Kants Philosophie der Natur: Ihre Entwicklung im "Opus postumum" und ihre Wirkung 9783110217278, 9783110207125

The papers in this collected volume analyse Kant’s nature philosophy against the background of the history of its develo

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German Pages 478 Year 2009

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Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Einleitung
Bildungskraft und Bildungstrieb bei Kant
Der Baum im Baum. Modellkörper, reproduktive Systeme und die Differenz zwischen Lebendigem und Unlebendigem bei Kant und Bonnet
Linné zwischen Wolff und Kant. Zu einigen Kantischen Motiven in Linnés biologischer Klassifikation
Probleme in Kants Biophilosophie. Zum Verhältnis von Transzendentalphilosophie, Teleologiemetaphysik und empirischer Bioontologie bei Kant
Kant on Vital Forces. Metaphysical Concerns versus Scientific Practice
Die Begründung einer Theologie in Kants. Kritik der Urteilskraft
Das Mechanismus-Organismus-Problem bei Kant unter dem Aspekt von allgemeinen und besonderen Naturgesetzen
Die Bedeutung des Experiments bei Kant für die neuzeitliche Naturwissenschaft
Kants Raum-Zeit-Apriorismus im Lichte der Relativitätstheorie
Die Einheit der Natur. Naturphilosophische Einheitsprogramme bei und nach Kant
An der Grenze von Physik und Metaphysik. Zum Begriff des „Kristalls“ in Kants Opus postumum
Der Galvanismus als Form der Transzendentalphilosophie?
Formen der Subjektivität oder die Naturalisierung der Subjektivität im Opus postumum
Kants Transzendentalphilosophie des Opus postumum gegen den transzendentalen Idealismus Schellings und Spinozas
Does Kant’s opus postumum Anticipate Hegel’s Absolute Idealism?
Hegel and Kant’s Idea of Matter. What is Wrong with the Dynamical View?
A Trip to the Dark Side? Aether, Space, Intuition, and Concept in Early Hegel and Late Kant
The Emergence of Ideality. Hegel’s Conception of the Animal in the Jena Philosophy of Nature
Backmatter
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Kants Philosophie der Natur: Ihre Entwicklung im "Opus postumum" und ihre Wirkung
 9783110217278, 9783110207125

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Kants Philosophie der Natur



Kants Philosophie der Natur Ihre Entwicklung im Opus postumum und ihre Wirkung Herausgegeben von

Ernst-Otto Onnasch

Walter de Gruyter · Berlin · New York

앝 Gedruckt auf säurefreiem Papier 앪 das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.

ISBN 978-3-11-020712-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 쑔 Copyright 2009 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Laufen Druck und buchbinderische Verarbeitung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Gian Franco Frigo Bildungskraft und Bildungstrieb bei Kant . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Tobias Cheung Der Baum im Baum. Modellkörper, reproduktive Systeme und die Differenz zwischen Lebendigem und Unlebendigem bei Kant und Bonnet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

Vesa Oittinen Linné zwischen Wolff und Kant. Zu einigen Kantischen Motiven in Linnés biologischer Klassifikation . . . . . . . . . . . . .

51

Hans Werner Ingensiep Probleme in Kants Biophilosophie. Zum Verhältnis von Transzendentalphilosophie, Teleologiemetaphysik und empirischer Bioontologie bei Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

Hein van den Berg Kant on Vital Forces. Metaphysical Concerns versus Scientific Practice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

115

Klaus J. Schmidt Die Begründung einer Theologie in Kants Kritik der Urteilskraft

137

Renate Wahsner Das Mechanismus-Organismus-Problem bei Kant unter dem Aspekt von allgemeinen und besonderen Naturgesetzen . . . . .

161

Karen Gloy Die Bedeutung des Experiments bei Kant für die neuzeitliche Naturwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

189

Horst-Heino von Borzeszkowski Kants Raum-Zeit-Apriorismus im Lichte der Relativitätstheorie

203

Paul Ziche Die Einheit der Natur. Naturphilosophische Einheitsprogramme bei und nach Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

221

VI

Inhalt

Bernhard Fritscher An der Grenze von Physik und Metaphysik. Zum Begriff des „Kristalls“ in Kants Opus postumum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

241

Steffen Dietzsch Der Galvanismus als Form der Transzendentalphilosophie? . . .

265

Lu De Vos Formen der Subjektivität oder die Naturalisierung der Subjektivität im Opus postumum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

287

Ernst-Otto Onnasch Kants Transzendentalphilosophie des Opus postumum gegen den transzendentalen Idealismus Schellings und Spinozas . . . . . . . .

307

Kenneth R. Westphal Does Kant’s opus postumum Anticipate Hegel’s Absolute Idealism? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

357

Ilmari Jauhiainen Hegel and Kant’s Idea of Matter. What is Wrong with the Dynamical View? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

385

Jeffrey Edwards A Trip to the Dark Side? Aether, Space, Intuition, and Concept in Early Hegel and Late Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

411

Karin de Boer The Emergence of Ideality. Hegel’s Conception of the Animal in the Jena Philosophy of Nature . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

435

Liste der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

459

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

465

Siglen1 AA

Kant’s gesammelte Schriften, hrsg. von der preußischen, später deutschen und jetzt Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Abt. I: Werke, Bd. 1 – 9; Abt. II: Briefwechsel, Bd. 10 – 13; Abt. III: Handschriftlicher Nachlaß, Bd. 14 – 23; Abt. IV: Vorlesungen, Bd. 24 – 29, Berlin 1902 ff. [der Sigle folgt die durchlaufende Bandnummer, nach dem Punkt die Seite]. KrV Critik der reinen Vernunft, Riga 1781 (A), 21787 (B) [zit. nach AA]. KpV Critik der practischen Vernunft, Riga 1788 [zit. nach AA]. KdU Critik der Urtheilskraft, Berlin und Libau 1790 [zit. nach AA]. Prol. Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, Riga 1783 (A) [zit. nach AA]. man Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Riga 1786 [zit. nach AA]. OP Opus postumum, AA Bd. 21 und 22 mit den Ergänzungen in Bd. 23. Briefe Briefwechsel, Abt. II, Bd. 10 – 13. Refl. Met Reflexionen zur Metaphysik [zit. nach AA 17 und 18]. Refl. Log. Reflexionen zur Logik [zit. nach AA 16]. Refl. Med. Reflexionen zur Medizin [zit. nach AA 15]. Refl. Phys. Reflexionen zur Physik [zit. nach AA 14]. GA

1

Johann Gottlieb Fichte-Gesamtausgabe der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, hrsg. von Reinhard Lauth, Erich Fuchs und Hans Gliwitzky, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962 ff., Abt. I: Werke; Abt. II: Nachgelassene Werke; Abt. III: Briefe; Abt. IV: Vorlesungsnachschriften [der Sigle folgt die

Zur erleichterten Orientierung ist den Siglen der entsprechenden Gesamtausgaben ein Kurztitel vorangestellt.

VIII

HKA

SW

GW

Werke

Enz.3

WdL

G&W

Siglen

römische Ziffer für die Abt., nach „/“die Nummer des Bandes und nach dem Punkt die Seite]. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Historisch-Kritische Ausgabe, hgg. von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Stuttgart-Bad Cannstatt 1976 ff. [der Sigle folgt die römische Ziffer für die Abt., nach „/“die Nummer des Bandes und nach dem Punkt die Seite] Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Sämmtliche Werke, hrsg. von K.F.A. Schelling. I. Abt.: 10 Bde., II. Abt. 4 Bde., Stuttgart/Augsburg 1856 – 1861 [der Sigle folgt die römische Ziffer für die Abt., nach „/“die Nummer des Bandes und nach dem Punkt die Seite]. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Gesammelte Werke, in Verbindung mit der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften, Hamburg 1968 ff. [der Sigle folgt die durchlaufende Bandnummer, nach dem Punkt die Seite]. Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Theorie-Werkausgabe, hrsg. von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel, Frankfurt/M., 1979 [der Sigle folgt die durchlaufende Bandnummer, nach dem Punkt die Seite]. G.W.F. Hegel, Encyclopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, Heidelberg 1830 [zitiert nach GW, die „Zusätze“ nach Werke]. G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik, Nürnberg 1812 – 1816, 2. Aufl. der Seinslogik, Stuttgart und Tübingen 1832 [zitiert nach GW]. G.W.F. Hegel, Glauben und Wissen, oder die Reflexionsphilosophie der Subjectivität in der Vollständigkeit ihrer Formen, als Kantische, Jacobische und Fichtesche Philosophie, in: Kritisches Journal der Philosophie, 2. Bd., 1. St., 1802 [zitiert nach GW].

Einleitung1 Naturphilosophie zwischen Transzendentalphilosophie und objektivem Idealismus Im Gegensatz zur kritischen Philosophie wird die Naturphilosophie Immanuel Kants von der Kant-Forschung immer noch eher stiefmütterlich behandelt. Das ist allein schon aus dem Grunde bemerkenswert, weil genau diese Naturphilosophie, insbesondere die Metaphysik der Natur, eine Schlüsselfunktion hinsichtlich der Anwendung der Resultate der Kritik der reinen Vernunft besitzt. Denn die Begründung unserer empirischen, bzw. naturwissenschaftlichen Erkenntnis erfolgt im Ausgang und auf der Grundlage der Metaphysik der Natur. Von dieser Metaphysik der Natur hat Kant zwar die metaphysischen Anfangsgründe geliefert, es ist jedoch die Frage, ob er damit auch diese Metaphysik selbst geliefert hat. Nach der Vollendung der Kritik der Urteilskraft (1790) schreibt ihr Verfasser in der „Vorrede“ dieses letzten kritischen Werkes, er werde nun „ungesäumt zum doctrinalen“ Teil seines Systems fortschreiten, bestehend aus einer Metaphysik der Sitten und einer Metaphysik der Natur.2 Diese Worte sind nur so zu verstehen, daß die Metaphysik der Natur mit den Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft von 1786 tatsächlich noch nicht, zumindest nicht im vollen Umfange vorliegt. Nun geben Kants tatsächliche Arbeiten nach 1790 kaum Bemühungen zu erkennen, diese Metaphysik der Natur tatsächlich zu formulieren. Was wir allerdings sehen, ist eine intensive Beschäftigung mit einem naturphilosophischen Teilproblem der kritischen Philosophie, nämlich wie der Übergang von den Metaphysischen Anfangsgründen zur Physik geleistet werden kann. Die entsprechenden Ausführungen dieses Teilproblems liegen in Kants umfangreichstem nachgelassenem Manuskript vor, das heute unter dem griffigen Titel Opus postumum bekannt ist. Mit der philosophischen Würdigung dieses Manuskriptbündels hat sich die Kant-Forschung seit seiner ersten Ver1 2

Dieser Band ist zustande gekommen dank der Unterstützung des Hg. durch die Niederlndische Organisation fr wissenschaftliche Forschung (nwo). KdU „Vorrede“, AA 5.170.

2

Einleitung

öffentlichung durch Rudolf Reicke in der Altpreußischen Monatsschrift in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts schwer getan.3 Der stark an naturphilosophischen Fragen interessierte Neukantianismus hat es bedeutsamerweise kaum rezipiert; diese Tatsache hat die Forschungslinien der modernen Kant-Forschung sicherlich nachhaltig bestimmt. Denn auch nachdem das Manuskript in den 30er Jahren des vorherigen Jahrhunderts in der Akademie-Ausgabe der Werke Kants erschienen war, ist es von der Forschung kaum beachtet, geschweige denn in den Gesamtkontext der Kantischen Philosophie gestellt und interpretiert. Im Kontrast zu den anderen Philosophen des deutschen Idealismus ist dieser Sachverhalt höchst bemerkenswert, weil hier fast jeder neue Manuskriptfund, sei es ein Autograph oder „bloß“ eine studentische Nachschrift, eine wahre Sensation auslöst, nicht selten verbunden mit dem Ruf, die Philosophiegeschichte müsse nun neu geschrieben werden. Gegen diesen Hintergrund betrachtet, ist es bemerkenswert, wie leger die Kant-Forschung auf neue Funde reagiert. Sogar ein fast anderthalbtausend Druckseiten umfassendes Manuskript von Kant selbst hat seit seiner Wiederentdeckung die Forschung zur Produktion von kaum einem dutzend Bücher angetrieben, wohingegen zu vielen Detailproblemen der kritischen Philosophie die Publikationen schon kaum mehr zu überschauen sind. Doch scheint in den letzten Jahren etwas Bewegung in diese Forschungssituation gekommen zu sein. Verstärkt werden die nachgelassenen Papiere zu Kants letztem, allerdings unvollendet gebliebenem Werk von der Kant-Forschung beachtet und in den Kontext des Gesamtplans der Philosophie Kants gestellt. Damit treten aber zugleich ganz andere und auch neue Probleme der Kantischen Philosophie in den Vordergrund, die zusammenhängen mit der von Kant intendierten Architektonik seines „Systems der Vernunft“. Historisch war es nämlich genau dieses System, bzw. seine fehlende Ausarbeitung, was von den idealistischen Nachfolgern aufgegriffen wurde und Anfang des 19ten Jahrhunderts zur „Supernova“ (Dieter Henrich) der deutschen Philo3

Altpreußische Monatsschrift 19 (1882), 1. und 2. Heft, Januar-März, 66 – 127, 3. und 4. Heft, April-Juni, 255 – 308, 5. und 6. Heft, Juli-September, 425 – 479, 7. und 8. Heft, Oktober-Dezember, 569 – 629; 20 (1883), 1. und 2. Heft, JanuarMärz, 59 – 122, 3. und 4. Heft, April-Juni, 342 – 373, 5. und 6. Heft, JuliSeptember, 415 – 450, 7. und 8. Heft, Oktober-Dezember, 513 – 566; 21 (1884), 1. und 2. Heft, Januar-März, 81 – 159, 3. und 4. Heft, April-Juni, 309 – 387, 5. und 6. Heft, Juli-September, 389 – 420 und 7. und 8. Heft, OktoberDezember, 533 – 620. – Die Konvolute 4, 6 und 8 hat Reicke nicht ediert.

Einleitung

3

sophie führte. Plötzlich steht der Begriff des Systems der Vernunft und damit der Philosophie selbst mit einer bis dahin noch nicht dagewesenen Prägnanz auf der philosophischen Agenda. Liest man Kant bloß als den Verfasser der kritischen Philosophie, läßt sich diese Entwicklung in der deutschen Philosophie nicht leicht verstehen. Nimmt man dagegen Kants Rede von einem umfassenden System der Vernunft mit in das zeitgenössische Verständnis der kritischen Philosophie hinein, befremdet diese historische Entwicklung schon weniger. Wie aber ist Kants System der Vernunft genau zu verstehen? Die besondere Schwierigkeit eines jeden Versuchs, diese Frage in Angriff zu nehmen, besteht in dem Schatten, den die Systembauer des deutschen Idealismus auf diese Fragestellung werfen. Wie läßt sich mit anderen Worten noch nach Hegel die ursprüngliche Systemfrage Kants ohne die spätere historische Entwicklung, von der diese Frage ja überhaupt erst zur Frage gemacht wurde, in Angriff nehmen? Dieses Problem scheint die moderne Kant-Forschung bis heute überschattet zu haben, denn sie hat sich der Frage nach dem System der Vernunft bislang kaum ernsthaft angenommen. Außerdem wird ja nicht selten ausgerechnet Kant als das idealistische Paradebeispiel dafür genommen, daß es im Rahmen einer idealistischen Philosophie gar nicht notwendig sei, zu einem System fortzuschreiten; die implizite Pointe solcher Auffassungen ist freilich die, die historische Philosophieentwicklung nach Kant als eine Verirrung zu stigmatisieren. Kants System der Vernunft ist tatsächlich umfassender als bloß die kritische Philosophie,4 obwohl sich Kant 1799 in der berühmten Erklärung gegen Fichte noch dahingehend erklärt hat, er verstehe nicht, warum seine kritischen Nachfolger ihm unterstellen, er „habe bloß eine Proprdevtik zur Transscendental-Philosophie, nicht das System dieser Philosophie selbst, liefern wollen“5. Unter historischem Gesichtspunkt ist diese Erklärung allein schon deshalb bedeutsam, weil es nicht Fichte, sondern vielmehr Karl Leonhard Reinhold war, der der Kantischen Philosophie ihren bloß propädeutischen Charakter und damit ihre fehlende systematische Ausgestaltung zum Vorwurf gemacht hat. Doch 4

5

Vgl. dazu auch den Aufsatz von Dieter Henrich, „Systemform und Abschlußgedanke. Methode und Metaphysik als Problem in Kants Denken“, in: Kant und die Berliner Aufklrung. Akten des IX. Internationalen Kant-Kongresses, hrsg. von Volker Gerhardt, Rolf-Peter Horstmann und Ralph Schumacher, Berlin/New York, 2001, Bd. 1, 94 – 115. Briefe, AA 12.371.

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Einleitung

Kant formuliert in jener Erklärung mit Bedacht, denn er behauptet nicht, er habe mit der kritischen Philosophie das System der Vernunft tatsächlich geliefert. Unmittelbar nach der Veröffentlichung der Erklärung gegen Fichte ist eine breitere Diskussion über den Stellenwert der Äußerungen Kants ausgebrochen. Gegenstand dieser Diskussion war, ob Kant mit der ersten Kritik tatsächlich das vollständige System der Transzendentalphilosophie aufgestellt habe oder nicht.6 Die erste Kritik ist hinsichtlich dieser Frage unmißverständlich: sie ist nicht das vollständige System der Vernunft oder der Transzendentalphilosophie, sondern bereitet den Weg dahin nur vor. Nimmt man diese und die vielen ähnlichen Behauptungen ernst, stellt sich freilich sofort die Frage, wie das Kantische System der Vernunft zumindest seinen Grundzügen nach auszusehen habe. Der Königsberger hat sich hierüber kaum genauer erklärt. Der Grund hierfür war sicherlich nicht, daß er seine Rede vom System der Vernunft nicht wirklich ernst nahm. Vielmehr wird man im Gegenteil davon ausgehen müssen, daß die systematischen Probleme, wovor er sich durch die von der kritischen Philosophie markierten Ausgangsvoraussetzungen gestellt sah, groß, so nicht vielleicht sogar unüberwindbar waren. Die große Einsicht der theoretischen Philosophie, daß wir keine Erkenntnis von Gegenständen haben können, die nicht unter den subjektiven Bedingungen von Raum und Zeit stehen, hat nämlich, nehmen wir die Metaphysischen Anfangsgrnde und die dritte Kritik mit hinzu, zur Folge, daß sich unsere Erkenntnis nicht über solche Gegenstände hinaus erstrecken könne, die sich der mathematisch-mechanischen Erklärungsart entziehen. Tatsächlich stellen die Metaphysischen Anfangsgrnde mehr als bloß andeutungsweise klar, daß sich alle chemische, aber insbesondere alle biologische und erst recht alle psychologische Phänomene der Erkenntnis entziehen. Aber auch die Reichweite der Erkenntnis der unter mathematisch-mechanischen Bedingungen erklärbaren Phänomene ist äußerst beschränkt und deckt keineswegs alle physischen Phänomene ab (man denke nur an Phänomene wie Kohäsion, Elastizität usw.). Daß die kritische Erkenntnistheorie tatsächlich so weitreichende Konsequenzen für den Umfang möglicher Erkenntnisse hat, ist vielen Lesern Kants gar nicht so unmittelbar klar. In diesen Problemen liegen daher auch die Gründe, weshalb man förmlich dazu gezwungen ist, die Kantische Erkenntnistheorie im Kontext ihrer metaphysischen, bzw. naturphilosophischen 6

Vgl. dazu auch den Brief von Georg Samuel Albert Mellin vom 13. April 1800 an Kant, AA 12.303 f.

Einleitung

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Konsequenzen zu interpretieren, denn nur dann ist Klarheit darüber zu erlangen, wie weit sich der Umfang unserer möglichen Erkenntnisse wirklich erstreckt. Ohne eine solche metaphysische oder naturphilosophische Erweiterung der im Ausgang der Erfahrungsmöglichkeit entwickelten transzendentalen Erkenntnistheorie ist letztendlich dem Vorwurf der idealistischen Nachfolger Kants nicht zu entgehen, daß die kritische Erkenntnistheorie nicht viel mehr als ein hölzernes Eisen sei. Insbesondere Schelling und Hegel haben die Beschränkungen der kritischen Philosophie klar erkannt. Schon in den Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft von 1797 beansprucht Schelling, apriorische Prinzipien der Chemie als einer über die bloße mathematisch-mechanische Betrachtungsart der Metaphysischen Anfangsgrnde hinausgehenden Naturwissenschaft apriorisch abzuleiten. Obwohl die Metaphysischen Anfangsgrnde von großem Einfluß auf die rasante Entwicklung der zeitgenössischen Naturwissenschaften – insbesondere der Chemie und Biologie – gewesen sind, wurden zugleich Kants metaphysische Prinzipien der Naturwissenschaft zunehmend als zu eng und letztendlich auch als unzureichend erfahren. In diesem Zusammenhang könnte die Frage historisch von Bedeutung sein, ob es die Entwicklungen auf dem Gebiet der empirischen Naturwissenschaften waren oder vielmehr intern philosophische Probleme, die für Kants Nachfolger Anlaß dafür waren, über die Beschränkungen der kritischen Naturphilosophie hinauszugehen. Aber genau diese Frage trifft m. E. nicht den Kern dieser nachfolgenden philosophischen Entwicklung. Denn nicht nur Schelling und später Hegel, sondern auch Kant selbst verfolgte die Entwicklungen innerhalb der zeitgenössischen Physik auf dem Fuße. Das Problem war bloß, daß Kant nach Abschluß seines kritischen Projekts in seinen Veröffentlichungen eben nicht ungesäumt zur Darstellung des doktrinalen Teils seines Systems fortgeschritten ist. Und dafür lassen sich gute Gründe anführen. Schon vor der Abfassung der dritten Kritik wälzte der Königsberger nämlich das äußerst schwierige Problem, wie von den apriorischen Prinzipien der metaphysischen Anfangsgründe zu den empirischen Prinzipien der Naturwissenschaft übergegangen werden könne. Um 1790 eröffnet Kant seinem Schüler Johann Gottfried Carl Christian Kiesewetter, er wolle dieses Problem in einer kleinen Schrift separat erörtern, was unterstellt, er habe es im Kopfe schon mehr oder weniger gelöst. Allerdings sollte diese Schrift niemals erscheinen. Vielmehr er-

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Einleitung

füllt dieses zunächst unscheinbar scheinende Problem den Königsberger quasi unter der Feder mit dem „Tantalische[n](r) Schmertz“7, seine Transzendentalphilosophie nicht vollenden zu können. Es handelt sich hierbei also um ein ausgesprochen zentrales Problem der Transzendentalphilosophie. Unterdessen entsteht der schwierigste und auch undurchdringlichste Text, den Kant jemals geschrieben hat, nämlich der heute unter dem Titel Opus postumum bekannte Nachlaß. Daß Kant über einem weiteren Werk brütete, war unter seinen Königsberger Freunden durchaus bekannt. Ob sie allerdings die für die Transzendentalphilosophie ungemein große systematische Bedeutsamkeit der im Rahmen des Übergangswerkes in Frage stehenden Problematik angemessen erkannt haben, darf man füglich bezweifeln. Allerdings beweist dieser umfangreiche Kantische Nachlaß mindestens eins: daß für Kant die aus seiner kritischen Erkenntnistheorie erwachsenen Probleme für die Erkenntnis von Phänomenen, die nicht ohne weiteres der mathematisch-mechanischen Erklärungsart zugänglich sind, unbedingt gelöst werden mußte, da sonst in der Transzendentalphilosophie eine Lücke, wie Kant sich ausdrückt, klaffen würde, die Lücke nämlich, die durch die mathematisch-mechanische Erklärungsart entsteht, sofern für so viele, so nicht für die meisten empirischen Phänomene die Herleitung ihrer Prinzipien auf der Grundlage der metaphysischen Grundkräfte ungelöst ist. Kant meinte diese Lücke innerhalb der Transzendentalphilosophie, ohne dafür ihren prinzipiellen Erfahrungsstandpunkt verlassen zu müssen, überbrücken zu können; doch darüber, wie diese Überbrückung konkret ausgesehen haben soll, besteht in der KantForschung kaum Klarheit. Geahnt wird Kant aber haben müssen, daß, wenn jemand, dann nur er selbst das Problem des Übergangs wird lösen können. Und solange die Lücke von seinen Kritikern nicht entdeckt und aufs Korn genommen war, hatte Kant noch etwas Zeit. Ebenfalls geahnt haben wird der Königsberger, daß jeder andere Versuch, die Lücke zu überbrücken, zwangsläufig zu einer Philosophie führen müsse, die hinter die Ergebnisse der Transzendentalphilosophie zurückfällt (daß Kant um 1800 den transzendentalen Idealismus Schellings tatsächlich so verstanden hat, habe ich in meinem Beitrag in diesem Band plausibel zu machen versucht). Wir wollen hier nun nicht darüber streiten, ob die Philosophie Schellings oder Hegels ein Rückfall hinter oder ein Fortschritt über die Ergebnisse der Transzendentalphilosophie ist; Tatsache ist allerdings, 7

Vgl. Kants Brief vom 21. September 1798 an Christian Garve, AA 12.257.

Einleitung

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daß ihre Systeme den Kantischen Erfahrungsstandpunkt und die mit ihm aufs Engste zusammenhängende Metaphysik der Natur verlassen haben. Obwohl die idealistischen Nachfolger nirgends die von Kant selbst diagnostizierte Lücke in der Transzendentalphilosophie für ihr Hinausgehen über dieselbe verantwortlich machen, kann man m. E. trotzdem behaupten, daß in der Wurzel das von Kant ungelöst gebliebene Problem zwischen apriorischen und empirischen Erfahrungs- bzw. Erkenntnisprinzipien – mithin die Lücke im System der Transzendentalphilosophie – letztendlich der Grund dafür gewesen ist, daß insbesondere Schelling und Hegel Kant schon sehr bald philosophisch hinter sich gelassen haben. Man kann nur darüber spekulieren, was geschehen wäre, wenn der Königsberger das Übergangsproblem offen zur Diskussion gestellt, geschweige denn es in einer Publikation um 1790 gelöst hätte. Wäre das geschehen, wage ich ernsthaft zu bezweifeln, ob es überhaupt zu jener Supernova gekommen wäre. Damit tut sich die interessante Perspektive auf, daß sich sowohl Kants eigener Nachlaß zum Übergangsproblem als auch die späteren idealistischen Systeme in der Wurzel mit demselben Problem befassen. Aus diesem Grunde könnte man das Kantische System der Philosophie – d. h. die kritische Philosophie erweitert sowohl um die beiden Metaphysiken der Natur und der Sitten als auch um die in beiden Metaphysiken virulente Übergangsproblematik – durchaus als eine der zu jener Zeit möglichen Systemalternativen, freilich in Konkurrenz zu den von Schelling und Hegel formulierten Systemen der Philosophie auslegen. Wie gesagt, kann und darf man den Systemanspruch der Kantischen Transzendentalphilosophie nicht vernachlässigen, zumal deshalb nicht, weil die von der Erfahrung ausgehende Erkenntnistheorie ohne Metaphysik der Natur und Übergangsproblematik gar nicht leisten kann, was sie dem Anspruch der ersten Kritik nach leisten muß. Es führt deshalb auch kein Weg daran vorbei, Kants Philosophie hinsichtlich ihres Systemanspruchs in Angriff zu nehmen und verstehen zu lernen. Und wenn wir außerdem die philosophischen Systeme des deutschen Idealismus nicht primär als Weiterentwicklungen einer ursprünglichen Fragestellung Kants begreifen – obwohl sie das freilich unter einer bestimmten Perspektive auch sind –, sondern als konkurrierende Programme zum Kantischen System, kann uns ein methodologisch hilfreiches Mittel an die Hand gegeben werden, den Systemcharakter der Kantischen Transzendentalphilosophie relativ unabhängig von diesen Systemen in den Blick zu bekommen und als Kants genuin eigenen Beitrag zur Philosophie(-geschichte) zu entwickeln. Die Systemphilo-

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Einleitung

sophie ist selbst ein systematisches philosophisches Problem, das durchaus verschiedene philosophische Darstellungen annehmen kann; keineswegs ist es eine Erfindung der deutschen Idealisten, wobei etwa Hegels Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften die unübertroffene oder gar unübertreffliche Krone über die Philosophiegeschichte spannt. Allein schon Kants Grundsatz, alle unsere Erkenntnis fange mit der Erfahrung an, ist so unverbrüchlich mit der modernen Naturwissenschaft verbunden, daß die Kantische Erkenntnistheorie mit der auf dieser beruhenden metaphysischen Begründung der Naturwissenschaften grundsätzliche Einsichten in die Grundlagen der modernen Naturwissenschaft und ihrer Theorieformierung hervorbringen muß; das jedoch nur unter der Voraussetzung, daß die Kantische Erkenntnistheorie nicht losgelöst von der Metaphysik der Natur und dem Übergangsproblem behandelt wird. Dieser Band und die ihm zugrundeliegende Fragestellung ist hervorgegangen aus dem von der Niederländischen Organisation für wissenschaftliche Forschung (nwo) geförderten Forschungsprojekt des Herausgebers „The Quest for the System in the Transcendental Philosophy of Immanuel Kant“. Die Beiträge gehen zurück auf eine Tagung, die der Herausgeber im September 2007 in Amsterdam veranstaltet hat mit finanzieller Unterstützung der Königlichen Akademie der Wissenschaften (knaw) sowie der Niederländischen Organisation für wissenschaftliche Forschung (nwo) und mit „sittlicher“ Unterstützung durch den Arbeitskreis für Hegels Naturphilosophie. An dieser Stelle danken möchte ich zunächst ganz besonders den Referenten für die sorgfältige Überarbeitung ihrer Amsterdamer Beiträge für diesen Band. Ebenfalls danken möchte ich den Gutachtern auch für ihre vielfältigen Hinweise und Vorschläge, sowie dem de Gruyter Verlag, besonders der Cheflektorin für Philosophie, Frau Dr. Gertrud Grünkorn, für die Aufnahme dieses Bandes in das Verlagsprogramm und für ihre geduldige Betreuung der Drucklegung. Amsterdam und Utrecht im Frühjahr 2009

Ernst-Otto Onnasch

Bildungskraft und Bildungstrieb bei Kant Gian Franco Frigo Abstract: Starting with the Critique of the Power of Judgement, Kant does not only discus the problem of understanding nature from within a mechanistic paradigm. Rather, he tries to develop a synthesis of determinism and finalism. This is because he realizes that, on one hand, some natural processes fall within the realm of matter and its laws. On the other hand, they apparently tend to realize a certain form or type, and can therefore be explained in terms of ideas of reason. In other words, not only formative forces (Bildungskrfte), but also formative drives (Bildungstriebe) are at stake here. Certainly, purposiveness cannot determine phenomena, it is rather a sort of „Gesetzlichkeit des Zufälligen“ which takes place at the level of the empirical laws of nature. Thus finality can be regarded as a ‘production-manifestation’ of a particular object, because finality enables us to discover the organization of the natural phenomena that mechanistic laws must explain.

1. Die Grenzen der „Autokratie der Materie“ und des „Naturmechanismus“1 In der Kritik der Urteilskraft (1790) behandelt Kant das Problem des Verständnisses der Natur nicht nur, indem er es in die mechanistische Perspektive einordnet, wie er es in der Kritik der reinen Vernunft (1781, 1787), in den Prolegomena (1783) oder in den Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft (1786) vorgenommen hat, sondern indem er eine mögliche Synthese zwischen Determinismus und Finalismus sucht.2 Dieser Versuch beabsichtigt nicht, die Naturwissenschaft der Phänomene in eine Krise zu stürzen, sondern sie in die Perspektive einer Produktivität der Natur zu setzen, die die kausal-mechanistischen Prozesse zur Verwirklichung (oder Wiederherstellung) einer schon gegebenen Form zu „führen“ beabsichtigt. Das bezieht sich auf die organischen Produkte der Natur, die unserer Urteilskraft wie die Verwirklichung eines Zweckes erscheinen: 1 2

Vgl. KdU § 81, AA 5.421 – 424. Vgl. Adickes 1924 – 1925; Schäfer 1966; Butts 1986; Friedman 1992; Schwabe/Thom 1993; Bonsiepen 1997; Toepfer 2004 und Wahsner 2004.

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Gian Franco Frigo

die Natur zeigt in ihren freien Bildungen überall so viel mechanischen Hang zu Erzeugung von Formen, die für den ästhetischen Gebrauch unserer Urtheilskraft gleichsam gemacht zu sein scheinen, ohne den geringsten Grund zur Vermuthung an die Hand zu geben, daß es dazu noch etwas mehr als ihres Mechanisms, bloß als Natur, bedürfe, wornach sie auch ohne alle ihnen zum Grunde liegende Idee für unsere Beurtheilung zweckmäßig sein können. Ich verstehe aber unter einer freien Bildung der Natur diejenige, wodurch aus einem Flssigen in Ruhe durch Verflüchtigung oder Absonderung eines Theils desselben (bisweilen bloß der Wärmmaterie) das Übrige bei dem Festwerden eine bestimmte Gestalt oder Gewebe (Figur oder Textur) annimmt, die nach der specifischen Verschiedenheit der Materien verschieden, in eben derselben aber genau dieselbe ist.3

Kant aber erkennt, daß diese „freien Bildungen“, eben da sie „frei“ sind, ihre Grundlage nicht einfach in den mechanischen Kräften haben können, aus denen die Materie besteht, weil wenn […] die Ursache bloß in der Materie, als einem Aggregat vieler Substanzen außer einander, gesucht wird, die Einheit des Princips für die innerlich zweckmäßige Form ihrer Bildung gänzlich ermangelt; und die Autokratie der Materie in Erzeugungen, welche von unserm Verstande nur als Zwecke begriffen werden können, ist ein Wort ohne Bedeutung.4

In Wirklichkeit muß Kant hier erkennen, daß die Möglichkeit zu objektiv zweckmäßigen, die Materie betreffenden Formen absolut unlösbar für unsere Intelligenz bleibt, wenn wir [d]en Urgrund der Dinge nicht als einfache Substanz und dieser ihre Eigenschaft zu der specifischen Beschaffenheit der auf sie sich gründenden Naturformen, nämlich der Zweckeinheit, nicht als die einer intelligenten Substanz, das Verhältniß aber derselben zu den letzteren (wegen der Zufälligkeit, die wir an allem finden, was wir uns nur als Zweck möglich denken) nicht als das Verhältniß einer Causalitt uns vorstellen.5

Die Schwierigkeit entsteht darin, daß, was ein organisiertes Produkt betrifft, einerseits „der Mechanismus der Natur […] nicht zulangen kann, um sich die Möglichkeit eines organisirten Wesens darnach zu denken, sondern (wenigstens nach der Beschaffenheit unsers Erkenntnißvermögens) einer absichtlich wirkenden Ursache ursprünglich untergeordnet werden muß“; andererseits ist es genauso wahr, daß eine rein finalistische Grundlage diesem Produkt ihre „Natürlichkeit“ nehmen würde, auf Grund wovon Mechanismus und Finalismus vereint 3 4 5

KdU § 58, AA 5.348. KdU § 81, AA 5.421. Ebd.

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handeln müssen, damit ein Produkt entstehen kann, das ein Produkt der Natur, aber gleichzeitig auch das Resultat einer Endursache ist.6 Mechanische Kausalität und freie Kausalität scheinen entgegengesetzt, aber die positive Bedeutung ihrer möglichen Einheit liegt darin, daß die teleologische Betrachtung nicht die Universalgesetze der Natur als solche ausschließt, sondern gerade indem sie sich ihrer bedient, und so der freien Bildung eine Grenze auflegt.

2. Die Erfahrung der Natur Wie ist die reine Naturwissenschaft möglich, fragt sich Kant in den Prolegomena. Er erkennt, daß die Natur verschiedene Bedeutungen annimmt: sie bezeichnet nämlich das Dasein der Dinge, so fern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist. Sollte Natur das Dasein der an sich selbst bedeuten, so würden wir sie niemals, weder a priori noch a posteriori, erkennen können.7

Ich kann die Natur nicht a priori kennen, denn Mein Verstand und die Bedingungen, unter denen er allein die Bestimmungen der Dinge in ihrem Dasein verknüpfen kann, schreibt den Dingen selbst keine Regel vor; diese richten sich nicht nach meinem Verstande, sondern mein Verstand müßte sich nach ihnen richten […].8

Aber auch kann ich sie nicht a posteriori kennen, Denn wenn mich Erfahrung Gesetze, unter denen das Dasein der Dinge steht, lehren soll, so müßten diese, so fern sie Dinge an sich selbst betreffen, auch außer meiner Erfahrung ihnen nothwendig zukommen.9

Die Gesetze, auf die hier Bezug genommen wird, sind die in der „Analytik der Grundsätze“ der Kritik der reinen Vernunft angegebenen. Diese Auffassung der Materie stammt direkt von der kritischen Perspektive, nach der wir von etwas Materiellem nur dann sprechen können, wenn unsere Sinne von einer Wirklichkeit, die außer uns ist, verändert werden. Demnach gestehe ich […], daß es außer uns Körper gebe, d.i. Dinge, die, obzwar nach dem, was sie an sich selbst seien mögen, uns gänzlich unbe6 7 8 9

Vgl. KdU § 81, AA 5.421 f. Prol. § 14, AA 4.294, vgl. dazu auch Plaass 1994. Ebd. Ebd.

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kannt, wir durch die Vorstellungen kennen, welche ihr Einfluß auf unsre Sinnlichkeit uns verschafft, und denen wir die Benennung eines Körpers geben; welches Wort also blos die Erscheinung jenes uns unbekannten, aber nichts desto weniger wirklichen Gegenstandes bedeutet.10

Die Natur, materialiter betrachtet, ist nach Kant der „Inbegriff aller Gegenstnde der Erfahrung“, während sie, formaliter untersucht, „die Gesetzmäßigkeit aller Gegenstände und, sofern sie a priori erkannt wird, die nothwendige Gesetzmäßigkeit derselben“ ist.11 Das bedeutet, daß die Objekte der Erfahrung notwendigen Gesetzen entsprechen, weil diese auch die Gesetze aller unserer möglichen Erfahrungen sind: „die subjectiven Gesetze, unter denen allein eine Erfahrungskenntniß von Dingen möglich ist, gelten auch von diesen Dingen als Gegenständen einer möglichen Erfahrung“.12 Die Natur erweist sich also bestimmt als „de[r] ganze(n) Gegenstand aller möglichen Erfahrung“, wobei „die Bedingungen a priori von der Möglichkeit der Erfahrung zugleich die Quellen sind, aus denen alle allgemeine Naturgesetze hergeleitet werden müssen“.13 Der Verweis ist also auf die Beschaffenheit unseres Verstandes, nach welcher alle jene Vorstellungen der Sinnlichkeit auf ein Bewußtsein nothwendig bezogen werden, und wodurch allererst die eigenthümliche Art unseres Denkens, nämlich durch Regeln, und vermittelst dieser die Erfahrung, welche von der Einsicht der Objecte an sich selbst ganz zu unterscheiden ist, möglich ist.14

Die „Eigenschaft“15 unserer Erkennungsfähigkeit bleibt eine Tatsache, die nicht weiter untersucht werden kann, da sie jedem Denken bezüglich der Objekte und somit auch sich selbst zu Grunde liegt. Es sind viele Gesetze der Natur, die wir nur vermittelst der Erfahrung wissen können; aber die Gesetzmäßigkeit in Verknüpfung der Erscheinungen, d.i. die Natur überhaupt, können wir durch keine Erfahrung kennen lernen, weil Erfahrung selbst solcher Gesetze bedarf, die ihrer Möglichkeit a priori zum Grunde liegen.16

Die Gesetze a priori sind aber nicht genug, um die Natur konkret zu erkennen, denn für die empirische Bestimmtheit brauchen wir den 10 11 12 13 14 15 16

Prol., AA 4.289. Prol. § 16, AA 4.295 f. Prol. § 17, AA 4.296. Prol. § 17, AA 4.297. Prol. § 36, AA 4.318. Ebd. Ebd., 318 f.

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Beitrag der Erfahrung hic et nunc; mit anderen Worten kann der Verstand die vielfältigen Gesetze der Natur nur erst a posteriori erkennen. Wir müssen […] empirische Gesetze der Natur, die jederzeit besondere Wahrnehmungen voraussetzen, von den reinen oder allgemeinen Naturgesetzen, welche, ohne daß besondere Wahrnehmungen zum Grunde liegen, blos die Bedingungen ihrer nothwendigen Vereinigung in einer Erfahrung enthalten, unterscheiden; und in Ansehung der letztern ist die Natur und mçgliche Erfahrung ganz und gar einerlei.17

Wenn also das Kausalitätsprinzip von der „Beschaffenheit“ unseres Verstands und unserer Sinnlichkeit abhängt, dann sind die Gesetze, die die verschiedenen besonderen kausalen Zusammenhänge beschreiben, auf Grund deren die konkreten natürlichen Prozesse erfolgen, nicht von ihr abzuleiten, sondern sind für uns nur dank bestimmter Wahrnehmungen erkennbar; richtig bleibt jedoch, daß die Ordnung, mit der sie aufeinander folgen, auf die noumenale Ordnung verweist, die auf uns wirkt. Diese noumenale Ordnung ist für uns freilich unkennbar, sie wird uns allerdings analog in der phänomenalen Ordnung offenbar. Kant führt den Verweis auf eine noumenale Natur ein, wenn er das Verhältnis zwischen Mechanismus und Finalismus erklärt; in der Kritik der Urteilskraft beruft er sich auf ein „übersinnliche[s] Substrat der Natur“ oder auch auf ein intelligibles Substrat.18

3. Materie als Bildungskraft In den Metaphysischen Anfangsgrnden ist die Materie nach Kant das Objekt unserer äußeren Sinne, und der Körper ist die Form, die sie annimmt, da sie innerhalb bestimmter Grenzen eingeschlossen ist. Die reine Naturwissenschaft hat ihre Grundlage in diesem empirischen Begriff von Materie, auch wenn sie dann erforscht, welche Kenntnisse der Verstand a priori von ihr erwerben kann.19 Nach rein metaphysischer Betrachtung ist Materie „das Bewegliche im Raume“20. Der Verweis auf den Raum ist in diesem Zusammenhang verständlich, weil wir es hier mit einer sinnlichen Erfahrung zu tun haben, die unter die reine Anschauung des Raumes fällt. Es handelt sich um eine Charakterisierung 17 18 19 20

Ebd., 320 KdU § 78, AA 5.416 und § 81, 422. MAN, AA 4.469. Ebd., 480.

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der Materie, die sich nicht auf die Ausdehnung bezieht, sondern nur auf die Bewegung, auf einen materiellen Punkt, der seine Position im Raum verändert und somit in den Bereich der Phoronomie fällt. In der auf die Phoronomie folgenden Dynamik wird die Materie zusätzlich als „das Bewegliche, sofern es einen Raum erfllt“ charakterisiert.21 Dem fügt Kant hinzu: „Einen Raum erfllen, heißt allem Beweglichen widerstehen, das durch seine Bewegung in einen gewissen Raum einzudringen bestrebt ist“.22 Die Materie „erfüllt einen Raum“ und nimmt einen Raum ein, weil sie „eine besondere bewegende Kraft“ besitzt;23 diese Kraft offenbart sich als „Widerstand“ gegenüber einem anderen Beweglichen, das versucht, in den Raum des ersteren Beweglichen einzudringen. Nur weil die Materie die raumdurchdringende Kraft ist, ist es für uns möglich, uns in der Anschauung den Begriff einer Materie darzustellen. Die Kraft, durch die die Materie den Raum erfüllt, dehnt sich in alle Richtungen aus. Aber eine bewegende Kraft, die unendlich im Raum eine unendliche Größe hätte, kann es nicht geben, weshalb die Ausdehnung von einer anderen Kraft entgegengewirkt wird, die sie zurückdrückt. „Die Materie erfüllt ihre Räume durch repulsive Kräfte aller ihrer Theile, d. h. durch eine ihr eigene Ausdehnungskraft, die einen bestimmten Grad hat, über den kleinere oder größere ins Unendliche können gedacht werden.“24 Es handelt sich hier um die beiden Kräfte der Attraktion und Repulsion. Beide gehören sie zur Materie und garantieren ihr die Eigenschaften der Elastizität (expansive Kraft), der Undurchdringlichkeit (Anziehungskraft) und der Teilbarkeit. Besäße die Materie nur Attraktionskraft, würden „alle Theile der Materie sich ohne Hinderniß einander nähern und den Raum, den diese einnimmt, verringern.“25 Würden die Teile der Materie nicht in einer gewissen Entfernung zueinander stehen, müßte das zur Folge haben, daß sich alle Materie in einem mathematischen Punkt konzentrierte und der Raum folglich leer sein würde; deshalb gibt es keine positive Kraft im Raum ohne eine negative. Als Eigenschaften der Materie wirken die Kräfte auf jeden Teil der Materie. Sie wirken nicht nur auf die Teile eines einzelnen Körpers, indem sie sie zusammenhalten und von denen 21 22 23 24 25

Ebd., Ebd. Ebd., Ebd., Ebd.,

496. 497. 499. 511.

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anderer Körper trennen, sondern sie wirken auch aus der Entfernung auf andere Körper, mit denen es keine Berührung gibt, d. h. sie wirken durch den leeren Raum.26 Die Schwierigkeit für unseren Verstand, sich diese Kräfte vorzustellen, kommt daher, daß sie, eben als „Grundkräfte“, nicht von anderen Kräften abzuleiten sind; sie geben den einzelnen Körpern Form und bilden das ganze Universum: Da alle gegebene Materie mit einem bestimmten Grade der repulsiven Kraft ihren Raum erfüllen muß, um ein bestimmtes materielles Ding auszumachen, so kann nur eine ursprüngliche Anziehung im Conflict mit der ursprünglichen Zurückstoßung einen bestimmten Grad der Erfüllung des Raums, mithin Materie möglich machen; es mag nun sein, daß der erstere von der eigenen Anziehung der Theile der zusammengedrückten Materie unter einander, oder von der Vereinigung derselben mit der Anziehung aller Weltmaterie herrühre.27

4. Materie als Bildungstrieb In seinen Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit (1784 – 1791) hatte Johann Gottfried Herder die Idee eingeführt, daß die gesamte Natur, auch die sogenannte tote Natur, von einer einzigen Kraft dominiert und durchdrungen wird. Ursprünglich ist diese Kraft dunkel und unbestimmt, doch gliedert sie sich in der Natur in die unendliche Vielfältigkeit ihrer Produkte: In der toten Natur liegt alles noch in einem dunkeln, aber mächtigen Triebe. Die Teile dringen mit innigen Kräften zusammen; jedes Geschöpf sucht Gestalt zu gewinnen und formt sich. In diesem Trieb ist noch alles verschlossen; er durchdringt aber auch das ganze Wesen unzerstörbar. […] Der Trieb des Ganzen modifiziert sich […], bleibt aber noch im Ganzen eins und dasselbe; denn die Fortpflanzung ist nur Efflorezens des Wachstums; beide Triebe sind der Natur des Geschöpfs nach unabtrennbar. […] [Der] Hauptzweck [der Natur] ist offenbar, sich der organischen Form zu nähern, in der die meiste Vereinigung klarer Begriffe, der vielartigste und freieste Gebrauch verschiedener Sinne und Glieder stattfände […] Die Teile jedes Tiers stehen auf seiner Stufe in der engsten Proportion untereinander; und ich glaube, alle Formen sind erschöpft, in denen nur ein lebendiges Geschöpf auf unserer Erde fortkommen konnte.28 26 Ebd., 512. 27 Ebd., 518. 28 Herder 6.105 und 107 f.

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Herders Deutung weist gewisse Ähnlichkeiten mit Kants vorkritischen Überzeugungen auf, ihr gegenüber nimmt der Philosoph der „kopernikanischen Revolution“ allerdings eine doppelte Haltung ein. Einerseits anerkennt er die universelle Gültigkeit der Kategorien des Verstands im Bereich der phänomenalen Natur, andererseits geht er davon aus, daß bestimmte natürliche Prozesse der Erklärung nach Ideen des Verstands unterworfen sind, die deren Besonderheit hervorheben. Ersteres war, wenn auch im Grunde genommen mechanistisch ausgedrückt, schon in der Behauptung der Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels (1755) enthalten, wonach nämlich die Materie, „die bloß leidend und der Formen und Anstalten bedürftig zu sein scheint, […] in ihrem einfachsten Zustande eine Bestrebung [hat], sich durch eine natürliche Entwicklung zu einer vollkommenern Verfassung zu bilden“29. Das zweite erscheint schon 1775 hinsichtlich der Betrachtung der Bildung der verschiedenen Rassen, wo Kant den Begriff der „Keime“ und der „natürlichen Anlage“ einführt, um die Bildungs- und Anpassungsprozesse einiger Organismen zu erklären: Die in der Natur eines organischen Körpers (Gewächses oder Thieres) liegenden Gründe einer bestimmten Auswickelung heißen, wenn diese Auswickelung besondere Theile betrifft, Keime; betrifft sie aber nur die Größe oder das Verhältniß der Theile untereinander, so nenne ich sie natrliche Anlagen. […] Diese Fürsorge der Natur, ihr Geschöpf durch versteckte innere Vorkehrungen auf allerlei künftige Umstände auszurüsten, damit es sich erhalte und der Verschiedenheit des Klima oder des Bodens angemessen sei, ist bewundernswürdig […] Der Zufall, oder allgemeine mechanische Gesetze können solche Zusammenfassungen nicht hervorbringen. Daher müssen wir dergleichen gelegentliche Auswickelungen als vorgebildet ansehn.30

Kants Aufmerksamkeit für natürliche Prozesse, die – obwohl sie innerhalb des Bereiches der Materie und ihrer Gesetze bleiben – darauf ausgerichtet zu sein scheinen, eine bestimmte Form oder einen bestimmten Typ zu verwirklichen, wird von der zeitgenössischen Debatte über Präformationismus und Epigenese immer weiter verschärft.31 Jenseits der theologischen Probleme, die Kant als Philosoph beiseite läßt, ist er daran interessiert, ein epistemologisches Modell zu entwickeln, auf Grund dessen die in der Materie wirkenden Kräfte unter bestimmten Umständen auf eine und dieselbe Weise wirken und die 29 Allg. Naturgesch., AA 1.263. 30 Von den verschiedenen Racen, AA 2.434 f. 31 Vgl. dazu Lenoir 1980 und Zumbach 1984

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unserer Urteilskraft wie ein finalistisches Wirken erscheinen. In dieser Debatte kommt dem Buch von Friedrich Blumenbach, ber den Bildungstrieb (1781, 21789) eine große Bedeutung zu. Er faßt das Prinzip oder den Trieb, nach dem sich die Organismen entwickeln, weder als etwas Hyperphysisches noch als eine vorangegangene und starre Potentialität auf, die schon von der natürlichen Ordnung vorausgesetzt wird und nichts anderes tut, als sich im richtigen Moment zu aktivieren; genausowenig faßt Blumenbach jenes Prinzip als eine Kraft auf, die mit dem Leben des Individuums identisch ist, wie etwa die vis essentialis von Caspar Friedrich Wolff. Dieser hatte nämlich in seiner Theoria generationis (1759) behauptet: Wie nun auch diese Kraft beschaffen sein mag, sei es, dass sie eine anziehende, oder eine antreibende, sei es, dass sie der ausgedehnten Luft ihre Entstehung verdanke, oder dass sie aus all diesen und noch anderen Factoren zusammengesetzt sei, jedenfalls leistet sie die angefhrten Wirkungen (§ 1) und muss angenommen werden, sobald man den Pflanzen ernhrende Sfte zuspricht, was ja durch die Erfahrung erwiesen wird (§ 1). […] und ich werde diese Kraft als wesentliche Kraft (vis essentialis) der Pflanze bezeichnen. 32

Bei Blumenbachs Bildungstrieb handelt es sich dagegen um eine Funktion oder Kraft im Inneren des Organisierungsprozesses, welche selbst im Werden begriffen ist und sich den verschiedenen Situationen anpaßt, obwohl sie auch stets danach strebt, den unternommenen Prozeß nach einem bestimmten Modell zu vollenden, das nicht mechanisch „kopiert“ oder „geprägt“ ist: Daß keine präformirten Keime existieren: sondern daß in dem vorher rohen ungebildeten Zeugungsstoff der organisierten Körper nachdem er zu seiner Reife und an den Ort seiner Bestimmung gelangt ist, ein besonderer, dann lebenslang thätiger Trieb rege wird, ihre bestimmte Gestalt anfangs anzunehmen, dann lebenslang zu erhalten, und wenn sie ja etwa verstümmelt worden, wo möglich wieder herzustellen. Ein Trieb, der folglich zu den Lebenskräften gehört, der aber eben so deutlich von den übrigen Arten der Lebenskraft der organisirten Körper (der Contractilität, Irritabilität, Sensibilität etc) als von den allgemeinen physischen Kräften der Körper überhaupt, verschieden ist; der die erste wichtigste Kraft zu aller Zeugung, Ernährung, und Reproduktion zu seyn scheint, und den man um ihn von anderen Lebenskräften zu unterscheiden, mit dem Nahmen des Bildungstrieb (nisus formativus) bezeichnen kann.33

32 Wolff 1759, § 4, 12. 33 Blumenbach 1789, 24 f.

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Die Anerkennung dafür, daß Blumenbach das wesentliche Problem des Verhältnisses zwischen Mechanismus und Finalismus in der Natur berührt, liefert Kant in der Kritik der Urteilskraft: Denn daß rohe Materie sich nach mechanischen Gesetzen ursprünglich selbst gebildet habe, daß aus der Natur des Leblosen Leben habe entspringen und Materie in die Form einer sich selbst erhaltenden Zweckmäßigkeit sich von selbst habe fügen können, erklärt er [d. h. Blumenbach, GFF] mit Recht für vernunftwidrig; läßt aber zugleich dem Naturmechanism unter diesem uns unerforschlichen Princip einer ursprünglichen Organisation einen unbestimmbaren, zugleich doch auch unverkennbaren Antheil, wozu das Vermögen der Materie (zum Unterschiede von der ihr allgemein beiwohnenden bloß mechanischen Bildungskraft) von ihm in einem organisirten Körper ein (gleichsam unter der höheren Leitung und Anweisung der ersteren stehender) Bildungstrieb genannt wird.34

Die Grenze der rein mechanistischen Auffassung der Natur wird von Kant in der Kritik der Urteilskraft anerkannt, indem er mit der Urteilskraft ein „Mittelglied“ zwischen Verstand und Vernunft angibt,35 auf das unsere Urteile über das Schöne und das Erhabene, sowie unsere teleologische Interpretation von bestimmten natürlichen Prozessen zurückzuführen sind.36 Kant anerkennt nämlich, daß wir die organisirten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen Principien der Natur nicht einmal zureichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können; und zwar so gewiß, daß man dreist sagen kann: es ist für Menschen ungereimt, auch nur einen solchen Anschlag zu fassen, oder zu hoffen, dass noch etwa dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde; sondern man muß diese Einsicht den Menschen schlechterdings absprechen.37

Wenn ein organisiertes Naturprodukt dadurch gekennzeichnet ist, daß in ihm „alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist“, dann ist offensichtlich, daß es nicht nur unter einer Ursache effizienter Art, sondern auch unter einer Ursache teleologischer Art denkbar ist, so daß „ein Ding, welches als Naturproduct doch zugleich nur als Naturzweck möglich erkannt werden soll, sich zu sich selbst wechselseitig als Ursache und Wirkung“ verhält.38 Nun unterscheidet Kant in der „Analytik 34 35 36 37 38

KdU § 81, AA 5.424. Vgl. KdU „1. Vorrede“, AA 5.168. Vgl. Rang 1993; Flach 1997 und Obermeier 1997. KdU § 75, AA 5.400. KdU § 65, AA 5.372.

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der Urteilskraft“ zwei Arten von Zwecken, d. h. einen äußeren, der das Verhältnis vom Mittel zum Zweck zwischen zwei äußerlichen Entitäten anzeigt, und einen inneren, der sich verwirklicht, wenn ein Ding „von sich selbst (obgleich in zweifachem Sinne) Ursache und Wirkung“ ist.39 Zu einem Dinge als Naturzwecke wird nun erstlich erfordert, daß die Theile (ihrem Dasein und der Form nach) nur durch ihre Beziehung auf das Ganze möglich sind. Denn das Ding selbst ist ein Zweck, folglich unter einem Begriff oder einer Idee befaßt, die alles, was in ihm enthalten sein soll, a priori bestimmen muß […] Soll aber ein Ding als Naturproduct in sich selbst und seiner innern Möglichkeit doch eine Beziehung auf Zwecke erhalten, d.i. nur als Naturzweck und ohne die Causalität der Begriffe von vernünftigen Wesen außer ihm möglich sein: so wird zweitens dazu erfordert: daß die Theile desselben sich dadurch zur Einheit eines Ganzen verbinden, daß sie von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind. Denn auf solche Weise ist es allein möglich, daß umgekehrt (wechselseitig) die Idee des Ganzen wiederum die Form und Verbindung aller Theile bestimme: nicht als Ursache – denn da wäre es ein Kunstproduct –, sondern als Erkenntnißgrund der systematischen Einheit der Form und Verbindung alles Mannigfaltigen, was in der gegeben Materie enthalten ist, für den, der es beurtheilt.40

Nun ist das Naturprodukt in jeder Hinsicht Naturzweck, da es, wie Kant anhand des Beispiels des Baumes zeigt,41 Ursache und Wirkung seiner selbst ist. Naturzweck ist das Naturprodukt in erster Linie hinsichtlich der Gattung, d. h. das Individuum ist nicht nur ihre Wirkung, sondern zugleich ihre Ursache, weil sich im Individuum die Gattung verewigt; in zweiter Linie als Individuum durch das Wachstum, durch das die Materie zuerst verwandelt wird, um dann vom Individuum angeeignet werden zu können; in dritter Linie, da sich im Organismus der Teil des Ganzen entwickelt und die Selbsterhaltung des Organismus seinerseits von diesem Ganzen abhängt und dieses wiederum vom Teil.42 Während nämlich in einer Maschine – Kant gibt in diesem Zusammenhang das Beispiel einer Uhr – ein Teil nicht das Ganze produziert, sondern nur ein Werkzeug der Bewegung der anderen Teile ist, weshalb die hervorbringende Ursache des Produktes der Maschine selbst äußerlich ist, ist das organische Produkt umgekehrt „organisiertes und sich selbst organisierendes Wesen“.43 39 40 41 42 43

KdU § 64, AA 5.370. KdU § 65, AA 5.373. Vgl. dazu den Beitrag von Tobias Cheung in diesem Band. Vgl. KdU § 64, AA 5.371. KdU § 65, AA 5.374.

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In den nachgelassenen Papieren des Opus postumum wird Kant dann noch klarer herausstellen, daß ein „ein organischer Körper ist“, an dem „die Idee des Ganzen vor der Möglichkeit seiner Theile in Ansehung ihrer bewegenden Kräfte vorhergeht“44, oder mit anderen Worten, ein „organischer Körper ist der, dessen jeder Theil absolute Einheit des Princips der Existenz und Bewegung aller übrigen seines Ganzen ist“45. Der Kantische Begriff der Zweckmäßigkeit stellt, da er kein bestimmendes Prinzip des Verstands ist, er ist ja keine Kategorie, eine Form der „Gesetzlichkeit des Zufälligen“46 dar, die sich auf die Ordnung der empirischen Gesetze der Natur bezieht; vor allem aber bezieht sie sich auf die besondere Ordnung der kausalen Prozesse in einem Organismus als einzelnem Objekt der Natur. In einem Organismus werden nämlich die einzelnen kausalen Ketten auf eine ganz bestimmte Weise als miteinander verbunden gedacht, d. h. auf eine Weise, die sich im Gegensatz zu vielen anderen zufälligen Kombinationen zu behaupten weiß. Nach Kant ist nun die Koordinierung von kausalen Ketten in einer ordentlichen Einheit für uns denkbar, indem man sich einer Idee bedient, die eine gegenseitige Verbindung der einzelnen Faktoren herstellt. Tatsächlich kann nur eine solche Idee von einem Ganzen die Verknüpfung der Teile begründen.47 Nun läßt sich aber diese Verknüpfung der Teile nur mechanisch denken. Es entsteht damit konkret das Beispiel des einheitlichen Wirkens „zweier ganz verschiedener Arten von Causalität“: Die Möglichkeit einer solchen Vereinigung zweier ganz verschiedener Arten von Causalität, der Natur in ihren allgemeinen Gesetzmäßigkeit mit einer Idee, welche jene auf eine besondere Form einschränkt, wozu sie für sich gar keinen Grund enthält, begreift unsere Vernunft nicht; sie liegt im übersinnlichen Substrat der Natur, wovon wir nichts bejahend bestimmen können, als daß es das Wesen an sich sei, von welchem wir bloß die Erscheinung kennen. Aber das Princip: alles, was wir als zu dieser Natur (Phaenomenon) gehörig und als Product derselben annehmen, auch nach mechanischen Gesetzen mit ihr verknüpft denken zu müssen, bleibt nicht desto weniger in seiner Kraft: weil ohne diese Art von Causalität organisirte Wesen, als Zwecke der Natur, doch keine Naturproducte sein würden.48 44 45 46 47 48

OP, AA 21.569. Ebd., 210. KdU § 76, AA 5.404. KdU § 77, AA 5.408. KdU § 81, AA 5.422.

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Die Zweckmäßigkeit läßt sich als eine irgendwie offenbar gewordene Erzeugung eines besonderen Objektes betrachten, sofern sie es nämlich möglich macht, die Organisation der natürlichen Prozesse zu „erkennen“, wobei die mechanistischen Bestimmungen „erklären“. Das finalistische und das mechanistische Modell konkurrieren somit nicht miteinander, sofern das erstere Modell nicht nur auf bestimmte Perspektiven der Naturforschung bezogen werden kann. Vielmehr ist dieses Modell wegen der Erkenntnis des Organismus, das ein Produkt natürlicher Kräfte ist, wesentlich „unverzichtbar“.49 Die Teleologie läuft also keineswegs auf eine Ablehnung von Kausalität und anderen Erkenntnis konstituierenden Prinzipien hinaus, sondern sie führt zu einem erweiterten Verständnis einer besonderen Struktur von kausalen Prozessen. Ihr Wert wird indirekt dadurch bestätigt, daß sie in bezug auf die Struktur unseres Verstands lediglich ein reflektierender Begriff ist; mit anderen Worten, für eine Intelligenz, die nicht mit der Sinnlichkeit verbunden ist, hätte die Teleologie gar keine entscheidende Funktion. Dies erläutert Kant folgendermaßen: Es ist daher vernünftig, ja verdienstlich, dem Naturmechanism zum Behuf einer Erklärung der Naturproducte soweit nachzugehen, als es mit Wahrscheinlichkeit geschehen kann, ja diesen Versuch nicht darum aufzugeben, weil es an sich unmöglich sei auf seinem Wege mit der Zweckmäßigkeit der Natur zusammenzutreffen, sondern nur darum, weil es fr uns als Menschen unmöglich ist; indem dazu eine andere als sinnliche Anschauung und ein bestimmtes Erkenntniß des intelligibelen Substrats der Natur, woraus selbst von dem Mechanism der Erscheinungen nach besonderen Gesetzen Grund angegeben werden könne, erforderlich sein würde, welches alles unser Vermögen gänzlich übersteigt.50

5. Schlußbemerkung Dieser kurze Exkurs hat versucht zu zeigen, daß die Kantische Auffassung der Materie eine Erweiterung der rein mechanistischen Erklärung der natürlichen Prozesse mit sich bringt. Wenn nämlich nur dort materielle Körper empirisch gegeben sind, wo es eine bestimmte Erfüllung des Raumes gibt, dann ist das nur möglich, wenn man die Handlung von einander entgegenwirkenden bewegenden Kräften (Anziehungsund Zurückstoßungskraft) voraussetzt. Diese können jedoch als Grund49 KdU § 64, AA 5.370. 50 KdU § 80, AA 5.418.

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kräfte, die die Möglichkeit unserer sinnlichen Intuitionen selbst begründen, nicht empirisch erkannt werden. Das bedeutet, daß die phänomenale Welt auf einem übersinnlichen Substrat ruht, das nicht geleugnet werden kann, obwohl es sich unserem mit der Sinnlichkeit verbundenen Erkennungsvermögen entzieht. Eine weitere Bestätigung für dieses ungleiche Verhältnis zwischen Sinnlichem und Übersinnlichem wird von der Beschaffenheit unseres Verstandes geliefert: dieser sichert nämlich der Vielfältigkeit der empirischen Welt Einheit, gründet aber nicht die Ordnung, der der Verstand die konkreten natürlichen Prozesse unterordnet, denn das verwiese auf eine Ordnung, die nicht nur phänomenal sein kann, sondern die wir auch als noumenal voraussetzen müssen. Außerdem erkennt Kant unter dem Einfluß der epistemologischen Debatte über den Ursprung und die Entwicklung der lebendigen Organismen, daß es für unser Erkenntnisvermögen vernunftwidrig ist, die Lebewesen von toter Materie abzuleiten, da sie sich nicht nur als Produkte der Naturgesetze äußern, sondern auch, auf Grund der Gestallt, die sie annehmen und weitergeben können, als Naturzwecke, also als Resultate von Naturkräften, die nach unserem Verstand mit Absicht handeln. So versucht Kant, in der Kritik der Urteilskraft ein epistemologisches Modell zu erstellen, das es ermöglicht, ein Naturprodukt auch als Naturzweck zu denken, ohne den unersetzlichen Erkenntniswert des Mechanismus aufzugeben und ohne die lebenden Organismen auf Kunstprodukte herunterstufen zu müssen. Die Freiheit, die ihnen eine teleologische Betrachtung zuerkennt, unterdrückt nach Kant nicht die Notwendigkeit der mechanischen Gesetze, denn nur dank dieser bleiben sie natürlich und gehen nicht zur Künstlichkeit oder zum Chaos über. Die Zweckmäßigkeit ist also jene Form, die dem Zufälligen Gesetzmäßigkeit verleiht, während der Mechanismus der „freien Bildung“ der Naturkräfte eine Grenze stellt. Wie man sieht, begreift Kant die Zweckmäßigkeit nicht als Ursache sondern als „Erkenntnißgrund“ der natürlichen Wesen. Das bedeutet, daß sich Mechanismus und Finalismus absolut nicht in der Interpretation der natürlichen Prozesse ausschließen, sondern daß sie zwei Perspektiven von verschiedenem epistemologischem Wert darstellen, beide garantiert von jenem „intelligible[n] Substrat der Natur“,51 das nicht aufhört zu handeln, wenn es sich auch nicht von unserem Verstand einfangen läßt. 51 KdU § 78, AA 5.416.

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Der Baum im Baum. Modellkörper, reproduktive Systeme und die Differenz zwischen Lebendigem und Unlebendigem bei Kant und Bonnet Tobias Cheung Abstract: In § 64 of the Critique of Judgment (1790), Kant refers to different reproductive modes of the “organization” of a “tree” (assimilation, generation and healing). For Kant, these modes are characteristic for all “organized” or “living beings”, and they categorically distinguish organic and “inorganic beings”. However, the “tree” as a “plant” occurs in different positions in the orders of things of the eighteenth-century natural history. I will investigate orders that could have influenced Kant. After a detailed reconstruction of Kant’s model of a “tree”, I focus on the role of the “tree” as a reproductive system in the writings of Henri Louis Duhamel’s La Physique des arbres (1758) and Charles Bonnet’s Considrations sur les corps organiss (1762).

In zweiten Teil der Kritik der Urteilskraft (1790) geht es Kant um einen adäquaten Begriff für die Ordnung der Erscheinungen, die ein Beobachter an einer bestimmten Klasse von Körpern erfahren kann. Für Kant nötigen die Erscheinungen dieser Körper den Beobachter, einen besonderen Begriff zu bilden, nämlich den eines „Dinges“, das als „Naturzweck“ existiert, in dem es „von sich selbst […] Ursache und Wirkung ist“.1 Kant nennt die Klasse dieser Körper allgemein „organisierte“, nicht jedoch lebendige Körper – obwohl seine Unterscheidung der zwischen Lebendigem und Unlebendigem entspricht.2 Johann Friedrich Blumenbach, auf den sich Kant in der Kritik der Urteilskraft für die Annahme einer bildenden Kraft in organisierten Körpern beruft, hat diese Entsprechung in Ueber den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschfte (1781, 21789) deutlich hervorgehoben: 1 2

Vgl. KdU § 64, AA 5.370. Kant nennt „organisirte Körper“ in der Kritik der Urteilskraft auch „organisirte Wesen“, „organisierte Producte“, „organisirte Geschöpfe“, „organisirte Naturdinge“ und „organische Naturwesen“. Im Opus postumum erwähnt Kant „Organismen“, vgl. z. B. AA 21.187, siehe hierzu Debru 1980 und Cheung 2006b.

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Man kan nicht inniger von etwas überzeugt seyn, als ich es von der mächtigen Kluft bin, die die Natur zwischen der belebten und unbelebten Schöpfung, zwischen den organisirten und unorganischen Geschöpfen befestigt hat.3

Da es Kant in der dritten Kritik allein um einen adäquaten Begriff, nicht aber um eine konkret in der Natur verortete Systematik der Ordnung der Dinge geht, unterläßt er es, die Trennlinie zwischen organisierten und unorganischen Körpern anhand bestimmter Körper darzulegen. Ohne die Wahl zu begründen, erwähnt Kant in § 64 einen „Baum“, um die „Idee von einem Naturzweck zuvörderst durch ein Beispiel [zu] erläutern, ehe wir sie völlig auseinander setzen“.4 Wenn die Idee eines Naturzwecks als Begriff einem bestimmten Kanon von Erscheinungen entsprechen soll, dann ist allerdings nicht nur die Konsistenz des Begriffes innerhalb einer transzendentalen Logik, sondern auch die Begründung der Wahl und die Angemessenheit der Zuordnung der Erscheinungen zu einer bestimmten Klasse von Körpern wichtig. Kants Wahl ist zu seiner Zeit keineswegs selbstverständlich. Hermann Samuel Reimarus, mit dessen Trieblehre Kant vertraut war, hätte Kants Wahl nicht verstanden.5 Denn für Reimarus sind Pflanzen mechanisch operierende tote Körper. Allein Tiere und Menschen stellen für ihn organisierte und lebendige Körper dar.6 Das Ding, das dem Naturzweck entsprechen soll, steht in der KantRezeption im Schatten des Begriffes. Mir ist keine Untersuchung bekannt, die sich mit der Frage beschäftigt, warum Kant in § 64 einen „Baum“ und nicht etwa ein Moos, einen Polypen, eine Fliege oder eine Ratte als (weitere) Beispiele wählt. Dieser Frage nachzugehen, ist Ziel des vorliegenden Aufsatzes. Hierfür werde ich die Rolle des „Baumes“ und das Modell organischer Ordnung in Kants und Charles Bonnets 3

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Blumenbach 1789, 71. Zum Verhältnis von Blumenbach und Kant, vor allem in Hinsicht auf den „Bildungstrieb“ und das Verhältnis von Präformations- und Epigenesistheorien, siehe Toellner 1968a und 1968b; Lenoir 1980; McLaughlin 1982; Look 2006 und Zammito 2007. KdU § 64, AA 5.371. In § 64 erwähnt Kant keine Tiere oder tierische Körper. Zur Charakterisierung innerer Zweckmäßigkeit führt er später einige Beispiele an, die sich auf Tierkörper beziehen, vgl. KdU § 66, AA 5.377 ff. Reimarus hatte seine Triebtheorie in Die vornehmsten Wahrheiten der natrlichen Religion (1754) zuerst vorgestellt und in Allgemeine Betrachtungen ber die Triebe der Thiere, hauptschlich ber ihre Kunsttriebe (1760) weiter ausgebaut. Siehe hierzu Scherer 1898 und Cheung 2006a. Zum historischen Kontext der Unterscheidung zwischen der Ordnung der Körper von Pflanzen und Tieren, siehe Ingensiep 2001.

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Ansätzen vergleichen. Bonnet kennzeichnet den „Baum“ wiederholt als ein reproduktives System. Der Modellkörper „Baum“ dient ihm zugleich zur kategoriellen Unterscheidung von organisch „organisierten“ und „unorganischen“ Körpern.7 Des weiteren bezieht sich Bonnet für seine Ausführungen zum reproduktiven „Baum“ auf das vierte Buch von Henri Louis Duhamels Schrift La Physique des arbres (1758), dessen thematische Gliederung in Kants Charakteristik des „Baumes“ in § 64 wieder auftaucht. Kant ist nur vier Jahre älter als Bonnet, doch hat sich Bonnet vom Genfer See genauso wenig entfernt wie Kant von Königsberg. Beide haben sich persönlich nie getroffen. Dennoch beziehen sie sich aufeinander. Kant erwähnt Bonnet namentlich in „Von dem ersten Grunde des Unterschiedes der Gegenden im Raume“ (1768), um auf dessen Sinnesphysiologie im Essai sur les facults de l’me (1760) zu verweisen, und im Anhang zur transzendentalen Dialektik der Kritik der reinen Vernunft (1781, 21787) sowie in „Über den Gebrauch teleologischer Principien in der Philosophie“ (1788), um Bonnets – und seiner Ansicht nach auch Leibniz’ – Idee des „Gesetzes der continuirlichen Stufenleiter“ der Ordnungsformen aller („organisirter“ und „unorganischer“) Körper als allein „regulatives Princip der Vernunft“ zu bestimmen, dem keine einheitliche bildende Kraft in der Natur zugrunde gelegt werden kann, ohne unkritisch Metaphysik zu betreiben.8 Direkte Nachweise der Lektüre Kants von Bonnets Schriften liegen bisher nur für die deutschen Übersetzungen Analytischer Versuch ber die Seelenkrfte (1770 – 1771) und Betrachtung ber die Natur (1766) vor.9 Bonnets Considrations sur les corps organiss wurden 1775 von Johann August Ephraim Goeze unter dem Titel Betrachtungen ber die organisirten Kçrper worin von ihrem Ursprunge, von ihrer Entwickelung, von ihrer Reproduktion u. s. w. gehandelt wird ins Deutsche übertragen. Bonnet verfaßt 1788 zwei kurze, kritische Stellungsnahmen zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Dabei zielt er vor allem auf eine nicht transzendental vermittelte Korrespondenz zwischen Sinneseindruck und 7

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Für Bonnets Ansatz und dessen Kontext, siehe Savioz 1948a und 1948b; Marx 1976; Anderson 1982; Rieppel 1987 und 1988; und Cheung 2004, 2005b und 2005c. Bei Witt 2005 findet sich ein Vergleich zwischen Hallers und Kants Modell organischer Ordnung. Vgl. KrV A 668/B 696, ferner AA 2.381 und AA 8.180 Fußnote 6. Für den Einfluß von Georges Louis Leclerc Buffon auf Kants Theorie der Rasse und des Klimas siehe Ferrari 1979 und 1992. Für den schriftlichen Hinweis danke ich Werner Stark (Marburg).

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denkender Tätigkeit ab, ohne jedoch eine spezifische Kausalität hierfür angeben zu können.10 In Kap. 35. und 36. des Essai de psychologie hatte Bonnet bereits auf Aporien hingewiesen, die sich zwischen dem wahrnehmenden Punkt des Ich und der unermeßlichen Vielfalt des Wahrgenommenen einstellen.11 Seine Überlegungen enden immer wieder in der Erkenntnis, daß die „Seele ein vom Körper verschiedenes Wesen ist: wir können diesem Wesen keine der Eigenschaften zusprechen, durch die uns der Körper bekannt ist. Wenn also der Körper auf die Seele wirkt, kann es sich keinesfalls darum handeln, daß ein Körper auf einen anderen wirkt. Die Wahrnehmung scheint aus einer Bewegung zu resultieren, die nichts mit einer Bewegung gemein hat.“12 Und doch bleibt es Bonnets zentrales Anliegen, zu zeigen, daß ein Mensch und ein Tier „nicht diese Seele und nicht dieser Körper“, sondern „das Resultat der Einheit einer bestimmten Seele mit einem bestimmten Körper“ sind.13 Entscheidend für die Rolle, die Bonnet in der Kritik der Urteilskraft spielt, ist jedoch die Position im Diskurs der Naturgeschichte, die ihm Blumenbach 1781 in ber den Bildungstrieb zuteilt. Für Blumenbach ist Bonnet einer der wichtigsten Protagonisten der Präformationstheorie, nach welcher der sich bildende organische Körper bereits im kleinen vorgeformt im Keim vorliegt und sich bloß vergrößern muß. Die Zeugung von Bastarden, vor allem von Bastardpflanzen der Gattung Nicotiana, scheint Blumenbach mit einer Präformationstheorie nicht vereinbar zu sein: Allein auch selbst die Erscheinungen bey Zeugung der Bastarde widersprechen allen Begriffen von Präexistenz eines präformirten Keims so schlechterdings, daß man kaum absieht, wie bey einer reifen Erwägung der erstern, die letztern noch ernstliche Vertheidiger haben finden können. Mich dünkt eine einzige Erfahrung wie die, da Hr. Kölreuter durch wiederholte Erzeugung fruchtbarer Bastardpflanzen, endlich die eine Gattung von Tabak (Nicotiana rustica) so vollkommen in eine andere (Nicotiana paniculata) verwandelt und umgeschaffen, daß sie nicht eine Spur von ihrer angestammten mütterlichen Bildung übrig behalten hat, müßte doch die eingenommensten Verfechter der Evolutionstheorie von ihrem Vorurtheil zurückbringen.14 10 Bonnets Kritik findet sich zusammen mit einem ausführlichen Kommentar bei Müller/Pozzo 1988. 11 Vgl. Bonnet, Essai de psychologie (1755) 1978, 122 – 123 (37. Kap.). 12 Bonnet, Essai sur les facults de l’me (1760) 1973 (§ 46), 29. 13 Ebd., (§ 22), 15. 14 Blumenbach 1781, 66.

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Kant übernimmt in der Kritik der Urteilskraft die Blumenbachsche Kritik an den Präformationisten. Doch verweist er zugleich, wie Bonnet, auf den „Baum“ als ein individuelles reproduktives System, dessen Ordnung aus einem im Keim vorliegenden präexistenten Organisationsgrund hervorgeht und dessen Teile ihrerseits reproduktive Eigenschaften aufweisen.

1. Das Beispiel des „Baumes“: Der „organisirte Körper“ als reproduktives System Kants dichte, sich auf knapp zwei Seiten beschränkende Beschreibung des „Baumes“ als Modellkörper für die Klasse aller „organisirten Körper“ leitet in § 64 die Charakterisierung der „inneren Zweckmäßigkeit“ eines Dinges als Naturprodukts ein. Die Charakterisierung schließt direkt an die im vorhergehenden Paragraphen abgehandelte äußere, „relative Zweckmäßigkeit“ an. Bevor Kant in § 64 das Beispiel „Baum“ als konkretes Ding eines erfahrbaren Erscheinungszusammenhanges erläutert, hebt er zwei Kriterien hervor, die einen Beobachter „nöthigen“, ein Naturprodukt als Naturzweck mit innerer Zweckmäßigkeit auszuweisen. Erstens muß die „Production“ oder „Erzeugung“ der Ordnung oder der „Form“ eines solchen Dinges nach „bloßen Naturgesetzen“, für die Kant sich an der newtonschen Mechanik orientiert, in so hohem Maße zufällig sein, daß es der nach einem einheitlichen System von Erkenntnissen und Gesetzen suchenden „Vernunft“ geboten ist, von einer besonderen Gesetzmäßigkeit der Erzeugung auszugehen.15 Zweitens ist ein Naturprodukt nur dann als Naturzweck auszuweisen, „wenn es von sich selbst […] Ursache und Wirkung ist“.16 Ein Naturprodukt existiert als Naturzweck, wenn es sowohl als Ursache sich selbst erzeugt als auch als Wirkung Erzeugnis seiner eigenen Tätigkeit ist. Ein solches Ding bezeichnet Kant als organisierten und organisierenden Körper, in dem „alles Zweck und wechselseitig auch Mittel“ ist.17 15 KdU § 64, AA 5.369 f. 16 Ebd., 370. 17 Ebd., 376. Der zitierte Text ist im Original kursiv gedruckt. Die Bestimmung des organisierten Körpers als Naturzweck stellt ein regulatives Urteil dar, das seine besonderen Erscheinungen in ein System von Begriffen einordnet, das der Instanz Vernunft obliegt. Zum Problem des regulativen Urteils in Kants Kritik

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Wie ein organisierter Körper in der Natur existiert, zeigt Kant an einem „Baum“. Der „Baum“ steht nicht nur für alle anderen Bäume und Gewächse, sondern auch für die Erscheinungszusammenhänge, die Tiere und Menschen als organisierte Körper charakterisieren.18 Diese vermittelnde Rolle spielt der „Baum“ als Modellkörper auch in Bonnets Schriften. Bonnet rekurriert immer wieder auf den „Baum“, um eine Parallele zwischen den Ordnungsformen der Pflanzen und Tiere zu etablieren. Auf dieser Parallele beruhen bereits die ersten Kapitel der Considrations sur les corps organiss (1762), in denen er verschiedene Reproduktionsweisen (etwa des Wachstums, der Ernährung und der Fortpflanzung) miteinander vergleicht. Sie findet ihre ausführlichste Darstellung im zehnten Teil von La Contemplation de la nature (1764): Der Pflanzensame entspricht dem Ei, der Flüssigkeitskreislauf der Pflanzensäfte dem des tierischen Blutes und die Rinde der Haut.19 Ziel der Parallele ist die kategorielle Abgrenzung der Ordnungsform organisierter Körper von der unorganischer Körper. Neben dem „Baum“ bezeichnet der durch Abraham Trembley bekannt gewordene Süßwasserpolyp für Bonnet die gemeinsame Schnittfläche pflanzlicher und tierischer Ordnungen.20 Anhand beider Modellkörper zeigt Bonnet, daß organisierte, lebendige Körper sich selbst durch die kontinuierliche Reproduktion eines präexistenten Organisationsgrundes erhalten und daß bestimmte Teile (Verzweigungen, knospenartige Ausbuchtungen) dieser Körper die reproduktive Fähigkeit besitzen, zu einem eigenständigen organisierten Körper heranzuwachsen oder in ein anderen der Urteilskraft siehe Düsing 1968; Philonenko 1977; Buchdahl 1981; McLaughlin 1989; Butts 1990; Wahsner 1993; Cheung 2000 und Toepfer 2002. 18 Zur Tier-Mensch-Differenz vgl. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798): „Die Charakterisirung des Menschen als eines vernünftigen Thieres liegt schon in der Gestalt und Organisation seiner Hand, seiner Finger und Fingerspitzen, deren theils Bau, theils zartem Gefühl, dadurch die Natur ihn nicht für Eine Art der Handhabung der Sachen, sondern unbestimmt für alle, mithin für den Gebrauch der Vernunft geschickt gemacht und dadurch die technische oder Geschicklichkeitsanlage seiner Gattung als eines vernnftigen Thieres bezeichnet hat.“ (AA 7.323) 19 Vgl. Bonnet 1985 (§ 169), 138: „Quelle que soit la puissance qui préside au mouvement de la seve, il est certain qu’elle existe, et qu’elle produit dans le végétal, les memes effets essentiels que la force du cœur produit dans l’animal.“ 20 Zu Trembleys Polypen-Versuchen und ihrer Rezeption, siehe Dawson 1987 und Querner & Jahn 2003.

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organisierten Körper integriert zu werden.21 Die Schnittfläche, die den Zusammenhang der „Reiche“ (rgnes) der Pflanzen und Tiere bezeichnet, bestimmt in der Palingnsie (1769) einerseits der pflanzliche Baum (arbre vgtal) und andererseits der Polyp als tierischer Baum (arbre animal) – mit der Differenz, daß sich die Verzweigungen (rameaux) des Polypen, die den Ästen des „pflanzlichen Baumes“ entsprechen, von selbst ablösen.22 Auf diese Weise etablieren Bonnet und Kant anhand des reproduktiven Vermögens des „Baumes“ eine allgemeine Ordnungsform, die Pflanzen und Tiere umfaßt und das organisch Organisierte oder Lebendige kategoriell vom Unorganischen abgrenzt. Im § 64 kennzeichnet Kant den organisierten Körper „Baum“ durch drei Charakteristika oder Merkmalskomplexe, die alle auf eine bestimmte Form „organisierender“ Tätigkeit verweisen. Diese Tätigkeit nennt Kant „Zeugung“, „Erzeugung“, „Hervorbringung“ und „Production“. Da der organisierte Körper organisierend so tätig sein muß, daß er sich selbst als eine bestimmte Ordnungsform hervorbringt, um dem Begriff eines Naturzwecks als Naturprodukt zu entsprechen, lassen sich die drei Produktionsweisen auch unter dem Titel Reproduktion zusammenfassen, und zwar erstens als Reproduktion neuer organisierter Körper, zweitens als Reproduktion eines organisierten Körpers durch Ernährung und Wachstum und drittens als Reproduktion einzelner Teile des Körpers.23 21 Bonnet wird zu einer Theorie der asexuellen Reproduktion von Keimen auch durch seine eigenen Versuche zur Reproduktion von Blattläusen angeregt, siehe hierzu Buscaglia 1994. 22 Vgl. Bonnet 2002, 170 f.: „Tandis que la troupe nombreuse des Nomenclateurs et de Faiseurs de regles générales pensoit avoir bien caractérisé l’Animal et l’avoir distingué exactement du Végétal, les eaux sont venues nous offrir une Production organique qui réunit aux principales propriétés du Végétal, divers Traits qui ne paroissent convenir qu’à l’Animal. On comprend que je parle de ce fameux Polype à bras, dont la découverte a tant étonné les Physiciens et plus embarassé encore les Métaphysiciens.“ Bonnet nennt den Süßwasserpolypen auch „Miniaturbaum“ (arbre en miniature). 23 Zur Interpretation der drei Charakteristika als Reproduktionsweisen, siehe auch McLaughlin 1989, 43. Kant verwendet den Ausdruck „Reproduction“ nur an einer Stelle im ersten Teil der Kritik der Urteilskraft (KdU § 59, AA 5.352), um auf ein „Gesetz(e) der Association der Einbildungskraft“ zu verweisen, nach dem oft erfahrene Abfolgen von Vorstellungen sich auch ohne die sinnliche Präsenz des Vorgestellten einstellen. Auf diese Weise hatte er die Reproduktion bereits in der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft (1781) bestimmt, vgl. A 100 f.

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2. Die Reproduktion der „Gattung“ Durch die Produktion eines neuen organisierten Körpers „erzeugt“ ein Baum einen anderen „von derselben Gattung“, da der „hervorgebrachte“ Körper dieselbe Ordnungsform wie der hervorbringende Körper besitzt. In diesem Sinne erzeugt sich der Baum „selbst der Gattung nach“. Er ist immer wiederkehrender Agent der Reproduktion neuer organisierter Körper gleicher Ordnungsformen, deren Hauptmerkmal in einer bestimmten Weise besteht, organisiert und organisierend zu existieren: Ein Baum zeugt erstlich einen andern Baum nach einem bekannten Naturgesetze. Der Baum aber, den er erzeugt, ist von derselben Gattung; und so erzeugt er sich selbst der Gattung nach, in der er einerseits als Wirkung, andrerseits als Ursache, von sich selbst unaufhörlich hervorgebracht und eben so sich selbst oft hervorbringend, sich als Gattung beständig erhält.24

Kant nennt diese Reproduktionsweise später Fortpflanzung.25 Als erstes Charakteristikum organisierter Körper führt es die zentrale Problematik ihrer Erscheinungen ein, nämlich die fortgesetzte Reproduktion einer in Individuen vorliegenden Ordnungsform durch die Individuen selbst. In dieser Perspektive existiert der Baum für Kant immer als Baum im Baum. Er ist als organisierter Körper ein reproduktiver Körper. Das, was in ihm organisierend ist, ist reproduzierend, und das, was in ihm organisiert ist, ist Bedingung der Fähigkeit zur Reproduktion. Die allgemeine Ordnungsform, die einen organisierten Körper als reproduktiven Körper bestimmt, stellt für Kant ein „System“ dar. Der „Baum“ als „System“ entspricht dem Naturzweckbegriff als „Erkenntnißgrund der systematischen Einheit der Form und Verbindung alles Mannigfaltigen, was in der gegebenen Materie enthalten ist“26. Durch 24 KdU § 64, AA 5.371. 25 Für Kant stellt die Fortpflanzung die „einzige äußere Zweckmäßigkeit [dar], die mit der innern der Organisation zusammenhängt“ (KdU § 82, AA 5.425). Es ist „die Organisation beiderlei Geschlechts in Beziehung auf einander zur Fortpflanzung ihrer Art“, die für Kant „allererst ein organisirendes Ganze“ ausmacht, „obzwar nicht ein organisirtes in einem einzigen Körper“ (ebd.). Siehe hierzu Löw 1980, 199 und Ewers 1986, 21. 26 KdU § 65, AA 5.373. Johann Heinrich Lambert, der zwischen 1765 – 1770 mit Kant korrespondiert, hat im Fragment einer Systematologie (1771) ein „System“ von Teilen auf ähnliche Weise wie Kant den Naturzweckbegriff definiert: „Zu einem System werden also Teile, und zwar mehrere erfordert. Diese müssen auseinandergesetzt, jedes für sich kenntlich, mit Absicht gestellt oder geordnet

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den Begriff eines individuellen reproduktiven Systems, dessen kleinste Erscheinungsformen der Keim und die Faser sind, kennzeichnet auch Bonnet organisierte Körper. Hierfür bezieht er sich, wie Malebranche in De la Recherche de la vrit (1674 – 1675), auf die Reproduktion eines präexistenten Organisationsgrundes, – auch wenn sich Bonnet gegen dessen Okkasionalismus und die aktuelle Unendlichkeit in sich gegliederter Materie wendet. Malebranche hatte anhand eines „Baumes“ die ad infinitum fortgesetzte Verschachtelung (embotement) von Keimen dargestellt.27 In La Palingnsie philosophique fokussiert Bonnet, differenziert in verschiedene Reproduktionsweisen,28 auf die unaufhörliche Reproduktion der Keime durch Fortpflanzung und die erneute Verkeimung der reproduzierten Ordnungsform in neuen organisierten Körpern. Die Palingenesis ist die ewige Wiederkehr der individuierten Ordnungsform organisierter Körper. Ein Aufsatz aus dem Jahre 1773, in dem Bonnet vier Jahre nach der Palingnsie seine Keimtheorie noch einmal zusammenfaßt, endet mit einem längeren Zitat aus Malebranches Recherche: Der Gedanke, daß im Keim unendlich viele Bäume enthalten sind, scheint mir keineswegs abwegig zu sein. Denn der Keim enthält nicht nur den Baum, von dem er der Same ist, sondern auch eine sehr große Anzahl anderer Samen, die alle in sich selbst neue Samen einschließen können. Diese beinhalten vielleicht wiederum andere Bäume von unbegreiflicher Kleinheit und andere Samen, die genauso fruchtbar wie die ersten Samen sind.29 und alle miteinander so verbunden sein, daß sie gerade das der vorgesetzten Absicht gemäße Ganze ausmachen, und dieses muss, so gut es angeht oder so lange es die Absicht erfordert, fortdauern können, es sei daß es unverändert bleibe oder seine Absicht gemäße Veränderungen leide.“ (Lambert 1988, § 3, 126) Zur Bedeutung des Lambertschen Systembegriffs für Kant, siehe Peters 1968 und Sutter 1988, 165 – 169. Für einen historischen Überblick zur Verwendung des Begriffs System, siehe Stein 1968. 27 Vgl. Malebranche 1962 – 1964, Bd. 1 (1962), 82: „Il ne paroît pas même déraisonnable de penser, qu’il y a des arbres infinis dans un seul germe; puisqu’il ne contient pas seulement l’arbre dont il est la semence, mais aussi un tres-grand nombre d’autres semences, qui peuvent toutes renfermer dans elles mêmes de nouveaux arbres, & de nouvelles semences d’arbres; lesquelles conserveront peut-être encore dans une petitesse incompréhensible d’autres arbres, & d’autres semences aussi fecondes que les premiéres, & ainsi à l’infini.“ Zu Malebranches Modell organischer Ordnung siehe Roger 1993, 336 – 339 und Detlefsen 2003. Für den Einfluß von Malebranche auf Bonnets Keimtheorie siehe Marx 1976, 57 – 58. 28 Vgl. Bonnet 2002, 255 – 268. 29 Bonnet, ‘Mémoire sur les Germes’, 1779 – 1783, Bd. 5.10.

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Die Art (espce) eines Baumes, die der Kantischen Gattung entspricht, stellt für Bonnet die allgemeine, ursprüngliche Ordnungsform der Einheit eines Plans und eines organisierten Körpers dar. Diese Ordnungsform wird in jedem besonderen System lebender Körper durch kontingente Umstände individuell ausgeprägt.30 Der Keim enthält „den ursprünglichen Abdruck (empreinte originelle) der Art, und nicht den der Individualität“,31 und doch „existieren nur individuelle Wesen (Þtres individuels), die miteinander über tausend Beziehungen verbunden sind“32.

3. Die Reproduktion durch „Ernährung“ und „Wachstum“ Die zweite Reproduktionsweise, die „Bäume“ als organisierte Körper auszeichnet, besteht in einer bestimmten Verarbeitung der von außen aufgenommenen Stoffe. Diese Verarbeitung kommt der Zeugung eines dem Körper eigenen Produktes gleich, durch die er sich „selbst als Individuum erzeugt“, indem er durch „Hinzusetzung“ des Produkts zu seiner eigenen Masse „wächst“ und sich durch das Produkt „ernährt“. Das Wachstum des „Baumes“ unterscheidet sich von „jeder andern Größenzunahme nach mechanischen Gesetzen“, weil seine innere Organisation die aufgenommene Materie, die bereits alle „Bestandtheile“ der „Mischung“ enthält, durch ein besonderes „Scheidungs- und Bildungsvermögen“ zu einer „spezifisch-eigentümlichen Qualität“ umformt, „welche der Naturmechanism außer ihm nicht liefern kann“. Diese „Mischung“, die der „Baum“ sich zum Wachstum von innen her „hinzusetzt“, ist derart spezifisch, „daß alle Kunst davon unendlich weit entfernt bleibt, wenn sie versucht, aus den Elementen, die sie durch Zergliederung derselben erhält […], jene Producte des Gewächsreichs wieder herzustellen.“33 30 Vgl. Bonnet 1985, 441 (§ 338). 31 Ebd. 32 Brief von Bonnet an Montesquieu am 6. Mai 1754 (in Savioz 1948b, 155). Auch Buffon nahm an, daß Individuen durch eine „innere Form“ (moule intrieure) „Träger“ des „Abdrucks“ ihrer „Arten“ sind. Zu Buffons Artbegriff siehe Sloan 1979 und Gayon 1992. 33 KdU § 64, AA 5.371. Bereits 1763, in der ersten Auflage der vorkritischen Schrift Der einzig mçgliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseyns Gottes, hatte Kant anhand der Reproduktion eines „Baumes“ auf die Schwierigkeiten einer mechanischen Erklärung der Erscheinungen bestimmter Körper hinge-

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In An Essay concerning Human Understanding hatte Locke bereits 1690 auf die Besonderheit der Organisation (organization) der Teile einer Eiche (oak) hingewiesen, um ihre sich selbst erhaltende Tätigkeit zum einen von nicht organisch geordneter „Materie“ und zum anderen von der Identität der menschlichen Person, die ein „denkendes intelligentes Wesen“ darstellt, zu unterscheiden. Durch ihre Organisation ist die Eiche fähig, „Nahrung zu erhalten und zu verteilen, um fortzubestehen und Holz, Rinde und Blätter zu bilden“. Diese Tätigkeit ist „nicht so unterschiedlich in Tieren“.34 Locke charakterisiert damit, wie Kant, anhand des Beispiels eines Baumes die allgemeine, auf Ernährung und Wachstum ausgerichtete Ordnungsform organisierter Körper, deren spezifische Organisation keiner anderen körperlichen, unorganischen Ordnung eigen ist. Lockes Verweis auf die spezifische Fähigkeit organisch organisierter Körper, aufgenommene Stoffe in eine ihnen eigene „Disposition“ von Teilen umzuwandeln, schließt an das Galensche Thema der „Assimilation“ an. Die Assimilation bezeichnet seit Galen die Angleichung oder Verähnlichung der Nahrungsbestandteile an den aufnehmenden Körwiesen: „Wie z. E. ein Baum durch eine innere mechanische Verfassung soll vermögend sein den Nahrungssaft so zu formen und zu modeln, daß in dem Auge der Blätter oder seinem Samen etwas entstünde, das einen ähnlichen Baum im kleinen, oder woraus doch ein solcher werden könnte, enthielte, ist nach allen unsern Kenntnissen auf keine Weise einzusehen.“ (AA 2.114 f.) Vgl. dazu auch Roretz 1919, 108. In der Kritik der reinen Vernunft geht Kant auf die Besonderheit des Wachstums organisierter Körper anhand tierischer Körper ein (vgl. A 833/B 861): Die Ordnung eines tierischen Körpers zeichnet sich dadurch aus, daß „dessen Wachstum kein Glied hinzusetzt, sondern, ohne Veränderung der Proportion, ein jedes zu seinen Zwecken tüchtiger macht“, nur „innerlich (per intus susceptionem), aber nicht äußerlich (per appositionem) wachsen“ kann. 34 Vgl. Locke 1979, 330 f., Book II, chap. 27, § 8: „We must therefore consider wherein an Oak differs from a Mass of Matter, and that seems to me in this; that the one is only the Cohesion of Particles of Matter any how united, the other such a disposition of them as constitutes the parts of an Oak; and such an Organization of those parts, as is fit to receive, and distribute nourishment, so as to continue, and frame the Wood, Bark, and Leaves, etc. of an Oak, in which consists the vegetable Life. That being then one Plant, which has such an Organization of Parts in one coherent Body, partaking of one Common Life, it continues to be the same Plant, as long as it partakes of the same Life, though that Life be communicated to new Particles vitally united to the living Plant, in a like continued Organization, conformable to that kind of Plant. […] The Case is not so much different in Brutes“.

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per.35 In Bonnets Ansatz spielen assimilative Tätigkeiten oder „Operationen“ eine zentrale Rolle zur Charakterisierung des reproduktiven Potentials organisch organisierter Körper. In Considrations sur les corps organiss bezieht sich Bonnet in § 83 auf die ursprüngliche Organisation (organisation primitive) des Keims, der „die Anordnung (arrangement) der ernährenden Atome festlegt, damit sie Teile des organischen Ganzen (tout organique) werden“.36 Später zeigt er in § 169 anhand eines Baumes, wie aus der regulierten Zirkulation eines spezifischen Pflanzensaftes (seve) Wachstum und Differenzierung des Keimes in Rinde, Holz und Wurzel hervorgehen.37 Dabei verinnerlicht (s’incorpore) jede Faser des Baumes durch Assimilation „die fremden Stoffe in direktem Bezug zu ihrer eigenen Natur oder zu ihrer besonderen Konstitution“.38 Das Wachstum eines Baumes beginnt für Bonnet mit einem aus dem Keimblatt (plumule) hervorgehenden Stengel (tige), an dessen Ende sich eine Knospe (bouton) bildet. Aus dieser Knospe gehen abwechselnd immer wieder neue Stengel und Knospen hervor, so daß sich der Baum „durch eine Abfolge von Stengeln oder kleinen Bäumen formt, die ineinander gepflanzt sind (petits arbres implants les uns sur les autres)“.39 Das Bild der ineinander gepflanzten, auseinander hervorgehenden und sich immer stärker differenzierenden „kleinen Bäume“ erinnert an die Umwandlung des Blattes in Goethes Schrift Metamorphose der Pflanzen (1790), die im selben Jahr wie Kants Kritik der Urteilskraft erscheint. Kant geht es in jedoch im dritten Charakteristikum nicht um die Umwandlung oder Metamorphose eines Baumes aus einem bestimmten Teil, sondern, wie Bonnet, um eine Charakteristik des reproduktiven Potentials eines Systems organischer Teile, die wie selbständige kleine Bäume zusammenwirken.40 35 36 37 38

Vgl. Rheinberger 1986. Bonnet 1985 (§ 83), 63. Ebd. (§ 169), 138 f. Vgl. Bonnet, Contemplation de la nature, 1779 – 1783, Bd. 4/1.256, und ders. 2002, 232 39 Bonnet 1985 (§ 169), 139 40 Malebranches Verschachtelungstheorie der Keime enthielt bereits einen Systembegriff wechselwirkender Teile, deren Tätigkeit den Erhalt des Ganzen ermöglicht. Vgl. Malebranche 1962 – 1964, Bd. 1 (1962), 343 f.: „Ein organisierter Körper enthält unendlich viele Teile, die voneinander in Bezug auf besondere Zwecke (fins particulieres) abhängen und die alle in einem Moment gebildet werden müssen, um zusammen wirken zu können (qui doivent Þtre toutes actuellement formes pour pouvoir jouer toutes ensemble).“

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4. Die Reproduktion einzelner Teile im organischen System Wie der Keim und der ausgewachsene „Baum“ im Ganzen, sind für Kant auch seine ausdifferenzierten Teile zur Selbsterhaltung und Reproduktion fähig, allerdings nur, wenn sie in ein organisches System von Teilen integriert sind. Die Erhaltung eines Teils des „Baumes“ ist nur dadurch möglich, daß es „von der Erhaltung des anderen wechselweise abhängt“. Kant verweist hierfür auf das Verhältnis von Blatt und Baum. Blätter sind zwar als Teile „Product des Baumes“, doch erhalten sie diesen auch, da wiederholte Entblätterung den „Baum“ töten würde.41 Am ausführlichsten geht Kant für das dritte Merkmal der Ordnungsform des „Baumes“ auf die Eigenschaft von Zweigen ein, als Pfropfreis auf einem anderen „Baum“ „ein Gewächs von seiner eigenen Art hervorzubringen“. Der Zweig sitzt dem Baum parasitisch auf; er ist als ein für sich selbst bestehender Baum anzusehen, der sich bei Verletzung selbst heilt: Drittens erzeugt ein Theil dieses Geschöpfs auch sich selbst so: daß die Erhaltung des einen von der Erhaltung der andern wechselsweise abhängt. Das Auge an einem Baumblatt, dem Zweige eines andern eingeimpft, bringt an einem fremdartigen Stocke ein Gewächs von seiner eignen Art hervor und eben so das Pfropfreis auf einem andern Stamme. Daher kann man auch an demselben Baume jeden Zweig oder Blatt als bloß auf diesem gepfropft oder oculirt, mithin als einen für sich selbst bestehenden Baum, der sich nur an einen andern anhängt und parasitisch nährt, ansehen.42

Die reproduktive Eigenschaft der Teile eines „Baumes“ kontrastiert Kant in § 65 mit den Teilen einer Uhr, in der „so wenig wie ein Rad in der Uhr das andere, noch weniger eine Uhr andere Uhren“ hervorbringt.43 Die Abgrenzung zwischen dem „Mechanismus“ der Uhr und der organischen Ordnung organisierter Körper ist zentral für Kants Unterscheidung organisch organisierter von unorganischen Körpern im zweiten Teil der Kritik der Urteilskraft. Daß sich Kant hierfür gerade auf die besondere Eigenschaft des Pfropfens bezieht, die an nichtverholzten Pflanzenarten und an Tieren kaum beobachtet werden kann, ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß er (analog zur Polypen-Debatte) an eine zwischen Tier und Pflanze vermittelnde Tradition von Baum-Darstel-

41 KdU § 64, AA 5.371. 42 Ebd., 371 f. 43 Ebd., 374.

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lungen anschließt, die Bonnets Keimtheorie auszeichnet. Ein „Baum“ ist für Bonnet aus genau so vielen Bäumen und Sträuchern zusammengesetzt, wie er Zweige und Verästelungen hat. Alle diese Bäume und Sträucher sind, so könnte man sagen, aufeinander gepfropft (greffs), sie ernähren sich voneinander und sie unterhalten mit dem Baum unendlich viele Verbindungen (communications). Jeder Teil-Baum (arbre secondaire), jeder Strauch, jeder Teil-Strauch (sous-arbrisseau) hat seine eigenen Organe und sein eigenes Leben (vie propre). Er ist selbst ein kleines individuelles Ganzes (petit tout individuel), das mehr oder wenig verkürzt (raccourci) das große Ganze darstellt (reprsente), dessen Teil er ist.44

Im Anschluß an Gian Alfonso Borelli, Giorgio Baglivi, Marcello Malpighi, Antoni van Leeuwenhoek und Jan Swammerdam, für die das systematische Zusammenwirken organischer Teile aus miteinander kommunizierenden kleinen Maschinen hervorgeht,45 repräsentiert ein „Baum“ für Bonnet ein sich selbst erhaltendes individuelles System, das nicht nur seinen präexistenten Organisationsgrund reproduziert, sondern auch seinerseits aus wechselwirkenden reproduktiven Sub- oder Teilsystemen besteht. Genau diesen Modellkörper braucht Kant, um in Abgrenzung zum Mechanismus einer Uhr ein „Beispiel“ unter konkret erfahrbaren Dingen für seinen Naturzweckbegriff zu finden. Als einheitliches individuelles System ist der ausgewachsene „Baum“ für Bonnet „eine Zusammenfügung (assemblage) einer Vielzahl untergeordneter organischer Erzeugungen (productions organiques subordonnes), die alle eng aneinander gebunden sind, die alle an einem Leben und an gemeinsamen Bedürfnissen (besoins communs) teilnehmen, und von denen jeder sein Leben, seine Bedürfnisse und seine eigenen Funktionen hat“46. In diesem Modell wächst die Komplexität des individuellen, 44 Bonnet 2002, 167. 45 Theorien repetetiver Mikrostrukturen in organischen Körpern entwickeln sich zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts vor allem unter dem Einfluß Hermann Boerhaaves weiter. Vgl. Grmek 1970, 308 – 315; Duchesneau 1982, 117, und 1998, 183 – 237. 46 Bonnet 2002, 167. Bonnet zieht in der Palingnsie eine Analogie der Ordnung organisch organisierter Systeme zur sozialen Ordnung: „Ein Baum ist daher eine Art organische Gesellschaft (socit organique), dessen Individuen für das Gemeinwohl der Gesellschaft arbeiten und zugleich ihre eigenes Wohl (leur bien particulier) verschaffen.“ (Ebd.) Kant führt in § 65 der KdU eine ähnliche Parallele zwischen der Organisation des Staates und der Ordnung organisierter Körper, nachdem er konstatiert hat, daß die Ordnung organisierter Körper „nichts Analogisches mit irgend einer Causalität [hat], die wir kennen.“ Er fährt

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lebendigen Systems von den verschiedenen organischen Elementen, Fibrillen und Fasern zu den Organen und Organapparaten aufsteigend bis zum umfassenden organischen Netzwerk (ouvrage rseaux) an, dessen kleinste Knotenpunkte (nœuds) die Mini-Maschinen sind: […] diese [organische] Maschine bleibt im Großen das, was sie im Kleinen war. Sie ist ein System, eine wundervolle Zusammenfügung (assemblage) einer nahezu unendlichen Anzahl verschiedenartig gebildeter, ausgerichteter und gefalteter Röhren, die in scheinbar ebenso vielen Windungen die zur Ernährung dienenden Stoffe reinigen, umbilden und verfeinern. Jede Faser, doch was sage ich! Jede Fibrille ist für sich selbst ganz im Kleinen eine Maschine, die sich […] die ernährenden Säfte aneignet und ihnen diejenige Anordnung (arrangement) gibt, die ihrer Form und ihrer Funktion entsprechen. Die ganze Maschine besteht auf gewisse Weise aus nichts anderem als aus der Wiederholung dieser Mini-Maschinen.47

Im organischen Netzwerk werden alle Prozesse durch ein Zentrum reguliert, dessen Ordnungsform immer schon präformiert in organisierten Körpern vorliegt: Alle Erzeugungen (Gnrations) müssen einen gemeinsamen oder sehr allgemeinen Charakter aufweisen, auf den alle wie auf ein Zentrum (Centre) bezogen sind. Wahrscheinlich wird sich zeigen, daß dieses Zentrum eine allgemeine Prformation (Prformation gnrale) darstellt.48

Die Erzeugung und Erhaltung des individuellen Systems „Baum“ führt damit in Bonnets Ansatz zum Problem der „Präformation“ seines präexistenten Organisationsgrundes. Dieses Problem bestimmt auch Kants Keim-Theorie. fort in der Anm.: „Man kann umgekehrt einer gewissen Verbindung, die aber auch mehr in der Idee als in der Wirklichkeit angetroffen wird, durch eine Analogie mit den genannten unmittelbaren Naturzwecken Licht geben. So hat man sich bei einer neuerlich unternommenen gänzlichen Umbildung eines großen Volks zu einem Staat des Worts Organisation häufig für Einrichtung der Magistraturen usw. und selbst des ganzen Staatskörpers sehr schicklich bedient. Denn jedes Glied soll freilich in einem solchen Ganzen nicht bloß Mittel, sondern zugleich auch Zweck und, indem es zu der Möglichkeit des Ganzen mitwirkt, durch die Idee des Ganzen wiederum seiner Stelle und Function nach bestimmt sein.“ (KdU § 65, AA 5.375 Anm.). Kant kritisiert jedoch die Vorstellung einer Palingenesis der Entwicklung der Staatsformen. Diese unterliegt für ihn vielmehr einer andauernden Metamorphose. Siehe hierzu Williams 2001. 47 Bonnet, Contemplation de la nature, 1779 – 1783, Bd. 4/1, 360 f. 48 Vgl. den Brief von Bonnet an Spallanzani vom 20. Dezember 1770, in Spallanzani 1777, Bd. 2, 57.

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5. Die Präformation des Keimes Bonnets Präfomationsbegriff ist nicht auf eine Verschachtelungstheorie und die Präexistenz von kleinen Körpern in Keimen beschränkt, deren Figur dem ausgewachsenen Körper schon entspricht und sich während seiner Entwicklung nur vergrößert – auch wenn Bonnet dieses Modell nie gänzlich verwirft. Bonnet wechselt nach Albrecht von Hallers Experimenten zur Entwicklung des Hühnerembryos im Jahr 1757 von einer animalkulistischen Position, für die sich der Samen zum ausgewachsenen Tier differenziert, zu den Ovulisten über. Das sich differenzierende Ei repräsentiert für Bonnet die Evolution einer präexistenten Keim-Faser-Einheit: Es gibt im Pflanzlichen und Tierischen immer einen präexistenten Grund der Organisation (fond prexistant d’organisation), der die Wahl und die Anordnung der Stoffe festlegt, die dazu bestimmt sind, ihn zu erweitern und zu vergrößern. Die der Ernährung dienenden Stoffe bringen nichts aus sich selbst hervor: sie könnten nicht die kleinste Faser bilden; aber sie können die Faser entwickeln und, indem sie in ihr Gewebe eingehen (en s’incorporant son tissu), zu Teilen des organischen Ganzen werden.49

In den Principes philosophiques (1754) erwähnt Bonnet nur die Präexistenz eines Keimes, dessen Strukturzusammenhang im Kleinen bereits dem des ausgewachsenen lebendigen Körper entspricht, so daß seine Entwicklung allein eine die „Fasern erweiternde“ Größenzunahme bezeichnet.50 Dieses Erklärungsschema verschiebt sich von den Considrations sur les corps organiss (1762) bis zur Palingnsie philosophique (1769) immer mehr in ein Modell, das organische Entwicklung aus regulativen Prozessen herleitet, durch die ein punktartiger Faserkomplex in Linien und organisiertes Gewebe transformiert: Alle Teile [des Keimes des Hühnerembryos] zeichnen sich durch Formen, Proportionen und Lagen (situations) aus, die von den Teilen äußerst unterschieden sind, mit denen sie die Evolution ausstatten wird (fera revÞtir). Dies geht so weit, daß, wenn wir den Keim im Großen so, wie er im Kleinen ist, sehen könnten, es uns unmöglich wäre, ihn als ein Huhn zu erkennen […] Der Keim ist auf gewisse Weise nur aus einer Folge von Punkten zusammengesetzt, die später Linien bilden. Diese Linien werden länger, vervielfachen sich und erzeugen Oberflächen.51 49 Bonnet, Contemplation de la nature, 1779 – 1783, Bd. 4/1, 368. Vgl. Brief von Bonnet an Haller vom 18. Oktober 1756, in Sonntag 1983, 90. 50 Bonnet, Principes philosophiques, 1978, 210. 51 Bonnet 1985 (§ 351), 481.

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Der strukturbildende Prozeß, durch den sich auch die Gewebe in Organe differenzieren, stellt eine präformative (prform) oder präordinierte (prordin) Ordnung dar, die auf einem präexistenten Plan beruht: Ich verstehe im allgemeinen unter dem Wort Keim jede Präordination oder Präformation der Teile, die aus sich selbst heraus fähig ist (capable par elle-mÞme), die Existenz einer Pflanze oder eines Tieres zu bestimmen (dterminer).52

Bonnet bleibt jedoch auch in der Palingnsie dabei, daß der organisierte Körper im Kleinen im Keim vorgezeichnet präsent ist.53 Kant ist strikt gegen diese Vorstellung. In „Von den verschiedenen Racen der Menschen“ (1775) bestimmt Kant den Keim als das Entwicklungspotential der „Gattung“, das in individuellen organisierten Körpern die „Auswickelung besondere[r] Theile“ festlegt, ohne diesen Teilen figürlich zu ähneln. Das Potential differenziert sich dabei durch verschiedene äußere Einwirkungen in „Abartungen“ und „Rassen“ der „Gattung“.54 Von den Keimen unterscheidet Kant die Anlagen, die nur die „Größe oder das Verhältniß der Theile untereinander“ beeinflussen.55 Kant und 52 Bonnet, Tableau des Considrations sur les corps organiss (in Bonnet 2002, 82). Der Text erschien zuerst als Vorwort zur Contemplation de la nature (1764) und wurde anschließend in der Palingnsie (1769) nachgedruckt. Vgl. Bonnet 2002, 257. 53 Vgl. Bonnet 2002, 260: „Mais quand il est question d’expliquer la reproduction d’un tout organique dissimilaire, il me paroît, que je suis dans l’obligation philosophique d’admettre, que ce tout prééxistoit dans un germe proprement dit, où il étoit dessiné très en petit et en entier. J’admets donc, qu’une tête, une queue, une jambe prééxistoient originairement sous la forme de germe, dans le grand tout organique où elles étoient appellées à se développer un jour.“ 54 Vgl. KdU § 65, AA 5.374: „Sie [die Natur] organisirt sich vielmehr selbst und in jeder Spezies ihrer organisirten Producte, zwar nach einerlei Exemplar im Ganzen, aber doch auch mit schicklichen Abweichungen, die die Selbsterhaltung nach den Umständen erfordert.“ 55 Vgl. „Von den verschiedenen Racen“, AA 2.434: „Die in der Natur eines organischen Körpers (Gewächses oder Thieres) liegenden Gründe einer bestimmten Auswickelung heißen, wenn diese Auswickelung besondere Theile betrifft, Keime; betrifft sie aber nur die Größe oder das Verhältniß der Theile untereinander, so nenne ich sie natrliche Anlagen. In den Vögeln von derselben Art, die doch in verschiedenen Klimaten leben sollen, liegen Keime zur Auswickelung einer neuen Schicht Federn, wenn sie im kalten Klima leben, die aber zurückgehalten werden, wenn sie sich im gemäßigten aufhalten sollen. Weil in einem kalten Lande das Weizenkorn mehr gegen feuchte Kälte geschützt werden muß, als in einem trocknen oder warmen, so liegt in ihm eine vorher bestimmte Fähigkeit oder natürliche Anlage, nach und nach eine dickere

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Bonnet gehen damit von einem sich prozessual umsetzenden präexistenten Organisationsgrund aus, der einmalig geschaffen wurde, doch unterscheiden sich ihre Ansichten über die Ähnlichkeit dieses Organisationsgrundes mit dem entwickelten, ausdifferenzierten Körper sowie über seine Wirkungsweise und Veränderbarkeit. Neben Überschneidungen in der allgemeinen Charakteristik reproduktiver Systeme anhand eines bestimmten Modellkörpers, finden sich in Bonnets und Kants Ansätzen Ähnlichkeiten, die nahelegen, daß sie sich für ihre Ausführungen zur Ökonomie von Bäumen auf eine gemeinsame Quelle beziehen. Spur dieser Quelle sind die Fußnoten, die Bonnet vor allem im zehnten Kapitel des ersten Teils der Considrations sur les corps organiss hinterläßt.56 Bonnet verweist hier auf das vierte Buch von Duhamels La Physique des Arbres. Diese Schrift erscheint zuerst 1758 und wird 1764 – 65 von Carl Christoph Oelhafen von Schöllenbach unter dem Titel Natur-Geschichte der Bume ins Deutsche übersetzt.

6. Duhamels La Physique des Arbres Ähnlich wie John Evelyn beschäftigte sich Henri Louis Duhamel du Monceau (1700 – 1782) vor allem mit Forstwirtschaft, Schiffsbau und schadhaftem Parasitismus an Nutzpflanzen. Die fast 900 Seiten umfassende Schrift La Physique des Arbres (1758) stellt nach Evelyns Sylva (1664) eine der umfangreichsten Baum-Monographien dar.57 Die ersten drei Bücher beinhalten auf bestimmte organische Teile – Stamm, Wurzel, Zweige, Blätter – ausgerichtete morphologische Darstellungen Haut hervorzubringen. Diese Fürsorge der Natur, ihr Geschöpf durch versteckte innere Vorkehrungen auf allerlei künftige Umstände auszurüsten, damit es sich erhalte und der Verschiedenheit des Klima oder des Bodens angemessen sei, ist bewundernswürdig und bringt bei der Wanderung und Verpflanzung der Thiere und Gewächse dem Scheine nach neue Arten hervor, welche nichts anders als Abartungen und Racen von derselben Gattung sind, deren Keime und natürliche Anlagen sich nur gelegentlich in langen Zeitläufen auf verschiedene Weise entwickelt haben.“ Zu Kants Keim-Begriff siehe Zammito 2003 und 2006. 56 Vgl. Bonnet 1985 (§ 167), 134 Fußnote 4, (§ 168), 137 Fußnote 1 und 4, sowie (§ 169), 139 Fußnote 1. Ein konkreter Nachweis für Kants Lektüre von Duhamels Schriften steht bisher noch aus. 57 Duhamel, dessen forstwirtschaftlichen Arbeiten für die Acadmie des sciences von Buffon unterstützt werden, veröffentlichte bereits 1755 den umfangreichen Trait des arbres et arbustes qui se cultivent en France en pleine terre.

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der Organisation des Körpers der Bäume (organisation du corps des arbres). Im vierten Buch findet sich im Titel eine Abfolge von Themen, deren erste vier in der Gliederung von Kants „Baum“-Charakteristik wieder auftauchen: Das Vierte Buch. Von denen Saamen, und wie sie keimen; Vom Wachsthum der Bäume, sowohl in die Höhe, als in die Dicke; Von denen Wunden; Von den Pfropfungen; Von den Schnitlingen; Von den Ablegern; Von der Richtung der Stämme und der Wurzeln etc.58

Duhamel geht detailliert auf die Keimung (germination) der Samen, das erste Wachstum (accroissement) aus einem Stengel (tige), die Zunahme des Umfangs (augmentation en grosseur), die Erzeugung (production) von Ästen (branches) und verschiedene Möglichkeiten ein, einen Baumteil als Pfropfreis (greffe) zu verwenden. Für seine Darstellung bezieht er sich vor allem auf Malpighis, Nehemiah Grews, Stephen Hales’ und Bonnets Arbeiten.59 Nach Malpighis Anatome Plantarum (1675), Grews Anatomy of Plants (1682) und Hales’ Vegetable Staticks (1727) stellt Bonnet 1745 im Trait d’insectologie zum ersten Mal seine Präformations- und Keimtheorie – mit Verweis auf seine eigenen Versuche zur Parthenogenese der Blattläuse – vor. 1754 veröffentlichte er die Recherches sur l’usage des feuilles dans les plantes. Kant konnte in Bonnets Considrations sur les corps organiss und in Duhamels La Physique des Arbres Referenzen auf die Schriften des jeweils anderen finden. Duhamel bezieht sich etwa auf die besondere Fortpflanzungsweise der Blattläuse, ohne jedoch Bonnet an dieser Stelle namentlich zu nennen:

58 Duhamel 1758, Bd. 2, 1. 59 Duhamel hatte bereits in der Vorrede auf die besondere Bedeutung dieser Autoren für seine Abhandlung hingewiesen, vgl. Duhamel 1758, Bd. 1, Vorrede, C4v. Die „Stufenleiter“ organischer Körper aufsteigend, erwähnt auch John Ray in The Wisdom of God Manifested in the Works of Creation (1692) vor Tieren und Menschen die plastische Natur der Pflanzen, die fähig ist, ihre ganze Ökonomie zu regulieren (regulate the whole Oeconomy). Hierfür bezieht er sich – vor allem anhand von Bäumen – auf Erscheinungen der Wachstumsbegrenzung, der Regelmäßigkeit der Form der Früchte und der Anordung der Blätter (die wie eine Haut dem Hitze- und Kälteschutz und der Wärme- und Feuchteregulierung dienen), der Ernährung durch Wurzeln, Fasern (Fibres) und Gefäße (Vessels), der Produktion von Samen, die zur Fortpflanzung dienen, und der Sprosse (Branches), die, abgeschnitten, erneut „wurzeln und zu einer vollkommenen Pflanze auswachsen“. Vgl. Ray 1974, 74 – 86 und 222.

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Eine Baum-Laus (Puceron) ist kaum gebohren, so bringt sie schon wieder Junge, da andere Thiere erst im funfzehenden oder achtzehenden Jahr hierzu tüchtig sind.60

Duhamel fokussiert auch auf die in Bonnets Ansatz zentrale Parallele zwischen der Ordnungsform von Tieren und Pflanzen, die auf einer allen organisierten Körpern eigenen Ökonomie des Lebens beruht.61 Diese Ökonomie charakterisiert für Duhamel und Bonnet der „Baum“ auf besonders anschauliche Weise. Die Nähe von Kants Charakteristik des „Baumes“ in KdU § 64 zu Duhamels Ausführungen im vierten Buch zeigt sich vor allem an Kants ausführlicher Besprechung der Reproduktion des (parasitisch existierenden) Pfropfreises, die Duhamel als „Vereinigung des Aufgepfropften mit den Stämmen oder Zweigen“ bezeichnet,62 sowie an der „Produktion“ und „Umwandlung“ des Nahrungssaftes der Pflanzen. Während für Kant „alle Kunst davon unendlich entfernt bleibt“, diese Umwandlungsprozesse durch „Zergliederung“ in Elemente „wieder herzustellen“,63 läßt es sich für Duhamel zumindest „noch nicht ausmachen“, wie ein solch „feiner Mechanismus“ erklärt werden könnte: Auf die Frage, wie dann der nemliche Saft das Holz vom Stein, die Rinde, den Kern und das Fleisch bilden können, will ich den berühmtesten Anatomisten fragen, wie der Chylus, welches der Saft der Thiere ist, das Hirn, die Nerven, die Membranen, das Fleisch, die Beine, die Nägel etc. bilden können. Diese Handlungen hängen von einem so feinen Mechanismus ab, daß die geschicktesten Naturforscher noch nicht haben ausmachen können, wie es damit zugeht.64

Wie Bonnet setzt Duhamel für die Entwicklung des Samens der Pflanze und des Eis des Tieres einen präexistenten Organisationsgrund voraus, doch legt sich Duhamel nur vage auf ein Prinzip des Lebens fest. Vielmehr übt er die Zurückhaltung, die Kant an Blumenbach lobt:

60 Duhamel 1758, Bd. 2, 145. 61 Vgl. ebd.: „Die Pflanzen haben ihren Ursprung aus den Saamen, wie die Thiere aus den Eiern.“, und ebd., 148: „Die Pflanzen müssen beständig zu ihrer Erhaltung und Wachsthum neue Nahrung haben, indem sie in einem Fortwachsen, und durch die merkliche und unmerkliche Ausdünstung immerfort etwas verlieren, eben so, wie die Thiere von Zeit zu Zeit Nahrung zu sich nehmen müssen.“ 62 Vgl. ebd., 61. 63 KdU §64, AA 5.371. 64 Duhamel 1758, Bd. 2, 165 f.

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Diese und nicht andere Betrachtungen haben die Naturforscher bewogen den Pflanzen eine Seele beizulegen, welche sie vegetativisch gennenet. Vielleicht bestehet (reside) diese Seele nur in einer regulären Ordnung der Gefäse, in einer guten Beschaffenheit der Feuchtigkeiten, in einer Uebereinstimmung (Harmonie) der vesten und flüßigen Theile? Ob nun schon diese grosse Frage zu ergründen, vielleicht über die Kräfte des menschlichen Verstandes gehet, so ist doch ganz gewis in den Gewächsen ein Grund des Lebens, wie ich weis nicht was, (principe de la vie je ne sais quoi?) etwas, das durch die blosse Mechanic schwer zu erklären ist, oder das auf so eine Mechanic ankomt, von welcher wir uns keine deutliche Vorstellung machen können. Ich will indessen der Klugheit der Naturforscher keine allzuengen Gränzen setzen: Ich will auch nicht sagen, daß das Dunkle in dieser Materie niemahls wird aufgeklärt werden […] Ich will die grossen Wörter Qualitas occulta, virtus specifica assimilatio partium etc. nicht gebrauchen, welche nichts lehren. Meine Leser sollen also nichts sehen, als was man bisher entdecket, und ganz zuverlässig beobachtet hat.65

La Physique des Arbres, Considrations sur les corps organiss, La contemplation de la nature, La Palingnsie philosophiques und der zweite Teil der Kritik der Urteilskraft stellen damit zwischen 1755 und 1790 einen gemeinsamen Referenzraum für den Modellkörper „Baum“ dar, dessen Rolle ist, anhand einer bestimmten, konkret durch Erfahrungen und Experimente nachweisbaren Ordnungsform individueller reproduktiver Systeme organisch organisierte Körper kategoriell von unorganischen Körpern abzugrenzen. In diesem Raum, dessen symbolischen Kontext der Lebensbaum vertritt,66 etabliert sich auch die Differenz zwischen dem Lebendigen und dem Toten. Ein Körper ist dann lebendig, wenn er fähig ist, die Ordnung, die Bedingung seiner eigenen Existenz als individuierter Körper ist, zu erhalten und in anderen Körpern zu reproduzieren. Diese Ordnung umfaßt zum einen Ernährung und Wachstum und zum anderen Regeneration. Duhamel, Bonnet und Kant gehen davon aus, daß innerhalb eines lebendigen Körpers und entlang seiner Innen-Außen-Schnittfläche ein Schema, das meist „Organisation“ oder „Plan“ heißt, die der Ernährung, dem Wachstum und der Regeneration zugrundeliegenden Prozeßformen Assimilation, Stoffkreislauf und Stofftransformation reguliert. Des weiteren kann der lebendige Körper 65 Ebd., 147. 66 Der symbolische Kontext des Lebensbaumes wird vor allem in der Kabbala tradiert. Vgl. Benedikt 1988, 37: „Zentrales Urbild, Werkzeug und Hilfsmittel des Weges der Kabbala, in dem sich all seine Ansätze und Aspekte verbinden, ist das Symbol des Lebensbaumes. Sein Symbol ist der umfassende Ausdruck der Einheit des Lebens.“

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in sich reproduktive Anlagen, etwa Keime oder Samen, produzieren, die zur Entstehung neuer lebendiger Körper beitragen oder ihre Entstehung unmittelbar ermöglichen. Der sich selbst regulierende lebendige Körper ist in der Kantischen Terminologie ein sich selbst organisierender und zugleich organisierter Körper, dessen charakteristische Eigenschaften als reproduktives System sich unter den erfahrbaren Körpern an den Erscheinungen von „Bäumen“ veranschaulichen und nachweisen lassen. In Kants Modellkörper „Baum“ fusioniert damit der Schlüsselbegriff und das zentrale Referenzobjekt eines auf individuierte reproduktive Systeme ausgelegten Diskurses, der in der Naturgeschichte seit Malebranche tradiert und von Duhamel und Bonnet differenziert wurde.

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Linné zwischen Wolff und Kant. Zu einigen Kantischen Motiven in Linnés biologischer Klassifikation Vesa Oittinen Abstract: There are not yet any comprehensive analyzes on the relationship between Kant and Linnaeus. In this article, which is a first attempt to a more detailed comparison between their views, I try to show that Linnaeus was not a systematician in the sense of the Wolffian metaphysics and that he, on the contrary, shared Kant’s doubts about the “principle of sufficient reason”. In addition, in Kant’s works on natural sciences there are some mentions of Linnaeus, which, although seemingly made en passant only, are relevant as Kant’s own illustrations to the ways the critique of judgment functions in natural sciences. In fact, Kant seems to have conceived Linnaeus’s successful classifications as an illustration of his own ideas concerning the faculty of reflexive judgment. To some extent this holds true, but Kant does not always reflect enough the fact, that Linnaeus was not only a systematician, but a practicizing naturalist, too, for whom the empirically constatable plant genera and species were the ultimate point to start with, and were not deducible from any pre-conceived system ideas.

Seit Aristoteles, schrieb Ernst Cassirer, zeichne sich ein inniger Zusammenhang zwischen Biologie und Logik ab. Denn die Logik des Aristoteles ist die Logik der Klassenbegriffe, also gerade das, was ein Naturforscher nicht umgehen kann, wenn er die Formen des Pflanzenund Tierreichs versucht zu klassifizieren. Die Stellung aristotelischer Klassenbegriffe war laut Cassirer in der Biologie des 17. und 18. Jahrhunderts „noch unerschüttert“, während in den mathematischen Naturwissenschaften schon eine Umwandlung stattgefunden hatte. Während schon seit Leibniz die Logik der Relationen gegenüber der Klassenlogik immer mehr an Bedeutung gewonnen hatte, war es in der Biologie noch anders; doch seit „Linn’s ,Systema naturae‘ (1735) und in seiner ,Philosophia Botanica‘ (1751)“ hatte der Klassenbegriff „einen der größten wissenschaftlichen Triumphe“ erlebt.1 Es war Linné gelungen, die Tier- und Pflanzenarten konsequenter als jeder vor ihm zu klassifizieren; er hatte gleichsam den Plan Gottes entziffert. Die ge1

Cassirer 1994, 133.

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schaffene Natur teilt sich in Arten (artes), die ihrerseits Gattungen (genera) bilden und diese Klassen (classes); die Klassen bilden wiederum noch höhere Ordnungen (ordines), bis das System endlich in die allgemeinsten, zusammenfassenden „Reiche“ gipfelt, d. h. die Regnum animale, Regnum vegetabile und Regnum minerale, welche das Ganze der Natur umfassen. Nach Cassirer sei Kant der erste gewesen, der diese naiv-aristotelische und von Linné unreflektiert angenommene Klassifikation in Frage stellte: Aber eben hier setzt nun die Frage ein, die Kant sich stellt und die er besonders in der ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft, die er später wegen ihres Umfangs unterdrückt und durch eine kürzere Fassung ersetzt hat, eingehend behandelt. Was berechtigt uns, in der Natur ein Ganzes zu sehen, das die Form eines logischen Systems hat und das sich erst nach Art eines solchen behandeln läßt? Woher stammt und worauf beruht diese Harmonie zwischen den Naturformen und den logischen Formen? Die Begriffe von Art und Klasse sind rein logische und somit apriorische Begriffe. Daß wir diese apriorischen Begriffe auf die Erfahrung anwenden können und daß wir sie gewissermaßen in der Erfahrung wiederfinden, ist keineswegs selbstverständlich.

Und das Fazit: Hier liegt eine Übereinstimmung zwischen der Natur und unserem Verstand vor, die der Metaphysiker durch die Annahme eines gemeinsamen Ursprungs beider und einer hierdurch gegebenen „praestabilierten Harmonie“ lösen mag – die aber für den Kritiker der Erkenntnis zunächst ein Rätsel bleibt.2

Diese Passagen Cassirers gehören zu den überraschend seltenen Versuchen, das Verhältnis Kants zu seinem älteren Zeitgenossen Linné eingehender zu analysieren. In der bisherigen philosophiegeschichtlichen Literatur über Kants Ideen zur Systematik ist diese Problematik überhaupt nur eher beiläufig tangiert. Auch in den Monographien zur Kantischen Philosophie der Naturwissenschaften – eine der grundlegendsten Arbeiten auf diesem Gebiet ist immer noch Erich Adickes’ Kant als Naturforscher (1924) – hat man Kants Kommentare zu Linné gewöhnlich nicht vom Standpunkt der biologischen Systematik aus bewertet. Von den wenigen jüngeren Ausnahmen seien hier zwei USAmerikanische Forscher erwähnt.

2

Ebd.

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Der erste, John H. Zammito, meint in seiner Studie über Kants Kritik der Urteilskraft, Kant habe sich in dem 1775 erschienenen Aufsatz Von den verschiedenen Racen der Menschen an die Seite Buffons gegen Linné gestellt, indem er forderte, daß „the principle of natural science had not to do with nominal classes but real relations“.3 In der späteren Arbeit ber den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788) sei Kant dann noch weiter gegangen und habe den armen schwedischen Botaniker sogar als einen „rasche[n] Vernünftler“ gerügt, da dieser „had fallen prey to error by taking the similarity of certain instances for a proof of the similarity of their fundamental principles“4, – mit anderen Worten, so darf man Zammitos Kritik wohl deuten, Linné habe übereilt die gleiche Anzahl von Pistillen und Staubgefäßen in verschiedenen Pflanzengattungen (was nur ein ganz formales Kriterium ist) als Beweis ihrer natürlichen Verwandtschaft angesehen. Prüft man aber die von Zammito angegebenen Stellen am Original, so erweist es sich, daß Kant in beiden Passagen etwas ganz anderes sagt, als Zammito ihm unterstellt. An der ersten Stelle spricht er tatsächlich gegen die Verallgemeinerung der Ideen Buffons von der Naturgattung: „Daher muß die Bffonsche Regel, daß Thiere, die mit einander fruchtbare Jungen erzeugen, […] doch zu einer und derselben physischen Gattung gehören, eigentlich nur als die Definition einer Naturgattung der Thiere überhaupt zum Unterschiede von allen Schulgattungen derselben angesehen werden.“ Für Kant sind aber die „Schuleintheilung“ und die „Natureintheilung“ mehr oder wenig gleichberechtigte Klassifikationsprozeduren, die verschiedenen Zwecke dienen: „Jene verschafft ein Schulsystem für das Gedächtniß; diese ein Natursystem für den Verstand: die erstere hat nur zur Absicht, die Geschöpfe unter Titel, die zweite, sie unter Gesetze zu bringen“.5 Wenn dem so ist, kann dies keineswegs als eine Kritik an Linné gedeutet werden, denn der schwedische Botaniker hatte das Verhältnis verschiedener Klassifikationsprinzipien in der Tat sehr ähnlich bestimmt. Obgleich nämlich Linnés Lebenswerk vor allem der Bearbeitung des systema sexuale galt, gab er gleichzeitig seine „Künstlichkeit“ zu und hob hervor, daß die natürliche Methode (methodus naturalis) der Klassifikation eigentlich das primum und ultimum in der Botanik sei. Dementsprechend lieferte Linné auch versuchsweise „Fragmente“ eines solchen natürlichen Systems (in 3 4 5

Zammito 1992, 199 ff. Ebd., 210. Von den verschiedenen Racen, AA 2.429.

