„Im Geiste der Gemordeten ..." D:e „Weiße Rose" und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit 350676828X


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Table of contents :
Vorwort 9
Einleitung 11
ERSTER TEIL
IDEALE: EIN „GANG DURCH DEN GARTEN DER KULTUR"
I. Geistiges Erwachen 21
1. Kindheit und frühe Jugend der Scholl-Geschwister und
Otl Aichers 21
2. Eine Jugend in Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkriegs 28
a) Die Scholls in der Hitlerjugend 30
b) Katholische Resistenz 35
3. Von der Distanzierung zur Verweigerung 43
4. Jugendbewegte Alternativen: „dj.l.ll" und „Quickborn" 45
II. Geistiges Wachsen 56
1. „II faut avoir l'esprit dur et le coeur tendre".
Der „Scholl-Bund" an der Bücherbar 59
a) Nietzsche und die Philosophie des Einzelnen 67
b) Dostojewsky und Berdjajew: Die Faszination der Russen . . . 69
c) „Renouveau Catholique" und Kirchenväter 73
2. Maritains „Humanisme integral" 78
III. Die Mentoren 88
1. Carl Muth: „Das Ein und Alles des damaligen geistig
lebendigen Laientums" 89
a) Antimodernismus 91
b) Das „Hochland" 93
c) Das gastfreie Haus in Solln 100
d) Muth und Scholl - oder: Mentor und/oder Missionar? 102
e) Muth und Aicher - oder: Zwischen „Kribbel" und
„Malariarappel" 116
2. Theodor Haecker: Der Vater des Abendlandes? 128
a) Vom Satiriker zum Theologen 128
b) Mut(h) zu Haecker 132
6 Inhalt
IV Zwischenergebnisse 149
ZWEITER TEIL
WIDERSTAND: DIE „WEIBE ROSE" - ODER: VOM MARTYRIUM ALS LÖSUNG
I. Fakten und Deutungen 153
1. Die wesentlichen Ereignisse 154
2. Die wesentlichen Deutungen 158
a) Ein Mythos wird geboren (1943 bis 1948/49) 159
b) Ein Mythos entwickelt sich (1948/49 bis 1955) 164
c) Ein Mythos wird Geschichte (1955 bis 1966/68) 165
d) Ein Mythos und seine Geschichte (1968 bis 1988) 170
e) Ein neuer Mythos? (1988/89 bis heute) 172
3. Zur Problematik von Fakten und Deutungen -
eine Zwischenbilanz 175
II. Geistes- und Ideengeschichte 178
1. Das „Windlicht": Fliegende Blätter als „Hochland"-Ersatz . . . . 178
2. Das „katholische Erwachen" der Scholl-Geschwister 183
3. Gesprächs- und Leseabende: Das „politische Erwachen" 189
4. Der Rußlandaufenthalt: „Dem Abendlande nicht verloren
gehen" 199
5. Ausweitung des Widerstands 205
a) Die Suche nach Gleichgesinnten 206
b) Die Beziehung zu Professor Huber 208
c) Abende im Atelier 212
6. Das Ende: „Sie starben als Katholiken" 216
7. Die Flugbätter - eine christlich-humanistische
Gewissenserforschung 222
III. Der „Geist der Gemordeten" 234
1. „Sippenhaft" und Konversion 234
2. Zuckmayers Filmentwurf „Die Weiße Rose"
- eine Geisterbeschwörung? 250
IV Zwischenergebnisse 260
DRITTER TEIL
ERBE: VOLKSHOCHSCHULE UND GESCHWISTER SCHOLL-HOCHSCHULE
1. KAPITEL:
DIE VOLKSHOCHSCHULE ULM
- ODER: CHRISTLICHER HUMANISMUS PRAKTISCH
I. Gründung und Geschichte: Faktoren und Phasen der Entwicklung 269
Inhalt 7
1. Romano Guardini als neuer Mentor 269
2. Ein neuer Freundeskreis 282
a) Vom „Scholl-Bund" zum Kuratorium 282
b) Konkrete Gründungsvorbereitungen 288
c) Die Programmschrift 293
d) Eröffnungswoche (April 1946) und erste Anfänge 298
3. Die Ära Aicher-Scholl im Überblick 301
a) Strukturen und Kontinuitäten 303
b) Enthusiasmus - Restauration - Resignation: drei Phasen . . . . 315
IL Zur Frage der Singularität der vh ulm 331
1. Pressestimmen 332
2. Neugründung oder Wiedereröffnung? 343
III. Die tragenden Ideen 350
1. Der Dritte Weg - oder: von vielerlei „Ismen" 353
a) Reformkatholisches Christentum und Respiritualisierung
nach 1945 356
b) Christlicher Humanismus 360
c) Christlicher Sozialismus 367
d) Demokratie 372
2. Abendland und/oder Europa? 374
3. Die „neue" Bildung 384
4. Die neue „Kultur der Sinne" 390
5. Zusammenfassung 396
2. KAPITEL:
ZWISCHEN VOLKSHOCHSCHULE UND GESCHWISTER-SCHOLL-HOCHSCHULE
- ODER: PLÄNE FÜR EINE BESSERE WELT
I. „Studio Null" 401
1. Von Nullisten, Nihilisten und neuen Menschen 401
2. Die Texte: Das Kollektiv als Heilmittel für Europa 411
3. „Im Geiste der Gemordeten ..." Vom Umgang mit dem Erbe .. 423
4. Der Plan als Plan: der „plan 48" für die „neue Schule" 428
IL Vom „Geschwister Scholl-Institut" zur Hochschule für Gestaltung . 439
1. Frühe Exposes: Die Idealisierung der Gemordeten und
ihr Opfertod 439
2. Wieder einmal: Mentor gesucht 448
3. „Der dritte pädagogische Bezirk". Noch einmal: Ausbaupläne
der vh 458
4. Zusammenfassung 462
8 Inhalt
Schluss 465
Anlagen 475
1. Das „Windlicht" 475
2. Übersicht der Donnerstagvorträge der Volkshochschule Ulm
1946-1959 476
3. Übersicht der Vorträge zur Religiösen Bildungsarbeit
1946-1959 488
4. Ausstellungen der Volkshochschule Ulm 1946-1951 494
5. Statistiken der Ulmer Volkshochschule 496
a) Hörerzahlen 496
b) Verhältnis Männer/Frauen und ledig/verheiratet 496
c) Altersstruktur 1946-1951 497
d) Altersstruktur 1952-1976 497
e) Berufsgruppen 498
f) Hauptinteressengebiete 499
6. Übersicht der Texte des „Studio Null" 502
Quellen- und Literaturverzeichnis 505
1. Ungedruckte Quellen 505
a) Öffentliche Archive und Bibliotheken 505
b) Privatarchive 512
2. Befragungen/Zeitzeugeninterviews/Korrespondenz 512
3. Gedruckte Quellen: Dokumente, Briefe, Tagebücher,
Erinnerungen, amtliche Verlautbarungen 513
4. Sekundärliteratur 517
5. Abkürzungen 541
Register 543
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„Im Geiste der Gemordeten ..." D:e „Weiße Rose" und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit
 350676828X

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Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft Herausgegeben von Hans Maier, Heinrich Oberreuter, Otto B. Roegele und Manfred Spieker In Verbindung mit Gottfried Arnold (Düsseldorf), Louis Bosshart (Freiburg/Schweiz), Günther Gillessen (Freiburg/Br.), Helmuth Herles (Bonn), Rupert Hofmann (Regensburg), Wolfgang Mantl (Graz) und Franz-Martin Schmolz (Salzburg)

Band 19

Barbara Schüler „Im Geiste der Gemordeten ..." D:e „Weiße Rose" und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit

2000

Ferdinand Schöningh Paderborn • München • Wien • Zürich

Titelbild: Links: Hans und Sophie Scholl (Photos: Süddeutscher Verlag, München). Rechts: Inge Scholl 1950 (Photo: Privatarchiv Rosenberg, München. Aus: Barbara Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit. Die Anfänge der Ulmer Volkshochschule. Süddeutsche Verlagsgesellschaft, Ulm 1996).

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schüler, Barbara: „Im Geiste der Gemordeten ...": die „Weiße Rose" und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit/Barbara Schüler. - Paderborn; München; Wien; Zürich: Schöningh, 2000 (Politik- und Kommunikationswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft; Bd. 19) Zugl.: Tübingen; Univ., Diss., 1998 ISBN 3-506-76828-X

Einbandgestaltung: Anna Braungart, Regensburg

Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier© ISO 9706 © 2000 Ferdinand Schöningh, Paderborn (Verlag Ferdinand Schöningh GmbH, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zulässigen Fällen ist ohne vorherige Zustimmung des Verlages nicht zulässig. Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh, Paderborn ISBN 3-506-76828-X

Bayerische Staatsbibliothek München

WO

PM

INHALT Vorwort

9

Einleitung

11

ERSTER TEIL IDEALE: EIN „ G A N G DURCH DEN GARTEN DER KULTUR"

I.

II.

Geistiges Erwachen

21

1. Kindheit und frühe Jugend der Scholl-Geschwister und Otl Aichers 2. Eine Jugend in Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkriegs a) Die Scholls in der Hitlerjugend b) Katholische Resistenz 3. Von der Distanzierung zur Verweigerung 4. Jugendbewegte Alternativen: „dj.l.ll" und „Quickborn"

21 28 30 35 43 45

Geistiges Wachsen 1. „II faut avoir l'esprit dur et le coeur tendre". Der „Scholl-Bund" an der Bücherbar a) Nietzsche und die Philosophie des Einzelnen b) Dostojewsky und Berdjajew: Die Faszination der Russen . . . c) „Renouveau Catholique" und Kirchenväter 2. Maritains „Humanisme integral"

III. Die Mentoren 1. Carl Muth: „Das Ein und Alles des damaligen geistig lebendigen Laientums" a) Antimodernismus b) Das „Hochland" c) Das gastfreie Haus in Solln d) Muth und Scholl - oder: Mentor und/oder Missionar? e) Muth und Aicher - oder: Zwischen „Kribbel" und „Malariarappel" 2. Theodor Haecker: Der Vater des Abendlandes? a) Vom Satiriker zum Theologen b) Mut(h) zu Haecker

56 59 67 69 73 78 88 89 91 93 100 102 116 128 128 132

6

Inhalt

IV Zwischenergebnisse

149

ZWEITER TEIL WIDERSTAND: D I E „WEIBE ROSE" - ODER: V O M MARTYRIUM ALS LÖSUNG

I.

II.

Fakten und Deutungen

153

1. Die wesentlichen Ereignisse 2. Die wesentlichen Deutungen a) Ein Mythos wird geboren (1943 bis 1948/49) b) Ein Mythos entwickelt sich (1948/49 bis 1955) c) Ein Mythos wird Geschichte (1955 bis 1966/68) d) Ein Mythos und seine Geschichte (1968 bis 1988) e) Ein neuer Mythos? (1988/89 bis heute) 3. Zur Problematik von Fakten und Deutungen eine Zwischenbilanz

154 158 159 164 165 170 172 175

Geistes- und Ideengeschichte

178

1. 2. 3. 4.

178 183 189

Das „Windlicht": Fliegende Blätter als „Hochland"-Ersatz . . . . Das „katholische Erwachen" der Scholl-Geschwister Gesprächs- und Leseabende: Das „politische Erwachen" Der Rußlandaufenthalt: „Dem Abendlande nicht verloren gehen" 5. Ausweitung des Widerstands a) Die Suche nach Gleichgesinnten b) Die Beziehung zu Professor Huber c) Abende im Atelier 6. Das Ende: „Sie starben als Katholiken" 7. Die Flugbätter - eine christlich-humanistische Gewissenserforschung

III. Der „Geist der Gemordeten" 1. „Sippenhaft" und Konversion 2. Zuckmayers Filmentwurf „Die Weiße Rose" - eine Geisterbeschwörung? IV Zwischenergebnisse

199 205 206 208 212 216 222 234 234 250 260

DRITTER TEIL ERBE: VOLKSHOCHSCHULE UND GESCHWISTER S C H O L L - H O C H S C H U L E 1. KAPITEL: D I E VOLKSHOCHSCHULE U L M - ODER: CHRISTLICHER HUMANISMUS PRAKTISCH

I.

Gründung und Geschichte: Faktoren und Phasen der Entwicklung 269

Inhalt 1. Romano Guardini als neuer Mentor 2. Ein neuer Freundeskreis a) Vom „Scholl-Bund" zum Kuratorium b) Konkrete Gründungsvorbereitungen c) Die Programmschrift d) Eröffnungswoche (April 1946) und erste Anfänge 3. Die Ära Aicher-Scholl im Überblick a) Strukturen und Kontinuitäten b) Enthusiasmus - Restauration - Resignation: drei Phasen . . . . IL Zur Frage der Singularität der vh ulm 1. Pressestimmen 2. Neugründung oder Wiedereröffnung? III. Die tragenden Ideen 1. Der Dritte Weg - oder: von vielerlei „Ismen" a) Reformkatholisches Christentum und Respiritualisierung nach 1945 b) Christlicher Humanismus c) Christlicher Sozialismus d) Demokratie 2. Abendland und/oder Europa? 3. Die „neue" Bildung 4. Die neue „Kultur der Sinne" 5. Zusammenfassung

7 269 282 282 288 293 298 301 303 315 331 332 343 350 353 356 360 367 372 374 384 390 396

2. KAPITEL: ZWISCHEN VOLKSHOCHSCHULE U N D GESCHWISTER-SCHOLL-HOCHSCHULE - ODER: PLÄNE FÜR EINE BESSERE WELT

I.

„Studio Null" 1. 2. 3. 4.

401

Von Nullisten, Nihilisten und neuen Menschen 401 Die Texte: Das Kollektiv als Heilmittel für Europa 411 „Im Geiste der Gemordeten ..." Vom Umgang mit dem Erbe . . 423 Der Plan als Plan: der „plan 48" für die „neue Schule" 428

IL Vom „Geschwister Scholl-Institut" zur Hochschule für Gestaltung . 439 1. Frühe Exposes: Die Idealisierung der Gemordeten und ihr Opfertod 2. Wieder einmal: Mentor gesucht 3. „Der dritte pädagogische Bezirk". Noch einmal: Ausbaupläne der vh 4. Zusammenfassung

439 448 458 462

8

Inhalt

Schluss

465

Anlagen

475

1. Das „Windlicht" 2. Übersicht der Donnerstagvorträge der Volkshochschule Ulm 1946-1959 3. Übersicht der Vorträge zur Religiösen Bildungsarbeit 1946-1959 4. Ausstellungen der Volkshochschule Ulm 1946-1951 5. Statistiken der Ulmer Volkshochschule a) Hörerzahlen b) Verhältnis Männer/Frauen und ledig/verheiratet c) Altersstruktur 1946-1951 d) Altersstruktur 1952-1976 e) Berufsgruppen f) Hauptinteressengebiete 6. Übersicht der Texte des „Studio Null"

Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Ungedruckte Quellen a) Öffentliche Archive und Bibliotheken b) Privatarchive 2. Befragungen/Zeitzeugeninterviews/Korrespondenz 3. Gedruckte Quellen: Dokumente, Briefe, Tagebücher, Erinnerungen, amtliche Verlautbarungen 4. Sekundärliteratur 5. Abkürzungen Register

475 476 488 494 496 496 496 497 497 498 499 502

505 505 505 512 512 513 517 541 543

VORWORT

Nicht Marie Curie, nicht Marlene Dietrich oder Steffi Graf, sondern Sophie Scholl wurde erst jüngst aus Anlaß des Jahrtausendwechsels in einer Zeitschrift zur „Frau des Jahrhunderts" gewählt. Eigentlich hätte diese Tatsache mit der vorliegenden Studie in keinerlei Zusammenhang gestanden. Geplant war nämlich „nur" eine Darstellung von Gründung und Geschichte der Volkshochschule Ulm. Zum 50jährigen Jubiläum der „vh ulm" im April 1996 konnte ich erste Ergebnisse in Form einer kleinen Festschrift zum Thema vorlegen. Allerdings machte bereits diese, nach wenigen Monaten der Beschäftigung mit dem Thema entstandene Vorstudie deutlich, daß sich die Gründungsgeschichte der vh ulm maßgeblich von der anderer Volkshochschulen unterscheidet. Der „Geist der Gemordeten", sprich das Vermächtnis von Hans und Sophie Scholl, die ihr Leben im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gaben, der Geist der „Weißen Rose" war in Ulm auf Schritt und Tritt gegenwärtig auch und gerade nach 1945. Für die Gründer und Macher der Ulmer Volkshochschule, namentlich Inge Scholl und ihren späteren Mann Otl Aicher, wurde der „Geist der Gemordeten" zur wesentlichen Triebfeder ihres Handelns. Es zeigte sich: Die Ideen, die den Widerstand der „Weißen Rose" letztlich motiviert hatten, standen auch Pate bei der Gründung der Volkshochschule und prägten die Programmatik der Neugründung maßgeblich. Deshalb ging es nicht mehr nur um die Aufarbeitung der Geschichte einer weit über Ulm hinaus bekannten Volkshochschule, sondern wesentlich umfassender um eine geistes- und ideengeschichtliche Betrachtung, um Ideale, Widerstand und Erbe der „Weißen Rose". Eine solche Arbeit entsteht selbstredend nicht im luftleeren Raum oder besser: am einsamen Schreibtisch mit dem PC als einzigem Kommunikationspartner - wenn man von der Phase des Schreibens einmal absieht -, eine solche Arbeit braucht Dialog, Anregung und Austausch. Im wahrsten Sinne des Wortes anregend war mein Doktorvater Prof. Dr. Ulrich Herrmann, der durch seinen Wechsel von Tübingen nach Ulm und dem damit verbundenen Engagement in der Volkshochschule überhaupt erst auf das Thema kam. Ihm gilt mein besonderer Dank. Auf seinen Einsatz ist auch die Förderung des Projekts durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft zurückzuführen, die mir ermöglichte, von Juni 1996 bis August 1998 als wissenschaftliche Angestellte im Ulmer Seminar für Pädagogik tätig zu sein. Eine historische Arbeit lebt von den Quellen und Archivalien, auf die sie sich stützt, eine zeithistorische Arbeit zudem von der Qualität der Zeitzeugen. Allen voran möchte ich deshalb denen danken, die mich in langen Gesprächen mit in die Tiefen ihrer Erinnerung nahmen und auch in die Tiefen ihrer Keller hinabstiegen, um lange verschüttet geglaubte Akten und Briefe wieder ans Tageslicht zu befördern. Vergessen möchte ich auch nicht den Dank an Frau

10

Vorwort

Dr. Dagmar Engels von der vh ulm, die mir einen uneingeschränkten Zugang zu den Restbeständen in ihrem Hause ermöglichte. Stellvertretend für die zumeist positiven Archiverfahrungen möchte ich das Deutsche Literaturarchiv Marbach, besonders Herrn Dr. Günther Nickel und die Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin erwähnen. Archivreisen sind ohne eine gute Unterkunft eine Tortur, weshalb ich an dieser Stelle die Gastfreundschaft von Herrn Pfarrer Winni Schmitt in Ulm-Böfingen und des Max-Planck-Instituts für Bildungsgeschichte in Berlin nennen möchte. Herrn Dr. Uwe Scharfenecker (Neckarsulm), Frau Martina Schmid (Regensburg) und dem Ehepaar Wiegandt (Stuttgart) möchte ich für die kritische Durchsicht meiner Arbeit danken. Über diese Lektüre hinaus gingen die Anregungen von Herrn Prof. Dr. Hubert Wolf (Frankfurt/Main), die manchen Knoten platzen ließen. Gleiches gilt für die fördernde Beratung durch Herrn Prof. Dr. Hans Maier (München), auf den auch die Publikation meiner Arbeit in den „Politik- und Kommunikationswissenschaftlichen Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft" zurückgeht. Den Professoren Heinrich Oberreuter, Otto B. Roegele und Manfred Spieker danke ich für die Aufnahme in ihre vom Schöningh-Verlag betreute Reihe; Herrn Professor Paul Mikat und der Görres-Gesellschaft gilt mein Dank für die Finanzierung der Drucklegung (Abschluß des Manuskripts im Januar 1999). Eine Doktorarbeit braucht stets einen oder mehrere Doktorväter, die ich in meinem akademischen Lehrer Herrn Prof. Herrmann, der ein eigenes Gutachten für das Promotionsverfahren verfaßte, aber besonders auch in der Person des Erstgutachters, Herrn Prof. Dr. Anselm Doering-Manteuffel (Tübingen), fand. Der Austausch mit ihm und im Doktorandenkolloquium des Seminars für Zeitgeschichte war, obwohl bzw. gerade weil häufig andere - mehr westernisierte denn abendländische - Akzente gesetzt wurden, befruchtend. Herr Prof. Dr. Andreas Wirsching (damals Tübingen) unterzog sich der Mühe des Zweitgutachtens. Der Promotionsausschuß der Historischen Fakulät der Eberhard Karls-Universität Tübingen stellte am 28. Oktober 1998 nach bestandenem Rigorosum den Abschluß des Prüfungsverfahrens fest. Ich widme diese Studie nicht „nur" der „Jahrhundert-Frau" Sophie Scholl, sondern ihrer ganzen „Jahrhundert-Generation": In der Person von Inge Scholl und Otl Aicher Willi Habermann und Frido Kotz Helga und Herbert Wiegandt Stellvertretend allen „widerständigen" Frauen und Männern einer durchaus nicht „verlorenen" Generation. Wiesbaden, im März 2000 Barbara Schüler

EINLEITUNG Hans und Sophie Scholl und ihr Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime wurden in der deutschen Geschichte seit 1945 zum Symbol für das „andere" und „bessere" Deutschland schlechthin. Die „herrlichen jungen Leute" legten ihr Haupt auf den Block und starben für „Deutschlands Ehre" 1 - diese pathetische Formulierung Thomas Manns ist geradezu typisch. Immer wieder wurde der „Geist der Gemordeten" beschworen, immer wieder wurden die Münchner Studenten als Kronzeugen aufgerufen, ihr Martyrium als Sühneopfer stilisiert, wenn es galt, den Vorwurf der „Kollektivschuld" der Deutschen zu entkräften. Fast alle weltanschaulichen Gruppen und politischen Parteien beriefen sich auf die „Weiße Rose" und gaben sich als legitime Erben des „Geistes der Gemordeten" aus. Dieser wurde zum Synonym für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus, zum Topos der Entschuldigung der Deutschen und für die Deutschen, zum Beweis, daß im deutschen Volk gute Kräfte vorhanden waren, die ihren Geist gegen den Ungeist des NS-Regimes setzten 2 . Nicht zuletzt diese Instrumentalisierung des „Geistes der Gemordeten" ist dafür verantwortlich, daß die „Weiße Rose" zum allgemeinen Bewußtsein der Nachkriegszeit und der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland gehört und alle anderen Widerstandsgruppen wie etwa die „Rote Kapelle" - überlagerte 3 . Die Erforschung der „Weißen Rose" und ihres Geistes stand weitgehend in der Funktion der psychologischen und politischen Instrumentalisierung des Münchner Widerstands. Hier ging es kaum einmal um historisch-kritische Fragen, vielmehr galt es, durch Entzeitlichung einen Mythos zu pflegen, neue „Nationalheilige" zu schaffen. Dabei kamen bislang meist ausschließlich die unmittelbaren Aktionen der Jahre 1942/43 in den Blick - das Martyrium selbst eben und dieses mehr oder minder verklärt. Seit der Vereinigung Deutschlands im Jahr 1989 und der damit möglichen Zusammenschau aller Die Rede Thomas Manns abgedruckt bei Scholl, Weiße Rose 198f. In den Anmerkungen wird jeweils nach Kurztiteln zitiert, die sich nach dem Quellen- und Literaturverzeichnis auflösen lassen. So sahen sich Emigranten und jene, die im Widerstand gegen Hitler gestanden und in Deutschland Verfolgung und Konzentrationslager überstanden hatten, als berufene Vertreter eines Neuanfangs; vgl. die verschiedenen Beiträge in: Koebner u.a. (Hg.), Deutschland nach Hitler; Hammersen, Denken (zur Wirkungsgeschichte neokonservativer Ideologien); Mommsen, Kreisauer Kreis 361-377 und Schindler, Husen (zu den verfassungsrechtlichen Vorstellungen des Kreisauer Kreis für einen Neuaufbau Deutschlands); Schwiedrzik, Träume. Zur Instrumentalisierung der „Weißen Rose" die Darstellung der wesentlichen Deutungen seit 1945 im Teil 2 der vorliegenden Studie. Eine neuere Bibliographie hat den sprechenden Titel „Im Schatten der ,Weißen Rose'"; zur Legendenbildung Schilde, Schatten 37-44; Ebeling/Hespers (Hg.), Kameradschaft (S. VI): „Die Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit hat dem Jugendwiderstand bis zur zweiten Hälfte der 70er Jahre kaum eine Bedeutung beigemessen - wenn wir von den idolträchtigen Geschwistern Scholl und dem Kreis um die ,Weiße Rose' mal absehen wollen."

12

Einleitung

staatlichen Quellen wird wenigstens die Ereignisgeschichte des Münchner studentischen Widerstands einigermaßen historisch aufgearbeitet. Die chronologische Verengung auf knapp zwei Jahre vermag den „Geist der Gemordeten", die Ideale und Ideen, die die „Weiße Rose" zu ihrem Widerstand führten, jedoch nicht sachgerecht zu erfassen. Denn diese wurden weder als Widerstandskämpfer geboren noch dürfte eine Spontanbekehrung im Sinne eines Damaskuserlebnisses anzunehmen sein. Die (Selbst-)Bewußtwerdung des „Geistes der Gemordeten" setzt einen Prozeß voraus, der kaum auf die Jahre 1942/43 beschränkt werden kann. Der „Geist der Gemordeten" fand zwar in den Flugblattaktionen beredten Ausdruck, läßt sich darauf aber nicht reduzieren. Er wurde in den Jahren vorher geprägt - durch die Umstände und die individuellen Biographien der Beteiligten. Am Beispiel der Geschwister Scholl kann die Formierung dieses Geistes in geradezu idealtypischer Weise nachgezeichnet werden. Es steht dafür nämlich nicht nur „Das kurze Leben der Sophie Scholl"4 zur Verfügung, sondern es gab Überlebende: Inge Scholl (1917-1998) und Otl Aicher (1922-1991). Beide bezogen sich nach 1945 ausdrücklich auf den „Geist der Gemordeten" und wollten in deren Geist weiterarbeiten, als sie 1946 die Volkshochschule Ulm (vh ulm oder einfach vh) gründeten und wenige Jahre später die Hochschule für Gestaltung (HfG) ins Leben riefen, die eigentlich als „Geschwister SchollHochschule" für Politik, Soziologie und Geschichte geplant worden war5. „Weiße Rose", Volkshochschule Ulm und Hochschule für Gestaltung sind bislang in der Forschung nur getrennt untersucht, jeweils ganz unterschiedliche Disziplinen für zuständig erklärt worden: Gründung und Entwicklung der Volkshochschule gehören schwerpunktmäßig zur „Historischen Bildungsforschung" im Bereich der Pädagogik 6 , Aichers graphisches Werk und sein Wirken in der Hochschule für Gestaltung fallen dagegen in die Zuständigkeit der Kunstwissenschaften im weitesten Sinne7, der Widerstand der Geschwister Scholl dagegen gehört in den Bereich der „Zeitgeschichte" 8 . 4

So der Titel eines Buches von Hermann Vinke; Vinke, Leben. Als Beispiel für viele: „Wir haben die Ulmer Volkshochschule in den ersten Nachkriegsjahren gegründet in der Absicht, etwas vom Geist meiner in München zum Tode verurteilten Geschwister weiterzuführen in Form einer sehr offenen, permanenten Aufklärung." Inge AicherScholl an Wolf gang Bauer 15.7.1968; Ulm vhA Schachtel 7. 6 Zur Volkshochschule existiert bislang keine umfassende Darstellung. Es finden sich lediglich einige Aufsätze, die aus der Feder von Inge Scholl selbst oder dem langjährigen Kuratoriumsmitglied Herbert Wiegandt stammen. In Darstellungen zur Geschichte der HfG ist die vh durchaus präsent, wird aber nicht entsprechend gewürdigt. In Arbeiten zur „Weißen Rose" kommt die Schwester der Gemordeten nicht vor. Anläßlich des 50jährigen Jubiläums der vh ulm im Jahr 1996 erschien eine kleine Festschrift, in der ich erste Ergebnisse meiner Forschungen und ausgewählte Quellen präsentieren konnte; Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit. ' Zur Geschichte der HfG gibt es eine Reihe von Studien; vgl. dazu unten den Forschungsüberblick im 2. Kapitel von Teil 3. s Zur Rezeption der „Weißen Rose", die Teil der Fragestellung dieser Studie ist, unten den ausführlichen Forschungsüberblick am Beginn von Teil 2. Zur Geschichte der Weißen Rose forscht derzeit Frau Christiane Moll (München). Siehe auch die umfangreiche Bibliographie mit einer Skizze zum Forschungsstand von Michael Ruck. '

Einleitung

13

Dieser Ansatz greift zu kurz, weil er das Verbindende nicht in den Blick zu nehmen vermochte, obwohl die Protagonisten aller drei Aktionen letztlich derselben Gruppe entstammten bzw. sogar personell identisch waren und sich jeweils in allen drei Bereichen auf ein- und denselben Geist als handlungsleitende Instanz bezogen. Dabei legt nicht nur ihre enge verwandtschaftliche Vernetzung einen möglichen Zusammenhang nahe. Die Geschwister Scholl wuchsen nämlich mit ihrer Schwester Inge und ihrem Freund Otto Aicher gemeinsam in Ulm auf und bildeten einen engen Freundeskreis, den sogenannten „Scholl-Bund", der sich als äußerst prägend erweisen sollte 9 . Überdies zeigt schon ein oberflächlicher, allerdings bislang nie erfolgter Blick auf die Konzeptionen von „Weißer Rose", Volkshochschule Ulm und Hochschule für Gestaltung die gemeinsamen Wurzeln und verbindenden tragenden Ideen. Beschworen die Flugblätter der „Weißen Rose" 1942/43 die mündigen Deutschen, sich ihrer „Verantwortung [gegenüber] der christlichen und abendländischen Kultur bewußt" 10 zu werden und auf christlich-humanistischer Basis ein neues Europa zu bauen 11 , so propagierte die Programmschrift der Ulmer Volkshochschule 1945/46 unter dem sprechenden Signet der athenischen Eule der Weisheit einen ganzheitlichen Bildungsbegriff auf den Fundamenten des christlichen Abendlandes 12 , und noch im Januar 1998 konnte es im Feuilleton einer großen deutschen Tageszeitung aus Anlaß der Ausstellung im Ulmer Stadthaus zu Otl Aicher heißen: „Ein Leben lang blieb ihm Kunst als l'art pour l'art obsolet, apolitisch, gesellschaftlich zwecklos ... Jede Firma wollte er über das Erscheinungsbild zu einer humanistisch geprägten .Firmenphilosophie' bringen" 13 . Ein ideen- und geistesgeschichtlicher Anweg 14 allein also vermag die von den Protagonisten behauptete und von außen auf den ersten Blick plausibel erscheinende Einheit, die geistige Verbindung von „Weißer Rose", vh ulm und HfG in den Blick zu nehmen und kritisch zu untersuchen, wobei es selbstredend nicht um eine bloße Repristination der „alten" Geistesgeschichte geht. Vielmehr muß dieselbe sozial- und erfahrungsgeschichtlich integriert werden. Es geht dann um Ideen als „gedachte Ordnungen" für die Sinndeutung der Wirklichkeit. Namentlich auf die Verbindung der subjektiven Be9

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Dazu die Briefedition von Jens (Hg.), Scholl; die Darstellung der Schwester der Gemordeten, Inge Scholl, würdigt den Freundeskreis nur kurz; Scholl, Weiße Rose. Flugblatt 1; zitiert nach Scholl, Weiße Rose 76-79, hier 77. Vgl. etwa Flugblatt 4; ebd. 88-91, hier 90. Ulm vhA Schachtel 3, [Kurt Fried] ulmer Volkshochschule. [Programmschrift zur Eröffnung im April 1946], 20f. Rudolf M. Bergmann, Macht Mangel munter? Eine Ausstellung im Ulmer Stadthaus würdigt Otl Aicher, in: Frankfurter Rundschau 3.1.1998, 6. Dazu allgemein M. Rainer Lepsius, Interessen und Ideen. Die Zurechnungsproblematik bei Max Weber, in: Ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, 31-37; Art.: Ideengeschichte, in: HWP 4, 135-137 (L. Geldsetzer). Vorliegende Studie verdankt wesentliche Anregungen dem Expose für die Deutsche Forschungsgemeinschaft „Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskräfte im Europa der Neuzeit - Ansätze zu einer neuen ,Geistesgeschichte'" des Tübinger Seminars für Zeitgeschichte.

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deutung von Sinnentwürfen und ihrer Wirkmächtigkeit in gesellschaftlichen Prozessen ist zu achten. Die Idee der „Weißen Rose" war 1943 nicht am Ende, sie sollte nach 1945 weiterwirken. Einerseits gaben die Überlebenden selbst vor, im „Geiste der Gemordeten" zu handeln, andererseits wurden diese zu „Erben" des Münchner Geistes erklärt 15 . Drei unterschiedliche Interpretationsmuster bieten sich für diesen unterstellten Zusammenhang vorwiegend an: 1. Es besteht eine vollständige Identität zwischen den tragenden Ideen, die zum Widerstand und zur Gründung einer Volkshochschule sowie einer Hochschule führten. Diese müßte sich dann wesentlich auf die gemeinsame Prägephase während der Jugendbiographie der Protagonisten zurückführen lassen. 2. Erst das Martyrium der Geschwister Hans und Sophie bildet für die Überlebenden den entscheidenden Impuls, sich der gemeinsamen Prägung vor 1942 bewußt zu werden und die ideellen Grundlagen des eigenen Tuns nach 1945 mit dem „Geist der Gemordeten" explizit zu identifizieren. 3. Die Varianten 1 und 2 werden nach Kriegsende einfach vorgeschoben, das heißt: obwohl keine oder allenfalls eine Teilidentität zwischen dem Widerstand der „Weißen Rose" und den Bemühungen um eine neue Volkshochschule bzw. Hochschule in Ulm besteht, instrumentalisiert man den „Geist der Gemordeten" aus eher strategisch motivierten Gründen, um sich den „Scholl-Effekt" (nicht nur) politisch zunutze zu machen. Ausgehend von dem durch diese drei Varianten abgesteckten Interpretationsrahmen ergibt sich die Gliederung vorliegender Studie sachlogisch: Zunächst wird nach den grundsätzlichen Prägungen der Scholls, Otto Aichers und ihrer Freunde von 1917 bis 1941 gefragt, dann kommt die „Geistesgeschichte" der „Weißen Rose" im engen Sinn in den Blick, schließlich geht es um die „Rezeption" dieser Ideen nach 1945 durch die Überlebenden, um die Qualität und Quantität des Erbes. Als Leitbiographien 16 dienen hier Leben und Werk von Inge Scholl und Otl Aicher, nicht nur aufgrund ihrer „longe duree", sondern weil von beiden „Autobiographien" vorliegen 17 , die mit zeitgenössischen Quellen und Zeitzeugenbefragungen kontrastiert wer5

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Als Beispiel für viele: „Sie sind als Schwester von Sophie und Hans besonders dazu berufen, die Ideen von diesen und ihren Kommilitonen zu überliefern und für die heutige Zeit zu interpretieren." Albert Suhr an Inge Aicher-Scholl 8.4.1971; Ulm vhA Schachtel 7. In den siebziger bis weit in die achtziger Jahre hinein galt es unter Historikern noch als geradezu anstößig, eine Biographie zu schreiben. Die Folge war die Abwertung der Biographie als geschichtswissenschaftliches Genre. Dies hat sich seither geändert. Zum Wandel den Forschungsbericht von Berlepsch, Wiederentdeckung 488-510; zur sozialhistorischen Biographieforschung die Beiträge in Gestrich u.a. (Hg.), Biographie. Vgl. auch Engelberg/Schleier, Geschichte 195-217; Le Goff, Biographie 103-112; Oelkers, Biographik 296-309. Aichers Erinnerungen an Kindheit, Jugend und Erwachsenenwerden liegen unter dem Titel „Innenseiten des Krieges" gedruckt vor und erschienen erst jüngst als Taschenbuch; Aicher, Innenseiten. Aus der Feder Inge Scholls gibt es einige Texte mit autobiographischem Charakter, die in verschiedenen Archiven verstreut zu finden waren. Hier sei besonders auf die „Erinnerungen an München" verwiesen; München IFZ ZS A 26/7.

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den können und so eine historisch-kritische Bearbeitung der Tendenz zur Selbstkonstruktion 18 der je eigenen Biographie ermöglichen. In einem ersten Teil wird somit erstmals eine Jugendbiographie des „Scholl-Bundes" für die zwanziger und dreißiger Jahre versucht. In einer Verbindung von Ereignis- und Geistesgeschichte, aufbauend auf den Erkenntnissen der Milieutheorien sowie der Theologie- und Philosophiegeschichte des 20. Jahrhunderts, wird nach den entscheidenden Prägungen, nach den Idealen, die im „Geist der Gemordeten" enthalten sind, gefragt: Wie verarbeiteten die Scholls und ihre Freunde die Umbrüche und Krisen nach 1918/19? Mit welchen Strömungen und Ideen setzten sie sich auseinander? Wie war ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus? Gibt es Indizien für eine Grundlegung der Widerständigkeit, wie sie später in den Flugblatt-Aktionen zum Ausdruck kommen sollte? Welche Rolle spielten die großen Weltanschauungen, Ideologien und die Religion? Gab es prägende Gestalten und Persönlichkeiten? Welche Mechanismen der Krisenbewältigung - wenn man einmal den Totalitätsanspruch des Nationalsozialismus spätestens seit 1933 als institutionalisierte Dauerkrise interpretieren darf - wurden in der Jugendzeit entwickelt? Lag damit ein Arsenal für später bereit? Und vor allem: Wessen Geistes Kind waren die Scholls und ihr Freundeskreis letztlich? Auf der Basis dieser Prägungen wendet sich der zweite Teil der „Weißen Rose" selbst zu, wobei es freilich in erster Linie um eine Geistes- und Ideengeschichte dieses Phänomens geht. Dabei steht vor allem die Frage im Vordergrund, ob und inwieweit sich die Münchner Aktionen konsequent aus den in der Jugend erfahrenen Prägungen ergeben oder nicht. Handelt es sich in München um etwas fundamental und qualitativ Neues? Oder zeigt sich hier lediglich ein neuer Grad der in Ulm erworbenen Widerständigkeit? Zur Beantwortung dieser Frage müssen die für die Ulmer Zeit eruierten formalen Lösungsmechanismen und inhaltlichen Lösungsstrategien bzw. Ideen mit den entsprechenden Münchner Ansätzen verglichen werden. Ein dritter Teil stellt diese Fragen noch einmal, allerdings an die Überlebenden bzw. an die beiden Institutionen, die mit dem „Geist der Gemordeten" in besonderer Weise in Beziehung gebracht wurden: die Ulmer Volkshochschule und die Hochschule für Gestaltung bzw. ihre Vorstufen (Geschwister Scholl-Hochschule). Beide Einrichtungen traten mit dem Anspruch auf, daß die Ideale der „Weißen Rose" nicht nur als geistige Grundlage des Widerstands gegen das totalitäre NS-Regime taugten, sondern auch die Basis für den geistigen Wiederaufbau eines besseren Deutschlands nach 1945 bilden konnten. Dabei ist zunächst zu fragen, in welchem Gewand bzw. unter welchen Begriffen der „Geist der Gemordeten" sich in jenen Jahren inkarnierte. Welche Ideen wurden ihm genuin zugesprochen? Welche waren mit ihm zunächst kompatibel? Welche waren mit ihm völlig unvereinbar? Dazu kommt ein zweiter Fragenkomplex: Wie salon- bzw. mehrheitsfähig war der „Geist der Gemordeten" nach 1945 überhaupt? Gibt es hier Zäsuren beim Grad und der Intensität seiner Rezeption? Bildeten die Ideen der 18

Dazu Plato, Oral History 97-119, hier 108f.

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„Weißen Rose" nur den Stoff für Feiertagsreden über das „andere Deutschland" 19 , oder wurden sie konkret wirkmächtig? Und wie gingen die Überlebenden mit den unterschiedlichen Weisen der Rezeption um? Da die Forschung zur Ulmer Volkshochschule über bescheidene Anfänge bislang nicht hinaus gekommen ist und das „Studio Null" als Pflanzstätte der späteren HfG sogar völlig unbekannt war, stehen in diesem Teil der Arbeit - anders als in den vorgehenden Kapiteln - selbstredend nicht Literaturdiskussionen oder Metareflexionen über methodische Anwege bzw. Kontextualisierungen im Vordergrund. Vielmehr kommt hier die klassisch-historische Tugend der Darstellung zur Anwendung. Bislang unbekannte oder unbenutzte Quellen werden erstmals zum Sprechen gebracht, Bausteine aus unterschiedlichen Provenienzen zu einem Bild zusammengesetzt. Vor einem Blick auf Forschungsstand und Quellenlage muß der Widerstandsbegriff20, der die Arbeit wie ein roter Faden durchzieht, kurz geklärt werden. Ohne in diesem Rahmen auf die äußerst differenzierte und kontrovers geführte wissenschaftliche Diskussion eingehen zu können, wird hier ein eher integrales Widerstandsverständnis zugrundegelegt und vorläufig auf ein Stufenmodell von Widerstand21 zurückgegriffen, das freilich im Verlauf der Untersuchung stetig hinterfragt wird22. Nach diesem Modell wären folgende Grade von Widerstand zu unterscheiden23, wobei Überschneidungen möglich sind: 19

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Dazu die Beiträge in: Das andere Deutschland; Grebing/Wickert (Hg.), Das „andere Deutschland"; Kettenacker (Hg.), Das „Andere Deutschland". Einen Überblick über die derzeitigen Diskussionen zum Widerstandsbegriff bei Steinbach, Widerstand im Widerstreit im Teil „I. Zum Problem" 21-123. Diese Aufsatzsammlung Steinbachs ist sozusagen das „Best of" (Hubert Roser, in: ZfG 44 (1996) 375) seiner instruktiven Beiträge zur Grundlagenforschung, zum Widerstandsbegriff und seiner Instrumentalisierung. Bei Steinbach auch die weiterführende Kritik am Stufenmodell von Gotto/Repgen (Hg.), Die Katholiken und das Dritte Reich 175f. Eine Interpretation dieses Modells liefert Heinz Hurten, Verfolgung, Widerstand und Zeugnis. Kirche im Nationalsozialismus. Fragen eines Historikers, Mainz 1987, wie auch bei Weis, Würden und Bürden 26f. Weitere Überblicke und Ansätze: Winfried Becker, Begriffe und Erscheinungsformen des Widerstands gegen den Nationalsozialismus, in: Jahrbuch für Volkskunde 1989, 11-42; Martin Broszat, Resistenz und Widerstand. Eine Zwischenbilanz des Forschungsprojekts, in: Bayern in der NS-Zeit 4, 691 -709, hier 697; Hinrich Siefken, What is Resistance?, in: Siefken/Vieregg (Hg.), Resistance (Arbeiter) 5-19; Peter Steinbach (Hg.), Widerstand. Ein Problem zwischen Theorie und Geschichte, Köln 1987; Weis, Würden und Bürden 15-27; auch Andreas Wirsching, Nationalsozialismus in der Region. Tendenzen der Forschung und methodische Probleme, in: Möller u.a. (Hg.), Nationalsozialismus 25-46. Zuletzt unterschied Gotthard Jaspers: 1. den aktiven gewaltsamen Widerstand gegen Terrorregime, 2. die mannigfachen Formen der Resistenz gegenüber totalitärem Druck, 3. die legale politische Opposition und 4. den gewaltfreien zivilen Ungehorsam in demokratischen Systemen der Gegenwart; Gotthard Jaspers, Schwierigkeiten und Zumutungen des Widerstands in Deutschland, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstands 177-180. An dieser Stelle sei auch kurz auf die englische Terminologie von Ian Kershaw verwiesen: Resistance (Widerstand) - Opposition (Opposition, Widerspruch) - Dissent (Resistenz); Ian Kershaw, Populär Opinion and Political Dissent in the Third Reich, Bavaria 1933-1945, Oxford 1983, 2-5. Die in dieser Arbeit verwendeten Begriffe wie Nonkonformität, Opposition, Resistenz, Widerstand, Widerspruch o.a. sind immer in bezug auf diese Begriffsproblematisierung zu verstehen. Dabei ist besonders auf die Problematik eines solch abstrakten Modells hinzuweisen, daß der Verfolgungswirklichkeit nur bedingt gerecht wird. Dazu Peter Steinbach, Einführung in die Geschichte des deutschen Widerstandes, in: Engel (Hg.), Widerstand 5-61, hier 55f.

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1. Die erste der vier Stufen ist die „Resistenz". Hierbei handelt es sich um eine durch Erziehung, Ausbildung oder gesellschaftliche und historische Zugehörigkeit herausgebildete partielle oder generelle Immunität gegen den totalitären Anspruch des NS-Regimes. Der von Martin Broszat aufgebrachte Begriff der Resistenz ist damit erheblich reduziert. Resistenz ist eine Beschaffenheit, von der noch nicht aktiv Gebrauch gemacht werden muß. 2. Die zweite Stufe ist die „Nonkonformität". Hierbei handelt es sich um eine Haltung, die eine Willensbildung und eine Absicht voraussetzt. Nonkonformität drückt sich in einer bewußt eingenommenen Haltung und in bewußtem Verhalten gegen das NS-Regime aus. 3. Die dritte Stufe ist der „Protest" bzw. der „angedrohte Protest". Aus dem defensiven Verhalten der Resistenz und Nonkonformität wird ein offensives Verhalten. Es geht nicht nur um den Erhalt des Ist-Zustandes, sondern bereits um den Kampf gegen ein bestimmtes Vorgehen des zu bekämpfenden Systems. 4. Die vierte Stufe besteht im „aktiven^iderstand". Unter diese höchste Stufe fallen alle Aktivitäten, die auf den politischen Umsturz des Regimes hin gerichtet waren, also ein generelles Nein zum Regime bedeuten. Der Fragehorizont der Thematik „,1m Geiste der Gemordeten'. Die ,Weiße Rose' und ihre Wirkung in der Nachkriegszeit" dürfte damit ausreichend skizziert sein. Mit ihrem geistes- bzw. ideengeschichtlichen Zugriff betritt die vorliegende Studie weitgehend Neuland. Für ihre integrative Fragestellung kann der Stand der Forschung nicht anders als bescheiden bezeichnet werden. Es gibt bislang keine Studie, die den „Geist der Gemordeten" in dem oben skizzierten umfassenden Sinn in den Blick nimmt. Auch die zur Jugendbiographie bzw. den drei „Institutionen" vorliegenden Arbeiten, die jeweils im entsprechenden Teil der Untersuchung eingeführt werden 24 , wenden sich kaum einmal explizit der Ideengeschichte zu, nicht einmal für ihren eigenen Sektor. Ihre geistesgeschichtlichen Gehalte müssen in einem behutsamen und mühsamen Prozeß in Kontrastierung mit neuen Quellen 25 herauspräpariert werden. Dabei ist die häufig „ideologische" Intention der unterschiedlichen Beiträge zu berücksichtigen. Trotz der Einheitlichkeit im Hinblick auf die geistesgeschichtliche Auswertung eignet den für die vorliegende Studie herangezogenen Quellen aufgrund ihrer heterogenen Materialobjekte ein äußerst differenzierter Charakter. Ein Gestapo-Protokoll stellt eben eine ganz anders zu behandelnde Gattung als ein Jugendbrief, ein Tagebuch, ein Filmentwurf oder ein Memorandum dar 26 . Für die drei Teile respektive vier Kapitel wird die je spezifi24

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Vgl. dazu unten am Beginn der einzelnen Teile bzw. Kapitel die Hinweise zum Forschungsstand. Dazu das Quellenverzeichnis und unten am Beginn der einzelnen Teile bzw. Kapitel die Hinweise zur Quellenlage. Zur Gattungsproblematik insgesamt Bernd A. Rusinek/Volker Ackermann/Jörg Engelbrecht (Hg.), Einführung in die Interpretation historischer Quellen. Schwerpunkt Neuzeit, Paderborn 1992.

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Einleitung

sehe Archiv- bzw. Quellenlage jeweils getrennt am entsprechenden Ort abgehandelt. Neben den publizierten Erinnerungen bzw. (autobiographischen Schriften der Protagonisten und den offiziellen staatlichen respektive institutionenspezifischen Akten spielen vor allem Privatarchive mit den darin enthaltenen zahlreichen Briefwechseln, Textentwürfen, Aufzeichnungen usw. eine wichtige Rolle, nicht zu vergessen die hier erstmals in größerem Umfang herangezogene veröffentlichte Meinung in Zeitungen und Zeitschriften. Eine wesentliche Ergänzung zu den publizierten und nichtpublizierten schriftlichen Quellen bildet die methodisch behutsam durchgeführte Zeitzeugenbefragung, wobei die Tendenz zur Selbstkonstruktion der eigenen Biographie bei der „Oral History" 2 7 stets im Blick behalten wurde. Besondere Bedeutung kommt hier auch der Generationengelagertheit 28 dieser zwischen 1915 und 1925 geborenen Personengruppe zu. Der Bereitschaft von Inge AicherScholl, Willi Habermann, Fritz und Elisabeth Hartnagel, Fridolin Kotz, Sven Anker Lindström, Helga und Herbert Wiegandt sowie zahlreichen anderen Gesprächspartnern gilt hier besonderer Dank 29 .

Dazu Briesen/Gans, Zeitzeugen 1-32; Plato, Oral History 97-119; Steinbach, Bewußtseinsgeschichte und Geschichtsbewußtsein 89-106; Klaus Tenfelde, Schwierigkeiten mit dem Alltag, in: GG 10 (1984) 376-394; die Beiträge in Niethammer (Hg.), Lebenserfahrung; Vorländer (Hg.), Oral History sowie weitere Aufsätze in der Zeitschrift für Biographieforschung BIOS. Neuerlich finden sich Überlegungen über die historische Bedeutung generationeller Erfahrungen, die sich in den untersuchten Biographien als langfristig prägend herausstellten. Zum Konzept von Generationen in der Geschichte Herrmann, Konzept 319-330; Jaeger, Generationen 427-452; Karl Mannheim, Das Problem der Generationen, in: Kohli (Hg.), Soziologie 38-53. Solche Überlegungen umgesetzt bei Herbert, Best; Peukert, Weimarer Republik. Für die „Jugend-Generation" Boll, Suche; Wagner, Lebenswelten. Eine „Generationengeschichte des Nationalsozialismus" erst jüngst bei Schneider u.a., Napola. An dieser Stelle möchte ich mich auch für die entsprechenden Vollmachten bedanken, die mir in den Archiven den Zugang zu noch gesperrten Unterlagen ermöglichten.

ERSTER TEIL IDEALE: EIN „GANG DURCH DEN GARTEN DER KULTUR"

I. GEISTIGES ERWACHEN 1. KINDHEIT UND FRÜHE JUGEND DER SCHOLL-GESCHWISTER UND OTL AICHERS „Bücher spielten ... eine große Rolle, und zwar von frühester Kindheit an"1 so bringt Inge Scholl in der Retrospektive eine Konstante ihrer Kinder- und Jugendzeit treffend auf den Punkt, die sich über mehrere Umzüge - bedingt durch den beruflichen Werdegang des Vaters - durchhielt. Die Eltern Robert 2 und Magdalene Scholl, geb. Müller3, lernten sich während des Ersten Weltkrieges in Ludwigsburg kennen. Der Vater hatte nach dem Besuch der Württembergischen Verwaltungsfachschule und volkswirtschaftlicher Vorlesungen an der Technischen Hochschule Stuttgart 1913 die Prüfung für den gehobenen Verwaltungsdienst absolviert 4 . Seiner „pazifistischen Grundhaltung" 5 folgend, ließ er sich im August 1914 nicht von der allgemeinen Kriegsbegeisterung anstecken, sondern meldete sich für den „weniger ehrenhaften" Sanitätsdienst. Er kam in ein Reserve-Lazarett nach Ludwigsburg; Magdalene Müller, seine spätere Frau, war hier nach ihrer Ausbildung im Diakonissenhaus Schwäbisch Hall (und einer Tätigkeit in verschiedenen württembergischen Gemeinden) als Krankenschwester eingesetzt 6 . Am 23. November 1916 heirateten beide in Geißelhardt 7 , bevor Robert Scholl im Jahr 1917 das Amt des Bürgermeisters von Ingersheim-Altenmünster bei 1 2

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Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 19f. Robert Scholl (1891-1973); Kurzbiogramm in Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 131f.; Ulm SA, G 2 Scholl, Robert; Forchtenberg Bürgermeisteramt, Inge Aicher-Scholl, „Robert Scholl" [Ms masch o.D.] und Rechenschaftsbericht 15.12.1929; Jahnke, Antifaschisten 85-104. Magdalene Scholl (1881-1958); Kurzbiogramm in Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 132; vgl. auch Forchtenberg Bürgermeisteramt, Inge Aicher-Scholl, „Magdalene Scholl geb. Müller" [Ms masch o.D.]. Seine Eltern waren Bauern und lehnten jede höhere Schulbildung für ihren Sohn ab. Der Pfarrer in Steinbrück konnte den Vater schließlich dazu überreden, ihm Privatstunden geben und Robert Scholl 1909 das Eberhardt-Ludwig-Gymnasium in Stuttgart bis zur Mittleren Reife besuchen zu lassen. So seine Tochter über ihn; Aicher-Scholl, Sippenhaft 131; Aicher, Innenseiten 142 spricht von ihm in diesem Zusammenhang als „linkem Liberalen". Ihr Vater arbeitete als gelernter Schuhmacher in einer Lederfabrik in Künzelsau, wo Magdalene geboren wurde. Als Gemeindeschwester war sie u.a. in Ulm, Frankenbach und Merklingen (bei Weil der Stadt) tätig. Stadt Crailsheim, Standesamt an Verfasserin 20.1.1997. Geißelhardt lag im Oberamt Öhringen.

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Erster Teil: IDEALE

Crailsheim 8 übernahm; hier wurde am 11. August 1917 die erste Tochter Inge geboren und am 16. September in der evangelischen Kirche zu Crailsheim getauft9. Ein Jahr später - am 22. September 1918 - folgte die Geburt des Sohnes Hans. Robert Scholl blieb mit seiner jungen Familie nur drei Jahre in der Nähe von Crailsheim; bereits 1920 übersiedelten sie nach Forchtenberg 10 , einer Kleinstadt im Kochertal westlich von Künzelsau, wo er bis 1930 als Bürgermeister - nicht unumstritten und schließlich von der Bevölkerung abgewählt 11 - amtierte. Hier kamen weitere drei Kinder auf die Welt: Elisabeth am 27. Februar 1920, Sophie am 9. Mai 1921 und Werner am 13. November 192212. Robert Scholl forcierte in seiner Amtszeit manches für die damalige Zeit fortschrittliche Projekt 13 wie den Bau einer Kanalisation, die Verlängerung der Eisenbahn nach Forchtenberg als Nebenstrecke der Linie Heilbronn-Schwäbisch Hall und den Bau einer Turn- und Festhalle. Inge Scholl spürte als Kind genau: bestimmte Gruppen waren gegen ihren Vater und verstanden ihn in seiner aufgeschlossenen Welt nicht14. Die bäuerlich geprägte Bevölkerung Forchtenbergs in ihrem württembergisch-protestantischen Milieu15, die in ihrer Mehrzahl jeder Neuerung mit Mißtrauen begegnete, konnte sich mit den auf Veränderung ausgelegten Ideen des „eingeheirateten" Bürgermeisters (die Vorfahren des Vaters von Magdalene Müller stammten fast alle aus Forchtenberg) kaum anfreunden, zu einschneidend erschienen seine Pläne den konservativen Köpfen. Die Eltern waren für die Geschwister die „Säulen ihres Kinderdaseins". Obwohl der Vater beruflich bedingt die meiste Zeit außer Haus war, wie sich die Tochter Inge erinnert 16 , „war er für uns von einer namenlosen Vertrautheit". Seine Kinder erzog Robert Scholl im kulturprotestantischen Sinn 8

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Altenmünster war ein Teilort von Ingersheim. Beide wurden 1940 nach Crailsheim (heute Landkreis Schwäbisch Hall) eingemeindet; vgl. Das Land Baden-Württemberg 4, 435f. Im Kurzbiogramm Inge Scholl in Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 132f. wird als Geburtsort Ingersheim-y4/tomünster genannt; hier handelt es sich wohl um eine Verwechslung mit dem bekannten Ort in Bayern. Crailsheim, Standesamt, Geburtsurkunde von „Elise Erna Ingeborg Scholl"; Schreiben des Standesamtes vom 20.1.1997. Crailsheim, Evangelisches Pfarramt Ingersheim, Kirchenbücher: Eintrag im Jahr 1917 zur Familie Scholl. Der Taufpfarrer, möglicherweise aus Crailsheim, ist in den Kirchenbüchern nicht vermerkt. Über Forchtenberg und seine Entwicklung (ab 1812 Oberamt, ab 1938 Landkreis Öhringen, heute Hohenlohekreis) vgl. Das Land Baden-Württemberg 4, 222-227. Forchtenberg Bürgermeisteramt, Inge Aicher-Scholl, „Robert Scholl" [Ms masch o.D.]. Bis zur Gemeindeneuordnung betrug die erste Amtszeit des Bürgermeisters vier, bei Wiederwahl sechs Jahre. Daten nach Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft. Vgl. dazu seinen Rechenschaftsbericht vom 15.12.1929. Angetreten war er unter dem Motto: „Die Ansichten sind stets verschieden/Und allen recht tun geht gar schwer;/Denn was den einen stellt zufrieden/Darüber klagt ein andrer sehr". Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 17. Dazu Kühr, Milieus 245-261. München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl", Ms masch o.D. [1945-1948] pag 126-171, hier 144 (Dieser längere Bericht bricht leider nach der Originalseite 45 ab; zitiert wird nach der Stempelpaginierung).

I. Geistiges Erwachen

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„zum Gutsein und zur Ordnung". Der fortschrittlich eingestellte sowie sozial engagierte Vater ließ seinen Kindern viel Freiheit. Die fünf Geschwister konnten ganz nach ihrem Belieben in der Umgebung des Städtchens herumstreifen, Wälder, Burgruinen und Weinberge erkunden oder im Kocher schwimmen; wußten jedoch ganz genau, wo sie hingehörten 17 . Durch die geringen Altersunterschiede müssen die Scholl-Geschwister ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt haben. Der Geschwisterkreis wie die Eltern gehörte zu dieser „Welt der Urvertrautheit". Spielend ermöglichte er den ersten Schritt in die menschliche Gesellschaft, bewahrte vor Eigenbrötelei und Weltfremdheit. Er schenkte „dem kindlichen Insichversunkensein den herrlichen, gesunden Ausgleich" und wurde später, „mit dem Erwachen des Geistes und dem bewußten Suchen zu einem selten schönen, glücklichen Freundeskreis" 18 - wie Inge Scholl im Rückblick nicht ohne idealisierende Verklärung formuliert. Deshalb brauchten die Kinder auch nicht in den Kindergarten, der ihnen ohnehin „nicht sonderlich behagte". Die Mutter, eine fröhliche, den Menschen und dem Leben zugewandte Frau 19 , nahm als Montessori-Anhängerin, die ihre Kinder „mit ganzer Hingabe" 20 erzog, die Geschwister und ihr Spiel ernst. „Das Jahrhundert des Kindes" 21 war für sie mehr als ein bloßes Schlagwort, und so verwundert es nicht, daß Pestalozzis Buch „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt" (1801) im Bücherregal ganz vorne stand. Als Bürgermeistersfrau kümmerte sie sich auch um soziale Belange, suchte die Kriegsnöte, die auch vor der kleinen Stadt nicht halt machten, zu lindern und nahm sich der Armen und Kranken an22. „Sie war so etwas wie ein Unterpfand des Daheimseins in dieser Welt"23. Konsequent erzogen die Eltern Scholl ihre Kinder nach Idealen wie Selbstbewußtsein, Standfestigkeit, Achtung vor dem Leben, Rücksicht auf schwächere Glieder der Gesellschaft sowie im Bewußtsein christlicher Werte24. Ihnen zur Seite standen Hausgehilfinnen - damals für eine bürgerliche Familie nichts Außergewöhnliches -, 17

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Vgl. den Bericht von Inge Aicher-Scholl, „Im schönsten Wiesengrunde" (Forchtenberg Bürgermeisteramt) und die Schilderungen bei Vinke, Leben 13-17. Burgruinen finden sich im Kochertal zahllose; zudem liegt die Götzburg bei Berlichingen ganz in der Nähe. München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 144f. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 17. Forchtenberg Bürgermeisteramt, Inge Aicher-Scholl, „Magdalene Scholl" [Ms masch o.D.]. Zu Maria Montessori (1870-1952) vgl. Blankertz, Geschichte der Pädagogik. Die schwedische Pädagogin Ellen Key (1849-1946) proklamierte eine Pädagogik „vom Kinde aus". Ihr 1900 erschienenes Buch „Das Jahrhundert des Kindes" wurde zum Schlagwort einer ganzen Epoche; vgl. Blankertz, Geschichte der Pädagogik 214. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 17. München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 143. Diese Ideale kommen in einer Erzählung Inge Scholls über eine Streitigkeit mit einer Mitschülerin treffend zum Ausdruck. Inge bat ihre Mutter, sie zur Schule zu begleiten, um diesem Mädchen gehörig die Meinung zu sagen. Die Mutter begleitete sie auch bis zum Schulhof und ließ sie dann stehen, um weiterzugehen. „Ich stand dort also allein und begriff schließlich, was sie mir zu verstehen geben wollte: ,In Streitigkeiten anderer soll man sich nicht einmischen. Du mußt selber damit fertig werden'." Ebd.

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Erster Teil: IDEALE

die sich hauptsächlich um den Haushalt aber auch um die Kinder zu kümmern hatten 25 . Die Jahre der Kindheit in Forchtenberg am Kocher, dem „kleinen Paradies" 26 „im schönsten Wiesengrunde" 27 , endeten abrupt am 20. Dezember 1929, als der Vater bei Neuwahlen unterlag. Die siebenköpfige Familie zog nach Ludwigsburg 28 , wo Robert Scholl für zwei Jahre als Geschäftsführer des württembergischen Malerbundes tätig wurde. Die Mädchen Inge, Elisabeth und Sophie wechselten in dieser Zeit von der Grundschule in die Mädchen-Oberrealschule. 1932, nach der Prüfung zum Wirtschaftstreuhänder und vereidigten Buchprüfer sowie einer zweijährigen Tätigkeit als Syndikus, ließ sich Robert Scholl in Ulm 29 nieder, wo er zunächst Teilhaber eines Treuhandbüros wurde und sich später als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer selbständig machen konnte. Die Familie zog in eine „schöne große Wohnung am Münsterplatz, die im Laufe der Zeit zu einem beliebten Treffpunkt für alle möglichen Freunde und Bekannten wurde" 30 . Die Scholl-Geschwister durften schon immer Schulfreunde und Nachbarskinder mit nach Hause bringen, wo zusammen gespielt, gelesen, musiziert und später diskutiert wurde. Vor allem das gemeinsame Singen und Musizieren in der Familie half ihnen - so Inge Scholl in der Retrospektive über manche Bedrängnisse der Entwicklungsjahre hinweg: „Da konnte man seinen ganzen Kummer hinaussingen" 31 . Auch Malen und Zeichnen gehörte von Kindheit an zu ihren Hauptbeschäftigungen. Inge Scholl wollte bis zu ihrem 15. Lebensjahr Malerin werden, bis sie sich darauf verlegte, für ihre Schwester Sophie, die eine größere Begabung auf diesem Gebiet zeigte, als „Mäzen" zu fungieren. Die große Schwester kaufte die Malutensilien und Farben, übernahm zusätzlich Geschirr-Abwasch und Abtrocknen, damit sich die kleinere ganz der Kunst widmen konnte 32 . Neben Musik und Kunst durfte Literatur nicht fehlen. War der Vater bereits ein eifriger Zeitschriftenleser (so las er regelmäßig „Die Menschheit" 33 von Friedrich Wilhelm Foer25

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Vgl. dazu Jens (Hg.), Scholl 245. Genannt wird hier Mathilde Pflanz, mit der Hans Scholl lange Zeit freundschaftlichen Kontakt hatte; ebd. 18. Inge Aicher-Scholl erwähnt in ihrem Bericht „Im schönsten Wiesengrunde" eben diese Mathilde und „Mariele, unser Hausmädchen", die in der „alten, ein wenig dunklen Küche hausten und werkelten". Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 13. So der Titel von Inge Aicher-Scholls Erinnerungen an die Zeit der Familie Scholl in Forchtenberg (Forchtenberg Bürgermeisteramt). Über Ludwigsburg vgl. Das Land Baden-Württemberg 3, 420-428, 8 (Reg.) 334. Zu Ulm allgemein vgl. Das Land Baden-Württemberg 7, 254-282, 8 (Reg.) 565; Der Stadtkreis Ulm. Amtliche Kreisbeschreibung. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 19. Laut schriftlicher Auskunft von Frau Hartnagel am 19.11.1998 bezog die Familie diese Wohnung erst 1939 und wohnte vorher in der Olgastraße (im Dritten Reich umbenannt in Adolf Hitler-Ring). Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 27. Dazu Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 32-36. Zu Sophies Begabung auf künstlerischem Gebiet vgl. München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 150. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 17. Friedrich Wilhelm Foerster (1869-1966) sah die Hauptaufgabe einer von Grund auf ethischen Erziehung in der Wiederversöhnung der politi-

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ster), wurden die Kinder beinahe noch eifrigere „Leseratten": „Die Wurzelkinder" 34 , „Struwwelpeter" 35 , Grimms und Hauffs Märchen, die Bilderbibel von Schnorr von Carolsfeld 36 und das Ludwig Richter-Buch 37 standen auf der Lesehitliste ganz oben. Im Laufe ihrer Schulzeit wurden sie mit Heimatgeschichten, Robinson Crusoe 38 oder Rulaman 39 bekannt, bevor sie sich Gedichten und Prosastücken bedeutender Literaten (wie Rilke oder Hölderlin) zuwandten. Drei Grundzüge dieser Kindheitsgeschichte sollten für die weitere Entwicklung entscheidend werden: Einmal kommt den im Elternhaus vermittelten Wertstandards und dem Zusammengehörigkeitsgefühl der Geschwister untereinander eine zentrale Rolle zu. Dazu gehört auch, daß die Scholl-Geschwister gelernt hatten, eigenständig zu denken, eine eigene Meinung zu vertreten, Autoritäten (wie beispielsweise den Schullehrer) nicht ohne Wenn und Aber anzuerkennen, und - wenn nötig - auch zu widersprechen. Diese Maximen bestimmten auch den Bereich der religiösen Erziehung. Durch die Mutter im evangelischen Glauben erzogen, scheinen Religion und Kirche indes nicht das „große Thema" gewesen zu sein40; zumindest finden sich keine expliziten Aussagen als Beleg für das Gegenteil. Die Mutter „war fromm und erzog uns", so Inge Scholl, „ohne unser Kindergemüt mit Dingen zu belasten, die ihm nicht zukamen. Sie lehrte uns beten und ließ uns von Anbeginn mit dem Dasein eines Unsichtbaren riesig vertraut werden: es war der liebe Heiland, der einmal gewesen war, der alles wußte und konnte und der nun sehen Macht mit der im Gewissen verankerten Sittlichkeit, 1933 ausgebürgert; Böhm, Wörterbuch der Pädagogik 196; Blankertz, Geschichte der Pädagogik 227-229. Foerster war gut befreundet mit Carl Muth. Die Freundschaft zerbrach 1918 an der Frage, welches Verhältnis die Deutschen zu ihrer Nation haben sollten; dazu Joseph Bernhart, Zu Muths Charakterbild, in: Hochland 59 (1966/67), 248-252, hier 250. Vgl. auch Foersters Memoiren „Erlebte Weltgeschichte", Nürnberg 1953, 200. Eine Annäherung an Muth erfolgte im Dritten Reich. Die Titel nach Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 20. Sibylle von Olfers, Die Wurzelkinder, in verschiedenen Auflagen. Heinrich Hoffmann, Lustige Geschichten und drollige Bilder für Kinder von 3-6 Jahren „Der Struwwelpeter". Erste Auflage Frankfurt/Main 1845, unzählige Neuauflagen. Zu Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872) und seiner Bibel, „Bilderbibelbuch für Kinder" Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur 4, 490-491 (Eberhard Semrau). In zahlreichen oft aquarellierten Zeichnungen und Holzschnitten bebilderte Ludwig Richter volkstümlich-biedermeierlich das Kinder- und Familienleben. Etwa das Familien-Bilderbuch „Beschauliches und Erbauliches" oder „Der Familienschatz"; zu Richter (1803-1884) Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur 3, 177-180 (Heike Kraft). Daniel Defoe, Das Leben und die seltsamen Abenteuer des Robinson Crusoe, erschienen 1719, verschiedene Übersetzungen ins Deutsche und viele Auflagen; Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur 3, 185-187 (Reinhard Stach). David F. Weinland, Rulaman. Naturgeschichtliche Erzählung aus der Zeit des Höhlenmenschen und des Höhlenbären, Erstausgabe 1878 mit vielen Illustrationen, seither mehrere Neuauflagen. Diese Sicht teilen Schneider/Süß, Keine Volksgenossen 19. Auch Hanser, Deutschland 34 weist darauf hin, daß auf die Kinder „keinerlei Druck" ausgeübt wurde, wenn es um den Kirchgang oder den Besuch von Gemeindeveranstaltungen ging. Hanser betont an dieser Stelle auch den Einfluß der Mutter: „Auf ihre sanfte Weise bestand sie darauf, daß der Weg Jesu der einzig wahre und richtige sei".

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immer für uns da war und uns liebte, obwohl wir ihn nicht sahen." 41 Im Hause Scholl dürfte ein offener Protestantismus liberaler Prägung vorgeherrscht haben, analog dem weltoffenen, demokratischen Liberalismus, für den Robert Scholl im politischen Bereich stand. Den Kindern vermittelte die ehemalige Diakonisse Magdalene Scholl einen Glauben an den gerechten Gott, aber keinen selbstgerechten Pietismus 42 . Die Bibel brachte sie den Kindern selbstverständlich als „zentrales Buch" nahe43. Dann ist die starke musisch-künstlerische Prägung der Geschwister hervorzuheben. Die Eltern Scholl vertraten kein „Bildungsbürgertum" im negativen Sinne. Vielmehr wußten sie sich der abendländisch-christlichen Kultur verpflichtet - eine Prägung, die sie ihren Kindern mit auf den Weg gaben. Die Beschäftigung mit Kunst, Literatur und Musik erfolgte auf dem Fundament einer allgemein christlichen Grundüberzeugung, die einen festen Bezugsrahmen abgab; „für alle Geschwister galt, daß künstlerische Menschen etwas Besonderes sind und man dem Rechnung tragen muß" 44 . Sophie besuchte Zeichenkurse; alle Scholl-Geschwister kannten den Maler Wilhelm Geyer 45 und kamen über diesen in Kontakt zu anderen Künstlern. Der Keim für eine intensive Auseinandersetzung mit „Kultur" in all ihren Erscheinungsformen war so schon früh gelegt worden. Schließlich ist die große Bedeutung, die bereits in früher Jugend der Erfahrung von Gemeinschaft zukam, signifikant. Der Geschwisterkreis bildete eine feste Gruppe, die durch den Kontakt und intensiven Austausch mit Gleichaltrigen erweitert wurde. Ganz anders war es dagegen um die Kindheit und Jugend von Otto Aicher bestellt. Sein Elternhaus und die hier erfolgte Prägung unterschieden sich völlig von den Verhältnissen in der Scholl-Familie. Seine Eltern, Anton Richard Aicher und Maria Anna, geborene Kurz 46 , entstammten „ärmlichen" Verhältnissen47 und hatten sich durch die Gründung eines Handwerksbetrie41

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München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 143f. Vgl. dazu viele Belege in Jens (Hg.), Scholl. Forchtenberg Bürgermeisteramt, Inge Aicher-Scholl, „Magdalene Scholl" [Ms masch o.D.]. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 34. Zu Wilhelm Geyer s. unten. Zeichenkurse veranstaltete die Künstlergilde. Kontakt hatten die Kinder zu Albert Kley und Werner Oberle. Kley besuchten sie häufig im Atelier und pflegten noch zu Münchner Zeiten Kontakt mit ihm. Bei der Verhaftung von Hans wurde ein Selbstportät Kleys in der Wohnung gefunden; Kunst und Kultur in Ulm 176-179, das Selbstporträt 181. Anton Richard Aicher (* 1895) und Maria Anna Aicher. Am 7.8.1997 bat ich die Söflinger Pfarrer Maria Himmelfahrt um einen Nachweis über die Geburtsdaten der Eltern und die Daten der „katholischen Biographie" Aichers, nicht ohne den Hinweis auf die Vollmacht von Frau Aicher-Scholl. Erst nach mehrmaliger telefonischer Nachfrage erhielt ich von Herrn Pfarrer Rottkay am 29.4.1998 die Auskunft, er sei „aus datenrechtlichen Gründen" nicht befugt, diese Daten mitzuteilen, weshalb sie in dieser Arbeit leider offen bleiben müssen. Hedwig Maeser spricht von „harten Jahren" für die Familie. Aicher bemerkte dazu, daß außer an den Sonn- und Feiertagen, „wo auch Arbeiterkinder adrett zu sein hatten wie die des Bürgertums", die Kinder barfuß umherliefen, weil die Eltern nicht genügend Geld hatten, um Schuhe zu kaufen; Aicher, Innenseiten 81.

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bes in das Bürgertum hochgearbeitet 48 . Die Familie lebte in Söflingen, einem Außenbezirk Ulms, der 1905 eingemeindet worden war, aber in zahlreichen Bereichen weiterhin versuchte, eine gewisse Selbständigkeit zu wahren 49 . Hier erblickte der Sohn Otto am 13. Mai 192250 das Licht der Welt, nachdem der Familie bereits im Dezember 1920 eine Tochter (Hedwig) geboren worden war. Im Jahr 1923 bekamen Aichers einen zweiten Sohn, der auf den Namen Georg getauft wurde. Die Familie Aicher war katholisch und ist somit einem ganz anderen „Milieu"51 als die Scholls zuzuordnen, zumal die Geschichte des Aicherschen Heimatortes entscheidend von der Gründung eines Klarissenklosters um 1237 mitbestimmt wurde, das bis zur Säkularisation52 alle historischen Wirren überstand. Dieses Frauenkloster zählte zu den reichsten und ältesten Niederlassungen seines Ordens im deutschen Sprachgebiet und beeinflußte dementsprechend die konfessionellen Gegebenheiten. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann eine konfessionelle Durchmischung der bisher rein katholischen Bevölkerung; 1910 lebten unter den 5500 Einwohnern schon 2000 Nichtkatholiken 53 , was zu einer noch stärkeren Konfessionalisierung und Abschottung des katholischen Kernmilieus führte. Der katholischen Pfarrei St. Maria stand 1920 Stadtpfarrer Rudolf Weser54 vor, ein eifriger Seelsorger, der sich auch als Historiker und Schriftleiter der Zeitschrift „Archiv für christliche Kunst" engagierte. Otl Aicher wuchs in einem durch und durch katholischen Milieu auf, das durch eine starke Sozialkontrolle gekennzeichnet war und eine wesentlich stärkere Kohärenz als vergleichbare bürgerliche bzw. kulturprotestantische Milieus aufwies. Ein striktes katholisches Wert- und Normsystem als rigides Integrations- und Abgrenzungsinstmment, ein streng ritualisierter Alltag vom Tischgebet bis zur Sonntagspflicht sowie ein Netzwerk katholischer Vereine und Suborganisationen (wie Meßdiener-Gruppe und katholische Jugendbünde) sollten dafür sorgen, daß ein Mitglied der römisch-katholischen Kirche katholisch „von der Wiege bis zur Bahre" blieb. 48

Aicher, Innenseiten 37. Anton Aicher machte sich 1932 selbständig, nachdem er vorher bei Magirus in der Fabrik gearbeitet hatte. Dazu auch den Bericht von Hedwig Maeser, geb. Aicher, in: Freundschaft 12-16. w Zu Söflingen vgl. Der Stadtkreis Ulm. Amtliche Kreisbeschreibung 377-385. 50 Ulm SA G 2 Aicher, Otto. 51 Zum katholischen Milieu Klöcker, Katholisch - Von der Wiege bis zur Bahre; Klöcker, Milieu 241-262; Arbeitskreis, Katholiken zwischen Tradition und Moderne 588-654. Zur Problematik des Begriffes „Milieu" ebd. 590-601. Die Entwicklung im 19./Anfang 20. Jahrhundert bei Winfried Loth, Integration und Erosion: Wandlungen des katholischen Milieus in Deutschland, in: Loth (Hg.), Katholizismus 266-281 und den Forschungsbericht von Klöcker, Katholizismus 469-488. 52 Zur Geschichte des Söflinger Klosters Karl Suso Frank, Das Klarissenkloster Söflingen bis zur Aufhebung 1803, in: Specker/Tüchle (Hg.), Kirchen und Klöster in Ulm 163-199; Ders., Das Klarissenkloster Söflingen. Ein Beitrag zur franziskanischen Ordensgeschichte Süddeutschlands und zur Ulmer Kirchengeschichte (Forschungen zur Geschichte der Stadt Ulm 20), Ulm 1980. 5 ' Zur Geschichte der Söflinger Pfarrei Peter Rummel, Die Entstehung und Entwicklung katholischer Pfarreien in Ulm und Neu-Ulm vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Kriegsende 1945, in: Specker/Tüchle (Hg.), Kirchen und Klöster in Ulm 254-322, hier 306-310. M Rudolf Weser (1869-1942), Stadtpfarrer in Söflingen 1912-1932; Verzeichnis 64.

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Die katholische Prägung seiner Kindheit wird in Aichers „Quasi"-Autobiographie, den „Innenseiten des Krieges", immer wieder deutlich. Sein Vater war Mitglied beim Kolping-Gesellenverein 55 , mit dem er auf Wanderschaft ging, seine Mutter engagierte sich in ihrer Gemeinde caritativ und sorgte dafür, „daß Vater auch mit in die Kirche ging und daß die Kinder christlich erzogen wurden" 56 . Als weiteres beherrschendes Thema macht Aicher in der Retrospektive das Thema Krieg aus: „Abends erzählten die Männer einander vom Krieg, und wir Kinder hörten gaffend zu ... In der Schule redete der Französischlehrer vom Krieg ... auch der Religionslehrer mußte seine nationale Reputation deutlich machen, indem er vom Pfarrer im Krieg erzählte ..."57; „dort [vor Verdun] lag mein Vater. Mit seinem Bruder ... hat er uns stundenlang davon erzählt. Wir mit offenen Mäulern waren an der Somme dabei, bei Cambrais ..."58. Die Erlebnisse des Ersten Weltkriegs prägten eine ganze Generation, auch die Eltern von Inge (zwar in anderer, „negativer" Weise) und Otto. Für diesen wurden seine Eltern sehr schnell zum Synonym für Kleinbürgertum. Ihm grauste vor dem braven deutschen Kleinbürger, tüchtig, ehrlich, aber angepaßt und opportunistisch. Söflingen als „Provinz der Kleinbürgerlichkeit" 59 wurde Aicher bald zu eng, er suchte eigene Wege und stellte sich damit in massive Opposition zu seinen Eltern auch wenn man in der autobiographischen Rekonstruktion mit einem gewissen, im Falle Aichers sogar mit einem hohen Grad an Selbststilisierung wird rechnen müssen, was im folgenden zu beachten ist.

2. EINE JUGEND IN ULM AM VORABEND DES ZWEITEN WELTKRIEGS „Ich habe immer gedacht: Mit 21 Jahren hab ich's geschafft. Bis dahin muß ich klettern und nochmal klettern. Dann bin ich auf der Hochebene angelangt, und dann ist Friede, Schluß, aus. Eine ganz absurde Vorstellung." 60 Im August 1938 wurde Inge Scholl 21 und damit volljährig, womit ein äußeres Datum als Ende von Kindheit und Jugend gesetzt ist. 1938 herrschte zwar noch „Frieden", aber der kommende Krieg war überall deutlich zu spüren, nachdem mit der „Machtergreifung" 61 Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 in Dazu Ansgar Krimmer, Der katholische Gesellenverein in der Diözese Rottenburg von 1852 bis 1945 (VKZG.B 66), Paderborn 1994. Zum Ulmer Verein 304f. Hedwig Maeser, geb. Aicher, in: Freundschaft 12. Aicher, Innenseiten 98. Aicher, Innenseiten 47. Aicher, Innenseiten 46. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 27. Zum Terminus besonders Frei, Machtergreifung 136-145; auch Bracher, Demokratie 1-24 und Bracher, Stufen.

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Deutschland die NSDAP die Regierung übernommen hatte. In den sechs Jahren, seit Inge Scholl 1932 mit ihren Eltern und Geschwistern nach Ulm gekommen war, durchlebte sie eine entscheidende Entwicklungsphase. Zudem kreuzten sich ihre und ihrer Geschwister Wege mit denen Otl Aichers. Wie bereits in Forchtenberg bekamen die Scholl-Kinder auch in Ulm wenig von den Folgen des Ersten Weltkriegs und der politischen und ökonomischen Misere der zwanziger Jahre zu spüren. Die wirtschaftlich gesicherte Position des Vaters, der allen seinen Kindern den Besuch einer Höheren Schule ermöglichen konnte, ließ Arbeitslosigkeit, Inflation und das „flatternde Geld" 62 an der Familie vorübergehen, ohne eine existentielle Krise zu verursachen. In seiner Ulmer Kanzlei wird Robert Scholl tagtäglich mit den Folgen der gescheiterten Weimarer Republik 63 zu tun gehabt haben; als politisch denkender Kopf verfolgte er das Geschehen mit einem wachen Blick. So konnte er in Ulm genau beobachten, wie sich die „Machtergreifung" vollzog. An Ulm 64 selbst war der Erste Weltkrieg relativ spurlos vorübergegangen; Kriegsbegeisterung, Ernüchterung, Not in allen Lebensbereichen und Kriegsmüdigkeit hielten sich im üblichen Rahmen, wie auch die „Revolution" von 1918 ohne größere Ausschreitungen verlief. Teuerung und Inflation zwangen die Stadt zum Druck eigenen Notgeldes; Unterstützungsmaßnahmen für viele durch die Geldentwertung in bittere Armut geratene Familien des Mittelstands wurden notwendig. 1932 saßen im Ulmer Gemeinderat 65 , in dem von 1919 bis 1925 die Deutsche Demokratische Partei und danach die Sozialdemokraten die stärkste Fraktion gebildet hatten, erstmals sieben Mitglieder der NSDAP. Zwischen 1925 und 1932 waren Zentrumspartei und SPD jeweils noch gleich stark vertreten gewesen. Bereits seit 1928 war der Führer der Ulmer Ortsgruppe der NSDAP, Wilhelm Dreher 66 , als einer der ersten Nationalsozialisten überhaupt in den Deutschen Reichstag eingezogen. Die Stadt an der Donau bildete im Hinblick auf die „Machtergreifung" 67 durch die Partei Adolf Hitlers keine Ausnahme. Hatte Robert Scholl gehofft, in der ehemaligen Freien Reichsstadt eine stabile liberale, demokratisch regierte Heimat für seine Familie zu finden, wurde er bitter enttäuscht. Bereits in einer der ersten Gemeinderatssitzungen 68 stellte die nationalsozialistische 62 63

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Forchtenberg Bürgermeisteramt, Inge Aicher-Scholl, „Im schönsten Wiesengrunde". Dazu Bracher, Auflösung; Kolb, Weimarer Republik; Mommsen, Verspielte Freiheit; Peukert, Weimarer Republik. Zur Entwicklung Ulms vgl. Specker, Geschichte 33-324, hier v.a. 283-293 (Lit.). Die Listen mit Wahlergebnissen und Fraktionsangehörigen bei Specker, Geschichte 290. Wilhelm Dreher (1892-1969); Schmidt, Kurzbiographien 470-472. Zu diesem Komplex besonders Broszat, Machtergreifung; Bracher, Stufen totalitärer Gleichschaltung 30-42; Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft 1-10 (Lit.). Allgemein Buchheim u.a., Anatomie des SS-Staates; Frei, Führerstaat. Eine anschauliche Schilderung der Vorgänge auf der Basis umfassender Archivalien und neuester Literatur bietet Specker, Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Auch Specker, Geschichte 290. Eine gut lesbare, informative Stadtgeschichte Ulms bei Wiegandt, Ulm 212-232; vgl. auch die verschiedenen Aufsätze in Schnabel (Hg.), Machtergreifung.

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Gruppe einen Antrag auf Neuwahlen zum Gemeinderat, der auch angenommen wurde. Die Begründung lautete, die derzeitige Zusammensetzung entspreche „nicht mehr dem Willen des Volkes". Zugleich wurde der bisherige Oberbürgermeister Emil Schwamberger69 vom Reichstagsabgeordneten Dreher scharf angegriffen und zum Rücktritt aufgefordert. Obwohl Mitglieder von Deutscher Demokratischer Partei und Zentrum in der Sitzung am 13. März 1933 die Angriffe als „unbegründet" zurückwiesen, wurde Schwamberger bereits vier Tage später seines Amtes enthoben. Nach einem kurzen Intermezzo wurde der bisherige stellvertretende Leiter des Elektrizitätswerkes Friedrich Förster 70 als Oberbürgermeister eingesetzt. Seit 1931 Mitglied von NSDAP und SA hatte er dieses Amt bis 1945 inne und regierte Ulm ganz im nationalsozialistischen Sinne71. Förster zur Seite stand ein nach den Stimmenverhältnissen der Reichstagswahl vom 5. März 1933 neubesetzter Gemeinderat mit 15 Nationalsozialisten (gegenüber 7 im Januar 1932 nach den Ulmer Wahlen), 4 Mitgliedern der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot, die spätere Deutschnationale Front (welche im August als Hospitanten zur NSDAP übergingen), 6 Angehörigen der Zentrumspartei (gegenüber 10 im Januar 1932), von denen 3 ausschieden, während die übrigen sich der NSDAP anschlössen und 5 Sozialdemokraten (gegenüber 8), die bereits im Mai ihr Amt niederlegten. Es blieben also 21 Stadträte übrig, die entweder der NSDAP angehörten oder als Hospitanten aufgenommen wurden 72 . Die „Gleichschaltung" war zügig verlaufen, die demokratischen Parteien aus dem Gemeinderat verdrängt, und schnell etablierten sich auch die übrigen Organisationen der NSDAP in Ulm 73 .

a) Die Scholls in der Hitlerjugend Die „ohne Zweifel effektivste Jugendorganisation der bisherigen Geschichte" - wie Arno Klönne in seinem Standardwerk „Jugend im Dritten Reich" die HJ charakterisiert - profitierte von dem sich seit Ende der zwanziger Jahre immer mehr ausbreitenden Jugendmythos 74 . Wandervogel und Freideutsche Jugend waren wichtige Komponenten des Gesellschaftsentwurfes bil69

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Emil Schwamberger (1882-1915), Oberbürgermeister Ulms 1919-1933; Specker, Geschichte 312f. Friedrich Förster (1894-1970); Schmidt, Kurzbiographien 458-461. „Das Vertrauen der Ulmer Nationalsozialisten hat mich auf mein verantwortungsvolles Amt berufen ... Wir wollen weiter kämpfen und zusammenhalten in alter Kameradschaft und gemeinsam das Werk unseres geliebten Führers vollenden." Zitat aus der Presseerklärung nach der Amtsübernahme bei Schmidt, Kurzbiographien 459. Zahlen nach Specker, Geschichte 313f. Zur NSDAP und der Machtergreifung in Südwestdeutschland vgl. auch Schnabel (Hg.), Machtergreifung. Dazu Specker, Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkrieges 15-17. Das Zitat bei Klönne, Jugend 7. Zum ganzen Komplex Hellfeld, Bündischer Mythos; Arno Klönne, Bündische Jugend, NS und NS-Staat, in: Schmädeke/Steinbach (Hg.), Widerstand 182-189; die Beiträge in Koebner u.a. (Hg.), Mythos, die sich aus verschiedenen Perspektiven mit dem Begriff „Jugend" auseinandersetzen.

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dungsbürgerlicher Schichten geworden, indem sie als Leitbilder der zwar antibürgerlich eingestellten, aber dem Bürgertum entstammenden Jugendlichen fungierten. In der Weimarer Republik wurden die Grabenkämpfe zwischen den politischen Parteien und Verbänden letztendlich durch den Generationenkonflikt mitbestimmt 75 . Parolen wie „nationale Sendung der jungen Generation", „völkische Regeneration" durch die Jugend, ein „verjüngter Staat" 76 waren eine Art Prolepse der nationalsozialistischen Ideologie. Auf der Suche nach einem neuen, eigenen Lebensstil ging es den Jugendlichen vor allem um Selbsterziehung, Selbstverantwortung, Einfachheit und Kameradschaft. Die „Jugendbewegung" war jedoch - typisch für einen Neuaufbruch und Suchprozeß - in verschiedene Richtungen aufgesplittert; einig war man sich nur im antizivilisatorischen Protest. Daher konnte man leicht vereinnahmt bzw. instrumentalisiert werden. Beim Aufbau der Hitlerjugend knüpfte der Nationalsozialismus an Gedankengut, Formenwelt und Symbolik der Jugendbewegung an. Durch die schnell erfolgte sogenannte „Gleichschaltung" wurden „Konkurrenten" ausgeschaltet. Fahrten- und Lagerleben, Tracht und Brauchtum, Heimabende, bei denen gesungen, gelesen, gebastelt und gespielt wurde, „Jugend von Jugend" geführt - das war ein Programm, das für die Masse der Jugendlichen altersgemäße Formen der Freizeitgestaltung bot. Bewußt in Abgrenzung zum Elternhaus konzipiert, offerierten sich dem aus dem behüteten Heim drängenden Heranwachsenden bisher nicht realisierbare Freiräume; neben Familie und Schule wurde die Hitler-Jugend zur entscheidenden Sozialisationsinstanz. Dazu kam, daß politische Ziele wenn überhaupt - zunächst nur diffus formuliert wurden. Die Fragen „Warum habt ihr da mitgemacht?" oder: „Habt ihr nicht gemerkt, was da läuft?", die einer ganzen Generation gestellt wurden, mußten sich auch die Scholl-Geschwister gefallen lassen. Immer wieder wurde ihnen vorgehalten 77 , in der „Hitlerjugend" (HJ) bzw. dem „Bund Deutscher Mädel" (BDM) 78 gewesen zu sein und dort eine führende Rolle bekleidet zu haben. Dabei wurde oft übersehen, daß mit dem Gesetz über die Hitlerjugend (Dezember 1936) und der ergänzenden Jugenddienstverordnung (März 1939), HJ und BDM, die bis dahin „nur" ca. 60 Prozent erfaßt hatten, zur Pflichtorganisation für die gesamte männliche und weibliche Jugend wurden 79 . Außerdem herrschte kurz nach der Machtergreifung in diesen Grup„Die Bündische Jugend stand mehrheitlich in der Front derer, die das politische System von Weimar durch ein anderes ersetzt sehen wollten. Damit gehörte sie zu den Totengräbern der Demokratie." Treffend Hellfeld, Bündischer Mythos 81. Formulierungen nach Klönne, Jugend lOf. Vor allem in vielen „vulgärwissenschaftlichen" Darstellungen oder Zeitungsberichten. Frau Aicher-Scholl betonte zurecht, daß dies eine Entwicklungsstufe in ihrem Leben gewesen ist. Zu dem Vorwurf, HJ-Mitglied gewesen zu sein, vgl. auch die verschiedenen Beiträge in ReichRanicki (Hg.), Schulzeit (v.a. Peter Wapnewski und Georg Hensel) und Schmidt, Kindheit. Zur HJ den kurzen Überblick bei Keim, Erziehung 1, 123-134; Klönne, Jugend; auch die Beiträge in: Herrmann (Hg.), Formung. Zur HJ in Ulm besonders die Materialsammlung/Dokumentation „Hitlerjugend". Zum BDM Klaus, Mädchenerziehung. Vgl. Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft 30f.; Gerhard Ringhausen, Evangelische Kirche und Widerstand, in: Engel (Hg.), Widerstand 62-117. May, Kirchenkampf oder Katholiken-

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pen noch ein ganz anderer Geist, der mit der späteren NS-Jugend kaum etwas gemein hatte; die meisten HJ-Führer stammten schließlich aus der bündischen Jugend und gestalteten das Jungvolk zunächst nach ihren Formen 80 . Die anfängliche Begeisterung für die HJ darf nicht vorschnell mit politischem Fanatismus verwechselt werden. Diesem Enthusiasmus entsprechen zwar die Erinnerungen Inge Scholls an den 30. Januar 1933, den sie als 15jährige Schülerin der Oberschule für Mädchen erlebte81. Ganz ähnlich beurteilten aber auch eine Reihe deutscher Schriftsteller ihre Schulzeit im Dritten Reich82. Ohne Zweifel huldigten die Scholl-Geschwister, was Inge Scholl nach Kriegsende immer wieder betonte 83 , einem „wasserköpfigen Patriotismus" und einem „Hang zum Heroisch-Großartigen", wie er für junge Menschen in dieser Zeit und in diesem Alter typisch war84. Den eigentlich unheilvollen Erscheinungen wie Rassenhaß, Antichristentum und Militarismus standen sie von ihrer gesamten Erziehung zu fern, als daß man sie mit der „Idealgestalt des Führers" und seinen Vaterlandsplänen identifizierte. „Aber noch etwas anderes kam dazu, was uns mit geheimnisvoller Macht anzog und mitriß. Es waren die kompakten Kolonnen der Jugend mit ihren wehenden Fahnen, den vorwärtsgerichteten Augen und dem Trommelschlag und Gesang. War das nicht etwas Überwältigendes, diese Gemeinschaft? So war es kein Wunder, daß wir alle, Hans und Sophie und wir anderen, uns in die Hit-

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verfolgung? 441 stellt besonders für Württemberg fest, daß hier die überwiegende Mehrheit der aktiven protestantischen Jugend bereits zu Beginn der dreißiger Jahre dem Nationalsozialismus anhingen (diese Aussage relativiert sich etwas: Mays Darstellung ist durch und durch anti-protestantisch). Vgl. auch Dieter Freiherr von Lerner, Die Evangelischen Jugendverbände Württembergs und die Hitler-Jugend 1933/34 (Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes 4), Göttingen 1958. Das sah auch Inge Scholl so; München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 131. „An einem Morgen hörte ich auf der Schultreppe eine Klassenkameradin zur anderen sagen: Jetzt ist Hitler an die Regierung gekommen'. Und das Radio und alle Zeitungen verkündeten: ,Nun wird alles besser werden in Deutschland. Hitler hat das Ruder ergriffen'. Zum erstenmal trat die Politik in unser Leben ... Wir hörten viel vom Vaterland reden, von Kameradschaft, Volksgemeinschaft und Heimatliebe. Das imponierte uns und wir horchten begeistert auf ... Denn unsere Heimat liebten wir sehr ... Das Vaterland, was war es anderes als die größere Heimat all derer, die die gleiche Sprache sprachen und zum selben Volke gehörten. Wir liebten es und konnten kaum sagen, warum. Man hatte bisher ja auch nie viele Worte darüber gemacht. Aber jetzt wurde es groß und leuchtend an den Himmel geschrieben. Und Hitler, so hörten wir überall, Hitler wolle diesem Vaterland zu Größe, Glück und Wohlstand verhelfen; er wolle sorgen, daß jeder Arbeit und Brot habe; nicht ruhen und rasten wolle er, bis jeder einzelne Deutsche ein unabhängiger, freier und glücklicher Mensch in seinem Vaterland sei. Wir fanden das gut, und was immer wir dazu beitragen konnten, wollten wir tun." Scholl, Weiße Rose 13f. Vgl. verschiedene Beiträge in Reich-Ranicki (Hg.), Schulzeit. Vgl. zum Folgenden beispielsweise ihre Schilderung in München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 131f. Zur Frage, wie Kinder und Jugendliche die „Machtergreifung" erlebten und in der Retrospektive beurteilen, die Hinweise bei Herrmann, Formung; Klönne, Jugend passim, 307f. (Lit.). Reich-Ranicki (Hg.), Schulzeit (in eingeschränkter Sicht); Schmidt, Kindheit. Vgl. auch Dufner, Wegweisungen und Reinhard Gröper, Erhoffter Jubel über den Endsieg. Tagebuch eines Hitlerjungen 1943-1945, Sigmaringen 1995.

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lerjugend einreihten." 85 Ernst genommen zu werden, alles hinzugeben, teilzuhaben an einer größeren Gemeinschaft, am „Volk", das war interessant und verlockend zugleich. Kameradschaft, Treue und Heimatliebe - all diese Schlagworte - verkörperten für die fünf Geschwister ganz selbstverständliche und altbekannte Ideale, wie sie in der Familie und im Geschwisterkreis gepflegt wurden. Außerdem darf man nicht vergessen, daß der Eintritt in die HJ zeitlich mit dem Umzug der Familie Scholl von Ludwigsburg nach Ulm eng zusammenfällt. Inge und ihre Geschwister, mittlerweile zwischen 11 und 15 Jahren alt, waren beinahe gezwungen, wenn sie nicht ausschließlich in ihrem Geschwisterkreis bleiben wollten, sich auf die Suche nach neuen Klassenkameraden und Freunden, nach Anschluß in der fremden Stadt zu machen. Was lag näher, als das in einer Gruppe von Gleichaltrigen zu tun? Robert Scholl betrachtete diese Entwicklung sehr skeptisch, kam aber nicht dagegen an. Konnte er bislang noch den aufgeschnappten Meinungen seiner Kinder Paroli bieten, gelang ihm das jetzt nicht mehr. Vielleicht ließ seine liberale Erziehung auch ein striktes Verbot der Hitlerjugend nicht zu86. Erreicht hätte er damit wahrscheinlich ohnehin wenig: „Wir waren mit Leib und Seele dabei, und wir konnten es nicht verstehen, daß unser Vater nicht glücklich und stolz ja dazu sagte" 87 . Für Robert Scholl, der vermutlich Tag für Tag in seiner Kanzlei mit den menschenverachtenden Praktiken des neuen Regime in Berührung kam88, waren die Nazis „Wölfe und Bärentreiber", die das deutsche Volk mißbrauchten; Hitler verglich er - so erinnert sich Inge Scholl - mit dem Rattenfänger von Hameln, der mit seiner Flöte die Kinder ins Verderben gelockt habe89. Er ließ nicht ab, die Kinder zu warnen, und machte aus seinen Ansichten keinen Hehl. Wie die Wellen im Familienkreis 85

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Scholl, Weiße Rose 14. Vgl. etwa Sophies „typische Karriere": Eintritt im Januar 1934, 1935 Jungmädelschaftsführerin, 1936 Scharführerein, 1937/38 Gruppenführerin, wegen Differenzen mit der Obergauführerin das Amt niedergelegt; Berlin BA ZC 13267, Vernehmung Sophie Scholl vom 20.2.1943. Diese Sicht deckt sich mit Inge Scholls eigenen Aussagen: „Wenn wir Kinder nun zuweilen daheim unserem in der Schule und durch Schulkameraden aufgeschnappten Patriotismus Luft machten, etwa bei einer Frage aus dem Geschichtsunterricht oder der Geographie, tat dies der Vater meist mit einer Handbewegung oder einer kurzen Erklärung ab und sein Gesicht verriet uns mehr als Worte, daß etwas nicht stimmte mit unseren Meinungen. Damit kühlte er ohne weiteres unseren Patriotismus leicht ab und erreichte ohne viel Aufhebens, daß unsere Aufmerksamkeit von der Politik abglitt ... Als aber mit dem Jahr 1933 alle öffentlichen Schulen durch den Geist des Nationalsozialismus aufgestachelt wurden und eine Nationalfeier auf die andere folgte, ein Fackelzug den andern ablöste, gelang ihm dies nicht mehr. Die Ideale, mit denen der Nationalsozialismus seine unschuldigsten Opfer fing, wirkten derartig stark auf unsere kindlichen und aufgeschlossenen, hingabefähigen Gemüter, daß mein Vater wahrscheinlich, hätte er Gewalt gebraucht, sich zu unserem Feind gemacht hätte. Er stand auch völlig isoliert da, denn gegen seine Einwände und Warnungen sprachen die ganzen Schulen, die ganze Welt, die wir kannten, selbst in unsere Kirchen zog die Hitlerjugend mit wehenden Fahnen ein." München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 129f. Scholl, Weiße Rose 14. „Mein Vater war zutiefst verletzt durch das, was er täglich von seinem Fenster aus beobachten mußte: die ewigen Aufmärsche, das aufgeblasene Gehabe der hiesigen Nazis, die gehässigen Artikel in den Zeitungen; Inge Aicher-Scholl, in Vinke, Leben 45. Scholl, Weiße Rose 14.

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hochschlugen, wenn Hans als Fähnleinführer 90 das große Wort führte 91 , bedarf keiner großen Phantasie. In der Phase der „inneren menschlichen Verselbständigung" 92 , wie es Inge Scholl ausdrückt, war dieses Thema denkbar geeignet, um jugendlich-pubertäre Opposition gegen die Eltern zu üben. Otl Aicher ließ Jahrzehnte später in seinen „Innenseiten" dieses Thema nicht aus. Aus seiner Sicht war Sophie die stillere der Schwestern, „vielleicht ebenso schüchtern wie ich". „Ich hatte sie deshalb auch nicht so verachtet und ignoriert wie ihre dominierende Schwester, als sie die obskuren braunen Westen des Bundes Deutscher Mädchen trugen. Die Rolle der Führerin gehörte Inge"9i. Diese Aussage deckt sich mit Äußerungen Inge Scholls selbst: Diesen zufolge bemerkte die Jüngere den Rassismus, der ihre jüdischen Schulfreundinnen diskriminierte 94 und erkannte die intellektuelle Engstirnigkeit, wenn Autoren wie Heinrich Heine oder Fritz von Unruh verboten wurden 95 . Aicher erwähnt sogar, wie die „Führerin" Inge mit ihrer „Jungmädeltruppe" auf Fahrt war und es ihr gelang, den vorbeifahrenden Hitler mit ihren Mädchen zum Anhalten zu zwingen. Dafür hätte er - so Aichers lapidare Feststellung - sie immer beneidet; er selbst habe immer nur Hitlers „sich überschlagende Stimme" gehört, ihn aber nie mit eigenen Augen gesehen. Insgesamt empfand er die Scholl-Geschwister in dieser Phase als „Führer": „Hans und Inge waren nicht nur dem Rang nach Führer, sie hatten ein anderes Auftreten. Und beide waren sie groß und ragten auch so über die anderen hinaus" 96 . In der Familie Aicher wurde sehr viel über Politik gesprochen. Die Tochter Hedwig erinnert sich, bereits 1930 - da war Otto gerade mal acht Jahre habe der Vater vor den „Stahlhelmen" gewarnt und darauf hingewiesen, für 90

Dazu Scholl, Weiße Rose 15f.; Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 10f.; Vinke, Leben 42f. Auch Inge erscheint als engagierte Jugendführerin, während Sophie zurückhaltender geschildert wird. Hierbei ist aber zu fragen, inwieweit Inge Scholl dieses Thema verklärt. Über die Art und Intensität der Beteiligung von Elisabeth und Werner lassen sich mangels Quellen kaum Aussagen treffen. 91 Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 43 berichtet von einem „heftigen Wortwechsel"; Hans hätte sich auf die Seite seines Geschichtslehrers gestellt, der die leuchtenden Deutschen den dekadenten Franzosen gegenüberstellte. Vor der kritiklosen Übernahme solcher Positionen habe Robert Scholl immer wieder gewarnt. 92 München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 131. Zu dieser Zeit befanden sich die Geschwister in einem Alter, in dem außenstehende Autoritäten höher standen als die Familie; ebd. 130. So spricht auch Steffahn, Weiße Rose 18 von „natürliche[n] Absetzbemühungen gegenüber der väterlichen Autorität". 93 Aicher, Innenseiten 57 [Hervorhebung BS]. 94 Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 43: „Zur Schulklasse von Sophie in Ulm gehörten zwei Schülerinnen, die Jüdinnen waren ... Beide durften dem BDM nicht beitreten, was Sophie immer wieder empörte. ,Warum darf Luise, die blonde Haare und blaue Augen hat, nicht Mitglied sein, während ich mit meinen dunklen Haaren und Augen BDM-Mitglied bin', fragte sie immer wieder ..." Dies deckt sich mit der Aussage einer Klassenkameradin Sophies, die berichtet, Sophie habe empört in der Klasse erzählt, daß man den Rabbiner am Bart gerissen und durch den Brunnen gezogen habe; Dengler, Sophie Scholl. 95 Dazu Scholl, Weiße Rose 16. * Aicher, Innenseiten 61 und 83.

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ihn bedeute Hitler Krieg. Konsequent trat Anton Aicher nie einer NS-Organisation bei, auch seine Frau nicht und keines der Kinder 97 . Der junge Aicher war also sehr früh durch Familie und katholische Sozialisation98 gegen das nationalsozialistische Virus geimpft. So konnte er in den „Innenseiten" seine widerständige Haltung leicht stilisieren, indem er schrieb, er habe wie Robert Scholl bereits sehr früh erkannt, was hinter der Hitlerjugend stehe. „Von der Betonung des Heimatlichen war es nicht weit zu Blut und Boden, von der Vaterlandsliebe nur ein geringer Schritt zur Heiligung der Nation, die Kameradschaft war die kleine Schwester der Volksgemeinschaft und das Führerprinzip mündete direkt in den Führerkult" 99 . Daß die HJ-Mitgliedschaft die nachwachsende Generation nach und nach und möglichst restlos an die nationalsozialistischen Leitbilder und das Regime binden sollte, ging den Scholl-Geschwistern erst mit der Zeit auf. Dazu trugen sicherlich einige, im folgenden kurz zu skizzierende Ereignisse in Ulm und Umgebung bei. Vor ihrem Hintergrund können die in Erinnerungen und Literatur genannten Gründe der Scholl-Geschwister, sich von der Hitlerjugend zu distanzieren und einen anderen Weg zu gehen, erst sachgerecht diskutiert werden.

b) Katholische Resistenz Der Ulmer Alltag dieser Jahre 100 unterschied sich kaum von dem anderer deutscher Mittelstädte nach der erfolgreichen politischen „Machtergreifung" der NSDAP. Die Partei mit ihren vielfältigen Untergliederungen suchte die Bevölkerung lückenlos zu erfassen und beherrschte alle Gebiete des Lebens nicht nur das öffentliche, auch das private. Die im Zeichen der Aufrüstung stehende Wirtschaftspolitik beendete die schwere Krise der vergangenen Jahre und führte auch zu einer Belebung der Industrie 101 . Neben der dominierenden Eisen- und Metallindustrie (Fahrzeugbau) war Ulm Zentrum des Tex97

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Hedwig Maeser, geb. Aicher, in: Freundschaft 12 und 16. Ob Frau Maeser die Stahlhelme der Nazis meinte oder die Partei „Stahlhelm", muß offen bleiben. Zum katholischen Milieu und seiner Widerständigkeit gegen den NS vgl. Scholder, Kirchen 1, 65-92, 160-183; Rudolf Morsey, Die katholische Volksminderheit und der Aufstieg des Nationalsozialismus 1930-1933, in: Gotto/Repgen (Hg.), Katholiken 9-24; Heinz Hürtcn, Selbstbehauptung und Widerstand der katholischen Kirche, in: Schmädeke/Steinbach (Hg.), Widerstand 240-253; Ulrich von Hehl, Katholischer Widerstand im Dritten Reich, in: Engel (Hg.), Widerstand 43-61; ferner Ulrich von Hehl, Das Kirchenvolk im Dritten Reich, in: ebd. 93-118; Roland Weis, Würden und Bürden Katholische Kirche im Nationalsozialismus, Freiburg i.Br. 1994, 15-28. May, Kirchenkampf oder Katholikenverfolgung? 441f. Plastisch wird dies in der Erinnerung Wolfdietrich Schnurres, seine katholischen Mitschüler seien „auf beneidenswerte Weise gegen Nazipropaganda gefeit" gewesen; Reich-Ranicki (Hg.), Schulzeit 72. So treffend Steffahn, Weiße Rose 15f. Die Studie von Bettina Herrmann über „Das tägliche Leben zwischen Einschränkung und Pflichterfüllung" versucht anhand der Entwicklung im Bereich Lebensmittelkarten und Bezugsscheine, die „Alltagsgeschichte" Ulms nachzuzeichnen; Herrmann, Leben. Vgl. dazu den Teil D. Wirtschaft und Verkehr, in: Der Stadtkreis Ulm. Amtliche Kreisbeschreibung 435-538; Seemüller, Industrie, Gewerbe und Handel 189-239; Specker, Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkrieges 25-33.

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til- und Nahrungsmittelgewerbes. Das Bild der Ulmer Innenstadt - in der die Familie Scholl wohnte - wurde geprägt durch zahlreiche Einzelhandelsgeschäfte, von denen die in jüdischem Besitz befindlichen Betriebe bereits 1939 vollständig „arisiert" waren 102 . Vom wirtschaftlichen Aufschwung profitierte natürlich auch die Stadt selbst, da sich durch die steigenden Steuereinnahmen das Finanzaufkommen erhöhte. Trotz der nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages erfolgten Reduzierung der Armee auf eine Reichswehr von 100000 Mann war Ulm - zumindest was das Verhältnis der Einwohner (Ulm hatte 1942 die 70000-Einwohner-Marke erreicht 103 ) zur Zahl der Soldaten anlangt - die größte deutsche Garnison 104 . 1933/34 setzten umfangreiche Maßnahmen zur Verstärkung der Truppen ein, die durch die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht noch gesteigert wurden und den Bau neuer Kasernen erforderlich machten. Fortan spielte das Militär im Erscheinungsbild der Stadt eine noch dominierendere Rolle. Appelle und Paraden, Fackelzüge, Großkundgebungen, Straßensammlungen, Aufmärsche und Schulungslager demonstrierten eindeutig, daß nicht nur Ulm gerüstet war für den kommenden Krieg. Auch über die Existenz von Konzentrationslagern, die im Zuge der Ausschaltung politischer Gegner durch die Nationalsozialisten errichtet wurden105, konnten die Ulmer - wenn sie wollten - informiert sein. Bereits im März 1933 war im Fort Oberer Kuhberg eines der neuen „Schutzhaftlager" eingerichtet worden 106 , über das am 30. Januar 1939 sogar das Ulmer Tagblatt107 berichtete. Der Artikel blieb aber, obwohl abschreckend genug, weit hinter der grausamen und barbarischen Wirklichkeit zurück. Unterdessen überschlugen sich die Ereignisse: Die nationalsozialistische Zeitung „Ulmer Sturm" sorgte für eine „wüste Hetze gegen die Juden" 108 , während Mitglieder der SA den Boykott der jüdischen Geschäfte in der Innenstadt 109 organi102

Specker, Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkrieges 27. Zur „Entjudung" und Judenverfolgung vgl. die Arbeiten von Aly/Heim, Vordenker der Vernichtung; Barkai, Vom Boykott zur „Entjudung"; Benz, Juden. Zur deutschen Haltung Büttner, Judenverfolgung. 103 Zahlen und Bevölkerungsstruktur Ulms in: Der Stadtkreis Ulm. Amtliche Kreisbeschreibung 401-425, hier 401 f. (Bevölkerungsstruktur). 104 Dazu Specker, Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkrieges 18-20; Wiegandt, Ulm 214. 105 Zu den Konzentrationslagern im Dritten Reich Broszat, Konzentrationslager; Tuchel, Herrschaftssicherung. 106 Yg| £) a z u dj e Beiträge von Myrah Adams, Das Fort Oberer Kuhberg. Das Schutzhaftlager Ulm/Donau 12-15 und von Thomas Schnabel, Widerstand und Schutzhaft 55-67, in: „Doch die Freiheit, die kommt wieder". NS-Gegner im Württembergischen Schutzhaftlager Ulm 1933-1935, hg. vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart 1994; Lechner, KZ Oberer Kuhberg. 107 Ulmer Tagblatt 30.1.1939. 108 Dazu und zum Folgenden Heinz Keil (Bearb.), Dokumentation über die Verfolgungen der jüdischen Bürger von Ulm/Donau, Ulm 1961; Paul Sauer, Die jüdischen Gemeinden in Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart 1966, 183-185. 109 Was den Scholl-Geschwistern nicht unbemerkt blieb. Beispielsweise fragte Hans in einem Brief seine Eltern nach Herrn Kammerer, dem Vater einer Schulfreundin Sophies, der als Inhaber eines Photogeschäftes aller Propaganda zum Trotz seine jüdische Kundschaft weiterbelieferte und als „Judenknecht" verschrieen und geächtet wurde; Jens (Hg.), Scholl 23 (247).

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sierten. N u r wenige Ereignisse mögen diese Entwicklung illustrieren: die 1929 nach Albert Einstein 110 benannte Straße wurde 1933 in Fichtestraße umbenannt; der Direktor des Städtischen Museums als Jude denunziert und entlassen111; der Besuch des Stadtbades 1935 jüdischen Mitbürgern verboten; die israelitische Gemeinde gezwungen, eine besondere Schule einzurichten. Auch die „Reichskristallnacht" ging an Ulm nicht vorüber: am 10. November 1938 wurde von der SA frühmorgens die Synagoge am Weinhof aufgebrochen und in Brand gesteckt112, jüdische Mitbürger durch Kommandos aus den Betten geholt, mißhandelt, in „Schutzhaft" genommen und ins Dachauer KZ deportiert 113 . Den Alltag Inge Scholls und ihrer Geschwister sowie Otto Aichers bestimmte in diesen Jahren natürlich wesentlich die Schule. Nach der Abschaffung der Konfessionsschulen in Württemberg sah die Neuregelung des Schulwesens für Ulm die Erhaltung von Gymnasium, Oberrealschule (seit 1937 Kepler-Oberschule für Jungen) an der Olgastraße - welches Hans und Werner Scholl sowie Otto Aicher besuchten -, Realgymnasium am Hindenburgring (seit 1937 Hans-Schemm-Oberschule für Jungen) und die Oberschule für Mädchen vor114. Diese städtische Höhere Mädchenschule - später in Hans und Sophie Scholl-Gymnasium umbenannt 115 - besuchte auch Inge mit ihren Schwestern. Im März 1936116 verließ sie nach der 6. Klasse die Schule und trat in die Steuer- und Wirtschaftsprüfungskanzlei ihres Vaters ein, in der sie in den folgenden Jahren eine Ausbildung zur Büroassistentin absolvierte117. 110

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Albert Einstein wurde am 14. März 1879 in Ulm geboren. Nach ihm wurde nach dem Ersten Weltkrieg eine Straße im Westen Ulms benannt; 1934 wurde Einstein die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verzichtete er auf die ihm angetragene Ehrenbürgerschaft Ulms. Heute trägt das Haus der Volkshochschule seinen Namen; dazu Wiegandt, Ulm 215f. Julius Baum (1882-1959), später Direktor des Württembergischen Landesmuseums in Stuttgart; Ihme 1, 45. Zum Ulmer Museum unter Baum Kunst und Kultur in Ulm 48-57. Loges, Kirchen 347. Zu den Pogromen allgemein Graml, Reichskristallnacht. In Ulm lebten 1933 530 Juden, davon wanderten 332 aus, größtenteils unter Zurücklassung ihres Vermögens. Die übrigen wurden in den den ersten Kriegsjahren deportiert, 112 fanden in den Konzentrationslagern den Tod; Zahlen nach Der Stadtkreis Ulm. Amtliche Kreisbeschreibung 291 f. Dazu und zur Abschaffung der Konfessionsschulen in Württemberg Arnold Laepple, Schulen, in: Der Stadtkreis Ulm. Amtliche Kreisbeschreibung 629-635; Rotermund, Gleichschaltung; Specker, Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkrieges 36-39. Zur Nazifizierung des Schulwesens allg. Keim, Erziehung 1, 86-123; zur „Erziehung zu Rassismus und Kriegsbereitschaft in der Vorkriegszeit" ebd. 2, 9-75. Vgl. Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Hans und Sophie Scholl-Gymnasiums in Ulm 1834-1984, hg. vom Hans und Sophie Scholl-Gymnasium, Ulm 1984. Erinnerungen zur gemeinsamen Schulzeit mit Sophie bei Dengler, Sophie Scholl. Das Schuljahr endete bis 1940 jeweils an Ostern; Specker, Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkrieges 38 Anm. 125. Inge soll v.a. die Fächer Mathematik und Physik äußerst ungern gelernt haben, wie sich ihre Schwester Elisabeth erinnert. Nach einem Gespräch mit dem Direktor entschloß sich Robert Scholl, Inge vor der Reifeprüfung von der Schule zu nehmen; womit eine nicht unbeträchtliche Summe Schulgeld gespart werden konnte. Gespräch mit Frau Elisabeth Hartnagel am 17.10.1997.

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Dem Reichsarbeitsdienst118 entkam sie gerade noch, denn erst ab 1939 wurde analog zum Arbeitsdienst der Männer ein Pflichtjahr für Frauen eingeführt, das neben der Durchführung gemeinnütziger Arbeiten zur ideologischen Beeinflussung und paramilitärischen Ausbildung bestimmt war119. O b die Mitglieder der Familie Scholl in dieser Zeit treue Kirchenbesucher im Ulmer Münster waren oder nicht, muß dahingestellt bleiben. Magdalene Scholl jedenfalls - so wird aus einem späteren Brief ihres Sohnes Hans deutlich - hielt ihre Kinder zum regelmäßigen Besuch des Abendmahls an120. Auch konfessionellen Religionsunterricht gab es in diesen Jahren noch; zwar wurden gezielt die Stunden gekürzt oder durch den sogenannten „Weltanschaulichen Unterricht" 121 ersetzt, die Reaktion von Eltern und Schülern darauf blieb allerdings trotz mehr oder weniger starkem Druck weit hinter den nationalsozialistischen Erwartungen zurück. Auch den „Bekenntnisfeiern" am Tag der Konfirmation war kaum Erfolg beschieden; um für diese zu werben, sollte die Stadt auf ihre Kosten neben dem obligatorischen Buchgeschenk eine „Fahrt zu den heiligen Stätten der Bewegung" (Landsberg und München) anbieten 122 . Im kirchlichen Leben insgesamt scheint zwischen Evangelischer Landeskirche und Staat in Ulm eine Art „Burgfrieden" erreicht worden zu sein123, wohingegen zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus gerade in Ulm „Krieg" herrschte. 18

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Zum „RAD" Keim, Erziehung 2, 69-75; Gisela Miller-Kipp, Schmuck und ordentlich und immer ein Lied auf den Lippen - Ästhetische Formen und mentales Milieu im Reichsarbeitsdienst für die weibliche Jugend (RADwJ), in: Herrmann/Nassen (Hg.), Formative Ästhetik 139-162. Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft 31. Hans Scholl an die Mutter 22.3.1940: Der Sohn berichtet, wie er den Karfreitag begangen hat. „Du meintest, ich solle in irgendeiner Kirche das heilige Abendmahl empfangen"; Jens (Hg.), Scholl 28. Inge Scholl wurde am 2. April 1933 durch Stadtpfarrer Oehler gemeinsam mit ihrem Bruder Hans in der Dreifaltigkeitskirche (Garnisonsgemeinde) Ulm konfirmiert; vgl. den Auszug aus dem Konfirmationsregister Dreifaltigkeitskirche Ulm 1890-1934 und die freundliche Auskunft des Evangelischen Kirchenregisteramtes vom 29.8.1997. Das späte Konfirmationsdatum erklärt sich aus dem Umzug nach Ulm. Zum evangelischen Milieu Ulms jetzt Mayer, Kirchen; allgemein Kurt Nowak, Protestantismus und Demokratie in Deutschland. Aspekte der politischen Moderne, in: Greschat/Kaiser (Hg.), Christentum und Demokratie 1-18. Eberhard Röhm/Jörg Thierfelder, Der nationalsozialistische Weltanschauungsunterricht (WAU), in: 450 Jahre Kirche und Schule in Württemberg, Stuttgart 1984, 292-308. 1938 wurde der „WAU" eingeführt für Kinder, die von ihren Eltern aus christlicher Überzeugung vom Religionsunterricht abgemeldet worden waren. 1939 führte Kultminister Mergenthaler schließlich durch einen Erlaß das neue Unterrichtsfach offiziell ein. Nicht die inhaltliche Ausrichtung (Verächtlichmachung des Christentums) aber war bedenklich, sondern die Tatsache, daß viele Eltern bei den großen Werbekampagnen massiv unter Druck gesetzt wurden. In Württemberg kam es in bezug auf den „WAU" zu einer Pattsituation: weder konnten die Kirchen dessen Abschaffung durchsetzen noch der NS-Staat durchgreifende Erfolge erzielen. Dazu Specker, Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkrieges 39. Zu dieser Frage Köhler/Thierfelder, Anpassung oder Widerstand? 53-94; Lächele, Volk; Loges, Kirchen 322-348 (Kriegszeit); Mayer, Kirchen; die verschiedenen Aufsätze in: Sproll/Thierfelder (Hg.), Religionsgemeinschaften. Aus der Sicht des Landesbischofs selbst: Theophil Wurm, Erinnerungen aus meinem Leben, Stuttgart 1953, 86-175; Gerhard Schäfer, Landesbischof Wurm und der Nationalsozialistische Staat 1940-1945. Eine Dokumentation, Stuttgart 1968, passim.

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Vor allem in Söflingen tobte der Kirchenkampf, denn das Bischöfliche Ordinariat in Rottenburg hatte nach der Resignation vom Stadtpfarrer Rudolf Weser am 3. Juli 1932 Franz Weiß zum neuen Pfarrer ernannt 124 . Vom ersten Tag seiner Amtszeit an geißelte dieser das neue Regime als Unrechtsstaat und nahm auch in seinen sonntäglichen Predigten kein Blatt vor den Mund. Diese offenen Worte von der Kanzel dürften nicht nur dem jungen Aicher sehr viel bedeutet haben. Pfarrer Weiß kam außerdem gelegentlich in sein Elternhaus 125 , wo sich neben den üblichen Gesprächen über die Pfarrei sicherlich heftige Diskussionen zwischen Vater Aicher und dem Pfarrer über das politische Zeitgeschehen abspielten. Vor möglicher Denunziation durch die Eltern brauchte sich der Pfarrer nicht zu fürchten. Weiß plante von Söflingen aus den Aufbau einer getarnten Widerstandsorganisation. 3000 Geistliche, die im Ersten Weltkrieg Frontsoldaten gewesen waren, sollten in einer (geistigen) Kampftruppe, der „acies ordinata", zusammengefaßt werden. Zölibatär lebende Priester könnten ohne persönliche Belastungen Sonntag für Sonntag gegen das Dritte Reich predigen, und wenn das alle Priester in Deutschland täten - so die Vorstellung -, hätten die bekannten Maßnahmen und Einschüchterungen keine Chance. Weiß stellte sich an die Spitze dieser Organisation und vermittelte die Kontakte, indem er kreuz und quer durch Deutschland fuhr und mit in Frage kommenden Personen verhandelte. Der mutigen Aktion des Söflinger Pfarrers war kein durchschlagender Erfolg beschieden; auch Weiß mußte sich nach harten Kämpfen der Macht der Gestapo beugen. 1939 von einem Sondergericht zu einem Jahr Haft verurteilt und des Landes (bzw. der Diözese) verwiesen, konnte er erst nach 1945 in seine Heimat zurückkehren. Folgen wir für die weitere Jugendbiographie Aichers zunächst den von ihm selbst aus der Retrospektive von rund 40 Jahren verfaßten autobiographischen „Innenseiten", so ergibt sich folgendes Bild: Pfarrer Weiß lud Aicher zu einer „konspirativen" Fahrt nach Paderborn ein. Dieses Erlebnis wurde für den gerade 15jährigen Otto zu einem „unsinkbaren Floß". „Mitten in der Flut der braunen Weltanschauung standen wir auf einem Felsen"126. Spätestens auf der Fahrt nach Paderborn war ihm klargeworden, daß der einzige Fels in der nationalsozialistischen Brandung die katholische Kirche sein konnte. Ihm ging es dabei nicht um „die Kirche" in der Sozialform des römischen Katholizismus, die er analog zu jeder Form von institutionalisierter Bürgerlichkeit strikt ablehnte. Die amtliche Kirche - so Aicher - hat sich fast überall in „peinlicher Anpassung, wie alle Beamten" in die Sympathie des Führers gebetet - was nicht einmal mehr der Verachtung wert ist. Seitdem hat er sich der Bibel zugewandt, indem er die ganze Geschichte des 124

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Zu Pfarrer Franz Weiß (1892-1985) und dem „Söflinger Kirchenkampf" Hehl/Kösters (Bearb.), Priester 2, 1359; Kopf, Franz Weiß; vgl. auch Ulm SA G 2 Aicher, Otto. Extrablatt „Widerstand" der Südwestpresse vom 16.11.1985 (der Artikel stammt von Inge Aicher-Scholl und Julian Aicher). Vgl. Aicher, Innenseiten 17. Bericht über die Fahrt nach Paderborn und Zitate bei Aicher, Innenseiten 17f.; Kopf, Franz Weiß62undl68f.

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Christentums beiseiteschob: „In diesem Christentum von Galiläa gab es keine Helden, keine Siege. Es war die Welt derjenigen, die in der Regel von der Geschichte, von der Gesellschaft, den Königen, dem Staat untergepflügt wurden. Und ich sah eine Welt auf mich zukommen, die mich unterpflügen wollte." 127 Sein Vorwurf an das Christentum, daß es immer die Geschichte von oben nach unten gedacht hat, und seine Erkenntnis, daß Geschichte gerade andersherum geschehen müsse, von unten nach oben, weil der Mensch sich in den Schwachen offenbart128, war für ihn Anlaß gewesen, sich der Quellgründe der Christenheit, den Kirchenvätern von Augustinus bis Thomas von Aquin sowie der Philosophiegeschichte von Piaton bis Nietzsche zuzuwenden. Hier fand er für sich eine Gegenposition zu Schule und unmittelbarer Umgebung, in der das neue Vokabular von Volk, Rasse und Führer nur so wucherte. Wenn in der Schule der Mathematiklehrer berechnen ließ, wieviel Waldund Ackerfläche dem deutschen Volk durch den Bau von Reichsautobahnen verloren ging und der Biologielehrer bei seiner Einführung in die Grundlagen der Naturwissenschaft einen Nationalsozialisten mit einem Haufen Dreck verglich (die „rein biologisch" von der Materie gesehen ein- und dasselbe seien)129, dann war das für den Schüler Aicher ein Lichtblick; zumal wenn er auf dem Schulweg wieder einmal hatte Prügel einstecken müssen, weil er den Hitlergruß verweigerte. Denn wer einmal oder zehnmal mit erhobener Hand grüßt, ist kein Nazi, aber ein Mitläufer, und wer hundertmal grüßt, vielleicht immer noch kein Nazi, aber ein Opportunist ohne Rückgrat - das war Aichers Standpunkt. „Man könnte sagen, mein Selbstwertgefühl, mein Selbstbewußtsein hätte mich zu einem Gegner der Nazis gemacht." 130 Otto hatte in seiner Heimatgemeinde Söflingen die normalen Kinder- und Jungenfreundschaften gepflegt, verteilt auf beide Seiten seiner Gasse: mit den Kindern der Bauern und Arbeiter auf der einen und den Kindern der Fabrikanten und Ärzte auf der anderen Straßenseite. Diese Kameradschaften hielten nicht lange, denn die meisten schlössen sich 1933 der Hitlerjugend an. Damit wurden sie für den gerade 11jährigen Söflinger Buben indiskutabel. „Schon ein falsches Wort, nicht erst die Zugehörigkeit zu einer Nazi-Organisation, konnte genügen, den Freund fallenzulassen." Isolation war die Folge: Otto wurde, wie er sich selbst bezeichnet, zum „Einzelgänger, der Schleichwege sucht"131. So erschien es dem Heranwachsenden konsequent, jedenfalls in der Brechung der „Innenseiten", zu fragen, wie er „das" allein durchstehen könne, ohne eine „konspirative Gruppe" oder „Mitglieder verbotener Parteien"132 zu kennen. Parteien waren in seiner Sicht genauso Institutionen wie die Kirche oder das Bürgertum und damit suspekt. Für das Scheitern der Weimarer Re-

Aicher, Innenseiten 34f. Dieser Gedanke taucht häufiger auf; vgl. als ein Beispiel unter vielen Aicher, Innenseiten 24. Aicher, Innenseiten 27. Aicher, Innenseiten 16f. Aicher, Innenseiten 28. Aicher, Innenseiten 17.

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publik machte er Kräfte aus Militär, Kirchen, Unternehmensverbänden, Gewerkschaften und Adel verantwortlich, die die Funktionen der Parteien gestört und letzlich verhindert hätten, daß die Weimarer Republik wirkliche Republik und damit ein „Parteienstaat" werden konnte 133 . „Für einen Antifaschisten war ich zu jung, Kommunisten gab es keine mehr, keine Sozialdemokraten, kein Zentrum..." 134 . Was blieb übrig? Der Rückzug in die eigene Innerlichkeit sowie der Dialog mit sich und der Welt nach christlich-humanistischer Manier. Dazu Aicher: „Ich ging immer mit mir zusammen. Wir waren immer zu zweit. Und über alles, was auf uns zukam, waren wir im Gespräch, im Dialog ... Das Sprechen mit sich selbst überbrückt nicht nur das Alleinsein. Ich glaube, besser als das Denken hilft es, Wahrheiten zu finden, glaubwürdige Übereinstimmungen." 135 Verlassen von den „ewigen Wahrheiten", die in solchen Zeiten ihre Gültigkeit verlieren, von Schule, Kirche, Elternhaus blieb Aicher nur mehr der Griff zum Bücherregal oder zum Volksempfänger. Radio Beromünster136 war für ihn die wirksamste antinazistische Argumentation, ein politisches Seminar, wohltuend allein wegen seiner normalen Sprache137. Auch wenn die „Innenseiten" durchaus eine wichtige Quelle für die Jugendbiographie Aichers sind und zentrale Aspekte seiner Prägung erfassen, so stellen sie doch allenfalls die halbe Wahrheit dar. Denn einerseits ist Aicher den Unscharfen und unbewußten Selbstkonstruktionen fast jeder autobiographischen Retrospektive erlegen, andererseits hat er bewußt Personen und Zusammenhänge ausgeblendet und verdrängt. Leider läßt sich dieser Tatbestand - nicht zuletzt aufgrund der restriktiven Archivpolitik der Familie Aicher-Scholl - nur an wenigen Stellen historisch-kritisch herausarbeiten, so daß wir trotz allem immer wieder auf Aichers konstruierte Selbstbiographie zurückgreifen müssen. Wenige Beispiele sollen an dieser Stelle angeführt werden, um die Problematik der „Innenseiten" plausibel zu machen. Aicher stilisiert sich - wie dargestellt - zum auf sich zurückgeworfenen Einzelgänger, der ohne alle Freunde dagestanden und auf Bücher als Gesprächspartner verwiesen worden sei. Dies trifft nicht zu, denn: 1. Er war seit der Volksschule mit Fridolin Kotz 138 engstens befreundet - eine Freundschaft, die sich trotz der sich unterschiedlich entwickelnden Ausführliche Argumentation bei Aicher, Innenseiten 141 f. Aicher, Innenseiten 13. Aicher, Innenseiten 16. Weite Teile der Bevölkerung hörten den Sender „Radio Beromünster" aus Luzern/Schweiz, der erst seit Kriegsanfang ein Einheitsprogramm senden mußte. Eine Bearbeitung dieses Phänomens steht noch aus. Vgl. Herwig John, Der Rundfunk in Südwestdeutschland in der Zeit vor und nach dem Zusammenbruch des Jahres 1945, in: Hans-Martin Schwarzmaier (Hg.), Landesgeschichte und Zeitgeschichte: Kriegsende und demokratischer Neubeginn am Oberrhein, Karlsruhe 1980, 153-197, hier 194; Ruth Halter-Schmidt, Schweizer Radio 1939-1945. Ein Beitrag zur Mediengeschichte, Bern/Stuttgart 1980. Aicher, Innenseiten 13f. Fridolin Kotz (* 1922 Ulm), 1929 Besuch der Söflinger Volksschule gemeinsam mit Aicher, 1937-1940 Elektrolehre mit Förderstufe im Rahmen der Berufsschule (entspricht der Mittleren Reife), anschließend in München zwei Vorsemester zur Aufnahmeprüfung für die Ingenieur-

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schulischen Karriere - Aicher besuchte die Oberrealschule, Kotz ging in eine Lehre - ungebrochen bis zum Kriegsende durchzog, wie nicht zuletzt der intime Charakter des aus den Jahren 1940 bis 1945 stammenden Briefwechsels belegt139. 2. Er traf in Willi Habermann 140 einen ebenfalls katholisch sozialisierten kongenialen Freund, mit dem er während des Zweiten Weltkriegs fast wöchentlich, manchmal täglich, korrespondierte 141 . Auch diese Briefe atmen den Geist einer langen und tiefen Freundschaft, so daß „Grogo", wie er genannt wurde, noch 1997 schreiben konnte: „Otl, mein vieux und ancien ami, ist zwischen 1937 und 1945 mein junger und gegenwärtiger Freund gewesen"142. 3. Aicher verschweigt die Existenz seines Bruders Georg ganz, seine Schwester Hedwig nimmt nur eine untergeordnete Rolle ein, was nach Ausweis der Korrespondenzen mit Kotz und Habermann als äußerst problematisch erscheint. Alles muß sich in der Retrospektive auf den großen Vater-SohnKonflikt, den Otl siegreich besteht, konzentrieren. Vermittelnde Geschwister wären nur störend gewesen. 4. Aicher war durchaus nicht nur von selbst auf die Beschäftigung mit Kirchenvätern, Philosophie und katholischer Literatur gekommen, vielmehr hatte ihm Bruno Wüstenberg 143 , der als Vikar von April 1938 bis Herbst 1939 in Söflingen tätig war, entscheidende Tips gegeben. Den Jugendkaplä-

schule. Oktober 1941 eingezogen, August 1944 bis Mai 1946 Gefangenschaft. 1946-1949 Studium in München, anschließend in Nürnberg bei Siemens tätig, seit 1951 lebt er mit seiner Frau Elsbet geb. Reiff in Stuttgart. Vgl. die Korrespondenz zwischen Frido Kotz, Inge Scholl und Otl Aicher in Stuttgart PAK, die etwa 100 Briefe umfaßt. Auch den Bericht von Willi Habermann, Junge Jahre mit Otl, in: Freundschaft 19-31. Willi Habermann, (* 1922 in Neu-Ulm), 1932-1940 Besuch des Humanistischen Gymnasiums in Ulm, Jugendbewegung. 1940 Reichsarbeitsdienst, seit Wintersemester 1940 an der Universität München Studium der Volkswirtschaft, Biologie und Philosophie. September 1941 bis Ende August Kriegsdienst/Kriegsgefangenschaft (Stettin, Insel Guernsey, Le Havre, ab Mai 1945 im Lager Wilhelmshafen). Nach dem Krieg Wiederaufnahme des Studiums (Germanistik, Philosophie, Geschichte und Romanistik) in München. Referendariat in Bietigheim und Bad Mergentheim, wo er seit 1952 am Gymnasium unterrichtete. Von 1962 bis 1976 Leiter der Volkshochschule in Bad Mergentheim, wo er heute noch lebt. Vgl. auch seine „Übersetzungen" von Teilen des Alten und Neuen Testamentes ins Schwäbische, z.B. Willi Habermann, Du bist mein Freund: Psalmen schwäbisch gebetet, Stuttgart 1989; über ihn Uwe Renz, Dichten zwischen Poesie und Polemik, in: Katholisches Sonntagsblatt Nr. 47 vom 22.11.1998, 7. In Bad Mergentheim PAH fanden sich etwa 150 Briefe Otto Aichers und Inge Scholls sowie an die 20 frühe Manuskripte Aichers. Willi Habermann, in: Freundschaft 30. Bruno Wüstenberg (1912-1984), Abitur in Uerdingen, Studium der Katholischen Theologie in Bonn, Freiburg i.Br. und Köln, dort Priesterweihe 1938. Beurlaubt für die Diözese Rottenburg, ab April 1938 Kaplan in Ulm-Wiblingen und Söflingen. Ab August 1939 Studien an der Gregoriana Rom, Promotion. 1943-1966 im vatikanischen Staatssekretariat, 1966 Bischofsweihe in Köln, 1966-1974 Pronuntius in Japan, 1974-1979 an der Elfenbeinküste, ab 1979 in den Niederlanden; freundliche Auskunft des Historischen Archivs des Erzbistums Köln vom 23.10. und 7.11.1997. Vgl. auch Josef Schmitz van Vorst, Der erste deutsche Nuntius. Das Lebensbild Bruno Wüstenbergs, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 25.10.1966.

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nen indes kam in dieser Zeit eine besonders wichtige Rolle zu; sie prägten ganze Generationen von katholischen Jugendlichen 144 . Wüstenberg, der nach übereinstimmender, unabhängig voneinander gewonnener Aussage von vier Zeitzeugen 145 Aicher wichtige Anregungen gegeben haben muß, taucht in den „Innenseiten" überhaupt nicht auf. Frido und Grogo werden nur einmal am Rande erwähnt 146 und in der Familie Aicher-Scholl bewußt totgeschwiegen - die Aicher-Söhne wußten nicht einmal von der Existenz dieser Jugendfreunde - trotz einer langen, intensiven Freundschaft, die eindeutig belegt ist. Wie ist dieses offenbar bewußte Verschweigen in der Autobiographie, da es sich um ein versehentliches Vergessen nicht handeln kann, zu erklären? Als einzige plausible Antwort bleibt übrig: sie paßten nicht mehr in Aichers selbstkonstruiertes und idealisiertes Bild seiner Person. Ideengeber und Freunde rieben sich mit dem Ideal des einsamen geistigen „self-made-man", der allein und aus sich selber die verirrten Scholls auf den rechten Weg und zum Martyrium führen sollte. Bezeichnenderweise beginnen die „Innenseiten" mit der Schilderung einer Schlüsselszene: Otto diskutiert gemeinsam mit Werner Scholl im Wald den Kriegsbeginn und die Möglichkeiten zum Widerstand. Damit ist die Brücke geschlagen. Diese offenkundigen Schwächen der Innenseiten gilt es im folgenden stets zu bedenken. Mit solchen Retuschierungen muß - ebenfalls in anderen Texten - immer wieder gerechnet werden, auch wenn wir mangels Quellen nicht immer in der Lage sind, diese als solche zu enttarnen.

3. VON DER DISTANZIERUNG ZUR VERWEIGERUNG Über die Entwicklung Hans und Sophie Scholls von HJ-Mitgliedern hin zum Widerstand in der „Weißen Rose" ist in den vergangenen 50 Jahren viel geschrieben - und gestritten - worden 147 . Über den Weg Inge Scholls vom „Gruppenmädel" (BDM) zur vom nationalsozialistischen Regime verfolgten 144

Zu diesem Phänomen existieren bislang keine Untersuchungen; in Berlin beispielsweise wurden solche Kapläne als hehre Vorbilder gefeiert. Zur Bedeutung der Jugendkapläne vgl. die verschiedenen Zeitzeugenberichte in: RJKG 7 (1988) 191-276. Hinweise auch bei Brüstle, Studentenseelsorge 111-215. 145 Das belegen die Zeitzeugengespräche mit dem Ehepaar Hartnagel, Herrn Habermann und Herrn Kotz. Das Ehepaar Wiegandt erinnerte sich daran (17.9.1998), daß Aicher gemeinsam mit Hans Eychmüller einen Besuch bei Wüstenberg in Rom machte; dabei habe Aicher zum evangelischen Eychmüller gesagt: „Konvertiere doch". 14 '' Und zwar nicht im entscheidenden Passus über den Freund und die Bedeutung von Freunden, sondern im Abschnitt über „Ende einer Kindheit", als Aicher auflistet, in welche Ecken es den Freundeskreis verschlagen hat; Aicher, Innenseiten 85. 147 Schilde, Schatten 37 spricht von „weltweit wohl fast tausend Publikationen", darunter allerdings nur vereinzelt wissenschaftliche Abhandlungen. Schon eine Bibliographie von 1970 zählt an die 500 Titel; Fleischhack, Widerstandsbewegung. Dazu auch unten den Forschungsüberblick am Beginn von Teil 2.

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und in „Sippenhaft" genommenen „Unperson" indes lassen sich zwar viele Hinweise in den publizierten Erinnerungen finden, doch haftet ihnen allerdings zum Teil der Charakter einer autobiographischen Konstruktion an. Durch die Verbindung dieser „subjektiven" Darlegungen mit dem skizzierten „objektiven" Koordinatensystem der Situation Ulms, ergänzt durch einschlägige Aussagen ihres späteren Mannes, läßt sich eine weitere Etappe des geistigen Werdegangs von Inge Scholl und Otto Aicher nachzeichnen. Waren die Geschwister gemeinsam den nationalsozialistischen Jugendorganisationen beigetreten, so entwickelte sich auch ihre zunehmend reservierte Haltung und schließliche Absetzung von der Hitlerjugend einhellig. „Der Funke quälenden Zweifels, der in Hans erglommen war, sprang auf uns alle über" 148 . In die HJ kam nach und nach eine starke politisierende und militarisierende Tendenz, man hörte dies und jenes über das nationalsozialistische Regime, vor allem über die Partei, was erschreckend und abstoßend klang. Dafür finden sich zahlreiche Belege in den einschlägigen Publikationen: 1. erschien Sophie die zunehmende Diskriminierung ihrer jüdischen Mitschülerinnen und Mitbürger - wie sie in den Schulen und auf den Straßen Ulms unübersehbar wurde - als nicht hinnehmbar 149 ; 2. veränderte die Teilnahme als ausersehener Fahnenträger am Nürnberger Parteitag der NSDAP im Frühjahr 1936 Hans Scholl total: „müde, deprimiert und verschlossen" 150 kehrte er heim; 3. erzählte man, ein junger Lehrer sei auf rätselhafte Weise verschwunden und vor eine SA-Gruppe gestellt worden, die an ihm vorbeiziehen und ihm ins Gesicht spucken mußte. „Er war eben kein Nationalsozialist, er konnte da halt nicht mitmachen, das war sein Verbrechen" 151 und nichts anderes, habe die Mutter des Lehrers auf die Fragen der Scholl-Kinder geantwortet. Und 4. wurde Inge Scholl selbst ihr von Kindheit an und vom Elternhaus stark gefördertes musisches Interesse zum Verhängnis: ihr lag besonders das Theaterspiel und so inszenierte sie in ihrer Gruppe eigene Spiele - „die man als zu pessimistisch und melancholisch abtat" 152 . Gerade der Nürnberger Parteitag wurde immer wieder angeführt, um den ersten Riß im heilen nationalsozialistischen Weltbild der Scholl-Geschwister auszumachen. Viel wichtiger erscheint aber, daß auf einmal die Kinder wieder dem Vater Aufmerksamkeit schenkten. Der gute politische Instinkt, „seine weitsichtige, großzügige und doch nüchterne Art", die große Aufrichtigkeit, mit der er seine Überzeugung vertrat, „leuchtete uns ein", erinnert sich Inge Scholl, „zumal wir allmählich erkannten, daß seine früheren politischen Ur148

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Scholl, Weiße Rose 17. Ähnlich Inge Scholl in München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 132: „Hans war der Erste, der sich tief enttäuscht und ernüchtert abwandte und allmählich folgten die übrigen Geschwister." Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 42-45; Scholl, Weiße Rose 14f. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 45. Zur ästhetischen Inszenierung von Herrschaft und Beherrschung im NS-Deutschland, die sich besonders auch an den Parteitagen zeigen läßt, die einführenden Überlegungen von Ulrich Herrmann und Ulrich Nassen und die verschiedenen anderen Beiträge in: Herrmann/Nassen (Hg.), Formative Ästhetik. Scholl, Weiße Rose 17 [Hervorhebung im Original]. So lakonisch Aicher, Innenseiten 80.

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teile sich als richtig erwiesen hatten" 153 . So bejahte Robert Scholl etwa die Frage nach der Existenz eines Konzentrationslagers in Ulm und fügte hinzu, ein Konzentrationslager ist „Krieg mitten im tiefsten Frieden und im eigenen Volk"154. Jetzt hörten die fünf Kinder auf ihn; sie verstanden auf einmal, daß die Arbeitslosigkeit nur durch die Ankurbelung der Kriegsindustrie beseitigt wurde und Hitler an die Macht kommen konnte, weil seine Versprechungen und Verlockungen die „graue, undurchdringliche Wand" des durch Krieg, Schwierigkeiten der Nachkriegszeit und Inflation in seiner Existenz bedrohten Menschen durchbrechen konnten. Jetzt fruchteten die Argumente des Vaters155. Wenige Jahre später sollte Inge sogar schreiben, wie sehr sie ihren Vater in den letzten Wochen und Jahren „schätzen und kennengelernt" habe, welch „lauterer und aufrechter Charakter er ist, der seine Ideale auch mit zunehmenden Alter nicht verraten bat. Wieviele Erwachsene vergessen ihr reines Wollen aus der Jugendzeit und ergeben sich der bequemen Bürgerlichkeit"156. Über die politische Haltung der Mutter gibt es kaum aufschlußreiche Aussagen. Magdalene Scholl wird sich ihrem Mann angeschlossen und eine vor allem in den Konflikten eher vermittelnde Position eingenommen haben. Zusammenfassend gilt, was Inge Scholl in ihrer „Weißen Rose" treffend formuliert: „In uns erwachte ein Gefühl, als lebten wir in einem einst schönen und reinen Haus, in dessen Keller hinter verschlossenen Türen furchtbare, böse, unheimliche Dinge geschehen. Und wie der Zweifel langsam von uns Besitz ergriffen hatte, so erwachte nun in uns das Grauen, die Angst, der erste Keim einer grenzenlosen Unsicherheit." 157 Aus dem Riß wurde ein Bruch mit dem Nationalsozialismus, wobei es sich um einen Prozeß handelte, der vom anfänglichen Stutzigwerden über Verärgerung und jugendlichem „Frust" bis zur Auflehnung innerhalb der festgefügten nationalsozialistischen Hierarchie bis zur Abwendung und grundsätzlichen Neuorientierung führte. Neben der neuen Hochschätzung des Vaters hat ohne Frage das Bekanntwerden von Hans Scholl mit der bündischen Jugend den Umschwung mitverursacht. Durch ihn kamen auch Inge, ihre Geschwister und Freunde mit dieser „Alternative" zur nationalsozialistischen Jugendorganisation in Berührung.

4. JUGENDBEWEGTE ALTERNATIVEN: „DJ.1.11" UND „QUICKBORN" Über den Anlaß und die Ursachen, die Hans Scholl dazu brachten, sich vom Nationalsozialismus abzuwenden, ist in der Sekundärliteratur viel gemut153 154 155

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München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 132. Scholl, Weiße Rose 17. Treffend Inge Scholl in München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 132. Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 2.9.1942. Scholl, Weiße Rose 18f.

