Implikaturen: Grammatische und pragmatische Analysen [Reprint 2012 ed.] 9783110958867, 9783484303430

Der Begriff Implikatur ist in den letzten Jahren in das Zentrum der linguistischen Theoriebildung gerückt. Nicht nur in

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German Pages 238 [240] Year 1995

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Table of contents :
Einleitung: Implikaturen in Grammatik und Konversation
Theoretische Begründung des Implikaturenbegriffs
Rationalität, Relevanz und Kooperation
Das Gesagte und das Nicht-Gesagte: Zur Definition von Implikaturen
Implikaturen und Grammatik
Komplexe Präpositionen – Grammatikalisierung, Metapher, Implikatur und division of pragmatic labour
Implikaturen im Bereich lexikalisch induzierter Präsuppositionen
Zur Grammatikalisierung konversationeller Implikaturen
Implikaturen unter semantischem Aspekt
Detrivialisierung
Zur Rolle von Implikaturen bei der Interpretation situativer Ellipsen
Implikaturen und Sprechakte
Illokutionstypen, Implikaturen und sprachliche Äußerungen
Implikaturen – Allgemeine Theorie und argumentationstheoretische Anwendung
Implikaturen in konversationsanalytischer und zeichentheoretischer Sicht
Intergruppenkommunikation, soziales Vorurteil und konversationale Implikaturen: Alt und Jung im Dialog
Kommunikationsakte und ihr Gebrauch
Bibliographie
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Implikaturen: Grammatische und pragmatische Analysen [Reprint 2012 ed.]
 9783110958867, 9783484303430

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Linguistische Arbeiten

343

Herausgegeben von Hans Altmann, Peter Blumenthal, Herbert E. Brekle, Gerhard Heibig, Hans Jürgen Heringer, Heinz Vater und Richard Wiese

Implikaturen Grammatische und pragmatische Analysen Herausgegeben von Frank Liedtke

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995

Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufhahme Implikaturen : grammatische und pragmatische Analysen / hrsg. von Frank Liedtke. - Tübingen : Niemeyer, 1995 (Linguistische Arbeiten ; 343) NE: Liedtke, Frank [Hrsg.]; GT ISBN 3-484-30343-3

ISSN 0344-6727

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co.KG, Tübingen 1995 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt Einband: Hugo Nädele, Nehren

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Implikaturen in Grammatik und Konversation

1

Theoretische Begründung des Implikaturenbegriffs: Rudi Keller: Rationalität, Relevanz und Kooperation Frank Liedtke: Das Gesagte und das Nicht-Gesagte: Zur Definition von Implikaturen

5 19

Implikaturen und Grammatik: Jörg Meibauer: Komplexe Präpositionen: Grammatikalisierung, Metapher, Implikatur und division ofpragmatic labour Renate Pasch: Implikaturen im Bereich lexikalisch induzierter Präsuppositionen Eckard Rolf: Zur Grammatikalisierung konversationeller Implikaturen

47 75 87

Implikaturen unter semantischem Aspekt: Volker Beeh/Annette Brosch/Klaus-Dieter Schulz: Detrivialisierung Kerstin Schwabe: Zur Rolle von Implikaturen bei der Interpretation situativer Ellipsen

103 123

Implikaturen und Sprechakte: Wolfgang Mötsch: Illokutionstypen, Implikaturen und sprachliche Äußerungen Christoph Lumer: Implikaturen - Allgemeine Theorie und argumentationstheoretische Anwendung

143 165

Implikaturen in konversationsanalytischer und zeichentheoretischer Sicht: Ciya Thimm: Intergruppenkommunikation, soziales Vorurteil und konversationale Implikaturen: Alt und Jung im Dialog Michael Cebulla: Kommunikationsakte und ihr Gebrauch

187 209

Bibliographie

227

Einleitung: Implikaturen in Grammatik und Konversation

Die Entwicklung der sprachwissenschaftlichen Theorien unterschiedlichster Herkunft hat in den letzten fünfzehn bis zwanzig Jahren eine bemerkenswerte Richtung genommen, die sich in einem nachlassenden Interesse an der Formulierung von Regeln, die dem Sprachsystem zugrundeliegen, und stattdessen in einer Suche nach sprachtheoretischen Prinzipien, die hinter diesen Regeln stehen, manifestiert. Nimmt man beispielsweise zwei exponierte sprachwissenschaftliche Forschungsparadigmen wie die generative Grammatik auf der einen und die linguistische Pragmatik auf der anderen Seite, dann läßt sich diese Tendenz in sehr unterschiedlicher und doch vergleichbarer Weise für beide feststellen. So bestand der wesentliche Fortschritt der generativen Grammatik der letzten Jahre, der durch Noam Chomskys "Lectures on Government and Binding"1 induziert und durch nachfolgende Publikationen am Leben gehalten wurde, in der Ablösung des an Erzeugungs- und Transformationsregeln orientierten Modells durch eines, das auf Prinzipien und Parameter rekurriert, die ihrerseits den syntaktischen Bewegungsregeln, aber auch anderen Regeltypen zugrundeliegen. Die für die Grammatiktheorie einschlägigen Prinzipien sind in Chomkyscher Lesart Bestandteil einer Universellen Grammatik, die als kerngrammatische Komponente in sämtlichen Sprachen realisiert, aus diesem Grund aber auch mit vielen offenen Stellen und Variablen versehen ist. Diese Variablen, die über den kerngrammatischen Bereich hinausgehen, werden als einzelsprachliche Parameter eingeführt und erfassen den größten Teil einer Grammatik des Deutschen, des Englischen, des Türkischen etc. Das Verhältnis der Parameter zu den Prinzipien wird so gesehen, daß erstere als Optionen in letzteren enthalten sind, als Wahlmöglichkeiten also, die von den Einzelsprachen in je unterschiedlicher Weise genutzt werden. In dieser Konstruktion ist der Anspruch des generativistischen Paradigmas aufgehoben, neben der Aufdeckung einer universellen Sprachstruktur, die durch die Menge der Prinzipien repräsentiert wird, auch den einzelsprachlichen Variationen dieser Prinzipien, den Parametern also, gerecht zu werden. Unter Berücksichtigung der jeweils spezifischen methodologischen Grundannahmen kann man für das Forschungsparadigma der linguistischen Pragmatik eine ähnliche Tendenz feststellen. Auch hier hat man die großen Konzeptionen der sechziger und siebziger Jahre, die sich jeweils auf Systeme von konstitutiven und regulativen Regeln bezogen - allen voran J.R. Searles Sprechaktkonzeption2 - allmählich hinter sich gelassen und sich in wachsendem Maße auf pragmatische Prinzipien bezogen, aus denen dann die unterschiedlichen Regeltypen, aber auch andere Aspekte der theoretisch fundierten Beschreibung von Sprachverhalten abgeleitet wurden. Maßgeblich beteiligt an dieser Entwicklung war H.P. Grice (1975/1979), der in seinen Beiträgen zur Konversationslogik eine grundlegende Systematik entwickelte, in deren Rahmen basale Prinzipien rationalen Sprachverhaltens beschrieben und ausdifferenziert werden konnten. Das grundlegende Interesse der Beschreibung sprachlichen Handelns besteht in dieser Optik nicht mehr nur darin, über die Explikation der konventionellen Bedeutung geäußerter Sätze und ihrer Bestandteile mitsamt 1 2

Chomsky, Noam (1981): Lectures on Government and Binding. - Dordrecht: Fons. Searle, J.R. (1969): Speech Acts. - Cambridge: Cambridge University Press.

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Einleitung

des Äußerungskontextes zu einer Korrelation dieser Sätze mit einem Potential von illokutionären Zwecken zu kommen, wobei für diese Zuordnungen dann verschiedenartige Regeltypen angenommen würden (Einleitungsregeln, Aufrichtigkeitsregeln, Regeln des propositionalen Gehalts, wesentliche Regeln). Es soll vielmehr aufgezeigt werden, unter welchen Voraussetzungen eine solche Korrelation, sofern sie überhaupt regelbasiert ist, zustande kommen kann. Der Vollzug sprachlicher Äußerungen durch einen Sprecher und ihre Interpretation durch (einen) Adressaten wird zurückgeführt auf eine Reihe von konversationeilen Prinzipien und Maximen, deren Befolgung im Gesprächsaustausch wechselseitig unterstellt wird; dies hat zur Folge, daß den Äußerungen des jeweiligen Gesprächspartners Sinnhaftigkeit unterstellt werden kann, auch wenn sie gerade nicht mit den Konventionen, die die Verwendung der gewählten Ausdruckstypen steuern, übereinstimmen, oder wenn es gar keine Konventionen für den speziellen Fall gibt. Es ist vor dem Hintergrund dieser Entwicklung, für die umrißhaft die beiden genannten Großparadigmen stehen, nicht verwunderlich, daß ein sprachtheoretischer Begriff, der nur in bezug auf die zuletzt genannten konversationslogischen Prinzipien definiert werden kann, im Rahmen linguistischer Theoriebildung ein immer größeres Gewicht bekommen hat. Es ist der Begriff der Implikatur, der in den unterschiedlichsten Themenfeldern der Linguistik oftmals definitorischen Stellenwert hat, wobei die mit seiner Hilfe zu explizierenden Phänomenbereiche sich nicht allein auf die linguistische Pragmatik beschränken, sondern in fast allen linguistischen Teildisziplinen zu finden sind. 3 Wird im Bereich der Pragmatik vor allem indirektes, nicht-wörtliches Kommunizieren mithilfe des Implikaturenbegriffs expliziert, so werden in semantischen Ansätzen solch verschiedenartige Vorgänge wie Referenzfixierung, Disambiguierung und lexikalische Spezifizierung im Rückgriff auf Implikaturen erklärt. Innerhalb der Syntaxtheorie werden Implikaturen als erklärende Instanz für Eigenschaften der Informationsstruktur von Sätzen angenommen; außerdem spielen Implikaturen in neueren Theorien über sprachliche Deixis, in Theorien der Grammatikalisierung und in Untersuchungen zu einzelnen Satztypen (vor allem zu Fragesätzen) eine herausragende Rolle. Angesichts dieser Anwendungsbreite ist es offenkundig, daß man es mit einem Konzept zu tun hat, das zunächst zum Zweck der Analyse konversationeller Schlußprozesse entworfen, dann allerdings zu einem fast universell einsetzbaren Analyseinstrument weiterentwikkelt wurde, und zwar durchaus in dem eingangs skizzierten prinzipienorientierten Sinne. Eine solch vielfältige Anwendung, wie sie der Implikaturenbegriff erfahren hat, bleibt nicht ohne Konsequenzen für den Begriff selbst. Er wird je nach disziplinarem Kontext unterschiedliche Färbungen annehmen, bestimmte Aspekte werden betont und andere ausgeblendet, und gewisse Vergröberungen und Vereinfachungen sind oft unerläßlich. Das Ziel des vorliegenden Bandes ist es, den Begriff der Implikatur in seinen unterschiedlichen Funktionen und Nutzbarmachungen zu reflektieren, seine beachtliche Relevanz für die linguistische Theoriebildung aufzuzeigen und einige seiner Facetten, die im Laufe der lebhaften Rezeption unbeachtet blieben, wieder auf's Tapet zu bringen. Der Kern der Implikaturen-Idee, wie sie von H.Paul Grice entworfen wurde, findet sich auch in allen Anwendungen wieder: Die Vorstellung also, daß Gesprächspartner beim Kommunizieren 3

Einen Überblick über die Rezeption des Implikaturen-Begriffs in der Linguistik vermittelt die Bibliographie am Ende dieses Bandes.

Einleitung

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bestimmte Annahmen von ihrem Gegenüber ausbilden, zu denen unter anderem die allgemeine Unterstellung gehört, daß der Kommunikationspartner grundlegende Prinzipien des Miteinander-Kommunizierens beachtet. Vor dem Hintergrund dieser Unterstellung trifft der Sprecher grundlegende Entscheidungen bezüglich des eigenen Sprachverhaltens, und er interpretiert das Sprachverhalten seines Gesprächspartners ebenfalls auf dieser Folie. Implikaturen sind nun diejenigen Interpretationen sprachlicher Äußerungen, die das Sprachverhalten in Übereinstimmung mit diesen basalen Kommunikationsprinzipien bringen, und dies relativ unabhängig davon, was der Sprecher wörtlich gesagt hat. Unabhängig vom wörtlich Gesagten ist die implikaturenbasierte Interpretation, weil sie über die konventionelle Bedeutung der verwendeten Ausdrücke, die der Sprecher gewählt hat, hinausgeht; relativ unabhängig ist sie, weil nicht jeder beliebige Ausdruck die in Frage stehende Impliktur erzeugen kann, die gewählten Ausdrücke also immer auch Einfluß haben auf die Interpretation, die über sie hinausgeht. Die in diesem Band versammelten Beiträge, die sich dem Implikaturenbegriff von jeweils unterschiedlichen Standpunkten aus nähern, lassen sich in fünf Themenbereiche unterteilen, die die Basis für die Systematik des Buches bilden. Dem ersten Bereich, der grundsätzlichen Klärung des Implikaturenbegriffs und seiner definitorischen Grundlagen, ist zunächst der Beitrag von Rudi Keller zuzuordnen, der die Fähigkeit des Gebrauchs von Implikaturen als einen relevanten Ausschnitt des semiotischen Wissens von Kommunizierenden auffaßt, wobei er nicht nur nicht-wörtliche Interpretationen, sondern auch die wörtlichen als Ergebnis eines implikativen Schlusses auffaßt. Neben diesen generellen Beobachtungen zur Implikaturenbasiertheit von Kommunikation wird der Status von grundlegenden Kommunikationsmaximen, vor allem der Relevanzmaxime, in Auseinandersetzung mit Sperber/Wilsons Relevanztheorie neu bewertet. In Frank Liedtkes Aufsatz geht es um die von Grice unzureichend geleistete Abgrenzung von Implikaturen und Nicht-Implikaturen: Die vorgeschlagenen Kriterien werden als zu schwach eingeschätzt, und als tragfähiges Abgrenzungskriterium das des Nicht-Sprechaktstatus von Implikaturen vorgeschlagen. Der letztgenannte Beitrag schließt an das zweite Themenfeld des Bandes an: Implikaturen und Grammatik. Zunächst diskutiert Jörg Meibauer Grammatikalisierungsphänomene, die im Laufe der Entwicklung des Deutschen zur Entstehung von komplexen Präpositionen geführt haben, die vormals anderen Wortklassen zuzuordnen waren: aufgrund und mithilfe zum Beispiel. Renate Pasch untersucht konditionale Satzverknüpfungen, die unter bestimmten Bedingungen konzessiv interpretiert werden können (auch wenn), wobei die konzessive Interpretation als Ergebnis einer mit Konditionalität verknüpften Implikatur aufgefaßt wird. In seinem Beitrag über die Grammatikalisierung konversationeller Implikaturen untersucht Eckard Rolf generell den Zusammenhang von konversationeilen Prinzipien und grammatischen Strukturen. Implikaturen in semantischer Perspektive werden im dritten Themenbereich behandelt. Volker Beeh, Annette Brosch und Klaus-Dieter Schulz zeigen in ihrem Beitrag auf, wie einem logisch-semantisch als Tautologie einzuordnenden Satztyp auf der Basis von Implikaturen eine kommunikativ sinnvolle Interpretation zugewiesen werden kann. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse wenden sie auf die Beschreibung lexikalischer Wortfelder an. Kerstin Schwabe untersucht die Rolle von Implikaturen bei der Interpretation situativer

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Einleitung

Ellipsen. Obwohl die grammatisch determinierte Bedeutung dieser Ausdrucksklasse weitgehend unterspezifiziert ist, kann ihr konzeptueller und kommunikativer Inhalt relativ einfach ermittelt werden - und dies mithilfe von Implikaturen. Den sprechakttheoretischen Themenbereich eröffnet Wolfgang Mötsch mit einer Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Illokutionstypen und Implikaturen, indem er unterschiedliche Fälle des "K-Implizierens" differenziert und beides, Illokutionen wie Implikaturen, abweichend von M. Bierwischs Ansatz einheitlich der Repräsentationsebene der Äußerungsbedeutung zuweist. Christoph Lumer untersucht den Zusammenhang von Argumentationen und Implikaturen im Hinblick darauf, daß Thesen und Argumente von Argumentationen auch indirekt realisiert werden können. Er widmet sich vor allem typischen Argumentationsfehlern, die durch Implikaturen zustande kommen. In konversationsanalytischer Sicht untersucht C^ja Thimm Gespräche zwischen jungen und alten Menschen und arbeitet spezielle Unterschiede bei der Verarbeitung von indirekten Sprechakten heraus. Michael Cebulla weist auf allgemeine Zusammenhänge zwischen einer Theorie der Implikaturen und einer rationalen Handlungs- und Kommunikationstheorie auf der Basis zeichentheoretischer Grundannahmen hin. Insgesamt soll der Band Einblick geben über die Art und Weise, in der der Implikaturenbegriff in der Linguistik rezipiert wird und wie er weiterhin für die linguistische Theoriebildung fruchtbar gemacht werden kann. Strawson ist zuzustimmen, wenn er über H. Paul Grices Stellenwert für die Linguistik schreibt: Whereas this reductive project to give an analysis of the concept of linguistic m i n i n g in psychological terms has engaged the attention mainly or only of philosophers, the theory of conversational implicature has captivated linguists as well. (1990)

Die Aufnahme von Grices Theorie der Implikaturen durch die solchermaßen gepackten Linguisten ist genau der Gegenstand des vorliegenden Sammelbandes. Dieser Band hätte nicht erscheinen können ohne die Hilfe und den unermüdlichen Einsatz von Shera Kielgas, Sonja Schmitz und vor allem von Brigitte Schwarze. Ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Frank Liedtke Düsseldorf

Rudi Keller

Rationalität, Relevanz und Kooperation Die Theorie der Implikaturen läßt drei Fragen offen: 1. Inwiefern ist Kooperativität eine notwendige Eigenschaft von Kommunikation? 2. In welchem Zusammenhang stehen die vier Konversationsmaximen zum Kooperationsprinzip? 3. Was veranlaßt den Sprecher, den implikativen Weg zu wählen, wenn es auch den direkten Weg gibt? Es wird vorgeschlagen, das Kooperationsprinzip durch ein Rationalitätsprinzip zu ersetzen und so die Schwächen der Griceschen Theorie zu beheben.

1. Vorbemerkung Herbert Paul Grice1 hat in den siebziger Jahren eine Theorie entwickelt, die das allgemeine Ziel verfolgt, "dem Wesen und der Wichtigkeit derjenigen Bedingungen [...] hinreichend Beachtung [zu schenken], die Konversation regeln".2 Die Erklärungsziele im besonderen sind erstens: Wie ist es möglich, etwas anderes zu meinen, als man gesagt hat? Zweitens: Wie kann man als Sprecher darüber hinaus auch noch ziemlich sicher sein, vom Hörer absichtsgemäß interpretiert zu werden? Es muß ein halbwegs geordnetes Verfahren geben, um vom wörtlich Gesagten zum nicht-wörtlich Gemeinten zu gelangen. Andernfalls wäre das hohe Maß der Zuverlässigkeit unserer Kommunikation ein schieres Wunder. Die vorgeschlagene Theorie wird im allgemeinen die Theorie der konversationalen Implikaturen genannt. Sie hat, trotz ihrer Erklärungsstärke, gewisse interne Schwächen. Es ist meine Absicht, Modifikationen der Griceschen Theorie vorzuschlagen, die diese Schwächen vermeiden. Ich will zunächst die Struktur der Griceschen Theorie skizzieren.

2. Skizze der Theorie der konversationalen Implikatur Nehmen wir an, jemand fragte mich "Ist Paul noch im Hause?", so könnte ich unter gegebenen Umständen darauf antworten: "Im Hof steht ein gelber VW." Was würde mich zu der Annahme berechtigen, daß mein Gesprächspartner diese Aussage überhaupt als Antwort interpretiert? Wieso sollte er nicht annehmen, ich wollte abrupt das Thema wechseln? Grices Antwort darauf ist folgende: Unsere Gespräche bestehen normalerweise nicht aus einer Abfolge unzusammenhängender Bemerkungen, und wären so auch nicht rational. Sie sind kennzeichnenderweise, wenigstens bis zu einem gewissen Maß, kooperative Bemühungen; und jeder Teilnehmer erkennt bis zu einem gewissen Grad in ihnen einen gemeinsamen Zweck (bzw. mehrere davon) oder zumindest eine wechselseitig akzeptierte Richtung an. [...] Wir könnten demnach ganz grob ein allgemeines Prinzip formulieren, dessen Beachtung (ceteris paribus) von allen Teilnehmern erwartet wird, und zwar: Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es

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2

Grice 1975/1979; dieser Aufsatz war bereits lange vor seiner ordnungsgemäßen Veröffentlichung als Samisdat-Publikation im Umlauf. Grice 1975/1979:245

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R. Keller von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird.

Dieses Prinzip wird Kooperationsprinzip genannt. In unserem fiktiven Dialog wird somit der Gesprächspartner der Griceschen Theorie gemäß die Erwiderung nicht als Themenwechsel interpretieren, weil er unterstellt, daß der Sprecher das Kooperationsprinzip beherzigt. Dieses allgemeine Prinzip fächert Grice in vier "Maximen" auf, die er in Anlehnung an Kant die Maxime der Quantität, Qualität, Relation und der Modalität nennt. Die Maximen lauten wie folgt: 4 Maximen der Quantität 1 Mache deinen Betrag so informativ wie (für die gegebenen Gesprächszwecke) nötig. 2 Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig. Maximen der Qualität 1 Versuche deinen Beitrag so zu machen, daß er wahr ist. 1.1 Sage nichts, was du für falsch hältst. 1.2 Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen. Maxime der Relation Sei relevant. Maximen der Modalität 1 Vermeide Dunkelheit und unklare Ausdrucksweise. 2 Vermeide Mehrdeutigkeit. 3 Sei kurz (vermeide unnötige Weitschweifigkeit). 4 Der Reihe nach! "Und möglicherweise braucht man noch andere. " 5 Bevor ich auf den Mechanismus des Implikatierens eingehe, muß ich vor einem Mißverständnis warnen. Sperber und Wilson formulieren es in schöner Klarheit: "Grice's principle and maxims are norms which communicators and audience must know in order to communicate adequately. " 6 Genau dies ist meines Erachtens nicht der Fall. Daß diese Maximen in Form von Aufforderungssätzen formuliert sind, hat ausschließlich darstellungstechnische Gründe. Allgemeine Handlungsweisen lassen sich sehr ökonomisch, gleichsam auf Kantische Weise beschreiben, indem man so tut, als seien sie Befolgungen von Aufforderungen. Grice will niemanden zu einer bestimmten Kommunikationsweise überreden oder auffordern, sondern allgemeine Handlungsprinzipien beschreiben. Die Theorie würde vollständig fehlinterpretiert, wenn man die Maximen als idealisierende Ratschläge für das idyllische Miteinander ansähe. Er formuliert weder eine Kommunikationsutopie, die "praktisch Herr3 4 5 6

Grice 1975/1979:248 siehe Grice 1975/1979:249f. Grice 1975/1979:250 Sperber/Wilson 1986:162

Rationalität, Relevanz und Kooperation

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schaftsfreiheit voraussetzen würde" 7 , noch Normen, die die Gesprächspartner kennen müssen, sondern Prinzipien, von denen jeder an einer Kommunikation Beteiligte bis zur Evidenz des Gegenteils annimmt, daß sie beim Kommunizieren erfüllt sind. Die Grundidee dieser Theorie ist folgende: Der Sprecher kann erwarten, daß der Hörer grundsätzlich davon ausgeht, daß der Sprecher diesen Prinzipien gemäß handelt. Er kann somit dem Hörer folgenden Schluß zumuten: Wenn die wörtliche Interpretation nicht mit der Annahme in Einklang zu bringen ist, daß der Sprecher diese Prinzipien beachtet, so muß der Hörer eine weitergehende bzw. andere Interpretation suchen, die im Einklang mit der Annahme steht, daß die Prinzipien beachtet wurden. Der Hörer "sagt sich" gleichsam (etwas vereinfacht dargestellt): "Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hättest du die Prinzipien nicht befolgt! Da nicht sein kann, was nicht sein darf, muß ich meine prima facie Interpretation verwerfen. Ich sollte eine Interpretation suchen, die mit der prima facie Interpretation zwar in Zusammenhang steht, mir jedoch erlaubt, deine Äußerung im Einklang mit der Unterstellung zu halten, daß du das Kooperationsprinzip und die Maximen beachtet hast. " Bezogen auf unseren eingangs erwähnten Dialog heißt das beispielsweise: "Daß im Hof ein gelber VW steht, ist prima facie bezogen auf meine Frage, ob Paul noch im Hause ist, ein unkooperativer Themenwechsel und eine irrelevante Bemerkung. Die Annahme, daß der Sprecher unkooperativ im allgemeinen und irrelevant im besonderen ist, ist jedoch unzulässig. Folglich beabsichtigt der Sprecher, mich dazu zu bringen, auf der Basis meiner prima facie Interpretation eine weitere Interpretation zu finden. Da er weiß, daß ich weiß, daß Paul einen gelben VW fährt (etc.), wird er mir wohl damit zu erkennen geben wollen, daß er glaubt, daß Paul noch im Hause ist. Mit anderen Worten, die Antwort "Im Hof steht ein gelber VW" implikatiert, daß der Sprecher annimmt, daß Paul noch im Hause ist. " Die Wörter Implikatur und implikatieren sind Kunstwörter, die Grice "erfunden" hat, um andeuten zu können, daß es sich um etwas Ähnliches wie die Implikation und das Implizieren handelt, das aber nicht mit der logischen Relation der Implikation identifiziert werden darf. Als allgemeines Muster des implikativen Schlusses formuliert Grice: Er hat gesagt, daß p; es gibt keinen Grund anzunehmen, daß er die Maximen oder zumindest das Kooperationsprinzip nicht beachtet; er könnte sie nicht beachten, falls er nicht dächte, daß q\ er weiß (und weiß, daß ich weiß, daß er weiß), daß ich feststellen kann, daß die Annahme, daß er glaubt, daß q, nötig ist; er hat nichts getan, um mich von der Annahme., daß q, abzuhalten; er will - oder hat zumindest nichts dagegen -, daß ich denke, daß q; und somit hat er [implikatiert], daß q.^

Ich will die Darstellung hier abbrechen und zur kritischen Auseinandersetzung mit dieser Theorie übergehen. Dazu muß ich zunächst einige zeichentheoretische Bemerkungen machen, die teilweise im Einklang mit Grices Theorie des Meinens und Bedeutens9 stehen und teilweise darüber hinausgehen.

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Braunroth, Seyfert u.a. 1975:184 Grice 1975/1979:255; der letzte Satz heißt im englischen Original: "and so he has implicated that q." Da der deutsche Übersetzer implicated mit impliziert übersetzt hat, bin ich an dieser Stelle von der Ubersetzung abgewichen, und habe implikatiert dafür eingesetzt. s. Grice 1957/1979, 1968/1979, 1969/1979

R. Keller

8 3. Die Grundverfahren der Interpretation

Kommunizieren im linguistisch und sprachphilosophisch relevanten Sinne heißt Mitmenschen beeinflussen, und zwar dadurch, daß man dem anderen mittels Zeichen (im weitesten Sinne) zu erkennen gibt, wozu man ihn bringen möchte, in der Hoffnung, daß diese Erkenntnis für den anderen ein Grund sein möge, sich in der gewünschten Weise beeinflussen zu lassen. 10 Kommunizieren heißt somit, den anderen etwas wahrnehmen lassen, woraus er zusammen mit seinem übrigen Wissen, seinem Situations- und Weltwissen, erkennen kann, wozu man ihn bringen möchte. Die Mittel, die man einsetzt, um zu versuchen, dem andern erkennen zu geben, wozu man ihn bringen möchte, nennt man gemeinhin Zeichen. Zeichen sind also Hinweise, die der Sprecher dem Adressaten "an die Hand" gibt, um ihn dazu zu bringen und in die Lage zu versetzen zu erschließen, in welcher Weise der Sprecher den Adressaten zu beeinflussen beabsichtigt. Zeichen sind keine Behälter 11 zum Zwecke des Ideentransports von einem Kopf in einen anderen. Zeichen sind Hinweise mehr oder weniger deutlicher Natur, die den anderen zu Schlüssen einladen und ihm Schlüsse ermöglichen sollen. "Thoughts do not travel." 12 Den Prozeß des Schließens nennt man Interpretieren; das Ziel dieses Prozesses heißt Verstehen. Zeichen sind also unter ihrem kommunikativen Aspekt betrachtet Hilfsmittel, um von unmittelbar sinnlich Wahrnehmbarem auf nicht unmittelbar Wahrnehmbares zu schließen. Dies ist aus der Perspektive des Interpreten gesehen. Aus der Perspektive des Sprechers gesehen sind Zeichen Muster zur Hervorbringung wahrnehmbarer Dinge, die er dem Interpreten an die Hand gibt, um diesen dazu zu bringen zu erschließen, in welcher Weise er ihn zu beeinflussen beabsichtigt. Die Fähigkeit zu interpretieren ist primär. Die Fähigkeit zu kommunizieren macht von dieser Fähigkeit systematischen Gebrauch. Der Kommunizierende nutzt die Interpretationsfähigkeit des Adressaten zu seinen Gunsten aus. 13 Interpretieren heißt (u.a.) auf der Basis von systematischen oder als systematisch unterstellten Zusammenhängen Schlüsse ziehen. Wenn wir uns dazu entscheiden, Bedeutung dasjenige zu nennen, was es ermöglicht, Zeichen zu interpretieren, so heißt dies nichts anderes, als daß wir genau das Bedeutung nennen, was dem Interpretierenden als Basis seiner Schlüsse dient. Wir werden somit diejenigen systematischen Zusammenhänge, vermöge derer Zeichen interpretierbar sind, als Bedeutung ansehen. Welches sind die systematischen Zusammenhänge, die dafür in Frage kommen? Es gibt deren genau drei: Die Zusammenhänge, die wir zum Interpretieren nutzen, können kausale Zusammenhänge, Ähnlichkeiten oder regelbasierte Zusammenhänge sein. Mit anderen Worten, wir sind in der Lage, kausale, assoziative und/oder regelbasierte Schlüsse zu ziehen. Quartum non datur. Ich will diese drei Verfahren die Grundverfahren der Interpretation nennen. Wer bestimmte Flecken auf der Haut als Masern oder sich bewegende 10 11

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Dies ist eine der mögliche Formulierungen des sogenannten Griceschen Grundmodells. Zu der verhängnisvollen Konzeptualisierung des Kommunizierens als Transportunternehmung siehe Michael Reddy (1979). Zur Kritik an der Ansicht, daß Kommunizieren etwas mit ein- und auspacken von "Inhalten" zu tun tun habe, siehe auch Sperber/Wilson 1986: Kap. 1. Sperber/Wilson 1986:1 "Each Sign must have its peculiar Interpretability before it gets any Interpreter." Peirce PW 111. Cf. auch Sperber, Wilson 1986:176: "Human external languages are of adaptive value only for a species already deeply involved in inferential communication. "

Rationalität, Relevanz und Kooperation

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Grashalme als Zeichen von Wind interpretiert, vollzieht einen kausalen Schluß; wer ein Schildchen auf dem Eßteller, auf dem ein durchgestrichenes Schweinchen abgebildet ist (wie sie die Lufthansa auf Flügen in Länder mit muslimischer Bevölkerung benutzt), als Zeichen für muslimgerechte Speisen interpretiert, vollzieht einen assoziativen Schluß; und wer "tschüß" als Abschiedsgruß interpretiert, kennt offenbar eine Gebrauchsregel und nutzt sie, um eben diesen Schluß daraus zu ziehen. Ich will die drei Grundverfahren der Interpretation in Anlehnung an einen üblichen Sprachgebrauch das symptomische, das ¡konische und das symbolische Verfahren nennen. Entsprechend seien Zeichen, die mittels kausaler Schlüsse interpretiert werden, Symptome, Zeichen, die mittels assoziativer Schlüsse interpretiert werden, Ikone und Zeichen, die mittels regelbasierter Schlüsse interpretiert werden, Symbole genannt. 14 Nach diesen Zwischenbemerkungen wollen wir uns wieder der Griceschen Theorie zuwenden.

4. Kritik an der Griceschen Theorie Grice hat mit seiner Theorie der konversationalen Implikaturen - meiner Interpretation gemäß - eine Theorie der Symptomatik vorgelegt. Das allgemeine Muster des implikativen Schlusses lautet nämlich: Erstens: Die Tatsache, daß das, was der Sprecher gesagt hat (nämlich, daß p), nicht im Einklang mit der Annahme steht, daß er das Kooperationsprinzip und die Maximen beachtet hat, ist ein Symptom dafür, daß er will, daß ich nach einer weiteren Interpretation suche. Zweitens: Daß er gesagt hat, daß p, ist ein Symptom dafür, daß er will, daß die weitere Interpretation, die ich suche, in einem Zusammenhang mit ρ steht. Die Maximen der Quantität, Qualität, Relation und Modalität geben somit an, was im besonderen als Symptom dafür anzusehen ist, daß eine über den wörtlichen Sinn hinausgehende Interpretation gesucht werden muß - nämlich der prima facie Verstoß gegen mindestens eine dieser Maximen. Allgemein formuliert können wir also sagen: (i) Die prima facie Interpretation / der Aussage, daß p , 1 5 muß zu der unzulässigen Annahme führen, daß das Kooperationprinzip und/oder mindestens eine der Maximen nicht beachtet ist. Dies ist Symptom dafür, daß 1 nicht die vom Sprecher erwünschte Interpretation ist. (ii) Daß die Aussage, daß p, gewählt worden ist, ist Symptom dafür, daß die erwünschte Interpretation in einem Zusammenhang mit ρ stehen soll. Diese Theorie läßt drei Fragen offen bzw. ungeklärt. 1. Inwiefern ist Kooperativst eine notwendige Eigenschaft von Kommunikation? 2. In welchem Zusammenhang stehen die vier Maximen zu dem Kooperationsprinzip? 3. Was veranlaßt den Sprecher dazu, den indirekten Weg zu wählen, wenn es auch einen direkten Weg gibt? Während die ersten beiden Fragen durchaus zum Erklärungsanspruch der Griceschen Theorie gehören, liegt die dritte Frage außerhalb ihrer explanativen Ziele. 14 15

Ausführlich ist dies in Keller 1995 Kap. 9 und Kap. 10 dargestellt. Grices Formulierung "daß p" legt den Verdacht nahe, als gelte die Theorie nur fur assertive Äußerungen. Dies ist nicht der Fall. Ich behalte der Einfachheit halber diese Redeweise bei.

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R. Keller

Beginnen wir mit der ersten Frage. Wieso ist die Annahme, daß jemand das Kooperationsprinzip nicht beachtet, unzulässig? Warum muß ein Gespräch "einen gemeinsamen Zweck (bzw. mehrere davon) oder zumindest eine wechselseitig akzeptierte Richtung haben"? 16 Kooperativität mag tugendhaft sein, aber ist sie auch notwendig? Betrachen wir zwei völlig unspektakuläre Beispiele. (1) Jemand spricht mich auf der Straße an: "Sagen Sie, gibt es in Düsseldorf nicht eine einzige Telefonzelle?" Antwort: "Gleich hier um die Ecke!" Zugegeben, meine Antwort war kooperativ; aber folgte auch die Frage bereits einem "gemeinsamen Zweck" oder einer "wechselseitig akzeptierten Richtung"? Da ich den Fragenden vorher nie gesehen habe, kann er meine Zwecke nicht kennen; die Frage der wechselseitig akzeptierten Richtung stellt sich nicht, da die Richtung durch den unvermittelten Gesprächsbeginn erst hergestellt wird. 17 Der erste Zug eines neuen Spiels kann per definitionem nicht kooperativ sein. Dennoch habe ich seine Frage nicht im wörtlichen Sinne, sondern implikativ interpretiert. (2) Jemand stellt in kleinerem Kreis eine etwas degoutante Frage über einen Kollegen. Der Angesprochene übergeht die Frage mit "signifikantem" Schweigen. Folgt das Schweigen einem gemeinsamen Zweck oder einer wechselseitig akzeptierten Richtung? Mit Sicherheit nicht. Jeder im Kreis wird jedoch unter geeigneten Bedingungen in der Lage sein, das Schweigen implikativ zu interpretieren, auch ohne zu unterstellen, daß der "Schweiger" das Kooperationsprinzip beachtet hat. Das zweite Beispiel stammt dem Sinne nach von Asa Kasher. 18 Jede Kommunikation ist in dem trivialen Sinne kooperativ, daß jeder die sprachlichen Zeichen wählen muß, von denen er glaubt, daß sie sein Gegenüber versteht. In diesem Sinne sind auch aggressive Auseinandersetzungen, Beschimpfungen oder Beleidigungen kooperativ. 19 Aber solche allgemeinen Ziele sind, wie Kasher richtig feststellt, "not sufficiently specific to have them serve as assayers of the contributions to the conversation, as is required by the cooperation principle". 20 Selbst wenn wir annehmen würden, daß Menschen beim Kommunizieren stets kooperativ sind, müßte dies nicht heißen, daß sie gemeinsame Ziele haben. An anderer Stelle habe ich deutlich gemacht, daß Zielidentität nicht Voraussetzung für Kooperation ist; 21 es genügt Zielinterdependenz: "Ich habe meine Ziele, und du hast deine Ziele. Unsere Ziele sind verschieden voneinander. Aber ich kann meine Ziele nur erreichen, wenn du deine Ziele erreichst und vice versa." Doch selbst Zielinterdependenz muß nicht vorausgesetzt werden, um implikative Schlüsse erklären zu können. Mit anderen Worten, erfolgreiche Kommunikation sowie die Fähigkeit oder die Möglichkeit implikative Schlüsse zu ziehen, setzen nicht voraus, daß sich die Sprecher kooperativ verhalten, außer in dem trivialen Sinne, daß sie versuchen, "die Sprache des anderen" zu sprechen. Kashers lakonisches Urteil lautet: "The cooperation principle is regarded as wrong and needless." 22

16 17 18 19 20 21 22

Grice 1975/1979:248 Zur Frage der Kooperativität des Gesprächsbeginns siehe Keller 1987:11 f. Kasher 1976:213 Keller 1987:11 Kasher 1976:202; ähnliche kritische Einwände erheben auch Sperber und Wilson 1986:162f. Keller 1987:7f. Kasher 1976:210

Rationalität, Relevanz und Kooperation

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Die zweite offene Frage lautete: In welchem Zusammenhang stehen die vier Maximen zu dem Kooperationsprinzip?23 Verhalten sie sich zu ihm, wie das Spezielle zum Allgemeinen? Stellen sie Explikationen des Kooperationsprinzips dar? Grices Formulierung ist genau an der Stelle, wo eine Erläuterung zu erwarten wäre, von signifikanter Vagheit: "Unter der Annahme, daß irgend ein allgemeines Prinzip wie dies [das Kooperationsprinzip, R.K.] akzeptabel ist, kann man vielleicht vier Kategorien unterscheiden [...]. 1,24 Ein systematischer Zusammenhang zwischen Kooperativität und den Maximen wird von Grice weder aufgezeigt noch hergestellt.25 Die dritte offene Frage lautete: Was veranlaßt den Sprecher dazu, den indirekten Weg zu wählen, wenn es auch einen direkten Weg gibt? Die Gricesche Theorie gibt, wie gesagt, nicht vor, auf diese Frage eine Antwort geben zu wollen. Da der direkte Weg, wenn es einen gibt, per definitionem ebenso kooperativ ist wie der indirekte, kann aus dem Kooperationsprinzip die Wahl des indirekten Wegs nicht abgeleitet oder erklärt werden. Unser Zwischenfazit lautet: Die Annahme eines generell gültigen Kooperationsprinzips ist unplausibel, der Zusammenhang eines solchen Prinzips zu den vier Maximen ist ungeklärt, und die Wahl des indirekten Wegs vor dem direkten bleibt unmotiviert.

5. Lösungsvorschlag Die Lösung dieser Schwierigkeiten besteht meines Erachtens darin, das Kooperationsprinzip aufzugeben und durch ein anderes Prinzip zu ersetzen. Ich schlage in Anlehnung an Asa Kasher vor, das Prinzip der Rationalität zu wählen. Ganz allgemein kann man das Rationalitätsprinzip wie folgt formulieren: Betrachte die Gesprächsbeiträge deiner Gesprächspartner als rationale Handlungen. Was heißt von einer Handlung zu sagen, sie sei rational? Rational handeln heißt, zur Erreichung eines Handlungsziels aus den subjektiv gegebenen Handlungsalternativen diejenige auszuwählen und anzuwenden, die den höchsten subjektiv erwarteten Nettonutzen verspricht. 26 Die Einschränkung auf den subjektiv erwarteten Nutzen ist deshalb geboten, weil dem Sprecher die ihm objektiv zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nicht unbedingt bewußt oder präsent zu sein brauchen. Der Nettonutzen ergibt sich aus dem Nutzen abzüg23 24 25 26

Siehe auch die Kritik von Sperber und Wilson 1986:36f. Grice 1975/1979:249 s. dazu die Kritik von Sperber/Wilson 1986:36 Bisweilen wird gegen eine solche Theorie des rationalen Handelns der Vorwurf erhoben, sie sei eine Theorie des Egoismus (siehe etwa Prechtl 1991:178). Dies ist nicht der Fall. Wenn man eigeninteressiertes Handeln mit egoistischem Handeln gleichsetzt, so ist man letztlich gezwungen, altruistischen Egoismus von egoistischem Egoismus zu unterscheiden. Auch wer ein gottgefälliges Leben zu fuhren wünscht und in den Himmel kommen möchte, wird aus seinen Handlungsmöglichkeiten diejenigen Handlungen auswählen, von denen er erwartet, daß sie seine Ziele zu verwirklichen in der Lage sind. Auch altruistisches Handeln ist in diesem Sinne eigeninteressiert. Altruistisches Handeln ist ein Handeln, das nicht im Hinblick auf Belohnung durch andere vollzogen wird. Egoistisches Handeln ist dadurch charakterisiert, daB es die Kosten, die es für andere erzeugt, nicht in die Kosten-Nutzen-Kalkulation miteinbezieht. Zur Theorie rationalen Handelns siehe Nozick 1993.

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lieh der Kosten. Daß die Kosten-Nutzen-Kalkulation der zur Wahl stehenden sprachlichen Mittel nicht quantifizierbar ist, heißt natürlich nicht, daß sie unkalkulierbar ist. Wir sind sehr wohl in der Lage abzuwägen, ob beispielsweise das artikulatorisch kostengünstigere Tschüß oder das aufwendiger zu artikulierende Auf Wiedersehen in einer gegebenen Situation den höheren Nettonutzen ergibt, d.h. die angemessenere Wahl darstellt. Grice selbst nimmt an zwei Stellen Bezug auf Rationalität. Es sei sein Ziel, so sagt er, "Rede als einen Spezialfall oder eine Spielart zweckhaften, ja rationalen Verhaltens zu sehen" 27 ; und in der bereits zitierten Passage, in der er das Kooperationsprinzip einführt, legt er die Ansicht nahe, Unkooperativität sei nicht rational. Aber der Zusammenhang wird nirgendwo ausgeführt. Es mag sein, daß es in vielen, möglicherweise in den meisten Fällen rational ist zu kooperieren. Aber unsere Beipiele machten deutlich, daß dies nicht immer der Fall sein muß. Ein indirekt formulierter Gesprächsbeginn ist genau deshalb implikativ interpretierbar, weil dem Gesprächseröffner Rationalität des Handelns unterstellt wird. Signifikantes Schweigen kann genau deshalb als "vielsagend" interpretiert werden, weil ihm Rationalität unterstellt wird. Nicht zu kooperieren, kann eine durchaus rationale Wahl darstellen. Kasher formuliert das Rationalitätsprinzip wie folgt: "Given a desired end, one is to choose that action which most effectively, and at least cost, attains that end, ceteris paribus." 28 Rational handeln heißt demnach, vereinfacht gesagt, die Mittel-Zweck-Relation zu optimieren. Die einzige Dimension, in der sie optimiert werden kann, ist die Ökonomie der Mittel-Zweck-Relation.

6. Relevanz und Rationalität Dan Sperber und Deirdre Wilson schlagen in ihrem vielbachteten Buch "Relevance" vor, Grices Kooperationsprinzip durch ein Relevanzprinzip zu ersetzen. Dieses Prinzip lautet: "Every act of ostensive communication communicates the presumption of its optimal relevance. " 2 9 Die Grundidee dieser Theorie ist in sehr verkürzter Version folgende: Der Adressat und Interpret einer Äußerung unterstellt dem Sprecher, diejenige Proposition kommunizieren zu wollen, die für den Adressaten von optimaler Relevanz ist. Relevanz ist nach Sperbers und Wilsons Definition keine absolute Größe. Der Inhalt einer Äußerung kann je nach Kommunikationssituation mehr oder weniger relevant sein. Das Maß der Relevanz einer geäußerten Proposition wird definiert durch die Stärke des sogenannten kontextuellen Effekts, den sie in einem gegebenen Kontext hat, und den kognitiven Verarbeitungsaufwand, den die Äußerung für den Adressaten darstellt. Je größer der kontextuelle Effekt und je geringer der erforderliche kognitive Verarbeitungsaufwand, desto relevanter ist die geäußerte Proposition in einem gegebenen Kontext.30 Der Kontext einer Äußerung besteht für den Interpreten aus den Hintergrundannahmen, dem enzyklopädischen Wissen samt aller Implikationen. "In real life, contexts are not fixed in advance, but are chosen partly in 27 28 29 30

Grice 1975/1979:251 Kasher 1976:205 Sperber/Wilson 1986:158 Sperber/Wilson 1986:122ff.

Rationalität, Relevanz und Kooperation

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function of the proposition being processed." 31 Für den Interpreten einer Äußerung bedeutet das: "According to relevance theory, the correct interpretation of an ostensive stimulus is the first accessible interpretation consistent with the principle of relevance." 32 Die Interpretationsaufgabe des Adressaten besteht somit darin, diejenige Interpretation zu wählen, die den für ihn höchsten Relevanzwert hat. Vieles an dieser Theorie ist fragwürdig: Wie läßt sich der Kontext auf den für die Relevanzkalkulation relevanten reduzieren? Ist dieses Konzept, wie Levinson behauptet, zirkulär? 33 Was folgt aus der These, "that every act of ostensive communication communicates a presumption of relevance"? 34 Wenn Kommunizieren erfordert, Intentionen zu erschließen, und wenn die Intentionen mittels der Relevanzannahme erschlossen werden, sollte man annehmen, daß die Relevanzannahme selbst nicht kommuniziert sein kann. Ich will auf die theorieinternen Fragen nicht näher eingehen, sondern zur Hauptlinie unserer Überlegungen zurückkehren, um folgende Fragen zu prüfen: - Ist das Relevanzprinzip ein geeigneter Ersatz für das Gricesche Kooperationsprinzip? - Wie verhalten sich das Relevanzprinzip und das Rationalitätsprinzip zueinander? An einer Stelle erwähnen Sperber und Wilson, daß der Adressat dem Sprecher Rationalität des Handelns unterstellen müsse: "In trying to identify this informative intention, the adressee must assume that the communicator is communicating rationally [...]. This applies not just to the identification of informative intentions, but to the inferential identification of intentions in general. Intentions are identified by assuming that the agent is rational, and by trying to find a rational interpretation of her actions." 35 Diese Erkenntnis scheint in der Theorie keine prominente Rolle zu spielen. Sie wird nicht in systematischen Bezug zum Relevanzprinzip gebracht. (Rationality ist nicht einmal ein Stichwort in dem ansonsten sehr reichhaltigen Index.) Ist möglicherweise Rationalität des Handelns das gleiche wie Relevanz in dem von Sperber und Wilson definierten Sinne? Rational kommunizieren heißt, die Mittel-Zweck-Relation zu optimieren. Optimale Relevanz der kommunizierten Proposition liegt vor, wenn maximaler kontextueller Effekt bei minimalen Verarbeitungskosten gegeben ist. Damit sind zunächst einmal unterschiedliche Perspektiven vorgegeben. Das Rationalitätsprinzip besagt, daß der Sprecher rational handelt. Das Relevanzprinzip besagt, daß der Adressat die Interpretation wählt, die für ihn optimal relevant ist. Das Rationalitätsprinzip ist primär ein Prinzip des Handelns, das Relevanzprinzip ist primär ein Prinzip des Interpretierens. Nun könnte man sagen: Das läuft im Endeffekt auf das gleiche hinaus. Die Theorie, die auf dem Rationalitätsprinzip basiert, geht davon aus, daß der Adressat unterstellt, daß der Sprecher das Rationalitätsprinzip erfüllt und seine Interpretation entsprechend einrichtet; die Theorie, die auf dem Relevanzprinzip basiert, geht davon aus, daß der Sprecher unterstellt, daß der Adressat seine Interpretation gemäß dem Relevanzprinzip vornimmt und seine Äußerung entsprechend einrichtet. Es läßt sich jedoch leicht zeigen, daß die beiden Prinzipien auf unterschiedlichen Ebenen operieren und einander nicht ersetzen können. 31 32 33

34 35

Sperber/Wilson 1986a:252 Sperber/Wilson 1986:178 "R [relevance, R.K.) thus controls the basis for assessing R; this is one of a number of apparent circularities" Levinson 1989:459 Sperber/Wilson 1986:162 (meine Hervorhebbung) Sperber/Wilson 1986:165

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Unterstellen wir, ein konstantes Ziel des Kommunizierens bestünde stets darin, beim Adressaten maximale kontextuelle Effekte bei minimalen Verarbeitungskosten zu erzielen. Wenn wir nun sagen, rational handeln heißt diejenigen Mittel zu wählen, die das Ziel optimal zu erreichen versprechen, so folgt daraus: Der Sprecher wird unter seinen sprachlichen Möglichkeiten diejenige Äußerung wählen, die beim Adressaten maximale kontextuelle Effekte bei minimalen Verarbeitungskosten erzielt. Das aber heißt nichts anderes, als daß der Sprecher eine rationale Wahl treffen muß zur Erzeugung von Äußerungen, die Propositionen von optimaler Relevanz ausdrücken. Daraus folgt: Das Rationalitätsprinzip betrifft die Mittel-Ziel-Relation. Das Relevanzprinzip hingegen betrifft das Ziel. Das Relevanzprinzip macht das Rationalitätsprinzip nicht überflüssig, sondern geradezu erforderlich. (Vielleicht ist es dies, was Sperber und Wilson mit der oben zitierten Passage sagen wollen.) Es ist ihm logisch übergeordnet. Somit ist das Relevanzprinzip auch nicht geeignet, die Rolle einzunehmen, die Grice dem Kooperationsprinzip zugedacht hatte. Es handelt sich allenfalls um eine Explikation der Griceschen Maxime der Relation "Sei relevant". Unsere erste Frage, die sich im Anschluß an Grices Theorie stellte, ob Kooperativität eine notwendige Eigenschaft von Kommunikation sei, müssen wir also verneinen. Außer in dem trivialen Sinne, daß der Kommunikator die Sprache wählen muß, die der Adressat versteht, ist Kooperativität nicht verbindlich. Das Relevanzprinzip erwies sich als untauglicher Ersatz für das Kooperationsprinzip. Logisch notwendig ist hingegen Rationalität. Deshalb ist eine Aufforderung der Art "Vollzieh mal eine irrationale Äußerung!" paradox36 und somit per definitionem nicht erfüllbar. Um sie zu erfüllen, müßte man die Mittel wählen, die geeignet sind, den geforderten Zweck zu erfüllen. Dies wäre per definitionem eine rationale Wahl. Der Ersatz des Kooperationsprinzips durch das Rationalitätsprinzip hat außerdem den Vorzug, daß die Theorie dadurch verallgemeinert wird. Sie umfaßt alle Formen sprachlichen Kommunizierens und macht darüber hinaus deutlich, daß sprachliches Kommunizieren, wie Grice selbst sagt (und wie auch Sperber und Wilson andeuten), ein Spezialfall rationalen Handelns ist.

7. Rationalität und Maximen Die zweite Frage, die die Gricesche Theorie offenließ, war die nach dem Zusammenhang zwischen dem Kooperationsprinzip und den Maximen. Dieser Frage will ich mich nun in einer revidierten Version zuwenden: Worin besteht der Zusammenhang zwischen dem Rationalitätsprinzip und den Maximen? Die Antwort lautet: Das Rationalitätsprinzip betrifft die Wahl der Mittel in bezug auf ein gegebenes Ziel; die Maximen betreffen die Identifikation des Ziels. Ich will versuchen, dies zu erläutern. An anderem Ort 37 habe ich gezeigt, daß der Adressat vor einem ganz anderen Problem des Schließens steht als der Sprecher. Der Sprecher hat (vereinfacht gesagt) ein Ziel und sucht aus seinem Repertoire das erfolgversprechendste Mittel. Der Adressat bekommt das Mittel und muß das Ziel, das der Sprecher zu erreichen beabsichtigt, rekonstruieren. Die Mittel-Ziel-Relation ist jedoch weit 36 37

Zu paradoxen Aufforderungen s. Watzlawick/Weakland/Fisch 1974:88f. s. Keller 1995: Kap. 11

Rationalität, Relevanz und Kooperation

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davon entfernt, ein-eindeutig zu sein. Das heißt, der Adressat und Interpret muß unter der Vielzahl der möglichen Ziele, die durch das gegebene Mittel eröffnet wird, das plausibelste auswählen. Genau dazu benötigt er die Maximen. Betrachten wir den eingangs erwähnten Dialog. Frage: "Ist Paul noch im Hause?" Antwort: "Im Hof steht ein gelber VW." Der Prozeß der Interpretation dieser Antwort könnte wie folgt nachgezeichnet werden: "1. Der Sprecher hat den Satz Im Hof steht ein gelber VW geäußert. Dieser Satz ist den Regeln unserer Sprache gemäß ein geeignetes Mittel, jemanden wissen zu lassen, daß im Hof ein gelbes Auto der Marke "VW" steht. 2. Die Annahme, daß mich der Sprecher dies und nur dies wissen lassen möchte, ist zwar mit dem von ihm gewählten Mittel vereinbar, jedoch unplausibel. Denn eine Äußerung, die eine Antwort auf meine Frage sein soll, sollte in relevantem Zusammenhang mit dem Inhalt der Frage stehen. Die Annahme verstößt somit gegen die Maxime der Relation. 3. Die Unterstellung eines Maximenverstoßes kann ich vermeiden, wenn ich annehme, daß der Sprecher erstens weiß, daß ich weiß, daß Paul einen gelben VW fährt, und zweitens möchte, daß ich die Information über den VW und mein Wissen über Paul dazu benutze, den Schluß daraus zu ziehen, daß Paul noch im Hause ist. 4. Warum aber sagte er dann nicht einfach "ja"? Offenbar verfügt auch der Sprecher über keine bessere Evidenz für die Annahme, daß Paul noch im Hause ist, als die Tatsache, daß im Hof ein gelber VW steht. Hätte er "ja" gesagt, so hätte er gegen die Maxime der Qualität verstoßen, die unter anderem besagt, daß man nichts sagen soll, wofür einem hinreichende Evidenz fehlt. 5. Also verfolgt der Sprecher offenbar das Ziel, mich wissen zu lassen, daß er der Meinung ist, daß Paul noch im Hause ist, sich dessen jedoch aufgrund unzureichender Evidenz nicht gewiß ist und nicht bereit ist, Verantwortung für die eindeutige Zustimmung zu tragen." Eine solche "Zeitlupeninterpretation" ist stets aufwendiger als die kognitive Realität selbst. Das Interpretationsräsonnement hat folgende Struktur: Die Rationalitätsunterstellung dient dem Interpreten dazu, mittels eines im wesentlichen regelbasierten Schlusses zu einer prima/ücí'e-lnterpretation zu gelangen (1). Die Erkenntnis, daß diese prima /ode-Interpretation dem Sprecher unterstellen müßte, daß er gegen die Maxime der Relevanz verstoßen wollte (2), nutzt der Adressat als Symptom dafür, eine zweite Interpretation zu suchen (3). Die zweite Interpretation kommt der endgültigen bereits recht nahe, aber sie steht nicht im Einklang mit der Unterstellung, daß der Sprecher die Maxime der Modalität befolgt (4). Dies ist für den Adressaten Symptom dafür, daß er nach einer dritten Interpretation suchen muß (5), bei der er es dann, nach Lage der Dinge, belassen kann. Diese Analyse soll deutlich machen, wie es dem Adressaten gelingt, mittels der Annahme, daß der Sprecher gegen keine der Maximen verstoßen hat, aus dem Raum der möglichen Ziele das plausibelste herauszufiltern. Oder anders ausgedrückt: Den prima facie-Verstoß gegen eine der Maximen sieht der Adressat als Symptom dafür an, daß er eine weitergehende Interpretation ermitteln muß. Maximen sind nötig, weil die Mittel-ZielAnalyse keine eindeutigen Ergebnisse liefert. Bei der Verwendung von Sprachen, bei denen eindeutig vom Mittel auf das Ziel geschlossen werden kann, etwa der Algebra, sind sie überflüssig.

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R. Keller

Eine Frage, die sich unmittelbar anschließt, ist die nach der Rechtfertigung der Art und Anzahl der von Grice vorgeschlagenen Maximen. "Are there just the nine maxims [klassifiziert in vier Kategorien, R.K.] Grice mentioned, or might others be needed, as he suggested himself?" fragen Sperber und Wilson völlig zu Recht. 38 Mit anderen Worten, sind Zahl und Art der von Grice vorgeschlagenen Maximen ad hoc! Wenn es richtig ist, daß die Maximen der Identifikation der Ziele dienen, sollte Art und Anzahl der Maximen aus einer Klassifikation kommunikativer Ziele ableitbar sein. Dies ist in der Tat der Fall. An anderer Stelle 39 habe ich eine Klassifikation der Faktoren vorgeschlagen, die in die Kosten-Nutzen-Kalkulation der Wahl unserer sprachlichen Mittel eingehen. Sie sieht folgendermaßen aus: Wahlhandlungen

Persuasion

Repräsentation

Image

Beziehung

Ästhetik

Dieser Baum ist wie folgt zu interpretieren. Die Wahlhandlungen sprachlicher Mittel haben einen Nutzen- und einen Kostenaspekt. Die Kosten des Sprechers sind motorischer und kognitiver Natur. 40 Das heißt, Kommunizieren kostet geistige und artikulatorische Anstrengung. Diese versuchen wir zu minimieren. Auf der Nutzenseite werden die Bereiche benannt, in denen der Sprecher Nutzen anstreben kann. Wir können informativen Nutzen, sozialen Nutzen und ästhetischen Nutzen anstreben. (Ich will dir etwas mitteilen, dabei unsere Beziehung pflegen, und ich versuche, mich schön auszudrücken.) Der informative Nutzen besteht aus einem persuasiven Aspekt und einem repräsentativen Aspekt. (Ich will, daß du mir glaubst, oder daß du überzeugt wirst; und ich will, daß klar und deutlich wird, was ich dir mitteilen will.) Der soziale Aspekt besteht aus einem Image-Aspekt, d.h. einem Aspekt der Selbstdarstellung, und einem Beziehungsaspekt. (Ich will, daß du mich klug, bescheiden und nett findest, und ich will, daß wir Freunde bleiben können.) Die Ziele der Kostenminimierung will ich hier außer acht lassen41 und mich darauf beschränken, die Ziele der Nutzenmaximierung zu betrachten. Wir können uns dabei auf die letzte Zeile des Baums konzentrieren. Wenn wir diese Ziele nach Art der Maximen in Aufforderungssätze umformulieren, ergeben sich etwa die folgenden Maximen:

38 39 40

41

Sperber/Wilson 1986a:36 Keller 1994:166 Der Sprecher muß darüber hinaus auch die Kosten, die sein Beitrag für den Hörer bedeutet einkalkulieren. Zuhören kostet Zeit und kognitive Anstrengung; sie sollten aufgewogen werden durch den Wert der Mitteilung (der Information, der Zuwendung usw.). Den Aspekt der Kosten-Nutzen-Bilanz, die sich für den Adressaten ergibt und die vom Sprecher zu berücksichtigen ist, vernachlässige ich an dieser Stelle. Sicherlich kann auch signifikant nachlässige Artikulation, d.h. signifikante Minimierung der artikulatorischen Kosten, unter bestimmten Bedingungen Implikaturen auslösen.

Rationalität, Relevanz und Kooperation

Persuasivität Repräsentativität Image Beziehung Ästhetik

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Mache deinen Beitrag glaubhaft (überzeugend, nachdrücklich usw.). Mache klar und deutlich, was du sagen willst. Stelle dich positiv dar. Sei höflich (dominant, unterwürfig usw.). Drücke dich schön (amüsant, anspruchsvoll usw.) aus.

Nun hat Grice selbst gesagt, daß er nur einen Teilaspekt der Kommunikation berücksichtigen will: "Natürlich gibt es alle möglichen anderen Maximen (ästhetischer, gesellschaftlicher oder moralischer Natur), wie etwa 'Sei höflich', die von den Gesprächsteilnehmern normalerweise ebenfalls beachtet werden, und auch die können nicht-konventionale Implikaturen erzeugen. [...] Ich habe meine Maximen hier so formuliert, als bestünde dieser Zweck in maximal effektivem Informationsaustausch."42 Das heißt, daß Grices Maximen lediglich die beiden ersten Zeilen betreffen, den Aspekt des informativen Nutzens, und daß er lediglich assertive Sprechakte im Auge hatte. Was muß der Sprecher tun, wenn er seine sprachlichen Mittel so wählen will, daß er glaubhaft und überzeugend ist, und deutlich wird, was er mitteilen möchte? Die Antwort lautet: Er sollte so informativ wie nötig, aber nicht informativer als nötig sein; er sollte nichts sagen, was er selbst nicht glaubt oder wofür er keine hinreichenden Evidenzen hat; er sollte nichts Irrelevantes sagen; und er sollte sich klar, eindeutig, knapp und wohlstrukturiert ausdrücken. Dies genau sind die Griceschen Maximen. Wenn diese Klassifikation der Faktoren, die bei der rationalen Wahl der sprachlichen Mittel eine Rolle spielen können, exhaustiv ist (wovon ich ausgehe), dann folgt daraus, daß die Art möglicher Maximen nicht ad hoc ist. Allerdings muß man wohl zugestehen, daß die Zahl der die Maximen formulierenden Sätze variabel und unbestimmt ist. Die dritte Frage, die von der Griceschen Theorie unbeantwortet bleiben mußte, war: Was veranlaßt den Sprecher dazu, den indirekten Weg zu wählen, wenn es auch einen direkten Weg gibt? Da in der Dimension der Kooperativität kein prinzipieller Unterschied zwischen dem direkten und dem indirekten Weg besteht, kann eine auf dem Kooperationsprinzip basierende Theorie darauf keine Antwort geben. Vor dem Hintergrund des Rationalitätsprinzips erhält diese Frage eine völlig natürliche Antwort: Der Sprecher wählt den indirekten Weg genau dann, wenn er ihn als den aussichtsreicheren beurteilt. Wenn wir annehmen, daß der Sprecher danach trachtet, die Mittel-Zweck-Relation zu optimieren, das heißt, unter den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln eine rationale Wahl zu treffen, so haben wir damit ein Erklärungsmodell sowohl für die Wahl indirekter Mittel durch den Sprecher als auch für die Wahl implikativer Interpretationsverfahren durch den Adressaten. Die Wahl des direkten Wegs wird in vielen Fällen als suboptimal zu beurteilen sein. Die direkt formulierte Äußerung ist zwar im allgemeinen gut verständlich, aber kommunikativ oft weniger erfolgversprechend. Eine direkt formulierte Bitte oder Aufforderung dürfte in manchen Situationen weniger Chancen haben, erfüllt zu werden als eine indirekte, per Implikatur formulierte. Beide Aspekte, der Weg der Interpretation des Hörers sowie die Wahl der Mittel des Sprechers, werden durch die Annahme eines Rationalitätsprinzips in einen inhärenten Zusammenhang gebracht. Denn die Interpretationsschritte des Hörers sind ja gerade durch die Annahme der Rationalität der Wahl des Sprechers motiviert. Oder aus 42

Grice 1975/1979:250

R. Keller

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der komplementären Perspektive formuliert: Die Zuversicht des Sprechers, daß seine Äußerungen auch dann in seinem Sinne interpretiert werden, wenn er nicht-wörtliche Mittel wählt, ist gerade durch seine Zuversicht begründet, daß der Hörer der Wahl seiner Mittel Rationalität unterstellt. Das gleiche gilt für die Zuversicht des Sprechers, nicht indirekt interpretiert zu werden, wenn er, was er sagt, wörtlich meint.

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111]. ~

(1969/1979): "Utterer's Meaning and Intentions". The Philosophical Review 78, 147-177. [Dt.: "Sprecher-Bedeutung und Intentionen". - G. Meggle (Hg.) (1979), 16-51], (1975/1979): "Logic and Conversation". - P. Cole, J.L. Morgan (eds.): Speech Acts. (New York u.a.: Academic Press) ( = Syntax and Semantics. Vol. 3), 41-58. [Dt.: "Logik und Konversation". - G. Meggle (Hg.) (1979), 243-265. Kasher, Α. (1976): "Conversational Maxims and Rationality". - Ders. (Ed.): Language in Focus. (Dordrecht: Reidel), 197-216. Keller, R. (1987): "Kooperation und Eigennutz". - F. Liedtke, R. Keller (Hg.) (1987), 3-14. (1994): Sprachwandel. Von der unsichtbaren Hand in der Sprache. Zweite erweiterte und überarbeitete Ausgabe. - Tübingen:Francke ( = UTB). (1995): Zeichentheorie. Zu einer Theorie semiotischen Wissens. - Tübingen: Francke. ( = UTB) (im Erscheinen). Levinson, S. (1989): " A Review of Relevance". - Journal of Linguistics 25, 455-472. Liedtke, F., Keller, R. (Hgg.) (1987): Kommunikation und Kooperation. - Tübingen: Niemeyer. Meggle, G. (Hg.) (1979): Handlung, Kommunikation, Bedeutung. - Frankfurt/M.: Suhrkamp. Nozick, R. (1993): The Nature of Rationality. - Princeton: Princeton University Press. Peirce, Ch.S. (PW): Semiotic and Signifies: The Correspondence between Charles S. Peirce and Victoria Lady Welby. 1977. Ed. by Charles Hardwick. - Bloomington: Indiana University Press. Prechtl, P. (1991): "Gerechtigkeit und Individualität - gegensätzliche Komponenten einer politischen Ethik? Eine Kritik utilitaristischer Elemente in Vertragskonzeptionen". - W. Reese-Schäfer und K.Th. Schuon (Hgg.): Diskursethik und Gerechtigkeitstheorie - Die politische Dimension neuerer Ethikkonzeptionen. (Marburg: Schüren), 171-182. Reddy, M. (1979): "The Conduit Metaphor - A Case of Frame Conflict in our Language about Language". Andrew Ortony (ed.): Metaphor and Thought. (Cambridge: Cambridge University Press), 284-324. Sperber, D., Wilson, D. (1986): Relevance. Communication and Cognition. - Oxford: Blackwell. (1986a), "On Defining Relevance". - R. E. Grandy, R. Wamer (eds.): Philosophical Grounds of Rationality. Intentions, Categories, Ends. (Oxford: Clarendon), 243-258. Watzlawick, P., Weakland, J.H., Fisch, R. (1974): Change: principles of problem formation and problem resolution. - New York: Norton. [Dt. : Lösungen: Zur Theorie und Praxis menschlichen Wandels. Bern, Stuttgart, Wien: Hans Huber].

Frank Liedtke

Das Gesagte und das Nicht-Gesagte: Zur Definition von Implikaturen In diesem Beitrag soll geklärt werden, was Implikaturen sind und wie sie zu definieren sind, wobei sowohl die Abgrenzung gegenüber Nicht-Implikaturen als auch die Differenzierung in verschiedene Untertypen näher betrachtet werden soll. Die zentrale These ist die, daB die Charakterisierung von Implikaturen in Grices Konversations-Logik nicht vollständig ausbuchstabiert ist, so daß eine Abgrenzung des Zwischen-den-Zeilen-Gesagten, also der Implikatur, vom ausdrücklich Gesagten, der Nicht-Implikatur, nicht möglich ist. Es wird versucht, zusätzliche Abgrenzungskriterien einzubringen mit dem Ziel, die Unterscheidung zwischen Implikaturen und Nicht-Implikaturen zu explizieren mittels einer näheren Bestimmung dessen, was es heißt, etwas zu sagen.

1. Diktum und Implikatum Als Implikatur wird üblicherweise das bezeichnet, was Sprecher andeuten, zu verstehen geben oder zwischen den Zeilen sagen. Es ist unmittelbar einsichtig, daß es eines ziemlichen Aufwandes bedarf, um diese subtile Form der sprachlichen Kommunikation in plausibler Weise zu beschreiben. Das Verdienst von H. Paul Grice ist es, ein Instrumentarium zur Analyse dieser für manche Situationen äußerst geeigneten Kommunikationsform vorgelegt zu haben. Es soll im Folgenden kurz dargestellt werden, da sich die anschließenden Bemerkungen unmittelbar auf dieses Modell beziehen. Äußert ein Sprecher einen Satz in einer Kommunikationssituation einem Adressaten gegenüber, so gibt es für ihn mehrere Möglichkeiten, den üblichen oder normalen Sinn, wie er sich aus dieser Satzäußerung ergibt, strategisch zu nutzen. Beläßt er es bei dem durch Konventionen und kontextuelle Bedingungen sich ergebenden kommunikativen Sinn der Äußerung, so entsteht kein Handlungsbedarf für eine Theorie der Implikaturen. Das, was mit der Satzäußerung gesagt wurde - es soll im Folgenden Diktum genannt werden - , ist auch das Gemeinte.1 Es gibt für den Sprecher allerdings noch eine zweite Möglichkeit, mit dem Diktum zu operieren. Man kann es sozusagen als Sprungbrett benutzen zur Produktion von kommunikativen Effekten, die das Gesagte hinter sich lassen und eine weitere Sinnebene schaffen, die Grice in einem Grundlagenaufsatz Implikaturen genannt hat. 2 Grice zufolge kann ein Sprecher eine Implikatur realisieren, indem er basale Erwartungen, die der Adressat nach Meinung des Sprechers an sein kommunikatives Verhalten stellt, vordergründig nicht er-

1

2

Diktum ist ein theoretischer Begriff, der sich auf die Ebene des im Griceschen Sinne Gesagten bezieht. Er ist abgeleitet von dem Griceschen Begriff der Situationsbedeutung eines Sprechers. Genaueres dazu wird in Abschnitt 3 ausgeführt. Mit der Verwendung dieses Begriffs zu theoretischen Zwecken ist noch nichts darüber ausgesagt, wann das Diktum von den Kommunizierenden als gültig anerkannt wird, also direkt mit der Satzäußerung oder erst danach, etwa als Ergebnis eines expliziten wechselseitigen Verständigungsprozesses zwischen Sprecher und Adressat. Gegenüber einer Beschreibung solcher Prozesse sind hinreichend geklärte Grundbegriffe primär, so daß ich hier zunächst von prozessualen Aspekten der Kommunikationssituation absehen möchte. s. Grice (1979b; engl.: 1989, Kap. 2).

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F. Liedtke

füllt. Je nachdem, welches diese basalen Erwartungen sind, können verschiedene Typen von Implikaturen realisiert werden. Um zu sehen, um welche Erwartungen es dabei geht, können wir uns folgendes Beispiel vor Augen führen: (1) Wenn er den ganzen Tag telefoniert, muß er sich über die hohe Telefonrechnung nicht wundern. Der unmittelbare Eindruck, der sich beim Lesen dieses Satzes einstellt, ist der, daß die Ebene des Diktums überschritten wurde. Der Sprecher will nicht behaupten, daß sich die betreffende Person nur dann nicht über die hohe Telefonrechnung wundern muß, wenn sie buchstäblich den ganzen Tag telefoniert, sondern der wenn-Satz ist auch dann wahr, wenn nur drei Stunden lang, vielleicht über den Tag verteilt, telefoniert wurde. Dieser kommunikative Effekt kommt dadurch zustande, daß bestimmte Erwartungen, die an eine rationale sprachliche Äußerung gestellt werden, vom Sprecher nicht erfüllt wurden. Jemand, der im Vorderglied eines Konditionals eine offenkundig falsche Behauptung aufstellt, bringt seine(n) Adressaten auf die Idee, daß sie nicht wörtlich gemeint sein kann. Genau dies kann der vom Sprecher beabsichtigte Effekt sein, und in solchen Fällen liegt eine konversationelle Implikatur vor. Was soeben an einem Beispiel dargestellt wurde, findet eine systematische Entsprechung in H. Paul Grices Aufbau einer Konversations-Logik, wie sie in dem genannten und in weiteren hierauf bezogenen Aufsätzen entfaltet wurde.3 Da zu diesem Themenkomplex in jüngster Zeit eine Reihe von einführenden Texten erschienen ist, 4 sollen hierzu einige kurze Bemerkungen genügen, um dann zu dem Definitions- und Abgrenzungsproblem zu kommen. Oben war die Rede von basalen kommunikativen Erwartungen, die Gesprächspartner voneinander ausbilden, und auf deren Folie sie das Sprachverhalten ihres jeweiligen Gegenübers beurteilen und interpretieren. Auf einer allgemeinen Ebene kann man vier Kategorien solcher Verhaltenserwartungen unterscheiden, die zusammengenommen kooperatives Sprachverhalten definieren, also solches, das dem gelungenen Verlauf der Kommunikation zwischen A und Β dient. Grice faßt diese Grundtypen von Erwartungen in mehreren Konversations-Maximen zusammen, die gewährleisten sollen, daß der eigene Beitrag in einem Gespräch nicht zu knapp und dadurch uninformativ ist (1. Quantitätsmaxime), andererseits aber auch nicht weitschweifig oder überinformativ (2. Quantitätsmaxime), daß der Beitrag nach bestem Wissen und Gewissen wahr ist (Qualitätsmaxime), daß nur das gesagt wird, was in der betreffenden Situation relevant ist (Relevanzmaxime) und schließlich, daß der Gesprächsbeitrag knapp, klar und verständlich ist (Modalitätsmaxime). Verstößt eine sprachliche Äußerung offenkundig gegen eine oder mehrere dieser Maximen, so ist dies für den Adressaten in der Regel kein Anlaß, dem Sprecher Unwillen oder schlimmer noch - Unfähigkeit zur Einhaltung dieser Maximen zu unterstellen, sondern die 3

4

Die konversationslogischen Arbeiten sind im wesentlichen in Grice (1989) enthalten; hier sind es vor allem die Kapitel 1-4,7,15 und 17. Einige dieser Arbeiten sind ins Deutsche übersetzt worden, s. Meggle (1979). Zu verweisen ist vor allem auf Levinson (1983), Harras (1983), Blakemore (1992), Mey (1993), Rolf (1994). Zur Diskussion der Grundbegriffe der Griceschen Konversationslogik s. Liedtke/Keller (1987).

Das Gesagte und das Nicht-Gesagte

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Hypothese, daß der Sprecher die kommunikativen Erwartungen an sein Sprachverhalten weiterhin erfüllt, wird so lange wie möglich aufrechterhalten. Mit anderen Worten: In einer Gesprächssituation wird jedem Sprecher unterstellt, er akzeptiere die grundlegenden Anforderungen, die ein Gesprächsaustausch an ihn stellt, wobei diese Unterstellung aufrechterhalten wird, auch wenn eine Äußerung scheinbar aus dieser Erwartung ausschert. In diesem Fall wird die betreffende Äußerung in der Weise reinterpretiert, daß der Beitrag wieder mit der generellen Hypothese des gesprächskonformen Verhaltens übereinstimmt.5 Leitend für diese Reinterpretation ist ein basales Kooperationsprinzip, das die Annahme enthält, jeder an einem Gespräch Beteiligte akzeptiere grundsätzlich die mit diesem Gespräch verbundenen Zielsetzungen und steige nicht einfach aus der Kommunikation aus. An unserem Beispiel kann man den Mechanismus der kooperationsbasierten Reinterpretation deutlich machen: Der Sprecher hat die Qualitätsmaxime verletzt, indem er eine Voraussetzung thematisiert hat, die offenkundig falsch ist. Der Adressat dieser Äußerung wird dem Sprecher nun nicht eine wissentliche Falschaussage unterstellen, sondern er wird auf der Basis der generellen Kooperationsunterstellung, die sich hier in der Annahme manifestiert, der Sprecher äußere nach bestem Wissen nur Wahres, einen Sinn hinter der Ebene des Gesagten suchen, der diese Grundannahme aufrechtzuerhalten erlaubt. Und ein solcher Sinn ergibt sich aus einer Reinterpretation, deren Ergebnis die Zuschreibung einer maximenkonformen Äußerung des Sprechers ist - hier etwa: (2) Wenn er sehr lange Telefongespräche führt, muß er sich über die hohe Telefonrechnung nicht wundern. Mit (2) liegt eine Implikatur vor, also etwas, was als Ergebnis einer Reinterpretation vermeintlich nicht-kooperativer Äußerungen gelten kann. Da hier von dem Ergebnis einer Reinterpretation die Rede ist, also eher der Resultatcharakter und nicht der Handlungscharakter von Implikaturen betont wird, kann man in Analogie zum Diktum auch vom Implikation der Äußerung von (1) sprechen.6 Der hier analysierte Typ einer Implikatur ist nicht der einzige, der im Griceschen System vorkommt, sondern es werden sehr unterschiedliche Implikaturen-Typen eingeführt, die teilweise in Grices Terminologie vorkommen, teilweise nicht besonders benannt werden. Im Folgenden sollen die unterschiedlichen Typen vorgestellt sowie ihre wechselseitige Differenzierung schon im Blick auf das Abgrenzungs- und Definitionsproblem geleistet werden. Hugly/Sayward (1979) halten die Gricesche Explikation dieses Typs von Implikaturen für zirkulär, weil die Adressaten schon wissen müßten, welche Reinterpretation der Sprecheräußerung zuzuschreiben ist, bevor sie sich an diese Reinterpretation machten - das Ergebnis der Interpretation also schon in ihre Prämissen einginge. Diese Kritik berücksichtigt allerdings nicht, daß Reinterpretationen dieser Art von Grice selbst als typischerweise äußerst vage und vieldeutig charakterisiert werden, so daß sie sich nicht als Prämissen in irgendeinem Schlußprozess eignen würden. Zirkularität ist an diesem Punkt also nicht diagnostizierbar. Kasher (1976) unterzieht die Gricesche Konversationslogik einer Grundsatzkritik, indem er bestreitet, daß sich die vier Konversationsmaximen aus dem basalen Kooperationsprinzip ableiten lassen, womit der grundlegende Status des Kooperationsprinzips entfiele. An seine Stelle sei ein allgemeines Rationalitätsprinzip des Handelns zu setzen, aus dem die genannten und andere kommunikative Maximen schließlich ableitbar seien. Ich werde Kashers Modifikationsvorschlag an dieser Stelle nicht weiter diskutieren. S. dazu R. Kellers Beitrag in diesem Band; s.a. Green (1990) und Liedtke (1987).

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Zunächst können zwei Typen von Implikaturen unterschieden werden, die bei Grice inhaltlich, nicht jedoch terminologisch getrennt worden sind. Es sind dies einerseits modifizierende, andererseits konservierende Implikaturen. Den Typus der modifizierenden Implikatur haben wir mit (2) bereits kennengelernt: Um das Sprachverhalten in Übereinstimmung mit dem grundlegenden Kooperationsprinzip zu bringen, reinterpretiert der Leser die Äußerung von (1) als maximenkonformen, in diesem Fall relevanten Beitrag und hebt damit die wörtliche Interpretation von (1) auf zugunsten von (2) - er modifiziert den Sinn der ursprünglichen Äußerung. Die Implikaturen des zweiten Typs hingegen, die konservierenden, sind nicht das Ergebnis einer Modifikation, sondern die Adressaten belassen es beim ursprünglichen Sinn einer Äußerung, indem spezielle Kontextannahmen gemacht werden, die diese Äußerung als maximenkonforme erscheinen lassen. Konservierende Implikaturen haben eine wichtige Funktion für die Ökonomie verbaler Kommunikation, weil sie es Sprechern erlauben, im Zuge der Schilderung von Sachverhalten Propositionen, die dem jeweiligen Gesprächspartner als bekannt unterstellt werden können, zu übergehen. Beispiele für diesen Implikaturentyp sind Frage/Antwort-Paare wie das Folgende: (3) Claudia: Was meinst Du wohl, wer das Stipendium für Berkeley bekommen hat? Dietmar: Ernst war vorhin sehr euphorisch, als ich ihn getroffen habe. Dietmars Äußerung ist im strengen Sinne keine Anwtort auf die vorhergehende Frage, weil Claudia natürlich nicht wissen will, wer gerade euphorisch ist. Sie ist allerdings als Antwort interpretierbar, wenn Claudia in der Annahme, Dietmar befolge die Relevanzmaxime, einen inhaltlichen Zusammenhang herstellt zwischen ihrer und Dietmars Äußerung, so daß sich Dietmars Äußerung in diesen Zusammenhang einpaßt. Der solchermaßen hergestellte verbale Äußerungskontext lautet in diesem Fall so: (4) Wenn man ein Stipendium für Berkeley erhält, reagiert man oft euphorisch. Ernst war vorhin sehr euphorisch. Infolgedessen hat er vermutlich das Stipendium bekommen. Grice zufolge implikatiert in diesen Fällen der Sprecher genau das, was man ihm als Überzeugung unterstellen muß, um die Annahme aufrechtzuerhalten, daß er die Relevanzmaxime beachtet (s. Grice 1979b:256). Dabei bleibt die tatsächliche Äußerung unangetastet, sie wird nicht modifiziert, sondern als Teil eines - hier induktiven - Schlußprozesses aufgefaßt, der nicht vollständig expliziert worden ist. In dem vorliegenden Beispiel hat Dietmar nur eine Prämisse thematisiert, die Teil des gesamten Schlußprozesses ist, der wiederum von Claudia ergänzt werden muß, und der in der expliziten Form die Lücke zwischen Claudias Frage und ihrer vollständigen Beantwortung schließt. Die Wahl einer solchen kommunikativen Strategie kann unterschiedliche Gründe haben. Zum einen kann dadurch ein gewisser Grad an Abtönung kommuniziert werden, wenn sich der Sprecher nicht völlig sicher ist, ob das Behauptete stimmt. Andererseits ist dies auch ein Mittel, den Gesprächspartner in die eigenen Überlegungen einzubeziehen und durch eine von ihm geforderte mentale Aktivität seine Aufmerksamkeit zu sichern. Für diesen Zweck ist auch die Äußerung des an erster

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Stelle vorkommenden Konditionals geeignet, was einen starken Grad an Indirektheit erzeugt: (5) Wenn man ein Stipendium für Berkeley erhält, reagiert man oft euphorisch. Hätte Dietmar (5) auf Claudias Frage hin geäußert, dann hätte Claudias Aufgabe neben der Rekonstruktion des Schlußprozesses auch in der Identifikation der euphorischen Person bestanden, und damit hätte sie einen hohen Anteil an der Erstellung der Antwort auf ihre eigene Frage gehabt. Das Entscheidende an den konservierenden Fällen ist, daß ein ganz anderer Typ von Implikaturen vorliegt als mit den modifizierenden Fällen - es besteht kein oder nur ein schwacher Maximenverstoß, und die Äußerung selbst wird vom Adressaten nicht verändert. 7 Man kann eine Reziprozität von konservierenden und modifizierenden Fällen festmachen insofern, als Veränderliches und Konstantes jeweils umgekehrt verteilt ist. Bei konservierenden Implikaturen wird - grob gesagt - der Äußerungssinn beibehalten und der interpretationsrelevante Kontext verändert, bei modifizierenden Implikaturen wird der Kontext konstant gehalten und der Äußerungssinn verändert. Gemeinsames Ziel dieser reziproken Operationen ist eine kooperations-wahrende Interpretation der Sprecher-Äußerung, wobei der "onus of match" einmal von der Äußerung, einmal vom Kontext übernommen wird. Neben der vorgestellten Unterscheidung von konservierenden und modifizierenden Implikaturen gibt es weitere Differenzierungen des Implikaturenbegriffs, die zu drei Untertypen geführt haben - wobei die Dichotomie modifizierend / konservierend auf jeden der Untertypen in gleicher Weise anwendbar ist. Grice unterscheidet konventionelle von konversationellen Implikaturen, und hinsichtlich der letzteren noch einmal generalisierte von partikularisierten konversationellen Implikaturen. Beginnen wir mit dem letzten Typ, den partikularisierten konversationeilen Implikaturen. Wir haben sie in der Tat schon kennengelernt, denn sowohl (1) als auch die Antworten in dem Äußerungspaar (3), schließlich auch (5) lösen partikularisierte konversationeile Implikaturen aus. Ihr entscheidendes Charakteristikum, weswegen sie partikularisiert genannt werden, ist ihre Kontextabhängigkeit: Es liegt an der gerade bestehenden Situation, daß eine Äußerung eine Implikatur mit sich bringt, und es gibt keine implikaturenerzeugende Regularität, die mit der Verwendung bestimmter Ausdrücke verbunden wäre und diesen konversationeilen Effekt ohne Kontext mit sich brächte. Die ganze Last der Implikaturengenerierung liegt im Äußerungskontext und der wechselseitigen Kenntnis der Kontextmerkmale seitens des Sprechers und des Adressaten. Anders ist dies bei generalisierten konversationeilen Implikaturen, denn hier bringt die Verwendung von Wörtern und Wendungen normalerweise eine Implikatur mit sich, und der Kontext spielt nur eine untergeordnete Rolle. Grices Beispiel für generalisierte konversationeile Implikaturen bezieht sich auf einen Effekt, der mit dem Gebrauch von unbestimmten Artikeln einhergeht und relativ unabhängig von speziellen Kontexmerkmalen eintritt:

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Levinson (1983:104) nennt diesen Typ "Standardimplikaturen". Der Terminus "konservierende Implikaturen" erscheint mir günstiger, da nicht alle konservierenden Implikaturen standardisiert zu sein brauchen.

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(6) X trifft sich heute abend mit einer Frau. Die sich schnell einstellende "Seitensprung-Implikatur" läßt sich auf einen Verstoß gegen die erste Quantitätsmaxime zurückführen, denn der Sprecher war nicht konkret, wo man es von ihm hätte erwarten können (s. Grice 1979b:263). Die - in diesem Fall konservierende Implikatur ist dann die, daß er nicht in der Lage ist, konkret zu sein und daher die Frau, mit der sich X trifft, nicht kennt - was wiederum auf die nicht sehr enge Beziehung von X zu dieser Frau schließen läßt, denn anderenfalls würde der Sprecher sie kennen. Diese Konstruktion ist nicht unproblematisch, läßt sie doch offen, welchen wenn auch reduzierten Beitrag der Kontext zu dieser Implikatur leistet; denn nicht jede Verwendung von unbestimmten Artikeln führt zu einer Implikatur, die eine entfernte Beziehung zwischen Individuen anzeigt. Grice bezieht sich bei seiner Entscheidung, die Verwendung des unbestimmten Artikels als Verstoß gegen die erste Quantitätsmaxime zu werten, auf ein allgemeines kommunikatives Prinzip, nach dem es erforderlich ist, die Art der Beziehung zwischen in einer Äußerung erwähnten Individuen dem Adressaten zu erkennen zu geben, und er begründet dieses Prinzip in einer tiefer liegenden Regelhaftigkeit, nach der es einen entscheidenden Unterschied für handelnde Personen ausmacht, ob andere Personen oder Dinge, mit denen sie interagieren, in einer nahen oder entfernten Beziehung zu ihnen stehen. Aus dieser fast anthropologischen Beobachtung leitet Grice die Begründung dafür ab, daß er eine Angabe über die Intensität der Beziehung zwischen Individuen zum Gegenstand der konversationellen Quantitätsmaxime macht und ihr Fehlen somit als Verstoß gegen diese Maxime und als Implikaturenauslöser klassifiziert. Das Herausfordernde am Typus der generalisierten konversationeilen Implikaturen ist ihr Zwitterdasein zwischen einer rein kontextbezogenen Form der Implikatur einerseits und einer konventionalisierten Form andererseits, denn so reduziert die Kontexteinflüsse für diesen Typ sein mögen, so wenig darf ihre Verwendung wie ihre Interpretation auf Konventionen beruhen - denn in diesem Fall würde ein gänzlich anderer Implikaturentyp vorliegen. Die gegenwärtige Diskussion im Bereich der Pragmatik schätzt diesen Typ denn auch sehr unterschiedlich ein: Sperber/Wilson (1986) bestreiten ihre Existenz und lassen lediglich partikuläre konversationelle Implikaturen zu, ebenso Thomason (1987). Levinson hingegen räumt ihnen einen solch zentralen Stellenwert ein, daß er seinen neuen theoretischen Entwurf zur Schnittstelle zwischen Semantik und Pragmatik vollständig auf dem Begriff der generalisierten konversationeilen Implikatur aufbaut (s. Levinson, in Vorb.). In seinem Ansatz behandelt er diesen Typus als Default-Implikaturen, d.h. als pragmatische Schlußprozesse, die nur unter der Bedingung nicht ablaufen, daß ein verbales oder kontextuelles Merkmal der Äußerung diesen Prozess blockiert. In dieser Perspektive können dann beispielsweise skalare Implikaturen als generalisiert aufgefaßt werden, denn sie weisen genau diese Default-Eigenschaft auf. So implikatiert ein Sprecher mit (7) Einige der eingeladenen Gäste kamen zur Party, daß nicht alle Gäste kamen, und mit (8) Wenn Friedhelm heute abend kommt, dann gehe ich.