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der Philosophia Botanica von 1751 listet er 68 „natürliche“ Gruppen auf). Ein endgültiges System nach natürlichen Prinzipien war jedoch Linné zufolge damals noch nicht möglich, weil so viele Gebiete auf der Erde, vor allem die tropischen, floristisch noch unerforscht waren: „Aber das Erwerben weiterer Erkenntnisse wird es [das System, V.O.] vollständig machen; denn die Natur macht keine Sprünge“6, fügt Linné hoffnungsvoll hinzu. Vorläufig müsse man sich deshalb – und zwar aus praktischen Gründen – mit einem künstlichen System begnügen, das es erlaubt, alle bis dahin bekannte und auch noch unbekannte Pflanzengattungen zu katalogisieren. Was die andere von Zammito angeführte Linné-Stelle bei Kant betrifft, so liegt auch dort keine Kritik an Linné vor. Im Gegenteil. Kants Zielscheibe ist hier vielmehr Georg Forster, von dem er ironisch bemerkt, daß dieser nicht konsequent genug am Prinzip Linnés festhalten kann, nämlich „des Linneischen Princips der Beharrlichkeit des Charakters der Befruchtungstheile an Gewächsen, ohne welches die systematische Naturbeschreibung des Pflanzenreichs nicht so rühmlich würde geordnet und erweitert worden sein.“7 Die von Zammito zitierte Bemerkung von dem raschen Vernünftler folgt dann einige Zeilen später; aber auch damit ist keineswegs Linné gemeint. Mit dieser Kritik soll freilich nicht der Wert der Studien Zammitos geschälert werden. Daß er aber widerspruchslos (denn keiner hat bisher etwas gegen seine Interpretation eingewendet) so etwas über Linné hat schreiben können, deutet darauf hin, daß das Bild von Linné als einem metaphysisch-scholastischen Biologen, der mit seinen trockenen Klassifikationen der lebendigen Natur gegenüber schließlich fremd gegenübersteht, immer noch sehr wirkungsmächtig ist. Daß Linné als Naturforscher in Widerspruch mit seinen metaphysischen Prinzipien hätte geraten können, wird aus irgendeinem Grunde von der Forschung kaum erwogen. Anders als der geisteswissenschaftlich orientierte Zammito, ist der Ideen- und Theoriehistoriker James Larson ein guter Kenner der Biologie. Er sieht ein, daß man zwischen dem philosophischen Selbstverständnis der Naturforscher und ihrer tatsächlichen „logic of discovery“ 6 7

Linné, Philosophia Botanica § 77: „Defectus nondum detectorum in causa fuit, quod Methodus naturalis deficiat, quam plurium cognitio perficiet; Natura enim non facit saltus.“ ber den Gebrauch teleologischer Principien, AA 7.161.

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unterscheiden muß. Neben einer wichtigen Monographie8 über die Klassifikationsprinzipien Linnés hat Larson auch einen interessanten kleinen Aufsatz9 publiziert, in dem er die Bedeutung der Linnéschen Systematik für das Verständnis einiger Stellungnahmen in Kants Kritik der Urteilskraft hervorhebt. Dieser Aufsatz ist wohl der erste, in dem gründlicher auf das Verhältnis von Kant und Linné eingegangen wird. Nach Larson sei Linné, wie auch Kant, von der Voraussetzung ausgegangen, daß das Prinzip der Systematizität „kein Natur-, sondern ein Denkgesetz“ ist, und daß der Unterschied zwischen beiden nur sei, daß es sich bei der gefundenen Naturregelmäßigkeit „im System Linnés um die Muster Gottes handelt, während Kant lediglich behauptet, daß wir die Natur als Kunstfertigkeit bewerten und ihr unsere eigenen Ziele vorschreiben, um imstande zu sein, über ihre Produkte zu urteilen.“10 Linnés Ansicht von der Natur ist, so hebt Larson hervor, vom „resoluten Realismus“11 geprägt, weshalb die Aufgabe des Naturforschers lediglich ist, die in der Natur selbst schon gegebene Formvielfalt durch eine Analyse in ihre „einfachen Bestandsteile“ aufzulösen: Der Naturforscher isolierte […] einen Typus, ein bestimmendes Muster, bei einer Vielfalt von Individuen, und wendet die generellen Klassen an, um den Grund für jedes besondere Formelement herauszupräparieren. Die Klassifizierung im Rahmen einer Hierarchie gibt in der logischen Form den Prozeß wieder, wodurch die Natur ihre besonderen Existenzformen spezifiziert hatte.12

Dennoch nähert m. E. auch Larson Linné zu stark dem metaphysischen Systemdenken à la Wolff an, wenn er schreibt, Linné habe vorausgesetzt, daß „die Ordnung der Natur sich in die Form eines einheitlichen 8 Larson 1971. In der „Vorrede“ weist Larson auf die auch von mir hier anfangs zitierte Würdigung Cassirers hin. Er bemerkt zu Recht, daß Cassirer wichtige Aspekte der deskriptiven Praxis Linnés – im Grunde genommen seine Arbeit als praktizierender Naturforscher überhaupt – gänzlich ausgeblendet hat: „Cassirer concludes that Linné’s system never moves beyond the problems of mere recognition and identification of natural objects. The flaw in this approach is that Cassirer requires an analogy drawn between class logic and the Linnaean system to hold in everything“. Daher sei es Cassirer zwar gelungen, die metaphysischen Präsuppositionen des Linnéschen Systems scharfsinnig bloßzulegen, aber zugleich „to do a great injustice to Linné’s descriptive science“ (ebd., 2 f.). 9 Larson 1978. 10 Larson 1978, 104 (hier und im Verfolg meine, V.O., Übersetzung). 11 Ebd., 100. 12 Ebd., 101.

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logischen Systems kleidet.“13 Nach Larson sei „die Harmonie zwischen Naturgegenstände und seiner [Linnés – V. O.] Begriffsbildung so offensichtlich gewesen, daß sie keinerlei Bedenken hervorzurufen schien“: Tatsächlich bildeten Linnés Annahmen zur Einheit der Natur das Hauptargument für die innere Logik der Methode. Er wendete zuzusagen unbewußt als Hauptargument für die Methode selbst das an, was seine Methode erst aufzeigen sollte. Damit entspringt Linnés Natursystem nicht aus den Beobachtungen, sondern ist vielmehr Voraussetzung für seine Beobachtungen.14

Nach Larson habe Linné also die allgemeinen Systeme der Tier- und Pflanzenreiche direkt aus irgendwelchen apriorischen logischen Prinzipien abgeleitet, und erst Kant habe Linné in dieser Hinsicht korrigiert, indem er gegen ihn herausgestellt hatte, daß die Klassen nichts als Produkte unserer eigenen Vernunft seien. Auch wenn Larson es nicht direkt behauptet, läuft seine Position darauf hinaus, daß Linné, ähnlich wie die Wolffianer, den logischen und den realen Grund miteinander vermischt; darüber unten gleich mehr. Wie man sieht, schließt sich auch Larson letztendlich – trotz seines größeren Verständnisses für die Rolle der wissenschaftlichen Praxis des Naturforschers, die immer wieder die metaphysischen Systemambitionen sabotiert – der allgemein verbreiteten Ansicht an, die Linné als einen dogmatisch-apriorischen Systematiker handelt. Daß über Linnés Klassifikationen ein metaphysisches Raster liegt, ist freilich nicht zu verneinen. Seine dicken Bände Systema Naturae, Genera Plantarum usw. sind – zumindest in den Augen der Laien – eigentlich nichts anderes als langweilige Kataloge. Dabei übersieht man allerdings, daß der Archiater von Uppsala neben allen seinen Mängeln doch auch ein Naturforscher war, für den das empirische Material immer das letzte Wort hatte. Gerade dieser Umstand führte bei Linné dazu, daß die Beschäftigung mit diesem empirischen Material immer wieder Breschen in das Gebäude der metaphysischen Systematik schlug, deren Wirkung sich auch in den höheren Etagen des Systems auswirken mußte. In der 13 Ebd., 100. 14 Ebd., 101 f.: „[I] själva verket var det Linnés antaganden om naturens enhet som var huvudargumentet för metodens inre logik. Han använde med andra ord omedvetet vad hans metod skulle uppvisa som huvudargument för metoden själv. Sålunda framgick Linnés natursystem inte ur iakttagelser utan utgjorde snarare en förutsättning för hans iakttagelser.“

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oft zitierten Vorrede zur Genera Plantarum mit dem Titel „Ratio Operis“, die eine Zusammenfassung seiner Methode enthält, konstatiert Linné: Es gibt so viele Arten und Gattungen, wie „das Unendliche Wesen auf diesem Erdenglobus verschiedene und stetige Formen geschaffen hat“ (quot diversas & constantes formas in hoc globo produxit Infinitum Ens).15 Der Satz ist berühmt und vielzitiert. Gewöhnlich hat man ihn gedeutet als Linnés Bekenntnis zum Kreationismus, was an sich auch stimmt, – obgleich die Rede vom Infinitum Ens eher aufklärerisch-deistische Vorstellungen als orthodoxes Christentum nahelegt. Doch wird die Fortsetzung des Satzes meistens übersehen. Denn daraus, daß die Arten und Gattungen von Gott geschaffen sind, folgt für Linné ihre Natürlichkeit: „Omnia Genera naturalia sunt“; entsprechend heißt es in seiner Philosophia Botanica, daß Arten und Gattungen immer und unzweideutig Produkte der Natur sind: „Naturae opus semper est Species et Genus“, dies im Gegensatz zu höheren Ordnungen des Systems, die mehr oder weniger „artifiziell“ sind. Und dann formuliert Linné das entscheidende methodische Prinzip: „Die Gattung und die Art“, so schreibt er, „sind immer Werk der Natur […]; die Klassen und Ordines sind Werk von Natur und Kunst“.16

1. Voraussetzungen der systematischen Leistung Linnés Die von Cassirer so genannte enigmatische „Übereinstimmung zwischen der Natur und unserem Verstand“ hat Kant in seiner kritischen Philosophie auf mehreren Niveaus zu enträtseln versucht. Die Forderung, die Natur in systematischer Form darzustellen, deutet Kant in seiner ersten Kritik im Sinne der „kopernikanischen Wende“. Vor allem handelt es sich dabei darum, daß die menschliche Vernunft ihren Stempel in die Naturgegenstände drückt. Wir können nämlich nicht sagen, die Natur sei an sich systematisch oder gliedere sich selbst nach den für unser Erkennen notwendigen kategorialen Formen. Es ist vielmehr die menschliche Vernunft selbst, die „ihrer Natur nach architektonisch“ ist, das heißt, die „alle Erkenntnisse als gehörig zu einem

15 Linné, Genera Plantarum, „Ratio Operis“, x. 16 Linné, Philosophia Botanica, § 162: „Naturae opus semper est Species et Genus; culturae saepius Varietas; naturae & artis Classis & Ordo.“

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möglichen System“ betrachtet.17 So findet die Vernunft ihre eigene Ordnung auch in der Natur. Diese Architektonik, so fährt Kant andernorts fort, ist „Kunst der Systeme“ und dadurch „die Lehre des Scientifischen in unserer Erkenntniß überhaupt“18. Diese Kunst gelingt unter der Voraussetzung, daß das Ganze unter eine organisierende Idee gebracht wird.19 Der Gegensatz zur architektonischen Annäherungsweise ist die technische, womit Kant die empirische, „nach zufällig sich darbietenden Absichten“ entworfene Einheit meint.20 Als Kant diese Klassifikationsprozeduren beschrieb, hatte er offenbar die Systeme zeitgenössischer Wissenschaft im Visier, von denen die biologische Klassifikation Linnés ein Paradebeispiel bot. Gerade die Systeme Linnés (denn er hatte mehrere, je gegenstandsspezifisch im Pflanzen- Tier- und Mineralreich, im Pflanzenreich unterschied er neben dem künstlichen Sexualsystem auch ein – zwar fragmentarisches – „natürliches“ System) gingen ja davon aus, daß jede Wissenschaft ihre eigene Leitidee, ihr eigenes Ordnungsprinzip habe, wonach das Material der jeweiligen Wissenschaft klassifiziert werden könne. Denn erst wenn eine solche Klassifikation gelungen ist, könne man von einer Wissenschaft im strengen Sinne des Wortes sprechen. Eine genauere Lektüre der Werke Linnés zeigt, daß seine Ansichten über die Systematik nicht so „naiv-aristotelisch“ (lies: vorkantisch) sind, wie Cassirer anzunehmen scheint. Kant hatte der weniger wissenschaftlichen – also naiveren – technischen Organisation die höhere, architektonische gegenüberstellt. Linné nimmt jedoch ganz ähnliche Unterscheidungen am Anfang seiner Philosophia Botanica (1751) vor, wenn er nämlich zu bestimmen sucht, was eine „richtige“, d. h. wissenschaftliche Botanik ausmacht. Dazu nimmt er die Methode der Dihairesis zur Hilfe. Die Auctores, die über Botanik geschrieben haben, sind entweder bloße „Botanophile“, oder Botaniker, die den Pflanzen verständliche Namen geben können (vgl. ebd. § 6). Die letztgenannten wiederum teilen sich entweder in Sammler oder in Methodiker (§ 7). Die Methodiker wiederum teilen sich in verschiedene Gruppen, von denen die wichtigste die der Systematiker ist (§§ 18 u. 24). Die Systematiker sind weiter unterteilt nach „Heterodoxen“, die ihre Klassifizie17 18 19 20

Vgl. KrV Vgl. KrV

KrV A 474/B 502. A 832/B 860. KrV A 326 f./B 383 und A 321/B 378. A 833/B 861.

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rungen auf fehlerhaft gewählten Kennzeichen gründen (die „Alphabetaren“ begnügen sich damit, die Pflanzen nach der alphabetischen Namensordnung zu verzeichnen, die „Rhizotomen“ klassifizieren diese nach den Wurzelformen, die „Phyllophilen“ nach der Form und Größe der Blätter, die „Topophilen“ nach dem Wachstumsort, die „Empiriker“ nach dem medizinischen Gebrauch usw., vgl. § 25), und nach „Orthodoxen“, die die Pflanzen nach richtig gewählten Kennzeichnen, d. h. nach der Blüte und Frucht (fructificatio) 21 klassifizieren. Aber auch dieses Klassifikationsresultat ist unzureichend. Linné lehnt nämlich solche „Fructisten“ ab, die die reife Frucht als Klassifikationsprinzip zugrundelegen (§ 28), aber auch die „Corollisten“, die die Zahl und Form der Kronenblätter (corollae) der Blumen zum Ordnungsprinzip machen (§ 29). Die einzige völlig adäquate Klassifikation gründet sich auf der Zahl der Pistillen (Blütenstempeln) und Staubgefäße, die den Ausgangspunkt für Linnés eigenes systema sexuale bildet (§ 31). Mit anderen Worten, die Struktur der pflanzlichen Geschlechtsorgane gibt die Leitidee oder, Kantisch gesprochen, das architektonische Prinzip, worauf die Vernunft sich stützt, wenn sie beginnt, die in der Erfahrung gegebene Mannigfaltigkeit zu organisieren und systematisieren. Was Kant aber nicht in Betracht zu ziehen scheint, ist, daß die systematische Leistung Linnés eine vorausgehende Analyse der schier unübersichtlichen Vielfalt der organischen Welt voraussetzt, – eine Analyse, der der größte Teil der Philosophia Botanica gewidmet ist. Es versteht sich ja von selbst, daß eine konsequente Klassifikation erst dann möglich ist, wenn man sich darüber im Klaren ist, welche Kennzeichen (characteres) überhaupt als Kriterien der Klassifizierung taugen. So nehmen die Definitionen und Beschreibungen der verschiedenen Teile der Pflanzen und Tiere den weitaus größten Teil des systemphilosophischen Werks Linnés ein: Das heißt, welche Blattformen es gibt (runde, ovale, geteilte usw.), was die verschiedenen Teile der Blume (calyx, corolla, stamina, pistillum usw.) oder was die verschiedenen Typen der Früchte (Beere, Nuß, Schote, Hülse usw.) sind. Die so durchgeführte Analyse hat eine Vielzahl elementarer Kennzeichen zum Resultat. Erst durch die Kombination dieser als Ergebnis der analytischen Zerlegung gefundenen und definierten Kennzeichen (oder auch durch die Feststellung ihrer 21 Im botanischen Latein scheint man damals mit dem Begriff fructificatio sowohl die Blüte (flos) als auch die Frucht (fructus) gemeint zu haben. Das ist insofern konsequent, weil sie verschiedene Entwicklungsstadien desselben Organs sind.

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Abwesenheit, des Nullwerts) gelingt es nach Linné, die Arten und Gattungen exakt zu beschreiben. Linné folgt somit der klassischen zweiteiligen Bewegung der Methode, die für die Wissenschaften der frühen Neuzeit überhaupt maßgeblich war. Beschrieben ist sie von Antoine Arnauld und Pierre Nicole in ihrer Logique de Port-Royal im Anschluß an Descartes. Nach dieser Methode findet zuerst eine Analyse oder „Resolution“ statt, durch welche der Untersuchungsgegenstand in seine Elemente aufgelöst wird. Anschließend folgt eine Synthese bzw. „Komposition“, kraft der die durch Analyse gewonnenen Elemente in größere systemische Einheiten geordnet werden.22 Dieses cartesisch-rationalistische Methodenverständnis gerät allerdings seit Christian Wolff in den Hintergrund zugunsten der „mathematischen Methode“.23 Kant hat diese Tendenz fortgesetzt, indem er die mathematische Naturwissenschaft für methodisch verbindlich erklärte. Kants Meinung über die Methodenfrage in den Naturwissenschaften war bereits in der vorkritischen Phase deutlich antimetaphysisch, sofern er nämlich jede Form von Essentialismus ablehnte. Er hatte sich schon früh dem Phänomenalismus Newtons angeschlossen, dieser hatte nämlich genau wie übrigens auch Kant später bestritten, daß es in der Natur Wesenheiten gebe. Für die Physik paßt der Anti-Essentialismus gut, auf dem Gebiet der Klassifikation und Systematik der Naturgegenstände wird die Sache allerdings problematischer. Denn um Individuen zuerst in Arten, diese wiederum in Gattungen und höheren Einheiten einreihen zu können, drängt sich geradezu eine Idee dessen auf, was wesentlich und was unwesentlich bzw. primär und sekundär ist. Aus diesem Grunde wun22 Die Methode ist nach Arnauld und Nicole nichts als „[a]rs bene disponendi seriem plurimarum cogitationum“, und diese „Gedankenreihen“ können entweder auf das Finden eines noch Unbekannten oder auf die Demonstration des schon Bekannten zielen. Daher die Doppelheit der Methode: „Methodus itaque duplex est; vel enim veritatem invenit, estque Analysis sive methodus resolutionis, quae dici poterit Methodus inventionis; vel inventam docet, & est synthesis, sive methodus compositionis, quae & appellari potest methodus doctrinae tradendae.“ (Arnauld/Nicole, Logica sive Ars cogitandi, iv,2, 1736, 336). 23 So schreibt Engfer 1986, 55: „Tatsächlich ist in den frühen philosophischen Schriften Wolffs und in seinen zentralen Äußerungen zur Methodenfrage von […] Differenzierungen zwischen analytischer und synthetischer Methode und der erfindenden und beweisenden Funktion nicht die Rede: Wolff spricht regelmäßig nur von einer philosophischen oder wissenschaftlichen Methode“, die in allen seinen wichtigsten Schriften „ausdrücklich mit der mathematischen Methode identifiziert“ wird.

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dert es auch nicht, daß der Essentialismus in Linnés Methode der Klassifikation noch eine wichtige Rolle spielt. Nach der kritischen Analyse, wo Linné den vorgefundenen, noch chaotisch und ungegliedert scheinenden Forschungsgegenstand in seine einfachen Bestandteile zerlegt – wobei er nicht vergißt, die Vorurteile und Tollheiten seiner Vorgänger abzuweisen –, schreitet er zur Phase der Synthese, wo der Essentialismus wiederhergestellt wird. Wie wir sahen, nimmt Linné die Zahl der Pistillen und Staubgefäße als grundlegendes Klassifikationsprinzip, weil er diese für ein wesentlicheres (essentielleres) Kennzeichen hält als z. B. die Blattform oder die medizinischen Eigenschaften der Pflanze. Den Essentialismus Linnés kann man ähnlich wie bei Andrea Caesalpino (1519 – 1603) – dem großen italienischen Vorgänger Linnés – aristotelisch nennen. Caesalpino hatte in seiner bahnbrechenden Arbeit De plantis (1583) die fructificatio zum Klassifikationsprinzip gemacht und zwar mit der Begründung, daß die ganze Pflanze von Anfang an, d. h. schon wenn sie beginnt zu keimen, gleichsam danach strebt, Blumen und Früchte zu produzieren. Die fructificatio, als Telos der Pflanze, war somit für Caesalpino das Wesentlichste. Man könnte sagen, daß die große systematische Aufgabe, die sich Linné zum Lebenswerk gemacht hatte – nämlich die Klassifikation aller Formen des Lebens, vor allem des Pflanzenreiches –, allein aus praktischen Gründen – Arten, Gattungen und Familien müssen nämlich etwas Wesentliches zum Ausdruck bringen –24, sein naturwissenschaftliches Methodenverständnis im Banne der älteren, essentialistischen Metaphysik hielt. In dieser Hinsicht besteht natürlich kein Zweifel darüber, daß Kant „moderner“ als der Uppsalaer Archiater war. Andererseits aber stand Kant gerade in den Fragen der Systematik der metaphysischen Tradition näher als sonst in seiner Philosophie. Kants Ideen zur Systematik können überhaupt nicht adäquat verstanden werden, wenn man den Einfluß und das Problembewußtsein seines Vorgängers Christian Wolff ausblendet. Während die Vernunftkritik das radikale Novum in Kants Philosophie darstellt, ist die Theorie des Architektonischen in vielerlei Hinsicht den Fragestellungen des Wolffischen Rationalismus verbunden. Dies haben m. E. durchaus zu Recht zuletzt Hans-Friedrich Fulda und Jürgen Stolzenberg in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Sammelbands zur Systematik bei Kant 24 Anders gesagt, die essentialistische Idee des Wesens war damals und später, vielleicht bis zur Entstehung der modernen Genetik, ein notwendiges Werkzeug für die Klassifikation.

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hervorgehoben; Kant habe nämlich „im Ambiente des AufklärungsEklektizismus seiner Zeit die Systematizitätsforderungen der Schulphilosophie [sprich: des wolffischen Rationalismus, V. O.] nicht nur verteidigt, sondern extrem verschärft“.25 Man braucht nur an die lobenden Worte über den „berühmten Wolff, des größten unter allen dogmatischen Philosophen“ in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft zu erinnern,26 um einzusehen, daß auch der kritische Kant den Systemanspruch des älteren Rationalismus noch für verbindlich hielt. Allerdings gibt es einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Systembegriff Kants und dem seines Vorgängers Wolff. Es ist eben der Unterschied, der sich auf das oben von Cassirer formulierte Problem von der „Übereinstimmung zwischen der Natur und unserem Verstand“ bezieht. Denn für Wolff hatte dieses Problem eine ganz andere Gestalt. Der Hallenser Weltweise ging bei der Grundlegung seiner Ontologie aus von der Intention, die schon von Leibniz unterschiedenen zwei Formen der Wahrheit, nämlich die vrits de raison und vrits de fait auf eine gemeinsame ontologische Grundlage zu stellen. Um ihr Verhältnis zueinander zu klären, kam er zur Formulierung des Prinzips des zureichenden Grundes (principium rationis sufficientis). Dieses Prinzip besagt, daß eine bloße logische Notwendigkeit (Vernunftwahrheit, d. h. Widerspruchslosigkeit) noch nicht Grund dafür ist, daß etwas existiert, vielmehr erfordert die Realisierung einer Möglichkeit einen hinsichtlich des bloß logischen Grundes zusätzlichen, nämlich zureichenden Grund. So formuliert, mußte aus diesem Prinzip sofort ein Sorgenkind des Wolffischen Systems werden. Unglücklicherweise erwies sich nämlich Wolffs Definition des zureichenden Grundes für die Existenz eines Dinges als zweideutig. In seiner Deutschen Metaphysik gibt er folgende Definition: „[S]o muß alles, was ist, seinen zureichenden Grund haben, warum es ist, das ist, es muß allezeit etwas seyn, daraus man verstehen kan, warum es würklich werden kan“.27 Die Ambivalenz steckt in der Formulierung „daraus man verstehen kan“, denn sie kann zweierlei

25 Fulda/Stolzenberg 2001, 17. 26 KrV B xxxvi ff. 27 Wolff, Vernnftige Gedanken von den Krften des menschlichen Verstandes, § 29, 1719, 16 f.

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bedeuten: Entweder ist der Grund die objektive Sachlage selbst oder aber unsere Idee der Sachlage.28 Im System Wolffs ließ sich der Grund der Existenz der Dinge sowohl als logischer Grund als auch als Realgrund deuten, was letzten Endes in die äußerst problematische, aber für Wolff typische Assertion gipfelt, die Metaphysik (Ontologie) sei eine ähnliche Realwissenschaft wie die Mathematik, Physik oder die anderen Naturwissenschaften. Anders ausgedrückt: Man kann von einer vernunftbegründeten Ordnung der Ideen a priori schlußfolgern, wie die Sachlage in der realen Welt sein soll. Kants kritische Wende bestand dann bekanntlich darin, die von Wolff so hoffnungslos vermengten logischen und reellen Gründe scharf voneinander zu unterscheiden. Die logischen Gründe erkennt man nach Kant a priori, wohingegen man auf die Möglichkeit der Realgründe nicht a priori, d. h. aus bloßen Begriffen schließen kann.29

2. Linné ein Wolffianer? Wenn Linné also weniger modern und mehr metaphysisch war als Kant, könnte man ihn dann als Wolffianer charakterisieren? Nimmt man das bis heute gängige populäre Bild von Linné als einen dogmatischen Klassifizierer, der sich vor allem darum bemühte, die Natur in ein künstliches System zu pressen, so liegt es nahe, in ihm, wenn nicht direkt einen Wolffianer, so doch einen Geistesverwandten erkennen zu wollen. Einige haben Linné tatsächlich als Wolffianer ausgegeben,30 andere dagegen sind vorsichtiger, obgleich auch sie gewisse Ähnlichkeiten hinsichtlich des „System-Eifers“ zwischen Linné und Wolff meinten feststellen zu müssen.31 Fest steht allerdings, daß Linné Wolff 28 Eine andere mögliche Formulierung dieser Zweideutigkeit wäre: Liegt der zureichende Grund auch dann vor, wenn es keinen Menschen (bzw. kein anderes bewußtes Wesen) gäbe, der durch ihn die Existenz irgendeiner Sache begreift? 29 Vgl. KrV A 558/B 586. 30 So z. B. schon Lorenzo Hammarsköld in seiner Geschichte der schwedischen Philosophie: „[…] ehuru den berömdaste och namnkunnigaste af Sveriges lärde, den stora Carl von Linné, i uppställningen af sitt systema Naturae, synbarligen enligt Wolffianska åsigter förfarit […]“ (1821, 207 f.) 31 So Tore Frängsmyr 1972, 155 f., in seiner wichtigen Studie über den schwedischen Wolffianismus. Er gibt zuerst zu, daß es „ein äußerst verlockender Gedanke ist, daß Linné bei der Aufstellung seines Sexualsystems und hin-

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niemals zitiert oder auch nur auf ihn hinweist, obwohl es angesichts des damaligen intellektuellen Klimas in Schweden auch unwahrscheinlich ist, daß er Wolff und seine Philosophie nicht kannte. Doch kann man die Frage nach dem Wolffianismus Linnés auch anders als rein ideengeschichtlich (d. h. als Nachweis eines Einflusses) stellen. Man kann nämlich auch philosophisch fragen, ob Linné in seiner wissenschaftlichen Praxis die Grundvoraussetzungen der Wolffischen Ontologie teilte. Genauer formuliert, war Linné der Ansicht, daß in der Wissenschaft der logische Grund (der Erkenntnisgrund) und der Realgrund tatsächlich zusammenfallen? Linnés Aristotelismus braucht nicht im Widerspruch mit seinem möglichen Wolffianismus gewesen zu sein, denn ähnlich wie Wolff, scheint ja auch Aristoteles den realen und logischen Grund miteinander vermischt zu haben.32 Eine genauere Analyse des Linnéschen Œuvres wird zeigen, daß, so verwandt Linné und Wolff einander in ihrer Vorliebe für das Systematische auch immer gewesen sein mögen, bei der Beantwortung der ontologischen Grundfrage nach dem principium rationis sufficientis scheiden sich ihre Geister. Diese Schlußfolgerung muß sich einem schon beim Durchblättern der systematischen Werke Linnés aufdrängen. So ist das Pflanzenreich z. B. in Genera Plantarum oder Species Plantarum sorgfältig in verschiedene Gruppen, Gattungen und Arten eingeteilt. Vor allem die Anwendung des künstlichen systema sexuale auf das empirische Material des Pflanzenreiches macht das Hauptproblem der sichtlich seiner allgemeinen Klassifikation Eindrücke von Wolff erhalten habe, weil ja auch dessen ganze Philosophie von einer äußeren Systematik dominiert ist […] Es ist aber schwer, hierüber etwas Genaueres zu sagen, weil wir keine direkten Zeugnisse zum Ausgangspunkt haben“; nach einigen Überlegungen kommt Frängsmyr dann zu dem Schluß, daß es zwischen Linné und Wolff wohl höchstens nur eine Verwandtschaft im „Zeitgeist“ gebe: „Wenn auch die erste Inspiration von Wolff ausgegangen sei, hat Linnés eigene Charakter bald die Überhand genommen. Hätte er eine tiefere Verwandtschaft mit Wolff gefühlt, hätte er sie bestimmt wenigstens einmal erwähnt. Das tat er nicht. Übrig bleiben die Ähnlichkeiten, die wenigstens dartun, daß Wolff und Linné in derselben intellektuellen Epoche lebten.“ (Meine Übersetzungen, V.O.) 32 So muß man urteilen, wenn man die Stelle am Anfang des 1. Buches der Analytica posteriora liest, wo der Stagirit schreibt: „Wir denken, daß wir von der Sache wissen […] wenn uns klar ist, daß die Ursache, weshalb die Sache ist, gerade die Ursache dieser Sache ist und daß dies nicht anders sein kann“ (71b 10 – 13). Hier scheint nämlich ebenfalls die Ursache (aQt¸a), warum eine Sache oder ein Ding existiert (di’ Fm t¹ pq÷cl² 1stim), mit der logischen Notwendigkeit gleichgesetzt zu werden, daß es nicht anders sein kann (lµ 1md´weshai toOt’ %kkyr 5weim).

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Wolffischen Ontologie augenscheinlich und demonstriert, daß sie trotz ihres szientifischen Anspruchs für die wissenschaftliche Praxis kaum taugen kann. Im Linnéschen System wird das Pflanzenreich (die Blütenpflanzen, da sich Linné für Kryptogame weniger interessierte) in 24 Klassen nach der Anzahl der Pistillen und Staubgefäße eingeteilt. Linné wendet dazu ein apriorisches Schema an, wobei sich unmittelbar zeigt, daß nicht alle logischen Möglichkeiten dieses Schemas im System realisiert werden. Tatsächlich variiert die Anzahl der Gattungen und Arten in den verschiedenen Kolumnen beträchtlich, ohne daß sich dafür eine Ursache geben ließe. So listet Linné z. B. in Genera Plantarum in der ersten Unterabteilung Monogynia (Blüten mit einer Pistille) der Klasse Pentandria (Blüten mit fünf Staubgefäßen) 238 Gattungen, u. a. Heliotropen, Zyklamen, Vergißmeinnicht, Efeu, Weinranken, Bittersüß usw., während es in der folgenden Unterabteilung Digynia (Blüten mit zwei Pistillen) nur 72 Gattungen gibt (u. a. die Ulmen, Gänsefüßchen, Enzian, die meisten Rohrgewächse oder Umbellatae). In der Unterabteilung Tetragynia (mit vier Pistillen) gibt es nur zwei Gattungen. Und noch bedenklicher ist, daß in manchen Klassen nur ein paar Unterabteilungen realisiert sind, während die anderen leer sind. So gibt es in der Klasse Monandria (Blüten mit einem Staubgefäß) nur die Unterabteilungen Monogynia und Digynia, während die vom System vorhergesehenen anderen Abteilungen leer sind. In der Klasse mit sechs Staubgefäßen, Hexandria, z. B. gibt es die Unterteilungen für 1, 2, 3, 4 und viele Pistillen, während die Abteilung für 5 Pistillen leer ist.33 Diese Diskrepanz zwischen der logisch möglichen und der in der Natur tatsächlich vorfindlichen Pflanzengattungen zeigt sich auch noch an andere Stelle als bei der Anwendung der 24 Kategorien des systema sexuale auf die Realität der Pflanzenwelt. In seiner Philosophia Botanica stellt Linné an einer Stelle die kleine, aber äußerst interessante Kalkulation an, auf wie viele mögliche Weisen die Kennzeichen, derer man sich bei der Klassifikation der Pflanzen bedient, kombiniert werden können. Die Staubgefäße bestehen aus drei Teilen, ebenfalls die Pistil33 Ich benutze für meine Komputation die von J. J. Reichard besorgte Ausgabe der Genera Plantarum, Frankfurt/M. 1778. Linné führte allerdings zu jeder neuen Auflage weitere Arten und Gattungen hinzu, obwohl das Gesamtbild der ungleichmäßigen Verteilung dadurch nicht verändert wurde. Im Gegenteil, die Anhäufung von neuem Material machte noch offensichtlicher, daß die Natur gewisse Lücken überhaupt nicht füllt.

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Tabelle der Einteilung der Gattungen nach dem Systema sexuale. Monandria

Diandria

Triandria

Tetrandria

Pentandria

Hexandria

Monogynia: Monogynia: Monogynia: Monogynia: Monogynia: Monogynia: 11 29 28 60 137 55 Gattungen Gattungen Gattungen Gattungen Gattungen Gattungen Digynia: Digynia: Digynia: 4 1 Gattung 28 Gattungen (Anthoxanthum) Gattungen

Digynia: 6 Gattungen

Digynia: 69 Gattungen

Digynia: 2 Gattungen

Trigynia: 0 Gattungen

Trigynia: 1 Gattung (Piper)

Trigynia: 10 Gattungen

Trigynia: 0 Gattungen

Trigynia: 15 Gattungen

Trigynia: 9 Gattungen

Tetragynia: 0 Gattungen

Tetragynia: 0 Gattungen

Pentagynia: 0 Gattungen

Pentagynia: 0 Gattungen

Tetragynia: Tetragynia: Tetragynia: Tetragynia: 0 6 2 1 Gattungen Gattungen Gattungen Gattung (Petiveria) Pentagynia: Pentagynia: Pentagynia: Pentagynia: 0 0 9 0 Gattungen Gattungen Gattungen Gattungen

Polygynia: 0 Gattungen

Polygynia: 0 Gattungen

Polygynia: 0 Gattungen

Polygynia: 0 Gattungen

Polygynia: 1 Gattung (Myosurus)

Polygynia: 1 Gattung (Alisma)

In der Tabelle sind nur die 6 ersten Klassen Monandria bis Hexandria (Blumen mit 1 bis 6 Staubgefäßen) von insgesamt 24 gezeigt. Jede Klasse teilt sich wiederum in Unterabteilungen nach der Anzahl der Pistillen (1 Pistille: Monogynia, 2 Pistillen: Digynia usw.). Wie man sieht, variiert die Zahl der Gattungen in jeder Klasse und jeder Unterabteilung beträchtlich, ohne daß es einen logischen Grund dafür gäbe. Die apriorische Klassifikation, auf lebendiges Pflanzenmaterial angewandt, gibt demnach ein in dieser Hinsicht ganz willkürliches Resultat, das Linné einzig damit erklären konnte, daß es Gott gefallen hat, so und so viele Gattungen in jeder Nische zu schaffen. – Die Aufzählung aller Gattungen beim Namen (hier nicht gezeigt) würde außerdem das interessante Resultat zeigen, daß das künstliche und das natürliche System sich teilweise decken: z. B. alle Liliengewächse gehören zur Klasse Hexandria und deren Unterabteilung Monogynia, da sie alle 6 Staubgefäße und eine Pistille haben; die Klasse Pentandria mit der Unterabteilung Digynia wiederum besteht meistens aus Umbellaten (Kerbel, Pastinake usw.). Aber auch hier gibt es Ausnahmen. So trifft man in der Gruppe der Lilien auch z. B. Bromelien.

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len, von den Kronblättern gibt es sieben Variationen und nimmt man außerdem die mögliche Anzahl der verschiedenen Teile in Betracht, ergibt das 5736 möglichen Kombinationen.34 Das heißt, kombiniert man mechanisch alle Kennzeichen, die zur Bestimmung der Pflanzengattung nötig sind, ergeben sich 5736 Gattungen. Linné kommentiert seine Berechnungen nun damit, daß all diese Gattungen „nicht existieren“ können. Es gibt also einen Unterschied zwischen logisch Möglichem und wirklicher Existenz. Das Fazit ist also, daß man nicht mechanisch und im Voraus ausrechnen kann, wie viele Pflanzen- oder Tiergattungen es in der Natur tatsächlich gibt. Die Empirie redet hier das letzte Wort. Linné selbst hatte auf die Frage, warum es viel weniger wirklich existierende Arten und Gattungen gibt als nach den logischen Kombinationen der Kennzeichen möglich wären, eine einfache Antwort: Der Gott bzw. das Infinitum Ens, wie in der „Ratio Operis“ zur Genera Plantarum formuliert wird, hat es gut gefunden, nur die Gattungen und Arten zu schaffen, die es in der Welt tatsächlich gibt, weder mehr noch weniger.35 Ganz unabhängig von der persönlichen Religiosität Linnés36 hat Gott hier für die Begründung der Naturwissenschaft eine durchaus antimechanistische Funktion: Er sorgt nämlich dafür, daß sich unter allen logisch denkbaren nur gewisse Möglichkeiten realisieren, oder, übersetzt in Wolffs Terminologie, Gott gibt die ratio sufficiens aller Arten und Gattungen an. Gäbe es nicht diese von Gott durchgeführte vorgängige Auslese, würden alle Möglichkeiten des Systems sich realisieren. Es würde sich mit anderen Worten das principle of plenitude 37 bewähren, weshalb sich die leeren Nischen des biologischen Klassifikationssystems früher oder später auf mechanische Weise füllen müßten. 34 Vgl. Linné, Philosophia Botanica, § 167. 35 Linné, Genera Plantarum, „Ratio Operis“, x: „Species tot sunt, quot diversas & constantes formas in hoc globo produxit Infinitum Ens […] Ergo Species tot sunt, quot diversae formae seu structurae Plantarum, reiectis istis, quas locus vel casus parum differentes (Varietates) exhibuit, hodienum occurunt“. 36 Die grundlegende Untersuchung ist immer noch Malmeström 1926, in der vor allem die Bedeutung der Handschrift Nemesis Divina für das Verständnis von Linnés Persönlichkeit hervorgehoben wird. 37 Dieses Prinzip, das auf diese ausdrückliche Weise wohl zuerst von Arthur Lovejoy formuliert wurde, besagt, daß, wenn eine Möglichkeit eine reelle Möglichkeit ist, sie sich früher oder später realisieren muß. Eine Illustration dieses Prinzips ist u. a. die Bibliothek von Babel, wie Jorge Luis Borges sie beschrieben hat.

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Aber auch dann, wenn wir Gott beiseite lassen, ist es offensichtlich, daß Linné in seiner Systematik einen Unterschied zwischen den reellen und logischen Gründen macht. Er wendet nämlich nicht, wie man gemeinhin unterstellt, reine apriorische Prinzipien zur Klassifikation des Tier- und Pflanzenreiches an. Sein Apriorismus greift, wenn überhaupt, nur für die höheren Ordnungen. Die Gattungen und Arten dagegen sind natrlich, das heißt, der Botaniker findet sie vor. Und auf diesem Niveau kommt alles auf die Erfahrung an. Erst auf den höheren Etagen des Systems spielt die menschliche Kunst (ars) ihre Rolle, da die Gruppierungen immer mehr von dem „inneren Auge“ des sie ordnenden Systematikers abhängig werden. Gerade dadurch, daß das künstliche System auf dem Sockel der natürlichen Arten und Gattungen ruht, entsteht der Widerspruch, daß das System so viele leere, d. h. funktionslose Nischen enthält. Aber auch hier ist das System nicht ganz arbiträr und willkürlich. Im Gegenteil, auch das beim ersten Blick so mechanische Sexualsystem widerspiegelt zuweilen überraschend gut die natürlichen Gruppen; so haben z. B. alle Liliengewächse ausnahmslos sechs Staubgefäße, gehören somit insgesamt zur Klasse Hexandria.

3. Das System Linnés als ein „Mannequin“ der reflektierenden Urteilskraft Wenn also Linné hinsichtlich seiner Systematik kein Wolffianer war, scheint es Gründe zu geben, ihm Kant und seinem Wissenschaftsverständnis anzunähern, – schließlich hat ja auch Kant, wie wir sahen, auf den schwedischen Botaniker mehrere Male anerkennend und als Stütze seiner eigenen Ansichten hingewiesen. Mit Fragen der Systematik hat sich Kant während seines Schaffens mehrere Male eindringlich auseinandergesetzt, und es scheint, daß er zu keinem irgendwie endgültigen Resultat gekommen ist, das ihn befriedigte. Wegen der gegen die Anmaßungen einer angeblich wissenschaftlichen Metaphysik gerichteten Kantischen Unterscheidung von logischen und reellen Gründen wird das Problem der Anwendung der Kategorien auf die durch die Sinne vermittelte Wirklichkeit gleichzeitig viel schärfer gestellt als bei Wolff. Kants kritische Philosophie setzt zwischen Intellektuellem und Sinnlichem eine Kluft, die fast ebenso gähnend ist wie Descartes’ berühmte Realdistinktion. In der Erstauflage der Kritik der reinen Vernunft stellt Kant fest, daß die Kategorien „nichts als die

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logische Funktion enthalten“, wodurch „das Mannigfaltige unter einen Begriff“ gebracht wird.38 Um diesen Dualismus von logischen Funktionen einerseits und empirischem Mannigfaltigen andererseits zu überbrücken, ist Kant genötigt, nach vermittelnden Gliedern zu suchen. In den beiden Auflagen der ersten Kritik meinte er im Schematismus einen solchen Vermittler gefunden zu haben. Das Schema, das die Regel für die Anwendung der Kategorien gibt, ist nämlich „einerseits intellectuell, andererseits sinnlich“39. Da das Schema ein Wissen darüber ist, wie man das dem Begriff entsprechende Objekt in der sinnlichen Welt konstruiert, – z. B. ist der gezeichnete Zirkel nur ein Bild des Zirkels, während das Schema ein Wissen über die Verfahrensweise ist, wie man den Zirkel konstruiert –,hat das Schema den einen Fuß in der intellektuellen und den anderen in der sinnlichen Welt. Tatsächlich kommt das Schema vor dem Bild, denn da man mit ihm die Bilder und Figuren produziert, ist es „gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wornach die Bilder allererst möglich werden“40. Auch wenn Kant dies nicht ausdrücklich so sagt, wird der Begriff des Schemas gegenstandlos, nähme man wie Wolff die Identität logischer und reeller Gründe an, denn es ist ja klar, daß man für logisch unmögliche Sachen (wie z. B. für einen viereckigen Zirkel) kein Schema geben kann. Ganz am Ende der Kritik der reinen Vernunft kommt Kant noch einmal auf den Schematismus zurück und verknüpft ihn, nicht unerwartet, mit der Architektonik und dem Aufbau des Systems. Die Vereinigung des empirisch Mannigfaltigen unter einer Idee, die erst gewährleistet, daß es sich um ein artikuliertes Ganzes und nicht nur um eine Anhäufung von Fakten handelt, fordert ein Schema, das gleichsam die Idee verwirklicht: „Nicht technisch wegen der Ähnlichkeit des Mannigfaltigen […], sondern architektonisch um der Verwandtschaft willen und der Ableitung von einem einigen obersten und inneren Zwecke, der das Ganze allererst möglich macht, kann dasjenige entspringen, was wir Wissenschaft nennen, dessen Schema den Umriß (monogramma) und die Eintheilung des Ganzen in Glieder der Idee gemäß, d. h. a priori, enthalten […] muß.“41. Diese Feststellung kann als

38 39 40 41

KrV KrV KrV KrV

A 245. A 138/B 177. A 142/B 181. A 834 f./B 861 f.

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philosophische Verallgemeinerung der Prinzipien der wissenschaftlichen und besonders biologischen Klassifikation angesehen werden. Doch schon einige Jahre später macht Kant in seiner Kritik der Urteilskraft von 1790 wesentliche Korrekturen zur Doktrin der Anwendung der Kategorien, und zwar im Zusammenhang mit dem Problem der biologischen Klassifikation. Man könnte sagen, daß er um 1790 tatsächlich der Position Linnés näher gerückt ist. Bis 1787 hatte sich Kant noch damit begnügt, die Urteilskraft zu definieren als „das Vermögen[,] unter Regeln zu subsumieren“, das heißt, als ein Vermögen, „zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) stehe, oder nicht“.42 Dabei ging Kant von der impliziten Voraussetzung aus, daß der Verstand schon das Allgemeine in seinem Besitz hat.43 1790 unterscheidet Kant dann zwei Formen der Urteilskraft. Zum einen die bestimmende Urteilskraft, die mit dem zusammenfällt was die Kritik der reinen Vernunft als Urteilskraft definierte, mithin ein Vermögen, das Besondere unter das Allgemeine zu subsumieren. Und zum anderen eine neue reflektierende Urteilskraft. Sie ist ein Vermögen, das Besondere unter ein solches Allgemeines zu subsumieren, das erst gefunden werden muß. Die reflektierende Urteilskraft geht von dem in der Natur gegebenen Besonderen aus und schreitet von dort zum Allgemeinen. Um nun diese Aufgabe erfüllen zu können, bedarf sie „eines Princips, welches sie nicht von der Erfahrung entlehnen“, mithin nur „sich […] selbst als Gesetz geben“ kann.44 Ein solches Prinzip ist das der Zweckmäßigkeit der Natur. Nun können wir nicht sagen, in der Natur herrsche tatsächlich eine solche Zweckmäßigkeit; dennoch sind wir gleichsam genötigt, unsere teleologischen Vorstellungen in die Natur hineinzuprojizieren um die Naturgegenstände als zweckmäßig bzw. organisiert zu verstehen. Dabei schärft Kant allerdings auch ein, daß wir die Ideen der reflektierenden Urteilskraft nur „zum Reflectiren, nicht zum Bestimmen“ der Naturgegenstände anwenden dürfen, d. h. wir dürfen nicht behaupten, die Natur sei an sich tatsächlich teleologisch.45 In der ersten Einleitung der dritten Kritik listet Kant Regeln und Formen auf, die zur Urteilskraft gehören:

42 KrV A 132/B 171. 43 Auf diese implizite Voraussetzung bei Kant in der KrV, hat McLaughlin 1989, 32, aufmerksam gemacht. 44 KdU „Einleitung“ iv, AA 5.180. 45 Ebd.

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Alle jene in Schwang gebrachte Formeln: die Natur nimmt den kürzesten Weg – sie tut nichts umsonst – sie begeht keinen Sprung in der Mannigfaltigkeit der Formen (continuum formarum) […] u. d. g. sind nichts anders als eben dieselbe transscendentale Äußerung der Urtheilskraft, sich für die Erfahrung als System und daher zu ihrem eigenen Bedarf ein Princip festzusetzen.46

Mindestens eine der hier von Kant als transzendentale Äußerung der Urteilskraft erwähnten Formeln kommt auch bei Linné vor, und zwar als eine konstitutive Idee seiner Systematik. In der Philosophia Botanica schärft Linné nämlich ein, daß man, um die natürliche Methode richtig zu verstehen, davon ausgehen müsse, daß „die Natur keine Sprünge macht“ (natura non facit saltus) und daß die Pflanzenarten dicht beieinander liegen, so daß sie ein Kontinuum ähnlich der Territorien auf einer Landkarte bilden.47 Wozu benötigt man nun diese eine neue reflektierende Form der Urteilskraft? Weil es in der Natur eine schier unendliche Vielfalt der Formen und eine so große Heterogenität gibt, daß es dem Verstande unmöglich ist, aufgrund bloß empirischer Gesetze ein System zu errichten. Um somit eine Entsprechung von Denken und Natur zustande zu bringen, ist man förmlich gezwungen, sich auf künstliche Gesetzmäßigkeiten verlassen: Der Verstand ist zwar a priori im Besitze allgemeiner Gesetze der Natur […]: aber er bedarf doch auch überdem noch einer gewissen Ordnung der Natur in den besonderen Regeln derselben, die ihm nur empirisch bekannt werden können, und die in Ansehung seiner zufällig sind. Diese Regeln […] muß er sich als Gesetze (d. i. als nothwendig) denken: weil sie sonst keine Naturordnung ausmachen würden.48

Einige Zeilen später weist Kant dann hin auf die biologische Klassifikation; der Vernunft muß, um diesen empirischen sogenannten Gesetzen nachzugehen, ein Princip a priori, daß nämlich nach ihnen eine erkennbare Ordnung der Natur möglich sei, aller Reflexion über dieselbe zum Grunde legen, dergleichen Princip nachfolgende Sätze ausdrücken: daß es in ihr eine für uns faßliche Unterordnung von Gattungen und Arten gebe; daß jene sich einander wiederum nach einem gemeinschaftlichen Princip nähern, damit ein Übergang von einer zu der anderen und dadurch zur höheren Gattung möglich sei […] Diese Zusammenstimmung der Natur zu unserem 46 KdU „Erste Einleitung“, AA 20.17. 47 Vgl. Linné, Philosophia Botanica, § 77 48 KdU „Einleitung“ iv, AA 5.184.

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Erkenntnißvermögen wird von der Urtheilskraft zum Behuf ihrer Reflexion über dieselbe […] a priori vorausgesetzt.49

In einer Randglosse der ersten Einleitung der dritten Kritik erwähnt Kant Linné ausdrücklich, obwohl sein Beispiel das System der Mineralien und nicht das der biologischen Organismen betrifft: Konte wohl Linnäus hoffen ein System der Natur zu entwerfen, wen er hätte besorgen müssen, daß, wen[n] er einen Stein fand, den er Granit nante, dieser von jedem anderen, der doch eben so aussehe, seiner ineren Beschaffenheit nach unterschieden sein dürfte und er also im[m]er nur einzelne für den Verstand gleichsam isolirte Dinge[,] nie aber eine Classe derselben, die unter Gattungs- und Artsbegriffe gebracht werden könten, anzutreffen hoffen dürfte? 50

Kant stellt hier also fest, daß Linné bei seiner Klassifikationen genau jenem Prinzip folgt, das er selbst reflexive Urteilskraft nennt. Es handelt sich dabei um die Annahme, die Natur selbst sei irgendeiner Technik gefolgt, dank der eine gewisse Regelmäßigkeit in den Naturprodukten zu beobachten ist, was dann die Klassifikation der Naturgegenstände möglich macht. Aber warum soll ein System ausgerechnet durch die Idee einer Zweckmäßigkeit der Natur begründet sein? Die Antwort ist einfach: Erst die Idee der Naturzwecke hebt das principle of plenitude auf. Gäbe es nämlich keine Zwecke in der Natur, so wäre alles nur ein blinder Chaos, in dem unendlich viele willkürliche Kombinationen entstünden. Ein solcher von Zufälligkeiten regierter Kosmos folgte keinem Gesetze, weshalb sich in ihm mit der Zeit alle denkbaren Kombinationen, d. h. alle denkbaren Möglichkeiten realisieren müßten. So auch bei Linné: sein systema sexuale, so künstlich es auch sein mag, ging allerdings von der an sich plausiblen Voraussetzung aus, daß die Blüten der Pflanzen das entscheidende Kriterium für die Klassifikation böten, indem sie gleichsam das Telos der Pflanze bilden, d. h. den Zweck, welchem die Pflanze gleich nach ihrem Entkeimen entgegen strebt. Ferner sollte die teleologische Hypothese (bei Linné der Gedanke, daß Gott eine endliche Menge von Pflanzengattungen und -arten geschaffen hat und damit eine endliche Menge von Teloi) das Problem der mechanizistischen Systematik ausschalten, das bei Wolff so problematisch war, sofern ja die Natur entweder alle Möglichkeiten realisieren – in diesem Falle: jede Nische des Klassifikationssystems mit einem reellen Inhalt füllen – 49 Kd, „Einleitung“ v, AA 5.185. 50 KdU „Erste Einleitung“, AA 20.215 f. (handschriftlicher Zusatz)

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oder auf irgendeine unerklärliche Weise sich als inkonsequent erweisen muß. Die doppelte Quelle des Linnéschen Sexualsystems (daß es sowohl opus naturae als opus artis ist) entspricht erstaunlich gut Kants Idee über die Funktionen der reflektierenden Urteilskraft. Wie die reflektierende Urteilskraft die Naturgegenstände empirisch vorfindet und zwar so, wie sie sich dem Menschen zeigen, und diese dann nach (subjektiven) Prinzipien ordnet und klassifiziert, so sieht auch der wahre Botaniker Linnés deutlich ein, daß sein System ein gemeinsames Resultat von „Natur“ und „Kunst“ ist.51 Der Gedanke Linnés ist dabei freilich der, daß sich die Kennzeichen, nach denen die Pflanzen nach Klassen und Ordnungen gruppiert werden, auch objektiv in der Natur antreffen lassen, obwohl ihre Identifizierung als wesentliche Merkmale die besondere Leistung des geübten Blicks des Botanikers, eben seine ars, ist. Kurzum: zwischen den systematischen Ideen Linnés und den Prinzipien der reflexiven Urteilskraft Kants gibt es so viele Gemeinsamkeiten, daß man gern annehmen möchte, Linné habe Kant mindestens in der Hinsicht beeinflußt, daß er mit seinen Systemen der Natur das Modell – gleichsam das „Mannequin“ – für die neuen biologischen Auffassungen in der Kritik der Urteilskraft geliefert habe, zumal ja der ansehnliche Erfolg der biologischen Wissenschaften in Kants Zeit einer Erklärung bedurfte. Auch noch im Opus postumum kommt Kant auf Linné als Beispiel eines erfolgreichen Naturwissenschaftlers zurück, obwohl er leider nicht versucht hat, sein Systema naturae genauer zu analysieren.

4. Kein Wolffianer, aber auch kein reiner Kantianer In seiner Systematik steht Linné somit Kant näher denn Wolff, sofern er die Möglichkeit einer durchgängig apriorischen logischen Deduktion ablehnt, mindestens jedoch sofern er als Naturwissenschaftler die Gattungen und Arten als gegebene Realitäten vorfindet. Allerdings kann man fragen, ob nicht auch der Meisterdenker aus Königsberg zuviel im Banne der Apriorität war. Kant war ein Philosoph und kein praktizierender Naturwissenschaftler, und es scheint, daß er nicht immer die tatsächliche „logic of discovery“ der empirischen Wissenschaften genau genug im Blick hatte. Die strikte Systematizität 51 Vgl. Linné, Philosophia Botanica, § 162

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als Ideal ist in der Form, wie sowohl Wolff als auch Kant sie vorschreiben, für die meisten Naturwissenschaftler eher unattraktiv. Sogar die Mathematiker stellen die meisten ihrer Entdeckungen nicht deduktiv aus systematischen Prinzipien her, sondern so, daß sie sich auf die Lösung konkreter Probleme richten. Konnte man deshalb wirklich meinen, Linné habe in seiner wissenschaftlichen Praxis so verfahren, wie Kant es ihm unterstellt, also seine Systematik des Tier- und Pflanzenreiches aus einem obersten und innersten Zweck abgeleitet, dessen Schema das Monogramm für die Gestaltung des Ganzen enthält? Ich möchte so antworten: bei der Aufstellung (Darstellung) des Systems, ja; aber in der empirischen Forschungspraxis kaum. Sicherlich kann man, Kant folgend, von einem Monogramm des systema sexuale, von einer leitenden Idee sprechen, die in diesem Falle aus der Anzahl der Staubgefäße und Pistillen besteht. Aber Linné war sich der Beschränkung eines solchen Subsumierungsverfahrens sehr wohl bewußt. Das, was Kant das Mannigfaltige nennt, also das Material des Tier- und Pflanzenreichs und schließlich die Individuen und Ökogemeinschaften, fügt sich keiner willkürlichen Klassifizierung. Schon intuitiv ist es klar, daß gewisse Systeme deutlich naturähnlicher sind als andere (z. B. die Teilung des Pflanzenreiches in Phanerogamen und Kryptogamen – bzw. Samen- und Sporengewächse – ist, trotz ihrer Grobschlächtigkeit naturgemäßer als die alphabetische Klassifizierung nach den Anfangsbuchstaben der Pflanzennamen). Linné war sich der Tatsache bewußt, daß sein systema sexuale künstlich war und nur bedingt die wirklichen Verwandtschaftsverhältnisse der Pflanzen widergibt (zwar gibt es auch innerhalb des Sexualsystems einige ziemlich homogene und natürliche Gruppen – so gehören z. B. alle Liliengewächse zur Klasse Hexandria). Aus diesem Grunde publizierte er in verschiedenen Zusammenhängen, u. a. in seiner Philosophia Botanica, „Fragmente eines natürlichen Systems“. Diese Arbeit blieb allerdings unvollendet. Wenn es auch auf den ersten Blick klar ist, daß beispielweise Gräser, Palmen, Erbsengewächse, Kallas (Araceae) und Rohrgewächse (Umbellatae) gut definierte und leicht zu erkennende Gruppen bilden, gab es damals noch zu wenig Material, um ein allumfassendes natürliches System des Pflanzenreichs aufzubauen. Trotz seiner Künstlichkeit bot das systema sexuale ein äußerst brauchbares Raster für die Ordnung des Pflanzenreiches, inklusive der noch zu entdeckenden Arten, indem es für neue Zuführungen offen blieb. Linné war sich aber auch darüber im Klaren, daß das Sexualsystem nicht das letzte Wort der Wissenschaft bleiben konnte, weshalb es im Grunde

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genommen nicht ganz fair ist, ihn als einen apriorisch vorgehenden Dogmatiker hinzustellen. Was aber bildete den Ausgangspunkt für Linnés wissenschaftliche Praxis, wenn nicht das Monogramm, von dem Kant sprach? Überraschenderweise hat die Linné-Forschung bisher nicht genügend Linnés eigene Hinweise dazu beachtet. Er führt nämlich in § 163 der Philosophia Botanica den Begriff des habitus, des „Äußeren“ der Pflanzen ein und erklärt in § 168 zusätzlich: „Die Erfahrung, die Herrscherin der Sachen, errät sehr oft beim ersten Blick die Pflanzenfamilien aus ihrer äußeren Erscheinung“ (Experientia rerum magistra, primo intuitu ex facie externa, plantarum familias saepius divinat). Zwanglos stellt Linné hier klar, daß sich der Botaniker trotz aller analytischen Arbeit, trotz der Definitionen der Merkmale und der genaueren Messungen auch auf seine Intuition verlassen muß. Daß sich die eine Art von der anderen unterscheidet, sieht man oft unmittelbar „beim ersten Blick“ (primo intuitu), das heißt, man sieht es intuitiv, ohne eine vorhergehende Analyse. Kraft eines solchen intuitiven oder voranalytischen Erfassens der Arten und Gattungen erschließt der Botaniker das opus naturae. In seinen Vorlesungen, die er im Herbst 1748 in Uppsala hält, also einige Jahre vor der Abfassung der Philosophia Botanica, verwendet er statt habitus den Ausdruck facies (äußere Erscheinung) und beschreibt das ganzheitliche Einsehen des Wesens einer Gattung bzw. einer Art mit Wendungen, die einem fast ungezwungen Husserls Wesensschau in den Sinn kommen lassen: Facies ist eine Ähnlichkeit, die es zwischen Pflanzen gibt. Man kann nicht gleich sagen, worin diese Ähnlichkeit besteht; besser kann man sich sie vorstellen; wie ich bei zwei Männern sehe, daß sie einander ähneln, aber auch daß sie sich voneinander unterscheiden. Diese facies externa kommt sehr häufig bei den Pflanzen vor und ein Botaniker muß, wenn er neue Gattungen beschreibt, diesen habitum oder faciem externam konsultieren […] 52

Anschließend lobt Linné seinen Vorgänger, den schweizerischen Botaniker Caspar Bauhin (1560 – 1724) dafür, daß dieser nur dadurch, daß 52 Linné, Om botanikens grunder § 160, 2007, 291: „Facies är en likhet, som är emellan örterna. Man kan icke så just säja, hwar uti denna likheten består; man man kan bättre inbilla sig det. Såsom jag ser 2ne Karlar wara ganska lika, men jag ser ock wäl att de äro nog differente. Denna facies externa träffar mycket inn hos örterna, och bör en Botanicus, då han gör nya genera, äfwen consulera denna habitum eller faciem externam.“

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Vesa Oittinen

er der facies externa folgte (d. h. ohne vorhergehende Analyse), mehr natürliche Gattungen als alle anderen gefunden hat und fährt fort, daß sogar ein ungelernter Bauer aufgrund des Aussehens der Pflanzen intuitiv richtige Schlußfolgerungen über ihre Verwandtschaftsverhältnisse treffen kann: Ein Bauer sagt, wenn er die Corona Imperialis [Kaiserkrone, heute Fritillaria imperialis, V. O.] sieht, daß, wenn man ihn fragt, sie eine Lilie ist; dasselbe sagt er von der Narzisse. Dies sieht er aus facies externa, obwohl er den Ausdruck nicht dafür besitzt, worin diese sich von anderen Blumen unterscheidet.53

Mit solchen Formulierungen greift Linné zurück auf die intuitive Methode der alten Herbalisten. Obwohl er auch davor warnt, daß man nicht mithilfe des habitus allein die Gattungen definieren darf,54 dürfte es auf der Hand liegen, daß die Intuition hintergründig eine weitaus größere Rolle bei der natürlichen Klassifikation spielt als Linné zugibt. Das Mannequin mag Kleider tragen, die nach dem Muster des Kantischen Monogramms geschnitten sind, gleichzeitig aber stellt es seine eigenen Gedanken darüber an, wie gut sie ihm passen.

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Probleme in Kants Biophilosophie. Zum Verhältnis von Transzendentalphilosophie, Teleologiemetaphysik und empirischer Bioontologie bei Kant Hans Werner Ingensiep Abstract: This article deals with heterogeneous problems in Kant’s theoretical philosophy of biology. It starts with a short historical introduction and survey of trends of interpretations of Kant’s theoretical biological ideas. The second part presents some comments about the transcendental role of biological analogies (e. g. epigenesis) in the CpR (B § 27) as it was discussed currently (e. g. by Zammito). The third part analyses systematical aspects within the architecture of Kant’s concepts of organic teleology in his Critique of Teleological Judgment (§ 61-§ 66). Part four analyses in more detail Kant’s intention and the historical background concerning Kant’s illustration of his concept of organism by means of a tree (§ 64). The fifth part follows the general question: What kind of relations and problems do exist between Kant’s concept of organism und his concept of life. Concluding remarks refer to the relevance of this analysis for bio-philosophy and bioethics. In general the intention of this analysis is to clear differences in the use of biological terms in different contexts of Kant’s philosophy. One result is, that we have to distinguish carefully between a different use of biological terms within transcendental philosophy, empirical bioontology and teleological metaphysics.

1. Kants Biophilosophie – Einführung und Interpretationstrends Einer Skizze der Interpretationstrends zu Kants Biophilosophie seit dem Erscheinen der Kritik der Urteilskraft (1790) folgen in diesem Beitrag exemplarische Analysen zur Rolle biologischer Analogien und zu den Begriffen Leben, Organismus und Epigenesis in Kants Denken, und zwar im Ausgang von aktuellen Interpretationen und Einwürfen.1 1

Folgende spezielle Analysen werden angesprochen: Ingensiep 1994, Ingensiep 2004, Ingensiep 2006, Zammito 2003, Zammito 2006, Zammito 2007, Akerma 2006 zu Kant vgl. 268 – 274. In diesen Beiträgen finden sich auch Hinweise auf weitere Sekundärliteratur, auf die hier nur kurz verwiesen werden kann.

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Dieser exemplarische Zugang erlaubt, einige grundsätzliche Unterscheidungen und konkrete Klärungen in Hinblick auf Methode und Inhalt von Kants Biophilosophie vorzubringen. Diese Unterscheidungen und Klärungen betreffen Methodisches zum Verhältnis der Transzendentalphilosophie zur unkritischen Teleologiemetaphysik und empirischen Bioontologie, aber auch Inhaltliches zu konkreten Äußerungen Kants über „Leben“, „Organismus“, „Epigenesis“, sowie zu den organischen Grundtypen „Tier“ und „Pflanze“. Im Hinblick auf diese methodischen und inhaltlichen Klärungen folge ich vier Leitfragen und biete vereinfachende Schemata als Übersicht: 1. Welche Rolle spielen biologische Analogien im Kernbereich der Transzendentalphilosophie? 2. Wie ist die systematische Architektur der Zweckmäßigkeitsbegriffe im Organischen zu denken? 3. Wie illustriert Kant seinen Organismusbegriff anhand von Exempeln aus der empirischen Bioontologie? 4. Wie ist die Beziehung zwischen „Organismus“ und „Leben“ zu denken und welche Probleme ergeben sich? Die vier Leitfragen zielen auf grundsätzliche Differenzierungen und ein Weiterdenken mit Kant zum besseren Verständnis und zur der Bedeutung der Biophilosophie Kants für die gegenwärtige Biophilosophie und Bioethik. Kants Philosophie der Biologie ist seit Erscheinen der Kritik der Urteilskraft (1790) bzw. der teleologischen Urteilskraft vielfach Gegenstand wissenschaftshistorischer, ideengeschichtlicher und systematischer Untersuchen geworden, wobei meist von der dritten Kritik ausgegangen und das Ergebnis der beiden Ausgaben der Kritik der reinen Vernunft (1781/1787) vorausgesetzt wurde, d. h., daß vor allem ein theoretisches – epistemologisches oder naturphilosophisches – Interesse die Interpretation leitete. Erinnert sei aber an dieser Stelle, daß Kant schon in der ersten Kritik im Abschnitt „Von der Endabsicht der natürlichen Dialektik der menschlichen Vernunft“ die spekulative Naturteleologie in Ansehung der Einrichtung organischer Körper in kritische Schranken weist – durch Zuweisung einer als-ob-teleologischen, regulativen und heuristischen Rolle in der Forschung.2 Grundsteine zu Kants Begriff des Organismus und seiner Entwicklung finden sich in dessen „Abhandlung über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie“ (1788) 3. Doch erst mit der Kritik der Urteilskraft wurde Kants systema2 3

Dies wird in klassischen Kommentaren z. B. demjenigen von Heimsoeth 1966 – 1971, Bd. 3, 622 f., klar erkannt. AA 8.159 – 184.

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tische Analyse teleologischer Grundbegriffe und Grundsätze auch im Hinblick auf ihre Fruchtbarkeit und Relevanz für die sich neu formierende „Biologie“ um 1800 befragt, zunächst in der Naturgeschichte4, bekanntlich spekulativer im deutschen Idealismus (Schelling, Hegel) und kritischer dann nach Darwin vom Neukantianismus des 19. Jahrhunderts bis hin zur Gegenwart.5 Erst in den letzten Jahrzehnten haben Wissenschaftshistoriker akribische Detailanalysen zu Kants theoretischen biologischen Vorstellungen vorgelegt, z. B. zu Kants Vorstellungen zur Präformation und Epigenesis bzw. zu deren Rolle in Kants Erkenntnislehre.6 Ferner schreitet die philosophische Auseinandersetzung mit Kants Teleologiekritik weiter.7 Damit sei angezeigt, daß immer noch ein wissenschaftshistorisches und epistemologisches Interesse an Kants Biophilosophie besteht. In den erwähnten Untersuchungen zu Kant wird häufig auf die Schlüsselbegriffe Leben, Organismus und Epigenesis zurückgegriffen, meist sehr allgemein, weniger auf Kants Vorstellungen zu Tier und Pflanze im besonderen. Was aber ist Leben? Diese Frage scheint gegenwärtig mehr die praktische Philosophie zu tangieren, bedarf aber zunächst theoretischer, epistemologischer und biophilosophischer Vorklärungen. „Leben“ gilt seit Descartes und Locke als schillernder und unklarer Begriff und wird teils metaphysisch, teils psychologisch oder physiologisch bestimmt. Die ideengeschichtliche Begriffsanalyse von Organismus, Epigenesis und Leben führt auf platonisch-aristotelisches Erbe zurück, das nach der neuzeitlichen Automatisierung des Lebens nur partiell überwunden zu sein scheint. Automaten wurden 4

5

6 7

Zu nennen ist vor allem Christoph Girtanner (1760 – 1800), Ueber das Kantische Prinzip fr die Naturgeschichte. Ein Versuch diese Wissenschaft philosophisch zu behandeln, Göttingen 1796; zu Wechselwirkungen zwischen Kant und Johann Friedrich Blumenbach vgl. Lenoir 1980. Das theoretische und historische Interesse an Kants Philosophie der Biologie läßt sich an sehr heterogenen Versuchen ablesen, Kants Teleologiekritik für die Biologie zeitgemäß fruchtbar zu machen, z. B. bei Stadler 1874, Menzer 1911, Roretz 1922, Adickes 1925, Ungerer 1926, Driesch 1928, Cassirer (1950/ 1957/1973), Stegmüller 1969, McFarland 1970, Löw 1980, Zumbach 1984, McLaughlin 1989, Toepfer 2004. Z. B. Wubnig 1969, Genova 1974, Lenoir 1980, Debru 1980, Ingensiep 1994, McLaughlin 1994, Sloan 2002, Zammito 2003, Quarfood 2004. Z.B. Düsing 1968; McFarland 1970, Bartuschat 1972; Löw 1980, Wettstein 1981; Zumbach 1984; McLaughlin 1989; Zammito 1992 und 2006, Toepfer 2004.

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wichtige Platzhalter des ,Lebens‘.8 Wirft man einen Blick in die moderne Debatte über die Frage „Was ist Leben?“ – u. a. durch den Physiker Erwin Schrödinger angestoßen –, dann zeigt sich schnell, daß die Bedeutungen der Ausdrücke Organismus, Epigenesis und Leben längst durch physikochemische Terme, Gesetze und Erklärungen abgelöst bzw. durch sie aufgelöst worden sind.9 Doch zumindest im Alltagsgebrauch der Sprache und in der Bio(!)ethik sind Ausdrücke wie „Leben“ und „Organismus“ geläufig. Vor diesem Hintergrund sind gegenwärtig die Schlüsselbegriffe der Kantischen Biophilosophie Leben, Organismus und Epigenesis historisch und systematisch zu erörtern.

2. Welche Rolle spielen biologische Analogien im Kernbereich der Transzendentalphilosophie? – Epigenesis und biologischen Analogien (KrV B § 27) Unabhängig von der allgemeinen Bedeutung von Kants Organismusbegriff ist erst in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Kants Begriff von Epigenesis, dessen Bedeutung und Wechselwirkung mit anderen Denkern intensiver erforscht worden, – quasi nach einem Dornröschenschlaf von über anderthalb Jahrhunderten. Kants Begriff von Epigenesis ist zwar schon früh in einschlägigen Kant-Lexika und Kant-Kommentaren erläutert worden, seine theoretische Bedeutung ist aber meist als gering eingeschätzt worden.10 Erst mit dem Aufstieg der Biologie seit Mitte des 20. Jahrhunderts stieg das systematische und das wissenschaftshistorische Interesse am Epigenesisbegriff und insbesondere

8 Vgl. Sutter 1988. 9 Vgl. Murphy and O’Neill 1997. 10 Der Terminus „Epigenesis“ wird in einschlägigen klassischen Kant-Wörterbüchern und Lexika meist nur kurz vorgestellt und seine Rolle in der KrV und in der KdU hervorgehoben, z. B. in Carl Christian Schmid: Wörterbuch zum leichtern Gebrauch der Kantischen Schriften, Jena 1798, 129 u. 216 oder in R. Eisler, Kant Lexikon, Berlin 101930 (ND Hildesheim 1989), unter „Bildungskraft“ (70) bzw. Epigenesis, Entwicklung, Präformation, Kategorie. Ausführlichere Hinweise finden sich auch in G.S.A. Mellin, Encyclopdisches Wçrterbuch der Kritischen Philosophie, Züllichau und Leipzig 1797 – 1804, unter dem Lemma „Bildungstrieb“ (1. Bd., 2. Abt., 1798, 710 – 719), nur kurz unter „Epigenesis“ (2. Bd., 1. Abt., 1799, 333), doch ausführlicher unter „Kategorie“ (3. Bd., 2. Abt., 1801, 583), was bis heute wenig zur Kenntnis genommen wird.

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an dessen epistemologischer Rolle in Kants Hauptwerk,11 ebenfalls an Beziehungen zu Blumenbachs Bildungstrieb12. Systematisch wurde Kants Theorie des Angeborenen im Kontext der Evolutionären Erkenntnistheorie neu beachtet bzw. seine Theorie des Apriori umgedeutet,13 auch neuerdings wird Kants Kategorienverständnis nativistisch gedeutet.14 John Zammito hat Kants Epigenesisbegriff und die Entstehung der Kritik der Urteilskraft neu beleuchtet.15 Ein spezielles, aber anregendes Problem wirft die Interpretation der biologischen Termini Epigenesis, Präformation und generatio aequivoca auf, die Kant an entscheidender Stelle bei der Verdeutlichung der transzendentalen Deduktion in der zweiten Fassung der Kritik der reinen Vernunft (B § 27) neu einfügt. Dieses Beispiel erlaubt, die systematische Bedeutung und die Rolle dieser Termini für Kants Transzendentalphilosophie kurz zu rekapitulieren. Die klassischen biologischen Termini „generatio aequivoca“, „Epigenesis“ und „Präformation“ müssen einerseits im historischen Kontext inhaltlich, dann aber auch an dieser Stelle der Kritik methodologisch beleuchtet werden, um Kants Intentionen deutlich werden zu lassen.16 In gebotener Kürze gesagt: Kant führt diese Termini an zentraler Stelle an, um differente epistemologische Kernpositionen zu illustrieren. Inhaltlich angesprochen werden die Positionen von Locke, Leibniz, Hume und Kants eigene Position: Sensualismus, dogmatischer Rationalismus, Skeptizismus und transzendentaler Idealismus. Aus Kants Sicht ergibt sich folgende epistemologische Situation (Schema 1): Die Kategorien sind entweder a posteriori (Locke) oder a priori (Kant). Das Problem eines Erfahrungsursprunges der Kategorien erscheint Kant ebenso ungereimt wie die hypothetische Erklärung der Entstehung zweckmäßiger Organismen durch eine zufällige Urzeugung aus anorganischer Materie (generatio aequivoca). Kant illustriert seine epistemologische Gegenposition, wonach jede Erfahrung – inhaltslogisch betrachtet – konstitutive Kategorien voraussetzt, und also Kategorien a priori eine transzendentale Funktion besitzen – qua Bedingung der

11 12 13 14 15 16

Wubnig 1969; Genova 1974, Ingensiep 1994. Z. B. Lenoir 1980. Vgl. Vollmer 1975, Engels 1989 und Ingensiep 1994, Anm. 15. Sloan 2002. Zammito 1992. Vgl. Ingensiep 1994.

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Möglichkeit von Erfahrung –, mit der biologischen Analogie der Epigenesis. Worin besteht die veranschaulichende Analogie zwischen der These, die Kategorien seien a priori inhaltslogisch notwendig vorauszusetzen, und der Hypothese einer empirischen Bioontologie, sprich Epigenesis? Das Bild, welches Kant hier mobilisiert ist: Kategorial formierte Erfahrung kann als „Produkt“ von Verstand und Sinnlichkeit angesehen werden so wie ein Organismus als ein epigenetisches Produkt der Natur angesehen werden kann. Unter Hinzuziehung anderer Stellen bei Kant könnte man sagen, daß ein Organismus als Produkt dreier Faktoren anzusehen ist: 1. bloßer „roher Materie“, womit die anorganische Materie gemeint ist, die nicht zu einem zweckmäßigen Gefüge geordnet ist, 2. einer „zweckmäßigen Anlage“, welche quasi legislativ die Formierung des organischen Gebildes anordnet, 3. einer besonderen Kraft namens „Bildungstrieb“, die quasi als eine exekutive Vitalkraft fungiert und die nach Blumenbach in entfernter Analogie zur Newtonischen Gravitationskraft im Organischen wirkt. Dieser Hypothese eines „nisus formativus“ von Blumenbach schließt sich Kant definitiv 1790 in § 81 der Kritik der Urteilskraft an, wobei er zugleich die hyperphysische Problematik dieser bioontologischen Konstruktion anspricht, wenn es heißt, es handele sich um ein „unerforschliche[s] Princip einer ursprünglichen Organisation“17. Doch in B §27 der KrV geht es nicht um dieses biophilosophische Problem einer Teleologiemetaphysik, es geht hier allein um die Rolle der „Epigenesis“ als eine veranschaulichende Analogie zur epistemologischen Position Kants. Einen dritten epistemologischen Weg, einen „Mittelweg“, schließt Kant hier aus transzendentalen, inhaltslogischen Gründen klar aus. Kant bringt aber nachfolgend in verschachtelter Rede unterschiedliche Probleme dieses Weges unter dem Titel „Präformation“ zur Sprache, wobei angenommen werde, es handele sich bei den Kategorien um eine Art „Präformation“ bzw. eingepflanzte Anlage zum Denken. Die Komplexität dieser besonderen Analogie kann hier nicht erörtert werden.18 17 KdU § 81, 5.424. Auf Blumenbachs Hypothese des „Bildungstriebes“ verweist Kant schon 1788 in der „Abhandlung über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie“ und lobt an ihr, daß jener dadurch „viel Licht in die Lehre der Zeugungen“ gebracht habe, indem er den Bildungstrieb „nicht der unorganischen Materie, sondern nur den Gliedern organisirter Wesen“ beilege (AA 8.180 Anm. 1). 18 Vgl. Ingensiep 1994.

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Der entscheidende Punkt ist aber: Wohl um einer besseren Illustration seiner lange Zeit nach der ersten Auflage der Kritik der reinen Vernunft schwer nachvollziehbaren epistemologischen Kernposition willen fügt Kant in der zweiten Auflage diese veranschaulichenden biologische Analogien ein. An diesem Punkt möchte ich kurz auf eine aktuelle Kritik meiner Interpretation der Einfügung der biologischen Analogien zwecks „intuitive illustration“ eingehen, die John Zammito dahingehend verstärkt, „it was only for ,intuitive illustration‘“.19 Zammito hält fest: „we must be sensitive to the uses of the analogy, which Kant was prepared to acknowledge“, und erkennt an: „indeed, spontaneity and systematicity, two crucial ideas in Kant’s theory of reason, find their empirical analogs in the idea of epigenesis in nature.“20 Damit wird meine frühere Interpretation angesprochen, Epigenesis illustriere hier die Apodiktizität, Apriorität, Spontaneität und Produktivität der Kategorien.21 In der Tat meine ich, daß der biologische Terminus „Epigenesis“ erlaubt, eine dynamische Vorstellung des Erfahrungswissens als ein Produkt von reinen Verstandesbegriffen (Form) and Sinnlichkeit (Materie) zu imaginieren. Es geht hier aber um eine „Produktivität“ des Verstandes – nicht der Natur – und um eine strukturelle Ähnlichkeit. Soweit interpretiert Zammito meine Analyse korrekt: „At most, Kant gestured to ‘structural similarities’, and accordingly in no way can it be construed as a claim for any compelling ontological connection between the respective philosophical and biological positions“. Meine These gibt Zammito spezifizierend dahingehend wieder als: a clear structural correlation: As, accordingly to the epigenesis theory, unformed inorganic matter gets transformed under the direction of a ‘purposive endowment’ into something entirely new via the Bildungstrieb and an organism is produced, so via categories and the raw material of sensibility empirical knowledge is ‘produced‘. The organizing productivity, however, lies entirely on the side of categorizing understanding. As, via the requisites of the epigenesis theory, from something unformed and unpurpusive gradually something specially formed, purpusive (according to 19 Zammito 2003, 82: „Ingensiep suggests that Kant did not intend by analogy to extend his formal argument for transcendental philosophy, nor was analogy serving here as a heuristic to enable further discoveries (as in the Kuhnian sense of paradigm); rather it was only for ‘intuitive illustration’“. Vgl. Zammito 2007, 60. 20 Ebd., 82. 21 Vgl. Ingensiep 1994, 392.

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the most inward interfusion of generative fluids) gets produced, so, similarly, one can conceive the unifying ordering of the manifold by the categories.22

Dieser Darstellung folgt aber eine Kritik Zammitos: „But this does not yet clarify the tension between the concepts of epigenesis and preformation as they featured in Kant’s thinking.“23 Eine solche Spannung zwischen „Epigenesis“ und „Präformation“ steht in KdV B § 27 aber nicht zur Debatte, sie wird erst dann virulent, wenn man die transzendentale epistemologische Deutung zugunsten einer ontologischen bzw. biophilosophischen Deutung der Kategorien und der biologischen Analogien verläßt. Zammito liefert wichtige Einblicke in die damalige Debatte über Präformation und Epigenesis und beleuchtet spezifische Formen von „Präformation“ in Kants Denken unter Bezugnahme auf Sloans sorgfältige Arbeiten, die den Wandel und die Bedeutung der Begriffe „Keim“ und „Anlage“ in Kants Denken hervorheben – für „the more famous analogy of 1787 to epigenesis.“24 Diesbezüglich sind aber einige Bemerkungen zur Relevanz dieser neueren inhaltlichen Klärungen and Analysen für die oben angesprochene methodologische Problematik erforderlich.25 Eine erste Klärung von Hintergründen zum Epigenesisbegriff betrifft die metaphysische Interpretation und problematische Rolle der Kategorie der „Wechselwirkung“ in Kants Denken. Sie führt im Zeichen von Leibniz zu schwierigen Fragen wie derjenigen, ob und wie die Homogeneität in einem kosmischen Kontinuum mit einer Heterogeneität autonomer Substanzen zusammengedacht werden kann. Diese Kategorie der „Gemeinschaft“ betrifft auch die Vorstellung der Simultaneität der Teile eines Organismus bzw. deren besondere Form von finaler „Wechselwirkung“ und auch die Differenz des Organischen zum Anorganischen im allgemeinen. Aus Kantischer Perspektive scheint nur ein Newtonischer Zugang zum physischen Körper möglich, wodurch die Behauptung einer qualitativen Differenz zwischen organischen und anorganischen Dingen unmöglich erscheint, da physische Körper nur als ein Aggregat aber nie als eine Ganzheit materieller Entitäten vorstellbar sind.26 Das Problem der „Wechselwirkung“ ist zudem mit dem Problem 22 23 24 25 26

Zammito 2003, 82. Vgl. Zammito 2007, 61. Ebd., 83. Ebd., 84, und Sloan 2002. Vgl. Ingensiep 2006. Vgl. Köchy in Ingensiep 2004, 91.

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der „Spontaneität“ verknüpft, denn als „Ganzes“ vermag kein Newonischer Körper „spontan“ zu sein. Probleme existieren auch, wenn „Epigenesis“ als Vitalkraft im Kontext eines „vital materialism“ (Lenoir) oder Teleomaterialismus aufgefaßt wird, denn Ziele und spontane Kräfte wären metaphysisch mit Leibniz nur innerhalb intelligibler Monaden, aber nicht zwischen ihnen, schon gar nicht im Austausch zwischen Monaden und Materie möglich. Es besteht also ein grundsätzliches Problem, wie Kants Konzept von Wechselwirkung in der KrV mit Kants Vorstellungen zu Epigenesis zusammen gedacht werden können. Doch es handelt sich um ein inhaltliches, systematisches und metaphysisches Problem, welches den obigen veranschaulichenden Vergleich mittels biologischer Analogien methodologisch nicht unmittelbar tangiert. Meine zweite Anmerkung betrifft nicht die historische Analyse, wohl aber die systematische Interpretation Sloans zu „Preforming the Categories“ und „the Biological Roots of Kant’s Apriori“.27 Zammito dazu: „An inadaequate grasp of these terms has marred all treatment of Kant’s passage at B 167 until Sloan“28. Zunächst ist festzuhalten, daß der Hinweis auf den „Mittelweg“ des Crusius nicht nur in modernen Kommentaren zu finden ist,29 sondern bereits in Mellins Artikel zu Crusius erwähnt wird, worin auch auf die Fußnote zum Mittelweg in Kants Prolegomena verwiesen wird.30 Kants Kritik dieses „Mittelweges“ – gemeint ist ein System der Präformation der Kategorien – indiziert allerdings mehr Parallelen zwischen Leibniz und Crusius als Differenzen. Zammito ist zuzustimmen, wenn er sagt: „This is Leibnizian to its core“, ebenso bei der folgenden Interpretation: „Kant’s whole point against the intermediate position of Crusius was that we need a stronger bond between the categories and experience if we are to take seriously the necessity that is the essence of transcendental grounding. That bond could only be achieved if it were self-formed [selbstgedacht]. That is why Kant suddenly invoked the idea of epigenesis“.31 Hier ist nun ein Kernpunkt transzendentaler Argumentation betroffen, nämlich die selbstgedachte und reflexiv begründete Apodiktizitt der Kategorien a priori. Dies ist der transzendentale Grund, warum Kant epistemologisch 27 28 29 30 31

Sloan 2002. Zammito 2003, 89. Vgl. Zöller 1988 und Ingensiep 1994. Ebd. und Mellin 1798, 870 f. (oben Anm. 10). Zammito 2003, 90, vgl. auch Zammito 2007, 61.

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diesen „Mittelweg“ der „Präformation“ ablehnt. Doch zur weiteren Klärung sollte zwischen „Denkakt“ und „Denkinhalt“ (noesis und noema bei Husserl) unterschieden werden, um Mißverständnissen vorzubeugen. Denn die Apodiktizität der Kategorien bezieht sich auf die apriorische Geltung von Begriffen im Denkinhalt und nicht auf zeitliche Vorgänge im kontingenten Denkakt. Wären Kategorien „selbstgedacht“ in dem letzteren Sinne, daß ihre Geltung an die Kontingenz und Zeitlichkeit von Denkakten gebunden wäre, dann wäre in der Tat auch das Kausalprinzip subjektiv. Darauf spielt Kant am Ende in B § 27 mit Bezug auf die Ablehnung der „Präformation“ im metaphysischen Geiste eines Leibniz oder Crusius an, aber auch im Hinblick auf Humes Skeptizismus bezüglich einer rationalen Begründbarkeit des Kausalprinzips. Meine dritte Bemerkung betrifft die neue Interpretation dieser Textstelle, die von einer Wende im Denken Kants über die Theorie der Präformation ausgeht: „What could Kant possibly have been thinking at B 167? Why, for the first time, would he have put preformation in a negative context and epigenesis in a remarkably and unprecedentedly positive one?“ Zammito spekuliert: Was there something that Kant now saw in the idea of epigenesis that could help him elucidate the peculiar and essential spontaneity of the understanding in his transcendental deduction? What did the phrase ‘self-thought first principles a priori’ signify? If epigenesis needs to be understood on the model of a product, what were the necessary preconditions for immanent emergence? 32

Die Fragen sind berechtigt, doch die Tendenz in Zammitos Antwort ist problematisch, da sie eine nativistische Auffassung der Kategorien in Kants System nahelegt. Zwar betont Zammito, nicht die Kategorien sind nativistisch präformiert, „but only as produced spontaneously by an innate capacity or power – a ‘faculty’ of mind, whose own origin was utterly inscrutable.“33 Doch nun betont Zammito die Spontaneität and Produktivität in Verbindung mit einer „ordering force of the innate (‘epigenetic’) powers of mind […] to be able to produce new knowledge […] that is, it had to be a real cause (of knowledge)“, und weiter heißt es abschließend: „Kant’s epigenesis analogy, in short, built intellectual causation (determination; constitution) into the fundamental structure 32 Ebd., 92, vgl. Zammito 2007, 61 ff. 33 Ebd., 92.

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of the transcendental deduction of the possibility of experience.“34 Hier wird nun nicht nur die methodische Rolle der biologischen Analogien in § 27 aus dem Auge verloren, sondern auch das systematische Prinzip einer strengen Scheidung zwischen Geltung und Genesis von „knowledge“. Nicht „real causes“, sondern transzendentale Notwendigkeit von rationalen Gründen sichert nach Kant die These, daß die Kategorien in synthetischen Urteilen mit empirischen Gehalt „a priori“ sind und nicht „a posteriori“. Eine genetische Erklärung der Kategorien durch epigenetische Ursachen wäre nach Kant zirkulär, da sie bereits einen transzendentalen Geltungsanspruch des Kausalprinzips voraussetzt. Angeborene Begriffe in diesem Sinne liefern keine notwendigen Gründe. Nur ihre rationale Deduktion durch Reflexion auf Denkinhalte liefert notwendige Gründe, nicht aber eine Behauptung, präformierte Kategorien seien in realen Denkakten kausal erzeugt worden. In diesem Sinne sind Kategorien zwar immer im Hinblick auf mögliche Inhalte notwendig selbstgedacht, aber nicht durch Realgründe kausal selbstgemacht. Jede realkausale Erklärung von Kategorien (ob durch Epigenesis oder Präformation – oder moderner, durch Evolution) würde ihren Gebrauch inhaltslogisch schon voraussetzen – zumindest gemäß Kants transzendentaler Epistemologie.35

3. Wie ist die systematische Architektur der Zweckmäßigkeitsbegriffe im Organischen zu denken? (KdU § 61–§ 66) Im zweiten Teil der Kritik der Urteilskraft, der Kritik der teleologischen Urteilskraft, entwickelt Kant in knappen Paragraphen (§ 61–§ 66) sukzessive und systematisch eine Architektur unterscheidbarer Zweckmäßigkeitsbegriffe. Diese Analyse mündet schließlich in den Begriff einer inneren, materialen Zweckmäßigkeit ein, welche nach Kant einerseits als Definition andererseits als methodisches Prinzip der Beurteilung von Organismen dienen kann. Zur systematischen Architektur der diversen Zweckmäßigkeitsbegriffe in Kants Denken sind verschiedene Schemata angeboten worden.36 Hier biete ich nur für den Teil der 34 Ebd. 35 Vgl. Ingensiep 1994, Anm. 13. 36 Vgl. dazu den Kommentar und die Schemata in Frank und Zanetti 1996, 3. Bd., 1194 f.

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Zweckmäßigkeitsarchitektur ein Schema, das unmittelbar auf die bekannte Definition bzw. das Beurteilungsprinzip von Organismen führt (Schema 2). Den schon im 17. Jahrhundert eingeführten Terminus „Organismus“ verwendet Kant zwar erst im Opus postumum, doch sinngemäß ist dessen Bedeutung bereits in Kants Rede von „Naturzwecken“ präsent, z. B. im zentralen § 65 der KdU: „Dinge als Naturzwecke sind organisirte Wesen“.37 Was ist ein organisiertes Wesen bzw. ein Organismus? Diese Frage mit Kant systematisch zu beantworten heißt zunächst, einen besonderen Gegenstand der Natur theoretisch zu definieren. Kants kritische Analyse des teleologischen Urteils als eines regulativen Prinzips der reflektierenden Urteilskraft zielt auf eine enge Verbindung von Gegenstand und Methode in der Biologie, wie bereits der Beginn von § 66 deutlich macht: „Dieses Princip, zugleich die Definition derselben, heißt: Ein organisirtes Product der Natur ist das, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist.“ Insbesondere wird die Totalität des Prinzipienanspruches betont: „Nichts in ihm ist umsonst, zwecklos, oder einem blinden Naturmechanism zuzuschreiben.“38 Derartige totalitäre Formulierungen mögen moderne Zweifel an Kants Analyse nähren und weitere Fragen aufwerfen: Ist denn so klar und deutlich definiert, was ein Organismus ist? Ist damit auch eine spezifische Methodik gerechtfertigt, die als heuristische Methode für die Naturgeschichte bzw. Biologie fruchtbar sein soll? Ist diese Totalität des Prinzipienanspruches wirklich rechtfertigbar? Schließlich: Ist Kants schroffe Abgrenzung zum „blinden Naturmechanism“ und seine Skepsis gegenüber einem „Newton des Grashalms“ wirklich notwendig mit einem Begriff des Organismus verbunden? – Manche dieser Fragen werden bei dem Versuch beleuchtet, Kants Begriff von „Leben“ vom Begriff des Organismus systematisch klarer abzugrenzen. Eine Verhältnisbestimmung von „Leben“ und Organismus sowie die Illustration des Organismusbegriffs am Beispiel des Baumes kann dazu hilfreich sein.39 Zuvor sei um der ersten Orientierung willen eine kurze Skizze von Kants Unterscheidung zwischen einem subjektiv ästhetischen und objektiv teleologischen Zweckmäßigkeitsbegriff erinnert: der erstere war 37 KdU § 65, AA 5.372. Speziell zum Organismusbegriff bei Kant vgl. Debru 1980 und generell bei Wolters 1984. Nach Adickes gibt es bei Kant noch eine frühere Reflexion der späten 80er Jahre, vgl. Refl. Met., AA 19.419. 38 KdU § 66, AA 5.376. 39 Vgl. Ingensiep 2004 und 2006.

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im Detail das große Thema der Ästhetik, auf der Suche nach Begriffen des Schönen und Erhabenen, im ersten Teil der KdU. Dieser Begriff bezeichnet die subjektive Relation der Angemessenheit des Schönen und Erhabenen für das menschliche Gemüt. Der zweite „objektiv teleologische“ Begriff ist insofern ein theoretischer, epistemologischer Zweckbegriff als er die Unterscheidung einer „formalen“ Zweckmäßigkeit (§ 62), z. B. im Gebrauch mathematischer Konstruktionen objektiver Gegenstände wie etwa eines Dreiecks im apriorischen geometrischen Anschauungsraum, vom Begriff einer „materialen“ Zweckmäßigkeit erlaubt. „Materiale“ Zweckmäßigkeit beinhaltet nach Kant einen Realgrund und damit auch den Begriff einer wirklichen Kausalität mit Bezug auf erfahrbare Naturdinge. Enthält der Begriff einer objektiven materialen Zweckmäßigkeit zumindest die Frage nach einem Realgrund, also die Frage nach einem Ursache-Wirkungs-Verhältnis, so kann nach Kant einerseits eine bloß äußere Zweckmäßigkeit als „relative“ Zweckmäßigkeit (§ 63) zwischen den Dingen in der Natur vorliegen und diese wiederum als (quasi anthropozentrische) „Nutzbarkeit“ der Naturdinge für den Menschen oder als (quasi natürliche) „Zuträglichkeit“ der Naturdinge füreinander differenziert werden, z. B. die „Zuträglichkeit“ des Regens für das Wachstum von Pflanzen. In § 64 wendet sich Kant endlich der Hauptaufgabe zu, nämlich der absoluten, „inneren“, materialen objektiven Zweckmäßigkeit von Organismen, die auch eine nähere Bestimmung und Illustration seines Organismusbegriffes beinhaltet. Kant stellt fest, daß der Verstand nicht ausreiche einzusehen, daß ein „Ding nur als Naturzweck möglich sei“, was für ihn bedeutet, das Dasein eines solchen Gegenstandes sei für den bloßen Verstand nicht einsichtig, weil der Verstand sein kategoriales Erklärungsprinzip allein „im Mechanism der Natur“ suche.40 Vielmehr sei selbst für die sinnliche Erkenntnis derartiger Gegenstände noch ein Vernunftprinzip als Bestimmungselement erforderlich. Eben dieses in der Vernunft gegründete Beurteilungsprinzip der Zweckmäßigkeit eines solchen besonderen Gegenstandes (der daher Organismus genannt werden kann) und damit die „Zuflligkeit seiner Form bei allen empirischen Naturgesetzen in Beziehung auf die Vernunft“ ist für Kant selbst ein Grund, „die Causalität desselben so anzunehmen, als ob sie eben darum nur durch Vernunft möglich sei“.41 Kurz: die Zweckbegrifflichkeit bei der Bestimmung des Gegenstandes und der Methode im 40 KdU § 64, AA 5.369. 41 Ebd., 370.

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Organischen entspringt der Vernunft und nicht dem Verstand, weshalb das erkennende Subjekt fürs Organische nur über eine als-ob-teleologische Begrifflichkeit verfügt. Der Zweckbegriff vermag im Verstand nicht die Existenz eines Organismus nach Naturgesetzen zu erklären, wohl aber läßt sich damit nach Kant der Begriff des Organismus und eine Methode zu dessen Beurteilung und Erforschung apriorisch rechtfertigen. Kant illustriert diesen unbedingt notwendigen Rückgriff auf die Vernunft als das im Zweckbegriff Einheit stiftende Prinzip zunächst anhand des fiktiven Beispiels einer geometrischen Figur, die ein Beobachter in einer unbewohnten Gegend plötzlich wahrnimmt: Vernunftwesen würden angesichts eines gezeichneten regulären Dreiecks auf eine Zwecke setzende Vernunft schließen und daher dieses Gebilde als ein „Product der Kunst“ ansehen.42 Doch wird in diesem Fall die produktive Zweckursache nicht in die Natur verlegt, sondern in die Zwecke setzende menschliche Vernunft selbst. Daher wäre nur die Aussage gerechtfertigt, es handele sich um ein menschliches Vernunftprodukt, doch nicht um ein Naturprodukt. Doch auf letztere Aussage kommt es nach Kant in Ansehung eines „Productes der Natur“, d. h. eines organischen Körpers gerade an. Dessen Beurteilung sei transzendental nur unter Hinzuziehung eines regulativen, aber heuristischen Prinzips der reflektierenden Urteilskraft und nicht der konstitutiven Urteilskraft unter der Leitung der Verstandeskategorien legitim. Bis dahin hat Kant in § 64 noch nicht definitiv bestimmt, was für eine Art von Entität zu begreifen ist, und er bietet deshalb eine vorläufige Definition für ein „Naturproduct“ an, das zugleich als „Naturzweck“ zu beurteilen sei: „ein Ding existirt als Naturzweck, wenn es von sich selbst (obgleich in zwiefachen Sinne) Ursache und Wirkung ist“.43 Wie soll man sich nun vorstellen, daß ein Naturding von sich selbst „Ursache und Wirkung“ sei? Kant erwägt, ob es sich nicht möglicherweise um einen Widerspruch handele, ein Ding einerseits als „Naturproduct“ zu erkennen, d. h. durch den Verstand zu bestimmen, und es dennoch andererseits als einen „Naturzweck“ zu beurteilen, was bedeutet, über diese Entität mittels der Urteilskraft und des Vernunftbegriffes eines Zwecks zu reflektieren. Kant glaubt, eine teleologische Naturkausalität sei zwar widerspruchsfrei denkbar, aber nicht durch den Verstand im konstitutiven Gebrauch der Kategorien begreifbar, – in42 Ebd. 43 Ebd.

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sofern liege vielleicht ein ungereimter Begriff vor. Hier geht es Kant noch nicht um die Schärfung und weitere Auflösung dieser potentiellen Antinomie. Vielmehr geht es ihm hier um die weitere inhaltliche empirische Spezifizierung und Illustration des schwierigen Begriffes einer objektiven, materialen, inneren Zweckmäßigkeit eines Naturproduktes. Daher versucht er jetzt, diverse natürliche Hervorbringungsverhältnisse am Beispiel der Erzeugung – kurz, anhand einiger Typen von „Generation“ – durch konkrete biologische Erfahrungsbeispiele zu verdeutlichen, die unter einen solchen Begriff gebracht werden können. Deshalb wird nun die allgemeine „Idee von einem Naturzwecke“44 mittels spezieller Erzeugungs- und Wachstumsverhältnisse am Fallbeispiel eines Baumes, also einer Pflanze, nicht eines Tieres oder Menschen, ausführlich erläutert.45 Wir verlassen nun die transzendentale Analyse und Differenzierung der Zweckmäßigkeitsbegriffe und beleuchten diese Stelle in § 64 aus systematischer, bioontologischer und historischer Perspektive, aber nicht ohne daran zu erinnern, daß hier die materiale, innere Zweckmäßigkeit im Organismusbegriff als regulatives, heuristisches Prinzip der reflektierenden Urteilskraft vorausgesetzt wird.

4. Wie illustriert Kant seinen Organismusbegriff anhand von Exempeln aus der empirischen Bioontologie? – Vom Organismus als Baum (KdU § 64). Das Beispiel „Baum“ läßt wissenschaftshistorisch betrachtet aufhorchen, bedenkt man, daß gerade die „Pflanze“, das „Gewächs“, die „Vegetabilien“ von vielen aufgeklärten Gelehrten des 18. Jahrhunderts in cartesischer Manier als eine machina hydraulica angesehen wurde, d. h. als ein physikalischer Behälter mit inneren Kanälen und Ventilen, in denen besondere Flüssigkeiten vorangetrieben bzw. reguliert werden, kurz: als eine organische Maschine oder ein chemisches Laboratorium. Pflanzen wären daher ein plausibles Paradigma für eine mechanistische bzw. materialistische Betrachtung von Organismen gewesen. Man denke in 44 Ebd., 371. 45 Leider bieten klassische und moderne Interpretationen dieser interessanten Stelle meist nur wenig wissenschafts- und ideengeschichtliche Hintergründe, die auch hier zum Verständnis nur angedeutet werden, vgl. Ingensiep 2006 und den Beitrag von Tobias Cheung in diesem Band.

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diesem Zusammenhang an frühe Cartesianer (Regius, LeGrand), an den bekannten Mensch-Maschine-Vergleich von Julien Offray de La Mettrie (1709 – 1751), an dessen kleine Schrift L’homme plante (1748) oder an andere Pflanzenforscher des 18. Jahrhunderts, die Pflanzen im Zeichen der neuen Physik zu begreifen versuchten.46 Pflanzen erschienen vielen Gelehrten dieser Zeit des Aufstiegs der Physik, Chemie und Physiologie daher auch als Prototypen im Organischen wenig geeignet. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, daß wohl auch Kant in der Auffassung von der Pflanzennatur schwankte, insbesondere, nachdem Anzeichen für Irritabilität und Empfindung bei Pflanzen in der zweiten Jahrhunderthälfte ein Thema neuer Untersuchungen und Spekulationen geworden waren.47 Umso interessanter und aufschlußreicher ist es, Kants Illustration des Organismusbegriffs durch einen „Baum“ an zentraler Stelle in der KdtU näher zu beleuchten. Vorab ist Kants Ausspruch in § 75 KdU zum „Newton des Grashalms“48 zu erinnern. Demnach sollte selbst die Hervorbringung und Organisation dieses niedersten Krautes nicht nach mechanischen Gesetzen einsichtig sein. Pflanzen sind demnach für Kant also nicht bloß anorganischen Dinge, sondern vollwertige Organismen. Doch aus welchen Gründen? Was zeichnet Kants Organismusbegriff derart aus, 46 Die cartesianische Auffassung von Pflanzen als Automaten bzw. Maschinen spiegelt sich in der machina-Terminologie bei so unterschiedlichen Gelehrten wie Christian Wolff, Carl von Linné, Stephen Hales, Henri Louis Duhamel du Monceau, Charles Bonnet oder Hermann Samuel Reimarus. Im Hinblick auf die Pflanzennatur gelten Stephan Hales (1677 – 1761) und Duhamel du Monceau (1700 – 1782) als protoptypische Mechanisten, die in ihren Hauptwerken Vegetable staticks, London 1727, und La physique des arbres, Paris 1758, neben Bonnet die moderne experimentelle Pflanzenphysiologie des frühen 18. Jahrhunderts repräsentieren, vgl. Ingensiep 2001 und Tobias Cheung in diesem Band. 47 Beispielsweise ist die Arbeit von Johannes Friedrich Gmelin (1748 – 1804) bedeutsam, der die Untersuchungen zur Irritabilität und Sensibilität bei Tieren durch den Mediziner Albrecht von Haller (1708 – 1777) zum Anlaß nimmt, auch eine Irritabilität bei Pflanzen zu untersuchen in Irritabilitatem Vegetabilium in singulis plantarum partibus exploratam, Tübingen 1768. Bekannt sind auch die im Jahre 1784 verfaßten Speculations on the Perceptive Power of Vegetables des Mediziners Thomas Percival (1740 – 1804), welche im Jahre 1790 auch eine anonyme deutsche Auflage erlebt, Also htten die Pflanzen Vorstellungen und Bewußtseyn ihrer Existenz? Eine Diatribe fr Liebhaber der Naturkunde und Psychologie, (Frankfurt 1790). Vgl. zu Kant und zum Hintergrund Ingensiep 2001, 275 – 277, 307 – 312 und 317 – 322. 48 KdU § 75, AA 5.400. Vgl. Plessner 1976.

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daß Pflanzen als niederste Organismentypen in der organischen Hierarchie dennoch klar von anorganischen Dingen zu unterscheiden sind? Hier ist Kants Illustration seines Organismusbegriffs durch einen Rückgriff auf natürliche Modi der Selbsterzeugung eines Baumes sehr aufschlußreich. Es werden zunächst die Funktionen für die Gattung, dann für das Individuum und schließlich dessen Teile beleuchtet (Schema 3). Der Gattung nach erzeugt ein Baum erstens einen anderen mit sich identischen Baum, insofern bringe er „sich selbst der Gattung nach“49 hervor. Dieses Hervorbringungsverhältnis kann in zwiefacher Hinsicht betrachtet werden. Einerseits kann ein Baum als Wirkung, d. h. als neues konkretes Individuum von gleicher Art wie es selbst betrachtet werden, andererseits aber auch als Ursache im Geschehen, insofern ein Baum eben selbst dieses neue Individuum zeugt und er damit den kausalen Anstoß für die reale Hervorbringung eines neuen Organismus gibt. Die beständige Erhaltung der Gattung durch eine ständige Reproduktion von Individuen ist der Zweck dieses natürlichen Zeugungsgeschehens im Pflanzenreich. Dies war im Zeitalter der Klassifikation von Pflanzen mit Hilfe des Sexualsystems eines Linné wohl bekannt. Somit läßt sich ein erster Modus von „Generation“ im Rahmen einer empirischen Bioontologie illustrieren, d. h. eine in einem organisierten Naturding wirkende zweckmäßige Kausalität, die der Erhaltung der Spezies dient und daher als Arterzeugung bzw. Artgeneration angesehen werden kann. Diese als-ob-teleologische Gattungskausalität entspricht historisch betrachtet weitgehend der ersten Grundkraft der von Aristoteles ausgehenden, über die Kommentatoren Averroes und Avicenna bis in die Scholastik zu Albertus Magnus modifiziert vermittelten besonderen Teilfunktion der anima vegetativa (griech. psyche threptike), nämlich der Zeugungskraft oder vis generativa, welche die Erhaltung der typischen Speziesform ermöglicht.50 Bei aller Distanz zu früheren Theorien ist diese ontologische Grundfunktion auch noch im nisus formativus des Naturforschers Johann Friedrich Blumenbach (1752 – 1840) in der bekannten Schrift Ueber den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschfte (1781, 2 1789) mitenthalten, wobei Blumenbach seine Funktionen auch an 49 KdU § 64, AA 5.371. 50 Vgl. hierzu und zu den Funktionen der aristotelisch-scholastischen anima vegetativa Ingensiep 2001, 38 – 60 und 154 – 175.

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niedersten Pflanzen demonstriert.51 Dies ist deshalb an dieser Stelle zu erwähnen, weil Kant Blumenbachs Konzept des Bildungstriebs und dessen Theorie der Epigenesis gegen eigene frühere Vorstellungen und damalige Vorstellungen zur individuellen Präformation bzw. Einschachtelungstheorie oder „Evolution“ in § 81 der Kritik der Urteilskraft ausdrücklich bevorzugt.52 Die zweite empirische Illustration bezieht sich auf die Selbsterzeugung des Baumes als Individuum. Diese erfolgt durch Ernährung und „Wachsthum“, was nach Kant von „jeder andern Größenzunahme nach mechanischen Gesetzen“ als „gänzlich unterschieden“ anzusehen sei.53 Kant grenzt dieses Wachstumsgeschehen von einer bloß quantitativen Größenzunahme im Anorganischen ab und betont ausdrücklich die innere Verwandlung der durch das Gewächs aufgenommenen Materie zu einer neuen „specifisch-eigenthümliche[n] Qualität“. Kant thematisiert anhand der Pflanze die Selbstproduktion einer ganz originären stofflichen Produktmischung, die klar über die damals bekannte künstliche chemische Trennung und Synthese von Stoffen hinausgeht. Eine solche natürliche organisierte Produktionsweise ist daher auch, so Kant, von jeder chemischen Herstellungskunst „unendlich weit entfernt“.54 In diesem Sinne kann eine Vegetabilie daher nur metaphorisch als eine Art künstliches, chemisches Laboratorium angesehen werden. Eigentlich ist sie jedoch ein vollwertiger Organismus, da sie fortwährend qualitativ neue Stoffe selbst produziert, d. h. nicht wie im chemischen Laboratorium, wo Stoffe aufgrund einer menschlichen Fremdursache künstlich produziert werden. Jedes organische Individuum erzeugt sich in diesem Sinne zweckmäßig selbst, so daß die Termini Selbsterzeugung, Selbstproduktion, Selbstorganisation und davon abgeleitet auch Selbstregulation für Kant einen zweiten Grundtyp und Modus organischer „Generation“ repräsentieren. Abgesehen von den Anspielungen auf die zeitgenössische Chemie weist auch diese zweite Grundfunktion im Organischen auf ein aristotelisch-scholastisches Erbe zurück und zwar auf zwei weitere Kräfte der anima vegetativa, nämlich auf die vis nutritiva und die vis augmentativa, wobei erstere die Ernährung als solche, die zweite die proportionale Wachstumsvergrößerung bewirken sollte. Diese organischen Funktio51 52 53 54

Vgl. Blumenbach 1781, § 2, 19. KdU § 81, AA 5.424. Vgl. Lenoir 1980. KdU § 64, AA 5.371. Ebd.

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nen sind wiederum auch in Blumenbachs Konzept des Bildungstriebes eingeschlossen. Ferner betont Kant mit Blumenbach, daß es sich beim Wachstum um eine individuelle Selbsterzeugung, d. h. um eine Art von „Zeugung, wiewohl unter einem andern Namen“55 handele. Blumenbach hält die Nutrition nämlich für „eine allgemeine, aber unmerklich continuirte […] Generation“.56 Festzuhalten ist systematisch gesehen noch, daß im proportionierten Wachstum das Individuum als Ganzes einbezogen ist, daß es also eine qualitative Einheit der Produktion verkörpert und nicht bloß eine quantitative physikalische Stoffansammlung darstellt. Also: Der Organismus wird hier als spezifische zweckmäßige Ganzheit und nicht als zufälliges Aggregat beurteilt. Drittens fügt Kant noch heterogene Phänomene und diverse theoretische Überlegungen an, welche im Falle des Baumes die wechselseitige Abhängigkeit der Erhaltung seiner Teile untereinander belegen sollen. So wird das künstliche Vermögen der gärtnerischen Pfropfung angeführt, wobei ein Gewächsstück von einer Pflanze auf eine andere, fremde pflanzliche Grundlage übertragen wird, welche dann dort anwächst und seine artspezifische Form hervorbringt. Dieses Exempel dient als Praxisbeleg für ein koordiniertes Zusammenwachsen verschiedener Teile eines Organismus. Kant schließt hier die Spekulation an, daß daher doch auch jedes natürliche Baumindividuum als eine Art von natürlichem Pfropfaggregat angesehen werden könnte, mithin als eine aggregativ bestehende Einheit aus vielen organischen Teilen wie Zweigen und Blättern, die sich im Wachstumsprozeß koordinieren und miteinander abzustimmen vermögen. Kant geht in seiner Spekulation sogar so weit, diese organische Daseinsform des Baumes als „parasitisch“57 zu bezeichnen, da jeder Teil sich ja vom anderen nähre. Außerdem produziert der Baum Blätter, sei aber doch zugleich von ihnen im Wachstum abhängig, was ein weiteres Indiz für die wechselseitige zweckmäßige Erhaltung der Teile im Ganzen ist. Man kann diesen zweiten Komplex der Wachstums- und Erhaltungsproduktivitäten im Organischen auch unter den späteren botanischen Begriff der Wachstumskorrelation bringen. Die „parasitische“ Betrachtung ist dagegen einer Auffassung von der Aggregatnatur der Pflanze zuzurechnen.58 55 56 57 58

Ebd. Vgl. Blumenbach 1781, § 7, 19. KdU § 64, AA 5.371. Hegel hat in seiner Naturphilosophie von der Subjektivität der Pflanze an die Auffassung der Aggregativität und Multiindividualität des Pflanzenwesens an-

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Schließlich führt Kant noch „die Selbsthülfe der Natur“ bei Verletzung des Baumes an, wobei abgeschnittene oder fehlende Teile des Organismus ergänzt werden. Hier wird also die Regeneration als spezifisches Phänomen im Organischen vorgestellt, was ebenfalls seit der Antike bekannt ist. Blumenbach schließt die „Wiederersetzung“ als Modifikation des Bildungstriebes ausdrücklich in seine Konzeption des Bildungstriebes ein und spricht von einer Kraft, die „reparirt!“; er sieht ferner diese „Reproduction“ als „eine wiederholte aber nur partielle Generation“ an, womit also nun ein dritter Typ von Generation, bzw. Erzeugung im Organischen vorliegt.59 Abschließend führt Kant beiläufig noch Wachstumsanomalien, „Mißgeburten oder Mißgestalten im Wachsthum“ an, bzw. kompensierende Neuformungen als charakteristische Phänomene im Organischen.60 Man kann vereinfachend auch diesen Aspekt unter den Begriff einer partiellen Generation bringen, d. h. unter den Begriff eines Vermögens von Organismen, sich in Teilen wechselseitig zweckmäßig zu regenerieren bzw. sich partiell auszubalancieren; hierauf deuten direkt oder indirekt die Phänomene der Regeneration, Pfropfung und Wachstumsanomalien hin. Historisch interessant ist die Tatsache, daß die bei Kant angesprochenen Grundfunktionen des Organismusbegriffs ein Kupferstich in Blumenbachs Schrift über den Bildungstrieb illustriert: Mutter Natur, als Bäuerin dargestellt, die ihre Kinder säugt und nährt, dahinter ein brütendes Huhn, auch ein Bauer, der sein Saatgut ausbringt, und schließlich noch ein mächtiger alter Baumstamm, eine Weide, aus deren beschnittenen Äststümpfen schon wieder frische Schößlinge mit jungen Blättern hervorsprießen. Im Stich findet sich außerdem die Darstellung eines Pfropflings und einer Wachstumsanomalie am linken Armstumpf eines Knaben. Sicherlich kannte Kant neben dem Inhalt der Schrift auch diesen Stich.61 geknüpft und die parasitäre Natur im Verhältnis der Teile zum Ganzen in dem Satz auf den Punkt gebracht: „Die Pflanze findet sich nicht in sich, weil ihre Glieder selbstständige Individuen gegen sie sind“. (Enz.3 § 337 Zus., Werke 9.342) Vgl. Ingensiep 2001, 350 – 354. 59 Vgl. Blumenbach 1781, § 7, 19. 60 KdU § 64, 5.372, wobei anzumerken ist, daß Blumenbach diese Phänomene ebenfalls anspricht. 61 Der Kupferstich neben der Titelseite von Blumenbach 1781 ist identisch mit demjenigen in der Kant von Blumenbach zugesandten 2. Auflage von 1789 in Kants Bibliothek. Für eine Abb. des Stichs vgl. Ingensiep 2006, 66.

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Die vorgestellten Beispiele in § 64 konkretisieren also diverse, besondere Ursache-Wirkungs-Verhältnisse, die sich Kant unter dem Begriff eines „organisirten Körpers“ der Natur vorstellt, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Erstens wird die apriorische transzendentale Funktion des als-ob-teleologischen Urteils über ein organisches Naturprodukt empirisch illustriert, denn alles dies kann nur unter der Ermöglichungsbedingung des Begriffs von einem Organismus beurteilt werden. Zweitens aber bezieht Kant solche Phänomene ein, welche die Rolle des epigenetischen Bildungstriebs gemäß Blumenbach tangieren, und die daher auf der Ebene einer hypothetischen empirischen Bioontologie anzusiedeln sind. Drittens wird ein „Baum“, also eine Vegetabilie, zum Prototypen für diese organischen Phänomene erhoben und damit eindeutig als Organismus ausgezeichnet. Der Baum eignet sich nach Kant dazu, weil hinreichend deutlich wird, daß seine Teile nicht nur um der anderen Teile und um eines Ganzen des Individuums willen existierend zu denken sind, sondern auch, weil seine Organe untereinander und im Hinblick auf das Ganze als wechselseitig kausal hervorbringend beurteilt werden müssen: denn „nur dann und darum wird ein solches Product, als organisirtes und selbstorganisirendes Wesen, ein Naturzweck genannt werden können.“62 So faßt Kant wenig später an entscheidender Stelle sein theoretisches Konzept zusammen (§ 65). Damit sind Grundsteine gelegt, die ein näheres Eingehen auf Kants Organismusbegriff und eine Verhältnisbestimmung zum komplexen Schlüsselbegriff „Leben“ erlauben.

5. Wie ist die Beziehung zwischen Kants Begriffen von Organismus und Leben zu denken und welche Probleme ergeben sich? Bisher war vom Begriff des „Lebens“ kaum die Rede. Anders als Kants klassischer Organismusbegriff in systematischer und neuerdings auch Kants Epigenesisbegriff in wissenschaftshistorischer Bedeutung ist seinem Begriff von „Leben“ erst im Zeitalter der Bioethik größere Aufmerksamkeit geschenkt worden.63 Kants Denken war trotz seiner kritischen Analyse des Seelenbegriffes (z. B. im Paralogismuskapitel der 62 KdU § 65, AA 5.374. 63 Beispielsweise hat Löw 1980, 153 – 168, eine Skizze von „Kants Begriff des Lebens“ geliefert; vgl. dazu auch Ingensiep 2004.

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KrV) vielfältigen Vorstellungen aus der traditionellen Seelenlehre und Seelenordnung bzw. Substanzmetaphysik verhaftet, was gerade seine Behandlung des Begriffs „Leben“ zeigen wird. Ein Fazit ist, daß Kants Lebensbegriff, genauer gesagt, seine diversen Lebensbegriffe nicht ohne weiteres mit seinem kritischen Organismusbegriff und seinem bioontologischen Begriff von Epigenesis zur Deckung zu bringen sind. Der Organismusbegriff ist in der Teleologiekritik primär ein apriorischer transzendentaler Begriff und „Epigenesis“ ein theoretischer, hypothetischer bioontologischer Begriff, der sich empirisch zu bewähren hat. Kants Lebensbegriff dagegen erscheint primär als ein Begriff, der in der theoretischen Philosophie entspringt und als ein Relikt schlechter Metaphysik angesehen werden könnte, der dennoch eine begriffliche Brücke hin zur praktischen Philosophie schlägt und dessen Definition zumindest auch von einem starken praktischen Interesse geleitet sein kann. Die besondere biophilosophische Perspektive wird deutlich, wenn Kant Abgrenzungsversuche zur Physik und Hyperphysik vornimmt, nämlich in seinen teleologiekritischen Reflexionen zum Organismusbegriff (KdU § 65). Denn nach Kant lassen sich Organismen weder in Analogie zur Maschine, sprich einer Uhr, verstehen, da deren Konstruktion auf eine externe Ursache und einen Konstrukteur zurückzuführen ist, noch lassen sie sich in Analogie zur Kunst begreifen, vor allem aber auch nicht als „Analogon des Lebens“64. Dies mag aus heutiger Sicht merkwürdig erscheinen, da die Begriffe „Organismus“ und „Lebewesen“ heute meist koextensiv verwendet werden. Biophilosophisch gesehen geht es ferner um die Art der im Organischen wirkenden Selbstursache. Neuerdings wird diese begriffliche Differenz zwischen Organismus und Leben auch wissenschaftshistorisch beachtet und weiter analysiert, z. B. auch, um den angenommen „vital materialism“ (Lenoir) bei Kant gegen einen unterstellten „animism“ (Zumbach) in Kants Denken zu verteidigen.65 Als Problem wird angesehen die „objective reality of forces which could not be reduced to those he admitted in the Newtonian order of Physics“66. An anderer Stelle wurde eine ausführlichere Darstellung zur Differenz der Begriffe von Organismus

64 KdU § 65, AA 5.374. 65 Zammito 2003, 82 und Zumbach 1984. 66 Zammito 2003, 82.

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und „Leben“ bei Kant geliefert,67 weshalb hier nur wenige aktuelle Bemerkungen folgen. Zuerst ist im Hinblick auf Kants Ablehnung eines „Analogon des Lebens“ in § 65 ein tiefes epistemologisches Problem aus Kants Transzendentalphilosophie zu erinnern. Ferner verwendet Kant den Terminus „Leben“ in verschiedenen Kontexten in unterschiedlicher Bedeutung. Kurz, man kann einen transzendentalen, metaphysischen, physischen, physiologischen, psychologischen, anthropologischen, medizinischen und praktisch-ethischen Lebensbegriff bei Kant finden.68 Ein wichtiger Ausgangspunkt für eine Begriffsbestimmung ist Kants Definition in den Metaphysischen Anfangsgrnde der Naturwissenschaft (1786): „Leben heißt das Vermögen einer Substanz, sich aus einem inneren Princip zum Handeln, einer endlichen Substanz, sich zur Veränderung, und einer materiellen Substanz, sich zur Bewegung oder Ruhe als Veränderung ihres Zustandes zu bestimmen.“69 An dieser Stelle geht es Kant um die begriffliche Klärung des unbeseelten, leblosen Materiebegriffs in der Newtonschen Welt gegenüber Vorstellungen einer anima als von einer von der Materie separierbaren bewegenden Kraft oder einer immanent belebten Materie, was beides zur traditionellen Metaphysik, zu Widersprüchen und Zirkeln in Argumenten führen würde, und damit zum „Tod aller Naturphilosophie“. Selbst der Newtonsche Terminus „Trägheit“ verweist für Kant auf einen metaphorischen Gebrauch, der nur für Lebewesen nachvollziehbar ist, aber keine ontologische Bedeutung in der Physik beanspruchen kann. Newtons Materie ist in jeder Hinsicht „leblos“, womit auch eine scharfe Grenze zum organischen Leben gezogen wird. Wofür aber steht „Leben“ in Kants Biophilosophie? Ist der Terminus deckungsgleich mit dem Organismusbegriff, der Mensch, Tier und Pflanze umfaßt? Nehmen wir Kants Definition von „Leben“ aus der „Vorrede“ der Kritik der praktischen Vernunft (1788): „Leben ist das Vermögen eines Wesens, nach Gesetzen des Begehrungsvermögens zu handeln.“70 Diese Definition findet sich in einer Fußnote, die generelle anthropologische und psychologische Voraussetzungen in der menschlichen Natur im Hinblick auf deren praktische Relevanz erläutert, d. h. subjektive Lebensumstände, wie Neigung, Begehren oder Interesse. 67 68 69 70

Vgl. Ingensiep 2004. Vgl. Löw 1980 und Ingensiep 2004. MAN, AA 4.544. KpV, AA 5.9 Anm.

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Eine kritische Analyse von „Leben“ in diesem empirischen psychologischen Sinn führt am Ende zur Formulierung des kategorischen Imperativs als apriorische Basis für ein moralisches „Leben“ des Menschen, das auf ein animal rationabile zugeschnitten ist, welches durch Gesetze des Begehrungsvermögens bestimmt sein kann, aber nicht bestimmt sein soll. Schon in den Erläuterungen zur Auflösung der dritten Antinomie in der KrV zeichnet Kant den Menschen als freies, durch reine praktische Vernunft in seinen Handlungen bestimmbares Wesen aus, doch „[b]ei der leblosen oder bloß thierisch belebten Natur finden wir keinen Grund, irgend ein Vermögen uns anders als bloß sinnlich bedingt zu denken. Allein der Mensch“71 ist durch Ideen bestimmbar. Das Leben des durch Vernunftideen bestimmbaren Menschen wird vom sinnlich bedingten Leben der Tiere und dieses wiederum vom leblosen Anorganischen hierarchisch klar geschieden. Wie steht es mit dem Leben der Tiere? Zwar hält Kant Abstand von der durch die cartesianische Automatentheorie ausgelösten breiten Tierseelendiskussion im 18. Jahrhundert,72 er bekennt sich aber in einer Reflexion zu Tieren als „automata spiritualia“, die monadenhafte Seelen haben können, die weder frei sind noch wie Maschinen determiniert sind.73 An anderer Stelle wird das „Leben“ der Tiere als „eine Absolute Einheit der sich selbst bewegenden Kraft einer Materie“ bestimmt, welche Einheit, Selbstbewegung und Spontaneität einschließt, und somit auch das Konzept von Epigenesis.74 Insgesamt muß wohl von begehrenden Tieren angenommen werden, daß sie nicht nur einen Seele, sondern auch ein „Leben“ haben. Kurz: Tiere sind nach Kant auf jeden Fall Organismen, die ein „Leben“ haben. Wie steht es schließlich mit Pflanzen? Wie bereits Kants Versuch darlegt, den „Baum“ als Prototyp eines Organismus auszuweisen, sind Pflanzen unbestritten „organisirte Körper“. Haben sie jedoch ein „Leben“ in dem bislang von Kant definierten Sinn? Würden Pflanzen ein „Leben“ gemäß seinen bisherigen Definitionen besitzen, müßten ihnen zumindest solche psychischen Momente zueigen sein, die Kant Menschen und Tieren zugesteht, wenngleich nicht in Aristotelisch71 KrV, A 546/B 574. 72 Metaphysik Dohna, AA 28.689 f. Vgl. dazu Baranzke 2002, 189; Narragon 1990 und Ingensiep 1996a. 73 Vgl. Refl. Met. 3855, AA 17.313. 74 Refl. Anthr. 1530, AA 15. 957. Vgl. Löw 1980, 165.

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scholastischer Manier einer anima vegetativa,75 doch entweder im Sinne der rationalen metaphysischen Psychologie im Geiste der LeibnizWolff-Schule oder im Sinne der empirischen Psychologie im Geiste von Locke und Hume. Wie vertrackt die Lage ist, zeigen diverse Äußerungen Kants zu Pflanzen. So spricht Kant zwar manchmal von einem inneren Leben der Pflanzen, doch Gefühle, Begehren oder Bewußtsein gesteht er den Pflanzen an keiner Stelle zu, obwohl er Kenntnis von der damals aufkommenden Diskussion über Irritabilität und Sensitivität bei Pflanzen hat.76 Doch bleibt festzuhalten: Kant spricht manchmal zwar auch vom „Leben“ der Pflanzen,77 verteidigt aber nirgendwo eine „Seele“ der Pflanzen, weder metaphysisch-monadologisch noch empirisch-psychologisch. Dennoch sind Pflanzen für Kant Prototypen des Organischen, was gleichfalls sein Ausspruch zum „Newton des Grashalms“ anzeigt. Insgesamt ist daher in systematischer Betrachtung zu schließen, daß Pflanzen kein eigentliches „Leben“ im oben definierten Sinn besitzen, weshalb sie in der definierten Bedeutung des Wortes auch keine Lebewesen sind. Wie die Analyse der Illustration des Organismusbegriffes bei Kant am Beispiel des Baumes zeigte, haben Pflanzen Anteil an den diversen Typen von Zeugung (Generation) und sind daher immer Organismen. Das systematische Resultat in Kürze ist daher: Pflanzen sind Organismen ohne Leben. Diese Interpretation und Grundzüge meiner Differenzierungen zu den Begriffen Organismus und Leben bei Kant werden aktuell im Rahmen einer Teleologieanalyse bestätigt. So betont etwa Zammito, daß Kant gerade in der Passage zum „Analogon des Lebens“ den metaphysischen Ballast andeutet und die Gefahr des Hylozoismus abwehren will.78 Doch schränkt Kant den Lebensbegriff offenbar mehr auf den Menschen ein, so daß mit Zammito die Frage berechtigt erscheint: „Is man the only living thing?“ Zammito hebt zudem hervor, das aristotelische Erbe werde bei Mensch, Tier und auch Pflanze erkennbar: 75 In Trume eines Geistersehers (1766) spricht Kant allerdings von einem „Principium des inneren Lebens“ bei Pflanzen, kritisiert aber die traditionelle Seelenstufenordnung im Organischen: „Die Alten glaubten nämlich dreierlei Art von Leben annehmen zu können, das pflanzenartige, das thierische und das vernünftige.“ (AA 2.331). 76 In seiner Physischen Geographie (1802) bemerkt Kant zu den Reaktionen der Mimosa pudica nach Blattberührung: „als wenn sie Empfindungen hätte“ (AA 9.364). 77 Vgl. OP, AA 21.196 und 22.510. 78 Zammito 2006, 761 – 764.

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„Thus, plants epitomize Kant’s conceptual discrimination of life from organisms“, und er gesteht ferner zu, der Begriff „organism is broader than life, and the failure of these two terms to have the same extension expresses the insufficiency Kant acknowledged in his ‘analogy of life’ for natural purpose.“ Doch Zammito geht zu weit, wenn er sagt: „Organism is a capital anomaly. It will not fit in Kant’s system of science, and yet without a good account of it, the system itself must in the end appear inadequate.“79 Gegen diese Interpretation ist nämlich festzuhalten, daß eine transzendentale als-ob-teleologische Epistemologie und der damit verbundene Begriff sowie die Methode des Organischen sehr wohl in Kants „system of science“ passen, daß diese Epistemologie allerdings auch von einer empirischen Bioontologie scharf zu unterscheiden ist, die beispielsweise das hypothetische Epigenesiskonzept Blumenbachs integriert. Ferner wäre davon eine unkritische Teleologiemetaphysik abzugrenzen, deren Erbe aber auch bei Kant im aristotelischscholastischen, substanzontologisch gefärbten Begriff des „Lebens“ durchschimmert. Vereinfachend kann man aus moderner Sicht summarisch festhalten, daß Kant einen „zoozentrischen“ (wenn nicht sogar einen „anthropozentrischen“) Lebensbegriff vertritt, da er das „Leben“ von Mensch und Tier von der Daseinsweise der Pflanzen deutlich abgrenzt. Ferner ist ihm jeglicher Hylozoismus bezüglich der anorganischen Materie fremd. Trotzdem folgt er in seiner empirischen und theoretischen Bioontologie noch verschiedenen Momenten der aristotelischen Seelenfunktionen und Seelenstufung in anima vegetativa, sensitiva bzw. rationalis, wenn es darum geht, auch über den Lebensbegriff eine Hierarchie im Organischen sowie in Abgrenzung zum Anorganischen zum Ausdruck zu bringen. Pflanzen bringen das Problem auf den Punkt, sofern sie einerseits Organismen sind, doch zugleich leblos wie die Materie und dennoch Modi der Generation zeigen, die einer besonderen organischen Kraft bedürfen, d. h. des Bildungstriebes bzw. der Epigenesis. Die Detailanalyse von Kants Organismusbegriff ergibt aus systematischer und empirisch-historischer Perspektive ferner, daß er heterogene Komponenten mit seiner Vorstellung von „Selbstorganisation“ im Organischen verbindet, die sich eng an zeitgenössisch Vorstellungen, wie z. B. diejenigen von Blumenbach, anlehnen bzw. daraus Anregungen schöpfen. Kants Begriff von Selbstorganisation ist auf sehr konkrete biologische Phänomene zugeschnitten, wie das Beispiel des 79 Ebd., 763 f.

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Baumes verdeutlicht, und schließt Ernährung, Wachstum, Regeneration und Fortpflanzung ein. Ein Schema ermöglicht, sich einige Aspekte in der Beziehung zwischen „Organismus“ und „Leben“ bei Kant zu vergegenwärtigen (Schema 4). Der Mensch als handelndes Lebewesen, das Tier als begehrendes Lebewesen werden klar mit einem Begriff von „Leben“ als innerem Bewegungsprinzip verbunden, während es nach Kant problematisch ist, den Pflanzen ein „Leben“ zuzuschreiben.

6. Zur aktuellen biophilosophischen und bioethischen Relevanz von Kants Analysen Ist Kants Biophilosophie für die aktuelle Biologie und Bioethik relevant? Aus der Perspektive moderner Biophilosophie mit Blick auf Kant ist zu beachten, daß es die totalitäre Vernunft-Idee des Organismus ist, die mit Fällen aus der empirischen Bioontologie konfrontiert wird. Dieser totalitäre transzendentale Anspruch des Begriffs vom Organismus wird besonders deutlich, wenn es bei Kant heißt: „Nichts in ihm ist umsonst, zwecklos, oder einem blinden Naturmechanism zuzuschreiben.“80 Dieser Totalitätsanspruch läßt sich bis zu einem gewissen Grade durch seine Verwendung als heuristisches Forschungsprinzip methodisch rechtfertigen. Denn will man beispielsweise die identische Erzeugung, partielle Regeneration oder die „Anomalie“ eines Organismus beurteilen, wird auch heute noch als Bedingung der Möglichkeit eines solchen Urteils ein apriorischer, aber regulativ als-ob-teleologischer Idealbegriff vorausgesetzt. Man denkt sich einen „Organismus“ als organisierte und sich selbst organisierende Zweck-Mittel-Ganzheit und definiert damit zumindest idealiter einen zentralen Gegenstand der Biologie, der realiter unendlich viele organisierte Einzelgegenstände unter sich begreift und zu klassifizieren vermag. Im transzendentalen und idealen als-ob-teleologischen Organismusbegriff wurzelt dessen heuristische Rolle, d. h. die methodische Möglichkeit, nach Zweckursachen für die jeweilig beschriebenen Phänomene, Veränderungen, Anomalien usw. zu suchen. Kants Organismusbegriff ist insofern methodisch immer noch ertragreich. Dennoch war der Organismusbegriff schon bei Kant nicht nur auf diese Rolle, d. h. auf eine Rechtfertigung biologischer Definitionen und 80 KdU § 66, AA 5.376.