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maßt worden. Was letztendlich ausschlaggebend war, soll - vor allem im Hinblick auf unsere Fragestellung - dahingestellt sein158. Wichtiger ist eine andere Frage: Gab es eine Alternative zur zunehmenden Uniformierung und Radikalisierung in der HJ? Hans suchte diese im Umfeld der bündischen Jugend, und die von ihm gezogenen Konsequenzen hatten auch große Wirkung auf die Geschwister, die, obwohl sie nicht direkt teilhaben konnten und auf die Erzählungen ihres Bruders angewiesen waren, ebenfalls eine innere Verbundenheit zu den Idealen der bündischen Jugend entwickelten. Hans Scholl war mit einer extremen Form bündischer Jugendkultur in Berührung gekommen159, der von Eberhard Köbel, genannt „tusk"160, am 1. November 1929 gegründeten Jungenschaft „dj.l.ll" 161 . Köbels Einfluß blieb für viele Jungen ein Leben lang prägend. Nicht mehr nur der Rückzug in die gesunde Natur wie beim Wandervogel stand auf dem Programm. Architektur, Philosophie, Moderne Kunst, Chorgesang in allen Formen (eigene Kompositionen und Texte, skandinavische und russische Lieder), Folklore, Mythologie - das alles machte diesen Bund für die Jungen ungemein attraktiv. Er orientierte sich an der kulturellen Avantgarde der Zwischenkriegszeit: Stilelemente des Bauhauses wurden übernommen, wie zum Beispiel die „kleinschrift", verpönte Dichter wie Rainer Maria Rilke, Stefan George, Georg Trakl und Georg Heym gelesen; Abzeichen war eine Möwe mit drei Wellenlinien als Sinnbild für das unendlich Weite, die Farben grau (für das Elend des Krieges) und rot (für den Bolschewismus)162dominierten. Die „dj.l.ll" war der erste Bund, der der technischen Welt aufgeschlossen und nicht ablehnend gegenüberstand; es wurde nicht gewandert, sondern per Autostop oder mit dem Motorrad über Land gereist. Eine „jungenhafte Sachlichkeit" und ein „kameradschaftlicher Realismus" vertrieb den nicht mehr ernst genommenen alten Wandervogelstil163. Köbel " 8 Angeführt wird - wie oben erwähnt - etwa die Ernüchterung nach Hans Scholls Teilnahme am Nürnberger Parteitag oder die Geschichte, daß er seinem HJ-Vorgesetzten eine Ohrfeige gab, als dieser verlangte, die selbstgenähte Fahne mit einem Sagentier gegen die Hakenkreuzfahne einzutauschen; dazu Scholl, Weiße Rose 16f. und Süß/Schneider, Keine Volksgenossen lOf. und 106 Anm. 4. 159 Dazu die Schilderungen in München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 133-136. Vgl. auch die Textsammlung zur Bündischen Jugend, bzw. der Zeitschrift „Kameradschaft" bei Ebeling/Hespers (Hg.), Kameradschaft; auch Martin Groß-Albenhausen, Heimatlose Konservative. Die Auseinandersetzung um den Nationalsozialismus in der Bündischen Jugend der Nachkriegszeit und Adenauer-Ära, in: Jahrbuch für Historische Bildungsforschung 2, 335-359. IM Eberhard Köbel (1907-1955); Klein/Stelmaszyk, Köbel 102-137; Schmidt (Hg.), tusk. 161 Zum Thema Bündische Jugend und dj.l.ll. die neuere fundierte Darstellung von Hellfeld, Bündische Jugend; dessen Aufsatz als Kurzfassung und mit aktualisierter Bibliographie Hellfeld, Bündischer Mythos; Klönne, Jugend 198-282; Klönne, Jugendprotest 527-620; die besonders für Ulm interessanten Aufsätze in: Schmidt (Hg.), tusk. 162 „... die dj.l.ll hatte sich von der allzu starken Hinwendung zur bäuerlichen Naturverbundenheit der frühen Wandervogelbewegung befreit und war modern, großzügig, ja fast elegant und großstädtisch mondän geworden ..."; München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 133. 163 München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 134.

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hatte von seinen Fahrten nach Lappland die Kothe, das Zelt der nomadischen Lappen, mitgebracht. Durch eine Öffnung in der Spitze konnte im Zelt eine Feuerstelle errichtet werden, so war man wetterunabhängig. Auftritt und Habitus waren einheitlich militärisch: Blaue Bluse, Schulterriemen und Schiffchen, im Gleichschritt Marsch. Köbel sorgte auch dafür, daß eine Jugendpresse mit in der Jugendbewegung einmaligem Niveau entstand (am bekanntesten waren die Zeitschriften „Das Lagerfeuer" und „Der Eisbrecher"). In ihrer Aufbauphase hatten die nationalsozialistischen Jugendorganisationen durchaus auf Tradition und Erfahrung bündischer Jugendarbeit zurückgegriffen. Bis 1932 waren Hitlerjugend und Jungvolk zu keiner besonderen Bedeutung gelangt - zu stark war die Konkurrenz der gut organisierten Parteijugendverbände, der kirchlichen Jugendorganisationen und der Gewerkschaftsjugend. Auch in Ulm wurde ein Großteil der bündischen Jugendgruppen mehr oder weniger freiwillig in die HJ oder das Jungvolk eingegliedert und prägte deren Geist und Lebensform. Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus wurde die Konfrontation zwischen HJ und Bündischer Jugend immer härter. Von den Gleichschaltungsbemühungen nicht ausgeschlossen war die „dj.l.ll"; Köbel und seine Gruppe entwickelten sich zum Feindbild schlechthin. Obwohl er Deutschland schon lange verlassen hatte, verfolgte die Gestapo ihn als „Haupt einer großen geistigen Verschwörung" 164 weiter. In einem Schlußbericht des Reichssicherheitshauptamtes Berlin vom 23. Februar 1940 über die Bündische Jugend 165 heißt es, Köbel hätte „diesen Bund als Grundlage für eine Einigung der gesamten deutschen Jugend ... gegründet, um so das angestrebte Ziel eines autonomen Jungenstaates zu verwirklichen". Ihm zur Seite stünden eine „Reihe befähigter Führer" - wie etwa Hans Scholl. Obwohl mit Erlaß des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern vom 4. Februar 1936 alle Gruppen und Vereine zur Auflösung aufgerufen wurden, bildeten solche Gruppen das Sammelbecken für all die Jugendlichen, die dem neuen Staate aus irgendwelchen Grundsätzen heraus feindlich gegenüberstanden. Hitler-Jugend und Jungvolk mußten nach Meinung der neuen Machthaber einer personellen, kulturellen und ideologischen Säuberung von „bündischen Elementen" unterzogen werden - der auch Hans Scholl zum Opfer fiel. Der Druck auf einzelne Gruppen wurde im Laufe der Zeit stärker. Max von Neubeck beispielsweise, der mit Hans den Ulmer „Hort" (so die Bezeichnung für den kleinstmöglichen Zusammenschluß) organisierte, sagte sich im Frühjahr 1935 von den Ideen der „dj.l.ll" los166. Hans führte die Arbeit trotzdem weiter167. Seine Ulmer Gruppe hatte 164

Dazu Klein/Stelmaszyk, Köbel 28-130. Berlin B A R 58/1567. 166 Der B e r i c n t U D e r die illegale „dj.l.ll" spricht davon, daß Hans durch seinen Fähnleinführer Max von Neubeck, der den Eisbrecher las und die rote Kordel trug, in Kontakt zu dieser Jugendgruppe gekommen sei; München IfZ Ms 533, S. 3. 167 Schmidt (Hg.), tusk 100; Süß/Schneider, Keine Volksgenossen lOf. Ihre Interpretation stützt sich auf die Verhörprotokolle im Düsseldorfer Hauptstaatsarchiv und setzt sich von den „üblichen" Begründungen etwas ab; in unserem Zusammenhang interessiert nicht die Frage, wie Hans' Entwicklung genau verlief, sondern lediglich, daß er mit der „dj.l.ll" in Berührung 165

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bis zum Sommer 1936 mit „tusk" sogar Briefkontakt 168 , der detaillierte Anweisungen zur Arbeit in den Gruppen gab. Auch wenn Köbel im Exil weitgehend „kaltgestellt" war, entfaltete das von ihm geschaffene „Milieu" der „dj.l.ll" eine sehr ausgeprägte Wirksamkeit 169 . Nach der „Machtergreifung" war dieser Bund wohl die letzte Äußerungsform der freien Jugendbewegung 170 . Inge Scholl hatte in dieser Phase einen Freund aus der Bündischen Jugend, wenn man die knappen Hinweise in den Scholl-Briefen richtig interpretiert171: Ernst Reden 172 , der der Gestapo nicht unbekannt war, als er zur Ableistung des Wehrdienstes um die Jahreswende 1935/1936 nach Ulm kam. Wie Hans Scholl war er in seiner Heimatstadt Köln in der Hitlerjugend aktiv gewesen. Er war 1932 aus dem kleinen evangelischen Jugendbund „Die Trabanten" zur „Freischar junger Nation" gekommen, hatte dann die Jungenschaft „ortnit" gegründet, die sich der „dj.l.ll" anschloß. Diese war zwar offiziell in die HJ überführt worden, huldigte aber weiterhin bündischen Praktiken - der einschlägige Ermittlungsbericht von 1935 spricht davon, daß Reden „immer noch seine intimsten Freunde, 10 Jungens, um sich gesammelt und mit ihnen Fahrten unternommen hat" 173 . Das Verfahren gegen Reden steht exemplarisch für die Vielzahl anderer Prozesse, die gegen Angehörige aus der Bündischen Jugend in diesen Jahren inszeniert wurden. Bereits im Juni 1935 liefen im Falle des Kölner Studenten Ermittlungen „wegen Vorbereitung zum Hochverrat". Bei der Wohnungsdurchsuchung durch die Gestapo wurde Schriftenmaterial gefunden, mit dem die fortwährenden bündischen Umtriebe Redens belegt werden konnten; Filme, die Zeltlager seiner

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kam. Zur Ulmer Gruppe auch München IfZ Ms 533, Fritz Schmidt, Illegale dj.l.ll in Schwaben (1991); und zur katholischen Jugendarbeit in Ulm und den Konflikten mit der HJ der Bericht von Bernhard Hanssler (damals Jugendpfarrer in Ulm) in: Siefken (Hg.), Weiße Rose. Student Resistance 37-50. Klein/Stelmaszyk, Köbel 132 (ohne Beleg). Ein Mitglied aus der Gruppe von Hans erinnert sich: „Die Jahre mit Hans Scholl haben mich entscheidend geprägt, die Zugehörigkeit zu unserer illegalen Gruppe war abenteuerlich und eine Herausforderung und sind mir unvergeßliche Erinnerungen." Schmidt (Hg.), tusk 105. Vgl. den oben zitierten Bericht in Berlin BA R 58/1567. Jens (Hg.), Scholl 32, 45, 104, 161, 250 (Anm.): „Ernst Reden, der besonders mit Inge Scholl befreundet war..." Wenn man die Tagebuchnotiz von Hans Scholl am 5.9.1942 liest, wird dies noch deutlicher: „Die Nachricht von Ernsts Tod hat mich schwer getroffen ... ich fühle die blutende Seite meiner Schwester und kann sie nicht heilen. Ich sehe die Leere und kann sie nicht füllen - ich will sie nicht füllen - ich weiß, daß man sie nicht ersetzen darf, sie soll leer bleiben, bis durch das Leid hindurch er wieder bei ihr sein wird im Geiste, verklärt"; ebd. 104. Ernst Reden (1914-1942) aus Köln. Über ihn Berlin BA NJ 1669, Akten des Oberreichsanwalt in der Strafsache gegen den Studenten Ernst Reden aus Köln und Genossen; R 3001/IIIgl 362/35g, Ermittlungsakte Ernst Reden. Reden fiel 1942 in Rußland. Die enge Verbindung zu Reden sehen lediglich Hanser, Deutschland 66f., 213; Verhoeven/Krebs, Weiße Rose 55. Bislang ist zwar in den einschlägigen Publikationen kein Hinweis auf einen Briefwechsel Ernst Reden-Inge Scholl aufgetaucht, trotzdem lassen sich hierüber Vermutungen anstellen; er ist sehr wahrscheinlich, wenn man die rege Korrespondenztätigkeit der Geschwister bedenkt. Berlin BA R 3001/IIIgl 362/35g, Ermittlungsbericht vom 31.7.1935 S. 2.

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Gruppe bewiesen, der Wimpel, der am Zelt aufgezogen wurde, „ebenso ein Koppelschloß mit dem stoßenden Vogel und der Bezeichnung dj.l.ll" 1 7 4 . Die Überprüfung der sichergestellten Schriften, die sich „nur auf Jugendwandern und Jugendsinn beziehen", ergaben keine inhaltlichen Beanstandungen. Reden, der für seine Jugendzeitschrift „kajak"175 sogar eine Erlaubnis der Reichsschrifttumskammer vorweisen konnte, wurde mehrmals verhört 176 ; er hatte Glück: das Verfahren wurde eingestellt, wohl auch, weil der Student Reden seinen Kriegsdienst antreten mußte. Als Reden nach Ulm einrückte, brachte er die Anschrift eines Ulmer „Quickborners" mit, und dieser machte ihn mit Hans Scholl bekannt, in dem Reden einen Gleichgesinnten fand. Durch das Ermittlungsverfahren gewarnt, aber unvermindert enthusiastisch für die Ideen der Bündischen177, organisierten sie von nun an gemeinsam die Aktionen der Ulmer Gruppe 178 der „dj.l.ll". Natürlich wurde mit Kothen auf große Fahrt gegangen179. Beim Osterlager 1936 brannte, wie der Bericht eines ehemaligen Bündischen erzählt180, die Kothe von Hans und Ernst ab. Für das neuangeschaffteJZeJi gestaltete Fritz Stelzer Schablonen zur Bemalung, und ihn soll Hans gebeten haben, das Emblem der „Ulmer Trabanten" - eine Blume, darunter ein waagerechtes Schwert und das Wort „Trabanten" - zu zeichnen. Die Blume soll die „jungenschaftliche Kirschblüte, die ,weiße Rose'" gewesen sein. Zudem findet sich ein Rosenzweig in dem von Köbel entworfenen Wappen der „dj.l.ll", wie sich überhaupt die Kombination von „weiß" und „Rose" in bündischen Kontexten häufig findet181. Reden jedenfalls, selbst schriftstellerisch begabt, übte durch seinen „Literatur-Enthusiasmus" einen großen Einfluß auf Inge Scholl aus182. Obwohl 174 175

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Berlin BA NJ 1669, Bericht über Durchsuchungen am 14.6.1935. Die Ermittlungsakten enthalten eine Liste der Bezieher des „kajak". Die Verbreitung erfolgte hauptsächlich im Kölner Raum, nur vereinzelt finden sich süddeutsche Abnehmer; Berlin BA NJ 1669. Verhörprotokoll vom 15.6.1935 in Berlin BA NJ 1669. In den Ermittlungsakten findet sich der Brief eines Gruppenmitgliedes an Reden vom 22.11.1934, der über die Stimmung in den Gruppen nach den Verboten und Verfolgungen und den moralischen Impetus beredtes Zeugnis ablegt: „du hast mir geschrieben: wir wollen vergessen, begraben, abschied nehmen von dieser großen sache. höre: wir können nicht von dem abschied nehmen, was wir selber sind, wir wollen uns nicht selbst begraben, der riese schläft, seine folger müssen wach sein und stark, damit sie, wenn sie gerufen werden, zur stelle sind." Berlin BA NJ 1669. Zu den Mitgliedern der Ulmer Gruppe gehörten u.a. Hanspeter Nägele (der Bruder von Rose, zu der sich Hans stark hingezogen fühlte), die Zwillinge Sepp und Karl Säur, genannt Tet und Oluf; vgl. Jens (Hg.), Scholl 251, 257 und passim. Vgl. die Schilderungen bei Jens (Hg.), Scholl 244 über das „Devisenvergehen" Hans Scholls, als er eine mit deutschem Geld gefüllte Nivea-Dose über die schwedische Grenze schmuggelte. München IfZ Ms 533, Fritz Schmidt, Illegale dj.l.ll in Schwaben (1991) 2-4; auch Jens (Hg.), Scholl 250. Breyvogel, Gruppe 186f. folgert daraus, daß der Name „Weiße Rose" auf den bündischen Kontext der „dj.l.ll" zurückweist. Auch Schmidt (Hg.), tusk lOOf. Das mußte auch Aicher in den Innenseiten gestehen, wenn er bekennt, wie er dem „groß aufgeschossenen hageren Intellektuellen" Reden auf den Fersen blieb, weil ihn „das Bündische zum Widerspruch reizte"; Charakterisierung und Zitat nach Aicher, Innenseiten 80.

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Erster Teil: IDEALE

die „dj.l.ll" ein Jungenbund war und es eine ausgesprochen bündische Mädchengruppe nicht gab - „schon weil Hans dies mißbilligte und stillos gefunden hätte" 183 , wie Inge Scholl resümiert - , erfolgte hier auch bei den Scholl-Mädchen eine geistige Prägung, die nicht zu gering veranschlagt werden darf. Die Schwestern nahmen indirekt durch beide Brüder - auch Werner gehörte zur „dj.l.ll" 1 8 4 - nämlich doch daran teil: „Wir lernten Bücher durch sie kennen, sangen ihre Lieder, wußten viel von ihren Fahrten, auch wenn wir nicht dabei waren." 185 In ihren Erinnerungen spiegelt sich die Sehnsucht, es den Brüdern und dem Freund gleichzutun: „Sie stiegen im Winter auf die abgelegensten Almen und machten die verwegensten Skifahrten; sie liebten es, in der Morgenfrühe Florett zu fechten ... sie waren ernst und verschwiegen, sie hatten ihren eigenen Humor und ganze Eimer voll Witz und Skepsis und Spott... sie warfen sich am Morgen in eiskalte Flüsse, sie konnten stundenlang ... Wild oder Vögel... beobachten. Sie saßen genauso still und mit angehaltenem Atem in Konzerten, um die Musik zu entdecken ... sie liebten in besonderer Weise die blauen Pferde von Franz Marc, die glühenden Sommer und Kornfelder von van Gogh und die exotische Welt Gauguins..." 186 Vielmehr noch: Die Schwestern suchten den Brüdern nachzueifern, indem sie ihren Stil und Geist - den selbst der damalige katholische Ulmer Jugendpfarrer Bernhard Hanssler als „unseren Ansprüchen genügend" bezeichnete 187 - kopierten, und mit ihnen in den kulturellen und ästhetischen Errungenschaften wetteiferten188. Wenn es schon nicht möglich war, mit auf große Fahrt zu gehen, so konnten sie wenigstens die Bücher gemeinsam lesen. Die Bücher, die „ähnlich wie die modernen Bilder zu Anklägern gegen die Gesellschaft" wurden, „Front gegen den Nationalsozialismus" machten und „unsere Auflehnung" mobilisierten189. Was lasen Hans und Ernst, Werner, Sophie und vor allem Inge? Durch den Deutschunterricht im Gymnasium bzw. der Oberrealschule waren sie natürlich mit der deutschen Literaturgeschichte insgesamt vertraut ge183

München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 151. Vgl. auch ebd. ED 106/101, Inge Aicher-Scholl an Walter Hammer 5.2.1958: „Wir anderen ... erlebten alles durch meine Brüder mit und begeisterten uns sehr an der ganzen Art und dem Stil." 184 Scholl, Weiße Rose 19f. 185 Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 48. 186 Scholl, Weiße Rose 21. 187 Bernhard Hanssler (* 1907), bis zum 15. November 1936 Jugendpfarrer, versuchte bis zuletzt, eine selbständige kirchliche Jugendorganisation aufrecht zu halten und focht mit der Ulmer HJ und der Gestapo deswegen heftige Kämpfe aus; Bernhard Hanssler, Katholische Jugendarbeit während des Dritten Reiches in Ulm, in: Siefken (Hg.), Weiße Rose. Student Resistance 37-50, hier 47f. Über ihn Rainer Hank, Der Geistliche und die Macht. Bernhard Hanssler, Frankfurt/Main 1997. 188 Treffend München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 151. Neuere Publikationen zeigen, daß auch Sophie Scholl als Jungmädelführerin bzw. „Schaftführerin" jungenschaftlich beeinflußt war; vgl. die Zeitzeugenberichte etwa von Eva Amann, in: Dokumentationszentrum Oberer Kuhberg (Hg.), Die Hitlerjugend am Beispiel der Region Ulm/Neu-Ulm, Ulm 1993, 1 lOf. 189 Nach Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 58.

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macht worden. Zumal Inges Deutschlehrerin Elisabeth Walser190 - übrigens ein späteres Kuratoriumsmitglied der Volkshochschule - es verstand, die Deutsch- und Geschichtsstunden „zu grünen Oasen in dem Alltagstrott und der Langeweile des Schullebens" werden zu lassen. „Ob sie wohl ahnte, wie sie in jenen Jahren unser Leben beeinflußt hatte?" 191 Neben den Klassikern wurden im Unterricht offenbar auch moderne Autoren behandelt. Andererseits schärfte sich der Blick in den Diskussionen des Ulmer Familien- und Freundeskreises für Literatur, die sozusagen eine „innere Emigration" ermöglichte. Infrage kamen vor allem Bücher von Autoren, die Deutschland aus politischen Gründen verlassen hatten und im Exil schreiben mußten 192 . Im Hause Scholl wurde unter anderem Heinrich Heine gelesen, der für eine Gruppe deutscher Intellektueller steht, die es um 1830 nach Paris zog. Als jüdischer Dichter - wiewohl 1825 zum Protestantismus übergetreten - war der „junge Deutsche" im Dritten Reich verboten 193 . Heine rückte für sich den politischen, allerdings radikal subjektiv und beinahe provozierend privat abgefaßten Protest gegen die feudale und zugleich philiströs bürgerliche Welt in den Vordergrund - ein stimulierendes Potential, nicht zuletzt ob seiner immer wieder zwar auf der Folie des Leidens an den herrschenden Verhältnissen formulierten Liebe zum zukünftigen Deutschland. Sein hymnischer Patriotismus korrespondiert der Heimat- und Vaterlandsliebe der Geschwister, Heines Kritik am Deutschland Metternichs entspricht ihrer Kritik am nationalsozialistischen Gewaltregime. Zur Gruppe der Exilanten während des Ersten Weltkriegs zählte auch Stefan Zweig, dessen historische Miniaturen „Sternstunden der Menschheit" auf dem Nachttisch von Inge Scholl lagen. Zweig zeichnet darin die „schicksalsträchtigen Stunden" nach, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte entschieden. Ohne historische Details und ganz vom Erlebenden her gestaltet, erscheint Geschichte als „die größte Dichterin und Darstellerin aller Zeiten". In der „^eltminute von Waterloo" beispielsweise trägt ein Marschall allein die Verantwortung für die französische Niederlage und damit das Schicksal Europas. Sich blind an einen überholten Befehl klammernd, verpaßt er die entscheidende Stunde für sich und Napoleon. Schon diese Novelle bot genügend Sprengkraft, wenn es im Freundeskreis um die Frage ging, wie der Einzelne sich angesichts des menschenverachtenden Despotismus zu verhalten habe. 190 191 192

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Zu Elisabeth Walser s. unten. Ulm vhA Schachtel 2, Monatsspiegel März 1952, 4. Politisches Exil und Emigrantendasein haben in der deutschen Literaturgeschichte eine lange Tradition: Seit den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts kam es zu mehreren Auswanderungswellen; so nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819, der Juli-Revolution 1830, der gescheiterten Revolution von 1848, wieder 1878 (zur Zeit des Sozialistengesetzes); größere Wellen folgten während des Ersten Weltkrieges und im Nationalsozialismus. Dazu allgemein mit weiterführender Literatur Beutin u.a. (Hg.), Deutsche Literaturgeschichte passim (Reg.). Sophie habe Heine „mit größter Selbstverständlichkeit" zur Lektüre an einem Heimabend vorgeschlagen; Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 53.

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Nahe lag auch die Prosa der Weimarer Republik . Viele Autoren dieser Epoche wandten sich gegen eine Politisierung der Literatur. Als Gegengewicht zu Kapitalismus und Sozialismus propagierten sie eine Erneuerung der geistigen Grundlagen. Dieser Vorstellung einer „schöpferischen Restauration" hingen neben Franz Werfel, Hugo von Hofmannsthal vor allem Rainer Maria Rilke und Stefan George an. Hans bekam von seiner großen Schwester zum 19. Geburtstag Georges „Stern des Bundes" geschenkt195, eine Gedichtsammlung, der sie die Widmung „Die Gedanken sind frei" voranstellte. Ebenso stand Thomas Mann auf der Lektüreliste: Der „Zauberberg" und die „Buddenbrooks" lieferten gesellschaftskritische Denkanstöße. Die Literatur der Weimarer Republik nahm in vielem bereits die verschiedenen späteren Formen der „Inneren Emigration" 196 vorweg, einer „Oppositionsliteratur", die sich nicht gleichschalten ließ und einen regimekritischen Impetus behielt. Diese Charakterisierung ist auch auf die vierte Gruppe, mit der sich der Ulmer Freundeskreis beschäftigte, anwendbar. Autoren wie Ernst Wiechert197, Werner Bergengruen, Hans Carossa, die sich aus religiösen oder humanitären Gründen im Gegensatz zum Nationalsozialismus befanden, waren verboten. „Ich wage zu sagen," - so Inge Scholl - „daß diese Bücher zu ersten Spuren des Widerstandes wurden. Aber mehr noch. Man begann, Konsequenzen zu ziehen. Man kapierte, daß Erfahrungen nicht aus Büchern, sondern aus dem eigenen Tun kommen. Stimulieren konnten Bücher, Erkenntnisse vermitteln, Lichter aufgehen lassen. Aber das Existentielle ergab sich erst aus der Verwirklichung von dem, was man selbst als richtig erkannt hatte." 198 Nach und nach erkannten die Geschwister auch, daß die bündische Jugend im Grunde „ohne einen letzten Sinn, ohne ein Ziel" war, daß ihr die geistige Tragfähigkeit fehlte. Ein „Jungenadel" wurde gepflegt, „der aber allmählich Gefahr lief, dem darüber hinauswachsenden Menschen als Spielerei und Ästhetizismus zu erscheinen" 199 . Dieser Jugendstil erzog zu einer ästheti194

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Viele Nachweise bei Jens (Hg.), Scholl Reg. Ernst Reden scheint diese Inge Scholl nahegebracht zu haben. Jens (Hg.), Scholl 11 (242). Der Begriff „Innere Emigration" ist ebenso vieldeutig wie umstritten. 1933 geprägt durch Frank Thiess, erfaßt er bildhaft die Situation von Einzelpersonen oder Gruppen, die angesichts der nationalsozialistischen Herrschaft 1933-1945 eine Art „Emigration nach innen" vollzogen, um den Ansprüchen der politischen Machthaber auf „Gleichschaltung" zu entgehen. Dazu Killy (Hg.), Literaturlexikon 13, 436-438 (Lit.) (Ralf Schnell). Ernst Wiechert (1887-1950), Romancier und Erzähler. Sämtliche Werke, 10 Bde., München 1957. Killy (Hg.), Literaturlexikon 12, 296, 305f. (Heidrun Ehrke-Rotermund); RGG 6, 1692f. (H. Ollesch) - „ein Beispiel für das Ringen und die Widersprüche seiner Zeit"; Verhoeven/Krebs, Weiße Rose 55f. Wiechert war bündisch orientiert. Über ihn findet sich in Berlin BA R 18/5645 eine Denkschrift des Reichsministerium des Innern, in der seine weitere Beobachtung angeordnet wird. Wiechert war der Gestapo vor allem bei zwei Vortragsabenden vor der Münchner Studentenschaft aufgefallen. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 60. München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 135. Auch ED 106/101, Inge Aicher-Scholl an Walter Hammer 5.2.1958: Eine allmähliche Distanzierung zu den Ideen der „dj.l.ll" trat ein, denn man kann nicht als „Erwachsener

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sehen Empfindsamkeit, weckte eine Großzügigkeit und ein persönliches Freiheitsgefühl, eine Liebe zu aller Kultur und trieb in letzter Konsequenz seine Mitglieder in einen krassen Gegensatz zur HJ 200 . Im Spätherbst 1937 begann vor allem in Süddeutschland eine neue Welle großangelegter Aktionen gegen Angehörige und Sympathisanten der verbotenen bündischen Jugendbewegung. Im Verlauf dieser Verhaftungswelle wurde auch Inge Scholl im November 1937 festgenommen 201 . Zusammen mit ihren Geschwistern Werner, Hans 202 und Sophie machte sie zum erstenmal die Bekanntschaft mit einem Gefängnis. Zwei Gestapo-Beamte klingelten frühmorgens an der Tür, wollten die Wohnung durchsuchen und anschließend alle Kinder mitnehmen. Durch die geistesgegenwärtige Reaktion der Mutter, die in einem Brotkorb verdächtig erscheinendes Material versteckte, scheint Schlimmeres verhindert worden zu sein. Inge wurde ins Ortsgefängnis Ulm gebracht und noch am selben Abend zusammen mit Werner abtransportiert, Sophie wurde freigelassen. Auf einem offenen Lastwagen ohne warme Kleidung ging es im Schneetreiben auf der gerade fertiggestellten Autobahn - einer der „Straßen des Führers" - nach Stuttgart. „In der Zelle mußte ich an den 30. Juni 1934 denken, an Hitlers blutige Abrechnung mit SA-Führern. Damals habe ich gedacht: Schrecklich, daß er Leute, die seine Freunde waren, plötzlich umbringen läßt... Und jetzt, drei Jahre später, saß auch ich im Gefängnis. Über mir und unter mir Schritte, Knarren und Türenknallen. Wer weiß, dachte ich, ... vielleicht ist es wieder so ein Mißverständnis wie 1934?"203 Nach achttägiger Haft kam es schließlich zu einer Vernehmung durch die Gestapo. Bei den Fragen nach einem Widerstandskreis und den grau-roten Heften der „dj.l.ll" konnte Inge sich herausreden und mußte schließlich mangels direkter Beweise freigelassen werden. Für ihren Freund Ernst Reden, einer Schlüsselfigur wie Hans, ging die Angelegenheit weniger glimpflich aus. Wegen „bündischer Umtriebe" verbüßte er eine monatelange Haft im Gefängnis und im Konzentrationslager Welzheim204. Der Gefängnisaufenthalt Inges

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weiterhin diese Form pflegen und davon träumen". „Er hat einen ziemlich abrupten Abschluß für sich gefunden, ohne freilich jemals zu vergessen, was er dieser Zeit verdankte." Zustimmend Inge Scholl, die in diesem Zusammenhang sagt, daß die Bündische Jugend Hans in seiner Enttäuschung und Abneigung gegen die HJ bestärkte und vertiefte; München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 135 und 136f. Zur Festnahme Vinke, Leben 50; Jens (Hg.), Scholl 1 lf. In den Archiven fanden sich dazu keine Unterlagen. Hans wurde am 11. oder 12. Dezember verhaftet; durch die Vermittlung seines militärischen Vorgesetzten - er war inzwischen zum Wehrdienst bei der Kavallerie in Stuttgart eingezogen - verlief die Angelegenheit glimpflich und die Anklageschrift vom März 1938 konnte niedergeschlagen werden; Jens (Hg.), Scholl 11 f., 17, 242-244. Hans, so heißt es im Bericht Inge Scholls, habe im Gefängnis den Entschluß gefaßt, Arzt zu werden, um der Menschheit helfen zu können; München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 137. Verhaftung und Verfahren fanden Eingang in die spätere Anklageschrift; Berlin BANJ 1704/3. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 51. Jens (Hg.), Scholl 249f. Zu den „KZ's" die Beiträge in Herbert u.a. (Hg.), Konzentrationslager; zum Schutzhaftlager Welzheim auch Kopf, Franz Weiß 242f.

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Erster Teil: IDEALE

führte zum Ausschluß aus dem BDM; der Schock der Verhaftung veranlaßte sie, endgültig mit dem Nationalsozialismus zu brechen 205 . Die Ziele der Jugendbewegung, wie Selbstvertrauen in die eigene Generation und Unabhängigkeit, waren auch für Otl Aicher selbstverständlich. Obwohl er die Jugendbewegung als solche schätzte 206 , gehörte Otto keiner Gruppe der Bündischen Jugend an, verstand sich aber als Anhänger des „Quickborn" 207 . Von Oberschlesien aus entwickelte sich aus einer Abspaltung innerhalb der katholischen Abstinenzbewegung 1909 eine Gruppe, die sich bald den Namen der ab 1913 erscheinenden Zeitschrift „Quickborn" gab. Die rasche Ausbreitung bis nach Süddeutschland und ins Elsaß spiegelt sich in den schnell ansteigenden Mitgliederzahlen von ca. 6000 Jungen und Mädchen wieder. Auf der Grundlage von Abstinenz und einer entschiedenen Selbsterziehung sollte die Jugend in ein „tieferes Erleben der Kirche" hineinwachsen. Erst auf der Burg Rothenfels, die der Bund 1919 erwarb, gelang der volle Durchbruch. Neben dem „dreifachen Recht der Jugend" auf Jugend, Freiheit und Freude wurde das religiöse Element zunehmend wichtiger: die Hinwendung zu Christus als dem „Führer" der Jugend und einem neuen Liturgieverständnis als dem Ort einer besonderen Erfahrung von Kirche. Bundesleiter wurde bald Romano Guardini 208 , der durch Impulse im Sinne der Liturgischen Bewegung und der Erschließung religiöser Inhalte eine starke Wirkung auf die Jugendlichen und den Bund selbst entfaltete. Guardini versuchte vor allem, die Jugend für ihre kulturelle Verantwortung zu sensibilisieren. So entstand eine Gruppe, die gegen die bisherige kirchliche Enge und gegen die bedingungslose Anerkennung von Autoritäten einen neuen „kirchlichen Geist" vermittelte. Es verwundert nicht, daß Aicher Kontakt zu einer Berliner Gruppe des Quickborn 209 aufnahm, die er als eher elitär, vom „kulturellen Wind der zwanziger Jahre" getragen und sich gegen Wandervogel und Pfadfinder absetzend klassifizierte210; hier will er auch die Kunst des Expressionismus kennengelernt haben. Der „Gesellschaft der Äußerlichkeiten" entfliehend, 05

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Inges Bruch erhellt sich noch einmal aus der Schilderung über Sophies Entwicklung. Sophies Abwendung ging nicht so jäh und leidenschaftlich vor sich wie bei Hans; sie war zu dieser Zeit auch noch mitten in der Schule und steckte im Fahrwasser ihrer Klasse. Als sie dann aber in das Alter kam, in dem Kritik und Urteil überhaupt erst erwachen, hatten sich ihre Geschwister „von dem zuvor geliebten Bund der HJ" gelöst, dazu kam die Verhaftung. „In ihrer sachlichen und unromantischen Art mußte sie die Dinge sehen, wie sie waren und es genügten nur einige Tatsachen, die hinter den Kulissen des Dritten Reiches hervordrangen, und dazu die immer mehr sich verdichtende Art der Vermassung und Nivellierung des Lebens..."; München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 152. Vgl. beispielsweise Aicher, Innenseiten 9 und 14: „Die Jugendbewegung bedeutet mir viel. Sie ... legte uns nahe, einen Bogen um Spießer und Krämer zu machen". Zu Geschichte und Entwicklung des Quickborn vgl. Binkowski, Jugend; Hastenteufel, Katholische Jugend 1, 339-345, 435-445 und 2, 416-438; Henrich, Bünde 56-138. Zur Rolle Guardinis Bröckling, Intellektuelle 38-55; Knoll, Glaube und Kultur passim. Zu Romano Guardini s. unten. Die Berliner Gruppe konnte nicht nachgewiesen werden. Aicher, Innenseiten 14.

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zog es ihn in die Ferne - wie Hans Scholl und seine „dj.l.ll". Der Söflinger scheint besonders von „tusk" beeindruckt gewesen zu sein, sah aber keine Möglichkeit, mit einer Gruppe der bündischen Jugend in Kontakt zu kommen, ohne der HJ beizutreten 211 . Otto trampte nach Berlin, wo er sich mit einem älteren Freund, Ernst Klar212, traf; gemeinsam fuhren sie durch Berlin - er „auf dem Sozius einer fünfhunderter Triumph' mit verchromten Auspuffrohren" 213 . In einer Fotoausstellung im Columbushaus beim Anhalter Bahnhof214 fielen beide der Gestapo 215 auf, wurden festgenommen und ins Reichssicherheitshauptamt in das Prinz Albrecht-Palais 216 verbracht. Dort verbrachten sie einige Tage in Einzelhaft und mußten mehrere Verhöre über sich ergehen lassen217; anscheinend hielt man sie für homosexuell und wollte Otto und seinen Freund als Objekte für eine Propagandakampagne nützen, die das endgültige Verbot der Jugendbewegung nach sich ziehen sollte. „Aber die Sache gab nichts her und wir kamen frei." Aicher hatte den „Staat von innen gesehen, von seinem innersten innen". Die Angst vor dem Abtransport war für den damals Fünfzehnjährigen nicht halb so schlimm wie die Angst, mit sich selbst nicht im reinen bleiben zu können, „nicht vor dir selbst feige werden, dich nicht etwas anderm als dir selbst überlassen ..." Die Tortur der Einzelhaft interpretierte er im Nachhinein als „Privileg": „Ich gehörte zu denjenigen, die Bescheid wußten ..." Zu den Erlebnissen in der Hauptstadt des Reiches kamen Haussuchungen der Gestapo im Söflinger Haus seiner Eltern - Otto war „halt" aufgefallen - , zweimal wurde er aufgegriffen und wieder nach Hause zurückgebracht, „als ich - ohne ihr [der Eltern] Wissen - nach Schweden entfliehen wollte" 218 . Auch anhand der hier nachgezeichneten Schilderungen zum Thema Jugendbewegung respektive „Quickborn" läßt sich die oben bereits angedeute211

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Zu dieser Aussage existieren keine schriftlichen Zeugnisse; Aicher hob allerdings in verschiedenen Gesprächen Köbel und die „d.j.1.11" lobend hervor. Diesen Hinweis verdanke ich Frau Dr. Hildegard Vieregg (Gespräch am 12.5.1997). Ernst Klar konnte nicht nachgewiesen werden. Bei ihm handelt es sich auf jeden Fall um einen Quickborner. Folgende Schilderung und Zitate bei Aicher, Innenseiten 14-16. Dietrich Worbs, Das Columbushaus am Potsdamer Platz von Erich Mendelsohn 1931/32, in: Architektur-Experimente in Berlin und anderswo. Für Julius Posener, hg. von Sonja Günther und Dietrich Worbs, Berlin 1989, 82-101. Die besuchte Fotoausstellung ließ sich nicht nachweisen; das Bürogebäude war während der dreißiger Jahre Sitz des Reichsfremdenverkehrsverbandes. Vielleicht fand eine Ausstellung in diesem Zusammenhang statt. Das Columbushaus war Ort des verdeckten Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Eine Zelle der sozialistischen Widerstandsgruppe „Neu Beginnen" arbeitete getarnt als Ingenieurbüro in einem der oberen Geschosse. Vermutlich hatte die Gestapo den Verdacht, daß im Columbushaus „staatsfeindliche Umtriebe" vonstatten gingen; ebd. 93. Zum „Prinz Albrecht-Gelände" Rürup (Hg.), Topographie; Tuchel/Schattenfroh, Zentrale. Über die Verhaftung Aichers und Klars ließen sich in Berlin BA keine Unterlagen wie eine Aktennotiz oder Verhörprotokolle finden. Aicher, Innenseiten 81. Auch „tusk" war häufig nach Schweden gefahren; Hans Scholl leitete 1936 eine ungenehmigte Gruppenfahrt seines „dj.1.1 l"-Hort nach Schwedisch-Lappland. Davon hatte Aicher sicher gehört; Jens (Hg.), Scholl 244.

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Erster Teil: IDEALE

te Problematik der „Innenseiten" noch einmal verdeutlichen. Wieder einmal erzählt uns Aicher nur die halbe Wahrheit. Er machte nämlich weder die einschlägigen Erfahrungen allein und auf sich gestellt, noch kam er überhaupt selbst auf die Idee. Vielmehr verstand sich das Freundestrio Grogo, Frido, Otl als „Quickborn-Jungenschaft" 219 . Dazu gehörten gemeinsame Waldgänge und Skitouren mit Grenzerfahrungen, morgendliches Stock- und Säbelfechten - die „Liturgie der ,bündischen Jugend'" eben220. Vikar Wüstenberg, der Aicher aus seinem Einzelgängertum herausholen wollte, ergänzte in seiner Ulmer Zeit das Trio. Jedenfalls legt ein Brief an Fridolin Kotz vom Frühjahr 1940 diesen Schluß nahe, wo es heißt: „Ich habe in dieser Zeit auch oft gedacht, wie froh ich bin, dich in der Nähe von Ottl [sie!] zu wissen, der dich nötig braucht, weil du doch das klare unkomplizierte Leben bist, das er nicht nur selbst haben möchte ... immer dann, wenn er dir am fernsten ist, braucht er dich am meisten" 221 . Bezeichnend für Aichers Tendenz, alles von der katholischen Tradition her zu erklären bzw. in die Scholastik einzuordnen, sind seine Reflexionen über die bündische Jugend, die er Fridolin Kotz in einem Brief vom Herbst 1940 nahebrachte. Dort heißt es: „Übrigens gab es zur Zeit des Thomas von Aquin auch so eine Art bündische Jugend, der er auch angehörte. Sie war genauso verschrieen und genauso verachtet von den guten Katholiken wie die unsere, ja noch viel schlimmer, man wollte sie fast aus der Kirche ausschließen, weil man sie für ungläubig ansah, und das waren nichts minderes als die Bettelorden des Franz von Assisi und des Dominikus, die damals gerade im Entstehen waren, das will heißen, recht jung. Mit einem Wort: jugendbewegt. Damals hatten diese Orden noch Geist, das darfst du glauben. Und so etwas schwebt mir auch vor den Augen. Nicht Orden, wo man zur Armut genötigt wird, wie es heute so ist, nein, ganz freiwillig sich dahinhungern, einfach, weil es gut so ist. Damals sprühte diese Bewegung vor innerer Glut, nur weil sie noch wußte, wozu Armut gut ist ..."222

IL GEISTIGES WACHSEN „In diesen Jahren, in denen ein Erfolg Hitlers den andern jagte, wurde es sehr still und einsam um uns Geschwister. Alle früheren Freunde und 2,9

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Die Bezeichnung „Quickborn-Jungenschaft" erklärte mir Herr Habermann in mehreren Gesprächen: „Eigentlich wollten wir von der Jugendbewegung nichts wissen, so arrogant waren wir. Der Normale N D (Bund Neu-Deutschland) war bäh. Aber trotzdem faszinierte es uns, sowohl der Quickborn wie die d.j.1.11. So kamen wir auf diese Bezeichnung." Dazu Willi Habermann, in: Freundschaft 19. Stuttgart PAK, Bruno Wüstenberg an Fridolin Kotz Ostern 1940. Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 8.10.1940.

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Freundinnen aus der Zeit der HJ hatten sich zurückgezogen und waren uns entfremdet. Umsomehr schlössen sich die Geschwister und die Familie zusammen" 223 . Nachdem Hitler und seine Jugendbewegung sich als Sackgasse erwiesen hatten, wurde die Familie zu einer kleinen Insel im nationalsozialistischen Meer. Hier fand man Halt und geistige Heimat „wie in einem Boot" 224 - formuliert Otl Aicher treffend. Bemerkenswert ist der enge Zusammenhalt der Geschwister untereinander und das freundschaftliche Einvernehmen mit den Eltern 225 - die liberale und offene Erziehung der Eltern hatte sich ausgezahlt. Inge und ihre Geschwister hatten im Elternhaus eine solche Selbständigkeit genossen, daß sie sich nicht, wie Otto Aicher, in jugendlicher Opposition davon abzusetzen brauchten. Gegenseitige Besuche, gemeinsame Winterferien und - wie die Briefdokumentation von Inge Jens deutlich vor Augen führt - intensive Korrespondenz zeugen davon. Dazu kam ein Freundeskreis, in dem gemeinsam gelesen und diskutiert wurde. Mit den Freunden konnte man ohne Angst vor Denunziation oder Ausgrenzung offene Worte wechseln, sich damit von der Masse abheben, zugleich die Isolation durchbrechen und erfahren, daß es doch noch „eine große und verpflichtende Solidarität mit der Gemeinschaft, mit der Menschheit und Zeit" 226 gab. Angesichts der besonderen Beziehungen der Geschwister untereinander, die von Spannungen oder Konflikten weitgehend frei geblieben zu sein scheinen, sind einige Bemerkungen zur Stellung der „großen Schwester" angebracht. Das Verhältnis Inges zu Geschwistern und Freunden unterlag einer Entwicklung. Anfangs scheint sie eher „mütterliche" Funktionen übernommen zu haben, wenn sie etwa das gemeinsame Skilager organisierte oder Päckchen verschickte. Zum Teil erklärt sich diese Rolle aus der Tatsache, daß sie im Gegensatz zu den übrigen noch in Ulm bei den Eltern wohnte, den anderen Grund bringt Hans treffend auf den Punkt, wenn er schreibt: „Das andere wird Inge schon regeln. Die kann das ja am besten" 227 . Ausgesprochenes organisatorisches Talent und Zuverlässigkeit machten sie auch bald für ihren Vater in der Kanzlei zu einer unentbehrlichen Mitarbeiterin, wie sich aus dem Briefwechsel mit Sophie ergibt. Unwirscher Widerwillen gegen die dominierende Schwester, gegen die sich die Kleine schon mal auflehnt228, 223

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München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 137. Aicher, Innenseiten 64. Inge Scholl hebt immer wieder die Rolle des Vaters hervor, der sich als „Freund" kameradschaftlich an ihre Seite stellte und sie spüren ließ, daß er seine Kinder „für ernst und voll nahm"; München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 152. Zahlreiche Belege auch bei Jens (Hg.), Scholl passim; Steffahn, Weiße Rose 24 bezeichnet dies treffend als „geistige Waffenbrüderschaft". Vgl. München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 137. Das kommt auch im Motto der Familie dieser Zeit zum Ausdruck, dem Wort Goethes: „Glücklich, wer sich ohne Haß vor der Welt verschließt". Jens (Hg.), Scholl 23. Vgl. als Bsp. den Brief von Sophie Scholl an Fritz Hartnagel vom 21.4.1938; Jens (Hg.), Scholl 121f.

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Erster Teil: IDEALE

wird mit der Zeit abgelöst von einer tiefen Freundschaft und starken Zuneigung bis hin zur „Seelenverwandtschaft". O b sie als Kinder gemeinsam Märchen schrieben, die von Sophie illustriert wurden 229 , als junge Mädchen gemeinsam in die Stadt gingen, um „Männer erröten zu machen" 230 , Fahrradtouren unternahmen oder gemeinsam im Wald spazieren gingen immer entsteht das Bild einer intensiven schwesterlichen Freundschaft. Im Sommer 1938 arbeitete Inge mehrere Monate als Haustochter bei einer Familie in Lesum bei Bremen 231 ; sie betreute vor allem deren zwei Töchter. Sophie nützte mit ihrem Bruder Werner und der Freundin Annelies Kammerer 232 die Gelegenheit, in den Schulferien gen Norden zu ziehen und - ganz bündisch inspiriert - „auf Fahrt zu gehen". Ihre Briefe dieser Tage sind voller Erinnerungen an die unbekümmerten Tage: „Ich muß gerade daran denken, wie ich mit Inge durch das Moor zog auf der Landstraße, und wir haben die Klampfe herausgeholt und einfach gesungen und uns einen Dreck um die dummen Gesichter der verwunderten Menschen gekümmert." 233 Dabei stand auch norddeutsche Kultur auf dem Programm. In Worpswede lernten sie nicht nur Bilder von Paula Modersohn-Becker kennen, sondern machten auch die Bekanntschaft mit den Dichtern Manfred Hausmann 234 , Wilhelm Scharrelmann 235 , Martha Vogeler236 und Clara Westhoff-Rilke 237 , der mit Rainer Maria Rilke verheirateten Bildhauerin. Zurück in Ulm wurde der Übergang zum Kriegsalltag immer drückender empfunden 238 . Namentlich der Haushalt war neu zu organisieren. Für Inge Scholl brachte dies neben der täglichen Arbeit in der Kanzlei weitere Belastungen mit sich. Im Sommer 1939 verbrachte sie den Urlaub im Schwarzwald239, an eine weitere Reise war nicht zu denken. Allgemeines Ausreiseverbot und Devisensperre ließen ahnen, was mit dem 3. September 1939 in der britisch-französischen Kriegserklärung an Deutschland Realität wurde: der Zweite Weltkrieg hatte begonnen. Einige Tage nach der Kriegserklärung - so 229 230 231 232

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Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 34. Jens (Hg.), Scholl 122. Belege bei Jens (Hg.), Scholl 279f. Der Vater dieser Freundin war Inhaber eines bekannten Photogeschäfts in Ulm, der weiterhin jüdische Kunden belieferte und deshalb als „Judenknecht" verschrieen wurde; Jens (Hg.), Scholl 247. Jens (Hg.), Scholl 125-128, hier 128. Manfred Hausmann (1898-1986), Epiker, Dramatiker, Lyriker, Übersetzer; DBE 4, 452; Killy (Hg.), Literaturlexikon 5, 79 (Lit.) (Karin Rother). Wilhelm Scharrelmann (1875-1950), Erzähler und freier Schriftsteller in Worpswede; Killy (Hg.), Literaturlexikon 10, 162f. (Lit.) (Christian Schwarz). Erste Frau des in Worpswede lebenden Lyrikers und Essayisten Heinrich Vogeler (18721942); Killy (Hg.), Literaturlexikon 12, 48f. (Rita Seuß). Vgl. den Artikel zu Rainer Maria Rilke (1875-1926); Killy (Hg.), Literaturlexikon 9, 468-473, hier 469 (Ulrich Fülleborn). Durch „Bewirtschaftung" wurden Arbeitskräfte eingeteilt, Rohstoffe beschafft (nicht nur in Ulm wurden im Rahmen „städtischer Verschönerungsmaßnahmen" Vorgartengitter u.a. entfernt) und durch die Einführung der Bezugsscheinpflicht Lebensmittel, Heizungsmaterial und Konsumgüter rationiert; Specker, Ulm am Vorabend des Zweiten Weltkrieges 29. Ihre Schwester Sophie gönnte ihr diesen Urlaub sehr: „Sie hat's nötig"; Jens (Hg.), Scholl 130.

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erinnert sich Inge Scholl - machte sie gemeinsam mit Sophie einen Besuch bei ihrer ehemaligen Lehrerin Walser, die erzählte, wie sie 1914 als junges Mädchen alle Lebenskräfte habe mobilisieren müssen, um den Verlust ihres Verlobten durchstehen zu können. Den Schmerz aber habe sie nur durch ihre tiefe, lebendige Religiosität ertragen 240 . Auch Otto erlebte den Tag der Kriegserklärung sehr bewußt; mit den Erinnerungen an diesen „ersten Sonntag im Krieg" beginnen passenderweise seine „Innenseiten" 241 . Im Gegensatz zu anderen Wochenenden, die er mit den Freunden in den Wäldern um Ulm verbrachte, blieb er zuhause und hörte Radio, meist ausländische Sender. Das „Bangen und Zittern war zu Ende". Hatte der nun 17jährige es sich nicht vorstellen können, wie ein Krieg beginnt, jetzt war er Realität, aber als verkehrte Welt: „Mit Sonne und Sonntagsbraten ... eingeschottet in Ritual und Konvention .. unter verduzten Bürgern, die nach einer Aufbruchstimmung suchten, ... sich aber am schönen Sonntag freuten, an ihrem Braten, ihrem Kaffee und Kuchen". Was eigentlich ein geschichtlicher Moment sein sollte mit Glockengeläute oder Menschenansammlungen auf Straßen und Plätzen, erlebte Otto Aicher als - wie er sich ausdrückt - „Gefühlsverlust mitten in einem Familienmilieu". Was lag näher, als sich nach dem Sonntagsessen in den Wald abzusetzen und mit den Freunden die neue Situation zu diskutieren?

1. „IL FAUT AVOIR L'ESPRIT DUR ET LE COEUR TENDRE". DER „SCHOLL-BUND" AN DER BÜCHERBAR Kurz vor Kriegsausbruch formierte sich durch den Zusammenschluß der evangelischen Scholl-Geschwister mit dem katholischen Aicher-Trio ein neuer Freundeskreis. Begonnen hatte alles mit der Schulfreundschaft von Werner Scholl und Otto Aicher, die eine gemeinsame Klasse besuchten. Möglich wurde diese Verbindung aber erst, nachdem die Scholl-Geschwister dem Nationalsozialismus abgeschworen und durch die Verhaftung geläutert worden waren. Otto Aicher benennt eine konkrete Begegnung: Tag für Tag fuhr er mit seinem Fahrrad auf dem Schulweg immer an derselben Stelle an Elisabeth Scholl vorbei, konnte sie aber solange nicht grüßen, bis die Verhaftung von Inge und Hans bekannt wurde: „... an diesem Tag ... grüßten wir uns. Es wurde der Gruß einer Freundschaft." 242 Die Annäherung an den Klassenkameraden Werner wird dagegen allmählich stattgefunden haben. Ein „richtiges Wort" am richtigen Ort, eine Interpretation eines Dramas im Literatur240 241 242

Ulm vhA Schachtel 2, Monatsspiegel März 1952, 4. Folgender Bericht und Zitate nach Aicher, Innenseiten 9-13. Vgl. das gleichlautende Kapitel bei Aicher, Innenseiten 35f.

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Unterricht, die antinazistische Züge aufdeckte, und die Mauer war gefallen. Ottos „Isolation in der Klasse" war aufgebrochen, als er sich mit dem jüngsten Scholl-Sohn zusammentat. Von diesem Zeitpunkt an bestimmten diese beiden - wie Aicher sich erinnert - die politische Diskussion in der Klasse243, benutzten die Schulstunden, um bei Lehrern, die ihnen vertrauenswürdig vorkamen, über die neue Ideologie zu diskutieren oder in Schulaufsätzen Anspielungen über die politische Situation anzubringen. Wie die Scholl-Geschwister es von klein auf gewohnt waren, brachte nun auch Werner seinen neuen Freund mit in die Wohnung am Münsterplatz, die für Aicher bald zur „zweiten Heimat" werden sollte 244 . Bei welcher Gelegenheit Otto in das Schulische Haus kam, läßt sich nicht genau klären. Er selbst datierte das „erste Mal" auf das Jahr vor Kriegsbeginn, also den Spätsommer 1938. „Im vierten Stock eines Jugendstil-Geschäftshauses am Münsterplatz" an einem verregneten Sonntagnachmittag las man das Theaterstück Boris Godunow von Henry von Heiseler 245 in verteilten Rollen. Anwesend waren Hans, Inge, Elisabeth, Sophie, Werner und Otto 246 . Inge Scholl datiert dagegen den Beginn des engeren Kontaktes erst auf den Herbst 1939; Otto sei durch eine „Arbeit über Michelangelos Sonette" zu den Geschwistern gekommen 247 . Hinzu kommt, daß Otto Aicher 1939/40 nicht zum Abitur zugelassen wurde, da er sich weigerte, der HitlerJugend beizutreten 248 . Aus Protest ging Werner Scholl nicht zur Zeugnisverleihung; Aichers konsequente Haltung brachte ihn auch dazu, aus der Hitlerjugend auszutreten. Vielleicht ist dies als äußeres Fanal für den inneren Umschwung, der in den letzten Wochen und Monaten erfolgt war, zu werten. Werner, dem sein Freund Otl eine „kalte Verwegenheit" 249 bescheinigt,

243 244

24s

246 247

248

249

Aicher, Innenseiten 11. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 19.3.1941: Bei Scholls „bin ich heute abend wieder in meiner zweiten Heimat". Vgl. dazu auch die Aussage seiner Schwester, Otl habe sein eigenes Leben gelebt und war viel bei den Scholls, wo „alles gut und recht und schön" gewesen sei; Hedwig Maeser, geb. Aicher, in: Freundschaft 13 und 15. Henry von Heiseler (1875-1928). Schriftsteller, Übersetzer. Sein bedeutendstes Trauerspiel „Die Kinder Godunows" erschien 1923, uraufgeführt 1930. Heiseler wurde auch bekannt als Übersetzer Dostojewskys. Aicher verwechselt hier wohl die Titel; DBE 4, 550; Killy (Hg.), Literaturlexikon 5, 190-192 (Lit.) (Erich Franz Sommer). Aicher, Innenseiten 90. So steht es zumindest in der einschlägigen Anmerkung bei Jens (Hg.), Scholl 256. Die Auskunft kann nur von Inge Scholl selbst stammen. Die gleiche Angabe bei Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 133. Vgl. auch einen Brief von Elisabeth Hartnagel vom 16.11.1998, indem sie darauf hinweist, daß die Geschwister erst auf Otl aufmerksam wurden, als er das Abitur nicht machen durfte. Aicher, Innenseiten 10f., 36f. Ottos Vater fuhr nach Stuttgart ins Kultusministerium, um doch eine Zulassung zu erreichen, mußte aber ohne Ergebnis nach Ulm zurückkehren. Offenbar hatte Kaplan Wüstenberg Aicher auch geraten, aus taktischen Gründen der HJ beizutreten, um seine Reifeprüfung nicht zu gefährden. Dieser Rat könnte ein wesentlicher Grund für das Verschweigen Wüstenbergs und seines Einflusses in den Innenseiten sein. Dazu Hedwig Maeser, geb. Aicher, in: Freundschaft 15 wie auch Willi Habermann, ebd. 21: „Otl .mochte' ihn nicht mehr so sehr". Aicher, Innenseiten 10.

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wurde nämlich aktiv: Eines Morgens hatte die Büste der Justitia vor dem Ulmer Gerichtsgebäude eine Hakenkreuzbinde um die Augen gebunden; beim Heldengedenktag der Garnison gingen während des feierlichen Zapfenstreichs Knallkapseln auf dem nächtlichen Münsterplatz hoch 250 . Auch theoretisch erwogen die beiden Freunde Werner und Otto die Möglichkeiten einer Sabotagegruppe. Vor dem Hintergrund der weiteren Geschichte ist die Diskussion um Formen des Widerstandes interessant, wie sie Aicher in seinen „Innenseiten" wiedergibt 251 . Der junge Aicher hatte sehr genau beobachtet, wie schwierig das Überleben für eine konspirative Gruppe im engen „Netz der Bespitzelung und Beobachtung" sein würde. Für ihn speiste sich Widerstand „aus der alltäglichen Erfahrung und aus der Wahrnehmung, wie ein Regime das Denken gleichschalten konnte". Ihm ging es aber eher um „geistige Resistenz", denn er wollte ohne Schaden das Dritte Reich überleben, „ohne mich verachten zu müssen, ohne vor mir selbst zum Krüppel geworden zu sein". Werner dagegen vertrat eine radikalere Auffassung. Er empfand Schuldgefühle, weil er „früher einmal bei den Nazis mitgemacht hatte" und war für aktives Handeln. „Wie soll man sich verhalten? Sollen wir diesen Staat anfallen wie Raubkatzen, ihn aus Verstecken angreifen wie Schlangen, oder sollten wir ihn unterhöhlen wie Maulwürfe?" In genau dieser Spannung sollte die weitere Entwicklung des Freundeskreises stehen. Egal, wann und wie genau die Fäden geknüpft wurden, oder wer im Einzelnen zu den Mitgliedern zählte; sicher ist, daß hier der Freundeskreis entstand, ohne den der spätere Widerstand der „Weißen Rose" - zumindest auf Hans und Sophie Scholl bezogen - nicht zu denken ist. In dieser Gruppe, zu der nur mehr dezidierte Gegner des Nationalsozialismus Zutritt hatten, wurde, wie es die Aicherschen „Innenseiten" anschaulich vor Augen führen, das grundgelegt, was später der Nährboden für die Geisteshaltung der Flugblätter der „Weißen Rose" und die Gründung der Volkshochschule im Jahr 1946 werden sollte. Für die einzelnen Biographien dieses Kreises entscheidend wurde das sich hier ausformende Verständnis von Freundschaft. Alle hatten die Jugendbewegung kennengelernt, die maßgeblich vom Element der Kameradschaft bestimmt war. Deren Ideale hätten in jenen Jahren nicht so prägend gewirkt, wenn nicht der Druck von außen durch die nationalsozialistische Machtergreifung und die Errichtung eines totalitären Regimes enorm angestiegen wäre. Die Bedeutung des Freundschaftsideals bringt Aicher treffend auf den Punkt, wenn er formuliert: „Der Freund ist der einzige, der einen versteht und trägt, wenn die ganze Welt sich von einem abgewendet hat." 252 Inge Scholl maß dem Freundeskreis gleichfalls zentrale Bedeutung zu, bewertete aber die „Zusammengehörigkeit in der Abwehr gegen den Hitler-Staat" 253 0 1 2 3

Vgl. Aicher, Innenseiten 10; Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 60f. Vgl. Aicher, Innenseiten 11-13. Aicher, Innenseiten 39. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 58.

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noch höher als Aicher. Dieser machte hauptsächlich die nicht mehr existente Gesellschaft bzw. die fehlende politische, religiöse und kulturelle Gemeinschaft als Ursache ihrer Freundschaft aus, wenn er formuliert: „Kein Elternhaus, keine Schule, keine Kirche, kein Bund war mehr fähig, uns zu halten und mitzutragen, uns Rückhalt zu geben."254 Rückhalt fand sich eben nur noch bei den Freunden. „Unsere Freundschaften waren eine Art Verklammerung, um durch die üble Flut der Zeit zu kommen" 255 . Und um von der Flut nicht weggespült zu werden, mußte man zusammenhalten, durften sich die einzelnen Freunde nicht zu zweit aus der „Mannschaft entfernen". „Ein Leben zu zweit" - so Aicher weiter - „mußte einen bei dieser Strömung fortreißen". Wenn die Pubertät eine List der Natur ist, Leben zu reproduzieren, so argumentiert er, dann kehrte sich bei ihnen dieser Sachverhalt um: „wir hatten nicht etwas weiterzugeben, sondern etwas zu erhalten, vor dem Umfallen zu schützen." 256 Freunde und Freundinnen („denn nur in der Biologie ist der Mann stärker als die Frau") bewahrten vor dem Umfallen und halfen beim Bestehen. Die diesen Freundschaften durchaus innewohnende Kraft der Erotik erfuhren Otto, Inge und die anderen ebenfalls, nur ging diese bei ihnen in eine andere Richtung. „Sie mündete in eine intellektuelle Anstrengung und in ein moralisches Training, es mit dem ganzen Staat aufzunehmen." Diese „intellektuelle Erotik" spiegelt sich in den Briefen aus dem Freundeskreis 257 wieder und beherrschte die Treffen 4 5

6 7

Aicher, Innenseiten 45. „Ich bin so froh, daß ihr da seid, ihr wenigen" schrieb Inge Scholl immer wieder, etwa an Willi Habermann am 24.6.1941; Bad Mergentheim PAH. Aicher, Innenseiten 42 und 45f. Vgl. als Beispiel Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 10.1.1944: „Ich will nicht sagen, daß diese Nächte mit Inge waren wie die einst in den Wäldern. Aber du weißt, Frido, was uns im Kopfe spuckt..." Aicher läßt alles los, was nicht in die einzige Richtung paßt: „Wir sind allein des Geistes Kinder und wenn dieser Geist auch lausbübisch sein kann, neckisch, frei, jugendlich, schalkhaft und herzlich und nicht nur Sache eines Professorenkopfes ist, dann ist es nicht dasselbe, wenn wir ganze Nächte herumsitzen, als wenn dies andere tun ... Es mag gut sein zu heiraten - ich weiß es nicht - aber ich will mehr, ich will Freunde haben und werde ewig auf der Suche nach ihnen bleiben, hemmungslos will ich lieben und unbekümmert bleiben wie ein Kind. Ich glaube, du verstehst mich darin, daß ich im Menschen etwas anderes liebe als das Weib ... Wohl brauchte ich nur einzuschlagen, um Inge einmal zu nehmen, aber ich würde mir das Schönste verscherzen ... Ich hatte dir diesen Sommer einmal geschrieben, daß mich in dem Verhältnis zu Inge etwas beängstige, das mich zu sehr an sie binden könnte und das ich froh wäre, wenn Ernst Reden noch leben würde, weil ich dann bestimmt das bleiben könnte", was Johannes an der Brust Christi war, „als wenn ich die Hand auf die Schulter eines Freundes lege. Die Freundschaft ist mir so viel, daß ich die Ehe gar nicht mehr sehe ...". Zu den großartigen Nächten mit Grogo und Inge: „in derselben Unbefangenheit und Großmütigkeit haben wir sie auch jetzt verbracht und wenn ich mir die Augen vor der sinnlichen Liebe nicht ausgestochen habe, so besteht sie doch nicht für mich, weil sie ganz und gar aufgegangen ist in dem großen Schwung des Geistes, den man Freundschaft nennt und der sich in mir gegen alles sträubt, was die Welt Liebe nennt. Ich lasse die Mütter schnüffeln ... denn mein Verhältnis zu Inge ist nur deshalb so innig, weil es schon von Anfang so war und weil es gar nicht so packend ist, oder verpflichtend um eine wirkliche Liebe auszuschalten, die aber wohl niemand verstehen kann, der nicht die Leidenschaft kennt, jeden zu lieben, der wachen Geistes ist". Ganz ähnliche Formulierungen in Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 13.9.1943, wo Aicher ausführte, er bringe es nicht fertig, in einem so

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in Ulm. Genauer: die hier beschriebenen Erfahrungen machten einen solchen Briefwechsel, wie er sich etwa in den Aufzeichnungen von Hans und Sophie Scholl zeigt, erst möglich. Denn erst in der Auseinandersetzung mit sprachlich geformter fremder Humanitas formt der Mensch seine eigene Humanitas und bildet sich zu einem sprachlich mündigen, moralisch verantwortlichen Menschen. Nichts anderes passierte im Ulmer Freundeskreis. Mit Aichers Worten: „Der Freund ist das Außenmodell der eigenen Person, an ihm artikuliert man sein Wachstum und die Kontrolle über sich selbst. Der Freund läßt es zu, daß man mit sich selbst in Korrespondenz bleibt. Er ermöglicht das Fragen und Antworten." 258 So waren die Freunde für Aicher „lautere Seelen, die Christus am See Genesareth unter Fischern suchte, als er seine Apostel aussuchte", Menschen, die keine Halbheiten kennen 259 . Wer waren diese Freunde, die zu solcher „Korrespondenz" fähig waren und sich in Inges Zimmer in der Wohnung am Münsterplatz versammelten, dem Treffpunkt „aller interessanten jungen Leute der Stadt" 260 ? Den harten Kern dieses Zirkels bildeten die fünf Scholl-Geschwister und das AicherTrio, Frido, Grogo und Otl. Wer noch dazu gehörte, oder ob je nach Thema und Gelegenheit einzelne weitere Freunde hinzustießen, ist nicht genau zu klären. Wahrscheinlich zählten auch Ernst Reden und Fritz Hartnagel 261 , der seit 1937 eng mit Sophie Scholl befreundet war, zum engeren Kreis262. Insge-

lieben Menschen wie Inge das Weib zu lieben. - Ganz ähnlich ebd., Otl Aicher an Fridolin Kotz 11.6.1944, Traktat über Ehe und Jungfräulichkeit: Aicher könnte lange verheiratet sein mit dem Segen seiner Mutter, „aber damit hätte ich mit mir gebrochen und mit all dem, was ich mir auferlegt glauben muß. Ich hätte meine ganze Fähigkeit zur Liebe aufgespalten und zerstückelt, denn was ich am Menschen liebe ist seine weiche und schmiegsame Seele, die man formen kann wie Ton und die einem ganz andere Freuden schenkt als ein zärtlicher Kuß. Die Ehe wäre für mich ein zu kleiner Raum und ich möchte doch dort sein, wo die ganze Menschheit ist. Liebe zur Frau ist für mich aufgegangen und versunken in der zum Menschen." 258 Aicher, Innenseiten 39 [Hervorhebung BS]. 259 Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 9.5.1942. 2,>0 Aicher, Innenseiten 43. 2t]l Fritz Hartnagel (*' 1917). Ab 1929 bis zum Verbot in der bündischen Jugend, anfänglich auch in der HJ, 1934 trat er aus Protest als Jungvolkführer zurück, nachdem ihm Kontakte mit ehemaligen Bündischen verboten worden waren; seit 1937 eng mit Sophie Scholl befreundet, die er bei seiner Klassenkameradin Annelies Kammerer kennenlernte; 1938 nach dem für Offiziersanwärter vorgezogenen Abitur Absolvierung der Kriegsschule in Potsdam, Leutnant in Augsburg, Teilnahme am deutschen Einmarsch in Holland und Nordfrankreich, ab Juni 1941 am Rußlandfeldzug, mit einem der letzten Flugzeuge aus Stalingrad ausgeflogen. Im Lazarett in Lemberg erfuhr er vom Todesurteil; er kam mit seinem Gnadengesuch zu spät nach München, das Todesurteil war bereits vollstreckt. April bis September 1945 amerikanische Gefangenschaft. Im Oktober Heirat mit Elisabeth Scholl. 1946-1952 Jurastudium, anschließend im Justizdienst, zuletzt als Vorsitzender Richter am Landgericht Stuttgart. Entschiedener Gegner der Remilitarisierung der Bundesrepublik, Berater der Ulmer Gruppe der Wehrdienstverweigerer; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 134f. 2 2 '' In den einschlägigen Publikationen tauchen die Namen der beiden Hirzel-Kinder Hans und Suse, deren Vater Pastor der evangelischen Martin Luther-Kirche war, und die der mit den Scholls befreundeten Arztfamilie Nägele, Hans-Peter, Rose und Eve, immer wieder auf; sie dürften aber nicht zum engeren Kreis zählen. Auch Lisa Remppis aus Leonberg dürfte nur ab und an in Ulm dabei gewesen sein.

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samt dürfte der Kreis zwischen acht bis zehn Mitglieder gezählt haben 263 . Im Laufe des Krieges stießen andere Gleichgesinnte wie Hermann Weber 264 , Kurt Deschler 265 und Lilli Holl 266 zum Kreis. So schrieb Aicher über die Freundschaft mit Deschler, die sich im Jahr 1944 wegen der „gleichgesinnten Denkungsart" ergeben hatte, daß es erstaunlich sei, „wie er in seiner bürgerlichen Umgebung durchgestanden ist, obwohl er niemand Gleichgesinnten hatte. Man spürt, daß es ihm eine Wohltat ist, uns gefunden zu haben." 267 „Seit der Zeit der ersten Berührung mit der dunklen Macht der Gestapo", resümiert Inge Scholl in dem Bericht über die geistige Entwicklung ihrer Geschwister, „waren wir mehr und mehr zu einem Freundschaftsbund zusammengewachsen, in dem sich der eine für den anderen in seiner geistigen Entwicklung riesig verantwortlich fühlte" 268 . In Ulm nannte man diese Gruppe scherzhaft den „Scholl-Bund", denn man sah die Gruppe nur noch zusammen, in Konzerten, auf Spaziergängen und anderswo. Gemeinsam haben wir uns, fährt Inge Scholl fort, „in diese Welt des Geistigen hineinbegleitet". Was an Büchern und Erfahrungen bis dahin wesentlich erschien, wurde ausgetauscht und „eines nährte sich aus dem Wachstum des andern". Woraus sich dieses geistige Wachstum speiste, ist bereits angesprochen worden. Stufe um Stufe wurde erklommen, erst kamen Wiechert, Hausmann und Rilke, bei Rilke wurde länger verweilt, von diesem ging es weiter zu Hölderlin und Goethe 269 . Aber, und das ist der Dreh- und Angelpunkt, der Kriegsbeginn war ein großer Einschnitt, der, so Inge Scholl, „unser Leben in diesseits und jenseits von 1939" trennte. „Was uns an Schriftstellern und Dichtern bisher begleitet hatte, ließen wir stehen." Anlaß für diese Entscheidung waren nicht nur die durch den Krieg veränderten äußeren Umstände. „Es ist anzunehmen, daß wir auch ohne den Kriegsausbruch dahin gelangt wären", denn „unser ganzes geistiges Leben" wurde „in ungeheure Entscheidungen und Verantwortungen hineingestellt". 263 j n g e Aicher-Scholl spricht von 10 jungen Leuten; Jens (Hg.), Scholl 259. Wahrscheinlich war das der engere Zirkel, der je nach „Bedarf" und „Situation" ausgedehnt wurde. 264 Hermann Weber kam durch Grogo in den Ulmer Kreis. Er hatte diesen am Starnberger Bahnhof getroffen und man erkannte sich als „gleichgesinnt". Weber wurde später - wie Hartnagel - von der Gruppe abgelehnt, weil er eine Offizierslaufbahn einschlug. Weber wurde Professor für Geschichte und lebt heute in Mainz. 265 Kurt Deschler gehörte ab 1961 dem Kuratorium der Volkshochschule an. 266 Lilli Holl gehörte auch nach dem Februar 1943 zum engeren Freundeskreis, wie sich aus dem Briefwechsel Inge Scholl-Fridolin Kotz erweist. Am 30.4.1944 berichtete Inge etwa, sie habe mit Lilli Ex- und Impressionisten, v.a. Van Gogh, angeschaut; Stuttgart PAK. 267 Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 21.5.1944. 268 Zum Folgenden München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 160-166, hier 164. Dieser Text stellt in einer seltenen Einmütigkeit und Unmittelbarkeit die geistige Entwicklung der Scholl-Geschwister dar und soll deshalb im folgenden in den für unseren Zusammenhang zentralen Passagen ausführlicher zitiert werden. 269 „Lesewut" ist ein häufig anzutreffendes Phänomen in dieser Zeit; vgl. die verschiedenen Berichte in Reich-Ranicki (Hg.), Schulzeit (v.a. Georg Hensel über sein „Exzesse der Lesewut" 116f. und Dieter Wellershoff über die „Fluchtwelten der Literatur und der Musik" 157). Häufig schrieb Inge Scholl an die Freunde, man müsse jeden Augenblick zum Lesen ausnützen; Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 3.1.1942.

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Die Frage nach dem Sinn, nach dem Warum und Wohin stellte sich in einer sich steigernden Unerbittlichkeit. Was bot sich in einer solchen existentiellen Situation an? Zumal sie vom Willen erfüllt waren, „die Dinge direkt aus der Quelle zu genießen, ohne Flaschenverpackung und künstliche Ismen-Kohlensäure". Die Antwort fällt eindeutig aus: der „Scholl-Bund" geriet auf „die Fährte der großen Wahrheits- und Gottessucher der Antike und des Christentums, unmittelbar oder durch zeitgenössische Interpreten" - Plato, Aristoteles, Augustinus, Anselm von Canterbury, Abaelard, Thomas von Aquin270, Pascal271, Kierkegaard, Newman, Thomas Monas 272 . Aus dieser Auflistung273 erschlüsselt sich die gesamte folgende geistige Entwicklung von Otto Aicher und Inge Scholl sowie ihrer Geschwister. Denn, was sie lasen, waren teils urkatholische Texte, sozusagen die „Ur-kunden" katholischer Kirchengeschichte. Und sie kamen, wie wir sehen werden, zu diesen klassischen Autoren durch die Vermittlung zeitgenössischer Interpreten, und das waren keine anderen als Carl Muth und Theodor Haecker - die späteren Mentoren, wenn man sie nicht „Seelenführer" nennen will. Aus der Beschäftigung mit derartigen Texten ergab sich aber noch eine andere, weit existentiellere Konsequenz: „Gott und Christus, die uns bisher wie gütige Bilder aus der Kindheit begleitet [hatten] und die wohl doch allmählich mehr zu symbolhaften Gestalten geworden waren oder auch zu Sinnbildern menschlicher Größe, gewannen langsam eine Bedeutung und Realität, die völlig neu und unsäglich herrlich und erfüllend waren und denen wir unsere ganze tiefe Neugier zuwandten". Hatte sie bislang die Philosophie eher gehindert, einen Glauben zu finden, wurde sie jetzt „eine Stufe zum gläubigen Erfassen eines persönlichen Gottes". So lasen sie auch das Evangelium neu als Wort Gottes und konnten jenseits von 1939 die tiefe Skepsis ablegen. Inge Scholl: „Wir entdeckten voller Bewußtsein jene Angelpunkte des christlichen Glaubens, wo es kein Erkennen mehr, sondern nur Glauben gab, und wir empfanden ganz bewußt diese Entscheidung. Wir entschieden uns, nachdem wir die Leiter des Erkennens und der Philosophie bis 270

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Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 27.7.1943. Aicher forderte Frido nachdrücklich auf: Laß nie nach, den ganzen Thomismus in dich aufzunehmen", damit wir „tun können, was wir der Welt und den Menschen schuldig sind". Pascals Pensees scheinen besonders Inge Scholl angeregt zu haben, sie las vor der Arbeit jeweils alternativ einen Abschnitt aus der Hl. Schrift, Pascal oder Kierkegaard; Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 25.10.1942. Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 27.11.1940: Otl liest mit Hans und Inge die Summa contra gentiles von Thomas von Aquin wöchentlich zwei- bis dreimal, „und mit welchem Eifer"; ferner das Proslogion Anselm von Canterburys „mit großem Erfolg"; und: „Hans hat Grogo übertroffen". Vgl. auch die entsprechenden Passagen bei Aicher über Thomas Morus; Aicher, Innenseiten 74-77 bzw. zu Aristoteles und Augustinus ebd. 135-138. Die in den entsprechenden Publikationen angeführten Themen entsprechen nie dieser vollständigen Aufzählung; zumeist werden lediglich verbotene Dichter des Nationalsozialismus angesprochen, die Kirchenväter (Augustinus usw.), Literatur aus dem Umfeld der Bündischen Jugend, Literaten wie Stefan George, Rilke und Hofmannsthal (die, wenn auch nicht unmittelbar dem Katholizismus zugehörig, so doch von einem katholischen Hintergrund her geprägt wurden) usw.; Aicher, Innenseiten passim; Jens (Hg.), Scholl passim (Reg.); Steffahn, Weiße Rose passim; Vinke, Leben 60.

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zu diesem Punkt emporgeklettert waren, für das Ja und wußten nun Stück um Stück, daß wir unser Leben danach ausspannen mußten, um es jenen Werten anzupassen, die so wunderbar aufzuleuchten begannen." 274 Und weiter: „Trug nicht unser schönes friedliches Zusammensein ... in meinem Zimmer unter der Lampe den Sinn und das Ziel in sich zu wachsen und weiser zu werden", um den vollen tiefen Sinn des Lebens zu ergründen, die „ewige unauflösliche Schau Gottes!" 275 Als die Freunde sich wegen Krieg und Einberufung nicht mehr regelmäßig treffen konnten, sollte die zunächst bei Aicher deponierte Bibliothek in Inges Zimmer aufgestellt werden 276 . In einer Art christlichem Sozialismus schlug Otl mehrmals vor, die Bücher nicht mehr privat für sich zu kaufen, sondern sie für den Freundeskreis als „Gemeingut" zu erwerben. Dafür sollte regelmäßig ein Obulus für die Bücherkasse abgeführt werden. „Ich möchte sogar sagen, daß der Nutzen weniger die Bücher sind, als das Zusammenwachsen aller, um die Grundlage zu legen für eine große Freundschaft, in der leicht auch so mancher große Plan erfüllt werden könnte" 277 (Ihre Bücher bezogen die Freunde übrigens zumeist bei der Buchhandlung Rieck in Aulendorf 278 ). Ganz wichtig für den Freundeskreis wurde ein Buch von Karl Pfleger, der in mehreren Skizzen „Geister, die um Christus ringen", darstellte, darunter auch die Franzosen Peguy, Bloy und Gide, die Russen Dostojewsky und Berdjajew. Ohne Zweifel dürften die Freunde von hier wichtige Anregungen für ihre weitere Lektüre empfangen haben 279 . Um dieser „Leiter des Erkennens" wenigstens einigermaßen gerecht zu werden, müssen zunächst die einzelnen Leitersprossen benannt und kurz charakterisiert werden. Es würde zu weit führen, jeden der angeführten Namen ausgiebiger zu würdigen; das würde in ein Handbuch der Kirchenväter ausarten. Viel interessanter und reizvoller erscheint es, aus der Fülle des Materials die Namen herauszugreifen, die 1. gehäuft auftauchen und 2. im Hinblick auf die Konkretisierungen von Bedeutung sind, das heißt, um im Bild zu bleiben, die Fenster, die durch das Erklimmen der Leiter erreicht werden, aufzustoßen. Dabei muß es darum gehen, den inneren Zusammenhang zwischen den einzelnen Aktionen „Weiße Rose", Volkshochschule Ulm und 274

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München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 163. Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 24.10.1943. Aichers Vater verbot ihm im Zusammenhang mit der Nichtzulassung zum Abitur, Bücher weiterhin in seinem Zimmer zu behalten; dazu die Zeitzeugengespräche mit Kotz, Habermann und Hartnagel; auch Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 19.2.1941. Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 19.9.1942; fast gleichlautend Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 19.9.1942. Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 7.2.1942. Interessant hier die Bücherliste: Dawson, Michelangelo, Herman Hefele, Alfred von Martin, Kierkegaard und Radecki. Zur Buchhandlung Rieck auch unten. Das zuerst 1934 in Salzburg erschienene Werk erfuhr eine große Verbreitung. Die Freunde bekamen es evtl. von Pfarrer Weiß. Vgl. dazu den Brief von Willi Habermann an mich 3.11.1997.

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„Studio Null" deutlich werden zu lassen, der sich erst aus dem Kontakt zu den späteren Mentoren erhellt - die sozusagen die einzelnen Leitersprossen zu einer tragfähigen Ideenleiter zusammenfügten. Eine erste Sprosse bildete die Beschäftigung mit der Philosophie Nietzsches, der mit seinem Ruf „Gott ist tot" den „Scholl-Bund" nicht zum Glauben, sondern zum Atheismus hätte führen können. Eine ganz andere Saite, nämlich eine stark soziale und damit das genaue Gegenteil zur „Philosophie des Einzelnen", erklang auf der nächsten Stufe, die sich mit russischer Literatur beschäftigte. Darüber steht die moderne französische Literatur, näherhin die Literatur des „Renouveau Catholique", welche eine dritte Sprosse bildete. Die Bedeutung von Nietzsche, Berdjajew oder Dostojewsky und anderen Philosophen tritt hinter diesen „wichtigsten Gefährten" 280 - Maritain, Bernanos und Bloy - weit zurück. Nach einem kurzen Blick auf Nietzsche und die russische Literatur soll deshalb im folgenden vor allem der sogenannte „Renouveau Catholique" und seine Rezeption im „Scholl-Bund" analysiert werden, wobei ein besonderes Augenmerk dem Werk von Jacques Maritain gilt. Daneben - das sei hier lediglich der Vollständigkeit halber bemerkt wurden auch naturwissenschaftliche Bücher, die durch ihre philosophische Fragestellung interessierten 281 , gelesen.

a) Nietzsche und die Philosophie des Einzelnen Am unteren Ende der „Leiter der Erkenntnis" stand für den „Scholl-Bund" die Beschäftigung mit dem Werk des deutschen Philosophen und Philologen Friedrich Nietzsche 282 . Otto Aicher war auf ihn in der Phase seiner Isolation gestoßen und regte nach seiner Aufnahme in den Freundeskreis ein „Nietzsche-Studium" an 283 . Auch Hans Scholl erbat sich im April 1939 vom Vater eine Gesamtausgabe zum Nietzsche-Studium 284 . Leider haben sich keine zeitgenössischen Quellen erhalten, mit welchen Werken und Passagen sich die Freunde beschäftigt haben. Daher sind wir weitgehend auf die retrospektiven Berichte in den Aicherschen „Innenseiten" und Hinweise im Kommentar von Inge Jens zum Schollschen Briefwechsel angewiesen. Nietzsche war von nationalsozialistischer Seite als arischer Denker schlechthin vereinnahmt worden, obwohl er sich wiederholt vehement gegen Antisemitismus, Nationalismus und Deutschtum ausgesprochen hatte. Die nationalsozialistischen Machthaber bedienten sich zur Untermauerung ihrer

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So treffend Inge Aicher-Scholl in: Vinke, Leben 60. Darüber berichtete Otl Aicher 1983. Gelesen wurden etwa Werke von James Jeans (Astronomie), Hans Driesch (Biologie), Arthur Stanley (Physik), Werner Heisenberg usw.; Jens (Hg.), Scholl 286. Vgl. dazu auch die Gespräche mit Herrn Habermann, der mich dankenswerterweise mehrmals auf diese Tatsache hinwies. Friedrich Nietzsche (1844-1900); TRE 24, 506-524 (Lit.) (Margot Fleischer). Aicher, Innenseiten 24f., 43-45, 58-61 und passim Hans Scholl an die Eltern 17.4.1939; Jens (Hg.), Scholl 24.

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Ideologie aus seinen Texten mit bedenkenloser Willkür285. Für Aicher bedeutete diese Vereinnahmung Nietzsches durch die Nazis, die ihn lediglich als den „Philosophen des ,Willens zur Macht'" 286 betrachteten, daß er den ganzen Nietzsche lesen mußte, um in den Diskussionen mit seinen „NaziLehrern" „eine letzte Karte in der Hand zu haben". Er wollte er seine Gegner also mit ihren eigenen Waffen schlagen. Welche Nietzsche-Ausgabe dieser Lektüre zugrundelag, ist nicht mit letzter Sicherheit zu klären; wahrscheinlich benutzte der Freundeskreis die historisch-kritische Ausgabe, die seit 1933 im Verlag Beck in München erschien 287 . Dabei dürfte Aicher auch auf den Plan Nietzsches gestoßen sein, sich mit Freunden zu einem regelmäßigen geistigen Austausch treffen zu wollen. 1860 hatte sich Nietzsche mit zwei Schulkameraden zu einem Bund - den sie „Germania" tauften - zusammengeschlossen, dessen Mitglieder monatlich eine Abhandlung oder eine künstlerische Produktion vorzulegen hatten 288 . Dieser Bund erinnert an den Ulmer Freundeskreis und weist auch auf das spätere „Windlicht" und das „Studio Null" voraus, in dem einzelne Mitglieder Texte verfaßten und theologisch-philosophische Fragen traktierten. Obendrein verweist der Nietzsche-Bund auf das erste von Inge Jens angesprochene Diskussionsthema: die Deutung der Freundschaft als zentraler menschlicher Tugend. Das paßte ins Konzept des „Scholl-Bundes", wie es Aicher entworfen hatte. Der Mensch, der nicht mehr zuerst Mann und Frau ist, nicht mehr nur einem Volk und einer Rasse angehört, müsse sich zum Einzelnen erheben, über sich selbst herrschen, um sich unter Freunden wiederzufinden. „Nietzsche", so Aicher, „suchte den Bund der Einzelnen, wo er im Freund noch den Gegner fand und im Gegner den Freund" 289 . Daraus resultiert als zweites Diskussionsthema die Lehre von den großen Einzelnen, die im Zeitalter der Vermassungstendenzen Widerstand zu leisten hätten. Denn Nietzsche propagierte den Menschen, der ein Ja zum Leben wagte, statt sich zu versklaven oder sich einer „Demutsmoral" zu unterwerfen. Im Unterschied zu den „Professoren der Lebens-Philosophie" 290 , die seines Erachtens nicht erkannten, daß Nietzsche eigentlich das Leben wollte, ohne sich ihm auszuliefern, kam Otto und dem Freundeskreis dieses Modell entgegen, „in 15

Dazu Steven E. Aschheim, Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kultes, Stuttgart/ Weimar 1996, v.a. 251-352 (Lit.). * Aicher, Innenseiten 44. 7 Friedrich Nietzsche, Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe, 5 Werkbände (1854-1869), München 1933-1940; 4 Briefbände (1850-1877), München 1938-1942. 8 Dazu Richard Blunck, Friedrich Nietzsche. Kindheit und Jugend, München/Basel 1953, 6669. 9 Aicher, Innenseiten 43. Bei diesen Ausführungen bezieht er sich zumeist auf „Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen". Etwa in: Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, hg. von Kurt Schlechta, Bd. 2, München 1966, 275-561. 10 Aicher zielt damit wahrscheinlich auf den katholischen Tübinger Dogmatiker Karl Adam (1876-1966), der eine „Theologie des Lebens" vertrat. Adam war anfänglich vom Vitalismus des NS fasziniert; dazu LThK 3 1, 141f. (Hans Kreidler); Hans Kreidler, Eine Theologie des Lebens. Grundzüge im theologischen Denkens Karl Adams, Mainz 1988; Ders., Karl Adam und der Nationalsozialismus, in: RJKG 2 (1983) 129-140.

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welchem die Natur des Menschen kompensiert wurde durch den Begriff der Kultur, was ... soviel bedeutete wie Moral" 291 . Das dritte Diskussionsthema, das sich aus der Nietzsche-Lektüre ergab, war die Doktrin „Gott ist tot" 292 . Nicht zuletzt deshalb war er von der nationalsozialistischen Ideologie vereinnahmt worden. Diese Parole verstanden die Ulmer nicht als atheistische Parole oder als Aufruf zur „Gründung einer Gegenreligion", sondern als „Enthüllung, in welcher Weise das Amtschristentum die Religion verbürokratisiert hatte" 293 . Gott müsse zwangsläufig in einer Kirche sterben, die die Herrschaft des Unmenschen stützt, die, um es mit Aichers plastischer Formulierung zu sagen, jedem Schuld und Gnade zuteile wie Lebensmittelkarten. Aller Problematik der vom Freundeskreis vorgenommenen NietzscheDeutung zum Trotz findet sich hier ein wichtiges Indiz, das den Gang der weiteren geistigen Entwicklung erklärt. Die Hinwendung zum Glauben konnte nicht durch die offizielle Amtskirche erfolgen, weil diese - durch die Geschichte im allgemeinen und den Nationalsozialismus im besonderen diskreditiert war. Analog zu der Beschäftigung mit Nietzsche, die laut Otl Aicher das Resultat hatte, aus einer jämmerlichen Welt auszusteigen und am Protestrand der offiziellen Kultur in eigener Verantwortung sein eigenes Selbst zu realisieren, brauchte der „Scholl-Bund" für seinen weiteren Weg Leitplanken und Markierungslinien, um nicht von der „Leiter der Erkenntnis" herunterzufallen. Eine zweite Sprosse nach oben bildete die Beschäftigung mit russischer Literatur.

b) Dostojewsky und Berdjajew: Die Faszination der Russen Was für Nietzsche und sein Werk in bezug auf die Bedeutung für den „Scholl-Bund" gesagt wurde, gilt auch für die „Russen": In den entsprechenden Darstellungen finden sich immer wieder Hinweise, wie bedeutend etwa Dostojewsky für Hans Scholl war und daß ihm der wahre Gehalt des russischen Literaten erst während seines Rußlandaufenthaltes aufgegangen ist294; oder bei Otl Aicher, der sich intensiv mit russischer Literatur und Philosophie beschäftigt hat 295 und auch später immer betonte, welch zentrale Rolle Berdjajew in seinem Leben spielte 296 . Nicht zuletzt war es das Verbot der 291

Aicher, Innenseiten 44. Vgl. den Philosophischen Aphorismus „Der tolle Mensch" aus „Die fröhliche Wissenschaft". Etwa in: Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, hg. von Kurt Schlechta, Bd. 2, München 1966,7-274. 293 Aicher, Innenseiten 44. 294 Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 27-29; Jens (Hg.), Scholl 95, Tagebucheintrag vom 16.8.1942: „Dostojewsky erlebe ich hier anders als in Mitteleuropa! ... Aber ich begreife hier Dostojewsky." Dazu unten S. 199-205. 29 '' Etwa Aicher, Innenseiten 90-93. 296 Diesen Hinweis verdanke ich Frau Dr. Hildegard Vieregg, die während der Vorbereitung der Ausstellung über die „Weiße Rose" intensiv mit Otl Aicher zusammenarbeitete und mit ihm viele Gespräche über seine geistigen Hintergründe, Prägungen usw. führte. Ihr sei an dieser Stelle herzlich für die Unterstützung gedankt. 292

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von ihnen heißgeliebten russischen Lieder gewesen, das die Scholl-Geschwister dazu gebracht hatte, sich von der Hitlerjugend abzusetzen 297 . Ein Indiz, was es mit der „leidenschaftlichen Verehrung" der russischen Literatur auf sich hatte, findet sich in dem Bericht Inge Scholls über die geistige Entwicklung ihrer Geschwister. Hans sei von Hölderlin angezogen gewesen, weil dieser „in seinem Wesen die eine Seite ... umschlang, die dunkle, schwermutvolle und rätselhafte", während Goethe „seinem hinreißend lebensbejahenden, harmonischen und tief anmutigen Wesen" entsprochen habe. Beide Seiten bildeten eine Einheit, verursachten aber in ihm „diese feine und doch große Spannung, an der er seine menschliche Größe und Tiefe gewann". Und hierher, schließt Inge Scholl, gehört die große Zuneigung zu Dostojewsky und der russischen Literatur insgesamt, „die übrigens wieder seine stark soziale Saite erklingen läßt" 298 . Fedor M. Dostojewsky 299 steht in der russischen Literaturgeschichte für die Epoche jener großen realistischen Erzähler, die sich durch Themenwahl (zeitgenössische Probleme der russischen Gesellschaft), durch besondere Berücksichtigung sozialer und psychologischer, aber auch gesellschaftskritischer Aspekte wie eine möglichst detaillierte Darstellung auszeichneten. Als prophetischer Denker, der seiner Zeit weit vorauseilte und bereits mit den das 20. Jahrhundert beschäftigenden Fragen rang, hatte Dostojewsky seit dem Ersten Weltkrieg weltweite Beachtung gefunden: er war „geradezu Mode" 300 . Er beeinflußte nicht nur andere russische Literaten und Philosophen wie Berdjajew oder Fedor Stepun - der häufig zu Gast in der Volkshochschule Ulm sein sollte - sondern er zeitigte auch in Frankreich Wirkung Mauriac, Maritain und zahlreiche andere Vertreter des sogenannten „Renouveau Catholique" bezogen sich auf ihn. Und im Deutschland der fünfziger Jahre, stellt Gisbert Kranz in seinem Standardwerk über die Christliche Literatur Europas fest, gebe es keinen Dichter, Philosophen oder Theologen, der nicht Wesentliches von Dostojewsky empfangen hätte 301 . Der „Scholl-Bund" befand sich also in guter Gesellschaft, wenn er sich dem Werk dieses großen russischen Literaten zuwandte. Einige wenige Bemerkungen, eher Impressionen, die anhand von Zeitzeugengesprächen und Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 47; vgl. auch ihre Schilderung in den „Erinnerungen" in München IfZ ZS A 26/7, 15: Hans' Geburtstag wurde gefeiert und Inge ließ sich nicht lange bitten und spielte „die wilden ausgelassenen Kosakenlieder und die schönen schwermütigen russischen Weisen ..., die unsere ganze Jugend begleitet hatten, wo nur irgendwann einmal Lust und Freude war". Eine Schulfreundin Sophies berichtet, wie diese ihr gesagt habe: „Du mußt die russischen Schriftsteller lesen. Tolstoi, Dostojewsky, Gogol ..."; Dengler, Sophie Scholl. Zum Folgenden München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 160f. Fedor Michailowitsch Dostojewsky (1821-1881); Kranz, Europas christliche Literatur 279285; TRE 9, 162-166 (Lit.) (Ludolf Müller). Treffend Hohoff, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 147. Die von Dostojewksy beeinflußten Namen (Bergengruen, Guardini, Steinbüchel usw.) finden sich zum Großteil auch in der späteren Volkshochschule wieder. Kranz, Europas christliche Literatur 279.

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genauen Textanalysen noch vertieft werden müßten, mögen für eine erste Annäherung reichen 302 : 1. Dostojewsky begnügt sich nicht mit einer scharfsichtigen Darstellung der Revolution, sondern zeigt auch deren Ursachen auf. Zugleich legt er die geistigen Wurzeln des Bolschewismus bloß und entlarvt ihn als eine satanische Versuchung der nach Heil strebenden Menschheit (etwa in der Gestalt des Iwan Karamasow in der „Legende vom Großinquisitor"). 2. Dostojewsky lehnt alle Versuche, ohne Gott ein nur durch die Vernunft bestimmtes Leben zu führen, apodiktisch ab. Wer dies versucht, verkennt sowohl die Wirklichkeit Gottes als auch das Wesen des Menschen und ist zum Scheitern verurteilt: wegen der unberechenbaren und nicht zu unterdrückenden Freiheit des Menschen, wegen der Unausweichlichkeit des Leidens und wegen Gott selbst, des Herrn der Geschichte. Die Atheisten haben, gerade weil sie nicht an Gott glauben, eine falsche Auffassung vom Menschen und von der Gesellschaft. Der gottfeindliche kommunistische Staat ist auch des Menschen Feind. 3. Das Christentum bleibt als einzige Zufluchtsmöglichkeit und Zukunftsperspektive übrig. Dieses ist aber nicht eine Religion für den Einzelnen (gegen den Kulturprotestantismus), sondern Gemeinschaft, weshalb der Stolz der Individualisten für Dostojewsky das schlimmste Vergehen ist. „Sünde" beschränkt sich nicht auf den rein privaten Bereich, sondern hat Konsequenzen für die ganze Welt. Daher müssen die Menschen im Leiden solidarisch sein, um durch das Leiden Erlösung zu finden. Eine solch positive Wertung des Leidens - selbst das ungesühnte Leiden unschuldiger Kinder, das Iwan Karamasow in die Verzweiflung treibt, erhält für Dostojewsky einen Sinn durch die Nachfolge Christi, der stellvertretend für die Menschheit litt - hat man in der Forschung bald als pathologisch, bald als aus der „russischen Seele" stammend gedeutet. Dem steht aber die ungeheure Lebensbejahung gegenüber, von der das Werk des Dichters durchdrungen ist. Über alldem steht der ideale Mensch, der in der Gemeinschaft der Kirche, dem mystischen Leib Christi, der Idealform der Vergesellschaftung lebt. Christus - deutlich überkonfessionell gedacht - bildet die geheime Mitte des Denkens und Dichtens Dostojewskys. Nikolai Berdjajew303, und damit ist der Bogen zum zweiten Russen geschlagen, bemerkte einmal, für Dostojewsky gebe es keine Wahrheit außerhalb Christi. „Er fühlte eine leidenschaftliche und tief innerliche Zuneigung zu Christus".

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Hinweise in der Schilderung Inge Scholls über die Dostojewsky-Lektüre bei Jens (Hg.), Scholl 268f. Eine erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Problem, allerdings bezogen v.a. auf die zwei letzten Flugblätter der „Weißen Rose", bei Siefken, Weiße Rose and Russia. Nikolai Berdjajew (1874-1948); BBKL 1, 505-507; Kranz, Christliche Literatur der Gegenwart 119-124 und (weitgehend textidentisch) Ders., Europas christliche Literatur 445-451; Nolte, Geschichtsdenken 237-248, 626f.; TRE 5, 595-598 (Lit.) (Wolfgang Dietrich). Zur Rezeption Berdjajews Eberhard Müller, Fragen zur Rezeption, in: Müller/Klehr (Hg.), Philosophie 20-23.

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Otl Aicher wählte, was seinen Zugang zu Rußland anlangt - anders als Hans Scholl - nicht den Weg über die Literatur oder die Musik, sondern er hielt sich an die Philosophie. Wenn er allerdings Berdjajew ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der „Geschichtsphilosophie" interpretiert, unterschätzt 304 er dessen Bedeutung als wichtigsten Vertreter des von Dostojewsky abhängigen, christlich beeinflußten russischen Existentialismus. Früher Marxist, hatte Berdjajew während seiner Studien in Deutschland den deutschen Idealismus kennengelernt, den er zunächst mit dem Marxismus zu einer Synthese zu verbinden suchte, bevor er sich dem Christentum zuwandte. Sein Denken ist „Philosophie, Theologie, Mystik in einem" 305 und speist sich maßgeblich aus dem christlichen Glauben. Im Zentrum von Berdjajews Suche nach Weisheit steht die Idee des Gottmenschentum, die im Anschluß an die Vätertheologie in der Feststellung gipfelt, daß Gott Mensch geworden ist, damit der Mensch Gott werden kann. Erst von dieser theologisch-anthropologischen Prämisse aus erschließt sich seine christozentrische Geschichtsphilosophie, in der der Mensch und seine Freiheit im Mittelpunkt steht. Ziel der Geschichte ist das vollkommene Reich Gottes 306 , der Weg dorthin wird im Buch „Das neue Mittelalter" 307 gewiesen. Das Unheil Europas beginnt für Berdjajew mit dem unchristlichen Humanismus der Renaissance, wobei dieser Abfall vom Christentum notwendigerweise zum Atheismus und Nihilismus führt. Beachtung - nicht nur bei Aicher, wie sich in späteren Texten des „Studio Null" zeigen wird - fanden auch Berdjajews Gedanken zur Rolle der Technik: das bolschewistische System macht sich die Technik zu eigen, um eine eigene Weltanschauung zu produzieren. Das widerspricht dem obersten Prinzip des Gottmenschentums und erzeugt das Dilemma, sich der Macht der Technik unterordnen zu müssen. Das Christentum, das überhaupt erst Naturwissenschaft und Technik ermöglicht hat, indem es die Menschheit vom Glauben an die Macht der Naturdämonen befreite, ist nun als Humanismus berufen, die Menschheit aus der Verknechtung durch die neuen technischen Mächte zu retten. Übrigens hatte Carl Muth in seiner Monatsschrift „Hochland" stetig auf die Auswirkungen der Russischen Revolution besonders auf die orthodoxe Kirche und die Einstellung der russischen Bevölkerung zur Religion hingewiesen. Russische Exilschriftsteller wie Berdjajew Dieser Eindruck verstärkt sich durch die entsprechenden Passagen in den Aicherschen „Innenseiten". Ausgehend von der Lektüre des „Boris Godunow", bei der er die Rolle des Mönchs übernahm, kommt Aicher zum Schluß, daß der Mönch als Personifikation der untersten Stände nach der Verkündung der Selbstbefreiung für das neue Heil verantwortlich sei. Dies hört sich, wohl weil direkte Textbeispiele fehlen, etwas seltsam an. Zudem fehlt der Zentralaspekt Humanismus hier völlig; Aicher, Innenseiten 90-93. So Karl Pfleger, zitiert nach Kranz, Christliche Literatur der Gegenwart 119. Nikolai Berdjajew, Der Sinn der Geschichte. Versuch einer Philosophie des Menschengeschlechts, Darmstadt 1925. Betrachtungen über das Schicksal Rußlands und Europas, Darmstadt 1927. Bezeichnenderweise will Hans Otl dieses „hervorragende Werk" noch einmal zusenden und macht ihn im selben Atemzug darauf aufmerksam, daß Berdjajew sich in Paris befinde: „Solltest Du einmal Gelegenheit haben, dorthin zu gelangen, so besuche ihn doch einfach. (Grüße ihn einfach von Muth)."; Jens (Hg.), Scholl 70.

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und Fedor Stepun schrieben selbst Artikel im „Hochland" bzw. deren Bücher wurden ausführlich rezensiert 308 . Damit ist ein weiteres Stichwort gefallen: „Christlicher Humanismus" der Titel von Maritains Buch, das den „Scholl-Bund" auf eine neue Sprosse der Erkenntnisleiter führte, von der aus sich die Perspektive eines „dritten Weges" eröffnen sollte. Immer darauf bedacht, sich gegen die verhaßte Ideologie zu immunisieren, nicht opportunistisch zu werden, wählte Otto Aicher für sich (und den Freundeskreis) den Weg, das „Denken zu einer überhellen Wachheit" zu trainieren, „die die Chance bietet, in jeder Situation reagieren zu können" 309 . Folglich stand der „humanistisch inspirierte, von intellektueller Erotik angehauchte Dialog" des Ulmer Freundeskreises unter einem sprechenden Motto: „II faut avoir l'esprit dur et le coeur tendre" 310 . Dieser Satz stammt von Jacques Maritain und wurde - wie sich Inge Scholl erinnert - zu einem „Fixstern in unserer religiösen Geschichte" 311 . Damit ist ein wichtiger, wenn nicht gar zentraler Themenbereich benannt, mit dem sich der Freundeskreis beschäftigte. Gerade die Auseinandersetzung mit Maritain führte den Freundeskreis einerseits zu einer neuen Interpretation von Freundschaft und andererseits zu einem Verständnis von christlichem Humanismus, der das geistige Fundament des weiteren Lebens der Aicher-Scholls namentlich der „Weißen Rose" und der Ulmer Volkshochschule bilden sollte.

c) „Renouveau Catholique" und Kirchenväter Die Darstellung der Kindheit und frühen Jugend der Scholl-Geschwister hat eines mit aller Deutlichkeit gezeigt: ihre Begeisterung für das Ideal der Gemeinschaft. Dieser Enthusiasmus dürfte auch den Eintritt und das Engagement in den nationalsozialistischen Jugendorganisationen erklären. Die „braune" Pervertierung dieses Ideals, die die völlige Gleichschaltung des Einzelnen statt Freisetzung der jeweiligen Qualitäten des Individuums durch die Erfahrung der Gemeinschaft zum Ziel hatte, führte fast zwangsläufig zur Abkehr vom Nationalsozialismus. Die Scholl-Geschwister waren dadurch von der großen Volksgemeinschaft wieder auf die kleine Gemeinschaft der Familie und Freunde zurückverwiesen. Sie mußten, wollten sie ihr Heil nicht in einer völligen Vereinzelung bzw. Individualisierung suchen, was jedoch von ihrem Werdegang her unwahrscheinlich war, ihren Freundeskreis auf eine neue, auch weltanschaulich tragfähige Basis stellen, um dem nationalsozialistischen Vereinnahmungs- und Vermassungsdruck widerstehen zu können. Für die geistige Fundierung des erneuerten Freundesbundes hätte von der protestantischen Prägung des Elternhauses her ein Rückgriff auf „evangeli308

Dazu unten den Abschnitt zu Carl Muth und zum „Hochland" S 93-100. Aicher, Innenseiten 40-41. 310 Vgl. Jens (Hg.), Scholl 202f. Schon bei den Psalmisten findet sich die Bitte um ein reines Herz und einen neuen und standhaften Geist. 31 ' Zitat nach Jens (Hg.), Scholl 285. 309

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sehe" Traditionen der unterschiedlichsten Couleur nahegelegen. Die Palette der Möglichkeiten hätte von einer Aufnahme der pietistischen Konventikelbildung 312 mit biblizistisch-fundamentalistischen Zügen über eine Repristination urgemeindlicher Zellen auf der Basis einer eher historisch-kritischen Lektüre der Hl. Schrift313 bis hin zur Übernahme der Grundideen von Adolf von Harnacks vielgelesener protestantischer Programmschrift „Das Wesen des Christentums" 314 gereicht. Die Lösungsvorschläge aus evangelikalem wie liberal-protestantischem Bereich kamen indes letztlich nicht in Frage. Sie erwiesen sich als zu weltfremd, als vom Nationalsozialismus unterwandert wie insbesondere die rasche Gleichschaltung der evangelischen Landeskirchen und die großen Erfolge der „Deutschen Christen" als nationalsozialistische Kirchenpartei 315 zeigen - oder letztlich als nicht gemeinschaftstauglich. Vor allem Harnack sah das Wesen des Christentums in einer völligen Entgesellschaftung, in einer Erlösung des Einzelnen, der dazu keine Kirche, keine anderen Menschen - überhaupt keine Gemeinschaft - benötigte. Der „geistige Überbau" der „renovatio foederis amicitiae" mußte daher von ganz anderer Seite kommen. Bezeichnenderweise lieferte ihn Otto Aicher, der aufgrund seiner katholischen Sozialisation vom Nationalsozialismus weitgehend unbeeindruckt geblieben war. Er hatte sein Bedürfnis nach Gemeinschaft zunächst in den traditionellen Strukturen der Kirchen- und Heimatgemeinde verwirklicht gesehen. Dabei standen ihm seine zwei Jugendfreunde zur Seite. Jetzt eröffnete ihm Werner Scholl nach der Läuterung der Scholls durch die Verhaftung einen neuen Entfaltungsraum. Wie den Scholl-Geschwistern reichte auch Aicher die bloße Erfahrung von Freundschaft auf der Ebene von Gesellschaftsspielen kindlicher Prägung nicht mehr aus. Wie gewohnt, griff man auf die Lektüre und gemeinsame Diskussion von Büchern zurück. Neben allgemeineren philosophisch relevanten Schriften lieferte Aicher eine ganze Reihe spezifisch katholischer Literatur, wobei unter katholisch hier nicht das kleinbürgerlich-ultramontane Milieu Söflingens zu verstehen ist, sondern ein „Catholicisme intellectuell", eine reflektierte „moderne" Form von katholischer Kirchlichkeit. Nicht die sterilen „zeitlosen" Wahrheiten neuscholastischer Lehrbücher, nicht das geschichtslose System des römischen Katechismus, sondern ein erneuerter katholischer Glaube, der auf die Fragen der Zeit konkrete Antworten geben konnte, war Aichers Anliegen.

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Dazu Art.: Pietismus, in: TRE 26, 606-631 (Martin Brecht). Solche an der Urkirche sich orientierenden Reformversuche durchziehen die Kirchengeschichte wie ein roter Faden. Eine besondere Häufung läßt sich im Umfeld von Humanismus und Reformation sowie im Kontext der katholischen Aufklärung feststellen; HKG(J) 4 und 5 passim. Adolf von Harnack, Das Wesen des Christentums, Leipzig 1900, letzter Neudruck Gütersloh 1977; RGG 3, 77-80 (W. Schneemelcher); TRE 14, 450-458 (Friedrich Wilhelm Kantzenbach). Lächele, Volk; Scholder, Kirchen 2; dieser Band beschäftigt sich ausschließlich mit dem Jahr 1934 und wesentlich mit der Gleichschaltung der Evangelischen Kirchen. Forschungsüberblick im Art.: Nationalsozialismus und Kirchen, in: TRE 24, 43-78, v.a. 49-57 (Joachim Mehlhausen).

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Die im Freundeskreis auf Vorschlag Aichers gelesenen Autoren sind geradezu typisch für die Suchbewegungen junger katholischer Intellektueller während der dreißiger Jahre 316 . Sie kamen weder mit der Nazi-Ideologie, noch mit dem überlieferten, verkarsteten System der real existierenden Kirche zurecht. Durch die verdünnten, steril gewordenen Aufgüsse der Neuscholastik hindurch wollte man zu den Quellen, zur mittelalterlichen Scholastik selbst durchdringen. Um die katholische Theologie dieser Zeit317 stand es nicht gerade glänzend, beschritt doch vor allem die systematische Theologie weiter den Weg einer gemäßigten Neuscholastik, ohne Anregungen zu deren Vertiefung aufzunehmen. Auch die vor allem aus Frankreich kommenden fruchtbaren Erkenntnisse des Neuthomismus, der eine Synthese zwischen dem genuinen Thomismus und der modernen Philosophie herzustellen suchte, blieben ohne größere Wirkung auf die deutsche Theologie. Diese Erstarrung löste sich erst durch von außerhalb der engen Grenzen der fachtheologischen Dogmatik kommende Kräfte und Impulse; die zwanziger Jahre wurden zu einer regelrechten „Epoche der Bewegungen": neben monastischer und liturgischer Bewegung standen Jugendbewegung, Akademiker- und Exerzitienbewegung. Katholische Selbstbesinnung und Suche nach neuen Bindungen waren Symptome für die „Rückkehr des deutschen Katholizismus aus dem Exil"318. Man wollte Thomas von Aquin selbst lesen, aber nicht nur ihn allein, sondern als kritisches Korrektiv zum „Vater der Scholastik" eine Reihe von „Kirchenvätern" studieren, allen voran Augustinus, Duns Scotus oder Wilhelm von Ockham 319 . Wer solches tat, machte sich in den Augen des kirchlichen Lehramtes verdächtig (Wilhelm von Ockham war schließlich der Wegbereiter und Theoretiker des „Konziliarismus") und geriet in den Ruf, ein Modernist und somit Häretiker zu sein. Gerade dies dürfte den jungen Rebellen Aicher gereizt haben, schien ihm doch die katholische Kirche als System das wahrhaft Katholische - das der Welt Orientierung und Halt zu geben vermochte - zu verstellen320. Andererseits konnte er an Habermann schreiben, den Geschichtsschreibern fehle „eben der Standpunkt, der nur der katholische sein kann und von dem aus die Wahrheit das höchste Gut der Geschichte ist und nicht jenes Verbrechertum, das ,die Herren' der Geschichte uns überliefert hatten" 321 . H6 Vgl. dazu Curt Hohoff, Das Hochland und der Führer. Eine Erinnerung, in: Internationale Zeitschrift Communio 11 (1982), 75-83, hier 77. 317 Hinweise zu diesem sehr problematischen und bislang wenig erforschten Problemfeld bei Leo Scheffczyk, Grundzüge der Entwicklung der Theologie zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Zweiten Vatikanischen Konzil, in: HKG(J) 7, 263-301; Rüster, Verlorene Nützlichkeit. 318 Das Zitat stammt von Peter Wust; Hurten, Katholiken 65; vgl. auch Gottfried Maron, Die römisch-katholische Kirche von 1870 bis 1970 (Die Kirche in ihrer Geschichte 4, Lieferung N 2), Göttingen 1972, N 263. 319 „Wie andere von Willy Forst, Stefan George und Zarah Leander sprachen, sprachen wir von Dun[s] Scotus, Thomas von Aquin und Wilhelm von Ockham." Aicher, Innenseiten 41. Dazu zahlreiche Briefe in Bad Mergentheim PAH und Stuttgart PAK. 320 In der Formulierung Aichers: „Die Krise, in der wir stecken, ist also auch die Krise der Religion. Die Krise des Staates ist auch die Krise desjenigen Gottes, der herhalten mußte, Zwang und Fremdbestimmung zu heiligen. Es ist eine Krise des Heiligen." Aicher, Innenseiten 68. 321 Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann, Jeanne d'Arc [30.5.] 1940.

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Die Freunde nahmen offenbar Aichers katholische Reform-Kost begeistert auf322; sie scheint sich als metaphysische Orientierung und Ankerpunkt in der Stürmen der Zeit geradezu angeboten zu haben. Die ausgewählten Werke sind typisch für einen angehenden „katholischen Intellektuellen" der damaligen Zeit. Sie dürften sich in den Bibliotheken der gebildeteren katholischen Pfarrer gefunden haben, wie es etwa Pfarrer Weiß in Söflingen war. Es ist zu vermuten, daß Otto Aicher von diesem inspiriert in die Bücherregale griff. Später wurde Willi Habermann, der im Krieg in Frankreich stationiert war, zum Bücherbeschaff er des Freundeskreises „befördert", weil er dort günstig an Reformschriften des „Renouveau Catholique" kam 323 . Es handelte sich hierbei nicht um „ultramontane" Erbauungsliteratur wie Heiligenviten, kleine fromme Schriften oder neuscholastische Lehrbücher, sondern um Werke reformkatholischer Provenienz. Eine wesentliche Rolle spielten dabei die Werke von französischen katholischen Intellektuellen wie Georges Bernanos, Leon Bloy, Paul Claudel, Etienne Gilson oder Jacques Maritain - um nur die wichtigsten zu nennen. Es verwundert angesichts der großen existentiellen Affinität nicht, daß gerade diese Autoren im Freundeskreis gelesen wurden. Die literarische Bewegung des „Renouveau Catholique" 324 war in Frankreich nach Ende des Deutsch-Französischen Krieges 1870 entstanden. Diese Niederlage sowie die 1905 erfolgte Trennung von Kirche und Staat stürzten zahlreiche Intellektuelle in eine tiefe Krise. Sie befürchteten ein Auseinanderfallen der Gesellschaft und suchten für sich selbst Halt und Orientierung in den Stürmen der Zeit. Diese glaubten sie in einem erneuerten Katholizismus jenseits der bestehenden verkarsteten Kirchenstrukturen finden zu können. In einer Erneuerung der Metaphysik aus dem Glauben und einer Wiederbelebung der Transzendenz hoffte man, der Gesellschaft eine neue Stütze geben zu können. Die Werte der Religion, vermittelt durch eine erneuerte katholische Kirche, sollten dem christlichen Menschenbild in der dechristianisierten Gesellschaft Frankreichs zu einer Renaissance verhelfen. Während in Frankreich die Rezeption des „Renouveau Catholique" ihren Höhepunkt im Umfeld des Ersten Weltkrieges fand, wurden seine Gedanken in Deutschland in gebildeten katholischen Kreisen erst mit einer bedeutenden zeitlichen Verzögerung wahrgenommen 325 . Ein Höhepunkt der Rezepti-

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Dies wird auch belegt durch die Aussage von Inge Scholl, daß Werner der erste der Geschwister war, der sich intensiv mit dem Christentum beschäftigte. „Durch seinen Freund Otl Aicher entdeckte er die Zeugnisse des Urchristentums und die großen christlichen Denker." Vinke, Leben 60; Steffahn, Weiße Rose 34-35. Vgl. als Beispiel für viele Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 28.7.1940. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Renouveau Catholique gibt es bislang nicht. Zum historischen Hintergrund Fuß, Renouveau Catholique 137-156. Erste Hinweise bei Frühwald, Katholische Literatur 9-26; Nicki, Maritain; Ries, Literaturstreit 283-298, hier 292-296 und die Artikel in den entsprechenden theologischen Lexika. Ferner Werner Ross, Christliche Literatur - ein Rückblick, in: Bossle/Pottier (Hg.), Literatur 34-51, hier 40f. Die Literatur aus dem französisch- und spanischsprachigen Bereich müßte gesondert aufgearbeitet werden. Vgl. dazu die Beiträge im Sammelband von Berning (Hg.), Platz.

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on läßt sich in den dreißiger Jahren festmachen, was mit der nationalsozialistischen Krise zusammenhängen dürfte. Interessanterweise speiste sich der „Renouveau Catholique" größtenteils aus einer Gruppe zum Katholizismus konvertierter, zuvor laizistischer Dichter und Denker. Hier sind vor allem Paul Claudel 326 und Francis Jammes 327 zu nennen, die nach Ausweis der Briefe und Aufzeichnungen von Hans und Sophie Scholl im Freundeskreis behandelt wurden 328 . Ausgehend von der katholischen Erneuerung in Frankreich durch Konversion zum Katholizismus kam es auch im deutschsprachigen Bereich - wenn auch zum Teil unter anderen Vorzeichen oder aufgrund anderer Einflüsse - zu einer großen Zahl von Konversionen. Es entstand die sogenannte „Konvertiten-Generation" 329 , bestehend aus Ilse von Stach, Max Scheler, Gertrud von Le Fort 330 , Theodor Haecker, Sigrid Undset, Gabriel Marcel, Jacques Maritain, Edith Stein, Reinhard Johann Sorge, Werner Bergengruen, Ruth Schaumann, Edzard Schaper und anderen mehr 331 . Diese Gruppe wurde neben den Kreisen, die sich um Zeitschriften wie das „Hochland" scharten, und den verschiedenen oben angeführten Bewegungen zum wichtigsten Träger der katholischen Erneuerung in Deutschland. Durch das Nebeneinander beider großen Konfessionen heterogener als in Frankreich, gab sich die um die Jahrhundertwende in Deutschland und Österreich einsetzende christliche Reformbewegung zwar keinen so einprägsamen Namen wie „Renouveau Catholique", hatte aber ähnliche Erfolge zu verzeichnen 332 . Diese Bewegung machte der Ulmer Freundeskreis für sich fruchtbar, sei es durch die „bloße" Lektüre von epochemachenden Werken (wie Sigrid Undsets „Kristin Lavranstochter", für das die norwegische Dichterin den Nobelpreis erhielt 333 , oder die französischen „poetes maudits" Baudelaire und Rimbaud 334 ), sei es durch den Kontakt zu den Autoren selbst (wie Theodor Haecker), sei es später durch Einladung bedeutender Dozenten in die Ulmer Volkshochschule (wie Bergengruen und Le Fort).

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Paul Claudel (1868-1955), frz. Diplomat, Dichter und Dramatiker; Kranz, Europas christliche Literatur 349-357, 574f. (Lit.); LThK 3 2, 1213f. (Volker Kapp). Francis Jammes (1868-1938), frz. Autor; Kranz, Europas christliche Literatur 347f., 593 (Lit.); LThK 3 5, 737 (Martina Neumeyer). Vgl. Jens (Hg.), Scholl Reg. Begriff nach Art.: Renouveau Catholique, in: RGG 5, 1065 (K.H. Weinen). Vgl. dazu ihre Erinnerungen: Le Fort, Aufzeichnungen. Über die religiöse Dimension in ihrem Werk die Beiträge in: Bossle/Pottier (Hg.), Literatur; Bossle/Pottier (Hg.), Denkerinnen. In der Ulmer Volkshochschule sollte die mit Muth befreundete Schriftstellerin viele Lesungen abhalten; Inge Scholl wurde zu einer ihrer glühenden Verehrerinnen. Dazu der Briefwechsel in Marbach DLA A: Le Fort. Aufzählung nach Kottje/Moeller (Hg.), Ökumenische Kirchengeschichte 3, 248f. Dazu auch Curt Hohoff, Das Hochland und der Führer. Eine Erinnerung, in: Internationale Zeitschrift Communio 11 (1982), 75-83, hier 76. Vgl. dazu die Anm. bei Jens (Hg.), Scholl 265. Der „Renouveau Catholique" wurde vielfach angeregt durch die religiöse Dichtung dieser Franzosen. Passend dazu formulierte Hans Scholl in einem Brief an seine Mutter vom 13.8.1941: „... verehre ich doch diese beiden großen Franzosen ... sehr". Jens (Hg.), Scholl 62.

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Erster Teil: IDEALE

Durch die Beschäftigung mit der literarischen Bewegung des „Renouveau Catholique" kam es zu einer Renovatio des Gemeinschaftsideals und einer theoretischen Fundierung des Ulmer Freundeskreises. Der „Scholl-Bund" war begeistert von der wunderbaren Klarheit der Sprache und dem eleganten feinen Wesen dieser französischen Literatur 335 . Daneben spielte die Parallelität der Situationen und die daraus resultierenden Vergleichsmöglichkeiten eine große Rolle. Die „neue Kirchlichkeit" spiegelt sich in der Verwendung charakteristischer Gattungen wie beispielsweise Priesterroman, Hagiographie und Bekenntnisdichtung, die besondere formale Möglichkeiten boten so lautet etwa ein Titel von Georges Bernanos, der in Ulm auch gelesen wurde, „Le Journal d'un eure de campagne", also „Tagebuch eines Landpfarrers" 336 . Bedeutsam wurde neben diesem mehr formalen Aspekt aber besonders die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem „Renouveau Catholique", was im folgenden am Beispiel vom Hauptwerk Jacques' Maritains gezeigt werden soll.

2. MARITAINS „HUMANISME INTEGRAL" Aus der Vielzahl der in den „Innenseiten des Krieges" und den „Briefen und Aufzeichnungen" der Scholl-Geschwister vorkommenden literarischen und philosophischen Hinweisen zum Schrifttum reformkatholischer Provenienz und des „Renouveau Catholique" hätten sich natürlich auch andere Beispiele auswählen lassen. Warum gerade Maritain? Zum ersten weist das von Otto Aicher für den Freundeskreis ausgegebene Motto über die Notwendigkeit eines harten Verstandes, aber eines weichen Herzens, direkt auf Maritain hin. Aicher selbst kam auf diesen im Zusammenhang seiner Studien über Thomas von Aquin 337 . Inge Scholl brachte bei der Kommentierung der Briefe ihrer Geschwister Hans und Sophie im Jahr 1985 dieses Zitat in Zusammenhang mit dem letzten Buch Maritains, „Der Bauer von der Garonne. Ein alter Laie macht sich Gedanken". Dieses Buch, 1966 auf französisch, 1969 in deutscher Übersetzung erschienen, wurde vielfach als Zurücknahme früherer Überzeugungen verstanden. In ihm gab Maritain seiner Befürchtung Ausdruck, die Reform der römisch-katholischen Kirche auf dem Zweiten Vatikanum werde nicht als Öffnung der Kirche zur Welt, sondern als Kniebeuge vor der Welt

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Vgl. München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl, „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 140. Paris 1936, dt. Übersetzung Wien 1936, 21937. Bezeichnenderweise bittet Sophie Scholl in ihrem Brief vom 13.1.1941 an Fritz Hartnagel diesen, soweit möglich, Bücher von Bernanos zu besorgen. Der Freundeskreis habe das „Tagebuch" auf der Skihütte gemeinsam gelesen, Fritz solle es doch auch lesen. Sophie fährt fort: „Wenn Du es nur irgendwie zum Lesen bekommen könntest. Ich jedenfalls möchte es einmal besitzen." Jens (Hg.), Scholl 168; vgl. auch 34 (250). Aicher, Innenseiten 71.

II. Geistiges Wachsen

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verstanden. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß Inge Scholl dieses Spätwerk Maritains überhaupt zur Kenntnis nahm 338 . Zum zweiten weist der Titel des Hauptwerks Maritains „Humanisme integral" auf die späteren Diskussionen voraus, die hier vorläufig unter dem Stichwort „christlicher Humanismus" zusammengefaßt werden sollen. Bereits 1938 lag unter dem Titel „Die Zukunft der Christenheit" eine deutsche Übersetzung vor, die weit verbreitet war. Diese erste deutsche Ausgabe gibt den französischen Text nicht vollständig wieder 339 , faßt allerdings die Hauptgedanken aus Maritains vorhergehenden politischen Schriften prägnant zusammen. Maritain steht hier also für viele andere Autoren und die Auseinandersetzung mit einer ideengeschichtlichen Strömung. Genauso wäre es möglich gewesen, das „Tagebuch eines Landpfarrers" von Bernanos auszuwerten, in dem ähnliches Gedankengut vorhanden ist. Jacques Maritain 340 war zunächst Protestant. Nach naturwissenschaftlichen und philosophischen Studien an der Sorbonne hörte er Henri Bergsons341 Vorlesungen über Metaphysik und fand zusammen mit seiner Frau Kontakt zum religiösen Schriftsteller Leon Bloy342. Durch Bloy beeinflußt, traten beide 1906 zur römisch-katholischen Kirche über. Nach einem Studienaufenthalt in Heidelberg begann Maritain, die Schriften Thomas von Aquins zu studieren. 1914 wurde er Professor für moderne Philosophie am Institut Catholique in Paris, zwischen 1933 und 1945 hatte er ähnliche Professuren in Kanada und den USA inne. Maritain stellt in seinen Schriften das thomistische Denken über die Philosophie der Neuzeit. Er gehört damit zu der theologischen Schule, die den Thomismus auf moderne Probleme anwenden und sich mit dem Aquinaten und seinem Denken nicht nur (wie z.B. Gilson) als historischem Phänomen beschäftigen. Dabei beläßt es Maritain nicht bei der Neuformulierung scholastischer Positionen, sondern wendet sich aktuellen politischen, sozialen, pädagogischen und auch ästhetischen Themen zu. Die Lektüre von Maritains 1936 in Paris publiziertem Werk „Humanisme integral. Problemes temporeis et spirituels d'une nouvelle chretiente" 343 bzw. 338 339

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Vgl. Jens (Hg.), Scholl 285. Die erste deutsche Übersetzung erschien bei Benziger in Einsiedeln. In dieser Übersetzung von 1938 fehlt das 7. Kapitel über „Die nähere Zukunft". Jacques Maritain (1882-1973); Über ihn Nicki, Maritain (eine der bisher raren deutschen Arbeiten); BBKL 5, 829-835 (Martin Schewe); Coreth u.a. (Hg.), Christliche Philosophie 2, 493517 (A. Rigobello); LThK3 6, 1386 (Rolf Schönberger); TRE 22, 162-164 (Aidan Nichols). Henri Bergson (1859-1941), frz. Philosoph; LThK3 2, 258f. (Vincent Berning); Leszek Kolakowski, Henri Bergson. Ein Dichterphilosoph, München/Zürich 1985; Nolte, Geschichtsdenken 248-259; Francois Heidsieck, Der Einfluß Bergsons auf das katholische Denken, in: Coreth u.a. (Hg.), Christliche Philosophie 3, 375-383 (Lit.). Leon Bloy (1846-1917), frz. Essayist und Romancier; LThK3 2, 529f. (Martina Neumeyer); Kranz, Europas christliche Literatur 328-333, 567 (Lit.); Kieser, Bloy 1-16 (Einleitung) und 17-62 (Biographie). Bloy, so erinnert sich Willi Habermann am 3.11.1997 in einem Brief an mich, war eine äußerst „wichtige Figur für Otl und uns". Die hier verwendete deutsche Übersetzung von 1950 trägt den Titel „Christlicher Humanismus. Politische und geistige Fragen einer neuen Christenheit", erschienen im Carl PfeifferVerlag in Heidelberg. Zu den verschiedenen Auflagen und zur Gesamtausgabe der Oeuvres completes von Jacques und Raissa Maritain (Fribourg/Paris 1982ff.) Nicki, Maritain 162f.

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Erster Teil: IDEALE

der 1938 erschienenen deutschen Übersetzung unter dem Titel „Die Zukunft der Christenheit" wurde zu einem Schlüsselerlebnis für den Ulmer Freundeskreis344, wie nicht zuletzt die Briefe Aichers an Habermann eindrücklich belegen. Wiederholt bittet Otl seinen in Frankreich stationierten Freund nämlich darum, ihm alles, aber auch wirklich alles, was Maritain je geschrieben hat, zu besorgen 345 . Wenige Tage später verwendete Aicher bereits Maritain in einem Brief an Kotz, der sich mit der Frage „Wie soll ich vor Bilder hinstehen?" beschäftigt346. Am eindrücklichsten wird der Hunger nach französischem Lesestoff in einem Schreiben zum Jahreswechsel 1941. Wieder einmal übersendet Aicher eine Bücherwunschliste: „zuerst einmal besorge mir von Maritain, was du noch bekommen kannst ... aber wirklich alles was du finden kannst". Dann folgen einige weitere Titel, „aber zuerst einmal und vor allem schau nach dem Maritain". Und weiter: „wenn du von Chr. Dawson ,Die Gestaltung des Abendlandes' 347 erwischen kannst, wäre mir das sehr recht. Aber das ist nicht so wichtig - zuerst den Maritain!" 348 Keinen Monat später bittet Aicher um Maritains Buch über die „Drei Reformatoren" 349 , wohl in der Hoffnung, dieses für die Konversion seiner evangelischen Freunde einsetzen zu können, denn „Maritain war auch einmal Protestant" 350 . Der Einfluß Jacques Maritains in Deutschland ist noch zu wenig erforscht, um eine endgültige Beurteilung vornehmen zu können. Zwei Aussagen stehen sich gegenüber: Das Urteil von Heinz Hurten, Maritain habe nur einen 344

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Vgl. hier als nur ein Beispiel die Nacherzählung einer Auseinandersetzung Sophie Scholl-Otl Aicher über Maritains „Personalismus"; Aicher, Innenseiten 70-72. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 1.11.1940. „Wie soll ich vor Bilder hinstehen?" scheint die Frage von Frido und Grogo zu sein. „Übrigens lehrt die Scholastik (Maritain), daß die Liebe im Erkennen liegt, und daß in der Welt arg viele Liebe verloren ist, weil sie nicht in der Erkenntnis liegt und nicht aus Erkenntnis geliebt wird." Otl lehnt im folgenden die Ansicht von Frido ab, der gestützt auf Pascal behauptet hatte, „das man die Schönheit nur fühlen könne". Otl verweist auf einen Aufsatz von ihm, wonach „die Wahrheit über der Schönheit ist ... in dem Grade, als etwas wahr ist, ist es auch schön." Deshalb könne Thomas auch schreiben, man müsse alle Dinge dieser Welt verachten. „Und warum? Ja, eben weil die Würde des Menschen so hoch ist, sich allein an Gott zu hängen, besteht doch auch das ewige Leben darin, daß sie dich Vater erkennen". Der Mensch müsse täglich sein Kreuz auf sich nehmen, um Christus nachzufolgen und Ebenbild Gottes zu werden. „Wer in Bürgerlichkeit verharrt, wird davon selten eine Ahnung bekommen, der wird auch weiterhin Bilder in seine Stube hängen"; Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 27.11.1940. Christopher Henry Dawson (1889-1970), Kulturgeschichtler und Religionsphilosoph, konvertierte 1913 zum Katholizismus. Dawson sah nur in der Rückkehr zur geistigen Tradition des Christentums eine Möglichkeit, die moderne Kultur zu retten, die durch den Verlust ihrer Wurzeln am Sterben war, wofür individuelle Reform notwendig sei für eine gesellschaftliche Ordnung. Dazu seine beiden Hauptwerke: Europa. Idee und Wirklichkeit (Understanding Europe), dt. Übersetzung von Helmut Lindemann, München 1935; Die Gestaltung des Abendlandes. Eine Einführung in die Geschichte der abendländischen Einheit, dt. von Irmgard Mühlenkamp, Leipzig (natürlich bei Hegner) 1935, 21950; zu Dawson RGG 2, 52 (R. Gögler). Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 2.1.1941. Jacques Maritain, Trois Reformateurs. Luther, Descartes, Rousseau, Paris 1925. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 4.2.1941.

II. Geistiges Wachsen

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marginalen Einfluß auf das intellektuelle und politische Leben des deutschen Katholizismus im 20. Jahrhundert gehabt 351 , und die Aussage von Sergio Belardinelli, fast die gesamte katholische Führungsschicht Europas nach dem Zweiten Weltkrieg sei gleichsam durch die Schule Maritains gegangen (ohne andere Einflüsse wie die der katholischen Soziallehre zu vergessen) 352 . Hürtens Urteil erscheint zu voreilig und dürfte nur insofern zutreffen, als sich ein Einfluß Maritains nicht allgemein konstatieren läßt. Seine Feststellung, Maritain sei für diejenigen, die sich gegen den „Mehrheitskurs der deutschen Katholiken wandten und sich dabei auf Mündigkeit und Humanismus beriefen" eine Zentralinstanz, weist in die - auch für die vorliegende Studie - richtige Richtung 353 . Hans und Sophie Scholls Widerstand jedenfalls, der Wiederaufbau einer Volkshochschule und der Versuch, 1947/48 durch das „Studio Null" einen „neuen besseren Bau" im zerstörten Deutschland zu errichten, sind ohne die Beschäftigung mit diesem Buch Maritains nicht denkbar. Nach der Analyse der historischen Entwicklung des christlichen Abendlandes kommt Maritain zu einem „neuen" Begriff von „Humanismus". Dieser „integrale Humanismus" bildet für ihn die Grundlage einer neuen Christenheit. Ausgangspunkt der Maritainschen Überlegungen ist ein allgemeiner Begriff des Humanismus 354 . Ganz allgemein formuliert bedeutet Humanismus, den „Menschen wahrhaft menschlicher zu machen" 355 . Ohne die abendländische Religionsgeschichte ist für Maritain kein „echter Humanismus" denkbar, auch wenn dieser für manche „der Definition nach nur antireligiös sein kann" 356 . Für den französischen Philosophen sind die Ursprünge des abendländischen Humanismus „klassisch" und „christlich" zugleich. Die abendländische Welt ist seit den Anfängen der Renaissance von einer heroisch bestimmten Lebensordnung zu einer humanistischen übergegangen. Heute jedoch sind auch die letzten Reste dieser christlichen Ideen (wie Menschenwürde, Freiheit und uneigennützige Werte) völlig erloschen, und es wird Zeit, die „unmenschliche Lebensordnung, die vor unseren Augen im 351

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Hurten, Einfluß 25-39 konstatiert diese negative Wirkung. Gründe dafür sieht er in der Verzögerung der Rezeption Maritains in Deutschland und den Verschiedenheiten zwischen französischem und deutschen Katholizismus. Auch französischerseits wurde jüngst konstatiert, der Einfluß Maritains auf die katholischen Milieus der Nachkriegszeit sei nicht sehr groß gewesen; Chenaux, L'influence 108. Belardinelli, Maritain im Exil 51. In vielen Auto(-Biographien) und Erinnerungen finden sich dazu Hinweise, etwa bei Max Müller; Müller, Auseinandersetzung 154. Bislang wurde dieses Phänomen leider noch nicht eingehend untersucht. Anhand der Unterscheidung von Humanismus und „Heroismus" kommt er zu diesem Begriff. „Es gibt nichts, was der Mensch so sehr wünscht wie ein heroisches Leben." Die Frage, ob diese Bemerkung humanistisch oder antihumanistisch ist, hängt von der Vorstellung ab, die man sich vom Menschen macht - eine Frage, die im weiteren Verlauf der Argumentation eine zentrale Rolle spielt; Maritain, Christlicher Humanismus, Einführung „Heroismus und Humanismus" 1. Im folgenden werden die Begriffe „integraler" und „christlicher" Humanismus synonym verwendet. Maritain, Christlicher Humanismus 2. Maritain, Christlicher Humanismus 4.

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Erster Teil: I D E A L E

Sterben liegt", durch eine neue Lebensordnung zu ersetzen, die durch einen integralen Humanismus gekennzeichnet ist357. Dieses in der Einführung umrissene Programm führt Maritain im weiteren genauer aus. Am Anfang der abendländischen Religionsgeschichte steht der von Maritain so bezeichnete „theozentrische oder wahrhaft christliche Humanismus" 358 . Dieser erkennt an, daß Gott der Mittelpunkt des Menschen ist und schließt die christliche Auffassung vom sündigen und erlösten Menschen sowie von Gnade und Freiheit ein. Mit diesen Begriffen stellt sich Maritain einem theologischen Grundsatzproblem, das so alt wie die Theologie selbst ist. Dabei geht es um die letztlich logisch-rational nicht auflösbare Frage nach dem Zusammenwirken von Gott und Mensch bei der menschlichen Erlösung; genauer um das Verhältnis oder die rechte Zuordnung von göttlicher Gnade und menschlicher Freiheit 359 . Die im Laufe der Theologiegeschichte gegebenen Antworten lassen sich - stark verkürzt - im wesentlichen auf drei Modelle zurückführen: 1. Den Pelagianismus als Dominanz der menschlichen Freiheit. Die Lehre des Pelagius (um 400) lehnt eine Erbsündenlehre strikt ab; die moralische Schwachheit des Menschen resultiert nicht aus seiner Natur, die mit ihrer Vernunft und Willensfreiheit eine Gabe Gottes ist. Damit leugnet Pelagius die Notwendigkeit der Gnade nicht völlig (Schöpfungsgnade). 2. Den Augustinismus als Dominanz der göttlichen Gnade. Augustinus (354430) geht davon aus, daß der Mensch durch den Sündenfall die Urstandsgnade, die eine wirkliche freie Wahl zwischen Gut und Böse zuließ, endgültig verloren hat. Gott erwählt (Prädestinationslehre); durch die Taufe, die zwar die Schuld vergibt, wird die Schwäche der menschlichen Natur auch nicht aufgehoben - somit ist der Mensch ständig auf die göttliche Gnade angewiesen. 3. Den Semipelagianismus als Mischung von Gnade und Freiheit. Dieser Mittelweg lehnt die Extrempositionen von Pelagianismus und Augustinismus ab. Das Heil wird allen Menschen angeboten (Gnade), die trotz des Sündenfalls verbliebene Entscheidungsfreiheit ist ausschlaggebend für die Bekehrung. Die Gnade wird grundlegend in der Taufe vermittelt und begleitet den Menschen durch sein Leben. Maritain beabsichtigt, die „tatsächliche und wirkliche Stellung der menschlichen Kreatur vor Gott und ihrer Bestimmung festzulegen"360. Die klassische Gnadenlehre hatte in unaufhebbare Aporien hineingeführt; keine der drei in der Theologiegeschichte angebotenen Lösungen vermochte zu überzeugen.

Maritain, Christlicher Humanismus 4-6. Maritain, Christlicher Humanismus 22-23. Dazu Otto Hermann Pesch/Albrecht Peters, Einführung in die Lehre von Gnade und Rechtfertigung, Darmstadt 1994; Art.: Gnade IV Dogmengeschichtlich, in: TRE 13, 476-495 (Lit.) (Wolf-Dieter Hauschild); Art.: Gnade V Neuzeit/Systematisch-theologisch, in: TRE 13, 496511 (Lit.) (Klaus Otte). Maritain, Christlicher Humanismus 7 [Hervorhebung im Original].

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Der Pelagianismus sah nur den Menschen und verlor Gott aus den Blick, beim Augustinismus verhielt es sich genau umgekehrt. Der Semipelagianismus stellt einen billigen Kompromiß dar, der das genaue Verhältnis von Gnade und Freiheit ungeklärt läßt. Maritain übernimmt zwar die triadische Struktur des katholischen Traktates Gnadenlehre, so daß es zunächst scheinen könnte, als vertrete er eine Art Semipelagianismus. Den aus diesem resultierenden Problemen entgeht er aber durch eine geniale Neuinterpretation der thomistischen Gnadenlehre. Maritain vertritt eine Art „Dreistadiengesetz" 361 der abendländischen Religionsgeschichte, wobei er die anthropologische Wende der Neuzeit durchaus ernst nimmt und das Humanuni und nicht Gott - zumindest formal - in den Mittelpunkt seines Denkens stellt. Daher schreibt er keine theologische Summe, sondern eine Anthropologie; daher lautet der Titel seines Werkes nicht „De gratia", sondern „humanisme integral". Maritains Dreistadiengesetz des Humanismus ist formal dialektisch geordnet, drei Erscheinungsformen von Humanismus lösen einander ab, wobei die beiden ersten der Vergangenheit bzw. Gegenwart angehören, während die dritte als Realutopie die Option des französischen Philosophen für die unmittelbare Zukunft formuliert. Schematisch dargestellt sieht Maritains Modell folgendermaßen aus: 1. Stadium oder These: 2. Stadium oder Antithese: 3. Stadium oder Synthese:

Theozentrischer Humanismus (gnadentheologisch formuliert: sola gratia) Anthropozentrischer Humanismus (gnadentheologisch formuliert: solus homo) Integraler Humanismus (gnadentheologisch formuliert: Der Inhalt der Gnade ist Freiheit)

Für Maritain sind somit theozentrischer und anthropozentrischer Humanismus, Theismus und Atheismus, Glaube und Unglaube, Gnade und Freiheit keine einander ausschließenden Gegensätze, sondern können vielmehr integriert werden. Man braucht im Interesse der Menschen Gott nicht mehr zu töten, und umgekehrt den Menschen im Interesse der unbegrenzten Freiheit Gottes nicht mehr zum unmündigen Sklaven machen. Theonomie und Autonomie sind integrierbar, denn der Inhalt der göttlichen Gnade ist Freiheit. Also, auch wenn Gnade immer vor Freiheit, Gott als Schöpfer zeitlich immer vor dem Menschen zu denken ist, ist dadurch keinerlei Einschränkung des Menschen gegeben, vielmehr ermöglicht die von Gott gnadenhaft unbeschränkt gewährte Freiheit erst die Freiheit des Menschen, das heißt einen „humanisme integral". Maritains Modell, das von der Begrifflichkeit der Ein solches vertrat bereits der französische Philosoph Auguste Comte (1778-1857). Die Menschheit ist nach Comte nach dem göttliche Mächte fingierenden Stadium und dem aus abstrakten Entitäten fingierenden metaphysischen Stadium in der Moderne in ein positives Stadium der wissenschaftlichen Welterklärung eingetreten; LThK 3 2, 1287f. (Hans-Ludwig

Ollig).

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Erster Teil: IDEALE

klassischen Gnadentheologie ausgeht, ist durchaus offen für die in der Neuzeit erfolgten Paradigmenwechsel: Gnade kann dann auch als Synonym für Begabung, Umstände, Sozialismus stehen, Freiheit für Fleiß, Handeln, Liberalismus. Integraler Humanismus bezeichnet dann einen dritten Weg zwischen Theokratie und Sozialismus, Kirchenherrschaft und Liberalismus, Theonomie und Autonomie. In einem differenzierten Durchgang durch die abendländische Geistes- und Kulturgeschichte sucht Maritain die Plausibilität seines Dreistadiengesetzes zu erweisen, was ihm überzeugend gelingt. Für unsere Fragestellung kommt der Synthese, der Begründung eines „humanisme integral" besondere Bedeutung zu, wie sich nicht zuletzt immer wieder in den Briefen Otl Aichers an seine Freunde Frido und Grogo zeigt. So steht Maritains Gnadenlehre, seine Zuordnung von Freiheit und Gnade eindeutig hinter folgendem Passus: „Übrigens unterscheidet sich der Protestant in diesem Punkte vom wirklichen Menschen. Er kennt die Gnade nur als Geschenk, während dieser sie nur halt als eine Gabe sieht, die andere Hälfte liegt bei ihm, wenn sie auch nur ein Ja bedeutet, oder aber er geht zugrunde, weil es in seiner Hand steht, sie zu verwerfen" 362 . An der Grenze der säkularen Geschichtsentwicklung des anthropozentrischen Humanismus angelangt, ergeben sich zwei Möglichkeiten: entweder eine rein atheistische oder eine rein christliche. Zunächst geht Maritain ausführlich auf die atheistische Einstellung ein363. Hierbei handelt er sowohl von den Wurzeln des sowjetischen Atheismus, seiner kulturellen Bedeutung als auch dem philosophischen Problem des Atheismus generell. Ausgehend von der Feststellung, daß der Atheismus im Kommunismus nicht als notwendige Folgerung aus dem sozialen System gefordert, sondern als das Grundgesetz dieses sozialen Systems vorausgesetzt wird, beschreibt er den „Substitutionsprozeß", in dem alles, was sich auf einen christlichen Wert bezog, ersetzt wird, bis schließlich eine Erlösung durch das Proletariat erfolgt364. Dann beschäftigt er sich mit zwei christlichen Positionen. Maritain skizziert kurz die Theologie Karl Barths, die er als „archaistische" Position eines „ursprünglichen Anti-Humanismus", die den Menschen vor Gott zum Nichts werden läßt, charakterisiert, kurz, als den „reinen Pessimismus des primitiven Protestantismus" aburteilt 365 . Ganz anders steht es um die „rein christliche Position, die auf Integration' und Fortschritt' beruht", die katholische des Thomas von Aquin 366 . „Wenn" - so formuliert der Konvertit Maritain - „es wirklich eine Art von Lästerung des göttlichen Regiments in der Geschichte Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 3.7.1940. Im ersten Teil des zweiten Kapitels mit der Überschrift „Ein neuer Humanismus"; Maritain, Christlicher Humanismus 29-73. Zu den drei Phasen des Substitutionsprozesses Maritain, Christlicher Humanismus 35-41. In der ersten Phase werden alle Lebensformen mit ihren Werten und ihrer Wirksamkeit abhängig gemacht von einem materiellen Absoluten; in der zweiten Phase wird von dieser materiellen Kausalität Heil erwartet. Maritain, Christlicher Humanismus 54-55. Zu Thomas von Aquin und seinem Verständnis von Gnade und Freiheit Art.: Gnade IV Dogmengeschichtlich, in: TRE 13, 488 (Wolf-Dieter Hauschild).

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gibt, die darin besteht, daß man zu einem vergangenen Zustand zurückkehren möchte, wenn es wirklich ein organisches Wachstum von Kirche und Welt gibt, dann besteht die dem Christen gestellte Aufgabe darin, die durch vier Jahrhunderte eines anthropozentrischen Humanismus entstellten ,humanistischen' Wahrheiten gerade in dem Augenblick zu retten, wo die humanistische Kultur verfällt und wo diese Wahrheiten gleichzeitig ebenso gefährdet sind wie die Irrtümer, die sie verdorben und unterdrückt haben." 367 „Ein neues Zeitalter christlicher Kultur" 368 kann nur möglich werden, wenn ein „integraler Humanismus" zugrunde gelegt wird. Dieser unterscheidet sich vom theozentrischen Humanismus insofern, als er die positiven Erkenntnisse und Ergebnisse des anthropozentrischen Humanismus aufnimmt und in einer Synthese vereinigt. Maritain formuliert seinen christlichen Humanismus vor allem in Abgrenzung zur atheistischen Position. Er leugnet aber nicht die Verdienste, die dem marxistischen Humanismus zukommen. So hat dieser beispielsweise die innere Verlogenheit des atheistischen Bürgertums entlarvt und sich um die Achtung der Arbeit und die Menschenwürde bemüht 369 . „Und ebensosehr" - führt Maritain weiter aus - „entstellen und entmenschlichen sie die verschiedenen moralischen und sozialen Auffassungen, wie sie dieser Humanismus herausgearbeitet hatte, so daß es eine große Illusion wäre zu glauben, man könne durch ein einfaches Zusammenstellen der Idee Gott oder des jeweiligen religiösen Glaubens mit dem sozialistischen Humanismus eine in Wahrheit lebensfähige und begründete Synthese schaffen. Nein, notwendig ist eine allgemeine Umschmelzung. Unserer Überzeugung nach ist aber auch das, was wir als integralen Humanismus bezeichnen, fähig, alle durch den sozialistischen Humanismus bejahten und vorgeahnten Wahrheiten in einer fundamental andersartigen Synthese zu retten und weiterzubringen, und zwar durch eine in organischer und vitaler Weise vorgenommene Einung mit vielen anderen Wahrheiten. Eben darum scheint uns gerade der Name integraler Humanismus hier besonders geeignet."370 Die Freiheit des Geschöpfes realisiert sich wesensmäßig nur in der Bindung an Gott als Schöpfer und Befreier, weil sie eine Bewegung ist, die von Gott als dem schlechthin Bewegenden ausgeht, sich aber in freier Selbsttätigkeit des Menschen vollzieht. Die anthropologische Konsequenz drängt sich auf371: Der Mensch wird als wahres Wesen in seiner Bindung an Gott und seiner Erneuerung durch Gott wirklich geachtet: „Humanismus, aber theozentrischer Humanismus, der dort verwurzelt ist, wo der Mensch seine Wurzeln hat, integraler Humanismus, Humanismus der Menschwerdung." Solche Formulierungen dürften Inge Scholl den Weg zu einem neuen Gottesglauben, einer neuen Anthropologie und nicht zuletzt zum Katholizismus geöffnet haben. Sie glaubte, auf den Spuren von Jacques und Raissa Maritain ihren Glaubensweg gehen zu können. Deren „schöne klare französi-

Maritain, Christlicher Humanismus 55f. So die Überschrift des Unterkapitels; Maritain, Christlicher Humanismus 56-73 Maritain, Christlicher Humanismus 61 und 62. Maritain, Christlicher Humanismus 67f. Vgl. Maritain, Christlicher Humanismus 56.

