BAND Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit: Die westdeutsche "Strukturgeschichte" im Spannungsfeld von Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation 1948-1962 9783486595277, 9783486564846

Wie haben sich deutsche Historiker nach 1945 mit ihrer unmittelbaren Gegenwart und deren Vorgeschichte auseinandergesetz

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German Pages 277 [278] Year 2000

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BAND Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit: Die westdeutsche "Strukturgeschichte" im Spannungsfeld von Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation 1948-1962
 9783486595277, 9783486564846

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Wie haben sich deutsche Historiker nach 1945 mit ihrer unmittelbaren Gegenwart und deren Vorgeschichte auseinandergesetzt? Ein brisantes und stark diskutiertes Thema. Dem Autor geht es nicht darum, die politische Vergangenheit von Historikern im „Dritten Reich" aufzudecken. Er will herausfinden, inwieweit die führenden bundesdeutschen Vertreter einer Strukturgeschichte nach 1945 bereit waren, ihr Geschichtsbild und ihr Geschichtsdenken einer Revision zu unterziehen. Ihr Bild der „Moderne" vor dem Hintergrund einer universalen Kultur- und Zivilisationskritik steht dabei im Mittelpunkt.

Jin-Sung Chun ist Dozent

University

der Pusan National of Education in Korea

an

Oldenbour

Chun Bild der Moderne •

Ordnungssysteme Studien

zur

Ideengeschichte der Neuzeit

r Herausgegeben von Dietrich Beyrau, Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael Band 6

R. Oldenbourg Verlag München 2000

Jin-Sung Chun

Das Bild der Moderne in der Nachkriegszeit Die westdeutsche „Strukturgeschichte" im Spannungsfeld von Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation 1948-1962

R.

Oldenbourg Verlag

München 2000

Für meine Eltern

Die Deutsche Bibliothek CIP Einheitsaufnahme -

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© 2000

Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München

Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet:

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Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: WB-Druck, Rieden am Forggensee ISBN 3-486-56484-6

Inhalt Vorwort.

9

Einleitung.

11

II. Die westdeutschen Historiker im geistigen Umfeld des deutschen Konservatismus.

23

I.

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des

deutschen Konservatismus: Geschichtsbetrachtung als kritischer Umgang mit der Moderne.

23

1. Die Kontinuität des ambivalenten Bildes der Moderne

Weimarer Jungkonservatismus zum Nachkriegs23 konservatismus 2. Die Übernahme der jungkonservativen Modernitätskritik durch die Nachkriegskonservativen. 33 3. Das europäische Geschichtsbewußtsein und das universale Geschichtsbild im Diskurs der Nachkriegsintellektuellen. 43 vom

.

B. Die deutsche Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern.

49

spezifische Erkenntnisinteresse der, jungen" Historikergeneration in der Weimarer Republik. Die geschichtstheoretische Grundlegung des neuen

49

1. Das 2.

Erkenntnisinteresses. 55 3. Die Suche nach neuen Deutungsmustern der Vergangenheit im Zuge der Revision des deutschen Geschichtsbildes. 62 III. Das ambivalente Bild der Moderne in den theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne. 73 A. Die

Beurteilung der Moderne im Zuge der Aufklärungskritik

....

73

1. Die Grundansätze der liberalen Historiker zu einer Theorie der Moderne. 73 2. Die theoretischen Reflexionen der neukonservativen Historiker über die Aufklärung: das Fortschrittsdenken als Movens der „Krise". 76

Inhalt

6

B. Die theoretische Konstruktion der Moderne im Lichte einer historisch neuen Dimension von Zeit und Raum.

85

1. Die moderne Technik. 2. Das historisch neue Verhältnis von Staat und Gesellschaft

85 90

....

C. Die zentralen Begriffe der konservativen Auffassung der Moderne. 100 ein politisch aufgeladener Begriff im Problemkreis der Französischen Revolution und der modernen Gesellschaft. 100 2. Die Massendemokratie. 106

1.

Vermassung

-

Zwischenbetrachtung. IV. Eine

neue

117

historische Methode die „Strukturgeschichte". 119 -

A. Die Methodendiskussion als

Übergang von der Theorie zur

Geschichtsdarstellung. 1. Die

119

Infragestellung der modernen Geschichtswissenschaft Einfluß der zeitgenössischen

unter dem

Wissenschaftstheorie. 119 2. Die Suche nach einer neuen historischen Methode im Zeichen von Kulturgeschichte und Zeitgeschichte. 126 B. Die theoretische Grundlegung der neuen Methode: die „Strukturgeschichte" als methodische Synthese. 134 1. Die Diskussion um den Begriff „Sozialgeschichte". 134 2. Die Eigenart der deutschen Strukturgeschichte: ein Vergleich mit den „Annales". 145 3. Die Wurzeln der deutschen Strukturgeschichte: zwei Kontinuitätslinien Begriffsgeschichte und Ostforschung 153 ...

C. Die Ambivalenz der Methodologie der deutschen

Strukturgeschichte.

163

1. Die Ambivalenz der neuen sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Methoden. 163 2. Die Ambivalenz des Begriffs „Struktur". 172

Zwischenbetrachtung.

181

Inhalt

7

V. Die „moderne Welt" in der historischen Darstellung: ein positives Bild. 183 A. Zur Herausbildung der modernen Welt: die Umrisse eines spezifisch deutschen Modernisierungspfades. 183

Darstellung der Industrialisierung unter besonderer Berücksichtigung der liberalen Reformen. Die Darstellung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft in der deutschen Sozialgeschichte des beginnenden Industriezeitalters. Wolfgang Köllmanns Arbeiten zur Sozialgeschichte des Ruhrgebiets.

1. Die 2.

3.

183

191

198

B. Zur Konstruktion der politischen Ordnungen des 19. Jahrhunderts. 204

1. Neue politikgeschichtliche Ansätze Hans Rothfels. 204 2. Strukturgeschichtliche Darstellungen im Bereich der Staatengeschichte Theodor Schieder.211 -

-

C. Zur „Krise der modernen Welt": Zeitgeschichtsschreibung der deutschen Strukturhistoriker unter dem Einfluß der Totalitarismustheorie. 216 1. Das Problem des „Hitlerismus" und des „Militarismus". 216 2. Die Grundzüge der strukturgeschichtlichen Zeitgeschichtsschreibung. 223

VI.

Schlußbetrachtung.233

Literaturverzeichnis. 243 1.

Quellen.243 a) Schriften der westdeutschen Historiker (1948-1962).243 b) Sonstige Quellentexte.252

2. Literatur.260

Abkürzungsverzeichnis der Zeitschriften.275 Personenregister.276

Vorwort Über die westdeutsche Geschichtswissenschaft nach 1945 ist ein heftiger Streit

entbrannt. Er hat sich vor allem an zwei wissenschaftsgeschichtlichen Feststellungen entzündet: Der These, daß die in den 1920er und 30er Jahren entwickelte sogenannte „Volksgeschichte" ein Innovationspotential bereitgestellt habe, das den Übergang zu einer modernen Sozialgeschichte in den Nachkriegsjahren wesentlich vorbereitet habe; und dem biografischen Befund, daß einzelne Historiker, die für die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 eine wichtige Rolle gespielt haben, der Weltanschauung und der politischen Programmatik des Nationalsozialismus stärker verbunden gewesen seien als lange Zeit angenommen. Beide Befunde bedürfen weiterer Prüfung und empirischer Fundierung. Sie werfen aber auch beim jetzigen Wissensstand schon eine Reihe weitreichender erkenntnistheoretischer und wissenschaftsethischer Fragen auf. Diese erscheinen um so drängender und beunruhigender, als sie die jüngste Vergangenheit betreffen und damit auch die wissenschaftliche Ausbildung und Sozialisation der gegenwärtig forschenden und lehrenden Historikergeneration unmittelbar oder mittelbar berühren. Erkenntnismotivierendes und -förderndes Engagement des WissenWollens und das erkenntnisklärende und -sichernde Postulat des „sine ira et studio" prallen auf diesem Themenfeld besonders hart aufeinander und drohen sich gegenseitig zu blockieren. Es kann daher nur nützlich sein, wenn die westdeutsche Nachkriegshistorie von einem neuen Frageansatz her untersucht wird, der den biografischen wie den thematisch auf die „Volksgeschichte" fixierten Ansatz zu ergänzen und zu korrigieren geeignet ist. Die vorliegende Arbeit Jin-Sung Chuns fragt nach den kulturellen Leitbildern bei einer ganzen Reihe wichtiger Nachkriegshistoriker, vor allem bei denen, die mehr oder weniger intensiv mit dem Konzept einer „Strukturgeschichte" in Verbindung gebracht werden. Daß diese Historiker, wie etwa Werner Conze, Theodor Schieder, Otto Brunner, Ludwig Beutin, Wolfgang Köllmann, Reinhart Koselleck, Reinhart Wittram, Alfred Heuß in den 50er und frühen 60er Jahren neue geschichtswissenschaftliche Konzepte diskutiert und zum Teil auch praktiziert haben, ist unbestritten. Chuns Arbeit untersucht im einzelnen, welche Vorstellung von der Moderne diese Historiker entwickelt und welche methodologischen Konsequenzen sie daraus gezogen haben. Diese Fragestellung erlaubt es, die Revisionsbereitschaft bzw. die tatsächlichen Revisionsansätze im Denken dieser Historiker der Nachkriegsära unter dem nachwirkenden Eindruck des Dritten Reiches genauer zu erfassen. Dabei zeigt sich, daß es nicht angeht, die „Strukturgeschichte" als bloße Vor- und Übergangsstufe zur sogenannten „Historischen Sozialwissenschaft" zu begreifen. Vielmehr entwickelte sich schon seit den späten 40er Jahren eine breite Theorie- und Methodendebatte, die wesentliche Aprioris der herkömmlichen

10

Vorwort

deutschen geschichtswissenschaftlichen Forschung und Darstellung erschütEine wesentliche Rolle spielte dabei der Rekurs auf das jungkonservative Denken, wie es in den 20er und 30er Jahren u.a. verkörpert etwa in Carl Schmitt, Hans Freyer und Arnold Gehlen hervorgetreten war, und das sich mit der Rezeption des Denkens eines klassischen, überaus erfolgreichen Außenseiters wie Oswald Spenglers verbinden konnte. Die Historiker blieben dabei nicht einfach auf dem Rezeptionsstand der 30er Jahre stehen, sondern adaptierten auch die Nachkriegsschriften dieser jungkonservativen Theorie, die sich ihrerseits den Nachkriegsgegebenheiten weithin anpaßte. Die Pointe dieser wissenschaftsgeschichtlichen Befunde liegt darin, daß die modernitätskritische Theorie der jungkonservativen Autoren und ihre Rezeption durch die Historiker zu einer geschichtswissenschaftlichen Neuorientierung führte, die, ungeachtet der ursprünglich stark kulturkritischen Motivation und Fragestellung der betreffenden Historiker, eine neuartige Zuwendung zur Moderne ermöglichte. Mochte die Bewertung wesentlicher Modernisierungsprozesse wie der Fundamentalpolitisierung seit Aufklärung und Französischer Revolution, der Industrialisierung, der Urbanisierung, der Entstehung des modernen politischen Massenmarktes zunächst durchaus kritisch sein entscheidend wurde, daß damit die Suche nach einer historischen Methodik in Gang kam, die es dann ihrerseits ermöglichte, das für die deutsche Geschichtswissenschaft bis dahin so kennzeichnende und fatale Unverständnis der modernen Gesellschaft zu überwinden.

terte.

-

Wolfgang Hardtwig

Einleitung

I.

Die vorliegende Untersuchung behandelt die kontrovers diskutierte Frage nach innovativen Tendenzen innerhalb der westdeutschen Geschichtswissenschaft der 50er Jahre. Ihr liegt die Überzeugung zugrunde, daß die Historiographiegeschichte wie die Geschichte im allgemeinen erst dann zu ihrer „Historisierung" gelangen, wenn pauschal-moralische Betrachtungsweisen durch eine distanzierte Perspektive überwunden werden. Die erste Periode der Bundesrepublik wurde von den späteren, zumeist demokratisch gesinnten Historikern üblicherweise insgesamt als „Restauration" etikettiert.1 Dabei mußte sich auch die Geschichtswissenschaft derselben Periode den Vorwurf gefallen lassen, „Teil eines umfassenden Restaurationsprozesses" gewesen zu sein,2 deren „methodischer Konservatismus" offen kritisiert wurde.3 In Anknüpfimg an diese Einschätzung wurde kürzlich das Thema der schuldhaften Verstrickung eines großen Teils der Historiker im „Dritten Reich" heftig diskutiert, wodurch die Väter der bundesdeutschen Sozialgeschichte insgesamt als „Vordenker der Vernichtung" denunziert wurden und damit die Wissenschaftlichkeit ihrer gesamten Arbeit in Zweifel gezogen wurde.4 1 Dazu Kurt Sontheimer, Die Adenauer-Ära. Grundlegung der Bundesrepublik, in: Martin Broszat, Wolfgang Benz (Hg.), Deutsche Geschichte der neuesten Zeit vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 1984, S. 136; Jürgen Kocka, 1945: Neubeginn oder Restauration? in:

Carola Stern u. Heinrich August Winkler (Hg.), Wendepunkte deutscher Geschichte 18481990, Frankfurt a. M. 1994, S. 159-192. 2 Hans Mommsen, Betrachtungen zur Entwicklung der neuzeitlichen Historiographie in der Bundesrepublik, in: G. AlfÖIdy, F. Seibt u. A. Timm (Hg.), Probleme der Geschichtswissenschaft, Düsseldorf 1973, S. 125; Hans-Ulrich Wehler, Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung. Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Göttingen 1980, S. 302f. 3 Dieter Hein, Geschichtswissenschaft in den Westzonen und der Bundesrepublik 1945-1950, in: Christoph Cobet (Hg.), Einführung in Fragen an die Geschichtswissenschaft in Deutschland nach Hitler 1945-1950, Frankfurt a. M., 1986, S. 33f. Vgl. Ernst Schulin, Rückblicke auf die Entwicklung der Geschichtswissenschaft, in: Die Funktion der Geschichte in unserer Zeit, hg. v. Eberhard Jäckel u. Ernst Weymar, Stuttgart 1975, S. 15. 4 Siehe dazu Götz Aly, Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne fur eine neue europäische Ordnung, Frankfurt a. M. 1993; G. Aly, Rückwärtsgewandte Propheten. Willige Historiker Bemerkung in eigener Sache, in: ders., Macht, Geist, Wahn. Kontinuitäten deutschen Denkens, Berlin 1997, S. 153f; Karen Schönwälder, Historiker und Politik. Geschichtswissenschaft und Nationalsozialismus, Frankfurt a. M./New York 1992; Angelika Ebbinghaus, Karl Heinz Roth (Hg.), Vorläufer des ,Generalplans Ost'. Eine Dokumentation über Theodor Schieders Polendenkschrift vom 7. Oktober 1939, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. Und 21. Jahrhunderts 7, 1992, S. 62-94; Martin Kröger, Roland Thimme, Die Geschichtsbilder des Historikers Karl Dietrich Erdmann. Vom Dritten Reich zur Bundesrepublik, München 1996; Peter Schöttler (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt a. M. 1997; Mathias Beer, Im Spannungsfeld von Politik und Zeitgeschichte. Das Grossforschungsprojekt „Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa", in: VfZ 46, 1998, S. 345-389: Auf dem 42. Deutschen Historiker-

12

/.

Einleitung

ideologiekritische Verdächtigungen und Pauschalierungen hinterfragt werden, weil sie von einer vermeintlichen Gleichsetzung von politischer Progressivität und wissenschaftlicher „Modernisierung" ausgehen. Es soll hierbei der Tatsache Rechnung getragen werden, daß die lange Zeit selbstverständliche Wertschätzung der „Modernisierung" seit dem geistigen Klimawechsel der 80er Jahre von vielen Seiten in Frage gestellt wurde, sei es durch neokonservative Strömungen im Zuge der „Schmitt-Renaissance" oder durch ästhetizistische Auguren der „posthistoire" bzw. „Postmoderne", oder aber durch zivilisationskritische Ansätze innerhalb der ,Alltagsgeschichte".5 Die vorliegende Arbeit lehnt die modernisierungstheoretisch fundierte Grundannahme einer normativen Wissenschaftsentwicklung ab6 und möchte einen Wirkungszusammenhang zwischen den vorwissenschaftlichen Leitbildern und den fachinternen Diskursen herstellen. Anhand dieses Zusammenhangs soll der Wandel in der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 analysiert werden. Die Arbeit will und kann aber keine umfassende Bilanz der damaligen Geschichswissenschaft ziehen. Vielmehr geht es ihr primär darum, die Grundzüge und Voraussetzungen des neuen Konzepts einer „Strukturgeschichte" im Sinne

Derartig

vage

müssen aber

Werner Conzes zu ermitteln, das einen beträchtlichen Einfluß auf die Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945 ausübte. Das Forschungskonzept „Strukturgeschichte" wurde bislang nicht selten einfach als Vorstufe zur „Historischen Sozialwissenschaft" bewertet.7 Als Paradebeispiel für diese verkürzende Sicht kann vornehmlich Jürgen Kockas Einschätzung der Strukturgeschichte dienen. Kocka paßt die Strukturgeschichte in ein eindimensionales Entwicklungsschema ein, indem er ihr nur ein begrenztes, ihrem

politisch-weltanschaulichen

Horizont

entsprechendes Innovationspotential

tag wurde dieses Thema in der Sektion „Deutsche Historiker im Nationalsozialismus" heftig

diskutiert. (10.Sep.1998, Frankfurt a. M.) Siehe dazu Volker Ullrichs polemischen Zeitungsartikel: Späte Reue der Zunft. Endlich arbeiten die deutschen Historiker die braune Vergangenheit ihres Faches auf, in: Die Zeit, Nr. 39, 17.Sep.1998, S. 53. 5 Zur Schmitt-Renaissance siehe Richard Saage, Rückkehr zum starken Staat? Frankfurt a. M. 1986, S. 86. Zur „posthistoire" siehe Lutz Niethammer, Posthistoire. Ist die Geschichte zu Ende? Hamburg 1989. Zur Postmoderne innerhalb der Geschichtwissenschaft siehe Christoph Conrad, Martin Kessel (Hg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne. Beiträge zur aktuellen Diskussion, Stuttgart 1994. Zur Alltagsgeschichte siehe u. a. Wolfgang Hardtwig, Alltagsgeschichte heute. Eine kritische Bilanz, in: Winfried Schulze (Hg.), Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, Göttigen 1994, S. 19-32. Zur Kritik an der Modernisierungstheorie im Bereich der deutschen Geschichte siehe u. a. Thomas Nipperdey, Probleme der Modernisierung in Deutschland, in: ders., Nachdenken über die deutsche Geschichte, München 1991, S. 52-70; David Blackbourn, Geoff Eley, The Peculiarities of German History. Bourgeois Society and Politics in Nineteenth-Century Germany, Oxford/New York/Toronto 1984. 6 Zur Kritik an der modernisierungstheoretisch geprägten Geschichtswissenschaft siehe Günther Schäfer, Modernisierung der Vergangenheit. Geschichtswissenschaft in der Industriegesellschaft, Hamburg 1990. 7 Wolfgang J. Mommsen, Gegenwärtige Tendenzen in der Geschichtsschreibung der Bundesrepublik, in: GG 7, 1981, S. 155f; Georg G. Iggers, (Hg.), The social History of Politics. Critical Perspectives in West German Historical Writings since 1945, Leamington Spa, 1985; Gerhard A. Ritter, Die neuere Sozialgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland, in: J. Kocka (Hg.), Sozialgeschichte im internationalen Überblick, Darmstadt 1989, S. 26-36.

/.

13

Einleitung

zuweist. Er erkennt der Conzeschen Strukturgeschichte das Verdienst zu, „eine besondere Sehweise" in die Geschichtswissenschaft eingebracht und sie über eine Sektorwissenschaft hinaus als allgemeines methodisches Prinzip der Geschichtswissenschaft, als „integrale Aspektwissenschaft", etabliert zu haben. Er wirft aber zugleich der Strukturgeschichte die „Abwendung von einem materialen Begriff des Sozialen bzw. der Gesellschaft" vor. Von ihren „äußerst formalen Struktur- und Prozeßbegriffen" hebt Kocka seinen eigenen Begriff der Sozialgeschichte ab, die in der Lage sei, eine „inhaltliche Vorstellung" vom gesellschaftlichen Prozeß zu geben.8 Kockas historiographiegeschichtliches Entwicklungsschema beruht dabei auf einer naiven Gleichsetzung der sozial-politischen Ebene historiographischer Praxis und ihrer Wissenschaftlichkeit. Diesem Gewährsmann der „kritischen Geschichtswissenschaft" scheint das Konzept der Strukturgeschichte einerseits „durch sehr viel expliziteren Theoriegebrauch" und andererseits „durch offene und reflektierte Bezugnahme auf praktische, gesellschaftlichpolitische Ziele wie Emanzipation und Aufklärung, Traditions- und Herrschaftskritik" überwanden.9 Die vorliegende Untersuchung möchte mit einem solchen Fortschrittsglauben sozial- und wissenschaftsgeschichtlicher Art brechen und die westdeutsche Strukturgeschichte unter dem Aspekt eines historischen Denkens erklären. Daher soll nicht die Entstehungsgeschichte der Strukturgeschichte herausgearbeitet werden, sondern ihre „Konfiguration" im Geflecht verschiedener Faktoren des historischen Denkens: Die Arbeit untersucht ein damals neuartiges Erkenntnisinteresse eines Teils der Historiker, ihre theoretischen Konzeptionen sowie deren methodische Umsetzungen, aber auch die Darstellungen ihrer Forschungsergebnisse. In dieser Art von Historiographiegeschichte stehen weder einzelne Historiker als Personen noch ihre soziale Bedingtheit oder der institutionelle Rahmen ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit im Vordergrund. Die vorliegende Untersuchung läßt die sozial- und wissenschaftspolitischen Hintergründe historischer Diskurse nicht außer acht, geht allerdings von der Ansicht aus, daß das äußere Umfeld der Geschichtswissenschaft nicht mit ihrer fachimmanenten Entwicklung deckungsgleich ist und gegebenenfalls sogar in Widerspruch zu dieser steht. Für die systematische Rekonstruktion historischen Denkens sind methodologisch vornehmlich Jörn Rüsens Analysemodell der „disziplinären Matrix"10 sowie Horst Walther Blankes Programm der „Historiographiegeschichte als Strukturge8

Jürgen Kocka, Theorieprobleme der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Begriffe, Tendenzen Ost, in: Hans-Ulrich Wehler (Hg.), Geschichte und Soziologie,

und Funktionen in West und Königstein 1984, S. 308.

9

-

Ders., Sozialgeschichte zwischen Struktur und Erfahrung, in: Wolfgang Schieder und Volker (Hg.), Sozialgeschichte in Deutschland, Göttingen 1986, S. 72. Angesichts der „Heraus-

Sellin

forderung der Alltagsgeschichte" verteidigte Jürgen Kocka die Conzesche Strukturgeschichte und beschrieb die bundesrepublikanische Sozialgeschichte als deren Erweiterung: Sozialgeschichte zwischen Struktur und Erfahrung. Die Herausforderung der Alltagsgeschichte, in: ders., Geschichte und Aufklärung, Göttingen 1989, S. 44. Vgl. seinen Kommentar in der Sektion „Deutsche Historiker im Nationalsozialismus" auf dem 42. Deutscher Historikertag. In: HSOZ-u-Kult(Http://geschichte.hu-berlin.de), 15.10.1998. 10 Jörn Rüsen, Historische Vernunft, Göttingen 1983, S. 24f.

14

I.

Einleitung

schichte des historischen Denkens" relevant, sofern sie sich mit dem strukturellen Ganzen eines spezifischen historischen Denkens, und zwar unter Einbeziehung verschiedener inner- und außerwissenschaftlicher Faktoren beschäftigen." Der theoretische Ansatz der genannten Autoren bleibt allerdings für die Erforschung der Historiographiegeschichte in ihrem praktischen Nutzen insofern begrenzt, als er hauptsächlich auf die schematische Stufengliederung von „Paradigmen"12 hin angelegt ist, die von der „Aufklärungshistorie" über den „Historismus" bis zur „Historischen Sozialwissenschaft" reicht. Rüsen und Blanke können keinen direkten Beitrag zur historiographiegeschichtlichen Aufarbeitung der „Strukturgeschichte" liefern, weil sie sie als bloße Übergangsphase bagatellisieren.13 Die nachfolgenden Ausführungen legen dagegen der Strukturgeschichte die Bedeutung eines Kristallisationspunktes des modernen Geschichtsdenkens bei, das im Ganzen durch die Wahrnehmung zunehmenden historischen Wandels geprägt war. Um die Eigenart der Strukturgeschicht herauszustellen, soll das historische Denken der Adenauer-Ära in verschiedenen Etappen ihrer kognitiven Entwicklung als strukturelles Ganzes dargelegt werden. Zur Erfassung der verschiedenen Elemente der deutschen Strukturgeschichte kann die Haltung ihrer Vertreter zur Moderne als eine Art heuristischer Sonde dienen. Es ist bezeichnend, daß diese Historiker große Vorbehalte gegen die Moderne hegten und dennoch unter dem Begriff der Strukturgeschichte die „moderne Welt" als eigenständigen Forschungsgegenstand ihrer Fachwissenschaft etablierten. Diese Diskrepanz zwischen Weltanschauung und wissenschaftlicher Tätigkeit vermag Aufschlüsse hinsichtlich der Frage nach dem Verhältnis von politischer und wissenschaftlicher Orientierung dieser Historiker zu geben. So beleuchtet die vorliegende Untersuchung das Konzept der Strukturgeschichte unter dem Aspekt einer Konfrontation der Historiker mit der Moderne. Hierfür ist eine weitergehende methodische Differenzierung der Begriffe erforderlich. In Abgrenzung zum Terminus der „modernen Welt", einem damals von vielen Historikern verwendeten Begriff, ermöglicht die Kategorie der „Moderne" eine analytische Operation, mit deren Hilfe sich die Gesamtheit ihrer Einstellungen zur modernen Welt rekonstruieren läßt. Gerade weil sich die Fachhistoriker der 50er Jahre dieser Kategorie aufgrund ihrer Abstraktheit sowie ihres

1 ' Siehe Horst Walter Blanke, Typen und Funktionen der Historiographiegeschichtsschreibung. Eine Bilanz und ein Forschungsprogramm, in: W. Küttler u. a. (Hg.), Geschichtsdiskurs, Bd. 1. Grundlagen und Methoden der Historiographiegeschichte, Frankfurt a. M. 1993, S. 201f. 12 Zur Kritik an der geläufigen These vom Paradigmawechsel siehe Konrad Repgen, Kann man von einem Paradigmawechsel in den Geschichtswissenschaften sprechen? in: J. Kocka u. a., Theoriedebatte und Geschichtsunterricht. Sozialgeschichte, Paradigmawechsel und Geschichtsdidaktik in der aktuellen Diskussion, Paderborn 1982, S. 29-78; ders., Methoden- oder Richtungskämpfe in der deutschen Geschichtswissenschaft seit 1945? in: GWU 30, 1979, S. 591610; Irmline Veit-Brause, Zur Kritik an der .Kritischen Geschichtswissenschaft': Tendenzwende oder Paradigmawechsel? in: GWU 35, 1984/1, S. 1-24. 13 Rüsens Arbeiten zur westdeutschen Geschichtswissenschaft bieten kaum mehr als die Vermengung von schillernden metatheoretischen Begriffen und einem monokausalen Entwickungsschema: Grundlagenreflexion und Paradigmawechsel in der westdeutschen Geschichtswissenschaft, in: ders., Zeit und Sinn. Strategien historischen Denkens, Frankfurt a. M. 1990, S. 50-76.

/.

Einleitung

15

weitläufigen Bedeutungsspektrums14 nicht zu bedienen pflegten und den Begriff „moderne Welt" als eine konkrete historische Sachbeschreibung bevorzugten, ist der Begriff der „Moderne" als Kunstgriff, nämlich als methodische Abstraktion ihrer unterschiedlichen Konzeptionen der modernen Welt nützlich. Eine derartige Handhabung der Kategorie der Moderne zielt freilich nicht darauf ab, zu einem normativen philosophischen Konzept der Moderne15 zu gelangen. Es geht vielmehr darum, eine historische Auffassung der Neuzeit nachzuzeichnen, wonach die geschichtliche Entwicklung durch eine Reihe ambivalenter Strömungen, wie Kontinuitäten und Brüche, Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit, Einheitlichkeit und Widersprüche, zu charakterisieren ist.16 Die nachfolgenden Ausführungen sollen konstatieren, daß aus einem derartig ambivalenten Bild der Moderne eine ambivalente Haltung der Historiker zur Moderne resultierte; die Historiker beurteilten einerseits die Moderne kritisch, andererseits wandten sie sich aber deren spezifischen Zügen zu, in denen sie das Ergebnis einer komplexen geschichtlichen Entwicklung und damit den historischen Standort ihrer Gegenwart sahen. Die nachfolgenden Ausführungen gehen näher auf die Frage nach einer inneren Gegensätzlichkeit der Strukturgeschichte, die Ambivalenz zwischen Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation, ein, indem sie die „Transformation" der ambivalenten Sicht der Moderne dieser Historiker von ihren theoretischen Reflexionen der Moderne über die neue Methodendiskussion zur strukturgeschichtlichen Darstellung der modernen Welt nachzeichnen. An den Facetten eines bestimmten Bildes der Moderne läßt sich ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen den theoretischen Reflexionen und den aus der historischen Forschung resultierenden Darstellungen erkennen. Die Trennung dieser beiden Dimensionen ist bis zu einem gewissen Grad künstlich, weil die eine die andere bedingt. Doch dieser Kunstgriff erweist sich dann als lohnend, wenn sich mit seiner Hilfe die innere Spannung eines historischen Denkens ablesen läßt. Das erste Kapitel behandelt das Erkenntnisinteresse der Strukturhistoriker unter Einbeziehung der neukonservativen Deutungsmuster der Moderne. Das zweite Kapitel zeichnet einzelne Theorien über Kernprobleme der Moderne bei den Strukturhistorikern nach, wodurch sich ihre Einstellung zur Moderne herausarbeiten läßt. Das dritte Kapitel behandelt die Methodisierung dieser Theorien unter

14 Dazu Geoff Eleys Einteilung aktueller Bedeutungen des Begriffes der „Moderne": Die deutsche Geschichte und die Widersprüche der Moderne. Das Beispiel des Kaiserreichs, in: Zivilisation und Barbarei. Die widersprüchlichen Potentiale der Moderne. Detlev Peukert zum Gedenken, hg. v. Frank Bajohr, Werner Johe und Uwe Lohalm, Hamburg 1991, S. 23f. Zur Begriffsgeschichte der „Moderne" siehe Hans Ulrich Gumbrecht, Modem, Modernität, Moderne, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck, Bd. 4, 1978, S. 93-131. 15 Siehe dazu Jürgen Habermas, Die Moderne ein unvollendetes Projekt (1980), in: ders., Kleine politische Schriften (I-JV), Frankfurt a. M. 1981, S. 444-464. 16 Zu einer solchen historiographiegeschichtlich relevanten Konzeption der Moderne siehe Winfried Schulze, Ende der Geschichte? Zur Korrektur unseres Begriffs der Moderne aus historischer Sicht, in: Heinrich Meier (Hg.), Zur Diagnose der Moderne, München/Zürich 1990, S. 84. -

16

/.

Einleitung

Berücksichtigung der Diskussion um die „Strukturgeschichte". Das vierte Kapitel schließlich widmet sich historischen Thematisierungen der modernen Welt im Rahmen der deutschen Strukturgeschichtsforschung. Die nachfolgende Analyse bewegt sich insgesamt auf zwei Ebenen: zum einen auf der Ebene der über die Fachgrenzen hinausgehenden sozial- und geschichtstheoretischen Diskussionen, zum anderen auf der Ebene der innerfachlichen methodologischen sowie materialen Diskussionen. Immer wieder wird hierbei die Spannung zwischen Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation zutage treten. Es ergeben sich daher folgende heuristische Leitfragen: 1) Inwieweit sind die Arbeiten der Strukturhistoriker durch eine im Vergleich zur künftigen „Gesellschaftsgeschichte" eher modernitätskritische Einstellung ge-

-

prägt? 2) In welchem Maß bewirkte ihre Konzeption der Moderne einen Innovationsschub der Geschichtswissenschaft auf dem Gebiet methodischer Neuansätze und

historiographischer Leistungen? 3) Zu welcher politischen Orientierung hat das Konzept der „Strukturgeschichte" geführt? Die westdeutsche Geschichtswissenschaft der 50er Jahre wurde bislang nicht unter diesem Gesichtspunkt untersucht. Eine kleine Zahl von historiographiegeschichtlichen Arbeiten behandelt lediglich die weitreichende Identitätskrise der Deutschen nach 1945 und die damit verbundene Selbstbesinnung der Historikerschaft, wobei eine begrenzte Neuorientierung der deutschen Geschichtswissenschaft bezüglich der „Revision des herkömmlichen Geschichtsbildes" konstatiert wurde.17 Das Spannungsverhältnis von Modernitätskritik und wissenschaftlicher Innovation wurde ignoriert oder bestenfalls ansatzweise beachtet. Ein Standardwerk auf diesem Gebiet, Winfried Schulzes »Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945«,18 bietet zwar zum erstenmal einen umfassenden Ausblick auf die Geschichtswissenschaft dieser Periode, verzichtet aber auf die detaillierte Untersuchung der einschlägigen historischen Texte, wobei seine stark wissenssoziologische Herangehensweise den Blick für die immanente „Transformation" des historischen Denkens verstellt. Allerdings ist diesem bahnbrechenden Buch eine ganze Reihe wertvoller Erkenntnisse zu verdanken. Der in den USA veröffentlichte Sammelband »Paths of Continuity. Central European 17 Hans Mommsen, Haupttendenzen nach 1945 und in der Ära des Kalten Krieges, in: Bernd Faulenbach (Hg.), Geschichtswissenschaft in Deutschland. Traditionelle Positionen und gegenwärtige Aufgaben, München 1974, S. 114. Vgl. Bernd Faulenbach, Historische Tradition und politische Neuorientierung. Zur Geschichtswissenschaft nach der „deutschen Katastrophe", in: Walter H. Pehle und Peter Sillem (Hg.), Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945? Frankfurt a. M. 1992, S. 191-204; Ernst Schulin, Zur Restauration und langsamen Weiterentwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, in: ders., Traditionskritik und Rekonstruktionsversuch, Göttingen 1979, S. 133-143; ders., Zur Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Versuch eines Überblicks, in: Von der Arbeiterbewegung zum modernen Sozialstaat. Festschrift für Gerhard A. Ritter zum 65. Geburtstag, hg. v. J. Kocka/ H.-J. Puhle/ K. Tenfelde, München/New Providence/London/Paris 1994, S. 837; Imanuel Geiss, Die Westdeutsche Geschichtsschreibung seit 1945, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte 3, 1974, S. 417-455. 18 Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1993 (2. Aufl.).

/.

Einleitung

17

Historiography from the 1930s to the 1950s«, behandelt das historische Denken in Deutschland ausgehend von der „Volksgeschichte" der 30er Jahre bis hin zur „Strukturgeschichte" der 50er Jahre, wobei eine Kontinuität der deutschen Geschichtswissenschaft über die NS-Zeit hinweg konstatiert wird.19 Öffnet dieser Sammelband durch seine Ablehnung der einfachen Gleichsetzung von politischer Progressivität und wissenschaftlicher Fortschrittlichkeit auch einen neuen Zugang zu diesem Forschungsfeld, so wird sein Verdienst allerdings dadurch geschmälert, daß die Ansichten und Ergebnisse der „großen Männer" der historischen Zunft ohne systematischen Zusammenhang und nur punktuell nachge-

zeichnet werden. Die beiden genannten Werke bilden den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung. Winfried Schulzes These von der „Entnazifizierung des Volksbegriffs" erhellt zunächst die Wurzeln und die Eigenart der deutschen Strukturgeschichte. Nach Schulze stellt die Diskussion um den Strukturbegriff nicht eine Folge der Rezeption der französischen Annales-Schule dar, sondern eher eine „Neuformulierung und Weiterführung von Forschungsansätzen", die „schon vor und während des Dritten Reiches entwickelt worden waren".20 Die These Schulzes verweist aber zugleich auf die Neuartigkeit der Strukturgeschichte, soweit diese durch den Wandel ihrer politischen Wertorientierung, d.h. durch die Aussöhnung der Historiker mit den soziokulturellen Realitäten der westlichen Modernisierung, charakterisiert ist. Vermochte Schulze keinen überzeugenden Zusammenhang zwischen der Veränderung der äußeren Zeitumstände und einer wissenschaftlichen Kontinuität herzustellen,21 so will die vorliegende Arbeit dagegen die besondere Verknüpfung äußerer und wissenschaftsimmanenter Faktoren als den entscheidenden Bestimmungsfaktor für die Konfiguration der Strukturgeschichte untersuchen. Auch James van Horn Meltons Einleitung zu dem genannten amerikanischen Sammelband dient als Ausgangspunkt für diese Untersuchung. Er stellt die nur partiellen Kontinuitätsstränge innerhalb der deutschen Sozialgeschichtsforschung fest. Während Melton die methodische Innovation der 30er Jahre als Gegensatz zur rückwärtsgewandten Ideologie der Volkshistoriker charakterisiert und die Strukturgeschichte der 50er Jahre in diesem Sinne als einen „fundamental shift in the attitude toward modernity" versteht,22 so will die vorliegende Arbeit unter Einbeziehung der geistigen Wende der 20er Jahre, ge19 Hartmut Lehmann u. James Melton (Hg.), Paths of Continuity. Central European Historiography from the 1930s to the 1950s, Cambridge/New York 1994. Die folgende Bemerkung Meltons ist signifikant für den Sammelband: „If it seems odd that a historian basically loyal to the National Socialist dictatorship would have broken with the statist traditions of German historicism, this again reflects a tendency to associate social history with a left-liberal or Marxist political orientation." (S. 280) 20 Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft (wie Anm. 18), 306, 281; ders., Der Wandel des Allgemeinen: Der Weg der deutschen Historiker nach 1945 zur Kategorie des Sozialen, in: Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik, Bd. 6. Teil und Ganzes, hg. v. Karl Acham und

ders., München 1990, S.

197. Siehe Hans Schleiers Rezension dazu. In: Deutsche Literaturzeitung 111, 1990, S. 584-588. 22 James Melton, Introdution: Continuities in German Historical Scholarship 1933-1960, in: Lehmann, Paths of Continuity (wie Anm. 19), 15. 21

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Einleitung

der neuen Denkfiguren des Weimarer „Jungkonservatismus", die nachhaltige Wirkung einer neuen Konzeption der Moderne auf die Historikerzunft nachweisen und damit Meltons Charakterisierung der Strukturgeschichte widerlegen. Sowohl die Strukturgeschichte als auch die Volksgeschichte sollen im bereits erwähnten Spannungsverhältnis zwischen Modernitätskritik und wissenschaftlinauer:

cher Innovation betrachtet werden. Von diesem Gesichtspunkt aus widmet sich die vorliegende Untersuchung der Kontinuität dieser spannungsgeladenen Sicht der Moderne, so daß sich die behauptete Kontinuität der deutschen Geschichtswissenschaft von der Volksgeschichte zur Strukturgeschichte auf diesem Wege nachvollziehen läßt. Dieser Ansatzpunkt eröffnet eine neue Perspektive auf den Zusammenhang von geschichtswissenschaftlicher Kontinuität und Innovation und hebt sich dabei von zwei kontroversen Forschungspositionen ab. Erstens: Die Kontinuität einer konservativen Wertorientierung innerhalb der deutschen Historikerschaft kann noch nicht als hinreichender Beweis für den Innovationsmangel der deutschen Geschichtswissenschaft dienen,23 solange vor allem die Frage nach dem Modernisierungsschub des Nationalsozialismus in verschiedenen soziokulturellen Bereichen unbeantwortet bleibt.24 Zweitens: Umgekehrt kann der Nachweis einer Kontinuität methodischer Ansätze und besonderer Themenstellungen, wie ihn Schulze und die Autoren des genannten amerikanischen Sammelbandes erbringen, ebenfalls noch nicht als Beweis für eine wissenschaftliche „Innovation" angesehen werden, bevor die Geschichtswissenschaft dieses Zeitraums einerseits auf ihren konkreten wissenschaftlichen Ertrag in einzelnen Feldern des Faches und andererseits hinsichtlich des geschichtstheoretischen Fragenkomplexes rund um den „Historismus", wie etwa nach Theorie und Darstellung, individualisierender und generalisierender Verfahrensweise, analysiert worden ist. Unter Bezugnahme auf diese Probleme untersucht diese Arbeit die Wirkung einer spezifischen Modernitätskritik auf die Konfiguration der Strukturgeschichte. Insofern hier von „wissenschaftlicher Innovation" die Rede ist, geht es dabei weder um einen wissenschaftspolitischen Fortschritt noch um den rein wissenschaftlichen Wert historiographischer Leistungen, sondern um die „Transformation" politisch-kultureller Leitbilder in neue disziplinäre Prozeduren und Denkfiguren, die über eine historische Zäsur hinweg von Dauer waren. Es soll hier klargestellt werden, daß die vorliegende Untersuchung „die" Geschichte des geschichtswissenschaftlichen „Fortschritts" von der politischen zur Sozialgeschichte nicht zur Voraussetzung macht. Der Zusammenhang von geschichtswissenschaftlicher Kontinuität und Innovation darf daher nicht monokausal hergestellt werden. Hans-Ulrich Wehler, Zur Lage der Geschichrwissenschaft in der Bundesrepublik 1949-1979, in: ders., Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung (wie Anm. 2), 13-41; Wolfgang Köllmann, Zur Situation des Faches Sozialgeschichte, in: Karl-Heinz Manegold (Hg.), Wissenschaft, Wirtschaft und Technik. Studien zur Geschichte, München 1969, S. 135. Zur Kritik von Seiten der DDR-Historiker siehe u. a. Hans Schleier, Zum Verhältnis von Historismus, Strukturgeschichte und sozial-wissenschfatlichen Methoden in der gegenwärtigen Geschichtsschreibung der BRD, in: Probleme der marxistischen Geschichtswissenschaft. Beiträge zu ihrer Theorie und Methode, hg. v. Ernst Engelberg, Berlin 1972, S. 299-353. 24 Siehe u. a. Herald Welzer (Hg.), Nationalsozialismus und Moderne, Tübingen 1993.

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Einleitung

19

Dieses Vorhaben setzt die Kenntnis der Geschichte der deutschen Volksgeschichtsforschungen und ihrer Vertreter voraus. Dabei stützen sich die folgenden Untersuchungen auf die Ergebnisse der jüngsten Forschungen zur deutschen Geschichtswissenschaft der Zwischenkriegszeit,25 die eine neue Kontroverse um das Innovationspotential der „Volksgeschichte" ausgelöst und trotz der bisweilen zu starken Ideologisierung der Debatte26 immerhin ein „langfristig wirksames Schweigegelübde"27 gebrochen haben. Die vorliegende Untersuchung will einen Beitrag zur Einordnung des historischen Konzepts der „Strukturgeschichte" in die deutsche Historiographiegeschichte leisten. In dieser Zielvorstellung ist der zu untersuchende Zeitraum begründet, der sich auf die Zeit von 1948 bis 1962 beschränkt. Den Beginn dieses Abschnitts der Nachkriegsgeschichte markieren jene Geschichtswerke, die die „Revision des deutschen Geschichtsbildes" einleiteten. Hierzu zählen Friedrich Meineckes »Ranke und Burckhardt«, Hans Freyers »Weltgeschichte Europas«, Ludwig Dehios »Gleichgewicht und Hegemonie«, Gerhard Ritters »Europa und die deutsche Frage« sowie Rudolf Stadelmanns »Deutschland und Westeuropa«. Seit Ende der 50er Jahre kam der Prozeß einer Grundlagenreflexion innerhalb der Historikerschaft zu handfesten historiographischen Ergebnissen, deren wichtigster Teil 1962 in der von Werner Conze herausgegebenen ersten Schriftenreihe des „Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte" »Industrielle Welt« unter dem Titel „Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815-1848" zusammengestellt wurde, mit dem ein neues historiographisches „Paradigma" inauguriert wurde. Andere historische Werke, die vor Beginn dieses Zeitraums entstanden sind, werden nur in Ausnahmefällen in die Untersuchung miteinbezogen, wie etwa die aufgrund ihrer nachhaltigen Wirkung relevanten Arbeiten Franz Schnabels, »Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert« (1929-1937), sowie Otto Brunners »Land und Herrschaft« (1939). Die Abgrenzung des Zeitraums bestimmt im vorliegenden Fall auch den Gegenstand der Arbeit. Die deutsche Strukturgeschichte der 50er Jahre wurde von Historikergenerationen vertreten, deren personelle Kontinuitäten von der Weimarer Zeit bis in die Nachkriegszeit hineinreichten. Diese Kontinuitätsstränge betreffen sowohl die älteren wie auch die jüngeren Historiker. Die folgende Untersuchung rückt drei Historikergenerationen ins Blickfeld, die in der deutschen Geschichtswissenschaft der 50er Jahre eine fuhrende Rolle spielten. Die erste Generation hatte im späten Kaiserreich eine bildungsbürgerliche Jugendzeit erlebt und wurde dann infolge des Ersten Weltkrieges Zeuge eines fundamentalen Umbruchs. Es ist die sogennante „Frontgeneration", zu der Historiker der Jahrgänge um 1890 zählen, die Vertreter der Volksgeschichte wie Hans Dazu bes. Willi Oberkrome, Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918-1945, Göttingen 1933; Westfälische Forschungen 46. Regionale Historiographie im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft, Münster 1996; Ursula Wolf, Litteris et Patriae. Das Janusgesicht der Historie, Stuttgart 1996. 26 Beispielsweise Karl-Heinz Roths Rezension zu Oberkrome, Volksgeschichte, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. u. 21. Jahrhunderts 9, 1994, S. 129-136; siehe oben Anm. 4. 27 Oberkrome, Probleme deutscher Landesgeschichtsschreibung im 20. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 46 (wie Anm. 25), 21. 25

20

I.

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Rothfels, Hermann Aubin und Reinhard Wittram, aber auch die methodisch noch traditionalistisch ausgerichteten Fachhistoriker wie Gerhard Ritter, Franz Schnabel, Hermann Heimpel, Hans Herzfeld, Wilhelm Mommsen, Peter Rassow, Siegfried A. Kaehler, Walther Hofer, aber auch Rudolf Stadelmann. Diese Historikergeneration teilte unbeschadet unterschiedlicher politischer Positionen den „Erfahrungsgehalt einer Generation, die zwei Weltkriege sehr verschiedenen Typus erlebt hat und vor der Gefahr steht, einen dritten erleben zu müssen".28 Die zweite Generation umfaßt die Historiker der Jahrgänge um 1910, zu denen Historiker wie Werner Conze, Theodor Schieder, Otto Brunner, Ludwig Beutin, Wilhelm Treue, aber auch Karl-Dietrich Erdmann und Fritz Wagner zählen.29 Während die Frontgeneration tief im bildungsbürgerlichen Milieu verwurzelt war, zeichnete sich diese jüngere Historikergeneration durch ihre „Sachlichkeit" aus, die sich

ihrem frühen Generationserlebnis ergab: die Weimarer Republik und ihr Scheitern prägten diese Generation nachhaltig.30 Beide Historikergenerationen formulierten ihre wissenschaftlichen Prämissen unter dem Einfluß radikal antimodernistischer Strömungen vor dem Zweiten Weltkrieg. Zur dritten Generation zählen diejenigen Historiker, die ihre akademische Sozialisation schon ganz in der Bundesrepublik erfuhren und die die Entwicklung der bundesrepublikanischen Sozialgeschichtsschreibung initiierten, wie Reinhart Koselleck, Wolfgang Köllmann, Wolfgang Zorn und Wolfram Fischer. Abgesehen von diesen drei Generationen finden zusätzlich die Arbeiten Friedrich Meineckes Eingang in die Untersuchung, dessen Haltung zur „deutschen Katastrophe" sowie dessen Hinwendung zu Jacob Burckhardt einen beträchtlichen Teil der bundesrepublikanischen Historikerschaft stark beeinflußte. Insgesamt behandelt die vorliegende Arbeit nicht nur die Historiker, die durch ihre Ausarbeitung eines jeweils unterschiedlich ausgeprägten strukturgeschichtlichen Ansatzes methodische Innovationen in die Diskussion einbrachten, sondern auch die damals noch wortführenden, eher traditionellen Ansatzes und Methoden folgenden Historiker, deren Stellungnahme zu Notwendigkeit und Möglichkeiten einer „Erneuerung der Geschichtswissenschaft" die radikalen Traditionsbrüche der Strukturhistoriker deutlicher hervortreten lassen. Die vorliegende Arbeit stellt sich allerdings nicht die Aufgabe, eine Gesamtbilanz dieser Historikergenerationen aufzustellen, wofür die Untersuchung von individuellen und kollektiven Biographien erforderlich wäre. Ihre Auswahl ist je nach Kapitel unterschiedlich. Die ersten beiden Kapitel berücksichtigen hauptsächlich die ersten zwei Historikergenerationen, da ein beträchtlicher Teil dieser Historiker im Bannkreis der jungkonservativen Moderniaus

Hans Rothfels, Zur Krise des Nationalstaats, in: VfZ 1, 1953, S. 138. Werner Conze, Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945. Bedingungen und Ergebnisse, in: HZ 225, 1977, S. 12. Otto Brunner ist zwar 1898 geboren, soll aber in diese zweite Historikergeneration eingeordnet werden, weil er in seiner wissenschaftlichen Problemstellung und Tätigkeit mehr Gemeinsamkeit mit dieser als mit der Frontgeneration hatte. 30 Zur geistigen Disposition dieser Historikergeneration siehe Ulrich Herbert, „Generation der Sachlichkeit". Die völkische Studentenbewegung der frühen zwanziger Jahre, in: ders., Arbeit, Volkstum, Weltanschauung. Über Fremde und Deutsche im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1995, S. 31-58.

28

29

I.

21

Einleitung

tätskritik stand und ein anderer Teil eine vergleichbare Sicht der Moderne vertrat. Das dritte und vierte Kapitel widmen sich dagegen hauptsächlich der zweiten und dritten Historikergeneration, und zwar hierbei in erster Linie jenen Forschern, die dem „Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte", dem Zentrum der deutschen

Strukturgeschichtsforschung, angehörten.

Darüber hinaus behandeln die ersten beiden Kapitel verhältnismäßig ausführlich die zeitgenössischen deutschen Sozial- und Kulturtheoretiker, deren systematische Kritik der Moderne den genannten Historikergenerationen die Leitbilder ihrer wissenschaftlichen Arbeit gab. In den Vordergrund tritt dabei Hans Freyer als Verbindungsglied des deutschen Jungkonservatismus und der Volks- und Strukturgeschichtsforschung.31 Danach wird eine Reihe konservativer Autoren, wie Oswald Spengler, Ernst Jünger, Carl Schmitt, Arnold Gehlen, Helmut Schelsky, aber auch Liberale wie Karl Jaspers, Max und Alfred Weber in den Blick gekommen. Gänzlich außer acht bleiben in dieser Arbeit die nach 1933 emigrierten deutschen Historiker wie etwa Veit Valentin, Hajo Holborn, Hans Rosenberg, Felix Gilbert, Dietrich Gerhard, Wolfgang Hallgarten, Ernst Kantorowicz, Hans Baron u.a., weil die Forschungen dieser zumeist linksliberal ausgerichteten Historiker erst seit den 60er Jahren auf die bundesrepublikanische Geschichtswissenschaft einen Einfluß ausübte.32 Unter den emigrierten deutschen Historikern führte fast ausschließlich Hans Rothfels das Wort, dessen konservative Position sich mit dem Habitus der Adenauer-Ära im Einklang befand.33 Ein Wort noch zur Auswahl der Quellen: Der Themenstellung entsprechend dienen als Quelle zum einen veröffentlichte theoretische Schriften der genannten Historiker. Dazu werden hauptsächlich Fachzeitschriften, Sammelbände, historische Nachschlagwerke, aber gegebenenfalls auch Zeitungen herangezogen. Zum anderen werden die Geschichtswerke hauptsächlich im Bereich der neueren und der Zeitgeschichte Deutschlands ausgewertet. Andere historische Bereiche werden dabei nur in bezug auf spezielle Problemstellungen einbezogen, wie etwa Otto Brunners Arbeiten zur frühen Neuzeit oder die „Ostforschung" Hermann Aubins und Hans Rothfels'.34 Drei methodische Bemerkungen seien noch gestattet. Erstens: Die vorliegende Untersuchung zielt auf eine Diskursanalyse ab. Es sollen nämlich die historischen Texte nicht unter Einbeziehung des konkreten soziokulturellen Kontextes, sondern umgekehrt dieser Kontext durch immanente Analyse der Texte herausgear31

Zur

Wichtigkeit

Hans

Freyers

zur

Wiederbegründung

der

Sozialgeschichte

siehe

Jerry

Z.

Muller, The Other God that failed. Hans Freyer and the deradicalization of German Conservatism, Princeton 1987, S. 356f; Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft (wie Anm.18), 261. 32 Winfried Schulze, Refugee Historians and the German Historical Profession between 1950 and 1970, in: Hartmut Lehmann/ James J. Sheehan (Hg.), An Interrupted Past. Germanspeaking refugee historians in the united states after 1933, Cambridge 1991, S. 206-225; Georg G. Iggers, Die deutschen Historiker in der Emigration, in: Bernd Faulenbach, Geschichtswissenschaft in Deutschland, München 1974, S. 97-111. 33 Dazu Conze, Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945 (wie Anm. 29), 15. 34 Dazu u. a. Klaus Zernack, Werner Conze als Osteuropahistoriker, in: Conze, Ostmitteleuropa. Von der Spätantike bis zum 19. Jahrhundert, hg. und mit einem Nachwort von K. Zernack, München 1992, S. 238-248; Ebbinghaus/ Roth, Vorläufer des ,Generalplans Ost' (wie Anm. 4).

22

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Einleitung

beitet werden, womit eine „Intertextualität" von Text und Kontext diskursanalytisch herausgearbeitet werden soll.35 Die nachfolgenden Ausführungen stellen zwar gelegentlich Beziehungen der einschlägigen Diskurse zu den politischkulturellen Rahmenbedingungen der frühen Bundesrepublik sowie zu wissenschaftspolitischen Hintergründen her, konzentrieren sich aber hauptsächlich auf die Textexegese theoretischer Aussagen oder konkreter historischer Darstellungen. Zweitens: Diese Untersuchung behandeln unterschiedliche strukturgeschichtliche Argumentationen, die unterschiedlich motivierte Antworten auf erwiesene fachdisziplinäre Defizite in bestimmen politisch-gesellschaftlichen Konstellationen darstellten. Soweit hier das strukturelle Ganze eines spezifischen historischen Denkens als eigentliches Erkenntnisziel im Vordergrund steht, geht es nicht darum, feine Differenzen zwischen einzelnen Ansichten herauszustellen, sondern vielmehr darum, die ihnen gemeinsamen Züge auszumachen. So stellt sich diese Arbeit nicht die Aufgabe, alle einem jeweiligen Themenkomplex zuzuordnenden Quellen zu untersuchen. Um die „Transformation" des historischen Denkens zu verdeutlichen, will die Arbeit einige markante Argumentionen für jeden Themenkomplex herausarbeiten und damit die allgemeine Haltung der Strukturhistoriker zur Moderne idealtypisch konstruieren. Diese Generalisierung beruht auf der Annahme, daß die Strukturhistoriker der frühen Bundesrepublik weitgehend dem geistig-kulturellen Milieu, des „neuen" Konservatismus, zuzurechnen sind, der nicht mehr wie der „alte" je nach der Konfession divergierte, sondern sich eher generationsübergreifend auswirkte.36 Drittens: In der vorliegenden Untersuchung soll immer wieder die Begriffe „ambivalent" und „Ambivalenz" verwendet werden, die in den neueren historiographiegeschichtlichen Debatten eine gewisse verbale Inflation erlebten. Mit diesen Begriffen ist hier gemeint, daß die Leitlinien, Themenstellungen und Methoden der zu untersuchenden Strukturhistoriker nicht zu einer paradigmatischen Stabilität gelangten, sondern im Zuge eines historiographischen Wandlungsprozesses zwischen Tradition und Innovation, zwischen Modernisierungsskepsis und Modernisierungseu-

phorie pendelten.

Schließlich soll noch einmal betont werden, daß Historiographiegeschichte nicht bloß als Bestätigungsfeld wissenschaftlicher sowie politischer Positionen des Urteilenden fungieren darf. Ihr muß es vielmehr darum gehen, die Geschichtswissenschaft eines bestimmten Zeitraums an ihren eigenen inhaltlichen Präferenzen zu messen und damit einen immanenten Transformationsprozeß herauszustellen. Weil der selbstreferentielle Begriff „Modernisierung" nicht mehr als Urteilsmaßstab der Historiographiegeschichte sowie der Geschichte im allgemeinen dienen kann, sollte der Historiographiehistoriker sich der Frage nach der „inneren Spannung" des historischen Denkens zuwenden, solange eine solche Betrachtung nicht in den Zustand unkritischer Affirmation zurückfällt. Hierfür relevant sind die in den USA ausgeführten Diskussionen um die „intellectual history" Dominick LaCapra, Rethinking intellectual History. Texts, Context, Language, Ithaca 1983. 36 In dieser Untersuchung sollen konfessionelle Merkmale des neuen Konservatismus ausgeklammert werden, da dieser weniger durch eine jeweilige christlich-konfessionelle Ausrichtung als durch eine neue politische Aufbruchstimmung charakterisiert war.

35 :

II. Die westdeutschen Historiker im geistigen Umfeld des deutschen Konservatismus A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus: Geschichtsbetrachtung als kritischer Umgang mit der Moderne 1. Die Kontinuität des ambivalenten Bildes der Moderne vom Weimarer Jungkonservatismus zum Nachkriegskonservatismus

Eine wissenschaftsimmanente Betrachtung der Historiographiegeschichte kann nur ungenügend Auskunft über das historische Denken eines bestimmten Zeitraums geben. Der Historiker steht stets unter dem Einfluß eines bestimmten geistig-kulturellen Umfelds; sein jeweiliges Erkenntnisinteresse ist davon nicht unabhängig. Es entwickelt sich in der Verflechtung von wissenschaftlichen Ansprüchen und außerwissenschaftlichen Orientierungsbedürfnissen. Um das Erkenntnisinteresse der Historiker der 50er Jahre nachzuzeichnen, ist es vor allem notwendig, den spezifischen Charakter des deutschen Konservatismus ins Auge zu fassen, der auf die gesamte Kultur der frühen Bundesrepublik starken Einfluß ausübte. Der deutsche Konservatismus war durch die Forderung nach kultureller und institutioneller Kontinuität sowie durch das Verlangen nach stärker an den Formen der Vergangenheit orientierter kollektiver Identität gekennzeichnet. Dies ergab sich daraus, daß er sich historisch als Reaktion auf die Aufklärung und die Französische Revolution herausgebildet hat.1 Indem er sich einem geschichtlichen Gestaltwandel unterzog und je nach historischer Konstellation „positional" verhielt,2 hielten sich seine Prämissen lange durch. Damit hat sich die deutsche Kultur seit der Entstehung des Konservatismus durch ein Ressentiment gegen die Moderne ausgezeichnet. Die vorliegende Arbeit geht von der Hypothese aus, daß der deutsche Konservatismus vom Ausgang der Weimarer Republik bis zur frühen Bundesrepu1 Eine „historische" Definition des Konservatismus findet sich unter anderem bei Karl Mannheim und Martin Greiffenhagen. Mannheim, Das konservative Denken. Soziologische Beiträge zum Werden des politisch-historischen Denkens in Deutschland, in: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 57, 1927, S. 68-142, S. 470-495; ders., Der Konservatismus. Ein Beitrag zur Soziologie des Wissens, hg. v. David Kettler, Volker Meja und Nico Stehr, Frankfurt a. M. 1984; Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland, München (1971) 1986. Vgl. Kurt Lenk, Deutscher Konservatismus, Frankfurt a. M./New York 1989, S. 13-14, S. 18-22. 2 Zur „positionalen" Definition des Konservatismus siehe Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Der schwierige Konservatismus, in: ders. (Hg.), Konservatismus in Europa, Freiburg 1977, S. 1954. Zu den Kontinuitätslinien des deutschen Konservatismus siehe Lenk, Deutscher Konservatismus (wie Anm. 1), 30f.

// Die westdeutschen Historiker im geistigen

24

Umfeld

buk relativ homogen war. Diese Kontinuität betrifft nicht nur die Personen und ihre politische Denkhaltung,3 sondern vor allem ihre Einstellung zur Moderne. Die deutschen Konservativen jener Jahre lehnten die Moderne nicht mehr bloß feindlich ab, sondern entwickelten darüber hinaus eine in sich widersprüchliche Vorstellung von ihr. Die Kontinuität des deutschen Konservatismus ist also auch historiographiegeschichtlich relevant, weil sich die maßgebliche Historikergeneration der frühen Bundesrepublik in diese Kontinuitätslinie einreihte. Um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen, ist im voraus der Stellenwert der Moderne im Diskurs des deutschen Konservatismus nachzuzeichnen. Hierfür kommt zunächst das modernisierungsskeptische Klima der frühen Bundesrepublik in Betracht, das durch den Begriff „Kulturpessimismus" gekennzeichnet werden kann.4 Mit Schlagworten wie „moderne Technik", „Massengesellschaft", „Entfremdung" usw. nahm eine Vielzahl westdeutscher Intellektueller in den 50er Jahren die tradierte Kulturkritik wieder auf.5 Die von Helmut Schelsky diagnostizierte „skeptische Generation"6 ließ sich kaum auf ein parteipolitisch identifizierbares Engagement ein, sondern verhielt sich in Anlehnung an die überkommene Kulturkritik zur Gegenwart eher skeptisch.7 Diese kulturpessimistische Haltung der Nachkriegsintellektuellen war mit der damals weit verbreitete Rückbesinnung auf den kulturellen Horizont der Weimarer bzw. der Wilhelminischen Zeit verknüpft. Im allgemeinen Kulturverständnis der 50er Jahre kamen nämlich in beträchtlichem Maße traditionelle Wertvorstellungen der Vorkriegszeit wieder zur Geltung. Signifikant ist vor allen Dingen die Wiederbelebung einer als humanistisch verstandenen Tradition des „Abendlandes", die im bürgerlichen Bildungskanon durch das humanistische Gymnasium bis in die Weimarer Zeit vermittelt worden war und die die Nationalsozialisten dann heftig angegriffen hatten.8 -

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Hans Mommsen, Der lange Schatten der untergehenden Republik Zur Kontinuität politischer Denkhaltungen von der späten Weimarer zur früheren Bundesrepublik, in: Karl Dietrich Bracher u. a. (Hg.), Die Weimarer Republik 1918-1933. Politik Wirtschaft Gesellschaft, Bonn 1987, S. 578-579. 4 Ralf Dahrendorf, Kulturpessimismus vs. Fortschrittshoffhung. Eine notwendige Abgrenzung, in: Jürgen Habermas (Hg.), Stichworte zur ,Geistigen Situation der Zeit'. Bd. 1. Nation und Republik, Frankfurt a. M. 1979, S. 213-228. Vgl. Fritz Stern, Kulturpessimismus als politische Gefahr. Eine Analyse nationaler Ideologie in Deutschland, Bern/Stuttgart/Wien 1963; Stephen Kalberg, The Origin and Expansion of Kulturpessimismus. The relationship between public and private spheres in early twentieth centry Germany, in: Sociological Theory 5, 1987, S. 150-164. 5 Axel Schild, Moderne Zeiten. Freizeit, Massenmedien und „Zeitgeist" in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg 1995, S. 326f. 6 Helmut Schelsky, Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend (1958), Düsseldorf/Köln 1963. 7 Hermann Glaser, Die Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Grundgesetz und Großer Koalition 1949-1967, Frankfurt a. M. 1990. 8 Anselm Doering-Manteuffel, Die Kultur der 50er Jahre im Spannungsfeld von „Wiederaufbau" und „Modernisierung", in: Axel Schildt, Arnold Sywottek (Hg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die Westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993, S. 533-540. Vgl. Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauers. Gründerjahre der Republik 1949-1957. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland 1947-1957. Bd. 2., Stuttgart/Wiesbaden 1981, S. 422;

3

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A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

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Vor diesem Hintergrund übten die kulturpessimistischen Grundschriften der Weimarer Zeit einen beträchtlichen Einfluß aus, allen voran Karl Jaspers' Bändchen über »Die Geistige Situation der Zeit« (1931). Das dieses Buch durchziehende „Krisendenken"9 ist aufschlußreich für das Kulturverständnis der 50er Jahre. Jaspers macht den Verlust des „Menschseins" in der Moderne zum Thema. Nach seiner philosophisch prägnanten Analyse ist der moderne Mensch aus der bislang vertrauten Welt ausgeschieden und in einen neuen Zivilisationsapparat hineingezwungen, der sich des Menschen bloß als Mittel bedient. Dadurch entsteht die Gefahr, daß das Menschsein zusehends nivelliert wird und ins „Massendasein" hineingerät, das einen Krisenzustand der menschlichen Existenz darstellt. Dagegen beruft sich Jaspers auf das „Selbstsein", durch das er die Inkommensurabilität des einzelnen Menschen kennzeichnet und seine geistige Disposition als „Adel" hypostasiert. Durch die Herausbildung dieser symbolischen Begriffe versucht Jaspers den Blick auf die „Freiheit" der Menschen in ihrer Selbstentscheidung hinzulenken.10 Jaspers' existenzphilosophische Deutung der Moderne zeichnet sich dadurch aus, nicht die Wiederkehr der vormodernen Weltordnung zu propagieren,11 sondern die Möglichkeiten der Moderne im Blick zu behalten.12 Indem er der elitären Subjektivität größere Spielräume zugesteht, hält er nach den Möglichkeiten der menschlichen Freiheit innerhalb der modernen Welt Ausschau. Seine Berufung auf die elitäre Subjektivität, auf den „Adel", ist dennoch kulturpessimistisch, weil hier eine konkrete Stellungnahme zur Weimarer Republik fehlt13 und insgesamt eher ein „Gefühl der Ohnmacht" zum Ausdruck kommt.14

Alexander Mitscherlich, Humanismus heute in der Bundesrepublik, in: Hans Werner Richter (Hg.), Bestandsaufnahme. Eine deutsche Bilanz, Wien/Basel 1962, S. 135-156. 9 Karl Dietrich Bracher betrachtet das Krisendenken als ein typisches Merkmal der Weimarer Zeit. Bracher zufolge stellt dieser Denktypus die für die deutschen Intellektuellen typische Abwehrhaltung gegenüber der fortschreitenden Modernisierung dar. Er interessiert sich dabei nur fur dessen politische Wirkung auf die Auflösung der Weimarer Demokratie, übersieht aber das in ihm angelegte Deutungspotential der Moderne. Seiner orthodox liberalen Behauptung nach war das Krisendenken nichts anders als eine pessimistische Ausblendung des Neuen und bedeutet somit nur die „intellektuelle Vernachlässigung einer politischen Weltethik": Zeitalter der Ideologien. Eine Geschichte politischen Denkens im 20. Jahrhundert. Stuttgart 1984, S. 207. Mit der Bracherschen funktionalistischen Argumention bleibt allerdings unerklärlich, warum das Weimarer „Krisendenken" in der frühen Bundesrepublik wieder Resonanz fand. 10 Karl Jaspers, Die geistige Situation der Zeit, Berlin (1931) 1947 (5. Aufl.), passim. 11 Diesen offenen Gesichtspunkt Jaspers' erkennt Ralf Dahrendorf nicht an. Dieser denunziert Jaspers' Kulturpessimismus als eine politische Gefahr und die von ihm beeinflußte politische Kultur der Bundesrepublik als „rückwärtsgewandte Modernität": Kulturpessimismus vs. Fortschrittshoffhung (wie Anm. 4), 223. 12 Heiner Bielefeldt, Kampfund Entscheidung. Politischer Existentialismus bei Carl Schmitt, Helmuth Plessner und Karl Jaspers, Würzburg 1994. S. 105. 13 Helmut Fahrenbach, Zeitanalyse, Politik und Philosophie der Vernunft im Werk von Karl Jaspers, in: Dietrich Harth (Hg.), Karl Jaspers. Denken zwischen Wissenschaft, Politik und Philosophie, Stuttgart 1989, S. 145. 14 Jaspers beklagt sich darüber, daß sich der Mensch seiner Epoche an den Gang der Dinge und an den Fluß der Geschehnisse gefesselt fühle, die er früher einmal „zu lenken für möglich hielt: Die geistige Situation der Zeit (wie Anm. 10), S. 6.

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//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

Das Krisengefühl der Intellektuellen angesichts der beschleunigten Modernisierungsprozesse gehörte zu den mentalen Grundlagen für den deutschen „Kulturpessimismus", in dem die ausgeprägte Modernitätsskepsis deutscher

Intellektueller zum Ausdruck kam. Die deutschen Intellektuellen hatten sowohl infolge ihres tendenziellen Funktionsverlustes im modernen Zivilsationsapparat als auch infolge der unmittelbaren Erfahrung der Hyperinflation der 20er Jahre unwiederbringlich an sozialem und geistigem Prestige eingebüßt.15 Vor diesem Hintergrund gewann die konservative Kulturkritik zusehends an Bedeutung.16 In der Weimarer Republik stand die Mehrzahl der Intellektuellen der gesellschaftlichen Modernisierung ablehnend gegenüber, weil sie in ihr den Vorrang des Ökonomischen vor dem Geistigen und somit die eigene soziale Marginalisierung angelegt sah. Mehr und mehr wurde der „Geist" als Gegengewicht zur Kulturkrise der Moderne beschworen.17 Diese Überbetonung des Geistes in den 20er Jahren war im Grunde ebenso kulturpessimistisch wie die Wiederbelebung des Humanismus in den 50er Jahren. Im bewußten Rückzug von der aktuellen politischen Wirklichkeit verdammte die Mehrzahl der Weimarer Intellektuellen jede Art von demokratischer Interessenpolitik und nahm gleichzeitig kompromißlos geistige Freiheit für sich selbst in Anspruch.18 Ihr starkes Ressentiment gegen die westliche Demokratie ist allerdings selbst als politische Reaktion auf die Kriegsniederlage Deutschlands anzusehen. Eine Vielzahl der Weimarer Intellektuellen ignorierte aber die realen Konfliktkonstellationen der Zeit völlig, indem sie die Republik bloß als Verkörperung der Moderne perhorreszierte19 und dabei eine Rückkehr zum „Agrarstaat"20 sowie zum Ideal der „Gemeinschaft"21 anvisierte. Von ihrem antimodernistischen Standpunkt aus beharrte die Mehrzahl der Weimarer In15 Zur Proletarisierung der Intelligenz siehe Fritz K. Ringer, Die Gelehrten. Der Niedergang der deutschen Mandarine 1890-1933, München 1987, S. 62f, S. 223. Vgl. Wolfgang Bialas, Intellektuellengeschichtliche Facetten der Weimarer Republik, in: ders. und Georg G. Iggers (Hg.), Intellektuelle in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 1996, S. 20. Zur Krise der Weimarer Intelligenz siehe Frank Trommler, Verfall Weimars oder Verfall der Kultur? Zum Krisengefuhl der Intelligenz um 1930, in: Thomas Koebner (Hg.), Weimars Ende. Prognosen und Diagnosen in der deutschen Literatur und politischen Publizistik 1930-1933, Frankfurt a. M. 1982, S. 34-53; Heide Gerstenberger, Konservatismus in der Weimarer Republik, in: Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hg.), Konservatismus in Europa, Freiburg 1977, S. 331-346. 16 Ringer, ebenda, S. 225f, 196f. 17 Detlev J. K. Peukert, Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt a. M. 1987, S. 178-190. 18 Zum „unpolitischen Engagement" der Weimarer Intelligenz im Zuge der Kulturkritik siehe Frank Trommler, Verfall Weimars oder Verfall der Kultur? (wie Anm. 15), 52; Wolfgang Bialas, Intellektuellengeschichtliche Facetten (wie Anm. 15), 20f. 19 Frank Trommler, Verfall Weimars (wie Anm. 18), 40. Die Koinzidenz der Republikfeindlichkeit und der antiwestlichen Strömung beleuchtet u.a. Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1962; Bernd Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges. Die deutsche Geschichte in der Historiographie zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, München 1980, S. 122f. 20 Klaus Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindschaft, Meisenheim am Glan 1970, S. 175f. 21 Ringer, Die Gelehrten (wie Anm. 15), 221.

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

27

tellektuellen auf dem traditionellen Denkschema des deutschen Bildungsbürgertums, dem Gegensatz zwischen „Kultur und Zivilisation",22 und stellte sich damit gegen den „Amerikanismus".23 Der Kulturpessimismus bereitete den Boden fur die konservative Kulturkritik und kann damit als ein Anhaltspunkt für die Kontinuität des deutschen Konservatismus angesehen werden. Der Kulturpessimismus ist aber nicht einfach mit diesen Kontinuitätssträngen zur Deckung zu bringen, da er bis ins letzte Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts zurückreicht.24 Die Fortdauer des Kulturpessimismus reicht also nicht aus, um die Kontinuität des deutschen Konservatismus im Zeitraum von der ausgehenden Weimarer Republik bis in die 50er Jahre zu charakterisieren. Darum sind hier geistige Strömungen des „neuen Konservatismus" einzubeziehen, der im Unterschied zum früheren die tradierte Kulturkritik und damit die einfache Ablehnung der Moderne in gewissem Maße überwunden hat.25 Die Wende innerhalb des deutschen Konservatismus wurde durch eine bewußte Wahrnehmung der Moderne ermöglicht.26 In Distanzierung von den „Altkonservativen" brachten die Weimarer „Jungkonservativen"27 einen fundamentalen Bruch mit der Vergangenheit ins allgemeine Bewußtsein, wollten sich damit nicht mehr wie zuvor aus der modernen Welt zurückziehen, son22 23

Ebenda, 84-86.

The Rise und Fall of Americanism in Germany, in: ders. und Joseph McVeigh (Hg.), America and the Germans. An Assessment of a three-hundred-year History, Volume 2, S. 332-342/ dt. Aufstieg und Fall des Amerikanismus im Deutschen, in: ders., Amerika und die Deutschen, Darmstadt 1986, S. 668-672; Walter Laqueur, Weimar. Die Kultur der Republik, Frankfurt a. M./Berlin 1976, S. 53. 24 Ringer, Die Gelehrten, 47f, 62f, 125f; Stern, Kulturpessimismus (wie Anm. 4), 148f, 268. 25 Fritz Stem gibt in seiner bahnbrechenden Studie über den Kulturpessimismus diesem neuen Element innerhalb der deutschen antimodernistischen Denktradition keinen Raum. Das Spezifische des Weimarer Kulturpessimismus besteht seiner Ansicht nach nur in der Verbindung der herkömmlichen antimodernen Kulturkritik und des extremen mythischen Nationalismus. Stern bezeichnet den deutschen Kulturpessimsimus als Weichenstellung der deutschen Kultur, die dem Nationalsozialismus den Weg bereitet habe. Dabei wird ein Defizitkatalog erstellt, der die Verknüpfung des philosophisch ausgerichteten Idealismus mit der illiberalen politischen Kultur, den Vorrang des mystizistischen Nationalismus vor politischer Partizipation, den Sprung von der Unparteilichkeit in den fanatischen Aktivismus registriert. Stems Akzentuierung des dem deutschen Konservatismus angeborenen obskurantistischen Denkens beruht im wesentlichen darauf, daß er seinen Untersuchungsgegenstand auf die Technikkritiker beschränkt, wie etwa Paul de Lagarde, Julius Langbehn und Moeller van den Brück: Kulturpessimismus (wie Anm. 4). 26 Die folgende Bemerkung Detlev Peukerts demonstriert den modernen Charakter des Weimarer Konservatismus: „Nicht Rückständigkeit und besondere Traditionsverhaftung ermöglichten solche Modernisierungskritik, sondern eine bewußte Wahrnehmung der gegenwärtigen Entwicklungstendenzen." Peukert, Die Weimarer Republik (wie Anm. 17), 187. 27 Zu den „Jungkonservativen" siehe Gerstenberger, Konservatismus (wie Anm. 15), 342; Joachim Petzold, Wegbereiter des deutschen Faschismus. Die Jungkonservativen in der Weimarer Republik, Köln 1978, S. 13. Unter „Jungkonservativen" versteht Armin Mohler eine Anzahl von Theoretikern, die sich unter der geistigen Führerschaft von Arthur Moeller van den Brück und Heinrich Freiherr von Gleichen zusammenfanden. Dazu zählen die JuniKlubs, der Tat-Kreis, der Ring-Kreis: Konservative Revolution in Deutschland 1918-1932. Grundriß ihrer Weltanschauungen, Stuttgart 1950, S. 18f.