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Methodik eingeschränkt, was nicht zuletzt auch der spätere spekulative Gebrauch des Begriffs im Opus postumum anzeigt, der von Neukantianern früh registriert wurde.81 Bereits in der Kritik der teleologischen Urteilskraft geht Kant weiter, wie die nachfolgenden Paragraphen zeigen. Auch die deutliche Formulierung in seiner Organismusdefinition, nichts „einem blinden Naturmechanism zuschreiben“ zu wollen, kann kritisch, aber auch dogmatisch gelesen werden. Diese Definition mag für die transzendentale Definition der Idee des Organismus zutreffen, aber nicht für die Wirklichkeit konkreter Organismen, d. h. für das weite Gegenstandsfeld der empirischen und theoretischen Biologie. Mit derartigen Formulierungen hat Kant ein Tor für die Hypothese einer quasi-newtonischen vitalen Kraft offengehalten, eben des Bildungstriebes bzw. einer Epigenesiskonzeption im Sinne Blumenbachs. Wie wir heute nach Darwin und angesichts moderner Biogenesetheorien leicht sagen können, geht Kant mit seinen Überlegungen zur theoretischen Bioontologie zu weit. Er gesteht zwar zu, daß bei Organismen, z. B. bei Tieren, manche Teile auch nach mechanischen Gesetzen begriffen werden können, aber deren Ursache müsse „immer teleologisch beurtheilt werden, so daß alles in ihm als organisirt betrachtet werden muß, und alles auch in gewisser Beziehung auf das Ding selbst wiederum Organ ist.“82 Diese Formel diente in Kants Zeiten als Beurteilungsprinzip für eine statische Morphologie, Anatomie und Physiologie, taugt aber nicht mehr für eine moderne dynamische und evolutionäre Biologie. Man ist zwar auch im „function talk“ auf einen Organismusbegriff angewiesen, doch geht man heute in der Biologie nicht mehr von fixen Organismen oder Arten aus, sondern letztlich von einem „Newton des Grashalms“, der die Phylogenese und Ontogenese als dynamisches Naturgeschehen begreift. Für die moderne Biophilosophie sind Kants Analysen daher nur bedingt tauglich. Kann aus Kants biophilosophischen Analysen etwas für die Bioethik gewonnen werden? Kants systematische Unterscheidung zwischen Organismus und Leben führt nicht nur auf aktuelle bioethische Probleme, sie führt auch in die Nähe eines utilitaristischen Lebensbegriffes. Was ist gemeint? 83 Reduziert man „Leben“ auf psychisches „Erleben“ und koppelt den Lebensbegriff an die Psyche eines Individuums und dessen Interessen oder Streben nach Glück, dann wird man – wie es 81 Vgl. Heimsoeth 1940. Dazu auch Ingensiep 1996b. 82 KdU § 66, AA 5.377. 83 Vgl. ausführlicher Ingensiep 2004.

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heute nicht nur im ethischen Utilitarismus geschieht – den meisten Menschen und höheren Tieren ein vollwertiges „Leben“ zugestehen, nicht aber niederen Tieren und Pflanzen. Karim Akerma unterscheidet in dieser Weise anläßlich bioethischer Probleme mit dem menschlichen Embryo oder Hirntod zwischen „Organismus“ und „Leben“.84 Und neuerdings wird Kants Analyse auch für die Klärung des biophilosophischen Status von Pflanzen hinzugezogen.85 Nach Akerma sollte terminologisch genau zwischen „der Tötung von Lebewesen“ und der „Zerstörung von Organismen“ unterschieden werden.86 Die „ontische Differenz“ zwischen Tier und Pflanze, zwischen „Organismus“ und „Lebewesen“, wird damit für die ethische Differenz im moralischen Status von Tier und Pflanze ausschlaggebend, da „Organismen“ nur nach dem „Funktionsprinzip“, „Lebewesen“ aber nach dem „Bewußtseinsprinzip“ beurteilt werden. In der modernen Bio(!)ethik ist dieser am „Erleben“ orientierte Lebensbegriff, zumindest in der utilitaristischen Version von Peter Singers pathozentrischem Präferenzutilitarimus höchst relevant,87 denn die Fähigkeit, Gefühle, Begehren oder einen bewußten Willen zu haben, spielt eine zentrale Rolle und eröffnet erst die ethische Berücksichtigung im utilitaristischen Interessenkalkül. Vor diesem ethischen Hintergrund erscheint es dann nur als konsequent, daß man auch bestimmte menschliche Daseinszustände – z. B. die des frühen menschlichen Embryos oder eines kranken Menschen im sog. „Wachkoma“ (persistent vegetativ status) populär als human vegetable bezeichnet – nicht nur sprachlich, sondern auch ontologisch auf eine moralische Stufe mit Pflanzen stellt, die dann ebenso nur noch als „Organismen“ aber nicht mehr als „Lebewesen“ gelten.88 Jedoch geht Akerma in diesem Zusammenhang zu weit in der Annahme, daß Kants systematische Unterscheidung durchgehend konsequent auch im Hinblick auf Pflanzen vorliegt und zudem ethisch relevant ist.89 Was den Status eines „human vegetable“ und den Lebensbegriff angeht, ist weiteres zu bedenken. Heute gelten die traditionellen Funktionen der anima vegetativa – Ernährung, Wachstum und Fortpflanzung 84 85 86 87 88 89

Vgl. Akerma 2006. Vgl. Ebd., 268 – 274. Ebd., 268. Vgl. Singer 1994. Vgl. Akerma 2000. Akermas Darstellung zu Kant enthält diverse Mißverständnisse, ferner dasjenige, ich sei ein „Apologet der Pflanzenseele“ (Akerma 2006, 271).

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– als rein physiologische Prozesse, die nach physikochemischen Gesetzen und ohne jede psyche oder besondere Vitalkraft erklärt werden. So betrachtet fällt ein human vegetable und eine Pflanze auf die gleiche Stufe einer organischen Maschinerie, die nur noch metaphorisch, nicht aber wirklich über ein inneres Erleben und damit über ein anzuerkennendes „Leben“ verfügt. Solche „Organismen“ funktionieren, verfügen aber über kein „Leben“, zumindest nicht gemäß der Zwei-Klassen-Moral im pathozentrischen Utilitarismus, geschieden durch einen „boundary of sentience“. Doch diverse klare Unterschiede zu Kants Ansatz sind hervorzuheben, hier nur ein theoretischer sowie ein praktischer. Die theoretische Analyse zeigte, daß Kants Begriffe von Organismus und Epigenesis aus der Perspektive einer drittpersonal zugeschriebenen und objektzentrierten, d. h. materialen inneren Zweckmäßigkeit formuliert werden. Die enge Verknüpfung beider Konzepte macht Kant zu schaffen, auch wenn er den Zweckbegriff eindeutig in die Vernunft des Subjekts zurückverlagert und damit in eine intentionale, erstpersonale Instanz. Denn bei Definitionen der Lebensbegriffe nimmt Kant offenkundig die erstpersonale, subjektzentrierte Perspektive des Fühlens, Erlebens, Wollens und Handelns ein. Denn er bindet das „Leben“ an einen internen subjektiven Zustand, der nur in der Zeit psychisch, aber nicht extern raumzeitlich und materiell in Erscheinung tritt. Insofern liegt es im Interesse der theoretischen biophilosophischen Analyse, den Lebensbegriff vom Organismusbegriff deutlicher abzukoppeln. Was den moralischen Status des ,Vegetierens‘ angeht, soll nicht unerwähnt bleiben, daß Kant diesen Zustand beim Menschen im Zeitgeist des 18. Jahrhunderts auch als pejorativen Wertbegriff kennt, und zwar schon in dem Frühwerk Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels (1755). Hier werden nicht nur kosmologische, sondern auch moralanthropologische Vorstellungen durch eine Pflanzenmetaphorik verdeutlicht: „Wenn man das Leben der meisten Menschen ansieht: so scheint diese Creatur geschaffen zu sein, um wie eine Pflanze Saft in sich zu ziehen und zu wachsen, sein Geschlecht fortzusetzen, endlich alt zu werden und zu sterben.“90 In ethisch-praktischer Hinsicht sind solche Vergleiche allerdings nicht konstitutiv. In der späten Schrift Streit der Fakultten (1798) taucht erneut eine Pflanzen-Analogie auf und wird dort metaphorisch für das Leben des alternden, geschwächten, geschäftsunfähigen Menschen eingesetzt, der „gleichsam nur in einer niedrigeren Stufe (als vegetirendes Wesen) zu leben gesteht, nämlich 90 Allg. Naturgeschichte, AA 1.356.

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essen, gehen und schlafen zu können, was für seine animalische Existenz gesund, für die bürgerliche (zu öffentlichen Geschäften verpflichtete) Existenz aber krank, d.i. invalid, heißt: so widerspricht sich dieser Candidat des Todes hiemit gar nicht.“91 Hier bezieht sich diese vegetative Metapher auf einen animalischen Zustand, also auf die Seinsweise eines Tieres. Kants Lebensbegriff ist moralisch nicht konstitutiv wie derjenige im modernen Utilitarismus, vielmehr wird dieses organische „Leben“ zum Gegenstand einer kritischen ethischen Analyse gemacht. Kurz: nicht „Leben“ im Sinne von „Erleben“ ist an sich gut, nur weil man etwas erlebt, d. h. weil ein bestimmter subjektiver Seinszustand oder Prozeß vorliegt, sondern dieses „Leben“ unterliegt einer gesinnungsethischen 91 AA 7.114.

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Bewertung gemäß dem Maßstab des Ideals des kategorischen Imperativs bzw. des Respekts vor einer Person als eines Zweckes-an-sich-selbst. Moralisch gut ist für Kant die Maxime, die aus Respekt für personale Subjektivität zu einem vernünftigen Projekt einer Humanisierung, Zivilisierung und Moralisierung des Menschen in der Welt beiträgt. Diesen hier nur angedeuteten Punkt muß man im Auge haben, wenn man glaubt, den Begriff des „Organismus“ vom Begriff des „Lebens“ systematisch abkoppeln zu müssen. Hier liegt also tatsächlich ein wichtiger Unterschied zwischen der Kantischen und der utilitaristischen Sicht des Lebens.92

92 Vor diesem Hintergrund wäre es interessant, die Geschichte der Bedeutung bzw. des Doppelsinnes des Wortes „Leben“ im 18. Jahrhundert vor und nach Kant im Hinblick auf Pflanzen und Menschen weiter zu verfolgen. So findet sich bereits bei Crusius in seinem Entwurf der nothwendigen Vernunftwahrheiten (1745) eine aufschlußreiche Passage, in der kritisiert wird, daß man von Pflanzen und Bäumen sagt, daß sie leben, vielmehr handele es sich aber hierbei nur um eine tropische Anwendung des Wortes „Leben“. Vgl. Akerma 2000, 141 f.; Akerma 2006, 267 f. und Ingensiep 2004, 134 f. Auch Gottfried Reinhold Treviranus bemerkt in seiner Biologie, oder Philosophie der lebenden

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Kant on Vital Forces.1 Metaphysical Concerns versus Scientific Practice Hein van den Berg Abstract: It is generally believed that Kant’s regulative conception of teleology should imply the denial of the scientific legitimacy of biological hypotheses invoking vital forces. This raises the question why Kant did not in fact reject such hypotheses. In this paper I will encounter this question by strictly distinguishing between the scientific context in which the concept ‘vital force’ was employed and possible metaphysical interpretations of this concept. Kant often criticizes such metaphysical interpretations but his critique does not concern the question whether the concept ‘vital force’ has a legitimate scientific use. Interestingly, this particular conception of vital forces is articulated quite clearly in the Opus postumum.

1. Introduction In this paper I will address Kant’s views on vital forces, or to employ the German term: Lebenskrfte. More specifically, I will consider the question whether Kant took hypotheses assuming the existence of vital forces to be scientifically legitimate. This question has come to the fore within recent research concerning the relationship between Kant’s views on biology and the biological developments within the late 18th century.2 The significance of this question derives from the fact that, although Kant was a keen observer of developments within the biological disciplines, it is doubtful whether Kant’s views on the 1

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Research on this project was conducted within the project “The Quest for the System in the Transcendental Philosophy of Immanuel Kant”, subsided by the Netherlands Organization of Scientific Research (nwo) and supervised by Ernst-Otto Onnasch. One of the first to have dealt with this question is Timothy Lenoir, who has stressed the similarities between Kant’s philosophy of biology and the research of the members of, what he calls, the Göttingen school of biology. Cf. Lenoir 1980, 77 – 108 and 1981, 111 – 205. Lenoir’s views have been criticized by those stressing the differences between Kant’s philosophical views and the biological practice in late eighteenth-century Germany. Cf. Caneva 1990, 291 – 300 and Richards 2000, 11 – 32.

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method of biology harmonize with the practice of the life scientists in his time. In particular, it is the question whether Kant’s regulative conception of teleology allows him to make sense of the concept of vital force, which was a fundamental notion within the contemporary biological disciplines. Kant’s conviction that natural phenomena only allow of mechanical explanation seems to imply the indictment of any theory based on the concept of vital force as a form of unscientific vitalism. Hence, there seems to exist a profound difference between Kant’s views on scientific method and that entertained by his contemporary biological theorists. In the present paper I wish to argue that this view on the relationship between Kant’s conception of biology and that of his contemporary biologist is one-sided. It is one-sided for two reasons. First, in his critical period Kant does not explicitly point his “regulative guns” at the concept of vital force. If we analyze some of the few passages in Kant’s work in which he explicitly deals with the concept of vital force, it becomes clear that they do not imply an outright rejection of this concept. Rather, Kant is concerned with criticizing those who employ this concept within a metaphysical context. This critique does not have any significant bearing on the question whether the concept of vital force can have a legitimate scientific use. Second, if we consider Kant’s reflections on organic nature contained in the Opus postumum, we will see that Kant takes hypotheses concerning vital forces to be essential to biological inquiry. Thus, at least at the end of his life, Kant recognized the foundational role of the concept of vital force within biological theories. I will argue that Kant, in his late reflections, introduces a concept of vital force similar to that developed by Johann Friedrich Blumenbach. In the Opus postumum, Kant thus adopted a stance on vital forces that is considerably closer to that held by some biologists of his time than is sometimes believed. In the first section of this paper I will, basing myself on the works of Blumenbach, sketch the biological context in which the notion of a vital force was employed. The second section will contain a short account of the difficulties involved in reconciling the notion of a vital force with Kant’s regulative conception of teleology. In the third and fourth section, I will consider two episodes of Kant’s thought which contain an explicit criticism of the assumption of the existence of vital forces: Kant’s quarrel with Johann Gottfried Herder concerning the notion of vital force, and his rejection of hylozoism contained in the third Cri-

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tique. In the final section I will then discuss Kant’s use of the concept of vital force in the Opus postumum.

2. Blumenbach on Bildungstrieb and vital force In order to understand Kant’s stance on vital forces, we must first come to terms with the notion of vital force as it was employed within the biological disciplines of his time. It is, however, impossible to identify a definitive theory of vital force in this period. The notion of a vital force was the subject of considerable controversy and different biologists interpreted this notion in different ways, also employing various concepts, e. g., ‘vital force’, ‘organic force’ or even ‘genetic force’, to characterize these forces.3 In the following, I will focus on the influential conception of vital forces as developed by Johann Friedrich Blumenbach. My reasons for focusing on Blumenbach are twofold: (i) Kant was familiar with the work of Blumenbach, which are therefore an important point of reference for determining Kant’s views on vital forces; (ii) Blumenbach’s biological research significantly influenced the inquiries of his contemporaries, including his many students at Göttingen.4 Hence, Blumenbach’s conception of vital forces was dominant, although, to be sure, not universally accepted. We can understand Blumenbach’s views on vital forces through his conception of Bildungstrieb. In his treatise ber den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschfte, first published in 17815, Blumenbach introduced the concept of Bildungstrieb while developing an epigenetic theory of organic generation. This theory was based on a rejection of preformationist theories, in particular Haller’s theory, who understood embryological 3 4

5

All of these concepts will enter my discussion at some stage. I employ Blumenbach’s notion of Lebenskrfte, functioning as a general denominator for particular forces efficacious within the domain of organic bodies. Blumenbach’s students included (to name only a few): Alexander von Humboldt, Carl Friedrich Kielmeyer, Heinrich Friedrich Link, Gottfried Reinhold Treviranus and Christoph Girtanner. On the possible influence of Kant’s philosophy of biology on these biologists, see Lenoir 1981, 111 – 205. It is important to note that Kant was familiar with the second edition of ber den Bildungstrieb, published in 1789. I have consulted the third edition of 1791, which, according to Blumenbach himself, provided a more thorough exposition of the doctrine expounded in his earlier two tracts. Blumenbach 1791, 5 – 6. Blumenbach first published his ideas on Bildungstrieb 1780 in the Gçttingisches Magazin der Wissenschaften und Litteratur.

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development as the unfolding of preformed embryonic parts contained in preexisting germs.6 Blumenbach, by contrast, endorsed an epigenetic theory, according to which the organization of the embryo developed from a not yet organized mass.7 In order to explain the possibility of epigenesis, Blumenbach postulated the existence of a formative force, the Bildungstrieb (nisus formativus), which directed the formation of the embryo out of homogeneous seminal material. In order to understand Blumenbach’s arguments for the existence of the Bildungstrieb, it is important that we do not understand preformationism and epigenesis as merely embryological theories. The scope of these theories is broader, since both provide a framework for understanding what we might call various types of organic generation, also including (for instance) organic regeneration, nutrition and growth. How did Blumenbach come to the notion of a Bildungstrieb? In the first section of his treatise, Blumenbach stated that the observation of various instances of organic regeneration, such as the regeneration of the cut-off parts of a polyp, led him to conclude: That no preformed germs preexist. But that in the previously raw unformed generative material of organized bodies, after it has reached its maturity and place of destination, a particular life-long drive becomes active. This drive initially bestows on bodies their form, then preserves it, and, if they become injured, where possible restores their form. This is a drive which consequently belongs to the vital forces, but which is also clearly different from both the other kinds [Arten] of vital force of organized bodies (of contractility, irritability, sensibility etc.) and from the universal physical forces of bodies in general. It appears to be the first important force for all generation, nutrition and reproduction, and, in order to distinguish it from other vital forces, one can designate it with the name of Bildungstrieb (nisus formativus).8

This passage contains Blumenbach’s most explicit description of the Bildungstrieb. The Bildungstrieb is understood as a first cause of organic form, whose continuous efficacy helps to preserve the form and vitality of organisms. The assumption of such a first cause allows us to understand the possibility of epigenetic embryological development. In addition, Blumenbach distinguishes between vital and physical forces, and between 6 7 8

Blumenbach 1791, 22 – 25. For extensive discussion of Blumenbach’s concept of Bildungstrieb, to which my account is indebted, see Lenoir 1980, 82 – 87 and Richards 2000, 16 – 21. Ibid., 13 – 14. Blumenbach 1791, 31 f. [my translation].

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different types of vital force. In the following, I will (i) describe how Blumenbach inferred the existence of the Bildungstrieb, (ii) consider the distinction between mechanical (physical) and vital forces, and (iii) consider the distinction between various types of vital forces. Points (i)-(iii) will allow us to give a general characterization of the manner in which Blumenbach conceptualized Lebenskrfte, which will provide useful in determining Kant’s views on vital forces. (i) In his treatise on the Bildungstrieb, Blumenbach provided many observations, such as instances of organic regeneration, confirming the existence of this particular force.9 However, the hypothesis of the Bildungstrieb was mainly taken to be justified because it accounted for empirical observations that could not be handled by alternative preformationist theories. A simple example can illustrate this point. Blumenbach argued that preformationism could not account for the regenerative capacities possessed by organisms.10 On the preformationist account, the regeneration of the parts of, for instance, a polyp, is explained by postulating the existence of a variety of encased germs distributed throughout its parts. These germs lie dormant in the polyp until external causes trigger them to develop themselves, thus regenerating the lost or injured parts. Blumenbach rejected this hypothesis upon his observation that when half a green polyp and half a brown polyp are put in a glass they come together, forming a ‘chimera’ of different animal kinds.11 This case shows that, contrary to what the preformationist account implies, the regeneration of organisms does not always proceed by the formation of new organic material. Rather, organisms have a self-maintaining capacity enabling them to restore their initial organization.12 The regenerative processes characteristic of organisms, could, according to Blumenbach, be best understood by postulating the existence of a Bildungstrieb. This argument justifies us in assuming the existence of the Bildungstrieb. 9 Blumenbach 1791, 74 – 76 and 66 – 69, cited many observations disconfirming the preformationist account of generation. For example, he argued that the generation of hybrids and the fact that in the early stages after fertilization one cannot observe any specific organic structure in the human embryo or in chicken eggs, provided empirical evidence against the theory of preformationism. Cf. Richards 2000, 19. 10 Ibid., 93 – 95. 11 Ibid., 94 f. 12 Ibid., 97.

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In order to establish the claim that the Bildungstrieb is also responsible for the formation of embryo’s, Blumenbach took recourse to the assumption that generation, nutrition and regeneration are modifications of a single force, i. e., they are processes of the same kind.13 Given this assumption, the possibility of explaining the regeneration of organisms in terms of the Bildungstrieb also provided evidence for the claim that this force was responsible for the formation of embryos (and thus, finally, for the truth of epigenesis). The general argumentative strategy of Blumenbach can accordingly be described as follows. After citing numerous observations disconfirming preformationism, Blumenbach highlighted empirical evidence concerning the generation, nutrition and regeneration of organisms, which seemed to be best explained by the efficacy of the Bildungstrieb. Given that these processes are of the same kind, one could not help to conclude that the Bildungstrieb existed. In modern terms, one might describe Blumenbach’s argument as an inference to the best explanation. However, Blumenbach himself simply took his account of organic generation, framed in terms of the Bildungstrieb, to be better empirically supported than any alternative preformationist theory. (ii) In his definition of the Bildungstrieb, Blumenbach distinguishes this force from the physical forces of bodies in general. The distinction between vital forces, conceived of as causes of vital properties of organisms, and physical or mechanical forces, conceived of as causes of properties possessed by both inorganic and organic bodies, constituted a central element of Blumenbach’s thought. In his Institutiones physiologicae, first published in 1787,14 Blumenbach argued that all bodies are subject to physical or chemical forces. However, according to Blumenbach organic bodies also possess properties, i. e., vital properties, that are completely different from the properties of inorganic bodies, and which cannot be accounted for in terms of chemical and physical laws.15 He illustrates this point by referring to the problem of Gian Alfonso Borrelli (1608 – 1679), according to which a dead muscle would be “broken asunder by the very same weight, which, if alive, it could easily 13 Ibid., 192. The crucial assumption that generation, nutrition and regeneration are modifications of the same force was already emphasized by Blumenbach in his first article on the Bildungstrieb. Blumenbach 1780, 252. 14 Due to lack of availability, I have consulted an English translation by John Elliotson of the third edition of 1810, published in 1817. Blumenbach’s Institutiones physiologicae is instructively discussed by Larson 1979, 236 – 241. 15 Blumenbach 1817, 16 f.

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raise”.16 In order to explain the existence of vital properties possessed solely by organisms, Blumenbach assumed the existence of vital powers. Thus, it is the fact that organisms exhibit effects which cannot be explained mechanically, which justifies the postulation of vital forces in order to account for these effects. This rationale for assuming the existence of vital forces was not only given by Blumenbach, but was adopted by many physiologists in the late eighteenth century. Since the existence of vital forces is assumed to account for vital properties possessed solely by organisms, the former are conceived to be efficacious only within the domain of organic bodies. Blumenbach emphasizes this point in ber den Bildungstrieb, where he states that the Bildungstrieb cannot even be thought to exist within the realm of non-living nature. As such, his conception of vital forces is based on the idea that there is a strict distinction between the domains of the organic and the inorganic. As Blumenbach puts it himself: “One can not be more deeply convinced of something than I am of the mighty gap that nature has set up between animate and inanimate creation, between organic and inorganic creatures.”17 (iii) The last aspect of Blumenbach’s conception of vital forces that I will consider concerns his views on the different kinds of vital forces. We have seen that Blumenbach distinguished the Bildunsgtrieb from other vital forces, such as contractility, irritability and sensibility. The distinction between various types of vital forces allowed him to give a systematic account of a variety of organic phenomena. As Blumenbach explained in his Institutiones physiologicae, the variety of empirically discernable vital properties of organisms must be accounted for by establishing distinct orders of vital forces.18 He specified three classes of vital properties: (i) organic formation, (ii) motion of the parts of organisms, (iii) sensation. 19 The possibility of organic formation is understood by postulating the existence of the Bildungstrieb, which directs the formation of organisms into a determinate structure. The vital forces invoked to explain the motion of the parts of organisms are divided into common and proper forces. Common vital forces belong to widely distributed, yet similar parts of an organism, i. e., to tissues, while proper vital forces belong to individual organs. Blumenbach provides two examples of com16 17 18 19

Ibid. Blumenbach 1817, 79 f. Ibid, 18. See also Larson 1979, 237 – 238. Blumenbach 1817, 18.

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mon vital forces: (a) contractility (vis cellulosa), which animates the mucous tissue and causes the distribution of fluids within the lymphatic system; (b) irritability (vis muscularis), the force pertaining to the muscular tissue responsible for the capacity of the muscles to respond to stimuli by means of contraction.20 Blumenbach also specified motions of individual organs of the living body, so-called peculiar motions, which could not be accounted for in terms of contractility or irritability. These peculiar motions were understood by positing the existence of proper forces possessed by individual organs and designated by the name of vitae propriae. Finally, Blumenbach posited sensibility (vis nervea) as a force pertaining to the nerves, which enabled the possibility of sensation upon stimulation of the nerves.21 The order in which these vital forces were enumerated was, according to Blumenbach, identical to the order in which these forces arise during embryogenesis. Thus, before we can determine the existence of a new embryo, the Bildungstrieb, as a cause of the formation of the embryo, must be efficacious. In the successive developmental stages of the embryo, contractility, irritability and the vitae propria are added, until, after birth, the new born infant acquires sensibility and the capacity for perception.22 Blumenbach also argued that the established order of vital forces corresponds to the order in which these forces are distributed to organisms within a biological kingdom or domain.23 For example, the Bildungstrieb, as the cause of organic form in general, is common to all organisms and is responsible for those characteristics which distinguish organic from inorganic bodies. Irritability and sensibility, by contrast, are peculiar to the domain of animals. Blumenbach’s attempt to establish distinct orders of vital forces illustrates the manner in which he attempted to establish a systematic physiology. Moreover, the fact that Blumenbach employed his table of vital forces to give a developmental account of embryogenesis, and specifies biological kingdoms according to this table, highlights the attempt to extend his theory of vital forces to different domains of biological inquiry. As such, Blumenbach’s formulation of a system of vital forces constituted an attempt to construct a general model of biological explanation. 20 21 22 23

Ibid., 18 f. Ibid, 20. Ibid. Ibid.

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The enterprise of providing a unified account of biological phenomena by means of the notion of vital force was, of course, not peculiar to the work of Blumenbach. Famously, Carl Friedrich Kielmeyer (1765 – 1844), in his published lecture on “Organic forces”24, constructed a table of vital or organic forces, tried to establish quantitative laws concerning these forces, and employed these laws in order to account for the development of the embryo, as well as the transformation and origin of species. The prospect of finding a unified account of different biological phenomena thus constituted another important incentive for adopting the notion of vital force.

3. Vital force and Kant’s regulative teleology We can summarize the conclusions obtained from our analysis of Blumenbach’s conception of vital forces as follows: (i) Blumenbach posited the existence of vital forces because he thought they enabled him to give a better account of organic phenomena than alternative ‘mechanistic’ accounts; (ii) vital forces must be distinguished from physical forces and are efficacious only within the domain of organic bodies; (iii) the method of distinguishing distinct orders of vital forces enables one to give a unified account of a range of different biological phenomena. Formulated in this manner, the notion of a vital force does not seem to be problematic from a Kantian perspective. Nevertheless, many modern commentators think that Kant could not have consistently adopted this notion.25 The problem, in a nutshell, is that it is difficult to understand how the existence of vital forces can be assumed if one adopts Kant’s regulative doctrine of teleology. According to Kant, one is entitled to make a regulative use of teleological principles in order to understand the purposeful organization of organisms. However, one is not justified to assume that organisms are actually produced or constituted by teleological causes. As products of nature, organisms must be considered to be the result of mechanical causes governing natural phenomena.26 Such a conception seems to be in conflict with Blumenbach’s conception of vital forces. Blumenbach postulated the Bildungstrieb in 24 Kielmeyer, 1793. On Kielmeyer, cf. Richards 2002, 238 – 251. 25 The problem is most clearly stated by Richards, 2000, 26 – 32. His thesis is now generally accepted, cf. Beiser 2006, 13 f., and Zammito 2006, 765. 26 Cf. AA 5.383.

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order to explain the possibility of epigenesis, and construes the former as a teleological force directing the formation of organisms. As such, the Bildungstrieb is endowed with a determinate causal efficacy, which is inconsistent with interpreting the Bildungstrieb as a regulative principle. Thus, it seems to follow from Kant’s regulative conception of teleology that he should have rejected any hypothesis affirming the existence of vital forces. I take this implication to hold. Nevertheless, if one takes a look at some of the rare occasions on which Kant actually comments on the notion of a vital force, it becomes clear that his own position is not so clear cut. In the following I will discuss two of these passages: Kant’s critique of Herder’s notion of vital force, contained in the reviews of Herder’s Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, and Kant’s critique of hylozoism, contained in the “Dialectic of the Teleological power of Judgment” of the third Critique.

4. Kant’s critique of Herder Kant’s reviews of Herder’s Ideen, which appeared in the Allgemeine Literatur-Zeitung in January and November 1785, are famous for their attack on the latter’s conception of living or organic forces.27 According to Kant, Herder’s hypothesis of organic forces boils down to an attempt to “explain that which is not understood in terms of what is understood even less”.28 In addition, Kant sharply criticized Herder’s notion of a genetic force (genetische Kraft), a single force construed as the principle of all organic formation in nature, claiming that “the unity of organic force […] is an idea which is entirely outside the field of empirical natural science and belongs merely to speculative philosophy”.29 In this manner, Herder’s conception of organic forces was dismissed as the fruit of dogmatic metaphysical speculation. One can identify two main lines of criticism in Kant’s reviews of Herder. First, Kant rejects the metaphysical conclusions which Herder draws on the basis of his conception of 27 I have greatly benefited from John Zammito’s insightful analysis of the KantHerder controversy. Zammito 1992, 189 – 213. However, I do not share his view that Kant’s stance towards the (biological) sciences is profoundly reactionary. For Zammito’s views on the relationship between Kant’s philosophy of biology and the views entertained by his contemporary biologists, see also Zammito 2003, 73 – 109 and 2006, 754 – 764. 28 Rez. Ideen, AA 8.53. 29 Ibid., 54.

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organic forces. Second, Kant rejects the transformationist implications of Herder’s conception of organic forces. Let us start with the first line of criticism. In his review of the first volume of Herder’s Ideen, Kant describes the aim of Herder’s work as follows: The spiritual nature of the human soul, its persistence and increasing perfection, are to be demonstrated by analogy with the natural forms of matter, particularly in their organization, without the help of any metaphysical investigations.30

Kant reconstructs Herder’s argument for the persistence or immortality of the soul in the following manner: the observable similarities between different types of species led Herder to assume the existence of a vivifying force (belebende Kraft), later described as a genetic force,31 which is the cause of all organization in nature. According to Kant, Herder ascribed the following functions to this vivifying force: (i) it guides the formation of all organisms in nature, including (presumably) the formation of organic bodies from inorganic material;32 (ii) it is the cause of the transformation of species; and (iii) it is aimed at the realization of human nature.33 As such, this force is conceived to be the cause of a continuous progression of species, a progression which cannot end with the death of man and thus provides evidence for the immortality of the human soul. Herder thus infers the immortality of the soul on the basis of an analogy with the continuous gradation of organisms. Kant reject’s this analogy.34 According to Kant, the hierarchy of species that we observe in nature might provide evidence for the existence of a species possessing a higher organization than mankind, but does not justify metaphysical claims concerning the immortality of the human soul. In general, Kant criticizes Herder’s method of invoking presumed empirical facts in order to decide metaphysical questions.35 Herder’s use of conception of a vivifying force constitutes a prime example. This brings us to the second line of criticism, which must be understood within the context of the debate between preformationism and epigenesis. In the first part of the Ideen, Herder introduced the notion 30 31 32 33 34 35

Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid., Ibid.

53. 59. 46 f. 49. 53.

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of organic force while discussing the epigenetic theory of embryological development. Basing himself on the theories of William Harvey (1578 – 1657) and Caspar Friedrich Wolff (1733 – 1794), he claimed that the gradual organization of the embryo out of unformed matter is guided by the action of an inherent organic force. Herder’s acceptance of epigenesis thus lead him to adopt the notion of organic force. The notion of a genetic force can be conceived of as a generalization of the concept of organic force introduced to explain embryogenesis.36 Kant was fully aware of the biological context in which Herder developed his notion of organic force. In his first review, Kant noted that Herder rejected the assumption of preformed germs (Keime),37 i. e., the theoretical entities assumed within Haller’s preformationism. In contrast to Herder, however, Kant attempted to mediate between epigenesis and preformationism. It was precisely his adoption of the notion of pre-existent germs (Keime), in conjunction with the notion of predispositions (Anlagen), which allowed Kant to articulate an intermediate position. Germs were construed as species-specific entities, accounting for a specific set of physical properties displayed by the members of the species. In addition, germs were taken to determine the range of possibilities within which organisms can develop their structure. Predispositions were construed as variable adaptive mechanisms manifesting themselves under environmental conditions, thus accounting for the variety of traits among members of a species.38 Postulating predispositions implied a rejection of a strong form of preformationism, since the organization of individual organisms is not taken to be completely preformed. Nevertheless, since germs determine the limits within which organisms can attain a specific structure, the structure of organisms is preformed to a certain extent. Thus, in contrast to Herder, Kant did not advocate an outright rejection of preformationism. This becomes clear in his review of the second volume of the Ideen: As the reviewer understands it, the sense in which the author uses this expression [genetische Kraft] is as follows. He wishes to reject the system of evolution on the one hand, but also the purely mechanical influence of external causes on the other, as unsuitable explanatory grounds. He assumes 36 Cf. Sloan 2002, 242 f. 37 Rez. Ideen, AA 8.50. 38 This account of Keime and Anlagen is distilled from Kant’s Von den verschiedenen Racen, AA 2.429 – 443; and his “Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace”, which appeared in the Berlinische Monatsschrift, November 1785, AA 8.91 – 106. Sloan 2002, 242 – 244 provides a thorough historical analysis of these notions.

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that the cause of such [climactic] differences is a vital principle which modifies itself from within in accordance with variations in external circumstances, and in a manner appropriate to these. The reviewer is fully in agreement with him here, but with this reservation: if the cause which organizes from within were limited by its nature to only a certain number and degree of differences in the development of the creature which it organizes (according to whose execution [Ausrichtung] it would not also be free to form another type in different circumstances) one could well call this natural determination of formative nature germs or original predispositions, without thereby regarding the former as originally implanted and only occasionally unfolding mechanisms or buds (as in the system of evolution). Rather, germs are mere, not further explicable limitations on a self-structuring capacity […].39

In this passage, Kant agrees with Herder in rejecting two influential accounts of the existence of varieties within a species (e. g., the existence of different races). According to the theory of individual preformationism, i. e., Bonnet’s theory of embotement, embryological development is understood as the evolution of an embryo contained in germs originally created by God. This embryo, in turn, contained the germs of all of its descendents. Such a theory seemed to imply that the traits exhibited by offspring cannot significantly differ from those possessed by their ancestors. The natural solution to this problem is to argue that varieties within species are the result of mechanical influences, e. g., variation in climate and nutrition. However, Kant argued that the appeal to environmental factors does not sufficiently explain the existence of varieties, since it does not allow us to understand how different traits within a species are hereditable.40 It is, however, only on the basis of hereditary traits that we can determinately distinguish various classes within a species.41 For this reason, Kant agrees with Herder’s rejection of individual preformationism and the purely mechanical or ‘environmentalist’ account of varieties. The main difference between Kant and Herder is, as Zammito has shown, contained in Kant’s commitment to the existence of germs (Keime) 42, an assumption which, as already noted, Herder rejected. In reaction to Herder’s account of variation within a species, Kant empha39 Rez. Ideen, AA 8.62 f. This passage is a translators nightmare. I have employed and adapted two (very different) translations given by Nisbet and Sloan, cf. Kant 1991, 201 – 220 and Sloan 2002, 243 f. 40 Von den verschiedenen Racen, AA 2.435. 41 Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace, AA 8.99. 42 Cf. Zammito 2003, 86.

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sized that the formative capacity of a genetic force should be limited, so that it would not be free to “work from another type under altered circumstances”. In other words, Kant wanted to place the ontogenetic development of organisms within specific limits, in order to exclude the possibility of a transformation or evolution (in the modern sense) of species. It is precisely the hypothesis of germs that excludes this possibility. Herder, by contrast, explained the existence of varieties in terms of the modified action of the genetic force caused by changing environmental conditions. Since the action of the genetic force is not restricted in any way, the ability of organisms to adapt to environmental conditions is unlimited. Herder’s account thus allowed for the possibility that varying environmental causes could lead to a transformation of species.43 Kant invoked his specific version of preformationism against Herder precisely to exclude this possibility and to guarantee the constancy of species. In conclusion, we can note that Kant criticized Herder’s notion of a genetic force because (i) Kant rejected Herder’s attempt to draw metaphysical conclusions from this notion, and (ii) Kant rejected the transformationist implications of the notion of a genetic force. The first rejection is related to Kant’s conception of proper philosophical method, according to which one cannot decide metaphysical issues on empirical grounds. The second objection is based on Kant’s commitment to the fixity of species. As such, Kant’s critique of Herder does not have any significant bearing on the question whether hypotheses concerning vital forces can be legitimately entertained within biological inquiry. Kant’s critique of Herder is directed against the untenable implications which result from Herder’s employment of the notion of a genetic force, and not to the notion of a vital force as such.

5. Kant’s critique of hylozoism Now that we have discussed Kant’s critique of Herder’s notion of a genetic force, we can turn our attention to Kant’s argument against hylozoism presented in the Dialectic of Teleological Judgment.44 Kant pres43 Cf. Rez. Ideen, AA 8.54. 44 Frederick Beiser 2006, 13 f., has, in an otherwise illuminating discussion, argued that this argument implies a rejection of ‘vital materialism’, a term introduced by Lenoir to designate the researches of Blumenbach and the Göttingen school. I disagree, as will become clear from the following.

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ents this argument while discussing four metaphysical positions that are meant to explain the appearance of purposiveness in nature. These positions fall into two groups. First, we have what Kant calls the “idealism of purposiveness”.45 According to this position, purposiveness in nature is “unintentional”, i. e., the appearance of purposiveness in objects of nature (organisms) is considered to be result of the mechanical laws of nature. Hence, we cannot infer from the appearance of purposiveness to the objective reality of purposiveness. Contrary to this position, we have what Kant calls the “realism of the purposiveness of nature”.46 According to this position the appearance of purposiveness is “intentional”, i. e., it cannot be accounted for in terms of the mechanism of nature and proves the existence of final causation within nature. Hylozoism, the doctrine which explains the appearance of purposiveness by hypothesizing the “life of matter”, belongs to this last group. Kant distinguishes between two versions of hylozoism.47 According to the first version life is an essential (internal) property of matter as such. This implies that there is no distinction between the domains of the inorganic and organic. According to the second version, matter is animated by some (external) principle, e. g. a world-soul or vital force. Kant provides specific arguments against both versions of hylozoism. His main objection, however, boils down to the claim that hypothesizing the existence of a living or animated matter in order to explain the objective existence of purposiveness in nature is illegitimate. Kant rejects the first version of hylozoism by arguing that the assumption of living matter contradicts the law of inertia, according to which every change of matter has an external cause.48 The inertia of matter implies that matter is lifeless, since ‘life’ is defined as the ability of a substance to move itself from an inner principle.49 As such, the hylozoistic assumption of the existence of living matter, cutting across the distinction between the organic and the inorganic, contradicts a fundamental principle of physics and must be rejected. With respect to the second version of hylozoism, Kant argues that the hypothesis of an “animated matter” can only be employed insofar 45 46 47 48 49

KdU § 72, AA 5.391. Ibid., AA 5.392. KdU § 73, AA 5.394. This is correctly pointed out by Beiser 2006, 13 f. Ibid. This explication of the law of inertia is given in the Metaphysical Foundations, AA 4.544.

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“as it is revealed to us […] in experience”.50 Thus, we can only legitimately assume the existence of a vital force governing matter, if we have empirical evidence that such a force exists. This implies that one cannot assume the existence of vital forces in order to explain the objective purposiveness of objects in nature. Such an explanation would be circular, since it is only by means of our experience of the purposiveness of certain natural objects that we can entertain such a hypothesis in the first place.51 We can now ask the question whether Kant’s critique of hylozoism implies that he denied the legitimacy of assuming vital forces within the domain of biological inquiry. This does not seem to be the case. First, we may note that hypothesizing vital forces in order to account for biological phenomena, does not imply that one takes life to be an essential property of matter. We have already seen that Blumenbach’s conception of vital forces is based on the idea that one must sharply distinguish between the domains of the inorganic and organic. Vital forces are taken to be efficacious only within the domain of organic bodies, and can only be employed to explain vital functions. This is a position which harmonizes quite well with Kant’s rejection of the first version of hylozoism.52 Kant’s critique of the second version of hylozoism also has little bearing on the question whether we can legitimately postulate the existence of vital forces within biological inquiry. Kant’s critique is directed against a metaphysical position, according to which we can explain the objective reality of purposiveness in nature by means of the hypothesis of an ‘animated matter’. It is the explanation of the objective reality of purposiveness which, according to Kant, is circular. To assume the existence of a teleological agent in order to explain the objective purposiveness in nature is simply to assume what is to be explained. The only conclusion which can be drawn from Kant’s critique of the second version of hylozoism is that the legitimacy of hypotheses concerning vital forces depends on their empirical support. But this, of course, is true of any scientific hypothesis and it depends on the particular hypoth50 KdU § 73, AA 5.394. 51 Ibid., AA 5.394 f. 52 The question arises how we can determine the domain of organic bodies. Blumenbach (like Kant) distinguishes organic from inorganic bodies by pointing to mechanically inexplicable properties and functions, such as reproduction, growth and nutrition, of a specific set of material bodies. This allows him to distinguish the domain of the organic from the inorganic and provides a rationale for introducing vital forces as explanatory principles.

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esis in question whether this is the case. Kant’s critique of hylozoism, therefore, does not contain a critique of vital force per se.

6. Vital forces in the Opus postumum In the previous sections we have seen that Kant does not criticize the concept of vital force on the basis of his regulative teleology. Moreover, he rarely confronts the question whether this concept can be fruitfully employed within biological inquiry. This changes within the Opus postumum, or, more specifically, within the context of Kant’s transitional science entitled “Transition from the Metaphysical Foundations of Natural Science to Physics”. It is the task of the Transition to specify the elementary concepts of an empirical doctrine of nature, which enables us to ground physics as a systematic science.53 Kant often describes the aim of the Transition as the specification of an elementary system of moving forces, which provides a scheme for the investigation of nature, and thus allows us to systematically classify the forces of nature that are given empirically.54 In the early stages of the Opus postumum, Kant is solely concerned with explicating the concepts of forces invoked in the study of inorganic nature, e. g., concepts employed to account for chemical phenomena, cohesion, the aggregate states of matter, heat and magnetic properties.55 However, early 1799, in the draft “A Element. Syst: I”, Kant begins to argue that a systematic physics must be taken to include the study of organic nature. In addition, Kant states that the completeness of an elementary system of moving forces of matter requires the inclusion of so-called “intentional moving forces” or “organically formative forces”.56 For example: 53 This general description of the aim of the Transition is generally accepted, cf. Förster 2000, 1 – 23; Edwards 2000, 152 – 158 and Friedman 1992, chapter 5. Beyond this general description, however, there is virtually no consensus among commentators. I will not enter into such interpretative difficulties within this paper. 54 Cf. OP, AA 21.402 f. 55 For Kant’s dynamical account of cohesion, fluidity and rigidity, compare OP, AA 21.276 – 280, 373 – 375. The theory of heat is discussed in conjunction with Kant’s discussion of the ether, for instance at OP, AA 21.479 – 481. Finally, some considerations on electric and magnetic phenomena can be found at OP, AA 21.373. 56 There is one passage in the Opus postumum, where Kant explicitly alludes to the Bildungstrieb, and objects (as in his critique of Herder’s genetic force) that this

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One can, in fact, also draw on the concept of organic (as opposed to inorganic) nature, in the consideration of the moving forces of nature, without, [thereby], transgressing the limits, determined a priori, of the transition to physics, or mixing into it what belongs to the material part of physics […]. The final causes belong equally to the moving forces of nature, whose a priori concept must precede physics, as a clue for the investigation of nature. One must see whether (and how) they, too, form a system of nature, and can be attached to metaphysics. In this case, everything is, indeed, only established problematically, but the concept of a system of the moving forces of matter requires, nevertheless, the concept of an animated matter- which we ate least think a priori and assign a possible classification (without demanding- or surreptitiously assuming- reality for it).57

Similarly, Kant writes: The inner formative forces (vires interne formatrices) can be either merely mechanical or organic formative. The latter are those which reciprocally combine the parts of bodies among one another as end and mean and as such constitute organic bodies (for self-organizing matter is a nonentity).58

How are we to understand these difficult passages? In my opinion, these passages can be best understood as introducing a conception of vital forces very similar to that developed by Blumenbach.59 In the last passage, Kant defines an organic formative force as a force which combines the parts of bodies according to means-ends relationships. As such, the force is taken as a cause of the purposeful organization of bodies, and it is precisely because of this organization that we take bodies to be organic. In this manner Kant stresses the architectonic character of (what he calls) organic formative forces, which also figures prominently in Blumenbach’s conception of vital forces. For example, the Bildungstrieb was construed as a teleological agent, directing the formation of anatomical structures during embryogenesis, so that a purposefully organized body could arise from homogeneous matter. Similarly, the vital forces Blumenbach discusses within his physiological researches were taken to govern physiological processes so that certain parts of (human) organisms were capable of performing specific functions (e. g., sensibility, perconcept cannot be introduced to argue for a transformation of species, i. e., as a cause for the generation of new species. Thus, Kant criticized the possible use that could be made of this notion. However, once again, we will see that Kant did not object to the notion of vital force per se. Cf. OP, AA 21.559. 57 OP, AA 21.184. 58 Ibid., 188 f. 59 For this reason, I cannot follow Guyer who argues that Kant, in the Opus postumum, allows for the unlimited mechanical explanation of organisms. Guyer 2001, 274 – 280.

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taining to the nerves, was taken to be the cause of the capacity of sensation). Both Kant and Blumenbach, therefore, emphasize the importance of introducing a specific type of force in order to understand the purposeful organization of organisms. Another similarity between Kant’s and Blumenbach’s conception of vital force comes to the fore if we consider Kant’s distinction between mechanical and organic formative forces, as well as his remark that selforganizing matter is a nonentity. In the Opus postumum, Kant expresses this latter claim by stating that the concept of organic matter is contradictory.60 Hence, Kant is still committed to his criticism of hylozoism as presented in the third Critique and upholds a strict distinction between the domains of the inorganic and organic. In addition, Kant takes pains to distinguish organic forces from what he calls mechanical forces and explicitly states that the former concept can only be employed in the study of organic nature.61 This complies with Blumenbach’s conception of vital force. For Blumenbach, as we have seen, did not think that vital forces existed within the domain of the inorganic. Rather, the former concept can only be legitimately employed when dealing with organic bodies, and the operations of vital forces can not be explained in terms of chemical and physical forces. This conception, shared by Kant and Blumenbach, differed from some of the more reductionist interpretations given to the notion of a vital force in the late-eighteenth century, such as that of Johann Christian Reil, who interpreted this notion as a blanket term referring to relationships between chemical elements making up the animal organism.62 This conception of vital force also differed, however, from the naturalist position of Schelling, who rejected Blumenbach’s concept of vital force and tried to account for organic phenomena in terms of magnetic, electrical and galvanic processes.63 On the basis of this evidence we can conclude that Kant endorsed some fundamental tenets of Blumenbach’s conception of vital force. Moreover, Kant’s insistence that the concept of vital or organic force must be necessarily employed in the investigation of nature shows that he took this concept to be fundamental to biological inquiry. The most pertinent question confronting us now is whether Kant, in 60 61 62 63

For example at OP, AA 21.193 and OP, AA 22.271 and 283. OP, AA 22.568 f. Reil 1796, 11 and 46. Richards 2002, 292 f., provides a nice account of Schelling’s critique of the concept Lebenskraft.

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the Opus postumum, was committed to a view entailing the objective existence of vital forces. That is, did Kant give up his regulative constraints and arrive at a position which is virtually identical with that of Blumenbach? The reply to this last question must, in my opinion, be negative. In the first quote given above, Kant remarks, with respect to the introduction of organically moving forces, that everything is established problematically, and that one cannot demand reality for the concept of an animated matter, i. e., the concept of a matter (body) animated by some external principle. The notion ‘problematic’ is a technical term which Kant employs to characterize concepts for which no theoretical grounds can be given to determine whether they correspond to an object.64 Hence, even though Kant takes the concept of vital force to be a necessary theoretical assumption employed within biological inquiry, he denies that we can determine its objective reality. This shows that Kant is still committed to the idea that teleological agents cannot properly be conceived to be constitutive of natural objects. The upshot of our analysis is thus that, in the Opus postumum, Kant integrates one of the fundamental notions of the biological sciences of his time within his philosophy on the basis of his regulative doctrine of teleology developed in the third Critique. A result which, in the light of Kant’s critical doctrines, was to be expected.

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Die Begründung einer Theologie in Kants Kritik der Urteilskraft Klaus J. Schmidt Abstract: In the Critique of the power of Judgment theology is well-founded on teleology, but teleology is based on aesthetics. Therefore an explication of Kant’s theological thinking in his third critique has to precede an excursion in his aesthetics and in his physical and moral teleology. The physical teleology refers by means of reflecting judgments (going from the particular to the general) on a supreme, intelligent cause of the world, but is unable to think about the final purpose or final aim of the world. Therefore physical teleology is unable to deliver a concept of God and his properties. Only moral teleology can reflect on the final purpose of the world and a concept of God, his properties and his existence. Thus moral teleology establishes a theology. Physical teleology requires empiricism and pure reason; moral teleology is based on practical reason. In this way physical teleology supplements moral teleology. The former confirms the latter, for the concept of a supreme cause gets sufficient reality for the reflecting judgment. Living nature is able to raise something analogous to practical reason. The Critique of the power of Judgment transcends moral theology sketched in the Critique of Pure Reason and ethic developed in the Critique of Practical Reason. For not only the concept of duty but also living, beautiful nature glances at a moral intelligence or moral author as cause of the world.

1. Einleitung In der Kritik der Urteilskraft diskutiert Kant die Möglichkeit einer Theologie in der zweiten Hälfte, also im teleologischen Teil dieses Werkes. Die transzendentalphilosophischen Grundlagen dieser Teleologie liefert die erste Hälfte der Kritik der Urteilskraft, die Ästhetik. Allein dieser Aufbau der dritten Kritik dürfte zu einer Darstellung der sthetischen Grundlagen der Teleologie am Anfang dieses Vortrags motivieren. Eine Verstärkung dieser Motivation ergibt sich aus der folgenden Beobachtung. Die Untersuchung der reinen Vernunft in den beiden ersten Kritiken bezeichnet Kant als unvollstndig. Erst die Kritik der Urteilskraft stellt ein „vollständiges System aller Gemütskräfte“ in Aussicht, indem sie eine „Lücke“ im Bereich der oberen Erkenntnisvermögen schließt. Das

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Beheben der Lücke hat Konsequenzen sowohl für Kants Theorie des Sinnlichen als auch des bersinnlichen. Ohne bei diesem Unternehmen die durch die vorangehenden Kritiken gesetzten „Grenzsteine zu verrücken“, wird durch die vollständige Entfaltung der reinen Vernunft der Grundstein zur Metaphysik gelegt.1 Mit diesen Überlegungen stellen sich zwei Fragen. Erstens: worin besteht die besagte Lücke? Zweitens: bringt ihr Schließen nicht nur Implikationen für Kants Teleologie, sondern auch für seine Theologie mit sich? Die zweite Frage kann erst am Ende dieses Vortrags beantwortet werden. Lediglich eine Andeutung ist an dieser Stelle angebracht: ausgehend von einschlägigen Passagen aus der Kritik der reinen Vernunft wird Kants Theologie üblicherweise mit Moraltheologie gleich gesetzt.2 Die Kritik der Urteilskraft dürfte über diesen Ansatz hinausgehen, indem sie nicht nur dem Pflichtbegriff, sondern auch der „schönen Natur“ die Fähigkeit zugesteht, auf eine moralische Intelligenz als „Ursache“ des Menschen „und der Welt“ zu verweisen.3 Da der ersten Frage eine Schlüsselrolle zur Lösung des gesamten Komplexes zukommt, soll sie zunächst verfolgt werden. Anschließend ist eine kurze Darstellung der Teleologie Kants in der Kritik der Urteilskraft vorgesehen. Erst auf dieser zweifachen Basis von Ästhetik und Teleologie kann das eigentliche Thema – die Begründung einer Theologie – aufgegriffen werden.

2. Dreifache Aufgabe der Ästhetik: Schließen der Lücke, Grundlegung der Teleologie, Versöhnung von Natur und Vernunft. Worin besteht die besagte Lücke? Eine eindeutige Auskunft erteilt die Analytik des Schönen.4 Relativ spät in seiner kritischen Phase entdeckt Kant, daß das Schöne „ohne Begriff“ allgemein gefällt. Versucht man den „Ursprung“ dieser besonderen „Bestimmung der Allgemeinheit“ des Geschmacksurteils freizulegen, so wird man eine „Eigenschaft“ des menschlichen Erkenntnisvermögens gewahr, „welche ohne diese Zer1 2 3 4

KdU „Vorrede“ 1. Aufl., AA 5.168 und „Erste Einl.“, AA 20.244 ff. Zitate werden in moderner Schreibweise angeführt. Vgl. z. B. Heimsoeth 1966 – 1971, 534 f. und 769 ff. KdU § 86, AA 5.445 f. Zu Kants Theorie des Schönen vgl. Biemel 1959.

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gliederung unbekannt geblieben wäre“. Diese Eigenschaft des Erkenntnisvermögens, auf die das Schöne aufmerksam macht, ist die „allgemeine Mitteilbarkeit des Gemütszustandes“.5 Eine Andeutung dieser Entdeckung erfolgt bereits am Ende der Kritik der praktischen Vernunft,6 doch wird sie erst in der Kritik der Urteilskraft ausgebaut. Weil das Schöne ohne Begriff allgemein und notwendig gefällt, muß es die Erkenntnisvermögen des Menschen anregen, denn nur Erkenntnis oder zu ihr gehörende Elemente sind allgemein mitteilbar. Das Schöne führt zwar zu keiner Erkenntnis, doch versetzt es den Menschen in einen Zustand möglicher Erkenntnis, in einen Zustand, der ihn zur Erkenntnis bereit macht.7 In der Begegnung mit dem Schönen subsumiert der Mensch nicht Anschauungen unter Begriffe, weshalb keine Erkenntnis entsteht. Wohl aber beurteilt er, ob Einbildungskraft, als „Vermögen der Anschauung“, und Verstand, als „Vermögen der Begriffe“, harmonisch zusammenstimmen. Bei diesem Vorgang verwendet die Urteilskraft ein Verfahren, das sie bei jeder Erfahrung ausübt, indem sie über ein Verhältnis „beider Erkenntnisvermögen“ befindet. Wenn Erfahrung bei allen Menschen auf dieselben transzendentalen Voraussetzungen zurückgeht, so muß auch die aus der harmonischen, freien Interaktion beider Erkenntniskräfte resultierende Lust am Schönen bei allen Menschen „auf den nämlichen Bedingungen“ beruhen. Das heißt, das Wohlgefallen am Schönen gilt intersubjektiv. Aus diesem Grund ist das Geschmacksurteil aus einer zweifachen Perspektive zu sehen. Die in ihm empfundene Lust wird zwar stets auf empirischem Wege wahrgenommen, doch die Lust am Schönen ist allgemeingültig. Geschmack bezeichnet Kant als sonderbares Vermçgen. 8 Einerseits ist ein Geschmacksurteil „empirisch“. Man „kann a priori nicht bestimmen“, ob ein Gegenstand schön ist oder nicht, „man muß ihn versuchen“.9 Andererseits sind für das Geschmacksurteil „zwei logische Eigentümlichkeiten“ charakteristisch: Allgemeinheit und Notwendigkeit, wenn diese Eigenschaften auch nicht auf Begriffen beruhen, sondern auf der Autonomie des Geschmacks. Durch seine logischen Eigenschaften

5 6 7 8 9

KdU KpV KdU KdU KdU

§§ 8 und 9, AA 5.213 und 217. „Methodenlehre“, AA 5.160. §§ 6 – 9,18 und 35 – 39, AA 5.211 – 219, 236 f. und 287 – 293. § 31, AA 5.281. „Einl.“ vii, AA 5.191.

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ist das Geschmacksurteil trotz seines empirischen Ausgangspunktes als synthetisches Urteil a priori ausgewiesen.10 Der allgemein mitteilbare Gemütszustand, der auf einem freien, harmonischen Spiel der Erkenntniskräfte – Einbildungskraft und Verstand – basiert, die sich in der Begegnung mit dem Schönen gegenseitig zur einhelligen Tätigkeit beleben, geht auf die Form – genauer auf die „schöne Form“ – des Gegenstandes zurück. Die schöne Form nimmt sich für den Betrachter zweckmäßig aus. Weil diese Zweckmäßigkeit auf der „bloßen Beurteilung“ des Betrachters beruht, muß ihr Wesen als subjektiv oder formal angesehen werden.11 Der Zusammenhang von Allgemeinheit und Notwendigkeit, subjektiver oder formaler Zweckmßigkeit und Empirie, wird für Kants Sicht der Natur relevant.12 Das Beheben der Lücke eröffnet dem Philosophieren zusätzlich zum logischen oder erkenntnistheoretischen Zugang zur Natur einen zweiten Zugang: den ästhetischen. Den ästhetischen Zugang zur Natur betrachtet Kant jedoch nicht nur als Ergänzung zum erkenntnistheoretischen, vielmehr weist er den ästhetischen Zugang als Basis des erkenntnistheoretischen aus. Die Kritik der reinen Vernunft präsentiert eine vom Verstand gegebene Gesetzgebung der Natur. Weil der Verstand der Natur die Gesetze vorschreibt, wenn auch nur im allgemeinen, kann der Mensch die Natur nur als Erscheinung, nicht aber in ihrem Ansichsein erfassen. Der Verstand, der dem „Sinnlichen“ die Gesetze gibt, verstellt aber nicht nur die eigentliche Sicht der Natur, vielmehr ist er außerstande, die „Gesetzmäßigkeit an Dingen“, die durch Erfahrung gewonnen wird, zu „verstehen“ oder „zu erklären“.13 Die empirisch aufgespürten Gesetze der Naturwissenschaften muß der Verstand jedoch als Gesetze akzeptieren, wenn eine kohärente, einheitliche Naturforschung möglich sein soll.14 Als Bedingung der Möglichkeit einer kohärenten Naturforschung nennt die Kritik der Urteilskraft die formale Zweckmäßigkeit.15 Sie übernimmt damit die Aufgabe, die von den Naturwissenschaften aufgespürte Mannigfaltigkeit besonderer Gesetze, die empirischer Herkunft 10 11 12 13 14 15

KdU § 36, AA 5.288 f. KdU §§ 11 – 14, AA 5.221 – 226. KdU §§ 30 – 31, AA 5.279 – 281. KdU „Vorrede“ 1. Aufl., AA 5.169. Siehe Schmidt 2003. KdU „Einl.“ viii, AA 5.193.

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sind und die sich einer sinnvollen Deutung durch die allgemeine Gesetzgebung des Verstandes entziehen, durch das Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit zu interpretieren.16 Auf diese Weise schickt sich die dritte Kritik an, die Theorie der allgemeinen Erfahrung aus der Kritik der reinen Vernunft durch eine Theorie der besonderen Erfahrung zu ergänzen.17 Aus der Perspektive des Verstandes setzt die reflektierende Urteilskraft zwar mit der Annahme einer formalen Zweckmäßigkeit der Natur eine „zufällige Gesetzmäßigkeit“ voraus, doch besitzt sie dadurch ein zum Kausaldeterminismus zusätzliches Prinzip, die Natur zu erforschen, „um zu besondern Erfahrungen die allgemeinen Gesetze zu suchen“.18 Der ästhetische Zugang avanciert damit zum eigentlichen Fundament der Theorie der besonderen Erfahrung – der empirischen Naturforschung –, denn ohne die „ästhetische Urteilskraft“, d. h. ohne ihr Prinzip der formalen Zweckmäßigkeit, „könnte“ sich der Verstand „in sie [d.i. die Natur] nicht finden“. Kant erhebt die ästhetische Urteilskraft zum wesentlichen Element der empirischen Naturforschung, da sie allein das Prinzip enthält, das er der „Reflexion über die Natur“ „a priori […] zum Grunde legt“.19 Mit dem Beheben der Lcke ergeben sich auch Auswirkungen auf Kants Theorie des bersinnlichen. Ein erklärtes Ziel der Kritik der Urteilskraft ist es, dem Menschen einen „Übergang“ von der Natur zur Vernunft oder zur Freiheit zu ermöglichen. Diesen Übergang von der Natur zur Vernunft vollzieht Kant auf der Grundlage der reflektierenden Urteilskraft, genauer auf der Grundlage des Geschmacks. Denn mit der Ästhetik hat Kant nicht nur den Geschmack vor Augen, sondern eigentlich den sittlichen Geschmack, – eine Aussage, die durch die Charakterisierung des Schönen als Symbol des Sittlich-Guten unterstrichen wird. In letzter Konsequenz wird der Geschmack als „Beurteilungsvermögen der Versinnlichung sittlicher Ideen“ gefaßt.20 16 Bereits die Kritik der reinen Vernunft deutet die Natur auf der Basis empirischer Naturwissenschaften zweckrational. Diese zweckrationale Deutung legt der Natur eine Idee als Ursache zu Grunde. „Die Welt muß […] aus einer Idee entsprungen vorgestellt werden“, denn nur auf diese Weise ist nach Kant eine kohärente, einheitliche Naturforschung möglich, vgl. KrV A 816/B 844. 17 KdU „Einl.“ iv, AA 5.180 und ber eine Entdeckung, AA 8.249 f. 18 KdU „Erste Einl.“, AA 20.204. 19 KdU „Einl.“ viii, AA 5.193. 20 Jürg Freudiger 1996 schreibt einzig der Teleologie die „Aufgabe“ zu, die von Kant in der Einleitung zur Kritik der Urteilskraft konstatierte „Kluft“ zwischen Natur und Freiheit zu überwinden. Für eine ästhetische Versöhnung biete die

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Den eigentlichen Ort des Übergangs bildet jedoch nicht das Kunst-, sondern das Naturschöne. Kant begründet diese Auffassung wie folgt: das Wohlgefallen am Schönen ist zwar interesselos, aber „daraus folgt nicht, daß“ es mit keinem „Interesse […] verbunden werden könne“. Gerade das Wohlgefallen am Naturschçnen kann mit einem Interesse verbunden werden und zwar mit einem moralischen Interesse. Denn den Menschen interessiert, ob sich Vernunft in der Sinnlichkeit, in der Natur verwirklichen läßt. Gibt die Natur Hinweise? Kant findet Hinweise bei den schçnen Naturprodukten.21 Das Beheben der Lücke vollzieht Kant nicht nur mit dem Schönen, sondern auch mit dem Erhabenen.22 Für das Erhabene ist nicht das Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand, sondern das Verhältnis von Einbildungskraft und Vernunft konstitutiv. Im Gegensatz zum Naturschönen, bei dem Einbildungskraft und Verstand harmonieren, dominiert beim Erhabenen das Vernünftige, das Moralische. Während beim Schönen ein gewaltloser Übergang von der Natur zum Geistigen stattfindet, indem sich eine „Unabhängigkeit […] vom bloßen Sinnengenuß“, eine Freiheit auf dem Wege des Spiels einstellt, ergibt sich beim Erhabenen eine „echte Beschaffenheit der Sittlichkeit des Menschen“, da die „Vernunft der Sinnlichkeit Gewalt antun muß“.23

Kritik der Urteilskraft keine Handhabe. Das Ausklammern der Ästhetik durch Freudiger dürfte kaum den ungeteilten Beifall Kants finden, denn im Geschmack – dem spontanen Zusammenspiel von Einbildungskraft, der Sinnlichkeit des Erkenntnisvermögens, und dem Verstand – vollzieht sich nahezu gewaltlos die Überwindung der Kluft, der Übergang von der Natur zur Moralität, da das Geschmacksurteil wegen seiner Autonomie, seiner Allgemeinheit und seiner Notwendigkeit eine starke Affinität zur praktischen Vernunft besitzt. Die reflektierende Urteilskraft verbindet die innere „Möglichkeit im Subjekte“ mit der „äußeren Möglichkeit einer damit übereinstimmenden Natur“. Das Schöne fördert die „Empfänglichkeit des Gemüts für das moralische Gefühl“ (KdU §§ 5, 59, 60 und „Einl.“ ix, AA 5.210, 351 – 356, 197). Insbesondere auf diesen sowie auf den obigen Charakterisierungen Kants beruht Friedrich Schillers Konzeption der ästhetischen Erziehung des Menschen, nach welcher der Mensch nur durch die „Schönheit“ zur „Freiheit wandert“ (vgl. Schiller, ber die sthetische Erziehung des Menschen, 2. Brief). Hegel würdigt ausführlich und nahezu emphatisch die Konzeptionen ästhetischer Versöhnung von Kant und Schiller (Hegel, Werke, 13.80 – 91), dazu vgl. auch Schmidt 2003. 21 KdU §§ 41/2, AA 5.296 – 303. 22 Zum Erhabenen vgl. Strube 2000. 23 KdU Allg. Anm. zur Exposition, AA 5.268 f. und 274.

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Erhaben ist dasjenige, das schlechthin groß ist. Mit dieser Definition scheidet alles Endliche als Modell für das Erhabene aus. Es bleibt nur das Unendliche. Während die Natur mannigfache Beispiele des Schönen bietet, findet sich das Erhabene, Unendliche eigentlich nicht in der Natur, sondern nur im menschlichen Gemüt, in der menschlichen Vernunft. Das Objekt der Natur, das man – auf Grund seiner Größe – erhaben nennen könnte, lenkt den Blick des Menschen bei seiner Intention, zu einem „Begriff der Natur“ zu gelangen oder die Natur zu verstehen, auf das ihr zu Grunde liegende bersinnliche Substrat. 24

3. Naturschönes und Teleologie Zur konkreten Deutung der Natur kommt das Erhabene allerdings nicht in Frage, da es die Natur „in ihrem Chaos oder in ihrer wildesten, regellosesten Unordnung und Verwüstung“ präsentiert. Anders verhält es sich mit dem Naturschönen, das Anlaß „zu tiefen Untersuchungen“ gibt. Diese tiefen Untersuchungen sprechen stellenweise bereits teleologische Probleme an. Das Naturschöne sprengt die Grenzen des Verstandes, indem es den Menschen die Natur als zweckmäßig geordnetes Ganzes sehen läßt. „Die selbstständige Naturschönheit entdeckt uns eine Technik der Natur“. Aus der Perspektive dieser Technik wird die Natur aus einem blinden „zwecklosen Mechanismus“ herausgerissen und „als ein System nach Gesetzen“ gesehen, das das „Verstandesvermögen“ übersteigt.25 Die zentrale Bedeutung des Naturschönen als Vorbereitung der Teleologie läßt sich aus einer noch anderen Perspektive erhärten. Ohne die Teleologie einzuschränken, kann man die Natur als ein „Vermögen, sich in ihrer Freiheit ohne besondere […] Zwecke nach chemischen Gesetzen […] ästhetisch-zweckmäßig zu bilden“, denken. Ihr gelingt diese freie, ästhetisch-zweckmäßige Bildung „durch Absetzung der zur Organisation erforderlichen Materie“.26 Wenn Kant in der Teleologie über den Mechanismus hinausgeht, so geschieht dies, indem er eine teleologische „Ursache“ in Betracht zieht, welche die zur Bildung des

24 KdU § 26, AA 5.255. 25 KdU § 23, AA 5.245 f. und 291. 26 KdU § 58, AA 5.349 f.

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Organismus „schickliche Materie herbeischafft, […] modifiziert, formt und an ihren gehörigen Stellen absetzt“.27 Im Verlauf der tiefen Untersuchungen, in denen sich eine emphatische Bevorzugung des Naturschönen gegenüber dem Kunstschönen herauskristallisiert, stößt Kant bis zu den Grenzen des Subjektiven vor, wenn er die Form des Naturschönen in die Nähe der Objektivität rückt, obwohl „Schönheit keine Beschaffenheit des Objekts“ ausmacht.28 Diese Nähe zur Objektivität kommt schon durch das Unterscheidungskriterium zwischen Natur- und Kunstschönem zum Ausdruck. Eine „Naturschönheit ist ein schönes Ding“, die Kunstschönheit dagegen nur eine „schöne Vorstellung von einem Dinge“.29 Die stärkere Objektbezogenheit geht wiederum auf die Struktur des Objekts zurück. Bei dem Schönen der Natur hat die Zweckmäßigkeit „im Objekt und seiner Gestalt ihren Grund“, wenngleich diese Zweckmäßigkeit auch nicht auf ein Erkenntnisurteil abzielt, „sondern bloß die Auffassung dieser Form“ betrifft, „sofern sie dem Vermögen […] der Begriffe […] gemäß“ ist. Dennoch schickt sich Kant nur an, die Grenzen der Subjektivität zu verlassen, in letzter Konsequenz hält er auch beim Naturschönen daran fest, daß Schönheit keine Beschaffenheit des Objekts ausmacht, sondern an die Auffassung durch das Subjekt gebunden bleibt.30 Allenfalls finden sich Äußerungen, die das Schöne und dessen, der Urteilskraft angemessene zweckmäßige Form,31 „durch ihre Mannigfaltigkeit und Einheit“ charakterisieren. Auf diese dialektische Struktur von Mannigfaltigkeit und Einheit geht die Stärkung der Gemütskräfte zurück.32

4. Physische Teleologie Will man die Natur verstehen, will man sie logisch erfassen, so reicht allerdings ihre ästhetische Betrachtung, die Beurteilung der Form ohne Begriff, nicht mehr aus, vielmehr ist zum Verständnis der Natur ein begrifflicher, in diesem Falle ein naturwissenschaftlicher Ansatz erforderlich, der freilich über eine „mechanische oder chemische“ oder 27 28 29 30 31 32

KdU KdU KdU KdU KdU KdU

§ 66, § 58, § 48, § 30, § 23, § 61,

AA AA AA AA AA AA

5.377. 5.347. 5.311. 5.279. 5.245. 5.359.

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kausaldeterministische Deutung hinausgeht.33 Diese, den Kausaldeterminismus transzendierende Deutung, leistet die teleologische Urteilskraft. Mit der „Teleologie als innerem Prinzip der Naturwissenschaft“34 wird jedoch keineswegs die empirische Forschung preisgegeben. Im Gegenteil: der Forschungsauftrag, den Kant den Naturwissenschaften erteilt, lautet, den empirischen Weg, so weit wie nur möglich „zu verfolgen“, in der Gewißheit jedoch, den „Grund“ lebendiger Naturprodukte nur durch die Zweckstruktur erfassen zu können. Wenn Kant in der Kritik der Urteilskraft eine Theorie der besonderen Erfahrung im Rahmen einer Analyse der empirischen Naturwissenschaften teleologisch entwirft, so wird er nicht müde zu betonen, daß Teleologie dem Unvermçgen des Menschen entspringt, die Natur in ihrem Ansichsein aufzufassen. Teleologie, die Sicht der Natur durch Zwecke, kann nur eine interpretatorische Hilfsmaßnahme ausmachen, ein heuristisches Prinzip, dessen der beschränkte menschliche Geist bedarf, um über eine mechanistische oder kausaldeterministische Deutung der Natur hinauszugelangen. In dieser Beschränkung fungiert Teleologie als inneres Prinzip der exakten Naturwissenschaften, indem sie dem Menschen einen Leitfaden bietet, um die Resultate der physikalisch und chemisch ausgerichteten Forschung sinnvoll zu deuten, ohne jedoch eine Entscheidung darüber treffen zu können, ob in dem „Grunde der Natur […] die physisch-mechanische und die Zweckverbindung […] zusammenhängen“.35 Der Grund dieses Unvermögens liegt in der Struktur des menschlichen Verstandes, der dadurch charakterisiert ist, daß ihm zum Allgemeinen, dem Begriff, das Besondere, die Anschauung oder die Empirie, gegeben werden muß. Das Bemühen der Teleologie, zu Begriffen zu gelangen, führt auf Vernunftbegriffe oder Ideen.36 Sie stellen eine ganzheitliche Sichtweise der Natur in Aussicht. Um zur ganzheitlichen Sichtweise der Natur über Stufen aufzusteigen, beginnt Kant mit dem lebendigen Naturprodukt, dem Naturzweck oder dem organisierten Wesen. Organisierte Wesen vermag der Mensch nur zu verstehen, wenn er sie auf das bersinnliche bezieht, wenn er sie als Idee denkt. Soll ferner exakte Naturforschung sich nicht in Widersprüche verwickeln, soll sie zu einer kohärenten Sichtweise heterogener Forschungs-Resultate führen, so muß sie eine 33 34 35 36

KdU „Einl.“, AA 5.173. KdU § 68, AA 5.381. KdU § 70, AA 5.387/8. Zu Kants Teleologie vgl. Düsing 1968.

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verstndige, absolute Ursache, einen obersten oder anschauenden Verstand voraussetzen, der – im Gegensatz zum Menschen – mit dem Allgemeinen auch über das Besondere verfügt. Ein Fortschritt der teleologischen Urteilskraft gegenüber der ästhetischen im Hinblick auf eine zu begründende Theologie besteht in der Einsicht, daß das begrenzte menschliche Erkenntnisvermögen das beim Erhabenen thematisierte bersinnliche Substrat als absichtlich wirkenden Verstand denken muß.37 Die erste Stufe, die Idee des Naturzwecks oder die Struktur des organisierten Wesens, wird durch einen dreifachen Anlauf gewonnen. Erstens: Ein Naturprodukt ist als Naturzweck ausgewiesen, „wenn es von sich selbst […] Ursache und Wirkung ist“. Der zweite Anlauf, das organisierte Wesen zu erfassen, erfolgt durch den dialektischen Ansatz von Teilen und Ganzem. Er greift auf das bereits erarbeitete wechselseitige Ursache-Wirkungs-Verhältnis zurück, indem er fordert, daß die Teile von sich aus ein Ganzes konstituieren. Dies geschieht dadurch, daß die Teile „von einander wechselseitig Ursache und Wirkung ihrer Form sind“. Durch diesen Anlauf trägt Kant dem Unterschied von Naturprodukt und künstlich angefertigtem Produkt Rechnung. An das letztere wird eine Konzeption des Ganzen von außen herangetragen. Bei einem Naturzweck dagegen waltet ein inneres Prinzip, eine innere Form, die über seine innere Möglichkeit, über seine innere Organisation befindet. Drittens ist in einem Naturzweck „alles Zweck und wechselseitig auch Mittel“. Nichts in einem solchen Produkt ist „umsonst“ oder zwecklos. Insbesondere in diesem dritten Prinzip der Zweckrationalität zeigt sich die bereits in der Ästhetik hervorgehobene Verwobenheit von Empirie einerseits sowie Allgemeinheit und Notwendigkeit andererseits. Denn dieses dritte Prinzip geht zwar auf die methodische „Beobachtung“ in der Anatomie zurück, aber wegen seiner „Allgemeinheit und Notwendigkeit […] kann es nicht bloß auf Erfahrungsgründen beruhen, sondern muß irgend ein Prinzip a priori […] zum Grunde haben“. Kant erhebt dieses Prinzip zum „teleologischen Grundsatz“ oder zum „Leitfaden für die Beobachtung“. Nach dieser dreifachen Exposition des Naturzwecks, des organisierten Produkts, sieht Kant sich „berechtigt, ja berufen“ von der Natur und „ihren Gesetzen nichts, als was im Ganzen zweckmäßig ist, zu erwarten“, denn die Form der organisierten Materie führt „notwendig auf die Idee der gesamten Natur“ als eines zweckmäßig geordneten 37 KdU §§ 76 – 77, AA 5.401 – 410.

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Systems. Dieser Schritt ergibt eine Verallgemeinerung des teleologischen Grundsatzes: „Alles in der Welt ist irgend wozu gut; nichts ist in ihr umsonst“. Dieser Idee ist aller „Mechanism der Natur“ unterzuordnen.38 Mit der Betrachtung des Ganzen der Natur werden zentrale Momente der Ästhetik weiterentwickelt. Die auf der Basis des Naturzwecks eröffnete ganzheitliche Sichtweise der Welt gestattet dem teleologischen Ansatz Aussagen, die auf rein ästhetischer Ebene nicht möglich gewesen wären. Aus der Perspektive der Ästhetik ist die Annahme, das Naturschöne sei absichtlicher „Zweck der Natur“ und um der Urteilskraft des Menschen willen hervorgebracht, nicht nur „sehr zu bezweifeln“,39 sondern zu verwerfen. Die Ästhetik vermag keine Aussage über Absichten der Natur zu treffen. Sie ist nicht in der Lage, die Frage zu beantworten, ob die Natur den Menschen mit dem Naturschönen eine „Gunst“ erweise. Sie vermag lediglich umgekehrt zu sagen, daß der Mensch das Naturschöne mit Gunst „aufnehmen“ kann. Aus der Perspektive der Ästhetik ist die Übereinstimmung von Naturschönem und menschlicher Urteilskraft zufällig. Dieses Defizit der Ästhetik gegenüber der Teleologie leuchtet bereits durch den folgenden Sachverhalt ein. Ein Urteil über eine Naturschönheit bezieht sich lediglich auf ihre „Oberfläche“, es klammert somit die „Figur der Geschöpfe“ aus.40 Ein Urteil über einen Naturzweck dagegen betrifft das Naturprodukt als Ganzes. Bei ihm sinnt die teleologisch reflektierende Urteilskraft über die „Beschaffenheit und Wirkungsart der Teile“ nach,41 sie fragt nach deren Funktion und Aufgabe, sie fragt „warum und zu welchem Ende“ das organisierte Wesen „solche Teile“ besitzt, warum diesen Teilen „eine solche Lage und Verbindung“ zukommt und warum sie „gerade diese innere Form“ aufweisen? Der teleologischen Urteilskraft geht es mithin um weit mehr als nur um die Oberfläche, es geht ihr um den Sinn des Ganzen und der Teile, um ihre wechselseitige Beziehung zueinander, um den Zweck ihrer Existenz, um das ,Wozu‘ der Naturprodukte. Will man über das ,Wozu‘ der Dinge reflektieren, so benötigt man nicht nur Naturzwecke, sondern auch ihre Ordnung, die nur über einen Endzweck zu ermitteln ist. 38 39 40 41

KdU KdU KdU KdU

§§ 64 – 67, AA 5.369 – 379. § 38, AA 5.291. § 58, AA 5.347 – 350. § 77, AA 5.408.

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Unter der Voraussetzung eines noch zu ermittelnden Endzwecks erhalten die für das Schöne konstitutiven Elemente, das freie Spiel der Erkenntniskräfte sowie die Zweckmäßigkeit, durch die teleologische Interpretation der Welt eine zusätzlich erkenntnistheoretische Bedeutung, einen Inhalt, wenn er auch von Kant in der Gestalt einer Möglichkeitsaussage vorsichtig und nicht apodiktisch präsentiert wird. „Auch Schönheit der Natur, d.i. ihre Zusammenstimmung mit dem freien Spiele unserer Erkenntnisvermögen in der Auffassung und Beurteilung ihrer Erscheinung, kann […] als objektive Zweckmäßigkeit der Natur in ihrem Ganzen, als System, worin der Mensch ein Glied ist, betrachtet werden“. In diesem System kann es als „Gunst“ der Natur erscheinen, daß sie den Menschen „über das Nützliche“ hinaus mit ihrer Schönheit beschenkt. Der Kontext nimmt sich allerdings weniger vorsichtig aus. Er legt nahe, daß die Natur mit ihrer Schönheit dem Menschen eine Gunst erweisen möchte. Dafür sollte er sie „lieben“, sie „ihrer Unermeßlichkeit wegen mit Achtung betrachten“ und sich „veredelt fühlen: gerade als ob die Natur ganz eigentlich in dieser Absicht ihre herrliche Bühne aufgeschlagen und ausgeschmückt“ hätte. Das „Naturganze als System“ bildet die zweite Stufe der teleologischen Urteilskraft.42 Aber der Mensch macht nicht nur ein Glied im System aus, vielmehr stellt er selbst den Zweck dar, den die Natur ausgezeichnet hat, ihren „letzten Zweck“ zu realisieren. Der letzte Zweck der Natur kann nur darin liegen, eine Kultur hervorzubringen. Die Kultur als letzter Zweck der Natur bildet die dritte Stufe. Über sie geht Kant mit der Definition des Endzwecks der Schöpfung hinaus, um auf diese Weise die vierte Stufe zu besteigen. Erst auf dieser vierten Stufe sieht sich Kant dazu imstande, das Problem der Begründung einer Theologie zu stellen. Was läßt sich über den Endzweck der Schöpfung philosophisch eruieren? Der Endzweck der Schöpfung kann nicht von der Natur bewirkt werden, sondern allenfalls von einem „produktiven Verstand“, der als oberste, verständige Ursache der Welt zu sehen ist.43 Allerdings ist es zur Begründung einer Theologie nicht ausreichend, ein Konzept einer verständigen obersten Ursache vorauszusetzen, um kohärente Naturforschung zu gewährleisten, vielmehr müssen Begriff und Eigenschaften der obersten verständigen Ursache des Kosmos bestimmt werden. 42 KdU §§ 66 – 67, AA 5.376 und 380 f. 43 KdU §§ 83 – 84, AA 5.429 – 435.

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Die theologisch orientierte, auf den exakten Naturwissenschaften basierende Teleologie, die Physikotheologie, vermag dieses Problem nicht zu lösen. Sie vermag noch nicht einmal, eine Aussage über den Endzweck der Schöpfung zu treffen. Damit fällt sie hinter ihre eigentliche Intention, auf den Begriff und die Eigenschaften der „Gottheit“ zu schließen, um eine Theologie zu begrnden, zurück. Die Physikotheologie ist außerstande, sich als Theologie zu etablieren, sie „bleibt“ vielmehr „physische Teleologie“. Diese Aufgabe, die Begründung einer Theologie, kann generell nicht mit der theoretischen, sondern nur mit der praktischen Vernunft gelöst werden. Genauer ist es die Ethikotheologie oder Moraltheologie, der die Aufgabe zugedacht wird, Wesen und Eigenschaften der obersten verständigen Ursache, der Gottheit, zu denken.

5. Moralische Teleologie Kant entfaltet das Problem, Wesen und Eigenschaften der obersten verständigen Ursache des Kosmos zu denken, über die Frage nach dem Grund der Existenz des Menschen: „wozu haben Menschen existieren müssen“? 44 Mit dem Menschen als moralischem Wesen verfügt die Moraltheologie über einen „Grund“, über die „Hauptbedingung“, die Welt als ein zweckgeordnetes Ganzes zu betrachten. Sie ist damit in der Lage, auf die oberste Weltursache als Gottheit und nicht nur auf eine höchste Intelligenz zu schließen. Erst die Moraltheologie ermittelt Begriff und Eigenschaften der Gottheit. Bildet der Mensch unter moralischen Gesetzen die Endabsicht der obersten Weltursache als Gottheit, so trägt sie dem Menschen auf, einem Endzweck nachzustreben: dem höchsten Gut. Um das höchste Gut, das der Mensch nur kraft seiner praktischen Vernunft erstreben kann, zu gewährleisten, ist die oberste Weltursache als „gesetzgebend für die Natur“ und als „gesetzgebendes Oberhaupt in einem moralischen Reich der Zwecke“ zu denken. Für den Menschen muß ein erkennbarer und realisierbar Zusammenhang beider Bereiche existieren, wenn ethisches Verhalten und in seiner Folge auch das höchste Gut – eine dem ethischen Verhalten angemessene Glückseligkeit – möglich sein sollen. Daher diskutiert Kant in der Kritik der Urteilskraft, wie bereits in den beiden vorangehenden Kritiken, den Zusammenhang von Natur und Sittlichkeit. 44 KdU §§ 84 – 85, AA 5.436 – 438, 440 – 442.

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Grundlegend in dieser Diskussion um den „sittlichen Zweck“, den Endzweck, ist die Frage nach der „Möglichkeit seiner Ausführung“. Um diese Frage zu beantworten, konstatiert Kant, daß der Begriff der „praktischen Notwendigkeit“ der Glückseligkeit nicht mit dem „theoretischen Begriff“ ihrer „physischen Möglichkeit“ zusammenstimmt. Allenfalls kann man von der Natur, aber auch nur „hin und wieder einen zufälligen“, niemals aber einen gesetzmäßigen „Beitritt“ zum Sittengesetz erwarten. Mit anderen Worten, das Eintreffen von Glückseligkeit in einer Welt, deren Grundlage Natur ausmacht, ist unberechenbar, denn die Natur achtet nicht auf die „Würdigkeit“ des Menschen, „glücklich zu sein“.45 Die praktische Vernunft verpflichtet den Menschen, den Endzweck, das „Weltbeste“, das Gute, die allgemeine Glückseligkeit „nach allen Kräften zu befördern“. Die eine Hälfte dieses Auftrags, die allgemeine Glückseligkeit zu erstreben, ist „empirisch bedingt“, weil sie von der „Beschaffenheit der Natur“ abhängt, während die andere Hälfte, die Realisierung von Sittlichkeit, a priori fest steht. Soll die Verwirklichung des Weltbesten oder des Guten gelingen, reicht die subjektive Komponente des Endzwecks, die auf der praktischen Vernunft basierende Sittlichkeit, nicht aus, vielmehr muß auch die „Existenz“ der „Welt“ auf den subjektiven Endzweck angelegt sein. Zur subjektiven Komponente des Endzwecks gehört also eine mit ihr bereinstimmende objektive, wenn auch die Existenz einer solchen, zur Subjektivität passenden, objektiven Welt a priori nicht bewiesen werden kann. Die Frage nach der „objektiven theoretischen Realität“ des Endzwecks, die Frage nach der Beschaffenheit der Natur oder der „Beschaffenheit der Welt“ läßt sich auf theoretischem Wege nicht beantworten. Denn die physische Teleologie legt zwar nahe, daß „in der Natur gar nichts ohne Zweck“ ist, einen Endzweck aber vermag sie nicht anzugeben. Damit kann die theoretische Vernunft der theoretisch reflektierenden Urteilskraft die objektive Realität des Endzwecks auch nicht darlegen. Nur die praktische Vernunft ist dazu im Stande. Die objektive Realität des Endzwecks der Schöpfung ist die Beschaffenheit der Welt, die mit seiner subjektiven Realität, dem moralischen Gesetz, übereinstimmt. Eine solche Übereinstimmung ergibt sich wie folgt: Wenn dem Menschen das moralische Gesetz aufgegeben ist, dann muß auch die Natur als zweckmäßig zu seiner „Ausführbarkeit“ gedacht werden. Damit hat Kant nicht nur einen Grund, sondern 45 KdU §§ 86 – 87, AA 5.444 – 450.

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einen „moralischen Grund“, einen Endzweck der Welt, genauer seine objektive Realität anzunehmen.46

6. Begründung einer Theologie Hinter dieser Überlegung verbirgt sich „noch nicht der Schluß von der moralischen Teleologie auf eine Theologie, d.i. auf das Dasein eines moralischen Welturhebers, sondern [nur der Schluß, K.S.] auf einen Endzweck der Schöpfung“. Wenn aber die Schöpfung einen Endzweck in sich trägt, der durch die Übereinstimmung von subjektiver und objektiver Komponente, durch die Übereinstimmung von Moralität und Beschaffenheit der Natur bzw. der Welt, umrissen ist, so muß das von der physischen Teleologie vorausgesetzte oder angenommene verständige Wesen zugleich als moralisches Wesen, als moralischer Welturheber oder als Gottheit gedacht werden.47 Dieser zweite Schluß besitzt jedoch lediglich für die reflektierende Urteilskraft „nach Begriffen der praktischen Vernunft“ Gültigkeit. Die bestimmende Urteilskraft kann diesen Schluß nicht akzeptieren, denn sie insistiert auf der Trennung von technisch-praktischer und moralischpraktischer Vernunft. Ob dieser Unterschied auch für die absolute Intelligenz zutrifft, ob das Absolute zur Konzeption des Naturzwecks zusätzlich eine besondere Art der Kausalität, nämlich die des End46 Thomas Gfeller bezweifelt die Leistungsfähigkeit der Kritik der Urteilskraft, zwischen den beiden ersten Kritiken, zwischen Natur und Vernunft, zu vermitteln. Seine These versucht Gfeller dadurch zu erhärten, daß er Kants Teleologie gezielt von der regulativen auf die konstitutive Ebene drängt (vgl. 1998, 225 f.). Um die Kompatibilitt von Natur und praktischer Vernunft zu gewährleisten, fordert Gfeller, daß der teleologische Kausalitätsbegriff „aus praktischen Erwägungen […] als konstitutiv[…] sich […] erweisen müßte“ (229 f.). Dagegen betont Kant gerade: die reflektierende Urteilskraft „gibt“ regulativ den „vermittelnden Begriff“ zwischen Natur und Freiheit, indem sie „ohne Rücksicht auf das Praktische“ die Zweckmäßigkeit der Natur voraussetzt (KdU „Einl.“, AA 5.196 f.). Das konstitutive Element gerät durch den Verstand und die praktische Vernunft in die dritte Kritik (KdU § 88, AA 5.457). 47 Man kann umgekehrt – wie das Manfred Baum getan hat – eine „theologische Begründung der Zweckmäßigkeit“ der Natur in der Kritik der Urteilskraft hervorheben (1991, 168 f.). Allerdings nimmt Baum nur die physische Teleologie in den Blick, die nach Kant nicht dazu berechtigt, von einer Theologie zu sprechen (vgl. KdU § 86, AA 5.344).

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zwecks, benötigt, muß zwar objektiv oder erkenntnistheoretisch unausgemacht bleiben, doch die reflektierende Urteilskraft weiß, daß sie ohne ein Zusammennehmen dieser beiden heterogenen Elemente, nämlich Welturheber und moralisches Wesen, sich die Konzeption des Endzwecks „nicht begreiflich machen“ kann. Wie bewertet Kant selbst den Schluß auf einen moralischen Welturheber? Er beansprucht mit ihm nicht, einen „objektiv-gültigen Beweis vom Dasein Gottes“ zu geben. Ferner will er „nicht dem Zweifelgläubigen beweisen, daß ein Gott sei“. Er liefert lediglich ein moralisches Argument mit dem er nachweist: denkt man moralisch konsequent, so ist die Annahme der Existenz Gottes notwendig. Dieser Satz ist in die „Maximen“ der praktischen Vernunft aufzunehmen.48 Rückblickend gilt also: „Für die theoretisch reflektierende Urteilskraft bewies die physische Teleologie“ auf der Basis von Naturzwecken eine verständige Weltursache; für die „praktische“ Urteilskraft begründet die moralische Teleologie die Existenz eines moralischen Welturhebers. Seine Eigenschaften ergeben sich aus der Struktur des Endzwecks und seinen divergierenden Bedingungen: Natur und Sittlichkeit. Denn klaffen diese Bedingungen derart auseinander, daß durch Natur sich eine sich selbst lohnende Moralität nicht einstellt, und hält man dennoch am Auftrag des moralischen Gesetzes, der Glückseligkeit nachzugehen, fest, so ist das Urwesen als „allwissend“, „allmächtig“, „allgütig und […] gerecht“ zu denken.49 Zur Verhütung eines Mißverständnisses betont Kant zweierlei. Erstens: die „Eigenschaften des höchsten Wesens“ können „nur nach der Analogie“ gedacht werden. Zweitens können sie auch nur gedacht, nicht aber erkannt werden. Eigentliches Ziel bleibt: auf Grund der beschränkten Beschaffenheit des menschlichen Erkenntnisvermögens einem Auftrag der reinen praktischen Vernunft „praktische Realität zu verschaffen“, selbst wenn hinter diesem Ziel ein Anthropomorphismus vermutet werden könnte. Nicht das Absolute soll bestimmt werden, denn es bleibt unerreichbar, sondern nur der Mensch „selbst“, genauer, die korrekte Ausrichtung seines Willens. Als Fazit ergibt sich: der Mensch mit seinem beschränkten Erkenntnisvermögen muß die praktische Realitt der Idee des „notwendigen moralischen Endzwecks“, d. h. die Ausführbarkeit der praktischen Idee „annehmen“. Er muß ferner das Absolute als „weises, nach mo48 KdU § 87, AA 5.450 f. 49 KdU § 88, AA 5.453 – 456 und KdU § 86, AA 5.444.

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ralischen Gesetzen die Welt beherrschendes Wesen denken“, ohne ihm einen „Verstand und Willen […] theoretisch“ beizulegen. Selbst die am Absoluten als Endzweck gedachte Kausalität ist durch theoretische Vernunft nicht beweisbar.50 Die so gewonnene „moralische Teleologie“ behebt den „Mangel der physischen“, indem sie nicht nur von einer verstndigen Weltursache spricht, sondern auch von einer moralischen. Nur auf diese Weise läßt sich eine Theologie begründen, denn die moralische Komponente im Menschen ermöglicht eine „Beziehung der Welt […] auf eine oberste Ursache, als Gottheit“, auf den Schöpfer. Die moralische Teleologie vereinigt mit der physischen errichtet sogar eine zweifache Beziehung der Welt auf das Absolute, da sie zum einen den Menschen unter göttliche Gebote stellt und zum anderen die Verantwortung des Menschen für die Natur vor dem Absoluten betont. Beide Disziplinen, die moralische und die physische Teleologie werden von Kant geschätzt und als unverzichtbar herausgestellt: denn gibt es eine absichtliche, einen Endzweck bewirkende Weltursache, so sind Moralität, Religion und Theologie „eben so notwendig die Bedingung der Möglichkeit einer Schöpfung“ wie die Naturgesetze. Gleichwohl nimmt er eine eindeutige Bewertung vor, denn die über die moralische Teleologie sich konstituierende Moraltheologie fordert den Menschen auf, sich mit Naturzwecken „nicht zu begnügen“,51 da sie letztlich nicht das „Bedürfnis der fragenden Vernunft“ „befriedigen“. Diese eindeutige Bewertung wirkt sich auch auf Kants Verständnis der Religion aus. Kant definiert sie als die Erkenntnis der dem Menschen auferlegten göttlichen Gebote. Selbst wenn es der physischen Teleologie gelänge, Einblicke in die Eigenschaften des Absoluten zu nehmen, wäre ihre praktische Umsetzung mit dem „Anstrich von Zwang und abgenötigter Unterwerfung“ behaftet. Anders verhält es sich mit der Umsetzung der moralischen Teleologie. Denn praktische Vernunft geht stets mit der Achtung des Sittengesetzes konform. Das auf diese Weise induzierte moralische Gefühl sieht Kant in engstem Zusammenhang mit der Bewunderung der Naturschönheit und Religiosität des Menschen. Die „Bewunderung der Schönheit der Natur“, die bei einem „nachdenkenden Gemüt“ einer „klaren Vorstellung“ des Absoluten vorangeht, besitzt eine Affinität zum religiösen wie auch zum 50 KdU § 88, AA 5.456 f. 51 KdU § 86, AA 5.444 – 446; vgl. auch § 87, AA 5.450 und 453.

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moralischen Gefühl, das auf der „Dankbarkeit und der Verehrung“ einer dem Menschen unbekannten Ursache der Welt beruht. Die moralische Argumentation ergänzt somit nicht nur die naturwissenschaftlich-teleologische, vielmehr macht sie einen „besonderen, […] unabhängigen“ Ansatz aus, um aus dem Begriff eines Urwesens eine Theologie zu „entwickeln“ und die Beziehung von Welt und Absolutem zu entfalten. Die Besonderheit und Unabhängigkeit zeigt sich darin, daß der moralische Ansatz auch dann noch in Kraft bleibt, wenn die Welt „keinen oder nur zweideutigen Stoff zur physischen Teleologie“ und somit keinen Grund für einen Schluß auf eine weise „Organisation“ der Natur enthielte, sondern nur mechanisch funktionierte. Eine solche Welt ist für Kant durchaus denkbar. Weil aber die Welt, in der wir leben, reichlichen Stoff an Zweckrationalität enthält, „dient“ sie dem „moralischen Argument zu erwünschter Bestätigung“ seiner theologischen Sichtweise, denn die Natur ist in der Lage, etwas zur praktischen Vernunft „Analoges aufzustellen“.52 Die Analogie zwischen Naturzweck bzw. Naturschönheit und Moralität greift sehr tief. Zwar vermag Kant einerseits vom „übersinnlichen Substrat der Natur […] nichts bejahend“ zu „bestimmen […], als daß es das Wesen an sich sei, von welchem wir bloß die Erscheinung kennen“53 andererseits muß aber die Natur als Darstellung des Übersinnlichen, Unbedingten angesehen werden. Doch damit nicht genug. Das Wesen erscheint nicht nur, vielmehr „offenbart“ es sich auf „unbegreiflich“ kunstvolle Weise in den Zwecken der Natur.54

7. Natur und Theologie im Deutschen Idealismus im Anschluß an Kant Die Aussage der Kritik der Urteilskraft, daß die lebendige Natur etwas den moralischen Ideen Analoges aufzustellen vermag, ja daß sich in ihr sogar die Weisheit des Absoluten, eines anschauenden Verstandes, offenbart, beschäftigt auch Schelling und Hegel. Ein Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist der folgende. Kants Frage nach der Glückseligkeit zerfällt in zwei komplementäre Elemente. Es handelt sich um die Beschaffenheit der Natur oder der Welt als objektiver und um das Sittengesetz als 52 KdU „Allg. Anm. zur Tel.“, AA 5.478 – 482. 53 KdU § 81, AA 5.422. 54 KdU „Allg. Anm. zur Tel.“, AA 5.477.

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subjektiver Bedingung der Glückseligkeit. Beide Elemente zusammengenommen verweisen der Sache nach auf das Subjekt-Objekt, das im gesamten deutschen Idealismus thematisch wird.55 Während jedoch Fichte zur Lösung dieses Problems dem von Kant in der Kritik der Urteilskraft herausgearbeiteten tragenden Ansatz, der Zweckmäßigkeit nämlich, kaum Bedeutung beimißt,56 nimmt sie bei Schelling und Hegel einen breiten Raum ein. Schelling baut in enger Anlehnung an die Kritik der Urteilskraft den teleologischen Ansatz aus. Dabei begreift er die Natur jedoch nicht nur als Offenbarung, sondern als Selbstoffenbarung des Absoluten.57 Hegel rügt als Mangel dieser Konzeption, daß sie durch intellektuelle Anschauung und nicht durch logische Entwicklung zustande kommt. Wird das Absolute als anschauender Verstand gefaßt – wie das Kants Ausführungen in der Kritik der Urteilskraft nahelegen –, so darf die Begründung nicht der intellektuellen Anschauung überlassen bleiben. Denn intellektuelle Anschauung produziert nach Hegel nur ein unmittelbares Wissen, das bei Schelling zum einen als Voraussetzung am Anfang des Philosophierens stehe zum anderen nur einigen, wenigen Individuen, den Genies, zu eigen sei. Hegel dringt auf die logische Exposition des anschauenden Verstandes durch die Objektivität des Begriffs, als eingesehener Notwendigkeit, die sich nur auf dem Wege des dialektischen Beweisens einstellen könne.58 Aus diesen Gründen kann der anschauende Verstand sich erst am Ende der Wissenschaft der Logik – beim Übergang der Idee zur Natur – ergeben. Bei der Explikation seines Ansatzes in der Wissenschaft der Logik stützt Hegel sich zum einen auf Kants Kritik an Spinoza zum anderen 55 Vgl. die hervorragende Übersicht von Onnasch 1998. 56 Fichte sieht die Natur nicht als Offenbarung des Absoluten an, denn eine „Intelligenz, als Weltschöpfer“ lehnt er ab. Statt des Schönen hebt er die rohe Gewalt der Natur hervor, die sich in „Krankheiten“, „Wasserfluten“, „verwüstenden“ Orkanen und „Erdbeben“ zeigt, – ein Aspekt, der bei Kant zwar auch vorhanden ist, der jedoch gegenüber der Bewunderung der Natur zurücktritt. Um den Naturgewalten entgegenzuwirken, formuliert Fichte ein Forschungsprogramm, das die „Natur immer durchschaubarer, und durchsichtiger“ werden lasse, um sie zu „beherrschen“. (Bestimmung des Menschen, GA I/ 6.268 f.) 57 Vgl. z. B.: „Die Natur ist nicht bloß Produkt einer unbegreiflichen Schöpfung, sondern diese Schöpfung selbst; nicht nur die Erscheinung oder Offenbarung des Ewigen, vielmehr zugleich eben dieses Ewige selbst“. (Weltseele, SW I/ 2.378). 58 Hegel, Werke, 20.427 – 439 und 453 f.

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auf die Erörterung des anschauenden oder intuitiven Verstandes in der Kritik der Urteilskraft. Kant kritisiert Spinoza, weil er das Absolute nicht als Kausalität, sondern nur als „Subsistenz“, als „Substrat“, dem die „Akzidenzen“ inhärieren, gefaßt habe. Mit diesem Ansatz sichere Spinoza den mannigfaltigen „Naturformen zwar die Einheit des Grundes“ und damit die notwendige Bedingung „aller Zweckmäßigkeit“, zugleich aber entferne er die Elemente der Natur aus dem Bereich der „Zufälligkeit […], ohne die keine Zweckeinheit gedacht werden kann“. Kants Kritik gipfelt in der Feststellung, daß Spinoza durch die Beseitigung alles Absichtlichen dem Urgrund jeglichen Verstand abgesprochen habe. Um die Akzidenzen in eine „Zweckbeziehung“ einzubetten, müssen sie nach Kant erstens als „innere Wirkungen“ einer ursächlichen „Substanz“ gesehen werden. Zweitens ist die ursächliche Substanz als „Verstand“ zu deuten. Andernfalls gelange man bei der Interpretation der Natur nur zu einer blinden Notwendigkeit.59 Obwohl die Spinoza-Kritik der Kritik der Urteilskraft sich stellenweise eng an Leibniz anlehnt,60 findet, weil Kant seine physische Teleologie ausschließlich auf regulativen Prinzipien aufbaut, kein Rückfall in die vorkritische Metaphysik statt.61 Hegel verarbeitet diese Kritik Kants an Spinoza, indem er die regulative Ebene mit Hilfe der dialektischen Methode überschreitet, in der Wissenschaft der Logik. Bereits die Seinslogik drängt über das allem 59 KdU § 73, AA 5.393 f. Tuschling rückt den späten Kant in die Nähe von Hegels Konzeption, die Substanz als Subjekt zu denken (vgl. 1990, 146 – 148). Tatsächlich verrät Kants Spinoza-Kritik in der Kritik der Urteilskraft, daß er diesem Konzept nicht fern steht. Allerdings sollte man die tiefgreifende Differenz zwischen beiden Ansätzen beachten: Kant erhebt nicht den Anspruch, das Absolute zu erkennen, vielmehr vermag er es nur in der Weise der Analogie zu denken. Die dritte Kritik zeigt kein „Schwanken zwischen konstitutiver und regulativer Auffassung der inneren Zweckmäßigkeit“ wie Tuschling suggeriert (1990, 178). Kants subjektiver, kritischer Ansatz, der die Resultate der theoretisch reflektierenden Urteilskraft nur regulativ sieht (vgl. KdU §§74 und 76), ist von Hegels objektiver, spekulativer Denkweise grundlegend unterschieden. Während Kant wegen der Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisvermögens die Einheit der Gegensätze – Sein und Sollen, Möglichkeit und Wirklichkeit, kausaldeterministische und teleologische Denkweise, Allgemeinheit und Besonderheit – einem unbegreiflichen Unendlichen, dem anschauenden Verstand, überlassen muß, dessen Annahme er als notwendig darlegt, intendiert Hegels dialektische Methode gerade, das Unendliche über diese und weitere Gegensätze zu begreifen. 60 Vgl. Leibniz, Essais de Thodice, pars II, c. 173, in: Leibniz 1996, 509. 61 Vgl. auch Allison 2000, 78 – 80 u. 86 – 89.

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qualitativen und quantitativen Sein zu Grunde liegende unendliche „Substrat“, der Substanz des Spinoza, hinaus. In der Umdeutung Spinozas zeigt sich das Absolute im Übergang von der Seins- zur Wesenslogik als das sich negierende, unendliche Wesen,62 das nicht nur erscheint, sondern das sich am Ende der Wesenslogik als Notwendigkeit in seinen – dem Zufall preisgegebenen – Akzidenzen „offenbart“, sich auslegt oder manifestiert, um sich als ursächliche Substanz zu artikulieren,63 die ihre eigentliche Wirklichkeit im Begriff besitzt. Der Begriff wiederum etabliert sich in der Begriffslogik als einheitliche Tätigkeit, sich in sich zu unterscheiden sowie als mit sich identische Negativität und schließlich als sich besonderndes Allgemeines, das sich in der „Einzelheit“, seiner „Tiefe“, erfaßt.64 In aufsteigender Folge präsentiert Hegel als Modelle des Begriffs oder des sich zur Einzelheit besondernden Allgemeinen das Planetensystem, den Zweck, das Lebendige. Der Begriff, das Allgemeine, die Form, bestimmt im Lebendigen das Besondere, den Inhalt. Insbesondere mit dem so gedeuteten Organischen bezieht sich Hegel gezielt auf Kants Teleologie. „Wir betrachten“ nach Kant das Lebendige „als wohnte im Sinnlichen ein Begriff“, ein Allgemeines, das „sich das Besondere gemäß setzt“. Damit wird ein anschauender Verstand thematisch, denn im Organismus wird die „Einheit des Begriffs und der Realität“, die „Besonderung“ des Allgemeinen „angeschaut“.65 Allerdings will die Wissenschaft der Logik mehr. Sie expliziert die absolute Persönlichkeit als die „Idee eines anschauenden Verstandes“ oder den Begriff, der nicht von seiner „Realität getrennt“ ist, auf der Ebene des sich selber denkenden Denkens systematisch. Die Wissenschaft der Logik entfaltet diese Idee bis „zu der Stufe“, von der „sie die Schöpferin der Natur wird“. Merkwürdigerweise habe Kant es versäumt, diese Idee eines anschauenden Verstandes als wahr auszuzeichnen.66 Weitere einschlägige Bemerkungen zur Idee eines anschauenden Verstandes bei Hegel liefern die Enzyklopdie der philosophischen Wissenschaften sowie die Nachschriften zur Religionsphilosophie. In der Enzyklopdie macht die absolute Idee das Allgemeine oder die „reine 62 63 64 65 66

WdL, GW 21.370 – 374; 380 – 383. WdL, GW 11.243; 392/3; 385 f . WdL, GW 12.49. Hegel, Werke, 20.380 f. WdL, GW 12.25.

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Form“ aus, „die ihren Inhalt als sich selbst anschaut“. Diesen Inhalt begreift Hegel zunächst als „System des Logischen“, ein Inhalt, der in seiner ganzen Fülle von der absoluten Form hervorgebracht wird. Zur „Schöpfung“ bringt es diese für sich seiende Idee nur, wenn sie sich im spekulativen, methodischen Denken als das „Negative ihrer selbst“ setzt und in dieser Aktion mit sich identisch bleibt. Durch diese „gedoppelte Bewegung […] ist sie das ewige Anschauen ihrer selbst im Anderen“, das noch innerhalb der Logik agiert. Doch das rein Logische treibt mit einer weiter gefaßten Negation über sich selbst hinaus. Die logische Idee ist im sich selber denkenden Denken fr sich. Als das Negative ihrer selbst negiert sie ihr reines Fürsichsein, um sich als Anschauen zu konstituieren, das nicht im Ewigen verharrt. Sie transzendiert somit das rein Logische. Die auf diese Weise „anschauende Idee“ ist „Natur“. Allerdings bleibt die Idee nicht in der einseitigen Bestimmung des Anschauens, indem sie in der Negation ihre Identitt mit sich bewahrt. Die mit sich identische, negierte absolute Idee ist nicht nur Natur, sondern „unmittelbare Idee“, der „Widerschein“ des Absoluten.67 Hegel erläutert den Ansatz der anschauenden Idee in der Religionsphilosophie, in der er „Gott […] als Schöpfer“, als unendliches, „anschauendes Produzieren“ ausweist. Die Ttigkeit Gottes unterscheidet sich vom technischen Produzieren des Menschen. Das Produzieren des Menschen ist „äußerlich“, da der Mensch auf „Anderes“, auf das „Material“ angewiesen ist, das er „verarbeitet“. Im Gegensatz zum Menschen produziert Gott „absolut aus Nichts“, genauer „aus nichts Materiellem“. Die Relation des Subjekts „gegen ein anderes schon Vorhandenes“ entfällt auf der absoluten Ebene. Die Tätigkeit des Absoluten konstituiert sich einzig und allein als „negative Beziehung auf sich selbst“, als „inneres Tun“, das seiner „Lebendigkeit“ entspringt, das mit der Form zugleich den materiellen Inhalt erzeugt. Wie Kant wehrt sich Hegel dagegen, das Absolute nur als Schöpfer der Natur zu sehen. Im Gegensatz zu Kant ist es jedoch nicht die moralische Argumentation, sondern die logisch-dialektische Sichtweise, die bei Hegel den Ausschlag gibt. Wird das Absolute nur als Schöpfer der Natur gesehen, so „bleibt das Geschöpf als Welt außer Gott, als ein Anderes gegen“ ihn.68 Hegel löst dieses Problem, indem er wie Kant in der Kritik der teleologischen Urteilskraft die Zweiheit Schöpfer–Natur 67 Enz.3 §§ 214, 237 und 243 f. 68 Hegel, Werke, 17.368, 504 f. und 54 – 57.

Die Begründung einer Theologie in Kants Kritik der Urteilskraft

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zur Dreiheit Schöpfer–Natur–Mensch ergänzt, um auf diese Weise den angefangenen Kreis zu schließen, denn beiden Denkern geht es um die Beziehung des Absoluten auf den Menschen wie auch umgekehrt um die Beziehung des Menschen auf das Absolute. In der genannten Dreiheit bildet bei Hegel die Natur zwar das Dasein des Absoluten, aber erst Kunst, Religion und Philosophie garantieren ein „angemessenes Dasein“ des Absoluten.69

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Das Mechanismus-Organismus-Problem bei Kant unter dem Aspekt von allgemeinen und besonderen Naturgesetzen Renate Wahsner Abstract: Kant considers the relation between mechanism and organism with the intention to determine the principles of modern [neuzeitlich] science. It is shown that this led to the insight that this relation does not so much concern the differentiation between physical and biological laws but the specification of the conditions of cognition.

Zumindest seit Kants Kritik der Urteilskraft wird das Verhältnis von Mechanismus und Organismus in verschiedenen Schattierungen lebhaft und kontrovers diskutiert. Dabei werden sehr verschiedene Probleme thematisiert. Die Kontroversen beziehen sich auf das Verhältnis der drei Kritiken Kants zueinander, auf die philosophische Charakterisierung der Mechanik bzw. der Naturwissenschaft überhaupt, mithin auch auf die kategoriale Bestimmung des Verhältnisses von Physik und Biologie sowie auf die Bedeutung der empirischen mathematisierten Naturwissenschaft für die Philosophie als spekulativer Wissenschaft. Obzwar mitunter behauptet wird, daß Kant nach der Kritik der Urteilskraft die ersten beiden Kritiken hätte neu schreiben müssen und obzwar manche Kant-Rezipienten sich nur auf die dritte Kritik stützten, ohne die erste und zweite mit im Blick zu haben (vorrangig biologisch und ästhetisch orientierte Forscher), ist es in der Literatur bewiesen,1 daß diese drei Werke Kants ein zusammenhängendes Ganzes bilden, – ein Ganzes vom Prinzip, d. h. von Kants Anliegen her. Wenn mitunter ein gegenteiliger Eindruck entsteht, so entspringt er Kants kritischer Haltung, der Fähigkeit nämlich, auch die neuen Probleme zu sehen, die eine gerade gefundene Lösung mit sich bringt. Daher war er nie fertig. Daß er z. B. im Opus postumum vieles in Frage stellte, bezeugt seine Forscherhaltung, nicht die Rücknahme seines Werkes. Die Kantische Philosophie muß, wie Hermann Cohen sagte, als Ausdruck der fort-

1

Vgl. z. B. Stadler 1874; Cassirer 2004; Bartuschat 1972 und Picht 1985.

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dauernden Aufgabe der Philosophie selbst begriffen werden.2 In diesem Sinne obliegt es der heutigen Philosophie, das von Kant aufgeworfene Mechanismus-Organismus-Problem vom gegenwärtigen Niveau der Erkenntnis aus zu lösen. Es muß untersucht werden, ob resp. inwiefern die von Kant in der Kritik der Urteilskraft formulierte diesbezügliche Antinomie ihre Berechtigung hat – seinerzeit und heute. So wird gesagt: „Die Frage, ob für die Erkenntnis von Organismen eigene, spezifische Prinzipien anzunehmen sind, die über mechanische und chemische Gesetze hinausgehen und einen teleologischen Sinn enthalten, oder ob sich eine solche Annahme erübrigt, ist heute noch so aktuell wie zu Descartes’ und Leibniz’ Zeiten.“3 Dieser Aktualität kann nicht widersprochen werden, gründet man sie nicht auf eine (rein) wissenschaftstheoretische oder eine ontologistische Betrachtungsweise. Den philosophischen Gehalt des Kantischen Mechanismus-OrganismusProblems hatte Stadler bereits (1874) nachgewiesen und Cassirer (1918) die bei Stadler vorhandenen Mängel behoben,4 insbesondere dessen Konzept, wonach Kants Teleologiebegriff eine wesentliche Aufteilung der Natur in Unorganisches und Organisches impliziere, widerlegt. Das Mechanismus-Organismus-Problem ist maßgeblich auch die Frage nach dem Charakter der Kantischen Philosophie überhaupt, nach ihrem Verhältnis zur neuzeitlichen Naturwissenschaft und infolgedessen nach dem Gegenstand der nach-Kantischen Philosophie. Einen charakteristischen Ausdruck fand dies in der berühmten Davoser Disputation zwischen Heidegger und Cassirer von 1929,5 d. h. in der Debatte darüber, ob Kants Philosophie Metaphysik oder eine Theorie der Naturwissenschaft sei. Letzteres ist sie gewiß nicht. Aber das heißt nicht, daß die Naturwissenschaft für sie marginal wäre. Denn es gibt keine Metaphysik ohne philosophische Rezeption der Naturwissenschaft, ohne die Bedeutung der Naturwissenschaft – deren notwendiger Fassung der Welt unter der Form des Objekts – für die Philosophie zu begreifen. In der Literatur wurde gezeigt (obwohl nicht allgemein akzeptiert), daß Kant mit der Kritik der Urteilskraft nicht – wie oft behauptet wird – einen neuen Intellekt begründet hat, der einen unmittelbaren Zugriff auf ein übersinnliches Substrat gestattet, und auch daß er mit dieser 2 3 4 5

Vgl. z. B. Cohen 1987, ix-xiv; siehe auch Cassirer 1999 – 2000, I, 14. Düsing 1990, 139. Vgl. Cassirer 1918, 289 – 384. Vgl. Heidegger 1991, 274 – 303; Cassirer 2004; siehe auch: Schmied-Kowarzik 1997, 17 – 21.

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Schrift nicht eine Biologiephilosophie neben oder statt seiner früheren Mechanikphilosophie konzipierte, sondern daß er sich hier das zuvor nicht behandelte Problem der Erforschung der besonderen Gesetze der Natur zum Gegenstand machte, nachdem er in der Kritik der reinen Vernunft die allgemeinen Naturgesetze behandelt hatte.6 Diese klare Sicht wird nun aber durch die ausschließliche Kopplung der Naturwissenschaft an das Modell der Mechanik in den Schriften Kritik der reinen Vernunft und Metaphysische Anfangsgrnde der Naturwissenschaft und der Betrachtung von biologischen Naturgegenständen in der Kritik der Urteilskraft verwischt. Aus heutiger Sicht sind die mechanischen Gesetze ebenso besondere Naturgesetze wie die biologischen und ist die Biologie ebenso eine akzeptable Naturwissenschaft wie die Mechanik. Kant aber hatte gesagt: „Es ist nämlich ganz gewiß, daß wir die organisirten Wesen und deren innere Möglichkeit nach bloß mechanischen Principien der Natur nicht einmal zureichend kennen lernen, viel weniger uns erklären können; und zwar so gewiß, daß man dreist sagen kann: es ist für Menschen ungereimt, auch nur einen solchen Anschlag zu fassen, oder zu hoffen, daß noch etwa dereinst ein Newton aufstehen könne, der auch nur die Erzeugung eines Grashalms nach Naturgesetzen, die keine Absicht geordnet hat, begreiflich machen werde; sondern man muß diese Einsicht den Menschen schlechterdings absprechen. Daß dann aber auch in der Natur, wenn wir bis zum Princip derselben in der Specification ihrer allgemeinen uns bekannten Gesetze durchdringen könnten, ein hinreichender Grund der Möglichkeit organisirten Wesen, ohne ihrer Erzeugung eine Absicht unterzulegen (also im bloßen Mechanism derselben), gar nicht verborgen liegen kçnne, das wäre wiederum von uns zu vermessen geurtheilt; denn woher wollen wir das wissen?“7 Die Aussage „Es wird nie einen Newton des Grashalms geben“ ist ersichtlich falsch, wenn damit gesagt sein soll, daß es niemals eine – mit dem Status der Newtonschen Mechanik vergleichbare – Wissenschaft von lebenden Organismen geben kann. Da diese Aussage aber nicht marginal, sondern systembedingt war, kann man durchaus vermuten, daß Kants Mechanismus-Organismus-Gegenüberstellung heute überholt ist oder zumindestens stark variiert werden muß.

6 7

Vgl. Stadler 1874 und Baum 1986. KdU § 75, AA 5.400.

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Um diese Vermutung zu prüfen,8 sei zunächst erst einmal nachgesehen, wie Kant diese Gegenüberstellung bestimmt. Denn ein Teil der kontroversen langanhaltenden Diskussionen über das Mechanismus-Organismus-Verhältnis gründet in einer unsauberen Wiedergabe dieser Gegenüberstellung, mithin in einem inkorrekten Ausgangspunkt. Die Antinomie, von der Kant in der Kritik der Urteilskraft spricht, lautet (was schon Stadler hervorhob) 9 korrekt: Erste Maxime: Alle Erzeugung materieller Dinge und ihrer Formen muß, als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich, beurteilt werden. Zweite Maxime: Einige Produkte der materiellen Natur können nicht, als nach bloß mechanischen Gesetzen möglich, beurteilt werden (ihre Beurteilung erfordert ein anderes Gesetz der Kausalität, nämlich das der Endursachen).10 Es ist dies gewiß ein Widerstreit, aber kein logischer Widerspruch,11 was jedoch der Fall wäre, lautete die Antinomie – wie oftmals unterstellt wird: Erster Satz: Alle Erzeugung materieller Dinge ist nach bloß mechanischen Gesetzen möglich. Zweiter Satz: Einige Erzeugung ist nach bloß mechanischen Gesetzen nicht möglich.12 Nähme man letztere Formulierung an, stünden sich Mechanismus und Organismus in der Tat als logisch widersprechend gegenüber. Sie bildeten einen kontradiktorischen Gegensatz, denn der zweite Satz wäre die korrekte logische Negation des ersten.13 Wäre dies Kants Behauptung, wäre sein System inkonsistent und so auch unabhängig von der Entwicklung der Lehre von den Organismen zu einer exakten Naturwissenschaft bzw. von der Entscheidung, ob Kants Philosophie eine Metaphysik oder eine Theorie der Naturwissenschaft ist, zu verwerfen.14 Doch eine so schlichte Lösung steht nicht zur Debatte. Will man – die korrekte Fassung der Antinomie vorausgesetzt – Kant nach wie vor, also bei voller Anerkennung der sich in den letzten 200 Jahren vollzogen habenden Wissenschaftsentwicklung, eine Be8 9 10 11 12 13 14

Ausführlicher hierzu siehe Wahsner 2006. Vgl. Stadler 1874, 127 f. Vgl. KdU § 70, AA 5.386 – 388. Hierauf verweist McLaughlin 1989. Zu Kants Zurückweisung dieser Sichtweise, vgl. KdU § 70, AA 5.386 – 388. Vgl. Stadler 1874, 128. Siehe auch die detaillierte Auseinandersetzung mit diesem Gesichtspunkt bei McLaughlin 1989.

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rechtigung zusprechen, werden im wesentlichen zwei Auswege gesehen. Zum einen wird vorgeschlagen, den Widerstreit zwischen der generellen Notwendigkeit der mechanischen Erklärungsart und deren partikulärer Unmöglichkeit so aufzulösen, daß wir eben nur das erkennen können, was mechanistisch beurteilt werden kann.15 Zum anderen wird die Begründung eines neuen Mechanismus-Begriffs für notwendig erachtet.16 Lösen diese beiden Auswege das Problem, ist einer von ihnen gar notwendig? Reproduzieren sie in gewisser Weise auf einer höheren Ebene die Standard-Auffassung, wonach Kant den von ihm in der Kritik der Urteilskraft diskutierten Begriff des Organismus dadurch mit seinen Darlegungen in der Kritik der reinen Vernunft konsistent vereint, indem er ihn im Gegensatz zum konstitutiven Prinzip Mechanismus als regulatives Prinzip, als Maxime bestimmt? Oder bestätigen sie die Kritik, die besagt,17 daß diese Standardaufassung den Kantischen Gedanken nicht erfaßt, sich die Sache zu einfach macht?

1. Ist nur mechanistische Erkenntnis möglich? Dem ersten Ausweg ist die Auffassung inhärent, daß in der Kritik der Urteilskraft der Begriff des Mechanismus auch als Maxime, als regulatives Prinzip, diskutiert wird, und zwar ohne das in der Kritik der reinen Vernunft Gesagte aufzuheben. Denn – so wird entgegen häufiger Darstellungen geltend gemacht –,18 Kant formuliert nicht, daß „Mechanismus“ resp. „bloß mechanische Gesetze“ dasselbe bedeuten wie „Kausalität“; vielmehr fasse er Mechanismus als eine der Arten von Kausalität, Organismus als eine andere. Er hebe mithin mit der „Einführung“ des Organismus-Prinzips die Kausalität nicht auf. Organismus sei gemäß Kant nichts Akausales. Nach diesem Konzept unterscheiden sich Mechanismus und Organismus vielmehr dadurch, daß man nach ersterem von den Teilen (den durch Analyse gewonnenen Allgemeinheiten?) zum Ganzen geht, so

15 16 17 18

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ebd. Düsing 1966; 1981, 31 – 59 und 1990. Marc-Wogau 1938 und McLaughlin 1989, insbes.117 – 162. McLaughlin 1989, 129 und 161.

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das Analytisch-Allgemeine erhaltend; nach letzterem hingegen vom Ganzen zu den Teilen, so zum Synthetisch-Allgemeinen gelangend.19 Die Auflösung des Widerstreits zwischen der generellen Notwendigkeit und der partikulären Unmöglichkeit der mechanischen Erklärungsart wird dann folgendermaßen gesehen, die zwei Maximen so umzuformulieren: „Für unseren endlichen ,diskursiven‘, bzw. mechanistischen Verstand sind nur die Naturdinge, die sich als bloß mechanisch denken lassen, auch erklärbar. Einige solcher Dinge sind aber nicht erklärbar, weil sie sich nicht als bloß mechanisch denken lassen. Zwischen den beiden Aussagen besteht kein Widerspruch, denn es müssen nicht unbedingt alle Naturdinge für unseren Verstand überhaupt erklärbar sein. Beide Seiten des Gegensatzes können wahr sein.“20 Hiernach zwingt uns die eigentümliche Beschaffenheit unseres Verstandes, nur mechanistisch zu erklären, ohne uns garantieren zu können, daß alle Gegenstände der Erfahrung erklärbar sind.21 Die Antinomie wird so aufgelöst durch die Einführung einer nicht-konstitutiven Eigentümlichkeit des Verstandes, die wir aber nicht überwinden können. Erklärung: „Unsere Naturwissenschaft ist reduktionistisch, sie zerlegt ein Ganzes in Teile und unterstellt, man könne aus den Teilen das Ganze wiederherstellen. Sie kann nicht zulassen, daß die Teile durch die Trennung irgendwelche (vom Ganzen bedingte) Eigenschaften verlieren, die dann für die Herstellung des Ganzen nicht mehr zur Verfügung stehen würden.“22 Denn – so wird mit Kant begründet: „Nur soviel sieht man vollständig ein, als man nach Begriffen selbst machen und zu Stande bringen kann. Organisation aber, als innerer Zweck der Natur übersteigt unendlich alles Vermögen einer ähnlichen Darstellung durch Kunst“.23 Zu Recht wird bemerkt, daß diese Unfähigkeit unsererseits nicht garantieren kann, daß in der Natur (auch als Erscheinung) eine solche Bedingtheit der Teile durch das Ganze nicht möglich ist. Der Organismus scheint zu zeigen, daß diese Art Kausalität sogar wirklich ist. Diese Sicht könnte eine Lösung sein, doch ist zu fragen: Ist das Kant? Ist es tatsächlich so?

19 20 21 22 23

Vgl. KdU § 77, AA 5.405 – 410. McLaughlin 1989, 129 und 161. Vgl. ebd., 155. Ebd., 152 f. Vgl. KrV B xiii-ixx und KdU § 77, AA 5.384.

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Zunächst fällt auf, daß Kants These über den Zusammenhang von Erzeugen und Erkennen durchgehend nach dem Muster des Uhrmachers, nach dem Vorgehen des frühneuzeitlichen Handwerkers interpretiert wird,24 also so, als könne man die Newtonsche Mechanik auf ihre t]wmg-Komponente reduzieren, und als könne man die neuzeitliche Naturwissenschaft mit dem mechanistischen Weltbild identifizieren. Die vorgetragene Interpretation der dritten Kritik geht einher mit der Absicht, Kants Organismus-Konzept als eine Philosophie der Biologie zu entwickeln.25 Inwiefern dies möglich ist bzw. den Kantischen Gedanken erfaßt, steht und fällt selbstredend mit dieser Interpretation. Nach bisherigen anderweitigen Untersuchungen lassen sich gegen sie sehr wohl Argumente vorbringen, denn die mit Selbstverständlichkeit unterstellte Identität von neuzeitlicher Mechanik und Handwerkervorgehen ist erwiesenermaßen falsch, mithin auch die von neuzeitlicher Naturwissenschaft und mechanistischem Reduktionismus. Kurz gesagt bestehen diese Argumente in folgendem: Mechanik und Mechanizismus (d.i. das mechanistische Weltbild) sind nicht dasselbe.26 Es ist daher unter anderem unklar, was mechanistischer Verstand bedeutet. Und es ist nicht evident, was als Ganzes und was als Teile bestimmt wird. Die neuzeitliche Mechanik konstituiert sich nicht nur aus der antiken Mechanik, ebensowenig wie nur aus dem Gebiet, das in der Antike „Physik“ genannt wurde. Die Vereinigung der t]wmg-Komponente mit der v¼sir-Komponente macht gerade das für sie Typische aus.27 Es gibt – und zwar gemessen an Kants eigener Bestimmung von Naturzweck – einen gravitativen Organismus.28 Die Mechanik als Physik ist – wie jede echte naturwissenschaftliche Theorie – nicht reduktionistisch. Dies knapp zusammenfassend ließe sich sagen: Das neuzeitliche Denkprinzip bestimmt das – für es wesentliche – Verhältnis von Er24 25 26 27

McLaughlin 1989, 159 auch 15. Vgl. ebd., 3 – 7. Siehe Wahsner/v. Borzeszkowski 1997, 1 – 77, sowie die dort zitierte Literatur. Zum Verständnis dieser Aussage siehe v. Borzeszkowski/Wahsner 2004; Wahsner 1995 und 2004. Zum Verhältnis der antiken zur neuzeitlichen Mechanik, mithin der Statik zur Dynamik siehe auch Wahsner/v. Borzeszkowski 1988. 28 Vgl. Wahsner 1993.

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kennen und Erzeugen nicht so handwerklich, wie es meist suggeriert wird.29

2. Bedarf es eines neuen Mechanismusbegriffs? Die zweite Variante einer Lösung des Mechanismus-Organismus-Problems unter heutigen Bedingungen sieht – wie gesagt – den Ausweg in einem neuen Begriff von Mechanismus. Es wird argumentiert: „Die eigentliche Schwierigkeit dieser Theorie Kants liegt aber nicht in seiner Teleologie, sondern in seinem veralteten Begriff des Mechanismus, der im Objektivitäts- und Notwendigkeitsideal der klassischen Physik gründet. Kant glaubt, da alles in der Natur streng determiniert vor sich gehe, für scheinbar zufällige Ereignisse, die sich nicht mechanisch erklären lassen, neue, nämlich teleologische Determinanten einführen zu müssen. Dies trifft nun z. B. auf die Unschärferelation in der Elementarteilchenphysik oder die chemische Lehre von der Bildung bestimmter Makromoleküle nicht zu. Der Begriff des Mechanismus muß daher erweitert und vom klassischen Objektivitäts- und Notwendigkeitsideal abgelöst werden. Dann aber ändert sich das Verhältnis dieses modernisierten ,Mechanismus‘, zur Teleologie und zu den Gründen, sie modellhaft einzusetzen.“30 Es wird vermutet, daß dies metaphysische Konsequenzen haben könnte, d. h. teleologische Prinzipien in die Naturwissenschaft eingeführt werden müßten.31 Es trifft durchaus zu: Man muß den Begriff Mechanismus kritisch diskutieren; kann mit gutem Grund vermuten, daß der Begriff Mechanismus – sowohl der des seinerzeitigen wie der des heutigen landläufigen als auch des Kantischen Bewußtseins – revidiert werden muß, was in der Konsequenz dann auch das Verhältnis Mechanismus – Organismus verändert. Ob die Änderung aber in die angegebene Richtung gehen wird, ist zweifelhaft. Jedenfalls konnte gezeigt werden, daß die zitierten Wissenschaften, die genannten Disziplinen der modernen Naturwissenschaft, bezüglich ihres epistemologischen Status nicht anders verfaßt

29 Zur klaren Bestimmung dieses Verhältnisses siehe z. B. K. Lasswitz 1890; Cassirer 2000; Cassirer 1999 – 2000, insbes. Bde. I und II; Wahsner 1978; 1992; 1996, 217 – 221; 1998 und v. Borzeszkowski/Wahsner 2004a. 30 Düsing 1990, 156. 31 Vgl. ebd., S. 139.

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sind als die Newtonsche Mechanik.32 Der gegenteilige Schein ist – um das zu wiederholen – bedingt durch die falsche Bestimmung des epistemologischen Status der Mechanik, durch die Gleichsetzung dieser Naturwissenschaft mit einer ihrer philosophischen Rezeptionen. Ein veränderter Begriff Mechanismus ist somit durch eine veränderte metaphysische resp. philosophische Sicht auf die Naturwissenschaft bedingt, bedeutet aber keine Vermischung von Naturwissenschaft und Metaphysik, keine Aufhebung des Objektivitäts- und Notwendigkeitsideals der klassischen Physik.33 Die Frage, ob die Mechanik von sich aus mechanistisch ist, ob sie zwangsläufig ein mechanistisches Weltbild impliziert, wurde in mehreren Arbeiten untersucht und negativ beantwortet.34 Keinesfalls ist es selbstverständlich, eine physikalische Disziplin und eine bestimmte philosophische Konzeption von vornherein gleichzusetzen. Worin das mechanistische Verständnis der Mechanik und seine Differenz zu der physikalischen Theorie besteht, kann hier nicht ausführlich dargestellt werden. Es sei nur bemerkt, daß dieses Verständnis darauf hinausläuft, Theorie bzw. Begriff und Wirklichkeit zu identifizieren, das heißt, die Mechanik nicht als Theorie zu erkennen, mithin nicht darüber nachzudenken, wie die Mechanik zu ihren Aussagen gelangt, und folglich nicht, welcher Art diese sind.35 Das Bewußtsein erscheint hierbei als bloßer Spiegel, über dessen verzerrte oder getreue Wiedergabe der Mechanizist als äußerer Beobachter urteilen zu können glaubt. Dieser Glaube gründet in der Unkenntnis der grundlegenden Voraussetzung der Physik, die Welt unter der Form des Objekts zu betrachten, das erkennende Subjekt durch die Wahl eines geeigneten Erkenntnismittels als Subjekt aus dieser Welt auszublenden und ihm die Rolle eines äußeren Beobachters zuzuteilen. Für die Physik ist ein solches Vorgehen nicht nur legitim, sondern sogar notwendig. Will man mit ihm jedoch das erkennende Subjekt erklären, so will man etwas Unmögliches tun, man will das Subjekt unter der

32 Vgl. z. B. v. Borzeszkowski/ Wahsner 1984 und 1989; Wahsner/ v. Borzeszkowski 1992 und Wahsner 1998. 33 Zum Verhältnis von Philosophie und Naturwissenschaft vgl. v. Borzeszkowski/ Wahsner 1980a und 1982. 34 Siehe zum Beispiel: Ruben 1967; v. Borzeszkowski/ Wahsner 1980 und 1999; Wahsner/ v. Borzeszkowski 1988 und Schöpf 1981. 35 Vgl. z. B. Hegel 1986, 231 f.

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Voraussetzung erklären, daß man es als Subjekt negiert hat.36 So entsteht die kuriose Vorstellung, der Mensch könne sagen: So ist es wirklich, und so verzerrt bzw. getreu spiegelt unser Bewußtsein die Wirklichkeit wider. Gründet man Kants Begriff Mechanismus auf die unzulässige Gleichsetzung der physikalischen Theorie mit dem mechanistischen Weltbild, muß dieser Begriff erneuert werden; gründet man ihn auf die adäquate philosophische Rezeption der klassischen Mechanik, bedarf es dieser Erneuerung nicht.

