolle. Routinen sind gleichsam das Gedächtnis von Organisationen und verringern oder beseitigen die Notwendigkeit, im Einzelfall neu entscheiden zu müssen. Die Entscheidungsträger fokussieren dann lediglich auf eingeschränkte, gleichsam kanalisierte Handlungsoptionen, weil sie gar nicht über die kognitiven Fähigkeiten verfügen können, alle Abläufe innerhalb der Organisation zu überblicken. Die oftmals als bürokratisch wahrgenommenen Handlungsroutinen sind als ein notwendiges Hilfsmittel anzusehen, um die institutionelle Komplexität bewältigen zu können.
6.
Die Rolle von Abstimmungsregeln und Agenda Setting
6.1. Abstimmungsregeln und EntscheidungsGndung Die meisten internationalen Organisationen haben eine vertikale, hierarchische Struktur, d.h. die Nationalstaaten (oder andere teilnehmende Gebietskörperschaften, Unternehmen oder Interessengruppen) senden Vertreter in eine Organisation, in der es üblicherweise eine Mitgliederversammlung (Common Assembly) gibt. In den Versammlungen wird eine Tagesordnung vorgestellt, abgearbeitet und zur Entscheidung gebracht. Aus der Public Choice-Lehie ist hinlänglich bekannt, dass der agenda setter sehr großen Einfluss auf mögliche Ergebnisse hat: Was beispielsweise nicht auf der Agenda steht, kann auch nicht beschlossen oder zurückgewiesen werden. In internationalen Organisationen findet der eigentliche Kampf um die Inhalte der Plenarsitzungen immer im Vorfeld statt, wenn die Treffen durch die Experten in den Ministerien vorbereitet werden (ausführlich Cassel i.d.B.). Verschiedene Abstimmungsregeln stehen zur Auswahl und finden empirische Verbreitung. Zunächst ist auf die Einstimmigkeitsregel zu verweisen (Veto voting), wie sie beispielsweise im Weltsicherheitsrat angewendet wird. Dieses Prinzip ist in der theoretischen Volkswirtschaftslehre im Bereich der Wohlfahrtstheorie wichtig und grundlegend, weil hierdurch Pareto-Eiüzicnz der Entscheidungen sichergegestellt werden
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kann: Im Idealfall ist durch Einstimmigkeit die Maximierung der Präferenzen sicherstellt. In realen Abstimmungsmechanismen ist die Einstimmigkeitsregel jedoch extrem ineffizient, weil sie immer die Möglichkeit der Erpressung und des Stimmentausches impliziert. Effiziente Ergebnisse entstehen dann eher zufällig, wenn überhaupt. Würde man die Einstimmigkeitsregel in der EU einführen, wäre dies das Ende der gesamten europäischen Integration. Einfache Mehrheitsregeln überwinden das Erpressungsproblem, können aber im Gegensatz dazu zur Diktatur der Mehrheit über die Minderheit führen im Sinne der minimum winning coalition, bei der die Minderheit systematisch ausgebeutet wird. Auch hier bahnt sich also ein Problem an, das keinesfalls trivial ist und dem eventuell durch qualifizierte Mehrheiten, etwa der 2/3-Regel, begegnet werden kann. Aber auch schon eine solche Mehrheit kann bei knappen politischen Konstellationen kaum erreichbar sein und zur politischen Blockade führen. Idealerweise soll es bei Wahlen darum gehen, dass die Wahlberechtigten ihre Präferenzen zum Ausdruck bringen. Die Offenbarung der .wahren Präferenzen' ist aber schwierig und die Korruptionsanfälligkeit hoch. Beispiel hierfür ist die Auswahl der Austragungsorte für olympische Sommer- und Winterspiele im Internationalen Olympischen Komitee (IOC) - einer sehr interessanten Organisation aus der Welt des Sports. Bei der Wahl wird kein einfaches Mehrheitsprinzip gewählt, um die Anfälligkeit für Korruption zu reduzieren und Stimmenkauf zu vermeiden. Alle fünf zur Auswahl stehenden Standorte werden in einer neutralen Stadt nach einem siebenjährigen Bewerbungsprozess zur Auswahl gestellt. Erreicht keine Stadt in einer geheimen Wahl die absolute Mehrheit, so wird der Wahlgang wiederholt, wobei die Alternative, die die wenigsten Stimmen erhalten hat, gestrichen wird. Diese Stimmen gilt es also im nächsten Wahlgang neu zu verteilen, so dass eine Stadt, die im ersten Wahlgang vorne lag, im zweiten Wahlgang durchaus zurückfallen kann, wenn etwa die Stimmen des Letztplatzierten auf die zweite Alternative umverteilt werden. In einem iterativen Prozess werden also die wahren Präferenzen der Entscheidungsträger gefiltert und optimiert - mit durchaus Uberraschenden Resultaten, weil die zweiten und dritten Präferenzen auch entscheidungsrelevant werden können, wenn der eigene Favorit ausgeschieden ist. So hat sich beispielsweise London als Austragungsort der Spiele 2012 sehr überraschend gegenüber dem Favoriten der ersten Präferenzen, Paris, durchgesetzt. Die Komplexität von Entscheidungen in der EU wird noch erhöht, da es für jeden Bereich unterschiedliche Abstimmungsregeln gibt. Für die Wahl von EU-Standorten und die Aufnahme von neuen Mitgliedern gilt nach wie vor die Einstimmigkeitsregel, während für die Entscheidungen im politischen Tagesgeschäft des Rates der Europäischen Union üblicherweise die einfache Mehrheit gilt. Man kann beispielsweise kritisieren, dass die EU sich den Luxus von zwei Parlamentsstandorten in Straßburg und in Brüssel leistet. Ändern kann man es unter den gegebenen EU-Regeln jedoch nicht, da das jeweils von der Abschaffung betroffene Land durch sein Veto eine solche Entscheidung verhindern könnte. Schwierig sind auch die abgestuften Kompetenzbereiche innerhalb der EU (ausführlich Eger und Wagener 2009), die mit dem Vertrag von Lissabon neu geregelt wurden. Es gibt drei Zuständigkeitsbereiche, nämlich die ausschließliche, die geteilte und die
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unterstützende Zuständigkeit. Was auf den ersten Blick wie ein bürokratischer Verwaltungsakt klingt, ist ordnungspolitisch durchaus sinnvoll, weil Rechtsbereiche definiert werden, die notwendigerweise grenzüberschreitend geregelt sein müssen. So hat die EU bei der Frage des Binnenmarktes, des Wettbewerbs oder der Zollunion eine ausschließliche Regelungskompetenz, weil der grenzüberschreitende Binnenmarkt nicht in der Kompetenz der nach wie vor protektionsgeneigten nationalstaatlichen Regierungen liegen sollte. Beim Umweltschutz hingegen liegen geteilte Zuständigkeiten vor, wodurch einzelne Staaten mit besonderer Präferenz für Umweltpolitik über EU-Standards hinausgehen können. In Fragen der Bildungspolitik hat die EU dagegen nur eine unterstützende, beratende Funktion, während die eigentliche Entscheidungskompetenz nach wie vor noch in den einzelnen Staaten liegt: Bildungspolitik liegt also nach wie vor immer noch in Länderhoheit, selbst wenn durch die Auswirkungen des Bologna-Prozesses häufig ein anderer Eindruck entsteht. Die Entscheidungsfindung innerhalb der EU ist also hochgradig komplex und muss bezüglich der Themengebiete, der Abstimmungsregeln und der Kompetenzzuständigkeiten differenziert werden - ein selbst für Experten häufig nur noch schwer durchschaubarer Prozess.
6.2. Konkurrierende Gerechtigkeitsprinzipien Abstimmungsregeln sind dann mehrheitsfähig, wenn sie von den Beteiligten als „gerecht" angesehen werden. Verfahrensgerechtigkeit ist also ganz im Sinne von James Buchanan Voraussetzung dafür, dass sich die Mitglieder einer internationalen Organisation freiwillig eingliedern und den Entscheidungen beugen, selbst wenn die eigenen Interessen teilweise nicht verwirklicht sind. Allerdings sind in internationalen Organisationen selbst einfachste Entscheidungsprinzipien oftmals konfliktbeladen, wie beispielsweise die fast zehnjährige Diskussion Uber Abstimmungsprinzipien im Rat der Europäischen Union dokumentiert. Der erste und auch politisch durchaus zweckmäßige Grundsatz ist: ,one man (woman), one vote' - die Stimme eines jeden Menschen ist also grundsätzlich gleich viel wert. Dieses Prinzip stößt aber in der Europäischen Union schnell an Grenzen, weil dann nämlich die bevölkerungsreichsten Länder (Deutschland, Frankreich, England, Italien) jede Entscheidung dominieren würden und Länder wie Malta, Zypern oder Slowenien aufgrund ihrer kleinen Bevölkerung kaum noch entscheidungsrelevanten Einfluss hätten. Das alternative Entscheidungsprinzip: ,Ein Land, eine Stimme', könnte diesen Mangel überwinden, allerdings um den Preis einer Diktatur der Minderheit über die Mehrheit. Anders formuliert: Die Stimme eines Malteser wäre etwa hundert Mal wertvoller als die Stimme eines Deutschen: Auch dieses wäre demokratietheoretisch nicht zu rechtfertigen. Es zeigt sich also, dass selbst die scheinbar einfache Grundfrage, wie eine Entscheidung herbeigeführt werden kann, außerordentlich komplex und schwer prognostizierbar ist. In Europa hat man mit der (nicht ratifizierten) Verfassung und später mit dem Vertrag von Lissabon eine Kompromissformel gefunden, die beiden Gerechtigkeitsprinzipien gleichermaßen Rechnung trägt. Nach dem Prinzip der doppelten Mehrheit ist eine Entscheidung im Rat der Europäischen Union dann angemessen, wenn die Mehrheit der
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Länder zustimmt und diese zugleich die Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert. Eine Mehrheit der kleinen Länder kann also die großen Länder nicht einfach Uberstimmen und finanziell ausbeuten. Es ist somit ein sehr komplexes System von checks and balances entstanden, das die Interessen der beteiligten Länder bestmöglich ausgleichen soll. Zugleich wurde mit der Ioannina-Klaasel ein zusätzliches Schutzrecht fur sehr kleine Mitgliedsländer eingeführt, die einen Beratungsprozess aufschieben können, wenn sie ihre Interessen bedroht sehen. Damit soll den politischen Leichtgewichten eine wirksame Waffe im Wettstreit mit den politischen Schwergewichten an die Hand gegeben werden.
7.
Die Weiterentwicklung internationaler Organisationen
7.1. Parkinsons Gesetz als Entwicklungsbremse Eine bekannte Eigenschaft großer Bürokratien liegt in dem Umstand, dass sie mit zunehmender Größe die Tendenz haben, sich zunehmend nur noch mit sich selbst zu befassen. Bürokratien - und als solche sind die meisten internationalen Organisationen darstellbar - führen unzweifelhaft ein Eigenleben jenseits ihrer eigentlichen Bestimmung. Der britische Soziologe C. Northcote Parkinson (1957) hat daraus ein nach ihm benanntes Gesetz formuliert, dass vereinfacht ausgedrückt besagt, dass Bürokratien immer weiter wachsen und dass sie niemals sterben, auch wenn der eigentliche Grund für ihre Entstehung längst nicht mehr existiert. An die Überlegungen von Parkinson anknüpfend haben sich viele Ökonomen bemüht, die Abläufe innerhalb von großen Organisationen ökonomisch zu erklären: Die sog. Ökonomische Theorie der Bürokratie, wie sie beispielsweise von Anthony Downs oder William Niskanen entwickelt wurde, ist heute ein Standardwerkzeug jeder Public Choice-Analyse und auch im Forschungsgebiet der internationalen Organisationen ein nützliches Instrument. In der Realität versuchen alle internationalen Organisationen, ihren Aufgabenbereich auszuweiten, um so ihre Wichtigkeit unter Beweis zu stellen. Dies ist kein neues Phänomen: So zeigte beispielsweise Schüller (1978) schon sehr früh, dass der IWF seine eigentliche (Nachkriegs-)Aufgabe längst erledigt hatte und dringend auf der Suche nach neuen Aufgaben war: Mitte der 1980er Jahre wirkte der IWF wie eine Bürokratie ohne Aufgabe und Orientierung. Der Zusammenbruch der ehemals sozialistischen Staaten und die Öffnung der asiatischen Staaten bescherten dem IWF dann ein neues Aufgabengebiet, auf dem er sich ausbreiten konnte, nämlich der Förderung, Finanzierung und Stabilisierung der osteuropäischen Transformationsländer. Die Gewährung von Beistandskrediten war in diesen Ländern sehr willkommen, um das Wirtschaftswachstum in den größtenteils rückständigen Ländern anzukurbeln. Nach Bewältigung dieser temporären Aufgabe kamen zu Beginn des neuen Millenniums erneut kritische Stimmen auf, die die Auflösung des Währungsfonds forderten, ehe die europäische Finanz- und Staatenkrise dem IWF eine Renaissance bescherte, die zu einem nachhaltigen Bedeutungs- und Machtzuwachs führte (ausführlich siehe Jost und Seitz i.d.B.). Internationale Organisationen sind ein (zunehmend) wichtiger Spieler im internationalen Ordnungsrahmen. Allerdings existieren institutionelle Pfadabhängigkeiten und damit verbundene Ineffizienzen auch bei internationalen Organisationen: Ein bereits
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kurz erwähntes Beispiel hierfür wäre der UN-Sicherheitsrat, der quasi ein Nachkriegsprodukt ist, aber aufgrund des Veto-Rechts seiner Mitglieder (USA, Russland, China, England, Frankreich) systematisch reformunfähig und damit bedeutungslos geworden ist. Der institutionelle Pfad, den man nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Aufnahme der Siegermächte plus China betreten hat, scheint trotz vieler guter wissenschaftlicher und politischer Argumente nicht mehr veränderbar zu sein. Ein eng ausgelegtes Rationalitätskalkül erweist sich auch in diesem Fall als nicht wirklich weiterführend bei der Erklärung der offensichtlichen Fehlentwicklung, denn es bleibt unverständlich, warum Länder wie Indien, Japan, Deutschland, Südafrika oder Brasilien trotz diverser Reformversuche nach wie vor ausgeschlossen bleiben. Der Weltsicherheitsrat ist ein Beispiel für einen institutionellen Zodt-m-Effekt, aus dem es offensichtlich kein Entrinnen gibt. Nur wenige internationale Organisationen sind wirklich abgeschafft worden. Ein Bespiel wäre die bereits erwähnte Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), dem Vorläufer der heutigen EU, die 50 Jahre nach ihrer Gründung aufgelöst wurde. Allerdings kann man auch hier feststellen, dass mit dem Monnet-Plan die Grundstruktur für die Europäische Union angelegt wurde, so wie sie heute existiert. Insofern lebt die EGKS in vielen europäischen Institutionen fort. Die Lebenserwartung einer internationalen Organisation scheint direkt von ihrer Größe bestimmt zu werden (Wittmann 1991; Wentzel 2012b). Wenn die Kosten einer Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation die Vorteile systematisch übersteigen, dann ist ein Sezessionsrecht ordnungspolitisch empfehlenswert. Die Qualität einer internationalen Ordnung hängt maßgeblich von den institutionellen Rahmenbedingungen sowie der ordnungspolitischen Orientierung der Teilnehmer ab. Einen nach wie vor aktuellen und sehr lesenswerten Beitrag hierzu hat Wilhelm Röpke (1954/1979) geliefert, der den Verfall der internationalen Ordnung vor 1945 analysiert (hierzu Schüller i.d.B.). Die gegenseitigen Abwertungswettläufe (beggar thy neighbor policy), die zahlreichen Experimente mit staatlicher Wirkungslenkung und die rechtliche Legitimierung von Kartellen (wie in Deutschland) haben in den meisten führenden Wirtschaftsmächten der damaligen Zeit zu einem Zerfall an ordnungspolitischer Orientierung geführt. Gemäß Röpke gibt es aber einen unzertrennlichen Zusammenhang zwischen innerer und äußerer Ordnung: Eine wirtschaftliche Integration unterschiedlicher Länder kann nur gelingen, wenn die innere Ordnung mit der geplanten äußeren Ordnung nicht im Widerspruch steht. Wenn beispielsweise ein Land eine eher wettbewerbliche Position vertritt, während im anderen Land eine industriepolitische Vorgehensweise bevorzugt wird, so sind Spannungen unvermeidbar. Die Qualität internationaler Organisationen hängt auch davon ab, inwieweit diese unterschiedlichen Positionen in einen harmonischen Gesamtrahmen integriert werden können. Internationale Ordnung ist keineswegs ein Selbstläufer, wie Röpke feststellt: Sie ist immer wieder bedroht durch protektionistische Neigungen und Partikularinteressen, die es im Sinne einer Wettbewerbsordnung aufzufangen gilt.
7.2. Die Gründung der EU: Handel als Entwicklungsbeschleuniger Es ist kein ökonomischer Imperialismus, sondern ein historisches Faktum, dass internationaler Handel die wichtigste Triebfeder für die Entstehung grenzüberschreitend
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Dirk Wentzel
tätiger Organisationen war und ist: Handelsbeziehungen und politische Beziehungen sind nicht voneinander zu trennen. Ein ideales Beispiel hierfür ist die Europäische Union, die mit den Pariser Verträgen von 1951 als Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl und dann 1957 mit den Römischen Verträgen und der Entstehung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet wurde. Die EGKS basierte auf dem Plan des französischen Diplomaten Jean Monnet, der das zerstörte politische Vertrauen in Europa durch Handel zu wechselseitigem Vorteil wieder herstellen wollte und der deshalb zunächst auf strategische Kooperationen in solchen Sektoren setzte, die für die beteiligten Länder (Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg) von besonderer Wichtigkeit waren. Monnet vertrat die Philosophie, dass Handel ein Positiv-Summenspiel sei und dass über Wirtschaftswachstum und steigenden Wohlstand schnell auch eine politische Annäherung der Staaten aneinander erreicht werden könnte. Da zeitgleich in Deutschland unter Ludwig Erhard erstmals eine marktwirtschaftlich ausgerichtete Wirtschaftspolitik eingeleitet wurde, aus der ein starker wirtschaftlicher Aufschwung resultierte, ging die MonnetStrategie auf. Die Erfolge der wirtschaftlichen europäischen Kooperation führten weitere Länder in die EWG: Noch heute ist die wirtschaftliche Stärke die eigentliche Ursache, warum immer weitere Länder Beitrittsgesuche stellen. Selbst die euroskeptischen Briten, die anfänglich fern bleiben wollten und ein vereintes Europa, aber ohne Großbritannien gefordert hatten, stellten schon 1963 einen Beitrittsantrag und konnten dann nach längeren Verhandlungen 1973 als Mitglied aufgenommen werden. Mit dem Monnet-Plan wurden institutionelle Weichenstellungen vorgegeben, aus denen sich einflussreiche europäische Institutionen entwickelten. Die Hohe Behörde als Exekutivorgan der EGKS ist Vorläufer der heutigen Europäischen Kommission. Im sog. Ministerrat berieten die jeweiligen Fachminister der Mitgliedsländer über Details der Wirtschaftspolitik: Heute ist daraus der Rat der Europäischen Union mit diversen Unterräten - etwa dem European Council of Finance (ECOFIN) - entstanden, der Zusammenkunft aller Finanzminister der EU. Aus dem Konfliktlösungsmechanismus der EGKS erwuchs der Europäische Gerichtshof (EuGH), der mit fundamentalen Weichenstellungen - etwa zum Ursprungslandprinzip oder zur Arbeitnehmerfreizügigkeit - den Binnenmarkt begründete. Die EGKS war für die europäische Integration deshalb von fundamentaler Bedeutung, weil erstmals in Europa die Rechtsstaatlichkeit als allgemeines Prinzip in grenzüberschreitenden Beziehungen verwirklicht und militärische Mittel zur Konfliktlösung grundsätzlich ausgeschlossen wurden. Die EGKS war weit mehr als eine Bürokratie zur Verwaltung von Kohle und Stahl: Sie war die Blaupause für eine europäische Integration, die auf rechtsstaatlichen Prinzipien beruhte und die Idee eines europäischen Binnenmarktes populär machte.
7.3. Handelsintensivierung und politische Integration Auch nach den Anfängen der EGKS waren es vor allem ökonomische Entscheidungen, die die europäische Integration vorantrieben. 1968 entschieden die sechs Mitgliedsstaaten der EWG, die Binnenzölle vollständig abzuschaffen. Aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG wurde die Europäische Gemeinschaft (EG), die schon 1973 mit Großbritannien, Irland und Dänemark die ersten Neumitglieder begrü-
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Ben konnte. Weitere Neu-Aufhahmen folgten, nachdem die betroffenen Länder Griechenland, Spanien und Portugal ihre politisch rechtsgerichteten Regierungen in demokratischen Reformen Uberwunden hatten und damit auch die demokratischrechtsstaatlichen Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der EG erfüllten. In den 1970er Jahren waren es vor allem geldpolitische Entscheidungen, die Europa stärker integrierten. Zunächst wurde 1970 vom damaligen luxemburgischen Ministerpräsident Pierre Werner ein nach ihm benannter Plan vorgelegt, der den Weg zu einer Währungsunion aufzeigte. Allerdings war der Plan seiner Zeit weit voraus, und die Mitgliedstaaten waren noch nicht bereit, die notwendigen Konvergenzmaßnahmen zu verwirklichen - Übrigens eine interessante Parallele zur Staatsschuldenkrise, die seit 2010 ausgebrochen ist. Nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems und der begrenzten Zeit frei schwankender Wechselkurse wurde 1979 auf deutsch-französische Initiative hin das Europäische Währungssystem aus der Taufe gehoben, in dem die ersten systematischen Versuche der Währungskooperation unternommen wurden. Von einer Währungsunion war aber damals noch keine Rede. Einen weiteren zentralen ordnungspolitischen Baustein zur Verwirklichung des Binnenmarktes stellte ein Urteil des EuGH dar, dass 1979 die gesamte Integration auf ein allgemeines marktliches Prinzip ausrichtete. Durch das Cassis de Dijon-Urteil wurde das Ursprungslandprinzip als Grundsatz verankert: Ein Produkt, das in seinem Heimatland legal gehandelt werden darf, ist grundsätzlich auch in jedem anderen EU-Land legal. An die Stelle von länderspezifischen und bürokratischen Genehmigungsverfahren wurde ein allgemeines Handelsprinzip gestellt: Alles darf legal gehandelt werden, solange es nicht ausdrücklich verboten ist. Die Einheitliche Europäische Akte (EEA) aus dem Jahr 1986 stellte einen weiteren Schritt in Richtung Märkte ohne Grenzen dar. Mit der Abschaffung von mehreren hundert Handelshemmnissen im Rahmen eines auf sechs Jahre angelegten Programms war die EEA als Flächenbereinigung bestehender Hindernisse gemeint. 1988 wurde dann der Ceccmi'-Report Uber die Kosten der Nicht-Verwirklichung Europas vorgelegt: Ein bis heute lesenswertes Dokument, in dem die Vorteile des europäischen Marktes empirisch belegt wurden. Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftssysteme gewann die europäische Integration weiter an Dynamik und der wirtschaftlichen Integration wurde eine explizit politische hinzugefügt. Herzstück der mit dem Vertrag von Maastricht neu gegründeten Europäischen Union (EU) ist jedoch wiederum ein ökonomisches Element, nämlich die Gründung einer Währungsunion, der seither 18 Staaten beigetreten sind. Weitere Mitglieder - etwa Lettland - werden in naher Zukunft folgen. Die Europäische Union steht im permanenten Spannungsfeld zwischen Harmonisierung und Wettbewerb, das sich auch innerhalb der real existierenden Organisationen wiederfindet. Besonders anschaulich wird dies an der Europäischen Kommission, die einerseits einen ziemlich durchsetzungsfähigen Wettbewerbskommissar hat, andererseits aber mit der gleichen Intensität Industriepolitik verfolgt. Während rivalisierende Behörden sich leicht gegenseitig blockieren können, ist die Kommission quasi zu einem internen Interessenausgleich gezwungen. Wenngleich es nach wie vor noch beklagens-
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Dirk Wentzel
werte Bereiche von staatlichem Interventionismus gibt - die EU-Agrarpolitik wird vermutlich noch auf lange Zeit hin als abschreckendes Beispiel dienen - hat die EU im Binnenmarkt insgesamt ein beachtliches Wettbewerbsniveau entwickelt und zahlreiche nationale Monopole entmachtet (siehe Budzinski 2013 sowie Budzinski und Kuchinke i.d.B.).
8.
Zusammenfassung und offene Forschungsfragen
Internationale Organisationen sind die wichtigsten Bausteine einer in Entstehung und Wandel befindlichen internationalen Ordnung. Da sie sich in Zielrichtung, Ausstattung, Mitgliederzahl, Formalisierungsgrad und Durchsetzungsfähigkeit stark unterscheiden, ist eher von einem Mosaik denn von einem konsistenten Gesamtbild zu sprechen. Der Forschungsgegenstand kann mit verschiedenen Theorien und methodischen Ansätzen bearbeitet werden. Sowohl Vertreter der normativen wie auch der positiven Theorie können Erklärungsbeiträge liefern. Ökonomen haben in diesem Forschungsbereich jedoch keinen Alleinvertretungsanspruch. Auch Historiker, Politikwissenschaftler und vor allem auch Völkerrechtler liefern Erkenntnisse, die zum besseren Verständnis internationaler Ordnung beitragen. Alle interdisziplinären Theoriebausteine kommen aber durchaus zu einem gemeinsamen Ergebnis, dass nämlich die Bedeutung internationaler Organisationen weiter zunehmen wird, je stärker die Weltwirtschaft sich weiter vernetzt. Es erscheint zwar verfrüht, das Ende des Nationalstaates zu deklarieren, aber internationale Organisationen wachsen immer stärker in die Rolle der rechtsetzenden Ordnungsmacht hinein. Die Regelungskompetenz einzelner Nationalstaaten nimmt empirisch ab. Selbst eine militärische und wirtschaftliche Großmacht wie die Vereinigten Staaten kann ihre Interessen nicht mehr unilateral durchsetzen und ist auf Kooperationen angewiesen. Die EU ist durch den größten Binnenmarkt der Welt zu einem ökonomischen Riesen geworden. Weltweit gibt es aber nach wie vor unterschiedliche ordnungspolitische Leitbilder, wie eine zukünftige internationale Ordnung aussehen könnte. Vieles spricht dafür, dass die G20-Gruppe der „institutionelle Kem sein wird, aus dem eine auf Nachhaltigkeit angelegte Weltwirtschaftsordnung des 21. Jahrhunderts hervorgeht" (vgl. Schäuble 2010). Ein besonderer Forschungsbedarf ist im Verhältnis von internationalen Organisationen und dem Tatbestand der Komplexität zu sehen. Die „Logik kollektiven Handelns" im Verständnis von Olson unterscheidet sich grundlegend von individuellen Verhaltensweisen. Ein Abstimmungsprozess mit 28 Individuen ist schon sehr komplex - mit 28 Staaten mit unterschiedlichen Parteien, politischen Systemen, Kulturen und geschichtlichen Hintergründen kaum noch überschaubar. Hier steht die Theorie internationaler Organisationen auch vor methodischen Problemen, wenn es um die Analyse und Prognose zukünftiger Verhaltensweisen geht. Die natürliche Tendenz zum Kompromiss in internationalen Organisationen kann ausgleichend wirken und extreme politische Positionen eindämmen. Sie kann aber auch ordnungspolitische Grundorientierungen zu offenen Märkten und freiem Handel verwässern. Das dauerhafte Spannungsverhältnis innerhalb der EU zwischen der Wettbewerbs- und der Industriepolitik ist hierfür ein gutes Beispiel.
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Dirk Wentzel
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Dirk Wentzel (Hg.), Internationale Organisationen Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 97 • Stuttgart · 2013
Wilhelm Röpkes politische Ökonomie der internationalen Wirtschafts beziehungen und Organisationen - heute
Alfred
Schüller
Inhalt 1.
Vorbemerkungen
2.
„Internationalism like charity begins at home"
3.
Röpkes Β eitrag zur Zahlungsbilanzanalyse 3.1. Zur Fehldeutung des Leistungsbilanzsaldos 3.2. Der atemporale und der intertemporale Ansatz zur Erklärung von Zahlungsbilanzsalden 3.3. Folgerungen
4.
Röpke und die Internationalen Organisationen 4.1. Vorbemerkungen 4.2. Internationale Organisationen und die,Angst vor der passiven Zahlungsbilanz": Marshall-Plan (ERP), Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank und Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM)
5.
Die Goldwährung - Röpkes Maßstab und Prüfstein für die internationale Bereitschaft zur währungspolitischen Kooperation
6.
Europäische Integration 6.1. Präferenz für eine große Freihandelszone 6.2. Überholtes Großraumdenken 6.3. Europäische Integration und das ,.Prinzip der Weltwirtschaft"
7.
Abschließende Würdigung
Literatur
30
1.
Alfred Schüller
Vorbemerkungen1
In einer 2001 erschienenen Biographie von John Zmirak wird Röpke , A man for the Twenty-First Century" genannt. 2005 hat Hans Jörg Hennecke eine vielbeachtete Biographie „Wilhelm Röpke. Ein Leben in der Brandung" vorgelegt und Röpkes Gedanken auch fur das 21. Jahrhundert als unverzichtbare Orientierung bezeichnet. Und 2010 ist Samuel Greggs Untersuchung Wilhelm Röpke's Political Economy über die geistigen und moralischen Ursachen des Aufstiegs und des Niedergangs der Marktwirtschaft und der internationalen Wirtschaftsbeziehungen erschienen - nach Manfred Spieker (2012) ein ,»Meisterwerk". Ebenfalls 2010 haben Rieter und Zweynert den Sammelband „Wort und Wirkung" herausgegeben. Darin wird Röpkes Bedeutung für die Gegenwart nachgegangen. Aus dieser sicher nicht vollständigen Liste von Schriften aus jüngerer Zeit über die Wirtschafts- und Soziallehren Röpkes kann gefolgert werden, dass er mit Blick auf Probleme, die der Lösung harren, lesenswert geblieben ist. Inwieweit gilt dies auch für das Gebiet der Internationalen Wirtschaftsordnung im Allgemeinen und der Internationalen Organisationen im Besonderen? Vorab kurz zur Person des großen, umfassend gebildeten Liberalen, der eine ungewöhnliche analytische Kraft, sprachliche Klarheit und öffentliche Wirksamkeit entfaltet hat. Wilhelm Röpke, 1899 in Schwarmstedt geboren, studierte in Göttingen, Tübingen und Marburg Rechts- und Staatswissenschaften. Nach Promotion und Habilitation in Marburg wurde er mit 24 Jahren nach Jena berufen. Einem US A-Aufenthalt als Visiting Professor der Rockefeller Foundation folgten Ordinariate in Graz und Marburg (Schüller 2003, S. 21 f f . ) . Was trieb Röpke nach dem Erlebnis des Ersten Weltkriegs um? In seiner Empörung Uber diesen Krieg prangerte er die „überwuchernde Staatlichkeit (und) losgelassene Kollektivität" an (1945/1979, S. 8 f.). Das veranlasste ihn, sich an der Suche nach einer Ordnung zu beteiligen, die eine Gesellschaft freier Menschen möglich macht. Auf diesem Weg stieß Röpke schon bald auf eine Gruppe von in- und ausländischen Gelehrten, die der Wiederherstellung nationaler und weltweiter marktwirtschaftlicher Strukturen den „entschiedenen Vorzug" (Böhm 1977) gaben und bereit waren, hierfür auch persönliche Opfer in Kauf zu nehmen. So wurde sein Marburger Wirken 1933 von den Nazis beendet, nachdem er deren Aufkommen frühzeitig und kompromisslos bekämpft hatte. Er wurde zwangsweise beurlaubt und ausgewiesen. An der Universität Istanbul konnte er weiterarbeiten. Von 1937 bis zu seinem Tode im Jahre 1966 wirkte Röpke als Professor für internationale Wirtschaftsfragen am Genfer Institut Universitaire des Hautes ßtudes Internationales. Als scharfsinniger Ordnungs- und Außenwirtschaftstheoretiker entwickelte Röpke weit über Deutschland und Europa hinaus eine einzigartige wissenschaftliche und publizistische Wirksamkeit - mit sicherem Gespür für die Bedeutung einer gleich geordneten Wechselwirkung des .»Moralischen und Institutionellen" in Fragen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ordnung. Mit der unermüdlichen Überzeugungskraft eines „geistigen Führers" (von Hayek) befasste er sich mit den unver1
Der Autor dankt Frau Dr. Hannelore Hantel für hilfreiche Anmerkungen zur ersten Fassung dieses Beitrags.
Wilhelm Röpkes politische Ökonomie
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zichtbaren Voraussetzungen einer wahren internationalen Ordnung. Populären Vorurteilen trat er schonungslos entgegen.
2.
„Internationalism like charity begins at home" 2
Für Röpke waren Aufstieg und Verfall der internationalen Ordnung Ausdruck geistig-moralischer Zustände der Gesellschaft auf nationaler Ebene - mit günstigen bzw. ungünstigen Folgen für Freiheit, Zivilisation, Vermögen und Wohlstand. Beispielhaft verweist Röpke (1934) auf den Verfall der internationalen Ordnung vor und nach 1914. In dem nahezu unbekannt gebliebenen Buch „German Commercial Policy" bietet Röpke ein zusammenfassendes Bild der deutschen Handelspolitik ab 1833/1834, dem Beginn des deutschen Zollvereins. Es wird dargestellt, wie Deutschland in die Weltwirtschaft hineingewachsen und - beginnend mit Bismarcks Zollpolitik - wieder in den wirtschafts- und handelspolitischen Nationalismus zurückgefallen ist. Und nach dem Ersten Weltkrieg, so beklagt Röpke, hätten Wissenschaft und Publizistik es versäumt, die Voraussetzungen für die Wiederherstellung einer internationalen Wettbewerbsordnung zu Hause zu schaffen und damit dem vorherrschenden Geist des Kollektivismus und Protektionismus den Boden zu entziehen. Es habe an geistiger Erhellung und Überzeugungskraft, an entschlossener individueller Bereitschaft zur Entscheidung gemangelt. So konnte der Niedergang der internationalen Wirtschaftsbeziehungen seit der Weltwirtschaftskrise mit einer weitgehenden Lenkung des Außenhandels durch den Staat ein verhängnisvolles Ausmaß annehmen. Röpke hat deshalb schon während des Zweiten Weltkriegs mit scharfem Auge und einem hochentwickelten Sinn für die Einheit von Lehre und bewusstem Eingehen auf die jeweiligen Probleme, die zur Lösung drängten, begonnen, unbestechliche Beiträge zur Pathologie und Therapie der deutschen, europäischen und weltwirtschaftlichen Entwicklung zu schreiben. Daraus ist schließlich Röpkes Gegenprogramm zum Kollektivismus entstanden - mit den inhaltlich eng verbundenen Werken „Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart" (1942/1979), ihre Überwindung in einer „Civitas humana" (1944/1979) als unmittelbare Konsequenz und Grundlage für eine Neuordnung der Weltwirtschaft im Geist einer freiheitlichen Weltwirtschaft durch eine „Internationale Ordnung - heute" (1945/1979). Röpkes Erklärung der freiheitlichen internationalen Ordnung durch einen .Liberalismus von unten' steht in der Tradition des klassisch-liberalen Denkens. Dieses schließt den Gedanken des internationalen Wettbewerbs der Systeme mit der Perspektive des Aufstiegs und des Verfalls von Wirtschaftsordnungen ein. Hierbei spielen Art und Ausmaß der Entwicklung zum modernen Wohlfahrtsstaat eine zentrale Rolle. Der Aufstiegs· und Verfallsgedanke wird später von Olson (1982/1985) aus einer international viel beachteten politisch-ökonomischen Perspektive des Wettbewerbs der Systeme wieder aufgegriffen - mit dem Hinweis auf Lobbies und Kartelle, die sich in demokratischen Gesellschaften im Zeitablauf aufbauen, diesen die Fähigkeit zum notwendigen institutionellen Wandel rauben und Uber eine zugangsbeschränkende „institutionelle 2
Siehe Röpke (1945/1979, S. 28 ff.) sowie Sally (1998, S. ΥΠ).
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Alfred Schüller
Sklerose" zum wirtschaftlichen Niedergang führen können. Olsons Diagnose der gesellschaftlichen Verfallserscheinungen kommt dem nahe, was Röpke (1931) die „monopolistisch-interventionistische Erstarrung" als Ausdruck einer hochgradigen Vermachtung des Wirtschaftsgeschehens genannt hat. Röpkes Diagnose, wirtschaftliche Krisen und Niedergänge als Teil einer umfassenden geistigen Krise der Gesellschaft, der Politik und des Staates aufzufassen, steht bei Olson nicht im Mittelpunkt, obwohl dieser Befund für das Aufkommen neuer Ideen und Gruppen, für die Sicherung offener Märkte und eines lebendigen Mehrparteiensystems Beachtung verdient. Der Versuch, tiefer gehende Antworten auf die Frage nach dem Niedergang von Nationen zu finden, ist neuerdings wieder von Acemoglu und Robinson (2012) unternommen worden. Röpkes Gedanken zur Entstehung und zum Verfall einer freiheitlichen internationalen Ordnung beruhen auf Thesen, die weiterhin Beachtung verdienen: — Mit räumlicher Ausdehnung, zunehmender Intensität und Anonymität der Arbeitsteilung und mit der Überschreitung von Währungsgrenzen steigt die wirtschaftliche Abhängigkeit der Menschen und mit ihr die Unsicherheit ihrer Entscheidungsbedingungen. Um die höheren Transaktionskosten zu begrenzen, müssen sich die Tauschpartner mit ihren wechselseitigen Ansprüchen in einem „formell und materiell schützenden Rahmen moralisch-rechtlich-institutioneller Art geborgen fühlen, und zwar soweit, daß sie die mit diesem wohlstandssteigernden Verkehr verbundenen Risiken fortgesetzt auf sich nehmen können" (Röpke 1945/1979, S. 105). — Wirtschaftliche Integration, die Röpke als Markt-, Preis- und Zahlungsgemeinschaft versteht 3 , erfordert im Interesse einer austauschfördernden Gestaltung der Transaktionskosten international einen Kodex von Nonnen, Prinzipien, Verhaltensregeln und Wertvorstellungen, also eine Art Gegenstück zu dem, was Röpke auf nationaler Ebene „soziale Integration" nennt. Mangels internationalem Rechtsschutzstaat sei das Problem der internationalen Ordnung „unendlich schwieriger zu lösen als innerhalb der einzelnen Nation mit einem festen staatlichen Gefüge und im Idealfall mit ihrem politisch-moralischen Zusammenhalt" (Röpke 1945/1979, S. 106 f.). — Die misslungenen Integrationsbemühungen nach dem Ersten Weltkrieg dürften Röpke davon überzeugt haben, dass es zur Etablierung einer internationalen Ordnung eines dominierenden Staates oder einer dominierenden Mächtegruppe bedarf. Freilich könnten das Dominieren und das Führen auf Dauer nur gelingen, wenn die Bereitschaft bestehe, „die Welt im Sinne der Freiheit und der Gleichberechtigung und des alten Grundsatzes suum cuique (zu ordnen) und ihre Aufgabe als treuhänderische Mission (aufzufassen), die ihr in einem der kritischsten Augenblicke der Menschheitsgeschichte zugefallen ist" (Röpke 1942/1979, S. 385). Die USA sind erst mit dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg in diese ordnungspolitische Führungsmacht hineingewachsen, die gegen Ende dieses Krieges die Grundlagen für die spätere Weltwirtschaftsordnung gelegt hat (Watrin 1988, S. 213 ff.). Die UdSSR ist in ihrem Einflussbereich an diesem Anspruch gescheitert (siehe Kapitel 4.1).
„Weltwirtschaft ... kann nur in der Form einer wirklichen internationalen Markt-, Preis- und Zahlungsgemeinschaft entstehen" (Röpke 1945/1979, S. 222).
Wilhelm Röpkes politische Ökonomie
3.
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Röpkes Beitrag zur Zahlungsbilanzanalyse
3.1. Zur Fehldeutuiig des Leistungsbilanzsaldos Ein Beispiel für Röpkes Verständnis der Einheit von Lehre und praktischer Problemanwendung ist sein entwicklungsökonomisches Zahlungsbilanzkonzept. Hierbei unterscheidet er zwischen „werdendem Schuldnerland", „reinem Schuldnerland", „werdendem Gläubigerland" und „reinem Gläubigerland". Röpke (1929, S. 329 ff; 1930, S. 225 ff.) wählt dieses Schema, um populäre, politisch einflussreiche Thesen zum Reparations- und Transferproblem in den 20er Jahren zu widerlegen. Im Kern geht es jedoch darum, eine vorschnelle normative Interpretation von Leistungsbilanzsalden zurückzuweisen, von der bei der Beurteilung der Fähigkeit und der Bereitschaft, Kapitaldienstverpflichtungen nachzukommen, immer wieder gerne Gebrauch gemacht wird, um von einem fälligen Kapitaldienst entlastet zu werden und neue Auslandshilfe zu erhalten. Röpkes Vorgehensweise verdient also über seine historischen Anwendungsbezüge hinaus allgemeine Beachtung, wenn es darum geht, die wirtschaftlichen Wirkungen von internationalen Kapitalbewegungen im Verschuldungs- und Entschuldungsprozess von Staaten in einen verzahnten Zusammenhang zu bringen4 und sich vor der laienhaften Vorstellung zu bewahren: Eine aktive Leistungsbilanz ist gut, ein Passivsaldo ist schlecht für Arbeitsplätze und Volkseinkommen. Diese Meinung kann auf die Zahlungsbilanzbetrachtung des deutschen Merkantilismus bzw. des französischen Colbertismus zurückgeführt werden. Sie ist vom Keynesianismus wiederbelebt worden und beherrscht bis heute die Vorstellungswelt vieler Ökonomen, Journalisten und Politiker. So erblickt Hefeker (2006, S. 552) eine Ironie der Geschichte darin, „dass mittlerweile China und andere Schwellenländer zu einem erheblichen Anteil das Defizit der USA finanzieren. Aus ehemaligen Schuldnern sind Gläubiger geworden, was aber ebenso wenig erwünscht ist wie die frühere bedrohlich hohe Verschuldung der Schwellenländer". Der Autor folgert ebenso normativ: Der IWF müsse auf China und die USA, die schon bald auf finanzielle Hilfe des IWF angewiesen sein könnten, „Einfluss nehmen". Doch warum sollen China und andere Schwellenländer mangels besserer Alternativen (hinsichtlich der Zinsdifferenz, Inflationsdifferenz, Vertrauensdifferenz) nicht in den USA Geld anlegen und damit diesem Land eine passive Leistungsbilanz ermöglichen? Warum und mit welcher Begründung und Sachkompetenz könnte der IWF darauf sinnvoll „Einfluss" nehmen? Ob hier globale monetäre Gleichgewichte einfach mit ausgeglichenen Leistungsbilanzen gleichgesetzt werden? Die Vorteile der Auflockerung der Zahlungsbilanzrestriktion unter dem bestimmenden Einfluss der Kapitalbilanz auf die Gestalt der Leistungsbilanz (siehe schon Böhm-Bawerk 1919/1924) werden verkannt. Um Fehlschlüsse dieser Art zu vermeiden, ist die analytische Unterscheidung Röpkes zwischen dem atemporalen und dem intertemporalen Ansatz zur Erklärung von Zahlungsbilanzsalden anzuraten.
4
Zur Anwendung auf Volkswirtschaften im Transformationsprozess siehe Weber (1995, S. 160 ff.).
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3.2. Der atemporale und der intertemporale Ansatz zur Erklärung von Zahlungsbilanzsalden Der atemporale Ansatz zur Erklärung und normativen Interpretation von Salden der Leistungsbilanz (Handels- und Dienstleistungsbilanz) verleitet zu einer befangenen, unzureichend fundierten Antwort auf die Frage nach den BestimmungsgrUnden des Ausgleichs der internationalen Zahlungen. Hiervor kann ζ. B. die Analyse des Verlaufs eines Verschuldungs- und Entschuldungsprozesses in der Zeit bewahren. So durchliefen beispielsweise die USA, worauf Röpke 1930 hingewiesen hat, in ihrer Entwicklungsgeschichte vier Stadien der Verschuldung und Entschuldung. Der Fall USA hat deshalb Mustercharakter, weil in diesem Zyklus privatwirtschaftlichmarktwirtschaftliche Kalküle bestimmend waren - frei von Verfälschungen durch politisch-bürokratisch motivierte Kapitalbewegungen, die nicht darauf gerichtet sind, die Gründe für Ungleichgewichte der Zahlungsbilanz (etwa einen unrealistischen Wechselkurs) rasch zu beseitigen, sondern anderen Zielen der Wirtschaftspolitik zu dienen (Entwicklungshilfe in den 1960er Jahren oder Garantie der Mitgliedschaft in der Eurozone und Rücksichtnahme auf nationale Empfindlichkeiten um jeden Preis heute). Aus der Dominanz des politischen Faktors entstehen Spielräume für ein bindungsschwaches Schuldenmanagement auf der Gläubiger- und Schuldnerseite, die durch eine uniimitierte Politik des leichten Geldes zu einem inflationstreibenden Superzyklus führen können. Dieser Weg einer undisziplinierten inneren und äußeren Staatsverschuldung verleiht den Koordinaten des Verschuldungs- und Entschuldungsprozesses einen hohen Grad an Unbestimmtheit. Zurück zu den Stadien des Verschuldungs- und Entschuldungsprozesses: Der Fall des werdenden Schuldnerlandes bezieht sich auf ein Land mit hinreichender Kapitalmarktbonität, das sich im Maße seiner Kapitalimporte ein Leistungsbilanzdefizit leisten kann. Das Land kann damit die Absorption Uber das inländische Volkseinkommen ausweiten und aus der erweiterten finanziellen Basis heraus wachstumsfördernde Investitionen ermöglichen. Zur Konstellation des reifen Schuldnerlandes kommt es, wenn im Gefolge eines produktiven Einsatzes der Auslandsmittel eine wirtschaftliche Entwicklung in Gang gesetzt wird, die es erlaubt, durch Exporte einen Überschuss in der Leistungsbilanz zu erwirtschaften, der ausreicht, um den Kapitaldienst (Tilgung plus Zinsen) zu leisten. Mit dieser Bereitschaft übersteigt im gleichen Maße der Kapitalexport den Kapitalimport. Hierzu ist es im Inland notwendig, die Absorption zu vermindern. Es kommt zum Umbruch der Leistungsbilanz. Freilich geschieht das nicht automatisch, sondern nur dann, wenn das Schuldenmanagement funktioniert und die Auslandsschulden bedient werden. Der Entschluss dazu ist entscheidend. Er markiert den verwundbarsten Punkt der Schuldentilgung und der Aktivierung der Leistungsbilanz, die mit der Bedienung der Schulden in Gang gesetzt wird. Diese ist das Ergebnis, nicht die Bedingung der Bereitschaft zum Schuldendienst. Bei einem werdenden Gläubigerland liegt eine Aktivierung der Leistungsbilanz vor. Sie resultiert aus Exportüberschüssen, die Uber das hinausgehen, was für den Kapitaldienst erforderlich ist. Dazu kommt es, wenn das mit Aktivsalden gebildete Auslands-
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vermögen von den Gläubigem höher geschätzt wird als alternative Verwendungen. Und im Falle des reifen Gläubigerlandes weist die Leistungsbilanz einen Importüberschuss aus, dessen Finanzierung aus beträchtlichen Zins-, Tilgungs- und Dividendeneinnahmen aus früheren Kapitalexporten resultiert, wenn von möglichen Schenkungen abgesehen wird. Es handelt sich gleichsam um Kapitalimporte aus akkumuliertem Auslandsvermögen. Das klingt im Hinblick auf die damit ermöglichte erhöhte Absorption volkswirtschaftlich uneingeschränkt vorteilhaft, kann aber problematisch sein. So hatte sich England vor dem Ersten Weltkrieg als Weltreich ein Reservoir an vergleichsweise preiswerten Lieferanten und exklusiven Absatzmärkten geschaffen. Nach dem Krieg erwies sich das wohlfahrtsstaatlich gefesselte Land als unfähig zum institutionellen Wandel, möglicherweise auch deshalb, weil es vorher lange in der Position des reifen Gläubigerlandes war. Die Gesellschaft glaubte es sich, was die Entwicklung von Unternehmer- und Wettbewerbsgeist anbelangt, bequem machen zu können, tat sich jedenfalls schwer, mit Initiative und Kreativität neue Bedingungen zu schaffen, um im offenen internationalen Wettbewerb zu bestehen. Aus der Position des reifen Gläubigerlandes können also ambivalente Wirkungen bis hin zu Röpkes und Olsons Diagnose der monopolistischinterventionistischen Erstarrung bzw. der institutionellen Sklerose gefolgert werden.
3.3. Folgerungen Röpkes intertemporale Zahlungsbilanzanalyse lässt sich entlang des hier kurz vorgestellten Phasenschemas verfeinern, aktualisieren und beispielhaft konkretisieren, wie Weber (1995, S. 126 ff.) es unter Einbeziehung der Problematik der Transformationsländer getan hat. Generell sollten nicht alle Defizite und Überschüsse der Leistungsbilanz mit gleichen Augen angesehen, vielmehr sollte in jedem Falle geprüft werden, unter welchen binnen- und außenwirtschaftlichen Umständen sie zustande gekommen sind (siehe Willgerodt 1962, S. 34). Leistungsbilanzsalden sind Ausgangspunkt, nicht Schlusspunkt der Analyse. Und hierbei kommt der Kapitalbilanz die Schlüsselrolle zu. Jedenfalls sind die schnellen Rückschlüsse, die heute in der Wissenschaft, Politik und in den Medien - den Gedankengängen der Keynes-Schule folgend - aus der Gestalt der Leistungsbilanz gezogen werden, verfehlt. Dies gilt auch für die Neigung, Defizite der Leistungsbilanz aus Armut, wirtschaftlicher Rttckständigkeit oder aus irgendwelchen anderen „strukturellen" Gegebenheiten zu folgern. Leistungsbilanzdefizite können nur insoweit entstehen, als es ausländische Gläubiger für die Finanzierung oder Wohltäter im Falle von Schenkungen gibt. Vollhaftende Gläubiger haben den Vorzug, dass sie sich selbstverantwortlich der Schuldendienstfrage stellen und bedenken müssen, ob die Schuldner nicht nur grundsätzlich fähig zur inneren und äußeren Aufbringung des Kapitaldienstes sind, sondern im Ernstfall den Willen aufbringen, der übernommenen Pflicht nachzukommen. Der bis heute vielfach verbreitete Fehlschluss, dies setze einen entsprechenden Leistungsbilanzüberschuss voraus, wurde von Röpke als grob dilettantisch bezeichnet: „Das Maß also, in dem eine aktive Handelsbilanz (diese Bezeichnung steht bei Röpke für Leistungsbilanz A. S.) erzielt werden kann, soll nach dieser so außerordentlich populären Transfertheorie über das Maß entscheiden, in dem transferiert werden kann. Man mag im Innern alle Anstrengungen zur Aufbringung der Kapitalsumme machen, - sind aber die Winde, die die Götter den über die Grenzen flutenden Waren schicken, nicht günstig, so
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muß die Summe ruhen und warten, wie das Heer der Achäer in Aulis, während die Hohenpriester der Oekonomie mit allerlei Hokuspokus das Wunder der Aktivität der Handelsbilanz vom Himmel herabzuflehen hätten. Soll man diese Theorie ernst nehmen und die Geduld aufbringen, sich ausführlich mit ihr auseinanderzusetzen? Mir scheint, daß in diesem Kreis die einfache Feststellung genügt, daß die Handelsbilanztheorie den Zusammenhang einfach auf den Kopf stellt und vergißt, daß ein Ausfuhrüberschuß erst pari passu mit der Durchführung einer von keiner Nettokapitaleinfuhr mehr begleiteten Übertragung entstehen kann, keinen Augenblick früher. Es entscheidet also nicht die Handelsbilanz Uber die Übertragung, sondern die Übertragung über die Handelsbilanz ..." (Röpke 1930, S. 232; siehe auch Willgerodt 1978, S. 215 ff.).
Mit dieser Erkenntnis steht Röpke fest in der Denktradition von Böhm-Bawerk (1919/1924) und der Österreichischen Schule. Röpke kämpfte sein Leben lang gegen die konfuse Vorstellung von der „strukturellen" Passivität der Leistungsbilanz, ohne dass die ursächlichen Bestimmungsgründe der Kapitalbilanz bedacht werden. Dieser gedankliche Kurzschluss wurde in den 20er Jahren unter anderem auch von dem damals politisch einflussreichen Hjalmar Schacht (1931) vertreten. Schacht leugnete die selbstmörderische Zerstörung der Währung, die nach dem Ersten Weltkrieg durch eine völlig verfehlte geldpolitische Orientierung der Reichsbank an der „Bankinglehre" entstanden war. Er hing vielmehr der innenpolitisch äußerst populären Auffassung an, das Ausland habe Deutschland durch den Versailler Vertrag und durch außenpolitische Druckausübung ausbluten lassen. Und in diesem Zusammenhang schob Schacht (1931, S. 24) die Verantwortung für die deutsche Hyperinflation und für die angeblich schädliche passive Leistungsbilanz ausschließlich dem Ausland zu, was geeignet war, zur Vergiftung des politischen Klimas beizutragen. Sachlich geboten wäre eine kontraktive Geldpolitik gewesen, wie Eucken 1923 dargelegt hat. Und die anschließende monetäre Stabilisierung der Reichsmark hat gezeigt, dass dies möglich war. Es ist festzuhalten: Wie groß auch immer der Einfuhrbedarf einer Volkswirtschaft im Verhältnis zu den Exportmöglichkeiten veranschlagt werden mag, er ist für den Saldo der Leistungsbilanz des Landes genauso unerheblich, wie die Frage, wie arm oder reich ein Land ist. Wohl aber entscheiden Armut und Reichtum darüber, „auf welchem Niveau der Versorgung, des Wohlstandes, der Kapitalausrüstung sich das Land befindet " Röpke hat deshalb vorgeschlagen, zwischen „Gleichgewichtsproblemen" und „Niveauproblemen" zu unterscheiden.5 Freilich beruht diese Unterscheidung, wie gegenwärtig das Verhältnis einiger Nordländer zu den Südländern in der Eurozone zeigt, nicht einfach auf „strukturellen" Gegebenheiten, sondern auf beeinflussbaren, meistens selbstverschuldeten Gründen. So begünstigen die unwiderrufliche Garantie der Mitgliedschaft in der Europäischen Währungsunion in Verbindung mit der nach politischem Bedarf erweiterten Schirmfunktion des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie die Verletzung der No bail outKlausel durch die Europäische Zentralbank (EZB) Neigungen der südlichen Eurozonenländer, den verwundbarsten Punkt der Schuldentilgung zu ignorieren. Auch die Gläubiger müssen dann nicht hinreichend an die Qualität der Kreditverwendung und die Frage denken, wie es um die Schuldendienstbereitschaft und die Schuldendienstfähigkeit der
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So Röpke in einem Brief an Dr. Emminger vom 19.12.1952, in: Eva Röpke (1976, S. 129 f.).
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Kreditnehmer bestellt ist, ob ggfs. ausgleichsnotwendige Ausfuhrgüter der Schuldnerstaaten verfügbar sind, die im Euroraum und in Drittstaaten in ausreichendem Maße ohne Hilfe des Wechselkursmechanismus Absatz finden können. Aus der HeiTschaft der Kapitalbilanz Uber die Leistungsbilanz folgt, dass bei der Beurteilung der sog. Transferbegabung eines Schuldnerlandes den Gläubigern eine besondere Verantwortung zukommt. Hierbei kann es sowohl auf der Seite der Gläubiger als auch der Schuldner zu erheblichen staatlich verursachten Fehlorientierungen der internationalen Kapitalbewegungen, ja zu einer verhängnisvollen Kombination von unbegründetem Entwicklungsund naivem Transferoptimismus kommen (siehe Schüller 1982, S. 7 ff.), wie auch jetzt die Verschuldungskrise der Eurozone zeigt.
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Röpke und die Internationalen Organisationen
4.1. Vorbemerkungen Gibt es zum liberalen, zivilrechtlich fundierten Typ der internationalen Ordnung eine konkurrenzfähige Alternative? Röpke hat diese Frage verneint. Tatsächlich haben sich sowohl die UdSSR als auch der Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) als internationale Ordnungskonzeptionen herausgestellt, die der Bevölkerung ohne brauchbare Wirtschaftsrechnung, ohne stabiles Geld, wirkliche Währungskonvertibilität und offene Märkte aufgezwungen wurden. Röpke spricht in solchen Fällen von einem „Dach ohne Haus", unter dem ein geschäftiger Pseudo-Internationalismus von Reisekadern betrieben wird. Diese müssen ihre Zeit und Kraft in konfliktreichen Kommissionssitzungen vergeuden und erleben, wie die Verhandlungsergebnisse schließlich doch nur den wirtschaftspolitischen Nationalismus stärken, also - gemessen an einer Markt-, Preis- und Zahlungsgemeinschaft - desintegrierend wirken. Solche Tendenzen waren und sind auch außerhalb des Sowjetblocks verbreitet. Der fortbestehende europäische Agrarprotektionismus ist hierfür ein Beispiel. Von den Industrie-, sozial- und beschäftigungspolitischen Ambitionen der EU nach dem Vertrag von Maastricht drohen ebenfalls desintegrierende binnen- und außenwirtschaftliche Wirkungen (siehe Schüller 2006, S. 127 ff.). Doch worauf ist der Fortschritt beim Wiederaufbau der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, der nach dem Zweiten Weltkrieg gegenüber der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erzielt worden ist, zurückzuführen? Nach Röpke nicht in erster Linie auf die internationalen Organisationen, Konferenzen und Charters. Der tatsächlich zu verzeichnende Fortschritt sei vielmehr überwiegend dem Konto deijenigen Länder gutzuschreiben (Röpke 1945/1979, S. 306 f.), die sich vom „Irrweg einer inflationistischkollektivistischen Wirtschaftspolitik", bestimmt vom Sozialismus, Keynesianismus und von der Ideologie des Wohlfahrtsstaates, abgewandt oder ferngehalten hätten: USA, Schweiz, Kanada, Westdeutschland, Belgien, Österreich, eingeschränkt Niederlande, Italien, Dänemark und wenige andere. Röpke würde heute vermutlich eher eine Reihe aufstrebender Schwellenländer dazu zählen als Belgien, Italien oder Deutschland.
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4.2. Internationale Organisationen und die „Angst vor der passiven Zahlungsbilanz": Marshall-Plan (ERP), Internationaler Währungsfonds (IWF), Weltbank und Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) Immer wieder wird eine Neuauflage des US-amerikanischen Marshallplans von 1948 gefordert, um Reformpläne durch Kredithilfen zu ermutigen und deren Umsetzung zu beschleunigen, so nach 1989 mit Blick auf die Transformationsländer oder heute unter Berufung auf die vermeintlich „strukturelle" Passivität der Leistungsbilanz der Südländer in der Eurozone. Das externe Finanzengagement soll im Interesse einer raschen Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen breiter Schichten der Bevölkerung und damit für den innenpolitischen Erfolg von Reformen nicht durch einen marktmäßigen Schuldendienst (siehe Kapitel II. 2) belastet werden. Aus der Verwaltung der Mittel des Marshall-Plans und der Parallelorganisation OEEC („Organization for European Economic Cooperation") ist nach Röpke (1945/1979, S. 308) tatsächlich jene Politik hervorgegangen, die sich - aus Angst vor der passiven Leistungsbilanz - um eine regionale Hilfe bemüht hat. Hintergrund war die Absicht, Europa wirtschaftlich auf die Beine zu helfen und politisch zu festigen. Die Mittel des von den USA installierten Marshall-Plans waren an Bedingungen geknüpft, und zwar an — die Herstellung der Rechtsstaatlichkeit und der inneren finanziellen Stabilität, — den Abbau von Handelsschranken und — die aktive Teilnahme an der wirtschaftlichen Zusammenarbeit im Rahmen der OEEC sowie — den Nachweis eines Leistungsbilanzdefizits, das als Indikator der Rückständigkeit und Hilfsbedürftigkeit diente. Es ging also nicht um die Lösung eines Gleichgewichtsproblems, sondern eines Problems des Versorgungsniveaus. Die USA versuchten, diese Anforderungen in bilateralen Abkommen über die Durchführung des Wiederaufbauprogramms mit Nachdruck zu sichern.6 Das war im Falle Westdeutschlands nicht schwierig. Hier war der vom Marshallplan gewiesene Weg ohnehin der gleiche, der auch von den Vertretern des Konzepts der Sozialen Marktwirtschaft verfolgt wurde, nämlich die Konzentration der Mittel auf die unmittelbare Finanzierung von Investitionen dynamischer mittelständischer Unternehmen. Das Prinzip war also: Investition als Triebkraft der Konsumtion. Dort aber (etwa in England, Italien und Frankreich), wo man weiterhin damit beschäftigt war, die Zinssätze, Arbeitskosten und Güterpreise marktwidrig zu manipulieren, ersatzweise das Wirtschaftsgeschehen zu planen, zu dirigieren und zu kontrollieren, standen die Eigenanstrengungen zur monetären Stabilisierung, zur Herstellung einer Wettbewerbsordnung und zur außenwirtschaftlichen Öffnung nicht im Zentrum der Reformpolitik. Man sah in den Mitteln des Marshallplans eine internationale Sozialhilfe und glaubte, mit dieser die gesamtwirtschaftliche Konsumkraft stärken und die schlummernden Wirtschaftskräfte im Hinblick auf
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Nebenbei bemerkt kommt das dem nahe, was aktuell mit dem Institut der freiwilligen Verträge zwischen der EU-Kommission und einzelnen Euroländern angestrebt wird, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
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wachstumsfördemde Investitionen wecken zu können, ohne den unbequemen Reformweg einzuschlagen. Es hat sich gezeigt, dass nicht die finanzielle Hilfe, sondern der äußere Anstoß zum Wandel, vor allem aber der mit politischer Überzeugungskraft durchgesetzte ordnungspolitische Wille von innen die Bedingungen für die wirtschaftliche und moralische Gesundung und die Integration in die Weltwirtschaft geschaffen hat. Ludwig Erhard (1948/1988, S. 115) hat es klar ausgesprochen: „Wenn wir die Hilfe nur im Sinne eines Zuschusses zu unserem Konsumtionsfonds verstehen, dann kann uns auch nicht mit wesentlich höheren Beträgen, sondern überhaupt nicht geholfen werden." Er hat damit recht behalten und seine innenpolitischen Gegner, die in der Marshallplanhilfe eine amerikanische Sozialhilfe sahen, von der man nicht genug bekommen könnte, widerlegt. Röpkes Kritik am Marshallplan gilt vor allem dem von der OEEC entwickelten Verfahren zur Ermittlung des Hilfsbedarfs anhand von ,,Programmzah]ungsbilanzen". Unter Programmzahlungsbilanz (siehe Machlup 1950) wird eine Aufstellung der geplanten oder erwünschten Zahlungsbilanz, eine Bilanz der „Wünsche und Hoffhungen", also eine Zahlungsbilanzprognose verstanden. Demzufolge wurde nicht im Verständnis einer Armen- oder Katastrophenhilfe nach der Bevölkerungszahl, dem Pro-Kopfeinkommen oder dem Ausmaß der Kriegszerstörung verteilt, sondern nach der Größe der in Zukunft zu erwartenden Leistungsbilanzlücken. Da die Wünsche der Regierungen und politischen Parteien stets größer sind als die Mittel, diese zu erfüllen, kann man vorhersagen, dass die Verwundbarkeit dieses Verfahrens im Wettstreit der Regierungen besteht, das größte voraussichtliche Defizit „nachzuweisen". In diesem Wettbewerb um größtmögliche Finanzierungslücken als Ausdruck eines außenwirtschaftlichen Gleichgewichtsproblems schrumpfen die Aussichten, etwas zu bekommen, in dem Maße, wie die Länder den Geldttberhang beseitigen und die Bedingungen für ein international vernetztes Marktpreissystem schaffen. Dort, wo bei zurückgestauter Inflation ein erheblicher Teil der monetären Gesamtnachfrage nicht auf den Inlandsmärkten zum Zuge kommen kann, besteht ein künstlicher Importsog fort. Das Verfahren der Verteilung der Marshallplan-Mittel verleitete dazu, diesen rechnerischen Nachfrageüberhang als Importbedarf zu deuten und in die Programmzahlungsbilanz einzusetzen. Für die Größe der Hilfsbedürftigkeit gibt es dann keine wirklich harte Grenze. Im Gegenteil: Mit einer liederlichen nationalen Budget- und Kreditpolitik erhöhte sich der Geldüberhang. Es gehörte zur Logik des OEEC-Verfahrens, dass damit sogar ein steigender Finanzierungsbedarf "nachgewiesen" werden konnte. Die Mittel verschwinden vielfach nutzlos wie in einem Bermudadreieck und sind geeignet, eine schlechte Wirtschafts- und Währungspolitik zu prämiieren. Dessen ungeachtet ist man später in der OECD (Organization for Economic Cooperation and Development) wie bei der Verteilung der Marshallplan-Mittel vorgegangen, um an Hand von konstruierten Finanzierungslücken den für notwendig gehaltenen Umfang der Entwicklungshilfe zu bestimmen.7 Auch die UNCTAD („United Nations Conference on Trade and Development") hat sich diesem Vorgehen angeschlossen.
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Zur Kritik dieser Politik künstlicher Ungleichgewichte siehe Dürr (1967).
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Die Wunschliste für externe Lückenfüllungen gewinnt an Länge und Dauerhaftigkeit, wenn es permanente Finanzinstitutionen gibt, die ein Interesse daran haben, den für hilfsbedürftig befundenen Ländern dubiose Bedarfsnotwendigkeiten einzureden und bei der Lückenbestimmung zu helfen. So ermittelte der Präsident des IWF Michel Camdessus 1992 für die GUS-Länder (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten) eine Zahlungsbilanzlücke von insgesamt 44 Mrd. Dollar. Prominente russische Politiker und westliche Berater sahen in einer derartigen Auslandshilfe eine unabdingbare Voraussetzung, um diese Länder rasch und erfolgreich in die Weltwirtschaft einzugliedern, ohne zu bedenken, dass mit dieser Berechnungsmethode so ziemlich jeder Bedarf als angemessen befunden werden kann. Es verwundert auch nicht, dass Röpke den IWF wie auch die Weltbank eher negativ als positiv beurteilte. Man mag einwenden, dass nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise der private grenzüberschreitende Kreditverkehr völlig zum Erliegen gekommen war. Hauptgründe waren die Enteignung der Auslandsgläubiger durch die Devisenbewirtschaftung, die Missachtung des ausländischen Eigentums im Krieg, die Sozialisierung ohne Rücksicht auf die Eigentumsrechte usw. Es fehlte nach dem Zweiten Weltkrieg ein entwickelter internationaler Kredit- und Kapitalmarkt. Die westeuropäischen Länder hatten mit Ausnahme der Schweiz keine frei konvertierbaren Währungen. Die fortbestehende Devisenbewirtschaftung und der damit verbundene handelspolitische Bilateralismus ermöglichten nur einen kümmerlichen Außenhandel. Kredite von Regierung zu Regierung gab es, wenn überhaupt, nur zu politischen Bedingungen. Angesichts der extremen internationalen Gegebenheiten des Misstrauens und der Unsicherheit erscheint vielen aus heutiger Sicht der damalige Versuch verständlich, eine neue Form zu finden, um den privaten Kredit, der durch die gegebenen Bedingungen unmöglich geworden war, durch supranationale Finanzinstitutionen zu ersetzen: Einmal durch den IWF zur Stabilisierung fester Wechselkurse, zum anderen durch die Weltbank zur Förderung von Kapitalinvestitionen im Dienste des Wiederaufbaus und der Entwicklung der Mitgliedsländer - alles mit dem Ziel, den internationalen Handel auszuweiten und den Lebensstandard zu heben. Die naheliegende Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, die Bedingungen zunächst wieder herzustellen oder in den Schuldnerländem herstellen zu lassen, die für den privaten Kredit unumgänglich sind (Rechtsstaatlichkeit, solide monetäre und budgetäre Verhältnisse, Garantien für den Rücktransfer etc.), hat man gar nicht erst gestellt. Gestellt hat man sich vielmehr „auf den Boden der Tatsachen". Deren Änderung hielt man für unzumutbar und irreversibel. So musste man angesichts der Hilfestellung des IWF für die Beibehaltung unrealistischer fester Wechselkurse Zahlungsbilanzschwierigkeiten nicht mehr allzu tragisch nehmen. Und die Weltbank sorgte für einen „internationalen Kredit auf Krücken" (Fritz W. Meyer), dessen sich die Schuldner in aller Regel zu wesentlich günstigeren Bedingungen bedienen konnten als die privaten Kreditnehmer in den Ländern, deren Steuerzahler die internationalen Institutionen finanzieren. Spätestens Ende der 50er Jahre hätte mit der Auflösung des IWF und der Weltbank begonnen werden können, nachdem zahlreiche Länder zur Währungskonvertibilität übergegangen waren, die internationalen Finanzmärkte wieder funktionierten und sich das Fixkursregime des IWF immer mehr zu einem Faktor der weltwirtschaftlichen In-
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Stabilität zu entwickeln begonnen hatte. Und 1973 verlor der IWF mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen vollends seine Legitimation. Denn damit zeigte sich, dass der IWF seine Hauptaufgabe, eine Währungsordnung zu schaffen, die einen reibungslosen Welthandel garantieren kann, verfehlt hatte. Stattdessen wurde die Indienstnahme des IWF für politische Zwecke, mit der schon Anfang der 60er Jahre unter Kennedy begonnen worden war, zügig vorangetrieben. Das gilt auch für die Weltbank, deren Aufgabenverständnis nach 1949 unter dem Präsidenten Eugen R. Black von Regeln einer bankähnlichen Kreditpolitik bestimmt war. Unter dem Präsidenten Robert McNamara wandelte sich ab 1968, verstärkt ab 1973, die Weltbank zu einer mit missionarischem Eifer betriebenen Politik der Armutsbekämpfung. Als McNamara begann, beschäftigte die Weltbank 1500, als er 1981 ging, waren es 6000 Menschen, die mit großem Sendungsbewusstsein für eine expansive Darlehenspolitik sorgten, mit der die Kreditnehmer planmäßig rechnen konnten, ohne mit einer scharfen Kontrolle der Verwendungsqualität der Mittel rechnen zu müssen. McNamara, war, wie auch Kennedy und Johnson, davon überzeugt, die Welt durch mehr Geld von ihrem Elend befreien zu können. So sollte die Weltbank zu einem globalen Zentrum der Struktur- und Wachstumspolitik ausgebaut werden. Auf diesem Weg ist die Weltbank mehr und mehr in den Bereich der Zahlungsbilanzfinanzierung vorgedrungen, während der IWF mit Krediten an Entwicklungsländer mit Laufzeiten bis zu acht Jahren in die ursprüngliche Domäne der Weltbank eingedrungen ist. Die erheblichen Aufgabenüberschneidungen und Legitimationsprobleme hätten für die Anhänger der beiden Institutionen eigentlich eine Zusammenlegung nahelegen können, denn die Möglichkeit, zwischen Gleichgewichts- und Niveauproblemen zu unterscheiden, war für das Aufgabenverständnis von IWF und Weltbank weitgehend hinfällig geworden. Zugleich hatten sich die beiden Instanzen immer mehr selbst zum Teil des internationalen Schuldenproblems entwickelt, ohne in der Lage gewesen zu sein, an der Lösung nachhaltig mitzuwirken.8 Obwohl es bis heute bei der Aufgabenverfehlung geblieben ist, können IWF und Weltbank mit Hilfe ihrer Eigentümer, den jeweiligen Regierungen der Mitgliedstaaten, bei fortschreitender Programmausweitung auf einen unbestrittenen selbständigen Fortbestand bauen. Röpkes frühe Vorbehalte gegenüber den suprastaatlichen Finanzinstitutionen haben sich als berechtigt erwiesen. Es hat sich bestätigt, dass Einrichtungen wie der IWF und die Weltbank nicht nur von Dauer, sondern aus politisch-bürokratischen Eigenmächtigkeiten von einem starken Drang nach Ausdehnung bestimmt sind, wenn es um die Suche nach Möglichkeiten geht, die Hilfen generell aufzustocken und das Aufgabenfeld durch neue Kreditschalter zu erweitern. Wir stoßen hier auf eine Variante des wohlfahrtsstaatlichen „Samariter-Dilemmas" (James Buchanan 1975/1977), also auf die Beobachtung, dass mit höheren politischen Finanzierungsangeboten Zahl und „Bedarf" der Begünstigten zunehmen. Man wird nicht ernsthaft erwarten können, dass solche Einrichtungen ihre Aufgabe darin sehen, sich überflüssig zu machen. Sie werden vielmehr alles tun, um - dem Gedankengang der Angst vor der passiven Leistungsbilanz folgend
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Oppenheimer (1998, S. 8); NZZ, Nr. 211 vom 12./13. 9. 1998, S. 39 - mit einem Rückblick auf die ersten fünfzig Jahre der Weltbank.
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— aus den Finanzierungsangeboten eine Bringschuld und aus der Reform- und Anpassungsbereitschaft der Kreditnehmer eine Holschuld zu machen. Das jüngste Beispiel für eine internationale Einrichtung, die ihre Hilfsangebote unter anderem an Leistungsbilanzsalden orientiert, ist der ESM von 2012 - mit folgender Vorgeschichte. Die Defizitländer der Eurozone indizieren - bei fehlender Möglichkeit, durch Abwertung die Exporte zu erhöhen bzw. die Importe zu drosseln - eine vergleichsweise schwache Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und unzureichende Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft. Darin wird landläufig eine Neigung zur „strukturellen" Passivität der Leistungsbilanz gesehen. Dabei wird folgendes übersehen: — Für Defizite sind die Kreditgeber ursächlich - im Sinne des Böhm-Bawerkschcn Satzes: Die Kapitalbilanz regiert, die Leistungsbilanz folgt. — Die Währungsunion war von Anfang an schuldnerfreundlich und auf künstliche Ungleichgewichte hin angelegt, sonst wären allenfalls drei Staaten für eine Mitgliedschaft in Frage gekommen. Der Euro hat vor allem in den Südländern, die den Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in einer Währungsunion am wenigsten genügen, mit Hilfe .deutscher' Zinssätze den Vormarsch und Ausbau wohlfahrtsstaatlicher Programme auf Pump begünstigt. Die Schuldnerfreundlichkeit der Währungsunion hat die Gläubiger dazu verleitet, nicht darauf zu achten, wie es um die Verwendungsqualität der Mittel und die Schuldendienstfähigkeit der Kreditnehmer bestellt ist. Sollen die Gläubiger dafür, dass sie dieser Verlockung erlegen sind, nicht haften und gelingt es nicht, den Zustand durch zügige marktmäßige Anpassung (innere Abwertung) seitens der Schuldnerländer zu ändern, können der Kapitaldienst und die bisherigen Importüberschüsse nur durch neue Kredite oder Transferzahlungen finanziert werden. — Die .weichen' Finanzierungshilfen der EU können wiederum dazu verleiten, der innenpolitisch schmerzhaften Anpassung, der notwendigen fiskalischen Disziplin und Reformbereitschaft auszuweichen. — Eine fortgesetzte Importfähigkeit auf Pump verleiht der Exportwirtschaft der Überschussländer vorübergehend künstliche Vorteile, die von ihr begrüßt werden, wenn sich dadurch auch - wie in einem Teufelskreis - der Zustand der Defizitländer verschlechtert und wenn die Budgets und die Exportmöglichkeiten der Überschussländer einseitig belastet werden, bis dass sich keine Kreditgeber mehr finden, also der Fall des Super-Zyklus eintritt. Um diese Konsequenz zu vermeiden, wird mit Hilfe des ESM versucht, die Passivsalden zu beschränken, was nicht gelingen kann, ohne auch die Aktivsalden zu begrenzen. Der daraus entstehende Saldendirigismus erfordert Eingriffe auch in das binnenwirtschaftliche Geschehen (siehe Schüller 2012b). Diese sind im Falle der europäischen Einheitswährung gleichsam Ersatz für die Devisenbewirtschaftung, die traditionell von denjenigen als unausweichliches Mittel angesehen wird, die sich von der Idee der „strukturell" oder schicksalhaft gegebenen Passivität der Leistungsbilanz leiten lassen. Der ESM steuert nach der Logik seiner Aufgabenstellung auf den Ausbau zu einem europäischen Zentrum der Struktur- und Wachstumspolitik hin, wie es McNamara für die Weltbank vorschwebte.
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Wer diesen Weg der europäischen Integration für verfehlt hält, wird Röpkes Zurückweisung der Lehre von der passiven Leistungsbilanz auch im Zusammenhang mit dem ESM Beachtung schenken, weil es nämlich „ k a u m e i n e Vorstellung (gibt), die für die Wirtschaftspolitik verhängnisvoller wäre" (Röpke 1945/1979, S. 267 f.).