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vollzieht der Sprecher die klausale Implikatur, daß er nicht geht, wenn Friedhelm nicht kommt (was ja aussagenlogisch ein klassischer Fehlschluß ist) (s. Levinson, in Vorb. 5, auch Gazdar 1979, Horn 1984). Die Diskussion über die generalisierten konversationellen Implikaturen soll hier nicht weiterverfolgt werden, es soll nur darauf hingewiesen werden, daß mit ihnen ein Typus vorliegt, der sich im Übergangsbereich zwischen konversationeilen und konventionellen Implikaturen befindet und damit durchaus auch zur Fundierung einer sprachhistorisch ausgerichteten Pragmatik beitragen kann. Wie Grice bemerkt, gibt es die Möglichkeit, daß etwas als konversationelle Implikatur zur Welt kommt und dann im Laufe der Zeit konventionalisiert wird, und dieser Weg der Konventionalisierung führt unweigerlich über die Station der generalisierten konversationeilen Implikatur. Wie werden konventionelle Implikaturen von Grice nun bestimmt? Sie werden im wesentlichen negativ gegenüber konversationellen Implikaturen abgegrenzt dadurch, daß ihre Interpretation durch den Adressaten nicht auf einer expliziten oder impliziten Überlegung basiert, sondern einfach auf der Kenntnis der betreffenden Konvention. Um eine konversationeile Implikatur zu erkennen und nachzuvollziehen, muß der Adressat auf die Bedeutung der verwendeten Ausdrücke, auf das Kooperationsprinzip und die Maximen sowie auf weitere Kontextmerkmale zurückgreifen und dann den intendierten Sinn der Äußerung rekonstruieren. Konventionelle Implikaturen hingegen bedürfen dieses Aufwandes nicht, sondern sie ergeben sich auf der Basis der Bedeutung der verwendeten Ausdrücke, von der sie sich lediglich dadurch unterscheiden, daß sie nicht zu dem gehören, was gesagt wurde - sie sind Teil der "unsichtbaren Bedeutung", wie Fauconnier es genannt hat (s. Fauconnier 1990). Bevorzugte Domäne konventioneller Implikaturen sind linguistische Phänomene wie Satzverknüpfungen, (Satz-)Adverbien und Partikel, die zur Bedeutung des Satzes (im Sinne seiner Wahrheitsbedingungen) nichts beitragen, für den kommunikativen Sinn seiner Äußerung allerdings entscheidend sein können. Ein allseits bekanntes Beispiel bietet die Konjunktion daher in dem Satz (9) Er ist ein Engländer; er ist daher tapfer, (s. Grice 1979b:247) Falsch ist eine Äußerung von (9) nur dann, wenn die in Frage stehende Person Engländer und nicht tapfer, tapfer und nicht Engländer oder weder Engländer noch tapfer ist. Wahr ist sie jedoch auch dann, wenn die Person zwar Engländer und tapfer, nicht aber tapfer weil ein Engländer ist. Die durch daher ausgedrückte Kausalitätsbeziehung gehört nicht zum Gesagten, sondern zum Implikatierten und tangiert somit den Wahrheitswert einer Äußerung von (9) nicht. Den Begriff der konventionellen Implikatur haben Karttunen/Peters (1979) in einem ausführlichen Artikel ausgeweitet auf Phänomene, die traditionell dem Bereich der Präsupposition zugewiesen wurden, und die mit dem Gebrauch von Partikeln wie auch, sogar, nur und von faktiven Verben wie vergessen, bemerken, in Betracht ziehen zusammenhängen. 8 8

Karttunen/Peters formulieren eine generelle Verwendungsregel für konventionelle Implikaturen mithilfe des Begriffs des gemeinsamen Hintergrundes. Sie schreiben: "As a general rule, in cooperative conversation a sentence ought to be uttered only if it does not conventionally implicate anything that is subject to controversy at that point in the conversation. Since the least controversial propositions of all are those in the common ground, which all participants already accept, ideally every conventional implicature ought to belong to the common set of presumptions that the utterance of the sentence is intended to increment." (14)

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Soweit möchte ich es bei der Darstellung der wichtigsten Implikaturen-Typen belassen und übergehen zur Frage der Definition und Abgrenzung von Implikaturen gegenüber Nicht-Implikaturen. Der besseren Übersichtlichkeit halber seien die genannten Typen noch einmal in folgendem Diagramm aufgeführt:

Kontext löst Implikatur aus

Ausdruck löst Implikatur aus

konventionelle Beziehung

Äuß.sinn modif., Kontext stabil

modifizierende partikular. konversation. Implikatur

modifizierende generalisierte konversation. Implikatur

konventionelle Implikatur*

Kontext modif. Äuß.sinn stabil

konservierende partikular. konversation. Implikatur

konservierende generalisierte konversation. Implikatur

* Anmerkung: Konventionelle Implikaturen werden als Untertyp der modifizierenden aufgefaßt, weil eine für sie typische Expansion des Äußerungssinns als Unterfall einer Modifikation gelten soll.

Als einen weiteren Konstruktionstyp, an dem sich der Unterschied zwischen Diktum und Implikatum gut aufzeigen läßt, führen Karttunen / Peters den irrealen Bedingungssatz ins Feld. Es geht hier allerdings nicht um konventionelle, sondern um konversationelle Implikaturen. In einem Satz wie "Wenn es regnen würde, dann könnten wir unter diesem Blechdach unser eigenes Wort nicht verstehen." (=Diktum) ist bei erfolgreicher Äußerung der zweite Teilsatz (das Konsequens) evidenterweise falsch, woraus auch die Falschheit des ersten Teilsatzes (Antezedens) folgt. Auf der Basis einer konservierenden Implikatur, die auf der Befolgungsannahme bezüglich der Griceschen Qualitätsmaxime aufbaut, ergibt sich das Implikatum, daß es zur Zeit offenkundig nicht regnet. Nicht immer jedoch wird die Falschheit des Antezendes implikatiert, wie man an folgendem Beispiel sieht: "Wenn Marie allergisch gegen Penicillin wäre, dann hätte sie genau die Symptome, die sie jetzt hat. " Mit einer Äußerung dieses Satzes kann kontextabhängig durchaus die Wahrheit des Antezendens implikatiert werden, und dies auf der Basis der Annahmt- der Befolgung der Relevanzmaxime (s. Karttunen/Peters 1979:6f.). Man kann im Deutschen offenkundig bestimme Partikel als "Implikaturen-Trigger" festmachen; im letzten Fall, in dem das Zutreffen des Antezedens implikatiert werden soll, erfüllt genau diese Funktion. Vgl. auch: "Wenn er Lust hätte, würde er ja / aber/ doch gehen" (Implikatum: Er hat keine Lust) vs. "Wenn er Lust hätte, würde er sofort / glatt / ohne Frage gehen. " (Implikatum: Er hat möglicherweise Lust).

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2. Die Abgrenzungskriterien Sucht man nach Unterscheidungskriterien für die Abgrenzung von Diktum und Implikatum, so ist man auf eine Liste von mehreren, zum Teil voneinander abhängigen Merkmalen verwiesen, die Grice in Logik und Konversation aufführt (1979b:264f.). Die genannten Kriterien grenzen allerdings nicht sämtliche Untertypen von Implikaturen aus, wie wir sie im vorigen Abschnitt kennengelernt haben, sondern sie beziehen sich lediglich auf konversationelle Implikaturen. Dies hat zur Folge, daß bei Grice konversationelle Implikaturen von konventionellen Implikaturen sowie von Dikta abgegrenzt werden, nicht jedoch Implikaturen in toto von Dikta. Man ist also mit den von Grice genannten Abgrenzungskriterien für Implikaturen schon an dem eingangs genannten Grundproblem angelangt: der nicht hinreichenden Abgrenzung von Diktum und Implikatum sowie der daraus folgenden Unterdeterminiertheit des Implikaturenbegriffs. Da die genannten Kriterien jedoch zumindest konversationelle Implikaturen erfassen können und dies durchaus eine Brücke zu einer vollständigen Kriterienliste zur Abgrenzung auch der anderen Implikaturen von Dikta sein kann, seien sie im Folgenden aufgeführt und erläutert. a. Die Interpretation eines Implikatums verlangt einen größeren Verarbeitungsaufwand als die Interpretation eines Diktums. Um eine Implikatur interpretieren zu können, muß der Adressat das Diktum kennen - in der Regel also die konventionelle Bedeutung der verwendeten Ausdrücke und ihre syntaktische Verknüpfung -, zusätzlich muß er das Kooperationsprinzip und die Konversationsmaximen zur Verfügung haben, schließlich muß er auf die einschlägigen Kontextmerkmale zurückgreifen können und annehmen, daß wechselseitiges Wissen von Sprecher und Adressat bezüglich dieser Elemente vorliegt, denn sonst könnte er dem Sprecher den Vollzug einer Implikatur gar nicht unterstellen. b. Das Implikatum ist ableitbar. Implikata müssen ableitbar sein in dem Sinne, daß von einem dem Sprecher zugeschriebenen Diktum ρ auf ein Implikatum q geschlossen wird, wobei die folgende jederzeit explizierbare Argumentationskette gilt: "Er hat gesagt, daß p; es gibt keinen Grund anzunehmen, daß er die Maximen oder zumindest das KP (das Kooperationsprinzip; F.L.) nicht beachtet; er könnte sie nicht beachten, falls er nicht dächte, daß q; (...) er hat nichts getan, um mich von der Annahme abzuhalten, daß q; (...) und somit hat er implikatiert, daß q." (Grice 1979b:255) c. Das Implikatum ist tilgbar. Ein Beispiel für Tilgbarkeit ist folgende skalare Implikatur: (10) Einige Leute tranken Campari, besser gesagt alle. Der vor dem Komma stehende Teil von (10) löst die konservierende generalisierte konversationeile Implikatur aus: Nicht alle tranken Campari. Sie kommt dadurch zustande, daß dem Sprecher die Befolgung der ersten Quantitätsmaxime unterstellt wird ("Mache deinen Beitrag so informativ wie nötig"), und daraus folgt - wie Levinson schreibt - "for sets of alternates, use of one (especially a weaker) implicates inapplicability of another (especially a stronger)." (in Vorb., 5) Hätten alle Campari getrunken, dann wäre der Sprecher mit (10)

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nicht informativ genug gewesen, wenn er freilich auch nichts Falsches gesagt hätte; da ihm aber die Einhaltung der Quantitätsmaxime unterstellt wird, ergibt sich die genannte konservierende Implikatur. Diese ist nun tilgbar, wie man am weiteren völlig unproblematischen Verlauf von (10) sieht, das heißt der Sprecher kann den von ihm hervorgerufenen konversationellen Effekt dadurch tilgen, daß er die Negation der Implikatur assertiert. Mit einem in der semantischen Repräsentation von (10) enthaltenen Element ist dies nicht möglich, das heißt eine Äußerung wie (11) Einige Leute tranken Campari, besser gesagt keiner. ist selbst-widerspriichlich; es ist nicht ausgeschlossen, daß die Äußerung von (11) wiederum eine modifizierende Implikatur auslöst, da sie ja immerhin einen Verstoß gegen die Modalitätsmaxime darstellt. Man kann sich (11) als eine ironische Korrektur einer Vorgängeräußerung vorstellen, die eine Behauptung beihaltete, daß einige Leute Campari tranken o.ä. d. Das Implikatum ist nicht ablösbar. Ist eine Implikatur einmal vollzogen, so wird man sie nicht wieder los, auch wenn man den Wortlaut des Diktums ändert. Hier ist folgendes zu beachten: Zunächst steht und fallt diese Eigenschaft damit, was man unter "Wortlaut" versteht. Die etwas komplizierte Formulierung dieser Eigenschaft lautet bei Grice: Insofern der SchluB auf das Vorliegen einer bestimmten konversationalen Implikatur neben Informationen über den Kontext und Hintergrund nur Wissen darüber erfordert, was gesagt wurde (oder worauf der Sprecher mit der Äußerung konventional festgelegt ist), und insofern es für diesen SchluB keine Rolle spielt, wie der Sprecher sich ausgedrückt hat, läßt sich dasselbe nicht solchermaßen anders sagen, daß die fragliche Implikatur einfach wegfällt. (Grice 1979b:264)

Wann dasselbe anders gesagt wird und wann nicht, hängt offenkundig von semantischen Kriterien ab: Die Bedeutung des Diktums muß dieselbe bleiben, oder sie muß zumindest in einer Ähnlichkeitsrelation zur ursprünglichen Bedeutung stehen.9 e. Das Implikatum ist aktbezogen. Hierzu bemerkt Grice, daß die Wahrheit des Gesagten nicht die Wahrheit des Implikatums bedinge und somit Träger der Implikatur nicht das Gesagte, sondern das Sagen des Gesagten, das "Es-mal-so-Sagen" sei. Die unter dem Stichwort der Aktbezogenheit firmierende Eigenschaft läßt sich hieran demonstrieren: Nehmen wir an, Irma sagt zu Jürgen: (12) Deine Brille liegt auf der Nachtkonsole, oder sie liegt auf dem Schreibtisch. Hieraus ergibt sich auf der Basis der ersten Quantitätsmaxime (hinreichende Informativität) die durch oder ausgelöste konservierende Implikatur: 9

Es gibt allerdings den Fall, daß die Form des Implikaturen auslösenden Ausdrucks selbst eine Rolle spielt für ihre Auslösung, was vor allem bei modalitätsbasierten Implikaturen eintritt. So kann ein Sprecher gegen die Untermaxime der Knappheit durch die Wahl einer weitschweifigen Ausdrucksweise verstoßen und damit eine Implikatur auslösen, die durch einen bedeutungsähnlichen, aber sehr viel knapperen Ausdruck nicht zustande käme - und damit abgelöst würde. Das Kriterium der Nicht-Ablösbarkeit gilt also nur unter der Voraussetzung, daß es nicht um modalitätsbasierte Implikaturen geht. Dies ist eine erhebliche Einschränkung dieses Kriteriums, (s. hierzu Grice 1979b,ebd.)

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Irma weiß nur, daß es nicht der Fall ist, daß die Brille weder auf der Nachtkonsole noch auf dem Schreibtisch liegt. Mit anderen Worten: Sie weiß nichts Näheres. Dies kann falsch sein. Es ist möglich, daß Irma mit (12) recht hat und sehr wohl weiß, daß die Brille von Jürgen auf dem Schreibtisch liegt. Infolgedessen kann es nicht am Diktum selbst liegen, daß eine Implikatur ausgelöst wird, sondern daran, daß dieses Diktum unter den-und-den Umständen geäußert wurde. f. Das Implikatum ist unbestimmt. Neben dem Status als Nicht-Gesagtem mag die Unbestimmtheit von Implikaturen der Grund für ihren Vollzug sein. Der Sprecher ist nicht gezwungen, sich bezüglich dessen festzulegen, was er kommuniziert hat, sondern er kann bewußt den weiten Interpretationsspielraum, den Implikaturen ihm lassen, ausnutzen. Auch hier wird dem Adressaten der Äußerung ein Teil der Interpretationsaufgabe zugeschanzt, wobei es einer Entscheidung gleichkommt, welches Implikatum er dieser Äußerung zuordnet. Da die Eigenschaft der Unbestimmtheit für konversationelle Implikaturen allgemein gilt, sollte man bei diesem Typ eher von einem Implikatum-Potential reden, aufgefaßt als Menge möglicher Implikatum-Interpretationen einer Äußerung. g. Das Implikatum gehört nicht zur Bedeutung der Äußerung. Diese Eigenschaft ist von Grice zur Vermeidung einer ihm so oft wie vergeblich unterstellten Zirkularität des Modells eingeführt worden. Wie wir schon beim ersten Abgrenzungskriterium sahen, gehört die Kenntnis der Bedeutung der verwendeten Ausdrücke zu den Voraussetzungen, um eine Implikatur vollziehen oder interpretieren zu können. Von daher können Implikaturen natürlich nicht selbst zur Bedeutung der Ausdrücke gehören, da sie sonst zu den Voraussetzungen für ihre eigene Interpretation gehörten. Am Beispiel (8) kann man dies zeigen: (8) Wenn Friedhelm heute abend kommt, dann gehe ich. Die generalisierte Implikatur, daß der Sprecher bleibt, wenn Friedhelm nicht kommt, kann nicht zur Bedeutung von (8) gehören; sonst würde ein Fall eintreten, der Kriterium a. gefährdet, das ja die konventionelle Bedeutung als Voraussetzung für Implikaturen benennt, womit dann die Implikatur sich selbst als Voraussetzung enthielte. Somit wären alle Abgrenzungskriterien genannt, die Grice für die Differenzierung von Diktum und Implikatum zur Verfügung stellt. Der Eindruck, daß diese Kriterien allein nicht ausreichend für die gewünschte Abgrenzung sind, verstärkt sich dadurch, daß Grice selbst ihren eingeschränkten Status betont und die Erfülltheit dieser Kriterien nicht als letztgültige Bestätigung für das Vorliegen einer Implikatur ansieht. In seinen Anmerkungen zur Theorie der konversationellen Implikaturen macht er diese Einschränkung sowohl generell als auch bezogen auf einzelne Abgrenzungskriterien. So schreibt er: I was not going so far as to suggest that it is possible, in terms of some or all of these features, to devise a decisive test to settle the question whether a conversational implicature is present or not (...). Indeed I very much doubt whether the features mentioned can be made to provide any such knock-down test, though I am sure that at least some of them are useful as providing a more ore less strong prima facie case in favour of the presence of a conversational implicature. (Grice 1989a:42 f.)

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Ich möchte im Anschluß an ihre Darstellung die Einschätzung der Griceschen Abgrenzungspraxis in drei Thesen zusammenfassen, die m.E. den Kern dessen ausmachen, was den Implikaturen-Begriff als unterdeterminiert erscheinen läßt: 1. Auf der Basis der Griceschen Unterscheidungskriterien kann man konversationeile Implikaturen nicht hinreichend von Elementen der Situationsbedeutung (einer Äußerung oder eines Sprechers) abgrenzen. 2. Man kann auf der Basis dieser Kriterien auch konventionelle Implikaturen nicht hinreichend von Elementen der konventionellen, sprich: zeitunabhängigen Bedeutung von Ausdrücken abgrenzen. 3. Die aufgeführten Kriterien grenzen vielmehr konventionalisierte Ebenen der Signifikation einer Äußerung von nicht-konventionalisierten Ebenen ab, und zwar sowohl Implikaturen als auch Nicht-Implikaturen betreffend. Sie grenzen also konventionelle Bedeutung / konventionelle Implikaturen ab von Situationsbedeutung / konversationeilen Implikaturen, nicht aber - was sie eigentlich sollten - konventionelle / Situations-Bedeutung von konventionellen / konversationellen Implikaturen. Im nächsten Abschnitt sollen einige Argumente dafür eingebracht werden, daß diese drei Thesen die Situation zutreffend beschreiben, und es soll auf einige Kritikpositionen an Grice eingegangen werden, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Daran anschließend soll versucht werden, einen begrifflichen Rahmen für die Unterscheidung von Gesagtem und NichtGesagtem, von Diktum und Implikatum zu schaffen, auf dessen Grundlage Implikaturen generell definiert werden können.

3. Rezeption und Kritik Schon die frühen Reaktionen auf Grices Konversationslogik monieren übereinstimmend, daß der Implikaturenbegriff nicht vollständig determiniert sei. Cohen (1971) bestreitet unter Rekurs auf das Konzept der Implikatur, wie es in Grices frühem Aufsatz "The Causal Theory of Perception" ([1961]/1989b) vorformuliert war, dessen Sonderstatus und schlägt vor, die damit erfaßten Phänomene als semantische zu behandeln (s. Cohen 1971). Auch R.C.S. Walker (1979) stellt eine Definition von konversationeilen Implikaturen auf, die sie als Untertyp von nicht-natürlicher Bedeutung auffaßt. R.A. Wright scheint in seiner Krtik das Vorliegen einer Implikatur mit nicht-konventionellen Verwendungsweisen sprachlicher Ausdrücke zu identifizieren, wenn er schreibt:" [...] entscheidend für konversationale Implikatur ist, daß wir erkennen, wann eine konventionale sprachliche Äußerung nicht-konventional, d.h. unangemessen vorkommt." (1979:391), und er blendet damit offenkundig nicht-konventionelle Dikta sowie konventionale Implikata aus der Betrachtung aus. Ausführlich geht J.M. Sadock (1978) auf das Abgrenzungsproblem ein, wobei Ausgangspunkt seiner Kritik die Forderung nach hinreichender Unterscheidung der grammatisch-semantischen Aspekte sprachlicher Äußerungen von ihren pragmatischen ist. Sadock kritisiert vor allem, daß der Typus der konventionellen Implikatur nur unzureichend vom Typ der konversationeilen Implikatur abgegrenzt sei, wobei er den ersten Typ zur grammatisch-semantischen, den zweiten zur pragmatischen Seite einer Äußerung zählt. Insbesondere die von Grice angegebenen Tests sind seiner Auffassung nach völlig unzureichend, da

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sie die Abgrenzungsaufgabe nicht erfüllen, wobei er sich vor allem auf die Kriterien der Kalkulierbarkeit (hier "größerer Verarbeitungsaufwand" genannt), der Nicht-Ablösbarkeit und der Tilgbarkeit bezieht. Was das erste Kriterium betrifft, so ist es in Sadocks Sicht nicht hinreichend, denn das sprachlicher Kommunikation zugrundeliegende Kooperationsprinzip und die Maximen sind so vage, daß mit ihrer Hilfe fast alles kalkuliert werden kann, was kommuniziert wird nicht nur Implikaturen. So ist es immer möglich, Lesarten ambiger Ausdrücke auf der Basis konversationeller Prinzipien zu errechnen, obwohl der kürzere Weg darin bestünde, auf der Basis des semantischen Wissens eine Lesart auszuwählen, ohne zu rechnen. 11 Auch das Kriterium der Nicht-Ablösbarkeit erfüllt seine Funktion nicht, da es - worauf Grice schon selbst hingewiesen hatte - modalitätsbasierte Implikaturen nicht erfaßt, auf der anderen Seite aber auch in ein methodologisches Problem führt. Nicht-Ablösbarkeit besagt, daß bedeutungsgleiche Ausdrücke das gleiche Implikatum-Potential haben; so verstanden bietet dieses Kriterium jedoch geradezu einen Test für Bedeutungsgleichheit, denn semantische Unterschiede zwischen alternativen Ausdrücken zerstören mögliche Implikaturen-Lesarten. Hieraus entsteht ein Begründungsdilemma, das Bedeutungsgleichheit über mögliche Implikaturen, letztere wiederum über Bedeutungsgleichheit zu definieren erlaubt und somit Nicht-Ablösbarkeit als Test für Implikaturen weitgehend disqualifiziert (s. 289). Auch das Kriterium der Tilgbarkeit grenzt konversationeile Implikaturen weder von konventionellen Implikaturen noch von Dikta ab, da zum Beispiel konkurrierende Lesarten ambiger Sätze jederzeit getilgt werden können, woraus nicht folgt, daß diese dann konversationeile Implikaturen wären (s. 293f.). Sadock kommt schließlich zu dem Ergebnis: "There is, given the existing methodology, no way of knowing for sure whether an implicature is conversational." (296) Liegt das Interesse von Sadock darin, konversationeile von konventionellen Implikaturen sowie von Dikta abzugrenzen, wobei eben die Griceschen Tests den Dienst versagen, so geht es neueren Kritikansätzen zwar auch um eine zuverlässige Abgrenzung des Grammatisch-semantischen vom Pragmatischen, jedoch von einer anderen Perspektive aus. Der Tenor der neueren Kritikansätze geht dahin, daß pragmatische, also konversationellen Prinzipien unterliegende Schlußprozeduren sprachlicher Äußerungen nicht nur im Bereich der Implikata, sondern auch schon im Bereich der Dikta vorkommen, ohne daß diese deshalb als Implikaturen zählen müßten - ja könnten, wollte man die Grenze zwischen Diktum und Implikatum nicht vollends aufheben. Zu den Autoren, die den Anwendungsbereich der Konversations-Maximen auf traditionell der Semantik zugerechnete Phänomene ausdehnen, gehören R. Harnish (1976), G. Gazdar (1979), J. Atlas / S. Levinson (1981), D. Sperber / D. Wilson (1986), D. Wilson / D. Sperber (1986), D. Blakemore (1987), R. Kempson (1989), S. Levinson (in Vorbb.) - man kann also angesichts dieser Lage von einer allgemeinen Tendenz reden, die Gricesche Konversationslogik auch auf Diktum-Phänomene auszu1

Sadocks Beispiel ist der Satz "Wright letters well", der in gesprochener Form als Aufforderung verstanden werden kann, Buchstaben richtig zu schreiben (Write = Verb im Imperativmodus), aber auch per Kalkulation als Ermahnung aufgefaßt werden kann, richtig zu schreiben, indem man "Wright" als Personennamen interpretiert und so die Äußerung als Behauptung versteht, "that Wright letters well": Wright wäre hier eine vorbildhafte Person, deren Beispiel zu folgen ist. Dieser Fall ist sophistiziert, zeigt aber, daß im Prinzip immer der Weg der Kalkulation gewählt werden kann, auch wenn vom Sprecher keine Implikatur vollzogen wurde (s. Sadock 1978:286).

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weiten und damit gleichzeitig die Grenze zwischen Diktum und Implikatum, so wie sie von Grice gezogen wurde, in Frage zu stellen. Exemplarisch sei hier auf R. Kempsons Aufsatz "Grammar and conversational principles" (1989) verwiesen, die Grices Auffassungen so wiedergibt: According to Grice, the propositioiial content of the utterance ('what the speaker said') is determined by semantics as in the truth-conditional program; and the cooperative principle comes into play solely to determine the additional information (called implicatures) which a hearer might deduce from an untterance over and above such truth-conditional content. (140)

Kempson leitet daraus folgende Aufgabenstellung für ihre Arbeit ab: [...] to show that principles of grammar and pragmatic principles interact to determine prepositional content, a position precluded by both truth-conditional semantics and Gricean pragmatics. (141)

Kempsons Einwand, Grice habe in seinem Ansatz das Wechselverhältnis zwischen grammatischen und pragmatischen Prinzipien nicht berücksichtigt, setzt allerdings voraus, daß eine Angabe des Gesagten im Griceschen Sinne nur die Ebene der Satzsemantik erfaßt. Dieser Diktum-Begriff ist jedoch zu eng, wie man unter Rückgriff auf Grice selbst leicht zeigen kann. In folgender Passage wird deutlich, daß zur Bestimmung des Diktums durchaus auch über die Grammatik / Semantik der Ausdrücke hinausgehende Aspekte der Signifikation einer Äußerung notwendig sind: Wie ich das Wort "sagen" hier benutze, soll das, was jemand gesagt hat, in enger Beziehung zur konventionellen Bedeutung der von ihm geäußerten Worte (des geäußerten Satzes) stehen. (Grice 1979b:246)

Etwas später führt er aus, daß zur vollständigen Erfassung des Gesagten nicht nur die konventionelle Bedeutung gehört, sondern auch die Klärung der Identität der Referenzobjekte, der Zeitpunkt der Äußerung und die Auflösung von eventuell bestehenden Ambiguitäten. (s. 247) Was mit "Zeitpunkt der Äußerung" gemeint ist, wird von Grice nicht ausgeführt, allerdings liegt es nahe, die Determinantien dessen darunter zu subsumieren, was er an anderer Stelle die Situationsbedeutung einer Äußerung genannt hat: Hierzu gehören ideosynkratische Lesarten von Ausdrücken, Bestimmung temporaler oder lokaler Deiktika und anderes mehr. Analog dazu kann man die Klärung des Referenzbezugs und die Auflösung von Ambiguitäten der angewandten zeitunabhängigen Bedeutung einer Äußerung zuordnen, so daß hier klar wird, daß im Diktum sehr viel mehr steckt als nur grammatisch determinierte Bedeutung. Von Grice werden somit zentrale situative Bestimmungsgrößen für das Diktum angesetzt, nämlich genau die, die zur Bestimmung der angewandten zeitunabhängigen sowie der Situations-Bedeutung von Äußerungstypen erforderlich sind. Man sollte also den von Grice vertretenen Bedeutungsbegriff nicht auf einen formal-semantischen einengen, denn dies geht aus Grices Schriften nicht hervor. Mit D. Sperber und D. Wilson soll hier eine zweite exemplarische Kritikposition zu Wort kommen. Sie stellen in ihrem Buch Relevance (1986) eine basale Modifikation des Griceschen Implikaturenbegriffs vor und plädieren für seine Ersetzung durch die Dichoto-

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mie Explikatur / Implikatur.12 An den Anfang ihrer Argumentation stellen sie ihre Beschreibung der Ziele einer pragmatischen Theorie, die sie in einer zutreffenden Erklärung der Interpretationsaufgaben sehen, die der Adressat angesichts einer sprachlichen Äußerung zu bewältigen hat. Ein Teil dieser Aufgaben des Hörers besteht darin, die propositionale Form der wahrgenommenen Äußerung zu identifizieren, was Prozesse wie Disambiguierung, Referenzfixierung und semantische Anreicherung unvollständiger Äußerungen einschließt, eine andere besteht darin, die propositionale Einstellung - in der Regel vermittelt über den grammatischen Modus des geäußerten Satzes - zu ermitteln. Beide Prozesse sind inferentiell, und sie gehen über eine einfache Dekodierung des semantischen Gehalts eines geäußerten Satzes hinaus. Sperber/Wilson sprechen dabei von der "Entwicklung einer logischen Form" (s. 181f.), worunter sie den Prozess der Füllung der Leerstellen einer unvollständigen, mit freien Variablen bestückten Form in Richtung einer vollständig interpretierten, vereindeutigten und semantisch angereicherten propositionalen Form verstehen. Eine solchermaßen entwickelte propositionale Form taufen sie Explikatur, wobei das entscheidende Abgrenzungskriterium zu Implikaturen darin besteht, daß in Explikaturen die logische Form als Bestandteil immer noch enthalten und erkennbar sein muß. Eine Implikatur ist demgegenüber die Entwicklung von "Annahme-Schemata", die auf der Basis kontextueller Information und enzyklopädischen Weltwissens, also unabhängig von der enkodierten logischen Form der Äußerung gewonnen werden (s. 182). An Grice monieren Sperber/Wilson, daß die Äußerungsaspekte, die über die propositionale Form und die ausgedrückte propositionale Einstellung in einer sprachlichen Äußerung hinausgehen, der Domäne der Implikaturen zugewiesen werden, und dies ist ihrer Ansicht nach zu viel. Am Beispiel der konventionellen Implikaturen - deren Existenz sie bestreiten machen sie deutlich, daß die in ihnen enthaltene Information nicht als Implikatur, sondern als Teil der Explikatur aufzufassen ist, als Ergebnis des Prozesses mithin, den sie als Entwicklung einer logischen Form gekennzeichnet haben (s. 182f.). Sie kommen zu folgender Diagnose: Most Gricean pragmatiste assume without question that any pragmatically determined aspect of utterance interpretation apart from disambiguation and reference assignment is necessarily an implicature. (183)

und sie fügen hinzu: Generally speaking, we see the explicit side of communication as richer, more inferential, and hence more worthy of pragmatic investigation than do most pragmatists in the Gricean tradition, (ebd.)

Zu dieser Einschätzung ist zu sagen, daß sie die Tendenz der griceanischen Autoren möglicherweise zutreffend wiedergibt; Grices Ansatz selbst unterliegt jedoch dieser Kritik nicht, da die reiche, schlußbasierte Seite der nicht-implikatum-basierten Kommunikation durchaus in seinem Explikationsgerüst für nicht-natürliche Bedeutung Platz findet. Mein Einwand gegen Sperber/Wilsons Einwand gegen Grice läßt sich auf den Nenner bringen, daß sie die Grice-Rezeption einiger Pragmatiker mit Grices Konzeption selbst verwechseln. Es gibt in Grices Arbeiten eben die genannten zwei Bedeutungsaspekte, die einen 12

Ich beziehe mich hier vor allem auf das Kapitel 4,2: Verbal communication, explicatures and implicatures, S. 176-183.

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Ausweg aus dem Zwang weisen, jede pragmatisch zu beschreibende Äußerungskomponente als Implikatur zu klassifizieren. Sperber / Wilson unterschätzen tendenziell - in vergleichbarer Weise wie auch R. Kempson - die Erklärungskraft solcher Konzepte wie "angewandte zeitunabhängige Bedeutung" und "Situationsbedeutung eines Äußerungstyps", die durchaus mehr beinhalten als Disambiguierung und Referenzfixierung. Inferentielle Prozesse sind allemal in Grices Modell des M-Intendierens unterzubringen, so daß ein großer Teil der Griceschen Semantik dem Vorwurf entgeht, es ginge hier nur um harmlose Justierungen von Deutungsalternativen. Sieht man sich den Griceschen Begriff des Gesagten genauer an, dann entdeckt man, daß sein Modell sehr viel weniger, oder besser gesagt in einer anderen Hinsicht reformierungsbedürftig ist, als von Sperber / Wilson und anderen Grice-Rezipienten, zum Beispiel von D. Blakemore und R. Carston angenommen worden ist. 14 Dies soll im folgenden Anschnitt genauer gezeigt werden, zuvor jedoch möchte ich ein Argument nicht übergehen, das die Grice-Diskussion von einer ähnlichen Perspektive aus betrachtet, wie sie hier eingenommen wird, und das ebenfalls den zentralen Stellenwert des Diktum-Begriffs betont - es stammt von Kent Bach. Bachs Verdienst ist es zunächst, einen einen realistischen Begriff von Pragmatik in die Debatte eingebracht zu haben, wenn er sagt: [...] that pragmatic processes are involved even in cases where one means exactly what one says. From the hearer's point of view, not to read anything into an utterance and to take the (literal) meaning as determining all the speaker means is a matter of contextual interpretation just like [...] expanding the utterance. (Bach 1994:280)

Hieraus allein folgt schon, daß der Nachweis pragmatischer Schlußprozesse im Bereich des Gesagten nicht Anlaß sein kann, Implikaturen zu diagnostizieren, denn selbst bei offenkundig un-implikativen Äußerungen sind diese unverzichtbar, und dies genau deswegen, weil sie zum Ergebnis führen, daß das Gesagte alles war, was kommuniziert wurde (ein nicht gerade sehr häufiger Fall verbaler Kommunikation). Das Gesagte in Bachs Sinn umfaßt nun genau das, was in engem Bezug auf die konventionelle Bedeutung des geäußerten Satzes als seine de/àw/Hnterpretation aufgefaßt werden kann, "[...] the least (as it were) a speaker could mean in using the sentence." (272) ; es stattet den Hörer mit dem sprachlichen Grundwissen aus dafür, daß er das darüber Hinausgehende oder das anstelle dessen Gemeinte erschließen kann. Dieser erschlossene und übers Gesagte hinausgehende Bestandteil der Gesamtsignifikation einer Äußerung ist aber nicht in jedem Fall eine Implikatur, wiewohl er auch nicht zum explizit Geäußerten gehört. Bach wählt die Vokabel "impliciture", um diejenige Schicht der Äußerung zu kennzeichnen, die zwischen Diktum und Implikatum sitzt, und die aus Vervollständigungen und Erweiterungen des Gesagten hin zu einer in dem jeweiligen Kontext angemessenen und vollständigen Äußerung besteht. 15

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s. Blakemore (1987; 1992), Carston (1988). Gegen Sperber/Wilson gewandt formuliert Bach: "[...] the resulting proposition is not identical to the proposition being expressed explicitly, since part of it does not correspond to any elements of the uttered sentence. So it is inaccurate to call the resulting proposition the explicit content of the utterance or an explicature. I will instead call it an impliciture." (273) Zu dieser begrifflichen Debatte s. a. Récanati 1991:102).

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Ob man nun eine solche Zwischenkategorie für notwendig hält oder nicht - wichtig und erhellend an Bachs Position ist die Rückbesinnung auf den Begriff des Gesagten, der nur das umfaßt, was auch an der Oberfläche der sprachlichen Äußerung - explizit - erscheint; andererseits werden aber auch pragmatische Schlußprozesse zugelassen, die nicht sofort dem Bereich der Implikaturen zugewiesen werden. Auf der Basis dieser Auffassung ist es am ehesten möglich, die Dichotomie explizit / implizit von der Dichotomie konventionell / nicht-konventionell zu unterscheiden, denn die besagten pragmatischen Schlußprozesse würden ja den expliziten nicht-konventionellen Äußerungsbestandteil umfassen. Ich möchte im Folgenden zwar dem Geist, aber nicht dem Buchstaben von Bachs Ansatz folgen, insbesondere werde ich die Annahme einer zwischen Diktum und Implikatum angesiedelten Ebene des zwar nicht Expliziten, aber auch nicht Implikatierten vermeiden, um nicht allzu kraß gegen "Ockham1 s razor" zu verstoßen. Andererseits soll der Begriff des Gesagten erheblich aufgewertet werden, und er soll aus seiner Verkettung mit dem Begriff des Konventionellen, die ja auch durch Grice selbst nahegelegt wird, befreit werden. Ein erster Anlauf zur Klärung dieser Frage soll nun unternommen werden, indem die Frage der Abgrenzung von Diktum und Implikatum neu angegangen wird.

4. Aufräumarbeiten im Grenzbereich Das Ergebnis des obigen 2. Abschnitts war, daß Grices Abgrenzungskriterien lediglich die Differenzierung von konversationellen Implikaturen einerseits und konventionellen Implikaturen sowie Dikta andererseits leisten können, nicht jedoch die Differenzierung von Implikaturen und Nicht-Implikaturen. Die Suche nach einem solchen generellen Kriterium muß nun dort beginnen, wo das Gesagte näher bestimmt wird. In seinem Aufsatz "Sprecher-Bedeutung, Satz-Bedeutung und Wort-Bedeutung" (1979a: 89 ff.) definiert Grice das Gesagte versuchsweise als den Fall, in dem Situationsbedeutung und zeitunabhängige Bedeutung koinzidieren, um jedoch gleich darauf mit Verweis auf konventionelle Implikaturen den hinreichenden Charakter dieser Definition in Frage zu stellen. Wie am Beispielssatz (10) deutlich wurde, ist die Koinzidenz von Situations- und zeitunabhängiger Bedeutung in der Tat keine Garantie für das Vorliegen von Gesagtem, denn konventionelle Implikaturen weisen ebenfalls diese Koinzidenz auf, ohne daß sie ein Fall von Gesagtem wären. Hiermit stehen wir wieder am Anfang unserer Suche nach einer Abgrenzung, denn Hinweise darauf, wie eine hinreichende Definition von Gesagtem lauten könnte, werden in Grices Ausführungen nicht gegeben. Allerdings ist deutlich geworden, daß die Unterscheidung Koinzidenz versus Nicht-Koinzidenz (von Situations- und konventioneller Bedeutung) nicht mit der Unterscheidung von Gesagtem versus Nicht-Gesagtem zusammenfällt. Dies kann das folgende Schema verdeutlichen:

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Koinzidenz

Situationsbedeutung in Koinzidenz mit zeitunabhängiger Bedeutung

Nicht-Koinzidenz

konventionelle Implikaturen

Gesagtes

konversationelle Implikaturen

Nicht-Gesagtes

Hier wird noch einmal sichtbar, daß eine Abgrenzung von koinzidenten und nicht-koinzidenten Verwendungen nicht die Abgrenzung von Gesagtem und Nicht-Gesagtem impliziert, sondern daß es den mit konventionellen Implikaturen gefüllten Überlappungsbereich gibt, der koinzidente und nicht-gesagte Signifikationskomponenten umfaßt. Wir können also drei Fälle unterscheiden: 1. Das Gesagte und koinzident Kommunizierte. 2. Das Nicht-Gesagte und koinzident Kommunizierte. 3. Das Nicht-Gesagte und nicht-koinzident Kommunizierte. Eine reizvolle Frage wäre es, ob es auch einen vierten Fall gibt: Das Gesagte und nichtkoinzident kommunizierte. Die Antwort auf diese Frage ist abhängig davon, ob man nichtkoinzidente Fälle von Situationsbedeutung zuläßt, die nicht auf Implikaturen zurückzuführen sind. Ich würde diesen Fall jederzeit zulassen, unter anderem deswegen, weil es neben dem konventionellen Korrelationsmodus von Gesagtem und Gemeintem weitere Modi gibt, die nicht-konventionell sind (Grice erwähnt ikonische und assoziative Korrelationsmodi). Ich möchte diese Frage hier allerdings nicht weiter verfolgen, sondern die drei ersten Fälle ausführlicher kommentieren: Fall 1 liegt vor, wenn der Äußerer eines Satzes es beim Sagen dieses Satzes mit seiner konventionellen Bedeutung beläßt, wenn also die Situationsbedeutung des Äußerungstyps mit seiner zeitunabhängigen Bedeutung koinzident ist. Äußert S den Satz (13) Der Hund liegt auf dem Läufer. und referiert er mit Hund auf ein entsprechendes Säugetier, mit Läufer auf einen länglichen Teppich und prädiziert er mit liegen von dem Hund eine Position oberhalb des und in unmittelbarem Kontakt mit dem Läufer(s), dann ist (13) ein Beispiel für den Fall 1. Allein in diesem harmlos wirkenden Fall spielen sehr komplexe pragmatische Schlußprozesse eine Rolle, auf die ja schon im Zusammenhang mit K. Bachs Ansatz hingewiesen wurde. Die Erkenntnis, daß die Situationsbedeutung eines Äußerungsexemplars von (13) mit der

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zeitunabhängigen Bedeutung des Äußerungstyps (13) übereinstimmt, ist schon der erste Interpretationsschritt, den der Hörer leisten muß, um den Sprecher korrekt zu verstehen. Neben der Referenzfixierung (welcher Hund, wessen Läufer?) und der Klärung von Ambiguitäten (kein Marathonläufer) sind weitere Auswahlprozesse erforderlich, die auf der Basis des Weltwissens, bestimmter Hintergrundkenntnisse und situationsbezogener Kenntnisse mögliche, aber offenkundig nicht intendierte Lesarten dieses Äußerungstyps blockieren. 16 Diese und weitere Ingerenzen können als Ausdifferenzierungen der (in Koinzidenz mit der konventionellen Bedeutung befindlichen) Situationsbedeutung aufgefaßt werden, ohne daß ein inflationärer Gebrauch von implikaturen-basierten Erklärungen an dieser Stelle gemacht werden müßte. Sie scheiden per definitionem aus, weil dies den Status von 1. als Gesagtem aufheben würde. Dies heißt jedoch nicht, daß an dieser Stelle nicht der gleiche Typ von Schlußprozessen vorkommen dürfte, der in anderem Zusammenhang zu Implikaturen führt: Es kommt bei der Entscheidung, ob Implikaturen vorliegen, nicht auf den angewandten Inferenztyp an, sondern auf die Kontextbedingungen, die in die Prämissenmenge eingehen; für den Fall, daß ein erkennbarer Verstoß gegen Konversationsmaximen Teil des adressatenseitigen Kontextwissens ist, liegt eine Implikaturen-Interpretation des Geäußerten nahe, in allen anderen Fällen ist diese Interpretationsmöglichkeit nicht lizensiert, was dann zu einer Diktum-Interpretation führt. Die Fälle 2. und 3. wurden bereits vorgestellt - es sind jeweils konventionelle (2) bzw. konversationeile Implikaturen (3), und sie müssen hier nicht erneut erörtert werden. Stattdessen soll an dieser Stelle die Frage angegangen werden, wie eine Abgrenzung des Gesagten zum Nicht-Gesagten zu bewerkstelligen ist, so daß der Fall 1. von den Fällen 2. und 3. unterschieden werden kann. Mit anderen Worten: Was heißt "etwas sagen"? Für die Zwecke der Analyse soll der Begriff des Sagens in einer ersten Annäherung wie folgt eingegrenzt werden: Ein Sprecher S sagt etwas genau dann wenn: (i) S äußert eine strukturierte Kette von visuell oder akustisch wahrnehmbaren Grundelementen. (ii) S bezieht sich mittels eines Segments dieser Kette auf eine (Menge von) Entität(en) und charakterisiert diese Entität(en) mittels eines anderen Segments hinsichtlich bestimmter Eigenschaften. (iii) Indem S diesen Bezug und diese Charakterisierung leistet, vollzieht er, auf der Basis allgemein akzeptierter Korrelationsprinzipien, eine selbständige kommunikative Handlung H. Bedingung (i) soll den Fall der Äußerung eines prototypischen Satzes wie (13) beschreiben, wobei diese Äußerung auf unterschiedliche Weise realisiert werden kann: mündlich, schriftlich, gebärdensprachlich etc. Die erforderliche Struktur ist eine syntaktische, die die Aufeinanderfolge der Elemente dieser Kette steuert. Bedingung (ii) bezieht sich auf die prototypischen Funktionen, die eine solche Äußerung aufgrund der semantischen Eigen16

Zur Vielfalt von Hintergrundkenntnissen und ihrer Relevanz für die Blockierung exotischer Interpretationsmöglichkeiten vgl. Searle (1982a).

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Schäften ihrer verketteten Elemente erfüllt, wobei diese Funktionen mit "Referenz" und "Prädikation" umrissen werden können. Die für diesen Zusammenhang wichtigste Bedingung ist (iii). Sie enthält zwei Unterbedingungen, deren erste die Regelung beinhaltet, daß die beabsichtigte kommunikative Handlung auf der Basis allgemein akzeptierter Korrelationsprinzipien vollzogen werden muß. Hiermit ist gemeint, daß die vom Sprecher dem (den) Adressaten hypothetisch unterstellten Zuordnungspräferenzen von geäußertem Element und kommunikativem Handlungs1Π ziel auch gewählt werden müssen, wenn ein Fall des Sagens vorliegen soll. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, dann ist das vom Sprecher Kommunizierte nicht gesagt worden, sondern es ist eine konversationeile Implikatur vollzogen worden. Die zweite Unterbedingung schließt unter anderem Fälle aus, in denen mit einem sprachlichen Ausdruck eine spezifische Beziehung zwischen zwei oder mehreren kommunikativen Handlungen angezeigt wird, ohne daß dies selbst eine Handlung ist. Ist diese zweite Bedingung nicht erfüllt, dann ist das vom Sprecher Kommunizierte nicht gesagt, sondern es ist eine konventionelle Implikatur vollzogen worden. Ich möchte diese Unterbedingungen im folgenden kurz erläutern: Die erste Unterbedingung beruft sich auf die Notwendigkeit allgemein akzeptierter Korrelationsprinzipien. Diese Bedingung ist sehr weit, um auch Fälle jenseits der konventionellen Bedeutung der verwendeten Ausdrücke einschließen zu können. Um die Bandbreite dieses Kriteriums zu erfassen, kann man sich eine Skala vorstellen, an deren einem Ende feste, konventionelle Zuordnungen von Form und Funktion stehen, von denen aus man sich über solche Instanzen wie einer schicht- oder gruppenspezifischen, auch dialektalen Korrelationspraxis bis hin zu kleingruppenspezifischen oder Sprecher/Adressaten-spezifischen Korrelationsprinzipien bewegt. Leitend bei diesem Kriterium ist eine Entscheidung darüber, ob der Sprecher über Evidenzen verfügt, daß das von ihm Geäußerte beim Adressaten gewohnheitsmäßig mit einem Gemeinten verknüpft wird. Gehört eine solche Verknüpfung nicht zur Gewohnheit seines Adressaten, dann hat der Sprecher das, was er kommuniziert hat, nicht gesagt. Aus der Nicht-Erfüllung dieses Kriteriums folgt, daß eine konversationelle Implikatur vollzogen wurde, wie man an folgendem Beispiel sieht: (14) Arno: Wieviel Einwohner hat Finnland? Berta: Wenig. Nehmen wir als Kontextbedingung an, Arno wollte nicht nur wissen, ob Finnland wenig oder viel Einwohner hat, sondern er wollte die Einwohnerzahl erfahren. Für den Fall, daß Berta diese Kontextbedingung kennt (und Arno dies weiß), hat sie nachvollziehbar gegen die Gricesche Konversationsmaxime der Quantität verstoßen, genauer gegen die erste Untermaxime: "Mache deinen Beitrag so informativ wie (für die gegebenen Gesprächszwecke) nötig." (Grice 1979b:249) Da wir angenommen haben, daß der Gesprächszweck darin bestand, die Einwohnerzahl Finnlands zu erfahren, ist Bertas Antwort als Verstoß gegen die erste Quantitäsmaxime zu werten. Zur Aufrechterhaltung der Kooperativitätsannahme kann folgendes Bündel von Lesarten für Bertas Antwort angenommen werden:

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Näheres zur Korrelation von Handlungsziel und gewähltem sprachlichem Ausdruck ist in Liedtke (1987) ausgeführt.

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(i) Ich weiß nicht, wieviel Einwohner Finnland hat. (ii) Die von dir gewünschte Antwort liegt außerhalb dessen, was man über Finnland wissen muß. (iii) Nerv' mich nicht immer mit diesen ausgefallenen Fragen. (iv) Ich will deine Frage nicht beantworten. Dies sind mögliche konversationeile Implikaturen, die Berta mit ihrer Antwort vollziehen kann - die Liste ist offen, da Implikaturen ja unbestimmt sind und somit beliebig viele Lesarten angenommen werden können. Nach unserem Kriterium für Gesagtes bzw. Nicht-Gesagtes müssen die Lesarten (i) - (iv) außerhalb allgemein akzeptierter Korrelationsprinzipien liegen. Es ist offenkundig, daß dies der Fall ist. Der Übergang von Finnland hat wenig Einwohner, zu Ich weiß nicht, wieviel Einwohner Finnland hat. - und erst recht zu den anderen Lesarten aus dem angegebenen Bündel - ist nicht auf Korrelationsprinzipien zurückführbar, die Berta als konventionell (das soziale Ende der Korrelationsskala) oder bei Arno als gewohnheitsmäßig (das individuelle Ende der Skala) voraussetzen könnte: Es gibt keine Evidenz dafür, daß Berta berechtigterweise Arno ein Zuordnungsprinzip unterstellen kann, das diesen Übergang enthält. 18 Nachdem nun exemplarisch gezeigt wurde, daß das Nicht-Einhalten allgemein akzeptierter Korrelationsprinzipien das Nicht-Sagen des Kommunizierten zur Folge hat und somit zu einer konversationeilen Implikatur führt, soll im folgenden die zweite Unterbedingung, die zu konventionellen Implikaturen führt, ausbuchstabiert werden. Als klassische Fälle konventioneller Implikaturen gelten Beziehungen zwischen Teilsätzen, die durch Konjunktionen angezeigt werden. Der Grund, solche Relationen nicht zur Bedeutung der betreffenden Sätze zu zählen, sondern als Implikaturen zu behandeln, liegt darin, daß sie für den Wahrheitswert des Satzes nicht relevant sind. Im obigen Beispiel (9) wurde die durch daher ausgedrückte Kausalitätsbeziehung als Implikatum identifiziert, weil ihr Nicht-Zutreffen den komplexen Satz als ganzen nicht falsch werden läßt. Das Merkmal des fehlenden Einflusses auf die Wahrheitswert-Zuordnung deutet darauf hin, daß konventionelle Implikata zu schwach sind oder einen geringeren Status im Satz haben als Elemente, die im Satz gesagt werden. Allerdings ist die Bedingung der Wahrheitswert-Fähigkeit für Dikta nicht hinreichend, denn es gibt außerordentlich viele Fälle von Gesagtem, die sich einer Beurteilung hinsichtlich eines Wahrheitwertes systematisch entziehen - Befehle, Fragen, Exklamationen, Inteqektionen etc. ad lib. Es ist also nicht alles Impli18

Unter sehr speziellen Kontextannahmen kann man natürlich auch hier eine etablierte Korrelation annehmen (etwa eine Verabredung oder eine eingeschliffene Praxis zwischen zwei Individuen). Dies hat allerdings lediglich den Effekt, daß die Lesart (i) der von Berta gegebenen Antwort zu dem zählen würde, was sie gesagt hat, und daß resultierend daraus keine Implikatur ausgeführt wurde - eine sich konsistent aus dem Kriterium ergebende Konsequenz.

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katum, was eines Wahrheitswerts ermangelt, so daß man ein engeres Kriterium braucht, wenn man das Gesagte aussondern will. In der vorgeschlagenen Explikation für Dikta wird auf ein handlungstheoretisches Kriterium zurückgegriffen, das es erlaubt, auf der Ebene der Äußerung von Ausdruckstypen bestimmte Anforderungen an das zu stellen, was als Gesagtes gelten soll. In dieser Bedingung wird das Vollziehen einer vollständigen kommunikativen Handlung zur Voraussetzung für den Status des Geäußerten als Gesagtem gemacht, so daß alles, was als Teil einer kommunikativen Handlung und somit als unvollständig gilt, nicht dazu zählen kann. Um dieses Kriterium zu veranschaulichen, seien einige Beispiele für konventionelle Implikaturen gegeben: (15) Sogar Gerd liebt Hannelore. Karttunen/Peters (1979), von denen dieses Beispiel stammt, klassifizieren das Wort sogar in (15) als Träger mehrerer konventioneller Implikaturen, zu denen mindestens folgende gehören: (i) Außer Gerd lieben noch andere Leute Hannelore. (ii) Gerd ist von allen Leuten der Letzte, der Hannelore lieben würde. Ein überzeugender Test, den Karttunen/Peters zur Identifikation von konventionellen Implikaturen einführen, besteht in der Einbettung des in Frage stehenden Satzes: (16) Mir wurde gerade klar, daß sogar Gerd Hannelore liebt. In dieser Umgebung kann man für den dajS-Satz die Versionen (i) und (ii) nicht einsetzen, ohne daß ein völlig anderer Sinn entsteht, und dies ist für sie Evidenz für die Annahme, daß weder (i) noch (ii) zur Bedeutung des Satzes (16) gehören können - sie sind konventionelle Implikata. Weitere Beispiele sind folgende: (17) Kuno ist Gebrauchtwagenhändler, aber er ist ein ehrlicher Mensch. (Implikatum: Es besteht ein Kontrast zwischen Kunos Beruf und seinem Charakter.) (18) Kuno ist ein ehrlicher Mensch, aber er ist Gebrauchtwagenhändler. (Implikatum: Es besteht ein Kontrast zwischen Kunos Charakter und seinem Beruf - Letzteres schränkt die Allgemeingültigkeit der Charakterbeschreibung ein.) (19) Ingo stürzte aus dem Bett und knipste das Licht an. (Implikatum: Die Reihenfolge der Ereignisse in der Welt entspricht deijenigen im Satz.) (20) Ingo knipste das Licht an und stürzte aus dem Bett. (Implikatum wie (19), nur eben in umgekehrter Reihung).

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(21) Das Sofa kostet nur 800 Mark. (Implikatum: Normalerweise kostet ein Sofa mehr als 800 Mark.) (22) Auf Wiedersehen, der Herr. (Implikatum: Der Sprecher erweist dem Adressaten Respekt.) (23) Tamilisch: niinka vaatiyaar. = Sie sind der Lehrer. (Implikatum des gebundenen Morphems -nka: Hoher Respekt des Sprechers gegenüber dem Adressaten; s. Levinson 1979)19 Es sind sehr unterschiedliche Ausdrücke, die in den Beispielen (15) und (17) - (23) als Träger der konventionellen Implikatur identifiziert werden können - Konjunktionen, Partikel, Phraseologismen, gebundene Morpheme -, und dennoch haben sie eine Gemeinsamkeit. Diese besteht darin, daß die Träger-Ausdrücke, wie man sie vielleicht ohne allzu große Verdinglichung nennen kann, durchweg nicht geeignet sind, als sprachliche Mittel zum Vollzug einer selbständigen kommunikativen Handlung zu fungieren. Weder mit sogar, noch mit aber, und oder nur, noch mit der Herr oder mit -nka, noch mit weder-noch läßt sich eine solche Handlung vollziehen. Eine mögliche Funktion dieser Ausdrücke besteht vielmehr darin, entweder eine komplexe kommunikative Handlung zu strukturieren und ihre Teile in eine bestimmte Art von Beziehung zueinander zu setzen, oder zwei kommunikative Handlungen in eine Beziehung dieser Art zueinander zu bringen: beides gilt für die koordinierenden Konjunktionen. Teilweise leisten diese Ausdrücke auch eine Anknüpfung an gemeinsames Weltwissen von Sprecher und Adressat, ihren "common ground" (dies gilt für die Partikeln sogar und nur). Schließlich bilden sie eine soziale Beziehung zwischen den Kommunizierenden ab oder leisten einen Beitrag zu ihrer Konstituierung (Ehrerbietung oder Höflichkeit). Um sich vor Augen zu führen, welcher funktionale Unterschied zwischen Implikata der genannten Art und Dikta besteht, kann man annehmen, (15i) wäre kein Implikatum von (15), sondern eine selbständige Behauptung. Sofort fällt auf, daß dieser Satz eine ganz andere Lesart bekommt, eine Lesart, die Mitleid mit Gerd weckt. Dieser Effekt kann als Implikatum von (15i) interpretiert werden, und er tritt nur auf, wenn (15i) als Diktum interpretiert wird. Das Implikatum (15i) kann diesen Effekt schon aus definitorischen Gründen nicht haben, denn Implikaturen bauen auf konventioneller Bedeutung auf, nicht auf anderen Implikaturen. Doch auch empirisch ist dieser Lesartenunterschied erklärlich, denn es gibt ja im Implikatumfall immer die Diktum-Grundlage, die eine interpretatorische Perspektive vorgibt. Diese ist im vorliegenden Fall so beschaffen, daß eher Gerds Antipathie gegenüber Hannelore im Vordergrund steht (deshalb Implikatum ii), und eine Mitleids-Interpretation liegt von daher schon fern. Der Vergleich zwischen (15i) als Diktum und als Implikatum zeigt also eine grundsätzliche funktionale Differenz, die auf den jeweils unterschiedlichen kommunikativen Status beider Signifikationsmodi zurückzuführen ist. Daß sogar und die anderen Ausdrücke nicht als kommunikative Handlungsindikatoren dienen können, ist auch von einer anderen Seite aus unmittelbar einleuchtend, wenn man 19

Zu weiteren Fällen der Verwendung von Satzverknüpfern und ihrer implikaturenbasierten Interpretation s. Posner (1979).

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sich nämlich die Sprachmittel daraufhin ansieht, ob sie überhaupt Träger einer Behauptung oder einer anderen kommunikativen Handlung sein können. Will man nicht die kuriose Auffassung vertreten, in dem Wort sogar sei eine potentielle Behauptung enthalten, die bei Bedarf Zieharmonika-artig auf den vollen Umfang ausgedehnt wird, dann bleibt keine andere Wahl, als solchen Interpretationen wie (i) oder (ii) einen Status als selbständige kommunikative Handlung abzusprechen. Die Auffassung, die hier vertreten werden soll, ist die, daß konventionelle Implikata kommunikative Effekte sind, die sich üblicherweise aus dem Vollzug von kommunikativen Handlungen ergeben (wobei sie intendiert sein können oder auch nicht!), jedoch immer auf die sie tragende Handlung angewiesen sind und nie selbständig auftreten können. 20 Grice selbst hat diesen Punkt angedeutet, indem er im Verlaufe der Diskussion des Tapferer-Engländer-Beispiels zentrale und nicht-zentrale Sprechakte voneinander unterschieden hat und konventionelle Implikaturen als nicht-zentrale Sprechakte klassifiziert hat. Er schreibt: Die problematischen Elemente [daher, des weiteren,... p.L.] werden mit gewissen Sprechakten verknüpft, die als gewissen Elementen bzw. einer Disjunktion von Elementen aus der Menge der zentralen Sprechakte nachgeordnet bzw. in ihrem Vollzug von diesen Elementen abhängig erwiesen werden. (1979a:91)

Von der hier eingenommenen Warte aus kann man Grice folgen, was den Aspekt der Nachgeordnetheit oder der Abhängigkeit betrifft. Was jedoch nicht angenommen werden soll, ist die Charakterisierung als Sprechakt-Indikatoren. Und beispielsweise indiziert keinen Sprechakt des Hinzufügens, denn dies würde zu einer Proliferation von Sprechakten führen, die keinen bemerkenswerten Grad an Beschreibungsadäquatheit mehr beanspruchen dürfte. Dies gilt auch für die anderen Konjunktionen und Partikeln, auch für Phraseologismen des angeführten Typs und erst recht für gebundene Morpheme. Die Bedingung (iii) aus unserer Explikation für "etwas sagen" bietet also insgesamt ein allgemeines Unterscheidungskriterium für die Signifikationsmodi des Diktums und des Implikatums, des Gesagten und des Nicht-Gesagten, wobei dieses Kriterium nicht zusammenfallt mit der Unterscheidung zwischen konventionellen und nicht-konventionellen Signifikationsmodi. Im Falle einer fehlenden allgemein akzeptierten Korrelation zwischen Gesagtem und Gemeintem oder im Falle fehlender kommunikativer Selbständigkeit des Geäußerten liegt eine Situation vor, daß etwas kommuniziert wird, ohne daß es gesagt wird. Wenn man die Kriterien (i) - (iii) nicht als negative Abgrenzungskriterien gebraucht, sondern wenn man sie positiv liest, dann erhält man notwendige Bedingungen für den Vollzug von Sprechakten, die ja üblicherweise als selbständige kommunikative Handlungen definiert werden. Auch Sprechakte sind ja angewiesen auf eine allgemein akzeptierte Korrelation von Gesagtem und Gemeintem, und eine gewisse minimale Komplexität des Geäußerten ist ebenfalls unabdingbar, will man eine vollständige sprachliche Handlung vollziehen. Überträgt man diese Analogie auf das Definitions- und Abgrenzungsproblem von Implikaturen, so kommt man zu dem Ergebnis: Implikaturen sind keine Sprechakte. 20

Diese Auffassung entspricht der von Anton Marty vorgenommenen Unterscheidung von autosemantischen und synsemantischen Sprachmitteln. Autosemantika sind danach "... für sich allein genommen der vollständige Ausdruck eines mitteilbaren psychischen Erlebnisses ...", Synsemantika sind dagegen lediglich mitbedeutend. S. Marty (1908), 226.

Das Gesagte und das Nicht-Gesagte

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Akzeptiert man diese Auffassung, so bekommt man einige gute Argumente dafür in die Hand, warum es Implikaturen überhaupt geben sollte und wozu sie dienen. Es ist ja in hohem Maße erklärungsbedürftig, warum Sprecher häufig den kommunikativ aufwendigen und unsicheren Weg der verbalen Schein-Irrationalität dem ökonomischen und sicheren Weg des konventionsbasierten Sprachverhaltens vorziehen, und eine Erklärung dieses Faktums kann sich genau die Erkenntnis zunutze machen, daß Implikaturen keine Sprechakte sind. Drei zentrale kommunikationstheoretische Eigenschaften von Implikaturen lassen sich auf den fehlenden Sprechaktstatus zurückführen: Der Sprecher muß nur bis zu einem gewissen Punkt die Verantwortung für die Implikatur übernehmen. Die Eigenschaft der Tilgbarkeit macht es ihm - in unterschiedlichen Graden - immer möglich, sich auf's Gesagte zurückzuziehen und jede weitergehende Interpretation abzulehnen. Implikaturen sind kein "fait social", es werden durch sie keine verbindlichen Interaktionsbedingungen geschaffen, die Sprecher wie Adressaten zu etwas verpflichten - wie dies bei Sprechakten der Fall ist. Auf der anderen Seite ist der Adressat stark in den Kommunikationsablauf eingebunden. Seine kooperationswahrende Interpretation läßt eine Implikatur überhaupt erst entstehen, so daß die Verantwortung für diese auch zu einem großen Anteil auf seiner Seite liegt. Ich bin der Auffassung, daß sich dieser adressatenseitige Anteil nicht nur auf "R-based implicatures" bezieht, wie L. Horn (op.cit.) es sieht, sondern für alle Implikaturen gilt. Die Kalkulation, auch wenn sie vom Sprecher durch scheinbar unkooperatives Verhalten induziert wurde, führt der Adressat aus, und so geht das Ergebnis dieses Prozesses zu einem großen Teil auf seine Rechnung. Schließlich ist der Sprecher nicht auf eine Interpretation dessen, was er gesagt hat, festlegbar. Er kann sich jederzeit auf ein anderes Element des Implikatum-Potentials beziehen und sich so Versuchen, ihn festzulegen, immer wieder entziehen. Implikaturen sind unbestimmt, und dies ist für bestimmte Zwecke von großem Vorteil. Diese drei Eigenschaften von Implikaturen sind völlig untypisch für Sprechakte oder sogar unverträglich mit ihrem Vollzug. Implikaturen sind geeignete Mittel, um etwas zu kommunizieren, was aus unterschiedlichen Gründen nicht gesagt werden soll. Hierbei können sprecherseitige (Imagewahrung oder Immunisierungsstrategie) oder adressatenseitige Motive (Imageschonung oder Täuschung) im Vordergrund stehen - die Funktion von Implikaturen ist in beiden Fällen auf ihren fehlenden Sprechaktstatus zurückzuführen. Ihr Vorteil besteht darin, daß sie kommunikative Realität besitzen, ohne daß sie den Verbindlichkeitsgrad von Sprechakten aufweisen, und dies gilt für Sprecher wie für Adressaten. Für etwas, was man nicht gesagt hat, kann man nur in eingeschränkter Weise haftbar gemacht werden, wobei der Weg, sollte doch das Bedürfnis nach Verantwortungs-Zuweisung entstehen, in einem Aufzeigen der Entstehung der Implikatur bestehen muß. Gegen diese Auffassung könnte eingewandt werden, daß hiermit der Status von Implikaturen unterbewertet wird. Implikaturen werden, so könnte man argumentieren, in gleicher Weise bewertet und von den Kommunikationspartnern anerkannt wie Sprechakte, und deshalb seien Implikaturen eine besondere Spezies von Sprechakten, die eben nur bestimmte Sonderbedingungen zu erfüllen hätten, zum Beisiel die, daß ein offenkundiger Verstoß gegen Konversationsmaximen vorliegen muß. Diese Auffassung führt geradewegs auf einen Holzweg. Zunächst zwingt sie zu der Konstruktion von Sprechakten, die nicht gesagt sind,

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F. Liedtke

also von Sprechakten, die keinen Äußerungsakt aufweisen - oder einen anderen als den, der ihrer endgültigen Interpretation unterliegt. Solche Sprechakte gibt es nach den gängigen Definitionen nicht, so daß die Auffassung, Implikaturen seien Sprechakte, schon per definitionem falsch ist. Auch andere Gründe sprechen gegen die Sprechakt-Auffassung: Es gibt keinen konventionellen Zusammenhang zwischen dem Geäußerten und der kommunikativen Interpretation, die wir ihm angedeihen lassen - außer bei konventionellen Implikaturen, die aus Gründen der mangelnden Komplexität des Trägerausdrucks nicht als Sprechakte in Frage kommen. Der mit dem Gesagten ausgedrückte psychische Zustand muß nicht derjenige sein, der dem Implikatum zugeschrieben wird. Und schließlich können performative Verben offenkundig nicht - wie im Falle von Sprechakten - dazu verwendet werden, den kommunikativen Sinn des Implikatums zu explizieren - dies wäre eine contradictio in adjectu. Vieles von dem zuletzt Gesagten widerspricht nun glatt der Konzeption von indirekten Sprechakten, wie sie von Searle (1982b) aufgestellt wurde. In der Tat muß man der Meinung sein, daß es keine indirekten Sprechakte Searlescher Prägung gibt, wenn man den fehlenden Sprechaktstatus als Definitionskriterium für Implikaturen akzeptiert. Jedenfalls können indirekte Sprechakte, wenn man sie denn nicht missen will, nicht mithilfe des Implikaturenbegriffs expliziert werden, denn in diesem Fall entstünden die oben aufgezeigten theoretischen Probleme. Es ist nicht die Aufgabe des vorliegenden Beitrags, die mit dem Begriff des indirekten Sprechakts verbundenen Widersprüche zu lösen, es sollte jedoch klargemacht werden, daß die Konsequenz der Zurückweisung indirekter Sprechakte aus dem angenommenen Kriterium des Nicht-Sprechaktstatus folgt und durchaus gewollt ist. Hieraus wiederum folgt dann, daß man eine alternative Erklärung für das Faktum suchen muß, daß man mit einer Äußerung wie (24) Kannst Du mir mal das Salz reichen? unter normalen Umständen einen Aufforderungs-Sprechakt vollzieht, nämlich den, der Adressat von (24) möge dem Sprecher das Salz reichen. Soll (24) wirklich als Auffordemngs-Sprechakt gelten, dann kann es sich nicht mehr um eine Implikatur eines mit (24) vollzogenen Frage-Sprechakts handeln, sondern diese Äußerung wird ohne die etwas naive Anfangsvermutung, der Sprecher könnte eine Frage gestellt haben, im ersten Angang als Aufforderung oder Bitte interpretiert. Jede andere Interpretation ist dem Sachverhalt einfach nicht angemessen. Auf der anderen Seite sind tatsächliche Implikaturen dann auch nicht als Sprechakte klassifizierbar, wie man vielleicht an folgendem Beispiel zeigen kann: (25) Der neue Film von Wim Wenders ist wirklich toll. Sollte der Sprecher mit (25) seine(n) Adressaten zu einem Kinobesuch motivieren wollen, so ist dies zwar als - modifizierende konversationeile - Implikatur zu werten, nicht jedoch als Sprechakt des Vorschlags oder der Aufforderung, ins Kino zu gehen, denn hierfür sind wiederum die für Sprechakte geltenden minimalen Bedingungen nicht erfüllt.

Das Gesagte und das Nicht-Gesagte

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Somit spricht die Annahme indirekter Sprechakte - sofern man sie überhaupt machen sollte - nicht gegen das Kriterium des fehlenden Sprechaktstatus für Implikaturen, sondern sie gibt zur begrifflichen Differenzierung auf der Basis dieses Kriteriums Anlaß. Indirekte Sprechakte sind nicht der Grund für einen Sprechaktstatus von Implikaturen, sondern ihr Nicht-Sprechaktstatus ist Grund dafür, viele vermeintliche Fälle von indirekten Sprechakten nicht als solche zu analysieren - sondern eben als Implikaturen. Und insofern kann dieser Beitrag auch als ein Argument dafür gelten, den Sprechaktbegriff wesentlich restriktiver zu fassen, als dies bisher praktiziert wurde. Mit Wittgenstein kann man zusammenfassen: Das Implikatum zeigt sich, es wird nicht gesagt.

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Jörg Meibauer

Komplexe Präpositionen - Grammatikalisierung, Metapher, Implikatur und division ofpragmatic labour "Though it may not be impossible for what starts life, so to speak, as a conversational implicative to become conventionalized, to suppose that this is so in a given case would require special justification. " Grice (1989:39)

Es soll die Entstehung von komplexen Präpositionen wie "im Zuge", "in Verbindung mit" u.a. rekonstruiert werden, und dies unter syntaktischem und semantischem Aspekt. Unter Rückgriff auf das Konzept der Metapher, aber auch mithilfe der Begriffe der konventionellen und konversationellen Implikatur werden die relevanten Grammatikalisierungsprozesse expliziert, die zu diesem Präpositionstyp geführt haben. Schließlich wird der für Präpositionen spezifische semantische Wandel mit L. Horn als Fall einer division of pragmatic labour aufgefaBt.

1. Einleitung Vertreter der Implikaturentheorie haben schon früh die Vermutung geäußert, daß Prozesse des Sprachwandels mithilfe der Implikaturentheorie besser erklärt werden können. So schreibt Levinson (1983:166): In any case it is clear that implicature plays a major role in language change, triggering both syntactic and semantic changes. Indeed it seems to be one of the single most important mechanisms whereby matters of language usage feed back into and affect matters of language structure. It is thus a major route for functional pressures to leave their imprint on the structure of a language.

Doch hat sich, trotz hoffnungsvoller Anfänge, etwa bei Cole (1975), Brown/Levinson (1978), Horn (1984), daraus keine eigene Forschungsrichtung entwickelt. Der Kerngedanke ist vielmehr erst im Zusammenhang mit der Untersuchung von Grammatikalisierungsprozessen wieder aufgegriffen worden, am deutlichsten bei Traugott/König (1991), Hopper/Traugott (1993). Unter Grammatikalisierung will ich mit Traugott/König (1991:189) folgendes verstehen: 'Grammaticalization' [...] refers primarily to the dynamic, unidirectional historical process whereby lexical items in the course of time acquire a new status as grammatical, morpho-syntactic forms, and in the process come to code relations that either were not coded before or were coded differently.

Als eine wesentliche Triebkraft des semantischen Wandels ist in jüngster Zeit die Metapher identifiziert worden (Heine/Claudi/Hünnemeyer 1991a,b, Sweetser 1990). Traugott/König (1991) haben jedoch argumentiert, daß neben der Metapher auch die Konventionalisierung konversationeller Implikaturen eine bedeutende Rolle spielt, wobei sie diese als eine Art von Metonymie auffassen.

J. Meibauer

48

Ich werde mich im folgenden mit diesen Ansichten auseinandersetzen, und zwar anhand von Grammatikalisierungs-prozessen bei der Entstehung neuer komplexer Präpositionen (auch präpositionswertige Fügungen oder phrasale Präpositionen genannt)1. Gemeint sind Konstruktionen wie die folgenden: (1)

a. b.

[im Zuge] der Verhandlungen [im Laufe] der Zeit

(2)

a. b.

[in Verbindung mit] der PLO [unter Berufung auf] die Zeugen

Solche komplexen Präpositionen sind im Gegenwartsdeutschen recht häufig2; vergleichbare Erscheinungen gibt es auch in anderen Sprachen, so im Englischen, Französischen, Russischen, Schwedischen (vgl. Bene? 1974, Quirk/Mulholland 1964, Lindqvist 1994)3: (3)

a.

franz. :

b. c. d.

engl.: russ.: schwed.:

en faveur de, à cause de, en raison de, en vue de, dans le but de, en dépit de by means of, in case of, in spite of, in view of, on account of po priïine, na osnovanii, ν vidu, ν resultate, ν silu i böijan av, med hjälp av, i stallet för

Der Aufbau des Beitrags ist wie folgt: In Kap. 2 gehe ich zunächst auf allgemeine Aspekte der Entwicklung komplexer Präpositionen ein, dann auf ihre wesentlichen Eigenschaften, wobei es in diesem Abschnitt vor allem darauf ankommt, ihren Status als Präposition zu verdeutlichen. In Kap. 3 konzentriere ich mich auf die Frage des semantischen Wandels und zeige an einer Teilklasse komplexer Präpositionen, daß dieser metaphorischen Charakter hat. Kap. 4 enthält Detailstudien zu den komplexen Präpositionen am Rand(e), im Vorfeld und im Gefolge, die sämtlich Raum-Zeit-Metaphorik enthalten. In Kap. 5 ordne ich diese Ergebnisse in die Theorie der division ofpragmatic labour nach Horn (1984) ein.

2. Zur Syntax komplexer Präpositionen 2.1. Zur Entwicklung von Präpositionen In der traditionellen Grammatik werden Präpositionen im allgemeinen zu den sog. Nebenwortarten gerechnet, zusammen mit den Konjunktionen, Pronomina, Adverbien, Partikeln und Inteijektionen. Die Begründung der Wortarten in diesem Bereich macht notorische

1 2

3

Weitere Bezeichnungen listet Lindqvist (1994:3f.) auf. Bene? (1974:38ff.) zählt über 160 deutsche Beispiele auf, betont aber die Unvollständigkeit seiner Liste. Die Auswahl bei Schröder (1986:252ff.) enthält über 90. Weitere Beispiele für Spanisch, Italienisch, Irisch, Isländisch, Färöisch, Norwegisch (Bokmäl/Nynorsk), Dänisch in Lindqvist (1994: lf.).

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Komplexe Präpositionen

Schwierigkeiten, was sich in unterschiedlicher Klassifikation, schwankender Terminologie oder einfach Ignoranz gegenüber diesen "kleinen Kategorien" ausdrückt.4 Kennzeichnend für die Nebenwortarten (die Inteqektionen ausgenommen) ist eine hochgradige Heterosemie, worunter ich die Tatsache verstehen will, daß viele Präpositionen formgleiche Gegenstücke in anderen Kategorien haben.5 Als Beispiel im Bereich der Präpositionen kann man nennen (Braunmüller 1985:300f.): (4)

a. seit: b. über: c. trotz: d. betreffend: e. östlich:

P, P, Ρ, Ρ, P,

KONJ ADV, Verbpartikel Ν V (Part. Präs.) ADV, ADJ

Damit stellt sich die Frage, welche Typen von Heterosemien zu unterscheiden sind. Braunmüller (1985:303) nimmt folgende Hauptgruppen an: (5)

a.

Präpositionen, die schon im Germanischen / Althochdeutschen als Präpositionen vorhanden waren (vgl. Paul 1920:3f.): ab, an, bei, durch,för, in, mit, ob, von, vor, ... b. Präpositionen, die aus Adverbien oder anderen Präpositionen abgeleitet worden sind: auf, aus, binnen, (ent)gegen, samt, zu, ... c. Präpositionen, die aus Nomen, Adjektiven und Verben (Partizipien des Präsens und des Perfekts) abgeleitet sind: N: anfangs, angesichts, anhand, anstelle, dank, gemäß, innerhalb. ...zeit, ... A: abzüglich, einschließlich, hinter, innerhalb, nahe, nach, unweit, zwischen, ... V/Partizipien: unbeschadet, ungeachtet, während, ...

Nur für die Gruppe (5a) - oft auch "ursprüngliche" Präpositionen genannt - ist keine Ableitung aus einer Hauptwortart bekannt bzw. eindeutig rekonstruierbar (vgl. Braunmüller 1982:202f.).6 Unter sprachgeschichtlichem und sprachtypologischem Aspekt ist es nun wichtig, die Entwicklungsgeschichte von Präpositionen zu rekonstruieren.7 Für die Herausbildung der

4

5

6

7

Als Ausnahme kann die generative Syntax gelten, in der Präpositionen zusammen mit Nomen, Verben und Adjektiven als Hauptwortarten gelten und die Merkmale [-N,-V] erhalten, vgl. Chomsky (1970). In Anlehnung an Lichtenberk (1991:476), der sich auf Fälle bezieht, "where two or more meanings or functions that are historically related, in the sense of deriving from the same ultimative source, are born by reflexes of the common source element that belong in different morphosyntactic categories. " Vorschläge zur Ableitung dieser Gruppe beziehen sich (a) auf frühere prä-indogermanische Hauptwortarten wie Verb / Substantiv, oder (b) auf dem Verb vorangestellte Partikeln oder Adverbien (vgl. Wolfrum 1970). Nach Braunmüller (1982:201f.) - der sich hier auf ein Argument von Vennemann (1973:31f.) bezieht sollten SOV-Sprachen idealiter nur Postpositionen haben, d.h. linksmodifizierend sein, im Deutschen gibt es jedoch überwiegend Präpositionen. Konstruktionen wie den Vertrag betreffend, des Vertrags wegen erweisen sich jedoch als konform mit dem Postulat; die mögliche Voranstellung der Präposition muß dann

50

J. Meibauer

Präposition wegen aus dem Nomen Weg schlägt Braunmüller (1982, 1985) folgenden Verlauf vor: 8 (6)

I.

*(von des Mannes Wegen) [P [Gen NJNPIPP

II.

?(von des Mannes wegen) [Präp[Gen]Np Post]pp

Rekategorisierung und Remodifizierung

III.

des Mannes wegen [[Gen]Np Post]pp

Tilgung der Präposition

IV.

wegen des Mannes [Präp[Gen]Np]pp

Positionswechsel (Postposition - > Präposition)

V.

wegen dem Mann [Präp[Dat]Np]pp

Dativ- statt Genitivrektion

Sehen wir uns hier den Übergang der (nicht belegten) Form in Phase I zur Form der Phase II näher an. Als möglichen Grund für diesen Übergang bezeichnet Braunmüller (1982:204f.) die "Umständlichkeit" diskontinuierlicher Adpositionen (Zirkumpositionen), die dazu führt, daß Sprecher den wichtigeren Teil der Adposition selbständig verwenden. Da das rekategorisierte wegen in Phase II nicht mehr modifiziert werden kann, muß es selbst zum modifizierenden Element werden (Phase III), d.h. die syntaktische Funktion ist wortartbestimmend. Was aber in diesem Rekategorisierungsschema unklar bleibt, sind die semantischen Triebkräfte der Entwicklung. So kann man fragen, inwiefern gerade das Nomen Wegen zur Präposition wegen rekategorisiert werden konnte, oder allgemeiner: Gibt es ein generelles Prinzip, das hinter der Rekategorisierung von denominalen Präpositionen wie kraft, dank, trotz, zeit, statt, laut usw. steckt? Wann genau die komplexen Präpositionen entstanden sind, ist im einzelnen nicht bekannt. Gustafsson (1979:127ff.) nennt für das Frühneuhochdeutsche formelhafte Konstruktionen wie in Ansehung, nach Ausweisung, nach Inhalt, in/mit Kraft, nach Laut, in Macht, nach Sage, an Statt, in/mit Urkunde, aus/nach Vermöge, die der Kanzlei- und Geschäftssprache entstammen.9 Hertel (1983:74f.) vermutet aufgrund von Paaren wie unter (7), daß der Entwicklungsprozeß schon im 18. Jahrhundert eingesetzt hat: (7)

8

9

a. b.

der Adel, der anfa(e)nglich auf der Seiten dieses letztern stehend umsta(e)nde auf Seiten der Landesherren

sprachgeschichtlich rekonstruiert werden. (Problematisch bleibt, daB Braunmüller offenläBt, ob das Deutsche eine SVO- oder SOV-Sprache ist.) Nach Paul (1920:43) tritt von-wëgen seit dem 13. Jh. "mit dazwischen geschobenem Genitiv in dem Sinne 'von Seiten', 'mit Rücksicht auf, weiterhin in dem Sinne des jetzigen wegen" auf. Vgl. Ebert/Reichmann/Solms/Wegera (1993) und Tschutschko (1983).

Komplexe Präpositionen

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Neben diesen älteren komplexen Präpositionen gibt es auch eine Reihe von neueren komplexen Präpositionen wie im Zuge, im Wege, im Vorfeld, usw., deren Entstehung Lehmann (1991:501) nach subjektiven Eindrücken auf das Jahr 1975 datiert. Auf jeden Fall zeigen solche Beispiele, daß der Prozeß produktiv ist, und daß Präpositionen nicht als 'geschlossene Klasse' betrachtet werden können (vgl. Rauh 1990).

2.2. Syntaktische Eigenschaften komplexer Präpositionen X-bar-theoretisch gesprochen, sind Präpositionen -Elemente, die (a) ein Komplement haben, (b) mit diesem Komplement eine Phrase des Typs P^ bilden, (c) im Falle eines NPKomplements diesem morphologischen Kasus zuweisen, (d) an das Komplement eine thematische Rolle vergeben.10 Inwiefern man bei komplexen Präpositionen sinnvollerweise von Präpositionen sprechen kann, ist umstritten. So sind komplexe Präpositionen für Lindqvist (1994) ein wesentliches Argument dafür, daß sich Präpositionen von Nicht-Präpositionen letztlich nicht abgrenzen lassen.11 Lindqvist argumentiert für einen Ansatz, der Grade der Präpositionalität mithilfe verschiedener Skalen erfaßt. Als Prototyp, der die Vergleichbarkeit der sog. Präpositionalien - also sämtlicher präpositionsartiger Ausdrücke - gewährleisten soll, dient das Idealpräpositionale. Dieses hat die folgenden Eigenschaften: (8)

Eigenschaften des Idealpräpositionale nach Lindqvist (1994)

(a)

Es regiert den Akk. oder Dat. ideal: mit-I-Dat.; nicht-ideal: aufgrund+Gen.

(b)

Es regiert nur eine Größe und steht vor dieser, ideal: mit+Dat; nicht-ideal: um+Gen+willen

(c)

Es ist kurz und hinsichtlich der Ausdrucksseite in kein Paradigma eingebunden, ideal: mit; nicht-ideal: bei Beginn, von Beginn, vor Beginn,zu Beginn

(d)

Es ist syntaktisch vielwertig. ideal: auf-(-Präpositionalobjekt oder Adverbialbestimmung, vgl. (i) Sie warten auf ihn / er steht auf dem Stuhl; nicht-ideal: anhand-l-Adverbialbestimmung, vgl. (ii) Anhand eines Beispiels zeigte sie, daß...

10

11

Vgl. Fries (1988:40f.), der auch Problemfälle diskutiert. Fries (1988) unterscheidet zwischen den Wortarten Präposition vs. Postposition, so daß Präzedenz zu einem weiteren Defìniens der Präposition i.e.S. wird; diese Unterscheidung ist auch für komplexe Präpositionen relevant (zu Lasten der Bank vs. der Bank zu Lasten), soll aber hier vernachlässigt werden. Dies ist auch der Tenor von Biadrun-Grabarek (1991:327), die mithilfe mehrerer Tests auf das unterschiedliche Verhalten der komplexen Präpositionen aufmerksam macht. Letztlich hält sie aber das orthograhische Kriterium (s.u.) für das entscheidende.

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J. Meibauer

(e)

Es ist semantisch viel wertig. ideal: auf (verschiedene Bedeutungen, Vielzahl von möglichen NPn), vgl. (i) Sie wartet auf der Bank, (lokal) (ii) Sie geht auf eine Tagung, (lokal) (iii) Sie verreist auf ein paar Tage, (temporal) (iv) Er grüßte auf elegante Art. (modal) (v) Er wartet auf ihn. (—) nicht-ideal: zu Ehren (eingeschränkte Bedeutung, nur mit personenbezeichnenden NPn)

(f)

Es drückt eine Relation zwischen zwei NPn aus. ideal: auf, vgl. (i) die Brille auf dem Tisch nicht-ideal: wegen, vgl. (ii) [Er kommt nicht] wegen [des schlechten Wetters]

(g)

Es hat keine innere Dependenzstruktur. ideal: an, nicht-ideal: im Widerspruch zu

(h)

Es wird klein- und als ein Wort geschrieben, ideal: an, nicht-ideal: von Seiten, im Laufe

Es zeigt sich, daß komplexe Präpositionen in den meisten Hinsichten andere Eigenschaften haben als das Idealpräpositionale. Von den syntaktischen Kriterien her betrifft dies insbesondere (a), (c) und (g). Es ist hier nicht der Ort, sich mit dem Prototypen-Ansatz von Lindqvist (1994) im Detail auseinanderzusetzen. Mindestens die Kriterien (d) und (e) sind fragwürdig hinsichtlich der anvisierten Idealität. Anders als Lindqvist (1994) möchte ich hier an der Notwendigkeit einer eindeutigen Kategorisierung festhalten, und zunächst einmal plausibel machen, inwiefern die komplexen Präpositionen überhaupt als Präpositionen analysiert werden können. Die Frage lautet also: Inwiefern kann man Ausdrücke wie im Zuge als Präpositionen betrachten? 12 Für ihren Präpositionsstatus spricht zunächst, daß sie (a) durch unzweifelhafte Präpositionen substituiert werden können, und (b) mit unzweifelhaften Präpositionen koordiniert werden können. Der Punkt (a) läßt sich sehr gut an Paaren wie den folgenden zeigen (Beispiele von Biadrun-Grabarek 1991:322): (9)

a. b. c.

12

In Ermangelung/mangels genauer Angaben war der Forscher auf Vermutungen angewiesen. Der Prozeß fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit/ohne Öffentlichkeit statt. Mit Rücksicht auf die Kinder/wegen der Kinder ist er zu Hause geblieben.

Buscha (1984:146) betrachtet "nur die durch die Schreibung als Zusammensetzungen festgewordenen Verbindungen als Präpositionen", weil er für den Wortartbegriff bei einer Erweiterung um Wortverbindungen Probleme befürchtet. Deshalb bevorzugt er den Terminus "präpositionswertige Wortverbindungen bzw. Fügungen". In vergleichbarer Weise spielt für Biadrun-Grabarek (1991:321) "bei der Grenzziehung zwischen präpositionsartigen Präpositionalphrasen und den eigentlichen Präpositionen [...] die Graphie die entscheidende Rolle."- Im folgenden sollen aber rein syntaktische Kriterien angelegt werden.