3. Der neuzeitliche Umbruch Die Frage nach einem anderen Mechanismusbegriff erweist sich als verbunden mit dem angenommenen Begriff von Naturwissenschaft. Dieser aber kann nicht angemessen gefaßt werden, vernachlässigt man den entscheidenden Umbruch in der Weltsicht, der sich mit dem Beginn der Neuzeit vollzog, d. h. mißachtet man den wesentlichen Unterschied zwischen der antiken und der neuzeitlichen Weltauffassung.37 Kommt der Antike das Verdienst zu, Natur als solche überhaupt erst denkbar gemacht zu haben,38 so bedurfte es noch tiefgreifender Änderungen im Denken des Verhältnisses Natur – Mensch – Gott (resp. Unendliches, bersinnliches),39 um zu einem Naturbegriff zu gelangen, der als Basis einer Naturwissenschaft im heutigen Verständnis des Wortes geeignet war. Um die Problematik des Naturbegriffs zu veranschaulichen, sei hier nur daran erinnert, daß die antike Grundansicht geozentrisch fundiert war. Was „Physik“ hieß, war Naturphilosophie. Diese lief in ihrer späteren Phase auf eine Zweiweltentheorie hinaus, nach der die Körper in der Sphäre oberhalb des Mondes aus einem ganz anderen Element bestehen und sich nach ganz anderen Geboten bewegen als die sublunaren Körper. Hiernach gibt es keine einheitliche Gesetzmäßigkeit der den Menschen umgebenden Welt, sondern eine Wertordnung von niederen und höheren Sphären. Eine die gesamte menschliche Au36 Vgl. Schrödinger 1955; 1984 und 1986. Siehe auch v. Borzeszkowski/Wahsner 1987. 37 Ausführlicher siehe v. Borzeszkowski/Wahsner 2004; Wahsner 2006, insbes. 24 – 39. 38 Vgl. Jürß 1974 und Thomson 1955. 39 Vgl. auch Krafft 1970, 160 – 168.

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ßenwelt umfassende Physik als Wissenschaft von der Natur konnte sich so nicht herausbilden. Irdische und kosmische Prozesse galten nur als geometrisch miteinander vergleichbar (siehe die geometrisch-kinematische Astronomie), nicht dynamisch bzw. physikalisch. Als Synthese experimenteller Untersuchungen der Bewegung irdischer Massen (Galilei) und der theoretischen Astronomie (Kepler) sowie der Kräfte der Hand (antike Mechanik) und der der Natur (antike Naturphilosophie) entwickelte Isaac Newton die erste Naturwissenschaft im neuzeitlichen oder im heutigen Sinne des Wortes, die klassische Mechanik. Diese Wissenschaft beruhte auf dem Gedanken der naturgesetzlichen Einheit von Himmel und Erde und fundierte ihn zugleich. Daß die Dinge und Erscheinungen universell vergleichbar, mithin etwas Gleichartiges sind, ist uns heute selbstverständlich, so selbstverständlich, daß wir es als Voraussetzung gar nicht erkennen, nicht erkennen, daß die heutige Naturwissenschaft auf dieser grundlegenden philosophischen These beruht, auf dieser Weltsicht gründet. Vom Standpunkt der antiken Weltsicht war eine solche Synthese gar nicht möglich.40 Denn hiernach ist die Physik der Teil der Philosophie, der sich mit der Natur befaßt, und Natur bezeichnet das eigentliche Wesen der Dinge, das ewig unveränderlich Seiende. Die Bewegung der Gegenstände erklärt sich aus ihrer Substanz,41 Wesenheit, Natur. Bewegungen gegen diese Natur sind gewaltsam. Man kann über die Natur daher nur unterrichtet werden, wenn man sie so sein läßt, wie sie ist, nicht wenn man ihr Gewalt antut oder sie künstlich präpariert. Die antike Physik ist daher kontemplativ und spekulativ, nicht experimentierend (dies wäre eine Zerstörung des organischen oder eigentlichen Zusammenhangs der Natur). Rationale Betrachtung bzw. metaphysische Spekulation und kontemplative Wahrnehmung sind so die geeignetsten Verfahren dieser Wissenschaft. Die antike Mechanik als Kunst, die Natur zu überlisten, steht daher nahezu im Gegensatz zur Physik bzw. die menschliche Kunst im Gegensatz zur Natur. Denn was der Mensch durch die Verwendung natürlicher Gegenstände produziert, hat kein natürliches Wesen, sondern

40 Vgl. Hooykaas 1963; Krafft 1967 und 1970. 41 Nach Aristoteles z. B. bewegen sich die Himmelskörper auf Kreisen, weil der Kreis die vollkommenste Bahn ist und sie aus keinem der vier irdischen Elemente, sondern aus einem höheren, einem ätherischen Stoff (der sogenannten quinta essentia) bestehen, dessen natürlicher Ort der Kreis ist.

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nur eine künstliche Form. Es hat daher sein Bewegungsprinzip nicht in sich.42 Um beides überhaupt synthetisieren, um damit auch Mechanik und Physik vereinen zu können, bedurfte es eines weltanschaulichen und sozialen Umbruchs, eines Umbruchs, mit dem eine kategoriale Neufassung der Welt einherging,43 und sich das unterstellte Verhältnis von Mensch und Natur, Natur und Gott änderte.44 An die Stelle des antiken Gegensatzes Mensch – Gott und Natur setzt die Neuzeit Mensch und Natur – Gott. Es ist nunmehr nicht widersinnig, die Natur selbst als Mechanismus zu betrachten und die mechanische Tätigkeit als Handlung, durch die man etwas über die Natur erfährt. Mechanik oder Werkzeugkunde kann in diesem Sinne als Naturwissenschaft, die v¼sir, die Natur der Dinge, als mechanisch angesehen werden. Das Experiment als künstliche Herstellung von idealen Situationen, was das Zerreißen naturwüchsiger Zusammenhänge impliziert, kann als geeignetes Verfahren zur Erkundung der Natur begriffen werden.45 Die mit diesem Umbruch verknüpfte kategoriale Neufassung der Welt implizierte den Übergang von der Verwendung des Denkmittels der Substantialität zu der des Denkmittels der Variabilität, was sich als Umbruch vom Substanzdenken zum Funktionsdenken niederschlägt.46 Beruhte die antike Philosophie auf der kategorialen Fassung substantivierter Eigenschaften (das Bewegliche, das Wahre, das Gute, das Schöne, das Leere, das Volle), so beruht die neuzeitliche auf der kategorialen Fassung substantivierten Verhaltens. Das Wirken der Gegenstände bestimmt hiernach ihr Sein. Oder schärfer: Das Wirken ist das Sein. Bewegung als Verhalten kann damit zum Gegenstand werden, und wird dann auch zum Gegenstand der neuzeitlichen Naturwissenschaft. Das neue Prinzip begründet zugleich eine neue Art von Allgemeinem, ein Allgemeines in der Gestalt von Ordnungen, funktionalen Verknpfungen und Verhltnissen. Ein solches Allgemeines kann nur durch das Einzelne und mit dem Einzelnen sein. Ordnungen haben 42 Vgl. z. B. Bartels 1965, 276; Löbl 1997 und 2003. 43 Lasswitz 1890; Cassirer 2000 und 1999 – 2000, insbes. I, 18 – 61. Zu diesem Umbruch siehe auch Dijksterhuis 1956; Wolff 1978; Wahsner 1978, insbes. 6 – 70 und 95 – 359; Wahsner 1996, 11 – 19, 54 – 60, 116 – 121 und 217 – 221 und v. Borzeszkowski/ Wahsner 2004, 145 – 149 und 153 – 167. 44 Vgl. auch Krafft 1970, 160 – 168. 45 Hooykaas 1963, 10 – 11. 46 Vgl. die in Anm. 43 zitierte Literatur.

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ohne Elemente, die geordnet werden, kein Dasein, ebensowenig wie Verhältnisse ohne Etwase, die sich zueinander verhalten.47 Das neue Prinzip leistet dies, weil es das Einzelne in ein funktionales (keineswegs linear-kausales) Abhängigkeitsverhältnis zu bringen vermag. Das Einzelne, das Endliche, die Erscheinung steht dem neuen Prinzip gemäß nicht mehr im unversöhnlichen Gegensatz zum Unendlichen, zum wesenhaften Sein. Unendliches und Endliches, Absolutes und Relatives, Allgemeines und Einzelnes bedingen und bedürfen einander. Aber sie sind nie dasselbe. Die Bewegung des menschlichen Geistes selbst, seine Fhigkeit der progressiven Annäherung resp. Anähnelung wird zum Medium der Vereinigung. Der menschliche Geist in seinem Werden, seiner Selbstgestaltung wird zum Symbol des göttlichen Seins. Der Erwerb, nicht der Besitz des Wissens gibt der menschlichen Vernunft den Charakter der Göttlichkeit.48 Durch den Vorrang des Funktionsbegriffes vor dem Dingbegriff gewann der Begriff der Relation und der des Verhältnisses resp. der Ordnung (einer als Gesetz fixierbaren Ordnung) eine ganz andere Bedeutung, ist nicht mehr als Relatives der wertmindere Gegensatz zum Absoluten, sondern das grundlegende Denkprinzip. Auf der Grundlage dieser Wandlungen ist der neuzeitlichen Mechanik eine Synthese der Kräfte der Hand mit den Kräften der Natur inhärent und in der Konsequenz eine Synthese von Kunst und Natur. Zudem kann man in der Unterscheidung der beiden Kräftearten die kategoriale Differenzierung von Stoß und Wechselwirkung bzw. allgemeiner: von einem Denken gemäß linearer Kausalität und einem gemäß einer Zweckursache oder gemäß – wie es dann von Kant genannt wurde – Mechanismus und Organismus erkennen.

47 Zu dieser neuen Art des Allgemeinen unter diesem Aspekt siehe Wahsner 2000; Wahsner 2002; v. Borzeszkowski/ Wahsner 2004a, insbes. 10 – 12. 48 In der Kantischen Philosophie schlägt sich dieser Standpunkt dann in dem Grundsatz nieder: Das Ganze der Welt, die Totalität, ist uns nie gegeben, aber stets aufgegeben. Das, was als apriorisches Erkenntnisvermögen angegeben wird, wird als Fhigkeit gefaßt, eben als Vermögen, als Fähigkeit, etwas in bestimmter Weise zu tun, z. B. anzuschauen. Die Produkte der betreffenden noch auszuführenden Tätigkeit (Kategorien, Raum und Zeit) sind so nicht angeboren, sondern selbständig erworben.

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4. Mechanik als Wissenschaftsmodell? Auf dieser mehrdimensionalen „copernicanischen Wende“ wurde die Newtonsche Mechanik als erste voll ausgestaltete Wissenschaft errichtet. Damit ist sie eindeutig verschieden von dem mechanistischen Weltbild. Die Mechanik hätte gar nicht funktionieren können, wenn sie wirklich so gewesen wäre wie das mechanistische Weltbild meinte, daß sie es sei. Sie wurde – aus nachvollziehbaren Gründen – philosophisch so rezipiert, aber als Naturwissenschaft, als physikalische Theorie, ist sie von ihrem Ursprung an nicht so gewesen. Es hat sich in der philosophischen Diskussion die mechanistische Sicht auf die Mechanik darin niedergeschlagen, daß man meinte, ein mechanisches Objekt sei eines, das von außen angestoßen wird, durch irgendeine Kraftwirkung angestoßen werden muß. Das Objekt der Mechanik ist jedoch so nicht beschaffen. Was bei Kant und auch bei Hegel unter der Überschrift „Kraft“ oder „mechanische Kraft“ diskutiert wird, ist eigentlich Stoß oder Impuls. Tatsächlich aber ist das, was in der Mechanik Kraft heißt, das, was im zweiten Newtonschen Axiom auf der rechten Seite steht, was wiederum mitbestimmt wird durch das, was im ersten und dritten Axiom gesagt wird. Oder, etwas verständlicher formuliert: Kraft ist eine dynamische Wechselwirkung, die durch die drei Newtonschen Axiome in ihrem Charakter determiniert ist. Das ist auch zu Kants Zeit so gewesen. Newton hat – man muß sagen: mit Widerwillen – erkannt, daß die Gravitation nicht verstanden werden kann als eine einseitig gerichtete Kraft, sondern daß sie ein Gegeneinander ist.49 Die Körper sind nur gegeneinander schwer. Gravitation ist etwas, was einem einzelnen Körper nicht zugeschrieben werden kann, sondern es ist etwas, was überhaupt erst durch das Gegeneinander von mindestens zwei Etwasen erzeugt wird. Dem Newtonschen Kraftbegriff (mithin seiner ganzen Theorie) liegt also de facto ein kategorialer Umbruch zugrunde, eben jener, der als Übergang vom Substanzdenken zum Funktionsdenken bezeichnet wurde. Zweifelsfrei gab es zu Newtons Zeit kein philosophisches System, das diesen Übergang auf den Begriff brachte. Hingegen versuchte man, diesen neuartigen naturwissenschaftlichen Begriff Kraft mit alten philosophischen Mitteln zu fassen, das Gegeneinander als Ding-Eigenschaft-Verhältnis zu denken. Diese kategorial falsche Fundierung ist der Hauptpunkt, wenn auch nicht der einzige Punkt, hinsichtlich des Unterschieds zwischen dem, 49 Vgl. z. B. Newtons explizite Redeweise, Newton 1872, 387 – 395.

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was die Mechanik tatsächlich gemacht hat, und dem, was das mechanistische Weltbild als ihre Aussagen vorgibt. Sieht man es also als erwiesen an, daß Mechanik und Mechanizismus nicht dasselbe sind (und dieser Nachweis wird hier zugrunde gelegt), dann bleibt als das Hauptproblem bezüglich des Verhältnisses von Mechanismus und Organismus das des Verhltnisses von allgemeinen und besonderen Naturgesetzen, welchem Problem unter anderem die Frage inhärent ist, ob Kants Mechanismus durch die Mechanik oder den Mechanizismus bestimmt ist, und wie Kant Kausalitt denkt. Nach Kant sind die allgemeinen Naturgesetze (und nur diese) transzendentale Gesetze der Natur, die dem reinen Verstande entspringen (wobei ein transzendentales Prinzip dasjenige ist, „durch welches die allgemeine Bedingung a priori vorgestellt wird, unter der allein Dinge Objecte unserer Erkenntniß überhaupt werden können“50). Die allgemeinen Naturgesetze fixieren die allgemeine Möglichkeit von Erfahrung überhaupt, sie geben die Bedingungen an, unter denen allein Erfahrung berhaupt mçglich ist. Das bedeutet, daß nach Kant die Gegenstände theoretischer Erkenntnis, sofern diese Erkenntnis von den Sinnen abhängig ist, bloße Erscheinungen sind und die Natur als Inbegriff dieser Erscheinungen unter der Gesetzgebung des Verstandes steht, d. h. daß der Verstand die Natur durch seine Gesetzgebung in formaler Bedeutung erst ermöglicht, so daß wir mit Kant sagen können, der Inbegriff dessen, was ist – sofern das Dasein dieser seienden Dinge ein notwendiges Dasein ist –, hängt von unserem Verstande selbst ab. Kant hält diese Sicht keineswegs für evident, sondern fragt, wie es zu begreifen sei, daß die Natur sich nach Begriffen, die nicht von ihr abgeleitet werden, richten muß, d. h. wie diese Begriffe die Verbindung des Mannigfaltigen der Natur a priori bestimmen können, ohne von der Natur abstrahiert zu sein.51 Er findet die Lösung darin, daß nicht von Gesetzen einer Natur an sich, von Dingen an sich, die Rede ist, sondern von Gesetzen relativ auf das Subjekt, dem die Erscheinungen erscheinen, bzw. relativ auf das Subjekt, insofern es Verstand hat. Er findet die Lösung darin, daß Erscheinungen nicht an sich existieren, sondern Erscheinungen sind, bezogen auf ein Wesen, insofern es Sinne hat.52 Damit sagt Kant nicht, daß Erscheinung das Gegenteil des Wesens ist (wie 50 KdU „Einleitung“, AA 5. 181. 51 Vgl. KrV B 164. 52 Vgl. ebd.

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Hegel behauptet) 53, sondern daß es sich bei einem Erkenntnisobjekt stets um einen Verhältnisstatus handelt und daß zwischen etwas denken kçnnen und etwas zum Objekt haben unterschieden werden muß. Kants These, daß der Verstand der Natur die Gesetze vorschreibt, gilt heute im allgemeinen als antiquiert, als Widerspruch zu der so erfolgreichen empirischen Naturwissenschaft. Doch gerade eine Analyse der erkenntnistheoretischen Basis heutiger Naturwissenschaft – und zwar eine, die speziell unternommen wurde, um die Gründe für die von der Quantenmechanik aufgeworfenen Probleme, insbesondere für das von ihr erneut thematisierte Kausalitäts- und Realitätsproblem zu erkunden – zeigt nicht nur, daß diese These keineswegs veraltet ist, sondern erhellt vielmehr die Überlegungen Kants und korrigiert sie eventuell.

5. Verständlichkeit und Objektivierung Veranlaßt durch die von der Umgestaltung der Naturwissenschaft im 20. Jahrhundert aufgeworfenen Probleme wurde das Kausalprinzip in Frage gestellt bzw. als widerlegt ausgegeben. Der Physiker Erwin Schrödinger, besonders durch die agnostizistischen Schlußfolgerungen aus der Quantenmechanik irritiert, postulierte, daß man Erfahrung machen können muß und fragte: Was haben wir getan, daß wir es bisher konnten? Worauf beruhten die Erfolge der Naturwissenschaft, und warum gibt es jetzt Probleme? Seine Untersuchungen führten zu dem Ergebnis, daß die Naturwissenschaft nur möglich ist, weil vor langer Zeit, in der griechischen Antike, gewisse Entscheidungen (sei es bewußt oder unbewußt) getroffen wurden; Entscheidungen, die die Sicht des Menschen auf die Welt (künstlich) einschränken, es dadurch aber ermöglichen, daß der Gegenstand der menschlichen Sinne zu einem zusammenhängenden Ganzen, mithin zu einem durch notwendige resp. gesetzmäßige Zusammenhänge konstituierten Etwas überhaupt werden kann, sich allerdings Probleme auftun, wenn vergessen wird, daß unsere gesamte Weltsicht voraussetzungsbelastet ist oder besser gesagt: durch bestimmte Bedingungen determiniert ist. (Wird dies vergessen oder nicht bedacht, dann gerät eben auch die Notwendigkeit nicht in den Blick, daß gegebenenfalls Modifizierungen dieser

53 Siehe z. B. GW 20.323 und 351 f.

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seinerzeitigen Entscheidungen resp. Bedingungskonstellationen notwendig sind.) 54 Der spezielle Standpunkt, auf dem das naturwissenschaftliche Weltbild ruht, umfaßt nach Schrödinger zwei miteinander verknüpfte Grundeinstellungen: zum einen die Annahme, daß das Naturgeschehen sich verstehen läßt, zum anderen den Grundsatz, das erkennende Subjekt aus dem angestrebten verständlichen Weltbild auszublenden, und es in die Rolle eines außenstehenden Beobachters zurücktreten zu lassen.55 Die erste Annahme scheint uns selbstverständlich zu sein, was sie aber nicht ist. – Es war eine große Leistung der ionischen Naturphilosophen des 6. Jahrhunderts v. d. Z., auf die die Verständlichkeitsannahme zurückgeht, das Naturgeschehen (Wind, Blitz, Donner, Erdbeben, Bewegung der Gestirne, Wachsen der Pflanzen) nicht mehr auf Willensentschlüsse von Personen (und seien es Götter) zurückzuführen, obzwar dies die einzige dem Menschen jener Zeit direkt bekannte Ursache bemerkenswerter Handlungen war. Diese Ätiologie „durch die Annahme zu ersetzen, daß die Welt ein verständlicher Mechanismus ist, dessen Funktionieren sich durch Beobachtung und Nachdenken ergründen und wohl gar zu eigenem Vorteil voraussehen läßt“, war nach Schrödinger ein wirklich bedeutender Schritt.56 In dem Bestreben, das Werden und die Veränderung zu erklären, gelangten die antiken Naturphilosophen notwendig zu einer Art Erhaltungsprinzip, zu der Idee von der !qw¶. Der Gedanke der !qw¶, der Grundsatz, daß aus Nichts nichts werden und nichts zu Nichts vergehen könne, war daher eine umwälzende Überlegung. Dieser große Grundgedanke der antiken Naturphilosophie besagte: die Dinge werden nicht vernichtet, sondern nur umgewandelt, sie sind nicht absolut endlich und vergänglich. Das widersprach dem Augenschein, aber gerade dadurch drang man zum Gesetz vor, zum Gesetz einer bestimmten Stufe, und begnügte sich nicht mit der bloßen Erscheinung. Es war, so könnte man sagen, der Entschluß, aus der Vielfalt der Ereignisse und Verwandlungen diejenigen herauszugreifen, durch die sich ein Zusammenhang konstituieren ließ, derart, daß ein Gemeinsames oder Allgemeines der sehr verschiedenen Dinge sichtbar, erfaßbar wurde. Die hiermit implizierte Forderung nach einem lückenlosen Zusammenhang 54 Vgl. die nachfolgend zitierten Texte Schrödingers sowie v. Borzeszkowski/ Wahsner 1987 und Wahsner/v. Borzeszkowski 1992, 82 – 95. 55 Vgl. Schrödinger 1955, insbes. 155 – 169; 1951, 73 ff. und 1984. 56 Ebd.

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ermöglichte so, die Natur als System oder als ein Ganzes zu denken, spornte zur Erkenntnis an, im Gegensatz zum Abfinden mit dem Verschwinden der Dinge, was nur eine schlichte Beschreibung der Erscheinungen zuließ. Diese neue Betrachtungsweise implizierte eine objektive Darstellung der Natur. Da man sich von der Erklärung durch zweckgerichtete Handlungen losgesagt, insofern eine subjektunabhängige Erklärung gewählt hatte, erschien die Natur als Mechanismus – eine Verfaßtheit, die neutral ist gegen die Art und Weise ihres Zusammenhangs resp. ihrer Kausalität, nur ihre Selbstbewegtheit wird so behauptet, seinerzeit in der Gestalt des Hylozoismus (einem durchaus un-animistischen Konzept). Schrödinger erkennt in der eine objektive Darstellung der Natur implizierenden und die Natur als Mechanismus erscheinen lassenden Betrachtungsweise den ersten in der Geschichte unternommenen Versuch, die Natur aus sich selbst heraus zu verstehen – ohne Mystik, ohne das Eingreifen übermenschlicher Persönlichkeiten. Das heißt, es kam erstmals der Gedanke auf, daß es möglich sein müsse, die Mannigfaltigkeit des Erscheinenden auf ein paar Grundprinzipien zurückzuführen (Wasser, Feuer, Atome), also im Wechsel der Erscheinungen etwas Konstantes zu bestimmen, etwas Konstantes, das man später „Naturgesetze“ nannte, wobei es zunächst um den Gedanken des Konstanten im allgemeinen Wechsel ging, unabhängig davon, ob man dieses Konstante als konstantes Substrat oder als konstante Beziehung denkt. Schrödinger sieht hier die Geburt des Grundgedankens der Naturwissenschaft. Besser sollte man vielleicht sagen: die Geburt der Grundhaltung, des erkenntnistheoretischen Ausgangspunktes der Naturwissenschaft (Erhaltung bestimmter Größen bzw. Entitäten, personelle Unabhängigkeit, Mechanismus als Objektivitt der Natur). Naturgesetze im Sinne dieser Grundhaltung sind das, was Kant später „allgemeine Naturgesetze“ nennt, allgemeine Gesetze des Objekts. Gesetzmäßigkeit bedeutet hier: Dauerhaftigkeit von bestimmten Zusammenhängen, und zwar von Zusammenhängen zwischen ideierten Entitäten. Von der Dauerhaftigkeit einer Substanz ist hier nicht die Rede. Der Begriff !qw¶ bedeutet etwas Elementares, er ist offen für: Substrat, Zusammenhang, Verhältnis, Grund. Einen vollen Eindruck davon, daß die Verständlichkeitshypothese keineswegs selbstverständlich ist, kann man gewinnen, wenn man sich in eine Geisteslage hineindenkt, der sie fernliegt. Denn man muß nicht nach dem Grund eines zunächst undurchsichtigen Zusammen, sondern kann auch nach dessen Sinn suchen. Man möge sich vorstellen, schlägt

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Schrödinger vor: Am Meeresstrand hinschreitend, finden wir an einer Stelle nebeneinander auf den Sand gespült einen toten Fisch, ein Stück Balken von besonderer Form und ein verschlossenes grünes Fläschchen. Daß diese Gegenstände dort nebeneinander liegen, beachten wir höchstwahrscheinlich nicht weiter, es kann uns höchstens zum Nachdenken veranlassen, wenn wir einen Grund für das Zusammentreffen vermuten, etwa, daß sie von demselben Schiffbruch herrühren könnten. Dagegen der denkende, aber noch nicht westlich beeinflußte Chinese ist geneigt, im schicksalhaften Zueinandergeraten auch von gleichgültigen, nicht gefühlsbetonten Dingen einen Sinn (Tao) zu suchen, und zwar nicht notwendig einen abergläubischen. Es mag ihn fesseln, so Schrödinger, einen solchen kleinen Ausschnitt des Sinnes der großen, für ihn ganz und gar sinndurchwirkten Natur nachzudenken. Der eine sucht das Gesetz, der andere den Sinn. Der Sinnsucher sieht den Einzelfall. Denn: Die Natur ist nur einmal vorhanden. Jede einzelne ihrer Handlungen muß ihren besonderen Sinn haben, der aus ihrer frei sich fügenden, nahezu künstlerischen Gestaltung abzulesen ist. Die Sichtweise, die die Persönlichkeitsanalogie aufgegeben hat, kann dieses Ziel nicht haben.57 Die Suche nach dem Gesetz, dem Gleichbleibenden ist per se eine Suche nach dem Allgemeinen (und impliziert die Fassung der Welt unter der Form des Objekts).58 Im Wesen der Verständlichkeitsdoktrin liegt es, daß man bei der Betrachtung des Geschehens immer solche Wahrnehmungen oder Beobachtungen zusammendenkt, die im Zusammenhang der Notwendigkeit stehen. „Man greift Kausalketten heraus und bezeichnet sie als das allein Wesentliche.“59 Im wirklichen Leben aber gibt es natürlich nicht nur diese Zusammenhangsverhältnisse. Man könnte auch anderes zusammendenken, gar nichts jedoch geht nicht, denn dann gäbe es nicht einmal sogenannte Tatsachen resp. Ereignisse, die so oder so zusammenhängen. Zu erkennen, daß es nicht darum geht, die Existenz von Wissenschaft und Erfahrung zu bezweifeln, sondern daß gefragt werden muß, „Wie ist Erfahrung möglich?“, „Wie ist Wissenschaft möglich?“, um aus dem Hin und Her zwischen Empirismus und Rationalismus herauszukommen, ist Kants große Leistung. Durch Hume veranlaßt – der er57 Vgl. Schrödinger 1984, 428. 58 Vgl. ebd., 428 – 430. 59 Ebd., 429, vgl. auch 409 – 453; zur Erläuterung siehe Wahsner/ v. Borzeszkowski 1992, 27 und 82 – 95.

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kannt hatte, daß Kausalität kein Erfahrungsergebnis ist –, hat Kant gezeigt, daß Kausalitt Erfahrung erst ermöglicht, Kausalität insofern denknotwendig ist. Allgemeiner: Kants Erwachen aus dem dogmatischen Schlummer ist die Einsicht, daß wir mittellos gar nichts erkennen. Seine Arbeit bestand dann darin zu untersuchen, worin die notwendigen Mittel bestehen. Der etwas unglückliche Schrödingersche Terminus „Kausalketten“ sei hier zunächst als Bezeichnung für das Denken eines notwendigen Bedingungszusammenhangs übernommen, um sich nicht in einer Kausalitätdebatte zu verlieren. Kausalität sei hier genommen als das Denken eines Zusammenhangs von der Art „immer dann, wenn das und das vorliegt, dann liegt auch das und das vor“. Diese Vorgehensweise impliziert die Unabhängigkeit vom Subjekt, die Wiederholbarkeit, gegenseitige Abhängigkeit der betrachteten „Phänomene“, und sie unterstellt wie gesagt, daß überhaupt nach dem Gesetz, nicht nach dem Sinn des Geschehens gesucht wird. Bei dem Verfahren, in Kausalketten aufzulösen, liegt ein Verzicht vor, – ein Verzicht, der nicht ohne Folgen ist. Die Verstndlichkeitshypothese als solche bedingt, daß Diskontinuitten (Zerissenes, Liegengelassenes) in unser Weltbild hineinkommen, eben weil sie das Herausgreifen von Kausalketten aus dem Weltzusammenhang erfordert. Es sei dies aber der einzige Weg, um Naturgesetze zu erkennen und die Welt rational zu erfassen. Man müsse sich nur der Tatsache bewußt sein, daß hierdurch ausgewhlt wird und wirkliche Zusammenhänge zerrissen werden, allerdings zu dem Zweck und mit dem Ergebnis, gesetzmäßige Zusammenhänge zu erkennen. Doch entfernen können wir das Diskontinuierliche als solches aus unserem Weltbild nicht, im Gegenteil, wir bringen es hinein. Das heißt: wir können uns die Welt nur verständlich machen, indem wir gezielt, also zweckgerichtet, Diskontinuitäten sinnvoll erzeugen. Dieser Makel wird durch das Gesetz in gewisser Weise kompensiert: Es gibt Gesetze, die nur einmal gegebene Welt zerfällt nicht in (beobachtete) Einzelfälle; wir haben einen Zugang, um die Natur als System zu fassen.

6. Die Begriffe Natur, Objekt und Gesetz Kants Begriff allgemeine Naturgesetze ist identisch mit Natur berhaupt resp. Objekt als solches. Allgemeine Naturgesetze sind für Kant das, was Natur denkbar macht, den Begriff Natur (die ein System, ein Ganzes

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sein muß) fassen läßt. Daß man Natur denken kçnnen muß, ist der gängigen heutigen Auffassung nicht geläufig. Doch gab es zunächst nicht einmal ein Wort dafür. Und Schrödingers Untersuchungen sowie von einer etwas anderen Seite her die Cassirers zeigen recht einsichtig, daß eine gewisse Haltung des Menschen zur Welt, ein bestimmtes Inder-Welt-sein des Menschen, erforderlich ist, um „Natur“ denken zu können. Das Entsetzen, das viele überfiel, als sie hörten, Kant wolle der Natur vom Verstand die Gesetze vorschreiben lassen (ein Ansinnen, das ihm selbst nicht ganz geheuer war), verflüchtigt sich, erkennt man auf die genannte Weise die Voraussetzungsbeladenheit unserer heutigen „selbstverständlichen“ Weltsicht. Selbstredend soll Kants Deduktion und die objektive Gültigkeit der Kategorien nicht durch Cassirers oder Schrödingers „problemhistorische“ Untersuchungen abgelöst oder damit gleichgesetzt werden. Aber der Hintergrund der Kantischen Deduktion wird durch diese Untersuchung klarer. (Es wird zudem sichtbar, daß eine schlichte Abweisung der Naturwissenschaft, wenn es um „hohe“ Philosophie geht, nicht möglich ist.) Daß die allgemeinen Naturgesetze apriorisch sind, versteht sich nunmehr nahezu von selbst. Zu sagen: es gibt allgemeine Naturgesetze, heißt zu fixieren, dass wir einen Weg gefunden haben, der es ermöglicht, überhaupt Naturwissenschaft betreiben zu können. Die allgemeinen Naturgesetze charakterisieren den erkenntnistheoretischen Ausgangspunkt, den man einnehmen muß, um überhaupt Naturwissenschaft betreiben zu können, also um einzelne Naturgesetze – genau genommen das, was wir heute meinen, wenn wir von Naturgesetzen reden – erkennen oder um naturwissenschaftliche Erfahrung machen zu können. Der prinzipielle Unterschied zwischen der Grundeinstellung und dem, was auf der Basis dieser Einstellung erkundet werden kann, ist nicht schwer einzusehen – und so gesehen auch nicht der zwischen den allgemeinen und den besonderen Naturgesetzen in der Kantischen Begrifflichkeit. „Besondere Gesetze, weil sie empirisch bestimmte Erscheinungen betreffen, können davon nicht vollstndig abgeleitet werden, ob sie gleich alle insgesammt unter jenen stehen. Es muß Erfahrung dazu kommen, um die letztere berhaupt kennen zu lernen; von Erfahrung aber überhaupt, und dem, was als ein Gegenstand derselben erkannt werden kann, geben allein jene Gesetze a priori die Belehrung.“60 Oder: „Wir müssen aber empirische Gesetze der Natur, die jederzeit besondere 60 KrV B 165.

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Wahrnehmungen voraussetzen, von den reinen oder allgemeinen Naturgesetzen, welche, ohne daß besondere Wahrnehmungen zum Grunde liegen, blos die Bedingungen ihrer nothwendigen Vereinigung in einer Erfahrung enthalten, unterscheiden“.61 Das Gravitationsgesetz (das oftmals als Symbol für die Newtonsche Mechanik genommen wurde) ist demgemäß – so kann man heute klar sagen – kein allgemeines Naturgesetz, wie Voltaire glaubte62 und Hegel kritisch vermerkte, weil er Voltaires falschen Begriff eines allgemeinen Naturgesetzes als Modell nimmt, um den Charakter des Allgemeinen in der Naturwissenschaft zu bestimmen.

7. Apriorismus und allgemeine Naturgesetze Der eingangs zitierten Auffassung, derzufolge nach Kant für unseren sogenannten mechanistischen Verstand nur die Naturdinge, die sich als bloß mechanisch denken lassen, auch erklärbar sind, ist zuzustimmen, wenn unter „mechanischem Denken“ bzw. unter „Mechanik“ Naturwissenschaft schlechthin verstanden, bzw. Newtonsche Mechanik gleich neuzeitliche Naturwissenschaft gesetzt wird, und zwar nicht in dem Sinne, daß die physikalische Theorie Klassische Mechanik zum mechanistischen Weltbild verflacht wird, sondern in dem Sinne, daß diese Physik in ihren Grundprinzipien als Modell für die neuzeitliche Naturwissenschaft genommen wird. Insofern sie das tatsächlich ist,63 ist Kants Unterscheidung von allgemeinen und besonderen Naturgesetzen auch aus der Sicht des 20. und 21. Jahrhunderts völlig korrekt und nach wie vor gültig (obzwar die Benennung „mechanisches Denken“ eine irreführende Terminologie ist). Aber die Mechanik ist natürlich nicht nur das genannte Modell, sondern auch eine sehr spezielle physikalische Theorie. Insofern sind ihre Gesetze, z. B. das der Gravitation, besondere Gesetze im Kantischen Sinne. Unter diesem Aspekt gesehen sind sie nicht mehr und nicht weniger apriorisch als die biologischen. Unter diesem Aspekt genießt 61 Prol. § 36, AA 4.320, vgl. auch 375 – 360. 62 Voltaire schrieb: „Sehet also ist die Attraction die grose Triebfeder, welche alles in der Natur beweget“ und „Er [Newton] hat ein neues Prinzip entdeckt und bewiesen, das alle Bewegungen in der Natur bestimmt.“ (Voltaire 1747, 246 und Voltaire 1965, 180) 63 Erläuternd hierzu siehe v. Borzeszkowski/Wahsner 1989; 1992 und 1984.

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der Mechanismus keinen Vorzug vor dem Organismus oder umgekehrt. Mechanizismus hingegen bedeutet, ein spezifisches Gesetz als Weltgesetz zu nehmen, also etwas Besonderes als Allgemeines. Bei diesem Vorgehen werden nicht nur die Grenzen einer spezifischen fachwissenschaftlichen Disziplin überschritten, sondern auch die Grenze zwischen Fachwissenschaft und Philosophie, wofür eine klar bestimmte Begrifflichkeit auf ein Feld übertragen wird, für das sie nicht bestimmt ist. Die komplizierte Situation oder die Schwierigkeiten in der Mechanismus-Organismus-Debatte gründen darin, daß Kant zu seiner Zeit diese beiden Aspekte der Mechanik nicht klar unterscheiden und bestimmen konnte. (Um das Allgemeine vom Besonderen zu unterscheiden, bedarf es verschiedener Besonderer.64 Werden Allgemeines und Besonderes identifiziert, so ist eine Verzerrung unvermeidlich.) Aufgrund dieser Unmöglichkeit identifiziert Kant (unbewußt) das Allgemeine der Newtonschen Mechanik, das die Prinzipien der neuzeitlichen Naturwissenschaft repräsentiert, mit ihrer Spezifik als einer einzelnen physikalischen Theorie. Insofern er dies tut, nimmt Kant die Mechanik nicht als Modell für die neuzeitliche Wissenschaft, sondern setzt beides gleich (wenn er sich auch der Problematik dieser Gleichsetzung bewußt ist, sie zumindest ahnt), wobei er zudem zwischen physikalischer Theorie und mechanizistischem Weltbild nicht unterscheidet. Viele Schwierigkeiten im Verständnis der Philosophie Kants resultieren hieraus. Aufgrund der begrifflichen Unsauberkeiten (oder der Unsauberkeiten dieser Sicht) stand Kant vor dem Dilemma: Nur die Mechanik kann die Prinzipien wissenschaftlicher Erkenntnis erkennen lassen, ohne welchselbige Prinzipien wiederum Erkenntnis nicht zu allgemeingültigen notwendigen Gesetzesaussagen führt. Aber: Es gibt nicht nur mechanische Gegenstände, sondern z. B. auch Gegenstände, die ein Or64 Eine angemessene philosophische Mechanikrezeption war grundsätzlich erst möglich, nachdem eine Situation gegeben war, in der man verschiedene gültige physikalische Theorien miteinander und physikalische mit biologischen, chemischen usw. Theorien vergleichen und somit erkennen konnte, was charakteristisch ist für die Naturwissenschaft als solche und was nur für eine spezifische physikalische Theorie bzw. ein bestimmtes Fachgebiet. Eine solche Situation hatte sich bekanntlich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, mithin nach der Periode der klassischen deutschen Philosophie herausgebildet. – Seitdem aber ist eine adäquate Mechanikrezeption möglich (aber im allgemeinen nicht realisiert).

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ganismus sind. Die Welt aber ist erkennbar oder soll es doch sein (obzwar nie total erkannt). Der Versuch, dieses Dilemma zu lösen, führte Kant zu seiner Mechanismus-Organismus-Konstruktion. Entgegen der beiden eingangs suggerierten Auswege ergibt sich, daß das Verhältnis Mechanismus – Organismus nicht das von Mechanik und Biologie ist. Es läuft auch nicht auf die Spezifizierung der Natur in zwei Grundklassen hinaus, wie Stadler denkt und Cassirer widerlegt.65 Dennoch ist diese Annahme heute oftmals der Hintergrund (Kant ablehnend wie Kant bejahend) der Diskussion über Kants Konzept des Verhältnisses von Mechanismus – Organismus, aber auch des Verhältnisses der Kantischen Metaphysik zur Naturwissenschaft seiner Zeit resp. der Newtonschen Mechanik – generell: der Philosophie zur Naturwissenschaft. Kants Mechanismus–Organismus-Konzept bedarf zweifellos der Korrektur, aber es darf nicht verworfen werden. Hieraus resultiert die Antwort auf die Frage, ob es eines neuen Mechanismus-Begriffs bedarf. Oder anders formuliert: Es gibt keine mechanische, erst recht keine mechanistische Erklärung des Lebens. Aber es gibt einen „Newton des Grashalms“, insofern es (zumindest im Ansatz) eine (Fach-)Wissenschaft von lebenden Organismen gibt, eine Wissenschaft gemäß den Prinzipien der neuzeitlichen Wissenschaft, gemäß dem, was Kant (nicht immer korrekt zutreffend) „Mechanismus“ nennt. Trotz aller notwendigen Kritik bleiben Kants Verdienste: Er hat auf den Organismus als Denkprinzip aufmerksam gemacht. (Wir können mit der puren Identifizierung von Naturwissenschaft und Mechanik nicht zufrieden sein.) Mit seiner Bestimmung des Verhältnisses von Mechanismus und Organismus hat er aufgeklärt, daß Newtons Mechanik das Modell für die neuzeitliche Wissenschaft, der Mechanizismus aber eine beschränkte Sicht ist. (Natürlich konnte Kant das seinerzeit nicht so klar erkennen.) Er schlug so eine Bresche in die Alleingültigkeit des Empirismus (ebenso in die des Rationalismus). Wenn Hegel später sagt, es könne keine Gesetze des Organischen geben, das Reich des Mechanischen sei das eigentliche Reich der Gesetze, und er das Prinzip des Lebens quasi als ein philosophisches ansieht, so ist dies zweifellos durch Kants Unterscheidung von Mechanismus und Organismus als konstitutives und regulatives Prinzip geprägt. Doch hat Kant, anders als Hegel, das Denkprinzip Organismus niemals als ein 65 Vgl. Stadler 1874, 124 und Cassirer 1918, 302 – 384.

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Mittel verstanden, das es ermöglicht, das totale Ganze als vollendet erkennbar anzusehen. Zur Erkenntnis bedarf es gewisser Mittel (Fähigkeiten). Man muß und kann die Natur technisch denken.

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Die Bedeutung des Experiments bei Kant für die neuzeitliche Naturwissenschaft Karen Gloy Abstract: The paper presents two views which are related to each other: 1. in the Critique of Pure Reason Kant is treating the experiment as applied in modern science, and 2. Kant constitutes the Critique of Pure Reason itself as an experiment along the terms of the modern experimental method. Containing an experimental analysis, the first part tries to show in ten points the indispensable criteria of every experiment, those on part of the subject as well as those on part of the object, e. g. the adoption of a specific – in the experiment realized – perspective by some apriorical plan, the adjustment of the object according to it, the following method of abstraction from everything which is irrelevant etc. The second part concentrates on the hypostatization of the experimental method as known from the physical sciences as the basic method of rational knowledge and as the paradigm of scientific knowledge in whole. This hypostatization allows us to interpret Kant as the “father” of the modern constructivism and operationalism of the philosophy of science. At the same time it is shown that this method fails to refute Hume’s argument against synthetic propositions a priori, insofar as the physical experiment remains a mere hypothesis. So the Kantian philosophy also remains a mere hypothesis, even while trying to found the laws of nature in laws of reason.

Kant hat sich zeitlebens mit dem Experiment beschäftigt, zumindest seit Beginn seiner kritischen Phase bis hin zum Opus postumum. Eine Entwicklung ist zwar nicht im Grundsätzlichen der Konzeption zu konstatieren, wohl aber eine zunehmende Spezifikation und Differenzierung in der Anwendung des Experiments auf die Natur und eine dadurch bedingte Entfaltung des Natursystems, das zunächst in der Kritik der reinen Vernunft im Grundsatzkapitel den Entwurf eines Systems der Natur und ihrer Gesetze berhaupt vorsieht, dann in den Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft den Entwurf eines Systems speziell der ußeren Natur und ihrer Gesetze, die sich als Bewegungsgesetze erweisen, und dann zuletzt im Opus postumum den Entwurf eines Systems der besonderen ußeren Natur und Naturgesetze, die ein System bewegungskonstituierender Kräfte ausmachen. Bilden den Ausgang für die sogenannten metaphysischen Experimente – die Experimente der Vernunft – die Experimente der empirischen Physik, nach deren Paradigma die ersteren entworfen sind, so kehrt Kant nach der Erörterung der

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metaphysischen Experimente wieder zu den empirischen zurück, um nun allerdings auf der Basis der metaphysischen die empirischen Experimente zu erörtern und damit den Übergang von der Metaphysik zur Physik zu vollziehen, der das Leitmotiv des Opus postumum bildet. Diesen Weg einer Wechselbeziehung zwischen der Metaphysik der Natur und der empirischen Physik als Naturwissenschaft möchte ich im folgenden nachzeichnen, wobei die empirische Physik eine Anwendung einerseits der metaphysischen Prinzipien ist, andererseits gerade das Paradigma für die Wissenschaftlichkeit der Metaphysik abgibt.

1. Das physikalische Experiment als Vorbild des metaphysischen Kant, der im Zeitalter der exakten, präzisen mathematischen Naturwissenschaften lebte, wie es von den neuzeitlichen Physikern Kopernikus, Kepler, Galilei, Torricelli u. a. eingeführt worden war, und der von der Exaktheit und beliebigen Iterierbarkeit physikalischer Erkenntnis fasziniert war, sah keine andere Chance, auch die Metaphysik, die sich bislang in permanenten Streitigkeiten aufgerieben hatte, nach dem Paradigma der empirischen Physik zu begründen und ihr damit den sicheren Weg einer Wissenschaft zu verschaffen. Die Idee, die Kant an der empirischen Experimentalmethode so faszinierte, bringt er an der bekannten, vielzitierten Stelle der Kritik der reinen Vernunft zum Ausdruck: Als Galilei seine Kugeln die schiefe Fläche mit einer von ihm selbst gewählten Schwere herabrollen, oder Torricelli die Luft ein Gewicht, was er sich zum voraus dem einer ihm bekannten Wassersäule gleich gedacht hatte, tragen ließ, oder in noch späterer Zeit Stahl Metalle in Kalk und diesen wiederum in Metall verwandelte, indem er ihnen etwas entzog und wiedergab: so ging allen Naturforschern ein Licht auf. Sie begriffen, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt, daß sie mit den Principien ihrer Urtheile nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nöthigen müsse auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich von ihr allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen müsse; denn sonst hängen zufällige, nach keinem vorher entworfenen Plane gemachte Beobachtungen gar nicht in einem nothwendigen Gesetze zusammen, welches doch die Vernunft sucht und bedarf. Die Vernunft muß mit ihren Principien, nach denen allein übereinstimmende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in einer Hand und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen an die Natur gehen, zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines

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Schülers, der sich alles vorsagen läßt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nöthigt auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt. Und so hat sogar Physik die so vortheilhafte Revolution ihrer Denkart lediglich dem Einfalle zu verdanken, demjenigen, was die Vernunft selbst in die Natur hineinlegt, gemäß dasjenige in ihr zu suchen (nicht ihr anzudichten), was sie von dieser lernen muß, und wovon sie für sich selbst nichts wissen würde.1

Kant vergleicht hier die physikalische Forschung mit einer Gerichtssituation, indem er den erkenntnissuchenden Physiker mit einem wahrheitssuchenden Richter identifiziert und die zu erkundende Natur mit einem die Wahrheit zwar wissenden, aber verbergenden Angeklagten. Das Bild der Gerichtssituation ersetzt das ältere, in den Kontext des legere in libro naturae gehörende Bild vom Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen Natur und Naturforscher, das der Natur die Rolle eines Lehrers und dem Naturforscher die Rolle eines Schülers zuweist. Letzteres entspricht dem common sense über die Erkenntnisgewinnung. Ihm zufolge hat sich die Erkenntnis an der Natur als vorfindlicher zu orientieren, diese als Leitfaden und Richtschnur zu betrachten und nicht umgekehrt. Drückt sich hierin ein rezeptives Verhältnis des Erkenntnissuchenden zur Natur aus, das die Fakten schlicht konstatiert, sammelt und gegebenenfalls ordnet, so dient das Bild von der Gerichtssituation zur Explikation des umgekehrten Verhältnisses. Nicht der Mensch orientiert sich an der Natur, sondern die Natur orientiert sich am Menschen und an seinen Erkenntnisbedingungen. Der Mensch fungiert hier als Maßstab und Richtschnur für die Naturerkenntnis und -beherrschung. Er stellt die Fragen, gleich einem Richter, und zwingt die Natur, alternativ mit „ja“ oder „nein“ zu antworten, nicht aber ausweichend oder beliebig, ähnlich wie ein Zeuge exakt und präzis Auskunft zu geben hat auf die ihm vorgelegten Fragen. Dieses experimentelle Verfahren steckt vorgängig den Rahmen ab, innerhalb dessen Antworten aus der Natur zu erwarten sind. Indem der Natur seitens des Subjekts bestimmte Fragestellungen und vorformulierte Antworten aufoktroyiert werden, begegnet sie nicht mehr in ihrem Ansichsein, sondern als präparierte und instrumentalisierte, zu einem künstlich-technischen Produkt des Menschen degradierte Natur. Unverkennbar knüpft Kant mit dem Bild von der Gerichtssituation an Baconsche Vorstellungen an. Nicht zufällig enthält der Vorspann zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft den Verweis auf Bacons 1

KrV B xiii f.

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Instauratio Magna. Deutlicher jedoch als Bacon artikuliert Kant die drei wichtigsten Aspekte komplexer experimenteller Erkenntnis: 1. auf Seiten des Subjekts die eindeutige Ausrichtung auf das Objekt, die nach einem vorgängigen wohldefinierten Plan erfolgt, 2. auf Seiten des Objekts die eindeutige Ausrichtung gemäß diesem Plan und 3., was die Beziehung zwischen Subjekt und Objekt betrifft, die eindeutige Fixierung der Beziehung, die alles nicht hierher Gehörige oder momentan nicht Interessierende ausklammert. Das detailliertere Eindringen in den experimentellen Vorgang läßt folgende Stufen unterscheiden: 1. Dem Experiment fällt prinzipiell eine erkenntnistheoretische Aufgabe zu. Es bildet ein methodisches Instrumentarium innerhalb des Erkenntnisprozesses und gehört als konstitutives Moment in den generellen Kontext der Beziehung zwischen dem erkenntnissuchenden Subjekt und der zu erkennenden Natur. Es ist Bestandteil einer SubjektObjekt-Relation. 2. Auf Seiten des Subjekts verlangt das Experiment eine bestimmte Einstellung, eine Perspektive, unter der die Wirklichkeit betrachtet werden soll, auf Seiten des Objekts eine entsprechende Betrachtungsebene, die im Falle der wissenschaftlichen Erkenntnisintention die wissenschaftliche ist, im Falle der theologischen die theologische, im Falle der mythologischen die mythologische usw. Ist dies auch das allgemeinste Erfordernis der Subjekt-Objekt-Relation, so genügt es doch nicht, um das spezifische Objekt der Naturwissenschaft in den Blick zu bringen. Naturwissenschaftliche, theologische, mythologische Natureinstellung sind je verschiedene fundamentale Sinnentwürfe, zwischen denen ein Wechsel der Perspektiven und Ebenen zu vermeiden ist, um Umfang und Grenzen einer bestimmten Auslegung nicht zu verwischen. 3. Innerhalb eines jeden Weltbildes, und so auch des naturwissenschaftlichen, sind weitere spezifizierende Bedingungen erforderlich. So bedarf es innerhalb des naturwissenschaftlichen Rahmens eines bestimmten, wohldefinierten Plans, nach dem das Experiment ausgerichtet wird. Diesen erstellt wiederum das Subjekt. Es bestimmt, unter welchem spezifischen Aspekt das experimentell zu behandelnde naturwissenschaftliche Objekt sich zeigen soll. Auch hier muß dem vorgängigen, a priori seitens des Subjekts entworfenen Plan das Objekt entsprechen. Folglich haben wir es nicht mit der Natur an sich, sondern mit der nach einem bestimmten experimentellen Plan präparierten Natur, dem künstlichen Objekt der Wissenschaft, zu tun. Heidegger hat später den Terminus „Gestell“ gebraucht, um die im Experiment gestellte, mani-

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pulierte und dirigierte und damit auch verstellte Natur zu bezeichnen. – So künstlich dieser Vorgang erscheinen mag, so liefert er allein allgemeine und stringente, wiederkehrende Gesetze und eine Systematik, die solche Gesetze zusammenfaßt, was die Natur für sich aus eigener Kraft nicht zu leisten vermöchte. 4. Bei dem dem Experiment zugrundegelegten Plan handelt es sich um die wissenschaftlichen Aussagen der Physik, die Hypothesen, die im Experiment der Prüfung ausgesetzt werden, um entweder bestätigt oder widerlegt zu werden, mag es sich hierbei um einzelne oder zu Theoriesystemen zusammengefaßte Hypothesen handeln. 5. Logisch gesehen müssen die Hypothesen sowohl für sich genommen wie im Gesamtkontext gewissen Kriterien genügen, zum einen logischer Widerspruchslosigkeit, d. h. innerer Konsistenz, zum anderen widerspruchsfreier Integrierbarkeit in das Gesamtsystem, d. h. Kohärenz. In der Kritik der reinen Vernunft hat Kant die systemtheoretischen Kriterien auf Begriffe wie qualitative Einheit, Vielheit und Vollstndigkeit gebracht, wobei unter Einheit die Zusammenfassung des Mannigfaltigen der Erkenntnisse zu verstehen ist, etwa die Einheit des Themas, der Rede, des begrifflichen Konzepts, und unter Vielheit die zu einem Begriffe gehörenden Merkmale sowie unter Vollkommenheit die auf die Einheit des Begriffes zurückgeführte Vielheit. In Bezug auf die Hypothesen spricht Kant von den Kriterien der Verstndlichkeit des unterstellten Erklärungsgrundes, der Wahrheit als Übereinstimmung der Merkmale untereinander und mit der Erfahrung und der Vollstndigkeit des Erklärungsgrundes zu den daraus abgeleiteten Folgen.2 Obwohl es sich bei diesen Kriterien noch keineswegs um zureichende Bedingungen für den Geltungsanspruch der Hypothesen handelt, sind sie unerläßlich, indem sie als Regeln der Übereinstimmung der Erkenntnis mit sich selbst die conditio sine qua non bilden. 6. Doch nicht nur gewissen logischen und systemischen Bedingungen müssen die experimentell zu erprobenden Hypothesen genügen, sondern auch gewissen mathematischen. Gerade die Hypothesen der neuzeitlichen Naturwissenschaft sind durch ihre Fixierung auf die quantitativen Bestimmungen der Objekte charakterisiert. Der Grund liegt darin, wie Kant in den Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft sagt, daß in der naturwissenschaftlichen Forschung nur soviel eigentliche Wissenschaftlichkeit, d. h. Erkennbarkeit a priori, anzutref2

Vgl. KrV B 114 ff.

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fen ist, wie darin Mathematik impliziert ist.3 Aus der konkreten Fülle der Merkmale grenzen die Hypothesen folglich die quantitativen Bestimmungen aus und versuchen, so weit wie möglich, auch die übrigen Eigenschaften darauf zu reduzieren. An den Objekten interessiert nur das, was der Quantifikation zugänglich und in mathematischen Gleichungen explizierbar ist. 7. Die Ausrichtung der Perspektive sowohl im weiten wie im engen Sinne, desgleichen die Herstellung eines bestimmten Aspekts am Objekt geschieht durch Operationen, die als Objektivationsmethode anzusehen sind. Durch sie wird überhaupt erst das generelle wie das spezielle Objekt der Wissenschaft definiert und dem Subjekt konfrontiert, ganz im ursprünglichen Sinne des lateinischen Wortes obicere, das soviel bedeutet wie „entgegenstellen“, „vor sich hin- und aufstellen“. Genauer besehen besteht die Objektivationsmethode in einem Abblendungsverfahren. Indem die Perspektive seitens des Subjekts festgelegt wird, wird automatisch auch das Objekt unter einem bestimmten Aspekt präsentiert und alles übrige eliminiert. Nur ein solches Ausgrenzungsund Abblendungsverfahren ermöglicht die Exaktheit und Präzision, die das Ideal der neuzeitlichen Naturwissenschaft darstellt. Nur innerhalb dieses Rahmens ist exakte, präzise Begriffsbildung möglich, wie sie in den Termini und Definitionen der Wissenschaftssprache zum Ausdruck kommt. Der Nachtteil dieser Methode besteht in der schon erwähnten Artifizialität der Objekte, da diese widernatürliche, ausgegrenzte, geschlossene Systeme bilden. 8. Der Abblendungsmethode wird nicht allein das Objekt unterworfen, sondern auch das Subjekt, das als Experimentator und Beobachter in das Experiment eintritt. Wer immer das Experiment durchführt, muß sich dessen Bedingungen fügen und von seiner Individualität und Personalität, von seiner „Jemeinigkeit“ abstrahieren. Er muß werden wie jeder andere unter denselben experimentellen Bedingungen auch. Eingebunden in die vorgezeichnete Perspektive, kann er nicht länger als individuelles, empirisches Subjekt in der ganzen Fülle seiner konkreten Bestimmungen auftreten, sondern nur noch als abstraktes, anonymes, apersonales Subjekt, als das transpersonale Subjekt der Wissenschaft. Durch die Einbindung in die Perspektive und die damit einhergehende logische Abblendung reduziert sich die Vielzahl individueller Betrachter auf die Einzahl eines immer gleichen Subjekts. 3

Vgl. MAN, AA 4.470.

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9. Das Experiment erlaubt nur die Bestätigung oder Nicht-Bestätigung der angesetzten Hypothese, gestattet aber keine Ausweichmöglichkeit. Festzuhalten gilt jedoch, daß Affirmation nicht gleichbedeutend ist mit Verifikation, sowenig wie Negation auf eine definitive Widerlegung der Hypothese schließen läßt, obwohl Kants Aussage in der Kritik der reinen Vernunft das Gegenteil zu behaupten scheint, nämlich die Möglichkeit apodiktischer Gewißheit. So verschafften die Centralgesetze der Bewegungen der Himmelskörper dem, was Copernicus anfänglich nur als Hypothese annahm, ausgemachte Gewißheit und bewiesen zugleich die unsichtbare den Weltbau verbindende Kraft […].4

Tatsächlich kann es sich immer nur um eine bessere oder schlechtere Bewährung handeln, was damit zusammenhängt, daß eine vollständige Verifikation zum einen die Durchführung unendlich vieler Experimente voraussetzte, was wegen der Endlichkeit und Beschränktheit des menschlichen Erkenntnisvermögens unmöglich ist, und zum anderen ein vollständiges System verlangte, in dem jede Einzelaussage ihren genauen systematischen Ort hätte. Ein solches Universalsystem aber ist menschlicher Erkenntnis entzogen. Infolgedessen kann nicht von einer definitiven Verifikation oder Falsifikation die Rede sein, zumal stets mehrere gleichberechtigte Modelle konkurrieren, so daß bei einer andersartigen Interpretation die betreffende Hypothese durchaus ihre theoretische Berechtigung und praktische Bestätigung finden kann. Wenn Kant im obigen Zitat von Beweisen und ausgemachter Gewißheit spricht, so bedeutet dies nur, daß die Hypothese nicht fingiert, nicht bloßes Produkt der Phantasie ist, sondern einen Realitätsbezug hat. 10. Das Experiment ist beliebig iterierbar. Unter denselben Voraussetzungen können zu jeder Zeit und für jedes beliebige Subjekt, das sich den Experimentalbedingungen unterwirft, dieselben Ergebnisse reproduziert werden. Die beliebige Reproduzibilität einer bestimmten Hypothese oder eines bestimmten Hypothesensystems ist Ausdruck der Gesetzmäßigkeit der Natur, freilich nicht der Natur an sich, sondern der gemäß den experimentellen Bedingungen präparierten Natur. So kann Kant sagen, daß wir selbst Schöpfer der Naturgesetze sind, von denen wir doch wähnen, sie aus der Natur durch Erfahrung gelernt zu haben.

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KrV B xxii Anm.

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So übertrieben, so widersinnisch es auch lautet, zu sagen: der Verstand ist selbst der Quell der Gesetze der Natur und mithin der formalen Einheit der Natur, so richtig und dem Gegenstande, nämlich der Erfahrung, angemessen ist gleichwohl eine solche Behauptung.5 Die Ordnung und Regelmäßigkeit also an den Erscheinungen, die wir Natur nennen, bringen wir selbst hinein und würden sie auch nicht darin finden können, hätten wir sie nicht oder die Natur unseres Gemüths ursprünglich hineingelegt.6

Mit dieser Experimentalanalyse hat Kant das methodische Verfahren der neuzeitlichen Naturwissenschaft, die technische Vorgehensweise, auf Begriffe gebracht und damit den Konstruktivismus und Operationalismus in der Wissenschaftstheorie vorbereitet. Die These, daß die Vernunft bezüglich der Natur nur das einsieht, was sie selbst nach einem vorherigen Plan hervorbringt, drückt das Programm und Selbstverständnis der neuzeitlichen Wissenschaft aus. Ihr entspricht die These von der Artifizialität des Objekts, die das Seiende nicht an sich nimmt, sondern es unter bestimmte Hinsichten stellt und es konstruiert. So darf Kant gleicherweise als geistiger Vater des neuzeitlichen Konstruktivismus und Operationalismus wie des neuzeitlichen Objektivismus gelten, die im 20. Jahrhundert eine Fortsetzung bei Hugo Dingler und in der Erlanger Schule bei Paul Lorenzen gefunden haben.7

2. Metaphysisches Experiment Nach Analogie der physikalischen Experimentalmethode und ihrer Ergebnisse wird nun auch die Methode der metaphysischen Naturerkenntnis überhaupt konstruiert. So heißt es in Kritik der reinen Vernunft: Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntniß erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserem Erkenntniß richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntniß derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll. Es ist hiermit ebenso, als mit den 5 6 7

KrV A 127. KrV A 125. Vgl. Dingler 1952 und Lorenzen 1960.

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ersten Gesetzen des Copernicus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. In der Metaphysik kann man nun, was die Anschauung der Gegenstände betrifft, es auf ähnliche Weise versuchen. Wenn die Anschauung sich nach der Beschaffenheit der Gegenstände richten müßte, so sehe ich nicht ein, wie man a priori von ihr etwas wissen könne; richtet sich aber der Gegenstand (als Object der Sinne) nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens, so kann ich mir diese Möglichkeit ganz wohl vorstellen. Weil ich aber bei diesen Anschauungen, wenn sie Erkenntnisse werden sollen, nicht stehen bleiben kann, sondern sie als Vorstellungen auf irgend etwas als Gegenstand beziehen und diesen durch jene bestimmen muß, so kann ich entweder annehmen, die Begriffe, wodurch ich diese Bestimmung zu Stande bringe, richten sich auch nach dem Gegenstande, und dann bin ich wiederum in derselben Verlegenheit wegen der Art, wie ich a priori hiervon etwas wissen könne; oder ich nehme an, die Gegenstände oder, welches einerlei ist, die Erfahrung, in welcher sie allein (als gegebene Gegenstände) erkannt werden, richte sich nach diesen Begriffen, so sehe ich sofort eine leichtere Auskunft, weil Erfahrung selbst eine Erkenntnißart ist, die Verstand erfordert, dessen Regel ich in mir, noch ehe mir Gegenstände gegeben werden, mithin a priori voraussetzen muß, welche in Begriffen a priori ausgedrückt wird, nach denen sich also alle Gegenstände der Erfahrung nothwendig richten und mit ihnen übereinstimmen müssen.8

Mit der Anwendung der der Physik abgeschauten Experimentalmethode auf die Metaphysik, um dieser den sicheren Gang einer Wissenschaft zu verschaffen, wird ein einer Einzeldisziplin abgeschautes Verfahren auf wissenschaftliche Erkenntnis überhaupt übertragen und damit zu einer Universalmethode hypostasiert. Ist dieser Schritt der Hypostasierung der Experimentalmethode zur Erkenntnismethode überhaupt und zum szientifischen Paradigma ohne Abzug durchführbar? Offensichtlich nicht. Wie es Gemeinsamkeiten mit der experimentellen Physik gibt, so gibt es auch Unterschiede. Die Gemeinsamkeiten bestehen in drei Momenten: 1. Die Erkenntnis muß durch das menschliche Subjekt und sein Erkenntnisvermögen, die Vernunft selbst, hervorgebracht werden, d. h. auf a priorischen Strukturen beruhen. 2. Die Erkenntnis muß sich auf wirklich vorhandene oder real mögliche Gegenstände beziehen, d. h. auf die Empirie. 8

KrV B xvi f.

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3. Objektive Erkenntnis verlangt ein System von Gesetzen und Regeln, das die Zusammennahme des Behaupteten ausmacht. Eine Differenz besteht bezüglich der Garantie der Anwendung der apriorischen Momente auf Aposteriorisches. Dies betrifft die Möglichkeit, den Umfang und die Grenzen der Apriorität, anders gesagt, es betrifft den Status der Hypothesen. Während physikalische Hypothesen bei ihrer Applikation auf die Empirie jederzeit falsifizierbar sind, ist dies bei metaphysischen Hypothesen nicht der Fall. Kant nennt dieselben daher auch Grundsätze und sagt von ihnen: Er [die metaphysische Hypothese] heißt aber Grundsatz und nicht Lehrsatz, ob er gleich bewiesen werden muß, darum weil er die besondere Eigenschaft hat, daß er seinen Beweisgrund, nämlich Erfahrung, selbst zuerst möglich macht, und bei dieser immer vorausgesetzt werden muß.9

Wir haben hier den signifikanten Fall vor uns, daß die apriorischen Annahmen auf Erfahrung bezogen und in dieser belegt werden müssen, dort aber jederzeit bestätigt werden, da sie die Bedingung der Möglichkeit eben dieser Objekterfahrung sind. Aus einer überprüfbaren Experimentalmethode wird hier eine absolute Konstitutionsmethode. Abgesehen davon, daß das Verfahren zirkulär ist, was als solches auch von Kant zugegeben wird – hieran ändert auch Heideggers Votum einer Selbstaufklärung der Erfahrung nichts –, ist die kritische Frage zu stellen, was zur Supposition gerade dieser Konstitutionsbedingungen, was Art und Zahl und Systematik betrifft, und keiner anderen führt. Diese Frage stellt sich um so mehr, als der Fortschritt der nachkantischen Erkenntnistheorie und Wissenschaft über etliche für Kant konstitutive Kategorien hinausgegangen ist, sowohl was den Substanz-Akzidens-Satz betrifft, in der Quantentheorie, wie was die ubiquitäre Gleichzeitigkeit in der Relativitätstheorie betrifft, ganz zu schweigen von der Eruierung verschiedener raum-zeitlicher Anschauungsformen. Und auch eine empirisch-sensualistische Position wie die Humesche, gegen die Kants Apriorismus antrat, ist auf diese Weise nicht zu widerlegen. Hume hatte speziell im Blick auf das Kausalgesetz, im weiteren Sinne auf alle Naturgesetze, lediglich eine psychologische Erklärungsart angenommen, ohne Anspruch auf die spezifischen Wissenschaftskriterien der Notwendigkeit, Allgemeingültigkeit und Apodiktizität zu erheben. So beobachten wir des öfteren gleichartige sukzessive oder simultane Erscheinungen und werden durch die psycho9

KrV A 737/B 765.

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logisch nicht weiter aufklärbare Macht der Gewohnheit veranlaßt, auch in Zukunft Entsprechendes zu erwarten. Die Wahrnehmung ständiger bestimmter Gleichförmigkeiten führt zum Glauben an eine gleichförmige, identische Natur gemäß speziellen wie generellen Gesetzen. Freilich kann durch die subjektive Assoziation keine objektive Notwendigkeit zustande kommen, sowenig wie eine aus Induktion gewonnene Allgemeinheit der Gesetze. Gesetze, die auf diese Weise resultieren, können objektiv nur für beschränkt und kontingent gelten, keineswegs aber allgemeine Notwendigkeit und Stringenz beanspruchen, wie dies von der Wissenschaft gefordert wird. Eine Widerlegung dieser Position wäre in der Tat auf die von Kant vorgeschlagene und praktizierte Weise möglich, wenn sich die a priori im Erkenntnissubjekt gelegenen und mitgebrachten Strukturen via Konstitution der Natur aufoktroyieren ließen. Das Gelingen dieses Verfahrens hängt von der Verbindlichkeit des Nachweises der Gesetzesformen im Subjekt ab. Eine diesbezügliche Evidenz aber hat Kant nicht nachweisen können. Es bleibt bei bloßen Behauptungen, so daß sich allenfalls vom Kantischen Programm ein Apriorismus überhaupt, nicht aber der spezielle Kantische Apriorismus hinsichtlich der Kategorien und Anschauungsformen halten läßt.

3. Empirisch-physikalische Experimente als Anwendung metaphysischer Im Opus postumum kommt Kant auf das physikalische Experiment zurück, nun allerdings auf der Basis der in der Kritik der reinen Vernunft und in den Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft grundgelegten Naturgesetze, wie sie für die Natur überhaupt und speziell für die äußere Natur gelten. Seine Frage lautet: Wie ist Physik möglich, wie ist der Übergang von den Metaphysischen Anfangsgrnden zur Physik möglich? 10 Nachdem in den Metaphysischen Anfangsgrnden die äußere Natur als Materie gefaßt ist im Unterschied zur Seele als innerer Natur und diese durch Bewegung bestimmt ist, und zwar im dynamischen Sinne als Kräfteprodukt aus Repulsions- und Attraktionskraft mit den entsprechenden gegenläufigen Bewegungsformen, gilt jetzt Kants Bemühung

10 Vgl. OP, AA 22.318 u. ö.

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der apriorischen Fassung und Systematisierung dieser empirischen Kräfte. Nur durch einen Vernunftbegrif (nicht durch Erfahrung)[,] nämlich den Begrif von einem System der bewegenden Kräfte oder ein System empirischer Vorstellungen a priori[,] vorgestellt durch das[,] was wir in die Sinnenvorstellung zum Behuf der empirischen Vorstellung hineinlegen und zum Behuf möglicher Erfahrung hineinlegen müssen[,] können wir von dem Gegenstande der Sinne Erkentnis haben[,] und Observation so wohl als Experiment sind nur Methoden[,] das aus der Sinnenvorstellung heraus zu heben[,] was wir versuchsweise hineingelegt haben.11

Physik ist nach Kant ein „Lehrsystem von den bewegenden Kräften der Materie[,] insofern sie objectiv in einem Natursystem derselben enthalten sind“12, sie enthält ein „absolutes Ganze[s] empirischer Erkenntnis äußerer Sinnengegenstände“13, was ihren Wissenschaftsanspruch ausmacht. Das formale Ganze des Systems wird seitens des Subjekts a priori bereitgestellt durch Formalien, während die Materie aus der Natur kommt und durch Experiment und Observation erkundet werden muß. Wir können aus den Sinnenvorstellungen[,] welche die Materie der Erkentnis ausmachen[,] nichts herausheben[,] als was wir selbst hineingelegt haben nach dem formalen Princip der Zusammensetzung des Empirischen an den bewegenden Kräften […].14

Und weiter heißt es: Die Physik hat es hier mit Erscheinungen von Erscheinungen zu thun und die Principien von jener müssen a priori durch Eintheilung classificirt werden können […] 15

Wenn Kant die bewegenden Kräfte, die für den Physiker „Sachen an sich selbst“ sind, für den Metaphysiker jedoch Erscheinungen, in ihren Wirkungen (d.i. den Erscheinungen) auf uns metaphysisch sachgerecht Erscheinungen der Erscheinungen nennt, so ist das so neu nicht, wie es auf den ersten Blick erscheint, da diese Terminologie und Konstitutionsstufung bereits in der Kritik der reinen Vernunft begegnet, was die sekundären Sinnesqualitäten betrifft.16 Während in methodologischer 11 12 13 14 15 16

Ebd., 318. Ebd., 319. Ebd. Ebd. Ebd., 319 f. Vgl. KrV A 29 f/B 45 und A 45 f./B 62 f.

Die Bedeutung des Experiments bei Kant für die neuzeitliche Naturwissenschaft

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Hinsicht die Dinge in ihren primären Qualitäten, den Raum- und Zeitfunktionen, als Erscheinungen gelten, gelten deren Erscheinungen, die sekundären Qualitäten wie Farbe, Ton, Geschmack usw., als Erscheinungen der Erscheinungen. So ist z. B. die Wellenlänge metaphysisch gesehen eine Erscheinung (für den Physiker allerdings das Ding an sich), die Farbe hingegen metaphysisch eine Erscheinung der Erscheinung, physikalisch lediglich eine Erscheinung. Die Theorie der Erscheinung der Erscheinung verdeutlicht nur, daß es sich hier um Probleme apriorischer Erkenntnis des speziellen Empirischen handelt. In seinem Spätwerk hat Kant versucht, den Apriorismus immer weiter auf das Gebiet des Empirischen auszudehnen. Sowenig dies gelungen ist, sowenig ist die Theorie des Experiments auf der Ebene des Vernunftexperiments konsistent und kohärent. Denn solange die Notwendigkeit und Apodiktizität bestimmter Konstitutionsmomente – sei es von Kategorien oder Anschauungsformen – nicht gezeigt und erwiesen ist, bleibt die Konstitution beliebig und willkürlich. Man könnte sich immer auch ein anderes System denken, was die Wissenschaftsgeschichte in Form einer Paradigmensubstitution17 belegt. Kants spezifisches System ist durch den Fortschritt der Wissenschaften überholt worden, und dies wird das Schicksal aller physikalischen und metaphysischen Konstruktionen bleiben. Gleichwohl hat Kant den Weg gewiesen, auf dem eine strenge und allgemeine Gesetzmäßigkeit in einem bestimmten beschränkten Geltungsrahmen, nämlich dem hypothetischer Apriorität, allein möglich ist.

Literatur Dingler, Hugo, (1952), ber die Geschichte und das Wesen des Experimentes, München Kuhn, Thomas S., (1973), The Structure of Scientific Revolutions, Chicago 1962, 2. erw. Aufl. 1970, dt. Übersetzung der 1. Aufl. von K. Simon, Frankfurt/ M. Lorenzen, Paul, (1960), „Das Begründungsproblem der Geometrie“, in: Philosophia Naturalis 6, 415 – 431.

17 Kuhn 1973.

Kants Raum-Zeit-Apriorismus im Lichte der Relativitätstheorie Horst-Heino von Borzeszkowski Abstract: Einstein’s theory of General Relativity is often assumed disproving Kant’s space-time apriorism since, unlike Newtonian physics, it does not consider space as the passive bowl of all happening, that itself does not take part in the physical happening. In this paper is shown that this believe is partially justified, but mainly caused by a misunderstanding of both the theory of General Relativity and Kant’s apriorism. Relativity Theory does not abolish the apriority of the space and time but relativists it. The point made here is that, although the absolute apriorism resulting from taking aspects of Newtonian mechanics absolute must be given up by Kant’s space-time apriorism one won an insight into the epistemological status of physics which is not disproven by Einstein’s theory. Rather, this theory enables one to grasp in a fuller extend the actual core of it.

Immanuel Kant hat mit seinem Raum-Zeit-Apriorismus (und dem Nachweis von der Notwendigkeit vorauszusetzender Gedankenbestimmungen) die Leistung der von Newton begründeten klassischen Mechanik in ein philosophisches Bewußtsein gehoben (womit noch nichts über die Adäquatheit dieser Rezeption gesagt ist), indem er die Tatsache, daß die euklidische Geometrie der klassischen Mechanik zugrunde liegt, zur Anschauungsform a priori verarbeitete. Er hat damit die Einsicht, daß ohne Sinnlichkeit, nur aus dem Verstand heraus eine äußere Welt nicht erkannt werden kann, genausowenig wie Sinnlichkeit ohne Verstand zu Erkenntnis kommen kann, als Grundsatz fixiert. Und er bestimmte, wie Sinnlichkeit und Verstand verbunden werden müssen, soll Erkenntnis gewonnen werden. Für diese notwendige Art und Weise sind im Kantschen System die reinen Formen der Sinnlichkeit Raum und Zeit, Raum und Zeit als Anschauungsformen a priori unabdingbar. Oft wird nun bezweifelt, daß diese Kantsche Einsicht noch gültig ist. Es wird gerade die moderne Wissenschaft als Widerlegung des Kantischen Raum-Zeit-Apriorismus aufgefaßt, da davon ausgegangen wird, daß Kant seine Begründung dieses Apriorismus auf die Denknotwendigkeit der euklidischen Geometrie stützt, diese aber durch die Mathematik und Physik des 19. und 20. Jahrhunderts eindeutig als nicht

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mehr haltbar nachgewiesen wurde. Insbesondere Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie, d. h. hier die von Albert Einstein 1915 aufgestellte geometrische Theorie des Gravitationsfeldes, wird gemeinhin als Widerlegung des Kantschen Raum-Zeit-Apriorismus aufgefaßt, da in ihr der Raum nicht mehr – wie in der Newtonschen Physik – „ausschließlich das passive Gefäß allen Geschehens, das am physikalischen Geschehen selbst keinen Anteil hat“,1 ist.2 Um zu sehen, ob damit der Kantsche Raum-Zeit-Apriorismus tatsächlich unhaltbar geworden ist, müssen die folgenden Fragen beantwortet werden: • Wie bestimmt und verwendet Kant „Apriorität des Raumes“? • Welche Funktion kommt der euklidischen Geometrie in der klassischen Mechanik zu? • Welche Rolle spielt die klassische Mechanik im Gesamtgebäude der Physik? Oder: In welcher Hinsicht wurde die klassische Mechanik von der modernen Naturwissenschaft, insbesondere von der Relativitätstheorie, überwunden?

1. Kants Apriorität des Raumes Zunächst sei festgehalten, daß Kant unter Erkenntnissen a priori nicht solche versteht, „die von dieser oder jener, sondern die schlechterdings von aller Erfahrung unabhängig stattfinden“.3 „Ihnen sind“ – fährt Kant fort – „empirische Erkenntnisse oder solche, die nur a posteriori, d.i. durch Erfahrung, möglich sind, entgegengesetzt“.4 ( Jede Relativierung des Apriori ist mithin ein Abgehen von Kant – ein im folgenden zu beachtendes Faktum.) Sichere Kennzeichen einer Erkenntnis a priori sind nach Kant Notwendigkeit und strenge Allgemeinheit.5 Wie aber sind solche Erkenntnisse möglich? 1 2

3 4 5

Einstein 1953b, 186. Daß diese Auffassung nicht zutrifft, wurde in folgenden Arbeiten, auf denen auch der vorliegende Beitrag maßgeblich beruht, nachgewiesen: v. Borzeszkowski/Wahsner 1979, 213 – 221; v. Borzeszkowski/Wahsner 1989; Wahsner/ v. Borzeszkowski 1992, insbes. 239 – 285; Wahsner 1992a, 24 – 35; 1995, 789 – 800; 1995a, 389 – 396; 2006 und v. Borzeszkowski 1992, 36 – 41. KrV B 3. Ebd. Vgl. ebd.

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Eingedenk der sich bis zu ihm vollzogen habenden Geschichte der Philosophie ging Kant davon aus, daß Erkenntnis ohne Erfahrung nicht gewonnen werden kann, ebensowenig wie nur durch Erfahrung oder – besser gesagt – nur durch sinnliche Wahrnehmung, d. h. Kant hatte aus der bisherigen Philosophiegeschichte den Schluß gezogen, daß weder der Empirismus noch der Rationalismus notwendige und allgemeingültige Gesetzesaussagen zu begründen vermag. Kant resümiert: „Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind. Daher ist es eben so nothwendig, seine Begriffe sinnlich zu machen (d.i. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen), als seine Anschauungen sich verständlich zu machen, (d.i. sie unter Begriffe zu bringen). Beide Vermögen […] können auch ihre Functionen nicht vertauschen. Der Verstand vermag nichts anzuschauen und die Sinne nichts zu denken. Nur daraus, daß sie sich vereinigen, kann Erkenntnis entspringen. Deswegen darf man aber doch nicht ihren Antheil vermischen, sondern man hat große Ursache, jedes von dem andern sorgfältig abzusondern und zu unterscheiden.“6 Die Frage lautete also: Wie ist es möglich, Sinnlichkeit und Verstand derart zu vereinigen, daß hieraus notwendige und streng allgemeingültige Urteile entspringen? Denn nur, wenn das erklärt werden kann, kann erklärt werden, wie Wissenschaft möglich ist. Und genau auf die Beantwortung dieser Frage war Kants Interesse gerichtet. Da es Wissenschaft zumindest in Gestalt der Newtonschen Physik zweifelsfrei gab, war es also nicht das Problem, ob Wissenschaft möglich ist. Vielmehr galt es, dieses vorliegende Faktum erkenntnistheoretisch zu begründen. Und das hieß bekanntlich für Kant zu begründen, wie synthetische Urteile a priori möglich sind. In der klassischen Mechanik sind sie möglich auf Grund der Unterstellung der unbezweifelten Gültigkeit der euklidischen Geometrie (und noch einiger anderer seinerzeit nicht explizierter Annahmen). Dies zu wissen war Kant sicherer Halt, den er nun für die menschliche Erkenntnis schlechthin zu verallgemeinern trachtete. Apriorisch sind im philosophischen System Kants Raum und Zeit nur als reine Formen der Sinnlichkeit. Das Vermögen, a priori anzuschauen, betrifft nicht die Materie der Erscheinung, d.i. das, was in der Empfindung ist, sondern nur die Form derselben, eben Raum und Zeit. Und diese sind gar keine den Dingen an sich selbst anhängenden Be6

Ebd., A 51/B 75 f.

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stimmungen. Wäre es anders, „so möchte ich gerne wissen“ – meint Kant –, „wie man es möglich finden kann, a priori und also vor aller Bekanntschaft mit den Dingen […] zu wissen, wie ihre Anschauung beschaffen sein müsse […] Dieses ist aber ganz begreiflich, so bald beide für nichts weiter als formale Bedingungen unserer Sinnlichkeit, die Gegenstände aber blos für Erscheinungen gelten; denn alsdann kann die Form der Erscheinung, d.i. die reine Anschauung, allerdings aus uns selbst, d.i. a priori, vorgestellt werden.“7 In der Kritik der reinen Vernunft liest man: „Der Raum ist nichts anders, als nur die Form aller Erscheinungen äußerer Sinne, d.i. die subjective Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist.“8 Das zentrale Problem der transzendentalen Fragestellung Kants ist also nicht – wie manchmal behauptet wird – die Begründung der Geometrie oder der Mathematik schlechthin mittels der reinen Anschauung. Die Mathematik ist für Kant kein Problem von autonomer Bedeutung gewesen, sie hatte für ihn keinen eigenständigen Erkenntniswert. Ausgehend von der Existenz der Newtonschen Physik stellt er vielmehr die Frage nach der Konstruierbarkeit des physikalisch-empirischen Geschehens durch eine apriorische Raum-Auffassung bzw. Raum-Zeit-Kinematik und der allgemein-philosophischen Bedeutung dieser Konstruierbarkeit.9 Wenn Kant – wie in den folgenden Passagen belegt wird – begründet, daß die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit der Mathematik zugrunde liegen, dann geht es ihm darum zu zeigen, daß die Sicherheit der naturwissenschaftlichen Urteile der Physik ohne Mathematik nicht gewährleistet wäre. Nach Kant legt die Mathematik eine reine Anschauung zugrunde, „in welcher sie alle ihre Begriffe in concreto und dennoch a priori darstellen oder, wie man es nennt, sie construiren kann“10. Wenn man dies annimmt – fährt Kant fort – kann man leicht erklären, „wie synthetische Sätze a priori in der reinen Mathematik, und mithin auch, wie diese Wissenschaft selbst möglich sei“.11 In der reinen Anschauung bzw. in der Anschauung a priori allein ist der Stoff zu synthetischen Urteilen a priori gegeben. Aber wie, fragt Kant, ist es möglich, etwas a priori anzuschauen? Wäre das nicht Anschauung, die sich auf keinen Ge7 8 9 10 11

Prol. § 11, AA 4.284. KrV A 26/B 42. Siehe auch Scholz 1924, 21 – 69. Prol. § 7, AA 4.281. Ebd.

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genstand bezieht, also keine Anschauung? Begriffe können von dieser Art sein. Aber diese brauchen doch, um ihnen Sinn und Bedeutung zu verschaffen, die Anwendung auf irgendeine Anschauung, durch die uns ein Gegenstand derselben gegeben wird. Also bleibt die Frage zu beantworten: „Wie kann Anschauung des Gegenstandes vor dem Gegenstand selbst vorhergehen?“12 Da Kant es für sinnlos hält anzunehmen, daß diese Anschauung die Dinge, d. h. die außer uns befindlichen Gegenstände unserer Sinne, so vorstellt, wie sie an sich selbst sind, kommt er zu dem Schluß: Meine Anschauung kann nur vor der Wirklichkeit des Gegenstandes vorhergehen und als Erkenntnis a priori stattfinden, wenn sie nichts anderes enthält als die Form der Sinnlichkeit, die meinem Subjekt vor allen wirklichen Eindrücken vorhergeht.13 Für Kant legt die reine Mathematik die Anschauungsformen Raum und Zeit allen ihren apodiktischen und notwendigen Erkenntnissen und Urteilen zugrunde, wobei – wie er meint – die Geometrie auf der reinen Anschauungsform Raum und die Arithmetik auf der reinen Anschauungsform Zeit beruht. „[W]enn man von den empirischen Anschauungen der Körper und ihrer Veränderungen (Bewegung) alles Empirische, nämlich was zur Empfindung gehört, wegläßt, so bleiben noch Raum und Zeit übrig, welche also reine Anschauungen sind, die jenen a priori zum Grunde liegen und daher selbst niemals weggelassen werden können, aber eben dadurch, daß sie reine Anschauungen a priori sind, beweisen, daß sie bloße Formen unserer Sinnlichkeit sind, die vor aller empirischer Anschauung, d.i. der Wahrnehmung wirklicher Gegenstände, vorhergehen müssen, und denen gemäß Gegenstände a priori erkannt werden können, aber freilich nur, wie sie uns erscheinen.“14 Raum und Zeit sind keine den Dingen an sich selbst, sondern nur ihrem Verhältnis zur Sinnlichkeit anhängende Bestimmungen. Der Raum ist mithin keine den wirklichen Dingen anhängende Beschaffenheit. Doch trotz dieser „Abwürdigung“ kann – so meint Kant weiter – die reine Geometrie objektive Realität haben, indem sie sich nämlich auf Gegenstände der Sinne bezieht, wobei – um es zu wiederholen – unsere sinnliche Vorstellung keine Vorstellung der Dinge an sich selbst, sondern nur der Art ist, wie sie uns erscheinen. In diesem Sinne beziehen sich die Sätze der Geometrie mit Zuverlässigkeit auf 12 Ebd.. § 8, AA 4.282. 13 Vgl. ebd. 14 Ebd. § 10, AA 4.283.

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Gegenstände. Weil der Raum nichts anderes ist als die Form aller äußeren Erscheinungen, unter der uns allein Gegenstände der Sinne gegeben werden können, gelten sie notwendigerweise vom Raum und von allem, was im Raum angetroffen wird. Daher sind die Gesetze der Geometrie für Kant nicht nur richtig, sondern haben auch insofern objektive Gültigkeit, als sie die Anwendung des Raumbegriffs und aller geometrischen Bestimmungen auf die Natur ermöglichen und erfordern. Dieser Raum der Geometer, dieser „Raum in Gedanken“, der keine Beschaffenheit der Dinge an sich selbst, sondern nur eine Form der sinnlichen Anschauung ist, die wir a priori in uns finden, macht die äußeren Erscheinungen (der Form nach) und damit auch den physischen Raum, d. h. nach Kant: die Ausdehnung der Materie, erst möglich.15

2. Euklidische Geometrie, Newtonsche Mechanik und Allgemeine Relativitätstheorie Kant setzte implizit voraus, daß der „Raum in Gedanken“ der (ebene) euklidische Raum ist. Er tat dies, weil die euklidische Geometrie – und die auf ihr aufbauende Newtonsche Physik – die einzige zu seiner Zeit vorliegende geometrische bzw. physikalische Theorie war. Als es dann aber in den Gedanken späterer Geometer auch andere Geometrien als die euklidische gab, wurde die Kantsche Raumauffassung problematisch. Eines kann man vorab sagen: Diese Problematik kann sich nicht schlechthin aus dem Nachweis ergeben, daß der Raum der Geometer auch nicht-euklidisch sein kann. Wer diesen Nachweis als eine Widerlegung des Kantschen Raumkonzepts ansieht, übersieht, daß der Raum für Kant kein Erkenntnisgegenstand ist. Der Raum ist nur die Möglichkeit oder die Bedingung dafür, daß etwas für uns zum Objekt wird. 16 Zwar hat die nachfolgende Entwicklung Kant in mancher 15 Vgl. ebd., AA 4.287 f. 16 Explizit schreibt Kant: „So ist die bloße Form der äußeren sinnlichen Anschauung, der Raum, noch gar keine Erkenntniß; er giebt nur das Mannigfaltige der Anschauung a priori zu einem möglichen Erkenntniß. Um aber irgend etwas im Raume zu erkennen, z. B. eine Linie, muß ich sie ziehen und also eine bestimmte Verbindung des gegebenen Mannigfaltigen synthetisch zu

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Hinsicht korrigiert. Sie hat aber – wie gezeigt wurde – nicht seine Einsicht in die funktionale Bestimmung widerlegt, wonach Raum (und Zeit) nicht als Objekte der Erkenntnis zu fassen sind, sondern als Mittel, um erkennen zu können. Und sie hat auch nicht bewiesen, daß – wie z. B. Cassirer, der Kants Apriorismus durch eine Modifikation „retten“ wollte, meinte –17 jede beliebige Geometrie diese Funktion übernehmen kann. Was an der Kantschen Raum-Zeit-Auffassung tatsächlich problematisch wird bzw. zu korrigieren ist, wird erst ersichtlich, wenn man sich mit Kants Rezeption der Newtonschen Mechanik, der nachNewtonschen Entwicklung der Physik und der Stellung der Newtonschen Mechanik im Gesamtgebäude der Physik auseinandersetzt. Nun erforderte dies eine umfangreiche eigenständige Abhandlung, die hier nicht gegeben werden kann. Es muß daher auf vorangegangene Arbeiten verwiesen werden.18 Hier sollen nur thesenartig einige Resultate dieser Arbeiten zusammengetragen werden, um dann anschließend etwas ausführlicher auf die von der Allgemeinen Relativitätstheorie eingebrachten Korrekturen der Kantschen Auffassung einzugehen. Die euklidische Geometrie wird der Newtonschen Mechanik insofern vorausgesetzt, als sie nicht aus ihrer Dynamik, d. h. aus den durch die Newtonschen Axiome gegebenen Bewegungsgesetzen, abgeleitet werden kann. Diese vorausgesetzte Geometrie hat nach Newton „ihre Basis in der praktischen Mechanik, und sie ist derjenige Teil der allgemeinen Mechanik, welcher die Kunst genau zu messen, aufstellt und beweist“.19 Ähnlich verhält es sich mit der Newtonschen Zeit. Und umgekehrt folgt die Dynamik nicht aus den Newtonschen Bestimmungen des Raumes und der Zeit. Damit besteht die Newtonsche Stande bringen, so daß die Einheit dieser Handlung zugleich die Einheit des Bewußtseins (im Begriffe einer Linie) ist, und dadurch allererst ein Object (ein bestimmter Raum) erkannt wird. Die synthetische Einheit des Bewußtseins ist also eine objective Bedingung aller Erkenntniß, nicht deren ich bloß selbst bedarf, um ein Object zu erkennen, sondern unter der jede Anschauung stehen muß, um fr mich Object zu werden, weil auf andere Art und ohne diese Synthesis das Mannigfaltige sich nicht in einem Bewußtsein vereinigen würde.“ (KrV B 137 f.) 17 Siehe v. Borzeszkowski/Wahsner 2007, insbes 19 – 26, sowie die dort zitierte Literatur. 18 Siehe dazu die in Anm. 2 zitierte Literatur sowie Wahsner/v. Borzeszkowski 1997; v. Borzeszkowski/ Wahsner 1999; 2001; 2004 und v. Borzeszkowski 1993. 19 Newton 1872, 2.

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Mechanik gewissermaßen aus zwei nicht gegenseitig auseinander ableitbaren, unverzichtbaren Anteilen, nämlich Raum und Zeit einerseits und physikalischer Dynamik andererseits. Diese duale Struktur der Mechanik bedeutet aber nicht, daß diese beiden Teile voneinander völlig unabhängig sind. Raum und Zeit sind vielmehr derart mit der Dynamik verbunden, daß sich die raum-zeitlichen kinematischen Beziehungen zum Teil erst mit Bezug auf die Dynamik ergeben (etwa bei der Definition der Inertialsysteme und der Bestimmung der sogenannten Galilei-Gruppe als Ausdruck der Symmetrien des Raum-ZeitKontinuums). Und andererseits gewinnen die dynamischen Beziehungen, die Bewegungsgesetze also, erst dadurch einen auf die Messung bezogenen objektiven Charakter, daß die raum-zeitlichen kinematischen Beziehungen bestimmt werden. Mit der Newtonschen Mechanik wurde eine mit dem Verhältnis von Geometrie und Dynamik gegebene dualistische Struktur der Physik begründet. Sie garantiert – indem sie die Euklidizität des Raumes fixiert – vor allem die Möglichkeit, Maßstäbe zu definieren und die an verschiedenen Weltpunkten gewonnenen Meßergebnisse miteinander zu vergleichen. Die für jede Messung notwendigen Maßstäbe, die gemäß der relativen Unabhängigkeit von Raum und Zeit gegenüber der Dynamik relativ unabhängig sind von dem physikalischen System, das ausgemessen werden soll, müssen aber nicht nur denkbar, sondern auch realisierbar sein. Daß die von der Raum(-Zeit)-Struktur her mçglichen Meßanordnungen auch tatsächlich verwirklicht werden können, gewährleistet die Dynamik durch den oben beschriebenen Bezug der beiden Teile des Dualismus von Raum-Zeit und Dynamik aufeinander. Gerade dadurch erlaubt die Newtonsche Mechanik die physische Konstruierbarkeit der „Meßkörper“. Das in der Newtonschen Mechanik realisierte Konzept eines Dualismus von Raum-Zeit und Dynamik (nicht unbedingt genau aber eben das eines Dualismus von Raum-Zeit und Dynamik) ist grundlegend für die gesamte Physik, da es das Verhältnis von meßtheoretischen Voraussetzungen einer physikalischen Theorie und ihrer Dynamik so bestimmt, daß die Theorie zu einer messenden und rechnenden wird. Die epistemologische Analyse führt zu der Einsicht, daß dem Raum (und der Zeit) vor jeder Dynamik Eigenschaften resp. Strukturen zugeschrieben werden müssen, durch welche die Messung und damit die Physik als empirische Wissenschaft überhaupt erst möglich wird. Dabei sind der maßgeblich raum-zeitlich bestimmte meßtheoretische und der dynamische Teil wiederum nicht unabhängig voneinander, so daß die

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Dynamik mit darüber entscheidet, was als Meßgröße anzusehen ist. (Es ist dies ein entscheidender Unterschied zum Standpunkt der konstruktiv-wissenschaftstheoretischen Protophysik.) 20 Einzusehen, daß euklidische Raum-Zeit-Strukturen der physikalischen Dynamik vorauszusetzen sind, bedeutet, die Existenz von Meßmitteln als notwendige Voraussetzung der Physik zu begreifen. Das trifft, wie unten gezeigt werden soll, auch auf die Allgemeine Relativitätstheorie zu. Somit reflektiert sich im Kantischen Apriorismus eine Einsicht in die erkenntnistheoretischen Grundlagen der Physik, die bei Kants philosophischen Erben zum Teil wieder verlorenging. Besonders auffällig ist das – um ein Beispiel zu nennen – bei den Neukantianern, die ja eigentlich positiv an Kant anschließen wollten, manches bei Kant aber mißverstanden, weil sie Newton nicht adäquat aufnahmen. Sofern man Newton nicht als Begründer der modernen Physik begriff, sondern ihn als Vertreter des englischen Empirismus auffaßte, warf man Kant vor, daß er „sachlich mehr als Newtonianer denn als Leibnizianer herangebildet ward“.21 (Demgemäß wurde auch die wichtige Kantische Unterscheidung von Mathematik, Naturwissenschaften und Philosophie ebenfalls als eine durch Newton veranlaßte, scholastisch anmutende Fehlleistung Kants angesehen.) 22 Indem dann nach-Newtonsche Entwicklungen von Mathematik und Physik ins Blickfeld der Neukantianer gerieten und dabei die paradigmatische Bedeutung der Newtonschen Physik zumindest meistens übersehen wurde, kam man zu Schlüssen der oben erwähnten Art, wonach jede beliebige Geometrie der Physik zugrunde gelegt werden könne.23 Damit ging natürlich die Einsicht in die grundlegende Bedeutung der Geometrie für die Messung verloren. Die oben skizzierte, auf die Messung bezogene Bedeutung hat der Begriff des apriorischen Raumes (und der apriorischen Zeit) bei Kant natürlich nicht; nicht die gegenständliche Messung, sondern die Raumvorstellung selbst vermittelt bei ihm Sinnlichkeit und Verstand, indem sie die Konstruktion von Begriffen resp. den Übergang von der Idealität in die Realität gestattet. Die wirklichen (geistigen und gegenständlichen) Meßmittel der Physik lassen sich jedoch nicht auf ge20 Ausführlicher dazu siehe v. Borzeszkowski/Wahsner 1995. 21 Cohen 1984, 64. 22 Ebd., 64 f. Insbesondere wird von Cohen kritisiert, daß „die Mathematik gesondert in den Formen der Anschauung zur Analyse gelangt“ und nicht als Methode der Physik in enger Verbindung mit dieser gesehen wird. (Ebd., 65) 23 Ausführlich dazu siehe v. Borzeszkowski/Wahsner 2007.

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wisse Anschauungsformen reduzieren. Insofern bedarf das Kantische Konzept zweifelsfrei der Modifikation. Bevor nun die Allgemeine Relativitätstheorie im Kontext der Kantischen Raum-Zeit-Auffassung diskutiert werden soll, sei daran erinnert, daß es schon im 19. Jahrhundert Diskussionen gab, die allein auf Grund der Denkmöglichkeit nicht-euklidischer Geometrien manches Argument gegen den Kantischen Apriorismus ins Feld führten, das dann später – nun als vermeintlich durch die Allgemeine Relativitätstheorie gestützt angesehen – wiederholt wurde. Helmholtz’ Untersuchungen repräsentieren diese frühen Diskussionen in typischer Weise. Man muß sogar feststellen, daß gegenwärtige Debatten sehr selten über die darin erzielten Ergebnisse hinausgehen, sie zumeist nicht einmal erreichen. Es ist daher interessant, das Ergebnis der Analyse der Helmholtzschen Kant-Kritik hier anzuführen:24 Zunächst ist negativ anzumerken, daß Helmholtz das eigentliche Problem der Philosophie nicht sieht, weil er das Problem des Überganges vom Empirischen zum Logischen oder Theoretischen nicht sieht. Mit anderen Worten: Er abstrahiert davon, daß auch die Möglichkeit der Erfahrung zu erklären ist. Er hält Erfahrung für etwas an sich Gegebenes. „Wie ist Erfahrung möglich?“ – genau das war aber Kants Frage, die ihn zu seinem Raum-Zeit-Apriorismus führte. Helmholtz nimmt diese Problematik zurück, und somit gelingt es ihm nicht, die Grenzen des Empirismus zu überschreiten und Kants Apriorismus positiv aufzuheben. Das ist dem Umstand geschuldet, daß Helmholtz über die Sinnesphysiologie zur Beschäftigung mit der Geometrie gelangte. Er hoffte nämlich, in der Geometrie ein Ordnungsprinzip zur räumlichen Einordnung der Empfindungen zu finden, ein Zusammenhangsprinzip, das die rein empirische Erfahrung nicht bietet. Positiv hervorzuheben ist aber, daß Helmholtz mit seinem Bestreben, die „Tatsachen“ herauszufinden, die der Geometrie zugrunde liegen, faktisch die Anforderungen bestimmt hat, die aus Meßgründen an eine Geometrie gestellt werden müssen. Dabei ergab sich in Übereinstimmung mit den Arbeiten von Gauß und Riemann, daß nicht alle Eigenschaften der euklidischen Geometrie übernommen werden müssen. Es war dies ein Ergebnis, dessen Bedeutung erst durch die Allgemeine Relativitätstheorie sichtbar werden konnte. Mit der Begründung der Allgemeinen Relativitätstheorie schien gezeigt worden zu sein, daß der euklidische Raum völlig aus der Physik 24 Vgl. ausführlicher Wahsner 1992b, 21 – 56 und Wahsner 1994.

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zugunsten eines „physischen“ (bzw. physikalisch-dynamischen) Raumes eliminiert worden ist. Denn in der Einsteinschen Theorie werden Bestimmungen des Raumes bzw. der Raum-Zeit mit dem Gravitationsfeld, d. h. einer physikalischen Wesenheit, weitgehend identifiziert. Der so entstehende Raum ist nicht mehr der (ebene) euklidische, sondern der sogenannte Riemannsche Raum, dessen Krümmung durch die Gravitationsfelder der physikalischen Körper und Teilchen bestimmt ist. Dieser Sachverhalt kann aber weder schlechthin die Bedeutung des Dualismus von Raum-Zeit und Dynamik noch den daran orientierten Kantischen Raum-Zeit-Apriorismus widerlegen. Denn dieser Dualismus ist auch in der Relativitätstheorie zu finden und, soweit es den Apriorismus betrifft, gilt festzustellen: Kant hat nicht den physikalischen Raum bestritten, sondern nur behauptet, daß der euklidische Raum notwendig anzunehmen sei, um den physikalischen Raum und die in ihm erscheinenden Dinge möglich zu machen. Natürlich zeigen die späteren Entwicklungen von Geometrie und Physik, daß der euklidische Raum nicht unabdingbar ist und daß das Verhältnis von euklidischer Geometrie und physikalischer Dynamik nicht genau so beschaffen sein muß wie in der (Kant Maßstab seienden) Newtonschen Theorie – das kann und soll nicht zurückgenommen werden. Um aber zu sehen, ob mit der Einsteinschen Theorie der Kantische Raum-Zeit-Apriorismus tatsächlich in jeder Hinsicht widerlegt worden ist, hat man zu prüfen, wie das Verhältnis dieser Theorie zur Sinnlichkeit, wie also die Beziehung von Einsteinscher Theorie und Wirklichkeit beschaffen ist, und ob man sich in Hinblick auf diese Fragen tatsächlich jedes notwendigen Bezuges auf die euklidische Geometrie entledigt hat. Eine solche Prüfung der Allgemeinen Relativitätstheorie zeigt,25 daß diese Theorie keine totale Identifizierung von Geometrie und Physik vorgenommen hat, da in ihr nur einige Bestimmungen des Raumes mit dem Gravitationsfeld identifiziert werden. Es gibt daher Bestimmungen des Raumes, die nicht physikalisiert, d. h. auf die Seite der Dynamik gerückt sind. Und das sind Bestimmungen, die aus Gründen der Messung (aus Gründen der Beziehung zur Sinnlichkeit) als euklidisch vorausgesetzt werden müssen. Der in der Allgemeinen Relativitätstheorie auftretende Riemannsche Raum ist ein kompliziertes Gebilde, das sowohl physikalisch-dynamische Eigenschaften besitzt als auch euklidische, die die Messung möglich machen. 25 Ausführlicher zu diesem und den folgenden Punkten siehe die in Anm. 2 und 18 zitierte Literatur und vor allem Treder 1966 und 1974.

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Daß man es in der Einsteinschen Theorie nicht mit einem schlechthin gekrmmten Raum zu tun hat, der aller euklidischen Bestimmungen bar ist, ersieht man daraus, daß die in dieser Theorie auftretenden Riemannschen Räume im Unendlichkleinen euklidisch (bzw. minkowskisch) sind. Es handelt es sich dabei keineswegs um eine zufällige Eigenschaft der in der Einsteinschen Theorie betrachteten gekrümmten Räume, sondern vielmehr um eine aus Gründen der Messung zu fordernde. Es wird hierdurch nämlich möglich, auch in den gekrümmten Riemannschen Räumen lokale Laboratorien installiert zu denken (und in der Konsequenz auch tatsächlich zu installieren), in denen (in guter Näherung) die Maßverhältnisse der euklidischen Geometrie gelten, in denen damit auch die für die Messung unabdingbaren starren Einheitsmaßstäbe und Einheitsuhren definiert und schließlich realisiert werden können. Weitere euklidische Bestimmungen des Riemannschen Raumes ergeben sich daraus, daß dieser Raum die – ebenfalls aus Gründen der Meßmöglichkeit zu fordernde – Bedingung erfüllt, daß die durch die Einheitsmaßstäbe und Einheitsuhren gemessenen raum-zeitlichen Abstände unabhängig von ihrem Ort und ihrer Richtung miteinander verglichen werden können. In der Diskussion, die Einstein 1918 mit Weyl über dessen Vorschlag einer einheitlichen Feldtheorie führte, wies er gerade auf dieses Erfordernis hin. Einstein lehnte Weyls Vorstellung, die metrischen Verhältnisse in der Umgebung eines Weltpunktes nur unter Verwendung von Lichtstrahlen zu ermitteln, mit dem Argument ab, daß dann ein Faktor in dem raum-zeitlichen Abstand ds unbestimmt bliebe, und er betonte: „Diese Unbestimmtheit ist aber nicht vorhanden, wenn man zur Definition von ds Meßergebnisse heranzieht, die mit („unendlich“ kleinen) starren Körpern (Meßstäben) und Uhren zu gewinnen sind. Ein zeitartiges ds kann dann unmittelbar gemessen werden durch eine Einheitsuhr, deren Weltlinie ds enthält. – Eine derartige Definition des elementaren Abstandes ds würde nur dann illusorisch werden, wenn die Begriffe ’Einheitsmaßstab’ und ’Einheitsuhr’ auf einer prinzipiell falschen Voraussetzung beruhten; dies wäre dann der Fall, wenn die Länge eines Einheitsmaßstabes (bzw. die Ganggeschwindigkeit einer Einheitsuhr) von der Vorgeschichte abhingen. Wäre dies in der Natur wirklich so, dann könnte es nicht chemische Elemente mit Spektrallinien von bestimmter Frequenz geben, sondern es müßte die relative Frequenz zweier (räumlich benachbarter) Atome

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der gleichen Art im allgemeinen verschieden sein.“26 Die geochronometrische Struktur der Raum-Zeit muß also so beschaffen sein, daß es möglich ist, die erwähnten Etalons zu definieren, und daß ihr Zustand unabhängig ist von dem Weg, den sie genommen haben (anderenfalls wären die untersuchten physikalischen Prozesse nicht reproduzierbar). Darüber hinaus werden in der Allgemeinen Relativitätstheorie Gravitationsfelder und nichtgravitative Materie so gekoppelt, daß im Unendlichkleinen (und damit in guter Näherung auch in den lokalen Laboratorien) nicht nur die Maßverhältnisse der euklidischen (bzw. der quasi-euklidischen oder minkowskischen) Geometrie gelten, sondern auch alle dynamischen Gleichungen der Speziellen Relativitätstheorie (bzw. der Newtonschen Physik) erfüllt sind. Damit wird es möglich, die für die Messung in der Allgemeinen Relativitätstheorie notwendigen lokalen starren Maßstäbe und Uhren nach den Gesetzen und Regeln der Newtonschen Physik (bzw. der Speziellen Relativitätstheorie) auch tatsächlich zu konstruieren.27 26 Weyl 1968, 40. 27 Man kann auch den in der oben erwähnten Arbeit von H. Weyl eingeschlagenen Weg beschreiten und zunächst eine sogenannte Weyl-Geometrie einführen. Um dem von Einstein vorgebrachten Einwand gegen diese Geometrie zu begegnen, könnte man durch die Untersuchung der Bewegung von massiven Teilchen (wobei deren Bewegung durch Gleichungen beschrieben wird, die sich mit den Mitteln der Weyl-Geometrie formulieren lassen) die WeylGeometrie zur Riemannschen ergänzen. Die Unbestimmtheit der WeylGeometrie hinsichtlich der Zeiteinheiten (bzw. der Frequenzen der Spektrallinien chemischer Elemente) würde dann durch die Compton-Wellenlänge der betrachteten Teilchenart beseitigt werden. (Vgl. dazu Ehlers 1973 und Audretsch 1983, auch Ehlers 1988.) Diese neue Axiomatisierung bzw. Einführrung der Raum-Zeit-Geometrie der Allgemeinen Relativitätstheorie steht der ursprünglichen Euklid-Newtonschen Einführung der Geometrie in gewisser Hinsicht sogar näher als die Hilbertsche. Sie versteht nämlich auch wie Euklid unter „Geraden“ Lichtstrahlen bzw. wie Newton Trägheitsbewegungen. Dieser Zugang ändert aber nichts an dem oben Gesagten, sondern macht es nur in einer anderen Weise deutlich. Er zieht Eigenschaften der massiven Teilchen heran, die sich mit den Mitteln der bereits begründeten Weyl-Geometrie formulieren lassen und die überdies prinzipiell durch Experimente prüfbar sind. Der Umstand, daß sich Eigenschaften von massiven Teilchen mit Mitteln der Weyl-Geometrie formulieren lassen, läßt hoffen, ohne weitere geometrische Anleihen auszukommen. Die Möglichkeit einer experimentellen Prüfung setzt aber (nach Bohr) die Newtonsche Physik, mithin deren RaumZeit- Begriff voraus. Das wird besonders klar, wenn man bedenkt, daß das hier angegebene Verfahren davon auszugehen hat, daß die Compton-Wellenlängen verschiedener Teilchen konstante Verhältnisse aufweisen müssen (anderenfalls

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Einstein charakterisierte den mit der Allgemeinen Relativitätstheorie erreichten Stand mit Bezug auf Poincaré in folgender Weise: Erst die Geometrie (G) zusammen mit den physikalischen Gesetzen (P) macht Aussagen über das Verhalten physikalischer Objekte, so daß nur die Summe (G) + (P) der Erfahrung unterliegt. Im Prinzip könnte man also so vorgehen, daß man (G) oder (P) (genauer gesagt, Teile von (P)) frei wählt und dann jeweils nur den anderen Summanden so bestimmt, daß die Summe (G) + (P) mit der Erfahrung übereinstimmt.28 Bei dieser Auffassung erscheint also die axiomatisierte Geometrie als erkenntnistheoretische Voraussetzung, mithin als – bezogen auf die physikalische Theorie – apriorisch. Die obigen Überlegungen zeigen allerdings, daß der enge Bezug von Geometrie und Messung die freie Wählbarkeit von (G) insofern einschränkt, als dieses (G) so beschaffen sein muß, daß es die Mçglichkeit der Messung gewährleistet. (Es ist eben kein durch reine Konvention festlegbarer Teil der Physik – wie der große Mathematiker Poincaré meinte.) In der Newtonschen Physik wurde die Geometrie (G) total in Form des „kinematisierten“ euklidischen Raumes vorgegeben. Da man keine andere als die euklidische Geometrie kannte, erschien sie als absolute Denknotwendigkeit, verstanden als absolutes Apriori. Mit der Riemannschen Geometrie ergab sich die Möglichkeit, in der Allgemeinen Relativitätstheorie Teile der Geometrie, eben die Metrik, abzuspalten, mit dem Gravitationsfeld zu identifizieren und so in die Physik einzubeziehen. Die verbleibenden (topologischen) Bestimmungen werden zum Teil durch die Belange der Messung festgelegt, und zwar als euklidische Bestimmungen. Zusammenfassend läßt sich sagen: Da Kant die Notwendigkeit einer Vermittlung zwischen Verstand und Sinnlichkeit erkennt, gelangt er zu würde man für jede massive Teilchenart zu einer anders definierten, also zu keiner allgemeinen Geometrie gelangen). Dieses konstante Verhältnis der Compton-Wellenlängen kann nur dann sinnvoll behauptet werden, wenn es die Konsequenz einer experimentell überprüfbaren Teilchenphysik ist. Damit ist wiederum der Bezug auf die Messung gegeben, die der Newtonschen Physik und damit des Bezuges auf die euklidische (bzw. minkowskische) Geometrie bedarf. Aber selbst wenn man nicht die einzelnen Schritte der hier besprochenen Einführung der pseudo-Riemannschen Geometrie der Allgemeinen Relativitätstheorie verfolgen würde, auch dann ist klar: aus Gründen der Messung (die hier mit Licht und massiven Teilchen durchgeführt wird) bedarf es der Einführung von Räumen, die bestimmte „euklidische“ Eigenschaften besitzen. 28 Vgl. Einstein 1953a, 161.

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seinem Apriorismus, demgemäß Raum und Zeit als reine Anschauungsformen vor jeder Erfahrung in unserem Gemüt bereitliegen und als solche empirische Anschauung (mithin Erfahrung) erst möglich machen. Um insbesondere den Raum als Anschauungsform a priori begründen zu können, stützt sich Kant auf die Unabdingbarkeit der euklidischen Geometrie. So problematisch die Begründung des Apriorismus durch Kant auch sein mag, so darf man dennoch nicht übersehen, daß er zumindest – wenn auch in modifizierter Form – eine wichtige Einsicht in den Charakter der (Newtonschen) Physik bedeutet. Denn indem die Newtonsche Theorie durch ihren euklidischen Raumbegriff zu einer messenden (und rechnenden) Disziplin wird, fungiert die euklidische Geometrie tatsächlich als etwas Theorie und Wirklichkeit (bzw. Verstand und Sinnlichkeit) Vermittelndes. Mehr noch – und das zu zeigen war die Absicht dieses Beitrages – diese Bedeutung der euklidischen Geometrie wird durch die Allgemeine Relativitätstheorie nicht generell in Frage gestellt, sondern nur relativiert und dadurch in ihrer erkenntnistheoretischen Funktion eigentlich erst erklärt. Der Anteil an vorausgesetzter Geometrie wird in der Allgemeinen Relativitätstheorie zwar reduziert (es werden nur einige Bestimmungen der euklidischen Geometrie aus Meßgründen gefordert), der Dualismus Raum – Dynamik oder Geometrie – Dynamik aber nicht aufgehoben. Die Einsteinsche Theorie verwirft – unter diesem Aspekt gesehen – weder das Newtonsche noch das Kantische Raum-Zeit-Konzept, sondern hebt nur die Absolutheit eines bestimmten dualistischen Verhältnisses auf und läßt den vernünftigen Kern dieser Konzepte erkennen. Sie befördert die Einsicht, daß der Raum-Dynamik-Dualismus der notwendige Dualismus zwischen den meßtheoretischen Voraussetzungen einer physikalischen Theorie und ihrer Dynamik ist. Ihre epistemologische Analyse ermöglicht die Einsicht, daß dem Raum vor jeder Dynamik Eigenschaften resp. Strukturen zugeschrieben werden müssen, durch die die Messung und damit die Physik als empirische Wissenschaft überhaupt erst möglich wird. Wenn man den Zusammenhang zwischen der meßtheoretischen Notwendigkeit euklidischer Anteile physikalischer Theorien und dem Kantischen Apriorismus, der diese Notwendigkeit in gewisser Weise reflektiert, bedenkt, bedeutet das eine Korrektur, aber kein Überbordwerfen der Kantischen Auffassung. Die Allgemeine Relativitätstheorie hat weder Kants Einsicht in die funktionale Bestimmung widerlegt, wonach Raum und Zeit nicht als Objekte der Erkenntnis zu

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fassen sind, sondern als Mittel, um erkennen zu können; noch hat sie bewiesen, daß jede beliebige, von der euklidischen weit entfernte Geometrie diese Funktion übernehmen kann.

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Die Einheit der Natur. Naturphilosophische Einheitsprogramme bei und nach Kant Paul Ziche Abstract: “Unity” is one of the categories that define the project of a philosophy of nature. The concrete content of this category, however, is far from clear. The text investigates a modern proposal, by C.F. von Weizsäcker, to argue for the unity of nature by claiming a unity of physics, based on a transcendental argument that aims to establish this latter kind of unity as a precondition for all experience. It is shown that the step from the unity of nature to the unity of physics requires further attention, and that in Kant and in Hegel’s philosophy of nature we find argumentative resources for a clarification of this transition. The structure of transcendental argumentation offers a guideline for establishing the thesis that classical programs for a philosophy of nature are characterised by a conception of unity that understands unity via a process of – methodologically well founded – diversification. The most important form of such diversification takes is to be found in a structured system of sciences, or, more generally, of epistemic approaches towards nature.

1. „Einheit“ als naturphilosophische Kategorie „Einheit“ ist eine zentrale Kategorie für die Naturphilosophie, sowohl für traditionelle Ansätze als auch für modernere naturphilosophische Argumentationen; oft dient „Einheit“ dabei direkt dazu, das Projekt einer Naturphilosophie in Absetzung von der sich immer mehr spezialisierenden Naturwissenschaft abgrenzend zu bestimmen. Was mit „Einheit“ allerdings konkret bezeichnet ist, bleibt dabei zunächst offen: Geht es um die Einheit von Subjekt und Objekt, von Mensch und Natur also, oder um die Einheit der Natur schlechthin, oder aber um die Einheit der Wissenschaften von der Natur? In diesen vielfältigen Optionen liegen Spannungen, wenn man diese verschiedenen Einheitskonzeptionen nochmals der Einheitsforderung unterwerfen will: Wenn die Einheit von Mensch und Natur zugleich Einheit der Natur sein soll, wird die Unterscheidbarkeit von Mensch und Natur zum Problem; wenn die Einheit der Natur zugleich eine Einheit der Wis-

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senschaften sein soll, scheint ohne Wissenschaft überhaupt keine Natur mehr verfügbar zu sein. Einheit findet sich immer wieder auch als wissenschaftstheoretische Kategorie, und hier lassen sich die polyvalenten Besetzungen von Einheit besonders deutlich sehen: Der einfachste Weg, Einheit zu erreichen, bestünde in radikaler Reduktion; ein (eventuell sogar eliminativer) Materialismus stellt, jedenfalls unter einer bestimmten von sicher mehreren möglichen Auffassungen von „Einheit“, das Musterbeispiel einer vereinheitlichenden Theorie dar. Andererseits ist Einheit eng mit Idealen wie Ganzheitlichkeit verbunden, die in eine ganz andere Richtung verweisen und klassischerweise anhand eines nicht oder jedenfalls nicht selbstverständlicherweise reduziblen Musterobjekts, des Organismus und seiner systemischen Struktur, erläutert werden. Damit ist die begriffliche Lage von „Einheit“ derjenigen von „Naturphilosophie“ selbst analog: Naturphilosophie changiert in ganz ähnlicher Weise zwischen einerseits der Notwendigkeit bzw. dem Versprechen umfassender Orientierung an einzelnen Wissenschaften, darunter auch solchen, die materialistisch-einheitlichen Idealen folgen, und andererseits dem Appell genau an nicht-reduktive, organologische Ansätze. Die Frage nach der Einheit, kennzeichnend für das Projekt der Naturphilosophie insgesamt, eignet sich insbesondere dazu, aktuellere Überlegungen – etwa die explizit unter dem Titel Einheit der Natur vorgelegten Argumente von Carl Friedrich von Weizsäcker – mit historischen naturphilosophischen Positionen, hier solchen von Kant und Hegel, ins Gespräch zu bringen. Die Spannung im Konzept der Einheit versteht sofort, wer den ersten Matrix-Film vor Augen hat: Hier ist der Mensch anfangs nicht in ein mechanisches Räderwerk, sondern in eine organische Matrix aus intestinalen Gebärmaschinen eingebaut, die aufgrund der organischen Verbundenheit eher noch beängstigender wirkt als eine bloß mechanische Instrumentalisierung. Gerade die organische Vereinheitlichung wird hier zur – gezielt mit Aspekten des Ekels besetzten – Schreckensvision; als literarischer Topos war und ist die negative Besetzung des unaufhaltsamen Wucherns, der Ubiquität von organischem Leben und seinen Verfallsstufen vielfältig präsent. Im Matrix-Film verdankt sich jedoch die organizistische Vereinheitlichung einem technischen Eingriff. Ob sich die spezielle Dimension des Besorgniserweckenden eines solchen Szenarios – das sich in vielen parallelen Produkten des ScienceFiction-Genres aufweisen ließe – mehr dem technischen oder mehr dem organischen Aspekt verdankt, kann hier offenbleiben; daß der

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Rekurs auf organische Einheit keine automatische Rettungsaussicht mehr bietet, ist in jedem Fall deutlich. Ein anderes historisches Szenario, der wissenschaftlich-weltanschauliche Monismus der Zeit um 1900, macht deutlich, wie der einleitend benannte Doppelcharakter von Einheit, bei aller Vagheit, bereits eine weiterführende Argumentationsrichtung eröffnet. Der Monismus will genau kein Reduktionismus sein: Nichts soll ausgeschlossen werden, aber in einem auch stark polemischen Sinn soll überall auf Einheit gezielt werden.1 Ziel ist, nur eine einzige Erklärungsart bei kompletter Rettung der Phänomene und geringstmöglicher Revision bestehender Überzeugungen zu benötigen. Die Absage an Reduktion erfordert eine starke Kompensation, um den sich damit abzeichnenden Zusammenstoß zwischen einheitlicher Erklärung und ganzheitlichen Perspektiven aufzufangen; diese Kompensation findet sich um 1900 generell in der Universalisierung und Aufwertung eines gegenüber ,Reduktion‘ sehr viel positiver besetzten, aber insbesondere in der gegenwärtigen Diskussion doch engstens mit Ideen von Reduktion verbundenen Konzepts, nämlich des Konzepts der Wissenschaft. Der Wissenschaftsbegriff übernimmt eine nicht-reduktive Vereinigungsform.2 Damit zeichnet sich ein Muster ab, das im folgenden wiederholt begegnen wird: Naturphilosophie steht zwischen Einheit der Natur und Einheit der Wissenschaften (oder einer Wissenschaft), indem sie explizit Möglichkeiten und Probleme der Systematisierung der Wissenschaften thematisiert. Im folgenden soll im Ausblick auf die Naturphilosophie Hegels und in Orientierung an Kantischen Methodenkonzepten untersucht werden, wie ein solches Programm für Naturphilosophie aus Argumentationen zur Einheit der Natur zu entwickeln ist.

2. „Einheit der Natur“ und transzendentale Argumente Ein Übergang von der Einheit der Natur zu Aussagen über die Struktur des Wissenschaftssystems findet sich in einer der prominentesten modernen Stellungnahmen zu diesem Problemkreis, in Carl Friedrich von Weizsäckers Überlegungen zur Einheit der Natur. 3 Er fragt nach der 1 2 3

Vgl. dazu Ziche 2007. Vgl. Ziche 2008. Programmatisch, aber in offener Form zusammengefaßt in von Weizsäcker 1974.

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„Einheit der Natur“, sucht diese aber in einer „Einheit der Physik“, in der die Begriffe und Gesetze grundlegender physikalischer Theorien „aus ein paar allgemeinen Prinzipien“ hergeleitet werden können.4 Zweierlei ist an dieser Programmatik auffallend: Zum einen der ohne weitere Problematisierung vorgenommene Übergang von der Einheit der Natur zur Einheit der Physik, der zugleich eng mit einem zentralen Problem von Naturphilosophie korrespondiert, der Frage nämlich, ob Naturphilosophie eine Philosophie der Natur oder der Naturwissenschaft sei; zum zweiten die eigentümliche Unbestimmtheit einer Rede von „ein paar“ allgemeinen Prinzipien, die andeutet, daß man sich mit der Programmatik der Einheit der Natur an der Schnittfläche zwischen strikt apriorischen Erwägungen naturphilosophischer Art und der Unabgeschlossenheit konkreter Naturwissenschaft bewegt. Weizsäcker verwendet ein methodisches Instrumentarium aus der Philosophie, das genau an solchen Schnittflächen ansetzt, nämlich zwischen äußerer Natur und vom Menschen aufgebauter Wissenschaft, zwischen apriorischen Prinzipien und konkreten Strukturen der Erfahrungswelt. Seine methodischen Grundlagen gewinnt Weizsäcker aus einer an Kant anknüpfenden und in der neueren analytischen KantInterpretation und in der analytischen Philosophie insgesamt ausgebauten Argumentationsform, den sogenannten „transzendentalen Argumenten“. Seit Peter Strawsons Arbeiten in der analytischen Kantund Erkenntnistheoriedebatte sind damit solche Argumente gemeint, die – nach dem Muster beispielsweise von Kants „Widerlegung des Idealismus“ – ausgehend von einer skepsisimmun zugestandenen Voraussetzung nach den Bedingungen für deren Möglichkeit fragen und dadurch solche Bedingungen argumentierend-beweisend gegen den Skeptiker sichern wollen und sogar dem Anspruch nach deren objektive Realität verbürgen.5 Im Beispiel der „Widerlegung des Idealismus“ aus der zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft, einem der klassischen Beispiele für diese argumentative Strategie, wird ausgehend von der unbestreitbaren Verfügbarkeit innerer Erfahrung, von deren konkretem Gehalt völlig abgesehen wird, auf die notwendige Existenz äußerer Dinge geschlossen, ohne die eine innere Erfahrung nicht möglich wäre.6

4 5 6

Ebd., 264. Einen Überblick zum Thema „transzendentale Argumente“ mit ausführlicher Bibliographie findet sich in Robert Stern 1999. Vgl. KrV B 273 – 279.

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Solche Argumente sind, wenn zulässig, überaus attraktiv für die Naturphilosophie. Sie schaffen einen Übergang von einer subjektiv gesicherten Innenwelt zu Aussagen über die Außenwelt und gehen zugleich, jedenfalls in den Aussagen, die sie über die Außenwelt treffen, apriorisch vor. Ein weiteres klassisches, auf Strawsons Individuals zurückgehendes Beispiel verdeutlicht die Tendenz von innen nach außen: Nach Strawson setzt die Möglichkeit von Individuation und von (sprachlicher) Selbstbeziehung eine äußere Welt ebenso voraus wie die Existenz anderer Personen, die also beide auf der Grundlage der Realität von Individuation und Selbstbeziehung als real angenommen werden können.7 Weizsäcker verschiebt die Argumentation in einem explizit unter dem Sammeltitel „Transzendentale Argumente“ publizierten Aufsatz, der wesentliche Ideen seiner populäreren Darstellung zur Einheit der Physik in einem methodisch präziser fokussierten Rahmen präsentiert, in eine andere Fragestellung.8 Ihm geht es darum, die Gesetze der Physik mit den Prinzipien von Erfahrung überhaupt zu verbinden und auf diese Weise mit Hilfe transzendentaler Argumente diejenigen Gesetze der Physik auszuzeichnen, die in dieser Wissenschaft fundamental sind: „It is the guiding, ambitious hypothesis of this systematic attempt that the fundamental laws of physics can indeed be fully justified as preconditions of all possible objectivating experience.“9 Zugleich wird damit, wenn das Argument in der Tat bei Bedingungen von Objekterfahrung überhaupt ansetzt, die Physik insgesamt in den Rang einer fundamentalen Disziplin versetzt (offen bleibt, ob Physik die einzige derartige Grundlegungsdisziplin darstellt). Er sieht aber, daß dazu ein weiterer Schritt erforderlich ist, nämlich eine Überlegung, die das Verhältnis von speziellen und allgemeinen Gesetzen in den Naturwissenschaften klärt. Mithin ist explizit über die Struktur dieser Wissenschaften nachzudenken. Die Fundamentalität eines Gesetzes innerhalb einer Wissenschaft kann nicht bereits durch ein Argument für den Gehalt dieses Gesetzes gesichert werden. Es kann nicht nur darum gehen, Prinzipien der Erfahrung überhaupt in der Physik nachzuweisen, diese müssen in der Physik auch grundlegend werden, also aufgrund der immanenten Strukturen der Wissenschaft Physik fundamentalen Status erhalten, nicht nur Prinzipien für die Physik überhaupt, sondern eben 7 8 9

Strawson 1959, Kap. I, 1 und 3. Von Weizsäcker 1979. Ebd., 139.

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auch Prinzipien innerhalb der Physik sein. Die Frage nach den wissenschaftlichen Implikationen der Struktur von Erfahrung wird hier verbunden mit der Frage nach der inneren Struktur einer Wissenschaft. Hier vollzieht Weizsäcker explizit den Schritt zu einer Argumentation, die das Verhältnis allgemeiner und spezieller Aussagen bedenkt und für die Physik eine strikte Hierarchisierung von Aussagen vornimmt: „there are no ultimate special laws of physics“; die letzten Grundlagen der Physik müssen in besonderer Weise allgemeine Gesetze sein. Zugrunde liegt eine bestimmte wissenschaftstheoretische Auffassung von der Methode der Physik oder jedenfalls von ihrer idealen Rekonstruktion, die Idee nämlich, wissenschaftliche Erklärung operiere durch die „logische“ Ableitung spezieller Gesetze aus allgemeineren. Diese letzteren Gesetze sollen dann die Rechtfertigungsprobleme für die Physik insgesamt tragen: „the only problem of justification left to science is the justification of the fundamental laws of physics themselves.“10 Alle speziellen Gesetze könnten nämlich von den allgemeinen abgeleitet werden. Weizsäcker bezeichnet seinen Ansatz in Bezug auf diese fundamentalen Gesetze ausdrücklich als einen der transzendentalen Argumente (in dem allerdings, abweichend von Kant, rein auf der Ebene von Begriffen argumentiert wird und die Abkunft von Begriffen aus Urteilen ausgeblendet bleibt): „We will only argue that, given an explicitly stated concept of experience, certain other concepts or judgments seem necessary for establishing a theoretical frame within which this given concept of experience can meaningfully be used.“11 Die konkrete Ausgestaltung setzt beim Begriff der Zeit an, der in Form einer temporalen Logik die Grundlage für eine abstrakte und allgemeine Theorie liefert. Zeit sei für alle Erfahrung zentral, insbesondere auch für Experimente und Messungen in der Physik. Zugleich werde es aber möglich, wenn man die Rolle von Gruppenstrukturen innerhalb der Quantenmechanik betrachte, mittels quantentheoretischer Symmetriegruppen auch speziellere Aussagen und Gesetze der Physik zu deduzieren. Weizsäcker nennt als Beispiele Aussagen zur Struktur des Raumes, die Ideen der speziellen Relativitätstheorie oder kosmologische Theorien. In der Umsetzung dieser Argumentationsstrategie wird der Zusammenhang zwischen Bedingungen von Erfahrung überhaupt und den Aussagen einer temporalen Logik allerdings abgeschwächt formuliert, ganz ähnlich wie in der zitierten Formulierung aus Einheit 10 Ebd. 11 Ebd., 140.

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der Natur: „temporal logic formulates certain preconditions of all experience.“12 Das Bild, das Weizsäcker damit vom methodischen Zusammenhang der Naturwissenschaft skizziert, weicht trotz der direkten Berufung auf transzendentale Argumente von einer transzendentalphilosophisch inspirierten Wissenschaftstheorie ab. Selbst unabhängig von den Problemen, die in jedem Fall mit transzendentalen Argumenten assoziiert sind,13 ist mit seinen Überlegungen eine ganze Reihe von Schwierigkeiten verbunden, die aber ihrerseits nochmals erhellend sein können für grundlegende Fragen der Naturphilosophie und ihrer Beziehung zu den Naturwissenschaften. Zunächst sind die Einschränkungen festzuhalten, die in der Idee einer logischen Ableitung spezieller Gesetze aus allgemeinen liegen. In neuerer wissenschaftstheoretischer Forschung wurde eine solche Orientierung an deduktiver Logik im Zuge einer differenzierenden Kritik am Modell deduktiv-nomologischer Erklärungen ebenso wie an Ernest Nagels klassischem Modell von Reduktion immer wieder zurückgenommen und durch flexiblere Methodenrekonstruktionen ersetzt. In Kontrast zu dieser sehr eng festgelegten Rekonstruktion von Einheit steht bei Weizsäcker eine eigentümliche Offenheit, die nicht problemlos mit den Kriterien zu vereinbaren ist, die man an eine Grundlegungstheorie, auch an eine Theorie im Rahmen einer Kantianischen Transzendentalphilosophie anzulegen hat; in einem derartigen Programm nämlich könnte man kaum sinnvoll in unbestimmt-abschwächender Weise von „certain preconditions for all experience“ sprechen: Letzte Bedingungen müssen – transzendental argumentiert – in ihrem Prinzipienstatus präzise ausgewiesen sein, auch wenn in ihnen, wie im folgenden bei Kant noch zu belegen sein wird, eine inhaltliche Offenheit bestehen bleibt. Wichtiger wohl ist jedoch eine Schwierigkeit in der Interaktion verschiedener Argumentationsebenen. Die von Weizsäcker namhaft gemachten Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung liegen auf einer anderen Ebene als die Erfahrung selbst: Wenn es zum Wesen traditioneller transzendentaler Argumente gehört, im Sinne einer Innen-Außen-Vermittlung von einem Erfahrungsbegriff auszugehen, der für jegliche, auch für die alltägliche Erfahrung verbindlich ist, ist das kaum mit einem Argumentationsziel zu verbinden, das auf der Suche nach den Bedingungen für Erfahrung diese in der hochentwickelten, 12 Ebd., 145. 13 Der locus classicus ist Stroud 1968.

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nur einem exklusiven Forscherkreis zugänglichen mathematischen Physik findet. Zwar erfolgt auch in traditionellen transzendentalen Argumenten ein Übergang aus unmittelbar Vertrautem auf scheinbar Fernliegenderes, aber der Abstand zwischen dem Argumentationsziel solcher klassischer Argumente und der Argumentationsgrundlage ist nicht in der Weise unüberbrückbar, wie das bei einem Übergang von Erfahrung überhaupt zu den mathematischen Grundstrukturen physikalischer Theorien der Fall zu sein scheint. Man könnte versuchen so zu argumentieren, daß gerade darin die Pointe liegt, auf die Weizsäcker zielt; daß also im Ausgang von einem allgemeinen und umfassenden Erfahrungsbegriff ein Hinausgreifen über den Bereich allgemein verständlicher Erfahrung möglich ist, das jedoch eben im Ausgang von diesem Alltäglichen zugänglich wird. Damit verschiebt sich jedoch die Bedeutung von ,Hinausgreifen‘; es geht dann nicht mehr um die Vermittlung eines Innen und eines Außen, sondern um einen Übergang, der über die Grenzen zwischen ganzen Erkenntnis- oder Wissenschaftsformen, hier der Physik in ihrer Unterscheidung von alltäglicher Erfahrung, hinweggreift. In klassischen transzendentalen Argumenten ist kein vergleichbarer epistemischer Sprung zu finden.14 Kants transzendentale Prinzipien, ebenso wie diejenigen bei Strawson, liegen nicht einfach in einer speziellen Wissenschaft. In Fortführung der soeben angestellten Beobachtungen würde hier ein Argument nötig, warum gerade die Wissenschaft der Physik, die ja nicht einfach durch einen Gegenstand, etwa durch ,elementare Materiebestandteile‘, hinreichend umschrieben ist, in dieser Weise zentral sein soll. Schließlich ergibt sich eine Schwierigkeit für den Status des Prinzips, für das hier argumentiert werden soll. Es ist Resultat eines transzendentalen Arguments, das es als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis überhaupt ausweist. Die Einheit der Physik ergibt sich aber als Konsequenz aus diesem Prinzip nochmals in einem zweiten Schritt, und dann ist wiederum zu fragen, auf welche Weise diese Einheit mit der Einheit der Natur zusammenhängt. Ist sie damit noch Bedingung von Erfahrung oder vielmehr sekundäres Implikat der Bedingungen der 14 Zwar böte sich anhand des auch in Weizsäckers gruppentheoretischen Argumentationen zentralen Symmetriebegriffs die Überlegung an, dieser Begriff erhalte seine Bedeutung gerade deshalb, weil er sowohl in mathematisch avancierter Physik als auch in alltäglichen, insbesondere auch in ästhetischen Lebenswelten zentral sei; hierfür wäre aber wieder ein starkes Argument dahingehend erforderlich, daß es sich in diesen verschiedenen Verwendungskontexten tatsächlich in relevanter Weise um denselben Begriff handelt.