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Die Goldwährung - Röpkes Maßstab und Prüfstein für die internationale Bereitschaft zur währungspolitischen Kooperation
Nach dem Zweiten Weltkrieg stellte sich die Aufgabe einer neuen internationalen Währungsordnung. Die Sorge war groß, diese Schlüsselaufgabe der Neuordnung der Weltwirtschaft könnte missglücken. Die damit verbundenen Schwierigkeiten waren deshalb so groß, weil keines der bis dahin verwendeten Systeme des Zahlungsbilanzausgleichs als allgemein zumutbare Lösung in Frage kam: — Die Devisenbewirtschaftung erlaubt zwar eine weitgehende währungspolitische Autonomie mit der Möglichkeit einer autonomen Konjunktur- und Beschäftigungspolitik, doch war diese Lösung wegen des untrennbar damit verbundenen handelspolitischen Bilateralismus ungeeignet, diskriminierungsfreien multilateralen internationalen Wirtschaftsbeziehungen den Weg zu ebnen und damit als Triebkraft des wirtschaftlichen Fortschritts zu dienen. — Währungen mit beweglichen Wechselkursen kamen nicht in Frage. Man dachte nämlich, schwankende Wechselkurse würden wegen der Kursrisiken die Entfaltung des internationalen Handels und des internationalen Kapitalverkehrs massiv behindern. Auch für Röpke (1945/1979, S. 290) kamen frei schwankende Wechselkurse nicht in Betracht, „da eine zum System erhobene Unstabilität der Wechselkurse eine Unsicherheit aller internationalen Zahlungs- und Kreditbeziehungen zur Folge hätte, die mit einer diesen Namen verdienenden internationalen Ordnung unvereinbar sind". Die Fehlurteile über flexible Wechselkurse dauern bis heute an (siehe Schüller 2012b). — Der Goldstandard wurde gleichgesetzt mit Deflation, Arbeitslosigkeit und Gefahr des politischen Umsturzes. Tatsächlich brachte die Deflationsentwicklung der frühen 1930er Jahre die Erkenntnis, dass der Goldmechanismus versagt, wenn andere Goldwährungsländer bei hoch verflochtenen internationalen Kreditbeziehungen die Regeln verletzen. Für Länder, die trotzdem versuchen, sich an die Regeln zu halten, kann dies katastrophale Konsequenzen haben. Deshalb müssen alle Goldwährungsländer bereit sein, sich den Spielregeln zu unterwerfen. Unter diesen Bedingungen sind die Fehldeutungen und Vorhaltungen, die mit dem Goldstandard bis heute in Verbindung gebracht werden, unberechtigt und hinderlich, wenn es darum geht, die in dieser internationalen Geldordnung liegenden Vorteile anzuerkennen. Die gefundene Kompromisslösung für ein internationales Währungssystem wurde erstmals in der Geschichte - in einem multilateralen Vertrag über das Bretton WoodsSystem vereinbart. Das währungspolitische Kernstück war ein (Finanzierungs-)Fonds, der dazu dienen sollte, die Wechselkurse zu stabilisieren. Diese wurden - entgegen den Regeln der Goldwährung - nach Art hoheitlicher Preistaxen, also politischer Preise, zwischen den Mitgliedsländern des IWF mit dem Ziel eines multilateralen und stabilen
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Währungssystems unter Verzicht auf kompetitive Abwertungen und Devisenbewirtschaftung vereinbart und verändert. Die Lehren aus der Bretton-Woods-Ära bestätigen Röpkes früh geäußerte Kritik am IWF, die durch folgende Erfahrungen zu ergänzen ist, die im Widerspruch zu Röpkes Präferenz für ein Konzept fester Wechselkurse stehen: Feste Wechselkurse nehmen bei unterschiedlichen Inflationsraten Ländern, die den Geldwert stabil halten wollen, die Souveränität in Währungsfragen, bürden diesen einseitig die Anpassungslasten aus Ungleichgewichten der Zahlungsbilanz auf - entweder in Form der Folgekosten aus der Zwangskreditierung, aus der Aufwertung oder aus der Anpassungsinflation. Feste Wechselkurse sind kein selbständiges wirtschaftspolitisches Ziel, sondern ein Mittel, um übergeordnete Zwecke der Wirtschaftspolitik (Geldwertstabilität, Freiheit der internationalen Wirtschaftsbeziehungen) zu erreichen. Deshalb sind nicht feste oder flexible, sondern realistische Wechselkurse erstrebenswert.9 Diese lassen sich nicht durch förmliche Verhandlungen ermitteln, auch nicht durch Einschaltung einer unabhängigen Instanz, der die Verantwortung für „richtige" Währungsrelationen übertragen wird. Ob Wechselkurse „richtig" sind, lässt sich wie bei Marktpreisen nur in dem Sinne beurteilen, ob die Voraussetzungen oder Spielregeln für die Entfaltung freier (Devisen-)Marktprozesse gegeben sind oder nicht. Wechselkurse unter dem Einfluss von Devisenkontrollen, von Versuchen, die Kursbildung mit Hilfe übermäßiger Kredite und Handelsbeschränkungen zu stabilisieren, entsprechen diesem Ansprach nicht. Realistische Wechselkurse erfordern die Freiheit des Handels- und Kapitalverkehrs, die im Bretton Woods-System unter Berufung auf die Aufgabe, Wechselkurse zu stabilisieren, immer wieder gefährdet war. 1973 scheiterte das Fixkurskonzept des Bretton Woods-Systems. Der Übergang zu beweglichen Wechselkursen war unausweichlich. Es war das zur Regel geworden, was Röpke (1945/1979, S. 291) als Ausnahme betrachtete. Diese Erfahrung wurde auch mit dem Fixkursregime des Europäischen Währungssystems (EWS) nach 1979 gemacht. Es war als Test für die Europäische Währungsunion gedacht, musste jedoch 1993 aufgegeben werden. Der Übergang zu flexiblen Wechselkursen erwies sich nach zahlreichen Realignments, starken Gefährdungen der Geldwertstabilität, der Freiheit des internationalen Güter- und Kapitalverkehrs und der Währungskonveitibilität wieder einmal als unausweichlich (zum Scheitern des EWS siehe Smeets 1993, S. 109 ff.). Auch die aktuelle Krise des Eurosystems bestätigt, dass wir von Röpkes Ideal einer internationalen Zahlungs- und Kreditgemeinschaft mit vergleichsweise geringen Transaktionskosten weit entfernt sind (Röpke 1945/1979, S. 345). Warum? Nach Röpke kann ein wirklich internationales Geldsystem nur dann erfolgreich sein, wenn die Bedingungen erfüllt sind, von denen die Währungsordnung abhängt - von einer budgetären und monetären Disziplin, von beweglichen Marktpreisen und Kosten, offenen Märkten, verbunden mit der Bereitschaft, die „nationale und internationale Währungsordnung nach
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Zur Frage feste oder bewegliche Wechselkurse im Zusammenhang mit aufholenden Ländern siehe Weber (1995, S. 235 ff.) und Wentzel (1995, S. 153 ff.).
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Möglichkeit aus dem Bereiche der Politik und damit der Willkür, der Leidenschaften und Rivalitäten" herauszuhalten (Röpke 1945/1979, S. 30 f.). Die Goldwährung, wie sie bis zum Ersten Weltkrieg bestand, kommt diesem Ideal am nächsten. Sie könnte auch heute noch als Maßstab und Prüfstein für die internationale Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit von Regierungen dienen (siehe Röpke 1937/1994, S. 149 ff.), und zwar für — Bedingungen, die ein Höchstmaß an Währungskonvertibilität mit den günstigsten Interdependenzen zwischen dem monetären und realwirtschaftlichen Sektor ermöglichen; — eine Wechselkursbildung, d. h. für eine Währungsverknüpfung und -bewertung, die nicht durch politischen Beschluss oder Dekret von oben entsteht, sondern als Ergebnis der gemeinsamen Beachtung bestimmter Regeln und Funktionsprinzipien (siehe Lutz 1935, S. 244 f.); — eine je nach den Deckungsbestimmungen marktmäßige Lösung der Geld- und Kreditpolitik, die im Prozess der Wiederherstellung gestörter Zahlungsbilanzen ganz nebenbei ein System vergleichsweise stabiler Wechselkurse hervorbringt; — eine Kaufkraft des Geldes, die im zyklischen Konjunkturverlauf von leicht inflatorischen und leicht deflatorischen Tendenzen ungleich verlässlicher stabilisiert werden kann, als es bisher unter den Bedingungen moderner Papiergeldwährungen gelungen ist. Die selbstbindende und sich bei Regeleinhaltung selbst durchsetzende Kraft dieser quasi-rechtsstaatlichen Ordnungsbedingungen war bis zum Ersten Weltkrieg so stark und selbstverständlich, dass es weder eines internationalen Abkommens mit Mammutfonds, einer Delegation von nationalen Kompetenzen an supranationale Organisationen noch einer dominierenden Währungsautorität bedurfte. Allerdings sind die Selbstbindungen der Regierungen, auf denen dieses universelle Geldsystem vor 1914 beruhte, anspruchsvoll (siehe Lutz 1935, S. 244 f.). Sie beziehen sich auf die glaubwürdige Bereitschaft, sich an folgenden Regeln und Funktionsbedingungen zu orientieren: Währungsgleichung entsprechend einem Münzfuß nach dem Goldgehalt der Münzen, freie Goldprägung, Goldankaufs- und Goldverkaufspflicht durch die Zentralbanken (damit Garantie der Goldkonvertibilität gegenüber jedermann), Recht auf freie Einfuhr und Ausfuhr des Goldes für alle, eine von Deckungsvorschriften diktierte Geldpolitik, Verzicht auf eine rücksichtslose, letztlich selbstschädigende Konjunktur-, Beschäftigungs- und Handelspolitik (das erfordert die Trennung von Geld- und Fiskalpolitik), die Einsicht, dass inflexible Löhne und Preise auf monopolistische private oder staatliche Preissetzungen, Marktordnungen, Subventionen und Handelshemmnisse zurückgehen und ordnungspolitisch vermeidbar sind, internationale Wanderungsfreiheit für Human- und Finanzvermögen. Offensichtlich handelt es sich hierbei um Regeln einer Verfassung des Wettbewerbs. Deshalb erweist sich das Regelwerk der internationalen Markt-, Preis- und Zahlungsgemeinschaft als ein einheitliches Aktionsfeld, gegründet auf der Gewerbefreiheit, dem Freihandel und der Goldwährung. Durch die Behandlung der wirtschaftlichen Freiheit
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als Ganzes werden die nationalen Märkte verschmolzen, die nationalen Währungen zu einem Quasi-Weltgeld verknüpft (siehe Gröner und Schüller 1989, S. 429 ff.). Weltweit ist die Gestaltung des Verhältnisses von interner Anpassung und äußerer Finanzierung der Staaten ungelöst. Wir leben immer noch „in einer Welt ohne Weltwährungsordnung" (Röpke 1937/1994, S. 152). Die Goldwährung könnte Maßstab und Prüfstein für eine internationale Kooperation bieten - und jener Währungsunsicherheit vorbeugen, die immer wieder dem „Goldhunger den stärksten Auftrieb gegeben hat" wie auch heute wieder in der Eurozone bei der Suche der Menschen nach dem „letzten Anker der Wertbeständigkeit" (Röpke 1945/1979, S. 404).
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6.1. Präferenz für eine große Freihandelszone Röpke (1958, S. 39) sah in der regionalen Integration ein Mittel, um den Wirtschaftsnationalismus, der im Nachkriegseuropa zunächst weiter vorherrschte, aufzubrechen. Einen weltweiten Liberalisierungsversuch hielt er unter den damaligen handelspolitischen Gegebenheiten für unerreichbar, zumal ihm das GATT bei aller Nützlichkeit hinsichtlich des Liberalisierungsauftrags als „verwässert" erschien.10 Röpke präferierte eine große europäische Freihandelszone. Dieses Ziel scheiterte an der Gründung der EWG im Jahre 1958. Daraufhin haben sich die übrigen europäischen Länder 1960 in einer Freihandelszone (EFTA - European Free Trade Association) zusammengeschlossen. Die beiden europäischen Blöcke bildeten einen „handelspolitischen Graben" - mit einer massiven Diskriminierung der EFTA-Ausfuhr durch die EWG. Nachdem sich die Vorschläge zu einem Brückenschlag" zwischen den beiden Blöcken EFTA durch Einbeziehung der EFTA in die EWG (zu einer gemeinsamen Freihandelszone) nicht durchsetzen konnten, blieb den EFTA-Ländern nur noch die Möglichkeit des Beitritts, um den freien Zugang zum EWG-Markt zu sichern. Angesichts der damaligen Spaltung hielt Röpke es für wünschenswert, wenn beide Integrationsräume zu einer „Volkswirtschaft Europa" als vollkommene Wirtschafts- und Währungsunion hätten verschmolzen werden können. Doch an eine solche Wirtschaftseinheit sei nicht zu denken. Es würde die völlige politische Verschmelzung auf allen Gebieten der Geld-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik und eine Europäische Zentralbank erfordern (Röpke 1958, S. 41). Hierfür seien die Länder in ihrem Ordnungsdenken zu verschieden. Für eine supranationale Behörde oder ein noch strafferes staatsrechtliches Gebilde auf europäischer Ebene mangele es an der Bereitschaft, die marktwirtschaftliche Ordnung aus innerer Überzeugung zu akzeptieren und zu bewahren und im Staatsbewusstsein übereinzustimmen. Ohnehin sei eine einheitliche Währungs-, Fi-
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Röpke hat wohl frühzeitig erkannt, dass für die Offenhaltung und dynamische Entwicklung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen die im Gefolge einer zunehmenden Zahl konvertibler Währungen aufblühenden internationalen Kapitalverflechtungen wichtiger sind als handelspolitische Liberalisierungserfolge.
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nanz- und Wirtschaftspolitik nicht aus sich heraus vorteilhaft, wenn diese vom Dirigismus, Inflationismus sowie von Neigungen bestimmt sei, sich nach außen abzuschließen. Europa sei - etwa hinsichtlich der genannten Politikbereiche - vielfach gespalten. Freilich könne durch das „Zusammenspannen" der verschiedenen Länder allmählich eine ordnungspolitische Angleichung erzielt werden, wie von vielen Anhängern der europäischen Integration auch heute erwartet wird. Doch ohne eine ordnungspolitische Angleichung hinsichtlich der Verbindung von Marktwirtschaft, monetärer und budgetärer Disziplin usw. könne ein Gemeinsamer Markt nicht befriedigend funktionieren (Röpke 1958, S. 45). Röpke ging bei den Harmonisierungsbestrebungen von der höchst wahrscheinlichen Tendenz einer „Integration nach unten" aus, d. h. dem jeweils niedrigsten Niveau an Wirtschaftsfreiheit, monetärer und budgetärer Disziplin und sozialpolitischer Mäßigimg zustrebend. Die Kranken würden die Gesunden anstecken, nicht umgekehrt. Man kann Röpke wohl so verstehen, dass er jenseits der Zollunion dem „Wettbewerb der Ordnungen" als Prinzip der evolutorischen Angleichung mehr zutraute. Tatsächlich ist die Integrationspolitik spätestens seit dem Vertrag von Maastricht (1993) von einer weithin den institutionellen Wettbewerb beschränkenden Ex anteHarmonisierung gekennzeichnet. Röpke hat mit Blick auf die europäische Integration frühzeitig vor einem solchen Europamodell gewarnt, in dem ζ. B. die monetäre und fiskalische Disziplin, wie sie etwa in der Bundesrepublik Deutschland mit großer Mühe erkämpft und mit Widerstandskraft gegen starken Druck von innen und außen durchgehalten worden ist, „auf dem Altar einer fehlgeleiteten europäischen Wirtschaftsintegration geopfert zu werden (droht)" - verbunden mit der Gefahr, „dass Gesamteuropa zu einem weltwirtschaftlichen Krankheitsherd wird" (Röpke 1958, S. 50 ff.). Die Krise der europäischen Integration, die dadurch ausgelösten wirtschaftlichen Unsicherheiten und Erschütterungen, vor allem aber die verfehlten Versuche, den Ausweg in neuen interventionistischen Instrumenten zu suchen, zeigen, wie realistisch Röpkes Vorhersage war.
6.2. Überholtes Großraumdenken Immer wieder wird es für wirtschaftlich notwendig gehalten, als Ersatz für die Weltwirtschaft Großwirtschafts- und Großwährungsräume zu bilden - bis hin zu einer weltweiten Einheitswährung. Röpke hat diese Auffassung als abwegig bezeichnet, ein Urteil, das aktueller denn je ist. Denn nationale Grenzen lassen sich mit Hilfe der modernen Verkehrs-, Informations- und Kommunikationsmittel so leicht wie nie zuvor überwinden. So ist es unter der Kontrolle des internationalen Ordnungswettbewerbs möglich, die nationale Souveränität mit einer Wirtschaftspolitik zu verbinden, ohne dass politische Grenzen verändert und daraus entstehende Konflikte hingenommen werden müssten, die mit bestimmten Typen von Unionen entstehen und nur mit deren Beseitigung zum Verschwinden gebracht werden können. Historische Beispiele sind das Zeitalter des Kolonialismus, das nationalsozialistische und sowjetische Großraumstreben.
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Die päpstliche Kommission „Gerechtigkeit und Frieden" empfiehlt, eine Weltzentralbank für eine Währung vom Atlantik bis zum Ural, ja fiir ein Weltgeld zu schaffen, um die Währungsfrage, eine der großen Fragen dieser Welt, lösen zu helfen.11 Tatsächlich verursachen Großwirtschafts- und Großwährungsräume, die aus einer Vielzahl heterogener Völker und Staaten bestehen, ohne vom Geist des marktwirtschaftlichwettbewerblichen Denkens und einer gemeinsamen budgetären und monetären Disziplin überzeugt zu sein, unlösbare Konflikte. Ohne grundlegende Übereinstimmung in Fragen der Staatsverfassung und Wirtschaftsordnung können Großwährungsräume nicht funktionieren. Ein regionales, erst recht ein globales Monopol der Geldemission und -kontrolle erfordert die Bereitschaft zu ähnlich strengen Regeln wie im Falle des Goldstandards bis zum Ersten Weltkrieg, um die damit verbundene Macht zu bändigen. Welche Organisation könnte diese Bereitschaft in einer Weise sichern, dass die Währungspolitik mit größerer Aussicht auf Geldwertsicherung als heute genutzt und damit zugleich in den Dienst anderer wichtiger volkswirtschaftlicher Ziele gestellt werden könnte? Wichtiger als die Größe des Wirtschaftsraums ist das in ihm bestehende Wirtschaftssystem. Je mehr es auf der „ordnenden Funktion des Marktes und auf der Trennung von politischer Souveränität und wirtschaftlicher Aktivität beruht" {Röpke 1945/1979, S. 127), desto geringer ist die Menge an Zündstoff für Konflikte. Je kleiner die Staaten und je geringer ihre Autarkiebegabung ist, desto mehr müssen sie auf die Vorteile offener Märkte und Ordnungsbedingungen bedacht sein, die störungs- und konfliktfreie internationale Wirtschaftsbeziehungen und Vorteile im Wettbewerb der Ordnungen ermöglichen (Röpke 1945/1979, S. 235 ff.).
6.3. Europäische Integration und das „Prinzip der Weltwirtschaft" Die EU ist in ihrer Entwicklung bis heute vom Großwirtschafts- und Großwährungsraumdenken beherrscht. Demzufolge gehört der Versuch zur Brüsseler Tradition, eine immer größere Zahl heterogener Völker und Staaten unter den Hut supranationaler Institutionen zu bringen, ohne vom Geist des liberalen Denkens wirklich überzeugt zu sein. Dieser ist aber für eine anspruchsvolle gemeinsame monetäre und fiskalische Disziplin und Offenhaltung der Märkte unverzichtbar. Die Kritik Röpke s am Großraumdenken und den daraus entstehenden unlösbaren Konflikten ist mit Blick auf die Entwicklung der EU heute noch mehr als früher berechtigt (Schüller 2011, S. 491 ff.), nachdem sich zeigt, dass aus dem, was als Mörtel für die Integration gedacht war, Dynamit für den Gedanken der europäischen Integration zu werden droht. Die EU gilt von Anfang an mit ihrer Berufung auf die sog. „Gemeinschaftspräferenz" und „Gemeinschaftssolidarität" neben den Entwicklungsländern als bedeutendste Ausnahme vom Grundsatz der allgemeinen Nichtdiskriminierung des GATT. Besonders groß war und ist die Gefahr, dass vor allem kleinere Länder diskriminiert werden. Als Reaktionen darauf sind anzusehen:
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Siehe FAZ, Nr. 248 vom 25. 10.2011, S. 13; Gros (2000, S. 29).
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— Die Gründung der Europäischen Freihandelszone EFTA (European Free Trade Association). — Die Erweiterungspolitik der EU nach Westen und Süden, nach 1989 auch hinsichtlich des Bestrebens vieler ehemaliger RGW-Länder, der EU auch deshalb beizutreten, weil sie davon erwarten, von Anti-Dumping-Verfahren und anderen handelspolitischen Diskriminierungen verschont zu bleiben und von finanziellen Hilfen außerhalb der Kontrolle der internationalen Kapitalmärkte zu profitieren. — Weitere Abkommen dieser Art folgten mit den USA, mit Japan und anderen Ländern Südostasiens (ASEAN-Gruppe) und neuerdings auch Nordafrikas. — Von den im Januar 2013 bei der WTO weltweit registrierten 546 regionalen und bilateralen Präferenzabkommen (Regional Trade Agreements - RTAs) waren 354 in Kraft - mit einem Anteil am Welthandel, der mindestens 50 % betragen dürfte. — Es ist unwahrscheinlich, dass die rasch zunehmenden RTAs sich nach der Lehre von der Gegenmachtbildung („Countervailing Power") handelspolitisch paralysieren oder gar spontan dahin wirken, die liberalisierende Dynamik des Meistbegünstigungsprinzips und damit das multilaterale Handelssystem (Multilateral Trading System - MTS) durch eine offensive liberale Strategie zu stärken. Allein der protektionistische Gedanke der Gemeinschaftspräferenz und der Gemeinschaftssolidarität kann mächtige Handelnspartner wie die EU unter Berufung auf das merkantilistisch aufgefasste Reziprozitätsprinzip dazu verleiten, ihre Interessen gegenüber schwächeren Verhandlungspartnern durchzusetzen. Insgesamt wird mit der vor allem von der EU ausgegangen regionalistischen Aushöhlung der GATT- und WTOPrinzipien nicht nur das Meistbegünstigungsprinzip bedroht, es entsteht auch ein Konfliktpotential, das sich zwischen den Staatengruppen und Staaten ansammelt und schwer zu beseitigen ist. — 1995 wurde mit der (1994 als Nachfolgerin des GATT beschlossenen) WTO der Weg zu einer umfassenden internationalen Verfassung der Tauschfreiheit eingeschlagen. Doch mit dem raschen und massiven Vordringen von RTAs nehmen die sich gegenseitig diskriminierenden Länder zu. Der administrative Aufwand wird größer, dem entgegenzuwirken. Mit der Entfernung von den unbestreitbaren handels- und wohlstandsschaffenden Vorteilen des multilateralen Systems der Handelsliberalisierung und Nichtdiskriminierung auf der Grundlage des Meistbegünstigungs- und Inländerprinzips nimmt das Konfliktpotential, das sich zwischen den Staaten und Staatengruppen ansammelt, zu und erschwert den mit der WTO eingeschlagenen Weg zu einer umfassenden internationalen Verfassung der Handelsfreiheit erheblich (siehe auch Bhagwati 2008). — Vor allem die EU zeigt wenig Standfestigkeit gegenüber dem politischen Druck, der mit Hilfe von medienwirksamen Aktionen ausgeübt wird, um auf der Ebene der WTO Vereinbarungen zu erwirken, die dem sozialethischen und ökologischen Protektionismus verpflichtet sind (siehe Sally 2008). Für die Verantwortlichen ist die Verführung groß, den sachwidrigen Forderungen nachzugeben und sich ein gutes Gewissen zu verschaffen. Das Sachwidrige besteht darin, dass mit der Nachgiebigkeit die Menschen in den aufholenden Ländern auf dem wirksamsten Weg der Ar-
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mutsbekämpfung (Gründung von Unternehmen und Schaffung von Arbeitsplätzen) behindert werden. — Ein wichtiger Aspekt der Handelsliberalisierung ist die globale Migration. Soweit die damit angestrebten Verbesserungen der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Lebensbedingungen auf einem höheren Grenzertrag des Faktoreinsatzes beruhen, verbessert sich die Produktivität weltweit. Deshalb besteht prinzipiell kein Grund, die grenzüberschreitende Wanderung der Menschen zu beschränken. Dies setzt allerdings nach Röpke (1945/1979, S. 205 ff.) voraus, dass die Migranten erstens die Einwanderung nicht als wohlfahrtsstaatliches Anrecht auf eine „unentgeltliche Versicherungspolice" auffassen und ausnutzen können, und dass sie zweitens bereit sind, die Werte und Regeln der liberalen offenen Gesellschaft anzuerkennen. Je weniger selbstverständlich diese Anforderungen sind, desto emster ist neben dem Recht die Pflicht zu nehmen, die Einwanderung einer sorgfältigen qualitativen Kontrolle zu unterwerfen (ebenda) - um Zivilisationskonflikte zu vermeiden, ζ. B. zu verhindern, dass sich (geschlossene) Parallelgesellschaften bilden können, die in ethnischen Enklaven leben, sich der gesellschaftlichen Integration widersetzen und damit Gefahr laufen, auf einem ökonomischen Niveau zu leben, das bei vorherrschendem Denken in Durchschnittsstandards als Armut gedeutet und zum Anlass genommen wird, den Schuldigen in der mangelnden Integrationsfähigkeit und sozialen Verantwortlichkeit der freiheitlichen Gesellschaftsordnung zu sehen. Der Prozess der Angleichung der Faktorpreise und -einkommen durch die internationale Bewegung von Arbeit und Kapitel kann graduell durch die freie internationale Bewegung von Gütern und Dienstleistungen ersetzt werden. Wie auch immer: Die Angleichungstendenzen entsprechen nicht einem Spiel mit konstanter Summe, beruhen also nicht darauf, dass hier per Saldo gekürzt, dort zugeschlagen wird. Sie kommen sowohl den armen als auch den reichen Ländern zugute, nutzen also der gesamten Wirtschaftskraft der Welt. Aus der Erkenntnis, dass sich durch die Freiheit der Güterbewegung bis zu einem gewissen Grad die Faktorbewegung ersetzen lässt, folgt: Handelsbeschränkungen können - wie wohlfahrtsstaatliche (Fehl-)Anreize der Migration - wie ein Einwanderungsmagnet wirken (siehe Watrin 1991, S. 101 ff.). Soll das vermieden werden, sind herkömmliche Beschränkungen der internationalen Wirtschaftsbeziehungen abzubauen und neue zu vermeiden. Die Haupttriebkraft hierfür ist das Prinzip der unbedingten Meistbegünstigung. Es gewann mit jenem Abbau von Handelsschranken an Einfluss, der von einzelnen Staaten ausging und sich auf alle Länder erstreckte, die diesem Prinzip folgten. Die davon im 19. Jahrhundert ausgegangene Freihandelsdynamik hat also ihren Ursprung in einseitigen Liberalisierungen auf nationaler Ebene.12 Die Regeln des GATT bzw. der WTO beruhen jedoch zugleich auf dem Reziprozitätsprinzip, bei dem es sich nach Senti (2006, S. 315 ff.) um ein merkantilistisches Erbe handelt, das einem freien Handel auf weiten Strecken zuwiderläuft, die Wirkungskraft des Meistbegünstigungsprinzips schwächt, die internationale Armutsbekämpfung erschwert und den Migrationsdruck erhöht.
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Zur Vorteilhaftigkeit des Freihandelsarguments auch im Falle der einseitigen Handelsliberalisierungsiehe schon Haberler (1933/1970, S. 182 ff.).
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Tatsächlich hat sich die EU bisher nicht im Sinne des „Prinzips der Weltwirtschaft" zu einer offensiven, mitreißenden Führungsmacht in Fragen des Abbaus von internationalen Handelsdiskriminierungen entwickelt. Darin spiegelt sich nach Kotios und Molsberger (1993) nichts anderes wider, als die vielen dirigistischen Elemente des Binnenmarktes, die ihrerseits die Konsequenz heterogener ordnungspolitischer Vorstellungen in den Mitgliedsländern sind. Häufig sind die Ordnungssetzungen widersprüchlich einerseits marktöffhend, andererseits marktschließend. Mit den Erweiterungen ist der ordnungspolitische Dissens in der gemeinsamen, vom Gedanken der Gemeinschaftspräferenz und der Gemeinschaftssolidarität bestimmten Außenhandelspolitik eher noch verschärft worden. Angesichts drohender handelspolitischer Alleingänge vor allem der größeren Mitgliedsländer reagiert die EU bei internationalen Verhandlungen inflexibel und versucht, sich „durchzuwursteln", wie vor allem ihre Position zeigt, die sie in der zumindest vorläufig gescheiterten „Doha-Runde" eingenommen hat. Sowohl in der Frage der Liberalisierung auf dem Gebiet der Dienstleistungen als auch in der Frage der Öffnung der Agrarmärkte konnten sich die USA und andere führende Mitgliedsländer der WTO hinter der defensiven protektionistischen Strategie der EU bedeckt halten.
7.
Abschließende Würdigung
Röpkes politische Ökonomie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen und Organisationen Uberragt vieles, was heute auf diesem Gebiet geleistet wird - etwa mit Blick auf — die Beurteilung der Wissenschaft nach ihrer Fähigkeit, zur Lösung drängender Probleme beizutragen, — die vorrangige Bedeutung konvertibler Währungen als Triebkraft des internationalen wirtschaftlichen Fortschritts, — die verfehlte Angst vor der passiven Zahlungsbilanz und die Zweckmäßigkeit der intertemporalen Zahlungsbilanzanalyse, — das wohlstandsbestimmende Verhältnis von finanziellen und realen Ressourcen und marktwirtschaftlichen Ordnungsbedingungen, — den Zusammenhang von nationaler und internationaler Ordnung, — die Idee vom Liberalismus oder der Integration „von unten", — das eigenmächtige Expansionsstreben internationaler Finanzinstitutionen, — die ordnungspolitischen Erfordernisse von integrationspolitischen Einigungsbemühungen, die Uber eine bloße Zollunion hinausgehen, — die negativen Konsequenzen von Vorhaben der europäischen Integration, die sich mehr vom politischen Enthusiasmus und vom Großwirtschafts- und Großwährungsraumdenken als von der wirtschaftlichen Vernunft leiten lassen, — die Unterscheidung des wahren und falschen Internationalismus.
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Global Governance in der Finanz- und Wirtschaftskrise1
Susanne Cassel
Inhalt 1.
2.
3.
Global Governance zwischen Krisenreaktion, Krisenmanagement und Krisenprävention
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Die Entwicklung der Global Governance im Bereich der Wirtschaftspolitik
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2.1. Der Internationale Währungsfonds (IWF)
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2.2. Die Weltbank
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2.3. Das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) und die Welthandelsorganisation (WTO)
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2.4. Die Organisation für Wirtschaftliche Kooperation und Entwicklung (OECD)
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2.5. Die G8
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Global Governance im Umbruch
62
3.1. Neue Spieler und neue Themen der Global Governance im Zuge der Globalisierung
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3.2. Global Governance in der Finanz- und Wirtschaftskrise
65
Die G20 als zentrales Forum für die internationale Zusammenarbeit
4.
wirtschaftliche 66
Die Erfolgsbilanz der G20 Die Rolle der internationalen Wirtschaftskrise
70 Organisationen in der Finanz- und
Zukunftsperspektiven der Global Governance
Literatur
1
65
Die G20-Gipfel und ihre Themen
Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung der Verfasserin wieder.
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Susanne Cassel
1.
Global Governance zwischen Krisenreaktion, Krisenmanagement und Krisenprävention
Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat eindrücklich vor Augen geführt, wie vernetzt das Wirtschafts- und Finanzgeschehen weltweit ist und wie abhängig die Volkswirtschaften heute voneinander sind. Da nationale wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen über den internationalen Austausch von Waren und Dienstleistungen, die Migration von Arbeitskräften und den globalen Kapitalverkehr auch Auswirkungen auf den Rest der Welt haben können, ist ein gewisses Maß an internationaler Kooperation geboten, um negative Spillover-Effekte zu vermeiden. Internationale Kooperation erfolgt in den verschiedensten Politikbereichen - von der Wirtschaftspolitik über die Außen- und Sicherheitspolitik bis hin zur Entwicklungspolitik - und durch eine Vielzahl von inter- und supranationalen Organisationen (s. Wentzel i.d.Bd.). Die umfassendste Organisation sind die Vereinten Nationen, denen 193 Staaten angehören und die ein sehr breites Themenspektrum abdecken. Daneben gibt es noch eine Vielzahl thematisch spezialisierter und z.T. regional begrenzter Organisationen. Letztlich verdanken sie ihre Existenz dem Versuch von Regierungen, sich gemeinsam auf Regeln und deren Durchsetzung zu verständigen, die unmittelbar das Handeln der Nationalstaaten und mittelbar das ihrer Bürger in einer für alle vorteilhaften Weise leiten. Der Begriff Global Governance beschreibt vor diesem Hintergrund die multilaterale kooperative Gestaltung der Globalisierung durch nationale Regierungen. Sie umfaßt internationale Organisationen sowie das gesamte System informeller und formeller Institutionen im Sinne von Verhaltensregeln, auf die sich die Nationalstaaten geeinigt haben, um ihre jeweiligen Politiken zu koordinieren. Im weitesten Sinne gehören zur Global Governance inter- und supranationale Organisationen, informelle Zusammenschlüsse von Staaten wie die G8 und G20, internationales Recht, internationale Regime, transnationale Organisationen, internationale zivilgesellschaftliche Organisationen (INGOs - International Non-Governmental Organizations) sowie von allen geteilte normative Prinzipien (Clark 2005, S. 730). Im vorliegenden Beitrag geht es speziell um die Global Governance im Bereich der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Daher werden hier nur jene internationalen Organisationen behandelt, die eine herausgehobene Rolle in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise spielen, sowie die G8 und G20 als wirtschaftspolitisch besonders relevante informelle Zusammenschlüsse auf Ebene der Staats- und Regierungschefs. Die Europäische Union ist nicht explizit in die Analyse einbezogen, da der Fokus auf der weltweiten Koordination liegt. Im Verlauf der Wirtschaftsgeschichte lässt sich beobachten, dass neue Institutionen regelmäßig als Reaktion auf vorangegangene Krisen entstanden sind. So wurden die großen, im Bereich der Wirtschaftspolitik tätigen internationalen Organisationen wie der Internationale Währungsfonds und die Weltbank nach dem 2. Weltkrieg und den Erfahrungen mit der Weltwirtschaftskrise gegründet. Nach den beiden Ölkrisen entstanden 1975 die G8 als Zusammenschluss der damals größten Wirtschaftsnationen, um Verantwortung für globale Fragen zu übernehmen. Als Reaktion auf die Asienkrise fanden sich 2000 einige asiatische Länder mit dem Ziel zusammen, einen Asian
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Monetary Fund zu gründen. Und schließlich haben die Staats- und Regierungschefs der G20-Länder nach Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 ein gemeinsames Forum etabliert, um zusammen nach Wegen aus der Krise zu suchen. Der folgende Beitrag zeichnet die Entwicklung der Global Governance in der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise nach. Zunächst widmet sich Abschnitt 2 den wichtigsten internationalen Organisationen im Bereich der Wirtschaftspolitik, die zum Großteil kurz nach dem 2. Weltkrieg entstanden sind. In Abschnitt 3 wird zunächst analysiert, wie sich die Global Governance durch den Globalisierungsprozess und die Erstarkung der Schwellenländer verändert hat und mit welchen Problemen sich die internationalen Organisationen dadurch konfrontiert sahen. Im Anschluss wird die veränderte Architektur beleuchtet, die die Global Governance durch die Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2009 erfahren hat. Im Mittelpunkt stehen dabei die G20, die sich als Reaktion auf die Krise als zentrales Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit etabliert haben. Darüber hinaus wird verdeutlicht, welche Rolle die internationalen Organisationen beim Krisenmanagement und der Krisenprävention übernommen haben. Abschnitt 4 bietet schließlich vor diesem Hintergrund einen Ausblick auf die Zukunft der Global Governance.
2.
Die Entwicklung der Global Governance im Bereich der Wirtschaftspolitik
Die wichtigsten internationalen Organisationen, die sich mit wirtschaftspolitischen Fragestellungen im weitesten Sinne befassen, sind nach dem 2. Weltkrieg entstanden. Nach den Erfahrungen mit der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre war es das Ziel, eine neue Weltwirtschaftsordnung zu etablieren. Sie sollte gewährleisten, dass die Fehler nicht wiederholt werden, die während der Weltwirtschaftskrise gemacht worden waren. Als Reaktion auf den wirtschaftlichen Einbruch - in den USA und in Deutschland ging die Wirtschaftsleistung zwischen 1929 und 1933 um gut ein Viertel zurück (Ritsehl 2009) - ergriffen viele Regierungen eine Politik des beggar thy neighbour. Durch protektionistische Maßnahmen, insbesondere Importzölle, sowie Abwertungen ihrer Währungen sollten die Volkswirtschaften vor den Folgen der Krise geschützt werden. Dies verschärfte jedoch die Depression und führte zu einem massiven Rückgang des Welthandels. Im Juli 1944 fand im US-amerikanischen Bretton Woods die Internationale Währungs- und Finanzkonferenz der Vereinten und Assoziierten Nationen statt, auf der Finanzminister und Notenbankgouverneure aus 45 Ländern über Möglichkeiten für ein stabiles Währungssystem und ein offenes Welthandelssystem diskutierten. Mit den dort entwickelten Plänen, den Internationalen Währungsfonds (IWF), die Weltbank und eine Internationale Handelsorganisation zu schaffen, wurde die Grundlage für eine neue Weltwirtschaftsordnung gelegt. Kerninstitutionen des Bretton Woods-Systems sind der IWF und die Weltbank - ursprünglich als International Bank for Reconstruction and Development gegründet. Der Plan, eine Internationale Handelsorganisation zu errichten, ließ sich zunächst nicht realisieren, so dass das als Zwischenlösung unterzeichnete
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General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) fast 50 Jahre lang den Rahmen für die Liberalisierung des Welthandels bildete.
2.1. Der Internationale Währungsfonds (IWF) Das Abkommen zur Gründung des IWF trat am 27. Dezember 1944 in Kraft und der IWF nahm seine Tätigkeit offiziell am 1. März 1947 auf. Sitz des IWF ist Washington, DC. Mit heute 188 Mitgliedstaaten rangiert er in punkto Inklusivität nur knapp hinter den Vereinten Nationen, die 193 Mitglieder zählen. Im Bretton Woods-System fester Wechselkurse war es die zentrale Aufgabe des IWF, für eine stabile Währungsordnung zu sorgen und Krisenhilfe für Länder mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten bereitzustellen. Nachdem die USA 1971 die Goldkonvertibilität des US$ aufgegeben hatten, brach 1973 das Bretton Woods-Systems zusammen, weil alle teilnehmenden Staaten zu flexiblen Wechselkursen übergingen. In der Folge wurde das IWF-Abkommen an die neuen Bedingungen angepasst. So können die Mitgliedstaaten nach dem neuen Abkommen, das am 1. April 1978 in Kraft trat, ihr Wechselkurssystem frei wählen (Vo/z 2012, S. 145-147). Hauptaufgabe des IWF ist es seitdem, die Wechselkurspolitik seiner Mitglieder zu überwachen sowie deren Makro- und Fiskalpolitiken zu begutachten (sog. Artikel IV-Konsultationen). Darüber hinaus leistet der IWF finanzielle Unterstützung für Länder mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten und in Finanzkrisen. Dabei ist die Auszahlung seiner Kredite an strikte Bedingungen geknüpft (,conditionality'). Insgesamt ist das Betätigungsfeld des IWF inzwischen recht breit ausgefächert und überschneidet sich zum Teil mit den Aufgabengebieten anderer internationaler Organisationen (s. Jost und Seitz i.d.Bd.). Mit seinen ca. 2.500 Mitarbeitern versteht sich der IWF als makroökonomischer Think Tank, der als Berater und Koordinator für seine Mitglieder tätig ist. Der regelmäßig erscheinende World Economic Outlook wird genauso wie der Global Financial Stability Report und die unzähligen Einzelstudien nicht nur von den Regierungen in den Mitgliedstaaten, sondern auch von der Wissenschaft umfassend genutzt. Das höchste Entscheidungsgremium des IWF ist der Gouverneursrat, in dem jeder Mitgliedstaat mit einem Gouverneur - in der Regel der Finanzminister oder Notenbankpräsident - vertreten ist. Der Gouverneursrat tritt einmal im Jahr anlässlich der Jahresversammlung von IWF und Weltbank zusammen. Die laufenden Geschäfte werden von einem 24-köpfigen Exekutivdirektorium ausgeführt, das den geschäftsführenden Direktor für jeweils fünf Jahre wählt. Dabei gilt das ungeschriebene Gesetz, dass der geschäftsführende IWF-Direktor stets ein Europäer und der Weltbank-Präsident ein Amerikaner ist. Während die USA, Japan, Deutschland, Frankreich und Großbritannien durch einen eigenen Exekutivdirektor vertreten sind, sind die anderen Mitglieder in Stimmrechtsgruppen mit bis zu 22 Ländern zusammengefasst, die jeweils durch einen Exekutivdirektor repräsentiert werden. Die Stimmenverteilung richtet sich nach dem finanziellen Anteil jedes Mitgliedslandes im IWF. So hat jedes Mitglied 750 Basisstimmen sowie eine Stimme pro 100.000 Einheiten an Sonderziehungsrechten seiner Quote. Die USA als größter Anteilseigner verfügen über 16,5 Prozent der Stimmrechte und damit praktisch über ein Vetorecht, da wichtige Entscheidungen ein Zustimmungsquorum von 85 Prozent erfordern (Volz 2012, S. 150-152; Gnath, Mildner und Schmucker 2012, S. 17 f.). Neben der Stimmenverteilung entscheiden die IWF-Quoten
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insbesondere über die EinZahlungsverpflichtung jedes Mitgliedstaates und die Höhe seiner möglichen Kredite. Die Quote jedes Mitgliedstaates ergibt sich aus einer Formel, die sich als gewichteter Durchschnitt aus dem Anteil des Bruttoinlandsprodukts an der Weltwirtschaft des Landes, dessen Offenheitsgrad, seiner ökonomischen Variabilität und seinem Anteil an den internationalen Reserven berechnet (IWF 2012a).
2.2. Die Weltbank Die International Bank for Reconstruction and Development (IBRD), später Weltbank, nahm 1945 ihre Arbeit auf. Sie zählt heute - ebenso wie der IWF - 187 Mitglieder und hat ihren Sitz in Washington, DC. Ursprünglich sollte die IBRD den Wiederaufbau in Europa sowie die Entwicklung im Rest der Welt unterstützen. Seit sie im Mai 1945 ihren ersten Kredit in Höhe von 250 Mio. US$ an Frankreich vergeben hat, ist sie zum weltweit größten Geber von Entwicklungskrediten geworden. Die Kredite der Weltbank sind - ähnlich denen des IWF - an bestimmte (Reform-)Bedingungen in den Nehmerländem geknüpft. Die Weltbank finanziert sich durch die Ausgabe von Anleihen auf dem Kapitalmarkt, die durch Garantien ihrer Mitgliedstaaten gesichert sind. Sie versteht sich als entwicklungspolitischer Think Tank, der in seinen Forschungsabteilungen eine Vielzahl von Studien zu entwicklungsökonomischen Themen verfasst. Das höchste Entscheidungsgremium der Weltbank ist der Gouverneursrat, der aus je einem Vertreter pro Mitgliedsland besteht. Auch die Weltbank besitzt ein aus 24 Mitgliedern bestehendes Exekutivdirektorium, in dem die USA, Japan, Frankreich, Deutschland, Großbritannien und seit kurzem China, Russland und Saudi-Arabien je einen eigenen Direktor ernennen, während die anderen Länder in Gruppen repräsentiert werden. Die ehemals fünf größten Wirtschaftsnationen, die den Großteil des Stammkapitals der Weltbank aufbrachten, besitzen den größten Stimmanteil (Tetzlaff 2012, S. 261-265).
2.3. Das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) und die Welthandelsorganisation (WTO) Das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) wurde 1947 als völkerrechtlicher Vertrag abgeschlossen, nachdem man sich nicht auf die ursprünglich bei der Bretton Woods-Konferenz vereinbarte Internationale Handelsorganisation einigen konnte. Im Rahmen des GATT wurde in acht Runden Uber die Liberalisierung des Welthandels verhandelt. Nach Abschluss der Uruguay-Runde, die von 1986-1994 andauerte, trat am 1. Januar 1995 das Abkommen über die World Trade Organization (WTO) in Kraft. Die WTO umfasst über den im GATT geregelten Handel mit Gütern hinaus auch den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, GATS) sowie handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS). Sie hat heute 156 Mitglieder, wobei Russland Ende 2011 nach langjährigen Beitrittsverhandlungen als jüngstes Mitglied aufgenommen worden ist. Der Sitz der WTO ist in Genf. Aufgabe der WTO ist es, ein funktionsfähiges und dauerhaftes multilaterales Handelssystem aufzubauen. Dieses soll auf den Prinzipien der Nichtdiskriminierung, des fortlaufenden Abbaus von Zöllen und Handelsbarrieren und der Reziprozität beruhen.
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Im WTO-Vertrag verpflichten sich die Mitglieder auf das Prinzip des single undertaking, nach dem nichts als vereinbart gilt, solange nicht alle Mitglieder allen Beschlüssen zugestimmt haben. Das höchste Entscheidungsorgan ist die Ministerkonferenz, auf der die Handelsminister der Mitgliedstaaten mindestens alle zwei Jahre zu Verhandlungen zusammen kommen, um ggf. Beschlüsse zu fassen. Dabei soll das Konsensprinzip gelten, wobei jedes Mitglied eine Stimme hat. Die laufenden Geschäfte übernehmen der Generalrat und die ihm untergeordneten spezielleren Räte, etwa der Rat für Warenverkehr oder der Rat für Dienstleistungshandel. Daneben existiert ein Sekretariat, das vom Generaldirektor geleitet wird. Größtenteils unabhängig vom Generalrat arbeitet der Streitbeilegungsausschuss (Dispute Settlement Body, DSB) als supranationale Institution, die verbindliche Urteile im Falle von Streitigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten fällt. Die Überprüfung der Handelspolitik übernimmt der Trade Policy Review Body, der regelmäßig Berichte über die Handelspolitik in den Mitgliedstaaten verfasst (Helmedach 2012, S. 283-289; Gnath, Mildner und Schmucker 2012, S. 25).
2.4. Die Organisation für Wirtschaftliche Kooperation und Entwicklung (OECD) Die Organization for Economic Cooperation and Development (OECD) ging 1961 aus der Vorgängerinstitution Organization for European Economic Cooperation (OEEC) hervor. Die OEEC war 1947 gegründet worden, um den Wiederaufbau im kriegszerstörten Europa zu koordinieren. Dabei ging es insbesondere darum, die Mittel des Marshallplans der USA zu verwalten (Martens und Schulze 2012, S. 184). Mit zunächst 20 Mitgliedern nahm die OECD am 30. September 1961 ihre Arbeit an ihrem Sitz in Paris auf. Heute gehören der OECD 34 Mitgliedstaaten an. Sie versteht sich als Forum für multilaterale Kooperation. Ihr Ziel ist es, politisches Handeln zu fördern, das zu wirtschaftlichem Wachstum und steigendem Lebensstandard in den Mitgliedstaaten beiträgt. Mit ihren ca. 250 Ausschüssen und Unterausschüssen bietet sie eine Plattform, auf der sich Regierungsvertreter aus den Mitgliedstaaten zu einem breiten Themenspektrum austauschen, voneinander lernen und gemeinsam Lösungen erarbeiten können. Das OECD-Sekretariat unterstützt mit seinen ca. 2.500 Mitarbeitern die Arbeit der Ausschüsse, indem es vielfältige (ländervergleichende) Studien erarbeitet. Die OECD versteht sich als wirtschaftspolitischer Think Tank, dessen ca. 250 Publikationen pro Jahr in Wissenschaft und Politik rezipiert werden. Einer der wichtigsten Ausschüsse ist das Economic Development and Review Committee (EDRC), in dem die so genannten Länderprüfungen stattfinden. Dort werden in regelmäßigen Abständen die Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten auf Basis eines vom OECD-Sekretariat erstellten Länderberichts diskutiert und Reformempfehlungen unterbreitet. Von Bedeutung ist auch das Development Assistance Committee (DAC), das als Forum für die Geberländer von Entwicklungshilfe dient und u.a. Statistiken über die Official Development Assistance (ODA) führt. Einem breiten Publikum bekannt ist die OECD durch die internationalen Schulleistungsuntersuchungen PISA, deren Ergebnisse in vielen Ländern Reformen im Bereich der schulischen Bildung angestoßen haben.
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Das höchste Entscheidungsgremium der OECD ist der Ministerrat, der einmal im Jahr auf Ebene der zuständigen Minister aus den Mitgliedstaaten zusammentritt, um zentrale Themen zu diskutieren und strategische Entscheidungen zu treffen. Auf Ebene der ständigen Repräsentanten der Mitgliedstaaten bei der OECD tritt regelmäßig der Rat zusammen, der über laufende Fragen berät. Entschieden wird in der Regel im Konsens, in bestimmten Fällen ist auch eine qualifizierte Mehrheit ausreichend. Das Sekretariat wird von einem Generalsekretär geleitet, der von den Mitgliedstaaten ernannt wird. Anders als der IWF und die Weltbank kann die OECD ihre Mitglieder nicht mit finanziellen Mitteln unterstützen. Ihre Beschlüsse und Abkommen sind freiwilliger Natur, und die OECD hat keine Möglichkeiten, diese mit Sanktionen durchzusetzen. Ihren Einfluss übt sie vielmehr Uber den gegenseitigen Austausch und das Lernen voneinander sowie durch sozialen Gruppendruck (peer pressure) aus (Mertens und Schulze 2012, S. 184-188). In bestimmten Bereichen haben die Mitgliedstaaten Konventionen, Codes oder Guidelines erarbeitet, denen auch Nicht-Mitglieder beitreten können. Wichtige Beispiele sind die Model Tax Convention von 1958, die OECD Codes of Liberalisation of Capital Movements von 1961 und die OECD Guidelines for Multinational Enterprises von 1976.
2.5. Die G8 Nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems 1973 und der ersten Ölkrise haben sich die damals politisch führenden Nationen zusammengeschlossen, um sich in wirtschaftspolitischen Fragen zu koordinieren, sich ihrer Verantwortung für globale Fragen zu stellen sowie Lösungen zu entwickeln. Das erste Treffen im Kreise der damals führenden sieben Wirtschaftsnationen (G7) fand 1975 auf Initiative des französischen Präsidenten Valine Giscard d Estaing und des deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt als informelles Kamingespräch auf Schloss Rambouillet in der Nähe von Paris statt. Den G8 gehören die USA, Japan, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Kanada (seit 1976) und Russland (seit 1998) an. Seit 1981 nimmt auch die EU an den Treffen teil (Bundesregierung 2012a; Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2012). Die G8 sind keine internationale Organisation im eigentlichen Sinne mit festem Sitz und einem Sekretariat, das die Arbeiten unterstützt, sondern ein informeller Zusammenschluss der Staats- und Regierungschefs der G8-Länder. In jährlich wechselndem Turnus Ubernimmt ein Land die G8-Präsidentschaft. Höhepunkt jeder Präsidentschaft ist der jährliche G8-Gipfel. Zur Vorbereitung der Gipfel finden darüber hinaus inzwischen das ganze Jahr über regelmäßige Treffen auf verschiedenen Ebenen statt. Aufgrund der informellen Strukturen kommt der jeweiligen Präsidentschaft eine wichtige Funktion als Organisator und Agenda Setter zu. So verantwortet sie Inhalte und Organisation des Gipfels sowie der vorbereitenden Treffen. Sie kann eigene inhaltliche Schwerpunkte setzen, neue Themen auf die Agenda setzen und Nicht-G8-Länder als Gäste einladen. Die G8 treffen ihre Entscheidungen im Konsens. Dabei fungieren sie jedoch nicht als Organisation mit eigener Regelsetzungskompetenz, sondern vielmehr als reines Koordinationsgremium. Auch besitzen die G8 keinen Sanktionsmechanismus, um ihre Be-
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schlüsse durchzusetzen (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie Diekmann 2011, S. 200).
2012;
Während zunächst währungspolitische Fragen im Mittelpunkt der Diskussionen standen, weitete sich das Themenspektrum später auf wirtschafts-, außen-, sicherheits-, entwicklungs- und umweltpolitische Fragestellungen aus. Die G8 haben sich damit zu einem Forum auf höchster politischer Ebene entwickelt, das sich kohärent und umfassend mit Fragen der Global Governance befasst. Es ist ein Prozess entstanden, in dem sich Vertreter der Regierungen kontinuierlich zu wichtigen weltwirtschaftlichen Fragen austauschen und koordinieren (Bundesregierung 2012a; Freytag, Kirton, Sally and Savona 2011, S. 3-7). Ein wichtiger Erfolgsfaktor der Arbeit der G8 besteht darin, dass es sich um einen kleinen Kreis handelt, in dem in vertrauter Atmosphäre unter Gleichgestellten und Gleichgesinnten Probleme und Lösungswege diskutiert werden können. Aus der informellen Organisation resultiert, dass sich die G8 schnell an neue Entwicklungen und Themen anpassen können und die Verhandlungswege kurz sind. Darüber hinaus verfügen sie aufgrund ihrer Zusammensetzung Uber ein hohes Maß an politischer und wirtschaftlicher Durchsetzungsfähigkeit. So erwirtschaften die G8-Länder über die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts, vereinen knapp die Hälfte des Welthandels auf sich, finanzieren drei Viertel der weltweiten Entwicklungshilfe und sind zusammen der größte Beitragszahler in den internationalen Organisationen. Darüber hinaus haben vier der G8-Länder einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie 2012). Neben den G8-Gipfeln auf Ebene der Staats- und Regierungschefs gibt es separate Treffen der Außen- und Finanzminister. Die Finanz minister und Notenbankchefs trafen sich dabei zunächst im Format Gl (ohne Russland), um über währungspolitische Fragen zu beraten. Als Reaktion auf die Asienkrise beschlossen sie 1999 unter deutschem Vorsitz, den Teilnehmerkreis um bedeutende Schwellenländer zu erweitern. So entstanden die G20 auf Ebene der Finanzminister und Notenbankchefs.2
3.
Global Governance im Umbruch
3.1. Neue Spieler und neue Themen der Global Governance im Zuge der Globalisierung Seit Beginn der koordinierten wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit nach dem 2. Weltkrieg hat sich die Weltwirtschaft grundlegend verändert. Die zunehmende Globalisierung hat zu einer ausgefächerten internationalen Arbeitsteilung und einer engen wirtschaftlichen Verflechtung der Volkswirtschaften geführt. In diesem Prozess hat auch die wirtschaftliche Bedeutung der Schwellenländer zugenommen. Insbesondere die so genannten BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China und Süd-
1
G20-Mitglieder sind: Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Europäische Union (EU-Ratspräsident und EZB-Präsident), Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Japan, Kanada, Mexiko, Rußland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Türkei und USA. Darüber hinaus nehmen Vertreter von IWF und Weltbank an den Treffen teil.
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afrika) haben wirtschaftlich und politisch in den letzten zwei Jahrzehnten deutlich aufgeholt, wobei sich China, gefolgt von Indien und Brasilien, am dynamischsten entwickelt hat. Insgesamt hat sich das Wohlstandsgefälle zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern von 1990 bis 2009 um ca. 28 Prozent verringert. Der Anteil der Entwicklungsländer am Welthandel hat von 1992 bis 2009 von 17,7 auf 35,6 Prozent zugenommen, und der Anteil der ausländischen Direktinvestitionen in den Entwicklungsländern ist von 1990 bis 2009 von 12,1 auf 44,3 Prozent gestiegen (Wang, Medianu and Whalley 2011). 2009 hat China Deutschland als Exportweltmeister abgelöst und verfügt mit Uber 3 Billionen US$ über den weltweit höchsten Bestand an Währungsreserven. Die Schwellenländer sind aufgrund ihrer ökonomischen Entwicklung zu neuen Spielern auf der weltpolitischen Bühne geworden, und die dadurch ausgelösten weltpolitischen Machtverschiebungen sind nicht ohne Folgen für die Global Governance geblieben. So sahen sich internationale Organisationen wie der IWF und die Weltbank vor dem Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise durch Emanzipationsbemühungen der Schwellenländer, den anhaltenden weltwirtschaftlichen Aufschwung (age of moderation) und die Öffnung der Finanzmärkte zunehmend unter Druck. Sie hatten finanzielle Schwierigkeiten und mussten Mitarbeiter entlassen. Es wurden sogar Stimmen laut, die ihre Abschaffung forderten. Schlagzeilen wie „Der IWF auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit?" oder „IWF und Weltbank stecken in der Existenzkrise" unterstrichen den Ernst der Lage (Dieter 2008; Ziener 2007). Grund für die finanziellen Schwierigkeiten war die zunehmende Konkurrenz durch alternative Finanzierungswege. So konnten sich Nehmerländer, die traditionell von IWF und Weltbank unterstützt wurden, nun auch auf den internationalen Finanzmärkten Geld beschaffen. Insbesondere China hat sich zunehmend als Kreditgeber u.a. in Afrika etabliert (Ziener 2007). Vor allem ostasiatische Länder haben als Lehre aus der Asienkrise enorme Währungsreserven angehäuft, um sich abzusichern. Zudem haben sich regionale Initiativen gebildet, die in Konkurrenz zum IWF finanzielle Unterstützung für ihre Mitglieder organisieren. Prominentes Beispiel ist die Chiang Mai-Initiative, zu der sich im Jahr 2000 die Staaten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN)3 mit China, Japan und Südkorea mit dem Ziel zusammengeschlossen haben, einen regionalen finanziellen Reservemechanismus einzurichten. Grund dafür war die Unzufriedenheit mit dem Krisenmanagement des IWF während der Asienkrise. Inzwischen wurden mit der Chiang MaiInitiative Multilateralisation die bilateralen Währungsswapvereinbarungen der Zentralbanken in eine formelle Vereinbarung überführt, die alle Teilnehmer bindet. Von dem ursprünglichen Vorhaben, einen Asian Monetary Fund zu etablieren, ist die Initiative allerdings noch weit entfernt (The Economist 2012; Dieter 2008). Als Folge der internationalen Machtverschiebungen wurde beim IWF und der Weltbank eine Reformdiskussion um die Neuordnung der Quoten und der internen Governance angestoßen. Die Schwellenländer forderten schon seit längerem eine ihrem
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ASEAN-Mitglieder sind: Brunei, Indonesien, Kambodscha, Laos, Malaysia, Myanmar, Philippinen, Singapur, Thailand und Vietnam.
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Gewicht besser entsprechende Zuteilung der Stimmrechte. Die 14. IWF-Quotenreform, die sich über mehrere Runden hinzog und am 15. Dezember 2010 vom Gouverneursrat beschlossen wurde, hat insgesamt zu einer Umverteilung von 6,4 Prozent der Stimmgewichte zugunsten der Schwellenländer geführt. Dadurch ist China vor Deutschland drittgrößter Anteilseigner geworden, und mit China, Indien, Russland und Brasilien gehören nun vier der fünf BRICS-Staaten zu den zehn größten Beitragszahlern (IWF 2012a). Darüber hinaus wurde eine Verdreifachung der Basisstimmen von 250 auf 750 beschlossen. Die ebenfalls im Oktober 2010 beschlossene Reform der Governance sieht vor, dass die EU auf zwei ihrer bisher festen Exekutivdirektoren in gemischten Ländergruppen zugunsten einer Rotation verzichtet und dass alle Exekutivdirektoren formell gewählt werden (Smejkalova 2010). Auch die OECD sah sich zunehmend unter Druck, auf das gestiegene weltwirtschaftliche Gewicht der Schwellenländer zu reagieren. Repräsentierten die OECD-Mitgliedstaaten vor 20 Jahren noch 80 Prozent des Weltsozialprodukts, sind es heute nur noch 60 Prozent mit abnehmender Tendenz. Problem der OECD war es seit jeher, daß sie als ,Klub der Reichen' angesehen wurde und Schwellenländer als Empfänger von Entwicklungshilfe kein Interesse an einer Mitgliedschaft zeigten, da sie um ihren Status als ,arme Länder' fürchteten. Vor diesem Hintergrund hat die OECD 2007 Beitrittsverhandlungen mit Russland, Israel, Chile, Estland und Slowenien aufgenommen. Während Israel, Chile, Estland und Slowenien seit 2010 OECD-Mitglieder sind, laufen die Verhandlungen mit Russland noch. Darüber hinaus arbeitet die OECD seit 2007 im Rahmen der so genannten vertieften Zusammenarbeit mit den großen Schwellenländern Brasilien, China, Indonesien, Indien und Südafrika zusammen. Vertreter dieser Länder werden zu den Ministertreffen eingeladen und arbeiten in vielen Ausschüssen mit. Auf diese Weise versucht die OECD, die Schwellenländer an ihre Arbeit heranzuführen und eröffnet ihnen eine Beitrittsperspektive für die Zukunft (OECD 2012a). Seit 2007 versuchten auch die G8, die großen Schwellenländer stärker in das System der Global Governance zu integrieren. So wurde 2007 auf dem G8-Gipfel in Heiligendamm unter deutscher Präsidentschaft der Heiligendamm-Prozess als auf zwei Jahre befristeter, themenbezogener Dialog mit Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika von den Staats- und Regierungschefs beschlossen. Die so genannte Heiligendamm Support Unit, die bei der OECD angesiedelt war, fungierte als Sekretariat. Dadurch wurde die Rolle der OECD im System der Global Governance deutlich aufgewertet. Auf dem G8-Gipfel 2008 im italienischen L'Aquila wurde beschlossen, den Heiligendamm-Prozess als Heiligendamm-L'Aquila-Prozess fortzuführen und inhaltlich zu vertiefen. Folgende Themen wurden im Rahmen des Heiligendamm-Prozesses behandelt (G8/G5 2007): — Investitionen: Förderung günstiger Bedingungen für In- und Auslandsinvestitionen, um Wirtschaftswachstum und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern; — Forschung und Innovation: Verstärkung der Diskussion über den Schutz von Innovationen und geistigem Eigentum; — Energie: Ausbau der Zusammenarbeit im Sinne einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung, verstärkte Nutzung sauberer und erneuerbarer Energiequellen;
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— Entwicklung in Afrika: Engere Zusammenarbeit bei der Armutsbekämpfung; Bekräftigung der Verpflichtungen zu den Milleniums-Entwicklungszielen. Wie in diesem Abschnitt ausgeführt, war das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends geprägt durch grundlegende Reformen und Veränderungsprozesse in der Struktur der Global Governance, die allesamt zum Ziel hatten, das gestiegene Gewicht der Schwellenländer in der Weltwirtschaft adäquater zu berücksichtigen. Darüber hinaus haben die internationalen Organisationen im Laufe der Zeit beständig neue Themen in ihre Arbeit aufgenommen, die nicht zuletzt durch die zunehmende Globalisierung auf die internationale Agenda gekommen sind. Dazu zählen u.a. die Regulierung der internationalen Finanzmärkte, die Bekämpfung globaler Geldwäsche, die Bekämpfung des Klimawandels, die Liberalisierung des Welthandels sowie die Transformation vieler Länder zu Demokratie und Marktwirtschaft. Mit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 konzentrierte sich die Arbeit der internationalen Organisationen darauf, die Probleme des Weltfinanzsystems zu lösen und die Realwirtschaften zu stabilisieren.
3.2. Global Governance in der Finanz- und Wirtschaftskrise Die G20 als zentrales Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit Nach Ausbruch der Weltfinanzkrise im Jahr 2008 wurde die Notwendigkeit zunehmender internationaler Kooperation schnell deutlich, da sich die Krise von den Vereinigten Staaten, wo sie ihren Ursprung genommen hatte, rasch auf Industrie- wie Schwellenländer ausbreitete. Das bereits auf Ebene der Finanzminister und Notenbankgouvemeure bestehende Gremium der G20, in dem Industrie- und Schwellenländer bereits seit 1999 zusammengearbeitet hatten, wurde mit dem ersten G20-Gipfel auf Ebene der Staats- und Regierungschefs im November 2008 in Washington, DC als Forum für die Koordination von Krisenbekämpfungsmaßnahmen etabliert. Seither finden die G20Treffen in diesem Format regelmäßig statt mit dem Ziel, die Wirtschafts- und Finanzpolitik der teilnehmenden Staaten zu koordinieren, um so zu einem starken, nachhaltigen und ausgeglichenen Wirtschaftswachstum beizutragen und makroökonomische Ungleichgewichte abzubauen (Gnath, Mildner und Schmucker 2012, S. 9). Auf dem Gipfel in Pittsburgh im September 2009 beschlossen die Staats- und Regierungschefs, dass die G20 das zentrale Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit der bedeutendsten Industrie- und Schwellenländer sein sollen (Bundesregierung 2012b). Bis heute sind die G20 ein informeller Zusammenschluss ohne feste organisatorische Struktur, ohne bindende Regeln und ohne Sanktionsmöglichkeiten. Die Leitung erfolgt durch die jeweilige Präsidentschaft, der eine wichtige Rolle für die Festlegung der Agenda zukommt. 2012 Ubernahm Mexiko die Präsidentschaft von Frankreich. Im Gegensatz zu den G8 besitzen die G20 ein deutlich höheres Maß an Repräsentativität: Die G20-Länder erwirtschaften gut 80 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts sowie drei Viertel des Welthandels und vereinen rund zwei Drittel der Weltbevölkerung (Bundesregierung 2012b). Allerdings erfolgte die Auswahl der Mitglieder nicht nach objektiven Kriterien. Dies und die Tatsache, dass es sich um eine Art Klub handelt, der exklusiv ist, also nicht jedem Land offen steht, stößt immer wieder auf Kritik. Bemängelt wird, dass die G20 keine ausreichende Legitimität besäßen, da der Großteil der Länder ausgeschlossen, Afrika unterrepräsentiert und die Entwicklungsländer gar
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nicht vertreten seien. Gefordert wird eine Reform der G20 zu einem multilateralen Forum, in dem Fragen der Global Governance ,auf Augenhöhe' mit allen Beteiligten diskutiert werden können. Der Ansatz der G20, zu ihren Treffen Vertreter der Afrikanischen Union, des New Partnership for Africa's Development (NEPAD) und der ASEAN als Beobachter einzuladen, wird dabei als nicht ausreichend angesehen, um Entwicklungs- und Schwellenländer adäquat einzubeziehen (siehe z.B. Vestergaard 2011; Woods 2010). Die G20 beschränkten sich bei ihren ersten Treffen darauf, gemeinsame Lösungen für die Probleme des Weltfinanzsystems zu vereinbaren. Dabei herrschte - nicht zuletzt aufgrund des großen Drucks durch die weltweite Krise - relativ große Einigkeit über die zu vereinbarenden Maßnahmen. Im Laufe der Zeit erweiterte sich das Themenspektrum, und die G20 gingen dazu über, Lösungen für die globalen Herausforderungen im Allgemeinen zu diskutieren und sich auf Handlungsempfehlungen zu verständigen. Mit der Ausweitung des Themenspektrums nahm auch die Konkurrenz zwischen den G8 und den G20 zu - waren doch die G8 zuvor das prominente Forum für die Diskussion wirtschafts-, außen- und entwicklungspolitischer Themen. Auch wenn der G8-Prozess bisher weitergeführt wird, findet er zunehmend im Hintergrund statt, während die Treffen der G20 im Rampenlicht stehen. In Deutschland fand diese Verschiebung ihren Niederschlag darin, dass die Funktionen des G8- und des G20-Sherpas, die zunächst getrennt waren - der G8-Sherpa war im Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt, der G20-Sherpa im Bundeskanzleramt - , zusammengeführt wurden. Seit Ende 2009 werden beide Funktionen mit Unterstützung einer Arbeitseinheit vom wirtschaftspolitischen Berater der Bundeskanzlerin ausgeübt. Die G20-Gipfel und ihre Themen (1)
Gipfel in Washington, November 2008: Gemeinsamer Aktionsplan
Auf dem ersten G20-Gipfel, der am 15. November 2008 in Washington, DC stattfand, stand die Diskussion Uber die aktuellen Herausforderungen auf den Finanzmärkten und die weltwirtschaftliche Lage im Mittelpunkt. Der Gipfel sollte helfen, das Vertrauen auf den Finanzmärkten wiederherzustellen, indem die größten Wirtschaftsnationen der Welt gemeinsame Maßnahmen zur Krisenbewältigung ergriffen. Die G20 einigten sich auf einen 47 Punkte umfassenden Joint Action Plan, der das Grundgerüst einer neuen Finanzmarktarchitektur bilden sollte. Er hatte die Schwerpunkte: Verbesserung der Transparenz und Haftungsregeln, Verbesserung der Regulierung der Finanzmärkte, Förderung der Integrität der Finanzmärkte und Verstärkung der internationalen Kooperation. Darüber hinaus begann die Diskussion um ein größeres Mitspracherecht der Entwicklungs- und Schwellenländer im Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Außerdem erteilten die G20-Länder dem Protektionismus eine Absage und bekannten sich zu offenen Weltmärkten (Bundesregierung 2012c; Schmucker und Gnath 2011, S. 391 f.). (2)
Gipfel in London, April 2009: Wachstum und Arbeitsplätze
Beim zweiten G20-Gipfel am 2. April 2009 in London einigten sich die G20 darauf, die Mittel für die internationalen Finanzinstitutionen sowie für die Handelsfinanzierung
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massiv aufzustocken. Das Unterstützungspaket umfasste insgesamt 1,1 Billionen US$. Die Mittel für den IWF wurden um 500 Mrd. US$ auf 750 Mrd. US$ aufgestockt, die Weltbank und andere regionale Entwicklungsbanken erhielten zusätzlich 100 Mrd. US$, für Handelsfinanzierungen in Form von Exportkreditgarantien und -Versicherungen wurden 250 Mrd. US$ bereit gestellt, und es wurden neue Sonderziehungsrechte des IWF im Gegenwert von 250 Mrd. US$ zugeteilt. Darüber hinaus wurde der Aktionsplan zur Reform der Finanzmarktregulierung fortgeschrieben: Die G20 vereinbarten u.a., schärfere Maßnahmen gegen unkooperative Staaten und Steueroasen zu ergreifen. Desweiteren wurde das Financial Stability Board (FSB) etabliert, das das bereits existierende Financial Stability Forum ersetzte. Außerdem wurde das Moratorium gegen protektionistische Maßnahmen bis Ende 2010 verlängert (Bundesregierung 2012c; Schmucker und Gnath 2011, S. 391 f.). In den Jahren 2008 und 2009 wurden weltweit nationale Konjunkturprogramme aufgelegt, um die realwirtschaftlichen Auswirkungen der Krise einzudämmen. Knapp 90 Prozent dieser Programme wurden dabei in G20-Staaten eingeführt {Gnath, Mildner und Schmucker 2012, S. 12). Die Vereinigten Staaten und China legten mit 787 Mrd. US$ bzw. 420 Mrd. US$ die größten Konjunkturprogramme auf. Deutschland schnürte zwei Konjunkturpakete mit einem Gesamtumfang von über 80 Mrd. Euro. Mit insgesamt mehr als vier Billionen US$ summierten sich die weltweiten Maßnahmen zum größten Konjunkturstimulus der Moderne. (3)
Gipfel in Pittsburgh, September 2009: Strategie für ein starkes, nachhaltiges und ausgeglichenes Wachstum
Auf dem Gipfel am 24./25. September 2009 in Pittsburgh beschlossen die Staats- und Regierungschefs, das Format der G20-Treffen fest zu etablieren und als zentrales Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit zu nutzen. Die auf den vorhergehenden Gipfeln beschlossenen Maßnahmen zur Krisenbewältigung und zur Reform der internationalen Finanzmarktarchitektur wurden weiter umgesetzt. Die Staats- und Regierungschefs beschlossen eine gemeinsame Strategie fllr ein starkes, nachhaltiges und ausgeglichenes Wachstum (Framework for Growth). Mit einem gegenseitigen Bewertungsprozess {Mutual Assessment Process) sollen die Wechselwirkungen der nationalen Politiken untersucht werden. Darüber hinaus soll evaluiert werden, ob die Politikansätze auch im Einklang mit nachhaltigerem und ausgewogenerem Wachstum stehen und weiterer Reformbedarf besteht. Der IWF wurde beauftragt, den gegenseitigen Bewertungsprozess inhaltlich zu begleiten. Außerdem wurden abgestimmte Strategien zum Ausstieg aus den konjunkturstutzenden Maßnahmen (Exit Strategien) vereinbart. Die Staats- und Regierungschefs sahen es als zentrale Voraussetzung für eine nachhaltige wirtschaftliche Erholung an, dass Beschäftigung geschaffen und gesichert sowie für sozialen Schutz und Ausbildung gesorgt wird. Angesichts volatiler Ölpreise vereinbarten sie, durch mehr Transparenz und eine bessere Aufsicht der Ölterminmärkte für eine stabilere Preisentwicklung zu sorgen. Schließlich einigten sie sich darauf, eine Charta für nachhaltiges Wirtschaften zu erarbeiten und verabschiedeten deren Kemprinzipien {Bundesregierung 2012c, Schmucker und Gnath 2011, S. 394-398).