Komplexe Präpositionen

53

Dabei sind natürlich unterschiedliche Rektion und/oder Bedeutung zu beachten, vgl. (9b/c). 13 Der Punkt (b) läßt sich an folgenden Beispielen belegen: (10)

a. b. c. d.

[im Laufe] und [vor] der Konferenz [nach] und [im Vorfeld] der Börse [in Verbindung mit] und [trotz] der PLO [gegen] und [im Unterschied zu] Einstein

Auch bei der Durchführung dieser Probe spielen möglicherweise unterschiedliche Rektion und inkompatible Bedeutungen eine Rolle, ändern aber nichts am Resultat der prinzipiellen Koordinierbarkeit. Ferner läßt sich beobachten, (a) daß das Nomen nicht durch ein kongruentes Adjektiv modifiziert werden darf, (b) daß dem Nomen kein Possessivpronomen oder Genitiv vorangestellt werden darf: (11)

a. b.

[*im schnellen Zuge] der Verhandlungen [*in ihrem/jemandes Zuge] der Verhandlungen

Allerdings scheint die Modifikation durch Determinierer teilweise möglich zu sein: (12)

a. b.

*[an der Hand] seiner Ausführungen [mit der Hilfe] von Gutachtern

Es kommt hier jedoch darauf an, daß die jeweils spezifische Determiniererart nicht geändert werden kann (vgl. auch Biadrun-Grabarek 1991:323).- Auf Beobachtungen wie diese stützt Biadrun-Grabarek (1991:324f.) ihren Adjazenztest, der zeigt, daß das Substantiv bei komplexen Präpositionen nicht attribuiert werden kann; dies zeigt aber nur, daß es sich hier um lexikalisierte Phrasen handelt und ist kein Argument für Präpositionsstatus per se. Die wichtigste syntaktische Eigenschaft komplexer Präpositionen ist, daß diese eine NPErgänzung regieren. Wie Benes (1974:35) beobachtet hat, kann die entsprechende NP nicht mehr als Attribut zu einer Adverbialbestimmung gelten, sondern bildet zusammen mit der komplexen Präposition eine Adverbialbestimmung.14 Fries (1988:50) setzt daher für Fälle wie unter (1) die folgende Struktur an:

13

14

Biadrun-Grabarek (1991:322) meint aufgrund von Fällen wie (i), bei denen keine bedeutungsähnliche substituierbare Präposition existiert, den Test als nicht ausschlaggebend betrachten zu müssen: (i) Der Sirup muß im Verhältnis (von) 1:5 mit Wasser gemischt werden. Solche Fälle sind aber rein lexikalischer Ait, und besagen nichts über Substituierbarkeit bzw. Distribution. Als Problemfall nennt er im Bereich der Gemeinsprache, welches erstens als Adverbialbestimmung ('innerhalb der Gemeinsprache'), zweitens als Adverbialbestimmung plus Attribut ('was den Bereich der Gemeinsprache betrifft'), also im Sinne eines Präpositionalkasus zu der Bereich der Gemeinsprache analysiert werden könne (ebd.).

54

J. Meibauer

(13)

/ pO im

Ρ NP der Zeit N° Laufe

Neben diesem Typ der komplexen Präposition ist noch ein anderer Typ zu beobachten, bei dem die komplexe Präposition ein weiteres P^-Element enthält, vgl. (2). Für diese Fälle schlägt Fries (1988:50) die folgende Struktur vor: (14)

Ρ

der PLO

in

Verbindung

mit

Diese Struktur trägt dem Umstand Rechnung, daß die beiden Präpositionen in der Tochter von Ρ* fixiert sind, d.h. nicht variieren können. Man könnte nun allerdings einwenden, daß es auch Fälle gibt, bei denen die zweite Präposition mit ihrer Ergänzung ein ganz normales präpositionales Attribut ist. Droop (1977:106ff.) hat die Eigenschaften von präpositionalen Attributen wie in das Fehlen von guten Büchern mit Genitivattributen wie in das Fehlen guter Bücher verglichen, und dabei eine Reihe von Kriterien für präpositionale Attribute aufgestellt. Treffen diese Eigenschaften auch auf Konstruktionen zu, die unter Verdacht stehen, ganz gewöhnliche präpositionale Attribute zu sein, ließen sich daraus Argumente gegen die Strukturen in (13)/(14) gewinnen. Entsprechend nennt Fries (1988) zwei Beobachtungen, die gegen eine Struktur wie unter (13)/(14) sprechen könnten: (a) Bei Ausdrücken wie mit Hilfe (von), die sowohl Struktur (13) als auch Struktur (14) erlauben, muß die NP-Ergänzung im Genitiv stehen, falls die NP einen Determinierer enthält: (15)

a. b.

??[[mit Hilfe von] dem Buch [[mit Hilfe] des Buches]

Dies entspricht aber genau den Paraphrasierungsmöglichkeiten bei normalen PP-Attributen (vgl. Droop 1977:106ff.). (16)

a. b.

*das Fehlen von einem Buch das Fehlen eines Buchs

Komplexe Präpositionen

55

(b) Wenn die NP durch ein Zahlwort höher als vier ohne zusätzliches Adjektiv modifiziert wird, erfordern solche Ausdrücke von: (17)

a. b. c. d.

anhand dreier Fälle *anhand vier(er) Fälle anhand von vier Fällen anhand ?vierer/!vier klarer Fälle

Auch dies läßt sich bei PP-Attributen genauso beobachten (vgl. Droop 1977:106ff.): (18)

a. b. c. d.

der Vater zweier Söhne/von zwei Söhnen der Vater dreier Söhne/von drei Söhnen *der Vater vierer Söhne/!der Vater von vier Söhnen der Vater vier tüchtiger Söhne/von vier tüchtigen Söhnen

Ferner beobachtet Fries (1988), daß in Strukturen wie (13) die NP immer durch ein (lexikalisches) Pronomen ersetzt werden kann, vgl. (19a); dagegen kann in Strukturen wie (14) die NP nur durch ein Pronominaladverb ersetzt werden, vgl. (19b): (19)

a. b.

im Anbetracht dessen im Unterschied dazu/in Verbindung damit

Das spricht wiederum für einen PP-Attribut-Charakter der NP. Allerdings sei hier zu beachten, daß die Ersetzbarkeit mit Pronominaladverbien nicht durchgängig möglich ist (Bewertungen von N. Fries): (20)

a. b.

*aufgrund davon; *mit Hilfe davon; *im Laufe davon der Grund davon; die Hilfe davon; der Lauf davon

Dies sei ein Indiz dafür, daß hier die Entwicklung zur Präposition schon abgeschlossen ist. Die Art der geforderten zweiten Präposition wird nach Hertel (1983:74) in Analogie zu den Verhältnissen bei Verben bestimmt, die der N^ zugrundeliegen, vgl. (21)

a. b.

umgehen mit/im Umgang mit vergleichen mit/in Vergleichung mit

Bemerkenswert ist, daß die komplexen Präpositionen in der Regel den Genitiv regieren. Die ursprünglichen Präpositionen regieren dagegen entweder den Dativ oder den Akkusativ oder beide Kasus (vgl. Paul 1920:3ff.); nur die denominalen Präpositionen regieren den Genitiv. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, daß der Kasus eines ursprünglichen NP-Komplements übernommen wird (Eisenberg 1979:520). Aber auch bei neueren komplexen Präpositionen wie etwa im Vorfeld findet sich regelmäßig der Genitiv, d.h. die Genitivrektion bleibt erhalten und unterliegt nicht dem historischen Abbau. Dies steht im Gegensatz zu der

56

J. Meibauer

ansonsten konstatierbaren Tatsache des sog. Genitivschwunds (vgl. van der Eist 1984, Lühr 1991): (22)

a. b.

?die Tasche deines Bruders die Tasche von deinem Bruder

Neben der Tendenz zum Genitiv läßt sich eine Tendenz zur Stellung der komplexen Präposition vor der NP beobachten. Es gibt aber auch Ausnahmen, wobei Kasuswechsel zu beobachten ist: (23)

a. b.

der B a n k ^ [zu Lasten] [zu Lasten] der Bankg en

Obgleich man davon ausgehen kann, daß die komplexen Präpositionen Lexeme sind, so bestehen sie doch aus einzelnen Wörtern. Eine Tendenz des Sprachwandels scheint nun die Zusammenziehung zu einem Wort zu sein, was sich orthographisch in Klein- und Zusammenschreibung manifestiert. Entsprechend ergeben sich Strukturen wie in (24)

aufgrund mithilfe anhand Dieser Überblick hat ergeben, daß es gute Gründe gibt, den komplexen Präpositionen Präpositionsstatus zuzubilligen. Zugleich ist klargeworden, daß komplexe Präpositionen in mancher Hinsicht atypische Präpositionen sind. Dies zeigt gerade, daß wir es hier mit einem Prozeß der Grammatikalisierung zu tun haben.

3. Zur Semantik temporaler komplexer Präpositionen 3.1. Semantischer Wandel Während die wesentlichen Fragestellungen zur Syntax der komplexen Präpositionen wenigstens in den Grundzügen bekannt sind, hat man bisher nur wenig klare Vorstellungen davon, warum sich komplexe Präpositionen entwickeln und was ihr semantischer Nutzen ist. Als lexikalische bzw. semantische Kriterien für komplexe Präpositionen werden bei Benes (1974:34f.) unter anderem genannt: (a) das Nomen der komplexen Präposition ist nur in dieser Verbindung üblich, vgl. (25a);

Komplexe Präpositionen

(b)

57

das Nomen der komplexen Präposition weist eine verblaßte Semantik auf, vgl. (25b); die komplexe Präposition "wird stabil und reihenmäßig zur Bezeichnung einer Beziehung" verwendet, vgl. (25c);

(c)

(25)

a. b. c.

in Anbetracht/*der Anbetracht; nach Maßgabe/*die Maßgabe an Hand ('mit Hilfe') vs. an der Hand halten im Interesse des Lesers/Käufers/Besuchers....

Zu beachten ist auch, daß bei manchen komplexen Präpositionen wie im Zuge, im Wege usw. noch die Dativ-Endung -e zu beobachten ist, was nach Lehmann (1991:503) typisch für Idiome ist und diese Fälle als phraseologisch erscheinen läßt. 15 Ferner scheinen manche komplexe Präpositionen besonders häufig in bestimmten Textsorten verwendet zu werden (Rechtsprechung, Berichterstattung, etc.). Insgesamt sprechen die Beobachtungen für einen Prozeß des semantischen Wandels, wie er typisch für die Grammatikalisierung ist. Dabei spielen Schlußprozesse eine maßgebliche Rolle. Ich denke nun, daß es bei der Analyse semantischen Wandels sinnvoll ist, drei Aspekte auseinanderzuhalten: (a) (b) (c)

die kognitive Fähigkeit, die es einem Sprecher erlaubt, einen Begriff in neuartiger Weise zu kodieren; die Interpretation durch den Hörer in einer konkreten Äußerungssituation; den historischen Prozeß der Konventionalisierung.

Ich gehe davon aus, daß die Verwendung einer Metapher und Metonymie zu den unter (a) genannten Fähigkeiten gehören, daß die in (b) genannte Erschließung des Gemeinten mithilfe eines für konversationelle Implikaturen typischen Schlußprozesses vonstatten geht. Die unter (c) aufgeführte Konventionalisierung kann man sich als Folge vermehrt und systematisch ausgelöster konversationeller Implikaturen vorstellen. Grice (1989) zufolge können Metaphern mithilfe der Implikaturentheorie erklärt werden. Wenn auch der angeführte Verstoß gegen die Qualitätsmaxime als Erklärungsgrund keineswegs ausreichen dürfte (vgl. Levinson 1983), so scheint doch die Annahme von Schlußprozessen in einer ähnlichen Form, wie sie bei den klassischen Implikaturentypen benötigt werden, plausibel. Anders als es bei Traugott/König (1991) anklingt, sind nach meiner Auffassung die Konventionalisierung konversationeller Implikaturen und die Metapher keine Prozesse semantischen Wandels auf der gleichen Ebene, weil die Deutung von Metaphern prinzipiell (wenn auch nicht ausschließlich) mithilfe der Implikaturentheorie beschrieben werden kann. Auch die Darstellung der Konventionalisierung konversationeller Implikaturen (so bei der Entwicklung kausaler und konzessiver Konnektive sowie bestimmter Präferenz- und Ablehnungsmarkierer) als einer Art von Metonymie ist irreführend, weil ihr die Verwechslung

15

Zum Abbau des Dativ-e im Singular starker Maskulina und Neutra, der vermutlich in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts eintrat, vgl. Schieb (1980:222ff.).

58

J. Meibauer

eines für Metonymie spezifischen kognitiven Prozesses mit einem Deutungsverfahren, wie es in der Implikaturentheorie beschrieben wird, zugrunde liegt (vgl. Meibauer 1994:210ff.).

3.2. Temporale komplexe Präpositionen Sehen wir uns nun eine Teilklasse der komplexen Präpositionen näher an: (26)

Lexem im Vorfeld im Lauf(e) im Verlauf im Verfolg im Zuge am Rand(e) im Weg(e) im Anschluß im Gefolge

Bedeutung 'vorher' 'während' 'während' 'während' 'während' 'während' 'während' 1. 'danach', 2. 'danach'

Alle diese komplexen Präpositionen haben eine temporale Bedeutung, in dem Sinne, daß sie sich auf Zeitpunkte oder Zeitverläufe beziehen. Typische Kontexte für diese komplexen Präpositionen sind die folgenden: (27)

a. b. c. d. e. f. g. h.

Im Vorfeld der Verhandlungen gab es ernste Konflikte. Im Laufe/im Verlaufe der Regierungsbildung wurden Feinde zu Freunden. Im Verfolg der Untersuchungen ergaben sich verschiedene Probleme. Im Zuge der Vereinbarungen wurde Vertrauen geschaffen. Am Rande der Konferenz kam es zu Auseinandersetzungen. Im Wege des Länderausgleichs konnte das Problem behoben werden. Im Anschluß an den Vortrag ging man gemeinsam essen. Im Gefolge dieser Auseinandersetzungen trat Schweigen ein.

Bemerkenswert ist, daß die temporale Bedeutung eine der Vorzeitigkeit, Gleichzeitigkeit oder Nachzeitigkeit relativ zu einem bestimmten Ereignis sein kann. Tabelle (26) darf keinesfall so verstanden werden, als seien die jeweiligen komplexen Präpositionen mit der Bedeutungsangabe 'während' bzw. 'danach' untereinander oder mit während/danach synonym. Als Parameter der Bedeutungsdifferenzierung sind mindestens die folgenden relevant: (a) (b) (c)

beteiligte Präposition (im vs. am) morphologische Komplexität des Ν (Lauf(e) vs. Verlauf) morphologische Basis des Ν (ver+lauf, ver+folg, ge+folg)

Komplexe Präpositionen

(d) (e)

59

Relationalität des Ν (nicht-relational: Lauf, Zug, Rand, Weg; relational: Vorfeld, Verlauf, Verfolg, Anschluß, Gefolge) Idiomatizität des Ν (Verfolg vs. Gefolge)

Bevor ich auf diese und andere Faktoren genauer eingehe, möchte ich prüfen, ob bei der Entwicklung dieser komplexen Präpositionen metaphorische Prozesse beteiligt sind. Ich lege dabei die Metaphemtheorie von Indurkhya (1992) zugrunde, der unter syntaktischen Metaphern solche Metaphern versteht, bei denen die Beziehung von Quelle (source) und Ziel (target) weitgehend durch die Struktur des Ziels bestimmt wird (vgl. auch Croft 1993). Der Nutzen syntaktischer Metaphern besteht nach Indurkhya (1992) in (a) leichterem Zugang zum Zielbereich, (b) Hervorhebung oder Unterdrückung gewisser Aspekte des Zielbereichs und (c) Abstraktion, d.h. Gewinnung neuer Netzwerke von Quellenkonzepten. Prinzipiell kann man in komplexen Präpositionen sowohl den P-Bestandteil als auch den N-Bestandteil als metaphorisch umgedeutet betrachten. Die Präposition in mag grundsätzlich als lokale Präposition gelten, wird aber raummetaphorisch im Sinne von Rauh (1989) umgedeutet, wenn sie sich auf nicht-lokale Domänen bezieht (z.B. in diesem Jahr). Nun scheint es mir der Fall zu sein, daß bei den komplexen Präpositionen unter (26) die Raummetaphorik durch den N-Bestandteil gesteuert wird. Die meisten N-Ausdrücke in (26) kommen auch in Kontexten vor, in denen sie nicht als komplexe Präpositionen fungieren und eine wörtliche Bedeutung haben: (28)

a. b. c. d. e. f.

Sie lief über das Vorfeld zur Maschine. ?Im Vorfeld der Schrebergärten befand sich ein Brunnen. Fritz mußte plötzlich im Lauf/*im Laufe/*im Verlaufe anhalten. Frieda leerte das Glas in/mit einem Zug/*im Zuge. Im Zug nach Pankow befand sich Udo. Am Rande des Beckens fand eine Party statt. Steh mir nicht im Wege! Im Gefolge der Präsidentin befanden sich mehrere Leibwächter.

Nur (im) Verfolg scheint es nicht in anderen Kontexten mit wörtlicher Bedeutung zu geben, und bei Anschluß (1. Telefonanschluß, 2. Bekanntschaft) liegen selbst schon Metaphern vor, so daß eine wörtliche Verwendung blockiert ist. Bei den Nomina Vorfeld, Rand, Weg in (28a, d, e,) ist sehr deutlich eine lokale Bedeutung im Spiel. Es würde sich hier also um eine Übertragung aus einer lokalen Quelle in das temporale Ziel handeln. Dieser Typ der Raum-Zeit-Metapher ist weitverbreitet (vgl. Traugott 1978, Heine/Claudi/Hünnemeyer 1991b), z.B. im engl. go-Futur (I'm going to go), dem frz. venir-Perfekt (Je viens de le faire), oder dt. eben (Lokaladverb - > Temporaladverb), und er scheint eine wichtige Rolle bei der Grammatikalisierung zu spielen.

60

J. Meibauer

4. am Rand(e), im Vorfeld und im Gefolge als komplexe Präpositionen mit Raum-ZeitMetaphorik 4.1. am Rand(e) 4.1.1. Rekonstruktion der Metapher Ich möchte zunächst die komplexe Präposition am Rande genauer untersuchen16, um an diesem Fall zu erklären, wie man sich den Prozeß der Metaphorisierung und die Interpretation der Metapher vorzustellen hat. Vergleichen wir dazu die folgenden Sätze: (29)

a. b.

Am Rande des Beckens fand eine Party statt. 'neben dem Becken'; ""während des Beckens' Am Rande der Konferenz fand eine Party statt, 'während der Konferenz'; ""neben der Konferenz'

Bei (29a) wird am Rande lokal (im Sinne von 'neben, seitliche Begrenzung von') interpretiert; dies scheint daran zu liegen, daß das Becken auf eine Lokalität referiert. Des Beckens ist hier PP-Attribut zur Adverbialbestimmung am Rande. Dagegen liegt in (29b) die komplexe Präposition vor, die mit während paraphrasierbar ist. Als weiteren Fall müssen wir noch (30) betrachten, wo am Rande einerseits seine lokale Bedeutung beibehält, das Nomen jedoch nicht-lokal ist: (30)

am Rande der Legalität/des Ruins/der Nacht/der Gesellschaft

In diesem Fall behält am Rande seine lokale Bedeutung, aber die Nomina werden räumlich umgedeutet; so daß es etwa den Bereich der Legalität und der Nicht-Legalität, den Bereich des Wohlstands und des Ruins, den Bereich des Tags und der Nacht, den Bereich innerhalb und außerhalb der Gesellschaft gibt, usw. Auch diese Art von Umdeutung läßt sich als Metapher analysieren; sie soll uns aber hier nicht weiter beschäftigen. Für den Fall (29b) scheint die korrekte Interpretation nun einfach dadurch zustandezukommen, daß Konferenz einerseits nicht eine so klare Lokalitätsinterpretation hat wie etwa Becken, andererseits aber nicht so weit von der Möglichkeit einer räumlichen Deutung entfernt ist wie etwa Legalität.

16

Rand kommt von mhd. ahd. rant aus g. *randa-/o, das laut DWb ein Lehnwort zu span, randa, port. renda 'Spitzen an Kleidern' gewesen sein soll. Kluge (1989:580) (bzw. der Bearbeiter Elmar Seebold) vermutet eine Dentalableitung auf einer Grundlage mit m, die in ae. rima 'Rand, Grenze, Küste' vorliegt und weist auf lit. renai 'stützen' hin. Vgl. auch aengl. rand, afr. rand, rond, anord. rond. Es wird Verwandtschaft mit Rahmen und Ranft 'Brotrinde' vermutet. Im Gemeingermanischen bezeichnete rand laut DWb die Schildeinfassung bzw. den Schildbuckel, dann den Schild selbst; im älteren Nhd. oft das erhöhte Ufer eines Gewässers. In der Sprache der Böttcher war rand die Bezeichnung für die Daubeneinfassung, vgl. das Idiom außer Rand und Band geraten. Rand ist auch metaphorisch für 'Mund' im Idiom den Rand halten.

Komplexe Präpositionen

61

Konferenz ist ein Nomen, das einer konzeptuellen Verschiebung unterliegt. Es bezeichnet ein EREIGNIS, kann aber bis zu einem gewissen Grad auch im Sinne des Konzepts LOKALITÄT gedeutet werden (ähnlich wie Messe, Kirmes, Gottesdienst) . 1 7 Dies hängt mit dem allgemeinen Wissen zusammen, daß (soziale) Ereignisse einen Raum einnehmen. (31)

a. b. c. d. e.

Am Rand der Konferenz hatte man mehrere Informationsstände aufgebaut. EREIGNIS/LOKALITÄT Am Rand der Konferenz traf man sich zu einem gemütlichen Plausch. EREIGNIS/LOKALITÄT Am Rand der Konferenz kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. EREIGNIS/7LOKALITÄT Am Rand der Konferenz gab es Freibier. 7EREIGNIS/LOKALITÄT Am Rand der Konferenz standen ein paar Würstchenbuden. •EREIGNIS/LOKALITÄT

Wenn dies korrekt ist, haben wir eine mögliche Situation, wo beide Konzepte in Betracht kommen. 18 Angenommen, ein Sprecher des Gegenwartsdeutschen weiß noch nicht, daß es die komplexe Präposition am Rande gibt. Dann scheint bei (29b) die konversationelle Implikatur, daß am Rande im Sinne von 'während' zu verstehen ist, aufgrund eines Schlußprozesses im Sinne von Grice (1989) zu erwachsen, der unter anderem die folgenden Elemente enthält: (32)

a.

b. c.

17

18

S hat anscheinend gegen die (erste Unter-) Maxime der Qualität (Do not say what you believe to be false) verstoßen, denn neben (an der seitlichen Begrenzung) der Konferenz (verstanden im Sinne des LOKALITÄTS-Konzepts) fand keine Party statt. Ich weiß, daß Dinge die benachbart sind, im selben Zeitraum existieren. Daher muß S gemeint haben, daß eine Party zeitgleich mit der Konferenz stattgefunden hat.

Merkwürdigerweise sind andere Ausdrücke wie Schule, Oper, Museum etc., die ebenfalls ein EREIGNISund ein LOKALITÄTS-Konzept aufweisen, nicht mit am Rande verknüpfbar: (i) Am Rande der Schule kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. *EREIGNIS/*LOKALITÄT (ii) An der Schule kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. LOKALITÄT/INSTITUTION (iii) Am Rande des Schulgeländes kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Der Grund scheint zu sein, daß die mit Ausdrücken wie Konferenz, Messe, Kirmes, Gottesdienst etc. verknüpften Ereignisse eine fixierte Zeitdauer haben; dies erlaubt die temporale Übertragung. Warum die lokale Deutung bei Schule etc. nicht möglich ist, ist unklar; möglicherweise deshalb, weil diese Entitäten nicht wie etwa Becken, Wunde, Blatt etc. eine klare Seitenabgrenzung haben. Vgl. auch folgenden Beleg aus Diskussion Deutsch 138 (1994), S. 261: (i) "Am Rand der Demo aber verteilt die Mutter Haushaltskerzen, unter Tausenden erst wächst sie über sich hinaus." Aus dem Kontext des Romans "Zu keinem ein Wort!" von Günter Saalmann, auf den sich Saalmann in diesem Interview bezieht, geht hervor, daß die Kerzen während der Demonstration vor der Apotheke am Marktplatz verteilt wurden.

J. Meibauer

62

Dieser Schlußprozeß wird erleichtert durch das alte Dativ-e.19 Es scheint nämlich, als wäre am Rand der Konferenz eher einer lokalen Interpretation zugänglich. 4.1.2. Bedeutung und Implikaturen Ich bin bisher in erster Annäherung davon ausgangen, daß am Rande in der temporalen Lesart mit 'während' paraphrasiert werden kann. Die beiden temporalen Präpositionen am Rande und während sind aber keinesfalls syntaktisch, semantisch und pragmatisch gleichwertig. Sie sind (a) nicht in allen Kontexten gegeneinander austauschbar, haben also unterschiedliche Distribution, sie unterscheiden sich (b) in ihrer Kompositionalität, sowie (c) der Auslösung von Implikaturen. Schröder (1986:217f.) unterscheidet zwischen währendj mit handlungs- oder ereignisbezeichnenden Deverbativa und während2 mit Substantiven, die einen zeitlich begrenzten Sachverhalt bezeichnen. (33)

a. b. c.

Während/?am Rande des Vortrags ist es unhöflich zu sprechen. Während/?am Rande des Essens wurden mehrere Toasts ausgebracht. Er besuchte während/?am Rande seines Aufenthalts in der Stadt alle Museen.

Austausch mit am Rande ist nur schlecht möglich; wenn überhaupt, dann erhalten die beteiligten Ν eine lokale Interpretation. Währendj ist nicht möglich mit N, die punktuelle Ereignisse bezeichnen, wie z.B. Zusammenprall, Überflug (Mord m.E. jedoch möglich, vgl. (39a)).Vergleichen wir nun die Austauschbarkeit bei während2'. (34)

a. b. c.

Während/*am Rande des Orkans ruhten die Umschlagsarbeiten im Hafen. Er starb während/*am Rande des Krieges. Sie hatte ihn während/am Rande der Feierlichkeiten zum Universitätsjubiläum in einem Café kennengelernt.

Hier scheint es, als könne am Rande nur in solchen Fällen stehen, in denen ein temporal begrenzter Sachverhalt im Sinne einer lokalen Basis konzeptualisiert werden kann. Daß während kaum bei eigentlichen Zeitbegriffen steht (Schröder 1981, 1986), muß wohl angesichts von Beispielen wie während der letzten Nacht/während dreier Jahre revidiert werden, vgl. auch Durrell/Brée (1993:312). Ein Indiz für einen Bedeutungsunterschied liegt vor allem in dem Umstand, daß am Rande semantisch kompositional ist in dem Sinne, daß die Bedeutungen von am und Rande 19

Man könnte in diesem ein Indiz für die Herleitung der komplexen Präposition am Rande aus dem Adverb am Rande sehen (vgl. Fn. 21 für Beispiele). Einer Bestätigung steht aber entgegen, daß sowohl bei den Adverbien als auch bei den komplexen Präpositionen eine Varianz zwischen Formen mit und ohne Dativ-e festzustellen ist: (i) Das sei hier nur am Rand/am Rande bemerkt. (ii) am Rand der Gesellschaft; "die Geschichte eines Jugendlichen am Rande der Gesellschaft" (Diskussion Deutsch 138 [1994], S. 259)) (iii) Am Rand/am Rande der Demo verteilte sie Kerzen. Es könnte auch sein, daß bei den neueren komplexen Präpositionen das alte Dativ-e wiederaufgegriffen wird, um einen Bedeutungskontrast zu den jeweiligen wörtlichen Bedeutungen zu signalisieren.

Komplexe Präpositionen

63

in die lokale oder temporale Gesamtbedeutung eingehen, während die Bedeutung der Präposition während semantisch ganzheitlich ist. Wenn man die wörtliche (lokale) Bedeutung der Präposition an mit Herweg (1989:114) als Lokalisierung eines zu lokalisierenden Objekts in der "proximalen Außenregion" eines Referenzobjekts versteht20, dann würde sich für einen Ausdruck wie die Fliege am Rande des Schwimmbeckens die Lesart ergeben, daß sich das zu lokalisierende Objekt Fliege in der proximalen Außenregion des Randes des Schwimmbeckens befindet. Da der Rand selbst die Außenregion eines Objekts bezeichnet, entsteht der Eindruck, daß am Rande strenggenommen die Außenregion einer Außenregion bezeichnet. In der Tat ist eine Position der Fliege denkbar, in der sie sich über dem Schwimmbecken befindet, aber immer noch in der Nähe des Randes - auch diese Position läßt sich meines Erachtens mit dem Ausdruck die Fliege am Rande des Schwimmbeckens korrekt bezeichnen. Wenn am Rande in der temporalen Interpretation exakt die Bedeutung von während hätte, wäre nicht erklärbar, welches konzeptuelle Bedürfnis für diese Metapher besteht, d.h. welche Aspekte des Zielbereichs eigentlich hervorgehoben oder unterdrückt werden sollen. Sehen wir uns dazu den folgenden Text an: (35)

Der Parteitag der FDP tagte gestern in Koblenz. a. Während der Konferenz kam es zu Auseinandersetzungen. b. Am Rande der Konferenz kam es zu Auseinandersetzungen.

Die Fortsetzung (35b) implikatiert, daß die Auseinandersetzungen nicht so wichtig waren, untergeordnete Bedeutungen hatten.21 Die Fortsetzung (35a) ist dagegen neutral in dieser Hinsicht. Die Implikatur der untergeordneten Wichtigkeit hat den Status einer konversationeilen Implikatur, da sie streichbar ist. So ist folgender Text sinnvoll: (36)

Der Parteitag der FDP tagte gestern in Koblenz. Am Rande der Konferenz kam es zu Auseinandersetzungen, die den Verlauf des Parteitags bestimmen sollten.

Betrachten wir nun den folgenden Text: (37)

Der Parteitag der FDP tagte gestern in Koblenz. a. Während der Konferenz wurde ein Mann erschossen. b. Am Rande der Konferenz wurde ein Mann erschossen.

Die Fortsetzung (37b) wird so verstanden, daß der Mord etwas mit dem Parteitag zu tun hatte; (37a) ist wiederum neutral in dieser Hinsicht. Dieses Bedeutungselement der Konnektivität ist nur schlecht streichbar, was entweder für den Status als konventionelle Implikatur spricht, oder dafür, daß es schon Teil der konventionellen Bedeutung des temporalen am Rande ist: 20 21

Vgl. auch Li (1994:45ff.). Vgl. auch den adverbialen Gebrauch von am Rande in Wendungen wie: etwas am Rande bemerken/erwähnen; das kam nur am Rande zur Sprache; das versteht sich doch am Rande; das interessiert mich nur am Rande; ich habe das nur am Rande miterlebt (Klappenbach/Steinitz 1974).

J. Meibauer

64 (38)

Der Parteitag der FDP tagte gestern in Koblenz. ??Am Rande der Konferenz wurde ein Mann erschossen, aber dies hatte nichts mit dem Parteitag zu tun.

Daß Konnektivität eher zur konventionellen Bedeutung des temporalen am Rand(e) zu rechnen ist, wird auch in dem Umstand deutlich, daß bei dem Versuch einer Interpretation von (38) der Zwang zur lokalen Interpretation von am Rande entsteht. Die Implikatur der untergeordneten Wichtigkeit scheint übrigens bei (37) im Gegensatz zur Relevanz des beschriebenen Ereignisses zu stehen. Vertauschen wir nun die Reihenfolge in der Berichterstattung: (39)

Gestern wurde in Koblenz ein Mann erschossen, a. Während des Mordes tagte die FDP. b *Am Rande des Mordes tagte die FDP.

Die Fortsetzung (39b) ist ausgeschlossen in diesem Kontext. Mord ist ein Nomen, das zwar ein Ereignis bezeichnet, aber dieses hat anders als Konferenz, Kirmes, Messe, Gottesdienst, Parteitag, etc. weder eine lokale Basis, noch eine zeitliche Ausdehnung. Dies weist darauf hin, daß am Rande tatsächlich im Kontext der Berichterstattung über bestimmte Ereignisse gebraucht wird, was seine Textsortenabhängigkeit erklärt. Zugleich kann es in diesen Kontexten nicht durch während ausgetauscht werden, was den Nutzen der metaphorischen Übertragung plausibel macht.

4.2. im Vorfeld Betrachten wir nun im Vorfeld. Zunächst ist zu beachten, daß Vor+feld selbst morphologisch komplex ist. Das Erstglied vor hat lokale (vs. temporale, kausale, etc.) Bedeutung. Das Nomen Vorfeld besitzt eine etwas engere Bedeutung als Rand; Klappenbach/Steinitz (1974) geben es mit 'Vorgelände' wieder (z.B. Vorfeld der Stadt/des Flughafens, vgl. (28a)); nach DWb handelt es sich um die 'fläche vor einem genommenen, durch irgendetwas bestimmten Standpunkt', wobei Beispiele wie Vorfeld vor einer Befestigung/Stellung auf die militärische Fachsprache hinweisen. In seiner wörtlichen Bedeutung bezeichnet im Vorfeld den Raum vor einem anderen Raum. Die Metapher besteht in der Übertragung dieser räumlichen Beziehung auf die zeitliche Beziehung zwischen zwei Zeiträumen. Offensichtlich wird diese Übertragung dadurch erleichtert, daß vor auch eine temporale Bedeutung hat. Im Zusammenhang mit der engeren Bedeutung von Vorfeld ist auch die eingeschränkte lokale Verwendbarkeit von im Vorfeld zu sehen, d.h. die temporale Bedeutung ist schon stärker konventionalisiert.

Komplexe Präpositionen

(40)

a. b. c. d.

65

Im Vorfeld des Schwimmbeckens lag eine Cola-Dose. ?LOK/*TEMP Im Vorfeld der Schule rauchten die Sextaner ihre Marlboros. ??LOK/*TEMP Im Vorfeld der Konferenz wurden Sanktionen angekündigt. »LOK/TEMP Im Vorfeld des Mords gab es erste Verdachtsmomente. *LOK/?TEMP

Wie unterscheidet sich nun temporales im Vorfeld von der Präposition vor? Testen wir zunächst einmal die Implikatur der untergeordneten Wichtigkeit: (41)

Der Parteitag der FDP tagte gestern in Koblenz. a. Vor der Konferenz kam es zu Auseinandersetzungen. b. Im Vorfeld der Konferenz kam es zu Auseinandersetzungen.

Die Fortsetzung (41b) läßt keine Implikatur derart erwachsen, daß die Auseinandersetzungen in bezug auf den Parteitag von untergeordneter Wichtigkeit seien; in beiden Fortsetzungsfällen kommt es einfach auf die zeitliche Einordnung eines Sachverhalts vor einem anderen Sachverhalt an. Als nächstes testen wir die Konnektivität: (42)

Der Parteitag der FDP tagte gestern in Koblenz. a. Vor der Konferenz wurde ein Mann erschossen. b. Im Vorfeld der Konferenz wurde ein Mann erschossen.

Genau wie bei am Rand(e) tritt hier die Implikatur auf, daß das in (42) beschriebene Ereignis mit dem Parteitag der FDP etwas zu tun haben muß. Dies wird auch durch den Streichbarkeitstest in (43) nahegelegt: (43)

Der Parteitag der FDP tagte gestern in Koblenz. ??Im Vorfeld der Konferenz wurde ein Mann erschossen, aber dies hatte nichts mit dem Parteitag zu tun.

Anders als am Rand(e) ist im Votfeld mit punktuellen Ereignissen kompatibel: (44)

Gestern wurde in Koblenz ein Mann erschossen. a. Vor dem Mord tagte die FDP. b. Im Vorfeld des Mordes tagte die FDP.

Dies bestätigt, daß die mit am Rand(e) kompatiblen Nomina eine mögliche lokale Basis denotieren müssen; zugleich spielt untergeordnete Wichtigkeit keine Rolle, d.h. (44a/b) wirken als Fortsetzungen gleich merkwürdig. Bei im Votfeld scheint es nun eine spezielle Implikatur zu geben, die sich im Kontrast zu vor deutlich zeigt:

J. Meibauer

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Der Parteitag der FDP tagte gestern in Koblenz. a. Ein halbes Jahr/5 Minuten vor der Konferenz kam es zu Auseinandersetzungen. b. Im Vorfeld der Konferenz, und zwar ?? 5 Minuten/ein halbes Jahr vorher, kam es zu Auseinandersetzungen.

Während nämlich bei vor der zeitliche Abstand zum durch die NP bezeichneten Ereignis keine Rolle spielt, scheint bei im Vorfeld der zeitliche Abstand zum betreffenden Ereignis wichtig zu sein. Außerdem wird im Vorfeld eher so verstanden, daß die entsprechenden Aktivitäten eine gewisse zeitliche Ausdehnung hatten, bzw. in einem gewissen Zeitraum wiederholt anzutreffen waren. (46)

Der Parteitag der FDP tagte gestern in Koblenz. a. Vor der Konferenz explodierte eine Autobombe. b. ??Im Vorfeld der Konferenz explodierte eine Autobombe.

Beide Implikaturen sind aber in gewissen Kontexten streichbar, was für den Charakter als konversationeile Implikatur spricht. (47)

Im Vorfeld der Konferenz, genauer gesagt, sogar nur fünf Minuten vor ihrer Eröffnung, kam es noch zu Auseinandersetzungen.

(48)

Im Vorfeld der Konferenz explodierte eine Autobombe, aber das war nicht das erste Mal.

Ich nenne diese konversationelle Implikatur die Implikatur der zeitlichen Ausdehnung.

4.3. im Gefolge Auch im Ge+folg+e ist morphologisch komplex. Im DWb finden sich Belege für die präpositionale Verwendung bei Goethe, der allerdings die Form in gefolg verwendet; weitere Varianten sind in gefolge, ingefolge. Unter Gefolge ist heute nach Klappenbach/Steinitz (1974) eine 'Gruppe von Menschen, die eine Person von hohem Rang ständig begleitet' zu verstehen. Früher hat man es (a) im Sinne der religiösen Gefolgschaft gegenüber Gott (ahd.), (b) des rechtlichen Beistands vor Gericht (altn.), (c) einer Begleitung zu einem bestimmten Zweck/einer Gesellschaft (norw.), (d) als Begleitung eines vornehmen Herrn (nhd. 18. Jh.) verstanden; siehe DwB mit den dort angegebenen Belegen. Die metaphorische Übertragung besteht in folgendem: So wie ein Gefolgsmann typischerweise seinem Herrn (räumlich) folgt, wenn er sich in seinem Gefolge befindet, so folgt ein Ereignis X einem Ereignis Y zeitlich.

Komplexe Präpositionen

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Man muß dabei jedoch beachten, (a) daß Gefolge selbst schon idiomatisiert ist (ein Gefolgsmann muß sich nicht immer hinter seinem Herrn befinden), (b) daß folgen auch im mentalen Sinne zu verstehen ist. Möglicherweise hat es ein Stadium des Übergangs zur komplexen Präposition gegeben, in dem Gefolge metaphorisch gebraucht wurde, z.B. in das laster mit allem seinem schädlichen gefolge (vgl. DWb). Als erstes ist festzustellen, daß die Implikatur der untergeordneten Wichtigkeit keine Rolle spielt (einen Nachweis spare ich mir.) Überlegen wir uns nun, was im Gefolge über das Moment der NACHZEITIGKEIT hinaus in Kontexten wie dem folgenden bedeutet: (49)

Der Parteitag der FDP tagte vor einem Monat in Koblenz. a. Im Gefolge des Parteitags kam es zu ernsthaften Zerwürfnissen zwischen den Koalitionspartnern. b. Nach dem Parteitag kam es zu ernsthaften Zerwürfnissen zwischen den Koalitionspartnern.

Als erstes stellen wir fest, daß das Moment der Konnektivität hier ebenfalls wichtig ist: (50)

Der Parteitag der FDP tagte vor einem Monat in Koblenz. *Im Gefolge des Parteitags kam es zu ernsthaften Zerwürfnissen zwischen den Koalitionspartnern, aber dies hatte nichts mit dem Parteitag zu tun.

Es scheint sich hier sogar um Kausalität zu handeln, denn das Denotat des Komplements der komplexen Präposition wird regelmäßig als Ursache für das (zeitliche folgende) Ereignis betrachtet. Da Kausalität Konnektivität impliziert, gehe ich von Kausalität als dem wesentlichen Effekt aus und betrachte diesen als konventionelle Implikatur (vgl. die Charakterisierung als 'abstracted] begriff der zeit- und causalfolge' in DWb.) Desweiteren scheint zeitlicher Abstand bzw. Ausdehnung eine Rolle zu spielen: (51)

Der Parteitag der FDP tagte vor einem halben Jahr in Koblenz. a. Fünf Minuten nach der Konferenz kam es zu Zerwürfnissen. b. ?? Im Gefolge der Konferenz kam es nach fünf Minuten zu Minuten zu Zerwürfnissen.

(52)

Der Parteitag der FDP tagte vor einem halben Jahr in Koblenz. a. Nach der Konferenz explodierte eine Autobombe. b. ?? Im Gefolge der Konferenz explodierte eine Autobombe.

Die Fortsetzungen (51b) und (52b) scheinen im Gegensatz zur konversationeilen Implikatur zu stehen, daß das Folgeereignis zeitlich ausgedehnt war und nicht unmittelbar nach dem ursächlichen Ereignis begonnen hat. Es lassen sich jedoch Kontexte und qualifizierende Zusätze denken, die implikaturstreichenden Charakter haben, zum Beispiel: (51b1) (52b')

Im Gefolge der Konferenz kam es schon nach fünf Minuten zu ersten Zerwürfnissen. Im Gefolge der Konferenz explodierte mehrmals eine Autobombe.

J. Meibauer

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Als ein weiterer Implikaturenkandidat erscheint Kollektivität. Man beachte dazu den Hinweis in DWb (und die Belege dazu), daß Goethe mit in gefolg "meistens eine reihe oder kette von Ursachen und Wirkungen bezeichnet, als hätte er gefolg als collectivum zu folge verstanden." Dies ist suggestiv, kann an Fällen wie unter (53) jedoch nicht verifiziert werden: (53)

a. b. c. d.

Im Im Im Im

Gefolge des Krieges kam es zu einer Seuche. Gefolge der Kriege kam es zu einer Seuche. Gefolge des Krieges kam es zu Seuchen. Gefolge der Kriege kam es zu Seuchen.

Möglicherweise besteht aber ein Zusammenhang mit der konversationellen Implikatur der Ausdehnung. Wenn es mehrere Folge-Ereignisse gibt, dann ist der Zeitraum ausgedehnter, als wenn es sich nur um ein einzelnes Ereignis handelt.

4.4. Ansatz zur Verallgemeinerung Ich bin davon ausgegangen, daß die wörtliche Bedeutung von im Vorfeld VORZEITIGKEIT ist, von am Rand(e) GLEICHZEITIGKEIT, und von im Gefolge NACHZEITIGKEIT. Darüber hinaus sind die drei komplexen Präpositionen mit Implikaturen verbunden: (54)

konventionelle Impl.

konversationelle Impl.

im Vorfeld am Rand(e) im Gefolge

KONNEKTIVITÄT KONNEKTIVITÄT KAUSALITÄT

ZEITLICHE AUSDEHNUNG UNTERGEORDNETE WICHTIGKEIT ZEITLICHE AUSDEHNUNG

Dies sind natürlich zunächst nur Hypothesen. Eine Erhärtung der Vermutungen kann nur aus gründlicheren Untersuchungen zur Syntax und Semantik dieser und vergleichbarer Ausdrücke erwachsen. 22 Sehen wir uns nun die bekannten Testkriterien23 für Implikaturen genauer an. (a)

22

23

Rekonstruierbarkeit. Rekonstruktion einer konversationellen Implikatur involviert immer die Beachtung oder Verletzung des Kooperationsprinzips bzw. einer oder mehrerer Maximen. Im Falle der Implikatur der untergeordneten Wichtigkeit scheint die Relevanzmaxime betroffen zu sein; so ist der Rand nicht so wichtig wie das Zentrum, und deshalb ist ein Rand-Ereignis nicht so wichtig wie das Hauptereignis.

Semantische Untersuchungen zu komplexen Präpositionen sind äußerst rar. Knappe Bemerkungen zu im Verlauf(e) finden sich bei Schröder (1981); Lindqvist (1994: 195-207) skizziert einige Aspekte im Rahmen seines Ansatzes. Die detaillierteste Untersuchung findet sich bei Schäublin (1972:150-252) zu im Bereich, auf dem (im) Gebiet, im Rahmen, auf Grund, in der Frage. Vgl. Grice (1989), Posner (1979), Sadock (1978).

Komplexe Präpositionen

69

Im Falle der Implikatur der Ausdehnung scheint die Quantitätsmaxime betroffen zu sein. So hat ein Feld eine gewisse räumliche Ausdehnung, so wie Aktivitäten, die in einer inhärenten Beziehung zu einem späteren Ereignis stehen, eine gewisse Zeitspanne einnehmen. Ebenso wie ein Gefolge nur im untypischen Fall aus einer einzelnen Person besteht, so sind die Folgen eines Ereignisses eher vielfältig und haben eine zeitliche Dauer. (b)

Streichbarkeit. Streichbarkeit haben wir schon als Test für den Status der Implikaturen als konventionell vs. konversationell bemüht. Hier müßte noch mehr Sorgfalt auf die notorischen Probleme gelegt werden, die mit (a) Streichung durch Zusätze und/oder durch Varianz der Äußerungssituation, (b) Streichbarkeit vs. Aufhebbarkeit, (c) Formulierung des Streichungszusatzes, (d) Streichung durch Sprecher und/oder Hörer, verbunden sind.

(c)

Abtrennbarkeit. Bekanntlich ist dies das prekärste der Testkriterien: Einerseits basiert auf ihm die Abgrenzung zwischen konventioneller und konversationeller Implikatur, anderseits die Abgrenzung zwischen wörtlicher Bedeutung und konventioneller Implikatur. Die Implikatur der Konnektivität/Kausalität sollte keinen Einfluß auf die Wahrheitsbedingungen der Sätze, in denen am Rande und im Vorfeld vorkommen, haben. Ersetzt man im Gefolge durch nach, am Rande durch während, und im Vorfeld durch vor, so tritt, wie wir gesehen haben, der Konnektivitäts- bzw. Kausalitätseffekt nicht auf; Konnektivität/Kausalität ist also abtrennbar, was für den Status als konventionelle Implikatur spricht. Bei konversationellen Implikaturen sollte dagegen Nicht-Abtrennbarkeit vorliegen; wenn man zum Beispiel die Präposition am Rande durch das Adverb am Rande bzw. das Adverb nebenbei ersetzt, sollte die Implikatur der untergeordneten Wichtigkeit trotzdem auftreten. Genauso sollte die Implikatur der zeitlichen Ausdehnung auch auftreten, wenn man die Präposition im Vorfeld durch das Adverb im Vorfeld ersetzt, und wenn man die Präposition im Gefolge durch das Adverb im Gefolge ersetzt.

(55)

a. b.

Am Rande der Konferenz kam es zu Auseinandersetzungen. Bei dieser Konferenz kam es am Rande/nebenbei zu Auseinandersetzungen.

(56)

a. b.

Im Vorfeld des Skandals gab es Bestechungsversuche. Bei diesem Skandal gab es Bestechungsversuche im Vorfeld.

(57)

a. b.

Im Gefolge der Auseinandersetzungen trat Schweigen ein. Die Auseinandersetzngen hatten Schweigen im Gefolge.

Man muß allerdings zugeben, daß nicht klar ist, ob es sich wirklich um konversationelle Implikaturen der Substitute handelt, oder nicht vielmehr um wörtliche Bedeutungen. In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß keines dieser Adverbien mit den komplexen

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J. Meibauer

Präpositionen kombiniert werden kann. Die nicht-komplexen Substitute schneiden im Vergleich etwas besser ab. Dies kann damit erklärt werden, daß die bei den komplexen Präpositionen ausgelösten Implikaturen nicht im selben Kontext noch einmal wörtlich ausgedrückt werden dürfen: (58)

a. b. c.

??Am Rande/?während der Konferenz kam es am Rande/nebenbei zu Auseinandersetzungen. ??Im Vorfeld des Skandals/?vor dem Skandal gab es Bestechungsversuche im Vorfeld. ??Im Gefolge der Auseinandersetzungen/?nach den Auseinandersetzungen trat im Gefolge Schweigen ein.

Es scheint jedenfalls, (a) (b) (c)

daß die Metapher bei der Ableitung der konversationellen Implikatur eine Rolle spielt; daß hierbei jeweils unterschiedliche Maximen beteiligt sind; daß Konnektivität ein wesentliches Bedeutungselement ist, welches die hier betrachteten komplexen Präpositionen von ihren nicht-komplexen Zwillingen unterscheidet.

5. Division of pragmatic labour Es ist deutlich geworden, daß Metapher in den besprochenen Fällen eine zentrale Triebkraft des semantischen Wandels ist. Obgleich man bezüglich der Semantik des beteiligten Nomens bei den komplexen Präpositionen von einer semantischen Ausbleichung sprechen kann, ist es doch so, daß die komplexe Präposition als Ganzes einen neuen Gehalt gewinnt. Am Beispiel von am Rande ist einerseits deutlich geworden, auf welche Weise eine neue Bedeutung zunächst von einzelnen Sprechern erschlossen werden muß, wie die Metapher rekonstruiert werden kann. Etabliert sich dann eine Kernbedeutung als Folge einer zunehmend konventionellen Gebrauchsweise, sind weitere Bedeutungsaspekte als konventionelle oder konversationelle Implikatur zu erfassen. So gesehen, ergibt sich ein Übergang in der analytischen Erfassung der diversen Bedeutungspänomene, der möglicherweise einzelnen Stadien eines Konventionalisierungs-prozesses gerecht wird. Dieser Befund ist im Rahmen der Theorie der division of pragmatic labour von Horn (1984) deutbar. Das Prinzip der Teilung der pragmatischen Arbeit besagt nach Horn (1984:22): The use of a marked (relatively complex and/or prolix) expression when a corresponding unmarked (simpler, less 'effortful') alternate expression is available tends to be interpreted as conveying a marked message (one which the unmarked alternative would not or could not have conveyed).

Komplexe Präpositionen

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Nehmen wir an, daß während unmarkiert ist, am Rande markiert. Am Rande ist sicherlich phonologisch und syntaktisch komplexer als während. Dann sollte die Konventionalisierung nach Horn folgende Schritte umfassen: (a)

(b)

The speaker used marked expression E' containing 'extra' material (or otherwise less basic in form or distribution) when a corresponding unmarked expression E, essentially coextensive with it, was available. Either (i) the 'extra' material was irrelevant and unnecessary, or (ii) it was necessary. (i.E. E could not have been appropriately used).

Die Klausel (b)(i) verstößt ceteris paribus gegen das R-Prinzip, (1. Make your contribution necessary, 2. Say no more than you must), und muß daher verworfen werden. Es bleibt also nur (b)(ii) als Alternative übrig. Der weitere Verlauf basiert auf einem R-Prinzipbasierten Schluß (vgl. (c)) und auf einem Schluß, der auf dem Q-Prinzip (1. Make your contribution sufficient, 2. Say as much as you can) beruht, vgl. (d): (c)

The unmarked alternative E tends to become associated (by use or - through conventionalization - by meaning) with unmarked situation s, representing stereotype or salient member of extension E/E'.

(d)

The marked alternative E' tends to become associated with the complement of s with respect to the original extension of E/E'.

Denkt man an die Bedeutungselemente VORZEITIGKEIT / GLEICHZEITIGKEIT / NACHZEITIGKEIT vs. KONNEKTIVITÄT / KAUSALITÄT, dann ist einleuchtend, daß das Aufkommen spezieller Bedeutungen zunächst an spezielle Verwendungssituationen (der Berichterstattung etc.) gebunden ist. Bei der Herausbildung komplexer Präpositionen spielt semantischer Wandel eine wichtige Rolle. Ich habe am Beispiel der komplexen Präposition am Rande dafür argumentiert, daß der zugrundeliegende Prozeß metaphorisch ist, und daß am Anfang eines Konventionalisierungsprozesses konversationelle Implikaturen stehen. Die Quellen, die zu einem gemeinsamen Ziel führen, mögen dabei durchaus unterschiedlich sein, aber man kann vermuten, daß lokale Quellen eine zentrale Rolle spielen. Dafür spricht auch, daß die meisten Präpositionen aus Lokaladverbien entstanden sind. Insgesamt zeigen diese Überlegungen, daß bei der Untersuchung des Sprachwandels neben den morphosyntaktischen Aspekten auch semantische und pragmatische Aspekte von Bedeutung sind.

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J. Meibauer

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J. Meibauer

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Renate Pasch

Implikaturen im Bereich lexikalisch induzierter Präsuppositionen auch wenn-Konstruktionen können unter bestimmten Bedingungen konzessiv interpretiert werden. In Wörterbüchern und Grammatiken wird deshalb wenn neben einer konditionalen auch eine konzessive Bedeutung zugeschrieben. Es soll gezeigt werden, daß dies für auch wenn-Konstruktionen nicht erforderlich ist, daB bei diesen vielmehr die konzessive Interpretation aus einer von auch induzierten konditionalen Presupposition und einer mit Konditionalität verknüpften Implikatur abgeleitet werden kann, die Geis/Zwicky auf das Wirken des Prinzips der 'conditional perfection" zurückführen. Diese Implikatur ist eine "konzeptuelle Implikatur". Konzeptuelle Implikaturen, die von Präsuppositionen induziert werden, sind nicht in der Weise aufhebbar, wie es Implikaturen sind, die von Aspekten der Bedeutung induziert werden. Sie können als aktuelle Inferenzen nur durch die Bedeutung verhindert werden, für die die Presupposition induziert wird, durch die sie selbst induziert werden. Wenn die Aufhebbarkeit einer Implikatur derart beschränkt ist, müssen die von Grice (1975) formulierten und in der Literatur (siehe Levinson 1983:113) verfeinerten Kriterien für die Konversationalität von Implikaturen noch weiter verfeinert werden.

Der Inhalt einer von der Äußerung eines sprachlichen Ausdrucks a¡ auszulösenden (pragmatischen) Implikatur - ein pragmatisches Implicatimi, im folgenden kurz: "eine Implikatur" genannt - ist etwas, von dem der Hörer der Äußerung von aj annehmen kann, daß es bei der Verwendung von a¡ interpretiert werden kann, das aber nicht als konventionelle Eigenschaft von a¡ anzusehen ist. In der Literatur, die sich mit dem Phänomen der Implikaturen befaßt, wird im allgemeinen davon ausgegangen, daß im Gegensatz zu konventionellen - semantischen - Implicata Implikaturen durch den Sprecher als nicht intendiert charakterisiert werden können, ohne daß das, was der Sprecher ausdrückt, als inkonsistent erscheint. Siehe Grice (1975:57): "A generalized conversational implicature can be canceled in a particular case." Vgl. (1) gegenüber (2)(a) und (b): (1)

(2)(a)

(2)(b)

A. : B. : A. : Α.: B.: A. : Α.: B.: A.:

Wenn Messe ist, schreibt die Straßenbahngesellschaft schwarze Zahlen. Und sonst nicht? Doch, aber zur Messe ganz besonders. Ich bin krank. Du 9 bist krank? · Ich bin ganz gesund. Mein Hund ist übeifahren worden. Was? Du hast einen Hund? -Ich habe keinen Hund.

Die in (1) von B. abgeleitete Implikatur kann mit 'wenn keine Messe ist, schreibt die Straßenbahngesellschaft keine schwarzen Zahlen' umschrieben werden. Dieses Phänomen der Interpretation einer Konditionalbeziehung zwischen dem Negat des Antezedens und dem Negat des Konsequens einer Konditionalverknüpfung wird als Prinzip der "conditional perfection" - CP - bezeichnet (siehe Geis/Zwicky 1971).

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R. Pasch

Im folgenden soll gezeigt werden, daß das, was das Prinzip der conditional perfection abzuleiten gestattet, nicht nur zu Implikaturen im Bereich der Äußerungsbedeutung sprachlicher Ausdrücke führt, sondern auch spezifische Diskurspräsuppositionen abzuleiten erlaubt, "präsuppositionale Implikaturen", wie ich sie nennen möchte. Daraus wiederum leite ich die Annahme ab, daß es konzeptuelle Implikaturen gibt, deren Tilgbarkeit davon abhängt, ob sie für den präsuppositionalen oder den Bedeutungsaspekt sprachlicher Ausdrücke abzuleiten sind. Zu diesem Zweck betrachte ich hier speziell Satzverknüpfungen mit der deutschen Konjunktion wenn, der ein auch vorangestellt ist. Konditionale Satzverknüpfungen mit auch können unter bestimmten Bedingungen konzessiv interpretiert werden; vgl. Ist es auch Wahnsinn, hat es doch Methode; wenn es auch Wahnsinn ist, (so) hat es doch Methode; auch wenn es Wahnsinn ist, (so) hat es doch Methode. In Wörterbüchern und Grammatiken aber auch in speziellen Untersuchungen zu konzessiven Konjunktionen wird deshalb wenn neben einer konditionalen auch eine konzessive Bedeutung zugeschrieben, oder auch wenn und wenn auch werden dort als komplexe Konjunktionen behandelt. Wenn bei der Untersuchung der Verwendungsbedingungen lexikalischer Einheiten und dabei speziell von Konjunktionen in größerem Maße als bisher Implikaturen der ihnen gebührende Platz eingeräumt wird, ist es in vielen Fällen nicht erforderlich, von einer derartigen Mehrdeutigkeit lexikalischer Einheiten auszugehen. Es wird gleichzeitig auch erklärbar, warum bestimmte lexikalische Einheiten die unterstellten Mehrdeutigkeiten aufweisen bzw. die illustrierten Kombinationen mit Partikeln mit ganz bestimmten inhaltlichen Effekten eingehen, andere dagegen nicht. Dies soll im folgenden anhand von auch wenn-Konstruktionen gezeigt werden. Es soll demonstriert werden, daß sich die Interpretation von auch wenn-Konstruktionen aus folgenden Faktoren ableiten läßt: 1. aus der auf die materiale Implikation zurückgeführten Konditionalinterpretation von wenn 2. aus den Gebrauchsbedingungen von auch, und zwar speziell einer von auch induzierten Präsupposition 3. aus einer mit dem Begriff der Konditionalität verbundenen Implikatur 4. aus einer an die Spezifik der Bedeutungen der durch wenn verknüpften Sätze gebundenen Erfahrung von möglichen Zusammenhängen der von den Sätzen bezeichneten Sachverhalte und 5. aus der Interpretation des vom we/in-Satz bezeichneten Sachverhalts als Tatsache (faktisch).

Lexikalisch induzierte

Präsuppositionen

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1. Konzessivität von Satzverknüpfungen Um zeigen zu können, wie sich die konzessive Interpretation von wenn-Konstniktionen ergibt, muß der Begriff der Konzessivität inhaltlich einigermaßen kontrollierbar gefaßt werden. Typische konzessive Satzverknüpfungen sind solche, die mit den Konjunktionen obwohl, obschon oder wenngleich gebildet werden. Vgl.: (3) [A. gibt sich ungehalten. B.:] Obwohl/obschon/wenngleich es dir lästig ist, mußt du mir jetzt zuhören. Als Quintessenz aus zahlreichen Arbeiten zu konzessiven Satzverknüpfungen leite ich ab, daß eine konzessive Satzverknüpfung mindestens folgendem Schema genügen muß: (K) Schema der Interpretation konzessiver Satzverknüpfungen: (Diskurs-)Präsupposition:p--> ~q Bedeutung: ρ & q (Eine ähnliche Repräsentation findet sich bei König 1986:234.) Dabei ist ρ eine Variable über die von den untergeordneten Sätzen ausgedrückten Propositionen, q eine Variable über die von den übergeordneten Sätzen ("Bezugssätzen") ausgedrückten Propositionen, & ein Zeichen für die logische Konjunktion, — > ein Zeichen für die materiale Implikation und ~ ein Zeichen für die aussagenlogische Negation. Unter der "Bedeutung" eines sprachlichen Ausdrucks verstehe ich hier das, was dieser Ausdruck zu den Wahrheitsbedingungen von (einfachen und komplexen) Deklarativsätzen beitragen kann. Unter einer mit einem sprachlichen Ausdruck verknüpften "Presupposition" verstehe ich hier den Inhalt einer vor der Verwendung dieses Ausdrucks getroffenen oder zu treffenden Vorannahme, die einen spezifischen konzeptuellen Hintergrund für die Bedeutung des Ausdrucks bildet. (Ich verstehe "Präsupposition" im Sinne des Begriffs der "discourse presupposition", wie ihn Givón 1978 geprägt hat.) Ich setze voraus, daß Präsupposition und Bedeutung zusammen in einem logischem Ausdruck vorkommen. Als Funktor, der sie verknüpft, nehme ich einen pragmatischen Funktor - PRIOR - an, der einen Anspruch auf die Wahrheit der "Präsupposition" (eigentlich: des Präsupponierten) zeitlich der epistemischen Bewertung (Urteil, Frage usw.) dessen, was hier "Bedeutung" genannt wird, vorordnet, ρ und q und die Beziehung, die zwischen ihnen durch die Bedeutung des Konnektivs etabliert wird, sind semantischen Typen zugeordnet, die syntaktischen Kategorien zugeordnet sind. Für PRIOR und die Funktoren im Bereich der Präsuppositionen gilt dies nicht. Sie sind nur konzeptuellen Typen zugeordnet. (Die semantisch typisierten Einheiten sind zweifach typisiert: semantisch und konzeptuell.) Die epistemischen Bewertungen modalisieren die Propositionen. Sie weisen sie z.B. als Inhalt eines Urteils, einer Frage, einer Aufforderung aus. Nur wenn eine Proposition als Urteilsinhalt modalisiert ist, kann das Urteil, daß die Proposition wahr bzw. falsch ist, gefällt werden. Ich nehme an, daß präsuppositionale Propositionen immer als Urteilsinhalte moda-

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lisiert sind. Durch die logische Schlußregel der Einführung der logischen Konjunktion (EK) können Urteilsinhalte durch logische Konjunktion miteinander verbunden werden. In logischer Konjunktion ergibt die "Konzessivbedeutung" mit der "Konzessivpräsupposition" (siehe (K)) bei allen Verteilungen der Wahrheitswerte von ρ und q den Wert falsch, also eine Kontradiktion. Das Wesen der Konzessivität ist ein Widerspruch zwischen Presupposition und Bedeutung, insbesondere Negation der präsuppositionalen Folge ~q durch die Bedeutungskomponente q. Den Widerspruch als konstitutives Merkmal konzessiver Satzverknüpfungen unterstellen auch in der Regel die einzelsprachlichen Bedeutungswörterbücher. Die Presupposition konzessiver Konstruktionen - im folgenden: "Konzessivpräsupposition" - ist also eine Konditionalbeziehung, die auf die Wahrheitsfunktion der materialen Implikation zurückzuführen (wenn auch nicht mit dieser zu identifizieren) ist. Diese hat die Wahrheitswertcharakteristik . (In den in spitzen Klammern aufgeführten Wertepaaren steht jeweils der linke Wert für den Wert des Antezedens - der Bedingung -, der rechte für den des Konsequens - der Folge - der Konditionalbeziehung.) D.h. die in ihrer Bedeutung auf diese Wahrheitsfunktion zurückzuführenden Satzverknüpfungen gelten nur dann als falsch, wenn der Satz, der die Bedingung in der Konditionalbeziehung ausdrückt, wahr ist und der Satz, der die Folge in der Konditionalbeziehung ausdrückt, falsch ist. Bei den restlichen drei möglichen Verteilungen der Wahrheitswerte der zwei verknüpften Sätze gelten die entsprechenden Satzverknüpfungen als wahr. Im Unterschied zur Bedeutung von Konditionalkonstruktionen besteht aber bei konzessiv zu interpretierenden Satzverknüpfungen diese Konditionalbeziehung nicht zwischen ρ und q, sondern zwischen ρ und ~q. Gegen die Zurückführung der Konditionalbeziehung auf eine Wahrheitsfunktion und dabei speziell auf die materiale Implikation der Aussagenlogik äußern viele Linguisten und Logiker Vorbehalte. Derzeit steht jedoch meines Wissens keine Logik zur Verfügung, in der der für Konzessivinterpretationen von Satzverknüpfungen relevante Widerspruch zwischen Präsupponiertem und Bedeutungen der Satzverknüpfungen formal ableitbar wäre. Führt man die Konzessivinterpretationen von Satzverknüpfungen jedoch auf die materiale Implikation zurück, so kann man, auf der Grundlage der Annahme einer Ableitung der logischen Konjunktion von Präsupponiertem und Bedeutung der Satzverknüpfungen, diesen Widerspruch recht gut formal veranschaulichen. Als nichtwahrheitsfunktional sieht z.B. Wessel (1984:296) den Konditionaloperator an. Er weist Satzverknüpfungen bei den Werteverteilungen keinen der beiden Werte w bzw. f zu. Er läßt den Wert der Satzverknüpfung unbestimmt, was er durch " ?" notiert. Bei der Werteverteilung w,f weist er den Konditionalkonstruktionen den Wert zu, den auch die materiale Implikation bei dieser Verteilung der Wahrheitswerte der verknüpften Sätze ergibt, nämlich den Wert f. Dies soll folgende Wahrheitswertetafel ausdrücken:

Lexikalisch induzierte

A

Β

w w f f

w f w f

Präsuppositionen

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Α ~> Β ? f ? ?

Wenn nun diese Interpretation von - > auf (K) angewandt wird, ergibt sich bei logischer Konjunktion der Präsupposition ρ - > ~q und der Bedeutung ρ & q aus (K) - anders als wenn der Pfeil — > als Zeichen der materialen Implikation interpretiert wird - keine Kontradiktion im Sinne der klassischen zweiwertigen Logik, als die der Widerspruch, der in Konzessivinterpretationen relevant wird, gedeutet werden kann. Eine Kontradiktion würde ja nur dann vorliegen, wenn die logische Konjunktion von Präsupposition und Bedeutung bei allen Werteverteilungen den Wert f annimmt. Die für Konzessivkonstruktionen typische Kontradiktion kann sich bei der von Wessel vorgeschlagenen Interpretation des Konditionaloperators auf der Grundlage des Kontradiktionsbegriffs der klassischen zweiwertigen Logik nicht ergeben, weil die logische Konjunktion im Rahmen dieser Logik nur für die Werte w und f definiert ist. In diesem Rahmen nimmt deshalb die logische Konjunktion als Verknüpfung von Konzessivpräsupposition und Konzessivbedeutung den Wert f nur dann an, wenn sowohl ρ als auch q den Wert w annimmt. In diesem Fall ist die Konzessivbedeutung wahr und die Konzessivpräsupposition falsch. (Letztere ist ja falsch, wenn ρ wahr und "q falsch, also q wahr ist.) Für die anderen Werteverteilungen, für die sich bei der Konzessivpräsupposition der Wert "?" ergibt, ist die Konzessivbedeutung zwar falsch, aber es kann bei der Verknüpfung von Konzessivpräsupposition und Konzessivbedeutung durch logische Konjunktion aufgrund der Unbestimmtheit des Wahrheitswertes der Konzessivpräsupposition - d.h. aufgrund des Wertes "?" - im Rahmen einer zweiwertigen Logik nicht entschieden werden, welchen Funktionswert diese logische Konjunktion ergibt: "?" oder f. Ein Ausweg wäre es, den Begriff der Kontradiktion weiter zu fassen und ihn auf die Verknüpfung von Konzessivpräsupposition und -Bedeutung auf der Grundlage der von Wessel vorgeschlagenen nichtwahrheitsfunktionalen Interpretation von — > zuzuschneiden. Dann müßte man vorsehen, 1. daß neben den Werten w und f noch ein dritter Wert "?" vorliegen kann, 2. daß die logische Konjunktion keine zwei-, sondern eine dreiwertige Aussagenfunktion ist und 3. daß der Funktionswert der logischen Konjunktion von Konzessivpräsupposition und Konzessivbedeutung immer f sein soll, wenn eines der Argumente dieser logischen Konjunktion der Wert f ist. Letzteres ließe sich damit rechtfertigen, daß die logische Konjunktion auch in der zweiwertigen Logik immer den Wert f annimmt, wenn mindestens eines ihrer beiden Argumente f ist. Offen bliebe dabei allerdings die Frage, welchen Wert die logische Konjunktion annimmt, wenn eines ihrer beiden Argumente w ist und das andere "?" oder wenn beide Argumente "?" sind. Angesichts dieser offenen Fragen halte ich an der Zurückführung der Konditionalbeziehung auf die Wahrheitsfunktion der materialen Implikation fest.

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R. Pasch

2. Konzessivität von (Venn-Konstruktionen 2.1. sogar wenn- und selbst wenn-Konstruktionen In der Literatur zur konzessiven Interpretation von Konstruktionen, die mittels einer konditional zu interpretierenden Konjunktion gebildet werden, werden vorwiegend engl, even if und franz. même si behandelt. Die konzessive Interpretation wird für diese Wortverbindungen darauf zurückgeführt, daß der vom unmittelbar auf sie folgenden Satz bezeichnete Sachverhalt [[p]] einen Extremwert auf einer Skala möglicher Bedingungen für den vom übergeordneten Satz der Satzverknüpfung bezeichneten Sachverhalt [[q]] darstelle. Dies werde durch die Gradpartikel even bzw. même ausgedrückt. Ein Extremwert sei [[p]] insofern, als unerwartet sei, daß die vom Konditionalsatz (d.h. vom if- bzw. vom si-Satz) bezeichnete Bedingung die vom übergeordneten Satz bezeichnete Folge zeitige. Normalerweise folge aus dem vom if- bzw. vom si-Satz bezeichneten Sachverhalt das Gegenteil des vom übergeordneten Satz bezeichneten Sachverhalts. Nach König (1986:232) präsupponiert even "that the value given in the focus (des Satzes, von dem even Konstituente ist - R.P.) is the least likely and therefore most suprising of all values under consideration in a given context. " (Ähnlich beschreiben die Bedeutung von even Karttunen/Peters 1979:24ff.) Man kann es auch so sehen: engl, even, französisch même und deutsch selbst oder sogar induzieren, wenn eine Konditionalverknüpfung mit der Bedeutung ρ - > q in ihrem Skopus liegt, die Präsupposition ~(p --> q). Diese ergibt in logischer Konjunktion mit der Bedeutung der von der Konditionalkonjunktion gestifteten Satzverknüpfung ρ — > q einen Widerspruch (immer den Wahrheitswert falsch). Das heißt, solche Konstruktionen weisen ein für konzessive Konstruktionen typisches Merkmal auf. 2.2. auch wenn-Konstruktionen Diese Charakterisierung der Leistung von sogar und selbst läßt sich jedoch nicht auf deutsch auch übertragen. Vgl. (4)(a) und (4)(b): (4)(a) Auch ich war ein Jüngling im lockigen Haar. (b) Sogar ich war ein Jüngling im lockigen Haar. (4)(a) besagt im Unterschied zu (4)(b) nur, daß neben dem Sprecher der Satzverknüpfung auch noch andere Personen Jünglinge im lockigen Haar waren, nicht jedoch, daß zu erwarten war, daß der Sprecher kein Jüngling im lockigen Haar war. Das heißt, für die im Deutschen vor der Konditionalkonjunktion in konzessiv zu interpretierenden Konstruktionen zu verwendende Partikel auch ist die Annahme, daß der von dem sie enthaltenden Satz bezeichnete Sachverhalt [[p]] einen Extremwert auf einer Skala darstellt, unplausibel. Letztlich ist es dieses Fehlen der Extremwertvorstellung, das die Gebrauchsbedingungen der fokussierenden Partikel auch von denen der fokussierenden Partikeln sogar oder selbst (den direkten Entsprechungen von engl, even und franz. même) unterscheidet. Vgl. die intuitiven Unterschiede zwischen den Beispielen in (5) und (6):

Lexikalisch induzierte

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Präsuppositionen

(5) [A. gibt sich ungehalten. B.:] (a) (b) (c)

Auch wenn es dir lästig ist, mußt du mir jetzt zuhören. Auch wenn es dir lästig ist, du mußt mir jetzt zuhören. Auch wenn es dir lästig ist, (so) mußt du mir doch jetzt zuhören.

(6) [A. gibt sich ungehalten. B.:] (a) (b) (c)

^Selbst/sogar wenn es dir lästig ist, mußt du mir jetzt zuhören. -Selbst/sogar wenn es dir lästig ist, du mußt mir jetzt zuhören. · Selbst/sogar wenn es dir lästig ist, (so) mußt du mir doch jetzt zuhören.

(Der Index k hinter dem indizierten Fragezeichen soll den folgenden Text als im gegebenen Kontext unangemessen kennzeichnen.) auch weist vielmehr Gebrauchsbedingungen auf, die aus seiner historischen Verwandtschaft mit und herrühren. Seine Bedeutung kann auf die Wahrheitsfunktion der logischen Konjunktion zurückgeführt (wenn auch nicht mit dieser identifiziert) werden. Es induziert eine Presupposition, mit der die Bedeutung des Satzes, von dem auch Konstituente ist, durch auch in logische Konjunktion gebracht wird. (AWK) Schema der Interpretation von auch wenn-Konstruktionen : (a) Presupposition (von auch induziert): r — > q wobei "(r=p) (b) Bedeutung: 1. (r - > q) & ( ρ - > q) ausgedrückt durch:

0

auch wenn

2.2.1. Der Beitrag lexikalisch induzierter Präsuppositionen zur Konzessivität von auch wenn-Konstruktionen Wie ist dann jedoch die (K) erfüllende konzessive Interpretation von Satzverknüpfungen wie (5)(a) zu erklären? Dem Augenschein nach haben konzessive Satzverknüpfungen gar nichts mit auch wennKonstruktionen, wie sie durch (AWK) schematisch beschrieben werden, gemein. Auf der Suche nach den Gemeinsamkeiten läßt sich jedoch ein Bindeglied ermitteln, das zur konzessiven Interpretation von auch wenn-Kon struktionen führt. Dieses Bindeglied besteht in folgendem: Wenn die Partikel auch die Presupposition r — > q induziert und (wie in (AWK) angegeben) ~(r=p) gilt, dann läßt sich nach dem Prinzip der Äquivalenz von äußerer - den Operator einschließender - Negation und innerer nur den Operanden betreffender - Negation r = " p ableiten und aus diesem wiederum - da ja r - > q präsupponiert ist - die Presupposition "ρ ~ > q. Die Ableitbarkeit ist garantiert, wenn die Identifikation zweier Propositionen - hier r und ρ - als symmetrische Relation definiert wird und ihr als aussagenlogisches Minimum die logische Äquivalenz zugrunde

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R. Pasch

gelegt wird, die ja die Wahrheitswertcharakteristik hat. Diese besagt, daß die durch die Aussagenfunktion der Äquivalenz definierte Satzverknüpfung genau dann wahr ist, wenn sowohl ρ als auch r entweder der Wert wahr - w - oder der Wert falsch - f zukommt. Es läßt sich dann zeigen, daß ~(r=p) äquivalent mit r = " p ist: r

Ρ

r=p

"(r=p)

r=-p

w w f f

w f w f

w f f w

f w w f

f w w f

(AWK) kann dann zu (AWK') abgewandelt werden: (AWK')

Schema der Interpretation von auch wenn-Konstruktionen : (a) Präsupposition (von auch induziert): ~p-->q (b)Bedeutung: ("p - - > q) & (p - > q) ausgedrückt durch:

0

auch

wenn

Die Bedeutung in (AWK') zeigt, daß auch wenn-Konstruktionen Irrelevanzkonditionale (König/Eisenberg 1984) sind: q folgt sowohl aus ρ als auch aus ~p, d.h. Bedingungen sind für die Wahrheit von q "irrelevant". 2.2.2. Das Zünglein an der Waage bei der Konzessivität von auch wenn-Konstruktionen : die präsuppositionale Konditionalimplikatur Das Schema (AWK') weist nun jedoch nicht die für Konzessivität charakteristische Präsupposition ρ — > ~q auf. Es stellt sich die Frage, ob diese direkt auf die Gebrauchsbedingungen der Konjunktion wenn zurückgeführt werden kann. Wohl kaum, sind doch wenn-Satzverknüpfungen ohne dem wenn voraufgehendes oder folgendes auch eher befremdlich. Vgl. gegenüber (5)(a) bis (c) oder Wenn es dir auch lästig ist, du mußt mir jetzt zuhören, oder Wenn es dir auch lästig ist, (so) mußt du mir doch jetzt zuhören, im Kontext von (5) die Konstruktionen (7)(a) bis (c): (7) [A. gibt sich ungehalten. B.:] I)

(a) (b) (c)

· Wenn es dir lästig ist, mußt du mir jetzt zuhören. · Wenn es dir lästig ist, du mußt mir jetzt zuhören. ^Wenn es dir lästig ist, (so) mußt du mir doch jetzt zuhören.

Woran liegt es, daß die Beispiele (7) befremdlich wirken?

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Lexikalisch induzierte Präsuppositionen

Das, was sie ausdrücken, steht einer Erfahrung entgegen, die der, der sie liest, normalerweise mit Sachverhalten der Art verbindet, die jeweils von den Bedeutungen der Teilsätze der Satzverknüpfungen identifiziert wird. Gemäß dieser Erfahrung folgt aus dem vom wenn-Sztz bezeichneten Sachverhalt eben nicht der vom übergeordneten Satz bezeichnete Sachverhalt, sondern eher sein Gegenteil. Der Inhalt der Erfahrung ist eben die Presupposition ρ — > ~q, die von konzessiven Satzverknüpfungen induziert wird. Die Präsupposition ρ — > ~q wird in (AWK') nicht angeführt. Wodurch ist sie zwar mit (AWK'), nicht aber generell mit Konditionalkonstruktionen ohne auch (siehe die Sätze (7)) verträglich? Die Antwort auf diese Frage findet sich, wenn man das eingangs genannte und illustrierte Prinzip der conditional perfection (CP) heranzieht, nach dem Konditionalbeziehungen der Art A - - > Β eine Implikatur der Art ~A --> ~B auszulösen vermögen. (Siehe hierzu vor allem Geis/Zwicky 1971 und de Cornulier 1983.) Letzterer führt die Ableitung der betreffenden Implikaturen auf das Wirken des pragmatischen Prinzips der Exhaustivität der Nennung von Bedingungen zurück.) Wenn man nämlich annimmt, daß mit der Präsupposition ~p - > q, die von der Partikel auch für Konditionalkonstruktionen mit der Bedeutung ρ — > q induziert wird, eine entsprechende Implikatur ausgelöst wird, so kann man für auch we/w-Konstruktionen die Implikatur ρ — > ~q annehmen, also eine Struktur, die auch als Konzessivpräsupposition zu interpretieren ist: (AWK1 ')

Schema der Interpretation von auch wenn-Konstruktionen : (a) Präsupposition (von auch induziert): "p — > q (b) präsuppositionale Implikatur:p — > ~q (c) Bedeutung: (~p - > q) & (p - > q) ausgedrückt durch:

0

auch

wenn

Es ist meines Erachtens diese präsuppositionale Implikatur, die in Konstruktionen mit einer Konditionalkonjunktion die Verwendung von Teilsätzen legitimiert, zwischen deren Bedeutungen erfahrungsgemäß die Beziehung ρ --> ~q besteht. Diese Implikatur dürfte die Grundlage einer Erklärung dafür sein, warum Sätze wie (5)(a) im Unterschied zu solchen wie (7)(a) mit der erfahrungsgemäßen Beziehung ρ — > "q zwischen den Bedeutungen ihrer Teilsätze informativ sind. In Sätzen wie (7)(a) wird im Unterschied zu Sätzen wie (5)(a) durch nichts formal signalisiert und dadurch legitimiert, daß aus ρ sowohl q als auch sein Gegenteil - ~q -, also Beliebiges, folgt, wodurch die entsprechende Konstruktion an sich ohne informativen Wert ist. Durch auch dagegen wird diese Ininformativität über die Implikatur, die mit der von auch induzierten Präsupposition verbunden ist, als gewollt gekennzeichnet, nämlich als Divergenz zwischen dem Inhalt einer Vorannahme und der Bedeutung der Konditionalkonstruktion. Nun ist aber die Interpretationsstruktur von auch wenn-Konstruktionen allein aufgrund dieser Implikatur noch nicht identisch mit der von Konzessivkonstruktionen. In letzteren läßt sich die Bedeutung auf die logische Konjunktion von ρ und q, nämlich ρ & q, zurück-

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R. Pasch

führen, und es kommt zu einem Widerspruch, wenn Präsupposition und Bedeutung in logische Konjunktion gesetzt werden. Ein solcher Widerspruch ist für auch wenn-Konstruktionen nicht ohne weiteres gegeben. Er entsteht nur, wenn der von ρ identifizierte Sachverhalt ein Faktum ist, wenn ρ wahr ist. In Kontexten, in denen dies der Fall ist, wie in dem von (5)(a), kann dann aufgrund dessen und des Bedeutungsteils ρ --> q mit Hilfe des Modus ponens, der hier anwendbar ist, auf die Wahrheit von q geschlossen werden. Bei Wahrheit von ρ und q kann dann die Schlußregel der Einführung der logischen Konjunktion auf ρ und q angewandt werden, wodurch sich eine Interpretationsstruktur ergibt, die auch in Konzessivkonstruktionen wie den in (3) genannten gegeben ist, nämlich die der logischen Konjunktion ρ & q. Für die konzessive Interpretation von Verwendungen von auch wewi-Konstruktionen ergibt sich dann folgendes Schema: (KZAWK) Schema der konzessiven Interpretation von auch wenn-Konstruktionen: (a) Präsuppositionen:

(b) Äußerungsbedeutung: ausgedrückt durch:

1. (von auch induziert): "p — > q 2. (durch Welterfahrung induziert und als Implikatur zu "p - >q): ρ — > "q 1. f p - - > q) & (p ~ > q) I I I 0 auch wenn 2. (vom Verwendungskontext der Konstruktion induziert): ρ 3. (nach Regeln des logischen Schließens ableitbar): ρ & q

Bei der von (1) induzierten Implikatur handelt es sich gemäß den von Grice (1975) für unterschiedliche Arten von Implikaturen angeführten Kriterien und nach König (1986) und de Cornulier (1983) um eine generalisierte konversationelle Implikatur. Generalisiert deshalb, weil sie nicht vom Gebrauch eines spezifischen sprachlichen Ausdrucks abhängt, sondern vom Vorkommen einer spezifischen semantischen Einheit. Konversationeil aus dem Grunde, daß sie aufgehoben werden kann. Von diesen Eigenschaften verbleibt nun der Implikatur "A — > "Β, wenn sie von einer Präsupposition A — > Β induziert wird, nur die, generalisiert zu sein. Aufhebbar ist sie in einem solchen Fall genausowenig, wie eine lexikalisch induzierte, d.h. "konventionell" induzierte logische Präsupposition aufhebbar ist (siehe hierzu Karttunen/Peters 1979:1 Iff.; zum Begriff der logischen Präsuppositionen siehe Pasch 1990, 1992 und 1994), und genausowenig, wie ein semantisches Implicatum aufhebbar ist. Vgl. (8): (8)

A. : Auch wenn es dir lästig ist, mußt du mir jetzt zuhören. Allerdings kann niemand annehmen, daß du mir nicht zuhören mußt, wenn es dir lästig ist.

Die Implikatur " A ~ > ~B ist bei den akzeptablen auch wenn- Konstruktionen schon deshalb nicht aufhebbar, weil durch die Natur der Bedeutungen der Teilsätze der Satzverknüpfung eine Welterfahrung aktiviert wird, die von der Implikatur identifiziert wird.

Lexikalisch induzierte Präsuppositionen

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3. Fazit Aus dem soeben Dargelegten leite ich folgende Hypothese ab: D i e auf dem Prinzip der conditional perfection beruhende Implikatur ist eine "special class o f implicature" (siehe G e i s / Z w i c k y 1971:565), eine "konzeptuelle Implikatur". Konzeptuelle Implikaturen, die von Präsuppositionen induziert werden, sind nicht in der Weise aufhebbar, w i e es Implikaturen sind, die von Aspekten.der Bedeutung induziert werden. Sie können als aktuelle Inferenzen nur durch die Bedeutung verhindert werden, für die die Präsupposition induziert wird, durch die sie selbst induziert werden (siehe die konzessive Intepretation von

auch

wenn-Konstruktionen nach (KZAWK)). Ein möglicher Grund hierfür ist, daß die sie induzierenden Präsuppositionen zum konzeptuellen Hintergrund der Bedeutung der sprachlichen Äußerung gehören, vor dem die Bedeutung des verwendeten sprachlichen Ausdrucks erst einen Sinn ergibt. A l s Fazit für die Diskussion um das Phänomen der Implikaturen ergibt sich für mich, daß, wenn die Aufhebbarkeit einer Implikatur derart beschränkt ist, die von Grice (1975) formulierten und in der Literatur (siehe Levinson 1983:113) verfeinerten Kriterien für die Konversationalität von Implikaturen noch weiter verfeinert werden müssen.

Literatur Cornulier, B.de (1983): "'If and the Presumption of Exhaustivity". - Journal of Pragmatics 7, 247-249. Geis, M.L., Zwicky, A.M. (1971): "On Invited Inferences". - Linguistic Inquiry 2, 561-566. Givón, T. (1978): "Negation in Language: Pragmatics, Function, Ontology". - P. Cole (ed.): Syntax and Semantics. Volume 9: Pragmatics (New York etc.: Academic Press), 69-112. Grice, H.P. (1975): "Logic and Conversation". - P. Cole, J.L. Morgan (eds.): Syntax and Semantics. Volume 3: Speech Acts. (New York etc.: Academic Press), 43-58. Karttunen, L., Peters, S. (1979): "Conventional Implicature". - Ch.-K. Oh, D.A. Dinneen (eds.): Syntax and Semantics. Volume 11: Presupposition (New York etc.: Academic Press), 1-56. König, E. (1986): "Conditionals, Concessive Conditionals, and Concessives: Areas of Contrast, Overlap and Neutralization". - E.C. Traugott et al. (eds.): On Conditionals. (Cambridge etc.: Cambridge University Press), 229-246. König, E., Eisenberg, P. (1984):" Zur Pragmatik von Konzessivsätzen". - G. Stickel (Hg.): Jahrbuch 1983 des Instituts für deutsche Sprache: Pragmatik in der Grammatik. (Düsseldorf: Schwann), 313-332. Levinson, S.C. (1983): Pragmatics. - Cambridge etc.: Cambridge University Press. Pasch, R. (1990): "Towards a Uniform Pragmatic Description of Logical and Other Presuppositions". - W. Bahner, J. Schildt, D. Viehweger (Hgg.): Proceedings of the Fourteenth International Congress of Linguists, Berlin-GDR, August 10 - August 15, 1987 (Berlin: Akademie-Verlag), 1017-1019. (1992): "Kausale, konzessive und adversative Konnektive: Konnektive als Mittel des Ausdrucks von Diskurspräsuppositionen". - MIL (Münstersches Logbuch zur Linguistik) 1: Semantik, hrsg. von S. Beckmann, 33-48. (1994): Konzessivität von 'wenn'-Konstruktionen. - Tübingen: Narr ( = Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 72). Wessel, H. (1984): Logik. - Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften.

Eckard Rolf

Zur Grammatikalisierung konversationeller Implikaturen Es weiden zwei gegenläufige Prozesse dargestellt: In einem ersten (historischen) Teil wird die "Geburt" der Theorie der Konversations-Implikaturen nachgezeichnet. Vor dem Hintergrund der Gebrauchstheorie der Bedeutung entstanden, offeriert sie lexikon-entlastende Bedeutungserklärungen. In einem zweiten (didaktischen) Teil wird dargelegt, inwiefern Implikaturen auf Sprachstrukturen zurückwirken und dadurch sprachwandel-konstitutierende Veränderungen herbeiführen.