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Erfahrung? Alle diese Fragen hängen mit dem Problem des Verhältnisses der Physik zu den Prinzipien von Erfahrung einerseits, und mit der inneren Struktur der Physik andererseits zusammen, die in diesen Argumentationen nicht wirklich explizit thematisch wird. Damit erhält man folgende Aufgabe, hervorgehend aus einer Diskussion naturphilosophischer Konzepte von „Einheit“ im Rahmen transzendentaler Argumente: Zu schaffen ist eine Diskussionsgrundlage für die Verhältnisbestimmung ganzer Erkenntnisformen, die konkret als Wissenschaftsgebiete auftreten.

3. „Eine Natur der Dinge“, das ist: „die Einheit des Verstandes“: Kants Widerlegung des Idealismus und die Postulate des empirischen Denkens Transzendentale Argumente verdanken sich in historischer Hinsicht insbesondere Kantischen Inspirationen. Auch die Kategorie der Einheit spielt bei Kant eine zentrale Rolle; sucht man jedoch innerhalb der Kantischen Philosophie nach dem systematischen Ort der „Einheit der Natur“, wird rasch deutlich, daß Einheit bei Kant eher noch komplexer zugeordnet ist als es einleitend für die Naturphilosophie skizziert wurde.15 Allein schon innerhalb der Kritik der reinen Vernunft ist – neben der Kategorie der Einheit selbst, die aber in ihrer inhaltlichen Bestimmtheit kaum weiter in die signifikanten Argumentationen der Kritik der reinen Vernunft eingebunden ist – an die Einheit der Apperzeption zu denken, die ihrerseits als Einheit im objektkonstitutiven einzelnen Erfahrungsakt fungiert, dazu aber auch an die Einheit als Idee, die sich im theoretischen Erkennen als die Einheit des Weltganzen ausdrückt, die nicht Gegenstand der Erfahrung werden kann: das „absolute[…] Ganze“ aller Verstandeshandlungen16 stellt für Kant das definierende Beispiel eines transzendenten Vernunftgebrauchs dar. Burkhard Tuschling stellt zur Diskussion, daß in diesem Punkt im Opus postumum eine wichtige Neuorientierung einsetzt, die über die transzendentalphilosophische Grundlegung in der Kritik der reinen Vernunft hinausgreift; wenn sich das bestätigen läßt, ist damit zugleich eine entscheidende, eben unter einem

15 Vgl. dazu z. B. Thöle 2000. 16 KrV A 328/B 384.

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Einheitsbegriff erfolgende Ausweitung im Begriffs- und Problemfeld einer spezifischen Naturphilosophie verbunden.17 Zunächst aber ist genauer nachzufragen, wo innerhalb der Kritik der reinen Vernunft die einschlägigen Überlegungen zur Frage der Einheit der Natur zu finden sind. Ein Problem liegt darin, daß Einheit als regulative Idee kaum konkrete Anleitungen für gezielte Erkenntnisstrategien gibt; zugespitzt kann man fragen, worin sie sich überhaupt von Ockhams razor und damit von einem strikt formalen Prinzip unterscheidet. Auch die singulär-objektkonstitutive Einheit der transzendentalen Deduktion erscheint als zu unspezifisch, um Aussagen über eine Einheit der Natur zu ermöglichen; beide Formen von Einheit scheinen ungeeignet, um, wie es für eine naturphilosophisch relevante Begrifflichkeit von Einheit der Natur erforderlich ist, in konkreter Weise Aussagen über die Natur (seien es nun Aussagen innerhalb konkreter Naturwissenschaften oder Aussagen auf einer allgemeineren naturphilosophischen Ebene) zu ermöglichen. Eine solche Forderung nach Konkretheit gehört zum traditionellen Aufgabenspektrum transzendentaler Argumente, die sich gerade nicht auf Postulate oder Ideen richten, sondern einen Realitätsnachweis führen wollen. Deshalb sind für den gegenwärtigen Kontext andere Abschnitte der Kritik der reinen Vernunft wichtiger, die konkreter als die transzendentale Dialektik oder die Deduktion die Einheit der Natur als konstitutives Prinzip in der Natur ins Auge fassen. Eine bemerkenswerte Passage, im für transzendentale Argumente zentralen Zusammenhang mit der Widerlegung des Idealismus, findet sich in der Erläuterung des dritten Postulats des empirischen Denkens, der Forderung also, dasjenige, „dessen Zusammenhang mit dem Wirklichen nach allgemeinen Bedingungen der Erfahrung bestimmt ist, ist (existiert) notwendig“18. Bereits die Formel dieses Postulats gemahnt an das Beweisziel transzendentaler Argumente. Kant spricht hier von „allgemeinen“ Bedingungen und setzt damit voraus, daß innerhalb der Klasse von Gesetzen, die als Gesetze stets bereits Allaussagen sind, nochmals Abstufungen hinsichtlich zunehmender Allgemeinheit möglich sind: „alle Dinge, als Erscheinungen, [gehören, PZ] insgesammt in den Inbegriff und Context einer einzigen Erfahrung“19. Einzigkeit der Erfahrung bezeichnet hier eine durchgehende Einheitlichkeit der Erfahrung, von der jede einzelne 17 Tuschling 1989. 18 KrV A 218/B 265. 19 KrV A 230/B 282.

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Erscheinung nur ein Teil ist. Es kommt im selben Kontext aber auch die andere mögliche Bedeutungsvariante von Einzigkeit vor: Erfahrung in der Form, die aus der transzendentalen Ästhetik und Analytik vertraut ist, ist „die einzige Erkenntnis […], worin uns Gegenstände gegeben werden“20. In der Kombination beider Bedeutungen wird ein weiterer Aspekt klassischer transzendentaler Argumente sichtbar: Aus der einschränkenden Limitation auf die einzig mögliche Form von Erfahrung wird auf eine positive Bestimmung, hier die Einheitlichkeit dieser Erfahrung, innerhalb des limitierend festgelegten Rahmens geschlossen. Kants Postulate gehen aber auf ein konkreteres Beweisziel; diejenigen Prinzipien, die diese Einheitlichkeit garantieren sollen, sollen nun auch als Naturgesetze formuliert werden. Kant gibt solche Prinzipien an; es sind vertraute Aussagen wie „in mundo non datur casus“, aber auch solche Aussagen, die dann im Opus postumum zentral werden, wie „non datur saltus“ oder „hiatus“, woraus dann die Unmöglichkeit eines leeren Raums folgt.21 Diese Aussagen sind bereits in der Kritik der reinen Vernunft Kants Kandidaten für „Naturgesetze a priori“;22 sie erfüllen damit die Anforderungen, die traditionell an eine systematisch anspruchsvolle Naturphilosophie gestellt wurden. Zugleich operieren sie innerhalb des methodischen Modells transzendentaler Argumente. Dennoch bleiben sie hochgradig unspezifisch. Kant selbst formuliert an dieser Stelle mit gewohnt scharfer Präzision in einer sehr kompakten Notation, die genau diese Unspezifität hervorhebt: Diese Gesetze sind solche, „durch welche das Spiel der Veränderungen einer Natur der Dinge (als Erscheinungen) unterworfen wird, oder, welches einerlei ist, der Einheit des Verstandes“23. Wesentlich im gegenwärtigen Argumentationskontext ist eine eigenartige Inkongruenz zwischen der Definitheit von „Natur“ und „Einheit“ in dieser Passage: Kant spricht von „einer“ Natur, aber „der“ Einheit des Verstandes. Das legt nahe, eine logische Separierbarkeit anzunehmen: Unser Verstand legt seine Einheit, die durch ihn eindeutig bestimmt ist, der Natur auf (oder, in der Diktion des Opus postumum, in sie hinein), damit wird aber nur eine Natur, d. h. eine Natur von mehreren möglichen, oder, auch diese Lesart ist möglich, die Natur nur so unspezifisch fixiert, daß man nicht mehr darüber aussagen kann, als daß es eben eine Natur ist. Die Einheit 20 21 22 23

KrV KrV KrV KrV

A A A A

230/B 283. 228 f./B 281. 228/B 280. 228/B 281 f.

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der Natur ist nicht einfach die Einheit des Verstandes, zwischen beiden besteht ein Unterschied wie zwischen besonderem Fall und allgemeinem Begriff. Die Einheit des Verstandes wird, wenn man diese Passage wörtlich nimmt, von der Einheit der Natur gerade dissoziiert; Einheit im Sinne durchgehender eindeutiger Bestimmtheit ist nur auf der Ebene des Verstandes zu finden. Alle diese begrifflichen Entwicklungen konzentrieren sich um einen gemeinsamen Kern. Typische transzendentale Argumente wenden sich von innen nach außen, von subjektiver Erfahrung zu objektiven Bedingungen für Erfahrung. Hier nun, bei der Suche nach Prinzipien der Natur auf transzendentaler Basis, verschiebt sich dieser innen-außenÜbergang zu einem Problem der Vermittlung von Allgemeinheit und Besonderheit, zwischen allgemeinen Prinzipien der Erfahrung und konkreten Gesetzen einzelner Naturwissenschaften. Kant selbst greift dieses Problem explizit auf. Bei der Erörterung des dritten Postulats muß er konsequenterweise die Frage erörtern, wie verschiedene Gesetze nach ihrem Allgemeinheitsgrad geordnet werden können. An der genannten Stelle ist zentral,24 daß die Erscheinungen der Natur „einem Gesetz“ unterworfen sind, womit aber noch keine Aussage über den Inhalt und die Anwendbarkeit dieses Gesetzes getroffen ist. Kants Argument richtet sich auf den Nachweis der Notwendigkeit eines Gesetzes überhaupt; da die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes – er spricht selbst explizit über die inhaltlich völlig unbestimmt bleibende Möglichkeit, „aus irgend einem gegebenen Dasein (einer Ursache) a priori auf ein anderes Dasein (der Wirkung) zu schließen“ – für Kant offen bleiben kann, folgt aus dieser Gesetzlichkeit noch keine Ableitbarkeit speziellerer Gesetze. Dennoch findet sich hier eine gewichtige Gemeinsamkeit der Argumentationen von Weizsäcker und Kant. Anders als in den Standardvorbildern für klassische transzendentale Argumente geht es nicht mehr um die Existenz von Dingen, sondern um Aussagen über Abstufungsverhältnisse unterschiedlich allgemeiner Aussagen, um das systematische Gefüge innerhalb eines Theoretisierens über Natur. Damit verschiebt sich aber auch die Funktion von transzendentalen Argumenten: Transzendentale Argumente erhalten hier die Funktion, eine Ordnungsstruktur für Erkenntnisformen zu begründen. Die Prinzipien der Erfahrung sind nicht in einer einzigen Aussage zu komprimieren, sondern gehen in die Struktur des Systems unserer Erkenntnisse ein. 24 KrV A 228/B 280.

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Eine solche Ordnungsstruktur liefert einen systematischen Rahmen, innerhalb dessen ferner über die Anordnung verschiedener Wissenschaften reflektiert werden kann. Innerhalb eines solchen Rahmens kann dann auch die Physik ihren Ort erhalten; in einem solchen Kontext wäre über den Anspruch der Physik, in besonderer Weise fundamental zu sein, zu befinden. Damit wird die Struktur des Wissenschaftssystems vom Status einer festen Vorgabe befreit; diese Struktur muß erst durch den indirekten und riskanten Beweisgang vom Typ transzendentaler Argumente gewonnen werden. Zudem läßt sich eine wichtige Folgerung für diese Wissenschaftssysteme bereits festhalten: Der innere Aufbau wird nicht nach dem Modell strikt deduktiver Ableitung zu verstehen sein; sonst wäre nicht verständlich, warum die riskante Argumentationsstrategie transzendentaler Argumente eigentlich erforderlich gewesen sein soll.

4. Der Ätherbeweis des Opus postumum: Eine „befremdliche Beweisart“? Kants Opus postumum als „Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik“ trägt bereits in diesem Titel eine solche wissenschaftssystematische Aufgabenstellung, die nach dem Verhältnis unterschiedlicher Erkenntnisformen der Natur fragt. Vor dem Hintergrund der Problematik transzendentalen Argumentierens läßt sich die Verschiebung naturphilosophischer Einheitsfragen auf Fragen der Wissenschaftssystematik anhand des Opus postumum gut belegen. Immer wieder hat man bei der Diskussion zum Opus postumum die scheinbare oder wirkliche Diskrepanz zu transzendentalphilosophischen Ansätzen betont. Auch Kant selbst scheint einen gewichtigen Unterschied zwischen dem Opus postumum und der theoretischen Philosophie der ersten Kritik zu markieren, wenn er seine verschiedenen Ätherbeweise immer wieder stereotyp als „befremdlich“ kennzeichnet. Vor dem Hintergrund der Problematik transzendentaler Argumente kann man nun die Frage erneuern, warum diese Argumente eigentlich befremdlich sind. Betrachtet man ein typisches Beispiel, so wird aus dem „Erfahrungssatz“, daß Materie mit ihren bewegenden Kräften existiert,25 und aus der Unmöglichkeit der Erfahrung vom leeren Raum auf die 25 Vgl. OP, AA 21.226 f.

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reale Existenz eines Ätherstoffs geschlossen: Es gibt Erfahrung, vom leeren Raum ist aber keine Erfahrung möglich, also muß der Raum durchgehend erfüllt sein. Zunächst erscheint diese Schlußform nicht befremdlicher als beispielsweise der Schluß in der Widerlegung des Idealismus. Wieder aber formuliert Kant ganz präzise: Bereits daß er von „Befremdlichkeit“ spricht, deutet an, daß es nicht um logische Probleme geht; „Befremdlichkeit“ legt nahe, daß diese Schlüsse zwar akzeptabel sind, aber immanente Probleme aufweisen, die nicht durch die Zuweisung logischer Ungültigkeit erschöpft oder durch die Anerkennung als gültig aufgelöst sind. Ein zentraler Unterschied zu den transzendentalen Argumenten vom Typ der Widerlegung des Idealismus fällt sofort auf: Bei den Ätherbeweisen geht es um äußere, nicht um innere Erfahrung. In derselben Weise ist das Ziel des Arguments ausgezeichnet: Beweisziel ist der Nachweis der Existenz eines Stoffes mit relativ genau festgelegten Eigenschaften, die allerdings nicht physikalischer Art sind; auch dies geht über die allgemeiner gehaltenen Überlegungen der Widerlegung des Idealismus hinaus. Kant faßt diese Befremdlichkeiten folgendermaßen zusammen: „Es ist befremdlich: es scheint so gar unmöglich die Existenz eines Gegenstands der Sinne und Objects einer blos möglichen Erfahrung a priori beweisen zu wollen“26. Er markiert die Schwierigkeit hier sehr genau in der Zwischenstellung zwischen sinnlicher Realität und bloßer Möglichkeit, zwischen den Polen konkreter Besonderheit und strikter Allgemeinheit. Ziel des Beweises ist der Nachweis eines Einheitsprinzips, das stofflich realisiert ist, aber dennoch in seiner Einheitsfunktion nicht Gegenstand der Anschauung werden darf; die Einheitsfunktion wird genausowenig anschaubar wie die unendliche Verbreitung dieses Stoffes. Bezeichnend und für die am Ende des vorigen Abschnitts eingeführte These zentral ist, daß die angemahnte Verschiebung der Argumentation hin zu wissenschaftssystematischen Differenzierungen im Opus postumum nun ausdrücklich vollzogen wird. Kant geht in einer wichtigen Version seines Ätherbeweises27 einleitend von der Notwendigkeit aus, „verwandte“ Wissenschaften, die „durch die Einheit des Objects unter einander verwandt sind (wie hier der Natur)“, noch hinsichtlich ihrer Erkenntnisquellen zu differenzieren und zwischen ihnen einen „Platz offen zu lassen“, ohne den gar kein Übergang 26 Ebd., 538. 27 Wenn man die von Heidemann 1996 rekonstruierte Version zugrundelegt.

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möglich sein könnte.28 Auf der Objektebene spricht Kant hier explizit von einer Einheit der Natur, auf der Ebene der wissenschaftlichen Erfassung der Natur jedoch korrespondiert dieser Einheit eine bereits distanzierende Verwandtschaft von Wissenschaften, die noch dazu auf eine Topik von offenen Zwischenräumen, nicht zu einem Zusammenfall in eine Wissenschaft führt. Eine Begründung hierfür ist in seiner Überlegung zu finden, „im Allgemeinen“ sei jede Wissenschaft mit jeder anderen „auf gewisse Weise verwandt“; diese allgemeine, wiederum unspezifisch formulierte Verwandtschaft liefert ihm dann eine – methodisch ihrerseits offen formulierte – Rechtfertigung dafür, es „ratsam“ erscheinen zu lassen, zwischen den bestehenden Wissenschaften einen Platz zur Stiftung eines Übergangs vorzusehen. Der argumentative Status dieser Überlegung bleibt in Kants eigenen Formulierungen undeutlich; neben dem wenig spezifischen „ratsam“, gerichtet auf ein „öffentliches Gebot der Methodenlehre“, findet sich auch ein begründendes „Denn“. Deutlich jedenfalls ist, daß ein strukturiertes und auch strukturiert bleibendes Wissenschaftssystem erforderlich ist, um die aus der Einheit des Objekts folgende Verwandtschaft der Wissenschaften zu realisieren, daß allerdings die argumentativen Mittel, um von der Einsicht in die allgemeine Verwandtschaft von Wissenschaften zu der Ausfüllung der Details innerhalb einer Wissenschaft von der Natur zu gelangen, nicht mit Methoden strikter Festlegung operieren kann. Die Einheit der Natur kann, ebensowenig wie die allgemeinste Wissenschaft von der Natur – von Kant als „Naturlehre“ bezeichnet – durch eine „Anreihung der Begriffe und Principien der Physik, zu denen […] der Metaphysik der körperlichen Natur“29 erreicht werden; erforderlich ist vielmehr, gegenüber der bloßen „Anreihung“, eine strukturierte Systematik. Entsprechend fordert Kant, in einer naturphilosophischen Argumentation noch nicht von einem „System der Erfahrung“ auszugehen, wie das der Fall wäre, wenn man vom Objekt „als Gegenstande empirischer Anschauung und Inbegriff einer unendlichen Menge möglicher Wahrnehmungen in Einer empirischen Anschauung“30 ausgehen würde. Für ein solches System – von Kant hier auch mit der Disziplinbezeichnung „Physik“ belegt – ist vielmehr allererst auf der Grundlage von Verstandesbegriffen im Subjekt zu argumentieren. 28 OP, AA 21.177 f. 29 Ebd., 179. 30 Ebd., 589.

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5. Der Anfang von Hegels Naturphilosophie: Natürliche Äußerlichkeit und Allgemeinheit des Subjekts Ein Blick auf typische Formen der Kritik an der idealistischen Naturphilosophie läßt deutlich erkennen, wie provokant die Übergänge von innen nach außen bzw. von Besonderem zu Allgemeinem, wie sie in klassischen transzendentalen Argumenten vorgenommen werden, in der zeitgenössischen Rezeption der Naturphilosophie aufgefaßt und wie eng sie mit dem Projekt einer solchen Naturphilosophie verbunden wurden. Immer wieder wurden zwei Formen von Vorwürfen in genauer Parallelität verwendet: Einerseits wurde der Anspruch kritisiert, aus einem subjektiven Ausgangspunkt – was im Rahmen der kritischen Philosophie stets einen ,bloß‘ subjektiven Ausgangspunkt meint – Aussagen von objektiver Geltung abzuleiten, andererseits findet sich immer wieder die Kritik, Naturphilosophie müsse eben deshalb scheitern, weil sie sich zu weit auf das Gebiet des Konkreten wage. Hegels Naturphilosophie bietet eine radikale und, wenn erfolgreich, brillante Lösung für alle Probleme, die daraus resultieren können, greift dabei aber zugleich den hier skizzierten Problemhorizont auf und erweist ihn damit als tatsächlich brisant. Wichtig ist zunächst, daß Hegel am Anfang der Naturphilosophie die außen-innen-Problematik völlig zurücknimmt: Wir stehen gar nicht vor dem Problem, innen und außen zusammenbringen zu müssen, schon gar nicht vor dem Problem, aus dem Innenbereich heraus auf einen Außenbereich schließen zu müssen, da sich die Natur und die Naturphilosophie von vornherein im Modus der Äußerlichkeit bewegen. Das könnte als eine allzu sorglose Umgehung des Problembestandes erscheinen, allerdings erweist sich die radikale Entäußerung als nicht durchzuhalten. Der weitere Gang der Hegelschen Naturphilosophie führt aus der Äußerlichkeit zurück in eine Innerlichkeit. Zudem bleibt von Anfang an die andere, mit der innen-außen-Dialektik eng verbundene Dialektik von Besonderheit und Allgemeinheit bestimmend. Die Äußerlichkeit, in der die Natur aus der Idee hervortritt, soll wieder in eine Innerlichkeit zurückgeholt werden, und genau das vollzieht sich im Modus des denkenden Erkennens der Natur, das Hegel in seiner Naturphilosophie festhält. Dieser methodische Gang präsentiert sich zunächst als genaue Inversion des Ansatzes der transzendentalen Argumente. Dort sollte die Innerlichkeit aus sich heraus Aussagen über einen Außenbereich treffen können, der

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bei Hegel umgekehrt in sich selbst zurückkehren und in Form einer Selbstbestimmung seine eigene Innerlichkeit erfassen können soll. Hegels Naturphilosophie zielt in ihrer Gesamtheit ausdrücklich auf einen Übergang vom Besonderen zum Allgemeinen, wobei Hegel auf die Spannung hinweist, die zwischen – besonderer – empirischer Erscheinung und der denkenden Begriffsbestimmung besteht, die er als „Erkenntniß des Allgemeinen“ versteht und direkt mit der Disziplinenbezeichnung „Physik“ verbindet: „Physik […] ist […] andererseits auf die Erkenntniß des Allgemeinen derselben“, nämlich der Natur und ihrer Bestimmungen, gerichtet.31 Im Übergang zu diesen allgemeinen Bestimmungen verschwindet zugleich die unmittelbare Natürlichkeit, mit der die Naturphilosophie einsetzt: „Dadurch, daß wir die Dinge denken, machen wir sie zu etwas Allgemeinem“.32 Allgemeinheit wird bei Hegel also im Prozeß der Subjektivierung erreicht; dies läßt sich unproblematisch durch die Rolle von Naturgesetzen verdeutlichen, die als subjektive Leistungen die Formulierung allgemeiner Aussagen über die Natur ermöglichen. Allerdings ist an dieser Stelle auf einen zentralen Unterschied zur Auffassung, die Natur solle durch das Subjekt unter Naturgesetze gebracht werden, hinzuweisen. Eine derartige, auf eine Ableitung der Natur aus ihr gegenüberstehenden subjektiven Gesetzen hinauslaufende Auffassung ist Hegel fremd; er will nicht Dinge unter Gesetze bringen, sondern die Dinge selbst denken. Nicht das Gesetz ist allgemein, sondern das gedachte Ding; nicht das Sinnesdatum ist subjektiv, sondern vielmehr das gedachte Allgemeine. Natürlich kann man sagen, daß im Denken das Ding in ein Gesetz überführt wird, aber auch dann bleibt es dabei, daß die strikte Gegenüberstellung von Gesetz und Ding aufgehoben ist. Seit seiner Dissertatio philosophica de orbitis planetarum sieht Hegel in den Keplerschen Gesetzen für die Planetenbahnen das Modell für eine denkende Erfassung von Naturphänomenen, in der diese Phänomene nicht subsumierend unter anderweitig begründete Prinzipien gebracht, sondern selbst zum adäquaten Ausdruck gebracht werden. Zentral für den vorgelegten Argumentationszusammenhang ist, wie hierdurch das Problem der Einheit modifiziert wird. Einheit ist nicht Einheit der Natur und auch nicht Einheit der Physik; ebensowenig ergibt sie sich als unmittelbares Resultat eines (transzendentalen) Arguments. Einheit stellt sich vielmehr im Prozeß des Philosophierens, 31 Enz.3 § 246, GW 20.236. 32 Ebd., § 246 Zus., Werke 9.16.

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d. h. durch den Fortschritt des denkenden Erkennens im Durchgang durch differenzierte Stufen her. Einheit ist der strukturelle Zusammenhang des Systems. Dazu paßt, daß innerhalb der Naturphilosophie Einheit zunächst strikt methodologisch und abstrakt, und nicht als Sachverhalt der Natur auftritt. In einer vertrauten Hegelschen Formel wird Einheit im Zusammenhang der Naturphilosophie als „das wahrhaft Unendliche“ eingeführt, das als „Einheit seiner selbst und des Endlichen“ zu verstehen sei.33

6. Einheit als Differenzierung Zusammenfassend findet man bei der Betrachtung der „Einheit der Natur“ am Leitfaden transzendentaler Argumentationsstrategien einen schrittweisen Übergang von Argumenten, die vom Subjektiven auf Objektives, von innen nach außen bzw. von Besonderem auf Allgemeines schließen, hin zu solchen Argumenten, in denen eine Systematisierung eines Feldes von Erkenntnisformen vorgenommen wird. In einem solchen Übergang findet sich dann auch die idealistische Naturphilosophie Schellings oder Hegels wieder. Obwohl diese Naturphilosophie programmatisch – am deutlichsten von Schelling in der Gegenläufigkeit einer subjektbasierten Transzendental- und objektbasierten Naturphilosophie formuliert – eben nicht vom Subjekt, sondern vom Objekt ausgeht, kann sie dennoch durch den Schluß von besonderen Objekt- auf allgemeine Subjektstrukturen oder durch die differenzierende Strukturierung eines Erkenntnisfeldes beschrieben werden. In allen diesen Argumentationen wird auf ein strukturiertes Wissenschaftssystem geschlossen, dessen Zusammenhang nicht durch Relationen deduktiver Ableitbarkeit aus vorausgesetzten Allgemeinbegriffen oder ersten Lehrsätzen gesichert ist und das in dieser Weise den für transzendentale Argumente kennzeichnenden methodisch strikten Übergang von besonderen Phänomenen auf allgemeine Prinzipien widerspiegelt. Damit weist ein solches System diejenigen Charakteristika der Offenheit auf, die sich in den transzendentalen Argumentationen immer wieder gefunden hatten. Gegenüber den nachlässigen Formulierungen bei Weizsäcker erweist sich die Argumentation Hegels wie auch diejenige Kants als deutlich präziser. Sie erfolgt in einer Form, die den bei 33 Ebd., 21.

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Weizsäcker kritisch besprochenen Übergang von einer Ebene allgemeiner Erfahrung zu den Inhalten und Methoden einer hochspezialisierten Wissenschaft vermeidet. Solche Systeme sind in beiden Richtungen, vom Anfang auf das Ende hin und umgekehrt, nicht-deduktiv, müssen darum aber nicht auf methodische Stringenz verzichten. Wenn dem so ist, muß an eine Naturphilosophie Hegelschen Zuschnitts zurückgefragt werden, inwieweit die strikte enzyklopädische Systematik für eine solche Offenheit Raum läßt. Aus den für Hegel möglichen Antwortstrategien ergibt sich zugleich eine mögliche Stellungnahme zum Problem der Einheit im Rahmen einer solchen Naturphilosophie. Einheit tritt in einem notwendig differenzierten Wissenschaftssystem nicht in Form eines ersten Prinzips oder letzten Resultats auf, ebensowenig als einheitliches Objekt. Damit ist ein Rahmen vorgegeben, innerhalb dessen Hegel dann nach möglichst präziser und starker Festlegung sucht, mit einem Resultat, das wiederum eine sehr starke Einheitsannahme trifft, nämlich auf eine stets fortschreitende und letztlich gelingende Identifizierung von Objekt und Gesetz zielt. Auch eine solche Einheit wird stets eine differenzierte Einheit sein. Eine Naturphilosophie, die auf eine solch differenzierte Einheit zielt, erweist sich damit interessanterweise gerade aus wissenschaftstheoretischer Sicht als ausgesprochen modern. Aktuelle Arbeiten aus Gebieten wie Wissenschaftstheorie, Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung haben erkennen lassen, daß traditionelle Ideale von Wissenschaft, wie etwa die für den wissenschaftlichen Fortschritt notwendige Offenheit ebenso wie der Zusammenhalt jeweils individuell fundierter Einzelgebiete, am besten unter einer „disunity“ der Wissenschaften zu realisieren sein könnten.34 Es bietet sich aber, neben einer freudigen Affirmation philosophischer Argumente für die Differenzierung im Wissenschaftssystem, auch eine andere Strategie an, die, aus der inneren Logik des im Anschluß an Kant einsetzenden naturphilosophischen Argumentationsgangs gut verständlich, nach neuen, gegenüber herkömmlichen Einheitskonzepten höherstufigen Einheitskonzepten fragt. Schelling legt eine solche Argumentation eigens vor, wenn er in der Neuauflage seiner zweiten naturphilosophischen Schrift, Von der Weltseele, nach dem Verhältnis von Einheit und Ganzheit fragt oder später ein Konzept absoluter Identität entwickelt.35 Inwiefern hierin 34 Vgl. v. a. Galison/Stump 1996. 35 Von der Weltseele, HKA I/2.362 f. „Absolute Identität“, zunächst als Charakteristikum des Ichs entwickelt (z. B. in Schellings System des transscendentalen

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eine Konsequenz aus Überlegungen der hier besprochenen Art vorliegt oder aber ob auch in einem solchen Rahmen die eingangs festgehaltenen Probleme mit Einheitsbegriffen wiederkehren, wäre Gegenstand einer weiteren Untersuchung.36

Literatur Galison, Peter and Stump, David J. (Ed.), 1996, The Disunity of Science. Boundaris, Contexts, and Power, Stanford. Harrington, Anne, 1996, Reenchanted Science: Holism in German Culture from Wilhelm II to Hitler, Princeton. Heidemann, Ingeborg (Hg.), 1996, Immanuel Kant, Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik. Aus dem Opus postumum herausgegeben, Zürich/New York. Stern, Robert (Hg.), 1999, Transcendental Arguments: Problems and Prospects, Oxford. Strawson, Peter F., 1959, Individuals. An Essay in Descriptive Metaphysics, London/New York. Stroud, Barry, 1968, „Transcendental Arguments“, in: Journal of Philosophy 65, 241 – 256. Thöle, Bernhard, 2000, „Die Einheit der Erfahrung. Zur Funktion der regulativen Prinzipien bei Kant“, in: Rainer Enskat (Hg.), Erfahrung und Urteilskraft, Würzburg, 113 – 134. Tuschling, Burkhard, 1989, „Apperception and Ether: On the Idea of a Transcendental Deduction of Matter in Kant’s Opus postumum“, in: Eckart Förster (Hg.), Kant’s Transcendental Deductions. The Three Critiques and the Opus postumum, Stanford, 193 – 216. Weizsäcker, Carl Friedrich von, 1974, Die Einheit der Natur. Studien, München. –, 1979, „The Preconditions of Experience and the Unity of Physics“, in: Peter Bieri u. a. (Hg.), Transcendental Arguments and Science. Essays in Epistemology, Dordrecht u. a., 13 – 158. Ziche, Paul, 2008, Wissenschaftslandschaften um 1900. Philosophie, die Wissenschaften und der nicht-reduktive Szientismus, Zürich. –, 2007, „Wilhelm Ostwalds Monismus: Weltversicherung und Horizonteröffnung“, in: Jahrbuch für europäische Wissenschaftskultur 3, 117 – 134.

Idealismus, HKA I/9,1.120), wird später – zum Beispiel in der Darstellung meines Systems der Philosophie – als absolute Identität von Subjekt und Objekt zum definierenden Konzept seiner Philosophie (SW I/4.114 und 117; vgl. bereits auch System des tr. Id., HKA I/9,1.299). 36 Harrington 1996 hat auf die komplexe und keineswegs durchweg positive Karriere des Ganzheitsbegriffs hingewiesen.

An der Grenze von Physik und Metaphysik. Zum Begriff des „Kristalls“ in Kants Opus postumum Bernhard Fritscher Abstract: The idea of crystals, i. e., of crystallization, is repeatedly to be found in Kant’s philosophy, namely in connection with the discussion of borderlines or transitions between nature and mind. In his Critique of judgment, he introduced a theory of the formation of crystals in relation to his distinction between an “objective (real) purpose” of nature, as opposed to a “subjective (ideal) purpose” as the unique principle of aesthetic judgment. These ideas are rooted in a theory of crystallization, discussed in the Opus postumum as the centrepiece of a theory of rigid bodies. Crystals are stated to be organized – and thus purposive – physical bodies, however, not (yet) living ones. Thus, the process of crystallization represents the first element of the organization of matter, i. e. the process in which caloric matter as its essential agency first displays its effectiveness. This process requires a chemical-dynamical explanation, not only a mechanicalmathematical one, and this means: it is one of the starting points of Kant’s overall problem within the Opus postumum, i. e. the transition from the metaphysical foundations of natural science to physics. The paper discusses Kant’s theory of crystallization, and its philosophical meaning, with particular reference to the mineralogy and crystallography of his time. In addition, some general ideas on the reading of Kant’s Opus postumum as a pre-modern physical chemistry are suggested.

1. Einleitung: Mineralogie und Naturphilosophie Der Begriff des „Kristalls“ bzw. der „Kristallisation“ erscheint in den Schriften Kants an verschiedenen Stellen und in unterschiedlichen Zusammenhängen. Gegenstand expliziter Diskussion wird er dabei vor allem auch im Kontext der begrifflichen Bestimmung von – in allgemeinster Form gesagt – Grenzbereichen oder Übergängen zwischen ,Natur‘ und ,Geist‘. Das bekannteste Beispiel dafür, wie der Kristall in diesem Sinne ,philosophisch‘ wird, findet sich im § 58 der Kritik der Urteilskraft (KdU): dort bestimmt Kant, mit Bezug auf den Kristall, den Begriff eines Naturzwecks, indem er diesen als objektive (reale) Zweckmäßigkeit der Natur abgrenzt von einer subjektiven (idealen) Zweckmäßigkeit als dem alleinigen Prinzip der ästhetischen Urteilskraft.

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Gleichwohl hat der Kristall-Begriff bei Kant, soweit es zu übersehen ist, bisher nur vereinzelt eine explizite Diskussion erfahren.1 Dabei ist auch schon deutlich darauf verwiesen worden, daß gerade jene Überlegungen der KdU ihren Hintergrund vor allem in den naturphilosophischen Betrachtungen des Opus postumum (im Folgenden: OP) haben.2 Im OP erscheint der Begriff noch deutlicher als Mittler zwischen Natur und Geist, oder jetzt spezifischer gesagt: zwischen Physik und Metaphysik. Der Kristall-Begriff steht dort in einem engen, letztlich synonymen Zusammenhang mit dem Prozeß der Entstehung fester Materie, welcher – über die Idee vom „Wärmestoff“ – konstitutives Moment der Diskussion des Übergangs von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik ist. Diese bis heute wenig beachtete Bedeutung des Kristall-Begriffs bzw. des Prozesses der Kristallisation im OP ist der Gegenstand der vorliegenden Studie. Die Betonung liegt dabei auf den rezeptionsgeschichtlichen Aspekten, das heißt: primäres Ziel ist es, die entsprechenden Überlegungen Kants vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Naturwissenschaften verständlich zu machen. Dabei werden dann allerdings weniger, wie dies in der Regel geschieht, die Physik und die Chemie in den Blick genommen, als vielmehr die zeitgenössische Mineralogie, und hierbei wiederum speziell die sogenannte chemische Kristallographie als eines ihrer neu entstehenden, leitenden Forschungsprogramme (s.u.). Diese spezifische wissenschaftshistorische Fokussierung gründet nicht zuletzt darin, daß Kant selbst noch in den ersten Jahren seiner kritischen Periode recht konkrete Beziehungen zur Mineralogie seiner Zeit hatte. Für das Wintersemester 1770/71 ist eine – angekündigte und auch gehaltene – Vorlesung über „Mineralogie in ihrem ganzen Umfange mit Vorzeigung von Fossilien-Exemplaren“ belegt.3 Zudem war gerade der Entstehungszeitraum der hier in Rede 1 2 3

Etwa bei Brandt 1994; Jones 2000 und Ferrini 2004. Vgl. Brandt 1994, 19 – 20. Gleichwohl muß daraus nicht unbedingt auf ein spezifisches Interesse Kants an der Mineralogie geschlossen werden. Im Februar 1770 war von Berlin eine Unterrichtsanweisung an die Königsberger Universität ergangen, wonach – zur Förderung des Preußischen Bergwesens – insbesondere auch Vorlesungen über „Historia naturalis“ und speziell Mineralogie gehalten werden sollten. Dieser Anweisung also kam Kant mit seiner Vorlesung noch im gleichen Jahr nach; weitere entsprechende Lehrveranstaltungen sind allerdings nicht mehr belegt. Siehe hierzu vor allem Arnoldt 1909, 230 – 231 und 340. Vgl. hierzu dann auch die Überlegungen von W. Stark (2004) zu Kants Vorlesungen über Physische

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stehenden Schriften – neben dem OP die KdU und indirekt auch die Metaphysischen Anfangsgrnde der Naturwissenschaft (MAN), d. h. die 80er und 90er Jahre des 18. Jahrhunderts, – zugleich die Zeit der Herausbildung einer neuen naturwissenschaftlichen Kristallographie.4 Mit Blick darauf erweisen sich Kants Überlegungen auch insofern als wissenschaftshistorisch bemerkenswert, als sie – ohne dabei jetzt einen konkreten Einfluß postulieren zu wollen – grundlegende Fragestellungen jener neuen Kristallographie und Mineralogie des 19. Jahrhunderts vorgezeichnet haben. Damit erhebt die Studie dann auch nicht den Anspruch, hinsichtlich der systematischen Bedeutung des Kristall-Begriffs in Kants Philosophie über die Ergebnisse bisheriger Untersuchungen hinauszugehen; eben sowenig können die einschlägigen textkritischen Probleme des OP oder auch die seiner Datierung hier Gegenstand sein.5 Vielmehr wird sich die vorliegende Studie darauf beschränken, einige – eben aus der spezifischen Perspektive der Mineralogie und Kristallographie um 1800 formulierte – veränderte Lesarten ausgewählter Probleme und Fragestellungen des OP zur Diskussion zu stellen. Ihre Aufgabe wäre so erfüllt, wenn sie zeigen könnte, daß sich in dieser Perspektive doch manche kompliziertere Interpretationen etwas vereinfachen lassen, und damit dann zugleich, daß gerade Kants Auseinandersetzung mit dem Prozeß der Kristallisation bzw. der Natur der festen Materie weitergehende, bisher kaum genutzte Ansatzpunkte zum Verständnis seiner Naturphilosophie eröffnet.

2. Kants Theorie der Kristallisation im Opus postumum Als Ausgangspunkt der Kantischen Diskussion des Kristallbegriffs im OP sei der schon kurz genannte § 58 der KdU zitiert. Ihm kommt in doppelter Weise eine Schlüsselstellung zu, insofern als Kant hier eine

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Geographie. – Auf letztere Arbeit hat mich Ernst-Otto Onnasch aufmerksam gemacht, dem ich zugleich für eine kritische Durchsicht des Manuskripts danke. Zu den naturwissenschaftlichen Aspekten des Kristallbegriffs um 1800 vgl. Emerton 1984, Mauskopf 1976 und Hooykaas 1994. Speziell zum zeitgenössischen Hintergrund der eben allein theoretischen Auseinandersetzung Kants mit der Chemie vgl. auch Frercks/Markert 2007. Vgl. exemplarisch Tuschling 1971, 4 – 13. Zum Inhalt und zur Problematik des OP vgl. auch Kant 1993, Kant 1996, Emundts 2004, Edwards 2004 und bergang 1991.

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Zusammenfassung seiner Theorie der Kristallentstehung gibt und diese dann zugleich explizit auf seine Frage nach der Zweckmäßigkeit der Natur bezieht. Für die vorliegende Studie ist die Stelle aber vor allem auch deshalb bedeutsam, weil sich an ihr die spezifische Perspektive der folgenden Überlegungen verdeutlichen läßt. Der Kristall wird von Kant als Musterbeispiel einer „freien Bildung der Natur“ in die Diskussion eingeführt; darunter verstehe er diejenige, wodurch aus einem Flssigen in Ruhe durch Verflüchtigung oder Absonderung eines Theils desselben (bisweilen bloß der Wärmmaterie) das übrige bei dem Festwerden eine bestimmte Gestalt oder Gewebe (Figur oder Textur) annimmt, die nach der specifischen Verschiedenheit der Materien verschieden, in eben derselben aber genau dieselbe ist. Hiezu aber wird, was man unter einer wahren Flüssigkeit jederzeit versteht, nämlich daß die Materie in ihr völlig aufgelöset, d. i. nicht als ein bloßes Gemenge fester und darin bloß schwebender Theile anzusehen sei, vorausgesetzt. Die Bildung geschieht alsdann durch Anschießen, d. i. durch ein plötzliches Festwerden, nicht durch einen allmähligen Übergang aus dem flüssigen in den festen Zustand, sondern gleichsam durch einen Sprung, welcher Übergang auch das Krystallisiren genannt wird.6

Alle hier genannten Determinanten der Kristallisation finden sich im OP und werden in der Folge zu diskutieren sein. Hier ist aber zunächst nur eine der Thesen Kants von Bedeutung, nämlich daß eine solche „freie Bildung der Natur“ bei dem Festwerden „eine bestimmte Gestalt oder Gewebe (Figur oder Textur)“ annähme, welche „nach der specifischen Verschiedenheit der Materien verschieden, in eben derselben aber genau dieselbe ist.“ Diese Aussage hat, soweit es zu übersehen ist, in der bisherigen Literatur, im Gegensatz zu Kants anderen Aussagen, keine weitere Beachtung gefunden, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil sie unmittelbar einsichtig und deshalb nicht weiter diskussionswürdig scheint: wo die Natur in der Gestaltung ihrer Hervorbringungen frei ist, d. h. wo sie nur sich selbst folgt, scheinen identische Gestalten nur aus identischen Materien entstehen zu können bzw. scheinen unterschiedliche Materien unterschiedliche Gestaltungen zur Folge haben zu müssen. Übersetzt in den Zusammenhang der Mineralogie/Kristallographie des späten 18. Jahrhunderts ist dies der sogenannte Relationssatz, das heißt der von dem Kristallographen René-Just Haüy (1743 – 1822) postulierte kausale Zusammenhang zwischen chemischer Zusammensetzung und kristallographischer Form der Mineralien in dem Sinne, daß 6

KdU § 58, AA 5.348.

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jede Änderung der Zusammensetzung eine, wenn auch nur geringfügige Änderung der Gestalt, also der Kristallform zur Folge haben müsse.7 Dieses Postulat fungierte als implizite Leitlinie der Frage nach dem Zusammenhang von chemischer Zusammensetzung und Kristallform der Mineralien, die – als sogenannte chemische Kristallographie – das leitende Forschungsprogramm der Kristallographie/Mineralogie bzw. der Festkörperphysik des 19. Jahrhunderts wurde. Wenngleich dabei das Postulat selbst in seiner strengen Bedeutung, wie es Haüy und eben auch Kant formuliert hatten, bereits in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts mit den Entdeckungen der Isomorphie bzw. der Polymorphie und später des Amorphismus, das heißt mit den Arbeiten insbesondere der Chemiker und Mineralogen Eilhard Mitscherlich (1794 – 1863), Gustav Rose (1798 – 1873) und Johann Nepomuk Fuchs (1774 – 1856) in Frage gestellt wurde, so steht die Frage nach dem ursächlichen bzw. wechselseitigen Zusammenhang von chemischer Zusammensetzung und Kristallform bis heute im Zentrum mineralogischkristallographischer Forschung.8 Mit Blick auf diese Beziehungen zur zeitgenössischen Naturwissenschaft seien hier zunächst einige Bemerkungen zum naturwissenschaftlichen Begriff des Kristalls und des Kristallisationsprozesses in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sowie zu den möglichen Quellen Kants vorangestellt. Bisher nicht weiter untersucht wurden dabei die Schriften des bekannten schwedischen Mineralogen Johan Gottschalk 7

8

Die Bezeichnung dieses Postulats als Relationssatz stammt von dem Wissenschaftshistoriker H.-W. Schütt, ist also wohlgemerkt kein historischer Begriff (vgl. Schütt 1977, 51 – 54). Dieses – mehr implizite als explizite – Postulat der Kristallographie war zudem kein Ergebnis experimenteller Untersuchungen; eine entsprechende experimentelle Prüfung fand vielmehr erst statt, als bereits deutliche Zweifel an seiner allgemeinen Gültigkeit geäußert worden waren. Eine weitere naturphilosophische Fassung des Relationssatzes findet sich in F.W.J. Schellings Diskussion der Kristallisation in seiner Abhandlung Von der Weltseele (1798): „Daß aber mit der verschiednen Combination der Elemente regelmäßig auch eine eigenthümliche Form der Crystallisation verbunden seyn müsse, ist a priori nicht nur, sondern auch aus vielen Erfahrungen bekannt, da beinahe alle (mineralische) Crystallisationen, so wie sie in der Natur erzeugt werden, ihre Crystallisationsfähigkeit den verschiednen Elementen verdanken, mit denen sie gemischt sind, und die durch Kunst von ihnen getrennt werden“ (HKA I/6.213). Zur konstitutiven Bedeutung dieses Forschungsprogramms für die Institutionalisierung der Mineralogie und Kristallographie des späten 19. Jahrhunderts vgl. Fritscher 1998.

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Wallerius (1709 – 1785). Sie hatten nachweislich die Grundlage der einleitend genannten Mineralogie-Vorlesung Kants im WS 1770/71 gebildet;9 zudem wird in den Reflexionen zur Physischen Geographie und im OP verschiedentlich auf Wallerius verwiesen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang dann aber auch, daß Kant (in seinen gedruckten Schriften ebenso wie im handschriftlichen Nachlaß) keine weiteren der klassischen Mineralogen bzw. Mineralchemiker und Kristallographen des 18. Jahrhunderts explizit nennt, weder Axel Fredrik Cronstedt (1722 – 1765), den führenden Mineralchemiker um die Mitte des 18. Jahrhunderts, noch die fachlichen Autoritäten der 80er und 90er Jahre des Jahrhunderts wie Torbern Bergman (1735 – 1784), Abraham Gottlob Werner (1749 – 1817), Jean-Baptiste Romé de L’Isle (1736 – 1790) oder den schon vorgestellten Haüy. Dies bestätigt das schon eingangs konstatierte eher geringe Interesse Kants für die Mineralogie in eigener Sache, bzw. es spricht dafür, daß Kant, nach einem vorübergehenden Interesse für die mineralogisch-geologischen Wissenschaften um 1770, die eigentliche Entwicklung der neuen Kristallographie in den 80er und 90er Jahren des 18. Jahrhunderts nicht wirklich verfolgt hat.10 Demzufolge werden hinsichtlich der Quellen Kants insbesondere die einschlägigen allgemeinen naturwissenschaftlichen Nachschlagewerke der 9 Vgl. noch einmal Arnoldt 1909, 340, sowie die von W. Stark zusammengestellte Liste der Handbücher, welche Kant zu seinen Vorlesungen verwendete, http://web.uni-marburg.de:80/kant/webseitn/bib_lese.htm. – Mit Blick auf den Titel dieser speziellen Vorlesung („Mineralogie in ihrem ganzen Umfange mit Vorzeigung von Fossilien-Exemplaren“) sei angemerkt, daß beide Begriffe im 18. Jahrhundert eine sehr viel umfassendere Bedeutung hatten. „Mineralogie“ stand für die Gesamtheit der chemisch-physikalisch orientierten geologischen Wissenschaften, und „Fossilien“ bezeichnete alle aus der Erde gegrabenen Dinge, also primär die Mineralien und Gesteine. 10 Gleichwohl nicht zu übersehen wären dagegen einzelne spätere, nur indirekt dokumentierte Beziehungen Kants zur aktuellen mineralogischen Forschung, so etwa sein zeitweiliger Amanuensis Johann Benjamin Jachmann (1765 – 1832) und einer seiner Tischgäste im Jahr 1794, der Verwaltungsbeamte und Bergrat Friedrich von Lupin (1771 – 1845). Jachmann hatte 1789 in Edinburgh mit einer Dissertation über die Natur der Kristallisation promoviert und Kant in einem Brief vom 9. Oktober 1789 von seiner Schrift ( Jachmann 1789) berichtet (AA 11.92 – 97, hier 95 – 97; vgl. auch Brandt 1994, 20 – 21). Und Von Lupin, der im Jahr 1794, versehen mit Empfehlungen, u. a. von Abraham Gottlob Werner, Kant in Königsberg seine Aufwartung machte, verdankte die Einladung zur berühmten Kantischen Mittagstafel nicht zuletzt der Tatsache, daß er seinem Gastgeber viele neue mineralogische Kenntnisse zu berichten wußte (vgl. Vorländer 1924, 2.304).

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Zeit in den Blick zu nehmen sein. Und weiter läßt sich vermuten, daß bei Kant vor allem noch der klassische Kristallbegriff der 60er und 70er Jahre des 18. Jahrhunderts zu finden sein wird und eben weniger dessen eigentlich moderne Bestimmung. Die moderne Bestimmung des Kristallbegriffs charakterisiert sich insbesondere in dem sogenannten Gesetz der Winkelkonstanz, das heißt in dem Postulat, daß sich die einzelnen (geometrischen) Kristallformen nicht nach der Anzahl oder der Größe der einzelnen Flächen bestimmen, sondern vielmehr nach den (sich stets gleichbleibenden) Winkeln, die diese Flächen miteinander bilden. Der klassische Kristallbegriff steht demgegenüber in einem umfassenderen Sinne für gestaltete (anorganische) Naturkörper, das heißt das Kristalline ist gleichsam identisch mit dem Gestalteten, gegenüber dem Ungestalteten, dem Amorphen (Formlosen). Charakteristisch für den klassische Kristallbegriff ist zudem die Orientierung an der äußeren Gestalt, das heißt: wenngleich die Vermutung häufig zu finden ist, daß einer äußerlich regelmäßigen Gestalt von Naturkörpern in irgendeiner Form eine regelmäßige innere Anordnung der Teile entspricht, so war eben diese innere Ordnung für die Bestimmung von Kristallen letztlich nicht maßgeblich.11 Dies wird etwa deutlich in der Bestimmung des „Crystall“-Begriffs in Johann Heinrich Zedlers (1706 – 1751) bekanntem Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Knste. Der klassischen Tradition folgend, und deshalb auch vor allem mit Bezug auf den Bergkristall (Quarz) formuliert, wird dort die Durchsichtigkeit als wesentliches Merkmal der Kristalle betont, neben der oft „sechseckigten“ (aber auch zwölf- oder fünfeckigen) Gestalt. Richtig wird darauf verwiesen, daß damit auch die „Sand-Körnlein […] kleine Crystallen“ seien, wenngleich sich dies meist nur mittels eines Vergrößerungsglases feststellen ließe. In dieser Reihe erscheinen dann aber auch, und dies eben zeigt die genannte Orientierung allein an der äußeren Form, die „Crystallinen-Gläser“: diese sind zwar durchsichtig und meist auch (künstlich) gestaltet, in ihrer inneren Struktur aber, nach moderner Sicht, eben amorph.12 Ganz der klassischen Tradition folgt Zedler auch hinsichtlich der „Crystallisatio“ („Crystallisierung, Crystallinische Anschüssung“), indem er diese auf die „Salia“ (Salze) beziehungsweise (wässerige) Lösungen beschränkte: jene sei eine „Chymische Operation“, bei der die zuvor gelösten „Salia […], nachdem die überflüßigen wässerichten Theilgen durch die Wärme 11 Vgl. hierzu exemplarisch Fritscher 1991, 38 – 52. 12 Vgl. Zedler 1733, Sp. 1777 – 1778.

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weggetrieben, in ein durchsichtiges, schön-eckigtes und Crystallenförmiges Wesen anschüssen“.13 Die Grundlinien dieser klassischen Bestimmungen finden sich nun auch in dem von Kant selbst verschiedentlich als Quelle genannten Physikalischen Wçrterbuch (1787 – 1795) des Johann Samuel Traugott Gehler (1751 – 1795),14 insbesondere „Zeit und Freyheit“15, also Ruhe und Ungestörtheit, als notwendige Bedingungen der Entstehung von Kristallen, sowie die Salze beziehungsweise deren Lösungen als hierfür besonders prädestinierte Ausgangsmaterialien16. Gleichwohl ist bei Gehler ein deutlicheres Bemühen um einen allgemeineren, d. h. nicht mehr primär am Bergkristall orientierten Begriff festzustellen. So wird vor allem die „Durchsichtigkeit“ als eigentliches klassisches Hauptmerkmal der Kristalle ersetzt durch deren regelmäßige äußere Gestalt.17 In diesem Sinne werden dann auch die damals erst wenige Jahre alten grundlegenden Untersuchungen zu den (geometrischen) Formen der Kristalle von Romé de L’Isle und Haüy vorgestellt.18 Weitere Auffälligkeiten in Hinsicht auf einen modernen Kristallbegriff wären die explizite Ausgrenzung des „Krystallglases“ mit Bezug auf dessen geringere Härte (also die innere Struktur) gegenüber dem „natürlichen Krystall“19 oder die Diskussion von Schmelzen (also nicht nur von Lösungen) als weiteren Möglichkeiten der Kristallentstehung20. Und schließlich sieht Gehler das Problem einer solchen Erweiterung des Kristallbegriffs: man 13 Vgl. ebd., Sp. 1786. 14 Siehe Tuschling 1971, passim, bei dem allerdings nur Gehler, nicht aber Zedler und Wallerius genannt werden. Hingewiesen sei hierzu auch auf die inzwischen im Internet verfügbare, vom Institut für Kommunikationsforschung und Phonetik (IKP) der Universität Bonn bereitgestellte elektronische Edition der Werke Kants (http://www.ikp.uni-bonn.de/kant/), die sich für die vorliegende Studie überhaupt als äußerst hilfreich erweist. 15 Gehler 1789, 825. 16 Ebd., 827 – 829. 17 Vgl. ebd., 819 f. 18 Vgl. ebd., 829 f. – Wenngleich Kant diese Arbeiten gekannt haben mag, so ist doch ein wirklicher Einfluß, wie gesagt, in seinen eigenen Überlegungen nicht zu konstatieren. So findet sich etwa, soweit es zu übersehen ist, die grundlegende Annahme der Winkelkonstanz der Kristalle bei ihm nicht. Dies gilt dann auch überhaupt für Kants Begriff der Chemie, dessen historische Wurzeln vor allem bei dem schon genannten Wallerius zu suchen sein dürften, wobei hier – mit Blick auf die noch zu diskutierende Lesart des OP als physikalische Chemie – insbesondere verwiesen sei auf Wallerius 1772/1776. 19 Gehler 1789, 819 f. 20 Ebd., 826.

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könne keineswegs „allen Übergängen der Körper aus dem flüßigen Zustande in den festen den Namen der Krystallisationen“ beilegen; vielmehr sei hier besser von „Erhärtung, Gestehung oder Gerinnung“ zu sprechen.21 Gleichwohl bleibt auch Gehlers Wçrterbuch dem klassischen Kontext darin deutlich verhaftet, als der „Krystall“ und „Krystallisation“ vor allem anhand einschlägiger Beobachtungen beschrieben werden, d. h. es fehlt, vereinfacht ausgedrückt, eine Theorie der Kristallisation. Dementsprechend wären Kants Überlegungen im OP vor allem auch als ein Versuch zu werten, eine solche – zunächst dann eben allein naturwissenschaftliche – Theorie der Kristallisation, d. h. der Beschaffenheit und Bildung fester physischer Körper zu begründen. An mehreren Stellen erhält diese Theorie dann aber auch eine explizit naturphilosophische Bedeutung, insbesondere eben im Hinblick auf den Grenzbereich bzw. den Übergang zwischen Metaphysik und Physik.22 Kants Theorie der Kristallisation im OP zeigt sich nun als detaillierte Diskussion genau jener Phänomene und Bedingungen der Kristallbildung bzw. des Fest- oder Starrwerdens von Materie, die er im genannten § 58 der KdU zusammengefaßt hat: Kristalle sind „freie Bildungen der Natur“, die in „Ruhe“ aus einem flüssigen Zustand bzw. einer „wahren Flüssigkeit“ (in der die Materie vollkommen aufgelöst ist) durch „Verflüchtigung oder Absonderung“ eines Teiles (auch etwa nur der Wärmematerie) entstehen. Diese Bildung, d. h. das „Krystallisiren“ stellt sich als ein „Anschießen“ dar, d. h. als ein „plötzliches Festwerden“, gleichsam als ein „Sprung“, nicht als allmählicher Übergang vom flüssigen in den festen Zustand; äußeres Kennzeichen der Kristallisation ist die Annahme einer bestimmten Gestalt oder eines Gewebes (Figur, Textur) im Festwerden. Im OP liest sich dies zusammenhängend folgendermaßen:

21 Ebd., 825. 22 Der Vollständigkeit halber muß angemerkt werden, daß sich der Kristall-Begriff in den Schriften Kants vielfach auch noch, ohne weitergehende Erörterungen, im üblichen Sinne der Zeit für gestaltete, feste Körper bzw. durchsichtige Körper findet, so vor allem in der Physischen Geographie (siehe besonders den Teil „Von den Steinen“, AA 9.370 – 374) und in den zugehörigen Reflexionen zur Physischen Geographie. Vereinzelt gilt dies aber auch für das OP. Beispiele wären die Gleichsetzung von „Glas“ und „Bergcrystall (optisch)“, d. h. hinsichtlich des klassischen Kristallmerkmals der Durchsichtigkeit (vgl. OP, AA 21.518), oder die von „Glas oder Marmor“ (vgl. OP, AA 21.272).

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Das Starrwerden (rigescentia) bewirkt aus dieser Mixtur welche wir a priori dem Begriffe der Flüßigkeit unterlegen für die Physik Mannigfaltigkeit des Gefges und der Gestalten (texturae et figurae) welche fasernartig wie in Eisstrählchen oder plattenartig wie in Schneefiguren (da die sechs Strahlen in Einer Fläche liegen) oder blockartig wie in denen unter Winkeln von 60 Graden einander durchkreuzend starr werden und so nach Verschiedenheit des wägbaren Stoffs durch die bewegende Kraft des unwägbaren Wärmestoffs die im Flüßigen aufgelösete Materie in wässrichten oder feurigen Auflösungen mit Entziehung des ersteren in so viel Gestalten und Gefüge starr werden d.i. anschießen (crystallisiren) lassen (cristallisatio fibrosa, lamellaris et truncalis) wie es die Natur den drey Abmessungen der Geometrie getreu erfordert.23

Damit ist zunächst einmal gesagt, daß Fest- bzw. Starrwerden und Kristallisieren identische Prozesse sind, d. h. unter gewöhnlichen Bedingungen – und dies wäre im Sinne der Zeit eine ungestörte Bildung – ist das „Starrwerden aus der Flüßigkeit […] immer ein Anschießen (crystallisatio)“; nur wenn dieser Prozeß „durch äußere Eindrücke […] gestöhrt“ werde, erfolge unter Umständen „ein bloßes Gerinnen (coagulatio)“.24 Implizit bedeutet das, daß für Kant feste Körper immer gestaltet sind, und zwar gewissermaßen doppelt, nämlich durch ihre äußere „Figur“ („Gestalt“) und ihre innere „Textur“ („Gefüge“, „Gewebe“); die „Mixtur“ bezeichnet demgegenüber den ungestalteten bzw. ungefügten Zustand, kann aber auch für die bloß stoffliche Zusammensetzung der festen bzw. starren Körper stehen, ungeachtet also ihrer Gestaltung.25 23 OP, AA 22.232. 24 Ebd., 275. 25 Ebd., 324; vgl. auch 232 und 21.270. – Es fällt auf, daß Kant im Zusammenhang mit dieser Gestaltung der physischen Körper nie von einer KristallForm spricht, d. h. der (naturphilosophische) Begriff der Form bleibt bei ihm der Idee dieser Gestaltung vorbehalten: „Die Form einer solchen Verbindung der starren Materie im Inneren ist die Textur (das Gefüge) in der Oberfläche die Figur (korperliche Gestalt)“ (21.270; vgl. auch 569 f.). Speziell zum Begriff der „Textur“ vgl. auch Thiel 2001, 656 f. Analog gilt dies hinsichtlich der Unterscheidung zwischen „Materie überhaupt“ und (physischem) „Körper“, d. h. einer „allgemein-verbreitete[n] den Weltraum einnehmende[n] Materie“ und einer „durch ihre eigene[n] Kräfte ihre Figur und Textur selbst-bestimmende und der Veränderung derselben widerstehende Materie“ (AA 21.209). Dies ist jetzt auch mit Blick auf F.W.J. Schellings oben erwähnte Diskussion der Kristallisation gesagt (Anm. 7). Diese steht dem aktuellen Stand der Naturwissenschaften deutlich näher, wobei die Kristall-Form Haüys weitgehend im Sinne der philosophischen Form verstanden wird (vgl. HKA I/6.206 f. und 211 – 213).

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Bemerkenswert an diesem letzteren Aspekt ist, daß Kants Überlegungen hier – im Gegensatz zu denjenigen der meisten Naturforscher seiner Zeit – nicht nur auf die auffällige äußere (geometrische) Form der Mineralien zielen, sondern wesentlich auch auf deren innere (kristalline) Struktur. Ebenfalls bemerkenswert ist, wenn er neben „wässrichten“, explizit auch „feurige Auflösungen“ (also mineralische Schmelzen) als mögliche Voraussetzung der Kristallentstehung nennt. Letztere Möglichkeit war um 1790 nämlich durchaus umstritten, d. h. aus solchen Schmelzen sollten lediglich amorphe, also formlose (feste) Körper entstehen können. Wenngleich, aus moderner Sicht, Kant hier recht zu geben ist, so zeigt doch gerade dieser Aspekt auch eine Schwäche seiner Theorie: letztlich hat er Schmelzlösungen als Voraussetzung der Kristallentstehung vor allem deshalb akzeptiert – oder akzeptieren müssen –, weil amorphe (äußerlich und innerlich gestaltlose) feste Körper dieser Theorie zufolge nicht vorkommen bzw. allenfalls Resultate eines fehlerhaften (gestörten) Bildungsprozesses sein können. Dieses Problem ergibt sich nun allerdings wesentlich aus Kants eigentlicher Zielsetzung im OP, die gerade keine naturwissenschaftliche Theorie (der Kristallentstehung) ist. Die dargelegten „Expositionen empirischer Bewegungsgesetze“ der Materie, hier also ihres Starrwerdens bzw. Kristallisierens, gehörten eben nicht zu der „Aufgabe des Überganges von den metaph.[ysischen] Anf.[angs-]Gr.[ünden] d.[er] N[atur]W[issenschaft] zur Physik“26. Diese müßte vielmehr die „Principien a priori für das System der bewegenden Kräfte der Materie überhaupt enthalten“, wohingegen jene „nur Anwendungen“ seien, die von den ersteren gemacht würden, „um jenen Begriffen Beyspiele zur Verständlichkeit unterzulegen“.27 Und dieses Spannungsverhältnis zwischen den „empirischen Bewegungsgesetzen“ und dem „System der bewegenden Kräfte der Materie überhaupt“, also zwischen Physik und Metaphysik, bestimmt nun wesentlich seine eigentliche ursächliche Erklärung des Kristallisationsprozesses. Im Mittelpunkt dieser ursächlichen Erklärung der Kristallisation steht der – letztlich für alle im OP diskutierten Fragestellungen zentrale 26 OP, AA 22.232. 27 Ebd. – Siehe hierzu auch exemplarisch Kants Unterscheidung zwischen dem „Materialen der empirischen Anschauung“ und dem vom „Verstand“ hinzugefügten „Formale[n] der Erfahrung“ hinsichtlich der Frage der Entstehung des „Bergcrystalls“ (vgl. ebd., 341 f.).

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– Wrmestoff. 28 Dieser für Kant nicht nur hypothetische Stoff ist „die Basis (erste Ursache) aller bewegenden Kräfte der Materie“, der „Urstoff (materia primaria) welcher unmittelbar bewegend ist“29 und damit das von Kant geforderte Prinzip a priori „für das System der bewegenden Kräfte der Materie überhaupt“30, durch welches der „Übergang der metaphy.[sischen] Anf.[angs]Gr.[ünde] der N[atur]W.[issenschaft] zur Physik“ geschieht.31 Speziell für die Entstehung von Kristallen, d. i. fester (gestalteter) Körper, ist er dabei – jetzt vereinfacht ausgedrückt – sozusagen doppelte Ursache, insofern als der Wärmestoff zunächst die Flüssigkeit der Materie (als einer notwendigen Voraussetzung der Kristallisation) bedingt und dann durch sein Entweichen die Erstarrung bzw. die Kristallbildung. Die „bewegenden Kräfte der Materie“, heißt es dementsprechend bei Kant, beruhten „auf einem alldurchdringenden beweglichen und bewegenden Stoff der zu einer so wohl als der andern (der Flüßigkeit so wohl als Starrheit) erfordert wird, nämlich dem Wärmestoff“.32 Die konkrete Wirkung des Wärmestoffs bei der Erstarrung/Kristallisation beschreibt Kant dann in der Regel als eine Art ,Schweresonderung‘, d. h. die „Textur“ der Materie beziehungsweise die innere Anordnung der Teilchen folgt primär der unterschiedlichen „Dichtigkeit“: Die Rigidität (Erstarrung, obrigescenz) der Materien in einem Körper beruht darauf daß die in ihm aufgelöseten Verschiedenartigen Materien sich aus ihrer Auflösung in verschiedenen Klümpchen der Striche absondern deren Erschütterung durch den Aether die schwerere nothigt ein ander näher zu treten und die dazwischen liegende leichtere auch zusammentreibt wodurch die oscillation ungleichformig wird (und zwar (bey einigen) auf einmal durch Cristallisation) u.[nd] die Materie eine textur so wie auch eine Figur annimmt.33

Und weiter erklärt Kant, daß, sobald diese „Totalerschütterung durch die Wärmmaterie“ aufhöre, die „partialerschütterungen der verschiedenen Materien daraus der Korper besteht nach der Ordnung ihrer Dichtigkeit auf verschiedene Art spielen,“ wodurch eine „textur“ entsteht, „wo der Körper fest (spröde oder biegsam) wird und die all28 29 30 31 32 33

Vgl. exemplarisch Thiel 2001, 657 und Emundts 2001, 508. OP, AA 21.605, vgl. auch 570. Ebd., 22.232. Ebd., 21.571. Ebd., 22.232. Ebd., 21.452.

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gemeine Welterschütterung die Theile aus dieser Ordnung ohne Trennung nicht weichen läßt“.34 Allerdings ist dies für Kant nur die eine – sozusagen mechanische – Seite der Kristallisation. Vielmehr ist hier auch ein zweiter Faktor maßgeblich. Der bloße „Abgang der Wärme“ sei „für sich allein nicht die hinreichende Ursache des Starrwerdens gleichsam als einer bloß allmälich wachsenden Anziehung,“ sondern das „Starrwerden erfordert eine andere Art der Aggregation der Theile eines Tropfbarflüßigen welches aus sehr vielen heterogenen uns unbekannten Stoffen zusammengesetzt seyn kann die bey gleichen Stössen der durch Wärme bewegten Materien nicht gleiche Bebungen unter sich haben und so die Elementartheilchen specifisch sonderen und ihre Stellen nach der Verwandtschaft derselben einnehmen lassen aus denen sie jene Concussion [Erschütterung; B.F.] nicht weichen läßt“.35 Diese „Verwandtschaft“ ist die chemische Verwandtschaft der spezifischen Materien, d. h. das Maß ihres Bestrebens, miteinander (chemische) Verbindungen einzugehen, und diese (chemische) „Verwandtschaft“ eben ist es, wie gesagt, nach der die „Elementartheilchen“ beim Starrwerden bzw. der Kristallisation „ihre Stellen […] einnehmen“. Auf dieses zentrale Element der Kantischen Naturphilosophie wird noch einmal zurückzukommen sein. Zunächst sei hier aber ein weiteres bestimmendes Problem des OP angesprochen, in welchem der Kristallbegriff bzw. die Theorie der Kristallisation philosophisch wird. Dies ist die Frage der „Organisirung der Systeme von organisirten Körpern“, welche – wie die Idee vom Wärmestoff – „wiederum selbst zum Ubergange von metaphys.[ischen] Anf.[angs] Gr.[ünden] der N[atur]W.[issenschaft] zur Physik“ gehört.36 Philosophisch wird jener Begriff dabei insofern, als der Kristallisationsprozeß sozusagen der Mittler ist zwischen unorganisierter und organisierter Materie, denn es ist eben dieser Prozeß, der aus der „rohen Materie“37 zuerst einen „organischen Naturkörper“, d. h. einen „seiner Form nach absichtlich gebildeten Körper“ macht, oder anders gesagt: 34 Ebd., 452 f., vgl. auch AA 22.262 und 21.278 – 280, sowie speziell zur Rolle der Wärmematerie 21.255 f. und 391 – 393. Das im Text genannte Zitat belegt zugleich die ,Austauschbarkeit‘ von „Aether“ und „Wärmematerie“ als Ursache der „allgemeinen Welterschütterung“, zumindest jetzt mit Bezug auf die Kristallisation. 35 OP, AA 21.278 f. 36 Ebd., 21.566; vgl. auch 570. 37 KdU § 80, AA 5.419.

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bei dem – da „ein solcher Körper seine Organisation nicht blos von den bewegenden Kräften der Materie her haben kann“ – zuerst ein „einfaches, mithin immaterielles Wesen ob als Theil der Sinnenwelt oder ein von ihr unterschiedener Beweger ausser ihr angenommen werden“ muß, wobei das Urteil darüber, „ob dieses Wesen (gleichsam als Weltseele) Verstand oder blos ein den Wirkungen nach dem Verstande analogisches Vermögen besitze“, freilich „außer den Grenzen unserer Einsicht“ liege.38 In diesem Sinne betonte Kant dann auch immer wieder, daß es sich bei der Kristallisation bzw. dem Starrwerden der Materie um das Phänomen eines „plotzlichen Uberganges aus dem flüßigen Zustande […] in den vesten“39 handele, um eine „Veränderung in einem Augenblicke“, und eben nicht um einen allmählichen Übergang „vom Weichen zum Zähen endlich zum Steifen“, – weshalb auch der „vom Schuß entlehnt[e]“ deutsche Begriff „Anschießen (cristallisatio)“ für diesen Übergang durchaus treffend sei.40 Der Kantische Begriff des Organismus bzw. der organisierten (Natur)Körper kann nun nicht in seiner ganzen Breite diskutiert werden. Hier soll auch nur deutlich werden, daß der Kristall bei Kant ein sozusagen vollgültiger organisierter Körper ist und zwar insbesondere deshalb, weil er in seiner Bildung ein Moment der Zeugung wirken sieht. In einem weiteren Sinne zeigt sich dabei zugleich, daß für Kant die eigentliche Grenze zwischen Physik und Metaphysik, zwischen Natur und Geist, diejenige ist zwischen unorganisierten und organisierten Naturkörpern, die für Kant selbst wiederum identisch ist mit der zwischen Mechanik und Dynamik.41 Als zwar organisierter, gleichwohl aber nicht lebendiger Naturkörper stünde der Kristall dann dieser Grenze am nächsten, und der sprunghafte Übergang der Materie vom flüssigen zum festen Zustand, also die Kristallisation, bezeichnete das Überschreiten dieser Grenze. So gab Kant in Fortführung an jene oben erwähnte Stelle, wo er die (durch den Wärmestoff bzw. den Äther erzeugte) „allgemeine Welterschütterung“ als Ursache für die Kristallisation bestimmt hatte, eine allgemeine Definition „organisierter Kör38 39 40 41

OP, AA 21.569 f. Ebd., 279. Ebd., 270. Eben dies wäre der Ansatzpunkt für die Frage nach Kants System der Zwecke bzw. überhaupt nach der Bedeutung der Teleologie in der Naturforschung. Siehe dazu dann auch Kants Bestimmung der „absoluten Zweckmäßigkeit der Naturformen“ in der ersten Fassung der „Einleitung iv“ der KdU (AA 20.217 f.) sowie im OP die zentral bedeutsame Fußnote AA 21.566 – 570.

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per“, wobei die „Welterschütterung“ – dies sei jetzt mit aller Vorsicht gesagt – als ein Moment (geschlechtlicher) Zeugung erscheint. Dies folgt implizit aus seinem Begriff eines organisierten Körpers. Bekanntlich versteht Kant darunter – im Gegensatz zu einem zu „äußeren Zwecken“ bestimmten bloßen „Organ“ – einen zu „inneren Zwecken“ bestimmten Körper, dessen „Ursprung“ wir nicht einsehen könnten. Aber noch ein weiterer „Umstand“ sei „dabey allgemein: Vermischung zweyer Geschlechter und das daraus entspringende u.[nd] mehrentheils sich fortpflanzende Dritte“.42 Unmittelbar anschließend an diese Definition spricht Kant dann wiederum von jenen „Bebungen“, welche die „groben Theile in bestimte auf mancherley Art figurirte Lagen“ brächten und „dadurch so wohl die Festigkeit als die Crystallisation“ bewirkten.43 Dies deutet darauf hin, daß Kant jene „allgemeine Welterschütterung“ als ein Moment (geschlechtlicher) Zeugung begreift, und dies wäre dann der eigentliche Grund, der den Kristall zu einem vollgültigen organisierten Körper machte.44 Von hier aus erschließen sich zugleich einige, auf den ersten Blick eher ,romantische‘ Stellen im OP, in denen Kant sozusagen unbelebte Organismen postuliert, so insbesondere in seiner These, daß „man sich wohl gar den gantzen Erdglob’ selbst als einen organischen wenn gleich nicht lebenden Körper denken“45 könne, oder er an anderer Stelle von „unserem lebendig-gebärenden Glob’s“46 spricht. Ohne dies explizit zu machen, faßt Kant hier die ganze Erde als einen Kristall. Dahinter steht zum einen die – in der zeitgenössischen Naturforschung allgemein anerkannte, und bei Kant etwa im § 77 der Physischen Geographie zu findende – Annahme, daß sich große Teile der Erde bzw. die sie bil42 OP, AA 21.453. 43 Ebd. 44 Jenes Moment geschlechtlicher Zeugung in der anorganischen Natur näher zu bestimmen, wäre die eigentliche Aufgabe einer weitergehenden Diskussion des Kantischen Organismus-Begriffes oder, etwas anders gesagt, die eigentliche – aus moderner Sicht teilweise paradox klingende – Frage wäre die nach dem Verhältnis des (Kantischen) Organismus zum ,Leben‘. Festgehalten sei hier aber zumindest, daß die Kantische Grenze von unorganisierten und organisierten Körpern eben gerade nicht mit der modernen Unterscheidung von anorganischer/unbelebter und organischer/belebter Natur identifiziert werden kann. Vgl. hierzu vor allem Emundts 2001, 509 – 512, Müller-Strahl 2006 und weiter Brandt 1994, 24 (Fn. 10). Zu der für Kant zentralen Rolle der geschlechtlichen Zeugung in einem physischen Natursystem vgl. auch Fritscher 2001, 515 f. 45 OP, AA 21.567. 46 Ebd., 570 Anm., vgl. auch 22.549 Anm.

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denden Materien ursprünglich in einem flüssigen Zustand befunden haben müssen.47 Vor allem aber steht dahinter die durch die „in den Tiefen der Erde begrabenen organischen Körper von anderen Formen“, also die durch die Fossilien belegte „zweckmäßige Ausbildung“ des Erdkörpers, die so „ein Princip der Organisation im Gantzen desselben darbietet welches mechanisch-zweckmäßig sich selbst bildend ist aber von unserem Verstande nicht mehr als ein solches nach seiner Einheit übersehen werden kann“.48 Die hier mitbestimmende Annahme eines flüssigen Zustandes der Materie als Voraussetzung der Kristallisation, die Kant aus der zeitgenössischen Naturwissenschaft übernommen und im OP immer wieder betont hat, bekommt nun im Kontext seines Begriffes organisierter Körper ebenfalls eine grundsätzlichere Bedeutung: der flüssige Zustand der Materie repräsentiert eben deren eigentlichen unorganisierten Zustand, also die Form der Materie, in der jenes „immaterielle Wesen“, welches zu ihrer Organisation angenommen werden müsse, (noch) nicht in Wirksamkeit ist, oder anders gesagt: wo allein die mechanischen und eben (noch) nicht die dynamischen Kräfte der Materie wirken. Dies wird nun besonders deutlich in einem Brief an den bekannten Anatomen Samuel Thomas Sömmerring (1755 – 1830) vom 10. August 1795, der mit seiner These, daß die Flüssigkeit der Hirnhöhlen das Organ der Seele bzw. der Empfindungen sei, eine lebhafte Diskussion ausgelöst hatte. Kants Problem war hier wohlgemerkt nicht der Versuch, der Seele ein Organ zuweisen zu wollen, als vielmehr, daß dieses Organ ein flüssiges sein sollte – aus seiner Sicht ein Widerspruch in sich. Als „Flüssigkeit“ könne das Wasser „nicht füglich als organisirt gedacht werden“, aber ohne „Organisation, d. i. ohne zweckmäßige und in ihrer Form beharrliche Anordnung der Theile“, eigne sich wohl keine Materie zum „unmittelbaren Seelenorgan“, weshalb „jene schöne Entdeckung“ ihr Ziel auch noch nicht erreicht habe.49 Allerdings deutet Kant dann auch eine mögliche Lösung dieses Problems an: „Wie wäre es, wenn ich statt der mechanischen, auf Nebeneinanderstellung der 47 Physische Geographie, AA 9.300 – 303. 48 OP, AA 21.567 f. Anm. – Aufschlußreich ist hier ein Vergleich mit G.W.F. Hegels Diskussion der „geologischen Natur“ in der Naturphilosophie. Dort erscheint die Erde als „Krystall des Lebens“ bzw. als „todtliegende[r] Organismus“, also im Sinne Kants als zwar organisierter, gleichwohl aber nicht lebendiger Körper (Enz.3, § 341, GW 20.347). 49 Briefe, AA 12.33.

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Theile zu Bildung einer gewissen Gestalt beruhenden, eine dynamische Organisation vorschlüge, welche auf chemischen (so wie jene auf mathematischen) Principien beruhet, und so mit der Flüssigkeit jenes Stoffs zusammen bestehen kann?“50 Ebenso wie die „mathematische Theilung eines Raumes und der ihn einnehmenden Materie (z. B. der Gehirnhöhle und des sie erfüllenden Wassers)“ ins „Unendliche“ gehe, so könnte es auch mit der „chemischen als dynamischen Theilung (Scheidung verschiedener in einer Materie wechselseitig von einander aufgelöseter Arten)“ beschaffen sein, d. h. auch diese läßt sich möglicherweise unendlich fortsetzen (wie etwa das „bis vor Kurzem noch für chemisches Element gehaltene, gemeine Wasser“ andeute).51 Bezogen auf die Theorie der Kristallisation des OP bzw. die dort herausgearbeitete Entgegensetzung von flüssigen und organisierten Körpern erscheint diese Lösung nun allerdings nicht ganz unwidersprüchlich. Es wäre zu fragen, wie sich jene dynamische Organisation, die offensichtlich auch für Flüssigkeiten gilt, zur Organisation der festen (kristallisierten) Körper verhält, deren eigentlicher Gegensatz gerade der Zustand der Flüssigkeit ist. Die Antwort auf diese Frage muß jetzt allerdings offen bleiben. Es sei aber angemerkt, daß hier nicht unbedingt ein innerer Widerspruch in Kants Begriff der organisierten Körper bzw. in seiner Theorie der Kristallisation gesehen werden muß. Vielmehr wird Kant eben von verschiedenen Seiten immer wieder auf jenes Problem geführt, für welches ihm die zeitgenössische Naturwissenschaft bestenfalls empirische Gesetze anbieten konnte, nämlich das der Erklärung der ,Gesetze der chemischen Verwandtschaft‘.52 Dementsprechend findet dann jene, jetzt schon mehrmals zitierte zentrale Stelle im OP, in der Kant seine Theorie der Kristallisation, d. h. die Frage nach der Rolle des Wärmestoffs hierbei und die – eben implizit als ein Moment geschlechtlicher Zeugung begriffene – „allgemeine Welterschütterung“ behandelt hatte, ihre Fortsetzung in der 50 Ebd. 51 Ebd., 33 f. 52 Zur Bedeutung dieses Problems in Kants vorkritischer Periode siehe noch einmal Ferrini 2004; speziell hinsichtlich des Verhältnisses einer (mechanischen) Theorie des Himmels zu einer (dynamischen) Theorie der Erde vgl. auch Fritscher 2001, 519 f. In diesem Zusammenhang erklärt sich die zentrale Rolle des Wärmestoffs im OP dann vor allem auch darin, daß die Wärme bzw. das Feuer in der zeitgenössischen (anorganischen) Chemie als letztlich einziges Agens galt, welches die Kräfte der chemischen Verwandtschaft nachhaltig zu modifizieren in der Lage war.

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Frage nach der Natur der Chemie bzw. der chemischen Auflösung. Die Chemie ist die Wissenschaft dessen, wonach Kant eigentlich fragte, nämlich die „Wissenschaft der inneren Kräfte der Materie“53. In diesem Sinne ist dann jener der Kristallisation notwendig vorhergehende – eben auch durch den Wärmestoff bestimmte – flüssige Zustand der Materie(n) derjenige der „(chemischen) Auflösung“. Darunter verstand er gleichermaßen die bloße Änderung des Aggregatzustandes wie die eigentliche chemische Trennung („Scheidung“). So bestimmte Kant die „(chemische) Auflösung“ als die „Trennung zweyer einer durch Anziehung durchdringender Materien“, und diese sei dann „entweder quantitativ wenn die Materie in gleichartige oder qualitativ wenn sie in ihre ungleichartige (specifisch verschiedene) Materien getheilt wird“, d. h. etwa die Auflösung des Wassers in „Dampf“ im Gegensatz zur „Scheidung“ in „zwey Luftarten“.54 Aber damit ist jetzt eigentlich, wie gesagt, die Theorie der Kristallisation verlassen und die der chemischen Auflösung erreicht.

3. Zur Lesart des Opus postumum als „physikalischer Chemie“ Im Vorhergehenden waren Kants Theorie der Kristallisation bzw. seine Überlegungen zur Natur der festen/starren Materie, wie er sie im OP entwickelt hat, aus der spezifischen Perspektive der chemischen Kristallographie untersucht worden. Damit schließt sich die vorliegende Studie weitgehend einer bestimmten Lesart dieser – in ihrer Bedeutung und ihrem Charakter bis heute kontrovers diskutierten (vgl. hierzu auch noch einmal die in Anm. 5 genannten Arbeiten) – Schrift Kants an, nämlich das Werk primär als eine „physikalische Chemie“ zu lesen, und damit als eine Weiterführung der in den MAN diskutierten Probleme, insbesondere eben der einleitenden Methodenlehre in Verbindung mit dem „Allgemeinen Zusatz zur Dynamik“.55 Etwas genauer gesagt wäre also die von Kant im OP entwickelte Aufgabe des Übergangs von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik – d. h. die Aufgabe, die empirischen Bewegungsgesetze der Materie an die Prinzipien a priori für das System der bewegenden Kräfte der Ma53 OP, AA 21.453. 54 Ebd. 55 Vgl. MAN, AA 4.523 – 535.

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terie überhaupt anzubinden – gerade jene Aufgabe, die später von der physikalischen Chemie übernommen wurde. Indirekt unterstützt – wohlgemerkt ohne Bezug auf das OP – wird diese Lesart durch einen der Begründer der modernen physikalischen Chemie, Wilhelm Ostwald (1853 – 1932). Dieser hat, mit Bezug auf Kants berühmte Kritik der Chemie bzw. dessen Forderung nach einer nicht nur empirischen Begründung der Gesetze der chemischen Verwandtschaft in der „Vorrede“ der MAN,56 für seine Wissenschaft, nämlich die (physikalische) Chemie, in Anspruch genommen, daß diese mittlerweile doch im wesentlichen die Bedingungen erfülle, die Kant für eine „eigentliche Wissenschaft“ gefordert hatte.57 Analog dazu könnte man sagen, daß die physikalische Wärmelehre tatsächlich wesentlich jene Aufgaben erfüllt, für die Kant seinen (hypothetischen) „Wärmestoff“ annehmen mußte, und damit zum eigentlichen Schlüssel einer neuen physikalischen Chemie wurde.58 Allerdings hat Ostwald die physikalische Chemie wohlgemerkt nicht als Substitut des metaphysischen Teils der Naturwissenschaften sehen wollen. Jene habe die Grenze zur Metaphysik sehr viel weiter hinausgeschoben, als Kant dies für möglich gehalten hatte, sie aber nicht überschritten oder aufgehoben. Freilich, und auch daran ließ Ostwald als überzeugter Gegner jeder Metaphysik keinen Zweifel, was jenseits dieser Grenze liege, sei für die Naturwissenschaften ohne Belang. Dies wäre dann auch die eigentliche Frage hinsichtlich der Lesart des OP als physikalischer Chemie bzw. als chemischer Kristallographie: Daß 56 Dies eben meint Kants berühmte Forderung, wonach die Chemie solange „uneigentliche Naturwissenschaft“ bzw. „systematische Kunst“ bleiben müsse, als für die „chemischen Wirkungen der Materien auf einander kein Begriff ausgefunden wird, der sich construiren läßt, d. i. kein Gesetz der Annäherung oder Entfernung der Theile […], nach welchem etwa in Proportion ihrer Dichtigkeiten u. d. g. ihre Bewegungen sammt ihren Folgen sich im Raume a priori anschaulich machen und darstellen“ ließen – eine Forderung, die freilich nach Kant „schwerlich jemals erfüllt werden wird“ (MAN, AA 4.468 und 470 f.; vgl. hierzu auch Pollock 2001, 62 – 67 und 88 – 93). Zu Kants Auseinandersetzung mit diesem Grundproblem der Chemie seiner Zeit vgl. auch die umfangreichen Reflexionen zu Physik und Chemie (Refl., AA 14.65 – 537). 57 Ostwald 1902, 55. Wenngleich sie nicht eigentlich über das von Kant geforderte (mathematische) „Gesetz der Annäherung und Entfernung der Theilchen“ verfüge, so erlaube doch das Massenwirkungsgesetz, über die gegenseitigen Verhältnisse der Dichtigkeiten oder der Konzentrationen der Stoffe, den Verlauf einer chemischen Reaktion zu prognostizieren. 58 Vgl. dazu auch Fritscher 1991, 270 – 282.

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Kant im OP mit seiner Frage nach einer (metaphysischen) Begründung der stofflichen Natur bzw. der stofflichen Veränderungen der Körper diejenigen Probleme behandelt hat, die heute der physikalischen Chemie zugewiesen werden, ist unbestritten, und insofern ist jene Lesart berechtigt. Eine ganz andere Frage ist, ob die physikalische Chemie der Moderne jene Grenze wirklich vollkommen überschritten hat, welche Kant zwischen der Metaphysik und der Physik gezogen hat, bzw. ob sie wirklich als Substitut jener Aufgabe des Übergangs verstanden werden kann.59 Diese Frage kann nun hier nicht entschieden werden, zumal die Möglichkeit einer eindeutigen Antwort ohnehin zweifelhaft erscheint. Und aus der Perspektive der chemischen Kristallographie stellt sich diese Frage ohnehin nur bedingt, insofern als gerade Kants Theorie der Kristallisation auch ohne die von ihm selbst geforderte metaphysische Begründung Bestand hätte. Kant hat im OP – und zwar sehr viel systematischer, als dies in den zeitgenössischen Naturwissenschaften der Fall war – die Probleme aufgezeigt, die eine solche Theorie zu lösen hätte. Und vergegenwärtigt man sich zudem, daß die Lösung des Grundproblems der chemischen Kristallographie, also der Frage nach dem Zusammenhang von chemischer Zusammensetzung und Kristallform der Körper wesentlich an die Atomgröße gebunden war, also an die Gestalt der Atome, so hat Kant sogar implizit einen Vorschlag in diese Richtung angeboten. In der Allgemeinen Anmerkung zur Dynamik der MAN stellt er nämlich fest, daß aus einem „durchgehends gleichartigen Stoffe durch die mannigfaltige Gestalt der Theile vermittelst eingestreuter leerer Zwischenräume eine große specifische Mannigfaltigkeit der Materien sowohl ihrer Dichtigkeit, als Wirkungsart nach […] zu Stande zu bringen“ wären, wobei sich die „Möglichkeit der Gestalten sowohl als der leeren Zwischenräume“ sogar „mit mathematischer Evidenz darthun“ ließe.60 Allerdings wollte Kant selbst sich mit 59 Vgl. in dieser Hinsicht etwa auch Leibers Interpretation der Kantischen (naturwissenschaftlichen) Teleologie als Substitut für eine (noch) fehlende physikalische Chemie (Leiber 2001, 586). Zur Lesart des OP als physikalischer Chemie wäre auch daran zu erinnern, daß Albrecht Krause, der erste Interpret des OP, dieses Werk überhaupt eher als eine chemische, denn als eine metaphysische Abhandlung gelesen hat (Krause 1888; vgl. auch Vorländer 1924, 2.286 – 295). Hierbei wäre dann aber auch im Blick zu behalten, daß die moderne physikalische Chemie im Sinne Ostwalds zu dieser Zeit gerade erst im Entstehen begriffen war. 60 MAN, AA 4.525.

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einer solchen bloß „mathematisch-mechanischen Erklärungsart“ nicht zufrieden geben; er forderte vielmehr eine „metaphysisch-dynamische“ Erklärung, welche den „Stoff selbst in Grundkräfte verwandelt“, d. h. die „eigenen Kräfte“ der Materie nicht außer acht lasse,61 und eben diese versuchte er im OP ,nachzuliefern‘.

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Der Galvanismus als Form der Transzendentalphilosophie? Steffen Dietzsch Abstract: The paper analyzes a methodical problem posed by Immanuel Kant in his Opus postumum, namely how the natural-philosophical principle of Galvanism and the transcendental-philosophical principle of his Critique are connected. In this, Kant realizes that the ‘Neue Naturphilosophie’ (New Natural Philosophy) from Jena, namely developed by Friedrich Wilhelm Joseph Schelling and Johann Wilhelm Ritter, deploys a verification of the Idealism: Idealism is methodologically correct to make Pure Reason the self-creator (autopoesies) of everything, as this is grounded in Nature itself. This renders Idealism explainable. Katharina B. gewidmet Die Welt ist ein Tier: aber die Seele desselben ist nicht Gott. Immanuel Kant *

Die Vermutung des späten Kant, der Galvanismus sei sozusagen die experimentelle Bestätigung dessen, was er Transzendentalphilosophie nannte, könnte auf zweierlei Weise behandelt werden. Zunächst gewissermaßen erkenntnispsychologisch: Wie verhält man sich zu befremdlichen oder gewagten Auslassungen von philosophischen Emeriti? Solche „letzte Worte“ sind, gerade wenn sie theoretische Auslassungen betreffen, gelegentlich treffliche Kuriosa; auch bei Kant finden wir natürlich solche Blütensammlungen.1 – Nun, streng genommen war Kant nie ein Emeritus (das gab es damals nicht in Königsberg) und so will ich auch bestimmte Äußerungen Kants nach der Jahrhundertwende doch nicht (sofort) als Senilia abwerten. Denn eben zweitens: Diese Titel-Frage zu stellen, heißt, die Transzendentalphilosophie sollte hinsichtlich ihrer methodischen Potenzen nicht nur in der Perspektive der ersten (oder der letzten) 2 der drei großen Kritiken Kants gesehen werden. Dagegen ist zu vermuten, * 1 2

OP, AA 21.137. Vgl. Mecklenburg 1970. Vgl. Hiltscher, Kliner and Süß 2006.

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daß Kant selber um 1800 gerade durch jüngste naturphilosophische Arbeiten (in Jena, dem Zentrum des Kantianismus) auf ganz neue Dimensionen und Latenzen seines kritizistischen Einfalls aufmerksam wurde, die alle mit der Idee des Synthetischen zusammenhängen und die hier von der ersten namhaften Kant-Rezeption entdeckt wurde. Das kommt zusammenfassend in dem Diktum des Novalis zum Ausdruck: „Das ächte Denken erscheint wie ein Machen – und ist auch solches.“3 In späten Briefen und Notaten hat Kant gerade das auch immer wieder seinen Gesprächspartnern mit ganz ähnlichen Wendungen beizubringen versucht, so etwa die wiederholt vorkommende Wendung: „Denn nur das, was wir selbst machen können, verstehen wir aus dem Grunde.“4 Eben auch im Opus postumum selber: „Daß wir nichts einsehen als was wir selbst machen können. Wir müssen uns aber selbst vorhermachen“, was Erich Adickes dann als „Selbstsetzung“ bezeichnet.5 Es geht dabei um den Sinn von Sätzen im Opus postumum, wie: „Die Transscc. Phil ist (eine Art Galvanism) das Erkenntnis welches von dem discursiven in ihr apriori anhebend das Intuitive zum Princip durch Urtheilskraft macht“6 ; Die Transsc. Phil. ist ein Galvanism D. Reusch wo Transsc: Phil. auch Galvanism ist. Transsc: Phil. ist das Erkentnisprincip nach welchem Mathematik und Philosophie in einem synthetischen Erkentnis a priori in einem Princip vereinigt den Gegenstand möglicher Erfahrung ausmacht;7 „Ist nicht die Trans .Phil. selbst ein Galvanism?“8

Das Problem ist nun: Sind diese späten Bemerkungen Kants in einen Sinnzusammenhang mit seinem kritizistischen Philosophiebegriff, worauf ja der Ausdruck transzendental hinweist, einzuordnen? Und wie? – Das möchte ich in den folgenden drei Abschnitten entwickeln, also: 3 4 5 6 7

8

Novalis, Das allgemeine Brouillon, Frag. Nr. 710, in: Novalis Schriften, 3.404. Immanuel Kant an Johann Plücker, vom 26. Jan. 1796, AA 12.56. OP, AA 22.353, Adickes 1920, S. 611. OP, AA 21.138. Ebd., 133. Zu Reusch: Dr. K. Reusch (ein Sohn von Kants geschätztem Kollegen) hatte sich Ende 1800 in Königsberg als praktischer Arzt niedergelassen und dabei den Galvanismus als therapeutische Praktik angewandt; er war auch Gast in Kants Tischgesellschaft. (Vgl. Reusch 1848, 293 f). – Kants Biograph Ehregott Andreas Christoph Wasianski war geneigt, Kants diesbezügliche Bemerkungen als wissenschaftlich ungeprüft abzutun. Ebd., 135. Zu den Stellen vgl. auch Adickes 1920, 471.

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1. muß an emergenztheoretische Dimensionen im Begriff transzendental erinnert werden, denn beide (Galvanismus und Transzendentaltheorie) sind konvertierbar, weil in beiden – modern gesprochen – nichtlineare Emergenzphänomene zentral sind, d. h. in beiden, sowohl im synthetischen Urteil als auch in der galvanischen Konstellation wird das Problem der downward causation (abwärtsgerichteten Kausalität) behandelt; danach soll 2. das Phänomen des Galvanismus vorgestellt werden, um abschließend 3. die Identitt des Dynamischen und Transzendentalen (Schelling) zu explizieren. Dabei wird gezeigt, daß der Galvanismus in Kants Absicht bei seinen letzten Bemühungen um einen bergang von den metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft zur Physik (so der Manuskript-Titel des Opus postumum) als eine experimentalphilosophische, auf das „Ganze der Philosophie“ abzielende Vorarbeit zur Identitätsphilosophie zu begreifen wäre. Es wird dies aber die Einlösung des Vermittlungsversprechens der transzendentalen Logik sein: die Geburt einer transzendentalen Historik nach dem Ende des Dualismus.

1. Erinnerung zum Begriff „transzendental“ Das methodologisch Neue im Kantischen Kritizismus ist mit diesem Begriff transzendental sowohl begriffsgeschichtlich als auch systematisch angesprochen: nämlich, mit ihm ist eine Neuerfassung des Umfangs und der Grenzen der konstruktiven Vermögen menschlicher Subjektivität möglich. Denn „[d]ie (transcendentalen) notionen stellen nicht Dinge, sondern die Actus des Verstandes vor, sich synthetische Begriffe von Dingen zu machen.“9 Der von Kant vollzogene Bruch mit allen überkommenen Bestimmungen von transzendental und seine Neubestimmung ist für das Begreifen der Kantischen Revolution der Denkungsart schlechthin unentbehrlich. „Die einseitige Rückbeziehung der kritischen Transzendentalphilosophie auf die ,alte Transzendentien-Spekulation‘ [also: res (Ding), ens (Seiendes), verum (Wahres), bonum (Gutes), aliquid (Teil) und unum (Eine), St.D.] hat die Kantforschung nahezu hundert Jahre in 9

Refl. Log. 2857, AA 16.548. – Der früheste Königsberger Gebrauch des Transzendental-Begriffs findet sich in der Disputation Veritate transcendentali, homine politico, usu philosophiae in republica von Christoph Eilardus (1585 – 1639).

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die Irre geführt.“10 Allerdings: dieser Begriff „transzendental“ mutierte danach lange Zeit zu einem dann inflationär gebrauchten „Rätsel“Begriff in der Philosophie. Und bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts (zu Beginn des Neukantianismus!) wurde der Transzendentalbegriff wieder sozusagen vorkantisch als „übersinnlich“, ja gar „überschwänglich“11 bestimmt. Dieser Begriff „transzendental“ ist einer der neuen Zentral- und Titelkategorien der Kantischen kritizistischen Philosophie. Er bezeichnet das von Kant neu am Subjekt entdeckte Selbstverhltnis seiner Subjektivität. – Als Germaine de Staël (1766 – 1817) einmal in Weimar Friedrich Schiller besuchte – er war ihr „der kantischste aller Dichter“12 –, „fragte sie, was das Wort heiße trancendental, da war die Antwort: wer dieses Wort verstehe, verstehe auch die Kantischen Lehren.“13 Die begriffliche Neubestimmung von transzendental war bei Kant verbunden mit seiner grundsätzlichen Methoden-Kritik an der zeitgenössischen Philosophie, deren Gegenstandsbereich, namentlich in der philosophischen Gotteslehre und in der Ontologie, überwiegend aber auf augenscheinlich subjekt-irrelevante Sachverhalte abzielte. Kant dagegen orientierte die epistemologische Aufmerksamkeit darauf, „daß die Erkenntnis [intersubjektive] Bedingungen hatte, daß sie sich innerhalb der Beziehungen bildete, die sich zwischen den Menschen herstellen, […] kurz, daß es eine Geschichte der menschlichen Erkenntnis gab, die gleichzeitig dem empirischen Wissen gegeben werden und ihm seine Form vorschreiben konnte.“14 Das Transzendentale im Subjekt, so wie es Kant ursprünglich verstehen wollte, präsupponiert das Empirische seines Ich-Bewußtseins. „I think“, so sagt Thompson, „the irreducibility of consciousness is not trivial and indicates that consciousness has a transcendental status in addition to an empirical one.“15 Es bezeichnet inter-individuelle, inter-subjektive 10 Hinske 1973, 60. – Später haben sich nachhaltige philosophische Bewegungen wie die Phänomenologie (Husserl) sich des „Transzendentalen“ ebenso als Erkennungszeichen versichern wollen, wie in unserer Gegenwart u. a. die „Transzendentalpragmatik“, die aber heute auch ziemlich deutlich zur „Detranszendentalisierung“ der Transzendentalphilosophie hinneigt. 11 Anonym 1851, 389. 12 Schillers Gesprche [Gespräch am 15. Dez. 1803], in: Schiller, Nationalausgabe, 42.371. 13 Ebd., 372. 14 Foucault 1974, 385. 15 Thompson 2007, Ch. 8. 239.

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Felder, in denen das kognitive Vermögen des Menschen selber eingebettet ist, modern gesprochen, als Enactive Approach. 16 Oder, wie es Vogeley sagt: „Die Einheit des Bewusstseins aber als kategorieller Begriff, der als Vorbedingung aller Erkenntnis angenommen werden muß, findet sich eben nicht als eine bestimmte von vielen Hirnstrukturen, sondern wird durch die Gesamtheit der Hirnphänomene erst konstituiert. Es wird also ein kategorieller Dualismus nötig, der transzendental die Bedingungen der Möglichkeit von bewusster Erkenntnis erörtert.“17 Kurzum, so betonte schon Kant: „Man muß das transscendentale und empirische Bewußtseyn wohl unterscheiden; jenes ist das Bewußtseyn Ich denke und geht aller Erfahrung vorher, indem es sie erst möglich macht. Dies transscendentale Bewußtseyn liefert uns aber keine Erkenntniß unserer Selbst […] und so setzt also das empirische Bewußtseyn das transscendentale voraus.“18 Im Blick gerade darauf, als, wie Kant sie bestimmt, „Bedingungen der Möglichkeit“, wird die höchste Aufgabe der Transzendentalphilosophie formulierbar, nämlich: „Wie ist Erfahrung möglich?“19 Mit dem Transzendental-Begriff will Kant also das erfassen, was der (individuellen) Erfahrung selber sozusagen vorausliegt. Diese transzendentale „Vor“Bestimmtheit ist von Kant apriorisch und nicht psychologisch bestimmt. Damit wird darauf hingewiesen, daß alles Erkennbare zwar mit (individueller) Subjektivität anhebt (beginnt), aber nicht aus ihr (als individueller!) entspringt. Das Transzendentale „gravitiert“ alles, was in sein Kraftfeld gerät, d. h. als transzendental ausgezeichnete Leistungen im Individuellen sind dadurch per se interindividuell. So ist z. B. Erfahrung eben nicht mehr bloß als empirische Wahrnehmung eines Einzelnen zu begreifen, oder: Einbildungskraft ist nicht mehr bedeutungsgleich mit etwa der Phantasie oder Imagination einer Person. „Mein Platz“, schreibt Kant, „ist das fruchtbare Bathos der Erfahrung, und das Wort transscendental, dessen so vielfältig von mir angezeigte Bedeutung vom Recensenten [der Kantischen ,Kritik der reinen Vernunft‘, Christian Garve, St.D.] nicht einmal gefaßt worden […], bedeutet nicht etwas, das über alle Erfahrung hinausgeht, sondern was vor ihr (a priori) zwar 16 Vgl. Thompson and Varela 1991, 205 ff. und Noë 2004, An Introduction, p. 1 – 34. 17 Vogeley 1996, 962. 18 Refl. Met. 6311, AA 18.610 f. 19 Vgl. Fortschritte, AA 20.275: „Die höchste Aufgabe der Transscendentalphilosophie ist also: Wie ist Erfahrung möglich?“.

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vorhergeht, aber doch zu nichts mehrerem bestimmt ist, als lediglich Erfahrungserkenntniß möglich zu machen.“20 Also: mit der Erschließung der Sphäre des Transzendentalen führt uns Kant zum „Bewußtsein überhaupt“, das aber ist „das Bewußtsein im Modus temporaler Intersubjektivität. Das Denken ist prinzipiell kein ,Vorgang im Kopf‘, denn es ist nunczentrisch; […] es muß anerkannt werden, daß die Ontologie der ersten Person nur deswegen die Ontologie des Geistigen sein kann, weil sie […] einen ,nichtsinnlichen Einschluß‘ enthält.“21 Und: „Die Transzendentalphilosophie soll also […] auf das Gebiet des Naturbegriffs übergreifen können, […] sie soll synthetische Urteile a priori beweisen können, die in jeder möglichen Naturwissenschaft gültig sein müssen.“22 Indem durch transzendentale Fragen nach den im menschlichen konstruktiven Vermögen liegenden Quellen der Objektivität des Erkennens (und Handelns) gesucht wird, macht Kant damit auf eine entscheidende „Doppel“-Struktur menschlicher Subjektivität aufmerksam. Dies macht das aus, was man das „tätige Selbstverhältnis“ des Menschen nennt. Damit ist von Kant eine neue Art und Weise – und die Grenze – des Verstehens menschlicher Subjektivität initiiert worden. In einem Diktum aus der Jenaer Transzendentalschule heißt das: „Das Transzendentale Ich ist nicht verschieden von dem Transzendentalen Wir. Es ist kein persönliches.“23 Es ist also kein Naturprodukt, wie Novalis einmal notiert, „das Ich soll construirt werden. Der Philosoph […] schafft künstliche Elemente und geht so an die Construction.“24 Die Subjektivität verliert mit Kant ihre von manchem noch als gottgleich vermutete Allmacht: „Wir begreifen nur, was wir selbst machen können“25 ; und das ist eben nicht alles Denkbare. – Kant erinnerte die philosophische Zunft daran, daß für den Menschen „das Ganze“ der Wirklichkeit als Ganzes niemals erfahrbar und so auch nicht erkenntnisfähig sei. Damit hatte er, wie Schiller schreibt, „den Weg eröffnet, die Empirie auf Principien, und die Spekulation zur Erfahrung Prol., AA 4.373 Anm. Rohs 1996, 14 f. Ebd., 15 f. Friedrich Schlegel, Philosophische Lehrjahre I, Frag. 135, in: Schlegel-Ausgabe, 18.31. – Novalis kontrastiert: „Fichtes Ich – ist ein Robinson – eine wissenschaftliche Fiction. […] Schilderung des phil[osophischen] Naturstandes – eines isolirten Princips.“ (Das allgemeine Brouillon, Frag. 717) 24 Novalis, Das allgemeine Brouillon, Frag. 76, in: Novalis Schriften, 3.253. 25 Refl. Log. 2398, AA 16.345. 20 21 22 23

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zurück zu führen.“26 Gerade damit aber wurde von Kant das Philosophieren als Kritik wieder gegenwarts- und endlichkeitsfähig gemacht. Und er hat damit die Metaphysik als Wissenschaft wieder anschlußfähig gemacht an das, was wir von heute her den Diskurs der Moderne nennen. Dementsprechend ist die Transzendentalphilosophie eine Veranstaltung, in der es bei der Wahrheitsfindung nicht so sehr um den semantischen Status von reinen Begriffen geht, sondern um den konstruktiven (epistemischen) Zusammenbau von begrifflichen und nichtbegrifflichen Elementen. Kants methodischer Einfall, nicht wiederum bloß – nur diesmal genauer als andere – Weltverhältnisse aus reinem Denken erkennen zu wollen, sondern zu allererst einmal die Bedingungen ihrer Möglichkeit im transzendentalen Erkenntnissubjekt selber zu untersuchen, brachte eine ganz neue Bestimmung von Ursprung und Gültigkeit unserer epistemischen (objektkonstituierenden) Fähigkeit mit sich. Denken begreift Kant als eine – spontane – Funktion der reinen Verstandesbegriffe (Kategorien). Kategorien sind „Titel des Denkens“27, markieren also logische Funktionen und sind für sich selber noch keine Erkenntnisse. Als reine Verstandesbegriffe „dienen [sie, St.D.] gleichsam nur, Erscheinungen zu buchstabiren, um sie als Erfahrung lesen zu können.“28 Auf diesem von Kant vorgeschlagenen Weg – d. h. mit seiner Wende zum Ich29 –, wechselt die Metaphysik gewissermaßen ihren Gegenstand, d. h. „[i]n der transscendentalen Wissenschaft muß alles vom subjecte hergenommen seyn“30. Dabei unterscheidet Kant zwischen logischem und transzendentalem Umgang mit Verstandesbegriffen, bzw. logische und transzendentale Reflexion. Er betont, „daß die logische Reflexion eine bloße Comparation sei [und damit der formalen Logik31 zugehörig, St.D.], denn bei ihr wird von der Erkenntnißkraft, wozu die gegebenen Vorstellungen gehören, gänzlich abstrahirt.“32 Demgegenüber aber wendet sich die transzendentale Reflexion, die den zu erkennenden Gegenstand sozusagen schafft, „der objectiven Comperation der Vorstellungen unter einander zu.“33 Damit aber avanciert 26 27 28 29 30 31 32 33

Ueber die sthetische Erziehung des Menschen, in: Schiller, Nationalausgabe, 20.357. Refl. Met. 4672, AA 17.635. Prol., AA 4.312. Vgl. Klemme 1999. Refl. Met. 5058, AA 18.75. Vgl. Refl. Met. 5665, AA 18.323: „Logik handelt vom Denken ohne object.“ KrV, A 262/B 318. Ebd. A 263/B 318.

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jene transzendentale Überlegung zu einer „Pflicht, von der sich niemand lossagen kann, wenn er a priori etwas über Dinge urtheilen will.“34 Scharfsinnig ist nun schon zu Kants Lebzeiten dessen vernunftkritische Begriffsdifferenzierung von Erkennen und Denken hervorgehoben: „Vergeblich ists, nach allem dem zu forschen, was uns die Metaphysik bisher vorgelegt hat: sie hat das für Gegenstnde gehalten, was nur Begriff von Begriffen ist, das für erkennbar und erkannt angesehen, was nur denkbar und gedacht heißen kann.“35 Die Denk-Formen des Verstandes müssen nämlich mit etwas anderem in Verbindung gebracht werden. Es muß etwas Neues ins Spiel kommen, ein Verfahren, das Kant Synthesis nennt und das im Theoriestück vom „Transzendentalen Schematismus der reinen Verstandesbegriffe“ der Kritik der reinen Vernunft seine methodischen Regeln erhält. – Kant unterscheidet dann also analytische und synthetische Urteile. Nur mit letzteren Urteilen ist das Erkennen verbunden. Wie viele von Kants Zeitgenossen hat beispielsweise auch sein Königsberger Bekannter und Tischgenosse Johann Georg Hamann diese Leistung Kants nicht verstanden, als er ungläubig fragte, wo denn das Geheimnis „der differentia specifica analytischer und synthetischer Urtheile verborgen [sei, St.D.], das keinen von den Alten eingefallen sein sollte?“36 Kant wollte nun eben begreiflich machen, daß Erkennen ein Vorgang des Synthetisierens ist, „wodurch man im Stande ist, den Zusammenhang der Dinge mit ihren Gründen deutlich einzusehen.“37 Mit analytischen Urteilen – sie „beruhen alle auf Identität“38 – kann man sicher gegebene und schon vorliegende Erkenntnisse explizieren, in Beziehung setzen, klassifizieren, plausibilisieren etc., aber erzeugen kann man sie mit ihrer Hilfe nicht. Diese gewissermaßen phnomenologische Ebene im Umgang mit Erkenntnissen wollte Kant verlassen, um sich sozusagen genealogisch mit der inneren Form von Erkenntnissen, d. h. mit ihrem Wie-sie-entstehen im Subjekt vertraut zu machen. Sein großer Einfall, den er sich immer wieder notiert, war: „Synthesis ist allerwerts, wo der Begrif nicht gegeben ist, sondern gemacht […] Analysis ist allerwerts, wo der Begrif gegeben, aber Verworren.“39 Kant hat genau 34 35 36 37 38 39

Ebd. A 263/B 319. Fülleborn 1800, 25. „Rezension der Critik der reinen Vernunft“, in: Hamann’s Schriften, 6.49. Refl. Log. 1726, AA 16.94. Ebd. 3136, AA 16.674. Ebd. 2396, AA 16.344.

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hierfür auch ein Beispiel. Die unbestreitbaren Gewißheiten der Mathematik oder der Physik als Wissenschaft schienen nämlich in ihrer synthetischen Verfaßtheit begründet zu sein. Und deshalb kann Kant auch behaupten: „Transcendental-Philosophie ist diejenige Wissenschaft die nicht anders als in Verbindung mit Mathematik möglich ist.“40 Es war ja ein wissenschaftstheoretisches Essential Kants, zu vermuten, daß eine Wissenschaft genau so viel Wissenschaft in sich habe, so viel Mathematik in ihr sei. „Das Wesentliche und Unterscheidende der reinen mathematischen Erkenntniß von aller andern Erkenntniß a priori ist, daß sie durchaus nicht aus Begriffen, sondern jederzeit nur durch die Construction der Begriffe vor sich gehen muß.“41 Die ErkenntnisKompetenz der Mathematik bemerkt Kant also darin, wie sie ihre Erkenntnisse begründet, d. h. konstruiert. Erkenntnisse über Eigenschaften geometrischer Figuren gewinne ich eben dadurch, daß ich sie mir als meine epistemischen Gegenstände selber schaffe, d.i. durch deren Konstruktion. Dadurch sind sie nicht nur mir einleuchtend, sondern auch anderen – wortwörtlich – (demonstrativ) nachvollziehbar, zumindest denjenigen, die sich in diese Methode der Wahrheitsfindung einfinden können. Damit aber hätte man, so meint Kant, auch ein Verfahren für die Philosophie, um in ihr den Bann bislang immer unerweislicher Sätze zu durchbrechen. – Ein alter Traum übrigens für philosophische Streitigkeiten: Komm zur Tafel, laßt uns rechnen! – Diese Vorbildfunktion hatte allerdings einen Preis, den etwa eine deutsche Vernunftautorität wie Christian Wolff nicht zu zahlen bereit war. Denn, so Wolff, „[a]lle mathematische Einsicht gehet demnach nicht über die Grentzen dessen, was durch die Sinne empfunden werden kan.“42 Gerade durch jene Einschrnkung aber eröffnet sich – paradoxerweise – für Kant ein Weg zu neuen Horizonten einer um den Menschen, seine Welt und seine Erkenntnis zentrierten Philosophie. Sie ist in den Worten der Kritik der reinen Vernunft „Experimentalphilosophie.“43 – Auch der Galvanist Johann Wilhelm Ritter (1776 – 1810) erkennt denselben Zusammenhang von Transzendentalität und neuer Wissenschaft von der Natur spiegelbildlich zu Kant, nur eben aus der Perspektive des Experimentators: 40 OP, AA 23.488. 41 Prol. § 4, AA 4.272. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist diese Stelle durch eine Blattversetzung im Originaldruck in § 4 verlegt; richtig ist es, sie an § 2 anzuschließen. 42 Wolff 1755, § 14, 329. 43 KrV, A 425/B 452. – Vgl. Zahn 1984.

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„Die Optik ist eine transzendentale Chemie. Man sieht hier die Stoffe.“44 Dieses Konstruieren, das das denkende Subjekt unternehmen muß, um zu Erkenntnissen zu kommen, ist nun keine Binnenaktivität im empirischen Subjekt(-Kopf), sondern es ist eine sozusagen inter-subjektive, eben transzendentale Aktion. „Der Unterschied des Transscendentalen und Empirischen gehört […] nur zur Kritik der Erkenntnisse, und betrifft nicht die Beziehung derselben auf ihren Gegenstand.“45 Ein transzendental vergessener Privatgebrauch der Begriffe (wie etwa bei Swedenborg) bleibt freilich möglich, aber das, wovon dann geredet wird, bleibt dann privat. Wunder kann man uns begrifflich vorführen, aber sie werden deshalb nicht auch schon begreiflich. Seit seiner Kritik an Swedenborg hatte Kant das Erkennen und „die Denklichkeit (deren Schein daher kommt daß sich auch keine Unmöglichkeit davon darthun läßt [!])“46 unterscheiden wollen und die letztere als „bloßes Blendwerk“ bezeichnet, mit Hilfe dessen er sogar selbst „die Träumereyen des Schwedenbergs, wenn iemand ihre Möglichkeit angriffe, mir ihre Möglichkeit zu vertheidigen getrauete.“ Was eben nichts anderes beweise, als, „wie weit man und zwar ungehindert in philosophischen Erdichtungen fortgehen kann wo die data fehlen.“47 – Das Problem aber blieb: wie nämlich kann etwas Objektives aus Subjektivem entstehen? Oder, mit der neueren transzendentalphilosophischen Autorität aus Jena gesprochen, dessen Hauptwerk (System des transzendentalen Idealismus) auch von Kant wahrgenommen wurde:48 Wie ist ein Real-Idealismus möglich?

2. Galvanismus Das galvanische Phänomen wurde Anfang der neunziger Jahre des 18. Jahrhunderts im Zusammenhang mit Untersuchen zur Elektrizität von dem italienischen Anatomen Luigi Galvani entdeckt, als er Experimente mit organischem Material machte. Seine Studien von 1791 wurden zwei Jahre später in Deutschland publiziert (Abhandlung ber die Krfte der 44 45 46 47 48

Ritter 1984, Frag. 255, 139. KrV, A 56 f./B 81. Immanuel Kant an Moses Mendelssohn, vom 8. April 1766, AA 10.72. Ebd. Vgl. dazu den Beitrag von Onnasch in diesem Band.

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thierischen Elektricitt) 49. Die Entdeckung war, daß ein Froschschenkel zuckt, wenn dessen Cruralnerv (Schenkelnerv) zwei verschiedene, miteinander verbundene Metalle berührte. Galvanis Kollege Alessandro Volta schlug 1794 vor, diese aus einem organisch-anorganischen Konstrukt gewonnene neue „Kraft“ insgesamt galvanische Kraft oder Galvanismus zu nennen. Die galvanische Konstellation schien so etwas wie die reelle Seite der subjektorganisierten (gemachten) Identität zu repräsentieren, deren ideelle Seite das System des transzendentalen Idealismus war. Damit war in der Dynamik des Galvanismus exemplarisch die Form des Lebens erfaßt, wobei dann sogleich anzumerken ist, daß Kant schon in der Mitte der 70er Jahre das „Leben“ definiert als „Bewegung in transscendentalem Verstande“50. „Der Galvanismus“, so heißt es in einer zeitgenössischen Beobachtung, „wäre in der Geschichte der Physik als jener Punkt zu bezeichnen, der in seiner Insichselbstbeschlossenheit [ein anderes Wort für „Autonomie“, St.D.] zugleich das Leben der ganzen Natur umfängt. […] So ist die Natur nur ein Nachbild ihres Geistes. Der Geist ist ein von der Natur nichts verschiedenes, er ist mit ihr eins.“51 In der Jenaer naturphilosophischen Szene war es vor allem Ritter, der sich diesem neuen Phänomen experimentell zuwandte. Er gilt zugleich als der erste bedeutende kantianische Naturwissenschaftler. Und als ihn der Chemiker Jacob Joseph Winterl philosophisch der Kantischen Schule zurechnete, nimmt Ritter diese Einschätzung gern an. In diesem Zusammenhang schreibt er 1803 an Hans Christian Ørsted (1777 – 1851): „Die Art, wie er mir den Kantianer abnimmt, ist mir nicht bloß aus Eitelkeit angenehm gewesen.“52 Kurzum, so sein Selbstverständnis, daß „ich ja doch ein ausgemachter Kantianer und noch weit mehr sei“53, war sein Forschungscredo. Und auch ein paar Jahre später erinnert er Ørsted daran, daß seine Bayerische Akademierede vom 28. März 1806 „Die Physik als Kunst“ geschrieben ist „mit Rücksicht auf den Schluß von Kants Kritik der Urteilskraft.“54 – Ritters sozusagen subjektphiloso49 Galvanis Arbeit lag vor unter dem Titel De viribus electricitatis in motu muscularie commentaribus, Bologna 1791 50 Refl. Met. 4786, AA 17.728. 51 Aman 1808, 135 f. 52 J. W. Ritter an H. Ch. Ørsted, vom 20. Mai 1803, in: Harding 1920, 2. Bd., 32. 53 J. W. Ritter an H. Ch. Ørsted, vom 28. Oktober 1802, in: ebd., 29. 54 J. W. Ritter an H. Ch. Ørsted, vom 1. April 1806, in: ebd., 158 f. – Auch dem jungen Naturforscher Achim v. Arnim wird bescheinigt: „ Doch weißt du

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phische Pointe bezüglich des Galvanismus lautet dann: „Im Galvanismus kommt die Erde über sich selbst zur Reflexion.“55 Was aber das galvanische Phänomen eigentlich sei, war sofort umstritten. Es gab zwei gegenläufige Erklärungen. Galvani meinte, die Sensation des Froschmuskels bei Kontakt mit einer Eisen-Kupfer-Legierung käme daher, daß ein bestimmtes Nervenfluidum freigesetzt würde, d. h. eine Art von Lebenskraft. In Deutschland nahmen Alexander von Humboldt und Christoph Heinrich Pfaff Galvanis Partei für die sogenannte tierische Bio-Elektrizität. Volta dagegen meinte, die Reaktion im organischen Teil der Versuchskonstellation wäre der Beleg einer tatsächlich zweiten Art von Elektrizität, der sogenannten KontaktElektrizität, neben der schon bekannten Reibungselektrizität.56 In dieser Debatte nahm Ritter einen eigenen Standpunkt ein, indem er für eine transzendentalistische Erklärung des neuen Phänomens plädiert. Er erklärt erstens die in der galvanischen Kette auftretende Elektrizität nicht, wie Volta (obgleich er dessen Theorie näher stand als der Galvanis), durch den äußerlichen (mechanischen) Kontakt zweier Metalle, sondern als verursacht durch einen inneren Prozeß, einen chemischen Prozeß; zweitens erkannte er im galvanischen Phänomen – „dieses Meisterstück der Natur“57 – die theoretisch weittragende Möglichkeit der Erklärung von Verlaufsformen oder Prozeßformen der Wirklichkeit überhaupt. Durch diese Einsicht in die „Identität des elektrischen und chemischen Prozesses ihrer Form nach (als beide dynamische Prozesse)“58 wird Ritter zum Begründer der Elektrochemie. Er erkannte, ähnlich wie weiland bei der Idee der Transzendentalphilosophie, im Galvanismus zwei prima vista heterogene Entitäten, die eine Synthesis miteinander eingehen. Er interpretiert dann, daß alle lebendigen Erscheinungen „ein System unendlich vieler unendlich kleiner galvanischer Ketten“59 seien, also Ketten von Synthesis-Segmenten. Diese Erklärung ist ein Teil jener Variabilität, mit der Kants Frage „wie sind synthetische Urteile a priori möglich?“ im Umkreis der Jenaer

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wohl, dass wir unvermerkt Kantianer werden? seys nur geprüft u. gemäßigt geblieben.“ (Fr. v. Raumer an A. v. Arnim, von Aug./Sept. 1797, in: v. Arnim, Briefwechsel, Bd. 30, 53). Ritter 1984, Frag. 346, 163. Zur dieser Kontroverse zwischen Galvani und Volta vgl. Seyffer 1848 und Rothschuh 1959, 97 ff. Ritter 1806a, 1. Bd., 41. Ritter 1806b, 1. Bd., 80. Ritter 1798, 158.

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Transzendentalphilosophie aufgefächert wurde. Im Prinzip wäre nämlich Kants Frage mit ganz unterschiedlichen und prima vista überraschenden Fragen bedeutungsgleich, etwa mit Fragen wie „ist ein Perpetuum mobile möglich?“ oder „gibt es eine Rechnung des Unendlichen?“, aber eben auch „gibt es eine absolute Erfindungskunst?“60 Es ist nur auf den ersten Blick paradox, daß die nachkantische Naturphilosophie und ihre ganz eigentümliche Naturspekulation, sich – obwohl wohl immer mit dem Odium des Irrationalen behaftet – zentrale Problemsichten und Methoden der Transzendentalphilosophie zu eigen machen sucht. Jene in Jena um den Galvanismus bemühten Personen, insbesondere Ritter, waren philosophisch eben durchaus der transzendentalphilosophischen Denkungsart verbunden. Alle versuchten auf eine je eigene Weise die transzendentale Methode, wie sie sie bei Kant und Fichte rezipierten, zu verbessern, bzw. handhabbar zu machen, um damit auch andere als nur erkenntnis- oder wissenschaftstheoretische Probleme, insbesondere freilich Probleme der Naturwissenschaft erfolgreich in Angriff zu nehmen. „Kants Methode“, schreibt z. B. Novalis einmal, „ist noch nicht vollständig und genau genug dargestellt“, sie ist noch „überhaupt nicht poetisch. – Alles so steif, so ängstlich noch.“61 Die hier als fehlend bemängelte poetische Dimension sollte nun nicht, wenn sie denn eröffnet würde, einen anti-diskursiven und die Menschenvernunft hinter sich lassenden geistigen Höhenflug im Gefolge haben, sondern sollte vielmehr auf eine gezielte Erweiterung, d. h. auf eine exaktere, berechenbarere, aber auch demonstrierbare Fassung der transzendentalen Methodenlehre hinwirken. Diese Stoßrichtung läßt sich am Synthesis-Problem – einem Lieblingstopos des Jenaer Schlegel-Kreises – gut aufzeigen. Denn gerade hinsichtlich dieses Problems knüpfen die Jenaer Romantiker an Kants Überlegungen zum synthetischen Urteil a priori an. So versucht etwa Novalis mit einem Rückgriff bzw. mit einer Analogie-Überlegung zu den sogenannten genetischen Definitionen den Innovationsimpuls, d. h. den Erkenntniszuwachs und die Erkenntniserweiterung, die Kant im synthetischen Urteil als das Spezifische von Erkenntnissen behauptet hatte, zu einer allgemeinen Erfindungskunst auszubauen, d. h. zu einer „Kunst, aus bekannten das Unbekannte zu finden.“62 Die genetische Definition, die methodologisch seit der Aufklärung bekannt ist und die 60 Novalis, Das allgemeine Brouillon, in: Novalis Schriften, 3.388. 61 Ebd., 445. 62 Ebd., 259.

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auf einem modus producendi, also einer Herstellungsregel beruht, wird von Novalis gerade wegen ihrer konstruktivistischen Potentials geschätzt. Dieses Potential ist keineswegs auf Begriffe beschränkt, wenngleich die genetische Definition eine Bestimmung ursprünglich „hauptsächlich von mathematischen, insbesondere geometrischen Gegenständen gibt, deren Konstruktion die Raum-Zeit-Anschauung voraussetzt.“63 Der Galvanist Ritter sowie seine naturphilosophischen Freunde hatten wenig Interesse für Logik und Mathematik als besondere Wissenschaften. Sie interessierten sich vielmehr für ein allgemeines Organon, „ein allgem[eines] wissenschaftliches Werckzeug“64. Auch dafür konnten sie Anleihen bei Leibniz machen. Denn nach Novalis läßt sich die Erweiterungsbefähigung synthetischer Urteile auch im Rückgriff auf die ars combinatoria rekonstruieren. „In der Combinationsl[ehre] liegt“ nämlich, so Novalis, „das Princip […] aus gegebenen Datis die Unbekannten Glieder zu finden.“65 Und genau hierin läßt sich die wissenschaftliche Passion Ritters erkennen: „Es liegt mir wenig daran, die Natur zu wissen. Ich will sie kçnnen.“66 Den Ritter-Freunden kommt es schließlich darauf an, die Idee einer universalen ars inveniendi zu entwerfen, die sich beispielsweise für die Dichter unter ihnen als eine Transzendentalpoesie auch für diese Praxis zu bewähren hätte. Damit aber hat sich die Synthesis-Idee von ihrer ursprünglichen erkenntnistheoretischen Fragestellung, nämlich wie synthetische Urteile a priori möglich sind, weit entfernt. Diese Kantische Frage nach der von einem transzendentalen Subjekt zu leistenden Vereinigung von Gegensätzlichem hat Novalis tatsächlich recht variantenreich – und voller kaum zurückhaltender Ironie – umformuliert in „Lassen sich Verse nach Regeln und ein Wahnwitz nach Gr[und]S[ätzen] denken. Läßt sich der Zirkel quadriren. Ist Magie möglich.“67 Eine solche ars inveniendi wird von den Jenaer Transzendentalphilosophen auch für die naturphilosophische Forschung gefordert. Hier wird der in der Synthesis-Idee steckende Erkenntniszuwachs durch eine Experimentalmethode realisiert, deren kombinatorisches Erbe sich 63 Schneider 1974, 124. 64 Novalis Schriften, 3.251; vgl. dazu auch Frag. 1126, 473. Dazu vgl. auch Csech 1995. 65 Ebd., 364. 66 Johann Wilhelm Ritter an Karl F. Hardenberg, vom 16. März 1808, in: Poppe 1966, 22. 67 Novalis Schriften, Frag. 650, 3.388.

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dann methodisch im Analogisieren, Potenzieren und Konstruieren ausweist. Dazu Schelling: „In die innere Construktion der Natur zu blicken wäre nun freilich unmöglich, wenn nicht ein Eingriff durch Freiheit in die Natur möglich wäre. […] Die Natur muß also gezwungen werden, unter bestimmten Bedingungen, die in ihr gewöhnlich entweder gar nicht oder nur durch andere modificirt existiren, zu handeln. – Ein solcher Eingriff in die Natur heißt Experiment. Jedes Experiment ist eine Frage an die Natur […] Aber jede Frage enthält ein verstecktes Urtheil a priori; jedes Experiment […] ist Prophezeiung; das Experimentiren selbst ein Hervorbringen der Erscheinungen.“68 Kurzum: im Galvanismus schien sich so etwas wie ein naturwissenschaftlicher Beleg für das philosophische Prinzip des Transzendentalen darzustellen: sein Selbstverhältnis, „seine Selbstthätigkeit ist Galvanism – Selbstberührung en trois.“69 Oder in den Worten Franz von Baaders: „Dem bloß maschinistisch erklärenden Physiker scheinen derlei dinamische Nachforschungen freilich entbehrliche Spekulazionen, wo nicht gar Schwärmereien.“70 Für den Ritter-Kreis galt es als ausgemacht, daß, wie Ritter an den Weimarer Verleger seines ersten Buches schrieb, „der Galvanismus = ein allgemeines Naturgesetz.“71 Hiermit ist freilich auch an eine Erweiterung der in Kants Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft beschriebenen Dualität zweier Naturkräfte verbunden. In diesem Zusammenhang schreibt Ritter von Humboldt einmal, er „zweifle auch daher sehr, daß diese [d.h. die Attraktions- und Repulsionskräfte, St.D.] für ein künftiges wahres dynamisches Natursystem die höchsten Prinzipien sein werden.“72 Aber trotz alledem: „Hr. Kant war auch hier der erste, der auf dem neu eingeschlagenen dinamischen Wege, das in jedem Körper als für sich vollendeter Raumerfüllung gegebene und geeinte Vielerlei einzelner Grundkräfte zu zerlegen (dinamisch zu scheiden) anfieng, um so der Lösung […] einer dinamischen Konstrukzion des Körpergebildes sich nähern zu können.“73 Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, SW I/3.276. Novalis, Logologische Fragmente, Frag. 102, in: Novalis Schriften, 2.545 Baader 1809, 28. Johann Wilhelm Ritter an Friedrich J. Bertuch, vom 11. Febr. 1799, in: Goethe-Schiller-Archiv, Bertuch-Nachlaß. 72 Ritter 1806c, 1. Bd., 51 f. 73 v. Baader 1809, 26. 68 69 70 71

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Gerade dabei aber wurde Ritters experimentelle Leistung auch von seinen Gleichgesinnten bisweilen überraschend unterbewertet. Das betraf u. a. philosophischen Vorhaltungen Schellings an den „ledernen Empiriker“74 Ritter, die gerüchteweise aus Schellings Hörsaal an die Öffentlichkeit drangen. In Abgrenzung zu Ritter stellte Schelling klar, daß es ihm darum ginge, „daß also a priori in der Natur ein Proceß gesucht werden muß, in welchem […] diese Triplicität [d.h. Magnetismus, Chemismus und Elektrizität, St.D.] der Kräfte erkennbar ist. Ein solcher ist der Galvanismus, welcher nicht ein einzelner Prozeß, sondern der allgemeine Ausdruck für alle in Produkt übergehende Processe ist.“75 In dieser Abgrenzung zu Ritter kommt außerdem eine klare Unterscheidung im Denken über Natur um 1800 zum Ausdruck, ob nämlich die Natur als Prozeß oder Erfahrung auszuzeichnen sei. Bezeichnend für die schmale Akzeptanz einer Naturforschung aus dem Geist der Transzendentalphilosophie ist der Stoßseufzer Nicolaus Scherers: „Mein Gott, wo soll uns noch die dynamische Philosophie unter den Auspicien der philosophischen Herolde Schelling […] Ritter und Consorten (hin)führen? Das ist wahrlich nicht auszustehen! Es empört mich dieses absprechende Philosophiren über Dinge, wo die Erfahrung nur allein entscheiden kann.“76 Wohin die Weiterführung des dynamischen Natursystems Ritters führt, machen dessen nachgelassene Fragmente anschaulich, in denen man etwa lesen kann: „Alle Polarität, alle Differenz muß zeitlich betrachtet werden, als Geschichte und Differential derselben. Alle Gleichung ist geschichtliche. Und damit zwei Dinge sich gleich sind, müssen sie ungleich sein. […] Heißt der Unterschied zweier Dinge Spannung, so wird sie sich verhalten müssen, wie das Moment der Zeit; das Moment der Zeit aber gibt zugleich das Moment des Widerstands […] Die Voltaische Säule bestätigt dies alles aufs schönste“ und „Überhaupt wird es immer nötiger, den Einfluß der Zeit anzuerkennen. Wir können nur durch die Geschichte eine Physik haben.“77

74 Gustav Ludwig v. Wrangel an Clemens Brentano, vom 20. Juli 1802, in: UB Heidelberg, Brentano-Nachlaß, 2110, 13, Bl. 153 (diesen Hinweis verdanke ich Herrn Dr. Heinz Härtl, Weimar). 75 System des transzendentalen Idealismus, SW I/3.439 f. 76 Nicolaus Scherer an Achim v. Arnim, vom 28. März 1801, in: v. Arnim, Briefwechsel, 30. Bd., 157. 77 Ritter 1984, Frag 597 und 132), 249 und 101.