28

II. Die westdeutschen Historiker im geistigen

dem diese aktiv verändern. Diese

neue

Umfeld

Generation der Konservativen

war

bil-

dungsbürgerlicher Herkunft, begnügte sich aber nicht mehr mit dem klassischhumanistischen Bildungsideal, als sie sich mit der Moderne unmittelbar konfrontiert sah. Dieser „enterbten" Generation ermöglichte das „Fronterlebnis" die Aussicht auf die Umsetzung ihrer konservativen Ideale in der modernen Welt. Dies führte

zum

entschiedenen Bruch mit dem Wilhelminismus und zur eines neuen politischen Archetyps des Kon-

Bemühung um die Ausprägung

servatismus.28 Die Jungkonservativen waren im Grunde der Moderne gegenüber feindlich eingestellt, erkannten aber die moderne Welt als gegebene Realität an.29 Diese Spannung löste sich in einem besonderen Aktivismus. Es war diese für den Konservatismus bislang untypische Interferenz von Krisenbewußtsein und Aktivismus, die die Weimarer Jungkonservativeri von den Altkonservativen endgültig trennte.30 Diese außergewöhnliche Gestalt des Konservatismus schlug sich in der Ideologie der „Konservativen Revolution" nieder.31 Statt der fundamentalen Ablehnung der Moderne hofften die Jungkonservativen, den modernen Zivilisationsapparat zugunsten eines nationalen Wiederaufstiegs zu nutzen.32 Am Ende der Weimarer Republik ging der Kurswechsel des deut28

Zur „Frontgeneration" siehe Stefan Breuer, Anatomie der konservativen Revolution, Darmstadt 1993, S. 33f; Geoff Eley, Konservative und radikale Nationalisten in Deutschland. Die Schaffung faschistischer Potentiale 1912-1928, in: ders., Wilhelminismus, Nationalismus, Faschismus. Zur historischen Kontinuität in Deutschland, Münster 1991, S. 209247; Hermann Lübbe, Ideen von 1914, in: Politische Philosophie in Deutschland. Basel/Stuttgart 1963, S. 173f; Klaus Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, Göttingen 1969, Kapitel II; Klaus Vondung, Deutsche Apokalypse 1914, in: ders. (Hg.), Das Wilhelminische Bildungsbürgertum, Göttingen 1976, S. 153-171. 29 Armin Mohler bringt den ambivalenten Charakter des Jungkonservatismus in der folgenden Bemerkung zur Anschauung: „Die Jungkonservati ven' waren konservativ, weil sie an ewig gleichbleibende, natürliche Werte glaubten, die sie bewahren wollten. Als jung bezeichneten sie sich, weil sie nicht zu wilhelminischen Verhältnissen zurück wollten, sondern ihre Ziele in der Zukunft liegen sahen." Mohler, Konservative Revolution in Deutschland (wie Anm. 27), 18. 30 Nach Heide Gerstenberger beruhte die für den Konservatismus untypische revolutionäre Haltung gegenüber den bestehenden Institutionen auf der generationsspezifischen Erfahrung, bedeutete aber keine Verzicht auf die konservativen Prämissen: Der revolutionäre Konservatismus. Ein Beitrag zur Analyse des Liberalismus, Berlin 1969, S. 31-33. 31 Zum Fortschungsstand siehe Stefan Breuer, Anatomie (wie Anm. 28), Einleitung. Die politischen Kreise, die sich ausdrücklich zur „Konservativen Revolution" bekannt haben, waren im wesentlichen die „Ring-Bewegung" und die Anhänger von Moeller van den Brück. Um die Trägerschaft der Konservativen Revolution zu erfassen, ist die typologische Analyse Armin Mohlers maßgebend. Unter dem Oberbegriff „Konservative Revolution" klassifiziert er die verschiedenen Gruppen der außerparlamentarischen nationalen Opposition je nach ideologischer Gemeinsamkeit in fünf Hauptgruppen; die „Völkischen", die „Jungkonservativen", die „Nationalrevolutionären", die „Bündischen" und die „Landvolkbewegung": Konservative Revolution (wie Anm. 27), 18. Vgl. Roger Wood, Konservative Revolution und Nationalsozialismus in der Weimarer Republik, in: G. Iggers (Hg.), Intellektuelle in der Weimarer Republik (wie Anm. 15), 121-138; ders., The Conservative Revolution in the Weimar Republic, New York 1996. 32 Die Problematik Konservative Revolution und Moderne wurde unter verschiedenen Akzenten zum Thema gemacht. Siehe u. a. Jeffrey Herr, Reactionary Modernism: Technology, ,

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

29

sehen Konservatismus von der politischen Resignation zum Aktivismus eine Liaison mit dem erneut beflügelten Nationalismus ein.33 Die Leitidee dieses neu etablierten Konservatismus, und zwar seine merkwürdige Verbindung von Krisenbewußtsein und Aktivismus, war am prägnantesten in Ernst Jüngers programmatischem Buch »Der Arbeiter« niedergelegt.34 Mit den Altkonservativen teilte Jünger das Unbehagen an der Moderne; er wirft den modernen Großstädten sowie der Industriegesellschaft die Atomisierung der Menschen, die mechanische Abstraktheit des Lebens, die Anarchie der Interessen vor; gleicherweise kritisiert er die wachsende Spezialisierung der modernen Arbeitswelt sowie der Wissenschaft und die ungeheuerliche Naturzerstörung. Er lehnt aber diese Realität nicht ab, sondern sieht in der Moderne die Grundlage für eine ganz neue Welt.35 In Jüngers Sicht der Moderne findet seine Kriegserfahrung deutlichen Niederschlag. In seinen Augen ist die „totale Arbeitsfront" in den modernen Großstädten mit der „totalen Mobilmachung" an der Kriegsfront verwandt. Fasziniert von der totalitären Disposition der Moderne stellt sich Jünger eine neue, gleichsam organisch gewachsene Welt vor, die sich als eine mögliche Alternative zur bürgerlichen Welt erweist.36 Als Träger dieser Welt bezeichnet er den „Arbeiter". Der Arbeiter steht sowohl im Gegensatz zum bürgerlichen Individuum als auch zur modernen Masse; er erweist sich auf der einen Seite als kollektive Macht, als „Typus", sofern er analog zum „namenlosen Soldaten" an der Kriegsfront leistungsorientiert und stets ersetzbar ist und dabei die „maskenhafte Starrheit des Gesichtes" wahrt. Der Arbeiter verkörpert auf der anderen Seite die in die kollektive Macht übertragene heroische Subjektivität, die „Gestalt", von der Jünger das herkömmliche Idealbild des bürgerlich-aufklärerischen Individuums ablösen will.37 So begrüßt Jünger die Auflösung des Individuums in einen Zustand der Anonymität und der Uniformität. Diese erscheint als das „Kennzeichen einer neuen Zeit".38 In voller Anerkennung der Moderne nimmt Jünger eine Umgestaltung der modernen Welt ins Visier. Es ist bemerkenswert, daß Jünger die moderne Technik für sein Projekt nutzbar machen will. Mit starkem Realitätssinn erkennt er das revolutionäre Potential der modernen Technik und fordert Culture, and Politics in Weimar and the Third Reich, Cambridge 1984. Vgl. Rolf Peter Sieferle, Die Konservative Revolution. Fünf biographische Skizzen, Frankfurt a. M. 1995, S. 13-14; Breuer, Anatomie (wie Anm. 28), 180f. 33 Sieferle, Die Konservative Revolution (wie Anm. 32), 33f. 34 Ernst Jünger, Der Arbeiter, 1932/ hier in: Ernst Jünger, Werke, Bd. 6. Essays II, Stuttgart 1960.

35

Ebenda, S. 67, S. 237. Ebenda, S. 127f, S. 176f. Vgl. Oswald Spengler, Preußentum und Sozialismus, München 1924. Siehe dazu Gerstenberger, Konservatismus in der Weimarer Republik (wie Anm. 15), 340, 345. 37 Jünger, ebenda, S. 27f, S. 127f, S. 162f. 38 Ebenda, S. 28. Jüngers Gegenwartsdiagnose wurde seine Wahrnehmung der „totalen Veränderung" geprägt. Daraufzieht die folgende Äußerung: „daß die Zerstörungen dieser Art zu tief und zu begründet sind, als daß man ihnen Einhalt gebieten könnte, und daß man zu neuen Harmonien nicht vordringen kann, ohne durch diese Zerstörung hindurchgegangen zu sein." (S. 234)

36

30

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

dazu auf, sie zu perfektionieren.39 So vollzieht das neue Menschen- und Weltbild Jüngers, sein vom utilitaristischen Technikdenken geprägtes Zukunftsprojekt die für den Weimarer Jungkonservatismus typische Umkehrung der romantischen zur modernistischen Kulturkritik. Es ist aber unangebracht, diesen Aktivismus mit Optimismus gleichzusetzen.40 Obwohl die Weimarer Jungkonservativen unter dem Eindruck des geschichtlichen Umbruchs die tradierte rückwärtsgewandte Kulturkritik überwanden, erschütterte dies in keiner Weise ihr Krisenbewußtsein. Die Hinwendung zur Moderne gründete nicht auf einer Hochschätzung der neuen Zeit, sondern war eine der Verzweiflung geschuldete Flucht nach vorn.41 Hier kam das für die Weimarer Intelligenz typische Gefühl der Ohnmacht zum Ausdruck; der Weimarer Jungkonservatismus löste sich von der kulturpessimistischen Denkfigur nicht vollständig. Im Hintergrund des Aktivismus der Weimarer Jungkonservativen standen kulturpessimistische Grundannahmen.42 Die spezifische Verbindung von Kulturpessimismus und Aktivismus hing also mit der zeitspezifischen Erfahrung zusammen und sollte sich daher nach der Veränderung der historischen Rahmenbedingungen auflösen. Bedeutsam für die spätere Entwicklung des deutschen Konservatismus war dabei, daß sich im Wechselspiel von Kulturpessimismus und Aktivismus ein neues Bild der Moderne präfigurierte. Wie bisher erörtert, wandten sich die Weimarer Jungkonservativen zwar im Grunde gegen die Moderne, erhofften aber nicht mehr die Rückkehr zur Vormoderne, sondern eine „neue" Welt, die der Moderne nachfolgen würde. Es ist markant, daß der deutsche Konservatismus in diesem Stadium auf die Zukunft hin orientiert war. Es ist dabei aber bedeutsam, daß das Zukunftsbild der Jungkonservativen weniger politisch als mythisch geprägt war. Sie stuften die Moderne nämlich als „Zwischengeschichte" (Arthur Moeller van den Brück, Heinrich von Gleichen) ein43 und inaugurierten dabei eine Regeneration des

39Ebenda, S. 166f. Louis Dupeux unterscheidet die „Konservative Revolution" vom „Kulturpessimismus", indem er ihr den Optimismus zuspricht. Dupeux betont, daß die Vertreter der Konservativen Revolution die Wirklichkeit ihrem eigenen Plan gemäß umgestalten wollten. In diesem Zusammenhang unterscheidet Dupeux Ernst Jünger als den Konservativen Revolutionär von Spengler als Übergangsautor zwischen dem Kulturpessimismus und der Konservativen Revolution: ,Kulturpessimismus', Konservative Revolution und Modernität, in: Manfred Gangl, Gérard Raulet (Hg.), Intellektuellendiskurs in der Weimarer Republik. Zur politischen Kultur einer Gemengelage, Darmstadt 1994, S. 293; ders., Nationalbolschewismus in

40

Deutschland 1919-1933, München 1985 (zuerst frz. 1976). Trommler, Verfall Weimars (wie Anm. 15), 46. Vgl. Stern, Kulturpessimismus (wie Anm. 4), 16. 42 Nach Roger Woods beruhte der Gedanke der Konservativen Revolution auf dem zutiefst erschütternden Kriegserlebnis junger Männer. Um den Eindruck eines sinnlosen Krieges zu bewältigen, bemühten sie sich um die Verarbeitung ihrer Erfahrung. Wood behauptet in diesem Zusammenhang ein „vielschichtiges Wechselspiel von Empfindungen des Sinnlosen und des Sinnvollen". In dieser pessimistischen Grunddisposition der Konservativen Revolutionären liegt, so Wood, ihr Unterschied zum Nationalsozialismus: Konservative Revolution und Nationalsozialismus (wie Anm. 31 ), 124-131. 43 Gerstenberger, Der revolutionäre Konservatismus (wie Anm. 30), 34. 41

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

31

„Urgeschichtlichen" (Ernst Jünger).44 Das jungkonservative Zukunftsbild, das sich durch die enge Verflechtung von Kulturpessimismus und Aktivismus auszeichnete, basierte auf einer apokalyptisch-deterministischen Geschichtsvorstellung. Diese kann als Beweis dafür angesehen werden, daß die Zukunftsvorstellung der Weimarer Jungkonservativen im wesentlichen nicht fortschrittliche, sondern eher konservative Züge annahm. Wenn ihre Ge-

schichtsvorstellung wie ihre Zukunftsvorstellung auch ein Reflex ihrer pessimistischen Sicht der Gegenwart war, läßt sich daraus doch ein besonderes Bild der Moderne herauspräparieren, das sich über die Zäsur der nationalsozialistischen Jahre hinaus als tragfähig erwies. Die jungkonservative Geschichtsvorstellung beruhte auf einer damals weit verbreiteten historischen Wahrnehmung. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war in weiten Kreisen davon die Rede, daß das Gefühl der „Geborgenheit" im Gang der Geschichte zerstört worden sei.45 Die apokalyptischdeterministische Geschichtsvorstellung der Weimarer Jungkonservativen läßt sich als Reaktion auf die zeittypische Wahrnehmung des historischen Wandels verstehen. Diese für die Konservativen ungewöhnliche Geschichtsvorstellung war freilich weit entfernt von einer fortschrittsgläubigen Endzeitutopie und trug eher fatalistische Züge. Mit Verzicht auf ein politisch kalkulierbares Zukunftsbild wandten sich die Jungkonservativen dezidiert der Katastrophenerwartung zu46 und näherten sich dabei der mythischen Vorstellung von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen" (Friedrich Nietzsche) an.47 Hierin zeigte sich eine merkwürdige Verkopplung von Ideologischer und zirkulärer Geschichtsvorstellung.48 Dieser Grundzug des jungkonservativen Geschichtsdenkens findet sich vornehmlich bei Oswald Spengler. In Spenglers „Morphologie der Weltgeschichte" artikulieren sich die kulturpessimistischen Prämissen seines Geschichtsdenkens. Der Ausgangspunkt seiner Geschichtsdeutung ist die Erschütterung des Glaubens an den Menschen als Herren der Geschichte. Er zieht den „grenzenlos trivialen Optimismus in bezug auf die Zukunft" ins Lächerliche, nimmt dabei die „Vogelperspektive" für sich in Anspruch, mit der er einen „Untergang des Abendlandes" erkennen

Die mythische Auffassung der Geschichte findet sich vor allem bei Ernst Jünger. Es ist auffallig, daß er den geschichtlichen Rang seiner „neuen" Welt durch die Rückkehr zum „Elementaren" charakterisiert. In den Vordergrund rückt dabei die einheitliche Ordnung der Natur. Sein „Arbeiter" stellt in dieser Beziehung kein historisches Subjekt dar, sondern symbolisiert vielmehr einen Zustand des „Urgeschichtlichen", das dem bürgerlichen Zeitalter nachfolgen würde: Der Arbeiter, S. 214f. Zum „posthistorischen" Charakter des Jüngerschen „Arbeiters" siehe Norbert Bolz, Ästhetik der Posthistoire, in: Gangl, Intellektuellendiskurs in der Weimarer Republik (wie Anm. 40), 257-270. 45 Dietmar Schirmer, Mythos-Heilshoffnung-Modernität. Politisch-kulturelle Deutungscodes in der Weimarer Republik, Darmstadt 1992, S. 91f. 46 Thomas Koebner, Die Erwartung der Katastrophe. Zur Geschichtsprophetie des ,neuen Konservatismus' (Oswald Spengler, Ernst Jünger), in: Koebner, Weimars Ende (wie Anm. 44

15), 348-359. Dazu Mohler, Konservative Revolution (wie Anm. 27), 146, 48 Schirmer, Mythos (wie Anm. 45), 95. 47

104f.

32

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

können glaubt.49 Sein Zukunftsbild ist in dieser Hinsicht sehr düster. Apodiktisch stellt Spengler den historischen Übergang von der Phase der „Kultur" zur Phase der „Zivilisation" fest, die für ihn als das letzte Stadium eines dem Untergang zutreibenden Kulturkreises gilt.50 Die Zivilisation der Zukunft charakterisiert er als das „Zeitalter der Riesenkämpfe".51 Spengler scheinen die Bestrebungen absurd, diesem unvermeidbaren Untergangsprozeß entgehen zu wollen. Er fordert seine Zeitgenossen vielmehr dazu auf, ihm „heroisch" zu begegnen.52 Statt auf eine historisch-politische Alternative hinzuweisen, bemüht er sich darum, die „erhabene Sinnlosigkeit" der Geschichte zur Schau zu stellen, wobei die Kategorie des „Schicksals" in den Mittelpunkt rückt.53 Diese fatalistische Vision Spenglers ist dabei mit seiner Beschwörung des Mythos verknüpft; er sieht den typischen Zivilisationsmenschen im Großstadtbewohner, den er abschätzig als „Masse", „Nomaden", „Parasiten" bezeichnet, wohingegen er das Bauerntum als geschichtsloses Wesen hervorhebt.54 Obwohl Spengler nicht auf eine Rückkehr zu agrargesellschaftlichen Zuständen bedacht ist, dient ihm die mythische Gestalt des Bauern unverkennbar als nachhistorischen Orientierungspunkt. Am Beispiel Oswald Spenglers wird wiederum die jungkonservative Geschichtsvorstellung deutlich, die zwischen fatalistischer Erwartung der Katastrophe und der Aussicht auf den nachhistorischen Ruhezustand pendelte. Im Diskurs des Jungkonservatismus stellte das Interesse an der Geschichte nicht mehr wie zuvor nur ein Unbehagen an der Moderne dar, sondern einen besonders radikalisierten, fundamentalen Zweifel an den bisher als selbstverständlich angesehenen politisch-kulturellen Zielorientierungen, Utopie oder Tradition. In bezug auf den unten näher zu analysierenden Konservatismus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist hier zu bemerken, daß die Jungkonservativen nicht nur die Moderne, sondern auch die Vormoderne, schließlich die Geschichte überhaupt in Frage stellten. So sehr sich die Jungkonservativen in radikaler Weise der jüngeren Nationalgeschichte Deutschlands verweigerten, so sehr beschworen sie einen völkischen bzw. rassischen Mythos herauf.55 Eine solche beinahe geschichtsfeindliche Tendenz56 demonstriert, daß die jung-

zu

49

Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, Bd. 1. Gestalt und Wirklichkeit, München 1923, S. 29f. 50 Ebenda, S. 42f. 51 Ebenda, S. 49f. Siehe Walther Lammers, Die Herkunft des historischen Krisenbewußtseins, in: Geschichtliche Landeskunde und Universalgeschichte. Festgabe für Hermann Aubin zum 23. Dezember, Hamburg 1950, S. 47-53. 52 Dazu Gilbert Merlio, Der sogenannte .heroische Realismus' als Grundhaltung des Weimarer Neokonservatismus, in: Gangl, Intellektuellendiskurs (wie Anm. 40), 271-285; ders., Oswald Spengler. Témoin de son temps, 2. Bd. (Stuttgart 1982). 53 Spengler, Der Untergang des Abendlandes (wie Anm. 49), Bd. 1, II. Kapitel, 2. Abschnitt: Schicksalsidee und Kausalitätsprinzip, 154-210. 54 Ebenda, Bd. 2. Welthistorische Perspektiven, S. 104f. 55 Gerstenberger, Konservatismus in der Weimarer Republik (wie Anm. 15), 343. 56 Siehe Kurt Nowak, Antihistoristische Revolution. Symptome und Folgen der Krise historischer Weltorientierung nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland, in: Horst Renz, Friedrich Wilhelm Graf (Hg.), Umstrittene Moderne (Troeltsch Studien, Bd. 4), GUtersloh 1987, S. 133-171. Nowak zufolge markiert die Gegenbewegung gegen den Historismus als eine

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

33

konservative Geschichtsbetrachtung nichts anders als ein stark kulturpessimistisch geprägter politisch sinnloser, aber doch ideell völlig neuartiger Umgang mit der Moderne war; die Jungkonservativen dachten im Unterschied zu den Altkonservativen den unausweichlichen Bruch mit der Vergangenheit zu Ende und tendierten demzufolge paradoxerweise dazu, der Moderne einen Wert als ganz neuer Etappe der Geschichte zuzuerkennen. Daraus kann gefolgert werden, daß die Weimarer Jungkonservativen eine ambivalente Sicht der Moderne entwickelten: Zum einen begriffen sie die Moderne als Krise und lehnten sie ab, zum anderen beobachteten sie aber ihre geschichtlich beispiellosen Veränderungsschübe mit realistischem Blick. Diese Zwiespältigkeit bildete den Boden der jungkonservativen Kulturkritik. Sie war nicht rückwärtsgewandt, solange sie mit Aktivismus verbunden war, und trotzdem weniger optimistisch als pessimistisch getönt. Diese generationsspezifische Denkfigur wirkte bis in die 50er Jahre nach. Bevor im folgenden der deutsche Nachkriegskonservatismus beleuchtet wird, ist es notwendig, die oben aufgestellte Hypothese hier noch einmal klar zu machen. Die Kontinuität des deutschen Konservatismus im Zeitraum von der ausgehenden Weimarer Republik bis in die frühen Jahre der Bundesrepublik läßt sich daran erkennen, daß eine beträchtliche Anzahl der konservativen Intellektuellen infolge ihrer generationsspezifischen Erfahrung das dargestellte ambivalente Bild der Moderne teilte und es über den historischen Bruch von 1945 hinweg tradierte. -

-

2. Die Übernahme der jungkonservativen Modernitätskritik durch die Nachkriegskonservativen

Die

jungkonservative Kulturkritik wurde vom Nachkriegskonservatismus größtenteils übernommen. Da die deutschen Konservativen infolge ihrer Enttäuschung durch den Nationalsozialismus von ihrem früheren Aktivismus Abstand genommen hatten, rückten nunmehr die kulturpessimistischen Prämissen in den Vordergrund, die dem „neuen" Konservatismus innewohnten. Diese Akzentverschiebung bedeutete keineswegs einen Kontinuitätsbruch im deut-

schen Konservatismus. Indem sich die Mehrzahl der deutschen Konservativen nach dem Zusammenbruch Deutschlands aus verstärktem Krisenbewußtsein

neuzeitlich-moderner Weltorientierung die spezifische geistige Disposition des 20. Jahrhunderts. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert sei der bisherige Glaube an eine Harmonie des Individuums mit der ihm umgebenden historischen Welt angesichts der sich immer verstärkenden despersonalisierenden Kräfte wie Determinismus, Naturalismus, Kapitalismus, Bürokatie und Industrie aufgegeben und durch eine enthistorisierte Individuumsauffassung ersetzt worden. Diese „antihistoristische Revolution" stelle insofern einen offenen Bruch mit dem neuzeitlich-modernen Bewußtsein dar, als sie sich auf eine geschichtsunvermittelte „Totalität" berufen habe, in der sich sowohl das emphatisch exponierte Individuum als auch Kolletivindividuen wie Volk, Staat, Klasse, Nation nicht als historisches Subjekt, sondern als Träger des Willens, der Tat, der Entscheidung behaupten sollte. Unter diesem Aspekt schenkt Nowak der literarischen Frühschrift Hans Freyers »Antäus« besondere Aufmerksamkeit, eine Schrift, die den antäisch-herakleischen Menschen als originales Zentrum immer neuer Totalität begriff.

Ausgangsform

34

II. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

heraus auf die Kulturkritik stützte,57 die sich von einer fatalistischen Zukunftsvorstellung heraus losgelöst hatte und statt dessen mit nüchterner Selbstbesinnung verknüpft war, kam die ambivalente Sicht der Moderne erst recht zur

Geltung.

Der deutsche Nachkriegskonservatismus bewegte sich allerdings in einem ganz neuen politischen Rahmen, und damit ergaben sich neue Anknüpfungsund Streitpunkte. Während in der kulturkritischen Diagnose der Moderne linke Intellektuelle den Konservativen den Rang streitig machten,58 stellten sich die Nachkriegskonservativen in bewußter Abgrenzung dazu den „modernen" westlichen Werten zunehmend positiv gegenüber.59 Der Nachkriegskonservatismus profitierte von dem allgemeinen Sicherheits- und Ruhebedürfnis seiner Zeit. Im Anschluß an die damals weit verbreitete Stimmung von „Pessimismus

und Resignation" (Helmut Schelsky) beriefen sich die Konservativen fortan auf die individuelle Freiheit. Sie stellten dabei die Notwendigkeit heraus, den westlichen Teil Europas unter Führung der USA vor dem sowjetischen „Osten" in Schutz zu nehmen.60 Angesichts des Kalten Krieges akzeptierten die meisten westdeutschen Konservativen die westliche liberale Demokratie.61 Dieser Kurswechsel des deutschen Konservatismus ist aber nicht als Veränderung seiner Grundauffassung, sondern eher als politische Anpassung an die von der Adenauer-Regierung eingeleitete „Westintegration" anzusehen. Die westdeutschen Konservativen dieser Jahre waren immer noch nicht zur vollen Bejahung der Moderne bereit, und ein guter Teil von ihnen orientierte sich weiter an der traditionellen Gegenüberstellung von Kultur und Zivilisation, von Hochkultur versus Massenkultur. Die politische Kultur der Bundesrepublik zeichnet sich in dieser Hinsicht durch die Spannung zwischen Bejahung der Westintegration und gleichzeitiger Skepsis gegenüber westlichen Normen aus.62 Die Kontinuität vom Jungkonservatismus zum Nachkriegskonservatismus ließe sich an vielen Persönlichkeiten demonstrieren. Für die westdeutschen Historiker der 50er Jahre kann unzweifelhaft der prominente Soziologe Hans Freyer als Schlüsselfigur gelten. Seine intellektuelle Wandlung vom Anhänger eines revolutionären zu dem eines liberalen Konservatismus sowie seine beharrliche Problematisierung der Moderne erhellen die konsistente Entwicklung 57 Karl Dietrich Bracher, Zeit der Ideologien. Eine Geschichte politischen Denkens im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1984, S. 289. 58 Schild, Moderne Zeiten (wie Anm. 5), 330. 59 Zur Aussöhnung des deutschen Nachkriegskonservatismus mit dem westlichen Liberalismus siehe Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus (wie Anm. 1), 306-307. Vgl. Schild, Ende der Ideologien? Politisch-ideologische Strömungen in den 50er Jahren, in: ders. u. Arnold Sywottek (Hg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die Westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, 633; Jürgen Habermas, Die Kulturkritik der Neokonservativen in den USA und in der Bundesrepublik, in: ders., Die neue Unübersichtlichkeit, Frankfurt a. M. 1985, S. 41; Richard Saage, Rückkehr zum starken Staat? Frankfurt a. M. 1983, S. 230f. 60 Schild, Moderne Zeiten, 333f, 398f. 61 Bracher, Zeit der Ideologien (wie Anm. 57), 288-289. 62 Schildt, Moderne Zeiten, 326f; Martin Greiffenhagen, Von Potsdam nach Bonn. Zehn Kapitel zur politischen Kultur Deutschlands, München 1986, S. 187f.

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

des deutschen Konservatismus

jenes Zeitraums,

onsspezifischen Zügen.63 Wie andere Jungkonservative

und

zwar

in seinen

35

generati-

stammte Hans

Freyer aus dem Bildungsbürtraditionellen Gottesglauben frühzeitig vom Berufsweg eines protestantischen Pfarrers ab und nahm dann an der Jugendbewegung teil, die bekanntlich durch ein beträchtliches Maß an Kulturpessimismus getragen wurde.64 Der Erste Weltkrieg trug zu seiner ausdrücklichen Politisierung bei. Das Kameradschaftserlebnis des „Schützengrabens" schien ihm auf die Überwindung seiner Unzufriedenheit mit der Wilhelminischen Reichskultur in Aussicht zu stellen. Der Krieg erschien ihm als ein historischer Wendepunkt, der einen Bruch mit der individualistischen und egoistischen Ära herbeiführen und die Entstehung einer „Volksgemeinschaft" im Gegensatz zur bestehenden „Klassengesellschaft" ermöglichen würde.65 So wandte sich Freyer von der pessimistischen Kulturkritik ab. Seine Berufung auf das „Volk" stellte dabei keine romantische Sehnsucht nach der vormodernen Welt dar. In der Freyerschen Terminologie erwies sich das Volk zwar als überhistorische Entität und bildete somit die Grundlage kollektiver Identität; zugleich hob Freyer aber das Volk als das historische Subjekt hervor, das als offener Gegenspieler gegen das System der industriellen Gesellschaft dienen sollte.66 Dies führte dabei Aufruf zur „Revolution von rechts".67 Seine Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus brachten Freyer aber bereits im „Dritten Reich" dazu, sich allmählich vom Aktivismus abzuwenden und zu kulturpessimistischen Positionen zurückzukehren. In der Nachkriegszeit versuchte er sodann eine Erneuerung konservativer Grundwerte zu initiieren, indem er sich bemühte, den deutschen Konservatismus mit der westlichen Liberaldemokratie zu versöhnen. Es ist signifikant, daß sich damit sein Interessenschwerpunkt vom Volk zum Individuum verlagerte.68 Mit Nachdruck gertum, löste sich wegen des Zweifels

63

am

Dieser Versuch, Freyer als Schlüsselfigur des deutschen Konservatismus von den 20er bis in die 50er Jahre zu bestimmen, stützt sich auf die Arbeit Jerry Z. Mullers, The Other God that failed. Hans Freyer and the deradicalization of German Conservatism, Princeton 1987, insbes. S. 18. Vgl. René König, Nekrolog auf Hans Freyer, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg. 21, 1969, S. 438f. 64 Muller, ebenda, S. 30f; Elfriede Üner, Jugendbewegung und Soziologie. Wissenschaftssoziologische Skizzen zu Hans Freyers Werk und Wissenschaftsgemeinschaft bis 1933, in: Rainer M. Lepsius (Hg.), Soziologie in Deutschland und Österreich 1918-1945. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 23, 1981, S. 131-159. 65 Ebenda, S. 58f. Siehe Freyer, Das geschichtliche Selbstbewußtsein des 20. Jahrhunderts, Leipzig 1937. 66 Muller, ebenda, S. 49f, S. 20lf. Zum Begriff „Volk" und seiner Geschichte siehe die grundlegende Arbeit von Reinhart Koselleck, Volk, Nation, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, hg. v. Brunner, Conze, ders., Bd. 7, Stuttgart 1992, S. 141-431, insbesondere S. 389f; Kurt Sontheimer, Antidemokratisches Denken (wie Anm. 19), 244-250. 67 Muller, ebenda, S. 199. Siehe Hans Freyer, Revolution von rechts, Jena 1931. 68 Muller, ebenda, S. 339. Siehe Freyer, Das soziale Ganze und die Freiheit des Einzelnen unter den Bedingungen des industriellen Zeitalters, in: HZ 183, 1957, S. 97-115; ders., Bildung durch die Geisteswissenschaften. Ober Sinn und Recht der humanistischen Bildungsidee im industriellen Zeitalter (SV-Schriftenreihe zur Förderung der Wissenschaft, 1960/III). Zum Stellungswechsel Freyers in der Nachkriegszeit siehe Richard Saage, Von der

36

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

verweist er auf die dem modernen Gesellschaftssystem immanente „Totalität" und auf die Gefahr der menschlichen Entfremdung, die weniger der westlichen als der östlichen Welt inhärent sei.69 Im Appell an die individuelle Freiheit empfiehlt er deshalb seinen Zeitgenossen, das System der modernen Industriegesellschaft nicht zu stürzen, sondern ihm „Widerstände" entgegenzubringen.70 In seinen Nachkriegsschriften klingt deutlich ein resignierter Ton an.71 Trotz der Akzentverschiebung änderte sich keineswegs seine kritische Attitüde gegenüber der Moderne. In der Nachkriegszeit betonte er erneut, daß die Moderne jede besondere Institution und gar die historische Kontinuität überhaupt zu zerstören tendiere.72 Es wäre gewiß nicht zu spekulativ, aus seiner Kulturkritik das dargestellte ambivalente Bild der Moderne herauszupräparieren, das von der Weimarer Zeit bis in die 50er Jahre hinein in Geltung blieb. Freyer verstellte sich keinesfalls den Blick für die Moderne, verzichtete aber auch niemals auf seine kritische Grundhaltung. So sehr sein revolutionärer Konservatismus der Weimarer Zeit eine romantische Blindheit gegenüber der Moderne hinter sich gelassen hatte, so sehr faßte sein liberaler Konservatismus der Nachkriegszeit in gleichem Maße die Gefährdung der individuellen Autonomie durch die Moderne kritisch ins Auge. Freyers Bedeutung als Identitätsfigur der „Frontgeneration" war in einer neuen Vorrangstellung der Soziologie begründet. Unter dem Eindruck des raschen Wandels der deutschen Gesellschaft griff ein Teil der deutschen Soziologen der Zwischenkriegszeit unter dem Motto „Anti-Soziologie" das herkömmliche Verständnis der Soziologie als „Legitimationswissenschaft" an und proklamierte dabei eine „deutsche Soziologie". Diese stellte sich dem überkommenen Wertfreiheitsparadigma der modernen Wissenschaft entgegen und machte es sich zur Aufgabe, das „soziale Ganze" zu erfassen, das die „Industriegesellschaft" dem deutschen „Volke" geraubt hatte.73 Die antimodernistische, „deutsche" Soziologie der Zwischenkriegszeit, die sich durch derartige ganzheitstheoretische Ansätze auszeichnete, markierte einen enormen Bedeu„Revolution von rechts" zum technokratischen Konservatismus. Anmerkungen zu Hans Freyers Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Industriegesellschaft, in: ders., Rückkehr zum starken Staat? (wie Anm. 3), S. 202-227.

Seine Kulturkritik der Nachkriegszeit kristallisiert sich in seiner »Theorie des gegenwärtigen Zeitalters« (1955) heraus. Zum Stellenwert dieses Buches im Nachkriegskonservatismus siehe Saage, Von der „Revolution von rechts" (wie Anm. 68), 214f. 70 Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S. 170f. 71 Dazu Eckart Pankoke, Technischer Fortschritt und kulturelles Erbe. Hans Freyers Gegenwartsdiagnosen in historischer Perspektive, in: GWU 21, 1970, S. 143-151. 72 Muller, The Other God (wie Anm. 63), 23. Siehe Freyer, Das industrielle Zeitalter und die Kulturkritik, in: H. Walter Bahr (Hg.), Wo stehen wir heute? Gütersloh 1960, S. 197-206. 73 Dazu Otthein Rammstedt, Theorie und Empirie des Volksfeindes. Zur Entwicklung einer „deutschen Soziologie", in: Wissenschaft im Dritten Reich, hg. v. Peter Lundgreen, Frankfurt a. M. 1985, S. 255-256; ders., Deutsche Soziologie 1933-1945. Die Normalität einer Anpassung, Frankfurt a. M. 1986; Helmut Schelsky, Zur Entstehungsgeschichte der bundesdeutschen Soziologie. Ein Brief an Rainer Lepsius, in: ders., Rückblicke eines „Antisoziologen", Opladen 1981, S. 11-69. Zur Soziologengeneration der Bundesrepublik siehe Ralf Dahrendorf, Soziologie und Nationalsozialismus, in: Andreas Flitner (Hg.), Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus, Tübingen 1965, S. 121. 69

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

37

der Soziologie im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften, aber auch auf politischem Terrain. Der Aufstieg der Soziologie seit der Weimarer Zeit wurde durch eine Reihe der dem jungkonservativen Milieu entstammenden Soziologen bzw. Sozialwissenschaftler getragen, die sich im Umkreis der sogenannten Leipziger Schule zusammenfanden, so wie Hans Freyer und seine Schüler Arnold Gehlen, Helmut Schelsky, Gunter Ipsen, aber auch Carl Schmitt. Diese Hauptfiguren der „deutschen Soziologie" verloren in der Nachkriegszeit keineswegs an Einfluß. Indem sie ihre ganzheitstheoretisch fundierte Modernitätskritik in einem veränderten politisch-kulturellen Rahmen erneuerten, spielten sie die entscheidende Rolle in der Fortentwicklung des „neuen" Konservatismus, der die Kultur der frühen Bundesrepublik zutiefst beeinflußte.74 Die Kontinuitätsstränge des deutschen Konservatismus lassen sich sowohl anhand führender Persönlichkeiten als auch anhand beharrlich durchgehaltener Themen nachvollziehen. Kennzeichnend sind die Diskussion um „Vermassung" und „Person". Die Vermassungskritik hatte als Hauptangriffspunkt der Weimarer Konservativen gegenüber der Moderne gegolten und wurde von den Nachkriegskonservativen weitgehend übernommen. Allerdings hatte die Vermassungskritik der 50er Jahre eine veränderte politische Implikation. Die Rede vom „Aufstand der Massen", die Verhöhnung der „Durchschnittsmenschen" und die Klage über den „Kulturverfall" in der modernen Welt,75 zielte in den 50er Jahren spezifisch auf die Kritik des „Totalitarismus" ab.76 Dabei wurde an die menschliche Freiheit als Gegenpol zum Totalitarismus appelliert. Diese Schwerpunktverlagerung der Vermassungskritik der 50er Jahre verweist aber nur auf die Änderung ihrer politischen Rahmenbedingungen. Die modernitätskritischen Prämissen wurden zwar von einigen konservativen Sozialphilosophen teilweise revidiert,77 aber die innovativen Ansätze waren bereits bei den Weimarer Jungkonservativen zur Geltung gekommen, so wie die

tungsgewinn

74

Dazu Rainer M. Lepsius, Die Soziologie der Zwischenkriegszeit: Entwicklungstendenzen und Beurteilungskriterien, in: ders. (Hg.), Soziologie in Deutschland und Österreich 19181945. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 23, 1981, S. 2569; ders., Die Entwicklung der Soziologie nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 bis 1967, in: Günther Luschen (Hg.), Deutsche Soziologie seit 1945. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 21, 1981, S. 25-69; René König, Zur Soziologie der 20er Jahre, in: Leonhard Reinisch (Hg.), Die Zeit ohne Eigenschaften. Eine Bilanz der zwanziger Jahre, Stuttgart 1961, S. 82-118; Jerry Z. Muller, Enttäuschung und Zweideutigkeit. Zur Geschichte rechter Sozialwissenschaftler im Dritten Reich, in: GG 12, 1986, S. 289-316; Elfriede Üner, Soziologie als „geistige Bewegung". Hans Freyers System der Soziologie und die „Leipziger Schule", Weinheim 1992; Hermann Glaser, Die Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a. M. 1990, S. 192. 75 José Ortega y Gasset, Der Aufstand der Massen, Stuttgart 1949, S. 64f, S. 82f. 76 Kurt Lenk, Deutscher Konservatismus (wie Anm. 1), S. 197f. 77 Arnold Gehlen, Mensch trotz Masse, in: Wort und Wahrheit, Jg. 8, 1952, S. 579-594. Axel Schildt macht auf die soziologischen Bemühungen um eine Differenzierung der Vermassungstheorie aufmerksam. Diese Bemühungen findet er im Umkreis der Soziologen der sogenannten Leipziger Schule. Sie seien gegen die These der „Seelen-Uniformierung" gewesen und hätten auf die „bunteste Vielzahl informeller Gruppierungen quer durch die Großorganisation hindurch" und auf „Vertrauensbeziehungen" hingewiesen: Moderne Zeiten (wie Anm. 5), 344f.

TV. Die westdeutschen Historiker im geistigen

38

Umfeld

Vermassungskritik Ernst Jüngers nicht zur Beschwörung eines vormodernen Menschentypus, sondern im Gegenteil zum Entwurf des modernen „Typus" des Arbeiters geführt hatte. Die Vermassungskritik der Nachkriegskonservativen und ihr Rückzug auf die „Person" zeichneten sich durch ein dem Konservatismus eigenes Elitebewußtsein aus.78 Hier kam unverkennbar die von den Weimarer Jungkonservativen eingeführte Zwiespältigkeit der Bewertung der Moderne ins Spiel. Als Beispiel können vor allem die kritische Gegenwartsdiagnose Arnold Gehlens und sein Appell an die „Persönlichkeit" angesehen

werden. Arnold Gehlen, der sich als sozialpsychologischer Philosoph im Dritten Reich einen Namen gemacht hatte und dessen konservative Anthropologie und Kulturkritik in der Adenauer-Ära besonderen Einfluß gewann, beleuchtet das moderne Massendasein kritisch, indem er es auf die neue „Kulturschwelle" der Moderne zurückführt.79 Die moderne Kultur sei aufgrund ihrer Unsinnlichkeit, Abstraktheit und Leistungsorientierung aus ihren inhaltlichen Zusammenhängen sowie aus der organischen Bindung an die Natur herausgerissen und führe zu einer verabsolutierenden „Selbstbewegung" in den modernen Wissenschaften und Künsten sowie den industriellen Betrieben. Der moderne Mensch sei aus dem Zusammenhang der erlebbaren Wirklichkeit herausgerissen und damit isoliert. An die Stelle der lebendigen Menschenbeziehungen trete ein Zuviel an öffentlichen Informationen, das den Menschen nur verwirre.80 Gehlens

Diagnose der modernen Kultur und des modernen Menschen ist zweifelsohne durch ein grundlegendes Krisenbewußtsein geprägt. Sie verfallt dennoch nicht der rückwärtsgewandten Kulturkritik. Diese führt Gehlen auf den Prestigeverlust der traditionellen Intellektuellen in der modernen Industriegesellschaft und erklärt sie damit für unangemessen.81 Was bei Gehlen die Anerkennung der modernen Welt begünstigt, ist das Festhalten am konservativen Elitebewußtsein. So fordert er die Rückkehr zum „hellwachen" Selbstbewußtsein und favorisiert „das Verstummenkönnen, das Eingeständnis der Ratlosigkeit" als Tugend. Demzufolge beruft er sich auf die „Persönlichkeit", die die Fähigkeit aufweist, „sich den Realitätssinn zu bewahren".82 Gehlens elitäre Grundhaltung ist nicht identisch mit einer konservativen Bejahung des Status quo. Im Hintergrund seines „Realitätssinnes" steht ein verborgenes Widerstandspotential, das dem „neuen" Konservatismus zuzurechnen ist. In Martin Greiffenhagen spricht von der „konservativen Dialektik von Personalismus und Transpersonalismus". Er versteht dabei die Gegenüberstellung von der Person und des Individuums als die letzte Rückzugsposition konservativen Denkens: Das Dilemma des Konservatismus (wie Anm. 1), 133f. 79 Der Begriff der „absoluten Kulturschwellen" taucht in seiner »Seele im technischen Zeitalter« (Hamburg 1957) auf. In diesem Begriff kam seine neue Kulturkritik zum Ausdruck. Gehlen deklariert die Gegenwart als Interferenz und wechselseitige Durchdringung „zwischen einer Zivilisationsepoche alten Stils und einer schlechthin neuartigen Epoche". (S. 88) 80 Arnold Gehlen, Über die gegenwärtigen Kulturverhältnisse, in: Merkur 10, 1956, S. 520531. Vgl. Hans Sedlmayr, Verlust der Mitte, Frankfurt a. M. 1955. 78

81

82

Arnold Gehlen, Das Ende der Persönlichkeit? in: Merkur 10, Ebenda.

1956, S. 1150.

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

39

Gehlens elitärer Kulturkritik zeigt sich dabei jenes ambivalente Bild der Moderne, das im Weimarer Jungkonservatismus hervorgetreten war und jetzt im Nachkriegskonservatismus erneut zur Geltung kam. So findet die genannte These von der spezifischen Kontinuität des deutschen Konservatismus sowohl in seinen Trägern als auch in seinen Themen ihre Bestätigung, wofür die besondere Sicht der Moderne als heuristische Sonde dient. Es ist hier zu bemerken, daß sich die Spannung zwischen Kritik und

Anerkennung

der Moderne je nach den geistig-politischen Rahmenbedingungen in unterschiedlicher Weise löste. Nachdem die Nachkriegskonservativen dem früheren Aktivismus abgeschworen hatten, mündete ihre kritische Einstellung zur Moderne nicht mehr in eine fatalistische Zukunftsvorstellung. Sie wandten sich jetzt weniger der Revolution als vielmehr der historischen „Tradition" zu.83 Ihre Berufung auf die Tradition war mit der Betonung der individuellen Freiheit eng verwoben, die als das Hauptanliegen der Kulturkritik jener Jahre galt. Eingeleitet wurde der im Dienst der Kulturkritik stehende Rückbezug auf die Geschichte von Hans Freyer. In seinem Geschichtswerk par exellence, der »Weltgeschichte Europas«, die schon während des Zweiten Weltkrieges fast vollendet wurde, aber erst im Jahr 1948 erschien, ruft er das europäische „Erbe" als Kraft gegen den strukturellen Druck des Systems der industriellen Gesellschaft auf. Dabei rekurriert er nicht mehr im Sinne der 30er Jahre auf die Idee des Volkes, sondern auf die humanistische und christliche Tradition Europas. Für Freyer stellt die Kultur Europas einen Garanten für die individuelle Freiheit dar, die in der modernen Welt verloren gehe. Sein Rückbezug auf dieses Erbe bedeutet insofern keine Wiederherstellung der rückwärtsgewandten Kulturkritik altkonservativer Prägung, als Freyer das Erbe der Geschichte als „haltende Mächte" innerhalb der unumgänglichen modernen Welt anspricht.84 Die Freyersche Berufung auf das Erbe hing unverkennbar mit der damaligen Geschichtswahrnehmung zusammen. Um 1950 war davon die Rede, daß die Inkommensurabilität der Gegenwart den traditionellen Rahmen der historischen Betrachtung sprenge. Als anschauliches Beispiel kann Alfred MüllerArmacks Charakterisierung der „Gegenwart" als Kardinalproblem seiner Zeit dienen. Mit Hinweis auf die in der modernen Industriegesellschaft sich immer vergrößernde Divergenz zwischen Gegenwart und Vergangenheit vertrat dieser renommierte Ökonom die Auffassung, daß die Gegenwart nicht mehr von der Vergangenheit her zu begreifen, sondern als eine isolierte und unverwechselbare Dimension der Zeit zu betrachten sei.85 Eine derartige Nuancierung der Kategorie „Gegenwart" weist auf die damalige Wahrnehmung der historischen Diskontinuität hin. Es ist hier zu betonen, daß jene Hinwendung der Konservativen zur Tradition ihr ausgeprägtes InterMartin Greiffenhagen versteht den Begriff „Tradition" als „Angelpunkt des konservativen Selbstverständnisses". Neben der Tradition zählt er Kontinuität, Autorität, Organik und Hierarchie zu den konservativen Topoi: Das Dilemma des Konservatismus (wie Anm. 1), 142-143. 84 Hans Freyer, Weltgeschichte Europas, Wiesbaden 1948, S. 556. 85 Alfred Müller-Armack, Diagnose unserer Gegenwart, Gütersloh 1949/ hier Bern/Stuttgart 1981 (2. erweiterte Aufl.), S. 15, S. 39.

83

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

40

Umfeld

der Gegenwart voraussetzte. Sie sprachen sich nachdrücklich gegen eine Geschichtsfremdheit ihrer Gegenwart aus und forderten eine neue Bindung an Traditionen, die ihnen nun als Grundlage individueller Freiheit erschienen. So findet sich bei den deutschen Konservativen der 50er Jahre immer wieder die Klage, daß die einst lebendigen geschichtlichen Traditionen abgestorben seien. Dabei rückte aber weniger die vervielfachte Geschwindigkeit und Dynamik der Geschichtsprozesse in den Vordergrund, gegen die die Konservativen des 19. Jahrhunderts polemisiert hatten, als vielmehr die „stationäre" Dauer der modernen Gesellschaft.86 Die „Standortbestimmung der Gegenwart" Helmut Schelskys beispielsweise ist durch Schlüsselbegriffe wie „Stabilisierung", „Verfestigung" und „Erstarrung" geprägt. Seiner Ansicht nach erreicht die industrielle Gesellschaft auf vielen Gebieten einen weitgehenden Ausgleich früherer Spannungen. Schelsky beklagt sich dabei über die „Anpassung" des Menschen an die moderne Technik, an ihre Produktionsformen und an ihre Sozialstrukturen. In der Gegenwart der 50er Jahre sieht Schelsky v. a. eine vollkommene soziale Kontrolle und damit den Verlust der individuellen Freiheit am Werk.87 Eine ähnliche Sicht der Gegenwart findet sich im Begriff der „Kristallisation" bei Arnold Gehlen. Durch diesen ursprünglich von Vilfredo Pareto verwendeten Begriff kennzeichnet Gehlen einen neuen, geschichtlich beispiellosen Typus der Kultur. Gehlen erscheint seine Gegenwart als Folge der gewaltigen Prozesse der Moderne, die einen endgültigen Bruch mit der ganzen bisherigen Vergangenheit der Menschheit herbeigeführt haben. Sobald die in der Moderne angelegten Möglichkeiten in ihren grundsätzlichen Beständen entwickelt sind, tritt, so Gehlen, „kulturelle Kristallisation" ein.88 Mit diesem Begriff bezeichnet Gehlen also eine neuartige Kultur, die er durch Erhaltungstriebe beherrscht sieht; als Fortschritt gilt nicht mehr radikale Veränderung im Sinne des 18. Jahrhunderts, sondern nur als Verlängerung des schon Erreichten. Dem entspricht die Institutionalisierung der weltanschaulichen Ideologien, die keine Handlungsanweisung mehr zu geben vermögen, sondern sich bloß als „eine Art leeres Modell" erweisen. Auch die Wissenschaften spielen aufgrund ihrer zunehmenden Spezialisierung insgesamt keine echte Rolle für die Sinnerschließung der Gegenwart mehr.89 Mittels des Begriffes der „Kristallisation" gelangt Gehlen zu einer neuartigen Kulturkritik. Seine negative Sicht der erstarrten Kultur ist nicht mit einer radikalen Zukunftsvorstellung verknüpft, sondern mit der Einschätzung ihres Beharrungsvermögens. Die gegenwärtige Kultur sei innerhalb ihres festgesetzten Rahmens dauerhaft; der Fortschritt sei an zahllosen Einzelstellen immer noch wirksam, aber nur, soweit er nicht zur Veränderung seiner Basis führe. Gehlen nimmt somit die staesse an

86

87

Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland (wie Anm. 1), S. 330. Helmut Schelsky, Zur Standortbestimmung der Gegenwart (1960), in: ders., Auf der Su-

che nach Wirklichkeit, 1960, Düsseldorf-Köln 1965, S. 424-438. 88 Arnold Gehlen, Über kulturelle Kristallisation (1961), in: ders., Studien zur Anthropologie und Soziologie, Neuwied/Berlin 1963, S. 311-328. 89 Zum Begriff der „kulturellen Kristallisation" siehe Greiffenhagen, Das Dilemma (wie Anm. 1), S. 329f.

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

41

tionäre Dauer als das Spezifikum der gegenwärtigen Kultur an. Damit gelangt er zu der Hypothese, daß die Moderne das tatsächliche Ende der Geschichte im herkömmlichen Sinne herbeigeführt habe.90 Gehlens Gegenwartsdiagnose stellt eine kulturpessimistische Verbindung von radikaler Kulturkritik und Akzeptanz der Realität dar, insofern er sowohl eine völlige Diskontinuität der Geschichte als auch eine unendliche Dauer der geschichtslosen Gegenwart feststellt. Analog zu Gehlen vertrat eine Vielzahl deutscher Nachkriegskonservativer die Ansicht, daß sich die moderne Welt in mehrfacher Hinsicht von ihren geschichtlichen Grundlagen gelöst habe. Ihre Hinwendung zur Tradition kann in diesem Zusammenhang als Rückschlag gegen die so gefaßten gegenwärtigen Tatbestände angesehen werden. Maßgebend hierfür ist wiederum Hans Freyer, der die strukturelle Bedingtheit der Geschichtslosigkeit mit einem idealtypischen Strukturmodell aufzuzeigen versucht, das er „sekundäre Systeme" nennt.91 Freyer bezeichnet die moderne, zunehmend verselbständigte Gesellschaft als „sekundär", weil sie sich von ihren natürlichen Grundlagen, nämlich einem „rationalen Gebilde auf gewachsenem Grunde", gelöst habe.92 Nach Freyer entwickelt die moderne Industriegesellschaft eine Vielzahl funktionaler Gebilde wie etwa die völlig kontrollierten Produktions- und Verteilungsgefüge oder die in gegenseitiger Verflechtung befindlichen bürokratisierten Massenverwaltungen und Verbände. Seiner Ansicht nach basieren diese Gebilde auf der optimistischen Grundannahme, daß jeder Teil der modernen Gesellschaft wie ein Kettenglied in „Kreisläufe" eingespannt sei, wodurch die Gesellschaft zu einem Maximum an produktiver „efficiency" gelange. Freyer stellt diese Vorstellung von „Kreisläufen" dem vormodernen „Oikos"-Gedanken gegenüber. 90

Gehlen übernimmt seinen vielfach angegriffenen Begriff der „posthistoire" von dem belgischen Konservativen Hendrik de Man, verwendet ihn zuerst in seinem Buch »Zeitbilder« (1961) und arbeitet ihn später in seiner Schrift »Ende der Geschichte?« aus, in der er im Hinblick auf Herrschaft, Industriekultur und Ideologie seiner Gegenwart eine stationäre Dauer, d.h. „Unaufhörigkeit" und „Überraschungslosigkeit", feststellt. Gehlen bezieht seinen späteren Begriff „posthistoire" auf den Begriff „kulturelle Kristallisation" zurück: Ende der Geschichte? in: ders., Einblicke, Frankfurt a. M. 1975, S. 115-133. Vgl. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 1: Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution, München 1956. Zur Gehlenschen posthistoire siehe Greiffenhagen, Das Dilemma (wie Anm. 1), 374f; Lutz Niethammer, Posthistoire. Ist die Geschichte zu Ende? Hamburg 1989, S. 18f. 91 Hans Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S. 79f. Dieser Begriff tritt in seinem Buch »Prometheus« zum erstenmal auf: Prometheus. Ideen zur Philosophie der Kultur, Jena 1923, S. 55-56. Richard Saage betrachtet diesen Begriff als Grundlage der Freyerschen Kapitalismuskritik. Als Synonym der kapitalistischen Industriegesellschaft stelle Freyer diesen Begriff in der Nachkriegszeit in den Vordergrund, nachdem er auf eine historische Alternative verzichtet habe. „Sekundäre Systeme" stellen, so Saage, in dieser Hinsicht kulturpessimistische Grundzüge des Freyerschen Denkens dar: Rückkehr zum Starken Staat? (wie Anm. 59), S. 208f, S. 214f. Siehe Arnold Gehlens Rezension zu Freyers »Theorie des gegenwärtigen Zeitalters«, in: Merkur 9, 1955, S. 758-582. 92 Freyer, ebenda, S. 86, 94, 110, 112. Siehe Jerry Z. Muller, „Historical Social Science" and Political Myth: Hans Freyer (1887-1969) and the Genealogy of Social History in West Germany, in: Hartmut Lehmann/ James van Horn Melton (Hg.), Paths of Continuity, Cambridge/New York 1994, S. 224-225.

42

H- Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

Die

„sekundären Systeme" als „bodenlose", gleichsam schwebende Gebilde, sich, so Freyer, nicht auf eine vorgefundene Ordnung, sondern bringen eher eine neue Sachgesetzlichkeit hervor, die sich bald von individuellen stützen

Steuerungen löst.93 Vor diesem Hintergrund hebt Freyer die Geschichtslosigkeit des modernen Menschen hervor. Im Gegensatz zum vormodernen Menschen definiere sich dieser durch die spezifischen Funktionen, durch die er in die Systeme eingefügt sei. Er werde den „Institutionen willig gemacht und ihnen angepaßt. Was er zu

sein

hat, sogar was er ist, wird nicht von ihm selbst aus, sondern von sei-

im Sachprozeß entschieden."94 Sekundäre Systeme somit den modernen Menschen zur technischen und sozialen „Anzwängen Seine Person in ihrer Ganzheit trete dabei gegenüber seinen Leipassung". stungen in den Hintergrund. Der moderne Mensch werde hier nur als auswechselbare Arbeitskraft vorgestellt und auf diese Weise „unter ein Sachsystem subsumiert". Er existiere also „sekundär". Dadurch werde der moderne Mensch selbst auch subjektiv in zunehmendem Maße aus seinen geschichtlichen Bezügen herausgelöst.95 Mittels der „sekundären Systeme" weist Freyer auf die strukturelle Bedingtheit der vermeintlichen Geschichtslosigkeit hin. Besitze die moderne Welt keine menschliche, „gewachsene" Tradition mehr, sondern leiste bloß der funktionalen Rationalität Vorschub, so spiele die Geschichte sowohl im objektiven als auch im subjektiven Sinne keine Rolle mehr. Als Kompensation der der modernen Welt innewohnenden Geschichtslosigkeit beruft sich Freyer nun auf historische Tradition. In Hinblick auf die historische Diskontinuität und damit auf den Funktionsverlust der Geschichte in der Gegenwart lehnt er aber eine „falsche" Identifikation von Geschichte und Gegenwart ab und hält eher nach der Möglichkeit Ausschau, Geschichte von gegenwärtigen Ansichten und kurzsichtigen Perspektiven zu befreien. Freyer schildert die übliche Funktion der Geschichte in der modernen Welt als willkürliche Legitimation der unmittelbaren Gegenwart. Seiner Ansicht nach dient „die Geschichte" dabei einer zweckhaften Mythenbildung und wird leicht ideologisch mißbraucht:96 „jedes Stück Geschichte, das aus seinem Boden herausgebrochen und gegenwartsgemäß umgemodelt worden ist, hört damit auf, etwas Eigenes zu bedeuten".97 Die Beschwörung der Vergangenheit trägt, so Freyer, in der modernen Welt nur dazu bei, den noch vorhandenen geschichtlichen Bestand vollständig abzubauen. Sofern die deutschen Nachkriegskonservativen die Diskontinuität der Geschichte konstatierten, konnten sie sich der vereinfachten Gleichsetzung der beiden skeptisch gegenüberstellen. Sie täuschten sich dabei nicht über den ner

93 94

Stellung und Funktion

Freyer, ebd., S. 98f, S. lOOf,

Ebd., 95 Ebd., 96 Ebd., 97 Ebd.,

S. S. S. S.

89. 227-228. 176f. 184.

S. 107f.

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

43

zeittypischen „Überdruß an der Geschichte"98 In kritischer Würdigung der gegenwärtigen Geschichtslosigkeit versuchten sie Geschichte und Gegenwart durch das neue Geschichtsbewußtsein zu vermitteln. Die Hinwendung der Nachkriegskonservativen zur historischen Tradition kann mitsamt ihrer dauernden persönlichen Geltung sowie ihrer beharrlich durchgehaltenen Themen als eines ihrer Kontinuitätsstränge angesehen werden; die Geschichtsbetrachtung stellte die spezifisch jungkonservative Form einer Auseinandersetzung mit der Moderne dar; seitdem sich die deutschen Konservativen unbeschadet einer kritischen Diagnose ihrer „posthistorischen" Gegenwart keine utopische Hoffnung auf deren praktischen Überwindung machten, mündete ihr radikaler Kulturpessimismus nun in den Ruf historischer Tradition. Dabei kam allerdings kaum ein Traditionalismus, sondern die oben dargestellte, dem Jungkonservatismus inhärente ambivalente Sicht der Moderne zur Geltung. Trotz der Schwerpunktverschiebung des Interesses vom Volk zur individuellen Freiheit bestand die ambivalente Grundhaltung der Jungkonservativen zur Moderne im Zuge ihrer Geschichtsbetrachtung unverändert fort.

europäische Geschichtsbewußtsein und das universale Geschichtsbild im Diskurs der Nachkriegsintellektuellen

3. Das

Das Geschichtsdenken der Nachkriegskonservativen weist auf die Art und Weise hin, wie sie der Moderne begegnet sind. Wie die für die Weimarer Jungkonservativen typische Interferenz von metaphysischer Geschichtsauffassung und kritischer Sicht der Moderne zeigt, kann die besondere Aufmerksamkeit der deutschen Konservativen für die Geschichte als Suche nach einem Orientierungspunkt betrachtet werden, der ihnen unter dem Eindruck der spezifisch modernen Traditionsbrüche als notwendig schien. Die fatalistische Erwartung einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe hatte sich inzwischen zwar erledigt, aber die Aussicht auf einen nachhistorischen Ruhezustand war nach wie vor vorharirlén. Hatten die Weimarer Jungkonservativen im Ruf nach dem „Volk" eine am „Elementaren" der Urgeschichte orientierte Zukunft anvisiert, so hofften die Nachkriegskonservativen gleichermaßen, in der „Tradition" einen quasi-natürlichen, ewig anhaltenden Orientierungsbestand zu finden.99

Siehe Walther Hofer, Geschichte zwischen Philosophie und Politik. Studien zur Problematik modernen Geschichtsdenkens, Basel 1956, S. 106. 99 Greiffenhagen, Das Dilemma des Konservatismus in Deutschland (wie Anm. 1), 147; Wolfgang J. Mommsen, Historisches Denken der Gegenwart, in: Waldemar Besson (Hg.), Geschichte, Tübingen (1961) 1965, S. 92-102. Neben dem Begriff „Tradition" kam der Begriff „Natur" im Geschichtsdiskurs der Nachkriegszeit zum Tragen. Nicht nur die Konservativen, sondern auch eine große Anzahl von Intellektuellen zogen den historischen Fortschritt in Zweifel und begriffen Geschichte eher als Prozeß natürlichen Wachstums, Verfalls und als „ewige Wiederkehr des Gleichen". Siehe Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen, Stuttgart 1953, S. 153. Vgl. Carl Schmitt, Drei Stufen historischer Sinngebung, in: Universitas. Zeitschrift für Wissenschaft, Kunst und Literatur 5, 1950, S. 927-931.

98

44

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

Geschichtsmetaphysik der deutschen Konservativen kann als Reflex ihres Diskontinuitätsbewußtseins angesehen werden. Wie Hans Freyer in seiner »Weltgeschichte Europas« Reich, Kirche und Germanen als die geschichtlichen Orientierungspunkte bezeichnete,100 wandten sich die Nachkriegskonservativen aus Distanz zur Gegenwart zu vermeintlichen geschichtlichen Urinstanzen zurück,101 die die Grundlagen für eine Überwindung der historischen Orientierungslosigkeit bilden sollten. Der größte Teil der Nachkriegskonservativen wandte sich im Zuge dieser Neuorientierung von früheren Vorstellungen einer völkischen Urgeschichte ab und näherte sich dem Konstrukt einer Die

Tradition des „Abendlandes" an. Schon nach dem Ersten Weltkrieg hatte Oswald Spengler das Abendland zum historischen Bezugsrahmen des deutschen Konservatismus erhoben, aber der ,Abendlandgedanke" der Nachkriegszeit kam erst parallel zur Veränderung der Machtkonstellation seit 1945 zustande. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges beriefen sich nämlich die Nachkriegskonservativen auf ein gesamteuropäisches Geschichtsbewußtsein.102 Dieses war allerdings nicht identisch mit dem eurozentrischen Geschichtsbewußtsein im herkömmlichen Sinne. Sobald der Verlust der europäischen Weltmachtstellung ins allgemeine Bewußtsein rückte, suchten die Konservativen einen geschichtlichen Sinn Europas unter weltgeschichtlichem Horizont.103 Unter diesem Vorzeichen fand bei ihnen die Hinwendung zur „Weltgeschichte Europas" im Sinne Hans Freyers breiten Anklang.104 Das europäische Geschichtsbewußtsein in seiner Verbindung mit einem universalen Geschichtsbild stellte ein Hauptthema im Geschichtsdiskurs der Nachkriegskonservativen dar. Hierfür stützten sie sich auf einige Grundschriften führender zeitgenössischer Intellektueller, zu denen vor allem Alfred Weber und Karl Jaspers zählten. In der Geschichtsbetrachtung dieser beiden Autoren zeigten sich kulturpessimistische Züge, die im Geschichtsdiskurs der Nachkriegskonservativen breite Resonanz fanden. Bereits im ausgehenden Zweiten Weltkrieg hatte der Kultursoziologe Alfred Weber die erwartete NieHans Freyer, Weltgeschichte Europas, Wiesbaden 1948. Siehe Ernst Jünger, An der Zeitmauer ( 1959)/ hier in: Ernst Jünger. Werke, Bd. 6, Essays II, Stuttgart 1960. Geprägt durch das zeittypische Krisenbewußtsein stellte Jünger hier das „Ende der Geschichtswelt" fest und forderte damit „Einblick in eine hinter der Geschichte liegende Welt". Jünger glaubte allerdings nicht, daß die Geschichtswelt tatsächlich von der Wiederkehr des Mythischen überwältigt werde. Im Hintergrund seiner Beschwörung der „Urgeschichte" stand der folgende Gedanke: „Das Mythische muß seinen besonderen Ort im historischen Raum, seinen besonderen Turnus innerhalb der historischen Zeit haben." (S. 514, S. 480) 102 Christopher Dawson bezeichnet „Abendländisches Denken" als Antithese zum Kommunismus: Idee und Wirklichkeit, München 1953, S. 25. 103 Fritz Fellner, Nationales und europäisch-atlantisches Geschichtsbild in der Bundesrepublik und im Westen in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges, in: Ernst Schulin (Hg.), Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945-1965), München 1989, S. 213-226. Siehe Martin Göhring (Hg.), Europa-Erbe und Aufgabe. Internationaler Gelehrtenkongreß Mainz 1955, Wiesbaden 1956. 104 Jerry Z. Muller bezeichnet dieses Buch als ein Grundwerk des deutschen Nachkriegskonservatismus: „Historical Social Science" (wie Anm. 92), 331. Vgl. Saage, Von der „Revolution von rechts" (wie Anm. 59), 221. 100

101

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

45

derlage Deutschlands im Krieg als Verlust der europäischen Weltmachtstellung überhaupt wahrgenommen und den „Abschied von der bisherigen Ge-

gemacht.105 Seiner Ansicht nach ließ sich die damit einhergehende Auflösung des bisher geltenden eurozentrischen Geschichtsbildes schichte"

zum

Thema

neue Besinnung auf die universalgeschichtliche Stellung Europas kompensieren.106 Er verzichtet dabei insofern nicht ganz auf seine eurozentrischen Prämisse, als hier die Rückbesinnung auf die Leistungen ins Zentrum rückt, durch die Europa in der Neuzeit alle anderen Kulturen überflügelt habe. Nach Weber gründet die europäische Geschichte auf einer überhistorischen

durch eine

Einheitlichkeit des eurasiatischen Blockes. Kennzeichnend für diesen Gedanken ist seine Hypothese von der Geschichtsmächtigkeit der „Reitervölker" aus Mittelasien.107 Die europäische Geschichte ist, so Weber, erst durch die Reitervölker entstanden und ist somit von Anfang an zum ständigen Herrschaftsund Kulturwechsel verurteilt gewesen. Mit dem Rückgriff auf diesen angeblichen Ursprung Europas behauptet Weber die „Einmaligkeit" seiner Geschichte im Rahmen der Universalgeschichte. Dazu kommt der Hinweis auf die stufenweise Fortbildung der europäischen Sozial- und Kulturformen. Europa habe sowohl in seiner sozial-wirtschaftlichen als auch in seiner geistigen Entwicklung auf einer einzigartigen Überlappung von antikem und christlichem Erbe beruht. Daher charakterisiert Weber die gesamte europäische Geschichte durch die Präsenz von „Spannungen und Polaritäten" und leitet daraus den „europäischen Dynamismus" ab, dem die universalgeschichtliche Auswirkung Europas zu verdanken sei.108 Webers Auffassung zufolge offenbart sich dieser Dynamismus im europäischen Machtsystem, das durch „frei vollbewegliche", „nebeneinander stehende" „souveräne Rivalitätsstaaten" bestimmt wurde. Die europäische Weltmachtstellung betrachtet Weber dementsprechend als Erweiterung des europäischen Gestaltungsprinzips auf die globale Ebene und sieht darin eine weitgehende geschichtliche Kontinuität.109 Berücksichtigt man Webers eurozentrische Prämissen, so bedeutet in diesem Zusammenhang sein „Abschied von der bisherigen Geschichte" die Auflösung des bisherigen Mächtesystems europäi105 Alfred Weber, Abschied von der bisherigen Geschichte. Überwindung des Nihilismus? Hamburg 1946. 106 Vgl. ders., Kulturgeschichte als Kultursoziologie (1935), München 1950; ders., Prinzipien der Geschichts- und Kultursoziologie, München 1951. 107 Webers These von den „Reitervölkern" nimmt offenbar eurozentrische Grundzüge an. Dieser These zufolge prägten die Reitervölker die alten Hochkulturen, China und Indien und

das

Abendland, tief. Diese Völker charakterisiert Weber als „Herrenmenschen", weil sie ein dieses in ihren Epen zum Ausdruck gebracht

heroisch-tragisches Bewußtsein getragen und

hätten. Nach Webers Ansicht stellt ihr Einbruch seit 1200 v. Chr. ins Abendland eine Wende der Geschichte dar, weil jene Grunddisposition des „Herrenmenschen" nur im „Westen" zur Geltung kam. Die Geschichte wurde, so Weber, seitdem zur Auseinandersetzung der alten unerwachten Völker mit neuen selbstbewußten „Reitervölkern": Abschied von der bisherigen Geschichte (wie Anm. 105), 13f. Webers These von „reiterlichen Herrenmenschen" findet sich schon in seiner »Kulturgeschichte als Kultursoziologie«: (wie Anm. 106)/ hier München 1963, 45f. 108 Ebenda, S. 25f. 109 Ebenda, S.18f.

46

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

scher Prägung zugunsten weltübergreifender Machtgebilde außereuropäischer Provenienz. In der modernen, von der bisherigen Geschichte abgetrennten Welt konstatiert er demnach nur den Verlust jener „Freiheit", die er nur Europa, und zwar im Hinblick auf seinen Ursprung und seine geschichtlichen Entwicklungen, zuschreibt. Insofern erscheint Weber die Gegenwart als tiefgreifende Kulturkrise.110 Aus einer eurozentrischen Grundüberzeugung heraus, die sich auf letztlich transhistorische Überzeugungen stützt, verbindet Weber seine universalgeschichtliche Perspektive mit einer radikalen Kritik der Moderne, so daß er den Verlust der „Freiheit" auf den Verlust der europäischen Weltmachtstellung zurückführen kann. Diese Betrachtungsweise prägte paradigmatisch den „Abendlandgedanken" der Nachkriegszeit. Im Diskurs der Nachkriegsintellektuellen setzte sich zunehmend das universale Geschichtsbild durch, das durch die verschärfte Kritik an der gegenwärtigen Stellung Europas in der Welt begünstigt wurde. Meinungsbildend wirkte weiterhin auch die universale Geschichtsbetrachtung Karl Jaspers'. Neben seiner früheren existenzphilosophischen Kritik der Moderne stellt Jaspers in den 50er Jahren die geschichtsphilosophische These auf, daß die Menschheit einen einzigen Ursprung und ein gemeinsames Ziel habe. Sie stützte sich dabei auf den transhistorischen Begriff der „Achsenzeit".111 Jaspers' idealisierender Darstellung vom „Ursprung und Ziel der Geschichte" entspricht als Kehrseite seine kritische Auffassung der Moderne. In strikter Trennung von der künftigen, nachgeschichtlichen Zeit einer einheitli-

110 Ebenda, S. 20-21, S. 236f. Alfred Webers kulturkrititische Ansicht kommt vornehmlich in seinen zwei Hauptwerken zum Ausdruck: Der dritte oder der vierte Mensch. Vom Sinn des geschichtlichen Daseins, München 1953; Das Tragische und die Geschichte (1943), München 1959. 1 '] Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, München 1949, S. 14f. Jaspers' Begriff der Achsenzeit stellt bekanntlich die zeitliche Koinzidenz des geistigen Erwachens der Menschheit im 5. Jh. vor Christus in drei Kulturen der alten Welt, China, Indien und Griechenland, dar. Nach seiner Behauptung ermöglichte dieser fast gleichzeitigen Durchbruch zum geistig-kulturellen Selbstbewußtsein dem Menschen verschiedener Kulturen eine homogene Erfahrung, die Erfahrung der existentiellen „Grenzsituation", unter der Jaspers die aus dem existentiellen Scheitern hervorgehende, innere Bewußtseinslage versteht, wobei der Mensch sich des Seins im Ganzen, seiner selbst und seiner Grenzen bewußt werde. Nach Jaspers sei diese Vergeistigung des Menschen zwar in verschieden Kulturen isoliert zustande gekommen, sei aber als ein gemeinsamer Beginn der eigentlichen „Geschichte" anzusehen, weil die Geschichte in einem metaphysischen Sinn begründet sei. Jaspers gibt zwar zu, daß die Achsenzeit empirisch schwer nachweisbar ist, dennoch rechtfertigt er seine Vorstellung damit, daß die Achsenzeit weder ein naturwüchsig verlaufender Prozeß noch eine geschichtsphilosophisch gesicherte Zwangsläufigkeit sei, sondern als Stützpunkt für die universalgeschichtliche Zukunftsorientierung gelte. Die einheitliche Weltgeschichte ist, so Jaspers, „noch nicht der Bestand einer historischen Realität, sondern die Möglichkeit der Kommenden". (S. 77-78) Eine derartige Beobachtung des weltgeschichtlichen Synchronismus findet sich schon bei Ernst von Lasaulx (Neuer Versuch einer alten, auf die Wahrheit der Tatsache gegründeten Philosophie der Geschichte, 1856) und später auch bei Alfred Weber (Kulturgeschichte als Kultursoziologie, 1935).