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sehe Sprache" entspreche dem einleuchtenden Gedanken, „das Gott uns erlösen will", indem wir „schauen in Gottes Angesicht". Grogo stellte sie im Dezember 1942 in Aussicht, sie wolle ihm „später dazu noch einen Satz, einige Sätze von Jacques und Raissa Maritain schreiben, die mir viel zu denken gegeben [haben] und diese Gedanken in mir Gestalt werden ließen"372. Diesem integralen Humanismus entspricht der in der deutschen Nachkriegsdiskussion gestaltete „christliche Humanismus" als Vollendung der Antike und Erneuerung der abendländischen Christianitas. Was nützen aber die Ausführungen über einen christlichen Humanismus, wenn nicht gleichzeitig das „historische Ideal" entworfen wird, in dem dieser Prämisse und Fundament zugleich ist? Unter dem Begriff „neues Christentum" versteht Maritain eine zeitliche Ordnung oder ein zivilisatorisches Zeitalter, das „den Stempel der christlichen Lebensauffassung trägt". Für dieses neue Christentum kommt jedoch die protestantische Kirche nicht infrage: „Es gibt nur eine integrale religiöse Wahrheit, es gibt nur eine katholische Kirche." 373 Die neue, im Kontext des Katholizismus zu konzipierende Gesellschaftsordnung hat nach Maritain fünf Hauptmerkmale: 1. „Pluralismus". Im Gegensatz zu verschiedenen totalitären Staatsauffassungen, die „gegenwärtig in Mode sind", handelt es sich hier um ein Gemeinwesen, das in einer organischen Einheit verschiedene Gruppen und soziale Schichten vereinigt und den einzelnen Subgesellschaften einen möglichst hohen Grad von Autonomie zuerkennt 374 . Im wirtschaftlichen Bereich plädiert Maritain für eine Mischung von Industrie- und Agrarwirtschaft. Hierbei möchte er einerseits eine „gewisse Kollektivierung" - ein Verdienst der marxistischen Theorie - durchgeführt wissen und andererseits aber die Familienwirtschaft erneuern und beleben. Dieser Pluralismus würde auch bedeuten, daß Gläubige und Ungläubige nebeneinander existieren dürfen (juristischer Pluralismus). Bleibt zu fragen, wie diese pluralistische Lebensordnung „politisch zu beseelen" ist, genauer, wer die Aufgaben der bisherigen Monarchen, Diktatoren und Staatskanzler übernimmt. Diese fallen jetzt - so Maritain - „dem politisch am meisten fortgeschrittenen und der Hingabe am meisten fähigen Teile des christlichen Laientums und der Eliten in den Völkern zu". Parteien gibt es nicht mehr, lediglich „staatliche Bruderschaften", die weitgehend analog zu den religiösen Orden aufzufassen sind, mit dem Unterschied, nicht hierarchisch, sondern demokratisch aufgebaut zu sein. Das neue Christentum gründet auf ein gemeinsames Glaubensbekenntnis, auf eine christlich-katholische Auffassung in pluralistischer Ausformung, und besteht als eine Gemeinschaft, die auf ihren wesentlichen und natürlichen Ausgangspunkt zurückgeführt ist als „einfache Freundschaftseinheit". 372 373 374

Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 17.12.1942. Maritain, Christlicher Humanismus 103. Zum Folgenden Maritain, Christlicher Humanismus 129-137 [Hervorhebung im Original]. Maritain versteht in diesem Zusammenhang „demokratisch" als nicht hierarchisch gegliedert, vom Staat unabhängig und nur den allgemeinsten Anordnungen unterworfen.

II. Geistiges Wachsen

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2. „Autonomie des Weltlichen" 375 . Die profane oder zeitliche Ordnung hat sich im Laufe der Neuzeit im Hinblick auf die geistige oder geheiligte Ordnung verselbständigt; sie ist autonom geworden und muß es bleiben. 3. „Freiheit der Personen" 376 , die mehr gilt als die politische Gliederung des Gemeinwesens und aus der alten christlichen Definition von Person begründet werden muß. Aus der absoluten persönlichen Freiheit resultieren weitere Grundforderungen wie Meinungsfreiheit, Recht auf Privatbesitz an irdischen Gütern und das Recht auf Arbeit. Zwei Konsequenzen erscheinen von Bedeutung: Maritain fordert zum einen ein neues Verständnis von Technik. „Um die Maschine, die Industrie und Technik wirklich in den Dienst des Menschen zu stellen, muß man sie in den Dienst einer Ethik der Person, der Liebe und der Freiheit stellen". Zum zweiten kommt er ausgehend von der Betrachtung der Familie bürgerlichen Typs, die für ihn die „Karrikatur und das Spottbild,... den Kadaver der christlichen Familie darstellt", zur Erkenntnis, daß die Frau zwar bereits ihre rechtliche Stellung als Sache mit der als Individuum vertauscht hat, aber letztendlich noch „zur vollen juristischen Stellung als Person übergehen" muß. 4. „Wesensgleichheit im Allgemeinzustand von Menschen". Die „Gesellschaft von Brüdern" wird grundgelegt durch eine absolute Autorität und Gleichheit 377 . 5. Ziel: Das „Gemeinschaftswerk", die Verwirklichung einer brüderlichen Gemeinschaft ist kein sakrales christliches Werk - wie es die mittelalterliche Idee eines Gottesreiches war - sondern ein profanes christliches Werk. Darum kann es sich auf das ganze Christentum beziehen, darum muß der Pluralismus der bezeichnendste Zug sein, darum ist das Zusammenleben von Christen und Nichtchristen möglich378. Ein solcher Gesellschaftsentwurf, wie er sich im allgemeinen in diesen fünf Hauptkennzeichen und im besonderen in den Forderungen nach Pluralismus, einem anderen Technikverständnis und einer veränderten Stellung der Frau darstellt, wird uns später wieder begegnen: nämlich im „plan 48" der Nullisten, der eine ähnliche Sozialutopie entwirft. Es bedarf keiner besonderen Fantasie, sich vorzustellen, welche Sprengkraft manche Formulierung den Ulmer Diskussionen verliehen haben dürfte. Die Bandbreite der auf den folgenden Seiten von Maritain ausgebreiteten Möglichkeiten reicht von der Aufforderung zu aktivem Handeln über die Bereitschaft, Gewalt auszuüben bis hin zum Martyrium, das als Lösung akMaritain, Christlicher Humanismus 139f. Zum Folgenden Maritain, Christlicher Humanismus 140-156. Maritain, Christlicher Humanismus 156-159. Zum Begriff Autorität und seiner Problematik LThK 3 1, 1298-1304, v.a. I. Philosophisch (Max Müller/Ludger Honnefelder). Maritain, Christlicher Humanismus 159-163. Maritain führt beispielsweise als Ziele an, Ökonomismus und Politizismus zu überwinden, fordert eine politische Ethik ein und legt besonderen Wert auf die Wiedereingliederung der Volksmassen, da eine christliche Renaissance sich nicht nur auf eine geistige Elite beschränken kann; Maritain, Christlicher Humanismus 166189.

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Erster Teil: IDEALE

zeptiert werden muß. O b bei den kriegsbedingt immer seltener werdenden Zusammenkünften in Ulm, ob im „Windlicht" oder ob während der alljährlichen Tour auf eine einsame Skihütte 379 , sicher ist, daß die Lektüre von Maritain und anderen Schriften des „Renouveau Catholique"einen intellektuellen Rahmen schuf, der bei nächster sich bietender Gelegenheit einen Umsetzungsversuch zur Folge haben mußte. Vorerst bot sich mit den Überlegungen zum christlichen Humanismus aber ein rettender Anker in den Stürmen der Zeit, was durch folgende Sentenz, einem Psalmvers, der nach Ausweis von Inge Scholl zum Lieblingstext des Ulmer Freundeskreises geworden war, nachdrücklich bestätigt wird: „Blick doch her, erhöre mich, Herr, mein Gott! erleuchte meine Augen, damit ich nicht entschlafe und sterbe, damit mein Feind nicht sagen kann: ,Ich habe ihn überwältigt', damit meine Gegner nicht jubeln, weil ich ihnen erlegen bin" 380 . Der erste Feind war Hitler; und er überwältigte zumindest Hans und Sophie Scholl, während Inge Scholl und Otl Aicher dafür sorgen sollten, daß sie dem Gegner nicht erlagen. Bevor es aber dazu kommen konnte, trafen einige Mitglieder des „Scholl-Bundes" auf zwei Männer, in denen die bisherigen geistigen Erkenntnisbemühungen Fleisch und Blut annahmen.

III. DIE MENTOREN Nach der Phase der Enttäuschung durch den Nationalsozialismus versuchten die Scholl-Geschwister und ihr Freundeskreis, ihr Leben im totalitären System des Dritten Reiches auf eine neue geistige Grundlage zu stellen. Dazu wählten sie den in ihrem Kreis bereits erprobten und bewährten Weg der gemeinsamen Lektüre und Diskussion ausgewählter Literatur verschiedenster Art und Herkunft. Allerdings verlangte die literarisch gewonnene Einsicht in gut humanistischer Manier eine personal-dialogische Weiterführung. Denn zur wahren Humanitas gelangte der Mensch nach Ansicht der Humanisten nur durch den Austausch mit anderer Humanitas. Zunächst durch den Austausch des gedruckten und geschriebenen Wortes, vor allem aber in der Begegnung, im persönlichen Dialog mit anderen Menschen. Diese zweite Stufe der Internalisierung des „christlichen Humanismus" Maritains wurde 379

380

Zu dem Treffen auf einer Hütte Anfang 1941 vgl. Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 25.2.1941. Aicher hatte gehofft, er könne mit Hans und Inge allein auf die Hütte zum Philosophieren gehen, „weil dabei am meisten herauskommt" - eine Hoffnung, die enttäuscht wurde; Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 3.12.1940. Für das Skilager Ende 1941 hatten sich die Freunde Bernanos'„Tagebuch eines Landpfarrers" mitgenommen; Jens (Hg.), Scholl 168f. und passim. Dazu auch Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 3.1.1942. Psalm 13, 4-5 (Klage und Vertrauen in höchster Not). Vgl. Jens (Hg.), Scholl 284f.

III. Die Mentoren

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erreicht, als die Scholls auf ebenfalls humanistisch, bzw. reformkatholisch durchdrungene Mentoren stießen, die sie in der Person von Carl Muth und Theodor Haecker fanden. Hier konnte das, was man sich angelesen hatte, was einem durch die Lektüre eingeleuchtet war, was man im Freundeskreis ausgiebig diskutiert hatte, im Gespräch mit gebildeten Männern vertieft werden. Es gilt daher zu zeigen, wie bei den Scholls und Aicher aus dem angelesenen Wissen um die humanistische Grundphilosophie Maritains eine verinnerlichte tragfähige Weltanschauung wurde. Die Rolle der väterlichen Mentoren darf in diesem Zusammenhang auf keinen Fall unterschätzt werden. Glauben und Wissen, Lebensentwurf und Religion, Aktionsprogramm und christliche Philosophie gehörten für die Ulmer engstens zusammen. Interessant ist dabei, auf wen sie in ihrer Suche verfielen. Nicht die liberal-protestantisch geprägten Eltern, auch nicht der Kreis der katholischen „acies ordinata" um den Söflinger Pfarrer Franz Weiß kam als geistesverwandte Gruppe infrage, sondern Mitglieder des sogenannten „Reformkatholizismus".

1. CARL MUTH: „DAS EIN UND ALLES DES DAMALIGEN GEISTIG LEBENDIGEN LAIENTUMS" „Es war natürlich, daß ich den Herausgeber dieses monatlich sich neigenden Wunderhorns aus der Ferne mit dankbarem Herzen verehrte ... So jung ich war, so glühend war mein Wunsch, diesem Manne zu begegnen. Das möchte sich am besten fügen, dachte ich, selbst mit einem Werk bei .Hochland' anzukommen. In meinem Stehpult lagen viele Gedichte ... aufs Geratewohl griff ich eins heraus und sandte es ein." 381 - „Ich schrieb also technisch-populäre Aufsätze und schickte sie an Carl Muth ... Das unerhörte Glück geschah: die Aufsätze wurden genommen ... Das ,Hochland' war für mich wie für tausende junge Menschen etwas unerhört Beglückendes, das Ein und Alles des damaligen geistig lebendigen Laientums." 382 Diese Zitate von Joseph Bernhart und Friedrich Dessauer aus dem Jahr 1937 belegen, wie stark die Faszination Carl Muths und seines „Hochland" war. Sie zeigen darüberhinaus, daß es nicht ungewöhnlich war, an die Redaktion des „Hochland" unanangefordert Manuskripte einzusenden. Das hatte auch Otto Aicher im Herbst 1940 getan, vielleicht ermutigt gerade durch die eben zitierten Passagen in der Festgabe für Carl Muth im „Hochland"-Band des Jahres 1937. Sein Jugendfreund Habermann bestärkte ihn, Muth oder Theodor Haecker

So Joseph Bernhart in der Festgabe für Muth zu seinem 70. Geburtstag. 18 Berichte von Freunden und Mitarbeitern, in: Hochland 34 (1936/37) I, Anhang [nach 384], 1-47, hier 5f. Friedrich Dessauer, ebd. 7.

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Erster Teil: IDEALE

den Aufsatz über „Michelangelos Sonette" 383 , den er mit Frido Kotz Korrektur gelesen hatte 384 , zu übersenden 385 . Offenbar sandte Habermann den Text zunächst an Theodor Haecker, der ihn ablehnte. Daraufhin wurde er von Aicher gebeten, einen „Angriff" auf Muth zu starten - den Aufsatz erst per Post nach München zu schicken und dann persönlich beim Herausgeber des „Hochland" vorbeizugehen. Man spürt aus dem Duktus des ganzen Briefes, wie wichtig Aicher dieses Anliegen war. Jedoch spielte er es im selben Atemzug wieder herunter: „Aber all das ist nicht sehr wichtig, was ist schon sein Urteil. So froh ich darum wäre, so unwichtig ist mir der Anschluß an ihn; ich will ja nicht Schriftsteller werden, der zu einem Dichterkreis gehört - oder gehören muß. Ich brauche keinen Anschluß. Nur um des Urteilens allein nicht um des Urteiles, als es ein Verbindungsmittel wäre, möchte ich ihn hören ... also wenn du gerade Zeit hast, kannst du es bei Carl Muth versuchen, sonst aber nicht. Wenn du aber diesen Schritt machen solltest, mußt du dir vor Augen halten, daß du damit von hinten her noch einmal zu Haecker willst; denn wie Muth über solche Sachen denkt, kann ich mir gut ausdenken. Und belehren möchte ich den nicht." 386 Wenig später schreibt er dann aber, in Muth den Mann gefunden zu haben, der ihm „ein Vater sein kann" 387 . Muth druckte den Aufsatz zwar nicht ab 388 , lud aber den achtzehnjährigen Otto nach München ein. So fuhr Aicher im März 1941 zu Muth und diskutierte mit ihm. Dieser Begegnung folgten viele weitere Gespräche, ein ausführlicher, umfangreicher Briefwechsel389 und das Zusammentreffen des katholischen Publizisten mit den Scholl-Geschwistern. Daraus resultierten weitere Bekanntschaften, etwa mit Theodor Haecker, Werner Bergengruen oder Sigismund von Radecki. 383

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Datierung und Aufsatztitel nach Jens (Hg.), Scholl 292. Die Datierung stimmt mit Aicher, Innenseiten 129 überein. Dieser Aufsatz war anscheinend auch das Entreebillett für die SchollGeschwister. Das Originalmanuskript konnte bislang nicht gefunden werden. Um diesen Aicherschen Aufsatz ranken sich richtiggehende Legenden in der Sekundärliteratur. In einem Brief Aichers an Muth relativiert dieser seine Ausführungen: „Freilich, wenn ich solche Knoten gelöst habe, verlieren sie gewaltig an Gewicht, und ich kann heute zum Beispiel fast lächeln über den Aufsatz über Michelangelo"; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 29.6.1941. In Bad Mergentheim PAH fand sich eine spätere Version des Michelangelo-Aufsatzes aus der Karwoche 1942. Wichtig für die damaligen Diskussionen waren die Gedichtzeilen „Und Frieden find ich nicht bei Färb' und Steine/Denn nur für ihn glüht jede Liebesflamme/Der uns die Arme beugt vom Kreuzesstamme." Diese Gedichtzeilen behielt Willi Habermann bis heute im Gedächtnis als „Malen und Bilden stillt längst nicht mehr der Seele Hunger". Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 1.11.1940; Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 9.11.1940. Bad Mergentheim PAH, Briefentwurf Willi Habermann an Carl Muth o.D. [Herbst 1940]. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 21.1.1941. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 14.2.1941. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 4.2.1941: Immerhin dankte Aicher für die Vermittlungsdienste, fügte aber selbstbewußt hinzu „Wenn Muth glaubt, daß der Schrieb irgendwelchen Nutzen bringen kann, darf er ihn schon veröffentlichen, sonst aber nicht." Die Briefe Aichers an Muth liegen in München BayStaBi Ana 390 ILA.

III. Die Mentoren

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a) Antimodernismus Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts glich der kulturelle Zustand des Katholizismus in Deutschland einer belagerten Festung 390 . Der Katholizismus entfremdete sich zunehmend der deutschen Bildungsgesellschaft und wurde mehr und mehr in eine geistige Isolation hineingetrieben, und zwar nicht von außen, sondern durch eine innerkirchliche Richtung, die überall Abfall vom Glauben, Häresie und Bedrohung der hierarchischen Klerus- und Papstkirche zu sehen glaubte. So litt die deutsche Theologie - nach dem Schock durch das Erste Vatikanische Konzil 391 , das 1870 die Dogmen vom Universellen Jurisdiktionsprimat und der Unfehlbarkeit des Papstes verkündet hatte - unter der Gängelung des Lehramtes. Die römische Kurie vertrat das Modell einer von der Welt abgeschotteten, hinter festen Dogmen und Geboten stehenden Kirche und lehnte alles „Moderne" apodiktisch ab. Führende deutsche Theologen und Philosophen versuchten zwar Wege aufzuweisen, um Kirche und moderne Wissenschaft zusammenzubringen, zwischen den „modernen" und den „antimodernen" Repräsentanten des Katholizismus kam es aber vor 1914 gerade in Deutschland zu einem schweren Konflikt, der die gesamte kirchliche Landschaft - Kurie und Episkopat, Theologen, Parteiführer, Publizisten und Laien - polarisierte. Die „Antimodernisten" 392 sahen in den Modernisierungstendenzen eine generelle Gefahr für den Katholizismus, weil die Emanzipation von der Amtskirche eine „Dekatholisierung" der Massen verursachte, während die „Modernisten" für eine Modernisierung, für eine Öffnung der Kirche zur Welt eintraten. Dieser Streit führte im politischen Bereich zu einer Auseinandersetzung um den Charakter der Zentrumspartei und den sogenannten „politischen Katholizismus". 1906 schrieb der führende Journalist und Politiker Julius Bachern393 einen Aufsatz mit dem bezeichnenden Titel „Wir müssen aus dem Turm heraus", in dem er sich gegen eine Überspannung des konfessionellen Prinzips wandte, die Unabhängigkeit politischer Entscheidungen von kirchlichen Weisungen forderte und für eine Zusammenarbeit mit den Protestanten in einer interkonfessionellen Partei plädierte. Darin sahen die „Antimodernisten" einen Angriff auf die päpstliche Autorität bzw. einen neuen Nationalkatholizismus. Noch gravierender als im wissenschaftlichen oder politischen Bereich wirkte die antimodernistische Haltung Roms im Hinblick auf die „Begegnung von moderner deutscher Kultur und Katholizismus". Obwohl die Begriffe „Kultur" und „Bildung" um die Jahrhundertwende so etwas wie Mo190

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Zum Folgenden allgemein Walter Ferber, Muth, in: Morsey (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern 1, 94-102; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1993, 428-530; Weiß, Modernismus. Zum Ersten Vatikanischen Konzil vgl. Klaus Schatz, Vaticanum I. 1869-1870, 3 Bde., Paderborn u.a. 1992-1994. Zur Problematik der Begriffe „Antimodernismus" und „Modernismus" die Beiträge in: Wolf (Hg.), Antimodernismus und Modernismus. Julius Bachem (1845-1918); LThK3 1, 342 (Heinz Hurten).

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Erster Teil: IDEALE

dewörter waren, begann man katholischerseits mehr und mehr den Rückstand - die „Inferiorität" - in den „schönen Wissenschaften" zu empfinden. Es war unverkennbar, daß es ein Kulturdefizit der Katholiken gab, der Katholizismus vielfach als kulturhemmend und fortschrittsfeindlich erschien, obwohl die zündenden Ideen der Neuzeit wie Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Fortschritt und Kultur im Grunde genuin katholisch waren. „Katholische Literatur" war zu bloßer Tendenzliteratur verkümmert, in der die Formung eines spezifisch katholischen Bewußtseins und die pädagogischmoralische Zielsetzung oberstes Gebot waren. Als einziges Qualitätsmerkmal galt katholische Linientreue, während über ästhetische Mängel, Verstöße gegen die innere Logik oder den formalen Aufbau eines Werkes großzügig hinweggesehen werden konnte. In dieser Situation erschien 1898 in Mainz die Broschüre „Steht die katholische Belletristik auf der Höhe der Zeit? Eine literarische Gewissensfrage". Hinter dem Pseudonym „Veremundus" stand Carl Muth 394 , der in dieser Schrift zur Schaffung einer katholischen Unterhaltungsliteratur und zur Überwindung von moralisierender Engherzigkeit, Prüderie, Dilettantismus und Interesselosigkeit durch ein gewandeltes, ins Positive gekehrtes Verhältnis zur modernen Kultur aufrief. Muth betonte, die Katholiken müßten selbst gute Romane schreiben, um gegen die Romanflut anzukommen, der „gute katholische Roman" muß, geprägt vom religiösen Erleben, zuerst ein wirklich künstlerisches und nicht nur erbauliches Werk sein. Nur so kann die „literarische Rückständigkeit" überwunden werden. Das Echo auf diese Schrift war groß, auch wenn eine von Muth erwartete sachliche Diskussion ausblieb. Die liberale Seite reagierte mit Schadenfreude, man fühlte sich in der eigenen Ansicht bestätigt: „Die literarische Inferiorität des Katholizismus ist eine Notwendigkeit, die aus dem Wesen der Kirche selbst hervorgeht" 395 - faßte die Kölnische Zeitung zusammen. Protestantische Stimmen nahmen Muths Vorstoß wiederum beifällig auf und wollten ihn auf die Alltagsliteratur generell bezogen wissen. Von katholischer Seite erntete er dagegen harsche Kritik. In seiner Veremundus-Schrift hatte Muth das Fehlen einer „belletristischen, revueartigen Zeitschrift großen Stils" beklagt. Es müßte eine Brücke 394

395

Carl Muth (1867-1944), 1877-1881 Gymnasium in Worms, 1882-1884 Internatsschule der Steyler Missionare in Steyl/Holland mit der Absicht, Missionar zu werden, 1884/85 Missionsschule der Weißen Väter in Algier, 1887 Gymnasium in Gießen (ohne Abschluß). Selbststudium. Nach seinem Militärdienst in Mainz 1890-1891 studierte Muth ein Jahr an der Universität Berlin Volkswirtschaft, Staats- und Verfassungsrecht, Philosophie, Geschichte und Literatur. Historische und Kunsthistorische Studien während des Aufenthaltes in Paris und Rom. 1894 Redakteur der Tageszeitung „Der Elsässer" und Heirat mit Anna Thaler (f 1920); 1895-1902 Chefredakteur der Monatsschrift „Alte und Neue Welt. Illustriertes Katholisches Familienblatt"; 1904 bis 1941 Herausgabe der Monatsschrift „Hochland"; über ihn BBKL 6, 396-402 (Winfried Becker) (Lit.); LThK3 7, 555f. (Susanna Schmid), die Muth völlig richtig als Lehrer der Geschwister Scholl bezeichnet; Walter Ferber, Muth, in: Morsey (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern 1, 94-102 (Q und Lit.); Kampmann, Gelebter Glaube 59-71; tabellarische Vita Muth, Muth und das Mittelalterbild 229-237. Weitere biographische Hinweise im Text. Kölnische Zeitung 25.9.1898, Beilage zur Sonntagsausgabe.

III. Die M e n t o r e n

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geschlagen werden zwischen katholischer Kirche und moderner Kultur: durch eine sich ausschließlich an gebildete Erwachsene wendende Zeitschrift, vergleichbar etwa der „Deutschen Rundschau" oder der 1898 auf protestantischer Seite begründeten Kulturzeitschrift „Der Türmer" 396 . Obwohl damals rund 200 katholische Blätter existierten, darunter auch literarische Zeitschriften wie die „Literarische Rundschau" 397 , die „Historisch-Politischen Blätter" 398 , oder die „Stimmen aus Maria Laach"399, erfüllten sie alle nicht die von Muth eingeforderten Kriterien einer katholischen Kulturzeitschrift. Auch die von ihm selbst redigierte „Alte und neue Welt" bot als Familienzeitschrift für die Verwirklichung seiner Ideen keine Plattform. In Paul Huber400, dem jungen Inhaber des Kösel-Verlags in Kempten, fand Muth einen Verleger, der das Wagnis einer „katholischen Revue avantgardistischer Prägung" 401 auf sich nahm Friedrich Lienhards „Hochlandlieder" standen bei der Wahl des Titels Pate: „Hochland. Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens, der Literatur und Kunst" („Hochland - Hohen Geistes Land - Sinn, dem Höchsten zugewandt").

b) Das „Hochland" Im Oktober 1903 erschien das erste Heft402. Im Vorwort des Herausgebers umriß Muth sein anspruchsvolles Programm: Es gehe darum, nicht nur der Literatur im katholischen Raum den Boden zu bereiten, sondern „das ganze heutige Kulturleben in all den zu seiner Erkenntnis wesentlichen, für seinen Fortschritt wirksamen Äußerungen und Ausstrahlungen zu überschauen, zu begleiten" und „zu beeinflussen"403 - oder: vom deutschen und christlichen Volkstum über die Fragen des geistigen und materiellen Lebens bis zum ethisch-religiösen Sein und Verhalten des Menschen, ausgenommen lediglich die Tagespolitik. Nicht allein kritisch, sondern positiv anregend und aufbau396

397

398

Der Türmer. Monatsschrift für Gemüt und Geist, hg. von Jeannot Emil Freiherr von Grotthuss, Stuttgart/Berlin 1 (1898/99)-45 (1942/43). Literarische Rundschau (für das katholische Deutschland), red. von Joseph Köhler, Aachen/Freiburg 1 (1875)-40(1914). Zu den Historisch-Politischen Blättern Becker, Geistesleben 352f.

399 J9J4 | n „Stimmen der Zeit" u m b e n a n n t , von den Jesuiten redigiert, ein eher u l t r a m o n t a n kirchliches Parteiorgan; Becker, Geistesleben 356f. 400

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403

Paul Huber (1875-1911); Kosch, Das katholische Deutschland 1, 1798. Vgl. auch den Nachruf von Carl Muth [„M."] in: Hochland 8 (1911) II, 637-639. Treffend Weitlauff, Modernismus litterarius 136. Zum Folgenden Ackermann, Widerstand; Becker, Geistesleben 352-358; Bröckling, Intellektuelle 23-37; Muth, Muth und das Mittelalterbild; auch Osinski, Katholizismus; Weitlauff, Modernismus litterarius 135-171; Weiß, Modernismus 461-473. Ein Vorwort zu „Hochland". Vom Herausgeber, in: Hochland 1 (1903/04) 1-8. Um eine einheitliche Zitation des „Hochland" zu gewährleisten, wird wie folgt verfahren: Jahrgang (Erscheinungsjahr) Bandangabe I oder II, Seitenzahl. Bis 1939 erschienen jeweils zwei Bände, die eine getrennte Seitenzählung aufweisen, nämlich Oktober bis März (I - deshalb bspw. die Jahresangabe 1932/33) und April bis September (II). Auf die Angabe der Heftnummer wird verzichtet.

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Erster Teil: IDEALE

end müsse demzufolge die Zeitschrift sein sowie zum theoretischen Verstehen und Verständnis der Probleme beitragen. Dadurch, daß das „Hochland" von Anfang an an die Stelle von Kritik neue positive Ansätze zu stellen wußte, unterschied es sich von anderen kirchenkritischen Zeitschriften aus dem Umfeld des Reformkatholizismus. Entsprechend breit gefächert war der Kreis der Mitarbeiter: Philosophen, Theologen, Historiker, Mediziner, Kunst-, Musik-, Theaterkritiker sowie Schriftsteller, Dichter und Literaturkritiker. Das Spektrum reichte von betont fortschrittlichen („modernistischen" Reformern) über Männer und Frauen der Mitte bis zu konservativen Mitarbeitern 404 . .„Hochland' will nicht das Organ einer Partei, einer Gruppe, einer bestehenden Richtung werden, sondern nur ein Sammel- und Centralorgan ..., getragen von positiv-christlich katholischer Überzeugung" 405 . Vor allem die „Jungen" - wie die eingangs angeführten Zitate von Joseph Bernhart und Friedrich Dessauer eindrucksvoll belegen - entdeckten durch das „Hochland" mit einem Mal, daß wahrer Katholizismus nicht Enge, sondern umfassende Weite bedeuten konnte. Natürlich geriet das „Hochland" sehr schnell in das Kreuzfeuer der Kritik. Der Abdruck eines Romans von Enrica von Handel-Manzetti 406 und eine Übersetzung des „II Santo" von Antonio Fogazzaro 407 , der indiziert worden war, sind eher äußerliche Ursachen. Muths schärfster Gegner im darauf entflammenden „Katholischen Literaturstreit" 408 wurde Richard von Kralik409. Der Germanist und Kulturphilosoph gründete 1906 in Wien die Zeitschrift „Der Gral" 410 und vertrat in ihm eine dezidierte Anti-"HochIand"-Haltung. In unserem Zusammenhang kommt der Entwicklung des politischen Profils der Zeitschrift besondere Bedeutung zu. Konrad Ackermann differenzierte 1965 in seiner bis heute nicht überholten Arbeit über den „Widerstand der Monatsschrift Hochland gegen den Nationalsozialismus" drei Phasen von 1903 bis zum Verbot im Juli 1941 411 . In der ersten Zeit von der Grün404

Eine (zwar unvollständige) Liste der „Hochland"-Mitarbeiter, „Hochland"-Redakteure und Lebens- und Schaffens-Übersichten einzelner im Anhang bei Muth, Muth und das Mittelalterbild. 405 Ein Vorwort zu „Hochland". Vom Herausgeber, in: Hochland 1 (1903/04) 2. 406 Enrica von Handel-Mazzetti, Jesse und Maria. Ein Roman aus dem Donaulande, in Fortsetzungen erschienen im zweiten Jahrgang des „Hochland"; in Buchform und inhaltlich gestrafft: Kempten 1907. 407 Deutsche Übersetzung im Hochland 3 (1905/06) I und II passim. 408 Zum sogenannten „Katholischen Literaturstreit" Ernst Hanisch, Der katholische Literaturstreit, in: Erika Weinzierl (Hg.), Der Modernismus. Beiträge zu seiner Erforschung, Graz u.a. 1974, 125-160; Karl Hausberger, „Dolorosissimamente agitata nel mio cuore cattolico". Vatikanische Quellen zum „Fall" Handel-Mazzetti (1910) und zur Indizierung der Kulturzeitschrift „Hochland" (1911), in: Kirche in bewegter Zeit. FS Maximilian Liebmann, hg. von Rudolf Zinnhobler u.a., Graz 1994, 189-220; Weitlauff, Modernismus litterarius 97-175; Weiß, Modernismus 463-473. 409 Richard von Kralik (1852-1934); BBKL 4, 598-601 (Hans-Josef Olszewsky); N D B 12, 663666 (Nikolaus Mikoletztki). 410 Der Gral. Monatsschrift für schöne Literatur. Herausgegeben von Franz Eichert 1 (1906/07)ff.; vgl. dazu auch Josef Nadler, Hochlandkämpfe von Gestern und Morgen, in: Wiederbegegnungen 59-70. 41 ' Zum Folgenden Ackermann, Widerstand 24-30.

III. Die M e n t o r e n

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düng bis zum Vorabend des Ersten Weltkriegs (1903-1914) standen literarische, religiöse und philosophische Probleme im Vordergrund. Angesichts der latenten geistigen Auseinandersetzungen wurden politische Probleme kaum dargestellt. Das änderte sich in der Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung völlig (1914-1933): politische Themen gewannen zunehmend an Bedeutung. Insbesondere ging es um die Haltung zur Weimarer Republik, den Ursachen des Zusammenbruchs der traditionellen geistigen und politischen Ordnungen und die Frage, wie der Frieden zu erhalten und zu festigen sei. Muth, der dem politischen Katholizismus anfänglich ablehnend gegenüber stand, nahm sich nun, angesichts des weitgehenden politischen Zusammenbruchs infolge des Ersten Weltkriegs, zusammmen mit Max Scheler412 der ideellen Neugestaltung Deutschlands und Europas an413. Ihre Beiträge stehen im Mittelpunkt des Ringens um eine geistige und soziale Neuordnung Europas. Voraussetzung für den Wiederaufstieg Europas - so Scheler414 - ist ein gerechter Frieden, nicht bloßer Machtausgleich, und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit anstelle eines „Gegeneinanderlebens". Er beschwört den „solidarischen Aufbauwillen" durch die Vereinigung von „Kosmopolitismus und kulturellem Nationalgedanken". Der „Rechtsidee" kommt absoluter Vorrang vor den „Rache- und Revancheleidenschaften" der einzelnen Völker zu; durch Delegierung und Dezentralisation muß die Aufgabenfülle der „Machtriesen" beschnitten und aufgeteilt werden. Die Wege dazu ergeben sich aus der Hinwendung zu den geistigen Werten der Vergangenheit, das heißt zu antiken und christlichen Bildungswerten. Obwohl diese eher „allgemein menschlich normativ" seien, sind sie doch zuerst „europäisch" und damit „gemeinsame, notwendige Orientierungspunkte, Leuchttürme für alle europäischen Völker, nach denen sie hinschauen sollten" 415 . Dem Christentum aber, schloß Scheler, kommt die Aufgabe zu, mit seiner Idee der gegenseitigen Liebe die europäischen Völker von innen her zur Gemeinsamkeit zu führen. In diesem Sinn kann auch die Kirche tätig werden, indem sie sich gemäß ihrer Tradition in Staat und Gesellschaft nicht für eine Autorität bestimmter Schichten und Tendenzen einsetzt416, wie auch das Bürgertum of412

Max Scheler (1874-1928), Philosoph; LThK2 9, 383f. (H. Kuhn); Nolte, Geschichtsdenken 248-259. 413 Muths Hauptanliegen, die Wiederverbindung des Lebens mit der Idee des Christentums gerade in einer modernen Welt, die vom Christlichen, näherhin Katholischen nicht mehr allzuviel wissen will, untersucht sein Enkel Wulfried C. Muth anhand des „Mittelalterbildes des Hochland". Er kann überzeugend nachweisen, wie die Verbindung der religiösen Idee im ReichGottes-Bild mit der historischen Idee des weltlich-politischen Reich-Bildes Muth immer als leuchtendes Ziel vor Augen stand; Muth, Muth und das Mittelalterbild. 414 Zum Folgenden Max Scheler, Vom kulturellen Wiederaufbau Europas, in: Hochland 15 (1918) II, 497-510, 663-681. Gabriele Schneider, Intellektuelle und Krieg: Max Schclers Kriegsbegriff und die Konsequenzen für die Politik, in: Bialas/Iggers (Hg.), Intellektuelle 177-196; auch Heinrich M. Schmidinger, Max Scheler und sein Einfluß auf das katholische Denken, in: Coreth u.a. (Hg.), Christliche Philosophie 3, 89-111. 415 Max Scheler, Vom kulturellen Wiederaufbau Europas, in: Hochland 15 (1918) II, 499. «« Dazu Bauer, Muths Weg 234-247, hier 242.

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Erster Teil: IDEALE

fen werden muß für eine Realisierung der „Volkseinheit" und eine reformorientierte „neue Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung" 417 . Im Innern sprach sich Muth vor allem für eine christliche und „soziale Demokratie" aus, die zwar konservativ, aber nicht „formaldemokratisch", nicht auf einem „völlig atomisierten Gesellschaftskörper", aufgebaut sein sollte 418 . Der Krieg, der einen „unbegreiflichen Gegensatz zur Verfeinerung und Vergeistigung des modernen Lebens zur christlichen Humanität" 419 darstellt, müsse - so gab Muth seinen Vorstellungen in einem Leitartikel zum „vierten Kriegsjahrgang" Ausdruck - die Voraussetzungen für einen Frieden schaffen, „der mehr ist als ein Ausgleich der Staatsklugheit, der fester gründet als auf revidierter Verfassung, der tiefer in dem Willen der Völker wurzelt, als weil sie sich erschöpft fühlen. Ein Friede aus den höchsten, weil übernationalen Motiven allein vermag Europa vor dem Schicksal zu bewahren, wiederum ein waffenstarrendes Kriegslager zu werden, den Aufgaben der Kultur nur im Schutze der Kanonen obzuliegen, den Gedanken der Menschlichkeit in seinen Völkern nur auf Kündigung zu dulden und zu pflegen."420 - Weise Worte, die die Gefahr des heraufziehenden Nationalsozialismus klar erkannten und für die Situation nach 1945 genauso aktuell waren wie 1917/18. Dieser „Hochland"-Kurs hin zur Republik kann zudem als exemplarisch gelten für den Großteil der deutschen Katholiken 421 , für die endlich der Zeitpunkt gekommen war, zugleich gute deutsche Patrioten und gute Katholiken sein zu können 422 . Bleibt zu erwähnen, daß das „Hochland" und vor allem Carl Muth selbst nach dem Ersten Weltkrieg trotz weit verbreiteter Frankreich4,7

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Carl Muth, Die Stunde des Bürgertums, in: Hochland 28 (1930/31) I, 1-14, hier 13. Muth fordert eine Neuordnung des Volkes und der Menschheit auf dem Boden der christlichen Gesellschaftslehre. Vgl. die politischen Beiträge aus der Feder Muths: Zum vierten Kriegs Jahrgang, in: Hochland 15 (1917/18) I, 1-6; Konservative Politik und konservative Partei, in: Hochland 19 (1921/22) I, 113-115; Die Stunde des Bürgertums, in: Hochland 28 (1930/31) I, 1-14. Joseph Mausbach, Das Friedensprogramm des Heiligen Vaters, in: Hochland 15 (1917/18) I, 81-99, hier 97. Carl Muth, Zum vierten Kriegsjahrgang, in: Hochland 15 (1917/18) I, lf. Ein deutliches Zeichen dafür ist Muths Aufsatz „Res publica" 1926. Gedanken zur politischen Krise der Gegenwart, in: Hochland 24 (1926/27) I, 1-14. Hierbei handelt es sich um Muths erstes persönliches Bekenntnis zur Politik der Nachkriegsjahre und zur Weimarer Republik. In diesem unter dem Eindruck persönlich erlebter faschistischer Ausschreitungen 1925/26 in Rom stehenden historisch-politischen Essay suchte er noch unentschiedene katholische Kreise - mit Hinweisen auf die Geschichte des französischen Katholizismus nach 1870 - für die Republik zu gewinnen. Überschrieben ist sein Beitrag mit einem Satz Lagardes: „Ich werde nicht müde werden zu predigen, daß wir entweder vor einer neuen Zeit oder vor dem Untergang stehen". Vgl. dazu Bauer, Muths Weg 234-247, hier 247; Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866-1918. Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist, München 1993, 456f. (Nipperdey treffend: „Aber im ganzen wurde der Nationalismus der Katholiken in den letzten Kriegsjahren realistischer, ganz anders als der der Protestanten"); dazu auch Ottmar John, Rolle und Bedeutung der katholischen Theologie in der Zwischenkriegszeit, in: Bialas/Iggers (Hg.), Intellektuelle 253-270; wenig überzeugend Richard van Dülmen, Katholischer Konservatismus oder die „soziologische" Neuorientierung. Das „Hochland" in der Weimarer Zeit, in: ZBLG 36 (1973) 254-301.

III. Die M e n t o r e n

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feindlichkeit entschieden um Verständnis bemühte Artikel 423 über Exponenten des „Renouveau Catholique" druckte. Muth selbst hatte von der Erneuerungsbewegung im französischen Katholizismus wesentliche geistige Impulse empfangen424. So brachte er immer wieder seine Hoffnung zum Ausdruck, daß nach Kriegsende die französischen Katholiken zur Versöhnung bereit seien. Sehr wichtig für die geistige Ausformung des „Scholl-Bundes" wurde die dritte Phase der Entwicklung des „Hochland" in der Ära des Nationalsozialismus (1933-1941)425, die Phase des „geistigen Widerstandes" 426 . Wie auch immer man diese Form des Widerstandes beurteilen mag, auf jeden Fall zeugte sie von Mut; und für die Leser jener Jahrgänge müssen es aufregende Erlebnisse gewesen sein, von der vordergründigen Neutralität mancher Aufsätze zu deren hintergründigem politischen und antinationalsozialistischen Sinn vorzustoßen. Obwohl die religiöse Unterweisung in jenen Jahren, also moraltheologische, liturgische und dogmatische Fragen, breiten Raum einnahmen, ist das Gesamtbild bestimmt durch die „Hinwendung zu elementaren Grundfragen, den Kampf gegen nationalistische und nationalsozialistische Ideologien und durch die Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus in all seinen offenen und versteckten Erscheinungsformen" 427 . Welche philosophischen, theologischen oder historischen Probleme seit 1933 auch immer erörtert wurden, stets war die Frage nach dem Wesen und dem Ausmaß der existentiellen Gefahr des Nationalsozialismus mit angesprochen. Häufig waren die Probleme nur der Vorwand für eine Verteidigung der christlichabendländischen Werte oder der nachdrücklichen Zurückweisung nationalsozialistischen Gedankengutes. Seit Ende 1933 mußte jedes Heft des „Hochland" vor Druck und Auslieferung der Zensur vorgelegt werden. Diese „Klippe" wurde umschifft, indem einfach alles auf einem sehr hohen geistigen Niveau diskutiert wurde, „daß ein unmittelbarer Zusammenstoß mit den vom Analphabetismus nicht immer weit entfernten Nationalsozialisten vermieden werden konnte", wie es Ferdinand Hermens treffend ausdrückte 428 . Zum vollen Verständnis der Beiträge 423

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Exemplarisch Klara Maria Faßbinder, Über Leon Bloy, in: Hochland 33 (1936) II, 83-87; Rudolf Müller-Erb, Das Blut des Armen, in: Hochland 34 (1937) II, 409-413; Karl Pfleger, Aufstieg ins Mysterium. Rückblick auf das Werk des George Bernanos, in: Hochland 34 (1937) II, 10-35; Karl Pfleger, Problematik um Andre Gide, in: Hochland 30 (1932/33) I, 493-513; Pater Terhünte, Notre eher Peguy, in: Hochland 23 (1926) II, 372f. Dazu Walter Ferber, Muth, in: Morsey ( H g ) , Zeitgeschichte in Lebensbildern 1, 96. Ackermann, Widerstand 28-30; diese Phase ist der eigentliche Gegenstand der Ackermannschen Untersuchung. Zur „politischen Wende" des „Hochland" hin zur Republik auch Walter Ferber, Muth, in: Morsey (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern 1, lOOf. Ackermann, Widerstand 33 und passim; Ackermann sieht im „Hochland" die „bedeutendste Zeitschrift des geistigen Widerstandes", ebd. 183. Ackermann, Widerstand 28f. Ferdinand A. Hermens, Begegnungen im Dritten Reich, in: Hochland 59 (1966/67) 337-347, hier 341. Hermens betont in diesen Erinnerungen an das Dritte Reich, wie offen und frei man sich in der Redaktion des „Hochland" unterhalten konnte, wo man sich sonst immer vorsehen mußte. Zur Zensur auch Ackermann, Widerstand 33.

Bayerische Staatsbibliothek München

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Erster Teil: IDEALE

benötigte es eine umfassende Bildung, die den meisten NS-Beamten abging. Dieses hohe Niveau schützte einerseits vor der Zensur, andererseits ermöglichte es, zu den Wurzeln der geistigen Resistenz vorzudringen 429 . Eine Variante der kritischen Auseinandersetzung bestand im „Schreiben zwischen den Zeilen". O b über das Wesen der Freiheit 430 , über das Gewissen 431 , über die Spannung zwischen Macht und Recht, Staat und Gerechtigkeit 432 oder ob über die Verführbarkeit des Menschen 433 geschrieben wurde, immer geschah dies ganz abstrakt und theoretisch, meist exemplifiziert an historischen Fakten und Gestalten, und nur zufällig mit Bezug zur Gegenwart. Es bedurfte lediglich „einiger Akzentverschiebungen und Akzentverschärfungen" 434 , wie sich Werner Bergengruen erinnert, um politische Assoziationen zu wecken. Ähnlich wie das „Hochland" in jenen Jahren seinen „geistigen Widerstand" zum Ausdruck brachte, sollten es die Flugblätter der „Weißen Rose" tun. Der Protest gegen das Gewaltregime und dessen ideologische Grundlage läßt sich nach Ackermann in acht „Darstellungsformen" einteilen435. Die „kritische Analyse" war in einer Zeit der Relativierung von Sitte und Moral, der Vereinfachung von Denken und Handeln, in einer Zeit von Schlagworten und Parolen von außerordentlicher Bedeutung. Es liegt nahe, daß unter diese erste Darstellungsform Themen fallen, die sich mit der Säkularisierung der Welt, das heißt dem „Verlust der Transzendenz", der Verleugnung der Priorität des Geistes 436 und dem Verlust einer realen Haltung zur Wirklichkeit infolge der totalen Ideologisierung beschäftigen. Der „transzendente christliche Mensch" ist - wie Karl Pfleger in einem Beitrag über Andre Gide ausführt - zugrunde gegangen, weil die Entwicklung des alten Humanismus „mit steigender atheistischer Gewalt" den Menschen „aus dem göttlichen Zusammenhang des Seins herausgelöst" hat437. Anklänge an Maritain sind un429 430

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Dafür stehen v.a. die Beiträge Theodor Haeckers. Dazu unten. Vgl. als Bsp. Ernst Michel, Die Überwindung des Liberalismus, in: Hochland 32 (1935) II, 193-208; Ulrich Noack, Lord Acton. Der Lebensweg eines Kämpfers für Christentum und Freiheit, in: Hochland 33 (1935/36) I, 385-397. Vgl. als Bsp. Matthias Laros, Autorität und Gewissen, in: Hochland 36 (1938/39) I, 265-280. Vgl. als Bsp. Friedrich Fuchs, Der totale Staat und seine Grenze, in: Hochland 30 (1932/33) I, 558-560 (Besprechung eines Aufsatzes von Carl Schmitt „Weiterentwicklung des totalen Staates in Deutschland", Europäische Revue Februar 1933 - eine eiskalte Abrechnung mit dem Protestantismus, der seit dem Zusammenbruch der Monarchie ohne „schützendes Gehäuse" sei: „Viele seiner Führer sahen wir daher dem Nationalsozialismus schon entgegengehen"; ebd. 560); Carl Muth, Deutschland und Frankreich nach der Glaubensspaltung: Richelieu, in: Hochland 33 (1935/36) I, 11-26 und 104-119; Reinhold Schneider, Schuld und Sühne der Conquistadoren, in: Hochland 36 (1938/39) I, 144-150. Insbesondere Ewald Wasmuth, Sokrates und der Engel, in: Hochland 37 (1939/40) 182-190. [37 (1939/40) und 38 (1940/41) nur noch ein Band mit durchgehender Zählung.] Bergengruen, Schreibtischerinnerungen 175. Folgendes nach Ackermann, Widerstand 45-87. Auf Einzelnachweise wird verzichtet. Vgl. auch die Analyse der Flugblätter unten S. 222-234. Vgl. besonders Piepers Ausführungen, daß die Technisierung und Vermassung die Voraussetzungen für die Entpersönlichung des Menschen und damit für den Aufstieg des Nationalsozialismus geschaffen haben; Josef Pieper, Über das christliche Menschenbild, in: Hochland 33 (1936)11,97-111. Karl Pfleger, Problematik um Andre Gide, in: Hochland 30 (1932/33) I, 493-513, hier 513.

III. Die M e n t o r e n

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überhörbar. Zweitens wurde die „Historiographie als Mittel der Zeitkritik" eingesetzt, das heißt der Versuch unternommen, gegen die Umdeutung und Verfälschung der Geschichte anzuschreiben, um die Objektivität wieder herzustellen. Vor allem durch geistesgeschichtliche Vergleiche wurden, ohne der historischen Wahrheit Gewalt anzutun, nationalsozialistische Anschauungen zurückgewiesen 438 . Neben den historischen Parallelen spielen drittens zeitgeschichtliche „Analogien" wie die kommunistische Gewaltherrschaft in Rußland oder die totalitäre Politik des faschistischen Italien eine Rolle. Viertens werden „Leitbilder" aufgerichtet, die durch ihre Ideen und ihr Wirken die geistige Integrität bewahren und den inneren Widerstand festigen helfen sollten439: Angesichts der geistigen und politischen Pervertierungen durch die nationalsozialistische Ideologie wurden durch die Darstellung exemplarischer Epochen die christlichen Ideen von der geistigen und sittlichen Ordnung des Politischen verpflichtend aufgezeigt440. Dementsprechend wurde fünftens nicht auf „apokalyptische und eschatologische Warnungen" verzichtet, wobei besonders das dämonische Wirken des „Antichrist" und das Martyrium als Mittel zur Überwindung dieses Zustandes hervorgehoben wurde 441 . Ein sechster Typ dieses geistigen Widerstandes sind Zitate von historischen Persönlichkeiten, die die ungeistige und verlogene Atmosphäre der Zeit zum Ausdruck bringen, die gegenwärtige „Versklavung" dem „Glanz der Freiheit" gegenüberstellen und die Pflicht zum Bekenntnis der Wahrheit in der Situation der Verfolgung ins Bewußtsein rufen442. Die schärfste Waffe allerdings - siebtens - bot die Satire. In konzentrierter Knappheit und unter der Maske eines ironischen Lächelns konnte hier die Absurdität und Verlogenheit des Hitler-Staates aufs Korn genommen werden 443 . Neben der Satire

Ackermann führt als Beispiele die Beiträge über Caritas Pirckheimer („Der Kampf gegen die widerrechtliche Vergewaltigung des Gewissens"), das Werk „Athanasius" von Johann Adam Möhler („Der Totalitätsanspruch des Staates gegen die Kirche") und Kaiser Julian („Der Apostat") an; Josef Sellmair, Charitas Pirckheimer, in: Hochland 32 (1935) II, 1-20; Engelbert Krebs, Möhlers .Athanasius', in: Hochland 32 (1935) II, 385-398; Hildebrand Beck, Flavius Claudius Julianus und die Kirchenväter, in: Hochland 37 (1940), 274-283. Hierbei wird auf die großen Gestalten des politischen und religiösen Lebens im Abendland verwiesen, wie Joseph Görres, Thomas Morus, Lord Acton usw. Ackermann, Widerstand 72. Beispiele hierfür sind v.a. die verschiedenen Aufsätze Theodor Haeckers; vgl. aber auch Philipp Funk, Der Einzelne, die Kirche und der Staat im Mittelalter, in: Hochland 31 (1933/34) I, 97-109. Mit der Gestalt des Antichrist sollte eindeutig Hitler bezeichnet werden (was die Flugblätter der Weißen Rose dann aussprechen). In den Beiträgen zum Martyrium wird besonders die sittliche Pflicht zum öffentlichen Bekenntnis des Glaubens auch im antichristlichen Staat hervorgehoben; vgl. v.a. auch die Aufsätze von Erik Peterson. Meist in größeren biographischen Aufsätzen; angerufen werden etwa Jacob Burckhardt, Adalbert Stifter, August Wilhelm Schlegel, Alexis de Toqueville usw. Joseph Görres, Neujahrspredigt des verneinenden Geistes bei der 5599sten Jubelfeier des Sündenfalls, in: Hochland 31 (1933/34) I, 289-294. Satan berichtet seinen Getreuen über die erfolgreichen Versuche, die durch den „Judengott" errichtete politische und religiöse Ordnung seiner Herrschaft zu unterstellen. Vgl. auch die Satire über Oswald Spengler von Theodor Haecker, Was ist der Mensch? In: Hochland 30 (1932/33) I, 289-308.

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Erster Teil: IDEALE

nehmen sich die Buchbesprechungen - achtens - etwas unscheinbar aus; hier bot sich aber die Möglichkeit, deutlich Position zu beziehen 444 . Daß das „Hochland" erst in der letzten Phase der nationalsozialistischen Herrschaft verboten wurde, verwundert angesichts der kompromißlosen und detailliert vorgetragenen Ablehnung des Dritten Reiches. Angesichts der hohen Auflagenzahl (1939 ca. 12000 Abonnenten) war das späte Verbot vermutlich ein Zugeständnis an die Intellektuellen, die dem Nationalsozialismus nach wie vor skeptisch gegenüberstanden 445 , wiewohl auch eine Rolle gespielt haben mag, daß das „Hochland" als Aushängeschild für das Ausland fungierte446. Nachdem es im Dezember 1939 zu einem ersten Zwischenfall gekommen war - ein Heft durfte nicht ausgeliefert und mußte eingestampft werden -, wurde im Juni 1941 „wegen Papierknappheit" 447 ein Erscheinen unmöglich. Das letzte Heft schloß mit einer Besprechung des Gedichtbandes „Das bairisch Herz" und den daraus entnommenen, „aus Schwermut und tieferem Wissen" geformten Versen: „Heit hots vo insern Lindnbaam/des letzte Blaadl owagwaaht./Es is, wia wenn oans Abschied naahm/und redat nix und gaang schö staad."448

c) Das gastfreie Haus in Solin „Ich gewann sein Vertrauen bei unserem ersten Gespräch, sicher nicht durch jugendliche Theoreme, eher durch meine Ansicht, daß bei Lage der Dinge eine Verurteilung seiner Zeitschrift aus Rom einer Auszeichnung gleichkommen würde" 449 . Otto Aicher scheint - nach Ausweis seiner Erinnerungen über die erste Begegnung mit Carl Muth - nicht viel Zeit mit Vorgeplänkel oder gar einem Gespräch über das Wetter zugebracht zu haben, als er im März 1941 bei Muth in München-Solln klingelte. Vielmehr ging es gleich in medias res: der knapp 19jährige sprach mit dem 74jährigen über die drohenden Gefahren für das „Hochland" und über die Haltung der römischen Amtskirche, die den Nationalsozialismus nicht ausdrücklich verworfen, sondern mit ihm das Reichskonkordat 450 abgeschlossen hatte. Damit zeigte er sich über die Vorgänge, die zu einer römischen Verurteilung des „Modernismus" im Jahre 1907 geführt hatten, informiert. 444

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Buchbesprechungen fanden sich in der „Kritik" (moderne Literatur) und der „Rundschau" (politische und religiöse, mehr wissenschaftliche Literatur). Zum Thema Eliten, Intellektuelle und Drittes Reich den Sammelband von Broszat/Schwabe (Hg.), Eliten, besonders den Beitrag von Martin Broszat, Der Zweite Weltkrieg: Ein Krieg der „alten Eliten", der Nationalsozialisten oder der Krieg Hitlers? 25-71; Hammersen, Denken 59-66; die Beiträge bei Bialas/Iggers (Hg.), Intellektuelle und bei Langguth (Hg.), Intellektuelle. Dazu Ackermann, Widerstand 90f. Zum Verbot Ackermann, Widerstand lOOf. Hochland 38 (1940/41), 413f., hier 414. Aicher, Innenseiten 140. Zum Konkordat von 1933 vgl. Scholder, Kirchen 1, 482-524; Dieter Albrecht, Der Hl. Stuhl und das Dritte Reich, in: Gotto/Repgen (Hg.), Katholiken 25-48.

III. Die M e n t o r e n

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Leider wissen wir nicht genau, wie Muth selbst Aicher und seine Besuche beurteilte. Es existieren im Privatbesitz der Familie Muth zwar „Erinnerungen", die aber fragmentarisch sind und von Muth nie überarbeitet wurden, weshalb sich die Familie entschlossen hat, diese nicht zu veröffentlichen. In den Erinnerungen Muths ist allerdings nichts über die Begegnung mit Aicher oder den Scholl-Geschwistern vermerkt. Dies erklärt sich am ehesten damit, daß es in den Jahren 1939 bis 1944 zu gefährlich war, solch persönliche Beurteilungen oder Gesprächsnotizen zu Papier zu bringen. Da Muth bereits im November 1944 starb, konnte er sich auch in der Retrospektive nicht mehr äußern 451 . So lassen sich lediglich gewisse Rückschlüsse aus späteren Briefen Aichers an Muth und anderen Quellen ziehen. Generell gilt, wie Werner Bergengruen in seinen Erinnerungen bemerkte, daß Muth gerne junge, unbekannte Talente heranzog. „Es war in seiner Natur etwas Väterliches ... Er leitete gern, doch tat er es klug, behutsam, fast unmerklich ... Bis in seine letzten Tage blieb er den Jüngeren, ja der Jugend zugetan. Es steckten in ihm eine echte pädagogische Neigung und eine echte pädagogische Begabung."452 Auch wenn er sich, weil er seinen Auftrag - die „Umerziehung" der katholischen deutschen Intelligenz - unbeirrt und beherrschend durchzog, den Beinamen „Hoch-Mut(h)" zugezogen hatte und häufig als „kämpferische Herrennatur" 453 tituliert wurde, suchte Muth besonders den Kontakt und das Gespräch mit jungen Leuten, weshalb seine Einladung eigentlich nichts Besonderes war. Otto Aicher kam - wie oben gezeigt - zu Muth über seine Lektüre des „Hochland", über die Beschäftigung mit den Kirchenvätern und des französischen „Renouveau Catholique". Muth war ihm von vornherein sympathisch, hatte er doch schon früher „mit Rom zu kämpfen gehabt". „Hätte" so erinnert sich Aicher - Muth „nicht sein Hochland gehabt", die „Kirche hätte ihn kaltgestellt". Zwar sei Muth kein „Revolutionär" wie Lamennais454, seine Schlußfolgerungen blieben aber nicht hinter denen des Franzosen zurück. „Er gab die Position einer katholischen Politik preis, die Position einer katholischen Wissenschaft, die Position einer katholischen Kultur." 455 Der „modernistische" Standpunkt Muths und seine unerbittliche Haltung gegenüber einem System wie der katholischen Amtskirche wie auch die konsequent anti-nationalsozialistische Politik des „Hochland" waren, wie er es in der Retrospektive zusammenfaßt, Ansporn, die Nähe dieses Mannes zu suchen. In München, das von Ulm aus mit dem Zug gut erreichbar war, studierte seit April 1939 auch Hans Scholl und seit dem Wintersemester 1940 Willi Ha451

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Für diese Auskünfte danke ich herzlich Frau Marga Muth (11.3.1997) und Frau Gabrielle Bell-Muth (28.7.1997). Frau Bell-Muth hat auf meine Anfrage die Erinnerungen durchgesehen, konnte aber weder offen noch versteckt etwas zu den einzelnen Begegnungen finden. Werner Bergengruen, Erinnerungen an Carl Muth, in: Hochland 46 (1953/54), 75-80, hier 75. Joseph Bernhart, Zu Muths Charakterbild, in: Hochland 59 (1966/67), 248-252, hier 248. Hugo-Felicite-Robert de Lamennais (1782-1854), im 19. Jahrhundert häufigst verurteilter Theologe; LThK3 6, 568f. (Herman H. Schwedt). Aicher, Innenseiten 139.

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Erster Teil: IDEALE

bermann, womit zumindest zwei Mitglieder des „Scholl-Bundes" in der Stadt an der Isar waren. Nichts lag näher, als sich gegenseitig zu besuchen und so in Verbindung zu bleiben. Bereits im Oktober 1939 hatte Inge Scholl ihren großen Bruder in München getroffen. Von Samstag mittag bis Montag abend ließ sie sich von Hans „die wunderbare Fremde" zeigen456, wie auch Aicher Habermann und Scholl ab und an besuchte. In Kontakt blieb der Ulmer Freundeskreis in jedem Fall, bot sich doch immer wieder die Gelegenheit, in Ulm zusammenzutreffen oder - und das ist durch die Fülle von erhaltenen Briefen eindeutig belegt - durch gegenseitiges Korrespondieren. So verwundert es nicht, daß Otl Aicher nach seinem ersten Besuch in Solin einen Briefwechsel mit Muth begann. Über weitere Begegnungen, die es gegeben haben muß 457 , mit zum Teil heftigen Diskussionen, wie sie sich im Briefwechsel Aicher-Muth und Aicher-Freundeskreis spiegeln, kann auf dem heutigen Kenntnisstand nur gemutmaßt werden: Sicher gab es weitere Fahrten nach München, über deren Inhalte indes kaum genauere Aussagen möglich sind458.

d) Muth und Scholl - oder: Mentor und/oder Missionar? Über die erste Begegnung von Inge Scholl mit Carl Muth im August 1941 459 und die weitere Entwicklung dieser Beziehung sind wir sehr genau informiert. Es existieren aus Inge Scholls Feder „Erinnerungen an München" 460 , die sie während der letzten Kriegstage für ihre Eltern niederschrieb 461 . HierVgl. ihren Bericht über den ersten Besuch in München; München IfZ ZS A 26/7. Der Samstag verging in lauter Wiedersehensfreude, Sonntag wanderten sie auf die Benediktenwand, Montag besuchten sie das Anatomische Institut und den Botanischen Garten. U.a. am 1.7.1941 schrieb Aicher an Grogo, er wolle Muth in München besuchen, und bei ihm oder Hans übernachten; Bad Mergentheim PAH. Vgl. auch seine Aussage „wenn ich am Sonntag komme"; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 11.8.1941. In den entsprechenden Archiven ließ sich kein Material dazu finden; anzufragen wäre vor allem im Privatarchiv Rotis. Inge Jens, die bei der Kommentierung des Briefwechsels Zugang zum Archiv in Rotis hatte, scheinen dazu Unterlagen vorgelegen zu haben; vgl. Jens (Hg.), Scholl 292f. Jens spricht von einem Bericht von 1983 aus der Feder Aichers, der über eine Kontroverse zwischen ihm, Hans Scholl und Carl Muth berichtet, die sich um die Bewertung von „Goethes liberalem Humanismus" gedreht haben soll. Wieder einmal bleibt kritisch anzumerken, warum eine solche - wissenschaftlichen Ansprüchen genügen wollende - Briefedition nicht angibt, aus welchen Quellen sie schöpft. Die genauere Datierung August aufgrund des Briefes von Aicher an Muth vom 22.8.1941, in dem er Muth die Pascal-Maske dediziert; München BayStaBi Ana 390 ILA. München IfZ ZS A 26/7. Die „Erinnerungen an München" waren ursprünglich in Bd. 4 miteingebunden, bevor sie von Inge Scholl gesperrt und deswegen separat gebunden wurden; für die Erlaubnis, diese „Erinnerungen" in voller Länge zu konsultieren und zu verwerten, danke ich auch an dieser Stelle Frau Aicher-Scholl herzlich. Der Bericht ist undatiert, stammt aber wohl vom Winter 1945/46. Er umfaßt 78 Schreibmaschinenseiten; nach dieser Originalpaginierung wird im folgenden zitiert. Die Datierung nach einem Brief von Inge Scholl an Ricarda Huch 25.3.1947; München IfZ ZS A 26/4. Vgl. auch die Anmerkung bei Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 161, die einige Abschnitte aus den Erinnerungen abdrucken und den Text auf 1946 datieren. Dies stimmt mit den Äußerungen Inge Scholls insoweit überein, daß sie die „Erinnerungen" in dieser Zeit noch einmal überarbeitete, bevor sie sie Ricarda Huch zugänglich machte.

III. Die Mentoren

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bei handelt es sich um einen ausführlichen Bericht über die Besuche in München und vor allem die Bekanntschaften mit Muth, Haecker und anderen, aber natürlich auch über die Ereignisse im Zusammenhang mit der „Weißen Rose". Kritisch zu hinterfragen ist allerdings der Aussagewert dieser Schilderungen. Bei den „Erinnerungen an München" ist davon auszugehen, daß sie - weil fast unmittelbar nach dem Berichteten verfaßt - zwar relativ genau das Geschehen wiedergeben, aber bereits der Tendenz zur Idealisierung und Stilisierung unterliegen; letzteres gilt dann besonders für Inge Scholls „Weiße Rose", in dem manche Passagen recht blumig anmuten 462 . Bei einem ihrer Besuche in München machten sich Hans und Inge Scholl gemeinsam auf den Weg nach Solin zu dem „wunderschönen alten Mann mit wahrhaft silbernem Haar und unfaßbar schönen blauen, blumenhaft jungen Augen" 463 . Sie sollten für Aicher eine bildhauerische Arbeit abgeben. Otto hatte sich seit längerem bildhauerisch betätigt und nun wohl für Muth, veranlaßt wahrscheinlich durch einen philosophischen Disput mit diesem über Blaise Pascal 464 , eine Maske 465 angefertigt. Daß Aicher als Vermittler zu

Ursprünglich war dieses für einen breiten Leserkreis bzw. als Handreichung für Schulklassen konzipiert. Vgl. die Aussagen von Fritz und Elisabeth Hartnagel, geb. Scholl, am 22.6.1997. In späteren Auflagen wurden einige Passagen geändert bzw. korrigiert. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 9. Pascal kommt in den Briefen des Freundeskreises in allen möglichen Zusammenhängen immer wieder vor; etwa Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 27.11.1940. Zur Beschreibung dieser Maske und ihrer Entstehungsgeschichte vgl. folgenden Brief: „Lieber Herr Professor! Nehmen Sie diese Maske Pascals zum Dank, denn Sie haben mir sehr, sehr viel Gutes getan, am meisten vielleicht dadurch, daß Sie mir ein großes Vertrauen schenkten, da Sie mich wissen ließen, ich möchte für Sie beten ... Wenn Sie die Maske aufhängen wollen, müssen Sie einiges vorher beachten. Sie tun sicher gut, Sie nehmen einmal den Kopf in die Hand und stellen sich vor ein Fenster, wenn starkes Licht ins Zimmer fällt, damit Sie so recht sehen können, wie stark und schnell sich der Ausdruck des Gesichtes verändert, wenn man nur eine kleine Drehung macht, und wie alles bei einem solchen Kopf auf das Licht ankommt und wie die Schatten verteilt werden, wie Sie also vorher wohl den Platz bedenken müssen, wohin Sie die Maske hängen wollen. Das Schönste wäre ja Oberlicht, so daß das Licht über die Stirne herabfallen und noch Mund und Kinnbacken streicheln würde, aber diese Gelegenheit werden auch Sie nicht haben. Bei mir hing der Kopf gegenüber einem Fenster und soweit auf die Seite gerückt, daß die vom Beschauer aus linke Seite fast ganz im Schatten lag und nur soweit vom Licht gestreift wurde, als es zur Hervorhebung der agonalen Züge dieser Hälfte nötig war. Vor allem die Backe mußte erscheinen, als hätte Pascal auf die Zähne gebissen. Auch die Höhe ist nicht gleichgültig. Am günstigsten hängt die Maske, wenn der Hals gerade Ihren Scheitel berühren würde. Ich habe den Kopf nur modelliert, weil mir die Totenmaske, die ich auch wiederum nur gekauft habe, um sie zu verschenken, auf den Boden fiel und zerbrach. Die Scherben habe ich dann so zusammengebaut, daß ich noch genügend Anhaltspunkte hatte. Während des Modellierens aber mußte ich immer wieder daran denken, daß Pascal bewußt die Wissenschaften hinter sich ließ, was ja bei mir nur heißen würde, daß ich das Modellieren aufgeben solle; aber ich habe zu diesem Gewicht noch eine andere Waagschale gefunden, die mich immerhin soweit brachte, daß ich, nachdem die Scherben auf dem Boden umherlagen, kurzerhand Lehm anmachte: ich sagte mir, den hast Du inniger bei Dir, dessen Bild vor dir hängt, und wer tot ist, wird bald vergessen sein, weil seine Gestalt fehlt. So kam ich sogar auf den Gedanken, meine Freunde zu modellieren - und den Pascal behielt ich für mich. Mit herzlichem Gruß Ihr Otto Aicher"; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 22.8.1941.

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Erster Teil: IDEALE

Muth tätig wurde, sehen die meisten Darstellungen zur „Weißen Rose" richtig466; daß er aber, wie Inge Jens meint, Hans und Inge Scholl mit Muth zusammenbrachte, um den „direkten Kontakt mit dem für ihn wichtig gewordenen Mann nicht zu verlieren" 467 , weil er im Laufe des Jahres 1941 zur Wehrmacht eingezogen 468 worden war, scheint vor dem Hintergrund der oben herausgearbeiteten Bedeutung des „Scholl-Bundes", der Darstellung Inge Scholls selbst und der bereits heftig in Gang gekommenen und in die Tiefe gehenden Korrespondenz Aicher-Muth unzutreffend. Hans Scholl hatte schon zuvor den Wunsch geäußert, Muth kennenlernen zu dürfen. „Wir" - so erinnerte sich Inge Scholl - „machten uns also auf den Weg zu dem Unbekannten, der uns doch durch seinen Geist bereits befreundet war, mit der leisen Bangigkeit irgendwo in der Seele, die manche schönen und kühnen Hoffnungen zuweilen durchbebt, als gehe man über eine kaum merklich schwankende Brücke." Geschwankt dürften die beiden kaum haben, denn einerseits waren sie mit Muth „wohlvertraut ... durch das Hochland" 469 , andererseits hatte ihnen Aicher sicherlich schon viel von seinen Besuchen vorgeschwärmt. Freilich wurde nicht nur das „Hochland" im Freundeskreis regelmäßig gelesen, vielmehr griffen die jungen Ulmer auch zu den monographischen Publikationen von Muth. Hans sei besonders von dem Buch „Schöpfer und Magier" 470 beeindruckt gewesen, das ihm geholfen habe, „von Stefan George und seinem Kreis geziemend Abstand zu nehmen, der ihm innerlich schon lange fremd geworden war" 471 . Muth hatte hier „drei geistesgeschichtliche und sprachkritische Untersuchungen" über Klopstock, Goethe und George vorgelegt, das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Sprache beleuchtet und gegen Georges „künstliche Sprachwelt" sowie seine „Ideenarmut" polemisiert. Der Weg zu dieser „hochbedeutenden Gestalt, der München einen Teil jenes Gehaltes verdankt, durch den es mehr ist als eine andere Stadt", verlief im gegenseitig schweigenden Einverständnis der Geschwister. Der schöne Spätsommertag, die gepflegten und ruhigen Straßen Sollns mit ihrem „vergütenden Blumenflor" vermochten zwar nicht, Inge Scholls „klopfendes Herz" zu beschwichtigen, als sie an dem „bescheidenen Haus" klingelten, und so war „dieser milde, strahlende Tag in all seiner Festlichkeit nur Hinweis und Vorbereitung" für die „Güte" Muths, die sie nun kennenlernen 466

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Hanser, Deutschland 134f.; Steffahn, Weiße Rose 48f. Daß Hans Scholl über Christoph Probst im Juli 1941, wie Verhoeven/Krebs, Weiße Rose 105 ohne Nachweis behaupten, zu Muth Kontakt bekam, erscheint weniger wahrscheinlich. Probst kannte zwar Muth und Haecker, da sein Schwiegervater Harald Dohrn mit zum Freundeskreis des emigrierten Verlegers Jakob Hegner zählte, aber alle Quellen sprechen für die Verbindung über Aicher. Jens (Hg.), Scholl 292f. Aicher widersetzte sich mit allen Mitteln dem Stellungsbefehl; so ließ er sich Ende 1940 genau berechnet einen Heizkörper auf seine linke Hand fallen. Dazu Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 3.12.1940. Vgl. insgesamt seine Erinnerungen über das RekrutenDasein; Aicher, Innenseiten 47-53 und passim. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 8. Carl Muth, Schöpfer und Magier. Drei Essays, München 1935. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 8.

III. Die M e n t o r e n

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durften. Muth, der ihnen selber die Tür öffnete, führte sie zu einer Bank im Garten neben einem Beet blühender Rosen und bot Konfekt an. „Er erklärte uns, daß er leider eben Besuch habe - Haecker sei bei ihm - und bedauerte, daß er sich uns deshalb nicht länger widmen könne. Seine Gebärden und Worte hatten etwas ungemein Gewinnendes und Demütiges." Nachdem sie die Maske ausgepackt hatten, sprachen sie kurz über Pascal und seine „Pensees". Hans Scholl fragte Muth daraufhin noch nach George. Dieser Konversation hörte die Schwester „still und aufmerksam zu und konnte nicht satt werden, in dieses edle Gesicht zu schauen, in diese Augen vor allem, in deren unsäglicher Anmut die Güte blühte und die mich an Blumen erinnerten ... Dieser Mensch war eigentlich ein einziger, großer Kontakt, eine beglückende Bereitschaft zu Vertrauen, Hingabe, Verständnis, gefaßt in eine Hülle der Würde, die von selbst maßvollen Abstand gebietet." Was Inge Scholl im folgenden vor allem auf ihren Bruder bezogen schildert, trifft unvermindert auf sie selbst zu. Die Begegnung war wie ein „aufgehendes Gestirn" gerade in einer Zeit, wo man sich nach einem „Urbeständigem sehnte, das ... nicht mehr diese Enttäuschungen bereiten würde" - hier spielt sie auf die Zeit in der Hitlerjugend und Bündischen Jugend an. „Wie war ich froh, ihn [Hans Scholl] nun, wo ihm der Geist unserer heutigen Kultur nicht mehr genügte, in der Nähe dieses Menschen zu wissen, der bei aller Freude am Modernen doch nur das in ihm gelten lassen kann, was sich als ewig Wahres in Neues kleidet. Und wie bin ich froh, daß er [und natürlich auch ich] diesen Menschen fand, bei dessen Frömmigkeit einem plötzlich deutlich wurde, wie die größten Geister gerade durch die Pietas zu solchen wurden und der durch sein Gebet einem wie Schuppen von den Augen fallen ließ, daß das Gebet ja gerade zu den größten und strengsten Geistern gehört... Mochte es nun die Freude über die vorherige Begegnung gewesen sein, die sich in diesen leuchtenden Tag wie ein goldenes Samenkorn gesenkt hatte, unsere Gedanken trafen sich in einem glücklichen Verstehen" 472 . Die Schilderung dieser ersten Begegnung macht deutlich: Inge Scholl und ihr Bruder Hans waren wie Otto Aicher sofort der Faszination Muths erlegen, wie viele andere vor ihnen. War Muth für Hans und Otto der „intellektuelle Fels in der nationalsozialistischen Brandung", so wurde er für Inge mehr ein emotionaler Halt- und Wendepunkt. Die intellektuelle Auseinandersetzung mit Muth und seinen Positionen erfolgte bei ihr erst später, wie ein Vergleich von Inge Scholls Schilderung mit den Aussagen Aichers in den „Innenseiten" (nicht ohne den zeitlichen Unterschied zu vergessen) zeigt: Muth, eine „zarte, zerbrechliche Gestalt von gepflegtem Habitus", aber: „kämpferisch", „hinter der Beherrschung, die einem Diplomaten anstand, war Witz, Bissigkeit und kraftvoller Fluch"; Muth, „die Augen waren blau", „seine Hände lang und schmal", aber: die ganze Figur war gekennzeichnet durch Kommunikation, durch den Umgang mit Menschen 473 . Wie tief Inge Scholl von dieser Begegnung ergriffen war, ist in den „Erinnerungen an Schilderung und Zitate nach München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 8-10. Vgl. Aicher, Innenseiten 140.

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München" deutlich zu spüren. Diese Faszination findet sich dagegen in ihren späteren Publikationen zur „Weißen Rose" nicht mehr; Muth kommt so gut wie nicht vor. Unter dem Motto „Dieser Mensch kann einen wahrhaft begeistern" 474 entwickelte sich die weitere Beziehung zwischen Muth und den Scholl-Geschwistern. Bereits im September machte sich Inge Scholl wieder nach München auf, um ihren Bruder zu besuchen. Dieser Besuch fiel auf den 23. Geburtstag von Hans Scholl am 22. September 1941 475 . Wieder durfte Inge „zunächst seine neuesten Errungenschaften an Büchern kennenlernen". Bereits beim ersten Besuch hatten sich die Geschwister in die weißen Hegnerbände 476 , in eine Ausgabe von Dostojewskys „Doppelgänger" 477 und einem illustrierten Auszug aus dem Korintherbrief478 vertieft. Auch seine medizinischen Fachbücher hatte Hans stolz präsentiert. Dementsprechend stand dieser Geburtstagsbesuch ganz unter dem Zeichen von Büchern und Musik479. Obwohl anläßlich dieses Besuchs von einem Gang nach München-Solln keine Rede ist, entwickelte sich die Verbindung weiter. Inge Scholl hatte für Muth Äpfel besorgt - eine Kostbarkeit in Kriegstagen - und ihm schicken lassen. Muth bedankte sich, wobei sein Brief - wohl aufgrund einer Verwechslung - zunächst an Sophie kam, die ihn an Inge weiterleitete. In Sophies Tagebuchaufzeichnung vom 1. November 1941 - zu dieser Zeit mußte sie in einem Kindergarten die Verlängerung des Pflichtarbeitsdienstes für angehende Studentinnen in Blumberg ableisten - findet sich bezeichnenderweise der Satz, Muth habe geschrieben, sie sollten für Otl beten. „Ich habe noch nie daran gedacht, für ihn zu beten, er schien es mir gar nicht nötig zu ha474

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So Hans auf dem Heimweg von Muth; München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 10. Schilderung nach München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 13-15. 1912/13 hatte der jüdische, dann evangelisch-lutherisch und schließlich katholische Verleger Jakob Hegner (1882-1962) in der Gartenstadt Hellerau bei Dresden den „Hellerauer Verlag Jakob Hegner" gegründet. Nach der Wirtschaftskrise übersiedelte er nach Berlin und Leipzig, wo er mit großem Erfolg als Verleger wirkte. Zahlreiche von ihm verlegte Werke von Paul Claudel, Georges Bernanos, Francis Jammes usw. übersetzte er selber, deutsche Autoren seines Verlages waren u.a. Romano Guardini, Theodor Haecker, Joseph Pieper und Theodor Steinbüchel. 1936 wurde er von der Reichskulturkammer formell ausgeschlossen; Hegner emigrierte nach London. Nach dem Krieg gründete er in Köln den Jakob Hegner-Verlag; NDB 8, 234f. Fedor M. Dostojewsky, Der Doppelgänger. Mit 60 [richtig 61] Bildern von Alfred Kubin, München 1913. Die Illustrationen sind abgebildet in: Alfred Marks, Der Illustrator Alfred Kubin. Gesamtkatalog seiner Illustrationen und buchkünstlerischen Arbeiten, München 1977, 60-67. Es handelt sich wohl um einen Auszug in kunstvoller Schrift vom 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes, dem sogenannten „Hohenlied der Liebe". Am Vorabend besuchten die Geschwister ein Dvoräkkonzert, gingen anschließend zu „Lombardi" „echten italienischen Tomatensalat mit viel Öl" essen, während der Geburtstag selbst an dem Hans strafexerzieren mußte, weil er gelacht hatte, als sein militärischer Vorgesetzter es nicht fertigbrachte „drei mal sechzehn ohne Papier auszurechnen" - mit einem Spaziergang herumgebracht werden mußte, bis Hans am Abend endlich zu mitgebrachtem Wein und Gugelhupf gratuliert werden konnte.

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ben." 480 War nicht Inge Scholl besonders von der „Pietas" Muths beeindruckt gewesen, die in ihr ein neues Verständnis vom Gebet weckte? Alles spricht dafür, daß die erste Begegnung mit Muth Gegenstand der Diskussion im „Scholl-Bund" gewesen ist, wie es auch zwei Briefentwürfe Sophies an Muth zeigen 481 , in denen sie versucht, die Verwechslung aufzuklären und sich im Namen Inges für das Büchlein von Muth bedankt. Sophie war sich nicht sicher, wie sie am besten „dem großen Muth" schreiben sollte, den sie noch nicht persönlich kannte. Der nicht abgeschickte, erste Briefentwurf verrät einerseits deutlich ihre Unsicherheit, andererseits aber auch das Interesse an Muth durch das Bemühen, nicht nur Inge die Äpfelpost zu überlassen: „Ich war es, die Ihnen die Äpfel auf ihre Anregung besorgte." Der zweite Briefentwurf geht noch weiter: von Inge und der Verwechslung ist keine Rede mehr. Vielmehr bedankt Sophie sich direkt und erklärt sich bereit, weitere Äpfel zu besorgen und zu schicken. „Nein", schreibt Sophie, „die Besorgung des Obstes ist keine solche Arbeit, daß sie diese Belohnung [also Brief und Büchlein] verdient hätte. Ich danke Ihnen von Herzen dafür." Fraglich ist, ob Muth die Schwestern Inge und Sophie wirklich verwechselte und nicht gar zwei Dankesbriefe schickte, wofür der Tagebucheintrag Sophies drei Tage später spricht: „Ich staune, daß er die Zeit fand, sich auch mir zuzuwenden, wo er es doch nicht nötig gehabt hätte. Er muß ein sehr gütiges Herz haben, daß solche kleine Menschen, die ihn nur durch ein ganz äußerliches Geschäft berühren, Platz darin finden." Sophie schließt mit einem bezeichnenden Satz, der all ihre vorhergehenden, zweifelnden wie bekennenden Überlegungen über Gott und die Welt zusammenfaßt: „Dies kann ich gar nicht genug schätzen, das allein verpflichtet mich schon, gut zu werden." 482 Sophie lernte Muth persönlich erst im Winter 1941/42 kennen, als sich die Freunde auf dem Rückweg vom alljährlichen Skilager befanden und in München Station machten 483 . Nach den Weihnachtstagen, die die Familie gemeinsam zuhause in Ulm verbrachte, waren die Scholl-Geschwister und einige Freunde über Silvester auf einer Skihütte im Zugspitzgebiet. Über den Aufenthalt auf der Coburger Hütte schrieb Inge Scholl einen Bericht für das „Windlicht", der bei Inge Jens abgedruckt ist484. Dieser Beitrag spiegelt einerseits Atmosphäre und Diskussionsthemen innerhalb des Freundeskreises wieder und macht andererseits deutlich, welche Richtung eingeschlagen wurde. Hans Scholl, der mittlerweile fast täglich in Muths Haus kam, „vor dessen Stille und feiner geistiger Atmosphäre die Brandung der Welt haltzumachen schien", beschäftigte sich damit, Muths Bibliothek zu ordnen und zu registrieren" 485 . Gespräche über sein „religiöses Erwachen" 486 unter dem 480 481 482 483 484

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Jens (Hg.), Scholl 192. Jens (Hg.), Scholl 193f. Tagebuch, Blumberg 4.11.1941; Jens (Hg.), Scholl 194. Vgl. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 15f.; Jens (Hg.), Scholl 75f., 202. Vgl. den Brief von Hans Scholl an seine Schwester Elisabeth 10.2.1942; Jens (Hg.), Scholl 78; der Bericht ebd. 267-270. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 15. Zur religiösen Entwicklung Hans und Sophies im Zusammenhang mit Muth vgl. unten.

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Einfluß Muths, wie es sich in den Briefen aus jenen Tagen spiegelt487, dürften das Skilager geprägt haben. Die „kleine Schneekarawane" 488 erkämpfte sich durch einen Schneesturm den Weg zur Skihütte. Die Mühe und Anstrengung, die „Reinheit und Stille dieser Höhe" zu erreichen, schuf ein ganz besonderes „Wir-Gefühl". „Dieses ,Wir', das durch solch ein äußeres Erlebnis entstehen kann, ist so recht der Boden für ein anderes ,Wir', das wir aus dem Inneren und Unsichtbaren sein wollen ... Nicht, daß wir diesem ,Wir' das Ich opfern wollen, nein, viel eher suchen wir es wegen diesem Ich, daß es daraus Nahrung schöpfe zum Weiterwachsen und daß es sich in diesem ,Wir' wie in einem Spiegel betrachten möge." 489 Zur Lektüre stand der Briefwechsel Claudel-Riviere490 und Dostojewskys „Doppelgänger". In diesem Buch wird die Gefährdung des Menschen in der durch die Großstadt symbolisierten Kulturkrise der Gegenwart dargestellt. Das Thema vom Menschen, der unter den gegenwärtigen Bedingungen des Lebens in einer inhumanen, unmenschlichen Umgebung in seinem Menschsein gefährdet ist, nahm die existentielle Situation des „SchollBundes" genau auf. Es bedarf keiner allzu großen Phantasie, sich die Stimmung in der Hütte vorzustellen: draußen Schneesturm, innen bullig warm, Kerzenschein, ein wenig vom Alkohol benebelt, weit entfernt von der Kaserne und den Zwängen des Hitler-Reiches ... Die Diskussion kreiste um Dichtung, Musik und Kunst, um deren Möglichkeiten, damit den „Hunger der Seele" zu stillen. „,Diesen Hunger', sagte Hans" - und das sind in diesen Passagen, die leider nicht vollständig abgedruckt sind, die einzigen Hinweise auf das oben beschriebene religiöse Erwachen von Hans Scholl - .„diesen Hunger kann die Musik nicht, kann keine Kunst stillen. Nichts, was aus dem Menschen kommt, kann diesen Hunger stillen [nur Gott]. Es kann höchstens hinweisen auf das Brot. Das ist alles.'" 491 Mitte Februar 1942492 ergab sich für Inge Scholl wieder die Gelegenheit, einige Tage in München zu verbringen. Muth hatte sie eingeladen, in seinem Haus zu Gast zu sein. Wiederum verknüpft ihr Bericht die äußeren Umstände mit den erwarteten geistigen Geschehnissen: „Die Stadt nahm sich in dem Frühjahrsmatsch noch etwas schmuddeliger aus als sonst, während draußen 487 488

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Jens (Hg.), Scholl 73-77. Dabei waren Hans, Inge und Sophie Scholl, sowie der Enkel von Muth, Wulfried, und zwei Hamburger Freundinnen, wohl Traute und Ulla. Dazu auch Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 3.1.1942; Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 7.2.1942, in dem sie Wulfried als „argen Jungen" charakterisiert. Nicht dabei war Aicher, was sein Brief an Muth vom 28.12. nahelegt, in dem er berichtet, sich über die Feiertage „von der fast durchweg betrunkenen Batterie" zurückgezogen und heimlich einen Aufsatz geschrieben zu haben; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 28.12.1941. Jens (Hg.), Scholl 268. Paul Claudel-Jacques Riviere, München 21955. Jens (Hg.), Scholl 270. Damit griff der Freundeskreis Otls Aufsatz über Michelangelos Sonette auf; siehe oben. Ab Samstag, den 14. Februar war sie in München; Datierung nach zwei Briefen von Hans Scholl: „Ich erwarte Inge hier am nächsten Samstag. Das muß ein großer Tag werden!" An die Schwester Elisabeth 10.2.1942; Jens (Hg.), Scholl 78f.

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abseits des Häusermeeres sauberer Schnee die Erde bedeckt hielt."493 Hans Scholl holte seine Schwester vom Bahnhof ab und brachte sie nach Solln. Dort „wurden sie von dem alten, guten Freund mit unbeschreiblicher Güte empfangen. Mit behutsamen, vorsichtigen Schritten ging die große, vom Alter gebeugte Gestalt von Schalter zu Schalter, knipste alle Lichter an - ,denn das ist heute ein Fest' - und" - so würdigte Inge Scholl - „ich kann mir nicht denken, daß ... der herzlichste Empfang solch einfache Gebärde hätte aufwiegen können." Dieser Besuch stand wiederum ganz im Zeichen von Büchern. Muth zeigte seine Bibliothek. „Bücher, Bücher, Bücher. Augustinus, Goethe, Fenelon, Sophokles, Dostojewsky, Lenin, Bremond ... Kein Raum, wo nicht Regale eingebaut oder aufgestellt waren ... Er geleitete uns dann die Treppe empor zum ersten Stockwerk und führte mich in ein entzückendes Zimmer, in dem ich schlafen sollte. Mit Freuden entdeckte ich auch hier ein zierliches Regal mit Büchern. Welch eigene Wärme geben sie doch der Behausung des Menschen. Mich muteten Bücherschränke mit edlem Inhalt vielmals an wie geistige Kachelöfen." Nachmittag und Abend vergingen wie im Fluge. Das Gespräch drehte sich vor allem um die „geistigen Kachelöfen", besonders um die „verhängnisvolle Art deutscher Geschichtsschreibung". Muth legte Inge und Hans Scholl ausdrücklich die deutsche Geschichte des Franzosen Georges Goyau 494 ans Herz. Dabei zeigte er Inge auch seinen Hausaltar und gab ihr diesen behutsam in die Hände - „ich solle fühlen, wie schwer er sei". Den nächsten Morgen verbrachte sie allein mit Muth, sie lasen gemeinsam den fünften Akt des zweiten Teils von Goethes „Faust". „Es war eine Stunde, ganz erfüllt von dem Glück reinen Gebens und Empfangens." War der Nachmittag im winterlichen Forst auch „recht schön", Inge wollte so schnell wie möglich zurück nach Solln. Hans Scholl stellte Muth bei dieser Gelegenheit zwei Freundinnen vor495; obwohl dieser, wie seine Schwester bemerkt, für „solche Dinge nicht eingenommen, gewährte es Muth seinem Hans doch". Die Eindrücke des Vorabends und des Tages waren für Inge Scholl so überwältigend, daß sie sich auf das Zusammensein mit den Freunden nicht richtig einlassen konnte. Muth und die Gespräche mit ihm gingen ihr nicht aus dem Kopf; schon gar nicht, als sie „in seliger Betroffenheit" entdeckte, daß dieser ihr Köfferchen „mit schönen Büchern" gefüllt hatte496. Für ihre Schwester Sophie begann das Studentenleben sogar im Hause Muths; Anfang Mai 1942 konnte sie nach der Entlassung aus dem Kriegshilfsdienst ihr Studium in München beginnen. Bis sie ein geeignetes Zimmer Bericht über diesen Münchner Besuch und die folgenden Zitate München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 16-21 [Hervorhebung BS]. Georges Goyau, L'Allemagne Religieuse. [1] Le Protestantisme, Paris 1898; [2] Le Catholicisme, Paris 1.1905-4.1909. Vgl. auch die spätere Vernehmung von Traute Lafrenz am 26.2.1943, in der sie von diesem Besuch berichtete; Berlin BA ZC 13267/6. Hans hatte seine Freundin nach dieser Aussage auch beauftragt, Sophie wohlbehalten zu Muth zu bringen. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 20. Muth hatte ihr auch noch eine Packung Pralinen und Seife eingepackt.

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fand, wohnte sie bei Muth 497 . In den ersten Juliwochen verbrachte Inge Scholl ihren Urlaub „in dem stillen, heimatlichen Hause in Solln". „Zehn volle, reiche Tage waren mir dort beschieden, und was für Tage, wunderbare Ferien, die sich hell abhoben und doch wieder verschmolzen mit einer seltsamen Beklemmung ... von zuweilen lastender Angst und Traurigkeit"498. Unter dieser Spannung zwischen Geborgenheit und Angst, Erkenntnis und bewußtem Verschließen der Augen stand ihr Aufenthalt, denn im Juni waren die ersten Flugblätter der „Weißen Rose" aufgetaucht. „Ich wagte sie nicht einmal zu lesen, um nicht aus dem Stil die volle Gewißheit zu bekommen, daß sie von Hans seien ... Mit aller Gewalt wollte ich es, bei den Folgen aus solchen Dingen nicht wahr haben, daß sie von Hans seien, und doch ließ sich die Spur einer hartnäckigen und hellsichtigen Ahnung nicht wegfegen."499 Ohne spätere Projektionen außer Acht zu lassen, belegen diese Zitate, daß für Inge Scholl - und auch für Otl Aicher kein Zweifel daran bestand, daß der Bruder Hans etwas damit zu tun haben mußte, waren doch Argumentationsstruktur und Gedankengang der Flugblätter den beiden durch die Diskussionen im Ulmer Freundeskreis wohlvertraut. Dieser Besuch, der die Weichen endgültig stellte, nimmt in den „Erinnerungen an München" breiten Raum ein. Hier ist nicht der Ort, die einzelnen Tage detailgetreu zu beschreiben. Vielmehr muß es darum gehen, die geistigen Dimensionen und ihre Bedeutung für die „biographie intellectuelle" Inge Scholls auszumessen und in das Gesamt einzuordnen, wobei einzelne Ereignisse - wie die Begegnung Inge Scholls mit Hedwig Conrad-Martius, Theodor Haecker und Werner Bergengruen - dahinter zurücktreten müssen. Randvoll waren die Ferientage Inge Scholls, aber ihre Präferenzen - nämlich das intime Gespräch mit Muth - kommen deutlich zum Ausdruck. Typisch der Verlauf des ersten Ferientags 500 : Der Bruder Werner sollte auf der Durchreise an die russische Front über München kommen. Daraus wurde aber nichts. Dafür lernte Inge Scholl Professor Huber kennen, als sie mit Hans und Sophie dessen Vorlesung über Leibniz besuchte. Im Anschluß daran gingen Hans und Inge in ein Antiquariat, in eine, wie Inge Scholl beschreibt, „originelle Boutique, wo alle möglichen Bücher in einem sorglosen Durcheinander angehäuft waren wie in einem Gemüseladen, darunter manche interessanten und schönen Dinge." 501 Der Antiquar, wahrscheinlich Josef Söhngen, der später im Zusammenhang mit den Aktionen der „Weißen Rose" verhaftet wurde, erschien ihr zwar als „komischer, alter Kauz", doch drollig und nett, und sie erstanden schließlich einige Sachen. „Darauf trennten wir uns und ich fuhr wieder allein nach Solln zurück." Nachmittags 497

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Dazu Jens (Hg.), Scholl 83, 208; München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 21: „Zunächst durfte sie bei dem gütigen Herrn Muth wohnen, bis sich ein kleines Zimmerchen für sie fand, in dem sie nun ganz selbständig und allein war." Bericht über diesen Urlaub in München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 21-58. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 22. Wohl der 9.7.1942, wobei die Datierung nicht eindeutig ist, weil der Text nicht chronologisch vorgeht, sondern häufig von Ereignis zu Ereignis springt. Die Datierung erfolgt nach dem Termin der Lesung Haeckers, die am 10.7. stattfand. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 27.

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trank man gemeinsam Kaffee „unter der summenden Linde", bis Hans auftauchte, der Inge zu seinen Freunden eingeladen hatte, um den „Seidenen Schuh" von Claudel in Rollen zu lesen. Dieses Werk Claudels steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem „Renouveau Catholique", als dessen wichtigster literarischer Vertreter er gilt. „Der seidene Schuh" 502 wird häufig als „summa poetica" bezeichnet, die alle Motive, Gedanken, Formen und Symbole aus seiner dichterischen Lebensleistung zusammenfaßt und eine panoramahafte Vision des ganzen Universums bietet503. Aus den Briefen und Aufzeichnungen von Hans und Sophie Scholl geht hervor, daß sich der Münchner Freundeskreis schon länger mit der Lektüre dieses Stückes beschäftigte. Bereits am 10. Februar schrieb Hans an seine Schwester Elisabeth, er lese zur Zeit mit einigen Freunden den „Seidenen Schuh" 504 . Und Sophie berichtete am 24. Juni ähnliches 505 . Was lag näher, als Inge bei ihrem Besuch im Juli mit einzubeziehen und ihr bei dieser Gelegenheit gleich alle Freunde vorzustellen? Der Abend fand im vom „schönen Garten" umgebenen Elternhaus von Alexander Schmoreil, genannt „Schurik" statt. Diesen kannte Inge Scholl bereits, wie auch Traute Lafrenz und Raimund Samüller506. Neu lernte sie Christoph Probst kennen - „von dem mir meine Geschwister schon mit so viel Hochachtung und Zuneigung erzählt hatten". Als es zu dunkeln begann, begaben sich alle ins Haus, „um mit dem Lesen zu beginnen". Als Textvorlage diente mit ziemlicher Sicherheit die Übersetzung von Hans Urs von Balthasar, die 1939 in Salzburg erschienen war 507 . Welcher Teil gelesen wurde, ist nicht genau festzustellen. In jedem der vier als „Journees" (Tage) bezeichneten Teile, in die das vielschichtige vom Symbol des seidenen Schuhs zusammengehaltene Geschehen zerfällt, kommt die Beziehung auf den geistigen Mittelpunkt, die christliche Weltanschauung Claudels, deutlich zum Ausdruck. Claudel versucht in jedem Teil aus der Kraft seines katholischen Glaubens Antwort zu geben auf die existentiellen Fragen nach der Bestimmung des Menschen in der Welt, nach dem Sinn des Bösen in einer von Gott gewollten Schöpfung, nach Pflicht und Opfer, Ehre und Hingabe, Selbstaufgabe und Erlösung. Als Motto seines Hauptwerkes hatte Claudel das portugiesische Sprichwort gewählt „Gott schreibt gerade auch auf krummen Zeilen". Die krummen Linien seien die Zufälle, die Intrigen und Kämpfe der Menschen, die aber stets ihren Sinn erhielten durch die Zielgerade, die 302

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Der seidene Schuh oder Das Schlimmste trifft nicht immer zu. Eine spanische Handlung in vier Tagen. Entstanden 1919-1924, Uraufführung 27. November 1934 in Paris, erste deutsche Inszenierung 1948 an den Bühnen der Stadt Köln. Kranz, Europas christliche Literatur 357. Auch im „Hochland" wurde „Paul Claudels Meisterwerk" gefeiert; Eugen Gottlob Winkler, in: Hochland 33 (1936) II, 397-408. Jens (Hg.), Scholl 78. Jens (Hg.), Scholl 210. Zu Schmoreil und den weiteren hier genannten Personen vgl. unten. Beschreibung und Zitate nach München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 27-32. Paul Claudel, Der seidene Schuh, Salzburg 1939. Die deutsche Übertragung und das Nachwort von Hans Urs von Balthasar.

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Gott gelegt hat hin zur Erlösung. In diesem Sinne gingen auch die Scholls ganz in dieser Welt, sprich der „dichterischen Verkörperung katholischer Weltschau" 508 , auf: „Der eine oder andere unter uns verstand es, vor allem die Schönheit seiner Rolle lebendig zu machen, wieder ein anderer trug durch die eigene ernste Begeisterung, mit der er las, dazu bei, daß wir alle von dem Zauber des Stückes gefesselt wurden ... Dieser Schwung machte uns frei genug, Hemmungen zurückzulassen und dadurch der Geschlossenheit des Stückes zu dienen." Über eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem „Seidenem Schuh" findet sich an dieser Stelle der „Erinnerungen" zwar kaum etwas, dafür aber Reflexionen über Bedeutung und Möglichkeiten von Freundschaft, die sowohl für den „Scholl-Bund" selbst wie auch für die späteren Freundeskreise im Umfeld der Volkshochschule programmatisch sind. Inge Scholl erörtert von der gemeinsamen Lektüre ausgehend nämlich einen „dritten Weg" zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft, zwischen Individualismus und Kollektivismus. Denn - schreibt die spätere Volkshochschulgründerin - genau „in solchem natürlichen Anziehen und Zusammenfinden von Menschen, die sich um der Höhe und der Werte des Geistes willen in möglichst allseitiger, weiter Offenheit und Empfänglichkeit halten, liegt bereits der Keim zu dem beglückenden Wesen eines fruchtbaren Kreises." Voraussetzung dazu ist „eine bewußte Freiheit und Eigenständigkeit" und trotz aller „Verschiedenheiten des Charakters, der Anlagen und des Milieus... ein einfaches, gemeinsames Ziel..., das jedem auch für sich selbst das Erste ist, und in dem deshalb alles zusammenklingen kann, was an ursprünglich Eigenem vorhanden ist." Die gemeinsame Mühe und das Leiden um dieses Ziel macht wahre Freundschaft erst möglich. „Solche Kreise, die aus der Sehnsucht nach dem Menschen entstehen, sind ein unschätzbares Stück Erdreich ..." Einem solchen Kreis muß es deshalb um die „reine Persönlichkeit" des anderen wie die eigene gehen; nicht ästhetischer Dünkel oder gesellschaftliche Eitelkeit, sondern natürliches und ungezwungenes Zusammenfinden sind angestrebt. Deshalb darf ein solcher Kreis auch nicht von der Gesellschaft abgeschlossen arbeiten, sondern muß eine „besondere Verdichtung dessen darstellen, was sonst so allgemein und lose an Kräften, Ideen und Fragen umherliegt." Er dürfte lautet die abschließende Formulierung - „keine Grenzen haben gegenüber der Welt, müßte vielmehr von der strengsten Kompensation und eifrigsten Arbeit langsam in sie überfließen, wie er immer von ihr leben müßte." „Um die Höhe und die Werte des Geistes" drehte sich auch der nächtliche Heimweg Hans und Inges nach diesem Abend bei Schmorells. Typisch für den Bericht Inge Scholls ist wiederum die Verknüpfung von äußeren Umständen mit innerem Geschehen: die Nacht war schwül, ohne die leiseste Luftbewegung, seltsam beklemmend. „Und doch drängte und rekelte sich unter dieser Nebeldecke eine stille Begeisterung und Freude über diese vorherige Einführung in den kleinen Kreis seiner Freunde." Jetzt fand auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gelesenen statt. Das Nachtgespräch Treffend Kranz, Europas christliche Literatur 357.

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drehte sich um Fragen der Kunst und Ästhetik, die Hans generell beschäftigten, und zwar „um seines eigenen Wesens und Lebens willen". Solche Fragen hatte bereits der „Scholl-Bund" in Ulm zusammen mit Otl Aicher traktiert. Hier soll nur ein Aspekt des Gespräches herausgegriffen werden, der unmittelbar von der Lektüre Claudels beeinflußt wurde: Darüber, „daß Christus ans Kreuz geschlagen wurde", kann die Kunst nicht hinwegsehen. Hans, der nach den „Erinnerungen" alles geistige Wirken auf zwei Prinzipien zurückführte, erstens auf das Klassische, auf die einfache reife Frucht wie bei Raffael oder Maillol und zweitens das Bewegte, wo noch gärendes Werden ist wie bei Michelangelo und Rodin, analog Augustinus, Pascal und Kierkegaard im literarisch-theologischen Bereich, suchte ein gemeinsames Kriterium, „eine tiefe, wesentliche Eigenheit". Gerade das Böse und Schwache in der Welt, das Scheitern des Menschen schien ihm eher aufgehoben im Prinzip der Bewegung. Inge, die für sich noch keine Antwort auf diese Fragen gefunden hatte, bestärkte ihren Bruder darin, diese Problematik nicht aus den Augen zu verlieren, bis sie völlig durchdacht und damit „reife Frucht" geworden wären. Über die Diskussion des Bösen kam das Gespräch auf die Macht, wobei Inge darauf hinwies, daß für sie „Gott die Macht schlechthin" ist, und alles, was uns gegeben ist, an sich nicht böse, sondern von den Menschen zum Guten wie zum Bösen gewendet werden kann, während Hans mehr auf die geheimnisvolle besondere Gefahr, das Dämonische von Macht, hingewiesen wissen wollte. Mittlerweile hatten sie aber die schlafenden Straßen Sollns erreicht und Hans machte sich auf den Rückweg. Die Schwüle war weiter lastend, „doch gewahrte ich nun am Himmel Stern an Stern, die alle eigenartig verschwommen und traurig verzaubert erschienen ..." - äußeres Zeichen dafür, daß das Gespräch kein klärendes Ergebnis gefunden hatte und alles offen geblieben war. Ganz anders verliefen Inges Unterhaltungen mit Carl Muth. Wenn sie nicht in München unterwegs war, saß sie mit Muth im Garten, „lesend oder schreibend, träumend und plaudernd". Viele Fragen kamen auf, die aber im Gegensatz zum nächtlichen Gespräch mit Hans beantwortet wurden. Immer wieder kommt Inge Scholl in ihren „Erinnerungen" darauf zurück, wie ruhig und bedächtig Muth seine Antworten auf ihre drängenden Fragen formulierte; wie abgewogen und gewissenhaft seine Ausführungen waren, wie er die Probleme von allen Seiten beleuchtete: „Aus der Abgeklärtheit des Alters hieß dieser Mann die Gestalten, Ideen und Dinge vom Gesichtspunkt der Mitte aus betrachten." Nicht die extremen, sondern die harmonischen, maßhaltenden Positionen machten Muths Größe aus, von denen sich Inge und ihr Bruder Hans angezogen fühlten509 - im Gegensatz zu Otto Aicher, der die vermittelnde Haltung Muths häufig nicht verstehen konnte und massiv angriff. Auch die Universalität Muths beeindruckte die jungen Ulmer. Das gilt auch und v.a. für den Bereich des Politischen. Dazu Inge Scholl: „Man hatte doch das beruhigende Gefühl, daß er nicht nur mitten drin, sondern vor allem darüber stand und daß ihm Politik oder Kultur nicht das Ganze war, sondern ein Teil"; München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 40.

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„Überall fand ich bei ihm offene Fenster nach allen Himmelsrichtungen, durch die einmal geistiges Leben ein- und ausgeströmt war." Zugespitzt formuliert und alle gegenteiligen Meinungen ausräumend: „Es war eine Weltoffenheit, die den Geist des Katholischen atmete." Vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, warum Muth eine derart zentrale Bedeutung für den „SchollBund" erlangte: Er stand für das „Bleibende alles Geistigen", er war wie „eine winzige, ruhende Insel inmitten des Fließens und Vergehens". Das Bekenntnis Inge Scholls, „hier war die Kultur nicht nur ein Gut, sondern ruhte in einer großen und für mich einmaligen Persönlichkeit", gibt davon beredtes Zeugnis. Denn für sie waren die geistigen „Früchte", wie sie sich erinnert, „geradezu aufgegangen ... in meiner Substanz". Diese Faszination sollte man immer im Hinterkopf behalten, wenn man die Diskussionen und Gesprächsthemen des alternden „Hochland"-Herausgebers mit den Scholls analysiert. Dazu kamen die aktuellen Zeitumstände: Nach drei Jahren Krieg herrschte 1942 kein normales Leben mehr und alle hatten schmerzhafte Erfahrungen mit der Gestapo hinter sich gebracht. Es blieb, um nicht vollends zu resignieren, nur die Hinwendung zum „Bleibenden alles Geistigen". Dementsprechend beschäftigte sich Inge Scholl in den Urlaubstagen bei Muth mit Philosophiegeschichte von Aristoteles über Spinoza und Nietzsche, mit Theologiegeschichte wie Edith Steins Übersetzung des Aquinaten 510 und den Werken von Francis Thompson, mit griechischer Literatur (Antigone), mit Mystik, mit Rilke 511 , mit Bettina von Arnim, mit Goethe, mit Humanität und Humanismus, mit Moderne und Antimoderne. Alles und jedes kam nach Ausweis der Erinnerungen irgendwann einmal zur Sprache. Im folgenden sollen zwei Hauptaspekte herausgegriffen werden: 1. das Gespräch über Fenelon und 2. die Gespräche über das Wesen der Sakramente, über Gebet und Beichte. Bereits 1939 hatte Muth begonnen, über den Geistlichen und Erzieher am Hofe Ludwig XIV, Fenelon, zu forschen512. In den Jahren 1941 bis zu seinem Tode intensivierte er diese Privatstudien, vielleicht, um für eine erste Nummer des „Hochlands" nach Kriegsende einen großen Artikel zu haben. Inge Scholl hatte sich bereit erklärt, ein Kapitel seines Buches mit Schreibmaschine abzuschreiben 513 . Obwohl sie Fenelon bisher nicht kannte, war sie sehr ergriffen von den Ausführungen Muths. Die Seelenverwandtschaft Muth-Fenelon und sein Anliegen, für die bedrängte Gegenwart eine solch „gütige und wohlwollende Gestalt" fruchtbar zu machen, rührten sie an. Zu510

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Edith Stein, Werke, 8 Bde., hg. von L. Gelber/Romaeus. Bd. 3 und 4 Des Hl. Thomas von Aquin Untersuchungen über die Wahrheit, Louvain 1955 und 1959. Die Unterhaltung über Rilke diente dazu, endgültig Abschied von diesem zu nehmen. Für Muth hatte Rilke „nicht zu dem wahren Gott gefunden", wie auch Inge Scholl Rilke mit einer im Keller gewachsenen Pflanze, „blass und mit seltsam ungesunden, unproportionierten Trieben" verglich; München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 25f. Zu den Fenelon-Studien Muth, Muth und das Mittelalterbild 237. Zu Fenelon (1651-1715) TRE 11, 81-83 (Klaus Heitmann). Exemplarisch eine Veröffentlichung Muths zu Fenelon in: Hochland 35 (1937/38) I, 275-290. Vgl. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 23, 36f.

III. Die Mentoren

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dem hatte Muth sie gebeten, ihm zu sagen, „welchen Eindruck ein protestantisch erzogener Mensch ... von dieser Schrift gewinne". Weder Inhalt noch Ton des Geschriebenen, antwortete sie, erschrecken einen evangelischen Leser. Vielmehr fühlte sie sich angezogen von der Darstellung, die den Leser richtiggehend ins Vertrauen ziehe, und durch „den milden Zug des Willens zum Verstehen und zu Versöhnung", der jede konfessionelle Schärfe oder Schroffheit entwaffnet. Die Auseinandersetzung mit dem späteren Erzbischof von Cambrai erbrachte zwei Einsichten: den Wunsch Fenelons, „die zerstreuten Christen einmal wieder in der einen Kirche vereint zu sehen", und das Bemühen, dem einzelnen Menschen in seiner Stellung zu Gott zur Ordnung zu verhelfen, wobei die „innere Freiheit, die Gesundung zur Selbständigkeit und Mündigkeit" als höchste Ziele galten. Hier tat sich für Inge Scholl wiederum eine Brücke zum Katholizismus auf. Immer wieder kamen die beiden auf die Themen Gebet und katholische Sakramentenlehre zurück 514 . An einem Abend, als Inge ihren Gastgeber bereits gemahnt hatte, Ruhe zu halten und seine Kräfte nicht zu verschwenden, entspann sich doch ein längeres Gespräch über die Beichte. Man könnte vermuten, daß Muth seinen Schützling in die katholische Sakramententheologie durch eine kleine Vorlesung oder in einer Art Katechismusunterricht einführte; dem war nach Ausweis der „Erinnerungen" aber nicht so. Auch von einem Herantasten, von der Suche nach einer für eine Protestantin akzeptablen Interpretationsmöglichkeit keine Spur. Vielmehr lesen sich diese - theologisch durchaus anspruchsvollen - Passagen eher wie Bekenntnisse einer sehr selbstbewußten, sich trotzdem selbstvergewissernden, aber die „Wahrheit" bereits in Händen haltenden Person. Keine Zweifel, keine bohrenden Fragen, dagegen eine Apologie der Beichte. Als „Hemmungsmittel gegenüber dem Bösen", als „klare Rechenschaft über das Tun", um zu überprüfen, ob man sich nicht von der Wahrheit oder vom Guten entfernt oder gar trennt, bezeichnete Inge Scholl die Beichte. Sie entspringt dem ewigen Verlangen nach Selbsterkenntnis, analog zur Aussage Pascals, daß in einem vollkommen glücklichen Seinszustand jeder Mensch jedem offen und durchsichtig ist. Der Mensch, entgegnete Muth, will erkannt werden, nicht nur selbst erkennen, und lenkte das Gespräch auf das Sakrament an sich. „Die Beichte ist also das Mittel, um sich seine Leiden von der Seele zu sprechen. Dabei werden sie nicht nur angehört, sondern im Auftrag Christi selbst völlig ausgelöscht." Es kommt gerade darauf an, sich ganz vor Gott zu begeben, antwortete er auf Inges Frage, daß Gott die Fehler der Menschen ohnehin sehe. „Mit Leib und Seele, also mit seinem ganzen Sein,... mit Seele und Mund ... bekennen." Als sie schließlich mitten in der Nacht endlich schlafen gingen, Inge Scholl Carl Muth die Hand zum Gutenachtgruß reichte, „nahm er sie in seine beiden Hände und sagte leise: ,Gott segne Sie'." Und einige Tage später, nachdem Inge Scholl wieder nach Ulm zurückgekehrt war, wo sie die 514

Vgl. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 24f., 40-44. Auch Sophie beschäftigte zu dieser Zeit das Thema „Gebet" sehr; vgl. als Bsp. die Tagebucheinträge vom 29.6.1942 und 15.7.1942; Jens (Hg.), Scholl 212.

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Erster Teil: IDEALE

Nachricht erreichte, daß ihr Vater vor einem Sondergericht wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz geladen wurde 515 , fuhr sie prompt nach München zurück, um Muth mitzuteilen, „was sich jäh und bedrückend auf uns gelegt hatte". Dieser verabschiedete sie mit dem Kreuzeszeichen und dem Hinweis: „Das habe ich auch Hans gemacht, wie er nach Rußland fuhr."516 Carl Muth war zum „zweiten Vater", zum Mentor in existentiellen, geistigen und theologischen Fragen avanciert. Er führte die Geschwister zu den eigentlichen Fundamenten, die für ihn in tiefer, umfassender Humanität bestanden und ihre Verwurzelung im Höchsten, sprich: in Gott hatten - so verstand Muth Katholizismus. Das kleine Haus in Solln war zur zweiten Heimat geworden, zu einem strahlenden „Lichtkern". Die so „liebe" und „feine", „zarte" und „zerbrechliche" Gestalt Muths übte eine ungeheure und fast unbeschreibliche Faszination aus. „In dieser Persönlichkeit" - faßt Inge Scholl zusammen - „war es den mannigfaltigen Geistesströmungen des Abendlandes und später Europas gelungen, in geschwisterlicher Zueignung einander zu ergänzen und, ihre gegenseitige Abhängigkeit und ihre zarten Bezogenheiten demütig bejahend, in wohltuender, fruchtbarer Einheit ihre Eigenarten zusammenklingen zu lassen." 517 Gerade in einer Welt, in der es nur den Menschen gab, „nicht erschaffen, ohne Ende, ohne Ziel und Sinn", fanden sie zu Muth, fanden neuen Mut zu einer im Grunde positiven katholischen Welterfahrung. „Wehe mir", und das soll das Schlußwort Inge Scholls sein, „hätte auch ich mich in den Strudeln von namenlosem Grauen an einer solchen Welt der Gottverlassenheit halten müssen." 518

e) Muth und Aicher - oder: Zwischen „Kribbel" und „Malariarappel" Otto Aicher hatte bei den Münchner Besuchen seiner späteren Frau etwas das Nachsehen. Seit dem Stellungsbefehl vom September 1941 konnte er seine Fahrten nach München nicht im bisherigen Umfang aufrecht erhalten. Erst Ende 1942/Anfang 1943 war es ihm möglich, Muth gemeinsam mit Inge Scholl zu besuchen. Aicher begann deshalb einen Briefwechsel mit Muth, 315

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Die Durchsicht der Gefangenentagebücher der Stafanstalten Ulm und Stuttgart ergab lediglich Aufschlüsse über die Haftzeit von April bis Juni 1943 aufgrund eines Urteils des Sondergerichts Stuttgart. Über diesen Fall eines Vergehens gegen das Heimtückegesetz sind außerdem Gefangenenpersonalakten überliefert; Ludwigsburg StA E 356 g Bd. 6356 Eintrag Nr. 20 und E 356 g Bü 4325. Zu den Sondergerichten Alfred Streim, Zur Bildung und Tätigkeit der Sondergerichte, in: Formen des Widerstandes im Südwesten 237-258; Hans Wüllenweber, Sondergerichte im Dritten Reich: vergessene Verbrechen der Justiz, Frankfurt/Main 1990. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 62. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 20. Dazu auch Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 19.5.1942, wo Muth Inge Scholl bittet, viel Geduld mit sich selbst zu haben, denn bei der gegenwärtigen Umkehrung aller Werte sei es schwer, der abendländischen Kultur zum Durchbruch zu verhelfen. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 26.

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um, wie er treffend formuliert, die Enge aufzubrechen, „die einen sonst in den Lauf der Dinge führt" 519 . In der Handschriften-Abteilung der Bayerischen Staatsbibliothek fanden sich im Nachlaß Muth 27 Briefe Aichers aus dem Zeitraum April 1941 bis Oktober 1944520. O b das alle Briefe Aichers sind, die er an Muth geschrieben hat, steht dahin; die Antwortbriefe Muths auf die sich Aicher in seinen Schreiben immer wieder bezieht - befinden sich wohl im derzeit nicht zugänglichen Privatarchiv Rotis 521 . Was im Krieg verloren ging, muß offen bleiben, solange die Gegenüberlieferung nicht zugänglich ist522. Durch dieses Manko lassen sich die meisten Dispute nur schwer rekonstruieren, etwa wenn es sich darum drehte, einen Satz des Thomas von Aquin oder des Hl. Ambrosius theologisch einzuordnen und auf die eigene Situation anzuwenden 523 . Deshalb erscheinen Aichers Briefe oft unzusammenhängend, etwas exzentrisch und abgehoben. Aus den vielen literarischen Anspielungen und thematischen „Klimmzügen" müssen solche ausgewählt werden, die auch ohne die Antwort Muths verstehbar sind und einen Eindruck vermitteln, wie der junge Aicher um tiefere Erkenntnis gerungen hat. Dies erwies sich als schwierig, zumal Aichers Sprache von recht eigenwilligen Metaphern lebt - was hat ein Schnakenstich mit dem Glauben an Gott zu tun? Davon abgesehen sind die in diesen Briefen niedergelegten Gedanken häufig sehr ungeordnet, sprunghaft und unausgegoren, was ihm

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Aicher, Innenseiten 46. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth. Für 1941 fanden sich elf Briefe, 1942 drei, 1943 sieben, 1944 fünf. Eine lange Pause zwischen Juni 1942 und März 1943 ist auffällig. Muths Nachlaß ging relativ komplett an die Handschriftenabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek, Teile befinden sich noch in Privatbesitz (die fragmentarischen „Erinnerungen"). Was dadurch belegt ist, daß Aicher in den Innenseiten Briefe Muths wörtlich zitiert; Aicher, Innenseiten 67f. Auch Inge Jens, die Zugang hatte, führt im Anmerkungsteil häufig Briefe Muths an. Vgl. Jens (Hg.), Scholl 288. Ohne Nachweis heißt es da: „Es hat sich ein Brief von Carl Muth an Otl Aicher erhalten, der diesen [ersten] Besuch erwähnt: ,Der Pascal-Kopf liegt noch immer in meinem Studio, wohin ich ihn gelegt habe, als mir Ihre Freunde, der Mediziner und seine Schwester ihn in ihrem Namen überbracht haben.' (12.9.1941)". Oder ebd. 267: ein Brief von Muth an Aicher vom 18.2.1942. Im Nachlaß von Otl Aicher, der nach Ulm (HfGA) ging, fanden sich diese Briefe nicht. Auch die Korrespondenz zwischen Inge Scholl und Otto Aicher, auf die Aicher mehrmals rekurriert (etwa im Brief Otto Aicher an Carl Muth 28.12.1941; München BayStaBi Ana 390 ILA), ist nicht zugänglich. Lediglich ein Briefentwurf Muths an Aicher lag in München BayStaBi Ana 390 II.B, Carl Muth an Otto Aicher 25.10.1943. Ein Beispiel für viele: Aicher war an einem Wochenende im August 1942 bei Muth in München. Das Gespräch, bei dem auch Theodor Haecker zugegen war, drehte sich um eine Sentenz, von der die Disputanten annahmen, sie stamme von Lessing, sich aber nicht sicher waren. Aicher sah daraufhin zuhause, gerade in Ulm angekommen, nach und verifizierte diesen Satz als wirklich von Lessing geschrieben. In dem nun folgenden Brief läßt sich Aicher seitenlang über die „innere Wahrheit" und das „wunderbare Licht" dieses Ausspruches aus, ohne diesen aber eigens zu wiederholen. Davon leitet er dann Konsequenzen für seinen Glauben, für das Wesen des Christlichen usw. ab. Es macht wenig Sinn, diese Argumentation Aichers darzustellen, denn sie würde - ohne Kenntnis ihres genauen Bezugsrahmens - in einem luftleeren Raum schweben; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 23.8.1941.

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Muth auch immer wieder vorhielt, wenn er etwa seine Gedanken als „Kribbel" schalt524. In den Briefen Aichers spiegelt sich seine jeweilige Situation - ob im Feld oder im Lazarett, ob in Rußland, Krakau oder Ulm. Seine Briefe gewinnen im Laufe der Zeit an begrifflicher Präzision und Schärfe, wobei die kognitive Auseinandersetzung mit theologisch-philosophischen Grundfragen dominiert. Ein ganzes Spektrum von Fragen wird angesprochen: Buchempfehlungen; das Problem der Erkenntnis; was ist ein Künstler oder „Soll ich nicht doch Bildhauer werden?"; die Aufgabe von Kultur; Gebet; Beschreibung seiner geistlosen Kameraden in Rußland oder die Frage, ob ein Krieg zur höheren Gewalt zu rechnen ist. All diese disparat erscheinenden Komplexe werden aber wie ein roter Faden von einem Thema durchzogen und zusammengebunden, dem Problemkreis, auf den alle anderen Fragen vorausschauen: das Verhältnis von Gnade und Freiheit, wie es schon bei Maritain thematisiert worden war. Über diese theologische und anthropologische Grundsatzfrage diskutierte Aicher in seinen Briefen seitenlang mit Muth. Seinen Ausführungen ist deutlich anzumerken, daß Aicher über kein theologisches Universitätsstudium verfügte, sondern autodidaktisch und selektiv theologische Literatur las und für sich verwertete. Dabei war er aber stets von einem aufrichtigen Bemühen nach „letzter Erkenntnis" geleitet. „Vielleicht wissen Sie mir ein gutes Buch, das mir mehr Klarheit geben kann; denn es ist trostlos, dauernd im Finstern herumzutappen, vollends wenn man solche Gedanken nicht so schnell loswerden kann und - offen gestanden - auch nicht loswerden will, bis man sie geordnet und ausgerichtet hat, und wäre auch nur - ich Esel sage auch noch ,nur' - und wäre auch das die einzige Erkenntnis, die man mitnähme, daß der Kopf wieder einmal an seinem Ende ist"525 schrieb Aicher am 21. April 1941 an den „Sehr verehrten Herrn Professor". Und er schließt mit Dank, auch für den Fall, daß Muth ihm raten sollte, mehr Geduld zu haben und erst „mit dem kleinen EinmaiEins" anzufangen. Von dieser Demut ist im nächsten Brief nichts mehr zu spüren, der sich mit einer Stelle aus der „Summa Theologiae" des Thomas von Aquin beschäftigt. Der Aquinate lehnt dort den Pelagianismus entschieden ab, widerspricht also der Auffassung, daß die Ursache des Glaubens der freie Wahlentscheid des Menschen ist, und definiert Glauben als Geschenk Gottes 526 . Diese Formulierung, führte Aicher in seinem Brief vom 11. Mai 1941 aus, verhindere einen „natürlichen Glauben". Was er damit meint, versucht er in einem Bild auszudrücken: „Wenn die Analogie noch einen Sinn hat, dann müßte das so sein, denn Kolumbus war für die Spanier, was Christus für die Menschheit war: auch sie wurden in ihrer Erkenntnis (und der

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Vgl. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 29.6.1941. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 21.4.1941. Thomas von Aquin, Summa theologiae III 6, 1. Vgl auch die im Faszikel (München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth) extra liegende Abschrift Aichers dieser Stelle, der die Übersetzung von Bernhart verwendete: Thomas von Aquino, Summe der Theologie. Zusammengefaßt, eingeleitet und erläutert von Joseph Bernhart, 3 Bde., Leipzig 1934-38.

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Glaube heilt doch zuerst diese, wie die Liebe den Willen) über ihre Natur erhoben, weil auch sie etwas erfuhren was (für sie) über dem menschlichen Erkennen lag, das doch auf den Sinnen ruht; denn sie konnten nicht aus ihrer Umgebung die Erfahrung machen, daß es noch neues Land gebe, da mußte erst einer von diesem neuen Land herüberkommen." Aichers Problem liegt darin, daß er eine voll befriedigende Verhältnisbestimmung von Gnade und Freiheit für sich nicht gefunden zu haben scheint. Er versucht daher, von seinen Glaubenserfahrungen ausgehend, die Unabhängigkeit des Glaubensentscheides über die Möglichkeiten der Gnade, wie sie theologisch vorgegeben sind, zu stellen, und gleitet damit doch in eine Art Pelagianismus ab. Gnade bleibt Gnade, so Aicher, ob sie nun äußerlich ist oder innerlich 527 , ob der Mensch sie annimmt oder ablehnt. Damit sucht er wieder einmal einen dritten Weg, den er im „Semipelagianismus", der die Extrempositionen ablehnt und Gnade und Freiheit nebeneinander stehen läßt, findet. Dann, überlegte Aicher weiter, stellt sich aber das Problem des Willens und der Vernunft neu. Wenn man klar eingesehen hat, was zu tun ist, dann muß man es tun wollen. Trotzdem kann es einem so gehen wie einem Auto, das im Dreck stecken geblieben ist und obwohl man Gas gibt, nicht vom Fleck kommt, weil die Räder durchdrehen 528 . Auf die aktuelle Situation angewendet: wenn man erkannt hat, was hinter dem Nationalsozialismus steckt, muß man dagegen vorgehen. Dieser Befund deckt sich mit den Überlegungen, die Aicher 1942 in Rußland anstellte. Wie immer mit Lesestoff gut ausgerüstet, las er auf der Fahrt zur Front diesmal die „Pensees" von Blaise Pascal. Hier fand er eine Stelle, die ihn begleitete „wie das Wort eines Engels": „Die wahren Christen gehorchen trotzdem der Torheit, nicht weil sie die Torheit, sondern weil sie den Befehl Gottes achten, der sie, um die Menschen zu bestrafen, dieser Torheit Untertan machte" 529 . Nun will Aicher erst erkannt haben, was Muth ihm schon immer gesagt hat. Aber die Autorität Pascals zusammen mit Muths Äußerungen machen es ihm leichter, obwohl er immer noch „auf dem Scheitel der Waage" steht 530 . Damit war die Frage direkt angesprochen, ob sich nicht gerade Christen dem Nationalsozialismus widersetzen müßten - was für heftige Diskussionen in Ulm gesorgt haben dürfte. In den nächsten Monaten ringt Aicher jedoch zunächst einmal weiter mit dem theologischen Grundsatzproblem und seiner Lösung. Für ihn war gerade die Vernunft, sprich: das Denken, ausschlaggebend für seinen Glauben. „Wenn ich nicht vom Denken her, was ja zuerst nur im Kritisieren bestand, in den Glauben eingedrungen wäre, hätte ich wohl nie die Ebene, auf der heute eine Gemeinde steht, hinter mir lassen können, so daß es allein der Glaube ist, der mir die Kraft der Begeisterung gibt und nicht zuerst die Per327

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Zum Begriff Gnade, seiner Problematik, und den unterschiedlichen Konzepten LThK3 4, 761789. Vgl. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 11.5.1941. Fragment Nr. 338. Blaise Pascal, Über die Religion und über einige andere Gegenstände (Pensees). Übertragen und herausgegeben von Ewald Wasmuth, Berlin 1937, 163f. Aicher vermerkte in seinem Brief, daß er diese Ausgabe verwendete. Vgl. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 24.4.1942.

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Erster Teil: IDEALE

son eines Pfarrers." Typisch Aichersch lehnt er sich auch hier wieder gegen jede Vaterfigur auf: es bringt nichts, nur vom Glauben zu hören oder gesagt zu bekommen, daß Glauben gut ist, man muß es am eigenen Leib erfahren, denn der Glaube wird erst durch das Denken sehend 531 . Diese Diskussion um den Glauben wurde auch in unveränderter Form im Freundeskreis geführt. Für Aicher, der sich mit seinem Vater in einer Konfliktsituation zu sehen glaubte, war klar, daß Gott nicht Vater sein könne. Vor allem seine Auseinandersetzungen mit Sophie zu diesem Thema, wie sie in den „Innenseiten des Krieges" immer wieder beschrieben werden 532 , erhellen die tieferen Beweggründe der im Briefwechsel angesprochenen Fragen. Otto, um nur ein Beispiel zu nennen, diskutierte mit Sophie die Frage „Wer ist Gott?" Nicht der „große Gott", der Sophie zu fern erschien, der richtende, alleswissende protestantische Gott, antwortete Aicher, ist wichtig, sondern der „kleine Gott", der nicht die Geschichte lenkt, sich nicht um die Herrscher kümmert, sondern um die Kleinen, „die von der Geschichtsschreibung auf den Kompost geworfen werden". Und das ist auch der „liebende Gott", der seinen Sohn in die Welt sandte zur Erlösung der Menschen. Über dieses Thema scheint sich Aicher bei seinem nächsten Besuch in München mit Muth intensiv unterhalten zu haben, denn in seinem Brief von Ende Juli spricht Aicher auf einmal nur noch von der Liebe zu Gott und der Liebe Gottes: „Sollte es etwas geben, das noch mehr Wärme und Seligkeit einem zu geben vermag als ein Buch oder eine Freundschaft"? Die Liebe ist das Höchste, nicht das Letzte, denn das ist Gott, endet Aicher 533 . Bei diesen Ausführungen legt sich die Vermutung nahe, daß sich im Freundeskreis mittlerweile Paare gebildet hatten. Obwohl Sophie mit Fritz Hartnagel befreundet war, scheint Aicher sich zu ihr besonders hingezogen gefühlt zu haben, dann ist aber wieder Inge diejenige, um die er gerungen haben will. Erklärlich wird die enge Bindung an Sophie durch das gemeinsame Interesse an Kunst und Malerei534. Die folgenden Briefe an Muth sind ganz bestimmt von der Diskussion der Konsequenz aus der Erkenntnis „Gott ist Liebe" und der Erlösung des Menschen durch Gott und die daraus resultierende Vergebung der Sünden. Davon ausgehend reflektiert Aicher über die Bedeutung der Nächstenliebe und führt jede Kultur auf dieses Prinzip zurück 535 . Ab und an verfällt er wieder in den „Pelagianismus", beispielsweise, wenn er den Willen Gottes an die Freiheit des Menschen bindet 536 - was ihm Muth in seinen Antworten aber 331 332

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München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 29.6.1941. Aicher, Innenseiten 63-70 und passim. Vgl. auch die Briefe Sophie Scholls an Aicher bei Jens (Hg.), Scholl. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 23.7.1941. Sophie war mit Otl diejenige im Freundeskreis, die sich intensiv mit Pinsel und Farbe bzw. Bleistift und Skizzenblock beschäftigte; vgl. die Skizzen Sophies, v.a. ihre Studien zu Kinderköpfen aus ihrer Zeit als Kindergärtnerin bei Vinke, Leben passim. Vgl. als ein Bsp. den Brief vom 23.8.1941; München BayStaBi Ana 390 ILA Otto Aicher an Carl Muth. „Im allgemeinen finde ich den Willen des Gottes immer an den Willen des Menschen gebunden, daß Gott in der Geschichte nicht wirkt, ohne die Freiheit des Menschen ..."; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 16.10.1941.

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immer und immer wieder auseinandergesetzt zu haben scheint, denn die Briefanfänge sind voll von Sätzen des Dankes, daß Muth ihn auf sein „Grundübel" aufmerksam gemacht habe 537 . Auch seinen Rationalismus, sein ständiges Memento, nur durch Erkenntnis und Denkanstrengung weiter zu kommen, kritisierte Muth heftig538. Überhaupt scheint ihm der Gedankenaustausch mit Muth geholfen zu haben, über die Tatsache, Soldat werden zu müssen, leichter hinweg zu kommen. Aicher weigerte sich, die Offizierslaufbahn einzuschlagen und wurde bei der Artillerie eingesetzt539. „Ich hätte in dieser Verworrenheit allen Grund zu klagen, wozuhin noch das Kommißleben kommt, das mich oft einschnürt wie in ein Gefängnis, und doch bin ich unsagbar froh und sonnig, und alles Leid wird von der Freude aufgelöst, die aus dem Bewußtsein kommt, daß man in der Liebe Gottes steht. Gott, der LTnaussprechliche, liebt mich! Es ist ein Gedanke zum Erschrecken und doch voller Seligkeit. Ich habe das Bewußtsein nicht immer gehabt, es ist mir aufgegangen wie ein Stern." 540 Aus dieser persönlichen Glaubensgewißheit zieht der knapp 20jährige im März 1942 eine Schlußfolgerung, die ein Jahr später von Hans und Sophie in letzter Konsequenz ausgeführt werden sollte. Denn, so Aicher, „selbst der Tod hat keine Geißel mehr", wenn die Liebe Gottes den Tod besiegt und ihm allen Stachel genommen hat. „Gerne würde ich sterben für die letzten Konsequenzen der Wahrheit", aber er würde nicht sterben für diesen Führer, dieses Vaterland und dieses Volk541. Daß Otl mit seinen Freunden über die „Konsequenzen der Wahrheit" bis hin zum Tod diskutiert hat, belegen einige Briefe von Hans und Sophie wie auch die Ausführungen Aichers. O b „freiwillig" wie Hans und Werner Scholl sowie Fritz Hartnagel oder widerwillig wie Otto Aicher, blauäugig und ohne Gedanken an den Tod sind die Freunde sicherlich nicht in den Krieg gezogen. Zudem war ihnen durch die Lektüre Maritains das „Martyrium als Lösung" bekannt geworden. Es steht zu vermuten, daß Otto bei den Auseinandersetzungen um dieses Thema gewissermaßen der „spiritus rector" war. Denn er bemühte sich mit allen Kräften darum, die Scholl-Geschwister in die katholische „Mutterkirche" heimzuführen. Er war es, der, wie die Briefe nach München sowie an die Freunde und seine Erinnerungen dokumentieren, bei diesen Themen nicht lockerließ oder sich mit halben Wahrheiten zufrieden gab. Seine „intellektuelle Redlich-

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„Schön von Ihnen war, daß Sie mich wieder auf meinen Pelagianismus aufmerksam machen, denn er war von jeher mein Grundübel"; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 28.12.1941. Aicher schreibt aus Rußland am 24.4.1942, daß Muth ihm zwar seinen Rationalismus nicht ausreden habe können, aber dessen Brief sei immer noch mehr wert als jede Schulbildung, die einem nur zum Beruf verhelfen soll; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth. Vgl. die ergreifenden Schilderungen seines Soldatendaseins im Bemühen, sich nicht „verbiegen" zu lassen; Aicher, Innenseiten 47-56 und passim. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 22.3.1942. Er fährt fort: „Ich würde sterben für einen Machtstaat, der sich herausnimmt, die Umwertung aller Werte zu einer politischen Industrie zu machen ..."; Aicher, Innenseiten 85.

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keit" und der Versuch, zu sich selbst zu kommen, ließen nicht zu, „dem Leben seinen Lauf zu lassen" 542 . „Freilich", um auf das obige Zitat und die Bereitschaft zum Tod zurückzukommen, schreibt Aicher weiter, „hat mir die Mühe um meine Freunde so sehr die Liebe zum Menschen geweckt, daß ich gerne noch in dieser Welt bleiben würde, um ihnen wenigstens das zu geben, was mich so selig macht, aber andrerseits würde ich willig das Opfer des Lebens auf mich nehmen, wenn es gälte, die Wahrheit mit seinem Leibe zu hüten." 543 Daß er diese Wahrheit durchaus politisch verstand, belegen seine „Innenseiten" mehr als einmal. Der Gedanke, die Wahrheit mit seinem eigenen Leibe zu hüten, trifft sich mit seiner Meinung, Denken werde erst im Handeln manifest: eine Überzeugung allein reicht nicht, es geht um ihre Wirksamkeit544. Der aufgegangene „Stern" und die „Wahrheit" hatten ihren Grund in der intensiven Beschäftigung mit Thomas von Aquin. In dessen „Summa Theologiae" heißt es lapidar: „religio proprie importat ordinem ad deum", Religion ist die erlösende Beziehung zu Gott. Das genau war die Erkenntnis Aichers, gleichgültig, ob sie durch die Lektüre des Aquinaten zustande kam oder ob zwischenmenschliche Beziehungen den Ausschlag gaben (nach Ausweis der „Innenseiten" traf sich Otto in dieser Zeit häufig mit Sophie545). Für Thomas resultierte daraus eine Theologie und eine Anthropologie zugleich, nach der die letzte Bestimmung und höchste Erfüllung des Menschen allein in der Wirklichkeit Gottes liegen kann. Die anthropologische Bedeutung ist damit klar: Wenn wahres Menschsein und eschatologische Erfüllung des Menschen nur in Gott liegen können, dann kommt dem Verhältnis zu Gott, sprich der Religion, eine fundamentale Bedeutung in bezug auf das geschichtliche Dasein des Menschen zu. Der Kern der Theologie liegt im Gedanken der göttlichen Liebe, die nicht nur eine einzelne Eigenschaft Gottes ist, sondern der Gottes ganzes Verhalten bestimmende Wesenszug. Wenn Gott Liebe ist, und das erkannte Aicher ganz richtig, dann ist das Problem Gnade und Freiheit aufgelöst, denn Liebe will die Freiheit des anderen und kann sich nicht nur mit der eigenen Freiheit begnügen. Dieser „Wendepunkt" in der religiösen Entwicklung des Söflingers wird im Briefwechsel mit Muth sehr deutlich 546 . Neben den theologischen Fragen nach Gnade und Freiheit, Liebe und Gerechtigkeit, christlichem Staat und totalitärem Regime geht es immer wieder um Aichers Ringen um seine Berufung zur Kunst 547 . Einer, der Bildhauer 342 343 344 343

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Vgl. Aicher, Innenseiten 64. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 22.3.1942. Aicher, Innenseiten 18. Dies ist ein Grundsatz Theodor Haeckers! Vgl. das Kapitel „Sophie in Bad Hall"; Aicher, Innenseiten 129-133, und die weiteren Diskussionen 133-140. Vgl. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 24.8.1943: „Doch weiß ich um Gott schon seit meiner Kindheit und doch lernte ich ihn erst lieben, als ich vor zwei Jahren unter ein paar Tannen einer Reitbahn lag." Welches Ereignis im Herbst 1941 damit gemeint ist, muß offenbleiben. Dieses für die Biographie Aichers zentrale Thema kann hier lediglich angedeutet werden. Eine Untersuchung der ganzen Entwicklung steht noch aus. Bislang wurde nur die gestalterische

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werden wollte, mußte das Recht haben zu fragen, was eigentlich ein Künstler ist548. Hinter dieser Berufsperspektive stand zunächst das Bemühen, das Wesen der Kunst zu ergründen, wobei ihn Muth stets wieder auf den Boden der Realität zurückgeholt zu haben scheint, wenn seine Spekulationen allzu abwegig wurden. „Kunst", so Aicher in einem langen Brief im August 1941, der sich hauptsächlich mit dem Zusammenhang Kunst und Kultur beschäftigt, „ist darauf angelegt, uns [den Menschen] zu dienen" 549 . In den folgenden Monaten tritt dieses Thema hinter aktuellen politischen Ereignissen zurück und erst im September 1943 kommt Aicher wieder darauf zu sprechen, Bildhauer zu werden. Manche neuere Zeichnung, die von den Freunden gelobt wurde, bestärke ihn darin 550 . Eines zumindest war für ihn klar, wie er an seinen „Bruder" 551 Grogo schrieb: „Ich könnte alles werden, nur kein Professor oder Pfarrer" 552 . So ist es nicht verwunderlich, daß Aicher auch am äußeren Erscheinungsbild des „Hochland" Kritik übt. Interessanterweise hat sich der Antwortbrief (als Entwurf) Muths auf die Auslassungen Aichers erhalten. Dieser hatte in seinem Brief vom 11. Oktober 1943 aus Krakau das Layout des „Hochland" mit einem alten ausrangierten polnischen Eisenbahnwaggon verglichen: „Ein grasgrüner Kasten mit kleinen, engen Fenstern, einem flachgewölbten, nach beiden Enden vorspringenden Dach, das über den beiden Eingängen an den Stirnseiten des Wagens von verschnörkelten Winkeleisen gestützt wurde, und dazu ein hohes Fahrgestell mit Speichenrädern." Hinter diesem Vergleich steckte für ihn ein „langer aufrichtiger Kummer", wie er Muth im gleichen Atemzug auch bittet, dies mit einem „Lächeln" aufzunehmen. Aicher, der in einem Lazarett die Malaria auskurieren mußte, kritisierte die für ihn „historisierende Form", die in der Gründerzeit stehengeblieben ist553. „An sich ist ja das Äußere eine Nebensächlichkeit, aber es ist doch ein

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Phase nach 1945 in den Blick genommen, ohne nach ihren Hintergründen zu fragen, etwa in den Publikationen des Ulmer HfG-Archives. Meine erste Analyse aufgrund der Briefe Aichers und seiner Texte aus jenen Jahren ergibt folgendes Bild: Aicher beschäftigte sich aus philosophisch-theologischer Perpektive mit Kunst. Zentral war die Erkenntnis, daß Kunst mehr eine Kraft der Seele als der Hand ist und letztlich auf Gott hinweist und -zielt - wie es Theodor Haecker in seinen Arbeiten über die Schönheiten immer wieder dargelegt hatte und wie es in dem Michelangelo-Sonett zum Ausdruck kommt. Vgl. die Textsammlung in Bad Mergentheim PAH und die Fülle von Briefen, die sich mit diesem Thema beschäftigen ebd. und Stuttgart PAK. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 29.6.1941. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 23.8.1941. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 24.8.1943. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 29.6.1940 mit dem Schlußwunsch „Gott schenke Dir seine Gnade wie auch Deinem Bruder Otl". Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 15.8.1943. Die einzelnen Hefte des „Hochland" hatten damals einen papiernen Schutzumschlag, auf dem der Titel „Hochland", der Untertitel „Monatsschrift für alle Gebiete des Wissens/der Literatur u. Kunst" sowie der Begründer/Herausgeber Carl Muth in deutscher Schrift gedruckt waren. Hinzu kam Jahrgang, Ausgabe, Verleger und Verlagsort. Ursprünglich beinhaltete das Signet ein Bild einer lichtumstrahlten Burg vor einer Landschaft und der Untertitel „Hochland - Hohen Geistes Land - Sinn dem Höchsten zugewandt"; Abbildung bei Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit 12.

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Erster Teil: IDEALE

Mangel, wenn die äußere Erscheinung nicht mit der geistigen Beweglichkeit mitkommt und auf einem toten Gleis stehen bleibt." Sein Rundumschlag geht noch weiter, wenn er kritisiert, daß sich das „Hochland" vornehmlich der Literatur zuwendet und die anderen Künste nur „aus einem gewissen Vollkommenheitsbedürfnis" heraus behandle 554 . Muths Antwort fällt dementsprechend aus. Dafür habe er Aicher nicht 70 „Hochland"-Bände geschenkt, schrieb er empört. „Diese Dreistigkeit finde ich unerhört." Wo Aicher denn das Recht dazu hernimmt, „wo sind Ihre Leistungen, um eine solche Kritik üben zu dürfen?" Für Muth ist diese Anmaßung nur durch einen „Malaria-Rappel" erklärlich, wobei der Rest des Briefes einer solchen Entschuldigung widerspricht. Die Ausstattung des „Hochland" ist ohne altmodische Schnörkel und „rein typographisch", auch wenn Aicher in seiner „jugendlichen Unkenntnis" anders empfinde. „Doch ich habe mich schon zu viel über Ihr unreifes Gerede ausgelassen!" Und Muth schließt, tief gekränkt und leicht resigniert, mit Wünschen zur Genesung und „einem geordneten Kopf"555. Mit „geordnetem Kopf" entschuldigte sich Aicher in einem späteren Brief, indem er seine Aufrichtigkeit beteuert und die „reine Offenheit", die diese Kritik geleitet habe, betont 556 . Noch Monate später scheint Muth mißgestimmt gewesen zu sein, was Aicher erst durch Inge Scholl erfahren haben dürfte, denn jetzt trifft ein „großer Entschuldigungsbrief" aus Chemnitz in München ein. Aicher war wohl kurz in München, wußte aber nicht, wo er Muth erreichen konnte - dieser hatte ihm wahrscheinlich nicht mehr geschrieben, wo er sich aufhielt. Um etwas zu tun, ging Aicher in die Frauenkirche, wie er schreibt, um wenigstens „auf irgendeine Weise bei Ihnen" zu sein. „Es tut mir bei dem, was ich von Ihnen schon bekommen habe, so leid, daß ich Sie so gekränkt habe, und ich möchte einmal unter Ihren Augen gestanden haben, um zu wissen, ob Sie mir dies verzeihen können. Dies wäre mir eine große Erleichterung." Im Mai 1944 berichtete Otl dann seinem Freund Frido, er habe Muth im Krankenhaus besucht. Der alte Herr leide „qualvolle Schmerzen", aber der Zwist scheint überwunden 557 . Schon vor dieser großen Krise kam es zu heftigeren Auseinandersetzungen, in denen Muth Aicher ob seiner Unerfahrenheit gescholten zu haben scheint, worüber sich dann Aicher wieder in den Briefen an die Freunde ausließ558. Das Verhältnis Muth-Aicher war also nicht ungetrübt und spannungsfrei. Auch rein äußerlich zeichnet sich in diesem Briefwechsel eine Entwicklung ab: Von der formalen Anrede „Sehr geehrter Herr Professor" kommt 334 333 336

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München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 11.10.1943. München BayStaBi Ana 390 II.B, Carl Muth an Otto Aicher 25.10.1943. „Scheint es Ihnen wirklich eine Unmöglichkeit zu sein, daß ich nur in meinem Vertrauen zu Ihnen wie ein unbeholfenes Kind frei von der Leber weg geredet habe?"; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 22.12.1942. Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 21.5.1944. So äußerte sich Aicher abfällig über Alfred von Martin, der ein „billiger Humanist", ein „Schwärmer" und eine „Schwatzbase" sei. Muth schätzt ihn aber, weshalb es zu einem heftigen Konflikt kam; Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 31.12.1942.