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3. Die Identität des Dynamischen und Transzendentalen Kant bemerkt am Ende seines Denkweges, daß ihn „in Sachen welche das Ganze der Philosophie (so wohl Zweck als Mittel anlangend) betreffen“, ein „Tantalischer Schmertz“78 begleite, wie er am 21. September 1798 an Christian Garve schrieb. Das betraf vor allem dualistische Hinterlassenschaften, durch die „sonst im System der crit. Philos. eine Lücke seyn würde.“79 Der altersschwache Kant konnte allerdings kaum noch zur Überwindung dieses Problems beitragen. Es war nun überraschenderweise gerade der philosophische Beitrag von Ritters Galvanismus, der, wie Christoph Heinrich Pfaff in seiner Rezension in den Annalen der Physik schrieb, die „zerstreuten Glieder zu einem Ganzen vereinigte, in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen Einheit aufsuchte, die wechselseitige Abhängigkeit der Erscheinungen bemerkte und ihre Bedingungen und Gesetze festsetzte.“80 Diese Leistung wird auch nicht relativiert durch Pfaffs Bedenken, ob dies nicht mit hohen Folgekosten erkauft sei, nämlich daß bei Ritter das Philosophieren ins Gebiet der Dichtung diffundiere – man beachte den Titel von Ritters Münchner Antrittsrede von 1806 Physik als Kunst –, wodurch dem Galvanisieren Raum für die bizarrsten Kombinationen gegeben werde. Der synthetische Sinn des Galvanismus muß darin gesehen werden, daß ein anderer Blick aufs Ganze der Natur möglich wurde. Es ging hierbei um die Ablösung des traditionellen Verständnisses von Natur als deskriptiver Naturkunde durch ihre Genetisierung bzw. Historisierung. Es ging also, wie es Schelling, der als Vollender der Transzendentalphilosophie gelten kann, einmal formulierte, um „eine Geschichte nicht der Naturobjekte (welche eigentlich Naturbeschreibung ist), sondern der hervorbringenden Natur selbst.“81 In der einzelwissenschaftlichen und experimentellen Hinwendung zum Naturprozeß, in der Aufhellung „der wahrhaft inneren Form der Prozesse“82 besteht der Anteil des Galvanismus an einem künftigen autopoetischen Verständnis der Transzendentalphilosophie, das von Schelling mit der „Identität des Dynamischen und Transscendentalen“83 identifiziert wurde. 78 79 80 81 82 83

Immanuel Kant an Christian Garve, vom 21. Sept. 1798, AA 12.254. Ebd., 254. Pfaff 1808, 223. System des transzendentalen Idealismus, SW I/3.587. Vgl. Hegel GW 6.124. System des transzendentalen Idealismus, SW I/3.452.

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Der Galvanismus entfaltet eine identitätsphilosophische, die lebende (subjektiv-objektive) und tote (objektiv-subjektive) Natur miteinander in Beziehung setzende Methodologie: „Das Thierreich und die todte Natur haben sich bereits zu Einem gemeinschaftlichen Resultat vereinigt; auch das Pflanzenreich wird sich von der Sphäre des Galvanismus nicht ausschliessen. Alle Galvanische Action wird identisch erscheinen.“84 Das Ganze der Natur erscheint als in „unzählige mit und durch einander verbundene Ketten“85 strukturiert. Zeitgenössisch ist diese einheitstiftende Wirkung des Galvanismus aus dem Geist der Transzendentalphilosophie sowohl für das Verständnis der Natur als auch des Denkens über Natur von Heinrich Steffens so charakterisiert worden: „Die in sich sicheren Naturforscher stutzten; der Galvanismus hatte ein gährendes Element zukünftiger Entwickelung in die Naturwissenschaft hineingeworfen. Alle vereinzelten Theorien schwankten, die Trennungen der vereinzelten Naturkräfte ließen sich nicht mehr behaupten, die Theorien der Chemie, der Elektricität, des Magnetismus, die von einander abgesondert, sich in sich abschließen wollten, fingen an, alle Bedeutung zu verlieren. Die Naturforscher ahneten wohl die große Wichtigkeit dieses Moments.“86 Diese Idee der Temporalisierung oder Historisierung, die das ganze Gefüge der Natur (der organischen wie der anorganischen) einschließt, macht es möglich, die inneren Zusammenhänge der ehemals in Naturkreisen oder Stufenleitern diversifizierten Natur besser, bzw. überhaupt erst zu begreifen. In den galvanischen Prozessen schien sich zum ersten Mal naturwissenschaftlich diskursiv zu bestätigen, „dass der Dualismus durchaus in der Natur nicht stattfinde.“87 Es geht um die Erkenntnis der Natur als Möglichkeit der Machbarkeit der Natur, wobei dann, weil ja auch der experimentierende Mensch als Teil der Natur handelt und Natur in ihm handelt, sogleich auch Elemente der Selbstorganisation der Natur erkennbar werden. Damit hätte man den Schlüssel ins Innere der Natur sogar schon sozusagen technisch handhabbar. Ritters galvanischer Erkenntniszugang zur Natur ist also nicht mehr bloß ein theoretischer, sondern vor allem ein praktisch-gegenständlicher 84 85 86 87

Ritter 1800, Bd. I/2, 283. Ritter 1806a, 39. Steffens 1843, 367 f. W. Kastner an H. C. Ørsted, vom 30. Juni 1804, in: Harding 1920, 2. Bd., 420.

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Vorgang (das oben angesprochene Problem der downward causation), oder, mit einem Diktum Ritters, Physik als Kunst. Damit vermag er im Prinzip die Gesetze der Metamorphosen aller Phänomene zu finden, gewissermaßen den Ariadnefaden ihres Werdens und somit Einheit – als Prozeß – in die Erscheinungen bringen. Wie Ritter am 26. Juni 1809 an Ørsted schreibt: „Vom Stein herauf bis zum Menschen muss Eine Geschichte der Erregbarkeit stattfinden.“ Und wenn er in einem anderen Brief vom 16. August 1805 an Ørsted betont, daß in der Physik „ohne Geschichte auch kein Schritt vorwärts möglich ist“, ist damit kein gelegentlicher Blick in die Vergangenheit der Physik gemeint, also „[n]icht Geschichte der Physik, sondern Geschichte = Physik = Geschichte.“88 Dementsprechend unternahm es Ritter immer wieder, wie er schon am 8. April 1804 an Goethe schreibt, „geradezu jene Verbindung von Theorie und Geschichte dreist zu versuchen, und unvollkommen, wie es anfinge, doch dem vollkommeneren entgegen zu gehen.“89 An den Grundzügen Ritters großen Vorhabens, nämlich das Sein als ein Werden zu erfassen,90 arbeiten zu gleicher Zeit unter philosophischen Auspizien in Jena ferner auch noch der junge Schelling, der in seinem System des transzendentalen Idealismus (1800) eine genetisch verfaßte Subjekt-Objekt-Einheit entwickelt, und vor allem Hegel, der in seiner Phnomenologie des Geistes (1807) eine philosophische Zusammenfassung jener bis dahin erreichten Einsichten in das Wesen der Historizität vorlegt. Ritter schrieb schon 1806, damit Hegel vorwegnehmend, daß in den „Erfahrungswissenschaften – und haben wir andere? – durchaus der Weg zur Wahrheit genau so lehrreich, als die endliche Wahrheit selber ist.“91 Auch Goethe hat viel später immer wieder auf die zukünftige große Bedeutung der genetischen Denkweise hingewiesen (etwa anläßlich seiner Kritik des Pariser Akademiestreites von 1830 zwischen Cuvier und Saint-Hilaire). Das bleibende Verdienst aber, diese Theoriendynamik in die Welt gebracht zu haben, wird von Schelling 1832 in einer Bayerischen Akademierede so bestimmt: „Wirklich hatten, sogar schon vor der Erfindung der Voltaschen Säule, einige Deutsche es auszusprechen gewagt, daß Magnetismus, Elektricität und Chemismus nur die drei 88 89 90 91

Ritter 1984, Frag. 140, 104. Ritter an Goethe, v. 8. April 1804, in: Klinckowstroem 1921, 149. „Alles ist, aber das Sein wird.“ (Ebd., Frag. 589, 247). Ritter 1806d, , 1. Bd., „Vorerinnerungen“, xvii.

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Formen eines und desselben Processes seyen, der eben darum nicht mehr insbesondere magnetischer, elektrischer oder chemischer heißen konnte, sondern mit dem allgemeinen Namen des dynamischen belegt wurde; daß jene Formen, als die allgemeinen Kategorien des Naturprocesses, in dem galvanischen, als alle vereinigenden […], enthalten seyn müssen.“92

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Formen der Subjektivität oder die Naturalisierung der Subjektivität im Opus postumum Lu De Vos Abstract: The forms of the self-position in the Opus postumum produce a precise conception of the subjectivity: Consciousness is even a mark of the receptive corporeal subjectivity and no longer of the active thinking one alone. In Kant’s latest presentation of the subject all theses about subjectivity are based on the unity of the self, which is producing unity between them without attaining self-knowledge. Even this impossibility of self-knowledge, however, is changing in a fundamental way the meaning of autonomy.

Seit einiger Zeit ist die Grundstruktur des Opus postumum in den Grundzügen geklärt.1 Die Kluft, die Kant als Problem des Übergangs von den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik herausstellt, wird von der Idee des Äthers von objektiver Seite überbrückt und leistet ferner der Selbstsetzungsentwurf die Überbrückung jener Kluft von subjektiver Seite her. Insofern geht es im Opus postumum um eine durchgängige Erkenntnis der Natur, d. h. um die Erkenntnis eines in dieser Natur leiblich auftretenden und integrierten Subjekts. Ist diese Integration in die Natur geleistet, dann deutet Kant dieses Selbst auch als Person und insoweit als nicht zur Natur gehörend. Hierdurch gelangt die Philosophie insgesamt, nämlich wenn sie für beide Subjektbegriffe die gleichen Begriffe verwenden kann, zu einem möglichen Abschluß. Dennoch bleiben im Opus postumum Fragen offen hinsichtlich der genaueren Einordnung der verschiedenen Begriffe oder Formen „subjektiv“, „Subjektivität“ und „Subjekt“. Das zeigt insbesondere das 10. Konvolut, wo die ersten Überlegungen zur sogenannten Selbstsetzungslehre einsetzen, welche Kant in den zeitlich folgenden Konvoluten 11 und 7 weiter nachgeht. Meine Fragestellung betrifft nicht sosehr die Funktion der Selbstsetzung des Subjekts im Opus postumum, sondern ist beschränkter. Es geht mir um die Formen der Subjektivität, Formen, die dadurch gekennzeichnet sind, daß ein Ich-Bezug oder vielleicht nur ein Zentrierungsversuch stattfindet. Aus diesem Grunde kann auch Kants Ver1

Vgl. Förster 1989 sowie Förster 2000.

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wendung des Subjekts als Subjekts eines Satzes oder Urteils, wobei ein Subjekt das ist, was unter einen Begriff fällt, hier ausgeschlossen werden.2 Die Frage ist also, was heißt Subjekt und Subjektivität und wie kommen Bewußtsein und Selbstbewußtsein diesen hinzu? In diesem Zusammenhang fragt sich außerdem, ob und inwiefern die verschiedenen Formen der Selbstsetzung, Selbstanschauung und Selbstaffektion die grundlegende Konzeption der Kritik der reinen Vernunft und der Kritik der praktischen Vernunft ändern. Von welchem Subjekt geht die Selbstaffektion, die Selbstsetzung oder die Selbstobjektivation aus? Geht es Kant bloß um den Nachweis, daß der Mensch oder das empirische Subjekt auch Erkenntnis von sich selbst haben kann? Ist die Problematik des Opus postumum eine Änderung oder nur eine terminologische Verbesserung gegenüber den publizierten Werken? Ist letzteres der Fall, gibt es dann sachliche Motive für eine solche Verbesserung und Weiterführung? Mit anderen Worten: ändern sich Bewußtsein und Selbstbewußtsein im Opus postumum hinsichtlich der kritischen Schriften? Um den Kantischen Rahmen nicht zu verfehlen, referiere ich erstens die Formen der Subjektivität in der ersten Kritik, wobei ich die zweite Kritik unberücksichtigt lasse, sofern sie zur Subjektivität ja lediglich die praktischen Varianten beiträgt. Anschließend betrachte ich die einzelnen Formen der Subjektivität im Opus postumum genauer.3 Zuletzt werde ich die Bedeutung der Subjektivität als Autonomie und Form kurz zu beleuchten. Die zu belegenden Thesen sind folgende. Erstens: die Formen der eigenen Selbstsetzung gehen nicht wesentlich über die Subjektivitätsproblematik der kritischen Schriften hinaus. Sie schließen sich ihnen vielmehr an und präzisieren sie in gewisser Hinsicht. Die Passivität und Rezeptivität der Sinnlichkeit, bzw. der vom Verstand begleiteten Sinnlichkeit werden nicht aufgehoben, sondern gelockert oder aktiviert. Bewußtsein ist Zeichen auch der rezeptiven Subjektivität. Bei der zweiten These geht es um eine neue Darstellungs- oder Vorgehensweise im Opus postumum. Das heißt, es gibt ein neues – und dann typisch idealistisches – Programm einer Subjektivitätskonstitution, das im Ansatz schon innerhalb des kritischen Rahmens zur Darstellung 2 3

Vgl. OP, AA 22.40. Historische Einflüsse werden nur sehr sparsam angeführt werden. Kant wirklich zu berühren, scheinen mir, wie auch immer, lediglich skeptische Varianten, wie sie in Ernst Schulzes Aenesidemus vorliegen.

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kam. Deshalb gehen auch alle programmatischen Skizzen der Selbstsetzungslehre nicht mehr von der rezeptiven Seite der Anschauung, sondern vielmehr vom grundlegenden Grundsatz des „Ich denke“ aus. Selbstbewußtsein ist keine Selbstbestimmung, sondern ein logisches Selbst, das eine Einheit gestaltet, die sich im Übergreifen des Bewußtseins selbst herausstellt, sofern damit auch eine Selbsterkenntnis möglich wird. Drittens ndert sich bei jener Subjektivitätskonstitution – und dies auf sehr grundlegende Weise – die Bedeutung der Autonomie. Die letzte Konsequenz dieser nur angedeuteten Änderung wird in den Blättern des Opus postumum nicht mehr verfolgt und kann daher auch nicht Gegenstand dieses Beitrags sein.

1. Formen der Subjektivität in der Kritik der reinen Vernunft In der Kritik der reinen Vernunft gibt es ausdifferenzierte Subjektformen. Neben den Formen der Anschauung ist die wichtigste als Subjektivität zu bezeichnende Form die synthetische Einheit der Apperzeption, aus der die Kategorien als Denkbestimmungen folgen. Die daraus folgende analytische Einheit der Apperzeption ist das formal-logische Ich, aus der die Formen des bloß logischen Urteils gefolgert werden. Beide Subjektformen verwenden die reine und leere Form oder auch die Vorstellung „Ich“. In der synthetischen Einheit begleitet diese Form einen Erkenntnisakt und als logische Einheit ist sie ein gedachtes mögliches Subjekt eines jeden Urteils. Diese Vorstellung des „Ich“ ist rein, aber auch unbestimmt. Sie ist die ärmste Vorstellung,4 weil sie leer ist und nur ein Dasein bezeichnet. Ich bin mir meiner in der Einheit der Gedanken oder Urteile bewußt, allerdings nicht, wie ich mir erscheine oder an sich bin, sondern nur, daß ich bin.5 Die Hervorbringung des „Ich denke“ ist eine Spontaneität, der ich mir bewußt bin und die mich meiner als Intelligenz bewußt macht. Das Bewußtsein meiner selbst ist noch keine Erkenntnis meiner selbst.6 Problematisch, jedenfalls der Nachfrage bedürftig, scheint in diesem Zusammenhang die genaue

4 5 6

Vgl. OP, AA 22.408. Vgl. KrV, B 157. Ebd., B 158.

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Bedeutung des Daseins des Ichs, zumal wenn es nur ein logisches Dasein sein soll.7 Der innere Sinn wird von uns selbst affiziert,8 wodurch der Verstand, auch für die zeitlich geprägte Form der Wahrnehmung, in einem ausgeführten Gedanken erscheint; dies hatte Kant zur Zeit der ersten Kritik noch nicht für problematisch gehalten.9 Wir schauen uns selbst so an, wie wir von uns selbst affiziert werden, oder wie unser eigenes Subjekt als Erscheinung zu erkennen ist. Wir, die wir uns anzuschauen vermögen, sind das eigene Gemüt, d. h. ein Vermögen, zu empfinden und zu denken. Die Synthesis der Apprehension, die durch diese Anschauung zustande kommen kann, ist als eine Erscheinung in der Zeit empirisch; eine solche Apprehension vereinigt nämlich die Mannigfaltigkeit zur Wahrnehmung.10 Die Einbildungskraft allerdings, welche diese Synthesis vornimmt, ist kein gesondertes Vermögen, sondern eine Funktion des Verstandes. Nun bemüht sich Kant in der „Widerlegung des Idealismus“ noch um eine weitere Implikation hinsichtlich des Ichs. Die Widerlegung beruht nämlich auf dem bloßen, empirisch oder zeitlich bestimmten Bewußtsein meines eigenen Daseins, das somit kein reines Implikat des Denkens ist, sondern eine Erscheinung. Ein solches Bewußtsein erweist das Gegebensein der Gegenstände im Raum außer mir. Weil nun jeder Gedanke als vollzogener Gedanke in der Zeit bewußt gemacht wird, ist auch das Bewußtsein desselben in der Zeit. Mithin brauche ich, sofern ich zeitlich denke, irgendein Etwas zum Vollzug dieses Gedankens, und zwar ein Etwas, das nicht rein kategorial ist. Das kategoriale Bewußtsein meiner selbst in der Vorstellung „Ich“ ist nämlich selbst noch keine Anschauung, sondern lediglich eine intellektuelle Vorstellung der Spontaneität und eine Handlung des denkenden Subjekts, das dadurch sich selbst bezeichnet, allerdings noch keine zeitliche Beharrlichkeit besitzt. Nur die wahrgenommenen Gegenstände sichern die Beharrlichkeit des Subjekts des inneren Sinnes. Kennzeichnend ist in diesem Zusammenhang immer noch die „bloße Rezeptivität der äußeren Anschauung“11. Wie Rezeptivität und äußere Anschauung zusam7 Vgl. dazu Bondeli 2006, S. 42 f., der nicht das Dasein, sondern die Einheit für problematisch hält. 8 Vgl. KrV, B 152 – 156 9 Vgl. ebd., B 156 f. 10 Vgl. ebd., B 162 11 Vgl. ebd., B 277.

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mentreffen, muß deshalb fast zwangsläufig Gegenstand einer weiteren Untersuchung werden. Die im Zuge der Selbstsetzung im Opus postumum vorgetragene Lösung, daß nämlich der eigene Leib die Sicherung der Gedanken leisten könnte, thematisiert die kritische Philosophie tatsächlich noch nicht. Sie behauptet oder weist lediglich nach, daß die Apprehension des Bewußtseins meiner selbst als Beharrendes auch das unmittelbare Bewußtsein des Daseins anderer Dinge ist. Es wird damit die Grenze der philosophischen Einsicht oder Aufklärung berührt. Der Gegenstand der zu kritisierenden Metaphysik ist das Ich als eine der Tradition entnommene substantielle Seele.12 Kein Ich-Gedanke, weder als synthetischer noch als analytischer, reicht zur Bestimmung der Seele hin. Diese ist deshalb weder eine reine einfache Substanz, noch hat sie Persönlichkeit, denn mit dem spontanen Ich-Gedanken ist in der Erkenntnis nur die bloße Form des Bewußtseins13 oder ein begleitendes Bewußtsein produziert14 ; diese Form, die zwar Selbstbewußtsein ausdrückt,15 ist eine absolut logische Einheit,16 allerdings kein inhaltlicher oder objektiver Gedanke. Die genannten Formen der Subjektivität, des reinen synthetischen Selbstbewußtseins, des reinen analytischen Selbstbewußtseins, der Selbstaffektion des inneren Sinns und des zeitlichen Bewußtseins des eigenen Daseins zeichnen sich dadurch aus, daß sie zur Transzendentalphilosophie gehören und als voneinander unterschieden die kritischen Resultate der Grenzen der Erkenntnis bestimmen. Das mit und in diesen Formen bezeichnete oder erkannte Ich – obwohl selbst ein Zeichen einer nichtpassiven oder nichtnatürlichen und deshalb reinen aktiven Intelligenz – kann theoretisch allerdings nicht als die eigene reine Substanz und ebensowenig als Persönlichkeit gedeutet werden. Zugleich sind jene Formen nicht auf irgendeine Aufklärung der sich durch sie kundgebenden Subjektivität überhaupt angelegt, sofern diese Subjektivität ja umfassender als die Leistung der verschiedenen Erkenntnisformen zur Darstellung kommt. Die genannten Formen der Subjektivität bilden für Kant ja überhaupt kein durchgängig bestimmbares Problem; es kommt ihm nur auf deren Leistung in Beziehung auf

12 13 14 15 16

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

ebd., ebd., ebd., ebd., ebd.,

B 471. A 382. B 404. A 378. B 413.

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Erkenntnis an (im praktischen Sinne dann auch noch auf moralische Gesetzlichkeit).

2. Formen der Subjektivität im Opus postumum Um klar zu stellen, welche Formen der Subjektivität Kant im Opus postumum unterscheidet, skizziere ich im Ansatz alle diese Formen. Unberücksichtigt lasse ich dabei die normalsprachliche Verwendung, daß die Vorstellungen – in ihrer willkürlichen oder ideellen Bedeutung – dem besonderen Subjekt gehören und in dieser Bedeutung subjektiv heißen. Gleichfalls unberücksichtigt lasse ich die Verwendung von Subjektivität in Beziehung auf Gesundheit.17 Im Anschluß an diese Darstellung folgt ein auf jene Formen bezogenes Ergebnis.

A. Formen der Subjektivität a. Jede Form ist subjektiv Zentral für die gesamte kritische Periode Kants ist die Auffassung, daß Erkenntnis überhaupt subjektiv ist18 und daß subjektiv immer auf eine hinzugefügte oder hergestellte Form der Erkenntnis bzw. Praxis hindeutet. Es ist grundlegend für die Transzendentalphilosophie, daß die Form die Bedeutung hat, dasjenige zu leisten, was Erkenntnis ermöglicht. Nun ist „Form“ kein besonders eindeutiger Begriff. Sofern er jedoch die Leistung der theoretischen sowie praktischen Erkenntnis kennzeichnet, ist die Form immer etwas, das in dieselbe hineingelegt ist.19 Die Sache wird allerdings komplizierter, denn obwohl die Form immer subjektiv ist, ist die Materie nicht ohne weiteres objektiv.20 Wahre, gültige oder objektive Erkenntnis – theoretisch und praktisch – ergibt sich nur in einer (formalen) Synthesis von Materie und Form, d. h. wo das Resultat der formalen Leistung als Erkenntnis spezifischer Materie gefaßt wird.

17 18 19 20

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

z. B. OP, AA 22.466. OP, AA 22.472. OP, AA 22.322. OP, AA 22.294.

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b. Der Kçrper Hinsichtlich der veröffentlichten Schriften ist Kants Auffassung des organischen Körpers im Opus postumum in vielerlei Hinsicht neu. Das Körperprinzip, also der Zweck ist, was die Selbsterhaltung betrifft, nicht bloß subjektiv, sondern in ihm selbst objektiv. Ein solcher organischer Körper zeigt als Zweck seinen eigenen Bestimmungsgrund oder seine eigene Form in sich.21 Noch spezifischer meint Kant, der lebendige Körper sei ein sich selbst in der Bewegung herstellender Körper.22 Wo die Zwecklehre noch als regulatives Urteil gefaßt werden kann, fragt sich im vorliegenden Zusammenhang, wie die Konstitution des lebendigen Subjekts verständlich gemacht werden kann. Ebenfalls neu scheint die Betonung im Opus postumum, daß wir den organischen Körper an unserem eigenen Körper erkennen können, was anscheinend auch den Grund für die Möglichkeit ausmacht, wie und warum sich organische Wesen überhaupt in der Erkenntnis präsentieren können.23 Obwohl Kant den Organismus bereits in der Kritik der Urteilskraft thematisiert hatte – auch erwähnt er hier den Äther,24 der im Opus postumum einen so zentralen systematischen Stellenwert erlangen wird –, präsentiert das Opus postumum eine neue Auffassung vom organischen Körper, insofern wir der dritten Kritik zufolge den anderen Körper an unserem eigenen Körper erkennen, was dann im Opus postumum als eine Tatsache herausgestellt wird. Außerdem wird – wie noch näher gezeigt werden wird – die spezifische Stellung unseres Körpers zur Selbsterkenntnis hervorgehoben. Die Frage der organischen und damit der menschlichen Körper erfährt also in Bezug auf die dritte Kritik eine neue Darstellung. Besonders die Einsicht, daß der sich selbst erkennende Mensch oder die sich selbst erkennende Subjektivität ein körperliches Wesen ist,25 wird im Opus postumum eigentlich tragend für die Erkenntnis. c. Die Spontaneitt der Wahrnehmung Innerhalb der philosophischen Aufgabe, die Physik so darzustellen, daß sie erkenntnistheoretisch gesichert bleibt, mit anderen Worten im zu leistenden Übergang von den metaphysischen Anfangsgründen der 21 22 23 24 25

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

OP, AA 22.295. OP, AA 22.295. OP, AA 22.393. KdU § 91, AA 5.467 f. OP, AA 22.298.

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Naturwissenschaft zur Physik, stellt sich als Hauptproblem heraus zu erklären, wie das Subjektive der Wahrnehmung zugleich als das Objektive der Verknüpfung derselben Wahrnehmung ausgewiesen werden kann. Denn dasjenige, das wahrnimmt, muß ja auch in der Wahrnehmung gegeben sein. Denn in der Wahrnehmung geht die Spontaneität der Zusammensetzung der Form nach, also in Beziehung auf die wahrnehmende Erkenntnisleistung, der Rezeptivität der Kräfte vorher. Damit zeigt die erkenntnistheoretisch gestützte Physik selbst, wie sie mit dem Problem der eigenen und zu leistenden Einheit ihres Gegenstandes kämpft, denn in ihren Resultaten wird ein sie Mitkonstituierendes mitgegeben. Der Übergang zur Physik ist deshalb auch „die Vorherbestimmung (praedeterminatio) der inneren Activen Verhältnisse des die Wahrnehmungen als zur Einheit der Erfahrung zusammenstellenden Subjects[,] wobey die empirische Vorstellung dieses Verhältnisses der Sinnenobjecte nicht empirisch ist[,] sondern ein Princip a priori […] bey sich führt“26. Das erkennende Subjekt ist auf diese Weise selbst als ein Element innerhalb der Physik der Wahrnehmung zu finden, worin genau das Problem besteht. Somit ist in der Erklärung der physischen Wahrnehmung das Problem der möglichen Einheit der Physik gestellt oder ihr abzulesen; fragt sich doch, wie der Einfluß der bewegenden Kräfte auf das Subjekt mit Bewußtsein stattfinden kann, mit anderen Worten wie geschieht umgekehrt der Übergang, sofern ja das Bewußtsein, das die formale Einheit der Erfahrung leistet, nicht empirisch ist. Das Problem ist in oder bei (der Erklärung) der Wahrnehmung für das wahrnehmende Subjekt, „[s]ich selbst als empirisches Subject in der Zusammensetzung der Wahrnehmungen agitirend Ursache und Wirkung zugleich seiner empirischen Apperception als in einem System durch materia deferens zu seyn“27. Dabei werden nämlich von dem Subjekt die Kategorien als erfüllte oder schematisierte verwendet. Für die Physik oder wissenschaftliche Erfahrung sind die Objekte und die den Sinn affizierende Kräfte solche Sachen, die ungeachtet der Affektion in der Physik an sich betrachtet werden. Diese Sachen können nun zwar hinsichtlich der Physik an sich betrachtet werden, weil sie jedoch auch auf die subjektive Erfahrung bezogen sind, sind sie der Erkenntnis nach Erscheinungen. Affiziert sich das empirisch-verstandesgemäß auftretende Subjekt selbst und stellt es sich als a priori vor, 26 OP, AA 22.337. 27 OP, AA 22.350.

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geht es freilich auch seiner möglichen Erfahrung a priori – d. h. nicht zeitlich – vorher. Als realisiertes Subjekt kann es Erscheinung der Erscheinung heißen, denn nur anläßlich der Bewegung der Erscheinung der Sache aktualisiert es sich und wird indirekte Erscheinung.28 Wie und weshalb erwirbt und erhält das Subjekt immer eine Selbsterscheinung? Dies geschieht der subjektiven eigenen Erfahrung oder Selbsterfahrung wegen. Dabei tritt nun auch der eigene Leib auf. Denn die subjektive Erfahrung findet durch eine Affizierung der Sinnesorgane statt. Hierbei muß die Affizierung als eine Aktivität verstanden werden, die im empirischen Bewußtseins a priori stattfindet und dem objektiven Bewußtsein vorhergeht. Das empirische Bewußtsein seiner selbst erscheint damit als Koordination der Wahrnehmungen, die nach der Form möglicher selbstgemachter Erfahrung die Physik hervorbringen können. Diese Form ist eine eigene Erscheinung und kein Bewußtsein seines eigenen Gegenstandes an sich; durch diese Leistung der Selbstaffektion entsteht somit vielmehr die Möglichkeit, durch weitere Observationen und Experimente des eigenen und fremden Objekts Erkenntnisse zu erwerben. Das Subjekt affiziert sich selbst, indem es in der eigens dazu aufgebrachten Zusammensetzung der bewegenden Kräfte ihm selbst Gegenstand in der Erscheinung wird. Hierdurch wird es in den Stand gesetzt, die Erfahrung eines Objekts als eines durchgängig bestimmten existierenden Dinges zu begründen. Diese Leistung kommt allerdings zustande durch eine Beziehung des Gegenstandes auf das Subjekt, indem dieses von jenem affiziert wird. Die Selbstaffektion zeigt also ein Resultat anläßlich einer Wirkung oder Gegenwirkung der bewegenden Kräfte, die das Subjekt selbst in dem Zusammennehmen zum Behuf der Gegebenheit des Materialen der Erfahrung ausübt. Der ursprüngliche Akt der Sinnenanschauung seiner selbst im Subjekt gibt dem Objekt Gültigkeit, sofern dieses nur durch jenes in den Formen von Raum und Zeit als ein Objekt gegeben sein kann.29 Die Selbstaffektion leistet nicht eine bloße empirische Anschauung, sondern sie ist ein Akt der Erkenntnis, durch den überhaupt erst subjektive Erfahrung möglich wird. Nun ist es freilich auch so, daß das Subjekt sich selbst im inneren Sinn affiziert. Das Opus postumum behauptet nun allerdings nicht mehr, daß der Gegenstand bloß in der Erscheinung gegeben ist. Er ist zwar zeitlich, als Zusammensetzung von bewegenden Kräften ist die Selbst28 Vgl. dazu Hoppe 1969, S. 118 ff. 29 Vgl. OP, AA 22.16.

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affektion nunmehr allerdings gerade die Möglichkeit der Objektivität eines Dinges, d. h. eines Dinges, das nicht bloß angeschaut wird, sondern kraft dessen, und zwar als der Leib angeschaut wird.30 Heißt nun die bewußte Selbstaffektion Selbstbewußtsein, ist sie damit sowohl die Anschauung des eigenen Körpers als auch Anschauung seiner selbst vermittelst der bewegenden Kräfte. Das Subjekt stellt die Form nach Zwecken a priori her; insofern ist es eigene Spontaneität, die durch Autonomie gekennzeichnet ist.31 Somit zielen die späteren Überlegungen im Opus postumum auf ein ziemlich genaues Resultat ab: Das Subjekt ist ein empirisch-wahrnehmbares Bewußtsein oder ein wahrnehmendes Subjekt als solches. Das Sich-selbst-affizieren zeigt und gestaltet sich empirisch. Dieses Resultat geht sicherlich über die Resultate der Kritik der reinen Vernunft hinaus. Es tritt nämlich erstens als Antwort auf die Frage der Subjektproblematik mit einer bestimmten Subjektkonstitution auf, welche durch die Rezeptivität der Anschauung als eine spontane Kraft einer Wirkung und Gegenwirkung beantwortet wird.32 Zweitens faßt Kant sein neues Resultat weiter, sofern das Subjekt des inneren Sinnes einen eigenen Körper hat oder einen Leib voraussetzt. Hiermit trifft es nicht nur den inneren, sondern auch den äußeren Sinn.33 Mit dieser Selbstaffizierung als wahrnehmendem körperlichem Subjekt ist allerdings das Prinzip selbst weder gedacht noch begründet, das der Selbstaffizierung auf gesetzmäßige Weise (a priori) vorangeht. d. Spontaneitt des Denkens und des Wissens Mit der Erneuerung der Darstellung eines spezifischen körperlichwahrnehmenden Subjekts, das nun nicht mehr bloß den inneren, sondern auch den äußeren Sinn bemüht, kann vielleicht die in der bewußten Wahrnehmung zwar erwähnte, aber nicht eigens thematisierte Form der hinsichtlich der grundlegenden Kategorien verwendenden Subjektivität präzisiert werden. Diese nächste Form der Subjektivität ist tatsächlich die des Denkens und Wissens, die zwar nicht die transzendentale Deduktion der ersten Kritik in ihrer Gültigkeit außer Kraft setzen oder modifizieren möchte, sondern sie nur terminologisch umgestaltet. 30 31 32 33

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

OP, OP, OP, OP,

AA AA AA AA

22.364 f. 22.78. 22.12. 22.357 ff.

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Kant erwähnt die beiden in ihrer Differenz zusammengehörenden Formen in der kurzen Aussage: „1.) ich denke 2.) ich weiß daß ich denke. Zwey Functionen der Determination u. Reflexion. Logische Reflexion noch eine höhere oder absolute Reflexion.“34 Klar ist hier, daß das „ich denke“ die reine Apperzeption bezeichnet. Aber weshalb wird diese nun plötzlich – wenigstens dem Anschein nach – als analytische oder als logische betrachtet? Logisch ist sie auf jeden Fall. Ob sie jedoch transzendental-logisch oder nur logisch ist, bleibt unausgemacht. Aber weshalb nennt Kant diese weitere Leistung „absolute Reflexion“? Gesichert scheint hier nämlich nur, daß diese als Wissen zu fassen ist. Und dazu ist das Objekt der Erkenntnis nötig. Zu diesem Objekt gehört dann das eigens subjektive Sinnenobjekt, wie es auch als Selbstaffektion schon herausgestellt worden ist. Die Doppelung in ein (logisches) Denken und in ein Subjekt als (objektives) Wissen legt das Opus postumum in einer Reihe von Varianten dar. „Das erste intellectuelle ist das Bewustseyn seiner selbst ein Act des Denkens a priori zum Grunde liegend wie das Subject ihm selbst object und das zweyte als Object des Sinnes ist, sich selbst afficirend nicht blos als Gegenstand der reinen Anschauung vorgestellt zu seyn[,] sondern auch in gewisser Form zu erscheinen“35. Mit Ersterem ist die Apperzeption gemeint, wie Subjekt zum Objekt oder denkend zum Begriff des Objekts wird. Mit dem Zweiten wird die Apprehension oder Selbstaffektion gemeint, wodurch die Prinzipien, die das wahrnehmende Subjekt kraft seines Verstandes zum Machen von Erfahrung bei sich führt, von den im Subjektakt selbst gründenden Kategorien unterschieden sind, die die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung betreffen. Tatsachlich wird hiermit die These aus dem 7. Konvolut vorweggenommen: „Ich bin mir meiner selbst als denkenden Subjects – Ich bin mir meiner selbst als Objects der Anschauung bewust[.] Das Selbstbewustseyn der Anschauung und des Denkens zusammen vereinigt in einer Vorstellung ist das Erkentnis und der Imperativ dem der Verstand sich selbst unterwirft (nosce te ipsum) ist das Princip sein Subject als Object der Anschauung zu einem Begriffe zu machen oder

34 OP, AA 22.305. 35 OP, AA 22.477 f. – Mit dem folgenden Hinweis auf die Selbstaffektion innerhalb des Übergangs ist das Übergangsproblem gelöst oder wenigstens weiter gestützt.

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jenes diesem unterzuordnen.“36 Damit aber ist dieses Selbstbewußtsein der Anfangsgrundsatz des Erkennens. Dennoch ist die Struktur des Bewußtseins seiner selbst noch nicht völlig erhellt. Denn die Selbstbestimmung ist noch nicht das logische Bewußtsein seiner selbst,37 worunter das logische als ein bloßes Bewußtsein seiner selbst verstanden wird. Ein solches Selbstbewußtsein wäre dann entweder nur die analytische reine Apperzeption oder die Implikation der reinen Apperzeption, den Begriff eines Objekts mittels Kategorien zu leisten. Diese zweite Fassung wird zwar erwähnt, wenn das Subjekt dem Subjekt selbst zum Objekt wird, aber nicht weiter berücksichtigt. Das logische Bewußtsein seiner selbst (in der Aussage „sum“) enthält keine Bestimmung eines realen Bewußtseins der Anschauung. Das logische „sum“ folgt aus dem cogito,38 weshalb dem „Ich bin mir meiner selbst bewußt“ jedes Prädikat mangelt,39 wie es die erste Kritik noch lehrte. Und ein solches Bewußtsein ist nun kein Schluß im Sinne des „ergo sum“, sondern identisch oder analytisch.40 Es ist damit nämlich nicht mehr gemeint als „ich bin“, wenn ich mir meiner selbst bewußt bin, weil ja ein solches Ich bloß das Formale des Urteils ist. Insofern wiederholt Kant hier – wie schon in der zweiten Auflage der ersten Kritik –, wie das „ich denke“ Selbstbewußtsein und Grundsatz des Erkennens sein kann. Daraus ergibt sich nun eine neue Darstellung der transzendentalen Deduktion,41 wobei das Subjekt sich zum Objekt macht und dabei den Begriff eines Gegenstands ermöglicht, der dem Subjekt entspricht. Obwohl Kants Ausführungen im Opus postumum nicht mit der Problematik der Subjektivität einsetzen, hat die hier vorgelegte Interpretation angefangen bei der einfachsten Subjektivitätskonzeption und ist gezeigt worden, daß Kant für seine neuen Überlegungen – anders als in der ersten Kritik – nicht von der Anschauung ausgeht, sondern von einem wirklich primären Akt. Mit diesem Neuansatz ist allerdings noch nicht geklärt, wie jede Gegenstandskonzeption aus der Bestimmung eines solchen primären synthetischen Akts folgt. Denn das Selbstbe36 37 38 39 40 41

OP, AA 22.22. OP, AA 22.74. Vgl. OP, AA 22.83. Vgl. OP, AA 22.98. Vgl. OP, AA 22.102. Vgl. OP, AA 22.69.

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wußtsein ist nicht Objekt überhaupt, sondern spezifisch – nach der Regel der Identität – Subjekt als Objekt.42 Eine so verstandene Selbstsetzung ist Ens per se, nicht Ens a se,43 obwohl das Ens dabei noch nichts Bestimmtes enthält. Diese Bestimmtheit erreicht das Subjekt erst mit seiner Selbstkonstitution, nach der das denkende Subjekt sich selbst zum Objekt macht und damit seine Autonomie zeigt.44 e. Paralogismen Wenn es eine der Erkenntnis gemäße Subjektkonstitution in dem Übergang zum anschauenden Anschauungssubjekt (mit Leiblichkeit) gibt und diese ausreichend gesichert ist, und wenn darüber hinaus eine gewisse subjektkonstitutive Autonomie angenommen wird, ist zu erwarten, daß argumentativ auch die Problematik der Paralogismen eine Erneuerung erfährt. Setzt das Subjekt des Denkens sich als sich selbst bloß in der Anschauung, dann ist eine reine metaphysische Setzung als unabhängiges Ding an sich oder Seele nicht mehr zu erwarten. Das Subjekt kann auch kein Ding an sich sein, da ja das Subjekt des Denkens und Wissens entweder nur als Position (und Identität) in Beziehung auf Erkenntnis verstanden wird oder es als Erscheinung durch seine Selbstsetzung auftritt.45 Bedeutet nun diese Auffassung, von der im Selbstbewußtsein ausgegangen wird, daß die Form oder der Gedanke des Dinges an sich in Beziehung auf das Subjekt wegfällt? Gehaltvoll kann solcher Gedanke seit den Paralogismen der ersten Kritik zwar noch sein, aber die Lösung der Paralogismen zeigt, daß das Ich keine reine (metaphysische, an sich seiende) Gültigkeit mehr hat. Zugleich wird der Gedanke zusätzlich im Hinblick auf moralische Prädikation umgewandelt. Dann erfolgt ein weiterer argumentativer Schritt. Ein solcher Begriff des Dinges an sich ist bloß ein notwendiges begriffliches Gegenstück des erscheinenden Subjekts der Selbstsetzung, das nur in einer vollständigen Einteilung das vervollständigende Glied ausmacht.46 Dieser Begriff eines Dinges an sich setzt im Gegensatz zur Erscheinung eine bloß negative Bestimmung seitens des denkenden Subjekts und bestimmt nicht das jetzt subjektive Objekt selbst. Dieses Subjekt, das zugleich das Objekt 42 43 44 45 46

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

OP, OP, OP, OP, OP,

AA AA AA AA AA

22.85. 22.411. 22.414 ff. – Vgl. Schulze 1994, 199 ff. 22.26 f. 22.46.

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ist, setzt sich selbst als dabile in einer im aktiven Verhältnis zum Subjekt stehenden Erscheinung, wie es vom Objekt affiziert wird.47 Dies wird dann weiter so präzisiert, daß, indem sich das Subjekt selbst affiziert und dadurch Erscheinung wird, es keine Sache an sich ist und genausowenig bloßer Gedanke, vielmehr wird es als Vorstellung der eigenen Tätigkeit der denkenden und erkennenden Synthesis verstanden.48 Das heißt, setze ich mich als Gegenstand, stehe ich dadurch auch in einem Verhältnis auf mich und trete folglich als Erscheinung auf. Ich bin dann das cogitabile und zugleich das dabile als Objekt meines Begriffs. Hierdurch wird dann die Vorstellung des Dinges an sich von der Erkenntnis der Erscheinung entfernt.49 Damit ist jedoch einerseits der Gedanke des Dinges an sich nicht mehr für das „Ich denke“ selbst zu verwenden – als metaphysischer Gedanke wird er ja ganz entleert –, andererseits erhält er dennoch eine spezifische Funktion. Denn weil das Ding an sich kein den Sinnen gegebenes Objekt ist, bezeichnet der Gedanke nur das tätige Prinzip der synthetischen Erkenntnis a priori des Mannigfaltigen der Sinnenanschauung. Setzt aber der Verstand dieses Prinzip in Verbindung mit einem unbedingten Gedanken, verfehlt er das Subjekt, sofern dies ja niemals ein besonderes Ding sein kann, sondern in seiner genauen und unbedingten Bedeutung nur Idee.50 f. Das moralische Subjekt des Imperativs Offengeblieben ist bislang die Frage, ob und inwiefern im Opus postumum auch die moralische Subjektivität umgestaltet wird. Der Umschlag zur praktischen Problemstellung steht nämlich erneut an, sofern Natur und Freiheit jetzt genauer gedacht werden, bzw. die Selbstbestimmung auch und besonders durch praktische Vernunft geschieht:51 „Ich bin mir selbst nicht blos nach einem Gesetz der Receptivitat der Natur[,] sondern auch nach einem Princip der Spontaneitt der Freyheit[,] ein Princip der synthetischen Selbstbestimmung“52. Aufgrund dieses auf den ersten Blick aus den veröffentlichten Schriften Kants entsprungenen Satzes fällt die Spontaneität der Anschauungsweise und sogar die auf solche Anschauung bezogene Spontaneität des Denkens weg, obwohl die For47 48 49 50 51 52

Vgl. OP, AA 22.39. Vgl. OP, AA 22.37. Vgl. OP, AA 22.32. Vgl. OP, AA 22.33. Vgl. OP, AA 22.57 und 53. OP, AA 22.131.

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mulierung insofern griffig ist, als sie zeigt, daß sich im Ich oder vom Ich aus ein höherer oder reiner und ohne erscheinende Selbstsetzung auftretender Grundsatz (oder selbst ein solches Gesetz) als Aufgabe setzt. Die Moralität gehört zum Ich als einem anderen Ich, das seine Autorität aus Freiheit als gebietende oder verbietende Kraft aufdrängt. Neben der Einheit des sinnlich-verständigen Ichs gibt es ein anderes Ich, sofern es in uns eine Person gibt, die durch einen kategorischen Imperativ – ohne Rücksicht auf das Wohlbefinden des Subjekts – entsteht und von der unbedingten Aufforderung her eine eigene Wirklichkeit – allerdings nicht als Sinnenobjekt – erhält.53 Werde ich nämlich moralisch aufgefordert, hat mein anderes Ich die entsprechende Autorität. Diese neue Bestimmung wohnt dem menschlichen Gemüt als reinem Ich bei, das nicht als Seele des empirisch-praktischen Menschen verstanden wird. Es ist und bleibt ein reines Prinzip des unbedingten Gebots und ein kategorischer Imperativ, welcher schlechthin für jedes sinnliche Wesen gesetzgebend ist.54 Für den kategorischen Imperativ ist es also keineswegs erforderlich, daß eine Substanz existiere, die die Ichkonstitution ermöglicht; vielmehr gilt das Gesetz, dessen Pflichten jedem die Gebote sind, nur deshalb, weil die Heiligkeit und Unverletzlichkeit jener Pflichten als Aufforderungen da sind. Sofern es also einen Begriff der Pflicht (des Handeln nach einem Gesetz) gibt, den sich das Subjekt kraft des kategorischen Imperativs selbst vorschreibt, scheint sich eine Verschiebung der Perspektive anzubahnen. Dennoch behauptet Kant auch, daß der unbedingte kategorische Imperativ der Pflichterkenntnis das ist, wovon das sich selbst durchgängig bestimmende Subjekt ausgeht.55 Heißt das, daß das moralische Subjekt die eigentliche Quelle der Selbstbestimmung ist? Und ist dann die ganze Selbstsetzung ein bloß nachgeordnetes Problem? Ist die einzige reine Bestimmung eine Pflicht, die über alle Selbstsetzung hinausgeht und damit zu einem höchsten Akt der Persönlichkeit wird? g. Form der Philosophie Eine letzte Form der Philosophie zeigt sich nicht länger als einzelnes Subjekt, sondern entsteht aus der Vernunft. Die Transzendentalphilosophie, die jede Frage der Erkenntnis beansprucht zu beantworten, macht Urteile und somit Formen zum Gegenstand. Eine solche Phi53 Vgl. OP, AA 22.301 f. 54 Vgl. OP, AA 22.117 ff. 55 Vgl. OP, AA 22.126.

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losophie als Vernunfterkenntnis aus Begriffen, d. h. aus subjektiven Formen unterscheidet sich von anderen Doktrinen und hat daher einen lediglich bedingten Wert. Unbedingten Wert dagegen hat sie als Weisheitslehre, sofern sie die Doktrin eines Endzwecks der menschlichen subjektiven Vernunft enthält, wobei das absolute Sollen in diese Form integriert ist. Mit diesem absoluten Ganzen stößt die Philosophie auf einen Inbegriff der Erfahrung der Welt, deren Form sie einerseits kollektiv als Freiheit faßt und anderseits zugleich distributiv als Ermöglichung der Physik herausarbeitet.56

B: Ergebnis der Subjektivität Das Subjekt ist Schlußstein des Übergangs, sofern es als Selbstsetzung zur Lösung des Übergangsproblems entwickelt wird. Das fängt damit an, daß von der Apperzeption die Kategorien als abstrakt oder logisch gesetzt werden. Die Gesamtgliederung der Subjektivitätskonstitution läßt sich dann folgendermaßen verstehen. Im Ausgang des Satzes, daß das „Ich denke“ mögliche synthetisierte Erkenntnis denkt, folgt ein logisches Bewußtsein. Wo nun in den veröffentlichten Schriften Kants einerseits eine analytische logische Einheit und anderseits der Begriff des Objekts als Konsequenz vertreten werden und anschließend das Objekt sich entweder subjektiv im inneren Sinn oder objektiv an den Objekten des äußeren Sinnes zeigt, wird diese Differenzierung im Opus postumum wieder rückgängig gemacht. Hier gibt es nämlich ein subjektives Objekt der Erkenntnis! Von der Apperzeption wird nur die analytische und damit bloß logische Fassung als Selbstbewußtseins hervorgehoben; dahingegen ist die Selbstbestimmung eine Form des erkennenden Subjekts, das dieses Selbstbewußtsein integriert und zur Selbsterkenntnis führt und erst dann die weiteren Objekte und physischen Erkenntnisse erschließt. Es ist dabei nicht die Apperzeption, die sich selbst setzt, sondern das Subjekt der Apperzeption. Damit ergibt sich eine klare Differenz zwischen dem „Ich denke“, „ich bin“ und „ich erkenne mich“. Die Selbstsetzung löst das Problem des unbestimmten Daseins, bzw. der Existenz des Ich bin, sofern sich dieses existierende Ich nicht auf die reinlogische analytische Urteilsstruktur beschränkt. Selbst wenn für den inneren Sinn in der Kritik der reinen Vernunft eine Erscheinung und ein mögliches subjektives Objekt (in der Zeit) 56 Vgl. OP, AA 22.72 f. und 378 ff.

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gegeben ist, ist dieses Objekt noch nicht es selbst. Dazu benötigt der innere Sinn auch ein Objekt des äußeren Sinnes. Und genau hier setzten die Entwürfe zur Selbstsetzungslehre an. Das unbestimmt Empirische57 kommt nämlich als der eigene Leib zur Darstellung, um von dort aus, d. h. von der unbestimmten Wahrnehmung aus zur erscheinenden und konstituierten Subjektivität hinüber zu gehen. Von der Disziplin der Vernunft verschiebt die Lehre, sofern sie ausgeführt wird, in eine kritische Doktrin. Dabei ändert sich allerdings auch die Terminologie, denn das Setzen in der ersten Kritik ist Setzen des unbestimmten Daseins, wohingegen das Setzen im Rahmen der Selbstsetzungslehre ein Setzen des Anschauungssubjekts als dabile (als Materie zur Form, dem cogitabile) ist. Mit diesen Darlegungen wäre nun dreifaches gewonnen. Erstens wird die Widerlegung des Idealismus so präzisiert, daß sie gelingt, weil das Erkenntnissubjekt an ihm selbst einen Leib hat und sich dieses Leibes auch bewußt ist. Zweitens ist es klar, daß es keine abstrakte Anschauung gibt, sondern ein anschauendes Subjekt. Ob dieses Subjekt zur Erklärung der Urteile etwas beiträgt, mag dahingestellt bleiben, für die Darstellung der Philosophie insgesamt ist es wichtig.58 Drittens, und das ist vielleicht das Wichtigste, obwohl nicht dem Gedankengang des Opus postumum am nächsten liegende, hat Kant ein Argument dafür entwickelt, weshalb das Ich oder das Subjekt insgesamt kein Ding an sich sein kann. Denn das Subjekt ist bloß eine Erkenntnisform, während das Ding an sich immer die Vorstellung einer Tätigkeit und das Subjekt nur das Denkende oder Erkennende dieser Tätigkeit ist. Obwohl das Ich auch in der ersten Kritik nicht zu einer reinen Substanz erhoben werden kann, wird dort bloß die Notwendigkeit der (hinzuzunehmenden) Erscheinung betont sowie die (daseiende) logische Funktion; jetzt wird dem Ich jede Möglichkeit, Ding an sich zu sein, aberkannt. Weder ist es so als logisches Selbstbewußtsein, noch ist es Ding an sich als Apperzeption. Was könnte denn ein Subjekt oder Ich als Ding an sich sein? Dieser Gedanke wäre ein Ich, das rein (aber nicht logisch-analytisch) und ohne Empirie wäre; er wäre bloßer Laut einer Worterklärung; solches als Realdefinition vorzuschlagen, wäre unmöglich oder sinnlos, weil es auf dem Selbstbewußtsein beru57 Vgl. KrV, B 424. 58 Philosophiehistorisch ist das Thema der Wahrnehmung dann (und des darin verwobenen Subjekts) vielleicht eine späte Antwort auf Jacobi, vgl. Sandkaulen 2007.

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hen müßte. Was sich erhält, ist also bloß die Vorstellung nicht eines Dinges, sondern einer Tätigkeit.

3. Die Grenze der Problematik: Autonomie? Was sich im Opus postumum scharf herausstellt, ist ein Sachproblem, das per se kein Subjektivitätsproblem ist, sich aber darauf bezieht. Der Begriff, der im Opus postumum einer grundlegenden Verschiebung unterworfen ist, ist der der Autonomie. Im Grunde genommen wird damit das Problem der Reinheit der Moral hinfällig, weil der Begriff der Autonomie, der das spezifisch-wesentliche des Menschen in seiner moralischen Bedeutung und moralischen Gesetzgebung ausmacht, umgewandelt wird. Dieser in den veröffentlichten Schriften strikt moralische Begriff der Autonomie, der besagt, daß das Subjekt für die Erfüllung seiner Pflicht nur seiner eigenen und dennoch allgemeinen Gesetzgebung unterworfen ist,59 wird zu einem auf mehrfache Weise gegliederten Oberbegriff. Im Opus postumum wird die Autonomie als eine Autonomie der bewegenden Kräfte der Materie verstanden.60 Diese sind Akte der Autonomie, wodurch sich das Subjekt selbst in einer empirischen Anschauung affiziert.61 Ferner findet sich das Subjekt autonomisch in einer Verbindung zu einem Bewußtsein,62 wodurch die Selbstsetzung als Autonomie fungiert, weil diese Apprehension als gelungene Fassung eines sich selbst nach eigenen Prinzipien Setzenden erscheint. Die Autonomie ist somit letztendlich ein sich selbst zum Objekt machen.63 Werden allerdings auch die allerspätesten Texte des Opus postumum herangezogen, wo die Normativität in theoretischer Hinsicht „Autonomie“ heißt,64 den Ideen Autonomie zugestanden wird65 und auch der Transzendentalphilosophie selbst Autonomie zuerkannt wird als „eine ihre synthetische Principien, Umfang und Grenzen bestimmt vorzeichnende Vernunft in einem vollständigen System“66 – die Transzen59 60 61 62 63 64 65 66

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

GMS, AA 4.432 f. OP, AA 22.398. OP, AA 22.404. OP, AA 22.455. OP, AA 22.416. OP, AA 21.93. OP, AA 21.81 f. OP, AA 21.59.

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dentalphilosophie ist nämlich ein Selbstgeschöpf oder Autonomie der Vernunft –67, dann hat sich tatsächlich etwas grundlegend geändert. Denn die Autonomie wird hier zu einer Eigenschaft der Subjektivität überhaupt, die darin besteht, sich unter die eigene Gesetzgebung zu setzen. Damit ist jede Normativität ein Zeichen der jeweiligen Autonomie, weshalb auch die Vernunft als philosophische autonom ist, denn sie bietet die eigene Gesetzgebung der Vernunft in Beziehung auf sich selbst. Allerdings bleibt die Autonomie als die eigene Bezeichnung der moralischen Verfaßtheit des Menschen erhalten. Ist es jedoch so, daß sich das „Ich bin“ selbst nicht nur nach einem Gesetz der Rezeptivität der Natur, sondern auch nach einem Prinzip der Spontaneität der Freiheit, bzw. nach einem Prinzip der synthetischen Selbstbestimmung bestimmt, dann muß sich fragen, was sich im Verlauf der Arbeit am Opus postumum in systematischer Hinsicht eigentlich abgespielt hat. Denn diese Dichotomie von Rezeptivität und spontaner Freiheit ist wegen der Änderung der subjekthaften Autonomie doch wesentlich durch den Begriff der Autonomie überwunden. Überhaupt, bedeutet die Autonomie etwas anderes, wird dann das Spezifische der Moralität fallengelassen oder wird die Autonomie lediglich anders gedeutet? Umfaßt die Autonomie nämlich selbst die Formen der Vernunft, ist sie die inhaltliche Ausführung der Form. Die Form bezieht sich auf eine gewisse Einheit (oder umgekehrt) und ist Zeichen der Vernunft. Nur wenn die Vernunft nicht nur kritisch auf sich reflektiert, sondern sich auch irgendwie selbst erkennt, nämlich als Weisheitslehre, wird sie die eigene und nur in der Philosophie auftretende Selbstgesetzgebung als ihr eigenes Thema (an)erkennen. Damit handelt es sich jedoch streng genommen nicht länger um eine Selbstbeziehung des Subjekts, sondern vielmehr um eine solche der Vernunft. Damit erneuert der alte Kant im Grunde genommen eine Diskussion, die Anfang der 90er Jahre in Jena soviel Aufsehen erregt hatte. Mit diesen Differenzierungen und ihrer Verbindung mit dem „Oberbegriff“ Autonomie ist die Aufgabe Kants vielleicht nicht mehr, wie synthetische Urteile a priori möglich sind, sondern vielmehr, wie die Erklärung selbst der verschiedenen apriorischen Urteile möglich ist. Dies wäre freilich eine Aufgabe einer Transzendentalphilosophie, die die Problematik einer Wissenschaftslehre aufgreift und sogar auch übernimmt, ohne deshalb eine bloße Logik zu sein. 67 Vgl. OP, AA 21.100.

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Literatur Bondeli, Martin, 2006, Apperzeption und Erfahrung. Kants transzendentale Deduktion im Spannungsfeld der frhen Rezeption und Kritik, Basel. Förster, Eckard, (1989), „Kant’s Selbstsetzungslehre“, in: Kant’s Transcendental Deductions: The Three Critiques and Opus postumum, Ed. Eckard Förster, Stanford UP, 217 – 238. Förster, Eckart, (2000), „Kant’s final synthesis“, in: An essay on the Opus postumum, Cambridge (Mass.)/London. Hoppe, Hansgeorg, (1969), Kants Theorie der Physik. Eine Untersuchung ber das Opus postumum von Kant, Frankfurt/M. Sandkaulen, Birgit, (2007), „Das ,leidige Ding an sich‘. Kant-Jacobi-Fichte“, in: Kant und der Frhidealismus, hrsg. von Jürgen Stolzenberg, Hamburg, 175 – 201. Schulze, Stefan, (1994), Kants Verteidigung der Metaphysik. Eine Untersuchung zur Problemgeschichte des Opus Postumum, Marburg.

Kants Transzendentalphilosophie des Opus postumum gegen den transzendentalen Idealismus Schellings und Spinozas Ernst-Otto Onnasch Abstract: This paper analyzes, first, the reception of Schelling’s philosophy in the environment of Kant in Königsberg, and second in Kantian writings published by his students Jäsche and Rink. – The only two passages Kant mentions Schelling are to be found in the latest leaves of the Opus postumum. Here Schelling’s philosophy is characterized as transcendental idealism. In current research it became rather common to interpret these passages as a positive account of Schelling’s philosophy, moreover, that Kant recognized Schelling’s transcendental idealism as an improvement of his own philosophy. However, in the latest leaves of the Opus postumum the term transcendental idealism is – remarkably – strongly linked with Spinozism. In this paper I argue, thirdly, that Kant in the Opus postumum employs transcendental idealism in a negative way in order to distinguish his own transcendental philosophy clearly from the wrong philosophical account transcendental idealism brings forward.

Neuerdings mehren sich in der Forschung die Stimmen, daß der alte Kant die Philosophie Schellings für eine angemessene Fortsetzung seiner eigenen Transzendentalphilosophie gehalten haben soll.1 Im Rahmen der Philosophie Kants muß man jedoch Transzendentalphilosophie und transzendentalen Idealismus als zwei systematisch verschiedene philosophische Unternehmungen genau unterscheiden; vor diesem Hintergrund wird verständlich, daß sich Kant auch im hohen Alter noch zureichende Informationen aneignen konnte, seine eigene Philosophie von der Schellings zu unterscheiden und abzugrenzen, selbst wenn er ja bekanntlich seit etwa 1800 kaum mehr zu größeren geistigen Anstrengungen in der Lage war, die tatsächlich erforderlich wären, die Schriften Schellings zu lesen und noch dazu angemessen zu verstehen.2 Ich will hier und im Verfolg also die gegenteilige Behauptung aufstellen,

1 2

Vgl. dazu etwa Tuschling 1991 und 2002, Edwards 2000a und Förster 1990. Den geistigen Zustand Kants beschreibt Kühn 2003, 478 ff., sehr einfühlsam, obwohl ich seinen Bemerkungen zur Arbeit am sogenannten Opus postumum nicht immer zustimmen kann.

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daß Kant die Philosophie Schellings keineswegs für eine angemessene Fortsetzung seiner eigenen gehalten hat. Nun will ich gleich vorausschicken, daß ich Kants späte und späteste Aufzeichnungen im Übergangswerk oder sogenannten Opus postumum nicht, wie etwa Benno Erdmann, für ein Produkt „gedanklicher Senilität“ halte.3 Von solchen und ähnlichen Auffassungen hat sich die Vorhut der modernen Forschung zum Opus postumum längst verabschiedet. So schreibt etwa Michael Friedman, daß die Idee dieses beabsichtigten Werks „can[not] be dismissed as a product of senility or hopeless confusion […] On the contrary, Kant’s work must rather been seen as a natural organic development within Kantian philosophy itself“.4 Tatsächlich enthalten Kants späteste Aufzeichnungen m. E. grundsätzliche Einsichten in die Grundprobleme der kritischen Philosophie. Sie sind deshalb auch eine nicht zu überschätzende Quelle für Kants Verständnis seiner eigenen Philosophie. Der überwiegende Teil der im Opus postumum zusammengetragenen Papiere liegt eindeutig einem neuen Werk zugrunde, das Kant seit frühestens 1788 geplant hat.5 Dafür lassen sich viele Belege anführen, insbesondere die von Kant selbst autorisierte Biographie von Ludwig Ernst Borowski, wo die Rede ist von einem „lange projectirte[n] Werk ,Uebergang der Physik zur Metaphysik‘, welches der Schlußstein seiner [d. h. Kants, e.-o.o.] philosophischen Arbeiten seyn sollte“.6 Offenbar mißt Kant seinen letzten Aufzeichnungen eine Schlüsselrolle für das Verständnis seiner ganzen Philosophie zu. Damit ist allerdings sogleich eine Schwierigkeit verbunden. Die nachgelassenen Papiere zum Opus postumum sind nämlich insbesondere wegen des Zustands des Materials nicht gerade leicht zu interpretieren. Schuld daran ist freilich auch ihre unzulängliche Edition in der Akademie-Ausgabe. Deshalb kann und sollte man nicht dem sich seit 1798 langsam verschlechternden Geisteszustand 3

4 5 6

Vgl. Stark 1993, 101. – Ich bin mir bewußt, daß der Titel „Opus postumum“ Anlaß zu Mißverständnissen geben könnte. Hier und im Verfolg meine ich mit diesem Titel immer dasjenige Werk, das Kant in seinen letzten Lebensjahren unter der Feder hatte und den Übergang von der Metaphysik zur Physik, bzw. – wie Kant sein Projekt zuletzt bestimmt – den höchsten Standpunkt der Transzendentalphilosophie beschreiben sollte. Friedman 2003, 215. Vgl. Förster 2000. Borowski 1804, 183. Augenscheinlich liegt hier eine Verschreibung vor, sofern der Übergang von der Metaphysik aus- und zur Physik hinübergeht.

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Kants die alleinige Schuld dafür geben, daß die Papiere des Opus postumum zuweilen sehr undurchdringlich sind.7 Nun wird von der Forschung zum Opus postumum immer wieder behauptet, daß Kant seine ursprüngliche (kritische) Philosophie modifiziert oder gar entscheidend verändert hätte. Zwangsläufig – zumindest implizit – behaupten das jene, die in der Schellingschen Philosophie einen von Kant wie auch immer anerkannten Fortschritt über die Kantische Transzendentalphilosophie hinaus zu erkennen meinen. Nun hat Kant seine Philosophie immer Transzendentalphilosophie genannt. Den Ausdruck „transzendentaler Idealismus“ hat er in der Kritik der reinen Vernunft von 1781 nur sehr zögerlich zur Charakterisierung der eigenen Philosophie verwendet, und nach den Prolegomena (1783) kommt er in seinen publizierten Schriften überhaupt nicht mehr vor. Daß Kants Philosophie heute offenbar bedenkenlos als transzendentaler Idealismus bezeichnet wird, ist somit ein Anachronismus; allerdings auch ein folgenschwerer, sofern nämlich die spätesten Blätter des Opus postumum, in denen der Ausdruck nach langer Abwesenheit im Zusammenhang mit der Philosophie Spinozas und Schellings plötzlich wieder auftritt, als eine positive Bezugnahme auf den transzendentalen Idealismus dieser Philosophen gedeutet wird. Daß Schelling im Opus postumum als transzendentaler Idealist bezeichnet wird, kann man ohne weiteres verstehen, daß aber auch Spinoza mit diesem Label belegt wird, ist dagegen überraschend und auch ungewöhnlich. Aus Kants philosophischer Perspektive gibt es allerdings gute Gründe, auch Spinoza als einen transzendentalen Idealisten darzustellen, denn damit wird dieser Idealismus – den ja im übrigen auch Fichte vertritt – überhaupt als Spinozismus umgedeutet, dem Kant zeitlebens in allen seinen Schriften durchaus ablehnend gegenüberstand. Daß der Königsberger gerade in den spätesten Konvoluten des Opus postumum den transzendentalen Idealismus wieder einführt, hat zum Zweck, die eigene Transzendentalphilosophie scharf hiervon abzugrenzen. Nötig wird diese Abgrenzung wegen der hier entwickelten Selbstsetzungslehre, die allein schon terminologisch, aber auch systematisch gewisse Ähnlichkeiten mit der produktiven Intelligenz bei Schelling (und auch bei Fichte) 8 hat. Frei7 8

Zur Alzheimer-Erkrankung Kants vgl. Fellin und Blè 1997. Daß Fichte in diesem Zusammenhang in den späten Blättern des Opus postumum nicht zusammen mit Spinoza und Schelling auftaucht, hat vermutlich mit der bei ihm fehlenden Naturphilosophie zu tun, um die es ja in dem Nachlaß bzw. Übergangswerk eigentlich geht. Ferner hatte Kant mit Fichte schon in

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lich hat die von Kant entwickelte Selbstsetzungslehre im Opus postumum eine völlig andere Pointe als bei Schelling, sie konstruiert nämlich nicht das Objekt der Erfahrung, sondern garantiert lediglich konstitutiv die Einheit der Erfahrung, die für das eine System der Erfahrung und mithin auch für das eine System der Physik notwendig unterstellt ist. Auch in den spätesten Blättern des Opus postumum distanziert sich Kant von der Position des transzendentalen Idealismus; von einer positiven Bezugnahme ist somit keine Rede, was im folgenden näher dargetan wird. Zunächst wird dargelegt, was Schelling von Kants spätester Arbeit wußte. Anschließend wird das Umfeld Kants daraufhin abgeleuchtet, wie in diesem Schellings neue Philosophie rezipiert wurde und wie hierdurch Kants Auffassungen über Schelling beeinflußt sein könnten. Anhand von Kants eigener Schelling-Rezeption im Übergangswerk soll dann dargelegt werden, daß Kant auch in seinem Übergangswerk eine wohldurchdachte, als transzendentalphilosophisch zu bezeichnende Position entwickelt, die er in den spätesten Blättern durchaus kritisch jenem transzendentalen Idealismus entgegenstellt, den er gleicherweise bei Schelling wie Spinoza vorfindet. Die Untersuchung des Ausdrucks „transzendentaler Idealismus“ im Opus postumum zeigt, daß der alte Kant Schellings transzendentalem Idealismus kaum wird zugestimmt, geschweige denn darin eine angemessene Fortsetzung der eigenen Philosophie wird erkannt haben können.

1. Kants Spätwerk bei Schelling Wenig bekannt ist die Tatsache, daß Schelling tatsächlich nähere Informationen über Kants späteste philosophische Arbeit besaß. In seinem Nachruf für Kant in der Frnkischen Staats- und Gelehrtenzeitung vom März 1804 weiß er nämlich Näheres über dieses Unternehmen zu berichten: Noch im Jahre 1801 arbeitete er in den wenigen Stunden freier Denkkraft an einem Werk: Uebergang von der Metaphysik zur Physik, welches, hätte das Alter ihm die Vollendung gegönnt, ohne Zweifel von dem höchsten Interesse hätte seyn müssen. Seine Ansichten über organische Natur waren ihm von der allgemeinen Naturwissenschaft getrennt, und sind in seiner seiner Erklärung vom 7. August 1799 in der Allgemeinen Literatur-Zeitung in dem Sinne abgerechnet, daß dessen Wissenschaftslehre bloße Logik sei, von der kein Weg zum Materialen der Erkenntnis führt, vgl. AA 12.370 f.

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Kritik der teleologischen Urtheilskraft, ohne Verbindung mit jener, niedergelegt.9

Ungeklärt ist immer noch die Quelle für dieses Wissen Schellings. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß er dabei auf eine Stelle in der Physischen Geographie rekurriert, wo der Herausgeber Friedrich Theodor Rink im Vorbeigehen bemerkt, daß Kant noch ein Buchprojekt unter der Feder habe: Gelänge es doch dem ehrwürdigen Urheber dieser phys. Geographie noch seinen bergang von der Metaphysik der Natur zur Physik bekannt zu machen! Auch über diesen Gegenstand würde man dort, wie ich bestimmt weiß, manche scharfsinnige Bemerkung vorfinden.10

Daß Schelling Rinks Ausgabe der Physischen Geographie kannte und offenbar auch gelesen hat, belegt eine Fußnote zur Villers-Notiz aus dem 1. Band, 3. Stück, des Kritischen Journals der Philosophie. 11 Jedenfalls verfügte Schelling bekanntlich über keinen heißen Draht nach Königsberg, genausowenig konnte er sein Wissen aus den Biographien von Borowski oder Wasianski haben, weil diese erst frühestens im Sommer 1804 erscheinen. Die Pointe des obigen Schelling-Zitats ist nun offenbar die, daß in der Kantischen Naturphilosophie die Organik oder, wie man heute sagen würde, die Biologie keine Naturwissenschaft sei, und daß es auch mit der teleologischen Urteilskraft der dritten Kritik nicht gelungen sei, darin Veränderung zu bringen. Diese Feststellung ist sicherlich richtig, obwohl man sich auch fragen muß, ob Kant die Biologie aus systemimmanenten Gründen überhaupt als eine Naturwissenschaft verstehen kann. Jedenfalls, so interpretiere ich den Zusammenhang des zweiten mit dem ersten Satz des Zitats, soll das Übergangswerk nach Schelling augenscheinlich zum Zweck haben, die Biologie nach dem aus Schellings Sicht Fehlschlag der teleologischen Urteilskraft trotzdem noch als eine Naturwissenschaft auszuweisen. Eine solche oder auch nur ähnli9 Immanuel Kant, SW I/6.8. 10 Phys. Geogr., AA 9.221. 11 GW 4.309 Anm. Die Notiz ist mit Sicherheit von Schelling, d. h. nicht von Hegel verfaßt, wie Schellings Korrespondenz mit Villers zeigt. Das 3. St. liegt bereits im Herbst 1802 gedruckt vor, kommt jedoch erst im Dezember zusammen mit dem 1. St. des 2. Bds. zur Auslieferung, d. h. Schelling muß sich bald nach ihrem Erscheinen im Frühjahr 1802 die Physische Geographie besorgt haben. Die vor kurzem bekannt gewordene Bibliothek Schellings verzeichnet das Buch übrigens nicht, vgl. Müller-Bergen 2007.

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che Feststellung über den Zweck des Übergangswerkes findet sich meines Wissens in der zeitgenössischen Literatur über Kant nirgends, weshalb man sie auch nur Schelling selbst zuschreiben kann. Und auch sonst kann man dem Opus postumum vieles bescheinigen, aber sicherlich nicht die Absicht, die Organik in den Rang einer Naturwissenschaft zu heben. Schelling scheint also bestimmte Versäumnisse der Kantischen Naturphilosophie – insbesondere die Ausformulierung metaphysischer Prinzipien (a priori) zur Begründung der Biologie (und damit sicherlich auch der Chemie) – in dem Nachruf zur Rechtfertigung seines eigenen naturphilosophischen Begründungsprogramms umzumünzen.12 Damit setzt Schelling seine eigene Philosophie nicht ganz ungeschickt in einen Zusammenhang mit der kritischen Philosophie Kants, indem sie deren Probleme nicht nur beerbt, sondern auch, zumindest dem eigenen Anspruch nach, löst. Für die spätere Rezeptionsgeschichte des Opus postumum hat Schelling allerdings insofern einen Punkt getroffen, als er die systematische Ausgangslage für die Notwendigkeit des Übergangswerkes in ungelösten Problemen der dritten Kritik lokalisiert. Interessanterweise teilt nämlich insbesondere die ältere Forschung zum Opus postumum eine ähnliche Auffassung.13 Die neuere Forschung hat dieses Interpretationsschema im großen und ganzen aufgegeben. Obwohl ein direkter Einfluß von Schellings Nachruf auf jene älteren Interpretationsansätze eher unwahrscheinlich ist, könnte dennoch seine kritische Sichtweise der dritten Kritik, die ja dem Schellingschen naturphilosophischen Werk mit zugrunde liegt, diese älteren Interpretationsansätze auf vermittelte Weise veranlaßt haben.

12 Allerdings hat die moderne Forschung gute Gründe dafür angeführt, daß Kant im Opus postumum – was klar über seine Behauptungen in den Metaphysischen Anfangsgrnden der Naturwissenschaft (1786) hinausgeht – beabsichtige, die Chemie als eine Naturwissenschaft auszuweisen. Dies ist eine der zentralen Thesen des Buchs von Friedman 1992. – Bekanntlich beabsichtigt Schelling schon seit den Ideen zu einer Philosophie der Natur von 1797 der Chemie den Status einer Naturwissenschaft zu geben, vgl. etwa den Titel des 7. Kapitels des 2. Buches: „Philosophie als Chemie überhaupt“, HKA I/5.237 – 251. Zu Schellings Begründung der ersten Grundsätze der Chemie vgl. Durner 1997. Im Grunde genommen kann man sogar sagen, daß Schellings spekulative Physik eine Art von Metachemie ist. 13 Vgl. besonders die Studien von Lehmann 1939 und teilweise Mathieu 1989.

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2. Schelling in der Königsberger Diskussion und bei Kant Wie steht es aber mit Kants eigenem Wissen um Schellings Philosophie? Wir haben einen ziemlich genauen Überblick über Kants Bibliothek, in der sich mit Sicherheit Schellings Ich-Schrift von 1795 befand und auch einige Jahrgänge des Philosophischen Journals einer Gesellschaft Teutscher Gelehrten, in denen auch Schellings „Allgemeine Uebersicht der neuesten philosophischen Litteratur“ (1796/97) erschien, seit 1809 „Abhandlungen zur Erläuterung des Idealismus der Wissenschaftslehre“.14 Ob Kant diese Schriften wirklich gelesen hat, dafür gibt es leider höchstens Indizien mit recht geringer Beweiskraft. Insbesondere Burkhard Tuschling hat sich bemüht, Kants mögliche Lektüre von zumindest einigen Schriften Schellings, wenngleich mit einem eher enttäuschenden Resultat, plausibel zu machen.15 Bevor im nächsten Kapitel die beiden einzigen Stellen im Schriftgut Kants – nämlich im Opus postumum – besprochen werden, an denen Schelling namentlich erwähnt ist, soll zunächst eine bislang kaum beachtete Stelle in der Physischen Geographie referiert werden, die auf Schelling Bezug nimmt. Anschließend wollen wir sehen, welche allgemeine Meinung über Schelling in der unmittelbaren Umgebung Kants kursierte. In dem Abschnitt „Mathematische Vorbegriffe“ der Physischen Geographie, die bekanntlich nicht von Kant selbst, sondern von Friedrich Theodor Rink herausgegeben wurde, wird in einer Fußnote zu § 9 Schelling nicht nur erwähnt, sondern wird ebenfalls eine naturphilosophische Auffassung Schellings im Zusammenhang mit Kants eigener Auffassung dazu referiert: Magnetism und Elektricität sind vielleicht nur als Producte der Länge und Breite verschieden. Die Gründe für diese Meinung an einem andern Orte. Neuerdings finde ich auch in den Ideen Schellings etwas mit dieser Meinung Übereinstimmendes.16

Wichtig ist zunächst einmal die Frage, ob mit dem Wort „Ideen“ auf Schellings Schrift Ideen zu einer Philosophie der Natur als Einleitung in das Studium dieser Wissenschaft von 1797 rekurriert wird oder ob das Wort 14 Vgl. Warda 1919, S. 50 und 54. – Wardas Übersicht gibt bekanntlich nicht den ganzen Bestand von Kants Bibliothek wieder, was sich etwa an Buchsendungen mit erhalten gebliebenen Begleitbriefen nachweisen läßt. 15 Vgl. oben Anm. 1. 16 Phys, Geogr., AA 9.175 Anm.

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anders, d. h. nicht im Sinne einer Titelangabe verwendet wird. Tatsächlich kennt die erste Ausgabe der Ideen die Rede von Länge und Breite hinsichtlich Elektrizität bzw. Magnetismus nicht, diese Passagen wird Schelling erst in der zweiten, stark erweiterten Auflage nachtragen, und zwar im Rückgriff auf Texte aus den Jahren 1800 bis 1802.17 Diese Ausgabe erscheint allerdings erst ein Jahr nach der Physischen Geographie, d. h. Anfang 1803, weshalb sich weder Rink noch Kant auf diese Ausgabe beziehen können und mithin mit dem Ausdruck „Ideen“ nicht das gleichnamige Werk Schellings gemeint sein kann. Nun findet sich in der zweiten Ausgabe der Ideen ein verblüffend ähnliches Zitat wie in der Physischen Geographie: Es ist in dem Vorhergehenden bewiesen worden, daß der Magnetismus als Prozeß, als Form der Thätigkeit, der Prozeß der Länge, die Elektricität der Prozeß der Breite […] ist.18

Dieses Zitat könnte wiederum Anlaß zu der Vermutung geben, Schelling habe sich bei der Neubearbeitung seiner Ideen von dem Wortlaut in der Physischen Geographie beeinflussen lassen. Möglich wäre es, doch scheint eher anderes der Fall. Die Erweiterungen in der Neuauflage der Ideen gehen nämlich vermutlich auch mit zurück auf eine im übrigen sehr positive Rezension des ersten Hefts der Zeitschrift fr spekulative Physik, in dem auch der erste Teil der „Allgemeinen Deduction des dynamischen Proceßes oder der Categorieen der Physik“ enthalten ist. Hier fordert der Rezensent Schelling auf, sich genauer über die beiden Prozesse von Länge und Breite zu erklären.19 Tatsächlich finden sich in der „Allgemeinen Deduction“ zu diesen Prozessen einige Erläuterungen,20 die dem Rezensenten aber offenbar nicht klar genug waren. Sicherlich ist hinsichtlich der Prozesse von Länge und Breite auch eine eigene Fortentwicklung Schellings zu sehen, denn schon im System des transscendentalen Idealismus – also vor Erscheinen der Rezension – unternimmt Schelling ihre Ableitung.21 Aber das eine muß 17 Vgl. etwa Ideen2, SW I/2.83, 150 und 176. 18 Ideen2, SW I/2.176. 19 Erlanger Litteratur-Zeitung, Nr. 226 vom 17. November 1800, Sp. 1801 – 1808, bes. Sp. 1806; das zweite Heft wird rezensiert ebd. am 18. und 19. März 1801, Nr. 54 und 55, Sp. 425 – 432 und S. 433 – 434. Der Rezensent ist unbekannt. 20 Vgl. §§ 21 f., SW I/4.15 ff. 21 Vgl. HKA I/9,1.144: „Daß nun dieser Moment der Construction in der Natur durch Electricitt repräsentirt werde, erhellt daraus, daß sie nicht wie der Magnetismus, blos in der Länge wirkt, […] sondern zu der reinen Länge des

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ja das andere nicht ausschließen. Es ist ja auch nicht unwahrscheinlich, daß Schelling mit dem Erlanger Rezensenten in Kontakt stand und in der Rezension nur zum Ausdruck kommt, was sowieso schon diskutiert wurde. Jedenfalls kommt Schelling in der zweiten Ausgabe der Ideen sicher am ausführlichsten auf den von seinem Rezensenten bemängelten fehlenden Beweis für seine Auffassung über Länge und Breite zurück. Sofern die Physische Geographie nun behauptet, daß Schelling ähnliche Bemerkungen wie Kant über die Prozesse von Länge und Breite gemacht habe, kann sie sich nur entweder auf die „Allgemeinen Deduction“ oder auf die Systemschrift beziehen. Diese beiden Schriften sind nämlich bis 1802 die einzigen, in denen sich nähere Erklärungen zum Thema finden. Möglich wäre ferner noch, daß die Rezension der Zeitschrift fr spekulative Physik in der Erlanger Litteratur-Zeitung eine Rolle für die Physische Geographie spielt; ist das der Fall, tut sich der interessante Gedanke auf, ob vielleicht die Physische Geographie Schelling gegen die Rezension in Schutz nimmt, sofern ja Schelling in der Systemschrift tatsächlich eingehender auf jene beide Prozesse zu sprechen kommt. Klar ist jedenfalls, daß die Verfasser der Physischen Geographie, d. h. Rink oder Kant, mehr als nur oberflächlich über Schellings Naturphilosophie informiert sein müssen, zumal es sich bei den beiden Prozessen zwar um ein für Schelling systematisch höchst bedeutsames Thema handelt, das allerdings weder in der „Allgemeinen Deduction“ noch in der Systemschrift an besonders prominenter Stelle zur Darstellung käme. Ferner müssen die Verfasser der Physischen Geographie mit dem Inhalt der „Allgemeinen Deduction“ bekannt gewesen sein. In der Physischen Geographie findet sich nämlich noch eine weitere, in den laufenden Text eingeschobene Anmerkung, wo Bezug genommen wird auf „Schellings Journal der Physik“, also seine Zeitschrift fr spekulative Physik, im Zusammenhang mit einem Hinweis auf die seit 1799 in Heften erscheinende Encyklopaedie der gesammten Chemie des Chemikers und Arztes Georg Friedrich Hildebrandt (1764 – 1816).22 Sofern dies die einzige

Magnetismus die Dimension der Breite hinzubringt“. Vgl. hierzu auch Ziche 2005. 22 Vgl. Phys. Geogr., AA 9.251. Kant weist übrigens im 11. Konvolut des OP auch selbst auf Hildebrandts Hylozoismus hin, den er freilich abweist, vgl. OP, AA 22.481. – Hildebrandt ist seit 1793 Professor für Medizin in Erlangen; seit 1796 lehrt er auch Chemie und seit 1799 außerdem Physik. 1793 wurde er Mitglied der Leopoldina, der deutschen Akademie für Naturforscher. Seine Encyclopaedie

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Stelle in der Zeitschrift fr spekulative Physik und – soweit ich sehe – auch im gesamten Werk Schellings ist, an der Hildebrandts Encyklopaedie überhaupt erwähnt wird, kann sich die Physische Geographie nur auf diese, nämlich den 2. Zusatz zu § 51 der „Allgemeinen Deduction“ beziehen.23 Die genauen inhaltlichen Zusammenhänge zwischen dieser Stelle und der der Physischen Geographie sind allerdings nicht ganz klar. In der „Allgemeinen Deduction“ weist nämlich Schelling die Kritik Hildebrandts zurück, daß sich die Größe der Materie nicht durch dynamische Konstruktion verstehen lasse, während es in der Physischen Geographie um die Relativität von Wärme und Kälte eines Körpers geht. Resümierend ist festzustellen, daß mindestens der Herausgeber der Physischen Geographie, Rink, sowohl mit dem Inhalt der „Allgemeinen Deduction“ als auch mit dem des Systems des transscendentalen Idealismus besser bekannt gewesen sein muß, zumal die Hildebrandt-Kritik in der „Allgemeinen Deduction“ ein sekundärer Punkt ist und die Ableitung der Prozesse von Länge und Breite zwar für Schelling besonders bedeutsam war und auch von der allgemeinen Diskussion aufgegriffen wurde, sich jedoch in Schellings Schriften bis 1800 noch in Entwicklung befindet. Damit tut sich die Frage auf, ob die Bemerkungen zu Schelling in der Physischen Geographie auf Kant selbst oder auf ihren Herausgeber Rink zurückgehen. Obwohl sich diese Frage nicht eindeutig beantworten läßt, bieten die folgenden Überlegungen, trotz der insgesamt spärlichen Dokumente zu Kants Schelling-Rezeption, immerhin plausible Anhaltspunkte für Kants Schelling-Kenntnisse und deren Vermittlung. Kant hält bekanntlich seine letzte Vorlesung über physische Geographie im Sommersemester 1796. Weil alle in Frage kommenden Schellingschen Schriften, wo von Länge und Breite im Zusammenhang mit Elektrizität und Magnetismus die Rede ist, von späterem Datum sind, kann die Fußnote in der Physischen Geographie nicht Teil des Vortrags gewesen sein; sie könnte aber auf eine Glosse zurückgehen, die sich Kant nach 1796 ins Manuskript geschrieben hat. In seiner „Vorrede“ weist Rink nämlich darauf hin, daß einige seiner Anmerkungen auf von Kant „kurz hingeworfenen neuern Marginalien“ zurückgehen.24 Ist das für unsere Fußnote in der Physischen Geographie der Fall, kann diese Kenntnis nur auf der „Allgemeinen Deduction“ beruhen. der gesammten Chemie erscheint in 16 Heften und 8 Bdn. in Erlangen 1799 – 1810, 2. Aufl. ebd., 1802 – 1814. 23 Vgl. SW I/4.57 f. 24 Vgl. Phys. Geogr., AA 9.154 f.

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Geht sie dagegen auf eine Eigenmächtigkeit Rinks zurück, muß dieser, wie gesagt, ziemlich gut über Schellings Philosophie informiert gewesen sein. Sind in der Tat die philosophischen Studien Rinks die Quelle für die Bemerkungen in der Physischen Geographie, liegt es auf der Hand, daß er über diese Einschübe mit Kant gesprochen hat. Solche Arbeitsgespräche hat es nämlich mit Sicherheit zwischen beiden gegeben – zumindest bis zu Rinks Umzug nach Danzig Anfang September 1801 –, wie ich an anderer Stelle nachgewiesen habe.25 Ferner geht aus verschiedenen Bemerkungen Kants hervor, daß er ein großes Interesse am baldigen Zustandekommen der Edition der Physischen Geographie hatte, weshalb er Rink sicherlich auch mit inhaltlichen Erläuterungen unterstützt haben wird. Letzteres ist auch allein schon deshalb wahrscheinlich, weil Rink als Orientalist auf dem Gebiete der physischen Geographie kaum ausgewiesen war (allerdings hatte er schon einige orientalische Quellen zur Geographie herausgegeben und ein französisches Buch über die Mineralogie Homers ins Deutsche übersetzt). Die These, daß es Arbeitsgespräche zwischen Kant und Rink gegeben hat, findet eine weitere Unterstützung in der Tatsache, daß der zweite Teil der Physischen Geographie weitgehend auf kommentierende Zusätze und Anmerkungen verzichtet. Dieser Teil ist erst in Danzig fertiggestellt, wohin Rink im September 1801 seinen Wohnort wechselt. Das Fehlen von Zusätzen und Anmerkungen ist somit offensichtlich auf den Abbruch des regelmäßigen mündlichen Verkehrs mit Kant zurückzuführen. Jedenfalls ist Rinks eigene Motivierung für das Fehlen der Kommentierung des zweiten Teils allem Anschein nach ein bloßes Schönreden seiner fehlenden Kompetenz. Er schiebt nämlich die Rezensionen der 1800 veröffentlichten Jsche-Logik als Grund für dieses Fehlen vor, die dieser Logik-Ausgabe vorwürfen, Kants Gedankengänge nicht konzise wiederzugeben.26 Wegen des abrupten Abbruchs der 25 Nämlich im Zusammenhang mit dem Briefwechsel mit dem Kurator der Universität Leiden, Jeronimo de Bosch, sowie den Vorbereitungen zur Herausgabe des Buches Mancherley zur Geschichte der metacritischen Invasion in 1800, vgl. vom Verf.: „Der Briefwechsel zwischen Immanuel Kant und Jeronimo de Bosch“, erscheint in Kant-Studien. Ferner gehörte Rink seit 1799 zu Kants regelmäßigen Tischgästen, vgl. Rink 1805, 120. 26 Vgl. Rinks „Vorrede“ zur Phys. Geogr., AA 9.154: „Als ich nun aber aus öffentlichen Urtheilen über die von meinem Freunde Jsche besorgte Ausgabe der Kantischen Logik abnahm, daß man die Schriften unsers Lehrers lieber in ihrer ganzen Eigenthümlichkeit zu erhalten wünsche […]: so glaubte ich meinen Antheil, in so weit sich dieses noch thun ließ, bei diesem Werke ganz

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Kommentierung im zweiten Teil der Physischen Geographie liegt es außerdem auf der Hand, daß ihr erster schon gedruckt vorgelegen hat, als die Kritiken der Jsche-Logik erscheinen, was ungefähr zu dem Zeitpunkt gewesen sein wird, als sich Rink nach Danzig aufmacht. Offenbar hat er also jene Kritiken als willkommenen Anlaß dafür genommen, von der weiteren Kommentierung abzusehen. Denn in Danzig auf sich allein gestellt, ohne den regelmäßigen Kontakt zu Kant, muß er bald eingesehen haben, daß seine Kompetenzen für die angemessene Kommentierung der Physischen Geographie einfach nicht ausreichen. Im Rückkehrschluß hieße das dann, daß die Kommentarstücke des ersten Teils der Physischen Geographie zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf Kant selbst bzw. auf Gespräche zwischen Rink und ihm zurückgehen könnten. Jedenfalls dürfte es sehr wahrscheinlich sein, daß sie mit Kant durchgesprochen wurden. Diese Gespräche könnten dann die vielleicht entscheidende Quelle für Kants Schelling-Kenntnisse gewesen sein. Hat sich Rink tatsächlich mit Kant über die Anmerkungen zu seiner Ausgabe der Physischen Geographie verständigt, fällt die positive, zumindest jedoch neutrale Beurteilung der Schellingschen Philosophie auf. Eine ähnlich freundliche Tendenz findet sich schon in der von Gottlieb Benjamin Jäsche besorgten Ausgabe der Kantischen Logik.27 Auch Jäsche kennt Schellings System des transscendentalen Idealismus, und zwar so gut, daß er behaupten kann, daß dieser sich „in seinem System des transscendentalen Idealismus gegen die Voraussetzung der logischen Grundsätze als unbedingter, d. h. von keinen höhern, abzuleitender“ Grundsätze erkläre, weshalb die Logik immer schon die „höchsten Grundsätze des Wissens“ voraussetzt, weil sie ihre Sätze aus diesen entstehen läßt.28 Diese Charakterisierung verlangt tatsächlich, daß man Schellings Philosophie in ihren wesentlichen Zügen beurteilen kann. Jäsche traute sich das offenbar zu. Und sofern eine solche Beurteilung in einer „Vorrede“ zu einer Kantischen Schrift geschieht, wird man davon ausgehen dürfen, daß auch Kant näher über die Philosophie Schellings informiert war und sie für bedeutsam genug hielt, daß auf sie Bezug genommen werde. Das sagt allerdings noch nichts darüber aus, ob er Schellings Philosophie bzw. ihre philosophischen Pointen auch für zurücknehmen zu müssen, daher die letzte Hälfte desselben, außer einigen höchst nöthigen Litterarnotizen, ohne meine Anmerkungen erscheint und sonach ganz ihrem Verfasser ausschließlich zugehört.“ 27 Übrigens nennt Rink in der „Vorrede“ zur Physischen Geographie Jäsche seinen Freund, vgl. AA 9.154. 28 Vgl. Jsche-Logik, „Vorrede“, AA 9.7.

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richtig hielt. Genausowenig sind – leider – eindeutige Rückschlüsse darüber möglich, ob Kant Schelling aus eigener Lektüre kannte oder ob die beiden Herausgeber seiner Schriften ihm einige Aufklärung über die Schellingsche Philosophie verschafft haben, was allerdings wahrscheinlich sein dürfte. Klar ist aber auf jeden Fall, daß insbesondere Schellings System des transscendentalen Idealismus im unmittelbaren Umkreis Kants wahrgenommen und teilweise auch geschätzt wurde; denn sonst wären die wenig kritischen und zudem inhaltlich gut informierten Hinweise bei Rink und Jäsche auf Schelling nicht gut zu verstehen. Dieser eher positiven Haltung gegenüber Schelling widerspricht eine briefliche Äußerung, die der reformierte Theologe und Rektor der Königsberger Burgschule Stephan Wannowski (1749 – 1812) dem Königsberger Professor für Griechisch, Theologie und Eloquentia und Dekan der philosophischen Fakultät Samuel Gottlieb Wald (1762 – 1828) auf seine Nachfrage hin macht, wer unter den Bearbeitern des Kantischen Systems „die falschesten Jünger seien“; hieraufhin berichtet ihm nämlich Wannowski: „Unter die falschesten Jünger Kant’s ist wohl Herr Schelling zu rechnen, der sich zum Gegner von Kant aufwirft, im Grunde aber nur dessen philosophische Sätze – ich weiß nicht wie ich sagen soll: vermystificirt [sic], oder verpansophistisirt“29. In die Gedächtnisrede, die Wald am 23. April 1804 auf Kant hält, gehen dann folgende Worte ein: „Natürlich […] daß ihn [nämlich Kant, e.-o.o.] viele seiner Schüler nicht einmal verstanden und wie Beck [ Jacob Sigismund, e.o.o.] die ganze Sache zu einem leeren Gedankenspiele herabwürdigten oder wie Fichte und Schelling Idealisten und pansophistische Mystiker wurden“.30 Von allen erhaltenen Berichten, die sich Wald von Freunden und Bekannten Kants für seine Gedächtnisrede erbeten hat, ist der Wannowskis bemerkenswerterweise der einzige, der Schelling überhaupt erwähnt. Als Wald sein Manuskript der Gedächtnisrede dem Königsberger Theologieprofessor Johann Christoph Gräf und dem Freund Kants, Christan Jacob Kraus, zur Durchsicht gibt, bemerkt ersterer nur: „Würde diese namentliche Nennung dieser Herren, wenn die Rede etwa gedruckt werden sollte, nicht zu bitter sein?“31 Letzterer hat an der Bemerkung über Schelling und Fichte nichts auszusetzen, lediglich an einer anderen Stelle möchte er eine Bemerkung über Fichte korrigiert 29 Reicke 1860, 40. 30 Ebd. S. 23. 31 Ebd. S. 23 Anm. 34.

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haben, sofern sich Kant nämlich nicht „bitter über Fichte’s Undank“, sondern „ernst“ ausgelassen habe.32 Soweit ich sehe, ist Wannowski die einzige Quelle aus Kants Umgebung, die durchweg negativ über Schelling urteilt. Dieses Urteil übernimmt der damalige Königsberger Dekan Wald. In den 90er Jahren scheint Wannowski allerdings kaum Umgang mit Kant gehabt zu haben, was freilich den Wert dieser Quelle schmälert. Allerdings könnte man auch vermuten, daß die unterstellte kritische Haltung Kants gegenüber Schelling auf Kants energische und in Königsberg auch wohlbekannte Herder-Kritik zurückzuführen ist. Es gibt eine starke Rezeption Herders durch Schelling, die allerdings nicht unmittelbar an der Oberfläche liegt; dennoch ist es gut denkbar, daß in einer für eine Kritik an Herder und seinen Spinozismus sensibilisierte Diskussionslandschaft die Verbindung zwischen Herder einerseits und Schelling und Spinoza anderseits vor der Hand lag. Kants zuweilen bittere Formen annehmendes Anti-Herder-Sentiment kann keinem seiner Freunde und Bekannten entgangen sein, auch Wannowski nicht, dessen vernichtendes Urteil über Schelling Wald daher auch mehr oder weniger bedenkenlos übernehmen kann. Herders Spinozismus,33 Schellings mindestens latenter Spinozismus und Kants zeitlebens energische Ablehnung des Spinozismus bilden dann den Hintergrund, vor dem Wannowskis Diktum gegen Schelling jedem, der Kant auch nur ein wenig besser kennt, einen guten Sinn machen mußte. Aber auch wenn es wahr ist, daß Kant Schelling tatsächlich für seinen „falschesten Jünger“ gehalten habe, unterstellt diese Aussage bei Kant inhaltlich informierte Kenntnisse der Schellingschen Philosophie. Die angeführten Belege zeigen somit, daß die Philosophie Schellings im unmittelbaren Umkreis Kants wahrgenommen und diskutiert wurde. Ferner wird man wegen der teilweise recht detaillierten Kenntnisse über Schellings Philosophie bei Rink und Jäsche sowie der Tatsache, daß sie in Schriften Kantischen Gedankenguts eingefädelt sind, kaum umhin können, auch Kant eine gewisse Bekanntheit mit der neuen Schellingschen Philosophie zu unterstellen. Wie sich der Königsberger selbst darüber verbreitet, wollen wir im folgenden anhand der einzigen zwei direkten Schelling-Belege im Opus postumum untersuchen.

32 Ebd. S. 23 Anm. 35. 33 Vgl. dazu Bell 1984, 38 – 70 und 97 – 146.

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3. Schelling im Opus postumum In dem spätesten 1. Konvolut des Opus postumum – abgefaßt zwischen Dezember 1800 und Ende 1803 – finden sich in enger zeitlicher Nähe die einzigen zwei Stellen im Schriftgut Kants, an denen Schelling namentlich erwähnt, seine Philosophie außerdem als „transzendentaler Idealismus“ bezeichnet und mit Blick auf Kants eigene Transzendentalphilosophie somit auch systematisch positioniert wird.34 Eine solche systematische Positionsbestimmung der Philosophie Schellings läßt sich allerdings nur dann vornehmen, wenn eine genauere Kenntnis von ihr vorliegt. Deshalb überzeugt das mögliche Gegenargument nicht, Kant rekurriere an beiden Stellen im Opus postumum lediglich auf den Titel des Schellingschen Hauptwerks von 1800.35 In diesem Zusammenhang ist zunächst noch eine allgemeine Bemerkung am Platz. Bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es Stimmen, die behaupten, Kant sei in seinem Nachlaßwerk auf irgendeine Weise von Schelling inspiriert. Am weitesten dabei geht sicherlich Friedrich Heman, der in den Kant-Studien von 1904 die absurde Behauptung aufstellt, die Ideen hätten Kant zur Abfassung des Opus postumum getrieben (was allein schon der Daten wegen unmöglich ist).36 Adickes hat sich bemüht, diesen und ähnlichen Unsinn anderer Interpreten aus der Welt zu schaffen.37 Mit wenig Erfolg, denn 1924 wiederholt Karl Vorländer denselben Unsinn in seinem großen Kant-Buch, – obwohl versehen mit dem Epitheton „wahrscheinlich“.38 An anderen Stellen spielt Adickes allerdings auch mit dem Gedanken, der späte Kant

34 Vgl. OP, AA 21.87 und 97. 35 Freilich konnte Kant schon dem Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung von 1798 entnommen haben, daß Schelling einen transzendentalen Idealismus vertritt, sofern er dort für das WS 1798/99 in Jena eine Vorlesung „Die allgemeinen Elemente des transcendentalen Idealismus“ ankündigt. – Ferner ist zu bemerken, daß auch Fichte sein System bzw. seine Wissenschaftslehre als transzendentalen Idealismus bezeichnet, vgl. Fichtes Wissenschaftslehre 1794/95, GA I/2.363 und „Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre“, GA I/4.263. 36 Heman 1904, 177 f. – Die Ideen erscheinen 1797, also zu einem Zeitpunkt, wo Kant sein Übergangswerk bereits in Angriff genommen hat. 37 Vgl. Adickes 1920, 32 f. und 833. 38 Vorländer 1924, 2.288.

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könne eventuell von Schellings Weltseele beeinflußt sein.39 Denn besonders was die Auffassungen über Äther, Licht, Wärme, Elektrizität und Magnetismus betrifft, gäbe es große inhaltliche Ähnlichkeiten. Anschließend geht auch er so weit, den späten Kant mit Schellings „prophetischem Blick“ auszustatten, „zukunftsferne Resultate vorweg[zu]nehmen […] mögen auch für die Erfahrungswissenschaft dazwischen noch Abgründe gähnen.“40 Eckart Förster meint im Kommentar zur Cambridge-Ausgabe des Opus postumum, daß die Rede von der Weltseele in den spätesten Blättern „seems to be occasioned by F.W.J. Schelling’s Von der Weltseele […].“41 In diesem Zusammenhang weist er nicht hin auf den gleichnamigen Aufsatz von Salomon Maimon, den dieser am 9. Mai 1790 Kant zugeschickt hatte,42 und der allein schon aus inhaltlichen Gründen viel eher als Quelle für Kants Rede von der Weltseele in Frage kommt als die Schellingsche Schrift. In jüngster Zeit hat sich Burkhard Tuschling in verschiedenen Schriften immer wieder für die These eingesetzt, daß Kant, hätte er Schelling gelesen, sich in ihm wiedererkannt hätte.43 Wie gesagt, einen unumstößlichen Hinweis dafür, daß Kant Schellings Schriften in der Tat gelesen habe, hat auch er bislang nicht geben können. Mindestens aber soll Kant, so Tuschling, in den späten Manuskripten des Opus postumum „ein System des transzendentalen Idealismus vorbereitet [haben, e.-o.o.], das Kant unter anderem zu der Anerkennung Schellings als Repräsentanten des transzendentalen Idealismus motiviert.“44 Ähnlich meinen auch die Herausgeber des jüngst in der historisch-kritischen Schelling-Ausgabe erschienenen Systems des transzendentalen Idealismus, Schelling hätte nach Kant „durchaus den Status der Transzendentalphilosophie um 1800 39 Vgl. Adickes 1920, 225 Anm. und 414 Anm. Ferner auch die Stelle, wonach Kant nicht „als Naturwissenschaftler, sondern als Naturphilosoph nach der Art Schellings“ (591) bezeichnet wird. 40 Ebd., 473. 41 Kant 1993, 274 Anm. 89, obwohl Förster auch meint: „A detailed study of the extent of Kant’s familiarity with Schelling’s work is still a desideratum.“ – Klar hat allerdings schon Bonsiepen 1997, 273, gezeigt, daß die Schellingsche Weltseele eine „Umbildung des Kantischen Ansatzes“, nämlich des Ansatzes bei Repulsion und Attraktion vollziehe, weshalb es zunächst nicht auf der Hand liegt, irgendwelche Übereinstimmungen zwischen Schellings Buch und dem Opus postumum anzunehmen. 42 Briefe, AA 10.171. 43 Vgl. Tuschling 1991, 130 f. und passim. 44 Tuschling 2002, 153.

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bestimmt.“45 Besonders letztere Aussage ist vorsichtig formuliert, dennoch kann ich mich dieser und den davor referierten Sichtweisen nicht anschließen. Kant setzt sich nämlich im Opus postumum durchaus von Schellings transzendentalem Idealismus ab und will seine Transzendentalphilosophie nicht mit dieser identifiziert wissen. Diese These soll im folgenden weiter entwickelt werden. Wie gesagt liegen die beiden Erwähnungen Schellings im 1. Konvolut zeitlich nahe beieinander, wobei eher an Wochen oder Tage als an Monate zu denken ist. Das Datum post quem ist frühestens Anfang Mai 1801, denn Ende April erscheint die Rezension von Schellings System des transscendentalen Idealismus in der Erlanger Litteratur-Zeitung,46 auf die sich Kant ausdrücklich bezieht. Ferner vermerkt Kant auf dem Blatt mit dem Hinweis auf Schelling, er habe „gestern d.i. Montag den 27sten July“ eine „Bouteille cacavello“ geöffnet (die Flasche hatte er von Friedrich Heinrich Jacobi erhalten), womit das vermutliche Datum ante quem ermittelt wäre. Weil beide Bemerkungen zu Schelling zwar auf demselben Papierbogen, doch auf verschiedenen Seiten stehen, die alle vier mit den Worten „Transzendentalphilosophie ist […]“ einsetzen, läßt sich nicht zweifelsfrei feststellen, welcher der beiden Hinweise der frühere bzw. spätere ist. In der einen der beiden Erwähnungen Schellings bemerkt Kant in der Marge der Seite (zur Hervor- oder Abhebung ist jeder der beiden nachfolgenden Sätze außerdem umklammert): System des transsc: Idealism von Schelling vide Litteratur-Zeitung, Erlangen No. 82. 83.

In der Akademie-Ausgabe ist die Bemerkung in den laufenden Text eingegliedert und der Apparat macht nicht klar, daß es sich hierbei um eine Randglosse handelt, die sich Kant im Sommer 1801 in die Marge der Seite geschrieben hat. Tatsächlich steht die Randglosse auf den ersten Blick in keinem Zusammenhang zum Haupttext der Seite, d. h. gibt es einen solchen Zusammenhang, muß er erst rekonstruiert werden. Zunächst ist also unklar, weshalb Kant die Lektüre der Rezension 45 HKA I/9,2.5. Es geht um die Passage OP, AA 21.97: „Trans. Phil. ist das formale Princip sich selbst als Object der Erkentnis systematisch zu constituiren“. Mit der folgenden Kritik soll übrigens die hervorragende Arbeit der Hrsg. dieses Bandes in keiner Weise geschmälert werden. 46 Erlanger Litteratur-Zeitung vom 28. und 29. April 1801, Nr. 82 und 82, Sp. 649 – 663. – Die Rezension ist sehr wahrscheinlich von Henrik Steffens verfaßt, vgl. HKA I/9,2.25 Anm. 72.

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Abb. 1: Ausschnitt der Seite 27 (neue Zählung) des 1. Konvoluts

ausgerechnet an dieser Stelle vermerkt. Festzustellen ist jedoch, daß Kant die Erlanger Litteratur-Zeitung nicht nur gekannt, sondern offenbar auch regelmäßig gelesen hat. Tatsächlich lassen sich seit seiner berühmten Erklärung gegen Fichte von 1799, die durch eine Rezension in der Litteratur-Zeitung veranlaßt ist, mehrere Stellen identifizieren, die Kants Lektüre dieser Zeitschrift belegen.47 Ferner ist oben schon die Möglichkeit angedeutet, daß sich die Physische Geographie auf eine Rezension der Zeitschrift fr spekulative Physik in der Erlanger LitteraturZeitung bezieht.48 Sicherlich wird Kant aber auch die Rezension seiner Anthropologie zur Kenntnis genommen haben, die in einem der ersten Blätter der Litteratur-Zeitung erschienen war.49 Aus diesen Gründen dürfte sich die von Fichte brieflich gegenüber Schelling geäußerte Ansicht wohl auch eher opportunistischen Motiven verdanken, daß „in Königsberg, wie ich von meinem dortigen Aufenthalte her noch weiß, die litterarischen Neuigkeiten oft spät […] die Erlanger L. Z. vielleicht gar nicht bis dorthin kommt.“50 47 Für die Erklärung gegen Fichte vgl. Briefe, AA 12.370; andere Stellen, die die Lektüre der Litteratur-Zeitung belegen sind Refl. Med., AA 15.967 und OP, AA 21.88. 48 Vielleicht hat Kant deshalb auch die Rezension von Johann Baptist Schad in der Litteratur-Zeitung des Ersten Entwurfs und der Einleitung zum ersten Entwurf gekannt, vgl. Erlanger Litteratur-Zeitung vom 7. und 8. April 1801, Nr. 67 und 68, Sp. 529 – 536 und 537 – 540. 49 Erlanger Litteratur-Zeitung vom 16. Januar 1799, Nr. 11, Sp. 81 – 88. 50 Vgl. Fichtes Brief an Schelling vom 20. Sept. 1799, GA III/4.86; n. B.: die Litteratur-Zeitung erscheint freilich erst seit Anfang 1799 und wird erst 1801 zum Publikationsorgan für die Schellingsche Philosophie. – Mit dem in der Vergangenheit immer wieder vorgebrachten Vorurteil, in Königsberg sei man über die neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen schlecht informiert, hat Dietzsch 2003 hoffentlich endgültig aufgeräumt.

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Hat aber Kant die sehr positive Rezension von Schellings System des transscendentalen Idealismus in der Erlanger Litteratur-Zeitung tatsächlich gelesen? Wie gesehen, wurde Schellings Hauptwerk in der unmittelbaren Umgebung Kants wahrgenommen und sogar in Kantischen Schriften rezipiert. Obwohl es m. E. keinen Grund zu der Annahme gibt, daß Kant jenes Buch wirklich gelesen hat, auch seine Bibliothek verzeichnet es nicht,51 legt die Randglosse im 1. Konvolut allerdings nahe, daß er die ausführliche, von Henrik Steffens verfaßte Rezension der Systemschrift aller Wahrscheinlichkeit nach gelesen hat, mindestens aber, daß er sie sich deshalb notiert hat, weil er über irgendwelche inhaltlichen Informationen über Schellings Systemschrift im Zusammenhang mit dieser Rezension verfügte, etwa aus Gesprächen mit Rink. Zentral für diese inhaltlichen Informationen ist, wie wir anläßlich der zweiten Passage im Opus postumum noch sehen werden, der Spinozismus Schellings. Nun thematisiert die Rezension diesen Spinozismus nicht, weshalb sich Kant diesen Spinozismus nur selbst aus dem Inhalt der Rezension hergeleitet haben kann, wie er dann auch später von Kant vertreten sein könnte, um so – freilich in extremerer und entfremdeter Weise – in die Gedächtnisrede von Wald eingegangen zu sein. In der Rezension wird Schelling nun nicht als Spinozist, sondern als der neue Leibniz gefeiert.52 Dem Rezensenten zufolge sei es Leibniz’ Verdienst gewesen, die Philosophie Spinozas, die die erste „Philosophie der Anschauung“53 war, mit der Reflexionsphilosophie Newtons vermittelt zu haben. Philosophiehistorisch parallel kommt Schelling dann das Verdienst zu, die Philosophie Kants, die den „Reflexions-Standpunkt bis auf das Höchste getrieben(e)“ habe,54 mit der Fichtes vermittelt zu haben, die dem Rezensenten zufolge ebenfalls eine Philosophie der Anschauung ist. Daß Schelling eine Philosophie der Anschauung vertreten hätte, be51 Nach Adickes 1920, 33 Anm., sei es sogar „ausgeschlossen, daß Kant Schellings Werk gelesen, und daß dieses auf seinen Plan eines Systems der Tr.ph irgendwelchen Einfluß ausgeübt habe.“ 52 Erlanger Litteratur-Zeitung, 663. Übrigens ist auch Schelling selbst in seiner „Einleitung“ zu den Ideen zu einer Philosophie der Natur (1797) der Meinung, es sei die „Zeit […] gekommen, da man seine [Leibniz’, e.-o.o.] Philosophie wieder herstellen kann“, HKA I/5.77; siehe ähnlich, jedoch mit Bezug auf Fichte Abh. zur Erl. des Idealismus der WL, SW I/1.443. Zu Schellings Auseinandersetzung mit Leibniz vgl. ferner Hecht 2000 und Holz 1984. 53 Erlanger Litteratur-Zeitung, 662. 54 Ebd., 662 f.

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hauptet die Rezension freilich nicht, ein unbefangener Leser kann das jedoch aus der Aussage des Rezensenten ableiten: der „ganze transcendentale Idealismus besteht in einem fortgesetzten Potenziren der Anschauung“55. Tatsächlich scheint es diese Bemerkung zu sein, in die Kant Schellings Spinozismus hineinliest. Auch Eckart Förster nimmt diese Passage der Rezension zum Anlaß für seine Interpretation der anderen Schelling-Stelle im Opus postumum, wo es um die drei Zeitdimensionen Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft geht, zieht aber daraus keine Rückschlüsse auf die Bedeutung dieser Passage für Schellings Spinozismus.56 In der Rezension wird gleich im Anschluß an die soeben referierte Stelle die Frage gestellt: „Wie schaut sich das Ich als producirend an?“57 Es geht dabei, wie die Rezension im Vorhergehenden darlegt, um Schellings transzendentalidealistische Überbietung und damit zugleich auch Überwindung der Fichteschen Wissenschaftslehre von 1794/95, d. h. „das Ich selbst in dem ersten Moment seiner Entstehung zu versetzen, und von diesem aus, für das Ich entstehen zu lassen.“58 So entsteht erst durch den Schellingschen „transcendentalen Idealismus“, so fährt der Rezensent fort, „eine wahre Theorie, weil sie eine reine (theoretische) Konstruktion erst möglich macht, eine Konstruktion nämlich, in welcher nicht das Konstruirende (wie in der Wissenschaftslehre) mit begriffen ist, und die bis zu der reinen Selbstkonstruktion aufsteigt, von welcher die Wissenschaftslehre ausgeht“. Die „Selbstkonstruktion“ wird möglich, „indem die Anschauung als eine solche angeschaut wird, d. h. indem das in den Objekten verlohrene Subjektive als rein Subjektives hervortritt.“59 Auf diese Weise wird „in der bewußtlosen Thätigkeit, d. h. in der objektiven Welt, die Spur der bewußten Thätigkeit aufgezeigt“.60 Was nun Kant an dieser Auffassung interessiert haben mag, ist die Ähnlichkeit mit seiner eigenen Selbstsetzungslehre, die er in seinen Papieren um 1799 zu entwickeln beginnt.61 Dennoch ist die Pointe der 55 56 57 58 59 60 61

Ebd., 654. Kant 1993, 285 f. Erlanger Litteratur-Zeitung, 654 (ohne Hvh. des Originals). Ebd., 651. Ebd. Ebd., 652. Eingeführt ist dieser Ausdruck von der für das Opus postumum immer noch bedeutsamen Studie von Adickes 1920. Ob und inwiefern es sich hierbei wirklich um eine neue „Lehre“ handelt, sei dahingestellt.

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Selbstsetzungslehre eine ganz andere als die des transzendentalen Idealismus Schellings. Bei Kant bedeutet die Selbstkonstitution des Subjekts in einem System der Ideen der reinen Vernunft, daß das Subjekt sich „synthetisch u. a priori zum Gegenstande des Denkens constituirt“ und so „seines eigenen Daseyns Urheber wird“.62 Im Zusammenhang mit dieser Passage wird dann Spinoza auf den Plan gerufen, dem Kant hinsichtlich der „intus sußception eines Systems der Ideen“ – und zwar im Gegensatz zu seinem eigenen transzendentalphilosophischen Erfahrungsprinzip – vorwirft, ein „System(s) der Wesen“ zu formulieren, „die als in einem System in mir und dadurch ausser mir gedacht werden“, bzw. „Gott[,] der keinen äußern Gegenstand ja gar keinen der Warnehmung enthält.“ Dies sind Positionen, die im Grunde genommen auch von Schelling vertreten werden, sofern es ihm um eine Erklärung der „Realität der Objekte“ geht, d. h. „aus dem Idealismus den Realismus“ hervorzubringen.63 Die Selbstsetzung Kants will allerdings dartun, wie das Subjekt sein eigenes Dasein im System der Ideen herstellt, wobei der Gedanke von entscheidender Bedeutung ist, daß die Transzendentalphilosophie „vor den Erscheinungen in Raum u. Zeit vorher[geht]“64. Schelling geht es dagegen um den Nachweis, daß die Natur in ihren Produktionen denen des menschlichen Geistes entsprechend verfährt, mithin darum, „in der bewußtlosen Thätigkeit, d. h. in der objektiven Welt, die Spur der bewußten Thätigkeit“ aufzuzeigen und so bewußtlose und bewußte Tätigkeit als „homogen“ darzustellen,65 weshalb die Anschauung der ursprünglichen Tätigkeit letzten Endes nichts anderes ist als die Selbstkonstruktion des Ichs. Folglich sind auch Raum und Zeit Produkte – in der transzendentalen Geschichte sogar die frühesten Produkte – dieser Selbstkonstruktion; und das ist genau, was der Rezensent in Bezug auf Zeit und Raum für Schellings transzendentalen Idealismus herausarbeitet.66 Auch für den Kant des Opus postumum ist Konstruktion, wie schon seit der ersten Kritik, immer mathematische Konstruktion, die grund62 OP, AA 21.100, vgl. auch 128: „Die Transscend. Philos. ist die Wissenschaft[,] welche vor aller synthetischen Erkentnis a priori aus Begriffen vorhergehend[,] folglich vor allem empirischen Erkentnis (Philosophemen) vorhergehend[,] sich selbst zu einem absoluten Ganzen in Anschauungs- und Gefühls-Vorstellungen vereinigt in Einem System darstellt.“ 63 Erlanger Litteratur-Zeitung, 651. 64 OP, AA 21.88. 65 Erlanger Litteratur-Zeitung, 652. 66 Vgl. Erlanger Litteratur-Zeitung, 654 f.

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sätzlich nicht von den reinen Anschauungsformen absehen kann,67 weshalb alle Gegenstände der Erfahrung immer Einschränkungen von Raum und Zeit sind, während sie nach Schelling Einschränkungen der selbstkonstruierenden Tätigkeit selbst sind. Im gesamten Opus postumum gibt es keine Stelle, die sich so interpretieren ließe, daß Kant den Erfahrungsstandpunkt verlasse. Sein System der reinen Vernunft konstituiert sich vor aller Wahrnehmung zum Gegenstand der reinen Anschauung und ist deshalb in aller Anschauung als „Autonomie der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt“, d. h. „als absoluter Einheit“ immer schon enthalten.68 Nur kurz erwähnt sei noch, daß Kant die Transzendentalphilosophie an verschiedenen, sehr späten Stellen im 1. Konvolut des Opus postumum einen Galvanismus nennt.69 Welche Kenntnisse Kant über den Galvanismus hatte, ist bislang noch kaum untersucht; daß er sich für das Thema interessierte, ist jedoch sicher.70 So berichtet z. B. Wasianski: Kant konnte „[d]ie Theorie des Galvanismus und die Beschreibung der Phänomene desselben […], aller darauf verwandten Mühe ungeachtet, nicht mehr ganz fassen. Augustins Schrift über diesen Gegenstand war eine der letzten, die er las“.71 Eine kurze Bemerkung Kants deutet darauf hin, daß der Königsberger Mediziner Karl Reusch ebenfalls eine Identifikation von Galvanismus und Transzendentalphilosophie vorgenommen habe, was Kant in diesem Zusammenhang vielleicht vorschwebte.72 Bedeutsam ist diese Verbindung von Transzendentalphilosophie und Galvanismus besonders deshalb, weil der Physiker Johann Wilhelm Ritter im Galvanismus das Grundschema aller Tätigkeit sowohl in der belebten als unbelebten Natur zu erkennen meinte.73 Obwohl Schelling schon bald zentrale Auffassungen Ritters kritisiert, etwa indem er den Galvanismus ganz dem chemischen Prozeß unter67 Vgl. KrV A 713/B 741. 68 OP, AA 21.100. 69 OP, AA 21.133, 135, 138. Vgl. hierzu auch den Aufsatz von Steffen Dietzsch in diesem Band. 70 Vgl. dazu die Einträge von Anfang 1802 in den Memorienheften, Refl. Med., Nr. 1556, AA 15.977 f. 71 Vgl. Wasianski 1804, 44. Gemeint ist hier vermutlich die Schrift Augustin 1801. 72 Vgl. OP, AA 21.133. 73 Ritter 1800, 173. Auch nach Schelling ist der Galvanismus „der allgemeine Ausdruck für alle in’s Product übergehende Processe“, System des tr. Id., SW I/ 3.449 f., 496, vgl. auch fast identisch ebd. 193.

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ordnet, ist es durchaus denkbar, daß Kant sowohl dem als Schellingianer geltenden Ritter als auch Schelling selbst die Reuschsche Position gegenüberstellt. Denn hinsichtlich des Galvanismus steht Kant eindeutig auf einem transzendentalphilosophischen Standpunkt, sofern er ihn nämlich als bewegende Kraft, d. h. nicht im Sinne einer allgemeinen Bildungskraft, eines allbeseelenden Prinzips oder einer materiekonstruierenden Fundamentalkraft verstanden wissen will. Hinsichtlich der Sinnesgegenstände hält Kant ausdrücklich fest, sie seien „1mo als Erscheinungen[,] 2do als Producte meines eigenen Denkens und Ideen der Transsc. Philosophie der Formen[,] gleichsam nach dem Galvanismus der Electricität[,] Beziehung auf mögliche Erfahrung[,] aber nur asymptotisch als absoluten Ganzem dem absoluten Ganzen derselben“ zu verstehen.74 Der Galvanismus ist in diesem Zusammenhang nicht zuständig für die Produktion von Naturphänomenen, sondern bleibt ausdrücklich bezogen auf mögliche Erfahrung. Interessant ist in diesem Zusammenhang Kants Bemerkung, daß der Galvanismus für die Empfindlichkeit der Nerven unterstellt ist, ohne welche „der Mensch nicht einmal sich selbst im Vniversum anschaulich setzen“ könnte.75 Zur Erklärung des Galvanismus als gebietübergreifenden Phänomens hat man vielfach ein galvanisches Fluidum angenommen. Hierin könnte der Hintergrund für die Parallele liegen, die Kant zwischen Galvanismus und Äthertheorie herzustellen scheint, insofern nämlich die bewegenden Kräfte des Galvanismus eine Bedingung der Möglichkeit der Nervenempfindlichkeit und damit der empirischen Wahrnehmung herstellen (ähnlich ist der Kantische Äther Bedingung der Möglichkeit der Gegenstände der empirischen Wahrnehmung). Klar ist jedenfalls, daß Kant die systematische Verschränkung von Geist und Natur oder Welt nicht objektiv-idealistisch, sondern transzendentalphilosophisch denkt, wobei Erfahrung maßgeblich bleibt, mithin die Totalität aller Erfahrung nur asymptotisch zu erreichen ist. Kurz, kraft der Selbstsetzung wird die Idee oder das System der Ideen als das eine System der Erfahrung und damit auch der Physik fr die Erfahrung gesetzt. Herstellen läßt sich dieses System allerdings nur durch Erfahrung, mithin durch Erfahrungserkenntnis in einem asymptotischen Erkenntnisprozeß. Die Idee oder die Transzendentalphilosophie verliert auch im Opus postumum nicht ihren bloß regulativen Status für Metaphysik und Physik; und die Selbstsetzung kann durchaus so interpretiert 74 OP, AA 21.136 f. und 125. 75 OP, AA 21.137.

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werden, daß sich das Subjekt für alle reale Möglichkeit potentiellen Seins als ein erstes, noch präreflexives Dasein immer schon gesetzt haben muß.

4. Rekonstruktion einer Passage über Schelling im Opus postumum Die andere Erwähnung Schellings im Opus postumum ist mit einer inhaltlich informierten Angabe über seine Philosophie verbunden. Im 1. Konvolut auf Seite 27 (neue Zählung), die mit einer Definition der Transzendentalphilosophie einsetzt, findet sich im laufenden Haupttext auf etwa drei Fünfteln von oben folgende Bemerkung: System des transsc. Idealisms durch Schelling, Spinoza, Lichtenberg etc. leichsam 3 Dimensionen: Die Gegenwart, Vergangenheit u. Zukunft.76

Alle mir bekannten Interpretationen dieser Stelle unterstellen, es handle sich hier um einen zusammenhängenden Satz.77 Das Schriftbild läßt jedoch auch eine andere Lesung zu, die sehr viel plausibler ist. Die Worte nach „etc.“ stehen nämlich in zwei Zeilen etwas über bzw. unter dem Vorhergehenden, weshalb man sie durchaus als einen eigenen Satz bzw. Zusatz lesen kann. Zur Bekräftigung dieser Leseweise ist außerdem anzuführen, daß, obwohl das „G“ in „Gleichsam“ teilweise von einem Tintenfleck bedeckt ist, sich am Ms. feststellen läßt, daß hier im Gegensatz zum Text der Akademie-Ausgabe Groß- und nicht Kleinschreibung vorliegt. Editorisch liegt es deshalb auf der Hand, hier zwei Mitteilungen zu lesen: Erstens: „System des transsc. Idealisms durch Schelling, Spinoza, Lichtenberg etc.“ und zweitens: „Gleichsam 3 Dimensionen: Die Gegenwart, Vergangenheit u. Zukunft.“ Diese Lesart ergibt einen besseren Sinn für das unmittelbar über „Gleichsam 3 Dimensionen:“ stehende Verweiszeichen „o+++o“. 76 Ebd., 87, Zeile 29 – 31. 77 Vgl. etwa Adickes 1920, 840, die Hrsg. des Opus postumum in den Anm. AA 22.796, die Hrsg. von Schellings System des transzendentalen Idealismus in der Einleitung zum Text, HKA I/9,2.27 Anm. 76, Tuschling 1991, 1995, 2001, 151 und 2003, 76 ff., Brandt 1987, 24, Förster 1990, 167 f., Edwards 2000b, 251 Anm. 62. Die Cambridge Edition des Opus postumum schlägt eine leicht andere Leseweise vor, die allerdings auf einer falschen Textlesung beruht, vgl. Kant, 1993, 285 f. Anm. 155.

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Zunächst ist dies Zeichen nämlich einem Absatz angeschlossen, den Kant vermutlich anders gelesen haben wollte als ihn die Herausgeber der Akademie-Ausgabe gelesen haben. Ungefähr in der Mitte dieses Satzes ist nämlich eine eckige Klammer „[„ eingefügt, um das Folgende vom Vorhergehenden abzutrennen; diesem Hinweis wollen wir folgen und streichen, was nach der eckigen Klammer und vor dem Verweiszeichen steht. Mit dem Verweiszeichen wird nun auf folgende Passage rückverwiesen: o+++o Spinozens Gott[,] in welchem wir H [Sigle für Gott, e.-o.o.] in der reinen Anschauung vorstellen. NB der Raum ist auch Object der reinen Anschauung, aber keine Idee.

Über diesen zwei Zeilen stehen zwei Zeilen, die inhaltlich zusammenhängen mit den soeben erwähnten Zeitdimensionen: Das Daseyn, gewesen seyn und seyn werden gehört zur Natur mithin der Welt. Was nur lediglich im Begriffe gedacht wird[,] gehört zu den Erscheinungen. Daher die Idealität der Objecte und der transsc. Idealism.

Weil diese Zeilen das gleiche Schriftbild aufweisen wie die darunter und die Unterlängen in zwei Fällen eindeutig ber die Oberlängen der Zeile darunter geschrieben sind, hat es allen Anschein, daß sie dem nach dem mit dem Verweiszeichen beginnenden Satz angeschlossen sein sollten. Deshalb schlagen wir folgende, gegenüber der Akademie-Ausgabe (Zeile 26 bis 31) abweichende Lesart vor: Transsc. Phil. ist das System der Ideen des denkenden Subjects[,] welches (System) das Formale der Erkentnis a priori aus Begriffen (also abgesondert von allem Empirischen) zu Einem Princip der Möglichkeit der Erfahrung vereinigt. [so wenig wie es philosoph. Anf. Gr. der Mathematik giebt eben so wenig kann es mathematische der Philosophie geben obgleich Newton diese 2 Felder vereinigt Spinozens Gott[,] in welchem wir H in der reinen Anschauung vorstellen. NB der Raum ist auch Object der reinen Anschauung, aber keine Idee. Das Daseyn, gewesen seyn und seyn werden gehört zur Natur mithin der Welt. Was nur lediglich im Begriffe gedacht wird[,] gehört zu den Erscheinungen. Daher die Idealität der Objecte und der transsc. Idealism. leichsam 3 Dimensionen: Die Gegenwart, Vergangenheit u. Zukunft. System des transsc. Idealisms durch Schelling, Spinoza, Lichtenberg etc.

Was läßt sich nun aus dieser Rekonstruktion für das Textverständnis erschließen? Die Passage beginnt mit einer der vielen Definitionen der Transzendentalphilosophie, wie sie im spätesten 1. Konvolut verstärkt auftauchen. Sie ist das System der Ideen des denkenden Subjekts, in dem das Formale der Erkenntnis a priori aus Begriffen zu dem einen

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Abb. 2: Ausschnitt der Seite 27 (neue Zählung) des 1. Konvoluts

Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung gemacht ist. Dieses eine Prinzip wird abgesetzt von Spinozas Prinzip, Gott in der reinen Anschauung vorzustellen, was nach Kant keine Transzendentalphilosophie, sondern transzendentaler Idealismus ist. Und diesen Idealismus oder Spinozismus verwirft Kant ausdrücklich. Philosophiehistorisch bemerkenswert ist zunächst sicherlich Kants systematische Charakterisierung der Philosophie Spinozas als transzendentalen Idealismus,78 was viele Interpreten tatsächlich verwirrt hat, sofern Kants eigene Transzendentalphilosophie von vielen mit einem solchen transzendentalen Idealismus zumindest im Ansatz identifiziert wird. In Wahrheit introduziert Kant die Rede vom transzendentalen Idealismus in den zwei spätesten Konvoluten des Opus postumum, um seine eigene Transzendentalphilosophie davon klarer abzugrenzen, – was ihm allerdings wegen der textuellen Schwierigkeit dieser Konvolute auf den ersten Blick nicht – so muß man zugeben – sehr überzeugend gelungen ist. Obwohl heute die Philosophie Kants ganz allgemein als transzendentaler Idealismus bezeichnet wird, ist es historisch wichtig zu beachten, daß Kant seine eigene Philosophie ausschließlich im ersten Druck der Kritik der reinen Vernunft von 1781 und das auch nur tentativ als transzendentalen Idealismus bezeichnet. Tatsächlich gibt es hier im Ganzen lediglich vier Textabschnitte, wo der Ausdruck neunmal auftaucht (in der 2. Aufl. fallen zwei dieser Passagen dem Rotstift anheim, so daß nur zwei Textabschnitte mit im Ganzen vier Vorkommnisse des Ausdrucks übrigbleiben). In den Prolegomena von 1783 kommt der Begriff bloß zweimal vor und das an einer Stelle, die ausschließlich zum Zweck hat, die kritische Philosophie oder den „kritischen Idealism“, wie Kant sie nun nennen möchte, von der Philosophie Descartes’ und 78 Über Spinoza als transzendentalen Idealisten vgl. z .B. OP, AA 22.64 u. 21.12 ff., 22, 48, 98, 101. – Zur Thematik sind ferner zu beachten Edwards 2000a, Guyer 2005, bes. 305 ff., Mason 2001 und Tuschling 2002.

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Berkeleys abzugrenzen.79 Wie die erhalten gebliebene Vorarbeit zu dieser Passage zeigt, ist sie zweifelsfrei mit dem Zweck der Distanzierung von der Kant gar nicht gefälligen Garve/Feder-Rezension in den Gçttingischen Gelehrten Anzeigen verfaßt.80 Wie sehr sich Kant im Nachhinein geärgert hat über die Charakterisierung seiner Philosophie, wie er sie in der ersten Kritik vorgelegt hatte, zeigt allein schon, wie er den Ausdruck in den Prolegomena einführt: „Denn daß ich selbst dieser meiner Theorie den Namen eines transscendentalen Idealisms gegeben habe, kann keinen berechtigen […]“.81 Jedenfalls ist der Ausdruck seit 1783 dermaßen belastet, daß Kant ihn in keiner späteren Schrift mehr verwendet, erst recht nicht, um damit das eigene philosophische Programm zu charakterisieren. Siebzehn Jahre später ist der Ausdruck dann im Opus postumum freigeworden, um damit andere philosophische Systeme und Einsichten zu charakterisieren, und zwar insbesondere die aus Kants Sicht von Grund auf falschen des Spinoza, Lichtenberg und Schelling. Allerdings bezeichnet Kant diese Systeme nicht deshalb als transzendental-idealistisch, weil hier die Formen der Anschauung nicht den Dingen-an-sich zukommen – was ja Kants eigene grundlegende Position ist, sofern man diese als transzendentalen Idealismus bezeichnen will –82, sondern vielmehr genau umgekehrt, weil diese Formen sehr wohl den Dingen-an-sich zukommen. Der transzendentale Idealismus steht für die Position, die Subjekt und Objekt in demselben Prinzip begründet, wohingegen der Transzendentalphilosophie in den spätesten Blättern des Opus postumum die Auffassung zugrunde liegt, daß sich das Subjekt das Mannigfaltige der Sinnengegenstände formal nach einem Prinzip selbst macht. 79 Prol., AA 4.293 f. 80 Vgl. AA 23.54. – Die Garve-Feder-Rezension erscheint in der 1. Zugabe der Gçttingischen Anzeigen von gelehrten Sachen vom 19. Januar 1782, 40 – 48, wo Kants System gleich auf der ersten Seite „transcendentelle(n)[r] Idealismus“ genannt wird. 81 Prol., AA 4.293. 82 Kant definiert den transzendentalen Idealismus in der Kritik der reinen Vernunft als „Lehrbegriff“, wonach alle Vorstellungen in Raum und Zeit „außer unseren Gedanken keine an sich gegründete Existenz haben“; Raum und Zeit sind mit anderen Worten „nur sinnliche Formen unserer Anschauung, nicht aber für sich gegebene Bestimmungen oder Bedingungen der Objecte als Dinge an sich“, KrV A 491/B 519 bzw. A 369. – Vgl. dazu auch Willaschek 1997, allerdings verwendet dieser den transzendentalen Idealismus auch synonym für das Kantische Programm überhaupt.

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Die eigentliche Spitze gegen den transzendentalen Idealismus und insbesondere gegen Spinoza in den beiden spätesten Konvoluten 7 und 1 ist immer wieder, dieser habe sein Prinzip in Gott, in dem wir alle Dinge anschauen.83 Ob mit diesem Diktum wirklich Spinoza getroffen werden soll, ist im Grunde genommen nicht wichtig. Schon Adickes hat nicht ganz unzutreffend bemerkt, der späte Kant werfe die Philosophie von Spinoza und von Nicolas Malebranche zusammen.84 Denn in seiner Inauguraldissertation De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (1770) schreibt Kant den Grundgedanken „nempe nos omnia intueri in Deo“ nicht Spinoza, sondern dem Okkasionalisten Malebranche zu.85 Für Kants Identifikation der Philosophie Spinozas mit dem transzendentalen Idealismus wird sicherlich mitgespielt haben, daß man Malebranche zu Kants Zeit allgemein als Idealisten bezeichnet hatte.86 Allerdings hat Kants späte Auslegung Spinozas im Opus postumum Vorläufer in den Reflexionen zur Metaphysik und den MetaphysikVorlesungen der 80er Jahre.87 All diese Passagen deuten jedoch nicht 83 Vgl. z. B. OP, AA 21.12, 15, 19, 43, 48, 50, 98, 101 und OP, AA 22.54 f., 56, 59, 61, 64, 61, 64. – Kant könnte für diese Auffassung denken an Stellen aus Spinozas Ethica wie I,15 prop. oder I,18 dem.: „Quicquid est, in Deo est, et nihil sine Deo esse, neque concipi potest“, bzw. „Omnia, quae sunt, in Deo sunt, et per Deum concipi debent“. 84 Vgl. Adickes 1920, 762. 85 Vgl. De mundi sensibilis, AA 2.410. Anderer Ansicht ist Edwards 2000b, chap. 9. – Bemerkenswerterweise findet man auch in Schellings System des transscendentalen Idealismus eine Bezugnahme auf diesen Grundgedanken des Malebranche, HKA I/9,1.228. Hier ist Schelling auf den ersten Blick kritisch, scheint aber in einem veränderten Zeitalter diesem Grundgedanken etwas Positives abgewinnen zu können. 86 Vgl. etwa den 1. Bd., 2. Abth., des Encyclopdischen Wçrterbuchs der kritischen Philosophie, hrsg. von Georg Samuel Albert Mellin, Züllichau und Leipzig, 1797, 543 f. Hier geht es um den „mystischen und schwärmerischen Idealismus des Malebranche. Dieser behauptet nehmlich, wir shen alle Dinge in Gott. Er nahm es nehmlich als einen Grundsatz an, daß die unkörperliche Seele sich nicht mit körperlichen Dingen vereinigen und folglich diese nicht selbst empfinden könne. Die Seele erkenne allein Gott mit dem Verstande, weil dieser nur ein unmittelbarer Gegenstand der Gedanken sei. Gott fasse aber alle die Vollkommenheiten in sich, die mit denen, so jedes erschaffene Ding besitzt, übereinkommen, und folglich geschickt sind, diese Dinge so darzustellen, daß sie die menschliche Seele durch Erkenntniß der Vollkommenheiten Gottes empfinden könne.“ 87 Vgl. etwa die Refl. Met., AA 18.425, 436 f. 438, bzw. die Metaphysik Dohna von 1782/83, AA 28/2,1.692: „denn ich sage entweder alles ist in Gott – das wäre Spinosism“, vgl. auch Metaphysik K2, AA 28/2.794.