1. Von der Grammatik (hin) zur Konversation Es mag überraschen - aber es ist in der Tat die Gebrauchstheorie der Bedeutung, die den ideengeschichtlichen Hintergrund für die Theorie der Konversations-Implikaturen (TdK-I) abgibt. Auch wenn Wittgenstein es letztlich gar nicht so gemeint haben sollte, eine Vielzahl der Wittgensteinianer hat ihn immer so verstanden, als habe er vorgeschlagen, Bedeutung und Gebrauch gleichzusetzen. Von dieser Gleichsetzung ausgehend und auch darüber hinaus unter dem wirkungsmächtigen Einfluß Wittgensteins stehend, haben die führenden Vertreter der 'ordinary language philosophy' in den 50er Jahren eine ganze Reihe von Vorschlägen zur Analyse bestimmter Begriffe unterbreitet; gerade diese Tradition aber ist es, von der sich Grice mit seiner TdK-I abzusetzen versucht. Grice tut das, indem er sich bemüht, auseinanderzuhalten, was durch die Gebrauchstheorie der Bedeutung konfundiert wird. In den Prolegomena zu seiner Vorlesung mit dem Titel Logic and Conversation spricht Grice von einer Regel oder Vorschrift, nach welcher man sich hüten soll, Bedeutung und Gebrauch durcheinanderzubringen. Er sagt dieser Vorschrift eine vielversprechende Karriere voraus - Letzteres in der Annahme, diese Vorschrift sei auf dem Wege, ein philosophischer Ratgeber zu werden, ebenso greifbar wie einstmals die - auf Wittgenstein zurückgeführte - Empfehlung, man solle darauf bedacht sein, Bedeutung und Gebrauch zu identifizieren. Grice betont, er sei, obwohl der neuen Vorschrift näherstehend als der alten, nicht daran interessiert, für oder gegen die eine oder andere zu agitieren; doch er erklärt zugleich, es sei sein vordringliches Ziel herauszufinden, auf welche Weise eine Unterscheidung zwischen Bedeutung und Gebrauch zu treffen sei (vgl. Grice 1989:4). Das Konzept der Konversations-Implikaturen, welches Grice 1967, im zweiten Abschnitt seiner Vorlesung (der 1975 gesondert, als Aufsatz, publiziert wird), vorträgt, liegt in seinen Grundzügen bereits 1961 vor: in Gestalt des Paragraphen 3 des Aufsatzes The Causal Theory of Perception (vgl. Platts 1979:74ff.; Horn 1988:119ff.; Rolf 1994:17 und 118ff.). Die Lokalisierung des K-I-Konzepts aber ist im Jahre 1967 noch neu: Seine Prolegomena, also den ersten Abschnitt der Vorlesung, beginnt Grice mit der Charakterisierung eines - für das Vorgehen der 'ordinary language philosophy' typischen - Analyseschemas. Dieses, als Manöver der Begriffsanalyse bezeichnete Analyseschema bezieht sich auf komplexere Ausdrücke der Art E, in die ein untergeordneter Ausdruck (α) eingebettet ist. (Mit E sind vornehmlich Sätze gemeint, in denen, als Manifestationen von (.«), solche (philosophisch interessanten) Ausdrücke wie 'wissen', 'freiwillig', 'sehen ... als' oder 'wahr' enthalten

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sind.) Das anvisierte Analyseschema umfaßt drei Schritte: (i) Zunächst wird festgestellt, daß sich der Ausdruck E(a) auf bestimmte Mustersituationen nicht anwenden läßt. (ii) Sodann wird bemerkt, daß in solchen Situationen eine ganz bestimmte Bedingung, C, nicht erfüllt ist. (iii) Und schließlich wird auf ein Merkmal der Bedeutung des Ausdrucks (α) (bzw. des durch (α) ausgedrückten Begriffs) zurückgeführt, daß E(a) nur dann angewendet werden kann, wenn C erfüllt ist (vgl. Grice 1989:3). Grice benennt eine Reihe von Autoren, deren Analysevorschläge dem obigen Schema genügen. Genannt werden Ryle, Malcolm, Benjamin, Wittgenstein, Austin, Hart, Strawson, also typische Vertreter der 'ordinary language philosophy'; Grice rechnet sich selbst auch dazu, und zwar aufgrund seines in The Causal Theory of Perception vorgetragenen Analysevorschlags für 'Es sieht Φ aus'. Die erwähnten Autoren bezeichnet Grice, weil sie, in Gestalt von C, eine Anwendbarkeitsbedingung für (α) ins Spiel bringen, als Ά Philosophen1. Die Exemplifikationen von (α), d. h. die von seiten der Α-Philosophen vorgebrachten Beispiele, teilt Grice in drei Gruppen ein. Zur Gruppe A rechnet er die Ausdrücke 'wissen', 'sich erinnern', 'sehen ... als', 'Es sieht Φ aus', 'versuchen', 'vorsichtig' und 'freiwillig'; zur Gruppe Β gehören die als natürlichsprachliche Entsprechungen logischer Konstanten angesehenen Ausdrücke 'und', 'oder' und 'wenn - dann'; zur Gruppe C rechnet Grice solche Wörter wie 'gut' und 'wahr'. 1 Dem thematisierten Begriffsanalysemanöver zufolge setzt die Verwendung der obigen Wörter (als Bestandteilen von Sätzen), um angemessen zu sein, voraus, daß die Anwendbarkeitsbedingung C erfüllt ist. Grice weist nun aber darauf hin, daß es nicht eine Angelegenheit der Wahrheit oder Falschheit der fraglichen Sätze ist, wenn deren Äußerungen bei Nichterfüllung der Bedingung C als unangemessen anzusehen sind. Denn bei Nichterfüllung der Anwendbarkeitsbedingung wird mit einem Satz, der eines der fraglichen Wörter enthält, dennoch etwas Wahres gesagt - wie irreführend das Gesagte ansonsten auch ist. Wer an einem klaren Tag mit Bezug auf den Himmel anstelle von 'Er ist blau' sagt 'Er sieht für mich blau aus', drückt sich zwar irreführend aus, doch er sagt nichtsdestotrotz etwas Wahres; und wenn es für mich sicher ist, daß sich meine Frau in Oxford aufhält, und ich auf eine entsprechende Erkundigungsfrage antworte 'Meine Frau ist entweder in Oxford oder in London' (statt 'Meine Frau ist in Oxford'), dann drücke ich mich ebenfalls irreführend aus, dennoch sage (auch) ich etwas Wahres. Der Rückgriff auf Anwendbarkeitsbedingungen ist noch in einer weiteren Hinsicht mißlich. Denn er beinhaltet in vielen Fällen, wie beispielsweise in dem von 'Er sieht Φ aus', die Zurückweisung der Wortverwendung durch gerade die Bedingung (ein blauer Himmel), auf die ganz offensichtlich Bezug genommen wird, wenn es um eine Erläuterung der Bedeutung des fraglichen Ausdrucks geht. Angesichts dessen scheint es naheliegend zu sein, nach einer Erklärung der sprachlichen Unangemessenheiten zu suchen, die sich von einer Bezugnahme auf (nichterfüllte) Anwend-

Welche Funktion (bzw. Bedeutung) beispielsweise das Wort 'wahr' habe, wird von Seiten eines APhilosophen unter Bezugnahme auf den Umstand zu erklären versucht, daß mit 'Es ist wahr, daß p' nicht nur behauptet, sondern auch bekräftigt oder bestätigt werde, daß p. Daß es sich mit den Äußerungen eines solchen Satzes so verhalte, gehe, dem fraglichen Analyseschema zufolge, auf die Bedeutung des Wortes 'wahr' zurück.

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barkeitsbedingungen für einzelne Ausdrücke unterscheidet (vgl. Grice 1989:9f.). 2 Grice macht keinen Hehl daraus, daß ihm eine allgemeinere, nicht auf (vermeintliche) Anwendbarkeitsbedingungen für einzelne Wörter Bezug nehmende Erklärung der von den A-Philosophen diagnostizierten sprachlichen Unangemessenheiten vorschwebt. Daß er sich dabei an Searle orientiert, mag bemerkenswert sein. Es ist in der Tat erstaunlich, in welchem Ausmaß Searles Aufsatz Assertions and Aberrations in Grices Prolegomena rezipiert ist. Nicht nur, daß ca. 50 Prozent der Prolegomena der Auseinandersetzung mit den Überlegungen Searles gewidmet sind; es ist auch so, daß die als Vertreter des fraglichen Begriffsanalysemanövers ins Feld geführten Autoren mitsamt ihren Beispielen - mit Ausnahme der Beispiele der Gruppe Β - größtenteils bereits bei Searle erwähnt sind, und selbst die Rede (wenn auch nicht von Α-Philosophen, sondern) von Α-Wörtern und Α-Bedingungen findet sich bereits dort (vgl. Searle 1966:43f./1974: 88f.). 3 Hinsichtlich einer Einbettung der Implikatur-Theorie in einen größeren Rahmen scheint der 1966 (also unmittelbar bevor Grice seine Vorlesung in Harvard hält) erschienene Artikel Searles offenbar mehr als willkommen gewesen zu sein. Worum geht es Searle - und worin weicht Grice von ihm ab, wenn bzw. obwohl er diesen so ausgiebig rezipiert? Searle nimmt Bezug auf den von Austin (in A Plea for Excuses 1956/57) aufgestellten Slogan 'Keine Modifikation ohne Abweichung.' Als ein typischer Vertreter der 'ordinary language philosophy' versucht Austin darzulegen, daß die Verwendung solcher Adverbien wie 'freiwillig' und 'absichtlich' zur Realisierung von Handlungsbeschreibungen an die Erfüllung einer vom Standardfall abweichenden oder speziellen Anwendungs-Bedingung gebunden ist, daß aber für den durch jedes normale Verb erfaßten Standardfall [...] kein modifizierender Ausdruck erforderlich oder auch nur zulässig ist. [...] Nur wenn wir die bezeichnete Handlung auf eine besondere Art und Weise bzw. in Umständen tun, die sich von denen unterscheiden, in denen eine solche Handlung normalerweise getan wird [...], nur Hann ist ein modifizierender Ausdruck erforderlich oder auch nur in Ordnung. (Austin 1956/57/dtsch. 1977:25)

Was Searle demgegenüber geltend macht, ist, daß die auf einzelne Wörter - die sogenannten Α-Wörter, denen spezielle Anwendungsbedingungen zugeschrieben werden - bezogene Analyseweise verfehlt ist, daß das jeweils identifizierte Problem, anders gesagt, nicht an einzelnen Wörtern festzumachen ist. Searle sagt: Wir können zu keiner Liste von A-Wörtem kommen, denn ob ein gegebenes Wort irgendeine Abweichung erfordert oder nicht, das wird vom Rest des Satzes und dem ihn umgebenden Kontext abhängen. So erfordert ζ. B. 'Er kaufte sich sein Auto freiwillig' eine Α-Bedingung, 'Er trat freiwillig in die Armee ein' bedeutet dagegen einfach, daß er sich freiwillig meldete und nicht eingezogen wurde. (Searle 1966/dtsch. 1974:93)

Etwas später heißt es:

Das betont auch Dascal, der sagt: "inappropriateness in the use of a sentence can be due to reasons other than the non-satisfaction of some meaning condition of one of its words or phrases." (Dascal 1994:324) Grices Bemerkung, Searle widme sich lediglich einem kleinen Teil des Bereichs der anvisierten Beispiele (vgl. Grice 1989:13) wirkt angesichts dessen eher etwas unbescheiden.

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So etwas wie eine Liste von A-Wörtern gibt es nicht. Für jeden Satz, in dem ein Wort eine A-Bedingung erfordert, läBt sich ein anderer Satz finden, in dem das gleiche Wort dies nicht erfordert. Die These 'Keine Modifikation ohne Abweichung' scheint also [...] keine These über Wörter, sondern über Sätze zu sein (ebd.).

Searle geht noch weiter, wenn er feststellt: Austins These geht also strenggenommen nicht über Wörter, ja nicht einmal über Sätze. Sie geht darüber, was es heißt, eine Behauptung zu machen. (Ebd.:94f.)

Für den Slogan Austins schlägt Searle deshalb die folgenden Reformulierungen vor: 'Keine Bemerkung, die nicht bemerkenswert ist' bzw. 'Keine Behauptung, die nicht behauptenswert ist' (s. ebd.:95). Die von Austins Slogan ausgedrückten Arten von Bedingungen sind, so Searle, keine Bedingungen der Anwendbarkeit bestimmter Begriffe, "sondern eher Bedingungen für das Aufstellen von Behauptungen" (ebd.:98). Und indem Searle die zu erklärenden Daten - die Unangemessenheit bestimmter Sätze, in denen solche Wörter wie 'freiwillig' etc. vorkommen - auf den Behauptungscharakter der entsprechenden Äußerungen zurückzuführen sucht, beansprucht er für seine "Darstellung größere Einfachheit, größere Allgemeinheit und vielleicht auch größere Plausibilität" (ebd.:97). Gerade in dieser Hinsicht nun versucht Grice über Searle hinauszugelangen. Grice erklärt, daß er mit dem allgemeinen Charakter des Analysevorschlags von Searle durchaus sympathisiere und daß er die Erklärung der diagnostizierten sprachlichen Unangemessenheiten, ähnlich wie Searle, unabhängig zu machen wünsche von irgendeiner Berufung auf besondere semantische Merkmale spezieller Wörter (vgl. Grice 1989:15). Grice ist allerdings der Ansicht, daß auch und gerade der von Searle ins Spiel gebrachte Behauptungscharakter der fraglichen Äußerungen noch keine hinreichende Erklärungsmöglichkeit bereitstelle. Die von Grice gegen Searles Analysevorschlag vorgebrachten Einwände beziehen sich allesamt auf den Gesichtspunkt der Behauptung. Der erste der drei Einwände - vielleicht der einzig wirklich wirksame - lautet, daß die Bedingung der Behauptbarkeit (a) nicht notwendig und (b) auch nicht hinreichend sei (vgl. Grice 1989:18). Ad (a): Eine Bedingung der Behauptbarkeit für (i) Ά hat versucht, χ zu tun' wäre nach Searle, daß zumindest die Möglichkeit bestünde, daß A es nicht versucht haben würde. Es kann aber auch und gerade dann angemessen sein, (i) zu äußern, wenn A zwar versucht hat, χ zu tun, dabei aber keinen Erfolg gehabt hat. Ad (b): Searles Bedingung scheint nicht alle anvisierten Fälle erklären zu können. Es kann unterschiedliche Arten von Unangemessenheiten geben: (ii) 'Er zündete seine Zigarette nicht mit einer 20-Dollar-Note an' zu äußern kann müßig sein; an einem klaren Tag mit Bezug auf den Himmel zu sagen (iii) 'Er sieht blau aus' wäre aber aus einem anderen Grunde unangemessen: es sagte zuwenig (vgl. ebd.) - stellte also eine Verletzung der ersten Maxime der Quantität dar. Um den unterschiedlichen Arten, in denen Äußerungen unangemessen sein können, gerecht zu werden, wird es erforderlich, das jedenfalls ist die von Grice angestellte Überlegung, nach einer allgemeineren Erklärung zu suchen. Grice denkt an ganz allgemeine Prinzipien, an Prinzipien, die Kommunikation oder sogar rationales Verhalten steuern, an allgemeine Diskursprinzipien bzw. Prinzipien rationalen Verhaltens (vgl. ebd.:20). Damit schlägt er einen Weg ein, den zwar auch Searle in

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Betracht gezogen, den dieser dann aber verworfen hat. Gegen Ende des Aufsatzes Assertions and Aberrations wirft Searle die Frage auf, ob all das, was er unter Bezugnahme auf seine Bedingung der Behauptbarkeit gesagt habe, "nicht trotzdem irgendwie nur eine psychologische These darüber [sei], was wir in Konversationen erwarten? Handelt es sich nicht bestenfalls um einen Teil der Pragmatik und weniger um einen Teil der Syntax oder Semantik der Sprache?" (Searle 1966/dtsch. 1974:100) Auf diese Fragen antwortend, erklärt Searle dann aber, er habe die "Unterscheidung zwischen der Pragmatik auf der einen Seite und der Syntax und Semantik auf der anderen nie für sehr nützlich gehalten" (ebd.). Searle schlägt sich auf die Seite der Semantik. Damit aber steht fest, daß sich die Wege von Grice und Searle an dieser Stelle trennen. Denn der von Grice eingeschlagene Weg ist dezidiert der pragmatische. In der Skepsis gegenüber der Gebrauchstheorie der Bedeutung, das sei noch festgestellt, stimmen beide dennoch überein.4 Searle äußert bereits 1966 Bedenken gegenüber der Theorie, "nach der die Bedeutung eines Wortes in seinem Gebrauch besteht. Das Problematische an dieser Theorie ist, daß der Begriff des Gebrauchs so vage ist, daß er nur Konfusionen hervorrufen kann" (Searle 1966/dtsch. 1974:101). Searles Haltung mag etwas verwundern. Hat er doch noch ein Jahr zuvor die von ihm explizierten "Regeln für den Gebrauch des Verwendungsindikators des Versprechens" (Searle 1965/dtsch. 1974:51) als eine Exemplifikation der Gebrauchstheorie der Bedeutung verstanden (vgl. ebd.:35).5 Spätestens 1966 aber beginnt er an dieser Theorie zu zweifeln, und gegen Ende von Assertions and Aberrations findet sich bereits angedeutet, was 1969, im sechsten Kapitel der Speech Acts, unter der Überschrift 'Sprechakt-Fehlschluß' rubriziert und auf die - nun kritisierte - Gleichsetzung von Bedeutung und Gebrauch zurückgeführt wird (vgl. Searle 1969/dtsch. 1971:220ff.). Auf diese Gleichsetzung führt Searle übrigens auch den sogenannten Sprechakt-Fehlschluß zurück, einen Fehlschluß, der, so Searle, darin besteht, daß "die Bedingungen für eine vollständige Behauptung mit den Bedingungen für die Anwendbarkeit bestimmter Begriffe verwechselt" werden (ebd.:218). Das heißt, es ist die die Gebrauchstheorie der Bedeutung exemplifizierende und 1969 dann als BehauptungsFehlschluß bezeichnete Analyseweise, die bei Searle bereits 1966 angeprangert (vgl. ebd.:213ff.) - und die bei Grice ein Jahr später, in den Prolegomena, aufs Korn genommen wird. Die vorangegangenen Bemerkungen resümierend, läßt sich feststellen: Während Wittgenstein oder zumindest ein Teil der Wittgensteinianer für eine Gleichsetzung von Bedeutung und Gebrauch plädieren, treten Searle und Grice gleichermaßen dafür ein, diese Größen auseinanderzuhalten. Der Unterschied zwischen beiden besteht in der jeweils angebotenen Analysealternative: Searles Alternative ist semantischer, Grices Alternative aber ist pragmatischer Art. 6 4

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In diesem Sinne stellt Dascal (1994:324) fest: "Both Grice and Searle attribute the failure of the analytic philosophers' ('Α-philosophers', for short) manoeuvre to their implicit acceptance of the slogan 'Meaning is use'." Entsprechend weist auch Wunderlich (1991:45) darauf hin, die Sprechakttheorie stelle "zunächst einen genuinen Ansatz zu einer Gebrauchstheorie der Sprache dar." Die Verwandtschaft der Ansätze von Searle und Grice sowie deren Divergenz läßt sich auch in der folgenden Weise darstellen: "Although both Grice and Searle make use of each other's theories and although their purposes are similar, they in fact propose quite different ways of distinguishing and relating

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Worauf will Grice hinaus, wenn er überlegt, auf welche Weise Bedeutung und Gebrauch auseinandergehalten werden könnten? Ganz allgemein gesagt will Grice, wo immer es möglich ist, jedweder Annahme einer oder mehrerer spezieller Wortbedeutungen entgegentreten. Wo immer es möglich ist, soll das Vorhandensein spezieller, d. h. über vergleichsweise schwache lexikalische Bedeutungen hinausgehende Lesarten in einer allgemeinen Weise erklärt werden, d. h. unter Bezugnahme auf allgemeine Diskursprinzipien, sprich: Konversationsmaximen. Grice erläutert seine Sichtweise anhand des Wortes 'oder'. Er plädiert für die Annahme, daß die Bedeutung dieses Wortes als schwach in dem Sinn einzuschätzen sei, als es lediglich einen wahrheitsfunktionalen, durch die Wahrheitstafel für die Disjunktion V explizierbaren Sinn habe (vgl. zum Folgenden Grice 1989:44ff.). Wie könnte man der entgegengesetzten Auffassung, der Auffassung, daß 'oder' einen starken, nichtwahrheitsfunktionale Aspekte miteinschließenden Sinn habe, begegnen? Ein Vertreter der Auffassung, 'oder' weise einen einzigen, starken Sinn auf, bzw. ein Vertreter der Auffassung, es weise sowohl einen schwachen als auch einen starken Sinn auf, würde behaupten, es sei zweierlei zur Bedeutung eines Satzes wie Ά oder B' zu rechnen: Teil der Bedeutung eines solchen Satzes sei (i) etwas Wahrheitsfunktionales, der Inhalt Ά ν Β', und (ii) etwas Nichtwahrheitsfunktionales, das Vorhandensein eines epistemischen Grundes für die Äußerung der Disjunktion, eines Grundes, dem zufolge auf Seiten des Sprechers eine epistemische Unsicherheit hinsichtlich der beiden Disjunkte vorhanden ist. Grices argumentative Auseinandersetzung mit dieser Auffassung läuft letzten Endes darauf hinaus, daß er für die nichtwahrheitsfunktionale Bedeutungskomponente den Status einer Konversations-Implikatur reklamiert: Wer eine disjunktive Äußerung macht, realisiere über die Bedeutung des Wortes 'oder' die schwache, wahrheitsfunktionale Komponente, das Vorhandensein des starken Sinns aber - des Umstands, daß ein nichtwahrheitsfunktionaler Grund für die Äußerung der Disjunktion gegeben ist - müsse als etwas Abgeleitetes betrachtet werden, der starke Sinn sei als eine konversationeile Implikatur anzusehen, als eine Implikatur, die sich vor dem Hintergrund der ersten Maxime der Quantität ergibt und die zudem in Übereinstimmung mit der zweiten Maxime der Qualität steht. Grice geht davon aus, daß das Wort 'oder', aufgrund der Existenz der von ihm ins Feld geführten konversationellen Prinzipien, grundsätzlich nicht ohne die Implikatur des Vorhandenseins eines nichtwahrheitsfunktionalen Grundes gebraucht werde. Und deshalb äußert er sich skeptisch gegenüber dem Einwand, es sei, wenn im Hinblick auf das Wort 'oder' ein schwacher und ein starker Sinn unterschieden werde - so daß der eine aus dem anderen abgeleitet sei -, letztlich eine Frage der Sprachgeschichte, welcher der beiden Sinne aus welchem abzuleiten sei. Grice geht davon aus, daß es, angesichts des Umstands, daß die Konversationsmaximen generell gültig sind, schwierig ist einzusehen, inwiefern entsprechende sprachgeschichtliche Nachforschungen hier relevante Informationen beibringen könnten.

meaning and use. As a result, their ways of making these two notions more precise diverge widely and lead in fact to two different ways of conceiving pragmatics, semantics, and their mutual relations. These 'big' differences, I surmise, are already operative in their different ways of handling the philosophical manoeuvre they both criticize." (Dascal 1994:325)

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Grices wichtigste Überlegung zum Problem einer Proliferation der Bedeutungen einzelner Wörter besteht in der Zugrundelegung eines Prinzips, das er als 'Modified Occam's Razor' (MOR) bezeichnet (s. Grice 1989:47). Nach diesem Prinzip sollen die Bedeutungen einzelner Wörter nicht unnötig vermehrt werden. 7 Im Hinblick auf einen bestimmten Fall von Wortverwendung soll nicht angenommen werden, es liege eine spezielle Bedeutung vor, wenn es, unabhängig von der Annahme, daß es solch eine Bedeutung gibt, vorhersagbar ist, daß das betreffende Wort in genau jener speziellen Bedeutung verwendet wurde. Grice plädiert angesichts des Umstands, daß es grundsätzlich möglich ist, genauer zu sagen, was man gemeint hat, dafür, man solle hinsichtlich eines einzelnen Wortes eher annehmen, es habe eine nicht so eingeschränkte Bedeutung, als daß man annähme, es habe eine (vergleichsweise) eingeschränkte Bedeutung. Zur Stützung von MOR diskutiert Grice zwei Typen von Beispielen für abgeleitete Bedeutungen. Der erste Beispieltypus involviert übertragene Bedeutungen. Der zweite Beispieltypus involviert abgeleitete Bedeutungen, die Spezifikationen zugrundeliegender oder ursprünglicher Bedeutungen sind. (a) Spricht man von einem 'losen Lebenswandel', dann legt man, anders als spräche man von einem 'uneingeschränkten Lebenswandel', nahe, das so etwas wie 'Liederlichkeit' im Spiel ist. Das heißt, anders als für 'uneingeschränkt' könnte man für 'lose' annehmen, daß es in dem soeben erwähnten Kontext in einer hergeleiteten Bedeutung vorkommt. (b) Das Wort 'Tier' beispielsweise würde vielleicht gegen ein (schwaches) Prinzip des Inhalts verstoßen, daß kein weiterer Sinn eines Wortes anerkannt werden soll, wenn (auf die Annahme hin, daß dieses Wort einen weiteren, spezifischeren Sinn habe) die Beschaffenheit dieses weiteren Sinns vorhersagbar wäre; denn es könnte zweifellos vorhergesagt werden, daß sich dieses Wort, wenn es solch einen weiteren Sinn haben sollte, auf Menschen nicht anwenden ließe. Doch daß irgend jemand das Wort 'Tier' tatsächlich in der Bedeutung 'Bestie' verwenden würde, scheint (Sprachgeschichte beiseite) nicht vorhersagbar zu sein. Insofern erscheint die Ansetzung einer zweiten Bedeutung für 'Tier', nämlich 'Bestie', als gerechtfertigt. Was die Ansetzung einer weiteren Bedeutung anbelangt, so scheint das bei dem Wort 'oder' anders zu sein: Daß deijenige, der Ά oder B' sagt, die Existenz nichtwahrheitsfunktionaler Gründe anzeigt, ist - in der Annahme der Existenz konversationeller Prinzipien - vorhersagbar; die Ansetzung einer zweiten, über den wahrheitsfunktionalen Sinn dieses Wortes hinausgehenden Bedeutung erscheint deshalb als nicht gerechtfertigt. Vorhersagbare Bedeutungen, zumal wenn sie aufgrund der Existenz von Konversationsmaximen vorhersagbar sind, brauchen nicht gesondert angesetzt zu werden: Das ist die in MOR enthaltene Botschaft.

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Nach Bertolet geht es in Anbetracht von Fällen semantischer Ambiguità!, genauer gesagt, lim folgendes: "What is at issue regarding the ambiguity thesis is whether to postulate more than one sense of an expression to which we have already assigned one such sense." (Bertolet 1994:338)

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2. Von der Konversation (zurück) zur Grammatik Besonders von seiten der Vertreter der generativen Grammatik ist immer wieder darauf hingewiesen worden, daß das Lexikon einer Sprache durch die Aufdeckung bestimmter Regeln entlastet werden kann. Eine ähnliche Strategie legt auch Grice nahe. Bedeutungen, die vorhergesagt, die mit Hilfe von Gesprächs"regeln", d. h. unter Bezugnahme auf Konversationsmaximen erklärt werden können, brauchen nicht gesondert aufgeführt zu werden. Nichtsdestotrotz scheint es nun aber bestimmte sprachstrukturelle Erscheinungen zu geben, die den Griceschen Maximen ihre Existenz verdanken. Daß es möglich ist, auf derartige sprachstrukturelle Erscheinungen hinzuweisen, ist im Hinblick auf die Möglichkeit, die TdK-I im Bereich der Pragmatik zu verankern, nicht unwichtig. Denn daß diese Möglichkeit besteht, scheint nicht selbstverständlich zu sein. Die Auffassung von Pragmatik nämlich, nach der sie sich mit den Bereichen Deixis, Konversations-Implikaturen, Präsuppositionen, Sprechakte, Konversationsstrukturen befaßt, wird von ihrem Hauptvertreter, Levinson, als 'Rückzug' bezeichnet, als Rückzug auf eine "ostensive oder extensionale Definition" (Levinson 1990:27). Seitens der Linguistik könnte man durchaus an einer engeren, zumal durch ein intensionales Kriterium gesicherten Definition des Begriffs 'Pragmatik' interessiert sein. Einer ebenfalls einflußreichen Auffassung zufolge ist die Pragmatik mit denjenigen Aspekten der Bedeutung einer Äußerung befaßt, die von seiten einer - wie immer konzipierten - Semantik nicht erfaßt werden können. Gazdars Bestimmung, eine Bestimmung, nach der 'Pragmatik' gleichzusetzen ist mit 'Bedeutung minus Wahrheitsbedingungen1, kommt dem am nächsten. Dieser Auffassung liegt die Konzeption einer Wahrheitsbedingungen-Semantik zugrunde eine Konzeption, die übrigens auch Levinson seinen Überlegungen zugrunde legt (vgl. ebd.: 15). Ein Härtetest für eine Pragmatik-Theorie, die für eine Linguistik im engeren Sinn interessant wäre, besteht in der Frage, ob durch solch eine Theorie auch bestimmte grammatische oder lexikalische Erscheinungen erklärt werden können. Erst wenn das der Fall ist, erst wenn Grammatikalisierungs- und/oder Lexikalisierungserscheinungen erklärt werden können, sind für eine dies ermöglichende Theorie systemlinguistische Anschlußmöglichkeiten gegeben. Daß die TdK-I Aspekte der Grammatik bzw. des Lexikons einer Sprache erklären könnte, wird nicht per se angenommen. Levinson jedenfalls führt gegen eine Auffassung von Pragmatik, nach der sich diese der Erforschung grammatikalisierter, in der Struktur einer Sprache enkodierter Relationen zwischen Sprache und Kontext widmet, ins Feld, sie würde "die Untersuchung jener Prinzipien des Sprachgebrauchs ausschließen, für die man keine Auswirkungen auf die Grammatik von Sprachen zeigen könnte" (ebd.:9); ein solcher Ausschluß aber würde, zumindest auf den ersten Blick, gerade das Gebiet der Konversations-Implikaturen betreffen. Die Frage, die sich angesichts dessen stellt, ist, ob es sich wirklich so verhält - oder ob es Grammatikalisierungsphänomene bzw. sprachstrukturelle Erscheinungen gibt, die auf die Griceschen Maximen zurückgeführt werden können. Daß die Griceschen Maximen die Erklärung bestimmter Aspekte des Sprachgebrauchs erlauben, ist weitgehend akzeptiert; die

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Frage aber ist, ob Maximen auch Auswirkungen auf die Struktur oder das Lexikon einer Sprache haben. Diese Frage scheint mit ja beantwortet werden zu können: Zumindest für die erste und zweite Gricesche8 Quantitätsmaxime läßt sich zeigen, daß bestimmte Eigenarten des Lexikons auf die Existenz bzw. das In-Kraft-Treten dieser Maximen zurückzuführen sind. Daß es sich so verhält, ist vornehmlich in den Arbeiten von McCawley (1977) und Horn (1978, 1984 und 1989) hervorgehoben worden.9 Die Beschreibung, die Horn offeriert, ist gekennzeichnet durch die Applikation zweier Prinzipien, auf die ein Großteil der Griceschen Konversationsmaximen soll zurückgeführt werden können. Horn spricht (a) von einem Q(uantitäts)-Prinzip und (b) von einem R(elations)-Prinzip. Dem Q-Prinzip subsumiert er die erste Gricesche Maxime der Quantität und die ersten beiden Modalitätsmaximen; dem R-Prinzip subsumiert er die zweite Gricesche Quantitätsmaxime, die Relationsmaxime sowie die dritte und die vierte Modalitätsmaxime (vgl. Horn 1984:13 und 1989:194).10 Hinsichtlich der beiden von ihm aufgestellten Prinzipien macht Horn geltend, daß sie in Opposition zueinander stünden: in einem antinomischen Verhältnis, dem zufolge sie (in der klassischen Hegeischen Manier) in einem dialektischen Prozeß miteinander interagieren würden, in einem Prozeß, in dem das eine Prinzip das andere unvermeidlich anrufe und beschränke. Die Annahme der von ihm ins Feld geführten Prinzipien versucht Horn durch die folgenden Hinweise zu begründen: Horn behauptet, (i)

Grice sei genötigt, das R-Prinzip als Konstituens der ersten Quantitätsmaxime zu verwenden: bei Grice heiße es: 'Mache deinen Beitrag so informativ wie nötig';

(ii)

in ähnlicher Weise sei die erste Quantitätsmaxime ein Konstituens der zweiten Maxime der Quantität ("Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig"); Begründung: eine frühere Version der (ersten?) Quantitätsmaxime sei implizit durch R und Qualität (!) begrenzt, denn diese frühere Version laute: 'one should not make a weaker statement than a stronger one unless there is a good reason for so doing' (Horn 1989:541f.);

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Wenn hier ausdrücklich von Grices Maximen gesprochen wird, dann geschieht das in der Annahme., daß es noch weitere Konversationsmaximen gibt (s. dazu Rolf 1994:221ff.). Siehe auch den Beitrag von Beeh/Brosch/Schulz in diesem Band. Annahmen über grammatische bzw. lexikalische Auswirkungen konversationaler Implikaturen finden sich aber auch in anderen Arbeiten, beispielsweise in den folgenden: Cole (1974) und, mit etwas anderer Stoßrichtung, Cole (1975), Fretheim (1975), Rombouts (1981), König/Traugott (1988) und Carey (1990). Die Arbeiten von Rombouts und König/Traugott sind aber zunächst einmal dadurch gekennzeichnet, daß sie Grice falsch oder zumindest verkürzt zitieren; und zwar so, als habe er behauptet, daß (vgl. König/Traugott 1988:110) bzw. daß es nicht unmöglich sei (vgl. Rombouts 1981:91), daß "what starts life as a conversational implicature to become conventionalized". Was Grice allerdings wirklich, übrigens schon in dem seit 1968 kursierenden Vorlesungsmanuskript und ebenso in dem 1975 erschienen Aufsatz gleichen Titels, gesagt hat, ist das folgende: "Though it may not be impossible for what starts life, so to speak, as a conversational implicature to become conventionalized, to suppose that it is so in a given case would require special justification. " (Grice 1989:39) Die Qualitätsmaximen hält Horn für irreduzibel, zu den Obermaximen, die es bei Grice in den Dimensionen der Qualität und Modalität gibt, äußert sich Horn nicht.

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auch die zweite Quantitätsmaxime inkorporiere die Relationsdimension; Horns Begründung dieser These ist in Gestalt einer rhetorischen Frage formuliert, die lautet: Was würde einen Beitrag informativer machen als erforderlich wenn nicht der Einschluß von Material, das, auf der Stufe des Gesprächs, auf der es auftaucht, nicht strikt relevant ist? (S. ebd.: 195)

Wie sind diese Thesen zu beurteilen? Wie jedes andere Wort, so kann auch das Wort 'Relevanz' unterschiedlich aufgefaßt werden. Gerade das scheint nun aber der Fall zu sein, wenn die zweite Maxime der Quantität mit der Relationsmaxime in Verbindung gebracht wird - ein Vorgang, der bekanntlich schon bei Grice zu beobachten ist. 11 In welchem Sinn ist bei Grice von 'Relevanz' die Rede? Diese Frage könnte möglicherweise folgendermaßen beantwortet werden: Als relevant zu bezeichnen ist eine Größe dann, wenn sie zu einer anderen, vorgegebenen Größe paßt, d. h. zu dieser in einer Beziehung steht, die gewissen Anforderungen genügt (vgl. dazu Rolf 1994:148). Angenommen, der Sinn, der Grice vorschwebt, wenn er von Relevanz spricht, läßt sich wirklich in dieser Weise umschreiben; dann ist festzustellen, daß von Relevanz in einem anderen Sinn als diesem gesprochen wird, wenn von ihr mit Bezug auf die zweite Maxime der Quantität die Rede ist. Diesem anderen Sinn zufolge rückt Relevanz in die Nähe zur Informativität (vgl. auch Rolf 1994:153). Letzteres geschieht beispielsweise bei Sperber/Wilson (vgl. ebd.), es geschieht aber auch bei Horn, bei dem sich irrelevant verhält, wer überinformativ ist. Wenn nun aber von Relevanz in diesem, Informativität anvisierenden Sinn bei Grice letztlich nicht die Rede ist, dann ergeben sich Zweifel hinsichtlich der Möglichkeit, die Griceschen Maximen in der von Horn vorgeschlagenen Weise zu gruppieren - Zweifel, die übrigens noch vermehrt werden können (vgl. Rolf 1994:248ff.). Es scheint in der Tat so zu sein, daß es nicht erforderlich ist, über die beiden Griceschen Maximen der Quantität hinauszugehen, wenn man erklären will, was Horn unter Zugrundelegung seines Q- und seines R-Prinzips zu erklären versucht. Von diesen beiden Prinzipien - und von Q- bzw. R-fundierten ('Q-based', 'R-based') Implikaturen - braucht, mit anderen Worten, angesichts der bei Horn ins Auge gefaßten Explikanda, nicht gesprochen zu werden; dazu genügt eine Bezugnahme auf die beiden Griceschen Quantitätsmaximen. Dabei kann, wenn von Erscheinungen die Rede ist, von denen anzunehmen ist, daß sie auf die erste Maxime der Quantität zurückzuführen sind, wie es im folgenden geschehen wird, von Q1 -induzierten Phänomenen gesprochen werden; und entsprechend bei Erscheinungen, die auf die zweite Maxime der Quantität zurückzuführen sind: in bezug auf sie kann von Q2-induzierten Phänomenen gesprochen werden. Ql- und Q2-induzierte Erscheinungen gibt es sowohl bezüglich der parole als auch bezüglich der langue (vgl. zum Folgenden Horn 1984:18ff.). Im Bereich der parole wirkt sich die Existenz der beiden Griceschen Quantitätsmaximen beispielsweise so aus, daß bezüglich zweier alternativer Ausdrücke A und A ' gilt: 11

Grice zieht mit Bezug auf die zweite Quantitätsmaxime folgendes in Erwägung: "there is perhaps a different reason for doubt about the admission of this second maxim, namely, that its effect will be secured by a later maxim, which concerns relevance." (Grice 1989:27) Daß die Maxime der Relation, wie es in der deutschen Übersetzung (vgl. Grice 1979:249) heißt, dasselbe leistet wie die zweite Quantitätsmaxime, sagt Grice also nicht.

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Der Gebrauch des markierten (vergleichsweise komplexen und/oder langen) Ausdrucks A' wird, wenn ein entsprechender unmarkierter (einfacherer, weniger 'aufwendiger') Ausdruck A verfügbar ist, tendenziell so aufgefaßt, als übermittle er, A', eine markierte Botschaft, einen Inhalt, der durch den Gebrauch der unmarkierten Alternative nicht übermittelt werden könnte oder würde. Die Verwendung von 'Extra'-Material - von A' anstelle von A - würde, wenn nicht erforderlich, mit Q2 konfligieren und müßte infolgedessen zurückgewiesen werden. Wenn der Ausdruck A' verwendet wird, muß also angenommen werden können, daß er notwendig ist; daß mit Hilfe von A, anders gesagt, nicht übermittelt werden könnte, was übermittelt werden soll. Dieser Umstand führt dazu, daß die unmarkierte Alternative A dadurch, daß sie stereotype oder auffällige Elemente der Extension von A/A' repräsentiert, tendenziell mit der unmarkierten Situation S assoziiert wird (Q2-induzierte Folgerung). Die markierte Alternative, A', aber wird, bezüglich der Extension von A/A', tendenziell mit der Komplementärsituation von S assoziiert (Q1-induzierte Folgerung). Der Satz 'Hans hat etwas getrunken' beispielsweise ermöglicht die - Q2-induzierte, Stereotypie übermittelnde - Folgerung 'Hans hat etwas Alkoholisches getrunken'. Der Unterschied zwischen Ql- und Q2-induzierten Folgerungen läßt sich auch anhand der folgenden Sätze illustrieren: 'Ich hab' gestern auf einem Boot übernachtet' Ql-impliziert 'Es war nicht mein Boot'. 'Michael und Helge haben geduscht' Ql-impliziert 'Sie haben jeder für sich geduscht'. Aber: 'Ich hab' gestern ein Buch verloren' Q2-impliziert 'Das Buch war meines', und 'Michael und Helge haben ein Klavier gekauft' Q2-impliziert 'Sie haben zusammen ein Klavier gekauft'. Lexikalische Kausative sind in ihrer Distribution tendenziell auf stereotype Verursachungs-Situationen eingeschränkt, vgl.: (la) Hauser tötete den Polizisten (lb) Hauser bewirkte, daß der Polizist starb.12 Die Restriktion von (la) auf Standardsituationen kann als ein Q2-induziertes Implikat betrachtet werden. Die Verwendung des relativ markierten, morphologisch weitaus komplexeren umschreibenden Kausativs (lb) aber Ql-impliziert, daß die unmarkierte (Standard-) Situation nicht vorgelegen hat. (lb) legt nahe, daß (la) nicht angemessen gewesen wäre. In ähnlicher Weise Q2-impliziert die Verwendung eines unmarkierten lexikalischen Kausativs wie (2a), im Vergleich mit (2b), (2a) Hans stoppte das Auto (2b) Hans brachte das Auto zum Halten

12

McCawley (1978:249) stellt im Hinblick auf einen periphrastischen Kausativ-Ausdruck wie (lb) fest: "The fact that a periphrastic causative as in [...] is interpreted as referring to indirect causation can be attributed to conversational implicature, provided that the lexical causatives are assumed to have meanings restricted to direct causation. " Horn erklärt die Wirkungsweise der Implikatur, indem er feststellt: "the fact that the speaker goes to the extra effort of saying (lb) implicates that the unmarked situation does not obtain and the causation is thus of a marked variety" (Horn 1978:196).

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E. Rolf

daß die Handlung in der unmarkierten, gewöhnlichen Weise durchgeführt worden ist; die Verwendung der umschreibenden Form (2b) aber Q1-impliziert, daß eine ungewöhnliche Methode angewandt worden ist (der Gebrauch der Handbremse etwa). Weitere Exemplifikationen Ql- und Q2-induzierter Folgerungen stellen (a) die indirekten Sprechakte und (b) die doppelte Negation dar. ad (a): (3a) Kannst du (bitte) das Fenster schließen? (3b) Könntest du (bitte) das Fenster schließen? (3c) Bist du in der Lage (? bitte) das Fenster zu schließen? (3d) Hast du die Fähigkeit, (* bitte) das Fenster zu schließen? (3e) Es ist (** bitte) kalt hier. (3a) und (3b) können als Beispiele für kurzgeschlossene konversationale Implikaturen betrachtet werden, Implikaturen, die, obwohl kalkulierbar, (nach ihrer Kurzschließung) aktuell in einem gewöhnlichen Gespräch nicht kalkuliert werden bzw. werden müssen. Die Kurzschließung des Q2-induzierten Implikats erlaubt das präverbale 'bitte'. Sobald die modalen Hilfsverben durch eine kurzgeschlossene Implikatur mit den indirekten Sprechakten, zu deren Übermittlung sie verwendet werden, assoziiert werden, tendieren die periphrastischen Gegenstücke dazu, wörtlich verstanden zu werden: (4a) Kannst du mir das Salz geben? (Bitte) (4b) Bist du in der Lage, mir das Salz zu geben? (Frage) (5a) Willst du dich uns anschließen? (Einladung) (5b) Bist du im Begriff, dich uns auszuschließen? (Frage) ad (b): Zwei Negativa der Form 'nicht (nicht-p)' heben sich in semantischer Hinsicht offenbar auf, in funktionaler Hinsicht aber tun sie es nicht: Sie übermitteln ein Positivum, eines, das allerdings schwächer ist als der korrespondierende einfache affirmative Ausdruck ('nicht unwitzig' stellt gegenüber 'witzig' eine Abschwächung dar). Der längere Ausdruck ist immer schwächer. Die Verwendung eines markierten Ausdrucks, wo es einen kürzeren und weniger 'aufwendigen' alternativen Ausdruck gibt, signalisiert, daß der Sprecher sich nicht in der Lage sieht, die einfachere Version (als die angemessene) zu wählen. Die indirekten Sprechakte und das Phänomen der doppelten Negation zeigen gleichermaßen, daß es eine klare Korrelation zwischen der stilistischen Natürlichkeit einer gegebenen Form, ihrer relativen Kürze und Einfachheit und ihrem Gebrauch in Standardsituationen gibt. Daß es sich so verhält, dieser Umstand kann als Q2-induziert angesehen werden. Was die korrespondierenden periphrastischen Formen - Formen, die in stilistischer Hinsicht weniger natürlich, länger und komplexer sind - betrifft, so ist davon auszugehen, daß sie auf Nicht-Standardsituationen eingeschränkt sind, auf Situationen, im Hinblick auf die der unmarkierte Ausdruck unangemessen wäre. Und daß es sich so verhält, dieser Umstand kann als Ql-induziert betrachtet werden.

Grammatikalisierung

99

Die Existenz der beiden ersten Griceschen Quantitätsmaximen wirkt sich auch auf die langue aus. Bestimmte Erscheinungen des Sprachwandels lassen sich als Ql- bzw. (^-induziert ansehen. 13 Letzteres gilt für den Lautwandel und den Bedeutungswandel. Als Q2-induziert zu betrachten sind die Reflexe bestimmter Erscheinungen des schnellen Sprechens, also Kontraktionen, Wort-Verstümmelungen, das Silben- bzw. Buchstaben'Verschlucken' sowie assimilative Veränderungen. Als Manifestation sprachökonomischer Tendenzen und ebenfalls als Q2-induziert einzuschätzen ist auch die Existenz von Abkürzungen wie 'Auto' (statt 'Automobil'), "Bus" (Omnibus); 'TV', 'UN', 'CD', 'CD-ROM' etc. Was die für den Bedeutungswandel charakteristischen BedeutungsVerengungen und Beàeutmgserweiterungen anbelangt, so ist davon auszugehen, daß auch sie Ql- bzw. Q2induziert sein können. Während die - zumeist mit einer inhaltlichen Verarmung einhergehenden - Bedeutungserweiterungen wenn überhaupt, dann als Q2-induziert anzusehen sind, können Bedeutungsverengungen sowohl Ql- als auch Q2-induziert sein. Bedeutungserweiterungen : Beispiele sind: 'romanus': Ein romanus war ein Bürger des römischen Reichs (nicht nur ein Bürger Roms); Produktnamen wie 'Valium', 'Vaseline1, 'Kleenex', 'Tempo'. Ein Resultat solcher Bedeutungserweiterungen ist Autohyponymie: der erweiterte Term behält seine spezielle Bedeutung in zumindest einigen Kontexten bei. Die von einem oder dem auffälligen Exemplar zur jeweiligen Klasse laufenden Bedeutungserweiterungen haben Gegenstücke in den - von der Klasse zu einem auffälligen Exemplar bzw. einer Untermenge laufenden Q2-induzierten Bedeutungsverengungen. Bedeutungsverengungen : Ullmann (1973:248ff.) führt vier Arten von Ursachen für den Bedeutungswandel an: Er spricht von einem sprachlich, einem historisch, einem soziologisch und einem psychologisch bedingten Bedeutungswandel. Zumindest für die Bedeutungsverengungen scheinen drei dieser Arten von Ursachen mit den Quantitätsmaximen in Verbindung gebracht werden zu können. Ql-induzierte Bedeutungsverengungen scheinen sprachlich motiviert, Q2-induzierte Bedeutungsverengungen hingegen scheinen soziologisch oder kulturell bzw., was die Euphemismen anbelangt, psychlogisch motiviert zu sein (vgl. auch Horn 1989:358f.). Ql-induzierte Bedeutungsverengung: Eine solche Art von Bedeutungsverengung liegt vor, wenn ein vorhandenes lexikalisches Element dazu dient, die Bedeutung eines im Grunde produktiver geformten anderen lexikalischen Elements einzuschränken. So tendiert der Ausdruck 'Daumen' dazu, den Denotationsbereich von 'Finger' auf Nichtdaumen einzuschränken; ebenso tendiert das Wort 'Rechteck' - angesichts der Existenz des spezifischeren, informativeren Wortes 'Quadrat' dazu, Nichtquadrate zu bezeichnen (vgl. ebd.). 13

Gewissermaßen als eine Entsprechung zu der zweiten Quantitätsmaxime ließe sich die folgende, von Keller (1990:135) zum Zwecke einer Erklärung des Sprachwandels formulierte Ökonomiemaxime auffassen. Diese Maxime lautet: "Rede so, daB es Dich nicht mehr Energie kostet, als erforderlich ist, um Dein Ziel zu erreichen. "

100

E. Rolf

Q2-induzierte Bedeutungsverengung: Bedeutungsverengung involviert im allgemeinen den Q2-induzierten Wechsel von einer Mengenbezeichnung zu einer Untermengenbezeichnung, wobei die Untermenge (oder ein einzelnes Element der Ursprungsmenge) ein auffalliges oder stereotypes Exemplar repräsentiert. 'Korn' z. B. wird verwendet für die jeweils wichtigste Getreideart einer Region: für Weizen in England, Hafer in Schottland, Mais in Australien. Als Beispiele für Q2-induzierte Bedeutungsverengungen können auch solche Ausdrücke wie 'Kaufmann' und 'Amtmann' betrachtet werden: Das Bedürfnis zur Schaffung korrespondierender femininer Formen ('Kauffrau', 'Amtmännin') deutet darauf hin, daß die zuerst genannten Bezeichnungen nicht in einem unmarkierten, sondern in einem spezielleren Sinn verstanden werden. Als Q2-induzierte Bedeutungsverengungen können auch Euphemismen (wie 'ins Badezimmer gehen', 'mit jemandem schlafen' etc.) angesehen werden. Euphemismen dienen der Vermeidung spezifischerer Informationen; sie beuten die erste Maxime der Quantität aus. (vgl. Horn 1989:358f.). Ergebnis solcher Verengungen sind wiederum Fälle von Autohyponymie: der grundlegende, allgemeine Sinn eines Wortes überlebt in privativer Opposition mit einem spezifischen, von ihm abgeleiteten Sinn: 'Temperatur' (für 'Fieber'); 'trinken' (für 'Alkohol trinken'): 'Ich trinke nicht' heißt soviel wie 'Ich trinke keinen Alkohol' (vgl. Horn 1984:32f.). Unter Bezugnahme auf die erste Gricesche Maxime der Quantität kann schließlich auch das Vorhandensein bestimmter lexikalischer Lücken erklärt werden. Im Hinblick auf Quantorausdrücke wie 'alle', 'einige' und 'kein'; in bezug auf Modalausdrücke wie 'notwendig', 'möglich' und 'unmöglich'; und ebenso hinsichtlich solcher Adverbien wie 'immer', 'manchmal' und 'nie' kann angenommen werden, daß sie in der Nordwest-, der Südwestsowie der Nordost-Ecke des logischen Quadrats anzusiedeln sind. Für die Quantorausdrücke beispielsweise gilt die folgende Anordnung 14 :

alle

einige

14

A

E

kein

I

O

nicht alle

Die Abkürzungen A und I stehen für die Affirmation (Afflrmo), E und O für die Negation (nEgO). A und O bzw. E und I stehen in kontradiktorischer, A und E in konträrer, I und O in subkonträrer Opposition.

Grammatikalisierung

101

Wie in diesem Fall, so zeigt sich auch bei den anderen der obigen Ausdrücke, daß die Südost-Ecke nicht lexikalisiert ist: Es heißt 'nicht alle', 'nicht notwendig' und 'nicht immer'. Horn (1989:252ff.) führt diese Erscheinung - letztlich - auf die Existenz der ersten Quantitätsmaxime zurück. Danach tendiert der Gebrauch des einen oder des anderen der beiden subkonträren Ausdrücke, d. h. des I- bzw. des O-Ausdrucks, dazu, den jeweils anderen zu implizieren: Wenn ich beispielsweise sage: 'Einige waren da', dann kann gefolgert werden, daß einige (andere) nicht da gewesen sind. 'Einige nicht' aber heißt soviel wie 'nicht alle', also wie der im Südosten des logischen Quadrats angesiedelte Ausdruckskomplex (der Ausdruckskomplex, der gleichzeitig das kontradiktorische Gegenstück zu 'alle', dem im Nordwesten anzusiedelnden Ausdruck, darstellt). Umgekehrt aber gilt ebenso: Wenn ich sage: 'Einige nicht', kann gefolgert werden 'einige (andere) (doch)'. Analoges gilt für die obigen Modalausdrücke und Adverbien. Die subkonträren Ausdrücke sind, und zwar eher angesichts dessen, was mit ihnen kommuniziert, als angesichts dessen, was mit ihnen gesagt wird, informationsmäßig gegeneinander austauschbar. Insoweit die I- und O-Aussagen aber darauf hinauslaufen, dieselbe Information zu übermitteln, benötigt die jeweilige Sprache keine separaten Lexikalisierungen deijenigen Ausdrücke, die die I- und die O-Aussagen zu dem machen, was sie sind. Lexikalisiert ist lediglich einer der beiden Ausdrücke: Es ist der I-Ausdruck, das kontradiktorische Gegenstück zu dem E-Ausdruck. Daß es sich aber so verhält - daß der Südwesten und nicht der Südosten des logischen Quadrats lexikalisiert ist -, scheint mit dem Umstand zusammenzuhängen, daß die Affirmation gegenüber der Negation Priorität hat: Die Markiertheit negativer Aussagen und die formale Markierung der Negation selbst, sie scheinen dafür verantwortlich zu sein, daß die Lexikalisierung in der - auf der affirmativen Seite lokalisierten - I- und nicht in der - auf der Negationsseite angesiedelten - O-Ecke stattfindet (vgl. Horn 1989:264f.).

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102

E. Rolf

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Volker Beeh, Annette Brosch, Klaus-Dieter Schulz

Detrivialisierung Die Definition des Begriffs eines sprachlichen Feldes wirft Probleme auf, die mithilfe des Prinzips der Detrivialisierung einer Lösung nähergebracht werden sollen. Das semantische Prinzip der Detrivialisierung soll im Zuge dieses Lösungsansatzes mit einer pragmatischen Theorie der Relevanz verbunden werden.

1. Das Phänomen Ausgangspunkt unserer Arbeit ist die folgende Beobachtung. Im Zentrum der Logik steht die Unterscheidung zwischen kontingenten Formeln, i.e. Formeln, die in manchen Interpretationen wahr und in manchen Interpretationen falsch sind, und logisch wahren bzw. logisch falschen Formeln (Tautologien bzw. Kontradiktionen), i.e. Formeln, die in allen Interpretationen wahr bzw. falsch sind. Die gewöhnliche Rede scheint jedoch Sätze, die unter allen Umständen wahr bzw. falsch sind, systematisch zu vermeiden. Im wörtlichen Sinne kommen solche Sätze zwar vor, doch erhalten sie immer eine übertragene Bedeutung. Einige Beispiele sollen dieses Phänomen verdeutlichen - und zugleich zeigen, daß hier offensichtlich ein Prinzip wirksam ist, das sich für Phrasen und Wortbildungen verallgemeinern läßt. Die Frage At

Ist das Auto rot oder ist es nicht rot?

müßte stets mit ja beantwortet werden, wenn sie folgende Struktur hätte: Aj '

(Das Auto ist rot oder es ist nicht rot) ?

In der gewöhnlichen Rede wird jedoch nicht diese Lesart gewählt. Der Gehalt der Frage bezieht sich nicht auf die Disjunktion der beiden Sätze, sondern wird sozusagen auf die beiden Teilsätze der Disjunktion verteilt. A1 wird als zwei Fragen verstanden, die unabhängig voneinander gestellt werden könnten: A! "

(Das Auto ist rot) ?, (Das Auto ist nicht rot) ?

Ebenso wird A2

Er kommt oder er kommt nicht.

nicht als Tautologie interpretiert. Statt dessen wird der Satz z.B. so interpretiert, daß er unser Nichtwissen ausdrückt: Es ist ungewiß, ob er kommt. Hier kann allerdings nicht parallel zum Beispiel einer disjunktiven Frage davon gesprochen werden, daß sich der assertorische Gehalt auf die beiden Glieder der Disjunktion verteilt. Vielmehr drückt die Verknüpfung

104

V. Beeh, A. Brosch, K.-D. Schulz

der beiden Glieder in diesem Beispiel eine völlig andere Intention aus als die Einzelglieder selbst. Ähnlich liegt der Fall bei der scheinbar widersprüchlichen Behauptung Bj

Das Buch ist gut und schlecht.

Wörtlich interpretiert wäre dieser Satz eine Kontradiktion, tatsächlich wird er aber in der gewöhnlichen Rede nicht als Widerspruch verstanden. Anders als in der Interpretation von A 2 wird jedoch in der Interpretation von B t der assertorische Gehalt auf die beiden Glieder distribuiert. Beide Behauptungen werden dadurch vereinbar, daß sie nicht in einem totalen, sondern nur in einem partiellen Sinn Gültigkeit beanspruchen. B t besagt nicht, daß das Buch vollkommen gut und zugleich vollkommen schlecht ist, sondern daß es teilweise oder in einer bestimmten Hinsicht gut und zugleich teilweise oder in einer anderen Hinsicht schlecht ist. Dieses Phänomen einer nicht-wörtlichen Interpretation zeigt sich nicht nur auf der Ebene von Sätzen, sondern auch auf der Ebene von Phrasen und Wortbildungen. So bedeutet z.B. A3

Temperatur haben

in bezug auf Menschen, eine erhöhte Temperatur (Fieber) zu haben und nicht, überhaupt eine Körpertemperatur zu besitzen. Die Phrase B2

keine Zukunft haben

wird in der gewöhnlichen Rede im Sinne einer hoffnungslosen Aussicht interpretiert, nicht als Abwesenheit eines Lebensabschnittes. Schließlich wird die Wortbildung A4

farbig

im Sinne von bunt verwendet und nicht im wörtlichen, semantisch transparenten Sinne von irgendeine Farbe habend. Entsprechend meint B3

farblos

blaß und nicht die Abwesenheit von Farbe. 1 Um eine einfache Terminologie zu verwenden, nennen wir im folgenden Sätze, Phrasen und Wortbildungen, die unter allen Umständen wahr sind bzw. zutreffen, (semantisch) maximal. Umgekehrt nennen wir Sätze, die in allen Interpretationen falsch sind bzw. nicht zutreffen, (semantisch) minimal. Im Falle der Α-Beispiele ist die wörtliche Bedeutung maximal, im Falle der B-Beispiele ist sie minimal. Unsere Ausgangsbeobachtung läßt sich in dieser Terminologie wie folgt formulieren:

1

Weitere Bespiele werden im folgenden und in Beeh/Brosch/Schulz (1994) diskutiert.

105

Detrivialisierung

These 1

In der gewöhnlichen Rede kommen Ausdrücke weder in maximaler noch in minimaler Bedeutung vor.

Genau diese systematische Vermeidung einer minimalen bzw. maximalen Interpretation nennen wir Detrivialisierung. Die Detrivialisierung kommt, wie die Beispiele zeigen, im Bereich der Wortbildungen, Phrasen und Sätze der gewöhnlichen Rede vor. Unsere These lautet somit, daß Ausdrücke, die scheinbar maximal oder minimal sind, nie in ihrer wörtlichen Bedeutung, sondern immer detrivialisiert gebraucht werden. Weiterhin nennen wir alle Ausdrücke, die weder eine maximale noch eine minimale Bedeutung haben, /contingent. Detrivialisiert wird somit immer in Richtung Kontingenz. Der umgekehrte Fall, die maximale oder minimale Interpretation eines Ausdrucks, der in wörtlicher Bedeutung kontingent sein müßte, scheint dagegen überhaupt nicht vorzukommen. Mit diesen wenigen Hinweisen auf die Informativität oder Trivialität von Aussagen wird bereits deutlich, daß sich die Detrivialisierung auf einer Schnittstelle zwischen Semantik und Pragmatik befindet. Die Diskrepanz zwischen einer semantisch-transparenten trivialen Interpretation und einer nicht-wörtlichen detrivialisierten Interpretation läßt sich nach Grice im Rahmen einer Theorie der Implikaturen, i.e. im Rahmen einer Theorie des pragmatischen Schließens aus stillschweigend vorausgesetzten Prämissen darstellen. Insbesondere besteht eine systematische Verbindung zwischen der Detrivialisierung und dem von Sperber und Wilson beschriebenen Relevanzprinzip, das im Anschluß an die Relevanzmaxime von Grice entwickelt wurde.2 Die einzelnen Begriffe sind zwar unterschiedlichen Ebenen der Analyse zuzuordnen: Der pragmatische Begriff der Relevanz hat bei Grice einen instrumentellen und bei Sperber und Wilson einen psychologischen Charakter, während die Detrivialisierung ein semantischer Begriff ist. Doch besteht eine enge Verbindung zwischen den Prinzipien, die beide Begriffe beschreiben: Die Detrivialisierung ist durch die Forderung nach Relevanz motiviert, die Griceschen Konversationsmaximen setzen sozusagen die detrivialisierte Interpretation in Gang. Wir sind auf das Prinzip der Detrivialisierung im Zusammenhang mit Problemen gestoßen, die sich bei der Definition des Begriffs eines sprachlichen Feldes ergeben. Im folgenden Kapitel stellen wir daher zunächst unseren Vorschlag vor, den Feldbegriff mit Hilfe der semantischen Relationen Abhängigkeit und Unabhängigkeit zu definieren. Der Lösungsvorschlag für die Probleme, die sich aus einer relationalen Felddefinition ergeben, beruht auf dem Prinzip der Detrivialisierung. Dies erläutern wir im dritten Kapitel, wobei wir besonders auf die Bedeutung dieses Prinzips für die Theorie der Wortbildung eingehen wollen. Im vierten Kapitel schließlich beschäftigen wir uns mit dem Zusammenhang zwischen einer semantischen Theorie der Detrivialisierung und einer pragmatischen Theorie der Relevanz nach Grice, Sperber und Wilson.

2

Grice (1975), Sperber/Wilson (1986).

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V. Beeh, A. Brosch, K.-D. Schulz

2. Abhängigkeit und Unabhängigkeit Seit einigen Jahren ist eine Verlagerung des Interesses in der Linguistik von syntaktischen zu semantischen und pragmatischen Fragestellungen zu beobachten. Der Theorie des Lexikons wird dabei häufig eine besondere Bedeutung zuerkannt, da sie eine Nahtstelle bildet, an der sich die analytisch getrennten Ebenen wieder zusammenführen lassen. Einträge zu lexikalischen Einheiten enthalten nämlich nicht nur Informationen über ihre Bedeutung, sondern auch über ihre phonetische Form und ihre grammatischen (kategoriellen und morphosyntaktischen) Eigenschaften. Im Zuge dieser Entwicklung ist auch die Wortfeldtheorie zu neuer Aktualität gelangt. Sie wurde zu Beginn des Jahrhunderts von Trier, Ipsen und Weisgerber, um nur einige Namen zu nennen, begründet. Ihr Ausgangspunkt ist das strukturalistische Theorem Ferdinand de Saussures, daß die Bedeutung sprachlicher Zeichen ausschließlich auf ihrer wechselseitigen Abgrenzung beruhe und daher rein negativ sei.3 In der Feldtheorie wird dieses Theorem auf bestimmte Ausschnitte des Lexikons, auf sogenannte Wortfelder eingegrenzt. Das Hauptproblem der traditionellen, "inhaltsorientierten" und auch strukturalistischen Feldtheorie ist aus unserer Sicht jedoch, daß die Abgrenzung der Felder innerhalb des Lexikons nicht eigentlich erklärt, sondern durch semantische 'Sinnbezirke' oder, wie es später bei Coseriu, Lutzeier und anderen heißt, durch 'Dimensionen' oder 'Aspekte' einfach vorgegeben wird. 4 Damit werden genau diejenigen semantischen Strukturen vorausgesetzt, die in der Wortfeldtheorie eigentlich erst bestimmt werden sollen. Dies ist unseres Erachtens der Grund, warum trotz der langjährigen Erforschung lexikalischer Felder bislang keine befriedigende, präzise Definition dieses Begriffs gefunden werden konnte. Zwar wurde eine Reihe von Definitionsvorschlägen z.B. in der strukturalistischen Schule um Eugen Coseriu und in Arbeiten von Franz von Kutschera, Volker Beeh, Peter Rolf Lutzeier, Richard E. Grandy und anderen unterbreitet. Doch konnte sich keiner dieser Vorschläge bislang als verbindlich durchsetzen. Unser Vorschlag ist daher, sich nicht auf eine nur intuitive Vorstellung, was ein Wortfeld sei, zu verlassen. Insbesondere schlagen wir vor, vollständig auf Dimensionen und verwandte Begriffe, deren Status ungeklärt ist, zu verzichten.5 Statt dessen wollen wir mit Hilfe eines modelltheoretischen Instrumentariums versuchen, 'sprachliche Felder' allein mit Hilfe der semantischen Relationen 'Hyponymie', 'Exklusion' etc. zu definieren.6 Im 3 4

5

6

Saussure (1973). Charakteristisch für dieses Vorgehen ist die zweite der zwölf Thesen zur Feldtheorie in Schwarz (1973): "Der Ausschnitt (i.e. der Sinnausschnitt) kann gemäß dem Forschungsziel mit Hilfe eines ungefähr passenden Ausdrucks willkürlich [...] festgelegt werden. Sinnbezirk, -Sprengel usw. sind nur (variable) Rahmengrößen einer Art Gradnetzes, keine Größen der sprachlichen Gliederung. " (S. 429, Hervorhebung durch d. Verf.) Im Rahmen des DFG-Projektes "Feldstrukturen im Lexikon" (SFB 282 "Theorie des Lexikons") haben wir den Zusammenhang zwischen Feldstrukturen und Detrivialisierung analysiert. Eine technisch ausführliche Darstellung der Grundlagen findet sich in Beeh/Brosch/Schulz (1994). Daß es nicht semantische Dimensionen, sondern Relationen sind, die Aufschluß über die interne Struktur von Feldern wie auch über die Beziehung zwischen verschiedenen Feldern geben sollen, läßt sich in den generellen Rahmen einer Theorie der Bedeutung, die von Willard van Orman Quine entwickelt wurde, einbetten. Nach Quines Auffassung besteht die Aufgabe der Bedeutungstheorie nicht darin, die Bedeutung von Ausdrücken, sondern die Synonymie linguistischer Formen und die Analytizität von Sätzen zu untersuchen:

Detrivìalisierung

107

Grunde nimmt erst ein solch 'relationaler' Definitionsversuch Jost Triers Haupttheorem der Feldtheorie buchstäblich beim Worte: "Die Einzelworte bestimmen sich durch Zahl und Lagerung im Gesamtfeld gegenseitig ihre Bedeutungen ..." 7 In einer abgeschwächten Form besagt dieses Theorem, daß semantisch verwandte Wörter zu ein und demselben Feld gehören. Im Umkehrschluß besagt das zweite Grundtheorem der Feldtheorie, daß Wörter, die semantisch wenig oder nichts miteinander zu tun haben, verschiedenen Feldern angehören. Wir schlagen nun vor, diese Beobachtungen mit Hilfe der logisch-semantischen Abhängigkeit und Unabhängigkeit zu reformulieren: Erstens identifizieren wir den semantischen Zusammenhang innerhalb von Feldern mit der logischen Abhängigkeit. Und zweitens identifizieren wir das Fehlen einer engeren semantischen Beziehung zwischen Wörtern verschiedener Felder mit der logischen Unabhängigkeit. Wir vermuten, daß der Begriff "Wortfeld" wahrheitsfunktional zu fassen ist. Aus diesem Grund entwickeln wir unser Instrumentarium im Rahmen der modelltheoretischen Semantik. Dabei beschränken wir uns im wesentlichen auf die Untersuchung von Adjektiven, die meist durch einfache Prädikatensymbole dargestellt werden. Da in der gewöhnlichen Rede die Grenze zwischen Lexemen (Simplicia) und morphologischen oder syntaktischen Komplexen fließend ist und da sich im Bereich dieses Übergangs interessante Phänomene der Detrivìalisierung finden, die wir später beschreiben wollen, beschränken wir uns nicht nur auf Lexeme bzw. Prädikatensymbole, sondern befassen uns mit allen Ausdrücken, die Prädikate definieren, i.e. mit allen Formeln. Adjektive wie z.B. himmelblau, rot, kalt, gleich etc. stehen für Entsprechungen in einer logischen Sprache, i.e. für atomare oder komplexe Formeln. Der besseren Lesbarkeit halber schreiben wir nicht ausführlich z.B. himmelblau (x) oder gleich (x,y), sondern lassen die Variablen meist weg. Wir wollen also den semantischen Zusammenhang der Wörter eines Feldes mit Hilfe der logisch-semantischen Abhängigkeit und die semantische Beziehung zwischen Wörtern verschiedener Felder mit Hilfe der logisch-semantischen Unabhängigkeit bestimmen. Die Rolle, die wir der Unabhängigkeit einräumen, unterscheidet uns von der feldtheoretischen Tradition bis Lutzeier. 8 Im Sinne der Tradition stehen nämlich Wörter verschiedener Felder in keiner semantischen Beziehung zueinander. Auf diese Weise kann jedoch nicht zwischen der Beziehung zweier Wörter verschiedener Felder - z.B. den Adjektiven rot und kalt - und der Beziehung zweier Wörter verschiedener syntaktischer Kategorien - z.B. dem Adjektiv rot und dem Imperativ schweig - unterschieden werden. Wir definieren die Relationen der Abhängigkeit und Unabhängigkeit ausgehend vom sogenannten logischen Quadrat der vier Urteilsformen.9 In der Prädikatenlogik kommen vier verschiedene Formen von Urteilen vor: Die universell bejahende oder Α-Form, die universell verneinende oder Ε-Form, die partikulär bejahende oder I-Form und die partiku-

7 8 9

"Once the theory of meaning is sharply separated from the theory of reference, it is a short step to recognizing as the primary business of the theory of meaning simply the synonymy of linguistic forms and the analyticity of statements; meanings themselves, as obscure intermediary entities, may well be abandoned. " (Quine 1951:22). Trier (1931:7). Vgl. Beeh (1973). Vgl. Brosch (1995).

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V. Beeh, A. Brosch, K.-D. Schulz

lär verneinende oder O-Form. Die Buchstaben F und G seien Vertreter für 1-stellige Prädikatensymbole. Α-Form:

Alle x, die F sind, sind auch G. (F ist hyponym zu G, und G ist hyperonym zu F.)

Ε-Form:

Kein x, das F ist, ist auch G. (F und G exkludieren sich.)

I-Form:

Einige x, die F sind, sind auch G.

O-Form:

Einige x, die F sind, sind nicht G.

Z.B. ist himmelblau hyponym zu blau, blau ist hyperonym zu himmelblau, blau exkludiert rot, Beispiele für die I-Form sind himmelblau/blau und blau/groß, Beispiele für die OForm sind blau/himmelblau und blau/groß. Die Exklusion ist symmetrisch, die Hyponymie ist nicht symmetrisch (himmelblau ist ein Hyponym zu blau, doch die Umkehrung gilt nicht). Die Rolle der Detrivialisierung kann über die Beziehungen, die zwischen diesen vier Urteilsformen bestehen, verdeutlicht werden. Die Α-Form verhält sich konträr zur EForm. 10 Die I-Form verhält sich subkonträr zur O-Form. Die A- und die O-Form sowie die E- und die I-Form sind jeweils kontradiktorisch. Entsprechend müßten zwischen den logisch-semantischen Relationen folgende Beziehungen bestehen:

10

1.

Hyponymie und Exklusion verhalten sich konträr. (Sie können nicht beide gleichzeitig zwischen F und G vorliegen.)

2.

Hyperonymie und Exklusion verhalten sich konträr. (Sie können nicht beide gleichzeitig zwischen F und G vorliegen.)

3.

Das Nicht-Vorliegen der Hyponymie verhält sich subkonträr zum Nicht-Vorliegen der Exklusion. (Wenn eine logisch-semantische Relation zwischen F und G besteht, dann ist F entweder ein Hyponym zu G, oder F exkludiert G.)

In der traditionellen Begriffs- und Urteilslogik wird zwischen verschieden starken Formen der 'Opposition' unterschieden. So sind zwei Urteile a) kontradiktorisch, wenn die Negation des einen gleichbedeutend mit der Affirmation des anderen ist. Beispiele sind η ist gerade ! η ist ungerade (n ist eine natürliche Zahl), A ist tot IA ist lebendig (A ist ein Mensch). b) konträr, wenn die Negation des einen nicht gleichbedeutend mit der Affirmation des anderen ist. Beispiele sind η ist durch 3 teilbar / η ist gerade (n ist eine natürliche Zahl), A ist ein Kind / A ist erwachsen (A ist ein Mensch). c) subkonträr, wenn beide zugleich wahr aber nicht zugleich falsch sein können. Ein Beispiel ist Einige Kinder gehen zur Schule / Einige Kinder gehen nicht zur Schule.

Detrivialisierung 4.

Das Nicht-Vorliegen der Hyperonymie verhält sich subkonträr zum Nicht-Vorliegen der Exklusion. (Wenn eine logisch-semantische Relation zwischen F und G besteht, dann ist F entweder ein Hyperonym zu G, oder F exkludiert G.)

5.

Die Hyponymie ist nicht umkehrbar. F kann nicht gleichzeitig ein Hyponym und ein Hyperonym von G sein.

6.

Trivialerweise können Hyponymie bzw. Hyperonymie nicht gleichzeitig zwischen F und G vorliegen und nicht vorliegen.

109

Entscheidend ist, daß die Beziehungen 1 . - 6 . nur für Prädikate gelten, die durch ¡contingente Formeln ausgedrückt werden. Formeln, die von allen Bewertungen erfüllt werden, nennen wir immer erfüllt. Formeln, die von keiner Bewertung erfüllt werden, nennen wir unerfüllbar. Formeln, die weder unerfüllbar noch immer erfüllt sind, nennen wir kontingent. Beispiele für immer erfüllte Formeln sind Tautologien, wie z.B. X ist grün oder X ist nicht grün. Beispiele für unerfüllbare Formeln sind Kontradiktionen, wie z.B. X ist grün und X ist nicht grün. Unerfüllbare Formeln können kontradiktorische Prädikate, wie z.B. das Oxymoron quadratisch-rund, ausdrücken. Immer erfüllten bzw. unerfüllbaren Formeln entsprechen in der gewöhnlichen Rede Ausdrücke mit maximaler bzw. minimaler Bedeutung. Immer erfüllte Formeln werden von allen Formeln impliziert, und unerfüllbare Formeln implizieren alle Formeln. Diese Verhältnisse bewirken, daß die Beziehungen 1. 5. durch unerfüllbare Formeln außer Kraft gesetzt werden. 1.*

F ist gleichzeitig ein Hyponym zu G und exkludiert G, wenn Fx unerfüllbar ist.

2.*

F ist gleichzeitig ein Hyperonym zu G und exkludiert G, wenn Fx unerfüllbar ist.

Aus 1.* und 2.* folgt die Ungültigkeit von 3. und 4. für alle Prädikate F, die durch unerfüllbare Formeln Fx ausgedrückt werden. Auch für 5. gibt es eine Ausnahme: 5.*

F ist gleichzeitig ein Hyponym und ein Hyperonym zu G, wenn Fx und Gx logisch äquivalent sind, z.B. wenn beide unerfüllbar oder immer erfüllt sind.

Das Problem der Äquivalenz bzw. Synonymie wurde in der Sprachwissenschaft ausführlich diskutiert. Äquivalenz setzt eine uneingeschränkte Austauschbarkeit der zur Debatte stehenden Ausdrücke in allen Kontexten voraus. Tatsächlich scheint es in der gewöhnlichen Rede jedoch eine Tendenz zur Vermeidung von Äquivalenzen zu geben. Nach These 1 kommen Ausdrücke der gewöhnlichen Rede nicht in maximaler oder minimaler Bedeutung vor. Wir erweitern die These und behaupten, daß es in der gewöhnlichen Rede keine echten Äquivalenzen gibt. Daraus folgt die Gültigkeit der Beziehungen 1 . - 6 . für die gewöhnliche Rede. Aus den sechs Beziehungen ergibt sich

110

V. Beeh, A. Brosch, K.-D. Schulz

Resultat 1

(i) (ii) (iii) (iv)

Zwei kontingente Prädikate F und G stehen in genau einer der vier folgenden Beziehungen zueinander: F F F F F

ist ein Hyponym zu G. exkludiert G. ist ein Hyperonym zu G. ist weder hyponym zu G, noch exkludiert F das Prädikat G, noch ist hyperonym zu G.

Resultat 1 führt uns schließlich zu den Definitionen der Abhängigkeit und Unabhängigkeit: Definition 1

Prädikate, die in einer der Beziehungen (i) - (iii) stehen, sind abhängig voneinander.

Definition 2

Prädikate, die in Beziehung (iv) stehen, sind unabhängig voneinander.

Z.B. hängt himmelblau von blau (i), rot von himmelblau (ii) und blau von himmelblau (iii) ab. Unabhängig sind z.B. blau und lang, heiß und süß, groß und grün etc. Diese beiden Relationen, die logisch-semantische Abhängigkeit und Unabhängigkeit, bilden die Grundlage unseres Vorschlags einer Definition des Wortfeldes. Diese Definition erfaßt zwei Eigenschaften. Zum einen besagt sie, daß Ausdrücke ein und desselben Feldes abhängig und somit Ausdrücke verschiedener Felder unabhängig voneinander sind. Hinzu kommt eine Abschlußeigenschaft in Hinsicht auf die Abhängigkeit. Sie besagt, daß zu einem Feld alle diejenigen Prädikate bzw. Formeln gehören, die von mindestens einem Element des Feldes abhängig sind. Eine Menge, die in dieser Hinsicht abgeschlossen ist, soll maximal heißen. Damit sind die Bausteine unserer Definition vollständig: Definition 3

Felder sind maximale Mengen abhängiger Prädikate bzw. Formeln.11

Zur Veranschaulichung dieser abstrakten Formulierung wollen wir exemplarisch das Farbenfeld um das Adjektiv rot bestimmen: - Alle Adjektive, die rot exkludiert, gehören zum Feld: gelb, grün, blau ... - Wenn es Äquivalente von rot gäbe, müßten sie zum Farbenfeld gehören. - Wenn es Hyperonyme zu rot oder zu den von rot exkludierten Adjektiven gäbe, würden diese ebenfalls zum Feld gehören {farbig kommt aufgrund seiner detrivialisierten Bedeutung jedoch nicht in Betracht). - Und schließlich gehören alle Hyponyme von rot: orange, pink, feuerrot ... und alle Hyponyme der von rot exkludierten Adjektive: himmelblau, erbsengrün ... zum Farbenfeld.

Der Einfachheit halber beschränken wir den logischen Apparat auf ein Minimum. Zur ausführlichen Entwicklung der Felddefinition vgl. Beeh/Brosch/Schulz (1995).

111

Detrivialisierung

F|

orange - gelb - grün - blau - violett - weiß - grau - schwarz - beige pink - himmelblau - erbsengrün -feuerrrot - weinrot

Die Konstruktion dieses Feldes garantiert, daß es eine maximale Menge in Hinsicht auf die Abhängigkeit zwischen Adjektiven darstellt. Denn offenkundig ist kein Wort eines anderen Feldes von einem Adjektiv des Farbenfeldes semantisch abhängig:12 F2 F3 F4

hell - dunkel matt - glänzend kalt - lau - warm - heiß

3. Detrivialisierung Neben den Farbadjektiven bilden die Adjektive für Leistungsbewertungen das Standardbeispiel, an dem der Feldbegriff demonstriert wird:13 Fs

sehr gut- gut - befriedigend - ausreichend - mangelhaft - ungenügend

Bemerkenswert ist jedoch, daß die meisten Sinnbezirke, Dimensionen bzw. Aspekte, die adjektivischen Feldern traditionell zugrundegelegt werden, nicht selbst in der gleichen Wortart, i.e. als Adjektive, lexikalisiert sind. Zu Feld F s existiert z.B. kein adjektivischer Oberbegriff. Auch für das Feld F6

kurzsichtig - weitsichtig - fehlsichtig - normalsichtig

gibt es keinen Oberbegriff: Der Begriff *sichtig ist nicht lexikalisiert. Es gibt wohl das Lexem sehend. Dieses wird jedoch in bezug auf Personen gebraucht, die über hellseherische Fähigkeiten verfügen, oder es wird als Antonym zu blind verwendet. Es bildet somit nicht den Oberbegriff des Feldes F 6 , sondern gliedert sich in ein anderes Feld ein. Ähnlich ist auch farbig (A4) nicht der Oberbegriff des Farbfeldes, und temperiert ist nicht der Oberbegriff des Temperaturfeldes; als geeignete Oberbegriffe existieren nur die Substantive Farbe und Temperatur. Dieses Phänomen ist schon seit längerem bekannt. 1974 hat R. Martin anhand der Analyse eines französischen Wörterbuches festgestellt, "daß die Zahl der [lexikalisierten] Begriffe von der speziellen zu der allgemeinen Ebene hin abnimmt."14 Auch John Lyons

12

13 14

Im Bereich der Substantive liegt eine Struktur vor, die wir nicht als "Feld", sondern als "Taxonomie" bezeichnen wollen. Aufgrund von Kreuzklassifikationen treten Unabhängigkeiten innerhalb ein und derselben Taxonomie auf. Z.B. gehören Hengst und Rappe beide zur Taxonomie der Bezeichnungen für Pferde, sind aber unabhängig voneinander. Dasselbe gilt für Stute und Schimmel, bzw. Stute und Rappe etc. Trier (1931). Altmann (1991:189).

V. Beeh, A. Brosch, K.-D. Schulz

112

merkt an, daß umfangreiche Subklassen einer syntaktischen Kategorie innerhalb des Wortschatzes keine hyperonymen Lexeme (Archilexeme) besitzen.15 Tatsächlich würde die Existenz totaler Oberbegriffe und auch leerer Unterbegriffe eine relationale Definition des Feldbegriffs vor erhebliche Probleme stellen. Wir wollen dies zunächst am Beispiel der Verbindung von einfachen zu komplexen Adjektiven demonstrieren. Z.B. ist rot-weiß-kariert sowohl vom Farbenfeld F t als auch vom Feld F 7 der Adjektive für Muster F7

... - kariert - gestreift - gepunktet

abhängig. Diese Abhängigkeit komplexer Wortbildungen von mehreren Feldern wirkt sich ebenso zerstörend auf die Feldstrukturen aus wie Ausdrücke mit minimaler oder maximaler Bedeutung. Sie stellen Abhängigkeiten zwischen Feldern her, die unserer Grundannahme zufolge eigentlich voneinander unabhängig sein müßten. Definition 3 könnte sich somit als zu weit erweisen. Da keine klare Grenze zwischen Lexemen und komplexen Wörtern besteht, treten alle Probleme der Wortbildung bis zu einem gewissen Grade auch im Bereich der Lexeme auf. Davon ist auch das Problem der Abhängigkeit eines Ausdrucks von mehreren Feldern nicht ausgenommen. Abhängigkeiten zwischen verschiedenen Feldern würden aber letztlich zum Zusammenbruch der Feldstrukturen führen. Auf jeden Fall ist die Felddefinition zu weit für formale Sprachen, die beliebige Konjunktionen und Disjunktionen von Prädikaten enthalten.16 Mit Hilfe von Konjunktionen lassen sich nämlich leicht unerfüllbare Formeln bilden, die semantisch minimale, also leere Prädikate (unter die kein Gegenstand des Universums fällt) definieren; und mit Hilfe von Disjunktionen lassen sich leicht immer erfüllte Formeln bilden, die maximale, also totale Prädikate (unter die jeder Gegenstand des Universums fällt) definieren. Ein Beispiel für ein leeres Prädikat ist rot und nicht rot, ein Beispiel für ein totales Prädikat ist rot oder nicht rot. Enthielte die gewöhnliche Sprache minimale und maximale Elemente, so wäre eine Voraussetzung erfüllt, um Feldstrukturen als Verbände darzustellen. Verbände sind Halbordnungen, in denen je zwei Elemente eine kleinste obere und eine größte untere Grenze (Supremum und Infimum) haben. Im folgenden kennzeichnen wir die minimale bzw. maximale Bedeutung mit einem vorgestellten Asterisk. *Farbig wäre dann z.B. das Supremum und *farblos das Infimum des Farbfeldes. Entsprechend wären temperiert, *gewichtig, Charakterlos, *kraftlos, *geräuschlos etc. Suprema bzw. Infima ihrer Felder. In Kapitel 2 wurde aber bereits darauf hingewiesen, daß minimale und maximale Ausdrücke von keinem anderen Ausdruck unabhängig sind: Minimale Elemente implizieren alles, und maximale Elemente werden von allem impliziert. Da jeder Gegenstand *farbig ist, wird z.B. die Formel X ist *farbig von den Formeln X ist grün, X ist lang, X ist teuer, X ist schwer, X ist gewichtig, X ist *gewichtig, ..., i.e. von allem impliziert. Und da es umgekehrt keinen Gegenstand gibt, der *farblos ist, impliziert X ist *farblos die Formeln X 15 16

Lyons (1980:307f.). Vgl. auch Grandy (1987:261). Die Problematik wurde von Brosch (Killmer) (1992), (1993) und (1995) in Wittgensteins Tractatus logicophilosophicus auf der Satzebene nachgewiesen.

113

Detrivialisierung

ist *gewichtslos, X ist *geräuschlos, X ist *farbig, X ist farbig, X ist grün, X ist lang, X ist teuer, ..., i.e. alles. Würden minimale bzw. maximale Bedeutungen in der gewöhnlichen Rede daher nicht detrivialisiert, so würden die Feldstrukturen kollabieren: Alle Felder würden sich zu einem umfassenden - und somit uninteressanten - Feld vereinigen. Unter der Voraussetzung, daß unsere These 1 korrekt ist, läßt sich daher als zweites Resultat festhalten, daß in der gewöhnlichen Rede Verbandsstrukturen systematisch vermieden werden: These 2

Sprachliche Felder sind keine Verbände.

Immer erfüllte und unerfüllbare Formeln haben wir trivial, alle übrigen Formeln kontingent genannt. Da triviale Formeln von allen übrigen Formeln abhängig sind, besteht offensichtlich ein Zusammenhang zwischen Unabhängigkeit und Kontingenz. Es gilt folgendes Theorem: Theorem 1

Unabhängige Formeln sind kontingent.

Die Beziehung zwischen Unabhängigkeit und Kontingenz hängt mit dem strukturalistischen Grundprinzip zusammen, daß Bedeutung auf Unterscheidung beruht. Dieses Prinzip steht in der Tradition Spinozas (Omnis determinado est negatio) und Saussures (Alle sprachlichen Gegenstände sind negativ). Totale und leere Prädikate verstoßen gegen dieses Prinzip, da sie keine Unterscheidungen einführen, d.h. keine Teilmengen des Universums aussondern. Aus Theorem 1 folgt, daß die Detrivialisierung immer in Richtung Kontingenz erfolgt. In unserem Kontext entscheidend ist, daß es ohne die Kontingenzen, die durch die Detrivialisierung eingeführt werden, keine Unabhängigkeiten zwischen Feldern gäbe. Wir könnten die Grenzen eines Feldes nicht bestimmen, und die Feldstrukturen würden zusammenbrechen. Kontingenz, i.e. Nicht-Trivialität, ist somit eine notwendige Bedingung der Feldstrukturen im Lexikon. Es gibt jedoch Präfixe und Suffixe, die aufgrund ihrer Bedeutung zur Bildung von trivialen Lexemen prädestiniert sind. Wenn diese Wortbildungen tatsächlich semantisch unerfüllbar bzw. immer erfüllt wären, würden sie allen Feldern zugleich angehören und somit die Feldstrukturen auflösen. Zur Diskussion dieses Problems wollen wir einige Beispiele im Bereich der Adjektive betrachten. Wir beschränken uns dabei auf Prädikate, die sich auf konkrete Gegenstände beziehen. Eines unserer ersten Beispiele (A4) zur Erläuterung des Phänomens der Detrivialisierung war das Prädikat farbig. Aufgrund seiner Zusammensetzung aus dem Stamm/ar¿- und dem Suffix -ig müßte es die wörtliche Bedeutung mit irgendeiner Farbe haben. Der alle Farbtöne umfassende Oberbegriff *farbig würde kein anderes Adjektiv exkludieren. Er würde von allen Adjektiven (über konkreten Universen) abhängen, da alle immer erfüllten Adjektive von allen übrigen Adjektiven inkludiert werden. Gleiches gilt für das Adjektiv gewichtig. Seine wörtliche Bedeutung wäre mit irgendeinem Gewicht. Der Oberbegriff *gewichtig würde alle Gewichtsbegriffe umfassen und hinge genau wie *farbig von allen anderen Adjektiven ab. Die Oberbegriffe *gewichtig und *farbig wären somit extensional äquivalent.