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Gipfel in Toronto, Juni 2010: Fiskalische Nachhaltigkeit
Auf dem Gipfel in Toronto am 26./27. Juni 2010 verlagerte sich der Schwerpunkt der Arbeiten von direkten Krisenmaßnahmen zu Maßnahmen für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung. So verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs, die Staatsdefizite bis 2013 zu halbieren und die Staatsverschuldung in Relation zum Bruttoinlandsprodukt bis 2016 zu reduzieren. Sie diskutierten außerdem die ersten Ergebnisse des gegenseitigen Bewertungsprozesses, wobei Länder mit Leistungsbilanzdefiziten und -Überschüssen aufgefordert wurden, geeignete Maßnahmen zur Verringerung der globalen Leistungsbilanzungleichgewichte zu ergreifen. Die Finanzmarktreformen wurden weiter gefuhrt, indem die regulatorischen Rahmenbedingungen gestärkt wurden, u.a. durch verschärfte Eigenkapitalvorschriften sowie bessere Aufsicht und Transparenzanforderungen. Der IWF und das FSB sollen dabei die Umsetzungserfolge überprüfen. Die G20 bekannten sich darüber hinaus zu offenen Märkten und verlängerten das Moratorium gegen protektionistische Maßnahmen um drei Jahre. Erstmals wurden Arbeitsgruppen gebildet, die jeweils unter dem gemeinsamen Vorsitz eines Industrieund eines Schwellenlandes arbeiten. Erste Arbeitsgruppen waren die AG Entwicklung, die AG Anti-Korruption und die AG maritimer Umweltschutz (Bundesregierung 2012c). (5)
Gipfel in Seoul, November 2010: Seoul-Aktionsplan und Reform der internationalen Finanzinstitutionen
Auf dem Gipfel in Seoul am 11712. November 2010 verständigten sich die Staatsund Regierungschefs auf den Seoul-Aktionsplan, der die Vereinbarung von Toronto bekräftigt und länderspezifische Maßnahmen für besseres Wachstum enthält, u.a. Erhöhung der Wechselkursflexibilität und Abbau übermäßiger globaler Leistungsbilanzungleichgewichte. Um die globalen Ungleichgewichte bewerten zu können, sollten Indikatoren entwickelt werden. Die G20 bekräftigten erneut die wichtige Rolle des Freihandels sowie den Verzicht auf protektionistische Maßnahmen. Außerdem bekannten sie sich zum Abschluss der Doha-Welthandelsrunde und zur Verlängerung der Selbstverpflichtung, bis 2013 keine neuen Handels- und Investitionshemmnisse zu errichten. Wichtiges Ergebnis des Gipfels von Seoul war die Einigung auf die Reform der internationalen Finanzinstitutionen, insbesondere die IWF-Quotenreform sowie die Reform der IWF-Governance. Desweiteren wurden Maßnahmen zur Stärkung der globalen Finanzsicherheitsnetze beschlossen, so z.B. die neuen IWF-Instrumente Flexible Credit Line und Precautionary Credit Line. Mit dem Seoul Development Consensus for Shared Growth und dem Multi-Year Action Plan on Development verständigten sich die G20 auf eine gemeinsame entwicklungspolitische Agenda. Sie vereinbarten zudem, Subventionen für fossile Energieträger zurückzufuhren, und diskutierten Fragen des Klimaschutzes und der Biodiversität. Schließlich verabschiedeten sie einen Anti-Korruptionsplan (Bundesregierung 2012c). (6)
Gipfel in Cannes, November 2011: Cannes-Aktionsplan für Wachstum und Arbeitsplätze
Der Gipfel von Cannes am 3./4. November 2011 stand ganz im Zeichen der europäischen Staatsschuldenkrise. Damit kehrten die G20 zumindest zum Teil zurück zum un-
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mittelbaren Krisenmanagement. Sie verständigten sich darauf, die Finanzausstattung des IWF zu überprüfen, damit dieser adäquate Krisenhilfe leisten könne. Gleichzeitig wurde die multilaterale Überwachung durch den IWF gestärkt. Der Cannes-Aktionsplan, der Maßnahmen zur Stärkung der Grundlagen von Wachstum und Beschäftigung enthält, wurde verabschiedet. Im Bereich der Finanzmarktregulierung einigte man sich auf den Umgang mit systemrelevanten Banken, auf Aufsicht und Regulierung des Schattenbankensystems, auf eine Reform des Handels mit OTC-Derivaten und eine Verbesserung der Rechnungslegungsstandards. Außerdem erarbeiteten die G20 ein gemeinsames Verständnis über die Reform des internationalen Währungssystems, um dieses stabiler, widerstandsfähiger und repräsentativer zu machen. Dabei verfolgten sie das gemeinsame Ziel, die Flexibilität der Wechselkurse zu erhöhen. Dazu setzten sie eine Arbeitsgruppe zu Währungsfragen unter deutsch-mexikanischem Vorsitz ein. Darüber hinaus verständigten sich die G20 auf eine verbesserte Funktionsweise von Derivatemärkten, insbesondere für Rohstoffe, indem sie zahlreiche Maßnahmen zur besseren Markttransparenz und internationalen Kooperation beschlossen. Sie führten außerdem die Diskussion zur Energie- und Klimapolitik weiter und bekräftigten zum wiederholten Mal ihr Bekenntnis zum Abschluss der Doha-Welthandelsrunde und zum Verzicht auf protektionistische Maßnahmen. Schließlich setzten sie sich für eine bessere Zusammenarbeit der internationalen Organisationen ein und formalisierten den TroikaVorsitz der Gipfel: Er sieht vor, dass jeweils die vergangene, aktuelle und kommende G20-Präsidentschaft bei der organisatorischen und inhaltlichen Vorbereitung eng zusammenarbeitet. Dadurch soll eine stärkere Kontinuität der Themenbearbeitung gewährleistet werden (Bundesregierung 2012c; Gnath und Schmucker 201 lb). (7)
Gipfel in Los Cabos, Juni 2012: Los Cabos-Aktionsplan für Wachstum und Arbeitsplätze
Im Mittelpunkt des Gipfels im mexikanischen Los Cabos am 18./19. Juni 2012 stand wie schon beim Gipfel in Cannes die Bewältigung der europäischen Staatsschuldenkrise. Die G20 verabschiedeten den Los Cabos-Aktionsplan für Wachstum und Arbeitsplätze, der jedoch keine wesentlichen neuen Elemente im Vergleich zum Cannes-Aktionsplan enthält. In dem Aktionsplan erklärten sich die Mitgliedstaaten der Eurozone bereit, die Wettbewerbsfähigkeit in Defizitländem durch Strukturreformen zu verbessern und in Überschussländern Nachfrage und Wachstum zu fördern. Die entwickelten G20-Staaten verpflichteten sich, ihre Staatshaushalte im Einklang mit der wirtschaftlichen Erholung weiter zu konsolidieren, um die Verpflichtungen des TorontoGipfels zu erfüllen, die Staatsdefizite bis 2013 zu halbieren. Allerdings vereinbarten sie auch, dass Länder mit finanzpolitischem Spielraum im Falle einer nachlassenden wirtschaftlichen Entwicklung bereit sein sollten, soweit möglich finanzpolitische Impulse zu geben. Diese Formulierungen spiegeln erneut die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Befürwortern kurzfristiger geld- und fiskalpolitischer Impulse und den Befürwortern einer Strategie der Haushaltskonsolidierung und von Strukturreformen wider. Im Bereich Stärkung des Finanzsystems und der Finanzmarktregulierung wurde eine Reihe von Fortschrittsberichten vorgelegt, die den Stand der Umsetzung bereits beschlossener Maßnahmen darstellen. Auf Initiative der mexikanischen Präsidentschaft
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wurde eine Studie in Auftrag gegeben, die die Auswirkungen der schärferen Finanzmarktregulierung auf Schwellen- und Entwicklungsländer untersuchen soll. Hintergrund ist, dass Mexiko Ausnahmen bei der Umsetzung der Finanzmarktreformen für Schwellen· und Entwicklungsländer fordert. Darüber hinaus hat Mexiko das Thema finanzielle Inklusion, d.h. verbesserter Zugang sozial schwacher Bevölkerungsschichten zu Finanzdienstleistungen, auf die Tagesordnung gesetzt. Substantiell neu ist das Ziel einer stärkeren Integration der Finanzmarktaufsicht in der EU. Schließlich bekannten sich die G20 zum wiederholten Male zum Abbau protektionistischer Maßnahmen und zum Abschluss der Doha-Welthandelsrunde. In diesem Zusammenhang verlängerten sie das Stillhalteabkommen bezüglich protektionistischer Maßnahmen von Toronto bis Ende 2014 (Bundesregierung 2012c). Die Erfolgsbilanz der G20 Seit dem ersten G20-Gipfel im November 2008 hat sich der Fokus der Arbeit der G20 vom unmittelbaren Krisenmanagement zur Krisenprävention verschoben. Zu Beginn dieses Prozesses - unterstützt durch die internationale Krisensituation nach der Insolvenz von Lehman Brothers - konnten sich die G20-Mitglieder schnell auf umfassende Maßnahmen zur Eindämmung der Krise einigen. Dabei ging es vor allem um die Stützung nationaler Banken und die Verstärkung der Finanzmarktregulierung sowie die Abstimmung nationaler Konjunkturprogramme. Damit sandten sie ein Signal der Entschlossenheit und Geschlossenheit an die Märkte. Mit der Abschwächung der Krise und dem Übergang zu Themen der makroökonomischen Kooperation nahm die Uneinigkeit unter den G20-Staaten über die jeweils adäquaten Maßnahmen jedoch zu, und Konflikte traten offen zutage. Die Gipfelerklärungen enthielten immer mehr „weiche" Formulierungen, in denen sich alle G20-Mitglieder wiederfinden konnten. Bereits ab 2010 setzte sich insbesondere Deutschland stark für koordinierte ExitStrategien aus den konjunkturstützenden Maßnahmen und eine stärkere Haushaltskonsolidierung ein. Vor allem die Vereinigten Staaten drängten jedoch immer wieder darauf, die konjunkturellen Stimuli weiterzuführen. Beim Gipfel in Cannes forderten die Vereinigten Staaten erneut die europäischen Länder auf - allen voran Deutschland - , Ausgabenprogramme zur Konjunkturstützung aufzulegen und die europäische Staatsschuldenkrise zu lösen. Besonders strittig diskutiert wurde über die adäquate Bekämpfung der globalen Leistungsbilanzungleichgewichte: Insbesondere die Vereinigten Staaten und Frankreich warfen Deutschland und China vor, sie durch ihr exportgetriebenes Wachstum zu vergrößern und damit krisenverstärkend zu wirken. Sie forderten deshalb mit Nachdruck, feste quantitative Grenzwerte für Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite einzuführen. Deutschland sprach sich jedoch vehement dagegen aus mit dem Argument, dass Überschussländer nicht genauso .bestraft' werden dürften wie Defizitländer. Auf dem Finanzministertreffen im Herbst 2010, das den Seoul-Gipfel vorbereiten sollte, kam es darüber zu einem harten Schlagabtausch zwischen US-Finanzminister Geithner und Bundeswirtschaftsminister Brüderle, der den erkrankten Finanzminister Schäuble vertrat. Schließlich verständigte man sich auf dem Gipfel darauf, keine Schwellenwerte, sondern ein Set von Indikatoren festzulegen, um globale
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Leistungsbilanzungleichgewichte identifizieren und beurteilen zu können. Im Jahr 2011 einigte man sich unter französischer Präsidentschaft auf die Kriterien: Schuldenstand, öffentliche Defizite, private Sparquote, Verschuldung und Elemente der Leistungsbilanz {Gnath und Schmucker 2011a, S. 15-19). Ein weiterer, bereits länger währender Streitpunkt ist die Einführung einer internationalen Finanztransaktionssteuer, die u.a. von Frankreich und Deutschland favorisiert wird. Aufgrund des Widerstandes zahlreicher G20-Staaten konnten jedoch bisher keine Fortschritte bei diesem Thema erzielt werden (Gnath und Schmucker 201 lb). Die Entwicklung der letzten Jahre hat gezeigt, dass die Fähigkeit der G20, gemeinsame Losungen für die globalen wirtschaftspolitischen Probleme zu finden, stark davon abhängt, dass die G20-Mitglieder gleichgerichtete Interessen und ein einheitliches Problemverständnis haben. In dem Maße, in dem die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung der einzelnen Länder auseinander läuft, zugleich aber der politische Druck mit Abschwächung der Krise nachlässt, divergieren auch die Interessen der einzelnen Länder wieder. Dies wird verstärkt durch grundsätzlich unterschiedliche Auffassungen über adäquate Problemlösungen. So zeigt sich nach den anfänglichen Erfolgen internationaler Kooperation zu Beginn der Krise inzwischen ein gemischteres Bild des gemeinsam Erreichten (Gnath und Schmucker 201 lb, S. 6 f.; Schirm 2009, S. 315 f.). Die Rotte der internationalen Organisationen in der Finanz- und Wirtschaftskrise Während die internationalen Organisationen vor der Finanz- und Wirtschaftskrise mit einem erheblichen Bedeutungsverlust zu kämpfen hatten, der sie z.T. in finanzielle Schwierigkeiten brachte und sogar zwang, Personal abzubauen, haben sie durch die Krise und die mit ihr verbundene verstärkte internationale Kooperation wieder deutlich an Reputation und Einfluss gewonnen. Dabei stehen sie allerdings in Fragen der Neuordnung der internationalen Finanzmarktregulierung und der wirtschaftspolitischen Koordinierung im Schatten der G20, die diese Themen mit höchster Priorität verfolgen. Internationale Organisationen wie der IWF, die OECD und die WTO leisten dafür aber wichtigen analytischen Input und nehmen an den Gipfeln sowie den vorbereitenden Treffen teil. Klarer .Krisengewinner' ist der Internationale Währungsfonds (s.a. Jost und Seitz i.d.Bd.). Er ist seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise unmittelbar an der Krisenbewältigung beteiligt, indem er Hilfskredite vergibt sowie seine Expertise einbringt. Um Krisenhilfe leisten zu können, wurde seine Finanzausstattung massiv erhöht. Einer ersten Aufstockung der Mittel von 250 auf 750 Mrd. US$ beim G20Gipfel im April 2009 in London folgte eine weitere Aufstockung um über 430 Mrd. US$ bei der Frühjahrstagung des IWF im April 2012 und um weitere 26 Mrd. US$ beim Gipfel in Los Cabos im Juni 2012. Damit konnte der IWF sein Ausleihvolumen fast verdoppeln. Seit Ausbruch der Krise 2007 hat er Kredite in Höhe von mehr als 300 Mrd. US$ an seine Mitglieder vergeben (IWF 2012b und 2012c). Aktuell belaufen sich die Kreditmittel für die von der Krise betroffenen Länder auf 250 Mrd. US$, davon 40 Prozent für Mitglieder der Europäischen Union (Gnath, Mildner und Schmucker 2012, S. 22).
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Im Rahmen des G20-Prozesses ist der IWF maßgeblich daran beteiligt, die Instrumente zu Vorbeugung künftiger Krisen zu erarbeiten und anzuwenden. So erstellt er regelmäßig Analysen der Wirtschafts- und Finanzpolitiken der G20-Mitglieder. Eine herausgehobene Stellung kommt ihm im Rahmen des im September 2009 auf dem Gipfel in Pittsburgh vereinbarten Mutual Assessment Process zu. So beauftragten die G20 den IWF, Studien zu erarbeiten, auf deren Basis sie die makroökonomische Entwicklung und die nationalen Politiken der Mitgliedstaaten sowie mögliche Spillover-Effekte bewerten können. Darüber hinaus analysiert der IWF die Entwicklung der globalen Leistungsbilanzungleichgewichte. Desweiteren übernimmt er für die G20 auch die makro-finanzielle Überprüfung der Länder mit systemrelevanten Finanzmärkten. Gemeinsam mit dem Financial Stability Board entwickelt er im Auftrag der G20 außerdem ein Frühwamsystem, um die Finanzmärkte zu überwachen (Gnath, Schmucker und Mildner 2012, S. 20-24). Auch bei der Überwindung der europäischen Staatsschuldenkrise spielt der IWF eine wichtige Rolle. Seit den 1970er Jahren unterstützt er erstmals wieder OECD-Länder. Die Beteiligung des IWF an den Rettungsmaßnahmen in der Eurozone geht auf den Druck der deutschen Bundesregierung zurück, die dies als Bedingung für die Zustimmung zu den umfänglichen Hilfsleistungen gestellt hatte. So kann die langjährige Erfahrung des IWF bei der Kreditvergabe an Länder mit Zahlungsbilanzschwierigkeiten und in globalen Finanzkrisen genutzt werden. Außerdem wird so sichergestellt, dass auch bei den Hilfsprogrammen für Eurozonen-Länder eine strikte Konditionalität an die Kreditvergabe geknüpft wird, wie dies bei IWF-Programmen üblich ist. Entsprechend spielt der IWF eine wichtige Rolle in der sogenannten Troika, in der er gemeinsam mit der EU-Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB) die Anpassungsprogramme in den Krisenländern erarbeitet und überwacht. Da der IWF mit seiner großen Mitgliedschaft und räumlichen Entfernung mehr Distanz zu den Ländern der Eurozone hat als die EU-Kommission und die EZB, kann er politischem Druck leichter widerstehen und im Einzelfall härtere Reformprogramme durchsetzen als die Institutionen vor Ort (Jost und Seitz i.d.Bd.). Der IWF war zunächst an den Programmen der Euroländer mit jeweils einem Drittel beteiligt. So übernahm er 30 Mrd. Euro des 100 Mrd. Euro umfassenden ersten Hilfspakets für Griechenland vom Mai 2010 und beteiligte sich mit 250 Mrd. Euro am 750 Mrd. Euro-Rettungsschirm EFSF, der ebenfalls im Mai 2010 vereinbart wurde. Der Anteil des IWF an den aus dem EFSF finanzierten Rettungsprogrammen für Irland und Portugal betrug ebenfalls ein Drittel. Am zweiten Hilfspaket für Griechenland, das 130 Mrd. Euro umfasste und im Februar 2012 beschlossen wurde, beteiligte sich der IWF lediglich mit 28 Mrd. Euro. Das große Engagement des IWF in der europäischen Staatsschuldenkrise wird deutlich, wenn man das Verhältnis von IWF-Krediten zu den IWFQuoten der betroffenen Länder betrachtet: Während in der Vergangenheit üblicherweise Kredite in Höhe von 300 Prozent der Länderquote vergeben wurden, betrug dieses Verhältnis beim ersten Griechenland-Hilfspaket 3.200 Prozent, beim Hilfspaket für Irland 2.400 Prozent und bei der Unterstützung von Portugal 2.300 Prozent. Ende 2011 waren Griechenland, Irland und Portugal die größten Schuldner des IWF (Jost und Seitz i.d.Bd.).
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Die OECD hat in der Finanz- und Wirtschaftskrise ihre Chance gesehen, sich durch vielfältige Analysen und Studien zu den bei den G20 diskutierten Themen als wirtschaftspolitischer Think Tank zu profilieren und ihre Daseinsberechtigung zu demonstrieren. So hat sie früh auf die Notwendigkeit hingewiesen, Exit-Strategien aus den Krisenmaßnahmen zu entwickeln, hat Vorschläge gemacht, um mehr Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen sowie die sozialen Folgen der Krise abzufedern, und hat sich dem Thema Verbraucherschutz und ökonomische Bildung in Finanzmarktfragen gewidmet. Ihre Beiträge speist sie regelmäßig offensiv in den G20-Prozeß ein. Eine wichtige Rolle spielten ihre Arbeiten zur Bekämpfung schädlicher Steuerpraktiken. Bereits 2000 veröffentlichte die OECD zum ersten Mal eine Liste mit unkooperativen Steueroasen. Im Global Forum to address harmful tax practices arbeiten OECD und NichtOECD-Staaten zusammen, um mehr Transparenz in Steuersachen und einen effektiveren Informationsaustausch zu erreichen. Auf diese Vorarbeiten konnten die Staats- und Regierungschefs zurückgreifen, als sie im April 2009 auf dem G20-Gipfel in London beschlossen, schärfere Maßnahmen gegen Steueroasen zu ergreifen (OECD 2012b). Ein wichtiges Anliegen der G20 war es von Beginn der Krise an, protektionistische Maßnahmen in den Krisenländem zu verhindern, um nicht den Fehler der Weltwirtschaftskrise von 1929 zu wiederholen und in eine Protektionsspirale zu geraten. Die Staats- und Regierungschefs bekannten sich daher regelmäßig dazu, die DohaWelthandelsrunde erfolgreich abzuschließen, und vereinbarten ein Moratorium gegen protektionistische Maßnahmen, das sie mehrmals verlängerten. Die WTO wurde zusammen mit der OECD und der UNCTAD von den G20 beauftragt, regelmäßig Berichte zu Handels- und Investitionsmaßnahmen zu erstellen. Darüber hinaus berichtet der WTO-Generaldirektor seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise regelmäßig Uber aktuelle Entwicklungen im Bereich des Welthandels. Das Ziel, die aktuelle Welthandelsrunde abzuschließen, konnte bislang aber nicht erreicht werden, und ein Abschluss ist in absehbarer Zeit auch nicht in Sicht. Die Überwachung durch die WTO konnte einen RUckfall in einen protektionistischen Wettlauf verhindern, der die Erfolge der Globalisierung in Frage gestellt hätte. Allerdings konnte sie nicht verhindern, dass die WTO-Mitglieder im Laufe der letzten lahre vermehrt protektionistische Maßnahmen eingesetzt haben, um ihre Volkswirtschaften abzuschotten. So berichtet der WTO-Generaldirektor in seinem jüngsten Jahresbericht (,Overview of Developments in the International Trading Environment'), dass die Anzahl handelsbeschränkender Maßnahmen in den WTO-Mitgliedstaaten und den Staaten mit WTO-Beobachterstatus von 222 (Oktober 2009 bis Oktober 2010) um 50 Prozent auf 339 (Oktober 2010 bis Oktober 2011) angestiegen ist (WTO 2011, S. 17). Dabei sind exportbeschränkende Maßnahmen besonders schnell gewachsen. Allerdings sind nur ca. 0,9 Prozent der weltweiten Importe von den zwischen Oktober 2010 und Oktober 2011 neu eingeführten handelsbeschränkenden Maßnahmen betroffen (WTO 2011, S. 3). Die Überwachung der Handelspraktiken durch die WTO ist daher weiter gefordert, um zu verhindern, dass protektionistische Maßnahmen um sich greifen. Schließlich hat auch das Financial Stability Board, das mit einem erweiterten Mandat und breiterer Beteiligung aus dem Financial Stability Forum hervorging, eine wichtige Rolle im G20-Prozeß übernommen. Seine Aufgabe ist es, zu einer verbesserten
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Stabilität der Finanzmärkte beizutragen. Es dient als zentrales Gremium des Informationsaustauschs zwischen den für Finanzmarktstabilität zuständigen Behörden der Nationalstaaten. Im Auftrag der G20 koordiniert es die Maßnahmen für mehr Finanzmarkttransparenz und erarbeitet Empfehlungen für gemeinsame Standards. Gemeinsam mit dem IWF hat es die Aufgabe übernommen, ein Friihwarnsystem zur Überwachung der Finanzmarktstabilität zu entwickeln (FSB 2012).
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Zukunftsperspektiven der Global Governance
Im Zuge der verstärkten Integration der Weltwirtschaft und des zunehmenden Gewichts der Schwellenländer wurde eine Neuausrichtung der Global Governance notwendig, die den veränderten Gegebenheiten Rechnung trug und insbesondere die veränderten Machtverhältnisse in der Welt besser widerspiegeln musste. Durch den Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 erhielt diese Entwicklung einen zusätzlichen Impuls. Mit der Etablierung der G20 auf Ebene der Staats- und Regierungschefs hat sich die Architektur der Global Governance verschoben: So haben sich einerseits die G20 zunehmend an die Stelle der G8 gesetzt und andererseits haben die G20 als rein informelles Gremium mit dem selbst gesetzten Anspruch, das zentrale Forum für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit der bedeutendsten Industrie- und Schwellenländer zu sein, den internationalen Organisationen den Rang abgelaufen und diese in eine Zulieferer-Funktion abgedrängt. Genauso wie bereits die G8, bieten auch die G20 eine Plattform für den informellen, themenübergreifenden Austausch. Durch den G20-Prozeß, der neben den Gipfeln zahlreiche Treffen auf Arbeitsebene vorsieht, ist ein kontinuierlicher Austausch zu Themen von gemeinsamem Interesse gewährleistet. So können unterschiedliche Positionen ausgetauscht, die internationale Kooperation verbessert und gemeinsame Problemlösungen erarbeitet werden (Gnath, Schmucker und Mildner 2012, S. 34; Schirm 2009, S. 320 f.). Durch den starken Einfluss der jeweiligen G20-Präsidentschaft auf die Agenda hat allerdings im Laufe der Zeit eine Ausweitung der Themen stattgefunden, da jede Präsidentschaft eigene prioritäre Themen verfolgt. Dadurch entsteht die Gefahr, dass die Arbeit zerfasert und Themen nicht kontinuierlich weiter verfolgt werden. Die Einführung des Troika-Vorsitzes hat diese Probleme aber inzwischen etwas entschärft. Im Gegensatz zu den G8 weisen die G20 eine deutliche höhere Legitimität auf, da auch die großen Schwellenländer auf Augenhöhe beteiligt sind. Damit erfährt die Arbeit der G20 höhere Anerkennung und genießt größeres Vertrauen. Allerdings besteht ein Spannungsverhältnis zwischen Legitimität und Effektivität. Denn je größer und heterogener der Kreis der Mitglieder ist, desto schwieriger ist es, sich auf mehr als nur den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen (Schmucker und Gnath 2011). In dieser Hinsicht profitieren die G8 davon, dass sie ein kleiner Kreis weitgehend Gleichgesinnter sind, die im Laufe der Jahre gegenseitiges Vertrauen aufgebaut haben. Die G20 müssen sich ein solches Vertrauensverhältnis erst noch erarbeiten. Aufgrund der zum Teil stark divergierenden Vorstellungen Uber adäquate Problemlösungen und unterschiedliche Interessen tun sich die G20 in einigen Themenbereichen schwer, gemeinsame Lösungen zu finden. Dazu zählen etwa die Verringerung der globalen Ungleichgewichte, neue
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wirtschaftliche Stimuli versus Haushaltskonsolidierung und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Bei kontroversen Themen ist daher kaum mit schnellen Fortschritten zu rechnen. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass der Reformdruck deutlich abnimmt, sobald sich die wirtschaftliche Entwicklung verbessert. Für die Zukunft ist das Verhältnis zwischen den G8 und den G20 zu klären. Werden die G8 in den G20 aufgehen, weil sie obsolet geworden sind, oder gibt es eine sinnvolle Arbeitsteilung zwischen den beiden Formaten? Für ersteres spricht, dass die G20 mit ihrem Fokus auf weltwirtschaftliche Themen das Kernthema der G8 besetzt haben. Bisher läuft allerdings der G8-Prozeß parallel zum G20-Prozeß weiter. Letzeres scheint weniger plausibel, da sich einerseits die G8 auch weiterhin Uber weltwirtschaftliche Themen austauschen und abstimmen und andererseits die G20 im Laufe der Zeit viele zusätzliche Themen wie Klimaschutz, Energie und Entwicklung bereits auf ihre Agenda genommen haben, so dass wenig Raum für eine sinnvolle Arbeitsteilung bleibt. Die derzeitige Rolle der G8 kann als eine der Kooperation beschrieben werden. So stimmen sich die G8 im kleinen, informellen Kreis unter Gleichgesinnten Uber die Themen ab, die auch die G20 diskutieren, bevor sie sich im heterogeneren Kreis der G20 äußern. Darüber hinaus besetzen sie im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik eigene Themen, die die G20 (bisher) nicht aufgegriffen haben (Schmucker und Gnath 2011). Ob dies eine nachhaltige Form der Zusammenarbeit ist, wird sich noch erweisen müssen. Für die künftige Global Governance stellt sich zudem die Frage, wie nachhaltig die Zusammenarbeit der G20 sein wird. Wird sich der Zusammenschluss nach Überwindung der Krise wieder auflösen bzw. in das alte Format der Finanzminister und Notenbankgouvemeure zurückkehren oder werden die G20, wie Bundesfinanzminister Schäuble (2010) vermutet, „der institutionelle Kern sein, aus dem eine auf Nachhaltigkeit angelegte Weltwirtschaftsordnung des 21. Jahrhunderts hervorgeht"? Vor diesem Hintergrund ist auch die immer wieder vorgebrachte Forderung zu diskutieren, die G20 durch ein ständiges Sekretariat stärker zu institutionalisieren. Dies würde jedoch noch mehr als bisher die Frage nach dem Verhältnis zwischen den G20 und den internationalen Organisationen aufwerfen, denn damit würde de facto eine weitere Institution mit festem Mitarbeiterstab geschaffen, die Aufgaben übernimmt, die bereits woanders bearbeitet werden. So sinnvoll und nötig internationale Kooperation in einer globalisierten Welt ist, um bestimmte Politiken zu koordinieren und gemeinsame Probleme zu lösen, so sehr ist zu beachten, dass internationale Koordination nur dort stattfinden sollte, wo eine untergeordnete Ebene nicht in der Lage ist, das Problem besser zu lösen (Subsidiaritätsprinzip). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass einmal etablierte Organisationen ein Eigenleben entwickeln und nur mit großer Mühe wieder abgeschafft werden können, sobald sie ihre Aufgabe erfüllt haben (s. Wentzel i.d.Bd.). Die Entwicklung der internationalen Organisationen zeigt, wie einfallsreich sie darin sind, immer neue Themenfelder zu besetzen, die es ihnen erlauben, zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen von ihren Anteilseignem einzufordern. Auf diese Gefahren hinzuweisen und Erklärungen für die Entstehung und das Wachstum der internationalen Organisationen zu bieten, ist das Verdienst der Public Choice Theorie (siehe z.B. Frey 1997; Vaubel 1986).
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Eine G20 mit eigenem Sekretariat würde sich vermutlich schnell zu einer wachsenden biirokratisierten Organisation entwickeln, die zu ihrer Legitimation immer mehr Aufgaben an sich zieht und versucht, ihr Budget und ihr Personal zu vergrößern. Der Vorteil der G20 als informelles Gremium besteht darin, schneller und flexibler arbeiten zu können als die internationalen Organisationen. Darüber hinaus sind die G20 mit der direkten Autorität der Staats- und Regierungschefs ausgestattet, so dass sie wichtige Themen mit entsprechendem Druck auf die Agenda setzen können. In Zusammenarbeit mit den internationalen Organisationen, die über ein etabliertes Instrumentarium verfügen, können diese politischen Initiativen in konkrete Entscheidungen und Regeln umgesetzt werden (Gnath, Mildner und Schmucker 2012). Bereits ohne eine institutionalisierte G20 ist eine bessere Arbeitsteilung und Koordinierung zwischen den internationalen Organisationen notwendig (Gnath, Mildner und Schmucker 2012). Die großen internationalen Organisationen haben zwar unterschiedliche Schwerpunkte, im Laufe der Zeit haben sie jedoch jeweils neue Aufgaben übernommen und zusätzliche Themenfelder besetzt, so dass es zum Teil zu Überschneidungen gekommen ist. Für eine effektive Global Governance ist es wichtig, dass die internationalen Organisationen Prioritäten in ihrer Arbeit setzen und sich auf ihre Kernkompetenzen beschränken, um sich sinnvoll ergänzen zu können statt sich in Einzelfragen Konkurrenz zu machen. So können Doppelarbeit vermieden und die knapper werdenden Budgets sinnvoll eingesetzt werden. Auf dem G20-Gipfel in Cannes haben sich die Staats- und Regierungschefs für eine bessere Zusammenarbeit der internationalen Organisationen ausgesprochen. Bereits seit 2009 lädt die deutsche Bundeskanzlerin die Chefs der fünf großen internationalen Organisationen WTO, IWF, OECD, Weltbank und International Labour Organization (ILO) regelmäßig ein, um sich mit ihnen über eine verbesserte Zusammenarbeit auszutauschen. Durch die Etablierung der G20 auf Ebene der Staats- und Regierungschefs hat sich die Global Governance verändert. Die Neuordnung der Zuständigkeiten und die Formen der Zusammenarbeit sind aber noch nicht abschließend geklärt. Das Vertrauen in die neue Architektur der internationalen Zusammenarbeit muss sich erst noch festigen. Erst nach Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise wird sich zeigen, wie zukunftsfest die neue Struktur der Global Governance ist. Unabhängig davon ist es für die Legitimität und den Erfolg der internationalen Kooperation entscheidend, dass die knappen Ressourcen der Steuerzahler effektiv eingesetzt werden.
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Regulierung von Finanzmärkten: Ziele, Methoden und Reformerfordernisse
Albrecht F. Michler und H. Jörg Thieme
Inhalt 1.
Einleitung
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2.
Entwicklung auf den Finanzmärkten während der letzen Dekaden
80
2.1. Veränderte Rahmenbedingungen auf den Finanzmärkten 2.2. Reaktionen der Finanzindustrie auf die geänderten Rahmenbedingungen
80 83
3.
Gründe für eine staatliche Regulierung der Finanzmärkte
86
4.
Aktuelle Entwicklungen in der Finanzmarktregulierung
86
4.1. Anforderungen an eine effektive Regulierung der Finanzmärkte
86
4.2. Regulierungsmaßnahmen in den USA: Der Dodd-Frank-Act
87
4.3. Die Weiterentwicklung der Baseler Eigenkapitalvorschriften
89
5.
Vorschläge für eine effiziente Regulierung der Finanzmärkte
93
6.
Fazit
99
Literatur
100
80
1.
Albrecht F. Michler und H. Jörg Thieme
Einleitung
Im Nachgang der internationalen Finanzkrise von 2007/2008 und der sich daran anschließenden und längst noch nicht abgeschlossenen Wirtschafts- und Staatsschuldenkrise sind die Bemühungen zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte auf Betreiben der G20-Staaten deutlich intensiviert worden. Der öffentliche Druck, die Banken als ,Hauptverantwortliche' der Finanzkrise stärker zu regulieren und damit das Risiko erneuter Finanzkrisen zu reduzieren, führte rasch zu neuen Regulierungsvorschlägen, die in Form von Basel III auf der internationalen Ebene und in Form des Dodd-Frank-Act in den USA auf den Finanzmärkten, respektive im Bankensektor umgesetzt werden sollen.1 Die Geschwindigkeit, mit der diese neuen Regeln auf den Weg gebracht wurden, lassen daran zweifeln, ob und inwieweit das vorhandene Regelwerk tatsächlich verbessert wird. Gerade die Erfahrungen mit den Regulierungsansätzen von Basel II, die bis zur Finanzkrise und auch danach noch nicht vollständig umgesetzt wurden, lassen vermuten, dass wiederum .handwerkliche' Fehler auftreten, deren Langzeitwirkungen kaum abschätzbar sind und selbst wiederum neue systemische Risiken hervorrufen. Vor diesem Hintergrund werden im zweiten Kapital zunächst kurz die Entwicklungsprozesse auf den Finanzmärkten während der letzten Dekaden beschrieben und verdeutlicht, dass sich das Wettbewerbsumfeld nachhaltig geändert hat. Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit den Gründen der Finanzmarktregulierung, während das vierte Kapitel die Anforderungen an eine effektive Regulierung der Finanzmärkte erörtert, um schließlich stichprobenartig sowohl das Regelwerk von Basel III als auch den Dodd-Frank-Act anhand dieses Anforderungskatalogs zu überprüfen. Im vorletzten Kapitel werden die mikro- und makroprudenziellen Regulierungsverfahren generell erläutert und einige Reformmaßnahmen vorgeschlagen. Abschließend wird ein kurzes Fazit gezogen.
2.
Entwicklung auf den Finanzmärkten während der letzen Dekaden
2.1. Veränderte Rahmenbedingungen auf den Finanzmärkten In den letzten fünfzig Jahren war die Finanzindustrie durch einen drastischen Transformationsprozess geprägt: Wurden die Intermediationsleistungen der Branche zuvor im Wesentlichen durch den Bankensektor dominiert, erfolgt die Bereitstellung von Finanzdienstleistungen heute über eine Vielzahl von ganz unterschiedlichen Kanälen. Für diese Entwicklung lassen sich drei wesentliche Faktoren identifizieren, die sowohl unabhängig voneinander wirken als sich auch gegenseitig bedingen: (i) technischer Fortschritt, (ii) ein verändertes wirtschaftspolitisches Verhalten gegenüber den Finanzmärkten sowohl auf der nationalen als auch auf der internationalen Ebene
1
Vorschläge aus der Wissenschaft finden sich beispielsweise bei Acharya und Richardson (2009), Barreil u.a. (2009), Freixas (2010) sowie Browne, Llewellyn und Molyneux (2011).
Regulierung von Finanzmärkten: Ziele, Methoden und Reformerfordernisse
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und (iii) ein deutlicher Anstieg des Einkommens und der Vermögen in den Industrieländern und in vielen Schwellenländern. Technischer Fortschritt Der technische Fortschritt spiegelt sich nicht nur in verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten und in der Nutzung leistungsfähigerer Rechnersysteme wider, sondern auch in einem drastischen Rückgang der Kosten für Kommunikationsdienste, Informationsbeschaffung, Computerleistungen und Datenspeicherung. Die sinkenden Transaktionskosten erhöhten den Integrationsgrad zwischen einzelnen Finanzmarktsegmenten, sodass bestehende Preisdifferenzen heute vielfach mithilfe von Arbitrageprozessen ohne Zeitverzögerungen beseitigt werden. Dabei beschränken sich diese Prozesse nicht mehr allein auf die Teilmärkte der gleichen Asset-Klasse, sondern erstrecken sich auf alle Kassa- und derivativen Märkte, die für eine Replikation des originär betrachteten Vermögensaktivums in Frage kommen. Eine weitere Folge des technischen Fortschritts war die Etablierung völlig neuer Finanzinstrumente (Finanzinnovationen), insbesondere derivativer Instrumente, deren zeitnahe Bewertung vor einigen Dekaden noch an unzureichenden Rechnerleistungen gescheitert wäre. Schließlich hat auch die Nutzung des Internets das Wettbewerbsumfeld nachhaltig verändert. Einzelne Finanzinstitute stellen ihr komplettes Dienstleistungsangebot (ausschließlich) Online zur Verfügung und nutzen vorhandene Kostenvorteile gegenüber traditionellen Anbietern. Das Internet ist zudem geeignet, traditionelle Intermediationsketten zu durchbrechen. So veräußern nicht-finanzielle Unternehmen und Kommunen in den USA ihre Anleihen zunehmend über das Internet, anstatt - wie bislang üblich - Wertpapierhäuser zwischenzuschalten. Verändertes wirtschaftspolitisches Verhalten Seit Beginn der 1970er Jahre hat sich die Wirtschaftspolitik gegenüber dem Finanzsystem in vielfacher Form verändert, wobei die Anpassungen häufig als reine Deregulierung wahrgenommen werden. So wurden geographische Begrenzungen von Geschäftsaktivitäten (z.B. 1994 Zulassung des Interstate Branching in den USA) und Beschränkungen des Geschäftsumfangs (z.B. 1999 Aufhebung des Trennbankensystems in den USA) auf nationalen Finanzmärkten aufgehoben, Kapitalverkehrsbeschränkungen im internationalen Kapitalverkehr bis zum Ende der 1980er Jahre in vielen Ländern beseitigt, neue Finanzinstrumente zugelassen und vorhandene Preiseingriffe auf den Finanzmärkten (z.B. stufenweise Aufhebung von Zinsobergrenzen zwischen 1980 und 1986 in den USA) abgebaut (vgl. dazu Malz 2011, S. 2 ff.). Die Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik spiegelte allerdings in vielen Fällen lediglich die Reaktionen auf ein sich rasch veränderndes Marktumfeld wider und zielte schwerpunktmäßig nicht auf eine Stärkung der Marktkräfte ab. Regulierungsmaßnahmen mit nicht beabsichtigten langfristigen Effekten waren häufig das Ergebnis kurzfristiger Stresssituationen auf den Finanzmärkten. Die veränderten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen waren aber nicht nur durch ordnungspolitische Eingriffe, sondern auch durch eine Neuausrichtung der prozesspolitischen Maßnahmen geprägt. Die Wirtschaftspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg war auf den Wiederaufbau in Europa ausgerichtet und sollte zugleich die gestie-
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Albrecht F. Michler und H. Jörg Thieme
gene Arbeitslosigkeit sowie das schwache Wirtschaftswachstum in den USA bekämpfen. Im Sinne des keynesianischen Paradigmas wurde ein stabiler trade-ojf zwischen dem Beschäftigungsniveau und der Preisniveaustabilität im Sinne der Phillips-Kurve unterstellt. Dabei gelang es der Wirtschaftspolitik in den beiden ersten Dekaden nach dem Krieg, das Wirtschaftswachstum weitgehend inflationsfrei anzukurbeln. Der internationale Güter- und Kapitalverkehr wurde durch das Fix-Kurssystem von Bretten Woods bestimmt: Die Ausgestaltung des Wechselkurs-Regimes erlaubte lediglich den USA, eine unabhängige Geldpolitik zu betreiben. Alle anderen Notenbanken hatten aufgrund der vereinbarten Interventionsverpflichtungen erheblich weniger Freiheitsgrade. Zweifel an diesem System kamen auf, als die US-Inflationsrate seit Mitte der 1960er Jahre sukzessive anstieg und die USA mit zunehmenden Handelsbilanzdefiziten und Kapitalabflüssen konfrontiert wurden. Nach dem Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems im März 1973 erhöhte sich der Spielraum vieler Zentralbanken, einen stabilitätsorientierteren Kurs einzuschlagen, zudem das bislang vorherrschende nachfrageorientierte Konzept keynesianischer Provenienz durch das monetaristische Paradigma ersetzt wurde. Mithilfe einer verbindlichen und glaubwürdigen Geldpolitik sollte ein inflationsfreies Umfeld geschaffen werden, ohne dass es zu gravierenden realwirtschaftlichen Kosten kommen würde. Das Hauptaugenmerk der Notenbanken lag nun auf der Absicherung der Preisniveaustabilität. Die Neuausrichtung der Geldpolitik führte zu einem signifikanten Rückgang der Inflationsraten in den G7-Ländern und im Sinne der FwAer-Relation auch zu einer Absenkung der nominalen Zinssätze, insbesondere am langen Ende der Laufzeitstruktur (dazu ausführlich Michler und Smeets 2013). Etwas überraschender war der parallel beobachtbare Rückgang des Realzinsniveaus. Neben einer Reihe weiterer Determinanten (Group of Ten 1995) dürften hierfür die sinkenden Inflationsunsicherheiten ursächlich sein. Während in einem Umfeld hoher Inflationsraten auch mit starken Inflationsvolatilitäten zu rechnen ist (die Anlageentscheidungen deutlich erschweren), sind Phasen niedriger Inflationsraten durch ein geringeres Schwankungspotenzial um den Erwartungswert geprägt. Folgerichtig lassen sich in den Zinssätzen keine entsprechenden Prämien zur Risikokompensation einpreisen. Die sinkenden Risikoprämien schlagen sich in der Fisher-Relation mithin im Realzinsniveau nieder. Da in einem Umfeld moderater Preisniveauänderungsraten ein Inflationsausgleich nur in den längeren Laufzeitbereichen vollständig eingepreist ist, führten die Disinflationsprozesse zu einem asymmetrischen Absinken der Zinssätze entlang der LaufzeitStruktur und - bedingt durch die Fristentransformation - zugleich zwischen den Zinssätzen auf der Aktiv- bzw. Passivseite der Banken. Der stärkere Zinsrückgang in den längeren Laufzeiten bzw. auf der Aktivseite der Bankbilanzen führte zu einer Abflachung der zeitlichen Zinsstruktur bzw. der Zinsspanne bei den Kreditinstituten. Auch wenn die Einengung der Zinsspanne aus Sicht der Kreditinstitute die Wettbewerbssituation nachhaltig verschärfte, entstand ein gravierenderes Problem aus der unzureichenden Verstetigung der Wirtschafts- respektive der Geldpolitik. Der stabilitätsorientiertere Kurs der meisten Zentralbanken kann nicht darüber hinweg täuschen, dass die Geldpolitik - insbesondere in jenen Ländern, deren Notenbank wie das FED-System
Regulierung von Finanzmärkten: Ziele, Methoden und Reformerfordernisse
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der USA eine Mehrzielorientierung aufweist (siehe Görgens, Ruckriegel und Seitz 2008, S. 82) bzw. nicht hinreichend unabhängig ist - weiterhin unstetig war. Zunahme des weltweiten Finanzyermögens In den ersten acht Dekaden des letzten Jahrhunderts stieg das weltweite Finanzvermögen mit der gleichen Geschwindigkeit wie die reale Wirtschaft. Ausnahmen bildeten lediglich die Kriegsphasen mit dem höheren Finanzierungbedarf der Staaten. Seit den 1980er Jahren ist allerdings eine deutliche Abkoppelung von der Realwirtschaft zu beobachten. Wesentliche Determinanten bis zum Beginn der Finanzkrise waren die Entwicklung auf den Aktienmärkten und die private Verschuldung. Die nicht-finanziellen Unternehmen und Kreditinstitute waren verstärkt zur Außenfinanzierung ihrer Geschäftsaktivitäten Ubergegangen. Im Vorfeld der Finanzkrise betrug das weltweite Finanzvermögen ca. 194 Bio. USD, was 343 v.H. des weltweiten Bruttoinlandsprodukts entsprach (McKinsey Global Institute 2009, S. 8, siehe auch Michler und Seitz 2011).2 Mit dem steigenden Finanzvermögen nahm die Bedeutung großer Kapitalsammelstellen zu. Neben traditionellen Pensions- und Investmentfonds tauchten in den 1980er Jahren neue institutionelle Teilnehmer auf den Märkten auf. Hedge Funds, die Üblicherweise auf institutionelle Investoren und vermögende Individualkunden beschränkt waren, existierten zwar seit Ende der 1940er Jahre, dennoch nahm ihre Bedeutung erst nach 1980 zu. Diese Entwicklung wurde in vielen Ländern nicht zuletzt durch Regulierungen befördert. Ähnliches lässt sich auch für Private ü^Hify-Unternehmen formulieren. Die zunehmende Bedeutung von Staatsfonds auf den internationalen Finanzmärkten ist hingegen das Nebenprodukt der globalen Ungleichgewichte bzw. der hohen internationalen Kapitalströme.
2.2. Reaktionen der Finanzindustrie auf die geänderten Rahmenbedingungen Alle beschriebenen Anpassungsprozesse auf den Finanzmärkten führten zu einem verschärften Wettbewerbsumfeld und zugleich zu einer nachhaltigen Veränderung der Risikostrukturen von Finanzinstituten, respektive im Bereich der traditionellen Intermediationsleistungen, d.h. in der Hereinnahme von Einlagen und der gleichzeitigen Kreditvergabe. Die Intermediationsleistungen der Banken in Form der Fristen-, Größen- und Risikotransformation spiegelte sich im Spread zwischen den Kredit- und den Einlagenzinsen wider. Das Absinken der langfristigen Real- und Nominalzinsen führte zu einer trendmäßigen Einengung der Zinsspanne, die insbesondere bei einer phasenweisen Straffung der Geldpolitik noch verschärft wurde. Die Finanzinstitute sahen sich zunehmend gezwungen, ihre traditionelle Wettbewerbsstrategie zu Uberdenken und ihr Geschäftsmodell nicht mehr allein an den Zinseinnahmen auszurichten. Wie in anderen Branchen waren auch in der Finanzindustrie alternative Anpassungsstrategien denkbar; neben einer allgemeinen oder seg2
Nach einem durch die Finanzkrise bedingten Rückgang steigt das Finanzvermögen zurzeit mit geringerer Geschwindigkeit wieder sukzessive an und beträgt im zweiten Halbjahr 2012 ca. 225 Bio. USD, was etwa 312 v.H. des globalen Bruttoinlandsproduktes entspricht (McKinsey Global Institute 2013, S.2)
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mentspezifischen Verbesserung der Preis-Kosten-Relationen boten sich branchenweite bzw. segmentspezifische Differenzierungsstrategien an (siehe ausführlich Michler und Smeets 2013). Eine erfolgreiche Nischenstrategie, die auf spezielle Anforderungsprofile der Kunden eingeht, lässt sich durchaus in einzelnen Spezialfinanzierungsbereichen (Förderung von Rohstoffvorkommen, Schiffsfinanzierung etc.) erkennen. So gibt es nur wenige Kreditinstitute, die die technische Expertise mitbringen, um die Erfolgsaussichten von Großprojekten zuverlässig einzuschätzen. Diese Institute übernehmen häufig die Konsortialführung und vereinnahmen entsprechend zusätzliche Provisionen. Auch das Private Banking, d.h. das Geschäft mit besonders vermögenden Kunden, galt in der Branche bis vor wenigen Jahren als margen-stark. Der Charme liegt insbesondere in dem eigenkapitalschonenden Charakter des Geschäfts und der Möglichkeit, die schwankenden Zinseinnahmen durch steigende Provisionserlöse zu stabilisieren. Das Eindringen in diesen Markt gestaltete sich für Newcomer außerordentlich schwierig, setzte es doch einen hohen Ausbildungsstand bei den eigenen Mitarbeitern voraus. Zudem war das Geschäft traditionell zumeist bei kleineren, unabhängigen Privatbanken konzentriert und die Abwanderungsbereitschaft der Kunden begrenzt. In den letzten Jahren haben sich immer mehr Institute im Private Banking ausgedehnt. Dabei sank nicht nur das Anforderungsprofil an den potenziellen Private Banking-Kunden, sondern auch die realisierbaren Gewinnmargen, sodass heute in diesem Marktsegment insbesondere Uber die Frage von Kosteneinsparungen und standardisierten Betreuungskonzepten diskutiert wird. Eine reine Qualitätsführerschaft lässt sich in der Finanzindustrie in vielen Bereichen nur bedingt realisieren. Sicherlich gestatten spezielle Expertisen eine temporäre Monopolstellung bei der Bereitstellung neuer Produkte. Andererseits ist die Imitationsgeschwindigkeit im Finanzsektor extrem hoch. Ein erfolgreich im Markt platziertes Produkt lässt sich durch konkurrierende Unternehmen vergleichsweise einfach und kostengünstig nachbilden und binnen kürzester Zeit auf den Markt bringen. Folgerichtig konzentrierten sich die meisten Finanzinstitute auf eine Verbesserung ihrer Preis-Kosten-Relationen: (i) durch die Beseitigung vorhandener X-Ineffizienzen, (ii) durch die Nutzung von Skaleneffekten und Verbundvorteilen, (iii) durch die Nutzung der Regulierungsarbitrage, (iv) durch die Übernahme neuer Risiken sowie (v) durch die (gezielte) Ausnutzung von Informationsasymmetrien. Die Ausschöpfung der Skalen- und Verbundvorteile zeigte sich an einer Übernahmebzw. Fusionswelle innerhalb des Bankensektors und in der Neuausrichtung vieler Geschäftsmodelle, die neben den Zinseinnahmen zunehmend auf die Erzielung von Provisionen abgestellt wurden. Zur Hebung weiterer Verbundeffekte war dann der Aufbau von Allfinanz-Unternehmen zu beobachten, also insbesondere die Zusammenführung von Versicherungen und Banken. Zugleich zogen sich viele Kreditinstitute aus (scheinbar) unattraktiven Geschäftsfeldem wie dem Privatkundengeschäft bzw. aus der Fläche zurück. Für eine nachhaltige Verbesserung der Ertragssituation waren in vielen Kreditinstituten allerdings eine systematische Ausnutzung der unterschiedlichen
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„Regulierungsdichte" und der Aufbau umfangreicher Schattenbanksysteme erforderlich. Hierbei handelt es sich häufig um eine Kombination von Disintermediation im Bankensystem und Finanzinnovationen. Die Auslagerung von Krediten auf spezielle Refinanzierungs- bzw. Anlagevehikel (wie Zweckgesellschaften, Special Purpose Vehicel (SPV)), die sich durch die Platzierung von Anleihen finanzieren, führte zu einem hohen Volumen strukturierter Wertpapierprodukte. Mithilfe dieser Verbriefungstechniken konnten Banken ihre Forderungen bzw. ihre Risiken ausplatzieren. Dadurch wurden Vorgaben zur Eigenkapitalunterlegung von Kreditrisiken im Inland umgangen und das Kreditschöpfungspotenzial ausgeweitet. Aus Sicht der Investoren - zu einem großen Teil wiederum aus der Finanzbranche entstanden scheinbar hochliquide und gegenüber dem Engagement in traditionellen Anleihen gut diversifizierte Anlagemöglichkeiten, die zudem bei gleicher Risikoeinschätzung seitens der Rating-Agenturen eine höhere Rendite versprachen (vgl. Michler und Smeets 2011). Der Renditeaufschlag (spread pickup) stieg dabei mit zunehmender Komplexität der strukturierten Produkte und war somit in der Lage, den Verfall der Zinsmargen im traditionellen Kreditgeschäft (zumindest partiell) zu kompensieren. In den Zeiten stark schwankender Inflationsraten mit entsprechend stark ausgeprägten Zinsstrukturen und -spannen bei den Banken konnten sich die Kreditinstitute auf die Ausnutzung dieser Zyklen konzentrieren. Asymmetrische Anpassungsreaktionen bei geldpolitischen Maßnahmen (Aktivzinsen werden bei Leitzinserhöhungen schneller angepasst als Passivsätze; Passivzinsen werden bei Leitzinssenkungen schneller reduziert als Aktivsätze) konnten die Ertragslage weiter verbessern. Mithilfe eines professionellen Depot-A-Management waren die Banken zudem in der Lage, von Kursgewinnen bei Anleihen in Zinssenkungsphasen zu profitieren. In einem anhaltenden Niedriginflationsumfeld mit einhergehenden Niedrigzinsen entfallen diese Renditekomponenten. Eine Verbesserung der Renditeaussichten ist nur dann möglich, wenn private oder institutionelle Anleger mehr Risiken eingehen. Anstatt der Bepreisung des Inflationsrisikos stehen künftig Bonitätsprämien im Vordergrund. Das Risikomanagement ist in einem solchen Anlageumfeld deutlich schwieriger als in der Vergangenheit, in der man sich auf das makroökonomische Inflationsrisiko konzentrieren konnte. Eine wesentliche Eigenschaft von Finanzgeschäften ist die asymmetrische Informationsverteilung zwischen den Marktteilnehmern. Die dadurch auftretenden Probleme sollen eigentlich durch die Intermediationsleistungen der Finanzinstitute reduziert bzw. völlig beseitigt werden und begründen erst die Existenz dieser Institutionen. Andererseits besteht aus Sicht des einzelnen Finanzinstituts der stete Anreiz, vorhandene Informationsvorspriinge zu Lasten anderer Marktakteure auszunutzen. In einer - durch das Niedrigzinsumfeld - zunehmend schwieriger werdenden Ertragslage überwiegen die potenziellen Erträge aus der Ausnutzung derartiger Informationsasymmetrien zunehmend die damit einhergehenden Kosten (beispielsweise die Reputationskosten bei der Aufdeckung entsprechender Aktivitäten).
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3.
Albrecht F. Michler und H. Jörg Thieme
Gründe für eine staatliche Regulierung der Finanzmärkte
Staatliche Eingriffe in ein Finanzsystem lassen sich wie alle wirtschafte- respektive ordnungspolitischen Aktivitäten in einer Marktwirtschaft mit der Existenz von Marktunvollkommenheiten motivieren, in der Hoffnung, dass diese Korrekturmaßnahmen die suboptimalen Marktergebnisse partiell bzw. vollständig beseitigen. Hierbei lassen sich drei Gründe für staatliche Interventionsmaßnahmen anführen (Goodhart u.a. 1998): — Asymmetrische Informationen: Kunden, insbesondere viele private Haushalte, sind aufgrund fehlender bzw. unzureichender Informationen nicht in der Lage, die Bonität von Finanzinstitutionen zuverlässig einzuschätzen. Die auf vielen anderen Märkten bestehende effektive Kontrolle durch die Marktgegenseite funktioniert mithin auf den Finanzmärkten nur rudimentär. Folgerichtig sind staatliche Regulierungen erforderlich, um Finanzinstitutionen hinreichend zu disziplinieren. — Marktmacht von Finanzinstitutionen: Zunehmende Fusionsaktivitäten haben in den letzten Dekaden einen deutlichen Konzentrationsprozess auf den Finanzmärkten mit entsprechenden Auswirkungen auf die Wettbewerbsintensität ausgelöst. Staatliche Eingriffe sind erforderlich, um die Marktmacht einzelner Finanzinstitute zu begrenzen und weitere Konzentrationsprozesse zu vermeiden. — Externalitäten aufgrund von Finanzmarktinstabilitäten: Die gefährliche Kombination von Liquiditätsrisiken und vorhandenen Informationsasymmetrien führen zu einer inhärenten Instabilität des Finanzsystems. Unerwartete Entwicklungen auf den Finanzmärkten führen rascher zum Ausfall einzelner Marktakteure als in anderen Branchen. Aufgrund der engen Verflechtungen von Finanzinstitutionen besteht zudem eine höhere Ansteckungs-gefahr innerhalb der Finanzindustrie. Folgerichtig können sich Störungen bei einzelnen Institutionen vergleichsweise rasch auf das gesamte Finanzsystem übertragen und erfassen in Folge den realwirtschaftlichen Sektor. Die gesellschaftlichen Kosten eines insolventen Marktakteurs können die privaten Kosten also bei weitem übersteigen. — Die Finanz(markt)stabilität kann als öffentliches Gut betrachtet werden (Haan, Osterloo und Schoenmaker 2009). Die Akteure auf den Finanz-, Faktor- und Gütermärkten profitieren von dieser Stabilität: Rivalität im Konsum und der Ausschluss einzelner Marktteilnehmer zu vertretbaren Kosten sind nicht möglich. Die Finanz(markt)stabilität beschränkt sich hierbei nicht allein auf die Abwehr von Finanzkrisen, sondern impliziert zugleich die optimale Ressourcenallokation, indem beispielsweise Kreditinstitute ihre Intermediationsleistungen störungsfrei bereitstellen können.
4.
Aktuelle Entwicklungen in der Finanzmarktregulierung
4.1. Anforderungen an eine effektive Regulierung der Finanzmärkte Eine effektive Regulierung sollte auf einigen wenigen, aber .guten' Regeln basieren, die folgende Eigenschaften erfüllen:
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— Die Allokations- und Sanktionsfunktionen der Finanzmärkte bleiben weitgehend erhalten, d. h. die Preise auf den Märkten werden nicht verzerrt, und die Möglichkeit eines jederzeitigen Markteintritts bzw. -austritts ist sichergestellt. — Funktionierende Wettbewerbsstrukturen dürfen nicht beeinträchtigt werden. — Die Implementierungskosten bei der Einfuhrung neuer Regeln sollten begrenzt sein und dürfen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zugunsten bzw. zulasten einzelner Finanzinstitute - respektive kleinerer Marktteilnehmer - führen. — EinfUhrungs- bzw. Übergangsregelungen mUssen klar kommuniziert werden, und die laufende Anwendung der Regeln darf nur geringe Interpretationsspielräume aufweisen. — Die laufenden Überwachungskosten müssen begrenzt werden. — Eine hohe Transparenz sowie eine zeitnahe Bereitstellung aller relevanten Daten zur Überprüfung der Regeleinhaltung mUssen gewährleistet werden. — Im Fall von Regelverstößen mUssen klare, a priori kommunizierte und nicht verhandelbare Sanktionsmaßnahmen und Anpassungsprozesse wirksam werden. Zur Vermeidung von Regulierungsarbitrage und Sicherstellung eines level playing fields müssen die Regeln auf alle relevanten Marktteilnehmer angewandt werden; sie dürfen nicht auf Kreditinstitute beschränkt sein, sondern sollten andere Finanzinstitutionen und unter Umständen auch nicht-finanzielle Unternehmen berücksichtigen. Die Durchsetzung der Regeln erfordern Regulatoren, die ähnlich wie Zentralbanken institutionell, finanziell und personell unabhängig sind. Zur Vermeidung von Zielkonflikten, die sich aus anderen Aufgabenbereichen von Zentralbanken - respektive dem Ziel der Preisniveaustabilität - ergeben, sollten die Notenbanken nicht zugleich als Regulierungsbehörde agieren. Andererseits sollte die Zahl der Regulierungsinstitutionen begrenzt werden, um Kompetenzkonflikte und Möglichkeiten zur Regulierungsarbitrage zu vermeiden.
4.2. Regulierungsmaßnahmen in den USA: Der Dodd-Frank-Act Im Sommer 2010 hat der US-Senat die künftige Ausgestaltung der Finanzmarktregulierung in den USA auf den Weg gebracht. Die Zielsetzungen des sog. Dodd-Frank-Act wurden vom zuständigen Senatsausschuss (US Senate Committee on Banking, Housing, Urban Affairs 2010) wie folgt zusammengefasst: — Durch die Etablierung eines unabhängigen Consumer Financial Protection Bureau (CFPB) mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen soll der Verbraucherschutz nachhaltig gestärkt werden. — Durch neue Eigenkapital- und Leverage-Anforderungen, ein neues Insolvenzverfahren für Banken, verstärkte Durchgriffsrechte der US-Notenbank und die Etablierung rigoroser Standards und Überwachungsmaßnahmen soll die Gefahr künftiger Too big to/aiZ-Bailouts reduziert werden. — Der neue Financial Stability Oversight Council (FSOC) soll systemische Risiken mithilfe eines verbesserten Frühwarnsystems rechtzeitig identifizieren und Gegenmaßnahmen einleiten.
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— Durch die Beseitigung von vorhandenen Regulierungslucken sollen die Transparenz und Rechnungslegung von exotischen Finanzinstrumenten - respektive OTCDerivaten, ABS-Strukturen, Hegde Funds und Mortgage Brokers - verbessert werden. — Durch Regeln für die Vergütung von Vorständen und eine verbesserte Unternehmensfiihrung soll die Risikobereitschaft von Entscheidungsträger eingegrenzt werden. — Durch neue Transparenz- und Rechenschaftsregeln für Rating-Agenturen soll der Investorenschutz gestärkt werden. — Die Aufsichts- und Durchgriffsrechte der Regulatoren sollen bei Betrugsfällen, Marktmanipulationen oder im Fall von Interessenskonflikten gestärkt werden. Der Dodd-Frank-Act lässt kein geschlossenes Gesamtkonzept zur Regulierung der US-Finanzmärkte erkennen (siehe dazu Deutsche Bank Research 2010). Der Act etabliert eine heterogene Sammlung von Regeln, mit denen sehr unterschiedliche ökonomische und politische Ziele verfolgt werden. Unterschiedliche Regulierungsinstrumente werden sowohl innerhalb eines Marktes als auch zwischen einzelnen Marktsegmenten eingesetzt. Die Regulierung beschränkt sich allerdings schwerpunktmäßig auf den Bankensektor, während die Versicherungsbranche kaum erfasst wird. Divergierende Regulierungen für einzelne Akteure im Bankensektor erhöhen zudem die Gefahr der Regulierungsarbitrage: Von einem level playing field ist die Finanzbranche in den USA weit entfernt. Die Implementierung der Regeln erfolgt nach einem komplexen Zeitplan, sodass die quantitativen Einflüsse der Regulierungen weder ex ante noch ex post zuverlässig gemessen werden können und eine Nachjustierung erheblich erschweren. Da die überwiegende Zahl der Bestimmungen im Dodd-Fank-Act noch nicht hinreichend präzisiert wurde, sind zusätzliche Gesetzgebungsverfahren in den kommenden Jahren sowie die Etablierung weiterer Regeln erforderlich. Im Ergebnis werden Umfang und Komplexität des Regelbuchs deutlich zunehmen. Die Zahl der Überwachungsinstitutionen wird - trotz gegenteiliger Beteuerungen der Ofcama-Administration - ansteigen, und die Kompetenzprobleme zwischen den einzelnen Regulatoren werden zunehmen. Das Problem wird dadurch verschärft, dass die Regulierungen mit bestehenden Gesetzen und Verordnungen der einzelnen US-Bundesstaaten kollidieren. Auch die Regulierung von ausländischen Kreditinstituten ist nicht abschließend geklärt, obwohl die US-Regulatoren starke Durchgriffsrechte haben und die Institute notfalls schließen können. Die Unsicherheiten beziehen sich insbesondere auf den Regulierungskreis: Unterliegen lediglich die Geschäfte der US-amerikanischen Tochterunternehmen dem US-Regelwerk, oder implizieren die Regeln des Dodd-Frank-Act auch den Durchgriff auf die Geschäftsaktivitäten in anderen Ländern respektive auf die Aktivitäten im Heimatmarkt des jeweiligen Kreditinstituts? Auch wenn aus Sicht der US-Behörden ein weiter Regulierungskreis wünschenswert wäre, besteht die Gefahr, dass diese Kreditinstitute unter Umständen unterschiedlichen Regelwerken unterliegen. Da der Dodd-Frank-Act nicht ausreichend mit dem Regelwerk von Basel III abgestimmt ist, könnten sich für diese Kreditinstitute auf einzelnen Märkten Wettbewerbsnachteile ergeben (zum Vergleich der Regulierungssysteme siehe Masera 2012).
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Positiv beim Dodd-Frank-Act bleibt anzumerken, dass die Regulierungen das makroprudenzielle Ziel der Finanz(markt)stabilität in den Fokus stellt. Sowohl Banken als auch andere Finanzinstitutionen unterliegen der laufenden Überwachung, sofern von ihnen ein systemisches Risiko ausgehen könnte. Großbanken und andere systemrelevante Institutionen unterliegen zudem weiteren Regeln. Ferner wird ein neues Insolvenzverfahren für Too Big to /aiY-Banken (TBTF-Institute) bereitgestellt, das - als Alternative zum Liquidationsprozess nach Chapter 7 des US-Insolvenzrechts - eine geordnete Abwicklung in Not geratener Banken gewährleisten soll.
4.3. Die Weiterentwicklung der Baseler Eigenkapitalvorschriften Vor dem Hintergrund der Finanzkrise von 2007/2008 und ihrer Folgewirkungen für die RealWirtschaft wurde das aufsichtsrechtliche Regelwerk von Basel weiterentwickelt und im Dezember 2010 eine vorläufige Endfassung veröffentlicht. Die Vorschriften von Basel III sollen ab 2013 sukzessive in Kraft treten. Ziel ist es, die Widerstandsfähigkeit des Bankensektors gegenüber Schocks aus Stresssituationen zu stärken, das Risikomanagement und die Leitungsstrukturen in Banken zu verbessern sowie die Transparenz und Offenlegungspflichten von Banken zu erhöhen. Die angestrebten Reformen erfassen sowohl die mikro- als auch die makroprudenzielle Ebene: Durch eine erhöhte Widerstandsfähigkeit von einzelner Instituten soll das systemische Risiko verringert werden. Das Reformpaket umfasst dabei folgende Grundelemente (siehe dazu die kompkaten Darstellungen bei Becker und Peppmeier 2011 sowie Eilenberger 2012): 3 , 4 — Die Qualität des Eigenkapitals von Kreditinstituten soll deutlich verbessert werden (siehe Tabelle 1). Das harte Kernkapital (core tier 1) soll mindestens 4,5 v.H. der risikogewichteten Aktiva betragen (bislang 2 v.H.). — Die Mindestkapitalanforderungen mit speziellen Anforderungen an das harte Kernkapital sollen erhöht werden. Die künftige Mindestkapitalquote soll 10,5 v.H. (bisher 8 v.H.) betragen. — Die Banken sollen in wirtschaftlich guten Zeiten ein Eigenkapitalpolster (Kapitalerhaltungspuffer und anti-zyklischer Puffer) aufbauen, auf das sie im Stressfall zurückgreifen können. — Es soll eine risikounabhängige Höchstverschuldungsquote (Leverage Ratio) eingeführt werden, die das Fremdfinanzierungsvolumen begrenzt (Schuldenbremse).
3
4
Einen umfassenden Leitfaden zu den neuen Regeln findet sich bei der Deutschen Bundesbank (2011) und in den Publikationen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (z.B. bei Hannoun 2010). Die Umsetzung in der Europäischen Union wird Uber Änderungen der Capital Requirements Directive (CRD) erfolgen und soll ab dem Jahr 2013 schrittweise in Kraft treten. Aus heutiger Sicht (Herbst 2012) wird die Einhaltung der verschärften Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften in Deutschland frühestens ab Juli 2013 von der Bundesbank und der Finanzaufsicht BaFin eingefordert. Bei einigen Regeln - beispielsweise bei den Liquiditätskennziffein - sind Beobachtungsphasen vorgesehen, so dass die endgültige Ausgestaltung noch nicht feststeht.
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— Die Risiken aus Handelsgeschäften, Verbriefungen sowie außerbilanziellen Positionen und Derivaten sollen besser abgesichert werden. — Die Standards für den aufsichtsrechtlichen Überprüfungsprozess (Säule 2 von Basel Π) und für die weitere Offenlegung (Säule 3) sollen angehoben werden. Zudem sind weitere Richtlinien in den Bereichen Bewertungspraxis, Stresstest, Liquiditätsrisiko, Führungsstruktur und Vergütung vorgesehen. — Für systemrelevante, international verflochtene Banken sollen Sonderregelungen festgelegt werden. — Es sollen globale Standards für die Mindestliquidität von Instituten eingeführt werden. Tabelle 1: Zeitplan von Basel ΙΠ für die Mindestkapitalquoten und Kapitalpuffer Kapitalbestandteil (in v.H.)
2013
2014
2015
2016
2017
2018
2019
Mindestquote hartes Kernkapital (core tier 1 / common equity)
3,5
4,0
4,5
4,5
4,5
4,5
4,5
0,625
1,25
1,875
2,5
Kapitalerhaltungspuffer (hartes Kemkapital) Zusätzliches Kernkapital (weiches Kernkapital)
1,0
1,5
1,5
1,5
1,5
1,5
1,5
Ergänzungskapital (tier 2)
3,5
2,5
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
Mindesteigenkapital einschließlich Kapitalerhaltungspuffer
8,0
8,0
8,0
8,625
9,25
9,875
10,5
Anmerkung: Die nationale Bankenaufsicht kann den Aufbau eines antizyklischen Kapitalpuffers in Höhe von 0 v.H. bis 2,5 v.H. bei einem sehr hohen Wirtschaftswachstum und Wachstum des Kreditvolumens einfordern. Der Abbau wird von der Bankenaufsicht genehmigt, wenn sich stabilitätsgefährdende Verluste im Bankensystem ergeben.
Quelle: Deutsche Bundesbank (2011, S. 19). Zentrales Element des Reformpakets ist die Steigerung der Qualität des aufsichtlichen Kapitals, insbesondere des harten Kernkapitals. Zum harten Kemkapital gehören bei Aktiengesellschaften das eingezahlte Gesellschaftskapital sowie die Gewinnrücklagen; bei Genossenschaftsbanken gehören dazu die Genossenschaftsanteile und bei den öffentlich-rechtlichen Sparkassen die stillen Einlagen. Die Bedeutung hybrider Kapitalbestandteile soll hingegen zurückgefahren werden. Hierbei handelt es sich um Kapital, das sowohl Eigenkapital- als auch Fremdkapitalmerkmale aufweist. In der Finanzkrise stellte sich heraus, dass dieses Kapital zum Verlustausgleich nur beschränkt zur Verfügung stand. Mit der Einführung eines Kapitalerhaltungspuffers werden die Banken verpflichtet, über die Mindestkapitalanforderungen hinaus in .guten' Zeiten einen Kapitalpuffer aufzubauen. Dieser Puffer dient dann in schlechten Phasen dazu, Verluste aus dem Geschäftsbetrieb aufzufangen und kann teilweise bzw. sogar vollständig abgeschmolzen werden. Neben den Eigenkapitalregeln befasst sich Basel III mit der Einführung von Kennziffern zum Liquiditätsrisiko und zur Verschuldungsbegrenzung. Durch die Einhaltung globaler Mindestliquiditätsstandards soll sichergestellt werden, dass die Kreditinstitute
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bei ihrer Mittelbeschaffung widerstandsfähiger gegen kurzfristige Störungen werden und vorhandene längerfristige strukturelle Liquiditätsinkongruenzen besser steuern können. Dieses Ziel soll mithilfe von zwei Liquiditätskennziffern erreicht werden. Die Liquiditätsdeckungsquote (Liquidity Coverage Ratio; LCR) erstreckt sich auf einen Zeitraum von 30 Tagen. Sie setzt den Bestand an hochliquiden Aktiva in das Verhältnis zu den Netto-Zahlungsverbindlichkeiten. Damit soll gewährleistet werden, dass die Institute über genügend hochliquide Vermögenswerte verfugen, um ein Liquiditätsstressszenario zu bewältigen. Die strukturelle Liquiditätsquote {Net Stable Funding Ratio; NSFR) ist eine langfristig ausgerichtete Finanzierungskennziffer, die sich auf einen Zeithorizont von einem Jahr bezieht. Die Quote erfasst die gesamten Bilanzpositionen und soll einer zu starken Abweichung in der Fristenkongruenz zwischen Aktiva und Passiva entgegenwirken, also die Fristentransformationsfunktion von Kreditinstituten eingrenzen. Die Höchstverschuldungsquote (Leverage Ratio) dient als korrigierende Ergänzung zu den risikobasierten Eigenkapitalanforderungen. Diese nicht risikosensitive Regel soll verhindern, dass die Kreditinstitute - trotz der Einhaltung der regulatorischen Mindestkapitalanforderungen - eine übermäßig hohe Verschuldung aufbauen. Die Ausgestaltung der Höchstverschuldungsquote ist noch nicht endgültig verabschiedet. Übergangsweise ist eine Begrenzung auf das 33,3-fache des gesamten Kemkapitals (3 v.H. der Bilanzsumme) vorgesehen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass durch die modifizierten Regeln von Basel III die regulatorischen Rahmenbedingungen weiter an Komplexität gewinnen. Ob das neue Regelwerk besser geeignet ist, künftige Finanzkrisen zu vermeiden, bleibt fraglich. Betrachtet man beispielsweise die Leverage Ratio, lässt sich nicht erkennen, dass Kreditinstitute mit einer hohen Verschuldungsquote in der Finanzkrise besonders anfällig waren. Empirische Tests für die USA, wo diese Quoten seit Jahren ermittelt werden, liefern keine eindeutigen Zusammenhänge. Zudem dürfte die Höchstverschuldungsquote in der Zukunft neuerliche Anreize setzen, Aktivpositionen aus den Bankbilanzen zu nehmen und in Schattenbanken zu platzieren. Ferner werden Hypothekenbanken mit einem vergleichsweise risikoarmen Geschäftsmodell aber einem hohen Leverage Ratio gezwungen, ihre Kreditvergabe zu begrenzen. Auch die beiden Liquiditätskennziffem sind kritisch zu betrachten; dies gilt insbesondere für die strukturelle Liquiditätsquote, die im Ergebnis die Fristentransformation der Kreditinstitute stark limitiert. Angesichts der bereits sehr engen Zinsspannen dürfte die Begrenzung der Fristentransformation die angespannte Ertragslage vieler Kreditinstitute noch weiter verschärfen. Als Ausweg bliebe nur die Generierung zusätzlicher Erträge (Prämien) aus der Übernahme weiterer Risiken. Diese Vorgehensweise wird einerseits durch die Eigenkapitalunterlegungsvorschriften gedeckelt und ist andererseits im Sinne einer Stärkung der Finanzmarktstabilität wirtschaftspolitisch unerwünscht. Auch im Hinblick auf die Wirksamkeit der beiden Liquiditätskennziffern bleiben erhebliche Zweifel. Als hochliquide Aktiva, die beispielsweise in der Liquiditätsdeckungsquote in das Verhältnis zu den Netto-Zahlungsverbindlichkeiten gestellt wer-
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den, „tauchen" insbesondere Staatsanleihen auf. Sicherlich konnten griechische Staatsanleihen auch kurz vor dem durchgeführten Schuldenschnitt (hair cut) im März 2012 weiterhin ohne große Probleme auf den Märkten gehandelt werden; es stellt sich aber die Frage, zu welchem Preis und ob die erzielbaren Erlöse bei der Erfüllung von Zahlungsverbindlichkeiten in Stressphasen wirklich helfen. Interessant ist auch, dass der Kreis der liquiden Aktiva kleiner als der Kreis der EZB-fähigen Sicherheiten ist. Eine Anpassung der Regeln an die Marktgegebenheiten wäre sicherlich wünschenswert. Es muss befürchtet werden, dass die Fehler der Vergangenheit wiederholt werden, als man auf eine Eigenkapitalunterlegung von Staatsanleihen aus der Eurozone verzichtet hat. Inwieweit es sich tatsächlich um einen handwerklichen Fehler handelt, ist allerdings mehr als fraglich. Vielmehr spricht einiges dafür, dass die Länder mithilfe von Regulierungsmaßnahmen bewusst versuchen, die Attraktivität von Staatsanleihen gegenüber alternativen Anlageklassen zu erhöhen, um eine leichtere und kostengünstigere (Re)finanzierung ihrer Schulden zu gewährleisten und somit die in der europäischen Staatsschuldenkrise zu beobachtenden Probleme zu reduzieren. Zugleich werden andere Asset-Klassen - insbesondere jene, die einen gewissen Schutz gegen inflationäre Entwicklungen bieten könnten - stärker belastet (z.B. zunehmende Abgabenlast beim Erwerb und Besitz von Immobilien), und der Wechsel zwischen den Asset-Klassen wird durch die geplante Einführung einer Finanztransaktionssteuer verteuert (siehe dazu Michler und Penatzer 2012). Bei einer Bevorzugung von Staatsanleihen in den Kreditbzw. Anlageportfolios von Banken, Versicherungen und privaten Haushalten führen in einem Niedrigzinsumfeld bereits moderate Inflationsraten zu einem raschen Rückgang der Staatsschuldenquote. Die öffentliche Schuldenlast wird über zwei Kanäle abgesenkt: (i) aufgrund der niedrigen Nominalzinsen sinken die Kosten für den Schuldendienst und (ii) zugleich etablieren sich bei ausreichender Inflation negative Realzinsen, welche die Schuldenstandsquote sukzessive .aushöhlen'. Im Ergebnis wird der Sparer besteuert. Diese Strategie der sog. Financial Repression wurde in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgreich angewandt. Die Staatsschuldenquote sank zwischen 1945 und 1955 von 116 v.H. des Bruttoinlandsprodukts auf 66 v.H., obwohl zeitgleich die nominale Staatsverschuldung weiter anstieg. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die neu angedachten Regeln bereits eine Vielzahl von Mängeln erkennen lassen und im Zweifelsfall in den kommenden Jahren deutliche Fehlanreize im Finanzsektor setzen. Diese bleiben dabei nicht auf den Bankensektor beschränkt, da sich ähnliche Probleme auch für die Versicherungsbranche über Solvency II abzeichnen. Hierbei besteht insbesondere die Gefahr, dass sich durch die Regulierungsmaßnahmen die Gesamtstruktur des Finanzsektors nachhaltig verändert und die erforderlichen kurz- und mittelfristigen Strukturanpassungsprozesse in der Übergangsphase die Finanzmarktstabilität eher gefährden als stärken. Auch die Forderung nach einer überschaubaren Zahl von Regulierungs- bzw. Überwachungsinstitutionen wird weder in den USA noch in Europa erfüllt.5 Neben dem neuen Regelwerk wird in Europa eine Vielzahl neuer Institutionen etabliert. So werden 5
Eine Übersicht der US-Regulierungs- und Überwachungsinstitutionen findet sich bei Deutsche Bank Research (2010).
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Banken, Wertpapiermärkte und Versicherungen seit dem Jahr 2011 einer grundlegenden neuen EU-Finanzaufsicht unterworfen. Die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (European Banking Authority, EBA) soll bestehende Streitigkeiten zwischen nationalen Aufsichtsbehörden schlichten und die Koordinierung zwischen den Behörden übernehmen. Neben der EBA in London haben die Europäische Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde (European Securities and Markets Authority, ESMA) in Paris und die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (European Insurance and Occupational Pensions Authority, EIOPA) in Frankfurt/M. ihre Arbeit aufgenommen. Der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (European Systemic Risk Board, ESRB) soll die Finanzmärkte beobachten und die Koordination der Aufsichtsbehörden sicherstellen (vgl. auch Michler und Smeets 2013). Im Juni 2012 wurden seitens der EU-Kommission erneut die Pläne fur eine zentrale Bankenaufsicht im Rahmen der angedachten Bankenunion vorgelegt. Demzufolge soll die Europäische Zentralbank sukzessive die Aufsicht Uber alle Banken in der Eurozone übernehmen.6 Dieser Vorschlag widerspricht damit eindeutig den zuvor dargestellten Überlegungen zur Vermeidung potenzieller Zielkonflikte, die eine strikte Trennung von Notenbank und Regulierer einfordern.
5.
Vorschläge für eine effiziente Regulierung der Finanzmärkte
Wie die Analyse der kurzfristigen, hektischen Krisenaktivitäten der europäischen Wirtschaftspolitik verdeutlicht, ist schon heute ein nahezu unüberschaubarer Flickenteppich von Regulierungsmaßnahmen und zahlreichen Prozesseingriffen auf den Finanzmärkten entstanden. Viele der Maßnahmen (z.B. Basel III), die die Systemstabilität der Finanzmärkte in der Zukunft verbessern und die einzelnen Finanzinstitute krisenfester machen sollen, sind noch nicht wirksam oder in ihren Wirkungen noch nicht überschaubar. Je isolierter die einzelnen Baustellen auf den Finanzmärkten sind, umso wahrscheinlicher werden Arbitrageprozesse der Marktteilnehmer und neue, nicht absehbare Ausweichprozesse initiiert. Im Ergebnis werden neue staatliche Interventionen folgen, deren Konsequenzen wiederum nicht vorhersehbar sind. Die meisten der zurzeit diskutierten Regulierungsvorschläge sind ad hoc aus der Not der aktuellen Finanzkrise geboren und langfristig kaum geeignet, die Regulierungsziele (Sicherung der Stabilität des Finanzsystems, Allokationseffizienz und Verteilungsgerechtigkeit) zu realisieren (Michler und Thieme 2009, S. 212 ff.). Viele der Regulierungen resultieren aus der unterstellten inhärenten Instabilität von Finanzmärkten, deren .natürliches' Versagen nur durch staatliche Regulierungsmaßnahmen verhindert werden kann. „Natürliche" Asymmetrien sind auf den Finanzmärkten sicherlich vorhanden, ins-
6
Mit dem Begriff der Bankenunion werden auf europäischer Ebene meist folgende Maßnahmen eingefordert: (i) eine Finanzaufsichtsbehörde mit Entscheidungsmacht für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, (ii) die Möglichkeit, Finanzhilfen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) direkt an in Not geratene Kreditinstitute zu vergeben anstatt diese an Staaten zu leisten, (iii) ein Zusammenschluss aller nationalstaatlichen Einlagensicherungssysteme der Banken.