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darauf hin, daß sich Kant jemals intensiver mit Spinozas Philosophie beschäftigt hat. Johann Georg Hamann beschreibt in einem Brief vom 20. November 1785 an Jacobi Kants Spinoza-Kenntnisse als sehr beschränkt: „Kant hat mir gestanden, den Spinoza niemals recht studirt zu haben“.88 Wegen der durch die Jahre hindurch gleichbleibenden Beurteilung Spinozas kann man getrost davon ausgehen, daß ein ernsthaftes Studium der Philosophie Spinozas auch nach 1785 nicht stattgefunden hat. Kommen wir zurück zur Interpretation der oben rekonstruierten Textstelle. Gegen die dort erörterte spinozistische Anschauung in Gott führt Kant an anderer Stelle an: Nicht daß wir[,] wie Spinoza wähnt[,] in der Gottheit anschauen[,] sondern umgekehrt[,] daß wir unsern Begriff von Gott in die Gegenstände der reinen Anschauung[,] in unseren Begriff der transsc[endental]. Philosophie hinein tragen.89

Entscheidend ist hier der Unterschied zwischen einem Anschauen in Gott – d. h. Spinozismus bzw. transzendentaler Idealismus – und „den Begriff von Gott in die Gegenstände der reinen Anschauung hineintragen“, was die Position der Kantischen Transzendentalphilosophie ist. Nach der ersten Position müßten Raum und Zeit konsequenterweise Objekte der reinen Anschauung sein (in unserer Passage heißt es: „NB der Raum ist auch Object der reinen Anschauung“), nach der zweiten ist dagegen die reine Anschauung selbst Raum bzw. Zeit,90 oder, wie Kant an anderer Stelle bemerkt, Raum und Zeit ist das unendliche „Object der reinen Anschauung[,] vermittelst welcher das Subject sich selbst setzt“91. Kraft dieser Selbstsetzung konstituiert sich die Transzendentalphilosophie selbst „in einem System der Ideen […] vor aller 88 Vgl. Friedrich Heinrich Jacobi’s Werke, hrsg. von Friedrich Köppen, Bd. 4, 1. Abt., Leipzig 1819, 114. Auch Allison 1980, 201, meint, Kants Spinoza-Kenntnisse seien „not particulary well-informed“. Yovel 1989, 272, argumentiert für Moses Mendelssohn als wichtigste Quelle für Kants Spinoza-Kenntnisse. – Bislang kaum genauer untersucht ist der Zusammenhang zwischen der SpinozaKritik Kants und der von Ralph Cudworth in seinem True Intellectual System of the Universe, welches Buch Kant in der lateinischen Übersetzung von Johannes Laurentius Mosheim, Systema Intellectuale, Jena 1733, besaß, sowie Christoph Meiners, Historia doctrinae de vero Deo omnium rerum, Lemgo 1780, das Kants Bibliothek ebenfalls verzeichnet. 89 Vgl. OP, AA 22.59. 90 Vgl. Ebd., 12, 25, 39, 71 und 80, aber auch schon KrV A 25 f./B 39. 91 OP, AA 22.96.

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Warnehmung zum Gegenstande der reinen Anschauung“, was notwendig ist, um so die „Autonomie der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt als absoluter Einheit“ zu erweisen.92 In den späten Blättern des Opus postumum schlägt Kant den Weg ein, die Transzendentalphilosophie selbst zum Gegenstande der reinen Anschauung zu machen; und zwar jene Transzendentalphilosophie, kraft der sich – obzwar innerhalb eines Systems der Ideen – die Erfahrung als eine, bzw. als eine einheitliche Erfahrung bestimmen läßt, um so zu garantieren, daß sich der Inhalt des Systems der Transzendentalphilosophie im unendlichen Raum und in der unendlichen Zeit – obzwar asymptotisch – tatsächlich realisieren läßt. Der von Kant kritisierte transzendentale Idealismus kennt diese asymptotische Annäherung nicht. Wer nämlich Gott in der reinen Anschauung bzw. spinozistisch in seinem Attribut der Ausdehnung vorstellt, muß „den Raum als real“ nehmen, was nach Kant gleichbedeutend damit ist, „Spinoza’s System“ anzunehmen.93 Kant verwirft diese Position mindestens deshalb, weil sie letztendlich auf einen Pantheismus hinausläuft. Mit Blick auf die oben rekonstruierte Passage leuchtet ein, daß ein „realer Raum“ nicht als Idee verstanden werden kann, sondern, wie die Passage in der Tat bestätigt, nur als Objekt. Und damit hat das spinozistische System alle Autonomie seitens der endlichen Vernunftwesen verspielt; und der Sache nach auch genau das, worauf es der Kantischen Transzendentalphilosophie eigentlich ankommt. Sie verteidigt ja einerseits die Idealität des Raumes, ohne deshalb Gott anderseits mit diesem zu identifizieren, – was nebenbei gesagt der eigentliche Witz der Transzendentalphilosophie ist, denn zur sogenannten kopernikanischen Wende gehört ja nachgerade, daß die reinen Anschauungen Raum und Zeit „nichts an sich selbst und kein Ding als göttliches Werk“ sind, sondern in uns liegen und „nur in uns statt finden.“94 Nun stellt diese Auffassung im Grunde genommen schon den Kant der ersten Kritik vor das Problem der Widerlegung des Idealismus. Sind nämlich die Gegenstände selbst nicht raum-zeitlich, sondern werden sie von uns in der Anschauung als raum-zeitlich hergestellt, sind sie ideal und gehören sie nicht zur Welt. Unserer Passage zufolge sind allerdings auch nach dem transzendentalen Idealismus die Objekte ideal, sie werden nämlich in Gott angeschaut. Diese Position 92 OP, AA 21.100. 93 Vgl. Metaphysik Dohna, AA 28/2,1.666. 94 Refl. Met., Nr. 6057, AA 18.440.

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unterscheidet sich von der Transzendentalphilosophie, sofern hier die Objekte nicht in Gott, sondern unter den subjektiven Bedingungen von Raum und Zeit angeschaut werden. Dem Vorwurf des Idealismus begegnet Kant nun im Opus postumum damit, daß er dartut, daß in der Anschauung selbst schon die gesamte Erfahrungstotalität beschlossen liegt. In den früheren Blättern des Opus postumum hatte Kant zu diesem Behuf den Äther oder „allverbreiteten alldurchdringenden Weltstoff“, bzw. den „Wrmestoff“ eingeführt. Der „erste Anfang der Erfahrung vom Daseyn eines solchen Stoffs“ garantiert, so Kant, die erste und unmittelbare Gemeinschaft des Sinnes eines Subjects mit den Sinnen des Anderen [Subjekts, e.-o.o.] deren Form respectiv gegen einander die Form des Raums in einer Anschauung a priori[,] mithin blos in sich selbst enthält und (in Ansehung der Zeit) die Vorstellung der Agitation der Sinnenvorstellung in ihrer Succession[,] so daß die Erfahrung selbst blos Ideal in Ansehung der Objecte[,] in Ansehung des Subjects selber aber reale Vorstellung[,] aber nicht Erkentnis der Gegenstände ausser mir ist[,] außer nur der Form nach.95

Kant legt hier dar, daß der Wärmestoff einerseits eine inter-subjektiv einheitliche Sinnenwelt stiftet, deren Form (Raum und Zeit) zwar subjektiv bleibt, doch anderseits auch, daß die Erfahrung selbst hinsichtlich der Subjekte real, hinsichtlich der Objekte aber ideal ist. Kraft des Äthers vermögen die Subjekte unter den subjektiven Bedingungen von Raum und Zeit jene Erfahrung herzustellen, die, obschon sie als objektive Wirklichkeit als solche immer ideal bleibt, dennoch real möglich ist, so daß vermittels der Erfahrungserkenntnisse eine asymptotische Annäherung an die objektive Erfahrungseinheit möglich wird. Was in den früheren Papieren des Opus postumum der Äther leistet, wird systematisch seit etwa Mitte 1799 durch die sogenannte Selbstsetzungslehre übernommen. Die Gründe für diese Umdisponierung können uns hier nicht beschäftigen. Der Selbstsetzungslehre liegt der Gedanke zugrunde, daß noch bevor Gott, Raum und Zeit usw. für uns irgendeine Bedeutung haben können, wir zunächst selbst denkend sind. Es gibt also „ein reines rationales“ Erkenntnis, „womit die Vernunft anhebt[,] um sich selbst vor dem Raum u. Zeit zu constituiren.“96 Den vielfältigen Definitionen zufolge ist die Selbstsetzung ausdrücklich keine 95 OP, AA 21.560. 96 OP, AA 22.64. Auch der „reinen Mathematik in Ansehung der reinen Anschauung in Raum u. Zeit“ und damit der Konstruktion von Raum und Zeit geht die Transzendentalphilosophie vorher, vgl. OP, AA 21.118.

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transzendental-idealistische Lehre, sondern eine transzendentalphilosophische; und zwar deshalb, weil sie nicht in Raum und Zeit, sondern vor Raum und Zeit die Bedingungen der Erfahrungseinheit konstituiert. Mit diesem Gedanken geht freilich notwendig eine gewisse Umdisponierung der Erkenntnistheorie der ersten Kritik einher, sofern die transzendentale Ästhetik ihre eigentliche Begründung erst vom denkenden Subjekt bzw. Verstand her erhält. Es sei hier nur kurz bemerkt, daß Kant in seinem Briefwechsel Jakob Sigismund Beck zwischen 1791 und 1792 in der Tat implizit Vorbehalte hinsichtlich der transzendentalen Ästhetik der ersten Kritik eingesteht, der Beck entgegenhielt, daß die Anschauung eine sich aufs Objekt beziehende Vorstellung sei, obwohl die Objektivität einer Vorstellung erst durch die Subsumierung unter Kategorien, also nach der Analyse des Verstandes einsichtig gemacht werden kann. Becks Kritik verunsichert Kant offenbar, denn er schlägt ihm vor, die transzendentale Ästhetik in seinem erläuternden Auszug der ersten Kritik „so kurz wie möglich“ abzuhandeln, woraufhin er angibt, die transzendentale Ästhetik auch in seinen Vorlesungen mit einem sehr kurzen Argument darzustellen.97 Im Zuge der Selbstsetzungslehre gibt Kant nun tatsächlich die Auffassung der ersten Kritik auf, daß „die Anschauung […] der Functionen des Denkens auf keine Weise“98 bedürfe. Denn die Einheit des transzendentalen Subjekts muß nicht nur alle meine Vorstellungen begleiten können, sondern auch die Form der vorgestellten Dinge bestimmen, und zwar noch bevor diese durch Raum und Zeit zur Vorstellung werden. Mit anderen Worten muß die Einheit der vorgestellten Welt hinsichtlich ihrer Form vor aller konkreten Erfahrung immer schon a priori bestimmt sein. Andernfalls gäbe es nämlich keine Garantie dafür, daß alle Wahrnehmungen demselben unendlichen Objekt, d. h. der einen zusammenhngenden Welt angehörten. Denn es ist diese unsere Welt, die – vermittelt durch Raum und Zeit – der Erfahrung zugrundeliegt, und deshalb, genau wie diese Erfahrung selbst, unter einem Prinzip stehen muß; und zwar einem Prinzip, das sowohl Prinzip dieser Welt als Prinzip der Erfahrbarkeit dieser Welt ist.

97 Vgl. Kants Brief vom 20. Januar 1792 an Beck, Briefe, AA 11.315, siehe dazu auch das Brieffragment an Tieftrunk vom 11. Dezember 1797, bes. Briefe, AA 13.468. Zur Auseinandersetzung zwischen Kant und Beck vgl. Heller 1993. 98 KrV § 13, A 91/B123.

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In gewisser Weise geht es bei diesem Prinzip um eine ähnliche Idee wie im transzendentalen Idealismus spinozistischen Zuschnitt,99 allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, daß Kant die Einheit der Welt nicht in einer Gottesanschauung, sondern transzendentalphilosophisch begründet. Es liegt auf der Hand, daß sich Kant genau wegen dieser Ähnlichkeit – die im Opus postumum erst im Zuge der Entwicklung der Selbstsetzungslehre auftritt – plötzlich so wortstark darum bemüht, seine Transzendentalphilosophie vom spinozistischen transzendentalen Idealismus scharf abzugrenzen. Wie Kant in den spätesten Papieren immer wieder erklärt, wird nach einer an Spinoza orientierten Systemauffassung alles in Gott angeschaut, wodurch wir die formalen Erkenntnisbedingungen unter ein Prinzip fassen: Spinozens Idee[,] alle Gegenstände in Gott anschauen[,] heißt so viel als[,] alle Begriffe[,] welche das Formale der Erkentnis in einem System[,] d.i. die Elementarbegriffe ausmachen[,] unter Einem Princip fassen.100

Transzendentalphilosophie und transzendentaler Idealismus unterscheiden sich darin voneinander, daß die Systemeinheit dort im denkenden Subjekt lokalisiert und aus ihm entwickelt wird, während sie hier ein System des göttlichen Wissens ist. Und letzteres System hat Kant – auch im Opus postumum – immer als schwärmerisch abgelehnt.101 Um es noch 99 Kants Ablehnung des transzendentalen Idealismus als Spinozismus hat eine bemerkenswerte gegenläufige Parallele bei Schelling, sofern dieser seinen eigenen transzendentalen Idealismus nach 1800 immer stärker in Verbindung bringt mit grundlegenden Einsichten der Philosophie Spinozas. Genau wie bei Kant liegt so gesehen auch bei Schelling eine immer enger werdende Verbindung zwischen transzendentalem Idealismus und Spinozismus vor, allerdings im Gegensatz zu Kant mit einer positiven Pointe. Wegen dieser historischen Parallelentwicklung ist ein sehr viel stärkerer Zusammenhang zwischen Schellings System des transscendentalen Idealismus und der Darstellung meines Systems der Philosophie (1801) anzunehmen als vielfach von der Literatur behauptet wird, vgl. dazu auch den editorischen Bericht zum System des tr. Id., HKA I/ 9,2. 100 OP, AA 21.121. 101 Vgl. z. B. OP, AA 21.19: „Spinoza’s Begrif von Gott u. Mensch nach welchem der Philosoph alle Dinge in Gott anschaut ist schwärmerisch (conceptus fanaticus)“ und ebd. 48 und 64. Siehe ferner Im Denken orientiren, AA 8.143 Anm., Danziger Rationaltheol., AA 28.1269 und Refl. Met., AA 18.435, wo der Spinozismus als eine „Theosophie durch Anschauen“ desavouiert wird. Ferner Refl. Met., AA 18.438, wo Spinoza „der hochste Grad der Schwärmerey“ vorgeworfen wird. Im 1. Konvolut des Opus postumum, AA 21.26, definiert

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einmal klar zu sagen: Positive Aussagen im Werk Kants über die Philosophie Spinozas gibt es nicht, obwohl das Gegenteil von der modernen Forschung zum Opus postumum immer wieder – und zwar ohne jeden Grund – behauptet wird.102 Der Sache nach richtig bemerkt Paul Guyer: „Kant’s numerous references to Spinoza in his final writings are only meant to emphasize the difference between his own theory […] and what he took to be the dogmatic monistic metaphysics of Spinoza as revived by Schelling and his followers.“103 Eine andere Spinozismus-Kritik in unserer oben rekonstruierten Stelle liegt in der Rede von den drei Zeitdimensionen „Daseyn, gewesen seyn und seyn werden“ bzw. „Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft“ begründet. Kant zufolge gehören sie nach dem spinozistischen Paradigma zur „Natur mithin der Welt“. Wird nun die Natur oder Welt in Gott angeschaut, finden auch diese Zeitdimensionen in Gott statt. Die Folge einer solchen Konzeption ist freilich Spinozas vollständig durch Gott determinierte Welt, welche Konzeption Kant scharf abweist. Tatsächlich formuliert Kant im 1. Konvolut hinsichtlich der drei Zeitdimensionen die direkt entgegengesetzte Auffassung: „Das praesens, praeteritum u. futurum findet in Gott nicht statt[,] weil er nicht in der Zeit ist“.104 Der Begriff von Gott kann folglich nicht nach Raum- und Zeitverhältnissen bestimmt werden; damit wäre – zumindest in dieser Hinsicht – dem spinozistischen Determinismus das Wasser abgegraben.105 Der transzendentale Idealismus Spinozas formuliert also die nach Kant grundsätzlich falsche Ansicht, daß Raum und Zeit Momente Gottes seien, weshalb auch nicht – wie nach der Transzendentalphilosophie –, was im Begriff gedacht wird, zu den Erscheinungen, sondern vielmehr zu Gott selbst gehört. Nach Spinoza und dem transzendentalen Idealismus werden somit die Dinge in Gott als Welt raumzeitlich angeschaut und so unter ein Prinzip, nämlich Gott gefaßt.

102 103 104 105

Kant folgendermaßen: „Schwärmerisch ist der Begriff[,] wenn das[,] was im Menschen ist[,] als etwas[,] was ausser ihm ist[,] u. sein Gedankenwerk für Sache an sich (substantz) vorgestellt wird.“ – Über „Schwärmerei“ bei Kant vgl. auch Allison 1980, 223 f. Vgl. etwa Tuschling 2001, 151, Tuschling 2002, 165 und ders. passim, Edwards 2000a, 54 und 71 Anm. 4, Mason 2001, bes. 232, oder vor kurzem noch ausdrücklich Tanaka 2004, 311 f. Guyer 2005, 278 f. OP, AA 21.113; vgl. auch 118 und 145; ähnlich bereits De mundi sensibilis, AA 2.413 f. Vgl. OP, AA 22.108.

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Nun hebt Kant an vielen Stellen seines Werkes hervor, daß die Zeit nur eine „Dimension“ habe.106 Den Ausdruck Dimension verwendet Kant in der Regel, um damit eine (selbst noch unbestimmte) Größe anzudeuten, er spricht auch von „Abmessung“ von Raum und Zeit (d. h., einer Prinzipienbestimmung für dasjenige, worin raum-zeitliche Größenbestimmung möglich ist).107 Die Rede von drei Zeitdimensionen tritt in den spätesten Konvoluten des Opus postumum verstärkt auf, obwohl sie auch schon in einer Reflektion der späteren 60er Jahre auftaucht, wo die drei Zeitdimensionen auf die „Kraft der Vorstellung“ bezogen sind.108 In dem losen Blatt Leningrad 1 (um 1790) werden sie einer kosmologischen Apperzeption zugeschrieben, „welche mein Daseyn als Große in der Zeit betrachtet“ und „mich in Verheltnis gegen andre Dinge[,] die da sind, waren und seyn werden“ setzt.109 Die Pointe dieser Bemerkung ist die, daß das Zugleichsein keine Bestimmung des Daseins des Wahrnehmenden (percipientis) sein kann, sondern „nur an dem vorgestellt wird[,] was rükwerts eben so wohl als Vorwerts percipirt werden kann[,] welches nicht das Daseyn des percipientis seyn kann, die nur successiv[,] d. i. vorwerts geschehen kann“. Mit anderen Worten bin ich mir selbst nur dann ein Gegenstand, wenn ich einen Gegenstand wahrnehme, was unter der Bedingung der drei Zeitdimensionen geschieht. Nun hängt dieses Blatt unmittelbar mit Kants Anfang der 90er Jahre verfaßten Blättern zur Widerlegung des Idealismus zusammen. Für unseren Zweck ist es besonders deshalb so interessant, weil es die drei Zeitdimensionen ausdrücklich dem Wahrgenommenen zum Behufe des Daseins des (in Sukzession stehenden) Wahrnehmenden zuschreibt. Die aus der kosmologischen Apperzeption folgende Existenz ist mithin „nur die Existenz eines Dings in der Erscheinung“. Das Blatt Leningrad 1 macht somit in jeder Hinsicht klar, daß die drei Zeitdimensionen weder in Gott sind, noch einer wie auch immer verstandenen spinozistischen Bedingung der Schau der Dinge in Gott angehören können. Nun umfaßt nach der ersten Kritik die transzendentale Apperzeption alle Zeit, weil sie „vor allen Datis der Anschauungen vorhergeht“ und

106 Vgl. z. B. KrV A 31/B 47, MAN „Vorrede“, AA 4.471 und die Blätter der 90er Jahre wider den Idealismus Refl. Met., AA 18.618 und 621. 107 Vgl. z. B. Eine Entdeckung, AA 8.220. Ferner die aus den 90er Jahren stammende Vorlesungsnachschrift Metaphysik K3, AA 29.994. 108 Vgl. Refl. Anthr., AA 15.145. 109 Brandt 1987, 19.

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so auch a priori der „Mannigfaltigkeit des Raumes und der Zeit“.110 Im Rahmen der Lehre der Selbstsetzung des Opus postumum kann Kant deshalb auch in Übereinstimmung mit der ersten Kritik argumentieren, daß das Subjekt diese umfassende Zeit als präreflexive Erfahrungseinheit setzt, von der wir allerdings immer nur einen Ausschnitt erkennen, denn jene Einheit tritt ja nicht als solche in die Erscheinung, allerdings bestimmt sie das Dasein des Dinges sowie mein Bewußtsein in der Erscheinung vermittels der drei Zeitdimensionen. So besehen werden die Zeitdimensionen nicht unter dem Aspekt der Zeit beschrieben, sondern von der selbst zeitlosen Instanz der transzendentalen Apperzeption aus. Die Transzendentalphilosophie Kants vereinigt die ganze Zeit und alle in ihr möglichen Dinge unter ein Prinzip; dasselbe tut auch der transzendentale Idealismus, doch mit dem entscheidenden Unterschied, daß die Dinge in diesem Prinzip (Gott) angeschaut werden, womit dieses Prinzip oder Gott selbst unter den Bedingungen der Zeit steht (was letztendlich auch zu einer innerlich inkonsistenten Zeittheorie führen muß). Im transzendentalen Idealismus ist die ganze Zeit und damit die Welt in Gott wirklich, während unserer oben rekonstruierten Passage zufolge nur was „im Begriffe gedacht wird […] zu den Erscheinungen“ gehört, und mithin der „Existenz der Gegenstände“, wie es im 7. Konvolut heißt, „das Princip der Idealität der Objecte als Erscheinungen zum Grunde“ liegt.111 Der Sinnenvorstellung „correspondirt (entspricht)“ nämlich „die Idee des vorgestellten Objects, und die Idealität der gegebenen Vorstellung als Erscheinung enthält den Grund der Möglichkeit[,] dasselbe a priori im Raume und der Zeit vorstellig zu machen.“112 Werden allerdings die Dinge in Gott angeschaut und stehen sie damit unter den Zeitformen des Daseins, Gewesenseins und Seinwerdens, dann ist, wie unsere Passage behauptet, der „transsc. Idealism“ unvermeidlich. Zur Vollständigkeit sei hervorgehoben, daß es im Opus postumum oder anderswo im Werk Kants keine Stelle gibt, wo die drei Zeitdimensionen der Welt oder Natur zugesprochen werden. Dieser Standpunkt ist dem von Kant verworfenen transzendentalen Idealismus zuzuordnen, bzw. der Philosophie Spinozas, Lichtenbergs und Schellings. Nun findet sich in der Erlanger Rezension des Systems des transzendentalen Idealismus ebenfalls eine Reflexion über diese drei Zeit110 KrV A 107. Vgl. auch Paimann 2002, 201 f. 111 OP, AA 22.94. 112 Ebd., 31.

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formen und zwar in Bezug auf die Frage „Wie schaut sich das Ich als producirend an“. Der Gedanke ist hier der, daß sich das Ich nur selbst anschauen und mithin „etwas anders als producirend werden kann“, wenn es „in seiner Production begränzt“ wird. Und diese Grenze ist die „Gegenwart, durch welche die innere Anschauung als Zeit, die äußere als Raum entsteht“, welche das Ich aber nur anzuschauen vermag, wenn „die Gegenwart mit der Zukunft und Vergangenheit in Verbindung gebracht“ wird, „d. h. die Zeit als ausgedehnte Größe, also mit dem Raume synthetisch vereinigt, angeschaut“ wird.113 Damit wird der Raum „das Beharrende (in der Anschauung, im Produkte die Substanz;)“ und die Zeit „das Verfließende (in der Anschauung, im Produkte das Accidentelle)“, woraus dann die Deduktion des Kausalitätsverhältnisses folgt. Die drei Zeitdimensionen gehören nach Schelling also zur Natur und Welt. Genau das aber kennzeichnet Kant als spinozistisch. Im System des transscendentalen Idealismus findet sich außerdem noch die Bemerkung, daß Gott oder „die absolute Intelligenz […] durch Zeit überhaupt bestimm(en)[t]“, alles ist, „was ist, was war, und was seyn wird.“114 Doch, wie gesagt, wird Kant diese Stelle nicht aus eigener Lektüre kennen, weshalb wir auch nicht weiter auf sie eingehen wollen. Der dritte transzendentale Idealist im Bunde ist Lichtenberg. Mit ihm hat sich Kant während der Abfassungszeit des 1. Konvoluts nachweislich intensiv befaßt, und zwar in Gestalt des 1801 erschienenen zweiten Bandes von dessen Vermischten Schriften, der insbesondere von Kants kritischer Philosophie handelt.115 Kant konnte Lichtenbergs keineswegs nur latenten Spinozismus, der sich im Laufe der 80er Jahren stärker profilierte, zunächst aus Berichten seiner Zeitgenossen kennen,116 aber vielleicht aus Lichtenbergs Bekenntnis zum Spinozismus in Amintors Morgenandacht (1791). Im zweiten Band der Vermischten 113 Erlanger Litteratur-Zeitung, 654 f. 114 HKA I/9,1.184. 115 Kants Notizen zu diesem Band finden sich in Refl. Met., Nr. 6369, AA 18.693 – 695. Vgl. dazu Adickes 1920, 833 ff. – Georg Christoph Lichtenbergs Vermischte Schriften wurden nach seinem Tode in 1799 von seinem Bruder Ludwig Christian Lichtenberg und Friedrich Kries in Göttingen zwischen 1800 und 1806 herausgegeben. Der Inhalt des zweiten, 1801 in Göttingen erschienenen Bandes wurde Kant von den Herausgebern mit der Bitte um Kommentar Mitte 1800 zugeschickt, vgl. dazu den Bericht von Minden 1871. – Über Lichtenberg und Kant vgl. ferner Zöller 1992, allerdings klammert der Aufsatz Kants Rezeption von Lichtenberg im Opus postumum aus undeutlichen Gründen aus. 116 Zu Lichtenbergs Spinozismus vgl. Mautner 1968, 445 – 450; Beutel 1995, 231 – 235 und Zöller 1992, 431 f.

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Schriften finden sich nur vereinzelte Hinweise auf Lichtenbergs Spinozismus. Nirgends wird dort jener Spinozismus referiert, wie er in den spätesten Blättern des Opus postumum auftaucht, demnach wir die Dinge in Gott anschauen, welche Position Kant Lichtenberg expressis verbis unterstellt.117 Die Gründe für diese Unterstellung lassen sich somit nicht unvermittelt am Text der Vermischten Schriften erhellen. Allerdings wird man Lichtenbergs Diktum, „[w]enn die Welt noch eine unzählbare Zahl von Jahren steht, so wird die Universal-Religion geläuterter Spinozismus seyn“118, nur so lesen können, daß irgendwann Philosophie als Religion auftreten werde, und zwar als eine philosophische Religion, die Erfahrung des einen Prinzips aller Erfahrung hat. Der Gedanke einer durch Erfahrung einholbaren Erfahrungseinheit ist freilich transzendental-idealistisch, sofern damit die Auffassung einhergeht, daß die Erfahrungstotalität in Gott beschlossen liegt und eine bestimmte Größe in der Zeit hat. Auch spiegelt sich unsere Vernunft nach Lichtenberg in der Welt und müssen wir kraft „der Einrichtung unserer Denkkraft“ in ihr „Ordnung und weise Regierung“119 erkennen. Somit ergibt sich irgendwann eine Erkenntnis der Zweckverbindungen in der Welt, welche Auffassung Kant schon in seiner Kritik der Urteilskraft als einen falschen bzw. spinozistischen Idealismus abweist.120 Kant spricht in diesem Zusammenhang auch von einem „Idealism der Endursachen“, den er mit dem Spinozismus verbindet.121 Daß Kant diese Auffassung Lichtenberg tatsächlich zuschreiben muß, erhellt aus einer weiteren Stelle der Vermischten Schriften: „Der Spinozismus und der Deismus führen beide einen verständigen Geist so gewiß auf Eins hinaus, daß man, um zu sehen, ob man in dem erstern richtig ist, sich des letztern bedienen kann, so wie man sich des Augenmaßes oft zur Probe der genauesten Messungen bedient.“122 Sofern nämlich der Deismus ausgeht von einem rein transzendenten Gott und folglich von allem Intuitiven absieht, das der Spinozismus dagegen gerade bei der Schau der Dinge in Vgl. OP, AA 21.96, 98, 69 und 22.55. Vgl. Vermischte Schriften, 2.55. Ebd., 41. Vgl. KdU § 72, AA 5.392 f. und § 84, AA 5.434 f. KdU § 85, AA 5.439 im Zusammenhang mit 440: „Die physische Teleologie treibt uns zwar an, eine Theologie zu suchen, aber kann keine hervorbringen, so weit wir auch der Natur durch Erfahrung nachspüren und der in ihr entdeckten Zweckverbindung durch Vernunftideen (die zu physischen Aufgaben theoretisch sein müssen) zu Hülfe kommen mögen.“ 122 Vermischte Schriften, 2.32. 117 118 119 120 121

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Gott wieder einführt, kann der eine zur Bestätigung des anderen herangezogen werden. Lichtenberg bringt somit jenen „Syncretism des Spinozismus mit dem Deism“ wieder ins Spiel, mit dem Jacobi, wie Kant an Jacobi schreibt, in Bezug auf Herders Gott so überzeugend aufgeräumt habe.123 Als idealistisch können ferner auch solche Stellen in den Vermischten Schriften interpretiert werden, an denen Lichtenberg dartut, daß die „Gegenstände praeter nos […] eine bloß menschliche Erfindung“ sind,124 weshalb unsere Empfindungen auch „bloß Modification unserer selbst“ sein müssen.125

5. Die Idee der Transzendentalphilosophie und der transzendentale Idealismus im Opus postumum Zugleich mit der Entwicklung der Selbstsetzungslehre in den spätesten Konvoluten 7 und 1 introduziert Kant hier den transzendentalen Idealismus, und zwar oft im Zusammenhang mit Spinoza und dem Hauptgedanken seiner Philosophie, alles in Gott anzuschauen. Er interpretiert diese Anschauung in Gott als ein Prinzip, das die formale Einheit der Erkenntnis stiftet, jedenfalls aber steht es in einem genauer auszuarbeitenden Zusammenhang hiermit. Einiges gemein hat diese Sichtweise freilich mit der in unserer Passage (siehe oben S. 331) angeführten Definition der Transzendentalphilosophie als ein System der Ideen des denkenden Subjekts, wodurch das Formale der Erkenntnis zu dem einen Prinzip der Möglichkeit der Erfahrung gemacht wird. Hierbei geht es darum, einerseits die höchste Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung auch als höchste Bedingung der Möglichkeit der Gegenstnde der Erfahrung auszuweisen und anderseits um das Problem, wie sich aus dieser Bedingung der Zusammenhang der einen Natur oder des einen Systems der einen Welt herleiten läßt. Dieser Nachweis war der ersten Kritik zufolge noch nicht nötig, mußte jedoch nachgeschoben werden, nachdem Kant 1788, spätestens jedoch 1790 eine Lücke in der Transzendentalphilosophie entdeckt hatte.126 In der ersten Kritik hat sich Kant diesbezüglich noch mit dem Ideal der durchgängigen Bestimmung behelfen können, das dann aber im Opus postumum einen immer reel123 124 125 126

Brief an Jacobi vom 30. August 1789, Briefe, AA 11.76. Vermischte Schriften, 2.64. Ebd., 67 und 72. Zur Datierung der Lücke vgl. Förster 1987.

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leren Rang erlangt, etwa in dem apriorischen, den ganzen Raum erfüllenden Äther oder Wärmestoff. Dieser Äther „stopft“ zuzusagen die Lücke, welche zwischen den apriorischen Prinzipien der Natur und der immer nur a posteriori einholbaren Naturerkenntnis und ihren empirischen Prinzipien klafft. Die systematische Pointe ist die, daß für den Nachweis der möglichen Vollständigkeit unserer Erfahrungserkenntnis das, was ihre Prinzipien bedingt, auch die objektive Einheit der Erfahrung bedingen muß, von der es freilich keine Erkenntnis gibt und die folglich auch nicht durch Erfahrung einholbar, sondern – wie Kant sich immer wieder ausdrückt – nur fr die Erfahrung sein kann. Im Verlaufe seiner Arbeiten muß nun Kant eingesehen haben, daß der transzendentale Ätherbeweis nicht zureicht für diese Aufgabe. Der Äther kann nämlich nicht als eine empirische Bedingung fungieren, weshalb der transzendental geführte Beweis seiner Möglichkeit letztendlich eine leere Hülse ist. Aus diesem Grunde wird die systematische Bedeutung der Ätherlehre in den spätesten Blättern des Opus postumum abgelöst durch die Selbstsetzungslehre.127 Nach dieser Lehre ist es das Subjekt selbst, das sich zum Gegenstand der Welt, und zwar in Raum und Zeit, als Prinzip der Möglichkeit von Erfahrung setzt. Raum und Zeit sind dann nicht mehr bloß die Formen der Anschauung, sondern ebenfalls Phänomen der allgemeinen Einheit der Dinge, d. h. ihrer gewissermaßen präreflexiven Verknüpfung. Kant spricht in diesem Zusammenhang auch von einem Existenzbeweis, insofern nämlich das „All der Dinge“ zur absoluten synthetische Einheit wird, worin „durchgängige Bestimmung a priori möglich“ ist, „und diese ist die Existenz der Welt.“128 Es geht Kant darum, das All der Gegenstände der empirischen Erfahrung – von dem die erste Kritik freilich noch abstrahierte – selbst zu einem Erfahrungsgegenstand zu machen, denn nur so läßt sich dartun, wie die einzelnen, vom Verstande erst noch zu verknüpfenden Erscheinungsgegenstände immer schon in 127 Der Zusammenhang zwischen Ätherbeweis und Selbstsetzungslehre wird in der Literatur immer noch kontrovers diskutiert. Mathieu 1989 z. B. ist der Ansicht, daß der Ätherbeweis seinen systematischen Stellenwert auch noch in den späteren Blättern beibehält. Dagegen argumentiert Hoppe 1969 m. E. überzeugend, daß ab Konvolut 10/11 nicht mehr der Äther die Einheit der Erfahrung stiftet, sondern ein formales subjektives Prinzip, vgl. auch Hoppe 1991, bes. 61 f. – Friedman 1992, 327 f. und 339 gibt andere Gründe für den Fehlschlag der Ätherdeduktion an, die zusammenhängen mit der Inkompatibilität von Wärmestoff und Lichtäther. 128 OP, AA 22.96.

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einem Erfahrungsganzen eingebettet sind und folglich Physik als ein einheitliches System der Erfahrung, mithin Wissenschaft systematisch überhaupt erst möglich ist. Aus diesem Grunde muß „die Zusammensetzung […] und der Begriff von dieser Handlung“129 vorausgehen, um das Zusammengesetzte überhaupt unter einen Begriff fassen zu können. Nun ist die Zusammensetzung nicht in der Erfahrung gegeben, sondern im Denken, weshalb sie auch nicht gegeben, sondern nur gedacht werden kann. Wie aber kann – innerhalb der Kantischen Philosophie – existieren, was nicht gegeben ist? Anders formuliert: wie läßt sich durch das bloße Denken ein Existenzbeweis geben? Dies ist sowohl die Problemstellung der Ätherbeweise als der Selbstsetzungslehre im Opus postumum. In Bezug auf den Äther oder Wärmestoff spricht Kant von einer „Idee vom Wärmestoff, welcher darum kein blos hypothetischer[,] sondern der allein alle Körper in allen Räumen Erfahrungsmäßig leitende und continuirlich verbreitete in Einer Erfahrung zusammenhngende Stoff seyn muß.“130 Über die Existenz eines solchen Stoffes, bzw. des Beweises a priori einer solchen Materie, lassen sich allerdings „nur subjective Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis derselben, d. i. die der Möglichkeit einer Erfahrung von einem solchen Gegenstande erwarten.“131 Wie aber wäre ein solcher Beweis innerhalb der Grenzen der Kantischen Transzendentalphilosophie genau zu führen? Wie oben schon dargetan wurde, konnte Kant diesbezüglich mit den Ätherbeweisen aus prinzipiellen Gründen nicht weiterkommen. Das letzte Zitat zeigt allerdings schon die Richtung an, in welche Kant denkt, sofern nämlich subjektive Bedingungen angeführt werden müssen. Dabei ist ferner die immer wiederholte These wichtig, daß Erfahrung nicht gegeben, sondern gemacht werden muß. Der Schlüssel zur Lösung des Problems ist eine präreflexive „Anschauung eines Objects ohne Grenzen Raum u. Zeit“, wodurch erst im eigentlichen Sinne „durchgängige Bestimmung seiner Selbst als Subjects in der durchgängigen Bestimmung im Raum und der Zeit als Princip der Möglichkeit der Erfahrung (äußerer und innerer) als Erkentnis eines Lehr-Systems Physik“ auftreten kann.132 Raum und Zeit sind dann nicht mehr bloß Formen der Anschauung, sondern werden zu Phänomenen der allgemeinen Einheit 129 130 131 132

OP, AA 21.633 Anm. Ebd., 571. Ebd. OP, AA 22.451.

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der Dinge, mithin ihrer präreflexiven Verknüpfung. Es ist jedoch dabei wichtig, daß diese Verknüpfung, die nach dem subjektiven Prinzip der Form aller Erfahrungserkenntnis vorhergeht, nicht „direct in Beziehung auf das Object“ zu verstehen ist, sondern vielmehr „indirect in der Beziehung auf das den Sinnen gegebene Subject und die Warnehmungen zum Behuf der Möglichkeit der Erfahrung“.133 Das Objekt bleibt somit ideal, obwohl a priori gewußt wird, daß es als Erfahrungseinheit seine durchgängige Bestimmtheit dem Subjekt verdankt, das Erfahrung macht. Das ganze Argument der Kantischen Transzendentalphilosophie ruht somit auf der Erfahrungsevidenz, mit der die erste Kritik anhebt und wofür sie die Bedingungen der Möglichkeit herstellt, wohingegen das Übergangsprojekt dartut, daß dieses bloße Daß der Erfahrung hinsichtlich seines Daseins a priori nicht über dasjenige hinausgeht, was hinsichtlich der formalen Bedingungen der Erfahrungsmöglichkeit immer schon in die präreflexive und durchgängig bestimmte Einheit aller Erfahrungsgegenstände durch das Subjekt gesetzt ist, sofern es Erfahrung macht. Dieses Argument hat etwas Zirkuläres an sich; gibt es nämlich Erfahrung und lassen sich für dieselbe transzendentalphilosophisch die Bedingungen angeben, unter der sie möglich ist, kann ihre Wirklichkeit nur sein, was ihre Möglichkeit unter diesen Bedingungen ist. Freilich liegt hier auch ein Schritt von der Möglichkeit zur Wirklichkeit vor, den Kant an verschiedenen Stellen zugibt und auch für befremdlich hält, doch ist dieser Schritt selbst ein Gegenstand der einen Erfahrungsmöglichkeit. Der Übergang ist zwar nicht selbst in der Erfahrung gegeben, aber – wie Kant sich auszudrücken pflegt – fr die Erfahrung oder zum Behufe von Erfahrung notwendig immer schon gesetzt. Sofern hier also ein Zirkel vorliegt, ist es ein notwendiger Zirkel für jeden, der mit Kant die Existenz von Erfahrung und mithin von Erfahrungserkenntnissen als gehörend zu einer Erfahrung, d. h. einer und derselben physischen Welt zugibt. Es ist klar, daß jeder, der eine solche Erfahrungseinheit nicht zugibt, sich von vornherein außerhalb des Gebietes der empirischen Physik oder empirischen Wissenschaft stellt. Im Vorhergehenden ist gezeigt, daß Kant immer wieder hervorhebt, ihm ginge es nicht, wie Spinoza, darum, die Dinge in Gott anzuschauen, sondern vielmehr darum, wie (im Ausgang von der Selbstsetzung) die höchste Bedingung der Möglichkeit von Erfahrung überhaupt auch als die Bedingung der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung in einem System der einen Welt gedacht werden kann. Sofern 133 Ebd., 458.

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der Mensch nämlich an zwei Welten teilhat, der noumenalen und phänomenalen, muß sich das Prinzip der ersten auch als das Prinzip der zweiten ausweisen lassen, um die Verbindung beider Welten, die in uns als lebendige Vernunftwesen ja faktisch immer schon vollzogen ist, auch philosophisch zu denken. Kraft dieser Selbstsetzung, die als ein von der menschlichen Existenz a priori immer schon vollzogener Akt vorzustellen ist, den die Philosophie allerdings zur Aufstellung des Systems der Transzendentalphilosophie denkend nachvollziehen muß, schauen wir die Dinge und mithin auch unser phänomenales Dasein nicht in Gott, sondern machen wir selbst die höchste Bedingung der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt zur höchsten Bedingung der Gegenstnde der Erfahrung. Mithin tragen wir kraft der Selbstsetzung unseren Begriff vom höchsten Wesen in die Gegenstände der reinen Anschauung hinein. Das ist, was Kant im Opus postumum unter Transzendentalphilosophie versteht. Sie liefert nämlich das „formale Princip[,] sich selbst als Object der Erkentnis systematisch zu constituiren“.134 Anders, der Sache nach jedoch ähnlich formuliert: „Tr. Philos. ist diejenige synthetische Erkentnis[,] aus Begriffen a priori bestimmt[,] welche die Objekte des Denkens als Principien [des Denkens, e.-o.o.] vollständig in Einem[,] sowohl in einem theoretisch speculativen als moralisch practischen System darstellt“.135 Wichtig ist nun die diese Definitionen präzisierende Bemerkung, daß die Transzendentalphilosophie „nicht Object einer Wissenschaft[,] sondern die Wissenschaft selbst[,] das subjective Vermögen zu philosophieren“136 sei. Denn in diesem Zusammenhang erwähnt Kant die Erlanger Rezension von Schellings System des transscendentalen Idealismus. Die Bemerkung, daß die Transzendentalphilosophie nicht Objekt einer Wissenschaft, sondern die Wissenschaft selbst sei, wird man daher auch als eine Abgrenzung gegen die konkurrierenden philosophischen Unternehmen auffassen dürfen, welche in Schellings transzendentalem Idealismus, aber auch in Fichtes Wissenschaftslehre vorliegen. Wie ist das zu verstehen? Hinsichtlich der Wissenschaftslehre macht der Er134 OP, AA 21.97. 135 Ebd., 94, mit dem Ms. lese ich „Principien“ statt „Princip“. 136 Ebd. [mit meinen Hvh.], aus unerklärlichen Gründen ist diese Stelle in AA in den Apparat verbannt, obwohl sie die Präzisierung der vorhergehenden Definition ist. Überhaupt ist die AA in diesem Zusammenhang unverläßlich, denn alle soeben zitierten Stellen stehen in unmittelbarer Nähe voneinander auf derselben Manuskriptseite 29 (1. Konv.).

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langer Rezensent klar, sie sei eine zur „Begründung aller Wissenschaften aufgestellte Wissenschaft“137; sie ist folglich eine Meta-Wissenschaft aller Wissenschaften, weshalb es auch einen qualitativen Unterschied zwischen Wissenschaftslehre und den verschiedenen (Einzel-)Wissenschaften gibt, und jene folglich auch nicht die Wissenschaft selbst sein kann. Überhaupt deduziert die Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre gewissermaßen more geometrico die Grundbestimmungen des Bewußtseins aus dem absoluten Subjekt. Ähnliches gilt für den transzendentalen Idealismus Schellings. Dieser nimmt ja die Fichtesche Wissenschaftslehre, welche „uns die göttliche Anschauung in unserm Geiste nachwieß“138, zum Ausgangspunkt, indem „von dem Bewußten im Selbstbewußtseyn abstrahirt“ wird und hierdurch dann nur noch das im „Objekt verlohrne Subjektive […] nicht fr sich selbst, sondern nur fr den Philosophen, also als ein rein Objektives“ zurückbleibt.139 Dieses rein Objektive hat der transzendentale Idealismus zum Gegenstand, um so das Ich durch die Natur hindurch „für das Ich entstehen zu lassen“140 und somit letztendlich auch die Resultate der Wissenschaftslehre gewissermaßen hinter dem Rücken des philosophierenden Subjekts more geometrico aus sich hervorzubringen. Was nun Kant mit der Rede von der Einheit von Transzendentalphilosophie und Wissenschaft meint, ist, daß die Form aller möglichen Objekte, von denen (wissenschaftliche) Erkenntnisse möglich sind, systematisch von der Transzendentalphilosophie konstituiert werden muß. Dies ist nicht im Sinne einer Konstruktion zu verstehen, wobei – wie bei Schelling – das Objekt selbst kraft eines im Objekt verlorenen Subjektiven hergestellt wird; denn dann wird – wie Kant auch dem transzendentalen Idealismus Spinozas vorwirft – „das Subjective als objectiv“ vorgestellt, weshalb diese Idealismen „nach dem Buchstaben genommen transscendent“ sind, denn sie stellen „ein Object ohne Begriff“ auf.141 Eine solche durch das Absolute oder Gott selbst geleitete Herstellung der Objekte weist Kant grundsätzlich ab. Die Kantische Transzendentalphilosophie hat – auch im Opus postumum – den viel bescheideneren Anspruch, obwohl die Einzelheiten der konkreten Durchführung dieses Gedankens alles andere als klar sind, darzulegen, 137 138 139 140 141

Erlanger Litteratur-Zeitung, 649. Ebd., 662. Ebd., 650. Ebd., 651. OP, AA 21.22.

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wie sich das sich selbst bestimmende Subjekt „als in der Anschauung gegeben […] constituir(en)[t]“ und damit [g]leichsam sich selbst mach(en)[t]“; d. h. die Transzendentalphilosophie ist „ein Idealismus als bloßes Princip der Formen in einem System aller Verhältnisse“.142 Sie leistet keine Konstruktion der Objekte, sondern konstituiert in der Gestalt des sich selbst bestimmenden Subjekts lediglich die formalen Bestimmungen des durchgängig bestimmten Objekts, von dem allerdings immer nur Teilerkenntnisse möglich sind. Die ursprüngliche Fragestellung nach den transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrungsgegenstände wird im Opus postumum nun in der Hinsicht erweitert, daß auch gefragt wird, ob jener Möglichkeit ein Objekt korrespondiert, dessen Existenz a priori erschlossen werden kann, und zwar in dem Sinne, daß das transzendentale Prinzip der Einheit der Erfahrung selbst zum Grund aller Objektexistenz gemacht wird, und somit den Dingen das Dasein a priori und nicht erst in Folge von Erfahrung zugesprochen wird. Um einen solchen Existenzbeweis ist es dem Opus postumum in der Hauptsache zu tun, erst vermittels des Ätherbeweises und dann vermittels der Selbstsetzungslehre. Seit dem 10. Konvolut (Mitte 1799) führt Kant diesen Beweis mithilfe der Prinzips der durchgängigen Bestimmung (die in der ersten Kritik als regulatives Ideal dem Objekt aller Erfahrung noch keine Existenz zubilligte). Die Bedingung für ein System der Erfahrung ist nun den späteren Blättern des Opus postumum zufolge ein durchgängig bestimmtes Objekt, sofern im System der Erfahrung die Wahrnehmung notwendig Bestandteil dieses einen durchgängig bestimmten Objekts sein muß (es gibt ja, wie Kant immer wieder einschärft, nur eine Erfahrung; außerdem würden ohne eine solche Erfahrungseinheit alle unsere Erkenntnisse bloß Aggregate, ohne Zusammenhang sein). Die Einheit der Möglichkeit der Erfahrung in Raum und Zeit stiftet die durchgängige Bestimmung nach dem Satz „omnimoda determinatio est existentia“.143 Von aller Erfahrung wird diese „durchgängige Zusammenstimmung präsumirt“144 ; denn ist die Erfahrung eine und mithin nur ein System der Erfahrung, das das „All der Dinge als absoluter synthetischer Einheit“ befaßt, dann ist in diesem All der Dinge „durchgängige Bestimmung a priori möglich und diese ist die Existenz der Welt.“145 142 143 144 145

Ebd., 93. OP, AA 22.89 f. Ebd., 92 Anm. Ebd., 96.

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Im Gegensatz zum transzendentalen Idealismus wird die Transzendentalphilosophie als „das subjective Vermögen zu philosophieren“146 somit auch nicht „überschwenglich“, denn anders als der transzendentale Idealismus beansprucht sie nicht, „der Schlüssel zur Eröffnung aller Geheimnisse des ganzen Weltsystems“ zu sein, weil, wie Kant hervorhebt, „Gott u. die Welt nicht [wie bei Spinoza und Schelling, e.-o.o.] in die Idee Eines Systems (vniversum) [zu, e.-o.o.] bringen“ sind, und zwar deshalb nicht, weil Gott und Welt „im höchsten Grade heterogen“147 sind.148

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Does Kant’s opus postumum Anticipate Hegel’s Absolute Idealism? Kenneth R. Westphal Abstract: The three presumptions that Hegel’s idealism further develops or radicalises Kant’s transcendental idealism, that their respective versions of idealism are linked by Kant’s account of self-positing (Selbstsetzungslehre) in the late opus postumum and that the basic model of Hegel’s early idealism holds also for his mature system are wide-spread and largely unexamined. This paper examines several problems confronting these presumptions, including Hegel’s refutation of the basic premises of Kant’s transcendental idealism and Transzendentalphilosophie in the late opus postumum (§ 2), Hegel’s critical rejection of intellectual intuition because it cannot escape Pyrrhonian scepticism (§ 3), and his critical rejection of the deductivist ideal of scientia, which undergirds Kant’s transcendental idealism and his late Transzendentalphilosophie (§ 4), the highly un-Kantian principles of Hegel’s mature idealism (§ 5) and finally Hegel’s thorough and incisive critique in the 1807 Phenomenology of Spirit of common philosophical views, concepts and presuppositions, including those which undergird the three presumptions noted above (§ 6). To understand properly Hegel’s philosophy of nature and hence also his philosophical system requires abandoning those three presumptions.

1. Introduction In the documents now known as his ‘opus postumum’ Kant apparently makes many striking statements.1 One of the most riveting is this: System of transcendental idealism by Schelling, Spinoza, Lichtenberg etc., as it were three dimensions: the present, past and future.2

Tuschling (1989, 1991) has argued in detail that the later phases of Kant’s opus postumum develop a form of absolute idealism of a kind Kant associated with Schelling.3 These post-Critical developments of 1 2 3

I omit capitals from ‘opus postumum’ because it is not a work Kant either completed or titled. Kant, opus postumum, 1. Konvolut, 7. Bogen, S. 1, July 1801: OP, AA 21:87.29 – 31; on-line ms.: http://kant.bbaw.de/op/co01/co01_027a.htm; all translations are by the author. See Tuschling 1989, 1991.

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Kant’s thought are, Tuschling contends, direct and legitimate responses to problems Kant himself identified within his Critical philosophy. Circa 1800, Tuschling argues, Kant develops transcendental idealism into an early form of absolute idealism – under the likely influence of Schelling – and closely corresponding to the absolute idealism developed by Schelling and Hegel circa 1801. Tuschling (1991) argues that in his last thoughts on the matter Kant not only retracts the transcendentally real status of the aether, but also the ‘transcendental dynamics’ that undergirds the Selbstsetzungslehre. Nervous about ceding to transcendental realism, Kant soon (1800 f.) develops transcendental idealism into a new and final theory of self-positing according to which we posit ourselves and the objects we experience within the space and time by which we intuit them. Because these objects and their relations are only appearances we posit, synthetic judgments a priori are possible. On this view, the thing in itself or noumenon (Kant now equates them) is simply whatever is thought in the object that makes a priori judgments possible. Because Kant’s new view is designed as an alternative to realism, Kant’s use of the term ‘positing’ cannot simply mean that we constitute objects and ourselves as objects of our awareness, a view that can be consistent with realism, but rather that we generate our object and ourselves through our acts of positing. Tuschling concludes (in part) that absolute idealism, first articulated in Fichte and, after 1801, in Schelling and Hegel, is inherent in Kant’s transcendental idealism.4

Tuschling’s findings have been an understandable source of excitement and encouragement among Schelling’s and Hegel’s devotees. Tuschling’s inclusion of Hegel in this list of absolute idealists appears confirmed by Troxler’s Nachschrift from Hegel’s lectures of 1800 – 01.5 There is no question that Tuschling’s account of these aspects of Kant’s opus postumum is subtle and exciting. How well founded it may be is a further question which divides into two: First, did Kant compose the exciting sentence about the ‘system of transcendental idealism’ that Tuschling seeks to understand? Second, to what extent does Hegel’s mature absolute idealism grow out of Kant’s transcendental idealism in the way Tuschling et alia contend? The first question is answered persuasively in the negative by Ernst-Otto Onnasch.6 Here I aim to answer 4 5 6

Tuschling 1989, 207, cf. 215. This Nachschrift is edited by Düsing 1988. See Onnasch in this volume.

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also the second question in the negative, I hope persuasively, by highlighting several points neglected in the generally enthusiastic reception of Tuschling’s analysis. Though my analysis is independent of Onnasch’s, the convergence of our previously independent inquiries is striking. Some issues regarding the orthographic points Onnasch highlights deserve brief mention before plunging into my convergent systematic analysis. Onnasch has kindly drawn to my attention that what appears in Kant’s Gesammelte Schriften as one sentence appears in his manuscript as two phrases: System des transsc. Idealismus durch Schelling, Spinoza, Lichtenberg etc.

and Gleichsam 3 dimensionen: die j Gegenwart, Vergangenheit u. Zukunft

The first part of the second phrase (‘Gleichsam … als’) is plainly not written on the same line as the first phrase (‘System … etc.’). The second phrase is written in two lines, with the first four terms displaced above, and the last four terms (‘Gegenwart … Zukunft’) below, the line of the first phrase. Though the second phrase might be a later thought appended to the first phrase, the start of the second phrase is distinctly offset from the end of the first phrase above and decidedly to the right. Kant had the space to extend the first phrase by writing an addition next to its end, so if it extends the first phrase, the start of the second phrase is oddly placed, also in view of Kant’s orthography in these sheets. Additionally, the start of the second phrase is located (both vertically and perhaps more significantly laterally) very near an insertion mark made by Kant to the previous line (and paragraph) of his manuscript (see Onnasch in this volume). Beneath the first phrase is a blank line, beneath which begins a new sentence expressing a new thought. Hence the first phrase may well stand alone, whether complete unto itself or incomplete, in the midst of Kant’s other remarks. From the orthography and from Onnasch’s analysis I believe this is the case. Almost certainly the two phrases were not written in one continuous inscription. Adickes quotes this sentence without further comment, simply citing ‘C 375’.7 His system of referencing throughout his discussion of the first Konvolut (and not only this Konvolut) strongly suggests, indeed al7

Adickes 1920, 764, cf. 840.

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most certainly indicates that he worked on this material from Reicke’s transcription of Kant’s manuscript (designated by Adickes as ‘C’), rather than directly from the manuscripts themselves. Reicke transcribes the two phrases as a single sentence.8 Unfortunately, the foremost expert on Kant’s handwriting thus missed what would have been an extremely helpful occasion to comment directly on Kant’s manuscript. The next occasion for Adickes to have done so would have been whilst editing these materials for Kant’s Gesammelte Schriften. This occasion, however, was lost to him and to us by the intervention of National Socialists in the Kant-Archiv, which prompted Adickes to resign on 19 June, 1926.9

2. Some Critical Questions Whatever scholarship may ultimately decide about the orthography of Kant’s notorious phrases, there are good systematic reasons to suppose that Hegel’s absolute idealism is not the direct outgrowth of Kant’s transcendental idealism suggested by Kant’s phrases and widely assumed by Hegel’s scholars. The main problem examined here concerns the common assumption among many commentators – especially those devoted to Hegel’s Entwicklungsgeschichte – that whatever constituted Hegel’s absolute idealism circa 1801 holds also for Hegel’s mature version of idealism in the Phenomenology of Spirit (1807), the Science of Logic (1812 – 1816) and the Encyclopaedia of Philosophical Sciences (1817, 18272, 18303), whereby his mature views simply elaborate a core view already established, at least in outline, by 1801. This assumption is supported by received wisdom which merits more critical assessment than it has generally received. Here I highlight five key points: Hegel refuted two key premises of Kant’s transcendental idealism which also undergird his later Transzendentalphilosophie in the opus postumum (§ 3), he critically rejected (ca. 1804) intellectual intuition because it is subject to the Pyrrhonian Dilemma of the Criterion (§ 4) and he critically rejected the deductivist ideal of scientia, another key premiss of Kant’s transcendental idealism and later Transzendentalphilosophie. Moreover, Hegel’s criticisms of transcendental idealism and of scientia show that the a priori and the a posteriori are poles of a continuum rather than an exclusive distinction in kind, as Kant maintained to the very end (§ 5). Likewise, the basic tenets of He8 9

Reicke 1884, 375. See Stark 1993, 114.

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gel’s mature idealism reveal little debt to Kant’s late transcendental philosophy or Selbstsetzungslehre of the opus postumum (§ 6). Furthermore, Hegel’s wide-ranging critical assessment and supersession of common philosophical ideas and assumptions – especially about knowledge – in the 1807 Phenomenology of Spirit includes several ideas and assumptions which undergird the popular notions that Hegel’s idealism somehow grows out of or even radicalises Kant’s transcendental idealism, that their respective versions of idealism are linked by Kant’s notions of self-positing in the opus postumum or that Hegel’s early absolute idealist views (ca. 1801) hold in their essentials also for Hegel’s mature philosophy (§ 7). These points raise a series of crucial questions confronting the received wisdom about links between Kant’s and Hegel’s forms of idealism (§ 8). I conclude that constructive answers to these questions are little to be expected so that this standard view of the relation between Kant’s transcendental idealism and Hegel’s absolute idealism must be rescinded (§ 9).

3. Does Hegel’s Absolute Idealism Develop out of Kant’s Transcendental Idealism? One common belief supporting the extension of Tuschling’s interpretation to Hegel’s mature views is that, somehow, Hegel’s idealism is a direct development of Kant’s transcendental idealism, perhaps even a ‘radicalisation’ of it; Tuschling seeks to articulate and further defend this notion, rather than to establish it de novo. 10 I agree that Hegel’s objective idealism develops out of Kant’s transcendental idealism. Yet the relevant ‘development’ revealed by detailed research is not constructive, but rather critical. (To be sure, ‘constructive’ developments can also be deeply ‘critical’, but that is not the present case.) The cornerstone of Hegel’s method in the Phenomenology of Spirit is the constructive ‘determinate negation’ of alternative views based on their thorough internal critique.11 By his own methodological lights, Hegel owes us a detailed internal critique of Kant’s transcendental idealism. Though he did not detail this critique in any extant materials, Hegel is right that Kant’s transcendental idealism is subject to devastating internal critique,12 indeed in 10 E.g., Pippin 1989 and McDowell 2001 also share this common view. 11 See Westphal 1989a and 1998a. 12 See Westphal 2004a.

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part for reasons Kant recognised in the opus postumum, and Hegel did recognise some key points of this critique. One of these points is this. In the Differenzschrift (1801) Hegel clearly recognised that Kant’s proof of the law of inertia in the Metaphysical Foundations of Natural Science (1786) is irreparably flawed, so that Kant’s Critical philosophy ultimately fails to justify our causal judgments about spatio-temporal particulars, whether common-sense or scientific.13 The problem here is that the only causal principle Kant formulates or tries to justify in the Critique of Pure Reason is the general causal principle that every event has a cause. However, the causal principle required by the Analogies of Experience is the specific causal principle that every physical event has an external physical cause. This latter principle is equivalent to Kant’s law of inertia. Hegel recognised that Kant’s essentially kinematic premises from ‘Phoronomy’ cannot justify Kant’s dynamic theory in ‘Dynamics’. (Kant claims that the key premiss of ‘Dynamics’ is demonstrated in ‘Phoronomy’, though this is mistaken.14) Hegel accordingly recognised that Kant’s transcendental idealism cannot deliver its promised justification of causal judgments, either in common sense or in natural science. As Tuschling (1971) has shown, Kant subsequently recognised this problem, which became Kant’s key point of departure for developing his thoughts in the opus postumum; indeed, this problem is the crippling ‘gap’ Kant discovered in his Critical system. Hegel’s second point goes beyond the problems Kant recognised in his own Critical Philosophy. In both Glauben und Wissen (1802) and in the Differenzschrift Hegel repeatedly probes the adequacy of Kant’s account of the objectivity of nature and of our judgments about natural phenomena.15 In so doing, Hegel realised that transcendental analysis and proof of the a priori necessary conditions for the possibility of self-conscious human experience do not require transcendental idealism: genuine transcendental analysis and proof of these conditions can show that some objective, material conditions must be satisfied by the world we inhabit, regardless of what we may say, think or believe about it, if we are to be self-conscious at all. In a word, Hegel recognised that there are also material and mind-independent conditions which alone can satisfy some genuine a priori transcendental conditions for the possibility of human thought and self-awareness. One key example of such a condi13 See Westphal 1998b. 14 See Westphal 2004a, §§ 44 – 47. 15 See Westphal 1996.

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tion is that any world in which human beings can enjoy self-conscious experience must provide us a humanly recognisable degree of regularity and variety among the ‘contents’ or ‘objects’ we witness. (Kant uses both terms in this connection.) Lacking such humanly detectable regularity and variety would preclude us from forming any concepts whatsoever, and so would preclude our making any judgments whatsoever. Such incapacity to make any judgments at all would in turn preclude our identifying any objects or events around us and thus preclude our distinguishing ourselves from them. In this case, we would – for reasons provided by Kant’s ‘Transcendental Deduction’, ‘Analogies of Experience’ and ‘Refutation of Idealism’ – fail to be self-conscious. This is Kant’s own sound conclusion of his analysis of the transcendental affinity of the sensory manifold. This finding refutes Kant’s transcendental idealism because it directly implies epistemological realism: to satisfy the transcendental principle of the affinity of the sensory manifold there must be a way the world is unto itself regardless of what we think, say or believe about it, whilst conversely, if we are at all self-conscious, we must know at least something about that world. The fundamental premiss of Kant’s transcendental idealism is that whatever satisfies the a priori transcendental conditions for the possibility of human self-consciousness must and can only be a function of the structure and functioning of the human mind. Hegel’s reanalysis of the a priori necessary, transcendental though material conditions of cognitive judgment proves that this fundamental premiss of transcendental idealism is false. Indeed, its falsity can be proven by appeal to Kant’s own principles and analyses in the Critique of Pure Reason. 16 In Glauben und Wissen, Hegel develops this idea, inter alia, in connection with the idea of an intuitive intellect: The idea (Idee) of this archetypal intuitive intellect is at bottom nothing else but the same idea (Idee) of the transcendental imagination that we have considered above. For it is intuitive activity, and yet its inner unity is no other than the unity of the intellect itself, the category still immersed in extension, and becoming intellect and category only as it separates itself out of extension. Thus transcendental imagination is itself intuitive intellect. (G&W, GW 4:341)

This is a challenging passage. Hegel here violates a large number of Kant’s Critical strictures in order to extrapolate from Kant’s discussion 16 See Westphal 2004a, chap. 3, and 2004b.

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of the teleological proof of God to Hegel’s post-Kantian, Schelling-inspired view of an intuitive intellect. However, the important point here lies in a clause from this passage that has not received due attention:17 […] the unity of the intellect itself, the category still immersed in extension, and becoming intellect and category only as it separates itself out of extension. [emphasis added]

The term ‘extension’ doesn’t simply reach back, via Schelling, to the first Critique,18 it reaches back to Spinoza.19 If the ‘category’ becomes intellect and category only as it separates itself out of extension, then there are two factors here: extension as structured by the category, and the category as articulated expressly as ‘intellect’ (Verstand). The unity of ‘the’ intellect is the unity of these two factors, and in this passage Hegel associates one single ‘idea of this archetypal intuitive intellect’ with both of these factors. This strongly suggests the early roots of what are often called the ‘objective’ and ‘subjective’ aspects of Hegel’s ‘concept’, where the objective aspect is a structure of the world, whilst the subjective aspect is our express formulation and grasp of that structure.20 This early view is not a transcendental idealist view; it is opposed to transcen-

17 Pippin 1989 neglects this passage whilst quoting from its surroundings; see Westphal 1993, 268. Recently Pippin 2005 has radically revised his account of Hegel’s idealism; his new view is much closer to the view I have been advocating since 1989; cf. Westphal 2007 – 08 and 2008 – 09. (I do not claim to have influenced Pippin’s shift in view.) McDowell’s 2001 account of how Hegel’s idealism radicalises Kant’s is critically examined in Westphal 2006a. 18 See Pippin 1989, 77. 19 On the sudden rise of the importance of Spinoza in post-Kantian German philosophy, see Beiser 1987, 48 – 61. On Hegel’s acknowledgement of Spinoza, see ‘On the Concept in General’ (WdL, GW 12:11 – 28). Pippin 1989, 84 – 85, noticed a Spinozistic remark about the identity of thought and being (G&W, GW 4:345), but dismissed it because of Hegel’s supposed allegiance to Kantian principles. However, the main point of Kant’s critical philosophy is to raise questions about our capacity to formulate and to know metaphysical claims, as Pippin 1989, 87, recognised. It is thus possible to retain such critical issues whilst rejecting Kant’s transcendental idealist answer to them. Apparently Pippin assumed at that time that critical questions about metaphysical knowledge can only be answered by adopting some form of transcendental idealism, cf. Pippin 1989, 219. 20 Pippin 1989, 77, attempts a much more Kantian reading of this passage. However, his reading requires neglecting the points made here about this passage; see previous note.

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dental idealism, and this view is retained and further developed in Hegel’s mature writings.21

4. Does Hegel Retain the Model of an Intuitive Intellect? A second assumption supporting the extrapolation from Hegel’s early idealism to his mature views is the idea that Hegel’s mature philosophy retains the model and ideal of an intuitive intellect. This supposition, however, fails to pay sufficient attention to Hegel’s recognition, circa Winter 1804, in response to Gottlob Ernst Schulze’s anonymous ‘Aphorismen ber das Absolute’ (1803), that Pyrrhonian Scepticism is not only a problem for the ‘finite’ understanding (Verstand), but is an altogether general problem also affecting ‘absolute idealism’ of precisely the kind developed on the basis of intellectual intuition by both Schelling and himself.22 Thereafter Hegel never omits the opportunity to point out that intuitionism, as a form of justification or a form of knowledge, and expressly including intellectual intuition, cannot avoid petitio principii because it cannot reliably (or even plausibly) distinguish between actually being directly aware of something, and on that basis alone being (rightly) convinced that one knows it, as contrasted with merely being convinced that one is directly aware of something, and thereby being (spuriously) convinced that one knows it.23 Though it requires further textual analysis to demonstrate, Hegel’s mature philosophy dispenses with the model of an intuitive intellect.24 Hence any of his early idealist views which rely on that model cannot reflect his mature views, except by (informative) contrast.

21 E.g., PhdG, GW 9:134.31 – 35, 135.15 – 18; cf. Westphal 1989a, 140 – 145, 160, 167, 186 – 187; 2007 – 08 and 2008 – 09. 22 See Westphal 2000b. 23 See Westphal 1989b. 24 See Westphal 2000b and 2007 – 08, § 5.

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5. Transcendental Idealism, Scientia and Hegel’s Absolute Idealism. I have reviewed the above points briefly because I have analysed them in detail previously. Here I wish to bring attention to another, more serious problem. Another wide-spread assumption is that Hegel’s Phenomenology of Spirit of 1807 is a failed early work excised by Hegel from his own philosophical system, and that accordingly the Science of Logic is Hegel’s main philosophical text from which all else in his philosophical system follows. My conjecture is that this supposition rests, in part, on paying attention to certain features of Kant’s theory of knowledge in the Critique of Pure Reason, features that become more pronounced in the opus postumum at the expense of other features of Kant’s Critical theory of knowledge which are ultimately more important philosophically and which Hegel rightly developed. The writings gathered in the opus postumum are highly exploratory. Plainly Kant is searching for a new, thoroughly revamped form of transcendental philosophy. However, it is extremely difficult to understand how a sound or even a valid argument for his new form of transcendental philosophy could be developed on the basis of his revamped ideas about transcendental deduction. Kant’s late views retain the Critical characteristics of transcendental principles: although they are synthetic propositions, they are universally and necessarily valid in the sense that they hold of any and all possible objects of human experience. In this regard, Kant maintains his allegiance in the opus postumum to the ancient model of justification, central to rationalism and to the Critique of Pure Reason (as well as to empiricist scepticism), of scientia, the idea that specific principles or claims can be justified only by deducing them from established first principles. This model has pervaded epistemology from Aristotle to the present day. Kant realised of course that the relevant first premises for his transcendental analysis of the very possibility of human experience and knowledge are not self-evident, yet he claims to be able to prove the required principles ‘apodictically’ by transcendental proof (cf. KrV A xv, 31; B xliv Anm., B 39, 47, 199). One problem for Kant’s new transcendental philosophy in the later fascicles of the opus postumum is that Kant still adheres to the deductivist justificatory ideal of scientia, which motivates (though does not justify) Kant’s continued adherence to the fundamental principle of transcendental idealism within his new transcendental philosophy, that whatever

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necessary, a priori conditions there are for the possibility of self-conscious human experience, and whatever satisfies those conditions, must derive from (or be legislated by) the structure and functioning of the human mind. Kant’s adherence to these two basic premises is reflected in his continued inference, that anything genuinely a priori must precede all experience; e. g. (from the very late first fascicle of the opus postumum): ‘System of pure philosophy (not derived from experience), hence for, not from, experience’.25 However, these two basic premises generate increasing difficulties for Kant’s equally fundamental aim of maintaining the objectivity of human knowledge. This tension is one of the most important features of Kant’s opus postumum. 26 The problem is that trying to uphold those two basic premises forces Kant into ever more precarious philosophical experiments. Kant’s Critique of Pure Reason is the most sophisticated and valiant effort ever to understand (inter alia) the non-formal domain of empirical knowledge in accord with the deductivist ideal of scientia. In this regard Kant’s Critique of Pure Reason – along with Descartes’ foundationalism and the empiricist attempt to reduce the language of physical objects to the language of sense-data – are enormously instructive failures. Their failures show that the deductivist model of scientia simply is not suited to non-formal domains, whether in theoretical or practical philosophy, and indeed for reasons already given by Sextus Empiricus. Hegel learned this lesson and worked out its enormous implications in (roughly) the two years leading up to completing his 1807 Phenomenology. 27 Fortunately, the Critique of Pure Reason is not exhausted by its deductivist strand. Along side the model of scientia, Kant’s Critique also develops important and central strands of a fallibilist and social (even an historical) account of rational justification. Moreover, Kant’s Critique develops a sophisticated and tenable semantic theory – a theory of cognitive reference – which suffices to secure his most important claims about both the possibility of empirical knowledge and the impossibility of rationalist metaphysics, without appeal to transcendental idealism! 28 25 1. Konvolut, Umschlag S. 4; OP, AA 21:8.3 – 4; cf. e. g. 21:16.8 – 14, 45.11 – 18, 67.18 – 27, 77.22 – 29, 80.5 – 12, 84.3 – 5, 87.11 – 15, 87.20 – 23, 89.3 – 7. 26 See Edwards 2000, 167 – 192, and Edwards in this volume. 27 On the failures of Descartes’ foundationalism and of the reduction of talk of physical objects to talk of sense data, see Westphal 1989a, chap. 2 and 4, and also pp. 230 – 32 note 99; Westphal 2006b, § 4 and 2009b. 28 See Westphal 2004a and 2006a.

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The key point of Kant’s semantics is that determinate cognitive reference requires singular sensory presentation of objects known, and that only such determinate cognitive reference provides full and determinate meaning (Kant’s terms are ‘Bedeutung’, ‘Inhalt’ and ‘Sinn’) for any of our forms of judgment. (On Kant’s view, such determinate cognitive reference is a necessary, though not a sufficient condition of determinate meaning; hence Kant’s view is not a version of verificationism, which holds that determinate reference to particulars is the sole and sufficient condition of the meaningfulness of our terms.) Elsewhere I have argued in detail that Hegel develops a pragmaticrealist theory of knowledge rooted in his internal critique of Kant’s transcendental idealism.29 Recently I have further argued that Hegel’s pragmatic, social and historical account of rational justification develops the fallibilist strands in Kant’s Critical theory of knowledge.30 Moreover, Hegel adopted and further developed Kant’s semantics of cognitive reference, beginning directly in the first chapter of the 1807 Phenomenology, ‘Sense Certainty’.31 Indeed, by 1801 Hegel rejected any ultimate distinction in kind between the analytic and the synthetic; according to Hegel, these terms mark poles of a continuum rather than an exclusive distinction in kind. Hegel is explicit about this in ‘Faith and Knowledge’, where he links this directly to his sense of ‘speculative’ knowledge.32 This important insight is further supported by Hegel’s recognition (ca. 1804) that both coherentist and foundationalist models of justification (whether scientia or historia) are refuted by the Pyrrhonian Dilemma of the Criterion, which can only be solved by the kind of transcendental, though also fallibilist and pragmatic, account of rational justification Hegel develops in the 1807 Phenomenology. Hegel’s account of rational justification thus critically rejects the three basic, underlying premises of Kant’s transcendental idealism and his new transcendental philosophy in the later fascicles of the opus postumum. This is a very important reason why Hegel’s mature idealism cannot properly be understood as an outgrowth or radicalisation either of Kant’s transcendental idealism or of Kant’s Selbstsetzungslehre in the opus postumum.

29 30 31 32

See Westphal 1989a; 2003a; 2002/2003 and 2003c. See Westphal 2009b. See Westphal 2000a and 2009a. G&W, GW 4:335.2 – 6; see Westphal 2000b.

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6. Some Basic Features of Hegel’s Mature Idealism The conclusion just drawn is reinforced by considering the basic tenets of Hegel’s mature idealism. Very briefly, Hegel’s absolute idealism – as developed in the 1807 Phenomenology of Spirit, the Science of Logic and the Encyclopaedia of Philosophical Sciences – is a kind of moderate ontological holism.33 According to Hegel, the individual properties of things obtain only as members of contrastive sets of properties. He further argues that the causal characteristics of spatio-temporal individuals are essential to their identity conditions (the conditions that must be satisfied for something to be what it is) and that their causal characteristics are essentially relational and hence essentially interrelate spatio-temporal individuals. Hence the causal interdependence of particulars, along with the constitutive similarities and differences among their properties, establish the mutual interdependence of their identity conditions. The result is two-fold. On the one hand, particulars have their ground (ultimately) in the whole world-system, because their characteristics obtain only in and through contrast with opposed characteristics of other things and because they are generated, sustained and corrupted through their causal interaction with other things. On the other hand, Hegel analyses the ‘concept’ (der Begriff) as an ontological structure. Hegel’s ‘concept’ is a principle of the constitution of characteristics through contrast, where the relevant contrasts include distinctive regularities or patterns of behaviour, including causal regularities. More importantly, this concept, Hegel argues, exists only in and as the interconnection of things and their characteristics in the world. Hegel’s ‘idea’ (Idee) is the instantiation of this conceptual structure by worldly things and events. Hegel describes spatio-temporal individuals as ‘ideal’ because they are not individually self-sufficient, and thus not ultimately real, where to be ‘real’ requires ontological self-sufficiency. He characterises the world-system as ‘spirit’ because he believes it has a normative telos toward which it develops historically. Part of this telos is self-knowledge, which the worldsystem gains through human knowledge of the world. None of these doctrines are expressed, articulated nor suggested by Hegel’s early ‘absolute idealism’ circa 1801. The sceptical view that things are the unsensed causes of sensory experience has been popular from Protagoras to Putnam; it appears in Locke’s ‘thing I know not what’, Kant’s unknowable ‘thing in itself’ 33 See Westphal 1989a, 140 – 145, and 2008 – 09.

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and in Herder’s causal scepticism, which Hegel identifies in his lectures as the target of his critique, in ‘Force and Understanding’, of forces of solicitation.34 Hegel’s analysis of forces and scientific laws in ‘Force and Understanding’ responds to this view and provides support for his holistic ontology. Hegel defends an enriched ‘phenomenological’ account of laws of nature. (This use of the term is distinct from that pertaining to Hegel’s ‘phenomenological’ method.) According to such an account, laws of nature are relations among manifest phenomena. This view was prominent throughout the nineteenth century in German and British physics. Very briefly, Hegel contends that nothing more can be attributed to any force or set of forces than precisely the array of manifest phenomena which they are postulated to explain, so that ultimately there is nothing more to ‘forces’ than the conceptual interrelation of manifest phenomena. These interrelations are, on Hegel’s view, objective features of those phenomena, and the aim of conceiving those phenomena is to formulate those interrelations accurately. Because the interrelations among and within natural phenomena are not strictly speaking perceptible, but nonetheless are objective features of those phenomena, those interrelations are conceptual and concepts are structures of nature. The most basic point for understanding Hegel’s mature, objective form of ‘absolute idealism’ is to recognise that mind-dependence is only a species of ontological dependence. Hegel contends that any and all forms of ontological dependence – many of which are causal – entails that something is ‘ideal’ because it is not ontologically self-sufficient and so in this sense (and in this sense alone) it is not ultimately ‘real’. In Hegel’s ontology, dependence on human minds is an unimportant sub-species of ontological dependence. Hence the first thing most people (including philosophers) think of in connection with ‘idealism’ is deeply ill-suited to understanding Hegel’s mature idealism. Unfortunately, Hegel’s expositors have often succumbed to this equivocation, despite Hegel’s explication of his use of this term in a Remark added to the second edition of the Science of Logic (GW 21:142 – 3) – presumably because he realised people misunderstood his unique form of idealism. How does Hegel argue for or try to justify his idealism? This is a complex issue which I still seek to unravel. Part of the answer lies in Hegel’s internal critique of Kant’s transcendental idealism, some key points 34 See Westphal 2007 – 08, § 4.5.

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of which are reviewed above. Part of the answer lies in Hegel’s analysis of causal relations, as just suggested. I have recently discovered two very important features of Hegel’s analysis of causal relations which clarify and reinforce these points.35 Hegel identifies a key equivocation in the traditional concept of substance. This equivocation concerns a very basic feature of the traditional concept of substance that remained unchallenged from the Greeks up through Kant; it underlay the debate about internal and external relations based on the thesis that the logical law of identity entails an atomistic ontology. The equivocation concerns two distinct senses of the term ‘intrinsic’ (or analogously, ‘internal’) when used in connection with the characteristics or properties of individual substances. One sense of the term ‘intrinsic’ in this connection is that a characteristic is essential (rather than accidental) to a substance, that the substance would not be what it is without that characteristic. Another sense of the term ‘intrinsic’ in this connection lies in its contrast with ‘extrinsic’ or ‘relational’. In view of this contrast, an ‘intrinsic’ characteristic is contained solely within the individual substance; it is non-relational. These two senses of ‘intrinsic’ have been conflated throughout the history of philosophy; conflating them generates the standard assumption that relational properties cannot be essential to individual substances. (Put semantically, the assumption is that relations are expressed by polyadic predicates, whereas only monadic predicates can express the essential characteristics of any individual substance.) This equivocation is responsible for the (broadly) ‘atomistic’ orientation of Occidental philosophy, that individuals are ontologically basic, whilst relations are derivative because they depend on individuals, whereas individuals do not depend on their relations. Hegel exposes this equivocation in ‘Force and Understanding’ because he realises it wreaks havoc in our ontologies, both natural and social. In particular, Hegel contends that this conflation blocks our comprehension of causal forces and causal relations. Only if we clarify this equivocation can we recognise that relations can be, and indeed are essential to individuals.

35 This research was conducted in Bielefeld, Spring 2007, with generous support from the Alexander von Humboldt Stiftung. I thank my host, Martin Carrier, and my colleagues in Bielefeld, especially Michael Wolff and Holger Lyre, for providing an especially stimulating and congenial research environment. I discuss these results in more detail in my 2008 and 2008 – 09.

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In ‘Force and Understanding’ Hegel argues for this view on conceptual and phenomenological grounds. More striking yet, Hegel also contends in ‘Force and Understanding’ that empirical proof that causal relations are essential to material objects is provided by Newton’s gravitational theory, at least once Newtonian mechanics is re-written by Johann Bernoulli and his successors, including especially LaGrange, in terms of mathematical analysis (integral calculus). In this very important regard Hegel’s epistemology in the 1807 Phenomenology of Spirit is naturalised (though not in Quine’s sense); already in the Phenomenology Hegel holds the view stated in his Philosophy of Nature, that Not only must philosophy accord with the experience nature gives rise to; in its formation [Entstehung] and in its development [Bildung], philosophic science presupposes and is conditioned by empirical physics. (Enz.3 § 246 Anm.).

Stated more directly, already in 1807 Hegel contends that any tenable philosophical theory of human knowledge must take the natural sciences into very close consideration. This finding about Hegel’s analysis in ‘Force and Understanding’ is greatly augmented and further supported by Hegel’s taking contemporaneous natural science into very close philosophical consideration in ‘Observing Reason’.36 One central reason why epistemology must closely attend to the natural sciences is semantic. In ‘Force and Understanding’ Hegel develops a sophisticated account of the explanatory power involved in the integration of physical laws under more general laws (PhdG, GW 9:91 – 92). One central feature of his account lies in his striking critique of the reduction of specific physical laws to general ones, and expressly how this is done in Newton’s Principia. Hegel rightly argues that such ‘reduction’ does not and cannot involve an identity between the specific, subsumed laws and the general law which subsumes them, because the specific laws refer to specific systems, relations and initial conditions that are, by design and of necessity, omitted from the general law. Hegel’s analysis of the integration of general laws with specific laws through the successive re-introduction of specific systems of particulars and their initial conditions has an important semantic component. Hegel contends that general scientific laws, such as Newton’s Laws of Motion, are expressly and necessarily abstractions. As abstractions, they lack determinate semantic content or meaning because they lack determinate 36 See Ferrini 2007; 2009a and 2009b.

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reference to spatio-temporal particulars (Gegenstandsbezogenheit). In a phrase, laws of nature are functions of judgment, they are not descriptions of any specific phenomena. Kant and Hegel both rejected descriptions theories of reference because they realised that descriptions, no matter how specific, cannot by themselves determine whether they are vacuous (lack reference to any particulars), definite (because they are satisfied by only one individual) or ambiguous (because they are satisfied by more than one individual). Kant and Hegel both expressly defend the thesis Evans (1975) argues for in ‘Identity and Predication’, that determinate reference and ascription of qualities are mutually integrated cognitive achievements which require identifying spatio-temporal individuals (physical objects) by both locating them in space and time via singular sensory presentation and by correctly characterising them; only conjointly do these achievements constitute predication and provide for knowledge. Hegel’s semantics is based on Kant’s, and includes (like Kant’s) the thesis that our conceptions are functions of judgment, and as such lack complete meaning unless and until they are referred to particulars. (Here I use the term ‘conception’ to designate the ‘subjective’ component of Hegel’s Begriff, roughly our classifications for or descriptions of particulars.) Consequently, conceptions lack truth-value unless and until they are incorporated into judgments by which they are referred to particulars. This same point holds, analogously, for combinations of conceptions, however complex or specific, including formulations of laws of nature. The direct implication of Hegel’s semantics for general laws of nature is that, unto themselves, they have no truth value; they only have truth values when they are referred to spatio-temporal particulars (natural phenomena), yet this Gegenstandsbezogenheit requires employing the entire apparatus of theoretical explanation, including more specific laws of nature, specification of specific systems of objects, their initial conditions, together with any and all relevant theories, methods, techniques or instruments for making the relevant observations or identifications. This semantic point about general laws of nature has an important cognitive component: General laws of nature are not themselves objects of knowledge; they are objects of knowledge only when taken together with the subsidiary concepts, theories, procedures and data through which alone they can be determined to be instantiated, in part by being referred determinately to their instances. This important semantic and cognitive point is a quite general one, on Hegel’s view: The general

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principles explicated and defended in the Science of Logic, too, are unto themselves not objects of knowledge. They, too, are objects of knowledge only when taken together with the subsidiary concepts, theories, data and procedures through which alone they can be determined to be instantiated, in part by being referred determinately to their instances. Indeed, this view undergirds Hegel’s justly famous remark, quoted earlier, that ‘not only must philosophy accord with the experience nature gives rise to; in its formation and in its development, philosophic science presupposes and is conditioned by empirical physics’.37 This remark, made very early in Hegel’s Introduction to the Philosophy of Nature, does not concern only the second part of his Encyclopaedia. Nor does it merely concern the development of spirit out of nature in the third part. It directly concerns Hegel’s Logic too. Just quoted was the second sentence of Hegel’s Remark; the first sentence refers to Hegel’s discussion of the relation between philosophy and the empirical sciences in the Introduction to the Encyclopaedia as a whole.38 There Hegel states directly that philosophy is stimulated by and grows out of experience, including natural-scientific experience, and that the natural sciences develop conceptual determinations in the form of generalisations, laws and classifications which must be reconsidered philosophically (Enz.3 § 12). Thus Hegel insists that his Logic cannot be properly understood apart from his Philosophy of Nature, nor can his philosophy of nature be understood apart from Hegel’s knowledge and understanding of the methods and content of natural science. Hegel’s Logic examines the ontological and cognitive roles of ontological categories (e. g., being, existence, quantity, essence, appearance, relation, thing, cause) and principles of logic (e. g., identity, excluded middle, non-contradiction, forms of judgment and syllogism). It also analyses principles of scientific explanation (force, matter, measure, cognition; mechanical, chemical, organic and teleological functions), by using which we are able to know the world. Even this brief list suffices to cast grave doubt on the suggestion that Hegel’s Logic can be a purely a priori investigation, for it involves too 37 Cf. Enz.3 § 246 Anm., GW 20.236; see also Vorlesungen ber die Logik (1831), nachgeschrieben von Karl Hegel, Vorlesungen, vol. 10, ed. by U. Rameil and H.-Chr. Lucas, Hamburg, Meiner 2001, 72. 38 ‘The relation of philosophy to the empirical was discussed in the general introduction’ (Enz.3 § 246 Anm.), i. e., in the introduction to the Encyclopaedia as a whole, not any of the introductions to its three component parts; see Westphal 2008.

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many very specific concepts and principles, at least some of which obviously derive from historical science (e. g., ‘chemism’).39 Much less so, then, can Hegel’s attempt in the latter two parts of his Encyclopaedia of Philosophical Sciences, to show that and how these concepts and principles are specified and exhibited in nature and in human life, be purely a priori. Indeed, as noted earlier, by 1802 Hegel already rejected the distinction in kind between the a priori and the a posteriori, reinterpreting them as poles of a continuum. In sum, Hegel’s Science of Logic is flanked by two major works – the 1807 Phenomenology of Spirit and the Philosophy of Nature – in which Hegel insists, for excellent reasons, that the Science of Logic is not and cannot be the self-sufficient, sui-generis foundation for his philosophical system it is so often presumed to be. Instead, specific conceptions, principles and doctrines analysed in Hegel’s Science of Logic only acquire their determinate meaning and full justification in and through his Realphilosophie, including centrally his Philosophy of Nature. 40 Moreover, the very standpoint of Hegel’s Science of Logic is only ‘justified’, ‘deduced’ or ‘proven’ (these are Hegel’s terms) by the 1807 Phenomenology of Spirit. Hegel states this plainly in the Introduction to both editions of the Science of Logic,41 whilst none of his other ‘introductions’ to his Logic are ever assigned such a crucial justificatory role, a role they cannot fulfil. Though the elder Hegel no longer claimed that the Phenomenology formed the first part of – that is, within – his philosophical system of Logic, Philosophy of Nature, and Philosophy of Spirit, he did not expunge his first masterpiece from his systematic philosophy.42 Hegel’s cognitive semantics entails that his Logik and Realphilosophie must be integrated in ways which defy the distinction in kind between the a priori and the a posteriori central both to Kant’s transcendental idealism and to his late transcendental philosophy in the opus postumum. Likewise, these two key components of Hegel’s mature system of philosophy are integrated in ways that hardly conform to Kant’s late model of Selbstsetzung. Accordingly, Hegel’s mature views are neither an out39 Regarding Hegel’s treatment of chemistry see Engelhardt 1976, 1984 and Burbidge 1996. 40 See Stekeler-Weithofer 1992, Bykova 2003 and Westphal 2008. 41 WdL, GW 11:20.5 – 18, 20.37 – 21.11, 21:32.23 – 33.3, 33.20 – 34.1. 42 The case for this has been best made by Fulda 1975. Hegel speaks positively about, draws from and cites for justification the 1807 Phenomenology in many of his later writings; e. g., WdL, GW 21:7.25 – 8.2, 37.27 – 32, 11:351.3 – 12, 12:36 – 198.11, 232.30 – 17, 6:544 – 5, Grundlinien §§ 35 Anm., 57 Anm., 135 Anm., 140 Anm. and Zus.; Enz.3 § 25, GW 20.68 f.

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growth nor a radicalisation of Kant’s transcendental idealism nor his late Transzendentalphilosophie, nor are Kant’s views, even in the opus postumum, a reliable guide to Hegel’s mature views. One theme Hegel’s mature views share with Kant’s late transcendental philosophy is that the systematic unity of experience (not, Kant notes, of experiences) must play a fundamental, transcendental role in human cognition.43 Though it is very much to Kant’s credit that he finally realised this important point, Hegel had already learned what he needed to know about this point from Kant’s Critique of Judgment, his discussion of the ens realisimum in the Critique of Pure Reason and most importantly from the integrity of the three Analogies of Experience as a set of principles guiding causal judgment.44 Moreover, Hegel was ahead of Kant on this topic. One lesson to be learned from Kant’s opus postumum is that it is at best extremely difficult, indeed very likely impossible, to provide a proper transcendental role to the integrity of experience whilst adhering to the two basic premises of transcendental idealism and of Kant’s late transcendental philosophy discussed above (§ 4). By rejecting those premises and by developing his transcendental, though also fallibilist and pragmatic account of rational justification, Hegel succeeded far more than Kant in granting a proper transcendental role to the integrity of experience within human cognition.45

7. The price of neglecting Hegel’s Introduction to the 1807 Phenomenology These points reveal a further assumption required by the enormous extrapolation from Hegel’s early idealism (ca. 1801) to his mature views: that Hegel was not particularly concerned about epistemology or semantics, especially the semantics of determinate cognitive reference. This major oversight results in part from the longstanding habit of dis43 E.g., AA 21:84.3 – 7. 44 On this last point, see Westphal 2000b, § 7. 45 Edwards concludes his contribution to this volume by asking whether Hegel offered a counterpart to Kant’s late Aetherdeduktion. Considered in light of his analysis, my account of the ‘Consciousness’ section of Hegel’s 1807 Phenomenology (see 2009a) may suggest a positive answer, though I cannot pursue this suggestion here.

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regarding Hegel’s own Introduction (Einleitung) to the 1807 Phenomenology in favour of the much more exciting, ambitious and – so it seems – brazenly metaphysical Preface (Vorrede), which is a Preface to Hegel’s projected System of Philosophy, not only to the Phenomenology of Spirit. Neglecting Hegel’s Introduction circumvents Hegel’s central concern with epistemology, reflected in his exact paraphrase in the very centre of the Introduction of the Pyrrhonian Dilemma of the Criterion, a problem he addresses very acutely both in his Introduction and in the body of the Phenomenology. 46 Neglecting Hegel’s Phenomenology also insures neglecting his brilliant articulation and justification of his sophisticated semantics of cognitive reference, beginning in ‘Sense Certainty’ and his innovative and defensible naturalisation of epistemology in ‘Force and Understanding’ and ‘Observing Reason’.

8. Can we Rely on Transcendental Idealism and Intellectual Intuition to Understand Hegel’s Mature Philosophy? The foregoing considerations show that those who interpret Hegel’s mature philosophy in terms of transcendental idealism, Kant’s Selbstsetzungslehre, intellectual intuition or Hegel’s own early idealism (ca. 1801) must address several fundamental questions: To what extent can viewing Hegel’s Science of Logic as the self-sufficient, self-generating foundation for Hegel’s philosophical system avoid turning Hegel’s decidedly post-Critical philosophy back into a pre-Critical dogmatic rationalism? How can Hegel’s Science of Logic, when taken as a self-sufficient starting point and foundation for Hegel’s system, be known to be true, or even to be determinately meaningful?

46 See Westphal 1989a, 1998a, 2003a, 2009a and 2009b. Hegel’s views are challenging and difficult; hence it is understandable that Hegel’s scholars have principally devoted themselves to expounding his views. It seems obvious that questions of whether or how Hegel may have justified his views must await answers to what his views are. Unfortunately, the lack of interest in epistemology and in philosophical justification more broadly among Hegel’s expositors has occluded Hegel’s central and explicit concerns with these important issues and thus distorted our understanding and indeed much of our exposition of Hegel’s views.

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How can the many very determinate concepts and principles analysed in the Science of Logic, e. g., ‘chemism’, be derived purely a priori? 47 How and how well can Hegel’s Science of Logic, so understood, either avoid or respond to the Dilemma of the Criterion, including the trope of petitio principii? To what extent did Hegel retain the exclusive distinction in kind between the a priori and the a posteriori required to understand the Science of Logic as a self-generating, self-sufficient system of logical concepts and principles? 48 To what extent can viewing Hegel’s Science of Logic as the self-sufficient, self-generating foundation for Hegel’s philosophical system avoid ascribing to Hegel – whether implicitly or explicitly – the topdown deductivist model of scientia that Hegel exposed in the 1807 Phenomenology of Spirit as profoundly inappropriate to the non-formal domains of human action and cognition, whether commonsense, natural-scientific or transcendental? To what extent can viewing Hegel’s Science of Logic as the self-sufficient, self-generating foundation for Hegel’s philosophical system avoid ascribing to Hegel the very same fault he claimed to find in Schelling’s systems of philosophy, namely schematising formalism? While I cannot foreclose on the prospect of cogent answers to such questions, for reasons reviewed here I am not optimistic about them.49 Both the 1807 Phenomenology of Spirit and Hegel’s Philosophy of Nature centrally stress that Hegel’s epistemology is naturalised because it is deeply rooted in the empirical sciences, indeed in ways incompatible with understanding his Science of Logic as the self-sufficient, self-generating foundation of his system it is widely held to be. In sum, too much research on Hegel’s Science of Logic unwittingly assumes the top-down 47 The suggestion that determinations such as ‘chemism’ do not belong in the Science of Logic reflects prior, often unwitting commitment to the deductivist model of scientia. Once this presumption is identified and expunged, Hegel’s topics in the Science of Logic fall easily into place. 48 See above, § 4 end. 49 Houlgate 2006 is an important study which has much of value to say about the first three of these questions; it does not, however, appear to address the latter four. I think Hegel can only avoid the charge of schematising formalism on my kind of view, which allows Hegel to explicate his concepts, categories and principles ‘bottom up’ by examining relevant phenomena, as well as ‘top down’ by explicating his Science of Logic, though this huge issue may only be mentioned here. Some relevant points are discussed in Westphal 2008.

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model of scientia, thereby seriously distorting our understanding of Hegel’s system of philosophy and entirely occluding one of Hegel’s major achievements: the development of the first and still the most sophisticated transcendental-pragmatic theory of semantic analysis and of rational justification, which solves the Dilemma of the Criterion and justifies realism in epistemology and philosophy of science and also strict objectivity regarding practical norms.50 To understand Hegel’s Science of Logic requires taking both his 1807 Phenomenology of Spirit and his Philosophy of Nature into very close philosophical account. Only then can we appreciate how Hegel rejected the top-down deductivist model of justification (scientia) which is central to Kant’s transcendental idealism, to his late Transzendentalphilosophie in the opus postumum and to viewing Hegel’s mature absolute idealism as some kind of extension, radicalisation or at least some kind of natural development of transcendental idealism.

9. Conclusion Transcendental idealism is a valiant, failed effort to satisfy the justificatory demands of scientia within the non-formal domains of transcendental philosophy and of empirical knowledge. Hence neither it, nor Kant’s late Transzendentalphilosophie nor his Selbstsetzungslehre cast much illumination on Hegel’s absolute idealism, except by (informative) contrast. Though convenient, the idea that Hegel’s absolute idealism is an extension or a radicalization of Kant’s transcendental idealism is ill-conceived and rests on over-simplifications which can be corrected only by careful systematic reconstruction of Hegel’s texts and issues. My surmise is that this convenient idea is the product of lecture halls, in which lecturers had the unenviable task of providing a brief synopsis of Hegel’s extraordinarily compendious, detailed and intricate philosophy. Hegel’s Entwicklungsgeschichte is fascinating and can be very helpful in understanding his mature views, though only if it is critically reconstructed and assessed in view of Hegel’s philosophical issues and analyses and also, of course, the details of his often difficult texts and above all his important and identifiable revisions of his views. What Hegel rejected in his early views and why he rejected it is as illuminating – if not more so – than what his mature philosophy retains from them. The 50 Regarding Hegel’s practical philosophy, see Westphal 2003b/2007, 2005/ 2009c and 2009b.

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wide-spread assumption that Hegel’s idealism is somehow a direct outgrowth or radicalisation of Kant’s transcendental idealism, rooted in Kant’s late views about self-positing, short-circuits philosophical understanding of Hegel’s views in the ways and about the issues indicated above. Clinging to the models of intellectual intuition, self-positing or (in some sense) ‘radicalised’ transcendental idealism precludes answering – or even posing – the above questions (§ 7). The considerations presented here thus raise a final question: Why do so many of Hegel’s expositors find the (alleged) development or radicalisation of Kant’s transcendental idealism and the models of self-positing and intellectual intuition so attractive? 51

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Does Kant’s opus postumum Anticipate Hegel’s Absolute Idealism?

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Hegel and Kant’s Idea of Matter. What is Wrong with the Dynamical View? Ilmari Jauhiainen Abstract: Hegel dedicates a long remark in Wissenschaft der Logik to criticising Kant’s construction of matter from interaction of the forces of attraction and repulsion. Kant’s construction was meant to replace the atomistic theory of matter with a dynamistic theory. Hegel, on the contrary, thinks that Kant’s dynamism is no true solution for the inadequacies of atomism. Firstly, Hegel notes that Kant’s dynamism cannot give a correct mathematical account of the combination of pieces of matter. Secondly, Hegel points out that Kant has actually not constructed matter, but only explicated it, because the forces of attraction and repulsion are mere abstractions from a concrete material unity. Hegel suggests that a nature of matter is actually determined by its density which Hegel sees as a unitary principle regulating the mass and the volume of the matter.

Kant suggested in his Metaphysische Anfangsgrnde der Naturwissenschaft that matter should not be conceived as consisting of static atoms, but as constituted by repulsive and attractive forces: a heavier piece of matter doesn’t necessarily have more atoms, but more force with which to fill up space. Kant thus endorsed a more dynamic view of matter compared to the atomism, where matter was regarded as completely inert. Metaphorically we could say that Kant almost thought matter to have a life of its own. This metaphor is not completely accurate, because Kant himself admitted that all matter is lifeless in the sense that it could not move or act without any external influence.1 Yet, the metaphor at least describes the effect Kant’s theory of matter had on the later German idealists. Kant’s account influenced Schelling’s more organic ideas of matter and even Hegel admitted that this was the beginning of philosophy of nature. Indeed, Hegel went so far as to hail Kant as the instigator of the dynamical theory of matter.2 But like so many ideas of Kant, the dynamical view of matter was not wholly accepted by Hegel. Hegel’s rejection is difficult to understand, because he himself maintained that our view of nature should be more organic, and one should thus expect Hegel to be thrilled with Kant’s dynamism, which 1 2

Cf. MAN, AA 4.544. Cf. Enz.3 § 293 Anm., GW 20.293.

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in Hegel’s opinion already steps over the limits of mechanistic atomism. It should therefore be enlightening to investigate what exactly Hegel found wrong in Kant’s account, especially as Hegel uses a whole remark, situated in the end of the chapter on Frsichseyn in his Wissenschaft der Logik, to criticise Kant’s construction.

1. Did Kant provide a construction of matter? I shall start with a short description of Kant’s matter theory, as it is presented in the chapter on dynamics in his Metaphysical Foundations of the Natural Science. Kant begins with the concept of a matter as something movable in space which also fills some space, that is, prevents any penetration into its space.3 In the first proposition of dynamics Kant states that penetration could not be resisted by mere existence of material parts, but there must be something active in the matter itself that prevents the penetrating movement and this activity is just the same by which matter expands or fills a certain space. This resisting and expanding activity of matter Kant calls repulsive force4. In the fifth proposition Kant continues that matter cannot consist only of a repulsive force. Mere repulsion without anything to hinder it would expand the matter infinitely thin. Then there would be no specific quantity of matter to encounter in any specific space, Kant says. Experience5 of a resisting 3 4 5

I refer here and in the following to MAN, AA 4.496 ff. Cf. MAN, AA 4.497. I purposefully use this rather ambiguous expression in order to not commit myself to any specific reading of Kant. The wording of the fifth proposition itself suggests that it is the very possibility of matter that Kant thinks involves the existence of attraction (“Die Möglichkeit der Materie erfordert eine Anziehungskraft”). Yet, Kant’s argument contains a reference to encounter matter in space (“in keinem anzugebenden Raume würde eine anzugebende Quantität Materie anzutreffen sein”). If this reference is essential to Kant’s argument, then it is the possibility of encountering matter that requires the existence of attraction, while matter itself could still exist without attraction, but only dispersed infinitely thin. Without any clear evidence in favour of any reading of the fifth proposition, I have decided to choose the one that would commit Kant to a position easiest to defend: the possibility of experiencing matter would require the possibility of actually encountering or sensing matter and thus the existence of attraction. This reading has also the benefit of being in line with the general attempt of Kant’s transcendental philosophy, that is, the task of finding the presuppositions of cognition and experience.

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matter requires matter therefore to have also a force by which to restrict its expansion. Such a force Kant calls attractive. Furthermore, Kant argues in the sixth proposition that attractive force needs repulsive force in order to explain the existence of matter, because without the resistance of another force attraction would diminish matter into a single point.6 There are a number of things Hegel criticises in Kant’s account, and I shall endeavour to mention at least the most important of them. Firstly, Hegel criticises the form of deduction Kant employs in his argument for the existence of repulsive and attractive forces. Hegel begins this criticism by pointing out a lack of conceptual clarity: Hegel cannot understand what sort of difference Kant is trying to suggest by saying that the attractive force belongs to the concept of matter without being contained in it.7 Actually Kant’s idea is quite easy to understand. The attractive force is not explicitly mentioned in the definition of matter, but must be deduced as a necessary condition for the possibility of matter.8 Hegel’s apparent ignorance is feigned. In the next paragraph Hegel explains that: Kant zum Begriffe der Materie von vorn herein einseitig nur die Bestimmung der Undurchdringlichkeit rechnet, die wir durch das Gefhl wahrnehmen sollen, weswegen die Repulsivkraft, als das Abhalten eines andern von sich, unmittelbar gegeben sey.9

According to Hegel, Kant accepts the existence of the repulsive force of matter from the sensuous experience where we can, for instance, by our hands feel that a rock resists the pressure of our fingers. Indeed, Kant himself explains in a similar manner why our concept of matter should contain the concept of repulsion: Also ist klar: daß die erste Anwendung unserer Begriffe von Größen auf Materie, durch die es uns zuerst möglich wird, unsere äußere Wahrnehmungen in dem Erfahrungsbegriffe einer Materie als Gegenstandes überhaupt zu verwandeln, nur auf ihrer Eigenschaft, dadurch sie einen Raum erfüllt, gegründet sei, welche vermittelst des Sinnes des Gefühls uns die Größe und Gestalt eines ausgedehnten, mithin von einem bestimmten Gegenstande im Raume einen Begriff verschafft, der allem übrigen, was man von diesem Dinge sagen kann, zum Grunde gelegt wird.10 6 7 8 9 10

Cf. MAN, AA 4.510 – 511. Cf. WdL, GW 21.168. Cf. MAN, AA 4.509. WdL, GW 21.168. MAN, AA, 4.510.

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While Kant admits the existence of repulsive force as given by our senses, he merely deduces the existence of attractive force to account for the possibility of encountering matter that has repulsive force. Hegel criticises Kant’s deduction for its artificiality. If both attraction and repulsion are needed for the possibility of encountering matter, we can never experience repulsive force alone, but only as it is connected with the force of attraction. We could thus begin as well with the attractive force, which is also given in our experience of matter, and only then deduce the repulsion as a necessary presupposition of matter.11 Kant himself had considered the problem Hegel presented, and he even admits that an incapability of sensing attraction wouldn’t justify the conceptual priority of repulsion: even if we could immediately sense attraction, we would still regard the repulsion as the defining characteristic of matter. Kant bases his preference of repulsion on the assumption that attraction does not help us to distinguish specific material objects. Thus, attraction is experienced only as a general gravitational pull towards some point outside us, for instance, the centre of the Earth. Only by experiencing variable repulsion or resistance of particular material objects by our touch, we become aware of those objects as particular substances, separated from, but situated in space: Anziehung, wenn wir sie auch noch so gut empfänden, würde uns doch niemals eine Materie von bestimmtem Volumen und Gestalt offenbaren, sondern nichts als die Bestrebung unseres Organs, sich einem Punkte außer uns (dem Mittelpunkt des anziehenden Körpers) zu nähern. Denn die Anziehungskraft aller Theile der Erde kann auf uns nichts mehr, auch nichts anderes wirken, als wenn sie gänzlich in dem Mittelpunkte derselben vereinigt wäre, und dieser allein auf unsern Sinn einflösse, eben so die Anziehung eines Berges oder jeden Steins etc. Nun bekommen wir dadurch keinen bestimmten Begriff von irgend einem Objecte im Raume, da weder Gestalt, noch Größe, ja nicht einmal der Ort, wo er sich befände, in unsere Sinne fallen kann (die bloße Direction der Anziehung würde wahrgenommen werden können, wie bei der Schwere: der anziehende Punkt würde unbekannt sein, und ich sehe nicht einmal wohl ein, wie er selbst durch Schlüsse ohne Wahrnehmung der Materie, so fern sie den Raum erfüllt, sollte ausgemittelt werden).12

Kant obviously presupposes that the gravitation is the only primary attractive force we can experience. True, Kant accepts the existence of cohesion as an attractive force, but maintains also that cohesion is 11 Cf. WdL, GW 21.168 f. 12 MAN, AA 4.509 f.

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only a secondary or derived force.13 Hegel finds this presupposition unconvincing. [F]erner müßte das wahre Durchdringen der Attractivkraft allein darin bestehen, daß alle Theile der Materie an und fr sich attrahirend wären, nicht aber eine gewisse Menge passiv und nur Ein Atom activ sich verhielte. – Unmittelbar oder in Rücksicht auf die Repulsivkraft sebst aber ist zu bemerken, daß in der angeführten Stelle sich berhrende Theile, also eine Gediegenheit und Continuitt einer fertigen Materie vorkommt, welche durch sich hindurch ein Repelliren nicht gestatte. Diese Gediegenheit der Materie aber, in welcher Theile sich berhren, nicht mehr durch das Leere getrennt sind, setzt das Aufgehobenseyn der Repulsivkraft bereits voraus; sich berührende Theile sind nach der hier herrschenden sinnlichen Vorstellung der Repulsion als solche zu nehmen, die sich nicht repelliren.14

The beginning of the quote suggests that attraction is found not just in the relationship of several material objects to a single atom or centre of gravity, but also as a general relationship between pieces of matter. The end of the quote then implies that it is the solidity or cohesion of the material object which is the true attraction or attraction “an und für sich” Hegel is looking for. When two pieces of matter truly touch, or are not separated by void, they do not repulse each other, but are parts of one continuous piece of matter. In other words, when we experience cohesion of a material object, for instance, when we try to tear a rock apart, we experience an effect of an attractive force between the parts of that object. Indeed, as Hegel says, even the possibility of a material object repulsing another depends on the cohesion of this object, and therefore the cohesion would be another basic force. Hegel might even say that it is more of a basic force than gravity is. We may finally note that the relation of the quantity of cohesion to the mass of an object varies from one specific matter to another. Kant, on the other hand, had supposed that of the basic forces only repulsion varied in this manner, while the original attraction varied only in proportion to the quantity of matter.15 Kant takes repulsion as given in experience and proceeds to deduce attraction from it, although he has merely first abstracted one component of the experience of matter and then noticed that this one component alone cannot explain that particular experience. The true starting point for Kant’s deduction has thus been the experience of matter, 13 MAN, AA 4.526. 14 WdL, GW 21.170 f. 15 Cf. MAN, AA 4.516.

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and repulsion and attraction have merely been analysed as components or conditions of that experience. Kant himself doesn’t see anything wrong with this approach and as previously noticed, he explicitly begins in dynamic from the concept of matter as something which can be moved in space and which also fills space. Kant argued that he has constructed matter from the forces of repulsion and attraction at least partially – a full construction would require also a mathematical determination of the laws governing the relationships of attraction and repulsion.16 It is a controversial issue what Kant meant by construction of the concept of matter, but at least it is clear that Kant must have understood this construction differently than Hegel. Hegel objects that actually Kant has not constructed matter from repulsion and attraction, but only explicated and analysed it by their means. A true construction of matter would show how matter can come into existence, while Kant already assumes that the matter is experienced as existing.17 As we shall see, understanding what construction means for Hegel is crucial in interpreting Hegel’s critique. At first sight, Hegel may seem to have discovered only some formal difficulties in Kant’s manner of proving his dynamism. But he maintains that these formal difficulties imply that there is something inherently meaningless in Kant’s novel idea of matter, in the sense that Kant’s dynamism adds almost nothing to the atomistic view of matter. Hegel’s thesis may at first sight seem preposterous. Surely it is mathematically different to speak of a degree of expansive force – of an intensive quantity – than of a number of material parts – an extensive quantity – and surely it is ontologically different to speak of forces instead of material objects.18 Still, Hegel insists, firstly, that there is no real difference between extensive and intensive quantities or magnitudes,19 and secondly, that forces bring nothing essentially new to the ontology of matter.20 I shall proceed to investigate these two statements separately.

16 17 18 19 20

Cf. Cf. Cf. Cf. Cf.

MAN, AA 4.157. WdL, GW 21.172. MAN, AA 4.525 f. WdL, GW 20.293. ibidem, 253.

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2. Two kinds of quantities or two uses of one quantity? In his Kritik der reinen Vernunft Kant defined magnitude to be extensive if the representation of the whole magnitude demanded the representation of its parts, which thus should be represented before the whole. Thus, an extensive magnitude could always be divided into smaller pieces. Such magnitudes – groups of dots, extensions etc. – could be represented only through the synthesis of space and time, the forms of intuition.21 In addition to extensive magnitudes Kant discussed intensive magnitudes, which he defined as magnitudes that could be apprehended only as unity and that therefore could not be divided into multiple parts. One could still think of a multiplicity of intensive magnitudes between one particular intensive magnitude and a total negation of intensive magnitudes. Although intensive magnitudes could not be divided into smaller intensive magnitudes, there are then, according to Kant, always a multiplicity of such magnitudes or grades, which vary in their intensity, like colours, sounds etc. do.22 Kant also maintained that all objects of perception, in so far as they are sensed, have intensive magnitudes. The connection with sensation is essential for separating intensive magnitudes from extensive: a momentary sensation has an intensive magnitude, but not extensive, because a sensation is neither spatial nor temporal, that is, it is perhaps situated in space and time, but does not consist of spatial or temporal parts.23 Extensive and intensive magnitudes thus form, according to Kant, two species of magnitudes: no extensive magnitude is intensive magnitude, because extensive magnitude is essentially connected with the form of an intuition (space and time), while intensive magnitude is essentially connected with its content (sensation). Kant differentiates the species of magnitudes on the basis of the different constituents of intuition to which these species are connected. Hegel seems to aim at a more neutral manner of defining the concepts, which is not explicitly related to Kant’s analysis of intuitions. Thus, Hegel first needs to define the species of magnitudes – or quanta, as he prefers to call them – anew, without any reference to the way how objects with such magnitudes are intuited. Hegel’s explanation 21 Cf. KrV A 162 ff./B 202 ff. 22 Cf. KrV A 167 ff./B 209 ff. 23 Cf. KrV A 166 ff./B 207 ff.

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of the two species does not at first sound very enlightening. Extensive quantities are described in the following manner: Das Quantum so mit seiner Grenze, die ein Vielfaches an ihr selbst ist, ist extensive Grçsse. 24

Then the relationship of extensive and intensive quantities is explained: Diß Viele fällt also für sich selbst in seine Continuität zusammen und wird einfache Einheit. […] Die Grenze des Quantums, das als extensives seine daseyende Bestimmtheit als die sich selbst äusserliche Anzahl hatte, geht also in einfache Bestimmtheit über. In dieser einfachen Bestimmung der Grenze ist es intensive Grçße; und die Grenze oder Bestimmtheit, die mit Quantum identisch ist, ist nun auch so als einfaches gesetzt, – der Grad. 25

In spite of their unclarity, Hegel’s complex descriptions contain some important information. An extensive quantum seems more like a collection of many things or a multitude (Vielfaches) than intensive quantum. The question is: What kind of a collection is an extensive quantum? It must be a collection of units, or generally, an amount compared to some given unit.26 Hegel’s definition does not refer to space and time, but it covers the cases Kant’s does, for instance, spatial magnitudes that are measured by comparing them to a unit magnitude. Furthermore, Kant’s definition of extensive magnitudes shows how extensive magnitudes, as Hegel has defined them, can be intuited, because human intuition obviously needs space or time in order to separate and compare different units. Intensive quanta, on the other hand, are not regarded as collections or as manifolds, but as simple determinations: like Kant, Hegel maintains that intensive quanta must be indivisible unities. Still, they are quanta in some sense, i. e. they can be referred to with numbers. This means that intensive quantities must also be determined in relation to some unit quantity. Intensive quantities, or grades, are places in an ordered scale, where we take some grade, the unit, as fixed and compare other grades with it.27 Hegel’s examples of extensive quantities include cardinal numbers, like two, ten or hundred.28 Examples of intensive quantities, on the 24 25 26 27 28

WdL, GW 21.208. Cf. ibidem, 210. Cf. ibidem, 209. Cf. ibidem, 210. Cf. ibidem, 195.

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other hand, include ordinal numbers, like tenth or twentieth.29 Intensive magnitudes or grades, like hundredth, are thus used in expressing order, while extensive quanta, like hundred, are not.30 Instead, extensive quanta express sizes of groups or objects: e. g. hundred units is a size of a group of units. Hegel even denies that an extensive quantum, like hundred units, would imply any proper order within the group or object having that quantum. Thus, when we speak of hundred units, we do not literally mean any of them to be the first or the last one, but take all of the units as similar. So stellt man im Quantitativen der Zahl etwa Hundert so vor, daß das hunderste Eins allein die Viele so begrentze daß sie Hundert seyn. Einserseyts ist diß richtig; andererseits aber hat unter den hundert Eins keines einen Vorzug, da sie nur gleich sind; jedes ist ebenso das Hunderste; sie gehören also alle der Grenze an, wodurch die Zahl Hundert ist.31

Hegel’s definitions of extensive and intensive quanta are general explanations of what these concepts mean. If his definitions are correct, any other definitions of intensive and extensive quanta – such as Kant’s – should imply Hegel’s definitions. Now, after expressing his definitions of extensive and intensive quanta, Hegel goes on to establish that the species of quanta are in some sense identical: Extensive und intensive Größe sind also eine und dieselbe Bestimmtheit des Quantums; sie sind nun dadurch unterschieden, daß die eine die Anzahl als innerhalb ihrer, die andere dasselbe, die Anzahl als ausser ihr hat.32

29 Cf. ibidem, 210. Note that I am speaking of cardinal and ordinal numbers in the grammatical sense of these words, where cardinal numbers are numbers referring to a size of a group, while ordinal numbers refer to a position in a series. Hegel, of course, couldn’t have known Cantor’s definitions of cardinal and ordinal numbers, although one could perhaps apply Hegel’s definitions of extensive and intensive magnitudes to Cantor’s definitions. 30 A natural objection to this manner of differentiating extensive and intensive quanta is that we do employ extensive quanta to express order, e. g. when we say a plank of eight metres is larger than a plank of five metres. A reader unfamiliar with Hegel’s manner of doing philosophy should, for now, forget such doubts. It is the style of Hegel to describe a position that he will soon show to be correct only partially or only in a limited context. We shall soon see that Hegel himself is quite aware that his distinction of extensive and intensive quanta is not always a distinction between species of magnitudes, but between different manners of using magnitudes. 31 WdL, GW 21.195. 32 Ibidem, 213.

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The word identity or sameness might seem a bit odd, and Hegel’s use of it in this case is truly somewhat ambiguous. There are two senses of identity involved here, firstly, a weaker sense that some intensive and extensive quanta are essentially related, and secondly, a stronger sense that some intensive and extensive quanta are properly identical. Most of Hegel’s examples establish only the weaker sense of identity: they show that a certain intensive quantum of one kind is essentially connected to a certain extensive quantum of another kind. Whereas the intensive quantum may vary a lot – Hegel mentions grade of warmth, pitch of sound, brightness of colour etc. – the extensive quantum is usually either spatial quantum or some countable amount of objects – corresponding to the previous intensive quantities, like height of liquid in a thermometer, number of vibrations and farthest distance where colour is seen.33 Hegel is here speaking of the fact that we can measure intensive quanta only by relating them to extensive quantities, because we can’t put things into a quantitative order if we can’t express them as numerable collections of objects or as sizes of lines, areas or volumes. This remark makes Kant’s manner of discerning extensive and intensive magnitudes suspect. If we must use space and time to quantify intensive magnitudes, then they would by Kant’s definition actually be extensive magnitudes. While previous examples did not involve a proper identity between extensive and intensive quanta, Hegel also speaks of the stronger form of identity, especially connected with numbers.34 While in the previous case things expressed by extensive and intensive quanta weren’t same – the hundredth grade of warmth is not made of hundred grades, whereas the corresponding height of thermometer consists of hundred smaller lines – in the case of numbers they are. The number hundred is the hundredth number, and the hundredth number consists of hundred units. Hegel uses whole numbers as his example, but it seems possible to extend this identity to cover all sorts of numbers, for instance, the number half is situated at the place “half” in the scale of real numbers. Numbers have a dual aspect, as they express both sizes and places in an order, and may therefore be used both as cardinal and ordinal num33 Cf. ibidem, 215 f. 34 The previously mentioned example of a plank of eight metres which was larger than a plank of five metres would also be a case of proper identity: here the quantity of eight metres expresses not just size, but also a place in an ordering of sizes.

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bers. If Hegel’s definitions of extensive and intensive quanta should be the basis of all correct definitions of extensive and intensive quanta, then the existence of quanta satisfying both Hegel’s definition of extensive quanta and his definition of intensive quanta is a clear argument against any strict division of extensive and intensive quantities. There is only one number doing two different tasks, Hegel says, expressing either the multitude an object or a group of objects has within itself or the place an object or a group of objects has within an ordered multitude. These two tasks of a number Hegel obviously designated in the quotation above with the terms “die Anzahl als innerhalb ihrer” and “die Anzahl als ausser ihr”. Because all quantities and their relationships must be expressed by numbers, Kant’s reinterpretation of matter leads to no changes in the actual counting with any quantities connected with matter: a Kantian dynamism uses numbers in the same way as atomists. At first sight, this seems hardly a criticism: why should Kant’s dynamism imply a difference in calculation of quantities? Yet, Hegel apparently believes it should: Kant hat bereits der Quantitätsbestimmung der Anzahl die Intensitt gegenübergestellt, und an die Stelle von mehr Theilen in gleichem Volumen die gleiche Anzahl aber von einem stärkern Grade der Raumerfllung gesetzt, und dadurch einer sogenannten dynamischen Physik den Ursprung gegeben. – Wenigstens hätte die Bestimmung des intensiven Quantums so viel Recht als die des extensiven, auf welche letzere Kategorie sich jene gewöhnliche Vorstellung der Dichtigkeit beschränkt. […] Dessen Unterschiede als extensives oder intensives aber, – und weiter geht die dynamische Physik nicht, – drücken keine Realität aus.35

As the quote indicates, the crucial problem, according to Hegel, is how density is to be conceived. Note that I have intentionally left one sentence hidden: we shall come back to this sentence when we are looking for the answer Hegel suggests for the problem. The problem Hegel sees in conceiving density becomes explicit when he discusses combinations of different material substances. The sum of masses of distinct substances always equals the mass of the combination of these substances. We might also expect that the sum of the volumes of substances would equal the volume of the combination of these substances. Yet, these two quantities may differ, and usually the volume of the combination is smaller than the sum of the separate volumes. The combination of 35 Enz.3 § 293 Anm., GW 20.293.

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the volumes involves then something more than arithmetical summing of the volumes, Hegel concludes.36 The usual explanation given for the sudden loss of volume in combination of different substances is that one substance contains empty spaces which can contain the smaller molecules of the other substance. Yet, Hegel is doubtful of the existence of such empty spaces or pores within a substance and speaks even of the fiction of the pores.37 Reason for Hegel’s scepticism is clear: he is unwilling to accept inobservable pores as a proper explanation of observable phenomena.38 Now, if there are no empty spaces within material substances, then every material substance is an unbroken continuity, and a combination of two substances results in a genesis of a completely new substance, which doesn’t contain the combined substances as material parts. Indeed, Hegel clearly favours the idea that in a proper combination of substances the combined substances vanish within the combination, because the perceivable characteristics of the combination have essentially changed from the characteristics of combined substances.39 Thus, Hegel would insist that a combination of hydrogen and oxygen produces a completely new substance called water where the hydrogen and oxygen have vanished. Probably Hegel would also admit that mixing alcohol with water produces a completely new substance. Then again, nailing two planks together wouldn’t produce a new substance, but only an aggregation of several substances. If we accept Hegel’s scepticism of pores, the loss of volume in a combination of substances becomes problematic: two continuous substances are combined, and their combination suddenly has less volume than the sum of distinct substances. Thus, Hegel must suppose that a combination of two substances involves something more than mere arithmetical sum of quantities. Now Hegel’s criticism of Kant using similar mathematics as atomism becomes more evident. An atomist can speak only of groups of atoms and combinations of their quantities – an atomist uses mere extensive quantities and is therefore incapable of solving the problem of vanishing volume without the supposition of pores within matter. If Kant’s use of intensive quantities does not pro-

36 37 38 39

Cf. Cf. Cf. Cf.

WdL, GW 21.348. Enz.3 § 293 Anm., GW 20.293. WdL, GW 11.338 f. Enz.3 § 334 Anm., GW 20.340.

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vide us with some different manner of combining quantities, then he is as incapable of solving the problem as an atomist.

3. Are forces superfluous? Although Hegel would be correct in his assessment that the difference between extensive and intensive quantities is superfluous when it comes to the purely mathematical side of the atomistic and Kantian models of matter, there still remains the possibility of a more ontological difference between the two models. Indeed, the atomistic view lacks the dynamism that the concept of force carries with it. We shall need to make a small detour to investigate how Hegel himself understands forces. Hegel introduces in his Wissenschaft der Logik a position where the concept of force plays an essential part as a contrast to a position where the concepts of whole and parts are instead the most central concepts. In a quote from the corresponding place of the so-called smaller Logic, Hegel explicitly describes a relationship of whole and parts as mechanical: “Das mechanische Verhältniß besteht in seiner oberflächlichen Form überhaupt darin, daß die Theile als selbstständige gegen einander und gegen das Ganze ist”.40 A position where the concepts of whole and parts would be central would then be mechanical in the sense that all the parts of a whole would be completely independent of one another. Atomism is clearly a form of such mechanism in the case of material wholes: matter, atomist says, consists of external combinations of independent atoms. Furthermore, it seems reasonable to assume that a Kantian dynamism is an example of a position where the concept of force takes the central place instead of the concepts of whole and parts.41 Hegel introduces the dynamistic concept of force as more adequate than the atomistic concepts of whole and parts. At first, the connection of parts to a whole and the division of whole into parts seems external. “Das Ganze und die Theile fallen auf diese Weise gleichgültig aus einander; jede dieser Seiten bezieht sich nur auf sich.”42 It is indifferent 40 Enz.3 § 160 Anm., GW 20.160. 41 Note that a position that uses force as a central concept can still speak of wholes and parts, but the whole and parts are not anymore the central concepts of such a position. 42 WdL, GW 11.357.

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to a material whole that it can be divided into smaller pieces, and it is indifferent to material parts that they can be combined into unity. In other words, the matter itself is not changed, when its contingent form is altered from the state of separation to the state of unification or the other way around. On the other hand, there should be at least a conceptual link between the whole and the parts. Das Ganze, das gleichgültig ist gegen die Theile, ist die abstracte, in sich nicht unterschiedene Identitt; diese ist Ganzes nur als in sich selbst unterschieden […] Eben so sind die Theile als gleichgültig gegen die Einheit des Ganzen, nur das unbezogene Mannichfaltige, das in sich Andre, welches als solches das Andre seiner selbst und sich nur aufhebende ist.43

A whole is not a whole, if it cannot be divided into its parts, and parts are not parts, if they cannot be unified into a whole. Thus, although it is indifferent to a piece of matter whether it is in a state of division or unification, it still must potentially be both unified and divided, because of this conceptual link between whole and parts. When this conceptual link is made explicit, we have changed the position by accepting the force as the central concept: Die Kraft ist die negative Einheit, in welche sich der Widerspruch des Ganzen und der Theile aufgelöst hat, die Wahrheit jenes ersten Verhältnisses. Das Ganze und die Theile is das gedankenlose Verhältniß, auf welches die Vorstellung zunächst verfällt; oder objectiv ist es das todte, mechanische Aggregat, das zwar Formbestimmungen hat, wodurch die Mannichfaltigkeit seiner selbstständigen Materie in einer Einheit bezogen wird, welche aber derselben äusserlich ist. – Das Verhältniß der Kraft aber ist die höhere Rükkehr in sich, worin die Einheit des Ganzen, welche die Beziehung des selbstständigen Andersseyns ausmachte, aufhört, dieser Mannichfaltigkeit ein äusserliches und gleichgültiges zu seyn.44

While the previous, mechanistic position interpreted material wholes as external combinations of the parts of matter, the position Hegel has reached now interprets the material whole as essential to its parts, that is kept together by a unifying force. Hegel goes even so far as to say that matter should be understood as force and not as having a force, although he admits that usually we speak of there being some thing behind a force. He especially discusses the idea, prominent in the science of his days, that every force is attached to some matter, for instance, that a force of attraction is attached to 43 Ibidem. 44 Ibidem, 359.

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the ether that holds the world together.45 But Hegel quickly points out that the idea of material substrate behind a force would lead us back to atomism, which should by now be a bygone idea. Aber die Kraft enthält die unmittelbare Existenz, als Moment, als ein solches das zwar Bedingung ist, aber übergeht und sich aufhebt; also nicht als ein existirendes Ding. Sie ist ferner nicht die Negation als Bestimmtheit, sondern negative, sich in sich reflectirende Einheit. Das Ding, an dem die Kraft seyn sollte, hat somit hier kein Bedeutung mehr; sie selbst ist vielmehr Setzen der Aeusserlichkeit, welche als Existenz ercheint. Sie ist also auch nicht bloß eine bestimmte Materie; solche Selbstständigkeit ist längst in das Gesetztseyn und in die Erscheinung übergegangen.46

If force would be a mere property of some material substrate, it would be a mere phenomenon that has to be explained by the quantitative constitution of matter. Instead Hegel suggests that in a dynamical view, the force should be the primary element. Hegel uses the ambiguous word “Aeußerung” to describe the relation of the force to its outer shell or its manifestation: he also speaks of the force as a reflection in itself (Reflexion-in-sich) and of the manifestation as a reflection in other (Reflexion-in-Anderes).47 The manifestation of the force Hegel explicitly identifies as the differentiation of parts,48 which relates Hegel’s discussion of force with his earlier discussion of whole and parts. Thus, the atomistic view of pieces of matter which consist of independent material parts merely refers to the way how forces express themselves to our cognition. Thus, Hegel can define the force as something active that becomes by its own means the outer multiplicity of existence, that is, as that which determines and even produces the external world of quantitative matter. Hegel now points out that a single force cannot by itself explain the whole of the material phenomena, but always presupposes another force. This second force does not determine how the first force should

45 Cf. ibidem, 360. Such an objectification of forces happens even nowadays in the field of quantum physics, where particles like gravitons, gluons, photons and bosons are used to express the four primary forces of physics. Thus, this part of Hegel’s Science of Logic has perhaps still some relevance to science. 46 WdL, GW 11.360 f. 47 Cf. Enz.3 § 136, GW 20.160. 48 Cf. Enz.3 § 137, GW 20.162.

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act, but only incites it to act.49 It seems obvious that Hegel has in mind the two Kantian forces of attraction and repulsion, although he does not explicitly mention them. At least we should be able to apply Hegel’s general schema to this instance. A force of repulsion was introduced by Kant to explain how one, unitary piece of matter can fill space. But Kant noticed that such a force of repulsion presupposes that the piece of matter can be taken as unity, because the repulsion by itself would divide the matter into infinitely many small pieces. The unity cannot be explained merely by the fact that the piece of matter in question is a unified piece of matter, because matter itself is what has to be explained. The only remaining option, for Kant, was to accept the existence of another force, attraction, which brings the pieces of matter into a unity. Kant’s deduction of attraction is thus explicitly based on one force demanding another force for an explanation of a phenomenon. One might think that the force inciting the other force would be primary. But this is not the whole truth, Hegel says, because a force inciting another force also requires the existence of the other force in order to be an inciting force: “[S]ie ist sollicitirend nur insofern als sie dazu sollicitirt wird, sollicitirend zu seyn”.50 For instance, attraction also needs repulsion in order to explain how matter could fill some space. This move once again parallels Kant’s deduction, but Hegel uses a more general and more abstract argument. Attraction has been assumed as the force that incites repulsive force or explains how the repulsed matter remains a unity. Thus, attraction has merely been assumed for the sake of explanation. If there were no phenomenon of matter to explain, we wouldn’t have needed the attractive force. If we return for a moment to the remark where Hegel criticised Kant’s theory of repulsion and attraction, we find an interesting passage where Hegel describes the idea that repulsion and attraction would be independent forces: In jener Vorstellung werden [Repulsion und Attraction] als selbstständig betrachtet, so daß sie sich nicht durch ihre Natur auf einander beziehen, d. h. daß nicht jede nur ein in ihre entgegengesetzte übergehendes Moment seyn, sondern fest der andern gegenüber beharren soll. Sie werden 49 Cf. WdL, GW 11.362 and Enz.3 § 136 Anm., GW 20.161. Hegel uses the word “Sollicitation” to describe the relation of the forces, and as “sollicito” is Latin for “incite” I have decided to translate Hegel’s term as inciting. 50 Cf. WdL, GW 11.363.

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ferner vorgestellt, als in einem Dritten, der Materie, zusammenkommend; so jedoch, daß diß In-eins-Werden nicht als ihre Wahrheit gilt, sondern jede vielmehr ein Erstes und An-und-für-sich-seyendes, die Materie aber oder Bestimmungen derselben durch sie gesetzt und hervorgebracht seyn.51

In another place, Hegel explicitly states that this idea of repulsion and attraction as independent forces is false: Uebrigens ist erst die schwere Materie die Totalität und das Reelle, an dem Attraction und Repulsion Statt finden kann; sie hat die ideellen Momente des Begriffs, der Einzelnheit oder Subjectivität. Deßwegen sind sie nicht als selbstständig oder als Kräfte, für sich zu nehmen; die Materie resultirt aus ihnen nur als Begriffsmomenten, aber ist das Vorausgesetzte für ihre Erscheinung.52

Hegel doesn’t take seriously the idea of attraction and repulsion as independent forces, but believes them to be mere abstractions from a concrete unity, and this unity is just the phenomenon of matter that was supposed to be explained by the two forces. One might still ask why Hegel cannot accept that repulsion and attraction could exist independently of their interaction with one another. Here we may speculate that Hegel rejects such an idea for a similar reason as he rejected pores as an explanation of the diminishing of volume in combination of substances. Repulsion and attraction can be observed only in their interaction, thus, Hegel sees no reason to suppose they would exist also beyond that interaction. Hegel describes the result of his investigation of force in the following manner: “[D]ie Kraft äussert diß, daß ihre Aeusserlichkeit identisch ist mit ihrer Innerlichkeit.”53 If we take seriously the resemblance of the words “Aeusserung” and “Aeusserlichkeit”, we could identify the concept of a manifestation of a force with the concept of outer, and then it would be natural to equate the concept of force with the concept of inner. We have even stronger evidence for these identifications. Hegel characterises inner as reflection in itself, just like he had earlier characterised force, and he characterises outer as reflection in other, just like he had earlier characterised the manifestation of force.54 The manifestation of the force or the differentiation of apparently independent parts was the issue studied by the atomism, while Kant’s 51 52 53 54

WdL, GW 21.166. Enz.3 § 262 Anm., GW 20.254 f. WdL, GW 11.364. Enz.3 § 137, GW 20.162.