III. Die Mentoren

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Aicher bereits nach dem zweiten Brief ab; fortan schreibt er „Lieber Herr Professor". Als Muth ihn als seinen „jungen Freund" 559 tituliert, freut sich Aicher über diesen Vertrauensbeweis ganz besonders. Schon längst hätte er sich trauen sollen, Muth seinen „väterlichen Freund" zu nennen, „denn so gut in wesentlichen Dingen war noch niemand zu mir wie Sie"560. Die Briefe sind über weite Strecken voller Verehrung für Muth. Und immer wieder heißt es gegen Ende: „Beten sie für mich, ich bete auch für sie". Aicher kann es nicht fassen, daß sich der Mann mit den „schneeweißen Haaren" ihm zuwendet, ihm, der sich gerade noch die „Bubensträhnen aus dem Gesicht kämmte". Er empfand sich als zu „klein" und zu „armselig", die „gewaltigen Unterschiede" hießen ihn zaudern, denn: „Sie sind weit mehr als mein Vater, dem ich ohnehin schon so unendlich viel zu verdanken habe" 561 . Immer wieder scheint er von Selbstzweifeln übermannt zu werden, ob er überhaupt das Vertrauen Muths verdiene. Erst nach den Geschehnissen im Umfeld der „Weißen Rose" verdichtet sich für Aicher die Gewißheit, zurecht das Vertrauen und die Hinwendung Muths erhalten zu haben. Sein Brief vom 28. Januar 1944, mit dem er Muth zum Geburtstag gratulierte, nimmt zudem alle vorangegangenen Zweifel und Diskussionen auf und bildet zweifelsohne einen Höhepunkt. „Mit diesen ausblickenden Wünschen" - schreibt Aicher aus dem Lazarett in Chemnitz - „will ich aber auch, nach dem Verflossenen blickend, immer wieder Ihnen [sie!] meine Dankbarkeit wissen lassen. Sie haben mir unermeßlich viel geschenkt, am meisten vielleicht, wo Sie am wenigsten an mich gedacht haben, freilich auch sonst, und da vor allem in den geheimen Sorgen um mich, die ich mir erahnt habe. Am glücklichsten war ich immer und bin es immer noch ob Ihrer Wesensart und Ihrer Person. Gewiß werden alle die schönen und reichen Besuche eine bleibende Erinnerung sein, aber ihre Frucht wird kaum an den Gewinn heranreichen, der in Ihrem Wesen liegt. Die Art, wie Sie Ihr Menschsein auskosten, war für mich etwas ganz Neues und in der deutschen Umgebung ganz Unbekanntes. Und seitdem ich diese Art kennengelernt habe, bin ich fast noch auf eine innigere Weise an Sie gebunden als ein Kind an seinen Vater, weil ich noch nicht sein kann, was dieses selbstverständlicherweise durch sein Blut ist und es doch sein möchte. Sie waren mir nicht nur in gutem Rat und in Ihrem Vertrauen ein väterlicher Freund, ich habe nach Ihnen gelebt, als die Verkörperung all dessen, was ich allmählich als den wahren Gehalt und die wahre Höhe der Dinge erkenne. Ihre Ausgeglichenheit, Milde und Allseitigkeit, Ihre Güte und Liebe war mir bis in den tiefsten Grund meiner Seele ein Bedürfnis, um die Härte und die Kraft zu ersetzen, womit man uns aus der Schule entlassen hat. Das Abgerundete und die Kraft des Weichen ist mir bei Ihnen zu einer solchen Wohltat geworden, daß ich seitdem nicht mehr leben kann mit meinem engen Zug ins Weite. Ach, wer weiß, ob mir überhaupt je 339 360 361

München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 3.6.1942. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 24.4.1942. Zitate aus München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 3.6.1942.

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Erster Teil: IDEALE

der wahre Gehalt der Griechen aufgegangen wäre und ob ich mich hätte so an einer vergilischen Seele begeistern können, wenn ich nicht Sie hätte kennengelernt, ehe sich das festkristallisierte, was man in uns hineingegossen hat. Ich weiß, wie sehr schon meine Natur zu einer harten und asketischen Natur neigt, aber ich glaube doch an der Weise, welche Plastik, Malerei und Musik ich zu lieben gelernt habe, einen kleinen Beweis zu besitzen, wie sehr die Einsicht und die Erziehung die Natur aufsaugt. Und der erziehende Vater zu alldem waren Sie! Oh, glauben Sie mir, es sind keine Worte bloßer Achtung, wenn ich Ihnen immer wieder sage, wie dankbar ich Ihnen sein muß. Erst in diesen Tagen sind Sie mir wieder ganz nahe gewesen in dem Bild, wie einseitig und nur in halber Höhe die Philosophen - auch die guten - doch leben, weil sie zuerst denken und philosophieren und nicht leben. Was mir da selbst bei Thomas zu fehlen scheint, kann ich immer noch bei Ihnen finden. Man nennt Sie einen Professor, aber dieser Name steht Ihnen schlecht, denn was sind Sie: Philologe, Historiker, Philosoph oder Theologe? Sie sind einfach ein Mensch, und selbst die Philosophie, die einen doch am ehesten dazu verleiten kann, sich etwas auf sie einzubilden, ist bei Ihnen nie so mächtig, um statt das Leben zu tragen, ihren Kopf in es hineinzustecken und um ihretwillen auszukosten. Man sieht sie nicht bei Ihnen und doch ist sie da, man sieht keine Theologie, und doch ist sie da. Was man sieht, ist ein Leben der Liebe in Güte und Gebet. Sie sind eine wohltuende Gestalt, weil Sie so unscholastisch sind und wahr machen, daß all diese Erkenntnis nur ein Rahmen ist, in den wir das eigene Bild unseres Lebens hineinstellen sollen, indes andere Bücher über alle möglichen Prinzipien schreiben." 562 Bleibt, die Wege Inge Scholls und Otl Aichers wieder zusammenzuführen, bevor der zweite Mentor Theodor Haecker vorgestellt werden soll, wobei Muth als Beziehungsstifter fungierte. „Es ist mir", schreibt Aicher im Dezember 1941563, „als hätten sich zwei Flüsse zu einem Strom zusammengefunden, und die Liebe ist ja um so erquickender, je stärker sie fließt." Mit dem Bild von „zwei Flüssen" meint er vorerst die beiden Konfessionen, Protestantismus und Katholizismus und^damit natürlich die Scholl-Geschwister und sich selbst. Der „Strom" besteht aus der Verbindung zu Muth, aus der Hinwendung zu einem von intellektueller Auseinandersetzung geprägten Katholizismus. Aicher bedankt sich in diesem Brief bei Muth für die freundliche Aufnahme von Hans, Sophie und Inge Scholl durch diesen. Mit großer Freude reagierte er auf die Nachricht, daß sich sogar ein Briefwechsel564 daraus ergeben habe. Wie er selbst „auf einmal viel 362 563

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München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 28.1.1944. Folgende Zitate aus München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 28.12.1941 [Hervorhebungen im Original]. Einige Briefe von Hans und Sophie bzw. Hinweise auf solche bei Jens (Hg.), Scholl passim (Reg.). Die Briefe Inge Scholls an Muth liegen in München BayStaBi Ana 390 ILA, Inge Scholl an Carl Muth, stammen aus der Zeit 1944/45 und sollen deshalb im Zusammenhang mit der Weißen Rose bzw. der Sippenhaft der Familie Scholl behandelt werden. Frühere Briefe waren nicht aufzufinden, wobei es vermutlich solche gab.

III. Die Mentoren

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fester und sicherer geworden" ist, werden auch diese „braven Leute ... sehr viel Nutzen haben aus dieser Begegnung". Schon öfters habe er überlegt, einen Brief Inges an Muth zu schicken, damit dieser sehen könne „wie hoch das Herz der Jugend heute noch schlägt, ja, statt dem noch sagt man fast besser: wie hoch dies Herz wieder schlägt; denn all diesen und noch manchem von meinen Freunden war das Christentum bislang nur eine Anschauung neben vielen andern, und sie hatten ob des Geruches, der noch an ihm haftet, eher einen befremdenden Eindruck davon als eine geheime Zuneigung"Damit dürfte klar sein, wer letztendlich hinter der religiösen „katholischen" Wende der Scholl-Geschwister stand: Otl Aicher. Doch damit nicht genug; Aicher bittet in den folgenden Sätzen Muth um Beistand, „bis der Glaube und die Liebe völlig ihr Herz ergriffen" habe. Denn, „es geht ja um mehr, als die Erde noch hätte für uns. Ich wüßte auch nichts, was mich noch leidenschaftlicher beschäftigen könnte als solch lautere Seelen. Es ist ja auch weit mehr, so einem Menschen zu helfen, als einem Bettler ein Stück Brot zu geben, was für uns zu tun schließlich schon eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Ich habe lange um diese Leute gerungen, und zwar anfänglich fast gegen einen Widerwillen, und Inge hat mir erst neulich gestanden, sie vermutete früher hinter meinem Kommen immer den Versuch, sie zur Konversion zu treiben. Und im letzten Grund hatte sie auch recht, und sie weiß auch nur zu gut, daß sie einmal diesen Schritt zu gehen hat, aber ich habe von diesen Dingen nie gesprochen, und auch als sie mir sagte, sie habe so sehr Angst vor kommenden Entscheidungen, habe ich ihr noch gesagt, vorerst sei für sie das unwichtig, und habe, wenn wir vom Unterschied der Kirche von dem Protestantismus sprachen auch immer das Wort Möhlers 565 hinzugefügt, daß die Katholiken ebenso wie die Protestanten die Kirche verleugnet hatten und daß es zum großen Teil nur die äußere Tradition ist, die die Katholiken über die Protestanten erhebt, um nur eine Konversion hinauszuschieben, bis die Idee der Kirche in ihr so sehr Gestalt gewonnen hat, daß sie freiwillig und in Freude diesen Schlußschritt gehen wird. Und daß diese Idee Gestalt in all ihnen gewinne, bitte ich Sie, helfen Sie, nicht um meinetwillen, sondern allein, damit ihre Seelen auch einmal die Freude des Friedens besitzen. Und ob der gewaltigen Fülle Ihres Lebens und Ihrer getanen Arbeit ist es ja nicht einmal nötig, daß Sie sich sehr anstrengen, allein Ihr Name, wenn er hinter einer vertrauenden Anteilnahme steht, ist für sie eine hilfreiche Stütze."

Johann Adam Möhler, Die Einheit in der Kirche oder das Princip des Catholicismus, Tübingen 1825. Möhlers Position lautet ganz hegelianisch, der Protestantismus sei eine Negation, ein Nicht-Sein. Die Position stelle der Katholizismus dar und die Negation der Negation, also die Rückkehr der Protestanten zum Katholizismus, sei die einzig denkbare Lösung der Kirchenfrage; zu Möhler BBKL 5, 1584-1593 (Hubert Wolf).

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Erster Teil: IDEALE

2. THEODOR HAECKER: DER VATER DES ABENDLANDES?

Im Gegensatz zu Carl Muth hat die Forschung mittlerweile die Rolle bzw. die Bedeutung Theodor Haeckers für die „Weiße Rose" wenigstens zum Teil erkannt. Es ist das Verdienst von Hinrich Siefken566, nachgewiesen zu haben, daß ein innerer Zusammenhang zwischen Haeckers Denken und dem Widerstand der Münchner Studentengruppe bestand. Doch wie verhält es sich mit der Verbindung von Haecker zum Rest des Ulmer Freundeskreises, besonders zu Inge Scholl und Otto Aicher? Den Scholl-Geschwistern waren die Hauptwerke Haeckers durch die Vermittlung Otl Aichers vertraut. Die großen Aufsätze im „Hochland" von Haecker und über ihn dürften ihnen auch nicht entgangen sein, als sie nach der „Wende von 1939" regelmäßig die aktuellen Ausgaben aber auch die zurückliegenden Hefte der katholischen Kulturzeitschrift lasen. Haecker, der zu den bedeutendsten Schriftstellern zwischen beiden Weltkriegen gehörte, unternahm in seinen Hauptwerken, die zwischen 1930 und 1935 in rascher Folge erschienen, den Versuch, durch den Entwurf einer christlichen Philosophie auf die drängende Frage der Zeit eine Antwort zu geben. „,Was ist der Mensch?' war fast ein theologisches Buch" erinnert sich Aicher, „man hätte es ebenso verstehen können als eine Auseinandersetzung mit der Philosophie der Zeit, aber es war vor allem ein politisches Buch, nur - und das rettete es vor einem Verbot - traten alle politisch heiklen Fragen im Gewand der Theologie auf, weniger angreifbar für die Nazis" 567 . Inge Scholl ging bei der Lektüre dieses Buchs „ein allgemeingültiges, eindeutiges Menschenbild" auf, nämlich „das Ebenbild Gottes" 568 . Was Aicher so treffend formuliert, bewahrte Haecker trotzdem nicht vor einem Rede- und Schreibverbot durch die Nationalsozialisten. Der Zug indes, Politik in ein theologisch-philosophisches Gewand zu kleiden, durchzieht das ganze Schaffen Haeckers wie ein roter Faden. Ohne die Kenntnis des biographischen Hintergrunds bleibt eine Würdigung Haeckers jedoch unvollkommen.

a) Vom Satiriker zum Theologen Der Aufbruch aus dem „katholischen Ghetto", wie ihn vor allem Muth mit seinem „Hochland" beschritt, verkündete zwar ein neues katholisches 5« Yg| Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker; Siefken (Bearb.), Haecker; Siefken, Weiße Rose und Theodor Haecker (weitgehend identisch mit Siefken, Vom Bild des Menschen); Siefken, Totalitäre Erfahrungen aus der Sicht eines christlichen Essayisten. Theodor Haecker in München [unveröff. Ms]. Für die freundliche Unterstützung von Hinrich Siefken möchte ich mich an dieser Stelle herzlich bedanken. Vgl. auch die knappe Darstellung bei Vieregg, Wächst Gras darüber? 198-201. 567 Aicher, Innenseiten 29. 568 Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 5.11.1941.

III. Die M e n t o r e n

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Selbstbewußtsein, das jedwede Inferiorität bestritt, aber der Weg war mochten manche seiner Propheten wie etwa Max Scheler auch anderer Meinung sein - noch kein Siegeszug569. Der Bruch zwischen katholischer Tradition und neuzeitlich-politischem Leben in Deutschland war zu tief, um schnell überwunden werden zu können. Die Rezeption des „Renouveau Catholique" als Aufschwung katholisch orientierten Literaturschaffens seit der Jahrhundertwende in Deutschland, wurde - wie bereits oben dargestellt zwar durch Krieg und nationale Gegensätze verzögert, erfolgte dafür jedoch umso intensiver in den Jahren der Weimarer Republik. Bernanos, Bloy, Claudel, Mauriac, Maritain wurden ins Deutsche übersetzt und fanden ihre Leser. Voraussetzung war katholischerseits ein Abebben der ModernismusÄngste innerhalb der Kirche nach 1914. In ihrem kulturellen Engagement öffneten sich nun vermehrt katholische Intellektuelle dem vom „Hochland" vorgezeichneten Weg. Sei es durch die Besinnung auf die christlichen Grundlagen der europäischen Kultur - wie bei Haecker, durch die Entdeckung der mittelalterlichen Philosophie als mögliche Antwort auf drängende Fragen der Gegenwart - wie bei Maritain, oder durch die geistige Auseinandersetzung mit der Welt der Technik - wie bei Berdjajew. In diesen Jahren kam es zu einer ausgesprochenen Blüte katholischer Literatur 570 . Obwohl religiös ausgerichtet, gewann die neue Strömung zunehmend literarisches Eigengewicht und konnte so eine Leserschaft erreichen, die weit über den katholischen Innenraum hinausging, gerade weil sie den kulturkämpferischen Tendenzroman hinter sich gelassen hatte. In den dreißiger Jahren wurde diese Richtung zunehmend an den Rand, später in den Untergrund und in die Emigration getrieben, bevor sie nach 1945 - als es erneut galt, die Erfahrung einer vernichtenden Niederlage zu verarbeiten - zu neuer Blüte und Anerkennung gelangte. Einer, der sich auf diesen Weg gemacht hatte, war Theodor Haecker 571 , der sich in jenen Jahren als Übersetzer von Kierkegaard und Newman 572 hervorgetan sowie durch sein Buch „Satire und Polemik" Aufsehen erregte hatte. Haecker arbeitete seit 1914 in Innsbruck an der Zeitschrift „Brenner" mit, in 31,9

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Zur Situation des Katholizismus in der Weimarer Zeit allgemein Hurten, Katholiken; Rüster, Verlorene Nützlichkeit. Dazu Kranz, Europas christliche Literatur 341-525. Theodor Haecker (1879-1945), 1885-1894 Besuch der Elementarschule/Lyceum in Esslingen, Schulabgang mit dem Einjährigen, 1894-1901 kaufmännische Lehre, Tätigkeit als Kaufmann in Antwerpen, 1901-1903 ohne Abitur „Studiosus phil." an der Universität Berlin, 1903 Rückkehr nach Esslingen, Abitur 1905 und Beginn der Arbeit als Redakteur der humoristischen Wochenschrift „Meggendorfer Blätter" in München durch Vermittlung von Ferdinand Schreiber, die 1928 mit den „Fliegenden Blättern" vereinigt wurden (Haecker blieb bis zuletzt Hauptschriftleiter), 1905-1910 gleichzeitig Studium der Philosophie in München, 1913 erste kulturkritische Schrift über Kierkegaard, 1914 Mitarbeit am „Brenner" auf Einladung Ludwig von Fickers, 1916 kurzfristige Einberufung, 1918 Hochzeit mit Margarete Braunsberg (f 1935); weitere Hinweise zur Biographie im Text; vgl. v.a. die Chronik in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 9-25; Siefken (Bearb.), Haecker; Kampmann, Gelebter Glaube 37-58; Kreuzer, Haecker; Masser, Haecker; zum Werk Mayr, Haecker. Vgl. die Bibliographie bei Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 284-291.

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Erster Teil: IDEALE

dem auch Teile seiner Kierkegaard-Arbeiten erschienen. Nebenher verfaßte der junge Redakteur polemische Auseinandersetzungen mit seiner Zeit, mit Krieg, Wirtschaft, Wissenschaft und Literatentum. 1915 mußte der „Brenner" wegen des Ersten Weltkriegs sein Erscheinen einstellen, und was an Glossen und Aufsätzen von Haecker nicht mehr gedruckt werden konnte, erschien 1922 gesammelt unter dem Titel „Satire und Polemik". Seine Auslassungen gegen die Großstadtpresse, gegen den Krieg mit seiner „sinnlosen Menschenschlächterei" 573 , gegen die „Gotteslästerung von Versailles"574 und gegen die Ansicht, mit der Revolution hätten Geist und Freiheit den Sieg davongetragen 575 , erlangten hohe Aufmerksamkeit - Deutschland hatte von nun an einen „Satiriker und Polemiker ersten Ranges" 576 - bzw. hätte ihn gehabt. „Die einzige wesentliche und prinzipielle Wandlung", schrieb Haecker im Vorwort zu „Satire und Polemik", „habe ich in religiös-theologischen Fragen deutlich anzugeben." Im April 1921 war Haecker katholisch geworden und distanzierte sich in seinem vom November datierten Vorwort vom Inhalt des Bandes - sehr zum konsternierten Verwundern seiner Leser, die gerade den Polemiker und Kunstkritiker in ihm schätzten. Aus dem protestantischen Pietismus Schwabens kommend beschritt er nun einen „katholischen Weg"577, auf den ihn Kierkegaard und Newman (auch dieser ein Konvertit) geführt hatten. Beide Denker scheinen ihn fasziniert zu haben, wohl in ihrem Bemühen, Möglichkeiten christlicher Existenz in einer sich entchristlichenden Welt auszumachen: „Kierkegaard war der Meister seines Ringens, Newman sein Führer zur Wahrheit" 578 . Die Beschäftigung mit diesen beiden großen Denkern resultiert aus Haeckers eigenen Grundfragen: Was ist der Mensch? und Wie wird man Christ? Die Frage nach der Einheit von „Geist und Leben", „Christentum und Kultur" oder von „Wahrheit und Leben", immer im Hinblick auf die Frage der Bezogenheit zur modernen Lebenswelt, beschäftigte ihn fortwährend. Wie viele wurde Haecker in seinem religiösen Empfinden durch Max Scheler579 beeinflußt, dessen Vorlesungen er in München hörte. Haecker war besonders beeindruckt von Schelers Synthese von Geist und Leben, mußte aber schließlich erkennen, daß Scheler die radikale Antithetik von Gott und Schöpfung auch nicht aufzulösen vermochte. 3

Vgl. den Beitrag „Der Krieg und die Führer des Geistes", in: Haecker, Satire und Polemik 63163 (Mai 1915). 4 Vgl. den Beitrag „Versailles", in: Haecker, Satire und Polemik 195-215 (Januar 1920). 3 Vgl. u.a. „Revolution", in: Haecker, Satire und Polemik 226-253. * Treffend Hohoff, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 146. Vgl. dazu insg. Hinrich Siefken, Theodor Haecker und die Satire 1913-1945, ebd. 237-270. 7 „... ich bin auf dem Wege gewesen, langsam aber hartnäckig, und mit Hilfe von oben ..." Haecker, Satire und Polemik 16 (Vorrede). 8 Vgl. Werner Becker, Der Überschritt von Kierkegaard zu Newman in der Lebensgeschichte Theodor Haeckers, in: Newman-Studien 1 (1948) 251-270; Hohoff, Haecker 146-148; Georg Karl Frank, Das theodizeeische Problem im Leben und Denkgefüge Theodor Haeckers, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 271-282, hier 273-275. 9 Zu Scheler, bei dem u.a. auch Ernst Bloch und Romano Guardini hörten, Rüster, Verlorene Nützlichkeit 171-173 und passim.

III. Die M e n t o r e n

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Seine Konversion zwang Haecker jedoch nicht zu unbegrenzter Solidarität mit der katholischen Kirche, worin ihn Aussagen Newmans, daß die katholische Kirche nicht Landes- oder Nationalkirche, sondern Universalkirche sei, bestärkten. Vielmehr verstand sich Haecker selbst als Warner; wie er auch davon überzeugt war, ein Konvertit könne den Katholizismus besser verstehen als ein normaler, katholisch „geborener" Christ: „Manche Katholiken verwechseln sich selbst so mit ihrer Religion, daß sie meinen, man konvertiere ihretwegen und nicht Christi und der Wahrheit wegen. Das ist zuweilen in grotesker Weise komisch." 580 Seine Kritik an der Amtskirche reichte indes noch tiefer. Die katholische Kirche habe, so Haecker in den Tag- und Nachtbüchern, noch lange nicht erkannt, welche „Schätze der Erkenntnis" sie besitzt und welche Bereicherung ihr gerade von Menschen außerhalb der Kirche zugute käme. „Die katholischen Theologen, soweit sie nicht reine Dogmatiker sind, haben sich recht mittelmäßig aufgeführt gegen Männer wie Blumhardt, Hilty, Kierkegaard. Sie sehen nicht einmal blinken die Goldbarren unter dem häretischen Staub. Sie sehen nur diesen. Und das ist schade!" 581 Zum „blinkenden Goldbarren" wurde Haecker für das „Hochland", zwar nicht als der „einzige echte Satiriker", wie ihn Muth in seiner Rezension im „Hochland" bezeichnet hatte 582 , dafür als Verfasser von programmatischen und tiefschürfenden philosophisch-theologischen Aufsätzen. Der Kreis um das „Hochland" in München war nach wie vor die unbestrittene „literarische und kulturkritische Zentralinstanz" 583 im deutschen intellektuellen Katholizismus, weshalb Haecker nicht zögerte, Muth für dessen positive Besprechung von „Satire und Polemik" zu danken. Der nun mit den „höheren Hochland-Weihen" versehene Haecker stattete der Redaktion des „Hochland" am 18. Oktober 1922 einen Dankesbesuch ab. Muth ließ es sich nicht nehmen, Haecker zur Mitarbeit am „Hochland" zu gewinnen - zu dessen Autoren er von 1923 bis zum Verbot 1941 zählte. Nicht nur auf literarischer Ebene war dieser Besuch der Beginn einer fruchtbaren Zusammenarbeit; bald entwickelte sich auch persönlich ein freundschaftliches Verhältnis, was nicht zuletzt darin beredten Ausdruck fand, daß Muth beim dritten Sohn Haeckers als Taufpate fungierte. Haeckers Aufsätze im „Hochland" waren zumeist Vorstudien zu einer selbständigen Schrift. Dabei war sein Grundanliegen, die Frage nach Mensch, Welt und Geschichte neu zu reflektieren und eine Verbindung zwischen phi380

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Haecker, Tag- und Nachtbücher 110 (500). Hier verwendet wurde die Ausgabe von Siefken, zitiert wird jeweils die Seitenzahl und die Nummer des Notats in Klammer. Haecker, Tag- und Nachtbücher 63 (249). Carl Muth, Satire und Polemik, in: Hochland 20 (1922/23) I, 95-100, hier 96. Weiter schreibt Muth: „Es ist die Falschmünzerei der Zeit, die ihm den unverwindlichen Ekel auspreßt vor dem Gebaren ihrer Schriftsteller und sogenannten geistigen Führer. Er haßt die ausgehöhlte Phrase, das akzentlose Wort, die falsche sprachliche Mimik, aber er haßt noch mehr die Ursache von all dieser sprachlichen Unzucht, nämlich ... die geistige und seelische Verluderung" (97). „Das Buch ist eine künstlerische Stilleistung ersten Ranges" (100). Treffend Hurten, Katholiken 147.

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losophischem und theologischem Denken herzustellen. Bedenkt man, daß Haecker sich seine eigene Bildung größtenteils autodidaktisch erworben und auch nie theologische Vorlesungen besucht hatte, erscheint diese Konzeption teilweise zu ausgreifend und groß angelegt, was ihm - auch wohlwollende Kritiker zu Recht als „voreilige Grenzüberschreitungen" ankreideten 584 . Zudem waren seine Schriften großenteils Gelegenheitsschriften, also Repliken auf Neuerscheinungen und Rezensionen und wuchsen nie zu einer „systematischen Gesamtschau" zusammen. In diese Kerbe schlägt auch das Vorwort seines Freundes, des Malers Richard Seewald, der den unsystematischen Charakter der Schriften Haeckers hervorhebt und für Interessenten deshalb nur die Empfehlung bereithält: „nun lies" 585 . Das taten die Scholls und Aicher, und suchten, nach der bei Muth erprobten Manier, natürlich auch den direkten Kontakt.

b) Mut(h) zu Haecker „Im Kreis meines Bruders", antwortete Inge Scholl auf die Frage nach den Verbindungen zu Theodor Haecker, „entdeckte man zu jener Zeit eine ganze Anzahl moderner katholischer Literatur ... Das erste, was uns in die Hände fiel, war Haeckers ,Was ist der Mensch?',,Satire und Polemik'... dann ,Vergil - Vater des Abendlandes', .Mensch und Geschichte' und schließlich lernten wir das ganze Werk kennen." 586 Und in einem Brief an Haecker schreibt sie, daß sie aufs neue erkannt habe, „wie viel ich Ihnen verdanke", als sie „über den Einfluß nachdachte, den Bücher auf mich haben" 587 . Eine ausführlichere Würdigung von Haeckers Leben und Werk im Rahmen unserer Fragestellung erscheint vor diesem Hintergrund mehr als gerechtfertigt. Dabei kann es nicht darum gehen - wie in verschiedenen Aufsätzen oder Abhandlungen über Theodor Haecker immer wieder geschehen - einige wiederkehrende Gegenstände oder gar „drei Prinzipien" im Gesamtwerk auszumachen 588 . Bereits seine Zeitgenossen erkannten, daß Haecker kein „systematischer Denker" war 589 . Und auch ohne die Nazizeit wäre Haecker, wie der Sohn seines Freundes und Verlegers Schreiber sich erinnert, kein berühmter Mann im landläufigen Sinn geworden. Dazu ist die Beschäftigung mit ihm zu unbe384 383

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Dazu Langer, Haecker 221. Richard Seewald, Vorwort zu Theodor Haeckers nachgelassenem Werk „Der Buckel Kierkegaards", Zürich 1947. München IfZ Fa 215/2, Inge Aicher-Scholl, Verbindung zu Theodor Haecker o.D. [ca. 19551960]. Marbach DLA A: Inge Scholl an Theodor Haecker 19.11.1944 (67.676/4). Von Eugen Blessing wurden 1957 einige Grundprinzipien aufgestellt; Blessing, Haecker als Philosoph 58-79. In einigen späteren Darstellungen werden diese „großzügig" zitiert und in umgedrehter Reihenfolge oder ohne Angabe übernommen, so geschehen bei Langer, Haecker 223 oder Rüster, Verlorene Nützlichkeit 340-342. Vgl. als ein Bsp. unter vielen: Haecker zählt eher „zu den aphoristischen als zu den systematischen Denkern"; Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 275.

III. Die M e n t o r e n

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quem. „Haecker kann man nicht ernst nehmen ohne Konsequenzen für das eigene Leben" 590 . Daß die Lektüre von Haeckers Werken Konsequenzen für das eigene Leben hatte, erfuhren um so mehr Otl Aicher, Inge Scholl und der ganze Freundeskreis. Wie schon bei der Beschäftigung mit alter und moderner Philosophie und Theologie kam wiederum Aicher die Vorreiter- und Vordenker-Rolle zu. Wie zu Muth, fuhr der junge Ulmer auch nach München, um Haecker zu besuchen591. Wann das erste Treffen stattfand, ist nicht genau überliefert, wahrscheinlich in den Sommermonaten des Jahres 1941592. In der Folge war Haecker jedenfalls in den Briefen Aichers an Muth immer präsent, egal, ob über einen Aufsatz Haeckers diskutiert oder ein Werk erwähnt wurde, über dem dieser gerade brütete. Haecker wurde in der Folge auch mit dem Rest des „Scholl-Bundes" persönlich bekannt (auch manche Ausgabe des „Windlichts" scheint er mit Beiträgen unterstützt zu haben 593 ). Inge Scholl traf mit Haecker zum ersten Mal im August 1941594 zusammen, als sie zusammen mit Hans Muth die Pascal-Maske überbrachte. Richtig lernte sie Haecker erst im Zusammenhang mit ihrem Münchner Urlaub im Juli 1942 kennen, als Haecker „eine Vorlesung unter näheren Bekannten" 595 - dem Kreis der „Weißen Rose" - hielt, während Hans bereits um die Jahreswende 1941/42 intensiver mit diesem in Kontakt kam596. Um den Geschehnissen, die sich ohnehin erst durch Haecker letztlich verstehen und deuten lassen, nicht allzu weit vorzugreifen, soll zunächst einmal Haecker selbst zu Wort kommen. Dabei legt sich ein weitgehend chronologisches Vorgehen nahe, zumal seine einzelnen Werke aufeinander aufgebaut sind und untereinander viele Bezüge bestehen. Ein umfassendes Resümee der einzelnen Werke zu geben, scheint indes, wie bereits Blessing in seinem Beitrag über Haecker als Philosoph konstatierte, „nicht nur wenig fruchtbar, sondern fast unmöglich zu sein"597. Im folgenden wird also anhand einiger ausgewählter Aufsätze und Bücher Haeckers versucht, seine Bedeutung für den Freundeskreis auszuloten. 390

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Gerhard Schreiber, Meine Erinnerungen an Theodor Haecker, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 189. „Ich fahre nach München, allein, und diskutiere mit Theodor Haecker"; Aicher, Innenseiten 46. Aicher, Innenseiten 129 spricht davon, Haecker nach Muth kennengelernt zu haben. Aus den Briefen ergibt sich ein Zusammentreffen am Sonntag, den 17.8.1941, als Aicher bei Muth zu Besuch war, wo wiederum Haecker anwesend war. In den Briefen von Juni und Juli diskutiert Aicher aber bereits über Werke Haeckers; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth. Vgl. Jens (Hg.), Scholl 259. Inge Aicher-Scholl nennt hier Hans als Vermittler. Vgl auch Siefkens Hinweise zur Biographie Haeckers, der noch auf Gespräche mit Aicher selbst zurückgreifen kann, in: Haecker, Tag- und Nachtbücher 14. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß v.a. Aicher Haecker bewegen konnte, Manuskripte an das Windlicht zu geben. Dazu unten S. 178-182. Wahrscheinlich am Sonntag, den 24.8.1941. Vgl. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 32. Ich zitiere nach diesem unveröffentlichten Manuskript, da die bei Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker abgedruckten „Erinnerungen an Theodor Haecker" nicht vollständig sind bzw. noch andere Quellen publizieren, die nicht dem Originaltext entstammen. Siefken (Bearb.), Haecker 57f. Blessing, Haecker als Philosoph 59.

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Erster Teil: IDEALE

Nachdem Haecker 1921 konvertiert war, wandte er sich einem Thema zu, das sich durch die Konversion gewissermaßen nahelegte und zudem für das „Hochland" schon immer eine zentrale Rolle spielte. Die Frage nach dem rechten Verhältnis von Christentum und Kultur hatte Haecker bereits im Zusammenhang der Übersetzung von Kierkegaard und Newman interessiert und wurde jetzt zum Mittelpunkt seines Denkens. Gerade damals war Haeckers Ansehen bei der katholischen Intelligenz - wie sich Curt Hohoff erinnert 598 - sprunghaft angestiegen. Neben Haecker standen zwar Leute wie Erich Przywara, Romano Guardini, Alois Dempf, Karl Adam, Joseph Bernhart, Peter Wust, der Schweizer Hans Urs von Balthasar oder der junge Joseph Pieper, trotzdem war Haecker als Publizist und Autor der erfolgreichste. Die Erneuerung des Katholizismus in Deutschland analog zur französischen Bewegung des „Renouveau Catholique", wie sie bisher nicht für möglich gehalten worden war, ergriff vor allem die Jugend und die Intelligenz. Im Gefolge Haeckers konvertierten unter anderem Erik Peterson, Richard Seewald, Sigismund von Radecki, Werner Bergengruen, Jakob Hegner und Heinrich Wild. Als 1927 der Band „Christentum und Kultur" erschien, war ihm eine Widmung für Carl Muth vorangestellt, dem „poetis scriptoribus benevolo patriae germaniae rem publicam" 599 . Muth hatte nach den erfolgreichen Aufsätzen im „Hochland" Haecker zu dieser Sammlung ermutigt, in die neben zwei Beiträgen über Kierkegaard und einem über Newman auch die großen Essays „Christentum und Kultur" 600 , „Geist und Leben" 601 und „Über Francis Thompson und Sprachkunst" 602 Eingang fanden. Obwohl die Beiträge allein von ihren Titeln her ein disparates Bild vermitteln, wollen sie als „die Einheit einer Idee" 603 verstanden werden, der Idee nämlich, daß eine innige Verbindung von Christentum und Kultur wieder möglich sein muß, wie sie 398 399

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Vgl. Hohoff, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 156. Anläßlich Muths 60. Geburtstag hatte Haecker die Widmung verfaßt; vgl. Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 13; Text der Widmung Haecker, Christentum und Kultur [nach dem Inhaltsverzeichnis]. Zuerst erschienen unter dem Titel Christentum und Kultur. Aus Anlaß eines Buches, in: Hochland 21 (1923/24) I, 1-24. Anlaß war das Buch von Werner Eiert, Der Kampf um das Christentum seit Schleiermacher und Hegel, München 1921. Der Wiederabdruck ist eine veränderte Fassung. Diese publizistische Auseinandersetzung mit Max Scheler erschien als Aufsatz im „Hochland"; Geist und Leben. Zum Problem Max Scheler, in: Hochland 23 (1926) II, 129-155. Mit Francis Thompson beschäftigte sich Haecker in dieser Zeit ausführlich. Erste Vorstudien: Shelley. Von Francis Thompson. Übersetzt von Theodor Haecker, in: Hochland 21 (1924) II, 55-75; Übersetzung: Francis Thompson, Shelley. Ein Korymbos für den Herbst. Der Jagdhund des Himmels. Ins Deutsche übertragen von Theodor Haecker, Innsbruck 1925. Das Nachwort zu dieser Übersetzung, vorab im Hochland publiziert, wurde dann in den Band „Christentum und Kultur" aufgenommen; Über Francis Thompson und Sprachkunst, in: Hochland 22 (1924/25) I, 68-80 und 206-215. So Haecker in der Notiz zu Beginn; Haecker, Christentum und Kultur. Haecker führt an dieser Stelle die Psalmen, „welche gleicherweise Werke höchster menschlicher Genialität und Kultur wie einer unfehlbaren göttlichen Inspiration sind" sowie Sprüche und Gleichnisse Jesu an; Haecker, Christentum und Kultur 51.

III. Die Mentoren

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schon Realität war604. Den Identitätspunkt bildet der christliche Glaube, der Europa überspannen soll: „Ohne den christlichen Glauben ist Europa nur ein Sandkorn im Wirbelwind der Meinungen, Ideen und Religionen, es wird morgen auf den Knien liegen vor den Russen, übermorgen vor den Japanern, in drei Tagen vor den Chinesen, in vieren vor den Indern, am letzten aber ganz gewiß die Beute der Neger sein; es wird morgen das Matriarchat haben und übermorgen die Pornokratie" 605 . Haecker fordert eine Rückbesinnung auf die christlichen Werte des Abendlandes und nimmt dafür die Literatur in die Pflicht. Allein getragen vom christlichen Glauben kann die „glorreiche Literatur wiederauferstehen in neuer Gestalt", um die unvermeidlichen Auseinandersetzungen, die „Aussprache ..., die blutige und die unblutige", zu bestehen. Da, so könnte man als Quintessenz von Haeckers Ausführungen formulieren, die Deutschen vom Christentum abgefallen sind, wurden aus Christentum und Kultur Gegensätze, wurde der christliche Glaube zur „toten Wahrheit", dem in der Kultur der Zeit kein Leben mehr entspricht. Haecker, der jede zyklische Geschichtstheorie ablehnte und sich vielmehr zu einer heilsgeschichtlichen Linie von Adam bis zum Jüngsten Gericht bekannte, geißelte die „freiwillige Auslieferung" des Menschen an dämonische Mächte" 606 . Vor einer solchen „dämonischen Macht" war er bereits im N o vember 1923 nach Zürich „entflohen", um der spannungsgeladenen Atmosphäre in München nach dem Hitlerputsch auszuweichen 607 . Haeckers Ahnungen gehen - wie es die Formulierungen seiner verschiedenen Essays eindrucksvoll belegen - in immer enger werdenden Kreisen davon aus, daß die große Katastrophe noch bevorsteht. „Wenn es so weit noch lange nicht ist", schreibt der Essayist im Prolog zu „Christentum und Kultur", „dann nur, weil da immer noch 7000 Gerechte sind, die ihres Glaubens leben" 608 . Die Dämonisierung der Moderne 609 war logische Konsequenz der Haeckerschen Theologie, die er selbst als die „natürliche dem Wesen nach, faktisch aber sicherlich [als] die übernatürliche" 610 charakterisiert und 1933 in seiner Schrift „Was ist der Mensch?" entwirft. Haecker geht von einem unbedingten Primat der Schöpfungsordnung aus: die Ordnung in der Welt kommt von Gott, es gibt ein gottgewolltes Oben und Unten und es gilt, in diesem ordo zu bleiben, die Mitte zu finden und nicht, wie es die modernen Zeiten getan haben, diese Ordnung zu ihrem Nachteil beiseite zu schieben. Diese Gedanken, die in fast allen Schriften Haeckers vorkommen und in der Sekundärliteratur in immer neuen Variationen auftauchen, kleidet er in der Einleitung zu „Was ist der Mensch?" in zwei Prinzipien: 1. „Das Höhere kann das Niedere erklären, niemals das Niedere das Höhere" 6 1 1 und 2. „Die

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Haecker, Christentum und Kultur, Prolog 15. Haecker, Christentum und Kultur 52. Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 12. Haecker, Christentum und Kultur, Prolog 15. Zum Begriff GGB 4, 93-131, v.a. 128f. (Hans Ulrich Gumbrecht). Haecker, Was ist der Mensch? 13. Haecker, Was ist der Mensch? 11.

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Erster Teil: IDEALE

Veränderlichkeit des Menschen ist um eine Ordnung kleiner als seine Unveränderlichkeit" bzw. „Die Veränderlichkeit des Menschen ist ein Relativum, seine Unveränderlichkeit ist ein Absolutum" 612 . Von Haeckers Warte aus kann der Abfall der Moderne vom Glauben, die Leblosigkeit des christlichen Geistes in der Kultur nicht anders erklärt werden als durch deren Sturz aus der wahren Ordnung. Bei Vergil fand Haecker das Ideal der wahren Humanität, die großen und einfachen Tugenden und die tragenden Ideen des Abendlandes. „Vergil. Vater des Abendlandes" lautete der Titel der 1931 erschienenen Schrift, in der Haecker die alte katholische Reichs-Idee proklamierte, die in jenen Jahren zu einem ideologischen Gegenargument zum Nationalsozialismus wurde. Das Buch, in vielen Auflagen und Übersetzungen erschienen, wurde gefeiert „als das große Vermächtnis Haeckers an sein Volk und das Abendland" 613 , als Haeckers „strahlendster Stern" und „Krone im schriftstellerischen Gesamtwerk dieses Freundes der Sprache" 614 . Walter Benjamin, der das „autoritäre Denken" Haeckers, das allzu oft einem „Besserwissen" gleichkomme, bemängelte 615 , drang mit seiner Kritik nicht durch; zumal Haeckers anfangs stark von einem Hierarchiebegriff betontes Denken durch seine späteren Aussagen zu „Macht" und „Führertum" relativiert wurde. Einhellig war die Meinung, Vergil gehöre in jede „Rocktasche" 616 , oder, um die heroischen Formulierungen eines Zeitgenossen Haeckers, des Theologen Theoderich Kampmann, zu gebrauchen: „Während Europa sich windet in immer neuen Kämpfen, wahrt hier ein Deutscher die Ehre des Menschen, kämpft hier ein Christ für das natürliche Katholische der Menschheit, weist hier ein Deutscher auf das Humane als auf die Mitte der europäischen Christenheit, feiert hier ein Christ den ,Vater des Abendlandes', die anima naturaliter christiana." 617 In letzter Zeit, hatte Haecker im Vorwort geschrieben, gebe es Tendenzen, die „Einheit des Menschen" 618 zu übersehen, vielmehr noch, sein „ewiges 612 6,3 614 6,3

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Haecker, Was ist der Mensch? 12. So Blessing, Haecker. Gestalt 91. Kampmann, Gelebter Glaube 57. Vgl. Benjamins Kritik am Vergil-Buch: „Der unscheinbare Hilfsbegriff des ,reinen Geistes', der hier auftaucht, verdient Aufmerksamkeit. Denn niemand anders als er ist der Inhaber der sonderbaren Privilegien, die ein Denken, wie Haecker es praktiziert, kennzeichnen. Es hat sich schon gezeigt, daß dieses Denken autoritär ist. Nun hat es aber mit der Autorität eine besondere Bewandtnis. Stark und unerschütterlich muß sie sein - und gewinnend. Weithin sichtbar, wenn man will eine Veste - aber mit tausend Toren. Das Besserwissen ist auch eine feste Burg, nur daß man das Privileg hat, sie allein zu bewohnen"; Walter Benjamin, Gesammelte Schriften 3, hg. von Hella Tiedemann-Bartels, Frankfurt/Main 1972, 318. „In solcher Zeit, o meine Freunde, wollen wir beizeiten überlegen, was wir mitnehmen sollen aus den Greueln der Verwüstung. Wohlan: wie Aeneas zuerst die Penaten, so wir zuerst das Kreuz, das wir immer noch schlagen können, ehe es uns erschlägt. Und dann: nun, was einer am heißesten liebt. Wir aber wollen nicht vergessen unsern Vergil, der in eine Rocktasche geht." Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes, Dialog über Europa. Kampmann, Gelebter Glaube 57f. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 11. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 13.

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Wesen" 619 zu leugnen. Die Vereinzelung des Menschen, seine Verabsolutierung - damit greift er den Topos der Dämonisierung der Moderne auf - sind schuld an der Krisis der Gegenwart. Der Mensch muß zuerst wieder in seiner Einheit mit Gott gesehen werden 620 , genauer: der abendländische Mensch, der „seit über zweitausend Jahren den Prinzipat gehabt hat über alle anderen Völker und Rassen" muß begreifen, daß er die prinzipielle Möglichkeit und Wirklickeit dazu nur durch den Glauben gehabt hat: „Verliert es diesen, so wird er auch jene verlieren". So könne jemand „ohne den Glauben" nicht über den Glauben belehren oder schreiben, weshalb beispielsweise die Mittelalterdarstellungen der George-Schüler oder Abgefallenen „Fehlund Tot-, wenn nicht eine Spottgeburt" seien 621 . „Ecce Poeta!", führt Haecker im ersten Kapitel aus - „Ecce Vergil", der durch sich und sein Werk die Möglichkeit eines „natürlichen, innerlichen Verständnis" gewährt für das „scheinbar überhaupt unerklärliche Faktum, daß aus dem heidnischen Rom ein christliches Rom wurde und ein christliches Abendland" 622 . Vergil, ein „adventistischer Heide" kann ohne den heraufziehenden Glauben und die Rolle, die er in diesem spielte, nicht verstanden werden, zurück bliebe lediglich ein Bild von Diskontinuitäten, wo doch - wenn der Betrachter die rechten Voraussetzungen hat, sprich: den Glauben - Kontinuitäten zu erkennen seien623. Deshalb ist jeder Vergleich der heutigen Zeit mit der Antike unsinnig: Damals zog das Christentum die Massen mit einer wunderbaren Schnelligkeit und Hartnäckigkeit an, während es heute gerade das Proletariat mit beschleunigter Geschwindigkeit abstößt und verliert, damals bestand die große Wendung, die das Christentum brachte in der Vergebung der Sünden, während heute die Menschen kaum mehr etwas wissen von Sünde und Schuld624. Vergil hatte - aus der Sicht Haeckers - auf das Christentum vorausgewiesen und das Christentum wiederum hatte Vergil und das Imperium Romanum beerbt, jedenfalls dort, wo es als Kulturmacht auftrat und das Abendland schuf. „Abendland" und „Christentum" waren für Haecker beinahe synonym, zumindest ideell und historisch so eng verbunden, daß eine Wiedergewinnung der Ideen des Abendlandes ohne das Christentum, ohne den einen Glauben, der der römisch-katholische ist, nicht möglich schien. Doch was kennzeichnet den „Vergilischen Menschen", worin besteht sein „Humanismus"? Das Wirken des „Eros" konstituiert die untere Stufe des Menschen, führt Haecker im zweiten Kapitel „Hirten" aus: „Amor vincit omHaecker, Vergil. Vater des Abendlandes 15. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 23. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 25. In der Sprache Haeckers: „Diese Kontinuität trotz einer absoluten Diskontinuität auf Grund der christlichen Offenbarung ist das Problem des Vergilischen Menschen, es ist aber das Problem der Geschichte als Wissenschaft und die Geschichte der Menschheit überhaupt"; Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 27. Haeckers Schlußwort, „Man sei vorsichtig mit Vergleichen!" verdeutlicht noch einmal seine heilsgeschichtliche Sichtweise; Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 38. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 43-57, hier 58.

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nia" 625 . Die ihn „bändigende, leitende, lenkende Arbeit" steht in der Mitte: „Vincit omnia labor improbus" 626 . Deren Ende ist die „leibliche und geistige Nahrung" des Menschen und die „gloria" der Dinge, die Unmittelbarkeit wie die Absolutheit der Schönheit 627 . In Vergil sieht Haecker die „Einheit des schauenden Weisen und des schaffenden künstlerischen Gestalters" verwirklicht. Erst durch die Heilserwartung, die mit dem Christentum kam, komplettiert sich der Vergilische Mensch, dessen Seele nicht stoisch und heroisch, sondern fromm und demütig ist: sie ist: „anima naturaliter christiana" 628 . „Wir alle leben noch im Imperium Romanum, das nicht tot ist", ruft Haecker aus. Und weil dieses das Christentum „sua sponte" angenommen hat, können wir es heute nicht aufgeben, ohne uns selbst und den Humanismus auch aufzugeben. Eine Erneuerung durch eine bloße Wiederholung der „Pax Romana" kommt nicht infrage. Vielmehr geht es darum, eine Synthese zu versuchen: „Durch Verständnis und durch Versöhnung und durch Achtung die Würde aller zu wahren und dadurch alle in einem Höheren, das nur ein Geistiges sein kann, zu einen" 629 . Diese Synthese dürfte nichts auslassen, was vorherging, weder das heidnische Rom, das in Vergil „adventistisch" wurde, noch das christliche Rom. Deshalb sind die Leitmotive der antiken Humanität im vergilischen Menschen enthalten: „amor vincit omnia" und „labor omnia vincit improbus". Haecker warnt davor, diese Ganzheit des vergilischen Menschen, der das Fatum, das Schicksal anerkennt 630 , aus dem Blick zu verlieren. Jene Humanität des Vergil hat als Anfang und Ziel „den Logos" 631 , sein Ideal ist das des „geistigen Menschen". Aber ein der „Theologie entleerter Humanismus", folgert Haecker, „wird nicht standhalten. Man sucht heute krampfhaft nach dem ,Menschen', aber man sucht etwas, das es überhaupt nicht gibt: den autonomen Menschen" 632 . Was das Thema „Vergil und die Deutschen" angeht, bleibt Haecker pessimistisch. Vergils Stern ist nicht untergegangen und kann auch nie untergehen, aber „das Auge des Deutschen ist krank und schielend geworden" 633 . Obwohl es in der Vergangenheit Gründe für die Verachtung Vergils gegeben habe, wie die „Inkommensurabilität der Sprache" oder das germanische 626 627 628 629 630

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Vgl. das 3. Kapitel „Bauern"; Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 59-65. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 63. So die Überschrift des zehnten Kapitels; Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 128-133. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 93. Vgl. dazu das siebte Kapitel „Fatum"; Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 97-107. Haecker führt Faust als Beispiel für den Primat des Willens und des Tuns im Unterschied zum Schicksal an: „Seitdem der deutsche Faust durch eine groteske Vergewaltigung der Wahrheit... übersetzt hat: Im Anfang war die Tat, statt: Im Anfang war das Wort, ist der deutsche Genius in ein Taumeln ohne Ende geraten"; ebd. 98. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 99. An anderer Stelle führt Haecker den Logos als „Herzwort" der griechischen Sprache ein; analog ist das lateinische „res", das französische „raison", das englische „sense" und das deutsche „Wesen" ein „Herzwort"; Vgl. das 8. Kapitel „Tränen"; Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 108-119, hier 110-112. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 96. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 120.

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Kunstideal, das im krassen Gegensatz zum romanischen steht, womit die „Scheu des Deutschen vor dem rein Intellektuellen" 634 zusammenhängt, liege der tiefste Grund doch woanders: Die Deutschen haben ihren Ursprung im Imperium Romanum, aus dem das „Sacrum Imperium" wurde, vergessen und suchen immer neu nach der Quelle, übersehen dabei aber den aus der Quelle gewordenen breiten Strom. „Und das ist nicht gut", schließt Haecker, „sie müssen ja nach ihren Quellen immer noch suchen oder alles, alles wieder von vorne anfangen."635 Was Haecker hier (noch) nicht ausspricht, ist die nationalsozialistische Vereinnahmung der Antike 636 . Wichtiger als ein Verdeutlichen des eigenen Standpunktes schien ihm, diesen nationalsozialistischen Anspruch eindeutig abzuheben vom „bürgerlichen Humanismus" und von der geistigen Macht des christlichen Abendlandes, also vom geschichtsphilosophischen Anspruch der katholischen Kirche 637 . Was die Ausgestaltung des Humanismus angeht, bleibt Haecker ungenau. Seine heilsgeschichtliche Sichtweise, die keine Übertragungen historischer Situationen auf aktuelle Fragen erlaubt, erfordert zudem keine Differenzierung des Humanismusbegriffs. Zentral scheint, daß Haecker im Januar 1931 Maritain in München kennenlernte. Gemeinsam planten sie französische Übersetzungen der Arbeiten Haeckers 638 . Ohne viel Spekulation legt sich nahe, daß in diesem Zusammenhang auch über das Vergil-Buch Haeckers gesprochen wurde. Formulierungen wie die „Vereinzelung des Menschen", der Topos der Dämonisierung der Moderne und natürlich der „von der Theologie entleerte Humanismus" - gemeint ist der anthropozentrische Humanismus Maritains! - dürften aufgrund persönlicher Kontakte zustandegekommen sein und lassen sich nicht bloß aus der Zeit heraus erklären. So verwundert es nicht, wenn Haecker seiner nächsten Buchpublikation ein Zitat von Maritain voranstellt. „Un temps bienhereux s'annonce oü l'homme pourra mourir ä cause de Dieu seul; non pour la nation ni pour l'humanite ni pour la revolution ni „Deutschland hat in der Tat keine rein intellektuelle Mission, wie etwa Frankreich ... Die Abstraktion fällt dem Deutschen schwer ... Deutschland ist das Land des spiritualisierten, des musikalischen, des .schwebenden' Bildes ..."; Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 124f. [Hervorhebung im Original]. Haecker, Vergil. Vater des Abendlandes 126f. Dazu Hermand, Traum; Salewski, Europa 85-106; auch Schildt, Zwischen Abendland und Amerika 24f. In eine direkte Auseinandersetzung mit Haecker trat der Nationalsozialist Alfred Bäumler ein, der Haecker die Tradition Winckelmanns, Hölderlins und Nietzsches gegen die humanistische entgegenhielt und ihm ob seiner Konversion die Berechtigung absprach, für Katholiken zu schreiben; Alfred Bäumler, Die Dialektik Europas, in: Ders., Politik und Erziehung. Reden und Aufsätze, Berlin 1937, 50-56 und: Der Kampf um den Humanismus, ebd. 57-66, hier 64. Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 15. Über die Verbindung Maritain-Haecker ist bislang nichts bekannt. Es wäre ein dringendes Desiderat, die persönlichen und inhaltlichen Verknüpfungen des Franzosen mit dem Deutschen zu untersuchen, was bereits Hans Maier eher intuitiv in seinem Beitrag zu Haecker eingefordert hat; Hans Maier, Theodor Haecker - wiedergelesen, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 231-235, hier 233. Jacques Maritain, Vorrede zum zweiten Teil „Der Mensch im Chaos" zu Haecker, Was ist der Mensch? [45].

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pour le progres ni pour la science, mais pour Dieu seul"639 - was das VergilBuch nur andeutete, entfalteten die nächsten Bücher Haeckers ausführlich: „Was ist der Mensch?" (1933) demonstrierte in der Epoche, die nur noch das Zerrbild des Menschen kannte und die Würde des Menschen durch Konzentrationslager ad absurdum führte, den wahren Rang des Menschen als Ebenbild Gottes. „Was ist der Mensch?" wurde zum wohl „wichtigsten vorbereitenden Widerstandsbuch" 640 , dem eine Reihe von Vorträgen gleichen Titels vorangegangen waren 641 . Zudem waren im Novemberheft des Innsbrucker „Brenner" die Betrachtungen Haeckers über Vergil und das Reich642 erschienen, die einem breiteren deutschen Publikum zusätzlich durch Muths Aufsatz über „Das Reich als Idee und Wirklichkeit - einst und jetzt" 643 bekannt wurden. Haecker verdammte hier das Hakenkreuz als „die letzte deutsche Schmach dieser Tage: das Zeichen des Tieres, die Karikatur des Kreuzes... Sagen wir also, um nicht zu subtil oder zu dunkel zu werden: das Hakenkreuz ist das Symbol des Dreh. Was ist der Dreh? Die Wirkung und Wechselwirkung subjektiven und objektiven Schwindels, die einander steigern - eben zum Dreh" 644 . Damit nicht genug: Der Nationalsozialismus ist eine plötzlich wieder aufflackernde Aktivierung der destruktiven Tendenzen und mörderischen plebeijischen Instinkte des Protestantismus und wird demgemäß auch seine Folgen haben in der Zerstörung „wahrer Religion" und „kultureller Barbarei". Nach der „Machtergreifung" Hitlers am 30. Januar 1933 war Haeckers persönliche Sicherheit über Nacht gefährdet; seine Bitte an den „Brenner"Herausgeber Ludwig von Ficker, die Auslieferung zu verhindern oder die entsprechenden Seiten zu schwärzen bzw. zu entfernen, lehnte dieser ab. Die Gefahr schien gebannt, als das „Brenner"-Heft mit zusammengeklebten Seiten ausgeliefert wurde. Trotzdem wurde Haecker im Mai verhaftet, obwohl bei einer Hausdurchsuchung keine Hefte gefunden wurden - sie waren gut versteckt. Haecker, gegen den der Münchner Kulturbeirat eine sechsmonatige Schutzhaft beantragt hatte, wurde auf Intervention eines Verlagsangestellten wieder freigelassen645. Obwohl ihn die Erinnerung an die eine Nacht im Gefängnis noch Jahre später verfolgte646, ließ Haecker nicht von der Arbeit an dem neuen Buch ab. Die „zornige, prophetische Abrechnung mit den neuen Herren, ihren 640 641

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So treffend Langer, Haecker 219. Anfang des Jahres 1932 in Karlsruhe, Heidelberg, Tübingen, Bonn, Salzburg, Innsbruck, München usw.; Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 16f. Betrachtungen über Vergil, Vater des Abendlandes, in: Der Brenner 13 (1932) 3-31. Als Buch: Was ist das Reich? Eine Aussprache unter Deutschen, hg. von Fritz Büchner (Schriften an die Nation 44), Oldenburg 1932. Hochland 30 (1932/33) 1,481-492. Zitiert nach Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 45 [Hervorhebung im Original]. Vgl. Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 17; Siefken (Bearb.), Haecker 46-49. „Die Wahl, in die Hände Gottes, oder in die Hände der Menschen zu fallen, macht mir keine Qual. Ich will in die Hände Gottes fallen, seien sie noch so furchtbar ... Nur einen Tag kostete ich, was es heißt, in die Hände der Menschen zu fallen - am 20. Mai 1933." Haecker, Tag- und Nachtbücher 56 (213).

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Wegbereitern und Epigonen" ließ auch Otl Aicher nicht mehr los. Wo sich sonst seitenlange philosophisch-theologische Diskussionen finden, die sich nur um ein Problem drehen und wie in den Briefen an Muth teils etwas abenteuerlich, teils weit hergeholt, teils unausgegoren anmuten, gibt Aicher die Aussagen Haeckers in diesem zentralen Buch in wenigen Punkten treffend wieder: Alle Rassen sind gleich, auch wenn gesagt wird, „die minderwertigste Rasse sind die Juden"; Ziel der Politik ist der Friede, „auch wenn offiziell und inoffiziell gesagt wurde, ein Staat ist so stark wie seine Fähigkeit, Krieg zu führen"; das Gegenteil von Macht ist Unrecht, nicht Recht, auch wenn es hieß, „bei den Völkern Europas herrsche heute das Prinzip ,Macht geht vor Recht' ... nur der Starke mache Geschichte"; „er sah den Krieg kommen", wenn man das Wesen des Politischen nur durch FreundFeind bestimme; „wie wird die Gestalt der Welt sein, wie wird das Neue aussehen, nachdem vieles auf diesem Planeten, was heute noch nicht zerschlagen ist, zerschlagen sein wird?" 6 4 7 Haecker hatte in „Was ist der Mensch?" zunächst noch einmal an die „Fundamente des Abendlandes" erinnert, wie er sie im Vergil entworfen hatte, um dem „Mensch im Chaos" mit auf den Weg zu geben, das sein unveränderliches Grundwesen als Ebenbild Gottes ein von historischen und biologischen Bedingungen unabhängiges Recht ist. Haecker stellte sozusagen dem „Chaos der Zeit" die „wahre Ordnung", die „heilige Ordnung" der katholischen Kirche gegenüber. Die Prägnanz, mit der Otl Aicher die Hauptaussagen Haeckers zusammenfaßt, belegt eindeutig, welche Bedeutung die Lektüre dieses Werkes für ihn - und den Rest des Freundeskreises - hatte. Auch wenn er bei der Abfassung seiner „Innenseiten" im Jahr 1985 noch einmal zum Bücherregal gegriffen haben sollte, um sich den Inhalt von „Was ist der Mensch?" zu vergegenwärtigen, bleibt ob der Präzision seiner Formulierungen kein Zweifel daran, welches Schlüsselerlebnis diese Lektüre gewesen sein muß. Was Otl Aicher in den „Innenseiten" kurz charakterisiert, bot genügend Sprengstoff für politische Diskussionen und war vor allem eine weitere tragfähige Grundlage für geistigen Widerstand. Obzwar die von Haecker vorgenommene Verurteilung des Protestantismus und die daraus resultierende QuasiVerheiligung „des Katholischen" 648 den politischen Grundduktus etwas relativiert, wurde dessen „katholisch-oppositionelle Humanität" selbst von Thomas Mann hervorgehoben 649 . Nicht verwunderlich ist es daher, daß Aicher in seinen Erinnerungen noch andere Bücher und Aufsätze Haeckers Aicher, Innenseiten 29f. Dazu paßt auch ein Kommentar von Hermann Hesse: „Haecker ist Katholik, ist der exakteste und zugleich intransigenteste deutsche Katholik von heute ... Sein Aufsatz im Brenner ist nicht so schön wie sein kleines wundervolles Buch über Vergil, er ist viel leidenschaftlicher, ungerechter, aggressiver, aktueller, auch stilistisch da und dort forciert ... seine Leidenschaftlichkeit hat etwas von der des Konvertiten. Ich glaube nicht, daß er sich zum Papst oder zum Zentrumsführer eignen würde, ich glaube auch nicht, daß er dem Papst und den Katholikenführern sehr genehm ist"; zitiert nach Siefken (Bearb.), Haecker 46. Zitiert nach Siefken (Bearb.), Haecker 49. Aicher, Innenseiten passim.

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ganz nebenher einführt 650 . Ebenfalls 1933 erschien im „Hochland" der Aufsatz „Was ist der Mensch?" 651 In diesem Vortrag kehrte Haecker, obwohl er ihr nach der Konversion abgeschworen hatte, noch einmal zu seinem eigentlichen Element, der Satire, zurück. Haecker, so Aicher, ließ es sich nicht nehmen, Oswald Spengler, „der im neuen Menschen ein Raubtier sieht, in einer bitteren Satire zu zerfetzen"652. Die Antworten, die Haecker hier auf die Frage „Was ist der Mensch?" gibt, unterscheiden sich kaum von den vorhergehenden, bekommen aber durch die Polemik gegen Spengler im besonderen und gegen den Nationalsozialismus im allgemeinen eine brillante Schärfe. Haecker wirft den Deutschen vor, das Prinzip des Schöpferischen für sich zu vereinnahmen und damit in maßloser Übersteigerung ihrer selbst zu vergessen, daß Gottes Ebenbildlichkeit über allem steht 653 . „Wir Deutsche wollen ,das Unmöglichste' von allem, nämlich schöpferisch sein wie ,Gott'. Es ist wohl zu beachten, daß dies kein Engel je will oder wollen kann." Geschickt zitiert er Spengler: „Der Haß ist das eigentliche Gefühl der Raubtiere." Haecker: „Hier ist es endlich Zeit, das Raubtier in Schutz zu nehmen, denn der Löwe haßt die Antilope sicherlich nicht." Oder: „Ich gehöre" - Haecker zitiert wieder Spengler - „vielleicht nicht zur letzten, aber sicherlich zur gewaltigsten, leidenschaftlichsten, durch ihren inneren Gegensatz zwischen umfassender Durchgeistigung und tiefster seelischer Zerrissenheit, tragischsten, also natürlich zur faustischen Menschheit." Haecker kommentiert in einer Klammer: „Bitte, genießen Sie jedes einzelne Wort! Ist unser Autor doch nicht vielleicht ein Grubenhund und gar ein Raubtier?" Haecker schließt trocken, nachdem er noch Spenglers Wunsch, „selbst Gott [zu] sein, das ist mein Erfindertraum" konterkarierte, mit den Sätzen: „... hätte ein Satiriker die Einbildungskraft zweier Swifts, den Spengler könnte er trotzdem nicht erfinden."654 Worin Aicher mit Haecker außer in der strikten Absage an den Nationalsozialismus d'accord ging, war die Ablehnung des Bügertums und eine antipreussische Einstellung. Haecker sieht die Fragwürdigkeit des Menschen durch den „geistigen, letztlich religiösen Habitus einer führenden bürgerlichen Gesellschaft, die den Bolschewismus mitgeschaffen hat und stetig mitschafft"655, erklärt. Damit lag er voll auf Aichers Linie, oder müßte man nicht besser sagen, Aicher ging in dieser Hinsicht auf Haeckers Kurs? Denn, glaubt man den „Innenseiten", drehte sich das erste Gespräch zwischen Haecker und Aicher um den „bemerkenswerten Sachverhalt, daß Hitler eigentlich 631 652 633

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Hochland 30 (1932/33) I, 289-308. Aicher, Innenseiten 30. „Wir schaffen wie Gott, das Schöpferische ist unser Privilegium. Diese besondere Maßlosigkeit ... hat sich von Zeit zu Zeit in der deutschen Geistesgeschichte offenbart, um in den letzten beiden Jahrhunderten zur Monomanie sich zu steigern und in einer Tragikomödie zu enden, deren letzter Akt freilich heute noch nicht gespielt ist; Haecker, Was ist der Mensch? Ein Vortrag, in: Hochland 30 (1932/33) I, 294. [Hervorhebung im Original]. Zitate bei Haecker, Was ist der Mensch? Ein Vortrag, in: Hochland 30 (1932/33) I, 290f. Haecker, Was ist der Mensch? Ein Vortrag, in: Hochland 30 (1932/33) I, 291. Die Schilderung des Gespräches bei Aicher, Innenseiten 31f. Danach das Folgende.

III. Die Mentoren

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schon vor Hitler dagewesen war."656 Die Parallelität der Gedankengänge ist evident; nicht zuletzt, wenn Haecker in seinem Aufsatz noch einmal darauf abhebt, daß die Entgegensetzung von Kultur und Zivilisation eine typisch deutsche „echt bürgerliche' Stupidität" ist. „Ein colere, ein Kultivieren aber gerade der civitas gehört zur Krönung der Kultur, und was gerade ein Barbarisieren, ein wildes Wachsenlassen der civitas, des Staates, bedeuten kann, kann der bürgerliche' Mensch gerade heute mit einem peinlichen Erwachen kennenlernen" 657 . Aicher, der in diesem Zusammenhang sarkastisch „nicht nur Sombart, sondern Scheler, Simmel, Spengler und alle die Neu-Idealisten" Revue passieren läßt, formuliert bissig, es werde wohl anstelle der westlichen eine deutsche Kultur entstehen und dem Rest der Welt den Unterschied zwischen Kultur und Zivilisation klarmachen. Haecker wandte sich nach der Beantwortung der Frage „Was ist der Mensch?" der Frage „Was ist Gott?" zu. Obwohl man glauben könnte, daß er damit ein ungefährlicheres Terrain betreten wollte, war es für Haecker doch „ein Thema dieser Zeit", wie er im Vorwort des 1934 erschienenen Buches bemerkt. Schon mehrmals hatte er den Plan einer Theodizee wegen der politischen Rahmenbedingungen verschoben 658 . Im Januar 1934 war Haecker Mitglied des „Reichsverbandes Deutscher Schriftsteller" 659 geworden, die Fragen nach Mitgliedschaft in der NSDAP und seiner politischen Zugehörigkeit hatte er einfach durchgestrichen 660 . Die neuen Machthaber verloren den Münchner Schriftsteller trotzdem nicht aus dem Blick; zumal ab Ende des Jahres 1933 jedes „Hochland"-Heft der Zensur vorgelegt werden mußte. Haecker, dessen Interesse in jenen Jahren zunehmend seiner Wirkung im europäischen Ausland galt, erhielt viele zustimmende Briefe - unter anderem auch von Jacques Maritain661 -, die ihm Mut machten, weiterzuarbeiten. So ließ er seiner Anthropologie eine Theodizee folgen, ein Thema, vor dem er „in Ohnmacht" immer neu zurückgeschreckt sei, aber „dennoch immer neu gestärkt nicht abließ" 662 . Außer dem Problem, wie das Leiden mit der Güte und Allmacht Gottes zu vereinen ist, erörtert das 1934 wiederum beim Hegner-Verlag in Leipzig erschienene Buch mit dem Titel „Schöpfer und Schöpfung" die Frage, inwieweit es für den Christen eine echte Tragik geben kann. Es ist bekannt, daß Theodor Haecker in einer Lesung am 4. Februar 1943 im Kreis der „Weißen Rose" aus „Schöpfer und Schöpfung" vorgetragen 637

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Haecker, Was ist der Mensch? Ein Vortrag, in: Hochland 30 (1932/33) I, 292 [Hervorhebungen im Original]. Dazu Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 16f. und passim. Siefken (Bearb.), Haecker 50. Vgl. Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 18; Siefken, Weiße Rose und Theodor Haecker 120-122. „... votre beau livre ,Was ist der Mensch', que je lis avec joie" (24.12.1933); „J'admire beaucoup votre livre ,Was ist der Mensch'. Vous dites la verite. Et le livre lui-meme est un acte de verite" (14.3.1934); dazu Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 18; Siefken (Bearb.), Haecker 49. Haecker, Schöpfer und Schöpfung 15. Zur Theodizee Mayr, Haecker 38-43. Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 23; Jens (Hg.), Scholl 296; Siefken, Weiße Rose und Theodor Haecker 126f.

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Erster Teil: IDEALE

hat663. Inge Scholl und Otl Aicher waren zwar nicht dabei, weil sie erst einige Tage später nach München kamen, sie kannten aber beide die Theodizee Haeckers. Mit dieser waren sie in „jener bereits dunklen Hälfte des Jahres 1942" bekannt geworden 664 , zumal man im Falle Otl Aichers davon ausgehen muß, daß er „Schöpfer und Schöpfung" entweder bereits kurz nach dem Erscheinen oder im Zusammenhang mit seiner persönlichen Begegnung mit Muth und Haecker gelesen hat. Aichers Briefe an Muth legen nahe: er hatte dieses Buch schon gelesen, als er nach München kam und es seinem Freundeskreis weiterempfohlen, ihm selbst gingen aber Tiefe und Bedeutung bzw. Relevanz für sein eigenes Fragen erst durch die Gespräche mit Haecker selbst auf. Auch in diesem Buch schwingen Haeckers Grundthesen aus früheren Büchern wie die Gottesebenbildlichkeit des Menschen mit. Nur, daß er bei der Beantwortung der Frage der Rechtfertigung Gottes eine Antwort gibt, die wir aus Otls Briefen an Muth kennen: „Gott ist die Liebe" 665 . Haecker stellt die uralte Frage der Theodizee anders. Statt zu fragen, warum es so viel Übles und Böses in Gottes guter Schöpfung gebe, fragt er, mit welchem Recht sich der Mensch anmaße, Gott zu rechtfertigen666. Der Mensch, wie er sich heute zeigt und wie ihn Haecker in allen vorhergehenden Büchern und Aufsätzen beklagt hat, der Mensch als sein eigener Gesetzgeber ist eine furchtbare Abstraktion. Deshalb ist auch jede Theodizee, die nicht aus religiöser Existentialität herauswächst, ein nutzloses Unterfangen. Haecker hatte diese Situation unmittelbar erfahren: seine Frau war an inoperablem Nierenkrebs erkrankt und starb nach einem langen qualvollen Todeskampf667. Wie wichtig dieses Buch für Hans und Sophie Scholl bzw. den ganzen Kreis der „Weißen Rose" war, hat Hinrich Siefken überzeugend nachgewiesen. Siefken hebt besonders auf die Stimme des Gewissens ab, das für Haecker „Mittelpunkt und Herz der erschaffenden Person" darstellte668. Dadurch wird die tragische Sicht (mit dem „Tragischen" beschäftigte sich Haecker in einem zweiten Essay des Bandes) des Menschen und seiner Geschichte, die voller Beispiele von Leiden und Unterdrückung ist, zugunsten des Gedankens der Mitverantwortung des Einzelnen für die Gerechtigkeit der Welt zurückgestellt. Für Inge Scholl, die nach dem Tod ihrer Geschwister in einem Brief an Haecker schreiben wird, daß „Schöpfer und Schöpfung" ihr etwas vom Liebsten ist669, mag die Aussage Haeckers am wichtigsten geworden sein, „daß uns nicht so sehr Theologie und Metaphysik über 664

München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 64f. Haecker, Schöpfer und Schöpfung 87. Vgl. die Briefe Otto Aichers an Carl Muth vom 23.7.1942 oder vom 7.8.1943; München BayStaBi Ana 390 ILA. 666 Zum Folgenden Georg Karl Frank, Das theodizeeische Problem im Leben und Denkgefüge Theodor Haeckers, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 271-282. w7 ' Siefken (Bearb.), Haecker 51. Siefken zitiert hier aus einem Brief Haeckers vom 21.1.1935 an Ludwig Ficker: „Kaum hatte ich meine Theodizee geschrieben, so hat mich auch schon Gott beim Wort genommen." Auch Hermann Hesses Rezension des neuen Buches nimmt darauf Bezug: „... Es steht viel Erlittenes hinter diesen Klängen, man braucht nicht darüber zu reden"; ebd. 53. 668 Haecker, Schöpfer und Schöpfung 74. 669 Marbach DLA A: Inge Scholl an Theodor Haecker 19.11.1944 (67.676/4).

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III. Die Mentoren

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dem Abgrund der Tragik und Leiden und Verzweiflung dieser Welt halten, wie vielmehr der reale übernatürliche Glaube und die zu ihm gehören: die Hoffnung und die Liebe." 670 Hier findet sich ein Grundsatz Haeckers, der sein Denken und Schreiben durchzieht, daß die Idee ihren vollen Sinn und Gehalt erst in ihrer Verwirklichung erfährt; indem aus der Idee quasi „Leib und Leben" wird, wird die Idee wahrlich relevant. Diesen Grundsatz reklamierte auch Aicher in den „Innenseiten" für sich. Ein knappes Jahr nach seiner Theodizee legte Haecker mit „Der Christ und die Geschichte" (1935) eine christliche Geschichtsphilosphie vor, wie er sie in seinen früheren Werken schon vorgedacht hatte 671 . Damit war für das nationalsozialistische Regime das Maß voll: im April wurde ein Redeverbot für den Regierungsbezirk Aachen erlassen, Ende Mai ein absolutes 672 . Somit konnte Haecker keine öffentlichen Vorträge mehr halten, ihm blieb nur der Rückzug ins Private, um nicht weitere, schärfere Maßnahmen zu provozieren. Obwohl sein neues Buch über ein Thema handelte, das - wie die Vortragsverbote zeigen - provozierende Gedanken enthielt, konnte es ungehindert erscheinen. Ein Referat Haeckers vor katholischen Studenten in Freiburg endete mit nationalsozialistischen Pöbeleien, wozu der dortige „Studentenkurier" bemerkte: „Im Vortrag wurde nicht direkt gegen die Ideen des Nationalsozialismus gesprochen. Nein, das tut man nicht, dazu ist man viel zu klug. Man ignoriert vollständig, tut so, als ob sie überhaupt nicht da wären. Dafür gibt man umso eindringlicher seine Einstellung ... wieder, die man geschickt hinter vielwendige Begriffe versteckt." 673 Die ganze Schöpfung ist Träger der Geschichte, diese „körperhafte Welt", aus der jeder Mensch kommt. „Sie ist aber erschaffen im Blick des Schöpfers auf den Menschen ... So trifft nicht von ungefähr die Frage: Was ist Geschichte? zusammen mit der Frage: Was ist der Mensch?" 674 Und gerade aus 670 671

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Haecker, Schöpfer und Schöpfung 84. Vgl. als Bsp. Haecker, Was ist der Mensch? 184: „Der Christ hat den Schlüssel zur Erkenntnis des Seins, und er hat ihn kraft der Offenbarung und des Glaubens, und er soll sich einfach schämen, wenn er ihn nicht gebraucht: auch in Philosophie und Kunst und Wissenschaft." Zum Geschichtsbild Haeckers Mayr, Haecker 32-38. In Berlin BA ohne Signatur (Referat R Pers. zu Haecker) fand sich ein Brief der Bayerischen Politischen Polizei an alle Polizeidirektionen vom 15.1.1936, der Aufschluß über die „Gründe" des Redeverbots gibt. „Professor Haecker hat noch kurz vor der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus in der Zeitschrift ,Der Brenner' Angriffe gegen Reich und Staat gerichtet, die an Gehässigkeit kaum überboten werden können. Die staatsfeindlichen Ausführungen des Haecker sind in Bayern und besonders in München, am Sitz seines Wohnorts, nicht unbekannt geblieben. Haecker ist erst vor kurzem in einer Veranstaltung des Kathol. Akademikerverbandes als Redner aufgetreten. Bei einem weiteren Auftreten des Haecker besteht die Gefahr einer Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit." Freiburger Studentenkurier 15.5.1935, zitiert nach Siefken (Bearb.), Haecker 51. Zu Haeckers Vortrag im Rahmen der Freiburger Universität jetzt Brüstle, Studentenseelsorge 133f. Völlig richtig bezeichnet Brüstle hier Haecker als „Ziehvater" der Weißen Rose. Haecker, Der Christ und die Geschichte 53f. Haecker las wohl auch das erste Kapitel „Vom Wesen der Geschichte", was aus den „Erinnerungen" nicht ganz deutlich wird; Inge Scholl spricht lediglich davon, daß Haecker nach dem „ersten Abschnitt" inne hielt; München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 35. Zu dieser Lesung vgl. auch unten S. 197.

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Erster Teil: IDEALE

diesem Kapitel 675 las Haecker am 10. Juli 1942 in München vor. Die Lesung fand statt an einem sonnigen Freitag nachmittag im Atelier des jungen Malers Manfred Eickemeyer, in dessen Keller die Flugblätter der „Weißen Rose" gedruckt werden sollten. Wie vor der ersten Begegnung mit Muth ist dem Bericht Inge Scholls die Aufregung anzumerken, bald dem „einzigartigen Geiste gegenüberzusitzen ..., der nicht nur einen großen Einfluß auf meine Jugend hatte" 676 , sondern von dem sie das ganze gedruckte Werk kannte 677 . Die Wogen der Erwartung an jenem Nachmittag waren hoch und wurden zunächst enttäuscht, als ein forsch auftretender, blasiert aussehender Journalist hereingeführt wurde. War das Haecker? „Wo waren hier die Spuren von der Strenge des Geistes ... oder in welchen Zügen fand man wieder die süße Reife und tiefe Menschlichkeit des Kapitels ,Sunt lacrimae rerum'?" Schließlich erschien der Richtige „leicht vornübergebeugt, auf einen zierlichen Stock sich stützend, in einer Haltung angestrengten Lauschens, mit dünnen grauen Haaren über einem unerhört stillen Menschengesicht." 678 Für Inge Scholl war es nicht so sehr der Inhalt der Vorlesung selber, sondern die Wirkung der Persönlichkeit, die einen tiefen Eindruck hinterließ. „Bis in das Antlitz drängten sich seine Worte, daß, wer die Wahrheit will, dienen, horchen und wachen muß und nicht bauen und konstruieren darf". In „Der Christ und die Geschichte" kann man alles wiederfinden, was Haecker in früheren Büchern an Beobachtungen und Einsichten gesammelt hatte - von der Bedeutsamkeit der Zeugenschaft und der Zeugnisse, vom Gewissen als oberster moralischer Instanz, von der Kraft Gottes bis hin zu der kühnen zentralen These von den drei Wirkmächten der Geschichte: Gott, Teufel, Mensch. Hier finden sich einprägsam formulierte Passagen, etwa über die derzeitigen Christenverfolgungen 679 . Inge Scholl war am nachhaltigsten davon beeindruckt, daß die eigentliche Aufgabe der Macht im Schutz des Kontemplativen, Schwächeren und doch Höheren bestünde 680 und genau diese drei Begriffe finden sich wörtlich bei Haecker 681 . Damals las man - und das sollte man immer im Hinterkopf behalten - diese Schriften anders als heute. Sie mußten in einer existentiellen, geistlosen und geistfeindlichen Zeit ganz anders verstanden werden. Dementsprechend werden die Werke Haeckers für Otl Aicher, aber vor allem für Inge Scholl nach der Hin676 677

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Vgl. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 33. So jedenfalls Inge Aicher-Scholl in einem späteren [nach 1952] Bericht über die „Verbindung zu Theodor Haecker"; München IfZ Fa 215/2 pag 6. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 34f. „Warum hat Rom, vom ersten Augenblick an der Geschichte der Kirche, als Petrus Bischof von Rom und der erste Papst war, die Christen verfolgt, und zwar um ihrer .Confessio' willen, und nicht die Anhänger der vielen anderen ,Religionen', unter denen doch wahrhaft scheußliche waren? Warum? ... weil sie dem Kaiser zwar geben wollten, was des Kaisers ist [und sich darin von niemand übertreffen lassen wollten], aber nicht das, was nur Gottes ist, und weil sie des Glaubens waren, daß es allein der Autorität der Kirche zukomme, zu entscheiden - Meinungen vielerlei Art können vorhergehen -, was des Kaisers ist und was nicht." Haecker, Der Christ und die Geschichte 149 [Hervorhebungen im Original]. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 35. Haecker, Der Christ und die Geschichte 72f.

III. Die M e n t o r e n

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richtung von Hans und Sophie und nach ihrer Konversion einen anderen Charakter bzw. eine andere Tragweite bekommen haben als vorher, in der „relativ" unangegriffenen, ungefährdeten Situation des „Theoretisierens" über christliche Wahrheiten. So gesehen erschließen sich Inge Scholls Erinnerungen noch einmal neu, und die Verehrung Theodor Haeckers kulminiert in dem Satz: „Und die Lasten der Welt, die oft so schwer nach unten zogen, verloren ihre bedrängende Schwere durch die Waagschale, in der die Gewichte des großen Himmels überwältigend deutlich wurden durch ein kleines Buch und durch einen großen, frommen Menschen." Haecker allerdings blieb nichts anderes übrig, als sein Denken auf einen Bereich zu verlegen, der vordergründig absolut nichts mit Politik zu tun haben schien: Ästhetik. „Da meine Bücher Erfolg haben und an Einfluß gewinnen", schrieb er an den jungen Engländer Alexander Dru de Mongelaz, „bin ich zum ,Staatsfeind' ernannt. Mein Name ist bei der Staatspolizei ... mit 3 Kreuzen bezeichnet, und meine Sicherheit ist immer mehr gefährdet ... Jedenfalls werde ich die Wahrheit nicht mehr schreiben können" 682 . Im Laufe des Jahres 1938 erhielt Haecker nach dem Redeverbot auch ein Schreibverbot für selbständige Veröffentlichungen und wurde aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen; ein schützendes Gesamturteil bescheinigte ihm jedoch mangelndes politisches Interesse, was eine erneute Aufnahme zur Folge hatte 683 . Haecker verschwand seit Mitte der dreißiger Jahre mehr und mehr aus dem öffentlichen literarischen Leben Deutschlands. Obwohl er sich mehrmals mit der Überlegung getragen hatte, mit der Schriftstellerei auszusetzen, schrieb er dennoch weiter, arbeitete an Übersetzungen und begann schließlich Ende 1939 - trotz aller Gefährdung durch Denunziation - sein heimliches Tagebuch. Diese „Tag- und Nachtbücher" Theodor Haeckers bieten, obwohl im eigentlichen Sinne persönliche Aussagen, vorwiegend aphoristische Zeit- und Kulturkritik und philosophisch-religiöse Reflexionen684. In den Notaten spiegelt sich wohl am eindeutigsten ein Wesenszug Haeckers, der durch die von äußeren Umständen bedingte „innere Emigration" 685 gefördert wurde: Haecker war bekannt als „schwermütiger Schweiger"686, als von Melancholie, Depression und inneren Kämpfen zerrissener Mensch. Das bemerkten auch Inge Scholl und Otl Aicher, 682

Brief vom 5.2.1936; zitiert nach Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 115. Dazu Siefken (Bearb.), Haecker 55. Berlin BA Bestand Reichsschrifttumskammer zu Haecker, Theodor. Hier fand sich eine Abschrift eines „Ausführlichen Gesamturteils", datiert vom 5.10.1938: „Der Vorgenannte hat vor der Machtübernahme keiner Partei, keiner Loge oder ähnlichen Organisation angehört. Er ist Mitglied der NSV, Verhalten bei Sammlungen ist einwandfrei, dagegen wurde nicht beflaggt. An politischen Vorgängen ist er nicht interessiert und lebt in ruhiger Abgeschiedenheit. Sonst ist Nachteiliges über ihn nicht bekannt. Der Deutsche Gruß wird angewendet." 684 Haecker, Tag- und Nachtbücher. Die von Siefken mit großer wissenschaftlicher Akribie und Sorgfalt erarbeitete Ausgabe enthält weit über 1000 Notate aus den Jahren 1939-1945. ( 83 ' Treffend Schreiber, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 186. ''8', Siefken, Weiße Rose und Theodor Haecker 127. Als Grund für diese Melancholie wird immer wieder die Beschäftigung mit Kierkegaard angegeben, in dessen Schicksal sich Haeckers eigenes gespiegelt habe; vgl. als Bsp. Hohoff, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 159. 683

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der seinen Mentor als eine zugemauerte Festung, in die man nicht hineinsehen könne, charakterisierte 687 . Die Diskrepanz zwischen dem realen, vom Nationalsozialismus überschatteten Leben und dem geistigen Leben, etwa dem Gespräch mit zuverlässigen Freunden (wie Muth), immer in der Hoffnung, daß der Alptraum nicht von allzu langer Dauer sein werde, war eine Erfahrung, die auch die Geschwister Scholl und Aicher gemacht hatten. Doch der „Spuk" dauerte lange zwölf Jahre und am Ende stand der Zusammenbruch Deutschlands. Welch ein Glück, wenn man durch Zufall oder durch geheime Verbindungen Kontakt zu ähnlich denkenden Menschen finden konnte. Haecker, für den es besonders beglückend war, wenn vor allem junge Menschen für seine Gedanken empfänglich waren 688 , las trotz allen Verboten im Kreise der „Weißen Rose". Wie prägend Theodor Haecker und sein Werk für den Freundeskreis in Ulm und München war, wird namentlich in den erhaltenen Briefen Otl Aichers und Inge Scholls deutlich. So kritisiert Aicher etwa seinen Freund Frido heftig, daß dieser die Berge offenbar mehr liebe als ein Buch von Theodor Haecker, obwohl „die Menschheit um ein Unendliches mehr ist als alle Kreatur". Ganz unter dem Eindruck der Lektüre von „Vergil. Vater des Abendlandes" stehend, kann er Kotz sogar zurufen: „Auf deinen Schultern ruht die Zukunft des Abendlandes, denn wir sind in einem chaotischen Augenblick geboren worden, wo es darum geht, ob es noch ein paar empfangsbereite Seelen gibt, die es wagen, ein ganzes Zeitalter auf ihre Schultern zu nehmen. Und das können wir nur, wenn wir diese Zeit und ihre Wurzeln durch und durch kennen, wenn wir uns hinter seine Bücher setzen, wie hinter die, die unseren Glauben so stark machen sollen, daß kein Zweifel und kein Einwand" mehr aufkommen kann. Wir sollten wie Mönche „einmal Christen und dann abendländische Menschen, die die ganze Tradition von den Früheren über das Mittelalter bis zur Neuzeit in sich vereinigen", werden. „Wir lieben die deutsche Geschichte und die guten Grundlagen dieses Volkes und auch die der anderen Völker des Abendlandes und darum ist es uns ein großer Schmerz, daß dieses Abendland sich selbst verleugnet hat und gottlos wurde ,.."689 Für Inge Scholl wirkte sich die Bekanntschaft mit Haecker und seinen Schriften noch wesentlich existentieller und religiöser aus, wie im Grunde all ihre Briefe aus den Kriegsjahren an Habermann und Kotz belegen. Haecker hat ihr offenbar ein tiefes Gottvertrauen und Geborgenheitsgefühl vermittelt. Immer wieder versichert sie ihren Freunden, daß auch sie von Gottes Liebe angenommen seien, wiederholt schreibt sie ihnen Passagen von Briefen Haeckers an sie ab690. Gerade in der Zeit unmittelbar nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl sollte Haecker zum „Seelenführer" von Inge Scholl und Begleiter ihrer Konversion werden. 687

„Im Innern dieser Festung muß es Kämpfe gegeben haben ... Hineinsehen in die Festung konnte man nicht ... Inzwischen war die Festung dieses starken Mannes zugewachsen und versteckt unter einem immergrünen Efeu." Aicher, Innenseiten 30f. 688 \v/as n | c h t z u letzt die vielen Vorträge vor Studenten belegen und was auch alle Erinnerungen und Würdigungen Haeckers immer wieder hervorheben; Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker passim. 689 Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 9.5.1942. 690 Als Beispiel für viele Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 13.11.1942.

IV. Zwischenergebnisse

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IV. ZWISCHENERGEBNISSE Der „Gang durch den Garten der Kultur", der Blick auf die Prägungen der Scholl-Geschwister und Otto Aichers, erbrachte ein wesentlich differenzierteres Bild, als es uns in den bislang bekannten Darstellungen über die „Weiße Rose" - meist mehr oder weniger auf die Erinnerungen der überlebenden Schwester zurückgehend - oder den Aicherschen „Innenseiten des Krieges", seiner „Autobiographie", vermittelt wird. So zeichnet etwa Inge Scholl aus der Retrospektive von ihrer eigenen Kindheit und Jugend und der ihrer Geschwister ein idyllisches Bild: Im schönsten Wiesengrunde mit allen nur erdenklichen Freiheiten wuchsen die Kinder auf, dann kam - aus der Sehnsucht nach größerer Gemeinschaft motiviert - der Irrweg in die HJ und den BDM, dann die Rückbesinnung auf die eigene Familiengemeinschaft und ihre Werte, dann schließlich die Gründung eines „resistenten" Freundeskreises, zu dem dann Otto Aicher als Impulsgeber hinzustieß. Aicher vermittelt uns in den „Innenseiten" ein sehr kritisches Bild seiner Kindheit und Jugend. Er lehnte sich gegen seine Eltern auf, focht heftige Kämpfe mit ihnen und den Freunden der Kindheit aus, wurde zum Einzelgänger, sah sich aber durch seine Zugehörigkeit zur katholischen Kirche gehalten und von daher nicht empfänglich für den Nationalsozialismus. Dann kam Werner Scholl, führte ihn in den Geschwisterkreis ein und vorbei war es mit der Isolation. Wenn man diese retrospektiven Aussagen der Protagonisten mit Quellen aus der Zeit und den historisch aufbereiteten Ereignissen der „oral history" vergleicht sowie sie in das historische Koordinatensystem der Weimarer Republik und der Vorkriegsjahre nach der „Machtergreifung" Hitlers einordnet, lassen sich die späteren Erinnerungen über weite Strecken als Rekonstruktionen der eigenen Biographie entlarven. Vom schmückenden Beiwerk der Verklärung des Rückblicks und den eigenen Stilisierungen befreit, stellt sich die Kindheit und Jugend so dar: Die fünf Scholl-Kinder wuchsen in einem bürgerlich-protestantischen Milieu auf, das durch die Position des Vaters materiell abgesichert war. Sie durchliefen die übliche evangelische Biographie, ohne jedoch mit evangelikalen Tendenzen - wie dem Pietismus - in Berührung zu kommen. Anders Aicher: Sein Vater schaffte durch harte Arbeit den sozialen Aufstieg vom Handwerker zum Bürger, nicht ohne daß die Familie harte Zeiten durchstehen mußte. In Söflingen gehörten sie dem katholischen Milieu an, das durch Pfarrer Franz Weiß eine eindeutig antinazistische Färbung erhielt. Aicher stilisiert sich zum Einzelgänger in einer selbstgewählten Isolation. Dadurch erhält die Begegnung mit den Scholls eine andere Dimension: einerseits führt er sie zum „richtigen" katholischen Glauben, andererseits wurden sie für ihn zu dem Kreis, den er seinem Elternhaus vorzieht. Dabei konnte sich Aicher glücklich schätzen, in Fridolin Kotz und Willi Habermann zwei Kinder- und Jugendfreunde zu besitzen, die sich, genauso wie er selbst als dem katholischen Milieu entstammend, als resistent erwiesen. Gemeinsam

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mit ihnen durchlebte er die Phase der Jugendbewegung, die für diese Zeiten ganz typisch ist. Grogo, Frido und Otl verstanden sich als Ulmer „Quickborn-Jungenschaft" und trafen dabei auf einen Jugendkaplan, Bruno Wüstenberg, der sie in diesen Idealen weiter bestärkte. Auch die Scholls erfuhren, was Gemeinschaft alles bewirken konnte. Hans und Werner formten ihre HJ-Gruppe zu einer bündischen Jugendgruppe um, nachdem ihnen bewußt geworden war, daß der Nationalsozialismus diese Ideale völlig pervertierte. Auch Inge und Sophie suchten ihrer BDM-Gruppe bündischen Charakter zu geben; darüberhinaus kam Inge durch den mit ihr eng befreundeten Ernst Reden besonders intensiv mit derartigen Ideen in Berührung. In den Jahren 1937/38 erfolgte der endgültige Bruch mit den Formen organisierter Jugend. Es kam zur Vereinigung zweier Kreise, dem GeschwisterKreis der Scholls, die durch ihre Verhaftung gleichsam geläutert worden waren, und der Gruppe um Otl Aicher. Dieser künftig als „Scholl-Bund" bezeichnete Freundeskreis bestand aus einem engeren und einem weiteren Zirkel. Zum ersteren gehörten Inge, Sophie, Hans und Werner Scholl sowie Otl, Frido und Grogo, die sich häufig im Haus am Münsterplatz trafen. Dieser Kreis wurde je und je ergänzt, etwa um Ernst Reden, oder um Elisabeth Scholl, die durch ihren Beruf als Kindergärtnerin nicht mehr zu Hause wohnte, ab und an aber nach Ulm kam, wie auch um Fritz Hartnagel. Dieser fand allerdings zusehends in den Augen des engeren Kreises keine Gnade mehr, war er als Offiziersanwärter doch ein „Bündnispartner" Hitlers. Gleiches gilt für Hermann Weber, der über Grogo in den Kreis kam, nachdem dieser sich durch den Krieg bereits in alle Winde verstreut hatte. Zwischen 16 und 22 Jahre alt waren die Freunde, als sie sich daran machten, eine geistige Welt zu erobern, die ihnen vor allem durch Aicher erschlossen wurde. Aicher wiederum hatte von jeher zum Bücherregal gegriffen, um sich seine Fragen selbst zu beantworten, auf die weder die Eltern noch die Lehrer eingingen. Anregungen bekam er von Pfarrer Weiß und natürlich vom Jugendkaplan Wüstenberg, der unmittelbar nach erfolgreich abgeschlossenem Theologie-Studium in Bonn und Köln nach Ulm kam. Aichers Lektüre ist typisch für die Suchbewegung damaliger junger katholischer Intellektueller, vielleicht sogar intensiver und weitreichender. Aus der Jugendbewegung stammt das Interesse an den Russen, die besonders auch ob ihrer eigentümlichen „Katholizität" von Interesse waren. Der Griff zu Nietzsche erklärt sich, und hier ist den „Innenseiten" Glauben zu schenken, aus der nationalsozialistischen Vereinnahmung des Philosophen. Um Widerspruch gezielt anbringen und sich damit dem System widersetzen zu können, tat Aicher gut daran, sich besser bei Nietzsche auszukennen als seine Lehrer. Besonders prägend wurde die Entdeckung der französischen katholischen Reformliteratur, die in der Zwischenkriegszeit eine ungeheure Breitenwirkung entfaltet hatte. Einerseits drang der „Scholl-Bund" dadurch zu den Kirchenvätern selbst vor - sie lasen Augustinus, Thomas von Aquin, Wilhelm von Ockham, Pascal. Dadurch kamen sie auf bedeutende deutsche Theologen dieser Zeit: Theodor Haecker, Romano Guardini, Joseph Pieper, Erich Przywara, Carl Muth. Andererseits lernten sie die französischen theo-

IV. Zwischenergebnisse

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logischen Schriftsteller des „Renouveau Catholique" kennen und lieben: Das „Tagebuch eines Landpfarrers" von Bernanos, der „Seidene Schuh" von Claudel und schließlich die große Abhandlung von Jacques Maritain über christlichen Humanismus, in dem die Erkenntnisbemühungen kulminierten. Hier fanden sie eine tragfähige Gesinnung, hier fanden sie einen dritten Weg zwischen Individuum und Kollektiv, Glauben und Verstehen, Denken und Handeln. Ein wesentlicher Bestandteil des integralen Humanismus war auch ein neues Verständnis von Technik und Industrialisierung. Die Wirtschaft sollte kollektiviert werden, damit ein Sozialismus unter christlichem Vorzeichen möglich werden könne. Die Briefe dieser Jahre geben von diesem Ringen um die letzte Erkenntnis und den tragenden religiösen Grund der Wirklichkeit beredtes Zeugnis ab. Der Kontakt zwischen den Freunden brach nie ab, jede Gelegenheit für ein Treffen wurde genützt. Man besuchte sich untereinander, besonders nutzte man die Möglichkeiten, die München als Stadt bot. Hans studierte eben nicht in Tübingen, sondern in der Stadt an der Isar, was sich nicht zuletzt aus dem dort herrschenden besonderen geistigen Klima erklären dürfte. Im Hause des Reformkatholiken Muth und bei Haecker fand der „Scholl-Bund" die Antwort auf seine Fragen, die selbst die Lektüre der Kirchenväter nicht zu beantworten vermocht hatte. Hier erlebten die jungen Erwachsenen durchgeistigte, allgemeingebildete, katholische Gelehrte, die durchaus auf dem Boden der Realität standen, die für sie Diskussionspartner, Mentor und Vater zugleich wurden. Die Beziehung war durchaus nicht einseitig. Sehr schön an allen Briefen des Freundeskreises abzulesen ist die innere Übereinstimmung und das Bewußtsein, nur gemeinsam über diese dunklen Jahre zu kommen. Im Briefschreiben war unbestritten Aicher führend; deutlich auch die Tendenz, sich in den Briefen an den Vater-Ersatz Muth hochzustilisieren. Aicher nahm eine führende Rolle ein. Er war es, der über Habermann den Kontakt zu Muth und Haecker herstellte, er betätigte sich als „advocatus catholicae", er bekräftigte immer wieder, man könne nur gegen die Nazis sein und nicht ein bißchen dafür oder ein bißchen dagegen. Seine unbedingte Haltung - ohne Selbststilisierung und Selbstkonstruktion zu vergessen dürfte die Geschwister Scholl nicht unmaßgeblich beeinflußt haben. Insgesamt bleibt zu fragen, ob allen Beteiligten eigentlich bewußt war, in welchem Ausmaß sie durch diese Biographie und den darin enthaltenen Begegnungen geprägt wurden. Aicher jedenfalls suchte in der Retrospektive die Bedeutung zu schmälern, wie auch Inge Scholl ihre Geschwister Hans und Sophie anfangs Muth gar nicht begegnen ließ und noch in der großen Briefedition von Inge Jens wichtige Teile ausgespart bleiben. Das Ideal von Freundschaft und die daraus resultierende Notwendigkeit, Freundeskreise zu bilden, sollte neben der Entdeckung der Religiosität und des Christentums in seiner katholischen Form jedenfalls in der „Weißen Rose" eine bedeutende Rolle spielen.

ZWEITER TEIL WIDERSTAND: DIE „WEISSE ROSE" ODER: VOM MARTYRIUM ALS LÖSUNG

I. FAKTEN UND DEUTUNGEN

Wenn Otl Aicher niemals nach München gefahren wäre, wenn Hans und Sophie Scholl nicht in München studiert hätten, wenn sie und mit ihnen eine Gruppe von Studenten niemals Carl Muth und Theodor Haecker kennengelernt hätten, wenn der Flugblattabwurf im Lichthof der Universität niemals stattgefunden hätte, wenn die Gestapo die Macher der „Weißen Rose" nicht entdeckt hätte, wenn die Alliierten früher gelandet wären, wenn ... Dann wären die Geschwister Scholl nie hingerichtet worden und ihre Familie nie in Sippenhaft genommen, dann wäre Robert Scholl nicht Oberbürgermeister Ulms geworden, dann hätte Inge Scholl die Volkshochschule nicht gegründet, dann hätte es nie eine „Hochschule für Gestaltung" gegeben, dann ... Es ist müßig zu spekulieren, was gewesen wäre, wenn. Eine solche Gedankenspielerei macht allerdings deutlich, daß keineswegs automatisch vorprogrammiert war, welche Früchte der bisher dargestellte Gang durch den „Garten der Kultur" tragen würde. Genausogut hätten sich Inge Scholl und Otl Aicher als Prototypen der „skeptischen" Generation1 in die Privatsphäre zurückziehen können. Scholl - wer hätte mit diesem Familiennamen vor dem 18. Februar 1943 etwas besonderes verbunden? Wer hätte sich jemals dafür interessiert, daß sich während des Zweiten Weltkrieges eine Gruppe von Studenten regelmäßig traf und über alles mögliche diskutierte, wenn es nicht zu einer aufsehenerregenden Tat gekommen wäre, die nach den Motiven und Quellgründen dieses Widerstands fragen ließ. Die „Weiße Rose" war für die Geschwister Scholl und ihre Freunde die erste Möglichkeit, Denken und Tun in Einklang zu bringen, den erfahrenen geistigen Prägungen im Handeln Ausdruck zu verleihen - so lautet die Arbeitshypothese dieses Kapitels, die es im folgenden einzuholen gilt. Auffallend ist, daß die „Weiße Rose" im Laufe der letzten Jahrzehnte häufig zur Legitimation ganz unterschiedlicher Standpunkte herhalten mußte. Zumeist näherte man sich diesem historischen Phänomen mit einem Vorverständnis, das diesem im letzten kaum einmal gerecht wurde. Bei aller Rede von der Berechtigung der Standortgebundenheit von Forschung scheint man sich hier auf Thomas Nipperdey besinnen zu müssen. „Die Historiker", bemerkte dieser nämlich treffend, „verfügen über ein Testverfahren, die Überprüfung der Quellen, sie sichert ein gewisses Maß an Objektivität" 2 und relativiert die sicher notwendige, aber oft übertriebene „Standortgebundenheit" der Forschung und rückt die Sache selbst in den Vordergrund. Für die folgende Darstellung wurden infolgedessen nur authentische Briefe, AufzeichSchelsky, Generation. Zum Konzept von Generationen in der Geschichtsforschung Jaeger, Generationen 429-452. Thomas Nipperdey, Kann Geschichte objektiv sein? In: Ders., Nachdenken über die deutsche Geschichte. Essays, München 21986, 218-234, hier 232.

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Z w e i t e r Teil: WIDERSTAND

nungen und Aussagen - bei den Gestapo-Protokollen ist auf die besondere Gattungsproblematik zu achten - verwendet, während die Sekundärliteratur nicht mehr als den großen Rahmen absteckt 3 . Bereits der Kommentar einer Edition kann „ideologisch" vorbelastet und damit nicht mehr „objektiv" im Sinne Nipperdeys sein. Daraus resultiert ein gewisses Ungleichgewicht der Darstellung, weil eben nur von einigen Mitgliedern der „Weißen Rose" Quellenmaterial in ausreichender Weise zugänglich ist. Nach einem kurzen Abriß der „historisch gesicherten" Fakten und einem Überblick über die wesentlichen Deutungen sollen daher die Quellen selbst zum Sprechen gebracht werden. Es geht hier nicht um eine neue Gesamtdarstellung zur „Weißen Rose", sondern nur um die Frage, wo sich im Münchner Studentenwiderstand der geistige Hintergrund offenbarte, wie sich die geistesgeschichtlichen Linien vom „Scholl-Bund" zu den Flugblättern durchhalten und inwiefern die tragenden Ideen für die Ulmer Volkshochschule grundgelegt werden. Besonders gut erkennbar wird dieser Zusammenhang im „Windlicht" und den für das Selbstverständnis der „Weißen Rose" zentralen Gesprächs- und Leseabenden. Auch der Rußlandaufenthalt Hans Scholls und die hier gewonnenen Erfahrungen und Einsichten gewähren interessante Einblicke. Wie die Überlebenden, mit der gleichen ideellen Prägung versehen wie die Gemordeten, das Geschehene interpretierten, kann hier erstmals an einem bislang unbekannten Filmentwurf Carl Zuckmayers über die „Weiße Rose" gezeigt werden.

1. DIE WESENTLICHEN EREIGNISSE „Die Angeklagten haben im Kriege in Flugblättern zur Sabotage der Rüstung und zum Sturz der nationalsozialistischen Lebensform unseres Volkes aufgerufen, defaitistische Gedanken propagiert und den Führer aufs gemeinste beschimpft und dadurch den Feind des Reiches begünstigt und unsere Wehrkraft zersetzt. Sie werden deshalb mit dem Tode bestraft. Ihre Bürgerehre haben sie für immer verwirkt." 4 So lautete das Urteil gegen Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst. Am Tag seiner Verkündung, Montag, den 22. Februar 1943 um 17.00 Uhr wurde es durch das Fallbeil vollstreckt; ein

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Folgende Darstellung weiß sich besonders verpflichtet: Kirchberger, Weiße Rose; Lill (Hg.) Hochverrat?; allen von Siefken verfaßten/herausgegebenen Arbeiten; Süß/Schneider, Keine Volksgenossen. Urteil des Volksgerichtshofes, I. Senat, vom 22. Februar 1943 gegen Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst; zitiert nach Scholl, Weiße Rose 105-108, hier 108. Das Urteil liegt in Berlin BA NJ 1704/1 (mehrere Kopien in anderen Bänden oder unter anderen Signaturen). Für die kompetente Beratung im Berliner Bundesarchiv, das sich gegenwärtig in einer völligen Umbruchphase befindet, danke ich Sabine Gresens.

I. Fakten und Deutungen

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zweites Urteil datierte auf den 19. April 5 . In diesen beiden Prozessen vor dem Volksgerichtshof in München unter dem Vorsitz seines berüchtigten Präsidenten Roland Freisler wurden die Hauptakteure der Widerstandsgruppe der „Weißen Rose" zum Tode verurteilt; mitangeklagte Freunde und Helfer erhielten Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und zehn Jahren; Familienangehörige wurden in „Sippenhaft" genommen. Damit hatte der wohl „schwerste Fall hochverräterischer Flugblattpropaganda, der sich während des Krieges im Altreich erreignet hat" 6 , ein Ende gefunden. Tatsache ist, und hier soll auf oft beschriebene, historisch aber wenig gesicherte Details verzichtet werden 7 , daß sich im Sommer 1941 in München ein Kreis von Studenten zusammenfand, die zur Fortsetzung ihres Medizinstudiums in eine Studentenkompanie abgestellt waren. Willi Graf8, Christoph Probst 9 , Alexander Schmorell 10 und Hans Scholl studierten an

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Urteil des Volksgerichtshofes, I. Senat, vom 19. April 1943 gegen Alexander Schmorell, Kurt Huber, Willi Graf u.a.; Scholl, Weiße Rose 109-119; Original Berlin BA NJ 1704/1. Berlin BA NJ 1704/33, Schreiben des Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof an das Reichsjustizministerium 31.5.1943. Solche Details etwa in den Darstellungen von Dumbach/Newborn, Gewissen; Hanser, Deutschland; auch Scholl, Weiße Rose. Willi Graf (1918-1943) wuchs in einem katholisch geprägten Elternhaus in Saarbrücken auf, 1929 Mitglied im Bund „Neudeutschland" (steht in Wandervogel-Tradition), 1934 Anschluß an den „Grauen Orden" (entwickelte sich aus ehemaligen Mitgliedern südwestdeutscher „Bündischer", bemühten sich um eine Reform der Katholischen Kirche). Trat der Hitlerjugend trotz aller Drohungen nie bei; 1938 inhaftiert und wegen „bündischer Umtriebe" angeklagt. Seit dem Wintersemester 1937/38 Studium der Medizin in Bonn, 1939 Physikum, im Januar 1940 Einberufung zum Militärdienst als Sanitäter, Einsatz in Frankreich und Belgien, März/April 1941 in Jugoslawien, Mai 1941 bis April 1942 an der Ostfront. April 1942 Beurlaubung zur Studentenkompanie nach München, Begegnung mit Hans Scholl und dem Kreis der „Weißen Rose". Juli 1942 Fcldfamulatur an der Ostfront, danach entschließt sich Graf endgültig, an den Widerstands-Aktionen teilzunehmen; verhaftet am 18.2.1943, hingerichtet am 12.10.1943; über ihn Die Weiße Rose 20-22; Kirchberger, Weiße Rose 56; Anneliese KnoopGraf, Hochverräter? Willi Graf und die Ausweitung des Widerstands, in: Lill (Hg.), Hochverrat? 43-88; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf; Schneider/Süß, Keine Volksgenossen 1 lf.; Hildegard Vieregg, Christlicher Widerstand gegen das NS-Regime: Willi Graf, in: Siefken/Vieregg (Hg.), Resistance (Arbeiter) 39-65. Christoph Probst (1919-1943), Sohn eines Privatgelehrten, der in zweiter Ehe mit einer Jüdin verheiratet war, 1932-1935 Landerziehungsheim Marquartstein (extern), 1934-1937 Mitglied in der HJ. Lernte 1935 am Neuen Realgymnasium in München Alexander Schmorell kennen, der ihn während seines Aufenthaltes 1936/37 im Landerziehungsheim Schondorf am Ammersee häufig besuchte. 1937 Abitur, Reichsarbeitsdienst, Einberufung zum Militärdienst (Luftwaffe). Ab 1939 Studium der Medizin in München, dann in Straßburg und Innsbruck; 1941 Heirat mit Herta Dohrn, deren Vater Harald Dohrn später ebenfalls mit der „Weißen Rose" sympathisierte, 3 Kinder. Ende Mai 1941 macht er bei einem Leseabend im Hause Schmorell die Bekanntschaft mit Hans Scholl; die Freunde versuchen den Familienvater aus den gefährlichen Aktionen möglichst herauszuhalten, aber sein Entwurf des 6. Flugblattes wurde bei Hans gefunden; verhaftet am 19.2.1943, zusammen mit Hans und Sophie Scholl hingerichtet am 22.2.1943. Angesichts des Todes läßt er sich im Gefängnis katholisch taufen; über ihn Die Weiße Rose 29-31; Klaus Dohrn, Von Bürgern und Weltbürgern. Eine Familiengeschichte, Pfullingen 1983; Kirchberger, Weiße Rose 55; Schneider/Süß, Keine Volksgenossen 12f. Alexander Schmorell (1917-1943) wurde in Rußland geboren, 1921 nach dem Tod der russischen Mutter übersiedelt sein Vater, ein deutscher Arzt, nach München, wo Alexander zweisprachig

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

der Universität München und waren sich in Gesprächen in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus einig. Gemeinsam besuchten sie die Vorlesungen, absolvierten ihre medizinischen Praktika und gestalteten ihre Freizeit. Zu diesem Freundeskreis stieß im Mai 1942 Sophie Scholl, die nach dem Ende ihres verpflichtenden Kriegshilfsdienstes ein Studium der Biologie und Philosophie an der Universität München aufnahm. Zwischen dem 27. Juni und dem 12. Juli 1942 versandten Alexander Schmorell und Hans Scholl vier „Flugblätter der Weißen Rose" 11 . Ein halbes Jahr später, Ende Januar 1943, erschien ein fünftes Flugblatt, überschrieben mit „Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland", nachdem die Medizinstudenten von Ende Juli bis Anfang November zu einer Frontfamulatur nach Rußland abkommandiert worden waren. In der Zwischenzeit hatte sich der aktive Kern erweitert 12 ; zugleich wurden Überlegungen angestellt, Kontakt mit anderen Widerstandsgruppen aufzunehmen 13 . Zudem warb man bei befreundeten Familien und guten Bekannten um Geld 14 . Bei zahlreichen Zusammenkünften wurde über Sinn und Zweck der Aktionen diskutiert und weitergehende Strategien entworfen. Die Ereignisse der Schlacht von Stalingrad erschütterten erstmalig den Mythos von der angeblichen Unbesiegbarkeit Hitlers. In der Bevölkerung wurde dies als Wendepunkt des Krieges oder als „Anfang vom Ende"

aufwächst, während der Schulzeit Freundschaft mit Christoph Probst; Mitglied im Stahlhelm „Jungbayern" und im Scharnhorstbund, nach Eingliederung dieser Bünde in die HJ Austritt; 1936 Abitur, Reichsarbeitsdienst, Einberufung zum Militärdienst, 1938 eingesetzt beim Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich, dann bei der Besetzung der Tschechoslowakei. Seit Frühjahr 1939 Medizinstudium in Hamburg, 1940 Einberufung zu einer Sanitätsabteilung,Frankreichfeldzug, 1940 Medizinstudium in München und Zuteilung zu einer Studentenkompanie, in der er Hans Scholl kennenlernt. Ab Anfang 1941 lädt er ihn in sein Elternhaus zu Diskussions- und Leseabenden ein. Feldfamulatur mit den Freunden 1942. Nach der Verhaftung der Scholls Fluchtversuch, verhaftet am 24.2.1943, als er in einem Münchner Luftschutzkeller erkannt wird, Hinrichtung am 13.7.1943; über ihn München IfZ ZS A 26/4; Die Weiße Rose 32-34; Kirchberger, Weiße Rose 54; Schneider/Süß, Keine Volksgenossen 12. " Datierung nach der Urteilsbegründung des 3. „Weiße Rose"-Prozesses 13.7.1943; Berlin BA NJ 534. Bestätigung durch das „Verzeichnis der Empfänger der Flugblätter der Weißen Rose" ebd. ZC 13267/1. 12 An dieser Stelle seien nur die im 2. Prozeß Mitverurteilten bzw. Mitangeklagten angeführt: Helmut Bauer, Heinz Bollinger, Eugen Grimminger, Heinrich Guter, Falk Harnack, Hans Hirzel, Susanne Hirzel, Traute Lafrenz, Franz Joseph Müller, Gisela Schertling, Katharina Schüddekopf; Scholl, Weiße Rose 109. Zur Ausweitung des Kreises vgl. Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 29-33. 13 Kontakt wurde mit Falk Harnack, bis 1941 Dramaturg am Weimarer Nationaltheater, der durch seinen Bruder Arvid Verbindungen zum kommunistischen Widerstand in der „Roten Kapelle" sowie über seinen Schwager Dietrich Bonhoeffer Verbindungen zur „Bekennenden Kirche" hatte, hergestellt; Bericht von Falk Harnack, in: Scholl, Weiße Rose 147-163. 14 So beispielsweise bei dem Stuttgarter Buchprüfer Eugen Grimminger, der 1942 Robert Scholl in dessen Ulmer Büro vertreten hatte; Michael Kißener, Geld aus Stuttgart. Eugen Grimminger und die Weiße Rose, in: Lill (Hg.), Hochverrat? 121-134. Ferner Die Weiße Rose 44f. Unten S. 207.

I. Fakten und Deutungen

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gedeutet 15 . In der Universität München war es anläßlich der beleidigenden Rede des Gauleiters Paul Giesler im Januar zu Tumulten und Protesten gekommen 16 . Dieser offensichtliche Stimmungsumschwung ermutigte die Freunde zu gewagteren Unternehmungen in Form nächtlicher Malaktionen: an zumeist öffentlichen Gebäuden brachten sie mit Schablonen und schwarzer Teerfarbe die Parolen „Nieder mit Hitler", „Freiheit" und durchgestrichene Hakenkreuze an. Seit Dezember 1942 hatte sich der Kontakt zu Professor Kurt Huber 1 7 intensiviert, der das sechste Flugblatt verfaßte. Bei der Verteilung dieses Flugblattes am 18. Februar 1943 im Lichthof der Universität München wurden Hans und Sophie Scholl beobachtet und gefangengenommen, in der Folge ihre „Mittäter" gefaßt und in den meisten Fällen verurteilt. Die Flugblätter wurden über München hinaus verbreitet, indem Gruppenangehörige in andere Städte fuhren, sie dort selbst verteilten oder zur Verbreitung weitergaben. Andere Exemplare wurden auf dem Postweg verschickt. So gelangten die Flugschriften u.a. nach Ulm, Augsburg, Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg, Mannheim, Frankfurt/Main, Köln, Bonn, Saarbrücken, Berlin, Wien, Salzburg, Innsbruck und Linz. In Hamburg bestand über Hans Leipelt18 und 15

,fl

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Zur Wirkung von Stalingrad auf Deutschland die Beiträge in Förster (Hg.), Stalingrad. Vgl. auch Ian Kershaw, Resistance without the people? Bavarian attitudes to the Nazi regime at the time of the Weiße Rose, in: Siefken (Hg.), Weiße Rose. Student Resistance 51-66, hier 58; und den Geheimbericht der SS 4.2.1943 in: Heinz Boberach (Hg.), Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS 1938-1945, Herrsching 1984, Bd. 12, 4751. Bei der 47C-Jahr-Feier der Universität München hatte Gauleiter Giesler in seiner Rede die Studentinnen aufgefordert, sie sollten sich nicht an den Universitäten herumdrücken, sondern „lieber dem Führer ein Kind schenken". Als daraufhin zahlreiche Studentinnen aus Protest den Saal verlassen wollten und daran gewaltsam gehindert wurden, kam es durch Kommilitonen zu Störungen der restlichen Rede. Die anschließende Festnahme von 24 Studentinnen löste einen anhaltenden Protest und Tumulte aus; Kirchberger, Die Weiße Rose 19. Zum Echo der Sportpalastrede in Deutschland und der Reaktion Goebbels auf die Münchner Vorgänge Iring Fetscher, Joseph Goebbels im Berliner Sportpalast 1943: „Wollt ihr den totalen Krieg?" Hamburg 1998, 130-133. Kurt Huber (1893-1943), geboren in der Schweiz, seine Familie übersiedelte 1896 nach Stuttgart, wo er ab 1903 das Eberhard-Ludwigs-Gymnasium besuchte, 1911 Abitur; nach dem Tod des Vaters 1912 Übersiedlung nach München. Dort Studium der Musikwissenschaft, Psychologie und Philosophie, 1917 Promotion, 1921 Habilitation und 1926 außerordentliche Professur. 1929 Heirat mit Clara Schlickenrieder, zwei Kinder. 1937 kurzzeitig kommissarischer Abteilungsleiter des staatlichen Instituts für deutsche Musikforschung in Berlin. Sammlung altbayerischer Volkslieder im Auftrag der deutschen Akademie, zeitweilig sympathisierte er mit dem NS, von dem er sich eine besondere Pflege des Volkstums erhoffte. Seine Enttäuschung der zuerst in den NS gesetzten Hoffnungen führte zu einem leidenschaftlichen Haß, den er auch in seinen Philosophievorlesungen nicht verhehlte. Im Sommer 1942 Kontakt mit dem Kreis der Weißen Rose über den privaten Lese- und Diskussionsabend im Atelier Eickemeyer. Verhaftet am 27.2.1943, bis zu seiner Hinrichtung am 13.7.1943 arbeitete er in der Todeszelle an seinem Buch über Leibniz. Nachlaß Huber in München SA; über ihn Die Weiße Rose 23-25; Huber (Hg.), Kurt Huber; Kirchberger, Die Weiße Rose 58. Hans Leipelt (1921-1945), seine Mutter stammte aus einer österreichischen jüdischen Familie christlichen Glaubens, 1925 Übersiedlung von Wien nach Hamburg, 1938 Abitur, Reichsarbeitsdienst und Wehrmacht, 1939 Teilnahme am Polenfeldzug, 1940 am Frankreichfeldzug

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

Traute Lafrenz19 eine Nebengruppe der „Weißen Rose"20, die als eher lockere Gruppierung Gleichgesinnter anzusehen ist; der Hamburger Ableger wurde im Oktober 1943 ebenfalls durch einen Prozeß vernichtet. Einige Flugblätter erreichten Norwegen und Schweden und von da die Weltpresse. Wenig später warf die Royal Air Force das sechste und letzte Flugblatt tausendfach über Deutschland ab21. Damit begann die Rezeptionsgeschichte.

2. DIE WESENTLICHEN DEUTUNGEN Wenn auch die unmittelbare Geschichte der „Weißen Rose" auf wenigen Seiten dargestellt werden kann, so füllt die Geschichte ihrer Rezeption mindestens ein ganzes Buch. Die Publikationen sind Legion; ihre breite Streuung in allen möglichen literarischen Genres, selbständigen Schriften, Zeitungen und Zeitschriften unterschiedlichster Couleur, Ausstellungskatalogen, Schulfestschriften, Verbands- und Vereinsbroschüren 22 lassen es illusorisch erscheinen, die ganze Rezeptionsgeschichte hier zusammenfassen zu wollen. (Eisernes Kreuz 2. Klasse), August 1940 Ausscheiden aus der Wehrmacht aufgrund des Geheimerlasses der Wehrmacht, alle „jüdischen Mischlinge" zu entlassen. September 1940 Sommer 1941 Studium der Chemie an der Universität Hamburg, Lese- und Diskussionsabende; ab WS 1941/42 Fortsetzung des Studiums in München bei Professor Heinrich Wieland, der die „rassistischen Studienbedingungen" ignoriert, neue Freundschaften mit Gleichgesinnten. September 1942 Tod des „arischen" Vaters, damit ist die Familie schutzlos. Leipelt erhielt im Februar 1943 das 6. Flugblatt und begann es zu vervielfältigen und weiterzuverteilen mit dem Zusatz „Und ihr Geist lebt trotzdem weiter!". Eine Sammlung für die Witwe Huber wird denunziert, Leipelt festgenommen, zum Tode verurteilt. Das Urteil wurde am 29.1.1945 vollstreckt; über ihn Die Weiße Rose 27f.; Kirchberger, Die Weiße Rose 59; Marie Luise SchultzeJahn, Hans Leipelt - ein Kapitel Münchner Hochschule im Nationalsozialismus, in: Siefken (Hg.), Weiße Rose. Student Resistance 67-76. " Traute Lafrenz (* 1919) wurde nach ihrer Übersiedlung nach München im Mai 1941 durch Schmorell, den sie bei einem Ernteeinsatz im Sommer 1939 in Pommern kennengelernt hatte, mit dem Kreis der „Weißen Rose" bekannt und freundete sich mit Hans Scholl an. Im November 1942 brachte sie ehemaligen Mitschülern in Hamburg zwei Flugblätter und stellte so die Verbindung zwischen den Münchner und Hamburger Aktivitäten her. Am 15.3.1943 festgenommen, wurde sie zu 12 Monaten Haft verurteilt, aber kurz nach ihrer Entlassung im Zusammenhang mit der Zerschlagung des Hamburger Ablegers erneut inhaftiert; das Kriegsende erlebte sie in einem Bayreuther Gefängnis. Heute lebt Traute Page-Lafrenz als Ärztin in den USA; vgl. ihren Bericht in: Scholl, Weiße Rose 131-138. 20 21 22

Hochmuth/Jacob, Weiße Rose Hamburg 387-421. Dazu Breyvogel, Die Gruppe Weiße Rose 166. Allein die verschiedenen Ausstellungen zur „Weißen Rose" oder Einzelaspekten und die damit zusammenhängenden Publikationen sind unüberschaubar. Dazu insgesamt die neueste Bibliographie bei Schilde, Schatten, der auch nicht alle Titel berücksichtigen konnte, sondern eine thematische Beschränkung vornehmen mußte. Vgl. auch den Bestand in Berlin BA DY 55/V 278/6/1722, Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes der sowjetischen Besatzungszone, Scholl, in dem systematisch Artikel aus Ost und West gesammelt sind und München IfZ ED 106/101 NL Walter Hammer.

I. Fakten und Deutungen

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Nicht umsonst hat Wilfried Breyvogel seinen Beitrag zu diesem Thema mit „Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte und kritischen Rekonstruktion" 23 überschrieben 24 ; die Einteilung in vier Phasen wird der folgenden Darstellung in modifizierter Form zugrundegelegt. Die Frage, ob Muth und Haecker in ihrer Bedeutung ausreichend gewürdigt werden sowie die Frage nach der Motivation der handelnden Personen muß bei jeder Phase der Forschungsgeschichte neu gestellt werden. Der Abwurf der Flugblätter durch die alliierten Luftstreitmächte war der Startschuß für eine umfassende Berichterstattung, wodurch die „Weiße Rose" zur ersten weltweit bekannten Widerstandsgruppe Deutschlands wurde. Im Mai 1943, also knapp drei Monate nach der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl sowie Christoph Probst, und noch während Willi Graf, Kurt Huber und Alexander Schmorell auf ihre Hinrichtung warteten, wandte sich Thomas Mann in der periodischen Rundfunksendung der Londoner BBC an die „Deutschen Hörer" 25 . Seine Feststellung, daß diese „herrlichen Leute" ihr junges Haupt auf den Block legten „für ihre Erkenntnis und für Deutschlands Ehre", steht für die erste Phase der Rezeptionsgeschichte von 1943 bis 1948/4926.

a) Ein Mythos wird geboren (1943 bis 1948/49) Diese erste Phase zerfällt durch das Kriegsende in zwei Teile. Vor 1945 erfolgte eine Rezeption in engerem Sinne lediglich im Ausland, die durch „Zweckorientierung und übertreibende Verzerrungen" gekennzeichnet ist. Einerseits machte die „Weiße Rose" den Alliierten klar, daß es in Deutschland eine Widerstandsbewegung gab, andererseits konnten diese der deutschen Bevölkerung die Tat der Gruppe vorhalten oder als „Durchhalteparo23

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Breyvogel, Die Gruppe Weiße Rose. Insgesamt hätte Breyvogel bei seiner Darstellung deutlicher zwischen „wissenschaftlichen Arbeiten" und „Darstellungen aus persönlicher Kenntnis" (wie der Angehörigen) unterscheiden müssen sowie seine Kritik präziser auf die zweifelsohne bestehenden Defizite in der historisch-wissenschaftlichen Auseinandersetzung beziehen müssen. Eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Rezeptionsgeschichte müßte folgende Stränge unterscheiden: 1. Darstellungen Beteiligter/Angehöriger, 2. Presse, 3. Aufsätze usw. von Literaten/Publizisten, 4. Gedenkreden usw., 5. Arbeiten „vom Fach", 6. Rezensionen und Widerrufe, 7. Einbindung in die Zeitströmung. Ansatzweise soll das in der folgenden Darstellung versucht werden. Es gibt zwar mehrere Bibliographien, aber bisher keine eigene Untersuchung der Rezeptionsgeschichte; Fleischhack, Widerstandsbewegung (1971); Kirchberger, Die Weiße Rose 31-43; Anneliese Knoop-Graf, Literatur zur „Weißen Rose". Beiträge zur Spurensicherung des Jugendwiderstands, in: Jahrbuch des Archivs der deutschen Jugendbewegung 14 (1982/83) 323327; Kißener, Literatur 159-179 (1993); Kißener/Scholtyseck, Gedenkjahrnachlese 304-344, hier 313f. und 332-344 (1998); Schilde, Schatten (1995). Die Arbeit von Schilde wurde durchweg positiv aufgenommen, Klaus Drobisch bezeichnete sie jüngst als „bilanzierende Arbeit mit nützlichem Nachschlagewerk", in: ZfG 44 (1996) H 3, 283f. Abgedruckt bei Scholl, Weiße Rose 198f. Von Breyvogel überschrieben mit „Ein Mythos findet seine Gestalt". Zum Folgenden Breyvogel, Gruppe 164-175.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

le" ausgeben. Die Rundfunkansprache Thomas Manns, das Flugblatt des Nationalkomitees „Freies Deutschland" 27 und der erste schriftliche Bericht von Helmuth James Graf von Moltke 28 , der über Falk Harnack mündlich Informationen erhalten hatte, thematisierten das stellvertretende Handeln der „Helden von München", jedoch ohne auf die Hinter- und Beweggründe der Gruppe einzugehen. Die Namen von Muth und Haecker kommen deshalb nicht vor. Von 1945 bis 1948/49 wurde das „selbstlose Opfer des Helden" Hans Scholl weiter stilisiert, zum Teil bis zum „ersehnten Wunsch-Opfer für die Schuld der Überlebenden". In geradezu gefährlicher Weise entwickelte sich das Scheitern der „Weißen Rose" zu einem nachträglichen Alibi für die schweigende Mehrheit in Deutschland, weil es scheinbar die Ohnmacht der Gegner des Nationalsozialismus und die Aussichtslosigkeit jeglicher Widerstandsaktionen bewies29. Sehr schnell kristallisierte sich heraus, daß der eigentliche Widerstandskämpfer Hans Scholl war, um den und dessen Schwester sich alles drehte. Beider Vita wurde durch allerlei Legenden angefüllt und unterlag einer Idealisierung bis hin zur Verknüpfung mit Motiven der Christus-Legende. Vor allem aus der Darstellung von Ricarda Huch und einigen Presseartikeln ergebe sich - so Breyvogel - erstens der „Opfermythos" oder die Idealisierung der jugendlichen Helden und zweitens die Konstruktion einer Dynamik, „die auf den 18.2.1943 zulaufende Handlungslogik im Sinne des der Verzweiflung geschuldeten Selbstopfers, das Fanal der Sühnetat" 30 . Das ist freilich genauer zu differenzieren: Für diese erste Phase typisch ist das Genre der „Gedenkreden" 31 , die Breyvogel zwar anführt, aber nicht näher charakterisiert. Durch alljährlich wiederkehrende Gedenkfeiern am Todestag der Geschwister Scholl wurden deren Taten öffentlich gewürdigt, wobei schon allein das Datum des Todes darauf hinweist, daß hier nicht der Widerstand in seinen konkreten Aktionen, sondern vielmehr der Tod der Widerstandskämpfer im Mittelpunkt stand. Diese Würdigungen trugen stets das Gepräge der Zeit und sind daher zugleich für die ganze Rezeptionsgeschichte interessant. In den ersten Nachkriegsjahren waren sie bestimmt von der emotionalen Nähe zu den Ereignissen. Allerdings erschwerte dieses ehrfurchtsvolle Ergriffensein die objektive Beurteilung der Vorgänge und ihre historische Einordnung - was zumeist 27 28

29 30 31

Abgedruckt bei Scholl, Weiße Rose 200-202. „It is a clear case of internal revolt, based on moral principles of the highest order, principles which must one day govern inter-European relations"; zitiert nach Wilhelm Ernst Winterhager (Bearb.), Der Kreisauer Kreis. Porträt einer Widerstandsgruppe. Begleitband zur Ausstellung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Mainz 1985, 235. Kirchberger, Weiße Rose 32. Breyvogel, Gruppe 173. Bis 1968 hielt die Universität München alljährlich eine Gedenkfeier ab. In der Regel sprachen nur der Rektor und der AStA-Vertreter einige Gedenkworte, förmliche Ansprachen von prominenten Rednern blieben besonderen Anlässen vorbehalten: Romano Guardini (1945 und 1958), Karl Voßler (1946, gedruckt 1947), Helmut Thielicke (1963) und Walter Bußmann (1968); Zu den Reden vgl. Quellen- und Literaturverzeichnis; allgemein Kirchberger, Weiße Rose 32-39.

I. F a k t e n und D e u t u n g e n

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auch gar nicht angestrebt war. Ein typisches Beispiel ist die Rede Romano Guardinis über „Die Waage des Daseins" 32 , in der dieser weniger auf die konkreten Personen als auf die tragenden Ideen, die sich nur aus dem christlichen Opferverständnis verstehen ließen, einging. Daraus, nicht aus ihrem konkreten Erfolg bzw. ihrem Scheitern, ergebe sich der Sinn dieser Aktion. Die Rede des Theologen Guardini ist deshalb ein besseres Beispiel für eine Interpretation der Mythisierung und des Opfercharakters der Münchner Aktionen als der Aufsatz von Ricarda Huch 33 . Diese hatte im Frühjahr 1946 in den Tageszeitungen der Westzonen einen Aufruf veröffentlicht, worin sie Angehörige und Freunde der Opfer des Nationalsozialismus um Mitteilungen über diese bat34. Daraufhin erhielt die Dichterin reiches Material, das ihr als Grundlage für ihre Arbeit diente 35 , wobei sie besonders belastete, auf die subjektiven Schilderungen der beteiligten Personen angewiesen zu sein und diese nur kaum auf deren Glaubwürdigkeit hin überprüfen zu können 36 . Lediglich einen Aufsatz über „Die Aktion der Münchner Studenten gegen Hitler" 37 konnte sie verfassen, bevor sie starb. Seine Publikation erfolgte posthum 1949 in der „Neuen Schweizer Rundschau". Kurz vor ihrem Tod hatte Ricarda Huch die Sammlung an Günther Weisenborn38 übergeben, da ihr klar geworden war, daß sie die Stoffmasse allein nicht mehr bewältigen konnte. „Es ist eine schwere Aufgabe", schrieb Huch an Weisenborn im Oktober 1947, „aber ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie wichtig es ist für Deutschland, für das Ausland, diese Bestrebung, uns vom Nationalsozialismus und von Hitler zu befreien, kennenzulernen" 39 . Ricarda Huch griff bei ihrer Darstellung über Hans und Sophie Scholl vor allem auf die verschiedenen „Erinnerungen" und „Berichte" von Inge Scholl zurück, die letztere bereits verfaßt hatte oder extra für die Dichterin verfaßte 40 . Die Aussage Breyvogels, daß Huch vermutlich auf solches Material „zurückgegriffen haben muß" 41 , ist dahingehend zu prä32 53

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Guardini, Waage. Ricarda Huch (1864-1947), Erzählerin, Lyrikerin, Dramatikerin und Historikerin. Übte durch ihren Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste und durch ihre kompromißlose Ablehnung der Rassendoktrin „aktiven geistigen Widerstand"; Killy (Hg.), Literaturlexikon 5, 490-492 (Lit.) (Rüdiger Frommholz); Ricarda Huch-Katalog. Der Text des Aufrufs bei Weisenborn, Aufstand 1 lf. Als ein Beispiel für die Presse: Hessische Nachrichten 4.5.1946; zitiert nach: Als der Krieg zu Ende war 324. Das ganze Material liegt heute in München IfZ ZS A 26/1-6, Korrespondenz und Berichte von 1946-47 mit Widerstandskämpfern bzw. deren Verwandten und Freunden. Dazu die Briefe und Notizen in: Ricarda Huch-Katalog 396-407, hier 402. Huch, Aktion. Günther Weisenborn (1902-1969), Dramatiker und Erzähler. Nach einem kurzen Emigrationsintermezzo in den USA 1937 versorgte er als Kulturredakteur des Großdeutschen Rundfunks die Widerstandsgruppe „Rote Kapelle" mit Informationen, 1942 verhaftet, im Mai 1945 aus dem Zuchthaus befreit. 1945 Gründer des Hebbel-Theaters in Berlin, seit 1951 Chefdramaturg der Hamburger Kammerspiele; Killy (Hg.), Literaturlexikon 12, 215f. (Erwin Rotermund). Berlin SAdK NL Günther Weisenborn Bd. 878, Huch an Weisenborn 15.10.1947. In Weisenborns Nachlaß findet sich weiteres Material wie verschiedene Entwürfe und Manuskripte von Vorträgen, Aufsätzen und Büchern Weisenborns zum Thema Widerstand. Vgl. den Briefwechsel Huch-Scholl in München IfZ ZS A 26/4. Breyvogel, Gruppe 168.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

zisieren, daß sie das wirklich getan hat. „Formulierungen zur Bewertung einzelner Situationen [bei Ricarda Huch], die seitdem wortgleich wiederholt werden", stammen eindeutig aus der Feder Inge Scholls. Auch die Darstellung Ricarda Huchs ist nicht frei von überhöhenden und den Opfertod verklärenden Tendenzen sowie Idealisierungen der Protagonisten. Trotzdem griff sie als Einzige in dieser Phase auf „authentisches" Quellenmaterial zurück, zumal sie durch die vielen positiven Zuschriften der überlebenden Angehörigen der „Weißen Rose" versichert sein konnte, in deren Sinne, wenn man nicht sagen will: von diesen autorisiert, zu schreiben. Ein Beispiel: Ricarda Huch verwendete das Typoskript Inge Scholls „Biographische Notizen über Hans und Sophie Scholl" 42 , in dem unter anderem vom Ulmer Freundeskreis, dem „Scholl-Bund", berichtet wird. Manche Formulierungen in Huchs Aufsatz sind wörtlich übernommen 43 bzw. als Paraphrasen oder nicht gekennzeichnete Zitate. Breyvogel moniert bei Huch gerade die „Konstruktion der Freundesgruppe, deren Bekanntschaft bis in die Vorkriegszeit verlegt wird" 44 . Damit ist aber nicht die Münchner Gruppe gemeint, sondern der Ulmer Freundeskreis, dem auch Inge Scholl und Otl Aicher angehörten. In der Huchschen Darstellung finden sich — weil sie eben auf die entsprechenden Quellen zurückgreifen konnte - demzufolge die Namen von Carl Muth und Theodor Haecker und ihrer „bedeutungsvollen Bekanntschaft" 45 mit den Scholl-Geschwistern. Übrigens wollte auch Reinhold Schneider in dieser Phase über die Geschwister Scholl schreiben, trat dann aber von diesem Vorhaben zurück, als die Darstellung von Huch erschien46. Natürlich sind gerade die von Inge Scholl stammenden Berichte nicht frei von mythisierenden Tendenzen, wiewohl die überlebende Schwester zumindest in der unmittelbaren Nachkriegszeit immer wieder betonte, möglichst neutral und sachlich bleiben zu wollen. Die Angehörigen 47 waren, wie sich in ihren Briefen immer wieder spiegelt, richtiggehend froh, daß mit Ricarda 42 43

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45 44

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München IfZ ZS A 26/4. Was zumindest Stichproben ergaben. Ein genauer Vergleich zwischen den Manuskripten und der Huchschen Darstellung wäre interessant. Breyvogel, Gruppe 170f. Das Zitat von Ricarda Huch, das Breyvogel hier anführt, um die Konstruktion des Freundeskreises zu belegen, bezieht sich sowieso lediglich auf die Person Hans Scholls. Zitat Huch, Aktion 287: „Sie [Probst, Schmorell, Scholl] verstanden sich in ausgelassener Fröhlichkeit... sie wurden bald Freunde. Im Genuß der Freundschaft und der Entfaltung seines Wesens [Hans, denn von ihm handelt der Artikel] verging die Zeit ungetrübt; bis der Krieg ausbrach." Huch, Aktion 287f. Ulm vhA Schachtel 7, Reinhold Schneider an Inge Scholl 30.9.1948: „Es wäre mir eine sehr große Ehre gewesen, über Ihre Geschwister schreiben zu dürfen. Aber das Material, das ich bisher empfing, reicht doch nicht aus und inzwischen sind so viele andere Arbeiten erschienen oder in Gang gekommen, daß die meine zurückstehen muß. Das würdigste wäre noch immer, wenn Sie selbst die Dokumente veröffentlichen würden." Leider fanden sich dazu keine weiteren Unterlagen in Karlsruhe BLB NL Schneider, denn möglicherweise hatte Inge Scholl Schneider gezielt angefragt. Zu den Auseinandersetzungen um die „richtig" deutende Erinnerung Clara Huber, Rückblick auf vier Jahrzehnte, in: Huber (Hg.), Tod 11-24, hier 12.

I. Fakten und Deutungen

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Huch eine Autorität an die Arbeit gegangen war. „Fast alles, was bisher an die Öffentlichkeit kam", schrieb Susanne Hirzel bereits im August 1946, „war tendenziös" 48 . Inge Scholl bemerkte im gleichen Monat: „Darf ich Ihnen sagen, wie wohltuend es für uns und alle Freunde unserer beiden ist, daß gerade Sie, verehrte gnädige Frau, diese Aufgabe übernommen haben. Das wird ein starkes Gegengewicht bedeuten gegenüber all dem Unrat, der schon über die Lieben publiziert wurde und gegen den ich mich unaufhörlich wehren mußte und weiterhin wehren werde. Freilich, die beste Waffe ist hier die Darstellung durch einen echten und berufenen Geist." 49 In dieser ersten Phase haben auch und gerade Presseberichte das Bild von der „Weißen Rose" entscheidend geprägt und durch ihre oft ungenaue Berichterstattung zur Legendenbildung beigetragen. Einerseits wurde durch solche der Opfermythos genährt 50 , andererseits erschienen aber auch Attikel von Beteiligten oder Informierten, die versuchten, das Bild wieder zurecht zu rücken. So geschehen im Fall des Romans von Alfred Neumann über die „Weiße Rose": Von positiven Stimmen bis hin zum völligen Verriß reicht die Bandbreite der publizierten Meinungen. Nach Meinung von Herbert Wiegandt etwa, einem Mitbegründer der Ulmer Volkshochschule, wäre der Roman besser nie geschrieben worden 51 . Bemerkenswert ist immerhin, daß in einigen Presseberichten der „geistig-sittigende Einfluß von Carl Muth und Theodor Haecker" hervorgehoben wurde 52 . In den Jahren von 1943 bis 1948/49 dominierte - das ist im Anschluß an Breyvogel festzuhalten - die Mythisierung der Taten und Gestalten der „Weißen Rose" die Rezeptionsgeschichte. In den Gedenkreden und Presseartikeln dieser Zeit hob man den Opfercharakter bzw. die Sühnefunktion dieser Handlungen hervor. Daraus spricht ein Legitimationsbedürfnis, das die weitere Rezeptionsgeschichte in unterschiedlicher Ausprägung immer wieder bestimmen sollte. Ähnlich verhält es sich mit der Legendenbildung: nicht nur in dieser Phase, sondern auch in der ganzen folgenden Zeit ist die Grenze zwischen Dichtung und Wahrheit nicht immer erkennbar. Auch wenn die nahen Angehörigen anfangs betonten, wie wichtig eine sachliche Aufarbeitung des Geschehenen sei, unterlagen sie später selber der Gefahr - oder Verlockung? - zwischen Gestalt und Mythos nicht mehr genau zu unterscheiden; größtenteils handelt es sich hier um eine eher unbewußte Selbstkonstruktion der Biographie. Die Frage, ob die „Weiße Rose" politische Motivationen hatte, wird so nicht gestellt; die Frage nach ihrem christlichen Gehalt auf das Opfer für 48 4,1 50 51

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München IfZ ZS A 26/4, Susanne Hirzel an Ricarda Huch 14.8.1946. München IfZ ZS A 26/4, Inge Scholl an Ricarda Huch 7.8.1946. Breyvogel, Gruppe 173f. Alfred Neumann, Es waren ihrer sechs, Stockholm 1944 (Mellan dag och natt), New York 1945 (Six Against Tyranny), Berlin 1948. Dieser Roman, den Neumann selbst als auf Tatsachen beruhend bezeichnete, wurde viel verkauft. Die Besprechung von Wiegandt zusammen mit vielen anderen ablehnenden Rezensionen in Marbach DLA NL Carl Zuckmayer, Fasz. Die Weiße Rose (ohne Sign.). Als Bsp. Hans von Hülsen in der Süddeutschen Zeitung 23.10.1945; München IfZ ZS A 26/5, Presseberichte von 1945-1948 betr. die „Weiße Rose".

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

das deutsche Volk reduziert, allgemein von „idealistischen Motiven" und „religiös-sittlichem Widerstand" gesprochen. Neben den Mentoren Muth und Haecker geraten auch die anderen Mitglieder der Gruppe zunehmend in den Hintergrund zugunsten einer Zentrierung auf Hans Scholl und der daraus resultierenden Homogenisierung aller Gruppenmitglieder.

b) Ein Mythos entwickelt sich (1948/49 bis 1955) Nachdem Inge Scholl als Angehörige bereits kurz nach Kriegsende gegen all den bisher erschienenen „Unrat" die Darstellung Ricarda Huchs gesetzt sehen wollte, griff sie nun selbst zur Feder. In gewisser Weise waren die Angehörigen durch das Einflechten des Sühnemythos und des Heldenmotivs in eine „fatale Situation zwischen Destruktion oder Erhalt sowie Ausbau des Mythos" geraten53. Beide Tendenzen sind in ihrem zuerst 1952 erschienenen und in vielen weiteren Auflagen gedruckten Buch „Die weiße Rose" erkennbar. Durch eine „Biographisierung", das heißt eine Rückbindung des Geschehens an die Kindheit und Jugend der Protagonisten, versuchte sie einerseits eine Destruktion des Mythos, dem sie durch Aufnahme zusätzlicher biographischer Episoden andererseits wieder neue Nahrung gab. Hereingenommen wurden die Predigten Graf von Galens und die Mitgliedschaft in der „dj.l.ll"; und durch die Konstruktion einer Verschwörergruppe erfolgte eine politische Aufladung, die in der Folge genauso wirkmächtig wurde wie die frühe Legendenbildung. Ricarda Huch hatte - wie gezeigt - ihre Materialsammlung an Günther Weisenborn übergeben54. Dieser sprach in der Folge zu verschiedenen Anlässen zum Thema „Widerstand" und veröffentlichte Aufsätze und Zeitungsartikel. Weisenborn hatte bereits selbst begonnen, Unterlagen über die Widerstandsbewegung zu sammeln, als er 1945 aus der Haft befreit wurde. Nach jahrelanger Arbeit erschien 1953 sein Buch „Der lautlose Aufstand", ein „Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933-1945"55. Für ihn war die „Weiße Rose" eine der „lautersten Gruppen". Weisenborns Darstellung leidet allerdings unter vielen sachlichen Fehlern; von denen einer in unserem Zusammenhang sehr bezeichnend ist: Er ordnete die Geschwister Scholl nämlich eindeutig katholischen Kreisen zu, vielmehr: „Die beiden ... sind immer gläubige Katholiken gewesen" 56 . Obwohl Weisenborn über die 33 54

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36

Breyvogel, Gruppe 176. Vgl. zum Folgenden ebd. 175-183. Ob mit oder ohne Zustimmung der Angehörigen, ist auf dem heutigen Kenntnisstand nicht zu klären. Vgl. dazu Berlin SAdK NL Günther Weisenborn v.a. Bd. 366, auch Bd. 413 (Die deutsche Widerstandsbewegung), 506 (Probleme der deutschen Widerstandsbewegung), 510, 534. Weisenborn, Aufstand 108-116, faßt die Weiße Rose unter die „Bürgerliche Opposition" der Jugend. Berlin SAdK NL Günther Weisenborn Bd. 366, „Ich weiß, wofür ich sterbe" Teil 7, auch Bd. 413 verschiedene Vorträge. Weisenborn konnte sich der Zustimmung Inge Scholls sicher sein; er sollte später in Ulm sprechen und persönlichen Kontakt bekommen. Vgl. den Briefwechsel ebd. Bd. 1343.