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

47

chen Weltgeschichte, der „zweiten Achsenzeit",112 faßt Jaspers den in der modernen Welt sich vollziehenden Weg zur Weltgeschichte als krisenhaften Vorgang auf. Seine universalhistorische Betrachtung zielt insofern auf Modernitätskritik ab. Jaspers beschreibt die moderne Welt unter Berücksichtigung des universalen Enteuropäisierungsprozesses. Während er die „außerordentlichen, Wissenschaft und Technik überstrahlenden geistigen Schöpfungen Europas von 15001800" als weltgeschichtliche Leistung würdigt, schätzt er deren Wirkungen auf außereuropäische Völker und die Entstehung der modernen Welt ausgesprochen kritisch ein. Seine universalhistorische Perspektive kommt in dieser Hinsicht mit dem eurozentrischen Grundanliegen zusammen.113 Seien die modernen Wissenschaften, diese ursprünglich europäischen Erfindungen, im Lauf ihrer Verbreitung den „Verkehrungen" in Aberglauben, in die „vermeintliche wissenschaftliche Totalanschauung der Dinge" verfallen, so habe die moderne Technik gleichermaßen zu „Abgleitungen" in ihre Verselbständigung geführt. Der Mensch werde dabei entwurzelt, seine Substanz zu einem Maschinenteil herabgesetzt und damit in „Masse" aufgelöst.114 Jaspers' modernisierungsskeptische Kulturkritik legt nahe, daß seine Suche nach dem „Ursprung und Ziel der Geschichte" als eine Art Kompensation dieser Auffassung der Moderne zu verstehen ist. Im Bewußtsein eines völligen Bruchs mit der ganzen bisherigen Vergangenheit befaßt er sich mit der Universalgeschichte, um einen transhistorischen Orientierungspunkt, die „Achsenzeit", ausfindig machen zu können. Hierbei ist allerdings nicht zu übersehen, daß seine Geschichtsmetaphysik gerade nicht eine Ausblendung der aktuellen Realität impliziert, sondern auf die „Erhellung des Bewußtseins des gegenwärtigen Zeitalters" zielt.115 Alfred Weber und Karl Jaspers zählten zwar nicht zu denjenigen Intellektuellen, die in der genannten Kontinuitätslinie des deutschen Konservatismus stehen. Dennoch schöpften die Nachkriegskonservativen aus den Grundschriften dieser einflußreichen Intellektuellen, deren Verbindung von kritischer Sicht der Moderne und geschichtsmetaphysischer Begründung eines

112 Jaspers' Begriff der Weltgeschichte, der anscheinend mit den historischen Tatbeständen, der einheitlichen Geschlossenheit der Erde und dem gegenseitigen Verkehr der Völker, begründet ist, stellt im Grunde eine Geschichtsmetaphysik dar. Die Jasperssche „Idee der Einheit der Geschichte" wendet sich zwar bewußt von der Hegeischen Geschichtsteleologie ab, führt aber über die Geschichte im üblichen Sinne hinaus zur „Grenze der Geschichte". Signifikant hierfür ist die Aussage: „Die Einheit der Geschichte ist selbst nicht mehr Geschichte": ebenda, S. 242. 113 Für Jaspers gehört zum Spezifischen des Abendlandes die Erfassung der Idee der Freiheit, die Offenheit für logisches Denken und empirische Tatsächlichkeit, die bewußte Innerlichkeit des Selbstseins: ebd., S. 67f. ""Ebenda, S. 94, S. 109f. 115 Ebenda, S. 81.

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

48

Umfeld

Orientierungspunktes116 in wesentlichen Punkten durchaus dem Geschichtsdenken des Nachkriegskonservatismus verwandt war.117 Hans Freyer beispielsweise brachte das neuartige europäische Geschichtsbewußtsein auf die knappe Formel: „das Abendland begegnet sich selbst".118 Freyer zufolge entstammte die Weltgeschichte im engeren Sinne dem spezifisch europäischen Gleichgewichtssystem der Großmächte, das sich durch weltweite Expansionen der ganzen Erde bemächtigt habe. Nach Freyer schuf Europa im 19. Jahrhundert durch weltweite Verbreitung der europäischen Industrie endlich eine weltgeschichtliche Epoche.119 Im Zuge dieser globalen Prozesse war Europa paradoxerweise zum Verlust seiner Vormacht verurteilt. Seiner Überzeugung nach hatte Europa infolge zweier Weltkriege seine frühere Rolle in der Welt endgültig eingebüßt. Das Ende der „Weltgeschichte Europas" formuliert Freyer so: „Europa ist nun wieder zusammengedrängt, eingeengt, es ist wieder ,klein'."120 Die Begegnung mit einer solchen „Weltgeschichte, die nicht mehr Weltgeschichte Europas ist",121 habe die Begegnung des Abendlandes mit sich selbst zur Folge. In diese feste Formel faßt Freyer die „dialektische Wendung" von der „Weltgeschichte Europas" zur „Weltgeschichte der ganzen Erde".122 Solange Freyer die „Einbuße Europas" im Zuge des weltweiten Vordringens der Moderne herausstellt, beruht sein Geschichtsdenken unverkennbar auf einem starken Diskontinuitätsbewußtsein. Hierin zeichnet sich die Überlagerung seiner radikalen Infragestellung der Moderne durch eine nüchterne Selbstbesinnung ab, die zur Hinwendung zur Tradition führt. Die deutschen Nachkriegskonservativen beriefen sich also aus kulturkritischer Distanz zur Moderne heraus erneut auf ein europäisches Geschichtsbewußtsein. Hierbei waren geschichtsmetaphysische Spekulationen nicht ausgeschlossen; gleichzeitig kam ein universales Geschichtsbild zum Vorschein. Solange sie nicht mehr auf dem herkömmlichen Eurozentrismus beharrten, sondern sich der ihnen gegenwärtigen Welt globaler Reichweite öffneten, kam dabei die angesprochene ambivalente Sicht der Moderne zur Geltung. In diesem Zusammenhang ist hier noch einmal zu betonen, daß sich die Grundhaltung der Nachkriegskonservativen zur Moderne in ihrem Geschichtsdiskurs kristallisierte. Wie ihre Hinwendung zur Tradition demonstrierte, ist ihr Interesse an der Geschichte aus einer besonderen kulturpessimistischen, deshalb

neuen

-

116

Siehe Theodor Litts Rezension

zu

Alfred Webers »Abschied

von

der

bisherigen

Ge-

schichte«, in: HZ 169, 1949, S. 105-107. '17 Beispielhaft ist u. a. Carl Schmitt, Der neue Nomos der Erde, in: Gemeinschaft und Politik, H. 1/ 1955, S. 7-10/ hier in: ders., Staat, Großraum, Nomos. Arbeiten aus den Jahren 1916-1969, hg. v. Günter Maschke, Berlin 1995, S. 518-522. 1 ls Freyer, Weltgeschichte Europas, 583f. 119 Ders., Weltgeschichtliche Bedeutung des 19. Jahrhundert. Kieler Universitätsreden, H. 4, Kiel 1951. Vgl. Golo Mann (Hg.), Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, Bd. 8, Berlin u.a. 1960, Einleitung. 120 Freyer, ebenda, S. 589. 121 Ebd., S. 606. 122 Ebd., S. 589. Freyers Geschichtsdenken war von der Kulturmorphologie Oswald Spenglers beeinflußt. Siehe dazu Jerry Muller, The other God that failed (wie Anm. 63), 78-79.

A. Der Stellenwert der Geschichte im Diskurs des deutschen Konservatismus

49

zugleich realistischen Stellungnahme zur Moderne hervorgegangen. An diesem spezifischen Geschichtsdiskurs partizipierten auch die konservativen Historiker der frühen Bundesrepublik. -

B. Die deutsche Geschichtswissenschaft

mit neuen Leitbildern 1. Das spezifische Erkenntnisinteresse der „jungen in der Weimarer Republik

"

Historikergeneration

Die Kontinuität des deutschen Konservatismus ist historiographiegeschichtlich relevant, weil ein großer Teil der deutschen Nachkriegshistoriker in diesen Kontext einzubeziehen ist. Weist das Übergewicht der Geschichte im Diskurs der Nachkriegskonservativen ihre geistige Nähe zu den zeitgenössischen deutschen Historikern auf, so kann die oben dargestellte Kontinuität des ambivalenten Bildes der Moderne Aufschlüsse über das Erkenntnisinteresse und die Leitbilder der Historikergenerationen der genannten Periode geben. Um diesen Wirkungszusammenhang genauer zu erfassen, lohnt es sich, zuerst die Weimarer Historiographie zu betrachen. Die historiographiegeschichtliche Forschung hat durchweg deren traditionalistische und antimodernistische Grundzüge betont; sie beurteilt die Historiker der Weimarer Zeit als „reaktionär", weil sie sich sowohl ideell wie auch methodisch einer Neuorientierung widersetzt hätten.123 Sie hätten trotz des völligen Bruches mit der geschichtlichen Entwicklung weiterhin die „Ideologie des deutschen Weges" propagiert, die mit „kulturpessimistischen, antikapitalistischen bzw. antiindustriellen, antipluralistischen bzw. sozialromantischen Strömungen" versetzt gewesen und in der der Wunsch nach Rückkehr zu den Vorkriegsverhältnissen sowie zur „traditionellen Mentalität des deutschen Bildungsbürgertums" zum Ausdruck gekommen sei.124 Dabei habe es der Weimarer Historiographie aufgrund ihrer „Unfähigkeit, die Ausbildung der modernen Welt' hinreichend zu erfassen", auch an methodischer Innovation geman-

gelt.125 123 Dazu u. a. Imanuel Geiss, Die westdeutsche Geschichtsschreibung seit 1945, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte 3, 1974, S. 417-455; Georg G. Iggers, Einige kritische Schlußbemerkungen über die Rolle der Intellektuellen in der Weimarer Republik am Beispiel der Historiker, in: ders. und Wolfgang Bialas (Hg.), Intellektuelle in der Weimarer Republik (wie Anm. 15) 446f; Hans Schleier, Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, Bd. 1. Strömungen Konzeptionen Institutionen, Berlin 1975. 124 Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges (wie Anm. 19), 311-312. 125 Ebd., S. 293f, S. 297. Faulenbachs Kritik der methodischen Rückständigkeit der Weimarer Historiographie und ihrer perspektivischen Verkürzung schlägt sich in seinem Begriff „Historismus" nieder. Darunter versteht er diejenige historische Denkfigur, die durch das Individualitätsaxiom und die Methode des „Verstehens" zu charakterisieren sei; die deutsche -

-

50

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

Diese Kritik der Weimarer Historiographie ist zum Teil berechtigt. Vor dem Hintergrund von Weltkrieg, Zusammenbruch, Revolution und Etablierung der Weimarer Republik verharrten „deutschnationale" Historiker wie etwa Georg von Below, Dietrich Schäfer, Max Lenz, Adalbert Wahl, Johannes Haller und Karl Alexander von Müller in massiver Abwehrhaltung gegenüber der neuen Realität. In der Kriegsschulddiskussion, im Engagement für das „Grenz- und Auslandsdeutschtum" oder auch in der Verfassungsdiskussion vertraten diese Historiker anachronistische Konzeptionen von Staat und Nation.126 Aber nicht nur die deutschnationalen Historiker, auch „Vernunftrepublikaner" wie etwa Hans Delbrück, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken und Walther Goetz standen gemeinhin der gesellschaftlichen Modernisierung kritisch gegenüber.127 Im allgemeinen herrschte die Auffassung vor, derzufolge die moderne Gesellschaft die herkömmliche Staatsform untergrabe, die sich auf eine organische Gliederung der Gemeinschaft gestützt habe.128 Die Mehrheit der Weimarer Historiker warfen dem modernen Staat seinen Mangel an Beständigkeit vor, da er von der „Masse", einem Charakteristikum der modernen Gesellschaft, beherrscht werde. Daher begegneten diese Historiker der parlamentarischen Demokratie, die für sie nichts anders als kulturelle Nivellierung bedeutete, mit starkem Mißtrauen.129 Die häufige pejorative Verwendung des Begriffs „Materialismus" brachte die Klage über eine angebliche kulturelle Entwurzelung der Masse zum Ausdruck.130 Geschichtswissenschaft der Weimarer Zeit habe anhand des Historismus an der traditionellen Gegenüberstellung der Kategorien „Staat" und „Gesellschaft" festgehalten und damit sozioökonomische Prozesse der modernen Welt vernachlässigt. Seine These lautet: „Die Historiographie der Weimarer Zeit zeigt insgesamt eine ausgesprochene Persistenz der wissenschaftlichen Methoden, der Frageansätze, der Problemfixierungen sowie der Themenwahl". (S. 298) 126 Hans Herzfeld, Staat und Nation in der deutschen Geschichtsschreibung der Weimarer Zeit (1954), in: ders., Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1962, S. 49-63; Gerhard Ritter, Wissenschaftliche Historie einst und jetzt, in: HZ 202, 1966, S. 580; Bernd Faulenbach, Deutsche Geschichtswissenschaft zwischen Kaiserreich und NS-Diktatur, in: ders. (Hg.), Geschichtswissenschaft in Deutschland, München 1974, S. 66-85; Gerhard Oestreich, Fachhistorie und Anfange der sozialgeschichtlichen Forschung, in: Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze von Gerhard Oestreich, hg. v. Brigitta Oestreich, Berlin 1980, S. 95. 127 Zur Einstellung der Weimarer Historiker zur gesellschaftlichen Modernisierung siehe Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges (wie Anm. 19), 88f. 128 Im Hinblick auf den Aufschwung politischer Parteien stellt Johannes Haller fest, daß in der modernen Welt eine beständige Regierungsform schwer zu schaffen sei, die einer natürlichen Grundlage in der Gesellschaft bedürfe. Daher fordert er eine neue „organisch gegliederte" Gesellschaft, aus der die feste staatliche Form hervorgehen könne: Gesellschaft und Staatsform (1926), in: Stahl und Eisen. Zeitschrift für das deutsche Eisenhüttenwesen. 6.Jan. 1927, Jg. 47, S. 1-8. 129 Haller, ebenda, S. 4. Vgl. Fritz Härtung, Deutsche Geschichte 1870-1919, Bonn/Leipzig 1920/ hier Stuttgart 1952 (5. Aufl.), S. 253; Müller, Das Erbe des neunzehnten Jahrhunderts, Stuttgart/Berlin 1925, S. 70. 130 Karl Alexander von Müller beklagt, daß das Wilhelminische Deutschland trotz des wirtschaftlichen Wachstums an „geistige(r) Verarmung" litt. Er spricht dabei vom „plumperen Materialismus": Das Erbe des neunzehnten Jahrhunderts (wie Anm. 129), 72. Bei Fritz Härtung heißt es, daß Großstädte die „seelische Entwurzelung" der Masse hervorriefen: Deutsche Geschichte, 274. Friedrich Meinecke zeigt ebenfalls Unbehagen am „mechanisierten

B. Die deutsche Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

51

Die Rückwärtsgewandtheit dieser älteren Historiker macht aber nicht die Gesamtheit der Weimarer Historiographie aus. Es ist nicht zu übersehen, daß sowohl der Rückgriff auf die deutsche Sonderwegsproblematik wie auch die vielfältige Verwendung der Kategorie „Kontinuität" erst unter dem Blickwinkel der jüngsten deutschen Geschichte zustande kamen. Da das bis zur Katastrophe von 1918 dominierende Geschichtsbild ins Wanken geraten war und eine Identitätskrise auslöste, versuchten die Historiker die vermeintliche „unüberbrückbare Kluft" zwischen Vergangenheit und Gegenwart dadurch zu überwinden, daß sie bestimmte traditionelle Institutionen und Mentalitäten als spezifisch deutsch und daher als bewahrungsnotwendig deklarierten.131 Beim Versuch, die Weimarer Historiographie durch ein besonderes Diskontinuitätsbewußtsein zu charakterisieren, ist die ,junge" Historikergeneration in den Mittelpunkt zu rücken, die der fatale Ausgang des Ersten Weltkrieges tief prägte. Die Desillusionierung über die innere Stabilität und äußere Macht des Deutschen Reiches und der Donaumonarchie, die vom Versailler Vertrag hervorgerufenen Grenzverschiebungen und Nationalitätenkonflikte in Ost- und Mitteleuropa veranlaßten sie, aus den aktuellen Konflikten der politischen Wirklichkeit ein neues Erkenntnisinteresse zu entwerfen.132 Sie erteilten der nostalgischen Hinneigung der älteren Generation zur Bismarckära eine klare Absage und befanden sich dabei mit den politisch-ideellen Prämissen des Weimarer Jungkonservatismus weithin in Einklang. Indem sie sich in den Dienst des aktuellen „Grenzkampfs" stellten, bemühten sie sich um die Erforschung des deutschen „Volkstums". Ins Zentrum ihrer historiographischen Arbeiten rückte eben das „Grenz- und Auslandsdeutschtum", das diese Historiker als bewährtes Muster für ein neues Gesellschaftsideal favorisierten und dessen soziale Umgestaltung zugunsten einer Vormachtstellung Deutschlands in Ostmitteleuropa das Hauptziel ihrer Forschungsbemühungen war.133 Insoweit war ihr Erkenntnisinteresse mit der Zukunftsprojektion des Jungkonser-

Massendasein", das durch „die wirtschaftliche Revolution, die zunehmende Rationalisierung und Technisierung des Lebens, Utilitarismus, die nivellierende Demokratie" gekennzeichnet sei. Meineckes Alternative ¡st dabei der „mäßig industrialisierte Agrarstaat", der mit einer „aristokratischen Struktur der Gesellschaft" verbunden sei: Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte (1924)/ hg. v. Walther Hofer, München 1957, S. 490-491. 131 Die politische Katastrophe von 1918 veranlaßte viele deutsche Historiker zur Revision des deutschen Geschichtsbildes. Siehe dazu den Rückblick Gerhard Ritters, Deutsche Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, in: GWU 1, 1950, S. 81-96, hier S. 90f. Das Krisenbewußtsein deutscher Historiker zeigt sich vor allem bei Erich Keyser, der den Bedeutungsverlust der Geschichte in der Gegenwart zum Thema machte: Die Geschichtswissenschaft. Aufbau und Aufgaben, München und Berlin 1931, S. If. 132 Ulrich Herbert, »Generation der Sachlichkeit«. Die völkische Studentenbewegung der frühen zwanziger Jahre, in: ders., Arbeit, Volkstum, Weltanschauung. Über Fremde und Deutsche im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1995, S. 31-58. 133 Willi Oberkrome, Volksgeschichte. Methodische Innovation und völkische Ideologisierung in der deutschen Geschichtswissenschaft 1918-1945, Göttingen 1993, S. 22f; Werner Conze, Antrittsrede (Heidelberger Akademie der Wissenschaften), in: Jahrbuch 1962/63, Heidelberg 1964, S. 54-60. Conze zufolge waren die Exponenten dieser reformorientierten Richtung der Geschichtswissenschaft zumeist Anhänger der Jugendbewegung, die sich bewußt von der älteren Historikergeneration distanzierten. (S. 55f)

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

52

Umfeld

vatismus eng verknüpft. Während aber die Jungkonservativen aus dem Krisenbewußtsein heraus dezidiert einen überhistorischen Orientierungspunkt anpeilten, versuchten die jüngeren Historiker, die jungkonservative Ge-

schichtsmetaphysik historiographisch zu bestätigen.134 Der maßgebliche Einfluß des Jungkonservatismus auf das Erkenntnisinteresse der Historiker stellte, zugespitzt formuliert, einen Innovationsschub für die historische Forschung dar. Im Laufe der Weimarer Zeit hatte die jungkonservative Kulturmorphologie von Volk und Raum in der historischen Zunft festen Fuß gefaßt.135 Die Genese der fächerübergreifenden Landesgeschichte der 20er Jahre unter der Bezeichnung der „Volks- und Kulturbodenforschung"136 und ihre Weiterentwicklung hin zu einer „Volksgeschichte" der 30er und 40er Jahre beweist die Prägung der deutschen Historiographie durch den Weimarer Jungkonservatismus.137 Der Kernbegriff des Jungkonservatismus, das „Volk", der sowohl als politische Parole wie auch als wissenschaftliche Norm

diente, trug zwar dazu bei, daß diese Historiker an die retardierende einer harmonischen, konfliktlosen Volkgemeinschaft gebunden

Vorstellung

wurden und damit ihren thematischen Schwerpunkt auf die mittelalterliche oder frühneuzeitliche Gesellschaft von Bauern und Handwerkern legten.138 Gleichzeitig befähigte aber das Interesse am Volksleben die Historiker dazu, sich bisher historiographisch nicht behandelten Erscheinungen, insbesondere dem anonymen, langfristigen Strukturwandel, zuzuwenden. Da die Historiker unter dem Leitbegriff „Volk" die angesichts staatlich-gouvernementaler Einflüsse unberührt gebliebenen, untergründigen Bau der Geschichte in den Mit134 Willi Oberkrome, Geschichte, Volk und Theorie. Das .Handwörterbuch des Grenz- und Auslanddeutschtums', in: P. Schüttler (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt a. M. 1997, S. 104-127. 135 Zur „Kulturraumforschung" der Weimarer Zeit siehe Hermann Aubin, Grundlagen und

Perspektiven geschichtlicher Kulturraumforschung

und

Kulturmorphologie, hg.

v.

Franz

Petri, Bonn 1965, S. 100-125; Alois Gerlich, Geschichtliche Landeskunde des Mittelalters. Genese und Probleme, Darmstadt 1986, S. 79f; Karl Ditt, Raum und Volkstum. Die Kulturpolitik des Provinzialverbands Westfalen 1923-1945, Münster 1989, S. 241f, ders., Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Politik. Das Beispiel Franz Petri (19031993), in: Westfälische Forschungen 46, Münster 1996, S. 73-176. 136 Maßgeblich im Bereich der Landesgeschichte war u. a. Rudolf Kötzschke, Nationalge-

schichte und Landesgeschichte, in: Thüringisch-Sächsische Zeitschrift für Geschichte und Kunst, Bd. 13 1923/24, S. 1-22/ hier in: Probleme und Methoden der Landesgeschichte, hg. v. Pankraz Fried, Darmstadt 1978, S. 13-37; Oswald Redlich, Landeskunde und Geschichtswissenschaft, in: Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, 1924; Hermann Aubin, Aufgaben und Wege der geschichtlichen Landeskunde (1925)/ hier in: ders., Grundlagen (wie Anm. 135), 17-26. Siehe dazu Ernst Pilz, Neue Methoden und Betrachtungsweisen in der landesgeschichtlichen Forschung nach 1918, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 124, 1988, S. 483-506. 137 Oberkrome weist auf „ein bemerkenswert innovatives Klima in der deutschen Geschichtsforschung der frühen Weimarer Republik" hin. Hinsichtlich der fächerübergreifenden Kulturraumforschung stellt er den „Zusammenhang von politischem Impuls und methodischer Innovation" fest: Reformansätze in der deutschen Geschichtswissenschaft der Zwischenkriegszeit, in: Michael Prinz/ Rainer Zitelmann (Hg.), Nationalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 1991, S. 225; ders., Volksgeschichte (wie Anm. 133), 32, 104. 138 Georg Iggers, Einige kritische Schlußbemerkungen (wie Anm. 123), 453.

B. Die deutsche Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

53

ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu rücken bereit waren, ergab sich daraus für sie der Primat des Volkes vor dem Staat. Damit verabschiedeten sie sich vom gängigen geschichtswissenschaftlichen Axiom des 19. Jahrhunderts, dem „Primat der Außenpolitik".139 Dieser sich zur „Volksgeschichte" stilisierenden neuen geschichtswissenschaftlichen Richtung lag zweifellos der Blick auf die moderne Industriegesellschaft zugrunde, ohne den sich die Historiker nicht diesen weit über die staatliche Ebene ausgreifenden Bereichen der Geschichte hätten zuwenden können. Insofern wurde in der historischen Volksforschung der 20er und 30er Jahre der ausgeprägte Hang zum Antimodernismus von einer nüchternen Wahrnehmung der Bedeutung von der modernen Gesellschaft überlagert, die aber erst in der Historiographie der 50er Jahre voll zur Geltung kam.140 Zu den Hauptvertretern dieser völkisch orientierten Geschichtswissenschaft zählt Hans Rothfels, der spätere Nestor der Zeitgeschichtsforschung in der Bundesrepublik.141 Geprägt durch das geistige Milieu der „Frontgeneration" löste er konzeptuell sich von der im Wilhelminischen Reich verwurzelten, älteren Historikergeneration ab und schloß sich dem Jungkonservatismus an.142 Es ist historiographiegeschichtlich höchst relevant, daß ein Rothfels zum Rezipienten der jungkonservativen Volkstumstheorie Freyers und Ipsens wurde und daraufhin die Integration von Volksgeschichte und Volkssoziologie anvisierte.143 Der Einfluß der Soziologie der Freyerschen „Volkswerdung" sowie des Ipsenschen „Landvolks" auf die Historiker der „Frontgeneration" und die Kooperation zwischen Soziologen und Historikern,144 verweist auf die enge

telpunkt

139 Siehe Erich Keysers Kritik an den Neo-Rankeanern: Die Geschichtswissenschaft (wie Anm. 131), 117. Dazu Oberkrome, Probleme deutscher Landesgeschichtsschreibung im 20. Jahrhundert. Regionale Historiographie im Spannungsfeld von Politik und Wissenschaft, in: Westfälische Forschungen 46, 1996, S. 6-7. 140 Hans Schleier, Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik, Berlin 1975, S. 83f, 248f. Vgl. Winfried Schulze, Die Historiker und die historische Wirklichkeit. Die Modernisierung der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, in: Nachdenken über Geschichte. Beiträge aus der Ökumene der Historker im Memoriam K. D. Erdmann, hg. v. H. Boockmann, Neumünster 1991, S. 181. 141 Zu Hans Rothfels als Person siehe u. a. Conze, Hans Rothfels, in: HZ 237, 1983, S. 311359; Hans Mommsen, Hans Rothfels, in: Deutsche Historiker, hg. v. H.-U. Wehler, Bd. IX. Göttingen 1982, S. 127-147; ders., Geschichtsschreibung und Humanität. Zum Gedenken an Hans Rothfels, in: Wolfgang Benz und Hermann Graml (Hg.), Aspekte deutscher Außenpolitik im 20. Jahrhundert. Aufsätze Hans Rothfels zum Gedächtnis, Stuttgart 1976, S. 9-28. 142 Zu Rothfels als Autor einer jungkonservativen Sammelschrift vor der Königsberger Zeit siehe Mohler, Die konservative Revolution (wie Anm. 27), 276f. Zur frühen geistigen Entwicklung Hans Rothfels' siehe Wolfgang Neugebauer, Hans Rothfels' Weg zur vergleichenden Geschichte Ostmitteleuropas, besonders im Übergang von früher Neuzeit zur Moderne, in: Berliner Jahrbuch für osteuropäische Geschichte. 1996/1. Osteuropäische Geschichte in vergleichender Sicht, S. 343-344. 143 Oberkrome, Volksgeschichte (wie Anm. 133), 96. Werner Conze, Die Königsberger Jahre, in: Andreas Hillgruber (Hg.), Vom Beruf des Historikers in einer Zeit beschleunigten Wandels. Akademische Gedenkfeier für Theodor Schieder am 8. Feb. 1985 in der Universität zu Köln, München 1985, S. 27; Klemens von Klemperer, Hans Rothfels 1891-1976, in: Lehmann/ Melton, Paths of Continuity (wie Anm. 92), 119-154. 144 Oberkrome, ebenda, S. 11 lf, S. 116f.

54

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

Konservatismus und der deutschen Geschichtswissenschaft. Die Historikergeneration, die im Umfeld der Volksgeschichte unter dem NS-Regime akademisch sozialisiert wurde,145 stand in dieser Linie. Meistens der jungkonservativen „bündischen Jugend" zugehörig, tendierte ihre geistige Prädisposition nicht zum nationalstaatlichen Geschichtsbild borussischer Prägung, sondern zum „Mitteleuropagedanken".146 Diesen Jungen" Historikern diente Hans Rothfels aufgrund seines Bekenntnisses zum Jungkonservatismus als Identifikationsfigur. Nachdem sich Rothfels der geistigen Strömung der bündischen Jugend angenähert hatte, wirkte sich seine „Königsberger Ostforschung" auf diese Historikergeneration aus.147 Aus dem Schülerkreis um Rothfels erwuchsen diejenigen Historiker, deren Frühwerke die Signatur des jungkonservativ-völkischen Denkens annahmen und die später die entscheidende Rolle in der Entstehung der westdeutschen Sozialgeschichte spielten. Zu ihnen zählen vor allem Werner Conze, Theodor Schieder und Otto Brunner.148 Während Conze intellektuelle Affinität zu den bevölkerungsgeschichtlichen Untersuchungen Ipsens zeigte,149 vertiefte Schieder die Rothfelssche Infragestellung des Primats des Nationalstaatsprinzips.150 Der Wiener Historiker Otto Brunner sympathisierte ebenfalls mit der Rothfelsschen Richtung und lehnte sich dabei methodisch an die Leipziger Volkssoziologie Freyers, Ipsens und Carl Schmitts an.151 Die Jungen" Historiker in der Weimarer Republik standen also der Ideenwelt des Jungkonservatismus viel näher als der altkonservativen Denktradition deutschnationaler Historiker; daher läßt sich die Hypothese aufstellen, daß der Kontinuität des deutschen Konservatismus im Zeitraum von der ausgehenden Weimarer Republik bis zu den frühen Jahren der Bundesrepublik die Kontinuität der deutschen Geschichtswissenschaft derselben Periode entspricht. Die

Verflechtung des „neuen"

145

Reinhart Koselleck, Werner Conze. Tradition und Innovation, HZ 245, 1987, S. 529. Siehe Hans Rothfels, Das Werden des Mitteleuropagedankens. Ein Vortrag, in: ders., Ostraum, Preußentum und Reichsgedanke. Historische Abhandlungen, Vorträge und Reden (Königsberger Historische Forschungen, Bd. 7), Leipzig 1935, S. 228-248. Zum Mitteleuropagedanken der Weimarer Historiker siehe Conze, Die Königsberger Jahre (wie Anm. 143), 24-25; Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges (wie Anm. 19), 309-310; Neugebauer, Hans Rothfels' Weg zur vergleichenden Geschichte Ostmitteleuropas (Anm. 142), 354. 147 Conze, ebenda, S. 23-31; Ingo Haar, »Revisionistische« Historiker und Jugendbewegung: Das Königsberger Beispiel, in: Schöttler, Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft (wie Anm. 134), 52f, 70f. 148 Koselleck, Werner Conze (wie Anm. 145), 529; Wolfgang. J. Mommsen, Vom Beruf des Historikers in einer Zeit beschleunigten Wandels. Theodor Schieders historiographisches Werk, in: VfZ 33, 1985, S. 390; Oberkrome, Volksgeschichte (wie Anm. 133), 126f, 150. 149 Conze war tätig als Ipsens Assistent in Königsberg, nachdem er bei Freyer in Leipzig kurz studiert hatte. Conze, Die Königsberger Jahre (wie Anm. 143), 534; Muller, „Historical Social Science" (wie Anm. 92), 218-219; Oberkrome, Probleme deutscher Landesgeschichtsschreibung im 20. Jahrhundert (wie Anm. 139), 18-19. 150 Conze, Die Königsberger Jahre, 24. Zum Überblick über Schieders Schriften siehe Helmut Berding u. a. (Hg.), Vom Staat des Ancien Régime zum modernen Parteienstaat, München 1958, S. 104f; Lothar Gall, Theodor Schieder 1908-1984, in: HZ 241, 1985, S. 1-25; H.-U, Wehler, Nachruf auf T. Schieder, in: GG 11, 1985, S. 143-53. 151 Oberkrome, Volksgeschichte, 147-148. 146

B. Die deutsche Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

55

Verwandtschaft der jungen Historikergeneration mit dem „neuen" Konservatismus beleuchtet den Charakter und die Tragweite ihres neuen Erkenntnisinteresses.

2. Die geschichtstheoretische

Grundlegung des neuen Erkenntnisinteresses

Da das Erkenntnisinteresse der ,jungen" Historikergeneration der Weimarer Zeit im Jungkonservatismus verortet war, hing auch dessen Tragfähigkeit in der Nachkriegszeit mit dem Durchsetzungserfolg des „neuen" Konservatismus eng zusammen. Wie oben erörtert, ist es den Nachkriegskonservativen gelungen, ihre ambivalente Sicht der Moderne in den neuen politisch-kulturellen Rahmenbedingungen zu erneuern. Ihre Hinwendung zur Tradition war ein Teil dieser Bestrebungen. Die theoretischen und historiographischen Arbeiten der Generation der Nachkriegshistoriker reihten sich dabei in den Geschichtsdiskurs der Nachkriegskonservativen ein. Das Erkenntnisinteresse der Nachkriegshistoriker jungkonservativer Provenienz lag der geistigen Disposition des Nachkriegskonservatismus entsprechend nunmehr weniger in einer politischen Zielvorstellung als in der Kulturkritik. Daher machten sie analog zu den Nachkriegskonservativen auf die radikale Diskontinuität zur Vergangenheit aufmerksam und beklagten damit den Rückgang historischen Bewußtseins. Von entscheidendem Einfluß auf den geschichtswissenschaftlichen Diskurs der ersten Nachkriegsjahre war der Umstand, daß die Historiker zutiefst von der allgemeinen „Flucht vor der Geschichte" (Theodor Litt) betroffen waren.152 Sie sahen sich nämlich mit der Gefahr konfrontiert, daß die Rolle ihrer Fachdisziplin in Frage gestellt wurde, und begriffen damit die Gegenwart als „Krise der Geschichte"153 Gerhard Ritter etwa, der im Zeitraum von 1948 bis 1953 als Vorsitzender des Verbandes der Historiker Deutschlands tätig war, räumte in leidenschaftlicher Selbstanklage die Vertrauenskrise der deutschen Historiographie ein.154 Dieses „Grundgefühl" der Krise (Ludwig Dehio) veranlaßte die Historiker dazu, die Fundamente der Historiographie theoretisch neu zu reflektieren.155 Hatten sich die jungkonservativen Historiker der Weimarer Zeit dem „Volkstum" zugewandt und die Analyse der modernen Welt 152 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Geltung des historischen Denkens von den Historikern in den westlichen Ländern, vor allem in den angelsächsischen Ländern, in Frage gestellt. Etwa Geoffrey Barraclough, C. V. Wedgewood, M. Postan, H. St. Commager, D. A. Leca, R. Caillois u. a. vertraten diese Richtung. 153 Walther Lammers, Die Herkunft des historischen Krisenbewußtseins. Geschichtliche Landeskunde und Universalgeschichte. Festgabe für Hermann Aubin zum 23. Dezember 1950, S. 47-53. 154 Gerhard Ritter, Gegenwärtige Lage und Zukunftsaufgaben deutscher Geschichtswissenschaft (1949), in: Wolfgang Hardtwig (Hg.), Über das Studium der Geschichte, München 1990, S.292f. 155 Fritz Wagner deklariert seine Zeit als „Kulturkrise" und bezeichnet dabei seine theoretischen Abhandlungen über die »Geschichtswissenschaft« als „Versuch im Dienste der allgemeinen Besinnung auf Grundlagen und Ablauf unserer Kultur": Geschichtswissenschaft, München 1951, Vorwort.

56

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

so betrachteten die Historiker der frühen Bundesrepublik nun das Verhältnis zwischen Geschichte und Gegenwart in theoretischer Hinsicht und öffneten sich dabei zunehmend der modernen Welt. Es ist in diesem Zusammenhang signifikant, daß in der öffentlichen Diskussion der westdeutschen Historiker regelmäßig die Frage nach dem „Interesse an der Geschichte" auftauchte. Der Mediävist Hermann Heimpel klagte in seiner Eröffnungsrede zum deutschen Historikertag in Ulm 1956 darüber, daß die zeitgenössischen Historiker sich mit einem weitverbreiteten Unbehagen gegenüber der Geschichte konfrontiert sähen. In seinen Augen seien historische Argumente in Politik, Wissenschaft und Kunst nicht mehr vorherrschend. Im krassen Gegensatz dazu habe im 19. Jahrhundert die Historie als Vorbild gedient, und man habe am Ende sogar unter einem Zuviel an geschichtlicher Betrachtung gelitten, wie Friedrich Nietzsches wohlbekannte Äußerung zur Geschichtsmüdigkeit beweise. In zeitgenössischen Angelegenheiten ziehe die Geschichte das allgemeine Interesse nicht mehr auf sich.156 Diese symptomatische Beobachtung Heimpels fand sogleich publizistische Resonanz.157 In diesen Jahren drängte sich den Historikern die Frage nach dem „Interesse an der Geschichte" unausweichlich auf. Hierbei ging es nicht immer um die Frage, ob das Interesse ab- oder zunahm,158 sondern mehr um Verlagerungen des Interessenschwergewichts. Als Beispiel mögen hier die Überlegungen Reinhard Wittrams dienen.159 Er unterscheidet zwei Arten von „Interesse an der Geschichte", das „gegenwartsnahe" und das „gegenwartsferne". Das erste ist durch starke aktuelle Impulse gekennzeichnet; solange man von der Kontinuität der Geschichte überzeugt sei und sich als Teil dieses Prozesses fühle, wendet man sich der Geschichte zu, um mit der Kenntnis historischer Zusammenhänge seine Gegenwart aufzuschlüsseln.160 Das zweite Interesse habe einen ganz anderen Ausgangspunkt. Es erweise sich als Flucht aus der Gegenwart. Die Geschichte werde hierbei nicht als Vorgeschichte von Gegenwart oder Zukunft verstanden, sondern als das „Ferne, Fremde und Dunkle". Die Geschichte habe eine Dimension, die sich dem jeweiligen gegenwärtigen Zu-

vernachlässigt,

156

Hermann Heimpel, Geschichte und Geschichtswissenschaft (1956), in: VfZ 5, 1957/ hier ders., Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen 1957, S. 196-220. 157 Siehe H. Grundmanns Bericht über den Ulmer Historikertag, in: HZ 183, 1957, S. 742. 158 Der Neuzeithistoriker Siegfried A. Kaehler wies beispielsweise darauf hin, daß trotz einer

in:

der deutschen Bildungsschichten das vorwissenschaftliche Interesse an der Geschichte sich nicht abgeschwächt, sondern eher verstärkt habe. Seiner Ansicht nach übte die Geschichte vor allem in Gestalt historischer Romane noch eine große Anziehungskraft auf die Leserschaft aus. Kaehler behauptete, daß das vorwissenschaftliche Interesse an der Geschichte im Schein der „optativischen Geschichtsdeutung" zur Ausblendung des echten Problems führe, das in der „Fragwürdigkeit aller geschichtlichen Überlieferung und aller geschichtlichen Aussage" bestehe: Der Wunsch als Vater der Historie. Wandlungen unseres Geschichtsbildes, in: Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung, Stuttgart/Köln, 19.3. 1955, Nr. 22. 159 Reinhard Wittram, Das Interesse an der Geschichte, in: Die Welt als Geschichte 12, 1952, S. If; ders., Das Interesse an der Geschichte. Zwölf Vorlesungen über Fragen des zeitgenössischen Geschichtsverständnisses, Göttingen 1958. 160 Ders., Das Interesse an der Geschichte, in: Die Welt als Geschichte 12, 1952, S. 8f.

gewissen Geschichtsmüdigkeit

B. Die deutsche

Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

57

griff entziehe, ein „Eigenwesen". Wittram stellt dabei fest, daß sich der Bedeutungsgehalt des Wortes „Geschichte" im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr auf das Vergangene eingeschränkt hat.161

Die Zweifel an einem breiten „Interesse an der Geschichte" sind als Indiz dafür anzusehen, daß sich die Historiker der Nachkriegszeit einer wachsenden Diskrepanz von Vergangenheit und Gegenwart konfrontiert sahen. Es verwundert nicht, daß daher die bisher als selbstverständlich angesehenen Grundkategorien der geschichtswissenschaftlichen Arbeit, Geschichte und Gegenwart, intensiv diskutiert wurden.162 Hermann Heimpel z.B. beklagte, die Zeit von 1933 bis 1945 habe das „natürliche" Verhältnis der Deutschen zur Geschichte zerstört. Solange die Geschichte nicht mehr durch „Pathos und einfache Sympathie" begünstigt, sondern durch Gegenwartsangelegenheiten überwältigt werde, bestehe für die Deutschen die Gefahr, „ein Volk ohne Geschichte" zu werden.163 Ein gewichtiger Grund für die Diskrepanz zwischen Geschichte und Gegenwart schien die Erfahrung des ideologischen Mißbrauchs der Geschichte zu sein. Die vom NS-Regime hergestellte „falsche" Verbindung zwischen Geschichte und Gegenwart habe nach der großen Enttäuschung das „gegenwartsnahe" Interesse an der Geschichte erschwert.164 Walther Hofer behauptete, die „mißtrauische Ausnutzung der Geschichte" durch die Nationalsozialisten habe zur Erschütterung der historischen Objektivität und damit zum Funktionsverlust der Geschichte in der Gegenwart beige-

tragen.165

Die Historiker dieser Zeit wurden des Sinnverlusts der Geschichte in der

Gegenwart gewahr. Sie stellten diesen Zustand anhand der folgenden phänotypischen Befunde fest. Diese geschichtstheoretischen Reflexionen befähigten die Historiker zur Standortbestimmung ihrer Fachdisziplin. Ein Befund war die „Zuwendung zur Gegenwart" (Reinhard Wittram). Obwohl die Mehrzahl der Historiker dieser Jahre auch noch die „lebendige Vergangenheit" (Gerhard Ritter) nicht in Zweifel zog, blieb die zeitgenössische Debatte um das „freie Wesen der Gegenwart" (Alfred Müller-Armack) bei den Historikern nicht ohne Spuren. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei die Überlegungen Hermann Heimpels zur „einmaligen Gegenwart". Heimpel stellt fest, daß es ein verborgener Wunsch des Menschen sei, seine Gegenwart aus der Kette geschichtlicher Zeiten zu lösen und ihr ein eigenes Recht einzuräumen. Die vergegenwärtigte 161

Ebenda, S. 5.

Peter Rassow, Die Grenze zwischen Geschichte und Gegenwart (1955), in: ders., Die geschichtliche Einheit des Abendlandes. Reden und Aufsätze, Köln/Graz 1960, S. 106-110. 163 Heimpel, Geschichte und Geschichtswissenschaft (wie Anm. 156), 220. 164 Hans Rothfels stellte die Frage „Wie stehen wir zur Geschichte?" und beantwortete sie dahingehend, daß Dogma und Indifferenz an die Stelle der geschichtlichen Wahrheit getreten seien. Der propagandistische Mißbrauch der Geschichte durch das NS-Regime habe das historische Bewußtsein zerstört und damit die neue Tendenz zum „Unbedingten" unter jungen Menschen zur Folge gehabt: Wie stehen wir zur Geschichte? in: Deutsche Zeitung und Wirtschaftszeitung, Stuttgart/Köln, 8, Mai, 1954, Nr. 37. 165 Walther Hofer, Geschichte zwischen Philosophie und Politik. Studien zur Problematik 162

des modernen

Geschichtsdenkens, Basel 1956, S. 298f.

58

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

Vergangenheit gewinne zwar in der Gegenwart jeweils Dauer, trotzdem solle die Gegenwart mehr als aktuelle Vergangenheit sein; sie grenze sich damit gegen die Geschichte ab. Diese Tendenz entspringe der bitteren Erfahrung,

daß die Menschen im Namen der Geschichte dazu gezwungen worden seien, das gegenwärtige Glück einem zukünftigen aufzuopfern. Nachdem „die Geschichte" dem Menschen zugemutet habe, sich in letztlich menschenfeindliche kollektive Zwecke einzufügen, sei eine Periode der Geschichtsmüdigkeit unvermeidlich. Eine „Mediatisierung des Menschen", wie man sie erlebt habe, führe folgerichtig dazu, die Geschichte als eine ungerechte Organisierung der Zeit anzusehen, die es aufzubrechen gelte. So erscheine die einmalige Gegenwart legitimer als die Geschichte.166 Hermann Heimpels Betonung der „einmaligen Gegenwart" kann als Reaktion eines Fachhistorikers auf die zeitgenössische Diskussion um die „Gegenwart" angesehen werden. Eine solche geschichtstheoretische Fundierung der phänotypischen „Zuwendung zur Gegenwart" zielte zwar in erster Linie auf die Anklage des ideologischen „Mißbrauchs" ab, stieß aber zugleich eine kritische Besinnung auf die moderne Geschichtswissenschaft an. Die Historiker dieser Jahre beklagten sich gemeinhin darüber, daß die Geschichte als Erkenntnisgegenstand auf einen bestimmten Zeitpunkt fixiert sei und in diesem Sinne nichts anderes als bloße Vergangenheit darstelle, die sich der aktuellen Erfahrung entziehe; wenn der Umgang mit der Geschichte für die gegenwärtige Welt keinen Sinn mehr habe, stehe die Ablösung der Gegenwart von der Geschichte bevor. Die „Zuwendung zur Gegenwart" sei in diesem Zusammenhang die komplementäre Folge der „Verlagerung" des Geschichtsinteresses vom Gegenwärtigen zum Vergangenen. Ein derartiger Gedankengang läßt sich an der folgenden konzisen Formulierung Alfred Heuß' nachvollziehen: „Die gegenwärtige Welt, welche auf der einen Seite mit historischem Wissen im Zustand einer spezifischen und abseitigen, nur von Spezialisten' zu handhabenden Verfügbarkeit angefüllt ist, andererseits täglich mit Denkformen umgeht, die sich, direkt oder indirekt, aus dem Historismus ableiten, wird im Durchschnitt von einem nahezu enthistorisierten oder ahistorischen Bewußtsein repräsentiert, d.h. durch ein Bewußtsein, welches über keinerlei aktuelle oder aktualisierbare Rapporte zur Vergangenheit verfügt."167 So Heuß machte hier auf die Koinzidenz der „Spezialisierung" der Geschichtswissenschaft auf der einen Seite und eines Rückgangs des historischen Bewußtseins auf der anderen Seite aufmerksam. Ins Blickfeld rückte dabei die neue Beziehung der Geschichte zur Gegenwart. Es ist bemerkenswert, daß viele Historiker dieser Jahre diesen Befund als „Grundlagenkrise" ihrer Fachdisziplin werteten. Weil die Gegenwartsbezogenheit als notwendige Voraussetzung aller Historie begriffen wurde, befaßten sie sich jetzt gründlich mit dieser geschichtstheoretischen Problematik. Walther Hofer unterstreicht die Gegenwartsbezogenheit der Geschichte durch den Verweis auf „die strukturelle Gleichartigkeit von Geschichte und Gegenwart". Seine Argumentation 166 Hermann Heimpel, Der Mensch in seiner Gegenwart, in: Sammlung 6, 1951/ hier in: ders., Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen 1957 (2. erweiterte Aufl.), S. 30f. 167 Alfred Heuß, Verlust der Geschichte, Göttingen 1959, S. 57.

B. Die deutsche

Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

59

geht von der Annahme aus, daß die Geschichtserkenntnis immer begrenzt und von der Perspektive des Historikers abhängig sei. Die Forschungsarbeit an

sich könne keinen Sinn erschließen; vielmehr könne der Historiker sich in seinen Gegenstand immer nur mittels einer eigenen „Geschichtskonzeption" hineinversetzen.168 Hofer begreift die Relativität aller Werte als ein „Gesetz" unseres Daseins. Gerade weil alle menschlichen Hervorbringungen der Vergangenheit sowie der Gegenwart unvermeidlich der Relativität unterworfen seien, könne die Geschichtserkenntnis zur „menschlichen Existenzerhellung" in der jeweils kontingenten Gegenwart beitragen. Insofern bleibe die Historie auch nicht bloße Chronik, sondern stehe im Dienst des geistigen und politischen Lebens der Gegenwart.169 Aus derselben Problemstellung heraus versucht der Althistoriker Alfred Heuß theoretisch zu klären, in welchem Maße die historische Betrachtung die Gegenwartsbezüge kategorisch benötige. Zu diesem Zweck möchte er die „ontologische Unzulänglichkeit" des Geschichtlichen theoretisch begründen. Heuß zufolge sind geschichtliche Ereignisse vergangen und also nicht mehr gegenwärtig; die Geschichte stehe unter dem Gesetz der Zeit, sie sei immer im Fluß. Da wir die Geschichte nur als Teil besäßen, sei es notwendig, daß jeder Gegenwartsbezug einem historischen Verständnis der Vergangenheit diene.170 Aus dieser ontologischen Reflexion über das Geschichtliche ergibt sich Heuß' These von der „Geschichte als Erinnerung".171 Heuß behauptet, daß die Erinnerung das Fundament der menschlichen Erfahrung sei; die menschliche Erfahrung habe mit der Zeit zu tun, und das menschliche „Organon" für die vergangene Zeit sei eben die Erinnerung. Charakteristisch für die Erinnerung ist ihre stete Reflexivität. Man erinnert „sich" an einen Gegenstand, von dem das eigene Selbst zu einem bestimmten Zeitpunkt betroffen war. Zugleich aber verfährt die persönliche Erinnerung nicht isoliert, sondern erweitert sich auf Grund der interpersonalen Verknüpfungen zur kollektiven Erinnerung. Sowohl die Person als auch die Gesellschaft im Ganzen haben eine eigene Erinnerung, die Personen teilen als Mitglieder der Gesellschaft eine gemeinsame Vergangenheit. Erst da, wo das Kollektiv gemeinsam des „Jetzt" und „Damals" in einem Evidenzerlebnis gewahr wird, offenbart sich die historische Zeit. In dieser Hinsicht ist die Erinnerung der Ursprung der historischen Zeit. Die Erinnerung verbindet die Vergangenheit und Gegenwart in einem „zeitlichen Nacheinander und Zueinander". Vermöge des Bewußtseins der eigenen Kontinuität in der Zeit stellt der Mensch die Vergangenheit in den Dienst der gegenwärtigen Lebensbedürfnisse. Die von Heuß aufgestellte Grundkategorie der Ge168 Walther Hofer, Geschichte zwischen Philosophie und Politik. Studien zur Problematik des modernen Geschichtsdenkens, S. lOf. Vgl. Peter Rassow, Grenzen geschichtlicher Erkenntnis (1952), in: ders., Die geschichtliche Einheit des Abendlandes, Köln/Graz 1960, S. 111-114. 169 Ders., Geschichte und Politik, in: HZ 174, 1952, S. 290f. Hofer verwendet in diesem Aufsatz den Heideggerschen Begriff der „Geschichtlichkeit". 170 Alfred Heuß, Verlust der Geschichte, Göttingen 1959, S. 10-11 ; Peter Rassow, Der Historiker und seine Gegenwart, München 1948, S. 11-20. 171 Heuß, Verlust der Geschichte, 13f. Vgl. Theodor Litt, Die Frage nach dem Sinn der Geschichte, München 1948, S. 78f.

60

H- Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

schichte, „Erinnerung", ist in drei Eigenschaften, Betroffensein, Gemeinsam-

Gegenwärtigkeit, zusammenzufassen. In dieser Argumentation kristallisiert sich eine kritische Besinnung Heuß' auf die geistige Situation seiner Gegenwart; die Erinnerung als die maßgebende Instanz ist unentbehrlich für den Umgang mit der Geschichte; sobald die Erinnerung schwindet, muß der Umgang mit der Geschichte verlorengehen; Heuß spricht vom „Verlust der Geschichte". Die Historiker der 50er Jahre stimmten weitgehend darin überein, daß die Vergangenheit den gegenwärtigen Handlungsvollzügen nicht mehr als „dauernde Gegenwart" (H. Heimpel) inhärent sei und daß die „Geschichte" daher unvermeidbar gegenwärtig an Gültigkeit verliere. Dieser Eindruck veranlaßte Theodor Schieder dazu, über die Historiographie des 19. Jahrhunderts nachzudenken, die ihm von starken Gegenwartsinteressen geprägt schien. Er teilte das Geschichtsinteresse der traditionellen deutschen Historiographie ihrem jeweiligen Gegenwartsbezug nach in drei Positionen ein: 1. Das Verlangen nach Überwindung der Revolution durch Legitimität (Ranke) 2. Der Wille zur Schöpfung des freien nationalen Staates (Droysen) 3. Die Suche nach dem Gegengewicht gegen die rasende Bewegung der Zeit (Burckhardt).172 Mit Verweis auf diese drei Positionen stellte Schieder fest, daß die Gegenwartsbezogenheit eigentlich der historischen Betrachtung nicht entgegenstand, sondern für sie sogar erforderlich war. Seiner Meinung nach befähigte eben die Gegenwartsbezogenheit der Historiker des letzten Jahrhunderts sie zur leidenschaftlichen Hinwendung zur Geschichte. Schieder beklagte, daß diese Konstellation für die Historie im 20. Jahrhundert nicht mehr gegeben sei.173 Die Historiker der 50er Jahre begriffen dieses Problem ihrer Fachdisziplin als Reflex auf den allgemeinen Rückgang des historischen Bewußtseins. Diese Einschätzung gründete auf der Annahme, daß die Einbuße an Gegenwartsbezogenheit der Geschichtswissenschaft der realen Diskontinuität der Geschichte korreliere.174 Diesen Gedanken formuliert Hermann Heimpel am klarsten. Seiner Ansicht nach trug die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte keit und

einerseits und die radikale Änderung der geschichtlichen Realbedingungen andererseits gemeinsam zur „Vereinfachung" des Geschichtsbewußtseins bei, auf die Heimpel den Sinnverlust der Geschichte in der Gegenwart zurückführt.

172 Theodor Schieder, Erneuerung der Geschichtswissenschaft (1957), in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit. Studien zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1958, S. 189. 173 Ders., Grundfragen der neueren deutschen Geschichte. Zum Problem der historischen Urteilsbildung, in: HZ 192, 1961, S. 1-2. 174 Otto Brunner stellt beispielsweise fest, daß der politisch-soziale Strukturwandel das Verhältnis der Gegenwart zu aller älteren Geschichte gewandelt habe und damit den Verlust der inneren Identität von Vergangenheit und Gegenwart zur Folge habe, die eine wichtige Voraussetzung des Interesses an der Geschichte darstelle: Das Fach „Geschichte" und die historischen Wissenschaften (Rektoratsrede Hamburg 1959), in: Hamburger Universitätsreden Nr. 25, 1960/ hier ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968 (zweite, vermehrte Auflage), S. 13.

B. Die deutsche Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

61

er ein neues Geschichtsbewußtsein, auf das sich die „Geschichtswissenschaft" und die geschehene „Geschichte" stützen sollten.175

Folgerichtig postuliert

Solange die Historiker der Nachkriegszeit die Disjunktion zwischen Vergangenheit und Gegenwart ausdrücklich hervorhoben und sich auf ein neues

Geschichtsbewußtsein beriefen, durch das Geschichte und Gegenwart vermittelt werden sollten, befanden sie sich in Einklang mit der Grundhaltung der Nachkriegskonservativen. Die Aufforderung zur „Erneuerung des Geschichtsbewußtseins" (Theodor Schieder) war zwar ein Anliegen einer großen Zahl deutscher Historiker nach 1945, aber insgesamt stark durch die Historikergeneration geprägt, die unter dem Einfluß des „neuen" Konservatismus stand. In ihren geschichtstheoretischen Reflexionen zeichnet sich insofern die oben genannte ambivalente Sicht der Moderne ab. Auf der einen Seite nahmen diese Historiker ihre Gegenwart als „Krise" wahr, insofern sie sich im Hinblick auf die Situation der „Geschichte und Geschichtswissenschaft" des neuen Verhältnisses zwischen Geschichte und Gegenwart bewußt wurden. Solange sie dieses Problem auf die Moderne zurückführten und diese damit als Movens der Krise betrachteten, ist der Ruf nach einem neuen Geschichtsbewußtsein freilich als Kritik an der Moderne zu verstehen. So beruft sich beispielsweise Reinhard Wittram explizit in Abgrenzung von der Moderne auf die „Tradition". Man könne nicht mehr ungebrochen in der Tradition stehen, seitdem die moderne Welt die Vergangenheit „rein historisch" gemacht und damit die Geltung des geistigen Erbes annulliert habe. Angesichts dieses „Verlustes der Tradition" könne der Mensch in der Geschichte keine „Geborgenheit" mehr finden.176 Der Ruf nach einem neuen Geschichtsbewußtsein setzte auf der anderen Seite die Anerkennung der Moderne voraus. Es ist kennzeichnend für die historiographische Entwicklung, daß die Historiker junkonservativer Provenienz die Diskrepanz zwischen Vergangenheit und Gegenwart als Realität akzeptierten und dabei das Ende der geschichtlichen Kontinuität konstatierten. Eine Äußerung Theodor Schieders kann als Indikator für eine derartige historische Wahrnehmung angesehen werden. Dieser in der Nachkriegszeit tonangebende Historiker appellierte in den 50er Jahren an ein neues Geschichtsbewußtsein, das „auf der Diskontinuität aufbaut", und erkannte dabei die „Diskontinuität" als „eine allgemeine Kategorie des geschichtlichen Denkens heute" an.177 In Anschluß an die geschichtstheoretischen Reflexionen über die Gegenwart teilten die Historiker junkonservativer Provenienz mit anderen Nachkriegshistorikern die Meinung, daß die Historie zur „Existenzerhellung der Gegenwart"178 beitragen solle. Indem jene Historiker ihr Interesse an der Geschichte theoretisch zu fundieren trachteten, lösten sie sich von ihren früheren quasi Hermann Heimpel, Über Geschichte Göttingen 1959, S. 3-6. 175

und Geschichtswissenschaft in

unserer

Zeit

(1959),

Reinhard Wittram, Das Interesse an der Geschichte, Göttingen 1958, S. 98. S. 96, S. 69. Schieder, Grundfragen (wie Anm. 173), 5. Vgl. Ritter, Wissenschaftliche Historie (wie Anm. 126), 582. 178 Ludwig Dehio nutzt den K. Jasperschen Begriff „Existenzerhellung der Gegenwart" als Kennzeichnung der Aufgabe der Historie: Rezension zu Hans Sedlmayrs »Verlust der Mitte«, in: HZ 170, 1950, S. 103. 176 177

62

II. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

metaphysischen Geschichtsanschauungen ab, die im Begriff „Volk" kulminiert hatte. Es kann hierbei als ihr Beitrag zum Geschichtsdiskurs der Nachkriegskonservativen angesehen werden, daß die Auseinandersetzung mit der Geschichte nicht nur Ausdruck ihres kulturpessimistischen, sondern auch wissen-

schaftlichen Umgangs mit der Moderne wurde. Mit den geschichtstheoretischen Grundlegungen ihres Erkenntnisinteresses öffneten sich die Historiker nun der modernen Welt, die ihnen als Nährboden für die „Krise", aber auch als neuer Bezugsrahmen der Geschichtswissenschaft erschien. 3. Die Suche nach neuen Deutungsmustern der Vergangenheit im der Revision des deutschen Geschichtsbildes

Zuge

Die geschichtstheoretische Grundlegung ihres Erkenntnisinteresses führte die Historiker dazu, die bisherigen Deutungsmuster der Vergangenheit zu überprüfen. Sobald ein Teil der Nachkriegshistoriker die Moderne als Ergebnis eines tiefen Kontinuitätsbruchs, verbunden mit einem Rückgang des historischen Bewußtseins, zu charakterisieren begann, fanden sie sich nicht mehr mit einem Geschichtsbild ab, in dem der deutsche Nationalstaat den Angelpunkt aller Geschichtsbetrachtung gebildet hatte. Die „junge" Historikergeneration der Weimarer Zeit begann nach 1945 das herkömmliche deutsche Geschichtsbild zu revidieren und übernahm damit eine wesentliche Rolle im Geschichtsdiskurs des deutschen Nachkriegskonservatismus. Den Anstoß zu einer solchen, in den ersten Nachkriegsjahren vielbeschworenen Revision des deutschen Geschichtsbildes gab sicherlich die Erfahrung der jüngsten deutschen Vergangenheit. Dabei reagierte man zunächst auf den Gedanken eines grundsätzlichen „Irrwegs" der neueren deutschen Geschichte, der v. a. außerhalb der Fachwissenschaft publizistischen Anklang fand.179 Unter dem Eindruck der „Verfeindung mit der eigenen Geschichte" (Theodor Litt) war den Historikern dieser Jahre daran gelegen, die Brücke des Bewußtseins über den Bruch in der Zeit von 1933 bis 1945 hinweg wieder aufzubauen.180 Dabei hielten die Nachkriegshistoriker eine Revision des herkömmlichen 179 Die sogenannte Irrweg-These wurde zum größten Teil von linken Intellektuellen vertreten, wie Alexander Abusch (Der Irrweg einer Nation. Ein Beitrag zum Verständnis deutscher Geschichte, Berlin 1946) und Ernst Niekisch (Deutsche Daseinsverfehlung, Berlin 1948), aber auch von Liberalen, wie Rudolf Stadelmann (Deutschland und Westeuropa. Drei Aufsätze. Stuttgart 1948). Siehe Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1993, S. 48-50. 180 Schulze, ebenda, S. 214. In die Irrweg-Diskussion führte Friedrich Meinecke den Aspekt des Zufalls ein und bestritt damit die Notwendigkeit der „deutschen Katastrophe". Er äußerte sich zwar kritisch gegen den preußischen Militarismus, akzentuierte aber in viel stärkerem Maße die „tragischen" Unglückswege der deutschen Geschichte. Sein exkulpatorisches Argument lautet: „Es war kein Irrlicht, es war Schicksal, das uns auf diesen Weg führte. Es war die geopolitische Lage Deutschlands inmitten Europas, die uns die Alternative aufzwang, entweder Depressionsgebiet zu bleiben oder Machtstaat zu werden": Irrwege in unserer Geschichte? in: Der Monat 2, 1949, S. 3-6. In den frühen Nachkriegsjahren gewann der Begriff „Schicksal" erneut an Geltung. Siehe Theodor Litt, Der Mensch vor der Geschichte, Bremen 1950, S. 28-31. Karl Dietrich Erdmann plädierte für einen Schicksalsbegriff, der keine Aus-

B. Die deutsche Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

63

deutschen Geschichtsbildes für durchaus notwendig. Sie begaben sich v. a. „die Suche nach den verschütteten Möglichkeiten";181 vorrangig ging es aber um die Genesung des durch die NS-Ideologie verzerrten Geschichtsbewußtseins, die sie als Wiederherstellung der historischen Objektivität verstanden.182 Die Loslösung der deutschen Geschichte von der NS-Vergangenheit kann durchaus als Grundmotiv der Geschichtsrevision dieser Jahre angesehen werden. Dahinter stand natürlich auch der Wunsch, die Deutschen von der Kriegsschuld zu entlasten. Die Grenzen der Geschichtsrevision wurden dadurch aber nicht festgelegt. Man akzeptierte die Revision des Geschichtsbildes als Revision des gesamten Wertesystems und begriff sie damit auch als eine weltanschauliche, ethische Forderung.183 Die Tatsache, daß sich die Historiker in der Auseinandersetzung mit der Irrweg-These zu einer Abkehr von der früheren „Ideologie des deutschen Weges" entschlossen, ist in ihrer Bedeutung für die deutsche Historiographiegeschichte nicht zu unterschätzen. Als neue Bezugspunkte schoben sich ein europäisches Geschichtsbewußtsein und ein universalgeschichtliches Geschichtsbild in den Vordergrund, wie sie sich auch im Diskurs der deutschen Nachkriegskonservativen abzeichneten. Um diese Entwicklungslinie nachzuvollziehen, ist zunächst zu berücksichtigen, daß die Geschichtsrevision nicht von ganz neuen Denkansätzen ihren Ausgang nahm, sondern im Gegenteil von einer Erneuerung des klassischdeutschen Geschichtsdenkens ausging. Diese Rückkehr zur geistigen Tradition des Faches fand in der moralischen Anklage gegen den Nationalsozialismus ihre Bestätigung. In den ersten Nachkriegsjahren kristallisierte sich die Diskussion um die Geschichtsrevision im Rahmen der Diskussion um „Ranke und Burckhardt" heraus. Diese beiden Protagonisten der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts dienten als Vorbilder einer erneuerten Geschichtswissenschaft.184 Die erneute Ranke-Rezeption verdankte sich dem damals geläufigen Objektivitätsanspruch. Damit polemisierten die Historiker gegen die nationalsozialistische Zumutung der „kämpfenden Wissenschaft". Die Möglichkeit, die Rankeschen historisch-politischen Konzeptionen mit den Forderungen der Gegenwart in Einklang zu bringen,185 war aber durch die Erfahrung der „Deutweichen ins Irrationale darstelle, sondern Erhellung einer Situation sei: Anmerkungen zu Friedrich Meinecke: „Irrweg in unserer Geschichte?" und „Die deutsche Katastrophe", in: GWU 2, 1951, S. 85. Vgl. die partielle Anerkennung des Irrwegs von Hajo Holborn, dem emigrierten Historiker und einem Schüler Meineckes: Irrwege in unserer Geschichte? in: Der Monat 2, 1950, S. 531-535. 181 Walther Hofer, Über das Problem einer Revision des deutschen Geschichtsbildes, in: Europa Archiv 4, Heft 2, Wien/Frankfurt a. M. 1949, S. 1808. 182 Theodor Litt, Wege und Irrwege geschichtlichen Denkens, München 1948, Kapitel 4. Die Revision des Geschichtsbildes, S. 111-124. Walther Hofer bezeichnet den Einfluß des Nationalsozialismus auf das deutsche Geschichtsdenken als eine „Entartung", die durch „Säkularisierung, Materialisierung, Naturalisierung, Biologisierung" gekennzeichnet ist: Über das Problem (wie Anm. 181), 1807. 183 Hofer, Über das Problem, 1803-1804. 184 Siehe Eberhard Kessel, Ranke und Burckhardt. Ein Literatur- und Forschungsbericht, in: Archiv für Kulturgeschichte 33, 1951, S. 351-378. 185 Carl Hinrichs, Ranke und die Geschichtstheologie der Goethezeit, Göttingen 1954; ders., Rankes Lutherfragment von 1817 und der Ursprung seiner universalhistorischen Anschau-

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

64

Umfeld

sehen Katastrophe" stark eingeengt.186 Da man den Rankeschen Optimismus kaum mehr teilen konnte, wandte man sich Jakob Burckhardt zu. Diese Wende wurde noch von Friedrich Meinecke eingeleitet. In einem Vergleich zwischen Ranke und Burckhardt stellte er die „Überlegenheit Burckhardts im Urteil über Gegenwart und Zukunft" fest. Dort, wo ihm das Rankesche „Idealbild von regelmäßiger Fortentwicklung der Weltgeschichte" nicht mehr haltbar schien, eröffnete ihm die pessimistische Kulturkritik Burckhardts einen Weg zur Analyse gegenwärtiger Prozesse.187 Unter Berufung auf Burckhardt verlangte er nach einer „gründlichen Revision" eines vom nationalen Machtstaatsgedanken dominierten Geschichtsbildes.188 Seine in den ersten Nachkriegsjahren vorgenommene „tiefere Neubesinnung" nahm insofern die Geschichtsrevision der 50er Jahre vorweg, als er die deutsche, genauer gesagt: die preußische Geschichte, nicht durch nationalgeschichtliche Deutungsschemata, sondern in Hinblick auf die allgemeine Entwicklung der modernen Welt zu erfassen suchte. Nach der paradigmatischen Wende Friedrich Meineckes etablierte sich diese Grundrichtung der Geschichtsrevision im Lauf der 50er Jahre auf breiterer Basis. Der wichtigste Exponent ist dabei Theodor Schieder. Er erkannte Burckhardt als die wichtigste Identifikationsfigur an. Mit Rekurs auf Burckhardt faßte er die Erfahrung rascher Veränderungen seiner Zeit in dem pathologischen Begriff der „Krise" zusammen. „Krise" stellte für ihn kein kontingentes Phänomen, sondern die „entscheidende Durchgangsform des historischen Prozesses" dar. Mit der Burckhardtschen „Phänomenologie der historischen Krise" konstatierte Schieder, daß der ständige Kontinuitätsbruch das Wesensmerkmal der Moderne sei, es gelte also, „nicht wie früher nur die Kontinuität herauszustellen, sondern auch den Bruch". Dieser, auf dem Weg ung, in: Richard

Nürnberger (Hg.), Festschrift für Gerhard Ritter. Zu seinem 60. Geburtstag, S. 299-321; Hans Herzfeld, Politik und Geschichte bei Leopold von Ranke 1848-1871, in: Festschrift für Gerhard Ritter, S. 322-341; Eberhard Kessel, Rankes Geschichtsauffassung, in: Universitas 1947, S. 915-925; Walther Hofer, Geschichte zwischen Philosophie und Politik. Studien zur Problematik modernen Geschichtsdenkens, Basel 1956, S. 61f. Zur Kritik Walther Hofers an der Ranke-Gesellschaft siehe Hofer, Der mißbrauchte Ranke. „Konservative Revolution" in der deutschen Geschichtsschreibung? in: Der Monat 7, 1955, S. 542-547. 186 Siehe Johann Albrecht von Rantzau, Das deutsche Geschichtsdenken der Gegenwart und die Nachwirkungen Rankes, in: GWU 1, 1950, S. 514-524. Der Nachwuchshistoriker Rudolf Vierhaus nahm eine Historisierung Rankes vor, indem er Rankes historiographische Arbeiten mit seinem „epochalen" Geschichtsbewußtsein bündelte, das nach Vierhaus auf Rankes Erfahrung der Moderne beruhte: Ranke und die soziale Welt, Münster 1957; ders., Rankes Verständnis der „neuesten Geschichte", in: Archiv für Kulturgeschichte 39, 1957, S. 81-102. Siehe Rantzaus Rezension zu Vierhaus »Ranke und die soziale Welt«, in: VSWG 45, 1958, S. 273-274. 187 Friedrich Meinecke, Ranke und Burckhardt, Berlin 1948, S. 4-5, S. 9. Vgl. Rudolf Stadelmann, Jacob Burckhardts Weltgeschichtliche Betrachtungen, in: HZ 169, 1949, S. 31-72. 188 Seine Abkehr vom preußischen Geschichtsbild zeigte sich schon deutlich in seinem Buch »Die deutsche Katastrophe« (Wiesbaden 1946), aber schon früher in »Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte« (1924), München 1957 (hg. v. Walther Hofer). Siehe W. Hofers Einleitung, besonders seinen Hinweis auf die Meinecke-Rezeption in den 50er Jah-

Tübingen 1950,

ren.

(S. XXVII)

B. Die deutsche

Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

65

über Burckhardt gewonnene Ansatzpunkt legitimierte eine Hinwendung zur modernen Welt.189 Schieder warf dabei den traditionellen deutschen Historikern ihren Mangel an Verständnis für die moderne Welt vor. Schieder zufolge hatten die deutschen Historiker vor 1945 auf einem nationalstaatlichen oder höchstens eurozentrischen Standpunkt verharrt. Seiner Ansicht nach war der weltweite gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturwandel der modernen Welt von diesem verengten Standpunkt aus kaum zu erklären, statt dessen müsse der „planetarische Charakter der Geschichte" ins Bewußtsein gerückt werden.190 Wie das Beispiel Schieders, sein „kritisches Umdenken", zeigt, zeichnete sich die Diskussion um ein neues Geschichtsbild durch ein ausgeprägtes Interesse an der globalen Dimension der modernen Welt aus. Allerdings bildeten die Vertreter dieser Geschichtsrevision alles andere als eine homogene Gruppe. Zu ihnen zählten sowohl die Anhänger der traditionellen nationalstaatlichen Geschichtsschreibung, unter der Wortführung Gerhard Ritters, als auch die „abendländisch-christlich" orientierten Historiker, unter denen Katholiken, wie v. a. Franz Schnabel, vorherrschend waren. Die beiden Richtungen vertraten durchaus unterschiedliche Meinungen bezüglich der deutschen Vergangenheit und fochten heftige Meinungskämpfe aus.191 Obwohl das nationale Geschichtsbild in diesen Jahren keineswegs ganz zurücktrat,192 wandten sich

189

Theodor Schieder, Die historischen Krisen im Geschichtsdenken Jacob Burckhardts (1950), in: ders., Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 163-182. 190 Ders., Erneuerung des Geschichtsbewußtseins, in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit. Studien zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1958, S. 192f. Schieder stellt die Denkgewohnheiten des traditionellen „Historismus" in Frage, der in seinen Augen die ideelle Fixierung der deutschen Geschichtswissenschaft auf den nationalen Machtstaat und ihre eurozentrisch eingeengte Themenwahl, den „Primat der Außenpolitik", begünstigt habe. Vgl. Hofer, Geschichte zwischen Philosophie und Politik, insbes. Kapitel V. Geschichte, Politik und totalitäre Ideologie: Hofer ernennt zum Gegenstand der Geschichtsrevision drei Elemente: „die Idealisierung und Verherrlichung der Macht, die Heroisierung und Ethisierung der Krieges, die Radikalisierung und Verabsolutierung der nationalen Idee".