114

V. Beel·i, A. Brosch, K.-D. Schulz

Tatsächlich sind die Bedeutungen von farbig und gewichtig jedoch nicht allumfassend und somit trivial. Beide werden zu kontingenten Begriffen detrivialisiert. Mit farbig meint man entweder chromatische Farbigkeit - im Gegensatz zu Schwarz-Weiß - oder eine auffällige Farbigkeit bzw. Buntheit. In diesem Sinne exkludiert farbig andere Adjektive (z.B. farblos im Sinne von blaß) und ist von Adjektiven anderer Felder unabhängig (z.B. von schwer, lang etc.). Entsprechendes gilt für gewichtig, das Dinge bezeichnet, die nicht irgendein, sondern ein großes Gewicht haben. Ein anderes Beispiel zur Wortbildung mit dem Suffix -ig ist kräftig. *Kräftig würde auf alle Objekte zutreffen, die einen beliebigen Grad an (Muskel-, Geschmacks-, Geruchs- etc.) Kraft, und sei sie noch so schwach, besitzen. Als kräftig wird ein Mensch z.B. jedoch nur bezeichnet, wenn er viel Kraft besitzt, d.h. wenn er stark, widerstandsfähig etc. ist. Neben dem Suffix -ig dient auch das Suffix -voll dazu, Adjektive zu bilden, die als Oberbegriffe von Feldern in Betracht kommen. Zwei Beispiele sind geschmackvoll und charaktervoll. Auch hier tritt jedoch wieder die Detrivialisierung in Kraft. Geschmackvoll gekleidet ist z.B. nicht jeder Mensch, der überhaupt einen Geschmack bei der Auswahl seiner Kleidung besitzt, sondern nur derjenige, der sich hierbei von einem guten Geschmack (wie immer dies festzustellen ist) leiten läßt. Entsprechend wird man nicht automatisch als charaktervoll bezeichnet, wenn man überhaupt einen erkennbaren Charakter, und sei er noch so schlecht, besitzt, sondern nur dann, wenn man einen guten Charakter besitzt. Unterbegriffe könnten vor allem mit dem Suffix -los gebildet werden, z.B. farblos, geschmacklos, kraftlos, charakterlos etc. Wortbildungen mit -los sprechen jedoch nicht die durch den Stamm ausgedrückte Bedeutung vollständig ab und bilden daher keine leeren Unterbegriffe. Farblos bedeutet nicht keine Farbe habend, sondern farblich unauffällig, i.e. blaß. Geschmacklose Kleidung zeugt von wenig Geschmack, ein kraftloser Mensch ist schwach, und eine charakterlose Person hat einen schlechten Charakter. Die Detrivialisierung betrifft auch Wortbildungen mit dem Suffix -lieh. Z.B. ist preislich nicht der Oberbegriff des Feldes teuer, billig, ..., sondern bezieht sich auf die Dimension des Preises. Dasselbe gilt für farblich, geschmacklich, charakterlich etc. Diese Adjektive beziehen sich auf die Dimension der Farbe, des Geschmacks und des Charakters. Man sagt z.B., etwas sei farblich mißlungen (etwa im Gegensatz zu figürlich, räumlich etc.). Wortbildungen mit -lieh werden in der Regel adverbial gebraucht. Die Detrivialisierung 'dimensioniert' sie. Die Detrivialisierung durchkreuzt somit die Transparenz in der Wortbildung. Eine Präoder Suffigierung eines Stammes wäre transparent, wenn zu ihrem Verständnis nur die Kenntnis zweier Komponenten erforderlich wäre: die Kenntnis der Bedeutung des Stammwortes und die Kenntnis der Regel, nach der die Stammbedeutung durch das jeweilige Prä- oder Suffix variiert wird. Prä- und Suffixen kann jedoch nicht einfach eine einzige Funktion zugeordnet werden, die auf immer gleiche Weise die Stammbedeutung variiert. Z.B. macht mindestens eine Made einen Apfel madig", damit ein Bild als farbig bezeichnet wird, bedarf es dagegen besonders vieler Farben. Auf den ersten Blick könnte es scheinen, als führe zumindest aber doch das Präfix un- zu einer transparenten Wortbildung. Es scheint einen solch logischen Charakter zu haben, daß sich die Funktion ganz einfach benennen ließe: Die Bedeutung des jeweiligen Stammwortes wird einfach negiert. Doch auch dieses Präfix kann keinen Anspruch auf eine

Detrivialisierung

115

Sonderstellung erheben. Wortbildungen mit dem Präfix un- bilden z.B. niemals, wie in logischer Perspektive zu erwarten wäre, einfach das kontradiktorische Gegenteil zum Grundwort. Adjektive der Form un-X verhalten sich vielmehr in der Regel nur konträr zu X. Mit anderen Worten, die t/n-Präfigierung teilt in der Regel das Universum nicht lückenlos in zwei Hälften, vielmehr beziehen sich «n-präfigierte Wörter auf eine vom Mittelwert abweichende negative oder positive Eigenschaft.17 Z.B. bedeutet unfreundlich nicht nicht freundlich, sondern wenig freundlich, unsicher bedeutet nicht nicht sicher, sondern wenig sicher, und unkontrolliert bedeutet nicht nicht kontrolliert, sondern wenig kontrolliert. Zudem kann noch auf die eigentümlichen Wortbildungen Unsummen, Unkosten etc. verwiesen werden, die überhaupt keine negierende, sondern im Gegenteil eine steigernde Kraft besitzen. Eine letzte Beobachtung soll unsere Überlegungen zum Zusammenhang der detrivialisierenden Interpretation mit der Wortbildung beschließen: Die Detrivialisierung geht immer mit der Lexikalisierung einher. Lexikalisierung ist der semantische (und gegebenenfalls formale) Übergang von einem komplexen Ausdruck zu einem einfachen. Z.B. hat sich Düssel-Dorf als komplexer Name einmal auf ein Dorf an der Düssel bezogen; doch heute hat das Dorf an der Düssel mit der Stadt am Rhein nur noch den Namen gemeinsam. Die Lexikalisierung oder Detrivialisierung löst - wie gezeigt - Ausdrücke aus unerwünschten semantischen Abhängigkeiten. Sie gliedert sie in semantisch relevante Abhängigkeitsstrukturen ein, mit deren Hilfe ihre Bedeutungen differentiell bestimmbar sind. In der Wortfeldtheorie erhält jeder sprachliche Ausdruck eine Bedeutung nur aufgrund seiner Stellung im Feld und nicht aufgrund des Kompositionalitätsprinzips. Die Bedeutung einer Wortbildung ergibt sich nicht transparent aus den Bedeutungen ihrer Teile. Auf diese Weise vermindert die Wortfeldtheorie den Grad der Arbitrarität der natürlichen Sprache sowie die unangenehme Begleiterscheinung der Lexikalisierung, jede sprachliche Einheit einzeln erlernen zu müssen. Wenn man die beschriebenen Vorgänge mit Hilfe allgemeiner Regeln einer Detrivialisierung beschreiben könnte, ließen sich viele Wortbildungen, die scheinbar semantisch unregelmäßig sind, relativ einheitlich erklären, und die Theorie der Wortbildung selbst könnte entlastet werden.

4. Detrivialisierung und Relevanz Das Bindeglied zwischen dem semantischen Begriff der Detrivialisierung und dem pragmatischen Begriff der Relevanz ist der logische Begriff der Kontingenz. Nur kontingente Ausdrücke sind informativ oder relevant, und ein Mittel zur Erzeugung von Kontingenz ist die Detrivialisierung. Sprachphilosophische und semantische Erklärungsversuche für die Kontingenz von Ausdrücken basieren - wie schon angedeutet - auf Spinozas und Saussures These der Entstehung von Bedeutung durch Differenz, i.e. durch wechselseitige Abgrenzung. In der Perspektive der linguistischen Pragmatik wird derselbe Sachverhalt auf andere Weise begründet. Pragmatiker würden sagen, Bedeutungen müssen nicht negativ, sondern relevant oder informativ sein.

17

Lenz (1991), (1993).

116

V. Beeh, A. Brosch, K.-D. Schulz

Die Beschränkungen, denen die Ausdrücke der natürlichen Sprache unterliegen, verbinden Semantik und Pragmatik. Die Detrivialisierung ist ein Spezialfall der "Relevantisierung": Die Suche nach Relevanz ist ihr eigentliches Motiv. Es ist zu vermuten, daß die semantischen aus pragmatischen Beschränkungen resultieren oder sich zumindest durch diese verstärken lassen. Auch dieser Zusammenhang ist bereits erkannt, aber noch nicht systematisch entwickelt worden. Z.B. weist Grandy ausdrücklich auf eine Verbindung der "Kontrastmengen", die seinen Feldstrukturen zugrunde liegen, zu Grices Konversationsmaximen hin: Paul Grice (197S) has suggested that conversational exchanges are governed by a number of principles of quality and quantity. [...] Knowledge of the contrast sets available in the language will again be essential to the speaker in complying with the maxims and to the hearer in determining what information is conveyed if the maxims are complied with. 1 8

Grandy bezieht sich an dieser Stelle auf die bahnbrechende Arbeit, in der Grice erstmals seine Theorie der Implikaturen vorgestellt hat. In Abgrenzung von der "Implikation", einer logischen Folgerung aus explizit formulierten Prämissen, bezeichnet der neu eingeführte Terminus der "konversationellen Implikatur" das pragmatische Schließen aus Informationen, die nur implizit gegeben sind. Implikaturen ziehen ihre Rechtfertigung nicht aus logischen Regeln, sondern aus dem "gesunden Menschenverstand", der auch stillschweigend Vorausgesetztes zu erkennen und als Prämissen seiner Folgerungen zu berücksichtigen vermag. Die Basis dieser Theorie ist ein allgemeines Prinzip der Kooperation, das die Bereitschaft einfordert, sich dem Zweck der jeweiligen Verständigungssituation gemäß zu verhalten. Auf dieser Grundlage stehen vier Eckpfeiler in Form von vier Maximen, die spezifizieren, auf welche Art und Weise ein der Kommunikation dienliches Verhalten erreicht werden kann. Die in unserem Kontext wichtigste Maxime ist die der Quantität, die sich aus zwei "Submaximen" zusammensetzt: 1. 2.

Make your contribution as informative as is required (for the current purpose of the exchange). Do not make your contribution more informative than is required.

Die Maxime besagt also, daß ein Gesprächsbeitrag sowohl hinreichend als auch notwendig informativ sein solle. Sie ist zwar direkt in Hinsicht auf Sätze als kommunikative Einheiten formuliert, kann aber problemlos auf die Ebene der Begriffe übertragen werden - und wird dadurch für die Feldtheorie relevant. Hierzu kann man sich ein Feld bildlich als eine Gruppe von Begriffen vorstellen, die auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sind derart, daß sie von der unteren zur oberen Ebene hin immer (extensional) umfassender, i.e. immer (intensional) allgemeiner werden. In diesem Bild verlangt die Maxime der Quantität, für Beiträge in der alltäglichen Kommunikation bevorzugt Begriffe der mittleren Ebene zu wählen.

18

19

Grandy (1987:262). "Contrast sets" sind Mengen von Lexemen, die sich exkludieren, zusammen mit dem gemeinsamen Oberbegriff dieser Lexeme. Grice (1975:45).

117

Detrivialisierung

Diese Sonderstellung der Begriffe eines mittleren Allgemeinheitsgrades ist durch verschiedene ethnosemantische (Berlin und Kay) und psychologische (Rosch) Untersuchungen bestätigt worden.20 Aufbauend auf diesen empirischen Ergebnissen hat Paul Kay zwar nicht den Begriff des Feldes, aber den verwandten Begriff der "Taxonomie" theoretisch analysiert. Kay definiert die Struktur von Taxonomien als eine Hierarchie von 'taxa', i.e. von Begriffsmengen, die in einer Kette von Inklusionsbeziehungen verknüpft sind. In dieser Kette spielt die Ebene eines mittleren Abstraktionsgrades, der 'basic category level' oder auch 'generic level', eine besondere Rolle. Kay verweist in diesem Zusammenhang auf eine Hypothese Brent Berlins, die besagt, daß Lexeme der mittleren, generischen Ebene am häufigsten gebraucht werden, um Objekte zu klassifizieren. Der Grund hierfür ist, daß sie in einem 'generischen Kontrast' zueinander stehen, der im Vergleich zu dem Kontrast zwischen Elementen anderer taxa, also zwischen Elementen auf anderen Ebenen der taxonomischen Hierarchie oder Kette, besonders hervorstechend ('salient') ist: One of Berlin's important substantive hypotheses [...] is that one taxon from each such chain is the most salient, the most frequently employed by actual persons in actual classifying events; and that this is the generic taxon. Roughly then, the generic taxa are the ones that partition the domain of individuals in the way that corresponds to the most obvious discontinuities in nature, furnishing a subset of taxonomic categories which are the most obvious, natural, and frequently employed.2^

Als Beispiel führt Kay an, daß auf den Fernsehserienheld "Lassie" in der Regel mit dem generischen Lexem Hund referiert wird, nicht mit einem allgemeineren Lexem wie Säugetier, Wirbeltier oder Lebewesen und auch nicht mit einem spezielleren Lexem wie Collie. Auf das Beispiel der Farblexeme übertragen bedeutet dies, daß nicht der allgemeine Begriff *farbig und nicht die spezielleren Begriffe weinrot, erbsengrün, sonnenblumengelb etc., sondern die Begriffe rot, gelb, grün, blau, braun etc., die sich generiseli unterscheiden, am häufigsten zur Bezeichnung von Objekten benutzt werden. Aufschlußreich ist weiterhin, daß Grice in seiner Analyse der Konversationsmaximen ausführlich auf Ausdrücke mit maximaler oder minimaler Bedeutung eingeht. Da Tautologien und Kontradiktionen offensichtlich gegen die Maximen verstoßen (sie sind in wörtlicher Bedeutung weder hinreichend noch notwendig informativ), stellen sie einen besonders interessanten Testfall dar, an dem sich die Maximen bewähren müssen. Die Pragmatik interessiert sich - im Gegensatz zur Feldtheorie - primär für triviale Sätze und nicht für triviale Wortbildungen. Ob im Bereich der Sätze Feldstrukturen vorliegen, ist noch nicht geklärt. Aber Beispiele für Detrivialisierung finden sich nicht nur auf der Wortebene, sondern auch im Bereich der Phrasen und Sätze. Einige Beispiele von Sätzen, die nicht tautologisch, sondern informativ interpretiert werden, sind: 1. 2. 20

Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist. Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.

Berlin/Kay (1969), Rosch (1973). Vgl. auch die Ausführungen Lutzeiers zu 'Folk-Taxonomien' (1985:128f.). 21 Kay (1971). Dies ist sicherlich auch der Grund dafür, daß sehr spezielle und sehr allgemeine Begriffe in der Sprachgeschichte später als die Begriffe eines mittleren Allgemeinheitsgrades entstanden sind.

118 3. 4. 5. 6.

7. 8.

9.

V. Beeh, A. Brosch, K.-D. Schulz

Vorschrift ist Vorschrift. Genug ist genug. Zuviel ist zuviel. Es gibt alles. Er ist jemand. Der Mensch ist ein Wolf. Ein alter Mann ist kein D-Zug.

Die Sätze 1 . - 9 . werden nie im wörtlichen Sinne interpretiert. Der erste Satz sagt etwas über die Unzuverlässigkeit von Wetterprognosen aus, der zweite über die Trennung von Arbeit und Freizeit und der dritte darüber, daß man Vorschriften gerne verletzen würde, aber nicht darf. Ebenso wären die übrigen Phrasen und Sätze - minimal bzw. maximal interpretiert - trivialerweise wahr bzw. falsch. Auch sie werden jedoch immer detrivialisiert. Ausdrücke mit maximaler bzw. minimaler Bedeutung verletzen offensichtlich Grices Maxime der Quantität. Sie sind - wörtlich interpretiert - in keinster Weise informativ. Nach Grices pragmatischer Analyse sind sie jedoch informativ auf der Ebene der Implikaturen. Der Weg von der maximalen bzw. minimalen Bedeutung zu einer informationshaltigen Interpretation kann bisher jedoch nur als 'black box" dargestellt werden. Die Implikaturen werden von den Konversationsmaximen bestimmt, doch kann durch Grices Analyse das Prinzip der Detrivialisierung nicht weiter spezifiziert werden. Sie geht über die allgemeine These, daß Bedeutungen von der Suche nach Kontingenz bzw. Informationsgehalt bestimmt sind, nicht hinaus: [Tautologies] are, of course, informative at the level of what is implicated, and the hearer's identification of their informative content at this level is dependent on his ability to explain the speaker's selection of his particular patent tautology. 22

Eine genauere Klärung des Prinzips der Detrivialisierung ist jedoch - dies sollte unsere Arbeit demonstrieren - im Rahmen der Feldtheorie möglich. Abschließend wollen wir dies im Zusammenhang mit der Theorie von Sperber und Wilson zeigen, die nach Levinson einen Paradigmenwechsel in der Pragmatik eingeleitet hat. Der entscheidende Schritt hierzu war, die Vielzahl pragmatischer Prinzipien auf ein einziges kognitives Prinzip - das Relevanzprinzip - zu reduzieren.23 Sperber und Wilson definieren zunächst Relevanz als eine Funktion R, die ¡contextuelle Effekte E berechnet. Die Größe E steht in Relation zu der kognitiven Anstrengung C, die notwendig ist, um E zu erzeugen. Ein kontextueller Effekt E ist als eine Folgerung definiert, die sich aus einem Kontext Κ (einer Menge von Annahmen) ergibt, wenn Κ eine neue Annahme A hinzugefügt wird. Eine Folgerung wird nicht als kontextueller Effekt bezeichnet, wenn sie sich schon aus dem urspünglichen Kontext ableiten ließ. Ausführlich diskutieren Sperber und Wilson die beiden kontextuellen Effekte Implikatur und Stärkung des Grades der Gewißheit von Annahmen.

22 23

Grice (1975:52). Levinson (1989).

Detrivialisierung

119

Sperber und Wilsons Definition der Relevanz lehnt sich an Prinzipien der Effektivität an: Mit dem geringsten Aufwand soll der größte Effekt erzielt werden. Relevanz ist der Quotient von kontextuellem Effekt und kognitivem Aufwand. Abgesehen davon, daß - wie Sperber und Wilson ausdrücklich anmerken - der kognitive Aufwand eine schwer zu berechnende Größe ist, enthält die Definition jedoch noch eine andere Schwierigkeit: Die Berechnungen der Funktion R kommen nicht zu einer eindeutigen Lösung. 24 Levinson zählt verschiedene Möglichkeiten auf, in deren Rahmen jeweils eine oder mehrere Größen der Gleichung fixiert werden. Bei keiner dieser Möglichkeiten ist R entscheidbar. Darüber hinaus kann nicht eindeutig beschrieben werden, wie R die kontextuellen Effekte berechnet. Z.B. hat R bei Sperber und Wilson manchmal einen fixierten Wert V, und der Kontext wird so lange variiert oder erweitert, bis V erreicht ist. Manchmal dagegen wählt R die beste Interpretation aus konkurrierenden Interpretationen aus. In diesem Fall muß die kognitive Anstrengung, die der Vergleich verschiedener Interpretationen erfordert, zur Größe C addiert werden; und der Grad der Relevanz bleibt sehr gering. Das Ergebnis bleibt in allen Fällen gleich: Mit Hilfe der Funktion R ist es nicht möglich, eine und nur genau eine relevante Interpretation einer Äußerung zu berechnen. Für die Interpretation von Ausdrücken mit maximaler oder minimaler Bedeutung weisen die Feldstrukturen auf eine Lösung des Problems hin. Wir gehen hierzu von einem vereinfachten dreistufigen Modell für Begriffe aus. Die oberste Ebene wird von totalen, die unterste Ebene von leeren und die mittlere Ebene von generellen Begriffen gebildet, die weder leer noch total sind. Die Aufgabe der Detrivialisierung besteht in diesem Modell darin, die Bedeutung von Wörtern und Phrasen von der untersten bzw. obersten Ebene zur Mitte hin zu verschieben. Im vereinfachten Modell ist die mittlere Ebene des Feldes die relevanteste. Mit Hilfe der Feldstrukturen kann somit ein Intervall angegeben werden, in dem sich die Lösungen der Funktion R befinden müssen. Dies soll an einem Beispiel aus dem Bereich adjektivischer Felder veranschaulicht werden. Da bei Adjektiven die hierarchische Struktur nicht sehr ausgeprägt ist, eignen sie sich besonders, unsere Hypothese zu belegen. Z.B. ist im Feld der Adjektive zur akustischen Wahrnehmbarkeit die Wortbildung *geräuschvoll auf der obersten, *geräuschlos dagegen auf der untersten Ebene angesiedelt. Die Bedeutungen der Wörter auf der mittleren Ebene lassen sich auf einer Skala von niedrigen (negativen) bis zu hohen (positiven) Graden anordnen: Fg

(*geräuschlos,) ..., leise, ...., laut, ..., (*geräuschvoll)

Die Detrivialisierung bewirkt, daß sich die Bedeutung von geräuschvoll auf den höchsten Grad der mittleren Ebene und die Bedeutung von geräuschlos auf den niedrigsten Grad der mittleren Ebene verschiebt. Die negativsten bzw. positivsten Elemente der mittleren Ebene bilden das Intervall, in dem die Berechnungen der Relevanzfunktion stoppen sollten. Die Kenntnis der Feldstrukturen vermindert somit den kognitiven Aufwand, den die relevanteste Interpretation einer Äußerung erfordert: Die Feldstrukturen begrenzen den Möglichkeitsraum relevanter Interpretationen.

24

Vgl. Levinson (1989:462ff.).

120

V. Beeh, A. Brosch, K.-D. Schulz

Diese abschließenden Überlegungen zu einer Verbindung semantischer und pragmatischer Analysen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Grice hat in seiner Theorie der Implikaturen bereits das Phänomen der Detrivialisierung erkannt: Tautologien und Kontradiktionen, die scheinbar gegen die Konversationsmaximen der Quantität verstoßen, werden in der gewöhnlichen Rede nicht trivial, i.e. nicht maximal oder minimal, sondern informativ interpretiert. Er hat damit zwar das auslösende Moment der Detrivialisierung beschrieben, doch kann er die Frage nicht beantworten, wie detrivialisiert wird. Im Anschluß an Grices instrumenteilen Relevanzbegriff haben Sperber und Wilson ein psychologisches Relevanzprinzip entwickelt. Der Schwachpunkt dieses Prinzips ist es, nicht zu einer eindeutigen Lösung im Sinne der relevantesten Interpretation einer sprachlichen Äußerung zu führen. Wir schlagen eine Lösung des Problems vor, die semantische und pragmatische Überlegungen verbindet. Diese Lösung beruht darauf, daß die lexikalischen Feldstrukturen eine Begrenzung konkurrierender relevanter Interpretationen ermöglichen, indem sie eine Gradierung der Relevanz anzeigen. Eine systematische Analyse der Detrivialisierung in einer Verbindung der semantischen und pragmatischen Perspektive steht jedoch noch aus.

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Detrivialisierung

121

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Kerstin Schwabe

Zur Rolle von Implikaturen bei der Interpretation situativer Ellipsen Im Rahmen eines Bedeutungsmodells mit zwei Ebenen: einer ausschließlich grammatisch determinierten Bedeutung und einer kontextuell spezifizierten konzeptuellen Interpretation wird in dem Beitrag gezeigt, daß die grammatisch determinierte Bedeutung situativer Ellipsen wie Einen Tee. unterspezifiziert ist, was die Charakterisierung des durch sie denotierten Sachverhalts angeht. Indem allgemein gültige Kommunikationsprinzipien zugrunde gelegt werden, nach denen davon auszugehen ist, daß es sich bei derartigen Außeningen um kommunikativ adäquate Diskursbeiträge handelt, ist auf der Ebene der kontextuell determinierten Bedeutung ein Sachverhalt rekonstruierbar. Die Rekonstruktion eines einstellungsbewerteten Sachverhalts unterliegt bestimmten konzeptuellen und kommunikativen Bedingungen. Es wird in diesem Beitrag versucht, diese Sachverhaltsrepräsentationen als Implikaturen aus der grammatisch unterspezifizierten Bedeutung, dem jeweiligen Kontext und bestimmten kommunikativen und konzeptuellen Bedingungen darzustellen.

1. Einleitung Beschäftigt man sich mit unvollständigen Ausdrücken wie (1) Vor Dir! (2) Schnell nach Hause! (3) Einen Tee? so erscheint es auf den ersten Blick verhältnismäßig unproblematisch, die Bedeutung und den kommunikativen Sinn dieser Ausdrücke anzugeben. Als Bedeutung für Vor Dir! könnte man sich beispielsweise so etwas vorstellen wie Vor dem Hörer befindet sich ein Ast. Für Einen Tee ? wäre denkbar Frage des Sprechers, ob der Hörer einen Tee trinken möchte und für Schnell nach Hause! könnte man als Bedeutung a n g e b e n Der Hörer soll schnell nach Hause gehen. Ähnlich einfach scheint es zu sein, Vor Dir! und Schnell nach Hause! als Aufforderungen und Eine Tasse Kaffee? als Frage zu interpretieren. Es liegt auf der Hand, daß alle drei Ausdrücke noch mehrere andere Bedeutungen haben können. Vor Dir! beispielsweise könnte außerdem als Vor dem Hörer liegt ein Stein, oder Der Hörer soll vor sich den Fußboden reinigen, interpretiert werden. Auch für die anderen beiden Beispiele ließen sich mühelos andere Bedeutungen aufzählen. Wenn ein Ausdruck mehrere Bedeutungen haben kann, wird er als mehrdeutig angesehen. Für die oben genannten Ausdrücke steht es, wie kurz gezeigt wurde, außer Zweifel, daß sie mehrdeutig sind. Die Frage ist nur, auf welcher sprachlichen Repräsentationsebene diese Mehrdeutigkeit anzusiedeln ist. Sind die genannten Ausdrücke in bezug auf ihre grammatische Struktur mehrdeutig oder hinsichtlich ihrer kontextuell determinierten Bedeutung? Wie schon in Schwabe (1987, 1988, 1994) gezeigt wurde, sind diese Ausdrücke im Hinblick auf ihre grammatisch determinierte Bedeutung vage oder mit anderen Worten semantisch unterspezifiziert. Von ihrer Mehrdeutigkeit kann man erst auf der Bedeutungsebene sprechen, die durch den Zugriff auf den jeweils gegebenen Kontext zustande kommt.

124

Κ. Schwabe

Im folgenden soll gezeigt werden, wie aus der unterspezifizierten grammatisch determinierten Bedeutung die vom jeweiligen Kontext determinierte Bedeutung abgeleitet wird und welche Rolle Implikaturen dabei spielen. Da das Wirken letzterer durch die Vagheit der grammatisch determinierten Bedeutung gewissermaßen ausgelöst wird, soll im zweiten Abschnitt kurz skizziert werden, worin die Vagheit dieser Ausdrücke besteht und wie diese syntaktisch und semantisch zu repräsentieren ist. Im dritten Abschnitt wird dann gezeigt, wie mit Hilfe von Implikaturen die Äußerungsbedeutung und der kommunikative Sinn ermittelt wird.

2. Ausgangslage 2.1. Die semantische Unterspezifiziertheit situativer Ellipsen Bei situativen Ellipsen wie den oben genannten handelt es sich um fragmentarische Ausdrücke, bei denen in der hier vertretenen Auffassung (in der Oberflächenstruktur) Satzteile fehlen, die zumindest für die Konstituierung eines deutschen Satzes als notwendig angesehen werden.1 In bezug auf unvollständige grammatische Strukturen ist zu unterscheiden, ob die Unvollständigkeit sprachlicher Ausdrücke ausschließlich grammatisch rekonstruierbar ist oder ob außerdem außersprachliche Gegebenheiten zur Interpretation hinzugezogen werden müssen. Zu den ausschließlich grammatisch determinierten unvollständigen Ausdrücken - sie werden im weiteren kontextgestützte Ellipsen genannt - gehören Koordinationsellipsen wie (4), Komparationsellipsen wie (5) und Adjazenzellipsen wie (6).2 (4) (i) (ii) (5) (6)

Hans trinkt Bier und Peter Wein. Hans soll drei und Petra will vier Briefe schreiben. Peter ist größer als Paul. Wer sieht hier wen? Ich den Hans.

Im Gegensatz dazu sind Ellipsen wie (1), (2), (3), (7) und (8) zu sehen, die nur unter Rekurs auf den jeweiligen situativen Kontext rekonstruierbar sind und die deshalb situative Ellipsen genannt werden. (7) (8)

Zu mir die Tasche! Noch ein Glas Wein vor dem Essen?

Während sich bei den kontextgestützten Ellipsen die Bedeutung der 'fehlenden' Konstituenten mit Hilfe der syntaktischen und semantischen Struktur des Antezedenz rekonstruieren

1

2

Daß situative Ellipsen als Fragmente erzeugt werden, so daB sie keine 'fehlenden' Elemente enthalten, wird von Shopen (1972) und Barton (1990) vertreten. Eine Kritik zu dieser Auffassung findet sich in Klein (1993) und Schwabe (1994a,b). Die elliptischen Ausdrücke sind kursiv gedruckt.

Situative Ellipsen

125

läßt3, ist das bei situativen Ellipsen nicht möglich, da trivialerweise kein sprachlicher Kontext gegeben ist. Die Spezifik situativer Ellipsen besteht deshalb in der Unterspezifiziertheit ihrer grammatisch determinierten Bedeutung oder, mit anderen Worten, ihrer minimal charakterisierten Semantischen Form (SF). Die Semantische Form eines komplexen Ausdrucks wird hier als die Bedeutung aufgefaßt, die zum einen aus den lexikondeterminierten Bedeutungen der ihn konstituierenden Lexikoneinheiten und deren semantischer Verknüpfung resultiert, und die zum anderen auf prosodische Gegebenheiten und bestimmte Wortstellungsphänomene zurückzuführen ist. Indem die grammatisch determinierte Bedeutung auf einen bestimmten Kontext bezogen wird, entsteht die Äußerungsbedeutung (m). Es handelt sich dabei um die Bedeutung eines sprachlichen Ausdrucks, die aus dem Zusammenspiel von semantischer Form und bestimmten Kontextinformationen resultiert.4 Die Notwendigkeit der Unterscheidung von zwei Bedeutungsebenen ist bei der Bedeutungsbeschreibung situativer Ellipsen deshalb besonders signifikant, weil es bei ihrer Bedeutungsbeschreibung immer wieder vorkommt, daß diese Ellipsen in einen bestimmten - für sie typischen scheinenden Kontext eingebettet werden, und daß dieser Kontext als die alleinige Bedeutung dieser Ellipsen angesehen wird. Dieses Herangehen führt jedoch zu dem Ergebnis, daß beispielsweise für eine Ellipse wie Einen Tee?, für die mehrere Kontexte denkbar sind, mehrere Bedeutungen angenommen werden müßten, was linguistisch weniger interessant ist als die Frage, worin gerade die Invarianz dieses Ausdrucks in allen möglichen Kontexten besteht. Daß diese Fragestellung nicht nur einschlägig für elliptische Ausdrücke ist, wird deutlich, wenn man zum Beispiel die Bedeutung deiktischer Ausdrücke wie dort und dieser mit ihren mehr spezifizierten Pendants vergleicht wie beispielsweise vor dem Haus, das an der Ecke steht und das einen Balkon hat oder der Mann mit dem dunklen Mantel und der Zeitung. Daraus, daß die semantische Form situativer Ellipsen unterspezifiziert ist, ergeben sich die folgenden Fragen: Erstens: Wie ist diese semantische Unterpezifiziertheit zu repräsentieren? Zweitens: Wie sieht die entsprechende syntaktische Repräsentation aus? Und drittens: Woraus resultiert die kontextuell determinierte Äußerungsbedeutung?

2.2. Zur Syntax und Semantik situativer Ellipsen Die Erörterungen zur syntaktischen Struktur situativer Ellipsen bewegen sich im Rahmen der GB-Syntax mit ihren Weiterungen und Spezifikationen. In diesem Rahmen sind mehrere Zugänge möglich, wobei nur einer, nämlich der von mir favorisierte, kurz skizziert werden

Auf die unterschiedlichen Ansätze zur syntaktischen und semantischen Repräsentation kontextgestützter Ellipsen soll an dieser Stelle nur insofern eingegangen werden, als einige Repräsentanten bestimmter Richtungen genannt weiden: Williams (1977), Chao (1988), Klein (1993), Wilder (1994), Barton (1990). Die Unterscheidung von Semantischer Form als grammatisch determinierter Bedeutung und AuBerungsbedeutung als kontextgestützer Bedeutung ist charakteristisch für die Zwei-Ebenen-Semantik, wie sie vor allem von Bierwisch (1989), Lang (1989), Bierwisch/Lang (1989) und Lang (1993) vertreten wird.

126

Κ. Schwabe

soll - vgl. Schwabe (1994). 5 Im Mittelpunkt aller syntaktischen und semantischen Überlegungen muß stets das Prinzip der Laut-Bedeutungs-Zuordnung stehen, aus dem folgt, daß in der semantischen Struktur eines sprachlichen Ausdrucks nur soviel enthalten sein darf, wie grammatisch wirklich realisiert ist. Weiterhin gilt auch für die grammatische Strukturierung situativer Ellipsen das für alle sprachlichen Ausdrücke geltende Prinzip der vollen Interpretierbarkeit, das besagt, daß jedes Element in der phonologischen Struktur und in der Logischen bzw. Semantischen Form interpretierbar sein muß - vgl. Chomsky (1986c). Sowohl die Erklärung der Kasus von Determinatorphrasen in situativen Ellipsen als auch die Annahme eines Satzmodus für diese Ellipsen erfordert ihre syntaktische Rekonstruktion als Satz. Ich gehe deshalb davon aus, daß die syntaktische Struktur von situativen Ellipsen eine Satzstruktur ist, deren Endkette mit leeren Ketten bestückt ist. Die Erzeugung solcher leeren Ketten erfolgt durch die Regel X' — > e. Für die Variable X sind dabei beliebige syntaktische Kategorien einsetzbar und für den Index i die für die einzelnen Kategorien zulässigen Projektionsstufen. Setzt man für X eine syntaktische Kategorie und für i jede für diese Kategorie mögliche Projektionsstufe ein, kann man feststellen, ob Strukturen, die derartig charakterisierte leere Kategorien enthalten, syntaktisch wohlgeformt sind. Die Nicht-Wohlgeformtheit bestimmter situativer Ellipsen läßt sich auf das Wirken bestimmter mehr oder weniger ellipsenspezifischer Filter zurückführen, die sich teilweise auf die oben erwähnten Prinzipien zurückführen lassen. Schauen wir uns zur Illustration die syntaktischen Strukturen, die Logischen Formen (LF), der oben erwähnten situativen Ellipsen an: (9) (10)

LF: LF:

[,i [,oj e] [VP [DPe ] [v> einen Tee [yo e]]]] [i', e [Vp [DP e] [v> [pp vor dir] [yo e]]]]

Wir sehen hier, daß die Ausdrücke als Sätze repräsentiert sind. Ihre Struktur ergibt sich in (9) aus der Identifizierung der DP einen Tee als Akkusativobjekt und damit als Komplement von V o und in (10) daraus, daß die PP vor dir als Prädikativ, und damit auch als Komplement von V o , interpretiert wird. Denkbar ist auch, daß die PP als lokale Adverbialbestimmung fungiert. In diesem Fall müßte sie als Modifikator von VP repräsentiert werden. Die Auffassung, daß es sich bei situativen Ellipsen um Satzstrukturen handelt, ist weiterhin mit der Plazierung der syntaktischen Merkmale < + w > und < - w > in I o erklärbar. Die Annahme dieser Merkmale fußt auf der von mir vertretenen Auffassung, daß sie das syntaktische Korrelat des satzmodusrelevanten fallenden bzw. steigenden Tonmusters des Satzakzents sind. Das Merkmal < + w > ist außerdem dann gerechtfertigt, wenn ein Ausdruck wie unten (12) eine w-Phrase enthält, die durch das Merkmal an die Satzspitze 'bewegt' wird.

5

Da es in diesem Aufsatz weniger um syntaktische als um die semantischen Aspekte situativer Ellipsen gehen soll, sei an dieser Stelle nur darauf verwiesen, daß sich die im folgenden präsentierten syntaktischen Repräsentationen fast mühelos in die des minimalistischen Konzepts von Chomsky (1992) übersetzten lassen.

127

Situative Ellipsen

Das Spezifische situativer Ellipsen gegenüber anderen elliptischen Ausdrücken besteht hinsichtlich ihrer Logischen Form darin, daß die LF leere Kategorien enthält, die nicht mit anderen Konstituenten im Satz koindiziert sind. Das hat zur Folge, daß bei ihrer semantischen Interpretation keine Semantische Form einer Konstituente zur Verfügung steht, die kopiert werden könnte, um somit die grammatisch determinierte semantische Rekonstruktion der leeren Kategorie zu ermöglichen. Daß die Logische Form einer situativen Ellipse leere Kategorien enthält, die nicht mit anderen syntaktischen Kategorien koindiziert sind, führt zu der Überlegung, diese leeren Kategorien in der Semantischen Form der Ellipse als Variablen zu repräsentieren. Da die semantische Repräsentation in dem zugrunde gelegten Rahmen in einer kategorialen Sprache erfolgt, muß die kategoriale Paßfähigkeit der jeweiligen Variable ermittelt werden. Dazu werden der semantisch zu repräsentierenden Ellipse allgemeine Prinzipien zur semantischen Repräsentation von lexikalischen und funktionalen Kategorien sowie die jeweilige Logische Form der Ellipse zugrunde gelegt. Im folgenden sehen wir die kompositioneile Ableitung der semantischen Form des Beispiels Einen Tee?:

(Π) λχ3 λχ 2 λχ] [INSTX|,(Px 2 ,x 3 )]

SIR-Le

«o/iyiyi

FA LK

V;

DP; εχ3 [ "TEE" x3] 1 λχ2 λχ, [ INST x„ ( Ρ x2) εχ3["ΤΕΕ"χ3]) ] (0/1 y 1

SIR-Dmax FA LK

DP;

ν2;

x2 1 λχ, [ INST X), ( Ρ x2, εχ3["ΤΕΕ"χ3] ) ] 0/1

Io, ;

SIR-F°e

λΡ3χ,[Ρχ, ] 0/(0/1)

LK BV

LK

I';

3P3x23x, [INST x„ ( Ρ x2, εχ3["ΤΕΕ"χ3] )] 0 Io, ; λ PG [ ?x, [PG] ] 0/0 ?x, [ 3P3x23x, [INST x„ (Ρ x2, εχ3["ΤΕΕ"χ3] )] ] 0

Obwohl für die weitere Interpretation der Äußerungsbedeutung nur die letzte Zeile in (11) relevant ist, sollen einige Erläuterungen zu der Ableitung der Semantischen Form folgen, um zu zeigen, wie die semantische Unterspezifiziertheit zu repräsentieren ist. Die Anordnung der syntaktischen Kategorien in (11) ist eine notationelle Variante der syntaktischen Repräsentation (9), die deshalb gewählt wurde, um die durch die syntaktische Struktur gesteuerte semantische Ableitung der Semantischen Form möglichst überschaubar

128

Κ. Schwabe

zu präsentieren. Rechts neben dem Semikolon steht die Semantische Form der jeweiligen syntaktischen Kategorie. Links neben der jeweiligen syntaktischen Kategorie befindet sich die Abkürzung der semantischen Regel bzw. Vorschrift, die für das Zustandekommen der Semantischen Form der jeweiligen syntaktischen Kategorie verantwortlich ist. Sie können hier nicht im einzelnen erläutert werden - vgl. Schwabe (1994). Hier nur so viel: SIR-L'e ist das Symbol für die semantische Interpretationsregel für leere Kategorien. Hier interpretiert sie aufgrund der gegebenen LF und allgemeiner Prinzipien zur Repräsentation lexikalischer Kategorien V o als einen dreistelligen Funktor. Dieser Funktor enthält wie alle semantischen Korrelate von verbalen Kategorien die semantische Konstante INST. Diese Konstante bildet zu einem hier in (11) durch Ρ charakterisierten Sachverhaltstyp Instanzen, indem sie ihm eine referentielle Lokalisierung gibt, die durch die Variable Xj symbolisiert wird. FA steht für fiinktionale Applikation, eine semantische Regel, die die semantischen Formen syntaktischer Konstituenten miteinander verknüpft und LK bedeutet Lambda-Konversion, ebenfalls eine semantische Verknüpfungsregel. Unter BV ist eine Default-Bindungsvorschrift für Variablen zu verstehen. Durch sie wird festgelegt, daß die Variablen, die Interpretamente von leeren syntaktischen Kategorien ohne Antezedenten sind, auf der Ebene der Äußerungsbedeutung durch die nächstliegende Instanz belegt werden, die der Kategorie der Variablen genügt. Zur repräsentationellen Umsetzung dieser Interpretationsvorschrift dient der Existenzoperator - vgl. Schwabe (1994:141). Unter SIR-F°e ist die semantische Interpretationsregel fiir leere fiinktionale Köpfe zu verstehen. Sie besagt, daß die leeren funktionalen Köpfe D° und I o als Operatoren interpretiert werden, die die referentielle Argumentstelle ihres Operanden binden. Eine leere I°-Kategorie wird defaultmäßig durch den Existenzoperator interpretiert - vgl. Bierwisch (1987:98), Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992/1993:36) und Schwabe (1994). In der Ableitung findet sich in I o das syntaktische Merkmal < + w > , das als das syntaktische Korrelat des Interrogativsatzmodus aufzufassen ist. Mit Lang/Pasch (1988) soll hier davon ausgegangen werden, daß es sich bei dem Satzmodus um eine spezifische Ausdrucksform einer vom Einstellungsträger vorgegebenen Einstellung zu einem propositionalen Gehalt handelt. Zumindest für das Deutsche steht es wohl außer Zweifel, daß der Satzmodus als eine semantische Kategorie existiert, die auf bestimmte syntaktische und gegebenenfalls auf bestimmte prosodische Gegebenheiten abbildbar ist. Die Satzmoduskategorie determiniert die kommunikative Verwendung eines Satzes beispielsweise als Frage, als Aufforderung oder als Mitteilung. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß die eben genannten Verwendungen auch tatsächlich im Deutschen als diese kodiert sind. Man kann es aber als relativ gesichert ansehen, daß für spezifische kommunikative Verwendungen eines Satzes spezifische grammatische Ausdrucksmittel zur Verfügung stehen, aus deren Semantischer Form sich zuzüglich eines bestimmten kommunikativen Kontexts eine der oben genannten kommunikativen Verwendungen ableiten läßt. Neben dem Interrogativsatzmodus werden im Deutschen als weitere Grundmodi der Deklarativ und der Imperativ unterschieden. Diese korrelieren mit bestimmten illokutiven Grundfunktionen, die im Zusammenhang mit dem kommunikativen Kontext den jeweiligen kommunikativen Sinn eines Satzes determinieren. Die genannten drei Grundmodi sind abbildbar auf syntaktische Merkmale wie < + w > für Interrogative (vgl. Beispiel (11)), die morphologische Imperativindizierung < + i m p > und das Fehlen dieser Merkmalskenn-

129

Situative Ellipsen

Zeichnungen < - w > , für Deklarative. Der Deklarativ ist danach als eine DefaultInterpretation anzusehen. Von Pasch (1989) wird hinsichtlich der Berechtigung der syntaktischen Satzmodusmerkmale eine andere Auffassung vertreten, auf die ich an dieser Stelle nur hinweisen kann.6Das Merkmal < + w > erfahrt seine Rechtfertigung durch die von ihm bedingte Attrahierung von w-Phrasen, durch das den Interrogativskorpus indizierende was wie in dem Satz Was meinte er, wen wir anrufen sollten? - vgl. Brandt / Reis / Rosengren / Zimmermann (1992) - und gegebenenfalls durch das steigende Fokusakzenttonmuster bei Entscheidungsinterrogativen und Echo-Fragen. Bei situativen Ellipsen ohne finîtes Verb läßt sich sowohl der Interrogativsatzmodus als auch der Deklarativsatzmodus antreffen. Als ein Beispiel für den Entscheidungsinterrogativ kann das oben angegebene Beispiel (9) beziehungsweise (11) Einen Tee? angesehen werden, in dem die Interrogativbedeutung durch den steigenden Akzentton signalisiert ist. Semantisch wird der Interrogativsatzmodus durch einen Operator "?" repräsentiert. Dieser bindet bei Entscheidungsinterrogativen die durch die Verbbedeutung eingebrachte referentielle Variable, wodurch zum Ausdruck gebracht werden soll, daß im gegebenen Kontext für den Einstellungsträger kein Sachverhalt gegeben ist, der als Instanz für die durch den propositionalen Gehalt gegebene Sachverhaltscharakterisierung dienen könnte.7 Daß es auch elliptische Ergänzungsfragen gibt, zeigt das folgende Beispiel. (12)

Kontext:

Ein Kellner fragt, während er die bestellten Getränke serviert, die Gäste:

(i)

W e m den Tee?

(ii)

LF:

[IP wem¡ [,I [,o e] [VP [DP e ] tv' ei DEN Tee [ΓΟ e] ]]]] (iii)

SF:

?x2

[PERSONX 2 : 3 P 3 X 2 3 X , [ I N S T

x„



x2, ix 3 ["TEE" x3])]]

Hier soll durch den Interrogativoperator zum Ausdruck gebracht werden, daß es für den Einstellungsträger im gegebenen Kontext keine Belegungsinstanz für die durch den Operator gebundene Variable gibt. Aus der Auffassung, daß ein sprachlicher Ausdruck, der weder durch das Merkmal < + w > noch durch das morphologische Merkmal < + i m p > gekennzeichnet ist, als Deklarativ interpretiert werden sollte, folgt, daß situative Ellipsen ohne finîtes Verb, die damit keine morphologische Imperativkennzeichnung und auch keine interrogative

6

7

Ebenfalls nur hinweisen kann ich an dieser Stelle auf Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992), die die Auffassung vertreten, daß es sich bei dem Satzmodus nicht um eine ausgedrückte Einstellung handelt. Auch an dieser Stelle kann nur auf die zahlreichen Arbeiten zur Semantik von Interrogativen hingewiesen werden. Zu nennen sind hier vor allem Pasch (1990a,b), Brandt/Reis/Rosengren/Zimmermann (1992), Rehbock (1992) und Jacobs (1992).

130

Κ. Schwabe

Kennzeichnung aufweisen, nur Deklarative, und nicht Imperative sein können. Die Konsequenzen dieser Annahme sollen anhand des folgenden Beispiels kurz diskutiert werden. (13)

Kontext:

Zwei Personen A und Β gehen einen Waldweg entlang . Β blick nach oben, während A einen auf dem Weg liegenden Ast entdeckt.

(i) (ii)

A: LF:

Vor Dir!

(iii)

(SF):

Ux, [ 3X2 3X, [INST X], (x2 VOR hörer)]]

[,i [i°, [v2 [DP e][ V '

vor dir [vo e] ]]]

Paraphrasieren läßt sich der Ausdruck wie folgt: Der Einstellungsträger y sieht den Wert der Variablen x¡ im relevanten Kontext als gegeben an, wobei der Wert von x¡ eine Instanz des Sachverhaltstyps ist befindet sich vor dem Hörer'.* Dieser Ausdruck kann sowohl als 'Mitteilung' als auch als 'Aufforderung' interpretiert werden. Geht man davon aus, daß das Beispiel den Deklarativmodus aufweist und daß dieser mit einer illokutiven Funktion korreliert, der Mitteilungen eigen sind, muß es sich bei der Aufforderungsinterpretation um eine Uminterpretation der eigentlich ausgedrückten Mitteilung handeln. Dies erscheint auf den ersten Blick unplausibel, da derartige situative Ellipsen präferent als Aufforderungen interpretiert zu werden scheinen. Hier stellt sich nun die Frage, ob man nicht aus diesem Grund für derartige Ausdrücke ein syntaktisches Merkmal < +imp> annehmen sollte, das dann semantisch als Imperativmodus interpretiert werden müßte. In diesem Fall würde die pragmatische Aufforderungsinterpretation direkt sprachlich kodiert sein. Gegen die Annahme von < +imp> spricht hier, daß dieses Merkmal formal nicht zu rechtfertigen ist. Das Argument der nicht gegebenen formalen Rechtfertigung trifft auf den Deklarativmodus nicht zu, da dieser in der hier vertretenen Auffassung auf das Nichtvorhandensein der Merkmale < + w > und < + i m p > , oder anders gesagt auf < - w > und < - i m p > , zurückgeführt wird. Wie sich zeigen wird, lassen sich Ellipsen mit Deklarativmodus leicht als Aufforderungen interpretieren. Als Fazit der Betrachtungen zur semantischen Repräsentation situativer Ellipsen ist zu sehen, daß es sich bei ihnen aufgrund der in ihnen enthaltenen Variablen, die wie in (11), (12) und (13) durch den Existenzoperator gebunden sind, um semantische Ausdrücke handelt, die in hohem Maße semantisch unterbestimmt sind. Die Unterbestimmtheit besteht darin, daß der jeweilige Referent der Variablen nicht oder nur minimal semantisch bestimmt ist. Der Belegungsspielraum der jeweiligen Variablen ist durch die Semantische Form (SF) des jeweiligen Ausdrucks und durch den relevanten Kontext festgelegt. Daß diese elliptischen Ausdrücke auf Sachverhalte referieren können, ist semantisch durch die SFKonstante INST, die immer in der SF von V°-Kategorien - und somit auch in leeren V o Kategorien - enthalten ist, garantiert. Durch diese Konstante wird die Sachverhaltscharakterisierung oder mit anderen Worten: der propositonale Gehalt auf den jeweiligen relevanten Kontext beziehbar. Der Sachverhaltsbezug ist dann blockiert, wenn mindestens 8

Der Deklarativsatzmodus wird hier als ein Operator präsentiert, der sich wie folgt paraphrasieren läßt: Der Einstellungsträger sieht den Wert (eine Instanz) der referentiellen Variable xi im relevanten Kontext als gegeben an - vgl. Schwabe (1994:163).

131

Situative Ellipsen

eine Variable des Ausdrucks als nicht instantiierbar für den Einstellungsträger gekennzeichnet ist, was bei Fragen der Fall ist. Angesichts der Ausgangslage, die dadurch gekennzeichnet ist, daß situative Ellipsen wie (11), (12) und (13) eine nur sehr geringe semantische Sachverhaltscharakterisierung aufweisen, kehren wir zu der eingangs gestellten Frage zurück, wodurch es möglich wird, die Äußerungsbedeutung und den Kommunikativen Sinn dieser Ausdrücke zu gewinnen.

3. Zur Rolle von Implikaturen bei der Äußerungsbedeutung und dem Kommunikativen Sinn situativer Ellipsen 3.1. Voraussetzungen 3.1.1. Zur Äußerungsbedeutung Bevor wir zur Ableitung der Äußerungsbedeutung und des Kommunikativen Sinns von situativen Ellipsen kommen, soll kurz der dazu notwendige theoretische Apparat skizziert werden. Die folgenden Ausführungen zur Äußerungsbedeutung (m) stützen sich auf Ideen von Bierwisch (1983a,b) und Lang (1983a,b) und (1987). Mit ihnen wollen wir davon ausgehen, daß die Semantische Form eines Ausdrucks durch eine Funktion INT schrittweise auf einen möglichen Kontext angewendet wird. Das Resultat der Abbildung der Semantischen Form eines sprachlichen Ausdrucks α auf einen Kontext wird als die Äußerungsbedeutung m von α bezeichnet. Von Bierwisch (1983a:95, 1983b) wird der Kontext als ein mentales Modell beschrieben, das als Repräsentation der Kenntnisse über eine mögliche oder eine aktuelle Situation aufzufassen ist. Bei der aktuellen Situation handelt es sich um den Kontext, in dem der jeweilige Ausdruck geäußert wird. Durch den Einstellungsoperator, das Tempus, den Verbmodus, bestimmte Partikeln und Satzadverbien kann bereits in der Semantischen Form eines Satzes bestimmt werden, ob es sich bei dem Kontext um eine mögliche oder aktuelle Situation handelt. Die Gesamtheit der mentalen Modelle wird durch das konzeptuelle System CS determiniert. Das konzeptuelle System wird von Bierwisch als ein System konzeptueller Einheiten und Regeln verstanden. Stark vereinfacht gesagt, werden vor dem Hintergrund bestimmter Prinzipien durch jene Regeln und konzeptuelle Repräsentationen Sachverhalte sv erzeugt. Diese Sachverhalte können strukturiert sein. Sie sind mit bestimmten Einstellungen e verknüpft, die als Elemente eines eigenen Systems CA aufgefaßt werden - vgl. Lang (1983a). Diese vom Einstellungsträger gehegten Einstellungen lassen sich auf sprachlich ausgedrückte Einstellungen, den Satzmodus A, abbilden. Im Rahmen der eben in aller Kürze dargestellten Voraussetzungen kann nun als allgemeine Darstellung der Äußerungsbedeutung von Satzäußerungen die folgende Formel angegeben werden: (14)

INT ( A [ PG ] , ctcs/CA)

e ( sv )

Κ. Schwabe

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Diese Formel besagt, daß aus der Anwendung der Interpretationsfunktion INT auf die grammatisch determinierte Satzbedeutung A[PG] und den Kontext ctcs/cA die Äußerungsbedeutung e (sv) resultiert. Die drei Grundmodi Deklarativ, Interrogativ und Imperativ, im Schema (14) durch A zusammengefaßt, werden überführt in beziehungsweise instantiiert durch eine Einstellung in der Äußerungsbedeutung, die in (14) durch die Metavariable e symbolisiert ist. Bei e handelt es sich um einen Funktor, der auf einen 'Sachverhaltsbegriff' angewendet wird. Die interrogativen und deklarativen Einstellungen sind provisorisch folgendermaßen umschreibbar. (15)

(i) (ii)

U ?

->

[y ansehen als gegeben in et V (a¡) : sv] Xsv [y ansehen als offen in et V( aj : sv]

Die Äußerungsbedeutungen von U und "?" sind Funktoren, die auf die Äußerungsbedeutung des jeweiligen propositionalen Gehalts angewendet werden. Unter a in (15)(i) und (ii) sind 'konzeptuelle' Variablen innerhalb einer Sachverhaltsrepräsentation zu verstehen und unter V der Wert, den diese Variablen im gegebenen Kontext haben. Mit y ist eine Metavariable über den im jeweiligen Kontext möglichen Einstellungsträger gemeint. Den durch a symbolisierten Variablen entsprechen in der jeweiligen korrespondierenden Semantischen Form Variablen mit dem gleichen Index. Bei α ι handelt es sich um die Variable, die der referentiellen Variable in der Semantischen Form des Satzes entspricht. Ebenso ist a¡ parallel zu gleich indizierten Variablen in SF zu sehen. Charakteristisch für Fragen ist, daß die Instantiierung von a¡ für y im gegebenen Kontext nicht möglich ist oder mit anderen Worten, daß der Wert der Variablen für y 'offen' ist. Wenn hier von einem Sachverhalt gesprochen wird, ist damit so etwas wie der Begriff von einem Sachverhalt im Sinne einer Proposition gemeint. Daß bei Fragen die Belegungsinstanz von ax zu den Kenntnissen einer am Diskurs beteiligten Person gehört, läßt sich als konversationelle Implikatur ableiten vgl. Jacobs (1991:206ff.). Wir können nun sowohl für einen Deklarativsatz als auch für einen Interrogativsatz ein Schema für die Äußerungsbedeutung angeben: (16) (17)

INT ( U [ PG ], ctcs/cA) INT (? [ PG ], etes/cv)

= =

y ansehen als gegeben in ci V (a¡) : sv y ansehen als offen in et V( a) : sv

Bei der Ableitung der Äußerungsbedeutung aus der grammatisch determinierten Bedeutung werden die Variablen der jeweiligen Semantischen Form durch Entitäten des konzeptuell determinierten Kontexts instantiiert, wenn sie nicht für y als nicht instantiierbar gekennzeichnet sind, wie es bei Fragen durch "?" geschieht.

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Situative Ellipsen

3.1.2. Zum Kommunikativen Sinn Bei der jetzt folgenden kurzen Darstellung des kommunikativen Sinns stütze ich mich in der Hauptsache auf die von Motsch/Pasch (1986) vertretenen Auffassungen. Sie gehen davon aus, daß sich der kommunikative Sinn aus der Äußerungsbedeutung m, der ihr zugewiesenen illokutiven Funktion IF und der Anwendung von m und IF auf den Interaktionskontext ctj ergibt - vgl. auch Bierwisch (1983c) und Lang (1983a). Die spezifische illokutive Funktion einer Äußerung wird determiniert durch eine bestimmte illokutive Absicht, die der Sprecher mit der Äußerung verfolgt, und durch die damit verknüpften konstitutiven Bedingungen und konventionellen Konsequenzen. Die mit einer sprachlichen Handlung verknüpfte illokutive Absicht ist eigentlich eine Zielhierarchie. So ist mit einer illokutiven Handlung das direkte Ziel verbunden, daß der Hörer versteht, was der Sprecher beabsichtigt. Dieses Ziel ist die Voraussetzung dafür, daß der Hörer das, was der Sprecher beabsichtigt, akzeptieren kann. Das Akzeptieren der Sprecherabsicht ist wiederum eine Voraussetzung dafür, daß der Hörer die vom Sprecher beabsichtigte Handlung auch ausführt. Die vom Sprecher beabsichtigte Hörerhandlung ist das mit einer illokutiven Handlung verbundene fundamentale Ziel z f . Daß der Hörer die Absicht des Sprechers akzeptiert, ist wie das fundamentale Ziel ein indirektes Ziel. Die eben dargestellte Zielhierarchie läßt sich folgendermaßen zusammenfassen - vgl. Motsch/Pasch (1986). (18)

(i) (ii) (iii)

zf z f_1 zf"2

: : :

Zi

wollen (hr, z¡) glauben (hr, (wollen (spr, z¡)))

Aus diesen drei Zielen resultieren drei Typen von generellen Bedingungen für illokutive Handlungen: die Ausführungsbedingungen, die Akzeptierensbedingungen und die Verstehensbedingungen. Auf die Erfüllung letzterer kommt es hauptsächlich bei der Verwendung von situativen Ellipsen an. Das heißt, daß die Ellipse sprachlich so gestaltet sein muß, daß der Hörer verstehen bzw. glauben kann, daß die durch die Bedeutung der Ellipsen wie Einen Tee! oder Den Hammerl oder Vor dir! denotierten Sachverhalte mit einem bestimmten fundamentalen Ziel z¡ oder Zf des Sprechers verbunden sind. In bezug auf das vom Sprecher verfolgte fundamentale Ziel z f beziehungsweise z¡ können unabhängig von der Elliptizität des Ausdrucks drei Grundtypen unterschieden werden. (19)

(i) (ii) (iii)

ausführen antworten glauben

(hr, sv) (hr, sv) (hr, sv)

Aufforderung Frage Mitteilung

Das mit einer Äußerung verbundene fundamentale Ziel wird durch den Satzmodus des sprachlichen Ausdrucks angezeigt. Dieser ist, wie wir oben gesehen haben, auch bei situativen Ellipsen ausgedrückt. Die Korrelation zwischen Satzmodus und dem jeweiligen Illokutionstyp wird wie folgt angegeben:

134 (20)

Κ. Schwabe

(i) (ii)

U ?

~> —>

glauben antworten

(hr, sv) (hr, sv)

Das heißt daß für eine Ellipse wie Vor Dir! 'glauben (hr, sv)' und für Ellipsen wie Einen Tee? 'antworten (hr, sv)' als illokutive Grundfunktionen zugeordnet werden müßten. Daraus, daß die Äußerungsbedeutung des Satzes mit der ihr zugeordneten illokutiven Funktion auf den Interaktionskontext abgebildet wird und alle relevanten Interaktionsbedingungen erfüllt sind, ergibt sich dann der Kommunikative Sinn. Auf der Grundlage des eben skizzierten Instrumentariums können wir nun im folgenden Abschnitt daran gehen, die Äußerungsbedeutung und den kommunikativen Sinn einiger der bisher betrachteten Ellipsen zu ermitteln.

3.2. Zur Äußerungsbedeutung und zum Kommunikativen Sinn situativer Ellipsen 3.2.1. Zur Äußerungsbedeutung situativer Ellipsen Angesichts der grammatisch determinierten Bedeutung der hier vorgestellten situativen Ellipsen wird deutlich, daß der denotierte Sachverhalt so minimal semantisch charakterisiert ist, daß allein aufgrund der Semantischen Form der Ellipse der Sachverhalt nicht identifizierbar ist. Schauen wir uns dazu das folgende Beispiel an: (21)

Kontext:

In einem Restaurant steht ein Kellner mit einem Bestellblock Tisch eines Gastes (A)

(i) (ii) (iii)

A: LF: SF:

am

Einen Tee. [IP e [„ [,„ e [VP [DP e ] [Vl einen Tee [v„ e ] ]]]] UXI [ BP 3x2 3X, [ INST χ,, ( Ρ x2, εχ3 [TEE x3]) ]]

Die semantisch unterspezifizierte Sachverhaltscharakterisierung ist damit zu paraphrasieren, daß zwischen einer als ein Teegetränk charakterisierten Entität und einer nicht weiter spezifizierten kontextuellen Gegebenheit eine Beziehung besteht. Des weiteren ist durch die Semantische Form determiniert, daß der Einstellungsträger die Belegung von x 1 ; mit anderen Worten den charakterisierten Sachverhalt, als gegeben ansieht. Daß die Relation zwischen dem Teegetränk und x 2 unausgedrückt bleiben kann wie auch die nähere Charakterisierung des Referenten von x 2 , ist damit zu erklären, daß der Sprecher unter bestimmten Bedingungen davon ausgehen kann, daß der Hörer in der Lage ist, im gegebenen Kontext die passenden Belegungen für die durch 3 gebundenen Variablen zu finden. Das ist dann möglich, wenn die passenden Belegungen zu den Kenntnissen des Hörers gehören oder wenn sie von ihm aufgrund des gegebenen situativen Kontexts erschlossen werden können.

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Situative Ellipsen

Gehören die passenden Belegungen bereits zu den Hörerkenntnissen, handelt es sich um Hintergrundwissen, das in der Semantischen Form seinen Reflex unter anderem in einem Aspekt der Informationsgliederung findet, der allgemeinhin als Hintergrundbedeutung bezeichnet wird. Als Gegenstück zu der Hintergrundbedeutung ist die fokale Bedeutung zu sehen. In vielen neueren Arbeiten zur Fokus-Hintergrund-Gliederung wird davon ausgegangen, daß durch die Fokussierung bestimmter Konstituenten deren Bedeutung als Alternative zu entsprechenden Kontextgegebenheiten herausgestellt wird - vgl. Molnár (1991), Rosengren (1991), Jacobs (1991/1992). Hintergrundkonstituenten brauchen, wie in dem Beispiel (21) zu sehen ist, nicht lexikalisch ausgedrückt zu werden. Daß unausgedrückte Konstituenten nicht unbedingt zur Hintergrundbedeutung gehören, zeigt das Beispiel (13) hier als (22) wiederholt: (22)

Kontext:

Zwei Personen A und Β gehen einen Waldweg entlang . Β blickt nach oben, während A einen auf dem Weg liegenden Ast entdeckt.

(i) (ii)

A: LF:

Vor Dir!

(iii)

(SF): Ux, [ 3x2 3x, [INST χ,, (x2 VOR hörer)]]

t i ' [i°, [ v 2 [ d p e ] [ v '

vor dir

[yo e ] ] ] ]

Hier wird der Hörer erst auf den als Hindernis auf dem Weg liegenden Ast hingewiesen, so daß der Sachverhalt, daß ein Ast auf dem Weg liegt, nicht vor der Äußerung als zum Wissen des Hörers gehörend gerechnet werden kann. Das heißt, daß die 'Weglaßbarkeit' von Konstituenten nur vermittelt etwas mit der Fokus-Hintergrund-Gliederung zu tun hat. Wie oben schon gesagt, können Konstituenten dann lexikalisch ausgedrückt werden, wenn ihre kontextgegebenen Pendants zum Wissen des Hörers gehören oder für ihn leicht aufgrund des situativen Kontexts erfaßbar sind. Was veranlaßt den Adressaten situativer Ellipsen wie (21) und (22), die in der jeweiligen Semantischen Form durch 3 gebundenen Variablen mit Kontextgegebenheiten zu instantiieren? Die Antwort ist darin zu suchen, daß er im gegebenen situativen und kommunikativen Kontext die Äußerung als Illokution, als Sprechakt, identifiziert, indem er davon ausgeht, daß sich der Sprecher adäquat gegenüber dem Griceschen allgemeinen Kooperationsprinzip verhält - vgl. Grice (1968:117). (23)

Allgemeines Kooperationsprinzip Mache Deinen Beitrag zur Konversation so, wie es an der jeweiligen Stelle entsprechend dem akzeptierten Zweck oder der Richtung des Gesprächs, an dem Du beteiligt bist, erforderlich ist.

Seine Interaktionskenntnisse sagen dem Hörer weiterhin, daß eine Illokution unter anderem mit einer illokutiven Absicht des Sprechers verbunden ist. Diese Absicht muß er, bevor er sie erfüllt oder nicht, sowohl erkennen als auch akzeptieren. Das Erkennen der Illokutionsabsicht beziehungsweise des Illokutionstyps der Äußerung wird durch die grammatisch determinierte Bedeutung und den jeweiligen Äußerungskontext, der Äußerungsbe-

Κ. Schwabe

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deutung, determiniert. Damit nun, wie es die mit der illokutiven Absicht verknüpfte Verstehensbedingung fordert, der Hörer verstehen kann, worin das fundamentale Ziel der jeweiligen situativen Ellipse besteht, muß er den in der Ellipse nur minimal gekennzeichneten Sachverhalt rekonstruieren. Das heißt: Er muß die in der Semantischen Form der Ellipse enthaltenen und kaum semantisch charakterisierten Variablen mit Einheiten des konzeptuellen Kontexts so instantiieren, daß sich auf der Ebene der Äußerungsbedeutung ein sinnvolller Sachverhalt ergibt. Dies geschieht mittels der vorhin im Schema (14) schon eingeführten Interpretationsvorschrift INT, durch die für die durch 3x¡ gebundene Variable x¡ im Kontext eine passende Instanz gesucht wird. Diese konzeptuelle Einheit wiederum ist Bestandteil einer komplexen konzeptuellen Struktur, deren Komplexitätsgrad aus der grammatisch determinierten semantischen Struktur, der Semantischen Form, zum Teil ablesbar ist. Wie diese Interpretationsvorschrift auf durch 3 gebundene Variablen angewendet wird, kann wie folgt dargestellt werden: (24)

Interpretationsvorschrift für durch 3 gebundene Variablen x, INT ( x¡, ctcs ) =

m,

wenn x¡ in SF durch 3x¡ gebunden und durch eine Einheit aus CS instantiierbar ist und die Typen von x¡ und m korrespondieren. Die Forderung, daß die semantische Kategorisierung der Variable mit dem Typ der Belegungsinstanz korrespondieren soll, basiert auf der Annahme, daß semantische Einheiten wie auch konzeptuelle Gegebenheiten in einer für die jeweilige Repräsentationsebene spezifischen Weise kategorisiert beziehungsweise typisiert sind, und daß zwischen ihnen bestimmte Korrespondenzen bestehen - vgl. Schwabe (1994). Im Gegensatz zu Variablen, die Argumente von semantischen Konstanten sind, so daß für sie eine Einheit im jeweiligen Kontext mehr oder weniger festgelegt ist, ist bei den hier untersuchten Variablen außer dem Typ der konzeptuellen Einheit nichts sprachlich determiniert. Die Wahl der Variablenbelegung hängt jedoch von bestimmten Bedingungen ab, von denen im folgenden einige genannt werden sollen. Die aktuelle Kontextbedingung beinhaltet, daß bei elliptischen Ausdrücken ohne deiktische Ausdrücke und ohne sprachlichen Kontext die semantische Form präferent auf den aktuellen oder, mit anderen Worten ausgedrückt, auf den situativen Kontext zu beziehen ist. Damit wird der Diskursbereich auf den situativen Kontext eingeschränkt. Die aktuelle Kontextbedingung ist mit der oben erwähnten Verstehensbedingung zu begründen. Erinnern wir uns: Damit der Sprecher das mit seiner Äußerung verbundene fundamentale Ziel erreichen kann, muß der Hörer verstehen, was der Sprecher von ihm will. Das Verstehen ist aber nur dann gesichert, wenn der Sprecher und der Hörer die Äußerung phonologisch, syntaktisch und semantisch gleichermaßen strukturieren, mit anderen Worten, über die gleiche Grammatik verfügen und die Äußerung gleich parsen und wenn sie die Äußerung auf den gleichen Äußerungs- und Interaktionskontext beziehen. Ist nun der Kontext ctcs/cA nicht durch einen Vorgängertext und/oder nicht durch die grammatisch determinierte

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Bedeutung festgelegt, dann wird die SF der Äußerung auf den aktuellen, sprich: situativen Kontext bezogen, da dieser mit der Äußerung immer gegeben ist und somit auch dem Hörer im Bewußtsein präsent ist. Die Bedingung, daß der Sprecher und der Hörer die semantische Form auf den gleichen Kontext beziehen, ist damit erfüllt. Da die Variablen durch konzeptuelle Einheiten belegt werden, die durch den aktuellen Kontext geliefert werden, kann von einer spezifischen Instantiierung der Variablen gesprochen werden. Diese Überlegung finden wir auch bei Shopen (1972), der die "spezifische, nicht variierbare Belegung" als definite ellipsis bezeichnet. Die Identitätsbedingung ist als eine weitere Belegungsbedingung anzusehen. Sie steht ähnlich wie die eben genannte aktuelle Kontextbedingung in engem Konnex mit der oben genannten Verstehensbedingung. Die Identitätsbedingung beinhaltet, daß der Sprecher und der Hörer die jeweilige Variable durch die gleiche Belegung instantiieren. So kann Ρ in der SF des Beispiels Einen Tee! nicht durch so etwas wie 'spendieren' instantiiert werden, da diese Relation in dem gegebenen Kontext, selbst wenn sie vom Sprecher, sprich vom Gast, intendiert sein sollte, vom Hörer nicht erschlossen werden könnte. Andererseits könnte die Variable \2 nicht mit einer kontextuellen Einheit wie 'Franz' belegt werden, wenn diese nicht zu dem bewußten Kontext gehört und somit nicht im Bewußtsein des Hörers präsent sein kann. Um es zu wiederholen: Die vom Sprecher vorgesehene Variablenbelegung darf nicht für den Hörer eine neue und nicht erschließbare Information darstellen. Sie muß also entweder schon vor der Äußerung im internen Modell des Hörers vorhanden oder für ihn erschließbar sein. Die Sachverhaltsbedingung besagt, daß die Variablen innerhalb des propositionalen Gehalts so zu belegen sind, daß der bezeichnete Sachverhalt als Teil des internen Modells des Sprechers und des Hörers von beiden akzeptiert werden kann. So kann beispielsweise X2 nicht durch die konzeptuelle Instanz 'Kellner' belegt werden, wenn Ρ die Äußerungsbedeutung 'etwas zur Verfügung haben wollen' hat. Bei dieser Konstellation würde der Gast meinen, daß der Kellner einen Tee möchte, was im gegebenen Kontext nicht akzeptabel wäre. Die Einstellungbedingung, die im engen Zusammenhang mit den eben genannten Belegungsbedingungen zu sehen ist, hat zum Inhalt, daß der bezeichnete Sachverhalt mit der Einstellung, die mit ihm verknüpft ist, vereinbar sein muß. Der rekonstruierte Sachverhalt muß so beschaffen sein, daß der Sprecher vorgeben kann, von ihm überzeugt zu sein, daß der Sprecher ihn erfragen kann oder daß er den Hörer auffordern kann, ihn zu realisieren. So kann Ρ in der SF der Ellipse Einen Tee. nicht mit 'etwas zur Veifilgung haben wollen' belegt werden, wenn der Hörer seinen Tee bereits bekommen hat und keinen weiteren haben möchte. Die illokutive Funktionsbedingung betrifft das Verhältnis zwischen der mit der Äußerung verknüpften illokutiven Funktion und dem durch sie denotierten Sachverhalt. Sie besagt, daß der jeweilige Sachverhalt mit der durch den Satzmodus angezeigten illokutiven Funktion vereinbar sein muß. Die Belegung der Variablen im propositionalen Gehalt muß danach so sein, daß beispielsweise der Sprecher beabsichtigen kann, daß der Hörer den Sachverhalt 'Sprecher will ein Teegetränk zur Veifilgung haben' glaubt. Aufgrund dieses Wissens, des kommunikativen Kontexts und seines Kommunikationswissens ist der Hörer in der Lage, die Äußerung Einen Tee. zunächst direkt als Mitteilung und dann indirekt als

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Aufforderung zu interpretieren. Auf Letzteres, die Ermittlung des Kommunikativen Sinns, werden wir im nächsten Abschnitt zurückkommen. Die eben genannten ziemlich allgemein gehaltenen Bedingungen gelten für die Variablenbelegung. Sie können deshalb auch als Variablenbelegungsbedingungen bezeichnet werden. Sie gehören zu den Verwendungsbedingungen von situativen Ellipsen. Außer ihnen gibt es noch weitere Verwendungsbedingungen. Eine, die Redundanzbedingung, beinhaltet, daß eine Äußerung unter bestimmten Umständen weitgehend redundanzfrei sein sollte. Diese Bedingung ist wie auch die oben genannten Variablenbelegungsbedingungen auf das Gricesche allgemeine Kooperationsprinzip und die daraus ableitbaren Konversationsmaximen zurückführbar. Nachdem die Regel zur Instantiierung von in der SF von situativen Ellipsen durch 3 gebundenen Variablen und die dabei geltenden Bedingungen vorgegeben sind, können wir versuchen, die Äußerungsbedeutung und den Kommunikativen Sinn des Beispiels Einen Tee? anzugeben. Die Instantiierung der Variablen Ρ und x 2 erfolgt unter Einhaltung der oben genannten Belegungsbedingungen. Die Variable x 2 wird mit 'Sprecher', dem konzeptuellen Repräsentanten des Sprechers, belegt, weil dieser zum aktuellen Kontext gehört und weder sprachlich noch gestisch zum Ausdruck gebracht wird, daß eine andere Belegungsinstanz in Frage kommen könnte. Hier ist zu erkennen, daß sowohl die aktuelle Kontextbedingung als auch die Identitätsbedingung erfüllt sind, vorausgesetzt Sprecher und Hörer der Äußerung Einen Tee! instantiieren die durch 3x 2 gebundenen Variablen gleichermaßen. Wird weiterhin Ρ durch so etwas wie 'etwas zur Verfügung haben wollen' belegt, ergibt sich ein sinnvoller Sachverhalt 'Sprecher will einen Tee zur Verfügung haben', womit die Sachverhaltsbedingung als erfüllt angesehen werden kann. Die Instantiierung von Ρ durch 'zur Verfügung haben wollen' ist deshalb möglich, weil der Hörer im gegebenen Kontext die Beziehung zwischen den Referenten von x 2 und X3 erschließen kann. Damit ist wieder die Identitätsbedingung erfüllt, denn der Hörer kann nur dann eine Variable so instantiieren wie der Sprecher, wenn die in Frage kommende Instanz sowohl für den Sprecher als auch für den Hörer kontextuell gegeben beziehungsweise erschließbar ist. Aus der Instantiierung von Ρ mit etwas zur Verfügung haben wollen, der Belegung von x 2 mit dem konzeptuellen Repräsentanten des Sprechers und dem Restaurantkontext kann der Hörer nun schließen, daß es sich bei dem Referenten der durch Tee charakterisierten Variablen x 3 um ein Getränk handeln muß, daß der Sprecher haben möchte. Der als Sprecher möchte ein Teegetränk zur Verfügung haben rekonstruierte Sachverhalt ist identisch mit einer in einem Kontext gegebenen Sachverhaltsinstanz. Durch den Deklarativsatzmodus wird ausgedrückt, daß der Sprecher davon überzeugt ist, daß diese Instanz im relevanten Kontext gegeben ist. Dadurch, daß der Sachverhalt Sprecher will ein Teegetränk zur Verfügung haben mit der Deklarativeinstellung verträglich ist, ist auch die Einstellungsbedingung erfüllt. Wird der Satzmodus mit dem in seinem Skopus stehenden propositionalen Gehalt im relevanten Kontext auf die korrespondierende Äußerungsbedeutung, wie in (25) links vom Pfeil dargestellt, abgebildet, so ergibt sich die rechts vom Pfeil stehende Äußerungsbedeutung:

Situative Ellipsen

(25)

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INT (U„ [ 3P 3X2 3X, [ INST x„ ( Ρ x2, εχ 3 [TEE x3]) ]] ) , ctcS/CA der Sprecher sieht den Wert von a, im Kontext als gegeben an, so daß der Wert von a, eine Instanz des Sachverhaltstyps ist 'sprecher will ein Teegetränk zur Verfügung haben.

Mit dem Pfeil soll zum Ausdruck gebracht werden, daß es sich bei der Äußerungsbedeutung dieser situativen Ellipse streng genommen um eine Implikatur handelt. Daß es sich um eine Implikatur handelt ist damit zu begründen, daß die Denotate der durch 3 gebundenen Variablen nicht sprachlich indiziert sind, so daß, wie oben skizziert, die Sachverhaltsbedeutung mit Hilfe von nicht-sprachlich determiniertem Wissen abgeleitet werden muß. Da die Implikatur nicht ausschließlich auf der konventionellen Bedeutung der Wörter und der grammatischen Konstruktion beruht, so daß keine konventionelle Implikatur im Sinne von Grice (1968) gegeben ist, haben wir hier einen Fall von konversationeller Implikatur vor uns. Die konversationelle Implikatur beruht zum einen auf der Semantischen Form des Ausdrucks und zum anderen darauf, daß der Sprecher der Äußerung das Kooperationsprinzip und gewisse Konversationsmaximen befolgt. Darin, daß die Äußerungsbedeutung von situativen Ellipsen eine Implikatur darstellt, liegt ein fundamentaler Unterschied zu der Äußerungsbedeutung von Sätzen, bei denen der Sachverhaltsbezug nicht fragmentarisch ausgedrückt ist. Schauen wir uns dazu einen mit der Ellipse Einen Tee. vergleichbaren, aber semantisch nicht unterspezifizierten Satz an wie beispielsweise Ich möchte einen Tee. Durch die Semantische Form dieses Satzes ist sprachlich vorgegeben, daß der Sprecher der Äußerung einen Tee möchte. Dieser Satz kann nur, vorausgesetzt, die an den Kontext gestellten Bedingungen sind erfüllt, eine Äußerungsbedeutung haben, und nicht mehrere, wie sie bei der Ellipse Einen Tee. denkbar wären. Kommunikativ adäquat würden, allerdings in gegenüber dem oben genannten Kontext modifizierten Kontexten, auch Äußerungsbedeutungen sein wie Der Sprecher sieht den Sachverhalt als gegeben an, daß der Kellner einen Tee bringt oder Der Sprecher sieht den Sachverhalt als gegeben an, daß seine Nachbarin einen Tee möchte. Fassen wir das Wesentliche dieses Abschnitts kurz zusammen: Die Äußerungsbedeutung situativer Ellipsen kommt dadurch zustande, daß die in der Semantischen Form enthaltenen semantisch nicht spezifizierten Variablen durch Entitäten des jeweiligen Kontexts, in dem die Ellipse geäußert wird, instantiiert werden. Die Motivation zur Instantiierung resultiert daraus, daß das Wirken eines allgemein geltenden Kooperationsprinzips angenommen wird, nach dem bei einer sprachlichen Äußerung davon auszugehen ist, daß der Sprecher der Äußerung, hier der Ellipse, etwas kommunikativ Adäquates äußert. Da nur ein geringer Teil der Äußerungsbedeutung sprachlich, sprich durch die Semantische Form, determiniert ist, so daß der Rest mit Hilfe des jeweiligen Kontexts erschlossen werden muß, kann man in bezug auf die Äußerungsbedeutung von situativen Ellipsen von einer Implikatur sprechen. Bei der Ermittlung des jeweiligen Kommunikativen Sinns spielen wieder Implikaturen eine Rolle, nur daß es sich hier um ähnliche, wenn nicht um die gleichen, wie bei nichtelliptischen Sätzen handeln dürfte.

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3.2.2. Zum Kommunikativen Sinn situativer Ellipsen Der kommunikative Sinn ergibt sich, wie in Abschnitt 3.1.2. erwähnt, in zwei Schritten. Der erste besteht darin, daß der Äußerungsbedeutung gemäß (19) eine illokutive Grundfunktion zugeordnet wird. Für die Äußerungsbedeutung (25) unseres Beispiels heißt das, daß es die illokutive Funktion glauben (hr.sv) hat. Im zweiten Schritt wird die Äußerungsbedeutung mit der ihr zugeordneten illokutiven Funktion auf den Interaktionskontext cti bezogen. Dabei wird deutlich, daß die angezeigte illokutive Funktion nicht das eigentliche mit der Äußerung verbundene Ziel sein kann. Denn damit, daß der Kellner nur glaubt, daß der Gast einen Tee möchte, wird sich der Gast in einem Restaurant wohl schwerlich zufrieden geben. Letzterer kann vielmehr davon ausgehen, daß der Kellner ihm unterstellt, sich im Sinne des oben erwähnten Kooperationsprinzips (15) kommunikativ adäquat zu verhalten. Danach wird er den Sachverhalt Gast möchte ein Teegetränk zur Verfügung haben als konstitutive Bedingung für die Aufforderung halten, dem Gast einen Tee zu bringen - vgl. u.a. Searle (1975, 1979). Neben anderen Bedingungen ist diese Bedingung insofern für eine Aufforderung konstitutiv, als das, wozu jemand aufgefordert wird, im Interesse eines Diskursteilnehmers sein muß. Bei unserem Beispiel ist es der Sachverhalt, daß der Gast (der Sprecher) einen Tee möchte. Mit diesem Sachverhalt ist eine weitere konstitutive Bedingung für Aufforderungen erfüllt, nämlich die, daß der vom Adressaten zu realisierende Sachverhalt nicht schon realisiert sein darf. Indem dem Gast unterstellt wird, daß er einen Tee möchte, kann nicht der Sachverhalt gegeben sein, daß er diesen Tee schon hat, womit diese Bedingung als erfüllt angesehen werden könnte. Indem der durch die Äußerungsbedeutung der Ellipse Einen Tee. gegebene Sachverhalt als konstitutive Bedingung für eine Aufforderung identifizierbar ist und auch die anderen für Aufforderungen geltenden Bedingungen in der gegebenen kommunikativen Situation als erfüllt angesehen werden können, kann der Kommunikative Sinn dieser Ellipse mit Der Sprecher fordert den Hörer auf, ihm einen Tee zu bringen angegeben werden. Da dieser Kommunikative Sinn nicht direkt auf die angezeigte illokutive Funktion abbildbar ist, kann in bezug auf diese Ellipse von einem indirekten Sprechakt gesprochen werden - vgl. u.a. Searle (1975) und Sökeland (1980). Da der Kommunikative Sinn eines indirekten Sprechakts nicht sprachlich indiziert ist, sondern mit Hilfe der kommunikativen Kenntnisse der Diskursteilnehmer und des jeweiligen Interaktionskontexts erschlossen werden kann, kann man auch im Hinblick auf diese indirekten Sprechakte von Implikaturen sprechen. Für die hier analysierte Ellipse Einen Tee. bedeutet das, daß sowohl ihre Äußerungsbedeutung als eine Implikatur anzusehen ist als auch ihr Kommunikativer Sinn. Etwas anders sieht es bei der Ellipse Einen Tee? aus, bei der zwar die Äußerungsbedeutung eine Implikatur darstellt, aber nicht der Kommunikative Sinn. Dieser ergibt sich direkt aus der durch den Interrogativsatzmodus angezeigten illokutiven Funktion antworten (hr, sy) - vgl. (19)(ii) - und kann mit Frage etikettiert werden. Wir sind davon ausgegangen, daß als Input für den Kommunikativen Sinn die Äußerungsbedeutung und der jeweilige kommunikative Kontext dienen. Da sich die Äußerungsbedeutungen von elliptischen und vergleichbaren nicht-elliptischen Ausdrücken kaum unterscheiden, ist auch nicht zu erwarten, daß sich hinsichtlich ihres Kommunikativen Sinns größere Divergenzen ergeben. Denkbar ist lediglich, daß für elliptische Ausdrücke spezielle

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141

Kontextbedingungen gegeben sein müssen, wie zum Beispiel das Gebot, nur das Nötigste zu äußern, wie man es beispielsweise in Gefahrensituationen, Operationskontexten, Telegrammen etc. antrifft.

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Wolfgang Mötsch

Illokutionstypen, Implikaturen und sprachliche Äußerungen Die illökutive Interpretation einer sprachlichen Äußerung wird auf der Basis des Griceschen Grundmodells definiert. Damit werden Voraussetzungen für eine strikt kommunikationstheoretische Begründung von IUokutionen geschaffen. Zugleich wird es möglich, den von Grice für konversationelle Implikaturen geschaffenen Rahmen auf die Beschreibung des Zusammenhangs zwischen der Bedeutung sprachlicher Äußerungen und ihrer illokutiven Interpretation in Handlungssituationen anzuwenden. Die Bedingungen und Mechanismen, die es ermöglichen, die illökutive Interpretation (den kommunikativen Sinn, das vom Sprecher Gemeinte) einer Äußerung auf der Grundlage ihrer Bedeutung und des relevanten Hintergrundwissens zu erschließen, werden untersucht. Die Form und die Anwendungsbedingungen entsprechender Schlüsse sollen genauer dargestellt und mit Beispielen für konversationelle Implikaturen verglichen werden.

1. Grundgedanken Ziel dieses Beitrags ist es, den Begriff der Illokution (Sprechhandlung, sprachlich-kommunikativen Handlung) neu zu bestimmen. Grundlage der Überlegungen ist eine strenge Unterscheidung zwischen der Bedeutung sprachlicher Ausdrücke und der kommunikativen Intention (K-Intention) in Illokutionen. Wesentlich für diesen Versuch sind drei Annahmen: A-l:

Illokutionen werden auf der Grundlage von K-Intentionen determiniert, nicht von sprachlichen Kategorien (wie Satzmodus).

A-2:

Illokutionen werden durch Typen von K-Intentionen sowie durch Bündel von Handlungsbedingungen spezifiziert. Sie setzen kein separates Illokutionswissen voraus.

A-3:

Aufgrund von A-l muß die Zuordnung von sprachlichen Äußerungen zu K-Intentionen über Eignungsbedingungen festgelegt werden.

Mit diesen Annahmen entferne ich mich stark von früheren Arbeiten (vgl. besonders Motsch/Pasch 1987, Motsch/Viehweger 1991). Sie bedeuten zugleich eine Absage an zentrale Vorstellungen der klassischen Sprechakttheorie und - in gewisser Hinsicht - eine Annäherung an Grundideen der Griceschen Kommunikationstheorie sowie der Intentionstheorie Searles.

2. Illokutionen und Illokutionstypen 2.1. Zum Begriff Illokution Illokutionen sind Einheiten der sprachlichen Kommunikation, eines speziellen Typs menschlichen Handelns. Ziel kommunikativer Handlungen ist es, das Bewußtsein von

144

W. Mötsch

Handlungspartnern zu verändern, temporär oder langfristig. Den Begriff Bewußtsein wollen wir in folgender Weise verwenden: Das Bewußtsein eines Individuums ist ein dynamisches komplexes System von konzeptuellen Repräsentationen. Konzeptuelle Repräsentationen sind mentale Strukturen, die durch Prinzipien für Strukturen dieser Art festgelegt sind (vgl. Jackendoff 1990). Die Prinzipien sind universell, ihre individuelle Nutzung führt jedoch zu Unterschieden, die durch soziale Kontakte - nicht zuletzt durch ihre mögliche Bindung an sprachliche Strukturen - minimiert werden können. Die Dynamik des Systems resultiert aus Veränderungen, die durch neue Erfahrungen, interne Reflexion und interindividuellen Austausch bewirkt werden. Wir nehmen an, daß Bewußtseinseinheiten intentionale Zustände, d.h. konzeptuelle Repräsentationen der Form E:INT (p) sind, wobei E ein Einstellungsträger, INT ein intentionaler Modus und ρ eine Sachverhaltsrepräsentation ist. INT gibt an, welche Beziehung zwischen ρ (einem möglichen Sachverhalt des inneren Modells der Welt) und w (einem Sachverhalt in der als real angenommenen Welt) besteht. Intentionale Modi geben also an, welche Geltung einem vorgestellten Sachverhalt in der (vorgestellten) Welt zukommt. Zur Charakteristik intentionaler Zustände und speziell zu intentionalen Modi gibt es zahlreiche Vorschläge (vgl. besonders Searle 1983; 1986). In unserem Zusammenhang rechnen wir mit drei Typen von Modi: epistemische Modi, voluntative Modi und inferentielle Modi. Ein epistemischer Modus setzt voraus, daß ρ mit n-Wahrscheinlichkeit ein (vergangener, gegenwärtiger oder zukünftiger) Sachverhalt w entspricht. Ein voluntativer Modus setzt voraus, daß ρ aktuell kein Sachverhalt w entspricht, w jedoch möglich ist und einen exponierten Wert in den Verhaltensdispositionen des Intentionsträgers hat. Ein inferentieller Modus gibt an, daß ρ möglicher- oder notwendigerweise ein w entspricht. Es ist zweckmäßig, zwischen ontisch-inferentiell und deontisch-inferentiell zu unterscheiden. Im ersten Fall wird der Zusammenhang zwischen ρ und w aufgrund von Annahmen über Gesetze der realen Welt geschlossen und im zweiten Fall aufgrund von Handlungsnormen. Die intentionalen Modi können durch Mengen von Satisfaktionsbedingungen (Sfb) beschrieben werden (vgl. auch Searle 1983). epistemischer Modus

Sfb: ρ charakterisiert einen Sachverhalt w, der tatsächlich oder mit n-Wahrscheinlichkeit existiert.

voluntativer Modus

Sfb: ρ charakterisiert einen Sachverhalt als möglichen Sachverhalt w. w hat einen exponierten Wert für Verhaltensdispositionen des Intentionsträgers.