I. Fakten und Deutungen

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„Hauptquellen" verfügte, unterlief ihm dieser „Kardinalfehler"; oder gerade weil er diese Materialien zur Verfügung hatte, schloß er aus der Verbindung zu Muth und Haecker - die Weisenborn ausdrücklich thematisiert - auf die Zugehörigkeit von Hans und Sophie Scholl zur katholischen Kirche. Nachdem der Nachholbedarf an Informationen in der ersten Phase zu einer Fülle von Presse-Berichten über den nationalsozialistischen Widerstand geführt hatte, ließ das Interesse in der zweiten Phase nach; zunehmend orientierten sich die Berichte an den entsprechenden Jahrestagen 57 . Eigen bleibt diesen Artikeln, vor allem in den Münchner Zeitungen, die Tendenz, politische Fragen auszuklammern zugunsten des Sühneopfers aus sittlicher Reinheit. Erst 1953 erschien ein Artikel in der „Süddeutschen Zeitung", der die Münchner Aktionen in ihrem geistigen und zeithistorischen Kontext zu erklären versuchte 58 . Erstmals wurde die kontinuierliche Entwicklung von Jugendbewegung und christlichen Bindungen zu den Geschehnissen vor 1943 gesehen und auch auf weitere Mitglieder verwiesen. Zeitigte hier die Darstellung Inge Scholls erste Wirkungen? Auch dieser Bericht bezeichnete die religiöse Motivation als entscheidenden Beweggrund: die Geschwister hätten sich bewußt entschieden, mit ihren von christlicher Seite inspirierten Aktionen ein Gegengewicht zum kommunistischen Widerstand gegen Hitler zu schaffen. Kennzeichnend für diese zweite Phase ist die Politisierung der Aktionen. Die überlebenden Angehörigen waren sich uneins, wie man auf die Stilisierung zu Heldentum und Martyrium am besten zu reagieren habe59, während gleichzeitig die Darstellung Inge Scholls diesem neuen Mythos Vorschub leistete. Dahinter trat der christliche Gehalt der „Weißen Rose" zurück, wurde „verfälscht und mißbraucht" 60 . Die „Menschen wie Du und Ich"61 brauchten keinen Muth und keinen Haecker, wenn es um die politische Motivation ging. Weiterhin drehte sich alles um Hans Scholl (Tendenz der Zentrierung), dem die anderen Gruppenmitglieder angeglichen wurden (Tendenz der Homogenisierung).

c) Ein Mythos wird Geschichte (1955 bis 1966/68) Für die dritte Etappe der Rezeptionsgeschichte konstatiert Breyvogel einen „Umschlag im Verhältnis zu dem überlieferten Geschehen" 62 . Am Ende die57

Robert Scholl beklagte sich etwa bereits 1952 in einem Leserbrief darüber, daß die Süddeutsche Zeitung den Gedenktag seiner Kinder diesmal ganz ignoriert habe und daß ehemalige Nazigrößen heute wieder aktueller seien als jene, „die einst unter Lebensgefahr dem Verderben unseres Volkes entgegengetreten sind"; Süddeutsche Zeitung 1./2.3.1952. 38 Süddeutsche Zeitung 21./22.2.1953 (Wochenendausgabe); zitiert nach Kirchberger, Weiße Rose 4L 5) ' Angelika Probst, die Schwester von Christoph Probst sagte beispielsweise, sie „haben ihr Leben gegeben für uns alle"; zitiert nach Schilde, Schatten 38. 60 So Harald Dohrn in einem Vortrag „Widerstand gestern und heute"; München IfZ FA 215/2, Korrespondenz und Berichte, pag 65-91, hier 72. 61 Hierbei handelt es sich um ein Zitat Inge Scholls aus der Ausgabe von 1953, das Breyvogel als Überschrift für diese Phase verwendet. 62 Breyvogel, Gruppe 183-196.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

ser Phase waren zwei Arbeiten entstanden, die erstmals mit dem kritischen Instrumentarium der neueren Zeitgeschichtsforschung an das Thema „Weiße Rose" herangingen, sowie die Widersprüche der bisherigen Darstellungen aufgriffen und versuchsweise zu klären suchten. Heike Bretschneider und Christian Petry legten im Jahr 1968 Arbeiten vor, die durch kritische Quellenvergleiche eine andere Sicht auf die Vorgänge im Februar 1943 ermöglichen sollten. Breyvogel stellt die Arbeiten von Bretschneider und Petry ans Ende der dritten Phase der Rezeptionsgeschichte. Sicher ist richtig, daß sie einen Umschlag in der Interpretation der „Weißen Rose" bedeuteten und die Wende von der „würdigenden" zur „kritischen" Rezeption markieren 63 - darin besteht auch ihr Hauptverdienst. Beide Arbeiten können aber nicht als typisch für den ganzen Zeitraum von 1955 bis 1968 angesehen werden, sondern sind einer eigenen Phase zuzurechnen, die durch die äußeren Umstände der Studentenrevolte von 1968 und der dadurch bedingten Umakzentuierung historischer Fragestellungen gekennzeichnet ist. Für die Zeit von 1955 bis 1967 hilft ein Blick auf die Gedenkreden weiter. Am 12. Juli 1958, bei der Einweihung des Mahnmals anläßlich des 15. Todestages von Kurt Huber, hielt erneut Romano Guardini die Festrede unter dem sprechenden Titel „Es lebe die Freiheit" 64 . Ohne auf den historischen Widerstand der „Weißen Rose" einzugehen, warnte Guardini vor einer modernen Verknechtung durch die Technik und die Bürokratie, sowie vor der allgemeinen Gefährdung des Menschen, wenn das Gewissen nicht untrennbar mit der Freiheit verbunden ist. Um die Freiheit ging es auch bei der 20-Jahr-Gedenkfeier. Helmut Thielicke mahnte ähnlich wie Guardini zuvor, der „Schwung der Freiheit" verzehre sich in einer Zeit von „Karrieremachern" und „Laufbahnrennern". Er betonte die „Schlichtheit des Elementaren", die den Personen und Aktionen der „Weißen Rose" innegewohnt habe. Die einfache Tatsache, daß Menschen in einer menschlicheren Welt leben könnten, ist ihr Vermächtnis65. Die Gedenkreden bemühten sich, der fortschreitenden Mythisierung keine neue Nahrung zu geben. Das Legitimierungsproblem der schweigenden Mehrheit bleibt aber weiterhin ungelöst, weshalb die Reden ohne das „Sühneopfer" noch nicht auskommen. Thielicke führt beispielsweise aus, wie Deutschland vor der Welt dastünde, wenn dieses Zeichen nicht aufgerichtet 62 M

64 u

Breyvogel, Gruppe 183-196. Breyvogel, Gruppe 184-197, hier 184; Breyvogels Argumentation an dieser Stelle überzeugt nicht. Er geht überhaupt nicht darauf ein, was in der Zeit ab 1955 publiziert wurde, sondern stellt anhand von Bretschneider und Petry die Weiße Rose in der Phase Juni 1942 bis 18. Februar 1943 dar, um zu belegen, wie sich Rezeption und kritische Rekonstruktion verschränken. Diese beiden Arbeiten stehen aber am Ende dieser Phase und können - wie noch zu zeigen ist - nicht als typisch gelten. Guardini, Freiheit und Verantwortung 21-37. Thielicke, Freiheit passim. Die Zeitgebundenheit Thielickes kommt durch seinen Hinweis zum Anspruch auf die deutschen Ostgebiete deutlich zum Ausdruck. Er vermisse bei dieser Diskussion „den Ton des Wissens, daß die Wiederherstellung des Verlorenen nur ein gnadenvoll Gewährtes sein könnte"; ebd. 15.

I. Fakten und Deutungen

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worden wäre, wenn „das andere Deutschland" nicht in der „Weißen Rose" Gestalt angenommen hätte 66 . Die weiteren universitätsinternen Feierstunden blieben in der Folge nicht immer ohne Zwischenfälle67, weil sich verschiedene Gruppierungen das Erbe der „Weißen Rose" auf ihre Fahnen schrieben und sich wiederum gegenseitig absprachen, dies tun zu dürfen68. In diesen Kontext gehören die Arbeiten von Petry und Bretschneider. Zu fragen ist, für welche Seite sich beide entschieden haben: für die Bejahung des politischen Fanals oder für die Betonung des religiös-sittlichen Momentes in den Aktionen des 18. Februars 1943? Diese Frage läßt sich durch einen Blick auf die Namen von Muth und Haecker und die Bedeutung, die diesen eingeräumt wird, leicht beantworten. Heike Bretschneider kommt in ihrer Beurteilung des Personenkreises zu dem Ergebnis, daß gerade zu den älteren Mitgliedern deutliche Differenzen bestanden. „So sehr vor allem Muth und Haecker dem Freundeskreis Anregung und Hilfe für seine geistige Orientierung gegeben haben mögen, so haben die jungen Leute den Weg zu Aktivität und schließlich zur Aktion doch von sich selbst gewählt und gefunden." Beide hätten zwar Flugblätter erhalten, aber nie erfahren, wer die Verfasser waren. Das stimmt nach Ausweis der Berichte von Inge Scholl nicht: Carl Muths Ahnungen gingen in die richtige Richtung und verdichteten sich bis hin zur Gewißheit, daß Hans Scholl der Urheber war. Insgesamt geht die Arbeit von Bretschneider in die richtige Richtung, wenn sie von „ethischchristlichem Verantwortungsbewußtsein" spricht und Muth und Haecker als Mentoren durchaus thematisiert 69 . Die Arbeit von Christian Petry, die erste Monographie eines Außenstehenden, ist in einer Fülle von Details aufwendig recherchiert, ihre Mängel sind jedoch nicht zu übersehen 70 . Lediglich Muth wird wie Huber auf sieben Seiten abgehandelt 71 . Petrys Bewertung der Ereignisse geht von der ideologischen Prämisse der studentischen Protestbewegung aus und orientiert sich am Mythos des „linken" Widerstandshelden ä la Rudi Dutschke 72 , der für eiM

Thielicke, Freiheit 21. Einleitend bemerkt er, wie wichtig es ist, „von unseren Pflichten und Versäumnissen" zu sprechen; ebd. 6. 1,7 Die Entwicklung bei Kirchberger, Die Weiße Rose 36-39. 68 Das gilt auch für die Arbeiten von Drobisch (Hg.), Wir schweigen nicht (1968) und Jahnke, Weiße Rose (1969), die jeweils in Berlin Ost erschienen. Angesichts der ihres Erachtens erstarkenden Kräfte des Neofaschismus in der Bundesrepublik schien den beiden Autoren die Frage aktueller denn je, welchen „historischen Platz" dem „antifaschistischen Widerstandskampf" von 1933 bis 1945 zukomme. ^ Bretschneider, Widerstand 183 (Zitat) und 186. Zumal ihr Thema der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in ganz München ist und sie dem „Scholl-Kreis" „nur" 20 Seiten einräumt (179-199). 70 Bereits 1971 wies Fleischhack, Widerstandsbewegung 463 darauf hin. Jüngst wieder Kißener, Literatur 159. 71 Petry, Studenten 36-42 (Muth), 43-49 (Huber) und 53 (Fazit). 72 „Nach politisch sinnvollen .Husarenstücken' bedienten sie sich am 18. Februar des .unpolitischen' Mittels des Fanals und brachen damit einen Weg in einen Widerstand ab, der sie aus ihrer Bindung an die Welt, die eine unpolitische, christliche, idealistische, bürgerliche und sehr deutsche Welt gewesen ist, hätte lösen können... Die Weiße Rose kann darum nicht mehr als der Ansatzpunkt einer Tradition politischen Denkens und Handelns angesehen werden."; Petry, Studenten 151.

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Z w e i t e r Teil: WIDERSTAND

ne Konfrontation mit allen Autoritäten stand. Daher verwundert es, daß er den häufigen Umgang mit Muth und Haecker als widerstandsauslösendes Moment sieht, wiewohl Petry gleich hinzufügt, daß diese beiden in ihnen die falsche Hoffnung auf einen baldigen Zusammenbruch des Hitler-Staates genährt hätten. Bei allem Respekt vor ihrem persönlichen Einsatz hätten die Münchner Studenten zu bürgerlich gedacht, zu unpolitisch gehandelt und darum zu wenig bewirkt. Durch diese Interpretation zog sich Petry den „Zorn" der Angehörigen zu 73 . Gegen seine Meinung, die „Weiße Rose" sei das Werk „naiver abenteuerlicher Idealisten", „unfähig zu rationaler politischer Reflexion", wandte sich vor allem Inge Scholl, die sogar vorhatte, das von ihr Bewertbare zusammenzustellen und dem Münchner Institut für Zeitgeschichte zu überlassen, „damit Historiker in der Lage sind, darauf zurückzugreifen." 74 Das Buch sei zwar breit angelegt mit vielen Zitaten und habe die Machart historischer Darstellungen. Es bleibe aber der Versuch einer Manipulation und strotze von Fehlern und freien Interpretationen, die richtigzustellen seien. An Falk Harnack schrieb Inge Aicher-Scholl im August 1971, die letzten Jahre erschienen ihr als eine Phase, die die Beteiligten des deutschen Widerstandes durchstehen mußten, „mit der zunächst deprimierenden Frage, wie fragwürdig Geschichtsschreibung schlechthin sein kann" 75 . Inge Aicher-Scholls Kritik ist dreifach interessant: zum einen, weil sie genau die Unzulänglichkeiten in Petrys Interpretation trifft, zum anderen, weil sie zugleich ihre ureigene Sicht der „Weißen Rose" erkennen läßt und zum dritten, weil sie die Geschichtsschreibung generell in Frage stellt: „Um die politische Ahnungslosigkeit zu belegen, bemüht sich Christian Petry, den geistigen Hintergrund, vor allem Personen wie Theodor Haecker, Carl Muth und Professor Huber darzustellen. Sie werden zu Vertretern eines zivilisationsfeindlichen, christlichen Konservatismus gestempelt, der [unpolitisch sei und nur die innerliche Umkehr kenne. An Haecker wird seine eigentliche Position, sein Verhältnis zu Kierkegaard, zum Neuthomismus, sein Bemühen um geschichtsbewußte Philosophie ebenso übergangen wie die Beziehungen Muths zu Politikern der Weimarer Republik. Die avantgardistische Position von Haecker und Muth im damaligen Katholizismus wird nicht gezeigt. Unerwähnt bleibt, daß Hans Scholl selbständig genug war, vielen Auffassungen Haeckers oder Hubers kritisch gegenüberzustehen. Den Pessimismus Haeckers gegenüber der Technik hat er nie geteilt, ebensoweVgl. als nur ein Beispiel das Berichtigungsschreiben von Robert Scholl vom 23.9.1968 in München IfZ Fa 215/5, pag 47: „Christian Petry rechnet die Geschwister Scholl zur unpolitischen Tradition des deutschen Bürgertums und seiner durch den deutschen Idealismus geprägten unverbindlichen Haltung. Das freundschaftliche Verhältnis der Geschwister Scholl hätte ihn stutzig machen sollen. Haecker hat in .Satire und Polemik' eine scharfe Abrechnung mit genau jener Tradition vorgenommen!" München IfZ Fa 215/5, Bemerkungen Inge Aicher-Scholls zum Buch von Petry, Studenten aufs Schafott vom 17.11.1968, pag 1 -20. Danach das Folgende. In Bd. 4 fand sich ebenfalls eine Liste mit Korrigenda von Thorsten Müller. Ulm vhA Schachtel 7, Inge Scholl an Falk Harnack 6.8.1971 [Hervorhebung im Original].

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nig das Vertrauen Hubers in die völkischen Werte. Aber das paßt nicht ins Bild, ebensowenig wie die Tatsache, daß die Geschwister Scholl mit Maritain der Meinung waren, einen christlichen Staat könne es nicht mehr geben." Wenn Petry Haecker zitiert, „es geht nicht bloß um die Demokratie; es geht um den Menschen," und daraus schließt, für Haecker sei Demokratie kein Wert - obwohl mit diesem Satz das genaue Gegenteil ausgesagt sei - , um anschließend aus einer Flugblatt-Formulierung zu schließen, daß die Studenten an Fragen der Staatsform, der Demokratie und des Königtums nicht interessiert gewesen wären, dann sei das falsch. In Wirklichkeit waren die Münchner Freunde sehr wohl an politischen Fragen interessiert. Im übrigen hätten sie den Nationalsozialismus nicht politisch erklärt, sondern durch die Flugblätter werde „nur" zur christlich motivierten Umkehr aufgerufen. Liest man diese Passagen, wird erstmals deutlich, daß für Inge Scholl kein Widerspruch zwischen christlicher Orientierung und politischem Handeln bestand - ein Widerspruch, der in den vergangenen Jahren immer wieder konstruiert worden war. Vielleicht war die Erfahrung mit der Petry'sehen Publikation erneut ein Anlaß für Inge Aicher-Scholl, die im Jahr 1974 aus der Leitung der Ulmer Volkshochschule ausschied, sich der Sortierung ihres Privat-Archivs zuzuwenden. Die Zeit von 1955 bis 1967 war bestimmt durch das Bemühen, dem entstandenen Mythos nicht weiter Vorschub zu leisten, auf welche Weise sich dieser aber erst recht verfestigte und damit quasi Geschichte wurde. Es wurde gesehen, daß politisches Handeln und christlich-religiöse Motivation sich nicht unbedingt ausschließen müssen. Deshalb können Muth und Haecker vorkommen, müssen aber nicht, denn nach wie vor geht es um die Legitimation der schweigenden Masse des deutschen Volkes. Das spiegelt sich auch in den Presseberichten jener Zeit, wobei die Freunde weiterhin eine unbestimmte Funktion einnehmen und eine eher untergeordnete Rolle spielen76. Der Vorbildcharakter ihrer Handlungen wird - vor allem in den zwei Gedenkreden - kontrastiert mit den konkreten äußeren Rahmenbedingungen der bundesrepublikanischen Gesellschaft in jenen Jahren. Die Publikationen der Jahre 1955 bis 1966/68 stehen in gewisser Weise an der Schwelle zu einem neuen kritischen Ansatz, der zwar durch seine Kontextgebundenheit nicht vollständig umgesetzt werden kann, aber den Impuls für eine neue Form der Beschäftigung mit der „Weißen Rose" gibt. Durch die Veröffentlichung wichtiger Quellen 77 ging im folgenden der Blick „ad fontes": Nach der fortschreitenden Politisierung des Widerstandsbegriffs und der Umorientierung der Forschung auf den Alltag unter dem NS-Regime gerieten die zentralen Elemente der „Weißen Rose" zumindest in den Hintergrund, aus dem ihr erst die Reflexion der Fakten und neue Quellen wieder heraushelfen konnte.

Diese Tatsache versucht Breyvogel durch die Darstellung der politischen Differenzen im Freundeskreis zu widerlegen, wobei er die ideellen Gemeinsamkeiten als zu gering einschätzt; Breyvogel, Gruppe 192-195. Vgl. den Dokumentenanhang bei Petry, Studenten 153-224 und Drobisch (Hg.), Wir schweigen nicht.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

d) Ein Mythos und seine Geschichte (1968 bis 1988) Nachdem sich die erste Aufregung gelegt hatte, gerieten die Arbeiten von Petry und anderen aus diesem Umfeld in den Jahren nach ihrem Erscheinen mehr und mehr aus dem Blick. Nach einer Phase geringeren Interesses an der „Weißen Rose", die Michael Kißener u.a. durch die Überbetonung sozialgeschichtlicher Forschungsansätze bedingt sehen78, kam es seit 1980 zu einem zweiten vollständigen Umschlag in der Interpretation. Diesen kennzeichnet ein neuer Anlauf zur „vollständigeren Biographisierung durch die Edition der authentischen Selbstzeugnisse und biographischen Quellen" 79 : 1980 Vinke über „Das kurze Leben der Sophie Scholl", 1982 die erweiterte Neuausgabe der „Weißen Rose", 1984 die Briefe und Aufzeichnungen von Hans und Sophie Scholl und 1988 die Willi Grafs und 1985 die „Innenseiten des Krieges" von Otl Aicher. Diese authentischen Zeugnisse verbieten fortan, über Motivation und Standpunkt der Münchner Studenten zu rätseln und zu phantasieren. Die Frage „Politik und/oder Religion" wurde durch diese Publikationen genauso unmißverständlich beantwortet wie jeder Art von antifaschistischer Vereinnahmung oder Instrumentalisierung gewehrt. Allerdings ergab sich aus der Publikation dieser Quellen nicht automatisch ein korrigiertes Bild, vielmehr lebte der alte Mythos weiterhin fort und bestimmte auch in der Folge noch die Geschichtsschreibung. Die Konsequenzen aus dem in einer Fülle von unabhängigen Traditionssträngen eindeutig belegten christlichen Ethos, vermittelt durch Muth und Haecker, wurden zunächst meist noch nicht bzw. nur teilweise gezogen. Ganz allgemein gilt, was Breyvogel über die „Bedeutung kultureller Kontexte zum Verständnis dieser Widerstandsform" 80 ausgeführt hat. Er exemplifiziert dies an einem Vergleich von Petrys Buch mit verschiedenen Beiträgen von Inge Jens und kommt zu folgendem Ergebnis: War bei Petry die „Verpflichtung auf einen kulturellen Horizont", sprich die Lektüre von Wiechert, Carossa, Nietzsche usw., zuunterst angesiedelt, spielte also für die Ausformung des Widerstandes der „Weißen Rose" keine Rolle, so hat sich das in den Bewertungen der achtziger Jahre genau umgekehrt. „Was ehedem gerade Widerstand verhinderte, ist in den achtziger Jahren die als Notwendigkeit erkannte Voraussetzung für ihren Widerstand." Nicht nur für die inhaltliche Ebene trifft diese Feststellung zu, sondern sie tangiert genauso die Zeitgebundenheit der Darstellungen an sich. Der seit 1980 praktizierte „andere Zugang" spiegelt sich auch in den Gedenkreden. Im Februar 1968 war die Feierstunde von Studenten massiv gestört worden, die die „Weiße Rose" in den folgenden Jahren für sich zu okkupieren suchten. Erst zwölf Jahre später - im Februar 1980 - lud die Universität München wieder zu einer Feierstunde ein, die 1980 und von 1983 78 79 80

Vgl. Kißener, Literatur 160. Breyvogel, Gruppe 165. Dazu und zum Folgenden Breyvogel, Gruppe 197f.

I. F a k t e n u n d D e u t u n g e n

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an bis heute jährlich in Form einer Gedächtnisvorlesung stattfand. Die seither gehaltenen Vorlesungen81 versuchen die „Weiße Rose" in den ganzen Widerstand im Dritten Reich einzuordnen. Von ganz unterschiedlichen Aspekten aus beleuchteten die Redner die Geschehnisse des Jahres 1943. Dabei wurde auch über die möglichen Lehren für die heutige Zeit zumindest andeutungsweise gesprochen, was nicht zuletzt die Form der Gedächtnisvorlesung vor einem hauptsächlich studentischen Publikum bedingt. Im Unterschied zu früheren Jahren wird dabei jedoch Zurückhaltung geübt; es finden sich kaum platte Parallelisierungen oder sichtbar erhobene moralische Zeigefinger. Deutlich wird zudem: die „Weiße Rose" ist ohne ihren christlichen Hintergund nicht zu verstehen, „denn das Denken und Handeln dieser Gruppe war in der religiösen Überzeugung christlichen Glaubens gegründet"82. Nur die Entdeckung des Christentums veranlaßte die Studenten, wie Wladyslaw Bartoszewski 83 feststellt, ihre moralischen Forderungen und Vorwürfe so kategorisch vorzutragen. Den Reden gemeinsam war „eine moralische Sensibilität sowie Verantwortungsbewußtsein für eine bessere Zukunft". Einig sind sich alle Vortragenden, daß durch eine politische Vereinnahmung der Gruppe, egal von welcher Seite, deren Zeugnis instrumentalisiert würde. „Eines ist es", wie Hermann Krings treffend formuliert, „die Zeichen der ,Weißen Rose' zu deuten und ihre politische Bedeutung zu verstehen, unabhängig von einer politischen Präferenz. Ein anderes ist es, die Namen und Ereignisse von damals für heutige politische Zielsetzungen in Anspruch zu nehmen, die in unserer Republik normalerweise parteipolitische sind. Wenn die Zeichen der ,Weißen Rose' auch heute noch eine Bedeutung haben sollen, und zwar für uns alle in Deutschland und nicht nur für einen Teil, dann muß die Reflexion auf die politische Bedeutung von einer vordergründigen politischen Absicht frei bleiben." 84 Nach einer Phase des nachlassenden Interesses an der „Weißen Rose" in den 70er Jahren setzte sich ab 1980 eine an den nun endlich publizierten Quellen orientierte Darstellung durch. Es entstanden zudem mehrere „romanhafte" Darstellungen wie etwa von Hanser 85 und Dumbach/Newborn 86 , die zwar aus Quellenmaterial schöpfen, aber dieses ohne Nachweise verwen-

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8h

Gesammelter Abdruck der Reden von 1980 und 1983 bis 1992 in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes. Hermann Krings, Das Zeichen der Weißen Rose. Zur politischen Bedeutung des studentischen Widerstands, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 45-60, hier 56. Wladyslaw Bartoszewski, Aus der Geschichte lernen? In: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 102-115, hier 113. Hermann Krings, Das Zeichen der Weißen Rose. Zur politischen Bedeutung des studentischen Widerstands, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 46. Hanser, Deutschland. Aus Anlaß des Erscheinens dieses Buches des Amerikaners Hanser und der Verleihung eines Preises hielt Rolf Hochhuth eine Rede, die in freier Assoziation die „Weiße Rose" auf die politischen Zustände der 80er übertrug und damit alle Vorurteile bestätigte; Rolf Hochhuth, Räuber-Rede. Drei deutsche Vorwürfe. Schiller, Lessing, Geschwister Scholl, Hamburg 1982, 207-223. Dumbach/Newborn, Gewissen.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

den. Oft ist hier nicht zu unterscheiden, was Ausschmückung ist und welche Angaben auf gesicherten Quellen beruhen. Dadurch gelang es, auch den anderen Gruppenmitgliedern ihren Platz unabhängig von der Zentrierung auf die Geschwister Scholl einzuräumen. Die christlichen Wurzeln werden zwar gesehen, beiden Mentoren jedoch eine umfassende Würdigung vorenthalten. Immerhin konnte Hinrich Siefken anläßlich der großen Theodor HaeckerAusstellung in Marbach 87 erste Hinweise zu dessen Rolle liefern. Diese Phase ist durch einen vorsichtigeren Umgang mit dem Mythos der „Weißen Rose" und seiner Geschichte bestimmt. Immer wieder wird betont, die Mitglieder der „Weißen Rose" seien keine „Heroen" und „unerreichbare Vorbilder" 88 gewesen, bzw. sie hätten sich die Heldenverehrung wohl auch verbeten89. Trotzdem fallen doch immer wieder Worte wie „Opfer", „Märtyrer" usw., wenn es um die Frage der Beurteilung und der Einordnung in den Gesamtkontext geht. Die Darstellungen aus diesen Jahren versuchen sich weitestgehend - nach der Erfahrung mit den ideologischen Urteilen Petrys von aktuellen Bezügen freizuhalten90. Positiv wirkte sich gesamthistorisch die Diskussion um den Begriff „Widerstand" aus.

e) Ein neuer Mythos? (1988/89 bis heute) Die vier Phasen der Rezeptionsgeschichte der „Weißen Rose" haben gezeigt, wie sehr die Forschungen von den jeweiligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt waren. Die unterschiedlichen Verhältnisse in Ost und West sowie die einzelnen Entwicklungsphasen der Nachkriegszeit - etwa die Ära des Kalten Krieges oder die Studentenbewegung - und natürlich die jeweiligen wissenschaftlichen „Trends" - wie die Betonung der Notwendigkeit von Sozial- und Mentalitätsgeschichte - nahmen spürbaren Einfluß auf die Herausbildung von Fragestellungen und methodischen Vorgehensweisen. Die Motive, sich mit dem Widerstand im Dritten Reich zu beschäftigen, waren dabei ganz unterschiedlich. Unübersehbar ist das Moment der Betroffenheit, aus dem die Arbeiten der Überlebenden sowie der Freunde und Verwandten bzw. der von diesen beauftragten Autoren resultieren. Daneben steht eine politische Motivation, die von der Aufklärung über das Geschehene mit dem Ziel, eine Wiederholung zu verhindern, bis hin zur politischen Vereinnahmung reichte. Diese Motive wurden besonders in der Anfangszeit der Rezeption von den legitimatorischen Bedürfnissen überlagert, welche in Vgl. das entsprechende „Marbacher Magazin"; Siefken (Bearb.), Haecker. Anneliese Knoop-Graf, Zum Gedenken an die „Weiße Rose", in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 33-44. Hermann Krings, Das Zeichen der Weißen Rose. Zur politischen Bedeutung des studentischen Widerstands, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 56. So weist Wolfgang Frühwald in seinem Beitrag über „Antigones Tat. Die „Weiße Rose" und der Traum vom anderen Deutschland" ausdrücklich darauf hin, daß es überhaupt keine Möglichkeit gebe, „den blutigen Terror der ,RAF' mit dem Widerstand der ,Weißen Rose' zu parallelisieren"; in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 61-80, hier 77.

I. Fakten u n d D e u t u n g e n

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der reichen Mythen- und Legendenbildung beredten Ausdruck fanden. An die Publikationen jener Zeit sollte also immer die Meßlatte der jeweiligen „ideologischen Verwertungsinteressen" 91 angelegt werden. So erschwerten etwa die unterschiedlichen wissenschaftspolitischen und finanziellen Voraussetzungen der DDR und der alten Bundesrepublik ein besseres Verständnis der vielschichtigen Motivationen, wie sie hinter den Münchner Aktionen stecken, und verstellten den nüchternen und reflektierten Blick auf ihre Geschichte. Mit dem Ende der deutschen Teilung war deshalb der Beginn einer neuen Phase der Rezeptionsgeschichte des Widerstandes der „Weißen Rose" verbunden. Durch die „Wende" konnte viel „bundesrepublikanischer Ballast" abgeworfen werden; die Frage, wem die Geschwister Scholl „gehörten" oder welcher der beiden deutschen Staaten sich auf ihr Erbe berufen durfte, stellte sich nun nicht mehr. Eine Aufarbeitung dieses Themas bedingt eine kritische Bestandsaufnahme des historiographischen Selbstverständnisses der Forschung in Ost und West, „eine Beschäftigung mit der zweigeteilten Erforschung des deutschen Widerstandes wird so unausweichlich auch zu einer Studie über die Beschränkungen der beiden deutschen Geschichtswissenschaften"92. Aber nicht nur für das historiographische Selbstverständnis bedeutete das Jahr 1989 eine Wende: Vielmehr wurden durch den Fall der Mauer für westliche Forscher die Archive des Ostens zugänglich und umgekehrt. Die Zusammenführung der Archive in Potsdam und Dahlwitz-Hoppegarten mit dem Bundesarchiv ist nur ein Beispiel dafür. Erstmals seit 1943 ist es möglich, Ermittlungs- und Prozeßakten, andere Überlieferungsstränge in Nachlässen, Sammlungen und Splitter-Bestände in ihrer vollen Breite für eine Darstellung der Vorgänge zu verwenden. Als einen ersten Probedurchlauf für eine „gesamtdeutsche" Sicht der Dinge bot sich der 50. Jahrestag im Jahr 1993 an. Ein halbes Jahrhundert „danach" - das war die Gelegenheit, nach dem definitiven Ende der Nachkriegsperiode „das politische Vermächtnis des deutschen Widerstands gegen Hitler für eine gewandelte Gegenwart neu zu bestimmen" 93 . Hatte der Widerstandsforscher Peter Steinbach in seiner Gedächtnisvorlesung am 16. Februar 1989 noch gefordert, daß die Beschäftigung mit dem Thema Widerstand nicht dem Streit von Parteien, Verbänden und Institutionen entspringen dürfe, sondern „dem Wunsch zur angemessenen Annäherung an eine Wirklichkeit ... die den Menschen bis in sein innerstes Gewissen herausforderte und seine Seele gefährdete" 94 , konnte Gotthard Jasper im Februar 1991 darauf verweisen, daß, obwohl das Widerstand-Leisten gegen die Obrigkeit in

" Schilde, Schatten 18. Treffend Schilde, Schatten 22. Auch Bleistein, Erbe 351f. 1.3 Hans Mommsen, Der deutsche Widerstand gegen Hitler und die Wiederherstellung der Grundlagen der Politik, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 198214, hier 198. 1.4 Peter Steinbach, „Erinnerung - aktives Gedenken". Annäherungen an den Widerstand, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 132-151, hier 147. ,2

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

Deutschland kaum Tradition noch Reputation habe, die friedliche Revolution des Jahres 1989 in gewisser Weise auch ein Vermächtnis der „Weißen Rose" sein könnte 95 . Als „Zeitzeugin" hielt Hildegard Hamm-Brücher die Gedenkrede 1997, die zu einem flammenden Plädoyer für Demokratie und Freiheit wurde 96 . Die Reden aus diesen Jahren thematisieren ausdrücklich die Frage, was der Widerstand „für uns Heutige" bedeutet und was er uns zumutet. Dabei gehen die wenigsten Redner en detail auf inhaltliche Fragestellungen ein, sondern halten es eher mit einer allgemeinen Einordnung der „Weißen Rose" in den Widerstand insgesamt oder beschäftigen sich mit dem Widerstandsbegriff - was sich schon in den Titeln dieser Beiträge spiegelt, die allesamt ohne den Begriff „Widerstand" nicht auskommen. Wenn man so will, beschäftigen sich die Gedächtnisvorlesungen an der Münchner Universität mit dem „veränderten Blickwinkel", während eine Fülle von Publikationen vor allem aus dem „Jubiläumsjahr" 1993 das vertiefte und veränderte Wissen um die „Weiße Rose" nachreichen. Weitere „Zeitzeugen-Berichte" erschienen, die die Liste der publizierten Privatquellen anwachsen lassen97. Nicht zuletzt dadurch wurde es möglich, die Zentrierung auf die Geschwister Scholl zugunsten einer differenzierten Wahrnehmung der einzelnen Gruppenmitglieder aufzuheben. Diese Tendenz schlägt sich auch in den Darstellungen nieder, die allesamt aus dem nun gesamtdeutsch zugänglichen Material schöpfen 98 , wenn nicht sogar weitere Splitterüberlieferungen für ihre Interpretation fruchtbar machen99. Den meisten neueren Publikationen ist eine mit Quellen gesättigte, um vorsichtige Interpretation bemühte Darstellungsweise eigen. Dabei wird der christlichreligiösen Motivation Rechnung getragen, wenn auch die Einzelstudien von Hinrich Siefken zur Rolle und Bedeutung Theodor Haeckers noch kaum rezipiert wurden. Gotthard Jasper, Schwierigkeiten und Zumutungen des Widerstandes in Deutschland, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 177-197, hier 181. Text der Rede und darüber hinausgehende Reflexionen in Hamm-Brücher, „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit". So die „Nachrichten und Botschaften der Familie Scholl in der Gestapo-Haft"; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft. Auch in Sammelbänden finden sich neue Berichte aus dem Umfeld der Münchner Ereignisse; vgl. als Bsp. die Berichte von Anneliese Knoop-Graf und Hans Hirzel in: Lill (Hg.), Hochverrat?; Jaeger, 50 Jahre, der über Hammerstein Kontakt mit dem Freundeskreis hatte; die Erinnerungen Suse Hirzels „Vom Ja zum Nein"; auch Dengler, Sophie

Scholl. Mehringer, Widerstand 182-187, der die Weiße Rose als „Sonderfall" des Widerstands einstuft und ihren Motivations- und Erfahrungshintergrund als christlich-katholisch und ]ugendbewegt charakterisiert; Moll, Weiße Rose; Steffahn, Weiße Rose; und natürlich die drei Bände des Nottingham Symposium Siefken (Hg.), Weiße Rose. Student Resistance; Siefken/Vieregg (Hg.), Resistance (Arbeiter) und Siefken/Vieregg (Hg.), Resistance (Kunst). Wie Süß/Schneider, Keine Volksgenossen, die im Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (Zweigstelle Kalkum) die Prozeßakten wegen illegaler bündischer Betätigung Hans Scholls u.a. aufspüren konnten. Christiane Moll verwendete in ihrem Beitrag in Moskau (Zentrum zur Aufbewahrung historischer dokumentarischer Sammlungen) liegende Vernehmungsprotokolle Schmorells; Moll, Weiße Rose 445.

I. Fakten und Deutungen

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Dieser Tatsache steht die Feststellung von Gerhard Paul und Klaus-Michael Mallmann aus dem Jahr 1995 gegenüber, unter den Bedingungen des katholischen Milieus habe sich aktiver politischer Widerstand nicht zu entfalten vermocht. „Damit aus Widerstand im Denken Widerstand im Handeln wurde, bedurfte es des bewußten Bruchs mit den zentralen Tugenden des katholischen Herkunftsmilieus". Die „Weiße Rose" und vor allem Willi Graf seien ein Beispiel dafür, daß erst durch die Emanzipation von „Elternhaus, klerikaler Bevormundung und bündischer Politikabstinenz" der Weg in den Widerstand möglich geworden sei. „Nicht wegen", folgern diese beiden Autoren, „sondern trotz ihrer katholischen Sozialisation schlössen sie sich dem Widerstand an." 100 Dieser Position wird im folgenden ausgehend von der geistigen Prägung unser besonderes Augenmerk zu gelten haben. Seit 1989 überwiegen quellengesättigte, hauptsächlich resümierende Darstellungen. Für die Reflexionsebene und die Fragen nach dem (politischen) Vermächtnis, wie sie sich besonders nach der Wiedervereinigung Deutschlands neu stellten, sind die verschiedenen Gedächtnisveranstaltungen zuständig. Nach der Edition der authentischen Selbstzeugnisse und biographischen Quellen in den achtziger Jahren, wobei immer wieder Quellen und Berichte nachgereicht wurden und wohl auch in Zukunft werden, bleibt die „Weiße Rose" ein Gegenstand herausragender Aufmerksamkeit. Wurde sie in dieser Zeit, wie es Breyvogel in seinem Bericht zur Rezeptionsgeschichte vermerkt, zu einem Gegenstand, der eine Integration kritischer Zeitgeschichtsforschung, Biographie- und Sozialisationsforschung ermöglichte 101 , muß sie jetzt für Milieutheorien herhalten, die von einseitigen ideologischen Voraussetzungen ausgehen.

3. ZUR PROBLEMATIK VON FAKTEN UND DEUTUNGEN - EINE ZWISCHENBILANZ Die Darstellung der Rezeptions- und Deutungsgeschichte hat deutlich gemacht, daß das Andenken an die „Weiße Rose" nicht frei von Problemen ist. Dabei macht es die „historische Objektivität" notwendig, von der oft ehrfurchtsvollen und emotionalen Beurteilung der Personen und Aktionen zu abstrahieren und eine nüchterne Bestandsaufnahme der historisch überlieferten Fakten vorzunehmen. Nach mehr als 50 Jahren tun sich aktuelle Beiträge immer noch schwer, sich vom „Mythos der Weißen Rose" zu lösen. Was dabei als scheinbar klar und gesichert ständig wiederholt wurde und wird, hält

Mallmann/Paul, Milieus und Widerstand 135-141, hier 135. Zur Problematik und zum „theoriefixierten Untersuchungsinteresse" treffend Kißener/Scholtyseck, Gedenkjahrnachlese 326f. Dagegen prinzipiell auch Steinhoff, Widerstand. Breyvogel, Gruppe 165.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

häufig einer genaueren Betrachtung nicht stand. Zu stark verstellt die unmittelbar nach den Ereignissen einsetzende Mythen- und Legendenbildung den Blick auf das durch Quellen belegbare Geschehen. Eine klare Sicht auf die Münchner Ereignisse wird durch von außen herangetragene Vorverständnisse, sprich den je und je ideologisch vorbelasteten Interpretationsrahmen, erschwert, wenn nicht ganz verhindert 102 . Die wichtigsten Streitpunkte sind: 1. Die Struktur der Gruppe, also die Frage, wer überhaupt zum Kreis der „Weißen Rose" dazugehörte. Sah man anfangs alles um Hans Scholl („Zentrierung") bzw. seine Schwester Sophie, wurde nach und nach das Dunkel um die übrigen Beteiligten gelichtet. Der Biographie des großen Helden wurden demzufolge „die anderen" angeglichen („Homogenisierung"). Fraglich war auch die Rolle der einzelnen Mitglieder. Wer hatte wann welche Idee? Wer plante wann welche Aktion? Wer verfaßte welches Flugblatt? Immer wieder aufgegriffen wurde das Thema, ob die Mitglieder der „Weißen Rose" als Jugendliche angesehen werden mußten bzw. ob es sich bei ihren Aktionen um Jugendwiderstand im engeren Sinne handelte. Dazu traten Vermutungen über innere Differenzen in der Gruppe. Natürlich wurde auch über Herkunft und Bedeutung des Symbols der „weißen Rose" gestritten. 2. Die Motive des Widerstands, genauer das Problem, ob religiöse und sittliche Beweggründe ausschlaggebend waren oder ob eher politische Intentionen verfolgt wurden. Der Freundeskreis der Münchner „Weißen Rose" war nach dem Krieg zum Symbol des reinen, des nicht macht- und einflußorientierten, des moralischen Widerstands geworden. Die damit zusammenhängende Frage, ob es sich um christlichen, näherhin „katholischen" oder „evangelischen" Widerstand handelte, trat völlig zurück und wird erst in neuester Zeit gestellt. Meist wurde recht vage von christlichhumanistischen Motivationen gesprochen, lange Zeit den Münchner Studenten ein politisches Bewußtsein abgesprochen. Für die meisten Interpreten schloß christlicher Widerstand a priori politische Implikationen aus. Dabei gehörte die „Weiße Rose" mit der militärischen Opposition des 20. Juli 1944 und dem katholischen Bischof Galen zum „Dreigestirn" der positiven Widerstandstradition 103 . 3. Die Entwicklung des Widerstands, näherhin, ob sich im Denken und Handeln der Gruppe ein Prozeß abspielte und wenn ja, in welche Richtung dieser ging. Hierunter fällt die Diskussion um die Bedeutung des 18. Fe-

Dazu Kirchberger, Weiße Rose 44-48. Grundsätzliche Überlegungen zur Entmythologisierung des deutschen Widerstands bei Broszat, Sozialgeschichte 293-309. Interessant wäre hierbei auch ein Blick auf die Rezeptionsgeschichte anderer Widerstandsgruppen: wie wurde der 20. Juli 1944 im Laufe der Zeit gedeutet? Ansätze hierzu in der Gedächtnisvorlesung von Gotthard Jasper, Schwierigkeiten und Zumutungen des Widerstandes in Deutschland, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 177-197, hier 193f.

I. F a k t e n u n d D e u t u n g e n

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bruar 1943: War es ein Fanal, oder kam es einfach durch Zufall dazu? War es eine spontane Handlung; war es eine überlegte, durchdachte Aktion, oder handelte es sich um ein naives und leichtsinniges Vorgehen? Viele Mutmaßungen wurden darüber angestellt, ob die Gruppe oder Einzelne gewarnt waren und mit ihrer Verhaftung gerechnet hatten. 4. Das Vorgehen der „Weißen Rose" selbst und die Frage ihres Scheiterns. Hätten die Münchner Studenten noch mehr, noch effektiver handeln können? Welche konkreten Wirkungen ergaben sich aus den Geschehnissen? Dabei ging es weniger um die Geschichte eines Scheiterns, sondern eher darum, wie aus dem Scheitern eine Geschichte gemacht wurde. 5. Das Problem der Legitimation: Wer hat Anspruch auf das „Erbe der Weißen Rose" ? War es ein Opfer für Deutschland, haben die Geschwister Scholl und ihre Mitstreiter für Deutschland gesühnt? Dieses Thema beherrschte vor allem die deutsch-deutsche Diskussion; nach der Wiedervereinigung trat auf diesem Feld eine gewisse Entspannung ein. Bei all diesen Kontroversen und ideologisch motivierten Interpretationen haben sich Historiker auffallend zurückgehalten. Eine Darstellung aus der Feder eines Mitglieds der historischen Zunft findet man nicht, die wenigsten Titel entfallen auf Fachwissenschaftler, abgesehen von vereinzelten Studien oder - und das auch erst in den letzten Jahren - von Historikern publizierten Gedächtnisvorlesungen. Dagegen haben sich Zeitzeugen und Journalisten weit häufiger und unbekümmerter dem Thema zugewandt - zum Teil mit großem Verkaufserfolg. Eine umfassende, wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Gesamtdarstellung existiert bis heute nicht 104 , geschweige denn eine Arbeit zum Widerstand, die ideengeschichtliche und sozialgeschichtliche Forschungsansätze integriert und sich den neueren Methoden der Zeitgeschichtsforschung verpflichtet weiß. Demzufolge gibt es auch keine „geistesgeschichtliche" Herleitung der „Weißen Rose". Die Forschung beschränkt sich auf die Aufzählung von zentralen Ratgebern oder Helfern und der Rekonstruktion der Ereignisgeschichte. Und so gilt immer noch, was Wolfgang Frühwald und Heinz Hurten bereits 1986 in der Einleitung zu dem von ihnen herausgegebenen Band „Christliches Exil und christlicher Widerstand" treffend formulierten: „Noch immer sind wir erst in Ansätzen über den Einfluß des ,Hochland'-Kreises (Carl Muth, Theodor Haecker, Werner Bergengruen u.a.) auf den Widerstand der Geschwister Scholl und der ,Weißen Rose' unterrichtet" 105 . Dieser Einfluß ist der Schlüssel zur Beantwortung der oben aufgeworfenen Fragen. Die folgende Darstellung versteht sich daher als Baustein zu einer Ideengeschichte der „Weißen Rose".

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Was erst jüngst Michael Kißener und Rudolf Lill feststellten; Lill (Hg.), Hochverrat 7f. und 159. Frühwald/Hürten (Hg.), Exil 8.

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Z w e i t e r Teil: WIDERSTAND

IL GEISTES- UND IDEENGESCHICHTE 1. DAS „WINDLICHT": FLIEGENDE BLÄTTER ALS „HOCHLAND"-ERSATZ Durch den Krieg hatte es die einzelnen Mitglieder des Ulmer Freundeskreises in viele Richtungen Europas verschlagen: an die russische Front - PripjetSümpfe, Kaukasus; an die Westfront - Insel Guernsey; nach München - auf Abruf zwischen Universität, Lazarett und Kaserne; oder zum Reichsarbeitsdienst. Bis auf Inge Scholl, die nach wie vor bei ihrem Vater in der Ulmer Kanzlei arbeitete, und Otl Aicher, der erst im September 1941 seinen Stellungsbefehl erhielt106, waren die Ulmer Freunde in alle Winde verstreut. „Habe ich dir schon erzählt", schrieb Inge Scholl im Oktober 1941 an Frido und Grogo, „daß wir einen Rundbrief kreisen lassen wollen? Er wird wahrscheinlich nicht lange mehr auf sich warten lassen. Er soll ein Ersatz sein für das persönliche Zusammensein beim Lesen, Baden oder auch beim Erzählen der Frido-Witze" 107 . Die Idee dazu, über ein zeitschriftenähnliches Diskussionsblatt eine „geistige Brücke zu schlagen" 108 , stammte von Otl Aicher 109 . So wurde das „Windlicht" geboren, ein Rundbrief, der - möglichst eigene Aufsätze, Gedichte, Betrachtungen und Zeichnungen enthielt. Dieser zirkulierte in einer selbstgefertigten Hülle bzw. wurde per Post verschickt. Damit wurden die Zusammenkünfte des „Scholl-Bundes", die der Krieg unmöglich gemacht hatte, wenigstens in literarischer Form - im gedruckten Dialog fortgesetzt. Alle, die den Rundbrief erhalten sollten, mußten sich bereit erklären, selbst mitzuarbeiten, und sei es nur durch eine Buchbesprechung, eine Stellungnahme zu einem Aufsatz eines anderen Mitglieds, oder die Abschrift eines Gedichtes, das den anderen nicht mehr zugänglich war. Für die Mitglieder des Ulmer Freundeskreises war es ganz selbstverständlich, zur 106

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An seinen Freund Grogo schreibt er am 28.9.1941, er werde jetzt Soldat. „Bete für mich!"; Bad Mergentheim PAH. Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 28.10.1941; Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 5.11.1941. Vgl. auch die Äußerungen von Inge Scholl, „Über die Entstehung und Absicht des Windlicht", in: Jens (Hg.), Scholl 258-260. „Wir fühlten, daß wir den Kontakt... bitter nötig hatten, um in jenen finsteren Zeiten durchhalten zu können." Berlin BA ZC 13267/2, Vernehmung Hans Scholl 20.2.1943. Vgl. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 30.9.1941 mit der Idee zum Windlicht: „Meinst du, es ginge nicht, wenn wir wieder Hefte herumgehen ließen mit kleinen Aufsätzen von je einem aus unserem immerhin schon umfänglichen Kreis?" Aicher hatte bisher schon seine Aufsätze im Freundeskreis verteilt und um Kritik gebeten. Zu der Windlicht-Idee paßt sein Resümee über eine „ideale Zeitschrift" in den Innenseiten: Diese „ist in meinen Augen die, bei der Autoren und Abonnenten identisch sind. Die Leser stellen sie selber her für sich selbst. Man beginnt aufeinander zuzuschreiben, denkt nicht mehr allgemein, in einem wohltemperierten und unverbindlichen Idealismus." Aicher, Innenseiten 88.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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Feder zu greifen und die eigenen Gedanken zu Papier zu bringen. An eine Publikation oder gar schriftstellerische Karriere mußten sie deshalb noch lange nicht denken 110 . Ob jemals ein komplettes Heft tatsächlich „erschienen" ist, muß offen bleiben. Bis jetzt sind nur einzelne Beiträge aufgetaucht111. Geplant wurde aber ganz genau: Im November 1941 112 sollte das erste Heft fertig sein, wobei Inge Scholl die Schreibarbeiten für die in kleiner Auflage113 hektographierte Schrift übernahm. Für das Weihnachtsheft bat Aicher besonders Habermann um mehrere „in plastische Form gegossene Gedichte" 114 und Sophie Scholl um Illustrationen 115 . Am 3. Januar 1942 war das Weihnachtsheft 1941 noch nicht fertig, denn Inge schrieb an Grogo, sie müsse das zweite „Windlicht" abschließen116. Als Thema des dritten Heftes im Januar 1942 bot sich ein Bericht über die Tage auf der Skihütte an117. Die Aufsätze waren von theologischer und allgemein kultureller Thematik und enthielten verhüllt auch politische Andeutungen 118 . „Otl", erinnert sich Inge Scholl, „war eine Lokomotive im Produzieren philosophischer und theologischer Aufsätze" 119 . Von Grogo Habermann gab es Gedichte, aber auch einen Aufsatz, 110

„Wir alle schrieben damals, irgend etwas, und es war selbstverständlich, uns darüber zu verständigen, auch ohne je an eine Publikation zu denken. Im Gegenteil, eine Veröffentlichung wäre bereits eine Allianz mit dem System gewesen." Aicher schildert auch, daß es ihm schreibenderweise leichter fiel, die Gedanken anzubinden und zu präzisieren. Aicher, Innenseiten 63 und 65. Der Rundbrief war bereits im Ersten Weltkrieg die übliche Form des Austauschs und Kontakts. 1 '' Vgl. den Anhang „Windlicht" S. 475 mit einer Übersicht über die Aufsätze usw. in den einzelnen Heften. Außerdem gab es Schwierigkeiten mit der Post, da die Freunde außerhalb Deutschlands stationiert waren. Vgl. verschiedene Bemerkungen in Briefen Inge Scholls an Frido und Grogo. "* Datierung nach einem Brief von Inge Scholl an Fridolin Kotz 2.3.1942; Stuttgart PAK: „Hans und ich haben diesen Aufsatz, den Hans schrieb, dem 1. Heft (November) als Inhalt gegeben. Das paßt besser. Auch haben wir beim Umschlag von einem Bild oder Zeichnung abgesehen, nur zu dem Aufsatz ins Heft noch ein kleines Foto von dem Antlitz auf dem Turiner Grabtuch gegeben ..." 1,3 In seiner Vernehmung sprach Hans von ca. 8 Personen, die das Windlicht bekamen. Inge Scholl erhöht diese Zahl auf 1 0 . - 5 Scholl-Geschwister, Otl Aicher, Fritz Hartnagel, Ernst Reden, Willi Habermann und Frido Kotz. Otl sprach von anfänglich sechs Personen, Hermann Weber, Hans, Inge, Sophie, Grogo, Otl; Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 30.9.1941. 114 Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 26.10.1941. 115 „Für das .Windlicht' soll ich das Weihnachtsheft bemalen. Wenn Otl wüßte, wie leer ich bin, wie inhaltslos so ein Bild werden würde." Sophie Scholl Tagebuch 6.11.1941; Jens (Hg.), Scholl 194. 116 Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 3.1.1942. 117 Siehe dazu oben. Vgl. auch Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 7.2.1942. 118 Vgl. auch München IfZ Fa 215/2, Gesprächsnotiz Auerbach mit Inge Aicher-Scholl vom 21.6.1963 pag 5. 119 So Inge Aicher-Scholl in ihrem Bericht „Über die Entstehung und Absicht des Windlicht", in: Jens (Hg.), Scholl 259. Sie schrieb auch am 3.1.1942 an Fridolin Kotz, wie überrascht sie sei, daß Otl unter diesen Umständen solche Aufsätze schreiben könne, „aber er ist halt von Gott gehalten"; Stuttgart PAK. Das erkannte auch Muth, wie aus einem Brief vom 18.2.1942 hervorgeht. „Ich bin erstaunt, wie Sie, mein lieber junger Freund, das alles leisten können in einer Umgebung, die doch alles andere als geistig ist." Jens (Hg.), Scholl 270.

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Z w e i t e r Teil: WIDERSTAND

und Hans Scholl wollte meist unveröffentlichte Beiträge von Muth, Haecker, Sigismund von Radecki u.a. vermitteln. Muth übersetzte Auszüge aus Manuskripten französischer Zeitgenossen. Es dauerte nicht lange, und die Gestapo hatte Wind von dem Rundbrief bekommen. Schon einmal wegen „bündischer Umtriebe" 120 verdächtigt, hatte sie in Ulm ein besonderes Auge auf die Scholl-Familie. So standen am 2. März 1942 zwei Gestapo-Beamte vor der Tür, nahmen alle Hefte samt Robert Scholl mit, den sie einen Tag behielten, und verhörten auch Inge Scholl121. Bereits das November-Heft, vermutete Inge Scholl in einem Brief an Frido, sei abgefangen worden, wie auch ein Aufsatz von Otl, der im 3. Heft erscheinen sollte. „Der Beamte sagte, sie wüßten schon länger von der Sache, hätten nur noch einige Zeit zugewartet" 122 . Mitte Juli wurde Inge Scholl noch einmal verhört, wie sie Habermann aus München berichtete. Sie werde von schrecklichen Angstwellen heimgesucht, aus Angst habe sie auch seine Briefe verbrannt. Sie bat Grogo und die anderen Freunde, in den Briefen nicht mehr den Namen „Windlicht" oder „Rundbrief" zu verwenden, es werde sich schon eine andere Bezeichnung finden lassen. Sie berichtet auch, daß sie angeklagt wurde „wegen Verdacht des Verstoßes gegen § 2 (bündische Umtriebe usw.)". „Das ist ja alles harmlos und wird sicher nicht schlimmer gemacht werden. Ich bin zufrieden, wenn man die anderen in Ruhe läßt" 123 . Inge Scholl wurde somit nicht, wie Aicher Anfang August an Habermann schrieb 124 , als „Verbrecherin gegen Volk und Staat" angeklagt. Auch das von Aicher Jahrzehnte später in den „Innenseiten" entworfene Szenario deckt sich nicht mit der Schilderung in den oben zitierten Briefen aus der Zeit selbst125. Inge kehrte mit den in München hektographierten Heften nach Ulm heim und lief dabei der Gestapo in die Arme; in ihrem Reisekoffer das neueste Exemplar mit einem Aufsatz Otls über Napoleon. Es gelang ihr gerade noch, eine Seite - die stark an Hitler erinnerte - herauszureißen und zu vernichten. Die anderen Aufsätze waren nicht anfechtbar. Soweit Aicher. Die Gestapo hatte nichts in der Hand und die Sache konnte niedergeschlagen werden. Inge Scholl selbst betrachtete in der Retrospektive ihre Verhaftung als „das Ende dieses arglosen schöpferischen Versuchs, unser gemeinsames Licht leuchten zu lassen und gegen den Wind abzuschirmen". Gerade in dem Augenblick mußten sie darauf verzichten, als sich der Ulmer „Scholl-Bund" durch die Münchner Kontakte von Hans, Sophie und Grogo zu erweitern 120

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Inge Scholl bedauerte, daß die „Geh. STA ... hinter solch harmlosen Dingen Böses sucht, wie wenn wir je an bündisch gedacht hätten!"; Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 2.3.1942. Aicher erklärte Grogo, die „ängstlichen Leute wittern hinter dem Heft bündische Umtriebe, als nähme man eine Jugendepisode mit ins Alter herüber"; Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 5.8.1942. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 3.3.1942. Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 14.3.1942. Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 16.7.1942. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 5.8.1942. Aicher, Innenseiten 88.

II. Geistes- und Ideengeschichte

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begann. „Welche Bereicherung", resümiert sie, „hätten so hochbegabte Schreiber wie Christi Probst oder Willi Graf, Traute Lafrenz und andere bedeutet!" 126 Immerhin war man in Ulm gewarnt. Aicher jedoch animierte seine Freunde weiterhin, mehr für das „Windlicht" zu tun, ohne die Gefahr, in die er dadurch Inge Scholl stürzte, in letzter Konsequenz wahrzunehmen. Schließlich bat er Hans, die Sache zu übernehmen, der auch tatsächlich Ende Februar eine neue Nummer 1 2 7 plante, weil Inge so viel arbeiten mußte und zu wenig Zeit und Muße hatte. An Habermann schrieb Aicher, er solle Hans dabei helfen und dafür sorgen, daß doch wenigstens alle zwei Monate ein Heft herauskommen könne. „Die Hefte müssen ein sprudelnder Niederschlag werden" 128 . Dieser nahm sich Aichers Ermahnungen zu Herzen und schrieb einen Aufsatz, der vor Aichers Augen aber wieder einmal keine Gnade fand. „Mir scheint, daß du in etlichen Dingen der geworden bist, der ich einmal war und ich der, der du einmal gewesen bist... drum ist dein Aufsatz so unzulänglich." 129 Auch Carl Muth übergab Inge Scholl einen Aufsatz über die Armut und eine Übersetzung von Thibons Aphorismen 130 . Im Mai übersandte er Inge Scholl einen weiteren Text über „Franz von Assisi und die Kunst" 131 , und noch im Juli lobte er eine neue „Windlicht"-Ausgabe. Sie „ist schön, ich muß aber die Beiträge noch genauer lesen." 132 Spätestens im Herbst 1942 mußte auch Aicher einsehen, daß das „Windlicht" nicht einmal mehr flackerte. Eilig bat er seine Freunde - gleichsam als „Windlicht"-Ersatz - um eine Sammlung von Aufsätzen aus den Feuilletons der großen Zeitungen133. An Habermann schrieb er noch einmal, wie wichtig ein solcher Rundbrief eigentlich sei: „Die Sache mit dem ,Windlicht' ist glaube ich, wieder in Ordnung und meine Bitte um Rat wird hinfällig geworden sein. Du kannst dir wohl kaum vorstellen, was damit für mich verloren gewesen wäre, wenngleich wir noch nicht viel Früchte von den Heften ernten

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Inge Aicher-Scholl, in: Jens (Hg.), Scholl 260. Hans erzählt von einem Abend mit Muth, dessen Abhandlung „Über die Armut" „Euch Windlichtlesern nächstens, im Zusammenhang mit dem von mir zur Diskussion gestellten Thema im 1. Windlicht, im neuen Heft zugehen wird." Hans Scholl an Elisabeth Scholl 28.2.1942; Jens (Hg.), Scholl 80. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 17.3.1942. Am 11.1.1942 hatte er schon geschrieben, sie müßten neue Wege öffnen, denn das Windlicht bekäme nun auch Muth zu lesen. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 4.10.1942. Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 17.3.1942. Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 19.5.1942. Jens (Hg.), Scholl 270. Von Gustave Thibon waren im „Hochland" bereits häufiger Texte erschienen, etwa die von Sigismund von Radecki übersetzten „Thesen über den Schmerz" in: Hochland 34 (1937) II, 177-189. Nun wollte er eine Art Zirkularmappe mit kulturellen Beiträgen aus Zeitungen (Deutsche Allgemeine, Frankfurter Zeitung) zusammengestellt und rundgeschickt haben; Gleichlautende Briefe von Otl Aicher an Willi Habermann und Fridolin Kotz vom 9.10.1942; Stuttgart PAK und Bad Mergentheim PAH.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

konnten. Nicht um die Hefte wäre es mir gewesen, als vielmehr um die Freunde alle. O Grogo, du mußt alle deine Kraft einsetzen. Es ist schon viel, wenn du ein gutes Buch lobst, denn schon an Büchern scheiden sich die Geister."134 Letztlich mußte aber auch Aicher sich eingestehen, daß im Grunde genommen nichts richtiges zustandegekommen war. Bemerkenswert bleibt das Datum des (zumindest geplanten) Erscheinens im November 1941, denn exakt im Juni dieses Jahres war das „Hochland" verboten worden. Muth schien nur gar zu gern bereit zu sein, Arbeiten von sich zur Verfügung zu stellen. Sicher fühlte er sich „geschmeichelt". Aber: Welcher ältere Mensch, der in der Isolation lebt, ist nicht aufgeschlossen für die Anerkennung von Jüngeren? 135 Dieser Befund deckt sich mit den pathetischen Formulierungen von Franz Joseph Schöningh, der nach 1945 das „Hochland" weiterführte, über die Beziehung Hans Scholls zu Carl Muth: „Scholl und zahlreiche Altersgenossen ließen in Muth die Hoffnung nicht untergehen, das deutsche Volk werde sich, durch die bevorstehenden bitteren Leiden geläutert, auf sein eigenes Wesen zurückbesinnen und sein ,europäisches und christliches Gewissen' wiedererlangen" 136 . Ein zweites kommt hinzu: Clemens August Graf von Galen hatte im Juli und August 1941 den „Klostersturm" und die Morde an den Geisteskranken in Predigten angeprangert 137 . Abschriften dieser „Brandpredigten" waren in ganz Deutschland in Umlauf und fanden sich auch im Briefkasten der Familie Scholl138. Ihre unerhört offene Sprache habe, wie sich Inge Scholl erinnert, auch ihren Bruder Hans „tief erregt". „Endlich hat einer den Mut zu sprechen", habe er in nachdenklicher Betrachtung der Seiten geäußert, und hinzugefügt: „Man sollte einen Vervielfältigungsapparat haben" 139 . - Die Idee, hektographierte Blätter zu verschicken, dürfte jedenfalls mit ziemlicher Sicherheit Pate für die Verbreitung der Flugblätter der „Weißen Rose" gestanden haben.

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Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 4.10.1942. Ahnlich schätzte auch Wilhelm Geyer das Verhältnis Scholl-Muth ein. Vgl. seinen Bericht in: Scholl, Weiße Rose 167. Franz Joseph Schöningh, Carl Muth. Ein europäisches Vermächtnis, in: Hochland 39 (1946/47) 18. Texte Galens bei Peter Löffler, Bischof Clemens August Graf von Galen. Akten, Briefe und Aufzeichnungen 1933-1946, 2. Bde. (VKZG.A 42) Mainz 1988. Zum Ganzen Konrad Repgen, Die deutschen Bischöfe und der Zweite Weltkrieg, in: HJ 115 (1995) 411-451, nier 431436. Die Predigten Galens in Ulm hektographiert und versendet zu haben, reklamierte Hans Hirzel für sich und eine Gruppe Gymnasiasten. Dies fand im Dezember 1941 statt; Hans Hirzel, Das große Mißverständnis. Warum die Mehrzahl der Deutschen sich Hitler unterordnete, in: Siefken (Hg.), Weiße Rose. Student Resistance 147-182, hier 167f. Über die Beteiligung Otl Aichers ist nichts bekannt, er dürfte allerdings durch seine Kontakte zu Pfarrer Weiß und dem Quickborn schon früher damit bekannt geworden sein. So erfuhr auch der Ulmer Kreis wohl bereits im Spätsommer 1941 davon; gegen Steffahn, Weiße Rose 67. Scholl, Weiße Rose 24-26.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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2. DAS „KATHOLISCHE ERWACHEN" DER SCHOLL-GESCHWISTER Bereits in Ulm zeichnete sich die Hinwendung der Scholl-Geschwister zum katholischen Glauben ab 140 . Es ist eine ganz bewußte Entscheidung gewesen, schrieb Inge Scholl zu diesem Thema kurz nach Kriegsende. Ohne Zweifel spielte Otl Aicher dabei eine zentrale Rolle: gleichgültig, ob die Lektüreempfehlungen direkt von ihm kamen oder ob die Ulmer Freunde Werke des „Renouveau Catholique" lasen, der sowieso in der Luft lag141, Aicher dürfte in Diskussionen jedenfalls immer eine dezidiert katholische Position vertreten haben. In diesem Sinne hatte er auch an Muth geschrieben, mit der Bitte, die Scholl-Geschwister unter seine Fittiche zu nehmen, bis der rechte Glaube und die Liebe völlig von ihnen Besitz ergriffen hätten. Über dieses katholische „Ergriffen-werden" geben die Briefe und Aufzeichnungen von Hans und Sophie Scholl beredte Auskunft. Hans Scholl hatte Carl Muth im August 1941 kennengelernt, nachdem er zuvor bereits am Frankreichfeldzug teilgenommen und einige Zeit in München studiert hatte. Mit anderen gleichgesinnten Studenten traf er sich zu einem Gesprächskreis, bei dem es neben Fragen des Glaubens 142 vor allem um Literatur ging. Theologisch-philosophische Probleme wurden vermehrt thematisiert, seit Hans Scholl Muth als Gesprächspartner gewinnen konnte. Dieser brachte dem Studenten aus Ulm großes Vertrauen entgegen und beBezeichnenderweise machten manche Autoren die Scholl-Geschwister zu Katholiken oder ließen sie konvertieren. Klose, Generation im Gleichschritt 42: Hans, Sophie und Inge liefen den Fahnen der HJ nach, „obwohl sie doch aus der katholischen Jugendgruppe kamen". Prittie, Weiße Rose 186: „Beide Geschwister konvertierten in dieser Zeit zum Katholizismus". Im Zusammenhang der Edition von Inge Jens kam es mit der Familie Scholl u.a. wegen diesem Thema zu Verwerfungen: Fritz Hartnagel drohte damit, seine Briefe zurückzuziehen, falls Inge Jens ihre Einleitung zur Edition nicht zurückzöge. Jens publizierte daraufhin ihre Einleitung an einem anderen Ort; Jens, Über die Weiße Rose. Dazu ein Brief von Elisabeth Hartnagel vom 16.11.1998. In diesem widerspricht die Scholl-Schwester vehement der „Ausrichtung auf den Katholizismus". Sie argumentiert, Fritz Hartnagel hätte besonders von Sophies Absichten wissen müssen, wie auch die Konfession im Dritten Reich keine Rolle gespielt habe, sondern es um „das Christentum" ging. - Die neueren Darstellungen sehen es durchgehend als erwiesen an, daß der christliche Glaube die tiefste Quelle des Widerstandes war; vgl. etwa Art.: Scholl, in: BBKL 9, 674 (Ekkart Sauser); Lechner, KZ Oberer Kuhberg 98; Hans Maier, Christlicher Widerstand im Dritten Reich, in: Die Weiße Rose und das Erbe des deutschen Widerstandes 116. „Es gab in jenen Jahren eine Renaissance der theologischen Literatur, die von den Kirchenvätern bis zu den Scholastikern mit Thomas von Aquin als der zentralen Figur reichte, und weiter zu kühnen Nachfolgern in der modernen französischen Philosophie und Theologie" bemerkte Inge Scholl. Scholl, Weiße Rose 30. Das deckt sich mit den Erinnerungen von Traute Lafrenz, die Glauben als das bezeichnete, „was uns als Einzelne während dieser Zeit am tiefsten anging, nämlich wie jeder von uns ein aufrichtiges Verhältnis zum Christentum zu bekommen anfing"; abgedruckt bei Scholl, Weiße Rose 131. Original in München IfZ Fa 215/3, pag 47-56. Danach ist das Datum bei Scholl zu korrigieren: 21.2.1947 (nicht 1946).

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auftragte ihn mit der Ordnung und Katalogisierung seiner Privatbibliothek. Zu diesem Zweck hielt sich Hans Scholl in den kommenden Monaten fast täglich in Muths Haus in München-Solln auf. Er lernte dabei nicht nur viele neue Bücher kennen, sondern es entspannen sich zwischen den altersmäßig so verschiedenen Männern Gespräche über die aktuelle politische Entwicklung und natürlich über theologische und philosophische Fragen, die Hans wiederum in die Gesprächs- und Leseabende des studentischen Freundeskreises eingebracht haben dürfte. Eine Konsequenz, die Hans Scholl aus solchen Unterredungen zog, war nach der bereits in Ulm vollzogenen Entscheidung für das Christentum eine bewußte Hinwendung zum katholischen Glauben. „Ich befinde mich in einer geistigen Krise, der bedeutendsten in meinem Leben", schrieb Hans an Rose Nägele wenige Wochen nach der ersten Begegnung mit Muth 143 . Dabei habe er im tiefsten Innern diesen Seelenzustand bereits überwunden und die Wahrheit erkannt. „Mich schmerzt der Kopf, obwohl ich glücklich bin. Es ist das Glück des Siegers, der das Ende des Kampfes voraussieht." Er, der vor die Wahl - „ich meine dies nicht politisch, sondern persönlich, geistig" - gestellt worden ist, hat nun erkannt, daß dieser Krieg seinem eigentlichen Wesen nach ein geistiger sei und die „falschen Throne" erst zersplittern müßten, um „das Echte" unverfälscht erscheinen zu lassen. Diese Formulierungen weisen, und damit ist bereits die enge Verflechtung von christlichem Glauben und politischem Handeln angesprochen, auf den „geistigen Kampf" der Flugblätter der „Weißen Rose" voraus. Noch deutlicher sprach sich Hans in seinen Briefen an Otl Aicher aus, der sich schon in Ulm als „advocatus catholicae" betätigt hatte 144 . Während Hans in den Briefen an die Eltern seine religiöse Wandlung nicht thematisierte 145 , deutete er seinen Geschwistern gegenüber diese Wende zumindest an. Im Hinblick auf das gemeinsame Skilager schrieb Hans im Januar 1942 an Elisabeth, daß sich dieses Zusammensein in einem „gründlich" von früheren unterschieden habe: „Die Hinrichtung auf die Not der Zeit, das Kreuz und die Erlösung". Um dieses „gewaltige Erlebnis" schildern zu können, fehle es ihm allerdings an der „genialen Sprache eines großen Dichters" 146 . Seiner Freundin Rose Nägele schrieb Hans Scholl im Januar 1942 als „homo viator" 147 , und gerade anhand der Briefe an Rose läßt sich sein „Weg" zum Katholizismus verfolgen. „Jetzt bin ich noch zu sehr mitten darin", formulierte Hans in seinem Adventsbrief. Zum ersten Mal in seinem Leben erlebt er den zweiten Advent „ganz aus christlichem Herzen heraus". Während im vergangenen Brief noch alles etwas ungelöst war, ist jetzt alles 143 144

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Zum Folgenden Hans Scholl an Rose Nägele 28.10.1941; Jens (Hg.), Scholl 67. Vgl. als Beispiel die zwei Briefe vom 23.11. und 3.12.1941, in denen er einerseits Otl auf „Kleinigkeiten des Unterschieds zwischen Perfectum und Imperfectum" etwas schulmeisterlich hinweist und auch eine Umschlagszeichnung Otls für das Windlicht als dilettantisch abtut, andererseits aber emphatisch von dem bevorstehenden „Fest der Geburt Christi" und dem Glück, alltäglich in Muths Nähe verweilen zu dürfen, schreibt; Jens (Hg.), Scholl 69f. Wenigstens nicht in den bei Jens abgedruckten; Jens (Hg.), Scholl 73, 76, 78f. Hans Scholl an Elisabeth Scholl 6.1.1942; Jens (Hg.), Scholl 75f. Hans Scholl an Rose Nägele 25.1.1942; Jens (Hg.), Scholl 77.

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anders geworden: „das heißt, es hat sich im Grunde etwas gefestigt, das mir zum Halt geworden ist in dieser Zeit, die so sehr nach Werten sucht. Ich habe den einen, den einzig möglichen und dauernden Wert gefunden." Der Glaube an Gott ist nicht rational einholbar, dennoch müsse er die „Bahnen der Vernunft" so weit als möglich ausschreiten. Im Innersten ist alles klar und, womit Scholl eine Formulierung Thomas von Aquins aufgreift, „ich erlebe, wie ich ein Geschöpf aus Natur und Gnade bin, einer Gnade allerdings, die die Natur voraussetzt." 148 Nicht zufällig stellte er seinen in diesen Tagen entstandenen Artikel über das Grabtuch von Turin unter das Claudel-Motto „Nacht mußte sein, damit diese Lampe erschien". In diesem Beitrag für das „Windlicht" wird gerade das von einer festen Glaubensgewißheit getragene Ausmessen des Glaubens in den Bahnen der Vernunft deutlich. Für Hans Scholl gab es keinen Zweifel an der Authentizität dieser Reliquie, die, wie er fest glaubte, das einzige sinnliche Zeugnis der Passion Christi sei149. Vollends offenkundig wurde dies im Weihnachtsbrief von Hans Scholl an Carl Muth, den er „erfüllt von der Freude, zum ersten Mal in meinem Leben Weihnachten eigentlich und in klarer Überzeugung christlich zu feiern" schrieb. Nachdem der Glaube seiner Kindheit zu einer „nutzlosen Bahn" geworden sei und das Erlebnis des Krieges in ihm eine immer größere Leere hinterlassen habe, hörte er „den Namen des Herrn und vernahm ihn". In diese Zeit fiel seine erste Begegnung mit Muth. Von da an sei es von Tag zu Tag heller geworden und ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. „Ich bete. Ich spüre einen sicheren Hintergrund und ich sehe ein sicheres Ziel. Mir ist in diesem Jahr Christus neu geboren." 150 O b Hans Scholl die Christmette besuchte, muß offenbleiben, es ist jedoch sehr wahrscheinlich. Fest steht, daß nach dem „katholischen Erwachen" die Zeit des Zweifeins vorbei war, worüber wiederum ein Schreiben an Rose Nägele Aufschluß gibt. Wie schon in einem Brief an Muth betonte er auch hier, „nach vielen, fast unnütz verflossenen Jahren das Beten wieder gelernt" zu haben und endlich die Quelle gefunden zu haben, an der er seinen „fürchterlichen Durst" löschen könne. Diese Glaubensgewißheit könne auch nicht durch die ungewisse Zukunft erschüttert werden, im Gegenteil: „Es kann ja kommen, was da wolle, ich habe Anker geworfen, im Grunde kann ich nicht mehr gestört werden." 151 So traf es sich gut, daß Scholl im Anschluß an das Wintersemester 1941/42 eine medizinische Famulatur in Schrobenhausen nahe München absolvierte, in einem Krankenhaus, das von Schwestern der Kongregation der Englischen Fräulein geleitet wurde. Von den Ordensschwestern begeistert, die ihm offenbar jeden Wunsch von der

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Hans Scholl an Rose Nägele 7.12.1941; Jens (Hg.), Scholl 74 [Hervorhebung im Original]. Zum Grabtuch von Turin und den wissenschaftlichen Kontroversen RGG 6, 1087-1089 (Hans Martin Decker-Hauff) (Lit.). Der „Windlicht"-Beitrag, Briefe und Kommentar bei Jens (Hg.), Scholl 70-72, 263f. Vgl. Hans Scholl an Carl Muth 22.12.1941; Jens (Hg.), Scholl 75. Hans Scholl an Rose Nägele 25.1.1942; Jens (Hg.), Scholl 77.

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Nase ablasen152, schrieb er an seine Eltern: „Sie können so sein, weil sie aus einem anderen Fonds schöpfen, der nie versiegt."153 Auch Muth scheint in seinen Briefen immer wieder „religiöse Wünsche" gesandt zu haben. „Vergessen Sie keinen Augenblick, daß Sie ein durch Christi Blut Erkaufter sind", schrieb er Hans im Oktober 1942154. Ganz ähnlich verlief die religiöse Entwicklung auch im Fall Sophie Scholls. Sie stand allerdings unter etwas anderen Vorzeichen. Um dem Reichsarbeitsdienst nach dem Abitur zu entgehen, entschied sie sich für eine Ausbildung zur Kindergärtnerin am Ulmer Fröbel-Seminar. Schon früh hatte sie eine ausgesprochene Zuneigung zu Kindern verspürt und auch ein außerordentliches Geschick im Umgang mit ihnen bewiesen. Trotzdem wollte sie so schnell wie möglich ein Studium beginnen, was durch die Zwangsverpflichtung zum Kriegshilfsdienst in immer weitere Ferne rückte. Ihre Erfahrungen als Kindergärtnerin, wie sie vor allem in den Briefen vom Mai 1940 bis April 1941 zum Ausdruck kommen 155 , spiegeln eine natürliche Religiosität, ein eher unbewußtes, vorläufig unreflektiertes religiöses Urvertrauen. Dazu kam, daß für Sophie schon aus ihrer engen Beziehung zur Natur offensichtlich war, daß hinter allem Lebendigen eine kreative Kraft wirksam sein mußte. In dem Maß, in dem ihr eigener Lebensentwurf mit den äußeren Umständen immer inkompatibler wurde, intensivierte sie ihre Suche nach Gott 156 . Die totale Unfreiheit, die Unmöglichkeit, das eigene Leben selbst zu bestimmen, die ihr immer suspekter werdenden nationalsozialistischen Normen und die Gesellschaft, in der sie lebte, warfen sie gleichsam auf die Frage nach Gott. Dies öffnete ihr die Augen für die Welt, die sie umgab. Religion war deshalb für Sophie vor allem ein intensives Suchen nach dem Sinn und Ziel der Geschichte 157 . Insofern gab es auch keinen Rückzug in die Innerlichkeit, sondern jeder Schritt verlangte eine Entscheidung für die Freiheit. Auch diese Entwicklung wäre nicht zu denken ohne Otl Aicher. Gerade in der entscheidenden Phase während ihrer Zeit als Kindergärtnerin in Blumberg nahe Freiburg im Breisgau war er zur Stelle und stand ihr bei ihrer Suche in Briefen158 und Gesprächen bei. Gott sei so fern und sie ertrage seine Ungerechtigkeit nicht, er könne nicht zulassen, daß die Menschen sich an der 152

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Vgl. den Bericht einer Ordensschwester aus Schrobenhausen an Robert Scholl in München IfZ Fa 215/3, pag 264f. Hans wurde dort im Spaß bereits als „Doktor Scholl" gehandelt. Auch ebd. ZS A 26/4 pag 264, Brief einer „Schreibkraft" an Robert Scholl vom 24.12 1945. Hans wird dort als „begeisterter Christ" bezeichnet. Hans Scholl an die Eltern 29.3.1942; Jens (Hg.), Scholl 81. Eine Briefabschrift fand sich in den Gestapo-Akten; Berlin BA ZC 13267/1. Jens (Hg.), Scholl 138-173. Vgl. dazu die Briefe aus Krauchenwies und Blumberg in der Zeit von April 1941 bis Ende März 1942; Jens (Hg.), Scholl 171-206. Vgl. dazu auch Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 86f. Vgl. einen Brief Otl Aichers an Sophie Scholl, der sich in Muths Nachlaß erhalten hat; München BayStaBi Ana 390 I L O Auf diesen Brief bezog sich Sophie in späteren Tigebuchaufzeichnungen wie der Tagebucheintrag Krauchenwies 1.5.1941 zeigt; Jens (Hg.) Scholl 180. Sophie bemerkt an dieser Stelle, wie wichtig dieser Briefwechsel für sie sei und welchen Halt sie daraus bekomme.

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Natur ein Beispiel nehmen und einander morden und ausrotten. Sie fühle seine Macht, erkenne ihn aber nicht - damit stand Sophie vor dem Problem des alttestamentlichen mit Gott rechtenden Hiob. Otl versuchte ihr zu vermitteln, daß der Gott der Staatsreligion, der „Herrschaftsgott" nichts mit dem „kleinen Gott", dem „Gott aus Galiläa" zu tun habe. Dieser sei ein liebender Gott, der in Konflikten zu einem stehe, ein „Gott der Güte, Freundschaft und Hilfe" 159 . Mit diesen Aussagen hatte ihr Otl Aicher zumindest die Richtung gewiesen, was nicht nur ihre folgenden Tagebuchaufzeichnungen belegen, sondern auch die vermehrten religiösen Gespräche Sophies mit ihrem Verlobten Fritz Ha r tpagel 160 . Eine ähnliche innere Spannung wie bei ihrem Bruder Hans deutet sich an: einerseits spielte sie in der Kirche von Krauchenwies Orgel 161 , andererseits meinte sie, nicht bereit zum Gebet zu sein162; einerseits scheute sie sich davor, das Weihnachts-"Windlicht" zu illustrieren, weil sie sich „ausgetrocknet" und „leer" fühlte 163, andererseits bereitete sie sich intensiv auf das bevorstehende Weihnachtsfest vor und setzte sich mit Bibeltexten auseinander. Sicherer scheint sie erst geworden zu sein, nachdem sie Muth kennengelernt hatte und von den Tagen auf der Skihütte zurückkehrte 164 . Bereits im April 1941 hatte Sophie Scholl in ihrem Tagebuch vermerkt, den Wunsch zu verspüren, einmal in die Kirche zu gehen. „Nicht in die evangelische, wo ich kritisch den Worten des Pfarrers zuhöre. Sondern in die andere, wo ich alles erleide, nur offen sein muß und hinnehmen" 165 . O b sie bereits das Weihnachtsfest 1941 in einer katholischen Kirche erlebte, ist unklar. Eindeutig ist aber der Besuch der katholischen Osterliturgie im April 1942 belegt. Sophie berichtete nämlich ihrer Freundin Lisa Remppis von dem Gang in die katholische Söflinger Kirche 166 . Sie kamen ein wenig zu spät und sahen nicht mehr, wie die Osterkerze angezündet wurde, erlebten aber den Rest des Gottesdienstes mit der Taufwasserweihe, dem dreimaligen Untertauchen der Osterkerze und der Taufe eines Neugeborenen. „So sehr ich das Bedürfnis nach dieser Art des Gottesdienstes habe", schrieb Sophie, „denn es ist wirklich Gottesdienst, und nicht ein Vortrag wie in der evangelischen Kirche, braucht es doch sicher eine Übung oder Gewohnheit, um ganz mit159

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Vgl. die Schilderung Aichers über das Wochenende mit Sophie Scholl in Münster (Elsaß); Aicher, Innenseiten 56-70. Dazu Vinke, Leben 86. Sophie Scholl an Lisa Remppis 23.8.1941; Jens (Hg.), Scholl 188. Tagebuch Blumberg 4.11.1941; Jens (Hg.), Scholl 194. Tagebuch Blumberg 6.11.1941 und Sophie Scholl an Otl Aicher 6.11.1941; Jens (Hg.), Scholl 194f. Sophie hatte sich, wie sie ihrem Tagebuch anvertraute, vorgenommen, jeden Tag zu beten, damit Gott sie nicht verlasse. Die Menschwerdung Gottes schien ihr zwar unbegreiflich, aber ein Grund zu glauben. Tagebuch Blumberg 12.2.1942; Jens (Hg.), Scholl 205. Tagebuch Krauchenwies 11.4.1941; Jens (Hg.), Scholl 174. Zum Folgenden der Brief von Sophie Scholl an Lisa Remppis 5.4.1942; Jens (Hg.), Scholl 206f. Hans Scholl hatte Ostern nicht freibekommen; wir wissen nicht, ob er der Osterliturgie beiwohnte, es ist aber sehr wahrscheinlich. Hans Scholl an Rose Nägele 13.4.1942; ebd. 82.

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zuerleben und nicht abgelenkt zu werden ... von dem tiefen inneren Erlebnis, wenn man den Glauben hat." Sophie Scholl macht selbst auf die entscheidenden Unterschiede zwischen katholischer und evangelischer Liturgie aufmerksam. Ging es in dieser um die radikale Umsetzung von Luthers „solum verbum" und war hier somit in erster Linie der Verstand angesprochen, so versuchte jene in einer ganzheitlichen Sicht des Menschen nicht nur seine kognitiven, sondern auch seine affektiven Anlagen anzusprechen. Liturgische Gewänder und Farben, sakramentale Zeichenhandlungen, Kerzen und Weihrauch stehen für dieses Bemühen um das Gemüt, das gerade in der Osterfeier, der „Mutter" aller katholischen Gottesdienste, in besonderer Weise angesprochen wird 167 . Die katholische Liturgie versucht somit eine Synthese zwischen Verstand und Gefühl, Wort und Sakrament, Erkennen und Erleben, sie ist mithin ein „dritter Weg" zwischen dem Wort allein des Protestantismus und dem Zeichen allein der russischen Orthodoxie. Nicht zuletzt waren die feierlichen katholischen Osterliturgien Gegenveranstaltungen zu den nationalsozialistischen Inszenierungen, denen zumal auf den Reichsparteitagen ein quasi-liturgischer Charakter zugelegt wurde 168 . Daß Sophie und wahrscheinlich auch Inge die Osternacht in der katholischen Söflinger Kirche mitfeierten, ist sicher kein Zufall, sondern auf den Einfluß Muths und besonders Aichers zurückzuführen. Es wäre falsch, den beiden „Bekehrungseifer" vorzuhalten, wobei sicher ist, daß ihre Gespräche sich auch darum drehten. So schrieb Muth im Zusammenhang einer Ausgabe des „Windlicht" an Aicher, daß solche Auseinandersetzungen gut seien, „besonders, wenn sie dahin führen, daß alle Beteiligten daraus den Gewinn ziehen, die Frage mehr und mehr und sogar ausschließlich im Lichte des Evangeliums zu sehen."169 Mit dem „katholischen Erwachen" verbunden war eine intensive Lektüre von „Catholica". Dafür bot sich die Bibliothek Muths natürlich an. O b Joseph Pieper oder Romano Guardini, ob Reinhold Schneider oder Hans Carossa, ob Exegese oder Kirchengeschichte, ob Philosophie oder Dogmatik, Muths Bücherregale enthielten alles, was es schon lange nicht mehr zu kaufen und zu lesen gab 170 . Daß die Lektüre nicht ohne Auswirkung auf das weitere Geschehen blieb, ist offenkundig. So las Hans im Oktober eine Kirchengeschichte, in der ihn besonders das Kapitel über die Christenverfol-

Dazu Adolf Adam/Rupert Berger, Pastoralliturgisches Handlexikon, Freiburg i.Br. 31980, 387-396. Zu diesem Thema vgl. die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Totalitarismus und Politische Religionen" an der Ludwig Maximilians-Universität München und die dazu von Hans Maier herausgegebenen Studien im Literaturverzeichnis. Carl Muth an Otl Aicher 18.2.1942; zitiert nach Jens (Hg.), Scholl 270 [Hervorhebung im Original]. In den Briefen und Aufzeichnungen finden sich jede Menge Hinweise; so las Hans bereits im Herbst 1941 den „Traktat über die Klugheit" von Joseph Pieper, Leipzig ' 1937, wie aus einem Brief Otl Aichers an Muth hervorgeht; München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 28.12.1941. Auch Willi Graf las Pieper, „Über das christliche Menschenbild", Leipzig '1936.

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gung interessierte171 - also doch wieder das Maritainsche „Martyrium als Lösung" ?

3. GESPRÄCHS- UND LESEABENDE: DAS „POLITISCHE ERWACHEN" Parallel zum „religiösen Erwachen" vollzog sich ein „politisches Erwachen"; beide Entwicklungen sind nicht voneinander zu trennen, sondern hängen eng miteinander zusammen. Nachdem Krieg, Studium und Arbeitseinsätze die Ulmer Freunde in alle Winde verstreut hatten, wurde das „Windlicht" beinahe zur einzigen Verbindung untereinander. Ab und an ergab sich auch die Gelegenheit zu einem Treffen in Ulm, etwa an Weihnachten, oder zu einem gemeinsamen Ausflug auf eine Skihütte. Die Scholl-Geschwister besuchten sich zudem so oft wie möglich gegenseitig. Dieser Kontakt war für die Ulmer Freunde umso wichtiger, als sie wegen ihrer politischen Gesinnung nicht leicht neue Freundschaften schließen konnten. In genau diesem Dilemma stand Hans Scholl nach seiner Ankunft in München. Überstand er seinen Einsatz im Frankreichfeldzug noch mit Reiten, Tennis spielen, Französisch lernen und vor allem Lesen und Musik hören 172 , mußte er sich nach der Rückkehr an die Isar nach dem bewährten „Ulmer Modell" einen neuen Freundeskreis aufbauen. Als Angehörige der 2. Studentenkompanie 173 begegneten sich im Herbst 1940 Hans Scholl und Alexander Schmorell. Beide hatten den Frankreichfeldzug als Sanitäter mitgemacht und bereiteten sich nun auf das Physikum vor. Zunächst verband die beiden nur die gemeinsame Arbeit und das Studium, bis sie merkten, daß sie auch die gleiche politische Einstellung hatten. Nach mehreren Monaten gegenseitigen Abtastens lud Schmorell Hans Scholl zu einem von ihm im Elternhaus arrangierten Leseabend zur „seelischen Erholung" 174 ein. Möglich wurden diese Zusammenkünfte, weil der Vater von Alexander, Hugo Schmorell, ein entschiedener Regimegegner war und sein

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Hans Scholl an die Familie 13.10.1942; Jens (Hg.), Scholl 107. Vgl. seine Briefe aus dieser Zeit; Jens (Hg.), Scholl 30-39. Die Studentenkompanien der Wehrmacht bildeten, wie Schneider/Süß ausgezeichnet herausarbeiten, Nischen im Windschatten der nationalsozialistischen Herrschaft. Die wehrpflichtigen Männer waren dem Zugriff der Parteidienststellen entzogen und konnten aufgrund der vergleichsweise geringen militärischen Dienstpflichten ein fast ziviles Studentenleben führen; Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 15f. Zum Thema Hochschule und den Kriegseinsätzen der Studenten Grüttner, Studenten 362-370; Keim, Erziehung 2, 167-176. Auch Bleuel/Klinnert, Studenten; Heiber, Universität. Zur Situation der Münchner Universität in den ersten Jahren des Dritten Reiches, die zwar keine Hochburg des NS, aber besonders starken politischen Einflüssen ausgesetzt war, Böhm, Universität München. Die Weiße Rose 32.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

Haus in München-Harlaching zur Verfügung stellte175. Diese Veranstaltungen waren ursprünglich unpolitischen Themen gewidmet und unterschieden sich kaum von musischen Abendgesellschaften bildungsbürgerlich geprägter Haushalte. Man las theologische, philosophische und literarische Werke und diskutierte anschließend darüber. Was genau gelesen wurde, ist nicht ganz klar. Süß und Schneider erwähnen besonders die Autoren des französischen „Renouveau Catholique" 176 , mit denen Hans Scholl von Ulm her bereits gut vertraut war; Verhoeven und Krebs führen die theologischen Schriften Augustins und Pascals an, außerdem habe man aus den Romanen Dostojewskys vorgelesen177. Solche Lektüre legte sich nahe, wenn man abseits der Öde des Alltags im Dritten Reich eine Nische nicht-nationalsozialistischer Kultur finden wollte 178 . An einem der Leseabende im Schmorelischen Elternhaus, in dem Hans Scholl seit dem Frühjahr 1941 regelmäßiger Gast war, machte Alex diesen mit Christoph Probst, einem alten Freund vom Gymnasium in München, bekannt 179 . Er brachte Hans auch mit Traute Lafrenz zusammen, mit der Schmorell schon in Hamburg befreundet gewesen war. Diese hatte in H a m burg einer regimekritischen Gruppe um die Lehrerin Erna Stahl und ihrem Mitschüler Heinz Kucharski angehört, die bereits seit 1934 bestand, mehrere Kreise umfaßte und bis zu ihrer Aufdeckung 1943 als Zweig der „Weißen Rose" etwa 50 Mitglieder zählte 180 . „Gab schon die gleiche politische Einstellung eine gute Basis", erinnerte sich Traute Lafrenz an ihre erste Begegnung mit Hans Scholl im Mai 1941 bei einem Konzert im Odeon, „so kamen gleiches literarisches Interesse, Freude an Wanderungen, gemeinsame Konzertbesuche bald hinzu und festigten das Band" 181 . Dazu gehörten auch „nächtelange, vom Wein beschwingte Gespräche" 182 . Auch wenn sich in den Briefen Hans Scholls keine expliziten Hinweise finden, ob über politische Fragen gesprochen wurde, ist anzunehmen, daß sich die Gespräche häufig um die aktuellen Ereignisse drehten: Was wird, wenn Hitler siegt? Wird es zu einem Angriff auf England kommen? Man wird die „Feindsender" des Auslands gehört, Nachrichten aus Briefen oder Berichten von Bekannten ausgetauscht haben. Um angesichts der allgemei175

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Schmorells Vater wird zumeist in den Darstellungen aus dem näheren Umfeld genannt; vgl. den Kommentar bei Jens (Hg.), Scholl 256 und Die Weiße Rose 32. Zu Hugo Schmorell (ohne Nachweise) Dumbach/Newborn, Gewissen 82f. Zu den Abenden vgl. den Brief Hugo Schmorells an Ricarda Huch 20.7.1947; München IfZ ZS A 26/4 pag 109-113. Allerdings ohne Nachweis; Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 16f. Verhoeven/Krebs, Weiße Rose 81. Vor allem in der zweiten Hälfte des Krieges gab es an den meisten Hochschulen solche Zirkel, wo man ein größeres Maß an individueller Freiheit herbeisehnte, Feindsender hörte und verbotene Bücher las und diskutierte; Grüttner, Studenten 458. Ende Mai 1941; Lill (Hg.), Hochverrat? 183. Hochmuth/Jacob, Weiße Rose Hamburg. Die Hamburger trafen sich regelmäßig im Hause Flitner; ihre Namen sind im Gästebuch überliefert, was der Gestapo verborgen blieb. Bericht von Traute Lafrenz in: Scholl, Weiße Rose 131-138, hier 131. Hierzu auch die gruppensoziologische Betrachtung der Weißen Rose von Gerhards, Bedingungen 343-359. München IfZ ZS A 26/4, Angelika Probst über Alexander Schmorell o.D.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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nen Begeisterung für Hitler nicht in die völlige Resignation zu verfallen, waren solche Zusammenkünfte überlebensnotwendig. Ablesbar ist das an den Briefen Hans Scholls: Nach dem Physikum sprach er von der „verrückten Traurigkeit", die ihn gefangen halte, und vom „gottverfluchten Krieg", der ihm jede Lust zum Arbeiten nehme 183 , im weiteren Verlauf des Jahres wurde er wieder „wissensdurstiger" und saß mit neuem Eifer an der Arbeit184: „Die vergangenen Wochen waren für mein Inneres bedeutender als viele vergangene Monate" 185 . Im August desselben Jahres machte Hans Scholl dann die Bekanntschaft von Carl Muth, der dem Denken dieses Kreises eine neue Richtung gab. Hans verbrachte mehrere Stunden täglich in dessen Haus und war, wie Muth an Aicher berichtete, „ein lieber und sehr geschätzter Hausfreund. Er ist auch oft mein Tischgast und kommt mit allerhand Menschen in Berührung, die ihn interessieren." 186 Der intensive Kontakt mit Muth beschränkte sich also nicht nur auf die persönliche Einflußnahme oder Lektüreempfehlungen, vielmehr machte Muth Hans Scholl mit anderen Geistesverwandten bekannt 187 . Durch Hans kamen wiederum die anderen Studenten, sprich der ganze Freundeskreis, mit solchen Leuten in Berührung; ab und an scheinen sich die Wege richtiggehend gekreuzt zu haben 188 . Man kannte sich, wenn man gegen Hitler eingestellt war, und suchte die Bekanntschaft von Gleichgesinnten 189 . Inge Aicher-Scholl führte dazu den Ausspruch an, sie hätten einen großen Freundeskreis, und alle seien gegen Hitler eingestellt. „Und jeder dieser Freunde hat wieder einen Freundeskreis, der auch gegen Hitler ist - und so fort und so fort" 190 .

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Hans Scholl an Rose Nägele 3.2.1941 und an die Eltern 8.2.1941; Jens (Hg.), Scholl 43. Hinzu kam wahrscheinlich eine ganz natürliche Abgespanntheit nach der anstrengenden Vorbereitung auf das Physikum. Hans Scholl an Rose Nägele 27.4. und 9.5.1941; Jens (Hg.), Scholl 53 und 55. Hans Scholl an Rose Nägele 19.8.1941; Jens (Hg.), Scholl 63. Carl Muth an Otl Aicher 19.12.1941; zitiert nach Jens (Hg.), Scholl 263. Traute Lafrenz berichtete, daß Hans immer wieder Beziehungen anknüpfte zu Menschen, „von denen er annehmen konnte, daß sie geistig und politisch unserer Richtung entsprechen mußten". Dies konnte er durch Muth; Bericht von Traute Lafrenz abgedruckt bei Scholl, Weiße Rose 131. Das ist im Falle Christoph Probsts anzunehmen, der Muth und Haecker über seinen Schwiegervater gekannt haben dürfte; Lill (Hg.), Hochverrat? 183. Vgl. dazu München IfZ Fa 215/3, Gesprächsnotiz Hellmut Auerbach mit Herta Siebler-Probst 19.8.1964, pag 102f. Zur „Hauptstadt der Bewegung" allgemein Large, Hitlers München; zur „geistigen" Situation Förster, Harnier-Kreis passim, mit Hinweisen zu anderen widerständigen Gruppen; Vieregg, Wächst Gras darüber? passim und 101-239 zu einzelnen Kreisen. Zu „Künstler-Kreisen" vgl. Hildegard Vieregg, Künstler und bildende Kunst im Widerstand gegen das NS-Regime, in: Siefken/Vieregg (Hg.), Resistance (Kunst) 13-66. Gunter Groll berichtete am 31.5.1947 über eine frühere Münchner Gruppe, die Flugblätter verbreitete, und von ihm zusammen mit Falk Harnack und Lambert Schomerus gegründet wurde; München IfZ ZS A 26/4 pag 12-15. Vgl. auch den ausgezeichneten Aufsatz von Hildegard Vieregg, Die Weiße Rose und die Rebellion der Jugend gegen das NS-Regime - der studentische Widerstand als Fanal, in: Siefken (Hg.), Weiße Rose. Student Resistance 77-115. Inge Aicher-Scholl, in: Vinke, Leben 58.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

So begegnete Hans Scholl im Winter 1941/42 im Hause Muth häufiger Theodor Haecker, der dort ein- und ausging191. Haecker ließ sich rasch für die „literarischen Abende" gewinnen. Schon seit langem traf er sich regelmäßig in einem Münchner Cafe mit ehemaligen Redaktionsmitgliedern des „Hochland", um als „kleine Insel der Immunität dem Zugriff der totalitären Ideologie der Volksgemeinschaft zu trotzen". Für ihn war es ein großes Glück, den Kontakt zu ähnlich denkenden Menschen wie zum Kreis der „Weißen Rose" zu finden, „war es besonders beglückend, daß hier vor allem junge Menschen für seine Gedanken empfänglich waren" 192 . Und da seine Bücher nicht mehr zu kaufen waren, schrieben sie die wichtigsten Kapitel einfach ab und schickten sie per Feldpost ihren Kameraden an die Front. Auch Fedor Stepun 193 lernte Scholl kennen 194 , einer von den Menschen, „der so hoch über der Zeit steht, in der ich wühle und mich abmühe", der ihm aber ans Herz gelegt habe, daß es darum ginge, „das Wesentliche" zu erhalten. Ferner begegnete er Werner Bergengruen 195 , den er über alle lebenden deutschen Schriftsteller schätzte 196 . Stepun wie Bergengruen sollten nach 1945 treue Gäste der Ulmer Volkshochschule werden. Diese Kontakte kamen über Muth zustande. „Ich darf wohl annehmen", schrieb dieser am 28. Februar 1942 an Otl Aicher, der immer großes Interesse an Einzelheiten aus München zeigte, „daß Hans Ihnen von dem Nachmittag in der Familie des Professors Alfred von Martin im Beisein des Ehepaares Stepun erzählt haben wird. Bleibt er diesen Sommer hier, so werden diese Kreise noch bedeutend weitergezogen werden, er wird dann katholische Menschen großen Formats kennenlernen, wie sie ihm bisher nur vereinzelt nahe gekommen sind." 197 So 191

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Seine Tochter erinnerte sich, daß Haecker alle 14 Tage einen Nachmittag zu Muth nach Solln fuhr. Vgl. ihren Bericht in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 174. Gerhard Schreiber, Meine Erinnerungen an Theodor Haecker, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 181-194, hier 184f. und 187. Zu dieser „Odeonsrunde" auch, allerdings mit Vorbehalten, Curt Hohoff, Das Hochland und der Führer. Eine Erinnerung, in: Communio 11 (1982) 75-83, hier 80-82. Fedor Stepun (1884-1965), russisch-deutscher Kulturphilosoph und Schriftsteller. Beteiligt an der Februarrevolution 1917, 1922 emigriert; ab 1926 Professor für Soziologie in Dresden, 1937 Berufsverbot, 1947 Honorarprofessor für russische Geistesgeschichte in München. Lebenserinnerungen „Vergangenes und Unvergängliches", München 1947; KDLK 1963, 636f.; KGK 1961, 2020f.; Fred Höntzsch, Fedor Stepun - ein Mittler zwischen Rußland und Europa, in: Hochland 34 (1937) II, 189-200. Hans Scholl an Elisabeth Scholl 10.2.1942; Jens (Hg.), Scholl 78. Werner Bergengruen (1892-1964), Erzähler, Lyriker, Übersetzer. Konversion zum Katholizismus 1936 und Übersiedlung nach München. Bergengruen tippte die Flugblätter mit seiner Frau nachts ab. Nach sorgfältiger Auswahl der Adressaten fuhr er die Umschläge nachts in die Stadt und verteilte sie auf die Briefkästen verschiedener Postbezirke; DBE 1, 443 (Dietmar Peil); Killy (Hg.), Literaturlexikon 1, 436f. (Angelika Müller). Besonders den Bericht der Tochter: N. Luise Hackelsberger, Werner Bergengruen im Dritten Reich, in: Siefken/Vieregg (Hg.), Resistance (Kunst) 67-88. „Ich schätze Bergengruen, den ich persönlich kenne ..." Hans Scholl an Rose Nägele 5 1.1943; Jens (Hg.), Scholl 113. Hans Scholl dürfte Bergengruen bereits im Winter 1941/42 kennengelernt haben. Vgl. auch Werner Bergengruen, Erinnerungen an Carl Muth, in: Hochland 46 (1953/54)75-80, hier 79. Dieser Brief Muths, der vermutlich im Privatarchiv Rotis liegt, zitiert nach Jens (Hg.), Scholl 261.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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findet sich in den Aicherschen Innenseiten manch „neidvoller" Blick auf Hans und Sophie Scholl, die das Glück hatten, bei Muth ein- und auszugehen. Aicher bewertete die Vorleseabende mit Haecker und weiteren Freunden von Muth später treffend: Es ging darum, „außerhalb der Öffentlichkeit in Zirkeln dafür zu sorgen, daß die Gegner dieses Staates nicht auseinander dividiert und in die Isolierung gedrängt würden" 198 . Im Hause des Soziologen Alfred von Martin 199 war Hans Scholl in diesem Frühjahr ab und an eingeladen. Was dort genau gesprochen wurde, ist nicht bekannt; Martins Buch „Nietzsche und Burckhardt" 200 , das für Aicher eine „bürgerliche Rechtfertigung von Jakob Burckhardt als Gegenpol zu Nietzsche" und eine Abrechnung mit dem Dritten Reich darstellte201, läßt auf die „üblichen" Themen schließen. Martin beschäftigte sich auch mit dem Thema „Humanismus", was Hans Scholl besonders interessierte202. Auch den sehr belesenen Justizbeamten Josef Furtmeier lernte Hans Scholl hier kennen, der dem Freundeskreis in der Folgezeit des öfteren Referate über Archäologie, Geschichte und christliche Autoren 203 hielt. Über Furtmeier wiederum machte Hans im März/April 1942 die Bekanntschaft des Architekten Manfred Eickemeyer204. Dieser besaß ein Atelier im Garten eines Grundstücks in der Leopoldstraße, das er den Studenten für die gemeinsamen Lese- und Diskussionsabende zur Verfügung stellte. Der Architekt hielt sich nur gelegentlich in München auf, weil er viel in Krakau zu tun hatte und die meiste Zeit im Generalgouvernement herumreiste 205 . Von Eickemeyer erfuhren die Studenten wohl auch aus erster Hand von den Zuständen im besetzten Polen, der schlechten Behandlung der polnischen Bevölkerung und den Massenerschießungen an der Ostfront 206 . 198 199

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Aicher, Innenseiten 130. Alfred von Martin (1882-1979), Honorarprofessor und Direktor des Soziologischen Seminars Göttingen seit 1931, 1933 ausgeschieden, Rückkehr nach München. Nach dem Krieg Professor für Geistesgeschichte und Soziologie in München; KDGK 1950, 1290f. Zum Thema Martin, Nationalsozialismus und Nachkriegsgesellschaft Kruse, Zeitdiagnosen 100-140. Alfred von Martin, Nietzsche und Burckhardt, München 1941. Aicher, Innenseiten 153. Das gab zumindest Christoph Probst in einer Vernehmung am 20.2.1943 an; Berlin BA ZC 13267/4. Martin hatte zu der Zeit unter dem Titel „Die Religion in Jacob Burckhardts Leben und Denken. Eine Studie zum Thema Humanismus und Christentum, München 1942" publiziert. Nach 1945 in verschiedenen Zeitschriften einige Studien zum Humanismus, vgl. KDGK 1950, 1291. Ein Beispiel der Aufsatz „Von der Menschlichkeit des Christenmenschen", in: Hochland 40 (1947/48), 434-454. Landersdorf er, Weiße Rose 861. Manfred Eickemeyer (1903-1978), Architekt, war seit 1940 in das sog. Generalgouvernement abkommandiert und hielt sich nur gelegentlich in München auf, weshalb er den Studenten sein Atelier für die Zusammenkünfte zur Verfügung stellen konnte. Er wurde am 6.4.1943 festgenommen, im „3. Weiße Rose"-Prozeß am 13.7.1943 aus Mangel an Beweisen freigesprochen; Berlin BA NJ 534. München IfZ Fa 215/2, Gesprächsnotiz Auerbach 9.7.1964. Das gab Eickemeyer mehrmals zu Protokoll, u.a. im Gespräch mit Helmut Auerbach am 9.7.1964; München IfZ Fa 215/2, pag 103f. Dem ist ein Notat Theodor Haeckers hinzuzufügen, der bereits am 15.7.1941 notierte, was ihm ein aus Rußland zurückkehrender Arzt erzählt habe - „... Waggonladungen Chlor haben beschafft werden müssen, um mit den

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

Auch Carl Muth selbst stellte sich für verschiedene Leseabende zur Verfügung, obwohl er immer gebrechlicher wurde 207 . Nach bewährter Manier organisierten Hans Scholl und vielleicht auch Alexander Schmorell diese Abende vor einem kleinen Kreis ausgewählter Studenten. So berichtete Hans seiner Schwester Elisabeth von einem „feinen Leseabend" Ende Februar mit Professor Muth, bei dem dieser aus unveröffentlichten Werken vortrug 208 . Hans selbst war besonders beeindruckt von einer Abhandlung „Über die Armut", die er den „Windlicht"-Lesern für die nächste Nummer in Aussicht stellte. Das Thema „Armut" hatte ihn selbst schon länger beschäftigt; er verfaßte dazu einen Text und brachte das Problem in mehreren Briefen zur Sprache209. In diesen Monaten begann auch die gemeinsame Lektüre von Claudels „Seidenem Schuh", vielleicht auf Empfehlung Muths 210 . Hans Scholl hielt dieses Drama „für das größte Ereignis der modernen europäischen Literatur" 211 . Muth empfahl den Medizinstudenten auch an Pater Romuald Bauerreiß 212 von der Benediktinerabtei St. Bonifaz in München. Scholl durfte die prächtige Stiftsbibliothek für seine Studien nützen, nachdem ihn Muth als politisch unbedenklich avisiert hatte. Der Pater solle sich „in Bücherfragen und anderen Angelegenheiten" um seinen „jugendlichen Schützling" kümmern. Vom ersten Tag an verstanden sich die beiden und wurden bald Freunde. Bauerreiß war erstaunt über Scholls vielseitige Kenntnisse und Interessen, namentlich seine Gewandtheit in der französischen Sprache. Bald stieß auch Schmorell dazu, der sich ohnehin für Ordenswesen und Benediktinertum interessierte. Beide waren später bei der Rettung der Klosterbibliothek behilflich213.

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Leichnamen fertig zu werden" - worüber dieser mit Muth und der wiederum mit den Studenten sprach. Haecker weiter: „Doch das interessanteste ... war, daß wir Deutsche mit den Schwerverwundeten uns nicht mehr abgeben können -, daß ihr voraussagbarer Tod beschleunigt und erleichtert wird. Dieses Prinzip ist eine Neuerung. Es ist ein Einschnitt im Abendland." Haecker, Tag- und Nachtbücher 196 (910) [Hervorhebung im Original]. Das entging Hans Scholl und seinen Geschwistern nicht. Unterstützt von ihrer Mutter versuchten sie durch die Übersendung von Forellen, Obst, Weißmehl, Fleisch usw. die Ernährungslage für den alten Mann zu verbessern; vgl. als nur ein Beispiel den Brief Carl Muth an Inge Scholl 17.6.1942, in dem sich erstcrer für den „schönen Hammelbraten" bedankt; zitiert nach Jens (Hg.), Scholl 291. Hans Scholl an Elisabeth Scholl 28.2.1942; Jens (Hg.), Scholl 80. „Armut ist der Weg zum Licht", „Die Armut führt den Menschen vor die absolute Wahl", d.h. ohne die Erfahrung von Armut kann der Mensch nicht zu seinem wahren Selbst finden. Dabei geht es wiederum um den geistigen Besitz, für den Armut eine notwendige Erfahrung ist; vgl. den „Windlicht"-Aufsatz und die folgenden Briefe bei Jens (Hg.), Scholl 68. Die Vermutung, die bei Verhoeven/Krebs, Weiße Rose 106 zu finden ist, erscheint nicht ganz abwegig. Hans Scholl an Elisabeth Scholl 10.2.1942; Jens (Hg.), Scholl 78. Vgl. den Bericht des Bibliothekspaters in München IfZ ZS A 26/4 ohne pag und Fa 215/2 pag 14f. Gedruckt bei Romuald Bauerreiß, Erinnerungen an Hans Scholl, in: Der Rhaeten-Herold Mitteilungen der katholischen bayerischen Studentenverbindung Rhaetia 21 (1953) Nr. 208, 6f. Willibald Mathäser, Die Benediktinerabtei St. Bonifaz in München, in: Georg Schwaiger (Hg.), Das Erzbistum München und Freising in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft 2, München 1984, 354-368. Als die Lage der Klöster in dieser Zeit immer bedrohlicher wurde, brachten die Studenten in Rucksäcken Bücher nach Solln (Muth) und Harlaching (Schmorell). Das Wertvollste der Abtei wurde nach Andechs verlagert.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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Während der Semesterferien über Ostern 1942 brach der Kontakt nicht ab. Wie Hans Scholl dürfte auch der Rest des studentischen Freundeskreises entweder ebenfalls famuliert oder sogenannte „Rüstungseinsätze" abgeleistet haben. Mitte April kehrten alle Studenten wieder nach München zurück. Weiterhin erwies sich Muth als der „treueste Freund" von Hans Scholl, bei dem er täglich zu finden war214. Dort lernte er einen weiteren „katholischen Menschen großen Formats" kennen 215 : Sigismund von Radecki 216 . Hans Scholl zögerte nicht lange und lud diesen zu einem Leseabend ein, der kaum vier Wochen später am 4. Juni 217 stattfand. Radecki las, wie die inzwischen zum Münchner Freundeskreis gestoßene Sophie Scholl an die Eltern und Schwestern schrieb, „vor einem Kreis von etwa 20 Personen einige Essays, Gedichte und Übersetzungen. Er liest ganz blendend vor, mit ungeheuren Bewegungen, er spielt alles, was er liest. Was haben wir gelacht!"218 Ab Mai 1942 gehörte nun also auch Sophie zum Münchner Freundeskreis. Vorläufig bei Carl Muth in Solln wohnend, lernte sie über diesen alle wichtigen Leute kennen, wenn sie nicht schon „der große Bruder" mit diesen bekannt gemacht hatte. Hans scheint ihr dabei kaum eine freie Minute gelassen zu haben - was Sophie einerseits genoß, während sie sich andererseits nach Ruhe und Alleinsein sehnte 219 . Am Abend vorher, also am 3. Juni, waren die Geschwister zu einer literarischen Abendgesellschaft bei der Pianistin und Sängerin Dr. Gertrud Mertens eingeladen220. Diese stand dem Kreis um Haecker und Muth sehr nahe, so daß die Einladung mit großer Wahrscheinlichkeit von diesen initiiert worden war; ihr Mann, Viktor, ein Medizinprofessor, galt als dezidierter Gegner des Hitler-Regimes 221 . Anwesend waren neben den angehenden Medizinern 214 215

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Hans Scholl an Rose Nägele 13.4.1942, Jens (Hg.), Scholl 82. Vgl. den Brief von Carl Muth an Otl Aicher 23.4.1942: „Zum Abendessen rechnete ich auf Hans, der aber nicht erschien. Dafür wird er morgen da sein und bei der Gelegenheit Sigismund von Radecki kennenlernen, dessen Bücher er schätzt..."; zitiert nach Jens (Hg.), Scholl 291. Sigismund von Radecki (1891-1970), geboren in Riga, Schule in Petersburg, Bergbauingenieur, Bewässerungsingenieur in Turkestan und Elektroingenieur bei Siemens in Berlin, mit 32 Jahren plötzlich Schauspieler und Zeichner. Nach jahrelanger Freundschaft mit Karl Kraus in Wien Konversion zum Katholizismus, freier Schriftsteller, Feuilletonist und Kulturkritiker in München, gehörte zum Freundeskreis Muths und Haeckers; Killy (Hg.), Literaturlexikon 9, 275 (Hans-Rüdiger Schwab). Datierung und Aussage, daß Hans einlud, nach dem Brief von Sophie, in dem sie von diesem Abend berichtet (s. nächste Anm.). Dies kollidiert mit einer Anm. bei Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 294f., Radecki habe am 3. Juni während des Abends bei Frau Dr. Mertens vorgetragen, anläßlich eines von Otmar Hammerstein arrangierten Leseabends. Sophie Scholl an die Eltern und die Schwestern Inge und Elisabeth 6.6.1942; Jens (Hg.), Scholl 209. Sophie Scholl an Lisa Remppis 30.5.1942; Jens (Hg.), Scholl 208. Darstellung nach Landersdorfer, Weiße Rose 861f. Datierung nach Lill (Hg.), Hochverrat? 184; Steffahn, Weiße Rose 54f. Alle stützen sich auf die Verteidigungsrede Hubers vor dem Volksgerichtshof in Berlin, zitiert nach Petry, Studenten 184-194. Vieregg, Wächst Gras darüber? 214 beläßt ebenfalls den 3. Juni als Termin. Ihrer Darstellung zufolge befand sich noch der Musikwissenschaftler Thrasybulos Georgiades unter den Zuhörern. Prof. Mertens konnten die Medizinstudenten auch von der Universität kennen. Viktor Emanuel Mertens (1875-1974) und seine Frau Gertrud (1883-1973); Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 300.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

mehrere Studentinnen und einige Ältere aus ihrem Bekanntenkreis, auch Professor Kurt Huber und Dr. Heinrich Ellermann, ein ehemaliger Lehrer Christoph Probsts. Dabei kam es zum Entsetzen der Gastgeberin nach dem Vorlesen eines religiösen Textes - eine Skizze über „Innere Erneuerung", wie Huber in einem Verhör angab 222 - zu einer politischen Debatte, die zum Inhalt hatte, wie man der Zerstörung der inneren Werte durch den Nationalsozialismus wirkungsvoll entgegentreten könnte. Ellermann stellte dabei die Behauptung auf, daß ein direkter äußerer Widerstand erfolglos sei. Die Studenten sollten sich vielmehr um eine „geistige Gegenwehr" bemühen. Dem widersprach Huber, man müsse etwas tun, „und zwar heute noch", und fand damit volle Zustimmung bei Hans Scholl. Obwohl solche Gesprächsrekonstruktionen mit allergrößter Vorsicht zu werten sind, scheint hier ein erster Kulminationspunkt erreicht worden zu sein. Wenn Hans Scholl und Alexander Schmorell bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht an ein gegen den Nationalsozialismus gerichtetes Flugblatt gedacht hatten, dann mußten sie es spätestens jetzt tun. Wenige Tage später trafen die beiden in der Studentenkompanie auf Willi Graf. Vermutlich kannten sich die drei schon vor dem 13. Juni - denn dieses Datum vermerkte Graf in seinem Tagebuch - zumindest vom Sehen. „Hoffentlich", vermerkte Graf, „komme ich öfters mit ihm [Hans Scholl] zusammen"; wenige Tage später bedauerte er bereits dessen Ausbleiben 223 . Sehr schnell wurde der Katholik in den Freundeskreis integriert. Graf war nach seinem Einsatz an der russischen Front im April 1942 zur Fortsetzung seines Medizinstudiums nach München abkommandiert worden. Mit ihm (und Sophie) diskutierte Hans häufig über „theologische" Probleme 224 - wenn man ein Gespräch darüber, daß der christliche Mensch Gott mehr als dem Staat verantwortlich sei, oder die Frage, ob ein Christ im Krieg töten dürfe, „theologisch" im engeren Sinne nennen kann 225 . Ende Juni - spätestens am 27. - erschien bereits das erste Flugblatt der „Weißen Rose" 226 . Dabei scheint Hans Scholl nach der Überwindung seiner Zweifel, „in das Rad der Geschichte einzugreifen", die Initiative ergriffen zu

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Berlin BA NJ 1704/7, Gestapo-Verhör Huber, Fortsetzung vom 4.3.1943. Huber und den Studenten sei dieser Text sehr „weltfremd" erschienen. Von daher scheint die obige Anmerkung bei Knoop-Graf/Jens zu korrigieren, d.h. am 3. Juni gab es den Abend bei Mertens mit einem religiösen Text, am 4. Juni las Radecki auf Einladung von Hans Scholl und Otmar Hammerstein. Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 37. Graf bestritt in seiner ersten Vernehmung, sich mit Hans Scholl über politische oder staatsgefährdende Dinge unterhalten zu haben. „Richtig ist allerdings, daß wir uns öfters auch über religiöse Angelegenheiten unterhalten haben. Scholl ist evangelisch, ich selbst bin katholisch. Trotzdem zeigte Scholl für diesen Glauben ein besonderes Interesse." Berlin BA NJ 1704/8, Vernehmung vom 19.2.1943. Diese Themen nannte Sophie in einer Vernehmung vom 20.2.1943; Berlin BA ZC 13267/3. Diese Datierung findet sich in der Urteilsbegründung des 3. „Weiße Rose"-Prozesses vom 13.7.1943; Berlin BA NJ 534, S. 4, und wird bestätigt durch das „Verzeichnis der Empfänger der Flugblätter der .Weißen Rose'", ebd. ZC 13267/1, S. 22f.

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haben 227 ; wobei Alexander Schmorell weitgehend die logistische Arbeit und vor allem die finanzielle Absicherung übernommen hatte 228 . Nichtsdestoweniger setzte der kleine Kreis gleichzeitig seine Lese- und Diskussionsabende fort - unter anderem mit Claudel-Lektüre 229 oder einem Abend mit Theodor Haecker 230 - bis sich Mitte Juli herauskristallisierte, daß die Angehörigen der Studentenkompanie an der Ostfront würden famulieren müssen231. Zu einem Abschiedsabend am 22. Juli, am Tag vor der Abreise nach Rußland, fand sich der Freundeskreis noch einmal im Atelier des Architekten Eickemeyer zusammen. Es kamen zwölf bis fünfzehn Personen, darunter die Geschwister Scholl (nur Hans und Sophie, Inge war bereits wieder in Ulm), Schmorell, Probst, Graf, Eickemeyer, Traute Lafrenz, Katharina Schüddekopf232, Professor Huber, später noch Hans Hirzel 233 . Nach Hubers Aussage kam später noch Otl Aicher dazu, dies ist aber sehr unwahrscheinlich 234 ; weitere Namen sind heute nicht mehr zu ermitteln 235 . 227

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Im Winter 1941/42 hatte Hans Scholl in einem Gespräch mit Hans Hirzel diesem „seine damals bestehenden grundsätzlichen Zweifel an der Erlaubtheit eines gegen das NS-Regime gerichteten eigenen Handelns stärkstens zum Ausdruck gebracht; vgl. die Aufzeichnungen von Hans Hirzel „Flugblätter der Weißen Rose in Ulm und Stuttgart" in: Lill (Hg.), Hochverrat? 89-119, hier 96f. Überzeugend Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 22. Am 23.6.1942, wie aus einem Briefblatt von Sophie Scholl (Empfänger unbekannt) vom Tag danach hervorgeht; Jens (Hg.), Scholl 210. Auch am 16.7., wie Willi Graf in seinem Tagebuch vermerkt; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 42. Es ist anzunehmen, daß die Claudel-Lektüre wöchentlich fortgesetzt wurde. Am 10.7.1942. Dabei war jetzt auch Willi Graf, der sich bereits in den dreißiger Jahren mit Haeckers Schriften intensiv beschäftigt hatte. Graf vermerkte diese Lesung am Nachmittag in seinem Tagebuch mit dem Zusatz: „Noch lange sind wir zusammen: Hans und Alex."; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 41. „Es wird zur Tatsache, daß wir im Osten famulieren, und das ist schließlich ein Schlag". Tagebucheintrag Willi Graf 15.7.1942; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 42. Katharina Schüddekopf (1916-1992); Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 274. Hirzel hatte das erste Flugblatt mit der Post erhalten und glaubte durch bestimmte Formulierungen Hans Scholl als Verfasser ausgemacht zu haben. Darüber wollte er mit diesem sprechen, als er unter einem Vorwand im Juli nach München reiste; vgl. Hans Hirzel, in: Lill (Hg.), Hochverrat? 89-119, hier 97f. „Etwas später kam dann noch ein gewisser Otto Eicher [sie!] und eine jüngere Frau"; Berlin BA NJ 1704/7, Gestapo-Protokoll der Vernehmung Huber vom 27.2.1943. Auf Nachfragen erklärte Huber, Aicher etwa eine halbe Stunde gesehen zu haben, aber keine „persönliche Aussprache" mit ihm geführt zu haben, und sich an den zweiten Namen absolut nicht zu erinnern; ebd. Dagegen erklärte Willi Graf, der Name Aichers sei ihm vollkommen fremd; Berlin BA NJ 1704/8, Gestapo-Protokoll der Vernehmung Graf vom 1.3.1943. Die Innenseiten sowie die Briefe Aichers schweigen sich dazu vollkommen aus. Es bleibt die Frage, wann Huber dann Aicher hätte kennenlernen können; dieser kam erst im November/Dezember 1942 von Rußland nach Deutschland zurück, um seine Gelbsucht auszukurieren. Infrage kämen 1. Gisela Schertling. Dazu bemerken Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 276, sie sei nach eigenen Angaben erst Ende November nach München gekommen, weswegen Landersdorfer, Weiße Rose 867 (mit Bezug auf Drobisch, Wir schweigen nicht 25f., Hanser, Deutschland 196f. und Petry, Studenten 62) irrte. 2. Hubert Furtwängler als Angehöriger der Studentenkompanie. 3. Jürgen Wittenstein. 4. Otmar Hammerstein. Auch (5.) Wolfgang Jaeger gehörte zum weiteren Kreis; er lieh mehrmals für Hans Bücher aus der Universitätsbibliothek aus und diskutierte auch mit ihm darüber; Jaeger, 50 Jahre.

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Nicht nur über die Teilnehmer mutmaßte man, über diesen Abschiedsabend und seinen Verlauf überhaupt wurde vor allem in „vulgärwissenschaftlichen" Darstellungen viel unnötiges Papier beschrieben. „Kissen und Stühle wurden in dem großen, weiträumigen Studio verteilt, und es gab Tee, Kuchen, Wein und Schnaps. Als die Nacht hereinbrach, vergrößerten die Verdunkelungsvorhänge noch die Intimität und ungezwungene Atmosphäre ... Alex ... wurde redseliger als erwartet... Plötzlich sprach Kurt Huber dazwischen, laut und nervös... Huber zitterte am ganzen Körper; er krümmte sich fast in seinem Stuhl ... Ja, sagte er laut, vielleicht gebe es nur einen Weg, heimliche Propaganda, Sabotage und ... .Attentat' 236 . Alle starrten ihn an ..."237 - wie weit diese und ähnliche Schilderungen vom tatsächlichen Verlauf des Abends entfernt sind, sei dahingestellt; solche Details finden sich jedenfalls in keiner Überlieferung und tragen deutlich romanhafte Züge. Die verschiedenen Berichte der Beteiligten ergeben, daß wie bei sonstigen Zusammenkünften des Kreises zunächst über Kunst und Literatur diskutiert wurde 238 . Erst im Laufe des Abends entwickelte sich eine heftige Aussprache über Mittel und Wege des passiven Widerstandes. „Passiver Widerstand" das stand auch im dritten Flugblatt der „Weißen Rose", und es verwundert nicht - zudem die Abreise nach Rußland in eine wenn nicht gefährliche, so zumindest ungewisse Zukunft unmittelbar bevorstand -, daß dieses Thema zum Diskussionsgegenstand wurde. Dem Gros des Freundeskreises war nicht bekannt, daß die vier Flugblätter, die nicht nur in München für Aufsehen gesorgt hatten239, aus ihrer Mitte kamen. Demzufolge dürften Scholl und Schmorell, und das deckt sich mit den Verhörprotokollen, an der Auseinandersetzung leidenschaftlich beteiligt gewesen sein240. Folgt man dem Verhörprotokoll Hubers, so haben die „jungen Leute" über ihren Einsatz an der Front gesprochen. Schmorell hätte dabei besonders hervorgehoben, daß er sich ganz passiv verhalten wolle, eine Auffassung, der - so Huber - Scholl, alle Studentinnen, Aicher und er widersprochen hätten mit dem Argument, daß Soldaten „im Kampf ihren Mann stehen" müßten 241 . Daß weiterhin über konkrete Pläne hinsichtlich des weiteren Vorgehens der Gruppe nach der 236

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An Hubers Äußerungen erinnerte sich später Manfred Eickemeyer. Huber sei für alle Maßnahmen eingetreten, die geeignet gewesen seien, den Krieg zu beenden. Diese mündliche Mitteilung von Manfred Eickemeyer findet sich bei Petry, Studenten 63. Dumbach/Newborn, Gewissen 144-146. Rekonstruktion nach Berlin BA NJ 534 und NJ 1704. Zu den Ermittlungen der Gestapo Moll, Weiße Rose 457f. („Die Verfolger"); Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 33f. („Die andere Seite"). Christiane Moll kann überzeugend nachweisen, daß die beiden Medizinstudenten die Flugblätter im Freundes- und Bekanntenkreis diskutierten, um ihre Wirkung zu testen, natürlich ohne die Urheberschaft zuzugeben. Dabei hörten sie, wie Alexander Schmorell in einer in Moskau gefundenen Aussage vom 25.2.1943 zugibt, „daß sie [die Freunde] teils dafür und teils gegen unser Flugblatt waren"; Moll, Weiße Rose 448. Berlin BA NJ 1704/7, Gestapo-Protokoll der Vernehmung Huber vom 27.2.1943. Die Nennung Aichers in diesem Zusammenhang laßt die Aussage Hubers fraglich erscheinen, denn dieser hätte sich - glaubt man den „Innenseiten" - wie Schmorell für passiven Widerstand ausgesprochen.

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Rückkehr aus Rußland gesprochen wurde, erscheint unwahrscheinlich 242 , nachdem nicht einmal klar ist, ob Willi Graf im Laufe dieses Abends noch über die Tätigkeit der „Weißen Rose" informiert wurde 243 . Christoph Probst, wohl bereits von Scholl und Schmorell ins Vertrauen gezogen, aber noch nicht von Sinn und Zweck der Aktionen überzeugt, wandte sich an diesem Abend gegen den „Aktionismus von Scholl"244. Huber jedenfalls verließ das Atelier, ohne von den Studenten in ihre Widerstandstätigkeit eingeweiht worden zu sein245.

4. DER RUSSLANDAUFENTHALT: „DEM ABENDLANDE NICHT VERLOREN GEHEN" Am 23. Juli 1942 verließen Scholl, Schmorell, Graf und Hubert Furtwängler246 mit ihrer Studentenkompanie München und trafen nach dreitägiger Zugfahrt in Warschau ein, wo sie besonders intensiv mit den Auswirkungen des Kriegs konfrontiert wurden. Willi Graf notierte in seinem Tagebuch, sie hätten sich vor dem Elend der Stadt abgewendet 247 . Hans Scholl schrieb an seine Eltern, diese Stadt würde ihn mit ihren Gegensätzen - „auf der Straße liegen halbverhungerte Kinder und wimmern um Brot und von der anderen 242

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„An diesem letzten Abend wollten sie noch einmal alles gründlich überblicken und besprechen, und am Ende einer ernsten Aussprache faßten sie einen Entschluß: wenn sie das Glück haben sollten, aus Rußland zurückzukehren, so sollte die Aktion der Weißen Rose sich ganz entfalten und der kühne Beginn zu sorgsam durchdachtem, hartem Widerstand werden"; Scholl, Weiße Rose 42. In Inge Scholls „Erinnerungen an München" findet sich nur die Bemerkung, Sophie hätte nach ihrer Heimkehr nach Ulm lebhaft von den Stunden am Vorabend erzählt, ohne inhaltliche Angaben; München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 58. Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 276. Graf vermerkte unter dem 22.7.1942 „Am Abend im Atelier, was sollen wir tun? Bis in die Nacht hinein"; ebd. 44. So jedenfalls erinnerte sich Hans Hirzel an diesen Abend; Lill (Hg.), Hochverrat? 98. Über die Frage, wer wann eingeweiht wurde, gibt es wiederum unterschiedliche Versionen. Kirchberger, Weiße Rose 17 sieht etwa zu diesem Zeitpunkt bereits Graf und Eickemeyer eingeweiht. Eickemeyer soll an diesem Abend von seinen Erlebnissen in Krakau erzählt haben, „wo die SS durch Erschießungen von Polen und Russen das Ansehen der Wehrmacht beeinträchtigt habe"; Berlin BA NJ 534, Urteil des 3. „Weiße Rose"-Prozesses vom 13.7.1943. Hubert Furtwängler (* 1918) hatte im Januar 1940 Willi Graf bei einer Krankentransportabteilung in Neuenbürg/Schwarzwald kennengelernt. Im April 1942 trafen sich die beiden in der Münchner Studentenkompanie wieder, sangen miteinander im Bach-Chor und besuchten zusammen Vorlesungen und Konzerte. Vermutlich hat Graf Furtwängler mit Scholl und Schmorell bekannt gemacht, mit denen er selbst bereits seit 1941 befreundet war. Er gehörte zum Kreis der „Weißen Rose", nahm 1942/43 an den Leseabenden teil, wußte, daß seine Freunde Flugblätter abfaßten, beteiligte sich aber nicht an den Aktionen. Auch er wurde von der Gestapo verhaftet und verhört, aber durch das energische Eintreten seines Kompaniechefs von weiteren Strafverfolgungen verschont. Furtwängler war Kinderarzt in München; vgl. die Anm. bei Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 282. Tagebucheintrag Willi Graf vom 26.7.1942; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 44.

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Seite hört man aufreizende Jazzmusik ..." - auf Dauer krank machen 248 . Die Betroffenheit wich nach der Überquerung der russischen Grenze der Begeisterung über die weite, unberührte Landschaft - dem Symbol des freien, selbstbestimmten Lebens, wie es in der Jugendbewegung, besonders in der „dj.l.ll.", eine große Rolle gespielt hatte 249 . Die Münchner Studenten wurden als Sanitäter und Hilfsärzte auf einem Hauptverbandsplatz in der Nähe des Flughafens von Gshatsk, ca. 130 Kilometer südwestlich von Moskau, eingesetzt - einem verhältnismäßig ruhigen Frontabschnitt. Graf und Furtwängler wurden für einige Zeit unmittelbar an die Front versetzt, um Verwundete zu versorgen, während Scholl und Schmorell, der an Diphterie erkrankte, vom Fronteinsatz verschont blieben 250 . Zum ersten Mal waren die vier Freunde mehrere Wochen ununterbrochen zusammen. Anfangs verfügten sie aufgrund der geringen Dienstpflichten über viel freie Zeit. Die zahlreichen Gespräche mit der russischen Bevölkerung, das Erleben der Landschaft, die gründliche Beschäftigung mit der russischen Literatur, vor allem die intensive Lektüre Dostojewskys, hatten eine tiefere Wirkung auf die Studenten als die persönliche Erfahnang des Kriegsgeschehens und der Verbrechen an der Zivilbevölkerung, wie ihre Briefe nach Hause belegen. In Schurik, wie Schmorell seit seiner Kindheit genannt wurde, fanden die Studenten einen Führer, der sich bemühte, den Freunden die Kultur und die Menschen Rußlands nahezubringen. Schmorells russische Sprachkenntnisse ermöglichten Begegnungen mit den Einheimischen, die der nationalsozialistischen Ideologie von „Herrenrasse" und „Untermenschen" völlig konträr waren: der russische Fischer, alt und ergraut, mit dem sich die vier anfreundeten 251 ; der Chor aus russischen Kriegsgefangenen und die Mädchen im Lager, mit denen getrunken, gesungen und „die halbe Nacht" durchgetanzt wurde 252 ; der Sprachunterricht bei Sina, einer jungen Russin253; der sonntagmorgendliche Besuch in der russischen Kirche, über den Hans 248 249

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Hans Scholl an die Eltern 27.7.1942; Jens (Hg.), Scholl 83f. Ahnlich verstanden die Studenten ihren Rußlandaufenthalt auch als „große Fahrt", wie Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 27 treffend charakterisieren und wie es in einem Bericht von Hubert Furtwängler zum Ausdruck kommt. „Unser Leben in dieser Zeit war nicht soldatisch zu nennen. Wir lebten in einer Zeit davor. Landsknechte waren wir, idealistisch, romantisch und jugendbewegt." Zitiert nach Landersdorfer, Weiße Rose 868, der sich wiederum auf Petry, Studenten 67 bezieht. Neben den Briefen und Aufzeichnungen aus Literatur und Archiven wurden für die folgende Darstellung des Rußlandaufenthalts vor allem folgende Darstellungen verwendet: Die Weiße Rose 54; Kirchberger, Weiße Rose 17f.; Landersdorfer, Weiße Rose 868-870 (mit sachlichen Fehlern); Siefken, Weiße Rose and Russia; Steffahn, Weiße Rose 77-85; Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 27-29. „Ich kenne einen alten ergrauten Fischer, diesen habe ich zum Freund. Oft sitzen wir vom frühen Morgen bis zum Sonnenuntergang am Ufer eines Flusses und Fischen wie Petrus zu Christi Zeiten." Hans Scholl an die Mutter und die Schwestern Inge und Sophie 2.8.1942; Jens (Hg.), Scholl 87f. „Am Abend hören wir russische Lieder ... Es wird kühl, die Mädchen singen zur Gitarre, wir versuchen die Bässe zu summen. Es ist schön so, man spurt Rußlands Herz, das wir lieben." Tagebucheintrag von Willi Graf am 22.8.1942; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 51. Vgl. verschiedene Briefe und Tagebuchnotizen von Graf und Scholl.

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Scholl begeistert notierte, wie man dabei das Mitschwingen der Herzen aller Gläubigen und die Bewegung der Seelen verspüren könne 254 . Die Folgen des „Rußlanderlebnisses" für die persönliche Entwicklung der Studenten lassen sich recht gut fassen. Für Alexander Schmorell brach ein schmerzlicher Zwiespalt auf: als Angehöriger der Wehrmacht sollte er das vernichten, was er liebte, seine russische Heimat. Rußland, von dem er sich nur schwer trennen kann 255 , wird für ihn eine „Gegenutopie zur beengend empfundenen Gegenwart" 256 . „Hier im Osten", schrieb Schmorell an seine Freundin Lilo Ramdohr 257 , „liegt die Zukunft der Menschheit. Die Welt muß anders werden, russischer, und wenn sie das nicht will oder kann, dann sind ihre Tage gezählt, dann wird es nur noch ein leeres Gefäß ohne Inhalt geben, aber keine Menschen." 258 Rußland war für ihn ein uneingeschränkt positives Erlebnis, während Hans Scholl sehr zwiespältige Erfahrungen machte. Bei dem Ulmer kam es zu einem „Rußlandkoller", wie die Soldaten dieses Phänomen nannten. Hans Scholl beschreibt diesen in einem Brief an seine Eltern. „Es ist etwa so: Wenn man die Welt in ihrer zauberhaften Schönheit sieht, möchte man zuweilen das andere nicht wahrhaben ... Aber hier wird dieser Widerspruch durch den Krieg dermaßen potenziert" 259 . Hochgefühl stand neben Niedergeschlagenheit, Selbstreflexion neben Depressionen „mein Gemüt wechselt wie der Herbstwind ... meine Mentalität ist so labil wie die eines jungen Mädchens". Während Scholl einerseits weit weg vom „Modergeruch der europäischen Kultur" fliehen möchte, begreift er sich andererseits als Europäer, als „Hüter eines heiligen Erbes" 260 . Auch wenn die Deutschen ein verlorenes Volk und unverbesserlich sind, denen die Falschheit schon so tief im Fleisch stecke, „daß man sie nicht extirpieren könnte, ohne den ganzen Körper zu töten" 261 , sieht er die Verpflichtung, daß nach dem Nichts, nach dem totalen Krieg, etwas kommen muß. „Der geistige Nihilismus", notierte er in sein Rußlandtagebuch, „war für die europäische Kultur eine große Gefahr ... Nach dem Nichts kommt nichts mehr. Es muß aber etwas kommen, weil niemals alle Werte bei allen Menschen zerstört werden können, sind immer noch Hüter da, die das Feuer entfachen und es 254

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Rußlandtagebuch von Hans Scholl am 9.8.1942; Jens (Hg.), Scholl 92. Vgl. auch den entsprechenden Tagebucheintrag Willi Grafs vom 2.8.1942; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 46. „... leb wohl du meine weite reiche freie Heimat. Es war das die schönste, reichste Zeit meines Lebens gewesen ... Jetzt lebe ich nur von Erinnerungen und von Hoffnung an eine baldige Rückkehr - für immer. Mein Herz, meine Gedanken, meine Seele, sie sind drüben geblieben"; Privatbesitz, Kopie in: München ÜB Sammlung Schott, Alexander Schmorell an Marguerite Knittel Januar 1943 [Hervorhebung im Original]. Treffend Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 28. Lieselotte Ramdohr, verh. Berndl, später Fürst (* 1913), eine damals in München lebende Malerin mit Kontakten zur „Weißen Rose" über Alexander Schmorell; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 273, 321. Privatbesitz, Kopie in: München ÜB Sammlung Schott, Alexander Schmorell an Lilo Ramdohr 7.8.1942. Hans Scholl an die Eltern 18.9.1942; Jens (Hg.), Scholl 89. Alle Zitate aus einem Brief von Hans Scholl an Rose Nägele 10.9.1942; Jens (Hg.), Scholl 88. So ein Tagebucheintrag vom 11.9.1942; Jens (Hg.), Scholl 104.

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von Hand zu Hand weitergeben, bis eine neue Welle der Wiedergeburt das Land überschwemmt. Der Wolkenschleier wird gleichsam zerrissen von der Sonne eines neuen religiösen Erwachens." 262 Über sein zwiespältiges Rußlandbild half ihm, wie nicht nur dieses Notat eindeutig belegt, sein fester (katholischer) Glaube und die daraus resultierende Zuversicht hinweg 263 . Ähnliche Erfahrungen machte auch Willi Graf. Die Tagebucheinträge dieser Zeit sprechen immer wieder von sinnlos vertaner Zeit ohne Spannung, von Versuchen, sich in die Lektüre von Stifter, Hölderlin oder Guardini zu vertiefen oder von langen Spaziergängen264. Willi Graf war schon 1941 an der Ostfront eingesetzt gewesen und kannte Not und Leiden der vom Kriegsgeschehen betroffenen Bevölkerung und die Kriegsgreuel zur Genüge. Im Februar 1942 schrieb er seiner Schwester, wie sehr er sich wünsche, nicht sehen zu müssen, „was ich alles in dieser Zeit mit anschauen mußte" 265 . Das Rußlanderlebnis wird in seiner Bedeutung für die Entwicklung der „Weißen Rose" sehr unterschiedlich bewertet. Entweder werden die romantisierenden, vorwiegend emotional wirksamen Eindrücke der weiten Landschaft und der russischen Seele einseitig herausgestellt, oder die politische Ernüchterung durch die unmittelbaren Kriegserfahrungen überbetont 266 . Aus den Briefen und Aufzeichnungen der einzelnen Mitglieder des Freundeskreises geht trotz einiger verklausulierter Andeutungen nicht einmal eindeutig hervor, ob sie in Rußland überhaupt über weitere Aktionen gesprochen oder gar an einer Ausweitung ihrer Widerstandstätigkeit gearbeitet haben. Lediglich während der Hin- und auch Rückfahrt im Zug scheint dies ein Thema gewesen zu sein267. Ihre Entschlossenheit, den Widerstand gegen 21,2 263

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Tagebucheintrag vom 9.8.1942; Jens (Hg.), Scholl 92 [Hervorhebung im Original]. Vgl. etwa auch die Notiz vom 28.8.1942: „Wenn Christus nicht gelebt und nicht gestorben wäre, gäbe es wirklich gar keinen Ausweg. Dann müßte alles Weinen grauenhaft sinnlos sein. Dann müßte man mit dem Kopf gegen die nächste Mauer rennen und sich den Schädel zertrümmern. So aber nicht"; Jens (Hg.), Scholl 103. Hier ging es nicht um eine „Zuflucht in der Religion", wie Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 28 interpretieren, sondern ohne Religion hätte Hans Scholl den Zwiespalt nicht überwinden können. Darunter fällt auch die neue Dimension, die die religiös inspirierte Zivilisationskritik Dostojewskys für die Studenten in Rußland bekam. Was ihnen bisher zumindest unverständlich geblieben war, begriffen sie nun in ganzer Tragweite. Vgl. die Einträge vom 28.7. bis zum 5.11.1942 und die Briefe aus dieser Zeit: KnoopGraf/Jens (Hg.), Graf 45-72 und 166-173. Willi Graf an die Schwester Anneliese 1.2.1942; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 147. Vgl. auch Anneliese Knoop-Graf, Willi Graf und die Ausweitung des Widerstands, in: Lill (Hg), Hochverrat? 43-88. Als Beispiel: Petry, Studenten 65 konstatiert, daß das Politische einem ganz unpolitischen, romantischen Rußlanderlebnis wich, während Jahnke, Weiße Rose 26 die These vertritt, daß der Aufenthalt an der deutsch-sowjetischen Front dazu beigetragen habe, Ziel und Inhalt der konkreten Aktionen der Gruppen zu bestimmen. „Unser Abteil ist gut ... wir haben Platz und können reden. Das ist schon viel wert' notierte Willi Graf am 23.7.1942, und am 3.11.1942: „Ab und zu kommt es zu einem vernünhigen Gespräch", wobei der Zug bei der Rückfahrt ständig überfüllt war und Graf immer wieder bemerkt, wie wichtig es sei, unter „guten" und „einwandfreien" Menschen zu weilen; KnoopGraf/Jens (Hg.), Graf 44 und 71f. Das erste Zitat spricht übrigens dafür, daß G'af schon eingeweiht war.

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den Nationalsozialismus fortzusetzen, dürfte jedoch in diesen Wochen durch die persönliche Erfahrung des nationalsozialistischen Raubkrieges auf jeden Fall gewachsen sein268. Dieser Befund deckt sich mit dem neuen Charakter der Widerstandsaktionen nach der Rückkehr nach München. Insgesamt haben - wie Inge Scholl in ihrer „Weißen Rose" es treffend formulierte - die Erlebnisse an der Front und in den Lazaretten die Freunde „reifer und härter gemacht". Immer klarer wurde ihnen die Notwendigkeit, „diesem Staat mit seinem Vernichtungswahn entgegenzutreten. Die Freunde hatten gesehen" und erfahren - wie sie im vierten Flugblatt schrieben 269 - „wie dort draußen das Leben aufs Spiel gesetzt und verschwendet wurde." 270 Es wäre verfehlt, in diesem Zusammenhang von „politische! Ernüchterung" zu sprechen. Weiterführender ist hier der Ansatz von Süß und Schneider, Rußland als „positive Utopie der ,Weißen Rose'" zu interpretieren, als beinahe idealen Ort, der all das verkörperte, was die Studenten in ihrer eigenen Existenz vermißten 271 . Dafür spricht auch, was den beiden Münchner Autoren entgangen ist, die geistige Fortführung des Rußlanderlebnisses nach der Rückkehr an die Isar. „Auch hier", schrieb nämlich etwa Schmorell Weihnachten 1942, „lebe ich ganz in russischer Umgebung: Samowar und russischer Tee, Balalaika, russische Bücher und Ikonen - selbst meine Kleidung ist russisch ..."272. Und Hans Scholl erhielt den Spitznamen „Wanja". Erbrachte bereits der Forschungsüberblick, daß die Trennung von politischen und christlichen Motiven eine ideologische Engführung zur Folge hatte, wird hier wiederum deutlich, daß es nicht darum gehen kann, einzelne Stationen, in diesem Fall das Rußlanderlebnis, in eine politische und eine emotionale Seite aufzuspalten. Was Rußland letztlich für die Freunde und damit auch die weiteren Aktionen der „Weißen Rose" bedeutete, erhellt ein Brief Hans Scholls an seinen Freund Otl Aicher. Er schrieb, er danke Gott für seinen Rußlandaufenthalt. Durch die Ortsveränderung, „die mich von allen blühenden Gärten der Vergangenheit getrennt und in die große Ebene gestellt hat", „habe ich endlich gelernt, mich selbst nicht mehr so unendlich wichtig zu nehmen, sondern die ziellose Reflexion umzustülpen und den Sinn nach außen, den Dingen zuzuwenden." Das heißt, ohne den Marschbefehl nach Rußland wäre ihm - und den Freunden - wohl nicht bewußt geworden, auf welchem Boden - nämlich der europäischen Kultur - sie standen. Fern von Europa erst erhielten 268 269

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Das sehen richtig Landersdorfer, Weiße Rose 869; Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 29. „Täglich fallen in Rußland Tausende. Es ist die Zeit der Ernte und der Schnitter fährt mit vollem Zug in die reife Saat"; Flugblatt 4. Scholl, Weiße Rose 48. Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 29. Genau beobachtet sind die zu dieser These führenden Gegensatzpaare, daß 1. die Herzlichkeit der russischen Bevölkerung die Vergiftung zwischenmenschlicher Beziehungen im NS-Deutschland kontrastiere, und 2. die tief verwurzelte russische Religiosität die Gottferne der eigenen Gesellschaft noch deutlicher machte. Zitiert nach Siefken, Weiße Rose and Russia 40f. Vgl. auch den Bericht Elisabeth Hartnagels, geb. Scholl, die sich an einen „Russenkittel" von Alex in der Wohnung ihrer Geschwister erinnerte, abgedruckt in Scholl, Weiße Rose 164.

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ihre unzähligen abstrakten Erkenntnisbemühungen, wie sie im Studium, tage- und nächtelangen Gesprächen mit den Freunden und Mentoren sowie nicht zuletzt in den Lese- und Diskussionsabenden zum Ausdruck kamen, einen konkreten Sinn. Die „blühenden Gärten", wie sie ein Muth und ein Haecker verkörperten, wurden ihnen in ihrer Substanz erst in der weiten russischen Ebene gewahr. Obwohl es das Beste wäre, wie Scholl Aicher anvertraute, „immer weiter ganz allein und bar jeglicher Habe nach Osten zu wandern", ginge es jetzt darum, zurückzukehren - weil man als Europäer „in dieser zwölften Stunde Europa nicht verlassen darf. Nur aus diesem Grund will ich wieder zurück nach Deutschland, auf daß ich dem Abendlande und das Abendland mir nicht verloren gehe."273 Der Same des christlichen Abendlandes, von Maritain gesät, von Muth gehegt und von Haecker gepflegt, war aufgegangen. Alle Studenten kamen, wie sich ein Mitglied des Freundeskreises erinnert, in einer „gewissen Hochstimmung" zurück 274 . Otl Aicher selbst - um die übrigen Mitglieder des Ulmer und Münchner Freundeskreises noch kurz zu erwähnen - hatte die „endlose Weite", „das Land der Bauern und Mönche" auch kennengelernt. Genau wie die Münchner Studenten275, Fritz Hartnagel und Willi Habermann 276 erfuhr er den Zwiespalt, als deutscher Soldat in ein Land einfallen zu müssen, um, wie es Aicher sarkastisch formulierte, einen Deutschen mit zehn Russen zu rächen und Zeuge zu sein „am Aufbau eines tausendjährigen Reiches"277. Neben Sophie Scholl, die ihr Rußland-Erlebnis in einer Ulmer Fabrik machte278, hatte auch Christoph Probst zuhause bleiben müssen. Er arbeitete während der Semesterferien in einem Kurlazarett der Luftwaffe am Eibsee und erwartete seine Freunde sehnsüchtig zurück279. Nicht Rußland selbst, aber die Macht der Gestapo hatte Inge Scholl in Ulm erfahren müssen, nachdem ihr Vater denunziert und wegen „Heimtücke" verurteilt worden war280. Die Macht des Krieges und 273 274 275

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Hans Scholl an Otl Aicher 9.10.1942; Jens (Hg.), Scholl 105f. Jaeger, 50 Jahre 187. Hubert Furtwängler, auch Mitglied der Studentenkompanie, gehörte zwar zum engeren Kreis der „Weißen Rose", nahm aber nach eigenen Angaben an den Flugblattaktionen nicht teil. Fritz Hartnagel nahm am deutschen Einmarsch in Holland und Nordfrankreich und ab Juni 1941 am Rußlandfeldzug teil. Nach dem Zusammenbruch der 6. Armee im Kessel von Stalingrad wurde er als Verwundeter mit einem der letzten Flugzeuge ausgeflogen; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 134. Habermann war zwar nie in Rußland, machte aber ähnliche Erfahrungen; vgl. die Gespräche mit ihm in Bad Mergentheim. Aicher, Innenseiten 90-114, hier 91 und 112f. Sophie war acht Wochen zum Kriegshilfsdienst in einem Rüstungsbetrieb eingezogen worden; ihren Fabrikdienst fand sie „entsetzlich". Neben ihr arbeitete eine Russin, und sie versuchte, „das Bild, das sie von den Deutschen erhalten könnte, ein bißchen zu korrigieren". Sophie bedauerte, wenn sie von „uns .hochstehenden' Europäern" einen solch schlechten Eindruck mit nach Hause nehmen müßte. Sophie Scholl an Fritz Hartnagel August 1942 und an Lisa Remppis 2.9.1942; Jens (Hg.), Scholl 215-217. Vgl. auch den Abschnitt „Im blauen Drillich am Fließband", in: Vinke, Leben 113f. Landersdorfer, Weiße Rose 867. Robert Scholl war 1942 von einer jungen Angestellten seiner Wirtschaftsberaterpraxis denunziert worden, weil er Zweifel am „Endsieg" geäußert und Hitler „die größte Gottesgeiisel, die die Menschheit je bekommen hat" genannt habe. Sein Sohn Hans betrachtete die Verurteilung

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die eigene Ohnmacht wurden ihr noch bewußter, als ihr Freund Ernst Reden in Stalingrad fiel281. Dafür versprach ihr Hans, sie nach dem Kriege nach Rußland zu begleiten, damit sie dieses Land ebenso lieben lerne wie er selbst282.