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besondere Informationsasymmetrien, weil die Kreditnachfrager besser informiert sind über die Möglichkeit und die Bereitschaft zur Kredittilgung als die Kreditanbieter. Diese Asymmetrien rechtfertigen häufig erst die Existenz von Finanzintermediären und können durch geeignete Maßnahmen (Risikoanalysen, Risikozuschläge etc.) im Finanzsektor reduziert werden. Systemgefährdende inhärente Instabilitäten der Finanzmärkte lassen sich daraus nicht ableiten. Die längerfristigen Rahmenbedingungen der Finanzmärkte neu zugestalten, ist nicht nur eine mikroökonomische Aufgabe, also Regeln für einzelne Finanzinstitute zu etablieren (mikroprudenzielle Regulierung), sondern auch eine makroökonomische Problemstellung. Stabilitätspolitik Alle Anstrengungen - mithilfe einer präventiven Politik - , Finanzmarktstabilität zu sichern, scheitern, wenn es nicht gelingt, alle gesamtwirtschaftlichen Marktprozesse, also auch die des realen Sektors, zu stabilisieren. Wie die jüngsten Finanzkrisen zeigen, sind es insbesondere finanz- und geldpolitische Eingriffe des Staates, der in den jeweiligen Ländern durch mehr oder weniger ausgeprägte ,stop and go'-Strategien Fehlanreize ausgelöst und zyklische Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivitäten (mit-)verursacht hat. Die Rückkehr zu einer moderaten Haushaltspolitik des Staates (Vermeidung zyklischer Verschuldungsorgien des Staates, systematischer Abbau der Staatsschulden) und insbesondere zu einer verstetigten Geldpolitik, die die relevanten Geldmengenaggregate nur im Umfang des durchschnittlichen gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachses wachsen lässt, sind dringend geboten. Die Strategie- und Politikwechsel der Geldpolitik in einigen Ländern (USA, Großbritannien) hin zu einem modifizierten inflation targeting haben die Stabilität der Finanzmärkte sicherlich nicht befördert, sondern das Krisengeschehen begünstigt (SubprimeKrise in den USA; siehe Michler und Thieme 2009). Auch die sogenannte Eurokrise seit 2009 ist nicht dem Versagen der Finanzmärkte anzulasten, sondern im Wesentlichen auf das staatliche Kreditgebaren (Überschuldung der PÜGS-Staaten) und die Unfähigkeit von Bankmanagern insbesondere von öffentlichen Kreditinstituten wie den Landesbanken zurückzuführen. Diese stabilitätspolitischen Aspekte der Sicherung von Finanzmarktstabilität wurden in der Wirtschaftspolitik und hauptsächlich in der makroökonomischen main siream-Diskussion der vergangenen Jahre sträflich vernachlässigt. Ein umfassender Lernprozess ist bei den wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgem angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Eurozone allerdings nicht erkennbar. So übernimmt die EZB zunehmend Aufgaben, für die sie weder über ein Mandat noch über das geeignete Instrumentarium verfügt. Konnte der vorübergehende Ankauf von Staatsanleihen aus den Krisenländern im Jahr 2010 noch halbwegs mit den Verzögerungen bei der Etablierung der Rettungsschirme begründet werden, lässt sich die Bereitschaft der Europäischen Zentralbank vom September 2012, unter bestimmten Bedingungen unbegrenzt Staatsanleihen am Markt aufzukaufen, kaum noch rechtfertigen. Die Ankündigung führte zwar kurzfristig zu einer Beruhigung auf den Finanzmärkten, langfristig setzt sie aber das falsche Signal, da die Anreize zu einem verstärkten
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Schuldenabbau zunehmend verwässert werden.7 Dabei darf nicht verkannt werden, dass die EZB bereits mit ihren langfristigen Refinanzierungsgeschäften (long-term refinancing operations, LTRO) im Dezember 2011 und März 2012, bei denen sie den Kreditinstituten für drei Jahre netto mehr als 800 Mrd. EUR zusätzlich bereitgestellt hat, de facto eine versteckte Staatsfinanzierung vornimmt. Die zusätzlichen liquiden Mittel wurden im Wesentlichen von Banken aus den Krisenländern abgerufen und zu einem nicht unerheblichen Teil wieder in Staatsanleihen dieser Länder investiert. Damit verwischen zunehmend die Grenzen zwischen der Geld- und Finanzpolitik. Es ist auch nicht verwunderlich, dass diese ,Finanzspritzen' kaum in der Lage sind, die Realwirtschaft in den Krisenländern - im Sinne des traditionellen Transmissionsprozesses monetärer Impulse - anzukurbeln. Aus Sicht der Finanzinstitute besteht kein zusätzlicher Anreiz, Kredite an nicht-finanzielle Unternehmen zu vergeben, insbesondere dann nicht, wenn angesichts der konjunkturellen und strukturellen Probleme der betroffenen Volkswirtschaften die Kreditausfallquoten tendenziell ansteigen. Stattdessen investiert man in die (sicheren) Staatsanleihen, bei denen man attraktive Zinsspannen realisieren kann, wenn man den Abstand zwischen dem Hauptrefinanzierungssatz der EZB und den Benchmark-Renditen der entsprechenden Staatsanleihen als Maßstab zugrunde legt. Käme es zu Kreditausfällen bei den Staatsanleihen, würden die Banken - unabhängig vom Ausmaß ihres Engagements in Staatsanleihen - mit in den ,Abgrund' gerissen. Vor diesem Hintergrund besteht folgerichtig auch kein Anreiz, das Engagement zu limitieren. Seitens der nationalen Regulatoren ist auch nicht zu erwarten, dass sie die Kreditinstitute im Rahmen eines soliden Kreditrisikomanagements anhalten, das Anlagevolumen in Staatsanleihen zu reduzieren. Sofern die Strategie der Banken erfolgreich ist, d.h. wenn hohe Zinsspannen ohne Kreditausfälle realisiert werden, würde sich ihre Gewinnsituation und damit ihre Eigenkapitalausstattung im Sinne von Basel III deutlich verbessern. Dieser - unter dem Aspekt der künftigen Finanzmarktstabilität - zunächst positive Effekt hat allerdings einen unangenehmen Beigeschmack. Da die Regulatoren und Wirtschaftsprüfer in den anderen Ländern der Eurozone - respektive in Deutschland - Anlagen in Staatsanleihen der Krisenländem aufgrund des enormen Kreditausfallrisikos deutlich skeptischer beurteilen, können die Finanzinstitute in diesen Ländern nicht im gleichen Ausmaß von den „attraktiven" Zinsspannen profitieren. Im Ergebnis würde die EZB mit ihrer unangemessenen Geldmengenversorgung eine noch nicht abschätzbare Wettbewerbsverzerrung mit entsprechenden Struktuianpassungen in den kommenden Jahren erzeugen. Die makroökonomischen Strukturprobleme der betroffenen Länder werden hingegen mit den geldpolitischen Maßnahmen in keiner Weise gelöst; sie bedürfen vielmehr eines tiefgreifenden realwirtschaftlichen Wandels in den Volkswirtschaften der Krisenländer. Makroprudenzielle Regulierung Die Erfahrungen mit der jüngsten Finanzkrise haben die Sichtweise in Politik, internationalen Organisationen und in der Wissenschaft verändert: Identifiziert wurden 7
Die mangelnde Anreizkompatibilität gilt in gleicher Weise auch für die Emission von Eurobonds, die de facto bereits in begrenzter Form durch die Hintertür in Form von EFSF- bzw. ßSM-Anleihen etabliert wurden.
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die Systemrisiken der Finanzmärkte, gesucht systemrelevante (-gefährdende) Finanzinstitute, beobachtet das Finanzsystem als Ganzes, einschließlich der Wechselwirkungen zwischen finanziellem und realen Sektor einer Marktwirtschaft (International Monetary Fund 2011, S. 11). Diese Sicht wird von vielen als völlig neue Politikperspektive betrachtet, und die aus ihr resultierenden Maßnahmen werden als makroprudenzielle Regulierung bezeichnet (vgl. beispielsweise Bono 2009 sowie Gauthier, Lehar und Souissi 2010). Ihr stehen mikroprudenzielle Regulierungen gegenüber, die sich auf das einzelwirtschaftliche Verhalten der Finanzakteure konzentrieren und dabei das Finanzsystem als funktionierend und gegeben unterstellen. Unabhängig davon, dass diese Felder schon immer Gegenstand finanz-, geld- und transmissionstheoretischer Forschung waren und der Sinn der Wortschöpfungen nicht unmittelbar erkennbar ist, wird der „modernen" Unterteilung gefolgt. Die makroprudenzielle Sicht konzentriert sich bislang auf die Querschnittsdimension und die Zeitdimension von Risiken des Finanzsystems (Borio 2009; Gischer, Herz und Menkhoff 2011, S. 172 ff.). 8 Die Informationen über Systemrisiken werden durch verschiedene Indikatoren (z.B. aggregierte Indikatoren für Ungleichgewichte, für Marktkonditionen, Konzentrationsmaße von Risiken im System, Makrostresstests) geliefert, deren Aussagefähigkeit - vorsichtig formuliert - noch sehr begrenzt ist. Die Querschnittssicht fragt nach der Verteilung des Risikos innerhalb des Finanzsystems zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die vielfältigen (Markt-)Verbindungen zwischen den Finanzinstituten (interlinkage) begünstigen Risikoübertragungen, wodurch das einzelne Institut systemrelevant werden kann. Regulierungsmaßnahmen müssen dann am Beitrag, den das einzelne Institut zum Gesamtrisiko leistet, ausgerichtet und insofern unterschiedlich gestaltet werden. Dies gilt z.B. für progressive Eigenkapitalnormen entsprechend der Institutsgröße oder dem internationalen Verflechtungsgrad, wie immer auch gemessen. Dadurch könnte zugleich das Größenwachstum bzw. die Internationalisierungsstrategie der Institute gebremst werden, was angesichts der TBTFProblematik auch aus wettbewerbspolitischer Sicht zu begrüßen wäre. Die Zeitdimension betrifft die Entwicklung des aggregierten Risikos im Finanzsystem im Zeitablauf. Einheitliche, fixe und damit zeitinvariante Eigenkapitalnormen, wie sie z.B. in Basel II verankert wurden, verursachen ein prozyklisches Verhalten der Finanzinstitute und verschärfen Abschwungs- und Aufschwungszyklen der Wirtschaft. Diese prozyklischen Effekte wurden allerdings auch ohne makroprudenzielle Sichtweise vor Verabschiedung von Basel II kritisiert (Gerhardt 2005, S. 110 ff).' Ob und inwieweit solche automatischen Stabilisatoren von allen Ländern tatsächlich umgesetzt werden, ist keineswegs sicher, wie die Erfahrungen bei Basel II belegen
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„To inform and guide timely policy decisions, systemic risk measures should be able to capture the time and cross-sectional dimensions of systemic risk." (International Monetary Fund 2011, S. 5). "Countercyclical capital buffer in Basel ΙΠ are [...] designed to accumulate capital in boom times, when systemic risk build up, so that it can be used when risks materialize, thereby acting as a stabilizer during the expansion and contraction phases of the financial cycle" (International Monetary Fund 2011, S. 12 f.).
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(Nichtratifizierung in den USA, die solche Regulierungen damals selbst angestrengt hatten). Die makroprudenzielle Politikperspektive, wie sie in zahlreichen aktuellen Publikationen beschrieben wird, kann somit nicht als neues Paradigma interpretiert werden: Sie richtet ihr Augenmerk endlich wieder auf die Interdependenz von Märkten, auf die Interaktionen von Einzelwirtschaften und - bei offenen Märkten - von Volkswirtschaften. Die zu Beginn beschriebene Intemationalisierung des wirtschaftlichen Geschehens, technischer Fortschritt und die zunehmende Komplexität haben die Anforderungen an Finanzdienstleistungen drastisch erhöht. Sie haben aber auch Probleme geschaffen, weil kein Finanzinstrument, wie kompliziert auch gestaltet, Zukunft sicher machen kann. Das gilt auch für die makroprudenzielle Regulierung, die eher wie alter Wein in neuen, keineswegs besseren Schläuchen anmutet. Mikroprudenzielle Regulierung Mikroprudenzielle Regulierung soll das einzelwirtschaftliche Verhalten von Finanzmarktakteuren so gestalten, dass im Ergebnis keine Fehlallokationen des knappen Kapitals entstehen. Bislang war sie im Kern auf die Aktivitäten der Geschäftsbanken gerichtet (Bankenregulierung). Erst in jüngster Vergangenheit wurde begonnen, auch andere Finanzinstitutionen (Hedge Funds, Private Zsguiry-Gesellschaften, Versicherungen) in das Regelwerk einzubeziehen. Die umfangreichen Regulierungen (Bankgesetz, Kreditwesengesetz mit zahlreichen Ergänzungen, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Baseler Konkordat, Basel I und Basel II sowie künftig Basel III) haben den Finanzsektor zu einem wettbewerblichen Ausnahmebereich gemacht. Das Regulierungsnetz wird, wie die Diskussion um Basel III und andere Initiativen zeigt, immer dichter, detaillierter und umfangreicher. Es belastet insbesondere kleinere und mittlere Finanzinstitute, weil die Transaktions- und Bürokratiekosten stark steigen. Bevor im Nachgang der jüngsten Finanzkrise eine neue Regulierungswelle gestartet wird, ist nach den faktischen Ergebnissen der bisherigen Regulierung zu fragen, sind Schwächen aufzudecken, um neue Gestaltungspotenziale mit besseren Ergebnissen zu aufzuzeigen. Die mikroprudenzielle Regulierung der Banken hat — neben natürlichen Asymmetrien zahlreiche künstliche aufgebaut, — vielfältige Arbitragehandlungen ausgelöst (Malz 2011, S. 645 f.), — unerwartete, nicht prognostizierte Effekte auf den Märkten induziert, — die Komplexität des Finanzmarktgeschehens und der Finanzinstrumente enorm erhöht, — die Effizienz einer präventiven Kontrolle des Finanzgeschehens durch staatliche Aufsichtsbehörden drastisch reduziert, — die Produktionskosten der Finanzdienstleistungen erhöht, Gewinnmargen gesenkt und dadurch immer risikoreichere Geschäfte der Geschäftsbanken initiiert, Für die Bankenregulierung trifft insofern in besonderem Maße von Hayeks Hypothese der Wissensanmaßung staatlicher Regulierung zu. Eine Reform des Finanzsektors muss diese auch empirisch gut belegten Effekte der Regulierungsmaßnahmen berücksichtigen. Ausgangspunkt muss die Einsicht sein, dass
Albrecht F. Michler und H. Jörg Thieme
98
wenige gute, für alle Finanzmarktakteure geltende Regeln besser sind als viele Prozesseingriffe, die das Handeln der Finanzmarktakteure im Detail regulieren wollen. Ansetzen müssen die Reformbemühungen am Verhalten der Finanzmarktakteure. Die Regeln an den Finanzmärkten sollen die vorhandenen Asymmetrien reduzieren und anreizkompatible Regeln etablieren. Dabei sind vier entscheidungs- und handlungsrelevante Gruppen von Finanzmarktakteuren zu unterscheiden: Kreditanbieter, Kreditnachfrager, Management, Kapitaleigner. Zwischen ihnen bestehen unterschiedliche Principal-Agent-Beziehungen (Gischer, Herz und Menkhoff 2011, S. 163 ff.), die Fehlanreize des Verhaltens begründen. Kreditanbieter Im Einlagengeschäft der Banken sind die Kreditanbieter Agenten, die - sofern keine Einlagenversicherung existiert - bei jeder Einlage die Risiken einschätzen müssen, die sich aus den Geschäftsaktivitäten der Banken (Principal) ergeben. Dabei entstehen hohe Informationsbeschaffungs- und -Verarbeitungskosten. Existieren wie in Deutschland Einlagenversicherungen, werden sorgfältige Risikoabschätzungen unterbleiben. Die Bank erhält mehr Fremdkapital als ihrer tatsächlichen Risikolage entspricht. Die Unkenntnis der Kreditanbieter wird im Insolvenzfall des Finanzinstituts nicht bestraft. Nimmt man im Extremfall einer Systemkrise die Zentralbank als lender of last ressort hinzu, werden die problematischen Anreizwirkungen solcher „Auffangnetze" (Gischer, Herz und Menkhoff 2011, S. 200) weiter verstärkt. Die Versicherungslösungen bei Banken - zur Abwehr von Herdenverhalten und Bankenruns entwickelt - haben mithin eine problematische Wirkung, die durch modifizierte Ansätze (Teilabdeckung des Risikos, Prämienabhängigkeit vom Risikograd der Geschäftspolitik) gemindert werden und die (Risiko-)Kontrolle durch die Marktgegenseite nicht vollständig aushebeln. Anlagen in anderen Finanzinstitutionen (wie ζ. B. Hedge Funds) verfügen über keinen Versicherungsschutz, mit der Folge, dass Anleger in Krisenzeiten ihr Kapital zügig abziehen, meist mit hohen Verlusten. Deshalb wurden von Beginn der Finanzkrise bis 2009 etwa 1.500 Hedge Funds vom Markt verdrängt. Die Haftung der privaten Einleger hat in diesem Fall .bestens' funktioniert, eine Sozialisierung der Verluste zu Lasten aller Steuerzahler hat nicht stattgefunden.10 Kreditnachfrager Im Aktivgeschäft der Bank ist der Kreditnachfrager Agent und die Bank Prinzipal. Die Bank verfügt, auch bei sorgfältiger Kreditwürdigkeitsprüfung, nur über begrenzte Informationen bezüglich der Kreditrückzahlungsfähigkeit und -Willigkeit des Schuldners. Die Gefahr des moral hazard kann nur durch verbesserte Informationsbeschaffung gemindert werden, wobei die Kreditratings von Unternehmen und Ländern durch die Ratingagenturen in der Vergangenheit keineswegs zuverlässig waren. Zur Abwehr von potenziellen Kreditrisiken haben die Banken Problemkredite gebündelt und auf Sekundärmärkten gehandelt. Diese Strategie der Banken zur Abwehr von Kreditausfall10
Eine mittelbare Belastung für die Gesellschaft ist natürlich denkbar, wenn sich die Verluste der betroffenen Anleger steuermindemd auswirken und folgerichtig die Steuereinnahmen sinken.
Regulierung von Finanzmärkten: Ziele, Methoden und Reformerfordernisse
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risiken ist eine adäquate marktwirtschaftliche Lösung, die allerdings von vielen Kreditnachfragern kritisiert wird. Um eine unerwünschte Weiterreichung ihrer Kreditverträge zu vermeiden, müssen sie sich vor Abschluss der Kontrakte Uber die Refinanzierungspraxis ihrer Banken informieren. Management von Finanzinstituten Bei der Steuerung der Bankgeschäfte fungiert das Management als Agent und die Bankeigentümer sind der Principal. Aufgabe der Kapitaleigner bzw. ihrer Vertreter in Aufsichts- oder Verwaltungsräten ist es, die Mitglieder der Geschäftsführung auszuwählen, ihre Strategieplanungen zu begleiten und die Umsetzung zu kontrollieren. Sie müssen für anreizkompatible Vergütungssysteme (insbesondere Bonusregelungen für Vorstände und nachgelagertes Management) sorgen; dies kann letztlich nicht die Aufgabe staatlicher Regulierungspolitik sein. Kurz- und langfristige Erfolge des Managements sind als Leistungsanreize zu honorieren, Verluste zu sanktionieren (vgl. Michler und Thieme 2009, S. 216 ff.). Damit würde das Euckensche Haftungsprinzip schon im Entlohnungsystem berücksichtigt. Generell hat die Haftung des Managements einen besonderen Stellenwert, wenn zukünftig hoch riskante Geschäftspraktiken und damit Insolvenzgefahren abgewehrt werden sollen. Die im Aktiengesetz fixierten Haftungsregeln und selbst die Umkehr der Beweislast (§ 93 Π Satz 2 AktG.) reichen nicht aus, das Management systematisch zu sorgsamer Risikoabwägung zu bewegen. Das Management sollte nicht nur für justiziable Verfehlungen haften, sondern auch für ökonomische Misserfolge (ζ. B. Vergütung mit Aktienoptionen mit Haltefrist; Koppelung der Grundvergütung an Erfolgsindikator). Das Haftungsrisiko könnten die Manager durch persönliche Haftpflichtversicherungen reduzieren. Kapitaleigner Selbstverständlich sollten die Kapitaleigner für entstandene Verluste ihrer Kapitalanlage haften. Die vielfältigen Haftungsbeschränkungen in den Unternehmensverfassungen sorgen allerdings dafür, dass im Insolvenzfall nur bei Privatunternehmen das vorhandene Vermögen herangezogen wird. Im Finanzsektor ist seit der Änderung des Kreditwesengesetzes von 1976 die Gründung einer Bank in Form des Einzelhandelskaufmanns nicht mehr möglich (§ 26 Abs. 1 KWG). Faktisch sind die privatwirtschaftlichen Kapitaleigner im Zusammenspiel mit dem Management in den Kapitalgesellschaften - anders als in anderen Finanzinstitutionen in der Lage, drohende Insolvenzen auf den Steuerzahler abzuwälzen. Dies ist möglich, wenn die Bank als .systemrelevant' eingestuft wird, was bei entsprechender Bilanzgröße oder internationaler Verflechtung leicht gelingt (too big to fail oder too interconnected to fail), wie die jüngste Finanzkrise belegt.
6.
Fazit
Fasst man die vorangegangenen Überlegungen zusammen, lassen sich folgende Schlussfolgerungen ziehen: 1.
Die Detailregulierungen wie sie u.a. vom Baseler Regelwerk und dem DoddFrank-Act vorgesehen sind, müssen überprüft und gegebenenfalls zurückgeführt
100
Albrecht F. Michler und H. Jörg Thieme werden. Die zahlreichen Kennziffern und Normierungen erhöhen die bürokratischen Anforderungen sowohl an die Beschäftigten im Finanzsektor als auch an die Kunden der Institute und fuhren zu einem drastischen Anstieg der Geschäftskosten bei den Finanzinstituten. Die Beschäftigungsstruktur der Banken verändert sich bereits heute spürbar: Entlassung von Investmentbankern und Anlageberatern und Neueinstellung von Verwaltungs- und Controlling-Spezialisten.
2.
Zu fördern ist der Wettbewerb auf den Finanzmärkten durch den Abbau von Privilegien einzelner Bankengruppen. Dies gilt insbesondere für die Haftungsprivilegien staatlicher und halbstaatlicher Finanzinstitute. Die qualitativen Anforderungen an die Führungskräfte solcher Institutionen (Mitglieder der Vorstände und Aufsichtsräte) sind deutlich zu erhöhen. Die in den jüngsten Finanzkrisen besonders negativ aufgefallenen, sehr verlustreichen staatlichen Landesbanken sind aufzulösen, sofern sie nicht - auf Basis eines künftig hinreichend belastbaren Geschäftsmodells - privatisiert werden können.
3.
Die stabilitätspolitischen Rahmenbedingungen müssen verstärkt auf die Einhaltung einer stetigen Geld- und Fiskalpolitik achten. In einem Umfeld niedriger Inflationsraten kommt es zu einer nachhaltigen Absenkung sowohl der zeitlichen Zinsstrukturkurve als auch der Zinsspannen bei den Kreditinstituten. Die Auswirkungen diskretionärer Eingriffe können in einem solchem Umfeld den ursprünglich beabsichtigten Effekt deutlich übersteigen und führen folgerichtig zu weiteren korrigierenden Eingriffen im Sinne einer stop and go-Politik. Die Geldpolitik darf darüber hinaus nicht mit zusätzlichen Aufgaben betraut werden, zudem die Notenbank weder ein Mandat noch das geeignete Instrumentarium hierfür vorweisen kann.
4.
Das Risiko künftiger Finanzkrisen kann nicht völlig beseitigt, wohl aber reduziert werden, wenn die beschriebenen Regulierungsdefizite beseitigt und die prozesspolitischen Maßnahmen verstetigt werden.
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Albrecht F. Michler und H. Jörg Thieme
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Dirk Wentzel (Hg.), Internationale Organisationen Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft · Band 97 · Stuttgart • 2013
Zur Rolle des IWF in der europäischen Schuldenkrise
Thomas Jost und Franz Seitz
Inhalt 1. Einleitung 2.
3.
4.
104
Beteiligung des IWF an den finanziellen Rettungspaketen und den wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen in den Krisenländern der EU
105
Die Vor- und Nachteile einer Beteiligung des IWF an den Rettungsprogrammen 3.1. Die Vorteile einer Einbeziehung des IWF 3.2. Die Nachteile einer Einbeziehung des IWF
109 112 116
Die Troika von IWF, EZB und EU-Kommission: ein Modell für die Zukunft?... 120
5. Zusammenfassung und Schlussfolgerung
124
Literatur
126
Wir danken Harald Stieber, Russell Krueger und den Teilnehmern
schungsseminars 2012 für wertvolle Hinweise.
des 45. Radeiner For-
104
1.
Thomas Jost und Franz Seitz
Einleitung
Der Internationale Währungsfonds (IWF) war von Beginn an in die Rettungsaktionen der Europäischen Union (EU) zur Bekämpfung der Staatsschuldenkrise involviert, die seit Ende 2009 in mehreren Ländern der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) ausbrach. Der IWF beteiligte sich an den finanziellen Rettungspaketen und den wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen für Griechenland, Irland und Portugal.2 In einer Troika, zusammen mit der Europäischen Kommission (EC) und der Europäischen Zentralbank (EZB), arbeitete der IWF die ökonomischen Anpassungsprogramme für diese Länder aus und überwachte eng den Fortschritt der Programme durch vierteljährliche Fortschrittsberichte auf der Basis von Missionen von Expertenteams der drei Institutionen. Die aktive Rolle des IWF3 führt zu einer Reihe von Fragen: (1) Warum beteiligte sich der IWF an den Rettungsprogrammen? War es ein Zeichen der Schwäche der Europäischen Institutionen, ihre Probleme alleine zu lösen und/oder wollten die Europäer die hohe Expertise des IWF bei der Erstellung und Überwachung von wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen mit Konditionalität nutzen? (2) Was sind die Vor- und Nachteile einer Beteiligung des IWF an der Schuldenkrise in der WWU? (3) Wie agierte die Troika und war die Kooperation erfolgreich? (4) Gab es größere Differenzen innerhalb der Troika während der gemeinsamen Bekämpfung der Krise? (5) Ist die Troika - eine Zusammenarbeit zwischen IWF und regionalen Institutionen - , die in einer Notsituation geboren wurde, eine tragfähige Lösung bzw. eine funktionsfähige neue Institution für den künftigen Umgang mit Staatsschuldenkrisen? (6) Besteht die Gefahr, dass der IWF seine Reputation verliert, indem er in die ,Mühlen' divergierender politischer Interessen in Europa gerät? Oder hat der IWF sogar die europäische Schuldenkrise verschlimmert? Diese Fragen werden in dem folgenden Artikel diskutiert, wobei sich die Analyse auf die Beteiligung des IWF an den Anpassungsprogrammen und deren Überwachung konzentriert. Der IWF und dessen prominente Vertreter sowie verschiedene Ökonomen haben in der Schuldenkrise auch viele darüber hinaus gehende Vorschläge gemacht, wie die Krise zu bekämpfen sei und wie zukünftige Krisen zu verhindern seien. Diese Diskussion wird hier ausgeklammert (siehe stellvertretend Breuss 2012). Der Artikel ist wie folgt gegliedert: Nach einer Beschreibung der Beteiligung des IWF an den verschiedenen Anpassungsprogrammen (Kapitel 2) werden die Vor- und Nachteile der Programme unter Einbeziehung des IWF analysiert (Kapitel 3). Kapitel 4 fragt, ob die Troika-Lösung eine adäquate Institution ist, um zukünftige Krisen im Euroraum und in anderen Weltregionen zu bekämpfen? Kapitel 5 fasst zusammen und zieht einige kritische Schlussfolgerungen.
2
Mitte 2012 hat auch Zypern einen Antrag auf Unterstützung im Rahmen dieses Verfahrens gestellt.
3
Zur Struktur und zu den Organisationsprinzipien des IWF siehe ausführlich Cassel in diesem Band.
Zur Rolle des IWF in der europäischen Schuldenkrise
2.
105
Beteiligung des IWF an den finanziellen Rettungspaketen und den wirtschaftlichen Anpassungsprogrammen in den Krisenländern der EU
Im Oktober 2008, kurz nach der dramatischen Verschärfung der weltweiten Finanzmarktkrise, beantragte Ungarn einen Bereitschaftskredit (Stand-By Arrangement SBA) des IWF, nachdem es zuvor die EU konsultiert hatte (IMF 2011a, S. 4). Die EU gab ihr Einverständnis und beteiligte sich an der Hilfsaktion des IWF, indem sie Ungarn zusätzlichen Finanzbeistand durch ihre Zahlungsbilanzanpassungs-Fazilität (Balanceof-Payments Assistance Facility) gewährte. Das gesamte Hilfspaket summierte sich auf 20 Mrd. Euro, wozu der IWF 12,3 Mrd. Euro, die EU 6,5 Mrd. Euro und die Weltbank 1,0 Mrd. Euro beitrugen (IMF 2008a). Das imgarische Programm bedeutete einen Meilenstein, da es das erste gemeinsame EU/IWF-Programm war, ein Vorbild für folgende Programme. Das Vereinigte Königreich war 1976 das letzte EU-Land (damals Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, EWG), das Hilfe vom IWF bekam (IMF 201 la, S. 4). Auf der Basis der Erfahrungen mit dem ungarischen Programm entwickelte die EU in Zusammenarbeit mit dem IWF interne Richtlinien für die Implementierung zukünftiger gemeinsamer Programme (IMF 2010a). Solche Programme sollten die Expertise beider Institutionen nutzen, wobei der IWF auf seine länderilbergreifenden Kenntnisse und sein besonderes Know-how der Finanzmärkte zurückgreifen und die EU die Programme in einen breiteren Kontext unter Berücksichtigung der besonderen institutionellen Rahmenbedingungen in der EU setzen sollte (IMF 201 la). Schon im Dezember 2008 gewährte der IWF Lettland Finanzhilfe in Verbindung mit einem Anpassungsprogramm, das gemeinsam mit der EU und Vertretern der EZB sowie Schwedens und weiteren nordischen Ländern ausgearbeitet wurde (IMF 2008b). Im März 2009 gab der IWF einen 13 Mrd. Euro Kredit in Form eines SBA an Rumänien (zusätzlich zu finanzieller Hilfe durch EU, Weltbank, Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) und andere internationale Institutionen (IMF 2009)). Rumänien war damit das dritte EU- (aber nicht EWWU-) Land mit einem gemeinsamen IWF/EU Programm 2009. Im Oktober 2009 erhöhte die neue griechische Regierung ihre Prognose für das Haushaltsdefizit im Jahr 2009 von 3,7 % auf 12,5 % des BIP (EEAG 2011, S. 111).4 Die dramatische Verschlechterung des griechischen Haushaltsdefizits Ende 2009 markierte den eigentlichen Beginn der Staatschuldenkrise in der EWWU. 5 In den folgenden Monaten nahmen die Haushaltsprobleme des griechischen Staates weiter zu - ungeachtet nationaler Reformbemühungen und einer engeren Überwachung durch die EU (Council of the European Union 2010a). Die Finanzmärkte reagierten heftig aus Furcht vor einem griechischen Staatsbankrott. Die Ratingagenturen senkten das Rating Griechen-
4 5
Am Ende betrug die Defizitquote 15.4 %. Helhvig (2011) unterscheidet zwischen einer Staatsschuldenkrise von Griechenland und Portugal, einer Immobilien- und Bankenkrise in Irland und Spanien sowie Problemen im Bankensystem in Deutschland und Frankreich. Dieser Klassifikation wird hier nicht gefolgt, da alle Probleme in den angesprochenen Ländern schließlich die öffentliche Verschuldung steigen lassen und sich meist in einem Anstieg der Zinsen für Staatsschuldtitel spiegeln.
106
Thomas Jost und Franz Seitz
lands Anfang Dezember 2009 von A- auf einen Status als Ramschanleihen Ende April 2010, und die griechischen Anleihespreads weiteten sich im Frühjahr 2010 dramatisch aus (EEAG 2011, S. III). 6 Einige andere EWWU-Länder (Portugal, Irland, Spanien und Italien) gerieten ebenfalls in Schwierigkeiten, als ihre Fiskaldefizite zunahmen und die Refinanzierungskosten für ihre Staatsschuldtitel stark anstiegen. Am 11. April 2010 kündigte die EU gemeinsam mit dem IWF finanzielle Hilfe für Griechenland in Verbindung mit einem wirtschaftlichen Anpassungsprogramm an (IMF 2010b). Die zunehmende Zinslast von einigen Ländern im Euroraum und die Furcht vor einem Zusammenbruch von europäischen Banken, die sich noch nicht richtig von der weltweiten Finanz· und Wirtschaftskrise der Jahre 2008 und 2009 erholt hatten, begründeten die gemeinsame Rettungsaktion von EU und IWF. Im Mai 2010 wurde das erste finanzielle Hilfsprogramm für Griechenland durch den Europäischen Rat angenommen. Das dreijährige ökonomische Anpassungsprogramm wurde unterstützt durch finanzielle Hilfe in Form von bilateralen Hilfskrediten der EULänder (80 Mrd. Euro) und einen Beitrag des IWF in Höhe von 30 Mrd. Euro durch ein SBA, das Standard-Kreditinstrument des IWF (IMF 2010c) (siehe Tabelle 1 für einen Überblick über einige Programmdetails). Das Programm wurde gemeinsam von der Europäischen Kommission (EC), dem IWF und der Europäischen Zentralbank (von da an Troika genannt) in Zusammenarbeit mit der griechischen Regierung ausgearbeitet. Es konzentrierte sich auf die hohe Staatsverschuldung Griechenlands und die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft. Die Freigabe der Kredittranchen hängt jeweils vom Fortschritt bei der Umsetzung des Programms ab, der eng überwacht wird durch vierteljährliche Berichte der Europäischen Kommission und des IWF auf der Basis von Missionen der mit den Programmen vertrauten Mitarbeiterstäbe der drei Institutionen der Troika (IMF 2010c). Dies entspricht der üblichen Konditionalität von IWFProgrammen.
6
Ende April 2010 erreichten die Zinsaufschläge von 10-jährigen griechischen Staatsanleihen 755 Basispunkte gegenüber entsprechenden deutschen Staatsanleihen.
Zur Rolle des IWF in der europäischen Schuldenkrise
107
Tabelle 1: Finanzielle Rettungspakete für Griechenland, Irland und Portugal Programm und Finanzhilfe
Beitrage der EU
Beitrag des IWF
3-jähriges Griechenland Mai 2010 (erstes Programm)
Anpassungsprogramm 110 Mrd Euro
März 2012
173 Mrd Euro
(zweites Programm)
(139 Mrd Euro frisches Geld)
80 Mrd Euro
30 Mrd Euro
bilaterale Kredite der EU-Länder
Stand-by Arrangement (SBA)
145 Mrd Euro
28 Mrd Euro
(3 Jahre Laufzeit)
Extended Fund Facility (EFF) (4 Jahre Laufzeit)
22,5 Mrd Euro
3-jähriges Irland
Anpassungsprogramm
62,5 Mrd Euro
November 2010
85 Mrd Euro
EFSM-Kredit (22,.5 Mrd Euro) EFSF-Kredit (17,7 Mrd Euro) Bilaterale Kredite des Vereinigten Königreichs (3,8 Mrd Euro), Schwedens (0,6 Mrd Euro), Dänemarks (0,4 Mrd Euro) und eines irischen Beitrags (17.5 Mrd Euro)
Extended Fund Facility (EFF)
26 Mrd Euro
3-jähriges Portugal
Anpassungsprogramm
52 Mrd Euro
Mai 2011
78 Mrd Euro
EFSM-Kredit (26 Mrd Euro) EFSF-Kredit (26 Mrd Euro)
Extended Fund Facility (EFF)
Quellen: Eigene Darstellung, Datenquellen IWF, EZB und EU-Kommission. Anfang Mai 2010, als die Krise auf weitere WWU-Länder übergriff, vereinbarten die EU-Staaten die Einrichtung von zwei neuen Rettungsfonds mit einem Volumen von 500 Mrd. Euro, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility, EFSF) und den Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (European Financial Stabilization Mechanism, EFSM). Ziel war, im Fall einer Krise bis zu 400 Mrd. Euro bzw. 60 Mrd. Euro an die WWU-Länder zahlen zu können (EFSF Framework Agreement 2010; Council of the European Union 2010b). Der IWF sollte weitere 250 Mrd. Euro beitragen, damit insgesamt 750 Mrd. Euro für Finanzrettungsmaßnahmen zur Verfügung stünden.7 Im März 2010, als deutlich wurde, dass die Krisenländer eine größere Zeitspanne benötigten, um an die Finanzmärkte zurück zu kehren, beschloss die EU einen neuen dauerhaften Rettungsschirm zu schaffen, der den EFSF spätestens im Jahr 2013 ersetzen bzw. mit dem EFSF kombiniert werden sollte, den Euro7
Der EFSF konnte allerdings nicht den gesamten Betrag zur Kreditvergabe nutzen, da einige WWU-Mitgliedsländer kein AAA-Rating besaßen. Daher beschloss die EU im Oktober 2011 den EFSF zu hebeln, um eine effektive Kreditsumme von bis zu einer Billion Euro zu erreichen (vgl. Deutsche Bundesbank 2011). Aheam et al. (2011, S. 18) wiesen darauf hin, „(that) the IMF, however, cannot pre-commit funds for a group of countries. Any IMF contributions to loan packages for Eurozone members will be on a country-by-country basis. Any such loan would also be subject to the approval of the IMF Executive Board in the same manner as all IMF lending arrangements."
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päischen Stabilitätsmechanismus (European Stability Mechanism, ESM) (European Commission 2011; EEAG 2011, S. 83).8 Die finanzielle Hilfe der neuen Fonds ist abhängig von der Konditionalität der von der Troika mit den betreffenden Ländern ausgehandelten und überwachten Programme (EEAG 2011, S. 84). Im November 2010 musste Irland die EU und den IWF um Hilfe zur Überwindung seiner Schuldenkrise bitten. Die Probleme Irlands resultierten vor allem aus den Staatsgarantien für das irische Bankensystem nach dem Zusammenbrach des irischen Immobiliensektors im Gefolge der Finanzmarktkrise der Jahre 2008/09, die das irische Haushaltsdefizit in Relation zum BIP in 2010 auf 32,4 % ansteigen ließen. Ein gemeinsames Rettungspaket von 85 Mrd. Euro wurde im November 2010 geschnürt, bestehend aus Krediten von EFSM und EFSF sowie bilateralen Krediten des Vereinigten Königreichs, Schwedens und Dänemarks. Der IWF trug 22,5 Mrd. Euro über die Extended Fund Facility (EFF) bei, seinen Notfall-Kreditmechanismus (Tabelle 1). Wie im Fall Griechenlands arbeitete die Troika ein Dreijahres-Anpassungsprogramm mit den nationalen Stellen aus, um die wirtschaftlichen und finanziellen Kernprobleme Irlands, die Verwundbarkeit seines Bankensystems und das schwache Wirtschaftswachstum zu bekämpfen. Mit Portugal musste im Mai 2011 das dritte EWU-Land ein dreijähriges wirtschaftliches Anpassungsprogramm annehmen, unterstützt durch einen Kredit von 78 Mrd. Euro, wozu EFSM, EFSF und der IWF in gleichen Anteilen jeweils 26 Mrd. Euro beitrugen. Ein lang anhaltendes schwaches Wirtschaftswachstum, eine geringe internationale Wettbewerbsfähigkeit und hohe Fiskaldefizite von annähernd 10 % in Relation zum BIP in 2009 und 2010 führten in Portugal zu einem untragbaren Anstieg der Finanzierungskosten der Staatsschuld (IMF 201 la). Im Juli 2011 kündigte die EU ein zweites Programm für Griechenland wegen erneuter finanzieller Probleme an. Ein Großteil der Hilfe sollte durch reduzierte Darlehenszinsen und eine Verlängerung der Laufzeiten der Staatsschulden auf bis zu 30 Jahre erzielt werden, um die Tragfähigkeit und das Refinanzierungsprofil der griechischen Staatschuld zu verbessern. Die übrige Summe sollte über einen .freiwilligen' Forderungsverzicht des privaten Sektors, vor allem der Banken, aufgebracht werden. Der IWF kündigte weitere Unterstützung an (Council of the European Union 2011; IMF 2011c). Im März 2012 erreichte man nach langen Verhandlungen eine Einigung über dieses Rettungspaket, wobei die Hilfe auf 172,7 Mrd. Euro aufgestockt wurde, wovon 138,7 Mrd. Euro ,frisches' Geld waren. Der IWF-Anteil an dem zweiten Griechenlandprogramm liegt mit 28 Mrd. Euro deutlich niedriger (14 %) als im ersten Programm, um die IWF-Quote der ausstehenden Kredite an Griechenland auf maximal 2400 % zu begrenzen (IMF 2012b). Widerstände von einigen Mitgliedern des IWF-Exekutivdirektoriums verhinderten einen höheren IWF-Anteil (FAZ 2012, S. 11). Die Einigung auf das zweite Programm kam erst zustande, als die Verhandlungen Griechenlands mit den privaten Gläubigern über einen Schuldenverzicht von 53,5 % bzw. 107 Mrd. Euro Ende Februar 2012 abgeschlossen waren.
8
Später wurde krisenbedingt eine Übereinkunft erzielt, den ESM bereits im Juli 2012 beginnen zu lassen. Allerdings fehlte bis zu diesem Zeitpunkt noch die Ratifizierung in einigen EWU-Ländern, darunter Deutschland.
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Die europäische Schuldenkrise erreichte im Spätsommer 2011 einen neuen Höhepunkt, als Italien und Spanien ernsthafte Probleme bekamen. Trotz anhaltender Offenmarktkäufe von italienischen und spanischen Staatsanleihen durch die EZB stiegen die Renditen der Staatsanleihen der beiden Länder stark an. Die Märkte bezweifelten mehr und mehr den Reformwillen, insbesondere der italienischen Regierung unter Silvio Berlusconi. Unter dem Druck einiger anderer EWU-Ländern wandte sich Italien offiziell während des G-20 Treffens in Cannes Anfang November 2011 an den IWF, damit dieser die Fortschritte Italiens bei der Verbesserung seiner Haushaltspolitik Uberwachen solle (The New York Times 2011; IMF 201 ld). Die enormen Finanzmittel, die für eine Finanzierung der Staatschulden Italiens und Spaniens benötigt würden, wenn diese Länder den Finanzmarkt verlassen müssten, forderten eine Reaktion der G-20 und von europäischen Politikern heraus. Im November 2011 vereinbarte die G-20, den globalen Finanz-Rettungsschirm von Zentralbanken, Regierungen und regionalen Institutionen zu stärken, und unterstützte den IWF bei der Schaffung einer neuen Vorsichts- und Liquiditätslinie (Precautionary and Liquidity Line, PLL) (G20 2011). Im Dezember 2011 schlug der Europäische Rat vor, 200 Mrd. Euro zusätzlicher Finanzmittel für den IWF über Kredite der nationalen Notenbanken und einen parallelen Beitrag der internationalen Gemeinschaft zu schaffen (European Council 2011). Im Januar 2012 erklärte der IWF, er benötige weitere Finanzmittel in Höhe von 500 Mrd. US-Dollar für mögliche Rettungsmaßnahmen und zur Verhinderung von Krisen (/MF 2012a). Dieser Ruf wurde im April 2012 erhört, als der IWF Zusagen über 430 Mrd. US-Dollar an neuen Krediten bekam. Der größte Beitrag stammt dabei von den EWU-Ländem (200 Mrd. US-Dollar), wovon die Deutsche Bundesbank maximal 41,5 Mrd. übernahm. Keine Beteiligung liefern dagegen die USA und Kanada. Die Mittel sind für alle IWF-Länder verfügbar, nicht nur für Europa. Im Juni 2012 vereinbarten die Finanzminister der Eurogruppe ein Hilfspaket in Höhe von maximal 100 Mrd. Euro zur Rekapitalisierung des spanischen Bankensystems, das in Folge einer Immobilienkrise im Frühjahr 2012 in immer größere Schwierigkeiten geriet. Die spanische Regierung konnte dabei erfolgreich eine Beteiligung des IWF verhindern, da sie sich nicht der Konditionalität eines IWF-Hilfsprogramms unterwerfen wollte. Als fünftes WWU-Land ersuchte Zypern Ende Juni 2012 Hilfe von EU und IWF. Im Gegensatz zu Spanien, das (bis zum Abschluss des Manuskript dieses Beitrags) einen finanziellen Beistand zur Rettung seines Bankensystems ohne ein gemeinsames Programm von EU und IWF durchsetzen konnte, ersuchte Zypern ein „volles" Beistandsprogramm mit den EU-Institutionen und dem IWF nach dem Vorbild Griechenlands, Irlands und Portugals (Neue Zürcher Zeitung 2012).
3.
Die Vor- und Nachteile einer Beteiligung des IWF an den Rettungsprogrammen
Im Folgenden werden die potenziellen Vor- und Nachteile sowie die Gründe einer Beteiligung des IWF an der Lösung der Schuldenprobleme in der EWWU diskutiert. Diese Diskussion muss vor dem Hintergrund der offiziellen Aufgaben des IWF, wie sie im Bretton Woods-Abkommen niedergelegt sind, stattfinden. Zu den Aufgaben des
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IWF gehören dabei neben seiner Beratungs- und Überwachungsfunktion die Bereitstellung finanzieller Mittel an Mitgliedstaaten mit temporären Zahlungsbilanzproblemen unter strengen Auflagen, der sogenannten Konditionalität (Bordo und James 2010, S. 9). IWF-Kreditprogramme sind, trotz variierender Ziele und Dauer, häufig mit einem drastischen und anhaltenden Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik verbunden. Ein IWF-Programm wird typischerweise aufgelegt, wenn ein Land eine externe Anpassung vornehmen muss. Der IWF stellt in diesem Fall (Ko-)Finanzierung bereit, und das betreffende Land setzt ein Programm um, das aktuelle oder potentielle außenwirtschaftliche Ungleichgewichte bekämpfen soll. Die laufende Kreditvergabe des IWF hängt von den Fortschritten in der Umsetzung des Programms ab, die auf der Basis von im Programm festgelegten Kriterien beurteilt werden. Die Programmfortschritte müssen zu festgelegten Terminen erreicht werden, die im Rahmen von periodischen Überprüfungen Uberwacht werden (Jeanne et al. 2008). Dadurch ist es notwendig, die Programme an sich verändernde nationale und internationale Bedingungen anzupassen, ohne dabei gegen Grundsätze der Gleichbehandlung der einzelnen Länder zu verstoßen. Eine gute vergleichende Beurteilung von Programmen, die vom IWF unterstützt wurden, findet sich bei Mody und Rebucci (2006). Eine solche Evaluation ist notwendig, um die Rolle des IWF in der Staatsschuldenkrise der EWU besser beurteilen zu können. Die Ergebnisse dieses vergleichenden Überblicks, die für unsere Fragestellung wichtig sind, können wie folgt zusammengefasst werden: 1. Es gibt keine signifikante Verzerrung in den kurzfristigen Wachstumsprognosen. Bei längerfristigen Prognosen über ein Jahr hinaus wird das Wachstum vom IWF jedoch umso stärker überschätzt, je länger der Prognosezeitraum ist. Die Reformprogramme überschätzen tendenziell die externe Anpassung. Dies führt zu einem Aufbau von Auslandsschulden, der größer ist als prognostiziert. Mängel in den vorläufigen Wirtschafts- und Finanzdaten sind der wichtigste Grund für Prognosefehler. Im Gegensatz dazu sind die Prognosen der EU-Länder und der EU-Kommission zum Haushaltsüberschuss und Wirtschaftswachstum häufig zu vorsichtig oder zu optimistisch. Zudem scheinen die Regierungen die zur Verfügung stehenden Informationen nicht effizient zu nutzen, um die Prognosefehler für die Haushaltsprognosen zu minimieren. Es gibt nur eine geringere Korrelation zwischen der Verzerrung der Wachstumsund Haushaltsprognosen. Die zyklische Position der Wirtschaft und die Art der Fiskalpolitik sind wichtige Bestimmungsgründe für Verzerrungen in den Wachstumsprognosen für das Bruttoinlandsprodukt und das Haushaltsdefizit. Es gibt zudem Anzeichen dafür, dass eine prognostizierte Reduktion des Haushaltsdefizits vor allem dann nicht erreicht wird, wenn die geplanten Staatsausgaben nicht im notwendigen Umfang gesenkt werden (können). Dies scheint weniger damit zusammen zu hängen, dass sich ungünstigere makroökonomische Entwicklungen einstellen, als dass die EU-Länder Probleme haben, die notwendigen Reformen zu implementieren (Strauch et al. 2004; Moulin und Wierts 2006). 2. Eine restriktivere Fiskalpolitik ist kurz- und langfristig mit besseren Wachstumsaussichten verbunden. Die Qualität der fiskalischen Anpassung ist besser unter IWFProgrammen als in Ländern ohne IWF-Programm, da die IWF-Programme ihren Fo-
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kus mehr auf Ausgabenkürzungen und weniger auf Steuererhöhungen legen. DiazCassou et al. (2008a, 2008 b) analysieren die Rolle des IWF bei der Restrukturierung von Staatsschulden anhand ausgewählter Krisen bis 2005. Sie finden mehrere potenzielle Kanäle, über die der IWF positiv einwirkt (direkte Einflussnahme auf Entscheidungen, finanzieller Beistand, Bereitstellung von Informationen, Setzen von Anreizen etc.). Allerdings konstatieren sie auch eine zu große Flexibilität bei länderspezifischen Anpassungen der Interventionen, wodurch Inkonsistenzen entstehen. Für EWWU-Länder haben van den Noord und CournMe (2006) gezeigt, dass die kurzfristigen Budgetkosten von strukturellen Reformen geringer sind als die längerfristigen Vorteile für den Staatshaushalt. 3. Ein stark verbessertes politisches und institutionelles Umfeld ist für die Implementierung der Programme sehr förderlich. Diese wird durch die Verfolgung spezieller Interessen im Parlament, einen mangelnden politischen Zusammenhalt, politische Instabilität und eine ineffiziente Bürokratie behindert. Unterbrechungen der IWFProgramme verursachen eine höhere Inflation, höhere Budgetdefizite und ein niedrigeres Wirtschaftswachstum, auch im Vergleich zu Zeiten ohne ein IWF-Programm. 4. Die Signalfunktion des IWF (als ,Gütesiegel' für die Reformpolitik eines Landes) ist nicht entscheidend, um einen katalytischen Prozess zu generieren. Stattdessen ist es die Überwachungsfunktion des IWF, die es Ländern auf dem Reformweg erlaubt, ihre Verpflichtung zur Erreichung der Reformziele zu signalisieren. Um die herausgehobene Rolle des IWF in der europäischen Schuldenkrise zu beurteilen, muss auch der Umfang der Finanzhilfen des IWF berücksichtigt werden (siehe Tabelle 1). In der Vergangenheit erreichte das Verhältnis zwischen Kreditvergabe und IWF-Quote des betreffenden Landes im Durchschnitt 300 %, mit einer außergewöhnlich hohen Quote von 2000 % für Korea in den späten 1990er Jahren während der Asienkrise. Im Vergleich dazu erreichte der erste IWF-Kredit an Griechenland 3200 % der griechischen Quote (IMF 2010 e).9 Ende 2011 waren Griechenland, Irland und Portugal die größten Schuldner des IWF. Eine Zunahme der Fiskalprobleme in Italien und Spanien und Notfallkredite an diese beiden Länder würden den IWF auf jeden Fall überfordern. Die gesamten IWF-Quoten summieren sich auf 383 Mrd. US-Dollar. Die verfügbaren Mittel (.usable resources) des IWF belaufen sich auf 628 Mrd. US-Dollar, von denen 389 Mrd. US-Dollar für Ausleihungen innerhalb des nächsten Jahres verfügbar (oneyear forward commitment capacity, fee) sind.10 Das erste und zweite griechische Programm haben zusammen ein Volumen von mehr als 300 Mrd. US-Dollar, rund die Hälfte der nutzbaren Ressourcen des IWF. Die Quoten- und Abstimmungsreformen, auf die
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Die IWF-Kredite an Irland und Portugal erreichten 2400 % bzw. 2300 % der Quoten der beiden Länder. Verfügbare Mittel bestehen aus Währungsreserven von IWF-Mitgliedsländern, die eine ausreichend starke Zahlungsbilanz- und Reserveposition haben, damit deren Währungsreserven für die Finanzierung von IWF-Transaktionen genutzt werden können, sowie SZR-Beständen und möglicherweise nicht genutzten Beträgen von bereits aktivierten Kreditlinien. Unter fcc versteht man ein Maß fur Finanzmittel, die für neue finanzielle Verpflichtungen im kommenden Jahr verfügbar sind (IMF 201 le).
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man sich 2008 einigte, traten im März 2011 in Kraft, während die Ende 2010 vereinbarten Reformen noch dem Ratifizierungsprozess der Mitgliedsländer unterliegen. Wenn beide Reformen abgeschlossen sind, werden die gesamten Quoten auf ungefähr 934 Mrd. US-Dollar angewachsen sein (Deutsche Bundesbank 2010, S. 58). Wie bereits erwähnt, wurden im Frühjahr 2012 zusätzliche IWF-Mittel in Höhe von 430 Mrd. USDollar bewilligt. Schließlich ist noch zu berücksichtigen, dass Lösungen für die Staatsschuldenkrise in der EU und der EWWU gefunden werden müssen. Reinhart and Sbrancia (2011) haben in diesem Zusammenhang eindrucksvoll gezeigt, dass nach dem Zweiten Weltkrieg finanzielle Repression (oft verschleiert als aufsichtrechtliche Regulierung) in Verbindung mit Inflation eine wichtige Rolle bei der Reduzierung ausstehender Staatschulden gespielt hat.11 In vielen Fällen war ein solcher Prozess begleitet von einer zunehmenden Dominanz von Nicht-Markakteuren, insbesondere Notenbanken, auf dem Markt für Staatsanleihen. Schuldenkrisen führen in der Regel zu signifikanten und lang anhaltenden Wachstumseinbußen mit negativen externen Effekten, insbesondere in einer Währungsunion, wie Furceri und Zdzienicka (2011) gezeigt haben. Ihre Forschungsergebnisse offenbaren auch, dass Schuldenkrisen in der Regel schlimmere Folgen als Banken- und Währungskrisen haben.
3.1. Die Vorteile einer Einbeziehung des IWF (!) Unabhängigkeit, Glaubwürdigkeit und Reputation Zu Beginn der Griechenlandkrise war die offizielle EU-Meinung, das Schuldenproblem innerhalb der EU oder sogar innerhalb der WWU ohne Hilfe von außen zu lösen. Externe Hilfe wurde als Zeichen der Schwäche der EU-Institutionen angesehen. Vor allem eine IWF-Intervention wurde von der EZB als nicht sinnvoll abgelehnt. Anfang März 2010 verneinte Triebet, der damalige Präsident der EZB, die Notwendigkeit von IWF-Hilfe und verwies auf den Zahlungsbilanzfinanzierungs-Mechanismus und die Regelungen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. 12 Am Ende war eine Beteiligung des IWF jedoch eine Voraussetzung für die Zustimmung der deutschen Kanzlerin Merkel zum finanziellen Beistand für Griechenland (Spiegel Online 2010). Dieser wurde als letzter Ausweg aus einer Situation gesehen, in der alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft waren. Das Hauptproblem, das eine europäische Lösung verhinderte, bestand darin, dass die Vorschriften des EU-Vertrags unzureichend waren oder nicht befolgt
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Daniel und Shiamptanis (2012) präsentieren ein dynamisches Modell für die EWWU, in der die Staatsfinanzkrise nur mehr durch zwei Maßnahmen gelöst werden kann: Staatsinsolvenz und/oder veränderte Politik in Kombination mit Inflation. Konfrontiert mit der Frage, ob Griechenland „an die Tür des IWF klopfen sollte", antwortete Trichet auf einer Pressekonferenz:, J do not want to enter into some kind of fantasy scenario. Let me just say that belonging to the euro area is something which helps you considerably. When you are in the euro area, you have a kind of automatic financing of your current account. And when you have a current account deficit, as has been the case for Greece for a long period of time, you get the financing of your current account deficit, because the other economies of the euro area take care of that." Siehe ECB (2010).
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wurden und dass die EU-Kommission alleine keine Glaubwürdigkeit und Erfahrung mit dem Management von schweren nationalen Haushaltskrisen hatte. Die gemeinsamen Rettungsaktionen von EU und IWF während der EWWUSchuldenkrise waren politische Entscheidungen unter enormem Druck der Finanzmärkte. Der IWF stand bereit, um an den Rettungsmaßnahmen teilzunehmen, aber die EURegierungschefs alleine kündigten finanzielle Hilfen und ökonomische Anpassungsprogramme mit IWF-Beteiligung an, beginnend mit dem ersten griechischen Programm im Mai 2010. Das IWF-Exekutivdirektorium, das letztendlich über die finanziellen Anpassungsprogramme und deren Konditionalität entscheidet, konnte nur folgen und die generellen Entscheidungen der EU-Regierungschefs mit tragen. Auch die US-Regierung drängte den IWF dazu, die Krise vor allem durch neue Finanzmittel für die betroffenen Länder zu bekämpfen, da man fürchtete, dass die Krise auf die Vereinigten Staaten übergreifen könnte. 13 Politische GrUnde dürften ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Die Vereinigten Staaten haben ein Interesse an einer Stabilisierung von Griechenland, einem NATO-Mitgliedsland in einer wichtigen geopolitischen Region, die US-Militärbasen beherbergt. In der Vergangenheit haben die USA niemals einem Land mit US-Militärstützpunkten Hilfe verweigert (Haie 2010; Gros und Mayer 2010). Der starke politische Wille der EU und der Vereinigten Staaten, Griechenland, Irland und Portugal zu retten, setzte den IWF unter Druck. Im IWFExekutivdirektorium haben die EU-Länder (mit rund 32 %) und die Vereinigten Staaten (mit 16,75 %) zusammen die Mehrheit der Stimmrechte und dominieren dadurch IWFEntscheidungen. Zusammen mit der regionalen Identität des geschäftsführenden Direktors des IWF hat dies die EU/IWF-Kooperation erleichtert (Henning 2011). Aber es steckte auch eine ökonomische Rationalität hinter der Entscheidung, den IWF mit ins Boot zu holen. Der IWF ist eine internationale Organisation mit 188 Mitgliedsländern (Stand Juni 2013). Er hat eine Uber 60-jährige Erfahrung bei der Kreditvergabe und der Förderung von Reformen in Ländern mit Zahlungsbilanzproblemen und Finanzkrisen. In dieser Hinsicht genießt der IWF eine hohe Reputation und Expertise. 14 Im Gegensatz dazu hat die EU nur begrenzte Erfahrungen mit ihrer Zahlungsbilanzfazilität, die mittelfristige finanzielle Hilfe für Nicht-EWWU-Länder bietet.15 Zudem ist offensichtlich, dass der IWF als eine Art externer Sündenbock für die Länder unter Reformdruck fungiert (Nelson et al. 2011). Die realisierte Ausfallrate für IWFKredite ist zudem nahezu Null {Rogoff 2002). IWF-Kredite an Schwellenländer wurden ausnahmslos vollständig beglichen (Jeanne et al. 2008, S. 4).16 Als internationale Organisation genießt der IWF einen bevorzugten Status als Kreditgeber in der Hinsicht, dass IWF-Kredite an Griechenland, Irland und Portugal vor allen anderen Kreditgebern zurückgezahlt werden. Obwohl es scheint, dass der IWF durch die politischen Entschei-
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Siehe dazu mehrere Statements von Präsident Obama.. Allerdings stammen diese Expertise und die Erfahrungen vor allem aus der Zusammenarbeit mit Entwicklungs- und Schwellenländem. Diese Fazilität ist derzeit mit SO Mrd. Euro ausgestattet. Kredite stehen an Lettland, Ungarn und Rumänien aus (Henning 2011, S. 13). IWF-Kredite an die ärmsten Entwicklungsländer waren mit Schuldenerlassen verbunden.
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düngen in Europa zur Gewährung von finanzieller Hilfe getrieben und marginalisiert wurde, hatte er doch eine führende Rolle bei den Verhandlungen über die Details der ökonomischen Anpassungsprogramme und ihrer Überwachung. Die Programme tragen die Handschrift des IWF, da die Länder strikte fiskalische Anpassungen vornehmen müssen und gezwungen sind, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Europäische Institutionen, wie die Europäische Kommission, stehen immer in enger Beziehung zu europäischen Politikern. Sie haben Reputation und Glaubwürdigkeit für eine effiziente Lösung der Staatsschuldenkrise in der Vergangenheit aufgrund ihrer Unfähigkeit, die EU-Länder dazu zu bringen, ihre Haushaltsdefizite zu verringern und die Regeln des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts einzuhalten, eingebüßt.17 Wie wir während der Krise seit Mitte 2010 gesehen haben, ist selbst die Autonomie der EZB, die per Gesetz unabhängig ist, in Mitleidenschaft gezogen worden. In dieser Hinsicht ist es vorteilhaft, dass der IWF eher und strenger partiellen politischen Interessen widerstehen kann als regionale Institutionen. Dadurch ist der IWF eher in der Lage, härtere Anpassungsprogramme durchzusetzen (Henning 2011, S. 26). Kooperation mit dem IWF und dessen Beteiligung sollten einen zusätzlichen Stimulus für den notwendigen Reformprozess in den betreffenden Ländern geben. In einer globalisierten und integrierten Welt mit Übertragungseffekten und Ansteckungsrisiken ist die Einbindung einer internationalen Organisation wie des IWF wichtig, um sich auf notwendige makroökonomische Politiken zu einigen, die nicht nur im Interesse eines Landes, sondern im globalen Interesse sind. Es ist unwahrscheinlich, dass eine ad hoc-Koordination zwischen Schuldner- und Geberländern zu einer Vereinbarung Uber gemeinsame Politikregeln führen wird. Zudem wird Gruppenzwang alleine nicht ausreichen, um die Länder zu einer Kooperation zu bewegen (Rajan 2011, S. 1). (2) Moral Hazard, Konditionalität und Versicherung Finanzielle Unterstützung für Krisenländer ist immer mit Moral Hazard-Problemen verbunden. In der EWWU-Schuldenkrise sind diese sogar noch ausgeprägter als in den Krisen in Schwellenländern während der letzten beiden Jahrzehnte. Die Regierungschefs von Frankreich und Deutschland, der politisch und ökonomisch stärksten Länder in der EWU, haben endlos wiederholt, dass ein Staatsbankrott und der Austritt eines Landes aus der Eurozone mit allen Mitteln verhindert werden müssen. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat immer wieder - auch gegenüber einer skeptischen Öffentlichkeit in Deutschland - betont, dass "Europa scheitern wird, wenn der Euro scheitert" (Deutscher Bundestag 2011). Die notwendigen finanziellen Ressourcen zur Finanzierung der Staatschulden der EWWU-Länder, die nicht in der Lage sind, sich selbst an den Finanzmärkten zu refinanzieren oder nur zu Zinssätzen, die als zu hoch angesehen werden, wurden durch die EU und ihre Mitgliedsländer zur Verfügung gestellt, ergänzt um eine potentiell unbegrenzte Unterstützung durch die EZB durch deren Offenmarktkäufe von Staatsanleihen bzw. die TARGET-Salden. Selbst als die unbegrenzte finanzielle Unterstützung durch Deutschland und Frankreich in Zweifel geriet, nachdem der 17
Vor diesem Hintergrund sind der Vorschlag, einen neuen Europäischen Währungsfonds zu schaffen (siehe dazu das folgende Kapitel 4), und die im Dezember 2011 getroffene Vereinbarung der meisten EU-Länder über einen Fiskalpakt sehr kritisch zu beurteilen.
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griechische Premierminister Papandreou im Oktober 2011 ein Referendum in Griechenland ankündigte, konnten die Krisenländer darauf vertrauen, dass ihre europäischen Partner alles unternehmen würden, um sie zu retten. Eine derartige Situation ist besonders anfällig für Moral Hazard. Der einzige Weg zu dessen Abschwächung im Fall eines massiven Bail-out ist eine strenge und glaubwürdige Konditionalität, ein generelles Kennzeichen von IWF-Programmen. Die Auszahlung jeder Tranche eines IWF-Kredits und die EU-Rettungspakete hängen ab von der Erfüllung von vereinbarten Reformschritten, die von der Troika aus IWF, Europäischer Kommission und EZB anerkannt werden müssen. Zudem ist mit dem Ersuchen um finanzielle Unterstützung durch den IWF ein Stigma verbunden. In der EWWU-Schuldenkrise kann man sich schwer vorstellen, dass die Europäische Kommission allein in der Lage gewesen wäre, finanzielle Hilfe mit einer überzeugenden Konditionalität durchzusetzen. Der IWF hat eine lange Erfahrung mit der Aushandlung und Überwachung ökonomischer Anpassungsprogramme und hat auf diesem Gebiet über die vergangenen sechs Jahrzehnte Reputation erworben. In der Vergangenheit haben viele Länder mit einem IWF-Programm, aber auch die Öffentlichkeit, oft den IWF für seine harten Maßnahmen und die strenge Konditionalität kritisiert. Die makroökonomische, finanzielle und budgetäre Konditionalität der Programme ergeben allerdings durchaus Sinn {Bardo und James 2010).18 Oft war der IWF mit seinen Programmen erfolgreich, da sie an den Ursachen der Krisen ansetzten und so notwendige Wirtschaftsreformen durchgesetzt werden konnten.19 Auf der anderen Seite argumentieren Gros und Mayer (2010), Kritiker einer IWFBeteiligung an der EWWU-Schuldenkrise, dass der IWF ein Programm nicht durchsetzen und ein Land nicht sanktionieren kann, außer dadurch, dass die nächste Tranche des Kredits zurück gehalten wird. Ihrer Meinung nach könnte die EU einen stärkeren Druck aufbauen, da sie Finanzhilfe über verschiedene andere Transfermechanismen innerhalb der EU stoppen kann. Beispielhaft könnte sie Mittel aus den EU-Strukturfonds kappen, und die EZB könnte Staatsanleihen des betreffenden Landes als Sicherheiten fUr ihre geldpolitischen Operationen nicht mehr akzeptieren. Schließlich bedeutet die Einbeziehung des IWF in die Lösung der nationalen Fiskalkrisen eine Art Versicherungsschutz für EFSF, EFSM, ESM und weitere Fondslösungen zur Finanzierung der bereitzustellenden Finanzmittel Uber die Finanzmärkte. Risiken werden dadurch zwischen allen IWF-Mitgliedem geteilt und nicht nur innerhalb der EU alleine. Zudem gibt eine IWF-Beteiligung auch ein Signal, wie vergleichbare zukünftige Krisen behandelt werden. 18 19
Der Nobelpreisträger Stiglitz ist z.B. einer der prominentesten Kritiker der Rolle des IWF in der indonesischen Krise, siehe Beaufort Wijnholds (2011, S. 45 ff.) Man muss jedoch berücksichtigen, dass der IWF in den letzten Jahren neue Fazilitäten geschaffen und eingeführt hat, die mit keiner oder nur einer geringen ex-post Konditionalität verbunden sind, z.B. die Flexible Kreditlinie (Flexible Credit Line). Eine Analyse der Konditionalität seit den asiatischen Währungskrisen Ende der 1990er Jahre erbrachte zudem einige Änderungen. So ging der Anteil von Maßnahmen im Zusammenhang mit Privatisierungen, Handelspolitik, Arbeitsmarktreformen etc. zurück, während die fiskalische Konditionalität zunahm {Edwards und Hsieh 2011, S. 81 f.).
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3.2. Die Nachteile einer Einbeziehung des IWF (1) Aufgaben des IWF Das Hauptziel des IWF ist die Sicherstellung der Stabilität des internationalen Währungs- und Finanzsystems. Zudem hilft der IWF bei der Lösung von Schulden- und Finanzkrisen und arbeitet mit seinen Mitgliedsländern zusammen, um seine Ziele zu erreichen. Der IWF hat drei Hauptwerkzeuge, um dieses Mandat zu verfolgen: Überwachung, technische Hilfe und Ausbildung sowie Kreditvergabe. Die laufende bilaterale Überwachung besteht aus einer detaillierten Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der Mitgliedsländer. Der hauptsächliche Fokus besteht darin, Risiken für die interne und externe Stabilität eines Landes zu identifizieren, die eine Anpassung der Wirtschaftspolitik erfordern. Die technische Hilfe des IWF hilft den Mitgliedstaaten ihre Kapazitäten zu stärken, um effektive wirtschaftspolitische Maßnahmen zu entwickeln und zu implementieren. Sie wird in verschiedenen Bereichen gewährt, einschließlich der Fiskal-, Geld- und Wechselkurspolitik sowie der Aufsicht und Regulierung des Banken- und Finanzsystems. Im Falle von Problemen bei der Finanzierung von Zahlungsbilanzungleichgewichten kann der IWF Finanzmittel bereitstellen, um eine Verbesserung der Zahlungsbilanzsituation zu erreichen. Ein wirtschaftspolitisches Programm, unterstützt durch Finanzierungsmittel, wird dabei von den nationalen Stellen in Zusammenarbeit mit dem IWF entworfen und umgesetzt. Die laufende finanzielle Unterstützung ist jeweils abhängig von der effektiven Umsetzung dieses Programms. Der IWF stellt zudem Entwicklungsländern mit niedrigem Einkommen Kredite zu einem begünstigten Zinssatz zur Verfügung. Ein entscheidender Faktor ist die Funktion des IWF als "monetärer Fonds", der seine einzigartige Eigenschaft als eine kooperative und monetäre Institution definiert und ihn von anderen globalen Institutionen unterscheidet (Deutsche Bundesbank 2010, S. 60). Obwohl Griechenland, Portugal und Irland vor dem Ausbruch der Krise hohe Leistungsbilanzdefizite verzeichneten, war die Ursache ihrer Probleme nicht ein Leistungsbilanzdefizit, das aufgrund mangelnder Währungsreserven nicht finanziert werden konnte (Deutsche Bundesbank 2010, S. 61). Griechenland und Portugal haben tiefgreifende strukturelle Probleme in Zusammenhang mit einer schwachen Regierungsführung und einer nicht tragfähigen Staatsverschuldung. Im Fall von Irland führten fiskalische Rettungspakete während der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09, die für die Stabilisierung des irischen Bankensystems notwendig waren, zu hohen Haushaltsdefiziten, die den öffentlichen Schuldenstand sprunghaft ansteigen ließen. Man könnte argumentieren, dass es nicht die Aufgabe des IWF ist, nationale Haushaltsdefizite in nationaler Währung zu finanzieren. Darüber hinaus hat der IWF keine besondere Erfahrung mit der Lösung solcher Krisen. In den Worten der Deutschen Bundesbank (2010, S. 63): „Denn mit den ihm zur Verfügung stehenden Währungsreserven darf er mandatsgerecht nur zur Überwindung kurzfristiger Zahlungsbilanzprobleme und folglich zur Deckung eines temporären Fremdwährungsbedarfs beitragen. Dagegen ist ein finanzieller Beitrag des IWF bei der Lösung von strukturellen Problemen, die keinen Fremdwährungsbedarf implizieren - etwa der direkten Finanzierung von Budgetdefiziten oder der Finanzierung einer Bankenrekapitalisierung - mit seinem monetären Mandat nicht zu vereinbaren".
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(2) Anreize und Moral Hazard Zur Reduzierung des Moral Hazard werden IWF-Programme mit einer strikten Konditionalität verknüpft. Die Programme für die betroffenen Länder werden darüber hinaus durch laufende Missionen der Troika evaluiert. Die überwachende Rolle hat sich in der Vergangenheit als entscheidend für den Erfolg von IWF-Programmen erwiesen. Es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass die IWF-Programme während der europäischen Schuldenkrise gelockert wurden. Das erste Programm für Griechenland von 2010 wurde beispielsweise vor allem vom IWF-Stab ausgearbeitet und vom IWFExekutivdirektorium im Juni 2010 verabschiedet. Später, als der damalige geschäftsflihrende Direktor des IWF Strauss-Kahn im Frühjahr 2011 als Kandidat für die französischen Präsidentschaftswahlen 2012 ins Gespräch kam, wurden er selbst und sein Sekretariat mehr und mehr in das Programm involviert, und es entstand der Eindruck, dass das Programm und seine Konditionalität gelockert wurden (Reuters 2011). Das gleiche Bild ergibt sich, wenn man das erste Griechenlandprogramm und das Programm für Portugal vergleicht. Damit begegnen die Schuldnerländer folgender Situation: Es gibt eine (internationale) Organisation, die für die Vergabe von Krediten bereit steht. Die EU hat zudem ein Interesse an einer funktionierenden Währungsunion. Von daher wird jede Idee, dass ein Land (freiwillig oder unfreiwillig) die WWU verlassen könnte, als abwegig angesehen. Aus diesem Grund können Länder die Kreditgeber erpressen, indem sie versuchen, die Bedingungen der Programme neu zu verhandeln und ihre Reformanstrengungen zu verzögern. Der griechische Finanzminister bemerkte beispielsweise am 6. Mai 2010 in einem Zeitungsinterview: „As we speak today the country can't borrow it from foreign markets and the only way to avoid bankruptcy and a halt on payments is to get this money from our European partners and the IMF" (zitiert nach Featherstone 2011, S. 203.). Zudem gab es wiederholte Drohungen und Warnungen von griechischen Offiziellen, das Griechenland einen Staatsbankrott erleiden könnte. Der italienische Ministerpräsident Mario Monti forderte bei seinem Besuch in Berlin im Januar 2012 eine flexiblere Herangehensweise in der Krise. In einem Interview argumentierte er: am demanding heavy sacrifices from Italians. I can only do this if concrete advantages become visible. If not, a protest against Europe will develop in Italy, including against Germany, which is seen as the ringleader of EU intolerance, and against the European Central Bank" (Die Welt 2012). Hinweise auf gravierende Moral-Hazard-Probleme liefern auch die Ergebnisse einer empirischen Analyse von IWF-Programmen für 57 Entwicklungs-, Schwellen- und Transformationsländer von 1975 - 2008 durch Jorra (2012). Danach führen diese Programme zu einer signifikanten Erhöhung der Insolvenzwahrscheinlichkeit auf mittlere Sicht. Dies gilt vor allem für Länder, deren ökonomische Fundamentaldaten bereits sehr schlecht sind. (3) Entscheidungsfindung und Verfügbarkeit von Finanzmitteln Die Programme des IWF für Griechenland, Portugal und Irland sind aufgrund ihres hohen Finanzumfangs ohne historisches Beispiel. Der IWF hat allgemeine Höchstgrenzen für die Kreditvergabe an ein Land, die unter „außergewöhnlichen" Umständen gelockert werden können. Die 27 EU-Mitgliedstaaten haben zusammen einen Stimmenanteil
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im Exekutivdirektorium des IWF von mehr als 32 %. Im Zusammenhang mit der Tatsache, dass der geschäftsführende Direktor des IWF immer ein Europäer gewesen ist, erklärt dies, warum die Beteiligung des IWF so schnell zustande kam. Die Kooperation zwischen EU und IWF wurde daher durch die Stimmrechts-Dominanz der EU-Länder im Exekutivdirektorium sowie die regionale Identität des geschäftsführenden Direktors erleichtert (Henning 2011, S. 203). Wenn der IWF in der Zukunft keine oder keine ausreichend hohen zusätzlichen Finanzmittel aufbringen kann, stehen durch die hohe Kreditvergabe an die EWU-Länder allerdings weniger Mittel für andere Länder bereit, insbesondere in Asien, Afrika und in den Reformländern Mittel- und Osteuropas. Diese Länder sind jedoch die eigentlich wichtigsten Zielländer für die Aufgaben und die Hilfe des IWF. Während der Verhandlungen Uber das zweite Griechenlandprogramm wuchsen daher auf Seiten der Vertreter der Schwellen- und Entwicklungsländer im IWFExekutivdirektorium die Zweifel an der Tragfähigkeit des Programms, und die Furcht vor dem Verlust des erstklassigen Rufes als Kreditgeber führte zu einem geringeren Finanzierungsanteil des IWF. Wenn größere EU-Länder wie Italien und Spanien in eine ernsthafte Krise geraten, wird der IWF definitiv überlastet. Auf jeden Fall reichen die derzeit verfügbaren Finanzmittel des IWF nicht aus, um mehrere größere Krisenherde gleichzeitig effektiv zu bekämpfen. (4) Die Finanzierung nationaler Haushaltsdefizite Nachdem sich die EU-Länder und -Institutionen nicht auf eigene Rettungspakete einigen konnten (weder Uber die EU-Institutionen noch Uber die EZB), wurde eine Kooperation mit dem IWF vereinbart. Zusammen mit dem EFSF und dem EFSM wurden dadurch Parallelhaushalte (Schattenhaushalte) und zusätzliche Liquidität zur Finanzierung von nationalen Haushaltsdefiziten geschaffen. Dadurch wurde auch die No-bailout-Klausel des EU-Vertrags ausgehebelt (Nelson et al. 2011, S. 80). Insofern kann die Beteiligung des IWF auch als Versuch gewertet werden, das Verbot der direkten Finanzierung von nationalen EU-Haushaltsdefiziten Uber die Zentralbanken zu umgehen. Die Entscheidung der Bereitstellung von bis zu 200 Mrd. Euro Währungsreserven für den IWF auf dem EU-Gipfel im Dezember 2011 Uber bilaterale Kredite der EU und der nationalen Notenbanken der EU-Länder stützt diese These. Der IWF hatte schon früher entschieden, seine Quoten annähernd zu verdreifachen, auf 934 Mrd. US-Dollar (genehmigt wurden 767 Mrd. US-Dollar), und zusätzlich seine Sonderziehungsrechte zu erhöhen. Insofern scheint die europäische Staatsschuldenkrise den IWF durch die Möglichkeit der Ausgabe von Sonderziehungsrechten und Kreditgewährungen in die Rolle eines .Lender of Last Resort' zu drängen. Es ist insofern ein Versuch, fiskalische Probleme durch die Hintertüre mit Inflation zu lösen (wie es in der Wirtschaftshistorie schon häufig geschah, siehe Reinhart und Sbrancia 2011), gerechtfertigt durch das Argument einer Sicherung der globalen Finanzstabilität und der Vermeidung von Ansteckungseffekten. Natürlich führen die Schaffung von Sonderziehungsrechten und neue IWF-Kredite nicht unweigerlich zu Inflation (Cooper 2011). Unter den derzeitigen Regeln werden Sonderziehungsrechte und Kredite vom IWF in Relation zur Quote des jeweiligen Landes herausgegeben. Diese Zuteilungen haben einen potenziellen monetären Effekt, da
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die IWF-Mitgliedsländer dadurch eine erhöhte Kreditlinie oder zusätzliche finanzielle Mittel erlangen.20 Eine Zunahme der Liquidität kommt dann zustande, wenn (i) das heimische Geldangebot steigt, wenn (ii) die Geldnachfrage des privaten Sektors strukturell sinkt und wenn (iii) die Zentralbank eine akkommodierende Geldpolitik verfolgt. In der jetzigen Ausnahmesituation sind die Bedingungen (i) und (iii) wahrscheinliche Szenarien. Bei dieser Einschätzung muss auch der Umfang der aktuellen und potentiellen IWF-Finanzmittel berücksichtigt werden. Wenn sich der IWF immer mehr zu einem .Lender of Last Resort' entwickelt und für diese Aufgabe zusätzliche Finanzmittel fordert und bekommt, stellt sich die Frage nach der Sicherheit der auf den IWF übertragenen Mittel. Wenn diese unsicher werden, muss bezweifelt werden, ob Sonderziehungsrechte noch als internationale Währungsreserven dienen können. Wie bereits erwähnt, sind die eingegangenen Ausleihungen des IWF während der europäischen Schuldenkrise bereits auf ein Allzeithoch gestiegen. (5) Politische Ökonomie Während der EWU-Schuldenkrise gab es eine starke Achse der politischen Entscheidungsträger aus Frankreich und Deutschland, die den Rettungsprozess angetrieben haben. Der Einfluss der französischen Regierung reichte zudem in die Institution des IWF hinein, da der ehemalige geschäftsführende Direktor Strauss-Kahn, wie auch seine Nachfolgerin Lagarde, französische Positionen repräsentierten. Ein solcher politischer Druck könnte die Unabhängigkeit des IWF aushöhlen, da der IWF als williger Helfer der europäischen Politiker im Krisenmanagement betrachtet werden kann. Die finanziellen Rettungspakete forderten jedoch - wie oben beschrieben - keine emsthafte Gegenreaktion der Schwellen- und Entwicklungsländer heraus. Diese Länder hatten ebenfalls ein Interesse an einer Stabilisierung der EWU. In dieser Hinsicht könnten in Zukunft anhaltende Rettungsaktionen jedoch Unruhe stiften, wenn die gemeinsame Mission der Troika fehlschlägt und vom IWF vergebene Finanzmittel ausfallen. In diesem Fall würde der IWF Glaubwürdigkeit einbüßen, wie in der Vergangenheit, als seine Politik in Argentinien und in Russland fehlschlug (Beaufort Wijnholds 2011). Ein ähnliches Problem ergäbe sich, wenn die europäischen Interessen mehr und mehr divergieren und der IWF zwischen diesen Interessen aufgerieben würde. Trotz teilweise unterschiedlicher Ansichten darüber, wie die Schuldenkrise gemanagt werden soll, haben sich jedoch bisher alle EU-Länder immer auf eine gemeinsame Politik auf den verschiedenen EU-Gipfeln einigen können.21 Innerhalb des IWF gab es offenbar auch unterschiedliche Ansichten über die adäquate Vorgehensweise während der Krise. Im November 2011 trat deswegen Antonio Borges, ein früheres portugiesisches Zentralbankmitglied und der Leiter der Europaabteilung des IWF, die für die ökonomischen Anpassungsprogramme verantwortlich ist, aus „persönlichen Gründen" zurück. Zuvor hatte Borges vorgeschlagen, dass der IWF direkt
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In der EWU kann ein Land seine Sonderziehungsrechte nutzen, indem es sie gegen Euro tauscht. Das Vereinigte Königreich und Tschechien haben sich allerdings nicht den Vereinbarungen der anderen 25 EU-Staaten über den Fiskalpakt angeschlossen.