Vgl.

die Kritik Wilhelm Schüßlers

am

herkömmlichen Geschichtsbild: Um das Geschichts-

bild, Wuppertal/Barmen 1953. 191 Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, München 1993, S. 207f. Die in den frühen Nachkriegsjahren neu ausgebrochene Bismarck-Debatte kann als Indiz dafür angesehen weden, daß die westdeutsche Geschichtswissenschaft noch stark durch das nationale Geschichtsbild geprägt war. Siehe Hans Hallmann, Revision des Bismarckbildes. Die Diskussion der deutschen Fachhistoriker 1945-1955, Darmstadt 1972; Lothar Gall, Das Bismarck-Problem in der Geschichtsschreibung nach 1945, in: K. O. Aretin (Hg.), Bismarcks Außenpolitik und der Berliner Kongreß, Wiesbaden 1978, S. 131-158; ders., Das Bismarck-Problem in der Geschichtsschreibung nach 1945, Köln/Berlin 1971; Dieter Hein, Geschichtswissenschaft in den Westzonen und der Bundesrepublik 1945-1950, in: Christoph Cobet (Hg.), Einführung in Fragen an die Geschichtswissenschaft in Deutschland nach Hitler 1945-1950, Frankfurt a. M., S. 34f; Hans Mommsen, Betrachtungen zur Entwicklung der neuzeitlichen Historiographie in der Bundesrepublik, in: G. Alfoldy, F. Seibt u. A. Timm (Hg.), Probleme der Geschichtswissenschaft, Düsseldorf 1973, S. 128f; Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945 (wie Anm. 191), 224f; Günther Schäfer, Modernisierung der Vergangenheit, Hamburg 1990, S. lOlf. 192

66

// Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

die Historiker der 50er Jahre doch gemeinhin weniger der deutschen Sonderentwicklung als der geschichtlichen Einheit Europas zu.193 Der „Abendlandgedanke" der Fachhistoriker war keine gänzliche Neuerfindung. Seit der Weimarer Zeit verknüpfte sich der Begriff „Abendland" mit der Erinnerung an die gemeinsame Verwurzelung Europas. So hatte sich Friedrich Meinecke, der vor dem Ersten Weltkrieg den ausdrücklichen Gegensatz zwischen Deutschland und Westeuropa ausdrücklich hervorgehoben hatte, nach dem Ersten Weltkrieg in zunehmendem Maße der gemeinsamen europäischen Kultur zugewandt,194 vergleichbar der Art und Weise, wie sich später Gerhard Ritter unter dem Eindruck des Nationalsozialismus für einen europäischen Humanismus interessierte.195 Franz Schnabel hatte die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang der europäischen Geschichte zu erfassen gesucht,196 und Hans Rothfels in seinen Studien über die Bismarcksche Nationalitätenpolitik im Osten die Absolutsetzung des Nationalstaatsprinzips in Frage gestellt und sich einer gesamteuropäischen Perspektive geöffnet.197 Doch erst jetzt am Ende der 40er Jahre verband sich der Abendlandgedanke mit einer neuen universalgeschichtlichen Perspektive. Der Begriff „Abendland" implizierte dabei nicht nur die gemeinsame Wurzel, sondern auch das gemeinsame „Schicksal" Europas in den welthistorischen Prozessen der modernen Welt.198 Nach der Erfahrung zweier Weltkriege faßten also wichtige 193 Karlheinz Weißmann, Der „Westen" in der deutschen Historiographie nach 1945, in: Rainer Zitelmann, Karlheinz Weißmann, Michael Großheim (Hg.), Westbindung. Chancen und Risiken für Deutschland, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1993, S. 348. 194 Walther Hofer machte auf die Sonderstellung Meineckes in der Revision des Geschichtsbildes nach 1918 aufmerksam: Geschichtsschreibung und Weltanschauung. Betrachtungen zum Werk Friedrich Meineckes, München 1950; ders., Geschichte zwischen Philosophie und Politik; Jonathan B. Knudsen, Friedrich Meinecke (1862-1954), in: Paths of Continuity (wie Anm. 92), 49-71. 195 Gerhard Ritter, Die kirchliche und staatliche Neugestaltung Europas im Jahrhundert der Reformation und der Glaubenskämpfe. Neue Propyläen-Weltgeschichte, hg. v. W. Andreas, Bd. 3. Berlin 1941, S. 169-472. Dazu Otto B. Roegele, Gerhard Ritter und die Geschichtsrevision, in: FAZ 2.2.1951, S. 5; Klaus Schwabe, Change and Continuity in German Historiography from 1933 into the Early 1950s: Gerhard Ritter (1888-1967), in: Paths of Continuity, 83-108; ders., Gerhard Ritter. Wandel und Kontinuitäten seiner Geschichtsschreibung im Zeichen der deutschen Katastrophe (1933-1950), in: Geschichte in Verantwortung. Festschrift für Hugo Otto zum 65. Geburtstag, hg. v. Hermann Schäfer, Frankfurt a. M./New York 1996, S. 239-267; Peter Schumann, Gerhard Ritter und die deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, Göttingen 1989, S. 399-415. 196 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 1. Die Grundlage. 1.1. Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Welt, Freiburg 1929. Dazu Ernst-Walter Zeeden, Das Jahrhundert des Bürgertums. Franz Schnabels „Deutsche Geschichte im 19. Jahhundert", in: Saeculum 3, 1952, S. 509-521; Friedrich Hermann Schubert, Franz Schnabel und die Geschichtswissenschaft des 20. Jahrhunderts, in: HZ 205, 1967, S. 323-357. 197 Hans Rothfels, Bismarck und die Nationalitätenfrage des Ostens, in: HZ 147, 1933, S. 89-105; Klemens von Klemperer, Hans Rothfels (1891-1976), in: Paths of Continuity, 119154; Wolfgang Neugebauer, Hans Rothfels' Weg (wie Anm. 142), 333-378. 198 Der Abendlandgedanke der Nachkriegszeit kam in der Veröffentlichung der universalhistorischen Zeitschrift „Saeculum", dem von Fritz Kern konzipierten zehnbändigen Handbuch

B. Die deutsche

Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

67

Exponenten der deutschen Historikerschaft den „planetarischen Charakter der Geschichte" (Theodor Schieder) ins Auge und wandte sich dabei dem spezi-

fisch Europäischen zu. Hierfür sind die Äußerungen Hermann Aubins zur historischen Gemeinsamkeit Europas ein gutes Beispiel. Er akzentuierte neben dem antiken Erbe die entscheidende Rolle des Mittelalters für die Herausbildung eines einheitlichen „Europa". Im Unterschied zur Moderne, so Aubin, waren im alten Europa Kirche und Staat so verfügt, daß die „Einheit und Vielheit" der europäischen Kultur zustande kommen konnte. Daneben wies Aubin auf ein „Widerspiel von Vereinigung und Sonderung" der jeweils benachbarten europäischen Völker hin, in dem er ein Charakteristikum der Größe Europas sah. Für ihn bedeutet die Neuzeit einen Zerfall dieses europäischen Einheitsgebildes und damit seine Auflösung in Völker und Nationen, die sich Aubin zufolge bereits im Mittelalter zu differenzieren begonnen hatten. Folgerichtig forderte Aubin eine Wiederherstellung der kulturellen Gemeinschaft Europas, die ihm völlig verlorengegangen zu sein schien.199 Mit diesem Gedankengang repräsentierte Aubin jene Historiker der 50er Jahre, die auf eine besondere Dynamik Europa von allen anderen Kulturräumen der Erde abstellten und den Durchbruch zur modernen Welt mit ihr in Verbindung brachten. Zu ihnen gehörte u. a. Otto Brunner. Er suchte die geschichtlichen Voraussetzungen jener europäischen Dynamik zu erfassen, in die er den großen Strukturwandel seit dem 18. Jahrhundert zurückverfolgte. Die Besonderheit des Wandels im „inneren Gefüge des Abendlandes" entsteht für ihn aus der Dichotomie zwischen der Einheit der Kirche und der dauernden Vielheit der Staaten, zwischen Stadt und Land, auch zwischen Bürgertum und Adel.200 Für Brunner bedeutete die Erfassung des spezifisch Europäischen in der abendländischen Geschichte einen Rückblick auf seine weltgeschichtliche Stellung, nachdem diese verlorengegangen war. Die europäische Geschichte sollte, so postulierte Brunner, nunmehr in globaler Hinsicht thematisiert werden. Er rekurrierte dabei auf Hans Freyers »Weltgeschichte Europas«.201 Auch Theodor Schieder thematisierte die Stellung Europas innerhalb der globalen Entwicklung der modernen Welt. Die moderne Welt ist so Schieder aus der Europäisierung der Erde hervorgegangen, münde aber letzten Endes -

-

Weltgeschichte „Historia Mundi", der von Golo Mann geleiteten Neugestaltung der Propyläen-Weltgeschichte und in der Gründung des Mainzer Instituts für Europäische Geschichte zum Ausdruck. Siehe u. a. Martin Göhring (Hg.), Europa- Erbe und Aufgabe. Inter-

der

nationaler Gelehrtenkongress Mainz 1955, Wiesbaden 1956. 199 Hermann Aubin, Einheit und Vielfalt im Aufbau des mittelalterlichen Abendlandes, in: Geschichtliche Landeskunde und Universalgeschichte. Festgabe für Hermann Aubin zum 23. Dezember 1950, S. 15-42. Vgl. Peter Rassow, Die geschichtliche Einheit des Abendlandes (sechs Vorträge im Winter 1946/47), in: ders., Die geschichtliche Einheit des Abendlandes (wie Anm. 162), S. 3-34. 200 Otto Brunner, Inneres Gefüge des Abendlandes, in: Historia Mundi 6, 1958, S. 319-385; ders., Das Problem einer europäischen Sozialgeschichte (1951), in: HZ 177, 1954, S. 469f. 201 Ders., Inneres Gefüge des Abendlandes, 322. Vgl. Werner Conzes Rezension zur »Weltgeschichte Europas«, in: Deutsche Universitätszeitung 4, No. 23, 2.12.1949; Georg Stadtmüller, Toynbees Bild der Menschheitsgeschichte, in: Saeculum 1, 1950, S. 470.

68

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

in ihre Enteuropäisierung. Es sei die größte Leistung Europas, die ganze Erde in ein einheitliches Kraftfeld verwandelt zu haben. Der kleine Weltteil Europa, der während seiner Expansion zur Schaffung einer weltumspannenden modernen Zivilisation beigetragen hätte, habe sich nun aber zurückzuziehen. Das letzte Ergebnis der weltgeschichtlichen Aktivität Europas sei eben die Rückwirkung der außereuropäischen Welt auf Europa eine „Dialektik der Geschichte".202 In dieser Argumentation Schieders fand die oben dargestellte These Hans Freyers, „das Abendland begegnet sich selbst", Widerhall. Für die Historiker stellte es ein Novum dar, daß die Akzentuierung der europäischen Gemeinsamkeit gerade nicht zur Verstärkung des Eurozentrismus führen sollte, sondern im Gegenteil zu dessen Überwindung. Eine europäische Identität, so die Erkenntnis, lasse sich nur unter Berücksichtigung außereuropäischer Kulturen in der Weltgeschichte gewinnen.203 Es ist daher charakteristisch, daß ein Gesamtbild der Menschheitsgeschichte in den Blick geriet. Diese neue Denkfigur war mit dem Namen Arnold Toynbee verbunden. Der Begriff „Kulturmorphologie", in Deutschland bereits von Oswald Spengler und den jungkonservativen Historikern als neue historische Anschauungsweise eingeführt,204 tauchte auf dem Weg über Toynbee in diesen Jahren wieder im Geschichtsdiskurs auf. In den Kontroversen um die Toynbeesche Kulturmorphologie zeigte sich ein neues und breites Interesse an den globalen Zusammenhängen historischer Prozesse.205 In Anknüpfung an Arnold Toynbee, aber auch an Oswald Spengler, Alfred Weber oder Karl Jaspers war immer wieder von „Universalgeschichte" die Rede.206 Damit war nicht die abendländische Geschichte, sondern tatsächlich die „Weltgeschichte" gemeint. Bei Oskar Köhler, dem Herausgeber der universalhistorischen Zeitschrift »Saeculum«, wird der erweiterte Sinn des Terminus deutlich. Köhler hielt das eurozentrische Geschichtsverständnis insofern -

202

Schieder, Erneuerung des Geschichtsbewußtseins (wie Anm. 172), 200f. Dazu u. a. Reinhard Wittram, Das Interesse an der Geschichte, X. Die Möglichkeit einer Weltgeschichte^. 122-136. 204 Siehe die Einleitung von Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte, Bd. 1. Gestalt und Wirklichkeit, München 1923. 205 Oskar Köhler, Die Historiker und die Kulturmorphologen, in: Saeculum 12, 1961, S. 306318; Karl Dietrich Erdmanns Rezension der deutschen Übersetzung von Toynbees »Study of history«, in: HZ 170, 1950, S. 89-92; Georg Stadtmüller, Toynbees Bild der Menschheitsgeschichte, in: Saeculum 1, 1950, S. 165-195; Gerhard Masur, Arnold Toynbees Philosophie der Geschichte, HZ 174, 1952, S. 269-286. Masurs kritische Würdigung Toynbees historiographischer Werke ist maßgeblich. Für ihn ist Toynbees Buch „in vieler Hinsicht der Ausdruck unseres Jahrhunderts, in dem die Erde kleiner geworden zu sein scheint und die Geschichte der Menschen auf ihr übersichtlicher geworden ist". Unter diesem Aspekt würdigt Masur seinen neuen Versuch, „das große Phänomen der Zivilisation weiter zu ergründen" und „die vergleichende Kulturgeschichtsschreibung an die Stelle nationaler oder politischer Geschichtsschreibung zu setzen". Dies ist aber nicht als fundamentale Ablehnung der fachlichen Tradition anzusehen. Die praktischen Folgen der Toynbeeschen Werke, so Masur, „mögen die Horizonte der Geschichtsschreibung erweitern, aber ich glaube kaum, daß sie ihre Fundamente erschüttern werden". (S. 271-273, S. 285) 206 Siehe Joseph Vogt, Die antike Kultur in Toynbees Geschichtslehre, in: Saeculum 2, 1951, 203

S. 557-574.

B. Die deutsche

Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

69

für „schein-universal", als die Europäer die eigene „Welt" mit der Welt im ganzen gleichgesetzt hätten. Ein solches Weltbild müsse an Geltung verlieren, nachdem die Historiker begonnen hätten, der „globalen Verflechtung der Geschichte" Rechnung zu tragen.207 Um die Reichweite dieser neuen Konzeption der Universalgeschichte ermessen zu können, ist es nützlich, sie mit der Beurteilung der Rankeschen Universalgeschichte in Verbindung zu setzen. Viele Historiker der 50er Jahre vertraten die Ansicht, daß Rankes Universalgeschichte wegen ihrer eurozentrischen Prämissen den realen Prozessen der modernen Welt nicht mehr gerecht werde. Dennoch wollten sie mit der Rankeschen Tradition der deutschen Historiographie nicht vollständig brechen.208 Peter Rassow beispielsweise machte nicht Ranke selbst, sondern die ihm nachfolgenden Generationen für die Verengung seiner Universalgeschichte zur deutschen Nationalgeschichte verantwortlich. Rassow sah in der neuen Universalgeschichte die Erweiterung des Rankeschen Konzepts von Universalgeschichte, die nun die „gesamte

Menschheit" in den Blick nehme.209 In diesen Kontext begannen einige tonangebende Historiker, die Rankesche Idee der europäischen „großen Mächte" zu überprüfen. Doch die Mehrzahl der deutschen Historiker hielt in den 50er Jahren an diesem Axiom fest. Der führende Neurankeaner Hermann Oncken etwa war zwar mit der Revision des Geschichtsbildes einverstanden, indem er in seiner im Jahr 1935 vorgetragenen, doch erst nach Kriegsende gedruckten Schrift auf die Brüchigkeit des herkömmlichen Geschichtsbildes in der „revolutionären Epoche" Rücksicht nahm, trotzdem blieb er in diesen Jahren immer noch der eurozentrischen Grundhaltung Rankes verhaftet, indem er den Aufstieg der Vereinigten Staaten in den Kreis der Weltmächte nur als Verlängerung der alten Welthegemonie Europas begriff.210 Dagegen kritisierte Ludwig Dehio, der Herausgeber der Historischen Zeitschrift von 1949 bis 1956, insbesondere die neurankeanische Interpretation der „großen Mächte". Dehio zufolge war Rankes Idee des europäischen Gleichgewichts auf ein Weltstaatensystem übertragen und dabei eine vermeintliche geschichtliche Berufung Deutschlands propagiert worden. Die deutsche Geschichtswissenschaft vor 1914 habe durch ihre Verbindung von „zu hoch erhobener vaterländischer Geschichte" und „mißverstandener universaler" den deutschen Imperialismus ideologisch unterstützt.211 In seinem aufsehenerregenden Buch »Gleichgewicht oder Hegemonie«, das er unter dem Eindruck Oskar Köhler, Was ist „Welt" in der Geschichte, in: Saeculum 6, 1955, S. 1-9, spricht einem „Menschheitsbewußtsein". Vgl. ders., Versuch, Kategorien der Weltgeschichte zu bestimmen, in: Saeculum 9, 1958, S. 446-457; Ludwig Dehio, Ranke und der deutsche Imperialismus, in: HZ 170, 1950, S. 307f. 208 Eberhard Kessel, Rankes Idee der Universalgeschichte, HZ 178, 1954, S. 269-308. 209 Peter Rassow, Nationalgeschichte und Universalgeschichte, in: GWU 2, 1951, S. 513521. 210 Hermann Oncken, Wandlung des Geschichtsbildes in revolutionären Epochen, in: HZ 189, 1959 (hg. v. Theodor Schieder, Hundert Jahre Historische Zeitschrift 1859-1959. Beiträge zur Geschichte der Historiographie in den deutschsprachigen Ländern), S. 124-138. 211 Ludwig Dehio, Ranke und der deutsche Imperialismus, in: HZ 170, 1950, S. 321f.

207

von

70

//. Die westdeutschen Historiker im geistigen

des Ost-West Konflikts

verfaßte, bezweifelte

Umfeld

er, daß das kontinentale Gleich-

gewichtssystem überhaupt noch für eine Epoche Geltung habe, die er durch außereuropäische „Kolossalmächte" bestimmt sah. Statt sich auf den herkömmlichen Gegensatz zwischen Deutschland und Europa zu konzentrieren, vermittelte er ein neues Bild von „Weltpolitik", die sich durch den Gegensatz

zwischen „kontinentaler" und „insularer" Staatstradition konstituierte.212 Das Aufkommen des Kalten Krieges erschien ihm als Zuspitzung dieses weltpolitischen Gegensatzes. Kritisch gegen die „eurasisch basierte" kontinentale Machtwelt totalitärer Prägung bekannte er sich offen zur „insularen" Welt des Westens.213 Die kritische Einstellung Dehios zum neurankeanischen Geschichtsbild führte jedoch auch hier nicht zum vollständigen Bruch mit Ranke. Sein Festhalten an wesentlichen Elementen der Rankeschen Tradition schlug sich in klaren Äußerungen zum „Primat der Außenpolitik" nieder. Dehio sprach sich zwar gegen die dogmatische Fixierung auf dieses Axiom aus, insofern er Ranke „die Begrenzung seiner historischen Themen, zeitlich mit Vorliebe auf das sechzehnte und siebzehnte Jahrhundert, sachlich auf den politisch-religiösen Sektor des Geschehens" und die damit einhergehende „Begrenzung seines wesentlich vormärzlichen Blickfeldes" angesichts der „Dynamik der kommenden gesellschaftlichen und wirtschaftlich-technischen Gewalten" vorwarf.214 Dehios Einverständnis mit der „Erneuerung des Geschichtsbildes" zielte jedoch darauf ab, „in einer Kerntradition deutscher Geschichtsbetrachtung zu verharren". Er hielt an der Grundkonzeption der Rankeschen Geschichtsbetrachtung insofern fest, als er auf der einen Seite der Universalgeschichte Rankes ein ursprünglich vorhandenes „weiträumiges Geschichtsbild" zusprach und auf der anderen Seite den Staat weiterhin als „zentralen Faktor geschichtlichen Lebens", als „Schnittpunkt seiner großen Linien, Sammelpunkt seiner großen Impulse, Hauptgestalter unseres Daseins durch Ordnung und Macht" ansah.215 Auch Theodor Schieder setzte sich explizit mit der Ranketradition auseinander. Im Anschluß an Dehios Kritik an den Neurankeanern stellte er Rankes Geschichtskonzeption selbst in Frage und nahm dabei eine Historisierung der traditionellen deutschen Historiographie im ganzen vor. Für Schieder war die Rankesche Vorstellung von den „großen Mächten" mit der spezifischen Erfahrung der napoleonischen Zeit verknüpft. Ranke mußte, so Schieder, seine Vorstellung eines einheitlichen Europas angesichts seiner endgültigen Auflösung in Nationen revidieren. Inmitten der revolutionären Wellen sei diesem alteuropäisch gesinnten Geschichtsschreiber das Prinzip des Gleichgewichts der gro212

Ders., Gleichgewicht oder Hegemonie. Betrachtungen über ein Grundproblem der

neue-

Krefeld 1948. Das in diesem Geschichtswerk hervortretende neue Geschichtsbild fand in den meisten historiographiegeschichtlichen Forschungen wenig Beachtung. Zur Wirkung dieses Werkes siehe Hans Mommsen, Betrachtungen zur Entwicklung der neuzeitlichen Historiographie (wie Anm. 192), 127; Dieter Hein, Geschichtswissenschaft in den Westzonen und der Bundesrepublik (wie Anm. 192), 34. 213 Ders., Deutschland und die Weltpolitik im 20. Jahrhundert, München 1955, S. 125f. 214 Ders., Gleichgewicht oder Hegemonie (wie Anm. 212), lOf. 215 Ders., Ranke und der deutsche Imperialismus (wie Anm. 211), 328. Ders., Gleichgewicht oder Hegemonie, 10. ren

Staatengeschichte,

B. Die deutsche Geschichtswissenschaft mit neuen Leitbildern

J\

ßen europäischen Mächte als der wichtigste Bezugspunkt für die Bewahrung der historischen Tradition Europas erschienen. Seine Vorstellung von den „großen Mächten" sollte, so Schieder, nach dem Ausbruch der Französischen Revolution die bedrohte Kontinuität der europäischen „Universalgeschichte" garantieren.216 Nach Schieder habe eine solche Universalgeschichte der „großen Mächte" aber infolge des weltgeschichtlichen Wandels an Geltung verloren. Indem die Rankesche Identifikation von Macht und Sittlichkeit einerseits und sein Gedanke des „Realgeistigen" andererseits bloß zur Verherrlichung des Machtstaates beigetragen hätten, indem die Rankesche Idee des europäischen Gleichgewichts hier stimmte Schieder Dehio zu von den nachfolgenden Historikern als Idee der Hegemonialmacht mißbraucht worden sei, sei dieses verzerrte Bild der Universalgeschichte nach der Erfahrung zweier Weltkriege völlig diskreditiert. Mit Blick auf einen globalen Dualismus der außereuropäischen Weltmächte sprach sich Schieder dafür aus, sich von den eurozentrischen Prämissen der Rankeschen Universalgeschichte abzuwenden.217 Die führenden Historiker der frühen Bundesrepublik sahen die Universalgeschichte nicht mehr nur als Erweiterung der europäischen Geschichte an, sondern verstanden sie aus der Wechselbeziehung von europäischen und außereuropäischen Mächten. Die folgende Äußerung Peter Rassows ist hierfür charakteristisch: „Wir Europäer von 1950 sind in einen historischen KräfteOrganismus hineinverwoben, dessen Bereich zum ersten Mal im historischen Sinne die Welt und deren menschliches Substrat tatsächlich zum ersten Mal die gesamte Menschheit ist."218 Es ist bemerkenswert, daß ein solcher Perspektivenwechsel erst nach dem Zweiten Weltkrieg zustande kam. Peter Rassow zufolge lag dieser welthistorischen Neuorientierung die Empfindung zugrunde, daß die deutsche Zukunft in den Händen zweier außereuropäischer Weltmächten liege.219 Parallel zur politischen Integration der Bundesrepublik in das atlantische Bündnissystem verschwand die alte Ideologie des deutschen „Sonderwegs", die die deutsche Frontstellung zu Westeuropa formuliert hatte; statt dessen rückte die geschichtliche Einheit des „Abendlandes" ins Zentrum des Geschichtsinteresses.220 Der Begriff „Abendland" war dabei an den Gegenbegriff des „Morgen-

-

Theodor Schieder, Das historische Weltbild Leopold von Rankes, in: GWU 1, 1950, S. 138-153. 217 Ebenda. Theodor Schieders Traditionskritik artikulierte sich am deutlichsten in seiner Äußerung zu „Rankes These vom Primat der Außenpolitik" sowie zu Treitschkes „Lehre von der sittlichen Größe des nationalen Machtstaats", obwohl er über die historische Einsicht seiner Väter nicht abschätzig urteilen wollte: Erneuerung des Geschichtsbewußtseins (wie Anm. 172), 192-193. 218 Peter Rassow, Nationalgeschichte und Universalgeschichte, in: GWU 2, 1951, S. 518. 219 Ders., Der Historiker und seine Gegenwart (wie Anm. 170), 60f. 220 Bernd Faulenbach, Historische Tradition und politische Neuorientierung. Zur Geschichtswissenschaft nach der „deutschen Katastrophe", in: Walter H. Pehle und Peter Sillem (Hg.), Wissenschaft im geteilten Deutschland. Restauration oder Neubeginn nach 1945, Frankfurt a. M. 1992, S. 204; Fritz Fellner, Nationales und europäisch-atlantisches Geschichtsbild in der Bundesrepublik und im Westen in den Jahren nach Ende des Zweiten Weltkrieges, in: Ernst Schulin (Hg.), Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten

216

72

// Die westdeutschen Historiker im geistigen

Umfeld

landes" geknüpft und diente damit auch zur Polemik des „christlichen" Westeuropa gegen den kommunistischen Osten.221 Die in den 50er Jahren vielbeschworene Universalgeschichte ist in diesem Zusammenhang als Suche nach einem neuen historischen Bezugspunkt innerhalb der neuen weltpolitischen Konstellation anzusehen. Unter dem Leitbegriff „Universalgeschichte" öffnete sich die Historikerschaft für die globalen Entwicklungen der modernen Welt, um auf diese Weise zur Standortsbestimmung Europas in der Gegenwart zu gelangen. In der Bezugsgröße „Abendland" stimmte dabei die ältere und die jüngere Historikergeneration überein. Hier soll die Frage angeschnitten werden, welche Bedeutung die von vielen Seiten beschworene Revision des deutschen Geschichtsbildes für die Historikergeneration jungkonservativer Provenienz hatte. Die Gemeinsamkeiten ihrer Bemühungen mit denen der älteren traditionsgebundenen Historiker zeigen sich vor allem in der Hinwendung zu Burckhardt sowie zur Universalgeschichte. In gewisser Hinsicht fiel dabei jenen Historikern die Aufgabe zu, das oben erörterte Geschichtsdenken des „neuen" Konservatismus fachwissenschaftlich zu bestätigen. Wenn sie dabei nach dem Vorbild der Nachkriegskonservativen, wie etwa dem Hans Freyers die kritische Bewertung der Moderne mit der Analyse der globalen Prozesse bei der Entwicklung der modernen Welt verknüpfen wollten, bedurften sie eines neuen universalgeschichtlichen Deutungsmusters der Vergangenheit. Insgesamt: Die spezifischen Erkenntnisinteressen sowie Deutungsmuster eines beträchtlichen Teils der westdeutschen Historiker war im geistigen Milieu des „neuen" Konservatismus verankert. Im Vorhergehenden wurde der Diskurs des deutschen Konservatismus im Zeitraum von der ausgehenden Weimarer Republik bis zu den früheren Jahren der Bundesrepublik nachgezeichnet, wobei sich ergab, daß sich der Schwerpunkt seines kulturkritischen Grundanliegens von der aktivistisch-fatalistischen Zukunftserwartung zur Hinwendung zur historischen Tradition verschoben hat. Diese Entwicklung des deutschen Konservatismus wurde aufgrund der gleichbleibenden Sicht der Moderne als „Kontinuität" begriffen. In Anlehnung an die durch ihn vermittelten Leitbilder vermochte die maßgebliche Historikergeneration der frühen Bundesrepublik ihre eigenen wissenschaftlichen Grundlagen theoretisch zu begründen und in ihrer Fachdisziplin langsam durchzusetzen. Während sich die deutschen Nachkriegskonservativen in verschiedenen geistigen Bereichen mit der Moderne auseinandersetzten, bemächtigte sich ihre Haltung gegenüber der Moderne des Erkenntnisinteresses, des Deutungsmusters und schließlich des Forschungsgegenstands derjenigen Historikergeneration, die ihnen angehörten. Dadurch gewann der radikale Kulturpessimismus des neuen Konservatismus an seiner neuen Fasson, verlor aber zugleich an seiner ideologischen Brisanz. -

-

Weltkrieg 1945-1965, München 1989, S. 226; Ulrich Brochhagen, Nach Nürnberg. Vergangenheitsbewältigung und Westintegration in der Ära Adenauer, Hamburg 1994. 221 Rassow, Der Historiker und seine Gegenwart (wie Anm. 170), 33f.

III. Das ambivalente Bild der Moderne in den theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne A. Die

Beurteilung der Moderne im Zuge der Aufklärungskritik

/. Die Grundansätze der liberalen Historiker zu einer Theorie der Moderne

Die geistige Disposition einer die deutsche Nachkriegshistoriographie prägenden Historikergeneration war von einer spezifischen Tradition des deutschen Konservatismus geprägt. Ein Anhaltspunkt für diese These ist das ambivalente Bild der Moderne, das sich vor allem im Geschichtsdiskurs der deutschen Jung- und Nachkriegskonservativen abzeichnet. Im Rahmen der Ummodelung des deutschen Konservatismus in der Bundesrepublik entwickelten die Historiker, die während der Weimarer Zeit zu den Jungen" gezählt hatten, ihre frühere Konzeption der Geschichte als kritischen Umgang mit der Moderne derart fort, daß sie die immer stärker historisch ausgerichteten, neukonservativen Theorien der Moderne in ihre Forschungsarbeiten aufnehmen konnten. Im folgenden sollen die Grundzüge und Merkmale der neukonservativen Theorien der Moderne im Rahmen der theoretischen Reflexion der Historiker herausgearbeitet werden, damit die Verbindungslinien zwischen westdeutscher Geschichtswissenschaft und neuem Konservatismus klarer werden. Zunächst sollen die Grundlagen beleuchtet werden, auf denen die Nachkriegshistoriker einzelne Theorie der Moderne aufbauten. Wie oben ausgeführt, haben die Nachkriegshistoriker jungkonservativer Provenienz analog zu den zeitgenössischen deutschen Konservativen nicht länger eine Katastrophenerwartung beibehalten, sondern sich in weiten Teilen auf die humanistische Tradition Europas zurückbesonnen. Ihre Sicht der Moderne war dabei durch eine verbreitete Neuauflage des „Kulturpessimismus" geprägt, den namentlich auch viele Weimarer Historiker gepflegt hatten. Es bedurfte aber einer Denkalternative, vermöge derer sich einerseits die Anpassung an die neue Realität vollziehen, zugleich aber eine kritische Haltung zum modernen Gesellschaftssystem bewahrt werden konnte. Die Grundlage der Theorien der Moderne neukonservativer Historiker kann durch einen Vergleich mit jener von liberalen Historikern verdeutlicht werden. Als Beispiel sollen u. a. die Argumentationen von Franz Schnabel dienen, der zu einem paradigmatischen Vorläufer dieser kulturkritischen Richtung unter

74

/// Die theoretischen Reflexionen über die

Kernprobleme der Moderne

den Historikern der sogenannten „Frontgeneration" zu zählen ist.1 Schnabel, der in der historischen Zunft der Weimarer Republik eher eine Außenseiterstellung eingenommen hatte, wurde unter der Vorherrschaft humanistischliberaler Positionen in der Nachkriegszeit nunmehr zu einer Orientierungsfigur für viele jüngere Historiker2 Sein in den 50er Jahren neu rezipiertes vierbändiges Standardwerk »Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert« ( 1929-193 7)3 nahm die Grundzüge der Historiographie der frühen Nachkriegsjahre insofern vorweg, als seine humanistisch-universalistisch geprägte Geschichtsschreibung großen Stiles ihm bereits in den 30er Jahren eine kritische Bestandsaufnahme der konventionellen national-deutschen Historiographie ermöglicht hatte.4 Seine Sicht der Moderne artikulierte sich besonders deutlich im ersten Abschnitt dieses Geschichtswerkes: „Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Welt". Als Leitfaden seiner historischen Betrachtung der Moderne dient der europäische Individualismus, dessen fortschreitende Gestaltung Schnabel als einen inneren Kern der europäischen Geschichte ansieht. Der Individualismus ist Schnabel zufolge tief in „Alteuropa" verwurzelt. Er knüpft seiner liberalen Position gemäß den modernen Individualismus an die aus „Alteuropa" herkommende freiheitlich-humanistische Tradition an. Die Signatur des europäischen Mittelalters sieht Schnabel in der „Vereinigung von Freiheit und Bindung"; das Rechtsprinzip der freien Einung war eng mit dem der Genossenschaft verknüpft, und diese beiden machten die mittelalterliche „Idee des Ordo" aus. Zugleich stellt Schnabel die „Entfaltung des Individualismus" ausschließlich als Disposition der Moderne hin und charakterisiert den Weg zur modernen Welt im Kontrast zu diesem Bild des Mittelalters als eine „Auflösung des Ordo". In diesem Zusammenhang wird der Individualismus sowohl als das „letzte Ergebnis der ganzen mittelalterlichen Geschichte" wie auch als Gestaltungsprinzip der Moderne aufgefaßt.5 Solange Schnabel den europäischen Individualismus auf die alteuropäische Geistesart zurückbezieht, legitimiert er die Moderne historisch. Zugleich betont er, daß dieser moderne, sich permanent steigernde Individualismus zu 1 Thomas Hertfelder, Franz Schnabel und die deutsche Geschichtswissenschaft. Geschichtsschreibung zwischen Historismus und Kulturkritik (1910-1945), 2. Bd., Göttingen 1998. 2 Siehe Franz Schnabel, Das humanistische Bildungsgut im Wandel von Staat und Gesellschaft, München 1956; ders., Die humanistische Bildung im 20. Jahrhundert, in: Bildung und

Beruf in der modernen Gesellschaft, Bonn 1963, S. 9-29; Walter Schricker, Der letzte Ritter des Humanismus, in: Münchner Abendzeitung (1.12.12.1962). Siehe auch einen Bericht über die Tagung der Görresgesellschaft (Nov.1949), in: Neues Abendland 9, 1949, S. 377. 3 Ernst-Walter Zeeden, Das Jahrhundert des Bürgertums. Franz Schnabels „Deutsche Geschichte im 19. Jahhundert", in: Saeculum 3, 1952, S. 509-521. Vgl. Eberhard Straub, Ein unzeitgemäßer Chronist. Franz Schnabels Deusche Geschichte des 19. Jahrhunderts, in: Politische Meinung. Zweimonatshefte für Fragen der Zeit, H. 235 (Nov./Dez.) 1987, S. 83-90. 4 Zu Schnabels humanistisch-universalistischer Perspektive siehe Lothar Gall, Franz Schnabel (1887-1966), in: Hartmut Lehmann/ James van Horn Melton (Hg.), Paths of Continuity, Cambridge/New York 1994, S. 155-165. 5 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 1. Die Grundlage (Freiburg 1929), München 1987, 1.1. Die geschichtlichen Grundlagen der modernen Welt, hier S. 3-79, insbesondere S. 12-13, S. 32-33.

A. Die Aufklärungskritik

75

seiner Umkehrung führen müsse; das moderne Individuum isoliere sich völlig seiner Umwelt, weil dem Subjekt der absolute Vorrang gegeben und dabei das „innere Gleichgewicht" des Menschen im Mittelalter durch die „Selbstherrlichkeit des Individuums" in der Neuzeit ersetzt worden sei. Das moderne Individuum, losgelöst von seiner Umwelt, stehe nun als vereinzeltes Staat und Gesellschaft gegenüber, die dem „Organismus" des mittelalterlichen Gemeinwesens entwachsen seien und sich verselbständigt hätten. Das letzte Ergebnis des europäischen Individualismus sei demnach die Vertilgung des Individuums durch den modernen Machtstaat sowie durch die atomisierte Gesellschaft

von

bürgerlicher Prägung. Diese Beschreibung des europäischen Individualismus kann als Chiffre für Schnabels Konzeption der Moderne als Fortsetzung wie auch als Zurückweisung des mittelalterlichen Erbes dienen. Soweit er die europäische geistige Entwicklung als Kontinuität einerseits und Diskontinuität andererseits auffaßt,

kommt hierin seine ambivalente Sicht der Moderne zum Ausdruck. Er kritisiert zwar die Abkopplung des modernen Individuums von den „organischen" Bindungen des Mittelalters, nimmt aber die Zwangsläufigkeit dieser Entwicklung im großen Zusammenhang der Geschichte hin. Was allerdings die Wertungen angeht, so liegt der Schwerpunkt zweifelsohne auf der Kritik an der Moderne. Schnabel faßt nämlich all seine Angriffspunkte im Prinzip der „Autonomie" zusammen, das sowohl den übersteigerten Individualismus und Atomismus sowie die im mechanischen und kausalistischen Weltbild begründete moderne Wissenschaft und Technik, aber auch den Nationalismus und den modernen Machtstaat bezeichnen soll. Für Schnabel stellt die Moderne in dieser Hinsicht eine allgemeine geistige Krise dar, die aus der Auflösung menschlicher Ordnungen und Bindungen resultiere.6 In den 50er Jahren veränderte Schnabel seine Grundeinstellung zur Moderne kaum. Sie artikuliert sich vornehmlich in seiner Darstellung des 19. Jahrhunderts, die mit der bürgerlichen Revolution von 1789 beginnt und mit der proletarischen Revolution von 1917 endet,7 wobei Schnabel diesen Zeitraum insgesamt im Lichte der Durchsetzung der Moderne, oder im heutigen Wortgebrauch als „Laboratorium der Moderne" behandelt. Der Individualismus erscheint gleichsam als die regulative Idee, die inmitten eines ungeheuren Wandlungsprozesses diesem Jahrhundert das Gepräge gibt. Für Schnabel war nämlich das 19. Jahrhundert die Epoche der Entstehung der „Individualkultur". Diese selbst wird höchst ambivalent bewertet. Habe die Abschaffung der mittelalterlichen Zwangsdienste zur Vernichtung der „natürlichen" Gliederung der Gesellschaft geführt, so habe sich der Individualismus des technischen Fortschritts, der wissenschaftlichen Entwicklung und jener Ideenwelt bemächtigt, die der bürgerlichen Revolution des 19. Jahrhunderts zum Durchbruch verholfen habe. Unbeschadet einer gewissen Skepsis äußert Schnabel sich im Ganzen positiv über diese Entwicklung. Vom Standpunkt des „politischen Liberalismus" aus hebt Schnabel „die Errichtung des Rechtsstaates in ganz Eu6

Ebenda, passim. Ders., Der Weg aus dem 19. in das 20. Jahrhundert, in: Franz Schnabel. Abhandlungen und Vorträge 1914-1965, hg. v. Heinrich Lutz, Freiburg/Basel/Wien 1970, S. 289f.

7

76

///• Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

ropa" als die „große Leistung des 19. Jahrhunderts" nachdrücklich hervor. Für ihn besteht die „weltgeschichtliche Bedeutung des 19. Jahrhunderts" nicht nur in der Revolutionierung aller sozialen Verhältnisse, sondern in viel größerem Maße in der

neuen Möglichkeit des modernen Staates, unter Berufung auf das „Naturrecht" die Individuen gegen die unaufhaltsamen materiellen Anforde-

rungen der kapitalistischen Gesellschaft in Schutz nehmen zu können.8 Schnabels Haltung zur Moderne scheint aufgrund ihrer ambivalenten Züge zumindest äußerlich verwandt mit der des „neuen" Konservatismus. Doch scheint es fraglich, ob sich die jüngere Historikergeneration jungkonservativer Provenienz in den wesentlichen Orientierungen wirklich mit dem humanistisch-liberalen Weltbild Schnabels übereinstimmte, dem sie noch kurz zuvor feindlich gegenübergestanden hatte. Eine so prinzipielle Übereinstimmung von Historikern so unterschiedlicher geistiger Observanz ist höchst unwahrscheinlich, auch wenn sich die deutschen Nachkriegshistoriker generationsund richtungsübergreifend den „westlichen" Wertvorstellungen angenähert hatten. Um den Grad der „Liberalisierung" westdeutscher Strukturhistoriker zu ermessen, liegt es nahe, ihre Sicht und Bewertung der Aufklärung zu prüfen. Generell dominierte bei den Historikern der frühen Bundesrepublik noch immer eine kritische Einstellung gegen die Aufklärung. Doch wurde diese nicht mehr einfach als Ausdruck „westlichen Geistes" kategorisch abgelehnt, wie in der Weimarer Zeit;9 vielmehr rückte ihre innere Widersprüchlichkeit und die daraus hervorgehenden Konsequenzen in den Mittelpunkt. Die Historiker jungkonservativer Provenienz versuchten in Anlehnung an zeitgenössische neukonservative Sozialtheorien den inneren Kern des aufklärerischen „Denkens" zu erfassen, worin sich die oben hypothetisch angenommene ambivalente Sicht der Moderne in ihren typisch konservativen Zügen abzeichnete. 2. Die theoretischen Reflexionen der neukonservativen Historiker über die Aufklärung: das Fortschrittsdenken als Movens der Krise "



Zu den einflußreichsten Persönlichkeiten des deutschen

Nachkriegskonserva-

tismus, die eine Theorie der Aufklärung entwickelten, zählt Hans Freyer, des-

innovative sozialtheoretische Ansätze wie bereits erwähnt von den Historikern in den 50er Jahren ausführlich rezipiert wurden. Seine spezifische Sicht der Aufklärung zeichnete sich dadurch aus, daß er ihre geschichtsphilosophische Grundlage zum Bauprinzip der Moderne erklärte. Auch in diesem Punkt erwies sich Freyers Geschichtsdenken als Infragestellung der Moderne. Seine Konzeption verkörperte die für den deutschen Jungkonservatismus typische nachhistorische Vision, die ihrerseits von der Beschwörung des „Volkes" sen

-

-

8

Ebenda, S. 302f, S. 294f.

Als signifikantes Beispiel möge die Rede Johannes Hallers vom „Irrtum der rationalistischen Aufklärung" dienen. Hier war die Aufklärungskritik offensichtlich mit dem politischen Angriff auf den „westlichen" Parlamentarismus verknüpft. Siehe Haller, Gesellschaft und Staatsform, in: Stahl und Eisen. Zeitschrift für das deutsche Eisenhüttenwesen 47, 1927, S. 4.

9

A. Die Aufklärungskritik

77

fundierten Ruf nach „Tradition" voranschritt. Die Aufklädie ihr implizite „Geschichtsphilosophie", wurde von Freyer als Gegenpart zu seinem eigenen Geschichtskonzept begriffen, das gleichsam auf die „Bewältigung" der Moderne zugeschnitten war. Er versuchte dieser „Geschichtsphilosophie" den Boden zu entziehen, indem er ihre Ideologischen Grundprämissen von seinem historischen Standpunkt aus gleichsam

zum

metaphysisch

rung, und

zwar

„dekonstruierte". In seiner

»Weltgeschichte Europas« betont Freyer explizit, wie tief die in Aufklärung der abendländischen Geistestradition verwurzelt sei; die Idee der Vernunft habe von der mittelalterlichen Theologie aus den modernen Rationalismus durchgedrungen, der eine Vollendung der Theologie im Zuge der „Säkularisierung" darstelle. Aus dem Geist des Rationalismus entspringe die neuzeitliche Aufklärung, die einen rationalen Kerngedanken des christlichen Geschichtsdenkens, die Idee des universellen teleologischen Zusammenhangs, übernommen und in Form der Weltgeschichte, und zwar in Form der „Weltgeschichte der Vernunft", säkularisiert habe.10 Dieser Säkularisierungsprozeß wird aber zugleich als Bruch mit der sonstigen europäischen Geistestradition dargestellt, so daß die sich in die Weltgeschichte hinein verabsolutierende Vernunft einen Totalitätsanspruch entwickelt habe. Die Aufklärung habe die Vernunft dazu berufen, „die Sache der Menschheit souverän in die Hand zu nehmen". Dieser absolute Primat der Vernunft habe den ursprünglichen Appell an die Humanität in einen „Willen zum Schrecken" verwandelt und letzten Endes ihre eigene Zerstörung herbeigeführt. Freyer sieht eine solche „dialektische" Umkehrung der aufklärerischen Vernunft bei Rousseau angelegt. Die Idee dieses utopischen Denkers sei durch die reine Negation alles Bestehenden zu charakterisieren. Der Rousseausche Rationalismus, so Freyer, „sah die Vernunft als Norm, als Prinzip der Gestaltung, als Ziel und Pflicht vor sich und konnte also den Ruf ausgeben: vorwärts zur Vernunft!"11 Freyers Hinweis auf die Blindheit der Aufklärung gegenüber der zerstörerischen Kraft der Vernunft impliziert, daß die geistesgeschichtliche Konsequenz des europäischen Vernunftsglaubens die Zerstörung seiner eigenen Denkprämissen gewesen sei. Damit zerfällt nach Freyer die Kontinuität der europäischen Geistestradition. Diese Diskontinuität legitimiert Freyers eigene kritische Sicht des „Fortschrittsdenkens". Freyer zufolge gründete die Geltungskraft der neuzeitlichen Aufklärung vor allem im Postulat der wissenschaftlich gesicherten Objektivität, deren permanente Steigerung als Modus geschichtli-

Freyer, Weltgeschichte Europas, Wiesbaden 1948, S. 526f. Freyers Theorie der Säkularisierung korrespondiert mit dem des Staatsrechtlers Carl Schmitts, der alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre als „säkularisierte theologische Begriffe" betrachtet. Siehe Schmitt, Politische Theologie. Vier Kapitel zur Lehre von der Souveränität, München/Leipzig 1922, Vorbemerkung. Zum Säkularisierungstheorem siehe Hermann Lübbe, Säkularisierung. Geschichte eines ideenpolitischen Begriffs, Freiburg/München 1965 (2. Aufl.), S. 239. Vgl. Kurt Lenk, Deutscher Konservatismus, Frankfurt a. M./New York 1989, 10

S. 178f. 11

Freyer, Weltgeschichte Europas (wie Anm. 10), 529f, 539.

¡H Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

78

eher

Entwicklungen

der Neuzeit angenommen wurde.12 In seiner

sophischen »Theorie des gegenwärtigen Zeitalters« von

sozialphilo-

1955 geht Frey er nun näher auf dieses Fortschrittsdenken ein und unterzieht es einer scharfen Kritik. bewirke eine spezifische Verhaltensweise des modernen nämlich den Glauben an die „Machbarkeit der Sachen". Zwar geMenschen, höre der Wille zum „Machen" zur angeborenen Natur des Menschen, doch habe sich diese Tendenz in der Neuzeit drastisch gesteigert; der moderne Mensch wolle alles machen, was er könne. Er erweitere den Zweck seiner Arbeit frei über einfache Nutzenerwägungen hinaus und erstrebte so die Herrschaft über die Dinge. Gerate der moderne Mensch aufgrund seiner unaufhaltsamen „schieren Aktivität" in Konflikt mit Natur und Leben, so werde er zum Gefangenen dieses Rationalisierungszwanges stehen und verliere damit seine Würde.13 Indem Freyer alle Handlungen des modernen Menschen zum Willen zum „Machen" degradiert und damit den zivilisatorischen Fortschritt überhaupt in Frage stellt,14 versetzt er sich er in die Lage, das Geschichtskonzept der Aufklärung insgesamt zu kritisieren. Freyers Ansicht nach wohnt „der Geschichtsphilosophie" eine durch die christliche Geschichtstheologie geprägte Eschatologie inné, derzufolge das künftig erreichbare Endziel die ganze Weltgeschichte hinter sich lassen solle. Die aufklärerischen Denker betrachteten, so Freyer, die Geschichte als „vollendbar".15 Der kritische Kernpunkt seiner Argumentation liegt darin, daß die geschichtliche Zeit infolge der künstlichen Umstrukturierung ihre ursprüngliche Form verloren habe. Er formuliert die folgenschwere Konsequenz dieser „Zumutung" so: Die neuzeitlichen Geschichtsphilosophen erklärten das Fortschrittsdenken nicht nur zur Zielvorstellung, sondern auch zum „Modus des wirklichen Geschehens".16 Die menschliche Vernunft sei in diesem Denkmodell berufen, die Subjektivität dieses Fortschrittswillens in die reale Aufwärtsbewegung „umzumodeln", die Die

Aufklärung

12 Ders, Zwischen Fortschritt und Erbe, in: Evangelische Welt. Informationsblatt fur die evangelische Kirche in Deutschland 5, Nr. 14, 16.Juli 1951, S. 401. 13 Ders., Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, Stuttgart 1955, S. 15f. Freyers Schüler Arnold Gehlen stellt im analogen Sinne „das Ende der Aufklärung" fest. Gehlen zufolge ist der Vernunftglaube, den als Harmonie zwischen Vernunft und Natur zu charakterisieren sei, im Schwinden begriffen, sobald die geistigen Errungenschaften des modernen Menschen zu seiner „Wendung gegen die Natürlichkeit" geführt hätten: Über die gegenwärtigen Kultur-

verhältnisse, in: Merkur 10, 1956, S. 530. 14 Freyer, ebenda, S. 46f. 15 Ebenda, S. 62f. Freyer verwendet hierzu den Begriff der „Transzendenz", der neben dem Begriff der „Säkularisierung" als ein fur den deutschen Konservatismus zentrales Begriffsinstrumentarium angesehen werden kann. Mit dem Hinweis darauf, daß den modernen Fortschrittsdenkern die göttliche Transzendenz in die Zeitlichkeit hinein einzudringen schien, bezeichnet Freyer das Fortschrittsdenken als „Chiliasmus". (S. 206f) Zur konservativen Indienstnahme des Transzendenzbegriffes siehe Aurel Kolnai, Konservatives und revolutionäres Ethos, in: Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Hg.), Konservatismus in Europa, Freiburg 1972, S. 113f. Vgl. Karl Löwith, Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Die theologische Voraussetzung der Geschichtsphilosophie, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1953, Einleitung. 16 Hans Freyer, Über das Dominantwerden technischer Kategorien in der Lebenswelt der industriellen Gesellschaft (1960), in: Peter Fischer (Hg.), Technikphilosophie. Von der Antike bis zur Gegenwart, Leipzig 1996, S. 242f. Vgl. Arnold Gehlen, Das Ende der Persönlichkeit? in: Merkur 10, 1956, S. 1153.

A. Die Aufklärungskritik

79

Geschichte planmäßig umzugestalten und damit den Fortschritt in der Geschichte zu „machen". Frey er bezeichnet in diesem Zusammenhang den Fortschritt gleichsam als „Grenzwert". Infolge des utopischen Glaubens an die Vernunft, an ihre aktive Verwirklichung nähmen die Geschichtsphilosophen die Geschichte selber als strukturell „futuristisch" wahr. Die historische Entwicklung werde damit als eine Art „Chiliasmus", als „in die Zukunft vorausgeworfene Vollendung" begriffen. Die Zukunft breche in die Geschichte ein, und zwar als „Schlüssel der ganzen Geschichte".17 Freyers Kritik an der Aufklärung kulminiert in der These, ihr Fortschrittsgedanke beraube den modernen Menschen der Gegenwart, auf die jegliches Geschichtsbewußtsein angewiesen sei. Indem die Zukunft der Gegenwart den Rang ablaufe, wird die Gegenwart zu derjenigen Stufe herabgesetzt, die „möglichst bald überschritten werden muß". Diese pointierte Argumentation Freyers fundierte nun sein eigenwilliges Geschichtskonzept. Seinem „resignierten" Konservatismus der Nachkriegszeit entsprechend lehnt Freyer das Fortschrittsdenken wie auch die zügellos fortschreitenden Geschichtsprozesse selber nicht einfach ab, sondern berief sich auf „haltende Mächte", die „dem Fortschritt nicht widerstehen, sondern ihn in der Kontinuität, in Verbindung zu dem Menschen halten" können.18 Aus alledem ergibt sich, daß die Einstellung Freyers zur Moderne weit von der liberal-humanistischen Orientierung entfernt ist. Sofern ihm nicht nur das neuzeitliche Fortschrittsdenken, sondern auch das europäische Geschichtsdenken überhaupt problematisch erscheint, ist seine ambivalente Sicht der Moderne sehr viel spannungsreicher als die übliche humanistisch-liberale Sichtweise. Die Überlagerung der durchaus radikalen Infragestellung der Moderne durch eine am Ende sich einstellende Akzeptanz kann als wesentliches Signum des

„neuen" Konservatismus angesehen werden. Freyers ambivalente Sicht der

Moderne schlägt sich in seiner fundamentalen Kritik des europäischen Geschichtsdenkens einerseits, in seiner selektiven Anerkennung der geschichtlichen Größe der Aufklärung andererseits nieder. Seine illiberale und dennoch gleichzeitig positive Sicht der Aufklärung hatte sich übrigens vor Kriegsende in seiner Würdigung der preußischen Aufklärung artikuliert. In einer scharfsinnigen Analyse Friedrichs des Großen »Antimachiavel«, arbeitet Freyer Friedrichs aufklärerisches Politikverständnis heraus, das die ideelle Grundlage für seine spätere Machtpolitik gebildet habe. Freyers Darlegung zufolge begriff Friedrich das Handeln des Staatsmanns weniger als Taktik denn als

Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters (wie Anm. 13), 74, 206, 213. Ders., Zwischen Fortschritt und Erbe (wie Anm. 12), 403f; ders., Weltgeschichte Europas (wie Anm. 10), 556; Gehlen, Das Ende der Persönlichkeit? (wie Anm. 16), 1153; ders., Über kulturelle Kristallisation, in: ders., Studien zur Anthropologie und Soziologie, Neuwied/Berlin 1963, S. 26. Vgl. Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen Bd. 1 : Über 17

18

die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen der Apokalyse-Blindheit, S. 276f.

Revolution, 1956, V. Geschichtliche Wurzeln

80

HI- Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

Ethik". Aufklärung und Preußentum konnten, so Freyer, in der Gestalt Friedrichs des Großen zu einer Einheit verschmolzen werden.19 Diese für die Nachkriegskonservativen typische ambivalente Sicht der Aufklärung läßt sich auch unter den westdeutschen Historikern der 50er Jahre wiederfinden. Der damals junge Reinhart Koselleck, der zwar seine akademische Sozialisation schon ganz in der Bundesrepublik erführ, jedoch eine intellektuelle Affinität zum deutschen Jungkonservatismus, insbesondere zu Carl Schmitt, besaß,20 betrachtete in seiner 1959 veröffentlichten Dissertation »Kritik und Krise« die Aufklärung und ihre Geschichtsphilosophie mit kritischem Blick. Kosellecks zentrale These lautet: die Aufklärung unterzog die bestehende Realität einer fundamentalen „Kritik" und beschwor damit die politische „Krise" herauf. Der Krisenzustand des Kalten Krieges ist ideengeschichtlich bereits in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts angelegt. Die gegenwärtige politische Krise ist auf die „Dialektik der Aufklärung" zurückzuführen; die aufklärerische „Kritik" habe den absoluten Primat der Vernunft beansprucht und mithin eine „politische" Begegnung mit der Wirklichkeit verhindert. Ersichtlich verurteilt Koselleck die Aufklärung nicht einfach aus ideologischer Voreingenommenheit, sondern faßt sie vielmehr als historischen „Vorboten der Krise" ins Auge.21 Insofern steht seine kritische Grundhaltung zur Aufklärung in einem Spannungsverhältnis zu seiner historischen „Beschreibung" derjenigen Krisensymptome, die sich in der Entwicklung der Aufklärung finden. Seine Analyse der Aufklärung zeichnet sich dadurch aus, daß er seine historische Sicht ihrer Genese und Entwicklungen mit einer immanenten Sicht ihrer logischen Konsequenz kombiniert. Analog zu Hans Freyer bedient sich Koselleck zur Verortung der Aufklärung in der Geschichte der beiden Kategorien Kontinuität und Diskontinuität. Während sich Freyer als Sozialphilosoph damit begnügte, die ideelle Verwurzelung und Neuheit der Aufklärung im Rahmen der abendländischen Geistestradition im allgemeinen darzulegen, versucht Koselleck als Historiker die innere Denkstruktur der Aufklärung in ihren historischen Bezugsrahmen einzubinden und vermag dadurch jene zwei Kategorien der historischen Anschauung kontextuell zu variieren. Kosellecks Beschreibung zufolge war der historische Geburtsort der Aufklärung der europäische Absolutismus, der zur Beendigung der religiösen Bürgerkriege die Macht in seinen Händen monopolisiert und damit als der absolute Souverän die staatliche Politik aus dem privaten Gewissen völlig ausklammert habe, in dem die religiösen Bindungen oder ständischen Loyalitäts-

„praktische

19 Hans Freyer, Preußentum und Aufklärung. Eine Studie über Friedrichs des Großen Antimachiavel (1944), in: Hans Freyer. Preußentum und Aufklärung und andere Studien zur Ethik und Politik, hg. v. Elfriede Üner, Weinheim 1986. 20 Reinhart Koselleck zählt zu den sogenannten Heidelberger „Schmittianern", die einen Freundekreis um Schmitt bildeten und von seiner Weltanschauung stark beeinflußt waren. Es ist kaum zu bezweifeln, daß Koselleck im Bannkreis der von Schmitt angeregten Perspektive auf die Moderne stand. Siehe Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der Bundesrepublik, Berlin 1993, 188f. 21 Reinhart Koselleck, Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt, Freiburg/München 1959/ hier Frankfurt a. M. 1992 (7. Aufl.), Einleitung u. S. 135, S. 154f.

A. Die Aufklärungskritik

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bande verankert gewesen seien. In den absolutistischen Staaten zogen sich die Untertanen, so Koselleck, jenseits von Religion und Politik in einen moralischen Innenraum zurück und schlössen sich dabei zur bürgerlichen Gesellschaft zusammen, die der Absolutismus in sein politisches System nicht zu integrieren vermochte.22 Diese Trennung von Politik und Moral und damit auch die entsprechende Trennung von Staat und Gesellschaft habe die innere Struktur des absolutistischen Systems ausgemacht, aus der sich die Aufklärung habe herausbilden können. Die Aufklärung stellt nach Koselleck die „innere Konsequenz" des europäischen Absolutismus dar, da sie jener „Dialektik von Moral und Politik" entsprang. In der Folge habe sie sich als sein „dialektischer Widerpart und Feind" entpuppt. Die Aufklärung bildete sich mithin, so Koselleck, historisch im Rahmen der absolutistischen Staaten heraus und entwuchs letzten Endes ihrem historischen Boden.23 Die Entwicklung des aufklärerischen Denkens stellt sich in Kosellecks Sicht als Verschärfungsprozeß der Krise dar. Seine Analyse nimmt ihren Ausgang von Hobbes, dessen politische Lehre Koselleck zufolge einen intellektuellen Reflex des absolutistischen Systems darstellt. Der Staat werde bei Hobbes als Maschine begriffen, die überparteilich, neutral, in religiösem Sinne indifferent sei und damit die politische Stabilität zu sichern vemöge. Erst die in den absolutistischen Staaten vollzogene Unterordnung der Moral unter die Politik gewähre, so Koselleck, die Entfaltung der „moralischen Welt" der Bürger. Dieser aus dem Staat ausgegrenzte moralische Innenraum hat dann insofern eine latent politische Funktion innerhalb des absolutistischen Systems, als die bürgerliche Gesellschaft ihre eigenen moralischen Gesetze entwickelte und damit den Staat von innen her aushöhlte. Aus dieser historischen Entzweiung zwischen Staat und Gesellschaft gehe dann die Aufklärung hervor.24 Koselleck zufolge stellten sich aufklärerische Bürger die Aufgabe, ihren privaten Innenraum zur Öffentlichkeit auszuweiten, und luden ihn damit politisch auf. Die politische Indienstnahme der aufklärerischen Moralinstanz vollzieht in der „Kritik", anhand derer die Bürger den bestehenden Staat in Frage zu stellen vermochten. Die Moral tritt staatlichen Gesetzen gegenüber. Am Beispiel von John Locke macht Koselleck deutlich, wie die Aufklärung diese Gegensätzlichkeit radikalisierte; die aufklärerischen Denker erhoben die Moral zu einem „präsumptiven Souverän" und bildeten damit eine „indirekt wirkende politische Gewalt" im absolutistischen Staat. Ihre moralische Kritik rückte dabei in den Raum der Öffentlichkeit ein und erfaßte schließlich den Staat. „Scheinbar unpolitisch und überpolitisch, war sie tatsächlich doch politisch".25 Dieses widersprüchliche Verhältnis der bürgerlichen Kritiker zur Politik konstituiert den moralischen Dualismus, in dem sich die „Wendung von der inneren moralischen Freiheit zu einer äußeren, politischen Freiheit" voll-

22

Ebenda, S. 11-17, S. 32f.

"Ebenda, S. 11, S. 51, S. 38-39. 24 25

Ebenda, S. 18f. Ebenda, S. 41f, S. 54, S. 68, S. 95.

82

HI Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

zog. Insgesamt beschreibt Koselleck die zunehmende Politisierung des aufklärerischen Denkens als Verschärfung der ihr inhärenten Gegensätzlichkeit.26 Koselleck verfolgt diesen Prozeß in verschiedenen nationalen Varianten. So sehr die moralischen Kritiker der deutschen Aufklärung in Gestalt der Kunstkritik, wie etwa bei Lessing und Schiller, eine bewußte und klare Kampfstellung zum absolutistischen Staat eingenommen hätten,27 so sehr habe die Kritik in Frankreich den Raum der Kunst und Wissenschaft verlassen und die Hobbessche Unterordnung der Moral unter die Politik umgekehrt so nicht nur bei Voltaire, sondern selbst bei Turgot, einem Vertreter des absolutistischen Staates.28 Solange die französische Aufklärung eine moralische Totalität beansprucht habe, die den absolutistischen Prinzipien widersprach, sei ein künftiger Bürgerkrieg hier indirekt legitimiert worden. Diese neue Einheit von Moral und Politik und damit auch die Einheit von Staat und Gesellschaft liest Koselleck aus der Revolutionsprognose Rousseaus heraus, dessen Forderung nach einer permanenten Diktatur jenen privaten Innenraum verschwinden ließ, der bei Hobbes vom Staat ausgespart blieb. Dies alles faßt Koselleck unter dem Begriff der „politischen Krise".29 Koselleck zufolge speiste sich die aufklärerische Kritik vor allem aus der „Geschichtsphilosophie", die auf einer Übertragung forensischer Kategorien auf die Geschichte beruhe. Am Beispiel von Diderot und Raynal wird gezeigt, daß den aufklärerischen Kritikern der Ablauf der Geschichte als die Erfüllung ihres revolutionären Planes erschien. Koselleck sieht Fortschrittsdenken den kritischen Punkt der aufklärerischen Geschichtsphilosophie. Analog zu Freyer führt er diese Denkfigur auf die mittelalterliche Eschatologie zurück, der zufolge die Geschichte als „ein" Prozeß aufzufassen sei. Im Zuge der Säkularisierung sei die Eschatologie in eine Fortschrittsgeschichte transponiert worden. Die neuzeitliche Geschichtsphilosophie habe also das europäische Erbe der Geschichtsbetrachtung übernommen. Mit deren Hilfe habe die bürgerliche Kritik die ganze Weltgeschichte in ihre Prozeßführung verwickelt.30 Nach Ansicht Kosellecks wurde durch „die Geschichtsphilosophie" der Hiatus zwischen Moral und Politik nur „scheinbar" überbrückt; insofern die Geschichtsphilosophie jene „politische Krise" „verdeckt", die die moralische Kritik heraufbeschwört, muß sie letztlich diese Krise „verschärfen".31 Höchst problematisch sei hier nämlich „die Methode der fortschrittlichen Kritik, das rational Geforderte als die wahre Realität anzusprechen, vor der die Gegenwart ver-

26

Ebd., S. 66-68.

27

Ebd., S. 68f. Ebd., S. 87f, S. 105f. 29 Ebd., S. 115f, S. 132, S. 128. 30 Ebd., S. 108f. 31 Ebd., S. 146-147. Der Begriff der Krise weist zurück auf den Einfluß Carl Schmitts. 28

Gleichzeitig mit Koselleck bediente sich auch sein Heidelberger Kommilitone Hanno Kesting unter dem Einfluß Schmitts des Begriffs „Krise". Siehe Kesting, Utopie und Eschatologie. Zukunftserwartungen in der Geschichtsphilosophie des 19. Jahrhunderts, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, XLI/ 2, 1954, S. 202-230; ders., Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg. Deutungen der Geschichte von der französischen Revolution bis zum Ost-West-Konflikt, Heidelberg 1959.

A. Die Aufklärungskritik

83

zum politischen Prinzip erhoben. Beständig werden ungedeckte Wechsel auf die Zukunft gezogen".32 Die Aufklärung konnte, so Koselleck, das in ihr angelegte „Mißverhältnis zur Politik" kaum überwinden, solange sie die Politik nicht aus einer realistischen Berechnung, sondern aus dem moralischen Innenraum heraus zu steuern beanspruchte. Koselleck wirft in dieser Hinsicht den aufklärerischen Denkern Unverständnis für die „Aporie des Politischen" und damit für „das Wagnis und Risiko aller politischen Handlungen und Entscheidungen" vor. Die Mittel jener fiktiven Identifizierung von Moral und Politik sind seiner Ansicht nach Ideologie und Terror, Kennzeichen der politischen Krise.33 Wie bereits angedeutet, ist in Kosellecks Konzept der Aufklärung die Würdigung ihrer historischen Größe von einer immanenten Kritik ihrer logischen Konsequenz überlagert. Das kennzeichnet Kosellecks Haltung zum historischen Phänomen der Aufklärung; die Aufklärung wirke trotz ihres geschichtlichen Charakters in ihrer logischen Konsequenz ahistorisch. Aufgrund ihrer Geschichtsphilosophie werde die Geschichte „von ihrer Faktizität entblößt", und die Zukunft scheine bereits eingeholt: „Die Krise, die durch den Prozeß in Gang kommt, den die Moral gegen die Geschichte anstrengt, bleibt permanent, solange als die Geschichte geschichtsphilosophisch verfremdet wird."34 In diesem Punkt, der These, daß sich die Aufklärung von der Geschichte im geläufigen Sinne verabschiede, berührt sich Kosellecks Argumentation mit der Hans Freyers über das Fortschrittsdenken der Moderne. Allerdings bindet für Koselleck die innere Denkstruktur der Aufklärung in einen historischen Kontext ein; die Aufklärung spiegle die innere Gegensätzlichkeit des absolutistischen Systems wider und verschärfe sie in die politische Krise der Moderne hinein. In der Gewichtung und Bewertung der „Krise" teilt Koselleck jedoch mit Freyer die ambivalente Sicht der Aufklärung. Wie oben erwähnt, lag dem Begriff der „Krise" bei den Neukonservativen ihre kritische Sicht der Moderne zugrunde. Ihr spezifisches Geschichtsdenken sollte dabei der Bewältigung eben dieser Krise dienen. In dieser Verbindung von Krisendiagnose und Geschichtsdenken artikulierte sich ihre ambivalente Sicht der Moderne. Deklarierten konservative Historiker der 50er Jahre die

schwindet,

32

Koselleck, ebd., S. 140. Dieser Gedanke wurde in einem späteren Text auf eine feste Formel gebracht: „Erfahrungsraum" und „Erwartungshorizont" zwei historische Kategorien, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1989, S. 349-375. 33 Ders., Kritik und Krise (wie Anm. 21), 8, 156. Koselleck übernimmt zweifelsohne Carl Schmitts Begriff des „Politischen". Dieser verweist darauf, daß der Mensch nicht idealiter handeln könne, sondern je nach der konkreten historischen Situation sich immer neu zur Unterscheidung von „Freund und Feind" zu „entscheiden" habe. Schmitt schließt das neuzeitliche Verständnis des „Feindes" der besonderen Geschichtserfahrung an; er setzt etwa ein neues politisches Raumbewußtsein mit der nachmittelalterlichen völkerrechtlichen Ordnung Europas sowie mit der Erfahrung des totalen Krieges in Beziehung: Der Begriff des Politischen (1932), Berlin 1963, S. 20-37. Dazu Jürgen Oelkers, Das Politische und die Geschichte, in: Neue politische Literatur 28, 1982, S. 270f; Helmut Quaritsch (Hg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 284-285, S. 545; Christian Meier, Die Entstehung des Politischen bei den Griechen, Frankfurt a. M. 1980, S. 31. 34 Koselleck, Kritik und Krise, 9. -

84

¡H Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

Aufklärung als „Vorbote der Krise", so sahen sie es als ihre Aufgabe an, ein ganz anderes Geschichtskonzept als das einer fortschrittsbezogenen „Geschichtsphilosophie" zu entwerfen, die ihnen nicht zur Überwindung der Krise fähig, sondern vielmehr geradezu als Indiz für die krisenhafte geschichtliche

Grundfigur der Moderne erschien.35 Auffällig ist in diesem Kontext Otto Brunners grundsätzliche Infragestellung der Geschichtsphilosophie. In seiner Sicht ist das geschichtliche Denken seinem Ursprung nach eine abendländische Leistung, so daß dessen „Krise" ideengeschichtlich auf den Einbruch eines säkularisierten Spiritualismus ins neuere

geschichtliche

Denken zurückzuführen sei.36 Dieser

Säkularisierungs-

prozeß, vollzogen in einer „Verbindung von Historia sacra und profana",37 floß, so Brunner, in die aufklärerische „Geschichtsphilosophie" ein. Diese trage insofern ein Krisenpotential in sich, als sie in Anlehnung an den säkularisierten Geistbegriff „ein Totalwissen über das Ganze der geschichtlichgesellschaftlichen Wirklichkeit" für sich beanspruche und dabei die Gegenwart zu einem „notwendigen Vorgang zu einem Endzustand" herabwürdige.38 In seinen Augen ist der gegenwärtige historische Relativismus die logische Konsequenz dieses „Glaube(ns) oder Aberglaube(ns) an die Geschichte".39 Indem Brunner im Hinblick auf „die Geschichtsphilosophie" das europäische Geschichtsdenken insgesamt als „Irrweg" abtut, will er den Weg für ein nüchternes, von Zukunftserwartungen ungetrübtes Verhältnis zur Geschichte freimachen.40 Aber seine Kritik der aufklärerischen Geschichtsphilosophie 35

Wenn die Pointe dieser Argumentationen Freyers und Kosellecks darin besteht, daß der geschichtliche Prozeß in der Moderne durch den künstlichen Eingriff in die Geschichte dergestalt strukturell verändert wird, daß sich die Geschichte selber im Modus der Geschichtsphilosophie in die Zukunft hin bewegt, wird deutlich, daß die Konservativen die geschichtliche Grundfigur der Moderne als Wandlung der geschichtlichen Erfahrung begriffen. Die Rede von der „Krise" bestätigt genauso diese Deutung. Der Verlauf der Geschichte übersteige alle gegenwärtigen Handlungsmöglichkeiten der Menschen, wie etwa ihre politische Entscheidung. In diesem Sinne spricht der Erlanger Philosoph Wilhelm Kamiah von einem

„Über-sich-hinaus-treiben" der Geschichte: „Wie es heute ist, kann es morgen nicht bleiben, wenn wir morgen noch leben wollen, und wie es morgen sein wird, wird es übermorgen

nicht bleiben dürfen". Damit stellt er fest, daß die „permanente Veränderung" aller menschlichen Dinge zu einer „Tatsache" der Neuzeit wurde; die Geschichte treibe unendlich voran, und daraufhin sei die geschichtliche Erfahrung des Menschen in Wandel hineingezogen. Kamiah diskreditiert die Moderne in diesem Zusammenhang als die „Krise" der geschichtlichen Erfahrung: Wilhelm Kamiah, „Zeitalter" überhaupt, „Neuzeit" und „Frühneuzeit", in: Saeculum 8, 1957, S. 314f. Vgl. ders., Christentum und Geschichtlichkeit, Stuttgart/Köln 1951 (zweite Aufl.), S. 13f. 36 Otto Brunner, Abendländisches Geschichtsdenken, in: Hamburger Universitätsreden Nr. 17, 1954/ hier ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, Göttingen 1968 (2. Aufl.), S. 40. 37 Ebenda, S. 34. 38 Ders., Das Zeitalter der Ideologien: Anfang und Ende, in: Neue Rundschau 65, 1954/ hier ders., Neue Wege (wie Anm. 36), 60-61. Vgl. Reinhard Wittram, Das Interese an der Geschichte, Göttingen 1958, VII. Geschichte als Fortschritt, S. 81-94. 39 Brunner, Abendländisches Geschichtsdenke (wie Anm. 36), 39, bemerkt hierbei Ernst Topitschs Aufsatz »Der Historismus und seine Überwindung« (1952). Siehe S. 32. 40 Ders., Abendländisches Geschichtsdenken, 39. Vgl. Hermann Heimpel, Geschichte und Gegenwart, in: ders., Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen 1957, S. 1 lf, 19f, 30f.

A. Die Aufklärungskritik

85

bleibt insofern ambivalent, als sich die in ihr angelegte „Krise des geschichtlichen Denkens" auf das europäische Geschichtsdenken überhaupt zurückführen läßt, wobei praktisch die ideengeschichtliche Stellung der Geschichtsphilosophie in großem Maße gewürdigt wird. Diese ambivalente Sicht der Aufklärung steht unverkennbar in direkter Verbindung mit jener ambivalenten Sicht der Moderne, welche für die deutschen Nachkriegskonservativen charakteristisch war.

Im Vergleich zu Franz Schnabel, dessen Sicht der Moderne humanistischliberale ist und gleichwohl durch die Ambivalenz charakterisiert ist, radikalisierten die neukonservativen Historiker der 50er Jahre diese Ambivalenz. Sie problematisierten ihre Gegenwart als „Krise" und diskreditierten die „Kritik" seitens der „Geschichtsphilosophie" als „Verschärfung" der Krise. Eine solche Verbindung von radikaler Kritik der bestehenden „Krise" und einer gleichermaßen radikalen Infragestellung der sogenannten aufklärerischen „Kritik" macht die Ambivalenz aus, die für die neukonservative Sicht der Moderne signifikant ist.

B. Die theoretische Konstruktion der Moderne im Lichte einer historisch neuen Dimension von Zeit und Raum 1. Die moderne Technik Die ambivalente Sicht der Moderne kann in den theoretischen Arbeiten der Historiker der frühen Bundesrepublik zum Problemkomplex der modernen Technik, des Verhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft, aber auch der Vermassung sowie der Massendemokratie nachvollzogen werden. Als heuristische Sonde können die analytischen Kategorien „Zeit" und „Raum" dienen. Die nachfolgenden Ausführungen gehen von der Annahme aus, daß die Nachkriegshistoriker jungkonservativer Provenienz die Moderne im Lichte einer historisch neuen Dimension von Zeit und Raum begriffen haben. Dies korrespondiert dem Umstand, daß diese Historiker eine Revision des herkömmlichen deutschen Geschichtsbildes postulierten und damit zu Einsichten über die spezifisch moderne zeitliche Vereinheitlichung verschiedener Kulturen sowie die räumliche Zusammenschließung der Erde gelangten, was sie dazu führte, eine epochale Wende festzustellen. Als erstes soll ihr Blick auf die moderne Technik idealtypisch untersucht werden. Bedauerlicherweise sind die einzelnen Äußerungen der neukonservativen Nachkriegshistoriker zur Technik nicht sehr ausführlich, sondern berühren nur die äußerlichen Vorgänge der technischen Entwicklung. Es läßt sich aber angesichts der Grunddisposition dieser Historiker annehmen, daß für sie das neukonservative Technikdenken verbindlich war, das sich bis in die 50er Jahre hinein durch die Einbeziehung der neuen Dimension von Zeit und Raum

86

III Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

auszeichnete, in der die Behauptung von der traditionslosen und daher mögli-

cherweise zukunftslosen Gegenwart begründet war.41 Zu den gründlicheren Stellungnahmen zur Problematik der modernen Technik, in denen die spezifische Einstellung der Nachkriegshistoriker dazu deutlich nachvollziehbar ist, zählen die Reflexionen Franz Schnabels, der sich bereits im dritten Band seiner »Deutschen Geschichte im neunzehnten Jahrhundert« mit diesem Thema beschäftigt hatte und in der Nachkriegszeit seinen früheren Gedanken wiederholte.42 Seine „humanistische" Sicht der Technik ist allerdings nicht mit derjenigen Sicht gleichzusetzen, die die bis in die 50er Jahre hinein dominierenden konservativen Historiker prägte. Es ist aber bemerkenswert, daß Schnabels Technikdenken trotz seiner liberalhumanistischen Ausprägung in vielerlei Hinsicht mit dem jungkonservativen Technikdenken übereinstimmte. Bei Schnabel wird die Kritik an der modernen Technik von seiner Anerkennung ihrer historischen Leistungen überlagert. Er weist auf die europäische Herkunft der modernen Technik hin, betont aber auch den durch sie in Gang gebrachten gewaltigen Bruch mit der Tradition. Hier klingt bisweilen die pessimistische Überzeugung an, daß die geistige Tradition Europas zur Selbstzerstörung verurteilt ist. Schnabels Technikkritik geht zuerst von der historischen Legitimation der modernen Technik aus. Diese entspringe nämlich „aus dem Geist der abendländischen Völker": „Die moderne Technik ist nicht unvorbereitet im Abendland erfunden und entwickelt worden, sondern es gehörte dazu Siehe Oswald Spengler, Der Mensch und die Technik. Beitrag zu einer Philosophie des München 1931; Hans Freyer, Zur Philosophie der Technik, in: Blätter für Deutsche Philosophie. Zeitschrift für Deutsche Philosophische Gesellschaft. 3. Bd. Heft 2, 1929, S. 195-196; ders., Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1921, S. 148f; ders., Prometheus. Ideen zur Philosophie der Kultur, Jena 1923; ders., Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, 166; ders., Über das Dominantwerden technischer Kategorien (wie Anm. 16); ders., Herrschaft, Planung und Technik. Aufsätze zur politischen Soziologie, hg. v. Elfriede Üner, Weinheim 1987; Wilhelm Röpke, Die Technik in der Gesellschaftskrisis der Gegenwart, in: Universitas 7, 1952, S. 673-679; Arnold Gehlen, Die Technik in der Sichtweise der philosophischen Anthropologie, in: Merkur 7, 1953, S. 627f; ders., Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, Bonn 1956; ders., Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, Hamburg 1957, S. 7f, S. 23f; Martin Heidegger, Die Technik und die Kehre (1962), Pfullingen 1985 (6. Aufl.); Rolf Peter Sieferle, Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1984; ders., Die konservative Revolution, Frankfurt a. M. 1995; Gilbert Merlio, Spengler und die Technik, in: Spengler heute, hg. v. Peter Christian Ludz, München 1980, S. 100-122; René König und Otto Ulrich, Technik und Herrschaft, Frankfurt a. M. 1977; Jeffrey Herf, Reactionary Modernism: Technology, Culture, and Politics in Weimar and the Third Reich, Cambridge 1984; Peter Fischer (Hg.), Technikphilosophie, Leipzig 1996. 42 Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Dritter Band. Erfahrungswissenschaften und Technik, Freiburg 1934, insbesondere 4. Abschnitt. Die Technik: Schnabel deklariert den Aufbau der Wissenschaften und die Werke der Technik als einzigartige Leistung Europas, weist aber auf ein Mißverhältnis zwischen Aufgabe und Resultat hin. Er beklagt, daß die Erziehung zu sittlicher Verantwortung, die Erziehung zur sachlichen Hingabe angesichts der industriellen Großmacht versäumt wurde. (S. 452-453) In diesem Kontext führt Schnabel den Begriff des „Teilmensch(en)" ein. Damit meint Schnabel einen Menschentypus, der „nicht Geist, sondern nur Ausnützung des Geistes" will. (S. 239f)

41

Lebens,

B. Die theoretische Konstruktion der Moderne

87

alles das, was das Wesen der abendländischen Welt überhaupt ausmacht, was es anderswo nirgends gab und aus dem die Kunst der mittel- und westeuropäischen Völker, ihre Gesellschaft, ihr Staat und ganz ebenso auch die moderne Technik hervorgegangen sind."43 Zum „Wesen" der europäischen Welt zählt Schnabel den Freiheitsgedanken und die Aktivität des kulturbewußten Bürgertums, das sich seit der Antike innerhalb der urbanen Kultur entwickelt und in der Neuzeit der nationalen Vielfalt zum Durchbruch verholfen habe.44 Es sei eben diesem Bürgertum der europäischen „Hauptnationen" zu verdanken, daß sich der Rationalismus zu voller Blüte entfalten konnte, der eine geistige Grundlage für die europäische „Zivilisation" geschaffen habe. Das Bürgertum habe das rationalistische Gedankengut und die Naturwissenschaften der Griechen weiter entwickelt und mit seiner erfinderischen Aktivität wissenschaftliche Forschungsergebnisse in die Praxis umzusetzen versucht. Aus diesen geistigen Grundlagen gehe die moderne Technik hervor. Geprägt von dieser eurozentrischen Grundsicht betrachtet Schnabel die Technik somit als Indikator für „eine großartige Kontinuität" der europäischen Geisteshaltung.45 Diese historischen Würdigung der modernen Technik wird kontrapunktiert durch eine kulturkritische Gegenargumentation, derzufolge die Technik einen Bruch mit der geistigen Tradition der europäischen Welt hervorrufe. Zwar befreie die Technik den Menschen von den Gewalten der Natur, aber zugleich fessele sie ihn an bestimmte soziale Mechanismen, die auf der Basis der Technik zum Tragen kämen. In der modernen, durch die Technik bestimmten Welt trete an die Stelle des freidenkenden Bürgers ein nie vorhergesehener Typus des Menschen, nämlich der „Teilmensch(en), verflacht und ungesammelt, überanstrengt und humanitätslos, innerlich unfrei trotz der rechtlichen Freiheit und der größeren Unabhängigkeit von der Natur".46 Schnabel kommt in diesem Zusammenhang zu dem Schluß, daß die moderne Technik die abendländische Idee von der „Persönlichkeit" zerstöre, da diese unter den gegebenen Umständen Gefahr laufe, „ganz den harten Notwendigkeiten des materiellen Daseins ausgeliefert zu werden, nur Instrument zu sein".47 Schnabels ambivalente Haltung der modernen Technik gegenüber weist eine gewisse, zumindest äußerliche Ähnlichkeit mit dem Technikdenken der deutschen Konservativen auf. In Schnabels Technikkritik ging aber in erster Linie Ders., Der Aufstieg der modernen Technik aus dem Geist der abendländischen Völker (1952), in: Franz Schnabel. Abhandlungen und Vorträge 1914-1965, hg. v. Heinrich Lutz, Freiburg/Basel/Wien 1970, S. 246. 44 Das europäische Bürgertum stellt Schnabels Hauptinteresse dar. Dies zeigt sich im dritten Band seines genannten Hauptwerkes. Für ihn sei das 19. Jahrhundert „mit allen seinen Schöpfungen und allen seinen Schwächen ein Jahrhundert des Bürgertums gewesen". Diese welthistorisch bedeutsame Schicht sei eben der Träger von Verfassungsgedanke und Rechtsstaat, von historischer- und Naturwissenschaft, von Technik und Industrie, kurz: Träger des Fortschritts, gewesen. In diesem Zusammenhang deklariert Schnabel „Konstitution und Ma43

schine" als Schlüsselworte des 19. Jahrhunderts. 45 Ders., Der Aufstieg der modernen Technik (wie Anm. 43), 246, 244, 267. 46 Ders., Goethe und die moderne Technik (1949), in: Franz Schnabel. Abhandlungen und Vorträge, 236. 47 Vgl. Alois Halder, Technik, in: Staatslexikon. Recht Wirtschaft Gesellschaft, hg. v. der Görres-Gesellschaft, 7. Bd. Freiburg 1962 (6. Aufl.), S. 925-935.

/// Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

88

die Loslösung der modernen Menschen aus der geschichtlichen Binwie bei den Konservativen, sondern um den Verlust der individuellen Freiheit als solcher. Zudem machte er trotz seiner bipolaren Auffassung von Kontinuität und Diskontinuität in der technischen Entwicklung weniger auf die historisch neue Dimension von Zeit und Raum aufmerksam. Eine neue Wahrnehmung von Zeit und Raum artikuliert sich dagegen in Hermann Heimpels Äußerungen zur technischen Moderne. Er diagnostiziert sich in radikaler Weise eine ahistorische Wirkung der modernen Technik. Heimpel zufolge erweckt die Technik im modernen Menschen die Vorstellung, daß seine Gegenwart mit keiner früheren Zeit zu vergleichen sei. Kaum, daß die Technik ihm die wissenschaftlich begründete Handhabung der Natur und damit eine enorme Vergrößerung des Wohlstandes ermögliche, gewinne der Mensch das Bewußtsein seiner extraordinären Lage und begreife dabei die Vergangenheit überhaupt als gleichförmige Zeit, die sich im Vergleich zur Gegenwart durch die Abhängigkeit von der Natur auszeichne. Durch die Technik werde demzufolge der moderne Mensch seiner Vergangenheit entfremdet. Mit Hinweis auf die neue Zeitwahrnehmung angesichts der modernen Technik konstatiert Heimpel dabei eine „Vereinfachung" des historischen Bewußtseins.48 Die mit der modernen Technik einhergehende neue Zeitdimension erschien Heimpel als Indikator für die historische Diskontinuität. Die neukonservativen Nachkriegshistoriker stimmten der Heimpelschen Einschätzung der modernen Technik weitgehend zu. Sie argumentierten, daß die moderne Technik die hergebrachten Ordnungen zum Einsturz bringe und sich damit die Kluft zwischen Gegenwart und Vergangenheit vertiefe, hielten aber diese Entwicklung zugleich für unabänderlich und legten der Technik eine historisch relevante Bedeutung bei; sie verstanden die Technik als Kennzeichen einer ganz neuen Epoche. Diese Sichtweise bekundet sich deutlich in der Epochenbezeichnung, „Zeitalter der Dampfmaschine".49 Die Technikauffassung dieser Historiker zeichnete sich daneben durch die Einbeziehung einer historisch neuen Dimension des Raumes aus. Theodor Schieder spricht von der „Raumrevolution", die durch die Beschleunigung der modernen Verkehrsmittel herbeigeführt werde. Die von der modernen Technik beflügelten „Erschließung und Durchdringung der Räume" hätten die historisch einzigartige Machtkonzentration in Großstaatsgebilden begünstigt und damit „die Verknüpfung der Erde zu einem einheitlichen politischen Schau-

nicht

um

dung,

48

Hermann Heimpel, gen 1959, S. 6. 49

Über Geschichte und Geschichtswissenschaft in

unserer

Zeit, Göttin-

Ludwig Beutin, Geschichte der südwestfälischen Industrie und Handelskammer zu Hagen und ihrer Wirtschaftslandschaft, Hagen 1955. Beutin faßt hier die Technik als Gesamtheit der Mittel und Methoden, die den wirtschaftlichen Erfordernissen dienen. Die Technik stelle aber weit über das Wirtschaftliche hinaus den neuzeitlichen Geist dar. Sie sei nämlich eine wesentliche Ausdrucksform einer kulturellen Gesamtlage: Einfuhrung in die Wirtschaftsgeschichte, Köln/Graz 1958, S. 61f; ders., Wirtschaftsgeschichte, in: Handbuch der Wirtschaftswissenschaften, hg. v. Karl Hax und Theodor Wessels, Bd. II. Volkswissenschaft, Köln/Opladen 1959, S. 1412.

B. Die theoretische Konstruktion der Moderne

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platz" zur Folge gehabt.50 Zu den „Zeit und Raum radikal verändernden Konsequenzen" der modernen technischen Zivilisation zählt er dabei „den Machtdynamismus der modernen Staaten, der sich durch den Nationalismus sozusagen auflädt und in einen über weite Räume ausgreifenden Imperialismus übergeht; die Dynamik eines ungeheuren Anwachsens der Zahl der Menschen auf der Erde, ihre ständig im Fluß befindliche Verteilung über die Erdräume".51 Die neukonservativen Historiker der frühen Bundesrepublik gelangten zu der Einsicht, daß die moderne Technik dem Menschen eine fortschreitende Raumüberwindung ermöglichte und damit neuen historischen Rahmenbedingungen zum Durchbruch verhalf. Im Mittelpunkt stand dabei der Gedanke, daß die von der modernen Technik beflügelte industrielle Entwicklung über den traditionellen historischen Rahmen Europas hinausgegangen sei und eine Vorbedingung für die weltweite Einheitszivilisation geschaffen habe. In diesem Sinne legt Werner Conze der „Industrialisierung" die Bedeutung eines Movens der „modernen Weltepoche" bei.52 Dabei nennt er diese neue Weltepoche das „technisch-industrielle Zeitalter".53 In dieser Epochenbezeichnung Conzes klingt allerdings seine kulturpessimistische Grundeinstellung an, derzufolge die neue Epoche nicht durch Politik und Kultur im herkömmlichen Sinne des Wortes, sondern vielmehr durch die anonyme Kraft der Technik und der Industrie bestimmt wird. Nichtsdestoweniger wurde hiermit ein neues Geschichtsverständnis angekündigt, in dem ein neuartiger historischer Handlungsraum globaler Ausdehnung ins Blickfeld rückte. Die „konservative", aber nicht rückwärtsgewandte Einstellung der Historiker zur Moderne äußerte sich in ihrem Technikdenken nur unterschwellig. Erst in ihren Betrachtungen des historischen Strukturwandels artikulierte sich die Leitlinie ihrer Argumentation. Hier soll ihre radikale Auffassung der neuen „Weltepoche" nur durch den Hinweis auf ihre Sicht der neuen Dimension von Zeit und Raum unterstrichen werden, die in ihrer theoretischen Reflexion über die Moderne von ausschlaggebender Bedeutung war. Auf Distanz zu der liberal-humanistischen Richtung, die sich auf ein moralisches Urteil über den Verlust der menschlichen Freiheit stützte, waren diese Historiker im Bannkreis des deutschen Konservatismus vielmehr darum bemüht, sich mit dem Spezifikum der Moderne „sachlich" zu befassen. Eine solche Skepsis gegenüber dem normativen Urteil über den geschichtlichen Vorgang und die entsprechende „Sachlichkeit" können als Zeichen für jenen Kulturpessimismus im weiteren

Theodor Schieder, Staat und Machtpolitik im Industriezeitalter, in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit. Studien zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1958, S.94f. 51 Ders., Erneuerung des Geschichtsbewußtseins (1957), in: Staat und Gesellschaft (wie Anm. 50), 190-191. 52 Werner Conze, Vorwort zu »Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815-1848« 50

(Stuttgart 1962). 53 Ders., Die Strukturgeschichte des technisch-industriellen Zeitalters als Aufgabe für Forschung und Unterricht. Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes NordrheinWestfalen, Köln/Opladen 1957.

90

HI- Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

Sinne des Wortes angesehen werden, den die führenden mit den deutschen Konservativen teilten.54 2. Das historisch

neue

Verhältnis

von

Nachkriegshistoriker

Staat und Gesellschaft

Unter Bezugnahme auf die technische Grundhaltung des modernen Menschen und seine Weltgestaltung fand sich eine Vielzahl westdeutscher Historiker der 50er Jahre mit dem sich in der modernen Welt vollziehenden Strukturwandel ab. Bezeichnend hierfür ist, daß die Historiker die Brisanz des historischen Prozesses im „technisch-industriellen Zeitalter" durch den Begriff der „Revolution" kennzeichneten. In diesem Terminus liegt die historische Anschauung beschlossen, daß die technisch-industrielle Entwicklung die bestehenden Ordnungen von Staat und Gesellschaft aufgelöst, die ganze Welt in ein einheitliches Spannungsfeld verwandelt und damit revolutionäre Bewegungen ausgelöst habe. Insofern als „Revolution" eine neue Form des Geschichtsprozesses zum Ausdruck bringt, die durch die Formel vom „Kurzwerden der Epochen" und dem „Häufigerwerden geistiger, politischer und sozialer Umwälzungen"55 charakterisiert ist, ist jedoch ebenfalls ein kritischer Ton zu verspüren. So definiert Theodor Schieder in Anlehnung an die Burckhardtsche These von der einheitlichen Signatur der modernen Zeit als „permanenter Revolution" die Revolution als krisenhafte Veränderung eines geschichtlichen Gesamtzustandes. Nach dem Vorbild Burckhardts begreift Schieder damit die Revolution als einen Schlüsselbegriff der modernen Welt.56 Diese reicht dabei von der industriellen Revolution über die politische bis hin zur sozialen Revolution.57 Das breite Spektrum des Begriffes faßt Conze noch weitergehend unter dem historischen Terminus, der „europäischen Weltrevolution" zusammen. Diese stelle eine weltgeschichtlich relevante Gesamtbewegung dar, die, ausgelöst durch das europäische Bürgertum, die von einer kleinen höfischadelig-patrizischen Oberschicht geprägte Sozialordnung Europas zersetzt und darüber hinaus die ganze Welt erschüttert habe. Als diese Bewegung die Grundstruktur der industriellen und demokratischen Gesellschaft über den europäischen Rahmen hinaus verbreitet habe, habe sie eine gesteigerte Dynamik in die gesamte geschichtliche Welt eingeführt.58 Konsequent folgert Conze weiter, daß seit dem Aufbruch des „technisch-industriellen Zeitalters" die Ge-

Siehe Ulrich Herbert, Arbeit, Volkstum, Weltanschauung. Über Fremde und Deutsche im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1995, 2. Abschnitt: „Generation der Sachlichkeit". Die völkische Studentenbewegung der frühen zwanziger Jahre, S. 31-58; ders., Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903-1989, Bonn 1996, S. 88f. 55 Rudolf Vierhaus, Ranke und die soziale Welt, Münster 1957, S. 96. 56 Theodor Schieder, Das Problem der Revolution im 19. Jahrhundert (1950), in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit (wie Anm. 50), S. 12. 57 Vgl. Rudolf Stadelmann, Deutschland und die westeuropäischen Revolutionen, in: ders., Deutschland und Westeuropa. Drei Aufsätze, Laupheim 1948, S. 1 lf. 58 Conze, Die Strukturgeschichte des technisch-industriellen Zeitalters (wie Anm. 53), 9f. 54

B. Die theoretische Konstruktion der Moderne

91

schichte nicht mehr als Tradition, sondern eher als Revolution wahrgenommen werde.59 Unter der Bezeichnung der „europäischen Weltrevolution" nimmt Conze in Anspruch, die sich auf globaler Ebene vollziehenden technisch-industriellen Entwicklungen in Zusammenhang mit dem brisanten Strukturwandel der überkommenen Sozialordnung zu erfassen. Wenn die führenden Historiker der frühen Bundesrepublik rund um den Begriff der Revolution die Ansicht vertraten, daß sich die moderne Welt von aller bisherigen Geschichte der Völker losgelöst habe, bezogen sie das neue Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft in ihre Überlegungen mit ein, das ihnen als zentraler Indikator für den Strukturwandel erschien. In dieser Thematik artikuliert sich ihre neukonservative Einstellung zur Moderne besonders deutlich. Theodor Schieder etwa äußert sich kritisch über die Trennung von Staat und Gesellschaft in der modernen Welt. Die „moderne egalitäre Gesellschaft" sei als einziger Sieger aus den revolutionären Umbrüchen hervorgegangen, wobei ihr der Staat unterlegen sei.60 In seinen Augen ist die vielfach diagnostizierte Geschichtslosigkeit der modernen Welt eben auf diese moderne egalitäre Gesellschaft zurückzuführen. Seine kritische Ansicht spitzt sich in der Beobachtung zu, daß die „vom Staat abgehobene Gesellschaft" sich über Europa hinaus ausgedehnt habe. Außereuropäische Völker seien in die revolutionären Prozesse hineingezogen worden. Damit seien ihre Gesellschaften nach Vorbildern umgeformt worden, die nicht in ihren eigenen Traditionen verwurzelt, sondern auf das europäische Vorbild hin konstruiert seien.61 Werner Conzes Begriff der „europäischen Weltrevolution" sowie Theodor Schieders Begriff der „modernen egalitären Gesellschaft" markieren ein neues, universales Geschichtsbild, das für die maßgebliche Historikergeneration der 50er Jahre verbindlich war. Für dieses stand Hans Freyer Pate, der diese neue Geschichtsbetrachtung theoretisch untermauerte.62 Dieser formulierte ähnliche Gedanken, wenn er von einer „weltgeschichtlichen Zäsur erster Ordnung" spricht, die auf den Anfang des 19. Jahrhunderts zufalle: „Ganze Großvölker, ganze Kontinente sind in den wenigen Jahrzehnten, seit sie an die industrielle Entwicklung Anschluß gewannen oder in sie hineingerissen wurden, zu förmlichen Experimentierfeldern des Modells geworden, am meisten dann,

59

Ders., Staat und Gesellschaft in der frührevolutionären Epoche Deutschlands, in: HZ 186, 1958, S. 5. 60 Ders., Die Krise des bürgerlichen Liberalismus. Ein Beitrag zum Verhältnis von politischer und gesellschaftlicher Verfassung (1954), in: ders., Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, 62. 61 Ders., Erneuerungs des Geschichtsbewußtseins (wie Anm. 51), 196f. 62 Nach Winfried Schulze wurde Conze von Freyers Vorstellung von der „Zeitschwelle" um 1800, seiner Sicht der „doppelten Revolution" in Frankreich und England und seiner neuen

Perspektive der „Industriegesellschaft" beeinflußt: Die Historiker und die historische Wirklichkeit. Die Modernisierung der deutschen Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert, in: Nachdenken über Geschichte. Beiträge aus der Ökumene der Historker im Memoriam K. D. Erdmann, Neumünster 1991, S. 183; ders., Der Wandel des Allgemeinen: Der Weg der deutschen Historiker nach 1945 zur Kategorie des Sozialen, in: Theorie der Geschichte. Beiträge zur Historik, Bd. 6. Teil und Ganzes, hg. v. Karl Acham und ders., München 1990, S. 210.

HI- Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

92

das Neue nicht aus ihrer eigenen Geschichte hervorging, sondern von den europäischen Ursprungsherden her in sie einbrach."63 Hier zeichnen sich weltweit gleichförmige Gesellschaftssysteme ab, die Freyer zufolge keinen unmittelbaren Bezug mehr zu ihrer Geschichte haben. Wenn ganze Völker der Erde, abgelöst von ihrer eigenen Geschichte, in ein einheitliches Spannungsfeld eingezwungen werden, nimmt die moderne Welt eine neue Dimension von Zeit und Raum an. Dieses Merkmal der modernen Gesellschaft faßt Freyer unter dem Begriff der „industriellen Gesellschaft" zusammen. Dieser zentrale Begriff der Freyerschen Sozialtheorie soll im folgenden näher betrachtet werden, denn die neukonservativen Nachkriegshistoriker rekurrierten immer wieder auf diesen Begriff.64 Die industrielle Gesellschaft begründet für Freyer ein neues Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft. Mit Rekurs auf die Hegeische Rechtsphilosophie konstatiert er, daß in der Neuzeit die Kategorie „Gesellschaft" „als Korrelat oder als Gegenprinzip zum Staat" aufgefaßt wird. Seiner Ansicht nach wurde die industrielle Gesellschaft durch ihre Trennung vom Staat und durch die damit einhergehende Beschleunigung der technischen Entwicklung selbst zum Träger des weltgeschichtlichen Fortschritts.65 Hatte Freyer im Rahmen seiner „deutschen Soziologie" die Ansicht vertreten, daß sich der Gegensatz von Staat und Gesellschaft im neuen Begriff des „Volkes" auflöse, sah er in der Nachkriegszeit diesen Gegensatz sich von beiden Seiten her in der „industriellen Gesellschaft" auflösen.66 Nun stellte er die These auf, daß erst unter den Bedingungen der industriellen Gesellschaft die Freiheit des Menschen in Aussicht stehe. Er fügte hinzu, daß der Appell der Liberalen an das freie Spiel der gesellschaftlichen Kräfte in dieser besonderen historischen Lage begründet

wenn

63 64

Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, 79. Dazu u. a. Günther Rose, Zur Genesis der Theorie der „Industriegesellschaft", in: Zeit-

schrift für Geschichte 15, 1967, S. 20-45. 65 Hans Freyer, Das soziale Ganze und die Freiheit des Einzelnen unter den Bedingungen des industriellen Zeitalters (1956), in: HZ 183, 1957, S. 98-99. 66 Freyers Begriff der „industriellen Gesellschaft" tauchte zuerst in seiner »Revolution von rechts« (1931) auf. Jerry Z. Muller weist daraufhin, daß der Vorläufer dieses Begriffs der Terminus „ökumenische Verkehrsgesellschaft" ist, der sich in seinem Buch »Prometheus« (1923) findet. Muller bezieht dabei den Begriff der „industriellen Gesellschaft" weiterhin auf Saint- Simon, Herbert Spencer, Auguste Comte und Lorenz von Stein zurück. Muller macht besonders auf Lorenz von Steins Buch »Der Socialismus und Communismus des heutigen Frankreichs 1842« aufmerksam: „Historical Social Science" and Political Myth: Hans Freyer (1887-1969) and the Genealogy of Social History in West Germany, in: Lehmann, Paths of Continuity, 213f; ders., The other God that failed, Princeton 1987, S. 195f. Der Begriff taucht in Freyers »Weltgeschichte Europas« (1948) wieder auf. Hier wird die politische Implikation des Begriffs gewissermaßen neutralisiert, selbst wenn dieser auch noch mit negativen Bezeichnungen wie „Vereinzelung" und „Proletarisierung" eng verknüpft ist. James van Horn Melton stellt die Ähnlichkeit dieses Begriffs mit dem der „Volksordnung" fest: Introduction: Continuities in German Historical Scholarship 1933-1960, in: Paths of Continuity, 16. Vgl. Volker Kruse, »Industrielle Gesellschaft« als »Schwelle der Zeiten« Hans Freyers Diagnose der westlichen Nachkriegsgesellschaft, in: ders., Historisch-soziologische Zeitdiagnosen in Westdeutschland nach 1945. Eduard Heimann, Alfred von Martin, Hans Freyer, Frankfurt a. M. 1994, S. 141-186. -

B. Die theoretische Konstruktion der Moderne

93

liege.67 Freyer stellte aber zugleich die Frage, ob die Freiheit des Menschen überhaupt mit der Freiheit des Einzelnen gleichgesetzt werden könne. Die industrielle Gesellschaft ermögliche zwar dem modernen Menschen eine Steigerung seiner Freiheit, indem sie seine Emanzipation von der Natur beschleunige, sie berge aber trotzdem der „Gefahr der Unfreiheit in ihrem Fortschritt".68

in der industriellen Gesellschaft „das soziale Ganze" über den Einzelnen bestimme und damit eine gewisse „Entfremdung" herbeiführe; die moderne Arbeitswelt zwinge den Menschen zur Trennung von Arbeitsstätte und Familienhaushalt und damit zu einer hochgradigen Arbeitsteilung. Er werde in übermächtige moderne Sozialapparate eingegliedert, wodurch seine gesellschaftlichen Bindungen immer unpersönlicher und abstrakter würden.69 Freyers Begriff der industriellen Gesellschaft weist ein neues Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft auf. Die gegenwärtige Gesellschaft könne deswegen nicht mehr als Sphäre der individuellen Freiheit gelten, weil ihre einstige Trennung vom Staat weggefallen sei. Die neuartige Durchdringung von Staat und Gesellschaft sei das Resultat der dominanten Rolle der staatlichen Verwaltung und des Kampfes der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen um den Staat. Von diesem Standpunkt aus spricht Freyer dem klassischen Liberalismus des 19. Jahrhunderts die Geltung ab, der seiner Ansicht nach in der „klassischen" Trennung beider Sphären begründet lag.70 Mit dem Begriff der „industriellen Gesellschaft" weist Freyer nicht auf eine bloße Umbildung der alten Sozialordnung, sondern auf den Durchbruch einer schlechthin neuen hin. Deshalb bezeichnet Freyer sie als ein „weltgeschichtliches Novum".71 Er sieht sie selbst zwar als historisches Gebilde an, nämlich als „eine geschichtliche Erscheinungsform der politischen Völker".72 Trotzdem erscheint sie aber als radikaler Bruch mit „gewachsenen" Traditionen, weil durch sie ein zeit- und raumübergreifendes, weltweit einheitliches Spannungsfeld als Gegenpol zu den traditionellen Staaten entstanden sei. Frey er unterstreicht in diesem Zusammenhang, daß in der industriellen Gesellschaft anstelle der historischen Überlieferung das „Strukturgesetz" dominiere, das menschliche Verhaltensweisen und soziale Verhältnisse unterschiedslos regele. Der prononcierte Begriff der „industriellen Gesellschaft" bezeichnet für Freyer einen fundamentalen Wandel des historischen Prozesses. In Anlehnung an diesen Begriff Freyers machten die neukonservativen Historiker der frühen Bundesrepublik auf ein verändertes Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft aufmerksam. Wenn die Historiker auch in erster Linie die Ablösung der industriellen Gesellschaft vom Staat in Betracht zogen, behielten sie konsequenterweise auch die Verselbständigung des modernen Staatswesens im Blick. Sie wiesen darauf hin, daß der moderne Staat um sei-

Freyer stellte fest, daß

Freyer, Das soziale Ganze (wie Anm. 65). Ebenda, S. 99f. 69 Ders., Industrielle Gesellschaft, in: Staatslexikon, 4. Bd., Freiburg 1959, S. 290, S. 291.

67

68

Ders., Das Soziale Ganze, 108. Ders., Industrielle Gesellschaft (wie Anm. 69), 287. 72 Ders., Weltgeschichte Europas (wie Anm. 10), 571. 70 71

94

HI- Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

der wirtschaftlichen Gesellschaft zu intensivieren vermocht habe. Viele bundesrepublikanische Historiker der 50er Jahre betrachteten den modernen Staat mit kritischem Blick. Selbst die traditionell ausgerichteten Historiker nahmen in diesen Jahren gegen die traditionelle Staatsfrömmigkeit der deutschen Historie Stellung, sobald sie auf die „Modernität" des modernen Staates aufmerksam machten. Gerhard Ritter etwa hat sich bereits in seinem „Kriegsbuch", »Die Dämonie der Macht« (1940), zum Auftreten des modernen „totalen" Staates und zum entsprechenden Wandel des „Politischen" geäußert. Seiner Ansicht nach ist der moderne Staat entstanden, als der religiöse Fanatismus der Kreuzzugsepoche durch die fanatische Leidenschaft politischer Ideen- und Machtkämpfe abgelöst worden sei. Nachdem sich der Staat von der Kirche emanzipiert habe, sei er mehr und mehr die eigentlich lebensbestimmende Macht geworden. In Ritters Augen markiert das Auftreten des modernen Staates eine geschichtliche Zeitenwende, da dieser die selbstherrliche „Autarkie der Staatsidee" mit sich gebracht habe, die „keine grundsätzliche Abgrenzung irgendeiner Sphäre privaten Daseins von seinem Machtbereich mehr anerkennt", und damit das „Politische" monopolisiere.73 Ritters Reflexion auf den modernen Staat läßt erkennen, daß selbst traditionell orientierte Historiker in der Nachkriegszeit das historisch neue Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft und damit eine fundamentale Veränderung des Politischen ins Auge faßten.74 Diese Interpretationsrichtung wurde von den Historikern jungkonservativer Provenienz zu einer radikalen Modernitätskritik ausgebaut, indem sie den Aspekt der modernen „industriellen Gesellschaft" einbezogen. So stellte Werner Conze den Zusammenhang zwischen der Transformation der alten „bürgerlichen Gesellschaft"75 in die moderne „staatsbürgerliche Gesellschaft" und ner

eigengesetzlichen Tätigkeit

willen

aus

ausgetreten sei und mittels der modernen Technik seine Macht

73

Gerhard Ritter, Die Dämonie der Macht. Betrachtungen über Geschichte und Wesen des Machtproblems im politischen Denken der Neuzeit (Machtstaat und Utopie. Vom Streit um die Dämonie der Macht seit Machiavelli und Morus), München (1940) 1948 (6. Aufl.), S.

157, S. 14f, S. 123.

Zur konservativen Staatstheorie siehe u. a. Ernst Rudolf Huber, „Die deutsche Staatswissenschaft", in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft 95, 1935, S. 1-65; ders., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, 2. Bände, Stuttgart (1957) 1960. Vgl. Kurt von Raumer, Absoluter Staat, korporative Libertät, persönliche Freiheit, in: HZ 183, 1957, S. 55-96. 75 Conze, Staat und Gesellschaft in der frührevolutionären Epoche Deutschlands (wie Anm. 59), 10. Conze teilt diesem Begriff eine vormoderne, alteuropäische Bedeutung zu. Seiner Ansicht nach waren die Träger der bürgerlichen Gesellschaft vornehmlich der Adelige und die Handwerker, sie fußten auf der „Anerkennung des ,historischen Rechts' und bewährter Gewohnheiten". Conze betont dabei nachdrücklich ihre Harmonie mit dem Staat, der ihre

74

wirtschaftlichen und auch politischen Privilegien beschützt habe: Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft im Vormärz, in: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 18151848, hg. v. ders., Stuttgart 1962, S. 218. Im Unterschied zu Conze rechnet Hans Freyer die bürgerliche Gesellschaft ausschließlich der modernen Welt zu. Freyer betont, daß sie dem Staat gegenüber eine eigene Struktur und eigenes Recht gewann: Das soziale Ganze (wie Anm. 65), 98. Der Wirtschaftshistoriker Ludwig Beutin schildert analog zu Freyer die bürgerliche Gesellschaft als die nächste Stufe der alten ständischen Gesellschaft: Die „Massengesellschaft" im 19. Jahrhundert. Eine terminologische Besinnung, in: Die Welt als Geschichte 17, 1957, S. 69-89.

B. Die theoretische Konstruktion der Moderne

95

der Entstehung des modernen „Anstaltsstaates" heraus,76 da der moderne Staat die von ihm getrennte moderne Gesellschaft als Voraussetzung habe. Seiner Argumentation zufolge haben sich die deutschen Fürstenstaaten im 18. Jahrhundert doppelt emanzipiert, sowohl von der persönlichen Herrschaft Gottes wie von dem „Patrimonium" des fürstlichen Landesvaters. Parallel dazu sei im Zuge der Entpolitisierung der „bürgerlichen Gesellschaft" eine „staatsbürgerliche Gesellschaft" von rechtsgleichen Individuen entstanden. Diese historisch beispiellose Entzweiung von Staat und Gesellschaft sei, so Conze, eine der wesentlichsten „sozialgeschichtlichen" Voraussetzungen für die kommende Revolution gewesen.77 Nach Conze spiegelte sich dieser Sachverhalt in der utopischen Geschichtsphilosophie zwischen Rousseau und Marx wider. Ihrem Glauben ans Endziel der Geschichte habe der revolutionäre Gesellschaftsbegriff entsprochen. Anstelle der „société civile" der klassischen Politik sei nun die „société humaine" der Revolution getreten. Das „Soziale" sei damit vom „Politischen" geschieden worden. Conze weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß sich die Begriffe wie „Stand" oder „Bürger" vom „Politischen", vom Staat absetzten und in den „sozialen" Bereich rückten. Sobald in Deutschland Staat und Gesellschaft getrennt worden seien, sei der Kampf zwi-

schen Tradition und Emanzipation in Erscheinung getreten.78 In diese Interpretationsrichtung reiht sich Theodor Schieders Analyse des Hineinwirkens der modernen Technik in den Staat ein. Schieder vertritt die These, daß die moderne Technik dem Staat zur Intensivierung seiner Machtausübung verholfen habe. Hierfür macht er auf drei technische Bereiche aufmerksam: erstens die von der Politik losgelöste Kriegstechnik,79 zweitens die den Abstand zwischen informierendem Subjekt und informiertem Objekt vergrößernde Nachrichtentechnik80 und drittens die eine moderne „Raumrevolution" verursachende Verkehrstechnik.81 Schieder zufolge folgten diese drei technischen Entwicklungen der Moderne zunächst autonomen Antrieben, aber 76

Conze, Staat und Gesellschaft in der frührevolutionären Epoche Deutschlands, passim. Ders., Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft (wie Anm. 75), 210, 218-219. 78 Ebenda, S. 211-212. 79 Schieder weist darauf hin, daß die technisch-industrielle Perfektionierung die Bedeutung und den Charakter des Krieges völlig verändert hat. Der Krieg diene nicht mehr als Mittel, 77

gewinne eine Eigengesetzlichkeit. Damit werde seine Ausstrahlung auf alle Lebensgebiete ins Unermessliche gesteigert. Unter diesem Aspekt verwendet Schieder den Begriff des „totalen Krieges". Damit macht er auf die Behrrschung eines ungeheuren technischen Kriegsapparates durch den modernen Staat aufmerksam: Staat und Machtpolitik (wie Anm. 50), 91-92. Aus seiner kurzen Skizze der modernen Kriegstechnik läßt sich erkennen, daß Schieder die Wirkung der modernen Technik auf den Staat skeptisch betrachtet. Insofern er in der Kriegstechnik die Ablösung des Krieges von der Politik sieht und dabei den „totalen Krieg" anspricht, der den modernen Staat beeinflusse, konstatiert er eine Tendenz zur „Totalisierung" des modernen Staates. 80 Die Paradoxie des Politischen im industriellen Zeitalter sieht Schieder im Gegensatz zwischen der Wohl-informiertheit über alles, was geschieht, und der Nivellierung des Menschen als Meinungsträger. Wenn der moderne Mensch sein eigenes Urteil über eine Sache infolge des Informationsüberflusses fast verliere, werde dadurch die Diktatur begünstigt, die zugunsten ihrer Machtausübung den Menschen zu einer Meinungsbildung zwinge: Staat und Machtpolitik im Industriezeitalter (wie Anm. 50), 93-94. sondern

81

Schieder, ebenda.

96

HI- Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

der Staat bemächtigte sich ihrer bald und baute mit ihrer Hilfe seine bürokratischen Apparate aus. Erst wenn die „Rationalität und Technizität der Machtausübung" in der staatlichen Politik zum Zuge kommen, so Schieder, könne „die Eigengesetzlichkeit der Politik und der industriellen Wirtschaft nebeneinander bestehen."82 Der Blick der genannten Historiker auf den modernen Staat und sein Verhältnis zur modernen Gesellschaft war im Grunde kritisch. So sehr sich diese Historiker gegen die Omnipotenz des modernen Staates aussprachen, so sehr beklagten sie sich über die revolutionäre Disposition der modernen Gesellschaft. In welchem Ausmaß ihre Interpretationsschemata dem konservativen Lager zuzurechnen sind, kann an Conzes Würdigung der altkonservativen Denker des 19. Jahrhunderts ermessen werden. Mit Rekurs auf den märkischen Gutsherrn Friedrich August Ludwig von der Marwitz sowie den preußischen Gelehrten Adam Müller weist Conze darauf hin, daß sich schon die deutschen Altkonservativen der Auflösung der alten Verfassung im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung bewußt waren. Conze bekundet dabei ohne Vorbehalt seine Sympathie für diese unzeitgemäßen Denker, die sich inmitten eines „Revolutionszeitalters" den herrschenden Strömungen bewußt entgegengestellt hätten. In Anlehnung an die deutschen Altkonservativen bekräftigt Conze seine Ansicht, daß der Sieg der liberalen Verfassung eben die Durchsetzungsfähigkeit der als „Krise" begriffenen modernen Gesellschaft wider-

spiegele.83

Die konservative Sicht von Staat und Gesellschaft der Moderne findet sich deutlichsten aber bei Otto Brunner. Seine Argumentation zeichnet sich dadurch aus, daß er die Führungsrolle des modernen Staates im Aufbau der modernen Gesellschaft nicht als Abwehr der Revolution begrüßt, sondern im Gegenteil selbst als Revolution erkennt. Mit besonderer Vorliebe für die mittelalterliche Ordnung entwickelt dieser konservative Mediävist eine Fundamentalkritik des modernen Staates, der ihm den brisanten Übergang „von der alteuropäischen, altständischen Struktur zur modernen industriellbürokratischen Gesellschaft" beschleunigt zu haben scheint.84 Brunner zufolge ließen die absolutistischen Staaten schon vor den revolutionären Strömungen des 19. Jahrhunderts einen fundamentalen Wandel von der Vormoderne zur Moderne eintreten. Das absolutistische Prinzip des „Flächenstaates"85 und die damit verbundene Idee der Gleichheit der Staatsbürger86 stand in Widerspruch zur im Land verwurzelten Welt der „Herrschaft",87 weil am

82

Schieder, ebenda, S. 107, S. 103. Werner Conze, Quellen zur Geschichte der deutschen Bauernbefreiung, Göttingen/ Berlin/ Frankfurt a. M. 1957, Einführung, S. 34. 84 Otto Brunner, Neue Wege der Sozialgeschichte, Göttingen 1956, S. 86. 85 Ebenda, S. 154f. 86 Ders., Das „Ganze Haus" und die alteuropäische Ökonomik, in: ders., Neue Wege der Sozialgeschichte (wie Anm. 34), 41; ders., Adeliges Landleben und europäischer Geist. Leben und Werk Wolf Helmhards von Hohberg 1612-1688, Salzburg 1949, S. 316f. 87 Zu seinem Begriff der Herrschaft und der Landschaft siehe ders., Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter (1939), Darmstadt 1981. Wenn das „Land" des späten Mittelalters ein Verfassungsgebilde von ganz 83

B. Die theoretische Konstruktion der Moderne

97

jenes Ordnungsprinzip

die Ausweitung des bürokratischen Staatsapparats auf die lokale Ebene erfordert und damit keinen Raum mehr für die autogene Herrschaft gelassen habe.88 Brunner verstellt allerdings nicht den Blick auf die Zwangsläufigkeit dieses Prozesses; aus kritischer Distanz erfaßt er „einen inneren Strukturwandel". Hierbei verliert er keineswegs seinen kritischen Faden. Aufschlußreich ist in diesem Kontext der metaphorische Begriff des „ganzen Hauses", um den seine Darlegung der geschichtlichen Veränderung kreist.89 Dieser umstrittene Begriff steht im Mittelpunkt von Brunners Auffassung der familiären Wirtschafts- und Lebensformen des vormodernen Europa. Mit dem „Haus" meint er nicht die städtische Familie im modernen Sinne, sondern eher die Sozialform der bäuerlich-adeligen Welt, d.h. den „Oikos".90 In diesem Begriff bekundet sich unversehens seine ausgeprägte Zuneigung für die vormoderne Welt. Brunner zufolge stellt das „Haus" bis zum 18. Jahrhundert das „Grundelement der Verfassung im weiteren Sinne des Wortes" dar.91 In diesem besitzt nur der Hausherr, der „Hausvater", politische Rechte; nur er ist berechtigt, die Ordnung des Hauses zu sichern. Vermöge seiner Herrschaftsgewalt, die etwa im Recht zur Züchtigung seiner Landsleute zum Aus-

eigener

Art darstellt, ist die „Herrschaft" als ein in der Hausherrschaft wurzelnder spezifischer sozialer Strukturtypus anzusehen. Brunner geht von der Beobachtung aus, daß der alte Begriff Landschaft im Zerfallen ist: Adeliges Landleben (wie Anm. 86), 318. Dietrich Hilger weist daraufhin, daß der Begriff der „Herrschaft" im Grunde immun gegen das nationalsozialistische staatsrechtliche Denken war. Seiner begriffsgeschichtlichen Untersuchung zufolge versuchten die Nationalsozialisten diesen Begriff durch den der „Führung" zu ersetzen. Indem dieser Begriff aus der herrschenden Ideologie tendenziell ausgegrenzt worden sei, sei er politisch neutralisiert und damit erneut freigegeben worden für die Zwecke wissenschaftlicher Forschung: Dietrich Hilger, Artikel „Herrschaft", in: Brunner, Conze, Koselleck (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache, Bd. 3, Stuttgart 1982, S.94f. 88 Brunner, Adeliges Landleben (wie Anm. 86), 315f. 89 Dieser Begriff wurde zuerst vom Soziologen Wilhelm Heinrich Riehl in seiner 1854 erschienenen kulturpessimistischen Schrift »Die Familie« eingeführt. Siehe dazu Claudia Opitz, Neue Wege der Sozialgeschichte? Ein kritischer Blick auf Otto Brunners Konzept des „ganzen Hauses", in GG 20, 1994, S. 95. Brunner übernahm diesen Begriff erstmals in seinem 1956 veröffentlichten Aufsatz, wandte sich hier aber bewußt von jenem „sentimentalen" Zugriff ab: Das „Ganze Haus" (wie Anm. 86), 52. Valentin Groebner möchte diesen Begriff nicht als einen sozialgeschichtlichen Begriff, sondern eher als eine Metapher ansehen, die für die „Historik" bedeutsam sein kann. Groebner hält diesen Begriff für ein Produkt des kulturpessimistischen Klimas der 50er Jahre: Außer Haus. Otto Brunner und die „alteuropäische Ökonomik", in: GWU 46, 1995, S. 78. Zum Verhältnis Brunners zum österreichischen Kulturpessimismus der 50er Jahre siehe Melton, From Folk History to Structural History: Otto Brunner (1898-1982) and the Radical-Conservative Roots of German Social History, in: Paths of Continuity, S. 290f. Zur Kritik dieses Begriffs siehe Werner Troßbach, Das „ganze Haus"- Basiskategorie für das Verständnis ländlicher Gesellschaften in der frühen Neuzeit? in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 129, 1993, S. 277-314. 90 Ders., Das „Ganze Haus" und die alteuropäische Ökonomik, 34. 91 Ebenda, S. 39. Karl Kroeschell stellt fest, daß Brunners Begriff der „Verfassung" durch den Carl Schmitts geprägt ist: Haus und Herrschaft im frühen deutschen Recht, Göttingen 1968, S. 14. S. 46f. Vgl. Reinhard Blänkner, Spät-Alteuropa oder Früh-Neuzeit? in: GG 13, 1987, S. 560f; Otto Gerhard Oexle, Sozialgeschichte- Begriffsgeschichte- Wissenschaftsgeschichte. Anmerkungen zum Werk Otto Brunners, in: VSWG 71, 1984, S. 319f.

/// Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

98

druck gekommen sei, besorgte er die „Wirtschaft" im vormodernen Sinne.92 Brunner vertritt emphatisch die Ansicht, daß unter der Herrschaft des Hausherrn Ratio und Gefühl zu einer Einheit verschmolzen waren und somit die Trennung zwischen der „Rationalität" des Betriebs und der „Sentimentalität" der Familie nicht bestand.93 Brunner betont die „innere Einheit des Hauses in der Gesamtheit seines Daseins".94 Dieser ganzheitlichen Ordnung des Hauses in der vormodernen Welt stellt er die „moderne Wirtschaftsgesellschaft in der industriellen Welt" gegenüber, wo Handel und Marktwirtschaft ein „tragendes Moment der Sozialstruktur" darstellen.95 Brunners schroffe Gegenüberstellung „Alteuropas" im Sinne von Burckhardt96 und der „modernen Welt" beruht nicht nur auf der präzis vorgenommenen Periodisierung,97 sondern hauptsächlich auf hypothetischen Annahmen, die allesamt kulturkritisch ausgerichtet sind. Dies zeichnet sich deutlich in seinem Begriff der „Adelswelt" ab.98 Dieser bezeichnet eine durch Jahrtausende existente Herrschaftswelt „reiterlicher Herrenschichten", für die das „Pflugbauerntum" die Lebensgrundlage schuf und auf deren Boden die europäische Hochkultur blühte.99 Brunner erscheint die Kultur des niederösterreichischen Adels im 17. Jahrhundert, personifiziert in Wolf Hemhard von Hohberg, als die letzte Blüte der Adelswelt. Ihrem Niedergang folgt der Zusammenbruch der gesamten europäischen Hochkultur. Unverkennbar nostalgisch blickt Brunner auf die „adelig-bäuerliche Herrschaftswelt" zurück und bemüht sich, den „inneren Zusammenhang ihrer Lebensformen und ihrer Geisteswelt und ihre Ablösung durch die industrielle Gesellschaft" historiographisch nachzuvollziehen.100 Die moderne Welt löst die Geborgenheit des Einzelnen in traditionellen Ordnungen und Bindungen auf. Sie führte in die „geistige Krise der Gegenwart", die aus der „industriellen Welt der Arbeiter" hervorgeht.101 Aller92

Ebenda. Für Brunner besteht der historische Strukturwandel darin, daß die „Herrschaft" „Wirtschaft" „im neuen, am Markt orientierten Sinn" geworden sei. Seiner Ansicht nach besaß die Wirtschaft bis zum 18. Jahrhundert fast dieselbe Bedeutung wie das „Haus". Sie habe nämlich die Gesamtheit der menschlichen Beziehungen und Tätigkeiten innerhalb des Hauses bedeutet. Die alteuropäische „Ökonomik", die Lehre von der „Wirtschaft", erscheint in dieser Hinsicht „unter modernen Gesichtspunkten" als „ein Komplex von Lehren, die der Ethik, der Soziologie, der Pädagogik, der Medizin, den verschiedenen Techniken der Hausund Landwirtschaft angehören". Brunner stellt einen Bedeutungswandel des Wortes „Wirtschaft" seit dem 18. Jahrhundert fest. Ihre neue Bedeutung entspreche der vormodernen „Chrematistik", einem kleinen Teil der gesamten Wirtschaft, und damit der Ökonomik im modernen Sinne. In diesen begriffsgeschichtlichen Ansätzen fuhrt Brunner die Tiefe des Strukturwandels vor Augen. 93 Ders., Das „Ganze Haus", 42. 94 Ders., Inneres Gefiige des Abendlandes, in: Historia Mundi, Bd. 6, 1958, S. 332. zur

95

Ders., Das „Ganze Haus", 57.

96

Alteuropa bezeichnet den Zeitraum vom

12. bis

zum

18. Jahrhundert umfassende

Epoche:

ders., Inneres Gefüge des Abendlandes (wie Anm. 94), 319. 97 Blänkner, Spät-Alteuropa oder Früh-Neuzeit? (wie Anm. 91), 562. 98 Brunner, Adeliges Landleben, S. 48f. 99 Ebenda, S. 339; ders., Das Fach „Geschichte" und die historischen Wissenschaften (1959), in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte (wie Anm. 36), 13. 100 Ebenda, S. 9. 101 Ebenda, S. 339.

B. Die theoretische Konstruktion der Moderne

99

schildert Brunner die Adelswelt trotz seiner Zuneigung für die vormoderne Welt nicht einfach als „ein romantisiertes Gegenbild" zur modernen Welt.102 Ihr Ende erscheint ihm unwiderruflich; die Adelswelt kann so einerseits lediglich als Gegenstand historischer Forschung, andererseits als ästhetisches Objekt, als „zeitloses Kunstwerk" fungieren.103 So plädiert er für eine Art Historisierung der Adelswelt. Es geht nicht um Wiederbelebung, eher ist die Rückwendung Brunners zur Adelswelt als Ausdruck seiner kulturpessimistisch geprägten Auffassung der Moderne anzusehen. Aus dem bisher Gesagten wird Brunners Auffassung des neuen Verhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft deutlich. Am historischen Übergang von der adelig geprägten alteuropäischen Welt zur modernen Welt universaler Gültigkeit vollzieht sich gleichzeitig die Ablösung jener „Herrschaftswelt" durch die industrielle „Wirtschaftsgesellschaft". Seine Sicht der modernen Welt ist insofern äußerst radikal, als er nicht nur die „vom Staat abgehobene Gesellschaft", sondern auch den an diesem Prozeß mitbeteiligten modernen Staat kritisch beurteilt. Es war für die Nachkriegshistoriker jungkonservativer Herkunft typisch, daß sie trotz ihrer kritischen Sicht der modernen Gesellschaft nicht für eine Dominanz des Staates über die Gesellschaft eintraten, wie es im Sog der rechtshegelianischen Staatsphilosophie bei den deutschen Konservativen immer noch geläufig war.104 Vielmehr konstatierten die Neukonservativen aus der Einsicht in das neue Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft einen historischen Strukturwandel. Während sie, ausgehend von der Vorstellung der „industriel-

dings

102

Brunners Kritik der modernen Gesellschaft und seine Akzentuierung der Adelswelt wurhäufig als historische Romantik denunziert und damit die seiner Sicht der Moderne immanente Spannung bagatellisiert. Siehe David M. Nicholas, New Paths of Social History and Old Paths of Historical Romaticism. An Essay Review on the Work and Thought of Otto Brunner, in: Journal of Social History, Vol. 3, Nr. 3, 1969, S. 284f; H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Vol. 1: Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung des Reformära 1770-1815, München 1987, S. 81-83; Hans Medick, Naturzustand und Naturgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft, Göttingen 1973, S. 18. Medick wirft hier Brunner die „Nostalgie nach der alteuropäischen Adelswelt" und eine „gewisse Phobie" gegen die Aufklärung vor. Diese einseitige Beurteilung läßt sich in vielfacher Hinsicht differenzieren. Brunners Ablehnung der „romantischen" Geschichtsbetrachtung finden

de

sich

u.

a.

in seiner Rezension

zu

Emil Guilleaume,

Ȇberwindung

der Masse«

(Köln/Opladen 1954), in: VSWG 43, 1956, S. 281-282. Hier kritisiert er „weitverbreiteten Vorstellungen, die in den älteren „Ständen" ein romantisiertes Gegenbild zu den jüngeren ,Klassen' sehen". Eine derartige Denkweise findet sich auch in der folgenden Bemerkung. „Das Sozialdenken der Restauration und der Romantik setzt die Aufklärung voraus; erst seit

dieser Zeit lassen sich rationale Gesellschaft' und irrationale Gemeinschaft' unterscheiden.". An anderer Stelle äußert sich Brunner über die konservative Weltanschauung: „Das Auftreten eines konservativen Programms, die Betonung des Überkommenen, geschichtlich gewordenen, der Dauer, der Tradition ist ein Anzeichen, daß alle diese Dinge nicht mehr selbstverständlich sind." Adeliges Landleben, 328. 103 Ebenda, S. 334. 104 Siehe Joachim Ritter, Hegel und die Französische Revolution, Frankfurt a. M. 1965. Zum Staatsdenken der Nachkriegskonservativen siehe Kurt Lenk, Deutscher Konservatismus, Frankfurt a. M./New York 1989, S. 33; Hubert Kiesewetter, Von Hegel zu Hitler. Eine Analyse der Hegeischen Machtstaatsideologie und der politischen Wirkungsgeschichte des Rechtshegelianismus, Hamburg 1974.

100

HI- Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

len Gesellschaft", ein zeit- und raumübergreifendes, weltweit einheitliches Spannungsfeld in den Vordergrund rückten, behielten sie gleichzeitig dessen Rückwirkung auf das moderne Staatswesen im Blick. Wie ihre Deutung dieses Prozesses als „Revolution" zeigte, stellten sie sich dem modernen Strukturwandel von Staat und Gesellschaft skeptisch gegenüber, doch akzeptierten sie die Unumkehrbarkeit dieses Prozesses. Die Berufung Conzes auf die deutschen Altkonservativen oder der nostalgische Rückblick Otto Brunners auf die mittelalterliche Sozialordnung verweisen in diesem Zusammenhang weniger auf ihre Rückwärtsgewandtheit als auf die Radikalität ihrer Modernitätskritik.

C. Die zentralen Begriffe der konservativen Auffassung der Moderne 1.

Vermassung

ein politisch aufgeladener Begriff im Problemkreis

der Französischen Revolution und der modernen -

Gesellschaft

Die Einstellung der Historiker der frühen Bundesrepublik zur Moderne schlägt sich deutlich im Begriff der „Vermassung" nieder. Eine Vielzahl von Historikern teilte mit den Nachkriegskonservativen die Ansicht, daß der aus der feudalen Ordnung hervorgegangene moderne Individualismus infolge des historischen Strukturwandels zu einem „totalen" Kollektiv geführt habe. Diesen Prozeß bezeichneten sie als „Vermassung". Prononciert vorgetragen wurde diese Ansicht in Helmut Schelskys 1946 erschienenen Buch »Das Freiheitswollen der Völker und die Idee des Planstaates«.105 Seine Argumentation nahm in zwei zentralen Punkten die einschlägigen Argumente der Historiker vorweg. Erstens: Der modernen Gesellschaft wohne eine Tendenz zur „Totalität" inne, die zusehends in den Staat eindringe, gegen den sich die moderne Gesellschaft als Opposition herausgebildet habe. Diese Überwältigung des Staates durch die Gesellschaft begünstige damit nicht die individuelle Freiheit, sondern paradoxerweise die staatliche Allmacht. Die völlige Auflösung des Staatlichen in der Selbstorganisation der Gesellschaft habe das Aufkommen des „totalitären Einparteienstaates" zur Folge. Zweitens: Schelsky sieht den Beginn dieses Prozesses in der Französischen Revolution. Die demokratische Forderung der Jakobiner nach Volkssouveränität und Gleichheit selbst sei die Wurzel alles Totalitären. Die Rousseausche Idee der Demokratie beruhe auf der Fehlannahme einer „vernünftigen Natur des Menschen" und führe damit in Wirklichkeit zur totalitären Gleichmacherei. Diese Argumentation ist kennzeichnend für die damals unter konservativen Historikern geläufige Sicht der Moderne. Insgesamt sahen sie in der Moderne nicht einen Sieg des modernen Individualismus, sondern viel105

Helmut

Schelsky, Das Freiheitswollen der Völker und die Idee des Planstaates, Karlsruhe

1946, S. 51f, S. 21.

C. Die zentralen Begriffe der konservativen A uffassung der Moderne

101

mehr die „totalitäre" Durchdringung von Staat und Gesellschaft. Die konservativen Nachkriegshistoriker stimmten zudem darin überein, daß dieses Grundproblem der Moderne seinen Ausgang in der Französischen Revolution genommen habe. Gerhard Ritter etwa gelangt in seinen politikgeschichtlichen Arbeiten zu solchen Aussagen. Für ihn steht der reformerische Weg Englands im krassen Gegensatz zur Französischen Revolution, in der die radikale Demokratie letzten Endes in eine radikale Diktatur umschlagen mußte.106 In Ritters Augen markiert die Französische Revolution einen historischen Wendepunkt, weil sie in Verknüpfung mit der sich seit dem 18. Jahrhunderts vollziehenden „Rationalisierung, Entzauberung, Technisierung der Welt" den Menschen zur kritischen Nachprüfung seines Autoritätsglaubens aufgerufen und sich damit als „Geburtsstunde der modernen, egalitären Demokratie" erwiesen habe.107 Nach Ritters Ansicht hat die Revolution dabei den Auftakt zur „Entwicklung des uniformen Massenmenschentums" gebildet. In Frankreich, wo es eine parlamentarische Tradition nicht gegeben habe, sei die neubegründete Autorität der Nationalversammlung bald am Ende gewesen, worauf „ein straff zentralisierter Einheitsstaat" entstanden sei, der ,jede Spur geschichtlicher Besonderheit und Selbständigkeit seiner alten Landschaften und Provinzen sofort vertilgte, alle historischen Unterschiede seiner alten Stände sofort einebnete und so an der Stelle einer landschaftlich und ständisch gegliederten Gesellschaft eine uniforme Masse von Staatsbürgern schuf. Ritter zufolge war also der durch die Revolution herbeigeführte moderne Staat der Nährboden für die fanatisierte Masse des Großstadtpöbels „ohne Besitz, ohne geschichtliche Tradition, ohne Erfahrung in politischen Geschäften, ohne Schulung durch irgendwelches Selfgovernment".108 Daher habe seit dem Ausbruch der Französischen Revolution nicht die „Persönlichkeit", sondern der „Typus" der Masse vorgeherrscht. Ritter konstatiert kritisch, daß die demokratischen Exzesse der Revolution zur Entstehung des „modernen Totalstaates" geführt haben, der die „Entwicklung des uniformen Massenmenschentums" beflügelt und stets „Terror, Enthusiasmus und die Kriegsnotwendigkeit" in den Dienst der „Gleichschaltung" der Massen gestellt habe.109 Die Kritik Ludwig Dehios an der Französischen Revolution weist eine ähnliche Ausrichtung auf. Er charakterisiert die Revolution als Wendepunkt Europas von der „Kultur" zur „Zivilisation", als „Übergang von der asketischen Weltüberwindung des Mittelalters zu der machtvollen Weltbeherrschung unserer jüngsten Tage, von der Verneinung des Diesseits zu seiner Bejahung, von pessimistischer zu optimistischer Lebensempfindung, von relativer Statik zu höchster Dynamik". Nach Dehios Ansicht zeichnete die Französische Revolution „die Politik in einem neuen Sinne" vor, die er durch „Partei", „HegemoGerhard Ritter, Vom Ursprung des Einparteienstaates in Europa (1953), in: ders., Lebendige Vergangenheit, München 1958, S. 34f. 107 Ders., Europa und die deutsche Frage, München 1948, S. 43f. 108 Ebenda, S. 186f; ders., Vom Ursprung des Einparteienstaates (wie Anm. 106), 42. 109 Ders., Europa und die deutsche Frage (wie Anm. 107), 186f, 48. Vgl. Wilhelm Mommsen, Geschichte des Abendlandes. Von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart 106

1789-1945, München 1951.

102

HI- Die theoretischen

Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

nie" und den „revolutionären Missionsfanatismus" kennzeichnet. So sei im Laufe der Revolution der „totale Staat" zum Vorschein gekommen, der den „formlos brodelnden Strom der Massen kanalisiert und gelenkt" und damit „Krieg und Terror" eingeleitet habe. Unter diesem Gesichtspunkt beurteilt Dehio die Jakobiner abschätzig als „Organisation einer kleinen fanatisierten Minderheit" und als „allgegenwärtige Terroristen und Propagandisten". Desgleichen denunziert Dehio Napoleon als „Sohn der Revolution, in der der Wille zur Macht sich aller Quietive des Glaubens und Herkommens entledigt hatte". Dehios Beurteilung Napoleons ist insofern viel negativer als die der Jakobiner, als Dehio die „Militärdiktatur" des ersteren dadurch charakterisiert, daß dieser „Sohn der Revolution" „den Machtstaat Ludwigs XIV. auf das Niveau der neuen Zeit emporgehoben" habe.110 Den führenden Historikern der frühen Bundesrepublik galt die Französischen Revolution also als Kristallisationspunkt, in dem alles Übel der Moderne präformiert ist. Die vielfach verwendeten pejorativen Schlagworte, wie „Vermassung", „Nivellierung", „Ideologie" und „Totalitarismus", bezeugen ihre negative Sicht der Moderne. Wenn eine solche Interpretation die Hauptrichtung des damaligen Geschichtsdiskurses darstellt, kann die Modernitätskritik an sich kaum als spezifisches Signum derjenigen Historiker angesehen werden, die im Bannkreis des „neuen" Konservatismus standen. Als deren Spezifikum soll daher ihre „ambivalente" Sicht der Moderne betrachtet werden. Am signifikantesten ist in dieser Hinsicht eine Modifikation des Begriffs „Vermassung". Dieser ausgeprägt konservative Begriff, der sich durch die Schriften der deutschen Neukonservativen zog, stellte keine bloße Wiederholung der überkommenen Kulturkritik dar. Zum Verständnis der neukonservativen Vermassungskritik ist zunächst wiederum auf Hans Freyer zu rekurrieren. Für ihn stellt die Vermassung ein der „industriellen Gesellschaft" inhä110 Ludwig Dehio, Gleichgewicht oder Hegemonie, Krefeld 1948, S. 117f. Vgl. dazu die liberale Ansicht von Franz Schnabel, Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. 1 (wie Anm. 5), 109f, 125f. Vgl. Richard Nürnberger, Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons, in: Propyläen Weltgeschichte. Eine Universalgeschichte, hg. v. Golo Mann, Bd. 8. Berlin/Frankfurt a. M./Wien 1960, S. 59-91. Nürnberger klagt die jakobinische Diktatur als ein Vorbote des modernen „Totalitarismus" an. Er sieht in der Rousseauschen Theorie der volonté générale die Gefahr zur Begünstigung der Einparteiendiktatur angelegt. Im Blick auf die Entwicklung des modernen, „totalitären" Staates, der von der jakobinischen Diktatur herbeigeführt worden sei, macht Nürnberger auf die neuartige Durchdringung von Staat und Gesellschaft aufmerksam. So wird die moderne Welt nicht bloß von den aus ihr hervorgehenden Ideen her, sondern vielmehr in ihrer realhistorischen Konsequenz erfaßt. Nürnbergers Haupteinwand gegen die Französische Revolution richtet sich allerdings eher traditionell auf den Bereich der staatlichen Politik. Er betont das Problem der Sicherheit in Europa, die von der Revolution untergraben worden sei. Die „große revolutionäre Utopie von der Befreiung aller Völker im Siegeszug der Revolution" hatte seiner Ansicht nach die Auflösung des „bisherigen Staatensystems und des Völkerrechts" zur Folge, weil die neuen Machthaber mit ihrer Abkehr vom Geist der bürgerlich-liberalen Aufklärung den „Aufbau eines militärisch organisierten Machtapparats" durchgeführt hätten. Von einem realpolitischen Standpunkt aus erscheint Nürnberger die „jakobinische Eroberung" nicht als Verbreitung revolutionärer Ideale, sondern bloß als Erweiterung der uralten Tradition bourbonischer

Annexionspolitik.

C. Die zentralen

Begriffe der konservativen Auffassung der Moderne

103

Problem dar. Diese moderne Erscheinung legt er in seiner Theorie der „sekundären Systeme" explizit dar. Wie oben gezeigt, tritt für Freyer in der modernen Gesellschaft eine neue Sachgesetzlichkeit in Form von „Kreisläufen" auf, die von individuellen Steuerungen losgelöst funktionieren. Wenn der einzelne in den Apparat der sekundären Systeme eingegliedert sei, beschränke sich seine Erfahrung auf eine partikulare Funktion; damit verliere er die Fähigkeit, die über den einzelnen funktionalen Bereich hinausgreifenden Zusammenhänge zu überschauen und berufe sich notwendigerweise auf eine kleine Zahl von Machthabern zur „Verwaltung von Sachen".111 Diese kleine Oberschicht übernehme alle Schlüsselstellungen bei der Regulierung der „Kreisläufe". Damit unterwerfe sich der einzelne ganz der Fernsteuerung der Machthaber. Freyer zufolge tendiert also die moderne verselbständigte Gesellschaft zwangsläufig dahin, die Zentralisierung ihrer Apparate zu verstärken. Oberhalb der Gesellschaft vermöge der moderne Staat seine Tätigkeit auszuweiten, wie es sich in der Bürokratisierung der Wirtschaft zeige. Die sich vervollkommnende Technik ermöglicht, so Freyer, dem Staat eine erweiterte Machtkonzentration. '12 „Sekundäre Systeme" stellen in diesem Zusammenhang eine bemerkenswerte Form der sozialen Ordnung dar; sie gliedern den einzelnen nicht als Ganzen in sich ein, sondern gruppieren ihn einem spezifischen Zweck entsprechend; der Einzelne wird von den anderen isoliert und zieht sich zurück. Der moderne Mensch wird nur von Sachverhältnissen zusammengehalten, die immer unpersönlicher und abstrakter werden. Diese „Vereinzelung" des Menschen kommt Freyer zufolge den jeweiligen Machthabern zugute, weil der einzelne nunmehr leicht lenkbar ist. In Freyers Sicht des modernen Menschen steht dabei der Begriff der „Anpassung" im Mittelpunkt. Der einzelne wird als auswechselbare Arbeitskraft zur bloßen Funktion der sekundären Systeme reduziert. Die Summe dieser „an den Zivilisationsapparat angepaßten Menschen" bezeichnet Freyer als die „Masse". In seinen Augen ist der sogenannte Proletarier in dieser Hinsicht keine gesellschaftliche Klasse, die sich zum Subjekt der sozialen Revolution entwickeln könne, sondern bloß die Verkörperung eines solchen Menschentypus. So stellt für Freyer die Masse den allgemeinen Daseinszustand des modernen Menschen dar. Sie ist charakterisiert durch Entfremdung: Der Massenmensch gibt seine persönliche Existenz auf, wenn sein Verhalten von sekundären Systemen von Grund auf vorgeformt und durchreguliert ist. Da infolge der zunehmenden Arbeitsteilung in der Industriegesellschaft die Arbeit des Menschen ebenso wie seine Bedürfnisse durch ein Höchstmaß an Abstraktion beherrscht werden, beteiligt sich der einzelne laut Freyer an Produktion, Komsumption und Verwaltung im Modus der Maschine. Freyer macht weiter auf die Lebensführung der modernen Masse aufmerksam. Sie ist stets bereit, sich einer schematisch genormten Lebensform anzupassen. Sie begnügt sich mit den in sekundären Systemen entwickelten „bestimmten Surrogatformen der individuellen Freiheit", wie etwa der Wahlfreiheit für den standardisierten Konsum. Frey er hält dies für „Entfremdung";

rentes

1''

112

Freyer, Theorie des gegenwärtigen Zeitalters, 1 OOf. Ebenda, S. Ulf, S. 168.

104

///• Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

glaubt, daß die Masse vereinsamt; hier finden die modernen Machthaber einen günstigen Boden für ihre Ideologien. Als Ersatz für verlorene persönliche Erfahrungen und menschliche Beziehungen bieten die Machthaber eine Ideologie an, durch die die Masse darüber hinweggetäuscht werden kann, daß ihr ein vollständiges Bild des Ganzen verlorengegangen ist.113 Freyers Vermassungstheorie zeichnet sich dadurch aus, daß sie die der modernen Gesellschaft immanente Tendenz zum „Totalitären" erfaßte: Das atomisierte Massendasein begünstigt die Zentralisierung der öffentlichen Funktionen. Die Einheit der sogenannten gesellschaftlichen Funktionssysteme, der „sekundären Systeme", ist nämlich gewährleistet durch die unpersönlichen Beziehungen jedes einzelnen zum Gebilde als solchem, wobei der einzelne als Persönlichkeit keine Bedeutung erhält und als Molekül unter Seinesgleichen geistig-kulturell nivelliert wird.114 Der so verstandene Begriff der „Vermassung" war in der historischen Diskussion über die moderne Welt bestimmend. Werner Conze etwa plädiert dafür, den Begriffes der „Klasse" durch den Begriff der „Vermassung" zu ersetzen. Indem er in Anlehnung an die zeitgenössische Soziologie die spezifischen Merkmale der zeitgenössischen Unterschicht herausarbeitet,115 stellt er fest, daß die Rede von einer einheitlichen Klasse nunmher keinen Sinn mehr habe. Conze zufolge neigen moderne Unterschichten kulturell zur bürgerlichen Lebensform, sind aber beruflich viel differenzierter. Damit weist er den alten Begriff des Proletariats als ideologisch aus. Unter Hinweis auf den sozialpsychologischen Zustand der Unterschicht stellt er fest, daß in der modernen Welt sich die Unterschiede zwischen den Klassen und gegebenenfalls sogar die Unterschiede zwischen den Völkern allmählich verwischen. Im Hinblick auf die kulturelle Nivellierung der Masse nimmt Conze statt „Klassengesellschaft" eine „zur Mitte nivellierte, weder bürgerliche' noch proletarische' Gesellschaftsform" zum Gegenstand seiner historischen Forschung.116 Analog zu Conze spricht Theodor Schieder eine neuartige Gesellschaft an, die sich durch „Vermassung" auszeichne. Seiner Ansicht nach wird in der modernen Welt die Einzelpersönlichkeit von gesellschaftlichen Mächten überwältigt und geht damit im „Kollektivismus des Massendaseins" unter. Dabei sind zwangsläufig alle geschichtlichen Entscheidungen des Menschen, so Schieder, den überindividuellen Strukturen der modernen Gesellschaft unterer

113 114

Ebd., S. 225f, S. 141-142; ders., Das soziale Ganze (wie Anm. 65), 112. Vgl. Theodor Geigers, Die Legende von der Massengesellschaft (1951), in: Theodor Gei-

ger. Arbeiten zur Soziologie, Ausgewählt und eingeleitet von Paul Trappe, Neuwied/Berlin 1962, S. 171-182. Vgl. Helmut Schelsky, Industrie- und Betriebssoziologie, in: Soziologie. Ein Lehr- und Handbuch zur modernen Gesellschaftskunde, hg. v. Arnold Gehlen und ders., Düsseldorf/Köln 1955, S. 157-197; Beutin, Die „Massengesellschaft" im 19. Jahrhundert (wie Anm. 75), 70-71,89. 115 Werner Conze, Das Ende des Proletariats, in: VfZ 4, 1956, S. 63-66. Er stützt sich hier auf das von Helmut Schelsky herausgegebene Buch, „Arbeiterjugend gestern und heute"

(Heidelberg 1955). 116

Ebenda., S. 64. Hier stützt Conze sich auf Theodor Geigers »Die Klassengesellschaft im zudem auf den Begriff der „nivellierten Mittel-

Schmelztigel« (1949). Conze rekurriert standsgesellschaft" von H. Schelsky.

C. Die zentralen Begriffe der konservativen Auffassung der Moderne

105

worfen. Mit Rekurs auf Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill schließt er sich der Ansicht an, daß der Einzelne in der modernen Welt keine Autonomie mehr habe.117 Für Schieder stellt die „Vermassung" in diesem Zusammenhang eine Grundkonstante im Dasein des modernen Menschen dar; die Masse sei nicht identisch mit bestimmten sozialen Schichten, sondern verweise eher auf den Zustand derjenigen Menschengruppen, die das Bewußtsein besitzen, einer großen Zahl anzugehören; sofern ihre Kollektivempfindungen eine individuelle Entscheidung verhindern würden, seien sie leicht zu lenken. Die Machthaber bedienen sich moderner technischer Mittel, die ihnen ermöglichen, eine Vielzahl von Menschen gleichzeitig anzusprechen. Schieder zufolge verändert die Vermassung somit die Situation der bisherigen menschlichen Existenz. Die Masse bedeutet für ihn „das Grab der Individualität".118 Die genannten Historiker jungkonservativer Provenienz sahen in dem sich im Bereich von Staat und Gesellschaft vollziehenden historischen Wandel eine sehr ungünstige Bedingung für die Entfaltung individueller Freiheit. Indem sie die der modernen Gesellschaft immanente Tendenz zum Totalitären aufzeigten, konstatierten sie eine zunehmende Bedrohung der „Persönlichkeit". Sofern ihnen das Prinzip der Persönlichkeit bzw. der Individualität als konstitutive Kategorie aller bisherigen Geschichte erschien, ist es naheliegend, daß diese Historiker die Moderne als Bruch mit der bisherigen Geschichte begriffen. Diese Deutung vertraten allerdings nicht nur die neukonservativen Historiker. Die Vermassungskritik und der Ruf nach der „Persönlichkeit" waren die Angelegenheit breiter Kreise unter den westdeutschen Historiker.119 Trotz dieser scheinbaren Gemeinsamkeit zeichnete sich die Vermassungskritik der neukonservativen Historiker dadurch aus, daß sie eine Tendenz zum Totalitären inmitten der sich immer stärker differenzierenden modernen Industriegesellschaft vor Augen führten, sei es ein übermächtiges Industriesystem, oder eine kulturelle Nivellierung. Sie entwarfen allerdings keine Alternative zu dieser Entwicklung. Eine derartige scheinbar „unpolitische" Position bedeutete aber keineswegs Neutralität, sondern war vielmehr Ausdruck der Radikalität ihrer kritischen Sicht der Gegenwart. Sie konnten innerhalb der bestehenden Ordnung von Staat und Gesellschaft kaum eine nachvollziehbare Politik in Aussicht stellen und sahen hier nur die Verzerrung einer echten Politik, die ihrer Ansicht nach eigentlich nicht von der Masse, sondern von der verantwortungsfahigen „Person" betrieben werden sollte. Es ist dabei bezeichnend, daß sie in der politischen Meinungsbildung ihrer Zeit nicht untertauch117 Theodor Schieder, Die Idee der Persönlichkeit und ihr geschichtliches Schicksal in den letzten anderthalb Jahrhunderten, in: GWU 2, 1951, S. 195f. 118 Ebenda, S. 206-207; ders., Strukturen und Persönlichkeiten in der Geschichte, in: HZ 195, 1962, S. 184f. 119 Wilhelm Mommsen etwa vermißte in seiner Gegenwart die Persönlichkeit, die der menschlichen Geschichte ihr Gepräge verliehen habe: „Die Zeit der ,harmonischen' Persönlichkeit eines geistigen Individuums im Sinne des Klassizismus und seiner Fremdheit gegenüber den politischen und sozialen Mächten ist unwiderbringlich dahin." Aufgrund dieser Diagnose sah er es als Aufgabe des Historikers an, „im Zeitalter der Massen den Wert der Einzelpersönlichkeit zu behaupten und zugleich ein gesundes Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft zu schaffen": Geschichte des Abendlandes (wie Anm. 109), 20-21.