145

Illokutionstypen

inferentieller Modus

Sfb: ρ charakterisiert einen Sachverhalt, der aufgrund von Gesetzen oder Normen als Sachverhalt w möglich oder notwendig ist.

Zur näheren Bestimmung des Begriffs Illokution greifen wir auf das Gricesche Grundmodell zurück, das den Sinn von Der Sprecher meint etwas, indem er u äußert festlegt. Wie allgemein üblich, setzen wir diesen Begriff mit Kommunikationsversuch bzw. Illokution gleich (vgl. Meggle 1981). Das Grundmodell läßt sich wie folgt angeben: Ein Kommunikationsversuch liegt vor, gdw. Ein Sprecher (S) äußert einen Ausdruck u mit den Intentionen: (i) der Hörer (H) vollzieht eine Reaktion 'r', (ii) Η erkennt, daß S (i) intendiert, (iii) (ii) ist mindestens ein Grund für H, Y zu vollziehen. In diesem Modell wird die Möglichkeit kommunikativer Handlungen auf das Zu-verstehen-Geben und Erkennen kommunikativer Absichten (Intention (i) im Grundmodell) zurückgeführt. Diese Analyse hat einerseits Zustimmung gefunden, andererseits wurde sie jedoch auch von verschiedenen Positionen aus kritisiert. In unserem Zusammenhang ist von Interesse, daß sie zwei nicht-triviale Voraussetzungen enthält, die für den Begriff Kommunikation wesentlich sind: Wenn man - und Grice tut das grundsätzlich - rationales Verhalten voraussetzt, muß man annehmen, daß ein Sprecher die Intention (ii) nur haben kann, weil er Gründe dafür hat, daß H die kommunikative Intention (i) auf der Grundlage von u erkennen kann. Dies wiederum setzt Eigenschaften von u voraus, die in systematischer Weise mit K-Intenüonen korrespondieren. Diese Voraussetzung darf nicht unterschlagen werden. Sie gehört in die Definition. Das Gricesche Grundmodell nennt zudem nur eine notwendige Bedingung für das Vorliegen eines Kommunikationsversuchs. Genau dies ist der Inhalt von (iii). Diese Bedingung scheint zu genügen, um kommunikative Handlungen von anderen Aktivitäten abzugrenzen. Sie genügt jedoch nicht, um den Erfolg kommunikativer Handlungen zu garantieren. Der Erfolg eines Kommunikationsversuchs hängt nicht nur vom Erkennen der K-Intention des Sprechers ab, sondern in ganz entscheidendem Maße von bestimmten sozialen Bedingungen. Der Hörer muß die K-Intention zunächst verstehen, sodann muß er sie akzeptieren, d.h. er fallt auf der Grundlage eines Kriteriensatzes eine Entscheidung darüber, ob er die K-Intention des Sprechers realisiert oder nicht. Intentionen des Sprechers können nicht einfach in das Bewußtsein eines Hörers transferiert werden. Der Hörer muß die gewünschten Intentionen selbst herausbilden und das bedeutet, daß er die Erfüllung der Satisfaktionsbedingungen prüfen muß. Erst auf dieser Grundlage kommt Kommunikation zwischen Menschen zustande. Wäre das nicht der Fall, so genügte die bloße Äußerung einer Absicht, um den Hörer, der sie versteht, zu Reaktionen zu veranlassen. Man macht sich leicht klar, daß in diesem theoretisch angenommenen Fall jede individuelle Entscheidung durch Kommunikation zunichte gemacht werden könnte. Ein rational handelnder Sprecher

146

W. Mötsch

muß alle den Erfolg seines Kommunikationsversuchs beeinflussenden Faktoren berücksichtigen. Auf diese Lücke der Griceschen Begriffsbestimmung weist Habermas (1988) ausdrücklich hin. Kommunikative Handlungen können nicht allein als Intentionen, einen Effekt beim Hörer zu erreichen, dargestellt werden, da ihr Erfolg - und dies ist eine wesentliche Eigenschaft von Handlungen - von der Übereinstimmung des Hörers mit den Geltungsansprüchen, die der Sprecher erhebt, abhängt. Der Hörer kann eine kommunikative Handlung verstehen, ohne sie zu akzeptieren. Diese Ergänzung ist also wesentlich. Sie muß deshalb auch in die Definition des Begriffs Kommunikationsversuch aufgenommen werden. Grice deutet diese Lücke an, indem er davon spricht, das Erkennen sei mindestens ein (Beweg-) Grund für die gewünschte Reaktion 'r'. Wir betrachten nun K-Intentionen als spezielle intentionale Zustände der Form S:WOLLEN (H: INT (p)), d.h. als intentionale Zustände von Sprechern, deren intentionaler Modus WOLLEN ist und deren Sachverhaltsrepräsentation einen intentionalen Zustand von Hörern charakterisiert. Auf die genauere Analyse dieser Formel gehen wir noch ausführlicher ein. Auf der Grundlage der vorausgehenden Überlegungen legen wir folgende Begriffe fest. S äußert u mit der K-Intention (S:WOLLEN (H:INT(p))) gdw.: es gelten die Satisfaktionsbedingen: (i) S äußert u mit der Äußerungsbedeutung sem-ä, (ii) H erkennt die K-Intention aufgrund von sem-ä, (iii) Es ist eine soziale Situation gegeben, die die Befolgung der K-Intention durch H deontisch möglich oder notwendig macht, (iv) H ist subjektiv fähig, die K-Intention zu befolgen. Def.l: S vollzieht eine illokutive Handlung), gdw.: S äußert einen sprachlichen Ausdruck mit einer K-Intention. Def.2.: Eine Illokution ist ein sprachlicher Ausdruck, dessen Äußerungsbedeutung sem-ä mit einer K-Intention korrespondiert. Def.3.: Das Ziel einer illokutiven Handlung ist die Realisierung der Sachverhaltsrepräsentation (H:INT(p)) einer K-Intention. K-Intentionen werden - wie Intentionen überhaupt - durch Satisfaktionsbedingungen beschrieben. Als Besonderheit nehmen wir vier Bedingungen an, die semantische Bedingung (i), die Verstehensbedingung (ii), die Bedingung für die soziale Situation (iii) und die Bedingung der subjektiven Ausführbarkeit (iv). Die Bedingungen (i) und (ii) sind Bedingungen für den Transfer von Bewußtseinsinhalten, die Bedingungen (iii) und (iv) beziehen sich auf die Befolgung von K-Intentionen.

147

Illokutionstypen

Der Begriff K-Intention wird hier konsequent handlungstheoretisch bestimmt. Ausgegangen wird von einer kooperativen Handlung zweier Partner S und H. Ziel der mit K-Intentionen verbundenen kommunikativen Handlungen ist die Auslösung intentionaler Zustände im Bewußtsein des Hörers, die dessen Verhaltensweisen beeinflussen können. Kommunikative Handlungen sind - wie alle kooperativen Handlungen - an bestimmte soziale Bedingungen gebunden. Darüber hinaus - und das macht ihre Spezifik aus - an das Erkennen der K-Intention. In diesem Zusammenhang sei auf zwei methodologische Prämissen hingewiesen. Wir gehen von einer idealtypischen Beschreibung aus, die durch rationales Verhalten der Partner geprägt ist. Diese Voraussetzung muß sich bei der Beschreibung des - keineswegs in allen Fällen idealen - Verhaltens konkreter Kommunikationspartner bewähren. Und wir geben die Eigenschaften von kommunikativen Handlungen unabhängig von der Spezifik der Sprecherbzw. der Hörerrolle an. Eine Beschreibung dieser Rollen setzt die Kenntnis der allgemeinen Eigenschaften kommunikativer Handlungen voraus. Beschrieben werden hier die Prinzipien, die Kommunikation ermöglichen, nicht die je besonderen Aktivitäten von individuellen Sprechern und Hörern in konkreten Situationen. Unser Vorschlag unterscheidet sich von dem Grundmodell, das Grice in mehreren Varianten formuliert hat, vor allem in zwei wesentlichen Punkten. Zum einen setzen wir die Existenz eines Zeichensystems, speziell einer natürlichen Sprache mit sprachlichen Bedeutungen voraus. Grice möchte das vermeiden, da er bestrebt ist, alle Bedeutungsbegriffe auf kommunikative Kategorien zurückzuführen. Und zum anderen beziehen wir die sozialen Bedingungen, die das Akzeptieren des Ziels eines Kommunikationsversuchs regeln sowie die subjektive Fähigkeit des Hörers, der K-Intention zu entsprechen, in die Begriffsbestimmung ein.

2.2. Typen von K-Intentionen 2.2.1. Zur Grundstruktur Eine K-Intention hat die allgemeine Grundstruktur S ¡WOLLEN (H: INT (p)) Der voluntative Modus WOLLEN bezieht sich auf ein Handlungsziel: S hat den festen Vorsatz, durch den Vollzug einer geeigneten Äußerung zu erreichen, daß ein oder mehrere Hörer einen intentionalen Zustand INT(p) realisieren. Die Satisfaktionsbedingungen von WOLLEN setzen die Möglichkeit einer geeigneten Handlung und deren positive Bewertung voraus. Die Bestimmung des Begriffs K-Intention ergibt sich somit in den Grundzügen aus dem intentionalen Modus WOLLEN.

148

W. Mötsch

2.2.2. Grundtypen von K-Intentionen Wir nehmen an, daß INT(p) eine Variable für die intentionalen Zustände GLAUBEN(p) oder WOLLEN(p) ist. GLAUBEN(p) ist ein epistemischer Modus, der ρ mit einem existierenden bzw. mit n-Wahrscheinlichkeit existierenden Sachverhalt w in Bezug setzt. WOLLEN(p) bezeichnet die Bereitschaft des Hörers, eine Handlung ρ zu vollziehen oder einen Zustand herbeizuführen, der ρ entspricht. K-Intentionen lassen sich somit in mindestens zwei Typen von Zielen unterteilen: der Hörer soll ETWAS GLAUBEN oder er soll ETWAS WOLLEN. Auch die Überlegungen von Grice laufen auf diese beiden Typen von Effekten hinaus. Grice (1979:21) führt den Begriff 'M-intendieren von Hörerreaktionen' ein und unterscheidet zwei Arten von M-intendierbaren Wirkungen: 1. Der Hörer beabsichtigt etwas zu tun, 2. Η glaubt, daß der Sprecher etwas Bestimmtes glaubt. Grice weist darauf hin, daß Ziele des 1. Typs darüber hinaus mit der Absicht verbunden sind, daß Η eine bestimmte Handlung auch tatsächlich ausführt und solche des 2. Typs mit der Absicht, Η möge das gleiche wie S glauben. Auch inferentielle Modi können das Ziel von kommunikativen Handlungen sein. Darauf weisen wir hier nur hin. Eine Besonderheit besteht darin, daß sie als Voraussetzungen in die Ziele H:GLAUBEN(p) bzw. H:WOLLEN(p) eingehen. Wer GLAUBT, daß ρ muß auch GLAUBEN, daß ρ MÖGLICH oder NOTWENDIG ist. Wer eine Handlung ρ WILL, muß GLAUBEN, daß ρ MÖGLICH ist und daß ρ nicht ohne die Handlung eintreten wird, d.h. daß ρ nicht ontisch-NOTWENDIG ist. Ob alle Arten von intentionalen Modi als Ziel einer K-Intention auftreten können, muß genauer geprüft werden. Weitere Unterscheidungsmöglichkeiten ergeben sich, wenn man ρ spezifiziert, ρ kann Sachverhalte der objektiven Welt repräsentieren (p 0 bj), stipulierbare Sachverhalte der sozialen Welt (wie: eine Sitzung einberufen, ein Kind taufen, jemanden einstellen oder entlassen, Gewichte und Maße festlegen, Gesetze und Verordnungen erlassen usw.) (p s üp) und Wertsachverhalte (Pwert)· Darunter verstehen wir die Zuordnung von Wertprädikaten (wie: gut, schlecht, vernünftig, dumm, richtig, falsch usw.) zu Dingen und Sachverhalten. Die Berücksichtigung dieser Unterscheidung ist sinnvoll, weil sie Einfluß auf die Satisfaktionsbedingungen hat. GLAUBEN (p o b j)

Sfb: Es gibt einen Sachverhalt w, weil ρ evident, möglich oder notwendig ist nach Gesetzen der Welt bzw. der Wahrnehmung.

GLAUBEN (pstip)

Sfb: Es gibt einen Sachverhalt w, weil ρ den Regeln oder Normen für die Einführung sozial verbindlicher Sachverhalte entspricht.

149

lllokutionstypen

GLAUBEN (Pvvert)

Sfb:

ρ ist ein gültiger Wertsachverhalt, weil Konsens über einschlägige Wertmaßstäbe und deren richtige Anwendung erzielt werden kann. In entsprechender Weise kann auch das WOLLEN von Handlungen in der objektiven Welt (einschließlich Bewußtseinshandlungen), von Stipulationshandlungen sowie von Wertungshandlungen unterschieden werden. Während die Glaubenszustände zu deutlich verschiedenen Typen von kommunikativen Zielen führen, ist das bei den Wollenszuständen nicht der Fall. Den Wollenszuständen entsprechen Aufforderungen. Es gibt jedoch keine besonderen Bezeichnungen für Aufforderungen zu objektiven, stipulativen oder wertenden Handlungen. Dagegen entsprechen den Glaubenszuständen illokutive Handlungen, die generell als Mitteilungen mit den folgenden Untertypen bezeichnet werden können: H: GLAUBEN (Pobj)

Feststellungen (Repräsentative) Spezialfall: ρ repräsentiert eine Sprechers.

Handlung

des

H: GLAUBEN (Pstip)

Festlegungen (Deklarative), falls pst¡p zusammen mit der Äußerungshandlung zur Existenz kommt. Im anderen Falle Feststellung.

HrGLAUBEN ( p w e r t )

Bewertungen (Expressive)

Η : GLAUBEN (OFFEN(p))

Problemfeststellungen. OFFEN drückt aus, daß ρ kein epistemischer Modus zugewiesen werden kann, weil entweder ρ oder non ρ zutreffen kann bzw. weil ρ eine spezifizierungsbedürftige Konstituente enthält. Der Status einer Frage ergibt sich aus allgemeinen Kommunikationsmaximen, die kooperatives Verhalten voraussetzen. Wir nehmen an, daß das Erkennen eines Problems die Bereitschaft impliziert, zu dessen Lösung beizutragen, falls kooperatives Verhalten angenommen werden kann.

H:WOLLEN (pj)

Aufforderungen

Typen von Illokutionen lassen sich - wie gezeigt - als Typen von Zielen kommunikativer Intentionen bestimmen. Für diese Klassifizierung muß nur die allgemeine Kenntnis intentionaler Zustände und die spezielle Kenntnis der Existenz von K-Intentionen vorausgesetzt werden. Weitere Möglichkeiten, lllokutionstypen zu unterscheiden, ergeben sich aus der Klassifizierung sozialer Situationen, die den Erfolg von K-Intentionen wesentlich mitbestimmen.

150

W. Mötsch

2.3. Klassifizierung sozialer Situationen 2.3.1. Allgemeine Kooperationsbedingungen Wir übernehmen die Grundannahme vieler Kommunikationstheorien, daß erfolgreiche Kommunikation ein den Partnern gemeinsames Interesse an der Lösung eines Koordinationsproblems voraussetzt und daß dieses Interesse zu konstruktiven Beiträgen motiviert sowie Aufrichtigkeit und Respektierung der Persönlichkeitssphäre des Partners einschließt. Voraussetzungen dieser Art sind mit Begriffen wie Kommunikationsinteresse, Konstruktivität, Aufrichtigkeit, Höflichkeit, Chancengleichheit verbunden. Es versteht sich von selbst, daß dies Bedingungen für ideale erfolgreiche Kommunikation sind, die in der tatsächlichen Kommunikationspraxis sowohl eingeschränkt, als auch verfehlt, mißachtet oder hintergangen werden können. Diese allgemeinen Bedingungen gelten generell, d.h. sie haben keinen Einfluß auf die Unterscheidung von Klassen sozialer Situationen. Wir nehmen - ohne den Anspruch auf theoretische Durcharbeitung - folgende allgemeine Bedingungen für kooperative (nichtstrategische) Interaktion an: beiderseitiges Interesse an der Lösung eines Problems, Respektierung der Persönlichkeit des Partners, Bereitschaft zu konstruktiven Beiträgen, Aufrichtigkeit, Einverständnis, daß die Kooperation nur im Einvernehmen beendet wird. Aufrichtige Mitteilungen setzen voraus, daß auch der Sprecher GLAUBT, daß p. Aufrichtige Aufforderungen, daß der Sprecher die Handlung, zu der er auffordert, für möglich hält und daß er sie positiv bewertet. Dies soll durch folgende Postulate ausgedrückt werden: S : WOLLEN(H : GLAUBEN(p))



S : WOLLEN(H : WOLLEN(p))



S:GLAUBEN(p) S:MÖGLICH(p) et S : GLAUBEN (POS(p))

Das Konstruktivitätspostulat setzt bei Mitteilungen voraus, daß der Sprecher annimmt, daß der Hörer in der Lage ist, den Mitteilungsgehalt zu verarbeiten und bei Aufforderungen, daß er annimmt, daß der Hörer die erwartete Handlung auszuführen in der Lage ist sowie daß der Sprecher Gründe dafür hat, die Ausführung der Handlung vom Hörer zu erwarten.

2.3.2. Konsens Das Akzeptieren des Ziels einer K-Intention setzt Konsens über das Erfülltsein oder die Erfüllbarkeit der Satisfaktionsbedingungen der entsprechenden intentionalen Zustände voraus. Je nachdem, ob die Erreichung von Konsens als problematisch, unproblematisch bzw. evident gilt, können folgende Subtypen von Mitteilungen unterschieden werden:

151

Illokutionstypen

Konsens problematisch:

Behauptungen, Bewertungsbehauptungen, Festlegungsbehauptungen.

Konsens unproblematisch:

Informationen, Bewertungsinformationen.

Konsens evident:

Konstatierungen.

Nach den gleichen Kriterien lassen sich auch problematische und unproblematische Aufforderungen unterscheiden. Generell gilt, daß problematische Mitteilungen oder Aufforderungen stützungsbedürftig sind. Wir gehen darauf noch ausführlicher ein. Der Konsens ist evident, wenn eine Mitteilung bereits akzeptiert wurde oder wenn sie aus allgemeingültigen Schlußschemata folgt.

2.3.3. Berücksichtigung einschlägiger Normen Das Ziel einer illokutiven Handlung kann aufgrund geltender sozialer Normen geboten, verboten oder freigestellt sein. So sind die Ziele von Festlegungen generell sozial geboten (deontisch notwendig). Aber auch Feststellungen können sozial geboten sein (vgl. etwa Melde- und Anzeigepflicht, Pflicht zur Angabe des Herstellungsdatums sowie bestimmter Ingredienzien). Sozial gebotene Wertungen sind z.B. Komplimente. Die Mitteilung bestimmter intentionaler Zustände kann verboten sein, d.h. sie sind unter Tabu gestellt. Beleidigungen sind Verletzungen von Wertungstabus. Mitteilungsziele, die weder geboten noch verboten sind, gelten als sozial freigestellt (deontisch möglich). Auch die Ziele von Aufforderungen können sozial geboten, verboten oder freigestellt sein. Gebote sind mit Befehlen, Weisungen, Anordnungen verbunden, Verbote mit Anstiftungen, Aufhetzungen und Freistellungen mit Bitten, Ratschlägen, Empfehlungen, Erlaubnisakten.

2.3.4. Berücksichtigung der individuellen bzw. sozialen Bedeutung (Motivation) Das Akzeptieren eines illokutiven Ziels hängt weiterhin von der Bedeutung oder dem Interesse ab, die bzw. das die Kommunikationspartner einem Mitteilungs- oder einem Aufforderungsziel zuordnen. So können Feststellungen eher eindringlich (Beschwören, Beeiden) oder eher beiläufig sein (Nebenbemerkung). Besonders wichtig ist dieser Aspekt bei Aufforderungen. Hier ist die Motivationsharmonie besonders zu berücksichtigen. Es ergibt sich u.a. folgende Untergliederung: S: hoher Wert / H: geringer Wert: Beschwören etwas zu tun, Anflehen. S: hoher oder normaler Wert / H: hoher oder normaler Wert: (dringend) raten.

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W. Mötsch

S: geringer Wert / H: hoher Wert: Zugeständnis, Erlaubnis mit Vorbehalt Die Motivation der Kommunikationspartner beinflußt die allgemeine Kommunikationsbereitschaft sowie den Grad der Sanktionen bei Unaufrichtigkeit, Normenverletzungen und Irrtümern.

2.3.5. Übernahme von Verpflichtungen Die Aufrichtigkeitsforderung verpflichtet den Sprecher dazu, die Wahrheit einer Feststellung anzunehmen. Falls die Feststellung eine zukünftige Handlung des Sprechers beinhaltet, hat er selbst die Realisierung dieser Handlung in der Hand. Es hängt nun von der individuellen oder sozialen Bedeutung dieser Handlung für die Verhaltensdispositionen des Hörers ab, welchen Verbindlichkeitsgrad die Verpflichtung zur Ausführung der vorausgesagten Handlung bekommt. Falls eine für den Hörer sehr hoch bewertete Handlung vorhergesagt wird, übernimmt der Sprecher eine verbindliche Verpflichtung, d.h. seine Feststellung wird als Versprechen gewertet. Wir gehen davon aus, daß sich dieser Zusammenhang zwischen Handlungsbewertungen und Verpflichtungen aus allgemeinen Kooperationsbedingungen herleiten läßt. Wie eine entsprechende Theorie zu formulieren wäre, muß hier offen bleiben. Auf ein weiteres Beispiel für die Übernahme einer Verpflichtung als Konsequenz von Kooperationsmaximen haben wir bereits hingewiesen. Wir haben Fragen als Problemmitteilungen gedeutet, die den Hörer zu einer Antwort verpflichten, falls er das Problem zu lösen in der Lage ist.

2.3.6. Soziale Rollen und Institutionen Einfluß auf die Akzeptanz der Ziele kommunikativer Handlungen haben ferner soziale Rollen und Institutionen. Neben Normen, aus denen sich Gebote und Verbote ergeben, legt auch dieser Rahmen wesentliche Beschränkungen für illokutive Handlungen fest. Wir deuten diesen Rahmen hier nur an: In der Schule unterrichtet der Lehrer, er gibt Aufgaben und Zensuren. Beim Militär erteilt der Vorgesetzte Instruktionen, er gibt Befehle und führt Ehrungen aus. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß Festlegungen grundsätzlich die soziale Kompetenz des Sprechers voraussetzen, bestimmte Typen von Sachverhalten verbindlich einzuführen. Diese Kompetenz ergibt sich in der Regel aus sozialen Rollen im Rahmen von Institutionen. 2.4. Zum Status von niokutionstypen Die hier nur andeutungsweise angeführten sozialen Aspekte kommunikativen oder illokutiven Handelns sind in ihrer prinzipiellen Form nicht für diesen Typ von Handlungen spezifisch. Sie gelten offensichtlich für jede Art von kooperativem Verhalten. Diese Feststellung hat wichtige Konsequenzen für unser Verständnis von Illokutionstypen. Illokutionstypen

ìllokutionstypen

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ergeben sich aus dem konzeptuellen System, speziell aus den Prinzipien für die Repräsentation intentionaler Zustände, aus dem System der Kenntnisse für kooperatives Verhalten und aus den Prinzipien für kommunikative Intentionen. Oder anders ausgedrückt, Typen von kommunikativen Zielen - oder ìllokutionstypen - ergeben sich aus den Prinzipien für intentionale Zustände und für kooperatives Handeln, die in K-Intentionen aufeinander bezogen werden. Kommunikative Handlungen schließen die Existenz von Zeichensystemen ein, deren optimaler Fall natürliche Sprachen sind. Sprachliche Ausdrücke sind zwar ein notwendiger Bestandteil illokutiver Handlungen, ihre spezifische sprachliche Form hat jedoch keinen Einfluß auf die Bestimmung von Illokutionen und ìllokutionstypen. Auf der anderen Seite stellen Illokutionen, die einem bestimmten Typ angehören, besondere Bedingungen an die Form sprachlicher Äußerungen. Wir gehen darauf noch ausführlicher ein. Aus den vorangehenden Überlegungen ergibt sich, daß ìllokutionstypen weder auf ein separates Kenntnissystem zurückgehen, noch als Konventionen betrachtet werden können. Letzteres hätte nur einen Sinn, wenn die Bildung von Klassen und Subklassen beschränkt wäre, d.h. wenn nur eine Auswahl der durch die Prinzipien determinierten Möglichkeiten anzunehmen wäre. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. Alle in Betracht gezogenen Klassifizierungsfaktoren kommen in allen überhaupt möglichen Fällen ins Spiel. Man kann deshalb lediglich annehmen, daß es routinehafte Konfigurationen von Merkmalen intentionaler Zustände und sozialer Situationen gibt, die besonders typischen und wichtigen und deshalb auch häufigen kommunikativen Zielen zugrundeliegen. Als eine plausible Begründung für die Annahme solcher salienter ìllokutionstypen bieten sich performative Verben und andere lexikalisierte performative Ausdrücke an. Die Bedeutung performativer Ausdrücke beschränkt sich jedoch nicht - wie vielfach festgestellt wurde - auf Eigenschaften, die der Klassifizierung von ìllokutionstypen zugrundeliegen. Ebenso kann man nicht davon ausgehen, daß für alle salienten ìllokutionstypen ein spezieller sprachlicher Ausdruck zur Verfügung steht (vgl. Harras 1994 und Winkler 1994).

3. niokutionstypen, sprachliche Äußerungen und Implikaturen 3.1. Zur Problemstellung Der Begriff Illokution wurde in den vorausgehenden Abschnitten ohne spezifische linguistische Kategorien definiert. Er setzt jedoch sprachliche Ausdrücke mit einer Äußerungsbedeutung voraus, die mit der K-Intention korrespondiert. Zu klären ist nun, wie die Abbildung von K-Intentionen auf sprachliche Äußerungen im Detail funktioniert. Diese Fragestellung umfaßt vor allem zwei Problemkreise: 1. Was ist unter Äußerungsbedeutung zu verstehen und was bedeutet 'die Repräsentation einer K-Intention korrespondiert mit einer Äußerungsbedeutung'? 2. Hat die Satzgrenze einen Einfluß auf die Abbildung, oder anders ausgedrückt, welche Rolle spielen Illokutionen bei der Gestaltung von Texten? Die Abbildung von sprachlichen Strukturen auf Illokutionen kann von zwei divergierenden Grundpositionen aus beschrieben werden, G-l und G-2.

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G-l:

Sprachliche Äußerungen enthalten spezielle sprachliche Kategorien, die die Zuordnung zu K-Intentionen und Illokutionstypen determinieren.

G-2:

K-Intentionen determinieren geignete sprachliche Äußerungen.

Die erste Grundposition wurde vor allem in zwei Versionen genauer ausgearbeitet. Beide Versionen sehen in den Satzmodi die für die Zuordnung von Illokutionen entscheidende sprachliche Kategorie. Die besonders von Motsch/Pasch (1987) und Pasch (1989; 1990) vertretene Version betrachtet Satzmodi als spezielle Kategorien der Satz- und der Äußerungssemantik, denen Grundtypen von Illokutionen zugeordnet werden (Deklarativ: Mitteilungen; Interrogativ: Fragen; Imperativ: Aufforderungen). Da Satzmodi nicht auf syntaktische Kategorien zurückgeführt werden, sondern Korrespondenzregeln angenommen werden, die Satzmodi mit Bündeln von grammatischen Eigenschaften in Bezug setzen, bilden Sätze zwar die oberste Grenze für die Abbildung sprachlicher Ausdrücke auf Illokutionen, jedoch nicht die einzige Option. Auch Satzkonstituenten, Parenthesen, elliptischen Äußerungen, Formeln können unter festgelegten Bedingungen Illokutionen zugeordnet werden. Eine zweite Version wird von Brandt, Rosengren, Zimmermann (1989) und Brandt, Reis, Rosengren, Zimmermann (1992) vertreten. Hier werden Satzmodi als Bedeutung von Satztypen aufgefaßt, die als syntaktische Kategorien analysiert werden. Auch in diesem Falle wird eine Zuordnung von Satzmodi zu Illokutionstypen angenommen. Deshalb bilden auch in dieser Version Sätze die oberste Grenze. Aus der unterschiedlichen Analyse der Satzmodi folgen jedoch starke Beschränkungen für die Zuordnung von Illokutionen zu sprachlichen Einheiten (vgl. ausführlicher Mötsch 1994a). Die zweite Grundposition wurde in klarer Form zuerst von Liedtke (1991) formuliert. Sie setzt eine strikte Trennung von sprachlichen Äußerungen und kommunikativen Intentionen voraus. Sprachlichen Äußerungen müssen keine K-Intentionen zugeordnet werden. Das ist durchaus kein konstruierter Fall, sondern die Situation, in der Sprache nicht-kommunikativ verwendet wird, etwa zur Speicherung von Informationen für den Eigenbedarf oder zur Unterstützung kognitiver Operationen eines Individuums. Wer G-l vertritt, muß die generell angelegte Zuordnung illokutiver Interpretationen in solchen Fällen blockieren, denn nach G-l wird einer sprachlichen Struktur mit festgelegten Eigenschaften eine illokutive Interpretation automatisch zugeordnet. G-2 geht dagegen von K-Intentionen aus, für die eine geeignete sprachliche Äußerung zu bestimmen ist. Sprachliche Äußerungen können jedoch in speziellen Fällen auch ohne K-Intentionen vollzogen werden. Die Ähnlichkeit mit der Grundsituation von Sprachproduktionsprozessen ist - darauf sei ausdrücklich hingewiesen - nur äußerlich. Die hier thematisierte Fragestellung betrachtet nur die Abbildung von Strukturen, die in verschiedenen Systemkonstellationen lizensiert werden. Es zeigt sich jedoch, daß die Interaktion separater Systeme und Systemkonstellationen nicht ohne jeden Einfluß auf die interne Struktur der Systeme ist. Die Sprachstruktur ist nicht völlig unberührt von den Funktionen sprachlicher Äußerungen in kommunikativen Situationen. Und das bedeutet, daß es sprachliche Ausdrücke gibt, die besonders geeignet sind für bestimmte Typen von K-Intentionen. Zu erwähnen sind besonders die Satzmodi, epistemische und voluntative Adverbien, Modalverben, Modalpartikeln und - nicht zuletzt performative Verben und andere performative Formeln. Es handelt sich hier um grammati-

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kalisierte bzw. lexikalisierte sprachliche Ausdrücke, die der Kennzeichnung kommunikativer Faktoren dienen. Satzmodi setzen ebenfalls intentionale Kategorien voraus, die jedoch nicht mit der Beschreibung der intentionalen Struktur von K-Intentionen zusammenfallen. Die Vertreter der klassischen Sprechakttheorie haben linguistisch inakzeptable Vorstellungen von der grammatischen und semantischen Struktur sprachlicher Äußerungen in Sprechakten. So nimmt Searle (1971) an, daß der Gliederung eines Sprechakts in illokutionäre Rolle und propositionaler Gehalt eine Gliederung in sprachliche Indikatoren für diese beiden Aspekte entspricht. Deshalb hält er es für möglich, Sprechaktprobleme als spezielle Bedeutungsfragen zu behandeln. Aus linguistischer Sicht läßt sich jedoch leicht zeigen, daß die innere Struktur der Grammatik und Semantik natürlicher Sprachen eine solche Gliederung nicht rechtfertigt. Sie kann deshalb nicht als legitime Lösung für die Beziehung zwischen einer Analyse von Sprechakten und einer linguistischen Analyse sprachlicher Äußerungen akzeptiert werden. Searle projiziert in unzulässiger Weise die Analyse von Sprechakten in die Sprachstruktur. Auch Austins Unterscheidung zwischen lokutionären und illokutionären Akten führt zu einem Dilemma - wie Liedtke (1991) gezeigt hat. Lokutionäre Akte sind nicht frei von Faktoren zu beschreiben, die illokutionären Akten zugrundeliegen. Auf der anderen Seite wird Austins Unterscheidung zwischen lokutionären und illokutionären Akten durch den hier aufgezeigten Weg auf andere Weise legitimiert.

3.2. Kriterien für die Eignung sprachlicher Äußerungen zum Ausdruck von K-Intentionen 3.2.1. Bedeutung sprachlicher Äußerungen und konversationeile Implikaturen Bei der Einführung des Begriffs K-Intention wurde die Satisfaktionsbedingung angeführt: 'die K-Intention muß auf der Grundlage der Äußerungsbedeutung sem-ä von u erkennbar sein'. Wir wollen im folgenden Abschnitt den Begriff Äußerungsbedeutung kurz erläutern, um uns dann der Frage zuwenden zu können, welche Kriterien und Prozesse die Erkennbarkeit sichern. Wir unterscheiden zwei Ebenen der konzeptuellen Struktur, die Ebene der Satzsemantik und die Ebene der Äußerungsbedeutung (vgl. Motsch/Pasch 1987). Die Satzsemantik interpretiert von der Grammatik lizensierte Sätze unabhängig von den spezifischen Eigenschaften des Verwendungskontextes. Sie kommt im wesentlichen durch Bedeutungsangaben der Lexikoneinträge und durch Prinzipien der Bildung semantischer Strukturen zustande, die mit syntaktischen Strukturen korrespondieren. Jede von der Grammatik einer Sprache als korrekter Satz spezifizierte Struktur hat 1 bis η Satzbedeutungen. Es handelt sich dabei jeweils um konstante Bedeutungen, d.h. um Bedeutungscharakterisierungen, die unabhängig von speziellen Kontexten mit der Äußerung des Satzes gelten. Auf der Ebene der Äußerungsbedeutungen wird die kontextneutrale Interpretation von Sätzen in Abhängigkeit von Eigenschaften der kommunikativen Situation oder des Kontextes spezifiziert oder modifiziert. Die interne Struktur der Ebene der Äußerungsbedeutung ist Gegenstand pragmatisch orientierter Bedeutungstheorien. Wir wollen hier nur ganz allgemein annehmen, daß es sich um ein Wissenssystem handelt, das für die spezifische Interpretation von Satzbedeutungen

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relevante Informationen der aktuellen Redesituation sowie des enzyklopädischen Wissens umfaßt und spezielle Mechanismen enthält, die auf diesen Informationen operieren. Man kann - nach bisherigen Vorschlägen - zwei Aspekte der Kontextinterpretation unterscheiden. Zunächst müssen Mehrdeutigkeiten, die die Satzsemantik als Optionen anbietet, durch die Wahl einer Lesart ausgeschlossen, und die in der Satzsemantik angelegten Parameter für die räumliche und zeitliche Referenz und Determination von Gegenstands- und Ereignisbeschreibungen fixiert werden. Diesen Aspekt wollen wir Referenzfixierung nennen. Der zweite Aspekt umfaßt - pauschal gesprochen - alle weiteren, für die aktuelle Interpretation relevanten Informationen des enzyklopädischen Wissens und des sprachlichen und außersprachlichen Äußerungskontextes. Wir verweisen in diesem Zusammenhang besonders auf Untersuchungen zu pragmatischen Präsuppositionen sowie zu konversationellen Implikaturen (vgl. Reis 1977 sowie Grice 1979b, Levinson 1983). Den zweiten Aspekt bezeichnen wir als Bestimmung der Äußerungsbedeutung (im weiteren Sinne). Auf zwei Implikationen dieses Ansatzes soll ausdrücklich hingewiesen werden. Zum einen kann die einem Satz zugeordnete Äußerungsbedeutung lediglich eine Spezifizierung von Variablen der Satzbedeutung bzw. eine lediglich additive Erweiterung der Satzbedeutung sein, oder sie kann eine erschlossene Information sein, wobei die Satzbedeutung in ein Schlußschema eingeht. Die Äußerungsbedeutung kann also eine spezifizierte oder eine uminterpretierte Satzbedeutung sein. Und zum anderen sehen wir in dem hier vorgeschlagenen theoretischen Rahmen keinen Grund dafür, das Interaktionswissen aus der Bestimmung der Äußerungsbedeutung auszuschließen. Wir müssen jedoch annehmen, daß dieses Wissen sowohl für die Subkategorisierung von Typen von K-Intentionen als auch für die Kontextinterpretation sprachlicher Äußerungen heranzuziehen ist. Wir nehmen also an, daß sem-ä im Idealfall die K-Intention einschließt. Diese Annahme ist schon deshalb sinnvoll, weil die Bedeutungen von Satzmodi, epistemischen und voluntativen Adverbien, Modalverben, Modalpartikeln und nicht zuletzt performativen Verben mehr oder weniger direkt Faktoren einschließen, die auch für die Klassifizierung von Illokutionstypen benötigt werden. Wir können nun sagen: Eine Äußerung u ist geeignet als Ausdruck einer K-Intention, wenn ihre Äußerungsbedeutung sem-ä die Repräsentation der K-Intention enthält. Das bedeutet aber nichts anderes als: Es muß ein sprachlicher Ausdruck gewählt werden, der in der gegebenen kommunikativen Situation auf der Grundlage des den Partnern gemeinsamen Wissens eine Äußerungsbedeutung mit den gewünschten Eigenschaften annehmen kann. Referenzfixierung, Bestimmung der Äußerungsbedeutung i.w.S. sowie Bestimmung der K-Intention rechtfertigen nicht die Annahme spezieller Subebenen innerhalb der Ebene der Äußerungsbedeutungen. Das geht aus folgenden Überlegungen hervor: Wir wollen den Begriff Ebene als ein System verstehen, das spezifische Einheiten und Operationen (Regeln) voraussetzt. Die Referenzfixierung setzt zwar bestimmte spezifizierungsbedürftige Variablen in Satzbedeutungen voraus, verlangt aber - wie andere Interpretationsschritte im Rahmen der Bestimmung der Äußerungsbedeutung - enzyklopädisches Wissen und konversationeile Implikaturen. Darauf hat besonders Levinson (erscheint) hingewiesen.

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Levinson diskutiert in diesem Zusammenhang ein Problem, das die Gricesche Unterscheidung zwischen dem Gesagten und dem Gemeinten aufwirft. Das Gemeinte soll im wesentlichen durch konversationelle Implikaturen aus dem Gesagten erschließbar sein. Das Gesagte schließt aber die Referenzfixierung ein, d.h. eben die Typen von Informationen und Operationen, die zur Charakterisierung des Gemeinten notwendig sind. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß sich diese Informationen und Operationen formal so unterscheiden lassen, daß jeweils besondere Typen von enzyklopädischem Wissen und Implikaturen für die Referenzfixierung bzw. für die Bestimmung der Äußerungsbedeutung i.w.S. in Anspruch genommen werden können. Die Bestimmung der Äußerungsbedeutung i.w.S. ist darüber hinaus nicht auf einen Typ von Bedeutungsrepräsentationen festgelegt. So können konversationelle Implikaturen sowohl auf Satzbedeutungen als auch auf referenzfixierten Bedeutungen operieren. Dieser Unterschied liegt der Trennung zwischen generalisierten und spezialisierten konversationellen Implikaturen zugrunde. Einige Beispiele sollen das verdeutlichen. (1)

(i) Der Kapitän war diesmal bei der Feier nicht betrunken, k-implikatiert: (ii) Er ist gewöhnlich bei Feiern betrunken.

(2)

(i) Der Chef trifft sich heute abend mit einer Frau, k-implikatiert: (ii) Die Frau ist nicht seine Ehefrau, Mutter oder Schwester.

(3)

(i) Vor der Gaststätte steht ein roter Golf. k-implikatiert: (ii) Petras Freund ist in der Gaststätte.

Während die Implikatur im ersten und zweiten Beispiel für beliebige Kapitäne und beliebige Feiern bzw. für beliebige Chefs und beliebige Frauen gilt, kommt sie im dritten Beispiel nur unter sehr speziellen Zusatzinformationen zustande. Wir können deshalb sagen, daß im ersten Fall die Satzbedeutung genügt, um die Implikatur auszulösen. Im zweiten Fall müssen dagegen besondere enzyklopädische Kenntnisse vorausgesetzt werden. So muß bekannt sein, daß eine bestimmte Person (Petras Freund) zum Zeitpunkt der Äußerung von (i) über einen roten Golf verfügt und daß er sich häufig in der Gaststätte, von der die Rede ist, aufhält. Daß die Implikaturen in (1) und (2) nicht Bestandteil der Satzbedeutung sind,

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muß ausführlicher begründet werden. Wir gehen auf dieses Problem hier nicht ein (vgl. dazu Grice 1979b). Auch die Bestimmung der K-Intention geht in die Bestimmung der Äußerungsbedeutung ein. Hier rechtfertigen nur die für K-Intentionen zuständigen Kenntnissysteme eine Hervorhebung von Aspekten. Es scheint keinen Grund für die Annahme zu geben, daß Implikaturen, die K-Intentionen bestimmen, Repräsentationen einer ganz bestimmten Ebene der Äußerungsbedeutung voraussetzen (vgl. dazu die Beispiele (4) und (5)). (4)

(i) Die Ampel ist rot. k-implikatiert: (ii) Halte an !

(5)

(i) Es ist bereits acht Uhr durch. k-implikatiert: (ii) Du mußt ins Bett gehen, (iii) Geh schlafen!

In Beispiel (4) kann folgende Situation angenommen werden: Der Fahrer eines Autos vermindert die Geschwindigkeit in Ampelnähe nicht. Ein Beifahrer hält es für möglich, daß der Fahrer die Ampel nicht beachtet hat. Er äußert (i) mit der K-Intention: Beifahrer:WOLLEN(Fahrer:WOLLEN(ANHALTEN (Fahrer,Auto))). Der Fahrer erschließt diese K-Intention, da er weiß, daß er halten muß, wenn die Ampel rot ist. In Beispiel (5) wollen wir folgende Situation annehmen: Der Sprecher der Äußerung (i) ist der Vater eines zehnjährigen Sohns, des Hörers. Der Sohn sitzt noch vor dem Fernseher. Es ist bereits nach 20 Uhr abends. Der Vater äußert (i) mit der K-Intention: Vater: WOLLEN(Sohn:WOLLEN(SCHLAFEN GEHEN(Sohn))). Er setzt die Kenntnis voraus, daß der Sohn aufgrund einer innerfamiliären Festlegung um 20 Uhr zu Bett gehen muß. Die Beispiele zeigen, daß die Bestimmung der Äußerungsbedeutung auch Implikaturen einschließt, die sich auf Wissen über K-Intentionen und speziell auch auf soziales Hintergrundwissen (Interaktionswissen ) beziehen. Die Beispiele (3) und (4) verdeutlichen ein weiteres Problem. Die Implikaturen sind in diesen Beispielen durch sprachliche Ausdrücke angegeben worden. Man muß sich jedoch klar machen, daß Implikaturen konzeptuelle Repräsentationen sind. Ihre Verbalisierung ist ein zusätzlicher Schritt, der eine Wahl aus einer Menge von Alternativen einschließt. Wie Beispiel (4) zeigt, kann die gleiche Implikatur sprachlich als Deklarativsatz mit dem Modalverb müssen oder als Imperativsatz ausgedrückt werden. Die hier angenommene Implikatur ist auch nicht von der speziellen Formulierung in (4)(i) abhängig. Jede andere Formulierung mit der gleichen Äußerungsbedeutung löst die Implikatur aus. Wir müssen deshalb davon ausgehen, daß Implikaturen auf konzeptuellen Repräsentationen operieren und Implikate

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selbst konzeptuelle Repräsentationen sind. Sie werden unter anderem durch Bedeutungen sprachlicher Äußerungen ausgelöst, sind aber im besonderen Fall auch mit sprachlichen Äußerungen verbunden, dann nämlich, wenn zwischen zwei sprachlichen Ausdrücken ein Begründungszusammenhang besteht (vgl. dazu Beispiel (6)). Auch Grice hebt die Unabtrennbarkeit als eine Eigenschaft von konversationeilen Implikaturen hervor, d.h. ihre Unabhängigkeit von spezifischen sprachlichen Formulierungen des Gesagten. Auf der anderen Seite sieht er jedoch in der Auslösung der Implikatur durch sprachliche Äußerungen und in der Nichtverbalisierung des Implikats wesentliche Merkmale für konversationeile Implikaturen (vgl. Grice 1979b:247f.). Die Operationen, die wir als Implikaturen bezeichnen, fallen nicht mit den Griceschen konversationellen Implikaturen zusammen. (6)

(i) Das Auto mußte halten, (ii) Die Ampel war rot.

In diesem Falle dienen Implikaturen zur Bestimmung von Textkohärenzen, d.h. sie fungieren als Mittel der Strukturbildung in Texten. Wir verweisen an dieser Stelle auf Untersuchungen zu argumentativen Textstrukturen (vgl. Klein 1987, Moilanen 1995, Mötsch 1995b). Fassen wir zusammen: Das Erkennen bzw. Zu-verstehen-Geben von K-Intentionen ist durch geeignete Äußerungsbedeutungen sprachlicher Ausdrücke möglich. Die Beziehung zwischen Satzbedeutungen und Äußerungsbedeutungen wird durch die Einbeziehung von enzyklopädischem Wissen und durch konversationelle Implikaturen vermittelt. Sie kann mehr oder weniger direkt sein, je nachdem, ob mehr oder weniger Implikaturen zwischengeschaltet sind. In unserem Beispiel (4) hätte der Vater seine K-Intention auch mit der Äußerung Geh jetzt ins Bett! zu verstehen geben können. Die Kenntnissysteme, die zur Spezifizierung und Klassifizierung von K-Intentionen und sozialen Situationen angenommen werden können, sind multifunktional, d.h. sie dienen nicht nur diesem Zweck, sondern auch der Bestimmung von Äußerungsbedeutungen und - was die Interaktionskenntnisse angeht - der Planung und Ausführung nichtsprachlicher sozialer Handlungen. Diese Analyse rechtfertigt nur die Unterscheidung von zwei Bedeutungsebenen, nämlich Satzbedeutung und Äußerungsbedeutung. Eine separate Ebene der illokutiven Bedeutung oder des kommunikativen Sinns, die wir früher im Anschluß an Bierwisch (1979) angenommen haben, ist nicht zu rechtfertigen.

3.2.2. Das sprachliche Format von Illokutionen In den vorangehenden Überlegungen wurde das genauere sprachliche Format eines Ausdrucks u mit der Äußerungsbedeutung sem-ä grundsätzlich von Bedingungen, die K-Intentionen stellen, abhängig gemacht. Aus innersprachlichen Gründen folgt, daß die kleinste sprachliche Einheit in jedem Falle eine selbständig äußerbare Einheit sein muß. Aber nicht jede selbständig äußerbare sprachliche Einheit kommt als Träger einer K-Intention in Frage. Inteqektionen und bestimmte Signale - besonders in mündlichen Texten - sind in der Regel keine Ausdrücke für K-Intentionen. Als Träger von K-Intentionen kommen selbständige Sätze, elliptische Ausdrücke und bestimmte formelhafte

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Ausdrücke in Frage. Wir wollen als gemeinsames Merkmal dieser Ausdrücke annehmen, daß sie grammatisch und satzsemantisch analysierbar sind. Eine grammatische und satzsemantische Begründung von situativen Ellipsen hat u.a. Schwabe (1988) vorgeschlagen. Formelhafte Ausdrücke sind durch Lexikalisierungsprozesse beschränkte grammatische Konstruktionen. Wir können nun festhalten: Eine Illokution muß mindestens einen selbständig äußerbaren grammatisch und satzsemantisch strukturierten sprachlichen Ausdruck enthalten. Es gilt jedoch nicht, daß jeder Ausdruck mit diesen Eigenschaften eine Illokution sein muß, d.h. Träger einer K-Intention. Die Komplexität der sprachlichen Gestalt von Illokutionen ergibt sich aus den Anforderungen, die K-Intentionen stellen, wobei die geltenden grammatischen, semantischen und eventuelle textstrukturelle Beschränkungen zu berücksichtigen sind. Illokutionen können also grammatisch und satzsemantisch determinierte Einheiten sowie textstrukturell legitimierte Kombinationen aus diesen Einheiten als Ausdruck u mit sem-ä verwenden. Die Komplexität von u hängt davon ab, wie explizit der Sprecher die zum Erkennen, Akzeptieren und Ausführen einer K-Intention vorausgesetzten Bedingungen in sem-ä reflektiert. Der hier entwickelte Vorschlag bezieht sich auf elementare Illokutionen, d.h. auf die kleinsten Einheiten der Kommunikation. Wie komplexe K-Intentionen zu beschreiben sind, deren sprachliche Form entsprechend strukturierte Texte sind, muß hier offen bleiben. Wir nehmen an, daß Kompositionsmuster für bestimmte Texttypen sowie die Struktur von Sprechertexten in Dialogen mit Strukturen von K-Intentionen verbunden sind.

3.2.3. Maximen der Formulierung sprachlicher Äußerungen Der Grundgedanke des vorgestellten Ansatzes besteht darin, daß eine Person, die eine K-Intention hat, eine zum Ausdruck der K-Intention geeignete sprachliche Äußerung zur Verfügung hat. Wir wollen nun annehmen, daß eine Äußerung zum Ausdruck einer K-Intention geeignet ist, wenn sie den Satisfaktionsbedingungen für K-Intentionen in der gegebenen kommunikativen Situation genügt. Das bedeutet insbesondere, sie muß die Verstehensbedingung, die Bedingungen der sozialen Situation und die Bedingungen der subjektiven Fähigkeit erfüllen. Im Anschluß an frühere Arbeiten verwenden wir die Termini Bedingungen des Verstehens, des Akzeptierens und Ausfährens. In sehr allgemeiner Form können wir nun sagen: Eine Äußerung u ist geeignet zum Ausdruck einer K-Intention, gdw.: Sie trägt den Bedingungen des Verstehens, Akzeptierens und Ausführens Rechnung. Den genannten Bedingungen Rechnung tragen kann als Befolgen von Formulierungsprinzipien beschrieben werden. In Anlehnung an Grice können den Verstehensbedingungen folgende Maximen zugeordnet werden:

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Maxime der Klarheit: Wähle einen Ausdruck, dessen Äußerungsbedeutung deine K-Intention möglichst direkt zum Ausdruck bringt! Untermaxime: Verwende nur leicht nachvollziehbare Implikaturen! Maxime der Prägnanz: Wähle einen Ausdruck, dessen Äußerungsbedeutung die K-Intention mit dem geringsten Aufwand zum Ausdruck bringt! (D.h. ohne semantische Weitschweifigkeit. Die Spezifizierung der Sachverhaltsrepäsentation ρ soll nur so differenziert sein, wie es die Identifikation von w erfordert.) Maxime der Relevanz: Berücksichtige die Anforderungen und Vorgaben des Kontextes, in den die Äußerung eingebettet ist! Maxime des gemeinsamen Wissens: Verwende nur Ausdrücke, bei denen du sicher bist, daß der Partner über das notwendige sprachliche und enzyklopädische Wissen verfügt, um die Äußerungsbedeutung rekonstruieren zu können! Untermaxime: Falls du Zweifel hast, wähle Techniken, die einen Rezeptionsprozeß auslösen, der die Rekonstruktion der geplanten Äußerungsbedeutung erleichert! In ähnlicher Weise können die Bedingungen für das Akzeptieren in Maximen gefaßt werden. Den allgemeinen Kooperationsbedingungen entsprechen u.a. folgende Maximen: Maxime der Aufrichtigkeit: Gib nur K-Intentionen zu verstehen, wenn du die Intentionen hast, die mit dem Zu-verstehen-Geben der jeweiligen K-Intention vorausgesetzt werden! Maxime der Höflichkeit: Berücksichtige die geltenden Höflichkeitsnormen! Maxime der Rücksichtnahme: Vermeide Äußerungen, die der Hörer als verletzend empfinden könnte! Maxime der Aufmerksamkeit: Wähle Äußerungen, die das Interesse des Hörers aufrechterhalten! Den spezielleren Bedingungen der sozialen Situation, die auch auf die Subklassifizierung von K-Intentionen Einfluß haben, entsprechen folgende Maximen: Maxime des Konsenses: Achte darauf, daß der Hörer die Satisfaktionsbedingungen für die K-Intention für erfüllt hält. Führe notfalls Gründe dafür an, weshalb sie nach deiner Auffassung erfüllt sind!

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Maxime der einschlägigen Normen: Berücksichtige die für die Erfüllung deiner K-Intention geltenden Gebote, Verbote und Freistellungen! Maxime der sozialen Bedeutung: Berücksichtige die individuelle und soziale Bedeutung der Gegenstände, Handlungen, Ereignisse und Zustände, auf die sich deine K-Intention bezieht! Maxime der Übernahme von Verpflichtungen: Gib zu verstehen, daß du bestimmte Verpflichtungen übernimmst, falls dies nicht selbstverständlich ist! Maxime der Berücksichtigung sozialer Rollen und Institutionen: Berücksichtige die sozialen und sprachlichen Besonderheiten, die mit sozialen Rollen und Institutionen verbunden sind! Auch die Bedingung der Ausführbarkeit kann mit einer Maxime verbunden werden. Wichtig ist, daß alle genannten Maximen - die wir weder für endgültig noch für vollständig halten - Einfluß auf die Gestaltung des sprachlichen Ausdrucks einer Illokution haben. Im Zweifelsfall kann der Sprecher den Erfolg seiner K-Intention durch Hinweise auf die mit den Maximen verbundenen kommunikativen Hintergründe sichern. Die Struktur des einer Illokution zugeordneten sprachlichen Komplexes kann auf dieser Grundlage in semantische, verstehensstützende, akzeptierensstützende und ausführensstützende Teilkomponenten untergliedert werden. Solche Komplexe haben wir in früheren Arbeiten als Illokutionsstrukturen bezeichnet. Dieser Terminus soll mit einer neuen Deutung beibehalten werden. Wir verstehen darunter nicht mehr Strukturen aus elementaren Illokutionen und bestimmten Arten von Relationen, sondern Strukturen aus selbständig äußerbaren sprachlichen Ausdrücken, die durch semantische Relationen sowie durch spezielle textstrukturelle Relationen beschrieben werden können (vgl. dazu ausführlicher Mötsch 1995b, Techtmeier 1995). Die in diesen Arbeiten vorgeschlagene Analyse läßt sich ohne Schwierigkeiten auf den hier vorgestellten Ansatz übertragen. Es sei darauf hingewiesen, daß dieser Ansatz den Begriff des indirekten Sprechakts nicht enthält. Indirekte Sprechakte setzen sprachlich determinierte direkte Sprechakte voraus. Da wir den Begriff der Illokution von K-Intentionen abhängig machen, werden die komplizierten linguistischen Probleme, die das Konzept der indirekten Sprechakte aufwarf, auf den Abstand zwischen Satzbedeutungen und Äußerungsbedeutungen, der anhand der eingeschlossenen Implikaturen gemessen werden kann, reduziert.

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Christoph Lumer

Implikaturen: Allgemeine Theorie und argumentationstheoretische Anwendung 1 1. Als Grundlage für die Theorie der Implikaturen wird zunächst eine sprechakttheoretische Terminologie entwickelt, die sich von der Austin-, Searleschen vor allem durch die Trennung von lokutionärem Modus und illokutionärer Rolle unterscheidet. Methoden zum Erkennen illokutionärer Akte werden dargestellt. 2. Im Hauptteil werden dann Implikaturen, d. h. indirekte illokutionäre Akte definiert, in ihrer Funktionsweise analysiert, und es werden Verfahren dargelegt, mit denen sie erkannt werden können. 3. Dieses Instrumentarium wird schließlich auf eine vergleichsweise einfach zu inteipretierende Klasse von Implikaturen, Implikaturen in Argumentationen, angewendet. Gründe für die Anwendung von Implikaturen in Argumentationen und daraus entstehende Fehlerquellen werden vorgestellt.

1. Sprechakttypen und ihre Realisierungsformen Das Ziel dieses Beitrags ist es, eine Theorie der Implikaturen zu skizzieren, die die Funktionsweise von Implikaturen erklärt und Methoden zum Erkennen von Implikaturen liefert (Teil 2). Diese Analyse und die Methoden sollen so genau sein, daß mit ihnen konkrete Interpretationsprobleme, speziell bei der Evaluation von Argumentationen gelöst werden können (Teil 3). Die Skizze meiner Theorie der Implikaturen setzt allerdings die Erläuterung meines sprechakttheoretischen Instrumentariums voraus (Teil 1). In den Definitionen und Einteilungen der verschiedenen Sprechakttypen liegt der Schlüssel für eine Interpretation von Implikaturen. Die von mir verwendeten Einteilungen und Definitionen der Sprechakttypen orientieren sich zu großen Teilen an der von Austin und Searle entwickelten Taxonomie, weichen aber doch gerade auch in für die Theorie der Implikaturen zentralen Punkten davon ab. Ich werde hier nur diese Abweichungen erläutern.2

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Ich danke Frank Liedtke für eine Reihe wertvoller Hinweise. Schon der Grundansatz bei der Einteilung der Sprechakttypen ist heftig umstritten. Einen Uberblick über die verschiedenen Theorien liefern: Grewendorf/Zaefferer 1991. Grewendorf und Zaefferer unterscheiden Ein-Ebenen-Theorien, die den Satzmodus und die Restbedeutung des Satzes auf einer Ebene ansiedelten, Zwei-Ebenen-Theorien, die für die Gesamtbedeutung des Satzes (inklusive Modus) und die Bedeutung des propositionalen Ausdrucks zwei verschiedene Ebenen annähmen, und Drei-Ebenen-Theorien, die bei dem, was über den propositionalen Ausdruck hinausgehe, noch einmal zwei Ebenen unterschieden (ibid. 276; 281; 285). Die von mir hier vertretene Theorie ist danach eine Drei-Ebenen-Theorie. Sie unterscheidet i. den propositionalen Ausdruck, ii. lokutionäre Akte und ihre Signifikation (mit Satzmodus) und iii. illokutionäre Akte (mit illokutionärer Rolle). Diese Theorie kann insbesondere Implikaturen gut erklären. Unten (Anm. 12) zeige ich in einer Kritik an Searle, warum Zwei-Ebenen-Theorien scheitern müssen und warum und wie zwischen lokutionärem Modus und illokutionärer Rolle unterschieden werden muß. - Meine Theorie teilt viele, vor allem kritische Überlegungen von Bierwischs Drei-Ebenen-Theorie (Bierwisch 1980). Sie unterscheidet sich von ihr aber u. a. in den positiven Teilen bei den Annahmen über die Bedeutung des Satzmodus, die Entstehung und den Sinn der kommunikativen Bedeutung, Illokution. Trotz großer Verdienste bleibt das Hauptmanko von Bierwischs Theorie das Fehlen eines handlungstheoretischen Ansatzes bei der Erklärung der Illokutionen.

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1.1. Lokutionäre Akte und Signifikationen "Lokutionäre Akte" nenne ich solche grammatikalisch und lexikalisch korrekten Satzäußerungen, die allein aufgrund der semantischen, syntaktischen und pragmatischen Verwendungsregeln der in ihnen vorkommenden Ausdrücke für mindestens einen Adressaten vollständig verständlich sind, die also einen rein konventionell realisierten Sinn darstellen, der sich allein aus der Äußerung ergibt.3 Diesen rein konventionell realisierten Sinn, den Inhalt der Äußerung, nenne ich die "Signifikation" (des lokutionären Aktes). Diese Signifikation ist eine Funktion des semantischen Sinns des geäußerten Satzes und der Äußerungssituation. (Bei der Äußerung situationsunabhängiger Sätze sind semantischer Sinn und Signifikation identisch.)4 Damit die Äußerung eines grammatikalisch und lexikalisch korrekten Satzes intersubjektiv verständlich ist, muß u. a. gelten: 1. Die Definitionsbereiche der in dem Satz verwendeten Prädikate sind lexikalisch korrekt ausgefüllt ("... ist ein Elefant" darf ζ. B. nur von Wahrnehmungsgegenständen, nicht aber etwa von Zahlen oder Prädikaten gesagt werden); 2. die Referenzen der in dem Satz verwendeten singulären Terme sind eindeutig; 3. der Satz hat einen eindeutigen Satzmodus, er ist ζ. B. aussagend (konstativ), fragend (interrogativ), auffordernd (invitativ) oder ausrufend (expressiv). Die theoretisch, nach ihren Sinnkomponenten trennbaren Bestandteile eines in einem lokutionären Akt geäußerten Satzes sind zum einen der propositionale Ausdruck und zum anderen der lokutionäre oder Satzmodus. Der propositionale Ausdruck gibt u. a. an, von welchen Gegenständen und von welchen ihrer Eigenschaften die Rede ist, und er verknüpft solche Prädikationen gegebenenfalls wahrheitsfunktional. Der propositionale Ausdruck gibt also (in Verbindung mit der Äußerungssituation) in den meisten Fällen Wahrheitsbedingungen an - Ausnahmen sind vor allem W-Fragen und fiktionale Texte. Der propositionale Ausdruck wird im Deutschen nicht als eigener Satzteil realisiert, von dem der Satzmodus als zweiter Satzteil abtrennbar wäre. Der Satzmodus besteht vielmehr in einer Modifikation des propositionalen Ausdrucks (s. u.). Näherungsweise sind Daß-Sätze bloße propositionale Ausdrücke. Diejenige Komponente der Signifikation eines lokutionären Aktes, die durch die Verwendung des propositionalen Ausdrucks in einer bestimmten Äußerungssituation realisiert wird, ist die Proposition. Propositionen sind diejenigen Entitäten, die eigentlich wahrheitsfahig sind.

Zu den hier gemeinten pragmatischen Verwendungsregeln gehört ζ. B., daß mehrdeutige Ausdrücke u. a. dann verwendet werden dürfen, wenn der gesamte Satz bei nur einer Interpretation des für sich genommen mehrdeutigen Ausdrucks semantisch und syntaktisch korrekt ist oder wenn ansonsten unklare Referenzen bei nur einer Interpretation des mehrdeutigen Ausdrucks eindeutig werden. Oder Kennzeichnungen dürfen unvollständig bleiben, wenn es in der Außerungssituation genau ein für Sprecher und Hörer erkennbar nächstliegendes - im wörtlichen oder übertragenen Sinn - Objekt gibt, das die Bedingungen der unvollständigen Kennzeichnung erfüllt. (Beispiel: "Die Linie 7 fährt zum Bahnhof. " Welcher Bahnhof, welche Linie 7?: der Bahnhof der Stadt, in der sich Sprecher und Hörer befinden; die Linie 7 der Nahverkehrsgesellschaft dieser Stadt.) Durch solche pragmatischen Regeln kann die Verständlichkeit eines lokutionären Aktes personenrelativ werden (ζ. B.: der Peter - den wir beide kennen). Deshalb wird in der Definition der "lokutionären Akte" auch nur die Verständlichkeit für mindestens einen Adressaten gefordert. - Wolfgang Mötsch danke ich für den Hinweis auf das zugrundeliegende Interpretationsproblem. In Lumer (1993) habe ich das, was ich hier "Signifikation" nenne, noch "semantischen Sinn" genannt, und das, was ich hier "semantischen Sinn" nenne, noch "lexikalischen Sinn". Die alte Sprechweise ist etwas irreführend, weil "semantischer Sinn" die bloße Zeichenbedeutung ohne die Außerungssituation konnotiert.

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Implikaturen: Theorie u. argumentationstheoret. Anwendung D e r lokutionäre

Modus

oder Satzmodus

eines lokutionären Aktes gibt an, was von der

Proposition ausgesagt wird, ζ. B. daß die Wahrheitsbedingungen als erfüllt beurteilt werden, daß dazu aufgefordert wird, sie zu erfüllen, oder daß danach gefragt wird, ob sie erfüllt sind. Der lokutionäre Modus darf nicht mit der illokutionären Rolle, d. h. einem speziellen Ausschnitt der Verwendungsabsicht, verwechselt werden - darauf g e h e ich unten noch ein. In Austins w i e in Searles Theorie bleiben die lokutionären Modi unberücksichtigt b z w . werden mit der illokutionären Rolle vermischt. 5 Im Deutschen gibt es fünf Satzmodi: 1. den urteilenden, den auffordernden

aussagenden oder konstativen 2. den fragenden oder invitativen, 4. den ausrufenden

oder interrogativen, 3.

oder expressiven und 5. den wün-

schenden

oder Optativen. Satzmodi werden im Deutschen durch die Satzform realisiert:

Stellung

des

Verbs,

Intonation

bzw.,

bei

schriftlicher Äußerung,

die

verschiedenen

Satzschlußzeichen, Ausrufe- oder Fragewörter, Verbmodus e t c . 6 D i e Einteilung in genau diese fünf Modi ist vermutlich nicht universell - allerdings gibt es starke praktische Gründe dafür, verschiedene Modi zur Verfügung zu haben, die in etwa den ersten vier Modi der deutschen Sprache entsprechen

7

-; aber es ist das rein konventionelle

Instrumentarium, das

die deutsche Sprache bietet.

5

6

7

Vgl. Austin 1979:112f. Kritik an Austins Vermischung von lokutionärem Modus und illokutionärer Rolle: Lumer 1990:99-102. - Searle bat ebenfalls Austins Abgrenzung von lokutionären und illokutionären Akten kritisiert, zieht aber den gegenteiligen, m. E. verhängnisvollen Schluß, die lokutionären Akte ganz aus seiner Taxonomie zu streichen (vgl. Searle 1971a) - statt sie klarer von den illokutionären Akten abzugrenzen. Ausführlichere Kritik an Searle s. u., Anm. 12. - Auch Grewendorf und Zaefferer (1991: 270; 284) vermischen in ihrem Zwei-Ebenen-Ansatz den Satzmodus und die illokutionäre Rolle, wenn sie meinen, die illokutionäre Rolle sei der mit dem Satzmodus korrelierte Funktionstyp. Vielmehr gibt es i.a den Satzmodusindikator (im Deutschen: die Satzform), i.b dessen Bedeutung (den Satzmodus) und ii. die illokutionäre Rolle. Die Kritik an Searle trifft auch Grewendorf und Zaefferer. Genauere Darstellung dieser Satzformen z. B. bei: Helbig/Buscha 1984:610-617. - Die Dudengrammatik etwa hat demgegenüber Schwierigkeiten mit der Unterscheidung von lokutionärem Modus und illokutionärer Rolle: "Die Unterscheidung der Satzarten ist nicht unproblematisch, weil sie die oben getroffene Unterscheidung von Satz und Äußerung z. T. unterläuft: Satzarten werden teilweise über Charakteristika von Äußerungen bestimmt. [...] Man kann nicht nur mit einem "Aufforderungssatz" auffordern, sondern auch mit einem "Aussagesatz" und einem "Fragesatz" [...]." (Drosdowski 1984:561.) Warum die Anführungszeichen? 'Aussagesatz' z. B. ist eine rein grammatische Kategorie. Ein Aussagesatz bleibt ein Aussagesatz, auch wenn er für eine Aufforderung verwendet wird; ein Fahrrad bleibt ein Fahrrad, auch wenn es z. B. in eine entsprechende Vorrichtung eingespannt und nur zu FitneBzwecken verwendet wird. Die verschiedenen Satzarten werden in der Dudengrammatik Hann auch im wesentlichen nur durch ihre Funktion unterschieden und nur andeutungsweise formal beschrieben, nicht annähernd genügend genau, um sie aufgrund dieser Beschreibung an ihrer Form erkennen zu können (vgl. ibid. 560f). Schließlich ist die Satzklassifikation in der Dudengrammatik verwirrend: Ausrufesätze werden dort zwar von Aussagesätzen unterschieden, Hann aber doch den Aussagesätzen zugeordnet ("Der Aussagesatz [...] Im weiteren Sinn gehört hierher auch der Ausrufesatz." (ibid. 560)); ebenso werden Wunsch- und Aufforderungssätze zwar differenziert, Hann aber doch zu einem Satztyp zusammengefaßt: "Der Wunschund Auffordeningssatz" (ibid. 560 f.). Naheliegende Reformen des deutschen Modusgefiiges wären etwa: Auf die Wunschsätze könnte man völlig verzichten und dasselbe mit Expressive ausdrücken: "Wie sehr ich mir doch wünsche, ...!", "Wie schön es doch wäre, wenn ...!" Recht schaffende Sprechakte sind im Deutschen meist konstative Illokutionen - z. B.: "Wer ..., der wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft." - ihre besondere Funktion wird dadurch nicht ganz deutlich. Imperativsätze können konsiliativ oder befehlend gemeint sein; sie werden also für recht unterschiedliche Zwecke verwendet. Da befehlend verwendete Imperative aber in einem weiten Sinne auch Recht schaffen, könnte für sie und die i. e. S. Recht schaffenden Sprechakte ein eigener, präskriptiver Modus eingeführt werden, so daß die Imperativsätze dann einen rein konsiliativen Modus

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Satzmodus und Proposition zusammen machen also die (explizite) Signifikation des lokutionären Aktes aus. Die Signifikation eines konstativen lokutionären Aktes nenne ich ein "Urteil". Die Signifikation eines interrogativen Aktes ist eine Frage (ob p). Die anderen Signifikationen nenne ich entsprechend "Aufforderung (zu p)", "Ausruf und "Wunsch". Lokutionäre Akte werden unter Erwähnung des lokutionären Modus so dargestellt: s macht zur Zeit t die Aussage / sagt zu t aus / äußert zu t das Urteil, daß p; s fragt zu t / stellt zu t die Frage, ob p; usw.

1.2. ülokutionäre Akte und praktische Bedeutungen Die nächsthöhere Beschreibungsebene über der der lokutionären Akte ist die der illokutionären Akte. Auf dieser Beschreibungsebene werden Sprechhandlungen vor allem nach den unmittelbaren hörerbezogenen Absichten des Sprechers klassifiziert: Ein illokutionärer Akt ist ein lokutionärer Akt, der 1. bestimmte Vorbedingungen erfüllt, 2. vom Handelnden mit einer spezifischen hörerbezogenen Absicht, der illokutionären Absicht, vollzogen wird (diese illokutionäre Absicht besteht wieder aus 2.1. bestimmten Situationsannahmen und -bewertungen, 2.2. hörerbezogenen Zielvorstellungen und 2.3. Mittelüberlegungen), 3. der in einem minimalen Sinn erfolgreich, nämlich in seiner illokutionären Absicht (s. 2.) verständlich ist und 4. dessen Signifikation informativ ist bezüglich der illokutionären Absicht (eine veränderte Signifikation würde eine entsprechend veränderte Absicht ausdrücken). Illokutionen, d. h. Typen von illokutionären Akten sind ζ. B.: Behauptungen, Feststellungen, Empfehlungen, Bitten, Fragen, Flüche, Versprechen, Ernennungen. Ich habe etwa 270 deutsche Ausdrücke für verschiedene Illokutionstypen gefunden; lokutionäre Modi hingegen gibt es im Deutschen nur fünf. Illokutionäre Akte werden vollständig so beschrieben: s behauptet zu t, daß p; s ordnet zu t an, daß p; usw. In diesen Beschreibungen werden also Sprecher, Zeitpunkt der Äußerung, die illokutionäre Rolle (d. h. die Art der Vorbedingungen, Absichten und Effizienz) und in der Regel eine bestimmte (illokutionäre) Signifikation angegeben. Diese illokutionäre Signifikation ist meist mit der (expliziten) Signifikation des zugehörigen lokutionären Aktes identisch; bei Implikaturen weicht sie davon ab. Die einer Handlung zugrundeliegenden Absichten nenne ich die "praktische Bedeutung der Handlung"·, die illokutionäre Absicht ist ein Teil der Gesamtabsicht, also ein Teil der praktischen Bedeutung. Zur praktischen Bedeutung illokutionärer Akte gehört u. a., daß mit ihnen eine bestimmte Signifikation realisiert werden soll.

1.3. Behauptungen, ein spezieller Typ illokutionärer Akte Um die vage Definition der "illokutionären Akte" etwas verständlicher zu machen, möchte ich als Beispiel den Behauptungsbegriff definieren:

ausdrückten. - Dies sind selbstverständlich nur spielerische Überlegungen, die zeigen sollen, daß die Unterscheidung und der Zuschnitt von Modi ein technisches Problem ist, das in aktuell existierenden Sprachen nicht optimal gelöst sein muß.

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behaupten: Der Sprecher s behauptet zur Zeit t gegenüber dem Hörer h, daß ρ (oder: s behauptet zu t gegenüber h das Urteil 'p. ' 8 ) : = BO: Lokutionürer Akt: s führt zu t gegenüber h einen lokutionären Akt aus; dieser lokutionäre Akt heiße "a" und habe die Signifikation 'q*', mit "*" als Variable für den lokutionären Modus. Und: Bl: Vorbedingungen: Daß p, ist bisher nicht bewiesen und kann auch nicht problemlos erkannt werden; ρ ist kein aktueller innerer Zustand von h. Und: B2: Absichten: 1. Situationsannahmen: s hält zu t mindestens für wahrscheinlich, daß h nicht glaubt, daß p, oder daß h sogar bestreitet, daß p, oder daß h bislang nicht glaubt, daß s glaubt, daß p; 2. Zielvorstellung: s will h mittels a glauben machen, daß p, bzw. mindestens (falls h schon glaubt, daß p, oder nicht glauben will, daß p) h glauben machen, s glaube, daß p; 3. Mittelannahme: s glaubt zu t, mittels a sein Ziel wahrscheinlich erreichen zu können. Und: B3: Effektivität, Verständlichkeit: 1. Mit i. den von s angenommenen Glaubensinhalten von h und ii. der Tatsache, daß a, und iii. der Annahme, daß s bei der Ausführung von a normenkonform ist (d. h. hier: daß s aufrichtig ist, also selbst ziemlich sicher glaubt, was er sagt), kann ausreichend zwingend begründet werden, daß s glaubt, daß p; 2. ohne (l.ii) funktioniert diese Begründung nicht; 3. von s' Annahmen über die Glaubensinhalte von h (s. (l.i)) müssen diejenigen über die relevanten (d. h. hier: für die Begründung benötigten) sprachlichen Konventionen von h wahr sein (Verständlichkeit für h), oder diese relevanten dem h unterstellten Konventionen müssen mit den Konventionen einer Sprechergemeinschaft übereinstimmen (Allgemeinverständlichkeit); und s' sonstige relevante Annahmen über die Glaubensinhalte von h müssen wahr sein. Und: B4: Informativität: Die Signifikation des lokutionären Aktes ist informativ mit Bezug auf 'p. ' : Gewisse Komponenten von 'q*' (Individuen-, Prädikatkonstanten oder ganze Propositionen) kommen in 'p. ' wieder vor; und wenn für diese Komponenten etwas anderes eingesetzt werden würde, hätte auch die Behauptung eine entsprechend geänderte Signifikation. BV: Verwendungsnorm: Man darf nur dann behaupten, daß p, wenn man ziemlich sicher glaubt, daß ρ (Aufrichtigkeit); besser noch: wenn man eine subjektive Begründung für ρ hat (Zuverlässigkeit). Die Bedingung B3 ist reichlich kompliziert gefaßt, um folgende Probleme zu berücksichtigen: 1. Behauptungen müssen durch einen gewissen Erfolg über bloße Behauptungsversuche hinausgehen. Der notwendige Erfolg liegt aber nicht darin, daß die Behauptung verstanden wird - dies wäre einfacher zu definieren -, sondern darin, daß sie verständlich ist; denn eine Behauptung bleibt eine Behauptung, auch wenn h taub oder der verwendeten Sprache nicht kundig ist. Und umgekehrt kann ein Behauptungsversuch unverständlich sein und scheitern, obwohl der Hörer erkennt, was der Sprecher sagen wollte - etwa wenn ein Kind bestimmte Wörter verwechselt, der Hörer aber um diese Verwechslungstendenz weiß. In diesem Fall Der Punkt in " 'p. ' " soll den konstativen Modus ausdrücken; als Zeichen für den interrogativen und invitativen Modus verwende ich analog das Frage- bzw. Ausrufezeichen; beim Expressiv und Optativ muß man sich anders behelfen.

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liegt nur ein Behauptungsversuch und keine echte Behauptung vor. Und der Hörer hat die beabsichtigte Behauptung nur deshalb ermitteln können, weil er auf mehr als das unter B3.1 aufgelistete Wissen zurückgegriffen hat - in dem Beispiel u. a. auf das Wissen um die Verwechslungstendenz. - 2. Die Verständlichkeit kann einerseits nur mit Rekurs auf Konventionen definiert werden; andererseits gibt es aber auch sehr unkonventionelle Arten, etwas zu behaupten, ζ. B. hörerbezogene Behauptungen, bei denen man auf hörerspezifische Spracheigentümlichkeiten eingeht oder indirekte Behauptungen, etwa rhetorische Fragen. Insbesondere bei den in diesem Artikel zu untersuchenden indirekten Behauptungen ist die (illokutionäre) Signifikation 'p.' der Behauptung nicht identisch mit der expliziten Signifikation 'q*' des lokutionären Aktes, durch den die Behauptung realisiert wird. Man darf also "behaupten, daß p" nicht einfach definieren als: "einen lokutionären Akt mit der Signifikation 'p.' ausführen und damit die Absicht ... verfolgen." Die unkonventionellen Behauptungsarten können auch nicht abschließend aufgezählt werden, weil immer wieder neue erfunden werden mögen. Deshalb muß nur das, was der Hörer glauben soll, aus den genannten drei Annahmen erschlossen werden können. - 3. Das, was der Hörer glauben soll, ist normalerweise nicht: daß der Sprecher die Absicht hat, den Hörer glauben zu machen, der Sprecher glaube, daß ρ - denn über die Absichten des Sprechers machen wir uns beim einfachen illokutionären Verstehen überhaupt keine Gedanken -, sondern nur mindestens: daß der Sprecher glaubt, daß p. 9 - 4. Der Sprecher muß auch nicht tatsächlich glauben, daß p; denn eine Behauptung bleibt auch dann eine Behauptung, wenn der Hörer sie als Lüge durchschaut. Es muß nur gelten, daß der Hörer dann, wenn er sich darauf verläßt, daß der Sprecher nicht lügt, aus dem Gesagten und dem ihm ansonsten unterstellten Wissen, hätte schließen können müssen, daß der Sprecher glaubt, daß p. So gehört die Verwendungsnorm BV zwar zur Bedeutung von "Behauptung", sie muß im konkreten Fall aber nicht erfüllt sein. Der Grund für die Bedingung B4 (Informativität) ist: Illokutionäre Akte erfordern eine propositionale Ausdifferenzierung ihrer Signifikation, die auf die explizite Signifikation der Äußerung zurückgeht und mit ihr korreliert. Die Äußerung darf mit Bezug auf die Realisierung der illokutionären Absicht nicht lediglich Signalcharakter haben. Beispielsweise könnte jemand einen wunderbar formulierten Satz äußern und damit die Absicht verfolgen, den Hörer glauben zu machen, der Sprecher sei eloquent. Dies wäre aber keine indirekte Behauptung, daß der Sprecher eloquent ist, selbst wenn alle anderen Bedingungen für eine Behauptung erfüllt wären. Die Signifikation des lokutionären Aktes hätte mit der (vermeintlichen) Behauptung "zu wenig zu tun", jene wäre nicht hinreichend informativ genug, damit der Sprechakt als entsprechende Behauptung gelten könnte. Die Bedingung B4 soll nun die Informativität der expliziten Signifikation garantieren, ohne aber die Identität von lokutionärer und illokutionärer Signifikation zu fordern.

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Diese Behauptung widerspricht der Griceschen Idee (1979:10) und den darauf aufbauenden Theorien (ζ. B. Meggle 1981:24; 207f.). Die Gricesche Idee unterstellt Sprechern viel mehr an Überlegungen, als diese normalerweise tatsächlich vollziehen und als erforderlich ist, um ihr primäres Ziel (daB der Hörer glaubt, daß p, oder daß er glaubt, der Sprecher glaube, daß p) zu erreichen. Dies zeige ich in an einem Beispiel in: Lumer 1992:89-92.

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1.4. Der Zusammenhang zwischen lokutionären und illokutionären Akten - Standardoutputs der Satzmodi Lokutionäre Akte und ihre explizite Signifikation werden per definitionem rein konventionell realisiert und sind deshalb allein aufgrund ihrer Äußerung und der lexikalischen, grammatikalischen und pragmatischen Regeln zu erkennen. Illokutionäre Akte sind jedoch wesentlich über Sprecherabsiebten definiert, die nun nicht rein konventionell umgesetzt werden müssen. Wie wird also mittels eines lokutionären ein bestimmter illokutionärer Akt vollzogen, und woran erkennen wir, welcher illokutionäre Akt mit einer bestimmten Äußerung vollzogen wird? Absichten können mit Hilfe erklärender Interpretationen ermittelt werden. Bei diesem Verfahren werden alternative hypothetische Erklärungen des Sprechakts entwickelt, aus welchen Absichten heraus der Sprecher seine Handlung vollzogen haben könnte; anschließend werden die Wahrscheinlichkeiten dieser hypothetischen Erklärungen gegeneinander abgewogen. 10 Dies ist jedoch zum einen ein äußerst aufwendiges Verfahren; zum anderen würde eine Interpretation von Sprechhandlungen an der Fülle der möglichen Deutungsalternativen scheitern, wenn es nicht doch konventionelle Verbindungen zwischen Absichten und Äußerungen gäbe. Der Ausgangspunkt beim Erkennen des illokutionären Akttyps sind also doch Konventionen. Die verschiedenen Lokutionstyp&n, insbesondere die lokutionären Modi, sind mit der Realisierung ganz bestimmter hörerbezogener Outputs eng verbunden; vermutlich wurden sie ursprünglich ausschließlich und heute werden sie noch in den meisten Fällen (aber eben nicht immer - daher rühren ja die Komplikationen!) zur Realisierung dieser Outputs verwendet. Sie sind eigentlich Instrumente zur Realisierung eines bestimmten Zwecks; diesen Zweck nenne ich "Standardoutput". Wie die meisten Instrumente können aber auch Lokutionen zweckentfremdet werden. 1. Der Standardoutput konstativer lokutionärer Akte ist, daß der Hörer glaubt und ihm aktuell bewußt ist, daß p, bzw. im Unglücksfall nur, daß der Hörer glaubt, der Sprecher glaube, daß p. 2. Der Standardoutput interrogativer lokutionärer Akte ist, daß der Hörer glaubt, (i) der Sprecher wisse nicht, ob ρ bzw. wie die unvollständige Proposition wahrheitsgemäß zu vervollständigen ist, und (ii) der Sprecher wünsche, bitte darum, daß der Hörer ihn darüber informiere. 3. Der Standardoutput der Invitative ist, a) bei Empfehlungen: daß der Hörer glaubt, wie in ρ beschrieben zu handeln sei optimal für den Hörer, oder (bei weniger Vertrauen zum Sprecher) der Sprecher glaube, wie in ρ beschrieben zu handeln sei optimal für den Hörer, bzw. b) bei Befehlen: daß der Hörer glaubt, wie in ρ beschrieben zu handeln sei seine Pflicht, usw. Diese Standardoutputs sind so wichtig, daß es zu ihrer Realisierung konventionelle Mittel, eben eigene lokutionäre Modi gibt. Alle lllokutionstypen haben nun u. a. die Realisierung genau eines dieser fünf Standardoutputs zum Ziel; sie lassen sich deshalb immer einem Lokutionstyp zuordnen. Die verschiedenen Illokutionstypen, die grob den gleichen Standardoutput haben und demselben Lokutionstyp zugeordnet werden können, unterscheiden sich dann in ihren sonstigen Merkmalen. Behauptungen und Feststellungen beispielsweise haben beide den konstativen Standardoutput zum Ziel (daß der Hörer glaubt und ihm aktuell bewußt ist, daß p, bzw. daß 10

Exakte Kriterien für dieses Verfahren und Vereinfachungsmöglichkeiten: Lumer 1990:224-246. Anwendung auf Sprechaktinterpretationen im allgemeinen und ein ausführlich diskutiertes Beispiel: Lumer 1992.