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Staatsanleihen von Italien und Spanien kaufen könnte, um Druck vom Markt zu nehmen. Da dies mit dem Mandat des IWF nicht vereinbar wäre, wurde daran kräftig Kritik geübt (FAZ 2011). Bis zum Beginn der weltweiten Finanzmarktkrise in 2007 wurde die Notwendigkeit des IWF zunehmend in Frage gestellt (Truman 2009). Der IWF wurde teilweise als überflüssige Institution angesehen, vor allem angesichts der riesigen Währungsreserven und der zunehmenden Leistungsbilanzüberschüsse der asiatischen Länder, insbesondere Chinas (Eichengreen 2007). Zudem förderte die Chiang Mai-Initiative Uber bilaterale Swaps und Kredite im asiatischen Raum eine Neuorientierung hin zu regionalen Vereinbarungen. Im Frühjahr 2007 beliefen sich die ausstehenden Kredite des IWF an Kreditnehmer aus den Schwellenländern auf weniger als 12 Mrd. Sonderziehungsrechte, gegenüber 65 Mrd. Sonderziehungsrechten im Jahr 2003. Die Hälfte der ausstehenden Kredite entfiel im Frühjahr 2007 auf ein Land, die Türkei (Eichengreen 2007, S. 155). Seitdem hat der IWF ein spektakuläres Comeback erlebt und ließ damit seine Kritiker teilweise verstummen. Die letzten beiden großen Krisen - die globale Finanzkrise und die europäische Staatsschuldenkrise - haben zudem die Rolle des IWF als Krisenmanager gestärkt und ihm einen zentralen Platz in den laufenden Bemühungen um eine Reform des Weltfinanzsystems gegeben. Der IWF hat seine Machtposition wieder erlangt und seine Aufgaben vermehrt, sowohl politisch, wie auch finanziell. Dies wurde von IWF-Vertretern mit großem Enthusiasmus begrüßt. Die erste neue Aufgabe ist die Funktion einer multinationalen Aufsicht, speziell einer makroprudenziellen Aufsicht, die auch Ansteckungseffekte aufdecken und vermeiden soll. Innerhalb dieser Funktion sollte der IWF Finanzmarktregularien und die Finanzmärkte überwachen. Die zweite Aufgabe besteht darin, Länder im Fall von fiskalischen Problemen in Zusammenarbeit mit regionalen Organisationen zu unterstützen. Auf dem G-20-Treffen in Cannes im Oktober 2011 akzeptierte Italien die laufende Überwachung seines Reformprozesses auf vierteljährlicher Basis durch den IWF. Der IWF kann Politikberatung auf Antrag seiner Mitgliedstaaten zur Verfügung stellen, über die laufende bilaterale Überwachung im Rahmen der Artikel TV-Konsultationen hinaus. Im technischen Sinne ist der Antrag Italiens daher nichts Außergewöhnliches. Außergewöhnlich ist jedoch die Tatsache, dass die Europäische Kommission nicht alleine den Reformprozess Italiens überwacht, sondern diese Aufgabe gemeinsam mit dem IWF übernommen hat. Dies birgt natürlich für die EU die Gefahr, dass der IWF in Zukunft (vielleicht sogar zusammen mit den USA) die dominierende Institution für das Krisenmanagement in der EU ist.
4.
Die Troika von IWF, EZB und EU-Kommission: ein Modell für die Zukunft?
Im März 2010, als sich die griechischen Probleme dramatisch verschärften und die europäischen Versuche zur Lösung der Krise nicht funktionierten, kündigte der IWF seine Teilnahme an den Hilfsaktionen an (Henning 2011, S. 5). Diese Entscheidung des IWF war freiwillig und im Interesse des IWF (siehe Punkt 5 in Abschnitt 3). Zusammen mit der EZB und der EU-Kommission schuf der IWF die sog. Troika, die für die Aus-
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handlung und die Überwachung der ökonomischen Anpassungsprogramme für Griechenland, Irland und Portugal verantwortlich ist. Die Troika kann als eine neue Institution angesehen werden, die ad hoc gebildet wurde, da die EU nicht dazu in der Lage war, ihre Probleme alleine zu lösen. Auch trauten die Politiker der Geberländer (allen voran die deutsche Kanzlerin Merkel) den europäischen Institutionen nicht und es musste nach einer Lösung des Moral Hazard-Problems gesucht werden, das mit den Bail-outs verbunden ist (Financial Times 2010). Folgende Fragen stellen sich im Zusammenhang mit der Arbeit der Troika: (1) Ist die Troika ein Modell für die Zukunft, um mit Staatsschuldenkrisen in Europa umzugehen? (2) Wenn die Troika in Europa erfolgreich ist, könnte dieses Modell in andere Regionen der Welt exportiert werden? (3) Verhindert oder verzögert das Troika-Modell einen notwendigen Staatsbankrott? und (4) Wie sollten die kooperierenden Partner ihre Politikmaßnahmen gegenüber der Öffentlichkeit und den Finanzmärkten kommunizieren? (!) Die Zukunft des Troika-Modells in Europa Trotz der Gefahr des Verlustes von Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit und trotz der Moral Hazard-Probleme kann die Kooperation des IWF mit den europäischen Institutionen für den IWF Sinn machen, da der IWF regionale Institutionen benötigt, um eine effektive Kreditvergabe durchzuführen. Vor Beginn der weltweiten Finanzmarktkrise in 2007/2008 war die Kreditvergabe des IWF auf einem Tiefpunkt, und die Notwendigkeit des IWF wurde von vielen Beobachtern in Frage gestellt (siehe oben Punkt 3.2 (5)). Daher konnte der IWF seine Rolle sichern und wieder ausbauen, in dem er bereitwillig mit den EU-Institutionen kooperierte. In der europäischen Staatsschuldenkrise erreichte die finanzielle Hilfe Dimensionen, die der IWF nicht allein aufbringen kann. Zwar wurden eine Ausweitung der IWFFazilitäten und neue IWF-Fonds vorgeschlagen und beschlossen. Selbst mit den zusätzlichen 430 Mrd. US-Dollar an Finanzmitteln wäre der IWF aber nicht in der Lage, ein großes entwickeltes Land wie Spanien oder Italien zu retten. Die starke Bereitschaft des IWF, an den Hilfsmaßnahmen teilzunehmen könnte daher als eine Maßnahme bewertet werden, um seine besondere Rolle als globale Finanz-Feuerwehr zu sichern. In Europa gab es unterschiedliche Ansichten über die Beteiligung des IWF. Eine Reihe von Ökonomen und Politikern favorisierte eine nicht-kooperative europäische Lösung und schlug einen Europäischen Währungsfonds vor, um unabhängig mit der Krise umzugehen. Es wurde argumentiert, dass ein Europäischer Währungsfonds eine geordnete Staatsinsolvenz von Mitgliedsländern wie Griechenland ermöglichen könnte, wodurch Moral Hazard vermindert würde, da ein Land nicht darauf hoffen kann, unbegrenzt Hilfe zu erhalten, ohne die notwendigen Reformschritte zu unternehmen (Gros und Mayer 2010, S. 2). Allerdings dürfte der politische Druck auf einen Europäischen Währungsfonds noch höher sein als der Druck auf den IWF (Fuest 2011, S. 37). Man kann sich zudem fragen, ob es Sinn macht, eine weitere europäische Institution zu schaffen, wo es doch bereits die Europäische Kommission und die EZB gibt, die beide in das Krisenmanagement eingebunden sind. Das Troika-Modell scheint daher die beste Lösung zur Bekämpfung der Staatsschuldenkrise in der Währungsunion zu sein, solange die Europäische Kommission nicht die
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Expertise besitzt, ökonomische Anpassungsprogramme auszuarbeiten und zu überwachen und solange nicht die Stabilität der Staatshaushalte und der wirtschaftlichen Bedingungen in den verschuldeten Ländern wieder hergestellt und ein glaubwürdiger europäischer Überwachungsmechanismus für die nationalen Fiskalpolitiken errichtet ist. Selbst mit dem Abschluss des europäischen Fiskalpakts im März 2012 ist dies noch nicht gewährleistet, da dieser Pakt erst noch seinen Praxistest bestehen muss. (2) Kooperation des IWF mit regionalen Institutionen Die Schuldenkrise in der EWU und die Ausweitung der internationalen finanziellen Sicherheitsnetze haben die Bedeutung der Kooperation zwischen den regionalen Institutionen und dem IWF gestärkt. Während eine Kooperation in Krisenzeiten häufig befürwortet wird, ist die Notwendigkeit einer Koordination auf ex ante-Basis und im weltweiten Rahmen umstritten. Die Kooperation innerhalb der Troika kann im Rahmen von gemeinsamen Programmen in anderen Weltregionen sicherlich nicht leicht repliziert werden (Henning 2011, S. 1). Regierungen und Zentralbanken sowie auch die Öffentlichkeit sind in der Regel nicht sehr enthusiastisch über eine Beteiligung des IWF bei der Bekämpfung von Schuldenund Finanzkrisen. Aber dennoch benötigen regionale Institutionen die Expertise des IWF beim Krisenmanagement und bei der Durchsetzung von Reformprogrammen. In Asien wurde der IWF nach der Krise von 1997/1998 oft für sein Krisenmanagement und harte Anpassungsprogramme kritisiert (Park und Wyplosz 2010, S. 36 f.). Dies führte zu dem Vorschlag, den insbesondere das japanische Finanzministerium ins Spiel brachte, dass der IWF durch einen Asiatischen Währungsfonds ersetzt werden sollte (Henning 2011, S. 4). Der IWF und die US-Regierung lehnten diesen Vorschlag strikt ab, da sie fürchteten, ihren Einfluss in Asien zu verlieren (Bordo und James 2010, S. 13). Der IWF argumentierte, dass Krisen wie die asiatische Krise globale Auswirkungen haben und dass regionale Institutionen schlechter ausgestattet sind, um mit solchen Krisen umzugehen. Die Idee eines Asiatischen Währungsfonds lebt aber seither immer wieder auf. Es ist weniger ein Mangel an finanziellen Ressourcen als ein Mangel an Expertise, der eine Kooperation notwendig macht. Die asiatischen Volkswirtschaften haben in den letzten beiden Jahrzehnten einen sehr großen Bestand an Währungsreserven akkumuliert, der für finanzielle Stabilisierungsprogramme verwendet werden könnte. Ein Beispiel ist die Chiang Mai-Initiative (CMI), die im Jahr 2000 zu einem System bilateraler Swaparrangements (BSAs) zwischen den ASEAN-Ländern sowie China, Korea and Japan führte. Mit dieser Vereinbarung strebten die asiatischen Länder eine geringere Abhängigkeit vom IWF an. Allerdings konnten sie sich nicht vollständig vom IWF lösen, da der IWF eine wichtige Rolle bei der Überwachung derjenigen Länder spielt, die finanzielle Hilfe benötigen (Park und Wyplosz 2010, S. 36f). Zuteilungen über 20 % der Quote eines Landes sind im Rahmen der CMI mit einem IWF-Programm des betreffenden Landes verknüpft. 22 Dahinter steht die Idee, dass durch die Kooperation ein kompa-
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Henning (2011, S. 35), gibt einen Überblick über ausgewählte regional verfügbare Finanzmittel und ihre Beziehung zum IWF.
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rativer Vorteil realisiert werden kann, den der IWF gegenüber regionalen Organisationen bei der Verknüpfung von finanzieller Hilfe mit der Konditionalität von Reformprogrammen hat. (3) Verhindert ein kooperativer Ansatz eine notwendige Staatsinsolvenz? Eine Schwäche der Politik des IWF besteht darin, dass er stets beabsichtigt, eine Staatsinsolvenz zu verhindern und dass es kein geordnetes Procedere gibt, um ein Insolvenzverfahren einzuleiten bzw. mit einem Staatsbankrott umzugehen, falls die Fiskalposition eines Landes sich als nicht tragfähig erweist. Es scheint, dass der IWF-Stab zu Beginn der WWU-Schuldenkrise das Problem der Tragfähigkeit der Haushaltssituation sowie die Risiken eines Staatsbankrotts und einer Restrukturierung der Schulden in den betroffenen Ländern, insbesondere in Griechenland, unterschätzt hat (Cottarelli et al. 2010).23 Ende der 1980er Jahre schlug Sachs vor, dass der IWF Modelle für eine staatliche Insolvenz und für die Aufsicht über eine geordnete Reduzierung einer nichttragfähigen Staatsverschuldung ausarbeiten solle (Sachs 1989). Während ihrer Zeit als Chefvolkswirtin des IWF hat Anne Krueger den .Sovereign Debt Reduction Mechanism' (SDRM) propagiert. Sie schlug vor, einen internationalen Rechtsrahmen zu schaffen, um einer qualifizierten Mehrheit der Gläubiger eines Staates eine Restrukturierungsvereinbarung zu ermöglichen, die für die Minderheit der Gläubiger bindend sein sollte. Ein solcher Rahmen könnte die frühzeitige Umstrukturierung nicht-tragfähiger Staatsschulden ermöglichen. Er würde schädliche Maßnahmen im Fall einer endlosen Verzögerung einer Staatsinsolvenz verhindern und einem insolventen Land einen Neustart ermöglichen (Krueger 2002). Der Stopp der Hilfe und eine notwendige Insolvenz würden zudem die Ressourcen des IWF und anderer Geldgeber schonen. Die Finanzmärkte und die US-Regierung lehnten jedoch erfolgreich die Pläne eines SDRM ab (Bordo und James 2010, S. 11). Es ist offensichtlich, dass eine Staatsinsolvenz ernsthafte Probleme mit sich bringen kann, die in der Literatur ausführlich beschrieben werden, wie langfristiger Verlust des Zugangs zu den Finanzmärkten, höhere zukünftige Kosten der Verschuldung, Handelssanktionen von Gläubigerländern, drastische Wachstumseinbrüche, Kapitalflucht, usw. (.Borenzstein und Panizza 2008). Dies gilt speziell für ein Land innerhalb der EWWU, da es dafür keine historischen Vorbilder gibt. Dennoch sollte man eine Staatsinsolvenz nicht gänzlich ausschließen. Unbegrenzte finanzielle Unterstützung im Fall einer nichttragfähigen Fiskalposition macht keinen Sinn und gefährdet die Glaubwürdigkeit des IWF. Im Fall von Griechenland haben die europäischen Regierungschefs eine .freiwillige' Einbeziehung des privaten Sektors (PSI) und einen .Haircut' für private Anleihegläubiger Griechenlands forciert. Die Verhandlungen über eine Restrukturierung der griechischen Staatsschulden zwischen der griechischen Regierung und dem privaten Sektor dauerten mehr als ein halbes Jahr und wurden erst im März 2012 abgeschlossen. Die Unsicherheit Uber die Modalitäten der Restrukturierung der griechischen Staatsschulden trug stark zur Nervosität auf den internationalen Finanzmärkten bei und führte zudem zu Ansteckungseffekten innerhalb der EWU. 23
Seit dem zweiten Griechenlandprogramm hat der IWF anscheinend seine Einschätzung geändert und dem entsprechend sein anteiliges Engagement zurückgefahren.
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(4) Externe Kommunikation der Troika Falls es der Troika nachhaltig gelingt, mit ihren ökonomischen Anpassungsprogrammen die wirtschaftliche Lage in einzelnen EWU-Ländern wie Irland oder Portugal zu verbessern, sodass die Länder in den nächsten Jahren wieder an die Finanzmärkte zurückkehren können, könnte das Troika-Modell eine Lösung für die Zukunft sein. Obwohl es unterschiedliche Ansichten der drei Institutionen während der Ausarbeitung der Programme und ihrer Überwachung gab, z.B. über die Frage der Einbeziehung des privaten Sektors im zweiten Griechenlandprogramm oder Uber die Reformfortschritte in Griechenland, so arbeiteten die Mitarbeiterstäbe der drei Institutionen doch relativ effizient zusammen und jedes Troika-Mitglied trug mit seiner speziellen Expertise zu den gemeinsamen Missionen zur Überwachung der Programme bei. Allerdings gibt es speziell Raum für eine Verbesserung der externen Kommunikation der Troika. Mehrere Probleme entstanden: a) Die Troika-Mitglieder veröffentlichten gemeinsame und unterschiedliche Stellungnahmen, Reden und Berichte während der verschiedenen Stufen des Prozesses der Ausarbeitung und Überwachung der Programme. Für die Finanzmärkte und die Öffentlichkeit war es nicht immer einfach, die gemeinsame Politik und den Grad der Reformfortschritte zu interpretieren, und einige Male wurden auch unterschiedliche Meinungen der Troika-Mitglieder bekannt. Die Europäische Kommission und der IWF publizierten nach jeder vierteljährlichen Mission einen eigenen Stabsbericht. Ein gemeinsamer Bericht könnte dagegen den Eindruck von Kontroversen innerhalb der Troika vermeiden und wäre für die Öffentlichkeit besser zu verstehen. b) Die Kommunikation wurde zudem durch unzählbare Statements offizieller Vertreter der drei Institutionen erschwert. Die extreme Bandbreite und die ständigen Wiederholungen von Vorschlägen aus den Reihen der EU-Gremien sowie der nationalen Regierungen erhöhten die Unsicherheit auf den Finanzmärkten und in der Öffentlichkeit. Während der EWU-Schuldenkrise bekam man den Eindruck, dass die Regierungschefs, speziell der französische Präsident Sarkozy und die deutsche Kanzlerin Merkel, die Hauptakteure waren, immer wieder gestört durch andere Politiker und EU-Offizielle. Wie in einigen anderen Politikgebieten hatte die EU das Problem, mit einer Stimme zu sprechen. Für den IWF war dies eher ungewöhnlich und eine komplizierte Situation, da der IWF normalerweise mit einer Regierung verhandelt und kooperiert, nämlich der Regierung des Landes, das seine Hilfe braucht.
5.
Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Der IWF hat in der Weltwirtschaft und auf den internationalen Finanzmärkten durch seine zentrale Rolle bei den Rettungsaktionen für EU-Länder in der Krise wieder stark an Einfluss gewonnen. Er hat zu den Notfallkrediten an die betroffenen Länder beigetragen und wirtschaftliche Anpassungsprogramme für Griechenland, Irland und Portugal in enger Zusammenarbeit mit der EZB und der EU-Kommission ausgearbeitet und überwacht. Die Kooperation mit den anderen Troika-Mitgliedern ist notwendig gewesen, da der IWF alleine nicht in der Lage gewesen wäre, die gewaltigen Finanzmittel aufzubringen. Durch einen Beitrag von rund 33 % zu den Rettungsfonds für die ersten
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Programme für Griechenland, Irland und Portugal hat der IWF einen maximalen Einfluss von 100 % bei der Gestaltung der Programme und im Überwachungsprozess erhalten, da die Programme die Handschrift des IWF tragen und die Auszahlung jeder Tranche der Fonds letztlich von der Entscheidung des IWF-Exekutivdirektoriums mit abhängen - in der Tat ein hoher Hebeleffekt! Da die Europäische Union und die EU-Politiker nicht Uber die notwendige Glaubwürdigkeit verfügten, machte eine Beteiligung des IWF an der Lösung der europäischen Schuldenkrise Sinn. Durch die Einbeziehung des IWF können Moral Hazard- Probleme, die mit einem Bailout verbunden sind, abgemildert werden - zumindest in so weit, als der IWF dazu in der Lage ist, die ökonomischen Anpassungsprogramme zu überwachen und Reformfortschritte durchzusetzen. Strenge Konditionalität ist jedoch für den Erfolg der Programme und die Glaubwürdigkeit des gesamten Prozesses unbedingt erforderlich. Es gibt zwei Risiken, die den Erfolg des Troika-Modells gefährden könnten: (1) Der IWF muss Forderungen von Politikern aus dem EWWU-Gebiet, die jedes Land zu jedem Preis retten wollen, Widerstand leisten; und (2) er muss internem Druck zu einer Abschwächung der Konditionalität der Programme widerstehen. Ein Aufweichen der Programme könnte die Glaubwürdigkeit und Reputation des IWF zerstören und die Zukunft des Troika-Modells gefährden. Die Risiken einer IWF-Beteiligung an der EWWU-Schuldenkrise sind offensichtlich, aber es gibt keine funktionsfähige und überzeugende Alternative. Einige EU-Länder haben sich bisher geweigert, die Spielregeln einer Währungsunion zu akzeptieren. Die Unterzeichnung des Fiskalpaktes ist ein Schritt in diese Richtung. An seiner Umsetzung bestehen aber noch große Zweifel. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat in der Umsetzung schlecht funktioniert. Eine andere, häufig propagierte Lösung der Staatschuldenkrise in Form einer unbegrenzten Unterstützung durch die F.TB erfährt starken Widerstand durch Deutschland und könnte den Weg für einen inflationären Prozess in der WWU ebnen. Letztlich kann die EZB nur bei (kurzfristigen) Liquiditätsproblemen helfen. Finanzielle Hilfe und die Durchsetzung von Reformschritten durch die Troika scheinen für die nahe Zukunft die einzige Möglichkeit zur Lösung der strukturellen und Fiskalprobleme sowie zur Wiederherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit in den Krisenländem zu sein. Ansonsten und bei fehlender Reformbereitschaft und fähigkeit verbleiben nur die Staatsinsolvenz und der Austritt aus der Währungsunion.
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Dirk Wentzel (Hg.), Internationale Organisationen Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 97 • Stuttgart • 2013
Eine Versicherungslösung für Staaten: Alternative zu dauerhaften Rettungsschirmen?
Hanno Beck und Dirk Wentzel'
Inhalt 1.
2.
3.
4.
5.
Staatliche Überschuldung mehrerer Euro-Länder: Eine unendliche Geschichte?
132
Die schleichende Austrocknung der Kapitalmärkte
134
2.1. Die These von Shleifer über das Sterben des Sovereign Bond Markets
134
2.2. Finanzierungslücken in Europa
135
Zur Notwendigkeit einer staatlichen Insolvenzordnung
137
3.1. Ordnungspolitische Ziele einer Insolvenzordnung 3.2. Kennzeichnung staatlicher Insolvenz
137 138
Die Idee einer supranationalen Versicherungsordnung für Staatsanleihen
140
4.1. Das Konzept 4.2. Die Anreizwirkungen
140 141
4.3. Frühwarnsystem und Transparenz
142
Ausblick: Kann der Teufelskreis aus moral hazard und adverser Selektion durchbrochen werden?
143
Literatur
1
144
Der vorliegende Beitrag wurde im internationalen Forschungsseminar Radein in Südtirol im Februar 2012 präsentiert. Die Autoren danken insbesondere dem Korreferenten Malte Krüger, aber auch den anderen Seminarteilnehmern für konstruktive und hilfreiche Kommentare. Bei der Drucklegung des Beitrags im Sommer 2013 wurde auf aktuelle Entwicklungen Bezug genommen.
132
1.
Hanno Beck und Dirk Wentzel
Staatliche Überschuldung mehrerer Euro-Länder: Eine unendliche Geschichte?
Seit dem Ausbruch der Staatsschuldenkrise im April 2010 hat es keinen Tag gegeben, an dem die Krise nicht durch neue Informationen und Hiobsbotschaften befeuert wurde. Immer mehr Länder geraten in den Strudel - nach den GIPS-Staaten (Griechenland, Irland, Portugal, Spanien) zuletzt Zypern und Slowenien. Zwar hat die Politik mit diversen Rettungsschirmen und die Europäische Zentralbank mit dem Versprechen, „alles" zur Rettung des Euro zu tun und notfalls auch unbegrenzt Staatsanleihen am Sekundärmarkt zu kaufen, die Finanzmärkte zeitweilig beruhigt: An den europäischen Börsen hat es jedenfalls 2013 eine beachtliche Rallye gegeben, und der DAX kletterte zeitweilig sogar über die magische Grenze von 8000 Punkten. Gleichwohl hat sich an der eigentlichen Ursache, nämlich der desaströsen Staatsverschuldung mehrerer EuroStaaten bei gleichzeitiger Schieflage einiger Geschäftsbanken, nichts verändert. Und schon die ersten Gerüchte Uber die mögliche Zahlungsunfähigkeit Zyperns reichten aus, um weltweit wieder Ängste vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone zu schüren. Wer hätte jemals gedacht, dass der zypriotische Staatshaushalt zu einem ernsthaften Argument an asiatischen Kapitalmärkten werden könnte? Im Fokus der Rettungsbemühungen steht nach wie vor Griechenland. Das Haushaltsdefizit ist zwar von 2010 (13,6 %) über 2011 (8,6 %) bis 2012 (6,8 %) gesunken, von einer Stabilisierung der Lage und einer Verbesserung der Steuereinnahmen kann jedoch keine Rede sein. Trotz Schuldenschnitt, Monetisierung der Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) und Rettungsmilliarden durch die Troika (Europäische Kommission, EZB und Internationaler Währungsfonds IWF) ist bisher noch keine Schuldentragfähigkeit erreicht worden. Unter Experten gibt es hierzu unterschiedliche Auffassungen. Für Griechenland werden seitens der Troika in etwa 120 % des BIP als tragfähig angesehen, was angesichts der geringen Steuerertragskraft des Landes und fortgesetzter Kapitalflucht wohl eher als zu hoch einzuschätzen ist. Als besonderes griechisches Problem wird die implizite Staatsverschuldung angesehen, die allerdings nicht seriös zu schätzen ist. Ohne massive Einschnitte in bestehende Zusagen, etwa für die zahlreichen Staatsdiener, wird es keine Sanierung des Staatshaushalts geben können. Griechenland kann in mancher Hinsicht als gescheiterter Staat angesehen werden (vgl. Wentzel 2013). Italien und Spanien befinden sich in finanzieller Hinsicht ebenfalls in einer sehr schwierigen Lage. Zwar hat Italien auch langfristige Staatsanleihen zu vergleichsweise günstigen Konditionen platziert, aber einiges spricht dafür, dass dies eher die Ruhe vor dem Sturm sein könnte als eine dauerhafte Bonitätsverbesserung des hochverschuldeten Landes. Hinzu kommt in Italien eine zunehmend unübersichtliche politische Situation. In den jüngsten Wahlen im Februar 2013 wurde der Reformkurs des ehemaligen EUKommissars Mario Monti abgestraft und stattdessen mit Beppo Grillo ein politischer Quereinsteiger gewählt, der seinen Wahlkampf primär mit anti-europäischen und antideutschen Argumenten geführt hat. Nach der Wahl gibt es keine klaren politischen Sieger und noch weniger ökonomische Perspektiven für die dringend notwendige Sanierung des Staatshaushalts. Es scheint, als ob Italien keine glaubwürdige politische Per-
Eine Versicherungslösung für Staaten
133
sönlichkeit mehr hervorbringen kann, woran auch die angekündigten Neuwahlen grundsätzlich nichts verändern werden. Auch Spanien hat die Finanzkrise nicht überwunden. Durch die mangelnde Kapitalisierung der eigenen Banken hat sich der spanische Staat zu weitreichenden Rettungszusagen bereiterklärt, die er materiell aber gar nicht halten kann. Spanien muss eigentlich längst unter den europäischen Rettungsschirm, weil die eigene Bonität für die internationalen Kapitalmärkte nicht mehr ausreicht, will dies jedoch politisch unbedingt vermeiden, da es die damit verbundene Konditionalisierung durch die Troika fürchtet (siehe Jost und Seitz i.d.B.). Angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50% ist das politische Klima im Land äußerst angespannt, und die radikalen Parteien erfahren einen massiven Zulauf in der Wählergunst. Auch Spanien nähert sich zunehmend an italienische politische Verhältnisse an. Besonders deutlich wird der politische Hintergrund der europäischen Finanzkrise am Beispiel Zyperns. Kann man die griechische Krise eventuell sogar noch mit politischer Leichtgläubigkeit und Unbedarftheit erklären, so ist das Geschäftsmodell der zypriotischen Banken problematisch: In großem Umfang wurden ausländische Einlagen angelockt - primär aus Russland - und in Staatsanleihen investiert. Von ordnungsgemäßer Versteuerung der Beträge konnte oftmals nicht geredet werden: Zypern hat sich zu einer Steueroase mitten in Europa entwickelt. Angesichts des Abschreibungsbedarfs auf notleidende griechische Staatsanleihen gerieten die zypriotischen Banken in Schieflage. Da die Bankbilanzen den Staatshaushalt um ein Vielfaches übersteigen, droht der Staatskonkurs. Politisch ist Zypern aber nicht bereit, die von der EU geforderte Selbstbeteiligung am Rettungspaket zu leisten. Ein solch drastisches Beispiel für moral hazard in einer Währungsunion dürfte historisch ohne Beispiel sein. Alle diese Entwicklungen sind nicht wirklich überraschend. Solange es keine glaubwürdige Beschränkung staatlicher Überschuldung gibt, wird sich dieses Problem auch zukünftig nicht verändern (ausführlich Beck und Wentzel 2011a). Schon steht mit Slowenien das nächste kleine Land vor ernsten Zahlungsproblemen (vgl. o.V. 2013), wobei auch hier die Ursachen eindeutig der Politik zuzuordnen sind. Buchanan und Wagner (1977) haben diesen Zusammenhang schon früh und sehr klar mit einer Schärfe erkannt, die bis heute unverändert gilt: Solange eine Regierung die Möglichkeit hat, Geld für popularitätserhöhende Maßnahmen auszugeben, ohne popularitätssenkende Steuern erheben zu müssen, werden Demokratien im Defizit enden. Staatskonkurse werden die Regel sein, nicht die Ausnahme - auch in Europa. Kreditvergabe an Defizitstaaten ist nur solange möglich, wie es gleichzeitig Wirtschaftssubjekte gibt, die bereit sind, diese Defizite zu finanzieren. Selbstverständlich erwarten die Gläubiger von den Schuldnern eine grundsätzliche Bereitschaft zur Verzinsung und zur Rückzahlung. Je mehr Schuldner sich um einen schrumpfenden Pool potentieller Gläubiger streiten, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass nicht mehr alle Kredithungrigen zum Zuge kommen werden. Vor allem für potentiell unseriöse Schuldner wie etwa Zypern oder Griechenland dürfte die Luft immer dünner werden: Sie können nur noch politisches Geld bekommen, das von diversen europäischen Rettungsfonds oder dem IWF bereitgestellt wird.
134
Hanno Beck und Dirk Wentzel
Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen stellen sich die folgenden Fragen: 1. Wann wird es an den Kapitalmärkten zu knappheitsbedingten Rationierungen kommen? 2. Kann eine international verankerte Insolvenzordnung für Staaten eine ordnungspolitische Verbesserung des status quo bewirken? 3. Könnte eine supranationale Versicherungslösung für Staatsanleihen eine glaubwürdige und bindungsfähige Lösung zwischen Staat und Markt darstellen, die längerfristige Stabilität verspricht? Den Abschluss des vorliegenden Beitrags bildet eine Zusammenfassung der Ergebnisse und ein Ausblick, welche kurzfristigen Notwendigkeiten zur Stabilisierung der Finanzmärkte zu beachten und welche langfristigen Rahmenbedingungen zweckmäßig sein werden.
2.
Die schleichende Austrocknung der Kapitalmärkte
2.1. Die These von Shleifer über das Sterben des Sovereign Bond Markets Shleifer (2003) stellte schon vor zehn Jahren die theoretische Fundamentalfrage: „Will the sovereign bond market survive?". In seinem kurzen und nicht technischen Beitrag lieferte er gleichzeitig die Antwort: Je mehr die Gläubigerrechte gegenüber den Schuldnern eingeschränkt werden, desto fragiler wird die Bereitschaft von Kapitaleignern, in Anleihen zu investieren. Dies gilt für Unternehmensanleihen wie auch für Staatsanleihen. Der Schutz von amerikanischen Unternehmen beispielsweise, die sich durch Chapter 11 der US-Insolvenzordnung den Gläubigem entziehen können, kommt einer zeitweiligen Enteignung gleich. Chapter 9 regelt die Insolvenz von lokalen Gebietskörperschaften in den USA und ermöglicht sogar die Schließung von öffentlichen Einrichtungen (Schulen, Nationalparks, Bibliotheken usw.). Die ordnungspolitische Idee von Chapter 11 ist einfach: Es geht darum, Unternehmen grundsätzlich vor der Zerschlagung zu schützen, wenn davon auszugehen ist, dass das Unternehmen als Ganzes einen größeren Wert besitzt als seine Einzelteile. Dies ist beispielsweise bei amerikanischen Fluglinien der Fall, wo die veräußerbaren Vermögensteile (etwa die Flugzeuge) nur einen kleinen Teil des Firmenwertes ausmachen. Es wird also davon ausgegangen, dass keine stillen Reserven in den Bilanzen versteckt sind und dass das Unternehmen prinzipiell sanierungsfähig ist. Um das Gesamtunternehmen zu schützen und gleichzeitig eine glaubwürdige Sanierung durchzuführen, beispielsweise auch durch die Einschränkung gewerkschaftlicher Rechte, greift Chapter 11 direkt in die Eigentumsrechte ein. Analog wird bei Chapter 9 verfahren. Das ganze Konzept steht und fällt jedoch mit der Glaubwürdigkeit der Sanierungsbemühungen. Shleifer (2003) argumentiert, dass Gläubiger durchaus ein Interesse am Erhalt des Unternehmens haben, wenn dadurch die Substanz des Kapitals erhalten bleibt. Debt to Equity Swaps sind beispielsweise eine Möglichkeit, Gläubiger zu Kapitaleignern zu machen und dadurch zu Zugeständnissen bei den Zahlungsversprechen zu gewinnen. Allerdings wirkt eine drohende Enteignung bei einer ungerechtfertigten Be-
Eine Versicherungslösung für Staaten
135
schränkung der Gläubigerrechte wie eine Drohung, die Kapitalanleger verschrecken wird. Das zunehmende Misstrauen gegenüber Anleihen unsolider Länder kann hierfür als Indikator gelten. Staatsanleihen sind kein sicheres Aktivum mehr. Ohnehin war die Annahme eines vollständig sicheren Wertpapiers primär eine notwendige mathematische Voraussetzung, um im Capital Asset Pricing Model (CAPM) Wertpapierpreise und Optionswerte zu berechnen. Das CAPM ist immer noch fester Bestandteil der Finanzmarkttheorie und der meisten Berechnungsmodelle. In der Realität stirbt das Modell aber einen langsamen Tod, weil es auf dem Bond-Markt kein sicheres Aktivum mehr gibt und andere Referenzgrößen gefunden werden müssen. In Anlehnung an Shleifer kann man etwas überspitzt sagen: Stirbt der sovereign bond market, stirbt auch das CAPM. Mit Beginn der europäischen Währungsunion hat es zeitweilig eine beachtliche Zinskonvergenz bei den langfristigen Staatsanleihen gegeben, womit eine Bedingung des Maastricht-Vertrages erfüllt wurde. Diese Zinskonvergenz basierte aber nicht auf glaubwürdigen volkswirtschaftlichen Daten, sondern letztlich auf der ungerechtfertigten Bonitätsanleihe der Südeuropäer bei den Nordeuropäern. Die Phase der Zinskonvergenz, die 1994 mit der Gründung des Europäischen Währungsinstituts begann, fand mit Ausbruch der Griechenlandkrise 2010 ein jähes Ende, und es kam zu einer Rückkehr des Zinses als Risikoindikator. Dies schneidet die Südeuropäer aber zunehmend von den Kapitalmärkten ab, denn die Gläubiger können nicht wirklich mit einer glaubwürdigen RUckzahlungsbereitschaft der Schuldnerstaaten rechnen. Dies erklärt auch die starke Nachfrage gerade von den südeuropäischen Banken nach Eurobonds, der sog. Bazooka, weil dies eine Möglichkeit wäre, die Niedrigzinsphase zu verlängern (siehe Beck und Wentzel 2011b) - auf Kosten der Länder mit besserer Bonität. De facto wird in der derzeitigen Währungsunion das Maastricht-Kriterium langfristiger Zinskonvergenz außer Kraft gesetzt. Wendet man das SWei/er-Argument konsequent auf europäische Staatsanleihen an, dann ist in der Tat mit einem Austrocknen der Kapitalmärkte für Anleihen mit geringerer Bonität zu rechnen. Der Mythos der Unverletztlichkeit von staatlichen Anleihen ist verloren gegangen - mit der Zypern-Krise wurden sogar erstmalig wieder zeitlich begrenzte Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Bankguthaben oberhalb von 100.000 Euro müssen eine Sonderabgabe zahlen, die genau wie eine Steuer wirkt. Geldanleger und Finanzmarktteilnehmer sprachen von einem Tabu-Bruch, aber bei genauerem Hinsehen ist es ein klassischer Verdrängungsmechanismus, bei dem nur noch gute Gläubiger Zugang zum Kapitalmarkt erhalten und die schlechten Gläubiger zur Eigenfinanzierung zurückkehren müssen - oder aber in Konkurs gehen.
2.2. Finanzienuigslücken in Europa Die theoretische Debatte, wie sie durch Shleifer angestoßen wurde, ist längst auch in der wirtschaftspolitischen Realität angekommen. So zeigt etwa Fechtner (2013) unter Bezug auf eine Studie der Europäischen Kommission, dass sich europaweit große Finanzierungslücken zeigen, wenn es um langfristige Investitionsvorhaben geht. Transeuropäische Transport-, Energie- und Telekommunikationsnetze etwa bedürfen erheblicher Finanzierungmittel - Kapital, welches nicht vorhanden ist (siehe Wentzel 2006).
136
Hanno Beck und Dirk Wentzel
Die Finanzierung von Infrastruktur steht also im Wettbewerb mit der Finanzierung staatlicher Ausgaben für sozialpolitische Zwecke. Dies gilt auch auf nationaler Ebene: Die politisch noch immer sehr populäre deutsche Energiewende beispielsweise ist völlig unterfinanziert. Wenn private Investoren zur Ko-Finanzierung angeregt werden sollen (sog. private public partnerships, siehe Huck und Schomaker i.d.B.), entsteht ein weiterer Wettbewerb um knappe Ressourcen am Kapitalmarkt. Angesichts von Kapitalknappheit gerät zunehmend die Kapitalverwendung in den Blickpunkt der Überlegungen. Nicht nur die Verzinsung, sondern auch die Kapitalbesicherung spielt eine Rolle. Das war vor wenigen Jahren noch anders, als alle Anleihen von Euromitgliedsländem automatisch die Bestnoten der Rating-Agenturen erhielten. Die Geschäftsbanken und Kapitalsammelstellen konnten sich also bei der EZB zu günstigen Konditionen Geld leihen, dieses wiederum in sichere Staatspapiere anlegen und am sog. carry trade einfach und sicher Geld verdienen. Heute schauen die Investoren auf andere Verwendungen: Eine Unternehmensanleihe beispielsweise hat den Vorteil, dass sich zumindest im Insolvenzfall eine Beteiligung an der Insolvenzmasse erstreiten lässt, private equity ist ebenfalls eine zunehmende Alternative für den Kauf von Staatsanleihen. Eine Staatsanleihe hingegen ist so glaubwürdig wie seine Regierung, worüber man etwa in Zypern, Ungarn oder Slowenien durchaus besorgt sein darf. Staaten, die Anleihen am Kapitalmarkt platzieren wollen, stehen also mit anderen Staaten und mit soliden Unternehmen mit guter Bonität im Wettstreit. Wenn ein Staat über die Platzierung von Anleihen lediglich seinen materiell nicht gedeckten Sozialkonsum finanzieren will, wird dies zunehmend unmöglich, weil die Anleger um die strukturellen Defizite der Staaten wissen - und damit die geringere Rückzahlungswahrscheinlichkeit realistischer einschätzen können. Die Finanzierungslücke in Europa und die These vom Austrocknen der Kapitalmärkte stehen im scheinbaren Widerspruch zu der zeitgleich beobachtbaren Überliquidität, die durch die EZB in den Markt gepumpt wurde. Auch eine in der Definition der EZB optimale Inflationsrate von 2 % führt zu Vermögensverlust, wenn der Nominalzins nur noch bei 1% liegt. Zur Beruhigung der Märkte und zur Verhinderung der Kreditklemme hat die EZB sehr großzügig Liquidität in den Markt gepumpt. Die Geschäftsbanken und erst recht die Versicherungen sind trotzdem zunehmend zurückhaltend beim Ankauf von Staatsanleihen. Ebenso sind sie zurückhaltend, wenn es darum geht, sich untereinander Geld zu leihen. Das Misstrauen im Innenverhältnis der Banken existiert unvermindert, was einfach gemessen werden kann am stetigen Anwachsen der DepositenfazilitätderEZB. Alle analysierten Entwicklungen deuten in die gleiche Richtung: Es wird zunehmend schwerer für überschuldete Länder mit schwachen Regierungen, sich am Kapitalmarkt zu refinanzieren. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Mitglieder der Eurozone de facto zahlungsunfähig werden, steigt weiter an. Wenn an der politischen Vorgabe festgehalten werden soll, dass kein Land die Eurozone verlassen darf, dann erhalten gerade kleine Länder ein unverhältnismäßig großes Erpressungspotential - wie Zypern und Slowenien gerade sehr deutlich demonstrieren.
Eine Versicherungslösung für Staaten
3.
137
Zur Notwendigkeit einer staatlichen Insolvenzordnung
Staatsbankrotte hat es historisch schon immer gegeben - und zwar im Überfluss (siehe Reinhardt und Rogoff 2009). Gleichwohl ist festzuhalten, dass die Welt noch nicht untergegangen ist. Warum besteht heute so eine Panik? Wenn an der Währungsunion festgehalten werden soll, dann muss es überschuldeten Ländern unmöglich gemacht werden, ihre Schulden auf unbeteiligte Dritte abzuwälzen. Die sog. No-Bailout-Klausel des Artikel 125 des EU-Vertrages stellt das wichtigste Element der europäischen Finanzordnung dar (siehe Wentzel 2013). Blankart (2012) vergleicht europäische Politiker mit „Zauberlehrlingen", die „an einem Panikwochenende am 7. und 8. Mai 2010 die No-Bailout-Kiausd außer Kraft gesetzt haben" und als Folge davon in ein Währungsregime hineingeraten sind, dass es in dieser Form historisch noch nie gab. Es handelt sich nach Blankart um eine Währungsunion mit souveränen Staaten mit voller Verschuldungsautonomie und gleichzeitiger flai7o«/-Garantie durch die europäischen Institutionen. In einem solchen System bestehen hohe moralische Risiken, wie Zypern es jüngst deutlich vorgeführt hat. Blankart fordert nicht die Rückkehr zu nationalen Währungen, aber eine „Rückkehr zu Maastricht", also zu einer Währungsunion mit konsequentem No-Bailout-Pünzip. Die derzeitige Debatte um eine Rückkehr zur D-Mark und eine Renationalisierung der europäischen Währungsbeziehungen (siehe Lücke 2012 oder Sarrazin 2011) geht an der eigentlichen Problemstellung vollkommen vorbei. Länder wie Griechenland oder Zypern wäre auch ohne den Euro bankrott. Warum ein Land wie Italien allein schon durch die Wiedereinführung der Lira eine bessere politische Kultur bekommen könnte, bleibt fraglich, aber genau das ist derzeit die entscheidende Sorge an den Kapitalmärkten in Bezug auf Italien. Ob Spaniens Banken mit der alten Peseta eine bessere Eigenkapitalquote hätten, darf bezweifelt werden. Nicht der Euro ist primär der Grund für die derzeitige Krise, sondern die hemmungslose Überschuldung einzelner Staaten, die dann - ganz im Sinne der Analyse von Blankart - den Weg in die Haftungsgemeinschaft suchen und das No-Bailout-Pünzip durchbrechen wollen. Issing (2012) ist jedoch zuzustimmen, der das System nach wie vor für korrigierbar hält und der die Gefahren der Finanzmarktkrise gleichzeitig als Chancen für das Finden neuer Wege sieht. Ein ordnungspolitischer Baustein, der präventiv die Überschuldung von Nationalstaaten verhindert und der dann im Schadensfall auch den Konkurs regeln könnte, würde für mehr Sicherheit für alle Beteiligten führen. Dies wäre beispielsweise die Einführung einer europäischen Insolvenzordnung für Staaten.
3.1. Ordnungspolitische Ziele einer Insolvenzordnung Die Idee einer Insolvenzordnung für Staaten (ausführlich Beck und Wentzel 2011a) ist ebenso wenig neu die Debatte über überschuldete Staaten (siehe Reinhardt und Rogoff 2009). Aber allein schon die Tatsache, dass es trotz wiederholter Anläufe bis heute keine internationalen Regeln gibt, wie im Insolvenzfall mit einem Land zu verfahren ist, zeigt die Komplexität der Fragestellung. Vereinfacht ausgedrückt: Die Politik ist nach wie vor nicht zur Selbstbindung bereit. Und selbst die wissenschaftlich und politisch weitgehend akzeptierte Selbstbindung im Bereich der Geldpolitik durch die Gewährung
138
Hanno Beck und Dirk Wentzel
von Notenbankautonomie ist in Zeiten knapper Kassen und toxischer Staatspapiere zunehmend Makulatur: Not kennt kein Gebot - leider auch in der Finanzpolitik. Obwohl es auch beim IWF immer wieder Vorschläge für eine staatliche Insolvenzordnung gegeben hat - immerhin ist der IWF bei finanziellen Notlagen traditionell in der Rolle des Feuerwehrmannes - , ist die Debatte politisch niemals aufgenommen worden (vgl. Krueger 2002). Es ist wirtschaftspolitisch im Sinne des ceterum censeo zu verstehen, wenn behauptet wird, dass eine Insolvenzordnung für alle Beteiligten Vorteile hätte: Wenn ein Anleger Anleihen eines Staates kauft, der sich verbindlich einer internationalen Insolvenzordnung unterwirft, dann kennt er seine Verlustrisiken besser (siehe Shleifer 2003, S. 88 f.). Bei einer glaubwürdigen Insolvenzordnung entfallen zeitraubende Verteilungskämpfe zwischen den Gläubigem, und der Schuldner kann sich nicht mehr so einfach entziehen, wie dies heute teilweise der Fall ist (siehe Beck und Wentzel 2011a). Zudem hätte eine Insolvenzordnung präventiven Charakter und könnte einen sudden stop verhindern, wenn sich die Unsicherheit über ein Land zu einer selbst-erfüllenden Prophezeiung verdichtet. Ordnungspolitisch ist es klar von Vorteil, eine Staatsinsolvenz zu regeln, bevor sie Wirklichkeit wird. Davon sind die Teilnahmerstaaten der Währungsunion allerdings derzeit weit entfernt.
3.2. Kennzeichnung staatlicher Insolvenz Das schwierigste wissenschaftliche Problem im Zusammenhang mit einer Insolvenzordnung ist die tatsächliche Feststellung, wann Zahlungsunfähigkeit eingetreten ist. Die aktuelle Krise in Slowenien zeigt beispielsweise, dass die isolierte Betrachtung nur eines Faktors völlig irreführend sein kann. Slowenien hat beispielsweise nur eine kumulierte Staatsverschuldung von 54 % des BIP, ein auch im Vergleich zu Deutschland (68 %) sehr guter Wert. Das Land ist damit eines der wenigen, das den Maastricht-Wert von 60 % Staatschuld des BIP überhaupt noch erfüllt. Allerdings brechen Slowenien zunehmend die Steuereinnahmen weg, wodurch bestehende Staatsschulden nicht mehr prolongiert werden können. Dies zeigt einmal mehr, dass auch vergleichsweise kleine Schuldenstände tödlich sein können, wenn sie zu Gerüchten an den Finanzmärkten führen, die einen sudden stop auslösen können. Die Liste möglicher Insolvenzindikatoren ist lang2, aber keinesfalls objektiv und eindeutig. Die Grenzen empirischer Forschung werden ebenso deutlich wie das nach wie vor vorhandene hohe Ausmaß an Subjektivität, das bei der Einschätzung ökonomischer Daten vorhanden ist. So verwenden alle Agenturen Kennziffernsysteme, allerdings mit unterschiedlichen Gewichtungen und letztlich auch mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen - wie auch im aktuellen Fall von Slowenien.
2
Bei Beck und Wentzel (2011a) findet sich eine ausführliche Debatte um mögliche Indikatoren. Aus Platzgründen wird im vorliegenden Beitrag nur auf wenige Indikatoren eingegangen, die sich aber gerade vor dem Hintergrund der finanziellen Krise in Zypern und Griechenland, der politischen Krise in Italien und der Verfassungskrise in Ungarn als besonders kritisch erweisen.
Eine Versicherungslösungfiir Staaten
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Besser noch als das Maastricht-Kriterium kumulierter Staatsschuld kennzeichnet die Kreditfinanzierungsquote (KFQ) die Schuldenneigung eines Landes. Bei dieser Quote werden die Staatsausgaben in Relation zur Neu-Verschuldung gesetzt, und es ist vergleichsweise klar ersichtlich, inwieweit bestehende Verpflichtungen des Staates noch aus den laufenden Einnahmen gedeckt werden können. Dieses Kriterium zeigt beispielsweise auch für ein Land mit noch bester Bonität wie Deutschland, welche Gefahrenpotentiale sich bereits aufgetürmt haben: Die KFQ betrug 1970 3,3 %, 1991 schon 10,4% und im Haushaltsentwurf 20103 sogar schon 25 %. Von einem „Musterländle" ist Deutschland tatsächlich sehr weit entfernt, obwohl es im Vergleich zu Zypern in sehr positivem Licht dasteht. Weitere sehr zentrale Indikatoren sind die Investitionsausgaben sowie die Summe der Zinszahlungen im Gesamtbudget eines Staates. Staatliche Überschuldung zu verbieten ist ökonomisch unzweckmäßig, solange der Staat in zukunftsträchtige Bereiche investiert. Auch das deutsche Grundgesetz erlaubt Schuldenaufnahme, wenn sie Investitionen dient. Allerdings zeigen die Staatshaushalte in den meisten konkursbedrohten Ländern wie Zypern oder jetzt auch Slowenien, dass die Verschuldung primär der Finanzierung von politischen Wahlversprechen dient. Ein zentrales Kriterium - wenngleich empirisch im Einzelfall sehr schwer überprüfbar - ist die historische Verschuldungsneigung von Staaten (siehe Reinhardt und Rogoff 2009). Es gibt Staaten, die historisch eine sehr große Neigung haben, in regelmäßigen Abständen insolvent zu werden, und es ist keinesfalls überraschend, dass auch Griechenland und Ungarn zu diesen zählen. Allerdings haben auch Deutschland und Frankreich in dieser Hinsicht keinen wirklich beruhigenden Hintergrund, wie allein schon die jüngere Geschichte zeigt. Die angelsächsischen Länder (England, Australien oder auch die USA) sind bisher jedenfalls in der neueren Geschichte noch nicht in Konkurs gegangen: Auch diese Informationen sind bei den Finanzmarktteilnehmern durchaus bekannt. Die gegenwärtige Staatsschuldenkrise in Europa hat einen interessanten Nebeneffekt, denn sie führt zu einer wissenschaftlichen Renaissance der politischen Ökonomik. Politökonomische Faktoren wie etwa gegenwärtig in Ungarn oder Italien können die Kreditwürdigkeit eines Landes in kürzester Zeit rapide verschlechtern. Die diversen Aufund Fehltritte von Silvio Berlusconi haben Italien vermutlich mehr geschadet als der Konkurs eines großen Finanzinstituts. Die Wirtschaftsordnung eines Landes wird durch die Politik gestaltet und entwickelt: Insofern gilt nach wie vor die große Interdependenz von Wirtschaft und Politik, wie sie von Walter Eucken (1952/90) immer wieder betont wurde.
3
Die tatsächliche KFQ 2010 lag dann aufgrund von Uberraschend hohen Steuereinnahmen deutlich geringer. Die Grundaussage einer steigenden KFQ bleibt davon jedoch unberührt.
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4.
Hanno Beck und Dirk Wentzel
Die Idee einer supranationalen Versicherungsordnung für Staatsanleihen
4.1. Das Konzept Pacta sunt servanda ist ein alter juristischer Grundsatz, der im privaten Geschäftsverkehr unvermindert angewendet wird: Auf der Ebene von Staaten gilt er in historischer Perspektive offensichtlich nur begrenzt, wie die diversen Brüche bestehender europäischer Verträge und insbesondere des Stabilitäts- und Wachstumspaktes dokumentieren. Die Glaubwürdigkeit eines Landes und seine Vertragstreue steigen empirisch deutlich an, wenn sich das Land freiwillig den Regeln einer internationale Organisation unterwirft - etwa durch die Teilnahme an der WTO (siehe Wentzel i.d.B.). Teilweise übernehmen diese Organisationen auch eine Absicherung von Staatsanleihen gegenüber dem Insolvenzrisiko, wie dies aktuell etwa durch die Troika geschieht, die immer mehr notleidende Euro-Länder berät - und auch finanziert. Es darf aber bezweifelt werden, ob die Troika tatsächlich die institutionelle Struktur aufweist, mit der sie längerfristig konfliktfrei leben kann (hierzu Welter 2013). Die Interessenkonflikte, die beispielsweise das Troika-Mitglied EZB aushalten muss, um geldpolitische Ziele mit der zeitgleichen Rettung von Staaten zu vereinbaren, werden auf Dauer schwer auszuhalten sein. Vor diesem Hintergrund sollte über die Gründung einer Internationalen Versicherungsgesellschaft (IVG) gegen den Ausfall von Staatsschulden nachgedacht werden. Schon heute können sich einzelne Anleger gegen Ausfallrisiken schützen, indem sie etwa Kreditausfallversicherungen (credit default swaps) kaufen. Allerdings ist dieser Markt sehr schwer durchschaubar, und die Bonität eines Landes wird nur indirekt in den Zinsstrukturen ersichtlich. Auch aus diesem Grund ist mehr oder minder nebenbei den Äaring-Agenturen eine ungeheure Bewertungsmacht zugewachsen, weil die kondensierte Information, eben jenes Rating in Form einer Ziffer, zur entscheidenden Information geworden ist (siehe Beck und Wienert 2009). Die Idee einer Internationalen Versicherungsgesellschaft geht einen Schritt weiter und schlägt eine internationale Organisation vor, die neben den schon bestehenden Wirtschaftsorganisationen wie der Weltbank oder dem IWF bestehen würde. Wenn wirtschaftliche und politische Transaktionen systematisch grenzüberschreitend sind, dann müssen sie auch mit grenzüberschreitenden institutionellen Arrangements und Organisationen organisiert werden. Die Teilnehmerstaaten der IVG müssten eine einmalige Kapitaleinlage in Relation zu ihrer Wirtschaftskraft leisten, die auch eingezahlt werden muss. Außerdem wäre ein jährlicher Mitgliedsbeitrag für die IVG fällig, der sich nach der Qualität der wirtschaftlichen Eckdaten richtet. Ein solches Prinzip ist in vielen Versicherungen absolut üblich: So muss ein guter und sicherer Autofahrer eine deutlich geringere Prämie zahlen als ein notorischer Unfallfahrer. Ein starker Raucher zahlt deutlich mehr für eine Lebensversicherung als ein durchtrainierter Sportler. Ziel einer solchen Versicherungslösung wäre es, der Gefahr des ex ante moral hazard mit versicherungsüblichen Methoden zu begegnen und eine zeitnahe Anpassung der Bonität eines Landes vornehmen zu können. Zur Erinnerung: Der Kardinalfehler der Währungsunion liegt ja gerade darin, dass stichtagsbezogen Länder aufgenommen wurden, die aber nach der Aufnahme trotz finanzpo-
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litischen Fehlverhaltens nicht mehr sanktioniert werden können. An anderer Stelle wurde dies als „Olympiasyndrom" bezeichnet (siehe Wentzel 2005). Um im Bilde der Versicherungen zu bleiben: Wenn ein Autofahrer in seiner Versicherung den minimalen Schadensfreiheitsrabatt erreicht hat, sollte er danach trotzdem hochgestuft werden, wenn er mehrere Unfälle fahrlässig oder sogar schuldhaft herbeigeführt hat. Die IVG könnte unabhängig von der Bewertung von Rating-Agenturen zu einer differenzierten Betrachtung von Staatsanleihen führen und diese einzeln absichern. Damit wäre gegenüber dem status quo viel gewonnen, und der von Shleifer (siehe oben) analysierten Gefahr des Sterbens des Bond-Marktes könnte entgegengewirkt werden. Es wäre erstens möglich, Anleihen nach der Verwendung („earmarking") zu differenzieren und damit dem Verbraucher und Einzelanleger ein größeres Mitspracherecht einzuräumen. Dies wäre keineswegs eine Durchbrechung des steuerlichen Non-Affektationsprinzips, nach dem die Staatsbürger Steuern entrichten müssen, aber nicht über deren Verwendung entscheiden dürfen, weil dies Aufgabe des Parlaments ist. Ein Kapitalanleger ist etwas anderes als ein Steuerzahler. Er hat durchaus das Recht zu erfahren, was mit seinem Geld geschieht. Immerhin kann er ja wählen, ob er sein Geld in Aktien, Gold, Immobilien oder anderen Investitionen anlegt. Durch das earmarking fur Staatsanleihen wäre viel gewonnen, weil staatliche Investitionsentscheidungen besser begründet werden mussten. Zweitens könnten Anleihen nach der Absicherung (Konditionalität) differenziert werden. Bisher ist eine Staatsanleihe nur so gut wie die Glaubwürdigkeit der Regierung. Für ein Land wie Italien könnte sich seine politische Situation zum wirtschaftlichen Fluch entwickeln, wenn es pauschal nach der Qualität des politischen Sektors beurteilt wird und internationale Investoren sich abwenden, obwohl Italien nach wie vor die siebtgrößte Wirtschaftsnation der Welt ist und Uber eine Vielzahl von erfolgreichen wirtschaftlichen Sektoren verfügt. Bei der IVG würde ein Land wird nicht pauschal gerankt, sondern jede Emission wird einzeln bewertet. Will der Staat Anleihen am Markt platzieren, kann er zur Erhöhung seiner Glaubwürdigkeit Sicherheiten anbieten. 4.2. Die Anreizwirkungen In der gegenwärtigen Staatsschuldenkrise wäre wohl kaum ein Anleger mit halbwegs normaler Risiko-Präferenzstruktur zum Ankauf griechischer oder zypriotischer Anleihen bereit. Eine differenzierte Betrachtung der Finanzierung einzelner Projekte und Finanzierungsstrukturen hingegen ermöglicht wieder den Zugang zum Kapitalmarkt bei sinnvollen Projekten. Nichts anderes macht auch der Europäische SicherungsMechanismus (ESM), aber mit dem Nachteil, dass die Schuldnerstaaten nach wie vor undifferenziert mit dem Liquiditätszufluss umgehen können. Das Nein des zypriotischen Parlaments zu dem europäischen Rettungspaket ist genauso zu verstehen: Es besteht politisch nur ein begrenzter Wille, eine an den tatsächlichen Staatseinnahmen orientierte Wirtschaftspolitik zu betreiben. Die Mitgliedschaft in der IVG und die tatsächlich geleistete Kapitaleinlage würden die Ausfallwahrscheinlichkeit eines Landes und damit auch die Zinshöhe reduzieren. Die gleichzeitig notwendige staatliche Insolvenzordnung würde die Unsicherheit reduzieren, wie im Konkursfall zu verfahren wäre und welche Durchgriffsmöglichkeiten auf
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die Sicherheiten bestünden. Eine Insolvenzordnung würde somit die Wahrscheinlichkeit eines ex post moral harzard reduzieren wie nach der Einführung des Euro in Griechenland. Zudem würde die Gefahr eines sovereign-debt-runs reduziert, da der Ausfall immer nur einzelne Anleihen beträfe und nicht ein ganzes Land. Beim drohenden Konkurs eines Landes ist immer sofort die too big too /a/Z-Problematik offensichtlich. Eine Zerlegung der Anleihen würde gerade dies verhindern.
4.3. Frühwarnsystem und Transparenz Die IVG würde einzelnen Staaten helfen, gezielte Anleihen für Projekte mit spezifischen Sicherheiten am Markt zu platzieren. Selbstverständlich könnten Staaten auch noch außerhalb der Versicherung Anleihen begeben - wenn sie sie denn am Kapitalmarkt platzieren und die höhere Zinslast tragen können. Allerdings wüssten dann der Verbraucher wie auch die Bank, die solche Papiere in ihr Portfolio aufnimmt, dass es sich um vergleichsweise risikoreiche Papiere handelt, für die sie spezifische Schutzvorkehrungen treffen müssten. Im Insolvenzfall könnte die Politik sehr hart argumentieren, dass jeder Zeichner genau Uber seine spezifischen Risiken Bescheid wusste. Wer Anteile an einem Hedge Fonds erwirbt, kann sich bei dessen Konkurs auch nicht auf einen staatlichen Rettungsschirm verlassen. Die Absicherung von Staatsanleihen durch eine IVG würde zugleich den Wettbewerb der Staaten um begrenztes Kapital erhöhen. Dieser Wettbewerb wäre zugleich ein positiver Leistungswettbewerb und kein race to the bottom, denn Staaten müssten sich beispielsweise darin vergleichen lassen, welche Sicherheiten sie bereitstellen. Eine IVG könnte auch ein automatisches Frühwarnsystem darstellen. Bei möglichen Ausfällen einzelner Emissionen in Verbindung mit transparenten Insolvenzindikatoren könnte relativ schnell ein Bild von der wirtschaftlichen und politischen Lage eines Landes gewonnen werden, ob etwa ausreichend Masse vorhanden ist und ob die politische Governance stimmt. Länder könnten sehr ehrlich und transparent in Risikoklassen eingeteilt werden, woraus sich verschiedene Prämien ableiten würden - eine absolut versicherungsübliche Vorgehensweise. Wenn der Versicherungsfall tatsächlich eintritt, steht nur die betroffene Anleihe im Fokus, und Ansteckungseffekte wären leichter zu isolieren. Für neu zu begebende Anleihen wären jeweils eine neue Prüfung erforderlich und ggf. eine Anpassung der Versicherungsprämie nach oben. Die bestehenden internationalen Institutionen könnten zudem sehr zweckmäßig mit der IVG kombiniert werden. Vieles spricht dafür, dass sich die Durchsetzungsfähigkeit von IWF oder ESM sogar erhöhen könnte, wenn sie von ihrer derzeitigen Rolle als unfreiwillige Kreditversicherer entlastet würden und sie sich stärker auf ihre Rolle als Helfer beim Institutionentransfer konzentrieren könnten.
Eine Versicherungslösung für Staaten
5.
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Ausblick: Kann der Teufelskreis aus moral hazard und adverser Selektion durchbrochen werden? „Man greift nicht in unveräußerliche Souveränitätsrechte der Staaten ein, wenn man daran erinnert, dass von ihnen erwartet werden kann, ihre Schulden zu begleichen." (Mestmäcker 2012).
Die gegenwärtige Staatschuldenkrise ist primär durch die Verschuldungsneigungen einzelner Nationalstaaten verursacht. Ganz im Sinne der Kapitaltheorie Böhm-Bawerks gilt nach wie vor: Die Kapitalbilanz befiehlt, die Leistungsbilanz gehorcht. Niemand hat Griechenland, Zypern oder Slowenien gezwungen, Kredite aufzunehmen. Und wenn vorsichtig daran erinnert wird, dass Gläubiger durchaus ein Anrecht auf Schuldenrückzahlung haben, ist dies keinesfalls ein unzulässiger Eingriff in die Souveränitätsrechte eines Landes (ausfuhrlich Mestmäcker 2012): Einzelne Länder der Währungsunion sind bankrott, nicht Europa! Ebenso deutlich ist der Behauptung Luckes (2012, S. 48) zu widersprechen, dass die gegenwärtigen Schuldenkrise ebenso wie die bestehenden Zahlungsbilanzungleichgewichte ausschließlich vom Euro verursacht wurden. Niemand kann ernsthaft behaupten, Griechenland wäre heute ein blühender Staat mit ausgeglichenem Haushalt und ausgeglichener Leistungsbilanz, hätte es nur die Drachme behalten. Auch das Abwertungsinstrument einer schwachen Währung ist kein dauerhaftes Werkzeug, wie die zahlreichen Währungskrisen in Latein-Amerika deutlich gezeigt haben. Allerdings hätte ein frühzeitiger Abwertungsdruck das Ausgabengebahren der Griechen früher gezügelt; das Ausmaß der Krise wäre vermutlich nicht so desaströs, wie es sich jetzt darstellt. Das stärker werdende Nord-Süd-Gefälle innerhalb der EU ist sicherlich bedauerlich, aber es wäre dennoch ökonomisch nicht zu begründen, die produktiveren Länder NordEuropas in die Teil- oder Vollhaftung für die unproduktiveren Länder Süd-Europas zu nehmen. Es kann beim besten Willen keine wissenschaftlich basierte wirtschaftspolitische Handlungsempfehlung sein, die Länder Nord-Europas sollten zu einer produktivitätswidrigen Lohnpolitik Ubergehen. Die großen Leistungsbilanzdifferenzen sind ganz im Verständnis der österreichischen Kapitaltheorie das Ergebnis von massiven Produktivitätsunterschieden und der Bereitschaft einiger Länder und internationaler Organisationen, diese Defizite zu finanzieren (siehe Jost und Seitz i.d.B.). Mit Issing (2012) und mit Mestmäcker (2012) ist vielmehr konstruktiv zu fragen, wie die gegenwärtige krisenhafte Entwicklung in Europa dazu genutzt werden kann, um eine längerfristig angelegte Stabilitätskultur zu entwickeln in einem politischen Gebilde wie der EU, das zwar über supranationale Institutionen verfügt, aber noch nicht zu einem föderalen Staat zusammengewachsen ist - und dies sicherlich auch in mittlerer Frist nicht wird. Es geht also um politische Legitimation in Europa (vgl. Abromeit 1998) und um die Akzeptanz von Regeln. Die Troika kann dauerhaft nicht zur Problemlösung beitragen, sie ist eine Fehlkonstruktion (vgl. Welter 2013) und höchstens als Übergangslösung akzeptabel. Sie verfügt nur Uber eine geringe politische Akzeptanz in den betroffenen Ländern und wird quasi als Besatzungsmacht wahrgenommen, was auch die teilweise übertriebenen und verlet-
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zenden Vergleiche mit der deutschen Besatzung während des Zweiten Weltkriegs erklärt. Die grotesken Reaktionen des zypriotischen Parlaments auf die vollkommen berechtigte Forderung der EZB, dass Zypern sich an seiner Rettung beteiligen müsste, zeigen klar, wie dringend notwendig klare Regeln sind. Es zeigt aber gleichzeitig auch, wie schwierig es für die EZB ist, einerseits glaubwürdiger Hüter der Geldwertstabilität, andererseits aber auch wirtschaftspolitischer Ratgeber oder Zuchtmeister zu sein. Langfristig wird die Unabhängigkeit der EZB dadurch beschädigt. Im März 2013 hat die EU eine Europäische Bankenaufsicht unter dem Dach der EZB sowie eine Umsetzung der Eigenkapitalrichtlinien gemäß Basel ΙΠ in europäisches Recht (CRD IV) beschlossen und damit Eckpfeiler für einen europäischen Finanzmarkt angelegt, der auf mehr Stabilität ausgelegt ist und zypriotische Bankenmodelle zukünftig verhindern soll: Es ist eine Art von Grundordnung für die Banken entstanden, was ordnungspolitisch als Schritt in die richtige Richtung zu werten ist. Bei der Verarbeitung der Staatsschuldenkrise sind ebenfalls große Veränderungen des bestehenden Ordnungsrahmens notwendig. Das Ringen um einen glaubwürdigen und durchsetzbaren Fiskalpakt und eine nachhaltige Finanzverfassung trägt Züge eines Kulturkampfes Nord gegen Süd (ausführlich Wentzel 2013). Europa braucht einen Ordnungsrahmen, der Staatskonkurse im Euroraum unwahrscheinlicher macht. Kurzfristig geht es um die Stabilisierung der Finanzmärkte, wobei durchaus ein gesundes Maß an Pragmatismus und Augenmaß empfehlenswert ist (siehe Issing 2012). Langfristig ist ein evolutorischer Prozess hin zu einer europäischen Stabilitätsverfassung anzustoßen, die eine europäische Schuldenbremse für Nationalstaaten und eine völkerrechtlich abgesicherte Insolvenzordnung für Staaten beinhalten muss. Wenn der ESM tatsächlich eine strikte Konditionalität bei der Kreditvergabe durchsetzen könnte, wäre auch er positiv zu bewerten: Vor übertriebenem Optimismus ist aber vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit dem IWF zu warnen. Positiv ist aber zumindest zu bewerten, dass Staatsverschuldung in Europa zunehmend als Problem gesehen wird und als wirtschaftspolitische Option ausgeschlossen wird. Das Austrocknen der Kapitalmärkte für Staatsanleihen hat vielleicht sogar einen erkenntnisbeschleunigenden Effekt. Die hier vorgestellte Idee einer internationalen Versicherungsgesellschaft für Staatsanleihen könnte eine zweckmäßige Ergänzung zu den vorgestellten und an anderen Stellen ausführlich diskutierten Reformvorschlägen sein. Die IVG könnte die Kreditvergabe an Staaten auf eine rationalere Basis stellen und auch die politischen Wirkungen der europäischen Institutionen verstärken. Ohne eine seriöse Absicherung von Staatsanleihen dürfte Shleifers Vermutung vom Sterben der Bond-Märkte auf längere Frist hin unvermeidlich sein.
Literatur Abromeit, Heidrun (1998), Democracy in Europe: Legitimising Politics in a Non-State Polity, New York.
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Dirk Wentzel (Hg.), Internationale Organisationen Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 97 • Stuttgart · 2013
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation: Urheberrechte im TRIPS-Abkommen und die digitale Herausforderung
Oliver Budzinsk, Katalin Monostori und Julia Pannicke
Inhalt 1. Einführung
148
2.
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Ökonomische Analyse geistiger Eigentumsrechte
3. Das TRIPS-Abkommen
153
3.1. Geschichte und Hauptinhalt 3.2. Aktuelle Entwicklungen Laufende Verhandlungen über den Schutz geografischer Herkunftsbezeichnungen Anreize für den Technologietransfer Weitere Kontroversen 3.3. TRIPS und die Herausforderung der Urheberrechte
153 158
Ausgewählte TRIPS-Fälle
162
4.1. Geistige Eigentumsrechte in China 4.2. Verletzung der Urheberrechte europäischer Musiker in den USA
163 165
Intemationalisierung geistiger Eigentumsrechte: Grenzen des TRIPSAbkommens und neue Entwicklungen
167
5.1. Grenzen des TRIPS-basierten internationalen Urheberrechteschutzes 5.2. Rückkehr zu unilateralen Lösungen?
167 169
Fazit
172
Literatur
172
4.
5.
6.
158 160 161 162
148
1.
Oliver Budzinsk, Katalin Monostori und Julia Pannicke
Einführung1
Internationale Vereinbarungen zur Regelung geistiger Eigentumsrechte (engl. Intellectual Property Rights, IPR) stehen bereits seit dem 19. Jahrhundert auf der Agenda der Weltwirtschaftsordnung. Dabei wurden geistige Eigentumsrechte nicht nur hinsichtlich ihrer grenzüberschreitend-ökonomischen Problematik bedeutend, sondern auch hinsichtlich ihrer internationalen wirtschaftspolitischen Steuerung schon sehr frühzeitig als bedeutsam erkannt. Trotz dieser vergleichsweise frühzeitigen Erkenntnisse, dass IPR internationaler Regelung bedürfen, war die Ausgestaltung internationaler Regeln für geistige Eigentumsrechte immer sehr umstritten, was sich bis heute nicht geändert hat. Eine der Konsequenzen war die Bildung etlicher Gremien, welche sich mit der internationalen Zusammenarbeit zum Schutz geistiger Eigentumsrechte beschäftigten und welche teilweise keine sehr lange Lebensdauer aufwiesen. Die wohl mächtigste internationale Initiative zum Schutz geistigen Eigentums fand im Rahmen der Gründung und Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) im Jahre 1995 statt. Eine der drei Säulen der WTO - und wohl die umstrittenste und kontroverseste - stellt das so genannte TRIPS-Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte (TradeRelated Intellectual Property Rights) dar. Zu den besonderen Herausforderungen der Gestaltung von Regeln zum Schutz geistigen Eigentums gehören neben den unterschiedlichen Interessenlagen der beteiligten Staaten und Akteursgruppen insbesondere auch die Innovationsdynamik der Medienmärkte, d.h. der Märkte für Informationsspeicherung und -Übertragung. Deren Evolution bestimmt, verändert und generiert in erheblicher Weise die (neuen) ökonomischen Probleme des grenzüberschreitenden Handels geistiger Eigentumsrechte. Von den schriftlichen Medien des 19. Jahrhunderts Uber die Entstehung von Radio und Fernsehen bis hin zum Zeitalter des Internets und der digitalisierten Informationen unterlagen auch die Marktkräfte im Umgang mit medial-kodifiziertem geistigem Eigentum einem ständigen Wandel. Damit einhergehend werden auch existierende Regeln und Praktiken immer wieder vor neue Herausforderungen gestellt, und Regelsysteme, welche für ausschließlich mechanisch-gedruckte Werke sehr geeignet sind, können in der Welt terrestrischen Rundfunks versagen, ebenso wie für letztere Medien zugeschnittene Strukturen in einer Welt digitalisierter Inhalte, welche über das Internet verbreitet werden. Ohne bereits auf Details einzugehen, kann hier festgestellt werden, dass das TRIPS-Abkommen in einer Zeit gestaltet wurde, in welcher digitale Medien ebenso wie das Internet noch in den Kinderschuhen steckten. Geistiges Eigentum besteht grundsätzlich aus Informationen und Wissen, welche wiederum mittels Medien gespeichert und Ubertragen werden. Allerdings unterscheidet sich die Ökonomik geistigen Eigentums erheblich je nachdem, welche Art von geistigem Eigentum analysiert wird. Technologische Innovationen, zumal wenn sie als Patente kodifiziert sind, stellen beispielsweise andere ökonomische Herausforderungen dar 1
Die Autoren danken Oliver Jennissen, Nadine Neute und den Teilnehmern des 45. RadeinSeminars für hilfreiche Anmerkungen zu einer früheren Version (Budzinld und Monostori 2012)
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation
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als Geschäftsgeheimnisse oder Urheberrechte. Angesichts der großen Vielfalt geistiger Eigentumsrechte und ihrer ökonomischen Effekte sowie vor dem Hintergrund, dass Urheberrechte deutlich massiver von der Digitalisierung betroffen sind als beispielsweise Patente, konzentriert sich der vorliegende Beitrag auf die internationale Regelung von Urheberrechten im TRIPS-Abkommen im Rahmen der WTO (Abschnitt 3 und 4) und die mit Digitalisierung und Internet aufkommenden neuen Herausforderungen (Abschnitt 5). Überdies standen Urheberrechtskonflikte im Zentrum einiger der bedeutenden WTO-TRIPS-Streitfalle (Abschnitt 4). Während Abschnitt 2 mit der Zusammenfassung einiger grundlegender ökonomischer Besonderheiten geistiger Eigentums- und Urheberrechte beginnt, mündet Abschnitt 6 in einer abschließenden Betrachtung.
2.
Ökonomische Analyse geistiger Eigentumsrechte
Geistige Eigentumsrechte sind ein institutionelles Konstrukt, welches dem Erzeuger geistiger Schöpfungen exklusive und absolute Eigentumsrechte einräumt. Geistiges Eigentum bezeichnet immaterielle Güter wie (i) literarische, musikalische und künstlerische Schöpfungen, (ii) Erfindungen, sowie (iii und iv) Namen, Symbole und Designs. Das Eigentum an diesen immateriellen Gütern ist gesetzlich festgelegt und in Rechten wie (i) Urheberrechte, (ii) Patente, (iii) Handelsmarken und (iv) Schutz von Geschäftsgeheimnissen kodifiziert. Obwohl unsere Diskussion von TRIPS und seinen aktuellen Kontroversen sämtliche Gebiete berührt, konzentriert sich unsere Analyse im Wesentlichen auf die Urheberrechte. Individuelle und exklusive Rechte geistiger Schöpfungen sind aus ökonomischer Sicht bezüglich ihrer Auswirkungen auf Innovationen ambivalent2 Geistige Eigentumsrechte helfen dabei, positive externe Effekte zu internalisieren (Hurt und Schuchman 1966). Fehlen diese Rechte, wäre es unter anderem jedem Akteur möglich, sämtliche geistigen Schöpfungen für kommerzielle Zwecke zu verwenden, ohne dem Schöpfer einen Anteil am wirtschaftlichen Nutzen zukommen zu lassen. Mit anderen Worten: Jedermann könnte mit den geistigen Schöpfungen anderer Geld verdienen, ohne dass die Schöpfer beteiligt würden oder gar Mitspracherecht hätten. Dabei besteht der wichtige Unterschied zu normalen Gütern in dem informatorischen Charakter des geistigen Eigentums: Werden Informationen erst bekannt, können diese nicht mehr zurückgenommen werden, und ihre (kommerzielle) Nutzung kann ohne das Vorhandensein geistiger Eigentumsrechte nicht verhindert werden. 3 Neben offensichtlichen Gerechtigkeitsproblemen bewirkt die Existenz positiver externer Effekte auch ein ökonomisches Problem: Die Anreize, Anstrengungen in die Produktion geistiger Schöpfungen zu investieren, schwinden. Kann sich ein Schöpfer seine Anteile an kommerziellen Vorteilen aus seiner eigenen Schöpfung nicht aneignen, sind die Anreize, selbst schöpferisch tätig zu werden, gering. Vor diesem Hintergrund ist es 2
3
Vgl. u.a. Landes und Posner (1989); Koboldt (1995); Gordon und Watt (2003); Watt (2004), Schmidt (2010, S. 86-92); Belleflamme und Peitz (2012); Budzinski und Monostori (2012). Vgl. zu ökonomischen Theorien des Handels von Informationen einschließlich ihrer kritischen Beurteilung beispielsweise Stigler (1961), Streit und Wegner (1989) und Kirzner (1992).