106

HI- Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

Bannkreis des deutschen Nachkriegskonservatismus nahm ihre Begegnung mit der Moderne höchst politische Züge an. Solange diese Historiker sowohl der einfachen Verneinung der Gegenwart wie auch der schlichten Anpassung an sie eine Absage erteilten, kann ihre Haltung kaum als politische Abstinenz, sondern als Indiz für ihre ambivalente Einstellung zur Moderne angesehen werden. ten. Im

2. Die Massendemokratie Ein Teil der Historiker der frühen Bundesrepublik wurde im Bannkreis des Nachkriegskonservatismus von den sozialwissenschaftlichen Theorien der „Vermassung" und „Massengesellschaft" beeinflußt. Diesen modernitätskritisch ausgerichteten Theoremen, die den modernen Strukturwandel von Staat und Gesellschaft in den Vordergrund rückten, lag ein Blick auf eine entsprechende Form Veränderung der Politik in der modernen Welt zugrunde,120 der für das politische Denken dieser Historiker maßgebend war. Dies bekundet sich u. a. in der folgenden prägnanten Aussage Theodor Schieders: „Wo früher einzelne Persönlichkeiten handelten, handeln jetzt Gruppen, Parteien, Klassen".121 Die Einstellung der führenden Historiker der frühen Bundesrepublik zur modernen Politik war zutiefst konservativ. Sie lösten sich zwar von ihrer früheren demokratiekritischen Grundhaltung ab und neigten angesichts der „zweiten" Republik dazu, den eingeschlagenen parlamentarischen Weg historisch zu legitimieren und zu verankern.122 Dennoch verschwand ihre skeptische Haltung gegenüber der Demokratie nicht gänzlich. Verbindlich für diese Historiker war vornehmlich die fundamentale Parlamentarismuskritik Carl Schmitts, der im geistigen Leben der 20er Jahre eine wichtige Rolle gespielt hatte und in der frühen Bundesrepublik einen nachhaltigen Einfluß auf konservative Intellektuelle ausübte.123 Da sein zentrales Begriffsinstrumentarium, das „Politische", nicht auf einer ahistorischen Formallogik, sondern auf einer historischen Anschauung der modernen Welt basierte, konnten seine Ideen im Diskurs der Nachkriegshistoriker von neuem Fuß fassen. Im Folgenden soll zunächst auf die Grundzüge des politischen Denkens Carl Schmitts eingegangen werden, und zwar im Vergleich zum Liberalismus; anschließend soll sein Einfluß auf das politische Denken der Historiker nachgezeichnet werden. Carl Schmitt zufolge hatte der Parlamentarismus als ein historisch kontingentes Phänomen nur in dem spezifischen Zeitraum sein historisches Recht, als die „klassische" Trennung von Staat und Gesellschaft vollzogen wurde.124 120

Siehe dazu Geiger, Die Legende von der Massengesellschaft (wie Anm. 114). Schieder, Die Idee der Persönlichkeit (wie Anm. 117), 199. 122 Hein, Geschichtswissenschaft in den Westzonen und der Bundesrepublik 1945-1950, 35. 123 Siehe dazu Dirk van Laak, Gespräche in der Sicherheit des Schweigens. Carl Schmitt in der politischen Geistesgeschichte der frühen Bundesrepublik, Berlin 1993, S. 222f. 124 Carl Schmitt, Verfassungslehre (1928), Berlin 1993 (8. Aufl.), S. 307f. Vgl. Christian Meier, Zu Carl Schmitts Begriffsbildung: Das Politische und der Nomos, in: Quaritsch, Complexio Oppositorum (wie Anm. 33), 548. 121

C. Die zentralen Begriffe der konservativen Auffassung der Moderne

\ 07

Seiner Ansicht nach kann die Grundannahme der klassischen liberalen Demo-

kratie, wonach der einzelne Abgeordnete den allgemeinen Willen des

souve-

ränen Volkes

repräsentiere, nur unter der Voraussetzung gelten, daß der Staat der gegenüber Selbstdarstellung der Gesellschaft die politische Einheit eines Volkes zu „repräsentieren" vermag.125 Im 20. Jahrhundert aber sei, so Schmitt, diese Art der „Repräsentation" als staatliches Gestaltungsprinzip zum Scheitern verurteilt, denn der Staat sei infolge seiner zunehmenden Überwältigung durch die Gesellschaft fortan zur „Selbstorganisation der Gesellschaft" deklassiert, wobei das Parlament nicht mehr als die repräsentative Gesamtheit unabhängiger Volksvertreter wirke, sondern vielmehr von organisierten politischen Kräften der Massenparteien beeinflußt werde.126 Schmitt zufolge steht der Liberalismus eigentlich im Gegensatz zur „Demokratie". Beruhe der erstere auf der individualistisch-humanitären „Moral" und „Weltanschauung", so bedeute die zweitere eine konkrete „Staatsform", die der substantiellen „Gleichheit" und „Homogenität" der Mitglieder bedürfe. Die sogenannte „Massendemokratie" sei nichts anderes als die „unklare Verbindung" dieser beiden miteinander unvereinbaren politischen Formprinzipien. Die Massendemokratie bezeichnet er in diesem Zusammenhang als eine „Krisis" der Demokratie.127 Carl Schmitt zufolge bedurfte der „parlamentarische Gesetzgebungsstaat" des vorigen Jahrhunderts für seine Legitimität und sein Funktionieren der auf freier Werbung beruhenden liberalen „Meinungsparteien", die sich durch öffentliche Diskussion auszeichneten.128 Wenn die Parteien „feste, durchorganisierte Gebilde" geworden seien, und zwar „mit einflußreichen Bürokratien, einem stehenden Herr bezahlter Funktionäre und einem ganzen System von Hilfs- und Stützorganisationen",129 seien diese sogenannten Massenparteien mit jenen Meinungsparteien ganz unvereinbar. Schmitt betont dabei, daß die meisten größeren Parteien seiner Gegenwart nicht mehr als diskutierende Gruppen, sondern als soziale und wirtschaftliche Meinungsgruppen auftreten, deren Mitglieder und Wähler klassen- und interessenmäßig gebunden seien. Insofern markiert für ihn die moderne Massendemokratie eine Art von Entar-

125

„Repräsentation" steht bei Schmitt im Gegensatz zur Demokratie, welche die unmittelbaHerrschaft des Demos bedeute. Insofern ist sie „das Nichtdemokratische an dieser ,Demokratie,": Verfassungslehre (wie Anm. 124), 218. Basiere die Demokratie auf der „'Identität' von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden", so basiere die Repräsentation auf dem dualistischen Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft. Die Repräsentation sei also das für die Neuzeit angemessene politische Gestaltungsprinzip: ebenda, S. 234, 223f. Siehe Joseph H. Kaiser, Die Dialektik der Repräsentation, in: Hans Barion, Ernst Forsthoff, Werner Weber (Hg.), Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, Berlin 1959, S. 71-80. 126 Carl Schmitt, Hugo Preuß. Sein Staatsbegriff und seine Stellung in der deutschen Staatslehre, Tübingen 1930, S. 20; ders., Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, München/Leipzig 1923/ Berlin 1969 (4. Aufl.), Vorbemerkung (über den Gegensatz von Parlamentarismus und Demokratie). 127 Ebenda, S.13f. 128 Ebd., S. 5f. Vgl. ders., Legalität und Legitimität (1932), Berlin 1988 (4. Aufl.), S. 7-19. 129 Ders., Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931, S. 83. re

HI- Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

108

tungszustand des „parlamentarischen Gesetzgebungsstaates".130 Der neuartige „pluralistische Parteienstaat" sei in diesem Sinne einerseits durch die Macht pluralistischer Gruppen beherrscht, so daß er sich nicht mehr als Vertretung eines ganzen Volkes, sondern vielmehr als Vertretung „totaler" Parteieninter-

erweise. Andererseits habe er eine Art „totalen Staates" entwickelt, da sich der Staat unterschiedslos in alle Sachgebiete hineinbegebe. Angesichts dieses Umstandes stellt Schmitt die Krisis des modernen Staates fest.131 Kurzum: in der modernen Welt spalte sich die politische Einheit in gesellschaftliche Subsysteme auf; die Gesellschaft, einst Gegenprinzip zum Staat, werde selbst verstaatlicht zu einem totalen Kollektiv, d.h. zum Parteienstaat, der nur mehr aus einer ohnmächtigen Summe isolierter Individuen bestehe. Dies mache das Wesen der „Massendemokratie" aus, die eine Verfallsstufe der „geistesgeschichtiichen" Grundlagen des Parlamentarismus darstelle. Die Erklärung der Krise der parlamentarischen Demokratie aus der Übermacht der gesellschaftlichen Mächte ist allerdings nicht nur für Carl Schmitt bezeichnend. Max Weber hat schon früher auf die „Konvergenz" zwischen Staat und Gesellschaft hingewiesen und dabei eine grundlegende Formveränderung der staatlichen Politik festgestellt.132 Wenn man Max Weber als Liberalen etikettieren kann, kann der Vergleich seines politischen Denkens mit dem Carl Schmitts Aufschlüsse über die Spezifika des politischen Denkens der Neukonservativen gelten. Sofern Max Weber als politische und wissenschaftliche Orientierungsfigur bei jungen Historikern in der Bundesrepublik Resonanz fand,133 kann dieser Vergleich dazu dienen, die Besonderheit der politischen Ausrichtung der neukonservativen Historiker zu verdeutlichen. Im Folgenden sollen die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede der politischen Theorie dieser beiden Denker beleuchtet werden. Max Webers politische Position, die sich im Laufe seines Lebens mehrfach wandelte, kulminierte in seiner späten Schrift »Politik als Beruf«. Analog zu Carl Schmitts Betrachtung des „totalen Staates" bezeichnet Weber hier den modernen Staat als einen „anstaltmäßigen" Herrschaftsverband. Seiner Ansicht nach vollzog sich die Entstehung des neuen Berufsbeamtentums und ei-

essen

130

Ders., Die geistesgeschichtliche Lage (wie Anm. 126), 11; ders., Verfassungslehre (wie

Anm. 131

124), 319.

Ders., Weiterentwicklung des totalen Staates in Deutschland (1933), in: ders., Verfas-

Ansätze aus den Jahren 1924-1954. Materialien zu einer Verfassungslehre, Berlin 1959, S. 361. Jürgen Oelkers unterscheidet bei Carl Schmitt zwei Arten von „totalem" Staat. Schmitt kritisiere denjenigen Staat, der nur „total in einem rein quantitativen Sinne" sei und somit keine Einheit, sondern nur Spaltung in unvereinbare Interessen schaffe. Im Kontrast dazu gebe es eine qualitative Bedeutung des „totalen Staates". Unter Hinweis auf Schmitts Begriff des „totalen Staates" konstatiert Oelkers, daß die Wendung Schmitts zum „Führerstaat" die logische Konsequenz seiner Parlamentarismuskritik gewesen sei: Das Politische und die Geschichte, in: Neue politische Literatur, 28. Jg. Heft 3/ 1982, S. 272f; Schmitt, Die geistgeschichtliche Lage (wie Anm. 126), 21. 132 Max Weber, Gesammelte Politische Schriften, Tübingen 1958. Dazu Wolfgang J. Mommsen, The Political and Social Theory of Max Weber. Collected Essays, Cambridge 1989. 133 Dazu u. a. Wolfgang J. Mommsen, Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920, Tübingen 1974.

sungsrechtliche

C. Die zentralen Begriffe der konservativen Auffassung der Moderne

\ 09

entsprechenden, äußerst rationalen, bürokratischen Staatsordnung analog der zunehmenden Trennung des Beamtentums von sachlichen Betriebsmitteln. Diese sich durch den politischen Enteignungsprozeß durchsetzende Entwicklung zum „rationalen Staat" stehe dabei in einer Parallele zur Entwicklung des kapitalistischen Betriebs, der durch Enteignung der selbständigen Produzenten entstanden sei.134 Max Webers These von der Entwicklung der Politik zu einem Betrieb liegt wie bei Carl Schmitt ein negativer Blick auf das neue Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft zugrunde. Allerdings steht beim Liberalen Weber nicht die Zersetzung der politischen Einheit angesichts des „totalen" Parteienstaates im Mittelpunkt, sondern vielmehr der Verlust der persönlichen Freiheit innerhalb des „rationalen" Staates.135 Mit kritischer Stoßrichtung stellt Weber einen Zusammenhang zwischen der Bürokratisierung im modernen Staat und der Dominanz der „leitenden Politiker" her. Seiner Ansicht nach begünstigt der moderne Staat durch die politische Enteignung des Beamtentums die Herrschaft derjenigen Führer, die alle sachlichen Betriebsmittel in ihren Händen zu vereinigen vermögen.136 Genau wie sich parallel zu dem Aufstieg des fachgeschulten Beamtentums die Entwicklung eines einheitlich führenden Beamtenministers vollzogen habe, so habe sich mit einem Wandel des Parteiwesens von „nebenberuflichen" „Honoratiorenparteien" zu „hauptberuflichen" „Massenparteien", die auf Massenwahlrecht, Massenwerbung und Massenorganisation beruhen, eine Zentralisation der ganzen Gewalt in der Hand von wenigen und letztlich einer „charismatischen" Person ergeben.137 Weber stellt demzufolge den Einzug von Elementen einer „plebiszitären Demokratie" in den modernen Staat fest. Während er das moderne Staatssystem als „Maschine" charakterisiert, betont er dabei zugleich ein „cäsaristisch-plebiszitäres Element" in der staatlichen Politik, womit er die „Entseelung der Gefolgschaft" und ihre „geistige Proletarisierung" zugunsten eines charismatischen Führers und damit die Auflösung der geistesgeschichtlichen Grundlage des okzidentalen Parlamentarismus konstatiert. In seiner Ausführung über die „plebiszitäre Demokratie" kommt eine ebenso kritische Einstellung zur modernen Demokratie wie bei Carl Schmitt ner zu

Ausdruck.138 Jedoch sind entscheidende Unterschiede zwischen beiden Denkern nicht zu übersehen. Betrachtet Schmitt die Politik innerhalb des „totalen" Staates inszum

134

Max Weber, Politik als Beruf, München und Leipzig 1919/ hier in: Max Weber Gesamtausgabe, Abteilung I, Bd. 17, hg. v. Wolfgang J. Mommsen und Wolfgang Schluchter in Zusammenarbeit mit Birgitt Morgenbrod, Tübingen 1992, S. 163f. Zu Webers Staatstheorie siehe u. a. Andreas Anter, Max Webers Theorie des modernen Staates. Herkunft, Struktur

und Bedeutung, Berlin 1995. 135 Zur Differenzierung zwischen Max Webers und Carl Schmitts Verständnis der Moderne siehe Mattias Eberl, Die Legitimität der Moderne. Kulturkritik und Herrschaftskonzeption bei Max Weber und bei Carl Schmitt, Marburg 1994. 136 Weber, ebd., S. 177f. 137 Ebd., S. 188f, S. 201f. Vgl. Wolfgang J. Mommsen, Vom liberalen Verfassungsstaat zur plebiszitären Fuhrerdemokratie, in: ders., Max Weber und die deutsche Politik (wie Anm. 133), S. 387-413. 138 Ebd., S. 205f, S. 223f.

110

III Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

gesamt kritisch, hält Weber an der Möglichkeit von Politik innerhalb des

„ra-

tionalen" Staates fest. Kritisch gegenüber der „plebiszitären Demokratie", beruft er sich erneut auf den „Ethos der Politik als ,Sache,"139 und befürwortet dabei die Herrschaft der sogenannten „Berufspolitiker", die „nicht selbst Herren sein wollten, wie die charismatischen Führer, sondern in den Dienst von politischen Herren traten". Weber zufolge bedienen sich die Berufspolitiker der Politik als einer dauerhaften Einnahmequelle, tun dies aber zugleich aus ideellen Motiven und nehmen insofern den Charakter von „Unternehmern" an. Trotz seiner Skepsis gegenüber dem politischen „Betrieb" trat Weber zugunsten der sogenannten „führerlosen Demokratie" für die „Herrschaft der .Berufspolitiker' ohne Beruf, ohne die inneren, charismatischen Qualitäten" ein.140 Webers politisches Denken, und zwar sein „Ethos der Politik als Sache", hatte auf die westdeutschen Nachkriegshistoriker weniger Einfluß als Carl Schmitts Begriff des „Politischen".141 Diese standen mehrheitlich nicht positiv zu den modernen staatlich-gesellschaftlichen Sachsystemen, solange ihnen diese sowohl als „totalitär", „freiheitslos" wie auch als „unorganisch" und „einheitslos" erschienen. Diese kritische Position läßt sich zwar zum Teil auf Gedanken Max Webers zurückbeziehen, vor allem auf seine Anklage gegen den Verlust der persönlichen Freiheit im „rationalen" Staat. Die Nachkriegshistoriker verstanden trotzdem Politik in einem ganz anderen Sinne als Weber, nämlich als eine Handlung oberhalb, gar außerhalb jener Sachsysteme. In dieser Hinsicht stand ihre politische Grundauffassung dem Schmittschen Denkens viel näher.142 Selbst wenn die Schmittsche Abwendung von der parlamentarischen Demokratie und die darauffolgende Hinwendung zu einem plebiszitär legitimierten autoritären „Regierungsstaat" für die Mehrzahl der Nachkriegshistoriker nicht mehr akzeptabel war, fand dieses Theorem in ihren Diskussionen über die „Massendemokratie" trotzdem Widerhall. In der Einschätzung der „Massendemokratie" bestand kaum ein Unterschied zwischen den traditionell ausgerichteten Historikern und den neukonservativen Historikern. So können z. B. Gerhard Ritters kritische Überlegungen zur Massendemokratie zwar kaum als unmittelbare Übernahme der Schmittschen Theorie angesehen werden, dennoch hatten sie in vielerlei Hinsicht ähnliche Sichtweisen. Ritter kritisiert den Schmittschen Begriff des Politischen dahingehend, daß dieser das Politische schlechthin mit dem „Freund-FeindVerhältnis", also mit dem „Kämpferischen" gleichgesetzt habe. Die Nähe der Überlegungen Ritters zu denen Schmitts zeigt sich aber an der Einschätzung, daß „in Wahrheit das .Politische' nichts Eindeutiges" ist, sondern „einen Doppelsinn" und eine „geheimnisvolle Dämonie" hat, daß „im echten politischen Kampf nur selten klares Recht gegen klares Unrecht, zumeist einfach Lebensanspruch gegen Lebensanspruch steht, und daß über das ,Recht' solcher An-

139 140

Ebd., S. 230. Ebd., S. 180f,S. 224.

Zu Carl Schmitts Begriff des „Politischen" siehe oben Anm. 33. Zum Einfluß Schmitts auf die bundesdeutsche Historikerschaft siehe der Sicherheit des Schweigens (wie Anm. 123), S. 222f. 141

142

Laak, Gespräche in

C. Die zentralen Begriffe der konservativen Auffassung der Moderne

111

sprüche meistens nur der Erfolg entscheidet, dem das sittliche Urteil des Menschen nachzuhinken pflegt".143 Ein solches Verständnis des Politischen ging aus der Zerstörung des überlie-

ferten Glaubens an die Sittlichkeit der Macht hervor, an dem die meisten deutschen Historiker bis ins 20. Jahrhundert hinein festgehalten hatten.144 Die Erfahrung des NS-Regimes prägte Ritters politikgeschichtlichen Arbeiten. In seiner zuerst 1940 erschienenen ideengeschichtlichen Studie über „die Dämonie der Macht" kritisiert Ritter den dem westlichen, „insularen", politischen Denken innewohnenden „Optimismus" sowie seine „Friedensideologie" am Beispiel von Erasmus. Ritter macht auf die Antinomie des Politischen aufmerksam, derzufolge das Politische nicht nur eine ordnungsstiftende, sondern in größerem Maße auch eine kämpferische Kraft darstellt. Obgleich er der Machiavellischen „Staatsräson", dem „kontinentalen" politischen Denken, keineswegs den Vorrang gibt und zudem das Thomas Morussche Ideal des „Wohlfahrtsstaates" nicht einfach als Utopie abtut, steht er insofern der liberaldemokratischen Ausrichtung fern, als er nicht nach Möglichkeiten sucht, diese Antinomie des Politischen „rational", d.h. theoretisch und rechtlich, zu überwinden. Statt dessen beruft er sich auf die „Einzelpersönlichkeit", den Staatsmann, der vor einer politischen Entscheidung „illusionslos in die Abgründe dämonischer Kräfte zu blicken vermag" und dabei „eine seltene Vereinigung widerstreitender Fähigkeiten" zu besitzen hat. Bestreitet Ritter im Begriff der „Dämonie der Macht" das Webersche „Ethos der Politik als Sache", so distanziert er sich notwendigerweise von Thomas Morus als Ideologen des englisch-insularen „Wohlfahrtsstaates", steht für ihn Luther als Mittelposition zwischen dem insularen und dem kontinentalen Denken. In Ritters Augen befähigte Luthers Skepsis gegenüber der „vernünftigen" Weltgestaltung ihn zur „illusionslosen" Auffassung des Politischen.145 Im Einklang mit dem Schmittschen Begriff des Politischen entwickelt Ritter seine Reflexion über die moderne Demokratie. Analog zu Schmitt konstatiert Ritter die Auflösung einer liberalen Staatsverfassung mit dem Hinweis, daß im Vollzug der modernen Industriegesellschaft die politische Einheit eines Volkes durch die heterogene soziale Zusammensetzung der „Masse" ersetzt worden sei. Habe in der alten liberalen Gesellschaft eine Schicht sozial und ökonomisch unabhängiger, damit wirklich repräsentativer Männer nach bürgerlichen Freiheitsidealen gesucht, so setze in der modernen Industriegesellschaft die großstädtische Masse aufgrund ihrer jeweiligen „materiellen Sorgen" die politische Führung unter Druck.146 Wie Schmitt stellt Ritter die Überwältigung des Staates durch die Gesellschaft heraus, indem er zwei neuartige Elemente 143 Gerhard Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des „Militarismus" in Deutschland, 1. Bd. Die altpreußische Tradition (1740-1890), München (1954) 1965 (3. Aufl.), S. 15-16, S. 57. 144 Georg. G. Iggers, Die deutsche Geschichtswissenschaft, München 1971, S. 120f. 145 Ritter, Die Dämonie der Macht (wie Anm. 73), passim. Zum Gegensatz von kontinentalem und insularem Staatstypus aus der Sicht Ritters siehe u. a. Bernd Faulenbach, Ideologie des deutschen Weges, München 1980, S. 181f; Michael Matthiesen, Gerhard Ritter. Studien zu Leben und Werk bis 1933, Engelsbach/Köln u. a. 1933, S. 340f. 146 Ritter, Vom Ursprung des Einparteienstaates (wie Anm. 106).

112

HI Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

der staatlichen Politik ins Blickfeld rückt. Dies ist erstens die Bürokratisierung des Staatsapparates: Der moderne Staat müsse zwangsläufig bürokratisch organisiert werden, seitdem die moderne Wirtschaft immer komplizierter und intensiver werde, wodurch der Staat sie nicht mehr sich selbst überlassen könne. Aufgrund dieser Übermacht der Wirtschaft werde nunmehr die parlamentarische Arbeit nicht mehr durch den ein gesamtes Volk vertretenden unabhängigen Abgeordneten verrichtet, sondern zur Sache einzelner Spezialisten, die ihrerseits von bürokratisch gegliederten politischen Organisationen abhängig seien. Zweitens hebt Ritter die Schwächung des öffentlichen Ansehens des Parlaments hervor. Im modernen Parlamentarismus verringere sich das Vertrauensverhältnis zwischen dem Abgeordneten und seinen Mandanten immer mehr, denn die Politik sei nicht mehr durch persönliche Überzeugung und Überredung einzelner Abgeordneter, sondern eher durch Klassengegensätze und materielle Gruppeninteressen bestimmt, die die moderne Industriegesellschaft prägten. Damit hätten in der staatlichen Politik nunmehr die „Massenparteien" Vorrang vor dem ohnmächtig gewordenen Parlament. Ritter zufolge stützen sich die bürokratisch organisierten Massenparteien auf die „in Großstädten zusammengeballte, zu politischem Selbstbewußtsein erwachte und technisch leicht mobilisierbare, geistig und sozial uniforme Masse". Weil diese ein völlig unberechenbares Element revolutionärer Unruhe bildet, wird die „politische Belehrung, die echte Diskussion (wird) unwichtig neben dem Appell an die Masseninstinkte". Die modernen Massenparteien setzen eine „rational durchgebildete Propaganda" ein, um große Volksmassen zu mobilisieren, wozu die moderne Technik in Dienst genommen werde. Ritter versteht die „Massendemokratie" somit als Voraussetzung für das Aufkommen eines modernen „Einparteienstaates".147 Ritter bezeichnet sich zwar als Verteidiger der liberalen Demokratie.148 Es ist aber aus dem Gesagten ersichtlich, daß seine politische Grundansicht in ihrem Kern, d.h. in der modernitätskritischen Betrachtung eines Parteienstaates, der politischen Theorie Carl Schmitts korrespondiert. In Hinblick auf die sozialen Grundlagen der Massendemokratie und ihren organisatorischen Formcharakter stellt er analog zu Schmitt die „latente Möglichkeit eines jähen Umschlags von demokratischer Freiheit zu totalitärer Tyrannei" fest.149 Während Gerhard Ritter eine für einen traditionellen Historiker ungewöhnliche Auffassung der modernen Massendemokratie vertrat, stellten die neukonservativen Historiker viel klarer als dieser den Zusammenhang zwischen der Massendemokratie und dem historischen Strukturwandel innerhalb von Staat und Gesellschaft her. Theodor Schieder machte beispielsweise auf die „Krise des bürgerlichen Liberalismus" aufmerksam und führte sie auf das „Mißverhältnis" zwischen politischer und gesellschaftlicher Verfassung zurück. Seiner Ansicht nach entstand der liberale Verfassungsstaat mit dem klassischen Repräsentationssystem in einem geschichtlichen Augenblick, in dem die Diskrepanz zwischen politischer und gesellschaftlicher Verfassung offen Ebd., S. 37f. Ebd., S. 35, S. 53-54. 149 Ebd., S. 43-44.

147 148

C. Die zentralen Begriffe der konservativen A uffassung der Moderne

] \3

geworden sei, woraufhin der Liberalismus die Idee der politischen Verfassung zum Kernpunkt seines politischen Programms gemacht habe.150 Schieder zufolge hatte der klassische Liberalismus spätestens seit dem Ersten Weltkrieg am Einfluß verloren, als die gegenseitige Durchdringung von Staat und Gesellschaft begonnen habe. Unter Hinweis auf die Verselbständigung der modernen Gesellschaft gegenüber dem Staat stellt Schieder fest, daß die Politik ihre traditionelle Gestalt verliere;151 die gesellschaftlichen Angelegenheiten wandelten sich von einem Mittel zum Zweck aller Politik, und umgekehrt werde der Staat immer mehr zu einem Instrument der gesellschaftlichen Interessen.152 Die „spezifisch moderne Problemlage" ist laut Schieder „die Vermassung", die aus der Verselbständigung der modernen Gesellschaft vom Staat hervorgeht.153 Seiner Ansicht nach verschwindet die Masse nicht im politischen Prozeß. Sie organisiere sich in Interessenverbänden, die sich als politische Machtgebilde der industriellen Gesellschaft erwiesen. Die Masse wird in dieser Hinsicht als eine Reihe von „Mächten des Sozialen" aufgefaßt,

die in einem gespannten Verhältnis zum Staat stehen. Mit Verweis auf die Wandel der Struktur und Formen der politischen Parteien zum Thema. Die Parteien als „Gruppenbildungen an der Nahtstelle von Gesellschaft und Staat" verwandelten sich, so Schieder, vom Typus der „Honoratiorenparteien" zu dem der „Integrationsparteien",154 wohinter ein Wandel sozialer und ökonomischer Strukturen stehe. Schieder beklagt, daß die Massenpartei an die Stelle der alten parlamentarischen Demokratie trete, die sich als politische Verfassung des klassischen Liberalismus herausgebildet habe. Dabei laufe die moderne Massendemokratie Gefahr, zur Parteidiktatur zu werden; gesellschaftliche Interessen der Masse könnten von einem Diktaturregime mißbraucht werden. Die moderne Diktatur bediene sich der Massenpartei, um die Macht an sich zu reißen. In diesem Zusammenhang etikettiert Schieder die moderne Demokratie insgesamt als „plebiszitär".155

Vermassung macht Schieder den

Schieder, Die Krise des bürgerlichen Liberalismus (wie Anm. 60), 60. Ders., Staat und Machtpolitik im Industriezeitalter (wie Anm. 50), lOlf; Ders., Die Krise des bürgerlichen Liberalismus (wie Anm. 60), 60. 152 Ders., Erneuerung des Geschichtsbewußtseins (wie Anm. 50), 203. 153 Ders., Die Krise des bürgerlichen Liberalismus (wie Anm. 60), 65f. 154 Ders., Die Geschichtlichen Grundlagen und Epochen des deutschen Parteiwesens (1957), in: ders., Staat und Gesellschaft, 133f. Diese Begriffe übernimmt Schieder von Sigmund Neumann, Die deutschen Parteien. Wesen und Wandel nach den Kriege, Berlin 1932, S. 150

151

109f.

Ders., Die Krise des bürgerlichen Liberalismus, 83. Dieser Begriff wurde von Gerhard Leibholz übernommen, der meint, daß die Mediatisierung des Volkes durch die Massenparteien, nicht durch einzelne Repräsentanten, das Wesen des modernen demokratischen Parteienstaates ausmache: Der Strukturwandel der modernen Demokratie, Karlsruhe 1952; ders., Die Auflösung der liberalen Demokratie in Deutschland und das autoritäre Staatsbild, Leipzig 1933. Schieders Kritik an der plebiszitären Demokratie ist mit der des liberalen Politologens Ernst Fraenkel vergleichbar, dessen politischen Theorie als repräsentativ fur das liberalkonservative Klima der frühen Bundesrepublik angesehen werden kann: Ernst Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, Tübingen 1958; ders., Historische Vorbelastung des deutschen Parlamentarismus, in: VfZ 8, 155

1960, S. 340.

114

///. Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

Hierzu läßt sich die anfangs gestellte Frage wiederholen, inwiefern die Historiker dieser Jahre, in diesem Fall Theodor Schieder, mit dem Denken Carl Schmitts übereinstimmten. Es ist zuerst auffallend, daß Schieder Sympathie für den Liberalismus äußerte. Er bedauerte diesen wegen seiner „mangelnden Anpassung an die massendemokratische Wirklichkeit"; Schieder wies hin auf dessen Schwankung zwischen der politischen Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht und der Furcht vor den gesellschaftlichen Kräften, zwischen konservativer Staatsautorität, dem „absoluten Staat", und der sozialistischen Arbeiterbewegung, der „absoluten Gesellschaft". In Schieders Augen war die „Krise des bürgerlichen Liberalismus" das Resultat der unaufhaltsamen „Vergesellschaftlichung der Politik". Viel bezeichnender für seine politische Position war aber, daß er den Liberalismus im klassischen Sinne als historisch überholt betrachtete. Schieder schien nämlich der „geschichtliche Weg vom liberalen bürgerlichen Verfassungsstaat zur modernen Massendemokratie"156 unwiderruflich. Seine Alternative lag in diesem Zusammenhang weder in einer Rückkehr zur klassischen Demokratie liberaler Prägung noch in einer Anpassung an die „plebiszitäre" Massendemokratie, die ihm als Herrschaft der Parteien und der Interessenverbände erschien. In Anerkennung der neuen politischen Realität berief sich Schieder weniger auf die „rationale" Steuerung moderner Sachsysteme im Rahmen der Massendemokratie als vielmehr auf eine neue Konzeption der Politik, die sich nicht auf das Gesellschaftliche und Ökonomische, reduzieren läßt, sondern sich als „eine Urkraft der Geschichte" behaupten soll. Insofern Schieder eine strikte „Abgrenzung der politisch-staatlichen und der ökonomisch-sozialen Sphäre" in Anspruch nimmt und eine neue Politik in Aussicht stellt, die „nicht die Freiheit verloren (hat), zwischen Verhängnis und Hoffnung zu wählen",157 ist sein politisches Denken verwandter mit der Schmittschen Sicht des „Politischen" als mit Webers „Ethos der Politik als Sache".158 Bei den neukonservativen Historikern ist die Verwandtschaft mit Schmittschen Denkfiguren viel deutlicher als bei den traditionell ausgerichteten Historikern. Jene rückten den Strukturwandel im Bereich von Staat und Gesellschaft in den Vordergrund und akzeptierten damit die Massendemokratie viel stärker als diese. Gleichzeitig kritisierten sie die Massendemokratie implizit

Schieder, Die Krise des bürgerlichen Liberalismus, 60f. Ders., Staat und Machtpolitik im Industriezeitalter (wie Anm. 50), 107f. 158 Schieder äußert sich zu Max Weber: Die Krise des bürgerlichen Liberalismus, 64-65. Zuerst lobt er Webers Sicht des modernen Staates als eines anstaltmäßigen Herrschaftsverbandes und seine Sicht der Politik als Hingabe an die Sache; Weber habe „das wahre Wesen der modernen politischen Machtgebilde" begriffen. Schieder schätzt zudem die Bemühung Webers, den „neuen Standort der Freiheit inmitten der Bedingtheit durch die Mächte des sozialen zu finden". Dennoch stimmt er nicht dem Vorrang der „Verantwortungsethik" im Sinne Webers zu. Schieder beurteilt die Anpassung der Parteiformen an die „Massendemokratie" negativ, weil seiner Ansicht nach die „Massendemokratie" nichts anderes als die 156 157

Herrschaft der Parteien und der Interessenverbände sein kann. Er hofft nämlich nicht auf eine „Lösung". Als Historiker sieht er es vielmehr als seine Aufgabe an, das „Bewußtsein solcher im Gange befindlichen Umformungen zu wecken". (S. 85)

C. Die zentralen Begriffe der konservativen Auffassung der Moderne

115

viel radikaler, indem sie nach den Möglichkeiten einer legitimen Politik in ihrem Rahmen keinerlei Ausschau hielten. Diese Radikalität äußerte sich in ihrer spezifischen Sicht der Freiheits- und Gleichheitsidee der modernen Demokratie. In den 50er Jahren akzentuierten viele Historiker mit Bezug auf den Kalten Krieg das Freiheitspostulat der modernen Demokratie und rückten dabei das Gleichheitspostulat mehr und mehr in den Mittelpunkt ihrer Demokratiekritik. So stellt Hans Herzfeld fest, daß die menschliche Freiheit an der egalitären Tendenz zugrunde gehe. Er verweist auf die jakobinische Diktatur, die in seinen Augen die notwendige Folge der demokratischen Gleichheitsidee darstellt. Herzfeld zufolge errichtete Robespierre als Verkörperung dieser „abstrakten" Idee eine „demokratische Diktatur, die den Freiheitsgedanken der Gleichheitsforderung unterordnet".159 Auch Hermann Heimpel scheint der Anspruch auf Gleichberechtigung für jede Form der Individualität fatal zu sein. In seinen Augen ist die Gleichheit der Topos des modernen Zeitalters; die Gleichheitsidee entwickelte sich seit 1789 von der rechtlichen zur sozialen und beschwor endlich die neue Gesellschaft herauf, die durch den Aufstieg unterentwickelter Schichten sowie unterentwickelter Völker zu charakterisieren sei. Für Heimpel bedeutet die Gleichheit den totalen Anspruch, „den keine bisherige Vergangenheit erfüllt hat und den die Gegenwart erfüllen soll".160 Die Historiker jungkonservativer Provenienz stimmten mit den traditionalistisch ausgerichteten Historikern in der Kritik an der Gleichheitsidee der modernen Demokratie überein. Schieder etwa äußerte sein tiefes Mißtrauen gegenüber dem „unaufhaltsamen Vormarsch der Gleichheit", der über die rechtliche Emanzipation hinaus bis zur Aufhebung des Privateigentums geführt und damit die moderne egalitäre Gesellschaft hervorgebracht habe.161 Für ihn bedeutete die Gleichheitsidee das Gegenteil der „Idee der Persönlichkeit". Im Blick auf den Gleichheitsanspruch der modernen Demokratie beklagte er zudem den die moderne Welt beherrschenden Zug zur Einheit.162 Die neukonservativen Historiker der frühen Bundesrepublik standen aber nicht nur der Gleichheitsidee, sondern auch der demokratischen Freiheitsidee mißtrauisch gegenüber. Werner Conze führt die ihm krisenhaft erscheinenden sozialen Bewegungen der Moderne zum größten Teil auf die demokratische Freiheitsidee zurück. In seinen Augen hat die Freiheitsidee die Auflösung einer einheitlichen Gemeinschaft in eine Masse vereinzelter Individuen herbeigeführt. Conze ist der Auffassung, daß die moderne Verfassung, solange sie auf dieser revolutionären Freiheitsidee aufruht, keine feste Ordnung hervorbringen kann.163 So vertraten die neukonservativen Historiker der frühen Bundesrepublik eine viel radikalere Position hinsichtlich der modernen Politik als die traditio159 Hans Herzfeld, Die moderne Welt 1789-1945, 1. Teil. Die Epochen der bürgerlichen Nationalstaaten 1789-1890, Braunschweig 1957 (2. neubearbeitete Aufl.), S. 27. 160 Heimpel, Über Geschichte und Geschichtswissenschaft in unserer Zeit, S. 9f. 161 Theodor Schieder, Die Idee der Persönlichkeit (wie Anm. 117), 202-203. 162 Ders., Die Krise des bürgerlichen Liberalismus, 61f. 163 Conze, Quellen zur Geschichte der deutschen Bauernbefreiung, Göttingen/ Berlin/ Frankfurt a. M. 1957, S. 34.

116

HI- Die theoretischen Reflexionen über die Kernprobleme der Moderne

nellen Historiker. Sie appellierten angesichts des Kalten Kriegs nicht gleich an die Freiheitsidee, sondern stellten die Demokratie überhaupt in Frage. Bezeichnend für die neukonservativen Nachkriegshistoriker war dabei, daß sie sich trotz der negativen Sicht der Massendemokratie keineswegs mehr auf ein „totalitäres" Ideengut beriefen, da sie die moderne „Ideologie" generell ablehnten. Otto Brunners theoretische Reflexion über die moderne Ideologie zeigt, daß die negative Bewertung der modernen Politik in einer grundlegenden Kritik an der Moderne begründet war und deshalb zur kategorischen Ablehnung politischer Utopien der Moderne führte. Brunner zufolge gehören die Ideologien als konkrete historische Erscheinungen zum Durchbruch der modernen Welt. Die Ideologie verrate eine durch spezifisch europäische Probleme geprägte, aber erst in der modernen Welt brisant werdende geistige Krise, die in einer Spannung zwischen dem Denken und dem politischen Handeln einer Intellektuellenschicht, in einer Spannung von Theorie und Praxis bestehe.164 Nach Brunners Ansicht ist die Grundvoraussetzung für das Auftreten von Ideologie die Trennung von Staat und Gesellschaft; in der modernen Welt sei die „Gesellschaft" zu einer „pseudometaphysischen Macht" geworden und erscheine als die „Verwirklichung einer Idee"; der neuzeitliche Staat hingegen habe sich von der Kirche abgesetzt und dann sich zum Spannungsfeld der „Parteipolitik" verwandelt. Brunner zufolge korrespondiert die Trennung der emanzipierten Gesellschaft und des „souveränen Staats" dabei der Trennung von Utopie und „Realpolitik". Er stellt in diesem Zusammenhang eine Auflösung des älteren Politikbegriffs platonisch-aristotelischer Provenienz fest. Die moderne Ideologie beruhe nämlich auf der Vorstellung, daß „Politik nicht mehr als das umfassende Handeln in allen öffentlichen Angelegenheiten, sondern als Technik des Machterwerbes und der Machtbehauptung, als ein Handeln aus Staatsräson" zu gelten habe. Die moderne Ideologie sei durch ihre eigentümliche Spannung zur Politik gekennzeichnet, wobei eine spezifisch moderne Denkprämisse, „ein vom Sollen getrenntes Sein", kritisch betrachtet wird.165 Die Historiker jungkonservativer Prägung machten im Einklang mit Carl Schmitt auf die fundamentale Veränderung des Politischen aufmerksam und stellten unter dem Begriff der „Massendemokratie" die parlamentarische Demokratie überhaupt in Frage. In dieser Hinsicht können sie weder als Liberalen noch als Konservativen im herkömmlichen Sinne bezeichnet werden. Solange sie sich aller Art von „Ideologie" skeptisch gegenüberstellten und damit auch auf eine nachvollziehbare politische Alternative verzichteten, erwiesen sie sich zweifelsohne als „Kulturpessimisten". In ihrem politischen Denken kam dabei die ambivalente Sicht der Moderne zum Ausdruck, durch die sich der „neue" Konservatismus insgesamt auszeichnete.

164 165

Brunner, Das Zeitalter der Ideologien (wie Anm. 38), 52, 48. Ebd., S. 48, S. 52f.

117

Zwischenbetrachtung Züge der deutschen Geschichtswissenschaft der Adedie geschichtstheoretische Grundlagenreflexion oder die Revision des herkömmlichen Geschichtsbildes, erklären will, ist es erforderlich, außerfachliche Bestimmungsfaktoren zu berücksichtigen, zu denen nicht nur die politischen Rahmenbedingungen der Geschichtswissenschaft, sondern auch die langfristiger andauernden geistig-kulturellen Leitbilder zählen. Hierzu soll vor allen Dingen der deutsche Jung- und Nachkriegskonservatismus in Betracht gezogen werden, weil diese spezifisch deutsche Strömung des 20. Jahrhunderts den zentralen Historikergenerationen im Zeitraum von den 20er bis in die 50er Jahre einen neuen Ausgangspunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit lieferte, der ein Novum für die deutsche Geschichtswissenschaft darstellt. Der Berührungspunkt dieses „neuen" Konservatismus und der deutschen Geschichtswissenschaft war das ambivalente Bild der Moderne, in dem der für die deutschen Konservativen typische Kulturpessimismus zum Ausdruck kam. Es ist bezeichnend für die deutsche Geschichtswissenschaft in diesem Zeitraum, daß die besondere Haltung der Neukonservativen zur Moderne wegen der ihr innewohnenden kulturpessimistischen Disposition sie weniger zum Eingreifen in konkrete politische Debatten als zum Geschichtsdiskurs veranlaßte. Von einer Heraufbeschwörung des quasi mythisch vorgestellten „Volkes" bis zum Ruf nach der abendländischen „Tradition" erwies sich die neukonservative Geschichtsbetrachtung einerseits als fundamental kritischer, andererseits aber als höchst realistischer Umgang mit der Moderne. Die Konvergenz der Kontinuität des deutschen Konservatismus mit der Kontinuität der deutschen Geschichtswissenschaft gibt somit Auskunft über die geistige Quelle, aus der sich die Neuorientierung der westdeutschen Geschichtswissenschaft speiste. Im Rahmen einer spezifisch neukonservativen Auseinandersetzung mit der Moderne bemühte sich ein Teil der in der Weimarer Zeit Jungen" Historiker in der Nachkriegszeit, der früheren jungkonservativen Geschichtsbetrachtung eine wissenschaftliche Ausprägung zu verleihen. Die Geschichtswissenschaft in diesem Sinne sollte in den Dienst einer geistigen Bewältigung der Moderne als Movens der „Krise" gestellt werden. Zu diesen Bestrebungen zählen die Standortbestimmung ihrer Fachwissenschaft in der Moderne im Zuge geschichtstheoretischer Grundlagenreflexion sowie ihre Hinwendung zur „modernen Welt" sie bereiteten sich darauf vor, die „moderne Welt" als Hauptgegenstand ihrer historischen Forschung zu etablieren. Bevor sich diese Historiker der modernen Welt wissenschaftlich bemächtigen konnten, hatten sie zunächst theoretische Vorarbeit zu leisten. Dafür entwickelten sie wenig eigenständige Überlegungen, sondern stützten sich vorwiegend auf zeitgenössische konservative Sozialtheorien. Die Originalität der daraus entstandenen Gedanken bestand nicht darin, ein solides Gedankengebäude zu errichten, sondern eher darin, diese abstrakten Theorien in eine spezifisch historische Anschauung und Methodologie umzusetzen, die eine histoWenn

man

die

nauerzeit, wie

neuen

etwa

-

118

Zwischenbetrachtung

rische Erforschung der modernen Welt vermitteln sollte. Mit dieser Rezeption der neukonservativen Sozialtheorien schlug sich das ambivalente Bild der Moderne in der deutschen Geschichtswissenschaft nieder; die Historiker bestritten zum einen das Ausgesetztsein des modernen Menschen gegenüber „sekundären Systemen", den ihm anonym gegenübertretenden und ihn bedingenden funktionalistischen Apparaturen, und zum anderen die geschichtlich vollzogene Trennung sowie Durchdringung von Staat und Gesellschaft. Die Historiker befaßten sich aber zugleich sehr „sachlich" mit der modernen Welt, indem sie sich einer historisch neuen Dimension von Zeit und Raum zuwandten. Diese Grundzüge ihrer Theorie der Moderne finden sich im oben dargestellten Themenkomplex immer wieder; während sich das ambivalente Bild der Moderne in der Theorie der Aufklärung und der modernen Technik nur in indirekter Weise äußerte, wurde es in der Theorie des historischen Strukturwandels, und zwar des neuen Verhältnisses zwischen Staat und Gesellschaft, viel deutlicher und sodann in den politisch aufgeladenen Begriff der „Vermassung" und „Massendemokratie" evident. Die geschichtstheoretisch sowie sozialtheoretisch vollzogene Hinwendung der neukonservativen Historiker zur „modernen Welt" leitete letzten Endes eine neue Historiographie in die Wege. Nach den theoretischen Vorarbeiten versuchten diese Historiker nämlich, diese in Methodologie und Darstellung umzusetzen. In den nachfolgenden Kapiteln soll darauf eingegangen werden, wie die ambivalente Einstellung zur Moderne in das methodische Konzept der „Strukturgeschichte" und die entsprechende Darstellung der „Sozialgeschichte der modernen Welt" transponiert wurde.

IV. Eine neue historische Methode -

die

„Strukturgeschichte"

A. Die Methodendiskussion als Übergang von der Theorie zur Geschichtsdarstellung /. Die Infragestellung der modernen Geschichtswissenschaft unter dem Einfluß der zeitgenössischen Wissenschaftstheorie

Die in den 50er Jahren sehr ausgeprägte Methodendiskussion stellt eine kognitive Entwicklungsstufe im Übergang von einer sozialwissenschaftlichen Theorie der Moderne zu einer historischen Beschreibung der modernen Welt dar. Es kann als Paradoxie angesehen werden, daß die modernitätskritischen Theorien einen Teil der westdeutschen Historiker nicht zur Ablehnung der geschichtswissenschaftlichen Thematisierung der modernen Welt, sondern im Gegenteil zu einer durch eine neue Methodologie geleiteten wissenschaftlichen Durchdringung derselben veranlaßten. Den Auftakt zur methodologischen Neuorietierung bildete die ambivalente Haltung zur Moderne. Ein Teil der westdeutschen Historiker hatte einerseits unter dem Einfluß neukonservativer soziologischer Theorien ihre eigene Wissenschaft als wesentlichen Ausdruck der Moderne einer intensiven Kritik zu unterziehen, andererseits machten sie sich daran, die traditionelle Methode ihrer eigenen Wissenschaft zu „modernisieren", um sich mit der Moderne auseinandersetzen zu können. Die Methodenreflexion der 50er Jahre fiel in eine wissenschaftsgeschichtliche Situation, die von namhaften Historikern ausdrücklich als Krise der Geschichtswissenschaft beschrieben wurde.1 Seit Ende des Ersten Weltkrieges bereits wurde zunächst außerhalb, dann ansatzweise im Fach selbst über die „Krise des Historismus" debattiert, wobei der Historismus als ein konstitutives Phänomen und Grundproblem der Moderne betrachtet wurde. Dabei stand das Verhältnis zwischen handlungsleitenden Wertsetzungen und wissenschaftlichhistorischer Erkenntnis im Mittelpunkt.2 Nach der NS-Zeit wurde diese Problematik wieder aufgegriffen, und zwar im Zeichen des „Endes des Historis-

1 Zur Krise der Geschichtswissenschaft siehe Gerhard Ritter, Geschichte als Bildungsmacht. Ein Beitrag zur historisch-politischen Neubesinnung, Stuttgart 1946; Geoffrey Barraclough, Geschichte in einer sich wandelnden Welt, Göttingen 1957; Alfred Heuss, Verlust der Geschichte, Göttingen 1959; Othmar F. Anderle, Die Geschichtswissenschaft in der Krise, in: Glaube und Geschichte (Festgabe Joseph Lortz, Bd. II.), hg. v. Erwin Iserloh und Peter Mann, Baden-Baden 1957, S. 491-550. 2 Otto Gerhard Oexle, Von Nietzsche zu Max Weber. Wertproblem und Objektivitätsforderung der Wissenschaft im Zeichen des Historismus, in: ders., Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus, Göttingen 1996, S. 73-94.

120

LY. Eine

neue

historische Methode die



Strukturgeschichte

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mus".3 Mit der Historismus-Debatte

begannen die deutschen Historiker die Lage ihrer eigenen Wissenschaft mit Blick auf die Probleme der Moderne kri-

tisch zu beleuchten. Die Suche nach einer neuen Methodologie ging aus diesen Theoriediskussionen hervor. Ein wichtiger Teil der westdeutschen Historiker stützte sich dabei mehr oder weniger explizit auf die zeitgenössische Wissenschaftstheorie, die den unausweichlichen Zwiespalt zwischen dem Reichtum an Einzelwissen und dem Verlust an Sinngehalten, d.h. das „Dilemma der Spezialisierung" (F. A. Hayek), als Problem der modernen Wissenschaft konstatierte und damit die Notwendigkeit einer methodischen Synthese erkenntnistheoretisch

begründete.4

Otto Brunner z. B. beurteilt im Anschluß an die Arbeiten des Wissenschaftstheoretikers Erich Rothacker die moderne Wissenschaft generell kritisch.5 Brunners Hauptangriffspunkt ist das sogenannte Objektivitätsideal. Nach seiner Ansicht ging die moderne Wissenschaft von der Annahme aus, wirklich, real sei, was mit den Methoden der Wissenschaften erfaßt werden könne. Die zunehmende Spezialisierung einzelner Wissenschaften führe eine Monopolisierung der Bestimmung dessen, was als wirkliche gelten könne, herbei.6 Brunner zufolge erhöhe diese „Ideologie der Wissenschaft" (Wilhelm Kamiah) aber keineswegs das Sinnstiftungspotential der Wissenschaft, vielmehr hat sie Geltungsverluste ihrer Ergebnisse zur Folge, weil die Überschätzung ihrer Möglichkeiten im Gegenschlag leicht zur Verzweiflung an ihr führe.7 In seinen Augen stellt sich dieses Grundproblem auch für die Geschichts-

Heimpel, Geschichte und Geschichtswissenschaft, 220; ders., Über Geschichte und Geschichtswissenschaft in unserer Zeit, 12; Fritz Wagner, Geschichtswissenschaft, München 1951/ hier Freiburg/München 1966, VI. Teil „Historismus als Wissenschaftsprinzip", S. 315377; Wittram, Das Interesse an der Geschichte, 58-69; Karl D. Erdmann: Toynbee- eine Zwischenbilanz, in: Archiv für Kulturgeschichte 33, 1951, S. 177-182; ders., Das Problem des Historismus in der neueren englischen Geschichtswissenschaft, in: HZ 170, 1950, S. 7388; Theodor Litt, Der Historismus und seine Widersacher, in: ders., Die Wiedererweckung des geschichtlichen Bewußtseins, Heidelberg 1956, S. 19f; Ernst Topitsch, Der Historimus und seine Überwindung, in: Wiener Zeitschrift für Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Bd. 4, H. 2, 1952, S. 117f; Kurt Sontheimer, Der Antihistorismus des gegenwärtigen Zeitalters, in: Neue Rundschau 75, 1964, S. 611-631. 4 Siehe u. a. Erich Rothacker, Die dogmatische Denkform in den Geisteswissenschaften und das Problem des Historismus, in: Akademie der Wissenschaften und der Literatur in Mainz, Abh. der Geistes- u. Sozialwiss. Kl., Jg. 1954, Nr. 6, S. 3-61. Vgl. sein Hauptwerk, Logik und Systematik der Geisteswissenschaften, München/Berlin 1926. Vgl. Arnold Gehlens Kritik an der Spezialisierung der modernen Wissenschaften: Über kulturelle Kristallisation, 316f, 323; ders., Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft, Hamburg 1957, der II. Teil: Neuartige kulturelle Erscheinungen, 5. 24f. 5 Brunner, Das Fach „Geschichte" und die historischen Wissenschaften. Brunner rekurriert hier auf Rothakers »Die dogmatische Denkform« (wie Anm. 4). 6 Ders., Das Zeitalter der Ideologien, 57, 62. 7 Ders., Das Fach „Geschichte", 24. Vgl. Carl Friedrich von Weizsäckers wissenschaftsphilosophische Argumentation über die Stellung der Wissenschaft in der modernen Welt: Die Wissenschaft und die moderne Welt, in: Dauer im Wandel. Festschrift zum 70. Geburtstag von Carl J. Burckhardt, hg. v. Hermann Rinn und Max Rychner, Müchen 1961, S. 453-464.

3

A. Die Methodendiskussion als

Übergang

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Wissenschaft, die sich in Reaktion auf die Aufklärung und damit gegen die

mathematisch-mechanischen Naturwissenschaften der Moderne als neuer Typ von Wissenschaft etabliert habe. In Anlehnung an die zeitgenössische Wissenschaftstheorie unterzieht Brunner die Grundlage der modernen Geschichtswissenschaft, und zwar den „Historismus", der Kritik.8 Ein großer Teil der repräsentativen Historiker der 50er Jahre war durchaus bereit, sich unter dem Einfluß der zeitgenössischen Wissenschaftstheorie für eine grundsätzliche Reflexion auf die Erkenntnisprobleme der Geschichtswissenschaft zu öffnen. Dabei rückte ins Bewußtsein, daß die Verwissenschaftlichung der Geschichte zwangsläufig zur Spezialisierung der historischen Erkenntnis führen müsse und damit die Abschwächung des geschichtlichen Sinnes zur Folge habe, der aus einer über spezielle Kenntnisse hinausgehenden historischen Anschauung des „Ganzen" hervorgehe. Nach Hermann Heimpel tendierte die Geschichts-,,Wissenschaft" dahin, das Verhältais des Menschen zur Geschichte zu „vereinfachen". Ganz ähnlich sprach Alfred Heuß von der „schmerzlichen Koinzidenz von wissenschaftlicher Sublimierung und Abschwächung des geschichtlichen Sinnes".9 Diese Denkfigur wird im Folgenden am Beispiel einiger führender Historikern bzw. Geschichtsphilosophen nachgezeichnet. Dabei wird angenommen, daß die Historiker weniger einen eventuellen Modernisierungsrückstand der deutschen Geschichtswissenschaft als vielmehr deren volle Modernität herausstellen wollten. Sie stellten die methodische Rationalität der modernen Geschichtswissenschaft überhaupt in Frage, indem sie ihr das Problem der Spezialisierung vorhielten. Die Debatten um das Problem der Spezialisierung innerhalb der Historikerschaft gingen in erster Linie aus praktischer Forschung hervor,10 wurden aber unter dem Einfluß der zeitgenössischen Wissenschaftstheorie geführt. Brunner, Das Zeitalter der Ideologien, 57f. Brunner kennzeichnet die moderne Geschichtswissenschaft insgesamt als „Historismus". Seine Historismus-Interpretation stellt dabei unter den damaligen Historikern ein Spezifikum dar. Brunners Ansicht nach führte der Historismus mitsamt der modernen Geschichtsphilosophie ein „verändertes Verhältnis zur Geschichte" herbei, indem er zum einen die „Geschichtlichkeit des Daseins" ins Bewußtsein gerückt und zum anderen die spezifisch moderne Wahrnehmung der „Entwicklung" zum einzigen historischen Urteilskriterium verabsolutiert habe. Brunner zufolge tendierte der Historismus dazu, die ganze Geschichte des Menschen als „organische Totalität" zu fassen, und brachte damit einen typisch modernen Aberglauben an die Geschichte hervor, der nichts als die „Krise des geschichtlichen Denkens" darstelle. Brunners Kritik am Historismus als „Weltanschauung" hängt in diesem Zusammenhang mit seiner Ansicht über die Grenzen historischer Erkenntnis zusammen: Abendländisches Geschichtsdenken, 26f, 39f. Analog dazu kennzeichnet Werner Conze den Historismus als Ausdruch des im Vormärz weitgehend wahrgenommenen „Schnittes zur bisherigen Geschichte". Am Beispiel J. G. Droysens charakterisiert er den Historismus als „einen extremen Ausdruck des endgültigen, längst vorbereiteten Bruchs mit der vorrevolutionären bürgerlichen Gesellschaft, in der auf aristotelischer Weise Natur und Geschichte des Menschen noch nicht auseinandergerissen gewesen war": Das Spannungsfeld von Staat und Gesellschaft, 257. Diese Argumentation ist deutlich von Leo Strauß' »Naturrecht und Geschichte« (Stuttgart 1956) beeinflußt. 9 Heuß, Verlust der Geschichte (wie Anm. 1), 218. 10 Ludwig Dehio hat beispielsweise in bezug auf die Erforschung des Ersten Weltkrieges daraufhingewiesen, daß die „ungeheuere Masse der Veröffentlichungen über die Krise" „die 8

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die „Strukturgeschichte"

FV. Eine neue historische Methode -

So beklagte der österreichische Kulturmorphologe Othmar F. Anderle, daß die methodische Rationalität, und damit die Verwissenschaftlichung des historischen Erkennens, zwangsläufig zur Zerstreuung der gesamten historischen Erkenntnis in Details führe.11 Laut Anderle sieht sich der Fachhistoriker infolge der Erweiterung des historischen Gegenstandsbereichs mit einem unaufhörlichen Anschwellen des historischen Stoffes konfrontiert und ist daher dazu gezwungen, den historischen Erkenntnisvorgang methodisch aufzuteilen; im Zuge der Verwissenschaftlichung der Geschichte zerfällt die integrale Erkenntnis eines historischen Gegenstandes notwendigerweise in Teilerkenntnisse. Wenn man in dieser Lage eine Gesamtschau versuche, stoße man unvermeidlich auf das grundsätzliche Problem, daß man in bezug auf die Genauigkeit der Fachkenntnisse Abstriche machen müsse. Wenn der Historiker dazu verpflichtet sei, zugleich den Stoff erschöpfend zu behandeln und „das Ganze" zu erfassen, dann trete unter den aktuellen Erkenntnisbedingungen das „Dilemma der Spezialisierung" immer stärker hervor. Mit Blick auf ähnliche Schwierigkeiten in der Physik bezeichnet Anderle dieses Dilemma als das „Heisenberg-Problem der Historiographie"; er meint das „Integrationsproblem" der Geschichtswissenschaft, das aus ihrer Verwissenschaftlichung entstanden sei.12 Ähnlich argumentiert Alfred Heuß in seinen Reflexionen über „Geschichte als Wissenschaft".13 Heuß zufolge wird in der Moderne die Geschichte zum Objekt des wissenschaftlichen Erkennens, indem sie methodisch fundiert und damit vergegenständlicht wird. Diese wissenschaftliche Behandlung der Geschichte erleichtere daher zwar eine distanzierende Betrachtung, erschwere aber doch die Gesamtsicht. Sichere Kenntnisse würden in einen Zustand fließender Diskussion überführt. Heuß beklagt, daß spezialisierte Einzelforschungen über ihre Fachgrenzen hinaus einen Mangel an Zusammenhängen zwischen einzelnen Gegenständen entstehen ließen: „Gerade die Intensität der Forschung kann es mit sich bringen, daß frühere Ergebnisse, welche auf einem anderen Felde der historischen Erfahrung angesiedelt sind, beinahe vergessen werden und wieder entdeckt werden müssen. Wissenschaftliche Forschung ist durch die notwendige Konzentrierung auf einzelne Punkte leicht der Gefahr ausgesetzt, partiell zu werden und den größeren Zusammenhang aus dem Auge zu verlieren."14 Das Problem der Spezialisierung setzt Heuß in Beziehung zu einem allgemeinen Normverlust. Die spezialisierten Einzelforschung habe durch die Vielfalt historischer Perspektiven und Fragestellungen die Gefahr der Auflösung allgemeinverbindlicher Normen heraufbeschworen; der Fortschritt des Erwertende Verarbeitung" erschwere: Ranke und der deutsche Imperialismus, in: HZ 170, 1950, S. 328. 11 Anderle, Die Geschichtswissenschaft in der Krise (wie Anm. 1), 526f; ders., Theoretische Geschichte, in: HZ 185, 1958, S. lf. 12 Ders., Die Geschichtswissenschaft in der Krise, 526f; ders., Das Integrationsproblem in der Geschichtswissenschaft, in: Schweizer Beiträge zur allgemeinen Geschichte 15, 1957, S. 209f. 13 Heuß, Verlust der Geschichte (wie Anm. 1), 32f. 14 Ebenda, S. 8.

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kenntnisvermögens provoziere eine immer wieder erneuerte Annäherung an die geschichtliche Wahrheit und damit die Relativierung der verfrühten Festlegungen. Alle historisch überlieferten Normen würden damit auf ihre geschichtliche Bedingtheit reduziert und geschichtlichem Wandel unterworfen.15 In diesem Zusammenhang charakterisiert Heuß die moderne Geschichtswissenschaft durch ihre „Anfälligkeit gegen die Zeit":16 Das geschichtliche Wissen werde als nur partielles Wissen abgewertet und an die Zeit gebunden. Selbst das erkennende Subjekt unterliege dem Fluß der Zeit. Alles Feste gerate in Bewegung. In dieser Lage werden, so Heuß, die Einzelforschungen unausweichlich aus dem geschichtlichen Zusammenhang herausgelöst und dabei auf bestimmte geschlossene Gebiete fixiert. Vermögen die Fachhistoriker aus den ihnen vorliegenden Gegenständen keinen „Zusammenhang" zu entnehmen, so gehen alle ihre Sinndeutungen verloren und versinken in der „isolierten Tatsachenrichtigkeit" (R. Wittram). Wenn sich die Historiker dem reinen Nachweis elementarer Tatsachen hingeben so polemisiert Heuß -, verkommt die spezialisierte Fachhistorie zur „Archäologie".17 Die führenden bundesrepublikanischen Historiker der 50er Jahre machten auf den Zusammenhang zwischen historischer Erkenntnis und Normverlust aufmerksam. Sie teilten mit den zeitgenössischen Wissenschaftstheoretikern die Ansicht, daß die Verwissenschaftlichung der Geschichte die Einsicht in den „Zusammenhang" historischer Gegenstände erschwere und bisher selbst-

verständliche Normen im Prozeß des Fortschritts der historischen Erkenntnis auflöse.18 Mit Blick auf diese Grundprobleme der modernen Geschichtswissenschaft gelangten nun die Historiker zu der Einsicht, daß ihre fachliche Arbeit nolens volens zur Abschwächung des historischen Bewußtseins in der Öffentlichkeit beigetragen habe. So konstatiert Reinhard Wittram, daß das moderne Spezialistentum unfähig sei, seine Erkenntnisse in Bildungsgut zu transformieren. Historische Erkenntnis werde damit ausschließlich zur Angelegenheit von Fachleuten und werde von der Bevölkerung nicht mehr rezipiert.19 Desgleichen bemerkt Othmar F. Anderle, daß die Spezialisierung der geschichtlichen Erkenntnisse notwendig eine „Entfremdung" „zwischen der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung und dem Geschichtsbewußtsein der breiten Masse" herbeiführe.20 Auch Gerhard Ritter wirft der übertriebenen Spezialisierung „einen Scholastizismus" vor, der „den Wald vor Bäumen nicht mehr sieht und der zum müßigen Spiel entarten kann". In seinen Augen hat die „weltfremde Neutralität" des Speziali15

Diesen Gedanken haben Ernst Troeltsch und Friedrich Meinecke vorweggenommen: Ernst Der Historismus und seine Probleme, Tübingen 1922; ders., Der Historismus und seine Überwindung, Berlin 1933; F. Meinecke, Die Entstehung des Historismus, in: Friedrich Meinecke Werke, Bd. 3, hg. v. Carl Hinrichs, München 1959; Wagner, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 3), 360f. 16 Heuß, Verlust der Geschichte, 42.

Troeltsch,

''Ebenda, S. 7. Heimpel, Geschichte und Geschichtswissenschaft, 198; ders., Der Mensch in seiner Gegenwart, Göttingen 1957, S. 26; ders., Über die Geschichte und Geschichtswissenschaft, 13. 18

19

20

Wittram, Das Interesse an der Geschichte, 7-8. Anderle, Theoretische Geschichte (wie Anm. 11), 4.

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IV. Eine neue historische Methode

die



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stentums unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen

Objektivität nur „politische Naivität oder Ignoranz" zur Folge.21 Das Problem des allgemeinen Geschichtsbewußtseins angesichts der wachsenden Spezialisierung der historischen Erkenntnisse wird in Theodor Litts „Frage nach dem Sinn der Geschichte" philosophisch reflektiert. Litt stellt fest, daß die Geschichte ausschließlich zum Objekt des Wissens werde, die historische Detailerkenntnis aber keine sinnvollen Handlungen des Menschen mehr vermitteln könne. Historische Erkenntnis werde auf die „nackte Faktizität sinnleerer Befunde" reduziert und gebe dem Handelnden keine Einsicht ins ablaufende Geschehen. Nach Litt fühlt sich der Mensch berufen, als Handelnder am geschichtlichen Prozeß mitzuwirken. Wenn der Handelnde aber wegen unzulänglicher Einsicht in dieses Geschehen sich nicht mehr sinnvoll verhalten könne und ihm die Geschichte ohne sein Zutun abzulaufen scheine, werde der Sinn historischen Wissens in Frage gestellt. Die Folge sei unvermeidlich der Eindruck einer absoluten Sinnlosigkeit der Geschichte.22 Litts Argumentation verweist darauf, daß die wissenschaftliche Erkenntnis der Geschichte die Auflösung des historischen Bewußtseins zur Folge habe. Seine These schloß die Selbstkritik der Historiker ein, daß der geschichtswissenschaftliche Betrieb zur Geschichtslosigkeit der modernen Welt beitrage. Eine solche Fundamentalkritik an Praxis und an kultureller Funktion der Geschichtswissenschaft provozierte notwendigerweise die Suche nach Alternativen. Sie zielte in erster Linie auf eine „Erneuerung des Geschichtsbewußtseins" (Theodor Schieder). Wie im Vorhergehenden ausgeführt, haben die Historiker der Nachkriegszeit unter dem Eindruck der historischen Diskontinuität eine Revision des nationaldeutschen, höchstens eurozentrischen, Geschichtsbildes vorgenommen, das der historischen Erfahrung der modernen Welt gerecht werden sollte. Diese „weltgeschichtliche Sicht neuer Art"23 involvierte das Verlangen nach einer synthetischen Geschichtstheorie, mit der das genannte methodische Dilemma der modernen Geschichtswissenschaft gelöst werden sollte. Die um den Begriff der „Menschheitsgeschichte" kreisende „Toynbee-Diskussion" ist symptomatisch für das Bemühen der damaligen Historiker, die fachlichen Grenzen zu überschreiten und einzelne Fakten in eine Gesamtschau einzubeziehen. Toynbees Forderung nach „Synopsis" wurde aus dem weitverbreiteten Bedürfnis nach Theorie, und zwar nach „Ganzheitstheorie" (Ofhmar F. Anderle), heraus von deutschen Historikern positiv aufgenommen.24

Gerhard Ritter, Gegenwärtige Lage und Zukunftsaufgaben deutscher Geschichtswissenschaft, in: Wolfgang Hardtwig (Hg.), Über das Studium der Geschichte, München 1990, S. 293-294; ders., Die Idee der Universität und das öffentliche Leben (1945), in: ders., Lebendige Vergangenheit, München 1958, S. 295. 22 Theodor Litt, Die Frage nach dem Sinn der Geschichte, München 1948, S. 66f; ders., Die Wiedererweckung des geschichtlichen Bewußtseins, Heidelberg 1956. Vgl. Albert Mirgeler, Der Gegenstand der Geschichte, in: Saeculum 3, 1952, S. 1-14. 23 Brunner, Das Fach „Geschichte", 14.

21

Von Seiten der deutschen Historikerschaft trugen folgende Autoren zur Diskussion bei: Karl Dietrich Erdmann, Toynbee- eine Zwischenbilanz, in: Archiv für Kulturgeschichte 33, 1951, S. 174-250; F. Hampel, Grundsätzliches zum Werk A.J. Toynbees, in: HZ 173, 1952,

24

A. Die Methodendiskussion als

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Trotzdem schien in den Augen der deutschen Historiker Toynbees synthetische Geschichtslehre nicht akzeptabel. Viele Thesen Toynbees schienen ihnen zu spekulativ, um quellenmäßig nachgewiesen werden zu können.25 Die westdeutschen Historiker der 50er Jahre waren sich nämlich bewußt, daß eine „Ganzheitstheorie"26 dem Dilemma der Spezialisierung nicht einfach entgehen könne. Wer dieses typische Dilemma der „modernen" Wissenschaft durch eine „Weltanschauung" lösen wolle, begab sich ihrer Ansicht nach zwangsläufig in dem Bereich der „Ideologie". Das weitverbreitete Unbehagen der Historiker an Ideologie ist vor allem an Otto Brunner abzulesen. Wie oben erläutert, bringt Brunner das Auftreten der modernen Ideologien in Zusammenhang mit der spezifisch modernen Trennung von Staat und Gesellschaft. Zugleich macht er auf das Verhältnis zwischen Ideologie und Wissenschaft aufmerksam. Anknüpfend an seine Skepsis gegenüber dem Objektivitätspostulat der modernen Wissenschaft behauptet er, daß diese einen günstigen Boden für die Entfaltung von Ideologien bilde; der Anspruch, die Ergebnisse einer Fachwissenschaft als „eigentliche" Wirklichkeit oder gar die Wirklichkeit schlechthin zu deklarieren, überschreite den Rahmen wissenschaftlichen Denkens und führe zur Ideologie. Brunner zufolge ist die wissenschaftliche Arbeit „grundsätzlich unfertig", „offen, nicht abgeschlossen". Indem sie aber für sich in Anspruch nehme, unaufhebbare Gesetze der Wirklichkeit zu erfassen, werde sie dazu berufen, bestimmte politische Programme ideologisch zu begründen. In diesem Zusammenhang macht Brunner auf das gleichzeitige Aufkommen der modernen Sozial- und Geschichtswissenschaft und der Ideologien aufmerksam.27 Die moderne Geschichtswissenschaft stellt in seinen Augen eine wichtige Quelle der modernen Ideologien, weil ihr die metaphysischen „Vorstellungen von der Einheit der Geschichte und der Geschichtswissenschaft" und damit S. 449-466; Ernst F. J. Zahn, Toynbee und das Problem der Geschichte. Eine Auseinandersetzung mit dem Evolutionismus, Köln/Opladen 1954; Othmar F. Anderle, Die ToynbeeKritik. Das universalhistorische System Arnold J. Toynbees im Urteil der Wissenschaft, in: Saeculum 9, 1958, S. 189-259. Zur weiteren Literatur siehe oben erstes Kapitel, Anm. 205,

206. 25 Als Beispiel kann Conzes Argumantation dienen, der der Toynbeeschen Universalgeschichte die „europäozentrische" Eingliederung aller unabhängig voneinander bestehenden Kulturkreise in eine Weltgeschichte vorwirft, die es seiner Ansicht nach tatsächlich gar nicht gab. Conze zufolge sind diese Kulturkreise in allen sechs Jahrtausenden menschlicher Geschichte gegeneinander abgeschlossen gewesen und darum mit einer derartigen spekulativen Theorie gar nicht faßbar: Die Strukturgeschichte des technisch-industriellen Zeitalters, 11. Auch für Schieder ist es „durchaus strittig, ob bei Toynbees Begriffsbildungen die historische Individualität immer genügend beachtet ist": Zum gegenwärtigen Verhältnis von Geschichte und Soziologie, in: GWU 3, 1953, S. 29. 26 Dazu Anderle, Die Geschichtswissenschaft in der Krise«, der VII. Teil >Die holistische Integration«:; ders., Theoretische Geschichte, 22f, 30; ders., Die Ganzheitstheorie, in: Zeitschrift für Ganzheitsforschung 4, 1960, S. 2f; ders., Synopsis. Festgabe für Alfred Weber, Heidelberg 1948; Joseph Vogt, Wege zum historischen Universum. Von Ranke bis Toynbee, Stuttgart 1961, S. 132f; ders., Gesetz und Handlungsfreiheit in der Geschichte, Stuttgart 1955. 27 Brunner, Das Zeitalter der Ideologien, 50, 55f. Brunner lehnt sich an Karl Mannheims soziologische Theorie der Ideologie an und zitiert aus »Ideologie und Utopie«. (S. 50)

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IV Eine neue historische Methode

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„totalitäre Ansprach", der Anspruch auf totale Objektivität, zugrunde liegen.28 Insofern dieser moderne Wissenschaftszweig „metaphysische Sinndeutungen, Wertungen, politische Forderungen" begünstige, befinde er sich mit der modernen Ideologie in Einklang, die ihrerseits ein utopisches Element, einen „Geschichtsglauben", in sich trage.29 Die meisten Historiker der frühen Bundesrepublik glaubten nicht, daß das Problem der modernen Wissenschaft durch eine „Ganzheitstheorie" gelöst werden könne, die womöglich zur Ideologie führe. Ihre kritischen Reflexionen über die Verwissenschaftlichung der Geschichte zielten keineswegs auf die Unterwerfung der Geschichtswissenschaft unter praktische Lebensforderungen ab.30 Otto Branner berief sich in diesem Zusammenhang auf „eine wissenschaftliche Gesinnung, die sich der eigenen Grenzen bewußt ist".31 Unter Bezugnahme auf die damals von vielen Seiten geforderte Standortbestimmung der Geschichtswissenschaft überführten die Historiker jungkonserder

vativer Provenienz ihre kritische Sicht der Moderne in die Diskussion um ihre Fachwissenschaft. So sehr sie die Verwissenschaftlichung der Geschichte im Ganzen skeptisch betrachteten, so sehr verweigerten sie sich einer Ideologisierung ihrer Fachwissenschaft. Infolge ihrer ambivalenten Sicht der Moderne, damit auch der Geschichtswissenschaft, forderten sie nunmehr eine neue historische Methode. Diese solle die Geschichtswissenschaft aus der bloßen fachlichen Tatsachenforschung herausführen und sie wieder vor ihre ursprüngliche Aufgabe stellen, die kulturelle „Krise" der modernen Welt geistig zu bewältigen. So nahmen die neukonservativen Historiker die Methodisierung ihrer modernitätskritischen Theorien und damit eine geschichtswissenschaftliche „Aneignung" der modernen Welt in Angriff. 2. Die Suche nach einer neuen historischen Methode im Zeichen Kulturgeschichte und Zeitgeschichte

von

Eine neue historische Methode war in der Nachkriegszeit ein Anliegen nicht nur der traditionskritischen, sondern auch der stark der nationalgeschichtlichen Denktradition des 19. Jahrhunderts verhafteten Historiker. Ein Vertreter dieser Richtung war Gerhard Ritter, der nach 1945 an seiner protestantischnationaldeutschen Wertorientierung festhielt, damit die politische Grundhaltung vieler Historiker stark beeinflußte und zugleich eine entscheidende Rolle bei der Reorganisation der westdeutschen Geschichtswissenschaft spielte.32 Im 28 29

Ders., Das Fach „Geschichte", 10. Ebenda, S. 20, S. 50.