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der Hörer glaubt, der Sprecher glaube, daß p); Behauptungen und Feststellungen unterscheiden sich aber u. a. darin, daß ρ bei Behauptungen bisher nicht bewiesen ist und auch nicht problemlos erkannt werden kann, während ρ bei Feststellungen für den Sprecher problemlos erkennbar sein muß. Die Zuordnung der (mindestens 270) Illokutionstypen zu den fünf lokutionären Modi erfolgt dann danach, welchen lokutionären Standardoutput die Illokutionen realisieren sollen und durch welchen lokutionären Modus sie typischerweise, aber bei weitem nicht immer realisiert werden. 1. Konstative Illokutionen sind ζ. B. : behaupten, feststellen, beurteilen, beschreiben, einordnen, diagnostizieren, für etwas erklären, so und so bewerten, ,..; 1 1 2. interrogative Illokutionen sind etwa: fragen, quästionieren, verhören, ...; 3. invitative Illokutionen sind u. a.: befehlen, bestimmen, anweisen, verbieten, zu etwas raten, warnen, an jemanden verweisen, ...; usw. Lokutionäre Akte sind also Instrumente, die für einen bestimmten Standardoutput konzipiert sind; und meistens werden sie auch in der Absicht geäußert, diesen Output zu realisieren. Wenn man ausschließt, daß dieses Instrument gerade zweckentfremdet verwendet wird - und dies tun wir implizit, wenn uns nichts besonderes an dem Sprechakt auffällt, - und dieser Ausschluß berechtigt ist, dann ist die jeweils realisierte Illokution relativ leicht zu erkennen: Aus der funktionsgerechten Verwendung des lokutionären Aktes ergibt sich - wenigstens ungefähr - schon ein großer Teil der illokutionären Absicht des Sprechers: Durch die Satzäußerung ist zum einen die Proposition festgelegt; und durch den Satzmodus ist auch die Klasse, aus der der Illokutionstyp stammen muß, festgelegt. Innerhalb dieser Klasse ist der aktuell vorliegende Illokutionstyp dann an dessen weiteren - meist nicht semantischen - definitorischen Merkmalen zu erkennen, wie ζ. B. Bekanntheit des Inhalts für den Hörer, Wichtigkeit für den Sprecher, Intensität der Ausdrucksweise u. ä. So unterscheiden sich die beiden konstativen Illokutionstypen 'Behaupten' und 'Feststellen' ja u. a. dadurch, daß ρ bei Behauptungen bisher nicht bewiesen ist und auch nicht problemlos erkannt werden kann, während ρ bei Feststellungen zumindest für den Sprecher problemlos erkennbar ist. Die noch fehlenden zwei Spezifikationen eines illokutionären Aktes, Sprecher und Zeitpunkt, vorzunehmen, ist für den jeweiligen Hörer meist trivial. 12 11

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Die i. w. S. Recht schaffenden Illokutionen, wie begnadigen, zu etwas verurteilen, dekretieren, sich verpflichten, schenken, Einspruch erheben etc., werden meist durch Aussagesätze realisiert, in denen entweder der neue Rechtszustand beschrieben wird - der aber erst durch diesen Sprechakt erzeugt wird - (ζ. B.: "Landesbedienstete sind gehalten ...") oder in denen der Rechtsakt selbst beschrieben wird (ζ. B.: "Der Angeklagte wird (hiermit) zu ... verurteilt."). Insofern können diese Illokutionen also den konstativen Illokutionen zugerechnet werden. Andererseits haben sie durch ihre Recht schaffende Funktion aber doch eine gewisse Sonderstellung (s. o., Anm. 5) - weshalb ich sie früher (Lumer 1990:94) als eigene Klasse behandelt habe. Manche von ihnen liegen den befehlenden Invitativen nahe, ζ. B. anweisen und untersagen. Die Unterscheidung zwischen lokutionären und illokutionären Akten ist nun so weit fortgeschritten, daß exemplarisch eine Zwei-Ebenen-Theorie (s. o., Anm. 1), die diese Unterscheidung nicht trifft, kritisiert werden kann, die von Searle. Als Ergebnis seiner Austinkritik konzipiert Searle die Satzstruktur als Kombination von Propositionsausdnick und Indikator der illokutionären Rolle (Searle 1971a: 273). Der Satzmodus ist für ihn solch ein Indikator der illokutionären Rolle. - Dieser Konzeption fehlt ein Begriff für den rein konventionell realisierten Sinn (bei mir: die Signifikation) und die entsprechende Handlung (bei mir: der lokutionäre Akt). Und ihr Illokutionsbegriff ist handlungstheoretisch unterbelichtet: Die illokutionäre Rolle wird immer noch als der Sinn eines besonderen Zeichens aufgefaßt und nicht als Beschreibungskategorie, die auch Sprecherafesichten umfaßt. Im einzelnen ergeben sich dadurch folgende Probleme:

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2. Implikaturen 2.1. Direkte und indirekte illokutionäre Akte Illokutionäre Akte haben immer eine (illokutionäre) Signifikation (s. ο., 1.2.). Sie besteht aus dem zu dieser illokutionären Rolle gehörigen lokutionären Modus und einer Proposition. Normalerweise, bei zweckgerechter Verwendung des jeweiligen lokutionären Aktes ist die illokutionäre Signifikation mit der (expliziten) Signifikation des lokutionären Aktes identisch. In diesem Fall ist der illokutionäre Akt direkt realisiert, es ist ein direkter illokutionärer Akt. Entsprechend ist ein illokutionärer Akt indirekt realisiert und es liegt eine Implikatur vor, wenn die illokutionäre Signifikation nicht mit der expliziten Signifikation des lokutionären Aktes, durch den der illokutionäre Akt realisiert wird, übereinstimmt. In diesem Fall hat die Äußerung neben der expliziten Signifikation des lokutionären noch eine implizite Signifikation des illokutionären Aktes. Implizite Signifikationen können immer auch direkt durch Lokationen mit der entsprechenden expliziten Signifikation ausgedrückt werden. Beispiel: indirekte Behauptung (mittels rhetorischer Frage): "Wer wollte bestreiten, daß es gestern regnete?"; explizite Signifikation: Frage, wer bestreiten will, daß es gestern regnete; implizite Signifikation: Urteil, daß es gestern regnete; direkte Behauptung dieser impliziten Signifikation: "Gestern regnete es." Lokutionäre Akte können auf zwei Weisen indirekte illokutionäre Akte realisieren: 1. Im einen Fall wird die Lokution multifiinktional verwendet; mit ihr wird zum einen ein direkter und außerdem ein indirekter illokutionärer Akt realisiert; den indirekten illokutionären Akt 1. Wenn die illokutionäre Rolle nur die Bedeutung eines besonderen Zeichens wäre, müßte es auch entsprechende Zeichen geben. Es gibt im Deutschen aber nur fünf Satzmodi, hingegen mindestens 270 Ausdrücke für verschiedene Illokutionstypen. Man könnte versuchen, die Zahl der Indikatoren der illokutionären Rolle durch die Einleitungsformeln der expliziten Performative aufzustocken: "Hiermit verspreche ich ... Zum einen enthalten aber die allermeisten Sätze nicht solche Ergänzungen; zum anderen sind diese Formeln schon Teil des propositionalen Ausdrucks, sie können negiert, mit anderen indexikalischen Ausdrücken versehen werden etc. 2. Man könnte versuchen, in einer perfekten Sprache auch 270 Satzmodi einzuführen. Dies wäre aber unsinnig: a) Viele Sprechakte erfüllen mehrere illokutionäre Rollen; man müßte also eine Kettung von mehreren Satzmodi in einem Satz zulassen - analog zu: "Hiermit diagnostiziere ich, stelle ich fest, informiere ich Sie ...: Sie haben die Masern." b) Die Bedingungen für einzelne illokutionäre Rollen umfassen auch Charakteristika der Proposition oder der Situation (s. o., Bl, die Vorbedingung für Behauptungen); es wäre überflüssig, das Erfülltsein dieser Bedingungen noch einmal im Indikator der illokutionären Rolle anzuzeigen. 3. Vor allem aber umfassen die Bedingungen für einzelne illokutionäre Rollen auch Charakteristika der Absichten (s. ο., B2, die Absichten bei Behauptungen), während der Satzmodus allein der Äußerung anhaftet. Ein Papagei kann ein bestimmtes Urteil äußern; und ich kann ein bestimmtes Urteil äußern, ohne dies beabsichtigt zu haben (etwa weil ich mich versprochen habe). Beides ist bei Behauptungen im strengen Sinne nicht möglich, a) Man kann das gleiche mit verschiedenen Absichten äußern; Äußerung und Absicht müssen also unterschieden werden, b) Man kann sprachliche Mittel zweckentfremdet, unernst etc. verwenden. Selbst wenn man einen fixen Indikator für die illokutionäre Absicht einführen wollte, müßte dessen Verwendung also nicht implizieren, daß die entsprechende Absicht auch vorliegt, c) Absichten können auch auf unkonventionelle Weise realisiert werden (Implikaturen sind das Standardbeispiel dafür). (Bezeichnenderweise läßt ζ. B. Searles Definition des Versprechens fälschlich viele unkonventionelle Versprechen nicht zu, indem er eine explizite Äußerung des Versprochenen fordert; vgl. Searle 1971b:88.) Wenn man wieder einen Indikator für die illokutionäre Absicht einführen wollte, würde dessen Fehlen also nicht implizieren, daß auch die entsprechende Absicht nicht vorliegt.

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nenne ich dann "angehängt". Beispiel: Die im entsprechenden Kontext gemachte Äußerung: "Herr Ober, wir haben nichts mehr zu trinken.", ist direkt zunächst einmal eine Feststellung, angehängt ist aber noch die Bitte oder Aufforderung, eine Bestellung aufzunehmen, bzw., in bestimmten Kontexten, die Bestellung selbst und evtl. noch ein Tadel, daß der Ober die Gäste vernachlässigt.13 2. Im anderen Fall wird die Lokution unernsthaft verwendet, d. h. nicht für den Standardoutput, für den sie eigentlich entwickelt worden ist, so daß es keinen direkt realisierten illokutionären Akt gibt und die Signifikation der Lokution nicht wieder als illokutionäre Signifikation erscheint. Rhetorische Fragen etwa sind unernsthaft verwendete Fragen, sie haben keine interrogative illokutionäre Rolle (der Sprecher will die Antwort gar nicht wissen), sondern nur eine konstative. Derartig realisierte illokutionäre Akte nenne ich "verfremdet". Gelegentlich gibt es mehrere, hierarchisch gestufte indirekte illokutionäre Akte: An den indirekten illokutionären Akt erster Stufe ist noch ein weiterer und an diesen vielleicht noch ein dritter indirekter illokutionärer Akt angehängt, wie in dem Gaststättenbeispiel: direkter illokutionärer Akt: Feststellung, daß die Gäste nichts mehr zu trinken haben; angehängte Illokution erster Stufe: Aufforderung, eine Bestellung aufzunehmen gegebenenfalls die Bestellung selbst; angehängte Illokution zweiter Stufe: Tadel, die Gäste zu vernachlässigen. Gründe dafür, indirekte statt direkter illokutionärer Akte zu vollziehen sind bekanntermaßen z. B. : Die Äußerung soll kunstvoller erscheinen; die eigentliche Illokution wird versteckt, weil der Sprecher sich ihrer nicht sicher ist oder weil er nicht für sie haftbar gemacht werden will oder weil er jemandem nicht zu nahe treten möchte.

2.2. Die theoretische Zuschreibung von indirekten illokutionären Akten Im folgenden sind zwei Fragen zu beantworten: 1. Wie erkennt und begründet der Theoretiker, daß ein bestimmter indirekter illokutionärer Akt vorliegt? 2. Wie werden indirekte illokutionäre Akte im Alltag verstanden?; genauer: Wie funktioniert es, daß indirekte illokutionäre Akte bezüglich ihrer illokutionären Absichten erfolgreich sind? Die zweite Frage ist nicht identisch mit der ersten; denn damit die illokutionäre Absicht erreicht ist - z. B. bei Behauptungen, daß der Hörer glaubt, daß p, bzw. daß er glaubt, der Sprecher glaube, daß ρ -, muß der Hörer den (indirekten) illokutionären Akt nicht als solchen erkannt haben (obwohl er bei entsprechenden Nachfragen den illokutionären Akt häufig korrekt klassifizieren wird); er muß sich ζ. B. keine Gedanken über die indirekte illokutionäre Absicht des Sprechers machen. Allerdings sind manche indirekte illokutionäre Akte so kompliziert, daß es auch für deren illokutionären Erfolg erforderlich ist, daß der Hörer die indirekte illokutionäre Absicht wenigstens ansatzweise erkennt oder daß er gar alle Bedingungen für das Vorliegen des illokutionären Aktes überprüfen muß; in diesem Fall kann er auch auf kompliziertere theoretische Interpretationsverfahren zurückgreifen. Die

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Von der Multifunktionalität ist die "Multiklassifizierbarkeit" zu unterscheiden. In diesem Fall erfüllt ein Sprechakt zwar die Bedingungen mehrerer Illokutionstypen; die illokutionären Akte haben aber alle dieselbe illokutionäre Signifikation. "Sie haben Hepatitis." kann ζ. B. eine Feststellung, ein Diagnostizieren, ein In-Kenntnis-Setzen oder eine Mitteilung sein; die Signifikation bleibt in allen Fällen aber das Urteil, daß der Angesprochene Hepatitis hat; es liegt also keine multifunktionale Lokution vor.

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beiden genannten Fragen zielen also auf Extrema, zwischen denen es ein Kontinuum an mehr oder weniger theoretischen Erkenntnisverfahren gibt. In diesem Abschnitt wird die erste Frage behandelt, im nächsten Abschnitt die zweite. Damit ein (direkter oder indirekter) illokutionärer Akt vorliegt, müssen die oben (s. Abschn. 1.2 und 1.3) genannten Bedingungen erfüllt sein. Zur Bedingung 0, lokutionärer Akt: Ob ein und welcher lokutionäre Akt vorliegt, ist nach der Definition der lokutionären Akte allein anhand der Sprachregeln zu erkennen. Zur Bedingung 1, Vorbedingungen: Ob die Vorbedingungen eines bestimmten illokutionären Aktes erfüllt sind - bei Behauptungen u. a., daß nicht problemlos erkennbar ist, ob ρ -, ist relativ leicht zu erkennen. Zur Bedingung 2, illokutionäre Absichten: Wenn vorausgesetzt werden kann, daß es sich um einen direkten illokutionären Akt handelt, ist auch der Kern der illokutionären Absicht, die Zielvorstellung leicht zu erkennen: Sie ergibt sich im wesentlichen aus dem Standardoutput des lokutionären Aktes. Feinere Einordnungen wie, ob der Sprecher den Hörer glauben machen will, daß p, oder ob er ihm nur bewußt machen will, daß p, nehmen wir dann meist aufgrund von Schätzungen vor, welche Annahmen der Sprecher wahrscheinlich über den Hörer gehabt hat. Die eigentlich schwierige Aufgabe ist erst, zu erkennen, ob der Sprecher überhaupt eine direkte illokutionäre Absicht hatte und ob er nicht eventuell indirekte illokutionäre Absichten hatte und welche. Dies ist nun keinesfalls mehr rein konventionell zu ermitteln; wie aber dann? Die folgenden Überlegungen bauen auf einem entscheidungstheoretischen Ansatz in der Handlungstheorie auf. Danach werden Handlungen immer dadurch verursacht, daß der Handelnde ein Optimalitätsurteil fällt, daß die fragliche Handlung unter den ihm bekannten aktuellen, d. h. von ihm aktuell ausführbaren, Handlungsalternativen optimal ist. Diese Optimalitätsurteile werden mit Annahmen über die Handlungsfolgen und Bewertungen dieser Handlungsfolgen begründet. Diese Begründungen können sehr unterschiedlich ausgefeilt sein. Daß Menschen solche Optimalitätsurteile fällen und dann entsprechend handeln, ist ein empirisches, psychologisches Gesetz: Das Fällen der Optimalitätsurteile verursacht (im Normalfall, wenn gewisse Zusatzbedingungen erfüllt sind) einfach die Handlung. 14 Es ist keine Norm, insbesondere keine Rationalitätsforderung, daß man so handeln soll; um rational zu handeln, müssen neben der Optimalitätsannahme noch zusätzliche Bedingungen erfüllt sein. 15 Die Optimalitätsannahme zusammen mit ihrer kompletten subjektiven Begründung, insbesondere also den Meinungen über die Folgen der ausgeführten Handlung und die Bewertung dieser Folgen, bilden dann die der Handlung zugrundeliegende Absicht im weitesten Sinn von "Absicht". Damit ein Sprecher also mit einem lokutionären Akt a behauptet, daß p, muß er es nach dieser Konzeption für optimal halten, die Handlung a auszuführen, weil diese den Zustand, daß der Hörer (respektive Leser) nicht glaubt, daß p, wahrscheinlich in den Zustand überführt, daß der Hörer glaubt, daß ρ - oder wegen einer ähnlichen, für Absichten erforderlichen Begründung.

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Diese Gesetzeshypothese stützt sich auf motivationspsychologische Theorien, die in diesem Punkt weitgehende Einigkeit aufweisen (vgl. Heckhausen 1989:168f.). Rationalität verlangt ζ. B. oft, daß die Begründung für das Optimalitätsurteil gewisse Standards erfüllt oder dafi der Handelnde sich auch genügend gute Alternativen ausgedacht hat.

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Das ausführliche Verfahren, mit dem wir Annahmen über die Absichten anderer Personen ermitteln, besteht in, wie schon erläutert (s. o., Abschn. 1.4 und Anm. 8), erklärenden Interpretationen: Wir erstellen hypothetische Erklärungen, aufgrund welcher Überlegungen der andere dazu gekommen sein mag, diese Handlung für optimal zu halten; und wir versuchen die Menge dieser hypothetischen Erklärungen durch Wahrscheinlichkeitsüberlegungen möglichst so einzugrenzen, daß nur eine mögliche Erklärung übrigbleibt oder daß die verbleibenden Erklärungen in dem uns interessierenden Erklärungsstück übereinstimmen. Wenn dies nicht gelingt, müssen die Wahrscheinlichkeiten der verschiedenen Erklärungen gegeneinander abgewogen werden. Solche erklärenden Interpretationen vollständig und explizit auszuführen ist enorm aufwendig. Aber es gibt eine einfachere Vorgehensweise, die zwar implizit auf solche vollständigen Interpretationen zielt, bei der aber nur kleine Ausschnitte aus der Interpretation ausgeführt werden, und die deshalb nur sehr beschränkte und wenig abgesicherte, im Alltag jedoch häufig ausreichende Auskünfte über die Absichten des Handelnden liefert. Für die Interpretation von Implikaturen ist zunächst einmal der Ausschluß gewisser hypothetischer Erklärungen wichtig: Gewisse hypothetische Erklärungen sind, nach dem, was wir über den Sprecher wissen, nicht schlüssig oder äußerst unwahrscheinlich. Wir räsonieren dann ζ. B. wie folgt: 'Nach allem, was wir über die Einstellungen und den Glauben des Handelnden wissen, waren die in der direkten illokutionären Absicht enthaltenen Ziele für den Sprecher überhaupt nicht positiv oder nicht hinreichend wichtig, um den Sprechakt für optimal zu halten; (allein) aus diesem Grunde konnte er die Handlung also nicht ausgeführt haben.' Auf diese Weise kann man also ausschließen, daß der Handelnde überhaupt eine direkte illokutionäre Absicht hatte oder daß er nur die direkte illokutionäre Absicht hatte; und dann liegt es nahe, daß er (zusätzlich) eine indirekte illokutionäre Absicht hatte. Ein anderer Typ eliminativer Interpretationen, mit dem etwa auch bestimmte indirekte illokutionäre Absichten ausgeschlossen werden können, geht etwa so: Diese Handlungsfolge tritt, wenn überhaupt, auf so komplizierte Weise ein, daß der Handelnde sie in der Entscheidungszeit nicht vorhersehen konnte / daß er nicht damit rechnen konnte, daß sie wahrscheinlich ist. Bei den vereinfachten positiven Interpretationen werden die für die hypothetische Erklärung benötigten Gesetze, die notwendigen Randbedingungen, viele relevante Ursachen und erst recht die logischen Ableitungen weggelassen; es handelt sich also nur um die Andeutung einer Erklärung; und man schätzt nur grob ab, ob die angedeutete Erklärung schlüssig sein könnte. Sodann werden meist keine alternativen hypothetischen Erklärungen mehr gesucht, so daß auch die Wahrscheinlichkeiten der verschiedenen Erklärungsalternativen nicht mehr abgewogen werden können. Man geht einfach davon aus, daß der erste funktionierende Erklärungseinfall wahrscheinlich ist; dieses Vorgehen könnte dadurch gerechtfertigt sein, daß der Interpret selbst eine ähnliche Denkweise wie der Sprecher hat. Überlegungen , die diesen positiven Interpretationen zuzuordnen sind, sind etwa: 'Der Sprecher hatte dieses übergeordnete Ziel; seine Handlung war unter dieser Perspektive dann subjektiv optimal, wenn die Handlung ein Mittel zu diesem Ziel sein sollte; und das konnte sie nur sein, wenn der Sprechakt die und die illokutionäre Bedeutung haben sollte. ' Diese Interpretationsverfahren - auch die einfachen Versionen - setzen, wenn sie einigermaßen erfolgreich sein sollen, neben einem bißchen Alltagspsychologie einiges an Informationen über die mentalen Zustände und Dispositionen des Handelnden voraus. Beim

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Verstehen von Sprechhandlungen greifen wir vor allem auf drei große Korpora solcher Informationen zurück: 1. Von Menschen, die wir persönlich kennen, kennen wir aufgrund entsprechender Äußerungen häufig auch ihre Meinungen und Einstellungen; und wir kennen ihre intellektuellen Kapazitäten.16 2. Von Rollenträgern, mit denen wir zu tun haben, kennen wir zwar meist nicht die persönlichen Ansichten und Einstellungen, wir nehmen aber an, daß sie aufgrund irgendeines persönlichen Hintergrundes (den wir nicht zu kennen brauchen) dazu motiviert sind, ihre Rolle auszufüllen. Wir können ihnen also rollenspezifische Meinungen und Bewertungen unterstellen. 3. Ähnliches gilt für die Autoren spezieller Textsorten; diese Textsorten haben bestimmte Funktionen; und vom Autor erwarten wir, daß er diese Funktion erfüllen will - egal, welche weitergehenden persönlichen Absichten er dabei hat. So erwarten wir etwa vom Autor einer wissenschaftlichen philosophischen Abhandlung pauschal, daß er einen Beitrag zur Lösung gewisser philosophischer Fragen leisten will und daß er über einige Kenntnisse der relevanten philosophischen Literatur verfügt; die persönlichen Absichten - ob ihm die behandelte Frage ein persönliches Anliegen ist oder ob er sich um Anerkennung in der Fachwelt bemüht etc. - können dann weitgehend ausgeklammert bleiben. Zur Bedingung 3, illokutionäre Verständlichkeit: Der Kern der Verständlichkeitsbedingung ist, daß mit den (wahrheitsgemäßen) Annahmen des Sprechers über die Glaubensinhalte des Hörers dasjenige hinreichend zwingend begründet werden kann, was der Hörer nach der illokutionären Absicht (des Sprechers) glauben soll; die Signifikation des lokutionären Aktes muß bei dieser Begründung eine zentrale Rolle spielen. Um die Erfüllung dieser Bedingung überprüfen zu können, benötigt man sehr viele Informationen über die Meinungen des Sprechers wie des Hörers. Die Informationen über die Meinungen des Sprechers werden jedoch schon von der ausführlichen erklärenden Interpretation des Sprechaktes geliefert; die über die Meinungen des Hörers gehen vielleicht aus einer Interpretation seiner Reaktion auf den Sprechakt hervor. In dem Gaststättenbeispiel ist der indirekte illokutionäre Akt eine Aufforderung an den Hörer. Das zentrale illokutionäre Ziel ist dann, daß der Hörer glaubt, daß der Sprecher möchte, daß der Hörer das Gewünschte tut. In diesem Beispiel könnte der Sprecher etwa annehmen, der Hörer (Ober) glaube folgendes: 'Wegen der Äußerung des Sprechers ("Herr Ober, wir haben nichts mehr zu trinken.") gilt, daß der Sprecher und seine Freunde nichts mehr zu trinken haben; in der aktuellen Situation (Streß für den Hörer) wird der Sprecher sich nur dann an den Hörer wenden, wenn jener ein ernsthaftes Anliegen an den Hörer hat; von den möglichen ernsthaften Anliegen (Bestellung; Aufforderung, Bestellung aufzunehmen; Aufforderung zum Kassieren etc.) hat (genau) eines eine enge Beziehung zum Inhalt der Äußerung ("Wir haben nichts mehr zu trinken. " drückt einen Mangel aus, dem abzuhelfen das Ziel von zweien der in Frage kommenden Anliegen ist) 17 und ist für den Hörer genügend spezifiziert (eine Getränkebestellung wäre nicht genügend spezifiziert, da nicht klar ist, was bestellt wird), nämlich das Anliegen, eine (Getränke-)Bestellung aufzunehmen; der 16

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Zu den Einstellungen eines Menschen kann insbesondere gehören, daß er es für richtig erachtet und sich bemüht, die Griceschen Konversationsmaximen zu befolgen. Ob er diese Einstellung tatsächlich hat, ist jedoch eine empirische Frage. Man kann also bei der Interpretation von Implikaturen nicht einfach davon ausgehen, daß der Sprecher sich bemüht, diese Maximen zu befolgen. An dieser Stelle wird schon auf die Informativitätsbedingung rekurriert, daß die indirekte Illokution eine enge inhaltliche Beziehung zur lokutionären Signifikation haben muß.

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Sprecher wünscht also, daß der Hörer eine (Getränke-)Bestellung aufnimmt.' 18 - Diese Darstellung der Annahmen des Sprechers über die Meinungen des Hörers klingt vielleicht überzogen elaboriert. Aber sie interpoliert nur zwischen den verschiedenen bewußten Gedanken des Sprechers und fügt Gedanken ein, die dieser zwar nicht bewußt hatte, an die er jedoch glaubt und die auch seine bewußten Gedanken beeinflußt haben; dies ist bei allen Rekonstruktionen von Überlegungen erforderlich. Aufgrund unten (Abschn. 2.3) darzulegender Standardverfahren für Implikaturen sind die Überlegungen des Sprechers und des Hörers häufig aber viel einfacher als in dem gerade analysierten, schon relativ komplizierten Beispiel. Zur Bedingung 4, Informativität: Ob die Informativitätsbedingung erfüllt ist, ist relativ einfach zu erkennen. Dazu bedarf es nur einer kurzen semantischen Analyse der direkten und der indirekten Signifikation. In dem Gaststättenbeispiel etwa mit 'Herr Ober, wir haben (jetzt = zu t) nichts mehr zu trinken.' als direkter und 'Herr Ober, nehmen Sie bitte (in allernächster Zeit = kurz nach t) von uns eine Getränkebestellung auf! ' kommen folgende Komponenten in beiden Signifikationen vor, und ihre Veränderung (zumindest in gewissen Grenzen) in der direkten Signifikation hätte eine entsprechende Veränderung in der indirekten Signifikation zur Folge: 'Herr Ober', 'wir' ('uns'), 't', 'trinken' ('Getränk'). 2.3. Funktionsweise indirekter ülokutionen Wie funktioniert es, daß indirekte illokutionäre Akte bezüglich ihrer illokutionären Absichten erfolgreich sind? Beim Verstehen von (direkten) illokutionären Akten machen wir uns im Normalfall keine Gedanken über die Sprecherabsichten: Daraus, daß ein bestimmter lokutionärer Akt vollzogen wurde, und sonstigen Informationen, die nicht die mentalen Zustände des Sprechers betreffen, "schließen" wir einfach auf diejenigen Propositionen, an die zu glauben den illokutionären Erfolg des Sprechaktes ausmacht. Wenn ζ. B. jemand sagt: "Dahinten ist ein Heißluftballon.", dann glauben wir im einfachsten Fall, daß dahinten ein Heißluftballon ist; wenn jemand behauptet: "In drei Tagen wird es regnen.", gehen wir meist nicht davon aus, daß der Betreffende hinreichend Kompetenz hat, dies bestimmt vorauszusagen, aber wir "schließen", daß er glaubt, daß es in drei Tagen regnen wird. Wir "schließen" in dieser Weise so lange, wie uns nichts besonderes auffällt. Erst wenn wir auf diese Weise dem Sprecher implizit Absichten unterstellen, die uns problematisch erscheinen, gehen wir zu einer komplizierteren Analyse über. Die problematischen Absichten sind im Fall der Implikaturen: 1. Der Sprecher mag zwar eine bestimmte für die direkte Illokution spezifische Folge positiv bewertet haben; aber es ist unwahrscheinlich, daß dies für den Sprecher der entscheidende Handlungsgrund gewesen sein soll. Vermutlich hat der Sprecher diese Folge höchstens als relativ unwichtige positive Nebenfolge angesehen. Die direkte illokutionäre Absicht war also nicht das Hauptziel, es könnte eine multifunktionale Lokution vorliegen. 2. Oder nach den Bedingungen für den direkten Illokutionstyp müßte 18

Möglicherweise schließt der Sprecher die Interpretation, daß es sich schon um eine Getränkebestellung handelt, auch gar nicht aus; er bedenkt diese Möglichkeit einfach nicht. Er unterstellt dem Hörer dann implizit, daß dieser nur eine und genau die vom Sprecher intendierte Interpretation für naheliegend hält. Diese implizite Annahme, ist sicherlich häufig falsch. Dadurch wird die Äußerung dann u. U. unverständlich.

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der Sprecher eine bestimmte Handlungsfolge in relevantem Ausmaß als positiv bewerten, die er vermutlich aber für überhaupt nicht gegeben oder für irrelevant hält; es gibt also keine direkte Illokution, die Lokution ist unernsthaft. Daß dem Hörer derartige Ungereimtheiten auffallen, ist der Ausgangspunkt für das Funktionieren der Implikaturen: Die Tatsache, daß dem Hörer gewisse normalerweise dem Sprecher zugeschriebene Absichten als problematisch erscheinen, daß also bestimmte Routinen für den Hörer erkennbar gestört sind, löst bei ihm einen gewissen Denkprozeß aus. Diese Denkprozesse sind sehr unterschiedlich; und bislang habe ich nicht den Eindruck, daß sie standardisiert werden könnten. Daß beim Hörer gewisse Denkprozesse in Gang gesetzt werden, heißt ja, daß bestimmte Meinungen neu gebildet oder schon vorhandene Meinungen wieder ins Bewußtsein gerufen werden. Dies ist aber genau der Stoff, aus dem nach der Definition der illokutionären Akte die beabsichtigten Folgen von illokutionären Akten sind. Ist der Sprecher in der Lage, derartige Denkprozesse wenigstens ζ. T. vorherzusehen, so kann er also den Hörer durch entsprechende Äußerungen und das Anregen des gewünschten Denkprozesses dahin bringen, wohin er ihn haben will. Sind diese Überlegungen des Sprechers einigermaßen zutreffend, so sind damit schon die wichtigsten Bedingungen für einen passenden, indirekt realisierten illokutionären Akt erfüllt. Beispiel: Bei einer rhetorischen Frage "Ist das nicht dumm?" stellt der Hörer sofort die Antwort fest, nämlich daß es wirklich dumm ist; diese Antwort ist aber - wie der Hörer unterdessen bemerkt hat - so leicht zu ermitteln, daß der Sprecher sie sich auch selbst geben konnte; er will also gar nicht die Antwort wissen. Im Laufe dieser Überlegung hat sich der Hörer selbst schon die Meinung gebildet, daß es dumm ist; und genau diese Meinung ist die beabsichtigte Handlungsfolge. Rhetorische Fragen gehören zu den einfachsten Implikaturen. Das im vorigen Abschnitt analysierte Gaststättenbeispiel - bei dem vermutlich gilt, daß viele Hörer in solch einer Situation tatsächlich so denken würden, wie es dort der Sprecher vom Hörer annimmt - ist schon ein sehr viel komplizierterer Fall. Und in den kompliziertesten Fällen wird auch der Hörer - wie der Theoretiker - (vereinfachte) erklärende Interpretationen (s. o., Abschn. 1.4 und 2.2) verwenden, um die indirekten illokutionären Absichten des Sprechers zu ermitteln (wenn er diese verstanden hat, war der Sprechakt in seiner illokutionären Absicht erfolgreich - die Umkehrung gilt nicht generell). Zwischen den beiden Extremen liegen Standardmechanismen von Implikaturen: Bei bestimmten Typen von Lokutionen und bestimmten vom Sprecher und Hörer geteilten Überzeugungen (unausgesprochenen Präsuppositionen) haben die Sprechakte, wenn sie denn eine indirekte Illokution realisieren, eine bestimmte indirekte illokutionäre Bedeutung. Die Präsuppositionen ermöglichen den Übergang von den lokutionären Akten zu den indirekten Illokutionen. Beispiele für solche Standardmechanismen habe ich in der folgenden Liste zusammengestellt. In dieser Liste wird zwischen Aussagen und Werturteilen unterschieden; mit "Aussagen" meine ich dabei deskriptive Urteile, und mit "Werturteilen" eben wertende Urteile.

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Standardmechanismen bei indirekten Illokutionen

explizite Signifikation

Präsupposition

indirekte Illokution

1. Aussage, daß ρ

ρ ist die Bedingung eines festen von s akzeptierten Weltmaßstabes

Wertung entsprechend dem Wertmaßstab

2.

ρ ist die Bedingung einer von s anerkannten Norm

Aufforderung, die Norm zu befolgen

3.

ρ ist unangenehm für s; h kann ρ beseitigen

Bitte, ρ zu beseitigen

4.

ρ ist die Bedingung eines generellen Befehls, und s ist Befehlshaber von h

Befehl, den generellen Befehl auszuführen

5. Werturteil, daß w

es gibt einen eindeutigen Wertmaßstab für solche Werturteile

Beschreibung, daß die Bedingungen des Werturteils erfüllt sind

6.

h ist s verbunden; h ist in der Lage, einen im Sinne von w für s besseren Zustand herbeizuführen

Bitte, diesen Zustand herbeizuführen

7.

daß w, ist ein Optimalitätswerturteil über eine aktuelle Handlungsalternative von h

Ratschlag, diese Alternative auszuführen

8. Aufforderung zu ρ

s will das Beste für h

Wertung, ρ sei die optimale Handlungsalternative

Diese Tabelle bedeutet nicht, daß aus der expliziten, lokutionären Signifikation und der Presupposition die indirekte Illokution logisch folgt (dies ist schon deshalb nicht möglich, weil es sich nicht um Propositionen handelt), sondern nur: Wenn der lokutionäre Akt vollzogen wurde und die Präsupposition erfüllt ist und kein oder kein für den Sprecher genügend positiver direkter illokutionärer Akt vorliegt, dann führt der Sprecher häufig die genannte indirekte Illokution aus. Die Grundlage für solche Standardmechanismen sind eigentlich Übergänge wie im Gaststättenbeispiel oder bei den rhetorischen Fragen, bei denen also bestimmte Detailüberlegungen des Hörers induziert werden. Aufgrund ihrer häu-

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figen Verwendung gelten aber die gerade (in der Tabelle) beschriebenen statistischen Zusammenhänge. (Das Gaststättenbeispiel selbst etwa ist ein Spezialfall des dritten Mechanismus.) Die statistischen Zusammenhänge können nun für ein statistisches Schließen von der Beschreibung der expliziten Signifikation und der Präsupposition auf die Beschreibung der impliziten Signifikation verwendet werden; sowohl der Sprecher als auch der Hörer brauchen nicht mehr die Detailüberlegungen anzustellen - und können es vielleicht auch gar nicht mehr. Ein gewisser Grad an Konventionalisierung der Implikaturen ist eingetreten. "Wer wollte bestreiten ...?" beispielsweise ist ein fast sicherer Indikator für eine rhetorische Frage. Die Standardmechanismen sind auch ein gutes Illustrationsmaterial dafür, wie die Informativitätsbedingung erfüllt wird. Beim dritten und letzten Mechanismus in der Tabelle taucht die Proposition der Lokution wieder in der impliziten Signifikation auf. Beim ersten und fünften Mechanismus handeln die explizite und die implizite Signifikation vom selben Gegenstand. Beim zweiten und vierten Mechanismus wird die explizit beschriebene Bedingung der Norm bzw. des generellen Befehls meist von dem verpflichteten Subjekt und dem Verpflichtungszeitpunkt handeln. Beim sechsten Mechanismus enthält das Werturteil einen Teil der Parameter des erbetenen Zustandes. Und beim siebten Mechanismus handeln das explizite Werturteil und der implizite Ratschlag von derselben Handlung. - Bei rhetorischen Entscheidungsfragen und ähnlich einfachen Implikaturen enthält die explizite Signifikation neben der kompletten Proposition der impliziten Signifikation noch eine floskelhafte Erweiterung (z. B.: "(Wer wollte bestreiten,) daß p(?)"). Bei Andeutungen, die die Form von bejahten Existenzpropositionen haben (z. B. "Müller ist mit einer Frau ins Hotel gegangen."), und bei denen präsupponiert wird, daß der Sprecher von bestimmten Gegenständen wissen muß, ob sie diese Bedingung erfüllen (etwa Müllers Ehefrau), sind die implizite und die explizite Signifikation gleich bis auf die Tatsache, daß die implizite Signifikation noch den Zusatz enthält, daß der fragliche Gegenstand diese Bedingung nicht erfüllt (also: 'Müller ist mit einer Frau ins Hotel gegangen, die nicht seine Ehefrau ist.').

3. Implikaturen in Argumentationen 3.1. Interpretation von Implikaturen in Argumentationen Anlaß für die vorstehende Theorie der Implikaturen waren Probleme in der Argumentationstheorie, speziell bei der evaluierenden Argumentationsanalyse, also der Untersuchung, ob vorgefundene Argumentationen gültig sind. Die Argumentationstheorie hat dabei den Anspruch, daß ihr Instrumentarium auf Argumentationen, wie wir sie im Alltag, in den Medien oder in den Wissenschaften vorfinden, anwendbar ist. In den faktisch vorfindlichen Argumentationen sind nun aber die Urteile, aus denen diese Argumentationen bestehen, nicht selten nur durch Implikaturen realisiert. Die Argumentationstheorie benötigt deshalb eine Interpretationstheorie, die diese Teile explizit macht und faktisch vorfindliche Argumentationen in eine theoretisch definierte, durchsichtige und ideale Form bringt, deren Gültigkeit dann mit Hilfe der entsprechenden Kriterien beurteilt werden kann. Ein Teil dieser Interpretationstheorie ist die Theorie der Implikaturen.

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In dem gerade Gesagten wird der Zusammenhang zwischen Argumentationstheorie und Theorie der Implikaturen aus der Sicht der Argumentationstheorie dargestellt. Aus der Perspektive einer Theorie der Implikaturen hingegen stellen Implikaturen in Argumentationen aufgrund gewisser einschränkender Bedingungen eine große Klasse von relativ einfach zu analysierenden Beispielen dar. Argumentationen bestehen aus einer These, Argumenten für sie und einem Argumentationsindikator (ζ. B.: 'deshalb', 'denn'), der angibt, 1. daß die zugehörigen Sätze eine Argumentation darstellen, 2. welcher Satz die These darstellt und 3. welche Sätze die Argumente darstellen. These und Argumente sind Urteile, also die Signifikationen von konstativen lokutionären Akten (vgl. Lumer 1990:22; 58f.). Bei gültigen und adäquaten Argumentationen müssen zudem eine Reihe von Zusatzbedingungen erfüllt sein, die allerdings vom jeweiligen Argumentationstyp abhängen. Bei den meisten Argumentationstypen gilt, daß der Sprecher die These und die Argumente für wahr halten muß, daß der Hörer aber noch nicht (völlig) von der These überzeugt sein darf, während er die Argumente schon als wahr erkannt haben sollte. Bei logischen Argumentationen müssen die in der Argumentation genannten Argumente zusammen mit unausgesprochenen Argumenten die These logisch implizieren; usw. (vgl. Lumer 1990:187-189; 237-244; 258-260; 362-366). Weitere Einschränkungen für Argumentationen ergeben sich möglicherweise aus dem Kontext, etwa wenn es sich um einen wissenschaftlichen Text handelt und wir dem Autor entsprechende wissenschaftliche Absichten, Argumentationsstile und ein spezielles Vorwissen unterstellen können oder wenn die Argumentation Teil einer übergreifenden Argumentation sein soll. Diese Bedingungen erleichtern nun die Interpretation von Implikaturen in Argumentationen ungemein. Im günstigen Fall kennzeichnet der Argumentationsindikator die fragliche Illokution eindeutig als These oder Argument. Und wegen der durch den Argumentationsindikator angezeigten argumentativen Absicht, also der Absicht, eine gültige und adäquate Argumentation zu liefern, kann dem Sprecher (zumindest einem argumentativ versierten Sprecher) unterstellt werden, alle genannten Bedingungen erfüllen zu wollen. Damit ist das "Zielgebiet", aus dem die impliziten Signifikationen stammen können, auf einen vergleichsweise winzigen Bereich eingegrenzt. Argumentationen sind also ein spezieller und in ihrer Determiniertheit fast idealer Fall der oben (in Abschn. 2.2) angesprochenen speziellen Textsorten, von deren Autoren wir erwarten, daß sie die Funktion dieser Textsorte erfüllen wollen. Die Anwendung dieser Einschränkungen setzt allerdings voraus, daß der Sprecher völlig richtig argumentiert. Wenn bei dieser Annahme aber keine mögliche Erklärung des Sprechakts gefunden werden kann, müssen die einschränkenden Bedingungen sukzessive gelockert werden: Zunächst wird die Möglichkeit "kleiner" Fehler eingeräumt (etwa falscher Prämissen oder ungültiger Schlüsse), dann größerer Fehler (der Autor kennt ζ. B. eine bestimmte wissenschaftliche Problemlage überhaupt nicht). Wenn all diese Ausweitungen der beschränkenden Bedingungen zu keiner gültigen Erklärung führen, wird man irgendwann die Annahme aufgeben müssen, daß der Autor überhaupt gültig und adäquat argumentieren wollte oder daß er dies im Prinzip konnte. Das "Zielgebiet" wird dadurch sehr viel größer und die Interpretation sehr viel schwieriger. Wenn man von den einschränkenden Bedingungen absieht, funktionieren Implikaturen in Argumentationen wie andere Implikaturen auch, ebenso ihre Interpretationen. Das folgende Beispiel für eine Implikatur aus einer philosophischen Argumentation stammt von Kant:

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"Jedermann muß eingestehen, daß ein Gesetz, wenn es moralisch, d. i. als Grund einer Verbindlichkeit, gelten soll, absolute Notwendigkeit bei sich führen müsse;" (Kant, GMS BA vii f.). Die implizite Signifikation dieser Implikatur kann mittels einer vereinfachten, skizzenhaften erklärenden Interpretation ermittelt werden. Die Leitfrage dabei ist: Welcher indirekte illokutionäre Akt würde an dieser Stelle passen, damit nach Kants Ansicht eine gültige und adäquate Argumentation entsteht? Der zitierte Satz ist an der entsprechenden Stelle das zentrale Argument Kants für seine These, daß nur eine apriorische, nicht aber eine teilweise empirische Ethik wirklich moralische Gesetze begründen kann. Die explizite Signifikation jenes Satzes ist ein Urteil: Ul: 'Jedermann muß eingestehen, daß r (r = ein Gesetz muß, wenn es moralisch sein soll, absolut notwendig sein).1 Da das erste "muß" mehrdeutig ist, drückt der Satz noch mehrere Urteile aus. Nach dem, was man Kant, einem intelligenten Philosophen, an Meinungen unterstellen kann, hält er jedoch nur die Proposition genau eines dieser Urteile für wahr, nämlich des Urteils, bei dem das erste "muß" einen epistemisch-rationalen Zwang bezeichnet: Ula: 'Wer beurteilt, ob r, und sich dabei von zwingenden epistemischen Gründen leiten läßt, gesteht ein, daß r. ' Da Kant, laut Voraussetzung, die Proposition von Ula für wahr hält und auch sonst alle einschlägigen Bedingungen erfüllt sind, realisiert Kant mit der zitierten Lokution auch direkt eine Behauptung. Der Übergang zur impliziten Signifikation erfolgt so: Ula ist im fraglichen Zusammenhang nicht als Argument geeignet; aus Ula und geeigneten Zusatzprämissen, die aber Ula nicht überflüssig machen, läßt sich die These nicht ansatzweise ableiten. Es könnte also eine indirekte Illokution vorliegen. Ein geeignetes Argument an dieser Stelle ist nur das Urteil, daß r: U2: 'Wenn ein Gesetz moralisch sein soll, muß es absolut notwendig sein.' ( = ' r . ' ) Bei dieser Signifikation erfüllt die indirekte Illokution alle Bedingungen einer Behauptung: Bl: U2 kann nicht problemlos erkannt werden. B2: Aufgrund seiner Geeignetheit als Argument könnte U2 von Kant beabsichtigt worden sein; U2 liegt auch Kants Denken nicht fern. B3: Ula bedeutet analytisch soviel wie: 'Es gibt zwingende Gründe für r' - nämlich diejenigen Gründe, die rationale Personen dazu "zwingen", einzugestehen, daß r. Wenn Kant glaubt, daß es zwingende Gründe für r gibt, dann wird er bei einem Minimum an epistemischer Rationalität auch glauben, daß r. Genau dies kann auch der Leser mit Leichtigkeit erschließen aus den Annahmen, a) daß Kant glaubt, daß es zwingende Gründe für r gibt, b) daß ein epistemisch rationaler Sprecher, wenn er dies glaubt, auch glaubt, daß r, und c) daß Kant epistemisch rational ist. B4: r ist ja schon vollständig in Ula enthalten. Ula gehört zu den einfachen und fast schon konventionellen Implikaturen, bei denen aus der expliziten Signifikation nur eine Floskel weggestrichen werden muß, um die implizite Signifikation zu erhalten. Und genau dies tut der gebildete Leser wahrscheinlich schon automatisch.

3.2. Gründe für und Probleme von Implikaturen in Argumentationen Warum führt Kant in dem soeben analysierten Satz die indirekte Illokution nicht direkt aus? Warum behauptet er nicht direkt: U2: 'Ein Gesetz, das moralisch, d. i. als Grund einer Verbindlichkeit gelten soll, muß absolut notwendig sein.'? U2 ist wie gesagt Kants zentrales Argument; und es wird in dem Text selbst nicht mehr begründet. U2 ist auch bei weitem

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nicht selbstverständlich. (Tatsächlich ist U2 falsch.) Eine direkte Behauptung könnte deshalb zu Nachfragen Anlaß geben. Kant schützt sich dagegen durch ein leichtes Kaschieren des Arguments in der Implikatur und durch ein von der expliziten Signifikation Ula ('Wer beurteilt, ob r, und sich dabei von zwingenden epistemischen Gründen leiten läßt, gesteht ein, daß r.') analytisch impliziertes (selbstverständlich ungültiges) Argumentum ad personam: 'Wer beurteilt, ob r, und nicht eingesteht, daß r, ist epistemisch irrational. ' Bei Analysen anderer philosophischer Argumentationen habe ich u. a. folgende Gründe für Implikaturen gefunden: 1. Durch Behauptungen in Frageform kann eine Spannung aufgebaut werden, die zum Weiterlesen reizt. 2. Wie im zitierten Beispiel können durch die indirekte Behauptung von Argumenten Begründungsforderungen abgewehrt werden. 3. Durch lediglich hypothetisch formulierte Thesen und Argumente können knallharte Behauptungen untergeschoben werden. 4. Behauptungen können abgeschwächt werden, weil der Autor die subjektiven Begründungen für nicht intersubjektiv nachvollziehbar hält oder weil er nicht sogleich kritisiert und mit Begründungsforderungen überhäuft werden möchte. 5. Manchmal werden Behauptungen auf diese Weise auch aus Höflichkeit abgeschwächt: Man will Menschen mit entgegenstehenden Ansichten nicht zu sehr auf die Füße treten; oder will nicht als kategorisch gelten. 6. Das Argument kann schwer zu formulieren sein, und der Autor weicht dieser Formulierung aus, etwa indem er statt der expliziten Formulierung nur eine ziemlich vage Implikatur, etwa in Form von Beispielen, angibt. Ein Teil dieser Gründe für Implikaturen berührt unmittelbar die Gültigkeit der Argumentation; im letzten Fall etwa kann die Argumentation in unzulässiger Weise vage sein. Implikaturen verdecken also häufig Argumentationsfehler. Deshalb sollten indirekt formulierte Argumente und Thesen besonders sorgfältig analysiert werden. Implikaturen sind aber auch über die gerade beschriebenen evtl. beabsichtigten Effekte hinaus eine Quelle für bestimmte Argumentationsfehler. Der wichtigste Argumentationsfehler ist, die beiden Signifikationen, die explizite und die implizite, nicht zu differenzieren und die Argumentation für die eine von beiden auch für eine Begründung der anderen zu halten. Die Argumentation enthält dann also eine Ignoratio elenchi. Beispiele wären etwa: 1. "Ich meine, alle Steuern sollten abgeschafft werden." - "Wirklich?" - "Ich weiß doch, was ich meine, und habe keine Veranlassung die Unwahrheit zu sagen." 2. Oder die Argumentation des Funktionärs einer Diktatur: "Niemand bestreitet, daß unser weiser Führer ein großer Feldherr ist. Denn unser Geheimdienst weiß jeden derartigen Versuch zu verhindern." In beiden Beispielen werden die expliziten Thesen relativ gut begründet. Dadurch wird der Eindruck der Unangreifbarkeit erweckt, der sich nun aber auch auf die eigentlich interessanten, impliziten Thesen erstreckt: 'Alle Steuern sollten abgeschafft werden.' bzw. 'Unser weiser Führer ist ein großer Feldherr.' Für diese Thesen ist jedoch keinerlei Argument vorgebracht worden. Diese Art der Ignoratio elenchi findet sich aber auch in wissenschaftlichen Texten - meist in weniger plumper Form. Die bekannte von Searle stammende Ableitung eines Sollens aus einem Sein (Searle 1971b:264-271) enthält beispielsweise u. a. diesen Fehler: Die entscheidenden Schritte seiner Ableitung sind: 1. Jones hat geäußert, 'Hiermit verspreche ich, dir, Smith, fünf Dollar zu zahlen'. 2. Jones hat versprochen, Smith fünf Dollar zu zahlen. 3. Jones hat sich der Verpflichtung unterworfen [...], Smith fünf Dollar zu zahlen.

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4. Jones ist verpflichtet, Smith fünf Dollar zu zahlen. 5. Jones muß Smith fünf Dollar zahlen. (Ibid. 264)

Ein Problem dieser "Ableitung" ist der Übergang von 3 nach 4: Tatsächlich ist man nicht zu allem verpflichtet, wozu man sich verpflichtet hat - etwa bei unmoralischen Versprechen nicht oder nicht bei Versprechen, deren erhebliche negative Implikationen man nicht durchschauen konnte. Searle nimmt fälschlich das Gegenteil an; er hält folgendes für eine "tautologische Prämisse": "Wenn man sich verpflichtet hat, etwas zu tun, dann muß man [...] das tun, wozu man sich verpflichtet hat." (Ibid. 270) - Hier, im Rahmen der Behandlung von Implikaturen, geht es aber um ein anderes Problem: 4 und mehr noch 5 fassen wir in vielen Kontexten als Implikatur auf, die weit über die direkt realisierte Beschreibung eines geltenden Rechtszustandes 5b: '(Nach den Normen der Institution des Versprechens gilt:) Jones muß Smith fünf Dollar zahlen.' hinausgeht. Dieser Behauptung ist dann noch eine Wertung angehängt: 5w: 'Es ist gut und billig, daß Jones (nach den Normen der Institution des Versprechens) Smith fünf Dollar zahlen muß.' Und zusätzlich ist ihr eventuell sogar noch eine Aufforderung angehängt: 5a: 'Jones, zahle an Smith fünf Dollar! ' Erst diese Implikaturen geben 5 das besondere Gewicht, das die "Ableitung" zur philosophischen Sensation machen sollte; sie sind die eigentlich wichtigen Thesen. 5w und 5a folgen aber selbstverständlich nicht aus 5b (und auch nicht aus 1 bis 4). Selbst wenn Searle 5b bewiesen hätte, wäre die weitere Argumentation immer noch ungültig. 19

Literatur Austin, J.L. ( 2 1979): Zur Theorie der Sprechakte. - Stuttgart: Reclam. Bierwisch, M. (1980): "Semantic Structure and Illocutionary Force". - J.R. Searle, F. Kiefer, M. Bierwisch (eds.): Speech Act Theory and Pragmatics. (Dordrecht, Boston, London: Reidel), 1-35. Drosdowski, G. (Hg.) (41984): Duden. Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 4., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. Hg. und bearb. v. Günther Drosdowski [...]. - Mannheim, Wien, Zürich: Bibliographisches Institut. Grewendorf, G., Zaefferer, D. (1991): "Theorien der Satzmodi". - A. v. Stechow, D. Wunderlich (Hgg.): Semantik. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung. (Berlin, New York: de Gruyter), 270-286. Grice, H.P. (1979): "Intendieren, Meinen, Bedeuten". - G. Meggle (Hg.) (1979), 2-15. Heckhausen, H. (1989): Motivation und Handeln. 2., völlig Überarb. u. erw. Aufl. - Berlin [etc.]: Springer. Heibig, G., Buscha, J. ( 8 1984): Deutsche Grammatik Ein Handbuch für den Ausländerunterricht. 8., neubearb. Aufl. - Leipzig: VEB Verlag Enzyklopädie. Kant, I. (21977): "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten". - Ders.: Werkausgabe. Hg. v. Wilhelm Weischedel. Bd. VII (Frankfurt a. M.: Suhrkamp), 5-102. Lumer, C. (1990): Praktische Argumentationstheorie. Theoretische Grundlagen, praktische Begründung und Regeln wichtiger Argumentationsarten. - Braunschweig: Vieweg.

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Ausführlichere Kritik an Searles Ableitung und Analyse weiterer Beispiele für den gleichen Fehler: Lumer 1990:161-163.

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(1992): "Handlungstheoretisch erklärende Interpretationen als Mittel der semantischen Bedeutungsanalyse". - L. Danneberg, F. Vollhardt (Hgg.): Vom Umgang mit Literatur und Literaturgeschichte. Positionen und Perspektiven nach der 'Theoriedebatte'. Hg. v. Lutz Danneberg und Friedrich Vollhardt in Zusammenarbeit mit Hartmut Böhme und Jörg Schönert (Stuttgart: Metzler), 75113. (1993): "Propositionen". - W. Lenzen (Hg.): Tractatus physico-philosophici. Festschrift für Andreas Kamiah (Osnabrück: Osnabrücker philosophische Schriften), 115-144. Meggle, G. (Hg.) (1979): Handlung, Kommunikation, Bedeutung. - Frankfurt a. M.: Suhrkamp. (1981): Grundbegriffe der Kommunikation. - Berlin, New York: de Gruyter. Searle, J.R. (1971a): "Austin on Locutionary and Illocutionary Acts". - J.F. Rosenberg, C. Travis (eds.): Readings in the Philosophy of Language. (Englewood Cliffs, N.J.: Prentice-Hall), 262-275. (1971b): Sprechahe. Ein sprachphilosophischer Essay. - Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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Intergruppenkommunikation, soziales Vorurteil und konversationale Implikaturen: Alt und Jung im Dialog Gespräche zwischen alten und jungen Menschen sind in hohem Maße von stereotypen Erwartungen an das kommunikative Handeln der älteren Interaktionspartnerinnen bestimmt. Die Verschiedenheit der sozialen Erfahrungen und Kompetenzen legt nahe, daB sich Intergenerationengespräche auch als eine Form eines interkulturellen Kontaktes beschreiben lassen (Giles et al. 1990). In einer stereotypgeleiteten Interaktionssituation kommt Schlußprozessen eine zentrale Rolle zu. Es zeigt sich, daß im Rahmen konversationeller Implikaturen diejenigen Annahmen über die anderen ausschlaggebend sind, die sich an einem durch eingeschränkte kommunikative Kompetenzen geprägten Altersbild orientieren. An einem umfangreichen Korpus von Gesprächen zwischen alten und jungen Frauen sollen einige typische konversationelle Schlußprozesse dargestellt und in ihrem Stellenwert für die Interaktion und die Beziehung zwischen den Sprecherinnen verdeutlicht werden. Darüber hinaus soll diskutiert werden, welche Funktion konversationellen Implikaturen bezüglich Verstehen bzw. Mißverstehen in interkulturellen Begegnungen zukommen könnte.

0. Vorbemerkungen1 Die Frage nach Rolle und Funktion des "zwischen den Zeilen Gesagten", bzw. die Frage nach der Differenzierung zwischen Gemeintem und Gesagtem (Clark 1978), ist ein Thema, das Sprachforschung und Sprachphilosophie (s. Meggle 1979, v. Wright 1975) seit langem beschäftigt: Wie kommt es, daß man ρ sagen kann, aber q damit meint (und sogar verstanden wird!). Das in den letzten Jahren wieder aufgeflammte Interesse an den Arbeiten von Grice und seinem Erklärungsansatz der Implikaturen (Grice 1978, 1979a,b) ist ein Hinweis darauf, daß es seit der intensiven Auseinandersetzung über die Arbeiten von Grice in den 70er und 80er Jahren wenig Weiterentwicklung gegeben hat. Deutlich wird daran m.E. auch, wie groß das Defizit an theoretischen und anwendungsorientierten Perspektiven ist, die einen Erklärungsansatz zum Nachweis des Gemeinten oder Mitgemeinten bieten. Daß eine anwendungsorientierte Analysemethode zum Erfassen des impliziten Sprechhandelns notwendig ist, zeigt sich letztlich bei jedem Versuch, sprachliche Interaktionen in einem sozialen Kontext zu erfassen. Auch ist zu klären, wie die Unterscheidung zwischen indirektem und implizitem Handeln präzisiert werden kann (Zimmermann/Müller 1977). In dem vorliegenden Beitrag geht es um einen Interaktionstyp, der nicht nur kontextabhängig (wie jede Interaktion) analysiert werden muß, sondern bei dem zusätzlich gesellschaftliche Normen und Werte in Form sprachlicher und nicht-sprachlicher Urteile zu berücksichtigen sind. Bei Interaktionssituationen, die sich als Intergruppeninteraktionen bezeichnen lassen (Tajfei/Turner 1979), bestimmen stereotypgeleitete gegenseitige Einstellungen die Erwartungen gegenüber den jeweiligen Individuen. Ist eine Intergruppensituation durch Einstellungen im Sinne sozialer Vorurteile (Estel 1983) geprägt, so gestaltet sich die Interaktion noch komplexer. Selten nämlich lassen sich Vorurteile oder Stereotype, die Wir danken der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung unserer Arbeiten im SFB 245.

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Gesprächspartnerinnen gegenüber existieren, in Form direkter sprachlicher Diskriminierungen nachweisen (Wagner/Huerkamp/Galliker/Graumann, i.Dr.). Trotzdem sind solche Vorurteile in Form von Bewertungsgrundlagen konstitutiver Bestandteil der Interaktion und damit handlungsleitend für den sozialen Kontakt zwischen Gruppen (Graumann/Wintermantel 1989). Eine Folge vorurteilsgeleiteter Einstellungen sind Kategorisierungsprozesse, die sich als Depersonalisierung beschreiben lassen: Nicht so sehr als Person wird der oder die Einzelne beurteilt, sondern als Repräsentantin einer Gruppe. Zu den Gruppen, die besonders mit Vorurteilen belegt sind, gehören nicht nur ethnische Minderheiten und Ausländerinnen (van Dijk 1983), sondern auch die große Gruppe der älteren Menschen. Vor allem Forschungen aus den USA und Großbritannien belegen, daß Gespräche zwischen Älteren und Jüngeren von gruppenbezogenen gegenseitigen Einstellungen und Vorurteilen geprägt sind (Coupland/Coupland/Giles 1991). Auch in der BRD werden die Beziehungen zwischen Älteren und Jüngeren als konfliktär beurteilt. Ältere gelten sowohl bezüglich physischer als auch psychischer Aspekte als eingeschränkt kompetent, denkt man an ältere Menschen, so werden Einsamkeit und Hilfsbedürftigkeit assoziiert (Die Älteren 1991). Die Medien malen ein drastisches Bild von der "Grauen Revolution" (DIE ΖΕΓΓ) oder prognostizieren Verteilungskämpfe zwischen Alt und Jung (die taz). Die Beziehungen zwischen alten und jungen Menschen werden entsprechend unter der Prämisse des "Intergenerationenkonfliktes" subsumiert. Folgt man der Hypothese von Graumann (1994), daß ein großer Teil von sprachlichen Diskriminierungen implizit geäußert wird, so müßten sich auch Gespräche zwischen Alt und Jung durch diese Implizitheit auszeichnen. Nicht-explizit geäußerte Vorurteile stellen ein theoretisches und methodisches Problem für eine Textanalyse dar, da bisher kein funktionaler Ansatz für Implizitheit vorliegt. Am nächsten kommt diesem Desiderat sicherlich der von Grice vorgestellte Erklärungsansatz, das Gemeinte mittels seines Konzeptes der konversationalen Implikaturen zu beschreiben. Es soll daher in diesem Beitrag ein Versuch unternommen werden, basierend auf den Arbeiten von Grice einen Lösungsvorschlag zu einem funktional-pragmatischen Verständnis von interaktiven Schlußprozessen zu unterbreiten. Neben dem Versuch, anhand des verbalen Austausches zwischen Alt und Jung zu zeigen, daß Grices Konzeption der Implikaturen für die Analyse von vorurteilsgeleiteten Texten geeignet sein kann, soll jedoch auch auf Probleme bei der Anwendung dieses Konzeptes hingewiesen werden. Vielleicht gelingt es anhand der von mir ausgewählten Beispieltexte ja auch, die bisher in den Sprachwissenschaften wenig beachtete Kategorie 'Alter' etwas mehr ins Blickfeld der Forschung zu rücken.

1. Schlußprozesse und Implikaturen Immer wieder stellt sich die Frage nach den Prozessen, die uns das Verstehen von Andeutungen, Gemeintem, Mitgemeintem und Vagem ermöglichen. Schlußprozessen zum Erkennen und Verstehen kommt in allen Kommunikationssituationen hoher Stellenwert zu. Partnerannahmen, Partnererwartungen und die Unterstellung von gemeinsamem Wissen, all dies sind wichtige Einflußgrößen von Kommunikation (Thimm/Augenstein 1994, Thimm/Maier/Kruse 1994). Wie aber kommt es, daß "the Unsaid" handlungsleitende

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Funktion übernimmt, welche Schlußprozesse müssen unterstellt werden, um z.B. von der Äußerung "Es ist kalt hier" zu der Aufforderung "Mach das Fenster zu" zu gelangen? Neben den handlungs- und sprechakttheoretisch ausgerichteten Arbeiten (Überblick bei Harras 1983) sind es wie bereits erwähnt vor allem die Arbeiten von Grice (1978, 1979a,b), die als Grundlage für eine Differenzierung des Gemeinten und Gesagten heranzuziehen sind. Fragt man nach der Bedeutung einer Äußerung, so läßt sich nach Grice für eine große Klasse von Äußerungen folgende Unterscheidung treffen: Einerseits das Gesagte (also der logische Inhalt), und andererseits das Implizierte; es kann unterschieden werden, was Teil der Bedeutung ist und was nicht. Grice schlägt als Bezeichnung für das, was nicht zum logischen Inhalt gehört, den Begriff "Implikatur" vor (1979a). Implikaturen lassen sich auch als Subtraktionsergebnis beschreiben: "The class of implicatures is defined negatively as what is conveyed less what is said" (Sadock 1978:282). Rolf (1994:9) formuliert kontextbezogener: "Den Adressaten wird eine spezielle Folgerung nahegelegt". Grice unterscheidet zwischen konventionalen Implikaturen und partikularisierten bzw. generalisierten konversationalen Implikaturen. Konventionale Implikaturen basieren auf dem Gesagten, d.h. die konventionale Bedeutung der verwendeten Wörter bestimmt, was impliziert ist und hilft nicht nur zu bestimmen, was gesagt worden ist (Grice 1979a:247). Konversationale Implikaturen dagegen sind mit Diskursmerkmalen wesentlich verknüpft (Grice 1979a:248) und lassen sich benutzerzentriert beschreiben: "The account of conversational implicature is best understood as a partial description of the USERS of the language, and hence truly deserves the name 'pragmatics'" (Sadock 1978:284). Die Unterscheidung zwischen konventionalen und konversationalen Implikaturen wird bestimmt vom Grad der Konventionalisiertheit sprachlicher Einheiten. Das Verstehen konventionaler Implikaturen hängt von einer Übereinstimmung sprachlicher Kompetenz der Sprechenden bezüglich ihrer Kenntnisse der grammatischen Regeln bzw. Konventionen ab. Relevant für das hier untersuchte Sprachmaterial sind in erster Linie konversationale Implikaturen, die eben gerade nicht an die Grammatik gekoppelt sind. Daher wird die Unterscheidung zwischen konventionalen und konversationalen Implikaturen nur am Rande thematisiert (genauer dazu Karttunen/Peters 1979), während konversationale Implikaturen in ihrem Funktionszusammenhang überprüft werden sollen.

1.1. Zur Nachweisbarkeit konversationaler Implikaturen Ausschlaggebende Bedingung für das Vorliegen einer konversationalen Implikatur ist nach Grice, daß eine Nichtbeachtung von Konversationsmaximen nachweisbar ist. Erst der Bruch mit den Konversationsmaximen macht Schlußprozesse notwendig. Bei der Präzisierung dieser Bedingung bezieht sich Grice auf das in "Logik und Konversation" (1979a) aufgestellte Kooperationsprinzip (KP) und die ihm zugeordneten Maximen, die sich als eine Art Ausführungsbestimmung des KP bestimmen lassen (1979a:248f.): (1) Quantität: Mache deinen Beitrag so informativ wie für die gegebenen Zwecke nötig, mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig.

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(2) Qualität: Versuche deinen Beitrag so zu machen, daß er wahr ist; sage nichts, was du für falsch hältst; sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen. (3) Relation: Sei relevant. (4) Modalität: Sei klar; vermeide Dunkelheit des Ausdrucks; vermeide Mehrdeutigkeiten; sei kurz (vermeide unnötige Weitschweifigkeit); der Reihe nach!2 Neben der Bedingung, daß eine Nichtbeachtung einer oder mehrerer Maximen vorliegen muß, schlägt Grice weiter präzisierende Kategorien zum Nachweis konversationaler Implikaturen vor. Wichtige Möglichkeit ist zunächst, eine rationale Erklärung über die verschiedenen Stadien des Schlußprozesses anzustellen: "Es muß möglich sein, durch Überlegung dahinter zu kommen, daß eine konversationale Implikatur vorliegt" (Grice 1979a:254). Das Verletzen einer Maxime ist jedoch nicht als ausreichender Nachweis für das Vorliegen einer Implikatur anzusehen. Grice betont zwar einerseits, daß es keinen "knock-downtest" zum Nachweis von konversationalen Implikaturen geben könne (1978:115), zeigt jedoch auf, welche Kategorien als Nachweise heranzuziehen sind. Den Weg zum Nachweis konversationaler Implikaturen (KSATI) sieht er anhand von sechs Charakteristika, die er als Prüfungskriterien vorschlägt (1979a:264):3 - KSATI sind "nachvollziehbar", denn sie lassen sich gemeinsam auf der Basis des Kooperationsprinzips "erarbeiten" (calculability) - KSATI sind aufkündbar, d.h. man kann sie zurücknehmen, so z.B. durch die Äußerung: "I do not mean to imply that ρ" (cancellability) - KSATI sind Bestandteil der Äußerung, sie sind nicht abtrennbar, man kann also dasselbe nicht ohne die Implikatur vermitteln (non-detachability) - KSATI sind nicht Bestandteil der Äußerungsbedeutung, sie sind nicht-konventional (nonconventional) - KSATI werden nicht über das Gesagte transportiert, sondern über das Sagen selbst (Verbalisiertheit); so kann das Gesagte wahr, das Implizierte falsch sein - KSATI können unbestimmt (indeterminate) sein; z.B. bei Metaphern. Das Kriterium der Nachvollziehbarkeit des Schlußprozesses beinhaltet, diesen bei einem Mißlingen auf seiten der Adressierten kommunikativ vermitteln zu können, z.B. in der Form: "I didn't mean to say" (Grice). Folgende Daten werden nach Ansicht von Grice für diesen Überlegungsprozeß ("working out") benötigt:4 (1) Die konventionale Bedeutung der verwendeten Worte samt ihrem jeweiligen Bezug, (2) das Kooperationsprinzip und seine Maximen, (3) den sprachlichen und sonstigen Kontext der Äußerung, (4) anderes Hintergrundwissen; und die Tatsache (oder vermeintliche Tatsache), daß alles, was vom bisher ausgeführ-

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Für eine genauere Diskussion der einzelnen Maximen sei auf Rolf (1994:103f) und Harras (1983:188f) verwiesen. Die Reihenfolge orientiert sich an der bei Sadock (1978:284) angeführten Ordnung, mit calculabilty und cancellablity als wichtigsten Kategorien. Hier sei auf ein Übersetzungsproblem verwiesen: "working out" läßt sich als gemeinsames, evtl. auch dialogisches, Sprecher- und hörerorientiertes Aus- oder Abarbeiten verstehen, während "Überlegung" deutlich sprecherzentiert ist.

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ten relevant ist, beiden Beteiligten verfügbar ist und daß beide Beteiligte wissen oder annehmen, daß es so ist. (1979a:255).

Über die Gewichtung der Nachweisbarkeitskategorien herrscht jedoch keine Einigkeit. So stellt z.B. Cole (1974) die Kalkulierbarkeit in den Mittelpunkt seiner Argumentation und unterscheidet drei Bedingungen (107): (1) Zwei Ebenen der Bedeutung sind zu unterscheiden: die wörtliche Bedeutung und die inferierte Bedeutung. "The inferred meaning is dependent upon the literal meaning. Both are psychologically real levels of meaning". (2) Es gibt eine rational vernünftige Erklärung für die Entstehung der inferierten Bedeutung: "One can trace the chain of inference from the literal meaning in context on the basis of reasonable assumptions about the world and people's interaction in the world. " (3) Der Kontext bedingt, ob eine Deduktion notwendig ist oder nicht: "Facts about the world determine whether a deduction is to take place". Kritisch dagegen wird die Kalkulierbarkeit und Nachvollziehbarkeit der logischen Schritte des Schlußprozesses von Morgan (1978) gesehen. Er führt aus, daß Implikaturen zwar im Prinzip kalkulierbar sein müssen, aber im konkreten Fall bei ausreichendem gemeinsamen Wissen auch kurzgeschlossen ("shortcircuited") werden können. Dies erscheint jedoch angesichts der Formulierung von Cole nicht als Widerspruch: Die Schnelligkeit der Kalkulierungsprozesse kann m.E. kein Argument gegen die grundsätzliche Bedeutung der Kalkulierbarkeit als Nachweisbarkeitskriterium sein. Es ist ausreichend, die Kalkulierbarkeit als prinzipielle, kontextinduzierte Möglichkeit festzuhalten: Eine Bedingung, für jede Implikatur einen Kalkulierungsprozeß aufweisen zu müssen, läßt sich daraus nicht ableiten. Es zeigt sich übrigens in Konversationen, daß oft schon die ersten Schritte zur Verdeutlichung des Überlegensprozesses ausreichen, ein "working out" in Gang zu setzen (s. 3.2). Die Möglichkeit, Implikaturen für das Gegenüber rational nachvollziehbar zu machen und andererseits, sie bei einem Mißerfolg auch erfolgreich 'stornieren' zu können, hängt u.a. davon ab, in welcher Form durch die Implikatur das Kooperationsprinzip bzw. dessen Maximen nicht beachtet wurden. Grice (1979a:253) unterscheidet vier Formen der NichtErfüllung: Es kann auf verschiedene Weisen geschehen, daB ein an einem Gespräch Beteiligter eine Maxime nicht erfüllt; zu diesen Weisen gehören: 1. Er mag ganz still und undemonstrativ eine Maxime verletzten; er wird dann in manchen Fällen sehr leicht irreführen. 2. Er kann aussteigen, die Geltung sowohl der Maxime als auch des KP außer Kraft setzen; er kann sagen, darauf hinweisen oder es klar werden lassen, daß er nicht willens ist, in der von der Maxime erforderlichen Art und Weise zu kooperieren. Er kann beispielsweise sagen 'Mehr kann ich nicht sagen, meine Lippen sind versiegelt'. 3. Er mag vor einer Kollision stehen: Er mag beispielsweise nicht in der Lage sein, die erste Maxime der Quantität (Sei so informativ wie nötig) zu erfüllen, ohne die zweite Maxime der Qualität (Habe angemessene Belege für das, was du sagst) zu verletzen. 4. Er mag gegen eine Maxime verstoßen·, d.h. es kann sein, daß er eine Maxime flagrant nicht erfüllt. Unter der Annahme, daß der Sprecher die Maxime erfüllen kann, und dies auch ohne (wegen einer Kollision) eine andere Maxime zu verletzen, daß er zudem nicht aussteigt und - angesichts der Offensichtlichkeit seines Tuns - nicht irrezuführen versucht, steht der Hörer vor einem großen Problem: Wie kann der

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Umstand, daß er das sagt, was er sagt, mit der Annahme in Einklang gebracht werden, daß er das umfassende KP beachtet? Diese Situation läßt charakteristischerweise eine konversationale Implikatur zustande kommen; und wenn eine konversationale Implikatur in dieser Weise zustande kommt, werde ich sagen, eine Maxime sei ausgebeutet worden.

Bezüglich der kommunikativen Effekte von konversationalen Implikaturen ist entscheidend, auf welche Art und Weise die Maxime verletzt wurde. So z.B. erscheint Rolf (1994:106) die undemonstrative Verletzung die "mit Sicherheit als schwerwiegendste. Und zwar deshalb, weil sie nicht zu erkennen gegeben wird". Die flagrante Nichtbeachtung ("flouting") dagegen erscheint ihm als offensichtliche Art der Nichtbeachtung, z.B. in Form von Ironie oder Metaphern, weniger problematisch: Wer hingegen flagrant gegen eine Maxime verstößt oder wer aussteigt, d.h. die Geltung einer Maxime und des Kooperationsprinzips außer Kraft setzt, läßt erkennen, was er tut, und ist schon dadurch vom Vorwurf einer Irreführung freizusprechen, (ebd.)

Diese Behauptung ist jedoch kaum belegt, da nur wenige Untersuchungen vorliegen, in denen die unterschiedliche Wirksamkeit anhand von konkreten Interaktionen überprüft wird. Rundquist (1990) verweist z.B. darauf, daß geschlechtsspezifische Unterschiede zu berücksichtigen sind. So wurden in den von ihr untersuchten Familiengesprächen von Männern mehr offene Verstöße in Form von Ironie begangen (die jedoch in der Interaktionssituation sehr wohl als schwerwiegend galten), während Frauen deutlich seltener solche Implikaturen gebrauchten. Rundquist (1990:515) interpretiert dies als eine machtbezogene Differenz: "When these men flout the maxims they continuously reassert their control over the conversation by getting everyone's attention." Stellt man ähnlich wie Rundquist die Frage, welche kommunikativen Funktionen Implikaturen zugeordnet werden können, so ist zwar zunächst der Kontext entscheidend. Andererseits kann vermutet werden, daß mit Implikaturen bestimmte Zwecke verfolgt werden. Will man konversationalen Implikaturen generalisierbare Zwecke zuschreiben, so ist zu berücksichtigen, daß Implikaturen eine Möglichkeit sind, eine Dissonanz zwischen Gemeintem und Gesagtem aufzulösen. Kalkulierbarkeit und Aufkündbarkeit beinhalten die Möglichkeit kognitiver Prüfung, das Nachvollziehen von Schlußprozessen durch die Interaktionspartnerinnen und die metakommunikative Problematisierung der Implikaturen. Dieser Prozeß läßt sich auch als eine Aushandlung von Bedeutungen beschreiben und ist im Sinne eines Hypothesentestens von Partneransichten und Partnereinstellungen Teil jeder beziehungs-orientierten Kommunikation. Im Sinne der Aushandlung von Bedeutungen und damit auch der Aushandlung von gemeinsamen Kontexten kommt Implikaturen u.U. somit sinnstiftende Funktion zu. Im Suchen nach dem Gemeinten findet ein intensiver Partneraustauschprozeß statt. Grice deutet diese Funktion selbst an: Die Stornierung durch "I didn't mean it this way" (cancellability) beinhaltet eine metakommunikaktive Problematisierung und einen Hinweis auf eine mögliche Differenzierung der kommunikativen Folgen einer Implikatur. Der einer Implikatur zugrundeliegende Schlußprozeß kann, selbst bei bestem Willen, fehlschlagen: Die Implikatur führt dann eben nicht zur Explizitmachung der Differenz zwischen Gemeintem und Gesagtem, sondern führt 'in die Irre' (Grice 1979a:253). Will man Implikaturen dazu heranziehen, Implizites im verbalen Austausch zu beschreiben, so erscheint es unumgänglich, nicht nur auf die kommunikativen kontextuellen

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Voraussetzungen und Folgen, sondern auch auf den Handlungscharakter von Implikaturen einzugehen.

1.2. Konversationale Implikaturen als Kommunikationsversuche Geht man davon aus, daß zunächst die Nichterfüllung einer (oder mehrerer) Konversationsmaximen Voraussetzung für das Vorliegen einer konversationalen Implikatur ist, und nimmt man weiterhin an, daß Kalkulierbarkeit, Aufkündbarkeit, Nichtabtrennbarkeit, Nichtkonventionalität, Verbalisiertheit und Unbestimmtheit Merkmale von konversationalen Implikaturen sind, so stellt sich die Frage, inwieweit sich diese im Kontext von Dialogen verifizieren lassen. Zentral für eine dialoganalytisch fundierte Herangehensweise sind die Einbeziehung der Partnerreaktionen, des kommunikativen Kontextes und des unterstellten gemeinsamen Wissens. Will man konversationale Implikaturen in ihrem Funktionszusammenhang untersuchen, d.h. Implikaturen als ein Element von sprachlicher Interaktion verstehen, so müssen sie als Teil kommunikativen Handelns definiert, bzw. der "Handlungscharakter des Griceschen Bedeutungskonzeptes" (Rolf 1994:44ff.) präzisiert werden. Konversationale Implikaturen sollen daher als kommunikative Handlungen verstanden werden und werden entsprechend nach dem Griceschen Mechanismus (Grice 1979b) als Kommunikationsversuche (KV) beschrieben. Die von Grice vorgelegte Grundform eines KV ist wie folgt formuliert: (1) (2) (3) (4)

S S S S

tut tut tut tut

f f mit der Absicht, daß H eine bestimmte Reaktion r zeigt f mit der Absicht, daß H glaubt (erkennt), daß S (2) beabsichtigt f mit der Absicht, daß H aufgrund der Erkenntnis von (2) r zeigt.

Dieses Grundmodell der intentionalen Bestimmung von Handeln ist nur vor dem Hintergrund einer allgemein üblichen Praxis zu verstehen, d.h. daß f-tun den Bedingungen der Üblichkeit entsprechen muß. 5 In Analogie zum allgemeinen Handlungsbegriff wird beim Kommunikationsversuch zwischen Ergebnis und Folge unterschieden: Eine Handlung ist dann gelungen, wenn ihr Ergebnis erreicht ist (d.h. die Adressatin / der Adressat hat verstanden) und sie ist erfolgreich, wenn ihre intendierte Folge eingetreten ist (d.h. Adressatin zeigt die intendierte Reaktion (r), Harras 1983). 6 Versteht man nun konversationale Implikaturen als Typ eines Kommunikationsversuchs, so muß analog auch für diese Kommunikationsversuche gelten, daß sie gelungen bzw. mißlungen und erfolgreich oder auch nicht erfolgreich sein können. Daher soll unterschieden werden zwischen:

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Weiter differenzierende Bedingungen führt Meggle (1981) ein. Eine genauere Diskussion der Beschreibung eines Kommunkationversuchs als an dieser Stelle möglich findet sich bei Harras (1983:13Iff). Zur Debatte um Gelingen und Erfolgreichsein auch Keller (1976), Wunderlich (1976:1 lOff).

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- gelungenen/nicht-gelungenen konversationalen Implikaturen - erfolgreichen/nicht-erfolgreichen konversationalen Implikaturen.7 Als gelungen bezeichne ich eine konversationale Implikatur genau dann, wenn die/der Adressatin anhand der Reaktion r zeigt, daß sie die Implikatur als Kommunikationsversuch verstanden hat und den von der/dem Sprechenden intendierten Schlußprozeß vollzogen hat. Folgendes Beispiel soll diese Unterscheidung verdeutlichen: i) A tut p, meint aber q, und will daß Β r zeigt. A möchte, daß Β aufhört, an ihrer Pizza herumzuschneiden.8 A sagt: "Brauchst Du vielleicht eine Axt?" Β antwortet: "Das ist eine gute Idee, gib doch mal rüber. " Der KV wäre nicht gelungen, wenn Β ihre Äußerung als ernsthaften Beitrag gemeint hätte (was man hier wohl nicht annehmen kann). ii) Β zeigt, daß sie verstanden hat, daß A q meint, zeigt aber r nicht: Β meint "Laß mich gefälligst in Ruhe" und fährt in ihrer Tätigkeit fort. Hier ist die KSATI, in diesem Falle eine ironische Wendung, zwar gelungen: Β hat erschlossen, daß es sich um eine ironische Wendung handelt und glaubt nicht wirklich, daß A ihr eine Axt zum Schneiden ihrer Pizza anbietet; sie hat das Gemeinte korrekt erschlossen. Allerdings ist die Intention, die von A über die KSATI geäußert wird, nicht erfüllt: Β fährt in ihrer Tätigkeit fort. Die konversationale Implikatur ist nicht-erfolgreich. Anders, wenn sich die Interaktion wie folgt entwickelt: iii) A tut p, meint aber q, und will, daß Β r zeigt. A möchte, daß Β aufhört, an ihrer Pizza herumzuschneiden. A sagt: "Brauchst Du vielleicht eine Axt?" Β zeigt, daß sie verstanden hat, daß A q meint, und zeigt r : Β meint zwar: "Blöder Spruch", gibt aber ihrer Mutter die Pizza zum Schneiden. Wie deutlich wird, kann eine Implikatur zwar gelingen, aber trotzdem nicht erfolgreich sein. Als gelungen gelten diejenigen Versuche, in denen der intendierte Schlußprozess in Gang gesetzt wird. Dies ist zu unterscheiden von den erfolgreichen oder nicht-erfolgreichen konversationalen Implikaturen, denn erfolgreich ist eine Implikatur nur dann, wenn die gewünschte Handlung vollzogen wird. Die Frage nach möglichen Funktionen und Zielen von konversationalen Implikaturen kann anhand der sprecherorientierten Intentionen formuliert werden. Sieht man zunächst von Ironie als Form einer konversationalen Implikatur ab, da dieser sicherlich ein beson'

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Auch konventionale Implikaturen lassen sich als KV beschreiben, allerdings müssen andere Nachweiskategorien für die SchluBprozesse aufgeführt werden, u.a. anhand semantischer Indikatoren (Karttunen/Peters 1975). Das Beispiel ist entnommen aus einem familiären Diskurs; Rundquist (1990:514).

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deres stilistisches und strategisches Moment zukommt (Groeben/Scheele 1984), so läßt sich die Hypothese aufstellen, daß die Spannung zwischen der Unbestimmtheit der Äußerung bzw. ihrer Stornierbarkeit und der mit der Implikatur von den Partnerinnen eingeforderten kooperativen Inferenzleistung die Spezifität von konversationalen Implikaturen im Kontext ausmacht: das Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz begründet den 'besonderen Charme' der Implikaturen.

2. Intergruppenkommunikation und Vorurteil In jeder Interaktion, besonders in initialen Begegnungen, versuchen die Interagierenden, einander anhand akustischer und visueller Parameter einzuschätzen. Eine Form dieses "partner perception "-Prozesses ist die Kategorisierung von Interaktions-partnerinnen anhand der Zuordnung zu einer sozialen Gruppe (Taj fei/Turner 1989). Diese kann als Eigengruppe ("ingroup"), aber auch als Fremdgruppe ("outgroup") kategorisiert werden. Während die ingroup durch das Vorhandensein von wir-Gefühl gekennzeichnet ist und mit positiven Merkmalen belegt ist, wird dagegen auf die outgroup in distanzierender Weise referiert (Kallmeyer 1989). Diese wird auch eher mit negativen Attributen belegt (Mummendey/ Schreiber 1983). Versteht man die Begegnung zwischen älteren und jüngeren Menschen als Intergruppenbegegnung (Giles 1991), so gilt es, die gegenseitigen Meinungen, Haltungen, Einstellungen und Vorurteile in die Analyse der Interaktion zu integrieren. Dabei muß bei Intergruppenbegegnungen das Gruppenvorurteil oder Gruppenstereotyp als handlungsleitendes Element in die Analyse des sprachlichen Handelns einbezogen werden. Bisher hat die linguistische Vorurteilsforschung vor allem explizite Stereotype und Vorurteile thematisiert (Quasthoff 1979, Gebhardt 1978), indirekt abwertende oder vorurteilsbeeinflußte Äußerungen sind dagegen wenig erforscht. Dies gilt besonders für sprachlich realisierte Diskriminierungen: "As compared with the relative simplicity and ease of identifying explicitly discriminatory speech, the realm of implicit discrimination is vast and largely unexplored" (Graumann 1994:21). Wie stark stereotype Vorstellungen gerade die Interaktion zwischen Alt und Jung beeinflussen, zeigen die verschiedenen Untersuchungen der Forschergruppe Giles/Coupland. Ryan/Giles/Bartolucci/Henwood (1986) und Coupland/Coupland/Giles/Henwood (1988) entwickelten auf der Basis der Akkommodationstheorie ein "communication predicament model" für Kommunikationen mit älteren Personen, demzufolge Ältere hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, sich in Kommunikationen zu entfalten, durch Jüngere benachteiligt werden. Als Folge dieses Benachteiligungsprozesses leidet das Selbstbild Älterer ebenso wie die adäquate Wahrnehmung von Älteren durch Jüngere. Auf der Basis der Akkommodationstheorie unterscheiden die Autoren Strategien, die jüngere Menschen typischerweise in Gesprächen mit älteren einsetzen. Dazu gehören Überakkommodation, z.B. durch überlautes Sprechen oder Übersimplifizierung von Gesprächsinhalten, überfürsorgliches, direktives Sprechen und disziplinierende Sprechhandlungen ("baby talk", Caporael/Culbertson 1986), aber auch Abgrenzung von der outgroup durch "age related divergence", bzw. Betonen der Zugehörigkeit zur ingroup. Coupland/Coupland/Giles/Henwood (1988) zeigen 'typische' Strategien älterer Personen auf: mangelnde Akkommodation an die Interessen Jüngerer,

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z.B. durch eine starke und kontinuierliche Bezugnahme auf die Vergangenheit oder die eigene Person, Abwertung der eigenen Person durch stereotypkonsistente Selbsteinschätzung, Betonen bestimmter Werte und Erfahrungen, die die Verschiedenheit der sozialen Gruppen zum Inhalt haben ("intergroup divergence"). Bedeutend weniger ist bisher über die Vorurteile älterer Menschen gegenüber jungen Menschen bekannt. Neuere Forschungen zeigen auf, daß der Stil des "patronizing talk" (Harwood/Giles/Ryan/Williams 1993) keineswegs nur bei Jüngeren nachgewiesen werden kann, sondern daß auch Ältere über ihre Strategien Jüngere in Gesprächen benachteiligen und dominieren können. Im Kontext von stereotypgeleiteten Schlußprozessen sind einige der in Intergenerationengesprächen vorzufindenden verbalen Strategien besonders relevant. So konnten Coupland/ Nussbaum/Coupland (1991) zeigen, daß Jüngere über gesprächskontrollierende Handlungen mehr "self-disclosure"-Äußerungen von Älteren forcieren, d.h. explizit und implizit ermutigen, über sich selbst zu sprechen. Dazu gehört auch "painful self-disclosure", das Mitteilen schmerzlicher Lebenserfahrungen wie Krankheit und Tod. Im Zusammenhang mit Vorstellungen über das Alter erweist sich die explizite Thematisierung von Alter im Gespräch ("disclosure of chronological age") als wichtige Kategorie, da mit der Nennung des Alters Rollenzuweisungen und Identitätszuschreibungen verbunden sind (Coupland/ Coupland/Giles 1991; Streeck 1988). Auch zeigen Studien, daß stereotype Altersbilder interaktiv bedingt sind und in Gesprächen im Sinne von Identitätsverhandlungen realisiert werden (Coupland/Coupland/Grainger 1991). Weiterhin ist davon auszugehen, daß Intergenerationengespräche thematischen Einschränkungen unterliegen und dadurch das Bild vom eingeschränkt kommunikativ kompetenten Alter aktualisiert wird. So zeigen Boden/ Bielby (1986), daß die Orientierung der Älteren an der Vergangenheit als ein Grund für Kommunikationskonflikte angesehen wird, und daß von Seiten der Jüngeren Themen mit antizipierten Meinungs- und Auffassungskonflikten vermieden werden. Anhand einiger der skizzierten sprachlichen Kategorien, die sich als relevant für Intergenerationengespräche erwiesen haben, soll im Anschluß exemplarisch mithilfe von Textausschnitten gezeigt werden, welche Rolle und Funktion Implikaturen in der Intergruppenbegegnung Alt/Jung zukommen kann.

3. Vorurteil und Implikaturen: Alt und Jung im Gespräch Kommunikation enthält immer ein Stück Risiko, z.B. das Risiko des Imageverlustes, des Mißverstanden-Werdens oder auch des offenen Konfliktes mit den Interaktionspartnerinnen. Beim Gebrauch von impliziten Strategien muß in besonderem Maße auf die Kooperation des/der anderen gebaut werden, denn das Potential für Mißverständnisse ist hoch. Welche Vorteile nun bietet Sprecherinnen der Gebrauch von Implikaturen im Kontext einer solchen Intergruppenbegegnung? Geht man davon aus, daß, wie Coupland/Williams/Coupland (1991) behaupten, die Einstellungen zwischen Alt und Jung durch gegenseitige Stereotype geprägt sind, ja, daß man sogar von einer regelrechten Kulturgrenze ("cultural divide") zwischen den Generationen sprechen kann, so muß gefragt werden, ob und wie diese Stereotype kommuniziert

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werden. Vorwegnehmend läßt sich sagen, daß in allen aufgezeichneten Gesprächen das Thema des Altersunterschiedes thematisiert wurde. Allerdings waren die wenigsten der stereotypkonsistenten Äußerungen explizit, der weitaus größte Teil 'versteckte' sich in nuancierten Andeutungen und erforderte entsprechend komplexe Schlußprozesse. 3.1. Das Sprachmaterial Da nur wenige natürliche Gesprächssituationen existieren, in denen Ältere und Jüngere außerhalb beruflicher oder familiärer Kontexte ins Gespräch kommen, wurde das Sprachmaterial durch eine halbexperimentelle Untersuchung gewonnen. Teilnehmende dieses Teils der Untersuchung waren 30 Frauen der Altersgruppen jung (25-35 Jahre) und alt (über 68 Jahre). Jeweils eine jüngere und eine ältere Frau wurden gebeten, sich in einem kurzen Gespräch gegenseitig kennenzulernen. Die Untersuchung fand in einer Weiterbildungseinrichtung für Ältere statt, daher waren die älteren Teilnehmerinnen bezüglich ihrer sozialen Zugehörigkeit und ihres gesundheitlichen Zustandes relativ homogen. Wir gehen davon aus, daß sie der Gruppe der "jungen Alten" zugerechnet werden können (Bottke 1989). Insgesamt liegen 15 Dialoge zwischen einer jungen und einer älteren Frau vor, die jeweils ca. 10 Minuten lang sind. Die Gespräche wurden anhand einer detaillierten und speziell auf Intergenerationengespräche abgestimmten Transkriptionsmethode verschriftlicht (Neubauer/Hub/Thimm 1994). Die hier wiedergegebene Vertextung ist zum Zweck der leichteren Lesbarkeit stark vereinfacht.9

3.2. Implikatur und Distanzierung: Der Altersunterschied Alle Gespräche haben gemeinsam, daß Alter bzw. der Altersunterschied der Teilnehmerinnen thematisiert wird. "Disclosure of chronological age" (DCA), also das explizite Nennen des Alters, läßt sich als wichtigste Strategie in diesem Zusammenhang anführen. Dabei werden die Bilder, die sich bezüglich des Altersunterschiedes vor allem auf Seiten der Älteren feststellen lassen, häufig durch Implikaturen kommuniziert. Beispiel 1: A: Gut'n Tach. Becker is mein Name. J: Gut'n Tag. Mein Name is Lindenbuch (leicht lachend). A: Sie sin noch sehr jung jetzt, net? J: Ja. Isch bin Mitte zwanzig. A: Ja. Und ich fiinfiinachzig. J: (erstaunt) Des hätt ich jetz nich gedacht. A: Ja und da (lacht leicht) ist der Unterschied ja eigentlisch en bissi groß, ne? Äh, die, die einzelnen Interesse sin dann doch verschiedn (lacht leise). J: Vielleicht. Aber 's wär sehr intressant zu erfahrn, also ich zum Beispiel, ich studiere hierin...