150
Oliver Budzinsk, Katalin Monostori und Julia Ρannicke
nicht hinreichend lohnenswert, immaterielle Güter zu entwickeln und zu produzieren, da auch hierfür gewisse Kosten entstehen (vor allem auch der Einsatz von Arbeitskraft). Genauer gesagt, die wirtschaftlichen (monetären) Anreize sind dysfunktional. Somit ist nur noch eine Motivation der potenziellen Schöpfer (also des kreativen Potenzials einer Volkswirtschaft) mittels intrinsischer Anreize möglich, welche entsprechend nichtwirtschaftlicher und nicht-monetärer Natur sind. Es kann dabei kaum bezweifelt werden, dass es diese intrinsischen Anreize gibt, so dass auch ohne geistige Eigentumsrechte die Produktion kreativer Schöpfungen nicht auf null fallen würde. Wenn es jedoch plausibel ist, dass die Summe geistiger Schöpfungen einer Gesellschaft sowohl auf wirtschaftlichen als auch intrinsischen Anreizen beruht und damit die Produktion geistiger Schöpfungen aufgrund beider Motivationen größer ist als jene, die nur auf intrinsischen Motiven beruht, so ist zu schlussfolgern, dass eine Abwesenheit von geistigen Eigentumsrechten der Generierung (neuer) Schöpfungen schadet und somit auch die Innovationsdynamik einer Volkswirtschaft schwächt (Budzinski und Monostori 2012). Andererseits wird die Diffusion geistiger Schöpfungen durch das Recht am geistigen Eigentum behindert und verlangsamt. Dies gilt auch und insbesondere für die Innovationsgenerierung, welche aus der Nutzung geistiger Schöpfungen anderer resultiert, also auf diesen Schöpfungen aufbaut. Geistige Eigentumsrechte - wie andere Eigentumsrechte auch - ermöglichen es den Schöpfern, andere von der Nutzung ihrer Schöpfung auszuschließen, wenn sie entweder nicht bereit sind, den verlangten Nutzungspreis zu zahlen, oder wenn sie mit der infrage stehenden Nutzung ihrer Schöpfung prinzipiell nicht einverstanden sind. Ein System, welches auf dem Grundsatz der Nachahmungsfreiheit aufbaut, fördert hingegen sowohl die zügige und tiefe Diffusion geistiger Schöpfungen innerhalb der Volkswirtschaft als auch Innovationen, welche auf der nachgeahmten Schöpfung aufbauen. Eine vielfältige und intensive Nachahmung der erstmaligen Schöpfung wird dementsprechend explizit gefördert (Watt 2004). In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur wird die Gewährung von geistigen Eigentumsrechten oft damit begründet, ein (künstliches) Monopol für die geistige Schöpfung zu schaffen, welche ansonsten frei von jeder beliebigen Person konsumiert werden könnte. 4 Aus Sicht der Vertreter von Nachahmungsfreiheitsregimen generiert man auf diesem Weg mit der Lösung des Problems der Unterproduktion geistiger Schöpfungen aufgrund positiver Externalitäten ein neues Problem: Aufgrund der Marktmacht des Schöpfers (Monopolprivileg) entsteht eine Unterauslastung durch überhöhte Nutzungspreise oder künstlicher Mengenbeschränkung der Nutzungs- und Nachahmungsrechte. Die (künstliche) Monopolstellung ermöglicht dem Schöpfer demnach eben nicht nur die Aneignung der markt- bzw. wettbewerbsgerechten Einnahmen aus seiner Schöpfung, sondern ermöglicht darüber hinaus Preise oberhalb der Grenzkosten und die Erwirtschaftung von Monopolrenten und damit überwettbewerblichen Profiten. Dies führt
4
Dies ist der dominierende Ansatz in der ökonomischen Modellierung von Urheberrechten und deren Auswirkungen. Siehe dazu die ausgezeichnete Literaturdiskussion von Belleflamme und Peitz (2012).
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation
151
wiederum aufgrund der Monopolpreise und -mengen zu WohlfahrtsVerlusten (Yoon 2002; Belleflamme und Peitz 2012). Aus Institutionen- und wettbewerbsökonomischer Perspektive ist dieses Problem jedoch etwas komplizierter als in der modelltheoretisch geprägten Literatur (Budzinski und Monostori 2012). Zunächst einmal sind alle Eigentumsrechte institutionelle Vereinbarungen und als solches soziale Konstrukte. Die rechtliche Definition von Eigentumsrechten an Informationen und geistigen Schöpfungen ist α priori nicht artifizieller als die gesetzliche Definition von Eigentumsrechten an materiellen Gütern. In jedem Falle bedürfen Eigentumsrechte der Kodifizierung des Eigentumsgegenstandes, der mit dem Eigentum verbundenen Nutzungsrechte (inklusive ihrer Grenzen) sowie Regeln zur Eigentumsübertragung (im Zuge von Tauschakten). Darüber hinaus bedarf es effektiver Durchsetzungsinstitutionen. Geistige Eigentumsrechte begründen somit als solche im Rahmen eines marktwirtschaftlichen Systems kein besonderes Privileg für ihre Schöpfer und sind aus dieser Perspektive auch nicht künstlicher als materielle Eigentumsrechte. Eine weitere, sehr interessante Frage ist, ob geistige Eigentumsrechte an kreativen Schöpfungen Monopole konstituieren, wie es in der ökonomischen Literatur vorwiegend angenommen wird (im Überblick: Belleflamme & Peitz 2012). Aus ökonomischer Sicht liegt ein Monopol vor, wenn es auf einem relevanten Markt nur einen Anbieter gibt. Damit kommt der Marktabgrenzung für die Konstitution eines Monopols eine entscheidende Rolle zu. Hierzu hat die Wettbewerbsökonomik eine Reihe von Ansätzen und (auch quantitativen) Methoden entwickelt5, deren gemeinsame konzeptionelle Grundlage darin besteht, dass ein (sachlich) relevanter Markt alle Güter enthält, die hinreichend enge Substitute darstellen, um eine strategische Interdependenz zwischen den Anbietern dieser Produkte zu erzeugen (mithin: Wettbewerbsdruck). Dabei ist zu betonen, dass es sich in einem relevanten Markt keinesfalls um perfekte Substitute handeln muss. Im Gegenteil, der Normalfall wettbewerblicher Märkte dürfte wohl Märkte mit imperfekten Substituten, also heterogenen Gütern, darstellen. Geht man also davon aus, dass geistige Eigentumsrechte zu einem Monopol führen, so wird implizit angenommen, dass es für das Produkt der geistigen Schöpfung keine Substitute gibt, weder perfekte noch im oben diskutierten Sinne imperfekte. Nur wenn jedes geistige Produkt einzigartig in dem Sinne ist, dass es keinerlei Konkurrenzbeziehungen zu ähnlichen Produkten gibt, begründen exklusive und individuelle Eigentumsechte ein Monopol. Ob also geistige Eigentumsrechte ein Monopol begründen und somit ein Monopolprivileg konstituieren, hängt davon ab, ob es hinreichend ,enge' Substitute gibt. Dabei darf die kreative Einzigartigkeit einer geistigen Schöpfung nicht darüber hinwegtäuschen, dass für die Frage der Substituierbarkeit entscheidend ist, ob es für die Nachfrager des geistigen Produktes Alternativen gibt, die aus deren Sicht (imperfekte) Substitute darstellen (Budzinski und Monostori 2012). Beispielsweise kann die Patentierung einer innovativen Technologie oder einer neuen pharmazeutischen Substanz tatsächlich ein Monopol konstituieren, wenn es für diese Technologie oder Substanz keine Nut-
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Für eine Übersicht vgl. Kerber und Schwalbe (2008, S. 262-277).
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Oliver Budzinsk, Katalin Monostori und Julia Pannicke
zungsalternativen gibt. Das ist freilich nicht zwangsläufig, denn es kann sehr wohl konkurrierende Technologien oder Substanzen geben - ihrerseits von anderen Akteuren patentiert - , welche Wettbewerbsdruck ausüben und zum gleichen relevanten heterogenen Markt gehören. Im Bereich der Urheberrechte dürften geistige Eigentumsrechte sogar überhaupt nur in seltenen Ausnahmefällen zu Monopolen führen. Ein neuer Popsong oder ein neuer Kriminalroman werden sicherlich bei jedem hypothetischen Monopoltest keinen eigenen relevanten Markt konstituieren, da sie in direkter Konkurrenz mit anderen neuen Popsongs beziehungsweise Kriminalgeschichten stehen. Popsongs unterschiedlicher Künstler - beispielsweise von Rihanna oder ADELE - sind selbstverständlich keineswegs identisch. Und zweifellos gibt es auch Fans, für die der aktuelle Hit von Rihanna überhaupt kein Substitut für den aktuellen Hit von ADELE darstellt. Nichtsdestoweniger stellen beide Songs imperfekte Substitute dar, da es zudem eine Reihe von Popmusikkonsumenten gibt, für die beide Songs sehr wohl (imperfekte) Substitute sind (Budzinski und Monostori 2012). 6 Aus wettbewerbsökonomischer oder gar kartellrechtlicher Perspektive wäre es ausgesprochen seltsam, einen relevanten Markt einzig allein um "Gangnam Style" von PSY abzugrenzen und Robbie Williams „Candy" sowie „Stardust" von Lena 7 jeweils einem anderen, eigenen relevanten (Ein-Produkt-)Markt zuzuordnen. 8 Dies würde nicht mit den gängigen ökonomischen Konzepten der relevanten Marktabgrenzung konform gehen. Der relevante Markt umfasst hier stattdessen eine Vielzahl von Songs, Schallplatten, Bücher etc., welche zwar imperfekte, aber funktionell-austauschbare Substitute repräsentieren und folglich auch gegenseitigen Wettbewerbsdruck aufeinander ausüben. Insgesamt bedarf es einer fallweisen Analyse zur Feststellung, ob geistige Eigentumsrechte ein Monopol generieren. In vielen Fällen wird dies jedoch zu verneinen sein. Entsteht allerdings ein Monopol im wettbewerbsökonomischen Sinn, so kann erwartet werden, dass der marktmächtige Schöpfer seine Macht wohlfahrtsreduzierend ausnutzen wird. Darüber hinaus können IPR in solchen Fällen auch verwendet werden, um sowohl den Wettbewerb in verwandten oder benachbarten Märkten zu behindern (Schmidt 2010). Zusammenfassend fördern geistige Eigentumsrechte die Entstehung von kreativen Schöpfungen, können jedoch ihre Diffusion (je nach Wettbewerbssituation) unter Umständen behindern. Dieser Trade-off kann innerhalb eines IPR-Systems zum Beispiel durch (i) die spezifische Ausgestaltung der geschützten Inhalte, (ii) die Gewährung von nur zeitlich begrenzten Schutzrechte (im Falle von Patenten und Urheberrechten der 6
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Ein weiteres Indiz hierfür ist beispielsweise unter anderem auch eine deutliche Preissensitivität aktueller Hits, welche beispielsweise auch dazu führt, dass die offiziellen Musikcharts in Deutschland nicht auf reinen Verkaufsstückzahlen basieren, sondern ertragsbasiert zusammengestellt werden. So wird verhindert, dass sich preisliche Sonderangebote, welche deutlich steigende Verkaufszahlen der diskontierten Stücke/Alben bei relativ konstanten Gesamtumsätzen im Markt bewirken, allzu stark die erreichten Chartspositionen bestimmen. Als willkürliche Beispiele wurden hier die aktuellen (11.10.2012) Top 3 der track charts einer im deutschen Markt bedeutenden kommerziellen Downloadplattform herangezogen. Vgl. Schmidt (2010, S. 88) für eine vergleichbare Argumentation bezüglich Kriminalromane.
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation
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Regelfall) oder (iii) Regeln für Zwangslizenzierungen des geistigen Eigentums an interessierte Nutzer (zu regulierten Preisen) gemildert werden. Ein alternatives System bestünde in einem Regime, welches dem Grundsatz der Nachahmungsfreiheit folgt und eine alternative Regelung zur Finanzierung der Schöpfer implementiert, wie beispielsweise eine öffentliche Alimentation aus Steuermitteln (Koboldt 1995, S. 22).
3.
Das TRIPS-Abkommen
3.1. Geschichte und Hauptinhalt Die ersten Abkommen zum Schutz geistigen Eigentums gehen auf das 19. Jahrhundert zurück. Sehr schnell wurde erkannt, dass Generation, Nutzung und Schutz des geistigen Eigentums grenzüberschreitende Wirkungen haben. Während der grenzüberschreitende Transfer materieller Güter und (zumindest in der damaligen Zeit) Dienstleistungen recht gut kontrollierbar ist (Außenhandelspolitik), lassen sich Informationen und Informationsflüsse kaum entsprechend regulieren - und dies galt auch bereits lange vor dem Zeitalter des Worldwide Webs (Internet). Die ersten Versuche einer Etabliemng internationaler Regelungen zu IPR gehen auf das späte 19. Jahrhundert zuiiick, wie z.B. das United International Bureaux for the Protection of Intellectual Property, welches 1893 in Bern gegründet und 1960 nach Genf verlegt wurde. Ein bedeutender Entwicklungsschritt vollzog sich im Jahre 1967, als die Weltorganisation für geistiges Eigentum, WIPO (World Intellectual Property Organization), das Büro ersetzte und 1974 den Status einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen erhielt. Für eine Übersicht über die Entwicklung der WIPO siehe Abbildung 1. Mängel der WIPO bezüglich der Verbindlichkeiten der WIPO-Bestimmungen, der Vollständigkeit des Schutz geistigen Eigentums, der territorialen Reichweite sowie der Durchsetzungsmechanismen führten sowohl die USA als auch viele andere Industrieländer dazu, eine Eingliederung der geistigen Eigentumsrechte in die neu zu schaffende Welthandelsorganisation (WTO, gegr. 1995) zu initiieren. Die Uruguay-Runde des WTO-Vorläufers GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) beschloss schließlich das Abkommen über handelsbezogene Aspekte geistiger Eigentumsrechte (TRIPS; Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights), welche zu einem bedeutenden Teil der neu etablierten Welthandelsorganisation wurden (WTO 1995, siehe Abbildung 2.). Das TRIPS-Abkommen setzt auf internationaler Ebene Mindeststandards für den Schutz geistigen Eigentums fest. Darüber hinaus bleibt jedem Mitgliedsland die Möglichkeit der Erlassung weiterer Gesetze zur Umsetzung und Regelung, die einen erweiterten und umfangreicheren Schutz des geistigen Eigentums gewähren.
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Oliver Budzinsk, Katalin Monostori und Julia Pannicke
Abbildung 1: Entwicklung der WIPO Datum
Ereignis
14.07.1967
Unterzeichnung des WIPO-Abkommens
1970
WIPO nimmt die Arbeit auf
19.06.1970
Vertrag über die Internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens (Patent Cooperation Treaty)
24.03.1971
Straßburger Abkommen Uber die internationale Klassifikation der Erfindungspatente (Strasbourg Agreement)
20.10.1971
fonträger abkommen (Phonogram Convention) zum Schutz unerlaubter Vervielfältigung, Einfuhr und Vertrieb von Tonträgern
17.12.1974
WIPO wird eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen
18.04.1977
ßudapester Vertrag (Budapest Treaty) •
26.05.1989
wechselseitige Anerkennung von Hinterlegungen von Mikroorganismen im Rahmen von Patentverfahren Washington Vertrag (noch nicht in Kraft) (Washington Treaty)
27.06.1989
• Schutz des geistigen Eigentums an Layout-Designs (Topografien) Protokoll zum Madrider Abkommen (Madrid Agreement) »
27.10.1994
Madrider Abkommen (1891): eine Marke kann in mehreren Ländern durch Erwerb einer internationalen Registrierung geschlitzt werden
Markenrechtsvertrag (Trademark Law Treaty) •
Vereinfachung und Standardisierung der nationalen und regionalen Markeneintragimgsverfahren
01.01.1996
Kooperationsabkommen zwischen WIPO und WTO
20.12.1996
WlPO-Urheberrechtsvertrag 06.03.2002)
(WIPO Copyright Treaty, in Kraft seit
•
zusätzliche Urheberrechte für Werke, die nicht von der Berner Konvention geschützt werden (Computerprogramme, Datenbanken) • mehr Rechte für Autoren (Vertriebsrecht, Recht auf Vermietung und Kommunikation mit der Öffentlichkeit) WIPO Vertrag über künstlerische Darbietungen und Tonträger (WIPO Performances and Phonograms Treaty, in Kraft seit 05.02.2002) •
01.06.2000 27.03.2006
erteilt wirtschaftliche und moralische Rechte an ausübende Künstler und Hersteller von Tonträgern Patentrechtsvertrag (Patent Law Treaty, tritt am 28.04.2005 in Kraft) • zielt darauf ab, Patentverfahren „benutzerfreundlicher" zu machen Markenrechtsvertrag von Singapur (Singapore Treaty on the Law of Trademarks) •
Ausweitung des Anwendungsbereichs bspw. in der Kommunikationstechnologie
Quelle: Eigene Darstellung
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte
in der Welthandelsorganisation
155
Abbildung 2: Entwicklung des TRIPS-Abkommens in der WTO Datum
Hauptereignis
01.01.1995
TRIPS Abkommen tritt offiziell in Kraft (mit bestimmten Übergangfristen für die Mitglieder)
01.01.1996
Inkrafttreten des TRIPS-Übereinkommens für die Industrieländer (IL)
9-13.12.1996
• •
1. WTO-Minister-
Kontrolle der Umsetzung des Abkommens in IL Bereitstellung eine»· finanziellen und technischen Kooperation der IL mit Entwicklungsländern (EL) Überprüfung der Anwendungsvorschriften des Schutzes geografische Angaben
konferenz, Singapur
•
01.01.2000
TRIPS-Übereinkommen tritt für die EL in Kraft mit der Einräumung einer Übergangsfrist von 5 Jahren
9-14.11.2001
Doha-Erklärun«
4. WTO .Minister-
•
konferenz, Doha, Katar
• • •
29.11.2005
Erweiterung der Übergangsfrist in Bezug auf pharmazeutische Patente für die am wenigsten entwickelt» ]; Länder bis zum 01.01.2016 Setzung einer Frist für das Ende der Verhandlungen um das multilaterale Registrierungssystem für geographische Herkunftsangaben von Weinen und Spirituosen: 5. Ministerkonferenz 2003 Diskussion des Verhältnisses zwischen dem TRIPS-Abkommen und der UN-Konvenlii n über die biologische Vielfeit und dem Schutz vosi iraditioneilem Wisse« sind Folklore Lösung des Probien!·, der "no»-violation complaints"
Verlängerung der Übergangsfrist für die am wenigsten entwickelten Länder bis 01. Juli 2013
13 -18.12.2005 6. WTO Ministerkonferenz, Hong
• •
Kong
30.11 - 02.12.2009
Erleichterung für EL in der Frage der Zwangslizensierung patentgeschützter Medikamente (sog. Waiver-Lösung von 2003) Vereinbarung, das Doha-Arbeitsprogramm bis Ende 2006 abzuschließen (u.a. Verhandlungen um das multilaterale Registrierungssystem für geographische Herkunftsangaben von Weinen und Spiri· iuoseii, non-violation complaints, Umsetzung del Ausdehnung des Schutzes geographischer Angaben « uf sämtliche andere Produkte als Weine und Spirituosen, Beziehung: zwischen dem TRIPS-Abkommen und der UN-Konvention über die biologische Vielfalt)
vorläufiger Verzicht auf non-violation complaints
7. WTO Ministerkonferenz, Geneva 15-17.12.2011
•
8. WTO Ministerkonferenz. Geneva
Prüfung des Antrags der am wenigsten entwickelten Länder für den Ausbau ihrer Übergangszeit; abschließende Diskussion zum Thema: 9. Miniitcrkonferenz der WTO, 2013
Quelle: Eigene Darstellung T R I P S basiert auf drei Grundprinzipien: Erstens verpflichtet der Grundsatz der Inländerbehandlung Rechteinhaber.
alle Mitgliedsstaaten zur Gleichbehandlung in- u n d ausländischer Zweitens
erfordert
ergänzend
das
Meistbegünstigungsprinzip
die
Gleichbehandlung aller Vertragspartner. Beispielsweise milssen Handelsvorteile, die e i n e m W T O - M i t g l i e d eingeräumt werden, sämtlichen Handelspartnern in gleichem M a -
156
Oliver Budzinsk, Katalin Monostori und Julia Pannicke
ße gewährt werden. Während die ersten beiden Prinzipien die Standard-WTOPrinzipien repräsentieren, gilt das dritte Prinzip spezifisch für die TRIPSVereinbarungen. Die Regelungen des TRIPS-Abkommens sollten demzufolge technische Innovationen und Technologietransfer zwischen den Mitgliedsstaaten fördern. Zudem sollen alle Mitgliedsstaaten den Verpflichtungen der beiden jüngsten und wichtigsten Abkommen im Rahmen der WIPO folgen, nämlich der Pariser Vereinbarung zum Schutz des gewerblichen Eigentums (im Falle von Patenten, gewerblichen Mustern und Modellen etc.) und dem Berner Abkommen zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (für Urheberrechte) (siehe auch Abbildung 1). Unter anderem und teilweise darüber hinausgehend, beinhaltet TRIPS folgende Regelungsbereiche: — Urheberrechte und verwandte Rechte: Die Mitglieder sind an die Vorschriften des Bemer Abkommen (außer denen der Urheberpersönlichkeitsrechte) gebunden. Computerprogramme werden wie Werke der Literatur behandelt, Datensammlungen (nicht die Daten oder das Material selbst) werden durch das Urheberrecht geschützt. Die Urheber von Computerprogrammen und Filmwerken sowie Hersteller von Tonträgern verfugen über das ausschließliche Recht der gewerblichen Vermietung. Ihnen wird das Recht gewährt, die Vermietung ihrer urheberrechtlich geschützten Werke der Öffentlichkeit zu verbieten oder zu gestatten. Den ausübenden Künstlern und Herstellern von Tonträgern wird eine Schutzdauer von mindestens 50 Jahren eingeräumt, um sie vor unerlaubten Aufzeichnungen und Übertragungen von Live-Auftritten zu schützen. Für Sendeunternehmen gilt eine Schutzdauer von 20 Jahren. — Marken: Sämtliche Zeichen und Zeichenkombinationen (Marken), die geeignet sind, Güter von solchen anderer Unternehmen zu unterscheiden, werden exklusiv markenrechtlich geschützt, wenn deren Eintragung erfolgte. Die Laufzeit einer eingetragenen Marke wird für einen Zeitraum von mindestens 7 Jahren garantiert, eine Verlängerung der Eintragung ist unbegrenzt möglich. — Geografische Herkunftsbezeichnungen·. Herkunftsbezeichnungen für Weine und Spirituosen werden maximal geschützt. Die Mitglieder haben die Verwendung von irreführenden Kennzeichnungen bezüglich geografischer Herkunft zu verhindern. Ausnahmen sind möglich, wenn eine Bezeichnung bereits zu einem Produktgattungsbegriff in einem Land geworden ist. — Gewerbliche Muster und Modelle·. Die Schutzdauer gewerblicher Muster und Modelle muss mindestens 10 Jahre umfassen. — Patente·. Die Bestimmungen folgen der Pariser Verbandsübereinkunft. Die Schutzdauer beträgt nicht weniger als 20 Jahre und betrifft sämtliche Erfindungen auf allen Gebieten der Technik, bis auf drei mögliche Ausnahmen: (i) wenn die gewerbliche Verwertung wegen der öffentlichen Ordnung oder der guten Sitten verboten ist, (ii) im Falle von diagnostischen, therapeutischen und chirurgischen Methoden für die Behandlung von Menschen oder Tieren sowie (iii) im Falle von Pflanzen und Tieren mit Ausnahme von bestimmten Mikroorganismen und wesentlichen biologischen Methoden zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren. Der Anmelder eines Patents muss eine verständliche und vollständige Beschreibung der Erfindung offenbaren, sodass die Ausführung eines Fachmannes oder Experten erfolgen kann. Eine
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation
157
Zwangslizensierung oder öffentliche Nutzung des Patentgegenstandes ist grundsätzlich möglich, bedarf aber besonderer Maßnahmen zur Wahrung der Interessen des Rechteinhabers (u.a. eine angemessene Kompensation). — Topographien integrierter Schaltkreise: Die Grundlage bildet der Washington Vertrag (WIPO); die Mindestschutzdauer beträgt 10 Jahre. Ausnahmen bedürfen strenger Begrenzungen und einer angemessenen Kompensation der Rechteinhaber. — Geschäftsgeheimnisse·. Vertrauliche Informationen müssen vor unlauterem gewerblichen Gebrauch wirksam geschützt werden. — Kontrolle wettbewerbswidriger Praktiken: Haben Regeln zum Schutz geistigen Eigentums antikompetitive Effekte oder werden zu diesem Zwecke missbraucht, so können die betroffenen Mitglieder Konsultationen mit dem Ziel der Abstellung der antikompetitiven Praktiken verlangen. Entgegen vieler Erwartungen führte das TRIPS-Übereinkommen im Rahmen der WTO nicht zu einer Flut von Klagen (Pauwelyn 2010, S. 5-9). Zwischen dem 1. Januar 1995 und 20. September 2011 betrafen lediglich 29 von 427 (= 6,8 %) WTO-Streitfölle das TRIPS-Abkommen. Lediglich in 31 % der eingereichten Fälle kam es im Rahmen des WTO-Streitschlichtungsverfahrens zur Einberufung eines Panels. Auf die PanelEntscheidungen wurde wiederum in 33 % der Fälle Berufung eingelegt, was beachtlich unterhalb der Berufungsquote gegen Panel-Entscheidungen sämtlicher WTO-Bereiche liegt (hier wird im Schnitt etwa zu 70 % Berufung eingelegt). Darüber hinaus ist ein Abwärtstrend von Konfliktfällen im Kontext von TRIPS zu verzeichnen: 23 der 29 TRIPS-Fälle wurden im Zeitraum zwischen 1996 und 2001 (entsprechend in den ersten sechs Jahren seit dem Inkrafttreten des Abkommens) eingereicht. In den letzten 11 Jahren hingegen gab es insgesamt nur 6 TRIPS-Fälle (siehe auch Abbildung 3). In 9 von 29 Fällen brachten Industrieländer Fälle vor, welche im Zusammenhang mit Verstößen in Entwicklungsländern standen, während sich 10 Fälle zwischen den USA und der EU abspielten. In den beiden jüngsten Konfliktfällen brachten Entwicklungsländer ihrerseits Verstöße seitens von Industrieländern vor die WTO.
Oliver Budzinsk, Katalin Monostori und Julia Pannicke
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Abbildung 3: WTO- und TRIPS-Streitfalle von 1996 bis 2010 60 50 40 30
/
\
\
Φ
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\
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V 20
\ \ \ V
10
0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 WTO disputes
TRIPS disputes
Quelle: Pauwelyn (2010, S. 7) mit zusätzlichen Daten von http://www.wto.org/englishytratop_e/dispu_e/dispu_agreements_index_e.htm?id=A26#s elected_agreement und http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/dispu_status_e.htm. Aus diesen Zahlen kann gefolgert werden, dass sich das TRJPS-Abkommen bis dato nicht - wie mancherorts befürchtet - zu einem einseitigen Instrument der Industrieländer gegen die Entwicklungsländer entwickelt hat (Pauwelyn 2010, S. 8). Während es sehr schwierig ist, eine Schlussfolgerung aus der Angemessenheit der Fallanzahl zu ziehen, so kann dennoch mit all der gebotenen Vorsicht postuliert werden, dass zumindest TRIPS-Beschwerden keine besonders gängigen Fälle innerhalb der WTO sind.
3.2. Aktuelle Entwicklungen Gegenwärtig stehen Uberwiegend vier Hauptthemen im Fokus der TRIPSDiskussionen: (i) der Schutz geografischer Herkunftsbezeichnungen, (ii) Anreize für Technologietransfer, (iii) die non-violation complaints sowie (iv) der Schutz biologischer Vielfalt und traditionellen Wissens (s. WTO Annual Reports). Laufende Verhandlungen über den Schutz geografischer
Herkunftsbezeichnungen
Geographische Herkunftsbezeichnungen (im Folgenden Gl fur geographic indications) sind in der Regel Namen geographischer Orte, die bestimmte Produkteigenschaften symbolisieren. Sie informieren die Verbraucher nicht nur über den Ort der Herkunft, sondern signalisieren ebenso eine bestimmte Qualität und ein bestimmtes Image.' Arti9
Vgl. zu der GIs-Diskussion u.a. Ilbert und Petit (2009); Mulik und Crespi (2009); Kireeva und O'Connor (2010).
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation
159
kel 22 des TRIPS-Übereinkommens regelt den Schutz von GIs, um ein einheitliches Schutzniveau auf internationaler Ebene zu gewährleisten. Gemäß diesen Mindeststandards mtissen irreführende Informationen hinsichtlich GIs auf Produkten, die für die Öffentlichkeit bestimmt sind, unterbunden werden. Außerdem ist unlauterer Wettbewerb10 unter Zuhilfenahme von GIs verboten. Neben Art. 22 gewährt Art. 23 zusätzlichen Schutz von GIs für Weine und Spirituosen, welche auch dann Schutz genießen, wenn der Missbrauch von GIs zu keiner Irreführung der Verbraucher oder der Öffentlichkeit führen würde. Art. 24 beinhaltet schließlich Ausnahmen zum Schutzsystem der Art. 22 und 23. Hinsichtlich von GIs werden gegenwärtig zwei Hauptthemen diskutiert: Die Errichtung eines verbindlichen multilateralen Registers von GIs für Weine und Spirituosen ist auf einen Vorschlag der EU zurückzuführen (WTO 2005b). Eine Idee ist, dass die Registrierung einer Gl in einem Mitgliedstaat automatisch zu einem Schutz dieser Gl in allen Mitgliedstaaten führt, es sei denn, dass ein Mitgliedstaat innerhalb einer definierten Frist einen begründeten Einspruch erhebt (WTO 2005a). Somit konstituiert der Registereintrag eine widerlegbare Vermutung (rebuttable presumption). Eine Reihe von Mitgliedsstaaten will hingegen lediglich ein freiwilliges System zur Registrierung ohne Rechtswirkungen oder Verbindlichkeiten akzeptieren, welches zudem nur für jene Mitgliedstaaten gelten soll, welche explizit am Register teilnehmen (Ahmad 2005). Hong Kong hat einen Kompromissvorschlag vorgelegt, wonach die Registrierung auf freiwilliger Basis erfolgt und die registrierten Begriffe nur eine begrenzte Vermutung (limited presumption) genießen (WTO 2003). Zu den kontroversen Fragen gehören: Welche rechtliche Wirkung wird eine Registrierung eines Produktes innerhalb der Mitgliedsländer haben? Sollten sie für sämtliche WTO-Mitglieder gelten oder nur für jene, die sich für die Teilnahme an dem multilateralen System entschieden? Wie verhalten sich Kosten, Verwaltungsaufwand und Nutzen? In Bezug auf eine Ausdehnung des zusätzlichen Schutzes für Weine und Spirituosen auf alle produktbezogenen GIs stehen folgende zentrale Fragen im Fokus: Bestätigt die Doha-Erklärung die Erteilung eines Mandats für derartige Verhandlungen? Ist es überhaupt vorteilhaft, den erweiterten Schutz auch auf sämtliche Produkte auszudehnen? Wenn ja, in welchem Umfang sollte die Ausdehnung erfolgen? Mehrere WTOMitglieder (Bulgarien, die EU, Guinea, Indien, Jamaika, Kenia, Madagaskar, Mauritius, Marokko, Pakistan, Rumänien, Sri Lanka, Schweiz, Thailand, Tunesien und die Türkei) argumentieren zugunsten einer solchen Ausdehnung. Im Gegensatz dazu betonen die gegnerischen Länder des ausgedehnten Schutzes (Argentinien, Australien, Kanada, Chile, Kolumbien, der Dominikanischen Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Honduras, Neuseeland, Panama, Paraguay, die Philippinen, Chinese Taipei und die Vereinigten Staaten), dass das bereits bestehende Schutzniveau ausreichend sei. In sachlicher Hinsicht stehen sich im Wesentlichen die Signaleffekte von GIs auf Verbraucher und Argumente zu Kosten von Umbenennung und damit einhergehenden Wettbewerbsnachteile gegenüber (WTO 2005a). 10
In diesem Fall bezieht sich der Begriff „unlauterer Wettbewerb" explizit auf das Pariser Abkommen zum Schutz des gewerblichen Eigentums (in der 1967-Version). Hier definiert Alt 10bB unlauteren Wettbewerb als „(..) jede Wettbewerbshandlung, die den anständigen Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel zuwiderläuft."
160
Oliver Budzinsk, Katalin Monostori und Julia Pannicke
Aktuell diskutieren die Mitglieder beide Hauptfragen und versuchen Kompromisse zu finden; eine Einigung scheint jedoch noch nicht in Sicht zu sein (Ilbert und Petit 2009). Anreize für den Technologietransfer Art. 66 (2) verpflichtet die entwickelten Länder, Anreize für den Technologietransfer in die am wenigsten entwickelten Ländern zu bieten. Um dieses System effektiver zu gestalten, verordnet die Doha-Erklärung, dass die Industrieländer einen detaillierten Bericht am Ende jeden Jahres einreichen müssen. Als weiteren Teil dieser Bemühungen hat das WTO-Sekretariat bereits Workshops organisiert, um die Probleme und Fragen des Technologietransfers zu diskutieren. Einige Mitglieder der Industrieländer wurden aufgefordert, ihre Anreizsysteme im Detail zu erläutern. Die Grundidee dieser Workshops ist es, sowohl ein breiteres Verständnis für die angebotenen Anreize zu erreichen als auch einen Platz für den Dialog zwischen den Ländern zu schaffen. Die Frage des Technologietransfers im Rahmen des TRIPS-Abkommens stellt einen permanent kontroversen Punkt für Diskussionen und Verhandlungen dar, da die Entwicklungsländer immer wieder eine mangelnde Umsetzung dieser TRIPS-Aspekte durch die Industrieländer beklagen. Die Hauptquellen des Technologietransfers (TT) sind in der Regel Handel, Lizenzierung, ausländische Direktinvestitionen, Joint Ventures und Wanderungsbewegungen qualifizierter Arbeitskräfte. Im Grunde werden zwei Arten von TT unterschieden (Foray 2009; WTO 2011): — Der Technologietransfer findet im Zuge ausländischer Direktinvestitionen statt sowie durch die Einfuhr von Waren oder durch Bau- und Konstruktionsprojekte ausländischer Firmen. Technologietransfer stellt hier ein Nebenprodukt bzw. ein Koppelprodukt anderer grenzüberschreitender ökonomischer Tätigkeiten dar (sog. packaged form). — Im Falle von Lizensierungen, Kooperationsverträgen, Beratungsaktivitäten oder Joint-Ventures stellt Technologietransfer hingegen die primäre ökonomische Aktivität dar (sog. unpackaged form). Beispiele für den Technologietransfer im Rahmen des TRIPS-Abkommens umfassen unter anderem die folgenden zwei Programme (Foray 2009; WTO 2011). Zum einen arbeitet die Schweizer Regierung mit der UN-Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO) und vielen Entwicklungsländer zusammen. Sie unterstützt durch Cleaner Production Centers (CPC) die Errichtung von umwelteffizienten Produktionsmethoden und fordert zudem sozial nachhaltige Produktionsmethoden in Entwicklungsländern. Sie bieten verschiedene Dienstleistungen und Anwendungen ressourceneffizienter und sauberer Technologien an. CPC sind autonome Einrichtungen mit eigenem Vorstand, die lokale Industrien und Dienstleistungen repräsentieren. Sie werden jedoch durch das angesehene Swiss Reference Center unterstützt. Die angebotenen Dienstleistungen sind zum Beispiel Informationen Uber die neuesten Technologien, Beratungen und spezielle Dienstleistungen wie ζ. B. Öko-Audits, Projektbewertungen, Einführung in die ISOStandards, Unterstützung in Investitionsprojekten, Ausbildung usw. Die CPCs sollen
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation
161
überdies den lokalen Unternehmern helfen, Lösungen für eine Finanzierung der von ihnen benötigten Technologien zu finden. Ein zweites Beispiel stellt das Global Research Initiative Programme for New Foreign Investigators (GRIP) des US National Institutes of Health (NIH) dar. Das Programm unterstützt die Rückkehr von NIH-ausgebildeten, ausländischen Forschem in ihre Heimatländer und fördert diese heimkehrenden Forscher durch erhebliche Gehaltszuschüsse sowie durch Unterstützung ihrer Forschungsprojekte. Das Ziel dieses Programms ist es, die wissenschaftliche Infrastruktur der Entwicklungsländer zu verbessern, Forschung zu fördern und die Bemühungen zur Lösung globaler Gesundheitsfragen zu erweitem Weitere Kontroversen Im Rahmen der Kontroverse um die sog. Non-Violation Complaints geht es um eine spezielle Art der .Verstöße' gegen WTO-Verträge. Neben den normalen Beschwerden gegen explizite Vertragsverstöße, welche durch das übliche WTO-Streitschlichtungsverfahren verhandelt werden, können Mitglieder auch Beschwerde einlegen, wenn ein anderes Mitglied zwar die Buchstaben des Vertrages nicht explizit verletzt, aber die Vorteile des beschwerdeführenden Mitgliedes aus einem WTO-Vertrag durch andere Entscheidungen oder Handlungen beeinträchtigt. Im Falle des TRIPS-Abkommens erweisen sich diese Non-Violation Complaints jedoch als komplizierter und kontroverser als in den anderen WTO-Bereichen. Art. 64 (2) des TRIPS-Abkommens enthält ein fünfjähriges Moratorium für Non-Violation Complaints, welches aufgrund eines fehlenden Konsenses zu dieser Frage in den seitherigen Ministerkonferenzen bis zur nächsten Ministerkonferenz 2013 verlängert wurde. Die wichtigsten Fragen der umstrittenen Verhandlungen sind: Sollten Non-Violation Complaints im Zusammenhang mit Rechten an geistigem Eigentum überhaupt erlaubt sein? Wenn ja, in welchem Umfang, und wie könnten diese Probleme in das WTO-Streitschlichtungsverfahren einbezogen werden? Bis dato gibt es einige (z.B. die USA und die Schweiz), die das Moratorium als ausgelaufen erachten und somit den Non-Violation Complaints im Rahmen des TRIPSAbkommens zustimmen und diese zudem als positiv bewerten. Allerdings besteht bis heute kein Konsens darüber, ob Non-Violation Complaints eingereicht werden können. Die Verhandlungen zum Schutz der Artenvielfalt und traditionellen Wissens basieren auf zwei Hauptthemenschwerpunkten: Erstens behandelt der Art. 27.3 (b) des TRIPSAbkommens die Patentierbarkeit der Erfindungen von Tieren und Pflanzen sowie den Schutz neuer Pflanzensorten. Zweitens gehören darüber hinaus seit der Doha-Erklärung auch Fragen der Beziehung zwischen dem TRIPS-Abkommen und der UN-Konvention Uber die biologische Vielfalt (CBD - Convention on Biological Diversity) sowie den Schutz von traditionellem Wissen und Folklore zur Debatte. Die Kontroverse konzentriert sich dabei auf die Fragen, wie und ob das TRIPS-Abkommen das Ziel der CBD die Erträge, welche aus der Verwertung genetischer Ressourcen in Forschung und Industrie erwirtschaftet werden, gerecht und gleichmäßig aufzuteilen - fördern kann. Die unterschiedlichen Ansichten der Mitglieder decken hierbei ein breites und heterogenes Interessen- und Meinungsspektrum ab, was eine Konsenssuche naturgemäß erschwert. Die wichtigsten Vorschläge verlangen jedoch hauptsächlich die Verbesserung des
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Oliver Budzinsk, Katalin Monostori und Julia Pannicke
TRIPS-Abkommens hinsichtlich des Patentschutzes, um die Rolle traditionellen Wissens bei Innovationen transparenter zu machen und somit die Basis für eine Zurechenbarkeit zu schaffen. Andere Mitglieder wiederum möchten dies der nationalen Gesetzgebung - einschließlich bilateraler Verträge - überlassen. Obwohl ein Konsens nicht in Sicht zu sein scheint, stimmen alle Mitglieder zu, dass Maßnahmen gefunden werden müssen, um fehlerhafte Patente zu vermeiden und die erwirtschafteten Erträge gerecht zu verteilen.
3.3. TRIPS und die Herausforderung der Urheberrechte Interessanterweise beschäftigten sich die Entwicklungs- und Reformprojekte innerhalb des TRIPS nicht mit der Frage der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Urheberrechten. Dies ist insofern ebenso interessant wie Uberraschend, als dass erstens dem grenzüberschreitenden Urheberrecht bereits in der bisherigen TRIPS-Fallpraxis eine große Bedeutung zukommt (Abschnitt 4) - und dabei zudem beachtliche Durchsetzungsprobleme erkennen lässt - sowie zweitens die Innovationsdynamik der Medienmärkte neue Herausforderungen für die internationale Regelung der Urheberrechte schafft (Abschnitt 5).
4.
Ausgewählte TRIPS-Fälle
Abbildung 4: TRIPS Panel-Fälle PANEL REPORTS
APPELLATE BODY REPORTS
making TRIPS findings
making TRIPS findings
1. India - Patent (US)
India - Patent (US) Jan. 1998
2. Indonesia - Autos (EC, Japan, US) Jul. 1998 3. India - Patent (EC) Sept. 1998 4. Canada - Pharmaceutical Patents (EC) Apr. 2000 5. US - Copyrights (EC) Jut 2000 6. Canada - Patent Term (US)
Canada - Patent Term (US) Oct. 2000
7. US - Havana Club (EC)
US - Havana Club (EC) Feb. 2002
8. EC - Trademarks & Geographical Indications (US/Australia) Apr. 2005 9. China - IP Rights Mar. 2009
Quelle: Pauwelyn (2010, S. 10).
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation
163
In Abbildung 4 sind neun Fälle aufgelistet, die bisher vor einem TRIPS-Panel verhandelt wurden. Pawwelyn (2010, S. 10-12) argumentiert allerdings Uberzeugend, dass die meisten dieser Fälle auch unter anderen WTO-Abkommen hätten geregelt werden können bzw. nur Nebenaspekte dieser Fälle das TRIPS-Abkommen betrafen. Demnach stellt lediglich eine geringe Anzahl von drei Fällen originäre TRIPS-Entscheidungen dar (in Abb. 4 hervorgehoben). Für die Zwecke des vorliegenden Beitrages sind zwei dieser Konfliktfälle - China - IP Rights (Abschnitt 4.1) und US Copyrights (Abschnitt 4.2) von besonderem Interesse, weil sie den Kern des Schutzes geistiger Eigentumsrechte im Rahmen der WTO berühren. Sie werden nachfolgend diskutiert.
4.1. Geistige Eigentumsrechte in China Der erste Fall betrifft den Schutz geistiger Eigentumsrechte in der VR China.11 Am 10. April 2007 reichten die USA eine Beschwerde bei dem Streitschlichtungsorgan der WTO, dem Dispute Settlement Body (DSB), ein. Grundsätzlich thematisierte die Beschwerde verschiedene Aspekte des Umgangs mit geistigen Eigentumsrechten in China im Kontext mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen des TRIPS-Abkommens. Nach Einreichung der Beschwerde traten vermehrt WTO-Mitglieder der Beratungssitzung bei, und es folgte schließlich im Rahmen des Streitbeilegungsverfahrens die Einsetzung eines Panels, da die Konsultationen zwischen den beteiligten Ländern scheiterten. Nach mehr als eineinhalb jähriger Untersuchung der Streitigkeit verfassten die Mitglieder schließlich den Abschlussbericht. Das Panel stellte im Zuge seiner Entscheidung fest, dass einige der Beschwerden der USA letztendlich keinen Verstoß Chinas gegen geistige Eigentumsrechte darstellten, mancher Umgang Chinas mit den Verpflichtungen des TRIPS-Abkommens allerdings nicht gerechtfertigt wäre. Die Beschwerde der Vereinigten Staaten beinhaltete im Wesentlichen drei bedeutende Fragen hinsichtlich des geistigen Eigentums: — Die erste Beschwerde betraf die unzureichenden Maßnahmen Chinas gegen Marken- und Produktpiraterie12 sowie Urheberrechtsverletzungen. Das chinesische Strafrecht sieht bestimmte Schwellen- bzw. Grenzwerte vor, die zunächst überschritten werden müssen, damit Vergehen dieser Art überhaupt erst strafrechtlich verfolgt und als Straftaten geltend gemacht werden können. Diese Schwellen- und Grenzwerte sind nach Meinung der Beschwerdeführer viel zu hoch angesetzt, um lediglich nicht-kommerzielle Fälschungen zu erfassen, und bedeuten daher de facto eine weitgehende Legalisierung der gewerblichen Marken- und Produktpiraterie. Damit einhergehend stehen die jeweiligen einschlägigen Durchsetzungsmaßnahmen oder vielmehr das Fehlen effektiver Strafverfahren im Fokus der Beschwerde. In dieser Hinsicht argumentierten die USA, dass die Praxis Chinas nicht mit den im TRIPS-Abkommen festgelegten Art. 41 (1) und 61 konform gehe. Die chinesischen Verfahrensregeln sahen vor, dass strafrechtliche Verfolgungen und Sanktionen erst
11
12
WTO Dispute (DS362); China 2007; Fukunaga 2008, S. 911-918; Pauwelyn 2010, S. 12-13, 15, 33-35. Siehe ebenso http://www.wto.org/english/tratop_e/dispu_e/cases_e/ds362_e.htm. Zur Ökonomik der Marken- und Produktpiraterie vgl. die wegweisenden Artikel von Grossman und Shapiro (1988a, 1988b).
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dann eingeleitet werden, wenn Marken-, Produkt- und Urheberrechtepiraterie in .relativ großem' oder .gewaltigem' Umfang betrieben wurde und somit der Fall,ernst' oder .besonders ernst' sei. Diese Begriffe wurden nicht gesetzlich definiert und unterlagen somit einem erheblichen Ermessungsspielraum. Händler wurden beispielsweise erst ab einer Beschlagnahmung von 500 Raubkopien bezüglich Film-DVDs und Musik-CDs strafrechtlich belangt 13 . Zudem fand eine Strafverfolgung angeblich nur dann statt, wenn die nichtautorisierte Reproduktion von Markenprodukten oder Medien und die nichtautorisierte Verteilung der gefälschten Produkte aus einer Hand, d.h. von denselben Tätern, begangen wurden. Das TRIPS-Panel wies allerdings die eingereichte Beschwerde in diesem Punkt aufgrund unzureichender Beweise zurück. Den Vereinigten Staaten sei es nicht gelungen, zu beweisen, dass die beanstandeten Schwellenwerte tatsächlich eine gewerbsmäßige Schutzrechtsverletzung ermöglichten. Der zweite Punkt der Beschwerde thematisierte den Umgang mit den von der chinesischen Zollbehörde beschlagnahmten rechteverletzenden Waren. Chinesischen Zollbehörden war es möglich, beschlagnahmte Ware nach Entfernen der rechtswidrigen Merkmale freizugeben und in die üblichen Vertriebswege (z.B. durch Auktionen) zurückfließen zu lassen. Gemäß der Auffassung der USA gehe dieses Verfahren nicht mit den im TRIPS-Abkommen beschlossenen Art. 49 und 59 einher. Nach ausgiebiger Beratung und Prüfung stimmte das Gremium lediglich in eingeschränktem Maße der Beschwerde zu. Es stellte fest, dass das einfache Entfernen rechtswidriger Merkmale (z.B ein Markenname oder ein Symbol) der beschlagnahmten Waren in der Tat nicht im Einklang mit Art. 59 des TRIPS-Abkommen stehe. Die weiteren Aspekte dieses Beschwerdepunktes konnten die USA jedoch nicht ausreichend beweisen, d.h. es verletzt nicht per se das TRIPS-Abkommen, wenn beschlagnahmte Ware erneut in den Handel gelangt, insofern die rechteverletzenden Merkmale ausreichend entfernt oder verändert wurden. Der dritte Hauptaspekt der Beschwerde behandelte den Prozess der Zensur in China im Zusammenhang mit ausländischen Urheberrechten. Jedes (ausländische) Produkt, welches geistige Schöpfungen in Wort, Ton oder Bild enthält (Bücher, Musik, Filme usw.), muss in China zunächst ein sog. Content Review System (CRS) durchlaufen und darf offiziell erst in den Handel gelangen, wenn es vom CRS freigegeben wurde. Solange ein schutzfähiges Werk ein Genehmigungsverfahren jedoch nicht gänzlich vollzogen hatte, wurde den Urhebern jeglicher Schutz und andere Rechte am geistigen Eigentum verweigert. Mit anderen Worten bedeutet dies, dass geschaffene Werke, die (noch) unter Prüfung des CRS standen oder keine Genehmigung erhielten, keinen urheberrechtlichen Schutz in China genossen. Rechteinhabern wurden demgemäß, wenn deren Werk keine Genehmigung erhielt, keinerlei Verfügungsrechte und auch keinerlei Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten eingeräumt. Die USA sahen diese Regelung mit den im TRIPS-Abkommen beschlossenen Art. 3(1), 9(1), 14 und 41(1) für unvereinbar an. Das Panel stellte nach sorgfältiger Untersuchung fest, dass Chinas Gesetze und Praktiken hier in der Tat gegen 13
Vgl. http://www.managermagazin.de/imtemehmen/artikel/0,2828,476440,00.html (aufgerufen: 10.10.2012).
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mehrere Bestimmungen des TRIPS-Abkommens verstießen. Die Existenz eines CRS und das damit zusammenhängende Genehmigungsverfahren rechtfertigen in keiner Weise die Verweigerung der Urheberrechte und anderer verwandter Schutzrechte. In ihrem Abschlussbericht empfahl das Panel, dass China seine "problematischen" Vorschriften mit dem TRIPS-Abkommen in Einklang bringen müsse. Nach Veröffentlichung des Abschlussberichtes teilte China dem Dispute Settlement Body mit, dass es die geforderten Änderungen bis zum 20. März 2010 vornehmen werde und dieser Umsetzungszeitraum mit den USA vereinbart wurde. Einen Tag vor Ablauf der Frist berichtete China seine erfolgreiche und vollständige Umsetzung der Panel-Empfehlungen. Tatsächlich gingen die chinesischen Änderungen sogar Uber die geforderten Reformen hinaus und betrafen auch Teile der zwar von den USA beanstandeten, aber vom Panel zurückgewiesenen Praktiken und Regulierungen. 14
4.2. Verletzung der Urheberrechte europäischer Musiker in den USA Der zweite Fall bezieht sich auf das Schutzniveau der Urheberrechte für Musik in den USA (European Commission 1998; Pauwelyn 2010, S. 12, 15, 23-26,38-39; United States 2012) 15 und lässt sich auf eine Initiative der IMRO (Irish Music Rights Organisation) gegenüber der Europäischen Kommission in den späten 1990er Jahren zurückzuführen. 16 Dabei machte die IMRO darauf aufmerksam, dass die US-amerikanischen Urheberrechtsgesetze es einer ganzen Reihe von Unternehmen, insbesondere aus der Gastronomie, erlauben, Musik umsatzsteigemd einzusetzen (durch Beschallung ihrer Publikumsräumlichkeiten), ohne den Urhebern dieser Musik eine Nutzungsgebühr zu entrichten (oder deren Einverständnis eingeholt zu haben). Bereits am 26. Januar 1999 wurde die EU im Sinne der IMRO aktiv und bat um eine Stellungnahme der USA hinsichtlich des Schutzes der Urheberrechte von Musikern. Die EU argumentierte dabei, dass bestimmte Ausnahmen des § 110(5) des US-Urheberrechtsgesetzes (sog. Copyright Act) nicht mit Art. 9(1) des TRIPS-Abkommens vereinbar seien. Diese im § 110(5) USUrheberrechtsgesetz festgeschriebenen Ausnahmen erlauben unter bestimmten Bedingungen die Ausstrahlung von Musik im öffentlichen Bereich ohne Genehmigung durch den Urheber oder entsprechende Zahlung von Lizenzgebühren. Nach Auffassung der EU stellen diese Ausnahmen einen Verstoß gegen Art. 13 des TRIPS-Abkommens dar. 14
Es ist freilich fraglich, inwieweit die weiterreichenden Reformen tatsächlich nur auf das TRIPS-Verfahren zurückzuführen sind. Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas zu einer bedeutenden Weltwirtschaftsmacht sehen sich chinesische Unternehmen nämlich in der Zwischenzeit auf einigen Märkten bereits selbst einer Konkurrenz durch Marken-, Produktund Urheberrechtepiraterie ausgesetzt, was in China in der Zwischenzeit ein allmähliches Umdenken in Sachen Schutz des geistigen Eigentums in Gang gesetzt hat. 15 Siehe auch im Internet http://docsonline.wto.org/GEN_highLightParent.asp?qu=%28%40meta%5FSymbol+WT%FCDS160%FC%2A%29&doc=D%3A%2FDDFDOCUMENTS%2FT%2FWT%2 FDS%2F160%2D24A85%2EDOC%2EHTM und http://www.wto.org/englishytratop_e/dispu_e/cases_e/ds 160_e.htm^(aufgerufen: 23.01.2012). 16 Vgl. European Commission, Press Release IP/01/1098,2001 http://europa.eu/rapid/pressReleasesAction.do ?reference=IP/01/1098&format=HTML&aged =l&language=EN&guiLanguage=en (aufgerufen: 17.10.2012)
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Nach einer anderthalbjährigen Prüfung bestätigte das zuständige WTO-Panel in seinem Bericht, dass § 110(5) des US-Urheberrechtsgesetzes in der Tat teilweise die Bestimmungen des TRIPS-Abkommens verletze, mithin die USA die in TRIPS niedergelegten Mindeststandards für den Schutz von Urhebern unterschreite. Das WTO-Panel verlangte von den USA schließlich eine Anpassung ihres Urheberrechtsgesetzes, sodass ihr Urheberrechteschutz mit den Bestimmungen des TRIPS-Übereinkommens konform geht. Im Detail fokussierte sich die Beschwerde der EU auf zwei Ausnahmen des § 110(5) des US-Urheberrechtsgesetzes: — § 110(5)a des Gesetzes befasst sich mit der sogenannten Haushaltsart-Ausnahme (homestyle exemption). Diese Ausnahme befreit kleine Restaurants, Bars und Einzelhandelsgeschäfte in den USA von der Einholung einer Genehmigung der Rechteinhaber oder der Zahlung einer anteiligen Urheberrechtsgebühr für die in den öffentlichen Bereichen dieser Betriebe ausgestrahlte Musik. Genauer gesagt greift diese Befreiung immer dann, wenn die Beschallung mit Musik Uber ein sogenanntes homestyle equipment erfolgte, also mit Hilfe von Audiogeräten, wie sie üblicherweise in privaten Haushalten verwendet werden (beispielsweise handelsübliche Stereoanlagen). Hinsichtlich dieses Punktes kommt das Panel jedoch zu dem Schluss, dass diese Haushaltsart-Ausnahme mit dem Art. 13 des TRIPS-Abkommens vereinbar ist. Das Panel befand dabei weniger die Praxis an sich als regelkonform, sondern schlussfolgerte, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen der homestyle exemption unerheblich wären und dementsprechend nicht gegen Art. 13 TRIPSAbkommen verstoßen. Die Ausnahme wird als ein begrenzter, spezieller Fall erachtet, welcher die normale Verwertung der dort gespielten Werke nicht beeinträchtigt. — Der andere Bereich der Untersuchung betraf Abschnitt b. des § 110(5) Urheberrechtsgesetz der USA. Dieser beinhaltete eine sogenannte Geschäftsausnahme (business exemption). Diese Ausnahmeregelung befreite Restaurants, Bars und Einzelhandelsgeschäfte, welche eine in Quadratmeter festgelegte Größe nicht überschritten, von einer Genehmigung der dort gespielten Musik durch die Urheber und auch von der Zahlung einer Lizenzgebühr. Darüber hinaus wurde Betrieben die Befreiung auch dann gewährt, wenn sie zwar die festgelegte Betriebsgröße überschritten, bezüglich der Musikbeschallung jedoch bestimmte Vorschriften hinsichtlich der technischen Ausstattung einhielten (im Grunde ähnlich der homestyle exemption). De facto weitete die business exemption die oben diskutierte homestyle exemption unter nur leicht veränderten Voraussetzungen auf eine signifikant größere Anzahl an Gastronomie- und Einzelhandelsbetrieben aus, welche zudem in erheblichem Maße größer sein können. In Anbetracht einer erheblichen Ausweitung des Ausnahmebereiches stellte das Panel hier eine Verletzung des Art. 13 TRIPSAbkommen fest. Seine Argumentation beruht darauf, dass de facto die meisten Bewirtungs- und Gastronomieeinrichtungen unter diese Ausnahmeregelung fallen und es sich demgemäß um keine begrenzten Spezialfälle handeln würde. Stattdessen stelle die business exemption einen Fall unzureichenden Schutzes für geistiges Eigentum dar und verletze daher die Bestimmungen des TRIPS-Abkommens. USVerwertungsgesellschaften schätzten beispielsweise, dass die Ausnahmeregelung selbst dann bereits bis zu 70 % sämtlicher inländischen Restaurants und Bars ein-
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schließen würde, wenn lediglich Betriebe unter der festgesetzten Größenschwellenwerte ausgenommen würden (European Commission 1998). Nach dem Untersuchungsverfahren legte das WTO-Panel schließlich am 15. 06. 2000 seinen Abschlussbericht vor. Um die darin enthaltenden Empfehlungen umzusetzen, baten die USA um eine angemessene Erfüllungsfrist von 15 Monaten. Da die EU die Länge der geforderten Frist verwehrte, entschied ein Schiedsgericht über die endgültige Zeitspanne und gewährte eine Umsetzungsfrist von 12 Monaten, dementsprechend hätte diese Frist am 27.07.2001 geendet. Drei Tage vor Ablauf dieser Frist stimmten der WTO-Streitschlichtungsausschuss und die EU einer Fristverlängerung bis Ende 2001 oder bis zu einer erneuten Sitzung des US-Kongresses, je nachdem, was sich eher ereignet, zu. Am 07.01.2002 hatten die USA jedoch noch immer nicht sämtliche Anforderungen und Empfehlungen des Panel und des DSB umgesetzt, sodass schließlich die EU drohte, von Art. 22 (2) Gebrauch zu machen, welcher eine Suspension oder Kompensation von Vertragspflichten gegenüber einem WTO-Mitglied dann vorsieht, wenn dieses Mitglied die Entscheidungen der WTO nicht binnen einer entsprechenden Frist erfüllt. Dieses Vorhaben stieß auf den Widerstand der USA, die zudem prozedurale Fehler monierten. Auf einer Sitzung am 18.01.2002 einigten sich die Parteien schließlich auf eine Fortsetzung des Prozesses in Form von konstruktiven Verhandlungen. Schlussendlich teilten die USA und die EU dem DSB am 23.06.2003 mit, dass sie eine für beide Seiten zufriedenstellende Vereinbarung getroffen haben, welche vorübergehend für den Zeitraum bis zum 20.12.2004 gelte. Diese Vereinbarung enthielt im Wesentlichen eine jährliche Kompensationszahlung der USA an die EU, solange in den USA die business exemption aufrechterhalten würde. Damit sollten die geschätzten Verluste europäischer Musiker durch die fortwährenden Urheberrechteverletzungen in den USA ausgeglichen werden. Innerhalb eines DreiJahres-Zeitraumes zahlte die USA insgesamt eine Summe von US$ 3.300.000 an die EU. Die Berechnung dieser Summe entstand vor dem Hintergrund der geschätzten kontrafaktischen Lizenzgebühren, die den europäischen Rechteinhabem durch die business exemption entstanden sind. Allerdings haben die USA seit diesem Zeitpunkt (2005) weder Kompensationsleistungen geleistet, noch ist es zu einer Reformierung oder Beseitigung der business exemption gekommen. Seither setzt die EU stetig auf jeder Mitgliederversammlung dieses Themengebiet auf die Tagesordnung des DSB. Auf jeder Mitgliederversammlung formulieren die USA seither identische Berichte (Wort für Wort!) zur Umsetzung der TRIPS-Regeln, die erklären, dass sie an überarbeiteten und revidierten Urheberrechteregelungen arbeiten würden. Der letzte (und mittlerweile 85.) derartige Bericht wurde am 10.01. 2012 vorgelegt und eingereicht.
5.
Internationalisierung geistiger Eigentumsrechte: Grenzen des TRIPS-Abkommens und neue Entwicklungen
5.1. Grenzen des TRIPS-basierten internationalen Urheberrechteschutzes Der im vorherigen Absatz diskutierte Urheberrechtsfall zwischen der EU und den USA weist auf ein essentielles Themengebiet des internationalen Schutzes geistiger Eigentumsrechte hin, nämlich die grenzüberschreitende Durchsetzung von Urheberrech-
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ten (hier an Musik). Gleichzeitig repräsentiert der TRIPS-Fall einen eher traditionell ausgerichteten Fall, da er nicht das Problem der Internetpiraterie thematisiert, welches gegenwärtig die Debatte um grenzüberschreitende Urheberrechtsverletzungen dominiert. Dies zeigt aber auch, dass selbst traditionelle Zahlungssysteme für Urheberrechteinhaber (beispielsweise in der Unterhaltungsindustrie) problematisch bleiben, und die Frage, wie Urheberrechteinhaber angemessene Lizenzgebühren (und damit ihr geistiges Eigentumsrecht) grenzüberschreitend durchsetzen können, wenn beispielsweise ihre Musik im Ausland kommerziell genutzt wird, ist alles andere als gelöst - selbst ohne dass das Internet oder die digitale Revolution hier bereits irgendeine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang zeigt die WTO bezüglich der US-Urheberrechte eine recht widersprüchliche Lösung auf: Auf der einen Seite wird das TRIPS-Abkommen aktiv angewendet, denn das WTO-Panel beschloss deutlich, dass Praktiken wie die business exemption und die damit verbundene Verweigerung von Lizenzgebühren für (ausländische) Urheberrechtsinhaber gegen das Abkommen verstoßen. Auf der anderen Seite scheint seit der Entscheidung des Ausschusses nichts Wesentliches passiert zu sein. Stattdessen gibt die USA jedes Jahr denselben Bericht an die WTO („Lösung vertagt") aus, ohne das zugrunde liegende Problem zu lösen. Dies impliziert keine effektive Durchsetzung des Beschlusses und verbleibt insgesamt unbefriedigend. Dessen ungeachtet sollte man die Wirkung des Abkommens auf grenzüberschreitende Urheberrechtsdurchsetzung nicht unterschätzen. Der sogenannte allofmp3.com-Fall bietet ein überaus interessantes (Gegen-)Beispiel. Hierbei handelt es sich um eine russische Download-Plattform, welche unter russischer Gesetzgebung lange als legal erachtet wurde, obwohl sie Downloads von ausländischen Urheberrechteinhabern verkaufte, ohne den Inhabern dieser Rechte eine (angemessene) Kompensation zukommen zu lassen (Benko 2007). Als sich Russland der WTO- Mitgliedschaft näherte, galt seine IPRPolitik als größtes Hindernis für eine Übereinkunft (Katz und Ocheltree 2006). Als sich schließlich ein Konsens zwischen der WTO und Russland ankündigte, hat Russland kurzentschlossen seine Politik gegenüber allofmp3.com und den angegliederten Firmen geändert und am Ende deren Geschäft beendet. Obwohl die bemerkenswerte Kehrtwendung in der Politik und in der Strafverfolgung nicht offiziell in Verbindung mit der kommenden WTO-Mitgliedschaft gebracht wird, können die Schatten, die TRIPS vorrausgeworfen hat, durchaus ein Auslöser für die Änderung der nationalen Urheberrechtsgesetze und vor allem deren Durchsetzungspraktiken gewesen sein, welche ohne Reform Russland wahrscheinlich vor das TRIPS-Panel und dort zu einem verlorenen Fall für Russland geführt hätte.17 Anders gesagt kann bereits die bloße Existenz von TRIPS einen disziplinierenden Effekt auf Mitglieder und Beitrittskandidaten haben. Das TRIPS-Abkommen repräsentiert einen multilateralen Versuch, Urheberrechte grenzüberschreitend zu schützen und demgemäß schon eine vergleichsweise zentralisierte Herangehensweise an internationale Urheberrechtsregulierungen. Obwohl das WTO-TRIPS-Abkommen 157 Mitgliedsstaaten und somit die Mehrheit der Weltbevölkerung und des weltweiten Handels abdeckt, so ist es allerdings noch immer kein globales Regelwerk. Dies wird relevant, wenn das Internet einbezogen wird, welches sich als 17
Russland wurde schließlich am 22. August 2012 WTO-Mitglied.
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Medium in die zentrale Rolle moderner Kontroversen um Urheberrechtsverletzungen und -durchsetzung entwickelt hat. Aufgrund der Natur des Internets und der Digitalisierung der Inhalte (mit der Konsequenz, dass Kopierkosten minimal werden und Qualitätsverluste durch Kopieren praktisch nicht mehr relevant sind) könnten bereits einige wenige »sichere Häfen' außerhalb der geographischen Gültigkeit des TRIPS-Abkommens ausreichend sein, um den Regulierungseffekt von TRIPS zu beeinträchtigen. Es bedarf im Grunde nur einiger weniger Server in kleinen Oasen in der Welt des Schutzes geistiger Eigentumsrechte, um beachtliche Lücken in der grenzübergreifenden Urheberrechtsdurchsetzung aufzureißen und die Märkte der WTO-Mitglieder mit urheberrechtsverletzenden Produkten zu überfluten, insbesondere wenn von Urheberrechten für Musik, Filme, Literatur und vergleichbaren Schöpfungen gesprochen wird. Dies wäre sogar dann der Fall, wenn der grenzübergreifende Urheberrechtsschutz innerhalb des TRJPS-Raumes perfekt funktionieren würde. Es liegt in der Natur des TRIPS-Abkommens, dass es keine extraterritorialen Effekte außerhalb der WTO-Zuständigkeit entwickeln kann (ausgenommen vielleicht jene Staaten, die eine Mitgliedschaft anstreben). Aus ökonomischer Sicht stellt die de /acio-Beeinträchtigung der Durchsetzung von Urheberrechten ein Wohlfahrtsproblem dar. Wie bereits in Kapitel 2 argumentiert, kann Nachahmungsfreiheit den Anreiz zu Innovationen erodieren und damit die Innovationsdynamik beeinträchtigen. Der in der Regel diskutierte Trade-off zwischen Einräumung eines exklusiven Rechts am geistigen Eigentum und dem Missbrauch von Markt- und Monopolmacht spielt bei der Betrachtung von Urheberrechten eine deutlich weniger relevante Rolle (siehe Kapitel 2).18 Lücken in der internationalen Regelung fuhren konsequenterweise jedoch zu Produktfälschung und digitaler Piraterie, was sehr wahrscheinlich Wohlfahrtsverluste nach sich zieht. Wirtschaftliche Analysen zeigen, dass unvollkommener Schutz geistigen Eigentums nur dann positive Wohlfahrtseffekte nach sich zieht, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind: (i) die Rechteinhaber genießen eine monopolähnliche Marktposition und (ii) Konsumenten ziehen das Original der (illegalen) Kopie vor. Nur wenn genannte Annahmen zutreffen, bewirken Verletzungen geistiger Eigentumsrechte keine negativen Wohlfahrtseffekte (jedoch auch keinesfalls zwangsläufig positive).19 Im Falle von Urheberrechten an Musik, Filmen, Literatur usw. treffen die beiden notwendigen Annahmen typischerweise nicht zu; das Gegenteil müsste für vereinzelte Ausnahmefälle sorgfältig argumentiert und empirisch belegt werden.
5.2. RUckkehr zu unilateralen Lösungen? Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass das Vertrauen in das System TRIPS zur Lösung grenzüberschreitender Urheberrechtesysteme eher nachzulassen scheint, was sich unter anderem auch in einem verstärkten Auftreten unilateraler Initiativen zu einer extraterritorialen Durchsetzung von Urheberrechten manifestiert. Damit
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Dies kann im Pharmabereich hinsichtlich von Patenten auf Medikamenten und Wirkstoffen anders sein. Siehe beispielsweise Henry und Stiglitz (2010). Siehe erneut die ausgezeichnete Studie von Belleflamme und Peitz (2012) und deren umfassende Literaturhinweise.
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einher geht eine Re-nationalisierung der Politik des Schutzes geistigen Eigentums, welche in einem merkwürdigen Kontrast zur tatsächlichen Globalisierung der Märkte für die digitalen, internetbasierten Produkte geistiger Schöpfungen steht. Der Protect IP Act (Preventing Real Online Threats to Economic Creativity and Theft of Intellectual Property Act, kurz PIPA), beispielsweise, ist ein von den USA im Mai 2011 in das Gesetzgebungsverfahren eingeführter Gesetzesentwurf. Die Grundidee liegt darin, den Rechteinhabern und den US-Justizbehörden bedeutend mehr Macht einzuräumen, um gegen Verletzungen urheberrechtlich geschützter Inhalte auf Websites vorzugehen. Neben PIPA wird das ebenfalls in den USA entwickelte SOPA (Stop Online Privacy Act)Gesetz diskutiert, welches im Oktober 2011 vorgestellt wurde und PIPA ähnelt. 20 SOPA und PIPA beinhalten TRIPS-relevante Bestimmungen, insofern eine grenzüberschreitende Durchsetzung des Urheberrechts berührt wird. Insbesondere sehen die Gesetzesentwürfe auch Möglichkeiten des Zugriffs von US-Ermittlern auf ausländische Betreiber von Internetdiensten und -Seiten vor. Internetseiten, welche offensichtlich urheberrechtlich geschützten Content vertreiben, deren Vertreibung erleichtern oder dazu beisteuern, würden unabhängig vom Ort ihrer Herkunft den US-Justizbehörden unterliegen. Alle Geschäftspartner dieser Seiten wären von den Gegenmaßnahmen betroffen und müssten diese aktiv unterstützen. Auferlegte Maßnahmen wären unter anderem die Zugangsblockierung und Entfernung sämtlicher Verweise auf entsprechende Seiten sowie die Beschlagnahmung von Webadressen scheinbarer Piraterie-Seiten. Außerdem müssen beispielsweise Geschäftsbeziehungen seitens der Zahlungsdienstleister und Werbetreibenden innerhalb von 5 Tagen zu angeblich urheberrechteverletzenden Internetseiten aufgehoben werden 21 . Diese neuen Bestimmungen würden zum einen eine direkte, zum anderen ebenso eine indirekte extraterritoriale Komponente einführen. Sobald das Hoheitsgebiet der USA berührt wird, ist das Eingreifen der USGesetzgebung gestattet. Hinsichtlich des Internets ist dies faktisch immer der Fall. Laut aktueller Studie beträgt der Anteil aufgerufener US-Websites in Deutschland 81 % 22 . Dieser Ansatz der unilateralen extraterritorialen Erklärung von Jurisdiktion gleicht dem aus der Wettbewerbspolitik bekannten Auswirkungsprinzips (u.a. Griffin 1999; Fox 2003; Budzinski 2008).
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Beide Gesetzesentwttrfe stehen aktuell zur Diskussion und sind bisher noch nicht in Kraft getreten. Sie werden auch deshalb - genau wie vergleichbare Initiativen in anderen Ländern - von einer erheblichen Kontroverse begleitet, weil sich in ihnen ökonomische Ziele des Schutzes geistiger Eigentumsrechte mit anderen Politikzielen mischen. Darunter befinden sich hehre Ziele wie die Bekämpfung der intemetbasierten Kinderpornographie ebenso wie weniger hehre Ziele wie die politisch oder kommerziell motivierte Erosion der Anonymität von Internetnutzern oder rechtlich problematische Einschränkungen von Privatsphäre und (Meinungs-)Freiheit im Netz. Ohne damit irgendeine Aussage über die jeweilige Wichtigkeit der Diskussionsbereiche zu fällen, konzentriert sich der vorliegende Beitrag ausschließlich auf die Elemente dieser Initiativen, welche relevant für die ökonomische Diskussion grenzüberschreitender Urheberrechte sind. 21 Vgl. http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/us-internetgesetze-fuenf-gruende-fuer-dennetz-streik-a-809842-2.html sowie http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/neue-gesetzeus-copyright-cops-greifen-weltweit-zu-a-773495.html (aufgerufen: 22.10.2012). 22 Vgl. http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/intemetnutzung-deutschland-surft- amerikanisch-a-810131 .html (aufgerufen: 22.10.2012).'
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Ferner können die Auswirkungen der indirekten extraterritorialen Durchsetzung kaum unterschätzt werden. Sämtliche beteilige Parteien (andere Websites, Dienstleister, Werbeagenturen, Suchmaschinen etc.), die entweder Geschäftsbeziehungen mit der urheberrechteverletzende Website unterhalten oder mit einem Link auf diese verweisen, müssten folglich ausnahmslos jede Aktivität zu dieser Website einstellen und den Verweis zu dieser Seite entfernen (im Falle von Internet-Providern würde sogar der Zugang zu der rechtsverletzenden Seite blockiert).23 Mit anderen Worten würden (i) Intemetdienstanbieter, (ii) Intermediäre (Suchmaschinen, Archive, Datenbanken, Online-Lexika etc.) und (iii) Geschäftspartner (ζ. Β Anzeigenkunden) gemeinsam für Urheberrechtsverletzungen haften. Darüber hinaus würden sie verpflichtet, selbst aktiv nach Urheberrechtsverletzungen ihrer „Partner" zu fahnden und im Fall der Fälle ihnen entsprechende Sanktionen aufzuerlegen. Sämtliche Vorschriften gelten auch für Internetseiten, die außerhalb der Vereinigten Staaten eingetragen sind, womit die indirekte extraterritoriale Durchsetzung gewährleistet wird. Ersichtlich wird, dass dieser extraterritoriale Durchsetzungsmechanismus nicht mit der Idee des TRIPS-Übereinkommens korrespondiert. Auf der einen Seite betrifft dies die vorgesehene Rolle der Internetdiensteanbieter und Intermediäre als sozusagen Hilfspolizisten für die Durchsetzung des Urheberrechts. Auf der anderen Seite würde eine exterritoriale Reichweite der US-Urheberrechtspolitik die nationale Kompetenz zur Regelung von Urheberrechten einschränken oder gänzlich erodieren.24 Während das TRIPS-Abkommen Mindeststandards festlegt und darüber hinaus den Mitgliedstaaten freie Hand zu einer individuellen Gestaltung lässt, setzt sich in einer Welt extraterritorialer Rechtedurchsetzung das strengste Recht (mithin der Maximalstandard) unter jenen durch, deren Jurisdiktionen mächtig genug sind, extraterritoriale Durchsetzung effektiv zu gestalten. Würden PIPA und SOPA sowie die beabsichtigten Mechanismen zur Durchsetzung in Kraft treten, könnten sich unter Umständen die Urheberrechtsbestimmungen der USA als weltweiter Standard etablieren. Demgemäß würde es keinen Raum mehr für die über die vom TRIPS-Abkommen festgesetzten Mindeststandards hinaus geltenden nationalen Gestaltungskompetenzen geben. Unterschiedliche Entwicklungsstufen der Länder und kulturelle Aspekte können jedoch dazu beitragen, dass in verschiedenen Jurisdiktionen verschiedene Detailausgestaltungen von Urheberrechten optimal sind. Es ist zweifelhaft, ob es im Bereich von geistigen Eigentumsrechten ein onesize-fits-all oberhalb gewisser Mindeststandards gibt.25
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Neben diesen Regelungen würden die neuen Gesetze die strafrechtlichen Vorschriften erweitem und das Streaming von urheberrechtlich geschützten Materialien umfassen. Es könnte auch ein Konflikt hinsichtlich der Verpflichtungen im Rahmen der World Intellectual Property Organization (WIPO) entstehen. Seit 1998 gilt in den USA der Digital Millennium Copyright Act (DMCA), welcher in Kraft getreten ist, um die Verantwortlichkeiten der USA gegenüber beiden Verträgen der WIPO, den Copyright Treaty und den Performances and Phonograms Treaty, zu erfüllen. Darüber hinaus werden Bedenken Uber die grundlegenden Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, den Schutz der Privatsphäre sowie den Schutz der freien Meinungsäußerung und die Vielfalt der Meinungen, geäußert. Diese Thematiken werden allerdings nicht in dem hier vorliegendem Kontext diskutiert.
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Aus ökonomischer Sicht sind zudem weitere Nachteile einer unilateralen Strategie zu verzeichnen. Dazu gehören negative Externalitäten unilateraler Initiativen (beispielweise damit verbundene Anreize, die inländische Wohlfahrt zu Lasten der ausländischen und/oder internationalen Wohlfahrt zu steigern, strategische Politik bzw. beggar-myneighbour-Stiategiea), jurisdiktioneile Konflikte sowie negative Anreize für den Technologietransfer (welcher ein wichtiges Ziel im Rahmen von TRIPS ist) sowie für grenzüberschreitende IP-Investitionen.