Gerhard Ritter stellt in der Auseinandersetzung mit der modernen Lebensphilosophie Nietzscheanischer Prägung die Problematik von „Wissenschaft und Lebenspraxis" als Zeichen für den Bankrott wissenschaftlicher Objektivität hin: Historie und Leben. Eine Auseinandersetzung mit Nietzsche und der modernen Lebensphilosophie, in: ders., Vom sittlichen Problem der Macht, Bern/München 1961 (2. Aufl.), S. 97-111. 31 Brunner, Abendländisches Geschichtsdenken, 44. 32 Peter Schumann, Gerhard Ritter und die deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Mentalitäten und Lebensverhältnisse. Beispiele aus der Sozialge30

A. Die Methodendiskussion als

Übergang

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Eröffhungsvortrag des deutschen Historikertages in München eine „nüchterne Selbstbesinnung" auf spezifische Traditionen

1949 nahm er der deutschen ihrer traditionellen

Geschichtswissenschaft vor und forderte eine Erneuerung Methodik.33 In Anknüpfung an seine schon vor dem Krieg begonnene partielle Rezeption des Naturrechtsdenkens34 beanstandet Ritter die Entfremdung der deutschen nationalen Historie vom westeuropäischen Denken und ihre daraus resultierende methodische Schwäche: Die deutsche Historie habe seit Ranke sich damit begnügt, die staatliche Macht im Ringen der Völker um ihre Selbstbehauptung zu rechtfertigen und thematisch am „Primat der Außenpolitik" festgehalten, weswegen sie die gesellschaftlichen Verhältnisse gänzlich außer acht gelassen habe. Ritter machte dabei der deutschen Geschichtswissenschaft ihre „streng individualisierende Methode" und ihre „überlieferte Scheu vor generalisierender Geschichtsbetrachtung" zum Vorwurf, die er mit Vorbehalt als „heuristisches Hilfsmittel" benutzen wollte.35 Ritters Neubesinnung ist ein Beleg dafür, daß die Überwindung bzw. die Erneuerung der traditionellen Methode von den tonangebenden deutschen Historikern als zwingend notwendig gefordert wurde, unabhängig davon, ob sie nationalstaatlich ausgerichtet waren oder nicht. Ihre weitgehende Übereinschichte der Neuzeit. Rudolf Vierhaus zum 60. Geburtstag, hg. v. Mitarbeitern u. Schülern. Göttingen 1982, S. 399-415. 33 Ritter, Gegenwärtige Lage und Zukunftsaufgaben (wie Anm. 21), 288f. 34 Klaus Schwabe, Gerhard Ritter. Wandel und Kontinuitäten seiner Geschichtsschreibung im Zeichen der deutschen Katastrophe (1933-1950), in: Geschichte in Verantwortung. Festschrift für Hugo Otto zum 65. Geburtstag, hg. v. Hermann Schäfer, Frankfurt a. M/New York 1996, S. 261 f. 35 Ebenda, S. 290f. Diesen Standpunkt vertrat Ritter auch noch in den 50er Jahren. In seiner Skizze der deutschen Historiographiegeschichte bedauert er die Trennung des deutschen Geisteslebens von der westeuropäischen Welt und kritisiert die für die deutsche Historie spezifische Vorliebe für Außenpolitik sowie die darausfolgende Blindheit gegenüber den Problemen gesellschaftlichen Lebens, wobei er diese Neigung der deutschen Historie bis zum Gegensatz des Rankeschen Denkens zur naturrechtlichen Vertragstheorie der westeuropäischen Staatsphilosophie zurückverfolgt. Mit Verweis auf die Staatsanbetung der deutschen Historie und ihre rasche Entwicklung von universaler zu nationaler Betrachtungsweise stellt er fest, daß die politische Grundhaltung der deutschen Historiker eher konservativ als fortschrittlich gewesen sei. Dabei unterzieht er den zähen Widerstand der deutschen Geschichtswissenschaft gegen das Eindringen generalisierender Theorie einer Kritik. Ritter spricht sich dabei nicht nur gegen die bloß antiquarische Kulturgeschichte, sondern auch gegen eine im Dienst der Machtpolitik stehende Politikgeschichte aus. Er wirft zum Beispiel Treitschke seine nationalistische und militaristische Ausrichtung, die großbürgerliche Haltung und die Blindheit gegenüber den sozialen Problemen der modernen Industriegesellschaft vor: Deutsche Geschichtswissenschaft im 20.Jahrhundert, in: GWU 1, 1950, S. 86. An anderer Stelle äußert er sich zu methodischen Grenzen der Rankeschen Historie. Diese habe sich in der Hauptsache auf diplomatische Quellen gestützt und wandte sich einseitig außenpolitischen Momenten zu. Indessen habe Ranke die inneren Verhältnisse der Staaten, ihr geistiges Leben, selbst ihre wirtschaftliche Lage nicht ganz vernachlässigt habe: Zur Problematik gegenwärtiger Geschichtsschreibung, in: ders., Lebendige Vergangenheit, 258. Ritter schätzt Rankes Geschichtsschreibung immer noch: Ranke habe im Unterschied zu seinen Epigonen die selbständige Bedeutung innenpolitischer Fragen keineswegs außer acht gelassen. Für Ritter ist Rankes Hervorhebung der Macht als Wesensmerkmal des Staates der Ausdruck eines kontinentaleuropäischen Staatsdenkens, das aus einer entsprechenden historischen Wirklichkeit hervorging: Europa und die deutsche Frage, München 1948, S. 66-67.

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IV Eine neue historische Methode

die

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im Hinblick auf eine methodologische Neuorientierung läßt die Unterschiede hinsichtlich der Reichweite dieser Forderung je nach Forschungsfeld und Zielrichtung klar hervortreten. Damit die Spezifika des Methodenkonzepts der „Strukturgeschichte" herausgearbeitet werden können, soll zuvor von seinen Vorbedingungen die Rede sein, die richtungsübergreifend anerkannt wurden. In diskursanalytischer Hinsicht spielten sich die Diskussionen um die neue Methode vor allem innerhalb der drei Forschungsbegriffe Kulturgeschichte, Zeitgeschichte und Sozialgeschichte ab. Daher gehen die folgenden Ausführungen zunächst auf Konzeptionen der Kulturgeschichte und der Zeitgeschichte als Indizien für die methodologische Neuorientierung ein. Der Begriff der Kulturgeschichte war in der deutschen Historiographiegeschichte durch den Willen zur Überwindung der einseitig politisch-staatlich ausgerichteten Geschichtsforschung geprägt und dabei eng mit dem sozialgeschichtlichen bzw. dem universalgeschichtlichen Konzept verknüpft.36 Waren am Ende der Weimarer Zeit die innovativen Elemente des kulturhistorischen Diskurses in die Diskussion anderer, verwandter Wissenschaften wie etwa der Kultursoziologie oder der Landesgeschichte im Zuge der historischen „Kulturraumforschung" aufgenommen worden und danach der Begriff der Kulturgeschichte in den Hintergrund gerückt,37 so fand in den ersten Nachkriegsjahren Franz Schnabels Bemühung, die deutsche Geschichte des 19. Jahrhunderts unter dem Aspekt der Kulturgeschichte zu beleuchten, erneute Anerkennung und wurde zudem im geistigen Umfeld der genannten „Toynbee-Diskussion" um eine universale Kulturmorphologie wieder in die Debatte eingebracht.38 In diesen Jahren wurde die Kulturgeschichte erneut von vielen Seiten beschworen, und es fehlte dabei auch nicht an neuen theoretischen Überlegungen.39 Dennoch fand in diesem Bereich eine Wiederanknüpfung an den früheren Diskussionsstand, so wie er bis zum Ausgang der Weimarer Republik im Umkreis des „Archivs für Kulturgeschichte" erreicht worden war, nicht statt.40

Stimmung

36

Gerhard Oestreich, Fachhistorie und Anfänge der sozialgeschichtlichen Forschung, in: Strukturprobleme der frühen Neuzeit. Ausgewählte Aufsätze von Gerhard Oestreich, hg. v. Brigitta Oestreich, Berlin 1980, S. 62. 37 Stefan Haas, Historische Kulturforschung in Deutschland in Deutschland 1880-1930. Geschichtswissenschaft zwischen Synthese und Pluralität, Köln/Weimar/Wien 1994, S. 268f. Vgl. Karl Ditt, Die Kulturraumforschung zwischen Wissenschaft und Politik. Das Beispiel Franz Petri (1903-1993), in: Westfälische Forschungen 46, Münster 1996, S. 75, S. 173-175. 38

Siehe Wagner, Geschichtswissenschaft (wie Anm. 3), 291-302. Mario Krammer, Kulturgeschichte als Aufgabe der Zeit. Betrachtungen aus der Werkstatt eines Historikers, Berlin/Hannover 1949; Wilhelm Treue, Die Bedeutung der Firmengeschichte für die Wirtschafts- und für die Allgemeine Geschichte, in: VSWG 41, 1954, S. 4265. 40 Haas, Historische Kulturforschung (wie Anm. 37), 352f. Er sieht etwa Wilhelm Treues »Kleine Kulturgeschichte des deutschen Alltags« (1942, Potsdam 1943) und ihre Nachkriegsversion »Illustrierte Kulturgeschichte des Alltags« (München 1952, Frankfurt a. M./Hamburg 1962) nur als konzeptionslose Ansammlung von Datenmaterial unterschiedlichster Thematik an. Treues Versuch, die Kulturgeschichte im Gegensatz zur politischen Geschichte zu rehabilitieren, ist aber nicht zu unterschätzen. Treue trat in den 50er Jahren als Initiator und Herausgeber einer „Quellensammlung zur Kulturgeschichte" hervor, die bis in die 60er Jahre auf fast 20 Bände angewachsen war: Bd. 1-18, Göttingen 1948-1967. 39

A. Die Methodendiskussion als

Übergang

129

Der Umschwung zur Kulturgeschichte nach 1945 verweist auf die Tatsache, daß die Notwendigkeit einer methodologischen Neuorientierung weitgehend ins Bewußtsein der Historiker gerückt war. Hermann Heimpel erschien die Kulturgeschichte als deutliches Indiz für die vielbeschworene Geschichtsrevision. Bei ihm ist der Begriff der „Kulturgeschichte" insofern eng mit dem der „Weltgeschichte" verknüpft, als er unter dieser eine vergleichende Erkenntnis der „Strukturen" menschlichen Zusammenlebens versteht und sie damit als „vergleichende Kulturgeschichte" faßt. Für Heimpel geht die Kulturgeschichte über einen nationalen Rahmen hinaus, insofern sie „Geschichte als Strukturforschung" darstelle.41 Seine Sicht der Kulturgeschichte ist dabei stark von der französischen Annales-Schule geprägt. Mit Blick auf deren methodische Aneignung der Statistik bezeichnet Heimpel die Kulturgeschichte als „Ruf nach der Rationalisierung der Geschichte".42 In der häufigen Verwendung des Begriffs „Kulturgeschichte" äußerte sich der Wunsch der Historiker nach einer neuen historischen Methode, die die überkommene Methode hinter sich lassen sollte. In der praktischen Forschung spielte sie noch kaum eine Rolle, da es nicht gelang, eine eigene Methodik zu schaffen. Die Konjunktur des Begriffs der Kulturgeschichte nach 1945 verdankte sich dabei dem weitverbreiteten Unbehagen an der Politik, dem „Wunsch nach Geschichte ohne Schicksal".43 Es nimmt nicht Wunder, daß in einer Zeit, in der die politische Kontinuität Deutschlands abhanden gekommen schien, den Historikern die kulturelle Kontinuität als einziger Garant deutscher Identität erschien. So bedeutete die Kulturgeschichte für die reformorientierten Historiker der frühen Bundesrepublik weniger Leitlinie ihrer methodologische Neuorientierung als Flucht in die Vergangenheit. Gerhard Ritters Auseinandersetzung mit der Kulturgeschichte gibt Aufschlüsse darüber, welche Voraussetzungen für die methodologische Neuorientierung die westdeutschen Historiker der 50er Jahre als grundlegend ansahen. Ritter beurteilt einerseits das Aufkommen der Kulturgeschichte und die mit ihr einhergehende „Forderung an jede historische Einzelwissenschaft" positiv, in der der Fachhistoriker von der „Gefahr der Verengung seines geistigen Horizonts und damit der bloßen fragmentarischen Lösung seiner Spezialprobleme" bedroht sei. Andererseits macht Ritter in Auseinandersetzung mit dem französischen Kulturhistoriker Pierre Francastel auf das Fehlen eines „allen Einzelforschungen übergeordneten eigenen Erkenntnisziels der Kulturgeschichte" aufmerksam. In seinen Augen pendelt die Francasteische Kulturgeschichte zwischen traditioneller Geistesgeschichte und Kunstgeschichte, solange sie sich auf historisch unscharfe Begriffe wie etwa den des künstlerischen Stils

41

42

Heimpel, Über Geschichte und Geschichtswissenschaft in unserer Zeit, 18. Ders., Geschichte und Geschichtswissenschaft, 200-201.

Ebenda, S. 200. Heimpels Auffassung der Kulturgeschichte ist zwar verschieden vom traditionellen Verständnis, da er sie mit der damals vielbeschworenen Geschichtsrevision in Verbindung bringt; dennoch zeigt er keine Bereitschaft, sie aufzunehmen. Es ist bezeichnend, daß Heimpel die „Rationalisierung der Geschichte" nicht als Ausweg aus der geschichtwissenschaftlichen Krise anerkennt. Die Konzeption von Kulturgeschichte, die die Annales-Schule vertrat, hält Heimpel für „polemisch-prophetenhaft". (S. 200-201)

43

130

IV Eine neue historische Methode

die



Strukturgeschichte

"

-

stütze.44 Die bevorzugten Forschungsgegenstände der Kulturgeschichte seien die thematisch nicht leicht historisierbaren höchsten Schöpfungen des menschlichen Geistes, wie etwa Kunst, Recht und Philosophie. Ritter zufolge lassen diese eigentlich an die jeweilige Spezialwissenschaft zu übergebenden Gegenstandsbereiche ein methodisches Grundproblem der Kulturgeschichte entstehen; nicht nur, daß sie über das intellektuelle Vermögen des einzelnen Historikers hinausgingen, sondern auch, daß sie unter dem eigentlichen Aspekt des „Geschichtlichen" nicht erfaßbar seien. Das eigentliche historische Arbeitsgebiet sei dagegen die politische Geschichte, die am stärksten vom „Geschichtlichen" geprägt sei: „Das politische Geschehen ist ganz und gar an die Zeit gebunden, es ist durchaus einmalig, setzt sich aus lauter bloßen Tagesereignissen zusammen. Es ist durch und durch eine Sache der Vergänglichkeit."45 Für Ritter ist die Politik der historisch relevanteste Gegenstand, weil sie ein Produkt des sich in der zeitlichen Kontingenz äußernden menschlichen Geistes und somit „das größte Geheimnis des Menschlichen in der Geschichte" darstelle. Die politische Geschichte kann, so Ritter, erneut den Vorrang vor der Kulturgeschichte gewinnen, nämlich dadurch, daß sie die von sehen der Kulturgeschichte geforderte ganzheitliche Anschauung der Geschichte aufnehme.46 Ritters partielle Übernahme kulturgeschichtlicher Prinzipien zeigt, daß den tonangebenden Historikern die Kulturgeschichte nicht als ein Tor zur methodologischen Neuorientierung der Geschichtswissenschaft diente, sondern zu ihrem Rückzug auf die politische Geschichte beitrug. Die erneute Berufung auf die politische Geschichte erwies sich als methodischer Rückschritt gegenüber der Kulturgeschichte. Diese beanspruchte zwar eine „Rationalisierung der Geschichte", indem sie über „das Geschichtliche" hinaus „lange Dauer", in kulturgeschichtlicher Diktion; das „Zuständliche" ins Blickfeld rückte, und hätte insofern innovativ wirken können, mußte aber aufgrund ihrer methodischen Unscharfen für die Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft bedeutungslos bleiben.47 Die grundlegenden methodischen Neuansätze entwickelten sich aufgrund anderer Einflüsse. Solange die Historiker die methodische Schwäche der Kulturgeschichte hauptsächlich in deren Vernachlässigung der politischen Seite der Geschichte sahen, konnte die methodologische Neuorientierung ausge-

44

S. 45

Ritter, Zum Begriff der „Kulturgeschichte". Ein Diskussionsbeitrag, in: HZ 171, 1951, 301, S. 294f. Ebd., S. 298f. Das Muster einer solchen Beurteilung der Kulturgeschichte findet sich bei

G.

Dietrich Schäfer: Das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte. Akademische Antrittsrede Dietrich Schäfer. Aufsätze, Vorträge und Reden 1, Jena 1913, S. 264f. 46 Ritter, ebd., S. 301f. 47 Werner Conze wirft im Hinblick auf die damals gängige Wortverbindung der „Kultur- und Sozialgeschichte" im Sinne Trevelyans der Kulturgeschichte methodische Unklarheit vor. Er führt ihre thematische Unklarheit auf ihren „breiten, allumfassenden und wenig präzisen Begriff der Kultur" zurück. Er sieht dabei im neuen Aufschwung der Kulturgeschichte eine Gefahr, in Anbindung an eine falsch verstandene Sozialgeschichte den Blick für die neue Geschichtswissenschaft zu verstellen: Die Stellung der Sozialgeschichte in Forschung und Unterricht, in: GWU 3, 1952, S. 649, S. 652.

(Jena 1888), in:

A. Die Methodendiskussion als

Übergang

131

oder unausgesprochen nur politikgeschichtlich ausgerichtet sein. Im Rahmen der brisanten Diskussion um „Geschichte und Politik"48 trug in diesen Jahren ein neues Forschungsfeld zur methodologischen Neuorientierung bei: die Zeitgeschichte. Unter „Zeitgeschichte" versteht Hans Rothfels anknüpfend an „contemporary history" und „histoire contemporaine" die „Epoche der Miterlebenden und ihre wissenschaftliche Behandlung". In seiner richtungsweisenden Einleitung für die neu gegründeten „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte" von 1953 betont er den politischen Wert der Zeitgeschichte und weist jegliche relativistische Skepsis zurück, indem er dem spezifischen „Betroffensein" der Miterlebenden eine große Erkenntnisfunktion für die Zeit-

sprochen

-

geschichte beilegt.49

Rothfels einer der Nestoren der westdeutschen Zeitgeschichtsforschung der Nachkriegszeit verlangt aber gleichzeitig vom Zeithistoriker ein „Abstandnehmen von den Leidenschaften des Tages"; der Zeithistoriker solle in Distanz zu seinem persönlichen „Betroffensein" die jüngste Vergangenheit untersuchen. Rothfels entwirft ein Grundkonzept der Zeitgeschichte. Zum einen fordert er angesichts der „neuen universalgeschichtlichen Epoche,, die Zeitgeschichte nicht auf das innenpolitische Terrain zu beschränken, sondern im „internationalen Rahmen" zu betrachten. Zum anderen wendet er sich gegen die überkommene Isolierung der Sphären des Politischen und des Wirtschaftlich-Sozialen und verlangt, „das Strukturhafte und Wesenhafte" der jüngsten historischen Epoche einzufangen.50 Mittels dieser beiden methodologischen Grundprinzipien visiert Rothfels einen Beitrag zu einer „Theorie des gegenwärtigen Zeitalters" an.51 Rothfels' Konzept der Zeitgeschichte fand in der deutschen Geschichtswissenschaft breite Anerkennung.52 Im Ruf nach der „Zeitgeschichte" etablierte die Politik als historisch prominenter Bereich sich erneut im Geschichtsdiskurs. Es ist aber nicht zu übersehen, daß viele Historiker dieser Jahre die politische Indienstnahme der Geschichtswissenschaft skeptisch beurteilten: Ihre wissenschaftlichen Argumente entzogen sich im Zeichen des Kulturpessimismus jeglichem aktuellen politischen Zusammenhang. Otto Brunner warnte in diesem Sinne die Zeitgeschichtsforschung vor der Gefahr mangelnder Objektivität. Er wies dabei auf die Unzulänglichkeit des entscheidenden Quellenmaterials als Kernproblem hin: „Ständig treten uns neue Fragen entgegen, und man fordert Antwort, schnelle Antwort, manchmal allzu schnelle Antwort aus der Aktualität des -

-

Siehe Walther Hofer, Geschichte und Politik, in: HZ 174, 1952, S. 287-306; ders., Geschichte zwischen Philosophie und Politik. Studien zur Problematik des modernen Geschichtsdenkens, Basel 1956. 49 Hans Rothfels, Aufgaben der Zeitgeschichte, in: VfZ 1, 1953, S. 2, S. 8; ders., Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Vorträge und Aufsätze, Göttingen 1959; Werner Conze, Die deutsche Geschichtswissenschaft seit 1945, in: HZ 225, 1977, S. 15. 50 Rothfels, Aufgaben der Zeitgeschichte (wie Anm. 49), 6f. 51 Ders., Zeitgeschichtliche Betrachtungen (wie Anm. 49), 5. 52 Zu Rothfels Konzept der Zeitgeschichte siehe Theodor Eschenburg, Aufgaben der Zeitgeschichte, in: GWU 6, 1955, S. 356-361. Siehe Waldemar Bessons Bericht über die bundesrepublikanische Zeitgeschichtsforschung der 50er Jahre: Periodisierung, Zeitgeschichte, in: ders., Geschichte, Tübingen 1965, S. 264.

48

132

die

IV. Eine neue historische Methode

„Strukturgeschichte

"

-

heraus."53 Im Anschluß an diese Kritik der politischen Aktualisierung historischer Erkenntnis warnte Alfred Heuß, es könne nicht die Aufgabe der Zeitgeschichtsforschung sein, politisch-soziale Effekte zu zeitigen.54 Desgleichen benannte Fritz Wagner die Gefahr, in der die Zeitgeschichte stehe, nämlich „Geschichte ohne Distanz" zu werden.55 Die Hinwendung zur Zeitgeschichte war zweifellos politisch motiviert. Trotzdem wurde die Zeitgeschichtsforschung kaum in den Dienst der Tagespolitik gestellt. Die Aufforderung der Historiker zur politischen Auffassung der Gegenwart soll eher als Symptom und Movens ihrer methodologischen Neuorientierung interpretiert werden. Wie erwähnt, herrschte unter den westdeutschen Historiker der 50er Jahre weitgehend Einverständnis darüber, daß die jüngste Vergangenheit die geschichtliche Kontinuität der deutschen Geschichte zerstört habe. Sobald die Historiker diesen radikalen Abbau des traditionellen Verhältnisses des Menschen zur Geschichte als Herausforderung annahmen, trachteten sie sich diesen Umstand als neue Chance für die Geschichtswissenschaft zunutze zu machen. Sie sahen nämlich im Hiatus von Vergangenheit und Gegenwart Spielraum für eine neue historische Methode, die zur Vermittlung der beiden Zeitdimensionen dienen sollte. Solange die Gegenwart keine historische Parallele habe und somit ihren eigenen Erkenntniswert in der Geschichte behaupte, solle die neue historische Methode in die Gegenwart als eine geschichtliche Kategorie eingreifen, damit die Vergangenheit im neuen Verhältnis zur Gegenwart betrachtet werden kann. Erst wenn die Gegenwart als „die erste Geschichtsquelle des Historikers" von einer historischen Methode erfaßt und dadurch als ein Gegenstandsbereich historischer Erkenntnis hervorgehoben werde, komme die wissenschaftliche Distanz zur Vergangenheit zustande.56 In diesem Zusammenhang forderte Werner Conze, von der Gegenwartsanalyse her die historische Tiefendimension zu suchen und damit neue geschichtswissenschaftliche Fragestellungen zu erschließen. Unter dem Einfluß Hans Freyers, der die Gegenwart als ein geschichtliches Zeitalter auffaßte, das ein inkommensurables inneres Gesetz besitze, schlug Conze eine neue historische Methode vor, die aus dem Gegenwartsverständnis hervorgehe und wiederum auf die Vergangenheit zurückzubeziehen sei.57 Es war ein Grandkonsens damaliger Historiker, daß erst durch den methodischen Zugriff auf die Gegenwart die Vergangenheit aus einer Distanz erforscht werden könne. Der Begriff der Zeitgeschichte kann in dieser Hinsicht als Meilenstein der methodologischen Neuorientierung dieser Jahre angesehen werden. Anders als

Tages

53

Brunner, Das Fach „Geschichte", 14-15.

Heuß, Verlust der Geschichte, 62 f. Fritz Wagner, Geschichte und Zeitgeschichte, Marburg 1957, S. 8. Vgl. M. Freund, Geschichte ohne Distanz, in: ders., Deutscher Geist zwischen Gestern und Morgen, Stuttgart 1954, S. 315f. 56 Siehe Heimpel, Geschichte und Geschichtswissenschaft, 204. Vgl. Fritz Ernst, Zeitgeschehen und Geschichtsbetrachtung, in: Welt als Geschichte 17, 1957, S. 137-189; Paul Kluke, Aufgaben und Methoden zeitgeschichtlicher Forschung, in: Europa-Archiv 10, 1955, S.

54 55

7429-7438. 57 Werner Conze, Das Ende des Proletariats, in: VfZ 4, 1956, S. 66.

A. Die Methodendiskussion als

Übergang

133

Rothfels konzipierte Conze die Zeitgeschichte als die „Geschichte des technisch-industriellen Zeitalters" und betonte dabei ausdrücklich die Notwendigkeit, „dessen Struktur in ihren Grundlagen, Bedingungen und Wandlungen zu erfassen". Damit schwebte ihm eine andere Methodik vor als diejenige, die für die „Geschichte vor der industriellen Revolution" gelte. Zur Bildung eines neuen methodischen Instrumentariums forderte Conze dabei eine intensive methodische und inhaltliche Verbindung mit den systematischen Wissenschaften, vor allem mit der Soziologie, die sich in seinen Augen eigentlich mit dem menschlichen Beziehungsgeflecht im Industriezeitalter beschäftige. Zeitgeschichtsforschung sollte also eine „Kontaktstelle zwischen den Disziplinen" sein.58 An der Diskussion der Zeitgeschichte läßt sich ablesen, daß für die Historiker der 50er Jahre die neue historische Methode ihrer eigenen historischen Erfahrung korrespondieren mußte. In einer als geschichtslos empfundenen Gegenwart machten die Historiker es sich zur Aufgabe, ihre Gegenwart „politisch", nicht jedoch tagespolitisch, aufzuhellen und damit kollektive Erinnerung zu stiften. Ihnen schien, daß das verlorengegangene Geschichtsbewußtsein nunmehr nur durch wissenschaftliche Arbeit rekonstruiert werden könne, die durch eine theoretisch „rationalisierte" Methode reguliert werden müsse. In diesem Sinne verlangte Hermann Heimpel, die „verlorenen unbewußten Bindungen durch bewußte Wissenschaft" zu ersetzen.59 Reinhard Wittram sagte ebenfalls in diesem Zusammenhang, daß an die Stelle der Tradition nun die Historie getreten sei.60 Die westdeutschen Historiker der 50er Jahre, die aus dem oben dargestellten Krisenbewußtsein zur Standortbestimmung ihrer Fachwissenschaft veranlaßt wurden, stimmten weitgehend darin überein, daß es notwendig sei, eine neue, theoretisch elaborierte Methode zu entwickeln, die eine „politische" Deutung ihrer Gegenwart zu begünstigen vermöge. Diese Prämisse wurde vertreten, obwohl die Meinungen auseinandergingen, ob dies die „Erneuerung" der überkommenen oder die Entwicklung einer ganz neuen Methodik erfordere. Mit dem Anspruch auf die politisch aufgeladene sowie theoretisch elaborierte Methode korrespondierte die Neigung der traditionskritischen Historiker jungkonservativer Provenienz, ihre modernitätskritischen, politisch aufgeladenen Theorien in historische Methodik umzusetzen. Diese Historiker brachten nun eine Methodendiskussion in Gang, die zu einem spezifischen Forschungsansatz führte. Diese Diskussion nahm ihren Ausgang von der Forderung, die historische Methode mit der sozialwissenschaftlichen zu verbinden, um die spe58

Conze, ebenda. Vgl. ders., Die Dokumentation der schichtlicher Methodik, in: GWU 5, 1954, S. 236-238. 59 Heimpel, Geschichte und Geschichtswissenschaft, 204. 60 Wittram, Das Interesse an der Geschichte, 95f.

Vertreibung.

Ein

Beispiel zeitge-

134

IV. Eine

neue

historische Methode

die



Strukturgeschichte

"

-

zifischen Strakturmerkmale der gegenwärtigen Epoche angemessen zu erfassen. Damit trat der Begriff der „Sozialgeschichte" als Sammelbegriff der wissenschaftlichen Innovation erneut in den Geschichtsdiskurs ein.

B. Die theoretische

Grundlegung der neuen Methode: die Strukturgeschichte als methodische Synthese 1. Die Diskussion

um

den Begriff,, Sozialgeschichte

"

Die Notwendigkeit einer methodischen Annäherung von Geschichtswissenschaft und Sozialwissenschaften war unter dem Eindruck des raschen Wandels der deutschen Gesellschaft von beiden Seiten schon früher erkannt worden. Die methodische Synthese war dabei praktisch durch das Zusammenspiel zwischen den fortschreitenden Sozialwissenschaften, der historischen Nationalökonomie und der Kulturgeschichte sowie später der Landesgeschichte vorgezeichnet. Von sehen der Historiker wurde diese Tendenz insgesamt unter der

Bezeichnung „Sozialgeschichte" gefaßt.61 Die deutsche Sozialgeschichtsforschung war damit keine Neuschöpfung der Nachkriegszeit. Der Begriff der „Sozialgeschichte" hatte sich in Deutschland als Sonderdisziplin etabliert, die mehr zur Soziologie und Nationalökonomie als zur Geschichtsschreibung hin tendierte und somit häufig als „Oppositionswissenschaft" (Hans Freyer) wahrgenommen wurde. Die Sozialgeschichte blieb nicht nur wegen der Begrenztheit ihres Gegenstandes, sondern auch wegen der Einengung ihrer Fragestellungen und des entsprechenden Fehlens einer eigenen Methodik lange „Sektorwissenschaft" und wurde daher lange mit dem Paarbegriff „Sozial- und Wirtschaftsgeschichte" benannt.62 Die Entwicklung der deutsche Sozialgeschichtsforschung hat sich durch die zweite Hälfte

des 19. Jahrhunderts hindurch bis in die Wilhelminische Zeit mit dem Aufbau eigener Zeitschriften und Institutionen langsam vollzogen.63 Zur Konjunktur dieser „Oppositionswissenschaft" hat dann ein brisanter Denkschub der Zwischenkriegszeit beigetragen, welcher im Vorhergehenden durch das Unbehagen an der Moderne charakterisiert wurde. Die im weitesten Sinne „völki-

61

Oestreich, Fachhistorie und Anfänge der sozialgeschichtlichen Forschung (wie

Anm.

36),

94.

Jürgen Kocka, Theorieprobleme der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Begriffe, Tendenzen und Funktionen in West und Ost, in: H.-U. Wehler (Hg.), Geschichte und Soziologie, Königstein, 1984, S. 306f. 63 Bedeutsam hierfür war vor allen Dingen die Entstehung der ZSWG (Zeitschrift für Sozialund Wirtschaftsgeschichte 1893) und der VSWG (Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 1903). Dazu Hermann Heimpel, Über Organisationsformen historischer Forschung in Deutschland, in: HZ 189, 1959, S. 139-222; Reinhard Sieder, Was heißt Sozialgeschichte? Brüche und Kontinuitäten in der Aneignung des ,Sozialen', in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1, 1990, S. 32f. 62

-

B. Die theoretische Grundlegung der neuen Methode

135

sehen" Fragestellungen der Landesgeschichte und die Kulturraumforschung der Zwischenkriegszeit hatten eine neue Sehweise der Gesellschaft vermittelt und damit interdisziplinäre Forschungsansätze ermöglicht, wodurch sozialgeschichtliche Forschung einen neuen Stellenwert in der deutschen Geschichtswissenschaft hatte erlangen können.64 Diese „Konjunktur" der Sozialgeschichte in der Zwischenkriegszeit wurde durch eine signifikante Enwicklung der Soziologie derselben Zeit begünstigt. Wie oben erwähnt, visierten die Vertreter der „deutschen Soziologie" mit stark antimodernistischem Impetus die Erfassung des „sozialen Ganzen" an. Die ganzheitliche Perspektive der Soziologie der Zwischenkriegszeit begünstigte die interne „Soziologisierung" geisteswissenschaftlicher Disziplinen; die soziologische Methode wurde in den benachbarten Disziplinen eingeführt, wie etwa in der Völkerkunde, der Anthropologie, der Bevölkerungswissenschaft, aber auch in der Rechts-, der Literatur- und schließlich in der Geschichtswissenschaft.65 So begannen Geschichtswissenschaft und Soziologie infolge der Übereinstimmung ihrer ideologisch geprägten Erkenntnisziele bereits in der Zwischenkriegszeit miteinander zu kooperieren. In dieser Grenzüberschreitung der beiden Disziplinen war Hans Freyer zweifellos das wichtigste Verbindungsglied. In der Zwischenkriegszeit hatte er in Leipzig mit seinem Kollegen Günther Ipsen ein Zentrum historisch interessierter, jungkonservativer Soziologie etabliert, dessen Leitvorstellung die Erforschung und der Dienst an der „Volkswerdung" bildete.66 In der Zeit, als Freyer als Direktor des erweiterten Lamprechtschen „Instituts für Kultur- und Universalgeschichte" im Rahmen seiner ganzheitstheoretischen, „völkischen" Ansätze die zukunftsweisende Kooperation zwischen Geschichte und Soziologie forderte, hat er die Verschiedenartigkeit ihrer Methoden und die Gemeinsamkeit ihrer Aufgaben theoretisch herauszuarbeiten versucht.67 In der Nachkriegszeit hat Freyer seine Thesen über das Verhältnis zwischen Geschichte und Soziologie ohne grundlegende Änderungen wiederholt. In seinem Referat auf dem deutschen Historikertag im September 1951 in Marburg machte er auf die historische Herkunft des Faches Soziologie aufmerksam und definierte damit dessen Grundzüge. Seiner Ansicht nach war die Soziologie ein Produkt der bürgerlichen Revolutionen des 19. Jahrhunderts und besaß aus diesem Grund als eigentliches Erkenntnisobjekt die vom Staat abgelöste neue 64

Siehe oben erstes Kapitel, Anm. 135. Otthein Rammstedt, Theorie und Empirie des Volksfeindes. Zur Entwicklung einer „deutschen Soziologie", in: Wissenschaft im Dritten Reich, hg. v. Peter Lundgreen, 1985, S. 255256. 66 Zum Leipziger Institut für Kultur- und Universalgeschichte siehe Helmut Schelsky, Zur Entstehungsgeschichte der bundesdeutschen Soziologie, in: ders., Rückblicke eines „Antisoziologen", Opladen 1981, S. 29f; Hans Linde, Soziologie in Leipzig 1925-1945, in: R. M. Lepsius (Hg.), Soziologie in Deutschland und Österreich 1918-1945. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Sonderheft 23, 1981, S. 102-131. 67 Hans Freyer, Dilthey und das Problem Geschichte und Soziologie, Kultur- und Universalgeschichte. Walter Goetz zu seinem 60. Geburtstage, Leipzig/Berlin 1927; ders., Gesellschaft und Geschichte. Stoffe und Gestalten der deutschen Geschichte, Leipzig 1937; ders., Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft. Grundlegung des Systems der Soziologie, Leipzig/Berlin 1930. 65

136

IV Eine

neue

historische Methode die

„Strukturgeschichte"

-

habe einen eigenen historischen Standort und richte sich demnach auf den Gegenstand aus, der ein Teil der geschichtlichen Wirklichkeit darstelle. Diese typisch „moderne" Wissenschaft besitze den Vorzug vor der traditionellen Geschichtswissenschaft, daß sie die Eigengesetzlichkeit des modernen gesellschaftliche Systems zu erfassen vermöge.68 Freyer hebt also das spezifische Erkenntnisvermögen der Soziologie hervor und gesteht ihr größere Spielräume zu, lehnt aber zugleich ihre Übersteigerung, eine Art „Soziologismus", kategorisch ab. Weil er die Soziologie selber als „historisches Gebilde" erfaßt, fordert er die Soziologen dazu auf, sich historische Denkweisen anzueignen. Die Geschichtswissenschaft habe das Verdienst, „konkrete Sachzusammenhänge" zu erforschen, womit die Historizität sozialer Zustände ins Blickfeld rücke. Zugleich ermögliche erst die Soziologie einem Historiker, sich dem eigengesetzlichen Prozeß der modernen Gesellschaft zu öffnen, wobei er aber keineswegs auf seine eigentlich „historische" Einsicht verzichten dürfe.69 Wie oben erläutert, stand Hans Freyer unter dem Eindruck des NS-Regimes dem „sozialen Ganzen" skeptisch gegenüber und distanzierte sich nach 1945 von seiner früheren ganzheitstheoretischen Perspektive. Aber gerade wegen dieses Positionswechsels erweiterte er die Geschichtsbezogenheit seiner Theorie. Dazu trag sein persönlich-öffentlicher Kontakt mit der historischen Zunft bei, was damit die westdeutsche Geschichtswissenschaft stark beeinflußte.70 Bei Theodor Schieder fand Freyers Analyse des Verhältnisses zwischen Geschichte und Soziologie Zustimmung. In seinem Koreferat zum erwähnten Vortrag Freyers von 1951 stellte er Nutzen und Nachteil der Soziologie für die Geschichtswissenschaft klar.71 Seiner Ansicht nach dient die Soziologie der Erkenntnis einer außerstaatlichen Ebene gesellschaftlicher Vorgänge. Er kritisiert dabei den überkommenen Antagonismus beider Disziplinen, der von Seiten der Historiker aus dem „historischen Pathos des Individuellen" sowie dem „politischen Pathos des Staates" begründet gewesen sei. Schieder lehnt aber im Anschluß an Freyer Übermaß an Soziologie ab. Problematisch sei zum einen die Übertragung moderner soziologischer Kategorien auf vormoderne Epochen und zum anderen ein soziologischer Determinismus, demzufolge alles geschichtliche Geschehen durch ökonomisch-gesellschaftliche Bedingtheiten zu erklären sei. Dieses zweite Problem bezeichnet Schieder als „Gefahr des übersteigerten Historismus", ohne diesen Begriff zu explizieren. Eine ähnliche Argumentation findet sich bei Werner Conze, der sich explizit auf genannten Vortrag Freyers bezieht.72 Conzes programmatischer Aufsatz des Jahres 1957, der eine „Strakturgeschichte des industriellen Zeitalters" fordert, ist inhaltlich stark durch Freyers Theorieansätze der Nachkriegszeit be-

bürgerliche Gesellschaft. Die Soziologie

68

69

Ders., Soziologie und Geschichtswissenschaft ( 1951 ), in: GWU 3, 1952, S. 14-20. Ebd., S. 16f. Vgl. ders., Das Soziale Ganze und die Freiheit des Einzelnen, 97f.

Siehe oben die Einleitung, Anm. 36. Theodor Schieder, Zum gegenwärtigen Verhältnis von Geschichte und Anm. 25), 14-20. 72 Conze, Die Stellung der Sozialgeschichte (wie Anm. 47), 650.

70 71

Soziologie (wie

B. Die theoretische

Grundlegung der neuen Methode

137

einflußt.73 Nach seinem Vorbild konzipiert Conze das gegenwärtige „technisch-industrielle Zeitalter" als ganz neue Epoche, und zwar als „neue ,offene' Weltgeschichte seit den Emanzipationen und Revolutionen", die zu Ende zu gehen noch gar nicht in der Lage ist.74 Aus diesem Geschichtsverständnis leitet er die Notwendigkeit einer methodischen Verbindung von Geschichte und Soziologie ab. Die moderne „industrielle Gesellschaft" sei die Folge der historisch beispiellosen Umwandlungsprozesse im ländlichen wie im frühindustriellen Bereich. Im Anschluß an den holländischen Kulturhistoriker Johan Huizinga spricht Conze von der „Formverwandlung der Geschichte". Im technisch-industriellen Zeitalter seien „die geschichtliche Größe, die personale Würde und die bildhafte Form im Unpersönlichen, Kollektiven und Wirtschaftsbestimmten aufzugehen im Begriff'.75 Conze scheint die faktische Anerkennung dieses gegenüber dem globalen Geschehenszusammenhang des technisch-industriellen Zeitalters unausweichlich. Er macht dabei auf die Bemerkung Huizingas aufmerksam, daß die objektive Formverwandlung der Geschichte zugleich eine „Formlosigkeit" der Historiographie herbeiführe. Conze zufolge hat in der traditionellen Geschichtsschreibung vor allem die große Persönlichkeit und die Staatsführung im Vordergrund gestanden. Wenn aber die Formverwandlung der Geschichte einen Vorrang der sozialen Mächte mit sich bringe, verliere das Individualitätstheorem an Bedeutung. Damit löse sich zwangsläufig die Historiographie im traditionellen Sinne auf.76 Conze fordert die Historiker dazu auf, der Formverwandlung der Geschichte voll Rechnung zu tragen und eine „Anpassung der historischen Methode an die moderne Weltepoche" anzuvisieren. Wichtig hierfür scheint ihm vor allem eine „Grenzverwischung zwischen Geschichtsschreibung und Soziologie". Die Soziologie besitze insofern großen Erkenntniswert für das Fach Geschichte, als sie stärker an überindividuellen, kollektiven Kräften als an individuellen Personen und singulären Handlungen orientiert sei. Soweit sie historisch fundiert sei, könne der Fachhistoriker von ihr profitieren.77 Von diesem Standpunkt aus akzeptiert Conze die quantifizierende Ansätze der Geschichtswissenschaft und zudem die Gemeinschaftsarbeit, und zwar mittels des „methodisch einwandfreien Gebrauches" der Statistik. Diese methodische Offenheit ermögliche präzisere Aussagen über die Strukturzusammenhänge der „modernen Welt".78 73

Schulze, Die Historiker und die historische Wirklichkeit, 183; ders., Der Wandel des All-

gemeinen, 210. 74 Conze, Die Strukturgeschichte des technisch-industriellen Zeitalters,

16.

Ebd., S. 6-7. 76 Ebd. Vgl. Schieder, Erneuerung des Geschichtsbewußtseins, in: ders., Staat und Gesellschaft, 202. 77 Conze, ebd., S. 18-19. Auch Fritz Wagner äußert sich zur „Formverwandlung der Ge-

75

schichte" und betont die Notwendigkeit der methodischen Verbindung von Geschichte und Soziologie: Moderne Geschichtsschreibung. Ausblick auf eine Philosophie der Geschichtswissenschaft, Berlin 1960, S. 111-112. Vgl. ders., Begegnung von Geschichte und Soziologie bei der Deutung der Gegenwart, in: HZ 1961, 192, S. 607-623. 78 Conze, ebd., S. 23f. Dies fand bei seinen Fachkollegen keine breite Zustimmung. Gerhard Ritter betrachtet z. B. die „planmäßige Zusammenarbeit ganzer Gruppe von Forschern und Hilfsarbeitern" als „eine Illusion". Seine folgende Aussage ist signifikant für das Selbstbe-

138

IV Eine neue historische Methode

die

,,

Strukturgeschichte

' '

-

Conze will jedoch das spezifische Erkenntnisvermögen der Geschichtswissenschaft nicht aufgeben. Er verurteilt eine zu starke Betonung des soziologischen Aspekts als „Automatismus" oder, in Anlehnung an Hans Freyer, als „Soziologismus". Mit Hinweis auf die Eigenart der Geschichtsschreibung Rankes und der zeitgenössischen Historiker spricht Conze dem historischen Denken die Fähigkeit zur „synthetischen" Erfassung zeitlichen Wandels zu. Die geschichtswissenschaftliche Auffassung der modernen Welt werde dadurch begünstigt, daß sie die Momente der Kontinuität und Diskontinuität gleichermaßen zu erfassen verstehe. Bei Conze stellt das „technischindustrielle Zeitalter" zwar ein geschichtliches Novum dar, ist aber dennoch nicht strikt von der „Geschichte des Pluralismus der selbständigen Geschichtseinheiten" zu trennen. Conze akzeptiert zwar Huizingas kritische Sicht der modernen Welt, aber nicht seine Schlußfolgerungen. In seinen Augen steht die einseitige „Annahme einer definierten Zwangsläufigkeit des Prozesses" der modernen Welt dem eigentlichen historischen Denken entgegen, reflektiert es doch nur eine „grausige Grunderfahrung", nämlich die „Erfahrung der Ohnmächtigkeit inmitten technischer Zusammenhänge". Ein tüchtiger Historiker solle in dieser Hinsicht die schöpferische Handlungsmächtigkeit des Menschen immer wieder ins Bewußtsein rücken, die auch in der modernen Welt nicht ganz verloren gehe: „Zwingende Strukturen legen den Menschen nicht nur fest, sondern fordern den sie verändernden und gestaltenden Menschen heraus."79 Conze versteht seine Gegenwart nicht allein als historischen Umbrach, sondern auch als „fruchtbaren historischen Moment", wo ebenso wie in der Ranke-Zeit Kontinuitäten von Diskontinuitäten überlagert seien, wodurch das historische Denken stimuliert werde. Die deutsche Geschichtswissenschaft könne erst dann eine neue Konjunktur erleben, wenn sie neben den Eigenarten des technisch-industriellen Zeitalters zugleich Faktoren der historischen Kontinuität bemerkbar mache; betone der Historiker tief verwurzelte geschichtliche Strukturen als Voraussetzung für das Verständnis der modernen Welt, so müsse er zugleich dem „Politischen" erneut Geltung verschaffen, das Brüche und Kontinuitäten geschichtlicher Strukturen entscheidend mitgestalte. Daher fordert nimmt Conze eine dringende „Aufhebung der falschen Begriffsunterscheidung zwischen Sozialgeschichte und politischer Geschichte". Zwar habe die Sozialgeschichte es mit der sozialen Struktur zu tun, trotzdem sei aber eine politikferne Sozialgeschichte, die sich auf die Darstellung technischwußtsein eines traditionsgebundenen Historikers: „Wahrhaft schöpferische Leistung des Historikers entsteht zuletzt immer nur in der Einsamkeit, im stillen und langen Sichversenken in einen Quellenstoff; das wohlorganisierte Teamwork kann über die bloße Sammlung und äußere Zubereitung gewisser Quellengruppen nicht hinausführen (...) Soll ich diese Bedenken auf eine kurze Formel bringen, so würde ich sagen, daß eine echte .Synthese', daß Geschichtsschreibung höheren Stils nicht durch bloßes fleißiges Sammeln und Zusammenstellen disparater kulturhistorischer Fakten entsteht so wenig wie politische Geschichtsschreibung höheren Stiles durch bloßes Sammeln von faits politiques. Historie höheren Stiles entsteht erst da (....), wo der gestaltlose historische Stoff zur lebendigen Gestalt geformt wird": Zur Problematik gegenwärtiger Geschichtsschreibung (wie Anm. 35), 259-260. 79 Conze, ebd., S. 17f. -

B. Die theoretische

Grundlegung der neuen Methode

139

industrieller Struktursysteme beschränkt, abzulehnen, sieht er doch die eigentliche Aufgabe der Sozialgeschichte darin, „die Strukturen in ihrer Kontinuität und Veränderung" ins Auge zu fassen.80 Dieses Konzept von Sozialgeschichte stellte er bereits 1952 in seinem kleinen Aufsatz »Die Stellung der Sozialgeschichte in Forschung und Unterricht« in Grundzügen vor. Hier befürwortet Conze eine enge Verbindung von Geschichtswissenschaft und Soziologie, hebt zugleich aber erneut das politische Handeln des Menschen als das „spezifische Geschichtliche" hervor. Soziale Erscheinungen seien ebenso wie die Staats- und Verfassungsgeschichte im Grunde politisch. Im Anschluß an Hans Freyer führt Conze dabei die überkommenen Trennungskategorien der „politischen Geschichte" und „Sozialund Wirtschaftsgeschichte" auf das geschichtliche Auseinanderfallen von Staat und Gesellschaft zurück. Laut Conze ruft diese für die Neuzeit spezifische Trennung der historischen Sektoren nicht nur das Problem der Spezialisierung hervor, sondern stellt auch „einen möglichen Ausdruck langfristiger strukturell bedingter Verfassungskrise" dar.81 Die Zurückweisung dieser typisch modernen Dichotomie führt zur methodischen Synthese. Wie Hans Freyer in der Nachkriegszeit trotz der Zurücknahme seiner früheren ganzheitstheoretischen Perspektiven weiter nach Möglichkeiten einer methodischen Synthese Ausschau hält, postuliert Conze gleichfalls, „die Sozialgeschichte zur politischen Geschichte zu erheben und sie aus ihrer Isolierung herauszuführen."82 Hierin zeichnet sich deutlich die Transformation außerfachlicher Modernitätskritik in historische Methodik ab. Conzes Verständnis von Sozialgeschichte wird deutlicher, wenn man es mit gegensätzlichen Positionen vergleicht, z. B. mit der Hans Proeslers. Die Konzeption dieses linksorientierten Sozialwissenschaftlers zeichnet sich durch die Betonung der „Selbständigkeit" der Sozialgeschichte aus. Proesler konzipiert sie als einen der Wirtschaftsgeschichte übergeordneten Oberbegriff und grenzt sie in ihren Erkenntnisabsichten und Methoden von benachbarten Disziplinen wie Geschichtsphilosophie, Geschichtssoziologie und Wissenssoziologie exakt ab. Seiner Ansicht nach müsse der Schwerpunkt der Sozialgeschichte in der Erforschung der unteren gesellschaftlichen Schichten liegen.83 Als Hauptgegner der so konzipierten Sozialgeschichte versteht er die politische Machtgeschichte, die er als „politisch-heroische" Geschichtsbetrachtung brandmarkt, die mit der Verherrlichung des Machtstaates den „Militarismus" und „Imperialismus" quasiwissenschaftlich rechtfertige. Proesler sieht im Staat eine bloße „Veranstaltung der äußeren Macht" und hebt dagegen die soziale Gesellung als „Ausdruck der inneren Ordnung" hervor. In diesem Zusammenhang proklamiert er einen „Emanzipationskampf' der Sozialgeschichte gegenüber der

Ebd. An anderer Stelle lehnt Conze die Auffassung der Sozialgeschichte als „Beschreieiner vom Politischen abstrahierten Gesellschaft" kategorisch ab: Vorwort zu Wolfgang Köllmanns »Sozialgeschichte der Stadt Barmen im 19. Jahrhundert « (Tübingen 1960). 81 Ders., Die Stellung der Sozialgeschichte in Forschung und Unterricht, 649f, 654. 82 Ebd., S. 653. 83 Hans Proesler, Sozialgeschichte, in: Handwörterbuch der Sozialwissenschaft 9, 1956, S. 447-455.

80

bung

140

IV. Eine neue historische Methode

die



Strukturgeschichte

"

-

„politisch-heroischen" Geschichtsschreibung.84 Obwohl er selbst als überzeugter Linker die Bedeutung der Politik- und Staatengeschichte für die Bestimmung jeweiliger sozio-ökonomischer Zustände nicht ignorieren kann und zudem auffälligerweise bereit ist, kulturgeschichtliche Aspekte in die Sozialgeschichtsforschung einzubeziehen,85 will er dennoch die Behandlung der „Sozialität" der Sozialgeschichte vorbehalten. Diese stelle dabei nicht mehr als einen Teilbereich der allgemeinen Geschichte dar, weil sie ausschließlich an der modernen Massenerscheinung, den sozialen Entwicklungsprozessen der

Volksmassen orientiert sei.86 Conze wendet sich gegen Proeslers „falsch verstandene oder gar mit einem Ressentiment gegen Politik und Staat behaftete Sozialgeschichte". In dieser sieht er das genaue Gegenteil seiner Konzeption der Sozialgeschichte. Gegen einen derartigen „geschichtsfremden Soziologismus", aber auch gegen einen „theoriefernen Geschichtspositivismus" konzipiert Conze die Sozialgeschichte als methodische Synthese, die die Trennungskategorien der historischen Sektoren zu überwinden habe.87 Dieses Verständnis der Sozialgeschichte ist dem Otto Branners nahe verwandt. Dieser charakterisiert schon Ende der 40er Jahre die Sozialgeschichte durch die Aufgabe einer „Darstellung der inneren Struktur historischer Gebilde".88 Im Unterschied zur herkömmlichen politischen Geschichte hat die Sozialgeschichte im Sinne Branners die Erkenntnis struktureller Prozesse zum Ziel, um die Menschen in ihrer „Vergesellschaftung" zu betrachten.89 Es ist historiographiegeschichtlich relevant, daß Branner die „Struktur" als zentralen Begriff der Sozialgeschichte hervorhebt. Dabei sei die Sozialgeschichte nicht in erster Linie durch ihren Gegenstand definiert; Brunner begreift sie vielmehr als allgemeine Betrachtungsweise, in der „das eine Mal der innere Bau, die Struktur der menschlichen Verbände, das andere Mal ihr politisches Handeln, ihre Selbstbehauptung im Vordergrund steht".90 Branners erweiterter Begriff der Sozialgeschichte beruht auf demselben Geschichtsverständnis, das auch Werner Conze und Hans Freyer vertreten, bei dem das Ausgesetztsein des modernen Menschen gegenüber „sekundären Systemen", den ihm anonym gegenübertretenden und ihn bedingenden funktionalistischen Apparaturen, im Mittelpunkt steht. Der philosophisch ausgerich-

84 85

Ders, Hauptprobleme der Sozialgeschichte, Erlangen 1951, S. 17f. Ebenda, S. 38f. Proeslers Ansicht nach steht die Kulturgeschichte der Sozialgeschichte

viel näher als der politischen Machtgeschichte, weil die ersten beiden in ihrem Interesse am sozial-historischen Phänomen der Anonymität eine Gemeinsamkeit haben. Proesler verlangt daher, „die Geschichte der Sprachen, Kulte, Sitten, Technik" ins Zentrum der Sozialgeschichtsforschung zu rücken. (S. 35f) 86 Ebenda, S. 45f. 87 Conze, Die Stellung der Sozialgeschichte in Forschung und Unterricht, 652. 88 Brunner, Sozialgeschichtliche Forschungsaufgaben, 335. Diese leitende Erweiterung der Sozialgeschichte um die „Darstellung der inneren Struktur historischer Gebilde" wurde von Conze übernommen: Conze, Die Stellung der Sozialgeschichte, 655. 89 Otto Brunner, Das Problem einer europäischen Sozialgeschichte (1953), in: HZ 177, 1954, S. 469f. 90 Ebenda, S. 471.

B. Die theoretische Grundlegung der neuen Methode

141

Soziologe wie auch der Neuzeithistoriker und der Mediävist stimmen darin überein, daß die gesellschaftlichen Strukturen im Hintergrund jeglichen historischen Geschehens wirken und damit als Grundlage für das Individuelle und das Singuläre anzusehen sind. Unter dem Aspekt der „Formverwandlung der Geschichte" wenden sie sich dem „Sozialen" als einer Grundkategorie der Geschichte zu und begründen damit die Sozialgeschichte als heuristisches

tete

Prinzip gesamtgeschichtlicher Deutung.91 So rückte in den 50er Jahren der prozeßhafte Wandel

der gesellschaftlichen Strukturen ins Zentrum des Geschichtsinteresses, wobei die Übernahme sozialwissenschaftlicher Methoden in die Geschichtswissenschaft weitgehend als legitim angesehen wurde. Brunner zufolge ist zwar die Sozialgeschichte ihrem Bau nach vom Politischen her bestimmt, dabei stellt aber die politische Sicht des Faches Geschichte nicht den einzigen, sondern „einen möglichen Aspekt neben anderen" dar.92 Demzufolge betont Brunner früher als Conze die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen.93 Im Begriff der Sozialgeschichte äußerte sich das Interesse der damaligen Historiker an einer synthetischen Verbindung von sozialer und politischer Geschichte. Um die neu konzipierte Sozialgeschichte von der „allzu sektorenhaft und unpolitisch aufgefaßten", oder der überkommenen, „durch allzu enge Abgrenzung stets gefährdeten Sozialgeschichte" zu unterscheiden, bringt Werner Conze im genannten Aufsatz des Jahres 1952 erstmals den Begriff der „Strukturgeschichte" in die Methodendiskussion ein. Für ihn bedeutet dieser in Deutschland völlig neue Begriff „die Erweiterung und die schärfere Präzisierung" des Begriffs der Sozialgeschichte. Dabei setzt er den Begriff der Strukturgeschichte mit dem der Sozialgeschichte im erweiterten Sinne gleich.94 Wenn der Conzesche Begriff der Strukturgeschichte Aufschlüsse über das neue Verständnis der Sozialgeschichte geben kann, so ist die Kritik an diesem Konzept gleichermaßen aufschlußreich. In einer Besprechung der programmatischen Schrift Conzes macht Ludwig Beutin, ein Sozial- und Wirtschaftshistoriker, auf die im Konzept der Strukturgeschichte beschlossen liegende Gefahr aufmerksam, unter dem „einzigen" Aspekt der Struktur die lebendige Vielfalt des menschlichen Tuns und Wirkens in ein abstraktes Schema einzuzwängen. Obgleich er die Struktur als mögliches heuristisches Prinzip anerkennt, ist sie in seinen Augen nicht mehr als „eine formale Kategorie". Die Struktur vermag selber keine Geschichte zu schaffen, „deren Träger (vielSchulze, Der Wandel des Allgemeinen; Sieder, Was heißt Sozialgeschichte? (wie Anm. 63); Lutz Raphael, Die Verwissenschaftlichung des Sozialen als methodische und konzeptionelle Herausforderung für eine Sozialgeschichte des 20. Jahrhundert, in: GG 22, 1996, S. 91

165-193.

Brunner, Das Fach „Geschichte" und die historischen Wissenschaften, 20. Ders., Abendländisches Geschichtsdenken, 44. 94 Conze, Die Stellung der Sozialgeschichte, 656. Der Begriff der Strukturgeschichte wurde zumindest im Wortlaut von Fernand Braudels Begriff „histoire structurelle" beeinflußt. Con92 93

erwähnt Braudels Standardwerk »Mittelmeer«. Seiner Ansicht nach zeichnet sich dieses bedeutsame Werk dadurch aus, „methodisch die Richtung für das Überwinden der ,Sektorengrenzen' in der Geschichtswissenschaft zu weisen". Conze macht dabei auf Braudels Betrachtung der „Geschichte der Strukturen" aufmerksam. (S. 656) ze

142

IV Eine neue historische Methode die

„Strukturgeschichte

"

-

mehr) die Gesellschaften sind, (die) jeweils ihre besondere eigene Struktur in sich tragen". Bei Beutin ist also die Geschichte mit der Struktur nicht dekkungsgleich, sondern hat vielmehr mit dem „Menschen" oder seinem sozialen Leben zu tun, und die Struktur ist unter diesem Gesichtspunkt zu verschiedenen Zeitquerschnitten verschiedenartig aufzufassen.95 Trotz seines Mißverständnisses der Conzeschen Strakturgeschichte, in der die Struktur keineswegs die einzig relevante Kategorie darstellt, teilt Beutin mit Conze ein analoges Verständnis der Sozialgeschichte. Beutin konzipiert diese zwar als eine Sonderdisziplin, als „die Geschichte der gesellschaftlichen Gebilde", erfaßt sie aber zugleich im erweiterten Sinne als neue historische Betrachtungsweise, in der das „Soziale" als „eine eigene Daseinskategorie" in den Vordergrund rückt. Beutin zufolge schließt nämlich die Sozialgeschichte

nicht nur den Bereich der Wirtschaft, sondern auch den des Staats, aber auch des Kulturellen, ein, obwohl sie diesen Bereichen nicht deckungsgleich ist.96 Beutin klärt dabei das Verhältnis der Sozialgeschichte zur Soziologie. Seiner Ansicht nach entstammt zwar der Begriff der ersteren dem der zweiten, zielt jedoch nicht einfach darauf ab, Begriffe der zweiten empirisch zu verifizieren. Die Sozialgeschichte teile vielmehr mit der allgemeinen Geschichte das Erkenntnisziel, „das Werden und Sein einzelner historischer Individualitäten (zu) erforschen".97 So führte die Methodendiskussion um die „Sozialgeschichte" zum Postulat einer synthetischen Verbindung zwischen der individualisierenden und der generalisierenden Betrachtungsweise. Signifikant hierfür war der erneuerte Typenbegriff. In den 50er Jahren stieß der „Idealtypus" als „ein ganz legitimes Verfahren der historischen Forschung" auf breite Akzeptanz.98 Theodor Schieder stellt fest, daß die Anschauung von Individualität durch Typen nicht bedrängt, sondern „mitbestimmt" wird; der Typus bedeute keineswegs die Ersetzung der individualisierenden Methode durch eine generalisierende, sondern vielmehr „die höhere Erscheinungsform vergleichbarer und nicht unvergleichlicher geschichtlicher Indiviualitäten". Der Typus in seinem Sinne ist nämlich bedingt durch den jeweiligen Kontext in Zeit und Raum.99 Er biete den Historikern den methodischen Vorteil, durch individualisierende Verglei-

-

stützt sich Beutin auf den Strukturbegriff Alfred seinen Begriff des „Strukturverlaufs", den Beutin als Stmkturlehre der Geschichte bezeichnet. Er zitiert aus Webers »Geschichts- und Kultursoziologie« (Stuttgart

95

In: VSWG

Webers, und

45, 1958, S. 275-277. Hier

zwar

1955). 96

Ludwig Beutin, Einführung in die Wirtschaftsgeschichte, Köln/Graz 1958, S. 67f

Ebenda, S. 72. Schieder, Der Typus in der Geschichtswissenschaft (1952), in: ders., Staat und Gesellschaft, 179. Auch Gerhard Ritter hat in seinem Eröffhungsvortrag des deutschen Historikertages in München 1949 unter Berücksichtigung der sozialwissenschaftlichen Methode das „Typische" als heuristisches Hilfsmittel der Geschichtswissenschaft anerkannt: Gegenwärtige Lage Zukunftsaufgaben, 297. 99 Schieder, ebd., S. 172; ders., Strukturen und Persönlichkeiten in der Geschichte, in: HZ 195, 1962, S. 177. Vgl. Brunner, Das Problem einer europäischen Sozialgeschichte (wie Anm. 89), 475f.

97

98

B. Die theoretische Grundlegung der neuen Methode

143

ehe zu „historischen Begriffen von genereller Reichweite" zu gelangen.100 Schieder bezieht sich auf Bestrebungen Max Webers und Otto Hintzes, Idealtypen zur Analyse der historischen Prozesse herauszuziehen.101 Karl Dietrich Erdmann betont viel prononcierter die individualisierenden Züge der Typik. Laut Erdmann ist die „Typenbildung" „ein in der historischen Begriffswelt notwendiger Erkenntnisvorgang", weil das Maß der Individualität einer Erscheinung durch ihre Verflechtung ins Typische zu bestimmen ist. Aufgrund dieser erkenntnistheoretischen Verbindung der Typen mit der Kategorie der Individualität gelangt er zu der Feststellung, daß nicht der Typus an sich, sondern der erstarrte Typus zum Schema werde. Interessanterweise vertritt er dabei im Anschluß an Arnold Toynbees These der universalgeschichtlich vorhandenen Tendenz kultureller Leistungen zur Erstarrung die Ansicht, daß dort, wo sich das Individuelle in einer kollektiven Existenz auflöst, auch das Typische verschwindet: „In der Masse gibt es keine „Typen" mehr."102 Die Betonung individualisierender Züge des Typusbegriffs finden sich auch bei Werner Conze, der die „Strukturgeschichte" vor die Aufgabe stellt, das überlieferte Individualitätsprinzip aufzuheben und stattdessen im universalgeschichtlichen Vergleich typische Verläufe festzustellen.103 Für Conze bedeutet 100

Schieder, Zum gegenwärtigen Verhältnis von Geschichte und Soziologie (wie Anm. 25),

29-30.

101 Ders., Strukturen (wie Anm. 99), 176f, behauptet, daß Webers Idealtypus „nirgends eine Sprengung historischer Denkformen" ist. Seiner Ansicht nach löst sich Webers Erkenntnisgegenstand nicht von der geschichtlichen Zeit; somit verliere sein Idealtypus keineswegs an Wirklichkeitscharakter. Schieder faßt dabei unter dem negativen Begriff „Kryptotypen" alle Bemühungen, einen abstrakten Begriff undifferenziert auf verschiedene Epochen und Kulturen anzuwenden. Dabei unterzieht er „die Anwendung falscher soziologischer Analogien" einer Kritik und hebt den Typus als historisches Hilfsmittel hervor. (S. 178-179) Was er von Weber übernehmen will, ist in erster Linie die vergleichende Geschichtsbetrachtung. Schieder wendet sich in den 50er Jahren typologisierende Mischungs- und Begegnungsformen

abendländischer Zivilisations- und Gesellschaftsformen mit nicht abendländischen zu. Bezeichnenderweise schlägt er dabei einen historischen Vergleich mit Japan vor: Erneuerung des Geschichtsbewußtseins, 200-201. Ganz ähnlich macht Fritz Wagner in seiner »Geschichtswissenschaft« auf die Geschichtstheorie von Hintze und Weber aufmerksam. Hintze behandelt er auffälligerweise in einem Kapitel über die „Kulturmorphologie". Hier stellt Wagner Hintzes Karl Lamprecht-Rezeption in den Mittelpunkt: Geschichtswissenschaft, 299-302. Dabei hebt Wagner bei Weber den Versuch hervor, einzelmenschliches Verhalten im Wandel zu erfassen. Wagner zufolge zielt die vergleichende Methode dieses „Universalhistorikers" anders als die soziologische oder geschichtsphilosophische Konstruktion nicht auf historische Gesetze hin. Webers Idealtypus gilt, so Wagner, nur als methodisches Hilfsmittel. Es ist bemerkenswert, daß Wagner Weber in die deutsche Tradition des Historismus einreiht. (S. 363-377) Eine breitere Weber-Rezeption durch die Geschichtswissenschaft kam erst im Max-Weber-Jahr 1964 zustande. Siehe Karl Bosl, Der „Soziologische Aspekt" in der Geschichte. Wertfreie Geschichtswissenschaft und Idealtypus, in: HZ 201, 1965, S. 613-630; Alfred Heuß, Max Webers Bedeutung für die Geschichte des griechisch-römischen Altertums, in: HZ 201, 1965, S. 529-556; W. J. Mommsen, Universalgeschichtliches und politisches Denken bei Max Weber, in: HZ 201, 1965, S. 557-612. 102 K. D. Erdmann, Toynbee- eine Zwischenbilanz, in: Archiv für Kulturgeschichte 23, 1951, S. 242. 103 Conze, Die Strukturgeschichte des technisch-industriellen Zeitalters, 17. Die Typik stand in diesen Jahren im Zusammenhang mit einer historischen Komparatistik. Reinhard Wittram etwa versucht den Typus auf der Grundlage einer vergleichenden Methode aufzubauen, die

IV Eine neue historische Methode die

144

„Struktwgeschichte

"

-

die Hinwendung zu typisch wiederkehrenden Erscheinungen und Vorgängen aber keine Negation historischer Einmaligkeit. Diese könne vielmehr durch die Verbindung typologisierender und individualisierender Methoden besser ermittelt werden. Seine Berufung auf das Typische beruht in dieser Hinsicht nicht auf einer quantitativen, sondern einer qualitativen Auffassung der Geschichte. Die Typik erweist sich in diesem Zusammenhang als eine Erweiterung der „erprobten historisch kritischen Methode".104 Das neue Interesse an der Typik und am universalgeschichtlichen Vergleich hing zweifelsohne mit ihrer Sicht der „Formverwandlung der Geschichte" zusammen. Für Theodor Schieder erschien die Ersetzung des traditionellen Individualitätsprinzips durch die Untersuchung typischen Abläufer des Geschichtsprozesses darum notwendig, weil die jüngste deutsche Geschichte nicht mehr aus dem Ablauf der einmaligen, singulären geschichtlichen Entwicklung allein zu begreifen zu sein schien. Der Vergleich der deutschen oder abendländischen Kulturen mit anderen Kultur und damit die Herausarbeitung typischer Züge des geschichtlichen Lebens sollte dazu dienen, angesichts der neuen geschichtlichen Rahmenbedingungen ein genaueres Bewußtsein der

eigenen Lage zu gewinnen.105

Die Debatte der Historiker um Sozialgeschichte bzw. Strakturgeschichte kann ganz allgemein durch ihre Wahrnehmung der „Moderne" und ihre Reaktion darauf charakterisiert werden. Zum Einwand gegen die oben ausgeführten Probleme der Moderne, die sowohl für Geschichte als auch für Geschichtswissenschaft galten, beriefen sie sich nicht auf eine leicht ideologisierbare „Ganzheitstheorie", sondern vielmehr auf die methodische Verbindung von Geschichte und Soziologie. Obwohl sie in engstem Kontakt mit der Soziologie bzw. den Sozialwissenschaften die Aufarbeitung struktureller Prozesse leisten, sahen sie in der Geschichte doch kein System völliger sozialer Determiniertheit, sondern eine ständige Auseinandersetzung zwischen persönlicher Entscheidung und allgemeiner Notwendigkeit. Unter diesem Aspekt gelangten sie

Unterscheidungen und gerade schärfere Herausarbeitung der Andersartigkeit begünstigen sollte. Für ihn zielt der Typus keineswegs auf einen abstrakt konstruierten „Durchschnitt", sondern vielmehr auf die für die Geschichte eigentümliche „Anschauung" ab. Er macht dabei ebenso wie Schieder auf den Typenbegriff Max Webers und Otto Hintzes, aber auch Leopold von Wieses, aufmerksam: Wittram, Das Interesse an der Geschichte, 46-58. genauere

104 Conze, ebd., S. 19. Die methodische Revision der 50er Jahre sollte laut Conze letztlich „keinesfalls den Kern des Sinns und der Methode unseres Faches angreifen". (S. 21) Seine Besprechung von Papens Memoiren ist signifikant für seinen Typusbegriff. Conze hält den adeligen Offizier Franz von Papen vor 1918 für einen „typischen Vertreter der politischen adligen Führungsschicht" des wilhelminischen Deutschlands. Er sei typisch in seiner sozialen Einordnung, Lebensgefühl, Urteilsweise, also in allen Hinsichten, die sich als Ausdruck eines Gruppenschicksals verstehen lassen. Conze hält auch Papens späteres Verhalten für gruppentypisch, so daß seine politische Ideologie und seine politischen Handeln "prototypisch für das Verhalten der noch vor 1914 geprägten konservativen Kräfte" stehen. Conze sieht aber in Papen keinesfalls einen „typischen Edelmann" oder „typisch konservativen Politiker", sondern eben nur den Repräsentanten einer bestimmten, auf vielfältige Weise geprägten, geschichtlich singulären Schicht: Papens Memoiren, in: HZ 175, 1953, S. 307-

317. 105

Schieder, Der Typus in der Geschichtswissenschaft (wie Anm. 98),

177.

B. Die theoretische Grundlegung der neuen Methode

145

einem elaborierten Typenbegriff. In der Typik sahen sie die Möglichkeit einer methodisch aufgebauten, „rational" nachprüfbaren Synthese, die „Synthese strukturierender Betrachtung" (Werner Conze). Für die deutschen Strukturhistoriker standen also die strukturgeschichtliche und die ereignisgeschichtliche Anschauung der Geschichte nicht in einem unüberwindbaren methodischen Gegensatz, sondern bildeten ein Verhältnis gegenseitiger Aufzu

hellung.

2. Die Eigenart der deutschen Strukturgeschichte: ein Vergleich mit den „Annales" Werner Conzes Konzeption der Strukturgeschichte lag bekanntlich dem „Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte" zugrunde, der seit 1957 unter der Leitung Conzes „die Strukturgeschichte der industriellen Gesellschaft" zu erforschen sich vornahm.106 In Anbindung an das neu gegründete >Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte< der Universität Heidelberg legten die Historiker dieses Arbeitskreises eine Reihe innovativer Forschungsprojekte vor, die, wie Conzes Rückblick zeigt, zum größten Teil nicht in kurzer Zeit verwirklicht wurden.107 Es ist nicht abwegig, den „Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte" als ein „innovatives Minderheitenphänomen" zu bezeichnen,108 sofern an ihm eingangs nur eine kleine Zahl etablierter Historiker und Soziologen Werner Conze, Otto Brunner, Theodor Schieder, Wilhelm Treue, Ludwig Beutin, Günther Ipsen, Karl Jantke109- und daneben einige Historiker der Nachwuchsgeneration wie Reinhart Koselleck, Wolfgang Köllmann, Wolfram Fischer und Wolfgang Zorn beteiligt waren. Die meisten Forschungsergebnisse konnten erst in den 60er- und bzw. 70er Jahren vorgelegt werden.110 Trotzdem darf -

106 Werner Conze, Die Gründung des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte, in: Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 24, 1979, S. 23-32; Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 254f; ders., Probleme der institu-

tionellen Neuordnung der Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland in den 50er Jahren, in: Wolfgang Prinz u. a. (Hg.), Die sogenannten Geisteswissenschaften: Innensicht, Frankfurt a. M. 1990, S. 27-55; aus der DDR: K. Irmschler, Zur Genesis des theoretisch-methodologischen Konzepts von Sozial, Struktur- und Gesellschaftsgeschichte in der bürgerlichen Historiographie der BRD, in: Jahrbuch für Geschichte 25, 1981, S. 341-376. 107 Werner Conze, Der Weg zur Sozialgeschichte nach 1945, in: Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Beispiele, Kritik, Vorträge. Im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft, hg. v. Christoph Schneider, Weinheim 1983, S. 74. 108 Jürgen Kocka, Werner Conze und die Sozialgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland, in: GWU 37, 1986, S. 596; ders., Sozialgeschichte zwischen Strukturgeschichte und Erfahrungsgeschichte, in: W. Schieder, V. Seilin (Hg.), Sozialgeschichte in Deutschland I, Göttingen 1986, S. 67-88; Georg Iggers, Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart, München 1971, S. 351f. 109 Conze, Die Gründung des Arbeitskreises (wie Anm. 106), 27f. 110 Die Forschungsergebnisse wurden zumeist in der vom Arbeitskreis herausgegebenen Reihe „Industrielle Welt" veröffentlicht. Der erste Band erschien 1962 unter dem Titel »Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815-1848«. Die eingehende Analyse dieses Bandes wird im vierten Kapitel vorgenommen.

146

IV. Eine neue historische Methode

die

„Strukturgeschichte

"

-

die historiographiegeschichtliche Bedeutung dieses Historikerkreises nicht unterschätzt werden, da er weit über die spezialisierte Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, aber auch über die traditionelle Geistes- und politische Geschichte hinaus das Programm umfassender Strukturanalysen in praktische Forschung umsetzte.111 Unabhängig von der Frage nach dem Erfolg stellt dieses Phänomen eine bedeutende Innovation für deutsche Geschichtswissenschaft dar. Dabei soll die Frage angeschnitten werden, woher eigentlich das Konzept der Strakturgeschichte kam. War sie Conzes originäre Schöpfung in den späten 50er Jahren? Oder lehnte er sich vielmehr an ein bereits vorhandenes Konzept an? Es erscheint unwahrscheinlich, daß Conze unabhängig von irgendwelchen Einflüssen zu seinem Begriff der Strakturgeschichte gelangen konnte, da er sich schon in seiner theoretischen Überprüfung der Sozialgeschichte in den frühen 50er Jahren nachdrücklich positiv über Fernand Braudels „Geschichte der Strukturen" geäußert hatte.112 War also, so lautet die nächste Frage, Conzes Konzept eine bloße „Übersetzung" der französischen „Histoire des structures" oder eine leicht modifizierte „histoire structurelle"?113 Dies ist insofern sehr wahrscheinlich, als das Programm der Conzeschen Strakturgeschichte mit dem der Annales-Schule in mancherlei Hinsicht übereinstimmte. Wie diese ging die Strakturgeschichte aus einem allgemeinen, epochengebundenen, und speziellen, wissenschaftlichen Krisenbewußtsein der Geschichtswissenschaft hervor.114 Die Historiker der Annales-Schule sagten wie später die deutschen Historiker der Aufspaltung der Geschichtswissenschaft in ihre nach fragwürdigen „Epochen" und Perspektiven getrennten Fachrichtungen der sogenannten „Faktenhistorie" (Histoire des faits) den Kampf an und suchten eine historische „Synthese" zu entwickeln.115 Dafür sollten sich die Historiker von ihrem eurozentrischen Geschichtsbild abwenden und sich der Universalgeschichte öffnen, wobei die Geschichte als „Kulturgeschichte" verschiedener Zivilisationen in ihrer Einheit erfaßt werden sollte.116 Diese Übereinstimmung in den geschichtswissenschaftlichen Problemstellungen auf deutscher wie französischer Seite erstreckt sich bis in die vorgeschlagenen Lösungsmöglichkeiten. Als Resultat intensiver methodologi-

-

Conze, Die Gründung des Arbeitskreises, 28f. Siehe oben Anm. 94; Werner Conze, Rezension zu Fernand Braudel, La Méditerranée le Monde a l'Epoche de Philippe II, in: HZ 172, 1951, S. 358-362.. 1''

112

et

113 Dieter Groh sieht die Strukturgeschichte Conzes als eine „unglückliche Übersetzung" des Braudelschen Begriffs an: Strukturgeschichte als „totale" Geschichte? in: VSWG 58, S. 289322. Zur Chronologie der Annales-Rezeption siehe Michael Erbe, Zur neueren französischen Sozialgeschichtsforschung, Darmstadt 1979; ders., Zur Rezeption der Annales-Historie in der Bundesrepublik, in: Lendemains 6, 1981, Nr. 24, S. 68-76; Peter Schöttler, Zur Geschichte der Annales-Rezeption in Deutschland (West), in: Matthias Middell/ Steffen Sammler (Hg.), Alles Gewordene hat Geschichte. Die Schule der Annales in ihren Texten 1929-1992, Leipzig 1994, S. 40-60. 114 Lucien Febvre, Sur Einstein et sur l'histoire. Méditation de circonstance, in: Annales. Economies. Sociétés. Civilisations (AESC) 10, 1955, S. 305f. 115 Siehe Marc Blochs Kongresssbericht, in: Annales, d'histoire économique et sociale 1, 1929, S. 73. 116 Lucien Febvre, Sur une forme d'histoire qui n'est pas la notre, in: AESC 3, 1948, S. 23.