5. AUSWEITUNG DES WIDERSTANDS Anfang November waren die Mitglieder des Kreises um die „Weiße Rose" wieder alle in München versammelt, um dort ihr Studium fortzusetzen. „Im Winter 1942/1943" - so erinnert sich Traute Lafrenz - „änderte sich in der Art unseres Zusammenlebens nichts" 283 : Vorlesungen, Konzerte, Diskussionen, Fechten, Singen im Bach-Chor, gemeinsame Abende und Besuche bei den Mentoren füllten die Zeit aus. Und Sophie berichtete, sie müsse Muth helfen, der zwar noch nicht wie Bergengruen284 in seiner Nachbarschaft vom Bombardement auf München betroffen worden war, aber immer besorgter und kränker wurde 285 . Hans Scholl besuchte am 19. Dezember Haecker 286 und zu Muth nahm er seine Freundin Gisela Schertling287 mit. Wie gewohnt, fuhren die Studenten ab und an nach Hause, wie etwa Hans und Sophie Scholl nach Ulm. Das Leben nahm - rein äußerlich gesehen - seinen gewohnten Gang. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt indes, daß der aktive Kern

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des Vaters als „Auszeichnung". Zu den Reaktionen der Familie die entsprechenden Briefe und Kommentare bei Jens (Hg.), Scholl passim; mit neuesten Quellen Raimund Waibel, Verfolgung und Widerstand, in: Specker (Hg.), Ulm im Zweiten Weltkrieg 277-321, hier 297f. Die Nachricht erreichte Ulm am 23.8. Sophie soll nach Erhalt der Todesnachricht in einer „zornigen, fast feierlichen Entschlossenheit" gesagt haben, daß jetzt Schluß sei und sie jetzt etwas tun würde; Jens (Hg.), Scholl 277. Dazu auch oben. Hans Scholl an die Schwester Inge 15.10.1942; Jens (Hg.), Scholl 108. Ihr Bericht abgedruckt bei Scholl, Weiße Rose 133. Werner Bergengruen berichtete über die „Bombengaudi" und Muths Hilfe, der ihm Essen brachte und für einen Teil der geretteten Habe sein Haus anbot. Muth habe die im Garten verstreuten Manuskriptblätter des neuen Romans Bergengruens aufgehoben; Bergengruen, Schreibtischerinnerungen 220f.; Ders., Erinnerungen an Carl Muth, in: Hochland 46 (1953/54) 78f. In den Gestapo-Akten fand sich die Abschrift eines Briefes von Muth an Hans Scholl vom 19.10.1942, in dem Muth von dem Bombardement berichtet - allerdings konnten die Gestapo-Beamten Muths Schrift nicht lesen und machten aus Bergengruen einen „Bergangellen"; Berlin BA ZC 13267/1. Vgl. den Brief an Lisa Remppis (aus München-Solln!) 10.10.1942; Jens (Hg.), Scholl 222f. Dieser Besuch ist belegt durch einen Brief Haeckers an Inge Scholl, der sich für die „vielen guten Dinge" - Lebensmittel - bedankt; zitiert nach Siefken (Bearb.), Haecker 64. Gisela Schertling (" 1922) hatte Sophie Scholl beim Arbeitsdienst in Krauchenwies kennengelernt. Als sie zum Studium der Kunstgeschichte nach München kam, nahm sie mit ihrer Freundin wieder Kontakt auf. Sehr schnell freundete sie sich eng mit Hans Scholl an und kam in Kontakt mit der „Weißen Rose". Sie gab in ihren Vernehmungen an, mehrmals mit Hans bei Muth gewesen zu sein. Im 2. Prozeß wurde sie zu einem Jahr Gefängnis verurteilt; Berlin BA NJ 1704/31, NJ 10872, ZC 13267/15. Über diesen Besuch sagte sie in ihrer Vernehmung aus. Hans habe sie auch gesagt, daß Muth kein Anhänger des NS sei, sondern noch für die „Weimarer Zwischenregierungszeit schwärmt"; Berlin BA ZC 13267/15.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

des Freundeskreises überlegte, auf welche Weise der Widerstand weiter ausgedehnt werden konnte 288 . Vorerst wurde auf weitere Flugblätter verzichtet, man bemühte sich jedoch um Kontakte zu anderen Widerstandsgruppen bzw. Personen, die vertrauenswürdig schienen.

a) Suche nach Gleichgesinnten Noch im November machten Hans Scholl und Alexander Schmorell durch die Vermittlung der mit Schmorell befreundeten Lilo Ramdohr 289 die Bekanntschaft mit Falk Harnack 290 , dem Bruder von Arvid Harnack 291 aus der Widerstandsgruppe „Die Rote Kapelle" 292 . Das Treffen fand in Chemnitz statt. Harnack, der über seinen Schwager Dietrich Bonhoeffer293 Kontakte zur „Bekennenden Kirche" 294 hatte, versprach eine Vermittlung, kritisierte aber die philosophische Ausschmückung der Flugblätter 295 . Drei Monate später, am 8./9. Februar 1943, traf Harnack in München die führenden Mitglieder der „Weißen Rose" zu einer Unterredung. Auch Traute Lafrenz unternahm einen Versuch zur Verbreiterung der Basis des Widerstandes; sie fuhr im November 1942 nach Hamburg, um ihren ehemaligen Schulkameraden Flugblätter mit der Bitte um Weiterverbreitung zu übergeben 296 . Jürgen Wittenstein 297 wurde ebenfalls aktiv und sprach mit einem ehemaligen Studienfreund von Hans über die Ausweitung der Aktionen 298 . Im Novem288

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Das belegen einige Tagebucheinträge Willi Grafs und ein Hinweis Hans Scholls in einem Brief an Otl Aicher vom 6.12.1942, daß „gegenwärtig dringendere Aufgaben vor der Türe stünden"; Jens (Hg.), Scholl 110. Vgl. ihren Bericht in Scholl, Weiße Rose 139-146. Falk Harnack (1913-1991), Drehbuchautor und Regisseur, 1941 zur Wehrmacht eingezogen, 1943 desertiert, nach Kriegsende wieder in seinem Beruf tätig; Steinbach/Tuchel (Hg.), Lexikon des Widerstandes 80 (Lit.). Arvid Harnack (1901-1942); Steinbach/Tuchel (Hg.), Lexikon des Widerstandes 78f. (Lit.). Zu diesem Freundes- und Widerstandskreis v.a. in Berlin Hans Coppi u.a. (Hg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus (Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand A 1), Berlin 1994. Dietrich Bonhoeffer (1906-1945); Steinbach/Tuchel (Hg.), Lexikon des Widerstandes 30 (Lit.). Die oppositionelle Bewegung der evangelischen Kirche wehrte sich gegen die „deutschen Christen" und widersetzte sich der NS-Kirchenpolitik; van Roon, Widerstand 79-100; Scholder, Kirchen I und II. Vgl. Harnacks Bericht von 1947 in Scholl, Weiße Rose 147-163. Vgl. Hochmuth/Jacob, Weiße Rose Hamburg. Akten in Berlin BA NJ 5053. Jürgen Wittenstein (* 1919), eng befreundet mit Probst und Schmorell, wußte von den Aktionen und redigierte zwei Flugblätter. Später Professor für Chirurgie an der Universität von Kalifornien in Los Angelos; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf passim (Reg.); Steffahn, Weiße Rose passim (Reg.). Vgl. den Brief von Helmut Harten an Inge Scholl 26.2.1946. Harten lernte Hans bereits 1939 kennen. Zwischen diesen beiden und Peter Kiehl entwickelte sich eine enge Freundschaft, hauptsächlich lasen sie gemeinsam „moderne Franzosen". Sie hatten damals schon „eindeutige politische Ansichten". Mit Harten war Hans viel bei Prof. Borchers, in dessen Tochter Ute er sich verliebte. Harten ging nach Berlin, später nach Freiburg, wo ihn Wittenstein aufsuchte. München IfZ Fa 215/2 pag 161-164. Donohoe, Hitler's Conservative Opponents 184 schreibt unter Berufung auf Wittenstein, daß sich in Berlin eine eigene Gruppe gebildet habe.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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ber/Dezember besuchten Scholl und Schmorell Eugen Grimminger in Stuttgart und erbaten finanzielle Unterstützung 299 . Noch im gleichen Monat erklärte sich Hans Hirzel bereit, weitere Flugblätter in Stuttgart zu verteilen300 und Willi Graf versuchte, bei seinen Freunden aus der katholischen Jugendbewegung den Kreis der Aktivisten und Sympathisanten auszuweiten. Bei vielen stieß er auf Skepsis und Zurückhaltung 301 , bei anderen war er erfolgreicher, wie etwa bei den Brüdern Heinz und Willi Bollinger302. Dieses Vorgehen war, wie aus den Tagebuchnotizen Willi Grafs von Anfang Dezember hervorgeht, im Kreis der „Weißen Rose" diskutiert und abgesprochen worden. „Bei Hans sitzen wir spät und lange zusammen, denn Christi wird jetzt wegfahren. Gespräche über den Aufbau, manche Gedanken sind mir neu"303. Hans Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf und Christoph Probst diskutierten vor der Versetzung Probsts nach Innsbruck somit eine Ausweitung der Widerstandstätigkeit. Es sollten an möglichst vielen Universitäten korrespondierende Gruppen gebildet werden. Solche „Zellen des Widerstandes" an allen wichtigen Hochschulen hätten den Vorteil gehabt, ein breites akademisches Publikum über die Realität, das heißt die Lügen Hitlers und den verlorenen Krieg, aufklären zu können. Es paßt ins Bild, daß Hans Scholl über einen Kommilitonen Kontakt zu Gerhard Ritter304 in Frei19

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Eugen Grimminger (1892-1986) unterhielt kollegiale Kontakte zu Robert Scholl, den er während der viermonatigen Haftstrafe im Büro ohne Zögern vertrat. Zu Grimminger und seinen Kontakten zur „Weißen Rose" Michael Kißener, Geld aus Stuttgart. Eugen Grimminger und die „Weiße Rose", in: Lill (Hg.), Hochverrat? 121-134. Vgl. auch die Anklageschrift zum 2. Prozeß, in der das Treffen auf den November datiert ist; Berlin BA NJ 1704/1 pag 14 und die Verhörprotokolle ebd. ZC 13267/7. Vgl. dazu die Aufzeichnungen von Hans Hirzel „Flugblätter der .Weißen Rose' in Ulm und Stuttgart", in: Lill (Hg.), Hochverrat? 89-119. Hirzel hielt in dei damaligen Situation publizistische Aktionen für einen einleuchtenden Weg. In dieser Einsicht lag ein Element der Selbstbeschränkung, weswegen er mit den Aktionen im Februar 1943, die ein anderes Konzept verfolgten und über die es keine internen Absprachen gab, nicht einverstanden war. Dazu auch Ders., Das große Mißverständnis. Warum die Mehrzahl der Deutschen sich Hitler unterordnete, in: Siefken (Hg.), Weiße Rose. Student Resistance 147-182. Wenn die Arbeit von Willi Graf hier lediglich in zwei Sätzen abgehandelt wird, hat das nichts mit der ihr zugemessenen Bedeutung, sondern vielmehr dem Kontext unserer Fragestellung zu tun. Wie aus den Tagebuchnotizen Dezember 1942/Januar 1943 hervorgeht, sondierte er während des Weihnachtsurlaubs 1942 in seiner Heimatstadt Saarbrücken: „Wir ... tasten uns ab" (30.12.1942). Auf einer zweiten Reise zwischen dem 21. und 25.1.1943 suchte er, ausgestattet mit einem Vervielfältigungsgerät und dem 5. Flugblatt, in Köln, Bonn, Saarbrücken, Freiburg und Ulm aktive Helfer. Das Tagebuch verzeichnet seine Erfolge, aber auch seine Enttäuschungen: „Rasch sind wir uns einig" (22.12.1942), „Es ist hier doch schwieriger" (21.1.1943), ein langes Gespräch, „das aber zu keinem Ergebnis führt" (22.1.1943); KnoopGraf/Jens (Hg.), Graf. Heinz Bollinger (1916-1990), Assistent für Philosophie an der Universität Freiburg und sein Bruder Willi (1919-1975), Sanitätsobergefreiter in einem Saarbrücker Reservelazarett, stimmten mit Graf sowohl in Zielsetzung als in Methode des Widerstands überein und waren zur Übernahme bestimmter Aufgaben bereit. Willi Bollinger fälschte Urlaubs- und Militärfahrscheine für die Gruppe. Beide wurden verhaftet; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 302f. Tagebucheintrag vom 2.12.1942; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 84. Gerhard Ritter (1888-1967), Professor für neuere Geschichte an der Universität Freiburg 1925-1956; Nachlaß in Koblenz BA. Zum „Ritter-Plan" Jaeger, 50 Jahre 189.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

bürg aufnehmen wollte. Hans sah die Universitätsjugend als mögliches „revolutionäres Potential" an305. Er wollte vor allem junge Akademiker mobilisieren, denn für ihn hatte nicht so sehr die Masse des Volkes als die Intelligenz versagt. Er - und auch die anderen Mitglieder der „Weißen Rose" - war der Meinung, daß es höchste Zeit sei, diesen Teil des Bürgertums an seine staatspolitischen Pflichten zu erinnern, denn sie seien die Elite eines Volkes, die das Volk auch führen sollte306. Hier entsprachen seine Vorstellungen völlig der Auffassung Muths, für den der Aufstieg des Nationalsozialismus mit der Krise des Liberalismus und der Abwendung des Bürgertums vom Glauben zusammenhing 307 . Und er hatte aufmerksam einem akademischen Lehrer zugehört, der im Sommersemester 1942 eine Vorlesung „Leibniz und seine Zeit" gehalten hatte, die am Beispiel von Leibniz die grundsätzlich notwendige staatspolitische Verantwortung der akademischen Intelligenz veranschaulichte 308 .

b) Die Beziehung zu Professor Huber Von den weiteren Kontakten 309 , die alle Mitglieder (auch die Frauen) zu knüpfen suchten, die aber für unsere Fragestellung weniger interessant sind310, muß ohne Frage die Einweihung von Professor Kurt Huber eingehender untersucht werden. Anfang Juni hatten die Geschwister Scholl und andere Mitglieder der „Weißen Rose" Huber auch privat kennengelernt. Er wurde, so suggerieren gleichlautende Anmerkungen im Kommentarteil der Editionen der Briefe und Aufzeichnungen von Scholl und Graf, „zum ältesten Freund und Mentor des Kreises, dem er - vor allem durch seine empha305

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Was auch sehr stark Hans Hirzel betont. Dazu bemerkte er, daß die Selbständigkeit der verschiedenen Gruppen in Saarbrücken, Ulm und Hamburg durch die Betonung der Urteile des Volksgerichtshofes zu sehr in den Hintergrund getreten sei; vgl. die Aufzeichnungen von Hans Hirzel in: Lill (Hg.), Hochverrat? 103. Auch Inge Aicher-Scholl bemerkte im Zusammenhang einer Würdigung Hildegard Hamm-Brüchers: „Der Widerstand der Weißen Rose war ja nicht nur eine politische Aktion, sondern vielleicht zuerst sogar der Versuch, Studenten, Universitätslehrer, Intellektuelle, den deutschen Geist wachzurütteln und seinen Untergang in einer Mitläuferherde aufzufangen"; in: Noack (Hg.), Freiheit 26f. Dazu die Vernehmungen Hans Scholls v.a. vom 20.2.1943; Berlin BA ZC 13267/2 pag 21 und die Anklageschrift ebd. NJ 1704/3. Der mit einem Geheimgutachten beauftragte Professor Härder klassifizierte den Verfasser der Flugblätter als „begabten Intellektuellen", der seine „Propaganda auf akademische Kreise, insbesondere die Studentenschaft" abstelle und der Universität nahestehe; ebd. Bd. 1. Carl Muth, Die Stunde des Bürgertums, in: Hochland 28 (1930/31) I, 1-14. Dazu Inge Köck/Clara Huber (Hg.), Kurt Huber, Leibniz. Der Philosoph der universalen Harmonie, München/Zürich 21989. Eine Übersicht in der Zeittafel bei Lill (Hg.), Hochverrat? 185-187. Eine vollständige Aufklärung, wer als potentieller Mitarbeiter möglich und wer gefragt wurde, wird wohl in Dunkel der Geschichte bleiben; vgl. allein die vielen Hinweise bei Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf. Erwähnenswert ein beabsichtigtes Treffen mit Alfred Delp (1907-1945); dazu Roman Bleistein, Alfred Delp. Geschichte eines Zeugen, Frankfurt/Main 1989, 278f. Hans Hirzel ^ab bei seinen Vernehmungen an, Hans Scholl hätte auch Werner Bergengruen gewinnen wollen; Berlin BA ZC 14116/1, Vernehmung Hans Hirzel vom 27.2.1943.

II. Geistes- und Ideengeschichte

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tische Kompromißlosigkeit bei Diskussionen um Glanz und Elend der deutschen Nation - Denkanstöße gab" 311 . In die Flugblattaktionen eingeweiht wurde er - nicht einmal darüber besteht jedoch Übereinstimmung - entweder noch im Dezember 1942 oder erst im Januar 1943. Am 9. Dezember soll Hans Scholl Huber über die Pläne und Aktivitäten der „Weißen Rose" informiert haben, am 17. Dezember soll sich dieser bereit erklärt haben, bei der Abfassung weiterer Flugblätter mitzuwirken 312 . Bei seiner Vernehmung durch die Gestapo erklärte Huber, erst im Januar eingeweiht worden zu sein313. Huber machte jedenfalls Vorschläge zur Umarbeitung des 5. Flugblattes und verfaßte das 6. Flugblatt. Kurt Huber geriet durch diese Mittäterschaft in den Strudel der GestapoAktionen gegen die „Weiße Rose". Zweifellos nahm er seit Juni 1942 als engagiertes Diskussionsmitglied an den Gesprächsabenden teil, als „Mentor" oder gar „geistigen Führer" des Widerstandskreises kann man ihn indes nicht bezeichnen. Dagegen sprechen vor allem folgende Gründe: 1. Huber war nicht der „erste Ältere" 314 , der detaillierten Einblick in die Aktionen der „Weißen Rose" erhielt. Vor ihm wurden Grimminger in Stuttgart und der Münchner Buchhändler Josef Söhngen315, der von Anfang an bei den geselligen Abenden eingeladen war, informiert. Dazu kamen Harald Dohrn 316 , der Schwiegervater von Christoph Probst, der „Philo-

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Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 295 und Jens (Hg.), Scholl 273. Auch ältere Darstellungen bezeichnen zumeist Huber als geistigen Mittelpunkt; vgl. etwa Mund, Geschwister 101. Erst jüngst auch wieder Mehringer, Widerstand 183, der Huber als geistigen Mentor bezeichnet. So die Zeittafel bei Lill (Hg.), Hochverrat? 186, basierend auf einer Tagebuchnotiz Grafs vom 17.12.1942: „Dann bei Scholls. Sehr interessantes Gespräch mit Huber"; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 88. Berlin BA NJ 1704/7, Auszug aus der Vernehmung Alexander Schmorells vom 25.2.1943 in: Vernehmung Kurt Hubers durch die Gestapo München vom 26.2.1943. Für den Januar-Termin entscheiden sich Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 31. Vermutlich ist der Januartermin mit dem Dezembertermin identisch. Huber wollte sich vielleicht durch die Nennung des späteren Termins schützen; Wie Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 31 postulieren. Eine solche Aussage bzw. Interpretation deckt sich mit den Ermittlungen der Gestapo bzw. den Urteilsbegründungen. Dort hieß es nämlich häufig, daß Scholl und Schmorell nur junge Leute „beigezogen und eingeweiht" hätten, „vielleicht deshalb, weil sie sich von ihnen mehr Aktivität versprachen oder fürchteten, daß ältere Leute ihnen die Führung entwinden könnten." So konnte die Gestapo versuchen, die „Weiße Rose" als Studentenrevolte abzutun. An diesem Beispiel läßt sich wieder einmal zeigen, wie sehr die „verzerrte" Sicht der Gestapo spätere Interpretationen beeinflußte; das Zitat in der Urteilsbegründung zum 3. Prozeß in Berlin BA NJ 534. Josef Söhngen (1894-1970), Buchhändler in München, lernte Hans Scholl 1940/41 in seiner Buchhandlung kennen, den er als „jungen Mensch von seltenen Qualitäten" charakterisierte, der insbesondere „um religiöse Probleme" gerungen habe. Söhngen war von Scholl im Dezember 1942 eingeweiht worden und versprach, ein Treffen mit dem italienischen Antifaschisten Giovanni Stepanow zu arrangieren, das aber nicht zustande kam. Er verwahrte teilweise auch die Flugblätter und Druckmaschinen und wurde zu sechs Monaten verurteilt; vgl. seinen Bericht in Scholl, Weiße Rose 123-130; Urteil und Akten in Berlin BA NJ 534. Harald Dohrn (1885-1945), regimekritisch eingestellter Privatgelehrter, konvertierte Anfang der dreißiger Jahre zum Katholizismus. Dohrn wurde am 2.4.1943 festgenommen und im 3. „Weiße Rose"-Prozeß aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Noch kurz vor Kriegsende

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Z w e i t e r Teil: WIDERSTAND

soph" 317 alias Furtmeier und der Architekt Eickemeyer - alles Mitglieder des Freundeskreises, die zwar nicht ausdrücklich aufgeklärt waren, aber unbewußt ahnten, woher der Wind wehte. Ebenso verhält es sich mit Carl Muth 318 und Theodor Haecker, sowie mit von Martin und Radecki, Ellermann und Bergengruen. Auch dem im Januar nach München kommenden Wilhelm Geyer, der vorübergehend das Atelier Eickemeyer bewohnte, wurde sehr schnell klar, daß zumindest die Parolen an der Universität von den Studenten um Scholl stammen mußten 319 . 2. Huber verfaßte zwar das 6. Flugblatt, es kam aber wegen einer Passage der Aufforderung an die Studenten, sich weiterhin „unserer herrlichen Wehrmacht" 320 zu unterstellen - zum Konflikt. Schon als Graf, Scholl und Schmorell ihm den Entwurf zum 5. Flugblatt vorgelegt hatten, lehnte der Professor Schmorells Entwurf als zu „kommunistisch" ab und favorisierte Scholls Modell. Hubers vergeblicher Protest gegen den neuen Titel markiert die Grenze seines Einflusses. Die Studenten nahmen zwar von dem an Bildung und Wissen überlegenen Älteren manchen Hinweis an, behielten sich aber die Endredaktion und damit die letzte Entscheidung über den Inhalt der Flugblätter vor. Im Zweifelsfall hatten sowieso nur die Jungen Zugriff auf den Vervielfältigungsapparat. 3. Hubers Kontakt zur „Weißen Rose" blieb eingeschränkt und punktuell; nur gelegentlich besuchten ihn die Studenten in seiner Wohnung in München-Gräfelfing 321 .

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wurde er wegen seiner Mitwirkung bei der „Freiheitsaktion Bayern" von den Nationalsozialisten im Perlacher Forst erschossen; Berlin BA NJ 534, Urteil des 3. Prozesses vom 13.7.1943.Beweiskette bei Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 299f. So wurde der pensionierte Justizbeamte im Freundeskreis genannt. Vgl. den Brief von Sophie Scholl an Lisa Remppis 30.5.1942; Jens (Hg.), Scholl 208. Inge Scholl, glaubt man ihren Erinnerungen, sprach mit Carl Muth im Juli 1942 über die Flugblätter und über ihre „tödliche Sorge" um den Bruder, der mit diesen in Verbindung gebracht wurde. Muth erzählte ihr daraufhin von Antigone, „die in ihrer erschütternden Geschwisterliche und in leidenschaftlichem Gehorsam gegen die erhabenen Gesetze das Wort fand: ,Zu hassen nicht, zu lieben bin ich da'." München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 24 und 46f. Geyer, Folgen der Studentenrevolte 194-196. Unmittelbar nach seinem Einzug in das Atelier Eickemeyer wußte Geyer nach dem Bericht seiner Frau „wirklich von nichts". Am 3. Februar ahnte er etwas, als ihm Hans auf seine Frage, was nachts losgewesen sei, antwortete, daß sie in die Klinik gemußt hätten. „Wilhelm glaubte ihm nicht, fragte aber nicht weiter". Nachdem Sophie dann aber äußerte, „dies war eine schöne Nacht gestern", „wußte Wilhelm gewiß", daß er die „Weiße Rose" vor sich hatte. Dazu die gleichlautende Gesprächsnotiz Auerbachs vom 10.7.1964 mit Geyer; München IfZ Fa 215/2 pag 153f. Der für Huber entscheidende Passus findet sich in dem Verhörprotokoll vom 1.3.1943; Berlin BA NJ 1704/7. Abgedruckt bei Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 109 Anm. 109. Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 32. Während die anderen im Hintergrund blieben, kam es zwischen Hans und Huber zu politischen Diskussionen, in denen die Gemeinsamkeiten aber auch die unterschiedlichen Positionen deutlich wurden. Das kommt zumindest in den Vernehmungsprotokollen Hubers deutlich zum Ausdruck. Richtig beurteilen Hubers Rolle Steffahn, Weiße Rose 53; auch Petry, Studenten 47 schreibt, daß Huber keinerlei Anteil am Entschluß der Studenten hatte, den Weg in den Widerstand zu gehen.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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4. Einen ganz anderen Tiefgang hatte der Kontakt zu Carl Muth und Theodor Haecker, der zum einen seit langer Zeit existierte und zum anderen für das Gros der Gruppe in einer persönlichen intimen Freundschaft bestand. Zudem steht zu bezweifeln, daß Huber an den für die intellektuelle Entwicklung der „Weißen Rose" zentralen Lesungen Muths und Haeckers bzw. von Literaten aus dem „Hochland"-Umfeld teilnahm 322 . In seinen Verhören hob Huber immer wieder hervor, Muth und Haecker persönlich nicht zu kennen und „von jeher auch ein Gegner des ,Hochland'" gewesen zu sein. „Scholl hat mir wohl gelegentlich einmal erklärt, daß er Muth persönlich kenne, ich lehnte ihn jedoch ab". Huber verneinte in seinen Verhören mehrmals die Frage nach kirchlichen oder geistlichen Einflüssen. Noch deutlicher: Er habe Scholl ausdrücklich zur Bedingung gemacht, daß Angehörige des Klerus von den Besprechungen ausgeschlossen bleiben müßten 323 . Ohne die begrenzte Aussagekraft der Verhörprotokolle außer Acht zu lassen und ohne Huber böse Absicht oder Unvorsichtigkeit zu unterstellen, zwischen Solln und Gräfeling bestanden auf jeden Fall ideologische Differenzen324 - die auch Hans Scholl und seinen Freunden nicht verborgen geblieben sein können. Wie kamen dann die Medizinstudenten darauf, Huber in ihre Aktionen einzubeziehen? Die Antwort liegt auf der Hand: Huber war Professer an der Ludovico-Maximiliana, eine persona publica in der Institution, der sie ein großes „revolutionäres Potential" zusprachen. Hubers Vorlesungen galten als Ort kritischen Denkens in der nationalsozialistischen Einheitsuniversität, seine oft mit sarkastischen Bemerkungen über zensierte oder verbotene Bücher gespickten Philosophievorlesungen schlugen Hörer aller Fakultäten in den Bann 325 - die ideale Ausgangsposition, wenn man an eine Ausweitung

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Gegen Vieregg, Wächst Gras darüber? 207. Berlin BA NJ 1704/7, Vernehmungsprotokoll Kurt Huber v.a. vom 1.3.1943. Was sich bereits in Hubers politischer Überzeugung spiegelt: In der Weimarer Republik war er einige Zeit Mitglied der Bayerischen Volkspartei, einer katholisch-konservativen Partei, die besonders die Selbständigkeit Bayerns gegenüber dem Reich betonte, ein Ableger der Zentrumspartei. Muth und Haecker vertraten dagegen die These von einem religiösen Katholizismus und standen dem politischen Katholizismus des Zentrum ablehnend gegenüber. Dafür spricht auch eine Aussage Hubers, die sich in der Anklageschrift zum 2. Prozeß findet, daß Huber zwei Berufungen auf katholische Lehrstühle abgeschlagen habe; Berlin BA NJ 1704/1, pag 6. Im Vernehmungsprotokoll vom 1.3.1943 finden sich ähnliche Aussagen, etwa, daß er in klerikalen Kreisen immer als Außenseiter galt; ebd. Bd. 7. Vollends deutlich wird dies in einer Passage aus Hubers „Politischem Bekenntnis" vom 8.3.1943 ebd.: „Scholl war zwar für meine Anregungen sehr empfänglich und hat sie auch in meiner Gegenwart durchaus geteilt. Aber es steht für mich außer Zweifel, daß er damit Anregungen ganz anderer und der meinigen entgegengesetzter Herkunft, und zwar sowohl kommunistischer wie konfessionll reaktionärer Herkunft zu einem subjektiv unklaren Bild verschmolz". Huber, so treffend Vieregg, Wächst Gras darüber? 213 hatte „als Universitätslehrer unter regimekritischen Studenten einen hervorragenden Ruf." Vgl. auch Äußerungen von Studenten nach dem Krieg, etwa wie von Mirok Li: „Welche Wohltat bedeuteten die Stunden, die er uns schenkte" in einer Zeit, in der es „keine freie Meinung und in den Hochschulen keine freie Wissenschaft" mehr gab; Die Weiße Rose 25.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

der Widerstandsaktivitäten dachte. Auf Hubers Vorlesung über den Philosophen Leibniz wurde bereits verwiesen. Bei einem Vortrag im November 1942326 kontrastierte er dessen absolutistischen Staatsbegriff mit der nationalsozialistischen Realität. Der kirchenfeindlichen Herrschaft im Dritten Reich stellte Huber eine Staatsordnung entgegen, die die religiöse Freiheit des Einzelnen garantiere. Er erklärte, nicht nur durch Massenrituale könne eine Identität von Herrschern und Beherrschern - wie es der Leibnizsche Staatsbegriff voraussetze - erreicht werden. Huber betonte auch die Notwendigkeit der Bindung des Regenten an Gemeinwohl und Gesetz gegenüber dem schrankenlosen Führerprinzip des Nationalsozialismus. Dabei entwarf er ein diesem genau entgegengesetztes Prinzip der Treuegefolgschaft, das sich nicht auf Gewalt, sondern auf die freie Wahl souveräner Individuen gründe - und das alles in dermaßen abstrakte Theoreme verpackt, daß zwar jeder wußte, daß das, was da gesagt worden war, bereits „Hochverrat" war, aber keiner gegen ihn vorgehen konnte. Huber einzuweihen, lag vom Inhalt seiner Vorlesungen her nahe, in denen er aus seiner Ablehnung des nationalsozialistischen Regimes keinen Hehl machte. Als Professor konnte er sich aktiv einschalten und für die nötige Breitenwirkung sorgen, er konnte agieren und nicht nur reagieren. Muth und Haecker kamen dafür nicht infrage. Sie bewegten sich nicht im Raum der Universität, vielmehr waren sie nur noch von einem begrenzten Kreis umgeben, der bereits widerständig war. Es wäre deshalb falsch, Huber als „Mentor" zu bezeichnen. Die Mentoren blieben Muth und Haecker, Huber aber war ein Mitglied der „Weißen Rose" mit besonderen Wirkungsmöglichkeiten.

c) Abende im Atelier Obwohl die Zeit nach dem Rußlandaufenthalt, erst recht der Januar/Februar 1943 außerordentlich anstrengend gewesen sein muß327, hielten die Studenten an ihren vertrauten Gewohnheiten fest. Im Tagebuch Willi Grafs finden sich unzählige Hinweise zu Konzertbesuchen. Beinahe wöchentlich berichtete er von Bach, Beethoven, Haydn, Händel, Mozart und Schubert; von dem sehr großen Eindruck, den vor allem die Arie „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt", auf ihn machte; über eine „unvergleichliche Geigerin" oder das „ungeheuer Rhythmische" der Musik Bartoks, die einen nicht ruhig bleiben ließe328. Aller 326

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München SA NL Huber, Ms „Leibniz, der Deutsche und Europäer mit handschriftlichen Streichungen; gedruckt in: Huber (Hg.), Tod 98-116. Flugblatt 5 und 6 wurden gedruckt und verteilt, nachts die Parolen an die Universität gemalt. In den Briefen und Aufzeichnungen gibt es Hinweise auf die ungeheure Belastung, der die Gruppe ausgesetzt war. „Seltsam müde bin ich an manchen Stunden" lautet ein Tagebucheintrag Willi Grafs vom 14.1.1943; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 99. Hans und Sophie Scholl erzählten dem Maler Geyer, „daß sie sich beobachtet fühlten"; München StA Staatsanwaltschaften 12530, Protokoll der Vernehmung Geyers durch die Gestapo München 5.4.1943. Vgl. etwa die Einträge vom 3.12., 6.12., 16.12., 20.12.1942 und vom 8.1., 17.1., 29.1., 31.1.1943 in: Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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Wahrscheinlichkeit nach besuchten die Freunde die Konzerte zusammen329. Gleiches gilt für ihre „Gespräche über Bücher und Menschen"330. Neben Studium und Widerstandsarbeit müssen die Freunde immer noch Zeit zu ausgedehnter Lektüre gefunden haben: gelesen wurden immer wieder katholische Autoren wie Reinhold Schneider, Joseph Pieper und ganz besonders Romano Guardini, aber auch die Russen Nikolai Gogol und natürlich Dostojewsky, Ernst Jünger sowie der „Don Quichotte" von Michael Brink331 und nicht zu vergessen Adalbert Stifter, den zumindest Graf in der kommenden Zeit genauer kennenlernen wollte332. Ab Mitte Januar kam Wilhelm Geyer 333 als neuer Gast ins Atelier. Der seit langem mit der Familie Scholl bekannte Künstler aus Ulm 334 hatte den Autrag, die Kirchenfenster von Margrethausen auszuführen und arbeitete zu diesem Zweck in einer Münchner Glasmalerei. Hans Scholl hatte ihm ein Zimmer besorgt, und zwar das Atelier Eickemeyer335. Sophie Scholl notierte einen Tag nach dem Einzug Geyers in einem Brief an ihre Schwester Inge: „Wahrscheinlich werden wir manchen Abend mit ihm verbringen. Seine Anwesenheit wirkt sehr beruhigend, er strahlt direkt eine Atmosphäre des Vertrauens aus." 336 Da das Atelier ganz in der Nähe der Wohnung der Ge329

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Dafür sprechen zwar nicht direkt die Eintragungen Willi Grafs, die meist lauten: Am Abend das und das, selten schreibt er „Ich". Ein aktueller Hinweis in einem Brief von Hans Scholl an Otl Aicher 6.12.1942: „P.S. Heute vormittag haben wir den ,Messias' von Händel gehört"; Jens (Hg.), Scholl 110. Auch Clara Geyer berichtet davon, daß die Freunde zusammen in Konzerte gingen; Geyer, Folgen der Studentenrevolte 195. Tagebucheintrag vom 29.11.1942 und vom 4.12. mit dem Zusatz „... und den Menschen, deren Leben dahinter steht"; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 83 und 84. Brink war Jugendführer beim Bund „Neu-Deutschland" und seit 1937 als Schriftsteller tätig. Sein 1942 in Heidelberg erschienenes Buch „Don Quichotte. Bild und Wirklichkeit" wurde in oppositionellen Kreisen der jungen Generation viel gelesen und diskutiert. Willi Graf kannte Brink von einer Dichterlesung. Tagebucheintrag vom 4.12.1942; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 85. Zu dieser Auflistung ohne Anspruch auf Vollständigkeit vgl. ebd. Reg. Auch Hans Scholl schwärmte vom Bildungsroman „Der Nachsommer" von Stifter. Hans Scholl an die Familie 13.10.1942; Jens (Hg.), Scholl 107. Wilhelm Geyer (1900-1986), nach dem Abitur Teilnahme am I. Weltkrieg, Meisterschüler bei Christian Landenberger an der Stuttgarter Akademie, 1928 nach Ulm. Heirat mit Clara Seyfried, 6 Kinder. Gründete mit Gleichgesinnten die „Stuttgarter Neue Sezession"; ab 1931 religiöse graphische Zyklen, Kirchenfenster usw. Nach 1945 viele Ausstellungen und Aufträge, Gründungsmitglied der Ulmer Volkshochschule. Geyer gilt als bedeutender Künstler, seine Bilder, Graphiken und Glasfenster „sind nicht nur auftragsbedingte Lösungen, sie sind Glaubensaussagen eines tief religiösen Mannes" (Bernhard Hanssler); Zimmermann, Geyer (darin auch Katalog der Fenster und Wandgemälde). Zu Geyer auch Otl Aichers Lebensbild, in: Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit 43. Die Scholl-Geschwister hatten Geyer ca. seit 1938 mehrmals in seiner Ulmer Wohnung besucht. Zu Weihnachten 1941 kauften sie bei ihm für die Eltern ein Bild, bei dieser Gelegenheit lernte Geyer diese kennen; dazu die Gespräche mit dem Ehepaar Hartnagel. Hans Scholl hatte Geyer Weihnachten 1942 besucht, vielleicht auch, um diesen für ihre Aktionen zu gewinnen. Bei dieser Gelegenheit muß Geyer Scholl von seinem Münchner Auftrag erzählt haben. Letzterer wird ihm dann wohl angeboten haben, ihm eine Unterkunft zu besorgen; vgl. auch die Urteilsbegründung in Berlin BA NJ 534. Der Brief datiert vom 12.1.1943; Jens (Hg.), Scholl 231.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

schwister Scholl lag, nahmen sie fast alle Mahlzeiten gemeinsam ein. Nach alter Gewohnheit trafen sich die Freunde bei Kaffee und Tee. Neben seiner Arbeit an den Kirchenfenstern hatte Hans Scholl Geyer den Auftrag besorgt, Carl Muth zu porträtieren; Geyer stellte seine Bilder auch im Atelier aus. Gleich am ersten Abend, dem 11. Januar, kam es zu einem „Abend im Atelier", bei dem, wie Geyer seiner Frau berichtete, viel diskutiert wurde über Kirche und Staat, Kunst und Musik 337 . Bei dieser Gelegenheit muß Harald Dohrn „in weitschweifiger Weise" aus seinem Leben und Wirken in Hellerau erzählt haben. Er kam dann, glaubt man der auf einer Aussage des an diesem Abend anwesenden Eickemeyer basierenden Urteilsbegründung, auch auf die katholische Kirche zu sprechen, „deren Belange er fanatisch vertrat". Den nationalsozialistischen Staat, und hier wird es mit der Glaubwürdigkeit der vor der Gestapo gemachten Aussage schwierig, griff Dohrn dabei nicht direkt an, sondern hob nur die Kirche hervor 338 . Eine Aussage Dohrns deckt sich jedoch mit der fast aller anderen Befragten: in religiöser Hinsicht habe Hans die anderen stark beeinflußt, er und seine Schwester so gab etwa Gisela Schertling zu Protokoll - seien „äußerst klerikal eingestellt" 339 gewesen; etwas positiver formulierte es 1946 Susanne Hirzel, wenn sie bemerkt, Sophie sei immer mehr in die katholische Philosophie hineingeraten 340 . Graf notierte dazu in seinem Tagebuch lediglich, daß viel und lange geredet „und mancher guter Gedanke" geboren wurde 341 . Knapp zwei Wochen später, am Abend des 27. Januar 1943, kam es zu einem erneuten „offiziellen" Treffen der Freunde 342 . Offiziell, denn es war ein Mittwoch, also ein Tag, an dem Geyer in München und damit im Atelier war. Geyer fuhr nämlich jeweils über das Wochenende von Freitag abend bis Dienstag früh nach Ulm 343 . In dieser Zeit mußten also die „Untergrund"-Arbeiten erledigt werden, wollte die Gruppe nicht Gefahr laufen, von Geyer entdeckt zu werden bzw. gezwungen zu sein, ihn einzuweihen. Anwesend waren neben Geyer der in München lebende Bildhauer Karl Rieber344, die 117

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Vgl. den Bericht von Clara Geyer über die Münchner Zeit ihres Mannes; Geyer, Folgen der Studentenrevolte 191-216. Auch Wilhelm Geyers Bericht in Scholl, Weiße Rose 167f. Berlin BA NJ 534, Urteil des 3. „Weiße Rose"-Prozesses vom 13.7.1943. Dohrn sei von Scholl zu diesem Treffen eingeladen worden, weil letzterer von einer in Hellerau stattgefundenen Aufführung der „Verkündung" von Paul Claudel Näheres wissen wollte. Darüber sei dann aber nicht gesprochen worden. Berlin BA ZC 13267/15, Vernehmung Gisela Schertling; ebd. NJ 534, Urteil vom 13.7.1943; ebd. NJ 1704/8, Vernehmung Graf usw. Vgl. den sehr ausführlichen und aufschlußreichen Brief von Susanne Hirzel an Ricarda Huch 14.8.1946; München IfZ ZS A 26/4 pag 33-41; Hirzel, Vom Ja zum Nein. Tagebucheintrag vom 11.1.1943; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 96. Graf notierte auch, daß von nun an „der Maler Geyer für einige Tage hier in München" ist. Es ist anzunehmen, daß es davor, dazwischen und danach zu weiteren „Abenden im Atelier" gekommen ist, über die allerdings nichts überliefert ist. Geyer sprach in seinen Verhören von drei Zusammenkünften. Geyer, Folgen der Studentenrevolte 194. Karl Rieber (1888-1957). Nach Steinmetzlehre und Akademie in München schuf er vorwiegend Werke für den süddeutschen Raum; Ihme 2, 713.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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Geschwister Scholl, Gisela Schertling, Willi Graf, Harald Dohrn und sein Schwiegersohn Christoph Probst, der vor kurzem nach München zurückgekommen war, obwohl seine Frau ihr drittes Kind erwartete. In dieser Konstellation muß es zu einer Auseinandersetzung über das Schweigen der Kirche gekommen sein345. Hans Scholl kam auf die Härte und Grausamkeit des Krieges zu sprechen und erinnerte an die Judenverfolgung. In diesem Zusammenhang erwähnte er, „daß es vom Standpunkt der christlichen Nächstenliebe ein Gebot der Stunde sei, hier etwas zu unternehmen", und fragte Dohrn, der an den vergangenen Abenden die Rolle der katholischen Kirche stark akzentuiert hatte, ob die Kirche nicht gegen diese Zustände auftreten, das heißt, zum Widerstand aufrufen müsse. Dohrn entgegnete, das sei nicht Sache der Kirche, sondern Gewissenssache jedes Einzelnen. Geyer schloß sich prinzipiell dieser Meinung an, fügte aber hinzu, daß die Auffassung der Kirche den Einsatz nur im persönlichen Glaubensbekenntnis verlange. Dem pflichtete Willi Graf bei. Für ihn war dieses Thema „wesentlich", wie er in seinem Tagebuch vermerkte 346 . Am Donnerstag in der darauffolgenden Woche, am 4. Februar um 16.00 Uhr, kam Theodor Haecker ins Atelier, um aus dem ersten Teil von „Schöpfer und Schöpfung" zu lesen347. Zufällig war auch Elisabeth Scholl, die für einige Tage ihre Geschwister besuchte 348 , unter den Gästen. Auch Wilhelm Geyer hatte einige Freunde 349 eingeladen, um die seltene Gelegenheit am Schopf zu packen, Haecker zu hören. Natürlich war der ganze Freundeskreis der „Weißen Rose" versammelt; insgesamt dürften etwa 25 Freunde und Bekannte anwesend gewesen sein350. „Seine Worte fallen langsam wie Tropfen, die man schon vorher sich ansammeln sieht, und die in diese Erwartung hinein mit ganz besonderem Gewicht fallen. Er hat ein sehr stilles Gesicht, einen Blick, als sähe er nach innen. Es hat mich noch niemand so mit seinem Antlitz überzeugt wie er", schrieb Sophie Scholl über Haeckers Lesung an Fritz Hartnagel 351 . Aus der späteren Darstellung ihrer Schwester Elisabeth geht 345

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Vgl. Vernehmungsprotokoll Dohrn vom 2.4.1943 und Geyer vom 10.4.1943 in München StA sowie die Urteilsbegründung des 3. Prozesses in Berlin BA NJ 534; auch Geyer, Folgen der Studentenrevolte 194. „Am Abend sind wir im Atelier bei gutem Kaffee und reden lange und manchmal sehr wesentlich." Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 102, Tagebucheintrag vom 27.1.1943. Zur Lesung Haeckers die „Erinnerungen an München" Inge Scholls in München IfZ ZS A 26/7, 64; Geyer, Folgen der Studentenrevolte 196. Vgl. dazu ihren Bericht bei Scholl, Weiße Rose 164-166. Z.B. den erwähnten Karl Rieber und den durchreisenden Gerhard Feuerle (1918-1945). Auch Josef Rieck (1911-1970), ein enger Freund von Geyer, der 1938 in Aulendorf eine Buchhandlung gegründet hatte und sich nach Kriegsende mit allen Kräften für einen kulturellen Neubeginn einsetzte - Stichwort „Gesellschaft Oberschwaben"; dazu Schütz, Volkszelle 181-206. Rieck erkannte bei dieser Gelegenheit die Geschwister Scholl als Drahtzieher der „Weißen Rose", geriet als Teilnehmer der Haecker-Lesung in den Sog der Ermittlungen, wurde verhört, konnte aber glaubwürdig leugnen; ebd. 184f. Mit Sicherheit 3 Scholls, 2 Grafs, Furtwängler, Hammerstein, Schertling, Dohrn, Söhngen, Geyer und 3 Freunde = 14, eventuell Lafrenz, Wittenstein, Schüddekopf, Harten, Furtmeier, weitere Freunde Grafs. Am 7.2.1943; Jens (Hg.), Scholl 234f.

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hervor, daß bei solchen Zusammenkünften nicht über die Aktionen gesprochen wurde, lediglich „allgemeine Kritik am Regime" geübt wurde, die man unter Gleichgesinnten wagen konnte 352 . Dem widerspricht allerdings die Aussage Geyers, der an diesem Abend erkannt haben will, daß diese Studenten mit der „Weißen Rose" identisch sein mußten. Abends blieben noch einige Freunde und der Buchhändler Rieck länger. Geyer hatte Wein besorgt und man trank und redete. Dabei schlief Hans Scholl ein; Sophie aber war wach und soll lächelnd gesagt haben: „Dies war eine schöne Nacht gestern". Damit war für Geyer klar, wer in der vergangenen Nacht die Hauswände bemalt hatte 353 .

6. DAS ENDE: „SIE STARBEN ALS KATHOLIKEN" Sophie und Elisabeth Scholl kehrten am nächsten Tag zurück nach Ulm 354 , Willi Graf machte sich auf nach Pfronten, um für den Widerstand der „Weißen Rose" zu werben 355 , Christoph Probst, Alexander Schmorell und Hans Scholl blieben in München. Derweil kamen Inge Scholl und Otl Aicher „auf einen Sprung nach München" 356 . Aicher war auf Erholungsurlaub von Rußland zurück, um eine Gelbsucht auszuheilen. Ein paar Tage bei Muth in München sollten den Genesungsurlaub perfekt machen 357 . Auf dem Weg vom Lazarett nach Ulm traf sich Aicher auf dem Bahnhof München kurz mit Hans Scholl, der ihm davon erzählte, wie es „in München gärte". Dabei kam es wohl mit einem Major auf dem Bahnsteig zu einer Auseinandersetzung, weil Otl sein „Käppi" nicht aufgesetzt hatte. Otl war „überrascht, wie wenig Hans sich beeindruckt zeigte. Es war ihm nicht mal einen Fluch wert" 358 . Nach einem Besuch bei den Eltern in Ulm machte Aicher zusammen mit Inge Scholl eine kleine Fahrt zu den Barockkirchen Oberschwabens, dabei natürlich auch einen Abstecher nach Aulendorf zur Buchhand352

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Vgl. dazu ihren Bericht bei Scholl, Weiße Rose 166. Darin erzählt sie auch von einem Spaziergang durch den Englischen Garten, als Sophie sagte, man müsse etwas tun, z.B. Maueranschriften machen. Elisabeth bot ihr ihren Bleistift an, worauf Sophie sagte, daß man so etwas mit Teerfarbe machen müsse. Geyer, Folgen der Studentenrevolte 196. Ihre Mutter war krank. Sophie war deswegen vom 5. bis zum 15.2. zuhause; Jens (Hg.), Scholl 234. Aufenthalt vom 5.2. bis 8.2.1943; Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 105 und Kommentar 321f. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 64-68. „Freudige Erregung kam auf ..."; Aicher, Innenseiten 140. Vorher hatte ihn Sophie im Lazarett in Bad Hall besucht, nachdem er es geschafft hatte, von der Front zu desertieren, wobei ihm seine Krankheit half, die Aicher schlimmer als tatsächlich hinzustellen wußte; über den Besuch Sophies und die Gespräche ebd. 129-140. Aicher, Innenseiten 146f. Otl Aicher hatte sein Käppi unter die Schulterklappe seines Mantels geschoben, den er auch noch halb offen trug - „nach Art des kommenden Frühlings". Hans führte darüber eine scharfe Auseinandersetzung mit dem Offizier.

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lung Rieck 359 , bevor sie am Samstag abend, dem 13. Februar 1943 in München eintrafen360. Den Abend verbrachten sie mit Muth 361 . Der Sonntag sah die beiden im Gespräch mit Theodor Haecker; sie diskutierten über die Zeit und die „Wurzeln ihres Elends". Haecker gab seinen Befürchtungen deutlichen Ausdruck; ihm bange „vor der furchtbaren Apostasie", die dieser Krieg zur Folge habe. Dem Einwand, daß es doch noch viele gebe, die „bewußt das Gute durchzutragen sich mühten", gab er freilich recht. „Das Leiden", soll Haecker gesagt haben, „werde wohl ein gewisses Gegengewicht bilden. Es gebe auch Märtyrer ... Aber heute seien die Juden erwählt, das Leiden zu tragen, das an sich uns Christen zustünde" 362 . Die Formulierung „uns Christen" aus der Feder Inge Scholls belegt eindeutig, wie weit der Konversionsprozeß zum Katholizismus schon fortgeschritten war. Spätabends nach diesem Gespräch versuchten Inge Scholl und Otl Aicher noch, Hans Scholl in seiner Wohnung zu erreichen; dort war er nicht - mittlerweile lief die Herstellung des 6. Flugblatts auf Hochtouren. Inge mußte zurück nach Ulm, während Otl noch weiter in München bleiben konnte 363 . Ähnlich ging es auch Geyer, der am Dienstagabend (16. Februar) wie gewöhnlich aus Ulm zurückkam, um den Schlüssel für das Atelier bei den Scholls abzuholen. Auf das Klingeln öffnete ihm niemand, bis er feststellte, daß die Tür offen war. Hinter der Tür im dunklen Flur standen Hans und Sophie, die nun erleichtert Licht gemacht haben sollen. Gemeinsam gingen sie in ihre Stammkneipe, Sophie später in ein Konzert, während sich Geyer weiter mit Hans unterhielt 364 . Am Mittwoch, dem 17. Februar, war Geyer in Aicher, Innenseiten 148-153. Falls Inge Scholl und Aicher Rieck persönlich in der Buchhandlung antrafen, könnte es zu einem Gespräch über den erst kurz zurückliegenden HaeckerAbend und die Münchner Aktionen gekommen sein. Datierung nach dem Bericht Inge Scholls. Es kann erst das Wochenende um den 13./14.2. gewesen sein, denn Sophie schrieb noch am 7.2. an Fritz Hartnagel, daß Aicher sie gerade modelliere; Jens (Hg.), Scholl 235. Der Ausflug erstreckte sich nur über den Samstag. Muth hatte am 20.1. auch Geburtstag gehabt, woran Hans Otl in seinem Brief vom 19.1.1943 erinnert hatte. In diesem Brief schrieb Hans auch, am kommenden Sonntag keine Zeit zu haben - Otl wollte ihn vielleicht schon vorher in München besuchen - „aus Gründen, die ich Dir lieber erzähle als schreibe". Diese Formulierung legt nahe, daß Scholl bei nächster Gelegenheit auch Aicher einweihen wollte; Jens (Hg.), Scholl 115. Auch Sophie hatte Otl viel von den Münchner Studienfreunden erzählt. München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 67. Vgl. auch Bad Mergentheim PAH, Inge Scholl an Willi Habermann 16.2.1943: „Zu Ende der Fahrt liefen wir dem guten alten Freund und Großvater Muth ins Haus und schliefen unter seinem Dach. Und als ich heimfahren mußte, besuchten wir Haecker, der uns in stiller Güte aufnahm, mitsamt unseren Fragen". Gleichzeitig wollten sie noch Sophie abholen, doch zur gleichen Zeit, als Inge weg mußte, kam Sophie erst an, so daß sie sich verfehlten. Damit ist das Datum der Rückkehr Sophies nach München vom 15. auf den späten Abend des 14.2. zu korrigieren; Jens (Hg.), Scholl 237. Aichers Urlaub war verlängert worden, so daß er die folgenden Ereignisse hautnah miterlebte. Geyer, Folgen der Studentenrevolte 197. Hans Scholl sagte bei diesem Gespräch, bei dem es darum ging, was man „danach" tun könne: „Wenn die Geschichte vorbei ist, mache ich eine freie Presse und Sie werden Präsident der Akademie". Clara Geyer erinnert sich auch an eine Bemerkung Sophies, als sie ihr Mann zeichnete: „Es fallen so viele für das Regime, es wird Zeit, daß jemand dagegen fällt". Auch wenn der Wahrheitsgehalt nicht erwiesen ist, scheint jedenfalls sicher, daß sich ein Stimmungsumschwung vollzogen hatte.

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Stuttgart, während Otl weiterhin bei Muth weilte. Abends erhielt Otl, wie es in den „Innenseiten" zu lesen ist, einen Telefonanruf - von wem, bleibt offen - und verabredete sich daraufhin für den nächsten Mittag mit Hans Scholl 365 . Er sollte das Stichwort „Machtstaat und Utopie" - der Titel eines Buches von Gerhard Ritter - übermitteln. Am späten Abend stand auch Inge Scholl bei Frau Geyer in Ulm vor der Tür mit der Bitte, daß der Maler mit dem ersten Zug nach Ulm fahren und diese Parole ihren Geschwistern schnellstens überbringen solle366. Inge Scholl wiederum wußte durch Hans Hirzel von dieser Parole; Hirzel hatte am selben Tag ein Verhör bei der Gestapo in Ulm 367 , die einen Brief Sophie Scholls mit der Ankündigung eines „Geschenks" abgefangen und daraufhin den Abiturienten sofort vorgeladen hatte. Das Geschenk bedeutete natürlich Geld für die Flugblattverteilung und einen Vervielfältigungsapparat. Hirzel konnte aber glaubhaft versichern, daß eben dieses Buch von Ritter gemeint sei - ein mit Sophie abgesprochenes Code-Wort 368 . Über die Frage, ob die Geschwister Scholl und andere Mitglieder der „Weißen Rose" gewarnt waren oder nicht, ob ihnen die Gestapo auf den Fersen war oder nicht, besteht in der Forschung keine Übereinstimmung 369 . Geyer jedenfalls nahm erst den zweiten Zug, nachdem er spät in der Nacht nach Ulm zurück gekehrt war370, und auf Otl Aicher wartete bereits die Gestapo, als er nach einem erfolglosen ersten Anlauf zum zweiten Mal versuchte, Hans zu erreichen. Er wurde sofort zum Verhör ins Witteisbacher Palais Aicher, Innenseiten 153. Geyer, Folgen der Studentenrevolte 197. Ausführliches Vernehmungsprotokoll in Berlin BA ZC 14116/1. Hirzel war bereits Ende Januar denunziert worden. Ebd. auch die weiteren Gestapo-Protokolle nach der Verhaftung der „Weißen Rose". Am Fall Hirzel läßt sich die Verhörtaktik der Gestapo durch bewußte Unterstellungen, Unwahrheiten, Anschuldigungen unter der Gürtellinie usw. nachzeichnen; Hirzel wurde etwa vorgeworfen, zu Inge und Sophie Scholl in einem sexuellen Abhängigkeitsverhältnis zu stehen. Vgl. die Aufzeichnungen von Hans Hirzel in: Lill (Hg.), Hochverrat? 109-112. Hirzel vermittelt in diesem Bericht den Eindruck, daß Inge und die Eltern Scholl nicht von Ernst und Dringlichkeit dieser Angelegenheit überzeugt gewesen seien. Er erhebt indirekt den Vorwurf, daß durch die zu allgemein gehaltene Warnung, die aus „Saumseligkeit" nicht mehr vor der Flugblattverteilung ausgerichtet wurde, das Schicksal erst seinen Lauf genommen hatte; seine „Warnung hätte Bedeutung haben können ... ob sie die Wirkung gehabt hätte, ist freilich ungewiß." Die Frage nach der Warnung wurde zumeist im Zusammenhang mit der Frage nach der Motivation für die spektakuläre Aktion am 18.2. gestellt; dazu Landersdorfer, Weiße Rose 878. Damit hängt die Frage zusammen, ob Vorkehrungen für den Fall der Verhaftung getroffen wurden; es scheint, daß die Gruppe nur ausgemacht hatte, wenn einer verhaftet wird, solle dieser alle Schuld auf sich nehmen und die anderen decken. Vgl. einen Brief des Vaters von Schmorell an Ricarda Huch 20.7.1947; München IfZ ZS A 26/4 pag 111. Ebd. Fa 215/2 pag 204, eine Gesprächsnotiz Auerbachs vom 10.7.1964, in der Carl Hepperle aussagte, er habe über seinen Schulfreund aus Ulm - Willi Habermann, der Suse Hirzel benachrichtigte - die Scholls warnen lassen. Jaeger, 50 Jahre 188 betont, daß sich Hans Scholl über die Höhe des Risikos keine realistischen Vorstellungen machte und an der Illusion festhielt, im schlimmsten Falle der Militärjustiz überstellt zu werden. Geyer, Folgen der Studentenrevolte 197.

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gebracht. „Es drehte sich um Hans und Sophie, aber worum es im einzelnen ging, bekam ich nicht heraus, konnte mir aber anhand der Fragen ungefähr ein Bild machen." Sein Protest gegen die Untersuchungshaft - er sei schließlich Soldat und müsse einem Militärgericht überwiesen werden - hatte Erfolg; nun mußte er nur noch seine Tagebuchhefte verstecken, die voll von politischen Bemerkungen waren. Es gelang ihm zwar, die Hefte aus seinem Koffer zu nehmen, bei einer späteren Untersuchung wurden sie dann doch entdeckt. Am nächsten Morgen bekam er sie zurück und konnte gehen „offensichtlich war meine Warnung zu spät gekommen", resümierte Aicher später. „Oder Hans und Sophie wußten bereits selbst, daß man ihnen auf der Sour war, und konnten meinen Besuch nicht mehr abwarten" 371 . Nach dem Schnellverfahren vor dem Volksgerichtshof wurden die Geschwister Scholl und Christoph Probst, der in Innsbruck festgenommen worden war, zur Urteilsvollstreckung ins Gefängnis von München-Stadelheim gebracht372. Christoph Probst, der als einziger der Gruppe konfessionslos aufgewachsen war, verlangte nach einem katholischen Priester. Heinrich Sperr373, der Vertreter des kurzzeitig erkrankten Gefängnispfarrers Ferdinand Brinkmann 374 , kam zu ihm, spendete ihm in seiner Zelle die Taufe und reichte ihm die Heilige Kommunion 375 . Auch Hans und Sophie Scholl hatten nach einem katholischen Geistlichen verlangt, wie Pfarrer Sperr im

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Aicher, Innenseiten 153f. In beinahe jedem Verhör stellte die Gestapo den Beschuldigten die Frage nach Otto Aicher. Bereits am 1.3. wurde er zusammen mit Haecker und den Graf-Geschwistern in einem Schreiben des Oberreichsanwalts beim VGH erwähnt mit dem Hinweis, daß gegen diese „ein neues Verfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat einzutragen" sei. Das Verfahren wurde tatsächlich dem Oberkommando der Wehrmacht übergeben, mehrmals fragte die Gestapo nach, wie weit das Verfahren gediehen sei und bat um Rückgabe der Akten. Aicher, der zu einem Ersatztruppenteil nach Chemnitz abkommandiert wurde, entging einem Strafverfahren, weil die Briefanfragen immer wieder von einem Ort zum anderen umherirrten. Schließlich entzog er sich in den letzten Kriegsmonaten dem Zugriff der Gestapo durch Desertion von der Wehrmacht; dazu auch Aicher, Innenseiten 209-220. Akten in Berlin BA NJ 10872. In einem Brief an Fridolin Kotz schrieb Aicher am 1.5.1944, das häßliche Wittelsbacher Palais wurde von Bomben getroffen, dies sei „schade, weil wahrscheinlich damit auch die Akten und Protokolle verbrannt sein werden. In diesem Bau habe ich Hans zum letzten Mal gesehen, als er gerade vernommen wurde"; Stuttgart PAK.

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Zu diesem und den folgenden Prozessen vgl. Kirchberger, Weiße Rose 27-30; Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 36f. Heinrich Sperr (1909-1964), 1934 in Freising zum Priester geweiht, 1935-1943 Kaplan in München-Harlaching, seit 1944 Stadtpfarrer in München-Giesing St. Franziskus. Freundliche Auskunft des Archivs des Erzbistums München und Freising vom 29.5.1998. Ferdinand Brinkmann (1896-1948), 1923 zum Priester geweiht, 1. Pfarrstelle in Dortmund, zuständig auch für das dortige Gerichtsgefängnis, 1933 Gefangenenseelsorger in Werl, danach in München. Freundliche Auskunft des Erzbistumsarchiv Paderborn vom 24.7.1998. Vgl. auch das Buch seiner Schwester Elisabeth Brinkmann, Der letzte Gang. Ein Priesterleben im Dienste Totgeweihter, Münster 1950. Glaubt man der Aussage seines Schwiegervaters, war Probst, obwohl nicht getauft, mit der Stieftochter Dohrns kirchlich verheiratet. Auch die Kinder wurden katholisch getauft. Berlin BA NJ 534, Urteilsbegründung vom 13.7.1943 pag lOf. Der Auszug aus dem Taufregister der katholischen Pfarrei Heilige Familie in München Jahrgang 1942 Seite 42 Nr. 33 enthält zumindest keine diesbezüglichen Vermerke.

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September 1953 erklärte376, mit der Begründung: „Wir wollen keinen Geistlichen, der nazisch ist". Zu ihnen kam schließlich der evangelische Gefängnispfarrer Karl Alt377. Beide Geschwister empfingen nach der Beicht- und Abendmahlsvermahnung das Abendmahl 378 . Sperr, Zeuge der letzten Augenblicke, will gehört haben, wie Probst die Geschwister fragte, „warum sie nicht mehr katholisch geworden seien. Hans habe ihm geantwortet, dazu sei keine Zeit mehr gewesen (9.00 Uhr Beginn der Verhandlung, 15.00 Uhr Todesurteil, 17.00 Uhr Hinrichtung), aber seine evangelische Taufe gelte vor der katholischen Kirche und er sterbe nach den Grundsätzen der Kirche" 379 . Diese Aussage erhält weiteres Gewicht, wenn man bedenkt, daß Inge Scholl im September 1944 Haecker mitteilte, daß Hans Scholl vor seinem Tode gesagt habe, er sterbe im katholischen Glauben 380 ; im Gegenzug teilte Aicher Muth mit, es wäre nur noch eine Frage der Zeit gewesen, wann Sophie zu dem „einzigen Glauben" zurückgekehrt wäre 381 . Zwei Tage später wurden beide auf dem Friedhof am Perlacher Forst beigesetzt. Dazu die Erinnerungen Inge Scholls: „Wir standen in der runden Halle des Friedhofgebäudes, wartend, daß man uns die Särge bringe. Da kam eben der katholische Geistliche zurück, der Christel beerdigt hatte ... und eine feine Verbindung bestand zwischen ihm und uns, als er uns die Hand gab." Keine wehmütigen Trauerlieder erklangen, Pfarrer Alt sprach nichts anderes als die beiden Stücke aus der Hl. Schrift, die sich Hans und Sophie zuletzt gewünscht hatten 382 . „Die Sonne stand als ein feuriger, in sich gesammelter Ball gerade über dem Horizont und sank in leiser Feierlichkeit hinunter. Aber wir wußten ja", beendet Inge Scholl ihre „Erinnerungen an München", „daß es nicht für immer war."383 Die entscheidende Rolle, die der christliche Glauben gespielt hat, be-

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In Gegenwart von Angelika Probst, Siegfried Östreicher und Pater Mauritius Schurr legte Sperr am 16.9.1953 diese Erklärung vor; vgl. München IfZ Fa 215/3, pag 155f. 377 Karl Alt (1897-1951), Studium in Erlangen und Tübingen 1916-1920, ab 1921 Stadtvikar in Augsburg, ab 1923 Pfarrer in Kaufbeuren, ab 1929 in Ansbach, seit Juli 1934 Pfarrer an der Lutherkirche in München, zu deren Dienstobliegenheiten die Gefängnisseelsorge gehörte; Alt, Todeskandidaten. Freundliche Auskunft des Landeskirchlichen Archivs Nürnberg vom 3.6.1998. 378 Alt, Todeskandidaten 85-94. Hans bat um zwei Bibelausschnitte, um 1 Kor 13 (Hohelied der Liebe) und Psalm 90 („Der ewige Gott, der vergängliche Mensch"). 379 München IfZ Fa 215/3 pag 156, Erklärung von Sperr. 380 N a c h Siefken (Bearb.), Haecker 68. In einem Brief an Haecker am 22.1.1945 wiederholt Inge Scholl diese Aussage nochmals. Wörtlich: „Übrigens hat Werner mir erzählt, daß die beiden noch konvertieren wollten und daß Sophie dazu strahlend ihr Ja gegeben habe. Irgendwie muß es sich zerschlagen haben. Doch was heißt hier zerschlagen? Hans soll als einen seiner letzten Sätze gesprochen haben: ,Ich sterbe im Glauben der katholischen Kirche'." Marbach DLA A: Haecker 67.676/10. 381 München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 31.10.1942. Vgl. auch die anderen Briefe, die dieses Thema durchgängig ansprechen. 382 Anwesend waren die Eltern Scholl, Inge und Elisabeth sowie Werner, der kurz vor der Verurteilung überraschend von der russischen Front auf Urlaub gekommen war. Mit dabei war auch Traute Lafrenz. Pfarrer Alt vollzog die Bestattung, „wobei er sich eindeutig mit den Toten solidarisierte"; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 6. 383 München IfZ ZS A 26/7, „Erinnerungen an München" 78.

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tont auch Wolfgang Jaeger, der als Medizinstudent zum weiteren Kreis der „Weißen Rose" gehörte 384 . Nachdem die Gestapo noch im Februar Graf, Huber und Schmorell385 verhaftet hatte, nahm sie im Laufe der nächsten Zeit viele weitere Beteiligte und Mitwisser an den Aktionen der „Weißen Rose" fest und führte unzählige Hausdurchsuchungen sowie Verhöre durch 386 . Sehr schnell kamen die Gestapo-Leute dahinter, daß Hans Scholl bei Carl Muth ein- und ausgegangen war 387 . Unmittelbar nach der Verhaftung der „Weißen Rose" erschienen abends bei Muth zwei Gestapo-Beamten. O b er Scholl kenne? Muth bejahte. „Dann sind sie also der intellektuelle Urheber?" Zur Antwort brüllte Muth diesen an. „Das werden Sie mir beweisen müssen!" Muth war sich bewußt, daß ein Appell an die Vernunft oder gar die Mitleidsfähigkeit nichts gebracht hätte, sondern daß der einzige Ton in einer „unerschütterlichen Überlegenheit, einer uneinschüchterbaren Grobheit" bestand, wie Werner Bergengruen treffend formulierte. Mit diesem Schrei hatte Muth die Herrschaft über die Situation an sich reißen können. Nun war noch die Haussuchung zu überstehen, zumal in einem Fach seines Schreibtischs ein Manuskript der Haeckerschen „Tag- und Nachtbücher" lag. Dieses übersahen die Beamten. Als sie Muth mitnehmen wollten, weigerte sich dieser, und hatte mit dieser Weigerung sogar Erfolg388. Haecker erging es nicht viel anders. Seine Tochter Irene konnte die Manuskriptmappe mit den Tagebuchaufzeichnungen gerade noch aus dem Haus schaffen. Sie war so geistesgegenwärtig, diese als Klaviernoten auszugeben, und entwischte mit dem Hinweis, es furchtbar eilig zu haben, in die Klavierstunde zu kommen. Im Pfarrhaus tauschte sie das Manuskript mit Klaviernoten, obwohl sie nie Klavier spielte. Zurück in der Wohnung, rissen ihr die Gestapoleute die Mappe aus den Händen und fanden wirklich nur Klaviernoten 389 . Trotzdem wurde Haecker verhaftet und am 1. März 1943 ein Verfahren wegen Vorbereitung zum Hochverrat beim 384 Jaeger, 50 Jahre 190, mit der Kritik, daß diese D i m e n s i o n im Film von V e r h o e v e n / K r e b s keine Rolle gespielt hat. 385

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Schmorells Briefe aus dem Gefängnis sprechen in punkto Religion und Glauben eine eindeutige Sprache. Seinen Eltern schrieb er immer wieder, daß der Tod der Übergang zu einem neuen Leben und deshalb nichts Schreckliches sei; vgl. München IfZ ZS A 26/4, Abschriften von Gunter Groll 31.5.1947. Vgl. die Zeittafel in Lill (Hg.), Hochverrat? 188-190. In den Gestapo-Akten fand sich u.a. die Abschrift eines Briefes von Muth, der durch seine lateinischen Zitate wohl hinreichend verdächtig war; bzw. müssen noch mehrere Briefe gefunden worden sein, wie aus den Vernehmungen ersichtlich wird; Berlin BA ZC 13267/1. Hans Scholl bagatellisierte seine Verbindung zu Muth in den Verhören und bestritt, in irgendeiner Weise von diesem beeinflußt worden zu sein; ebd. Bd. 2. Muth erzählte Bergengruen von dieser Szene, der sie in seinen „Erinnerungen an Carl Muth", in: Hochland 46 (1953/54) 79f. verwertete. Den Gestapo-Beamten muß neben dem HaeckerManuskript noch eine Denkschrift über die Zustände in Deutschland entgangen sein. Aller Situationskomik zum Trotz schwebte Muth in großer Gefahr, da durchgehend alle Protokolle festhielten, daß dieser durchaus etwas mit der Sache zu tun habe. Vgl. etwa das Verhör Traute Lafrenz' und das protokollierte Ermittlungsergebnis vom 12.4.1943 in Berlin BA ZC 13267/6. Vgl. Irene Straub, Erinnerungen an meinen Vater Theodor Haecker, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 173-180, hier 177.

222

Zweiter Teil: WIDERSTAND

Volksgerichtshof in Berlin gegen ihn eingeleitet. Noch 1943 mußte das Verfahren aber eingestellt werden, weil ihm eine Kenntnis von den Aktionen der „Weißen Rose" nicht nachgewiesen werden konnte 390 . Nicht ganz so glimpflich kamen dagegen die Angehörigen der Familie Scholl davon: am Samstag, den 27. Februar, kaum fünf Tage nach der Vollstreckung des Todesurteils, stand die Gestapo vor ihrer Ulmer Wohnung und führte die Familie vom Frühstückstisch weg in das Gefängnis am Frauengraben 391 . Ihnen stand die „Sippenhaft" bevor.

7. DIE FLUGBLÄTTER EINE CHRISTLICH-HUMANISTISCHE GEWISSENSERFORSCHUNG Während die Rekonstruktion des Geschehens wegen der lückenhaften und teils widersprüchlichen Berichte der Beteiligten und Augenzeugen nicht mehr bis ins letzte Detail möglich ist sowie durch die rasche Legendenbildung und Mythisierung zusätzlich vor dem Problem der Verfälschung steht, stellen die im Wortlaut überlieferten sechs Flugblätter 392 ein „objektives" Zeugnis des Denkens und Handelns der „Weißen Rose" dar. Selbst hier gibt es unterschiedlichste Interpretationen und Bewertungen. Dabei sind die Flugblätter lediglich der sichtbare Teil von den geistigen Grundlagen, die sich beim jugendlichen „Gang durch den Garten der Kultur" gebildet hatten. Ohne die Bedeutung schmälern zu wollen, die der Flugblattaktion ohne Frage zuzumessen ist: die Flugblätter stellen nur einen kleinen, eben den sichtbaren Teil der „Weißen Rose" dar. Leider wurden sie zumeist ohne ihr unsichtbares geistiges Fundament interpretiert, das heißt gar nicht. Schon rein praktisch durch die notwendige Beschränkung des Umfangs konnten die Flugblätter nur weniges direkt ansprechen: es war schon schwierig genug, Papier und Hektographierapparat, Briefumschläge und Briefmarken in Kriegszeiten günstig und in größeren Mengen zu erwerben; ein solcher Kauf mußte absolut unauffällig und ohne Verdacht zu erregen vonstatten gehen. Mehr als die Vorder- und Rückseite eines Blattes konnte also gar nicht beschrieben werden 393 . Außerdem - warum hätte man sonst

390

391 392 393

Zu diesem Verfahren fand sich lediglich ein Brief in Berlin BA NJ 10872 über die Aufnahme des Verfahrens; Vernehmungsprotokolle oder Ermittlungsakten waren nicht aufzufinden. Gleiches gilt übrigens für die Ermittlungen gegen Muth; Akten konnten keine gefunden werden. Aicher-Scholl (Hg), Sippenhaft 6. Der Entwurf zu einem 7. Flugblatt von Christoph Probst wird hier nicht berücksichtigt. Die ersten vier Flugblätter wurden sogar einzeilig getippt, während sich im 5. (zweizeilig, zweiseitig) wie im 6. (einzeilig, einseitig) die Länge auf die Hälfte reduziert.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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auf dieses Genre zurückgegriffen - sollten die Flugblätter lesbar bleiben, was von vornherein einen begrenzten Umfang und verkürzte Argumentation nahelegte. Diesen Entwicklungszusammenhang muß man bei einer Analyse der Flugblätter bedenken. Die Frage nach der Urheberschaft interessierte Gestapo und Forschung gleichermaßen. Hans Scholl gab bei seiner Vernehmung an, daß er das 1. und 4. Flugblatt allein und den ersten Teil des 2. und 3. Flugblattes verfaßt habe. Der zweite Teil sei von Alexander Schmorell394. Es darf als gesichert gelten, daß mit Ausnahme des 6. Flugblatts, das von Kurt Huber verfaßt und von den Studenten redigiert wurde, alle Flugblätter von Hans Scholl und Alexander Schmorell stammen 395 . Die Flugblätter der „Weißen Rose" sind bereits mehrfach inhaltlich dargestellt und ausgewertet 396 worden und können leicht nachgelesen werden 397 . Deshalb verzichten wir auf eine erneute Inhaltsangabe und beschränken uns in folgender Darstellung auf die für unseren Zusammenhang zentralen Aspekte, mithin auf die Frage nach den Ausprägungen der geistigen Grundlegung im Ulmer „Scholl-Bund" und im Münchner Freundeskreis. Es geht um den Versuch einer Geistes- und Ideengeschichte der „Weißen Rose", an die anhand von acht Leitfragen eine erste Annäherung versucht werden soll. 1. Wie sieht die „ Weiße Rose" die Zukunft der Gesellschaft? Bereits im 1. Flugblatt klingt das zentrale Motiv des Widerstands der „Weißen Rose" an, das auch die übrigen Flugblätter wie ein roter Faden durchzieht: die Wiederherstellung persönlicher Freiheit und eine erneuerte Gesellschaftsordnung. Damit ist das Stichwort gefallen, das direkt an die Ausführungen von Jacques Maritain über die Zukunft der Christenheit, besonders an das 5. Kapitel über „Das historische Ideal einer neuen Christenheit" anknüpft. Hier ging es um eine „neue Gesellschaftsordnung" auf der Basis persönlicher Freiheit, die sich in einem „christlichen Humanismus" ausdrückt. Liest man die Flugblätter, vor allem die von Hans Scholl verfaßten Passagen im 3. Flugblatt, drängen sich die Analogien geradezu auf. Sein Ausgangspunkt ist die Frage nach der idealen Staatsform. Dabei geht es ihm nicht um ein Urteil über verschiedene mögliche Staatsformen oder gar eine Totalabsage an den Staat überhaupt, wie der Satz „Alle idealen Staatsformen sind Utopien" (3) häufig interpretiert wurde 398 , sondern um die Feststellung, daß „jeder einzelne Mensch ... einen Anspruch auf einen brauchbaren und gerechten Staat [hat], der die Freiheit des Einzelnen als auch das Wohl der Gesamtheit 394 395 396

97

398

Berlin BA ZC 13267/22, Vernehmung Hans Scholls vom 21.2.1943. Dazu Moll, Weiße Rose 446-456. Etwa bei Kirchberger, Weiße Rose 21-27; Landersdorfer, Weiße Rose 862-868, 873-875; Steffahn, Weiße Rose 71-77, 93f.; Süß/Schneider, Keine Volksgenossen 23-26. Die Texte der sechs Flugblätter sind im vollen Wortlaut unter anderem abgedruckt im Katalog Die Weiße Rose. Auch bei Drobisch, Wir schweigen nicht; Petry, Studenten; Scholl, Weiße Rose (leider sind nicht die Originalabsätze berücksichtigt worden). Auf Einzelnachweise wird im folgenden verzichtet, die zitierten Passagen im Text mit Nr. 1-6 nachgewiesen. Jüngst Steffahn, Die Weiße Rose 73.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

sichert" (3). Dieses Postulat, daß das höchste Gesetz das Wohl Aller sein müsse, hatte bereits Cicero aufgestellt, dessen griffige Formulierung „Salus publica suprema lex" dem 3. Flugblatt als Motto vorangeht. Für Maritain war das erste Kennzeichen des neuen Gesellschaftsideals ein Pluralismus, der verschiedene Gruppen und soziale Schichten vereinigt und in dem positive Freiheiten Gestalt annehmen. „Politisch beseelt" werden sollte dieser Pluralismus durch die fähigsten Teile des Laientums und der Elite der Völker. Für die deutsche Misere verantwortlich macht das 2. Flugblatt die „deutsche Intelligenz", die sich in ein Kellerloch geflüchtet habe. „Jetzt kommt es darauf an, sich gegenseitig wiederzufinden, aufzuklären von Mensch zu Mensch" Über allen möglichen Staatsformen, über jedweder politischen Gliederung eines Gemeinwesens, steht die Freiheit der Person. „Freiheit" hatte Maritain als wichtigstes Kennzeichen einer neuen Gesellschaftsordnung eingestuft; Freiheit ist die Grundvoraussetzung seines integralen Humanismus. Identisch formuliert Hans Scholl: Wenn aber ein Volk in seinem Innersten schon so zerfallen ist, daß es ohne Zögern „das Höchste, das ein Mensch besitzt und das ihn über jede andere Kreatur erhöht, nämlich den freien Willen preisgibt, die Freiheit des Menschen", dann verdient es den Untergang (1). Maritain erläuterte dieses Prinzip am Beispiel der bürgerlichen Familie. Es genüge nicht, daß aus der „Sache" Frau immerhin schon ein „Individuum" Frau geworden sei, letztendlich müsse sie zur „Person" Frau werden. Dieses Familienbild griff das 3. Flugblatt auf. Ein Staat muß wachsen und reifen wie jeder einzelne Mensch. Am Anfang jeder Kultur gab es Vorformen des Staates, und eine solche ist die Familie. „Und aus diesem anfänglichen Zusammensein hat sich der vernunftbegabte Mensch einen Staat geschaffen, dessen Grund die Gerechtigkeit und dessen höchstes Gesetz das Wohl aller sein soll" (3). Der noch abstrakte Freiheitsbegriff füllt sich also, wenn er mit dem Staat in Beziehung gesetzt wird. Das findet sich auch in den Aicherschen Innenseiten399, dessen spätere Interpretation kaum von der des Freundeskreises abweichen dürfte. Der Staat ist nicht frei, nur Menschen sind frei. Der Staat könne Freiheit zwar garantieren, aber Freiheit an sich ist immer eine konkrete Freiheit des Einzelnen. Deshalb ist ein Staat so frei, wie es der einzelne Bürger ist. Das oberste Prinzip der Freiheit konsequent weitergedacht führt dazu, daß es keine sozialen Unterschiede geben kann, das heißt auch keine „Untermenschen" (1) und keine „Herrenrasse". Bei Maritain hieß das die „Wesensgleichheit der Menschen". Dementsprechend ist die Judenverfolgung und die Ermordung von „dreihunderttausend Juden in diesem Land [gemeint ist Polen]" ein Verbrechen an der Würde des Menschen. „Auch die Juden sind doch Menschen" (2). Hinter den Formulierungen über das „Wohl aller" steckt zweifelsohne das Maritainsche „Gemeinschaftswerk". „Denn der Mensch soll nach Gottes Willen frei und unabhängig im Zusammenleben und Zusammenwirken der Zum Folgenden Aicher, Innenseiten 138.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

225

staatlichen Gemeinschaft sein natürliches Ziel, sein irdisches Glück in Selbständigkeit und Selbsttätigkeit zu erreichen suchen" (3) - besser als Hans Scholl hätte das auch der französische Philosoph nicht ausdrücken können. Die Verwirklichung einer solchen Gemeinschaft kann nur ein christliches Werk sein. Hinzu kommen zwei weitere Momente: Wohin historische Ideale führen konnten, hatte Maritain breit dargelegt. Die Utopie eines Thomas Monas ist ein Vernunftgebilde, ein fiktives Modell. Von daher ist auch der provokante Einstieg des 3. Flugblattes („Alle idealen Staatsformen sind Utopien") zu interpretieren. Es kam hier also zu einer Vermischung von Maritain mit dem Hauptwerk von Thomas Morus „De optimo statu reipublicae deque nova insula Utopia" 400 und mit Augustinus. Von diesem beflügelt kommt es zu der Aussage, daß der Staat eine Analogie der göttlichen Ordnung darstellen soll, „und die höchste aller Utopien, die civitas Dei 401 , ist das Vorbild, dem er sich letzten Endes nähern soll" (3). Damit stehen die Flugblätter auf den Schultern Maritains, rezipieren aber darüberhinaus die allgemeine staatstheoretische Diskussion - vorwiegend katholisch-philosophischer Provenienz. 2. Wie sieht die „ Weiße Rose" den Integralen

Humanismus?

Wenn in den Flugblättern der Gesellschaftsentwurf eines christlichen Staates bejaht wird, dann auch seine Prämisse, der „christliche Humanismus". Dieser sieht den Menschen durch seine Bindung und Erneuerung durch Gott wahrhaft geachtet; der Inhalt der Gnade ist Freiheit. Dazu das 4. Flugblatt: „Wohl ist der Mensch frei, aber er ist wehrlos wider das Böse ohne den wahren Gott, er ist wie ein Schiff ohne Ruder, dem Sturme preisgegeben, wie ein Säugling ohne Mutter, wie eine Wolke, die sich auflöst." Dafür plädierte bereits Novalis: „Nur die Religion kann Europa wieder aufwecken und das Völkerrecht sichern und die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sichtbar auf Erden ihr friedensstiftendes Amt installieren" (4). Das dazugehörige „OrdoDenken" liefern die Flugblätter gleich mit. Weil der Mensch seine ihm von Gott gegebene, auf Freiheit gegründete Stellung einfach verlassen, sich von „den Mächten höherer Ordnung losgelöst" (4) hat, konnte es erst zur Katastrophe, zur „Zerstörung aller sittlichen und religiösen Werte" (3) kommen. Jetzt ist es „Eure sittliche Pflicht, dieses System zu beseitigen" (3). Mit dem Entwurf eines solchen „christlichen Humanismus" ist ein „dritter Weg" eingeschlagen, der sich unter anderem durch die Synthese der Ge-

Thomas Morus, Utopia. Vgl. z.B. die aus dem Jahre 1922 stammende Übersetzung von Gerhard Ritter. Aicher, Innenseiten 74-77 beschrieb, wie er bei diesem Buch hängenblieb und welche Weiterungen dessen Gedanken hätten haben können. In „De civitate Dei" entwickelte Augustinus ein geschichtsphilosophisches Modell, das durch den Gegensatz und den Kampf zwischen Civitas Dei und Civitas terrena gekennzeichnet ist. Augustinus bejaht die Frage nach dem christlichen Staat im Sinne antiker Herrschertugenden und dem Schutz der wahren Religion, verneint diesen aber, wenn damit eine Angleichung von Staat und Gesellschaft an die Ordnung des Gottesreiches gemeint sein sollte. TRE 4, 680-683 (Alfred Schindler).

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

gensätze zwischen Persönlichkeit und Kollektiv in Freiheit und Verantwortung auszeichnet. Diesen Gegensatz thematisieren auch die sechs Flugblätter, wenn sie an die „Würde eines Kulturvolkes" appellieren, an die Individualität, besonders an die Freiheit des Menschen. Demgegenüber steht die „Herrscherclique". Aus dem Kulturvolk ist eine „geistlose und feige Masse" geworden, genauer, eine „willenlose Herde von Mitläufern" (1). Jeder Einzelne wurde durch „langsame, trügerische, systematische Vergewaltigung" in ein „geistiges Gefängnis" gesteckt. Um auf den „dritten Weg" zurückzukommen, muß die Schmach abgeschüttelt werden, „ehe es zu spät ist" (1). 3. „Ehe es zu spät ist"... Ohne Frage sind die Flugblätter von der Haltung bestimmt, daß gehandelt werden müsse, bevor alles restlos zerstört und verloren ist. In gewisser Weise vermitteln sie ihrem Leser das Gefühl, an einer Zeitenwende zu stehen, die mit dem Ende des NS-Regimes gleichgesetzt wird. „Ehe es zu spät ist", muß etwas getan werden, sonst „wird auch das letzte Opfer sinnlos in den Rachen des unersättlichen Dämons geworfen sein" (1). „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt! Entscheidet Euch, ehe es zu spät ist" (5). Häufig wurde dieses Endzeitszenario darauf zurückgeführt, daß die Mitglieder der „Weißen Rose" von Muth und Haecker die Fehleinschätzung übernommen hätten, für das Hitler-Regime stehe die Katastrophe unmittelbar bevor402. 1942 gab es in Deutschland viele Kreise, die auf ein Ende des Krieges in absehbarer Zeit hofften und eine rasche Landung der alliierten Streitkräfte an der Atlantikküste erwarteten. Diese Stimmung kommt tatsächlich in mehreren Briefen Carl Muths an Otl Aicher zum Ausdruck 403 . Daher dürfte davon auszugehen sein, daß auch die Münchner Freunde mit dieser Meinung konfrontiert wurden. Auch Haecker machte in seinen „Tagund Nachtbüchern" keinen Hehl daraus, daß der Anfang vom Ende bereits gekommen war404, wie auch im Hause Scholl das „Stimmungsbarometer" je nach Kriegsverlauf und Hoffnungen auf ein baldiges Ende stieg und fiel405. Immer wieder machten die Flugblätter auf aktuelle politische Themen aufmerksam - Luftangriffe auf deutsche Städte, Judenverfolgung, Stalingrad, der deutsche Angriff auf Ägypten - , interpretierten sie aber gegen die offizielle Lesart. Die Vorwürfe an Muth und Haecker, hier einer Fehleinschätzung erlegen zu sein, sind jedoch unzutreffend. Es ging darum, das Volk aus seinem 402

403

404 405

Etwa Kirchberger, Weiße Rose 23. Inge Aicher-Scholl bemerkt dazu, daß sich die Menschen im Widerstand geradezu an die Hoffnung klammerten, der Krieg werde bald vorbei sein. Dieser Meinung wurde durch Stalingrad und den weiteren Kriegsverlauf Vorschub geleistet; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 25f. „Wir alle geben uns der Hoffnung auf ein nicht mehr allzufernes Ende des Krieges hin, so wie wir es wünschen müssen" (18.7.1942); „Es wird übrigens alles so kommen, wie wir es wünschen müssen, wenn wir unsere Heimat und unser Volk liebhaben. Die Entscheidung naht mit Riesenschritten" (18.10.1942); „Es scheint doch allerlei im Gange, was auf ein ncht mehr fernes Ende dieses Krieges hoffen läßt" (12.11.1942); zitiert nach Jens (Hg.), Scholl 271. Vgl. das Notat vom 3.1.1943; Haecker, Tag- und Nachtbücher 212 (977). Dazu Jens (Hg.), Scholl passim.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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„stumpfen, blöden Schlaf" aufzurütteln und ein Signal zu setzen. „Ein jeder will sich von einer solchen Mitschuld freisprechen, ein jeder tut es und schläft dann mit ruhigstem, bestem Gewissen. Aber er kann sich nicht freisprechen, ein jeder ist schuldig, schuldig, schuldig!406 Doch ist es noch nicht zu spät, diese abscheulichste aller Mißgeburten von Regierungen aus der Welt zu schaffen, um nicht noch mehr Schuld auf sich zu laden. Jetzt, da uns in den letzten Jahren die Augen vollkommen geöffnet worden sind ... jetzt ist es allerhöchste Zeit, diese braune Horde auszurotten. Bis zum Ausbruch des Krieges war der größte Teil des deutschen Volkes geblendet... doch jetzt muß es die einzige und höchste Pflicht, ja heiligste Pflicht eines jeden Deutschen sein, diese Bestien zu vertilgen" (2). Es gilt also den „Sitz im Leben", näherhin die Sprachintention der Flugblätter zu berücksichtigen, will man nicht einer Fehlinterpretation aufsitzen. Die Frage nach der faktischen Fehleinschätzung der zu erwartenden Dauer des Nazi-Regimes trifft die Absichten Hans Scholls und seiner Mitstreiter nicht. Vielmehr mußten sie in gut biblischer und altchristlicher Tradition ein eschatologisches Szenario beschreiben, um die Menschen zum Handeln aufrütteln zu können: Jetzt ist der „Kairos", der von Gott geschenkte Augenblick des rechten Handelns. Wer ihn ungenutzt vorübergehen läßt, macht sich schuldig. 4. Welche Möglichkeiten sieht die „ Weiße Rose"? Dem historischen Ideal einer neuen Gesellschaftsordnung gegenüber steht die nationalsozialistische Realität. Es wäre aber falsch, von einer „nationalsozialistischen Weltanschauung" zu sprechen. Denn: „Man kann sich mit dem Nationalsozialismus geistig nicht auseinandersetzen, weil er ungeistig ist" (2). Deshalb ist es auch falsch, von einem „Staat" zu sprechen, es ist ein „Unstaat", dem möglichst bald ein Ende bereitet werden muß, eine „Diktatur des Bösen" und die erste Sorge jedes Deutschen muß die Niederlage des Nationalsozialismus sein (3). Doch wer soll den „Boden für einen Sturz dieser ,Regierung'" bereiten? „Nicht durch individualistische Gegnerschaft, in der Art verbitterter Einsiedler ... sondern nur durch die Zusammenarbeit vieler überzeugter, tatkräftiger Menschen, die sich einig sind" (3), könne dies geschehen. Diese Antwort fand sich wiederum bei Maritain. Zur politischen Aktivität sind einerseits nicht alle Christen verpflichtet und andererseits nicht nur Christen: „sondern nur solche Christen, die sich über die moderne Welt, Gesellschaft und Geschichte eine bestimmte philosophische Ansicht bilden und Nichtchristen, die das Wohlfundierte dieser Philosophie mehr oder weniger vollständig anerkennen" 407 . Damit ist ein großer Spielraum gegeben, wobei wir wieder beim Begriff der „pluralistischen Demokratie" angelangt sind, von dem Aicher feststellt, daß die Freunde ihn von Maritain übernommen hätten 408 . Im Flugblatt hört sich das dann so an: „Daher muß jeder einzelne seiner Verantwortung als Mitglied der christlichen und abend406 407 408

Hervorhebung im Original gesperrt gedruckt. Maritain, Christlicher Humanismus 208. Aicher, Innenseiten 71f.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

ländischen Kultur bewußt in dieser letzten Stunde sich wehren, soviel er kann, arbeiten wider die Geißel der Menschheit..." (1). Jacques Maritain unterschied drei Verfahren politischen Handelns: 1. die Erhaltung des Bestehenden nach dem Prinzip des geringsten Übels; 2. ein drakonisches Heilverfahren, daß die Welt durch eine nahe Revolution retten möchte, und 3. ein anderes drakonisches Heilverfahren, daß seine Hoffnung auf eine defensive Reflexbewegung setzt, die zu einer totalitären Umgestaltung des nationalen Staates schreitet409. Das war für die „Weiße Rose" kein Thema. Sie wollten die „nahe Revolution" und riefen daher zum „passiven Widerstand" auf. Allen Flugblättern gemein ist der Appell, den Nationalsozialismus zu bekämpfen und so zur Beendigung des Krieges beizutragen. Rief das 1. Flugblatt ganz allgemein zu Widerstand auf, um das „Weiterlaufen dieser atheistischen Kriegsmaschine" zu verhindern, finden sich im 3. Flugblatt konkrete Vorschläge zur „Sabotage" in allen Bereichen410. Der „Weißen Rose" war bewußt, daß sie nicht die Mittel hatten, das Regime mit seinem totalen Machtapparat selbst zu stürzen. Deshalb wählten sie den Weg der Aufklärung und forderten zu passiven Widerstand auf. Im Kreis der „Weißen Rose" zielte man darauf ab, ein zunehmend öffentliches Bewußtsein über den wahren Charakter des Nationalsozialismus und die reale Situation zu schaffen. „Wenn so eine Welle des Aufruhrs durch das Land geht, wenn ,es in der Luft liegt', wenn viele mitmachen, dann kann in einer letzten Anstrengung dieses System abgeschüttelt werden. Ein Ende mit Schrecken ist immer noch besser als ein Schrecken ohne Ende" (2). „Obgleich wir wissen, daß die nationalsozialistische Macht militärisch gebrochen werden muß, suchen wir eine Erneuerung des schwerverwundeten deutschen Geistes von innen her zu erreichen" (4). Daß es andere Formen des Widerstands gab, war dem Kreis durchaus bekannt und bewußt. Hans Scholl hatte sich besonders für die Christenverfolgungen und das Phänomen des Martyriums interessiert. „Überall und zu allen Zeiten der höchsten Not sind Menschen aufgestanden, Propheten, Heilige, die ihre Freiheit gewahrt hatten, die auf den Einzigen Gott hinwiesen und mit seiner Hilfe das Volk zur Umkehr mahnten" (4). Auch wenn manche aufgestanden sind, weil sie das drohende Verderben erkannten, „der Lohn für ihr heroisches Mahnen war der Tod" (1). Das christliche Martyrium darf jedoch keinesfalls mit Gewalt gleichgesetzt werden. „Wenn die Christen aber wirkliche Christen sind", schrieb auch Maritain, „und eine wirkliche humanistische Verwandlung der Welt und die Begründung eines neuen Christentums zum Ziele haben, so sind sie, von denen die Initiative zum Rückgriff auf die Gewalt abhängt, nicht nur verpflichtet, mit unerschütterlichem Willen den Zaum der Gerechtigkeit Mittel anzulegen, die wilden Maritain, Christlicher Humanismus 203. Die Aufforderung in diesem Flugblatt, keinen Pfennig für die Straßensammlungen zu spenden, erinnert an Sophie Scholls Weigerung, für den Kriegshilfsdienst zu sammeln, weil dadurch der Krieg verlängert würde. Dazu die Aussagen von Fritz Hartnagel, in: Vinke, Leben 71-74.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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Tieren abgesehen sind, und mit absoluter Entschiedenheit den Gebrauch der Gewalt... abzulehnen. Sie müssen auch der Gewalt selbst Gewalt antun, um die Gewalt aufzuwiegen, die dem Geiste angetan wird ...", anders gesagt, die Gewalt der christlichen Liebe unterordnen 411 . Nur so ist auch das „Martyrium als Lösung" zu verstehen. Für Maritain ist es zwar eine übertriebene Form und auch der Hl. Thomas hätte es abgelehnt, „den Ruhm, für Gott enthauptet zu werden, herauszufordern", aber das Martyrium beruft und befruchtet angemessenere Lösungen 412 . Diese Ausführungen Maritains bilden den Hintergrund für die einschlägigen Überlegungen zum „Tyrannenmord", wie sie im Rahmen der „Weißen Rose" angestellt wurden. Es ging um ein der Situation angemessenes Handeln. Es war realistischer, eine Widerstandsbewegung ins Leben zu rufen als den Tod Hitlers zu planen, was man zwar immer wieder abstrakt erwog, aber niemals ernsthaft plante. Die „Freiheit" war das höchste Gut, das es zu verteidigen galt. 5. Die „ Weiße Rose", das Abendland und das neue Europa Was bei Maritain das „historische Ideal einer neuen Christenheit" hieß, war nichts anderes als der Rückgriff auf das alles verbindende Abendland. Damit reiht sich die „Weiße Rose" ein in die lange Reihe derer, die vor allem in krisenhaften Zeiten in der Vergangenheit nach einem „goldenen Zeitalter" suchen 413 . Dafür steht das Zitat von Novalis aus dem 1799 erschienenen Werk „Die Christenheit oder Europa" im 4. Flugblatt. „Wenn Europa wieder erwachen wollte, wenn ein Staat der Staaten, eine politische Wissenschaftslehre bevorstände! ... Es wird so lange Blut über Europa strömen, bis die Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gewahr werden ... und ... Werke des Friedens vornehmen und ein großes Friedensfest... gefeiert wird." 414 . Was las der Kreis der Münchner Freunde in Claudels „Seidenem Schuh"? „Einigt ganz Europa in eine einzige Strömung", alle Völker sollen ihr Osterfest begehen „um den riesigen Tisch zwischen den beiden Weltmeeren, den uns Columbus aufgedeckt hat". Wem begegnete Hans Scholl in München? Alfred von Martin, der in seinem Buch „Nietzsche und Burckhardt" in verschlüsselter Form den Entwurf eines föderalistischen und pluralistischen Europas entwickelt hatte. Und wie heißt es schließlich im 5. Flugblatt? „Der imperialistische Machtgedanke muß, von welcher Seite er auch kommen möge, für alle 411 412 413

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Maritain, Christlicher Humanismus 197. Maritain, Christlicher Humanismus 223f. Vgl. zu diesem Phänomen Jost, Abendland-Gedanke. Auch andere Repräsentanten des Widerstandes waren in dieser Vorstellungswelt zu Hause. Laut Ulrich von Hassell handelte es sich um einen „Überlebenskampf des christlichen Abendlandes" gegen den Bolschewismus; Gregor Schöllgen, Ulrich von Hassell 1881-1944. Ein Konservativer in der Opposition, München 1990, 140. Zum Entwurf einer „politischen Theologie" und zur christlichen Grundhaltung der Kreisauer auch Bleistein, Rösch 117-124. Novalis, Die Christenheit oder Europa. Etwa in: Werke, Tagebücher und Briefe Bd. 2, hg. von Hans-Joachim Mahl und Richard Samuel, Darmstadt 1978, 732-750 mit dem bekannten Anfang: „Es waren schöne glänzende Zeiten, wo Europa ein christliches Land war, wo Eine Christenheit diesen menschlich gestalteten Erdteil bewohnte ..."

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

Zeit unschädlich gemacht werden ... Nur in großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird ... Nur eine gesunde föderalistische Staatenordnung vermag heute noch das geschwächte Europa mit neuem Leben zu erfüllen ... Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen des neuen Europa." Auch Kurt Huber reihte sich in diesen Europa-Reigen ein, wenn er in seinem Flugblatt gegen die „Verknechtung Europas durch den Nationalsozialismus" anschreibt. „Freiheit" und „Ehre", diese „herrlichen deutschen Worte" wurden mißbraucht. „Der deutsche Namen bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger zerschmettert und ein neues geistiges Europa aufrichtet" (6). 6. Die „ Weiße Rose", das „Hochland" und Carl Muth Auch Muth beschwor immer wieder das verbindende Erbe des Abendlandes. Er selbst hatte eine starke Wandlung durchgemacht, bis er sich zu dieser „höheren Gemeinschaft" bekannte und dem nationalen Pathos eine Absage erteilte. Der Nationalsozialismus war für Muth die antieuropäischste Erscheinung in der Geschichte Europas - und Muths Denken, wie der spätere Herausgeber des „Hochland" nach 1945, Franz Joseph Schöningh, urteilte, „ein europäisches Vermächtnis" 415 . Dieses Vermächtnis hielten die Flugblätter schon zu Lebzeiten Muths hoch. Auch die vielen Dichter- und Denkeranleihen könnte man als Ehrung an den Mentor auffassen. Vielmehr noch sind die Flugblätter ein Analogon zum „geistigen Widerstand" der Monatsschrift „Hochland". Hier fand sich ein Instrumentarium, mit dem man gegen das Gewaltregime protestieren konnte: Sei es durch die kritische Analyse, daß „diese Bewegung" in ihrem „Innersten verfault" ist, sich nur durch „stete Lüge" retten kann und auf den „Betrug des Mitmenschen" angewiesen ist (2); sei es durch den oft indirekten Verweis auf historische „Vorbilder" wie Lykurg oder Solon, Napoleon oder die Freiwilligen, die gegen ihn antreten; sei es durch apokalyptische und eschatologische Warnungen ä la Haecker. 7. Die „ Weiße Rose" und der Widerstand in Zitaten Zitate nehmen breiten Raum in den Flugblättern ein. Sie sind meist so gewählt, als sprächen die Autoren Schiller, Goethe, Lao-tse über die Lage in Deutschland. Auch die Zitate aus der Bibel sind so zu lesen. Zitiert werden nur bereits verstorbene Autoritäten. Wenn auch Hans Scholl vielleicht lieber Ausschnitte aus Haecker gewählt hätte, war er sich bewußt, welche Gefahr sich daraus ergeben hätte. 5

Franz Joseph Schöningh, Carl Muth. Ein europäisches Vermächtnis, in: Hochland 39 (1946/47) 1-19.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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Im 1. Flugblatt finden sich gleich zwei deutsche Klassiker. Die Passage aus Friedrich Schillers „Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon" 416 läuft darauf hinaus, daß der Staat niemals Selbstzweck, sondern allenfalls Bedingung ist, unter welcher der Zweck der Menschheit erfüllt werden kann. Die unmenschliche Strenge des spartanischen Stadtstaates wird als Ursache seines Unterganges ausgemacht. Der Zweck der Menschheit bestand für Schiller in der Ausbildung aller Kräfte, zum Beispiel der „Fortschreitung des Geistes" und der „Ausbildung sittlicher Gefühle". Durch die Betonung der Folgen der falschen Gesetzgebung des Spartaners Lykurg wird der Leser darauf gestoßen, die Verbindungen Sparta-Deutschland und Lykurg-Hitler herzustellen. Der „gebildete" Empfänger des Flugblattes hat auch im Hinterkopf, daß das Grundprinzip der Solonschen Reform lautete, sich selbst die Gesetze zu geben, denen man gehorchen soll. Für dieses Schiller-Zitat könnte Alexander Schmorell verantwortlich sein417, wiewohl Sophie Scholl Otl Aicher erzählte, Hans habe beim jungen Schiller, „als auch der noch Republikaner war", eine Stelle gefunden, „wo er das deutsche Denken auf den Kopf stellte". Scholl hatte sich häufig mit Carl Muth gestritten, der Goethe und Schiller hochhielt, während sie dem jungen Ulmer nichtssagend und vom Geschichtsbild falsch erschienen. Denn, wie Aicher ausführt, verstanden diese Geschichte immer nur als das Geschehen von Staaten, niemals von Kräften der Gesellschaft. Und Schiller, der sich dem Zeitgeist ebensowenig entziehen konnte, „hatte einmal den Mut gehabt zu schreiben, der Staat sei dazu da, den Zweck der Menschheit zu erfüllen ... Er schildert den spartanischen Militärstaat, als wäre es eine Vision der kommenden preußischen Verhältnisse, des militärgestützten Nationalstaates." 418 Aus Goethes „Epimenides Erwachen" 419 werden zwei Stellen zitiert. Das, was dem Abgrund „kühn entstiegen", muß wieder zum Abgrund zurück. „Und alle, die noch an ihm hangen,/Sie müssen mit zu Grunde gehen." Diese Verse hatte Hans Scholl bereits im Januar 1942 in einem Brief an seine Eltern zitiert420. Im Flugblatt finden sich zusätzlich die optimistischeren Worte der „Hoffnung" über die Braven, die in der Nacht nicht schlafen, sondern noch schweigen, aber dann in die Freudenrufe der Freiheit einstimmen. Das 2. Flugblatt enthält mehrere Worte von Lao-tse 421 , die mit dem restlichen Text nicht direkt, sondern eher lose in Verbindung stehen. Es ist keine kommentierende Ergänzung zum argumentierenden Text des Flugblattes, *" Friedrich Schiller, Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon. Schillers Werke, Nationalausgabe Bd. 17, Weimar 1970, 414-444. 417 Diesen Hinweis verdanke ich Hinrich Siefken. Alexander Schmorell hat im Sommersemester 1942 auf Anregung seines Onkels Franz Monheim Schillers Arbeit über die Gesetzgebung des Lykurg und Solon gelesen. 418 Aicher, Innenseiten 136. 419 Johann Wolf gang von Goethe, Des Epimenides Erwachen 2. Aufzug 4. Auftritt. Hamburger Ausgabe Bd. 5, 388f. 420 Hans Scholl an die Eltern 17.1.1942; Jens (Hg.), Scholl 76f. 421 Vgl. in etwa Curt Böttger, Tao und Teh. Jenseits und Diesseits. Die Sinnsprüche des Lao-tse, Pfullingen 1927.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

sondern eine allgemeine Reflexion über die wahre Form menschlichen Zusammenlebens in einem Staatswesen, über das Ideal des „Hohen Menschen" und das „Reich" als lebendigem Organismus. Schon während der „d.j.1.11"Zeit war Werner, und damit auch Hans, auf den chinesischen Philosophen gestoßen 422 . Das Flugblatt enthält auch einen Satz aus Hitlers „Mein Kampf", das als Gegenbild verwendet und mit einem ironischen Kommentar versehen wird (auch ein probates Mittel im „Hochland"): „ein Buch, das in dem übelsten Deutsch geschrieben worden ist, das ich je gelesen habe; dennoch ist es von dem Volke der Dichter und Denker zur Bibel erhoben worden" (2). (Huber übrigens führt diese ironisierende Tendenz mit einem ätzenden „Führer, wir danken dir!" im 6. Flugblatt weiter.) Anders das Aristoteles-Zitat über die Tyrannis am Ende des 3. Flugblatts, das als direkte Auslegung des vorangegangenen Textes zu lesen ist423. Späher belauschen den Untertanen, der arm gemacht wird, damit die Leibwache bezahlt werden kann und sie keine Zeit haben, Verschwörungen anzustiften. „Und auch beständig Kriege zu erregen, ist der Tyrann geneigt..." - klar, wer damit gemeint war. Als Vollender der Synthese der christlich antiken und frühmittelalterlichen Tradition mit der Lehre des Aristoteles gilt Thomas von Aquin 424 . Schon im Ulmer Freundeskreis wurde viel über Aristoteles nachgedacht. „Die Auseinandersetzung mit ihm", resümierte Aicher später, „hat unser Denken geschärft und zu einer Autonomie geführt, die es uns erlaubte, gegen eine ganze Welt zu stehen, wenn wir uns im Einklang mit uns selbst fühlten" 425 . Was für den Freundeskreis nach der Beschäftigung mit Aristoteles unter dem Strich herauskam, findet sich bei Otl Aicher: Alle - hier führt dieser Othmar Spann, Thomas von Aquin, Hitler und Franco an - „berufen sich auf den Satz des Aristoteles als die Quintessenz seiner Lehre vom Staat: das Gemeinwohl kommt vor dem Privatwohl, Gemeinnutz geht vor Eigennutz." Noch gefährlicher sei die These, das Ganze sei mehr als die Summe der Teile, der Staat also mehr als die Summe seiner Bürger. Damit würde der Staat zu einer übergeordneten Substanz, zu einer höheren Seins-Kategorie. Gefährlich sei zweitens die Theorie von Form und Materie, wenn auf die Gesellschaft übertragen die Menschen die Materie darstellen und der Staat die Form, also das geistige und lenkende Prinzip. Aicher folgert, daß die logische Konsequenz eines Satzes nichts nütze, wenn er von falschen Prämissen ausgehe. Denn: „Nach unsern [sie!] Erfahrungen ... kann das Gemeinwohl eines Staates nur darin bestehen, das höchstmögliche Privatwohl zu sichern, die Freiheit der Person 422 423

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Inge Scholl, in: Vinke, Leben 60. Aristoteles, Politik. Übersetzt und mit erklärenden Anmerkungen versehen von Eugen Rolfes, mit einer Einleitung von Günther Bien, Hamburg 1990. Vgl. auch TRE 3, 726-768 (Olof Gigon). Vgl. dazu allgemein seine Aristoteles-Kommentare. Ausgezeichneter bibliographischer Nachweis LThK2 10, 1119-1134. Auf Aristoteles und Thomas stützt sich Maritain, wenn er die verschiedenen Staatsformen gegeneinander abwägt; Maritain, Christlicher Humanismus 107f. Zum Folgenden Aicher, Innenseiten 135f. Aicher schrieb auch einen Beitrag über Sparta und Athen, insbesondere die Situation von Aristoteles, für das „Windlicht". Es ist anzunehmen, daß hier direkte Bezüge zu den Flugblättern und zu seiner Autobiographie bestehen.

II. Geistes- u n d Ideengeschichte

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und die Existenz des Einzelnen." Und genau hier, in der Umkehrung der aristotelischen Prinzipien, die bis auf den heutigen Staat bestehen, „finge ein christlicher Staat an", in dem die einzelne Person höher als ein Staat steht und nicht der Staat das höhere Wesen, „sondern der noch so kümmerliche Mensch" ist. Damit sind wir wieder bei Maritain angelangt. Das Novalis-Zitat im 4. Flugblatt wurde bereits eingeordnet; Novalis' „Hymnen an die Nacht" hatten die Freunde Anfang 1942 auf die Skihütte begleitet426. Ebenfalls im 4. Flugblatt findet sich ein Bibelzitat aus dem alttestamentlichen Buch Kohelet, eine Klage über das Unrecht in dieser Welt. Auf diese Stelle hatte Traute Lafrenz Hans Scholl einmal aufmerksam gemacht und will ihn an der Verwendung dieser Stelle als Verfasser der Flugblätter erkannt haben427. Die vielen Zitate in den Flugblättern sind Frucht der intensiven Lektüre und Diskussion literarischer und philosophischer Texte im „Scholl-Bund" wie im Münchner Freundeskreis. Sie können als geradezu typisch für ihre humanistisch-christliche Lebensphilosophie angesehen werden: Die in Wort gegossene Humanitas der anderen ermöglicht dem Leser die Entdeckung und Freisetzung der eigenen humanen Möglichkeiten. Auch insofern nehmen die Flugblätter das Dialog-Ideal auf. Worte und Zitate verlangen explizit nach Antworten und Taten. In Flugblatt 5 und 6 finden sich - auch ein Indiz für die veränderte Situation - keine literarischen Zitate mehr, bis auf eine Zeile aus Theodor Körners patriotischem Soldatenlied „Frisch auf mein Volk, die Flammenzeichen rauchen!" im Flugblatt Hubers. 8. Die „ Weiße Rose" und Theodor Haecker Was Hinrich Siefken minuziös für die Briefe und Aufzeichnungen der Scholl-Geschwister und Grafs zeigte, als er anhand von „sieben Themenkreisen" aus den Notaten der „Tag- und Nachtbücher" die innere Verbindung zum Widerstand der „Weißen Rose" belegte428, läßt sich, etwas weniger ausführlich, unvermindert auch auf die Flugblätter übertragen. „Wer aber heute noch an der realen Existenz der dämonischen Mächte zweifelt, hat den metaphysischen Hintergrund dieses Krieges bei weitem nicht begriffen" (4) - „Sie haben bis jetzt alle ihre Erfolge und alle ihre Siege im Zeichen des Antichrist errungen, und ihr wollt glauben, daß sie Christus nicht verfolgen. Wer uns das noch einreden will, der ist nicht einmal mehr ein Dummkopf, der ist ein Heuchler" 429 . Welches Zitat stammt von der „Weißen Rose", welches von Haecker? Sie wären austauschbar. „Rachen des unersättlichen Dämons" (1), „Geißel der Menschheit" (1), „Bestien" (2), „Diktatur des Bösen" (3), der „Schnitter", der mit vollem Zug in die Saat fährt (4), „der stinkende Rachen der Hölle", wie Hitlers Mund bezeichnet wird (4), die „Existenz der dämonischen Mächte" - das ist das Denken Haeckers. Der Versuch, die Gegen426 427 428 429

Jens (Hg.), Scholl 289f. Vgl. ihren Bericht in: Scholl, Weiße Rose 132. Siefken, Weiße Rose und Theodor Haecker. Haecker, Tag- und Nachtbücher 178 (786).

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Z w e i t e r Teil: WIDERSTAND

wart in transzendente Sinnbezüge einzuordnen, die Deutung der Moderne als Abfall von Gott, das Thema der deutschen Schuld an der Herrschaft des NS-Regimes, der Appell an die Rolle des einzelnen Gewissens: all das findet sich in den Werken Haeckers, zumal dieser durch sein Vergil-Buch beinahe selbst zum „Vater des Abendlandes" avanciert war. Es steht außer Frage, daß Haeckers Lesungen im Kreis der „Weißen Rose" einem Akt der Bewußtwerdung und Besinnung gleichkommen, wenn nicht gar bereits Akte des Widerstands waren.

III. DER „GEIST DER GEMORDETEN"

1. „SIPPENHAFT" UND KONVERSION Obwohl Inge, Elisabeth und die Eltern Robert und Magdalene Scholl an den Widerstandsaktionen der „Weißen Rose" definitiv nicht beteiligt waren, verblieben sie nach ihrer Verhaftung Ende Februar 1943 monatelang im Gefängnis am Ulmer Frauengraben 430 und mußten Verhöre über sich ergehen lassen431. Elisabeth wurde nach etwa zwei Monaten wegen einer chronischen Infektion überraschend entlassen, vermutlich auch, weil sie in den entscheidenden Jahren 1941 bis 1943 durch ihre Ausbildung und ihren Beruf als Kindergärtnerin lange Zeit außerhalb der Familie gelebt und weil die Gestapo den Eindruck hatte, sie sei am wenigsten politisch „infiltriert". Erst nach fünfmonatiger teilweiser Einzelhaft wurden Inge - schwer an Diphterie und einem Herzleiden 432 erkrankt - und ihre Mutter am 29. Juli 1943 entlassen433. Der Vater blieb in Haft. Am 25. September wurde der „Fall Scholl" verhandelt; Inge und Magdalene Scholl wurden vom Vorwurf des „Rundfunkverbrechens" freigesprochen, während Robert Scholl zu 18 Monaten Zuchthaus nach Anrechnung der Sippenhaft verurteilt wurde. Erst im November 1944 wurde er entlassen434. Die Industrie- und Handelskammer Ulm hatte Robert Scholl bereits im Dezember 1942 die Berufsausübung verboten. Statt einer vorübergehenden 430

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Zu diesem Gefängnis und der Situation in Ulm vgl. Raimund Waibel, Verfolgung und Widerstand, in: Specker (Hg.), Ulm im Zweiten Weltkrieg 277-321. Vgl. etwa die zwei Protokolle über die Vernehmungen von Robert und Magdalene Scholl am 13.3.1943 in den offiziellen Akten; Berlin BA ZC 13267/6. Vgl. Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 27.7.1943. Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 1.9.1943: Aicher ist erleichtert, daß Inge und ihre Mutter wieder frei sind, „man kann ja bald nicht mehr recht froh werden". Vgl. auch Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 8.8.1943. Daten nach Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft passim.

III. Der „Geist der Gemordeten"

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Haftunterbrechung hatte er die Genehmigung erhalten, im Gefängnis die laufenden Jahresabschlüsse seiner Kunden fertigzustellen und sein Wirtschafts- und Treuhandbüro aufzulösen. Gemeinsam mit seiner Tochter und Assistentin Inge konnte er die Unterlagen bearbeiten, wodurch es möglich wurde, kleine Briefchen als Kassiber hin- und herzuschmuggeln. Diese kleinen Briefe waren zeitweise die einzige Kommunikationsmöglichkeit und wurden zu einer „unschätzbaren seelischen Hilfe". „Vor allem aber geben sie", schrieb Inge Aicher-Scholl im Nachwort zu der von ihr herausgegebenen Sammlung von Kassibern, „Zeugnis davon, welche Kraft aus dem Widerstand selbst und auch aus dem christlichen Glauben erwachsen ist, mit welcher Entschlossenheit und welchem Mut Menschen unentwegt ... an der Mauer von Liebe und Solidarität um uns bauten und uns in der Gefangenensituation stärkten" 435 . Diese Aussage macht auf drei Aspekte aufmerksam: 1. die Bedeutung der „Freunde", wie sie pauschal genannt werden sollen; 2. die Überzeugung, daß der Widerstand der „Weißen Rose" nicht umsonst war und schließlich 3. die religiöse Verarbeitung des Geschehenen. 1. Nach wie vor bestand der frühere Ulmer Freundeskreis. Besonders die Familie Aicher nahm Anteil am Schicksal der Familie Scholl; Otls Schwester Hedwig, die nach der Mittleren Reife eine kaufmännische Lehre absolviert hatte und im väterlichen Handwerksbetrieb tätig war, kümmerte sich sehr mutig und tatkräftig um die Inhaftierten. Sie schmuggelte Lebensmittel ins Gefängnis hinein und die Briefchen hinaus. Fritz Hartnagel, der Verlobte Sophies, trug schwer an seinem Verlust: „Denn so tief und treu, wie er Sophie die ganzen Jahre unentwegt liebte und dann die große Hoffnung, als er in Stalingrad gerettet wurde und dann wie in einen Abgrund geschleudert wurde, dazu unser Schicksal, das ist viel für ihn", schrieb Magdalene Scholl in einem Kassiber436. Seine Familie wurde von der Ulmer NSDAPKreisleitung mehrfach darauf aufmerksam gemacht, daß es sich für einen Offizier der deutschen Wehrmacht nicht schicke, „ein Kommunistenmädchen zur Braut zu haben". Mehrmals mußte er sich für seine Verbindungen zur Familie Scholl verantworten, was ihn in einen schweren seelischen Konflikt stürzte 437 . Er wäre „keineswegs enttäuscht, wenn es anders ausginge", schrieb er Anfang Dezember nach Ulm 438 . Seine Taktik, sich als „alten Frontkämpfer" hinzustellen und jedwede Beschuldigung apodiktisch abzuweisen, ging glücklicherweise auf. Hartnagel war mittlerweile in Dresden stationiert, wo ihn seine spätere Frau, Elisabeth Scholl, ab und an besuchen und Nachrichten aus Ulm überbringen konnte. Auch der Rest vom Ulmer Freundeskreis, Frido und Grogo, blieben in Kontakt mit der Familie und informierten sich gegenseitig über die Ge435 436 437

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Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 125. Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 49. Vgl. sein Schreiben an die Familie Scholl vom 29.11.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft Ulf. Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 116f. Dort auch sein Verteidigungsschreiben.

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Z w e i t e r Teil: WIDERSTAND

schehnisse439. Frido Kotz etwa bekam von Inge Scholl nach ihrer Entlassung genügend Lesestoff, denn sie wollte „sie so gut wie möglich versorgen, weil sie es so schwer haben", wie sie an ihren Vater schrieb440. Eine Brieffreundin von Ernst Reden sandte regelmäßig Grüße nach Ulm, für Inge ein wichtiges Zeichen, denn sie war Lehrerin im Odenwald und hatte auch dort „von unserer Sache" erfahren441. Willi Habermann kam im Dezember 1943 auf „Heimaturlaub", sein Weg führte ihn sofort in das Haus am Münsterplatz 442 . Zufällig war auch Otl gerade in Ulm - beinahe wie in „alten Zeiten", schrieb Magdalene Scholl an ihren Mann. „Wie leid ists mir aber um Dich, daß Du nicht hier sein kannst ... und Du Dich nicht zu ihnen setzen kannst. Die Jungen alle ... fühlen sich uns so verbunden und verpflichtet."443 Nicht nur mit dem Ulmer Kreis, sondern auch mit den Hinterbliebenen in München blieb die Familie im Kontakt. Inge Scholl und ihre Mutter versuchten noch, Frau Schmorell dabei zu unterstützen, damit ihr Sohn neben Hans und Sophie begraben werden könne; dieses Ersuchen wurde abgelehnt, man wollte schließlich keine Märtyrergedenkstätte 444 . Im Advent 1943 fuhren die Frauen aus dem Hause Scholl nach München und brachten einen Adventskranz auf die Gräber. Gemeinsam mit Otl besuchte Inge die Frau von Christoph Probst 445 , und seine Kinder erhielten ein Weihnachtspäckchen. 2. Was in den verschiedenen Kassibern immer wieder ganz stark zum Ausdruck kommt, ist die Überzeugung aller Schreiber, daß der „Geist unserer beiden Guten noch nachträglich in die Tiefe und Breite wirken [wird], für die lebende Generation und auf die ferneren Geschlechter" 446 . Bereits im Gefängnis Stadelheim, als die Eltern Scholl ihre Kinder noch einmal sehen konnten, hatte Robert Scholl seinem Sohn gesagt, daß sie in die Geschichte eingehen würden 447 . Jetzt half den Hinterbliebenen der Gedanke, daß der Tod von Hans und Sophie und ihren Freunden nicht umsonst war und daß sich dieses Vermächtnis in einiger Zeit allen offenbaren würde, die Zeit im 439

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Stuttgart PAK, Fridolin Kotz an Willi Habcrmann 15.9.1942. Inge ließ den Mut nicht sinken, sondern versuchte im Gegenteil noch, die anderen zu trösten. „Es gehört schon ein großes Stück Tapferkeit hinzu, wenn man, den Händen der G...O ausgeliefert, ganz auf sich gestellt mit so viel Güte durch den Tag geht" und ungetrübten Frohsinn zeigt. Besonders auch Fridos Mutter besuchte die Scholls im Gefängnis. Am 30.8.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 89. Inge Scholl an den Vater 1.9.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 92. Habermann hatte Glück, daß ihm keine Verbindungen zur „Weißen Rose" nachgewiesen werden konnten. Am 23.1.1944 bat noch das „Feldgericht des Kommandeurs der 13. Flakdivision" das Reichskriegsgericht um Auskunft, ob sich gegen den Gefreiten weitere Verdachtsmomente ergeben hätten; Berlin BA NJ 10872. Magdalene Scholl an ihren Mann o.D. [kurz vor dem 3.12.1943]; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 115. Vgl. dazu auch die weiteren Briefe in Stuttgart PAK und Bad Mergentheim PAH. Vgl. als ein Beispiel den Brief von Magdalene Scholl an ihren Mann 25.8.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 85f. Dazu Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 6.11.1944. Robert Scholl an seine Familie 2.8.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 77. Mehrfach belegt; vgl. etwa Scholl, Weiße Rose 63.

III. Der „Geist der Gemordeten"

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Gefängnis zu überstehen 448 . Robert Scholl sprach einmal davon, die kommende Katastrophe wäre noch abzuwenden gewesen, wenn die Deutschen so gehandelt hätten, wie Hans und Sophie es andeuteten 449 . Überhaupt versuchte die Familie, vor allem der Vater, auch noch im Gefängnis das Kriegsgeschehen zu verfolgen, um eine genaue Beurteilung der Lage vornehmen und die voraussichtliche Kriegsdauer einschätzen zu können 450 . An ein konkretes „Danach" wagte niemand zu denken. Pläne für die Zukunft finden sich in den Kassibern kaum. Lediglich die Sorge um die Wohnung am Münsterplatz - einer solch „berüchtigten" Familie stand es doch nicht zu, eine der schönsten Wohnungen Ulms zu bewohnen, bemerkte dazu Inge Scholl - und der Plan, nach München umzuziehen 451 , kommen immer wieder vor. Bemerkenswert sind viele Äußerungen, die sich mit der geistigen Erneuerung beschäftigen. Inge und ihr Vater waren fest davon überzeugt, sich dieser Aufgabe annehmen zu müssen: „doch müssen wir leben und ringen, schon um die Früchte des Opfertodes unserer Guten ausreifen zu helfen". Einig waren sie sich auch in der Auffassung, daß die Zeit dazu erst nach dem Kriegsende kommen würde. Robert Scholl schrieb dazu: „Noch nie in der Geschichte der Menschheit waren die Umstände und Voraussetzungen, mit guten und hohen Idealen an die Mitlebenden heranzutreten, so günstig als in der Zeit, der wir entgegengehen. Die seitherige Uniformierung der Presse, Rundfunk und Film kann sich dann noch zum Guten auswirken. Ohne geistige Erneuerung wäre die ganze Notzeit umsonst gewesen. Aber Voraussetzung ist: tut Buße!" 452 Das war eine Zukunftsperspektive: der Glaube an eine bessere Welt. Die Familie war von der Hoffnung erfüllt, daß die Zukunft heller und den Menschen mehr Glück und geistigen Aufschwung bieten würde, schon weil ein ganz anderer „Gemeinschaftsgeist" auf den nationalsozialistischen Ungeist folgen müsse 453 . Kennzeichen dieses neuen Geistes sind Freiheit 448

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„Heute sind es genau drei Vierteljahre, daß wir unsere beiden Guten letztmals sahen und seit sie aus dieser Welt gingen. Mir will manchmal das Heimweh das Herz fast abschnüren. Ich richte mich jedoch daran auf, daß sie in rechter Weise gestorben sind, daß ihr Sterben eine Leuchte sein darf für viele, und daß ihr Leben, Leiden und Sterben nicht umsonst sein wird. Das wird sich erst in einiger Zeit allen offenbaren." Robert Scholl an seine Familie 22.11.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 103. Robert Scholl an die Familie o.D. [Mai 1943]; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 24f. Robert Scholl las im Gefängnis regelmäßig die „Frankfurter Zeitung". Als diese ab 31.8.1943 ihr Erscheinen einstellen mußte, überlegte er lange, welche Zeitung er dann bestellen könne; Robert Scholl an die Familie 18.8.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 81; Günther Gillesen, Auf verlorenem Posten. Die Frankfurter Zeitung im Dritten Reich, Berlin 1986. Im Zusammenhang mit München spricht besonders Otl von der „bedeutenden Atmosphäre" der Stadt und den „nahegehenden Begebnissen". München sei ein Muster für den „geistigen Gehalt" einer Stadt, vor allem hat es hier sehr viele Kirchen, in denen man in aller Frühe zur Messe gehen kann, „ohne durch eine große Menge an der Teilnahme am Geschehen am Altar abgedrängt und abgelenkt zu werden. Und solche Messen sind etwas Köstliches und so Beglückendes wie der erste Sonnenstrahl" des Morgens. Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 24.3.1944. Robert Scholl an die Familie 2.8.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 76. Robert Scholl an die Familie 20.8.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 82.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

und Liebe - auch in Ulm hatte man die Flugblätter der „Weißen Rose" gründlich gelesen. Angst vor der Zukunft indes brauchte man nicht haben. Beinahe visionär sprach der spätere Ulmer Oberbürgermeister davon, daß die materiellen Schäden, an die die Masse in erster Linie denke, „unter gemeinsamer Anstrengung aller bald behoben" sein würden. „Und die ideellen, geistigen und seelischen Schäden? Sie können vielfach durch keine Anstrengung mehr ausgeräumt werden. Aber sie können gelindert werden durch den Geist der Liebe und der Barmherzigkeit." 454 3. Im Gefolge der Münchner Ereignisse kam es zu einer „religiösen Welle": Eugen Grimminger wollte der Kirche wieder beitreten 455 ; Inge Scholl schrieb, wie Hans Hirzel in Erwartung des Todesurteils „ganz stark zu Gott gezogen worden" sei456, und sie selbst bereitete sich auf ihre Konversion zum Katholizismus vor457. So schrieb sie an Fridolin Kotz aus der Haft: „um mich brauchst du dich nicht abzugrämen. Otl hat dir sicher geschrieben, wie gut auch ich in Gottes Hand aufgehoben bin, samt meinen Eltern und Geschwistern. Aber beten darfst du viel für mich. Darum will ich dich bitten, für meine ganze Familie, die noch übrig geblieben ist. Ich habe während der Zeit unseres Leidens schon manchen tiefen Blick in die Liebe Gottes tun dürfen ... Und als Garten dient mir das weite, herrliche Land schöner Erinnerungen. Meine Sterne sind die Herzen meiner Lieben, der blaue Himmel sind mir ihre Gebete und Sophies und Hans' Seligkeit, die Sonne ist mir Christus, lumen Christi, und der grüne Wald und die Silberstreifen am Horizont das ist die Hoffnung, daß unsere Gefängniszeit ihr Ende haben wird und das einmal die Friedensglocken läuten" 458 . Auch in den Kassibern der Eltern, vor allem der Mutter, spiegelt sich eine gläubige Hoffnung. Um über den Verlust von Sohn und Tochter, Bruder und Schwester hinwegzukommen, brauchte es ein großes Maß an Gottvertrauen. Ein solches Thema ist und bleibt sehr privat, wenn nicht gar heikel. Daher soll auch der Wunsch von Inge Aicher-Scholl respektiert werden, darüber nicht mehr Worte als nötig zu verlieren 459 . Die folgende Darstellung beschränkt sich infolgedessen auf die „äußer(-lich-)en Linien", die aus den publizierten Kassibern deutlich werden sowie auf die fortwährende Beziehung zu Carl Muth und Theodor Haecker, die bei der Konversion gewissermaßen Pate standen. Bereits Ende Februar 1942, als die Gestapo im Zusammenhang mit dem „Windlicht" ihren Vater verhaftet hatte, schrieb Inge Scholl an Otl Aicher 434 453

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Robert Scholl an die Familie o.D. [Mai 1943]; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 25. Briefabschrift Eugen Grimminger an Robert Scholl o.D. [Ende Mai 1943]; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 45. Inge Scholl an ihre Mutter 30./31.5.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 43. „Hier will ich Ihnen auch sagen, daß ich von Inge bei ihrem letzten Besuch erfahren habe, daß sie seit langem ihren endgültigen Schritt in die Kirche vorbereitet." Otl Aicher an Carl Muth 2.6.1944; München BayStaBi Ana 390 ILA. Stuttgart PAK; Inge Scholl an Fridolin Kotz 28.5.1943. In mehreren Gesprächen mit Frau Inge Aicher-Scholl spürte ich sehr deutlich, wie wichtig es ihr ist, in diesem Punkt die Privatsphäre zu wahren. Dies möchte ich ausdrücklich respektieren.

III. D e r „Geist der G e m o r d e t e n "

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einen Brief voller Zuversicht und Glauben, den dieser seinem Freund Grogo ausführlich referierte. Inge habe in den letzten Tagen ihr „Heimkehren zur Mutter Kirche" viel beschäftigt. „Nichts wüßte ich mehr, das mich abhalten sollte. Es wäre nur noch eine äußere Gebärde - und doch wieder nicht nur eine äußere Gebärde, sondern viel, viel mehr, sonst würde ich davon absehen. Es hängt damit aber die Eucharistie zusammen, das ist das Wesentlichste. Ich bin diesem Schritt so nahe ..." Es fehle eigentlich nur noch „ein besonderer Befehl Gottes ... denn ich möchte dieser Kirche ein schimmerndes, wenn auch unscheinbares Brautgeschenk mitbringen", weshalb noch viel Schlacke von ihr abfallen müsse460. Im Juli 1943 erzählte Inge Scholl ihrem Vater dann von einem Spaziergang mit Hans am Heiligen Abend 1942. Dabei kam sie auch auf ihren Glaubensweg zu sprechen. „Ich hatte damals noch nicht zu jener beständigen Freude des Geistes mich durchgewachsen ... und konnte auch oft nicht Herr werden über eine Traurigkeit. Ernst's Tod und so manches Andere lag noch in mir." Hans aber betonte - „immer kamen seine Worte aus einem stillen Ernst hervor" - daß man der Zukunft nicht mit einem Achselzucken oder Pessimismus entgegengehen dürfe. Die Menschen brauchen etwas, woran sie sich halten können, „damit sie einen Weg sehen aus dem Dunkel". Inge Scholl schloß mit den Worten: „wenn ich dies nachträglich betrachte ..., dann sehe ich in voller Klarheit die Motive, die ihn zu dem Wagnis trieben - und mit ihm Sophielein."461 Was sich vorher bereits angedeutet hatte, fand durch den „Opfertod" der Geschwister eine letzte Bestätigung. Das belegt auch eine Betrachtung über das Osterfest 1943. Inge Scholl gab ihren Eltern zu bedenken, „daß der Sinn der Passionszeit letzten Endes die Freude ist, das Osterfest!" Vielmehr noch wollte sie ihre „feste, liebe Zuversicht", nämlich daß auf den Tod die Auferstehung folgt, mit ihrem Vater teilen462. Positiv wirkte sich auch das Engagement des Gefängnispfarrers aus - unter seiner Soutane versteckt schmuggelte Kaplan Kuhn 463 „Lebensmittel und andere Wohltaten" in die Zellen - , was Robert Scholl zu dem etwas bitteren Ausspruch veranlaßte, ihre protestantischen Geistlichen seien da zu pedantisch und hätten Angst464. Wenige Wochen nach Ostern, am Pfingstfest, schrieb dann der Vater, wie sehr ihn das Pfingstgeläut der Münsterglocken bewegte: „Ich mußte das Lesen unterbrechen, mußte aufstehen und die Hände falten"465. Es ist eher unwahrschein-

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Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 3.3.1942. > Inge Scholl an ihren Vater 26.7.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 72f. Bei Ernst handelte es sich um Ernst Reden, über dessen Tod sie auch den Freunden berichtete. „Du darfst nicht glauben, daß ich verzweifelt oder todtraurig bin. Ich weiß ganz gewiß, daß er ja weiterlebt, mögen wir auch in diesem Leben getrennt sein". Sie habe die Lebensaufgabe übernommen, für ihn zu beten; Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 2.9.1942. 462 Vgl. den Brief vom 12.4.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 14f. 463 Zu Kaplan Kuhn Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 27f. 464 Robert Scholl an die Familie 2.7.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 67. 445 Robert Scholl an die Familie 12.6.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 54. 4< l

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Z w e i t e r Teil: WIDERSTAND

lieh, daß Inge bereits im Gefängnis oder unmittelbar nach der Entlassung ihren Eltern von ihrem Plan erzählt haben wird 466 . Die Kassiber aus ihrer Feder lassen spüren, wie sie mit der Zeit „katholisch" wurde 467 . Ein Beispiel ist ein Brief an ihre Schwester Elisabeth: Als Kind begannen ihre Gebete mit einem „Lieben Heiland". In den Jahren des Reifens und Suchens stand der „Herr Gott" als unerreichbares Bild in den Sternen. Jetzt aber sei es nicht mehr der „große, unfaßbare, verborgene Gott", zu dem sie betet, sondern der „erbarmende, der mich mehr liebt als der liebste Mensch es vermag". In der letzten Zeit, besonders nach dem Tod von Hans und Sophie, sei „Gott der Schöpfer und Liebende" und „Christus der Erlöser und Liebende" zu einer wunderbaren Einheit geworden 468 . Wenn der Freundeskreis diese schweren Zeiten überdauerte, dann erst recht die Beziehung zu Muth und Haecker in München. Selbst im Gefängnis sorgte sich Inge Scholl, schwer erkrankt, um das Wohlergehen der beiden alten Herren 469 ; auch Frido bemühte sich um Muth 470 . Robert Scholl beschwor zudem Haeckers „Erbe", der schon nach dem Ersten Weltkrieg den Nationalismus gebrandmarkt und schonungslos aufgedeckt habe, als die beamteten Vertreter der christlichen Kirchen, besonders auf evangelischer Seite, „diesen Pseudogott aufpäppeln halfen" 471 . Obwohl die Eltern Scholl die Münchner Mentoren ihrer Kinder nicht persönlich kannten, sprechen die

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Dafür spricht auch ein Brief Inge Scholls an Theodor Haecker vom 18.12.1944, in dem es heißt, daß ihre Eltern jetzt (also gut eineinhalb Jahre später) von ihrer Konversion wüßten und es voller Größe und Güte aufgenommen hätten; Marbach DLA A: Haecker 67.676/8. Diese Briefe sind der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Für die Erlaubnis, sie einzusehen und zu verwenden, danke ich auch an dieser Stelle ganz herzlich Frau Inge Aicher-Scholl. Das ist sehr schön abzulesen am Gegensatz der Kassiber Inge Scholls und ihrer Mutter. Magdalene Scholl betonte in den Schreiben an ihren Mann eher die Dankbarkeit, „Gott und sein Wort" zu haben, und in Gott Geborgenheit erfahren zu dürfen. Besonders bei der Sicht der Auferstehung schieden sich die Geister: Mutter Scholl schrieb am 28.11.1943 an ihren Mann: „Dies Jahr sind wir nach drei Seiten verteilt, unsere Beiden wohl nicht mehr so in dem adventischen Zustand wie wir, obwohl auch sie noch der Stunde harren, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden Seine, des Gottessohnes Stimme hören und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben zur Auferstehung des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichts." Vokabular und Aussage entsprechen evangelischen Vorstellungen; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 109 und passim. Noch deutlicher wird dies in der Zeit auf dem Bruderhof, wo Inge Scholl morgens und abends in die Kapelle ging und früh den Angelus läutete, wie sie an Haecker schrieb. Inge Scholl an Elisabeth o.D. [Juli 1943]; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 70. Dazu paßt auch die Aussage Inges, sie habe kürzlich Lilli [Holl] „die ganze Messe vorgelesen in einem Zug. Das war sehr schön"; Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 19.5.1944. „Und ich bin so froh und dankbar, ... daß das Grab gerichtet ist und daß Muth und Th.H.faecker] etwas Gutes bekommen haben." Inge Scholl an Elisabeth o.D. [Juli 1943]; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 69f. Dazu der Dankesbrief von Muth an Fridolin Kotz 29.6.1943 mit einem Büchlein als Dank; Stuttgart PAK. Das Obst und Gemüse für Muth und Haecker stammte zu einem großen Teil aus dem großen Garten der Familie Kotz. Robert Scholl an die Familie o.D. [Mai 1943]; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 22f. Vgl. auch den Brief vom 12.6.1943: „Haecker hat schon recht, auch mit dem, was er sagt, wie der Krieg abgeschafft werden könne." Ebd. 53.

III. Der „Geist der Gemordeten"

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Kassiber voller Dankbarkeit und Verbundenheit von diesen 472 . Wenigstens für Magdalene Scholl erfüllte sich die Hoffnung, Haecker und Muth bald kennenzulernen. Wenige Wochen nach ihrer Entlassung pilgerten sie nach München ans Grab ihrer Kinder. Bei dieser Gelegenheit besuchten sie auch den Buchhändler Söhngen, der zu sechs Monaten Haft verurteilt worden war; dieser bat sie jedoch, nicht lange zu bleiben, weil er beobachtet werde. „Aber er war ergriffen, daß ihm Hans einen letzten Gruß sandte." „Haecker", berichtete sie dann ihrem Mann, „ist ein stiller Mann, aber in seiner Meinung gewiß. Er löst sich ein Billett nach Ulm und kommt, wenn's brenzlig wird" 473 . Für ihn und Muth hatten die Scholls Obst mitgebracht. Zu einem Besuch in Solln reichte es zwar nicht mehr, dafür hatte Mutter Scholl die Gelegenheit zu telefonieren und erfuhr, Muth gehe es schon wieder besser und er sei wieder munter, habe aber „die letzte Ölung" schon bekommen474. Ende November 475 , als der Adventsbesuch auf den Gräbern anstand, planten Inge und ihre Mutter besser. Sie nahmen einen früheren Zug und konnten in aller Ruhe nach Solln hinausfahren. Dort wurden sie mit „großer Freude und Wärme" aufgenommen. „Der alte Herr ist geistig noch voller Frische und der Geist ist's auch, der ihn noch so aufrecht erhält." Muth ließ den Vater herzlich grüßen, er freue sich, diesen einmal persönlich kennenzulernen. Täglich gedenke Muth dem Schicksal der Scholls; unter anderem schrieb er mehrmals Robert Scholl ins Gefängnis. Auch er sei einsam, Bergengruen nicht mehr in München, seine neuen Hausbewohner unmöglich. „Und auch sonst", glaubte Inge, „ist es eben stiller um ihn geworden, während er doch früher das reinste Gasthaus hatte. Besonders Hans und Sophie, die Jugend, die er so liebte, fehlen ihm vielleicht stärker, als er sich dessen bewußt ist." Genauso wie der Vater im Gefängnis litt er am meisten unter der fehlenden Aussprache, wo er doch gerade mit seinen Memoiren 476 begonnen hatte, „zu denen ein gutes Aussprechen oft sehr gut wäre". Muth sorgte sich auch darum, ob die Familie genug Geld hätte 477 , nachdem Robert Robert Scholl bekam Depressionen, als er von Muths schwerer Krankheit hörte; AicherScholl (Hg.), Sippenhaft 72. Haecker besuchte die Scholls mehrmals in Ulm, etwa im Mai 1944 auf dem Weg ins Elsaß; dazu Inge Scholl an Fridolin Kotz 19.5.1944 und Otl Aicher an ihn 21.5.1944; Stuttgart PAK. Magdalene an Robert Scholl 25.8.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 86. Der Besuch datiert auf Montag, den 23.8.; ein nächster Besuch war für den 22.9. geplant - dem Geburtstag von Hans. Über einen solchen ist in den Kassibern nichts zu finden. Der Besuch war am 27. November, einem Samstag. Inge, Elisabeth und ihre Mutter waren zwischendrin noch am Dienstag, den 2.11. - Allerseelen - auf dem Perlacher Friedhof; vgl. BayStaBi Ana 390 ILA, Inge Scholl an Carl Muth 7.11.1943. Hierbei handelt es sich um die nicht zugänglichen, fragmentarischen Erinnerungen Carl Muths, die sich heute im Familienbesitz befinden. Muth scheint den Wunsch verspürt zu haben, den Begegnungen mit Sophie „und ihrem so ähnlichen Bruder ... in der Niederschrift meines Lebens ein Denkmal zu setzen ..." Carl Muth an Inge Scholl 17.11.1943, zitiert nach Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 106. Was wirklich ein großes Problem für viele Hinterbliebenen war, wie etwa für die Witwe Professor Hubers. Die Familie eines „Volksfeindes" hatte keinen Pensionsanspruch; dazu und zu der Festnahme von Hans Leipelt, der für Hubers sammelte, Marie-Luise Schultze-Jahn, Hans

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

Scholl nichts mehr verdienen konnte. Wie sehr hätte seine Tochter ihm denn auch die Stunden „bei diesem gütigen und geistreichen Menschen und in seiner feinen Atmosphäre" gegönnt 478 . Robert Scholl allerdings wurde sein sehnlichster Wunsch, die „väterlichen Freunde" seiner Kinder kennen zu lernen, nicht mehr gewährt; Carl Muth starb am 15. November 1944 in Bad Reichenhall479, und Theodor Haecker erlag kurz vor Kriegsende, am 9. April 1945 in Ustersbach bei Augsburg einem diabetischen Koma 480 . „Beide starben sie", resümierte Schöningh bereits 1946, „als unter loderndem Feuer und stinkendem Qualm die äußere Katastrophe Deutschlands eintrat, die sie beide in schauerlicher Deutlichkeit längst vorhergesehen hatten." 481 Vor ihrem Tod bestärkten beide Inge Scholl noch sehr in ihrem Entschluß, zum katholischen Glauben überzutreten, worüber ihre Briefe an Muth und Haecker beredtes Zeugnis ablegen. Diese enthalten neben Erinnerungen an die toten Geschwister, Diskussionen über theologische Grundsatzfragen (wie das Problem Gnade und Freiheit) und Literatur 482 Aussagen über ihren eigenen „Glaubensweg". Über all dem steht die Dankbarkeit, die sie beiden schulde für das viele Licht und die viele Liebe, die „schon von ihnen aus in mein Leben geflossen und in das Leben der Meinigen!" „Ich freue mich so unsäglich", schrieb sie am 22. Januar 1945 an Haecker, „daß ich nun bald ganz in der Kirche sein und leben darf. Am 22. Februar voraussichtlich wird meine Taufe und die Ablegung des Glaubensbekenntnisses und vielleicht auch gleich meine erste Kommunion sein, voraussichtlich zu der Stunde, da meine Geschwister heimgegangen sind. Ich möchte bewußt daran auch diese Heimkehr knüpfen, lebe ich doch immer, immer unter diesem hellen Tod."483 Leipelt - ein Kapitel Münchner Hochschule im Nationalsozialismus, in: Siefken (Hg.), Weiße Rose. Student Resistance 67-76. 478 Inge Scholl an ihren Vater 28.11.1943; Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 108f. 479 In ihrem Kondolenzbrief schrieb Inge Scholl am 18.12.1944, die Nachricht vom Tode „dieser großen und mir und den meinen so innig verehrten und geliebten Menschen" habe sie schwer getroffen; München BayStaBi Ana 390 II.C. 480 Haecker war Diabetiker und insulinabhängig. Nichtnazis bekamen aber kein Insulin, es mußte auf dem Schwarzmarkt gekauft werden. Deshalb war er auch dankbar, von Scholls häufig für Diabetiker geeignete Kost zu bekommen. Es bleibt bemerkenswert, daß die Familie, die selbst nicht viel hatte, immer versuchte, etwas zurückzuhalten und nach München zu schicken. Dazu auch der Bericht der Tochter Haeckers Irene Straub, in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 179. 481 Franz Joseph Schöningh, Carl Muth. Ein europäisches Vermächtnis, in: Hochland 39 (1946/47) 10. 482 j n g e Scholl las u.a. die Übersetzung Haeckers von Francis Thompson, Korymbos für den Herbst, die „Symbolik" von Johann Adam Möhler (Symbolik, oder Darstellung der dogmatischen Gegensätze der Katholiken und Protestanten, Mainz 1832), Abschnitte aus den Tagebüchern Kierkegaards und aus den Pensees von Pascal, dann Antonin Gilbert Sertillanges, Der heilige Thomas von Aquin (frz. Paris 1910, dt. etwa Köln 21954), „Philosophie des Glaubens" von Newman (John Henry Kardinal Newman, Ausgewählte Werke, hg. von Matthias Laros, Mainz 1922-1940, hier die Bde. 2 und 3 „Zur Philosophie und Theologie des Glaubens"). Bereits im Gefängnis las sie „Das Schweißtuch der Veronika" von Gertrud von Le Fort (München 21946). Haecker habe ihr in den Gesprächen auf dem Bruderhof dieses auch als „überdurchschnittlich" bezeichnet. Zur Lektüre vgl. auch die Tagebuchnotizen Inge Scholls bei Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 170f. 483 Marbach DLA A: Haecker 67.676/10.