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Fazit
Der vorliegende Essay über die bis dato betriebene Politik geistiger Eigentumsrechte im Rahmen der WTO zeigt, dass insbesondere das Problem der grenzüberschreitenden Durchsetzung von Urheberrechten weiterhin eine beachtliche Herausforderung darstellt sowie eine bedeutende Rolle im Zuge der bisherigen TRIPS-Fälle einnimmt. Wie der US-Urheberrechtsfall in 4.2 verdeutlicht, ist es selbst in traditionellen Medienmärkten nicht ohne weiteres möglich, durch Anwendung der Vorschriften und Maßnahmen des TRIPS-Abkommens grenzüberschreitende Urheberrechtsverletzungen effizient zu lösen. Gegenwärtig werden diese Problematiken in den aktuellen Reform- und Weiterentwicklungsdiskussionen innerhalb des TRIPS allerdings tendenziell eher vernachlässigt. Vielmehr dominieren politisch-motivierte Diskussionen von Themengebieten mit starken politischen Lobby-Einflüssen wie GIs, Technologietransfer oder die biologische Vielfalt (siehe Abschnitt 3.2). Dies verkörpert eine problematische Entwicklung, insbesondere vor dem Hintergrund des neuerdings wieder zunehmenden Auftretens von unilateralen Initiativen, welche die multilaterale Durchsetzung von grenzüberschreitenden Urheberrechten schwächen. Aus ökonomischer Sicht stellt diese Abkehr vom multilateralen Ansatz im Rahmen der WTO-TRIPS - aber auch von anderen multilateralen Organisationen wie der WIPO - eine problematische Tendenz dar, mit welcher erhebliche Risiken für die internationale (sowie letztlich auch die nationalen) Wohlfahrt(en) einhergehen. Statt dessen wäre eine Reformanstrengung der multilateralen Regeln und ihrer Umsetzung aus Wohlfahrtssicht vielversprechend, welche die bestehenden Regeln und Praktiken an die neuen Herausforderungen anpasst, die von internetbasierten digitalen Medien(inhalten) ausgehen. Zweifellos ist ein solches Vorhaben alles andere als leicht. Allerdings ist es noch deutlich zweifelhafter, ob im Bereich von Urheberrechten an geistigen Schöpfungen unilaterale Strategien aussichtsreich hinsichtlich der Lösung der alten traditionellen, der neuen gegenwärtigen und der aus der anhaltenden Innovationsdynamik der Medien resultierenden zukünftigen Probleme und Herausforderungen sein können.
Literatur Ahmad, Manzoor (2005), Special Session of the Council FOR TRIPS, Report by the Chairman, Ambassador Manzoor Ahmad, to the Trade Negotiations Committee (TN/IP/13) - Official Document of the World Trade Organization, 20.07.2005. Belleflamme, Paul und Martin Peitz (2012), Digital Piracy: Theory, in: Martin Peitz und Joel
Waldfogel (eds.), The Oxford Handbook of the Digital Economy, Oxford, forthcoming.
Der Schutz geistiger Eigentumsrechte in der Welthandelsorganisation
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Dirk Wentzel (Hg.), Internationale Organisationen Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 97 · Stuttgart • 2013
Zehn Jahre International Competition Network (ICN): Auf dem Weg zu einer globalen Wettbewerbsordnung?
Oliver Budzinski und Björn A. Kuchinke
Inhalt 1. Einleitung und Problemstellung
176
2.
Der Netzwerkansatz als Mittelweg zwischen Nicht-Koordination und WTO
177
2.1. Konzeptionelle Unterschiede von Wettbewerbspolitiken 2.2. Probleme unkoordinierter Wettbewerbspolitiken 2.3. Die WTO als globale Wettbewerbsbehörde - ein Irrweg? 2.4. Zwischenfazit
177 178 180 181
3. Das International Competition Network (ICN) als globale Wettbewerbsordnung?
4.
182
3.1.10 Jahre ICN - eine Bestandsaufnahme 3.2. Erfolge des ICN 3.3. Grenzen, offene Probleme und Entwicklungsperspektiven
182 184 186
Schlussbetrachtung
188
Literatur
188
Oliver Budzinski und Björn A. Kuchinke
176
1.
Einleitung und Problemstellung
Im Zuge der voranschreitenden Globalisierung stehen viele Problemstellungen in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion. Ein Thema, dass insbesondere Ökonomen, aber auch andere Disziplinen wie Juristen oder Sozialwissenschaftler beschäftigt, ist die Frage nach der zukünftigen, optimalen Ausrichtung der Wettbewerbspolitik in einem globalisierten Wirtschaftsgeschehen. Ausgangspunkt der Diskussionen ist regelmäßig die Tatsache, dass auf der einen Seite die Wettbewerbspolitik bzw. die implementierten Wettbewerbsregeln und die dazugehörigen institutionellen Arrangements immer an einen geografischen Raum geknüpft sind. So überwacht beispielsweise auf europäischer Ebene die Europäische Kommission als zentrale Instanz die Einhaltung der europäischen Wettbewerbsregeln auf Märkten innerhalb der Europäischen Union. Dementsprechend wendet die Federal Trade Commission (FTC) bzw. die Antitrust Division des Department of Justice (DoJ) die US-amerikanischen Wettbewerbsregeln für den US-amerikanischen Raum an. Auf der anderen Seite existieren Unternehmen, die häufig über diesen wettbewerbspolitisch beeinflussbaren geografischen Raum hinaus tätig sind und im Extremfall einen Weltmarkt (oder mehrere Weltmärkte) bedienen. Damit sind die geografischen Räume, für die Wettbewerbsbehörden zuständig sind, und die räumlichen Tätigkeitsbereiche von Unternehmen häufig nicht identisch. Damit einher geht nun gleichzeitig der Umstand, dass die Zielvorstellungen darüber, was über Wettbewerbsregeln zu schützen gilt, sowie die konkreten Regelungen, wie dies im Detail zu erfolgen hat bzw. erfolgt, in verschiedenen Jurisdiktionen voneinander abweichen (können) und die verwendeten Verfahren zur Beurteilung wettbewerbspolitisch relevanter Sachverhalte ebenfalls heterogen sind. Dies ist etwa bei einem Vergleich des europäischen und des US-amerikanischen (Wettbewerbs-)Rechtsraumes relativ einfach nachzuvollziehen (siehe auch Kapitel 2.1.). Das Spannungsfeld, was hieraus entsteht, ist nun grob zusammengefasst, dass eine zuständige Behörde, deren Einfluss Uber die Geltung des Rechts auf den entsprechenden Rechtsraum begrenzt ist, nur eine Entscheidung für ihren Zuständigkeitsbereich fällt, die betroffenen Unternehmen aber womöglich auf einem weitaus größeren räumlichen Markt agieren. Gleichzeitig treffen andere Wettbewerbsbehörden Entscheidungen gemäß ihrer Befugnisse für ein weiteres geografisches Gebiet auf Basis von alternativen Entscheidungskriterien, aber womöglich für die gleichen Unternehmen. Deshalb stellen sich die Fragen, ob in einer zunehmend globalisierten Welt eine internationale Ausrichtung bzw. Koordination der Wettbewerbspolitiken notwendig ist und wenn ja, wie diese gemeinsame Wettbewerbspolitik aus ökonomischer Sicht (auch institutionell) aussehen sollte. Der vorliegende Beitrag nimmt sich dieser Fragen wie folgt an: Zunächst wird in Kapitel 2 aufgezeigt, wann von unkoordinierter Wettbewerbspolitik gesprochen werden kann und welche Probleme oder Nachteile aus unkoordinierten Wettbewerbspolitiken erfolgen können. Außerdem wird dargestellt, welche Rolle die World Trade Organization (WTO) bei der Koordination von Wettbewerbspolitiken aktuell spielt und in der Vergangenheit gespielt hat. Im nachfolgenden dritten Kapitel wird das bestehende In-
Zehn Jahre International Competiüon Network (ICN)
177
temational Competition Network (ICN) vorgestellt und analysiert. Dieses ist zum aktuellen Status quo als zentrales Netzwerk zur wettbewerbspolitischen Koordination anzusehen. Hierbei werden nicht nur die positiven Aspekte dieses Netzwerkes dargestellt, sondern insbesondere auch die zu erkennenden Grenzen und Probleme herausgearbeitet, um so Anhaltspunkte für eine Weiterentwicklung aufzuzeigen. Kapitel 4 enthält eine Schlussbetrachtung.
2.
Der Netzwerkansatz als Mittelweg zwischen Nicht-Koordination und WTO
2.1. Konzeptionelle Unterschiede von Wettbewerbspolitiken Es ist grundsätzlich zu beobachten, dass in verschiedenen Ländern bzw. Rechtsräumen unterschiedlich ausgestaltete Wettbewerbsvorschriften gelten und institutionell verankert sind.1 Insofern kann grundsätzlich davon gesprochen werden, dass (weltweit) Wettbewerbspolitiken unkoordiniert sind. Die Wettbewerbspolitiken können sich unterscheiden, mithin unkoordiniert sein hinsichtlich: a)
des Wohlfahrtsmaßes (Ziel(e) der Wettbewerbspolitik),
b)
der wettbewerbspolitisch relevanten Kriterien bzw. die zur Analyse von Wettbewerbsbeschränkungen herangezogenen (ökonomischen) Theorien und Methoden sowie
c)
der .externen' Einflussfaktoren auf die Wettbewerbspolitik, die nicht zwangsläufig wettbewerbsökonomisch zu begründen sind.
Mit Blick auf a) die Wohlfahrtsmaße sind erhebliche Differenzen in einzelnen Wettbewerbspolitiken auszumachen. Beispielsweise steht in Deutschland und Europa eher die Konsumentenrente (Schutz des Konsumenten) im Vordergrund der Wettbewerbspolitik, während es in Nordamerika eher Größen der Gesamtwohlfahrt sind. Weitere (Zwischen-)Ziele können dynamische Wohlfahrtsaspekte beinhalten oder auf Wettbewerbsfreiheit abzielen bzw. anstreben, den Wettbewerbsprozess direkt zu schützen.2 Damit gibt es also erstens alternative Ansätze, was durch die Wettbewerbspolitik geschützt und erreicht bzw. maximiert werden soll. Zweitens beinhaltet dies aber auch, dass selbst bei gleichen Zielen von unkoordinierten Wettbewerbspolitiken gesprochen werden kann, nämlich dann, wenn aufgrund des geografisch begrenzten Rechtsraums etwa nur die nationale Wohlfahrt in einer wettbewerbspolitischen Entscheidung berücksichtigt wird, jedoch aufgrund der international agierenden Unternehmen die Wohlfahrt eines
1
2
Auf die in dynamischer Hinsicht nachzuvollziehenden Änderungen in den Rechtsvorschriften, den institutionellen Arrangements sowie den Auslegungs- und Anwendungskriterien in einzelnen Wettbewerbspolitiken kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, da dies den Rahmen Uberfordem würde. Vgl. zur Diskussion um die Ziele der Wettbewerbspolitik Hoppmann (1967); Fox (2003b); Foer (2005); Farrell und Katz (2006); Haucap et al. (2006); Hellwig (2006); Heyer (2006); Haucap (2007); Pittman (2007); Budzinski (2008b); Kerber (2009); Vanberg (2011); Werden (2011).
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Oliver Budzinski und Björn A. Kuchinke
größeren Raumes zu beurteilen wäre (Barros und Cabral 1994; Head und Ries 1997). Insofern wird also womöglich nicht die (.richtige') Gesamtwohlfahrt maximiert. 3 Bei b) ist zu unterscheiden, welche Kriterien, Theorien und Methoden zur Beurteilung von wettbewerbsrelevanten Tatbeständen herangezogen werden. 4 Hierbei finden unterschiedliche Effizienzmaße (ζ. B. allokative Effizienz, dynamische Effizienz, Möglichkeit einer Effizienzverteidigung usw.), verschiedene industrieökonomische Konzepte oder verschiedene Methoden (qualitative vs. quantitative Methoden, Rolle von ökonometrischen Methoden oder Simulationsmodellen) Anwendung. Beispielsweise warfen die USA im Kontext des europäischen Verbotes des geplanten Zusammenschlusses von GE und Honeywell der Europäischen Kommission vor, mit veralteten ökonomischen Theorien zu arbeiten (Reynolds und Ordover 2002; Gerber 2003). Ein weiterer Punkt der Divergenz zwischen europäischer und nordamerikanischer Wettbewerbspolitik ist die Rolle und das Ausmaß sogenannter Effizienzverteidigungen, also die Möglichkeit einer Kompensation von antikompetitiven Effekten durch Effizienzvorteile (Schwalbe 2005). Große Unterschiede finden sich zudem beispielsweise bei der Frage des Einsatzes von Simulationsmodellen zur Prognose von Wettbewerbseffekten (Budzinski und Ruhmer 2010). Auch in dieser Hinsicht können sich also Wettbewerbspolitiken unterscheiden und insofern unkoordiniert sein. Hinsichtlich der Einflussfaktoren c) geht es darum, ob auch nicht (zwangsläufig) wettbewerbsökonomische Argumente im Rahmen von wettbewerbspolitischen Entscheidungen akzeptiert und berücksichtigt werden. Schlagworte sind hierbei ζ. B. eine sogenannte .strategische Wettbewerbspolitik' (Guzman 2004; Budzinski 2008a, S. 5364; Motta und Ruta 2011) oder einfacher .Industriepolitik'. Damit ist auch gemeint, dass es hinsichtlich der Wettbewerbspolitik sein kann, dass die geltenden, allgemeinen Regeln nicht strikt angewendet oder wettbewerbspolitisch ,verwässert' werden, weil andere Ziele als der Schutz des Wettbewerbs nachzuvollziehen sind. Viele Länder, wie etwa die USA oder Frankreich, hatten oder haben traditionell eine eher industriepolitisch motivierte Wettbewerbspolitik, andere Länder, wie etwa Deutschland, dagegen eher nicht bzw. nicht in der Form wie in den zuvor genannten Ländern. Auch hierdurch kann eine koordinierte Wettbewerbspolitik verhindert werden, da die Ziele und Entscheidungsprozesse nicht klar sind und folglich voneinander abweichen können.
2.2. Probleme unkoordinierter Wettbewerbspolitiken Aus den aufgezählten Möglichkeiten weltweit unkoordinierter Wettbewerbspolitiken können Probleme entstehen. Ein erstes Problem sind cross-nationale Externalitäten (Barros und Cabral 1994; Head und Ries 1997; Sykes 1999; Haucap et al. 2006; Wagner-von Papp 2012). Diese treten dann auf, wenn Unternehmen auf relevanten Märkten tätig sind, die räumlich größer sind als der geografische Raum, für den ein rechtlicher Wettbewerbsrahmen gilt. Das bedeutet, dass wettbewerbspolitische Entscheidungen von einer Wettbewerbsbehörde getroffen werden können, welche auch Auswirkungen auf
3
4
Gewissermaßen könnte auch von einer .internationalen Wohlfahrt' oder im Extremfall von einer ,Weltwohlfahrt' gesprochen werden. Durch diese wird oder soll dann letztlich die Wohlfahrt maximiert werden.
Zehn Jahre International Competition Network (ICN)
179
andere Jurisdiktionen haben. Konkret könnte beispielsweise die Genehmigung eines Zusammenschlusses von Unternehmen negative wettbewerbliche Auswirkungen auf andere Rechtsräume haben.5 Die Begründung hierfür ist darin zu sehen, dass eine Wettbewerbsbehörde ihre Entscheidung eben national ausrichtet bzw. diese sich mithin an der nationalen Konsumentenrente oder Wohlfahrt orientiert.6 Die Effekte in anderen Rechtsräumen sind von der betrachteten Wettbewerbsbehörde nicht zu beurteilen und spielen folglich für deren Entscheidung keine Rolle. Die Wohlfahrt oder Konsumentenrente ist über beide Jurisdiktionen gesehen damit nicht maximal. Dieses Problem kann reduziert oder gelöst werden, wenn eine Koordination der Wettbewerbspolitiken erfolgt. Das aufgezeigte Problem der cross-nationalen Effekte verstärkt sich dann, wenn unterschiedliche Beurteilungskriterien herangezogen werden oder alternative (normative) Vorstellungen über die Wettbewerbspolitik bestehen. Werden Entscheidungen auf Basis unterschiedlicher Zielvorstellungen, die ihre Begründung in unkoordinierten Wettbewerbspolitiken haben, getroffen, dann ist gerade hier zu erwarten, dass cross-nationale Externalitäten auftauchen und relevant sind. Werden beispielsweise Zusammenschlüsse aus industriepolitischen oder anderen Gründen zugelassen, kann gerade dies negative Externalitäten auf andere Jurisdiktionen bzw. Wirtschaftsräume haben, die vielleicht den Konsumentenschutz im Zentrum ihrer Wettbewerbspolitik sehen (Neven und Roller 2005; Motta und Ruta 2012). Wären die Wettbewerbspolitiken koordiniert, dann wären die beschriebenen cross-nationalen Externalitäten wesentlich geringer oder sogar vermeidbar, weil die Auswirkungen einer Entscheidung in allen betroffenen Rechtsräumen berücksichtigt werden und insofern eine Internalisierung der Externalitäten möglich wird. Ein weiteres Problem, welches bei unkoordinierter Wettbewerbspolitik typischerweise auftritt, ist, dass Unternehmen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit und bei entsprechend wettbewerbsrelevanten Vorhaben viele Jurisdiktionen zu durchlaufen haben (Problem multipler Verfahren). Beispielsweise sind bei Zusammenschlüssen, die mehrere relevante Märkte in unterschiedlichen Wirtschafts- und Wettbewerbsräumen tangieren, so viele Verfahren zu durchlaufen, wie Märkte oder Jurisdiktionen betroffen sind. Dies bringt den nicht zu vernachlässigenden Nachteil hoher Kosten mit sich, die etwa aus Anmeldegebühren für einzelne Verfahren, Kosten für Rechtsanwälte und sonstige Experten oder Übersetzungen resultieren und die sich umso weiter erhöhen, je heterogener die Verfahren und Beurteilungsgrundlagen in den einzelnen Jurisdiktionen sind. Auf der .Gegenseite', also bei den zuständigen Behörden, fallen dementsprechend auch für jedes Verfahren Kosten an, da die Verfahren schließlich bearbeitet werden müssen. Gleichzeitig steigt für die Unternehmen hierdurch in nicht unerheblichem Maße die Unsicherheit über den Ausgang dieser Verfahren und damit über die Gewissheit, ζ. B.
5
6
D. h. im einfachsten Fall sind die Marktverhältnisse in den unterstellten Rechtsräumen vor dem Zusammenschluss unterschiedlich. Anders ausgedrückt liegt hier das Problem vor, den räumlich relevanten Markt quasi .falsch' abgegrenzt zu haben.
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Oliver Budzinski und Björn A. Kuchinke
einen Zusammenschluss durchführen zu können.7 Das würde in der umgekehrten Argumentation bedeuten, dass eine koordinierte, abgestimmte Wettbewerbspolitik die Kosten und die Unsicherheit bei den Unternehmen senken würde.8 Bereits aus diesen beiden Hauptproblemen unkoordinierter Wettbewerbspolitiken (für weitere siehe Budzinski und Kerber 2006; Budzinski 2008a, S. 26-64; Budzinski 2013) folgt, dass eine internationale Koordinierung der Wettbewerbspolitik vorteilhaft sein kann. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, wie eine solche Koordinierung aussehen könnte bzw. sollte und im Rahmen welcher internationalen Organisationen sie zu implementieren wäre.
2.3. Die WTO als globale Wettbewerbsbehörde - ein Irrweg? Die Bestrebungen, den Problemen unkoordinierter Wettbewerbspolitiken zu begegnen, sind nicht neu. Bereits in den 1920er Jahren hat es hierzu politische Bemühungen gegeben, die in der Folge in einer Reihe von internationalen Abkommen und Institutionen mit unterschiedlichem Fokus, alternativen Aufgaben und Befugnissen gemUndet sind (zu einem Überblick vgl. Budzinski 2008a, S. 134-138). Hervorzuheben ist hierbei insbesondere die World Trade Organization (WTO), die am 15. April 1994 gegründet und am 1. Januar 1995 ihre Arbeit aufgenommen hat. Die WTO ist als Dachorganisation aus den Verträgen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade), GATS (General Agreement on Trade in Services) und TRIPS (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights) hervorgegangen und institutionalisiert worden. Ihre zentrale Aufgabe besteht darin, den Abbau von Handelshemmnissen sowie die Liberalisierung des internationalen Handels bis hin zum Freihandel zu forcieren. Damit stand und steht auch die Frage von antikompetitiven Strategien oder wettbewerbspolitischen Praktiken auf der Agenda der WTO. Zusammengefasst ist die WTO als Institution jedoch offenbar nicht in der Lage, die Koordination von Wettbewerbspolitiken und die damit verbundenen, bereits beschriebenen Probleme zu lösen.9 Letztendlich ist zu konstatieren, dass die Einführung von gemeinsamen oder abgestimmten, koordinierten Wettbewerbsregeln im Rahmen der WTO gescheitert ist. Dafür können verschiedene Gründe angeführt werden. Erstens hat die WTO mit den genannten Aufgaben viele Politikfelder zwischen den 157 Mitgliedern zu bearbeiten, d. h. der Bereich Wettbewerbspolitik ist nur eine von vielen Politikfeldern, wie etwa Handels-, Entwicklungs- oder Währungspolitik. Der
7
Dies schließt potenziell weitere Verfahren vor Gerichten, Schiedsstellen u. ä. mit ein, etwa bei einem Scheitern eines ersten Antrages von Unternehmen, die wiederum zu Kosten führen.
8
Anders ausgedrückt, hätte eine solche koordinierte Wettbewerbspolitik den Vorteil, dass die Beurteilungsgrundlagen für wettbewerbsrelevante Tatbestände klar fixiert und einheitlich wären.
9
Vgl. zu (durchaus kontroversen) Diskussionen um die Eignung der WTO als internationale Organisation für eine Koordinierung von Wettbewerbspolitiken n.v.a. Fox (1997, 2003a); First (1998); Kerber (1999); Budzinski (2002a, 2002b, 2004b, 2008a, S. 134-141); Podszun
(2003); McGinnis (2004); Klodt (2005); Budzinski und Kerber (2006); Gerber (2012).
Zehn Jahre International Competition Network (ICN)
181
Schwerpunkt der Arbeit der Organisation liegt damit offenbar eben nicht auf dem Feld Wettbewerbspolitik. Zweitens nimmt die WTO neben einer Koordinierungsfunktion im Rahmen des Handels zwischen Ländern zwar weitere Funktionen wahr, wie ζ. B. im Falle von Streitschlichtungen bei Handelshemmnissen, der Einfluss auf nationales Recht ist jedoch insgesamt begrenzt. Damit ist gemeint, dass sich im Rahmen der WTO-Abkommen die Mitgliedstaaten zwar verpflichten, entsprechende nationale Rechtsvorschriften zu verabschieden, jedoch ist das Welthandelsrecht der WTO etwa nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht unmittelbar auf nationales oder EU-Recht anwendbar. Bürger oder Unternehmen können sich also vor nationalen Gerichten nicht auf WTO-Recht berufen. Damit werden im Rahmen der WTO gerade bezogen auf die Wettbewerbspolitik eher Absichtserklärungen erarbeitet. Drittens hat die WTO im Feld der Wettbewerbskoordinierung keine spezielle Expertise aufgebaut. Das bedeutet, dass keine regelmäßige Diskussion der Koordination von Wettbewerbspolitik in Expertenkreisen stattfindet. Hierbei ist auch anzuführen, dass die entscheidenden nationalen Personen und Institutionen bei den Diskussionen aufgrund der Zusammensetzung der Gremien häufig außen vor bleiben.
2.4. Zwischenfazit Die Ausführungen im vorliegenden Kapitel haben gezeigt, dass Wettbewerbspolitiken weltweit heterogen und damit häufig unkoordiniert sind. Hieraus entstehen relevante ökonomische Probleme. Gleichzeitig ist deutlich geworden, dass die bestehende Institution WTO offenbar nicht in der Lage ist oder eher ungeeignet scheint, die bestehenden Probleme zu lösen. Deshalb wird im folgenden Kapitel auf das ICN eingegangen. Zuvor muss jedoch noch angeführt werden, dass die aufgezeigten Unterschiede zwischen den einzelnen Wettbewerbspolitiken häufig normativ begründet sind. Normative Ökonomik umfasst Aussagen Uber anzustrebende Ordnungen oder Zustände auf der Basis von Werturteilen, die sich deshalb letztlich nicht begründen lassen und sich nicht als wahr oder falsch erweisen können (vgl. Giersch 1961, Kap. 1). D. h. in unterschiedlichen Ländern gibt es alternative (Wert-)Vorstellungen darüber, wie die Wirtschaft zu organisieren ist und damit auch wie gesellschaftlich .optimale' Wettbewerbsvorschriften auszusehen haben. Dieses Problem ist aufgrund des normativen Charakters letztendlich nicht zu lösen. Eine ,one-size-fits-all-Lösung' ist somit praktisch kaum vorstellbar, d. h. alle in 2.1. genannten Unterschiede in den einzelnen Wettbewerbspolitiken werden vermutlich nie vollständig abgebaut werden können. Dies wäre außerdem aufgrund von unterschiedlichen Wertevorstellungen sowie der wirtschaftlichen und sonstigen Heterogenität von Ländern auch ökonomisch äußerst fraglich (Smets und van Cayseele 1995; van den Bergh 1996; Freytag und Zimmermann 1998; Kerber und Budzinski 2003, 2004; McGinnis 2004; Stephan 2004). Aber als Wettbewerbsökonom ist es selbstver-
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Oliver Budzinski und Bjöm A. Kuchinke
ständlich legitim, die ökonomischen Folgen von unkoordinierten oder eben koordinierten Wettbewerbspolitiken im Rahmen der positiven Ökonomik zu diskutieren.10 Grundsätzlich bringen heterogene Wettbewerbspolitiken jedoch nicht nur Nachteile mit sich, denn es könnte argumentiert werden, dass die im ,Wettbewerb' stehenden Jurisdiktionen quasi um die ,besten' Regeln und Institutionen konkurrieren und unkoordinierte, heterogen Wettbewerbspolitiken insofern in evolutionärer Sicht effizient sind {Meessen 2000; Kerber 2003; Kerber und Budzinski 2003, 2004). Zweifelsohne ist dieser dynamische Aspekt nicht vollständig von der Hand zu weisen, wobei jedoch einzubeziehen ist, dass ein solcher Wettbewerb zwischen Institutionen sich erheblich von einem Wettbewerb zwischen Unternehmen, die auf Produktmärkten tätig sind, unterscheidet und im Ergebnis nicht zwangsläufig zu Effizienz - in diesem Fall zu effizienten Regeln - führen muss.
3.
Das International Competition Network (ICN) als globale Wettbewerbsordnung?
3.1. 10 Jahre ICN - eine Bestandsaufnahme Eine Art Vorläufer des ICN ist 1967 auf Initiative der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) als ,runder Tisch' ins Leben gerufen worden (,Budzinski 2004b, S. 83-84). Als einschneidend ist in den Folgejahren das Jahr 2001 zu nennen, in dem auf Initiative des US-amerikanischen International Competition Policy Advisory Committee (ICPAC) mit 15 Nationen bzw. deren Kartellbehörden das ICN etabliert worden ist (siehe Zeitstrahl in Abbildung 1). Bis heute sind 121 Wettbewerbsbehörden aus etwa 100 Jurisdiktionen im ICN vertreten. Das ICN ist daher als globales Netzwerk zu bezeichnen. Zentrales Bestreben ist die Verständigung über gemeinsame Grundsätze in der Wettbewerbspolitik. Auch - oder insbesondere - bilaterale Kooperationen und Abkommen werden hierdurch gefördert. Damit stellt dieses Netzwerk einen Ansatz dar, die Wettbewerbspolitiken zu koordinieren, abzustimmen und so die bestehenden Probleme zu lösen.11 Der Unterschied zur WTO wird hierbei auf den ersten Blick deutlich: Das ICN ist im Gegensatz zur WTO als Netzwerk konzipiert und nicht als eine zentrale .Behörde'. Der ausschließliche Fokus des ICN liegt auf wettbewerbspolitischen Fragen und damit auf der Koordination von Wettbewerbspolitiken. Damit sind im ICN im Vergleich zur
10
11
Damit ist gemeint, dass solche normativen Aspekte immer in einem gesellschaftlichen, politischen, mithin demokratischen Diskurs zu klären sind. Als Wettbewerbsökonom sind nun die Ergebnisse dieser Diskussion und der demokratischen Entscheidungen .hinzunehmen', denn schließlich sind diese demokratisch legitimiert, jedoch können hier ökonomisch Zielkonflikte, die Effizienz der Regeln, der Zielerreichungsgrad durch die gegeben Regeln und Institutionen u. v. m. analysiert werden. Zum ICN vgl. n.v.a. Budzinski (2004a, 2004b, 2008a, S. 142-148); Hollman und Kovacic (2011); Budzinski (2013) sowie die Beiträge in Lugard (2011). Zudem publiziert das ICN eine eindrucksvolle Menge an - teilweise ausgesprochen hochwertigen - Dokumenten auf seiner Webseite www.intemationalcompetitionnetwork.org.
Zehn Jahre International Competition Network (ICN)
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WTO gleichfalls die national wettbewerbspolitisch entscheidenden Personen bzw. Organisationen in diesem Netzwerk zusammengefasst. Abbildung 1: Entwicklung des ICN
Antitrust Enforcement in Regulated Sectors Capacity Buildings Competition Policy Implementation
, Aktuelle . - j
Ehemalige
Arbeitsgruppe« '
Quelle: Budzinsld (2013); eigene Übersetzung Das ICN ist insgesamt breit aufgestellt und verfügt über fünf Diskussionskreise bzw. Arbeitsgruppen, wie Abbildung 2 zeigt. Das ICN bearbeitet in diesen Arbeitsgruppen jene Themen der Wettbewerbspolitik, die international im Fokus der Forschung stehen.
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Oliver Budzinski und Björn A. Kuchinke
Abbildung 2: Aufbau des ICN
iiitvniational Competition Network
III iE
m
Memberships * Akquise von neuen Mitgliedern * Förderung ernes besseren Verständnisses bezüglich des ICN und dessen Ziele * Verbesserung der Koinmunikationswege zwischen den Mitglieder
Operational Framework. * befasst sich mit der organisatorischen Weiterentwicklung des Hetzwerkes • im Fokus stehen finanzielle und administrative Themen '
Aktuelle 1 • Arbeitsgruppen 1
Operative Arbeitsgruppen
Quelle: Budzinski (2013).
3.2. Erfolge des ICN Entgegen einer weitverbreiteten Skepsis, welche zur Gründung des ICN durchaus präsent war, hat das ICN (erhebliche) Erfolge vorzuweisen. Die Leistung bzw. der Erfolg des ICN lässt sich in drei Kategorien beschreiben. Einfluss auf Kartellrecht und Wettbewerbspolitik Das ICN ist maßgeblich für die Verbreitung von aktuellen wettbewerblichen Praktiken im Bereich von Veröffentlichungen und der Entwicklung von Best-PracticeAnsätzen verantwortlich. Damit führt es die Forscher und Praktiker, die sich mit wettbewerblichen Fragestellungen auseinander setzen, zusammen, und es werden letztendlich Richtlinien für die konkrete Umsetzung in der angewandten Wettbewerbspolitik erarbeitet. Dies gilt im Übrigen für alle Felder des Wettbewerbsrechts (Kartellverbot, Missbrauchskontrolle, Zusammenschlusskontrolle, unilaterale Effekte), die in den einzelnen Arbeitsgruppen diskutiert und bearbeitet werden. Exemplarisch verdeutlicht die inhaltliche Arbeit einer Arbeitsgruppe die nachfolgende Abbildung 3 für die .Merger Working Group', wobei die genannten Richtlinien in der Spalte .Arbeitsergebnisse' enthalten sind.
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Zehn Jahre International Competition Network (ICN)
Abbildung 3: Inhaltliche Arbeit der «Merger Working Group'
Mission Die Effektivität der Zusammenschlusskontrolle soll durch die Übernahme von best practices verbessert werden. Dabei soll verfahrensorientierte und substanzielle Konvergenz angestrebt werden, um Kostenduplizierung durch parallele Verfahren zu minimieren u ÖD ä i
Arbeitsergebnisse - Fusionsrichtlinien - empfohlene Vorgehensweisen für Notifizierungs- und Ermittlungsverfahren - Erfassung von Rechtsmitteln - Handbuch für Untersuchungstechniken - Vorlagen zum Geheimhaltungsverzicht - Praxisleitfaden - Workshops und Teleseminare
Laufende Arbeiten - Projekt zur ökonomischen Analyse der Fusionskontrolle - Umsetzung der Arbeitsergebnisse - Schaffung von ICN Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit in der Fusionskontrolle - Durchführung potentieller ICN Merger Workshops - Förderung internationaler Zusammenarbeit bei Fusionsverfahren
Quelle: Budzinski (2013); eigene Übersetzung Reformen des Karteürechts Es ist zu erkennen, dass sich viele Länder bei Reformen ihres Wettbewerbsrechts tatsächlich auf die ICN-Richtlinien und -publikationen beziehen bzw. berufen (Rowley und Campbell 2005; Evenett und Hijzen 2006; ICN 2011). Damit werden im Rahmen des ICN nicht nur Wettbewerbssysteme oder wettbewerbliche Fragestellungen miteinander verglichen und diskutiert sowie in nicht weiter bindende Richtlinien gegossen, sondern diese Arbeit hat einen Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung und Anwendung in den einzelnen Jurisdiktionen. Dabei erweist sich die Kombination aus konsensual vereinbarten und veröffentlichten Best Practice Empfehlungen und der informellen Peer Pressure auf solche Wettbewerbsbehörden, welche die von Ihnen mitbeschlossenen Best Practices nicht umsetzen, trotz seiner Freiwilligkeit als durchaus nicht unwirksam.12 Hilfestellung für Entwicklungs- und Schwellenländer Das ICN ist häufig direkt an der Einführung und Weiterentwickelung von wettbewerbsrechtlichen Vorschriften sowie den dazugehörigen Institutionen in Entwicklungsund Schwellenländern beteiligt. Damit nimmt das ICN nicht nur Einfluss auf die Vorschriften, sondern auch auf die effiziente Gestaltung von Institutionen und behördlichen Strukturen. Dies ist umso bemerkenswerter, wenn berücksichtigt wird, dass in diesen 12
Vgl. zu den ökonomischen Hintergründen der (begrenzten) Wirksamkeit dieser Kombination Budzinski (2004a).
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Ländern teilweise erstmals ein Wettbewerbsrecht nach modernem Vorbild eingeführt wird. Zusammengefasst trägt das ICN über seine Arbeit also wesentlich zur weltweiten Koordination der nationalen Wettbewerbspolitiken bei. Der zentrale Vorteil dieses Netzwerks scheint hierbei zu sein, dass die entscheidenden Institutionen und Personen zusammengeführt werden, ohne dass der Anspruch einer zentralen Instanz nach Vorbild der WTO besteht. Im Ergebnis mündet die Arbeit des ICN nicht nur in Absichtserklärungen, wie etwa vielfach bei der WTO, sondern hat einen direkten Einfluss auf die anwendungsbezogene, wettbewerbsbehördliche Arbeit vor Ort und zusätzlich auf die institutionellen Strukturen und Prozesse.
3.3. Grenzen, offene Probleme und Entwicklungsperspektiven Neben den dargestellten Erfolgen des ICN sind jedoch auch Probleme oder weiterführende Fragen zu erkennen. Eine erste Frage, die sich im Zusammenhang mit dem ICN stellt, ist die nach der institutionellen Verankerung. Auf der einen Seite kann argumentiert werden, dass das ICN als Vorbereitung für eine Weltkartellbehörde mit einheitlichen Regeln dient. Auf der anderen Seite kann genau entgegengesetzt angeführt werden, dass durch dieses Netzwerk mit seinen eigenständigen nationalen oder auch supranationalen Wettbewerbsbehörden gerade die Bildung einer solchen Weltbehörde vorweggenommen oder .verhindert' wird und die Abstimmung Uber das Netzwerk erfolgt. 13 Letztendlich wird sich erst in der Zukunft zeigen, welche Einschätzung zutreffend ist. Wettbewerbsökonomisch ist jedenfalls kaum zu begründen, warum eine (einstufige) , Weltkartellbehörde' am Ende der Entwicklung stehen sollte. Die Nachteile und Probleme einer solchen Behörde sind im Rahmen der Vorstellung der WTO deutlich geworden. Darüber hinaus sind vollständig einheitliche Regelungen inklusive einer zentralen supranationalen Behörde (,one-size-fits-all-Lösung') aufgrund der Heterogenität der einzelnen Länder ökonomisch wenig sinnvoll. Insofern scheint die Koordinierung von Wettbewerbspolitiken über das Netzwerk ICN der beste Weg zu sein, da hier die meisten beschriebenen Vorteile einer in vieler Hinsicht koordinierten Wettbewerbspolitik realisiert und die dargestellten Probleme damit minimiert werden. 14 Ein zweites Problem knüpft an den bereits beschriebenen Tatbestand der grenzüberschreitenden Externalitäten an. Um dieses Problem zu lösen, müsste im Rahmen des ICN eine Verständigung über die Definition von Wohlfahrt im Sinne einer internationalen Wohlfahrtsgröße erfolgen. Dies ist jedoch bislang nicht erfolgt und wird es wohl auch zukünftig nicht. Ursache hierfür ist, dass im Grunde ein ,harter Eingriff' erfolgen müsste, und zwar in der Weise, dass sich die Mitglieder des ICN auf eine Vorschrift einlassen müssten, die dann in nationales Recht übernommen wird. Dies erscheint doch 13
14
Das ICN würde damit quasi einen .Gegenentwurf' zu einem supranationalen Wettbewerbsrecht darstellen. Allerdings lassen sich auch institutionelle Lösungen zwischen einer einstufigen Weltwettbewerbsbehörde und einem virtuellen Netzwerk ä la ICN vorstellen. Das Konzept eines Mehr-Ebenen-Systems der Wettbewerbspolitikregimes mit begrenzten supranationalen Kompetenzen und koordinierten nationalen Politiken stellt eine solche in der Wissenschaft entwickelte Alternative dar (Kerber 2003; Budzinski 2009, 2011).
Zehn Jahre International Competition Network (ICN)
187
als eher unwahrscheinlich, ökonomisch aus den genannten Gründen fraglich und würde im Übrigen auch gegen den jetzigen Netzwerkcharakter des ICN sprechen. Insofern ist zu vermuten, dass die Leistungsfähigkeit der Prinzipien konsensualer .Best Practice'Empfehlungen und freiwilliger Umsetzungen dort an ihre Grenzen stößt, wo es weniger um .weiche' (aber dennoch wichtige) Aspekte wie Transparenzregeln, Verfahrensregeln usw. geht, sondern eine Änderung der materiellen Wettbewerbsregeln und damit der materiellen Wettbewerbspolitik notwendig wäre. Hier könnte sich auch ein bisheriger Vorteil des ICN als Nachteil erweisen: Die im ICN kooperierenden Wettbewerbsbehörden dürften oftmals große Probleme haben, materielle Änderungen - wie beispielsweise der Verzicht auf industriepolitische Ausnahmen oder die Einbeziehung von Auslandswirkungen - gegen die Interessen von Regierungen und Lobbygruppen durchzusetzen, so dass der Verzicht auf Regierungsbeteiligung dem ICN zwar bei seinen bisherigen Erfolgen zugute kam, sich für ambitioniertere Projekte aber als Hindernis erweisen kann. Es ist aus dieser Perspektive nicht auszuschließen, dass das ICN sich in diesem Sinne ,zu Tode gesiegt' hat, dass es bereits in seiner ersten Dekade seine gesamten Erfolgspotenziale ausgeschöpft und damit erschöpft hat. Drittens ist nachzuvollziehen, dass zwar in vielen Fällen eine Abstimmung und Koordination erfolgt oder erfolgt ist, jedoch die Kosten im Rahmen von Wettbewerbsverfahren nicht gesunken sind. Ganz im Gegenteil gibt es Grund zu der Annahme, dass die Kosten - für Unternehmen, aber auch für einzelne Behörden - gestiegen sind, weil eben durch das ICN in vielen Ländern erst ein Wettbewerbsrecht installiert wurde oder nach den Richtlinien des ICN die Wettbewerbsvorschriften geändert worden sind. Insofern ist das ICN quasi kontraproduktiv. Dieser kurzfristige (Kostenerhöhungs-)Effekt dürfte jedoch mittel- bis langfristig durch die positiven Effekte von effizienten, koordinierten Wettbewerbsregeln und -Institutionen übertroffen werden. Ein viertes Problem ist zumindest langfristig zu erkennen. Wie geschildert, liegt das Hauptaugenmerk des ICN auf ,Best-Practice'-Vergleichen. Hieraus werden die Richtlinien und Empfehlungen des ICN entwickelt. Wenn sich nun alle Mitglieder an diese Empfehlungen halten, wird aber zukünftig womöglich verhindert, dass neue wettbewerbspolitische Wege und Lösungen beschritten werden. Die aktuell gegebenen Regeln würden gewissermaßen durch die Ergebnisse anderer, neuer Regeln zukünftig nicht mehr überprüft. Insofern ist also eine Art,Trade-Off' zwischen einer .stationären, statischen Effizienz', die durch den .Best-Practice'-Ansatz erzielt werden kann, und einer .dynamischen, evolutionären Effizienz' zu erkennen. Dies könnte im Extremfall dann zu einer Stagnation bei der Weiterentwicklung von .guten', effizienten wettbewerbspolitischen Regeln führen. Aus wettbewerbsökonomischer Sicht ist dies jedoch höchst problematisch, da sich zum einen über ,Trial-and-Error'-Prozesse (in der Praxis) letztendlich erst Wissen über effiziente Regeln ergibt und zum zweiten der dynamische Charakter des Wettbewerbs auch beinhaltet, dass heutige Best Practices nicht zwingend auch Uberlegende Lösungen in der Zukunft sein müssen. Fünftens muss in diesem Zusammenhang gesehen werden, dass auch die Gefahr eines zu .hohen Harmonisierungsgrades' bei den Wettbewerbsregeln besteht. Dies führt zu dem eingangs erwähnten Problem der ,one-size-fits-all'-Lösung: Per se erscheint es als eher unwahrscheinlich, dass ein Bündel an gemeinsamen Vorschriften für alle ICN-
Oliver Budzinski und Björn A. Kuchinke
188
Mitglieder ökonomisch sinnvoll ist. Die Heterogenität der einzelnen Mitgliedsländer hinsichtlich ihrer Wirtschaftsstruktur, ihrem Entwicklungsstand, ihren politischen und religiösen Grundlagen oder des allgemeinen und wettbewerblichen Rechtssystems inklusive der Rechtssicherheit ist als relativ groß zu beschreiben, so dass gleiche Regeln in allen Ländern ökonomisch nicht sinnvoll sind.
4.
Schlussbetrachtung
Der vorliegende Beitrag hat gezeigt, dass unkoordinierte Wettbewerbspolitiken im Rahmen eines globalen Wirtschaftens zu erheblichen Effizienzverlusten fuhren. Die potenziellen Lösungsmöglichkeiten beinhalten im Grunde zwei Szenarien: erstens eine Art ,Weltwettbewerbsbehörde' oder zweitens eine Koordinierung über ein Netzwerk, welches aus den zuständigen Behörden der jeweiligen Länder oder Jurisdiktionen besteht.15 Der Beitrag hat hierbei, aufbauend auf dem aktuellen Status quo, gezeigt, welche Probleme eine eher zentralisierende Lösung über eine Behörde und vereinheitlichte Regeln für alle Länder mit sich bringt und wie sie sich real auch im Kontext des Misserfolgs einer WTO-Wettbewerbspolitik gezeigt haben. Demgegenüber stellt die Lösung Uber einen Netzwerkansatz im Rahmen des ICN einen offensichtlich praktikablen Ansatz dar, der sich im vergangenen Jahrzehnt zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt hat. Gleichzeitig sind jedoch auch die Schwachpunkte und Grenzen des ICN-Ansatzes deutlich gemacht worden. Die gerade begonnene zweite Dekade des ICN wird zeigen, inwieweit das ICN nach seinen Anfangserfolgen nun auch die verbleibenden, schwerwiegenderen ökonomischen Probleme nicht-koordinierter Wettbewerbspolitiken in internationalen Märkten zu lösen und seine in Teilen durchaus ambitionierte Agenda für das zweite Jahrzehnt (ICN 2011; Mitchell 2011) umzusetzen vermag. Dafür bedarf es substanziell größerer Schritte und möglicherweise auch eines Systemwechsels innerhalb der ICN-Politik und -Prinzipien, welche nicht einfach zu erreichen sein dürften.
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15
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Zehn Jahre International Competition Network (ICN)
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The Increasing Importance of Nongovernmental Organizations(NGOs): An Economic Assessment
Nils Otter
Inhalt 1. Introduction: NGOs and the global associational revolution
194
2.
INGOs, ENGOs, MANGOs: Characteristics and Classifications of NGOs
196
3.
The Nature of the NGO
198
3.1. Collective Goods and the Problem of Preference Revelation 3.2. Private Goods and the Problem of Asymmetric Information 3.3. Voluntary Work and the Problem of Inefficiency
199 200 202
Conclusion
203
4.
References
204
Nils Otter
194
1.
Introduction: NGOs and the global associational revolution
In a popular article about nongovernmental organizations (NGOs), Harvard historian Akira Iriye once noticed that "to ignore them is to misread the history of the twentiethcentury world" (Iriye 1999, p. 424). According to Kenneth Boulding, the "rise of international nongovernmental organizations (...) is perhaps one of the most spectacular developments of the twentieth century, although it has happened so quickly that it is seldom noticed" (Boulding 1989, p. 244). Indeed, the growth in the number of NGOs that has resulted from the "global associational revolution" (Salomon 1994) of the last decades is impressive. As table 1 demonstrates, the most significant growth in the number, size and profile of NGOs has taken place in the last decades. Figure 1:
Growth of Nongovernmental Organizations, 1950-2005
Source: Werker and Ahmed (2008), p. 75. Borrowing liberally from the Union of International Associations, the number of international NGOs rose from nearly 1.000 in 1956 to over 20.000 in 2005. Corresponding to this development the funding to promote the activity of NGOs has risen as well. As is shown on the right scale of table 1, the amount that OECD countries have given NGOs only in the field of international development assistance has risen from nearly nothing to $2 billion. A further look at the European NGO sector offers the same direction of development: Table 2 illustrates the growth in European NGO numbers since 1945. The rise in NGO formation began in the 1960s and 1970s, and according to the Adele Woods from the OECD, this growth correlates with the creation by European governments of NGO co-financing programs for development cooperation in the 1960s and early 1970s, followed by large increases of discretionary funding in the 1980s (Woods 2000, p. 11).
The Increasing Importance of NGOs
Figure 2:
195
Establishment of European NGOs (1945-1993)
2500 2000
i NGOsfijlablithed in tins 5 Yfcer Period -»-CumulMive NurnbeK ot WGO i» |
Source: Woods (2000), p. 12. However, and beside this sheer rise in numbers - which can also be observed in international organizations in general (see Wentzel in this volume) there has been some discussion about the nature of NGOs due to their rising influence in the collaboration with governmental institutions, their integration in several consultative statutes of international organizations or their rising participation with regard to corporate social responsibilities of commercial enterprises (see Glasbergen 2010). "Known variously as the .nonprofit,' the .voluntary,' the .civil society,' the .third', the .social economy,' the ,NGO,' or the .charitable' sector, this set of institutions includes within it a sometimes bewildering array of entities - hospitals, universities, social clubs, professional organizations, day care centers, grassroots development organizations, health clinics, environmental groups, family counseling agencies, self-help groups, religious congregations, sports clubs, job training centers, human rights organizations, community associations, soup kitchens, homeless shelters, and many more" (Salamon 2010, p. 168). If its true that in the last decades "...an accelerating divergence has taken place between the structure of the state and the structure of industrial and financial markets in the complex, globalizing world of the third industrial revolution" (Cerny 1995, p. 598), then this gap might be filled by the emergence of NGOs as an organizational design for providing public and/or private goods across local, national or international arenas. Consequently, any kind of organization can then be assigned to one of three sectors of civil society, either the government or the commercial business or the third sector. The underlying assumption is simply that the third sector, which consists of NGOs, provides those kinds of services that neither the business nor the government sectors are able or willing to provide. In other words, each sector is assumed to have certain advantages and weaknesses in providing what people might need and want. And NGOs are simply important because they have the potential to increase social capital by providing citizens with a venue to come and work together on issues that they feel are important.
196
Nils Oner
The remainder is structured as follows: Chapter two analyzes the distinct features of NGOs and presents two commonly known schemes of categorization. Given the fore mentioned diversity of NGOs some kind of structure is needed in order to clarify the role that NGOs might play as an interest group in politics or as a service provider or a stakeholder in corporate social responsibility. Next, I will refer to the explanations of the emergence of NGOs in economics, known as the so-called ,three-failures theory'. Based on insights of institutional economics, organizational characteristics and incentive structures are further analyzed in order to detect a potentially comparative advantage of NGOs. Finally, the last column concludes.
2.
INGOs, ENGOs, MANGOs: Characteristics and Classifications of NGOs
NGOs are not the only name used to describe organizations of the third sector. Other common names - with sometimes slightly different meanings - are INGOs (International NGOs), GONGO (Government operated NGOs), ENGO (Environmental NGOs), CSO (Civil Society Organizations) or MANGO (Market Advocacy NGO). What all types of NGOs have in common is the fact that they exhibit the four characteristics listed below. One may notice that the names reflect one of the distinguishing characteristics of the group. The main distinction between International Organizations (IOs) and NGOs can be seen in the course of formation (see also Wentzel in this volume). While IOs are usually established by intergovernmental agreements, NGOs are founded by cooperation of individuals. In this paper, following the characterization given by the Commonwealth Foundation, a London-based NGO study group, the term NGO is taken to mean organizations which feature all of the following four key characteristics (The Commonwealth Foundation 1995): 1.
Voluntary·. NGOs are formed voluntarily by citizens with an element of voluntary participation in the organization, whether in the form of small numbers of board members or large numbers of members or time given by volunteers.
2.
Independent·. NGOs are independent within the laws of society, and controlled by those who have formed them or by elected or appointed boards. The legal status of NGOs is based on freedom of association -one of the most basic human rights. The International Covenant of Civil and Political Rights, developed by the United Nations in 1966 and since ratified by 135 countries, grants the right to assemble.
3. Not-for-profit: NGOs are not for private personal profit or gain. NGOs may, in many countries, engage in revenue-generating activities, but must use the revenue solely in pursuit of the organization's mission. Like other enterprises, NGOs have employees who are paid for what they do. Boards are not usually paid for the work they perform, but may be reimbursed for expenses they incur in the course of performing their board duties. 4. Not self-serving in aims and related values: The aims of NGOs are to improve the circumstances and prospects of people and to act on concerns and issues detrimental to the well-being, circumstances, or prospects of people or society as a whole.
The Increasing Importance of NGOs
197
Seen from the standpoint of economic theory, especially the third characteristic makes up the difference. Following the early work of Hansmann (1980) and other scholars (Glaeser and Shleifer 2001), the crucial difference between for-profit and nonprofit institutions is simply their ability to distribute profits. If for-profit organizations obtain revenues greater than costs, they can use after-tax profits as they wish to. NGOs, in contrast, have to reinvest them back into the business to further social missions. However, and despite sharing a non-distribution constraint, NGOs differ from each other in several economically-meaningful ways (Steinberg 2006, p. 122): 1. Some NGOs are mainly engaged with delivering services, whereas others serve as financial intermediaries (e.g. making grants or investments to other NGOs); 2. NGOs show differences in the way they are financed. The degree to which they rely on donations (gifts, grants, and volunteers), raise membership dues or gain capital by commercial activity (sales to the public) differs remarkably; 3. NGOs differ in the way there are managed and the governing boards are selected respectively; 4. NGOs provide a variety of services (described by industry classification codes). Due to the fact that the institutions that populate the NGO sector are structurally rather diverse, there are many classification schemes in the literature. An early way to categorize has been offered by Hansmann (1980), who distinguishes NGOs according to their source of income and their governance structure. Donative NGOs receive an important share of their income in the form of donations, whereas commercial NGOs derive their financial resources primarily by sales of goods and services. Therefore, the donors of a donative NGO can be interpreted as patrons; in a commercial NGO they are more like clients. Two more categories arise, if one takes a look at the way in which NGOs are controlled. If the patrons of the organization have the power to elect the board of directors, it is called a .mutual' NGO, if the board of directors is somehow selfperpetuating, we refer to as .entrepreneurial' NGO. Table 1 sums up this four-way classification and gives some examples of each type. Table 1:
Categorization of NGOs by Hansmann
I :
Mutual Donative
Entrepreneurial
Common Cause
!
CARE
National Audubon Society
|
March of Dimes
Political Clubs 1 1
Commercial
Art Museums
American Automobile Association
!
National Geographic Society
j
Educational Testing Service
Consumer Union
!
Hospitals
Country Clubs Source: Hansmann (1987), p. 28.
Nursing Homes
Nils Otter
198
Another way to classify the third sector organizations is used by Yazihi and Doh (2009), who divide NGOs along two different dimensions: for whom the NGO is designed to benefit and what the NGO does. NGOs that are classified as self-benefiting are usually membership associations like labor unions, and they are distinguishable by the fact that the contributors are themselves members. If this is not the case, or the pool of beneficiaries is very broad that the public good provided will be shared by society, the organization is called other-benefiting, e.g. Greenpeace or Amnesty International. Next, advocacy NGOs are actively engaged in promoting certain interests. They work in order to shape social, economic or political institutions. Their activities include lobbying, conducting research as well as .naming and shaming'. On the other hand, organizations like Doctors without Borders or the Red Cross are Service NGOs, which means they primarily provide goods or services to their clients. This kind of four-way classification is summed up in table 2, again with some examples of each type. Table 2:
Categorization of NGOs by Yahizi and Doh
Self
Service
Advocacy
Alcoholics Anonymous
Labor units
Chess clubs
Trade associations
Salvation Army
WWF
CARE
Amnesty International
Others
Source: Yahizi and Doh (2009), p. 5.
It should be noted that the boundaries in both four-way classification schemes are blurred. In each case the four categories are only ideal types, used for the sake of clarifying the research field. Thus, our task is to attempt to discover why a NGO emerges at all in a specialized exchange economy. In general, the answer to this is quite simple: They possess a comparative advantage. But which causes can be identified that determine the comparative advantage of a NGO? The significant question is simply why the allocation of resources is not done directly by the market or government agencies.
3.
The Nature of the NGO
Although philanthropy is an important determinant of NGO activity, it seems to be an insufficient explanation for the rise of the nonprofit sector. Several theories have been developed to explain the emergence and economic role of NGOs (see Steinberg 2006 for a detailed review of the literature). The starting point in the literature was the pioneering work by Weisbrod (1975; 1977), who was searching for a distinctive set of roles that NGOs could play in a mixed economy. He starts by listing the known virtues of for-profit enterprises and governmental agencies, finding a role for NGOs when both sectors are expected to fail due to ,market failure' and government failure'. This approach was extended by the work of Salomon (1987), who catalogued the advantages of NGOs, thereby finding a role for the other two sectors when NGOs are likely to fail,
The Increasing Importance of NGOs
199
called .voluntary failure'. Put together, both theories can be seen as the beginning of the economic stream of literature that has become known as the .three-failures theory' (Steinberg 2006, p. 120). I discuss each of these failures in turn, showing the consequences for a rise or decline of the NGO sector in a mixed economy.
3.1. Collective Goods and the Problem of Preference Revelation After observing that NGOs usually provide certain kinds of collective goods, the provision of these goods by governmental entities is limited, and that Lindahl prices are not available in the real world Weisbrod (1975) argued that high demanders, who are dissatisfied with the governmental supply, turn to the nonprofit sector to meet their desires for higher levels of service provision. In the tradition of the public goods theory, Weisbrod suggested that NGOs emerge as private producers of public goods because governmental agencies only provide those kinds and levels of public goods that satisfy the demand of the median voter. Thus, there will always be some unsatisfied demand among those individuals, who wish to have a higher quantity of public goods. NGOs fill this gap by the provision of supplemental public goods, thereby not replacing government; rather, they increase the heterogeneity of suppliers of public goods and enhance the choice of citizens. In fact, in most countries, NGOs are supplier in many industries in which governments or governmental firms are common, like hospital and nursing care or education. Governments meet majority demands, and nonprofits meet those demands that do not yet or will never obtain majority support. With regard to the production of collective goods, one would expect a higher provision level done by NGOs in more heterogeneous countries. James (1983) tested the hypotheses by exploring the relative share of NGOs and governmental agencies providing services in several countries. By correlating the relative share with various proxies for heterogeneity of demand, like age, religion, income etc., she finds little support for the theory. Thus, there is only weak support for the first prediction. Rather, higher numbers of NGOs have emerged, where trust in government is low (Brooks and Lewis 2001) or the dissatisfaction with public services is high (Douglas 1987). In this light, following the argumentation by Ostrom and Ostrom (1978), there is a difference between the provision and the production of public goods. While governments still continue to be the most efficient institution for providing (or financing via taxes) public goods, there is no reason why government should be the monopoly producer. Sometimes, the service in question is innovative, and the majority is reluctant to support it due to its newness. Then, nonprofits pioneer the idea, and government takes over funding or provision after the idea is proven. Next, we are considering why and how an NGO might be more efficient in supporting the beneficiaries* welfare than a public authority. In order to answer this question, we fall back on insights of preference revelation literature. Consider a ,social planner' that wants to develop a mechanism for supplying public goods. Following the mechanism design theory, a superior preference revelation can only be achieved if an institution has designed a mechanism that performs better than competing organizations. Within this framework, higher efficiency of preference revelation must mean that NGOs have designed a mechanism that fulfills more of those desirable criteria than revelation
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schemes used by for-profit firms or government agencies. Although this theoretical argument may not apply for all kinds of NGOs, there is some empirical support for this hypothesis, in particular with regard to development policy and aid. As several case studies have shown, NGOs have developed new ways of participatory interaction with their target group "for articulating and aggregating local preferences that constitute genuine institutional innovation" (Hopkins and Scott 1999, p. 14 f.). Rather than theoretical ideas, these innovations are often driven by practical matters. Finally, with regard to NGO advocacy activity, one needs to think about solutions for the well-known prisoner's dilemma that demonstrates explicitly the difficulties in organizing collective action. At least since Olson s (1965) groundbreaking work, it is clear that free-riding impedes the supply of collective action, because individuals have strong incentives to reap the benefits without bearing the costs. The question is then, why do people engage at all in collective action via NGOs? One another to this could be: "Rather than simply wanting to ,help others' or '.support culture' in a generalized way, they have particular beliefs about the best way to do these things. They feel pleasure when an idea they support is reified in a service-providing or advocacy organization" CRose-Ackerrrum 1996, S. 716 f.).
3.2. Private Goods and the Problem of Asymmetric Information In the case of .market failure', NGOs will emerge and provide certain services according to Hansmann (1980), when there is .contract failure' on the market, which might exist when "...consumers feel unable to evaluate accurately the quality or quantity of the service a firm produces for them. In such circumstances, a for-profit firm has both the incentive and the opportunity to take advantage of customers by providing less service to them than was promised and paid for" (Hansmann 1987, p. 29). Examples for this kind of contract failure are typically found in care facilities like nursing home, day care for children or psychiatric care. Such services, as Weisbrod and Schlesinger (1986) pointed out, consist of bundles of easy-to-observe (type I) and hardto-observe (type Π) characteristics. With regard to for-profit organizations, the customer can only rely and monitor for the provision of type I characteristics (e.g., room size, qualification of medical staff), but is unable to evaluate for type Π characteristics (e.g. treatment of residents with respect). In general, contract failure is likely to occur when the purchaser of services is not the consumer of services or when switching to another service supplier is difficult for geographical, medical, and financial reasons. The .contract failure' approach leads to the prediction that NGOs help to solve contract failure in five ways (based on Steinberg 2006, p. 128 ff.): 1. The non-distribution of profits reduces (or eliminates, depending upon the details of enforcement) the financial benefits from delivering less than the promised quality or quantity of services. 2. The non-distribution constraint affects the rewards of founding and controlling a nonprofit rather than another kind of organization. A process of .entrepreneurial sorting' takes place, and those residing in the nonprofit sector will have different
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personal objectives regarding what they want to accomplish in their role. Hansmann (1980) wrote about both these arguments, speculating that the sorting would enhance the trustworthiness of nonprofit firms. As we will see in later sections, this is not necessarily the case, although sorting is likely to be important. 3. Nonprofits are often managed by .demand-side stakeholders', those who care about the organizational output quantity or quality and not just their financial returns. Donors, members, and clients are demand-side stakeholders, who presumably want the organization to offer higher quality than others charging the same price and lower prices than others producing the same quality. This is in contrast with forprofit organizations, controlled by .supply-side stakeholders', (stock and debt holders) who want high prices (given the quality) and low quality (given the price) in order to maximize their financial returns from ownership. Nonprofit organizations and consumer cooperatives (which are owned by the consumers of the organization's output and receive profits in the form of member dividends) are the two kinds of .patron-controlled organizations' in Ben-Ner's (1986) terminology. Both are more trustworthy than for-profits. As he points out, it is good to have your child in a nonprofit day-care center but even better if the center-owner's children are also customers. 4. NGOs are immune from financially-based takeover bids as they do not have shares of stock that can be traded for profit. Thus, the dedication of the founding entrepreneurs to trustworthy behavior is not endangered by organizational transformation. This argument and its limitations has not been much explored in the existing literature. 5. And finally, the existence of some trustworthy nonprofits can have spillover benefits on the trustworthiness of competitors. Hirth (1999) develops a formal model of contract failure in which there are two types of nonprofit firms (trustworthy and opportunistic), one type of for-profit firm (opportunistic) and two types of consumers (informed and uninformed). Informed consumers can detect contract failure when it occurs, whereas uninformed cannot. Opportunistic nonprofits are .for-profits-in-disguise', organizations that claim to be nonprofits and have received approval for all the tax and other benefits that accompany this status but secretly distribute their profits. The relative proportion of trustworthy and opportunistic nonprofits depends upon enforcement of the non-distribution constraint. He shows that, depending upon the proportions of each type and enforcement, a market consisting of only nonprofits is often trustworthy whereas a market consisting only of for-profits is often not trustworthy. His most interesting result stems from the sorting, not of entrepreneurs, but of consumers. When for-profits and nonprofits compete with each other in the same market, they may both be trustworthy. Uninformed consumers, knowing their inability to detect contract failure, will patronize nonprofit organizations exclusively. This means that the for-profit's pool of customers contains a higher-than-average share of informed consumers, and so it will no longer pay to try to cheat them. Thus, there is a spillover benefit, where the presence of a nonprofit organization makes competing for-profits equally trustworthy.
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In contrast to for-profit firms, the members (or owners or governing board) of a NGO do not possess all the rights of ownership, which consists of three components: the right to control the use of an asset, the right to dispose any financial surpluses resulting from that use, and the right to sell both of the fore-mentioned rights to a new owner. Thus, Ben-Ner and J ones (1995) have stated that "NGO owners only have attenuated property rights'", because they are not allowed to profit financially from using the others rights. Somehow paradoxically, the disadvantage of the property-rights structure may be the crucial point why information asymmetries do not prevail between consumers and suppliers in the case of NGOs. Consumers believe that NGOs are trustworthy because the board of directors is prohibited from distributing the financial residuum to the principals (or shareholders) who control the organization. The underlying assumption is that the pursuit of profits will lead to exploitive behavior instead of fair benefits. The trust in the seller, or in other words the reputation of NGOs, mitigates the problem of asymmetrical information (Hansmann 1987). However, it is important to note that consumers will value NGOs as "...a superior alternative to for-profit firms only if the organization pursues their objectives" (Ben-Ner 2002, p. 15, paraphrases in original). Ultimately, better consumer control works as a guarantee for the satisfaction of demand.
3.3. Voluntary Work and the Problem of Inefficiency Voluntary Failure by NGOs can occur due to several reasons. In his seminal work, Salomon (1987) discusses four sources of this kind of failure: Philanthropic insufficiency, philanthropic particularism, philanthropic paternalism, and philanthropic amateurism. In economic terms, NGOs might fall short of curing market and government failure due to productive and allocative inefficiencies. Steinberg (1987) has labeled this idea the 'property rights approach', because the ownership structure of NGOs might reduce the incentives of members to take care about their resources. Productive inefficiencies will arise because the owners or stakeholders have no possibility to share the financial residual, and therefore no incentive to keep cost of production low. Furthermore, the attenuated ownership structure is expected to have higher cost of capital, leading to an inefficient mix of inputs and lower flexibility in reacting on demand changes. But both arguments are controversial, e.g. the motivation of people working for an NGO is usually expected to neglect the financial residuum and there are tax exemptions in nearly all countries for NGOs (see Brown and Slivinski 2005 for a detailed discussion). Nevertheless, the increasing importance of NGOs can bring about some challenges, notably in certain kinds of "legitimism", "professionalism" and "accountability" (see for these agency problems of NGOs the analysis by Verbruggen, Vlassenroot and Cristiaens 2011). Another factor that might be crucial for the development of NGOs in the future is probably their independence. Despite the fact that there obviously is a stronger influence of NGOs in global politics, be it in relationships with governments or enterprises, it is still an open question whether NGOs are really more effective in the private production of public goods. Some scholars criticize NGOs working as an international agent of aid donors, in particular in the field of foreign aid. In general, critics suspect that the closer the relationship between NGOs and states will be, the weaker will be the independence of NGOs, e.g. to address their original aims or to work
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in places where official donors are hardly present (Collier and Dollar 2002; Frutteri and Ghauri 2005; Dreher, Mölders and Nunnenkamp 2009). Edwards and Hulme (1996) argue that there is no empirical support for the claim that foreign aid channeled through NGOs is more effective in terms of performance and accountability. As recent studies show, NGOs that are co-financed by government agencies tend to imitate the official aid allocation "rather than trying to excel and using their comparative advantages in reaching the poor and working in difficult local environments" (Dreher et.al. 2009, p. 2).
4.
Conclusion
The paper provides an overview of research on NGO, thereby concentrating on the manner in which the emergence of NGOs can be explained in economic terms. As we have seen, the scope of NGOs may range from international organizations like the WTO to national activists like the National Rifle Association or local self-aid groups in Uganda. Seen from a methodological point of view, the heterodox nature of the research objective makes it necessary to find a suitable structure first at all. However, differentiating the field of NGOs according to their production structure (public or private) as well as to their main area of action (advocacy or service) offers first insights into the aims and means of these organizations. Next, given the characterization of NGOs as institutions somewhere between the market and the state, the emergence and institutional design had to be considered. The question which arises is whether it is possible to explain the forces which determine the size of the NGO sector. The introduction of the NGO was due primarily to the existence of certain comparative advantages. As the last paragraph has shown, if one wants to explain the rising influence of NGOs by the .three-failures' theory, then one would expect to find more market failure in the provision of goods and services or more government failure in the public provision of collective goods. The main line of argumentation follows a simple principle of reasoning: If the economic theories of NGOs mentioned before perform well in explaining the evolution of the third sector, then it should be possible to give an explanation of the increasing influence or further development of these organizations as well. In consequence, this approach leads to the following predictions with regard to an increasing influence of the NGO sector: 1.
If a country suffers under much of .government failure', then the market share of NGOs should be larger in those countries, in which demand is more heterogeneous or there is a lack in political stability;
2.
If asymmetric information about the product quality of certain services has risen or there is a rising private demand for .relational goods' in a country, then one would expect a higher market share of NGOs as suppliers of those goods.
3.
If problems of ownership and agency control cannot be solved successfully in the NGO sector, then the service provision by NGOs will decline due to production inefficiencies.
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Empirically, this raises the question of how to measure parameters like .failure', .influence', .asymmetric information' or .transaction costs', and to which extent those results can be traced back to the work of NGOs (see Kim 2011). Furthermore, research should explore the causality involved, e.g. did the availability of discretionary funding or pressures by the demand side dominate the growth of NGOs? To sum it up, the central question is under which conditions NGOs will or will not become the superior institutional choice of service delivery. Or, as Prakash and Potoski (2007, p. 775) have put it: "The upshot of this discussion is that governance mechanisms should be carefully scrutinized for their strengths and deficiencies: one should not compare "imperfect" voluntary clubs with a "perfect" governmental regulation or vice versa. If we accept that all institutions can fail, the scholarly and policy challenge is to identify the conditions and institutions that lead to success and failure". Thus, an intuitive question to ask would appear to be: Why, if by non-profit organizing one can provide products and services that meet consumer preferences better, are there any market or government transactions at all? Why is not all service production or advocacy activity carried on by NGOs? In sum, there is naturally a limit to the rise of the NGO sector, which I would characterize as the Dutch Disease of the Non-Profit Sector. The more money, support or influence the NGO sector will get, the less strong will be the comparative advantage of this kind of organization, either with regard to service production or expression of political will.
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Limits and Perspectives of Institutional Transfers
Marie
Möller
Contents 1. Introduction
208
2. Hypotheses on the Transfer of Institutions
210
3. Empirical Analysis
212
3.1. Data Description 3.2. Descriptive Analysis 3.3. Inferential Analysis
212 214 217
4. The Role of International Organizations and Concluding Remarks
227
References
229
Appendix
231
Marie Möller
208
1.
Introduction
Institutions matter - this is an established fact. When international organizations attempt to build nations or to stabilize insecure ones, they always wonder whether it would be possible to implement democratic institutions or at least consider which approved institutions could be adopted or transferred to the countries. The concept of institutional transfer is based on David Apter's (1955) considerations about the transition of the Gold Coast colony to the independent county of Ghana. Our aim in this paper is to determine which country-specific characteristics promote and which impede the adoption of institutions. The institutional backgrounds of political and economic systems all over the world have been subject to considerable shifts over the previous decades. Greece, Turkey, Portugal, and Spain established or reestablished their democratic systems within the second half of the 1970s and the beginning of the 1980s, and so did a number of LatinAmerican and some Asian countries. After 1989, close to 30 countries almost entirely reorganized their political and, more so, their economic order away from central planning and from so-called .democratic centralism' t l o a broad array of political and economic systems. By and large, we have seen a strong tendency towards market economies and also towards democratic systems around the world. Accordingly, almost half of all countries in the world can be viewed as democracies. The political freedom observer Freedom House labels 44 of 149 covered countries as ,free' for the year 1974, slightly less than thirty percent.1 For 2010, by contrast, the number of countries labeled ,free' was 87 out of 194, comprising some 45 percent of all covered countries. The particular political institutions underlying these democracies, however, have always differed considerably from country to country. There have been presidential versus parliamentary systems, systems based on majority voting and those that apply proportional representation, as well as mixed systems such as that in Germany. Furthermore, there have been representative systems and those with elements of direct democracy, and we find pure republican systems, as well as constitutional democracies. These institutional details are difficult to evaluate from the perspective of normative theory. Nevertheless, international organizations, university researchers and think tanks have developed indicators for measuring not just institutional details, but a broader concept of institutional quality. The concept runs as follows: Within the last two centuries, some fundamental elements of ,good' institutional structures have evolved, which can now be identified in almost any smoothly functioning modem democracy, independently of the institutional details of their respective political and economic orders. Among these fundamental elements, we find: — the rule of law; — judicial independence; — freedom of the press and the media;
Countries are labeled ,free' if the average of partial indicators political rights and civil liberties is 2.5 or below on a scale between 1 (most democratic) and 7 (least democratic); see freedomhouse.org.
Limits and Perspectives of Institutional Transfers
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— competitiveness in the recruitment of both executive and parliamentary representatives; and — civil and human rights. In fully-fledged democracies, we typically find high scores for all of these indicators. At the same time, attempts have been made to define indicators that capture important characteristics such as the levels of corruption, political stability or governmental effectiveness. Such characteristics are not institutions in themselves, but can rather be viewed as quality outcomes of an underlying and intricate institutional structure, the individual elements of which are difficult to identify and compare over the generally large number of countries observed. One can regard those countries that have early experiences with democratic structures as potential study objects. The experiences they encountered may explicitly or implicitly be used by imitators and latecomers in their own efforts at introducing democratic institutions. According to such a perspective, the latecomers could, in principle, learn from the forerunners, thus enabling them to avoid backlashes and political instabilities which may arise from inadequate institutional structures. This may be particularly helpful for the latecomers, since the introduction of stable democratic institutions is a considerable challenge, and transition processes to democracy are usually accompanied by numerous threats to a society. In any case, establishing democratic institutions extends far beyond the introduction of some form of elections. Improperly structured institutions may drive young democracies into political and economic instability, ultimately rendering them vulnerable to demagogues, potential military dictators, or ideological or religious extremists. Unfortunately, a considerable part of the formerly Soviet countries are vivid examples of such phenomena, and this may also be true for some (former) Arab dictatorships, that are now embarking on a somewhat rocky road to democracy. Given a time span of more than 200 years, during which it has been possible to observe the institutional evolution of real-world democracies, one would expect latecomers to adopt institutional characteristics that have proven supportive to both political stability and economic prosperity, while at the same time supporting political freedom and civil rights. This paper tests some implications of possible institutional transfers, on the basis of a broad data panel of 183 countries throughout the world, for the period between 1996 and 2010. We focus on the process of democratization that can be observed globally, particularly within its "third wave" (Teorell 2010, p. 2) since 1974. Specifically, we wish to determine whether and where there are tendencies towards a general improvement in the quality of democratic institutions and whether and where we can observe tendencies toward convergence in the institutional structures of the countries in question. Furthermore, we investigate a specific subset of countries with respect to institutional transfers, namely those countries that achieved independence after World War Π. These countries may have developed their institutions along the lines of experiences in countries that had been independent (long) before. We observe whether these relatively newly independent countries fall behind .older' countries with respect to institutional
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quality. Furthermore, we consider which characteristics of newly independent countries promote the transfer of higher-quality institutions and which characteristics tend to impede such transfers. In the next section, we develop a set of hypotheses on the transfer of institutions and formulate concrete research questions. Section 3 is dedicated to our empirical analysis. After the data description, our hypotheses are checked, based on descriptive and inferential statistics. In Section 4, we discuss the limits and perspectives of institutional transfers, as well as the potential role of international organizations.
2.
Hypotheses on the Transfer of Institutions
There is now a broad literature on institutional quality and its determinants. One strand of the literature aims at the development and measurement of indicators on institutional quality (for an overview, see Voigt 2009). Another strand is devoted to estimating how institutional quality affects economic performance (see, e.g. Rigobon and Rodrik 2005; Glaeser et al. 2004; Rodrik et al. 2002, Knack and Keefer 1995; or North 1990). In this context, the bulk of the literature focuses on the relationship between democracy and economic performance (Barro 1996; Przeworski and Limongi 1993, of more recently Acemoglu et al. 2008). Finally, a third strand of the literature searches for determinants of institutional quality, i.e. it investigates the historical, economic, or cultural backgrounds determining the quality of institutions (Acemoglu et al. 2005). In this paper, we aim to advance our understanding on whether countries that became independent only relatively recently (henceforth .younger countries') learned from countries that have long been independent or that were never dependent at all (henceforth .older countries'). Accordingly, we wish to determine which country-specific characteristics impede or promote the transfer of institutions. Therefore, we consider younger countries and examine which of them have better institutions and why. Our considerations are based on the assumptions that, firstly, older countries tend to have better institutions and, secondly, that younger countries tend to adopt effectively functioning institutions. Note that for younger countries to learn from those that have long been independent, it is not necessary that the older ones generally be endowed with better institutions. All that is necessary is that, among the older countries, there are some that have, according to some clear criteria, conspicuously good experiences with a certain set of institutional rules. If that were true, however, and if it were the case that the younger countries tended to transfer well-proven institutional rules to their own set of institutions, we should observe both an overall tendency toward better institutions over time and a reduction in the variance of institutional quality across all countries over time. Hence, with respect to our dataset, we intend to answer three questions: — Do older countries have better institutions than younger countries? — Is there a general tendency toward better institutional quality? — Is there a tendency toward convergence in the quality of institutions, as measured by the indicators we use?
Limits and Perspectives of Institutional Transfers
211
Although the first question does not necessarily yield a positive answer for institutional transfers to occur, it is nevertheless interesting with respect to our general topic. However, we are not only interested in these quite general questions, but also in the following one. Given that a country belongs to the group of younger countries, can we identify certain characteristics which promote or obstruct institutional learning? Based on the literature dealing with the determinants of institutional quality, we consider the following five characteristics: — Was a country a colony of Great Britain during its dependence? — What is the dominant religion in a country? — To what extent is a country's economy reliant on oil? — How open (to international trade) is a country's economy? — Is a country in transition? Concerning the first question, it has been argued in the literature that formerly dependent countries that were UK colonies, are more likely to adopt modern democratic institutions (La Porta et al. 1999). One of the suggested reasons is that Great Britain itself has gone through a long evolutionary process of institutional development, which early on showed characteristics of modern institutions. The other assumption in this respect is that Great Britain had a certain attitude toward developing colonies according to the blue print of its own institutions (Landes 1998; North et al. 1998). An alternative explanation is that British colonists happened to settle in their favorite geographic regions. This led to their seeking out places that are suitable for long-term settlement, which in turn induced efforts to establish stable institutions (Acemoglu, Johnson and Robinson 2001). The second question refers specifically to Christian and Islamic religious backgrounds. Based on a paper by Rowley and Smith (2009), there is an evolving literature on the influence of Islam on the chances of developing modern democratic institutions. However, although most Islamic countries are not democratic, the thesis that Islam inhibits the evolution of democratic institutions has been challenged on both theoretical as well as empirical grounds (Teorett 2010, p. 47 ff.). The third question refers to empirical studies that found a negative relationship between oil-dependency and democratic institutions (see, e.g., Cuaresma et al. 2011 or Bhattacharyya and Hodler 2010). The proposed explanation is that a rich endowment with oil and other natural resources tends to provoke conflict over the distribution of the associated economic returns that are difficult to resolve under democratic rules, not least because of the associated non-single peaked preferences. We hence observe a significantly higher propensity for civil wars and greater potential instability of democratic institutions (see, e.g., Ross 2006 or Collier and Hoeffler 2005). The fourth question is associated with competitive pressure that may urge political decision makers to develop efficient institutions. However, such a supposed relationship may be weak in reality. It presupposes the validity of at least two causalities that are not entirely self-evident. Firstly, not (yet) democratic decision making authorities need to be genuinely interested in the economic success of their respective jurisdiction, and that
Marie Möller
212
effect, in turn, needs to be worth more to them than the potential loss in power caused by the introduction of political competition; and secondly, democratic institutions would need to be the most supportive institutions for economic development. We do not intend to consider all the associated theoretical questions here. Rather, what we are interested in is the question of whether a higher degree of economic openness supports the transfer of modern institutions to younger countries. Finally, there are roughly thirty formerly socialist countries that fundamentally changed their political and economic systems after the collapse of communism in 1989. Although we do not wish to formulate a specific hypothesis on how those events affected institutional evolution, we will take the transition process into account in our empirical analysis, with the aid of a control variable. We are aware that our results are conditional on and sensitive to the assumptions we have formulated, namely that we think that there are some older countries that have sound institutional rules and that the younger countries tend to transfer well-proven institutional rules.
3.