B. Die theoretische Grundlegung der neuen Methode

147

Überlegungen gelangten die Historiker der Annales-Schule zu der Konzeption, neben den Ereignissen bzw. den großen Individuen den als einzelnen gar nicht greifbaren und in seiner Anonymität wissenschaftlich schwer faßbaren Menschen zum neuen Mittelpunkt der Geschichte zu machen.117 Hierfür scher

beriefen sie sich auf eine methodische Synthese von Geschichte und Sozialwissenschaft. Wie sich Conze auf Hans Freyer berief, so sprach sich Fernand Braudel im Anschluß an einen der führenden französischen Soziologen, Georges Gurvitch, für die Zusammenarbeit zwischen beiden Disziplinen aus.118 Braudel formuliert in einem Aufsatz im ersten Band der umbenannten »Annales. Economies. Sociétés. Civilisations« die Grundlagen seines methodolo-

gischen Konzepts.119 Braudel exponiert einen eigenartig gefaßten Zeitbegriff. Nach seiner Ansicht hatte es die althergebrachte Ereignisgeschichte bloß mit „kurzen Zeitabläufen", mit „Mikro-Zeit", zu tun, wohingegen sich seine neu konzipierte Geschichte mehr mit den „langen Zeitabläufen", der „longe durée" befaßt und insofern mit den Sozialwissenschaften ein gemeinsames Erkenntnisziel teilt. Sein spezifischer Zeitbegriff ist dabei eng mit einem anderen Kernbegriff seiner Geschichtstheorie verknüpft, dem Begriff der „Struktur". Darunter versteht Braudel ein jedem einzelnen Geschehen zugrunde liegendes, soziales Ordnungsgefüge, die „Realität, die von der Zeit wenig abgenutzt und fortbewegt wird". Im Theoriegebäude Braudels erweist sich der Begriff der „Struktur" als die geschichtliche Verkörperung der „durée" in ihren verschiedenen Ausma-

ßen. Die Struktur ist kein von der traditionellen historischen Methode erfaßbarer handfester Gegenstand, sondern kann nur durch einen elaborierten methodischen Zugriff, wie etwa durch „Modelle" oder „soziale Mathematik", „rekonstruiert" werden. Seine Begriffe der „longue durée" und der „Struktur" schaffen dabei die Grundlage für eine methodische Verbindung von Geschichte und Sozialwissenschaften und damit für ein Konzept der „Strukturgeschichte", durch das Braudel das Soziale in seiner „Ganzheit", in seiner „Totalität" zu erfassen beansprucht. Braudels theoretisches Konzept ist insofern dem Conzeschen verwandt, als der Begriff der Struktur eine neue Sicht des „Sozialen" darstellt und eine Zusammenarbeit der Geschichte mit den Sozialwissenschaften begünstigt. Jedoch ist es fraglich, ob Braudels Zeitbegriff und sein damit einhergehender Anspruch auf die Erkenntnis einer geschichtlichen „Totalität" der geschichtlichen Lucien Febvre konzipiert z. B. die Geschichte als Wissenschaft vom Menschen: Face au Manifeste des annales nouvelles, in: AESC 1, 1946, S. If; ders., Ein Historiker prüft sein Gewissen (Examen de conscience d'une histoire et d'un histoiren). Antrittsvorlesung am Collège de France 1933, in: Combats pour l'histoire, Paris 1953/ hier in: Lucien Febvre. Das Gewissen des Historikers, Berlin 1988, S. 9-22, hier S. 17. 118 Siehe Braudels Rezensionsessay zur Soziologie Gurvitchs, La discontinuité du social, in: AESC 8, 1953, S. 347-361. Zu Braudels theoretischen Ansätzen der 50er und 60er Jahre siehe Lutz Raphael, Die Erben von Bloch und Febvre. Annales-Geschichtsschreibung und nouvelle histoire in Frankreich 1945-1980, Stuttgart 1994, S. 122f. 119 Braudel, Histoire et Sciences sociales. La longue durée, in: AESC 13, 1958/ (dt.) Geschichte und Sozialwissenschaften- Die „longue durée", in: Wehler, Geschichte und Soziologie (wie Anm. 62), 189-215. 117

vent.

148

IV Eine neue historische Methode

die



Strukturgeschichte

"

-

Denkweise Conzes entspricht. Es ist in diesem Zusammenhang zu betonen, wie unterschiedlich die zeitgenössischen Historiker der Bundesrepublik auf Braudel reagierten. Einer seiner schärfsten Kritiker war Gerhard Ritter. Seine kritische Haltung zur Annales-Schule ist schon aus seiner Auseinandersetzung mit der Kulturgeschichte Francasteis auf dem internationalen Historikerkongreß in Paris 1950 ersichtlich.120 In seinem Vortrag auf dem internationalen Historikerkongress in Rom 1955 stellt er erneut die Forderung der Annales-Historiker nach „kulturhistorischen Synthesen" in Frage. Ihm scheint eine Geschichtsschreibung problematisch, in der der Begriff der „Gesellschaft" dominiere und die Geschichte in einem „einlinigen" „universalen" Zusammenhang aufgefaßt werde. Die Vorstellung einer Gleichzeitigkeit aller historischen Erscheinungen erscheint Ritter absurd, weil für ihn die Geschichte „keine Kausalwissenschaft", sondern vielmehr einen „immer erneuten Versuch zu einleuchtender Sinndeutung" darstellt. Zentral bleibt für ihn die „historische Persönlichkeit", mithin die politische Geschichte. Es sei nicht akzeptabel, die Geschichte politischer Ereignisse als bloße Oberflächenschilderang abzutun. Ritter erscheint dies als Beschränkung der Selbstbestimmung des Menschen. Wie die oben erörterten Einwände Ritters gegen die universale Kulturgeschichte zeigen, behauptet er mit Nachdruck, daß die Geschichte es immer mit der „Geschichtlichkeit" zu tun hat und somit an die Zeit gebunden ist. Gegen die Annales-Historiker verlangt Ritter, der politischen Ebene wieder die ihr gebührende maßgebliche Rangstellung zuzumessen, die sie in seinen Augen durch den Erfolg dieser Schule zu verlieren droht.121 Im Unterschied zu Ritter macht Fritz Wagner in seinem Überblick zum Methodenstreit um das historische Konzept der Annales auf ein positiv zu bewertendes gemeinsames Ziel aufmerksam. Wagner erklärt sein Einverständnis mit der Forderung der Annales-Historiker nach einer methodischen Synthese von Geschichte und Soziologie und nach einer weit über die Spezialforschungen hinausgehenden Ganzheitsauffassung, wobei er die moralische Rückbesinnung auf die „totalité de l'homme" lobt. Wagner warnt aber zugleich vor „dem Schematismus einer sozialgeschichtlichen Synthese" und wirft dabei im Anschluß an Ritter den französischen Historikern die Abwertung der politischen Ereignisgeschichte vor. Seine Einstellung zur Annales-Schule ist an seiner Bewertung des französischen Methodenstreits ablesbar. Hier hebt er v. a. die Position von Pierre Renouvin, dem damaligen Hauptvertreter der außenpolitischen Geschichte in Frankreich hervor. In Renouvin sieht er nämlich einen Vertreter einer Diplomatiegeschichte unter Einbeziehung der neuen methodischen Anforderungen.122 Wagner macht allerdings auch darauf aufmerk-

120 Siehe den Bericht Hermann Heimpels über die Pariser Tagung, in: GWU 1, 1950, S. 556559. 121 Ritter, Zur Problematik gegenwärtiger Geschichtsschreibung (wie Anm. 35). 122 Fritz Wagner, Moderne Geschichtsschreibung (wie Anm. 77), Kap. V: Unentschiedener Methodenstreit in der französischen Historikerschaft, 89-112. Die Auseinandersetzung Pierre Renouvins mit Charles Morazé legt Wagner hier ausführlich dar. Vgl. seine Ausführung über die Theoriedebatte zwischen Lucien Febvre und Pierre Renouvin in der ersten Nachkriegs-

B. Die theoretische

sam, daß das

Annales-Konzept

Grundlegung der neuen Methode

aus

149

dem bei Historikern verschiedener Rich-

tung anzutreffenden Krisenbewußtsein hervorgegangen sei. Die „Formver-

der Geschichte" im Sinne Conzes wird damit als Ausgangspunkt einer methodischen Neuorientierung deklariert.123 Es ist auffallend, daß die Auseinandersetzung Gerhard Ritters und Fritz Wagners mit der Wissenschaftskonzeption der Annales-Schule durch eine Reihe von Mißverständnissen geprägt war. So taten sie den AnnalesHistorikern sicherlich unrecht darin, ihren Anspruch auf eine „Totalität" der Geschichte als eindimensionale Geschichtsauffassung, als „Schematismus" zu diffamieren. Gerade den Annales-Historikern muß nämlich als Verdienst angerechnet werden, einer Vielzahl sozialer Zeitabläufe Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Die deutschen Historiker übersahen offenbar, daß Braudel verschiedenen Strukturen unterschiedliche Zeitrhythmen, verschiedene Dauer zuerkannte. Die „durée" diente ihm als Maßstab für die schichtweise Erfassung der „Synchronie und Diachronie" der komplexen historischen Erscheinungen.124 Dabei ist nicht zu vergessen, daß die Annales-Historiker die Strukturgeschichte als zentralen Aspekt der Geschichte hervorhoben, ohne jedoch die politische Geschichte vollständig zu ignorieren. Das Mißverständnis auf deutscher Seite läßt zwei Schlußfolgerungen im Hinblick auf den Ursprung der deutschen Strukturgeschichte zu. Zum einen waren die tonangebenden deutschen Historiker über das Konzept der AnnalesSchule und über ihre Forschungsergebnisse offenbar noch nicht ausreichend gut informiert.125 Zum anderen dürfte der Grund dieser Fehlinterpretationen

wandlung

zeit, und

zwar mit einem Zitat aus Febvres »Combats pour l'Histoire«: Begegnung von Geschichte und Soziologie (wie Anm. 77), 609-612. Der Vorwurf, daß in der historischen Forschung und Darstellung der Annales-Historiker die Politik beiseite geschoben werde, findet sich auch bei Hermann Heimpel. Mit dem Ruf nach dem Anschluß an die Soziologie und nach der „Sozialgeschichte" erkennt er zwar die Bemühungen der Annales-Schule um die Erweiterung der Geschichtswissenschaft zur Gesamtdarstellung der Menschheitsgeschichte an, die über die Faktensammlung hinauszugehen hat. Heimpel scheinen jedoch die AnnalesHistoriker „einseitig", weil er „die Gefahr eines Escapismus gegenüber dem politischen Schicksal" sieht. Er postuliert daher eine erzählerische Geschichtsdarstellung, wodurch die Politik wieder in den Vordergrund zu rücken ist: Über Geschichte und Geschichtswissenschaft in unserer Zeit, 20. 123 Wagner, ebenda, S. 109f: „Mehr und mehr erweist sich die klassische Quellenbasis zu schmal für die Erkundung des politischen Schicksals, und der schöpferische Einzelne wird überfordert durch die Strukturveränderungen, denen die Geschichte der Neuzeit unterliegt."

(S. 108)

124 Fernand Braudel, La longue durée (wie Anm. 119), 209f, 201; ders., Les Responsibilités de l'Histoire, in: Cahiers Internationaux de Sociologie, Bd. 10, 1951, S. 5-19; ders., Histoire et Sociologie, in: Traité de Sociologie I, 1958, S. 90. 125 Lutz Raphael, Die Erben von Bloch und Febvre (wie Anm. 118), 485f. Berichte über die Annales-Schule waren in den 50er Jahren selten. Siehe Jacques Droz, Gegenwärtige Strömungen in der neueren französischen Geschichtsschreibung, in: GWU 1952, S. 177-181; P. Leuilliot, Moderne Richtungen in der Behandlung der neueren Geschichte in Frankreich. Mit einem biographischen Anhang, in: Welt als Geschichte 12, 1952, S. 122-131. Die AnnalesRezeption begann erst in den 60er Jahren: Karl Erich Born, Neue Wege der Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Frankreich. Die Historikergruppe der „Annales", in: Saeculum 15, 1964, S. 298-309; Manfred Wüstemeyer, Die „Annales": Grundsätze und Methoden ihrer „neuen Geschichtswissenschaft", in: VSWG 54, 1967, S. 1-45.

150

IV. Eine

neue

historische Methode

die

„Strukturgeschichte

"

-

nicht mangelndes Wissen, sondern in größerem Maße auch eine wesentliche Akzentverschiedenheit der französischen und der deutschen Strakturgeschichte sein. Aus diesen beiden Beobachtungen läßt sich der historiographiegeschichtlich nicht unbedeutsame Schluß ziehen, daß die deutsche Strakturgeschichte relativ wenig mit der französischen gemein hatte. Die Tatsache, daß die genannten Kritiker der Annales-Schule, Ritter und Wagner, nicht dem „Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte" angehörten, widerspricht dieser These nicht. Werner Conze lobte zwar in seiner Besprechung von Fernand Braudels »La Méditerranée et le Monde méditerranéen à l'époque de Philippe II« die einheitliche Darstellung von „géohistoire", „histoire des structures" und „histoire événementielle" als Überwindung des „Trennungsdenkens" in der Geschichtswissenschaft. Daher verdächtigte er nicht Braudel eines Desinteresses an der politischen Ebene, bedauerte jedoch dessen ungenügende Behandlungen des „Problems von Determinismus und Freiheit", das die Grundlage für Conzes eigene Strakturgeschichte bildete.126 Otto Branner, eine andere Hauptfigur des „Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte", stand dem französischen Begriff der Strakturgeschichte ausgesprochen kritisch gegenüber.127 Diese ablehnende Haltung wurde interessanterweise von französischer Seite angebahnt. In einer Besprechung von Brunners »Neue Wege der Sozialgeschichte« (1956) warf Braudel ihm eine eurozentrische, rückwärtsgewandte Perspektive vor. Braudel erscheint Branners These von der spezifischen Sozialstraktur Europas darum besonders problematisch, weil diese vereinfachende Geschichtsbetrachtung Brunners zu einer Verherrlichung des vormodernen Okzidents, des Ancien Régime, führe. Dabei weist Braudel Branners Definition von Sozialgeschichte als „konservative" aus und stellt dieser seine eigene „liberale, flexible und sich entwickelnde Geschichte" gegenüber. Dieser „politischen" Kritik fügt Braudel eine methodische Kritik an Branners „autoritärer Dichotomie", der Unterscheidung von Sozialgeschichte und politischer Geschichte, hinzu.128

126 Conze, Rezension (Anm. 112). In seinem Rückblick auf den „Weg zur Sozialgeschichte nach 1945" weist Conze auf die für diesen Begriffsvorgriff der 50er Jahre entscheidende „distanzierte Anlehnung an Braudel" hin: Der Weg zur Sozialgeschichte nach 1945 (wie Anm. 107), 73-74. 127 Brunner äußert sich in seinem Vortrag auf dem Historikertag 1953 über das „Problem einer europäischen Sozialgeschichte" über die Annales-Schule kritisch: HZ 177, 1954, S. 472. 128 Braudel, Sur une conception de l'histoire sociale, in: AESC 14, 1959, S. 308f, wieder abgedruckt in: ders., Écrits sur l'histoire, Paris 1969, S. 175f. Englische Übersetztung: On the Concept of Social History, in: ders., On History, Chicago 1980. Das Zitat stammt aus Otto Gerhard Oexle, Sozialgeschichte-Begriffsgeschichte-Wissenschaftsgeschichte. Anmerkungen zum Werk Otto Brunners, in: VSWG 71, 1984, S. 322. Laut Braudel bleibt bei Brunner die politische Geschichte in traditioneller Weise isoliert als „l'histoire de l'homme .Animal politique' (...) celle de ses mouvements, de ses actions, de son libre arbitre, et même parfois une Machtpolitik": Sur une conception de l'histoire sociale, 319. Brunner äußerte sich nicht zu Braudels »Mittelmeer«. Die Kritik an Braudel findet sich einem der anderen Hauptfigur des Arbeitskreises, Theodor Schieder. Er erwähnte Braudels »Mittelmeer« und warf dem Konzept der „histoire structurale" den Mangel einer eigentlichen Definition vor:

B. Die theoretische

Grundlegung der neuen Methode

151

Braudels negative Beurteilung von Brunners methodischem Konzept scheint durch ideologische Voreingenommenheit sowie durch grundlegende Mißverständnisse geprägt zu sein, die spiegelbildlich der Ablehnung der Braudelschen Strukturgeschichte durch deutsche Historiker entspricht.129 Dies kann insofern schwerlich als Zufall angesehen werden, als die gegenseitige Kritik merkwürdigerweise weniger die wirklichen Schwächen des jeweiligen Konzepts als ausgerechnet dessen neue Errungenschaften betraf. Während die Annales-Historiker mittels ihres elaborierten Zeitbegriffs unterschiedliche Dimensionen der Strukturen in ihrer „Totalität" erfassen zu können glaubten und demzufolge dem geschichtswissenschaftlichen Konzept der deutschen Historiker ihre weniger analytische, ideologisch vereinfachte Fixierung auf „eine" europäische Tradition und damit die Unfähigkeit zu einer „totalen" methodischen Synthese zwischen politischer und Sozialgeschichte vorwarfen, stellten die reformorientierten deutschen Historiker vermöge ihrer „ganzheitlichen" Anschauung der Wechselbeziehung von Struktur und individueller Handlung des Menschen die geschichtliche Kontinuität heraus, sahen die Möglichkeit einer methodischen Synthese, und sprachen sich dementsprechend gegen den Vorrang der Strukturen gegenüber dem Individuellen und damit die vereinseitigte „totale" Sicht der Geschichte aus. Die Vertreter der Strukturgeschichte beider Seiten diskutierten, wie gesagt, zwar ähnliche Probleme und methodische Alternativen, setzten jedoch andere Akzente, was zur Folge hatte, daß das jeweils andere Konzept von Strukturgeschichte als mangelhaft wahrgenommen wurde. Es wäre also falsch, die Annales-Schule so zu interpretieren, daß der „Mensch" nicht im Mittelpunkt der Geschichte stehe und das schöpferische Strukturen und Persönlichkeiten in der Geschichte (wie Anm. 99), 273; ders., Geschichte als Wissenschaft, München/Wien 1965, S. 17f, S. 21f. 129 Brunners Hinwendung zur europäischen Sozialstruktur impliziert eine vergleichende Geschichtsbetrachtung, die zwar eurozentrisch geprägt ist, aber weniger die Überlegenheit als die Besonderheit Europas in den Blick nimmt. Er vergleicht z. B. das europäische und das russische Bürgertum der Zeit vor Peter dem Großen, indem er von den oft beobachteten äußeren Unterschieden ausgeht, nach den alten wirtschaftlichen Grundlagen des europäischen Städtewesens fragt, zunächst feststellt, daß im Kiever Rußland allgemein verbreitete frühgeschichtliche Formen des Fernhandels bewahrt wurden, daß aber Handel und Gewerbe, Herrschaftsverhältnisse und Rechtsformen in Rußland sich in eigenartiger und eigenständiger Weise fortbildeten. Die russische Stadt wurde kein gesonderter Rechtskreis, die Stadtgemeinschaft verlieh kein von der Herrschaft unabhängiges politisches Selbstbewußtsein. Brunner grenzt die russische Sozialstruktur strikt vom „Feudalismus" Alteuropas ab, dessen Begriff er von Bloch aufnimmt. Brunner kommt es aber nicht darauf an, eine Verspätung der wirtschaftlich-sozialen Entwicklung Rußlands festzustellen, sondern vielmehr die Erklärung der Unterschiede weiter auszuloten. Im Hinblick darauf, daß in Rußland das Bürgertum gefehlt habe, verlangt Brunner, „stets die Gesamtstruktur der miteinander verglichenen Kulturen im Auge (zu) behalten", weil „die isolierende Vergleichung einzelner Elemente" „zu äußerlichen Analogien" führen könne, die eine Quelle des Irrtums seien: Europäisches und russisches Bürgertum, in: VSWG, 40/1, 1951, S. 1-27. Vgl. ders., „Feudalismus". Ein Beitrag zur Begriffsgeschichte, in: Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der Geistes- und Sozialwissenschaftlichen Klasse, Nr. 10, Wiesbaden 1959. Brunner äußerte sich zu Blochs »La société féodale I« (Paris 1939): Das Problem einer europäischen Sozialgeschichte (wie Anm. 89), 477.

152

IV Eine neue historische Methode

die



Strukturgeschichte

"

-

Element in der Geschichtsschreibung damit de facto vernachlässigt werde, wie es falsch wäre, den deutschen Historikern Mangel an strukturellem Verständnis der Geschichte vorzuwerfen. Es erscheint interessant, im Geflecht dieser gegenseitigen Fehlinterpretationen unterschiedliche Aspekte der „Struktur" herauszustellen. Ist der Braudelsche Begriff der Struktur in Anknüpfung an die „longe durée" gleichsam auf die „unbewußte Geschichte", die „Geschichte der unbewußten Formen des Sozialen" ausgerichtet,130 so ist der Strukturbegriff der deutschen Historiker seinerseits stark von der Kategorie des „Politischen"

geprägt.

Otto Branner will die Politik nicht auf einen bestimmten Gegenstandsbereich reduzieren, sondern „im älteren, umfassenderen Sinn" begreifen, in dem „es um die Polis, die Respublica, das Gemeinwesen im ganzen geht". Für ihn stellt damit das Politische den dominanten Aspekt der Historie im engeren Sinne des Wortes dar: „Eine Geschichte im engeren Sinn haben daher nur Menschen und menschliche Verbände, Familien, Dörfer, Städte, Klassen, Staaten, Völker, Stämme usw. Menschen und menschliche Verbände ringen um ihre Existenz, behaupten sich selbst; sie handeln in diesem Sinne politisch'."131 Es ist bezeichnend für die deutschen Historiker, daß der Aspekt des Politischen als Knotenpunkt der methodischen Synthese zwischen politischer und Sozialgeschichte diente.132 Dies unterscheidet sie deutlich von den AnnalesHistorikern, da diese sich mit dem Politischen nur thematisch befaßten, aber ihm theoretisch keine sehr zentrale Bedeutung beilegten.133 Die Einbindung des Politischen in die Strukturgeschichte ist aufschlußreich für deren ideelle Grundlagen. Wie oben am Beispiel Reinhart Kosellecks gezeigt, lag der Berufung auf das Politische eine immanente Kritik am aufklärerischen Geschichtsdenken, an der „Geschichtsphilosophie", zugrunde. Insofern die deutsche Strakturgeschichte auf der Kategorie des Politischen aufbaute, kann sie als eine spezifisch deutsche geistige Auseinandersetzung mit der Moderne angesehen werden. Die deutsche Strakturgeschichte stand in derjenigen Kontinuitätslinie der deutschen Geschichtswissenschaft, die durch die oben behandelte modernitätskritische, aber methodisch innovative Historikergeneration vertreten wurde. Werner Conze hat im Rückblick auf seinen Weg zur Sozialgeschichte die These vertreten, daß die historische Zäsur der NS-Zeit den Gang weder seiner 130

131

Braudel, La longue durée (wie Anm. 119), 201. Brunner, Das Fach „Geschichte" und die historischen Wissenschaften, 19. F.

132 Reinhard Sieder unterstreicht die deutsche Strukturgeschichte durch die „Politisierung des Sozialen": Was heißt Sozialgeschichte? (wie Anm. 66), 34. 133 Politik erschien selten direkt als Ausgangspunkt von Forschungen der AnnalesHistoriker. Dazu Hartmut Kaelble, Sozialgeschichte in Frankreich und der Bundesrepublik: Annales gegen historische Sozialwissenschaften? in: GG 13, 1987, S. 79. Vgl. Peter Reill, Comment: Werner Conze (Comment on Veit-Brause), in: Lehmann (Hg.), Paths of Continuity, 345-349; Franz Irsigler, Zu den gemeinsamen Wurzeln von .histoire regionale comparative' und .vergleichende Landesgeschichte' in Frankreich und Deutschland, in: Hartmut Atsma, Andre Burguiere (Hg.), Marc Bloch aujourd'hui. Histoire comparée et sciences sociales, Paris 1990, S. 73-85.

B. Die theoretische Grundlegung der neuen Methode

153

Arbeiten noch der seiner Kollegen wesentlich beeinflußt habe. Trotz des radikalen Umbruchs von 1945 wurde, so Conze, die „im Gange befindliche Richtung" vielmehr „bestätigt und verstärkt".134 Die deutsche „Strukturgeschichte" wurde zwar in ihrer Begriffsbildung von der französischen Annales-Schule beeinflußt, besaß jedoch andere Prämissen und eine andere Zielrichtung, die der spezifisch deutschen Tradition des Konservatismus entstammte. 3. Die Wurzeln der deutschen Strukturgeschichte: zwei Kontinuitätslinien

Begriffsgeschichte und Ostforschung

-

Die deutsche Strukturgeschichte hatte genuin deutsche Wurzeln. Wie im Vorausgegangenen erörtert, unterhielt die deutsche Sozialgeschichtsforschung im Kreis um Werner Conze und Otto Brunner enge wissenschaftliche Verbindungen zur jungkonservativen „deutschen Soziologie" und schlug in Anlehnung an deren interdisziplinäre Forschungsansätze methodisch neue Wege ein. Wenn die deutsche Sozialgeschichtsforschung der Zwischenkriegszeit unter dem Begriff der „politischen Volksgeschichte" im Sinne Otto Brunners subsumiert werden kann,135 läßt sich annehmen, daß das innovative Konzept der Strukturgeschichte der Nachkriegszeit durch diese spezifisch deutsche Forschungstradition vorgeprägt war. Die für die deutsche Strukturgeschichte bezeichnende Verbindung von politischer und sozialer Geschichte kann somit als Indiz für dieses geschichtswissenschaftliche Erbe angesehen werden. Zur Illustration dieser Kontinuitätslinie sollen nunmehr beispielhaft zwei Forschungskonzepte, die Begriffsgeschichte und die Ostforschung dargestellt werden. Die Auswahl dieser Konzepte zielt darauf, Genese und Grundmerkmale der deutschen Strukturgeschichte nachzuzeichnen. Zunächst also zur Begriffsgeschichte. Diese dient in unserer Fragestellung als Indikator dafür, daß die deutsche Strukturgeschichte keinen Bruch mit der traditionellen historischen Methode bedeutet. Sie stellt im Grunde eine „Anpassung" der überkommenen historisch-philologischen Methode an die moderne Welt dar,136 beinhaltet aber zugleich eine neue methodologische Grundannahme bezüglich des Verständnisses von Begriff und Struktur; ihr zufolge erweist sich ein politisch-sozial bedeutsamer Begriff als Indikator und Faktor strukturellen Wan-

134

Conze, Der Weg zur Sozialgeschichte nach 1945 (wie Anm. 107), 73, 78. Otto Brunner, Land und Herrschaft, Baden-B./Wien/Brünn/Leipzig 1939, S. 193, S. 194. Dazu u. a. Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, 16. Kapitel. Von der „poli135

„neuen Sozialgeschichte", 281 f. Sozialgeschichte nach 1945 (wie Anm. 107), 78; Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichtliche Probleme der Verfassungsgeschichtsschreibung. Gegenstand und Begriffe der Verfassungsgeschichtsschreibung (1981), Berlin 1983, S. 13. Peter Schöttler spitzt diesen Punkt so zu: „Begriffsgeschichte im Sinne Kosellecks ist eine durch sozialhistorische Fragestellungen und Methoden geschulte und transformierte Ideengeschichte, die sich auf die langfristige Entwicklung besonders bedeutungsvoller' Wörter konzentriert": Sozialgeschichtliche Paradigmata und historische Diskursanalyse, in: Jürgen Fohrmann u.

tischen Volksgeschichte" 136 Conze, Der Weg zur

zur

Harro Müller (Hg.), Diskurstheorien und

Literaturwissenschaft, Frankfurt a. M. 1988, S.

173.

154

IV Eine neue historische Methode

die



Strukturgeschichte

"

-

dels und bringt damit dessen geschichtliche Tragweite, seine Dauer und seinen Wandel, zum Ausdruck.137 In dieser Weise hat Otto Brunner bereits in seinem in den 30er Jahren erschienenen Hauptwerk »Land und Herrschaft« die begriffsgeschichtliche Methode theoretisch begründet. Im Bereich der mittelalterlichen Verfassungsgeschichte, seinem zentralen Untersuchungsgebiet, weist er auf die Disjunktion zwischen den Arbeitsbegriffen der modernen Geschichtswissenschaft und ihrem Gegenstand, der geschichtlichen Wirklichkeit einer längst vergangenen Welt, hin und versucht damit die Begriffsgeschichte als methodisches Vehikel in die überkommene Verfassungsgeschichtsschreibung einzubauen.138 Mit Rekurs auf die Auseinandersetzung zwischen G. v. Below, H. Heller und O. Gierke um den deutschen Staat des Mittelalters macht Branner darauf aufmerksam, daß die Arbeitsbegriffe der Verfassungsgeschichte am Modell der Neuzeit gebildet worden seien. Der „Staat" ist ein Begriff aus der politischen Vorstellungswelt der Neuzeit; es gelte aber nun, die „Andersartigkeit" des mittelalterliche „Staates" herauszuarbeiten was Brunner u. a. mit der Einbeziehung des Begriffes „Fehde" in die Analyse der staatsanalogen mittelalterlichen Herrschaftsgebilden versucht. Arbeiten, die den neuzeitlichen Staatsbegriff naiv auf das Mittelalter übertragen, fehlt in Brunners Augen die notwendige Einsicht in die spezifisch moderne „Gegenüberstellung von Staat' und Gesellschaft,".139 Soweit Brunner die modernen verfassungshistorischen Begriffe als zeitgebundene Vorstellungen relativiert, baut seine Argumentation auf einer spezifischen Sicht der modernen Welt auf. Brunner zufolge begannen sich Staat und bürgerliche Gesellschaft erst nach der Mitte des 18. Jahrhunderts zu verselbständigen, wodurch sich gleichzeitig das zentrale historische Begriffspaar, die Politik als die Lehre vom Gemeinwesen und die Ökonomik als die Lehre vom „Hause", in die Zweiheit von Staatslehre und Gesellschaftslehre, zu differenzieren begann. Diese Vielfalt der modernen Sektorenwissenschaften sowie ihrer Begriffe entspricht bei Brunner also einem spezifisch modernen Auseinandertreten autonomer Kultursphären, wie Recht, Staat und Wirtschaft.140 Die Begriffsgeschichte Brunners geht von einer historischen Relativierung der modernen Begriffe aus. Die Methode sollte ursprünglich dazu dienen, das sogenannte „Trennungsdenken" rückgängig zu machen und die Einheit jener -

,

137 Reinhart Koselleck, Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in: ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt a. M. 1979/ hier 1989, S. 107-128. 138 Brunner, Land und Herrschaft (Anm. 135)/ hier Darmstadt 1981, passim. 139 Ebenda, S. 146f, S. 106f, S. 11 lf. 140 Ebenda, S. 114f Dieses Theorem wurde später von Reinhard Koselleck übernommen. Als Mitherausgeber der »Geschichtlichen Grundbegriffe« hat er in der Einleitung dieses Lexikons seine Theorie der „Sattelzeit" entwickelt, die er als „heuristischen Vorgriff" der Lexikonarbeit benutzt. Koselleck zufolge vollzog sich seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ein tiefgreifender Bedeutungswandel klassischer Topoi, der einen allgemeinen „Erfahrungswandel" indiziert. Die neuartige Anpassung alter Begriffe an die sich verändernden Bedingungen der modernen Welt stellt bei Koselleck den Beginn der „Neuzeit" dar. Die Begriffsgeschichte dient also als methodische Sonde für den „Umwandlungsprozeß zur Moderne": Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. I, Stuttgart 1971, S. XV.

B. Die theoretische Grundlegung der neuen Methode

155

auseinanderfallenden Kultursphären, dem spätmittelalterlichen Sprachgebrauch entsprechend, historiographisch zu rekonstruieren. Diese eigenständige Methode der modernen Geschichtswissenschaft stellt für den Mediävisten Brunner einen Zugang zu einer Gesamtdarstellung der mittelalterlichen Verfassung dar, da sie ihm ermöglicht, anhand des sprachlichen Wandels den gesamten Strukturwandel von der vormodernen zur modernen Gesellschaft als „Ganzes" zu erfassen. Diese Methode liefere nämlich die Gelenke zwischen der text- und sprachgebundenen Quellenebene und der politisch-sozialen Verfassungswirklichkeit und diene damit als heuristisches Mittel, die Grundstruktur der modernen Welt, den „inneren Bau, die Verfassung dieser Welt", zu

begreifen.141

Brunner zufolge benötigt die Verfassungsgeschichte zwar die reine begriffliche Arbeit der Juristen, jedoch soll in Abgrenzung dazu ein „Gesamtgefüge" der Verfassung erkennbar gemacht werden. Er fordert die Verfassungshistoriker dazu auf, erstens die historische Terminologie soweit wie möglich den Quellen selbst zu entnehmen, und sie dann zweitens im Zusammenhang mit der geschichtlichen Realität sowie mit dem tatsächlichen politischen Handeln des Menschen begreifbar zu machen. Die Forderung nach einer quellengemäßen Begriffssprache bedeutet aber keineswegs die Absage an jegliches Begriffsinstrumentarium der modernen Wissenschaften, da sich Brunner nicht an ein naives Objektivitätspostulat anlehnt. Sein Vorwurf an die juristische Rechtsgeschichte geht vielmehr dahin, daß sich die modernen historischen Begriffe aus ihrem geschichtlichen Zusammenhang herausgelöst und damit ihre zeitspezifischen Valenzen verloren haben. Die Begriffsgeschichte im Sinne Brunners erweist sich so als Instrumentarium zur wissenschaftlichen Vermittlung von vormoderner und moderner Welt.142 In den 50er Jahren wiederholte Brunner seine theoretische Grundüberzeugung hinsichtlich der begriffsgeschichtlichen Methode aus den 30er Jahren. In seinem »Adeligen Landleben und europäischer Geist« schlug er erneut „einen zweifachen Arbeitsgang" vor, durch den „heutige Problemstellung" und „geschichtliche Begriffe" in Wechselwirkung treten können sollten. Dieser Vorschlag ist insofern als Fortführung seiner theoretischen Grundannahme anzusehen, als diesem seine „geschichtliche Einsicht in die Scheidung zweier Zeiten" zugrunde lag, die er als „Adelswelt" und „industrielle Gesellschaft" einander gegenüberstellte.143 Brunner überprüfte seine methodischen Ansätze,

141 142 143

Ebd., S. 117, S. 108. Ebd., S. 163-164. Ders., Adeliges Landleben und europäischer Geist, Salzburg 1949, S. 62. Reinhart Ko-

selleck elaboriert diese methodischen Ansätze Brunners unter dem Aspekt von Dauer und Wandel: „Begriffe belehren uns nicht nur über die Einmaligkeit vergangener Bedeutungen, sondern enthalten strukturale Möglichkeiten, thematisieren Gleichzeitigkeiten im Ungleichzeitigen" „Erst Begriffe mit dem Anspruch auf Dauer, wiederholbare Anwendbarkeit und empirische Einlösbarkeit, also Begriffe mit strukturalem Anspruch, geben den Weg frei, wie eine ehemals .wirkliche' Geschichte heute überhaupt als möglich erscheinen und somit dargestellt werden kann." Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte, in: Vergangene Zukunft (wie Anm. 137), 126. Derselbe Gedanke findet sich in seiner Einleitung zu den »Geschichtlichen Grundbegriffen«: „Die Begriffsgeschichte klärt die Gleichzeitigkeit des Ungleichzei-

156

IV Eine neue historische Methode

die



Strukturgeschichte

"

-

wie oben erörtert, anhand des Begriffs des „Ganzen Hauses", und spielte später eine prägende Rolle in der Arbeit am großen Lexikon »Geschichtliche

Grundbegriffe«. Brunners Begriffsgeschichte

fand Resonanz bei Conze. In seiner „Strakturdes technisch-industriellen Zeitalters als Aufgabe für Forschung und Unterricht" deklariert er die „wort und begriffsgeschichtlich(e)" Methode zur „eigenen Methode" der Geschichtswissenschaft. Conze zufolge befindet sie sich insofern in Einklang mit der Strakturgeschichte, als der Bedeutungswandel eines Wortes eine neue Wirklichkeit widerspiegle. Am Beispiel des Begriffs „Wirtschaft" konstatiert Conze, daß die modernen Begriffe „der Grunderfahrung unserer modernen Zeit" entsprechen. Allerdings erscheint ihm aber die Begrifsgeschichte allein nicht als ausreichend für eine strukturelle Auffassung der Geschichte, weil moderne Begriffe dem arbeitsteiligen Mechanismus der modernen Welt gemäß konstruiert seien und demnach jeweils nur einen „Sektor" der begrifflich ausgerichteten Wirklichkeit erfaßten. Mit Verweis auf die für die moderne Welt spezifische ,„diffuse' Unfaßbarkeit der geschichtlichen Struktur- und Wirkungszusammenhänge" sieht Conze die Begriffsgeschichte in der Gefahr, „entweder zu dilettieren, oder sich in die Sektoren einzwängen zu lassen". Er lehnt die begriffsgeschichtliche Methode nicht ab, aber er will sie nach Maßgabe seines Konzeptes der Strakturgeschichte erneuern.144 Die Begriffsgeschichte im Sinne Brunners diente als Ausgangspunkt für Conzes „Strakturgeschichte". Eine wichtige Übereinstimmung in Brunners Begriffsgeschichte aus den 30er Jahren und dem Conzeschen Konzept einer Strakturgeschichte aus den 50er Jahren bildete ihre antimodernistischen Haltung. In »Land und Herrschaft« zielten Branners begriffsgeschichtliche Arbeiten darauf ab, durch die polemisch intendierte Historisierung der Epoche der Staatlichkeit den damaligen „rechtspositivistischen" Verfassungsbildern

geschichte

tigen auf, die in einem Begriff enthalten ist. Die geschichtliche Tiefe, die nicht identisch ist mit ihrer Chronologie, gewinnt einen systematischen oder einen strukturellen Charakter. Diachronie und Synchronie werden also begriffsgeschichtlich verflochten." (XXI) Die Begriffsgeschichte erhellt also bei Koselleck den „Strukturwandel der Geschichte". (XXIV) 144 Conze, Die Strukturgeschichte des technisch-industriellen Zeitalters, 19-20. Er überprüfte sogleich seine begriffsgeschichtlichen Ansätze anhand des Begriffs „Staat" und „Gesellschaft": Staat und Gesellschaft in der frührevolutionären Epoche Deutschlands. Danach legte

Vortrag über das Verhältnis von Nation und Gesellschaft beim Übergang von der postrevolutionären Epoche wieder die Ergebnisse seiner begriffsgeschichtlichen Studien vor: Nation und Gesellschaft. Zwei Grundbegriffe der revolutionären Epoche, in: HZ 198, 1964, S. lf. Vgl. die Arbeit Alfred Heuß' über den Begriff der Revolution. Heuß zufolge müsse „eine gewisse Doppeldeutigkeit des Begriffs in Kauf genommen werden", da er „je nachdem in seiner Begrenzung durch die Fixierung des 19. Jahrhunderts oder in seiner durch den geschichtlichen Gegenstand geforderten Ausdehnung" auftrete: Der Untergang der römischen Republik und das Problem der Revolution, in: HZ 182, 1956, S. 1-28. Reinhard Wittram befaßte sich mit den Begriffen Staat, Geist und Kultur. Ihm zufolge haben alle allgemeinen historischen Sachbegriffe etwas Gleitendes und sind fortgesetztem Sinnwandel unterworfen, deshalb muß der ganze Begriffsapparat untersucht werden: Das Interesse an der

er

in einem

vor- zur

Geschichte, 33-46.

B. Die theoretische Grundlegung der neuen Methode

157

den Boden

zu entziehen.145 Zeitgebunden war dabei sein Anspruch auf „Totalität", solange dieser Begriff im damaligen politischen Kontext nichts als die „Totalität des politischen Volkes" bedeutete, wobei er eine spezifisch moderne

von Staat und Gesellschaft zurückwies.146 Im Anschluß an Carl Schmitt stellte Brunner sich die Aufgabe, die mittelalterliche Verfassung als „Gesamtzustand der politischen Einheit und sozialen Ordnung" darzulegen und damit dem „Volk" zur Wiedergewinnung der Totalität zu verhelfen.147 Im Kontext der antimodernistischen Beschwörung des „Volkes" erschloß seine Begriffsgeschichte sozialgeschichtliches Neuland, indem sie zur Verbindung der traditionellen Verfassungsgeschichte mit der Betrachtung des „sozialen Ganzen" eines Volkes diente. Hatte Brunner in den 30er Jahren das sogenannte „Trennungsdenken" der Moderne zu überwinden versucht, indem er mittels der begriffsgeschichtlichen Methode politische und Sozialgeschichte wieder miteinander verknüpfte, und zwar im Ruf nach der „Volksgeschichte",148 so setzte er diesen Ansatz in den 50er Jahren fort, nun aber unter dem Begriff „Strukturgeschichte".149 In diesen Jahren verlor seine Forderung nach „Totalität" zwar an politischen Implikationen, wurde aber doch zumindest im Rahmen der wissenschaftlichen Methode beibehalten. Dabei bestand auch seine vergleichende Betrachtung der modernen und vormodernen Welt. Neu war hingegen der Schwerpunkt seiner Forschung. Unter dem Einfluß der universalgeschichtlichen Betrachtungsweise widmete er sich in diesen Jahren erneut dem Vorhaben der Herausarbeitung einer spezifisch „europäischen" Sozialstruktur, die er sowohl als Wurzel wie auch als Folge des historischen

Abgrenzung

145 Zum Verhältnis zwischen Brunners Begriffsgeschichte und der wissenschaftspolitischen Lage der 30er Jahre siehe Koselleck, Begriffsgeschichtliche Probleme der Verfassungsgeschichtsschreibung (wie Anm. 136), 13. Koselleck zufolge hat Brunner in diesen Jahren die geschichtliche „Wirklichkeit" selber als Waffe der Ideologiekritik gegen liberale oder normativistische Verfassungsbilder genutzt. Vgl. Robert Jütte, Zwischen Ständestaat und Austrofaschismus. Der Beitrag von Otto Brunner zur Geschichtsschreibung, in: Jahrbuch des

Instituts für deutsche Geschichte 13, 1984, S. 237-262. 146 Klaus Schreiner, Führertum, Rasse, Reich. Wissenschaft von der Geschichte nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, in: Wissenschaft im Dritten Reich, hg. v. Peter Lundgreen, 1985, S. 209. Vgl. Gadi Algazi, Otto Brunner »Konkrete Ordnung« und Sprache der Zeit, in: Peter Schöttler (Hg.), Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918-1945, Frankfurt a. M. 1997, S. 171f. 147 Siehe Brunner, Land und Herrschaft (1939), Wien/Wiesbaden 1959 (4. Aufl.), S. 111. Zum Einfluß Carl Schmitts auf Brunners Geschichtsschreibung siehe oben 2. Kapitel, Anm. 91. 148 James Van Horn Melton hält Brunners Konzeption des Trennungsdenkens nicht für originell und führt sie auf das Denken Hans Freyers, Ernst R. Hubers und Carl Schmitts zurück. Originell sei nur dessen Anwendung auf die Mediävistik: Melton, From Folk History to Structural History (wie Anm. 141), 274. 149 Das Strukturdenken war Otto Brunner eigentlich nicht fremd. Kaum hatte er seinen Verfassungsbegriff auf die soziale Wirklichkeit übertragen und im überkommenen Terminus der „sozialen Verfassung", oder des „inneren Gefüges" neu formuliert, kam der Begriff der Struktur zur Geltung. Siehe ders., Sozialgeschichtliche Forschungsaufgaben, 335-362. Brunner spricht bereits in der ersten Auflage von »Land und Herrschaft« 1939 von einer „Struktur der politischen Gebilde" und bezeichnet in der vierten Auflage von 1959 unter Berufung auf Werner Conze seine Geschichtsschreibung als „Strukturgeschichte". -

158

IV Eine neue historische Methode

die



Strukturgeschichte

"

-

Wandels ansah.150 Zur methodisch rationalisierten Totalität diente in diesen Jahren wieder die begriffsgeschichtliche Methode.151 Dabei faßte Branner expliziter die Verbindung von Geschichtswissenschaft und benachbarten Sozialwissenschaften ins Auge. Er trachteten den sektorhaften Wissenschaftsbetrieb mit dem Hinweis auf die gemeinsamen Wurzeln der modernen Geschichtswissenschaft und der Sozialwissenschaften zu überwinden: sie seien „im engstem Zusammenhang mit dem Durchbrach zur modernen Welt ausgebildet" worden.152 Branners begriffs- und volksgeschichtliche Arbeiten sind Dokumente einer Kontinuität deutscher Geschichtswissenschaft über die Zäsur von 1945 hinaus. Sein Begriffswechsel vom „Volk" zur „Struktur", von der politischen Volksgeschichte zur Strakturgeschichte,153 stellt dabei nicht nur eine politische Neutralisierung des Begriffs dar in ihm manifestiert sich auch eine methodische Fortentwicklung des innovativen Wissenschaftskonzepts, das aus außerwissenschaftlichen Motiven heraus neue Gegenstandsbereiche und Herangehensweisen in die Geschichtswissenschaft einbrachte. Die Kontinuität der wissenschaftlichen Arbeiten Branners stützte sich in diesem Zusammenhang auf die merkwürdige Verschränkung von Modernitätskritik und methodischer Innovation. Eine andere Kontinuitätslinie, in die sich die deutsche Strakturgeschichte einreiht, ist die „Ostforschung". Diese selbständige Richtung innerhalb der Ostmitteleuropaforschung entstand nach dem Ersten Weltkrieg und wurde in der Nachkriegszeit fortgeführt.154 Im Rahmen der landesgeschichtlichen „Volks- und Kulturbodenforschung" diente die Ostforschung sowohl als wissenschaftliches Aufgabenfeld der nationalsozialistischen „Lebensraumpolitik" -

150

Ders., Inneres Gefüge des Abendlandes, in: Historia Mundi, Bd. 6, 1958, S. 416f.

Die Begriffsgeschichte war eng mit der Typik verbunden. Im Anschluß an den begriffsgeschichtlichen Ansatz Otto Brunners wies Theodor Schieder begrifflich unscharfe Analysen als „Kryptotypen" aus. Als Beispiel führt er die Zweidimensionalität des Staatsbegriffs an; Staat als modernen souveränen, militärisch-bürokratischen Machtstaat und Staat als idealtypischen Oberbegriff für politische Hoheitsformen: Der Typus in der Geschichtswissenschaft, 179-180. Vgl. oben Anm. 101. 152 Ders., Das Problem einer europäischen Sozialgeschichte, 476. Zum Verhältnis zwischen Begriffsgeschichte und Wissenschaftsgeschichte bei Brunner siehe Oexle, SozialgeschichteBegriffsgeschichte-Wissenschaftsgeschichte (wie Anm 128). 153 Dazu Koselleck, Begriffsgeschichtliche Probleme der Verfassungsgeschichtsschreibung, 10; Oexle, Sozialgeschichte-Begriffsgeschichte-Wissenschaftsgeschichte (wie Anm. 128), 326; Melton, From Folk History to Structural History (wie Anm. 146), 280f; Schulze, Der Wandel des Allgemeinen, 205-206. 154 Erwin Oberländer, Historische Osteuropaforschung im Dritten Reich. Ein Beitrag zum Forschungsstand, in: ders. (Hg.), Geschichte Osteuropas. Zur Entwicklung einer historischen Disziplin in Deutschland, Österreich und der Schweiz 1945-1990, Wiesbaden 1992, S. 1230; ders., Das Studium der Geschichte Osteuropas seit 1945, in: ebd., S. 31-38; Jörg Hackmann, „An einem neuen Anfang der Ostforschung". Bruch und Kontinuität in der ostdeutschen Landeshistorie nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Westfälische Forschungen 46 (wie Anm. 37), 232f; Eduard Mühle, ,Ostforschung'. Beobachtungen zu Aufstieg und Niedergang eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropaforschung 151

46, 1997, S. 328f.

B. Die theoretische Grundlegung der neuen Methode

159

wie auch als Experimentierfeld der neuen methodischen Ansätze zur „politischen Volksgeschichte".155 Hermann Aubins Konzept einer Erforschung des „deutschen Ostens" ist ein Paradebeispiel für diese enge Verknüpfung politischer Interessen mit nachhaltiger methodischer Innovation. Dieser Hauptvertreter der deutschen „Ostforschung"156 war „völkisch" gesinnt und machte sich zur Aufgabe, die herrschende Rolle der Deutschen in Osteuropa wissenschaftlich zu rechtfertigen. Zugleich setzte er sich aber für die Revision des herkömmlichen nationaldeutschen Geschichtsbildes ein, als er das durch die Pariser Vorortverträge versursachte Auseinanderfallen von Kultur- und Staatsnation wahrnahm. Seine Ostforschung löste sich zunehmend von der Fixierung auf die politische Geschichte der staatlich abgegrenzten Territorien und rückte statt dessen die historischen Auseinandersetzungen verschiedener Völker im „deutschen Osten" in den Vordergrund.157 Aubin war zwar Schüler von Georg von Below, begann aber im Gegensatz zu seinem Lehrer bereits früh Karl Lamprecht und andere Wirtschafts- und Kulturhistoriker zu rezipieren und schloß sich damit der damaligen landesgeschichtlichen Kulturaumforschung an. Er etablierte sich anfanglich als maßgeblicher Initiator des 1920 gegründeten Bonner „Instituts für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande", wo 1926 das richtungsweisende Werk über »Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden« veröffentlichte wurde.158 Seine Ostforschung war durch diese früheren innovativen Forschungsansätze vorgeprägt. Hier machte er die „materielle" Kultur zum Ge-

155 Christoph Kleßmann, Osteuropaforschung und Lebensraumpolitik im Dritten Reich, in: Peter Lundgreen (Hg.), Wissenschaft im Dritten Reich, Frankfurt a. M. 1985, S. 350-383; Karl Ditt, Konservative Kulturvorstellung und Kulturpolitik vom Kaiserreich bis zum Dritten Reich, in: Neue Politische Literatur 41, 1996, S. 258; Wolfgang Wippermann, Der „deutsche Drang nach Osten". Ideologie und Wirklichkeit eines politischen Schlagwortes, Darmstadt 1981, S. 104-116, S. 124-132; ders., Der Ordenstaat als Ideologie. Das Bild der deutschen Osten in der deutschen Geschichtsschreibung und Publizistik, Berlin 1979; Winfried Schulze, German Historiography from the 1930s to the 1950s, in: Lehmann (Hg.), Paths of Continuity, 22. 156 Zur spezifischen Rolle Hermann Aubins in der Ostforschung siehe u. a. Michael Burleigh, Germany Turns Eastwards: A Study of Ostforschung in the Third Reich, Cambridge 1988, passim. Vgl. Melton, Introdution: Continuities in German Historical Scholarship, 1933-1960, in: Paths of Continuity, 7. 157 Hermann Aubin, Wege kulturgeschichtlicher Erforschung des deutschen Ostens, in: Mitteilingen der Schlesischen Gesellschaft für Volkskunde, Bd. XXXI, 1930, S. 1-31/ hier in: ders., Grundlage und Perspektiven geschichtlicher Kulturraumforschung und Kulturmorphologie, hg. v. Franz Petri, Bonn 1965, S. 59, S. 53, S. 57. Zur Revision des Geschichtsbildes bei Aubin siehe Marc Raeff, Some Observation on the Work of Hermann Aubin (18851969), in: Paths of Continuity, 239-249. 158 Kulturströmungen und Kulturprovinzen in den Rheinlanden. Geschichte, Sprache, Volkskunde, hg. v. H. Aubin, Theodor Frings und Josef Müller, Bonn 1926. Dazu Edith Ennen, Hermann Aubin und die geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 34, 1970, S. 9-42. Die Kontinuität der landesgeschichtlichen Arbeit Aubins verkörperte sich in dem Sammelband: Der Raum Westfalen, Bd I-VI in 13 Teilbänden, hg. v. H. Aubin u. a. Berlin/Münster 1931-1996.

160

IV Eine neue historische Methode

die

„Strukturgeschichte

"

-

genstand der Forschung,159 und dafür eine interdisziplinäre Verbindung mit der Archäologie, Volkskunde, Geographie usw. gefordert und sich den neuen Forschungsfeldern, wie etwa Sagen- und Straßenforschung geöffnet.160 So trag Aubins Ostforschung nicht bloß ideologische Züge, sondern war methodologisch begründet. Sie hatte in dieser Hinsicht mit dem Rassegedanken der Nationalsozialisten wenig gemeinsam.161 In der Nachkriegszeit versuchte Aubin, die Ostforschung auf methodischen Neuansätzen der Zwischenkriegszeit und neu aufzubauen.162 Es fand allerdings angesichts der neuen geistig-politischen Lage eine Schwerpunktverlagerung seiner Forschungen statt. Unter dem Einfluß des „Abendlandgedankens" sprach Aubin nicht mehr vom „deutschen" Osten, sondern vom östlichen „Mitteleuropa" oder „abendländischen Ostraum".163 Dieser Begriffswechsel bedeutete aber keineswegs eine Abkehr von seinen früheren Denken. So sehr er einerseits an der herrschenden Rolle Deutschlands in Osteuropa festhielt,164 so sehr behielt er andererseits seine transnationale Forschungsperspektive bei.165 In Anknüpfung an seine methodischen Neuansätze vor 1945 hob Aubin nun wiederum die Ostforschung als zentrales Aufgabenfeld der interdisziplinä159

Ders., Aufgaben und Wege der geschichtlichen Landeskunde (1925), in: ders., Grundlage Perspektiven geschichtlicher Kulturraumforschung und Kulturmorphologie (wie Anm. 157), 17-26. 160 Ders., Wege kulturgeschichtlicher Erforschung (wie. Anm. 157), 49f. 161 Ebenda, S, 57f. Aubin behauptet, daß „die Kultur- (Literatur-, Kunst-) Provinzen keines-

und

wegs das Erzeugnis eines angenommenen eingeborenen Stammescharakters allein sind. Gerade im Kolonialland muß ein solcher Gedanke schon deswegen abwegig erscheinen, weil ja die Neubildung des Stammes aus den verschiedensten Bestandteilen altdeutscher, jungdeutscher und fremder Bevölkerung auf der Hand liegt." Marc Raeff erfaßt aber den Rassengedanken als entscheidenden Punkt, mit dem die französische Annales-Schule von der Aubinschen Kulturraumforschung unterschieden werden könne. Im Unterschied zu diesen unterstreicht Raeff jene Richtung durch den Begriff „milieu". Raeff, Some Observation (wie Anm. 157),246f. 162 Aubin initiierte die Gründungsversammlung des Herder-Forschungsrats und HerderInstituts und auch die Begründung der „Zeitschrift für Ostforschung". Dazu Jörg Hackmann, „An einem neuen Anfang der Ostforschung" (wie Anm. 154), 248f; Willi Oberkrome, Probleme deutscher Landesgeschichtsschreibung im 20. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 46 (wie Anm. 37), 23. 163 Aubin, An einem neuen Anfang der Ostforschung, in: Zeitschrift für Ostforschung 1, 1952, S. 3-16/ hier in: ders., Grundlage und Perspektiven (wie Anm. 157), 60-71. Christoph Kleßmann diskreditiert diese Neuorientierung der Ostforschung nach 1945 als „fatales Interpretationskonzept". Ausgehend von der Kritik ihrer politischen Implikationen bestreitet er ihre Wissenschaftlichkeit im Ganzen. Die „Apologie und Abendlandapotheose" im Erscheinungsbild der Ostforschung legt in seinen Augen ihre negative Kontinuität bloß. Unter den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Adenauer-Ära habe die Ostforschung bei der kritischen Verarbeitung der deutschen Vergangenheit versagt und in politisch suspekte Europaideologien geflüchtet: Geschichtsbewußtsein nach 1945: ein neuer Anfang? in: Werner Weidenfeld (Hg.), Geschichtsbewußtsein der Deutschen, Köln 1987, S. 118f. Bei Kleßmann ist eine wissenschaftsimmanente Sicht der Historiographiegeschichte beinahe

ausgeschlossen.

164 Aubin, ebd., S. S. 512-545. 165 Ebd., S. 69-70.

63; ders., Die Deutschen in der Geschichte des Ostens, in: GWU 9, 1956,

B. Die theoretische

Grundlegung der neuen Methode

161

Forschung zwischen der geographischen Landeskunde, den Wirtschaftswissenschaften, der Soziologie, der Rechtswissenschaft, der Religionswissenren

schaft, der Anthropologie, den Sprachwissenschaften und schließlich der Ge-

schichtswissenschaft hervor.166 Unter Hermann Aubins Leitung setzte die Ost-

forschung ihre innovativen Tendenzen nach 1945 fort. Angesichts des Kalten Krieges wurde sie nicht mehr als die deutsche Geschichte im Osten, sondern im Sinne der Erforschung der „Länder und Völker im östlichen Mitteleuropa" konzipiert.167 Aufgrund der methodischen Neuansätze sowie der nahezu friktionslosen Anpassung an die neuen politischen Bedingungen übte die Ostforschung eine längerfristige Wirkung auf die Entwicklung der Sozialgeschichte in der Bundesrepublik aus.168 Nicht minder signifikant für die Kontinuität der deutschen Geschichtswissenschaft ist die Person Hans Rothfels'. Seine Königsberger Ostmitteleuropaforschung reihte sich in die durch Aubins „Bonner Institut" angebahnte neue landesgeschichtliche Forschung ein, wie sich Ruodolf Kötzschke in Leipzig und die Erich Keyser in Danzig betrieben.169 In Rothfels' neuen Foschungsansätzen der Zwischenkriegszeit manifestierte sich bereits nachhaltig die Richtlinie seiner Zeitgeschichtsforschung nach 1945. Als Mentor der jungkonser-

vativen Historiker unterzog Hans Rothfels das Wilhelminische Deutschland, und zwar dessen imperialistische Weltpolitik, einer Kritik und verabschiedete sich vom herkömmlichen nationalstaatlichen Geschichtsbild.170 Wie Aubin sah sich auch Rothfels angesichts der Pariser Vorortverträge dazu veranlaßt, die traditionelle nationalliberal-etatistische Geschichtsschreibung zu transzendieren und sich damit dem östlichen Mitteleuropa zuzuwenden.171 Trotz seiner völkischen Gesinnung und deutschzentristisch verengten Sichtweise bot Rothfels Ostmitteleuropaforschung der Zwischenkriegszeit, und zwar seine Studien über die Bismarcksche Nationalitätenpolitik im Osten, zwei Ausgangspunkte für die universalgeschichtlich ausgerichtete Zeitgeschichtsforschung nach 1945. Erstens: Rothfels gelangte am Beispiel von Bismarcks Politik zur Feststellung, daß die Priorität des Staats vor dem Volkstum nur ein zeitbedingtes politisches Ordnungsprinzip der Moderne gewesen sei. Unter diesem Gesichtspunkt hob Rothfels auf der einen Seite auf

166 167

Ders., An einem neuen Anfang der Ostforschung (wie Anm. 163), 60f.

So lautete der Untertitel der 1952 vom Herder-Forschungsrat begründeten »Zeitschrift für Ostforschung«. Dazu Eduard Mühle, .Ostforschung' (wie Anm. 154), 342. Siehe Walter Schlesingers Forderung einer Geschichtsrevision innerhalb der Ostforschung: Die geschichtliche Stellung der mittelalterlichen deutschen Ostsiedlung, in: HZ 183, 1957, S. 517-542. 168 Dazu Winfried Schulze, Deutsche Geschichtswissenschaft nach 1945, S. 281, S. 296. Die Tradition der Ostforschung wurde um die Wende von den 1970er zu den 1980er Jahren von den Osteuropaforschern der neuen Generation der Kritik unterzogen. Siehe u. a. Klaus Zernack, Osteuropa. Eine Einführung in seine Geschichte, München 1979, S. 15-18. 169 Willi Oberkrome, Volksgeschichte, Göttingen 1993, S. 56-58, S. 133-136, S. 143f, S. 197f. 170 Klemens von Klemperer, Hans Rothfels (1891-1976), in: Paths of Continuity, 119-154. 171 Hans Rothfels, Das Werden des Mitteleuropagedankens. Ein Vortrag, in: ders., Ostraum, Preußentum und Reichsgedanke. Historische Abhandlungen, Vorträge und Reden (Königsberger Historische Forschungen), Bd. 7, Leipzig 1935, S. 228-248.

162

IV. Eine neue historische Methode

die



Strukturgeschichte

"

-

die

gemeinbaltische förderalistische Staatsidee ab,172 und wurde auf der andeSeite zu einer gesamteuropäischen Perspektive und damit einer beziehungsgeschichtlichen Zusammenschau Ostmitteleuropas veranlaßt. Rothfels' historiographische Arbeiten der Zwischenkriegszeit bildeten den Auftakt zu einer europäischen Perspektive auf preußisch-deutsche Phänomene und weiterhin zu einer vergleichend-typologischen Ostmitteleuropahistorie.173 Zweitens: Die Bismarck-Studie lieferte Rothfels Anhaltspunkte für seine modernitätskritische Sicht der neueren und Zeitgeschichte. Nach seiner Ansicht hatte Bismarck das Reich zwar unter Ausnutzung der nationalen Dynamik gegründet, wollte es aber eigentlich als dynastische Ordnungsmacht auf altem europäischen Rechtsboden festhalten. Rothfels charakterisierte Bismarck als

ren

„ostelbischen Junker" und akzentuierte damit dessen „Sinn für lokale Unabhängigkeit" und „ständischen Geist" sowie dessen Vorliebe für „Selbstver-

waltung und patriarchalisches Regiment" im Gegenzug gegen nationalistische

Exzesse und bürokratischen Zentralismus.174 In Rothfels' Erforschung der ostmitteleuropäischen Lebensräume standen dabei die antiautokratischen, antiabsolutistischen und ständischen Korporationen im Vordergrund und wurden von ihm zu Widerstandspotentialen gegen Formen monarchischer Staatsbildung erklärt. Rothfels sah aber in diesen geschichtlichen Gebilden kaum antimodernistische Tendenzen, sondern sah in ihnen hinsichtlich ihrer möglichen positiven Gestaltungskräfte vielmehr einen spezifisch ostmitteleuropäischen Beitrag zur Moderne am Übergang von der frühen Neuzeit zum 19. Jahrhundert.175 Rothfels zufolge hatte im südlichen Ostseeraum der Druck fremder Volksgruppen die Forderung nach Selbständigkeit und Selbstverwaltung konserviert, und dieser diente als Quelle der staatlichen Reformen in Preußen. Unter diesem Aspekt stellte Rothfels sich die Aufgabe, gegen die „nationale Ideologie" sowie gegen „imperialistische" Beeinflussung das Gesetz der Kulturautonomie historisch zu bestätigen und damit der neuen politischen Ordnung Ostmitteleuropas nach dem Ersten Weltkrieg den Boden zu entziehen.176 Rothfels' Zeitgeschichtsforschung in der Nachkriegszeit stand in der Kontinuität seiner Ostmitteleuropaforschung der Zwischenkriegszeit. Nur trat die deutschtumszentrierte antiwestliche Komponente zugunsten anderer Fragestellungen in den Hintergrund; diese Wende war aber schon in seiner bezie172

Wolfgang Neugebauer, Hans Rothfels' Weg zur vergleichenden Geschichte Ostmitteleu-

ropas, besonders im

Übergang von

früher Neuzeit

osteuropäische Geschichte 1996/1, S. 372f. 173

zur

Moderne, in: Berliner Jahrbuch für

Ebenda, S. 355f. Hans Rothfels, Bismarck und die Nationalitätenfrage des Ostens, in: Hans Rothfels. Bismarck. Vorträge und Abhandlungen, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz, 1970, S. 131-146 (zugrunde liegt ein Vortrag >Bismarck und der OstenDas Parlament^ Jg. 11, 18.1.1961, S. 17-24/ hier in: Theodor Schieder (siehe Literatur: Dann), S. 197-217 _: Imperialismus in alter und neuer Sicht, in: Moderne Welt 2, 1961/ hier in: ders.: Einsichten in die Geschichte, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1980, S. 137-155 _: Grundfragen der neueren deutschen Geschichte. Zum Problem der historischen Urteilsbildung, in: HZ 192, 1961, S. 1-16 _: Die historischen Krisen im Geschichtsdenken Jacob Burckhardts, in: Walter Hubatsch: Schicksalswege deutscher Vergangenheit (Festschrift für S. A. Kaehler zum 65. Geburtstag), Düsseldorf 1950, S. 421- 455/ hier in: ders.: Begegnungen mit der Geschichte, Göttingen 1962, S. 163-182 _: Partikularismus und nationales Bewußtsein im Denken des Vormärz, in: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz (siehe a: Conze), S. 9-38 _: Strukturen und Persönlichkeiten in der Geschichte, in: HZ 195, 1962, S. 265-296/ auch in: ders.: Geschichte als Wissenschaft, München/Wien 1965, S. 157-194 Schnabel, Franz: Die Revolution von 1848 und die deutsche Geschichte, in: Die Schule. Monatsschrift für geistige Ordnung 3, Nr. 3/4, 1948, S. 83-89/ hier in: Franz Schnabel (siehe b: Schnabel), S. 189-195 _: Goethe und die geschichtliche Welt (Vortrag in der Aula der Universität München am 13. Juli 1949), in: Franz Schnabel (siehe b: Schnabel), S. 217-226 _: Goethe und die moderne Technik (1949), in: Franz Schnabel, S. 227-238 _: Das Problem Bismarck, in: Hochland 42, 1949/50, S. 1-27/ hier in: Franz Schnabel, S. 196-216 _: Der Aufstieg der modernen Technik aus dem Geiste der abendländischen Völker (Festvortrag auf der Gedenktagung „75 Jahre Otto-Motor" in Köln am 19.Okt.1951), in: Franz Schnabel, S. 244-270 _: Der Weg aus dem 19. in das 20. Jahrhundert (Vortrag am 27. April 1955 vor der Gesellschaft für Westfälische Wirtschaftsgeschichte e.V. in Dortmund), in: Franz Schnabel, S. 289- 309 _: Das humanistische Bildungsgut im Wandel von Staat und Gesellschaft. Festrede, München 1956 _: Das Bevölkerungsproblem und die Bereitschaft der Völker zum Krieg (1959), in: Kurt Seeberger (Hg.): Die letzten hundert Jahre. Gestalten, Ideen, Ereignisse, München 1961, S. 247-259

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Abkürzungsverzeichnis der Zeitschriften AESC

Annales. Economies. Sociétés. Civilisations

HZ

Historische Zeitschrift

GG

Geschichte und Gesellschaft

GWU

Geschichte in Wissenschaft und Unterricht

VfZ

Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte

VSWG

Personenregister Abusch, Alexander 62 Anderle, Othmar F. 122-124 Anders, Günther 41, 79 Arendt, Hannah 224 Aubin, Hermann 32, 52, 55,67, 159, 160162, 176,234,236 Barkhausen, Max 191 Barraclough, Geoffrey 55, 119 Below, Georg von 50, 154, 159

Bergson,

Henri 178

Besson, Waldemar 43, 131 Beutin, Ludwig 20, 88, 94, 104, 141, 142, 145, 164-166, 176, 177, 184-186, 190, 192 Bismarck, Otto von 51, 65, 66, 161, 162, 204,209,210,212-215,233,238 Blanke, Horst Walter 13,14 Bloch, Marc 146, 147, 149, 151, 152, 178 Bracher, Karl Dietrich 224-228 Braudel, Fernand 141,146-152,179

Brepohl, Wilhelm

167

Broszat, Martin 11, 217, 230 Brunner, Otto 15, 19-21, 35, 54, 60, 67, 84, 96-100, 116, 120, 121, 124126, 131, 132, 140-142, 145, 150158, 163, 173, 174, 192, 193,234236

Burckhardt, Jacob 19, 20, 60, 63-65, 72, 90,98,173, 174 Conze, Werner 12, 13, 15, 19, 20, 21, 35, 51,53,54,67, 89-91,94-97, 100, 104, 115, 132, 133, 136-150, 152, 153, 156, 157, 163, 167, 172, 175, 180, 183-190, 192, 195-198, 211, 214, 227-229, 231, 232, 234, 236, 237,239-241 Dahrendorf, Ralf 24, 25, 36 Dann, Otto 205,211,212 Dawson, Christopher 44 Dehio, Ludwig 19, 55, 61, 69-71, 101, 102, 121,222,225 Ditt, Karl 52, 128, 159, 177 Erdmann, Karl Dietrich 11, 20, 53, 62, 68,91, 120, 124, 143,204,225 Eschenburg, Theodor 131, 232 Febvre, Lucien 146-149 Fischer, Fritz 241 Fischer, Wolfram 20, 145, 167, 189, 192 Fraenkel, Ernst 113, 224, 226 Francastel, Pierre 129,148

Hans 19, 21, 34-36, 39, 41, 42, 44, 48, 53, 54, 67, 68, 72, 76-80, 82-84, 86, 91-94, 103, 104, 132, 134-136, 138-140, 147, 157, 163, 173,181, 183,233,235,237 Friedrich der Große 79,80,221,222

Freyer,

Friedrich Wilhelm rV. 196-198

Gasset, Ortega y 37 Gehlen, Arnold 21, 37-41, 78, 79, 86, 104, 120, 169, 183 Geiger, Theodor 104,106,200 Greiffenhagen, Martin 23, 34, 38-41, 43, 217,224 Groh, Dieter 146 Gurvitch, Georges 147 Haller, Johannes 50, 76 Härtung, Fritz 50 Heimpel, Hermann 19, 56-58, 60, 61, 84, 88, 115, 120, 121, 123, 129, 132134, 148, 149 Herzfeld, Hans 19, 50, 64, 115, 183, 215, 216,221,225,226 Heuß, Alfred 58-60, 121-123, 132, 143, 156

Hintze, Otto 143, 144 Hitler, Adolf 207, 208, 210, 220, 230 Hobbes, Thomas 81, 82 Hofer, Walther 20, 43, 51, 57-59, 63-66, 131, 180,218,225 Holborn, Hajo 21,63,224 Huber, Ernst Rudolf 94, 157 Huizinga, Johan 137, 138, 170, 185, 190 Ipsen, Gunter 135, 145, 168-171, 186, 200,237 Jantke, Carl 145 Jaspers, Karl 21, 25, 44, 46, 47, 61, 68 Jünger, Ernst 21, 29-31, 38,44 Kaehler, Siegfried A. 20, 56 Kamiah, Wilhelm 84, 120

Resting, Hanno 82 Keyser, Erich 51, 53, 161, 168 Klatt, Sigurd 185 Kleßmann, Christoph 159,160 Kocka, Jürgen 11-14,16,134,145

Köhler, Oskar 68, 69 Köllmann, Wolfgang 18, 20, 139, 145, 163, 167, 169-172, 190, 191, 198203,237 Koselleck, Reinhart 20, 35, 54, 80-84, 145, 152-158, 178, 193-195, 198, 240

276

Personenregister

Kötzschke, Rudolf

161

Lamprecht, Karl 135,143,159 Lehmann, Hartmut 17 Leibholz, Gerhard 113,232 Linde, Hans 135, 185, 188, 189 Litt, Theodor 48, 55, 62, 63, 120, 124 Löwith, Karl 43, 78 Mackenroth, Gerhard 168-171 Man, Hendrik de 41 Mann, Golo 48, 67, 102, 183, 212 Masur, Gerhard 68 Medick, Hans 99 Meinecke, Friedrich 19, 20, 50, 51, 6264, 66, 123, 180, 217-220, 223, 238

Melton, James van

Horn

17, 92, 97, 157-

159

Mommsen, Hans 11, 17, 24, 53, 65, 70, 216,217,229 Mommsen, Wilhelm 19, 101, 105, 119 Müller, Karl Alexander von 50 Müller-Armack, Alfred 39, 57 Namier, Lewis 207 Naumann, Friedrich 219 Neumann, Franz L. 224 Niekisch, Ernst 62 Nowak, Kurt 32, 33 Nürnberger, Richard 64, 102 Oncken, Hermann 50, 69 Proesler, Hans 139, 140 Ranke, Leopold von 19, 53, 60, 63, 64, 69-71,90, 127, 138,179, 180,214 Rantzau, Johann Albrecht von 64 Rassow, Peter 19, 57, 59, 67, 69, 71, 72, 172,204 Redlich, Fritz 166 Renouvin, Pierre 148 Ritter, Gerhard 19, 50, 51, 55, 57, 61, 65, 66, 94, 101, 111, 112, 119, 123, 124, 126, 127, 129, 130, 137, 148, 150,204,217,221-226,238

Röpke, Wilhelm

86

Rothacker, Erich 120 Rothfels, Hans 19-21, 53, 54, 57, 66, 131, 133, 161-163, 204-216, 225, 228230, 233, 234, 236,238 Rüsen, Jörn 13,14 Schäfer, Dietrich 50, 130 Schelsky, Helmut 21, 24, 34, 36, 37, 40, 100, 104, 135,200,217 Schieder, Theodor 11, 20, 53, 54, 60, 61, 64, 65, 67-71, 88-91, 95, 96, 104106, 112-115, 124, 124, 136, 137, 142-145, 150, 158, 163, 172-175, 178-180, 184, 204-206, 211-216, 231,232,234,238,240

277

Schildt, Axel 24, 34, 37 Schmitt, Carl 12, 21, 25, 37, 43, 48, 54, 77, 80, 82, 83, 97, 106-112, 114, 116,157,228,235 Schnabel, Franz 19, 65, 66, 73-76, 85-87, 102, 128, 189 Schramm, Percy Ernst 167,168 Schulze, Winfried 12, 15-18, 21, 53, 62, 65, 91, 137, 141, 145, 153, 158, 159, 161, 178,203,224 Sedlmayr, Hans 38,61 Sontheimer, Kurt 11, 26,35, 120 Spengler, Oswald 21, 29-32, 44, 48, 68, 86, 179 Spranger, Eduard 180 Stadelmann, Rudolf 19, 20, 62, 64, 90, 206, 207 Steinbach, Franz 177 Stern, Fritz 24, 27, 30 Strauß, Leo 121 Svarez,K.G. 193 Toynbee, Arnold 67, 68, 120, 124-125, 128, 143, 179,236 Treue, Wilhelm 20, 128, 145, 166, 167, 191, 192 Vierhaus, Rudolf 64, 66, 90 Wagner, Fritz 20, 55, 120, 123, 128, 132, 137, 143, 148-150 Weber, Alfred 21, 44-48, 68, 125, 142, Weber,

173 Max

21, 108-111, 114, 119, 143, 144, 168 Wehler, Hans-Ulrich 11, 18, 54, 99 Weizsäcker, Carl Friedrich von 120 Wippermann, Wolfgang 159,220,221 Wittram, Reinhard 19, 56, 57, 61, 68, 84, 120, 123, 133, 143, 144, 156, 180, 204

Woods, Roger 30 Zorn, Wolfgang 20, 145, 192

Ordnungssysteme Ideengeschichte der Neuzeit Herausgegeben von Dietrich Beyrau, Anselm Doering-Manteuffel und Lutz Raphael Studien

zur

Band 1 Michael Hochgeschwender Freiheit in der Offensive? Der Kongreß für kulturelle Freiheit und die Deutschen ISBN 3-486-56341-6

Band 2 Thomas Sauer Westorientierung im deutschen Protestantismus? Vorstellungen und Tätigkeit des Kronberger Kreises ISBN 3-486-56342-4 Band 3 Gudrun Kruip Das „Welt"-„Bild" des Axel Springer Verlags Journalismus zwischen westlichen Werten und deutschen Denktraditionen ISBN 3-486-56343-2 Band 4 Axel Schildt Zwischen Abendland und Amerika Studien zur Ideenlandschaft der 50er Jahre ISBN 3-486-56344-0 Band 5 Rainer Lindner Historiker und Herrschaft Nationsbildung und Geschichtspolitik in Weißrußland im 19. und 20. Jahrhundert ISBN 3-486-56455-2

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