III. Der „Geist der Gemordeten"

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Den Konversions-Unterricht hatte der Pfarrer von Ewattingen, August Ganter 484 , übernommen. Nachdem die eine „Heimkehr" vollzogen war, mußten Inge Scholl und ihre Familie noch den Krieg überstehen und das Ende des Nationalsozialismus abwarten. Im Juni 1944 hatte die Familie die Wohnung am Münsterplatz 33 geräumt und Ulm verlassen, nicht ohne, daß vorher die in Ulm anwesenden Freunde sich noch einmal zu einer Lesung von Haecker über den Fluch der Maschine in Inges Zimmer getroffen hatten 485 . Das ganze Haus wurde bei dem schweren Bombenangriff am 17. Dezember 1944486 zerstört. Inge und ihre Mutter - Elisabeth war beruflich in Stuttgart angebunden - fanden Zuflucht auf einem Einödhof im Schwarzwald, dem in der Nähe Donaueschingens gelegenen „Bruderhof" 487 bei Ewattingen oberhalb des Wutachtals. Robert Scholl, der im November 1944 aus dem Zuchthaus entlassen wurde, verbrachte dort mit seiner Familie die Zeit bis zum Kriegsende. Der jüngste Sohn Werner, der während eines Urlaubs im April 1944 noch seinen Vater im Gefängnis besucht hatte, wurde nach seiner Rückkehr an die Front Anfang Juni vermißt gemeldet. Später wurde berichtet, daß er sich eines Abends von seiner Einheit entfernt habe und nicht zurückgekommen sei. Ob er der Waffen-SS oder Partisanen zum Opfer gefallen ist, bleibt im Dunkeln 488 . Auf dem Bruderhof fand auch Theodor Haecker einige Wochen Unterschlupf, nachdem sein Haus in der Münchner Möhlstraße bis auf den Keller zerstört worden war489. Haecker, der schon nach der Zerstörung seines Hau484

August Ganter (1907-1970), Abitur am Freiburger Bertoldgymnasium, Vikar in St. Märgen, Donaueschingen und Todtnau, Pfarrer in Ewattingen (dazu gehörte die Wolfgangskapelle auf dem Bruderhof) und der Filialgemeinde Mündungen, wo er in den Kriegs- und Nachkriegsjahren sein geräumiges Pfarrhaus in Not geratenen Personen zur Verfügung stellte; Necrologium Friburgense, in: FDA 93 (1973) 402f. (Hermann König). 485 Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 24.4.1944. Haecker habe über den geisttötenden Fluch der Maschine geredet, sie „vertilgt das Individuelle ... sie ist das Prinzip der Masse". Aicher widerspricht. Ihn reizen die metaphysischen Grundlagen der Technik. Vgl. dazu auch Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 22.5.1944 und Inge Scholl an Willi Habermann 26.5.1944. 486 Dazu Neubronner, Ulm in Trümmern v.a. 9-84 (Bilder); Hans Eugen Specker/Irene Specker, Die Luftangriffe auf Ulm mit einem Ausblick auf das Kriegsende in der Stadt, in: Specker (Hg.), Ulm im Zweiten Weltkrieg 409-457, hier 427-442. 487 Zum Bruderhof vgl. Das Land Baden-Württemberg 6, 974f. 488 ^Vielleicht", kommentierte Inge Aicher-Scholl, „war er nicht mehr bereit, für einen Staat zu kämpfen, der seinen Vater ins Gefängnis geworfen, zwei seiner Geschwister zum Tod verurteilt und den Rest der Familie in Sippenhaft genommen hatte." Aicher-Scholl (Hg.), Sippenhaft 135. Nach dem Krieg gab es zahlreiche Suchmeldungen. Vgl. als ein Beispiel Berlin BA DY 55/V 278/6/1722 pag 119. Im Zusammenhang mit einer Denunziationskampagne 1951 erklärte Inge Scholl, Werner sei seit 1944 in den Pripjet-Sümpfen vermißt. Dem Vorwurf, er sei kommunistischer Agent in Nürnberg gewesen, entgegnete sie: „seine engsten Freunde an der Front waren zwei katholische Theologen"; Ulm HfGA AZ 524, Inge Scholl, Erklärung zu einem anonymen Pamphlet gegen die Familie Scholl. 489 Haecker fand zwar durch Vermittlung des dem Kreisauer Kreis angehörigen Jesuiten Alfred Delp eine vorläufige Unterkunft, wollte aber München ganz verlassen; Bleistein, Erbe. Auch Inge Scholl hatte verzweifelt versucht, ein sicheres Refugium für ihn zu finden und fragte bei der Familie Nägele an, die ihr auf die Frage nach einem Unterschlupf für Haecker ebenso absagte, wie die Mutter eines ehemaligen Studiengenossen von Hans in Beilstein; Marbach DLA A: Haecker.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

ses voller Dankbarkeit die Hilfe der Scholls in seinen „Tag- und Nachtbüchern" vermerkt hatte 490 , löste nun wirklich, wie versprochen, eine Fahrkarte. Zwar nicht nach Ulm, dafür in den Schwarzwald. „Vom 8. Juli bis 24. August 1944 habe ich sieben schöne reiche Wochen im Bruderhof als Gast der Familie Scholl verbracht", trug er in das Gästebuch ein. „Vom ersten Augenblick an hat mich die Landschaft gefangen genommen, die das Siegel der abendländischen Kultur trägt: Römerstraßen und christlich-deutsche benediktinische Bauernarbeit nach dem Leitspruch: ora et labora. Meine Augen sehen sich jeden Tag satt an den edlen sanften Linien des welligen Landes, an den vielen Stufen des Grün der Wiesen und Wälder, dem immer neu überraschenden Schwung eines Hügels. Ich sah das Korn reifen und gelb werden bis zur Ernte. Ich lebte unter der ehernen Sonne glorreicher Sommertage, ich sah den zunehmenden Mond und den vollen und den abnehmenden, ich sah die dunkle Nacht und den überreichen Sternenhimmel. Aber weil das Herz zum Herzen spricht war doch das Schönste: ich durfte sieben Wochen gute Taten sehen und gute Worte hören von guten Menschen. Dafür danke ich und bitte Gott, daß er mit seiner Güte ihre Güte lohnen möge. 24. August 1944. Theodor Haecker." 491 An Muth schrieb er, daß er auf dem Bruderhof viel lesen konnte, „da die Scholls eine gute Bibliothek haben" 492 . Das Naturerlebnis beeindruckte besonders auch Inge Scholl, wie aus ihren Briefen ersichtlich wird 493 . Während Haeckers Aufenthalt tippte Inge Scholl 490

491

492 493

»9. Juni: Freitag Vormittag gegen 10 Uhr im Keller. Zerstörung des Hauses und meiner Wohnung. Beispiellose Verwüstung. Manche gute Menschen, Helfer, Tröster durch ihr Sein und ihr Tun! Scholl! Manche crapule! Vornehme Seelen! Und kleine Seelen. Gott ist barmherzig! Gott ist großartig! Gott ist genau, aber großartig. Es geschieht mir kein Unrecht." Haecker, Tag- und Nachtbücher 236 (1080). Haeckers Eintrag ist der erste im Gästebuch der Familie Scholl, das sich heute im Privatbesitz von Fritz und Elisabeth Hartnagel befindet. Die Eintragung ist abgedruckt bei Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 171 f. [Hervorhebung im Original]. Haeckers Hochschätzung der Scholls illustrieren auch verschiedene Notate. „Wenn man mir sagt, daß die heutige deutsche Jugend, die offizielle, von den 2500 Jahren christlicher und adventistischer Geschichte nichts weiß, nichts wissen will und keineswegs begeistert werden kann, so weiß ich das und es macht mich traurig. Wenn man mir aber sagt, daß unter ihr überhaupt keiner sei, der im Innersten davon berührt werde, dann werde ich heiter, denn das glaube ich nicht, denn das ist nicht wahr. Es gibt solche, und sie sind der Adel der deutschen Jugend. Sie werden unter einer Wolke leben, wie ich auch. Sie werden aber im Glanz eines unsterblichen Lichtes stehen, wie ich auch. Und sie werden wissen, wie ich auch." Haecker, Tag- und Nachtbücher 67 (271). An Inge Scholl schrieb Haecker gleichlautend: „Meine Jugend drang nicht bis zur letzten Frage des Petrus vor: .Wohin sollen wir denn gehen' ... Heute ist das doch anders; wenigstens für denkende jüngere Menschen"; zitiert nach Siefken (Bearb.), Haecker 64. München BayStaBi Ana 390 ILA, Theodor Haecker an Carl Muth 20.8.1944. Vgl. als ein Beispiel den Brief vom 13.10.1944 über den „wunderbaren Herbst": „In den Bäumen perlt es hell schimmernd von Äpfeln und Birnen und ihre hellen Farben haben dasselbe Leuchten wie die Kühe, die in der Sonne weiden (Seitdem das Öhmd eingebracht ist, treibt man die Kühe zum Weiden auf die Wiesen). Noch nie habe ich die Lust des Rechens und Auflesens der rotwangigen Apfel aus dem grünen Gras so empfunden wie jetzt! Des abends höre ich sie mit leisem Rascheln durch ihr Laub ins Gras fallen. Die Wälder ringsum beginnen eine Farbenpracht zu entfalten, daß man auch an trüben Herbsttagen das Gefühl des Sonnenlichtes hat. O, und nach großer Ernte kommt der Advent." Marbach DLA A: Haecker 67.676/2.

III. Der „Geist der Gemordeten"

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bereits einige Teile seiner „Tag- und Nachtbücher" ab; als dieser zurück nach München mußte, ließ er die Manuskripte dort. Otls Vater stellte zwei wasserdichte Kapseln aus Gußeisen her, in die eine Abschrift kam. Die Tagebücher Haeckers gingen nicht verloren, weil sie im Schwarzwald vergraben wurden. Inge Scholl bot Haecker auch an, weitere Sachen für ihn abzuschreiben; was dieser dankbar annahm und ihr die jeweils fertiggestellten Passagen seiner „Metaphysik des Fühlens" übersandte 494 . Anläßlich der Übersendung eines weiteren Teils berichtete Haecker in den Schwarzwald, wie er gerade noch von einem Blindgänger verschont blieb, der neben seinem Manuskriptschrank gelandet sei. Inge Scholl erzählte es wiederum Otl und fügte hinzu: „Dies hat mir nahe gebracht, wie allmählich die hohen Bäume, die uns väterlichen Schatten geben, von uns Abschied nehmen werden und es hat mich mit einem sanften Weh berührt. Doch sage ich dazu ja, weil es gut ist und weil ich nicht durch meine Anhänglichkeit den klaren hohen Weg anderer Menschen verstellen will. Unsere Liebe findet sich in dem Einen wieder: Gott." 495 Vor seiner Übersiedlung nach Ewattingen hatte Haecker Besuch von Aicher empfangen496, der nach seiner Verhaftung nach Chemnitz abkommandiert worden war. Im April 1944 bekam er Scharlach - „es könnte verwunderlich sein, wie oft ich während meiner Militärzeit nun schon krank gewesen bin, wo ich doch sonst nicht gerade von kränklicher Natur bin" 497 , schrieb er darüber an Muth. Wenige Wochen später bekam er einen Malariaanfall und wurde in ein Lazarett bei Ellwangen verlegt, wo ihn auch Inge besuchte 498 . Bevor er wieder zu einem Ersatztruppenteil zurück mußte - beim Holzfällen im Erzgebirge verletzte er sich dann noch schwer am Fuß - , machte er auch einen Besuch auf dem Bruderhof, der mehr und mehr die Funktion übernahm, die Inges Zimmer in Ulm bislang innegehabt hatte. Mehrfach beschwor Aicher die geistige Atmosphäre und das „Wohnzimmer voller Bücher". Namentlich Haeckers Aufenthalt habe den Hof zu einem

Die postum erschien: Theodor Haecker, Metaphysik des Fühlens, München 1950. Inge Scholl an Otl Aicher 15.11.1944. Auszugsweise abgedruckt bei Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 172. Ähnlich Stuttgart PAK, Inge Scholl an Fridolin Kotz 4.9.1944: Haecker war Gast auf dem Bruderhof, „das waren sehr schöne tiefe Wochen, die ich unter meinem Dach und an meinem Tisch mit diesem großen frommen Menschen verbringen durfte. Dafür will ich Gott danken. Manchmal fragte er mich in banger Sorge, ob es denn einen Sinn habe, daß er schreibe, ob denn sein Wort bei den Jungen gehört und aufgenommen werde. Ich versicherte ihm dies mit einem überzeugten Ja. Laß uns stets aufs Neue uns bemühn, daß es auch Früchte in uns bringt, wir wollen uns anstrengen, dies väterliche Brot wert zu sein". Wir haben die „hohe Aufgabe, Kinder des Lichtes zu werden". Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 10.7.1944. Aicher war bei Haecker und verbrachte mit ihm die „vertraulichsten Abende". Erzählungen über das Leben waren wichtiger als die Philosophie. Haecker ist karg und bedächtig mit seinen Worten, aber hinter ihm entdeckt man viel Liebe und Wohlwollen. Otl gibt zu, in Haeckers Tochter Irene ein wenig verschossen zu sein. „Es war eine schöne Erfahrung". München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 9.4.1944. Vgl. Aicher, Innenseiten 196. Inge besuchte Otl auch zusammen mit Kurt Deschler, dazu ihren Brief an Fridolin Kotz 30.5.1944; Stuttgart PAK.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

„Haus des Geistes und der Freundschaft" gemacht 499 . An Grogo schrieb Aicher, wie sehr er sich freue, einige Tage mit Haecker Zusammensein zu können, in denen er zeichnen und malen wolle, „denn alles Schaffen fließe unmittelbar aus der Seele"500. Von seiner neuen Einheit an der Grenze zu Lothringen desertierte Aicher und versteckte sich bis zum Kriegsende im Schwarzwald 501 . Muth war zu krank, um sich auf den Bruderhof zu flüchten, wiewohl Inge und ihre Mutter ihn gerne da gehabt hätten 502 . Blieben nur die Lebensmittel-Sendungen und Briefe, die auch Otl nach längerer Pause wieder aufgenommen hatte. Der Briefwechsel bis zum Tode Muths ist insofern bedeutungsvoll, weil er die Beziehungen und Verflechtungen noch einmal ganz deutlich macht. Otl bezichtigte sich mehrmals, am Ungemach Muths, das dieser durch die Gestapo erdulden mußte, schuld zu sein, weil er Hans und Sophie zu diesem geführt hatte. „Oh, glauben Sie mir, sobald ich mir ausmale, wie es wohl um Sie stehen mag, verliere ich die Lust zu allem, zumal mich noch das Gefühl beklemmt, daß gerade ich es sein mußte, der dies Unheil, das über Sie brach, auslöste, wenn ich auch freilich nicht anders konnte, als auf eindringende Fragen bei aller Spärlichkeit mit Ehrlichkeit zu antworten. Ist der Zufall wirklich die Hand Gottes, mit der Er die Geschichte zu lenken pflegt, wie es Radecki sagt, wenn es nur ein Zufall war, der mich mit unseren guten Freunden bekannt machte? Die Sorge um Sie ist mir tatsächlich viel erdrückender als die um die Familie Scholl, die zu allem Leid noch in Haft gesetzt wurde, denn in Ihrem Alter und bei Ihrer Gesundheit haben sicherlich solche Ereignisse ein ganz anderes Gewicht als etwa für Inge."503 Bereits im März 1942 hatte Aicher geschrieben, wie sehr die Mühe um die Freunde seine Liebe zum Menschen geweckt habe, nachdem er sich zu der Erkenntnis durchgerungen hatte, daß Gott Liebe ist. Nicht einmal der Gedanke an den Tod sei mehr bedrückend. „Wahrhaftig, die Liebe Gottes hat den Tod besiegt und ihm allen Stachel genommen". Andererseits würde er gerne noch in dieser Welt bleiben, um seinen Freunden „wenigstens das zu geben, was mich so selig macht" 504 . Und das gelang ihm, zusammen mit dem, an den der Brief adressiert war - Muth. Wie eins vom anderen ab- und alles letztlich zusammenhing, wird in diesem Briefwechsel deutlich - besonders am Beispiel des „katholischen Erwachens" beziehungsweise der Konversion

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Stuttgart PAK, Otl Aicher an Fridolin Kotz 9.7.1944. Die „herrlichen Stunden" mit Haecker waren nur dadurch etwas getrübt, daß „Liesl und Frau Daub auch immer bei uns waren" und uns deshalb die Möglichkeit zu Dingen fehlte, „die man nur mit den ausgesuchtesten Freunden treiben kann". Am 16.7.1944; Bad Mergentheim PAH. Der Bericht seiner abenteuerlichen „Flucht", in seiner Diktion vom „Dünnemachen" bei Aicher, Innenseiten 209-220. Aus der Zeit auf dem Bruderhof stammen eine Fülle von Texten Aichers, die von Kunst, Technik und Philosophie handeln. „Heute morgen haben Mutter und ich uns schon herzlich gewünscht, Sie hier zu haben und pflegen zu dürfen." München BayStaBi Ana 390 ILA, Inge Scholl an Carl Muth 20.6.1944. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 25.3.1943. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 22.3.1942.

III. D e r „Geist der G e m o r d e t e n "

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Inge Scholls. So überbringt Otl Muth die „dankbaren Grüße" Sophies, die diese kurz vor ihrem Tod an Muth aufgetragen habe und weswegen Muth wohl jetzt verfolgt würde. Wie Inge Scholl Haecker berichtet hatte, was Hans in seinen letzten Stunden bewegt habe, übernimmt jetzt Aicher diese Aufgabe und schildert Muth die letzten Tage mit Sophie, vor allem den letzten Abend vor ihrer Verhaftung. In vielen Briefen kam er immer wieder darauf zu sprechen, wie Sophie gerade um das Gebet gerungen habe. An dem bewußten Abend hatten sie nun von Muth und seiner Macht gesprochen, allein durch sein Wesen einem das Beten zu lehren. Sophie erzählte, wie sie sich schämte, Muth immer wieder zu belästigen, und dann nicht einmal etwas zum Gespräch beizutragen, „weil sie auf jedes Ihrer Worte bedacht sei und deshalb im Hinhorchen so stumm werde". Und: „Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, wann sich Sophie ... dem einzigen Glauben ergeben hätte" 505 . Was Aicher bereits in Ulm begonnen hatte, vollendete Muth also in München. Aichers Freude, als Inge ihn von ihrem „endgültigen Schritt" in Kenntnis setzt, kennt demzufolge keine Grenzen. Muth gegenüber gibt er zu, daß es ihm immer ein Anliegen gewesen sei, Inge Scholl zur „Rückkehr in die Kirche" zu bewegen. Ohne - und das sei ausdrücklich hinzuzufügen - ihren eigenen und freien Entschluß hätte eine solche Entscheidung aber keinen Bestand. Aichers Beteuerungen, daß er es von jeher vermieden habe, „auch nur von einem solchen Schritt zu reden, geschweige denn zu drängen" wehren jedem Vorwurf, er und Muth hätten sich missionarisch betätigt 506 . „Selbst, wenn wir Luther lasen, bin ich nie über die Grenze gegangen, wo ich auf eine direkte Beurteilung dieser Frage einen Einfluß gehabt hätte" 507 . Wie sah das die eigentlich Betroffene? Hätte Inge Scholl über ein solches Geständnis nicht entrüstet und empört sein müssen? Im Gegenteil, und das belegt wiederum die Intensität der Beziehung Aicher-Muth-Scholl, sie bat Muth häufig um Verständnis für Otl, „denn er braucht Sie sehr notwendig. Sie haben mich einmal gebeten, Ihnen in Ihrer Bemühung mit Otl beizustehen. Ich habe dies nie vergessen." Carl Muth hatte also Inge Scholl - genau505

5(36

5=7

München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 31.10.1942. Vgl. auch die anderen Briefe, die dieses Thema durchgängig ansprechen. Dazu auch den frühen Brief in Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 3.3.1941: Inge hat Otl ins Gesicht gesagt, „sie wolle sich nicht zu sehr von mir beeinflussen lassen, sie wollte nicht haben, daß sie nur aus Anhänglichkeit mir gehorche ... Es ist aber trotzdem unglaublich, wie erwachsen das junge Ding ist. Du kannst dir denken, wie mir diese klare Haltung imponiert ... Ich habe keine Sorge mehr um sie, sie hat nun den Weg, auf dem sie alles leisten wird. Sie wird soweit gehen wie ihr Hans, nur daß sie eben ein Mädchen ist und nicht dauernd ein Schießeisen auf dem Tisch liegen hat wie er. Sie liest mit Ernst Reden und mir jeden Abend aus Augustinus, wie ihn Przywara ausgesucht hat und dies Buch wird ihr bestimmt den letzten Schliff geben, wenigstens im groben. Wir werden schließlich Freunde werden, die sich hassen, weil sie sich lieben mit einer Liebe, die in Gott ihren Angelpunkt hat." Zu Erich Przywara (1889-1972) BBKL 7, 1014-1017 (Erich Naab); Rüster, Verlorene Nützlichkeit 268-292. In Leipzig bei Hegner erschien 1934 das Augustinusbuch mit dem Untertitel „Die Gestalt als Gefüge". München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 2.6.1944.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

so wie Otl Aicher in bezug auf Inge Scholl Muth gebeten hatte und umgekehrt - in gleicher Weise miteinbezogen in sein Bemühen, wenigstens ein paar junge Leute für das Abendland zu retten. Als Otl im „Malariarappel" Muths berechtigten Zorn erregte und dieser das Inge Scholl mitteilte, kann diese es erst einmal gar nicht fassen, daß Otl ihm solchen Kummer und solche Lieblosigkeit angetan haben soll, und bittet Muth in Otls Namen um Verzeihung. „Vergeben Sie ihm ... Dafür möchte ich einstehen. Er hat mir gegenüber schon manchmal geäußert, er sei plump und klotzig. Ich selbst weiß, daß Otl schon seit denkbar früher Kindheit ein sehr in sich abgeschlossenes, besinnliches Menschenkind war, bei dem zwei Personen, nämlich der dreieinige Gott und das eigene Ich in einem nicht ganz wohl proportionierten Verhältnis zu der dritten Person, dem des Nächsten, des Menschenbruders, standen. Diese starke, beinahe einseitige Innerlichkeit, ist vielleicht der Grund, der es ihm schwer macht, sich in die Seelen seiner Nächsten einzufühlen und einzuleben. Er mag in sich selbst aufgewachsen sein wie in einem Kloster. Vielleicht ist er zum ersten Mal gewaltig aus dieser Einsamkeit herausgezogen worden, als er in unseren Geschwisterkreis trat und darin sein ganzes Ich hingeben mußte an uns, um uns wieder auf den allein wahren Weg des Christentums hinzuweisen. Er hat mich einige Male in großem Ernst gebeten, ihm zu helfen, die Menschen zu lieben. Wie er aber dann unter Ihrer Liebe und Ihrem segensreichen Einfluß aufgeblüht ist, das ahnt Otl wohl, ich aber überschaue es noch besser; und mein Dank wird gar nie ausreichen, Ihrer unvergleichlichen Güte und Reife gerecht zu werden. Ich bitte Sie innig, lieber guter Herr Professor, Ihren Ärger und Kummer über Otl in eine Sorge um ihn zu verwandeln - und diese Sorge soll auch die meine sein. Helfen Sie mir, seine Mängel und Fehler klar zu erkennen, um ihm mit der Gnade unseres Herrn und mit eigener liebevoller Strenge entgegenzutreten." 508 Leider wissen wir nicht, was Muth in seinen Briefen an die beiden schrieb, eindeutig ist jedenfalls, daß es sich nicht um das eher unpersönliche Verhältnis eines Lehrers zu seinen Schülern handelt, sondern daß gegenseitige Zuneigung und damit auch emotionale Abhängigkeit - also eher eine VaterKind-Beziehung - durchaus eine Rolle spielten. Auch wenn Muth viele Freundschaften pflegte und mit vielen jungen Leuten Umgang hatte, dürfte erwiesen sein, daß der Fall Aicher-Scholl ein besonderer war. Leider starb Muth zu früh, um in das „Landhaus in Oberschwaben", das Otl Aicher nach dem Krieg zu bauen beabsichtigte, einzuziehen. Dieses Haus, schrieb er an Muth, „baue ich vielleicht mit etlichen Freunden ... und das sollte dann groß genug sein, auch Sie zu beherbergen, solange sie einen musischen und beschaulichen Gewinn daraus ziehen können. Oh ich wollte, es käme soweit, und es gefiele Ihnen inmitten dieses alten Kulturlandes so gut, daß sie für immer bleiben möchten." 509 308

509

München BayStaBi, Ana 390 ILA, Inge Scholl an Carl Muth 9.11.1943 [Hervorhebung im Original]. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 15.10.1944.

III. D e r „Geist der G e m o r d e t e n "

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Neben diesem Zukunftsplan ist die Aichersche Interpretation des Flugblattabwurfes vom 18. Februar bemerkenswert. Er schrieb darüber ausführlich an Muth: „Ich glaube, ich kenne die Wurzeln zu Sophies Tod, die keine politischen, sondern metaphysische sind. Ich weiß auch, wie ich selbst in diesen Tod verflochten bin. Sie hat mir in Bad Hall 510 alles dargelegt, ohne daß ich auch nur im Entferntesten hätte auf diese Dummheit schließen können. Sie hat einen zu jugendhaften Schluß aus ihrem Geist gezogen, der sich im Grund gar nicht mit ihrem Wesen vertrug und ihm nur angeklebt war. Ihr gütiges und edles Wesen hat sie dazu geleitet, auch einen schiefen Gedanken bis zum Ende auszukosten, und sie hat ihren Edelmut dazu hergegeben, einen widersinnigen Einfall ganz auszuführen. Es hat auf sie kaum ein Wort einen solchen Eindruck gemacht, als daß die Tat mit dem Wort eins sein muß, und was sie so steil emporführte, hat sie auch zu entschlossen zu diesem kopflosen Schritt gemacht, und sie war dabei, noch ehe über den Eifer das gesunde Denken Herr geworden wäre. Im Trachten, keine Halbheit an sich zu dulden und immer sauberen Tisch zu haben und keine Weichheit in ihre Seele einschleichen zu lassen, war sie in etwas hineingeraten, an dem sie gar nicht so hing, wie es die Folgen glauben machen könnten. Wohl war sie ganz dabei, aber weniger aus politischer Gesinnung als in der Sorgsamkeit um die Klarheit ihres Wesens. Und weil ich dies weiß, glaube ich, daß ihr dieser Tod nur Ehre machen kann. Daß sie schneller handelt, als sie denkt, und so rasch denkt, als sie handelt, ist wohl der Jugend zu verzeihen, weil es bei Menschen in unserem Alter schon immer so war und auch so bleiben wird. Schon weil ich mich selber allmählich kennenlerne, will ich nicht an diesem so sprunghaften und gar nicht durchleuchteten Einfall deuten, und ich glaube, einen Vorwurf wird man kaum machen können. Umso mehr rühmlich ist es, wenn Sophie bei allem dabei war, weil sie mehr auf ihre Seele und ihre Sauberkeit trachtete als auf die Tat selbst. So muß ich sagen, habe ich nie um sie getrauert, obwohl sie mir überall fehlt, denn solcher Menschen Namen stehen im Himmel geschrieben. Wer einen Strohhalm für Gold anschaute und um ihn kämpfte, als sei er alles, der ist in einer Hinsicht gewiß nach dem Herzen Gottes, wenn auch erst die Klugheit die Tapferkeit gut macht."511 Wollte man Aicher hier jugendlichen Übermut vorwerfen, genügt ein Blick in seine „Innenseiten", um sich von der Kontinuität dieser Ansichten zu überzeugen. Sophie war für ihn immer „moralische Instanz", weil sie auf der Übereinstimmung von Denken und Tun beharrte. Sie „sah in der Art, wie eine solche Übereinstimmung zustande gebracht wurde, den Grad der Entfaltung einer 510 511

512

Vgl. Aicher, Innenseiten 129-138. Aicher war dort mit Gelbsucht im Lazarett. München BayStaBi Ana 390 ILA, Otto Aicher an Carl Muth 31.10.1943. Aichers Einschätzung deckt sich mit dem standfesten und unbeirrbaren Eindruck, den Sophies Verhör-Protokolle zeigen. Ohne Wenn und Aber erklärte sie etwa, daß in der nationalsozialistischen „Bewegung" „nach meiner Auffassung die geistige Freiheit des Menschen in einer Weise eingeschränkt wird, die meinem inneren Wesen widerspricht. Zusammenfassend möchte ich die Erklärung geben, daß ich für meine Person mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben will." Berlin BA ZC 13267/3. Aicher, Innenseiten 138.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

Persönlichkeit." 512 Die Krise der „Weißen Rose" war also nicht zur Krise der geistigen Grundlagen geworden. Vielmehr erwiesen reformkatholische Ideen gerade nach der Hinrichtung der Geschwister Scholl ihre Tragfähigkeit. Die Konversion Inge Scholls zum Katholizismus, die Verdichtung des Beziehungsnetzes mit Muth und Haecker waren die fast zwangsläufigen Folgen.

2. ZUCKMAYERS FlLMENTWURF „DlE WEISSE ROSE" - EINE GEISTERBESCHWÖRUNG? Im Deutschen Literaturarchiv Marbach fand sich ein Filmentwurf „Die Weiße Rose". Er stammt aus der Feder von Carl Zuckmayer und entstand 1948 im Zusammenhang mit dem „Studio Null" 513 . Über die näheren Umstände der Entstehung dieses Filmmanuskripts und die Gründe für seine Nichtrealisierung ist später zu berichten. Hier ist auch nicht der Ort, um die Versuche anderer Autoren und Produzenten, das Thema zu verfilmen, zu beschreiben, wie hier auch die Diskussion um den 1982 ausgestrahlten Film „Die Weiße Rose" von Michael Verhoeven und Mario Krebs nur erwähnt, aber nicht nachgezeichnet werden kann 514 . Für unseren Zusammenhang ist wichtig, daß sich das „Studio Null" als Fortsetzung des Kreises der Geschwister Scholl verstand. Inge Scholl stellte Zuckmayer ihr Material zur Verfügung, und es ist anzunehmen, daß sie selbst sowie Otl Aicher bei der Abfassung des Entwurfs beteiligt waren 515 . 513

514

515

Vgl. dazu unten. Für die Erlaubnis, den Zuckmayer-Nachlaß im DLA Marbach zu benutzen und Teile daraus in dieser Arbeit zu publizieren, danke ich ganz besonders Frau Maria Guttenbrunner, die mir durch ihr freundliches Entgegenkommen die Arbeit sehr erleichtert hat. Mein Dank gilt auch Herrn Dr. Günther Nickel vom DLA für die kompetente Beratung in Sachen Zuckmayer. Der Filmentwurf soll im „Zuckmayer-Jahrbuch" ediert werden. Die Namen reichen von Artur Brauner, Axel Eggebrecht, Hans Geissendörfer und Falk Harnack über Erich Kuby und Volker Schlöndorff bis hin zu Günther Weisenborn. Vgl. Berlin SAdK NL Weisenborn Bd. 1206 zu einer Filminitiative um 1951/52; zu einer Initiative 1959 die Pressewelle dagegen, vgl. „Rhein-Neckar-Zeitung" 28./29.3.1959; zum Film von 1982 Verhoeven/Krebs, Weiße Rose. Als Beleg für die negativen Reaktionen, die dieser Film hervorrief, der Leserbrief von Michael Probst in der „Süddeutschen Zeitung" 18.12.1982: Die „Weiße Rose" „wird so in einer neuerlichen Variante des gegenwärtigen Zeitgeistes und der damit verbundenen Ideologie durch einseitige Einvernahme mißbraucht. Der Vorbildcharakter ... erschöpft sich nämlich nicht nur im antifaschistischen Widerstand ..." Das im Film diffamierte Christentum der Tat, die Religiosität, ist die Grundlage des ganzen Kreises. Wie bereits in der Öffentlichkeit über den Roman von Neumann heftig diskutiert wurde, wurde es nach Bekanntwerden des Filmprojektes erst recht. Im „Mannheimer Morgen" 29.5.1948 etwa stellte man das positive Echo auf den Roman durch Hans Hirzel der Ablehnung Inge Scholls gegenüber: „Nun wissen wir aber, daß die gleiche Inge Scholl an einem Projekt des augenblicklich in der Schweiz lebenden Dichters Carl Zuckmayer beteiligt ist ... Man kennt die Absichten Zuckmayers nicht und weiß auch nicht, wie er seinen Stoff behandeln wird. Auf alle Fälle bleibt sein Werk, zu dem Inge Scholl ihre Hand reicht, ein Wagnis, nicht geringer als das, was Neumann unternahm ..."

III. Der „Geist der Gemordeten"

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Da die „Weiße Rose", näherhin das Wirken von Hans und Sophie Scholl in derselben, somit aus der Perspektive der langjährigen Weggefährten und Freunde sowie in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang eine bisher nicht gekannte Würdigung erfuhr, eignet sich dieses Filmmanuskript in geradezu idealer Weise als Nachlese zur Geistes- und Ereignisgeschichte der „Weißen Rose" im Rahmen der vorliegenden Studie. Vor dem eigentlichen Filmentwurf steht ein achtseitiger Text, den man mit „Theoretische Vorüberlegungen" überschreiben könnte 516 und der mit Sicherheit von Inge Scholl und Otto Aicher selbst stammt. „Ein Film", heißt es in diesem Expose, „der die Tat der Geschwister Scholl behandeln will, muß auch den Anforderungen, die sie an den Film als Kunst gestellt hatten und heute stellen würden, gerecht werden. Oder aber er blieb besser ungedreht. Ein Film, der nur thematisch ihren Geist festhalten wollte und ihn als Film selbst zugleich verleugnen würde, wäre eine Verhöhnung ihres Vermächtnisses. Und selbst wenn ein solcher Film ein künstlerisches Wagnis wäre, wie es ihre Tat im Bereich des Politischen war, müßte er ihrem künstlerischen Wollen und Streben angemessen sein und den Forderungen, die sie an die Kunst stellten, Ausdruck geben. Es müßte ein Film werden, den sie selbst sehen könnten, wenn sie heute wieder zu uns kämen." Um diesem Anspruch gerecht zu werden, muß zunächst über die Mittel des Films reflektiert werden. Die bisherigen Filme waren „ein Stück Theater, ein Stück Wirklichkeit, ein Stück Bild" und verstellen den Blick auf den „künstlerischen Film", der seine eigenen Gesetze hat. Drei „Ursubstanzen" kennzeichnen den Film: erstens das Licht, zweitens der Ton und drittens die Bewegung. Das Licht diente bisher nur als Beleuchtungshilfe, nun soll der Scheinwerfer zu einem „selbständigen Spieler" werden. Auch der Ton muß als Eigenmittel aufgespürt werden. Und die Kamera muß zum „inwendigen Beobachter" werden, sich von ihrem bürgerlichen Blick befreien und „uns in Bewegung bringen". Auf die „Weiße Rose" angewendet hieße dies, daß es keinen Sinn macht, die zerstörte Universitätshalle nachzubauen, um den Flugblattabwurf filmen zu können - wie es von Filmfachleuten vorgeschlagen wurde. Die Bewegung, die in der Szene liegt, liegt für solche Leute nur in der Abwechslung der Blickpunkte - einmal von der Seite, einmal von oben, einmal nah, einmal weit. Wird Bewegung als Mittel des Films richtig verstanden, dann braucht man nicht an einen Nachbau der Universitätskulisse denken. „Das Entscheidende an diesem Flugblattabwurf lag nicht zuerst am Raum, sondern in der seelischen Bewegung, die sich währenddessen vollzog. Eine Hoffnung, eine Tat löst sich aus. Eine Bewegung beginnt in diesem Augenblick zu fluten, fallende Blätter, sich dehnende Treppen, wirbelnde Fetzen und der Sog und die Befreiung im Herzen ... dies alles löst eine spontan ineinandergreifende Bewegung aus." Und diese Bewegung ist entscheidend, nicht die Kulisse der Universität. Die drei Urmittel des Films seien überaus geeignet, gerade den „Geist der Weißen Rose" zu erfassen, nicht den Geist der Stadt München oder den 316

Marbach DLA NL Carl Zuckmayer ohne Sign.: Prosa. „Die Weiße Rose. Filmentwurf". Danach die folgenden Zitate. Auf Einzelnachweise wird verzichtet.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

Geist des Studentenlebens, sondern „den Geist der Geschwister Scholl". Eher dürften am tatsächlichen Geschehen Abstriche gemacht werden, als an dem Geist, der hinter ihrem Leben stand. Es ging dem „Studio Null", dem Filmentwurf und damit neben Carl Zuckmayer auch Inge Scholl und Otl Aicher nicht um einen Dokumentarfilm, der historisch exakt das Geschehen rekonstruiert, sondern um jenen „Gang durch den Garten der Kultur" und die „Früchte", die dieser trug, sprich: um die intellektuelle Ausformung, die zur „Weißen Rose", zur Gründung der Volkshochschule und zum „Studio Null" führte. Dafür sprechen auch die vier Übersichten 517 über Personen, Hauptschauplätze, zentrale Themen und zu berücksichtigende Hintergründe, die Zuckmayers Manuskript beiliegen. 1. Zu den Personen 518 : Neben dem Kern der fünf Studenten und Professor Huber stehen Carl Muth und Theodor Haecker. Von den Eltern Scholl kommt lediglich die Mutter vor. Aus Traute Lafrenz wird „Brigitte", „eine Studentin, die die Angst in ihrer ganzen Tiefe und ihrem Grauen verkörpern muß". Aus dem Studenten Jürgen Wittenstein wird „Laufenstein"; andere namenlose Studenten kommen dazu. Auf der anderen Seite stehen die Gestapo-Beamten und -Spitzel Riest (Albert Riester), Marwitz, Mohn (Robert Mohr) und andere. Des weiteren die Zellengenossen von Hans und Sophie, Gefängnisgeistliche und Wachtmeister usw. 2. Von den Hauptschauplätzen sind zu erwähnen „Skilager", „Arbeitsraum Muth", „Wohnung Haecker", „Klosterbibliothek", „Konzertsaal", „Buchund Kunsthandlung". 3. Auch die zentralen Themen führen „Muth" und „Haecker" auf. Weiterhin „Bündisches Jugendleben", „Fronterlebnis" und „Arbeitseinsatz", „Studenten-" und „Kulturleben". Sehr interessant der Hinweis auf das Stichw o n „Tyrannenmord", konkretisiert auf „Tod Hitler" oder „Widerstandsbewegung" und „Goethe und Humanismus" bzw. „Gegensatz van Gogh, Dostojewsky". 4. Bei den Hintergründen lohnt sich ein Blick auf das Stichwort Jugendbewegung: „als militärische und politische Schulung oder Jugendbewegung als Erfassen des Lebens, der Welt und der Natur. Nicht Empörung als Abschüttelung, sondern Befreiung für ein Neues." Genauso der Hinweis „Vaterlandsverrat als Weg zur Freiheit" und „Kameradschaft". Der eigentliche Filmentwurf besteht aus 45 maschinenschriftlichen Seiten. Zeitlich setzt das Manuskript mit dem „Abschiedsabend" ein - dem 22. Juli

517

318

Diese Listen könnten Carl Zuckmayer vom „Studio Null" bzw. Inge Scholl vorgegeben worden sein. Es existieren zwei Personenlisten, eine gehört unmittelbar zum Entwurf (mitnummeriert) und hat verschlüsselte Namen, die andere lag vor den theoretischen Reflexionen. Diese könnte von Inge Scholl stammen, denn sie enthält noch eine Person „Intellektueller" - wie Furtmeier im Freundeskreis genannt wurde - neben einer handschriftlichen Notiz in der Schrift Inge Scholls.

III. Der „Geist der Gemordeten"

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1942, bevor die Studenten nach Rußland fuhren - und endet mit der Szene „Hinrichtung". Eine Art Rahmenhandlung besteht in einem Beobachtungsflug der Royal Air Force über Deutschland: Am Anfang fragt ein „Tommy" den anderen, ob es immer so dunkel über Deutschland sei. Dann überfliegt das Flugzeug München, und es blitzt ein Streichholz auf, mit dem Huber den Eingang zum Atelier Eickemeyer sucht. Am Ende stellt der Pilot beim Anflug auf München fest, daß es heute heller sei als das letzte Mal. Im Hintergrund kommen die Nachrichten über die Studentenerhebung aus dem englischen Rundfunk. Ein Fenster ist hell erleuchtet, das Fenster der Zelle von Hans Scholl. Das Manuskript besteht aus 26 bzw. 28 Sequenzen, zählt man die Verteidigungsrede von Huber und Scholl im „Prozeß" extra. Bei dem Entwurf handelt es sich nicht um ein ausgefeiltes Drehbuch mit vollständig ausformulierten Dialogen; vielmehr wechseln sich Regieanweisungen mit Gesprächsfetzen ab oder gehen gar ineinander über, wie auch ein möglicher Gesprächsverlauf nur durch Zitate aus der Literatur angedeutet wird. Die Vorgehensweise ist chronologisch; durch verschiedene Rückblenden werden die für das Verständnis notwendigen Hintergründe nachgeliefert. Etwa in der Szene „Stadtkommandant": Hans sitzt im Klubsessel und versucht, den umhergehenden Kommandanten von der Notwendigkeit des Widerstands zu überzeugen. Als ihm dieser vorhält, den Nationalsozialismus nur von außen zu kennen, widerspricht Hans, indem er ihm von seiner Zeit in der Hitlerjugend erzählt und wie er seinem Vater ein „Führerbild" geschenkt hat. Durch symbolische Gegenstände wird der innere Zusammenhang des Stücks dokumentiert. So zum Beispiel durch einen Koffer, der am Abschiedsabend durch ein verschmiertes „V" - wie es die Untergrundbewegung in Holland als Zeichen der „Viktoria" an alle Straßen und Mauern gemalt hatte - gekennzeichnet wird. Dieser Koffer begleitet Willi Graf nach „Freiburg", aus diesem Koffer streuen die Geschwister schließlich die Flugblätter in den Innenhof. Hauptprotagonist ist eindeutig Hans Scholl, der fast in jeder Szene auftritt. Gut die Hälfte der Szenen entfällt auf die Darstellung der „historischen" Aktionen der „Weißen Rose" („Flugblätter", „17., 18., 19. Februar"), während der zweite Teil den „Geist" der Gruppe herauszuarbeiten sucht. Zu diesem Zweck werden die Abende im Freundeskreis und die Gespräche mit den Mentoren rekonstruiert. Diese Passagen sind in unserem Zusammenhang besonders interessant. In der Szene „Abschiedsabend" arbeiten zunächst Hans, Sophie, Alex und Christi im Keller des Ateliers an den Flugblättern. An der Wand hängt Picassos „Guernica", das Bild, in dem - wie die Szenenanweisung erläutert „der geistige Hintergrund der Studentenerhebung festgehalten ist". Das „Bild der gepeinigten, notleidenden, ausgelieferten und unterjochten Menschheit" richtet sie immer wieder auf und macht ihnen klar, wofür sie letzten Endes kämpfen: „um die Freiheit des geknechteten Menschen". In der Folge teilt sich die Szene: Sophie und Alex bleiben im Keller und arbeiten weiter, während Hans und Christi hoch gehen und den Abschied feiern. Die Szenen werden immer wieder ineinander geblendet.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

[1. Blende:] Unten entsteht ein Gespräch über Claudels „Seidenen Schuh". „Sie sind von dem Stück sehr beeindruckt", lautet die Regieanweisung, „vor allem wegen seiner politischen Ideale", die in die Figur Rodrigos hineingearbeitet sind. [2. Blende:] Rodrigo stürzt als großer Politiker und wird zum Bettler, wodurch er zum weisen, in die Zukunft blickenden Staatsmann wird. Rodrigos Aussage, für den Frieden nur einstehen zu können, wenn er die ganze Welt hat, interpretieren Sophie und Alex als Forderung für den Weltstaat: „Die Souveränität der Einzelstaaten muß sich in einer über die ganze Erde gespannten politischen Ordnung auflösen". Rodrigos Europa-Euphorie („Einigt ganz Europa in eine einzige Strömung") wird im Entwurf mit einer Stelle aus dem 5. Flugblatt konterkariert: „Der imperialistische Machtgedanke muß ... unschädlich gemacht werden ... N u r in ... Zusammenarbeit der europäischen Völker ist ein neuer Aufbau möglich." [3. Blende:] Aber Rodrigo wurde nicht verstanden. Er landete im Irrenhaus. Und die Lehre daraus? Der Krieg der Staatsvergottung und der Selbstautonomie muß eine politische Neuordnung zur Folge haben, oder er ist verloren. „Unsere Niederlage", sagen Sophie und Alex, „kann unsere Chance werden, wenn unsere Tat gelingt". Wir müssen das Joch abschütteln, besser heute als morgen. Und vielleicht ist es gut, wenn der Staat völlig zerstört wird, „damit wir das Wesen des zukünftigen Staates verstehen." Ein besiegtes Volk ist blind, nur ein befreites hat Augen. „Und was für Augen es haben könnte! - die Augen Rodrigos." Während im Keller durch die Arbeit am Hektographierapparat und das Gespräch über Claudel eine optimistische, beinahe visionäre Stimmung entsteht, endet das Gespräch oben eher in Depression. Nachdem Hans von seinen letzten Besuchen bei Haecker und Muth erzählt hat und die Bedeutung dieser Personen für das geistige München klar geworden ist, kommt man auf die Politik zu sprechen. „Huber scherzt über seine Parteimitgliedschaft. Man spricht ausführlich vom alten Fritz." Dazu die Regieanweisung: „Am Gegensatz Friedrich IL - Rodrigo werden die politischen Ideen der Studentenerhebung sichtbar." Das Gespräch, das nicht völlig ausformuliert ist, müßte deshalb wie folgt ablaufen: [1. Blende:] Hans verurteilt leidenschaftlich die Politik Friedrichs des Großen. Der Preußenkönig hat das Staatsoberhaupt an die Stelle Gottes gesetzt, Bismarck setzte das fort, weil er die Kirche ausgeschaltet sehen möchte. „Das Preußentum ist der Totengräber der deutschen Kultur" und hat mit seiner Hausmachtpolitik das Deutsche Reich untergraben. Dieser Krieg ist der letzte Krieg des Preußentums und in ihm vollzieht sich der Untergang Deutschlands, denn: „Das Dritte Reich ist der Vollender des Preußentums. Seine zersetzende Kraft steigert sich zum Wahnsinn." [2. Blende:] Nun schaltet sich Huber ein und spricht seinen berühmten Satz: „Es muß etwas geschehen". Hans pflichtet diesem bei und bringt das Gespräch nun auf die Kirche, die auch nichts tut. Jetzt spricht auch noch Laufenstein und bringt Gegenargumente. Die Regieanweisung sieht für Lau-

III. Der „Geist der Gemordeten"

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fenstein den Standpunkt der Wehrmacht, Offiziere, deutsch-national Gesinnter während dem Krieg vor. [3. Blende:] Abschiedsstimmung zwischen „Es muß etwas geschehen" und Angst. Hans begleitet Huber nach Hause und weiht ihn ein. „Sie sprechen über die Schwierigkeiten einer Widerstandsbewegung in Deutschland". Vom „Mut zum Hochverrat", von der großen Vorsicht, die geboten ist. „Nur bei Hans dürfen die Fäden zusammen laufen." In der Sequenz „Abschiedsabend" wurde der „politische Geist" dargestellt. Nun geht es um den „moralischen Geist". Durch einen abrupten Schnitt soll die auseinanderklaffende Realität deutlich gemacht werden: Willi und Hans gerade noch in einem Operationssaal, wo Verbände und Gliedmaßen weggeworfen werden, dann Hans im Arbeitszimmer bei Muth. „Eine gepflegte, kultivierte Atmosphäre. Bücherregale ... Bilder von Goethe, ... Drucke von Cezanne ..." Muth ist empört, weil Hans ihm nicht geschrieben hat. Hans entschuldigt sich - der „Rußlandkoller". „Ich hätte das müde Europa fliehen können, als Bettler nach Asien ..." „Muth ist gütig und versteht." Zwischen beiden entspinnt sich nun eine heftige Diskussion über Goethe. Muth verehrt Goethe, er steht für die alte, während Hans für die junge Generation steht. Hans setzt Goethe Dostojewsky entgegen. Der russische Dichter hörte die Klagen der Menschheit und wurde nicht von einer falschen Sonne geblendet. Goethe ist dagegen ein falscher Gott. „Er hat die Schönheit des Kosmos besungen und an sie den Menschen angehängt. Aber das Chaos hat er nicht besungen." Muth widerspricht: „Kann es einen Humanismus des Elends und der Gefährdung geben? Muß sich Europa nicht an sein Erbe ketten, um wieder gesunden zu können? An das Erbe seines Geistes, an das Erbe der Antike und des Christentums? ... Aller wahre Humanismus liegt in der Rückbesinnung, in der Renovatio. Wenn wir die Wurzeln des Abendlandes abschneiden, ist es aus." Hans widerspricht wiederum. Die Wurzeln der Menschheit sind verdorrt, es muß neues Leben kommen, und das wußte Dostojewsky. „Aus der Sünde suchte er Christus, aus der Verlorenheit unserer Tage." Hans muß die Argumente des Älteren schließlich hinnehmen, gegen die er nicht ankommt, bestimmt die Regieanweisung. „Das Gespräch bedeutet eine kleine Niederlage für Hans." Da läutet es, und Bergengruen kommt in freudiger Erregung hinein, mit einem Flugblatt in der Hand. Muth liest das Flugblatt und ist begeistert. „Die vorige Niederlage von Hans verwandelt sich plötzlich in einen Sieg. Ohne daß die andern es wissen, hat er gehandelt." Passagen des 2. Flugblatts sollen laut vorgelesen werden, auch Hans liest es, als wüßte er von nichts. Bergengruen erzählt, er hätte es abgeschrieben und weitergegeben. „Aber die Leute seien blöd." Ein Bekannter hat es sofort bei der Gestapo abgeliefert, weil er es für eine Finte hielt und dachte, seine politische Gesinnung solle geprüft werden. „Sie sind empört. Muth ist schroff wütend." Die Reaktion auf die Flugblätter in unterschiedlichen Bevölkerungsschichten kommt im Filmentwurf immer wieder vor. Verängstigte Frauen werfen sie ins Feuer, andere tippen sie ab, wieder andere rennen zur Gestapo. Deren Spitzel sind im Filmentwurf fortwährend im Einsatz.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

Auch in „St. Bonifaz", als Hans Scholl die Klosterbibliothek aufsucht. Auf dem Weg dorthin hat er mit Alex Schmorell die ganze Straßenbahn zum Lachen gebracht, indem sie den Dialekt des Schaffners nachahmten. „Woast D u was Blutokraten sind ..." - „Na, aber i stell mir was Dickes, Bonziges vor ..." Bis Scholl aussteigt und sich von Schmorell verabschiedet: „A fesches Heil Hitler an Frau Gemahlin". In der Klosterbibliothek erwartet ihn Pater Sylvester - „Professor Muth hat ihn an ihn verwiesen". Hans möchte bei Thomas von Aquin etwas nachschauen, über den Tyrannenmord. Sylvester zeigt ihm die „Summa" und wird dann weggerufen. An der Pforte wartet ein Gestapospitzel auf den Pater. Sylvester hat in seiner Predigt über den Psalm 82 519 die Gläubigen wachrütteln wollen, nun erhält er von dem Spitzel eine Warnung. Zurück in der Bibliothek, erzählt Sylvester Hans Scholl von seinem Besuch und der Predigt. Ein Gedankenaustausch findet statt: über das Thema der Predigt, den Gehorsam gegenüber der Obrigkeit, über Thomas, schließlich über den Tyrannenmord. Thomas von Aquin billigt den Tyrannenmord scheinbar nicht, aber Hans ist anderer Ansicht. Man muß unsere heutige Diskussion mit neuen Augen betrachten. „Und nicht ein Gesetz, sondern die Situation ist der Maßstab des Richtigen." Sylvester pflichtet ihm bei: „Es gibt letzten Endes keine bindenden Vorschriften. Jeder Einzelne muß vor Gott verantworten können, was er tut, und wenn es nur immer die Liebe ist und der Wille zu einem letzten Gut, der einen anspornt, so ist alles richtig und gerecht." Die Zuspitzung der Situation im Januar/Februar 1943 nimmt auch das Filmmanuskript auf. Dabei wird ein starker Akzent auf die Stimmungsumschwünge gesetzt. Einerseits verteilen die Freunde Flugblätter, trinken nachts im Englischen Garten Wein, reiten ausgelassen auf den bronzierten Gipspferden vor dem Bahnhof, bis der Putz bröckelt. Andererseits verdichten sich die Warnungen und Rückschläge, wie eine Schnellräumungsaktion ihrer Wohnung verdeutlicht, bei der die Geschwister alles verräterische Material verbrennen. Das schlägt auf die Stimmung, die zunehmend pessimistischer wird. So in der Szene „Warnung". Hans klingelt beim Buchhändler Söhngen, um den Hektographierapparat zu verstecken. Hans setzt sich müde auf den Ladentisch, ist tief deprimiert. „Ich habe keine Kraft mehr, weiter zu machen. Ich gebe auf und fliehe ins Ausland." Söhngen bestärkt ihn in dem Entschluß, aufzuhören. Dann klingelt es wieder. Sophie steht vor der Tür. „Sie kommt ins Zimmer und bringt ihren Glauben und Optimismus mit. Sie muntert Hans auf und zerstreut die Bedenken von Söhngen." Hans hat immer noch Einwände. „Man muß seine Kräfte für nachher sparen. Was nach dem Kriegsende kommt, wird das Schwierigste sein. Vor dem KZ oder dem Gefängnis ist mir nicht bang. Aber wir müssen uns davor hüten, das Leben 319

Psalm 82, 2-4 und 6f.: „Wie lange noch wollt ihr ungerecht richten und die Frevler begünstigen? Verschafft Recht den Unterdrückten und Weisen, verhelft den Gebeugten und Bedürftigen zum Recht! Befreit die Geringen und Armen, entreißt sie der Hand der Frevler! ... Doch nun sollt ihr sterben wie Menschen, sollt stürzen wie jeder der Fürsten. Erhebe dich Gott und richte die Erde! Denn alle Völker werden dein Erbteil sein."

III. Der „Geist der Gemordeten"

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zu verlieren." Sophie entgegnet ihm, daß man nicht nur das Bestehende verneinen dürfe. Damit sei es nicht getan. Klare politische Richtlinien müsse man entwickeln und vor allem mit dem Ausland Fühlung bekommen. Das überzeugt Hans. „Die Nachkriegspolitik muß europäisch sein. Wenn es uns gelingt, eine allgemeine europäische Widerstandsbewegung aufzurufen, so kann dies das Fundament einer neuen politischen Haltung werden. Die Parteien sind eine parlamentarische Notwendigkeit, aber sie haben kein Leben mehr. Sie haben 1933 allesamt versagt. Ein neuer politischer Geist kann nur aus dem Widerstand geboren werden oder er wird nie zustande kommen." Über den neuen politischen Geist unterhält sich Hans Scholl auch mit Theodor Haecker. Er besucht ihn zuhause, Haeckers Sohn Reinhard führt ihn herein. Hans sieht gerade noch, wie Haecker das Radio abschaltet. Auf die Frage, ob Haecker zu einem Vorleseabend bereit sei, winkt dieser ab. Er lacht und winkt Hans zum Radio - „Ich habe ja strengstes Rede- und Schreibverbot ..." - „... und Hörverbot dazu ...", lacht Hans. Haecker: „Es ist aus". Er schaltet das Radio an. Pausezeichen von London. „Hier ist England, hier ist England ..." Nachrichten. Die Niederlage von Stalingrad. Die Nachrichten untermalen das ganze folgende Gespräch. Haecker überlegt, ob es in Ordnung ist, angesichts dieser schrecklichen Nachrichten ein Gefühl der Genugtuung zu haben. Ist es richtig zu glauben, daß Gott endlich eingegriffen hat? Muß man sich nicht von Natur wünschen, daß das eigene Volk den Krieg gewinnt, fragt Haecker Hans Scholl. Die Deutschen sind auf der Seite der Apostasie. Den Krieg zu gewinnen, die Welt zu erobern, wäre für Deutschland der Ruin, auch wenn gesagt wird, daß Hitler von Gott zum „Herrn der Erde" bestimmt ist. „Wenn man einen Amokläufer nicht erschießen kann oder will", und jetzt rekonstruieren die Filmemacher das Gespräch weiter, „gibt es keinen anderen Weg, als ihn sich erschöpfen, verbrauchen, verschleißen zu lassen. Der grauenvolle Amokläufer dieser Tage hätte im Anfang leicht unschädlich gemacht werden können, jetzt ist es nur noch dadurch möglich, daß er sich selbst aufreibt. Das wird nun ganz gewiß gelingen." Hans, so die Regieanweisung, ist nach diesen Worten in Versuchung, Haecker einzuweihen. Auch er könnte Flugblätter verfassen. Er entgegnet Haecker, daß man die Geschichte nie sich selbst überlassen darf. Hitler rennt sich zwar gewiß zu Tod, aber was ist mit dem Danach? „Politische Änderungen dürfen nicht einfach von der Geschichte vollzogen werden. Sie müssen den Grund in uns selbst haben." Deshalb brauchen wir eine Richtung für die Zukunft Deutschlands, für den Einzelnen, eine feste Realisation, die sich als Tat festlegt. „Der Geist ohne die Tat ist ein leerer Hauch". Das sieht Haecker genauso. Das Problem ist nur, fährt er fort, diese „Verschwörergesellschaft", die die Massen, das Kollektiv beherrscht. „Ist der Einzelne nicht machtlos gegenüber dem Kollektiv?". Hans: „Es ist das Verhängnis des Humanismus, daß er den Menschen nur als Einzelnen kennt, heute haben wir Tausende von Einzelnen. Jeder Einzelne ist machtlos und ohnmächtig, absolut ohnmächtig und die Tausenden von Einzelnen sind genau so ohnmächtig wie jeder Einzelne von ihnen. Sobald der Widerstandswillen eine Organisation fände, würde die zahlenmäßige Quantität, die gleich Null ist, in eine enorme

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

neue Qualität umschlagen. Es kommt heute und in Zukunft nicht nur auf den Einzelnen an, sondern zugleich auch auf seine Bindungen an die Organisation. Der Mensch ist nicht nur ein Einzelner, sondern muß auch zum Glied einer Ganzheit werden!" Haecker hat sich doch von Hans zu einer Vorlesung überreden lassen. Er liest aus „Schöpfer und Schöpfung". Lange Passagen sind auch ins Manuskript übernommen. Nach der Lesung gibt es wieder eine Zweiteilung: während Hans, Alex und Willi im Keller des Ateliers Flugblätter hektographieren und Adressen schreiben, wobei immer wieder das Bild von Picasso zu sehen ist, führen Sophie und Christi, die Haecker heimbegleiten, mit diesem ein Gespräch über den Geist des Widerstands. Christi bezweifelt, daß die Deutschen eine Realisierung dieses Geistes heute noch schaffen können. Die Angst ist doch zu einer Macht geworden, die alle und alles ergreift. „Sie hat fast einen personalen Charakter angenommen, ist zu einem dunklen Wesen geworden, das alle anfällt." Haecker widerspricht. Vielleicht ist gerade heute die letzte Stunde, in der etwas passieren kann. „Mir bangt vor diesem Abgrund, dem wir zusteuern." Darauf Sophie: „Über diesen Abgrund gibt es vielleicht noch eine letzte Brücke selbst, wenn keine Tat der Empörung mehr zur Entfaltung käme. Wohnt nicht im Leid eine unermeßliche Kraft, die den Weg zu einem neuen Beginnen frei gibt? Wer kennt die Zahl der Deutschen, die wie wir unter all dem Dunkel, was geschieht, Namenloses leiden? ... Ich glaube an die unermeßliche Kraft des Leidens und daß es Brücke und Fähre werden kann, uns ans andere Ufer zu bringen." Haecker, leise und wie für sich, spricht: „Und Gott wird abwischen jede Träne von ihren Augen ..." Christi schließt sich Sophies und Haeckers Sicht an. „Vielleicht ist nur noch die Tat möglich, die aus dem Opfer wächst. Denn wo kein Ausweg ist, da hat das Opfer seinen Platz. Man müßte sich das Ja dazu aus der Seele reißen. Wie bewundere ich die frühchristlichen Märtyrer, die einen solchen Mut zu leiden hatten und doch zugleich ein so überwältigendes Ja zum Leben." Bis zum Martyrium der „Weißen Rose" dauert es nun nicht mehr lange. Hans erhält durch die Gestapo mehrere Warnungen; gibt sie an die Freunde weiter. Er träumt von seiner Flucht, in der Nacht durchschwimmt er bei Stein den Rhein. Am anderen Ufer wendet er sich um und sieht seinen Vater, die Schwestern, die Freunde - unter dem Joch der Gestapo. Schreiend wacht er auf, Sophie kommt zur Tür herein. Ihr erzählt er alles. „Ohne einen Stein, der versinkt, werden keine Wellen geschlagen", sagt Sophie. „Wir müssen das letzte wagen." „In der himmlischen Rechenkunst wird das Weltgeschehen auf eigenen Waagen ausgewogen. Der Tod wiegt dort anders", sagt Hans. Sie gehen zum Atelier; mit den anderen arbeiten sie die Nacht hindurch. Am Morgen des „18. Februar" packen Hans und Sophie ihren Koffer voll und gehen zur Universität - über ihnen das Bild von Picasso. Zehn Minuten vor 11 Uhr begegnen sie noch Willi und Brigitte, die die Vorlesung früher verlassen hatten, um pünktlich in die Klinik zu kommen. Willi wird unruhig, er fragt sich, was die beiden fünf Minuten vor Vorlesungsschluß in der Uni wollen. Hans und Sophie legen die Flugblätter bün-

III. Der „Geist der Gemordeten"

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delweise in die Gänge der Universität, werfen sie die Treppe hinunter und entfernen sich dann auf die Ludwigstraße. „Ihr aufatmendes Lächeln begegnet sich." Sophie trägt den Koffer. „Du, ich glaube, ich habe noch welche. Und wir sollten doch mit leerem Koffer heimkommen ..." Sie gehen zurück, gerade als die Vorlesungen aus sind und sich die Gänge füllen. Unter den Studenten ist Aufruhr. Vom zweiten Stock, wo es ruhiger ist, werfen sie den Rest mit Schwung in den Lichthof hinunter. Der Hausmeister entdeckt sie und übergibt sie der Gestapo. Alex flieht. Mit dem Zug nach Innsbruck, zu Fuß weiter in Richtung Schweizer Grenze durch den tiefen Schnee, kommt schließlich nicht mehr weiter „Was soll ich auf den Bergen, ich liebe das weite, ebene Land. Ich bin nicht umsonst Russe." Er kehrt um und fährt zurück zu den anderen. In seinem Zimmer wird Willi Graf verhaftet. Hans und Sophie werden pausenlos verhört. Nachdem sie eine „offene Sprache" führen, bekommen sie zu essen und werden gut behandelt. Im Nebenraum der Verhöre läuft Goebbels Sportpalastrede. Hans wird zurück in die Zelle gebracht. Er kommt strahlend vom Verhör, man hat ihn nicht nach anderen Namen gefragt. Draußen scheint die Sonne. Hans zieht sich am Zellenfenster empor und schaut durch den schmalen Spalt in den Himmel. „Bald werde ich im Himmel sein", sagt er fröhlich. Hans trägt seinem Zellengenossen auf, seinen Eltern und seinen Freunden zu sagen, er sterbe als Märtyrer. Er wünscht, man möge eine Messe für ihn lesen lassen. „Ah, Du bist katholisch", sagt der Stallknecht, sein Zellengenosse. „... Ich bin gar nichts ..." „Ich war auch nichts ..." entgegnet Hans, „und katholisch bin ich eigentlich auch nicht." Und jetzt folgt im Entwurf eine Grundsatzrede zu diesem Thema: „Aber es ist ein Irrsinn, daß es heute in Deutschland noch zwei verschiedene Konfessionen gibt. Ein Mensch, der in seinen entscheidenden Jahren ohne das Christentum aufwächst und durch die Zeit immer mehr in seinen Raum hineingetragen wird, kann so etwas nicht verstehen, vollends wenn er sehen muß, mit welchem Vorurteil sich beide Konfessionen begegnen. Aber vielleicht ebnet das Erlebnis des Krieges diese Kluft ein." Auch Alex, Christi, Willi und Huber sind im Gefängnis und werden verhört. Alle werden zum Prozeß hinausgeführt. Zu dieser Szene vermerkt der Entwurf, daß die Akten im Augenblick noch gesucht würden; die folgenden Angaben seien deshalb unvollständig und könnten nur als Anhaltspunkte dienen. Huber hält eine flammende Verteidigungsrede. Desgleichen Hans, der ein Wortgefecht mit Freisier austrägt. Freisler schleudert das Gesetzbuch in die Ecke und brüllt in die aufgebrachte Menge das Wort „Freiheit". Darauf Hans Scholl: „Die Freiheit ist ihr Feind, nicht wir ... Fahrt so fort, fahrt fort, Tod auf Tod zu häufen. Ihr weckt die deutsche Seele von ihrem Schlummer. Ihr weckt die überlistete Freiheit, die ihr schon erdrosselt glaubtet. Ihr weckt das Deutschland von morgen. Denn entweder die Freiheit beginnt aufzustehen, oder um Deutschland ist es geschehen." „Die letzte Stunde" - die Szene vor der Hinrichtung sieht Hans im Gespräch mit einem „katholischen Priester", der ihn fragt, ob er auch keinen Haß mehr habe. Hans lächelt überlegen und bittet ihn, das „Hohelied" vor-

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

zulesen. Die Wachtmeister, voller Bewunderung für die Studenten, bringen Hans, Sophie und Christi noch einmal zusammen. Sie rauchen stehend, sprechen über den Tod. „Unser Leben muß genau zu dieser Stunde zu Ende sein. Ich könnte jetzt eine Begnadigung nicht einmal mehr annehmen." „Man weiß nicht, was der Tod ist, solange man lebt. Ist man bei ihm, sieht er ganz anders aus. Man hat das Gefühl, als sei er das Rückgrat unseres Lebens. Der Tod hält uns aufrecht. Wenn wir nicht auf den Tod hin ausgespannt wären, wären wir Fleisch ohne Halt." Sie rauchen. Sie müssen sich verabschieden. Sie werden einzeln geholt, Christi zuerst. „Bis nachher im Himmel..." Wer zuerst ankommt, solle die Türe gleich offen lassen. Sophie küßt Christi auf die Stirne. Alle sind von einer gelösten Heiterkeit. Nun wird auch Sophie geholt. Sie lächelt zu Hans: „Bis nachher ...", küßt ihn und geht. Die „Hinrichtung" - im Entwurf werden alle zusammen hingerichtet setzt vor Abschluß der vorherigen Szene ein, was wohl durch Überblenden filmisch umgesetzt werden sollte (im Entwurf ist nichts dazu vermerkt). Drei SS-Offiziere inspizieren die Hinrichtungsanlage. Sie haben eine Sondergenehmigung. Sie sprechen mit dem Gefängnisarzt über den Zeitpunkt des Eintritts des Todes bei einer Vollstreckung durch den Strang und die Möglichkeit, diesen je nach Wunsch schneller oder langsamer eintreten zu lassen. Als sie hören, daß die Vollstreckung nicht durch den Strang vorgenommen wird, sind sie enttäuscht. Blende zurück: Huber schreibt Abschiedsbriefe; Alex in seiner Zelle mit einem griechisch-orthodoxen Priester, Willi mit einem katholischen; Sophie in ihrer Zelle. Hans wird geholt. „Sind sie Hans Scholl?" „Ja." Dann hallt durch die Gänge „Es lebe die Freiheit!" Ein dumpfer Schlag. Nun wird Huber geholt. Er verliert seinen Holzschuh. Er lächelt. „Den brauche ich nicht mehr", geht weiter und winkt zurück: „Auf Wiedersehen ..." „Weitere Schlösser fallen, eine weitere Tür geht auf." Mit diesem Satz endet das Manuskript.

IV. ZWISCHENERGEBNISSE Die Vorgehensweise, vom Selbstverständnis der Protagonisten auszugehen, das heißt für die Darstellung nur deren Aufzeichnungen, Briefe und Aussagen zuzulassen, bewährte sich. Das Vorverständnis zur Interpretation der „Weißen Rose" und ihrer Flugblätter wurde nicht wie bisher häufig von außen herangetragen, sondern von innen. Der von Hinrich Siefken eingeschlagene Weg muß konsequent weitergegangen werden. Beispielhaft deut-

IV. Zwischenergebnisse

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lieh wird dies am Thema „Jugendwiderstand": Für die „Weiße Rose" war es nie eine Frage, ob sie sich als Jugendliche, junge Erwachsenen usw. bezeichnet hätten. Es waren Studenten, die sich in vielerlei Hinsicht von heutigen kaum unterscheiden, und immerhin war Christoph Probst Familienvater. Jedenfalls zeigt der Gang zu den Quellen: Die Versuche mancher Interpreten, eigene Lebensvorstellungen auf die „Weiße Rose" zu übertragen, scheitern. Eine billige Einordnung der Gedankenwelt erhöht vielleicht den Marktwert des Geschriebenen, allerdings um den hohen Preis einer Mißachtung ihrer eigentlichen Intentionen - im Grunde eine Hinrichtung mit anderen Mitteln. Festzuhalten bleiben, bevor noch einmal kurz die Ergebnisse zusammengefaßt werden sollen, mehrere Desiderate: Nur am Rande eingegangen werden konnte auf das intellektuelle Umfeld „der anderen". Dieses müßte gründlich untersucht werden, etwa die Frage nach dem Einfluß Haeckers auf Christoph Probst, der häufig konstatiert, aber nicht belegt wird, oder die Jugendbewegung als gemeinsamer Hintergrund von Scholl und Graf. Desgleichen fehlt eine Arbeit über die oppositionell gesinnten Kreise Münchens 520 und dem engmaschigen Netz, das sich daraus ergab. Eine Schaltstelle war sicher Muth, aber auch Haecker. Wer einmal dazugehörte, hatte Zugangsmöglichkeiten zu vielen anderen Kreisen. Insgesamt ist es beklagenswert, daß keine umfassende Darstellung zur „Weißen Rose" existiert, die mit Mißverständnissen aufräumt und die Rolle aller Beteiligten einbezieht. Die Voraussetzung für eine solche Studie ist allerdings der uneingeschränkte Zugang zu allen Materialien, auch der in privater Hand. Gleichenfalls müßten die noch lebenden Zeitzeugen möglichst schnell aufgesucht und nochmals befragt werden. In diesem Sinne verstehen sich die folgenden Bemerkungen auch als Anregung zum Weiterforschen. Hans Scholl studierte seit April 1939, Willi Habermann seit Herbst 1940 bis Herbst 1941 und Sophie Scholl seit Mai 1942 in München, wo auch Fridolin Kotz einige Vorsemester absolvierte. Alle hatten bereits den „Staat von innen" kennengelernt, sei es auf dem Frankreichfeldzug oder sei es beim Reichsarbeitsdienst. Inge Scholl blieb wie Otl Aicher, der erst im September 1941 einberufen wurde, in Ulm. In dieser Zeit begegneten sich die einzelnen Mitglieder des Ulmer „Scholl-Bund" beinahe täglich, oder suchten durch eine intensive Korrespondenz miteinander in Verbindung zu bleiben. Um diese Beziehung weiter aufrechtzuerhalten, wollten Inge Scholl und Otl Aicher im Spätherbst 1941 einen Rundbrief ins Leben rufen, dem sie den programmatischen Titel „Windlicht" gaben. Obwohl genügend Ideen vorhanden waren und Texte vorlagen, kam der Rundbrief nicht richtig in Gang. Als die Gestapo dann auch noch Wind von der Sache bekam, mußten Aicher-Scholl einsehen, daß es besser war, weiterhin ungefährlichere Briefe zu schreiben als durch deutlich antinationalsozialistisch eingestellte Texte Aufsehen zu erregen. In München traf Hans Scholl unter den Medizinstudenten auf mehrere Gleichgesinnte, die sich zu einem neuen Freundeskreis zusammenfanden. Vgl. aber Förster, Harnier-Kreis; jetzt auch Large, Hitlers München passim.

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

Diese Münchner Gruppe versammelte sich zu unterschiedlichen Anlässen oder einfach so in den jeweiligen Studentenbuden, in der Villa Schmorell, im Atelier des Architekten Eickemeyer und je nach Gelegenheit in Konzerten oder auch in öffentlichen Lokalen. Wiederum zerfällt dieser Kreis in zwei Gruppen, einem engeren Zirkel und einem größeren Kreis. Er bestand aus folgenden Personengruppen: 1. aus den Mitgliedern der Studentenkompanie und anderen Medizinstudenten (die bis heute nicht alle erfaßt und bekannt sind)521; 2. weiteren Studenten und Studentinnen, die mit den Medizinern befreundet oder verwandt waren 522 ; 3. „Älteren", das heißt im Beruf stehenden Persönlichkeiten, die dem Nationalsozialismus Resistenz bis hin zu Protest entgegenbrachten und dem Freundeskreis durch Lesungen und Gespräche wichtige Impulse gaben523; 4. Sporadisch in München anwesenden Personen, die mehr oder weniger zufällig zum Freundeskreis stießen524. Man traf sich im Hörsaal, auf dem Bahnhof, oder im Konzert, wechselte ein paar Worte miteinander, ließ vielleicht einen Buchtitel fallen, um die Gesinnung des Gegenübers auszutesten. Hielt diese stand, schloß man vielleicht etwas nähere Freundschaft. Oder man suchte gezielt in gewissen Kreisen als widerständig bekannte Persönlichkeiten auf und bat diese um ein Gespräch. Ein gutes Entreebillett war die Empfehlung von Muth oder Haecker. So entstand nach und nach ein großer Freundeskreis der „Weißen Rose". Unter Gleichgesinnten konnte man wagen, allgemeine Kritik am Regime zu äußern. Um den engeren Kreis, der mit den Flugblattschreibern gleichzusetzen ist, überschnitten sich verschiedene Freundeskreise. Für die einzelnen Mitglieder ist ein unterschiedlicher Grad von Mitwisserschaft zu konstatieren, der von Nicht-Ahnung bis hin zu gezielter Einweihung reichen konnte. Wie Hans Scholl hatten auch Willi Graf und Alexander Schmorell bündische Erfahrungen gesammelt. Probst war in einem Landerziehungsheim, in dem er ebenfalls ein Ideal von Gemeinschaft und Kameradschaft kennengelernt haben dürfte. Nichts lag näher, als sich nach bewährtem „Ulmer Modell" regelmäßig zu Gesprächs- und Leseabenden zu treffen. So verwundert es nicht, daß Scholl in München die Ulmer Lektüre einfach fortsetzte, zumal die Werke des „Renouveau Catholique" eine Zeitströmung repräsentierten, die nicht nur Hans Scholl in den Bann geschlagen hatte. Immer wieder ist et1

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Etwa Hubert Furtwängler, Willi Graf, Wolfgang Jaeger, Christoph Probst, Raimund Samüller, Alexander Schmorell, Hans Scholl, Jürgen Wittenstein. Etwa Anneliese Graf, Traute Lafrenz, Gisela Schertling, Sophie Scholl, Katharina Schüddekopf. Etwa Werner Bergengruen, Harald Dohrn, Manfred Eickemeyer, Heinrich Ellermann, Josef Furtmeier, Theodor Haecker, Kurt Huber, Alfred von Martin, Carl Muth, Sigismund von Radecki, Hugo Schmorell, der Physiker Arnold Sommerfeld usw. Etwa Otl Aicher, Willi Habermann (studierte Biologie in München), Otmar Hammerstein, Helmut Harten (früherer Freund von Hans Scholl), Hans Hirzel, Suse Hirzel, Angelika Probst, Inge und Elisabeth Scholl usw.

IV. Zwischenergebnisse

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wa davon die Rede, wie der „Seidene Schuh" von Claudel in verteilten Rollen gelesen wurde. Von Schmorells Vater ging der wichtige Impuls aus, Leseabende mit verschiedenen Literaten und Persönlichkeiten abzuhalten. Bemerkenswert ist dabei die Bandbreite der Themen, die heute nach wie vor nur in Umrissen bekannt ist. Es ist leider davon auszugehen, daß ein Gros der veranstalteten Abende, die für das geistige Profil der Gruppe entscheidend waren, auch weiterhin im Dunkel der Geschichte bleibt. Im Laufe der Zeit fand eine Entwicklung in den Inhalten solcher Gespräche statt. Natürlich spielten politische Fragen eine große Rolle, man diskutierte verschiedene Staatstheorien, setzte sich mit Philosophie auseinander oder erörterte Themen wie Euthanasie und Judenverfolgung. Das Thema, das nach Ausweis der authentischen Aufzeichnungen alle in dieser Zeit besonders anging, nämlich Religion und Glauben, spielte in den gemeinsamen Diskussionen eine eher untergeordnete Rolle. Vielleicht sprachen die einzelnen Freunde zu zweit intensiv über ihre Erfahrungen. Mehr und mehr wurden ihnen klar, daß der Weg in den Widerstand ohne einen tragfähigen Grund nicht gangbar war. Damit ist die Behauptung von Mallmann und Paul entschieden zurückzuweisen, Katholizismus und Widerstand seien inkompatibel: erst unter den Bedingungen eines katholischen Milieus, das den Mitgliedern Halt und Standfestigkeit gab, erst nach Entdeckung des katholischen Glaubens an die Auferstehung, konnte es zum Widerstand der „Weißen Rose" kommen. In den Aufzeichnungen Willi Grafs, der von Mallmann und Paul als Beispiel für ihre These angeführt wurde, wird dies offensichtlich. Das belegen auch die Reaktionen von Angehörigen der „Weißen Rose" auf Publikationen, in denen der christliche Gehalt nicht beachtet wurde, wie sie im Überblick zur Forschungsgeschichte zur Sprache kamen. Auch in bezug auf die Bereitschaft, Widerstand zu leisten, ist ein Umschwung zu konstatieren. Spätestens bei ihrem Eintreffen in München waren Hans und Sophie Scholl resistent, was sich mit der Etablierung eines Lesekreises in Nonkonformität steigerte. Doch blieb es nicht beim Rückzug in eine unpolitische Privatheit, mit den Flugblättern wurde aus dem Protest in der Studentenkompanie aktiver Widerstand. Die Auseinandersetzung mit frühchristlichen Texten und besonders mit Maritain, der geschrieben hatte, das Martyrium sei zwar das schlechteste, aber auch ein Mittel zur Erreichung einer neuer Gesellschaftsordnung, führt vor Augen, daß der Begriff „Widerstand" auch von seiner ursprünglichen Füllung, nämlich dem urchristlichen Martyrium, her verstanden werden kann. Die Analyse der Flugblätter erbrachte eindeutige Analogien zum Maritainschen Werks „humanisme integral". Auch der „Weißen Rose" ging es um eine neue Gesellschaftsordnung auf der Basis persönlicher Freiheit und der Achtung der Würde des Menschen in seiner Bindung und Erneuerung durch Gott. Dazu wurde das verbindende Erbe des Abendlandes beschworen, was auch Haecker immer wieder in seinen Werken getan hatte. Der gleiche Geist, der Hans und Sophie Scholl zum Widerstand veranlaßt hatte, sicherte nach dem Februar 1943 auch Inge Scholl und Otl Aicher das geistige Überleben. Immer wieder erstaunte die Ulmer Freunde die Zuver-

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Zweiter Teil: WIDERSTAND

sieht der Briefe Inges aus dem Gefängnis. Selbst als Otl Aicher zu zweifeln beginnt, bleibt Inge Scholl standhaft. Die Konversion auf dem Bruderhof ist nur noch das äußerliche Zeichen für die innerlich längst vollzogene Hinwendung zum katholischen Glauben. Neben der religiösen Bearbeitung des Geschehens stützte die Familie Scholl die Erkenntnis, daß das Opfer ihrer Kinder bzw. ihrer Geschwister nicht umsonst war. Sie begriffen den Tod als Vermächtnis für die Weiterlebenden und für die Zukunft. Welches Potential in diesem Vermächtnis steckte, sollte Inge Scholl und Otl Aicher nach 1945 bewußt werden, als die „Weiße Rose" zum Identitätspunkt für das „andere" Deutschland wurde. Aicher übrigens würde sein „Landhaus in Oberschwaben" erst gut 30 Jahre später bauen. Vorrang hatte jetzt erst einmal die Volkshochschule Inge Scholls und der geistige Wiederaufbau „im Geiste der Gemordeten".

DRITTER TEIL ERBE: VOLKSHOCHSCHULE UND GESCHWISTER-SCHOLL-HOCHSCHULE

1. KAPITEL: DIE VOLKSHOCHSCHULE ULM - ODER: CHRISTLICHER HUMANISMUS PRAKTISCH „Sie [Inge Scholl] versteht es in einer einmaligen Weise, Menschen für eine Sache zu begeistern und zusammenzubringen. Während sonst Volkshochschulen sich weitgehend in Vorträgen pensionierter Studienräte über Goethe und die Dichtung im Stile des Jahres 1860 zu erschöpfen pflegen, hat sie in Ulm, ausgerechnet mitten unter den Württembergern, eine ganz avantgardistische Volkshochschule aufgezogen, in der die akutesten Fragen der geistigen Entwicklung erörtert und Persönlichkeiten des In- und Auslandes zusammengeführt und den Hörern nahegebracht werden - ein Unternehmen, das berechtigtes Aufsehen hervorgerufen hat." 1 Die Meinung von Hellmut Becker2 steht stellvertretend für viele: Offenbar und unbestritten war die Ulmer Volkshochschule etwas besonderes, die von ihrem Anspruch und ihrem Programm her das „übliche" Volkshochschulniveau weit hinter sich ließ. Hätte man Inge Scholl, die Leiterin dieser „Muster-Volkshochschule", unmittelbar vor der Eröffnung im Frühjahr 1946 gefragt, worin eigentlich dieses Einmalige und Außergewöhnliche bestand, so hätte sie ganz unprätentiös geantwortet: „Alle guten Kräfte sammeln und zum Fliessen bringen, um auf diese Weise die Keime neuen Lebens zu pflegen, die aus der großen Saat des Leides und der Tränen dieser und der vergangenen Jahre aufgehen wollen" 3 . Mit den guten Kräften und Keimen, die während der nationalsozialistischen Ära gesammelt und gesät worden waren, konnte Inge Scholl nichts anderes meinen als die geistigen Prägungen, die sie, ihr späterer Mann und ihre Geschwister im Ulmer Freundeskreis - wie verschiedene andere gegen die NS-Ideologie resistente Kreise auch - erfahren hatten. Wenige Jahre später, in der Retrospektive von kaum einem halben Jahrzehnt, hört sich die Antwort der vh-Leiterin schon ganz anders an: „Im Frühjahr 1946 [gründete ich] mit einigen jungen Freunden eine Abendvolkshochschule für die Bevölke1 2

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Hellmut Becker an Erich Wende 13.2.1951; Berlin BAMfG HfG Ulm, Mappe 2. Hellmut Becker (1913-1993), Präsident des Deutschen Volkshochschulverbandes, Direktor am Institut für Bildungsforschung der Max-Planck-Gesellschaft Berlin, langjähriger Rechts-Berater Inge Scholls; DBE 1, 377. Der Nachlaß Becker in Berlin GStAPK. Inge Scholl an Gerhard Ritter 4.2.1946; Koblenz BA N 1166/359.

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Dritter Teil: ERBE. 1. VOLKSHOCHSCHULE

rung meiner zerstörten Heimatstadt Ulm. Diese Volkshochschule sollte den Geist meiner im Frühjahr 1943 an der Spitze der studentischen Widerstandsbewegung in München hingerichteten Geschwister Hans und Sophie lebendig weitertragen und den Neubeginn des Lebens nach der Schreckensherrschaft nun durch eine echte, menschlich-politische Aufklärung unterstützen." 4 Jetzt wurden die guten Kräfte eindeutig mit dem Geist der Gemordeten identifiziert und gleichzeitig die Geschwister als Kronzeugen der positiven Keime, die in Deutschland vorhanden waren, aufgerufen. Handelt es sich dabei um eine Real-Kontinuität und -Identität oder um eine Konstruktion und Projektion Inge Scholls oder liegt die Wahrheit wieder einmal in der Mitte? Ausgehend von diesen Prämissen sollen zunächst in einem eher institutionengeschichtlichen Anweg die wesentlichen Faktoren und Phasen von Gründung und Geschichte der vh ulm nachgezeichnet werden (I)5. Dabei wird vor allem auf eher äußerliche Entsprechungen von Präge- und Ausprägephase geachtet, insbesondere hinsichtlich der sozialen Trägergruppe der Ideen (Freundeskreis) und der Bedeutung von Mentoren. In einem zweiten Teil wird die - vor allem anhand von internen Quellen 6 postulierte - Kontinuität zum „Garten der Kultur" und zur „Weißen Rose" anhand von Aussagen von außen überprüft. Nur so kann die Frage nach der Singularität des Ulmer Projekts adäquat beantwortet werden (II). Ein dritter Teil schließlich versteht sich als Baustein einer noch zu schreibenden Geistesgeschichte der deutschen Nachkriegszeit. Hier wird anhand der im ersten Teil herausgearbeiteten tragenden Ideen (wie etwa Dritter Weg, Reformkatholizismus, Humanismus, Abendland usw.) nach dem Maß der Umsetzung derselben in Programm und Arbeit der Ulmer Volkshochschule gefragt: Welche geistigen Einsichten der Jugendbiographie wurden unmittelbar rezipiert? Welche wurden verdrängt? Welche wurden aus der Zeit erhoben? Welche ideengeschichtlichen Linien lassen sich durchziehen, welche nicht? Welche Rolle spielte der Geist der Gemordeten?

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Inge Scholl, Expose im Stil einer Presseerklärung o.D. [Mitte Januar]; Ulm HfGA AZ 638. Vgl. dazu auch die Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Volkshochschule Ulm; Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit. Zum ersten Mal überhaupt konnte das Archiv der Volkshochschule Ulm ausgewertet werden. Neben den offiziellen Programmen, den Leporellos und Monatsspiegeln, fanden sich Jahresberichte, einzelne Denkschriften und Korrespondenzen sowie eine umfangreiche Zeitungsausschnittsammlung. Daneben wurde auf Bestände aus folgenden Archiven zurückgegriffen: Berlin EZA, insbesondere einzelne Schriftwechsel; Frankfurt DVHSV; Stuttgart HStA; Ulm, Archiv des Landratsamtes; Ulm HfGA und Ulm SA.

I. Gründung und Geschichte

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I. GRÜNDUNG UND GESCHICHTE: FAKTOREN UND PHASEN DER ENTWICKLUNG

1. ROMANO GUARDINI ALS NEUER MENTOR Schon bald nach Kriegsende war die Familie Scholl vom Bruderhof nach Ulm zurückgekehrt, gemeinsam mit Otto Aicher, der sich als desertierter Soldat nun nicht mehr zu verstecken brauchte. Ulm im Mai 1945 unterschied sich nicht nennenswert von zahlreichen anderen Städten ähnlicher Größe 7 . Amerikanische Besatzungstruppen 8 waren, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, am 24. April 1945 in Ulm einmarschiert. Zu einer formellen Übergabe der Stadt kam es nicht. Am 8. Juni 1945 wurde Robert Scholl von der Militärregierung zum Oberbürgermeister berufen und Ernst Sindlinger9 als Landrat eingesetzt. Damit waren erste - wenn auch bescheidene - Schritte eines Neubeginns gemacht10. Über die Stimmung jener Tage gibt eine Tagebuchnotiz Herbert Wiegandts, eines Mitbegründers der Volkshochschule, treffend Auskunft: „In welches Unglück sind wir geraten durch die Gemeinheit unserer Feinde!" so suchte man auch in Ulm die Katastrophe zu erklären und die Schuld anderen zuzuschieben. Wiegandt kommentierte: „Das ist die widerwärtige Mentalität der Selbstgerechtigkeit mit gekränkter Leidensmiene, mit Klagen 7

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Anläßlich des 50. Jahrestages des Einmarsches der Amerikaner in Ulm erschienen jüngst eine Fülle von Darstellungen zu diesem Thema, weshalb wir uns auf das Nötigste beschränken können. Vgl. etwa Zusammenbruch und Wiedergeburt (darin ein Bericht von Robert Scholl über den Wiederaufbau in Ulm); Neubronner, Ulm in Trümmern; insgesamt Specker (Hg.), Tradition und Wagnis. Vgl. auch Walter Barnikel, Erinnerungen an die letzten Kriegstage in Ulm 1945, in: Ulm und Oberschwaben 50 (1996) 231-242; Allgemeine Zeitzeugenberichte in: 50 Jahre danach, und bei Filmer/Schwan (Hg.), Zeitzeugen. Zur Entstehung des Landes Württemberg-Baden Kube/Schnabel, Südwestdeutschland; Sauer, Neubeginn. Zur amerikanischen Besatzungspolitik besonders Rupieper, Deutschlandpolitik und Rupieper, Wurzeln. Auch die Beiträge in Diefendorf (Hg.), American Policy; Gimbel, Besatzungspolitik; Grebing u.a., Nachkriegsentwicklung; Henke, Besetzung; Herbst (Hg.), Westdeutschland; Latour /Vogelsang, Okkupation; Oberreuter/Weber (Hg.), Freundliche Feinde? Jüngst Kleinschmidt, Anfänge, besonders zum „Fraternisierungs-Verbot". Ernst Sindlinger (1883-1963), Landrat in Ulm 1945-1953. Aus der Fülle der Literatur zur Geschichte der Bundesrepublik sei hier nur verwiesen auf die Darstellungen von Benz, Geschichte; Benz, Gründung; Benz, Potsdam; Bucher, Nachkriegsdeutschland (Quellen); Überblick bei: Klaus-Dietmar Henke, Deutschland - Zweierlei Kriegsende, in: Herbert/Schildt (Hg.), Kriegsende 337-354; Herbst, Westdeutschland; Kleßmann, Staaten (für die Zeit von 1955-1970); Morsey, Bundesrepublik Deutschland; Herbst u.a. (Hg.), Vom Marshallplan zur EWG; neuerer Forschungsüberblick bei Wengst, Zeit 493-523; auch Doering-Manteuffel, Deutsche Zeitgeschichte nach 1945, 1-29 zu Fragestellungen der Zeitgeschichte. Zur Kulturgeschichte Glaser, Kulturgeschichte 1-3; Hermand, Kultur.

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Dritter Teil: E R B E . 1. VOLKSHOCHSCHULE

über das ,nationale Unglück' und Verwünschungen des bösen Feindes, die unbedingt bekämpft werden muß. Diese Leute, die natürlich ,dafür' waren, müssen, abgesehen davon, daß ihnen jeder Einfluß entzogen werden muß, gründlich darüber belehrt werden, wie die Geschichte der letzten zwölf Jahre tatsächlich verlief, was eigentlich der Nationalsozialismus war und daß wir, und vor allem sie selber, voll verantwortlich und schuldig sind für das, was über Europa gekommen ist. Die Aufgabe ist eminent wichtig, denn wollen wir eine Zukunft haben, so muß die Atmosphäre geistig völlig verwandelt werden." 11 Eine ähnliche Überzeugung dürfte auch Otto Aicher Anfang Mai 1945 nach Ustersbach getrieben haben. Noch vom Bruderhof aus wollte er Theodor Haecker besuchen, um ihm die Typoskripte der von Inge Scholl abgeschriebenen „Tag- und Nachtbücher" und der „Metaphysik des Fühlens" auszuhändigen 12 . Aicher kam zu spät, denn sein Mentor lebte nicht mehr. O b er Haecker nach altgewohnter Manier zu einem Leseabend nach Ulm einladen wollte, ist zwar durch Quellen nicht zu belegen, erscheint aber wahrscheinlich. Auch der andere Mentor Carl Muth war bereits verstorben. Auf wen konnte man in der Situation zwischen Trümmer- und Aufbruchstimmung zurückgreifen, nachdem beide bewährten Mentoren nicht mehr zur Verfügung standen? Da man auf einen „väterlichen Freund" nicht verzichten wollte, mußte es jemand sein, der 1. im Dritten Reich unmißverständlich seine Ablehnung gegen den Nationalsozialismus demonstriert hatte; 2. im Freundeskreis gelesen und diskutiert worden war, dessen Gedanken somit bereits bekannt und für gut befunden waren; 3. räumlich greifbar war, also möglichst in der Nähe von Ulm lebte. Nach diesen Kriterien kam in erster Linie der katholische Theologe und Religionsphilosoph Romano Guardini in Frage, der sich vor den Nationalsozialisten in ein oberschwäbisches Pfarrhaus geflüchtet hatte. Guardinis 13 Name ist bis heute untrennbar mit der Geschichte der katholischen Jugendbewegung des „Quickborn" und der „Liturgischen Bewegung" verbunden. Schon vor der „Machtergreifung" Hitlers hatte er die Begründung des Widerstands aus der Freiheit der Person und der bindenden Autorität des Gewissens vorweggenommen und dadurch den katholischen Teil der deutschen Jugendbewegung gegen den Nationalsozialismus weitgehend immunisiert. Von 1923 bis 1939 war Guardini Inhaber des Lehrstuhls für „Religionsphilosophie und katholische Weltanschauung" an der Universität Berlin. Als akademischer Lehrer hatte sich Guardini dem Dritten Reich gegenüber zwar äußerlich loyal verhalten; seine Aufsätze und Vorträge boten der Gestapo keinen direkten Anlaß, gegen ihn einzuschreiten. Nach der Be11 12

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Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46, Eintrag vom 13.5.1945. Dazu der Bericht über die Sicherung einer Abschrift der „Tag- und Nachtbücher" in: Hanssler/Siefken (Hg.), Haecker 172. Romano Guardini (1885-1968); Nachlaß München GA; BBKL 2, 382-384; Walter Ferber, Guardini, in: Morsey (Hg.), Zeitgeschichte in Lebensbildern 1, 287-295, 312f. Biographie: Gerl, Guardini; Gerner, Guardini; aus theologischer Perspektive: Knoll, Glaube und Kultur; zur Zeit in Mooshausen: Gerl u.a. (Hg.), Begegnungen.

I. G r ü n d u n g und Geschichte

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spitzelung und Denunziation von kritischeren Äußerungen im kleinen Kreis hob man jedoch 1939 seinen Lehrstuhl einfach auf. Darüber wurde nicht nur in den Berliner „Quickborn"-Gruppen, die Otto Aicher damals aufsuchte, heftig diskutiert. Guardini blieb zunächst in Berlin, erst 1943 suchte er Zuflucht bei seinem alten Bekannten und guten Freund Josef Weiger14 im Pfarrhaus von Mooshausen nahe Memmingen. Dort fand ihn Aicher. „Im Herbst 1945, nachdem der Krieg zu Ende gegangen war, [tauchte] auf einem ziemlich ramponierten Motorrad ein junger Mann auf und wünschte mich zu sprechen", erinnerte sich Guardini 1962. „Nach kurzer Vorstellung erklärte er: ,Herr Professor, es muß was geschehen!' Über das ,Daß' brauchten wir nicht zu diskutieren; über das ,Was' im Grunde auch nicht; Frage war nur das ,Wie'" 15 . Aicher war dem Religionsphilosophen bis dahin zwar persönlich noch nicht begegnet, Guardinis Werke jedoch standen sicherlich in der Pfarrersbibliothek von Söflingen und der des Freundeskreises 16 . Und seine in der Hegner-Reihe erschienenen Publikationen beeindruckten Inge Scholl und den Freundeskreis ohnehin seit langem. Außerdem hatte Guardini für das „Hochland" geschrieben und mit Muth in Kontakt gestanden 17 . Seine Themen überschnitten sich durchaus mit den Interessen des „Scholl-Bundes" 18 : So schrieb etwa Hans Scholl im April 1941, er wolle als nächstes Guardinis Hölderlin-Interpretation 19 studieren 20 ; und Willi Graf, in katholischen Jugendkreisen großgeworden, gilt ebenfalls als intensiver Guardini-Leser 21 . Die geistigen Grundlagen und Ideen Guardinis und der jungen Ulmer entsprachen sich also weitgehend; die Frage war nur: Wie konnte man sie für die geistig-geistliche Orientierung breiterer Kreise fruchtbar machen? Aicher und Guardini scheinen sich in ihrem Gespräch schnell einig geworden zu sein: „Wir begannen mit einzelnen Vorträgen, aus denen dann, durch die Tatkraft des damaligen Ulmer Oberbürgermeisters Scholl unterstützt, die 14

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Josef Weiger (1883-1966) lernte Guardini 1906 während des gemeinsamen Studiums in Tübingen kennen. Priesterweihe 1911, 1917-1957 Pfarrer in Mooshausen; 1951 Dr. theol. h.c. der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen; Gerl u.a. (Hg.), Begegnungen 5. Guardini, Pluralität 132. Vgl. dazu auch die „Berichte über mein Leben"; Guardini, Stationen passim. In den Briefen des Freundeskreises taucht der Name Guardini immer wieder auf, etwa in einem Brief Otls vom 13.6.1940, im Zusammenhang einer theologischen Diskussion. Otl sprach von seinem Grundsatz „Solange etwas vernünftig erklärt werden kann, gibt es kein Geheimnis" und möchte damit „Guardini ein wenig angegriffen haben, der zu viel mit dem Gefühl tut" statt mit der Vernunft, dem höchsten Gut des Menschen; Bad Mergentheim PAH. Vgl. etwa seine Überlegungen „Der Ausgangspunkt der Denkbewegungen Sören Kierkegaards", in: Hochland 24 (1927) II, 12-33. Guardinis Schrift „Vom Geist der Liturgie" gelangte über Max Scheler zu Muth, der davon tief beeindruckt Guardini die Spalten des „Hochland" anbot; Gerl, Guardini 110. 1935 waren von Guardini beispielsweise Monographien über Augustinus und Pascal erschienen - bei Jakob Hegner in Leipzig, der auch Haecker verlegte und für deren „weiße Bände" Inge Scholl so schwärmte; Mercker, Bibliographie Romano Guardini. Romano Guardini, Hölderlin. Weltbild und Frömmigkeit, Leipzig 1939. Hans Scholl an Rose Nägele 27.4.1941; Jens (Hg.), Scholl 53. Knoop-Graf/Jens (Hg.), Graf 341 (Reg.).

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Dritter Teil: ERBE. 1. VOLKSHOCHSCHULE

dortige Volkshochschule heraufwuchs. Worum es in ihr ging, wird am besten deutlich, wenn ich sage, daß der erste, von mir in der Ulmer Martin-LutherKirche gehaltene Vortrag zum Thema hatte ,Die Wahrheit'." 22 Wollte man ohne größere Schwierigkeiten mit den Besatzungsbehörden eine Vortragsreihe initiieren, mußte man sich auf religiöse Themen und unbelastete Redner beschränken. Die amerikanische Besatzung gab den Kirchen schon unmittelbar nach Kriegsende freie Hand, wenn es um solche Einzelveranstaltungen ging23. Viel zentraler als diese eher pragmatischen Erwägungen war aber die Grundüberzeugung, die hinter den „Religiösen Ansprachen über christliche Weltanschauung" stand: die geistigen Fundamente des Abendlands, die über zwölf Jahre durch die nationalsozialistische Diktatur verleugnet worden waren, mußten unter all den Ruinen wieder freigelegt werden, bevor ein neues Haus entstehen konnte. In den Worten der Programmschrift vom Winter 1945/46 über die Arbeit der zu gründenden Volkshochschule: „Die deutsche Katastrophe ist im Anfang und im Grunde eine Folge des falschen Denkens und eine neue Zukunft kann darum nur mit einem Umdenken beginnen ... Wir legen alles ab, was nicht wirklichen Bestand hat. Bisher war der Radikalismus ganz auf die Macht ausgerichtet' und darum unsachlich, zerstörerisch, verlogen. Dem müssen wir eine Unbedingtheit des Sachlichen, des Echten und des Wahren entgegenstellen, eine unbedingte, wissenschaftliche Sauberkeit. Sonst werden wir die Welt durch neue Schablonen sehen" 24 . Nicht umsonst sollte Guardini am 16. August - seinem ersten Auftritt in Ulm nach dem Krieg - über „Wahrheit und Lüge" 25 sprechen. In Scharen kamen die Menschen zur Martin-Luther-Kirche, dem einzigen noch intakten größeren Gebäude in der Stadt. „Spürt man noch den Staub in der Luft jener heißen Sommertage 1945, das bröckelnde Abrutschen des Ruinenschutts unter den Füßen, als man auf schmalen ausgetretenen Pfaden am Abend zur Martin-Luther-Kirche ... zog; erinnert man sich des ergreifenden Sichöffnens der Zuhörer an jenen ersten Abenden, als wenige Wochen nach dem Chaos Menschen dort zu sprechen begannen, die zu den geistigen Hintergründen der unmittelbaren Vergangenheit Stellung nahmen?" 26 Jetzt galt es wirklich, zu den geistigen Hintergründen der unmittelbaren Vergangenheit Stellung zu nehmen, nach der verlogenen Ideologie des Nationalsozialismus neu nach der Wahrheit zu fragen. „Massenweise waren die Menschen über die Trümmer hergekommen", beschrieb Inge Aicher-Scholl 1965 in einer Hommage zu Guardinis 80. Geburtstag die Situation. „Das Verlangen nach einem offeGuardini, Pluralität 132. Dazu auch Bungenstab, Umerziehung 128-138 mit den amerikanischen Bestimmungen zur Wiedereröffnung von Volkshochschulen. Ulm vhA Schachtel 3, [Kurt Fried] ulmer Volkshochschule. [Programmschrift zur Eröffnung im April 1946], 22. So der Titel auf dem Originalplakat. Im Laufe der letzten 50 Jahre erfuhr dieser Vortrag mehrere Umbenennungen, etwa in „Was ist Wahrheit?" oder einfach „Wahrheit" usw. Der Vortrag wurde in dieser Form nicht veröffentlicht. Typoskript in München GA Nr. 1296. Ankündigung in: Amtsblatt der Stadt Ulm und des Landkreises Ulm 1945 Nr. 12, S. 46. Ulm vhA Schachtel 2, Ulmer Monatsspiegel April 1956 zum 10jährigen Bestehen 9f.

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nen Wort, mochte es noch so hart sein, trieb sie aus ihren demolierten Häusern" 27 . „Sie konnten es noch kaum fassen, daß in offenen Worten über das Geschehene und Vergangene gesprochen werden durfte", heißt es in einem Bericht über die ersten Anfänge. Hoffnung lebte auf, das Leben fing wieder an28. Auch wenn die erste Sorge der Menschen dem materiellen Überleben galt, der geistige Hunger war immens. Darüber werden auch Guardini und Aicher gesprochen haben, als sie überlegten, was man für den ideellen Neuanfang tun könne. Am Ende des Gesprächs stand der Beschluß, eine Reihe von Vorträgen zu veranstalten; an die Gründung einer Volkshochschule dürfte man damals allerdings noch nicht gedacht haben. Dabei stellte Guardini sich und vor allem seine Kontakte zur Verfügung; Aicher sorgte für die Organisation vor Ort. Eine regelmäßig erscheinende Presse, in der man die Vorträge hätte ankündigen können, existierte in den Tagen kurz nach Kriegsende noch nicht. Die erste Zeitung, die nach dem Krieg kostenlos an die Bevölkerung ausgegeben wurde, war ein alliiertes Nachrichtenblatt. Als einziges Mittel der Benachrichtigung blieben Plakate, die an die Ruinenmauern angeschlagen wurden. In einer persönlichen, merkwürdig einprägsamen Handschrift mit teilweise vereinfachten Profilzeichnungen der Redner wurde auf die Vorträge aufmerksam gemacht. Die Plakate stammen von Otto Aicher und sind in ihrer Art einmalig; sie stellen eines der ersten öffentlichen Zeugnisse seines Stils und seiner Schaffenskraft dar. Aicher dürfte es auch gewesen sein, der bei der amerikanischen Besatzungsbehörde auf dem Galgenberg vorsprach und um Erlaubnis für die Vortragsreihe bat. Für den kulturellen Bereich war Lieutenant Robert Sage zuständig, „ein junger, zurückhaltender, vernünftigen Vorschlägen zugänglicher Mann" 29 . Probleme bei der Genehmigung scheint es nicht gegeben zu haben. So kamen - zum Großteil dank Guardinis ausgezeichneter Beziehungen bis Weihnachten 1945 neun Vorträge 30 zustande, von denen der neue Mentor allein drei hielt: nach seiner „Wahrheitsrede" sprach er am 13. September über „Die Heilandsgestalt als Mythos und Offenbarung" 31 . Auf der Plakatankündigung für den 20. Dezember hieß es nur noch lapidar: „Guardini spricht". Worüber er genau sprach, läßt sich nicht mehr rekonstruieren. Viel

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Ulm vhA Schachtel 2, Ulmer Monatsspiegel März 1965, 3. Vgl. dazu den Bericht von Aicher-Scholl, Ulmer Volkshochschule 54. Wiegandt, Geschehen 94. Aufgrund der nur sporadisch erscheinenden Zeitungen in dieser Zeit ist nicht jeder Vortrag einwandfrei nachzuweisen; die Rekonstruktion der Vortragsreihe erfolgt nach den Plakaten, abgedruckt in: Augen 21. Ankündigung in: Amtsblatt der Stadt Ulm und des Landkreises Ulm 1945 Nr. 20, 17. Diesen Vortrag wiederholte Guardini Ende September im Stuttgarter Gesellenhaus anläßlich der Wiedereröffnung der „Religiösen Bildungsarbeit". Separat nicht gedruckt, fand das Manuskript wohl Eingang in Guardinis Publikation „Der Heilbringer in Mythos, Offenbarung und Politik. Eine theologisch-politische Besinnung", Stuttgart 1946. Bereits 1935 hatte Guardini einen Aufsatz mit dem Titel „Der Heiland", in: Die Schildgenossen 14 (1935) 97-116 publiziert.

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wichtiger ist freilich, daß Guardini kurz vorher - am 4. November - in München die erste Gedenkrede für die „Weiße Rose" gehalten hatte - durch „das Vertrauen der Angehörigen und Freunde" 32 der Hingerichteten beauftragt, wie er gleich zu Beginn betonte. In München dürfte sich mancher gewundert haben, daß ausgerechnet der ehemalige Berliner Professor und katholische Religionsphilosoph dieses erste Memento bestritt. Kennt man die Ulmer Hintergründe, verwundert diese Tatsache allerdings kaum noch. Was lag näher, als Guardini zu bitten, über die toten Geschwister zu sprechen, nachdem dieser sich bereits als neuer Mentor und väterlicher Freund der überlebenden Scholls bewährt hatte 33 ? Zurück zu den „Religiösen Ansprachen": Immer wieder ist die Rede davon, O t t o Aicher habe sich einfach mit dem Fahrrad aufgemacht, um Persönlichkeiten des geistigen Lebens für die Vorträge in Ulm zu gewinnen 34 . Bedenkt man, wie unkompliziert der Söflinger Gymnasiast den Kontakt zu Männern wie Muth und Haecker hergestellt hatte und wie schnell er mit den beiden Mentoren eine intensive Beziehung aufbaute, erscheint dies nicht unwahrscheinlich. Unterstützend kamen jedoch auf jeden Fall die Empfehlungen Guardinis hinzu. Aber wie konnte man so kurz nach Kriegsende wissen, wer sich wo während des Krieges versteckt gehalten hatte? Wie konnte Aicher wissen, daß Guardini in Mooshausen saß? Zeitungen gab es noch nicht und „geistige Zentren" waren im Dritten Reich systematisch aufgehoben worden. Die Antwort ist einfach: der „kirchliche Nachrichtendienst" funktionierte noch; so versammelten sich die Pfarrer eines Dekanats Woche für Woche zum sogenannten „Dies" oder Konveniat, wo Informationen aller Art ausgetauscht wurden. Daher dürfte Aicher im Söflinger Pfarrhaus vom Aufenthaltsort Guardinis erfahren haben. Bezeichnenderweise hielt Guardinis enger Freund Gregor Lang 35 am 30. August den zweiten Vortrag über das Thema „Christ und Heide". Lang war Quickborner, kannte Guardini von Burg Rothenfels und setzte den Reigen der katholischen Jugendbewegten in Ulm fort. Als nächster Redner kam am 2

Guardini, Waage 7. ' Leider haben sich dazu keine Unterlagen finden lassen; vgl. meine Anfrage ans Universitätsarchiv München und den abschlägigen Bescheid vom 21.1.1998. Vgl. zu den Hintergründen einen Artikel der Schwäbischen Donauzeitung 27.4.1946; Gerner, Guardini. 4 Wiegandt, Geschehen 98; Ulm vhA Schachtel 3, Monatsspiegel zum 10jährigen Bestehen der Volkshochschule, April 1956; Sabine Hanslovsky, „fangen wir an, hier in ulm". Die Ulmer Volkshochschule und die Entstehung der HfG, in: Fangen wir an 12-27, hier 14. 5 Gregor Lang OSB (1884-1962), Direktor des Gymnasiums der Abtei St. Stephan in Augsburg. Während des Kriegs, als die Patres aus dem Schuldienst gedrängt wurden, übernahm Lang den Aufbau einer „Gegenschule": im Klostertrakt traf sich weiterhin ein kleiner Kreis von Schülern. Lang stand der Augsburger Quickborngruppe vor, mit der Aicher und seine Freunde evtl. in Kontakt getreten waren, als sie in Ulm eine Gruppe aufmachten. Lang war nach dem Krieg ein gefragter Redner bei den Volksbildungswerken im schwäbischen Raum und engagierte sich sehr in der Augsburger Volkshochschule. Über ihn das ihm gewidmete Heft der von Abtei und Gymnasium herausgegebenen Zeitschrift Stephania Nr. 56 vom 15.12.1984, v.a. die Beiträge von Egino Weidenhiller und Leo Stainer. Sein Vortrag konnte nicht nachgewiesen werden.

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12. Oktober 1945 Theodor Steinbüchel 36 nach Ulm. Der katholische Moraltheologe hatte sich in Bonn habilitiert und dort Zugang zum „Schelerkreis" gefunden, dem auch Guardini angehörte 37 ; er war seit 1941 Ordinarius an der Tübinger Katholisch-Theologischen Fakultät. Steinbüchel suchte „das ontologische Denken über die unabänderliche Wesenheit, den ordo der Schöpfung", mit dem moderneren anthropologischen Denken, das den Menschen und seine Freiheit in den Mittelpunkt stellte, zu versöhnen und damit für einen geistigen Neuanfang fruchtbar zu machen. Um das Problem der Versöhnung von katholischer Metaphysik mit neuzeitlicher Autonomie nicht nur aus der Sicht katholischer Moraltheologie - drehte sich sein Vortrag über „Die Symptome der heutigen Krisis des Menschen" 38 . In der Person des nächsten Redners erreichte das „Guardini-Netzwerk" seine höchste Verdichtung. Am 25. Oktober sprach Joseph Bernhart 39 eineinhalb Stunden über „Das Dämonische in der Geschichte" 40 . „Es sprach sich leicht in dem großen basilikalen Raum [der Martin-Luther-Kirche] vor den etwa 600 Zuhörern, die mit großer Aufmerksamkeit folgten. Manches mag manchen nicht faßlich gewesen sein, aber da ich immer wieder anschaulich exemplifizierte, mag auch der einfache Kopf das Wesentliche begriffen haben" 41 . In seinem Vortrag nahm der Redner kein Blatt vor den Mund bei der Schilderung des Weges in das Verderben des Jahres 1933. Manche hätten bereits am Anfang des 1000jährigen Reiches sein Ende vorausgesehen, „sie wußten oder fühlten doch, daß an der Logik der Geschichte auch das sittliche Gesetz beteiligt ist". Diese Ahnung wurde jedoch ignoriert, „aus freier Bösheit bespien", und um dazu „nicht nichts zu sagen", griff auch der Bürger, dem die Pansflöte - sprich: der Rattenfänger Hitler - anfänglich nicht übel gefallen hatte, auf das Wort „dämonisch" zurück, um zu erklären, warum er dem „Flötenspieler" gefolgt sei. Den Begriff „dämonisch" leuchtete 3

'' Theodor Steinbüchel (1888-1949), katholischer Philosoph und Moraltheologe. 1913 Priesterweihe, 1924 Privatdozent in Bonn, 1926 Professor in Gießen, 1935 Professor für Moraltheologie in München, 1941 in Tübingen, 1946-48 Rektor; Seck/Krause/Stöhr, Bibliographie 497; Franz Xaver Arnold, Theodor Steinbüchel zum Gedächtnis, in: T h Q 129 (1949) 1-12; Marcel Reding, Theodor Steinbüchel, in: T h Q 150(1970) 148-151. 37 Zum Kreis um den Philosophen Max Scheler und seinen Verknüpfungen Gerl, Guardini 130 und 380 (Reg.). 38 Vgl. das entsprechende Blatt im Kalender „Der Geist weht wo er will"; Ulm vhA Schachtel 3. Steinbüchel publizierte eine Abhandlung unter dem Titel „Christliche Lebenshaltungen und die Krisis der Zeit und des Menschen", Frankfurt/Main 1949, in die u.a. dieser Vortrag wohl Eingang gefunden hat. 39 Joseph Bernhart (1881-1969), Theologe, Philosoph, Kulturhistoriker. Nach dem Studium an der Universität München Priester (1904) und Kaplan im Bistum Augsburg. 1910 Dr. theol. (Würzburg) und Katholikentagsredner, 1913 standesamtliche Eheschließung mit Elisabeth Nieland. Seither freier Schriftsteller; 1928 Dr. phil. (Würzburg); in der NS-Zeit Publikationsverbot, nach 1945 rege Vortrags- und Publikationstätigkeit; 1952 Honorarprofessor der Universität München. Weitere biographische Hinweise im Text; LThK 3 2, 282f. (Lit.) (Manfred Weitlauff); MthZ 44 (1993) H 3 (Sonderheft). 40 Abgedruckt in: Joseph Bernhart, Tragik im Weltlauf, hg. von Manfred Weitlauff, Weißenhorn 1990, 191-218. Zuerst erschien dieser Vortrag in: Die Wandlung 1 (1945/46) 502-521. 41 Tagebucheintrag vom 8.11.1945; Bernhart, Tagebücher 264f.

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Bernhart anhand dreier Beispiele aus: der „dämonischen Persönlichkeit", der „Dämonie der Masse" und der „Dämonie des menschlichen Werks". „Nichts ist erschreckender in der Geschichte, der allzeit heillosen Geschichte, aus der immer nur der Einzelne seine Seele retten kann", schloß der Kulturhistoriker, „als die Selbstdämonisierung ... in der Apostasie". Wenn jedem Christen wenigstens eine der acht Seligpreisungen der Bergpredigt ins Gesicht geschrieben wäre, würde es nicht so schwer fallen, über dem Toben des Dämonischen den Trost der Verheißung zu erkennen. Bernhart scheute sich auch nicht, den Ulmern vor Augen zu halten, daß der abendländische Westen den Begriff des „Dämonischen" gar nicht mehr nötig hätte und nur die heutige Gottlosigkeit dieses Wort bedinge - „genauso wie der pantheistische Bildungsjargon adjektivisch ,das Göttliche' bewahrt hat, so ,das Dämonische' gleichsam als den Nachhall eines abgezogenen Gewitters, dessen Grollen uns nichts mehr angeht". Insgesamt stellt der Vortrag eine Abrechnung mit den vergangenen zwölf Jahren und der in ihnen erfolgten Verblendung der Menschen dar, die durch ihre „Apostasie" und Hinwendung zu den falschen Göttern den Nationalsozialismus erst ermöglicht hatten. Die Herausgeber der „Wandlung" fügten dem Vortragsabdruck eine Nachbemerkung zu, indem sie Vorbehalte gegen Bernharts „ironische, stellenweise sarkastische Resignation gegenüber der Humanität" äußerten 42 . Im Falle Bernharts ist es aufgrund der guten Quellen- und Forschungslage exemplarisch möglich, die Vernetzung zwischen Ulm und München, näherhin zwischen Muth, Haecker, Aicher, Scholl und Guardini genauer nachzuzeichnen. Von Anfang an war der Theologiestudent und Seminarist Joseph Bernhart ein treuer Leser des „Hochland"; sehr schnell wurde aus dem Leser ein Schreiber. Auch als der katholische Priester Bernhart sich durch seine Heirat öffentlich desavouiert hatte, verschloß ihm Muth die Tore seiner Zeitschrift nicht. Beide reformkatholisch inspirierten Männer verband eine intensive Freundschaft, was sich nicht zuletzt in den Tagebucheinträgen Bernharts über seine Krankenbesuche bei Muth spiegelt43. Auch nach Muths Tod pflegte Bernhart weiterhin Kontakte zu dessen Familie und sorgte sich um die Weiterführung des „Hochland" 44 . Von Muth war der Weg zu Theodor Haecker nicht weit; dieser gehörte zum Freundeskreis um Bernhart, der sich wöchentlich in München traf45. Bezeichnend der Tagebucheintrag im Zu42

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Dagegen beschworen sie die Pflicht zur Humanität; Redaktionelle Anmerkungen (zu Joseph Bernhart), in: Die Wandlung 1 (1945/46) 542. Vgl. den Beitrag Bernharts in der Festgabe zu Muths 70. Geburtstag in: Hochland 34 (1936/37) I, [nach 384] Anhang 4-6. Tagebucheintrag vom 9. Juli 1944: „Gegen Abend besuchte ich Carl Muth an seinem peinvollen Lager im Krankenhaus links der Isar. Sein Körper erbärmlich geschunden. Die ehdem so beschwingte Gestalt einer Herrennatur zu kindlichen Maßen geschrumpft. Aus dem matten Auge zuweilen, beim Gespräch, noch Reste des alten Feuers". Am 12. Dezember 1944 notierte er zum Tod von Muth, mit ihm 40 Jahre verbunden gewesen zu sein. „Meine - unsere - Erinnerungen wären nicht ohne stetige Wiederkehr ihrer Namen zu erzählen"; Bernhart, Tagebücher 132 und 160. Vgl. verschiedene Tagebucheintragungen; Bernhart, Tagebücher passim (Reg.). Bernhart, Tagebücher 384. Mit dabei waren Peter Dörfler, Erik Peterson, Konrad Weiß, Max Stefl u.a.

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sammenhang mit Haeckers Tod: „Wie stellt sich bei einer solchen Nachricht sogleich das Bedürfnis nach einer Formulierung der Gestalt und nach dem sittlichen Urteil ein, das die geistige Bedeutung und Leistung zunächst gar nicht in Anschlag bringen will. Und wie schwierig ist es in diesem Fall!" 46 Bernhart, der als einer der bedeutendsten (reform-)katholischen Schriftsteller der Zeit zwischen beiden Weltkriegen gilt, wurde 1935 mit Rede-, 1938 auch mit Publikationsverbot belegt. Über seine Werke dürfte bei den Münchner Besuchen von Inge Scholl und Otto Aicher intensiv gesprochen worden sein. Sein literarisches Werk spiegelt zu einem guten Teil die Spannung seines persönlichen Lebensschicksals (Bejahung des katholischen Ideals, Probleme mit dem System katholische Kirche) wider 47 . Schon zu Kriegszeiten warnte er davor, in allem „Nach-Nazi-Geschehen" unbesehen nur ein Himmelreich auf Erden zu sehen. Ausschlaggebend für die Einladung nach Ulm war, daß Bernhart von Sommer 1943 bis Herbst 1945 wie Guardini ebenfalls häufiger Gast bei Pfarrer Weiger in Mooshausen war48, wo Otto Aicher ihn kennenlernte. Nach wie vor verkehrten keine regelmäßigen Personenzüge, und es mußte, wollte man einen Vortrag einigermaßen pünktlich beginnen, für eine Transportmöglichkeit gesorgt sein. Hierfür stellte Ottos Vater das Holzgasfahrzeug seiner Firma zur Verfügung 49 . Überdies waren die Zonengrenzen nur mit besonderer Erlaubnis zu überwinden. Bedingt durch die abendliche Ausgangssperre mußten die Redner daher in Ulm übernachten, zumeist im Aicherschen Elternhaus. Bernhart notierte zu der Fahrt nach Ulm in sein Tagebuch: „Danach in der Familie Aicher noch ein Glas Wein"50, wo die Reste des alten Freundeskreises mit am Tisch saßen. Am nächsten Morgen sprach Inge Scholl ausführlich mit Bernhart. Gemeinsam gingen sie das Vortragsmanuskript durch, das sie für eine dem Gedächtnis Carl Muths gewidmete Sendung im Münchner Rundfunk geschrieben hatte 51 . Bernhart schlug manche Änderungen vor; dabei kam man auch auf Theodor Haecker zu sprechen. Inge Scholl erzählte Bernhart von dessen letzten Tagen, und dem für sie bedeutsamen Satz des katholischen Philosophen, „man müsse gut sein, das sei 46 47 48 49

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Tagebucheintrag vom 15.6.1945; Bernhart, Tagebücher 230. Treffend Manfred Weitlauff in: LThK 3 2, 282. Gerl, Guardini 72f. Mit dem Auto seines Vaters fuhr Aicher am 25.10. nach Oberschwaben, auf dem Beifahrersitz Willi Habermann. Bei Bernhart nahmen sie noch ein Mittagessen ein, bevor sie sich auf den Rückweg machten. Für die Fahrt von Türkheim, dem Wohnsitz Bernharts, über Memmingen (knapp 50 Kilometer) nach Ulm brauchten sie über vier Stunden, was Bernhart genauestens in seinem Taschenkalender notierte. Otto Aicher pries immerfort, wie sich Habermann erinnert, während der Fahrt die Schönheit der oberschwäbischen Landschaft. Bernhart, der erst vor kurzem seine Frau verloren hatte, muß darauf geantwortet haben: „Ja, sie können sich freuen, ich bin traurig, weil ich dies immer mit meiner Frau angeschaut habe ..." Willi Habermann, Junge Jahre mit Otl 1937-1945, in: Freundschaft 19-31, hier 30. Eintrag vom 25.10.1945 im Taschenkalender; Bernhart, Tagebücher 536. Diese Veranstaltung, die Bernhart auf den 15.11.1945 datiert, konnte durch Manfred Weitlauff nicht nachgewiesen werden. Auch das Manuskript Inge Scholls konnte nicht aufgefunden werden, bzw. ist in Rotis nicht zugänglich.

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alles" 52 . Bernharts Tagebucheintrag charakterisiert Inge als eine „innerliche Natur, zart und stark zugleich, intelligent und für ihre Jahre von ansehnlicher Bildung". Sie habe „recht verständig" gesprochen, auch über ihre toten Geschwister. „Der Bruder [Hans] habe ihr bei einem Gang durch die Felder einmal gesagt, es müsse als Protest gegen die alles ruinierende Tyrannis gerade von christlicher Seite ein Zeichen gesetzt werden, das sich dauernd einprägen solle. Darüber sei sie erschrocken in dem Gefühl, daß er selbst sich opfern wolle, und habe kein Wort der Erwiderung gefunden. Ihre Schwester Sophie sei nach Aussage aller Zeugen mit fast heiterer Gelassenheit in den Tod gegangen. Beide hätten den schönen Trost des protestantischen Geistlichen empfangen, da sie noch nicht konvertiert hatten, zugleich aber ausgesprochen, daß sie als Bekenner des katholischen Glaubens stürben." 53 Wenige Tage später, am 4. November, anläßlich der Münchner Gedenkfeier für die Geschwister Scholl, kam es zu einem erneuten Zusammentreffen zwischen Aicher, Scholl, Guardini und Bernhart. Bernharts kritische Beurteilung des unmittelbaren Nachkriegsgeschehens fand in der Rede Guardinis neue Nahrung; sarkastisch notierte er, diese habe das harmonisierende „Ende gut - alles gut" vollauf bestätigt54. Im Wagen der Ulmer kehrte er nach Hause zurück. Auch Guardini wurde mitgenommen und ins Mooshausener Pfarrhaus gebracht. Aicher nahm diese Gespräche „unterwegs im Auto" später zum Anlaß für einen Artikel zum 65. Geburtstag Guardinis 55 . Zeichnete sich hier bereits der Beginn neuer intensiver Mentoren-Schüler-Verhältnisse ab? Bevor diese Frage beantwortet werden kann, müssen die letzten drei Vorträge der Ulmer Reihe nachgetragen werden. Den sechsten Abend bestritt am 15. November Werner Becker56 zum Thema „Das Harren des Christen" 57 . Becker war während seines Theologie-Studiums in Berlin zeitweise Sekretär von Guardini gewesen und hatte sich dort intensiv in dessen Gedankenwelt eingearbeitet58. Ohne Frage ging der Impuls, Becker nach Ulm zu

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Tagebucheintrag vom 16.10.1945; Bernhart, Tagebücher 260. Inge Scholl hatte Kontakt mit der Tochter Haeckers, Irene, die ihr von den Leidenstagen des Vaters erzählt haben dürfte. Eine Verbindung blieb nicht bestehen; der Mentor/Vater war tot, die Tochter konnte ihn nicht ersetzen. Diese Einschätzung teilt das Ehepaar Kotz, das sich an einen Ausspruch Inge Scholls erinnert, die Tochter Haeckers habe nichts von ihrem Vater; Gespräch am 14.10.1997. Tagebucheintrag vom 8.11.1945; Bernhart, Tagebücher 265 [Hervorhebung BS]; vgl. auch den Eintrag im Taschenkalender ebd. 536. Tagebucheintrag vom 8.11.1945; Bernhart, Tagebücher 266f. Münchner Merkur 17.2.1950 unter der bezeichnenden Überschrift „Kann man Gott sehen?" Werner Becker (1904-1981), Akademikerseelsorger, Newman-Forscher und Ökumeniker. 19221925 juristische und philosophische Studien in Paris, Tübingen und Bonn, 1925 Dr. iur., 19261932 theologische Studien in Paris, 1932 Priesterweihe; ab 1933 Studentenseelsorger und Dozent in Marburg, 1937 Entzug der Lehrbefugnis; 1961-1973 Konsultor am Sekretariat für die Einheit der Christen und Teilnahme am Zweiten Vatikanum; Lehrauftrag für Ökumenische Theologie in Erfurt; LThK3 2, 114f. (Lothar Ullrich); Ökumene-Lexikon 132f. (H. Schütte). Vgl. sein gleichnamiges Buch in der Reihe Christliche Besinnung, Würzburg 1939. Dazu Gerl, Guardini passim (Reg.). Becker publizierte auch über Guardini; Werner Becker (Hg.), Romano Guardini. Ein Gedenkbuch mit einer Auswahl aus seinem Werk, Leipzig 1969.

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holen, von Guardini aus. Gleiches gilt für Felix Messerschmid 59 , der am 22. November über „Das alte Wahre" 60 vortrug. Seit den zwanziger Jahren gehörte dieser ebenfalls zum engsten Freundeskreis Guardinis und sollte später dessen Tagebücher herausgeben61. Eine gewisse Ausnahme in dieser Reihe bildete der achte Vortrag am 6. Dezember 1945, für den Aicher Fedor Stepun gewonnen hatte. Hans Scholl - vielleicht auch Aicher - hatte Stepun in München persönlich kennengelernt, der 1937 als „Russe, praktizierender Christ und Judenknecht" - wie er auf seinem Kalenderblatt notierte - aus dem Staatsdienst entlassen worden war. Während des Krieges arbeitete der Soziologe an seiner Autobiographie „Vergangenes und Unvergängliches" 62 . In Stepuns Werken, die der Ulmer Freundeskreis in seiner Begeisterung für alles Russische gelesen hatte, kommt die existentielle Situation russischer Intellektueller zur Sprache, die sich dem Sog der massenhaften Konversion zum Marxismus hatten entziehen können. Im Unterschied zu Berdjajew und anderen russischen Denkern machte Stepun keine Glaubenskrise durch, sondern vermochte sich lebenslang die Sicherheit des überlieferten Glaubens zu bewahren - was insbesondere Hans Scholl tief beeindruckt hatte. Stepun scheint vom jungen Aicher auf Anhieb für die Ulmer Sache gewonnen worden zu sein; seinem ersten Vortrag über das Thema „Wahrheit und Antlitz" 63 sollten unzählige weitere in der Volkshochschule folgen. Mit Guardinis Weihnachtsvortrag waren die „Religiösen Ansprachen" zu Ende gekommen. Der Theologe und Religionsphilosoph wurde in der Folge einer der meistgehörten Redner in Ulm. Über die Anfänge dieser Beziehung schrieb Inge Aicher-Scholl 1965: „Rückblickend muß man es als ein besonderes Glück sehen, daß ein so klarer lateinischer Geist - bei aller Identifizierung mit dem Deutschen - diese Anfänge geprägt hat." Auf der Fahrt zwischen Ulm und Tübingen gab es immer wieder Gelegenheit, über die Volkshochschule und ihren Auftrag zu sprechen. „Er sprudelte von Ideen und konkreten praktischen Ratschlägen." Kurz: „So ist die Besonderheit der Ulmer Volkshochschule, die noch heute wirkende Strahlkraft ihrer Gründungsjahre, der Kontakt mit vielen hervorragenden Köpfen der Wissenschaft 39

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Felix Messerschmid (1904-1981); Lebensbild von Karl Dietrich Erdmann, in: GWU 32 (1981) 325-330. Auch Gerl, Guardini (Reg.); Gerner, Guardini passim. Zu diesem Thema existieren zwei gedruckte Schriften: Felix Messerschmid, Alte Wahrheit und neue Ordnung. Grundfragen der Erziehung und Bildung (Deutschenspiegel 11), Stuttgart 1946; gleicher Titel ohne Reihe Trossingen/Württemberg 1948. Wahrheit des Denkens und Wahrheit des Tuns. Notizen und Texte 1942-1964, hg. von Felix Messerschmid, Paderborn 1980. Dazu Gerl u.a. (Hg.), Begegnungen 32. Vgl. auch die verschiedenen Lebensbilder Guardinis aus Messerschmids Feder, etwa in: VHiW 21 (1969) H 1, 36. Fedor Stepun, Vergangenes und Unvergängliches. Aus meinem Leben. Bd. 1: 1884-1914, München 1947; Bd. 2: 1914-1917, München 1948. Unter dem Titel: Die Wahrheit: Lehre und Antlitz, in: Hochland 40 (1947/48) 125-144. Dieser Publikation folgten mehrere Leserbriefe, etwa von Joseph Bernhart in einem der nächsten Hefte ebd. 319-329, der u.a. sein „logisches Unbehagen" an vorliegender Darstellung deutlich machte und Stepun „allerwärts brückenbauende Konzilianz" vorhielt. Stepun antwortete darauf ebd. 455-461.

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und des geistigen Lebens, in vielem auf ihn zurückzuführen." 64 Mit anderen Worten: Nach dem Tod von Muth und Haecker kann Guardini nicht anders als der neue Mentor bezeichnet werden. Die „Religiösen Ansprachen" gingen letztlich auf Guardini und seine Beziehungen zurück. Seine Inspiration ging aber weiter: Regelmäßig erschienen in den Leporellos und Monatsspiegeln Berichte über ihn und seine Bücher; regelmäßig bekam der väterliche Freund zum Geburtstag Post von seinen „Ulmer Kindern" 65 und anläßlich des 10jährigen Jubiläums hieß es im Monatsspiegel: „Romano Guardini gehört zu den Paten der Ulmer Volkshochschule. Wir betrachten diesen Vortrag [über Mörike] als ein Geschenk zu ihrem 10jährigen Bestehen" 66 . Im Juni 1952 schließlich vollzog Guardini die katholische Trauung von Inge Scholl und Otto Aicher in einer kleinen Münchner Kapelle, wobei Otto von Guardini als Hochzeitsgeschenk eine goldene Uhr mit Gravur erhielt67. Guardini selbst bezeichnete Aicher mehrmals als seinen „Freund", während Aicher von Außenstehenden schon mal als „menschlicher und geistiger Schüler" Guardinis charakterisiert wurde 68 . Man muß lange suchen, um einen Ort zu finden, an dem Guardini während der Nachkriegsjahre soviele öffentliche Vorträge gehalten hat wie in Ulm. Lediglich auf der Burg Rothenfels und in München engagierte er sich in ähnlichem Ausmaß 69 . Mehr als zehn Vorträge zu unterschiedlichen Themen hielt er in den Jahren 1946 bis 195670. Die Pause in den Jahren 1951 und 1952 sowie von 1953 bis 1955 erklärt sich aus der verstärkten Mitarbeit an der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, mit zunehmendem Alter wurden Guardini die vielen Vortragsreisen neben der Professur und den Predigten in München zu anstrengend. Trotzdem blieb er mit Ulm immer in Kontakt, 64

Ulm vhA Schachtel 2, Monatsspiegel März 1965, 3f. Vgl. die Korrespondenz in München BayStaBi Ana 342; die „Ulmer Kinder" in einem Brief Aicher/Scholl an Guardini vom 16.2.1965 ebd. Schachtel 26. Auch Ulm HfGA AZ 629 und 634. Zum 75. Geburtstag bekam Guardini eine Taschenlampe, die „ein wenig den Geist der Gestaltung repräsentiert, dem wir zum Durchbruch verhelfen möchten"; Inge Scholl an Romano Guardini 24.2.1960; ebd. AZ 629. '''' Ulm vhA Schachtel 2, Monatsspiegel Mai 1956. Guardini hatte vorher angefragt, ob man das zu interpretierende Gedicht Mörikes vorher abdrucken könne; diese Bitte erfüllten die Ulmer natürlich gerne. 67 So erinnern sich die Jugendfreunde Habermann und Kotz; vgl. die Gespräche am 23.1.1998. 68 So in einer Beurteilung Theodor Pfizers o.D. [1951]; Berlin BAMfG HfG Ulm, Mappe 66. Aicher sei ein Mann, bei dem sich politischer Widerstand gegen den Nationalsozialismus und die „katholische Grundüberzeugung" zu einer ungewöhnlichen Aktivität und Begabung für den geistigen Wiederaufbau zusammengefunden hätten. 69 Gerl, Guardini 153-249, 335-338; Gerner, Guardini; Maier, Impulse (zu Tübingen und München). Dies ergab auch ein Vergleich zugänglicher Programme von Volkshochschulen usw. in Ulm vergleichbaren Städten; vgl. dazu die 1995-1997 erschienenen Festschriften zu verschiedenen Volkshochschuljubiläen im Literaturverzeichnis. ,= Von den ersten drei Vorträgen war oben schon die Rede. Es folgten: Dezember 1946 „Was ist Vorsehung?", März 1947 „Über das Wesen des Kunstwerkes", Juli 1947 „Rilke - Interpretation der 9. Duineser Elegie", Dezember 1947 „Auf der Suche nach dem Frieden", März 1947 zwei Vorträge zu „Sokrates", Juli 1949 „Zum Paragraph 218", März 1950 „Kann man Gott sehen?", Juni 1950 „Mythos und Offenbarung", Januar 1953 „Annahme seiner selbst", Mai 1956 „Über das Interpretieren und eine Interpretation von Mörikes Gedicht ,Die schöne Buche'".

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auch als es um die Gründung der Geschwister-Scholl-Hochschule ging, war er mit Rat und Tat zur Stelle71. Hinter einer so langjährigen Verbindung dürften letztlich persönliche Motive stehen. Denkbar wäre, daß Guardini von der Aktivität der „jungen Leute" fasziniert war und sich dabei an die alten Zeiten des Quickborn erinnerte; sicher scheint, daß hier ähnliche Charaktere - Guardini und Aicher - aufeinandertrafen, die zudem dieselben philosophischen Prägungen und Interessen verbanden. Aicher allerdings muß sich nach der Erinnerung seiner Jugendfreunde irgendwann einmal von Guardini distanziert haben - seine Theologie könne ihm nichts mehr sagen -, wobei freilich seine Frau Inge später in dem Buch „Der Herr", das Guardini ihnen zur Trauung schenkte, regelmäßig las72 und ihre Fede zur Verleihung der Ehrenbürgerwürde mit einer Passage aus Guardinis erster Gedenkrede auf ihre Geschwister beendete. Den Stellenwert des wohl bedeutendsten Religionsphilosophen unmittelbar nach 1945 und seine Bedeutung für die katholische Ideengeschichte dieser Zeit zu untersuchen, erscheint vor diesen Ulmer Hintergründen einmal mehr als dringendes Desiderat. Übrigens hatte Ulm neben den religiösen Vorträgen kurz nach Kriegsende noch eine Reihe anderer Veranstaltungen zu bieten, die teils auf privater Initiative beruhten, teils von der „öffentlichen Hand" (Bürgermeister, Kulturreferent, amerikanischer Kulturbeauftragter) angeregt wurden. Zahlreiche dieser Aktivitäten sollten später in die Arbeit der Volkshochschule einmünden. Zu erwähnen sind an dieser Stelle die ersten Konzerte 73 und Aufführungen der „Städtischen Bühne" 74 , die Eröffnung des Ulmer Museums 75 und der 71 72

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Vgl. dazu unten S. 448-450. So berichtete mir Herr Berthold Gerner dankenswerterweise über sein Gespräch mit Inge Aicher-Scholl am 17.7.1997. Konzerte fanden ebenfalls meist in der Martin-Luther-Kirche statt, besonders durch das „Mendler-Quartett", das klassische wie moderne bis dahin verpönte Musik spielte. Im größtenteils zerstörten Münster fanden Orgelkonzerte statt, wozu etwa Wiegandt am 9.9.1945 in sein Tagebuch vermerkte: „Heut war zum ersten Mal wieder Orgelspiel im Münster. Wir kamen etwas später, schon aus der Entfernung hörten wir in den Gassen den starken Orgelton ... Es entstand ein Bewußtsein des unzerstörten Geistes, dies hätte eine makabre Trauermusik in der schreienden Diskrepanz zu den Ruinen ringsum sein können, aber Bachs große Toccata war stärker"; Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46. Intendant wurde Alfred Mendler, der am 26.9.1945 die erste Premiere mit Curt Götzens „Ingeborg" feiern konnte. Gespielt wurde in der leeren Turnhalle der Wagnerschule; die Zuschauer mußten als Eintrittskarte ein Kohlebrikett oder ein Holzscheit mitbringen. Auf die „Ingeborg" folgte eine „aufsehenerregende Iphigenie" und die Erstaufführung von Zuckmayers „Des Teufels General". Im Tagebuch Herbert Wiegandts sind noch einige andere Aufführungen vermerkt, etwa „Maria Magdalena" und „Der Raub der Sabinerinnen"; Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46; Fried, Wesen 77-82; Wieder, Kulturleben; Wiegandt, Geschehen 97f. Vgl. dazu auch 1887-1987 Kunstverein Ulm. Joseph Kneer hatte die Leitung übernommen. Am 14. Oktober wurde bereits, nachdem das Obergeschoß des Museums notdürftig hergerichtet worden war, eine Ausstellung mit Werken von Wilhelm Geyer eröffnet - ein Akt der „Wiedergutmachung" für den im Dritten Reich verfolgten Ulmer Künstler. Es folgten Ausstellungen von Albert Unseld (am 11. November) und der Ulmer Künstlergilde (Weihnachtssausstellung). Erst 1948 konnte das Ulmer Museum mit seinen alten, während des Krieges ausgelagerten Beständen wieder eröffnet werden; Fried, Wesen 80-82; Wieder, Kulturleben; Wiegandt, Geschehen 96.

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„Städtischen Volksbücherei" 76 , die Gründung einer Zeitung und eines Verlages77 sowie die Einrichtung eines Amerikahauses 78 .

2. EIN NEUER FREUNDESKREIS a) Vom „Scholl-Bund" zum Kuratorium Von den Prägungen und Erfahrungen der Vorkriegs- und unmittelbaren Kriegszeit her gesehen, stand nach 1945 die Wiedererrichtung eines Freundeskreises unbedingt zu erwarten. Am naheliegendsten wäre gewesen, einfach den alten „Scholl-Bund" zu restituieren, jedenfalls soweit seine Mitglieder den Krieg überlebt hatten und nach Ulm zurückkehren konnten. Zumindest legt die Einbeziehung des alten Freundes Willi Habermann bei der Vorbereitung der „Religiösen Ansprachen" diese Interpretation nahe. Damit stellt sich die Frage nach den Zukunftsplänen der einzelnen Mitglieder des alten Ulmer Freundeskreises: Aicher, von dem man seiner Jugendbiographie nach ein Theologie- und Philosophie-Studium erwartet hätte, wollte in München die Kunstakademie besuchen. Habermann setzte sein durch den Kriegsdienst unterbrochenes Studium in München fort, ebenfalls Kotz nach seiner Entlassung aus amerikanischer Gefangenschaft im Jahr 1946. Fritz Hartnagel, der von April bis September 1945 ebenfalls interniert war, kehrte im Oktober 1945 nach Ulm zurück. Im gleichen Monat heirateten er und Elisabeth Scholl. Hartnagel begann dann im Frühjahr 1946 mit dem Jurastudium gleichfalls in München. Bleibt Inge Scholl, die Soziologie und Geschichte

Die veraltete „Max Eyth-Bücherei" im Schwörhaus wurde von nationalsozialistischer Literatur „gereinigt", ihre verstreuten Bestände zusammengeführt und als „Städtische Volksbücherei" im November 1945 unter Leitung von Herbert Wiegandt neu eröffnet. Erste Neuanschaffungen und vor allem politische und kulturelle Zeitschriften fanden bei der Ulmer Bevölkerung reißenden Absatz; für sie wurden im ersten Stock des Gebäudes Marktplatz 9 einige Zimmer als Leseräume eingerichtet; Herbert Wiegandt, Geschichte der Städtischen Volksbücherei von 1896 bis 1968, in: Breitenbruch/Wiegandt, Bibliotheken 115-142. Für die Gründung eines Verlages erhielt Ernst G.S. Bauer eine Lizenz. Sein „Aegis-Verlag" begann Ende des Jahres mit der Buchproduktion. Er wollte „in bezeichnender Weise Tradition und Gegenwart verbinden", nahm jedoch auch gegenwartsbezogene Themen und zweisprachige Ausgaben, dazu eine Zeitschrift „Pandora" (nur ein Großthema pro Ausgabe war geplant) in das Verlagsprogramm auf; Wiegandt, Geschehen 94. Bauer, der zunächst zusammen mit Fried die Lizenz für einen neuen Verlag hatte, plante auch eine kulturpolitische Reihe „Die Wirkenden - Biographien", an der Wiegandt mitarbeiten sollte; Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46. Zur Pressegesetzgebung am Beispiel Bayerns Wolf-Dietrich Nähr, Die befohlene Pressegesetzgebung, Berlin 1991; auch Frei, Lizenzpolitik. Zur amerikanischen Kulturpolitik, der Einrichtung von Bibliotheken und Amerikahäusern Hein-Kremer, Kulturoffensive; Axel Schildt, Die USA als „Kulturnation". Zur Bedeutung der Amerikahäuser in den fünfziger Jahren, in: Lüdtke u.a. (Hg.), Amerikanisierung 270-290. Zum Amerikahaus Ulm: Ulm SA B 060/71 Nr. 1 und Zeitungsausschnittssammlung.

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studieren wollte 79 - auch sie in der Stadt an der Isar. Am Ort der Verfolgung und Hinrichtung der Geschwister Hans und Sophie hätte sich daher der alte Ulmer Freundeskreis durchaus neu formieren können. Aus den Schülern und jungen Studenten waren nach 1945 Erwachsene geworden, die Diktatur und Krieg hautnah miterlebt hatten. Diese Epoche des Schreckens war nun vorbei, man konnte wieder frei wählen - sieht man von den widrigen materiellen Umständen ab -, welchen Beruf man ergreifen wollte. Einige waren bereits verheiratet oder heirateten unmittelbar nach dem Krieg. Den Freundeskreis in alter Form auferstehen zu lassen, das erschien zwar verlockend, aber wenig erfolgversprechend. Diejenigen, die in München studierten - Otl Aicher, Fritz Hartnagel, Frido Kotz, Willi Habermann - hatten zwar untereinander Kontakt, aber zur Wiederaufnahme der philosophischen und theologischen Gespräche im vertrauten Zirkel kam es nicht mehr. Aicher, der ohnehin mehr in Ulm zu finden war als in München, verließ die Kunstakademie sehr schnell wieder; er könne dort - behauptete er einmal selbstbewußt - nichts lernen. Nicht einmal seine Studentenbude in Solln nahe dem alten Haus Muths konnte ihn zum Bleiben animieren. Bevor er endgültig von der Isar an die Donau zurückkehrte, zerstörte er eine für den Akademiekurs angefertigte lebensgroße Plastik - eine Jungfrau aus Lehm. Zu diesem Akt nahm er seinen Jugendfreund Frido Kotz mit. Aicher, so erinnert sich dieser, wollte damit symbolisieren, daß seine Kunst eine andere als die in der Kunstakademie vertretene werden solle80. An der Akademie wurde „an der Ästhetik um der Ästhetik willen" gearbeitet, was für Otto nach 1945 (nach Auschwitz) nicht mehr ging. „Wer Ohren hatte zu hören und Augen zu sehen, mußte erkennen, daß Kunst eine Flucht war aus den vielfältigen Aufgaben, die auch der Kultur erwuchsen, als die Naziherrschaft in Brüchen lag."81 Die Straße ist wichtiger als das Museum, der Leitartikel wichtiger als das Kunst- und Literaturfeuilleton, bemerkte Aicher zu seinem Entschluß im Jahr 1975 und machte weiterhin die Bemerkung „Kreativität im Bereich der Technik ist wichtiger als im Atelier" 82 - ein Schlüssel zu seiner weiteren Entwicklung. Mit dem zerstörerischen Akt hatte Otl endgültig Abschied von München genommen, um sich in Ulm zu etablieren. Ein Blick in die Wiegandtschen Tagebücher komplettiert dieses Bild. Die Wiegandts saßen zwar im Kuratorium der zu gründenden Volkshochschule, gehörten aber noch nicht zum engeren Freundeskreis Aicher-Scholl. Immer wieder finden sich Eintragungen, daß Aicher etwas gezeigt oder Entwürfe mitgebracht habe. Wiegandt, der auf Anhieb das große Talent seines Kuratoriumskollegen erkannt hatte, enthält sich der Anerkennung nicht: „Aicher

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80 81 82

Als weitere Möglichkeiten hatte sie in Betracht gezogen - glaubt man verschiedenen Zeitungsberichten aus den folgenden Jahrzehnten - einen Radiosender für Studenten oder ein Studentenheim aufzuziehen. Wo? Natürlich auch in München. Diesen Hinweis verdanke ich Herrn Fridolin Kotz. Gespräch am 14.10.1997. Otl Aicher, Bauhaus und Ulm, in: Lindinger, Moral 124. Aicher, Stufen 12.

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zeigt seine formal wie ideell genial zu nennenden Stadt-Neubaupläne, ganz von heute her gedacht, radikal, aber strukturell zwingend"; „etwas ganz Originelles und Überzeugendes" seien die ersten Entwürfe für eine Ulmer Reihe in Verbindung von Aegis-Verlag und Volkshochschule; „Aicher ist ein erstaunlicher Mann, und er greift viel an, hat Stil"; „zweifellos ein ganz großes Talent". „Es sei", so sagte Aicher, „eine Lust, in dieser Zeit des Übergangs zu leben, allen Möglichkeiten müsse man nachgehen" 83 . Zwei Aktionen aus den Jahren 1945/46 und 1947, der „Zeit des Übergangs", die hauptsächlich von Aicher ausgingen, zeigen einerseits, wie sehr man - besser: wie sehr Aicher und Scholl - am alten Kreis hingen, andererseits läuteten sie die Wende, näherhin den Untergang des „Scholl-Bunds" ein. So war einer Philosophie-AG, die Aicher „Stuband 7" taufte, kein langes Leben beschieden. „7", weil es sieben Teilnehmer waren (Otl Aicher und Inge Scholl, Elisabeth und Fritz Hartnagel, Frido Kotz und seine spätere Frau Elsbet Reiff, deren Schwester Erika Reiff, die in München ins „Weiße Rose"Umfeld geraten war), und man sich mindestens alle vier Wochen zum „studieren" traf. Elisabeth Hartnagel erinnert sich daran, ein Referat über die Vorsokratiker ausgearbeitet zu haben. Die gleiche Idee stand über einem Treffen am Weißensee im August 194784: Aicher habe einen Laster mit Büchern - immerhin waren vier Wochen geplant - an den See bringen lassen; Elsbet Reiff, die damals bei den Amerikanern als Dolmetscherin aushalf, organisierte Zelte und Lebensmittel. Willi Habermann, Elisabeth Hartnagel, hochschwanger, ihr Mann Fritz und Inge Scholl nahmen ebenfalls daran teil. Letztere erwartete sich von dieser „Study Band" „einige Klarheit in verschiedenen Unsicherheiten, die mich quälen und denen man einfach einmal durch fleißige Arbeit, eingehendes Studium und Lesen zu Leibe rücken muß", wie sie im Juli 1947 an Ernst Michel schrieb 85 . Dessen Buch „Der Partner Gottes" 86 sollte, und das ist einer der wenigen konkreteren Hinweise, ausführlich diskutiert werden. Dieses Arbeitstreffen, auf dem es allerdings nicht nur wie geplant um hehre Philosophie ging, sondern eher um praktische Beziehungen, fand ein jähes Ende, als Elsbet Reiff mit einer Lebensmittelvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. „Otl war ziemlich sauer auf mich", erinnert sie sich lächelnd, „nicht mal so sehr, weil ich dadurch nicht referieren konnte (ich sollte über Piaton sprechen), sondern eher, weil sich nachmittags zur Besuchszeit alle an meinem Bett versammelten". Aicher sah das Treffen am Weißensee auch Jahre später noch als Schlag ins Wasser: „Aus dem damaligen Lager in Weißensee ist nicht recht viel geworden. Erst gründeten wir ein ,Studio Null'. Daraus entstanden die Pläne, von denen ab und 83 84

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Tagebucheintrag vom 29.6., 18.8., 20.8.1946; Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46. Vgl. dazu die Gespräche mit den Ehepaaren Hartnagel und Kotz sowie Herrn Habermann. Habermann will bei der „Stuband" auch dabeigewesen sein, die „Stuband 0" genannt worden wäre. Solche Arbeitsferien waren in jenen Tagen keine Ausnahme. Zur gleichen Zeit traf sich z.B. eine Gruppe von ca. zehn Personen auf der „Gunzensrieder Säge" im Allgäu, um unter der Leitung von Herbert Wiegandt philosophische und literarische Zeitprobleme zu diskutieren. Frankfurt/Main EMA, Inge Scholl an Ernst Michel 21.7.1947. Ernst Michel, Der Partner Gottes, Heidelberg 1946.