Empirical Analysis
3.1. Data Description Our dataset consists of 183 countries. From the total of 213 countries worldwide, we excluded countries that are either still dependent on or associated with other countries, or have incomplete or no data regarding the institutional indicators. There are many indicators that aim at directly measuring the quality of institutions and many others that are closely related to good or bad institutions. In order to capture a broad range of different aspects and consequences of institutional quality, we consider six different indicators. We took the first three from the Freedom House databank, namely .Civil Liberties' (CL), .Political Rights' (PR) and .Freedom of the Press' (FOP). The first two are the partial indices from which the Freedom of the World Index by Freedom House is constructed. The next two indicators .Government Effectiveness' (GE) and .Rule of Law' (ROL) are partial indicators of the Worldwide Governance Indicators (WGI) by the World Bank. The last indicator is an individual one of .Judicial Independence' (JUR), introduced by Feld and Voigt (2003). In sum, the indicators are: -
Civil Liberties (CL);
-
Political Rights (PR);
-
Freedom of Press (FOP);
-
Government Effectiveness (GE);
-
Rule of Law (ROL);
-
De iure Judicial Independence (JUR).
The Freedom of the World Index, which is in fact a democracy index, can be interpreted as an indicator that measures the outcome of institutional quality; the better the institutions, the greater the degree of democracy. The partial indicator CL includes freedom of expression and of assembly, association, education and religion. It measures
Limits and Perspectives of Institutional Transfers
213
whether there is a generally fair system of the rule of law (including an independent judiciary) and whether there is equality of opportunity for everyone (including women and minority groups). PR measures the degree to which people can participate in the political process of their country. The FOP is based on an annual survey of media independence, including the degree of freedom of print, broadcast and internet publications. The WGI, a result of a research project by the World Bank, comprise indicators for governance, defined as "the traditions and institutions by which authority in a country is exercised" (Kaufman et al. 2010, p. 4), in order to measure good governance. This is in fact another expression for institutional quality. The WGI cover 213 countries since 1996, and they are based on 31 different data sources such as government perceptions, as reported by survey respondents or non-govemmental organizations. GE covers the capacity of the respective government to formulate and implement sound policies and captures "perceptions of the quality of public services, the quality of the civil service and the degree of its independence from political pressures, the quality of policy formulation and implementation, and the credibility of the government's commitment to such policies" (Kaufman et al. 2010, p. 4). ROL measures the extent to which agents are confident in the rules of society, such as the courts, police, quality of contract enforcement, and property rights. It indicates "the respect of citizens and the state for the institutions" (Kaufman et al. 2010, p.4). The de iure indicator JUR focusses on the legal foundations of judicial independence. It was introduced by Feld and Voigt (2003) and it is based on questionnaires that were sent to experts in each country, containing questions about the independence of the highest court, irrespective of the issues with which it deals. Since higher courts are usually able to overrule the sentences of lower courts, the independence of the highest court is fundamentally important. Unfortunately, JUR is only available for 69 countries and was only measured once. The results for this indicator are hence to be treated with caution. Furthermore, the indicator is only applicable for some of our tests. We have rebased the indicators, such that they all take values between 1 (low institutional quality) and 10 (high institutional quality). Table 1 provides an overview of summary statistics of our panel.
214
Marie Möller
Table 1: Summary Statistics of Panel 1996 to 2010
Mean
CL 6.34
6.28
FOP 5.81
GE 5.41
ROL 5.34
JUR 6.94
Median
7.00
7.00
5.77
5.11
4.99
6.99
Minimum
1.00
1.00
1.00
1.09
1.00
3.39
Maximum
10.00
10.00
10.00
9.77
9.33
9.45
Stand. Dev.
2.76
3.29
2.27
1.81
1.81
1.40
Observat.
2735
2735
2350
2730
2731
69
Sources:
PR
CL, PR, FOP: Freedom House (2012), GE, ROL: Worldbank (2011a), JUR: Feld and Voigt (2003).
3.2. Descriptive Analysis From an initial inspection of our data, we wish to obtain a brief and preliminary impression with respect to the three abovementioned questions: — Do older countries have better institutions than younger ones? — Can a general trend toward improving institutional quality be observed over time, as measured by our indicators? — Can a general trend toward convergence in institutional quality be observed over time? The average of the 183 countries for each indicator over time is presented in Figure 1. With respect to the WGI indicators, there is obviously no trend and not much variation either. By contrast, one can clearly see a general improvement in CL, namely from 5.9 to 6.5. PR also increases, albeit less pronounced. The FOP indicator displays a ushape from 1996 to 2002, and from 2002, it decreases from 5.9 to 5.7. If any, there is hence even a downward trend in FOP. Figure 1: Average Institutional Quality
Source: Own compilation
215
Limits and Perspectives of Institutional Transfers
The World Bank indicators GE and ROL display rather unsystematic fluctuations (see Figure 2). One could hypothesize that this is due to the subsequent inclusion of countries for which indicators of the earlier years were not available, since the set of countries that have been included later, may comprise more cases with relatively poor institutional quality. If this were true, however, it would indeed imply a general downward bias over time. We have thus calculated averages of GE and ROL with excluded latecomers. As Figure 2 shows, the averages of GE and ROL modified accordingly, have quite similar curve shapes to the whole-sample averages. In particular, they also do not yield any clear trend. As a result, a general improvement in institutional quality does indeed apply to CL and PR. For GE and ROL, however, there is no trend at all and for FOP, there is even a slight downward trend. Figure 2: Average WGI
Source: Own compilation We are next interested in the question of whether there is a trend toward convergence in institutional quality. In this context, Table 2 presents the standard deviation of the considered indicators over time, revealing a slight decrease in all indicators from 1996 to 2010. However, the decrease is very low and possibly meaningless. Table 2: Standard Deviation of Average Institutional Indicators Indicator CL PR FOP GE ROL
Standard deviation in 1996 2.83 3.37 2.24 1.85 1.82
Standard deviation in 2010 2.75 3.26 2.22 1.81 1.80
Source: Own compilation Finally, we want to know whether older countries have better institutions than younger ones. If that were true, then the year of independence had an effect on today's institutional quality. In Figure 3, CL is displayed over time as an example, and separately for four respective periods during which independence was achieved: prior to 1918, between 1919 and 1944, between 1945 and 1988, and finally, after 1989.
Marie Möller
216
Figure 3: Civil Liberties and Years of Independence
Source: Own compilation As can clearly be seen, the CL indicator is markedly higher for those countries that became independent prior to World War I. The countries that became independent after World War Π and prior to the collapse of the Soviet Union are those with the lowest institutional quality. The other institutional indicators also exhibit higher values for older countries (see Figure 4). However, this is not true for the period following the collapse of the socialist world. Obviously, the average of those countries that became independent after 1989 now have better institutions than those that became independent between World War Π and the fall of the Berlin wall. Figure 4: Institutional Quality in 2010* Year of Independence 8.2 7.7
*i • CL
7.2 6.7 6.2 -
Ο
••
• k
APR
•
5.7
•
5.2
h
Ο FOP
A
•
I
1945-1988
after 1989
4.7
• GE • ROL Ϊ
before 1918
1919-1944
Source: Own compilation; *FOP indicators represent 2008 However, these findings may be misleading, since it is very likely that there is a variety of factors influencing the evolution of institutions. Moreover, there may be joint factors underlying the respective period and indicators such as the suggested association between the period in which independence was achieved on the one hand and institutional quality today on the other hand, which may disappear on a more refined analysis.
Limits and Perspectives of Institutional Transfers
217
We hence ran a number of regressions with the indicators of institutional quality as endogenous variables, which are presented in the next section. 3.3. Inferential Analysis The main focus of our analysis is on the year of independence. To this end, we defined a dummy for countries that we refer to as younger. In the main part of our paper, .younger' means that a country became independent after 1945. In the appendix, we also present regression results based on 1918 as the distinguishing year between older and younger. The results turned did not turn out to be fundamentally different and could also be interpreted as a robustness check of our findings. Based on the considerations on possible determinants of the evolution of institutional quality in the previous section, we also used the following right-hand variables: — a dummy for former UK colonies2; — a dummy for countries with dominance of Christianity2; — — — — —
a dummy for countries with dominance of Islam2; a dummy for Arab countries (specifically: for members of the Arab League)2; oil rents in percentage of GDP3; exports in percentage of GDP as a measure of economic openness3; real gross domestic product per capita (rGDPc)3; and finally
— a dummy for transition countries4. Although our dataset is a panel ranging from 1996 to 2010, we decided to run crosssectional regressions only. The main reason is that most of the control variables are dummies with low or no variance over time. Furthermore, the residuals exhibit considerable multicollinearity in the panel regressions we ran. As a result, the coefficients of the panel regressions are potentially unreliable. We hence calculated five-year averages over three periods as a basis for cross-sectional regressions. The periods are: 1996 to 2000, 2001 to 2005 and 2006 to 2010. Since the results are very similar, we only present results of the latter period.
2
Source: Central Intelligence Agency (2012) Source: Worldbank (201 la) 4 Source: European Bank for Reconstruction and Development (2011) 3
Marie Möller
218
Table 3: Determinants of Institutional Quality (Freedom House) Dependent variable Log(Real GDP per Capita average 20012006)
0
CL
(10.67)
Colony UK Dummy
0.25 (0.84)
Arab league Dummy
-1.58*** (2.73)
PR 0.98*** (10.94)
1.15*** (9.47)
1.16*** (9.86)
0.34 (1.24)
0.10 (0.25) -1.86** (3.57)
-2.79*** (3.66)
FOP 0.76*** 0.77*** (9.04) (9.26)
-2.96*** (4.35)
-0.92* (1.75)
-1.16** (2.42)
Muslim Dummy
-0.52 (1.10)
Christian Dummy
0.78** (2.06)
1.02*** (3.43)
0.80 (1.61)
0.98** (2.53)
0.71** (2.06)
1.02*** (3.71)
Oil rents average
-0.06*** (6.22)
-0.07*** (6.61)
-0.08*** (6.14)
-0.09*** (6.43)
-0.05*** (4.99)
-0.05*** (5.41)
Export ratio average
-0.01** (2.19)
-0.01** (2.06)
-0.02*** (2.97)
-0.02*** (3.00)
-0.01* (1.95)
-0.01*** (1.93)
Transition Dummy
0.19 (0.58)
Constant
-0.45 (0.59)
-0.38 (0.61)
-0.65 (1.49)
-0.02 (0.04) -0.57 (0.89)
-1.46 (1.48)
-0.19 (0.64) -1.67** (2.02)
0.29 (0.43)
0.00 (0.00)
Adj. R2 0.66 0.64 0.70 0.70 0.66 0.63 0.00 Prob(F-statistc) 0.00 0.00 0.00 0.00 0.00 Akaike info crit./ 3.60/ 4.18/ 4.17/ 3.63/ 3.45/ 3.45/ 3.82 3.73 4.37 4.26 3.64 3.57 Schwarz crit. S.E. of regression 1.44 1.87 1.32 1.33 1.43 1.89 Observations 139 139 139 139 139 139 Source: Own compilation; All data are averages for the period 2006 to 2010, except GDP. The numbers in parentheses are the absolute values of the t-statistics; '***','**' or '*' show that the estimated parameter is significantly different from zero at the 1, 5 or 10 percent levels. The first thing we did was a form of plausibility check. We regressed all right-hand variables on our institutional indicators in order to determine whether they are significant and have the expected signs. The results are presented in Tables 3 and 4. In the first column for each indicator, we estimated with all right-hand variables, whereas in the second, we omitted those that turned out to be redundant. In a first round, we omitted
Limits and Perspectives of Institutional Transfers
219
the Arab league dummy (not presented). In that case, the Muslim dummy was always negative and significant. However, on entering the Arab league dummy, the Muslim dummy turned insignificant for all but one indicator, where the latter is the indicator of judicial independence. Note, however, that the indicator on judicial independence relies on only 69 observations and is therefore not very reliable. The result for the Muslim and Arab league indicators match those in the empirical literature (see Teorell 2010, p.50). They suggest that it is not the religious background which is responsible for relatively poor institutional quality, but that the latter can better be explained by other (unknown) factors which are common in countries with a predominantly Muslim population, most of which belong to the Arab world. The same most probably applies to the Christian dummy, which is indeed significant in all cases. Interestingly however, it has different signs. For the Freedom-House indicators and the indicator of judicial independence, it is positive, whereas the goodgovernance indicators GE and ROL are negatively affected by the Christian dummy. However, in explaining the negative influence on GE and ROL, it is very likely that the Christian dummy does not capture religion, but rather a broad array of common characteristics of countries that are historically and culturally rooted in Western Europe. The variable on oil rents is negative and strongly significant for all indicators except that on judicial independence, as we expected from the literature. The results for the export-ratio variable, however, are rather inconclusive. Although the variable is significant for the Freedom House indicators and GE, it has a negative impact on the Freedom House indicators. Nonetheless, as argued above, it is not at all clear theoretically, whether and how the openness of an economy affects institutional quality. Finally, we were surprised that the transition dummy is insignificant for all indicators except judicial independence, for which it is negative. Recall, however, that transition countries are more than some Eastern-European countries that perform pretty well. Summing up, our results generally confirm those found in the empirical literature, especially with respect to the democracy indicators.
Marie Möller
220
Table 4: Determinants of Institutional Quality (World Bank)
(21.83)
ROL 0.97*** Q 90*** (17.75) (22.35)
0.04 (0.72)
0.24 (1.63)
0.29** (2.05)
0.51*** (2.87)
-0.15 (0.81)
Arab league Dummy
-0.45 (1.60)
-0.53** (2.07)
-0.16 (0.46)
-0.29 (0.78)
Muslim Dummy
-0.27 (1.14)
-0.32 (1.13)
-1.19*** (4.27)
-1.21*** (8.46)
0.25 (1.29)
0.38*** (3.65)
Dependent variable Log(Real GDP per Capita average 20012006)
GE 0.96*** (21.32)
Q 9g***
Colony UK Dummy
0.39** (2.58)
JUR
-0.55*** (2.96)
-0.41*** (2.80)
-0.41* (1.85)
Oil rents average 2006- -0 03*** 2010 (6.28)
-0.03*** (6.43)
-0.03*** (5.12)
0.00* (1.94)
0.00 (1.43)
0.00 (0.26)
-0.16 (0.82)
-0.31 (1.64)
-0.30*** (2.98)
6.67*** (13.92)
6.94*** (75.92)
Christian Dummy
Export ratio average 2006-2010
0.01** (1.99)
Transition Dummy
-0.20 (1.26)
Constant
-1.60*** (4.33)
-1.90*** (5.77)
-1.96*** (4.40)
-0 04*** (7.54)
-1.51*** (4.66)
0.01 (0.62)
0.84 0.76 0.16 0.16 Adj. R2 0.85 0.79 Prob(F-statistc) 0.00 0.00 0.00 0.00 0.00 0.00 2.58/ 3.32/ Akaike info crit./ 2.20/ 2.20/ 2.59/ 3.38/ 2.77 2.66 3.48 3.34 2.39 2.35 Schwarz crit. 0.85 0.87 1.27 S.E. of regression 0.70 0.71 1.30 Observations 139 139 69 139 139 69 Source: Own compilation; All data are averages for the period 2006 to 2010, except GDP. The numbers in parentheses are the absolute values of the t-statistics; '***','**' or '*' show that the estimated parameter is significantly different from zero at the 1, 5 or 10 percent levels. We now turn to the issue of what factors may promote success in the adoption of institutions by younger countries. The first question we raise is: Does the time-frame of independence generally promote institutional quality, as the descriptive analysis suggests? A tentative result with respect to the dummy-variable "independent after 1945" is
221
Limits and Perspectives of Instttutional Transfers
presented in Table 5. We removed the JUR indicator on judicial independence, since the low number of observations did not allow for significant results. The coefficient is negative for each indicator, and it is significant at the one percent level. The adjusted R2, however, is below 10 percent and thus very low in each case. The reason for both the (sign of the) coefficient and the low R 2 is a strong omitted-variable bias. This is the case, since per-capita income is strongly related to all forms of institutional variables. This is a well-known fact which has been thoroughly analyzed in the empirical literature (for an overview, see Sunde, 2006). Table 5: Institutional Quality and Year of Independence Dependent variable Independent after 1945 Dummy
CL -1.58*** (3.97)
PR -1.99*** (4.24)
FOP -1.03*** (3.07)
GE -1.19*** (4.56)
ROL -0.88*** (3.27)
g 4*** 7.57*** 7.59*** 6.15*** 5.89*** (24.1) (20.44) (24.25) (29.82) (27.83) 0.044 Adj. R2 0.075 0.085 0.098 0.05 Prob(F-staristc) 0.00 0.00 0.00 0.00 0.00 4.42/ Akaike info criterion/ 4,77/ 5.1/ 3.93/ 3.98/ 5.1 4.01 4,81 4.45 3.96 Schwarz criterion S.E. of regression 2.62 3.07 2.19 1.71 1.76 Observations 183 183 183 183 183 Source: Own compilation; All data are averages for the period 2006 to 2010. The numbers in parentheses are the absolute values of the t-statistics; '***','**' or '*' show that the estimated parameter is significantly differentfromzero at the 1, 5 or 10 percent levels. Constant
The problem, however, is that there is still no conclusive result on the direction of causality. Per-capita income may be high because of good institutions. It may also be, however, that the causality runs in the opposite direction, namely that rich countries tend to develop more refined institutions. With respect to the democracy variables, the latter thesis is familiar as the modernization theory (see Lipset 1959). Yet another thesis is that long-term processes of income growth go hand in hand with ever more refined institutions, and that there are joint determinants underlying both (see, e.g., Congleton 2011; North et al. 2006). Whatever the case, per-capita GDP is usually strongly correlated to indicators of institutional quality. It is hence no surprise that the dummy for younger countries becomes insignificant on the inclusion of (the log of) real GDP per capita for all but one indicator, as can be seen in Table 6. In order to reduce the likelihood of reverse causality, we used a five-year lag for the GDP variable. However, this had no influence on our results. Concerning the relationship between the time of independence and institutional quality, the omitted-variable bias suggests that there is probably no causal relationship, but that there are common factors, in this case underlying both the "age" of a country and per-capita income. Note that most of the rich industrialized countries were independent before 1945, and many of the poor countries were dependent until more recently.
Marie Möller
222
Table 6: Institutional Quality, Year of Independence, and Real Income Dependent variable Independent after 1945 Dummy Log(Real GDP per Capita average 20012005)
CL -0.57 (1.61)
PR -0.93** (2.11)
FOP -0.16 (0.53)
GE -0.18 (1.14)
ROL 0.13 (0.75)
0.87*** (8.31)
0.91*** (7.00)
0.72*** (8.13)
0.88*** (18.97)
0 gg*** (18.00)
0.24 -1.32*** -1.65*** -0.26 -0.17 (3.76) (0.28) (0.14) (0.31) (3.21) 0.67 0.33 0.28 0.30 0.70 Adj. R2 0.00 0.00 0.00 Prob(F-statistc) 0.00 0.00 4.84/ 4.07/ 2.77/ 2.9/ Akaike info crit./ 4.39/ 4.44 4.89 4.13 2.83 2.95 Schwarz crit. 1.84 1.02 S.E. of regression 2.15 2.69 0.96 177 177 177 Observations 177 177 Source: Own compilation; All data are averages for the period 2006 to 2010, except GDP. The numbers in parentheses are the absolute values of the t-statistics; '***','**' or '*' show that the estimated parameter is significantly different from zero at the 1, 5 or 10 percent levels. Constant
To find out whether there are certain country-specific characteristics that promoted a high institutional quality in those countries that became newly independent, we added variables that interact with our dummy for independence after 1945. We also once again added the control variables of export ratio, population density and the dummy for transition countries. The results are presented in Tables 7 and 8.
Limits and Perspectives of Institutional Transfers
223
Table 7: Year of Independence, Year and Determinants of Institutional Quality CL
Dependent variable Independent after 1945 Dummy Log(Real GDP per Capita average 2001-2005) Independent after 1945* ColonyJUK Dummy Independent after 1945* Arab league Dummy
1.02*** (10.54)
Independent after 1945* Muslim Dummy Independent after 1945* Christian Dummy
0.33 (0.65)
Independent after 1945* oil rents average 2006-2010 Export ratio average 20062010
0.97*** (12.46)
0.07*** (6.26) -0.01 (1.31)
1.12*** (8.96)
0.61 (1.32) 1.06*** (10.43)
0.45 (0.96)
0.23 (0.62)
1.55*** (2.68) -0.80 (1.39)
FOP
PR 0.37 (0.56)
0.25 (0.49)
-1.93*** (3.86)
-1.74** (2.31)
-0.08*** (7.33)
-0.11 (0.17)
0.08*** (5.41) -0.02* (1.89)
0.78*** (11.07)
0.13 (0.40) -2.41*** (3.71)
-1.08** (2.06)
-1.25*** (2.78)
-0.87* (1.67)
-1.46* (1.95) 0.92*** (3.26)
0.83*** (9.56)
0.78** (2.14) -0.09*** (6.66)
0.24 (0.53)
0.06*** (5.46) -0.01 (1.01)
0.92*** (3.64) -0.06*** (6.21)
Population density average 2006-2010
0.00 (0.98)
0.00 (0.63)
-5E"4* (1.78)
Transition Dummy
0.27 (0.69)
0.29 (0.59)
-0.25 (0.71)
Constant
-0.70 (0.88)
-0.71 (1.12)
-1.32 (1.28)
-1.54* (1.86)
-0.36 (0.50)
-0.22 (0.38)
Adj. R2 Prob(F-statistc) Akaike info critJ Schwarz crit. S.E. of regression Observations
0.59 0.00 3.95/ 4.15 1.69 168
0.59 0.00 3.93/ 4.02 1.70 177
0.53 0.00 4.47/ 4.67 2.19 168
0.52 0.00 4.46/ 4.55 2.21 177
0.52 0.00 3.74/ 3.94 1.52 168
0.52 0.00 3.72/ 3.81 1.53 177
Source: Own compilation; All data are averages for the period 2006 to 2010, except GDP. The numbers in parentheses are the absolute values of the t-statistics; '***','**' or '*' show that the estimated parameter is significantly different from zero at the 1, 5 or 10 percent levels.
224
Marie Möller
The dummy for independence after 1945 is insignificant for the Freedom-House indicators, but significant for the WGI indicators. There is again a positive and strongly significant effect of real GDP per capita in each of the estimations. If this reflects a causal impact of income on institutional quality, then a one percent increase in real GDP per capita would also raise institutional quality by roughly one percent. However, as argued above, there is good reason to be careful with such an inference, even though the GDP data are lagged by five years The next result is that countries that became independent after 1945 and that were colonies of the UK do not differ significantly from other countries in their institutional quality, with one exception, namely the rule of law. This result requires careful interpretation, however. It means that countries that became independent after 1945 and that were UK colonies, are not different from both countries that became independent after 1945 and were not UK colonies, and from countries that were independent in 1945 or before. We have hence tested a variable that interacts dependence after 1945 with a dummy for countries that were not dependent on countries other than the UK. The results were not different. Taken together, we can safely state that having been a UK colony has neither supported nor impeded younger countries in the development of institutional quality. By contrast, countries that became independent after 1945 and that are members of the Arab league exhibit once again significantly lower institutional quality, when measured by CL, PR or FOP. Additionally, being a younger country and having Muslims as the predominant religious group, further reduces the level of political rights (PR) and freedom of the press (FOP). Admittedly, however, these latter findings are only marginally significant at a ten percent level and they do not survive a test on redundant variables. It is thus once again the Arabian region that tends to impede the development of higher institutional quality in the younger countries, and not religion (as opposed to Rowley and Smith 2009). The dummy for Christianity, as the predominant religion, is positive and significant in the case of the Freedom-House indicators, but only upon omission of redundant right-hand variables. In the case of the WGI indicators, the Christian dummy is, by and large, insignificant. As argued above, there is good reason to assume that the Christian dummy captures characteristics of countries with European cultural and historical roots, of which the Christian confession is but one of many. The partial significance of the Christian dummy is, in our view, not to be understood as indicating that modern .Western-type' institutions presuppose a particular religious orientation of its population.
Limits and Perspectives of Institutional Transfers
225
Table 8: Year of Independence, Year and Determinants of Institutional Quality (World Bank) GE
Dependent variable Independent after 1945 Dummy Log(Real GDP per Capita average 2001-2005)
ROL
0.44* (1.78) 0.91*** (19.34)
0.91*** (23.70)
0.65** (2.39) 0.92*** (17.58)
0.89*** (21.21) 0.41** (2.57)
Independent after 1945* Colony_UK Dummy
0.14 (0.78)
0.17 (0.88)
Independent after 1945* Arab league Dummy
-0.37 (1.31)
-0.11 (0.35)
Independent after 1945* Muslim Dummy
(1.21)
-0.41 (1.32)
Independent after 1945* Christian Dummy
-0.45* (-1.85)
-0.43 (1.58)
-0.34
Independent after 1945* oil rents average 2006-2010
-0.03*** (6.22)
Export ratio average 2006-2010
0.00 (0.49)
0.00 (0.19)
Population density average 2006-2010
0.00 (1.38)
0.00 (0.63)
Transition Dummy
-0.05 (0.28)
-0.18 (0.85)
Constant
Adj. R2 Probf F-statistc) Akaike info critJ Schwarz crit. S.E. of regression Observations
-0.04*** (7.53)
-0.03*** (5.38)
-0.03*** (6.18)
-1.60*** (4.17)
-1.49*** (4.84)
-1.90*** (4.43)
-1.54*** (4.52)
0.78 0.00 2.49/ 2.7 0.82 168
0.78 0.00 2.50/ 2.55 0.84 177
0.73 0.00 2.71/ 2.92
0.74 0.00 2.68/ 2.76 0.92 177
0.91 168
Source: Own compilation; All data are averages for the period 2006 to 2010, except GDP. The numbers in parentheses are the absolute values of the t-statistics; '***','**' or '*' show that the estimated parameter is significantly different from zero at the 1, 5 or 10 percent levels.
226
Marie Möller
As expected, we find that high oil rents associated with younger countries lead to lower institutional quality, as referred to as being a resource curse. This effect is significant for all indicators and thus arguably constitutes the most convincing result. Finally, the export ratio, the population density and the transition-dummy have no significant effects on the institutional quality. We considered different indicators of institutional quality, so that we can claim our results are robust. Moreover, we changed the method of classifying younger countries, which also does not change the results (see Table A l in the Appendix). Summing up, we have the following empirical findings: — Older countries tend to have better institutions, but it is questionable that there is a causal effect. It is much more plausible to assume that those countries that became independent are generally relatively poor, whereas in the pool of those countries that have long been independent, we find both poor countries with not very well developed institutions, but also rich Western-type democracies and market economies. Hence, having had time to develop higher-quality institutions may have been important historically, but there is also no reason to believe that a young country could not introduce high-quality institutions from scratch and thus successfully transfer well-proven institutions from other countries. It all seems to depend on some other factors, as to whether or not such an institutional transfer turns out to be successful. — In contrast to what has occasionally been claimed in the literature, having been a UK colony has obviously no important influence on the ability of formerly dependent countries to transfer modern political institutions. This factor seems neither to promote nor constrain such a transfer. — Religious orientation, at least with respect to Islam and Christianity, appears to be somehow related to the probability of developing institutional quality. However, the causal effects behind the correlations cannot convincingly be attributed to the respective religion, but rather to a broader regional or cultural background. This follows especially from the fact that the Muslim dummy turns insignificant upon controlling for the membership in the Arab league. — As has frequently been stated in the literature, being dependent on natural resources turns out to be an impediment to the ability of younger countries to develop institutional quality. This finding by now seems well established, since it is not only supported by empirical findings, but can also be convincingly underpinned theoreticaliy· — Economic openness and population density do not apparently play an important role in the institutional quality of younger countries, neither does being a transitional country. The question is whether our results potentially yield new indications for the nation building efforts of international organizations, at least to some degree.
Limits and Perspectives of Institutional Transfers
4.
227
The Role of International Organizations and Concluding Remarks
It can now safely be stated that institutions play a decisive role in economic development, sustainable poverty reduction, and political stability. Apparently, institution building constitutes one of the most important policy goals for both International Governmental Organizations (IGOs) and Non-Governmental Organizations (NGOs). With properly established institutions, many problems can be solved at the same time. The United Nations, as the largest IGO, has by now established several different programs for the improvement of governance and the development of institutions. There are global programs such as those for democratic governance training and against corruption, as well as regional programs for Africa, Latin America, the Caribbean, and Westem Asia. Since good governance and stable institutions are the cornerstones of modern nations, the UN projects may well be viewed as Nation Building projects - as far as they achieve their stated objectives. Naturally, official Annual Reports, such as those from the United nations, suggest the attainment of just such success. Nevertheless, claiming success and critically evaluating success are two different things. One of the most serious problems in systematically exploring the influence of international organization on institution-building processes is reverse causality. If a country successfully improves its institutions and at the same time closely operates with some international organization, then it remains an open question whether it has been successful because of the cooperation, or because the successful countries tend to cooperate more closely with international organizations. This has become particularly clear in the case of the new EU members from Central and Eastern Europe, where the question is: Have some countries been more successful than others because they were early candidates for EU membership, or did they become early candidates for EU memberships, because they already proved to be successful? Another interesting aspect of world-wide nation building processes is the claim by Pei and Kasper (2003), that it has not been the United Nations, but rather a single, though powerful, country that has so far been the most successful nation builder, namely the United States. The authors evaluated 16 US-led nation-building efforts since 1900. However, the success of even that apparently most successful international nation-builder of the 20" century appears to be rather limited, to say the least. In just four cases were the respective countries (still) under democratic rule ten years later, and two of these were West Germany and Japan after World War Π. Regardless of what had happened in these countries in the years before, they were both based on societies with strong identities, as well as effective bureaucracies and judiciaries. Moreover, Germany and Japan did already have experience with constitutional rule. By contrast, in Haiti5, where the Nation Building efforts turned out to be conspicuously unsuccessful, none of these conditions were satisfied. There was a low degree of ethnic homogeneity, a high level of inequality, and practically no experience with constitutional rule. The crucial role of latter is demonstrated by the fact that "none of the
3
The Nation Building projects in Haiti, as well as in Afghanistan, were authorized by the U.N.
228
Marie Möller
states where American [Nation Building] efforts have failed have had that experience" before (Pei and Kasper 2003, p.5). In such cases, formal political institutions have to be either transferred from outside or established from scratch, which always implies the risk of conflict between the newly established rules on the one hand and certain countryspecific informal institutions on the other. Under such conditions, a foreign "flower" may be "unable to survive in the hostile local soil" (Larmour 2005, p. 2). Because informal institutions are difficult to identify and complex in their most subtle interaction, severe problems of constitutional ignorance in Hayek's (1982, p. 37-39) sense arise that impede rational judgments on the applicability of formal institutional rules in specific informal contexts. Nevertheless, at least with regard to the Pacific islands, Larmour (2005) believes the identification of country-specific characteristics that support institutional adoption to be possible. In his opinion, the Pacific-island region provides conditions for a natural experiment, since it is possible to judge how similar institutions were adapted by IGOs in different local contexts. As a result, it remains an open question as to how far-reaching the influence of international organizations on processes of nation building and on the evolution of institutions for free and prosperous societies can be. By now, it indeed seems clear that it has generally been powerful single countries like, formerly, the UK, then the United States or the USSR and, more recently, also China, that were most influential in processes of nation and institution building. For the most part, however, these influences were led by foreign-policy interests, rather than by conceptual deliberations on how the evolution of free societies can or should be supported. It is not even clear whether efforts that were driven by such conceptual deliberations turned out to be more successful than international influence on nation-building processes that were based on pure self-interest. Admittedly, however, our knowledge on these issues is severely limited. The results of our study again indicate the importance of institutions in the developing process. Moreover, we have indeed found some characteristics that support the adoption of institutions. Our results are far from being able to provide a comprehensive picture of what determines the ability of younger countries to develop its institutions or to successfully transfer institutions (from other countries) that have proven supportive to a country's prosperity. Hopefully, however, they have at least provided some orientation for further work in that field. For a more comprehensive picture to be drawn, further research is necessary. What we need is not just empirical findings, but also a deeper theoretical understanding of the complex interplay between the different causal, and most probably mutually causal relationships between the factors that underlie institutional developments. In this context, international organizations may play a supportive role, as the experiences of Central and Eastern Europe following the collapse of the communist world suggest.
Limits and Perspectives of Institutional Transfers
229
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230
Marie Möller
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limits and Perspectives of Institutional Transfers
231
Appendix Table Al: Institutional quality (average 2006-2010) on "independent after 1918" Independent after 1918 Dummy Log(Real GDP per Capita average 2001-2005)
CL
PR
FOP
GE
ROL
0.11
0.04 (0.07)
0.44 (1.03)
0.44* (1.83)
0.69** (2.54)
(0.23) 1.00***
1.11***
(11.10)
(9.49)
0.81*** (9.77)
0.91*** (19.90)
0.92*** (17.82)
Independent after 1918*Colony_UK Dummy
0.15 (0.47)
0.23 (0.54)
0.05 (0.16)
0.17 (1.02)
0.21 (1.12)
Independent after 1918* Arab league Dummy
-1.43** (2.87)
(2.98)
-0.95** (2.07)
-0.43* (1.68)
-0.09 (0.30)
Independent after 1918* Muslim Dummy
-0.91* (1.85)
-1.22* (1.90)
-0.90* (1.97)
-0.36 (1.44)
-0.53 (1.87)
Independent after 1918* Christian Dummy
0.27 (0.60)
0.18 (0.03)
0.28 (0.69)
-0.46** (-2.03)
-0.44* (1.74)
Independent after 1918* oil rents average 20062010
-0.07*** (7.29)
-0.08*** (6.31)
-0.06*** (6.25)
-0.03*** (6.34)
-0.03*** (5.37)
Export ratio average 2006-2010
-0.01
-0.01* (1.86)
-0.01
0.00
0.00
(1.26)
(0.96)
(0.45)
(0.08)
Population density average 20062010
0.00
0.00
0.00
0.00
(1.17)
(0.00)
0.00* (1.90)
(1.35)
(0.66)
Transition Dummy
0.19 (0.52)
0.09 (0.19)
-0.32 (0.98)
-0.09 (0.50)
-0.20 (0.95)
Constant
-0.30 (0.39)
-0.88 (0.90)
-0.01
(0.01)
-1.63*** (4.24)
-1.90*** (4.40)
0.64
0.59
0.57
0.79
0.74
0.00
0.00
0.00
0.00
0.00
3.80/ 4.00 1.57 168
4.33/ 4.54 2.04 168
3.64/ 3.84 1.44 168
2.45/ 2.66 0.80 168
2.69/ 2.89 0.90 168
Adj. R2 Prob(F-statistc) Akaike info crit./ Schwarz crit. S.E. of regression Observations
94**
The numbers in parentheses are the absolute values of the t-statistics; '***','**' or '*' show that the estimated parameter is significantly different from zero at the 1, 5 or 10 percent levels.
Dirk Wentzel (Hg.), Internationale Organisationen Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft • Band 97 • Stuttgart • 2013
International Organizations and the Private Sector: Global Public-Private Partnerships for Global Public Goods?
Volker Huck and Rahel
Schomaker1
Inhalt 1. The Private Sector in the Global Sphere 2.
The Interconnection between Global Public Goods and Public-Private Partnerships 2.1. The Nature of the Good 2.2. The Nature of the International Organization - and how Things are changing with Respect to Partnerships 2.3. Global Public-Private Partnerships
3. Global Public Goods in Practice 4.
234
235 235 237 240 242
Global Public-Private Partnerships and Global Health
243
4.1. Classification and Structural Issues 4.2. The Pharmaceutical Industry in a Nutshell 4.3. Which Health Issues are Global Public Goods? 4.4. Lessons and Consequences 4.5. Why to include the Private Sector in Health Issues?
244 245 246 248 249
5. Policy Implications
250
References
251
1
Der vorliegende Beitrag wurde im internationalen Foischungsseminar Radein in Südtirol im Februar 2012 präsentiert. Die Autoren danken dem Korreferenten und den Seminarteilnehmern für konstruktive Kommentare.
234
1.
Volker Huck and Rahel Schomaker
The Private Sector in the Global Sphere
Around the globe, there are challenges and threats which can not be targeted easily by one actor alone - international terrorism, contagious diseases, or environmental issues as e.g. pollution of air or water - , even if the respective actor may be a national state, legitimized and willing to act. These threats are undeniable necessary to be targeted for the benefits of individual human beings as well as the affected societies as a whole - in general, by the provision of specific goods or infrastructures as global security, health, or political stability. The main question in this context is who - which institution or body - should address these challenges, which actor is in duty here, and which instruments can be used? Are there options for solutions via the market, or does the government have an obligation to act? Moreover, to reach the goals alone may be difficult, even if the actor involved is a relatively potent one (in terms of financial capability, political and/or military power, and legitimacy to target the problem) - and the more if the actor is lacking some of the outlined powers and capabilities. As a consequence, solutions may be necessary which enlarge the traditional spectrum of national actors, as "the realization that a desired good cannot be efficiently produced by individual actions may lead actors to consider development of a collectivity whose primary purpose will be the generation of the desired good" (Russet and Sullivan 1971, p. 845). Following this argument, the development of international organizations2 (IOs) can be explained by the simple fact that one actor alone cannot target specific problems efficiently, so that there is a need for some kind of collective action (see Cassel and Wentzel in this volume). This given, who should take part in that collective action? IOs, national states, or other actors like private companies as well? Which are the organizational forms cooperations between different actors may take? And, the main question, what are the goods which shall be provided by these cooperations from an economic point of view, and how is it realized in reality? In our paper, we target these questions and focus, as an overall analysis of partnerships is impossible with respect on the complexity of the existing organizational settings, on partnerships between international organizations formed by national states (e.g. in the context of the United Nations (UN)), and the private sector, with an additional focus on health issues: Under which circumstances is the involvement of transnational or international organizations in the provision of health-related goods justified from an economic point of view, and in how far can the private sector contribute to an efficient attainment of the IOs aims? Which forms of partnerships are needed in that context - to realize the goals of the IO and, at the same time, to oblige the interest of the private partner?
2
In our study, we refer to international organizations in the sense of govemment-backed institutions, in contrast to privately organized, non-governmental organizations which act on a global level.
International Organizations and the Private Sector
2.
235
The Interconnection between Global Public Goods and PublicPrivate Partnerships
The sheer fact that some problems may have global effects is not a sufficient decision criterion when it comes to the provision of much-needed goods to target these problems, as the existence of global effects does not constitute automatically the necessity of a kind of global action. Rather, the benefits should be increased and the costs be reduced through joint action - by enhanced efficiency and effectiveness in the provision of the respective goods. Therefore, a sound understanding of the different types of goods is necessary as well as a specification "who is producing them, who is benefiting and who is paying" (Sandler n.d.). The question which kind of cooperation is needed to achieve aims with a global impact therefore depends on several characteristics. If we focus only on the question if international organizations alone, or in partnership with private actors - which can be defined as profit-maximizing firms - should provide and finance specific goods, several dimensions have to be considered: The aims and goals of the single IO, the sector the private company is active on, and the threat which is targeted (or: the good provided) by the partnership. So, to classify the different types of partnerships between IO and the private sector, we have to examine the single dimensions more detailed, with the nature of the good provided being of specific relevance.
2.1. The Nature of the Good From an economic point of view, most goods can be classified as either being private goods, or public goods (other goods are something between these vertices). Private goods can be provided efficiently through the market, what means that private, profitoriented enterprises produce and sell the goods, most of the time under conditions of competition. For public goods, the private market fails to provide these goods, private enterprises with profit-orientation are not able to guarantee efficient production, e.g. as the users' willingness to pay is lacking. This often occurs in the case of natural monopolies with high sunk costs, working as barriers to market entry of new competitors, or if significant externalities exist which distort the price signal. Two indicators are used to test whether a good is a public one or not: 'rivalry in consumption' and 'excludability of non-paying users'. While a high degree of rivalry indicates that the consumption of one user may affect the chance of use for another individual, the indicator excludability indicates if individuals can be excluded (at justifiable costs) from benefiting from the good, or - more general - being affected by the good. If the degree of rivalry as well as of excludability is low (about 0 in a 0-1-scheme), the respective good is a public one. If rivalry and excludability is given, a good can be classified as being a private good. In that context the question of the geographic scope of the goods provided is of importance: the outlined concept is implicitly coined by a national view - public goods are provided by national governments in the interest of their citizens, the potential users of the good, which pay for the good by paying taxes. But, as mentioned above, the effects of some public goods, as security or the absence of health threats, do not stop at the
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borders of a single nation or region - 'global public goods' (GPGs) are the consequence. These goods produce benefits or negative externalities3 which are not limited to a specific geographic region or society, but are spread worldwide {Nordhaus 2005). GPGs therefore can be seen as "public goods across the national frontier" (Speth 1999). Inefficiencies in provision can be assumed to be the higher for GPGs compared to 'traditional' public goods, as they are spread more widely across space and time. Especially the latter aspect is relevant, as a GPG may provide benefit not only for the present generation, but also for later generations to a higher degree than traditional public goods. As a consequence of all those characteristics of GPGs, an efficient production of global public goods requires a global cooperation or 'collective action' (Nordhaus 2005). The main challenge in the context of global public good provision is "how to ensure collective action in the absence of a 'government' to directly finance and/or provide the public good" (Smith and MacKellar 2007). This gap can be closed by specific forms of international organizations, which could ensure collective action by their nature as actors with some power of representation and executive power. That assumption given all private goods can - and from an economic point of view also shall - be provided by competitive private enterprises, traditional public goods are in the responsibility of the national state. Only for global public goods there may be a necessity - and economic justification - to be provided by global actors as international organizations. Table 1: Provision of different Classes of Goods Range Classification of the Good
National
Global
Private
Private Enterprise
Private Enterprise
Public
National Government
International Organization
Source: Own Compilation
The fact that there is an economic justification for IOs to provide GPGs should not mislead to assume that — IOs can under all circumstances provide these goods efficiently, as e.g. failures in climate protection through IOs demonstrate, or — IOs really do provide these global public goods in reality, or — Other settings, as contractual agreements or regimes comprising several national states, have automatically to fail. While there is limited evidence of sufficient contractual agreements, with the socalled Montreal Protocol being one of the rare exceptions, there is much evidence that 3
4
In general, global effects can be good or bad - even if the negative effects get the higher level of attention in science as well as the public (Sandler n.d.). The Montreal Protocol on Substances That Deplete the Ozone Layer is an international treaty, ratified by 196 states and the European Union as a whole since 1987, which assures
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not all goods defined as GPGs are in reality provided by IOs, or are provided at all, while other goods provided by IOs are not GPGs. As we will demonstrate, this is not necessarily due to justification problems, but due to more political issues, as a lack of executive power of the 10 in many cases, or lacking financial space.
2.2. The Nature of the International Organization - and how Things are changing with Respect to Partnerships Each organization with a global mandate, independent of the specific aims and goals, can be defined as an international organization. So, an organization which focuses on only one, sharply defined goal with worldwide impact, as e.g. the wipe-out of a specific disease, is just as an 10 as an organization which has a mandate for a range of actions (e.g. poverty reduction). According to this, the size, organizational structure and influence of IOs can differ significantly, which may affect the goods provided. However, several characteristics can be identified in most traditional modes of global cooperation in IOs, and can therefore be seen as constitutive mechanisms of IOs (see Buse and Walt 2000b): — Representation and organizational tasks: In almost all IOs, a form of vertical representation is the norm, with a hierarchical, bureaucratic relationship between single national states and their representation on the international level (within the single 10). The organizational structure of most IOs allows for that, as a kind of 'member assembly' constitutes the rules of the 10, and elects more or less directly an executive level. Therefore, not only the national state, but also national citizens are represented to some degree in decision making, a basic democratic approach in these IOs can be seen as given.5 — Funding: In general, IOs are funded by contributions from their national members, thus the governments, which finance the organization - in general by an ex ante specified payment key, based on the GDP of the respective country. Additionally, donations from third parties can be a source of funding, without this founding constituting a permanent partnership or any influence on the structure or policies of the 10. Again, as the regular payment comes from the national states, citizens of the respective countries are involved via tax payments. In our study, we implicitly refer on IOs styled as the United Nations for several reasons: First, the UN-framework is exemplary for IOs with a global approach - not limited to one sector or a specific region - and an implicit, normative overall aim to promote economic development. This point will become important in the discussion where justifications for actions undertaken by the 10 and its partners are targeted. Furthermore, the UN, the world's largest non-sector-specific 10 with 193 member states, cover most of the relevant partnership agreements with the private sector worldwide, so there is much empirical evidence. Additionally, as with the World Health Organization (WHO)
5
protection of the ozone layer by phasing out the production several substances hold accountable for ozone depletion. In contrast, many non-profit organizations which act as lobby groups for a specific aim do not have that kind of representation and legitimation, and are therefore excluded.
238
Volker Huck and Rahel Schomaker
a specialized sub-organization for health issues exists with the UN, it is suitable for our case study. A common assumption to explain the emergence of new forms of partnerships, exceeding the borders of IOs, is that there "has been an increase in global and transnational public goods" (Sandler), which increases the need for additional money and skills, which the public sector and/or the 10 itself are not able to provide. This increase in necessity may be induced by the nature of the upcoming challenges itself, as new treats are more complex or target more countries than the traditional ones, or the increasing integration of the world's economies and societies, as well as the joint use of new technologies in the context of globalization (Sandler n.d.). While evidence for an increase of global threats is still missing, it is obvious that the number of partnerships in their manifold manifestations increased within the last decades. For sure, and independent of the sheer number, the structure of international cooperation has changed from "vertical representation to horizontal participation" (Buse and Walt 2002, p. 169). In contrast to the traditional form of vertical representation between single national states and their representation in IOs, "horizontal participation is more typical of the network society, in which states and non-state organizations, including the UN and private for-profit organizations, form less hierarchical and less bureaucratic interorganizational relationships" (Buse and Walt 2002, p. 170). Focussing on these new forms of cooperation, there are several ways to categorize partnerships, with the "constituent membership" (Buse and Walt 2000a, p. 699) as 'private-public' being only one option. While this concept may be limited in different ways, from our point of view it is notwithstanding suitable and therefore used in our study to analyse GPGs, as our key question refers to the classification 'public' 6 and 'private' (in detail Buse and Walt 2000a, pp. 699 f.).7
6
7
A necessary precondition in that context is a wide definition of 'public', which includes not only national governments or government agencies, but also the kind of 'public' international organizations described above. Another discussed option would be to categorize partnerships by their organizational form or the nature of the activity undertaken, for the discussion in detail Buse and Walt 2000a, pp. 699 f.
International Organizations and the Private Sector
239
Figure 1: Shift in Public-Private Relationships
Source: Buse and Walt (2000). For the longest time, during most of the 20th century, until the 1970s, international cooperation was - as long as non-military - mostly coined by bilateral (or sometimes multilateral) partnerships between donor countries (industrialized countries) and recipient countries, mostly from the less developed parts of the world. IOs in this scheme were active more as intermediaries than as independent actors themselves, the relationship between IOs as the United Nations and the private sector was coined by distance and a kind of suspiciousness (see Hamm 2002). The private sector in this time was not a part of the 'donor-receiver' relationship. This changed by the 1980s - at this time, the not only the private sector was included into the IOs' work, but also the whole structure of international cooperation changed, in particular in development-related issues, which became more and more relevant in this time. At this stage, private enterprises were involved mostly by national actors, which needed the financial contribution as well as the technical expertise provided by the private partner. The fundamental shift towards a complex, multi-actor system started in the 1990s. The private sector became a part of the bi- and multilateral donor relationships with the recipient governments as well as a direct partner of (local and regional) nongovernmental organizations (NGOs), communities and grass-root organizations.
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Volker Huck and Rahel Schomaker
Nonetheless, even today partnerships which include all possible actors are still the exception. Multilateral donors, in particular the large international organizations, are still the most important partner of private enterprises in that context. The arising cooperations are the only ones which can be labelled as global public private partnerships (GPPPs). These GPPPs, as traditional public private partnerships (PPPs), „constitute a hybrid type of governance, in which nonstate actors cogovern along with state actors for the provision of collective goods, and thereby adopt governance functions that have formerly been the sole authority of sovereign states" (Schäferhoff et al. 2009, p. 451). Especially in development cooperation, which includes many tasks which are classified as GPGs, the pivotal role of private enterprises has been highlighted by key institutions: The declaration of the United Nations' Millennium Development Goals emphasizes the crucial role of private companies as stakeholders in international cooperations to achieve the goals, resulting in a substantial reduction of global poverty by 2015; the United Nations' Global Compact has only been established to involve the private sector and take it into responsibility for the provision of global public goods: "I told you of my hopes for a creative partnership between the United Nations and the private sector. I made the point that the everyday work of the United Nations - whether in peacekeeping, setting technical standards, protecting intellectual property or providing much-needed assistance to developing countries - helps to expand opportunities for business around the world. And I stated quite frankly that, without your know-how and your resources, many of the objectives of the United Nations would remain elusive" (Annan 1999).
2.3. Global Public-Private Partnerships The outlined shift in cooperation forms raises several questions, as the 'traditional' system of the IOs provided both, representation or a form of democracy, as well as accountability (Buse and Walt 2002, p. 169 f.): As long as the national citizens are represented through their member states, which in turn are represented in the decisionmaking bodies of a specific IO, some kind of democratic participation can be assumed as given. On the other hand, as long as the decision-making bodies itself are accountable to the single member states - and therewith their citizens - , liability is given. Both of these criteria are not automatically given in the new multi-actor scenario: Many actors, like NGOs and in particular private enterprises, neither can be hold accountable nor are themselves in full shaped by democratic participation. Beyond that, in GPPPs, as in national PPPs, the actors' interests may be conflicting, what may be as more problematic as the expectations related to the outcomes of these partnerships usually very high among all participants. So: Why do the IOs have that interest to include private enterprises, what triggered the outlined increase in private participation? A relatively simple answer could be: The lack of money. While for public goods, provided by national states, the question of financing can be answered by a view on the general sources of the public authority, this answer does not hold for GPGs. As by now, most IOs which work in the field of GPGs are financed by their member states, so that there is some financial space. But this space has started to decrease: With the goal of spending 0.7 % of Gross National Income (GNI) for development assistance only reached by five donor countries worldwide (see Table 2 below), and with the
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International Organizations and the Private Sector
emergence of new challenges in development cooperation, e.g. through 'nation building' in failed states like Afghanistan, the budget of international organizations is decreasing while their expenditures are steadily increasing. Additional funding would be necessary, and in a traditional scheme would have to be provided by national governments. With a view on the "reluctance of voters to support programs some of whose benefits are felt beyond the borders" (Smith and MacKellar 2007) and own interests of re-election, it is unlikely that national governments will be willing to raise additional money, e.g. through tax increase, for additional funding needs of the IOs. This may be also the case if, as given for GPGs, cooperation is the self-interest of donor countries'. A stronger involvement of the private sector, especially in expensive sectors, is assumed to be able to close that financial gap and furthermore may enhance the outcome quality due to superior technical or scientific skills of private enterprises in specific sectors (Schäferhoff et al. 2007). This is as more important as there may be - at least in theory and for a specific group of GPGs - other options to finance them (as global taxes, global user fees, or market solutions), but they have not been introduced yet (see in detail Martens and Hain (2002). Table 2: Official Development Aid in 2010 by Select Countries Country/Rank
In Billion US-$
In %ofGNI
United States
30.15
0.21
United Kingdom
13.76
0.56
France
12.92
0.50
Germany
12.72
0.38
Japan
11.05
0.20
The Netherlands
6.35
0.81
Norway
4.58
1.10
Sweden
4.53
0.97
Denmark
2.87
0.90
Luxembourg
0.40
1.09
Source: Authors' Compilation In contrast, the private enterprise "is guided by profit motives" (Hammami et. al. 2006). To generate profits is the main aim of the private partner, additionally, there may be strategic goals with a view to the future: By participating in a global partnership, the company may get an (indirect) access to markets, and with the notion of corporate social responsibility gaining more and more relevance for many multinational companies, in some special cases the decision to enter into a GPPP may not exclusively follow the profit maximization motive, but may rather be to signal a high degree of stakeholder orientation to customers, the public, the media and the governments in all countries where the company is active in (Hamm 2002; UNIDO 2002).
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Volker Huck and Rahel Schomaker
So, to sum up, there are some required preconditions which have to be fulfilled for global public private partnerships to make sense from an economic point of view (and additional conditions which have to be fulfilled for a GPPP to work, which are to be discussed later) (Rangan et al. 2006, pp. 738 f.): — The existence of a global public good: If the respective good is not a global one, or it is not a public good at all, other forms of provision may be more suitable, at least from an economic point of view. — The need for industry-specific technical skills or know how, and/or an additional need for financial sources, which can not be satisfied by the 10 and its member states alone. — Some incentives for the private sector to get involved with such partnerships, being them monetary ones or strategic ones. GPPPs, as national PPPs, can have different legal forms and designs. The general term 'public private partnership' it is usually referred to a portfolio of different partnership models (Grimsey and Lewis 2005); Linder broadly defines the term PPP as "rubric for describing cooperative ventures between the state and private business" (Linder 1999). More broadly PPPs may be defined as the "cross-sectoral junction of rationalities relevant for action" (Ziekow 2003). This definition made by Ziekow can be seen as sufficient because he refers to the, probably, most important factor for decision to pursue a PPP - the interest of both partners. For GPPPs, it can be extended by the dimension of space - not only the cross-sectoral, but also the global junction of rationalities constitutes a GPPP. Regardless of the specific form it may take in practice, these types of contractual agreements between a private companies and the public sector - in one or more national states and/or in form of an IO - is typically characterized by a risk sharing arrangement with the private partner taking over (some) financial responsibility and providing know how while the public partner still has the responsibility of provision and can be hold accountable for the outcomes.
3.
Global Public Goods in Practice
So, under what circumstances can GPPPs work effectively and efficiently? As conventional arrangements - in particular markets - do not work in the context of global public goods, what are the specific requirements of GPPPs to work? (Rangan et al. 2006, S. 738 f.)8 The first, and most important precondition, is that there really is a GPG given. But, in reality, this is not always the case: Even if economic theory provides a sound definition how GPGs can be identified, there is no global consensus in international politics which goods are included in the concept. This is mostly due to more political reasons - to boost one's argument on the relevance of a specific good or policy, it
8
For sure the emergence and raise of organizations can be explained in their own right by other theoretical approaches - focussing on legitimation and power, as well as political rationalities - , but, arguing strictly in lines with economic theory, we focus on efficiency and effectiveness.
International Organizations and the Private Sector
243
makes sense to refer to that good as being a GPG: It highlights the impact of the specific problem, makes it visible for societies and governments worldwide, and can therefore help to raise money or to implement a kind of alliance for the benefit of a specific political program. This is all the more true when it comes to the international or global sphere. But using the 'GPG tag' for anything (perceived as) being important is risky, it "overstretches and devalues the validity and usefulness of the concept" (Smith and MacKellar 2007). Also in current literature the term GPG is used for a whole range of goods which do not fulfil the economic classification. To overcome that problem, guided by the United Nations' view, several schemata have been developed, which include issues from greenhouse warming and terrorism to the stability of the world financial system. To limit the number of potential candidates, the UN has defined a top 10 list of GPGs, which should be targeted with priority (United Nations n.d.): -
Basic human dignity for all people, including universal access to basic education and health care
-
Respect for national sovereignty Global public health, particularly communicable disease control
-
Global security or, put differently, a global public domain free from crime and violence
-
Global peace
-
Communication and transportation systems harmonized across borders
-
Institutional infrastructure harmonized across borders to foster such goals as market efficiency, universal human rights, transparent and accountable governance, and harmonization of technical standards Concerted management of knowledge, including worldwide respect for intellectual property rights
-
Conceited management of the global natural commons to promote their sustainable use
-
Availability of international arenas for multilateral negotiations between states as well as between state and non-state actors.
Each of the named goods is an example of a complex system itself, comprising several interconnected subsystems, with the effects being of impact not limited to national borders. But, from an economic point of view, the diagnosis that these goods are really GPGs is not as straightforward. Focussing on global health issues, we have to examine in detail if rivalry and excludability are given, and, if not, if the concepts apply on a regional/national or global level.
4.
Global Public-Private Partnerships and Global Health
Global health issues in many cases can be seen as specific example for global public goods: In all parts of the world, government agencies, non-governmental organizations,
244
Volker Huck and Rahel Schomaker
scientists, and pharmaceutical companies cooperate to fight public health threats as "HIV/AIDS, malaria, and tuberculosis, which account for the majority of the global health burden" (Guyton and Niyogi 2009). Despite these and other diseases being in focus for a while, until now the international community has not been able to develop the medical supply required to ease these threats, and the question remains if it is in the obligation of the IOs.
4.1. Classification and Structural Issues Due to the nature of the task, these health issues are somewhat special, compared to other GPGs: On the one hand, disease control depends much on research and technology, as new drugs or vaccines have to be found before these threats can be targeted properly - a process which requires time, skills, and investment, with the return on these investments remaining unclear until the final approval of the product. On the other hand, many of the diseases targeted could be prevented with easy measures, but once an individual is infected, it needs the full technological 'shot' to cure the disease. Most efforts in the context of prevention and therapy depends on the willingness of the involved actors - the societies as well as the political level - to undertake all measures to support the 'technical side' of research and development, and, later on, to introduce the necessary policy measures to back the implementation in practice. Accordingly, two general scenarios of providing a solution for global health issues have to be discussed: 9 The first scenario, the so-called weakest link, implies that all measures to contain the spread of a disease across borders are "only as effective as those in the country exercising the least care" (Sandler n.d.). If only one country has a weak disease control, and cannot guarantee for quarantine measures or for a sufficient distribution of drugs, all countries pay the price for that failure. Even boosting measures in other countries will not add significantly to the total benefit. This scenario is applicable on all those health issues where a treatment or immunization is (yet) missing, and the GPG has to be provided mainly by preventive measures. The second scenario, the so-called best shot, is characterized by the fact that the overall success to provide the public good depends on or equals the quality of the largest individual provision level, so that the bundling or pooling of resources is likely to be efficient: In search for a cure for diseases, the research team expending the largest effort is most likely to succeed. Once a cure is found or a discovery is made, additional efforts become redundant. Under best shot, "supply efforts should be concentrated where the prospects of success are most likely, although if potential suppliers have equal likelihood of success, then multiple providers may make sense" (Sandler n.d.). Both scenarios are possible for the case of GPGs, as well as for public goods on national or regional level, and may affect the question of private participation. All goods
9
A third scenario is given when the success of the whole project depends on the sum of the single contributions, the so-called summation scenario (Sandler n.d.). This is not as common in health issues, but more in environmental issues related to emissions or pollution.
International Organizations and the Private Sector
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which can be classified as being best shot are exceptionally prone to private sector participation - the 'most likely candidate' may often be a specialized private enterprise with specific expertise or technical skills, the need for money is given. For the other, the weakest link scenario, the need for private sector participation may not be as high, as the private enterprise may not deliver superior decentralized solutions. Following these considerations, there are several ways to classify partnerships related to health issues, with overlaps being possible (in detail Global Health Europe 2009): -
By legal status: legally independent partnerships (organisations or contractual agreements) vs. partnerships hosted inside a traditional IO, a private company or a traditional non-profit organization (lobby groups, churches)
-
By disease focus: focused on prominent diseases like HIV/Aids, or focused on neglected diseases, or, more general, focused on only one disease
-
By sector focus: focused on R&D, sheer financial support, or technical assistance and service for policy implementation, or focused on lobby activities on the global or national level
4.2. The Pharmaceutical Industry in a Nutshell In the context of GPPPs in the health sector, several sector specifics are of relevance. A high degree of concentration is one of the main characteristics of the global pharmaceutical industry - with only a few multinational companies from the US and European countries dominating the whole industry (Davidson and Greblov 2005).10 But sheer size does not guarantee economic success, even if it may be of relevance in this context besides economies of scale in costly sectors as production or clinical trials, research and development (R&D), which is one of the cost drivers of pharmaceutical firms with R&D costs (as percentage of total revenues) go up to 20 %. Therefore, while most of the big companies are still able to generate high returns, at the same time the pressure for transformation is high (e.g. through mergers and acquisitions or joint ventures) even for top-companies, in particular with a view on "significant profit losses due to competition from the generic drug manufacturers" (Davidson and Greblov 2005). Notwithstanding these developments, most commercial drugs - used in oncology, internal medicine, or cardiology - still generate profits, at least to some degree, which offset the pharmaceutical companies' economic investments. But this rule does not hold for most drugs designated for public health threats - as long as the health issues are GPGs, no individual or state will be willing to pay for the development or the use of the drugs or vaccines which target these threats (Guyton and Niyogi 2009). In that context two questions are of relevance: Which health issues are really global public goods? And, furthermore, which characteristics of health issues make it necessary to include the private sector into the provision?
10
To name only a few, the biggest companies in terms of total revenue are Johnson & Johnson, Pfizer, Roche, GlaxoSmithKline, Novartis, and Sanofi.
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Volker Huck and Rahel Schomaker
4.3. Which Health Issues are Global Public Goods? The global public good 'health' can be defined in a narrow approach as 'the absence of epidemics which may cause dead or long-ranging damages to the people affected'. Following this definition, for all contagious diseases - communicable 11 by contact with an individual suffering from it, or with some secretion of that individual, or objects used or touched by such an individual (Fauci et al. 2008) - , the classification is relatively easy: There is no rivalry in the sense that one individual living without the danger of getting ill does not compromise other individuals' benefits from that, and nobody on the globe can be excluded from the positive effect which arises once the epidemic is wiped out - these goods are real GPGs. But what is for other cases - for example in the case of non-contagious or even contagious diseases, which are spread only in regions with specific characteristics, as the tropics? The classification is not as easy, so we have to analyze cases separately here, and may have to include 'secondary effects' as a part of the characteristics of some goods to define them as GPGs. The case of Malaria and Tuberculosis as some of the globe's most important health threats are analyzed in the following, taken exemplarily for other diseases.
Malaria Malaria, as an acute febrile illness caused by Plasmodium parasites, leads in the first - for a non-immune individual - to symptoms as fever, headache, chills and vomiting, which may be mild and difficult to recognize as being Malaria, appearing a week or more after the infective mosquito bite. The Plasmodium parasites are spread to people through bites by infected Anopheles mosquitoes, which therefore are called 'malaria vectors' (WHO 2011b). There are four different parasite species that can cause malaria: Plasmodium falciparum, vivax, malariae and ovale, with the first and second being the most common, and the first being the most deadly: If not treated within a period of 24 hours, P. falciparum Malaria can progress to severe, life-threatening illness characterized by severe anaemia, respiratory distress in relation to metabolic acidosis, or cerebral malaria as multi-organ involvement. In malaria-prone areas, individuals may develop partial immunity 12 , so that asymptomatic infections may to occur. Malaria is transmitted exclusively through Anopheles mosquitoes, with the intensity of transmission depending on factors related to the parasite itself: the vector, the human host, and the environment. Transmission can also be classified as depending on all conditions that affect the number and survival of mosquitoes, such as humidity or temperature. Malaria epidemics are more likely to occur "when climate and other conditions suddenly favour transmission in areas where people have little or no immunity to ma-
11
12
Most of these diseases have already been proved to be caused by germs, consequently their communicability depends on the transmission of the living germs themselves. At the same time, many germ diseases are not contagious, in these cases some special method of transmission or inoculation of the germs would be required (Fauci et al. 2008). Immunity is developed not quickly, but over several years of exposure, and does not give complete protection, but reduces the risk that the malaria infection will cause severe diseases with the individual (WHO 201 lb).
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laria. They can also occur when people with low immunity move into areas with intense malaria transmission, for instance to find work, or as refugees" (WHO 2011b). With a view on the distribution area of Anopheles mosquitoes, about 50% the world's population is prone to malaria, in particular in Sub-Saharan Africa, but also Asia, Latin America, and to some in the Middle East and also in parts of Europe. In 2010, "there were 216 million cases of Malaria and an estimated 655000 deaths" (WHO 2011b). Early diagnosis and treatment can prevent heavy damages and deaths, and can reduce transmission.13 This point is as more important as growing resistance to drugs has spread, undermining control efforts. When treated with a common mono-therapy, affected individuals may discontinue treatment prematurely as a rapid disappearance of symptoms is the rule - with the result that the individuals still have persistent parasites which survive the treatment. So-called 'vector control' is used mainly to reduce Malaria transmission at the micro level, with the individuals' protection against mosquito bites being of specific relevance. Insecticide-treated mosquito nets, or indoor spraying with insecticides are common measures in that context. Additionally, Malaria can be prevented "through chemoprophylaxis, which suppresses the blood stage of Malaria infections" (WHO 2011b). In nearly all affected countries and regions, Malaria causes significant negative economic impact - the decrease of gross domestic product (GDP) goes up to 1.3 % in those countries which face high levels of transmission. These health costs - both personal and public expenditures on prevention and treatment - account for up to 40 % of public health expenditures, 30 % to 50 % of hospital admissions, and up to 60 % of clinic visits. Tuberculosis Tuberculosis (TB), caused by the bacillus Mycobacterium tuberculosis, is a contagious disease which typically affects the lungs, but also other sites of the human body. Main endemic areas - with an incidence rate14 of > 1 % - of TB are South Asia, SouthEast Asia, sub-Saharan Africa, the Russian Federation, and Latin America, which jointly count for about 80 % of the global TB cases, but in nearly all countries of the world there are at least some TB cases. TB is disseminated via objects or even the air, when suffering individuals expel bacteria. Only a relatively small proportion of infected people will develop the disease itself, but, once diseased, without treatment, mortality rates are high and go up to 70 % within a 10 year period (WHO 2011).
13
14
As the best available treatment, especially for P. falciparum-mduced Malaria, artemisininbased combination therapy (ACT) is acknowledged, while currently no licensed vaccines against malaria or any other human parasite do exist (WHO 201 lb). The incidence rate is defined as the percentage of new cases in one year, relative to total population in a country - in contrast, the prevalence rate counts the total number of affected individuals, relative to total population in a country, in a specific point of time.
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Mortality rates - the number of deaths in a period, relative to the total population can be significantly reduced b y treatment using combinations of anti-TB drugs 1 5 , but in spite of the availability of efficient treatment, "there were an estimated 8.5-9.2 million cases and 1.2-1.5 million deaths (including deaths from TB among HIV-positive people) in 2010 {WHO 2011a).
4.4. Lessons and Consequences With a view on the diseases outlined above, it is straightforward to argue that Malaria - ceteris paribus, in this specific case especially under the given distribution area of the vectors - is not a GPG, but may be a transnational public good for specific regions or continents: Arguing with a view on economic theory, the effects of Malaria are not global. Only people living in the specific region where Anopheles mosquitoes exist can b e affected by the disease, as it is non-contagious, and the vector can not be placed elsewhere in the world as environmental conditions inhibit its spread. Even if dynamics in global transport and tourism are included, which increase the number of nonresidents which are exposed to the vector, the control of the mosquito population, and disease control itself are a public good only for the affected countries or regions. 1 6 For the case of Tuberculosis, a G P G can b e assumed to be given as the disease is contagious and can easily spread around the whole globe, affecting all countries worldwide. This is as more relevant as the T B infection can remain undiscovered as symptoms are unspecific for a while, so that other people can be infected without the knowledge of the transmitting individual. Therefore, each country is likely to have a selfinterest to contain this disease, while for an individual the characteristics of a public good are given. So, as the theoretical analysis of the economics of diseases does not lead to the conclusion that Malaria is a GPG, w h y is this disease, as many others, targeted as a GPG? The answer to that question is relatively simple, and it cannot only explain why international organizations act in this context, but also leads to the relevance of private sector involvement, which is targeted below: Malaria, as other non-GPG diseases, induces high economic and social costs which cannot be borne by the national governments or regional cooperations alone due to the fact that the countries affected are mostly less developed. T h e involvement of IOs in these fields by 'tagging' disease control as global public goods even if specific diseases do not fulfil the economic criteria can therefore b e explained through several approaches:
15
The drugs, used in so-called first-line treatments, date back to the 1960s; the treatment recommended by WHO for new cases of diug-susceptible TB it entails 6 months of treatment with first-line drugs, a combination of Rifampicin, Isoniazid, Ethambutol, and Pyrazinamide for 2 months, followed by phase of 4-month' of Rifampicin and Isoniazid. The BacilleCalmette-Guerin (BCG) vaccine to prevent TB provides protection against severe forms of TB in children, but its benefit for adults varies among countries (WHO 201 lb).
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The regional effect is of relevance here - with region being defined by similar environmental conditions in a specific geographic area which allow the mosquito to survive - as mobility of mosquitoes, as of other bugs, can not be limited by national borders.
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The development approach: As an overall economic development for poor countries is the main goal for many IOs, and with public health and disease control being important factors for sustainable development, the 10 takes over the responsibility and the costs to ensure their own development goals.
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The 'bureaucracy-theory' approach: Following Niskanen (1971), each bureaucracy tries to maximize objectives defined in terms of the agency's budget and scope, so that for an IO there should be a strong incentive to take over additional responsibilities, and raising additional financial sources - either from the member states or from the private sector.
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The 'competition approach': As within the last decades, as outlined above, new partnerships emerged, some of them being based on IOs, some of them being organized privately between private enterprises and non-govemmental organizations as philanthropic foundations, there is increasing competition for the IOs. Tagging goods as GPGs, where a specific justification is given for IOs to provide them, may increase the 'market share' of IOs within the market for development assistance.
The last point may especially hold for the health sector, where more than 80 globespanning partnerships exist, some of them being independent entities, some being hosted by an existing international organization or closely linked to that IO (Global Health Europe 2009). For many diseases, and for Malaria and TB as well, IOs and other non-profit organization 'compete' for the leading role on global level (see for examples Path Malaria Vaccine Initiative 2011; RollBackMalaria Partnership 2011)
4.5. Why to include the Private Sector in Health Issues? Drugs and vaccines which are appropriate to ensure global public health - the GPG 'absence of epidemics' - are not easy to develop, and the costs are exceptional high. Two factors account for these high costs of pharmaceutical development: The costs related to the R&D itself, which is necessary to discover operation modes of substances, which leads in the end to the development of a drug or vaccine. The costs of this preclinical phase are high as skilled human capital is needed as well as laboratory equipment and not least much time, as this phase on average takes about 10 years. The second factor is the complex procedure of approval of the drug or vaccine. This procedure is regulated not only by national law, but by international agreements: The International Conference on Harmonisation of Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use (ICH) brings together drug regulatory authorities of Europe, Japan, and the US, along with the pharmaceutical trade associations from these regions; its goal is to "achieve greater harmonization in the interpretation and application of technical guidelines and requirements for product registration during the research and development of new medicines" (ICH 2010, p. 1). ICH-based guidelines define the responsibility for the safety of the 'subjects' (patients or healthy individuals from control group) in a clinical trial as shared between the sponsor of the study (mostly the pharmaceutical enterprise), the local site investigators, the various institutional review boards that supervise the study, and the regulatory agency for the country where
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the drug or device will be sold. The different so-called 'clinical phases', from phase 0 (tests with healthy individuals in sub-therapeutic doses, which take a few weeks) to phase 3 (prospective clinical trial, up to 10,000 subjects, multi-centric, takes about two years), and phase 4 (surveillance and control, several years), cause high costs (due to monitoring and surveillance, additional research effort, transaction costs of the clinical studies in general), while most of the time no return on investment can occur, as the drug or vaccine may be sold only after a successful completion of phase 3. Due to the high costs of and the highly specific skills needed in R&D, in particular triggered by the complex approval process, it is almost impossible for cooperations between national states or IOs to develop and introduce drugs and vaccines alone. The private sector, in particular the large pharmaceutical enterprises, are the only ones who can provide both competencies, and it is in its own interest to take part in partnerships as long as there is a compensation mechanism which allows an adequate profit margin for the R&D and production efforts. Furthermore, as developing countries have by now only a "small portion of world pharmaceutical sales, these countries also have a significant potential for the pharmaceutical industry in the future" (Davidson and Greblov 2005). For the private enterprise a partnership may make sense to access markets or install brands - with a view to the future: on increasing population, an increasing income level in many less developed countries, and not least a continuing demand for specific drugs and vaccines for regional-specific diseases. So, while the participation in a partnership in general makes sense from the firm's point of view, it does not necessarily need to be a GPPP, but may also be a transnational PPP. Nonetheless, stepping into a partnership with a well-known IO may provide additional benefit for the enterprise, as for legitimation issues and as the positive image of the IO may positively affect the firm's image.
5.
Policy Implications
In reality, we see partnerships between the private sector and IOs related to most diseases, being them GPGs or national or regional PPPs. Despite the economic justification is different, the form and design of such partnerships are alike in both cases. Not every good which is 'tagged' or perceived as being a global public good is it with a view on economic theory - this simple summary is the first outcome of our analysis, and can not only be given for the health sector, which we did examine in detail, but for other sectors also. Global public private partnerships (GPPPs) "provide a form of interorganizational networking" (Buse and Walt 2002, p. 170) - and so do other 'transnational public private partnerships'. Designed likewise, with similar aims and a similar structure, traditional PPPs, which do not fulfil the criteria of GPPPs, as they do not provide GPGs, are characterized mainly by a more normative, political approach. As economic development is the most important goal in international development cooperation, these partnerships are introduced to help the less developed national states to reach a higher level
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of development, e.g. as Malaria disproportionately affects the poor who cannot afford preventive measures or treatment, often a 'downward spiral' is feared. So, what are the consequences of these findings? Does the fact that some health issues are not GPGs - but regional or national public goods in some less developed parts of the world which are provided by IOs - , imply that the rest of the world does not have a responsibility for the provision of these goods? The answer, arguing strictly with a view on economic theory, is not 'yes': Many of these national or regional threats have 'transboundary secondary effects' which may make them 'global', too: One example could be increased migration due to high Malaria infestation rates in specific parts of the world. If we include possible 'secondary effects' into the analysis, not only Malaria, but more general, other goods could turn out to be GPGs. This possible constraint should be taken into consideration, and the concept of GPGs may need an extension here. What does that mean for the role of the private enterprise? As many states, especially the poor ones, are not able to provide the necessary goods and services alone, and with a view on the limited abilities of the IOs, the private sector is a welcome partner in general, and in particular with a view on the needed skills and financial resources in health. This is the case for GPGs as well as for regional PPPs. As long as there is some expected revenue from the partnership, for the private sector it makes no difference in which kind of partnership the enterprise is engaged. Also the positive outcome effects of partnering are likely to assume for GPPPs and PPPs being the same - and therewith the interest of the respective public partner. The enhancement of private sector involvement by the UN and other international organizations therefore has not to be limited to GPPPs or PPPs. Private sector participation - at the moment - is needed, at least in costly and technical complex sectors as health, while the success of concrete partnerships may depend less on the question if the good provided is a traditional public good or a GPG, but on project-specific factors.
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Die Autorinnen und Autoren: Beck, Prof. Dr. Hanno, Hochschule Pforzheim Budzinski, Prof. Dr. Oliver, TU Ilmenau Cassel, Dr. Susanne, Bundesministerium für Wirtschaft (BMWi) Huck, Dr. Volker, Universität Heidelberg Jost, Prof. Dr. Thomas, Hochschule Aschaffenburg Kuchinke, Privatdozent Dr. Björn, Universität Weimar Michler, Prof. Dr. Albrecht, Universität Düsseldorf Möller, Marie, Universität Münster Monostori, Katalin, University of Southern Denmark Otter, Prof. Dr. Nils, Fachhochschule Kärnten Pannike, Julia, TU Ilmenau Schomaker, Privatdozentin Dr. Rahel, Forschungsinstitut für Öffentliche Verwaltung Schüller, Prof. Dr. Alfred, Universität Marburg, Emeritus Seitz, Prof. Dr. Franz, Hochschule Amberg-Weiden Thieme, Prof. Dr. H. Jörg, Universität Düsseldorf, Emeritus Wentzel, Prof. Dr. Dirk, Hochschule Pforzheim
Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft Lucius&Lucius Verlags-GmbH, Stuttgart, ISSN 1432-9220 Herausgeber: Prof. Dr. Thomas Apolte, Prof. Dr. Martin Leschke, Prof. Dr. Albrecht F. Michler Prof. Dr. Christian Müller, Prof. Dr. Stefan Voigt., Prof. Dr. Dirk Wentzel Band 98:
Ingo Pies (Hg.), Das weite Feld der Ökonomik: Von der Wirtschaftsforschung bis zur Politischen Ökonomik und Wirtschaftsethik, 2013, 340 S., 42,00 €, ISBN 978-3-8282-0580-2.
Band 97:
Dirk Wentzel (Hg.), Internationale Organisationen: Ordnungspolitische Grundlagen, Perspektiven und Anwendungsbereiche, 2013, 264 S„ 38,00 €, ISBN 978-3-8282-0579-6.
Band 96:
Michael Schuhen, Michael Wohlgemuth und Christian Müller (Hg.), Ökonomische Bildung und Wirtschaftsordnung, 2012,330 S., 42,00 €, ISBN 978-3-8282-0568-0.
Band 95:
Rahel Schomaker, Christian Müller und Andreas Knorr (Hg.), Migration und Integration als wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnungsprobleme, 2012, 266 S„ 38,00 €, ISBN 978-38282-0562-8.
Band 94:
Christian Müller, Frank Trosky und Marion Weber (Hg.), Ökonomik als allgemeine Theorie menschlichen Verhaltens: Grundlagen und Anwendungen, 2012, 336 S„ 42,00 €, ISBN 978-3-8282-0559-8.
Band 93:
Albrecht F. Michler und Heinz-Dieter Smeets (Hg.), Die aktuelle Finanzkrise: Bestandsaufnahme und Lehren für die Zukunft, 2011, 400 S., 48,00 €, ISBN 978-3-8282-0538-3.
Band 92:
Rahel Schomaker, Public Private Partnerships in der Wasserwirtschaft des Nahen Ostens und Nordafrikas: Institutionelle Bestimmungsfaktoren und Potentiale, 2010, 184 S., 38,00 €, ISBN 978-3-8282-0518-5.
Band 91:
Thomas Apolte und Uwe Vollmer (Hg.), Bildungsökonomik und Soziale Marktwirtschaft, 2010, 216 S„ 42,00 €, ISBN 978-3-8282-0503-1.
Band 90:
Alfred Schüller und Stefan Voigt (Hg.), Von der Ordnungstheorie zur Institutionenökonomik: Rückblick und Entwicklungsoptionen eines Marburger Forschungsprogramms - aus Anlaß des 50jährigen Bestehens der Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme, 2008, 172 S., 32,00 €, ISBN 978-3-8282-0438-6.
Band 89
Dirk Wentzel (Hg.), Medienökonomik: Theoretische Grundlagen und ordnungspolitische Gestaltungsalternativen. 2009,468 S„ 58,00 €, ISBN 978-3-8282-0437-9.
Band 88:
Helmut Leipold, Die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft als zentrale Aufgabe: Ordnungsökonomische und kulturvergleichende Studien, 2008, 307 S., 38 €, ISBN 978-3-8282-0436-2.
Band 87:
Katharina Wacker, Wettbewerb und Regulierung auf dem deutschen Fernsehmarkt: Deregulierungsbedarf und Umsetzungsbedingungen, 2007,220 S., 36 €, ISBN 978-3-8282-0414-0.