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A= Ältere Teilnehmerin, J= Jüngere Teilnehmerin.

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Dieses erste Beispiel zeigt, wie über die Initiierung der Altersfrage die Distanz zwischen den Generationen bereits zu Beginn des Gesprächs als grundlegendes Problem etabliert wird. Die direkt nach der namentlichen Vorstellung geäußerte Zuweisung des Alters läßt sich als "undemonstrative Verletzung" (Grice 1979a:253) der Maximen der Quantität und der Relation betrachten. Eine Verletzung der Quantität liegt vor, da die Information nicht völlig offengelegt wird, das Implikatum läßt sich als 'sie sind zu jung für mich und ich bin zu alt für Sie' zusammenfassen. Auch ist die Initiierung dieses Themas direkt im Anschluß an die ritualisierte Vorstellungsphase als ein plötzlicher Themenwechsel zu verstehen und somit eingeschränkt relevant. Die Implikatur ist insoweit gelungen, als die junge Frau explizit auf das Implikatum eingeht. Sie widerspricht mit einer für Jüngere typischen Komplimentierungsreaktion (Giles 1991), in der sie einen Teil des Implikatums ('ich bin zu alt für Sie') aufgreift. Anhand der semantischen Realisierung dieses Widerspruchs wird ebenfalls eine Implikatur deutlich, die sich als generalisierte konversationale Implikatur bezeichnen läßt (Grice 1979a:262), da sich dieser Schlußprozeß als charakteristisch für das Verhalten von Jüngeren bezeichnen läßt. Daß die Einschätzung eines älteren Menschen als jünger (aus welchen Gründen auch immer) als Kompliment formuliert ist, weist auf das Vorliegen eines negativen Altersbildes hin: Frau Becker sieht für Frau Lindenbuch eben nicht 'so alt' aus, wie es ihr Bild von einer 'typischen' Fünfundachtzigjährigen nahelegen würde (zumindest vermittelt sie diesen Eindruck). Sie vollzieht damit ebenfalls eine Abgrenzung von ihrer Gesprächspartnerin, indem sie dieser eine positive Distinktheit von der outgroup 'Alte' zuspricht. Die Ältere nimmt das Kompliment zwar zur Kenntnis, fühlt sich aber durch diese Äußerung in ihrer Auffassung, daß Alt und Jung wenig gemeinsam haben, zu Recht bestätigt. Fraglich ist bei diesem Austausch, inwieweit die implizite Referenz auf ein stereotypes Altersbild intentional ist, bzw. ob die junge Sprecherin damit einen 'Wink' vermittelt hat, ohne dies zu wollen. Der vierte Beitrag der Älteren läßt sich als eine interaktiv realisierte Form des "working out" bezeichnen. Nach dem komplimentierenden feed-back der Jüngeren legt sie ihr Vorurteil offen und verdeutlicht, welche Folgerungen für die aktuelle Interaktionssituation ihrer Ansicht nach daraus resultieren. Diese Handlung läßt sich als Insistieren bezeichnen: Da die Implikatur zwar gelungen war, aber nicht erfolgreich, wird nun durch eine direkte Offenlegung eine weitere Reaktion eingefordert. War der erste Austausch in Form einer konversationalen Implikatur sehr vorsichtig und verdeckt, so wird im zweiten Konkretisierungsschritt mit Hilfe einer konventionalen Implikatur vermehrt auf gemeinsames Wissen rekurriert. Nimmt man "doch" als semantisches Zeichen einer konventionalen Implikatur (Karttunen/Peters 1979), so wird als konventionaler Bezug die unterstellte Gemeinsamkeit im Wissen über Altersdifferenzen deutlich. Dies wiederum basiert auf einem Schlußprozeß, der aus der Komplimentierungsreaktion der Jüngeren resultiert. Der Austausch über das chronologische Alter macht die beiden gegensätzlichen Positionen der Teilnehmerinnen auch anhand semantischer Kriterien deutlich. Wie verschieden die Haltungen dem eigenen Alter gegenüber sind, zeigt sich nämlich am Grad der Präzision der Bezeichnungen: Ist für die junge Frau ihr Alter nur in Form einer Altersspanne relevant ("Mitte zwanzig"), so ist die Altersangabe der Älteren ganz präzise ("ich bin fünfunach-

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zig"). Dies ist ein impliziter Hinweis auf unterschiedliche Vorstellungen und Bewertungen: Zählt für die junge Sprecherin nur ein Altersbereich in Haibdekadenschritten, so kommt es der Älteren auf jedes einzelne Jahr an. Zunächst äußert keine der beiden Teilnehmerinnen ihre Ansicht explizit, d.h. es liegt bei beiden eine Nichterfüllung der Maxime der Quantität vor. Für diese Annahme spricht die Tatsache, daß die Komplimentierungsreaktion als Gelingen eines Schlußprozesses auf seiten der Jüngeren angesehen werden kann, der die Intention der Älteren erfüllt. An diesem ersten Beispiel zeigt sich eine Funktion von Implikaturen, die unabhängig von der hier beschriebenen Intergenerationenbegegnung zu prüfen wäre. Die ersten Minuten einer initialen Begegnung sind von gegenseitiger Unsicherheit und von dem Bemühen um "uncertainty reduction" (Berger 1987) geprägt. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß gerade in den Anfangsphasen von Gesprächen verdeckter und vorsichtiger interagiert wird, daß also in diesen Phasen vermehrt Implikaturen zu finden sind. Entsprechend kann diesen Implikaturen eine wichtige Funktion beim gegenseitigen Testen der Partnerhypothesen zugeschrieben werden (Bassok/Trope 1984). Wie Selbst- und Fremdeinschätzungen anhand von DCA kommuniziert werden können, zeigt das nächste Beispiel, in dem über eine selbstironische Äußerung der Schlußprozeß in die gewünschte Richtung gelenkt wird:

Beispiel 2: A: J: A: J:

Jetz müsse Sie sich aber grad mit so 'ner Alten unterhalten, gell? (lachend). Hab' ich nix dagege flacht etwas). Ich bin achtundsiebzich. Wie alt sind Sie? Ich bin, äh (räuspert sich), immer Schwierigkeiten. Ich werd achtundzwanzig (leicht lachend). A: Ha, jetzt kö, denke se mal, Sie könnte ja meine Enkelin sein. J: Meine Oma ist vierundachtzig. Auch hier liegen Implikaturen vor. Die ältere Frau impliziert über ihre ironisch-abwertende Formulierung "grad so ne Alte", daß die junge Frau mit ihr als Partnerin sozusagen 'Pech' gehabt habe, da eine Unterhaltung mit Älteren für eine Jüngere weniger interessant sei. Das Implikatum enthält einerseits eine generelle Abwertung von älteren Menschen, die sich als eine Distanzierung von der ingroup deuten läßt, aber auch eine negative Selbsteinschätzung ('Ich bin alt und daher keine interessante Partnerin für eine jüngere Frau'). Die flagrante Verletzung der Qualitätsmaxime ist an der ironischen Formulierung erkennbar, die wirkliche Ansicht wird nicht offenlegt. Diese Implikatur läßt sich aufgrund der tag-question ("gell?") auch als indirekte Aufforderung beschreiben. An dieser Stelle wird wiederum der hypothesentestende und prüfende Charakter einer derartigen Implikatur deutlich: Die ältere Frau intendiert als Reaktion eine Widerlegung der von ihr implizierten Auffassung. Dies wird erreicht: Die Implikatur ist erfolgreich, denn die Jüngere widerspricht der implizierten Abwertung von älteren Menschen. Allerdings geschieht das nur in der ersten Erwiderung direkt. Der letzte Beitrag der jungen Sprecherin läßt sich ebenfalls als Implikatur deuten: Das Nennen des Alters der eigenen Großmutter, die älter als die ältere Teilnehmerin ist, kann als Bestätigung oder Widerlegung der Aussage

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über die Enkelbeziehung gewertet werden. Diese Implikatur entsteht durch eine Verletzung der Quantitätsmaxime und erzeugt aufgrund ihres "stillen und undemonstrativen Verletzens" Unklarheit über das Implikatum auf Seiten der Älteren: Sie ist irreführend (Grice 1979a:253). Erst im weiteren Verlauf wird nämlich deutlich, daß die jüngere Frau eine Zuweisung von höherer Kompetenz durch den Altersvergleich mit ihrer eigenen 'Oma' intendierte! Auch das dritte Beispiel für die Thematisierung des Altersunterschiedes zeigt, wie stark die Begegnungen zwischen Alt und Jung von der Zugehörigkeit zur jeweiligen Altersgruppe und den damit verbundenen Erwartungen geprägt sind. Beispiel 3: A: Ich find das sehr nett, daß Sie so jung sind, (lacht ) Ich versteh mich immer sehr gut mit jungen Frauen. J: Ahah? A: Sind sie auch ... ? In diesem Ausschnitt wird von der älteren Sprecherin nicht das eigene Alter zum Thema gemacht, sondern das der jungen Partnerin. Die ältere Teilnehmerin impliziert durch die Betonung auf ihren guten Kontakten mit Jüngeren, daß diese Haltung keineswegs selbstverständlich ist. Auch soll die Generalisierung "immer" darauf hinweisen, daß dies eine Eigenschaft ihrer Person ist und sie sich dadurch von anderen Frauen ihrer Altersgruppe unterscheidet. Die fragende Reaktion der jungen Sprecherin zeigt, daß sie das Implikatum ('nicht alle Alten verstehen sich gut mit Jungen') verstanden hat. Ihre Reaktion verdeutlicht Interesse an weiteren Erläuterungen dieser implizit geäußerten Ansicht über das schwierige Verhältnis der Generationen zueinander. Auch dieser Ausschnitt stammt aus einem Gesprächsanfang. Die Bewertung der jüngeren Gesprächspartnerin fallt explizit positiv aus, zeigt aber, ähnlich wie die Komplimentierungshandlung der jungen Frau in Beispiel 1, implizit die Distanz zwischen den Altersgruppen auf. Neben der distanzierenden Formulierung "so jung", die als Form einer konventionalen Implikatur angesehen werden kann, wird über die explizite Thematisierung des Geschlechts ("junge Frauen") aber wieder eine Gemeinsamkeit im Sinne einer gemeinsamen ingroup hergestellt ('wir Frauen'). Im weiteren Verlauf des Gesprächs zeigt sich übrigens, daß die ältere Teilnehmerin sich viel Mühe gibt, die Behauptung, daß sie gut mit jüngeren Frauen kann, einzulösen! Faßt man die Ergebnisse bezüglich der Thematisierung von Alter zusammen, so wird deutlich, daß Alter der herausragende Kategorisierungsfaktor dieser Begegnungen ist. Gerade die positiven Bewertungen verdeutlichen, wie wenig selbstverständlich die Teilnehmerinnen diesen Kontakt einschätzen. Die Initiierung des Themas 'Altersunterschied' geht immer von den Älteren aus und wird in den meisten Fällen mithilfe von Implikaturen kommuniziert. Die Implikata lassen sich dem Typ 'Wir sind weit voneinander entfernt'/'wir haben nichts gemeinsam' zuordnen. Dies wird zwar verschieden bewertet (in Beispiel 1 und 2 negativ, in Beispiel 3 positiv), aber die zugrundeliegende Distanzierung wird ersichtlich. Betrachtet man eine Initialbegegnung unter der Prämisse des erhöhten Risikos an nicht oder falsch Verstehen, so erstaunt zunächst, wie häufig die Distanz zwischen den Gruppen

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zum Thema gemacht wird. Es erscheint als ein spezifisches Charakteristikum von Älteren im Kontext einer Intergenerationensituation, das Problematisieren von Altersdifferenzen als Aspekt von Identitätsverhandlungen zu Beginn der Gespräche 'abzuarbeiten'. Es zeigt sich aber m.E. auch, daß der vage Stil, d.h. das Gemeinte zunächst aus dem Gesagten erschließen zu müssen, ein nicht zu unterschätzendes kooperatives Moment beinhaltet. Überprüft wird letztlich, ob die Jüngeren den gewünschten Schlußprozeß vollziehen oder dies verweigern, bzw. welche Reaktionen sie zeigen. Daher läßt sich die kommunikative Funktion der Implikaturen in diesen Eröffnungsphasen als Hypothesentesten bezeichnen.

3.3. Implikaturen und Konflikte Mit konversationalen Implikaturen gehen Sprechende einerseits das Risiko ein, nicht richtig oder auch gar nicht verstanden zu werden, sie können aber auf der anderen Seite aufgrund ihrer Vagheit und ihres Bezuges zum Kooperationsprinzip auch stabilisierend bzw. sogar konfliktvermeidend wirken. Unterschiede bezüglich bestimmter sozialer oder politischer Wertvorstellungen sind typische Konfliktthemen in Intergenerationengesprächen und werden aufgrund ihrer Brisanz häufig in Form von Implikaturen 'verpackt'. Ein Vorurteil von Älteren gegenüber Jüngeren thematisiert der folgende Ausschnitt, in dem der Generationenkonflikt und der implizite Vorwurf 'Euch geht's ja heut viel besser als uns' die zentrale Rolle spielen: Beispiel 4: A: Spielt halt heut' das Geld spielt 'ne große Rolle J: Hmhm. A: Des is heut das wichtigste. J: Ich glaub viele machn 's auch nich' freiwillig. Also viele (holt Luft), viele Frauen, denk ich mir, müssn auch halt ganztags arbeitn. A: Haja, weil das Lebn so teuer is. J: Ja. Viele würden vielleicht gerne halbtags arbeitn, findn aber keine (holt Luft) gescheite Stelle. A: Haja, des Lebn is so teuer un die Ansprüche sind so hoch, nich, bei jungn Leutn halt. J: Hmhm, ham Sie eigentlich Kinder? A: Ja, ich habe auch drei. J: Drei, boa (staunend). Der Aufbau dieses Dialoges läßt sich als zunehmender Präzisierungsprozeß des Gemeinten bezeichnen. Bereits in der ersten Äußerung ist das Implikatum enthalten, nämlich: 'Geld spielt eine große Rolle: Für Jüngere'. Diese Implikatur ist eine Verletzung der Quantitätsmaxime, da die Äußerung nicht so informativ wie nötig war. Die Implikatur ist gelungen: Die junge Sprecherin hat wohl verstanden, was die ältere wirklich sagen will. Ihre Antwort erfolgt ebenfalls in Form einer Implikatur, denn sie sagt weniger als erforderlich wäre (auch wenn sie dies einige Beherrschung kostet, wie an dem häufigen Luftholen ersichtlich wird!). Argumentativ versucht sie, die Ältere davon zu überzeugen, daß die allgemeine gesell-

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schaftliche Situation Frauen zum Aufnehmen einer Arbeit bewegt und nicht die angedeuteten konsumorientierten egoistischen Motive ausschlaggebend seien. Schien es zunächst anhand der zustimmenden Reaktion der älteren Sprecherin so, als habe diese implizite Strategie Erfolg, so zeigt sich in der nächsten Äußerung, daß die Implikatur der Jüngeren nicht erfolgreich war. Der kurze Implikaturen-Schlagabtausch findet ein Ende: Die ältere Teilnehmerin macht ihr Vorurteil explizit, indem sie die hohen Ansprüche eindeutig den Jüngeren zuordnet. Der Äußerung: "die Ansprüche sind so hoch nich, bei jungn Leutn halt", ist als Vorwurf und Verurteilung zu verstehen. Angesichts dieses Strategiewechsels vom impliziten zum expliziten Vorwurf ändert auch die junge Frau ihr Verhalten: Sie umschifft mit einem abrupten Themenwechsel den Konflikt. Dabei scheint sie den Wechsel an altersstereotypgeprägten Erwartungen auszurichten, ihr Schlußprozeß könnte wie folgt verlaufen sein: 'Um ein konfliktäres Thema zu beenden, muß ich etwas anbieten, was auf das Interesse der Älteren stößt. Ältere interessieren sich vor allem für sich selbst und für ihre Familie, also stelle ich eine Frage, die zu diesem Themenkomplex paßt.' Der Erfolg dieser Strategie gibt ihr Recht: Ihre Gesprächspartnerin insistiert nicht weiter auf dem Dissenz, sondern läßt sich auf das von der Jüngeren initiierte Thema ein. Dieses Beispiel gibt einen Hinweis auf eine weitere mögliche Funktion von Implikaturen: In Situationen, in denen die Gesprächspartnerinnen einen offenen Konflikt über einen inhaltlichen Dissenz vermeiden wollen, ist der Gebrauch von Implikaturen so lange sinnvoll, wie beide Partnerinnen sich auf den Austausch von Implikaturen beschränken. Wird der Dissens jedoch offen angesprochen, können einseitige Implikaturen diese konfliktvermeidende Funktion nicht mehr erfüllen. Waren die Textausschnitte 1 - 4 Beispiele, die von Vorurteilen bzw. Ansichten der Älteren über Jüngere geprägt waren, so verdeutlicht der nächste Dialogausschnitt, wie sich die Vorurteile von Jüngeren gegenüber Älteren niederschlagen können: Beispiel 5: A: Schade, daß wir, wir habe doch viel Erfahrung im Leben und im Krieg und alles, daß aber manche Junge davon gar nichts höre wolle. J: Ja, Sie müssen, vielleicht liegt des daran, daß, also ich hab' keine jüngeren, ich hab nur ältere Geschwister, und Tantn Onkel warn natürlich auch immer alle ältere Generationen. Deshalb find ich 's immer gut, mit Älteren umzugehen, ich kann mit Kindern umgehen, ich kann aber auch, denk ich, ganz gut mit älteren ... A: Hmhm hmhm. J: ... Leuten umgehen (lächelnd). Des macht mir auch mehr Spass. A: Ich find ... J: Und, ich find's sogar sehr interessant. A: ... des hochinteressant. Ich, mir hattn auch ne Großmutter mit sechseneunzig, wenn die von früher erzählt hat. Also ich war am Freitag bei einem, in so, bei so 'nem Galeriebesuch. Und da hat 'en junger Mann aus der DDR, hat erklärt, wie man Holzschnitte macht. Un dann hab ich ihm gsagt, daß ich also in ... J: Hm.

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Nachdem die ältere Frau das mangelnde Interesse von Jüngeren an Älteren und deren Lebenserfahrung beklagt hatte, wird über eine Implikatur von Seiten der Jüngeren für dieses Desinteresse eine Rechtfertigung versucht: Nicht alle Jüngeren hätten so viel Erfahrung mit älteren Menschen wie sie selbst und könnten daher eben einfach nicht mit Älteren "umgehen". An dieser Stelle liegt eine undemonstrative Verletzung der Quantitätsmaxime vor. Es wird impliziert, daß alte Menschen mit Kindern zu vergleichen seien, und daß man mit ihnen 'umgehen' können muß. Das heißt, es werden spezielle Fertigkeiten angedeutet, die man sowohl im Umgang mit Kindern als auch mit alten Menschen braucht. Indem sich die Sprecherin von der Menge der Jüngeren erneut abheben will, wird über eine konventionale Implikatur zusätzlich impliziert, daß dieser Kontakt nicht notwendigerweise für Jüngere attraktiv ist: "ich finds sogar sehr interessant." Die ernstzunehmende Imagebedrohung wird von der Betroffenen auf höchst elegante Art umgangen: Sie stimmt der Definition der 'alten Menschen' als outgroup-Markierung zu. Dies wird durch eine Verschiebung des Adressatenbezugs erreicht. Die ältere Frau demonstriert, daß sie sich von der Bezeichnung 'alte Menschen' nicht angesprochen fühlt, und führt als Beispiel für ein Mitglied der outgroup 'Alte' ihre eigene Großmutter an (deren chronologisches Alter auch hier wieder als Distanzierungskategorie fungiert). Um ihre Zurückweisung des Implikatums 'Alte Menschen sind wie Kinder - man muß mit ihnen umgehen können - auch Sie sind alt - auch Sie sind wie ein Kind - auch mit Ihnen muß man umgehen können' zu verstärken, erzählt die Ältere im weiteren Verlauf von einer typisch 'jüngeren' Aktivität, nämlich einem Galeriebesuch. Auch dies ist als Implikatur anzusehen, da anhand des Erzählens der Geschichte über den Galeriebesuch eine Widerlegung des Altersstereotyps intendiert ist. Bisher wurde Implikaturen eher konfiiktvermeidende und beziehungsstabilisierende Funktion zugeschrieben. Allerdings können Implikaturen auch Anlaß für Konflikte sein. Ein Beispiel, wie nicht-gelungene Implikaturen ein ganzes Gespräch beeinflussen können, zeigt der folgende Gesprächsausschnitt: Beispiel 6: A: Ja, denn man los. Was machen Sie denn beruflich? J: Och, oje (seufzend), das is immer die erste Frage. Vielleicht also erst mal mein Name. Ich heiße Petra (holt tief Luft). A: Genau. Gut. Find' ich nämlich besser. Ich heiße Annelena. J: Hmhm. A: Wohnort? J: InH. A: Hmhm. Ich in B. J: Aja. Und, ähm, wie sind Sie hierher gekommen? A: Ja klar. J: Wie, mein ich? Weil das ja in H. is. A: Ach so. Ja. Ja mit'm Auto, η Hubschrauber hab' ich noch nicht. J: Nee, ich mein wie kommt man an so was 'ran, wenn das hier in H. stattfindet, und Sie kommen aus B. ? Sind Sie öfter mal in H. ? A: Ja, ich bin doch hier in der Altenakademie.

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J: Wußte ich doch nicht, ich kenn' Sie doch nicht. A: Ich dachte, Sie wüßten, was die junge Dame uns aus der Altenakademie (holt Lufi), äh, gebeten hat, daß wir zur Verfiigung stehen. J: Nee, ich weiß überhaupt nichts, ich bin total grün hinter den Ohren. Ich bin gerade hierher gekommen und, ¿ih ... A: Oh. J: ... soll mich dann mit Ihnen unterhalten. Und ich kenne Sie nicht, weiß wer Sie sind, was Sie machen. Dazu weiß ich gar nichts. Der Austausch über die von der Jüngeren gestellte wie-Frage zeigt einen mißlungenen Fall von Disambiguierung. Normalerweise werden ambige Äußerungen unproblematisch verstanden, da sie sich zumeist aus dem Kontext erfassen lassen. Geschieht dies nicht, wie im vorliegenden Fall, sondern wird eine andere Bedeutung verstanden, so kann dies zu gravierenden Kommunikationsstörungen führen. Die Frageformulierung der Jüngeren ist selbst unter Beachtung des Kontextes mißverständlich, das "wie" kann sich auf die Art der Fortbewegung beziehen, aber auch auf die Begründung der Anwesenheit bei dem Experiment. Die Interpretation der Älteren als auf das Verkehrsmittel bezogen, ist aus dem vorangegangenen Austausch von Informationen über den Wohnort gerechtfertigt. Insofern stellt die Formulierung der Jüngeren eine Verletzung der Maxime der Relation dar. Sie meinte mit ihrer Frage nicht das Medium der Fortbewegung, sondern intendierte eine weitergehende Erklärung von seiten der Älteren über den Grund ihrer Anwesenheit bzw. eine Erklärung für die Teilnahme an dem Experiment. Diese Implikatur gelingt nicht: Die Ältere vollzieht den intendierten Schlußprozeß nicht. Sie reagiert auf die erneute Frage der Jüngeren mit Ironie, d.h. sie antwortet ihrerseits mit einer Implikatur ("Ja, mit'm Auto, η Hubschrauber hab ich noch nicht"). Diese Implikatur entsteht durch einen offenen Verstoß der Älteren gegen die Maxime der Quantität, d.h. sie ist als Implikatur klar zu erkennen. Die ironische Reaktion ist konversationsanalytisch auch als Zurückweisung der insistierenden Fragen der Jüngeren interpretierbar, hatte die ältere Sprecherin doch zu Beginn versucht, das Gespräch zu initiieren und war auf recht unsanfte Weise zurückgewiesen worden ("Och je, das is immer die erste Frage. Vielleicht also erst mal mein Name"). Die jüngere Frau erkennt an der ironischen Replik das Meßlingen ihrer Implikatur und reagiert mit einer Korrektur. Grice formuliert dies als die Möglichkeit, die Implikatur zurückzunehmen (cancellability). An dieser Stelle des Dialogs zeigt sich m.E., wie wichtig diese Eigenschaft für Implikaturen ist, denn die Formulierung: "ne, ich mein...", läßt sich als dialogisch realisierte Aufkündigung der Implikatur verstehen. Im weiteren Verlauf zeigt sich, daß gegenseitige Unterstellungen über gemeinsames Wissen und die nicht-gelungenen Implikaturen zum Scheitern des Gesprächs führen. Nimmt man die Partikel "doch" als semantisches Signal einer Implikatur, so wird deutlich, wie sich die fälschliche Unterstellung gemeinsamen Wissens als konfliktär herausstellen kann. Die ältere Frau impliziert über ihre Äußerung: "ich bin doch hier in der Altenakademie", daß dieser Tatbestand der Jüngeren bekannt sein müsse (obwohl keine der Teilnehmerinnen eine diesbezügliche Information aus den Versuchsinstruktionen hätte entnehmen können). Die Jüngere weist die Schlußfolgerung zurück, sie deutet diese Äußerung der Älteren als impli-

Intergruppenkommunikation

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zite Kritik, so als müsse sie über die erwähnte Information verfügen. Entsprechend ist ihre Reaktion darauf: Sie betont ihren Mangel an Wissen, ja sie weist sich über eine variierte Redewendung als jung und ahnungslos aus : "ich weiß überhaupt nichts, ich bin total grün hinter den Ohren. " Die Metapher "grün hinter den Ohren" ist eine ungewöhnliche Zusammensetzung aus zwei sprachlichen Bildern. Folgender semantischer Schluß könnte zu dieser Redewendung geführt haben: (i) Er/sie ist noch nicht trocken hinter den Ohren (Redewendung) (ii) Ich bin jung - nicht reif - grün (iii) Ich bin grün hinter den Ohren Über diese verdichtete Metapher wird nicht nur die Unterstellung von Wissen zurückgewiesen, es wird auch auf die Intergenerationenbeziehung angespielt, indem der Anteil der Redewendung, der sich auf das Jungsein bezieht, verstärkt wird. Diese Metapher läßt sich als semantisches Spiegelbild ihrer Einstellung auffassen. Das Gespräch verändert sich in seinem Charakter nach dem Fehlschlagen dieser Implikaturen völlig. Die junge Frau zieht sich auf eine reine Fragerolle zurück, während die ältere den Turn kontinuierlich behält und über einen Großteil des Gesprächs hinweg ihre persönliche Lebensgeschichte erzählt.

3.4 Zur interaktionellen Funktion von Implikaturen: "Conversational mitigation strategy" Es ließ sich feststellen, daß konversationale Implikaturen in dem untersuchten Gesprächsmaterial eine häufig nachzuweisende kommunikative Handlung darstellen, wobei sich fast alle als partikularisierte konversationale Implikaturen bezeichnen lassen, d.h. nur aus dem Kontext erschließbar sind. Insbesondere zu Beginn der Gespräche lassen sich gehäuft konversationale Implikaturen auffinden. Die Vermutung liegt nahe, daß diese Plazierung mit dem andeutenden Charakter von Implikaturen gekoppelt ist. Das Gemeinte ist zwar an der wörtlichen Bedeutung orientiert, aber es muß stark auf das Kooperationsprinzip rekurriert werden. Somit lassen sich konversationale Implikaturen auch als Teststrategien interpretieren, mit deren Hilfe sowohl die Kooperativität (insbesondere bei ironischen Wendungen), aber auch der Grad an Übereinstimmung bezüglich der Unterstellung gemeinsamen Wissens oder übereinstimmender Ansichten überprüft wird (Bassok/Trope 1984). Ausgangshypothese der Untersuchung war, daß negative Bilder über die andere Altersgruppe nicht direkt geäußert werden, sondern sich in Form von Schlußprozessen niederschlagen. Diese Hypothese ließ sich bisher besonders für die Altersgruppe der Jüngeren bestätigen, die insgesamt vorsichtiger und verdeckter mit ihren Vorurteilen umgehen als die Älteren. Diese beziehen sich zwar zunächst ebenfalls indirekt auf ihre Vorurteile, machen ihre Einstellungen dann aber auch explizit deutlich. Im Kontext solchermaßen verdeckten Handelns kann konversationalen Implikaturen konfliktvermeidende Funktion zugeschrieben werden: Stereotype Bilder werden nur implizit, selten aber explizit thematisiert. Gemeinsam ist vielen der vorgestellten Implikaturen, daß mit ihnen versucht wird, das Gemeinte zwar

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zu kommunizieren, dies jedoch in einer entschärften Art und Weise zu tun. Eine solche Strategie läßt sich auch als "conversational mitigation" (Fraser 1980) bezeichnen. Fraser versteht unter conversational mitigation: "Mitigation is not defined as a particular type of speech act but the modification of a speech act: the reduction of certain unwelcome effects which a speech act has on the hearer" (341). Als sprachliche Realisierungsformen von "conversational mitigation" nennt er "indirectness in performing a speech act, the use of distancing techniques, disclaimers, parenthetical verbs, tag questions and hedges" (341). "Conversational mitigation" hat die Funktion, unangenehme Tatsachen abschwächend zu kommunizieren und die für Gesprächspartnerinnen eventuell gesichtsbedrohenden Ansichten in einer entschärften Form zu übermitteln. Betrachtet man die von Grice als cancellability bezeichnete Nachweiskategorie, wird damit eine Eigenschaft von Implikaturen angesprochen, die zu ihrer entschärfenden Rolle beitragen kann. Über den disclaimer "I didn't mean it this way", wird ersichtlich, wie die kontextbezogene Funktion der Abschwächung an die Bedingungen von Grice gekoppelt ist. Es zeigte sich, daß Schlußprozesse stark über Annahmen und Erwartungen bzgl. Partnereigenschaften sowie Gruppenzugehörigkeit beeinflußt werden. Dies sind jedoch keine feststehenden Größen, sondern im Verlauf der Gespräche ergeben sich Veränderungen bei der Realisierung von Implikaturen. Sicherlich ist daher die Einbettung in eine Strategie der "conversational mitigation" nur eine mögliche Funktion von Implikaturen, denn je nach Kontext kann gerade Ironie den entgegengesetzten Effekt des 'Anheizens' haben. Es kann jedoch vermutet werden, daß generell strategische Motive für die Bevorzugung einer Implikatur eine wichtige Rolle spielen. Die Möglichkeit, etwas zwar zu meinen und auch zu kommunizieren, aber nicht explizit gesagt zu haben, trägt zur Strategie von "conversational mitigation" bei. Neben den durchaus positiven Funktionen, die mit dem Gebrauch von Implikaturen verbunden sind, läßt sich an dem häufigen Vorkommen von Andeutungen, Vermutungen und Hinweisen aber auch ablesen, wie unbekannt sich die Generationen sind und wie unsicher sich beide Gruppen im Umgang miteinander fühlen. Es zeigte sich an einigen Textstellen, daß konversationale Implikatur nicht gleich konversationale Implikatur ist. Anhand der semantischen Realisierung und anhand verschiedener Funktionen im Kontext lassen sich Unterschiede feststellen, daher erscheint eine Klassifizierung von konversationalen Implikaturen notwendig. Ein Ansatz dazu findet sich bei Walker (1979), der eine Unterscheidung von konversationalen Implikaturen anhand der Sprecherintention (U(utterance) und M(means)-Implikaturen) vorschlägt (dazu auch Rolf 1994:119ff). Wenn "eine Äußerung den Zuhörern einen Wink oder eine Nuance übermittelt, ohne daß das beabsichtigt war" (Walker 1979:446), sei dies als Äußerungsimplikatur zu verstehen. Geht man jedoch davon aus, daß die Adressierten eine Intention unterstellen müssen, um eine Handlung als KV zu verstehen, ist zweifelhaft, ob solche vagen, unabsichtlichen Andeutungen, denen kein intentionaler Charakter zugewiesen werden soll, Implikaturen sind. Fraglich erscheint, ob das Gricesche Konzept der Implikaturen ausreicht, um eine Theorie der Implizitheit zu begründen, die auch den hochkomplexen Schlußprozessen Rechnung trägt, die aus Sprechersicht keine Verletzung einer Maxime darstellen. Es erscheint daher notwendig, die verschiedenen Arten von Implikaturen anhand von gesprochener Sprache zu prüfen mit dem Ziel, eine gebrauchsorientierte und kontextbezogene Typisierung von Implikaturen zu erstellen.

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Michael CebuUa

Kommunikationsakte und ihr Gebrauch Im vorliegenden Aufsatz soll der Ansatz einer semiotischen Reformulierung der Sprechakttheorie vorgestellt werden. Zunächst wird ein Formalismus zur Beschreibung von Zeichenprozessen aus pragmatischer Sicht eingeführt, der auf Operatoren der intensionalen Logik beruht. Diese selbst werden hier allerdings nur informell beschrieben. Mithilfe dieses Formalismus kann Kommunikation dann als Kombination elementarer Zeichenprozesse definiert werden. Es kann gezeigt werden, daß auf diese Weise eine verhaltenstheoretische Grundlegung des Kommunikationsbegriffes gelingt. Der dabei entwickelte enge Kommunikationsbegriff muB im Gegensatz zum Originalmodell von Grice (1993a) nicht eine tendenziell unendliche Zahl von Reflexionsstufen berücksichtigen und damit ebenso viele Bedingungen für das Gelingen eines Kommunikationsaktes angeben; vielmehr wird der grundlegende Mechanismus kommunikativer Indirektheit isoliert, zu dessen Beschreibung die Annahme zweischichtiger intentionaler Systeme bereits ausreicht. Höherstufige Zeichenprozesse können dann mit dem Begriff des Gebrauchs von Kommunikationsakten beschrieben werden. Darüberhinaus soll dann das Konzept des Gebrauchs von Kommunikationsakten eingeführt werden, das es erlaubt, Probleme strukturiert anzugehen, die bisher als kommunikationstheoretische betrachtet wurden. Außerdem wird sich zeigen, daß diese Themen in einen Bereich fallen, in dem auch die sogenannte Theorie der Implikaturen angesiedelt ist.

1. Die Basis Um eine verhaltenstheoretische Grundlegung des Kommunikationsbegriffs leisten zu können, entwickelt Posner (1993) einen Formalismus, dessen Basis zunächst beschrieben werden soll. Mit einem Pfeil > ") werden im folgenden Kausalprozesse beschrieben, wobei das erste Argument dieses Operators die Ursache und das zweite die Wirkung enthält. Insbesondere sind Ausdrücke, die Kausalprozesse beschreiben, nicht mit logischen Implikationen zu verwechseln: ihre Wahrheitsbedingungen sind nur dann erfüllt, wenn die Ursache tatsächlich auftritt. Zwei zweistellige Prädikatoren beschreiben zwei Klassen von intentionalen Zuständen. Als erstes Argument fordern sie eine Individuen-Konstante, die das Verhaltenssystem bezeichnet, bei dem der betreffende kognitive Zustand auftritt (im folgenden die Buchstaben a und b)\ das zweite Argument steht für die Proposition, die in dem betreffenden System in dem durch den Prädikator angegebenen Modus repräsentiert wird (im folgenden die Buchstaben ρ und q). Die erste Klasse von inneren Zuständen umfaßt Überzeugungen jeder Intensität, also Repräsentationen wie "Wissen", "Glauben" und "Wahrnehmen", aber auch unbewußte und implizite Überzeugungen. Alle diese Zustände der Kognition werden durch den Ausdruck G(a,p) beschrieben: dieser wird (meistens) gelesen als "a glaubt, daß p". In die Klasse der Volitionen dagegen fallen so verschiedene Zustände wie "Wollen", "Wünschen" und "Beabsichtigen" sowie jede Form von Verhaltensdisposition. Der Ausdruck I(a,p) wird gelesen als "a beabsichtigt, daß p". Eine eher technische Rolle spielen der einstellige E- und der zweistellige Γ-Operator. Ersterer bezeichnet das Auftreten eines Ereignisses (im folgenden die Buchstaben e, f

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M. Cebulla

oder r), während letzterer das Verhalten eines reagierenden Systems beschreibt. T(aJ) bedeutet also: "a produziert das Ereignis/'.

2. Elementare Zeichentypen Mithilfe dieser Basis lassen sich vier Typen von Zeichenprozessen beschreiben, die durch fortschreitende Spezifizierung aus Kausalprozessen gewonnen werden. Diese werden zunächst wie folgt modelliert: (1)

Εφ

-> E(e)

Kausalprozeß

Während bei Prozessen dieser Form das Auftreten eines Ereignisses / das Auftreten eines beliebigen Ereignisses e zur Folge hat, läßt sich als erster Spezialfall ein Prozeß betrachten, bei dem die Wirkung eine Verhaltensänderung eines reagierenden Systems darstellt. Es handelt sich dabei um Signalprozesse: (2)

Εφ — > T(a,r)

Signalprozeß

Das Eintreten eines Ereignisses/löst bei einem reagierenden System a das Verhalten r aus. Semiotisch gesprochen fungiert dabei das reagierende System a als Adressat, T(a,r) wird als Interpretara bezeichnet, während man Εφ Zeichen oder Zeichenereignis nennt. Dieser Gebrauch des Begriffs deckt sich mit der Definition von Morris, der als Zeichen alles begreift, was in einem reagierenden System ein Verhalten auslöst (vgl. Morris 1975). Typische Beispiele für Signalprozesse findet man in primitiven Formen reflexhaften Verhaltens. Kognitive Zustände werden erst im nächsten Spezialisierungsprozeß betrachtet, dessen Ergebnis Anzeichenprozesse sind. Hier besteht der Interprétant des Zeichenprozesses in einer bestimmten Form des Verhaltens, nämlich der Annahme einer Überzeugung. (3)

Εφ — > G(a,p)

Anzeichenprozeß

Ein Anzeichenprozeß liegt dann vor, wenn ein Ereignis/dem Adressaten einen Grund dafür liefert, die Proposition ρ in seine interne Repräsentation der Welt aufzunehmen. Diese wird mit dem semiotischen Begriff der Botschaft bezeichnet. Die Botschaft erfährt eine weitere Spezifikation im Übergang zu Ausdrucksprozessen. Hier kommt ein Adressat aufgrund des Zeichenereignisses zur Überzeugung, daß sich ein weiteres reagierendes System in einem bestimmten Zustand Ζ befindet. (4)

Εφ — > G(a,Z(b))

Ausdrucksprozeß

Der einstellige Operator Ζ bezeichnet in weitestmöglicher Allgemeinheit den Zustand, in dem sich ein reagierendes System b befindet.

211

Kommunikationsakte

Der letzte der elementaren Zeichentypen umfaßt die sogenannten Gestenprozesse. Hier schließt der Adressat aus dem Eintreten des Ereignisses / auf die Absichten eines zweiten Verhaltenssystems b, r zu tun. (5)

Εφ

-> G(a,l(b,T(b,r)))

Gestenprozeß

3. Senderzeichen und Handlungen Die bisher vorgestellten elementaren Zeichentypen erlauben es, Zeichenprozesse einzig aus der Perspektive des Adressaten zu beschreiben. Um auch den Aspekt der Zeichenproduktion, der Verursachung von Zeichenprozessen zu erfassen, ist es notwendig, die Zeichendefinition zu erweitern. Im folgenden sollen den sogenannten Empfängerzeichen, die im letzten Abschnitt behandelt wurden, die Senderzeichen gegenübergestellt werden. Unter diesen Begriff sollen alle jene Ereignisse fallen, die von einem Verhaltenssystem absichtsvoll herbeigeführt wurden, um in einem anderen System ein Verhalten auszulösen. In der Semiotik bezeichnet man das auslösende System als Sender. Dabei erweist sich folgende Überlegung als fruchtbar: da alle Empfängerzeichen Spezialfälle von Kausalprozessen waren, werden alle Senderzeichen Spezialfälle von absichtsvoll herbeigeführten Kausalprozessen sein. Diese werden im folgenden als Handlungen bezeichnet und wie folgt notiert:

(6)

T(bJ) & I(b,E(f) - > E(e))

Handlung

Das Verhalten / des Handelnden b wird von dessen Intention begleitet, mit diesem Verhalten eine Wirkung e herbeizuführen. Anders ausgedrückt: der Handelnde möchte mit seinem Verhalten einen Kausalprozeß herbeiführen. Der obigen Definition der Senderzeichenprozesse folgend, lassen diese sich als Teilmenge der Menge aller Handlungen dadurch konstruieren, daß die Intention des Handelnden weiter spezifiziert wird. Um ein Zeichenereignis zu produzieren, reicht es nicht aus, einen beliebigen Kausalprozeß herbeiführen zu wollen; vielmehr muß der Handelnde beabsichtigen, mit seinem Verhalten in einem anderen Verhaltenssystem eine Reaktion auszulösen. Mit anderen Worten: er muß mindestens beabsichtigen, einen der elementaren Zeichenprozesse auszulösen. Im weiteren werden wir das absichtsvolle Auslösen eines Signalprozesses als Signalisierhandlung, das absichtsvolle Auslösen eines Anzeichenprozesses als Anzeigehandlung, das absichtsvolle Auslösen eines Ausdrucksprozesses als Ausdruckshandlung und das absichtsvolle Auslösen eines Gestenprozesses als Gestikulierhandlung bezeichnen. Diese Zeichenprozesse werden wie folgt notiert: (7) (8) (9) (10)

T(bj) T(bJ) T(bJ) T(bJ)

& l(b,E(f) & I(b,E(f) & I(b,E(f) & Ιφ,Εφ

--> ~> - > - >

T(a,r)) G(a,p)) G(a,Z(b))) G(a,I(b,T(b,r))))

Signalisierhandlung Anzeigehandlung Ausdruckshandlung Gestikulierhandlung

212

M. Cebulla

Da alle diese elementaren Senderzeichenprozesse Spezialfälle von Handlungen sind, werden wir im folgenden die Sender solcher Zeichenprozesse auch als Akteure bezeichnen.

4. Komplexe Zeichenprozesse Natürlich sind menschliche Akteure in der Alltagspraxis nicht allein auf ein derartig schmales Repertoire von Zeichenprozessen angewiesen. Zum Zwecke der Verständigung können sie vielmehr auf komplexere Zeichenprozesse zurückgreifen, die sich als Kombination elementarer Zeichenprozesse rekonstruieren lassen. Vorausblickend läßt sich sagen, daß sich insbesondere fünf Typen von Kommunikationsakten aus den elementaren Zeichentypen konstruieren lassen, die aufgrund ihrer Charakteristik den von Searle beschriebenen Sprechakttypen entsprechen (vgl. Searle 1990a). Aus Gründen der Übersichtlichkeit müssen wir uns jedoch im folgenden auf die Betrachtung komplexer Zeichentypen beschränken, die auf Signal- und Anzeichenprozessen beruhen. Es wird sich zeigen, daß dies der Beschränkung auf die Konstruktion von direktiven bzw. assertiven Kommunikationsakten gleichkommt. Das im folgenden an einem Beispiel vorgestellte syntaktische Verfahren ist jedoch auf alle elementaren Zeichentypen anwendbar (vgl. Posner 1993). Im folgenden werden wir mit der Betrachtung von Anzeichenprozessen beginnen und dann anhand von Beispielen zu komplexeren Zeichenprozessen übergehen. Der erfreute Gesichtsausdruck eines Mitspielers beim Kartenspiel kann für mich ein Grund zu der Vermutung sein, daß er gute Karten auf der Hand hat. Einen solchen Vorgang kann man als Anzeichenprozeß beschreiben (vgl. oben Formel (3)): ich (der Adressat) nehme den Gesichtsausdruck meines Mitspielers / zum Anlaß, die Proposition ρ (daß er gute Karten hat) in meine interne Repräsentation der Welt aufzunehmen. Andererseits kann ich, indem ich meinem Gesicht willkürlich einen erfreuten Ausdruck verleihe, absichtsvoll einen solchen Anzeichenprozeß auslösen. Indem ich also beabsichtige, mit einem scheinbar spontanen Lächeln beim Betrachten meiner Karten meine Mitspieler zum Glauben zu bringen, daß ich ein gutes Blatt habe, vollbringe ich eine Anzeigehandlung (vgl. oben Formel (8)). Diesen Mechanismus werde ich mir z.B. beim Pokern zu Nutze machen. Besonders dann, wenn ich schlechte Karten habe, werde ich versuchen, meine Gegner dadurch zu täuschen, daß ich meinem Gesicht einen besonders zuversichtlichen Ausdruck verleihe. Dieses Vorhaben wird aber dann mißglücken, wenn es mir nicht gelingt, meinem Gesichtsausdruck den Anschein von Spontaneität zu verleihen. In diesem Fall wird mein Gegenspieler aufgrund meiner schlechten schauspielerischen Leistung meine Absichten durchschauen. Mein Verhalten löst nun keinen Anzeichenprozeß mehr aus, vielmehr wird es ihm als Anzeichen einer Anzeigehandlung dienen. Als Ergebnis dieser komplexen Anzeichenprozesse wird er zu der Überzeugung kommen, daß ich beabsichtigte, eine Anzeigehandlung auszulösen. (11)

Εφ -> G(a, T(bJ) & Ιφ,Εφ - > G(a,p))) Anzeichen einer Anzeigehandlung

Kommunikationsakte

213

Bei der Betrachtung dieser Formel fallt auf, daß sie aus zwei Zeichenprozessen zusammengesetzt ist. In eine Formel für einen Anzeichenprozeß (vgl. oben Formel (3)) ist als komplexe Botschaft eine Formel für eine Anzeigehandlung eingebettet (vgl. oben Formel (8)). Darüberhinaus kann ich mir den Mechanismus dieses komplexen Anzeichenprozesses zu Nutze machen, indem ich ihn absichtsvoll auslöse. Indem ich ein erfreutes Lächeln produziere, das mißglückt erscheinen soll, kann ich versuchen, in meinem Mitspieler die Überzeugung zu induzieren, daß ich die Absicht habe, ihm die Qualität meines Blattes anzuzeigen (Ich kann mich z.B. deshalb so verhalten, um seine Sympathie zu gewinnen). In diesem Fall wäre mein Verhalten als Anzeige einer Anzeigehandlung zu verstehen: ich beabsichtige, mit meinem Verhalten das Anzeichen einer Anzeigehandlung zu produzieren. (12)

T(bJ) & I(b,E(f) - > G(a, T(bJ) & I(b,E(f) - > G(a,p)))) Anzeige einer Anzeigehandlung

Mein Verhalten der beschriebenen Art wird von mir in der Hoffnung produziert, daß der Adressat es als Anzeichen dafür nimmt, daß ich mit meinem Verhalten absichtsvoll ein Anzeichen produzieren wollte, um in ihm die Überzeugung zu induzieren, daß ich gute Karten habe.

5. Kommunikation Offensichtlich unterscheiden sich die Erfolgsbedingungen komplexer Zeichenhandlungen von denen elementarer. So ist eine elementare Anzeigehandlung dann erfolgreich, wenn sich der beabsichtigte Anzeichenprozeß einstellt, wenn z.B. der Adressat zu der Überzeugung kommt, daß ich gute Karten habe. Der im letzten Abschnitt skizzierte komplexere Zeichenprozeß dagegen ist erst dann erfolgreich, wenn der Adressat versteht, daß ich eine Anzeigehandlung vollbringen wollte. Natürlich bin ich als Kartenspieler nicht darauf angewiesen, zwischen diesen beiden Zeichentypen zu wählen. Vielmehr steht mir ein komplexer Zeichentyp zur Verfügung, der in meinem Adressaten beide Formen von Verstehen gleichzeitig induziert. Wenn ich einen solchen Zeichenprozeß auslöse, vollbringe ich eine Anzeigehandlung mittels der Anzeige einer Anzeigehandlung. So kann ich ja mithilfe des zuversichtlichen Gesichtsausdrucks beim Kartenspielen in meinen Mitspielern nicht nur die Überzeugung hervorrufen, daß ich ihnen die Qualität meines Blattes anzeigen will (wie in Formel (12) oben), sondern darüberhinaus ihnen diese gleichzeitig tatsächlich anzeigen. Die Anzeige einer Anzeigehandlung hat in diesem Fall zusätzlich die gleichen Konsequenzen wie sie die tatsächlich vollzogene Anzeigehandlung gehabt hätte. Ich kann diesen Effekt herbeiführen, indem ich zunächst (wieder wie im Beispiel oben) eine Anzeigehandlung anzeige. Zusätzlich wird meine Handlung diesmal jedoch von der Überzeugung begleitet, daß der Erfolg der komplexen Anzeigehandlung den Erfolg der elementaren verursacht.

Ai. Cebulla

214 (13)

T(bJ) & I(b,E(f) - > G(a, T(bJ) & I(b,E(f) - > G(a,p)))) & G(b, (Εφ - > G(a,T(bJ) & l(b,E(f) --> G(a,p))) ~>(E(f) --> G(a,p))) Assertiver Kommunikationsakt

Ich möchte also nicht nur erreichen, daß mein Gegenüber meine Mitteilungsabsicht versteht, sondern hoffe zusätzlich, daß sein Verstehen dieser Absicht für ihn einen Grund darstellt, die Botschaft meiner Mitteilung zu glauben. Zu dieser Hoffnung glaube ich mich durch die Überzeugung berechtigt, daß mir ein Mechanismus zur Verfügung steht, der die oben beschriebenen Erfolgsbedingungen des komplexen und des elementaren Anzeigeprozesses miteinander koppelt. Mit anderen Worten: ich glaube, daß die Kommunikationsbedingung erfüllt ist. Wenn ich eine komplexe Anzeigehandlung der oben beschriebenen Struktur vollbringe und die Kommunikationsbedingung erfüllt ist, sagt man, daß ich einen assertiven Kommunikationsakt vollzogen habe. Zusammenfassend kann man sagen, daß die Konstitution eines Kommunikationsaktes von zwei Bedingungen abhängt: (i)

Verstehensbedingung: Der Adressat versteht meine Mitteilungsabsicht. Die komplexe Anzeigehandlung, mit der der Sender eine Anzeigehandlung anzeigte, war erfolgreich. Wenn diese Bedingung erfüllt ist, ist mein Kommunikationsakt gelungen.

(ii)

Kommunikationsbedingung: Das Verstehen meiner Mitteilungsabsicht durch den Adressaten resultiert in seinem Verstehen meiner Mitteilung. Wenn diese Bedingung erfüllt ist, war mein Kommunikationsakt erfolgreich.

Es wird deutlich, daß Kommunikation in diesem Zusammenhang durch kommunikative lndirektheit charakterisiert wird: der Sender verzichtet darauf, den Adressaten mittels eines der elementaren Zeichenprozesse direkt zu einer bestimmten Reaktion zu bringen; stattdessen verläßt er sich darauf, daß der Adressat so handelt, als ob der elementare Zeichenprozeß stattgefunden hätte, weil er per Anzeigeprozeß von der Intention des Senders unterrichtet wurde, einen solchen elementaren Zeichentyp zu produzieren. Kommunikationsakte zeichnen sich dadurch aus, daß die Wirkungen elementarer Zeichenprozesse durch den Vollzug komplexerer verursacht werden sollen.

6. Kommunikation und Kooperation Im letzten Abschnitt wurde deutlich, daß ein Kommunikationsakt nur dann erfolgreich sein kann, wenn der Sender sich darauf verlassen kann, daß die Kommunikationsbedingung erfüllt ist. Im folgenden soll untersucht werden, unter welchen Umständen diese Überzeugung des Senders gerechtfertigt ist; die Antwort auf diese Frage soll im Begriff der Konveraion gesucht werden, wie er von Lewis (1975) entwickelt wurde. Betrachten wir wieder das Beispiel des Kartenspiels, diesmal des Skat. Wenn ich beim Skat denjenigen der anderen Spieler, mit dem ich zusammen gegen den dritten spiele, ein

Kommunikationsakte

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offenbar willkürlich produziertes Lächeln sehen lasse, steht er vor folgendem Problem: er erkennt zwar, daß ich ihm die Absicht anzeige, ihm die Qualität meiner Karten anzuzeigen, weiß aber nicht, ob er daraus den Schluß ziehen kann, daß ich tatsächlich gute Karten habe. Um dies entscheiden zu können, müßte er wissen, ob ich in kommunikativer Absicht gehandelt habe oder nicht. Offensichtlich kommt eine Verständigung nur dann zustande, wenn wir entweder beide in nicht-kommunikativer oder beide in kommunikativer Absicht handeln, d.h. nur dann, wenn er aus meiner Anzeigehandlung den Schluß auf die Qualität meines Blattes dann und nur dann zieht, wenn ich dies auch tatsächlich beabsichtigte. Auf das Ziel der Verständigung bezogen (nicht jedoch auf das des optimalen Zusammenspiels), gibt es also zwei Konstellationen, aus denen wir beide den optimalen Nutzen ziehen, nämlich erstens die, in denen wir uns beide nicht-kommunikativ und zweitens die, in denen wir uns beide kommunikativ verhalten. Konstellationen dieser Art nennt man koordinative Gleichgewichte, Situationen, in denen die Akteure sich auf eines von mehreren koordinativen Gleichgewichten einigen müssen, Koordinationsprobleme (vgl. Lewis 1975:15f.). Wenn beide Akteure in die Situation eines Koordinationsproblems geraten und sich kooperativ verhalten, werden sie versuchen, ein koordinatives Gleichgewicht herbeizuführen. Bei der Entscheidung für eine ihrer Handlungsalternativen werden sie sich von ihren Erwartungen leiten lassen, die sie bezüglich des Handelns ihres Gegenübers hegen. Aufgrund dieser Erwartungen werden sie versuchen, sich ebenso zu verhalten wie ihre KoAkteure. Wenn ich erwarte, daß mein Mitspieler sich kommunikativ verhält, werde ich mich ebenso verhalten. Ein Spezialfall tritt ein, wenn beide Akteure zu einer Gruppe gehören, in der es bezüglich einer Klasse von Situationen Konventionen gibt, die die Erwartungen der Handelnden regulieren. Eine solche Konvention existiert genau dann, wenn es in der betreffenden Gruppe eine Verhaltensregularität gibt, so daß (i)

jedes Mitglied der Gruppe in der betreffenden Situation dieser Regularität folgt.

(ii)

jedes Mitglied von jedem anderen erwartet, daß es ihr folgt.

(iii) jedes Mitglied es vorzieht, der Regularität zu folgen, sofern es die anderen auch tun, weil die betreffenden Situationen Koordinationsprobleme sind und die allseitige Befolgung der Regularität in diesen Situationen ein koordinatives Gleichgewicht ergibt (vgl. Lewis 1975:43). Offensichtlich erleichtert es den Kartenspielern in unserem Beispiel ihre Entscheidung ganz erheblich, wenn sie beide zu einer Gruppe gehören, in der bezüglich der Klasse von Verständigungssituationen die Konvention herrscht, sich möglichst kommunikativ zu verhalten. Ist dies der Fall, kann ich mich darauf verlassen, daß mein Mitspieler die Anzeige einer Anzeigehandlung so interpretiert, als ob es eine Anzeigehandlung wäre, d.h. aus meinem willkürlichen Lächeln tatsächlich den Schluß zieht, daß ich ein gutes Blatt auf der Hand habe.

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Die Kommunikationsbedingung ist also dann erfüllt, wenn es in der betreffenden Gruppe eine Konvention der oben skizzierten Form gibt. Wenn dies der Fall ist, ist meine Überzeugung, daß diese Bedingung erfüllt ist, berechtigt, was mir wiederum die Möglichkeit eröffnet, durch die Anzeige einer Anzeigehandlung tatsächlich eine Anzeigehandlung auszuführen. Die Ausführung von assertiven Kommunikationsakten beruht also auf der absichtlichen Auslösung eines komplexen Anzeigeprozesses vor dem Hintergrund einer kommunikativen Verhaltenskonvention.

7. Zur Entstehung von Konventionen Damit ein Kommunikationsakt erfolgreich ist, müssen also neben den Bedingungen, die die intentionalen Einstellungen des Senders betreffen, noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein. Die Absichten des Senders müssen von den Überzeugungen begleitet werden, daß die betreffenden Bedingungen erfüllt sind. In dem hier vorgestellten Formalismus spiegelt sich diese Doppelnatur von Kommunikationsakten in der Tatsache, daß in der dreigliedrigen Konjunktion von Formel (13) neben einem Verhalten eine komplexe Intention sowie eine komplexe Überzeugung aufgeführt ist. Eine prominente Proposition, die als Gegenstand solcher Überzeugungen Kommunikationshandeln begleitet, ist die Kommunikationsbedingung. Der Sender verläßt sich darauf, daß sein Anzeigen einer Anzeigehandlung die gleichen Konsequenzen zeitigt wie die Ausführung einer elementaren Anzeigehandlung. Diese Überzeugung ist dann gerechtfertigt, wenn es in der Gruppe eine Konvention gibt, die das Verhalten in den betreffenden Situationen auf die angegebene Weise regelt. Posner (1993) beschreibt anhand eines Beispiels, wie es zur Ausbildung von Konventionen und schließlich von kommunikativem Verhalten kommen kann. Die Betrachtung dieses Beispiels wird es uns gleichzeitig gestatten, die Konstruktion von Aufforderungshandlungen nachzuvollziehen, die der von assertiven Kommunikationsakten analog ist. Eine Kindergärtnerin, die eine Gruppe sehr junger Kinder betreut, kann sich, wenn sie diese zum Verstummen bringen will, auf den sogenannten Orientierungsreflex verlassen. Sobald die Kinder ein lautes Geräusch hören (z.B. durch ein Händeklatschen verursacht), kommen sie zur Ruhe. In diesem Fall liegt ein Signalprozeß vor (vgl. oben Formel (2)). Die Kindergärtnerin, die sich diesen Mechanismus zu Nutze macht, vollbringt eine Signalisierhandlung (vgl. oben Formel (7)): indem sie in die Hände klatscht, produziert sie absichtsvoll ein lautes Geräusch in der Hoffnung, einen Signalprozeß auszulösen, der das Verstummen der Kinder zur Folge hat. Ab einem gewissen Alter jedoch legen die Kinder dieses reflexhafte Verhalten ab. Sobald der biologische Mechanismus, der bisher der Verständigung zugrunde lag, versagt, stellt sich wieder ein Koordinationsproblem ein. Wenn die Kinder sich kooperativ verhalten, werden sie versuchen, die Absicht zu verstehen, die die Kindergärtnerin mit ihrem Verhalten verfolgt. Sie werden sich also bemühen, zu genau der Überzeugung zu kommen, die den Intentionen ihrer Betreuerin korrespondiert. Da sie sich erinnern, daß sie in der Vergangenheit stets haben Schweigen einkehren lassen, sobald die Kindergärtnerin in die Hände klatschte, haben sie einen guten Grund anzunehmen, daß die Kindergärtnerin zum aktuellen Zeitpunkt wieder das gleiche Verhalten erwartet. Vor dem Hintergrund des Wissens um

Kommunikationsakte

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eine Verhaltensregularität fungiert das Händeklatschen als Anzeichen einer Signalisierungshandlung. Die Kinder verstehen vor dem Hintergrund ihrer Überzeugungen, daß die Kindergärtnerin die Absicht hat, eine Signalisierhandlung zu vollbringen.

(14)

E(f)~> G(a, T(bJ) & Ιφ,Εφ - > E(e)))

Anzeichen einer Signalisierhandlung Ebenso wie die Kinder hat auch die Kindergärtnerin gute Gründe, bestimmte Erwartungen an das zukünftige Verhalten der Kinder zu richten. Weil auch sie sich an die früheren Situationen und die Art der erreichten Handlungskoordinierung erinnert, kann sie mit Recht der Überzeugung sein, daß die Kinder vor dem Hintergrund vergangener Erfahrungen zu der Auffassung kommen werden, daß sie diese zum Schweigen bringen will. Aufgrund dieser Überlegungen kann sie die Anzeigehandlung einer Signalisierhandlung ausführen.

(15)

T(bJ) & Ιφ,Εφ - > G(a, Τφφ & Ιφ,Εφ - > E(e)))) Anzeigehandlung einer Signalisierhandlung

Die Formeln (14) und (15) weisen starke Ähnlichkeit mit den Formeln (11) und (12) auf. Dies liegt daran, daß auch die eben vorgestellten komplexen Zeichenprozesse als Kombination zweier elementarer Zeichentypen zu betrachten sind. Es handelt sich dabei um die Einbettung einer Signalisierhandlung (vgl. oben Formel (7)) in einen Anzeichenprozeß bzw. eine Anzeigehandlung (vgl. oben Formel (3) bzw. (8)). Wenn sich auf diese Weise das Verständnis der Absichten des Senders bei den Kindern einstellt, wurde auf der Ebene der Verständigung ein koordinatives Gleichgewicht erreicht. Dabei konnten die Akteure offensichtlich auf Erfahrungen zurückgreifen, die sie im Laufe der Geschichte der Sender-Empfänger-Kontakte gesammelt haben (vgl. Posner 1993). Wenn eine Gruppe von Akteuren immer wieder in Situationen eines bestimmten Typs gerät, die die Form von Koordinationproblemen haben, werden sie versuchen, die aktuelle Situation unter Rückgriff auf Erfahrungen zu lösen, die sie bei der Lösung früherer Probleme gesammelt haben. Unser Beispiel zeigt, wie ein biologischer Mechanismus die Erwartungsbasis schafft, die sich in der Geschichte der Sender-Empfänger-Kontakte zum Fundament einer Konvention entwickeln wird. Dann wird man sagen können, daß das Händeklatschen der Kindergärtnerin eine konventionale Bedeutung trägt. Wenn die Kinder das Problem der Verständigung gelöst haben, geraten sie erneut in ein Koordinationsproblem, das dem entspricht, das im letzten Abschnitt geschildert wurde. Wie die beiden Kartenspieler stehen sie vor der Entscheidung, ob sie sich kommunikativ verhalten sollen oder nicht, mit anderen Worten: ob sie es beim Verständnis der Absichten ihrer Betreuerin belassen sollen oder ob sie dieses als Grund betrachten sollen, ihr Verhalten gemäß diesen Absichten auszurichten. In dieser Situation wird den Kindern die Entscheidung leicht fallen: wiederum unter Rückgriff auf die Geschichte der Sender-Empfanger-Kontakte werden sie sich erinnern, daß sie in früheren Situationen des gleichen Typs verstummten. Also haben sie einen guten Grund, dies in der aktuellen Situation wieder zu tun. Indem sie sich entscheiden, auf diese Weise zu reagieren, folgen sie - vieleicht zu erstenmal in der Ontogenese ihres Kommunikationsverhaltens - dem Prinzip kommunikati-

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ver Indirektheit. Bald werden sie lernen, diese Verhaltensweise auch in anderen Situationen anzuwenden und somit schrittweise zu verallgemeinern. Wenn die Kinder auf diese Weise auf das Zeichen der Kindergärtnerin reagieren, hat diese eine Signalisierhandlung durch das Anzeigen einer Signalisierhandlung vollbracht, mit anderen Worten: sie hat einen direktiven Kommunikationsakt, eine Aufforderung vollzogen. Die Notation eines solchen Aktes ist erwartungsgemäß von einer starken Analogie zu der eines assertiven Kommunikationsaktes geprägt: (16)

T(bj) & I(b,Εφ--> G(a,T(bj) & I(b,E(f) > T(a,r)))) & G(b,(E(f) --> G(a,T(bJ) & I(b,E(f) --> T(a,r))))->(Εφ --> T(a,r)) Direktiver Kommunikationsakt

Wieder wird das Verhalten des Senders von einer komplexen Intention und einer komplexen Überzeugung begleitet. Seine Intention richtet sich darauf, einen Anzeichenprozeß auszulösen, sein Verhalten kann somit als Anzeigehandlung bezeichnet werden. Bei der Anzeigehandlung in Formel (16) handelt es sich um die Anzeige eines Signalisierens, was am leichtesten daran zu erkennen ist, daß das zweite Glied der Konjunktion eine Kombination von Anzeige- und Signalisierungshandlung ist. Im dritten Glied schließlich ist die Überzeugung des Senders vermerkt, daß die Kommunikationsbedingung erfüllt ist, die hier für Signalprozesse abgewandelt ist. In dieser Betrachtung der Genese kommunikativen Handelns offenbarte sich die verhaltenstheoretische Bedeutung des Begriffs kommunikativer Indirektheit. Kommunikatives Handeln bedient sich zwar nicht direkt der elementaren Zeichenprozesse, liegt aber auf dieser Schicht ontogenetisch und phylogenetisch älterer Verhaltensweisen auf wie auf einem Fundament, ohne das es undenkbar wäre.

8. Gebrauch von Kommunikationsakten Freilich sind Kommunikationsakte nicht die komplexesten Zeichenprozesse, deren sich die Akteure bedienen können. So sind aus dem Alltagsleben zahlreiche Beispiele für die Tatsache bekannt, daß Kommunikationsakte dazu gebraucht werden können, weitere Wirkungen zu erzielen. Aus Platzgründen werden wir hier nur die Kombinationen von assertiven Kommunikationsakten und Signalprozessen in der Reihenfolge ihrer Komplexität betrachten. Man nehme jedoch zur Kenntnis, daß es sich dabei um eine exemplarische Auswahl aus einer Vielzahl von Kombinationsmöglichkeiten handelt. So kann ich zu einem Segler treten, der morgens offenbar unschlüssig am Steg steht, und folgende Äußerung vollziehen: "Das Wetter wird heute schön." Indem ich dies äußere, vollziehe ich offenbar einen assertiven Kommunikationsakt, beabsichtige aber darüberhinaus, ihn mithilfe dieser Äußerung zum Ablegen zu bewegen. Es handelt sich hier um eine Behauptung (vgl. oben Formel (13)), deren Vollzug von der Überzeugung des Senders begleitet wird, daß ihr Erfolg einen Signalprozeß auslösen wird. (Um die Struktur der im folgenden vorgestellten komplexen Zeichenprozesse transparent zu halten, werden wir nur noch die Nummern der Formeln mit vorangestelltem großem "F" angeben; durch Nach-

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Kommunikationsakte

schlagen im vorangegangenen Text und syntaktische Ersetzung kann der Leser leicht die vollständigen Formeln herstellen). (17)

T(bJ) & J(b,F12) & G(b,F12 -> F3) & G(b,F3 --> F2)

Dieser komplexe Zeichenprozeß läßt sich also mithilfe der Formeln für die Anzeige einer Anzeigehandlung (F12), für einen Anzeichenprozeß (F3) und einen Signalprozeß (F2) darstellen. Wenn ich dagegen zur Besatzung eines größeren Segelbootes gehöre, kann ich die gleiche Äußerung gebrauchen, um dem Kapitän des Bootes zu verstehen zu geben, daß ich ihn gerne dazu bewegen würde, loszusegeln. Mit dem Vollzug einer Feststellungshandlung vollziehe ich also obendrein die Anzeigehandlung eines Signalisierens. (18)

T(bJ) & I(b,F12) & G(b,F12 -> F3) ά G(b,F3 --> FIS)

In diesem Fall wird der Vollzug des assertiven Kommunikationsakts von der Überzeugung begleitet, daß der Adressat im Erfolgsfalle zusätzlich glauben wird, daß ich die Absicht hatte, ihn dazu zu bewegen, in See zu stechen. ("F15" steht hier für die Formel für die Anzeigehandlung einer Signalhandlung.) Die beiden in den Formeln (17) und (18) beschriebenen Zeichenprozesse haben gemeinsam, daß Kommunikationsakte gebraucht werden, um weitergehende Wirkungen hervorzurufen. Obendrein werden aber auch in beiden Fällen die Äußerungen produziert, ohne daß dem Adressaten zu Bewußtsein gebracht werden soll, daß diese Effekte beabsichtigt waren. Aus diesem Grund kann man in solchen Fällen vom manipulativen Gebrauch von Kommunikationsakten sprechen. Damit man im Gegensatz dazu den Begriff des kommunikativen Gebrauchs von Kommunikationsakten anwenden kann, muß die Bedingung kommunikativer Indirektheit erneut auf einer höheren Stufe erfüllt sein. Die weitergehenden Ziele, die der Sender durch den Gebrauch des Kommunikationsaktes verfolgt, müssen dann dadurch erreicht werden, daß der Adressat erkennt, daß der Sender eben diese Ziele erreichen wollte. So kann ich - diesmal in der Rolle des Kapitäns - morgens zu meiner untätig herumsitzenden Mannschaft sagen: "Das Wetter wird heute gut." Wie in den letzten beiden Beispielen vollziehe ich wieder einen assertiven Kommunikationsakt. Diesmal wird die Äußerung jedoch zusätzlich von meiner Absicht begleitet, den Adressaten meine Absicht anzuzeigen, sie zum Aufbruch zu bewegen. Außerdem verlasse ich mich darauf, daß ihre Erkenntnis meiner komplexen Absicht für sie einen guten Grund darstellt, wirklich aufzustehen und in See zu stechen. (19)

T(bJ) ά Ιφ,Εφ - > G(a,T(bJ) & Ιφ,Εφ 0(α,Τφβ & Ιφ,(Εφ G(a,Τφβ & Ιφ,(Εφ

G(a, T(bJ) & Ιφ,Εφ - > G(a,p))) & G(b, (Εφ - > --> G(a,p)))) ->(Εφ --> G(a,p))) & Ιφ,Εφ ~> ~> G(a,p)) --> (Εφ-> T(a,r)) & Οφ,(Εφ -> ~> G(a,p)) ~> (Εφ ~> T(a,r))))) ->(Εφ -> T(a,r)))

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Um die Struktur dieser Formel zu verdeutlichen, stellen wir sie noch einmal in der Kurznotation dar: (20)

T(bJ) & I(b,F12) & G(b,F12 -- > F3) & I(b,E(f) - > G(a,T(bJ) & I(b,F3 - > F2))) & G(b,(E(f) ~> G(a,T(bj) & I(b,F3 - > F2))) > F2)

Die ersten drei Glieder der komplexen Konjunktion in Formel (19) sind identisch mit der Formel für assertive Kommunikationsakte (vgl. oben Formel (13)). Darüberhinaus möchte der Sender noch einen weiteren Anzeichenprozeß auslösen, der dem Adressaten seine komplexe Intention anzeigt, durch den Erfolg der Behauptung einen Signalprozeß auszulösen. Im letzten Glied der Konjunktion findet sich dann die Überzeugung des Senders, daß das Gelingen dieses komplexen Anzeichenprozesses das Gelingen des Signalprozesses zur Folge hat. Bei komplexen Zeichenprozessen, die die Form haben, wie sie in Formel (19) angegeben wurde, spricht man in Anlehnung an Searles Begriff der indirekten Sprechakte von indirekten Kommunikationsakten (vgl. Searle 1990b). Wenn sich ein Akteur eines solchen Zeichenprozesses bedient, gebraucht er einen Kommunikationsakt, um einen anderen vollziehen. Indirekte Kommunikationsakte stellen also einen Spezialfall des Gebrauchs von Kommunikationsakten dar: sie liegen immer dann vor, wenn der Gebrauch von Kommunikationsakten selbst wieder kommunikativ ist.

9. Kommunikativer Gebrauch von Kommunikationsakten Strawson (1964) stellt in seiner Kritik von Grices Kommunikationsbegriff eine zusätzliche Bedingung auf, die er in dessen Definition aufgenommen sehen möchte. Ihm zufolge reicht es für das Vorliegen einer Kommunikationshandlung nicht aus, daß im Adressaten eine Wirkung produziert wird aufgrund seiner Erkenntnis, daß diese vom Sender beabsichtigt war; seiner Meinung nach muß der Adressat obendrein verstehen, daß der Sender die Absicht hatte, ihm seine Absicht zu verstehen zu geben, diese Wirkung hervorzubringen (vgl. Strawson 1964:447). Während es im bisher beschriebenen Entwurf ausreicht, daß zwei Zeichenprozesse vorliegen, damit von Kommunikation gesprochen werden kann, fordert Strawson einen dritten: das Zeichenereignis muß zusätzlich einen Anzeichenprozeß auslösen, aufgrund dessen der Adressat die komplexe Intention des Senders zur Kenntnis nimmt. In der letzten Variante unseres Beispiels aus der Welt des Segeins lernten wir eine Situation kennen, auf die eine solche Beschreibung zutrifft. Der Kapitän möchte nicht nur bei der Mannschaft die Wirkung erzielen, sie zum Aufbruch zu bewegen, sondern er beabsichtigt auch, daß sie versteht, daß er diese Wirkung dadurch hervorbringen will, daß er in den Mitgliedern der Crew das Verständnis induziert, daß die Voraussetzungen für dieses Unternehmen gegeben sind. Schließlich möchte er obendrein, daß dieses Verständnis durch die Erkenntnis seiner Absicht induziert wird, dieses zu bewirken. Aufgrund unserer Formalisierung dieser Situation in Formel (19) wir deutlich, daß die Diskussion weitergehender Zeichenprozesse nicht mehr in das Gebiet einer Kommunika-

Kommunikationsakte

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tionstheorie im engeren Sinne fällt. In dieser wird nur die Frage behandelt, ob kommunikative Indirektheit vorliegt. Zeichenprozesse, die diese Kommunikationsakte begleiten, werden mithilfe des Begriffs des Gebrauchs von Kommunikationsakten erfaßt. In diesem Abschnitt werden wir noch zwei Beispiele solcher komplexen Zeichenprozesse betrachten. Dabei soll abermals versucht werden, Probleme aus der pragmatischen Diskussion um den Kommunikationsbegriff aufzunehmen, die allerdings als bekannt vorausgesetzt werden muß (vgl. Grice 1993a, 1993b). Obendrein wollen wir exemplarisch zwei weitere Hintergrundbedingungen einführen, durch deren Überprüfung die Akteure in Kommunikationssituationen ihre Erwartungsbildung steuern. Durch diese Erweiterung der Perspektive soll u.a. der Weg für einen semiotischen Zugang zur Theorie der Implikaturen geebnet werden. Es treffen sich zwei Professoren. Der eine sagt zum anderen: "Ich würde Dir gerne sagen, daß Dich Deine Studenten nicht mögen." Was ist passiert? Offensichtlich hat der Sender hier zunächst einen assertiven Kommunikationsakt vollzogen, d.h. er hat eine Anzeigehandlung durch die Anzeige einer Anzeigehandlung vollzogen. Wenn dieser Akt erfolgreich war, hat der Adressat die Proposition, die durch den geäußerten Satz dargestellt wird, in die Menge seiner intern repräsentierten Überzeugungen aufgenommen. Das ist jedoch nicht alles. Wie aus der Form der Proposition hervorgeht, benutzt der Sender diese Äußerung als Anzeige einer weiteren Anzeigehandlung: indem er zu verstehen gibt, daß er einen weiteren Kommunikationsakt vollziehen möchte, erfüllt er eine wesentliche Voraussetzung dafür, tatsächlich einen zu vollziehen. Im nächsten Schritt bleibt bei der Analyse dieses Zeichenprozesses die Frage zu beantworten, ob auch auf der höheren Ebene die Kommunikationsbedingung erfüllt ist, ob die Anzeige einer weiteren Anzeigehandlung tatsächlich als Vollzug dieser Anzeigehandlung zu verstehen ist. Ist dies der Fall, handelt es sich um die kommunikative Verwendung eines Kommunikationsaktes. Dabei handelt es sich erneut um ein Koordinationsproblem der dargestellten Art, wenn beide Akteure sich kooperativ verhalten, also ein koordinatives Gleichgewicht herstellen wollen. Der Adressat wird sich unter diesen Bedingungen genau dann kommunikativ verhalten wollen, wenn der Sender dies tut und umgekehrt. In Bezug auf das Beispiel: er wird nur dann glauben, daß seine Studenten ihn nicht mögen, wenn er der Meinung ist, daß der Sender sich darauf verließ, daß er dies tut. Bei der Bildung von Erwartungen über die Absichten des Senders ist der Adressat nicht auf pure Spekulation angewiesen: durch die Analyse des Kontextes kann er zu Überzeugungen über die Außenwelt, aber auch zu höherstufigen Überzeugungen über die Überzeugungen seines Gegenübers kommen. In der beschriebenen Situation spielen dabei offensichtlich die Erwartungen eine entscheidende Rolle, die der Adressat bezüglich seines Beliebtheitsgrades hegt. Falls er zu diesem Punkt keine eindeutige Meinung hat, sind die Bedingungen erfüllt, um einen komplexen Zeichenprozeß, wie den von Strawson beschriebenen einzuleiten. Der Adressat kommt dann zu der Auffassung, daß er tatsächlich unbeliebt ist, aufgrund seiner Erkenntnis, daß der Sender eben dies beabsichtigt. Und obendrein wird ihm durch das Auftreten des Zeichenereignisses die Absicht des Senders angezeigt, auch diese komplexe Intention zur

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Kenntnis zu nehmen. Unter Rückgriff auf die semiotische Terminologie würde man hier vom kommunikativen Gebrauch eines Kommunikationsaktes sprechen. Nehmen wir jedoch an, daß der Adressat der obigen Äußerung erwiesenermaßen extrem beliebt ist. In diesem Fall wird er - mit der obigen Äußerung konfrontiert - folgende Überlegung anstellen: der Sender hat die Absicht geäußert, mir die Mitteilung zu machen, ich sei unbeliebt. Wenn ich mich kommunikativ verhielte, müßte ich aufgrund der Erkenntnis dieser Absicht zu der Überzeugung kommen, daß ich tatsächlich unbeliebt bin. Nun weiß ich aber, daß ich in Wirklichkeit sehr beliebt bin, und es kann meinem Gegenüber auch nicht entgangen sein, daß es sich so verhält. Ich habe also obendrein guten Grund, der (höherstufigen) Überzeugung zu sein, daß er weiß, daß ich weiß, daß ich beliebt bin. Wenn dies richtig ist, konnte der Sender aber kaum die Absicht haben, mich zur Überzeugung zu bringen, ich sei unbeliebt, denn dies ist offensichtlich falsch. Er hat sich also nicht auf den Mechanismus der Kommunikation verlassen, als er seine Äußerung machte. Da er sich aber nicht kommunikativ verhalten hat, habe ich allen Grund, es auch nicht zu tun. Der Adressat kann sich bei dieser Überlegung auf das Prinzip verlassen, daß die Irrtumsausschlußbedingung erfüllt sein muß. Diese läßt sich direkt aus der Formel für assertive Kommunikationsakte herleiten (vgl. Posner 1993:246). Eine Behauptung ist nämlich nur dann erfolgreich, wenn u.a. die genannte Bedingung erfüllt ist, wenn die Botschaft des elementaren Zeichenprozesses nicht offensichtlich falsch ist. Was aber wollte der Sender erreichen, als er den komplexen Zeichenprozeß der Anzeige eines Kommunikationsaktes produzierte? Da der Adressat ja tatsächlich sehr beliebt ist, konnte es also nicht das Ziel sein, diesen zur Erkenntnis seiner Unbeliebtheit zu bringen. Vielmehr wird der Adressat zu der Überzeugung gelangen, daß der Sender ihm seinen Neid gestehen wollte. Indem er also einen Kommunikationsakt vollzog, wollte er eine weitere Mitteilung machen, deren Inhalt etwa ist: "Ich wäre auch gerne so erfolgreich wie Du. " Dabei verließ er sich darauf, daß der Adressat wußte, daß er - der Sender - um die tatsächliche Beliebtheit des Adressaten wußte. Er lenkte also den Verstehensprozeß des Adressaten, indem er eine Erfolgsbedingung für Kommunikationsakte verletzt, nämlich scheinbar etwas zu verstehen geben wollte, was offenkundig falsch war. Offenbar liegt auch hier wieder der kommunikative Gebrauch eines Kommunikationsaktes vor; allerdings wird er hier von einem Mechanismus begleitet, der die Erwartungsbildung der Akteure steuert. Diesen bezeichnet man in der Theorie der Implikaturen als Ausschöpfung: in unserem Beispiel hat der Sender einen indirekten Kommunikationsakt unter Ausschöpfung einer Maxime der Qualität vollzogen, die vom Sprecher die Bemühung um Wahrheit verlangt (vgl. Grice 1993c). Betrachten wir ein letztes Beispiel: ein Student begegnet seinem Geschichtsprofessor und macht nach kurzer Begrüßung folgende Äußerung: "Die französische Revolution war 1789." Offensichtlich liegt hier wieder der Fall einer Behauptung vor. Auch ist die Botschaft in diesem Fall alles andere als offensichtlich falsch. Trotzdem wird der Adressat folgende Betrachtungen anstellen: ich bin Professor der Geschichte, und es wäre lächerlich, wenn mir ein solches Datum nicht geläufig wäre. Ich weiß, daß mein Student dies auch weiß: er wird also kaum die Absicht haben, mir diese Tatsache mitzuteilen, denn dann wäre

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seine Äußerung im aktuellen Kontext irrelevant. Andererseits habe ich aber auch keinen Grund, seine Kooperationsbereitschaft anzuzweifeln: er wird durchaus das Ziel einer gegenseitigen Verständigung anstreben, also muß ich vermuten, daß seine Absicht eine andere war. Seine Äußerung zeigt mir an, daß er weiß, wann die französische Revolution war. Dieses Wissen ist ein wesentlicher Bestandteil (Aufrichtigkeitsbedingung) eines weiteren Kommunikationsakts, nämlich der Behauptung, daß er wisse, wann die französische Revolution stattgefunden hat. Offensichtlich wollte er mir also genau das mitteilen. Er hat also einen Kommunikationsakt vollzogen, indem er ihn mithilfe eines Kommunikationsakts angezeigt hat. In diesem Fall verläßt sich der Adressat auf das Relevanzprinzip, wie Grice es als eine seiner Konversationsmaximen aufgestellt hat (vgl. Grice 1993c, Sperber/Wilson 1986 ). Die Relevanz einer Behauptung entspricht der Anzahl der neuen Informationen, die aus der Vereinigung der Menge der vom Sender gelieferten Informationen mit der Menge der dem Adressaten im aktuellen Kontext schon bekannten Informationen deduziert werden können. Offensichtlich ist die Anzahl dieser neu deduzierten Informationen gleich null, wenn die Botschaft der Behauptung dem Adressaten schon bekannt war. In diesem Fall war die Äußerung im gegebenen Kontext irrelevant. Von einem Sender, der sich kooperativ verhält, kann der Adressat mit Recht erwarten, daß er keine Äußerung machen möchte, die irrelevant ist, d.h. daß er sich an die Maxime der Relevanz hält. Wieder geht die Relevanzerwartung aus der semiotischen Charakterisierung assertiver Kommunikationsakte hervor. Offensichtlich liegt es in deren Natur, daß der Sender die Absicht haben muß, den Adressaten aufgrund seiner Äußerung zu einer bestimmten Überzeugung zu bringen (zur genaueren Herleitung dieser Primärintention vgl. Posner 1993). Diese Absicht kann die Äußerung des Senders aber nur dann begleiten, wenn dieser gleichzeitig der Überzeugung ist, daß die Wirkung des Kausalprozesses, den er einzuleiten beabsichtigt, nicht schon eingetreten ist. Ist dies nämlich der Fall, ist der beabsichtigte Kausalprozeß von vorneherein zum Scheitern verurteilt, die Äußerung irrelevant. Wenn der Adressat schon der Überzeugung ist, die die Botschaft einer Mitteilung enthält, ist diese im aktuellen Kontext irrelevant. Wenn der Sender dies weiß, hält er sich nicht an die Relevanzmaxime, d.h. er versucht nicht, seiner Äußerung die größtmögliche Relevanz zu verleihen. Und wenn der Adressat wiederum weiß, daß der Sender weiß, daß seine Äußerung irrelevant war, hat er guten Grund, die Interpretation der Äußerung fortzusetzen. Wenn der Sender dies beabsichtigt hat, sagt man, daß er die Botschaft des höherstufigen Kommunikationsaktes durch Ausschöpfiing der Relevanzmaxime implikatiert habe. Der von Grice zuerst untersuchte Mechanismus der Gesprächsimplikaturen erweist sich aus dieser Perspektive also als ein Spezialfall indirekter Kommunikationsakte. Implikaturen entstehen durch den kommunikativen Gebrauch von Kommunikationsakten.

10. Schluß Die beiden im letzten Abschnitt erläuterten Beispiele sind leicht abgewandelte Klassiker aus der pragmatischen Diskussion um den Kommunikationsbegriff.

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Das erste Beispiel entspricht dem von Strawson (1964) erhobenen Einwand gegen den von Grice (1993a) entwickelten Kommunikationsbegriff. Strawsons Einwand zielte ja darauf, daß die von Grice genannten drei Bedingungen keineswegs hinreichend seien für das Vorliegen eines Kommunikationsaktes. Als zusätzliche Bedingung z.B. für assertive Kommunikationsakte gab Strawson an, daß der Sender nicht nur beabsichtigt, daß der Adressat erkennt, daß der Sender beabsichtigt, daß der Adressat eine bestimmte Proposition glauben soll, sondern obendrein die Absicht haben muß, dem Adressaten diese komplexe Intention zugänglich zu machen. Im Anschluß an diesen Einwand geriet das Kommunikationsmodell Grices in den schon von Strawson geäußerten Verdacht, von einem infiniten Regreß bedroht zu sein. Der Versuch, Kommunikation nach Grice zu definieren, gerät genau dann in Schwierigkeiten, wenn er sich an dem Ideal unbegrenzter reflexiver Offenheit und der völligen Ausgeglichenheit von Sender-Intentionen und Adressaten-Verstehen orientiert. Letztere ist prinzipiell unerreichbar, da der Sender dem Adressaten im Modell Grice immer eine Nasenlänge voraus ist: um dem Adressaten eine Intention zugänglich zu machen, ist immer eine höherstufige Intention des Sender erforderlich, die dem Adressaten selbst wiederum nur durch eine weitere Intention noch höherer Ordnung zugänglich zu machen ist. Den Weg aus diesen Fatalitäten weist ein Kommunikationsbegriff, der Kommunikation durch die einmalige Anwendung kommunikativer Indirektheit definiert. So liegt ein assertiver Kommunikationsakt genau dann vor, wenn eine Anzeigehandlung durch die Anzeige einer Anzeigehandlung ausgeführt wird. Diese Definition erfaßt einen wesentlichen Aspekt kommunikativen Verhaltens, ohne auf schwer zu verifizierenden zirkulären oder rekursiven Bedingungen zu beruhen. Andererseits bietet sie in der Kombination mit dem Konzept des Gebrauchs die Möglichkeit, zwischen manipulativen und kommunikativen Gebrauch von Kommunikationsakten zu unterscheiden. Wie uns die Alltagserfahrung in einer Gesellschaft lehrt, die von Massenmedien dominiert wird, muß nicht alles kommunikatives Verhalten sein, was zunächst als Kommunikationsakt auftritt. Am zweiten der Beispiele aus dem letzten Abschnitt wird dann noch einmal deutlich, wie diese enge Definition des Kommunikationsbegriffs Probleme der Kommunikationstheorie in den Bereich des Gebrauchs von Kommunikationsakten und damit in ein Gebiet verweist, dessen Untersuchung Grice mit seiner Theorie der Implikaturen eingeleitet hat. Ein klassisches Argument diesmal gegen die Notwendigkeit der Griceschen Definition war ja das Beispiel von Prüfungsgesprächen, in denen zwar Kommunikation stattfindet, aber die Griceschen Bedingungen offenbar nicht erfüllt sind (vgl. Grice 1993b). Unsere Analyse des leicht abgewandelten Beispiels vom Geschichtsprofessor und seinem Studenten, weist den Weg zu einer Lösung dieses Problems, indem sie es verschiebt: was hier stattfindet, ist nicht nur ein Kommunikationsakt, es handelt sich vielmehr um den kommunikativen Gebrauch eines Kommunikationsaktes unter Ausschöpfung der Relevanzmaxime. Ein weiterer Vorteil dieses Ansatzes ist, daß kommunikatives Verhalten nicht als monolithische Einheit, sondern vielmehr als Ensemble verschiedener elementarer Zeichenprozesse aufgefaßt werden kann. Neben einer verhaltenstheoretischen Fundierung des Kommunikationsbegriffs bietet dieser semiotische Ansatz noch einen strukturierten Zugang zu den Erfolgsbedingungen von Sprechakten. Diese setzen sich nämlich aus den Erfolgsbedingun-

Kommunikationsahe

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gen der einzelnen elementaren Zeichenprozesse zusammen und lassen sich somit mithilfe semiotischer Termini formulieren (vgl. Posner 1993). Ähnliches gilt auch für die Hintergrundbedingungen, die das Verhalten der Akteure in Kommunikationssituationen steuert. Auch diese lassen sich aus der formalen Beschreibung der Zeichenprozesse gewinnen. Dieses konnte im gegebenen Rahmen jedoch nur am Beispiel der Irrtumsausschlußbedingung und der Relevanzbedingung informell skizziert werden.

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