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an auch etwas in der Zeitung zu lesen ist. Vielleicht wird daraus etwas. Wir tun unser Mögliches. Ganz ehrlich gesagt hatte ich damals das Gefühl, als hättet ihr nicht kapiert, um was es geht. Aber das hat menschlich nichts zu sagen. Deshalb sind deine Bedenken unbegründet" 87 . Ein wichtiges Indiz für das Verblassen der alten Freundschaft ist die Tatsache, daß es nach 1945 kaum mehr Briefe gibt: schrieben sich etwa Otl, Grogo und Frido von 1938/39 an mit großer Regelmäßigkeit, manchmal täglich, und tauschten dabei alles aus, was von Bedeutung war, bricht dieser Briefwechsel nach 1945 fast völlig ab 88 . Auch wenn einzelne Kontakte durchaus bestehen blieben, kam es nicht zu einer Restituierung des alten Freundeskreises. Statt dessen begannen in Ulm systematische Planungen für eine zu gründende Volkshochschule. Eine Auflistung in der ersten Werbeschrift vom Winter 1945/46 macht zehn Personen als Gründer dieser Institution namhaft: „Die Ulmer Volkshochschule wird vorläufig getragen durch einen nicht eingetragenen Verein. Sie wird geleitet von Fräulein Inge Scholl in Verbindung mit einem Kuratorium 89 , das sich zusammensetzt aus Fräulein Studienrätin Elisabeth Walser90, Frau Helga Wiegandt 91 , den Herren Professor Wild92, Wilhelm Geyer, Studienrat Kneer 93 , Kurt Fried 94 , Herbert Wie87 88

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Bad Mergentheim PAH, Otl Aicher an Willi Habermann 19.8.1950. Vgl. die Überlieferungslage in den beiden Privatarchiven Habermann und Kotz. Mit Kotz brach der Kontakt bereits während des Krieges ziemlich ab, auch deshalb, weil dieser in Rußland stationiert und damit ein Briefwechsel teilweise unmöglich geworden war. Habermann war in Frankreich, was das Korrespondieren erleichterte. Auf ausführliche Lebensbilder der einzelnen Kuratoriumsmitglieder wird in diesem Rahmen verzichtet. Diese finden sich in meiner Publikation „Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit" 38-51. Die wichtigsten Eckdaten sind den Biogrammen zu entnehmen; weitere Informationen im Text. Elisabeth Walser (1895-1951), Oberstudiendirektorin. Seit 1931 Lehrerin für Geschichte und Deutsch in Ulm, unterrichtete auch Inge Scholl. 1945-1951 Leiterin der Mädchen-Oberrealschule Ulm; Ulm SA G 2. Helga Wiegandt (* 1917), Tochter des Bürgermeisters Ernst Sindlinger, der 1933 von den Nazis abgesetzt wurde. Sie mußte daraufhin das humanistische Gymnasium in Ulm mit der Mittleren Reife verlassen. Die Familie übersiedelte nach Stuttgart. Schneiderlehre; Privatstunden an der Stuttgarter Kunstakademie. 1939 dienstverpflichtet. 1942 Heirat mit Herbert Wiegandt, Dezember 1944 ausgebombt, Rückkehr nach Ulm. Hermann Wild (1884-1962). Gymnasium in Ulm, 1902 Reifeprüfung. Studium der Mathematik an der TH Stuttgart, anschließend Philosophie, evangelische Theologie, Deutsch und Geschichte in Tübingen. 1913 Stadtpfarrer in Backnang, 1914-1924 Professor an Realgymnasium und Oberrealschule in Schwäbisch Hall. Von Theodor Bäuerle mit dem Aufbau der VHS Schwäbisch Hall betraut. 1924 Versetzung ans Ulmer Gymnasium, dort Lehrer für Deutsch, Geschichte und evangelische Religion. Lebhafte Mitarbeit an der von Hans Reyhing geleiteten Volkshochschule. 1946-1951 Rektor des Gymnasiums. 1945-1959 Mitglied des Ulmer Beibzw. Stadtrats (FDP), 1946-1952 Mitglied des Landtags; Ulm SA G 2. Joseph Kneer (1900-1990), besuchte mit Wilhelm Geyer Schule und Kunstakademie, Anfang August 1945 zum kommissarischen Leiter des Ulmer Museums ernannt, bis 1952 Leiter, Vorsitzender des Kunstvereins Ulm 1948-1983; Ulm SA G 2. Kurt Fried (1906-1981) war in der Redaktion der demokratischen „Ulmer Abendpost", bis diese 1930 ihr Erscheinen einstellen mußte. Seine Karriere als Verlagslektor endete 1933 abrupt; er wechselte nach der Verweigerung seines Aufnahmegesuchs in die Reichsschrifttumskammer ins mütterliche Schuhgeschäft. Nach Publikations- und Schreibverbot und der

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gandt95, Hugo Roller96 und Otto Aicher."97 Dieses Kuratorium ist teilweise identisch mit den „Gründern" der Volkshochschule. Es erhielt erst im Laufe des Jahres 1946 seine endgültige personelle Gestalt98. Andererseits entsprach es dem „neuen Ulmer Freundeskreis" auch nur zum Teil. Vielleicht ist das bereits ein erstes Indiz dafür, daß die entstehende Volkshochschule für eine Totalrealisation der Ideen der Freunde nicht würde genügen können. Welcher Personenkreis kam im Herbst des Jahres 1945 für die Gründung einer Volkshochschule überhaupt in Frage? Fünf Bedingungen für die möglichen Kandidaten drängen sich geradezu auf: 1. Sie mußten natürlich vor Ort sein. 2. Sie durften nicht unter die Kategorie „Parteigenosse" oder „Mitläufer" fallen, sondern mußten als „nicht betroffen" bzw. „widerständig" eingestuft sein99. 3. Sie brauchten die Unterstützung der Politik bzw. der für die Politik zuständigen Personen, Ämter und Gremien. Abgesehen davon mußten sie den zuständigen Stellen als potentielle Kandidaten bekannt sein. 4. Sie mußten Erfahrungen (möglichst von vor 1933) und Interesse für Bildungsarbeit mitbringen. 5. Außerdem sollten sie auch menschlich „miteinander können" und nicht nur intellektuell auf derselben Ebene stehen. Notfalls mußten geeignete Bewerber miteinander in Beziehung gebracht werden. Diese Kriterien, auf die zehn in der Programmschrift aufgeführten Kuratoriumsmitglieder angewendet, ergeben folgendes Bild:

Entlassung aus der Wehrmacht als „wehrunwürdig" gelangte er als Schuhverkäufer und später als Rüstungsarbeiter im Zwangsarbeitslager durch die folgenden Jahre. In dieser Zeit sammelte Fried eine große Bibliothek und baute eine wertvolle Autographensammlung auf; Ulm SA G 2; Ulmer Forum 58 (1981) 10; Gerhard Kaiser, Kurt Fried; Trauerfeier Kurt Fried, Ulm 1981. Herbert Wiegandt (* 1914) entstammte einer alteingesessenen Ulmer Familie und hatte in Heidelberg vor allem bei Karl Jaspers studiert. Mehrmals von der Einberufung zurückgestellt, landete er schließlich doch bei einer Sanitätskompanie in Rußland. Kurz vor Kriegsende schaffte er den Absprung von der Truppe und konnte nach Ulm zurückkehren. In Ulm Leiter der Bibliothek, später Professor für Bibliothekswesen in Stuttgart, wo er heute noch mit seiner Frau lebt. Eine Edition seiner Kriegstagebücher unter dem Titel „Inselexistenz" ist in Vorbereitung. Hugo Roller (1907-1990), ab 1945 Jugendreferent in Ulm, Leiter des Jugendamtes, 1946-1971 Mitglied im Ulmer Gemeinderat und Vorsitzender der SPD-Ortsgruppe Ulm. Ulm vhA Schachtel 3, [Kurt Fried] ulmer Volkshochschule. [Programmschrift zur Eröffnung im April 1946], 22. Zu korrigieren ist die Darstellung von Sabine Hanslovsky, „fangen wir an, hier in ulm". Die Ulmer Volkshochschule und die Entstehung der HfG, in: Fangen wir an 12-27, hier 12-15. Bei den Planungen im Winter 1945/46 läßt Hanslovsky fälschlich das spätere Kuratorium insgesamt anwesend sein. Eine knappe Übersicht und weiterführende Literatur zur Entnazifizierungs-Problematik in allen vier Besatzungszonen bei Vollnhals, Entnazifizierung. Auch Frei, Vergangenheitspolitik; Holtmann, Traditionsmilieus 633-642; Niethammer, Mitläuferfabrik. Vgl. auch den Tagebucheintrag Wiegandts vom 6.7.1945: „Seit Montag ist Helgas Vater in seinem Amt als Landrat. Es ist alles andere als angenehm, die Schwierigkeiten sind enorm. Z.Zt. ist das Hauptproblem der Mangel an Mitarbeitern und Beamten, da die Amerikaner auf dem Standpunkt stehen, daß jeder ehemalige Pg. zu entlassen sei. So bleibt fast niemand übrig." Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46.

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ad 1. Von Otl Aicher bis Hermann Wild waren alle kurz nach Kriegsende in Ulm. Nicht so die alten Freunde Frido und Grogo, die sich bis Mai 1946 bzw. bis Ende August 1945 noch in Gefangenschaft befanden. ad 2. Über drei der zehn Namen braucht in punkto „Widerstand" nichts gesagt werden - Aicher, Geyer und Scholl hatten schon durch ihre Verbindung zur „Weißen Rose" eine weiße Weste. Ähnliches gilt für Kurt Fried, der im August 1945 von Lieutenant Sage zum „Kulturbeauftragten" der Stadt Ulm ernannt worden war. Der Journalist Fried, dessen Karriere als freier Theater- und Kunstkritiker 1933 abrupt geendet hatte, war gemeinsam mit Geyer Mitglied im „Tappklub Deutsche Eiche", „unter welch parodierendem Namen und tarocker Tarnung sich ein antitotalitärer Geheimklub verbarg" 100 . Die Studienrätin Elisabeth Walser und Professor Hermann Wild waren trotz - oder vielleicht gerade wegen - ihrer Profession als Geschichtslehrer ohne jegliche „Bräune" über das letzte Jahrzehnt gekommen; die anderen Kuratoren galten als „nicht betroffen". ad 3. Über Inge Scholl als Tochter des Oberbürgermeisters und Aicher, dem Schollschen „Haus-Sohn", bestand von Anfang an ein direkter Draht zur Politik. Gleiches gilt für Herbert und Helga Wiegandt, deren Vater seit Anfang Juli Landrat war. Hermann Wild als profilierte Persönlichkeit des demokratischen Ulm vor 1933 gehörte dem Beirat an - übrigens auch Kurt Fried - und Wild war es auch, der Wiegandt - seinen ehemaligen Schüler - für den Posten in der Bibliothek vorschlug101. OB Scholl und die amerikanische Militärregierung ernannten Anfang August den Maler und Kunsterzieher Kneer zum kommissarischen Leiter des Museums. Dieser verfügte, wie Roller, der zum „Jugendreferenten" bestellt wurde, ebenfalls über die nötigen Kontakte. Bleibt Kurt Fried, der große Koordinator, „der mit Ideenreichtum und beinahe überschäumenden Elan Dinge im Stadt- und Kulturleben von Ulm in Bewegung setzte"102. Außerdem „hortete" Fried eine Reihe von amerikanischen Lizenzen - etwa für eine Zeitung und einen Verlag -, ohne die in jenen Jahren nichts ging. ad 4. Pädagogische Erfahrungen hatten in jedem Fall die beiden Lehrer Walser und Wild. Letzterer hatte bereits einmal eine Volkshochschule gegründet: in Schwäbisch Hall nach dem Ersten Weltkrieg103. Nicht nur mit 100

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Der Kreis traf sich nicht nur zum „tappen", d.h. zum Kartenspielen. Man unternahm auch Ausflüge, bei denen mit Karrikaturen und Illustrationen versehene Postkarten geschrieben wurden. Die Gespräche im Neu-Ulmer Löwenbräukeller gingen natürlich über Tagesereignisse und weltanschaulich-politische Fragen. Einigend war die religiöse Grundhaltung des Katholizismus, es gehörten etwa auch die katholischen Jugendpfarrer Albert Nusser und Bernhard Hanssler zu den Tapp-Brüdern; vgl. Kunst und Kultur in Ulm 172-175, hier 172. Am 19.6.1945 notierte er in sein Tagebuch einen Besuch bei OB Scholl wegen der Einstellung in der Bücherei, „was mir Prof. Wild vermittelte"; Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46. Interessant: mit ihm sollte Hans Hirzel arbeiten, der allerdings schnell absprang. Inge Aicher-Scholl an Kurt Fried 27.3.1976, anläßlich des 70. Geburtstages Frieds; Ulm Privatarchiv Fried. Frieds Arbeit wurde nicht nur positiv bewertet; vgl. einige Einträge bei Wiegandt, Tagebuch 1945/46 und die Äußerungen anderer Zeitzeugen. Dazu Otto Uhlig, Die Geschichte der Volkshochschule Schwäbisch Hall (Schriftenreihe des Vereins Alt Hall Heft 9), Schwäbisch Hall 1980.

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Wild war der Bezug zu früheren Formen der Erwachsenenbildung gegeben. Fried hatte in jungen Jahren in der von Hans Reyhing betreuten „alten" Ulmer Volkshochschule mitgewirkt, als gerade 20j ähriger gab er Kurse über „Zeitgeist und Jugend" oder „Einführung in die moderne Kunst" 104 . Während des Krieges erwarb er mit einer großen Bibliothek auch umfassende Belesenheit. Und was Phantasie, ein Fahrrad und ein klein wenig Organisationstalent vermochten, hatte Otl Aicher mit seinen „Religiösen Ansprachen" zur Genüge bewiesen, ad 5. Wer kennt wen oder wer lernt wen wo und wie kennen? Geyer und Kneer hatten gemeinsam die Stuttgarter Kunstakademie besucht; Geyer gehörte zum Hauskreis der Familie Scholl und Geyer kannte Fried vom gemeinsamen „tappen". Fried kannte Wild, bei Wild waren die Jungen ins Gymnasium gegangen, bei Fräulein Walser die Mädchen, Fried kannte Roller und Robert Scholl vom Rathaus, und lernte im Sommer „zwischen den Schuttbergen im Rathaus" Wiegandt kennen, der ja wiederum Wild kannte. Anläßlich der Geyer-Ausstellung im Museum schlössen Herbert Wiegandt und Inge Scholl Bekanntschaft; Wiegandts wiederum besuchten Kneers in Söflingen ... - ein dichtes Beziehungsgeflecht! Durch die Organisation der „Religiösen Ansprachen über christliche Weltanschauung" hatte sich Otl Aicher als möglicher Volkshochschulleiter empfohlen. Die Möglichkeiten, die allein die Volkshochschule bot, waren immens. Obwohl Aicher die Chance gehabt hätte, die Leitung selbst zu übernehmen, zog er es vor, in die „zweite Reihe" zu treten - erstens war da noch das Haus in Oberschwaben, das er bauen wollte; zweitens stand immer noch im Raum, wenn nicht Bildhauer so doch zumindest Künstler zu werden; und drittens ließ ihn vielleicht seine realistische Selbsteinschätzung erkennen, daß er aufgrund seines sprunghaften Wesens für eine Kontinuität verlangende Leitungsaufgabe kaum geeignet war. Leider gibt es keine authentischen Selbstzeugnisse aus dieser Zeit105, wie auch über die weitere Entwicklung des Freundeskreises nur dürftige, zumeist mündliche Hinweise zu finden waren. Dies erklärt sich daraus, daß der alte Ulmer Freundeskreis immer mehr hinter einem neuen zurücktrat, vollends mit der Formierung des „Studio Null".

b) Konkrete Gründungsvorbereitungen Wer letztendlich die Idee zur Gründung hatte und die Initiative ergriff, läßt sich nicht genau sagen106. Wahrscheinlich ist, daß der amerikanische LieutenInge Aicher-Scholl, Kurt Fried, in: Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit 42. Auch die wenigen Briefe aus diesen Monaten geben keinen Aufschluß. Möglicherweise ließen sich in Rotis in privaten Aufzeichnungen Hinweise finden; die Unterlagen in HfGA OAA schweigen sich dazu aus. Es kursieren verschiedene, hauptsächlich mündliche Versionen. Die in Deutschland zugänglichen amerikanischen Akten gaben dazu nichts her, ähnlich wie private oder aus dem Stadtarchiv Ulm stammende Bestände.

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ant Sage mit dem deutschen Kulturbeauftragten über die Gründung einer Volkshochschule gesprochen hat. Andererseits dürfte Fried mit Aicher im Rahmen der Vorträge in der Martin-Luther-Kirche über den amerikanischen Vorschlag diskutiert bzw. selbst die Idee geäußert haben, es nicht nur bei den Vorträgen zu belassen107. Von Anfang an involviert war Inge Scholl. Spätestens Anfang Januar 1946, wahrscheinlicher schon im Laufe des N o vember/Dezember 1945, trafen sich in der Schulischen Wohnung Otl Aicher, Inge Scholl, Helga und Herbert Wiegandt sowie Kurt Fried. Nicht immer mit von der Partie, aber bereits von Anfang an eingeweiht waren Elisabeth Walser und Hermann Wild. So notierte Herbert Wiegandt am 31. Januar 1946 in sein Tagebuch: „Bei Wild mit Fried und Inge Scholl. Auf ihre und O t t o Aichers Initiative ist eine Volkshochschule im Entstehen, woran wir uns natürlich lebhaft beteiligen. Auch der Vater Scholl unterstützt das Unternehmen." 108 Die Planungen waren Ende Januar schon weit vorangeschritten. In der Zwischenzeit hatte sich Inge Scholl nach einigen Wochen Bedenkzeit entschieden, das Studium Studium sein zu lassen und dem Rat ihres späteren Ehemannes zu folgen, der zu ihr gesagt haben soll: „Inge, Soziologie lernst du nicht an der Universität, sondern viel besser in einer Volkshochschule". Aicher scheint von den amerikanischen Besatzern ursprünglich als Leiter der Neugründung vorgesehen gewesen zu sein; er schlug dann an seiner Stelle Inge Scholl vor, die schweren Herzens annahm. „Denn erstens hatte ich keinerlei Erfahrung und war gezwungen, alles erst auszuprobieren und mich auf mein Fingerspitzengefühl und auf die guten Ratschläge anderer zu verlassen. Zum andern war mir auch einigermaßen klar, welche ungeheure Arbeit und Hingabe der Aufbau einer Volkshochschule in einer solchen Notzeit und in einer so furchtbar zerstörten Stadt erfordern würde. Ich wußte, daß ich kaum mehr mit einem freien Abend oder einem Sonntag rechnen durfte." 109 Dem war in der Tat so, zumal Inge Scholl und Otl Aicher die meisten Aktivitäten im Alleingang unternahmen. Sie verfaßten die Programmschrift, sie erledigten die Behördengänge - mit dem Oberbürgermeister wohl zuhause bei Tisch, mit dem Landrat über den Oberbürgermeister, mit den amerikanischen Stellen eventuell gemeinsam mit Fried - , sie bereisten ganz Süddeutschland, um eine vorläufige Referentenliste zusammenzustellen, sie organisierten die Eröffnungswoche, sie planten das weitere Programm. Aicher 107

108

109

So Wiegandt in seinem Monatsspiegel-Aufsatz zum 10jährigen: „auf Anraten von Kurt Fried [begann] eine systematische Planung". Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46. Vgl. auch die Sammlung zu Fried mit entsprechender - leider wenig aussagekräftiger - Korrespondenz in München BayStaBi. Ebd. Ana 341, I ein Brief von Romano Guardini an Fried 14.12.1945: „Gewiß, ich bin überzeugt, daß die Volkshochschule, richtig ausgebaut und geführt, eine große Bedeutung haben kann." Guardini zeigte sich gesprächsbereit und bot seinen Vortragsabend im Dezember dazu an. Aicher-Scholl, Ulmer Volkshochschule 56. Auf dem heutigen Kenntnisstand ist nicht zu klären, ob die Mitteilung Kurt Frieds zutrifft, er hätte zuerst die Lizenz für die Gründung einer Volkshochschule in Ulm erhalten. In einem Interview zum 30jährigen Bestehen der vh bemerkte Fried, daß OB Scholl ihm kategorisch erklärt habe, das sei Sache seiner Tochter und er werde Fried nie als Leiter dulden; Südwestpresse 24.4.1976.

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Dritter Teil: ERBE. 1. VOLKSHOCHSCHULE

übernahm überdies das „graphische Gesicht" der Volkshochschule, er entwarf die Plakate, die Mitgliedskarten und Programmhefte. Wer eine Volkshochschule gründen will, muß für genügend Mitglieder und ausreichend Startkapital sorgen. Nach dem hoffnungsvollen Anfang mit den „Religiösen Ansprachen" scheint die Mitgliederzahl das geringere Problem gewesen zu sein. Trotzdem mußte die Werbetrommel gerührt werden. Am 23. Februar 1946 erschien in der „Schwäbischen Donauzeitung" ein erster Artikel von Herbert Wiegandt über die „Ulmer Volkshochschule" 110 , in dem auch zu Spenden aufgerufen wurde. Im „Amtsblatt" hieß es unter „Bekanntmachungen für Stadt und Land Ulm", daß diese „vielversprechende Einrichtung" dazu beitragen werde, „neues Leben in unsere tief wunde Stadt zu bringen. Eine solche Hochschule des Geistes [nicht des Volkes. B.S.] wird mit dazu beitragen, unsere Menschen aus der Atmosphäre von Klatsch und Tratsch, des Übelwollens und Mißverstehens emporzuheben, sie auf eine reinere und höhere Linie des Gesellschaftslebens zu führen und einem neuen Geist für eine bessere Zukunft zur Entwicklung zu helfen. Die Volkshochschule soll insbesondere auch den Wenigerbemittelten, jenen, die infolge sozialer und materieller Verhältnisse an geistiger Kost Hunger leiden mußten oder müssen, einen besseren Zugang zu den Gütern des geistigen Lebens ermöglichen." 111 Gespendet wurde reichlich; ein stattlicher Fonds kam durch Stiftungen der Ulmer Industrie sowie durch zahlreiche kleinere Zuwendungen Ulmer Bürger zustande 112 . Eine VW&shochschule braucht ihr „Volk" genauso nötig wie ihre Referenten, die sie erst zur „Hochschule" machen. Diese zu gewinnen, übernahmen - wie gesagt - Inge Scholl und Otto Aicher. Guardini, Messerschmid, Steinbüchel und Stepun dürften die ersten Namen gewesen sein, die auf der Liste der vorläufigen Mitarbeiter standen. Hinzu kamen natürlich „Ulmer" selbst113, aber da „Ulm selbst als ehemalige Garnisonsstadt stark der geistigen Kräfte ermangelt", wie Inge Scholl Anfang Februar 1946 an Gerhard Ritter schrieb, „sind wir auf auswärtige Redner angewiesen." Am Beispiel des Briefwechsels Scholl-Ritter läßt sich exemplarisch nachzeichnen, wie die Volkshochschule zu ihren Referenten kam: „Wir werden unsere günstige Lage zwischen den zwei großen Universitäten Tübingen und München, dem Kulturzentrum am Bodensee und auch der Landeshauptstadt zu nützen versuchen, darüberhinaus aber nach allen geistigen Autoritäten Ausschau halten, die sich heute noch in Süddeutschland befinden." 114 Solche geistigen Autoritäten wurden systematisch aufgespürt und angeschrieben. Dabei halfen Inge Scholl - neben Guardinis Beziehungen - zunächst einmal der Name „Scholl" selbst und die Kontakte, die sie über ihre Geschwister in München

1,0

Schwäbische Donauzeitung 23.2.1946. '' Amtsblatt der Stadt Ulm und des Landkreises Ulm Nr. 55 vom 21.3.1946, 260. 112 Dazu Aicher-Scholl, Ulmer Volkshochschule 62. Zur Finanzierung unten S. 306-308. 113 Auf der Liste stehen Fried, Geyer, Kneer, Rudolf Mendler, Wiegandt und Wild, daneben Dr. Römer für Soziologie aus Neu-Ulm und Seydlitz, der Bezirksschulrat für Pädagogik. 114 Inge Scholl an Gerhard Ritter 4.2.1946; Koblenz BA N 1166/359. Daraus die folgenden Zitate. 1

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hatte knüpfen können. Der gemeinsame Kampf gegen das Dritte Reich hatte im Krieg die Beziehungen zu „widerständigen" Personen ermöglicht bzw. gefestigt. Dieses „Kapital" trug jetzt Zinsen für Gegenwart und Zukunft. Bei den Auslassungen Inge Scholls über das geistige Profil ihrer Volkshochschule fehlt denn auch nie der Hinweis auf ihre beiden Geschwister, die „vom Volksgerichtshof als Spitze einer Widerstandsbewegung von Studenten zum Tode verurteilt, in der strahlenden Hoffnung ihr Leben gaben, daß ein solches Opfer seine Früchte bringen werde". Ritters Antwortbrief auf die Ulmer Anfrage fällt dementsprechend aus. Grundsätzlich ist er bereit, einen Vortrag in Ulm zu halten - sein Name konnte also in die Mitarbeiterliste aufgenommen werden Bitter schreibt aber auch, wie tief ihn der Brief bewegt hätte, „denn das Schicksal Ihrer Geschwister rührt sehr nahe an eigene Erlebnisse"115. Damit erlag der Historiker wie viele nach ihm dem „Scholl-Faktor": der Volkshochschule der Schwester der gemordeten Scholl-Geschwister konnte man einfach keinen Korb geben. Das heißt: Jede Größe aus Politik, Gesellschaft, Literatur, Wissenschaft, Kunst, die etwas auf sich hielt, mußte in Ulm sprechen. Neben die schriftliche Anfrage trat die persönliche Kontaktaufnahme. Inge Scholl unternahm im Laufe des Winters und des beginnenden Frühjahrs 1946 eine Reihe von Reisen, um bei potentiellen Mitarbeitern vorzusprechen. Im Falle Ritters führte der Weg nach Freiburg; Ritter schlug als mögliches Thema „Die Verwüstung des deutschen Geschichtsbildes im Dritten Reich" vor. Das paßte gut, denn Gertrud Bäumer war bereits für einen Vortrag über „Das Geschichtsbild des wahren Deutschland" gewonnen worden. So entstand eine Reihe zum Thema „Das neue Geschichtsbild". Zufällig trafen sich Scholl und Ritter dann noch einmal in Tübingen und konnten weitere Einzelheiten abklären. Alle Referenten erhielten eine offizielle Auftragsbestätigung der Volkshochschule, mit der sie einen Passierschein beantragen konnten, ohne den das Überschreiten der Zonengrenzen nicht möglich war. Für die amerikanische Militärregierung in Ulm mußte jeder Redner ein Formular ausfüllen116. Erst wenn dieser Bogen ausgefüllt vorlag, konnte die Genehmigung für die Veranstaltung beantragt werden. O b in jedem Fall die genaue Reihenfolge eingehalten wurde, ist fraglich; nach und nach dürften sich die Vorgänge entbürokratisiert haben. Inge Scholl bat daher Ritter auch, „es mit Humor und weitem Herzen als eine reine Formsache anzusehen ... Vermutlich haben Sie wohl auch schon einen der berühmten Fragebogen ausgefüllt und es dürfte Ihnen weiter keine Mühe bereiten, meine Bitte, die ich mit innerem Widerstreben an Sie richte, zu erfüllen." 117 Immerhin kam auf diese, am Beispiel Ritters exemplifizierte Weise, eine Liste mit 62 „Vorläufigen Mitarbeitern an 115 116

1,7

Gerhard Ritter an Inge Scholl 13.2.1946; Koblenz BA N 1166/359. Dieser Fragebogen dürfte sich mit der NS-Vergangenheit der jeweiligen Person beschäftigt haben; wahrscheinlich war es eine verkürzte Version des Entnazifizierungsfragebogens. Leider hat sich kein Exemplar dieses Rednerbogens auffinden lassen. Inge Scholl an Gerhard Ritter 4.4.1946; Koblenz BA N 1166/359.

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Dritter Teil: ERBE. 1. VOLKSHOCHSCHULE

der Ulmer Volkshochschule" zustande, die in der Programmschrift mit einem kurzen Hinweis zu Fachrichtung und Herkunftsort abgedruckt wurde. Langsam nahm die Neugründung konkretere Formen an, wie auch ein Blick in das Tagebuch von Herbert Wiegandt zeigt, der in den Monaten März und April mehrere halb-private Zusammenkünfte mit Aicher und Scholl notierte. „Abends waren wir bei Inge Scholl, wo Eckart Peterich 118 zu Gast war. Mehrere Leute, auch Oberbürgermeister Scholl und seine Frau und Otto Aicher. Peterich las Gedichte, schön, christlich-katholisches Fundament, starker Eindruck von der heutigen geistigen Aktivität dieses Katholizismus." 119 Was Wiegandt nicht wissen konnte: Peterich war wie Inge Scholl zum Katholizismus konvertiert, was sich auch in seiner Dichtung niederschlug. So konnte er etwa im Urwald die Orchideen als „muttergottesblau" blühend beschreiben. Zudem steht in der Mehrzahl seiner Texte die Frage nach dem Ursprung der Religion und der Bedeutung des Katholizismus im Mittelpunkt. Überdies war er genauso stark vom Renouveau Catholique beeinflußt, hatte Bernanos aus dem Französischen übersetzt und Claudels „Seidenen Schuh" für den Bayerischen Rundfunk bearbeitet 120 - das paßte zu Inge Scholl, Otl Aicher und dem alten „Scholl-Bund". Der nach Deutschland zurückgekehrte Peterich - Spitzname „Ecki" - hielt Ende Mai seinen ersten Vortrag in Ulm, sein Name findet sich zudem in der Liste der vorläufigen Mitarbeiter. Was den beiden evangelischen Wiegandts zurecht sofort auffiel, war die akzentuiert katholische Grundtendenz des ganzen Unternehmens. Wenige Tage später beschrieb Wiegandt eine „Kuratoriumssitzung" - zum ersten Mal verwendete er diesen Begriff. Anwesend waren Inge Scholl, Fried, Kneer, Fräulein Walser und Wild, sowie Wiegandt mit Frau. Diskutiert wurde über das Programm 121 , und der Termin für die Eröffnungswoche festgelegt122. 118

119 120

121

122

Eckart Peterich (1900-1968), Lyriker, Dramatiker, Reiseschriftsteller, Übersetzer. In Italien aufgewachsen, arbeitete er bis 1933 als Journalist in Rom, u.a. als Korrespondent beim Völkerbund in Genf; lebte bis 1945 hauptsächlich in Italien. 1945-1949 in Deutschland, danach Korrespondent in London und Paris. 1959-1961 Direktor der deutschen Kulturinstitute in Mailand und Rom, anschließend Programmdirektor des Goethe-Instituts in München; Killy (Hg.), Literaturlexikon 3, 125 (Detlef Krumme). Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46. Nach dem Krieg übersetzte er das letzte Werk von Bernanos, die „Gespräche der Karmeliterinnen", die bei Hegner in Leipzig unter dem Titel „Die begnadete Angst" erschienen. Vgl. auch seine Ausführungen: Ein Drehbuch von Bernanos, in: Aussprache 2 (1950) H 8, 135137. Dazu auch Johannes Hösle, Eckart Peterich (1900-1968), in: Studi Germanici 7 (1969), 368-382, hier 370 und 380. Dazu finden sich in der Folge weitere Überlegungen im Tagebuch Wiegandts. Zu seinem Kurs notierte er am 27.3. erleichtert: „Mein Volkshochschulkurs soll voraussichtlich ,Die deutsche Dichtung der letzten hundert Jahre' heißen". Diesen konzipierte er in den folgenden Wochen. Wiegandt wurde in jenen Tagen zur „Information Control" bestellt und für wöchentliche Berichte über das kulturelle Leben gewonnen. Zuständig dafür war Lieutenant Weil. Die Berichte haben sich im PAW leider nicht erhalten; interessant wäre, ob sie in den Archiven der USA noch liegen. Nach der Erinnerung des Ehepaars Wiegandt wären diese eine Fundgrube für das kulturelle Aufbruchsgeschehen nach 1945. Eintrag vom 19.3.1946; Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46.

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c) Die Programmschrift Waren bereits die Vorbereitungen zur Gründung der Volkshochschule selbst auf keinerlei nennenswerte Schwierigkeiten gestoßen, so stand zu erwarten, daß auch die Eröffnungsschrift123 ohne Probleme die Zensur der „Publications Control OMG, Württemberg-Baden, Information Control Division" 124 passieren würde. An der Person von Inge Scholl als der überlebenden Schwester der Widerstandskämpfer Hans und Sophie Scholl konnten die Besatzer kaum Anstoß nehmen. Umsomehr überrascht, daß nicht die künftige Leiterin, sondern Kurt Fried - zumindest presserechtlich - für den Inhalt verantwortlich zeichnete (24). Zudem unterschrieb Inge Scholl auch nicht namentlich das Vorwort (6); überhaupt taucht ihr Name nur einmal im Kontext der Liste der Kuratoriumsmitglieder (22) auf und mußte in einer Nachtund Nebelaktion kurz vor der Eröffnung sogar geschwärzt werden. Dies hing offenbar mit dem Bekanntwerden ihrer Mitgliedschaft im BDM zusammen. Die daraus resultierenden Vorbehalte der Besatzungsbehörde konnten jedoch nach kurzer Zeit völlig ausgeräumt werden. Juristisch gesehen verantwortete Inge Scholl diese Schrift somit nicht, es besteht jedoch kein Zweifel, daß sie - gemeinsam mit Otl Aicher - als Urheberin der Programmschrift angesehen werden muß. Viele Formulierungen erinnern an die frühen Texte Aichers und an zahlreiche Briefe Inges. Dabei beschränkt sich die Darstellung nicht auf einen bloßen Schrifttext, sondern Otl Aicher setzte die Metaphern des Textes auch graphisch um. Überdies wurden zur worthaften Illustration ausgewählte Klassiker-Zitate von Shakespeare bis Rilke herangezogen. Eine entscheidende Mitwirkung der übrigen Kuratoriumsmitglieder konnte nicht festgestellt werden. Es scheint zwar ein bis zweimal über eine solche Schrift gesprochen worden zu sein, aber „Inge und Otl wollten das selber machen". Lediglich die Idee der „Eule der Weisheit" als Signet wurde von den beiden im Kreis des Kuratoriums vorgestellt. „Das fanden wir nett, es war eine ausgesprochen gute Idee", erinnern sich Helga und Herbert Wiegandt. Mehr gab es dazu nicht zu sagen, und so wurde einfach die fertige Schrift auf den Tisch gelegt. Kritik war nicht drin, die gab es in diesem Fall auch nicht; sondern die einhellige Meinung war: „hochoriginell, prima" 125 . Eine genaue Datierung der Schrift ist schwierig. Alles spricht dafür, daß sie bereits im Januar 1946 in groben Zügen entworfen war und den amerikanischen Behörden vorgelegt wurde 126 , denn bereits im Februar/März präsentierten Scholl und Aicher die Schrift dem vorläufigen Kuratorium. Ausgege-

L'lm vhA Schachtel 3, [Kurt Fried] ulmer Volkshochschule. [Programmschrift zur Eröffnung vom April 1946]; die folgenden Zitate werden jeweils im Text mit Seitenzahlen in Klammern nachgewiesen. Wie diese Behörde funktionierte, zeigt Bausch am Beispiel Stuttgarts; Bausch, Kulturpolitik. Vgl. Gespräch mit Helga und Herbert Wiegandt am 18.2.1997 in Stuttgart. Herbert Wiegandt schrieb am 31.1.1946 von den Schwierigkeiten, die die Amerikaner wegen der BDM-Mitgliedschaft Inge Scholls machten; Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46.

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ben wurde die Werbeschrift wohl erst kurz vor oder unmittelbar bei der Eröffnung, während die Redner zusammen mit ihrer Einladung zu einem Vortrag einen solchen „Prospekt" mitgeschickt bekamen 127 . Dementsprechend fand die Schrift breites Echo 128 . Als „weitaus beste" Werbeschrift für eine Volkshochschule pries sie Manfred Hausmann. Wenn die eigentliche Arbeit der Werbung entspricht, können sich die Ulmer Wissensdurstigen glücklich schätzen. Der Direktor des Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt/Main, Ernst Beutler, pries das Heft als „vorzüglich", und eine Münchner Agentur für Vortragsvermittlung schrieb Inge Scholl, mit wieviel Liebe und Verständnis für die wesentlichen Dinge der Gegenwart das Heft doch zusammengestellt sei. „Wir alle, die ihr Programm eingehend studierten, waren überrascht und sind begeistert von dieser Arbeit". Ein Unbekannter aus Cochem an der Mosel bezeichnete die Werbeschrift gar als das gescheiteste, was bisher über die Richtlinien einer Volkshochschule geschrieben wurde. Kurz: Hohes Lob von allen Seiten! Otl Aichers und Inge Scholls Erfahrungen und geistige Prägung bis 1945/46 waren letztlich ausschlaggebend für das Profil der Neugründung. Nicht umsonst kam die Programmschrift immer wieder auf die zwölf Jahre der nationalsozialistischen Diktatur zurück, die beide maßgeblich geprägt hatten, und zwar in zweifacher Weise: einerseits durch die Erfahrung der Diktatur, der Despotie, des Schreckens, der Umwertung aller Werte und andererseits durch die gleichzeitige Erfahrung der Resistenz gegen dieses menschenverachtende System, der geistigen Immunisierung gegen die nationalsozialistische Weltanschauung und nicht zuletzt des Widerstands der „Weißen Rose". Primär ging es um die Reflexion der geistigen Quellgründe, aus denen sich die Resistenz während der Zeit des Nationalsozialismus speiste und die jetzt positiv für ein neues Menschenbild, einen neuen Bildungsbegriff und eine neue Volkshochschule stehen sollte. Die entscheidende Ausgangsthese des geistigen Profils der Gründer der Ulmer Volkshochschule geht daher von einer tragenden Kontinuität der zentralen Gedanken und Ideen aus. Eine „Stunde Null" 1 2 9 läßt sich zumindest ideengeschichtlich im Ulmer Kontext nicht festmachen. Wer die Programmatik des Ulmer Nachkriegsversuchs verstehen will, muß Inge Scholl, Otl Aicher und ihre Weggefährten in den Jahren 1933 bis 1945 verstehen. Das Deckblatt der Schrift zieren drei in griechische Gewänder gehüllte und im Gespräch versunkene Gestalten und das Emblem der „ulmer Volkshochschule", die Eule mit dem Buch. Nach einem Sinnspruch von Goethe „Des Menschen Heil ist ein immer strebend sich Bemühen in täglicher Arbeit, innig verbunden mit Besinnung und Betrachtung" - findet der Leser ei127 128 129

Vgl. als Bsp. Inge Scholl an Rudolf Stadelmann 10.5.1946; Koblenz BA N 1183/14. Dazu eine Briefsammlung in Ulm vhA Schachtel 1. Danach das Folgende. Zur „Stunde Null"-Diskussion und zur Frage Kontinuität oder Neubeginn Doering-Manteuffel, Außenpolitik 7-14; Kocka, 1945, 159-192; Schulze, Geschichtswissenschaft 16-30. Vgl. auch die Beiträge in: Broszat u.a. (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform, die Kontinuitäten über 1945 hinweg darstellen.

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ne kleine Erzählung, wie die Eule, die bekanntlich nicht mehr nach Athen getragen zu werden brauchte, aus Athen ausflog und nach einer Reise durch allerlei Städte von Alexandrien bis Tübingen schließlich beim Ulmer Spatz zu Besuch kommt. So eine gescheite Eule muß wissen, was sie tut. „Und dürfen wir uns nicht geschmeichelt fühlen, daß sie ausgerechnet zu uns kam? Donnerwetter: die athenische Eule!" Denn der gescheiteste Vogel ist der Spatz ja nicht, aber ein herzensguter Kerl mit einem rührenden Willen. „Und wem das Herz am rechten Fleck sitzt, der hat auch ein offenes Ohr, und am Ende geht ihm mehr ein als dem gescheitesten Kuckuck." Passend dazu gestaltete Aicher die gegenüberliegende Seite mit der Eule, um die einige Spatzen herumsitzen. Wenn die Ulmer Bürger und Bürgerinnen einen ersten Überblick über das konkrete Programm ihrer Neugründung erwarteten, wurden sie - zunächst enttäuscht. Auf den 24 Seiten der Broschüre finden sich nämlich nur wenige Informationen über praktische Arbeit und konkrete Kursangebote der Volkshochschule. Zwar wurde auf einer Doppelseite die vorläufige Mitarbeiterliste präsentiert (12, 13), auf einzelne Veranstaltungsformen hingewiesen, Sprechstunden im provisorischen Sekretariat angekündigt, Kuratorium und Leitung des vorläufig nicht eingetragenen Vereins (22) namentlich aufgeführt, ein „Programm" der Volkshochschule Ulm jedoch sucht man vergebens. Das Programm offenbart sich vielmehr als Grundsatzerklärung, als programmatische Abhandlung, genauer gesagt: als Entwurf einer Anthropologie und Bildungstheorie, die der Arbeit der Ulmer Volkshochschule zugrundegelegt werden sollte. Nach der Lektüre dieser Programmschrift und ihren Erkenntnissen aus christlich-humanistisch geprägter Philosophie bestand für die Leser kein Zweifel mehr darüber: der Wiederaufbau nach der Katastrophe des Dritten Reiches mußte ein geistiger und nicht primär ein materieller sein und dafür waren grundlegend neue Wege zu suchen. Der Ulmer Weg bestand in der Gründung einer Volkshochschule. „Ihr Ziel ist aber sehr viel höher gesteckt worden ... und wenn wir auch wohl wissen, daß wir von den großen Zielen, denen wir zustreben, nichts Endgültiges, vielleicht nicht einmal das Entscheidende enthüllen können, daß wir nur von ferne auf sie hinweisen können, so bleibt doch manches zu sagen" (6). Die Kernaussage und der Schlüssel zum Verständnis der Schrift liegt in dem Satz „Das Gefäß Mensch ist umgestürzt und will neu gefüllt werden" (18). Die in der Antike weitverbreitete und über die Bibel, das Germanentum, das Mittelalter bis ins Heute transportierte Vorstellung 130 ist so einfach wie allgemein: Der Mensch stellt ein Gefäß dar und wird entweder mit Heil oder mit Unheil angefüllt. Deshalb fragt die Programinschrift ein zweifaches: wie kam es dazu, daß das Gefäß überhaupt umstürzte und wie bzw. womit ist das Gefäß wieder zu füllen. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist die Tatsache, daß das Gefäß Mensch umgestürzt ist. Das belegen: Zur Entwicklung dieser Vorstellung von „Gefäß und eingegossener Geist" Angenendt, Geschichte der Religiosität im Mittelalter, Darmstadt 1997, 242-245.

Arnold

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D r i t t e r Teil: E R B E . 1. V O L K S H O C H S C H U L E

1. die vergangenen zwölf Jahre. Der Nationalsozialismus rationierte alles Geistige (11), machte aus den Menschen ein „Kraut von Über- und Untermenschen" und, weitaus schlimmer, Herdenmenschen ohne Persönlichkeit (20). Es geht also nicht primär um das Problem der überall sichtbaren totalen materiellen Zerstörung und die lebenspraktischen Folgen der Katastrophe des Krieges, sondern vielmehr um die Frage der „geistigen Fundamente", die ins Wanken gerieten, ehe das Haus (also das Dach über dem Kopf aus Stein und Zement) zusammenstürzte (6). „Gefallen" - sind wir, so die Programmschrift - „vielleicht noch tiefer im Geistigen als im Materiellen". Grund für den Zusammenbruch ist - jedenfalls in Ulmer Sicht - das völlige Fehlen geistiger Orientierung und moralischen Rückhalts. „Die deutsche Katastrophe ist im Anfang und im Grunde eine Folge des falschen Denkens" (9). 2. Das falsche Denken aber ist nicht ein Ergebnis des Nationalsozialismus, sondern es findet sich schon viel früher. Als Ursache der Katastrophe machen Inge Scholl und Otl Aicher zum einen den unreflektierten Nationalismus aus: Das 19. und 20. Jahrhundert haben uralte Lebensordnungen aufgelöst, ohne eine dauerhafte, neue Ordnung an ihre Stelle zu setzen (9); „der Geist der preußischen Geschichtsschreibung mit seiner Übertreibung des Nationalen" brachte statt denkender Menschen nur brave Untertanen131 hervor. Kaiserreich und Weimarer Republik werden beschuldigt, die Grundlagen für das „Tausendjährige Reich" gelegt zu haben, indem sie einengten und dem Menschen eine Brille, eine „Schablone" aufsetzten, „die uns wohl die allernächste Umgebung recht nahe brachte, die Weite aber vollkommen verschwimmen ließ" (9). Nicht die ganze Wirklichkeit, sondern nur ein bestimmter Ausschnitt blieb dabei übrig. Zum anderen klagen sie das „Bildungsbürgertum" an, das sich Bildungsgüter und Bildungshabitus zur Dokumentation von Zugehörigkeit und Abgrenzung sozial-kultureller Milieus aneignete132. Der Hang zur „Halbbildung" 133 wird beschuldigt, das Dritte Reich erst möglich gemacht zu haben: „Wissen ist Macht, dieses Schlagwort regierte das Bildungswesen einer versinkenden Zeit ... In die Sprache unserer Zeit übersetzt, würde es etwa lauten: wer viel weiß, kann viel angeben. Dieser Einstellung zum Wissen verdanken wir jene Art von Intelligenz, die dem Dritten Reich die Blöße zeigte, nach der es in seinem Haß gegen alles Geistige Ausschau hielt" (20). Das belegt auch der „Kultur-Kult" dieser Art von Leuten: „die Kluft zwischen Kul-

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Dazu und zur Kritik an Kaiserreich und Wilhelminischer Ära Thomas Nipperdey, War die Wilhelminische Gesellschaft eine Untertanen-Gesellschaft? In: Ders., Nachdenken über die deutsche Geschichte. Essays, München 21986, 172-185. Zur Entwicklung des Bildungsbegriffes und v.a. zum Verfall dieser Bildungstheorien H W P 1, 922-938 (Erich Lichtenstein); GGB 1, 508-551 (Rudolf Vierhaus). Vgl. Friedrich Paulsen, Bildung (1895), wieder abgedruckt in Ders., Gesammelte Pädagogische Abhandlungen, hg. v. Eduard Spranger, Stuttgart/Berlin 1912, 127-150. „Halbbildung ... ist eben das, was der Sprachgebrauch Bildung nennt: das .alles gehabt haben' und ,von allem mitreden können'... Halbbildung ist innerlich unvollendete Bildung." (149).

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tur und Zivilisation ist nur bei uns so groß, weil wir aus der Kultur etwas machten, was sie gar nicht ist, indem wir die beiden letzten Buchstaben des Wortes strichen. Es gab und gibt bei uns noch einen richtigen Kultur-Kult. So ist die Kultur zur Religion derer geworden, die sich für besonders gescheit und vornehm halten" (19). 3. Eine Ursache des falschen Denkens ist auch der falsche Umgang mit der Technik. Durch die Industrialisierung ist ein gewaltiger Wissenshunger aller Schichten geweckt worden, der aber nie befriedigt wurde. Vielmehr blieb die Technik und ihre Errungenschaften einem Kreis von Spezialisten vorbehalten. Wie in einer mittelalterlichen Alchimisten-Werkstatt köcheln einige Forscher und Gelehrte ihren Brei (8). „Wenn man aber die universitas aufgibt, entsteht geistiges Brachland, auf dem jenes Kraut von Überund Untermenschen wächst, die uns ins Elend gestürzt haben" (18). Die Technik bedingt also auch ein Umdenken in geistiger Sicht, denn sie erfordert eine neue Gesellschaftsordnung. So ist der Sozialismus auch ein Erbe der Technik (19). Für die Verfasser der Programmschrift ist klar: Der Mensch muß wieder in den Mittelpunkt gerückt werden. Der Wert des Individuums und der einzelnen Persönlichkeit ist neu zu entdecken. Nicht „Was ist die Nation?", sondern „Was ist der Mensch?" lautet deshalb die Frage, Humanismus statt Nationalismus und Halbbildung ist angesagt. Wie aber kann dem entrechteten Individuum aufgeholfen werden, damit es zu seiner Würde als Humanuni zurückfindet? Die Antwort ist einfach: Durch „eine Bildung für die Gegenwart, eine neue Bildung, ja eine Bildung, die sich der Zukunft öffnet" (21). Und dafür wurde die Volkshochschule gegründet, der man folgende Leitsätze ins Stammbuch schrieb: 1. Nach dem Ersten Weltkrieg ist die Volkshochschule als eine Hochschule entstanden, die sich das Volk allein machte und aus eigenen Kräften vorantrieb. Dadurch versandete sie. Heute muß eine Volkshochschule nicht mehr eine Hochschule aus dem Volk sein, „sondern für das Volk und mit dem Volk" (11). 2. Die Volkshochschule ist kein beliebiger, gut gemeinter Verein, der zum Beitritt einlädt (8). Sie ist, von der Zeit selbst auf den Plan gerufen, eine „Gemeinde von Freunden" (23). 3. Die Volkshochschule hat sich der allseitigen Bildung, und nicht der Ausbildung, verschrieben. Dient die Universität der Forschung und lehrt das Forschen, will die Volkshochschule Ergebnisse der Forschung weiter vermitteln. Sie ist der „Markt des Lebens", steht für lebendiges Wissen (20), das nicht in den Leitzordnern des Gehirns vor sich hin schimmelt. Die Wege zur Bildung sind mühsam und verlangen Arbeit und Beharrlichkeit (15). Bildung muß wieder mit dem ganzen Menschen, mit seinem Charakter und seiner Haltung verbunden werden, denn Person ist jeder Mensch von Natur aus, Persönlichkeit aber nur nach dem Maße seiner Bildung" (18). Erst wenn das Gefäß Mensch mit einer „allseitigen Bildung, die doch zugleich eine Einheit ist und dem, der sie gewonnen hat, wie ein inwendiger Stern alles Denken und Handeln mit einem hellen

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Licht erleuchtet", gefüllt wird, kommt der Mensch zur Einheit seines Seins, Wissens und Wollens (Augustinus), wird er Person. Bildung ist aber nicht nur Wissen und Erkenntnis. „So nötig als Verstandesbildung ist heute die Bildung des Herzens, ohne die der Friede der Welt immer gefährdet sein wird" (20). Dann wird Kultur wieder zur „Lebensmacht" werden (19). 4. Das große Thema der Volkshochschule ist deshalb die Begegnung, die Begegnung der Wissenschaft mit dem Leben, der Bildung mit dem Alltag, der Kultur mit der Zivilisation, die Begegnung der „geistigen Führer" mit dem Volk (21). Frage und Antwort sollen sich in einem großen Zwiegespräch begegnen, ein Dialog ist die angemessene Form. Bildung für die Gegenwart heißt aber nicht, den Blick vom Alten abzuwenden. Das uns anvertraute verpflichtende Erbe stammt aus Athen und Rom, Paris und Florenz, Wien und Weimar. So ist die Begegnung zwischen Vergangenheit und Gegenwart vielleicht das wichtigste Anliegen der Volkshochschule 134 - „damit die neue Zeit mit all ihrem Fortschritt und all ihren Nöten sich kläre und heile an den großen geistigen Mächten, die Europa beherrschten, damit sie sich aufbaue auf den starken Fundamenten, die das Abendland von jeher getragen haben" (21). Auch den „kleinen" Hörer wollte man an der „Harmonie des Geistes, der das Abendland und die Welt gestaltet hat"(16), teilhaben lassen. Eine Volkshochschule als Gemeinde von Freunden, die dem Dialog als Gesprächsform huldigt und die Begegnung mit dem verpflichtenden Erbe des Abendlandes pflegt und dabei die geistigen Führer, also die Mentoren, nicht vergißt - diese Konzeption setzt die geistige Prägung Inge Scholls und Otl Aichers direkt um. Ohne Zweifel knüpften sie bei der Abfassung der Programmschrift unmittelbar an die Zeit vor 1945 an, an den Ideen, die auch den Widerstand der „Weißen Rose" gegen den Nationalsozialismus trugen. Dabei bedienten sie sich zwar noch nicht der Formulierung „im Geiste der Gemordeten" weiterarbeiten, aber Inge Scholl agiert bereits als Schwester der „Weißen Rose"-Scholls und wird auch so behandelt. Sie hat sich jedoch noch nicht zur Sachwalterin dieses Erbes in Ulm stilisiert, und brauchte das auch nicht, denn der Geist der Gemordeten entsprach durchaus ihrem Geist: ihre geistige Prägung und die ihrer Geschwister war identisch.

d) Eröffnungswoche (April 1946) und erste Anfänge Genau ein Jahr nach der Besetzung der Donaustadt durch die amerikanische Armee wurde am Mittwoch, den 24. April 1946, die Volkshochschule Ulm eröffnet. Nach einer Ansprache von Kurt Fried, der den Ehrgeiz der Neugründung betonte, eine „süddeutsche Angelegenheit" werden zu wollen und

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Gegen von Seckendorff, Hochschule für Gestaltung 18, die das Programm als Ablehnung aller „traditionellen Lebensentwürfe und Gesellschaftsformen" wertet.

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dabei Grenzen aufzustoßen, um den Geist „hin- und widerströmen" zu lassen, sprach Inge Scholl als künftige Leiterin. Sie erinnerte daran, „daß für die Freiheit des Geistes vor Jahren schon junge Studenten ihr Leben ließen und wir darum alles tun sollten, uns dieser Freiheit würdig zu erweisen" 135 - damit war der „Geist der Gemordeten" explizit beschworen. Oberbürgermeister Scholl überbrachte anschließend die Grüße der Stadtverwaltung und räumte dann das Rednerpult für Theodor Bäuerle136, den späteren Kultusminister des Landes Württemberg-Baden. Musikalisch umrahmt wurde der Eröffnungsabend in der Wagnerschule durch das Mendler-Quartett. Diesem „gelungenen Anfang" 137 folgte eine ganze Eröffnungswoche: Am 25. hielt Fedor Stepun im überfüllten Schuhhaussaal einen Vortrag über „Demokratie und Masse", der „obwohl nicht leicht, die Hörer bis zum letzten fesselte, nicht zuletzt durch die eindrucksvoll expressive Sprechweise"; den nächsten Abend bestritt das Theater für die Neugründung 138 . Am Samstag (27.4.) folgte ein „sehr guter" Vortrag von Kultusminister Theodor Heuss 139 über „Die nationale Idee im Wandel der Geschichte" 140 . Am Sonntag durften sich die Ulmer bei einer Ausstellung Münchner Künstler und einer Lesung von Albrecht Goes 141 aus seinen Werken erholen. Die Krönung der Eröffnungswoche war der montagabendliche Vortrag von Guardini. Im Leporello der Eröffnungswoche wurde als Thema „Sokrates in seiner und unserer Zeit" angekündigt; Guardini sprach allerdings über „Die Landschaft bei Hölderlin" 142 - eine Referenz an Hans Scholl, dem das Hölderlin-Buch Guardinis wichtig gewesen war. Hatte Wiegandt bereits bei Peterich auf die eindeutig katholische Färbung verwiesen, wurde diese Befürchtung für ihn im folgen135

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Die Zitate Kurt Frieds und Inge Scholls nach dem Eröffnungsbericht in der Schwäbischen Donauzeitung vom 27.4.1946. Theodor Bäuerle (1882-1956), Juni 1945 Stellvertretender Landesdirektor für Kultus, Erziehung und Kunst unter Carlo Schmid, ab September 1945 Ministerialdirektor unter Theodor Heuss, August 1947-1951 Kultusminister; Nachruf in: VHiW 8 (1956) H 3/4, 29f.; Ihme 1, 34f.; Pache, Bäuerles Beitrag; die verschiedenen Beiträge in der FS Bäuerle: Bildungsfragen unserer Zeit, hg. von Franz Arnold/Eduard Spranger/Walter Erbe, Stuttgart 1953. So Wiegandt am 24.4.1946; Stuttgart PAW Tagebuch 1945/46. Folgende Zitate alle aus dem Tagebuch Wiegandts, Notate vom 24.-29.4.1946. Das Ensemble gab Szenen aus Meisterwerken deutscher Dichtung zum Thema „Leben. Liebe, Tod". Der enttäuschte Kommentar Wiegandts: „recht mäßig, ein Sammelsurium, größtenteils nicht einmal frei gesprochen". Theodor Heuss (1884-1963), Journalist, Schriftsteller, Bundespräsident; Nachlaß Koblenz BA; NDB 9, 52-56 (Eberhard Pikart); seine eigenen Aufzeichnungen aus dieser Zeit: Heuss, Aufzeichnungen; Bracher, Heuss. Heuss selbst überschrieb sein handschriftliches Manuskript „Deutsches Nationalgefühl im Wandel der Geschichte"; Koblenz BA N 1221/51. Weitere, auch thematisch verwandte Reden, in: Heuss, Reden; Heuss, Politiker und Publizist. Albrecht Goes (1908-2000), ev. Pfarrer, Erzähler, Lyriker, Prediger. Goes las nach Auskunft des Wiegandtschen Tagebuchs Gedichte und Prosa aus der „Schwäbischen Herzensreise" und eine „Ungarische Episode" von 1944. Im Anschluß an den Vortrag saßen sie dann noch bis 2 Uhr im Atelier von Kneer zusammen; LThK3 4, 815 (Wolfgang Frühwald). Erschienen Tübingen/Stuttgart 1946 unter dem Titel „Form und Sinn der Landschaft in den Dichtungen Hölderlins". Diesen Vortrag hatte Guardini 1944 in Stuttgart vor der HölderlinGesellschaft gehalten.

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D r i t t e r Teil: E R B E . 1. V O L K S H O C H S C H U L E

den Gewißheit: der katholische Dekan Karl Anker 143 , bisher zu keiner Veranstaltung gekommen, saß demonstrativ in der ersten Reihe wie auch in den katholischen Gottesdiensten Propaganda für diesen einen Vortrag gemacht worden war - „von dieser Tendenz", notierte Wiegandt, „muß die Volkshochschule jedenfalls frei gehalten werden". Der Andrang war immens. Innerhalb weniger Tage hatten sich etwa 2500 Ulmer Bürgerinnen und Bürger als Mitglieder „eingeschrieben" 144 . Da die für das Sekretariat vorgesehenen Räume noch nicht bezogen werden konnten, wurden die Anmeldungen über die Städtische Volksbücherei abgewickelt. Nach der Eröffnungswoche liefen sofort die ersten Kurse an: Friedrich Waaser145 über „Natur und Geist", Wiegandts Literaturkurs, Joseph Kneer „Über das Wesen der Bildenden Kunst", ein Kurs von Hermann Wild über „Geschichtsphilosophie" 146 , ein Kurs über „Die Welt der Metalle" und einer über die „Geschichte des Sozialismus". Die Kurse - als Referenten engagierten sich besonders die Kuratoriumsmitglieder - wurden in einem Faltblatt, dem sogenannten Leporello, angekündigt. Ein erläuternder Text sollte die Lust an der Teilnahme wecken. So heißt es etwa zu Wiegandts Kurs: „Wie wohltuend ist es, über deutsche Literatur wieder etwas zu hören, ohne daß viele ihrer hervorragendsten Vertreter von Staats wegen nur mit Vorbehalt genannt werden dürfen". Einige Kurse wurden in den Leporellos gar nicht angekündigt. Dafür gab es den „Wochenplan", der in der Samstagsnummer der „Schwäbischen Donauzeitung" abgedruckt sowie an den Plakatsäulen und in der Straßenbahn angeschlagen wurde. Neben den Kursen wurden die ersten Arbeitsgemeinschaften gegründet Wilhelm Geyer hielt immer dienstags eine AG „Moderne Kunst"; freitags gab es Gymnastik, denn: „Gymnastik ist ein Stück Kultur, ist Durchgeisti143

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Karl Anker (1885-1965), 1910 ordiniert, 1930 Stadtpfarrer von St. Elisabeth in Ulm, 19451957 Dekan Ulm; Personalkatalog 1984, 155; Ulm SA G 2. Sie zahlten zwei Reichsmark pro Monat und hatten damit Zutritt zu allen Veranstaltungen; oder nur eine Reichsmark, womit man für sämtliche Veranstaltungen eine Ermäßigung von 50 Prozent bekam. Darüberhinaus gab es die Möglichkeit, Einzelveranstaltungen für ein Entgelt von einer Reichsmark zu besuchen oder durch die Entrichtung eines Kursgeldes von 60 Reichspfennig pro Abend an einem Kurs teilzunehmen. Das Ermäßigungsmodell wurde allerdings schnell wieder fallen gelassen; die meisten Hörer hatten sich zur „großen Mitgliedschaft" entschlossen. Der Beitrag wurde vierteljährlich eingezogen, wofür man eine Quittungsmarke bekam, die auf den Ausweis zu kleben war. Das Programmheft konnte wegen der unerwartet hohen Zahl der Mitgliedsanmeldungen nicht wie geplant ins Haus gesendet werden, sondern mußte an den verschiedenen Vorverkaufsstellen des Theaters wie am Saaleingang bei größeren Veranstaltungen erworben werden (für 20 Reichspfennig). Friedrich Waaser war Studienrat für Biologie am humanistischen Gymnasium Ulms. Seine Kurse behandelten die Naturwissenschaft aus eher anthroposophischer Sicht, wie sich Helga Wiegandt erinnert; zu ihm Lechner, KZ Oberer Kuhberg 109. „Ich habe es mir dabei nicht leicht gemacht, habe Spengler und die materialistische Geschichtsauffassung behandelt, den Unterschied zwischen der geschichtswissenschaftlichen und der naturwissenschaftlichen Betrachtung herausgestellt, von der Geschichtslogik und von teleologischer und kausaler Betrachtung gesprochen. Ich hatte einen ziemlich großen Hörerkreis, der mir bis zum Schluß treu blieb." So die Erinnerungen Wilds an seinen ersten vhKurs; Wild, Lebenserinnerungen 203.

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gung der Bewegung, was eben ihre eigentliche Befreiung ist"; mittwochs tagte das Tabakskollegium. „Bei Diskussionen und Gesprächen nur zu rauchen und nicht gleich Wein zu trinken und Gänse zu verzehren, galt vor 200 Jahren als äußerste Sparsamkeit. Heute reicht es nicht einmal mehr zu dem. Aber zur Politik müßte eigentlich schon das Rauchen gehören. Die größten Politiker rauchen die dicksten Zigarren. Das Rauchen schenkt Ruhe und Bedachtsamkeit. So soll es vorerst wenigstens der Name verraten: im Tabakskollegium wird Politik gemacht." Auch wenn man diese Einstellung zum Rauchen heute nicht mehr teilen mag, fortan herrschte „dicke Luft", wenn sich das Tabakskollegium zum Diskutieren und Politisieren traf. Einer jeden Sitzung voran ging ein kurzes einführendes Referat, in dem ein Problem erörtert werden sollte, denn man nannte sich ja schließlich „Kollegium" und nicht „Versammlung"! In A.ussicht genommen war die Gründung einer Theatergruppe, die sich allerdings immer wieder verzögerte 147 . Dafür gab es jeden Samstag Nachmittag eine Reihe „Unser Erbe", in der fortlaufend je ein Gedicht, ein Gemälde, ein Prosastück und ein Märchen behandelt werden sollte. „Ruht sich die heutige Welt auch allzu gerne auf den Früchten aus, die ihr die abendländische Kultur zugetragen hat, so wollen doch wir uns vor Augen halten, daß jenes Ausruhen schon Untergang ist und daß wir unsere Höhe nur bewahren, wenn wir uns immer neu in eine das ganze Leben umfassende Kultur stellen"148. Unter dieses Motto läßt sich die weitere Arbeit der Volkshochschule Ulm stellen. Nach der Eröffnung verblieben nur wenige Wochen bis zu den Sommerferien, nach denen es eigentlich erst richtig los ging. Vom Grund her, also von der Anlage der Arbeitsformen und der Konzeption, änderte sich allerdings kaum noch etwas, gleichwohl trat das Profil der Neugründung immer plastischer hervor.

3. DIE ÄRA AICHER-SCHOLL IM ÜBERBLICK Fast drei Jahrzehnte, von 1946 bis 1974 war Inge Aicher-Scholl Leiterin der Volkshochschule Ulm. Obwohl bereits jeder Versuch der Periodisierung ein gewisses Vorverständnis impliziert, läßt sich die „Ära Aicher-Scholl" aufgrund zweier markanter äußerer Zäsuren - der Währungsreform und der Pariser Verträge - der besseren Übersichtlichkeit halber in drei Phasen einteilen, ohne freilich die „Konstanten" aus dem Blick zu verlieren:

Im Juni 1946 fand sich die erste Ankündigung, und im Juli bat man um eine „kleine schriftliche Äußerung zu diesem Plan". Im September gab es dann einen Kurs von Herbert Hohenemser zur „Einleitung und Anregung" für die zu gründende Theatergruppe. Die Leitung übernahm um 1949 Hellmut Kirst. Alle Zitate aus den Leporellos April/Mai 1946 und Juni 1946.

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Dritter Teil: ERBE. 1. VOLKSHOCHSCHULE

1. Enthusiasmus (1946 bis 1948/49) 2. Restauration (1948/49 bis 1954/55) 3. Resignation (1954/55 bis 1974). Währungsreform und Souveränität - die in der politischen Historiographie allgemein anerkannten „Schlüsselereignisse" der deutschen Nachkriegsgeschichte - erweisen auch für die Ulmer Situation ihre Gültigkeit. Beide Geschehnisse markieren nicht zuletzt in der Kulturgeschichte einen deutlichen Wendepunkt 149 . Innere und äußere politische Stabilisierung und wachsender wirtschaftlicher Wohlstand führten auch zu einem weitgehend veränderten geistigen Klima. Es gilt im folgenden zu zeigen, daß Inge Scholl dies durchaus erkannte: 1947/48 in der bitteren Einsicht, daß „Brot vor Kunst" geht; 1954/55 in der Reflexion über die Folgen der erfolgreichen Konsolidierung und Institutionalisierung ihrer Arbeit und den daraus entstehenden Konsequenzen. Für eine Gesamtgeschichte der vh ulm könnte eine Periodisierung in diese drei Phasen von ungleicher Dauer nicht genügen. Da es im Rahmen dieser Studie jedoch vor allem um Ideen- und Geistesgeschichte, mithin um die Profilierung der unterschiedlichen, kontextuell bestimmten Ausprägungen einer bestimmten geistigen Prägung geht, legt sich diese Einteilung durchaus nahe. Denn spätestens seit der ersten Hälfte der dritten Phase unterscheidet sich die Volkshochschule Ulm kaum noch von anderen vergleichbaren Einrichtungen. Auch wenn die Leiterin und mit ihr das Kuratorium immer wieder den besonderen Anspruch ihrer Bildungsstätte betonten, hatte der „Geist der Gemordeten", unter dessen Führung man 1945/46 angetreten war, sich längst verflüchtigt bzw. war für Normalsterbliche in unerreichbare Höhen der Altäre der Märtyrer erhoben worden. Ohne einen Blick auf die äußeren Ereignisse der Ära Aicher-Scholl, auf Programm und Programmatik der Volkshochschule, greift die systematische Frage nach den wiederkehrenden Topoi der geistigen „Prägung" zu kurz. Die folgende Darstellung soll weder eine Stadtgeschichte Ulms 150 für die Zeit von 1945 bis 1974 sein, respektive das Verhältnis vh-Stadt erschöpfend abhandeln, noch eine Kulturgeschichte 151 der Stadt an der Donau, noch die Ulmer vh zur Analyse der Entwicklung von Volkshochschulen in der Bundesrepublik Deutschland allgemein benützen 152 , sie erhebt auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr nimmt sie ausgehend von ihrem vorwiegend geistes- und ideengeschichtlichen Fragehorizont her ein gewisses Ungleichgewicht bewußt in Kauf. Je weniger es in der vh-Geschichte um die Umsetzung

Vgl. etwa Glaser, Kulturgeschichte, dessen 1. Band mit „Zwischen Kapitulation und Währungsreform" überschrieben ist. Zur „Nachkriegsgeschichte Ulms" vgl. die verschiedenen Arbeiten von Specker und Wiegandt, besonders die FS Theodor Pfizer: Specker (Hg.), Tradition und Wagnis. Eine mustergültige Skizze über „Das kulturelle Geschehen" hat bereits Herbert Wiegandt in der FS für Theodor Pfizer vorgelegt; Wiegandt, Geschehen 92-136. Dazu den neuesten Überblick von Raapke, Erwachsenenbildung 549-584 (Lit.). Allgemein Feidel-Mertz, Erwachsenenbildung; Dikau, Geschichte 123-129.

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der Ideen, für die der „Geist der Gemordeten" als Chiffre steht, geht, desto kürzer fällt die Darstellung aus. Daher kommen die Anfänge ausführlicher zu Wort 153 , während die Geschehnisse der dritten Phase nur angedeutet werden brauchen. Bei allem Idealismus und den aus ihm resultierenden Gefahren einer mangelnden Wahrnehmung der Wirklichkeit realisierte Inge Scholl, wie gesagt, beide Zäsuren der Nachkriegsgeschichte durchaus. Die Programme und die Programmdiskussion der vh ulm erweisen sich als feiner Seismograph der gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und mentalitätsgeschichtlichen Veränderungen jener Jahre. War es unmittelbar nach Kriegsende für die Menschen um geistig-geistlichen Wiederaufbau gegangen und durch die Währungsreform das materielle Gesunden in den Vordergrund des Interesses gerückt, so kehrte Deutschland durch die Pariser Verträge zur politischen Normalität zurück. Die besondere Sensibilität für philosophische Grundfragen verschwand mehr und mehr. Inge Scholl mußte - widerstrebend - erkennen, daß eben doch „zuerst das Fressen und dann die Moral" kam (Brecht) und auch ihre Volkshochschule sich diesem Trend nicht entziehen konnte. Bevor aber die drei Phasen in ihren unterschiedlichen Kennzeichen bzw. ihren Diskontinuitäten dargestellt werden, muß zunächst nach den Konstanten und Kontinuitäten gefragt werden, welche die Zäsuren überdauerten und sich bezeichnenderweise vorwiegend in den Strukturen niederschlugen.

a) Strukturen und Kontinuitäten Der Begriff „Volks-hoch-schule" in seine drei Bestandteile aufgelöst, bietet sich als Schlüssel für die Frage nach den durchgängigen Strukturen durchaus an: 1. Der Begriff „Schule" impliziert die Frage nach ihrer Leitung, dem Lehrpersonal, den Räumen und der Finanzierung - mithin der klassische Fragenkatalog einer Institutionengeschichte. 2. Das Adjektiv „hoch" läßt fragen: Was macht diese Schule eigentlich zu einer Hochschule? Welche besonderen Elemente gibt es? Wie sieht ihr Programm aus? Welche Arbeitsweise charakterisiert sie? 3. Der Terminus „Volk" rückt den Adressatenkreis in den Blick: Welche Struktur hat die Hörerschaft? Die Schule Der Aufbau der Ulmer Volkshochschule änderte sich im Laufe ihrer Geschichte nicht wesentlich. Die Leitung durch Inge Scholl erfolgte in VerbinDamit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß gerade für die unmittelbare Nachkriegsgeschichte das Netz sehr eng geknüpft werden muß. Was 1946 gilt, gilt 1947 nicht unbedingt usw. Zur Diskussion um Zäsuren im Nachkriegsdeutschland Broszat, Zäsuren nach 1945; die Einleitung von Martin Broszat u.a., in: Broszat u.a. (Hg.), Von Stalingrad zur Währungsreform XXV-XLIX; Schildt, Nachkriegszeit 567-584; auch Arnold Sywottek, Wege in die 50er Jahre, in: Schildt/Sywottek (Hg.), Modernisierung 13-39 zur „Modernisierungsfrage".

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Dritter Teil: ERBE. 1. VOLKSHOCHSCHULE

dung mit einem Kuratorium, das aus zehn bis zwölf kulturell interessierten Leuten aus unterschiedlichen Bevölkerungskreisen der Stadt bestand. Dieses Kuratorium trat im besten Fall einmal monatlich zusammen; alle Jahre wieder wählte es pro forma Inge Scholl neu zur Leiterin. Bezüglich Besetzung und Bedeutung war dieses beratende Gremium voll und ganz auf Inge Scholl zugeschnitten. Nachrichten über heftige Auseinandersetzungen in den Kuratoriumssitzungen sind nicht auf uns gekommen; freilich existieren auch kaum Protokolle, die über Formalia hinausgehen. Viele Absprachen scheinen auch zwischen Tür und Angel oder auf der Straße eher nebenher getroffen worden zu sein. Gegen ein konstruktives Miteinander von Kuratorium und Leitung sprechen einerseits die wenigen Sitzungstermine; andererseits die Erinnerungen einzelner Mitglieder: Inge Scholl saß entweder am Schreibtisch und um sie herum standen die anderen oder man saß gemeinsam am runden Tisch. Nach der obligatorischen Frage „Wen sollen wir hören?" wurde etwas diskutiert, woraus einige Ideen entstanden 154 . In manchen Fragen - besonders in finanziellen - scheint das Kuratorium nur zum Abstimmen gefragt worden zu sein. Sei es ein Programmheft oder eine Broschüre, die schon fertig präsentiert wurde, ohne die anderen gefragt zu haben, sei es eine Leica für Otl Aicher, die aus Volkshochschulmitteln angeschafft wurde, Kritik bügelte Inge Scholl meist geschickt ab mit dem Satz „Ha, da ka' mer halt jetzt nix mehr mache ..." Nicht zuletzt deshalb hat sich wohl auch kaum etwas aus der Arbeit der einzelnen Kuratoriumsmitglieder erhalten; in Nachrufen oder Glückwünschen wird zwar immer wieder die Tätigkeit für die Volkshochschule betont und belobigt, aber in kaum einem Fall ist etwas Genaues bekannt. Die Standardformulierung lautet meist, daß „die Volkshochschule ihr/ihm viel verdankt". In der späteren Phase der Aicher-Schollschen Amtszeit kam es zu heftigen Kontroversen, die hier nicht ausdrücklich thematisiert werden können. Als Rechtsträger fungierte zunächst ein „nicht eingetragener Verein"; im April 1949 gab man sich dann eine Satzung155 und avancierte zum „eingetragenen Verein". Neben das Kuratorium trat ein Beirat, bestehend aus den Vorständen der wichtigsten öffentlichen Ämter und Institutionen. Dieser Beirat, der einmal jährlich tagte, sollte die Volkshochschule nach außen als gemeinnützige Unternehmung repräsentieren und in Form eines „Ehrenrates" die Verbindung mit der Stadt darstellen. Ausführendes Organ war das Sekretariat, das nach mehreren Umzügen schließlich am Marktplatz seinen Ort fand. Von Anfang an wurde es von Vgl. dazu etwa die Gespräche mit dem Ehepaar Wiegandt und Herrn Buzengeiger. Anläßlich des Ausscheidens Inge Aicher-Scholls aus der vh bemerkte letzterer am 9.5.1973, wahrscheinlich zum letztenmal trage das neue Vierteljahresprogramm die unverkennbare Handschrift von Frau Aicher-Scholl. „Mit Verstand und Herz, liberal und gelegentlich auch autoritär hat sie das EinsteinHaus und sein Programm glänzend gesteuert"; Ulm vhA Schachtel 7. Ulm vhA Schachtel 4, Satzungsentwürfe für die Rechtsform der Volkshochschule und dazugehörige Kuratoriumssitzungen. 1992 wurde die inzwischen mehrmals veränderte Satzung wiederum revidiert: Kuratorium und Beirat wurden von einer „Mitgliederversammlung" sowie den beratenden Gremien „Verwaltungs- und Finanzbeirat" und „Programmbeirat" abgelöst.

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Erika Schmid156 geleitet, die später zur Geschäftsführerin aufstieg. Hier liefen alle Fäden zusammen; zu der organisatorischen und praktischen Umsetzung des Programmes, der Koordination der Höreranmeldungen, der Führung der Mitgliederkartei, der Aufsicht über Räume und Inventar kamen unzählige weitere Aufgaben. Erika Schmid zur Seite standen Sekretärinnen und Hilfskräfte; zu Zeiten des „Monatsspiegels" teilte sie das Sekretariat zeitweise mit Ilse Aichinger und Elisabeth Borchers 157 . Ohne ihre „bedingungslose Hingabe", ihre „schöpferische und zugleich praktische Phantasie", das wußte Inge Scholl ganz genau, wäre die Volkshochschule rettungslos verloren gewesen, etwa in der Zeit, als die Leiterin sich beurlauben ließ, um die Geschwister-Scholl-Stiftung aufzubauen. Erika Schmid entwickelte eine Vielzahl eigener Initiativen, die zur Ausweitung der Volkshochschule erheblich beitrugen, wie etwa die Landkreisarbeit 158 . Hinzu kommt, daß für sie, aus dem katholischen Mädchenbund „Heliand" 159 kommend, eine ähnliche Grundhaltung und Mentalität wie für Inge Scholl und Otl Aicher konstatiert werden muß. Die Raumnot war ein großes Problem für die Volkshochschule. Im zerbombten Ulm fanden sich kaum geeignete Räume für die Veranstaltungen, geschweige denn für das Sekretariat. Kleinere Kurse konnten in städtischen Schulräumen untergebracht werden; für größere Kurse, Vortragsreihen und repräsentative Veranstaltungen gab es den Schuhhaussaal. Die räumliche Streuung der Veranstaltungen in der ganzen Stadt und die daraus resultierenden organisatorischen Klimmzüge wurden von Leitung und Kuratorium als Hemmschuh der weiteren Entwicklung angesehen. Von Anfang strebte man ein eigenes Haus an, in dem das Anliegen der „Begegnung" sich erst eigentlich verwirklichen könne. Ein solches Haus, schrieb Inge Aicher-Scholl 1953 im Monatsspiegel, dürfe nicht den Charakter einer Schule, die Atmosphäre einer Bibliothek haben, noch ebensowenig ein Restaurant sein. „Es ist ein Treffpunkt...", wo sich die „Sehnsucht nach der Geselligkeit in einer echten Gemeinschaft" erfülle160. Noch bevor konkrete Pläne vorlagen, entrichteten die Mitglieder mit dem Monatsbeitrag eine zusätzliche Bauspende. Der Tod des in Ulm geborenen Albert Einstein im Jahre 1955 war Anlaß für die Namensgebung. Nach langem Hin und Her waren endlich Grundstück und Finanzierung gesichert, am 26. Januar 1967 konnte die feierliche Grundsteinlegung stattfinden: „Für ein Haus, in dem das Lernen eine Lust sein wird. 156

Erika Schmid (» 1918); Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit 46. Damals kolportierte man diese Tatsache in Ulm mit dem Hinweis, „Eich, Aicher, Aichinger" bestimmten die Linie der vh ulm. 158 Vgl. dazu den kleinen Katalog zum 50jährigen Jubiläum der Landkreisarbeit von Krampen/Klemm (Hg.), Vom Wort zum Klang, der sich leider hauptsächlich mit Aicher und seinen frühen Plakaten beschäftigt. 159 Der Heliand-Bund entstand aus dem geistigen Aufbruch der Jugendbewegung 1926. Ziel: „neue Lebensgestaltung in Christus". 1949 Aufteilung in Heliand-Mädchenkreis und Kreis Katholischer Frauen mit Sitz in Köln; LThK2 5, 211 (G. Kifinger) und LThK3 4, 1405 (Sigrid Doerry). 160 j n g e Aicher-Scholl, Ein Haus für die Volkshochschule, in: Monatsspiegel November 1953. 157

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Für ein Haus, in dem Lernen zum Dialog führt. - Für ein Haus, in dem Wissen zur Unabhängigkeit erzieht." 161 Im Herbst 1968 zog die Volkshochschule schließlich in ihr eigenes Heim ein162. Wie zu erwarten, brachte das „EinsteinHaus" ein starkes quantitatives Anwachsen der Arbeit. Es gelang in der Tat, aus dem Haus mit seinen Räumen, insbesondere dem „Club Orange", einen kulturellen Treffpunkt zu machen. Die Volkshochschule hatte in den ersten Jahren keine fest angestellten Lehrkräfte, sondern „freie Mitarbeiter", die neben ihrer hauptberuflichen Tätigkeit die Veranstaltungen abhielten. Das Personal rekrutierte sich zum einen aus den verschiedenen öffentlichen Schulen Ulms, zum anderen wurden - vor allem für die Vortragsreihen - Personen des öffentlichen Lebens (wie Politiker, Literaten, Künstler, Wissenschaftler und Universitätsprofessoren) gewonnen. Eine dritte, zahlenmäßig allerdings geringe Gruppe bildeten „Menschen aus dem praktischen Leben, die oft ungeahnte pädagogische Fähigkeiten besitzen" 163 . Angestrebt war, eine kleine Anzahl hervorragender Lehrer fest anzustellen und so eine gesunde Mitte zwischen hauptamtlichen und freien Mitarbeitern zu finden (erst 1970 wurde die erste hauptamtliche Mitarbeiterin angestellt). Die vh ulm versuchte ihre Finanzierung durch einen monatlichen Mitgliedsbeitrag, der freien Zutritt zu allen Veranstaltungen gewährte164, sicher zu stellen. Die Monatsgebühr betrug erst 2 Reichsmark, dann DM 2,-; ab Januar 1954 DM 2,50-, wobei davon DM 0,50- als „Baustein" für den geplanten Bau eines Volkshochschulhauses gesammelt wurden. 1961 kam es zu einer erneuten Beitragserhöhung und man begann, das System der Mitgliedschaft auf die andernorts schon lange üblichen Kursgebühren umzustellen. Bei ihrer Gründung erhielt die Volkshochschule durch Stiftungen aus der Ulmer Industrie und Wirtschaft sowie durch viele kleine Gaben von Ulmer Bürgern einen stattlichen Fonds, aus dem in den ersten Jahren Beiträge zu ihrem Aufbau und die laufenden Ausgaben bestritten wurden. Die Währungsreform ließ davon nichts übrig und es gelang nur unter äußerstem Einsatz, neue Rücklagen zu bilden, die jedoch nur als letzte Reserve betrachtet werden konnten. Monatliche Zuschüsse kamen vom Kultusministerium und vom Verband Württembergischer Volkshochschulen 165 . Auch aus amerikanischen Töpfen flössen 161

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Anläßlich der Grundsteinlegung hielt Werner Heisenberg eine Rede über Einstein. Kopie und Rede Inge Aicher-Scholls in Ulm vhA. Das EinsteinHaus wurde vom Architekten Hans Frieder Eychmüller gebaut und gehört zu den „großen Kulturbauten" Ulms dieser Jahre. Bei der Einweihung am 16.10.1968 hielt Walter Jens eine Rede über Einstein. Jens betonte dessen menschliches Engagement und aktualisierte die Bedeutung Einsteins im Zusammenhang mit der damals beginnenden studentischen Bewegung. Eröffnungsrede Inge Aicher-Scholls, Baupläne, Zeitungsauschnittsammlung usw. Ulm vhA. Aicher-Scholl, Ulmer Volkshochschule 60. Zu Fragen der Finanzierung vgl. Aicher-Scholl, Ulmer Volkshochschule 62; Nationalarchiv Washington RG 260 OMGUS, Microfiches von Stuttgart HStA, dort J 384; Ulm SA B 024/11 Nr. 20, B 352/1; Ulm vhA. Zur Entwicklung des heutigen „Volkshochschulverband Baden-Württemberg e.V." KrausnickHorst, Volkshochschulen 33-146; 50 Jahre Volkshochschulen in Baden-Württemberg 94-103.

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Gelder166. Die Stadt steuerte vor allem sachliche Zuwendungen bei, indem sie kostenlos die Räume samt Inventar und Unterhaltungskosten sowie die stadteigenen Plakatsäulen für die Werbung zur Verfügung stellte. Bereits 1949/50 ging man zu einem Barzuschuß über 167 . Die ideelle Unterstützung indes ist nicht hoch genug zu veranschlagen: Die Oberbürgermeister Robert Scholl und später Theodor Pfizer168 standen von Anfang an ohne wenn und aber hinter der Volkshochschule. Zur Illustration: Im Jahr 1950 betrug der Haushalt der Volkshochschule DM 67000,-, wovon allein die Abonnementgebühren DM 42000,- ausmachten. Hinzu kamen DM 5600,- als Barzuschuß der Stadt Ulm, DM 11500,-des Landes Württemberg und DM 7900- amerikanische Subventionen. Zehn Jahre später betrugen die Einnahmen bereits ca. DM 156000,-169. Dazu kamen Zuschüsse zu einzelnen Veranstaltungsarten, wie etwa die Katholische Kirchenpflege und die Evangelische Kirchengemeinde die Religiöse Bildungsarbeit unterstützten 170 . Das Ulmer System der Mitgliedsbeiträge - das entfernt an Immatrikulationsgebühren an Hochschulen erinnert und vielleicht auch in Anlehnung daran ersonnen wurde - fand nicht überall Zustimmung und blieb singulär. Anfangs suchten die verschiedenen Volkshochschulen noch nach der richtigen Form. So erhob etwa Ludwigsburg Einschreibegebühren, während Esslingen auf eine Abendtaxe setzte. Das System der Kursgebühren setzte sich jedoch sehr schnell durch. In der vh ulm blieb man allerdings bei den Mitgliedsbeiträgen, was auf der Ebene des Volkshochschulverbandes zu heftigen Auseinandersetzungen führte171. Im Vergleich zu anderen Volkshoch166

Zum Vergleich: Ulm erhielt im März 1950 im Rahmen der „Reorientation" DM 400,-, Stuttgart DM 500,-, Heilbronn DM 200,-; Übersicht über die monatliche Verteilung amerikanischer Subventionen an die Volkshochschulen, in: 50 Jahre Volkshochschulen in Baden-Württemberg 41. "'7 Am 8.2.1947 stellte der Gemeinderat einen Gesamtmietwert der benutzten Räume von monatlich 500 RM oder jährlich 6000 RM fest und bestimmte, daß dieser Betrag nicht eingezogen, sondern lediglich verbucht wurde. Allein die Plakatierung kostete laut Gemeinderatsprotokoll vom 18.8.1948 DM 400,-. Am 9.1.1950 wurde darüber beraten, welcher Barbeitrag gerechtfertigt sei, nachdem die Volkshochschule mitgeteilt hatte, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht auszukommen und auf die Leistungen anderer Städte verwies; Ulm SA B 005/5 Nichtöffentliche Gemeinderatsprotokolle. Für die Erlaubnis, Einblick in diese Sitzungsprotokolle zu nehmen, danke ich ganz besonders Herrn Stadtarchivar Specker und seiner Mitarbeiterin Frau Herrmann. 168 Theodor Pfizer (1904-1972) war 1948-1972 Oberbürgermeister von Ulm und engagierte sich besonders für die Belange der Volkshochschule; FS Pfizer: Specker (Hg.), Tradition und Wagnis; Pfizers Reden: Pfizer, Reden und Aufsätze (besonders zur HfG 71-75); Schwörreden: Pfizer, Neubau der Stadt. Auch Ulm SA G 2. 16 3

O

Datum

Nr.

Titel

Verfasser

1948/07/17

27/1 28/1 28/2 28/3 29/1 29/2? 30/1

Text: „habt ihr mich jemals singen hören?

Irm Lindström

Text: „brief an studio null" Brief: Carl Zuckmayer an Inge Scholl Brief: Otl Aicher an „nullisten" Text: „herr jedermanns philosophie" Text: „ein anruf genügt" Brief: Herbert und Helga Wiegandt an Inge Scholl; wg. Ausscheiden aus Studio Null

Otto Aicher

1948/07/24 1948/07/24 1948/07/31 1948/07/31 1948/08/07 1948/08/24

1948/09/04 1948/09/04 1948/09/04 1948/09/04 1948/09/04 1948/10/16 1948/10/30

31 32/1 Text: „sind die parteien vorbei?" 32/2 Text: „es regnet neues geld vom himmel" 32/3 Text: „das porträt: arne sörensen" 32/4 Text: „nach dem vater darf nicht gefragt werden" 32/5 Text: „im Schnellzug" 33/1 Text: „ein einziger tag in kopenhagen" Bis zu diesem Termin Einreichungstermine vorgesehen

Eventuell Verschreibung im Datum: 16 statt 19, damit Nr. 23/2, oder 24/1.

Otto Aicher Elisabeth Hartnagel

Inge Scholl Otto Aicher Inge Scholl Inge Scholl Otl (!) Aicher Inge Scholl

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

1. UNGEDRUCKTE QUELLEN a) Öffentliche Archive und Bibliotheken Berlin, Bauhaus-Archiv,

Museum für Gestaltung

(BAMfG)

Bestand „Hochschule für Gestaltung Ulm" Berlin, Bundesarchiv

(BA)

Provenienzbestände aus der Deutschen Demokratischen Republik (einschließlich der sowjetischen Besatzungszone): DY55/V 278/4/135 DY 55/V 278/5/40 Bd. 2 DY55/V 278/6/1722 Nationalsozialistische Justizakten: NJ 1704 Bd. 1-33 NJ 10872 NJ 5053 NJ1669 NJ534 GHIZ Seh 322 (Scholl) Nachlässe: NY 4074 Bd. 138,141 NY 4049 Bd. 18 NY 4185 Bd. 5

Nachlaß Koenen, Wilhelm und Emmy Nachlaß Saefkow, Anton und Aenne Nachlaß Meyer, Gertrud

Reichssicherheitshauptamt: R58/1567 Provenienzbestände aus der Zeit bis 1945: RY 1/12/3/13b RY 1/1 2/3/166 Außenstelle Dahlwitz-Hoppegarten: ZC 19601 ZC 14116 Bd. 1-2 ZC 13267 Bd. 1-16

506

Quellen- und Literaturverzeichnis

Sonstiges: RJMIVg 10a 5011/43 R3001/IIIg l 362/35g DR 2/315 Unverzeichneter Bestand Theodor Haecker (Reichsschrifttumskammer) Berlin, Evangelisches

Zentralarchiv

(EZA)

Bestand 51 Ökumenisches Archiv: 51/S IV f Settlements, Soziale Arbeitsgemeinschaft Berlin-Ost (SAG) und sonstige sozialpolitische Fragen; Neuere Sozialpolitische Arbeiten im Sinne der SAG; Volkshochschulen Dortmund und Ulm Bestand 626 Nachlaß Friedrich Siegmund-Schulze Berlin, Geheimes

Staatsarchiv

Preußischer

Kulturbesitz

(GStAPK)

Nachlaß Hellmut Becker Nachlaß Adolf Grimme Berlin,

Landesarchiv

Berliner Zeitungen Bibliothek Berlin, Stiftung

Archiv

der Akademie

der Künste

(SAdK)

Hans Werner Richter-Archiv Günther Weisenborn-Archiv Bonn, Archiv

der sozialen Demokratie

(AdsD)

Nachlaß Walter Dirks Nachlaß Fritz Lamm Nachlaß Joseph Lang Nachlaß Carlo Schmid Forchtenberg,

Bürgermeisteramt

Rechenschaftsbericht Robert Scholls vom 15. Dezember 1929 Inge Aicher-Scholl, Robert Scholl [Ms masch o.D.] Inge Aicher-Scholl, Magdalene Scholl, geb. Müller [Ms masch o.D.] Inge Aicher-Scholl, Im schönsten Wiesengrunde. Die Familie Scholl in Forchtemerg [Ms masch o.D.] Frankfurt

am Main, Deutscher

Volkshochschulverband,

Archiv

(DVHSV)

Sammlung zur Geschichte der Volkshochschulen, Material und „graue Literatur' zur Nachkriegszeit Frankfurt am Main, Fachbereich Katholische Theologie, Ernst Michel Archiv (EMA) Nachlaß Ernst Michel Korrespondenz Eugen Rosenstock-Huessy-Ernst Michel (1921-1959)

507

Quellen- und Literaturverzeichnis Karlsruhe,

Badische Landesbibliothek

(BEB)

Nachlaß Reinhold Schneider Koblenz,

Bundesarchiv

(BA)

Teilnachlaß Erich Eyck N 1586 Bd. 6 Nachlaß Theodor Heuss N 1221 Bde. 1, 25, 27, 51, 69, 96,184, 220, 252, 383, 405 KLE 683 Hans Bott Nachlaß Marie Elisabeth Lüders N 1151 Bde. 136, 145,267,268,270 Nachlaß Georg Picht N 1225 Bd. 76 Nachlaß Hermann Pünder N 1005 Bd. 514 Nachlaß Gerhard Ritter N 1166 Bde. 327, 331, 359, 360, 361, 362, 363, 364, 365, 366, 367,491, 492 Nachlaß Eduard Spranger N 1182 Bde. 14,137,286, 370 Nachlaß Rudolf Stadelmann N 1183 Bde. 14,15, 16, 17,18,19 Ludwigsburg,

Staatsarchiv

E 191 Bü 3940 FL 300 III Bü 622 PL 502/32 Bü 73 PL 502/32 Bü 74 PL 502/32 Bü 96 PL 503/32 PL 402 PL 515/51 Marbach, Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß Nachlaß

Deutsches

(StA)

Verein zur Förderung der Volksbildung (1918-1931) Verein zur Förderung der Volksbildung (1921-1955) Veranstaltungen „Kraft durch Freude" (1934-1939) Veranstaltungen „Kraft durch Freude" (1940-1944) Veranstaltungen „Kraft durch Freude" Kreisgerichte der NSDAP, Kreis Ulm Stuttgarter Zeitung, Volksstimme [unverzeichnet] KdF [in Bearbeitung] Literatur-Archiv,

Handschriften-Abteilung

(DLA)

Erwin Ackerknecht; A: Ackerknecht Gottfried Benn; A: Benn Gottfried Fischer und Teilnachlaß Brigitte Bermann Fischer; A: Fischer Günter Eich; A: Eich Manfred George; A: George Theodor Haecker; A: Haecker Ricarda Huch; A: Huch Ernst Kreuder; A: Kreuder Gertrud von Le Fort; A: Le Fort Hans Rothe; A: Rothe Dolf Sternberger; A: Sternberger Dolf Sternberger; A: Sternberger/Die Wandlung Carl Zuckmayer und Teilnachlaß Alice Herdan-Zuckmayer; A: Zuckmayer

508

Quellen- und Literaturverzeichnis

München,

Bayerische Staatsbibliothek,

Handschriftenabteilung

(BayStaBi)

Nachlaß Carl Muth; Ana 390 Nachlaß Romano Guardini; Ana 342 Teilnachlaß Kurt Fried München,

Institut für Zeitgeschichte

ED 106 Bd. 1-107 ED 119 Bd. 1-12 ED 309 Bd. 1-93 ED 324 Bd. 1-37 ED 364 ED 379 Bd. 1-369 Fa215Bd. 1-5 Ma 593 Ms 200/269 Ms 420 Ms 533 ZS A 26 Bd. 1-6,7

München,

(IFZ)

Hammer, Walter, Korrespondenzen und Sammlungen 19361968 Paetel, Karl Otto, Korrespondenz u.a. Cron, Helmut Dr., Private Papiere 1924-1981 Gehrke, Martha Maria, Private Papiere 1906-1985 Kahn, Marcia, Nachlaß Hamm-Brücher, Hildegard, Korrespondenz u.a. Weiße Rose Gerichtsakten zum Prozeß gegen Alexander Schmorell u.a. aus dem Reichsjustizministerium Ulrich Chaussy, „Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten". Zur Geschichte der Widerstandsgruppe „Die Weiße Rose" Klaus Möller, Hans Leipelt und die Weiße Rose Fritz Schmidt, Illegale dj .1.11 in Schwaben Korrespondenz und Berichte von 1946-47 mit Widerstandskämpfern bzw. deren Verwandten und Freunden

Katholische

Akademie,

Guardini-Archiv

(GA)

Nachlaß Romano Guardini München,

Staatsarchiv

(StA)

Staatsanwaltschaften 12530 (Prozeß gegen Manfred Eickemeyer, Wilhelm Geyer und Josef Söhngen vor dem Sondergericht beim Landgericht München I wegen Nichtanzeige eines Hochverrats) München,

Stadtarchiv

(SA)

Nachlaß Kurt Huber München,

Universitätsbibliothek

(ÜB)

Sammlung Schott Stuttgart,

Hauptstaatsarchiv

E 200b EA 1/013 EA 3/203 Bü 73 EA 3/301

Q 1121

(HStA)

Kultusministerium (Bestand erhält laufend Zuwachs) Staatsministerium: Amt für Heimatdienst 1946-1947 Geschwister Scholl-Stiftung Ulm Kultusministerium, Abt. Jugend und Sport Büschel 291: Freie Volksbildung 1946-1960 Büschel 315-329: Volkshochschulen allgemein ab 1953 Nachlaß Theodor Bäuerle

509

Quellen- und Literaturverzeichnis

Nationalarchiv Washington RG 260 OMGUS, Mikrofiches vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart, dort J 384 Stuttgart,

Landeskirchliches

Archiv

D 1 Nachlaß Theophil Wurm D 36 Nachlaß Rudolf Daur Ulm, Pfarrberichte 1918-1965 Ulm, Kirchengemeinde 1934-1952 Ulm, Archiv der Hochschule

AZ25 AZ30 AZ31 AZ32 AZ82 AZ83 AZ85 AZ93 AZ94 AZ416 AZ433 AZ493 AZ495 AZ517 AZ524 AZ 525-548 AZ617 AZ619 AZ634

AZ 638

für

Gestaltung

Schriftwechsel Inge Aicher-Scholl 1951 ff. Lehrpläne 1953-1968 Lehrpläne der einzelnen Abteilungen der HfG Pädagogische Konferenzen 1953-1968 Richtfest der HfG-Gebäude 5.7.1954 Zeittafel Geschwister-Scholl-Stiftung Gutachten zur Geschwister-Scholl-Hochschule und Hochschule für Gestaltung Tätigkeitsberichte für H I C O G Konzeption der Geschwister-Scholl-Stiftung Konzeption/Kostenschätzung der Geschwister-Scholl-Stiftung Mitgliederlisten Organe der Geschwister-Scholl-Stiftung 1951-1968 Korrespondenz mit Brigitte Bermann-Fischer Politische Verleumdung der Familie Scholl Korrespondenzen Aktennotizen ab 1954 Unterrichtsprogramme und Ausstellungskataloge [ehemals Stadtarchiv Ulm E 300] Rechenschaftsberichte; Ulmer Gemeinderat; ganz frühe Programme und Schriftstücke; Haushalt 1968; Auflösung HfG; Eröffnungsrede 1957-58; Schriftwechsel Inge Aicher-Scholl u.a. 1955-60; Dokumentation 1963 HfG Planung 1949-52, Exposes zur Gründung der GSS

Ulm, Archiv der Hochschule

für Gestaltung,

Otl Aicher-Archiv

(OAA)

Beinhaltet den schriftlichen und graphischen Nachlaß Otl Aichers, noch nicht sortiert, nur mit Sondergenehmigung der Familie Aicher-Scholl zugänglich. Ulm, Achiv der Volkshochschule Schachtel Schachtel Schachtel Schachtel Schachtel Schachtel Schachtel

1 2 3 4 5 6 7

(vhA)

Leporellos Mai 1946-Juli 1949 Monatsspiegel September 1949-Juli 1966 Druckschriften (versch. Entwürfe), Kalender, Mitgliedskarten usw. Kuratorium/Beirat: Einladungen und Protokolle Zeitungsausschnittssammlung Jahresberichte der Ulmer Volkshochschule 1950-1978 Korrespondenz

510 Ulm, Archiv

Quellen- und Literaturverzeichnis des

AZ 351.10/I-III

Landratsamtes Ulmer Volkshochschule 1946-1970

Ulm, Stadtarchiv B 005/5 B 024/11 Nr. 20 B 060/70 Nr. 4

B 060/70 Nr. 5

B 060/70 Nr. 6 B 060/71 Nr. 1 B 123/14 Nr. 18

B 123/14 Nr. 19

B 310/21 Nr. 1

B 310/21 Nr. 2

B 310/21 Nr. 3 B 310/21 Nr. 4

B 310/21 Nr. 5 B 352/1 B 352/18 B 352/20 Nr. 1 902/03 G2 Aicher, Otto Aicher-Scholl, Inge Anker, Karl Brocher, Tobias

(SA) Gemeinderatsprotokolle öffentlich/nicht-öffentlich Vermietung des Volksbücherei-Vorlesesaals im Schwörhaus an die Volkshochschule 1957-1958 Besetzung Deutschlands nach 1945, allgemeine Anordnungen, Befehle, Erlasse. Zusammenarbeit der Militärregierung mit der Stadt Ulm 1945-55 Ulmer Dienststellen der Heeresverwaltung. Bericht an die amerikanische Militärregierung. Besprechung von OB Eychmüller mit Oberst Harlow vom 28.5.1945 Zusammenarbeit der Militärregierung mit der Stadt Ulm 19451956 Angelegenheiten der Militärregierung und der Stadtverwaltung Ulm. US Nachrichtendienst, Amerika-Haus Ulm 1949-1952 NS Kulturgemeinde; Ortsverband Ulm/Neu-Ulm; Eingliederung des Volksbildungsvereins in die NS-Gemeinde „Kraft durch Freude" 1939/40 NS Gemeinschaft „Kraft durch Freude"; Richtlinien und Organisation der Deutschen Arbeitsfront und der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude" 1934-41 Unterstützung der Hochschule für Gestaltung durch die Stadt Ulm; Verhandlungen über eine Mitfinanzierung des Instituts für Umweltplanung 1951-1970 Vorbereitung der Eröffnungsfeier der Hochschule für Gestaltung, insbes. Einladung an den Bundeswirtschaftsminister Prof. Dr. Ludwig Erhard, Erfassung der Gäste, Kostenzusammenstellung 1955 Bau von Dozentenwohnungen bei der Hochschule für Gestaltung 1960 (1965) Stellungnahmen des Gemeinderats zur Hochschule für Gestaltung, insbes. zu einer Sendung des Süddeutschen Rundfunks am 7.2.1963 über die Hochschule 1963 Vorbereitung und Durchführung einer Ausstellung der Hochschule für Gestaltung 1963 Volkshochschule und Geschwister-Scholl-Hochschule Ulmer Volkshochschule - Rechenschafts- und Jahresberichte 1948, 1950-1969 Volksbildungsverein Ulm. Allgemeines 1931-1937 Haushaltspläne 1946-1953

Quellen- und Literaturverzeichnis

511

Buder, Walter Buzengeiger, Walter Eychmüller, Karl Frank, Hermann Fried, Kurt Gaßebner, Hans Geyer, Wilhelm Grzimek, Günter Guther, Max Kneer, Josef Pee, Herbert Pfizer, Theodor Reyhing, Hans Riedlc, Karl Eugen Roller, Hugo Sauter, Otto Scholl, Hans und Sophie Scholl, Robert Wackernagel, Erika Wackernagel, Peter Walser, Elisabeth Weiß, Franz Wiegandt, Herbert Wild, Hermann G 6 IV 1.2.2 G 6 IV 2.0 G 6 IV 2.7 G 6 IV 8.2.2 G 6 VI 3.0 G 6 VI 3.1.1 G 6 VI 3.1.2 G 6 VI. 3.1.5 G 6 VI 3.1.6 G 6 VI 3.1.7 G 6 VI 3.2.1 G 6 VI 3.2.2 G 6 VI 3.7.1

Kultur, Institutionen kultureller Art, Gesellschaft 1950, ab 1950 Kultur, Volkshochschule - vh. Allgemeines, bis 1991; 1992Kultur, Volkshochschule - vh - Einweihungen - Jubiläen, bis 1991 Kultur, Vereinigungen zur Pflege der Geschichte, Verein „Alt Ulm" 1899 Schriftdokumentation HfG, Bildungswesen, Ulmer Hochschule für Gestaltung, Geschwister-Scholl-Stiftung Bildungswesen, Ulmer Hochschule für Gestaltung, HfG-Allgemeines, Übersichten zur Geschichte, bis 1962 Bildungswesen, Ulmer Hochschule für Gestaltung, Gründung, Jubiläen Bildungswesen, Ulmer Hochschule für Gestaltung, Öffentlichkeitsarbeit, Programme Bildungswesen, Ulmer Hochschule für Gestaltung, Schulfeste Bildungswesen, Ulmer Hochschule für Gestaltung, Beziehungen zu anderen Institutionen und Personen Bildungswesen, Ulmer Hochschule für Gestaltung, Schulleitung, Rektor Bildungswesen, Ulmer Hochschule für Gestaltung, Professoren, Dozenten, Personal Bildungswesen, Ulmer Hochschule für Gestaltung, Meinungen, Leserbriefe über die HfG

Nachlaß Theodor Pfizer

512

Quellen- und Literaturverzeichnis

Würselen,

Kulturarchiv

der Stadt

Nachlaß Joseph Thome Schachtel 4, Mappe 1950

b) Privatarchive Aicher-Scholl, Inge (Rotis), Privatarchiv Buzengeiger, Walter (Ulm), Privatarchiv Fried, Inge (Ulm), Privatarchiv Grzimek, Günther (München), Privatarchiv Habermann, Willi (Bad Mergentheim), Privatarchiv (PAH) Hohenemser, Vera (Lacanau-Ocean/Frankreich), Privatarchiv Kotz, Frido (Stuttgart), Privatarchiv (PAK) Lindström, Sven Anker (Bad Homburg/Düsseldorf) Wiegandt, Helga und Herbert (Stuttgart), Privatarchiv (PAW)

2.

BEFRAGUNGEN/ZEITZEUGENINTERVIEWS/ KORRESPONDENZ

Aicher, Manuel (Dietikon/Schweiz) Aicher-Scholl, Inge (Rotis) Aichinger, Ilse (Wien) Becker, Antoinette (Berlin) Borchers, Elisabeth (Frankfurt) Buzengeiger, Walter (Ulm) Fried, Inge (Ulm) Goes, Albrecht (Stuttgart) Habermann, Willi (Bad Mergentheim) Hanssler, Bernhard (Stuttgart) Hartnagel, Fritz und Elisabeth (Stuttgart) Hohenemser, Vera (Lacanau-Ocean/Frankreich) Kotz, Frido und Elsbet (Stuttgart) Lindström, Sven Anker (Bad Homburg/Düsseldorf) Muth, Martha (München) und Bell-Muth, Gabriele (Edingen) Richter, Toni (München) Rinser, Luise (Italien) Schmid, Erika (Ulm) Stiegler, Colbina (München) Vieregg, Hildegard (München) Weber, Hermann (Mainz) Wiegandt, Helga und Herbert (Stuttgart) Wild, Heiner (Ravensburg)

Quellen- und Literaturverzeichnis

513

3. GEDRUCKTE QUELLEN: DOKUMENTE, BRIEFE, TAGEBÜCHER, ERINNERUNGEN, AMTLICHE VERLAUTBARUNGEN

Adenauer, Konrad, Erinnerungen 1945-1953, Frankfun/Main [1965] 1967. Aicher, Otl, Analog und Digital. Schriften zur Philosophie, Berlin 1991. Aicher, Otl, die hochschule für gestaltung. neun stufen ihrer entwicklung, in: archithese 15, 1975. Aicher, Otl, Die Küche zum Kochen. Das Ende einer Architekturdoktrin, München 1983. Aicher, Otl, Die Welt als Entwurf, Berlin 1991. Aicher, Otl, Innenseiten des Krieges, Frankfurt/Main 1985. Aicher, Otl, Planung in Mißkredit. Zur Entwicklung von Stadt und Land, in: Richter (Hg.), Bestandsaufnahme 398-420. Aicher, Otl, Schönes altes Ulm ..., in: Württemberger Land 1953 (zur 1100-Jahr-Feier der Stadt Ulm) H 4, 7-9. Aicher, Otl, Schreiben und Widersprechen, Berlin 1993. Aicher-Scholl, Inge (Hg.), Sippenhaft. Nachrichten und Botschaften der Familie in der Gestapo-Haft nach der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl, Frankfurt/Main 1993. Aicher-Scholl, Inge, Die Ulmer Volkshochschule und die Hochschule für Gestaltung, in: Württemberger Land 1953 (zur 1100-Jahr-Feier der Stadt Ulm) H 4, 43. Aicher-Scholl, Inge, Die Ulmer Volkshochschule, in: Die Volkshochschulen und Volksbildungswerke in Nordwürttemberg 31-37; verändertes und ausführlicheres Manuskript im vh-Archiv; wieder abgedruckt in: Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit 54-66. Aicher-Scholl, Inge, Die Volkshochschule braucht ihr eigenes Haus, in: Kulturarbeit 6 (1954) H 3, 52-53; wieder abgedruckt in: Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit 71-74. Aicher-Scholl, Inge, Die weiße Rose, Frankfurt/Main 1955, Erweiterte Neuausgabe 1993. Aicher-Scholl, Inge, Eine neue Gründerzeit und ihre Gebrauchskunst, in: Richter (Hg.), Bestandsaufnahme 421-427. Aicher-Scholl, Inge, Eine Volkshochschule und ihre Stadt, in: Der Städtetag 6 (1953) H 9, 452-453; wieder abgedruckt in: Schüler, Von der Weißen Rose zur Eule der Weisheit 68-70. Aicher-Scholl, Inge, Ulmer Volkshochschule, in: Fünf Jahre 33-35. Aicher-Scholl, Inge, Volkshochschule Ulm, in: Gebrauchsgraphik. Monatsschrift zur Förderung künstlerischer Werbung. Offizielles Organ des Bundes Deutscher Gebrauchsgraphiker, hg. von Eberhard Hölscher, 21 (1950) Nr. 8, 2-9. Aicher-Scholl, Inge, Volkshochschule, in: Der Stadtkreis Ulm. Amtliche Kreisbeschreibung, 681-684. Aicher-Scholl, Inge, Vom Experiment zur Stabilisierung. Neue Wege der Ulmer Volkshochschule, in: Baden-Württemberg. Südwestdeutsche Monatsschrift für Kultur, Wirtschaft und Reisen (1958) H 5, 31. Aicher-Scholl, Inge, Widerstand als Grunderfahrung, in: Noack (Hg.), Freiheit 15-27.

514

Quellen- und Literaturverzeichnis

Aichinger, Ilse, Die größere Hoffnung. Roman, Frankfurt/Main [1948]' 1991. „Als der Krieg zu Ende war". Literarisch-politische Publizistik 1945-1950. Ausstellung und Katalog Gerhard Haym, Hartmut Rambaldo und Joachim W. Storck (Marbacher Kataloge 23), Marbach 41995. Alt, Karl, Todeskandidaten. Erlebnisse eines Seelsorgers im Gefängnis München-Stadelheim mit zahlreichen im Hitlerreich zum Tode verurteilten Männern und Frauen, München 1946. Arpe, Heinrich, Plakate der Volkshochschule Ulm, in: Form und Technik 5 (1954) H 7,301,312-315. Bayern, Konstantin Prinz von, Inge Scholl, in: Ders., Die großen Namen. Begegnungen mit bedeutenden Deutschen unserer Zeit, München 1956, 447-458. Bergengruen, Werner, Schreibtischerinnerungen, München 1961. Berger, Thomas/Müller, Karl-Heinz (Hg.), Lebenssituationen 1945-1948. Materialien zum Alltagsleben in den westlichen Besatzungszonen 1945-1948, Hannover 1983. Bermann-Fischer, Brigitte, Sie schrieben mir oder was aus meinem Poesiealbum wurde, Frankfurt/Main [1978] 1990. Bermann-Fischer, Gottfried, Bedroht - Bewahrt. Weg eines Verlegers, Frankfurt/Main [1967] 1987. Bernhart, Joseph (1881-1969). Zwei Reden über Wissen, Bildung und Akademiegedanken. Deutungen zu Leben, Werk und Wirkung, hg. von Manfred Weitlauff/Abraham Peter Kustermann (Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart), München/Stuttgart 1995. Bernhart, Joseph, Tagebücher und Notizen 1935-1947, hg. von Manfred Weitlauff, Weißenhorn 1997. Bill, Max, Bei uns kann man nicht Maler werden ... Gedanken zu einer Hochschule für Gestaltung, in: Die neue Zeitung Nr. 213 vom 11.9.1951, 4. Bill, Max, Vom Bauhaus bis Ulm, in: du (Zürich) 6/1976, 12-21. Bruyn, Günter de, Zwischenbilanz. Eine Jugend in Berlin, Frankfurt/Main 1992. Bucher, Peter (Hg.), Nachkriegsdeutschland 1945-1949 (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 10), Darmstadt 1990. Bußmann, Walter, Der deutsche Widerstand und die „Weiße Rose". Festvortrag anläßlich der 25. Wiederkehr des Todes der Mitglieder der „Weißen Rose" am 23.2.1968 im Lichthof der Universität München, München 1968. Dengler, Mathilde, Wie ich Sophie Scholl erlebt habe, in: Ereignisse, die unser Leben prägten. Senioren erzählen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Bd. 2, hg. vom Seniorenbüro Heilbronn, Heilbronn 1998. Dufner, Wolfram, Frühe Wegweisungen. Chronik einer alemannischen Jugend 19261950, Frankfurt/Main 21997. Ebeling, Hans/Hespers, Dietrich (Hg.), Kameradschaft. Schriften junger Deutscher, Mönchengladbach [Selbstverlag] o.J. Empfehlungen und Gutachten des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen 1953-1965, im Auftrag des Ausschusses besorgt von Hans Bohnenkamp/Walter Dirks/Doris Knab, Stuttgart 1966. Filmer, Werner/Schwan, Heribert (Hg.), Mensch der Krieg ist aus. Zeitzeugen erinnern sich, Düsseldorf 1985. 50 Jahre Volkshochschulen in Baden-Württemberg. Dokumente aus den ersten Jahren, hg. vom Volkshochschulverband Baden-Württemberg e.V., Stuttgart 1996. Die in eckigen Klammern gesetzte Jahreszahl bezieht sich im folgenden auf das Datum der Erstausgabe.

Quellen- und Literaturverzeichnis

515

50 Jahre danach: Was hat das Kriegsende bedeutet? Eine Lesebuch. Ausgewählte Beiträge eines Wettbewerbs, hg. von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 1995. Gesetzliche Vorschriften der amerikanischen Militärregierung in Deutschland, 1. Juni 1946. Guardini, Romano, „Es lebe die Freiheit!" Festrede, gehalten bei der Enthüllung des Mahnmales für Prof. Kurt Huber und seinen studentischen Widerstandskreis am 12. Juli 1958, in: Jahrbuch der Ludwig-Maximilians-Universität München 1958, 101-109; wieder abgedruckt in: Guardini, Freiheit und Verantwortung 21-37. Guardini, Romano, Die Waage des Daseins. Rede zum Gedächtnis von Sophie und Hans Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf und Prof. Dr. Huber, gehalten am 4. November 1945, Tübingen und Stuttgart 1946; wieder abgedruckt in: Guardini, Freiheit und Verantwortung 7-20. Guardini, Romano, Freiheit und Verantwortung. Die Weiße Rose - Zum Widerstand im „Dritten Reich", Mainz 1997. Guardini, Romano, Pluralitat und Entscheidung, in: Ders., Sorge um den Menschen Bd. 1 (Guardini, Werke, hg. von Franz Heinrich), Mainz 1988, 131-152. Guardini, Romano, Stationen und Rückblicke. Berichte über mein Leben (Guardini, Werke, hg. von Franz Henrich), Mainz 1995. Haecker, Theodor, Christentum und Kultur, München 21946. Haecker, Theodor, Der Christ und die Geschichte, München 1949. Haecker, Theodor, Satire und Polemik, Innsbruck 1922. Haecker, Theodor, Schönheit. Ein Versuch, Leipzig 1936. Haecker, Theodor, Schöpfer und Schöpfung, Leipzig 1934. Haecker, Theodor, Tag- und Nachtbücher 1939-1945. Erste vollständige und kommentierte Ausgabe, hg. von Hinrich Siefken (Brenner-Studien 9), Innsbruck 1989. Haecker, Theodor, Tag- und Nachtbücher. 1939 bis 1945. Mit einem Vorwort hg. von Heinrich Wild, München 1947. Haecker, Theodor, Vergil. Vater des Abendlandes, München 1947. Haecker, Theodor, Was ist der Mensch? Leipzig 1933. Hamm-Brücher, Hildegard, Freiheit ist mehr als ein Wort. Eine Lebensbilanz 19211996, Köln 1996. Heuss, Theodor, Aufzeichnungen 1945-1947, hg. von Eberhaid Pikart, Tübingen 1966. Heuss, Theodor, Die großen Reden, Tübingen 1965. Heuss, Theodor, Kräfte und Grenzen einer Kulturpolitik, Tübingen/Stuttgart 1951. Heuss, Theodor, Politiker und Publizist. Aufsätze und Reden, ausgewählt und kommentiert von Martin Vogt, Tübingen 1984. Hirzel, Susanne, Vom Ja zum Nein. Eine schwäbische Jugend 1933-1945, Tübingen 1998. Ricarda Huch. Ausstellung und Katalog Jutta Bendt und Karin Schmidgall (Marbacher Kataloge 47), Marbach 1994. Jaeger, Wolfgang, 50 Jahre „Weiße Rose", in: Heidelberger Jahrbücher 37 (1993) 183190. Jens, Inge (Hg.), Hans Scholl. Sophie Scholl. Briefe und Aufzeichnungen, Frankfurt/Main 1984. Kaschnitz, Marie Luise, Menschen und Dinge 1945. Zwölf Essays, Frankfurt/Main [1955] 1995. Kindt, Werner (Hg.), Die deutsche Jugendbewegung 1920 bis 1933. Die bündische Zeit (Dokumentation der Jugendbewegung III), Düsseldorf/Köln 1974.

516

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Kindt, Werner (Hg.), Die Wandervogelzeit. Quellenschriften zur deutschen Jugendbewegung 1869-1919 (Dokumentation der Jugendbewegung II), Düsseldorf/Köln 1968. Knoop-Graf, Anneliese/Jens, Inge (Hg.), Willi Graf. Briefe und Aufzeichnungen. Mit einer Einleitung von Walter Jens, Frankfurt/Main 1994. Kommission Weiterbildung, Bericht „Weiterbildung - Herausforderung und Chance" (Im Auftrag der Landesregierung von Baden-Württemberg), Stuttgart 1984. Konstellationen. Literatur um 1955. Ausstellung und Katalog Michael Davidis, Bernhard Fischer, Günther Nickel, Brigitte Raitz (Marbacher Kataloge 48), Marbach 1995. Konzeptionelle Leitlinien der Ulmer Volkshochschule für die 90er Jahre. Verabschiedet in einer gemeinsamen Tagung von Kuratorium und Fachbereichsleitern der vh am 1.6.1991 [Ms unveröff.]. Le Fort, Gertrud, Aufzeichnungen und Erinnerungen, Einsiedel 1951. Lenz, Hermann, Andere Tage. Roman, Frankfurt/Main [1968] 1978. Linien 1946-1996. Querschnitt durch fünf Jahrzehnte VHS-Programm, hg. vom Volkshochschulverband Baden-Württemberg e.V., [Leinfelden-Echterdingen 1996]. Lüders, Marie-Elisabeth, Fürchte dich nicht! Persönliches aus mehr als 80 Jahren, Köln 1963. Mann, Klaus, Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht, Hamburg 1994. Maritain, Jacques, Christlicher Humanismus. Politische und geistige Fragen einer neuen Christenheit, Heidelberg 1950. Maritain, Jacques, Die Zukunft der Christenheit, Einsiedeln/Köln 1938. Maritain, Jacques, Humanisme integral. Problemes temporeis et spirituels d'une nouvelle Chretiente, Paris 1936. Müller, Max, Auseinandersetzung als Versöhnung - polemos kai eirene. Ein Gespräch über ein Leben mit der Philosophie, hg. von Wilhelm Vossenkuhl, Berlin 1994. Muth, Carl, Schöpfer und Magier. Drei Essays, München 1935. Peterich, Eckart, Warum lieben wir die Griechen und wozu studieren wir ihre Geschichte. Ein Vortrag, gehalten vor der Ulmer Volkshochschule, Ulm 1947. Pfaff-Preis für Initiativen im Bildungswesen. Eine Dokumentation über die erstmalige Verleihung am 30. Mai 1969 in Kaiserslautern, Kaiserslautern 1969. Pfizer, Theodor, Neubau der Stadt. Die Ulmer Schwörreden 1949-1958, Ulm 1959. Pfizer, Theodor, Reden und Aufsätze zur Kultur- und Kommunalpolitik aus den Jahren 1950-1979, hg. von Hans Eugen Specker/Herbcrt Wiegandt, Stuttgart 1984. Pfizer, Theodor/Erbe, Walter, Gemeinde und Erwachsenenbildung, hg. vom Verband Württembergischer Volkshochschulen (Schriftenreihe des Verbandes Württembergischer Volkshochschulen 7), Stuttgart 1964. Pfleger, Karl, Geister, die um Christus ringen, Salzburg/Leipzig 1934, Heidelberg 1951. Reich-Ranicki, Marcel (Hg.), Meine Schulzeit im Dritten Reich. Erinnerungen deutscher Schriftsteller, München M997. Schmidt, Helmut u.a., Kindheit und Jugend unter Hitler, Berlin 1998. Scholl, Inge, s. Aicher-Scholl, Inge. Scholl, Robert, Zusammmenbruch und Wiedergeburt einer Stadt, Ulm 1948; wieder abgedruckt unter dem Titel „Bericht über den Wiederaufbau in Ulm" in: Zusammenbruch und Wiedergeburt 3-22. Thielicke, Helmut, Von der Freiheit, ein Mensch zu sein. Rede zum Todestag der Geschwister Scholl, gehalten am 22. Februar 1963 in der Universität München, Tübingen 1963.

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5. ABKÜRZUNGEN AfS BBKL

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Archiv für Sozialgeschichte Bautz, Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, begr. und hg. von Friedrich Wilhelm Bautz, fortgeführt von Traugott Bautz, Herzberg 1, 1975ff. Bund Deutscher Mädel Deutsche Biographische Enzyklopädie, hg. von Walther Killy, München u.a. 1, 1995ff. Deutsche Jungenschaft 1.11.1929 Deutsche Universitätszeitung Freiburger Diözesanarchiv Festschrift Geschichte und Gesellschaft Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. von Otto Brunner u.a., Stuttgart 1, 1972ff.

542 GSH GSS GWU HfG HJ HJ HKGQ) HWP HZ Ihme KDLK KGK KuG KZSS LThK 1 / 2 / 3 masch Ms MThZ NDB NL Pag PVJS RGG RJKG s. ThQ TRE vh (ulm) VHiW VKZG VZG ZBLG ZfG

Abkürzungen Geschwister Scholl-Hochschule Geschwister Scholl-Stiftung Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Hochschule für Gestaltung Historisches Jahrbuch Hitlerjugend Handbuch der Kirchengeschichte 1-7, hg. von Hubert Jedin, Freibirg 1973-1979 Historisches Wörterbuch der Philosophie, Basel u.a. 1, 1971ff. Historische Zeitschrift Heinrich Ihme, Südwestdeutsche Persönlichkeiten 1-2, Stuttgart 1918 Kürschners Deutscher Literatur Kalender Kürschners Gelehrten-Kalender Konfession und Gesellschaft Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Lexikon für Theologie und Kirche maschinenschriftlich Manuskript Münchner Theologische Zeitschrift Neue Deutsche Biographie Nachlaß paginiert/Paginierung Politische Vierteljahrsschrift Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte siehe Theologische Quartalschrift Theologische Realenzyklopädie Volkshochschule Ulm Volkshochschule im Westen Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte; Reihe A: Quellen; Reihe B: Darstellungen Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte Zeitschrift für Geschichtswissenschaft

REGISTER Abaelard, Peter 65 Abs, Hermann Josef 447 Ackermann, Konrp.d 94, 98 Acton, John Dalberg 99 Adam, Karl 68, 134, 360 Adenauer, Konrad 356, 373 Aicher, Anton 26-28, 34f., 39, 42, 120, 149, 245, 277 Aicher, Georg 27, 42 Aicher, Hedwig 27, 34, 42, 60, 235 Aicher, Maria Anna 26 Aicher, Otl 12-15, 21-151, 153-264, 266-463, 465-473 Aicher-Scholl, Inge s. Scholl, Inge Aichinger, Ilse 305, 436, 454, 469, 471 Alt, Karl 220 Ambrosius 117 Andersch, Alfred 322, 336, 367-370, 453 Anker, Karl 300 Anselm von Canterbury 65 Aristoteles 65, 114,232 Arnim, Bettina von 114 Arnold, Franz Xaver 360 Auer, Alfons 360 Augustinus 40, 65, 75, 82, 109, 113, 150, 190, 225, 247, 271, 298, 379, 456, 466 Bach, Johann Sebastian 212 Bachem, Julius 91 Baeck, Leo 407 Balthasar, Hans Urs von 111, 134, 359 Barth, Karl 84 Bartok, Bela 212 Bartoszewski, Wladyslaw 171 Baudelaire, Charles 77 Bauer, Ernst G.S. 282 Bauer, Helmut 156 Bäuerle, Theodor 299, 344-348, 385, 410 Bauerreiß, Romuald 194 Baum, Julius 37 Bäumler, Alfred 139 Becker, Hellmut 267, 458 Becker, Werner 278 Beethoven, Ludwig van 212 Belardinelli, Sergio 81 Benjamin, Walter 136

Berdjajew, Nikolai 66ff., 69-73, 129, 279 Bergengruen, Werner 52, 70, 77, 90, 98, 101, 110, 134, 177, 192, 205, 208, 210, 221, 241, 255, 262, 376 Bergson, Henri 79 Bermann-Fischer, Brigitte 451 Bermann-Fischer, Gottfried 451 Bernanos, Georges 67, 76, 78f., 88, 106, 129, 151,292,351,355,359 Bernhart,Joseph 89, 94, 134, 275-278 Beutler, Ernst 294 Bill, Max 322, 399-401, 441, 448, 451-458, 463, 470 Bismarck, Otto von 254 Blessing, Eugen 133 Bloy, Leon 66f., 76, 79, 129 Blume, Hans 337 Boccaccio, Giovanni 377 Bodensteiner, Hans 356 Bollinger, Heinz 156,207 Bollinger, Willi 207 Bonhoeffer, Dietrich 156, 206 Bonhoeffer, Emmi 450 Borchers, [Professor] 206 Borchers, Elisabeth 305 Borchers, Ute 206 Bosch, Robert 345 Brauner, Arthur 250 Brecht, Bertold 303, 423 Bremond, Henri 109 Bretschneider, Heike 166f. Breuer, Marcel 395 Breyvogel, Wilfried 159-166, 170, 175 Brink, Michael 213 Brinkmann, Ferdinand 219 Brossmann, Hans 317 Broszat, Martin 17 Brücher, Hildegard s. Hamm-Brücher, H. Buber, Martin 441 Buddha 379 Burckhardt, Jacob 99,193,229 Bußmann, Walter 160 Buzengeiger, Walter 316,318,321 Carossa, Hans 52, 170, 188 Cezanne, Paul 255

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Register

Churchill, Winston 380f. Fromentin, Eugene 311,385 Cicero 224 Frühwald, Wolf gang 172,177 Claudel, Paul 76f., 106, 108, 111-113, 129, 151, Furtmeier, Josef 193, 210, 215, 252, 262 185, 194, 197, 214, 229, 254, 263, 292, 351, Furtwängler, Hubert 197, 199f., 204, 215, 262 359, 385 Comte, Auguste 83 Galen, Clemens August Graf von 164, 176, 182 Conrad-Martius, Hedwig 110 Ganter, August 243 Gauguin, Paul 50 Daub, [Frau] 246 Gebsattel, Victor Emanuel von 361f. Dawson, Christopher Henry 66, 80 Geissendörfer, Hans 250 Delp, Alfred 208, 243 George, Stefan 46, 52, 65, 75, 104f., 137 Dempf, Alois 134 Getzeny, Heinrich 333 Geyer, Clara 210, 213f., 217f. Dessauer, Friedrich 89, 94 Dirks, Walter 359, 362, 366-370, 382 Geyer, Wilhelm 26, 182, 210, 212-218, 281, Dohrn, Harald 104, 155, 165, 209, 214f., 285-288, 290, 300, 318, 377, 410 Gide, Andre 66, 98 219, 262 Giesler, Paul 157 Dominikus 56 Dostojewsky, Fedor M. 60, 66f., 69-72, 106, Gilson, Etienne 76, 79 Goebbels, Joseph 259 108f., 190,200,213,252,255 Goerdeler, Carl 347 Dreher, Wilhelm 29f. Goes, Albrecht 299,311,322 Driesch, Hans 67 Goethe, Johann Wolfgang von 64, 70,102, 104, Dru de Mongelaz, Alexander 147 Dumbach, Annette 171 109, 230f., 252, 255, 267, 294, 365, 378, 425 Duns Scotus 75 Gogh, Vincent van 50, 252 Dürer, Albrecht 386 Gogol, Nikolai Wassiljewitsch 70, 213 Dutschke, Rudi 167 Görres, Joseph 99 Goyau, Georges 109 Graf, Anneliese 174, 215,262 Eggebrecht, Axel 250 Graf, Willi 155, 159, 170, 175, 181, 196-202, Eich, Günther 469 Eickemeyer, Manfred 146, 193, 197-199, 210, 207f., 210, 212-216, 221, 233, 253, 259-262f., 271 213f.,253,262 Grieshaber, HAP 377, 408 Einstein, Albert 37, 305f., 340 Grimm, Wilhelm und Jacob 25 Ellermann, Heinrich 196, 210, 262 Grimme, Adolf 348 Engel, Erich 426 Grimminger, Eugen 156, 207, 209, 238 Enzensberger, Hans Magnus 460 Grogo s. Habermann, Willi Eschenburg, Theodor 382 Gropius, Walter 394f. Eychmüller, Hans Friedrich 43, 436, 438 Grzimek, Günther 327, 436 Guardini, Romano 54, 70, 106, 134, 150, 160f., Fenelon, Francois de 109, 114 Feuerle, Gerhard 215 166, 188, 202, 213, 269-282, 290, 299, 341, Ficker, Ludwig von 140 347, 351, 357-359, 367, 385, 387, 411, 441, Flitner, Wilhelm 344 448-450, 466, 470 Foerster, Friedrich Wilhelm 24f. Guggenheimer, Walter M. 382 Fogazzaro, Antonio 94 Guter, Heinrich 156 Ford, Henry 437, 469 Guther, Max 438 Forst, Willy 75 Förster, Friedrich 30 Habermann, Willi, gen. Grogo 18, 42f., 56, 6264, 75f., 80, 84, 86, 89f., 101f., 123, 148-151, Franco Bahamonde, Francisco 232 178-182, 204, 235, 239, 246, 26lf., 277, 280Frank, Wilhelm 317 287, 352, 384, 408, 413, 428, 466, 469, 471 Franz von Assisi 56, 181 Frei, Norbert 439 Haecker, Irene 221,278 Freisler, Roland 155,259 Haecker, Theodor 65, 77, 89f., 103, 105f., 110, Frido s. Kotz, Fridolin 126-153, 159-174, 177, 180, 191-193, 195, 197, 204f., 210-212, 215, 217, 220-222, 226, Fried, Kurt 282, 285, 287-293, 298, 338, 344, 230, 233f., 238-248, 250, 252, 254, 257f., 261373,377,381,383 263, 270f., 274, 276f., 280, 351, 357, 364, 367, Friedrich II. der Große 254, 376

Register 375-378, 389f., 424, 432, 442, 466, 468, 470 Hamm-Brucher, Hildegard 174,334 Hammerstein, Otmar 174, 195-197, 215, 262 Händel, Georg Friedrich 212 Handel-Manzetti, Enrica von 94 Hanser, Richard 171 Hanssler, Bernhard 50, 287, 360 Harnack, Adolf von 74 Harnack, Arvid 156, 206 Harnack, Falk 156, 160, 168, 191, 206, 250 Harte«, Helmut 206, 215, 262 Hartnagel, Elisabeth s. Scholl, Elisabeth Hartnagel, Fritz 18, 63, 120f., 150, 179, 183, 187, 204, 215, 235, 282-284, 373f., 407f., 412417, 420f., 449, 458 Hauff, Wilhelm 25 Hausmann, Manfred 58, 64, 294 Haydn, Joseph 212 Hefele, Herman 66 Hegner, Jakob 104,106,134 Heine, Heinrich 34,51,365 Heinemann, Gustav 356 Heiseler, Henry von 60 Heisenberg, Werner 67, 340 Hentig, Hartmut von 331 Hepperle, Carl 218 Herdan-Zuckmayer, Alice 434, 450 Hermens, Ferdinand 97 Herrmann, Hilde 334f. Hesse, Hermann 141 Heuss, Theodor 299, 347, 410 Heym, Georg 46 Hildebrandt, Hans 322 Hildesheimer, Wolfgang 460 Hirzel, Hans 63, 156, 174, 182, 197, 199, 207f.,

545

208-212, 221, 223, 230, 232f., 252-255, 259-262 Huber, Paul 93 Huch, Ricarda 160-164,427 Hummel, Georg 370 Hurten, Heinz 80, 177, 383f. Jaeger, Wolfgang 197, 221,262 James, William 410 Jammes, Francis 77, 106 Jasper, Gotthard 173 Jaspers, Karl 355, 422 Jeans, James 67 Jens, Inge 57, 67f., 104, 107, 151, 170 Jens, Walter 306,460 Jung, Carl Gustav 407 Jünger, Ernst 213

Kahn, Marcia 456 Kallerhoff, Ernst 324 Kammerer, [Herr] 36, 58 Kammerer, Annelies 58 Kampmann, Theoderich 136 Kant, Immanuel 376 Kaschnitz, Marie Luise 311 Keyserling, Hermann Graf von 407 Kiehl, Peter 206 Kierkegaard, Sören 65f., 113, 129f., 134, 168, 242, 424 Kirst, Hcllmut 301 Kißener, Michael 170 Klar, Ernst 55 Klönne, Arno 30 Klopstock, Friedrich Gottlieb 104 Kneer, Joseph 281, 285, 288, 292, 300, 318 218,238,250,262,449 Knoop-Graf, Anneliese s. Graf, Anneliese Hirzel, Susanne 63, 156, 163, 174,214,218,262 Köbel, Eberhard 46-49, 55 Hitler, Adolf 28f., 33-35, 45, 53, 56f., 61, Köberle, Adolf 360 88, 99, 108, 135, 140, 142, 149, 156f., 161, Kogon, Eugen 367f., 382, 450 165, 168, 173, 180, 190f., 195, 207, 226, 229, Kolbenhoff, Walter 436 231-233, 252, 257, 326, 336, 341, 351, 376, Kolumbus, Christoph 118 394,421 Korrek, Norbert 400 Hochhuth, Rolf 171 Kotz, Elsbet 278, 284 Hofmannsthal, Hugo von 52, 65 Kotz, Fridolin, gen. Frido 18, 41-43, 56, 62-65, Högner, Wilhelm 380 80, 84, 90, 124, 148-150, 178-182, 235f., 238, Hohenemser, Anneli 406, 408 240, 261, 278, 281-287, 318, 413, 466, 469 Hohenemser, Herbert 301, 385, 406, 408, 412f., Kralik, Richard von 94 Kranz, Gisbert 70 420, 426, 443-445, 473 Höhn, Karl 311 Krebs, Mario 190,250 Krings, Hermann 171 Hohoff, Curt 134 Hölderlin, Johann Christian Friedrich 25, 64, Kuby, Erich 250, 337 Kucharski, Heinz 190 70, 139, 202, 271, 299 Holl, Lilli 64, 240 Kuhn, [Kaplan] 239 Hörhammer, Manfred 341 Huber, Clara 241 Lafrenz, Traute 108, 111, 156, 158, 181, 190f., Huber, Kurt 110, 157, 159, 166-169, 196-199, 197, 205f., 215, 233,252,262

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Register

Lamennais, Hugo-Felicite-Robert de 101 Lamm, Fritz 371, 374 Lang, Gregor 274 Lange, Horst 311 Lao-tse 230-232,379 Le Corbusier, Charles-Edouard 395, 416, 429, 434f., 462, 470 Le Fort, Gertrud von 77, 242, 376 Leander, Zarah 75 Leber, Annedore 450 Leibniz, Gottfried Wilhelm 110, 208, 212, 354, 379f. Leipelt, Hans 157, 241 Lenin, Wladimir Iljitsch 109 Leo XIII. 353 Leonhard, Wolf gang 461 Lessing, Gotthold Ephraim 117 Lienhard. Friedrich 93 Lindström, Irm 371f., 388, 392, 406-408, 435, 456 Lindström, Sven Anker 18, 406-408, 412-417, 440f., 458, 470 Litt, Theodor 386 Lortz, Joseph 319 Lotz, Johannes 360 Lukacs, Georg 355 Lurcat, Jean 395 Luther, Martin 247, 376 Lykurg 230f. Maeser, Hedwig s. Aicher, Hedwig Maillol, Aristide 113 Mallmann, Klaus-Michael 175,263 Mann, Thomas 11, 52, 159f., 376 Marc, Franz 50,311 Marcel, Gabriel 77 Maritain, Jacques 67, 70, 73, 76-89, 98, 118, 121, 129, 139, 143, 151, 169, 189, 204, 223225, 227-229, 233, 263, 351-358, 363f., 377, 410, 437, 443, 467f. Maritain, Raissa 79, 85f. Marmein, Richard 338 Martin, Alfred von 66, 124, 192f., 210, 229, 440 Marx, Karl 365, 429f. Mauriac, Francois 70, 129 McCloy, John J. 335f., 400f., 450 Mendler, Alfred 281,299 Mendler, Rudolf 281,290,299 Mertens, Gertrud 195 Mertens, Viktor 195 Messerschmid, Felix 279, 290, 447 Michel, Ernst 284, 359, 370, 408-411 Michelangelo 60, 66, 90, 113, 424 Minssen, Friedich 454 Mirandola, Pico della 351

Modersohn-Becker, Paula 58 Möhler, Johann Adam 99, 127, 242 Mohr, Robert 252 Moltke, Helmuth James Graf von 160, 409 Montessori, Maria 23 Mozart, Wolfgang Amadeus 212 Müller, Eberhard 450 Müller, Franz Joseph 156 Münster, Clemens 366, 370 Muth, Carl 25, 65, 72, 89-128, 131-134, 140f., 144, 146, 148, 150f., 153, 159-174, 177, 179188, 191-195, 204f., 208-212, 214, 216-218, 220f., 226, 230f., 238-250, 252-256, 261 f., 270, 274-277, 280, 283, 351, 357, 386, 390f., 408, 442, 466, 468, 470 Muth, Wulfried 108 Nägele, [Familie] 243 Nägele, Eve 63 Nägele, Hans-Peter 63 Nägele, Rose 63, 184f. Napoleon Bonaparte 180, 230 Neubeck, Max von 47 Neumann, Alfred 163,250 Newborn, Jud 171 Newman, John Henry Kardinal 65, 129-131, 134, 242 Nietzsche, Friedrich 40, 67-69, 114, 139, 150, 170, 193,229,365 Nipperdey, Thomas 153f. Novalis 225,229,233 Nusser, Albert 287 Pascal, Blaise 65, 103, 105, 113, 115, 117, 119, 133,150,190,242,271,424 Paul, Gerhard 175,263 Paulsen, Friedrich 362 Peguy, Charles Pierre 66 Pelagius 82 Perret, Auguste 395 Pestalozzi, Johann Heinrich 23,385 Peterich, Eckart 292, 333, 338, 357, 377-379, 385 Peterson, Erik 134 Petry, Christian 166-172 Pfizer, Theodor 307, 339, 346, 373, 393, 421, 450 Pfizer, Ursula 327 Pflanz, Mathilde 24 Pfleger, Karl 98 Picasso, Pablo 253, 258, 458 Pieper, Josef 106, 134, 150, 188, 213, 466 Pirckheimer, Caritas 99 Pirker, Theo 371,460 Planck, Oskar 344 Piaton 40,65

Register Platz, Hermann 375 Plievier, Theodor 367 Probst, Angelika 165, 262 Probst, Christoph 104, 111, 154-157, 159, 165, 181, 190f., 196-199, 204, 207-210, 215f., 219f., 236, 258, 261-263 Probst, Herta 155,215,236 Przywara, Erich 134, 150, 247, 466 Radecki, Sigismund von 66, 90, 134, 180f., 195, 210, 262 Raffael 113 Ramdohr, Lilo 201,206 Reden, Ernst 48-50, 53, 62f., 150, 179, 205, 23b, 239, 247 Reichwein, Adolf 409 Reiff, Elsbet s. Kotz, Elsbet Reiff, Erika 284 Remppis, Lisa 63, 187 Reyhing, Hans 288, 344-346 Richter, Hans Werner 336, 362, 368-370, 401, 448, 452-458, 469 Richter, Ludwig 25 Rieber, Karl 214 Rieck, Josef 66,215-217,410 Riester, Albert 252,449 Rilke, Rainer Maria 25, 46, 52, 58, 64f., 114, 293 Rimbaud, Arthur 77 Ritter, Gerhard 207, 218, 290f., 309 Riviere, Jacques 108 Roda, Roda 443 Rodin, Auguste 113 Rohe, Mies van der 395 Roller, Hugo 286,288 Römer, [Dr.] 290 Rosenstock-Huessy, Eugen 408-411, 428, 436 Rupp, Wolgang 438 Sage, Robert 273,287,289 Samüller, Raimund 111, 262 Schaper, Edzard 77 Scharrelmann, Wilhelm 58 Schaumann, Ruth 77 Scheler, Max 77, 95, 129f., 143, 358, 407 Schertling, Gisela 156, 197, 205, 214f., 262 Schiller, Friedrich 230f. Schlegel, August Wilhelm 99 Schlöndorff, Volker 250 Schmid, Carlo 410 Schmid, Erika 305, 327 Schmorell, Alexander 111,156, 159, 189f., 194, 196-203, 206f., 210, 216, 221, 223, 231, 236, 256, 259, 262 Schmorell, Elisabeth 236 Schmorell, Hugo 189f., 262f.

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Schneckenburger, Erhard 370 Schneider, Michael C. 203 Schneider, Reinhold 162, 188, 213, 376 Schnorr von Carolsfeld, Julius 25 Scholl, Elisabeth 18, 22-26, 34, 37, 59f., 63, 111, 150, 179, 183f., 194, 215f., 234f., 240, 243, 246, 262, 282, 284, 407f., 412, 419, 433 Scholl, Hans 11-15,21-151, 153-264,268,271, 274, 278-283, 290, 293, 299, 328, 333-335, 339, 342, 350, 354, 357, 359, 396, 413, 423, 427, 440-449, 465, 467 Scholl, Inge 12-15, 21-151, 153-264, 266-463, 465-473 Scholl, Magdalene 21-26, 38, 45, 53, 222, 234246, 264, 269, 292 Scholl, Robert 21-26,33, 35, 37, 44f., 57f., 67, 116, 149, 153, 156, 165, 204f., 222, 234-246, 264, 269, 271, 287-289, 292, 299, 307, 338f., 356,407,421,453 Scholl, Sophie 11-15, 21-151, 153-264, 268, 274, 281, 283, 290, 293, 328, 333-335, 339, 342, 350, 354, 357, 390, 396, 413, 415, 423, 427, 440-446, 465, 467 Scholl, Werner 22-26, 34, 37, 43, 58-61, 63, 110, 121,150,179,220,232,243 Schomerus, Lambert 191 Schöningh, Franz Joseph 182, 230, 242, 410 Schreiber, Gerhard 132f. Schubert, Franz 212 Schüddekopf, Katharina 156, 197, 215, 262 Schumacher, Kurt 380 Schuschnigg, Kurt von 380 Schwamberger, Emil 30 Seckendorff, Eva von 400, 439 Seeling, Hartmut 400, 439 Seewald, Richard 132, 134 Sertillanges, Antonin Gilbert 242 Seydlitz, [Bezirksschulrat] 290 Shakespeare, William 293 Siefken, Hinrich 128, 144, 172, 174, 233, 260 Silone, Ignazio 355 Simmel, Georg 143 Sindlinger, Ernst 269, 287, 289 Söhngen, Josef 209,215,241,256 Söhring, Franz Jürgen 454 Sokrates 299,379 Solon 230f. Sombart, Werner 143 Sommerfeld, Arnold 262 Sophokles 109 Sorge, Reinhard Johann 77 Spann, Othmar 232 Spengler, Oswald 142f., 300, 375 Sperr, Heinrich 219f. Spinoza, Baruch 114 Spitz, Rene 439, 448

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Register

Spranger, Eduard 322 Stach, Ilse von 77 Stahl, Erna 190 Stalin, Josef 429f. Stanley, Arthur 67 Stein, Edith 77,114 Steinbach, Peter 173 Steinbeck, John 451 Steinbüchel, Theodor 70, 106, 275, 290, 359, 410, 437 Stelzer, Fritz 49 Stepun, Fedor 70, 72, 192, 279, 290, 299, 347, 370 Sternberger, Dolf 370 Stier, Fridolin 410 Stifter, Adalbert 99,202,213 Stone, Shepard 450 Süß, Winfried 203 Thibon, Gustave 181 Thielicke, Helmut 160, 166f. Thiery 426f. Thomas Morus 65, 99, 225, 437 Thomas von Aquin 40, 56, 65, 75, 79, 84, 114, 117f., 121, 126, 150, 185, 229, 232, 256, 363, 391,396,408,466 Thome, Josef 359f. Thompson, Dorothy 451 Thompson, Francis 114, 134, 242 Tolstoi, Leo 70 Toqueville, Alexis de 99 Trakl, Georg 46 Troeltsch, Ernst 407

Vogeler, Martha 58 Voßler, Karl 160 Waaser, Friedrich 300 Walser, Elisabet 51, 59, 285, 287-289, 292 Weber, Hermann 64, 150, 179 Weigerjosef 271,277 Weil, [Lieutenant] 292 Weinstock, Heinrich 386 Weischedel, Wilhelm 320, 347 Weisenborn, Günther 161, 164f., 250 Weiß, Franz 39, 66, 76, 149f., 182 Wells, H[erbert] G[eorge] 436f. Weite, Bernhard 360 Werfel, Franz 52, 443 Weser, Rudolf 27, 39 Westhoff-Rilke, Clara 58 Wiechert, Ernst 52, 64, 170, 311 Wiegandt, Helga 18, 283, 285-289, 292f., 407f.'f., 412, 422f., 443, 457 Wiegandt, Herbert 18, 163, 269, 282-293«, 299f., 318, 321, 331, 338, 351, 357-360, 374?4, 377, 407f., 412, 422f., 427, 445, 473 Wild, Heinrich 134 Wild, Hermann 285,287-290,292,300,345 • Wilder, Thornton 334, 378, 451 Wilhelm II. 376 Wilhelm von Ockham 75, 150 Winckelmann, Johann Joachim 139 Winkler, Martin 320 Wittenstein, Jürgen 197, 206, 215, 252, 262 Wust, Peter 134, 358 Wüstenberg, Bruno 42, 55, 60, 150 Yorck von Wartenburg, Peter Graf 409

Undset, Sigrid 77 Unruh, Fritz von 34 Unseld, Albert 281 Valentin, Karl 429 Vergil 136-138, 234, 364, 376, 389 Verhoeven, Michael 190,250 Vinke, Hermann 170

Ziegler, Leopold 407 Zuckmayer, Carl 154,250, 252, 322,334f., 40 01, 411, 424-427, 434, 438, 443f., 448-455, 4770, 473 Zweig, Stefan 51, 382, 443

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