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dynamical theory of matter was concerned of the forces behind this manifestation. We might say, following Hegel’s discourse, that the atomistic account of a material whole and its parts describes the outer form of the phenomenon of matter or how the matter is experienced, whereas Kant’s dynamical view tries to express the inner nature or essence of the same phenomenon. The previous quote would then indicate that the objects investigated in atomism and Kant’s dynamism would in some sense be identical. This identity of outer and inner must now be understood in two ways, Hegel says. Firstly, it means that the outer and the inner have the same content.55 Both atomism and dynamism try to describe through different forms the same object or content, namely, matter. But Hegel goes even further and maintains that even the apparently independent forms of inner and outer are connected: So ist Etwas, das nur erst ein Inneres ist, eben darum nur ein Ausseres. Oder umgekehrt, etwas das nur ein Aeusseres ist, ist eben darum nur ein Inneres.56

By thus equating inner and outer Hegel does not mean that these forms would be completely identical. Instead he states that, when opposed, inner and outer make a transition to each other. So ist das Innere unmittelbar nur das Aeussere, und es ist darum die Bestimmtheit der Aeusserlichkeit, weil es das Innre ist; umgekehrt das Aeussere ist nur ein Inneres, weil es nur ein Aeusseres ist. – Indem nemlich diese Formeinheit ihre beyden Bestimmungen als entegegengesetzte enthält, ist ihre Identität nur diß Uebergehen; und darin nur die andere von beyden, nicht ihre inhaltsvolle Identität.57

The meaning of this transition (Uebergehen), which should connect inner and outer, is that when one tries to think of inner as separate from outer, one is bound to think also of outer and vice versa. Thus, if an atomist tries to study the mere outer shell of matter and think of matter as consisting of material parts, he must also think the inner of the matter. An atomist must demand a unified explanation as to what makes all these parts a whole and what makes it possible to divide this whole. Such an explanation Kant tried to find at the level of primary forces. But the implication goes both ways. Kant has to assume existence of two interdependent forces, which are thus mere abstractions of the 55 Cf. WdL, GW 11.365. 56 Ibidem, 366. 57 Ibidem, 365.

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whole phenomenon of matter. As Hegel says, explaining appearances by forces is an empty tautology.58 We can now understand better why Hegel emphasised so strongly that Kant was not constructing, but merely analysing matter. If Kant would truly have constructed matter from forces, then these forces would be ontologically primary. The forces of repulsion and attraction would exist even without the matter, and the experience of a matter capable of combination and division would really be explained by the two forces and their interaction. But actually the matter is the primary entity which Kant has analysed. The result of Kant’s analysis has been the discovery of two aspects of matter, namely, the potentiality for division or repulsion and the potentiality for combination or attraction. As mere aspects of matter, the repulsion and the attraction cannot exist without the matter. If there is something wrong with the atomistic account of matter, nothing essential is changed by transferring the quantitative determinations from the outer atomistic shell of matter to its inner dynamical core, or forces bring no essentially new content to the ontology of matter. Yet, Hegel does not want to suggest a return to atomism, which has also been revealed as an inadequate way to understand matter. How then we should change our account of matter?

4. Density as the essence of matter The phenomenon of matter cannot be explained by interaction of two interdependent forces, because such forces are nothing but abstractions from the phenomenon to be explained, Hegel argues. Indeed, Hegel mentioned that the totality of which the repulsion and attraction were aspects was something called schwere Materie. What Hegel wants then is a description of material objects that wouldn’t try to analyse them into entities of an ontologically more primary level: he wants to describe matter neither mechanically or atomistically, as aggregates of independent parts, nor in the Kantian manner, as constituted by independent forces. Thus, he must admit that there should be one, unitary principle characterising the whole phenomenon of matter. In addition to the task of discovering this principle, Hegel also faces the task of describing what sort of extensions or changes of regular arithmetic could explain the loss of volume involved in combinations of sub58 Cf. Enz.3 § 136 Anm., GW 20.161.

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stances: as we are about to see, these questions are intertwined. I shall finally reveal the hidden sentence containing Hegel’s answer to the problem of the loss of volume: Die intensive Größenbestimmung hat aber hier diß voraus, daß sie auf das Maaß hinweist und zunächst ein Insichseyn andeutet, das in seiner Begriffsbestimmung immanente Formbestimmtheit ist, die erst in der Vergleichung als Quantum überhaupt, erscheint.59

In a surrounding context of the sentence, Hegel has stated his familiar idea that it is indifferent whether we use extensive or intensive quantities in calculations. In this sentence Hegel notices that using intensive quantities has at least the advantage of suggesting a move to what he calls measure. It seems evident that by the word “measure” Hegel is trying to describe the mathematical novelty that would solve the problem of the loss of volume. What is this measure? Hegel describes measure as something that unifies qualities and quantities.60 A mere quantity is arbitrary and irrelevant to that which it quantifies, for instance, a field remains a field although its size would change if its size changes.61 In a measure, on the other hand, the quantity has become meaningful, that is, its change changes the nature of the quantified object. The simplest case of such a measure occurs when any magnitude is taken as an essential characteristic of something.62 Yet, such a case is obviously a rarity, because we usually want a strong reason for taking a quantity as essential to the quantified thing: Hegel himself mentions as an example the quantitative relations between the organs of a living being.63 Even before introducing measures, Hegel states that a relationship between quantities is already more qualitative or essential than a singular quantity. This qualitativeness is indicated by the fact that even a quite simple quantitative relationship determines one quantity when another quantity has been given.64 Furthermore, the examples of measures after the first and the simplest one are relationships between different quantities attached to some quality: a relationship existing between a temper59 60 61 62 63 64

Enz.3 GW 20.293. Cf. WdL, GW 21.323. Cf. ibidem, 174. Cf. ibidem, 329. Cf. ibidem, 331. Cf. ibidem, 312.

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ature of a body and the temperature of air surrounding it,65 a relationship existing between travelled distance and time in the case of motion66 etc. Thus, when Hegel is speaking of measures he mainly means functions which connect different quantities to one another. A particular sort of matter should thus be described by functions instead of mere quantities. Luckily, we don’t have to wonder what sort of function constitutes the essence of the matter, as Hegel has told it in an unusually clear manner: Etwas ist in sich als Maaßverhältniß von Quantis bestimmt, welche ferner Qualitäten zukommen, und das Etwas ist die Beziehung von diesen Qualitäten. Die eine ist dessen Insichseyn, wonach es ein Fürsichseyendes, – Materielles – ist, (wie intensiv genommen, das Gewicht, oder extensiv, die Menge aber von materiellen Theilen); die andere aber ist die Aeusserlichkeit dieses Insichseyns, (das Abstracte, Ideelle, der Raum.) Diese Qualitäten sind quantitativ bestimmt, und das Verhältniß derselben zu einander macht die qualitative Natur des materiellen Etwas aus; – das Verhältniß des Gewichts zum Volumen, die bestimmte specifische Schwere.67

Despite the devious clarity, Hegel falls into some terminological confusions. Hegel explicitly indicates that he is speaking of something called specifische Schwere, which is a link to his description of the unity of repulsion and attraction as schwere Materie. The English translations have often rendered specifische Schwere as “specific gravity”, but actually Hegel indicates in another place that specifische Schwere should be equated with density (Dichtigkeit).68 Now, density is the relation between a mass of a material and its volume, but Hegel speaks instead of the relation between weight and volume. Hegel must then be using the concept of weight in the popular sense, that is, as equivalent to the concept of mass. This is even more evident when we note that in the quote Hegel is simply equating weight with the amount of material parts: this would be rather peculiar if he was speaking of the scientific concept of weight, which involves both mass and gravitational acceleration. Hegel mentions that what he calls weight is merely an intensive version of the extensive magnitude of a set of material parts. This statement is connected with another where Hegel identifies pressure caused by a material object as an intensive magnitude corresponding with the extensive magnitude of mass: 65 66 67 68

Cf. ibidem, 335. Cf. ibidem, 339. Ibidem, 347. Enz.3 § 293, GW 20.292.

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So ist z. B. eine Masse als Gewicht, ein extensiv-Großes, insofern sie einer Anzahl von Pfunden, Centnern u.s.f. ausmacht; ein intensiv-Großes, insofern sie einen gewissen Druck ausübt; die Größe des Drucks ist ein einfaches, ein Grad, der seine Bestimmtheit an einer Scale von Graden des Druckes hat.69

A piece of matter does not consist of different amounts of atoms nor is it constituted by a balance of two contrary forces. Instead, its essence is a function from mass of matter to its volume: matter is determined by its density, which is one principle that is common to all parts of a material object. This is of course true only of objects consisting of one material or substance, so Hegel cannot be speaking of any aggregates like the two planks nailed together. Matter has also an external or merely quantitative side, namely, its mass. Notice how indifferent Hegel is to the question whether we should interpret this external side through an atomistic or Kantian scheme: mass of matter can be described both as an extensive amount of its parts and as an intensive quantity of its capability to cause pressure. Because of this external side we can divide the matter into its constituents. But what makes these constituents into a specific unity is the determinate function which specifies the space which the material object shall fill. The density thus determines that a certain mass of matter takes up a certain amount of space. The Hegelian account of measure perhaps explains what atomistic and dynamistic standpoints explain, but does it have anything new to give, i. e. does it entail something that is not implied in the other accounts? Firstly, the Hegelian measure of density is from a quantitative viewpoint a more complex form of an object than either groups of material parts or dynamical forces. If we believe Hegel, groups of parts and intensities of forces are quantified by singular magnitudes, by amounts of parts or by degrees of pressure they can cause. Measure, such as density, on the other hand, is not just a simple magnitude. True, a density of a particular matter has a magnitude, but Hegel emphasises that it is also and more essentially a function from the mass of matter to its volume. It is a relationship of two external quantities and thus a more complex entity, because it implies something of the nature of other quantities. Thus, the difference between measures and quantities is not as formal as the difference between extensive and intensive quantities. The difference between the mathematical presentation of measures and mere quantities can then perhaps explain the oddities involved in 69 WdL, GW 21.215.

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the combination of different substances. Hence, in Hegel’s eyes his reinterpretation of matter brings with it also true changes unlike Kant’s dynamism. Both atomistic and Kantian accounts of matter must suppose that the unification of two different matters involves a mere arithmetic combination of quantities, because they describe matter only with simple quantities. Thus, the mass and the volume of the combination should be sums of the respective quantities of the combined pieces of matter. Because the volume of the combination is in many cases smaller than the expected quantity, both the atomists and the dynamists must suppose some further entities or properties to explain this loss of volume. For instance, the atomists must suppose that the matter has besides atoms also pores that smaller atoms can fill. Hegel argues that this characteristic of combinations of different matters is at least natural in his theory: Aber in die Exponenten fällt die Veränderung, indem sie der Ausdruck der qualitativen Bestimmtheit, des Fürsichseyns als Maaß-Verhältnisse sind, welches, indem das Quantum als solches die zufällige, äusserliche Veränderung durch Zusatz, der summirt wird, erleidet, zugleich sich als negirend gegen diese Aeusserlichkeit erweist.70

The exponents, by which Hegel here means the magnitudes of density, cannot just be summed together to get the density of the combination. The density is for Hegel a qualitative magnitude or a function, which specifies the manner in which a certain sort of matter fills space, and this manner forms the essence of that matter. Thus, when two different matters are combined, it is not just a question of combining two sets of atoms, but density of one matter affects the density of the other matter, and then the volume of the combination cannot be determined by a simple addition of quantities involved. There still remains the question of what sort of ontological changes Hegel’s idea of matter implies. Hegel’s account has two different, yet related sides. Firstly, there is the external form, or shall I say, shell of matter. The matter has relations to other bodies, that is, it causes pressure towards other bodies and takes up space. Matter must have such an external side in order to exist at all, but this external side is, because of its externality, some indifferent and thus merely quantitative determination, like mass. This externality makes matter vulnerable to contingency, for instance, the mass of different pieces of matter differs randomly. 70 Ibidem, 348

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The external or contingent side is what atomism and Kant’s dynamism can explain, or better, describe, but there is still another aspect in matter. Although the mass of the matter is contingent, its relation to the other properties of matter, such as its volume, is regulated by the inner nature of the matter in question. For instance, if we are given a determinate mass of certain matter and we know the density of the matter, we can calculate its exact volume. This measure of matter or its density is not purely quantitative or contingent, but essential to the nature of that certain matter, Hegel suggests. Hegelian theory of matter falls into the general tenure of Hegel’s philosophy of nature. Natural things have an external side, which is expressed by the contingency of natural things and their indifferent, merely quantitative determinations. Furthermore, this external side is governed by an inner, almost organic principle, which needs contingent determinations in order to control them, but which isn’t in principle affected by their nature. This seems like an ordinary dualistic account of the world, but it has some interesting variations in it. Firstly, there is no clear distinction between external and internal principles, but the different properties of things can be treated as external or internal depending on the context. Space and time are external materials governed by motion and its laws. Motion is then external material compared with mass, but mass is once again external compared with the density of a matter. Material objects in general are finally mere material for the self-preservation of living objects, and the whole nature is a mere ground from which the human spirit can leap to consciousness. Secondly, there is never any deep cleft between the internal, organising principle and that which it organizes, that is, there can be no irresolvable battle between the organising principle and the organised outer shell, which would bring about nothing but a nullification of both sides. The lack of conflict between the two principles in Hegel’s philosophy in general and in his theory of matter in particular has two aspects. Firstly, the organising side needs the external side in order to organise something. In other words, organisation is meaningless without something to organise. This need links the organising side essentially to the material side. There can be no human life without nature, neither organic matter without inorganic matter, nor matter without mass and volume. The first aspect seems to make the organising principle dependent on the external side, but the second aspect turns their relationship upside down. The external side does not offer any true resistance to the organising side, or the determination of the external side is of no

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consequence, merely its existence matters. For instance, the mass of a particular piece of some matter is contingent, just as long it has some mass that the density of the matter links with its volume. Furthermore, the more developed the organising principle is, the less dependent on the organised matter it is, because it becomes more capable of even providing its own matter. This is already true, in a sense, of living things, which organize primarily their own matter and only secondarily external things, and even more of conscious beings, which have their own body to rule. But the highest pinnacle of Hegel’s system is the thinking, which does always need some object in order to be thinking, but could also be thinking itself, that is, it could be thinking the ways how to think other possible objects.

A Trip to the Dark Side? Aether, Space, Intuition, and Concept in Early Hegel and Late Kant Jeffrey Edwards Abstract: This chapter treats the aether deduction of Kant’s Opus postumum in connection with the concept of aether that Hegel employs in his Jena manuscripts on natural philosophy. I discuss the epistemological ramifications of Kant’s account of physical aether as dynamically determined space in view of Hegel’s conception of aether as ‘existent space’ (daseyender Raum). I thereby show why the Opus postumum’s aether deduction fundamentally calls into question Kant’s original understanding of transcendental idealism and its relation to empirical realism. Yet I also indicate that recent developments in physical cosmology may well be consistent with the metaphysical accounts of space and causation that led Kant to undertake his aether deduction.

I was originally thrown up against the textual mass of the Opus postumum some thirty years ago as the result of my initial dissertation research on concepts of purposiveness and forms of teleological explanation at issue in Schelling’s and Hegel’s philosophies of nature. Given this research background, I first attempted to make architectonic sense of the Opus postumum’s conception of Transition (bergang) in view of the problems presented by Kant’s views on the concepts, principles, and epistemic tasks of reflective judgment, especially the problem of the systematicity of nature according to its empirical laws. I became dissatisfied with this approach when I concluded that it did not provide an adequate basis for investigating what I took to be, and still take to be, the pivotal component of Kant’s thinking in the Opus postumum, notably, the so-called aether deduction on its interpretation as a procedure of transcendental proof that furnishes an a priori proof of existence.1 It is specifically in view of this component that I turn once again to Hegel’s philosophy of nature in order to shed light on Kant’s Opus postumum. I will examine the relationship between Hegel’s employment of a concept of aether in

1

For discussion, see Edwards 2000 and 2004.

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his early manuscripts on natural philosophy and Kant’s use of the concept of dynamical aether the Opus postumum. 2 In his early manuscripts on natural philosophy from the Jena period, Hegel characterizes ‘aether’ in ways that are in keeping with the descriptions of physical aether found in many contemporaneous naturo-philosophic tracts, including Kant’s, that were concerned with the attributes and causal properties of imponderable fluids and the like.3 Thus, since Hegel’s considerations on these attributes are generally quite similar to those found in Kant’s work on natural philosophy, it seems clear to begin with that Hegel’s view of aether’s role in scientific explanation is also in many respects similar to the general view of the explanatory import of aether (or ‘caloric,’ etc.) expressed in the context of Kant’s theory of matter.4 More significant for our purposes, however, are the striking affinities between Hegel’s understanding of the connections between aether, space, and the possibility of knowledge and the corresponding Kantian understanding evidenced in some of the final system sketches of the Opus postumum. In what follows I will first bring out the sense of those affinities by discussing the employment of the concept of aether at issue in two of Hegel’s Jena manuscripts and by linking this discussion to central aspects of Kant’s late system sketches. Second, I will clarify what I take to be the crucial difference that fundamentally separates Kant’s and Hegel’s respective undertakings in the domain of natural philosophy despite the nearly complete coincidence of these two thinkers’ views on the connections between aether, material space, and the grounds of cognition. Third, I will use this clarification as a basis for drawing out certain implications that Kant’s aether deduction holds for the Kantian conception of transcendental idealism and its 2

3 4

It is important to emphasize here that I am concerned only to compare Kant’s and Hegel’s respective theoretical uses of their different concepts of aether. I am not concerned to establish any relation of direct historical influence between the two thinkers on the question of aether theory. Hegel had no knowledge of the aether theory of Kant’s Opus postumum. For discussion of the historical background and references to relevant secondary sources, see Edwards 2000, chapters 6 and 7. See also Adickes 1922, 328 ff. and Rosenberger 1882 – 90, III 1 – 70. On Kant’s use of various theories of imponderables, see Erich Adickes’ editorial commentary in AA 14:234 – 457. (This commentary, which nowadays is largely ignored in the literature on Kant’s philosophy of nature, provides what is arguably the most valuable collection of historical source materials pertaining to the theories of matter at issue in this paper.) See also Adickes 1924 – 25, II 77 – 159 and Carrier 1990.

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relations to forms of realism. I will conclude by offering some remarks on the abiding import of Kant’s, and possibly Hegel’s, considerations on aether and space. It is easy enough to see how the metaphysics of space at issue in Kant’s aether deduction can be directly relevant to various aspects of contemporary philosophy of physics. Can we say the same thing about Hegel’s early accounts of aether and space?

1. Absolute Matter and Space in Systementwurf II and III My comments on Hegel focus on the treatment of ‘aether’ that is found in two sets of Jena manuscripts. First, there are the considerations on aether put forward in the fair copy script (Reinschrift) that presents Hegel’s 1804/05 system of logic, metaphysics, and philosophy of nature. Second, there are the corresponding summarizing considerations on the role of the concept of aether that are found in the1805/06 lecture manuscript on the philosophy of nature and spirit. In keeping with standard citation practice (keyed to volumes 7 and 8 of Hegel’s Gesammelte Werke), I will refer to the 1804/05 fair copy as ( Jenaer) Systementwurf II and to the 1805/06 lecture manuscript as Systementwurf III. In his general prefatory remarks on natural philosophy as well as in the opening sections on the presuppositions and basic concepts of the science of mechanics, Hegel characterizes aether as ‘absolute matter,’ and he employs the concept of absolute matter to develop his idea of nature as concealed spirit (verborgener Geist) and as the ‘other’ of absolute or pure spirit.5 He also uses this same concept of aether or absolute matter as the platform for his explicative development of the concepts of space, time, and motion. Aether, as absolute matter, is something absolutely (or infinitely) elastic as well as something completely fluid and absolutely malleable (weich). It is therefore something entirely lacking in determinate corporeal form, although it furnishes the causal basis for all material formation.6 Since it is completely transparent as well, the specification of the essential properties of such absolute matter does not by itself provide a way of describing something the existence of which can be empirically ascertained. Finally, aether must be understood as something that permeates and imbues all things even if it is, strictly speaking, inappropriate to say that it penetrates all things; for 5 6

See GW 7:184.15 – 25, 7:185.12 – 16, 7:187.23 – 188.13; GW 8:2 – 4.9. See GW 7:188.5 – 6, 7:189.13 – 190.2; GW 8:3.11 – 17.

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it is the ontological ground of the subsistence of all things that are, as well as the material source of all change in nature: …, als diese unbewegte Ruhe, das aus oder vielmehr in Bewegung in sich zurückgekehrte, der absolute Grund und Wesen aller Dinge, ist der ther. (GW 7:188.3 – 4) Der Äther durchdringt nicht alles, sondern er is selbst Alles; das Seyn, das Bestehen ist selbst nichts als dieser absolute Gährungsproceß, […] (GW 7:189.9 – 11) Der Äther durchdringt also nicht Alles, sondern er ist selbst Alles, denn er ist das Seyn; er hat nichts ausser ihm, und verändert sich nicht; denn er ist das Auflösen von Allem, und ist die reine einfache Negativität, die flüssige und untrübbare Durchsichtigkeit. (GW 8:3.14 – 17)

From what we can gather from the textual materials preserved and edited for us, the most detailed account of the aether concept’s role in Hegel’s general treatment of the concept of nature is given in Systementwurf II. In the 1804/05 Reinschrift, Hegel uses his characterization of aether as absolute matter to develop the idea of nature as an essential component of his conception of the absolute self-identity (or self-sameness) and infinitude of Geist. The first stage of this conception is developed in terms of the self-relation of spirit that consists in spirit’s relation to that which is immediately other than itself, namely, the absolute matter whose most salient essential properties I have previously mentioned. The initial systematic moves of Hegel’s 1804/05 philosophy of nature, then, are intended to establish that the known identity and self-referential infinitude of absolute spirit must be comprehended in terms of the self-identity of aether as absolute matter: Der Äther ist der absolute Geist, als die Seite seiner absoluten Sichselbstgleichheit, oder er ist es, insofern der Geist als reine Bezeihung auf sich selbst ist, und darum dem sichselbst erkennenden Geiste, als Bestimmtheit der Sichselbstgleichheit gegenübersteht. (GW 7:188.7 – 13) Die absolute Materie ist dieses Einsseyn der Allgemeinheit und der der Unendlichkeit, und in ihrer absoluten Unruhe nur auf sich bezogen, nur sichselbstgleich. Sie ist Geist als diese Einheit des sichselbstgleichen und des Unendlichen. Der Geist aber ist, daß er sich erkennt, oder daß er als unendlich sichselbstgleiches ein anderes ist, und dieses anderseyn ihm glich ist. Diese absolut sichselbstgleiche ist sich sein eigenes Moment, und so sein sichselbstentgegengesetzes oder sein Anderes, denn es ist unendlich. In dieser seiner Bewegung, oder der Entfaltung seiner Unendlichkeit, worin er sich als sichselbstgleiches und unendliches gegenübertritt, bleibt er absolut ebenso die absolute Einheit des sichgleichen und des Unendlichen;

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denn diese Momente sind die Momente der Unendlichkeit, und an sich ebenso aufgehoben als sie sind. (GW 7:189.13 – 23)

It is the conceptual requirement to think the self-identity (self-sameness) of absolute matter—a requirement that issues from the epistemic demand to think the absolute self-identity and infinitude of Geist—that leads Hegel to give an account of the emergence of the solar system couched in terms of the discursive self-expression of aether: Dieses Sprechen des Äthers mit sich selbst ist seine Realität, nemlich daß er sich ebenso unendlich als er sich selbstgleich ist. Das Sichselbstgleiche ist das Vernehmen der Unendlichkeit, ebenso wie es das Empfangen der Stimme ist; […] (GW 7:190.24 – 26) Das erste seines Sprechens ist, daß er sich zum sprechenden macht, und ist sein erstes Wort, daß er sich zum Erzeuger macht, ist seine erste Erzeugung. Diese Contraction der Gediegenheit des Äthers ist das erste Moment des negativen Eins, des Punkts. […] Der Stern, diß gleichgültige Eins, ist aber ebenso einfache reine Quantität, vom Eins sich unterscheidende, aber in sich alle Unterscheidung aufhebende Sichselbstgleichheit, absolut sich verbreitendes Licht. Das Eins des Sternes, und seine Quantität sind das erste schrankenlose, unarticulirte Wort des Äthers, eine formale Sprache, die so ohne Bedeutung ist; (GW 7:191.12 – 23) Die Momente des unmittelbar als wahrhafft unendlich sich aufschliessenden Äthers, sind Raum und Zeit, und die Unendlichkeit selbst ist die Bewegung, und als Totalität, ein System von Sphären oder Bewegungen. (GW 7:192.16 – 18)

I have quoted this last set of passages to provide the reader with some sense of the speculative range of Hegel’s treatment of aether’s cosmogenetic self-expression, but I will not here attempt to shed further light on Hegel’s idea of the relationship between aether, self-producing logos, and world-formation. Instead, I will focus exclusively on final three lines quoted, which contain the identity statement that determines Hegel’s conception of the relationship between aether, on the one hand, and space and time, on the other: “Die Momente des unmittelbar als wahrhafft unendlich sich aufschliessenden Äthers, sind Raum und Zeit” [italics mine]. What exactly are we to make of this statement? More particularly, to simplify the matter at issue, how are we to understand space as a moment of the self-expressive, self-manifesting, or self-unfolding (sich aufschliessender) aether. In the 1804/05 Systemenwurf II, Hegel devotes several pages to laying out the implications of this notion of space in connection with his basic naturo-philosophic account of the concept of

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motion. The 1805/06 lecture manuscript edited in Systementwurf III provides a far more succinct—and arguably more lucid—treatment of the relation between space and aether at the beginning of the Mechanik. Since the main terms used in this latter summary treatment are taken directly from Systementwurf II, there is good reason to think that Hegel’s view of that relation did not significantly change in the course of the intervening months or year. And since the later treatment carries with it the additional advantage of containing no reference to the cosmogenetic theory of aetherial self-expression, which goes far beyond what can reasonably be discussed in the context of this paper, I will simply direct our attention to the relevant passages of Systementwurf III in order to clarify Hegel’s conception of aether and space: (a) Die Idee als das in seinen Begriff zurükgangne Daseyn kann nun die absolute Materie oder ther genannt werden. Es erhellt daß diß geleichbedeutend ist mit reinem Geiste, denn diese absolute Materie ist nichts sinnliches sondern der Begriff als reiner Begriff in sich selbst, der als solcher existirend Geist ist, und der jenen Nahmen erhält, insofern hieran nicht gedacht wird, so für diesen jener Nahmen verschmäht wird, aus dem gleichen Grunde. – So in seiner Einfachheit und Sichselbstgleichheit ist es also der bestimmungslose seelige Geist, die unbewegte Ruhe, oder das aus dem Andersseyn ewig in sich zurückgekehrte Wesen; die Substanz und Seyn aller Dinge, so wie die unendliche Elasticitt, die jede Form und Bestimmtheit verschmäht und in sich aufgelöst hat, aber ebendarum die absolute Weichheit und Fähigkeit aller Form [ist]. Der Äther durchdringt also nicht Alles, sondern er ist selbst Alles, denn er ist das Seyn; […] Dieses reine Wesen aber in dieser Sichselbstgleichheit in das Seyn zurückgegangen, es hat den Unterschied als Unterschied in sich getilgt und hintersichgelassen, und ist ihm gegenübergetreten, oder er ist das Ansich, welches sein Werden nicht an ihm als diesem Wesen dargestellt hat; er ist nur die schwangre Materie, welche als absolute Bewegung in sich die Gährung ist, die ihrer selbst als aller Wahrheit gewiß in dieser freyen Selbständigkeit der Momente, die sie in ihr erhalten in sich und sich gleich bleibt. { In sofern gesagt wird er ist Äther oder absolute Materie, ist er in sich, oder reines Selbstbewußtseyn, diß als seyend überhaupt, nicht als seyend oder reell bestimmt; aber diese Bestimmtheit des nicht daseyenden Seyns geht in das Daseyn über, und das Element der Realität ist die allgemeine Bestimmtheit, in welcher der Geist als Natur ist. (GW 8:3.4 – 4.7) (b) Der daseyende Äther ist unmittelbar der Raum. Daß der Raum als diese einfache Continuität unmittelbar mit dem Ich eins ist, dadurch ist Anschauung gesetzt; aber diese Bemerkung geht uns hier nicht [an]; sondern es ist diß die Bestimmtheit dieser Continuität, da zu seyn; und als von Ich hierin unterschieden ist er Raum; das Ansich ist überhaupt der blosse Begriff als abstractes Wesen, das hier nicht mehr als Wahrheit gilt, sondern der Begriff ist die Sache selbst; so wie daß der Raum an sich der unmittelbare in

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sich seelige Geist ist, diß Ansich nicht als seine Wahrheit gilt, sondern vielmehr nicht ansich, sondern itzt als Natur da zu seyn, worin liegt, daß der Geist, als selbstbewußtes Wesen ausser ihm fällt, was dasselbe ist, als wenn gesagt wird, er ist es an sich, oder innerlich, in seiner Idee; die Verbindung dieser Bestimmung mit dem daseyenden Raume wäre dieses, daß er als Anschauen betrachtet würde, was hieher nicht gehört, sondern er [ist] als daseyendes hier gesetzt, oder diese Ungegenständlichkeit selbst ist gegenständlich. (GW 8:4.14 – 5.3)

We will turn to passage (a) presently. At this juncture, let us concentrate on the following three facets of (b). • Hegel characterizes ‘existent aether’ as that which is ‘immediately space.’ • He holds (see the embedded assertion in sentence 2) that existent aether, qua space, is immediately one with the ‘I’ ([ist] unmittelbar eins mit dem Ich). • He maintains that this immediate identity is what furnishes the means of positing space as intuition while he insists that the theoretical treatment of space as intuition must be kept separate from the treatment of space as existent aether or existent space. How, then, are we to understand existent aether as something that is both immediately space and immediately one with the ‘I’? And how are we to understand the oneness of space and self if the determination of the identity here at issue does not involve the treatment of space as intuition, even when this identity is what furnishes the means of positing space as intuition? What Kant does with the concepts of aether and space in the Opus postumum may provide some help with the questions just posed. Conversely—and more importantly for the purposes of this paper—what Hegel has done in determining the relationship between absolute matter and self-conscious spirit in connection with two distinct types of account of space provides a way of shedding considerable light on some fundamental transcendental-theoretic issues with which Kant was confronted in the final fascicles of the Opus postumum. In particular, comparing the two thinkers’ views on the relation between space as existent aether and space as intuition allows us to see why the aether deduction renders problematic Kant’s critical conception of the transcendental ideality and the empirical reality of space.

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2. Aether, Space, and Unity of Self-Consciousness I have never ceased to wonder at the sheer quantity of Opus postumum pages that one almost always needs to cite in order even to come close to substantiating adequately any given interpretation of any one of Kant’s many intersecting lines of argument. This need certainly does not stem from the purported repetitiveness of Kant’s arguments.7 Instead, it derives from the fact that the exploratory argumentation that typifies Kant’s thinking throughout the Opus postumum is constantly subject to development beyond itself, which of course requires Kant to investigate entire ranges of developmental possibilities that are not evident at the outset of any given line of argument that he can be seen to pursue, usually in combination with a good many other lines of closely related argument. (I should perhaps point out here parenthetically that there is a conveniently direct way of avoiding the call to come to grips with Kant’s exploratory argumentation—and indeed, of avoiding the need to deal with anything that Kant argues in the Opus postumum. It is to regard Kant’s Sptphilosophie as the product of increasing mental debilitation. There are, however, three quite fundamental difficulties with this ‘senility approach’ as it applies to the Opus postumum (and, I might add, to most any other piece of writing that Kant composed in the course of the 1790 s). First, careful reading, philologically well-grounded reconstruction, and serious analysis of the actual arguments that Kant presents in the Opus postumum shows that his thinking was, at demonstrably decisive junctures, conceptually and argumentatively coherent until at least December of 1800. Second, the apparent inconsistencies between various positions that Kant takes in the Opus postumum and basic tenets of his earlier transcendental theory and special metaphysical natural science indicate crucial philosophical problems that are in fact evident in key texts of the 1780 s, above all in the Critque of Pure Reason and the Metaphysical Foundations of 1786. Third, self-consistent adherence to the se7

This repetitiveness charge is understandable. Judging from my own experience, however, I believe that it usually indicates more the exhaustion of the interpreter than the somehow obsessive quality of Kant’s argumentation. The remedy is to return to the texts at a later date, at which point one will probably be able to discern the subtle shifts in the use of well-worn terms and concepts that continually lead Kant to the exploration of new philosophical terrain. This exploratory forward thrust of Kant’s thinking does not change—not even in the final fascicle of the Opus postumum.

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nility approach ought to impel the interpreter to consider seriously the option of dating the onset of Kant’s mental debilitation at the time of the possible composition of the earliest parts of the Opus postumum, that is, to autumn of 17868—or (given that the Opus postumum’s entire account of physical aether builds directly on Kant’s aether theory of the 1770s9 even to a decade before that. While that option might be convenient for a variety of purposes, it can hardly be thought to offer a plausible point of departure for the interpretation of Kant’s critical philosophy. At any rate, to return to the main line of discussion, the immediate practical problem that the interpreter of the Opus postumum must always face is this. Even in the context of a sizable monograph-length study, it is simply impractical to quote and exhaustively analyze more than a few of the passages that lend themselves to the support of particular interpretive claims; and not even this limited supporting analysis is feasible within the confines of an anthology chapter. Thus, especially since the terrain covered by the claims that I am about to put forward is exceptionally broad, the best that I can hope to do here is to cite the AkademieAusgabe page and line numbers for a quite restricted (yet representative) textual selection from the Opus postumum whose contents correlate nicely with the three facets of Hegel’s thinking mentioned above. The following citations respect the chronological order of Kant’s considerations on the aether deduction of bergang 1 – 14 as well as the accounts of selfaffection and self-positing found in Fascicle x/xi and vii of the Opus postumum: • Space as existent aether: OP, AA 21: 221.1 – 18, 21: 226.1 – 20, 21: 227.26 – 228.6, 21: 235.19 – 236.26, 21: 550.17 – 251.6, 21: 562.21 – 27, 21: 564.1 – 6, 21: 604.12 – 605.4; AA 22: 10.8 – 28, 22: 96.16 – 23, 21: 106.20 – 22, 21: 106.23 – 107.21. • Existent aether, unity of experience, and self-consciousness: AA 21: 578.3 – 579.19, 21: 601.6 – 603.2, 21: 603.24 – 605.11; AA 22: 83.10 – 84.25, 22: 92.7 – 94.12, 22: 96.16 – 97.2. 8

9

Loses Blatt 25 (AA 22:415 f.) contains Kant’s handwritten extract from the review of the Metaphysische Anfangsgrnde der Naturwissenschaft published in the December 2, 1786 issue of the Gçttingische Anzeigen von gelehrten Sachen. For relevant discussion, see Tuschling 1971, 16 – 17, 39 – 40. Apart from Adickes’ editorial commentary in volume 14 of Kant’s Gesammelte Schriften (see especially AA 14:137 – 141, 14:233 – 258, 14:287 – 366, 412 – 256), see Edwards 2000, 123 – 144, 158 – 163 and Tuschling 1971, 30 – 34.

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• Existent aether as space and space as intuition: AA 21: 235.19 – 27, 21: 550.22 – 27, 21: 588.9 – 16; AA 22: 475.2 – 10, 22: 73.22 – 74.4, 22: 81.3 – 84.27, 22: 88.30 – 89.12, 22: 106.23 – 107.21. The reader who peruses the textual segments just cited (along with scores of other passages like them) will probably be struck by the similarities between these particular facets of Kant’s thinking and the corresponding formulations that we have encountered in Hegel’s Jena manuscripts. Indeed, one may well find that much of the content of the Hegel passages quoted towards the end of the first section of this paper could—with the terminological adjustments needed to accommodate Kant’s descriptions of aether as a universal force continuum as well the distinction between empirical and pure intuition—be seamlessly integrated with various texts comprising bergang 1 – 14 as well as with parts of Opus postumum’s seventh fascicle. There is, I think, a perfectly straightforward explanation for why this should be. If we compare the philosophical approaches taken by Kant and Hegel with respect to existent aether, we can discern the following. While Kant is concerned to establish the necessary connection between the possible unity of our consciousness of objects and the collective whole of the forces that are constitutive of matter as appearance in space, Hegel wants to show how the identity of the knower as self-conscious being (or as a self-conscious being) must be thought in relation to the ground of all material being. Thus, whatever differences there may be between the metaphysical assumptions that underlie these distinct theoretical tasks, both approaches to the question of existent aether involve respective accounts of the relation between the ‘I’ of unified self-consciousness and the whole of spatial existence. These approaches are therefore structurally congruent in any event. Yet they are more than merely congruent in this sense alone. For in all essential respects, they represent one and the same approach to the idea of that relation—except for one point of underlying difference. This single point of difference, however, is precisely the point that makes all the difference between Hegel’s and Kant’s philosophical undertakings with respect to the concepts of material nature, matter, and space. To clarify this point, let me begin by considering the relation between matter and spirit that is constitutive for the Hegelian idea of nature itself. As Hegel characterizes this relation at the very beginning of the 1805/06 lecture manuscript (see passage (a) as quoted above), aether is

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gleichbedeutend […] mit reinem Geiste, denn diese absolute Materie ist nichts sinnliches sondern der Begriff als reiner Begriff in sich selbst [italics mine, J.E.], der als solcher existirend Geist ist, und der jenen Nahmen erhält, insofern hieran nicht gedacht wird.

Obviously, this way of thinking the elemental relationship between matter and Geist is open to a variety of interpretations, not to mention radically divergent assessments of its intelligibility. Be that as it may, the significant feature of this line of thinking for our purposes is this. The matter, with reference to which Hegel grounds the identification of aether as something that is immediately space, is a matter that is, intrinsically and essentially (in sich selbst), concept. Thus, the distinction that Hegel draws between space as existent aether and the space that is posited as intuition in virtue of the immediately differentiated identity of existent aether and the ‘I’ (see quote (b) above) rests upon a concept of matter that is, in itself, the concept of a concept. That distinction, therefore, is not grounded in, and does not presuppose, any concept of intuition which would require that ‘intuition’ must be understood as designating something intrinsically distinct from what is designated by ‘concept.’ Nor is that distinction grounded in any concept of an object of intuition that is ultimately to be grasped as something other than a concept of a concept. By implication, Hegel’s employment of the concept of aether as absolute matter provides the way of comprehending how the two different accounts of space addressed at the beginning of (b) represent distinguishable accounts of space as concept. Given that employment, neither the theoretical portrayal of space that is needed to develop the presuppositions of rational mechanics nor the description of space as intuition (which, as I should here point out parenthetically, is the description treated in the opening pages of the Systementwurf III development of the concept of spirit) 10 amounts to an account of space as something that is, intrinsically and essentially, intuition. To be sure, Hegel does not make explicit this implication of his interpretation of aether as absolute matter in the manuscript under consideration. And subsequent versions of his philosophy of nature and spirit do not rely on the type of employment of an aether concept that we find in the two Jena manuscripts considered thus far. Yet the basic presupposition according to which space on any account must be grasped as something that is intrinsi10 See GW 8:185.4 – 186.13.

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cally concept is presented in the lecture manuscript of Systementwurf III. 11 Returning now to the aforementioned pivotal point of difference between Kant’s and Hegel’s respective enterprises in the Opus postumum and the Jena philosophy of nature, let me just say the following. Kant and Hegel do operate with virtually identical basic characterizations of matter in their respective accounts of the relation between existent aether, on the one hand, and unified self-consciousness or the self-differentiating identity of spirit qua self-conscious being, on the other. As far as I can see, however, there is no coherently formulated passage in the Opus postumum that can plausibly be interpreted as suggesting that the concept of aether, taken as the concept of materially determined space, can be understood as the concept of something that is itself intrinsically a conceptual representation. As far as I can tell, then, Kant shows no interest in rethinking the way in which he had drawn the essential distinction between the types of representation (Vorstellung) upon which his entire critical theory of a priori knowledge of objects builds.12 That is, he does 11 This presupposition is of considerable significance for understanding the overall development of Hegel’s philosophy of nature and theory of subjective spirit. While I will not go into this here, I would suggest §§ 255 and 448 of the 1830 Enzyklopdie as important texts of primary reference. 12 See, however, Burkhard Tuschling’s very interesting arguments to the contrary: Tuschling 2002, especially 153 – 164; cf. also Tuschling 2001, especially 141 – 147 and 150 – 168. A thorough treatment of my claim regarding Kant’s unwillingness to rework his way of distinguishing between intuition and concept would require extended discussion of Kant’s assessments of the accounts of intuition and original representation given in Jacob Sigismund Beck’s “einzigmöglicher Standpunkt” doctrine. On this, see the following locations in Kant’s correspondence with Beck and with Johann Heinrich Tieftrunk between November 1791 and December 1797: Briefe, AA 11:311, 11: 312, 11:314 – 315, 11:338, 11:347 – 348, 11:376, 11:384 – 385, 11:395, 11:509 – 510, 11:515; AA 12:165, 12:174, 12:212, 12:216 – 218, 12:223 – 224; AA 13:467 – 468, 13:469, 13:471, 13: 472. Notice in particular the highly significant opening move in this correspondence. In his letter of November 11, 1791, Beck focuses on Kant’s position that an intuition is a representation immediately related to an object while a concept is a representation that has indirect objective reference in virtue of its relation to an intuition or intuitions. Beck maintains (or at least comes close to stating) that this position does not allow one to distinguish between intuition and concept in such a way that one could provide a coherent portrayal of the relation of any representation to an object. Thus, he attempts to draw the basic distinction between intuition and concept by proposing that an intuition, unlike a concept, must be understood as a ‘completely determined’ (durchgngig bestimmt) representation (see Briefe, AA

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not want to problematize, much less sublate, the distinction according to which intuition must be understood as a singular representation (repraesentatio singularis) that contains within itself an infinite manifold of representations, and according to which a concept must be thought of as the type of representation that is contained in an infinite manifold of different possible representations as their common mark (repraesentatio per notas communes).13 Hegel can hold—and of course does hold—that this way of thinking the distinction between types of representation is, ultimately, incapable of providing for the adequate conceptualization of either ‘intuition’ or ‘concept’ (not to mention ‘representation’ [Vorstellung]).14 Be that as it may, Kant remains vitally concerned to uphold his specification of that distinction at every systematic level in the conceptualization of epistemic conditions. And he is concerned to do this even when his conception of the epistemic function that is to be attributed to physical aether in the theory of the possibility conditions of our experience of objects leads him to formulations of a transcendental existence proof that requires the exposition of the concept of aether as a concept of space. Let me expand on this last statement in some detail. Kant’s a priori existence proof for physical aether, which presupposes the description of aether as a universal continuum of the moving forces of matter, is in fact grounded by what amounts to a metaphysical exposition of a concept of space. To be sure, this is not the type of metaphysical exposition which establishes that space must be thought of as a form of sensibility, as a form of intuition, as pure sensible form, or as pure intuition. Yet it is 11:311). When deflecting the force of this definitional move in his letter of July 3, 1792, Kant states that the account of intuition as “durchgängig bestimmte Vorstellung […] doch nichts weiter sagen würde als: sie ist die Vorstellung des Einzelnen gegebenen” (AA 11:347 [ July 3, 1792]). Kant’s use of the idea of omnimoda determinatio in relation to existent aether and intuition is a key feature of his thinking in the later fascicles of the Opus postumum (see, e. g., AA 21:577.14 – 578.2, 21:583.20 – 31, 21:586.7 – 24, 21:603.4 – 19; AA 22: 73.22 – 74.4, 22:77.11 – 19/26, 22:83.10 – 17, 22:85.11 – 23, 22:88.27 – 89.12, 22:93.1 – 17, 22:98.15 – 99.2, 22:486.3 – 16). 13 See, e. g., KrV A24/B39-A25/B40, A31/B47-A32-B48; AA 2:397, 2:402; AA 9:91; AA 16:538, 556; AA 11:347 – 348 in conjunction with the following representative passages in the Opus postumum: AA 21:579.22 – 31 (cf. AA 22:24 – 33), 21:604.23 – 605.4; AA 22:9.17 – 24, 22:11.2 – 14, 22:15.2 – 24, 22:19.20 – 23, 22:24.28 – 30, 22:35.14 – 19, 22:9 – 18, 22:42.12 – 15, 22:43.7 – 14, 22: 66.27 – 67.7, 22:80.1 – 6, 22:83.27 – 31, 22:84.18 – 20, 22:85.11 – 22, 22: 92.7 – 93.15, 22:97.3 – 7, 22:99.12 – 18, 22:101.5 – 17. 14 See Enz.3 §§ 448 – 449 and WdL, Werke 5:224 – 225, 5:100 – 105; 6:254 – 256, 6:260 – 261, 6:263 – 264, 6:266, 6:286 – 287, 6:535 – 536; 20:347 – 348.

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the exposition of an a priori concept of space. Specifically, it is the exposition of the a priori necessary discursive representation in virtue of which the universal dynamical continuum constituting the empirically cognizable whole of cosmic matter must be thought of as the single, all-encompassing object that in every possible outer intuition is presented as something that conforms to the formal properties of the type of sensibility which underlies human cognition of an external world of objects.15 Because it exists in immediate continuity with the subjective and formal conditions of self-consciousness’ synthetic unity, the matter picked out by such a discursive representation is one that constitutes the universal object ([d]as Object Einer allbefassenden Erfahrung) 16 to which all outer intuition is directly referred, and to which all thought aims as a means when thought is directed to the cognitive determination of particular objects of empirical intuition (cf. KrV A19/B33). Yet the a priori concept of this object—that is to say, the aether concept of the Opus postumum’s later fascicles—is a concept of object that picks out a singular representation, notably, space taken as the single material whole that must underlie our outer intuition insofar as sensible manifolds of outer intuition are to be related to objects. For the dynamical matter that constitutes such an encompassing object of our possible outer intuition ([d]er Raum selbst als Gegenstand mçglicher Erfahrung vorgestellt) 17 is the matter which has to be thought of as something that must causally determine the single whole of space in all of its continuous parts 15 Der Raum selbst als allgemeiner Inbegrif der bewegenden Kräfte der Materie ist Object (der Möglichkeit) der Erfahrung weil er nicht leer seyn kann sondern in sich selbst in Allen Puncten desselben jeder an seinem Ort bewegt u. bewegend seyn muß. Die Lagen Richtungen und Weiten sind der Messung nach allen 3 Dimensionen unterworfen. Aber wodurch kann er bezeichnet seyn wenn er doch als leer gedacht wird (OP, AA 21:231.8 – 13). And: Der Raum überhaupt ist blos das Subjective der Form der reinen äußeren Anschauung a priori mithin in sofern weder leer noch voll. – Um eins von diesen letzteren zu sagen muß schon eine Materie also ein äußeres Object der empirischen Anschauung vorausgesetzt werden. Aber um diese Erfahrung zu machen ob der Raum leer oder voll sey muß doch immer Materie welche den Raum einnimmt vorausgesetzt werden Also kann ein Raum nur als comparativ leer gedacht werden: denn das Nichtseyn kann nicht wargenommen werden. (OP, AA 21:588.9 – 16) See also AA 21:542.3 – 11, 21:550.26 – 551.6, 21:590.1 – 14. 16 OP, AA 22:21 – 23 and 21:578.3 (=22:553.21). See also AA 21:228.24 – 25, 21:231.8 – 9, 21:233.5 – 8, 21:247.9 – 10, 21:542.3 – 11, 21:563.17 – 564.4, 21:583.12 – 17; 22:611.17. 17 OP, AA 21:228.24.

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if the perception of particular objects in space is to be possible for us;18 and the concept of that matter is therefore the concept of dynamically determined space as object of outer intuition.19 It is the concept of ‘hypostatically conceived space’ (hypostatisch gedachter Raum) 20. This is the concept by which dynamically determined material space is represented as something singular (einzeln). It is, moreover, the a priori necessary representation by means of which the whole of dynamically determined space is represented conceptually, i. e., discursively, as the single material whole that comprises the all-encompassing object to which all empirically determinate perceptual manifolds must be directly referred if our experience of objects in space is to be possible.21 It is, if you will, the 18 Der ganze Weltraum als ein Object möglicher Erfahrung ist in keinem seiner Theile leer sondern ein voller Raum denn der leere ist kein Object möglicher Erfahrung. Der Stoff der ihm in dieser Rücksicht beygelegt werden muß ist mit den Eigenschaften seiner Erfüllung seiner Gegenwart in Ansehung der Einnehmung und Durchdringung permeabilitat aller Räume kein hypothetischer sondern nach dem Gesetz der Identitat aus Begriffen a priori hervorgehender Stoff. Denn wegen dieser alldurchdringung ist die Einheit desselben so wie des Raumes selbst das oberste Princip der Möglichkeit der Erfahrung äußerer Sinnenwesen und weil die Materie in dem Raum für sich selbst aller anderen gleicher Art wiedersteht so ist dieser Stoff der Elementarstoff. Vermöge dessen daß er vorausgesetzt werden muß um jeder Materie ihre Stelle im Raume zu bestimmen ist er nicht ein bloßes Gedankending sondern bewegbar und bewegend aber allerwärts gleichförmig und einzig seiner Art – kann an keinem Ort weder vermehrt noch vermindert werden. – Wenn man von der Anziehung durch den leeren Raum spricht so ist das blos Idee. (OP, AA 21:228.7 – 23) 19 Die Basis des Ganzen der Vereinigung aller bewegenden Kräfte der Materie ist der Wärmestoff (gleichsam der hypostasirte Raum selbst in dem sich alles bewegt) das Princip der Moglichkeit der Einheit des Ganzen möglicher Erfahrung. – Wärmestoff ist der perceptibele Raum von allen andern Eigenschaften entblößt wenigstens in Gedanken als Princip der Möglichkeit der Erfahrung aller Dimensionen desselben das Gegenstück vom leeren Raum da im Raum alles Ortbewegbar ist nur der Raum selbst nicht, da kein Raum als leerer Raum Gegenstand der Erfahrung ist so ist jene Materie durch das gantze Weltgebäude ausgebreitet u. seine Existenz nothwendig nämlich relativ auf Gegenstande der Sinne. (OP, AA 21:224.10 – 20) 20 OP, AA 21:221.12 – 13. 21 Was von der Existenz einer solchen Materie und ihrer inneren Bewegung in der Zeit gesagt war das gilt nun auch vom Weltraum daß sie nämlich im Zugleichseyn aller Theile desselben neben einander alle körperliche Dinge in Gemeinschaft und das Subject in die Bedingung möglicher Erfahrung auch des entferntesten setzt z. B. daß sie die Weltkörper für die Sinne perceptibel und zum Gegenstande möglicher Erfahrung macht – Selbst die Gravitationsanziehung der in allen Weiten unmittelbar auf einander einfließenden Körper wenn sie

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conceptual representation of an a priori necessary intuitive representation in the sense that it is the a priori concept by which the whole material substrate and universal causal setting that is common to every possible intuition relating to objects in space is thinkable as a necessary condition of possible experience and as the “One Object” of outer experience.22 ein Gegenstand möglicher Erfahrung seyn soll setzt doch stillschweigend eine dazwischen liegende und in stetiger Verbindung der Raumestheile unter einander stehenden Materie voraus; denn ohne eine ihr zugleich entgegenwirkende Abstoßung würde diese als in einen Punct zusammenfließend gar keinen Körper oder Stoff desselben ausmachen. Denn der durch Warnehmungen den Sinnen darzustellende Abstand kann nur vermittelst dazwischen liegender Materie ein Gegenstand möglicher Erfahrung seyn für welchen der absolut-leere Raum schlechterdings kein Object ist: so daß selbst der Gedanke davon weil er die Existenz eines räumlichen Gegenstandes in seinem Begriffe enthält unvermeidlich auf Materie stoßen muß die den Raum erfüllet. (OP, AA 21:562.21 – 563.10; see also, e. g., AA 21:563.17 – 564.1, 604.23 – 26) 22 Es muß erst Raum erfüllende sich selbst durch agitirende Kräfte (durch Anziehung u. Abstoßung) unabläßig bewegende Materie seyn ehe jedem Partikel sein Ort im Raum bestimt werden kann. Dies ist die basis jeder Materie als Gegenstandes möglicher Erfahrung. Denn diese macht zuerst Erfahrung moglich. Dieser Raum kann nicht durch Körper erfüllet werden wenn sie nicht vorher einen sensibelen Raum aus selbstthätigkeit erfüllet hat. Denn der Raum muß erst Erfahrungsobject seyn sonst kann ihm keine Stelle angewiesen werden. Der alldurchdringende Wärmestoff ist die erste Bedingung der Möglichkeit aller äußern Erfahrung. – Leerer Raum existirt nicht. (OP, AA 21:550.28 – 551.6) Das Object Einer allbefassenden Erfahrung enthält in sich alle subjectiv-bewegende mithin sinnlich afficirende und Warnehmungen bewirkende Krafte der Materie deren Gesammtheit Wärmestoff heißt als die Basis dieser allgemeinen Krafterregung welche alle (physische) Körper und hiemit auch das Subject selbst afficirt und aus deren synthetischem Bewustseyn welches nicht empirisch seyn darf die formale Bedingungen dieser die Sinne bewegenden Kräfte in Anziehung und Abstoßung entwickelt werden. – Da es hier nun in der Frage ob es einen alldurchdringenden u.s.w. Elementarstoff gebe nur auf das Subjective der Empfänglichkeit für das Sinnenobject jenen zum Gegenstande einer synthetisch-allgemeinen Erfahrung zu haben ankömmt nicht ob er mit jenen Attributen an sich existire sondern ob die empirische Anschauung desselben als zum Gantzen Einer moglichen Erfahrung gehörend jene schon in ihrem Begriffe (nach dem Grundsatz der Identität) enthalte sondern nur relativ auf das Erkentnisvermögen in so fern es in der Idee das Ganze möglicher Erfahrung in einer Gesammtvorstellung befaßt und so als a priori gegeben denken muß so muß jener subjectiv als die Basis der Vorstellung des Ganzen Einer Erfahrung auch objectiv als ein solches Princip der Vereinigung der bewegenden Kräfte der Materie geltend seyn. (AA 21:578.2 – 20) Der Begriff eines Wärmestoffs geht von dem Begriffe eines empirisch-bestimmbaren Raumes überhaupt aus und ist in so fern ein Begriff a priori. – Die obbenannte Attribute desselben als

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Now the representation of space that is signified by Kant’s aether concept is, of course, to be referred to something given outside us in our representation of an existent object—that is, to something given in our representation of something as something that exists apart from us in connection with the subjective conditions under which particular objects of outer intuition are given to us as objects of possible perception. Yet that representation cannot be referred to something given outside us solely in our representation of an object, or objects, even if the existence of dynamical aether, qua a priori determinable possibility condition of cognition, must be thought of in its immediate continuity with the formal and subjective conditions of our possible experience of objects.23 That is because the whole aim of the aether deduction, as a procedure of transcendental proof, is this: the aim is to establish that aether, understood in terms of dynamically determined (i. e., hypostatically conceived) space, must exist as the self-subsistent and subject-independent material causal basis for our possible experience of all particular empirically cognizable objects as appearances if it is to furnish an a priori necessary condition for our perception of objects in space. This aim of the aether deduction, of course, raises a variety of questions about the viability of Kant’s conception of transcendental idealism to the extent that this conception is based on the tenet that space and time are transcendentally ideal as well as empirically real, and that space therefore cannot be ‘absolutely real’ in any transcendental sense of this description.24 Thus, it is no accident that we find Kant confronting himself with the task of showing how that aim can be understood as consistent with the principle of the transcendental ideality of space and time, especially as this principle figures in the refutations of forms of material idealism and the corresponding defenses of empirical realism that Kant offers between 1787 (with the second edition of the Kritik der reeiner Substanz im Raume sind nur als bewegende Kräfte (Potenzen) nach verschiedenen Functionen der activen Bewegung die sich auch a priori vollständig qvalificiren lassen gedacht und machen in so fern auch ein bloßes Gedankending aus. Der Schritt aber von der Möglichkeit zur Wirklichkeit geschieht mit Zuverläßigkeit dadurch daß er der Gegenstand Einer möglichen Erfahrung und wegen der Totalität der Bestimmungen die zum Begriffe eines Individuum gehören ein Erfahrungsgegenstand ist welches identisch eben so viel sagt als seine Behauptung ist ein Erfahrungssatz. (AA 21:604.21 – 605.4) 23 I have elsewhere argued this point at some length. See Edwards 2000, chapter 9. 24 See Edwards 2000, 171 – 174.

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inen Vernunft) and the Reflexionen of the late 1780 s.25 Kant’s concern with this task can be seen most clearly in the Selbstsetzungslehre of the Opus postumum’s seventh fascicle and in the passages from the first fascicle (that is to say, the final fascicle) which show Kant attempting to come to grips with the problem of Spinozism. Since I have discussed the not merely empirically realist implications of this attempt elsewhere, I will not here pursue the matter in further depth.26 It must suffice for me to state the main result of the discussion: I can see no way for Kant to save his original conception of transcendental idealism as long as he is willing to adhere to the key epistemic requirements that underlie the project of the aether deduction and the metaphysical exposition of the concept of space that this project necessarily involves. For these requirements seem radically to undermine one of the crucial conclusions of the interpretation of transcendental ideality upon which that original conception rests—namely, the conclusion that space “ist nichts anders, als nur die Form aller Erscheinungen äußerer Sinne, d.i. die subjective Bedingung der Sinnlichkeit, unter der allein uns äußere Anschauung möglich ist” (KrV A26/B42 [italics mine]).27

25 In view of the discussion of the transcendental principle of community in the next section, note well the links between the arguments against idealism found in the Kiesewetter-Aufstze and in Reflexion 6323 and the proof of the Third Analogy of Experience. See KrV A212/B258-A213/B260 in conjunction with Relf. Met., AA 18:612 – 615 and AA 18:643 – 644. 26 See Edwards 2000, 171 – 174 and 189 – 192. 27 At KrV A28/B44 Kant interprets the transcendental ideality of space as involving the claim that space is nothing as soon as we leave aside the condition of the possibility of all experience. While the aether deduction (as an a priori existence proof for a material entity) may not necessarily rule out what this interpretation implies about the empirical reality of space, it arguably does obstruct any line of inference which would seek to establish that space is nothing other than merely the condition of sensibility furnishing the form of all appearances of outer sense. I see no way around this obstruction, and I also think that Kant’s account of the transcendental conditions of our experience of objects in space is all the more interesting because of it. I am convinced that the metaphysics of space that underlies the aether deduction and related aspects of the Opus postumum requires a fundamental re-evaluation of the Kantian conception of the transcendental reality of space (and time), and thus a definitional reassessment of the character of transcendental realism.

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3. Realism, Dynamical Community, and the Field View of Physical Reality So why should Kant ever have taken these requirements seriously if (as I maintain) they force him in the direction of a form of realism that is not obviously reconcilable with the theory of transcendental idealism at issue in his published texts? And in any event, why should we take Kant seriously in his concern to fulfill such requirements if they involve something as philosophically questionable as a transcendental existence proof for a material entity? Kant has bequeathed to us a sufficient supply of textual materials in the Opus postumum and related earlier works to let him speak for himself in response to the first of these questions. Thus, I will conclude by trying to shed a bit of light on why I continue to find so interesting the transcendental-theoretic problem that underlies the so-called aether deduction. To accomplish this as efficiently as possible, let us direct our attention back beyond the Opus postumum to a highly significant feature of the critical theory of a priori knowledge in its classic configuration, notably, the first Critique’s Analogies of Experience. Consider in particular Kant’s formulation of the principle of coexistence as a principle of the dynamical community of all perceivable substances in space: Alle Substanzen, so fern sie im Raume als zugleich wahrgenommen werden können, sind in durchgängiger Wechselwirkung. (KrV B256)

This principle of the Third Analogy of Experience furnishes the transcendental law of nature that Kant seeks to establish by means of the same type of argument against ‘empty’ (i. e., against dynamically nondetermined) space which provides the pivotal component of the procedure of transcendental proof in the Opus postumum’s aether deduction. This is the type of argument by which Kant seeks to demonstrate that, in the absence of universal reciprocal causal action between all empirically knowable objects, jede Wahrnehmung (der Erscheinung im Raume) [ist, J.E.] von der andern abgebrochen, und die Kette empirischer Vorstellungen, d. i. Erfahrung, würde bei einem neuen Object ganz von vorne anfangen, ohne daß die vorige damit im geringsten zusammenhängen oder im Zeitverhältnisse stehen könnte. (KrV A213 f./B260).

Note well what the Third Analogy’s version of the principle of coexistence entails for the account of the a priori specifiable conditions of the unity of empirical representations when this unity is understood as the

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synthetic unity of object-determining perceptions through time.28 According to the formulation given, that principle entails the following with regard to the conditions of such unity as they apply to any subject for whom the ‘I think’ must be able to accompany all of its representations.29 Insofar as ‘I’ can perceive an object existing apart from me in space as coexistent with respect to myself as well as with respect to all other objects that I can perceive as coexistent, that object must stand in a relation of thoroughgoing reciprocal action with all of the objects that I can perceive in space as coexistent. Take even the most remote of celestial bodies—for example, some star the spatial appearance of which I can determine by sight, or some galaxy that I can perceive in virtue of the instrumental amplification or extension of this outer sense. I can perceive such an object as coexistent with respect to myself and all other objects that I can perceive as coexistent with respect to that celestial object as well as myself; and I can do this even if I know that empirical physics may at some point establish as a matter of fact that it ceased to exist thousands of light years ago. For even if it should turn out to be false that this object now exists as an actual object of any possible perception for me (or for any similarly constituted subject) if I were in a position actually to perceive it as now existing, it is still true that I can now perceive it as coexistent with respect to myself and all of the objects that I can now perceive as coexistent. I can do this because of that object’s actual and continual causal efficacy with respect to myself as well as with respect to all such objects. The longer I think about Kant’s principle of coexistence and its entailments, the more I am inclined to think that the 1787 formula of this transcendental law of nature is epistemologically unassailable,30 especially when it is understood in connection with the dynamistic field view of 28 For extended discussion, see Edwards 2000, 23 – 47 and 55 – 60. 29 That is to say, by implication: with regard to the conditions of the synthetic unity of object-determining perceptions through time as such conditions apply to any subject for whom all manifold of intuition has a necessary relation to the ‘I think’ in the same subject which encounters this manifold in sensible intuition. (Contrast KrV B132: Also hat alles Mannigfaltige der Anschauung eine nothwendige Beziehung auf das: Ich denke, in demselben Subject, darin dieses Mannigfaltige angetroffen wird. [latter italics mine, J.E.]) 30 I am supposing here that Kant’s theory of a priori knowledge can establish the non-viability of global perceptual skepticism independently of the assumptions about transcendental ideality and transcendental reality that underlie Kant’s 1780 s account of the relation between transcendental idealism and empirical realism. For directly relevant discussion, see Westphal 2004, 250 – 268.

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physical reality that Kant was concerned to articulate and ground, above all in the 1770 s and 1790 s, using language borrowed from contemporaneous theories of imponderable material media (hence ther, Wrmestoff, etc.).31 I am therefore increasingly inclined to believe that the applicability of the 1787 formula is not restricted by assumptions peculiar to classical modern physics—in the first instance, by assumptions pertaining to time-determination and the propagation of action across space that go into the Newtonian idea of universal attraction, which is an idea that Kant demonstrably entertained in connection with considerations on dynamical community and his principium coexistentiae prior to 1781.32 While this is, of course, not the place to go into special ramifications of my growing conviction, it may still be appropriate to conclude by mentioning two related points. First, it seems to me that the 1787 formula of the principle of coexistence can accommodate key assumptions of relativity theory, particularly the fundamental assumptions concerning the possibility of time-determination that underlie the special theory of relativity.33 Second, recent developments in empirically orientated physical cosmology—above all the developments in cosmogonic theory involving notions of ‘dark matter’ and ‘dark energy’—lead me to suspect that we have not yet even begun to fathom the full significance of Kant’s metaphysics of nature.34 In this second regard, of course, one could probably say something similar about Hegel’s philosophy of na31 See note 4 above. 32 See Nova dilucidatio, AA 1:412, 1:415; also Gedanken v.d. wahren Schtzung, AA 1:24; Allg. Naturgeschichte und Theorie des Himmels, AA 1:308 – 309; De mundi sensibili, AA 2:389 – 390, 2:407 – 409. For discussion of Kant’s pre-critical theory of the dynamical community of coexistent substances, see Edwards 2000, chapter 5. For a treatment of the broader Newtonian and Leibnizian background, see Schönfeld 2000, 17 – 95, 111 – 117, 138 – 154 and 121 – 179. 33 On this, see Strohmeyer 1980. 34 This is, of course, nothing more than an arm-waving signal to readers whose cosmotheoretic intuitions and ideas (cf. OP, AA 21:31.22 – 25, 21:43.31, 21:101.5 – 12, 21:553.6 – 8) may be stimulated by works such as the following: Huterer/Turner 1999, Nicolson 2007, Peebles/Ratra 2003 and Steinhardt/ Turok 2007. Philosophers who, in virtue of a more prosaic conceptual bent, are less attracted to the dark side of the universe may wish to consider the relevance of Kant’s late (Opus postumum) metaphysics of space (and time) for contemporary discussion of ‘supersubstantivalist’ interpretations of spacetime in connection with problems of the general theory of relativity. On the question of supersubtantivalism, see Effingham 2008, Sklar 1974, Skow 2007, Sider 2001 and Uzquiano 2006.

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ture. But then again, there is nothing quite like the aether deduction of Kant’s Opus postumum in Hegel’s extant corpus. Or is there?

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The Emergence of Ideality. Hegel’s Conception of the Animal in the Jena Philosophy of Nature Karin de Boer Abstract: This article examines the philosophy of nature that Hegel developed, between 1803 and 1806, in the collection of texts known as the Jena System Drafts. It argues that Hegel in these early texts seeks to bridge the gap between nature and spirit by locating the emergence of the subjective forms of externality – space and time – in the animal. I seek to demonstrate that Hegel, in doing so, draws on Kant’s transcendental conception of space and time. In line with Kant, he treats space and time as conditions of possibility of scientific knowledge and locates these conditions in the self-conscious subject. Yet Hegel departs from Kant, it is argued, by comprehending human consciousness itself as emerging from nature, more precisely, from the temporality proper to the animal’s faculty of perception. Only Hegel’s Jena philosophy of nature makes it clear, I contend, that the concepts which allow thought to turn the contents of its representations into objects of knowledge develop nowhere else than in actual human beings. These early drafts not only shed new light on the relation between Hegel’s philosophies of nature and spirit, therefore, but also on the relation between the Realphilosophie and the Wissenschaft der Logik.

1. Introduction This article examines the various drafts of a philosophy of nature which Hegel elaborated between 1803 and 1806. In my view, these so-called Jenaer Systementwrfe deserve much more attention then they have so far received.1 For it is in these texts, I would contend, that Hegel seeks to

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Commentaries tend to identify Hegel’s philosophy of nature with its elaboration in the Enzyklopdie. This is also the case in the volume edited by Houlgate, where only one of the early drafts is mentioned once (Houlgate 1998, 81). Pinkard 2000, 186 – 87, devoting two pages to these texts, notes twice that he considers its details not important enough to recount in his book. Horstmann’s account (1977) is equally limited to two pages. The only exception I am aware of is the volume edited by Vieweg 1998. I agree with Vieweg that Hegel’s Jena period constitutes the decisive phase in the development of his

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bridge the gap between nature and spirit, created by Kant, in a way that is precluded by the threefold division of the Enzyklopdie. Moreover, these early texts testify much more clearly to Hegel’s indebtedness to Kant’s conception of space and time. I will argue, however, that Hegel’s early philosophy of nature, following Schelling’s, moves beyond Kant in at least three respects. Firstly, Hegel here considers space and time as forms constitutive not just of human sensibility, but of the idea of nature as such. Secondly, he dissolves the Kantian opposition between thought and intuition by conceiving of space and time as particular modes of the concept as such. Finally, he considers the pure forms of intuition to emerge out of nature itself, more precisely, out of the mode of perception proper to the animal. Thus, he not only moves beyond Kant’s subjective account of space and time, but also provides an explanation for the emergence of, on the one hand, the ego and, on the other, the pure forms of intuition.2 This is not to say that Hegel’s philosophy of nature abandons the premises of transcendental philosophy in all respects. No less than Kant, Hegel is concerned with the concepts constitutive of the natural sciences rather than with a reality considered to exist independently of thought. Matter, movement, chemism, life etc., are nothing but such

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philosophy and that, accordingly, his early philosophy of nature cannot be ignored (cf. 1998, 6). Cf. Enz.3 § 258 Anm, GW 20.247. Already in 1805/06, Hegel maintains that philosophy should abstract from the difference between the subjective and objective determinations of space: “Daß der Raum als diese einfache Continuität unmittelbar mit dem Ich eins ist, dadurch ist die Anschauung gesetzt; aber diese Bemerkung geht uns hier nicht [an].” (GW 8.4). Cf. Also GW 6.290 f.: “Indem wir das Bewußtseyn als solches, als Einheit des in ihm als thätig und des in ihm als passiv erscheinenden betrachten, so hat die Betrachtung des Bewußtseyns wie es im Gegensatze erscheint, als subjectives und objectives keine Bedeutung für uns […] in der empirischen Anschauung ist das eine, empirisch anschauendes, das andre [das] empirisch angeschaute, […] so das begreiffende, begriffene.” (GW 6.290 f.). Referring to Fichte and Schelling, the Science of Logic notes that this unity “mit Recht als das Subject-Object bestimmt worden [ist].” (WdL, GW 12.176). For a comprehensive analysis of the object-subject distinction in German Idealism see Onnasch 1998. It is not surprising, therefore, that the young Schelling, followed by Hegel, showed great interest in Plato’s Timaeus, in which the creation of the universe is conceived as the descent of the world soul into the visible world. German idealism as such, it might be argued, consists in the attempt to reconcile Kant’s transcendental philosophy with Greek ontology. When he was eighteen years old, Schelling wrote a commentary on the Timeaus. See Krings 1994 on Schelling’s comprehension of the relation between Plato and Kant in this text.

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concepts. Yet unlike Kant, Hegel conceives of these conceptual determinations as the essential determinations of the idea of nature itself, that is, of nature insofar as it constitutes the object of scientific knowledge. Hegel reconstructs the totality of these determinations by considering them as particular modes of the concept such as it occurs in the element of externality.3 As we will see, Hegel reconstructs this totality, first, by setting out from the most general forms of externality and, second, by comprehending each determination as prevailing over the power of externality to a larger extent than the preceding one. Since these determinations constitute at once the basis of the natural sciences, Hegel can – and must – draw on the results of these sciences to expose the essential determinations of the idea of nature.4 In a draft of a philosophy of nature 3 4

Cf. GW 7.184 f. The empirical sciences discover “die allgemeinen Bestimmungen, Gattungen und Gesetze”. They thus prepare “jenen Inhalt des Besondern dazu, in die Philosophie aufgenommen werden zu können. Andererseits enthalten sie damit die Nöthigung für das Denken selbst zu diesen concreten Bestimmungen fortzugehen. Das Aufnehmen dieses Inhalts, in dem durch das Denken die noch anklebende Unmittelbarkeit und das Gegebenseyn aufgehoben wird, ist zugleich ein Entwickeln des Denkens aus sich selbst. Indem die Philosophie so ihre Entwicklung den empirischen Wissenschaften verdankt, gibt sie deren Inhalte die wesentlichste Gestalt der Freiheit (des Apriorischen) des Denkens und die Bewhrung der Nothwendigkeit.” (Enz.3 § 12 Anm., GW 20.54) It might be argued that Hegel’s philosophy of nature attempts to expose the shortcomings of the prevailing presuppositions of the empirical sciences, especially insofar as they are concerned with organic nature. However, Hegel’s philosophy of nature is by no means independent of the results achieved by these sciences. Whereas philosophy depends on the results of the sciences to acquire content, it comprehends these results in light of its proper principle. In this respect, I completely endorse Kenneth Westphal’s account (in this volume) of the relation between Hegel’s philosophy of nature and physics. Stone 2005 maintains, on the contrary, that Hegel basically construes his theory of nature “through a priori reasoning,” tracing “how each natural stage arises as the rationally necessary solution to the contradiction in the stage before it” (31, cf. 76). According to Stone, Hegel subsequently attempts to incorporate the relevant results of scientific research into his a priori theory (77 – 80). On my own reading of Hegel, speculative science from the outset draws on these descriptions, first, to distinguish between their a priori principles and a posteriori contents and, second, to expose the necessity of these principles by comprehending them as particular modes of the concept as such. This is in accordance with Kant’s conception of transcendental philosophy. I agree with Stone, on the other hand, that Hegel sets out from a definite methodical principle. This principle allows him to comprehend scientific results in light of their necessary principles and to reconstruct the totality of these principles. That is why, in my view, Hegel’s accounts of nature and con-

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dating from 1797 Schelling also stresses that philosophy is exclusively concerned with the emergence of these determinations in the element of thought: Die Frage ist nicht, ob und wie jener Zusammenhang der Erscheinungen und die Reihe von Ursachen und Wirkungen, die wir Naturlauf nennen, außer uns, sondern wie sie fr uns wirklich geworden, wie jenes System und jener Zusammenhang der Erscheinungen, den Weg zu unserm Geiste gefunden, und wie sie in unserer Vorstellung die Nothwendigkeit erlangt haben, mit welcher sie zu denken wir schlechthin genöthigt sind.5

Unlike the philosophy of nature elaborated in the Enzyklopdie, the Jenaer Systementwrfe treat space and time not only as basic determinations of the idea of nature, but also as pure forms of intuition. The Enzyklopdie maintains that the animal constitutes the supreme actualisation of the concept in the sphere of nature,6 but does not mention the forms of intuition in this context. The only reference to these forms occurs in an addition that is most likely to stem from Hegel’s early Jena lectures: [D]er Organismus […] ist Raum und Zeit, und zugleich nicht räumlich oder zeitlich: er schaut etwas an, das räumlich und zeitlich ist, d. h. das von ihm unterschieden […] ist. […] Diese Bewegung des Anschauens ist das allgemeine Element des Sinnes. 7

In the Jenaer Systementwurf from 1803/04 we find a similar remark:

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sciousness run parallel, as Stone aptly shows (cf. 29 – 55). Stone further maintains that Hegel’s a priori account of nature must correspond to “the real course of natural development” (76, cf. 32). This suggests that she does not distinguish between actual nature (that is, nature such as it constitutes the object of the natural sciences) and the essential determinations of the idea of nature. In my view, Hegel’s philosophy of nature is exclusively concerned with the latter. If this is the case, then his remarks on the necessary development of these determinations refer to his reconstruction of these determinations alone. Ideen, HKA I/5.84 – 85, cf. I/5.106 – 107. I suppose – but cannot prove – that this Kantian strand is covered over by Schelling’s later ‘positive’ philosophy. In my view, Hegel remained much more faithful to the basic insight of transcendental philosophy than the later Schelling. However, since Hegel as much as Schelling conceived of the basic concepts of the natural sciences as particular modes of a single, absolute principle, his philosophy of nature equally tends to play down the role of its Kantian legacy. Cf. Enz.3 § 374, GW 20.374. Enz.3 § 357, Zus. 2, Werke 9.465. In most cases the origin of the additions to the text of the Enzyklopdie has been impossible to trace.

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[D]as Thier ist die Zeit, […]in der seine Empfindungen selbst als einzelne vorübergehen.8

The striking difference between the main text and those of the additions that appear to stem from the Jena period might be related to the fact that the Enzyklopdie has abandoned the task of reconstructing the genesis of human consciousness out of nature. Notwithstanding its linear development, Hegel’s mature philosophy of nature seems to be exclusively concerned with the principles of the natural sciences. In the Jenaer Systementwrfe, by contrast, this Kantian perspective still seems to be entangled with the Schellingian question concerning the emergence of human consciousness out of nature. For this reason, only the Jena philosophy of nature offers the context that allows us to make sense of this passage, and, hence, of the way in which the early Hegel tried to overcome Kant’s opposition between nature and self-conscious thought. Before addressing the passages devoted to the pivotal transition from nature to spirit, I will briefly examine the philosophy of nature outlined in the Jena System Drafts as a whole. Since my reading of Hegel is primarily motivated by systematic concerns, I will disregard the differences between the several drafts. Given the limits of this article I will neither be able to discuss the role of Schelling’s and Fichte’s in the development of Hegel’s philosophy of nature.9

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GW 6.261. See Kimmerle 1970 for an account of the differences among Hegel’s early system drafts. Kimmerle argues that from 1804 onwards Hegel’s system no longer accounts for the dependence of human consciousness on nature. It is, according to Kimmerle, only by abandoning this view that the system of speculative science can close itself (293). Unfortunately, this view remains rather undeveloped. Moreover, Kimmerle does not seem to account for the contingent causes of these differences. The fact that Hegel from one year to the next focused on a certain part of the system or referred more extensively to the results of the natural sciences, does not, in my view, warrant the conclusion that Hegel’s basic methodical position has undergone a transformation (154). This also holds for Kimmerle’s view that, after 1804, Hegel subordinated the realm of nature to that of spirit (162).

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2. Aether Unlike the Enzyklopdie and Kant’s Kritik der reinen Vernunft, the Jena drafts do not begin with space and time, but with a concept that even precedes the difference between space and time, namely, aether.10 Hegel considers this concept, much discussed in his time, to constitute an appropriate beginning of a speculative philosophy of nature because it lacks all possible determination.11 Completely formless and invisible, it was considered to constitute the ultimate substance of the visible world, that is, the condition of possibility of all processes in which matter acquires form.12 In Hegel’s view, this ultimate element of nature is not opposed to spirit, but constitutes just as much as spirit a mode of the idea as such. Yet aether is a mode of the idea in which the proper nature of the latter – spirit – has in no way begun to manifest itself: Die Idee […] kann nun die absolute Materie oder ther genannt werden. Es erhellt daß diß gleichbedeutend ist mit reinem Geiste, denn diese absolute Materie ist nichts sinnliches sondern der Begriff als reiner Begriff in sich selbst, der als solcher existirend Geist ist.13

The idea can be called ‘absolute matter’ or ‘aether’ insofar as one abstracts from its determination as spirit. Although aether is, in itself, completely undetermined, it is distinguished from the pure concept that enacts itself in the element of thought. Aether is die unbewegte Ruhe, oder das aus dem Andersseyn ewig in sich zurückgekehrte Wesen; die Substanz und Seyn aller Dinge, so wie die unendliche Elasticitt, die jede Form und Bestimmtheit verschmäht und in sich aufgelöst hat, aber ebendarum die absolute Weichheit und Fähigkeit aller Form [ist]. Der Äther durchdringt also nicht Alles, sondern er ist selbst Alles, denn er ist das Seyn.[…] Dieses reine Wesen […] hat den Unterschied als Unterschied in sich getilgt und hintersichgelassen, und ist ihm gegenüber10 Actually, this only holds for the Jenaer Systementwrfe II and III. The latter text deals most extensively with the concept of aether. 11 See Neuser 1995, 135 – 150. From Newton onwards, Neuser points out, many scientists tried to resolve problems concerning, among others, the laws of gravitation and electricity by presupposing an insensible matter called ‘aether’; this ultimate element was considered to affect physical matter (139). 12 In many respects, the concept ‘aether’ is congruous with the concept chora in Plato’s Timaeus (cf. 48e-51a, 52a-c). In his commentary on this text, Schelling refers to this concept with terms such as ‘primordial matter’ and ‘primordial substrate’ (in Krings 1994, 24, 58). See Büttner 1998 on Hegel’s conception of the relation between chora and aether. 13 GW 8.3, cf. GW 7.187 – 192.

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getreten, oder er ist das Ansich, welches sein Werden nicht an ihm als diesem Wesen dargestellt hat; er ist nur die schwangre Materie.14

Clearly, the concept ‘aether’ is to the philosophy of nature what the concept ‘being’ is to speculative logic. Both parts of the system set out from a mode of the concept that is absolutely undetermined and as such constitutes the condition of possibility of any determination. The difference between the parts of the system exclusively hinges on the difference between the elements wherein the concept unfolds its immanent determinations. In order to comprehend the idea of nature one must set out, according to Hegel, from the conceptual determination of nature that has not yet begun to distinguish its contrary moments. The concept ‘aether’ meets this demand in the best possible way.

3. Space and Time The Jena System Draft from 1804/05 dwells most extensively on the development of the concepts ‘space’ and ‘time’ out of the concept ‘aether’.15 Hegel here begins by determining aether itself with regard to the contrary moments constitutive of the concept as such. Already the Jenaer Systementwrfe use the term ‘concept’ to refer to the negativity that underlies every attempt of something to actualize concrete identity, self-dependence, or freedom. This principle consists in the unity of identity and difference, or, to be more precise, of the moments of self-identification and self-differentiation.16 In order to systematically reconstruct the essential determinations of nature, Hegel begins by positing the poorest mode of the concept in the element of externality and subsequently gives it free rein, as it were, to overcome its inherent onesidedness. I would contend, however, that a particular conceptual determination of nature is only impelled to do this insofar as it is submitted to the method of speculative science. This science does not – and cannot – 14 GW 8.3. 15 GW 7.187 – 194, cf. GW 8.3 – 4. 16 According to the Differenzschrift, the concept as such consists in the unity of these two moments: “Das Absolute selbst aber ist darum die Identität der Identität und der Nichtidentität; Entgegensetzen und Einsseyn ist zugleich in ihm.” (GW 4.64) Since, in my view, the term ‘concept’ better expresses the movement in which something distinguishes and identifies its contrary moments, I will avoid references to ‘the absolute’.

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answer the question as to how the various realms of nature or the various species actually might have come about.17 Now Hegel argues that the concept ‘aether’ has not yet differentiated between the moments of identity and difference at all, since it pertains precisely to nature insofar as it is neither distinguished within itself nor from something outside itself.18 The concept ‘aether,’ in other words, refers to a mode of the concept in which the moment of difference or infinite negativity is as yet completely implicit. The movement in which the two moments of the pure concept begin to distinguish themselves first results, Hegel notes, in space and time:19 Die Momente des unmittelbar als wahrhaft unendlich sich aufschliessenden Äthers, sind Raum und Zeit, und die Unendlichkeit selbst ist die Bewegung, und als Totalität, ein System von Sphären und Bewegungen. Zeit und Raum sind der Gegensatz des Unendlichen und des Sichselbstgleichen, [sind] in der Natur als ihrer Idee oder [sind] sie selbst in der Bestimmtheit der absoluten Sichselbstgleichheit.

Thus, space and time constitute the first determinations of nature that exhibit the difference between the moments of identity and difference. Whereas space pertains to (the perception of) self-identical objects, time allows thought to grasp objects as becoming different from what they were. Thus, time is the first determination of nature that manifests the infinite negativity proper to the concept as such. However, since time merely allows thought to determine mechanical movement, it does this in an as yet inadequate way. Hegel comprehends this inadequacy by arguing that both space and time are as yet completely dominated by an abstract mode of identity, that is, by indifference. The moment of identity, characteristic of aether, initially prevails to such an extent that the moment of difference, negativity, or infinity cannot truly manifest itself even in the concept of time. Time, that is, pertains to 17 Hegel remarks with regard to mechanism, that is, nature insofar as it is determined by mechanical relations: “Wir construiren ihn, und in seiner Construction wird er in sein entgegengesetztes übergehen, nemlich aus seiner indifferenten Einheit […] in die differente diesen Gegensatz aufhebende Einheit, Chemismus.” (GW 6.11). 18 Cf. GW 7.193: “Der Äther als diese absolute Einheit des sichselbstgleichen und des unendlichen ist die Einheit beyder als Momente, als abgesonderter, in Absonderung idealer, sichselbstaufhebender, und in sich zurükgekehrter; sie sind als Momente […] an ihnen selbst das Gegenteil ihrer selbst.” 19 GW 7.192 f.

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the endless transition of something into its contrary rather than to the infinite principle of self-determination as such: Die Zeit […] wäre in der That nicht als Totalität, oder sie existirt so nicht als das was der Grund dieser Unendlichkeit [ist]; die nur ist als in sich einfache Unendlichkeit; oder nicht nur das Übergehen in das entgegengesetzte, und aus diesem wieder in das Erste.20

Neither does space testify to the true identity attained in processes of self-actualisation; it merely pertains to the annulment of negativity.21 It might be argued, therefore, that Hegel conceives of space and time as the first determinations of nature in which the contrary moments of the concept begin to undo their initial entanglement. Space and time can only do this, however, by positing their contrary moment over against themselves. Within the realm of the logical idea, the pure concepts ‘being’ and ‘nothing’ completely exclude their contrary moments. Similarly, the concept ‘space’ completely excludes the moment of difference and the concept ‘time’ completely excludes the moment of identity. Thus, both space and time are governed by abstract identity. Since this is also true of the concept ‘aether,’ Hegel goes so far as to identify the immediate manifestation of aether with space.22 According to Hegel, space and time are the first determinations of nature that expose the difference between the moments of identity and difference. Since they have not yet begun to incorporate their contrary moments, they do not testify to the negativity proper to the concept as such. This entails that they are unable to acquire true independence. Unable to maintain their mutual difference, they turn into their contrary as soon as they set out to actualize themselves.23 This process, which occurs only insofar as the concepts of space and time are treated by Hegel’s speculative method, might perhaps best be explained by considering the implications of the concept ‘movement’. When we perceive a particular movement, the spatial starting point of 20 GW 7.196, cf. GW 7.257 – 259. Hegel here refers to the movement in which a future ‘not-now’ turns into a ‘now’ and hence into a past ‘not-now’. 21 Cf. GW 7.197 f.: “Der absolute Raum ist nemlich diese Sichselbstgleichheit, in welcher das negative die Gräntze und ihre Bewegung, wie sie Zeit ist, schlechthin aufgehoben [ist, K.dB.], und der Raum ist diß gesetzte aufgehobenseyn […] Der absolute Raum ist deßwegen als schlechte Unendlichkeit, weil das negative nicht als solches an ihm ist, sondern als ein Jenseits, das verschwunden seyn soll.” 22 GW 8.4. Cf. Plato, Timaeus, 52b. 23 GW 7.193, 197, 203.

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the moving object is immediately transformed into the temporal beginning of a certain span of time. As soon as there is movement, a ‘here’ is transformed into a ‘now’. Or, to put it differently, only insofar as movement occurs does it become possible to determine a ‘here-now’ in either spatial or temporal terms, that is, to distinguish between the temporal and the spatial definition of a specific point. Only this distinction between space and time permits the measurement of speed: [D]as Hier ist wohl das einfache des Punkts, aber ein Punkt, der selbst Raum ist. Diß Hier ist nun ebensowohl Zeit, […] das Hier ist zugleich Itzt, denn es ist der Punkt der Dauer. 24

However, Hegel’s philosophy of nature cannot refer to what actually happens when we perceive movement. Abstracting from this subjective moment in order to comprehend its ultimate condition of possibility, Hegel seeks to conceive of space and time as the first modifications of the pure concept in which the moments of identity and difference are distinguished. Space constitutes a mode of the concept in which the moment of negativity is as yet completely implicit. Time, on the other hand, constitutes a mode of the concept in which this negativity, due to the overall dominance of abstract identity, can merely unfold as spurious infinity.25 Since neither space nor time has established the synthetic unity of identity and difference proper to the concept as such, they are driven to resolve their one-sidedness. Hegel, rather than annulling their difference, resolves their purported independence by letting each of them develop the moment it had till then excluded from itself. Thus, whereas nature itself remains for ever determined by space, the philosophy of nature regards the concept of space as the implicit unity of its contrary moments and hence as the urge to actualize this unity. The concept of space attempts to overcome its one-sidedness by letting the moment of difference unfold into the concept of limit or, more specifically, into the concept of point. By thus positing the point as its immanent determination, space incorporates the moment of difference into itself. Once space has determined itself by means of this first negation, it will set out to negate this its immanent determination as well. It can only enact this second negation, Hegel maintains, by 24 GW 8.15. Thus, the essence of movement consists in being “die unmittelbare Einheit der Zeit und des Raums”; movement “ist die durch den Raum reale, bestehende Zeit, oder der durch die Zeit erst wahrhafft unterschiedne Raum.” (GW 8.18). 25 Cf. GW 7.196.

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negating the indifference proper to space as such. This second negation transforms the spatial point into a point that is absolutely incompatible with a multitude of points outside itself, that is, into an all-exclusive ‘now’.26 Thus, the effort of the concept ‘space’ to annul the predominance of abstract identity entails its transition into the concept ‘time’. By letting a concept such as space develop the unity of its contrary determinations, Hegel can systematically reconstruct the essential moments of nature. Again, I would like to emphasize that this process occurs nowhere else than in the philosophy of nature itself. I argued above that Hegel considers time to be exclusively determined by the moment of difference or negativity. Just as space turns into time by unfolding the moment of difference inherent in it, time turns into space by developing the moment of identity inherent in it. Hegel seems to comprehend this development by conceiving of the past as the temporal dimension in which the absolute unrest proper to time as such has come to a standstill. Time, he argues, is that which out of the determination of infinity has turned into its contrary, namely, the “sichselbstgleiche Gleichgültigkeit” of space.27 It seems to me, however, that it is rather unconvincing to comprehend the transition from time to space by referring to a particular temporal dimension, for the difference between past, present, and future is of no concern to the natural sciences. It is not without reason, I hold, that the Enzyklopdie hardly touches upon these subjective dimensions of time.28 26 If infinity, determined as space, unfolds the totality of its determinations, its negativity occurs as “das ausschliessende, Punkt, oder Gräntze überhaupt” (GW 7.194, cf. GW 7.197 f.). The spatial point, incapable of maintaining itself as the negation of the indifference characteristic of space, immediately goes on to negate this negation; by means of this latter negation it annuls its spatial character as such, thus turning into “das absolute Dieses der Zeit, oder das Jetzt”. Hegel also refers to this “Jetzt” as the “absolut differente Beziehung des einfachen” (GW 7.194). I take this to mean that the ‘now’ can only maintain itself, as limit, by constantly passing into that which it is not. 27 Cf. GW 7.197. 28 Cf. Enz.3 § 259, GW 20.249. Interestingly, the Enzyklopdie considers the transition from space to time as a one-way movement: “Die Negativität, die sich als Punkt auf den Raum bezieht und in ihm ihre Bestimmungen als Linie und Fläche entwickelt, ist aber in der Sphäre des Außersichseyns eben sowohl für sich und ihre Bestimmungen darin aber zugleich als in der Sphäre des Außersichseyns setzend, dabey als gleichgültig gegen das ruhige Nebeneinander erscheinend. So für sich gesetzt ist sie die Zeit.” (§ 257, GW 20.247). Only in Jenaer Systementwrfe II does Hegel conceive of space and time as mutually turn-

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In any event, space and time are what they are by identifying, so to speak, with either the moment of identity or the moment of difference. Just as the logical concepts of being and nothing, they cannot survive their effort at incorporating their contrary moments. Seen from this perspective, time constitutes a mode of the concept in which the absolute negativity proper to the concept as such can only unfold as abstract negativity, that is, as a mode of negativity that does not allow of real differences: Die Zeit ist eben so continuirlich wie der Raum, denn sie ist die abstract sich auf sich beziehende Negativität, und in dieser Abstraction ist noch kein reeller Unterschied.29

This abstract negativity determines the mode of time that constitutes a basic principle of the natural sciences. The distinction between space and time allows thought to determine the speed of movements. At this level, time is reduced to a sequence of indifferent now-moments, that is, to a form that shares in the indifference characteristic of space: Das Moment der absoluten Bewegung, die Zeit als die Unendlichkeit, ist in der Realisation der Bewegung in Punkte auseinanderzerstaübt, welche in den Raum aufgenommen, für sich, gegeneinander gleichgültig sind; es ist das seelenlose Bild der Unendlichkeit.30

Thus conceived, space and time present themselves as the most basic determinations of the objects of the natural sciences. Contrary to Kant, however, Hegel does not take for granted the distinction between space and time, nor that between thought and the forms of intuition. Already in this early Jena draft he rather conceives of space and time as external manifestations of the very principle of self-determination. These most external modes of the concept allow thought to locate objects and to perceive movement, but not to grasp processes of self-determination. ing into their counterpart. Already in Jenaer Systementwrfe III he abandons this symmetry by letting time evolve out of space and hence conceiving of movement as the sublation of space and time (cf. GW 8.10 – 14). This development clearly corresponds to that of being, nothing, and becoming in the Wissenschaft der Logik. 29 Enz.3 § 258 Anm., GW 20.248. 30 GW 7.228. Plato’s Timaeus considers time to be a dynamic representation of eternity, a representation proper to everything that is submitted to change (37d). It might be argued that it is only by means of this comprehensive representation of eternity that thought can acquire access to the sphere of eternal ideas.

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4. Inorganic and Organic Nature The Jena texts devoted to the principles of mechanics, physics, chemistry, and biology are elusive and sometimes hardly comprehensible. In order to outline the basic idea of these sections I will occasionally take recourse, therefore, to corresponding passages from the Enzyklopdie and other texts. According to Hegel, aether, space, and time constitute the most general determinations of the idea of nature. These determinations delimit the realm of nature as such. He further maintains that everything which occurs within this realm is characterized by two contrary movements. Insofar as something is determined by matter, it flees from its ideal centre. Insofar as something is determined by the concept, it is capable of determining itself from within. Thus, whereas matter on the one hand goes against the grain of the concept, it on the other allows processes of self-determination to occur in the element of externality in the first place. It should be noted that matter itself is as much a determination of the concept as aether, space, and time, albeit a determination that has by no means begun to exhibit the proper nature of the concept.31 Inorganic nature, by contrast, already testifies to primitive modes of self-organisation or self-determination. Yet although the form of a crystal, for instance, is not completely determined by external influences, the crystal has not succeeded in actually distinguishing its inner principle from its external form. This means that the centrifugal movement of matter is here as yet prevailing. These contrary movements, which might be called ‘matter’ and ‘form,’ allow Hegel to order all possible objects of the natural sciences with regard to their capacity to resist the indifference proper to matter, that is, to determine themselves from within.

31 Cf. Enz.3 § 262 Anm., GW 20.255: “[D]as Materielle ist eben dies, seinen Mittelpunkt außer sich zu setzen.” Matter as such consists in the unity of attraction and repulsion (cf. ibidem. 254). The relation between these contrary forces is such that repulsion essentially counters the effort of attraction to reach its ultimate center. This is to say that matter is, by itself, incapable of ‘concentrating’ itself (cf. Enz.3 § 262, Zus., Werke 9.62 f. and § 381 Zus., Werke 10.19). According to the Jenaer Systementwrfe I and II, the mode of matter that is proper to individual things is characterized by weight, and constitutes a subordinate moment of absolute matter, that is, of aether.

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In nature itself, Hegel maintains, the principle of self-determination enacts itself exclusively at the level of individual beings.32 Individual plants or animals cannot but reproduce the same species. The natural sciences, however, are not so much concerned with these individual beings as with the laws and principles underlying the various ways in which matter can take on form. Inorganic nature exhibits a number of movements that to some extent annul the indifference of the related elements, such as planetary rotations, magnetism, electricity, and chemical processes. Whereas mechanics pertains to relations between independent elements, physics and chemistry are concerned with related elements that have more or less relinquished their independence. Thus, a chemical element owes its identity exclusively to its relation to all other elements.33 In organic nature, the inner and the outer are but one-sided moments of an encompassing whole. An organism is animated by an inner principle that manifests itself outwardly as the totality of particular functions and characteristics of its species. In this case, the moment of identity is not opposed to the moment of difference, but has incorporated the latter into itself. Hegel therefore maintains that the concept begins to acquire an adequate reality only in the animal.

5. The Animal Hegel discusses the animal in the Jenaer Systementwrfe from 1803/04 and 1805/06. Although the latter text offers the most comprehensive contribution to something like a speculative biology, it hardly addresses the interiorisation of time that occurs in the animal. I will focus, therefore, on the text from 1803/04. In an addition to the text of the Enzyklopdie, Hegel notes that the processes characteristic of the animal find their supreme expression in the perfect animal, that is, in the human organism.34 He maintains, moreover, that the unfolding of these processes in lower species can only be comprehended against the background of this “highest organism.” There is no doubt that Hegel’s early under32 Cf. GW 6.260: “Die Idee des organischen ist daß das Allgemeine und die Totalität Eins sey […] Aber diese Allgemeinheit ist nicht frey für sich, sie ist versenkt in die Einzelnheit, nur die Einzelnheit gegenwärtig.” Cf. also WdL, GW 12.177 and Enz.3 § 249, GW 20.238 f. 33 Cf. GW 6.176 – 180 and GW 6.258 – 9. 34 Cf. Enz.3 § 352 Zus., Werke 9.436.

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standing of the animal also relies on his comprehension of human consciousness. Since this comprehension is, in turn, deeply informed by Kant’s theoretical philosophy, Hegel’s remarks on the animal concur with Kant’s analysis of the pure forms of intuition. In line with Aristotle, Hegel notes that the animal is largely determined by the urge to annul the experience of a deficiency, that is, by desire. The activities meant to achieve satisfaction can be directed to either inorganic nature, plants, or other animals. By breathing, eating, and drinking the animal sustains its individual existence, by mating the existence of the species. Contrary to plants, the animal possesses a faculty of perception. This faculty, Hegel maintains, first establishes the difference between the perceiving animal and that which it perceives: only insofar as an organism is capable of perception does it distinguish itself from what it is not.35 The senses allow the animal, on the one hand, to distinguish itself from its environment, and, on the other, to appropriate things without destroying their independence. According to Hegel, the sense of vision allows the animal to relate to light, space, lines, planes, and movement, and hence to liberate itself from nature to the highest possible extent.36 Yet whether the animal pursues its urges or perceives an object, its impressions of hunger, satisfaction, shapes, colours, or movements follow one another in such a way that the animal cannot turn them into representations. Completely absorbed by its momentary perceptions, the animal cannot disentangle itself from their content.37 35 In additions to the main text of the Enzyklopdie (which are likely to stem from his Jena period) Hegel goes so far as to suggest that a perception such as hunger and that which might serve to satisfy this hunger constitute nothing but two sides of the same coin: “Die Negation meiner selbst, die im Hunger in mir ist, ist zugleich vorhanden als ein Anderes, als ich selbst bin, als ein zu Verzehrendes; mein Tun ist, diesen Gegensatz aufzuheben, indem ich dies Andere mit mir identisch setze.” (Enz.3 § 245 Zus., Werke 9.14) Cf. Enz.3 § 381, Zus., Werke 10.20: “Das Empfindende ist bestimmt, hat einen Inhalt und damit eine Unterscheidung in sich; dieser Unterschied ist […] ein […] in der Einheit des Empfindens aufgehobener; der aufgehobene […] Unterschied ist ein Widerspruch, der dadurch aufgehoben wird, daß der Unterschied sich als Unterschied setzt. Das Tier wird also aus seiner einfachen Beziehung auf sich in den Gegensatz gegen die äußerliche Natur hineingetrieben.” Cf. GW 6.290 f. and Enz.3 § 412, GW 20.421. 36 Cf. GW 6.236. 37 Evidently, Hegel’s construction of the way in which the animal relates to its environment presupposes a strict limit between animals and human beings;

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Now Hegel goes on to argue that the movement in which the concept distinguishes its contrary moments in order to establish their unity occurs in the animal in a particular way, namely, as time. The sense of vision in particular testifies to “dem absoluten Begriffe in seiner Abstraction als Zeit”38. In the animal, the absolute movement of the concept begins sich selbst ideell zu werden, und in die Momente ihres Begriffes sich zu zerlegen; sie [i.e., the movement of the concept] existirt im Thiere als Zeit.39

In order to comprehend the animal as the missing link, so to speak, between nature and spirit, Hegel reverts to his earlier conception of space and time as the forms of externality constitutive of the idea of nature as such. I have argued that Hegel’s conception of space and time differs from Kant’s only to the extent that it abstracts from Kant’s subjective determination of these forms. In the context of his analysis of the animal, however, Hegel follows Kant by conceiving of space and time as the subjective conditions of possibility of experience. I take Hegel to mean that the perceiving animal is not directed towards a ‘point’ outside itself, but rather constitutes itself a point that is constantly determined anew. Feeling hungry, the animal coincides with the hunger it feels; becoming aware of something edible, it is completely absorbed by that which it smells, sees, or hears; eating, it coincides with the momentary pleasure of eating. Thus, the animal relates to the content of its perceptions in such a way that this content is immediately annulled by the subsequent one. Only the faculty of perception itself does not change: [D]as Thier ist dieser aufhebende, in sich als bestimmtes verfliessende und in seinem verfliessen sich selbst gleich bleibende Punkt.40

In the perceiving animal, Hegel suggests, the pure concept enacts itself as an ideal, self-identical point of which each momentary determination is immediately annulled by the subsequent one. Insofar as the faculty of perception is at each moment determined differently, it constantly dishe does not refer to the fact that many animals recognize recurring patterns, communicate with their likes and take part in structured communities. Since these and similar activities would be impossible without a certain capacity of memory and representation, the line between animals and human beings is far less easier to draw than Hegel contends. 38 GW 6.236. 39 GW 6.242. 40 GW 6.242.

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tinguishes itself from itself, and insofar as it constantly annuls its actual determination, it constantly coincides with itself. Since this is, according to Hegel, precisely the movement we call time, he can maintain that the concept enacts itself as time for the first time in the animal. Distinguished from the rest of nature by its capacity to perceive, the animal is, essentially, nothing but the infinite sequence of momentary determinations that we call time. Contrary to inorganic beings and plants, the animal is not merely submitted to actual changes, but is capable of enacting these changes at an ideal level. Since the ideal, self-identical ‘point’ that underlies its perceptions is not situated in space and time itself, the changes that occur within the faculty of perception are of a completely different nature than the corporeal changes the animal undergoes as well.41 It might be argued, however, that the moments of identity and difference such as they occur in animal perception are as yet completely dominated by the moment of difference. In the animal, the faculty of perception cannot yet withdraw from its successive perceptions. In a marginal note related to the passage quoted above, Hegel remarks that the animal “is not master of time”42. The animal is constantly carried away by the stream of its successive perceptions, unable to transform them into true representations. It can determine its proper position, move itself, express itself by means of sounds, but it cannot, in Hegel’s view, distinguish itself from time:43 Der ganze Organismus versucht zum theoretischen Processe, zum für sichseyn des Allgemeinen zu werden; aber der absolute Begriff existirt nur als die organische Gegliederung des Thiers, und er selbst kann sich nicht hieraus in jene sich isolirende Allgemeinheit erheben, und absolut eins mit ihr, selbst so einfach werden. [D]as Thier ist die Zeit, […] in der seine Empfindungen selbst als einzelne vorübergehen; die Allgemeinheit ist nur in Form der Nothwendigkeit die Unendlichkeit nur die Verborgene Einheit ihrer Gegensätze. 41 Cf. ibidem: “[I]m Thiere fängt diese Bewegung an, sich selbst ideell zu werden.” Cf. Enz.3 § 357, Zus. 2, Werke 9.464: “Das Selbst des Organismus […] hat das Sein als ein Aufgehobenes an ihm. Hierdurch ist der Organismus in die reine Idealität erhoben, die vollkommen durchsichtige Allgemeinheit ist; er ist Raum und Zeit, und zugleich nicht räumlich oder zeitlich: es schaut etwas an, das räumlich und zeitlich ist, d. h. das von ihm unterschieden, ein Anderes, und [das] es unmittelbar nicht ist.” 42 GW 6.242. 43 GW 6.259 f. and 261.

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In the animal, the concept merely occurs as the unfolding of its animating principle into a totality of mutually dependent corporal moments. Insofar as the animal is capable of perceiving, it relates to the unchanging ‘point’ underlying its subsequent perceptions, a point that has traditionally be called its soul. Yet since the animal is solely directed to the content of its subsequent perceptions, the animal is incapable of relating to this point itself.44 The animal ‘is’ its hunger, its food, its satiety, its hunger. Its faculty of perception constantly coincides with a particular perception, while it also immediately negates this its particular determination. This spurious negativity does not allow the animal to identify with its animating principle, but lets the subsequent determinations of its faculty of perception constantly turn into their contrary. Thus, hunger turns into satiety, satiety into hunger, desire into satisfaction, satisfaction into desire, fear into rest, rest into fear. This means that a particular perception is not so much opposed to the general faculty of perception itself as to a contrary perception. The ideality of this faculty, Hegel notes, occurs merely as die andre Seite des Gegensatzes; das Allgemeine [ist, K.dB.] nur ein Übergehen zu andern; diß Aufgehobenseyn des einzelnen durch das entgegengesetzte […] sind zwey Thätigkeiten zwey Empfindungen.45

Hegel here suggests that the animal cannot recognize its hunger and its satiety as two opposed determinations of its faculty of perception.46 Insofar as the concept occurs as the animal’s faculty of perception, it cannot establish itself as the unity of its contrary determinations, but only as the endless sequence of contrary perceptions that is called time. Only insofar as the animal succeeds in relating its contrary perceptions to their underlying identity does it turn its faculty of perception into consciousness. In this case, the animal truly enacts the movement proper to the concept as such. This movement is equally enacted by the content which the animal had posited over against itself: [D]aß das empfundene Blau unmittelbar aufhört, diß Blau zu seyn, und das Gegentheil seiner selbst die übrigen ihm entgegengesetzten Farben, die 44 Cf. WdL, GW 12.177. 45 GW 6.261. 46 Cf. Enz.3 § 381, Zus., Werke 10.25: “[D]as Tier […] stellt nur die geistlose Dialektik des Übergehens von einer einzelnen, seine ganze Seele ausfüllenden Empfindung zu einer anderen, ebenso ausschließlich in ihm herrschenden einzelnen Empfindung dar; erst der Mensch erhebt sich über die Einzelheit der Empfindung zur Allgemeinheit des Gedankens.”

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Einheit alles übrigen ihm in seiner Potenz entgegengesetzten [wird, K.dB.], daß es unmittelbar Farbe wird, diß erhebt die Empfindung über sich selbst; sie ist in Bewußtseyn übergegangen, und das Thier wird vernünftig.47

When the animal is no longer completely absorbed in its subsequent perceptions, but directs itself to what they have in common, it will no longer experience itself as its successive hunger and satiety, but rather as the general faculty of perception underlying these contrary determinations, that is, as ‘ego’. The absolute essence of the animal is the absolute unity of self-identification and self-differentiation. The animal itself, however, is unable to actualize this its essential principle. Just as logical concepts are unable to actualize the unity of their contrary determinations without turning into a less one-sided concept, the animal cannot actualize its essential principle without turning into human consciousness.

6. Human Consciousness In human consciousness, the concept enacts itself in such a way that the faculty of perception no longer constitutes an abstract point that owes its determination exclusively to the stream of successive impressions. As soon as the faculty of perception withdraws, as it were, from these impressions, a difference emerges between the faculty of perception itself and the general form in which these perceptions occur, that is, between the ego and space and time. Consciousness, Hegel notes, muß eine Existenz erhalten, […] oder das so in der Anschauung auf die formale Weise unterschiedene als ein äusserliches setzen, an der die beyden entgegengesetzten das anschauende und angeschaute sich abscheiden und das Bewußtseyn als eine existirende Mitte ist.48

The difference between the intuiting subject and the intuited forms of externality opens up the space wherein actual perceptions can be transformed into representations, and representations into thoughts. Contracting into a self-identical ego, the faculty of perception divides off the abstract modes of identity and difference from itself and posits them over against itself. Thus untangling the moments of identity and difference proper to the concept as such, it transforms these moments into the forms of intuition that underlie all perceptions. 47 GW 6.262. 48 GW 6.286. Cf. Enz.3 § 448, GW 20.444.

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In Hegel’s view, this self-identification of consciousness evolves from the initial entanglement of ego and time that defines the animal faculty of perception. The animal faculty of perception is a mode of the concept that, as such, contains the moments of identity and difference. In order to actualize their concrete identity, these moments must undo their initial entanglement. The conceptual moment of identity turns into consciousness by contracting, as it were, into self-identity and positing the conceptual moment of difference over against itself, thus determining this moment as time. At the same time, it also posits the abstract mode of identity over against itself, a mode which is thus determined as space: Die Zeit ist der reine Begriff – das angeschaute leere Selbst in seiner Bewegung, wie der Raum in seiner Ruhe.49

Consciousness, withdrawing from its immediate perceptions, directs itself to objects that it perceives as occurring in space and time. It does not realize, however, that space and time constitute the forms of intuition it had to divide off from itself in order to constitute itself as a ‘self’ in the first place. The general element of space and time allows consciousness to withdraw from its immediate perceptions (now-hunger, now-satisfied, now-hunger) so as to appropriate their content.50 If the irreversible sequence of perceptions no longer determines the content of its thoughts, this faculty itself is transformed into the faculty of representation or imagination. This faculty allows consciousness to invoke representations without being completely dependent on the temporal order of its impressions. In consciousness, Hegel notes, is die Bestimmtheit der Empfindung das dieses, der Zeit und des Raumes getilgt, und ihre Succession und Koordination erscheint als eine freye, sie ist ganz gleichgültig für das allgemeine Element.51 [Der Geist ist] wie das Thier, die Zeit, […] und ebenso Freyheit der Zeit; diß reine Subject, das frey ist von seinem Inhalt; aber auch über diesen Herr. 52 49 50 51 52

GW 8.287. Cf. GW 6.283. GW 6.285. GW 8.186. Cf. Enz.3 § 376 Zus., Werke 9.538: “Die Idee existiert hiermit in dem selbständigen Subjekte, für welches, als Organ des Begriffs, alles ideell und flüssig ist; d. h. es denkt, macht alles Räumliche und Zeitliche zu dem Seinigen, hat so in ihm die Allgemeinheit, d. h. sich selbst.”

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The mode of consciousness to which Hegel here refers is empirical imagination (empirische Einbildungskraft).53 Clearly, the forms of intuition alone do not suffice to let consciousness acquire a truly human mode of thought. Taken in isolation, they merely yield “ein leeres, wahrheitsloses, wachendes, oder schlaffendes Traümen”54. The mode of consciousness that is completely absorbed in the element of externality is incapable of bringing home the content of its representations. In order to incorporate these contents into the infinite space of ideality, consciousness must be able to identify them by means of language: In Namen ist erst eigentlich das Anschauen, das Thierische, und Zeit und Raum, überwunden.55 [I]n dem Nahmen realisirt sich das ideellsetzen der empirischen Anschauung, der Nahmen ist aber selbst noch eine einzelne Idealität; die negative Einheit des Bewußtseyns muß sie [ebenso] aufeinander beziehen […] und in dieser Beziehung die Einzelnheit ihres Innhalts aufheben, und sie als bezogene zu Verstandesbegriffen fixiren.56

In order to incorporate the contents of its representations into the infinite space of ideality, consciousness must be in the possession of language. In order to determine the contents of given representations in an objective manner, moreover, this language must rely on pure concepts. Evidently, this part of the story cannot be told within the limits of a philosophy of nature, for it is at this point that the realm of spirit begins. Even though, as the early Hegel points out, this realm emerges out of nature, spirit can only establish itself as such by overcoming – and concealing – this its natural genesis.

7. Conclusion I have argued that Hegel’s early philosophy of nature seeks to bridge the gap between nature and spirit by locating the emergence of the subjective forms of externality – space and time – in the animal. As we have seen, these early texts offer two complementary accounts of time, both of which implicitly draw on Kant’s transcendental conception of space and time. On the one hand, Hegel follows Kant by treating space and 53 54 55 56

GW GW GW GW

6.284, Hegel’s emphasis omitted. 6.285, Hegel’s emphasis omitted. 8.190. 6.290.

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time as conditions of possibility of experience and scientific knowledge. Contrary to Kant, however, Hegel does not accept the opposition between thought and intuition, but rather seeks to comprehend their common root. For this reason, he conceives of space and time as abstract, one-sided determinations of the concept as such. On the other hand, Hegel follows Kant by locating the conditions of possibility of experience and scientific knowledge in self-conscious subjectivity. Yet he departs from Kant by comprehending human consciousness itself as emerging from nature, more precisely, from the temporality proper to the animal’s faculty of perception. Only Hegel’s Jena philosophy of nature makes it clear, in my view, that the concepts which allow thought to turn the contents of its representations into objects of knowledge develop nowhere else than in actual human beings. These pure concepts constitute the content of the Logik. Although the Logik necessarily abstracts from their actual genesis, this work implicitly assumes that the very realm of pure thought first establishes itself when the concept, positing space and time over against itself, allows human consciousness to liberate itself from the element of nature. Thus, the fact that Hegel’s system, for good reasons, begins with the Logik, should clearly be distinguished from the fact that the sphere of pure thought that is reconstructed in this work actually presupposes the sphere of nature.57 Abstract terms such as ‘naturalism’ or ‘idealism’ do not suffice, therefore, to make sense of Hegel’s position. If later works such as the Logik and the Enzyklopdie not so much abandon as presuppose this view on the emergence of ideality, as I believe they do, then these early drafts not only shed new light on the relation between Hegel’s philosophies of nature and spirit, but also on the relation between the Wissenschaft der Logik and the Realphilosophie.

57 In his contribution to this volume, Kenneth Westphal contends as well that the Wissenschaft der Logik does not consist in a purely a priori deduction of pure concepts. In his view, the Logik presupposes the philosophy of nature and, hence, the results of the sciences themselves. Whereas I agree that the Logik should be read as an investigation into such concepts and principles as actually ground the natural sciences, I hold that the reconstruction of these concepts elaborated in the Logic draws from the history of philosophy rather than from the results achieved in the sciences themselves. See on this De Boer 2004.

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References Boer, Karin de (2004), “The Dissolving Force of the Concept: Hegel’s Ontological Logic”, in: The Review of Metaphysics, vol. 57/4, 2004, 787 – 822. Büttner, Stefan (1998), “Von der ‘Khora’ zum ‘Äther’. Rezeption und Transformation des platonischen Khorakonzepts in Hegels Jenenser Naturphilosophie”, in: Klaus Vieweg (Hrsg.), Hegel’s Jenaer Naturphilosophie, München: Wilhelm Fink Verlag, 107 – 127. Horstmann, Rolf-Peter (1977), „Jenaer Systemkonzeptionen“, in: O. Pöggeler (Hrsg.), Hegel: Einfhrung in seine Philosophie, Freiburg/Br.-München: Karl Alber Verlag, 43 – 58. Kimmerle, Heinz (1970), Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens, HegelStudien Beiheft 8, Bonn. Krings, Hermann, „Genesis und Materie – Zur Bedeutung der ‘Timaeus’Handschrift für Schellings Naturphilosophie“, in: H. Büchner (Hrsg.), F.W.J. Schelling, Timaeus, (Sellingiana Bd. 4), Stuttgart- Bad Cannstatt: frommann-holzboog, 117 – 127. Neuser, Wolfgang (1995), Natur und Begriff. Zur Theorienkonstitution und Begriffsgeschichte von Newton bis Hegel, Stuttgart/Weimar: Verlag J.B. Metzler. Onnasch, Ernst-Otto (1998), „Subjekt-Objekt, subjektiv-objektiv, IV. Gegner und Anhänger Kants; Deutscher Idealismus; Kritiker”, in: Historisches Wçrterbuch der Philosophie, hrsg. von Ritter, Joachim und Gründer, Karlfried, Bd. 10, Basel, 413 – 425. Pinkard, Terry (2000), Hegel: A Biography, Cambridge: Cambridge University Press. Stone, Alison (2005), Petrified Intelligence: Nature in Hegel’s Philosophy, Albany: SUNY Press. Vieweg, Klaus (Hg.) (1998), Hegel’s Jenaer Naturphilosophie, München: Wilhelm Fink Verlag.

Liste der Autoren Hein van den Berg is PhD-student at the Vrije Universiteit Amsterdam, Faculty of Philosophy, De Boelelaan 1105, 1081 HV Amsterdam. Karin de Boer teaches philosophy at the University of Groningen (The Netherlands). She is the author of Thinking in the Light of Time: Heidegger’s Encounter with Hegel (2000) and of numerous articles on Hegel, Heidegger, and Derrida. Her current research focuses on Hegel’s Science of Logic and his views on negativity and tragedy. Rijksuniversiteit Groningen, Faculteit Wijsbegeerte, Oude Boteringestraat 52, 9712 GL Groningen, The Netherlands. Email: [email protected]. Horst-Heino von Borzeszkowski, 1958 – 1963 study of physics at the Humboldt University Berlin; 1967 Dissertation (Dr. rer. nat.), 1973 Habilitation (Dr. sc. nat.) with works on general relativity theory; 1986 appointed professor of theoretical physics; 1963 – 1993 member of the scientific staffs of institutes of the Academy of Sciences in Berlin and Potsdam; since 1994 researcher and lecturer at the Technical University Berlin. Research fields: Relativity theory, cosmology, epistemological questions of natural sciences, history of physics. TU Berlin, Institut für Theoretische Physik, Hardenbergstrasse 36, D-10623 Berlin. Email: [email protected]. Tobias Cheung ist seit Januar 2008 Heisenberg-Stipendiat. Seine transdisziplinären und transkulturellen Forschungsschwerpunkte zur Kultur- und Wissensgeschichte der Lebenswissenschaften, der Philosophie, der Anthropologie und der Architektur sind am Kulturwissenschaftlichen Seminar der Humboldt-Universität zu Berlin loziert. Zu seinen Veröffentlichungen zählt unter anderem die Monographie Res vivens. Regulatorische Theorien und Agentenmodelle organischer Ordnung 1600 – 1800 (2008). Privatdozent Dr. habil. Tobias Cheung, Institut für Kulturwissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin, Sophienstr. 22a, 10178 Berlin, Email: [email protected] Steffen Dietzsch, PhD, is Professor of Philosophy at Humboldt University Berlin; 1975 – 1990 Depart. of Philosophical Editions at Acade-

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my of Sciences, Berlin; since 1991 Lecturer and Associate Professor at Marburg, Hagen and Leipzig; 2001/2002 Fellow-in-residence at ‘Kolleg Friedrich Nietzsche’, Weimar. Humboldt Universität Berlin, Institut für Philosophie, Unter den Linden 6, 10099 Berlin. E-mail: [email protected]. Jeffrey Edwards is an associate professor of philosophy at the State University of New York at Stony Brook. He is the author of Substance, Force, and the Possibility of Knowledge: On Kant’s Philosophy of Material Nature (University of California Press). Although his current research concentrates mainly on ethics and the history of modern moral philosophy, he still keeps up with recent developments on Kant’s natural philosophy and the history of science. State University of New York at Stony Brook, Department of Philosophy. New York 11794 – 3750. E-mail: [email protected]. Gian Franco Frigo is professor of History of Philosophy at the Facoltà di Lettere e Filosofia, Università di Padova. His research has focused on the following topics: The origin and development of the conception of nature in Classical German Philosophy, with particular reference to the positions of Goethe, Schelling, Hegel, of the Naturphilosophen (Oken, Schubert, Carus), and their relations with the sciences of their time. Università di Padova, Dipartimento di Filosofia Piazza Capitaniato, 3 35139 Padova. E-mail: [email protected]. Bernhard Fritscher ist Professor für Geschichte der Naturwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Er hat zahlreiche Arbeiten zur Kulturgeschichte und Philosophie der Erdwissenschaften veröffentlicht und arbeitet derzeit an einem Projekt zur politischen Geschichte der Geologie im 19. Jahrhundert. Ludwig-Maximilians-Universität in München, Lehrstuhl für Geschichte der Naturwissenschaften, Museumsinsel 1, 80538 München. Email: [email protected]. Karen Gloy war Ordinaria für Philosophie und Geistesgeschichte an der Universität Luzern (Schweiz) und ist heute noch ständige Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien und München. Sie befaßt sich seit längerem mit interkulturellem Vergleich bezüglich Raum, Zeit, Rationalität und Wissenschaftlichkeit. Email: [email protected].

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Hans Werner Ingensiep studied philosophy and biology at the university of Bonn and is Professor for Philosophy at the University of Duisburg-Essen. He published about hundred contributions in the field of biophilosophy, bioethics and the history of ideas e. g. “Geschichte der Pflanzenseele” Kröner, Stuttgart 2001. Concerning Kant he is coeditor (together with Heike Baranzke and Anne Eusterschulte) of the book: “Kant Reader Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen?” Königshausen & Neumann, Würzburg 2004. Universität Duisburg-Essen, FB 1 Philosophie, Universitätsstr. 12, D-45117 Essen. Email: [email protected]. Ilmari Jauhiainen is PhD-student at the University of Helsinki, Dpt. of Philosophy. He is currently working on a thesis investigating the relationship between Hegel’s logic and philosophy of nature. Email: [email protected]. Vesa Oittinen is Professor for Russian philosophy and history of ideas at the Alexander-Institut, University of Helsinki, and Docent fort he History of Philosophy at the University of Tampere. University of Helsinki, Aleksanteri Institute, P.O.Box 42, Helsinki. Email: [email protected]. Ernst-Otto Onnasch conducts the research project (nwo-vidi grant for innovative research) “The Quest for the System in the Transcendental Philosophy of Immanuel Kant”, subsidized by the Netherlands Organisation of Scientific Research (nwo). He is assistant professor for the history of modern philosophy at the University Utrecht and has published widely on Classical German Philosophy (Kant, Reinhold, Fichte, Schelling and Hegel). Universiteit Utrecht, Department of Philosophy (Faculty of Humanities), PO box 80126, NL-3508 TC Utrecht. Email: [email protected]. Klaus J. Schmidt is Professor at the Institute of Philosophy of the Ruhr-Universität Bochum. He studied Philosophy and Mathematics in Cologne. Dissertation on Hegel’s Philosophy of Religion. Habilitation on Aristotle’s Modal Logic. Books: G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik – Die Lehre vom Wesen 1997; Die modale Syllogistik des Aristoteles 2000. Ruhr-Universität Bochum, Institut für Philosophie GA 3/162. E-Mail: [email protected]

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Lu De Vos teaches philosophy at the Hoger Instituut voor Filosofie at the Catholic University Leuven (Belgium). He has published on subjectivity and truth in the whole of German Idealism (Kant, Jacobi, Fichte, Schelling and Hegel) and is co-editor of the Hegel-Lexikon (Darmstadt, 2006). University Leuven, Hoger Instituut voor Wijsbegeerte, Kardinaal Mercierplein 2, 3000 Leuven. E-mail: [email protected]. Renate Wahsner studied philosophy (as subsidiary subject of physics and mathematics) at the Humboldt University Berlin; doctoral thesis on the philosophical reception of natural science and the systematical relationship between philosophy and natural science; university lecturing qualification in the same area; since 1987 professorship for history of science; since 1995 employed and respectively, visiting fellow at the Max Planck Institute for the History of Science.Main topics of research: History of philosophy in connection with history of science; systematical relation between philosophy and natural science; epistemological fundamentals and problems of physics; German idealism; classical natural philosophy, especially Kant’s and Hegel’s. Max Planck Institute for the History of Science, Boltzmannstraße 22, 14195 Berlin. E-mail: [email protected]. Kenneth R. Westphal is Professor of Philosophy at the University of Kent, Canterbury, and Professorial Fellow at the University of East Anglia. He has published widely on theoretical and on practical philosophy, both historical and contemporary, focusing mainly on Kant and Hegel and also on pragmatism. His books include Hegel’s Epistemological Realism (1989), Hegel, Hume und die Identitt wahrnehmbarer Dinge (1998), Kant’s Transcendental Proof of Realism (2004) and Hegel’s Epistemology: A Philosophical Introduction to Hegel’s Phenomenology of Spirit (2003). He is editor of Pragmatism, Reason, and Norms: A Realistic Assessment (1998) and of The Blackwell Guide to Hegel’s Phenomenology (2009). He is completing two books, tenatively titled ‘Hegel’s Critique of Cognitive Judgment: From Naïve Realism to Understanding’ and ‘Normative Justification, Natural Law, and Kantian Constructivsm in Hegel’s Philosophy of Right’. University of Kent, Canterbury, Kent CT2 7NF. E-mail: [email protected]. Paul Ziche studied philosophy, physics and philosophy in Munich and Oxford; his Ph.D.-dissertation dealt with mathematical and scientific models in the philosophy of Schelling and Hegel. After working as an

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assistant professor at the Institute for the History of Medicine, Science and Technology of Jena University (1996 – 2000), then as a co-editor of the works of Schelling at the Bavarian Academy of Sciences and Humanities at Munich and as a Privatdozent at Munich University (2001 – 2007), he now holds a chair for the history of modern philosophy at Utrecht University. Universiteit Utrecht, Department of Philosophy (Faculty of Humanities), PO box 80126, NL-3508 TC Utrecht. Email: [email protected].

Personenregister Adickes, Erich 9, 52, 81, 88, 90, 266, 321f., 325f., 330, 334, 343, 359f., 412, 419 Akerma, Karim 79, 107, 110 Allison, Henry 156, 334, 340 Aman, Karl 275 Anderson, Lorin 27 Aristoteles 51f., 64, 95, 102-104, 171, 366, 449 Arnauld, Antoine 60 Arnim, Achim von 275f. Arnoldt, Emil 242, 246 Audretsch, Jürgen 215 Augustin, Friedrich Ludwig 328 Averroes 95 Avicenna 95 Baader, Franz von 279 Bacon, Francis 191f. Baglivi, Giorgio 38 Baranzke, Heike 102 Bartels, Klaus 172 Bartuschat, Wolfgang 81, 161 Bauhin, Caspar 75f. Baum, Manfred 163 Beck, Jacob Sigismund 319, 338, 422 Beiser, Frederick C. 128, 129, 364 Benedikt, Heinrich E. 45 Bergman, Torbern 246 Berkeley, George 333 Bernouli, Johann 372 Bertuch, Friedrich J. 279 Beutel, Albrecht 343 Blarat, Ratra 431 Blühm, Katharina 265 Blumenbach, Johann Friedrich 17f., 24f., 28f., 44, 81, 83, 84, 95, 96, 97, 98, 104, 106, 116-123, 128, 130, 132-134

Boer, Karin de 456 Bondeli, Martin 290 Bonnet, Charles 25-31, 33-36, 3846, 94, 127 Bonsiepen, Wolfgang 9, 322 Borelli, Gian Alfonso 38, 120 Borges, Jorge Luis 67 Borowski, Ludwig Ernst 308, 311 Borzeszkowski, Horst-Heino von 167-170, 172f., 177, 179, 182, 204, 209, 211 Brandt, Reinhard 242, 246, 255, 330 Brentano, Clemens 280 Buchdahl, Gerd 30 Büttner, Stefan 440 Buffon, Georg Louis Leclerc 27, 34, 42, 53 Buscaglia, Mario 31 Butts, Robert E. 9, 30 Caesalpino, Andrea 61 Caneva, Kenneth 115 Cantor, Georg 393 Carrier, Martin 412 Cassirer, Ernst 51f., 55, 57f., 62, 81, 161f., 168, 172, 181, 184, 209 Cheung, Tobias 19, 25-27, 30, 93f. Cohen, Hermann 161f., 211 Compton, Arthur 215f. Copernicus, Nicolaus 190, 195, 197 Cronstedt, Axel Fredrik 246 Crusius, Christian August 87, 88, 110 Csech, Werner 278 Cudworth, Ralph 335 Cuvier, Georges 283 Darwin, Charles Robert 81, 106 Dawson, Virginia P. 30 Debru, Claude 25, 81, 90

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Personenregister

Descartes, René 60, 68, 81, 93, 102, 162, 332, 367 Detlefsen, Karen 33 Dietzsch, Steffen 324, 328 Dijksterhuis, Eduard Jan 172 Dingler, Hugo 196 Driesch, Hans 81 Düsing, Klaus 30, 81, 145, 162, 165, 168, 358 Duhamel du Monceau, Henri Louis 25, 27, 42-46, 94 Durner, Manfred 312 Edwards, B. Jeffrey 131, 243, 307, 330, 332, 334, 340, 367, 376, 412, 419, 427f., 430f. Effingham, Nikk 431 Ehlers, Jürgen 215 Eilardus, Christoph 267 Einstein, Albert 203f., 213-216 Eisler, Rudolf 82 Emerton, Norma E. 243 Emundts, Dina 243, 252, 255 Engels, Eve-Marie 83 Engfer, Hans-Jürgen 60 Erdmann, Benno 308 Euklid 209, 211, 214f., 217 Evans, Gareth 373 Evelyn, John 42 Ewers, Michael 32 Faraday, Michael 284 Feder, Johann Georg Heinrich 333 Fellin, Renato 309 Ferrari, Jean 27 Ferrini, Cinzia 242, 257, 372 Fichte, Johann Gottlieb 3f., 155, 270, 277, 309, 319-321, 324-326, 349f., 358, 436, 439 Flach, Werner 18 Förster, Eckart 131, 287, 307f., 322, 326, 330, 345 Forster, Georg 54 Foucault, Michel 268 Frängsmyr, Tore 63f. Frank, Manfred 89 Frercks, Jan 243

Friedman, Michael 9, 131, 308, 312, 346 Fritscher, Bernhard 245, 247, 255, 257, 259 Fuchs, Johann Nepomuk 245 Fülleborn, Georg Gustav 272 Fulda, Hans-Friedrich 61f. Galilei, Galileo 171, 190, 210 Galison, Peter 239 Galvani, Luigi 274-276 Garve, Christian 6, 269, 281, 333 Gauß, Carl Friedrich 212 Gayon, Jean 34 Gehler, Johann Samuel Traugott 248f. Genova, A.C. 81 Girtanner, Christoph 81, 117 Gmelin, Johannes Friedrich 94 Goethe, Johann Wolfgang 283 Gräf, Johann Christoph 319 Grew, Nehemiah 43 Guyer, Paul 132, 332, 340 Hales, Stephen 43, 94 Haller, Albrecht von 27, 40, 94, 117f. 126 Hamann, Johann Georg 272, 335 Hammarsköld, Lorenzo 63 Hardenberg, Karl F. 278 Harding, Marius Christian 282 Harrington, Anne 240 Härtl, Heinz 280 Harvey, William 126 Haüy, René-Just 244f., 248, 252 Hecht, Hartmut 325 Hegel, Georg Friedrich Wilhelm 3, 5-8, 81, 97, 142, 154-159, 169, 174, 176, 182, 184, 222f., 236239, 256, 281, 283, 311, 357-380, 385-409, 411-432, 435-456 Heidegger, Martin 162, 192, 198 Heidemann, Ingeborg 234 Heimsoeth, Heinz 80, 106, 138 Heller, Eberhard 338 Helmholtz, Hermann 212 Heman, Friedrich 321 Henrich, Dieter 2f.

Personenregister

Herder, Johann Gottfried 15f., 116, 124-128, 131, 320, 345, 370 Hildebrandt, Georg Friedrich 315f. Hinske, Norbert 268 Holz, Harald 325 Hooykaas, Reijer 171f., 243 Hoppe, Hangeorg 295, 346 Horstmann, Rolf-Peter 435 Houlgate, Stephen 378, 435 Humboldt, Alexander von 117, 276, 279 Hume, David 83, 88, 103, 179, 198 Husserl, Edmund 75, 88, 268 Huterer, Dragan 431 Ingensiep, Hans Werner 26, 79, 81, 83-87, 89f., 93-95, 98f., 101f., 106, 110 Jachmann, Johann Benjamin 246 Jacobi, Friedrich Heinrich 303, 323, 335, 345 Jahn, Ilse 30 Jäsche, Gottlieb Benjamin 318-320 Jones, Rachel 242 Jürß, Fritz 170 Kant, Immanuel passim Kastner, Wilhelm 282 Kepler, Johannes 171, 190, 237 Kielmeyer, Carl Friedrich 117, 123 Kiesewetter, Johann Gottfried Carl Christian 5, 428 Kimmerle, Heinz 439 Klemme, Heiner 271 Klinckowstroem, Graf Carl von 283 Kliner, Stefan 265 Köchy, Kristian 86 Krafft, Fritz 170-172 Kraus, Christian Jacob 319 Krause, Albrecht 260 Krings, Hermann 436 Kühn, Manfred 307 Kuhn, Thomas S. 85 Kuhn, Thomas S. 85, 201 La Mettrie, Julien Offray de 94 LaGrange, Joseph-Louis 372

467

Lambert, Johann Heinrich 32f. Larson, James L. 120, 121, 54-56 Lasswitz, Kurd 168, 172 Leeuwenhoek, Antoni van 38 LeGrand, Antoine 94 Lehmann, Gerhard 312 Leiber, Theodor 260 Leibniz, Gottfried Wilhelm 27, 51, 62, 83, 86-88, 103, 156, 162, 211, 278, 325, 431 Lenoir, Timothy 16, 26, 81, 83, 87, 96, 100, 115, 117f., 128 Lichtenberg, Georg Christoph 330f., 333, 342-345, 357, 359 Link, Heinrich Friedrich 117 Linné (Linnaeus), Carl von 51-76, 94f. Löbl, Rudolf 172 Locke, John 35, 81, 83, 103, 369 Look, Brandon 26 Lorenzen, Paul 196, 298 Lovejoy, Arthur 67 Löw, Reinhard 32, 81, 99, 101f. Lupin, Friedrich von 246 Magnus, Albertus 95 Maimon, Salomon 322 Malebranche, Nicolas 33, 36, 46, 334 Malmeström, Elias 67 Malpighi, Marcello 38, 43 Marc-Wogau, Konrad 165 Markert, Michael 243 Marx, Jacques 27, 33 Mason, Richard 332, 340 Mathieu, Vittorio 312, 346 Mauskopf, Seymour H. 243 Mautner, Franz H. 343 McDowell, John 361 Anm. McFarland, John D. 81 McLaughlin, Peter 26, 30f., 70, 81, 164-167 Mecklenburg, Gerd 265 Meiners, Christoph 335 Mellin, Georg Samuel Albert 4, 82, 87, 334 Mendelssohn, Moses 274, 335

468

Personenregister

Menzer, Paul 81 Minkowski, Hermann 215 Mitscherlich, Eilhard 245 Mosheim, Johannes Laurentius 335 Müller, Gerhard H. 28 Müller-Bergen, Anna-Lena 311 Müller-Strahl, Gerhard 255 Nagel, Ernest 227 Neuser, Wolfgang 440 Newton, Isaac 18, 29, 60, 84, 86, 90, 94, 100-103, 106, 163, 167, 169, 171, 174, 182-184, 203-206, 208-211, 215-217, 325, 331, 372, 431, 440 Nicole, Jean 60 Nicolson, Iain 431 Noë, Alva 269 Novalis (Hardenberg, Friedrich von) 266, 270f., 275, 277 Obermeier, Otto-Peter 18 Onnasch, Ernst-Otto 115, 155, 274, 317, 358, 436 Ørsted, Hans Christian 275, 282f. Ostwald, Wilhelm 259f. Paimann, Rebecca 342 Peebles, Phillip James Edwin 431 Percival, Thomas 94 Peters, Wilhlem 33 Pfaff, Christoph Heinrich 276, 281 Philonenko, Alexis 30 Picht, Georg 161 Pinkard, Terry 435 Pippin, Robert B. 361, 364 Plass, Peter 11 Platon 81, 436, 440, 443, 446 Plessner, Helmuth 94 Plücker, Johann 266 Poincare, Henri 216 Pollok, Konstantin 259 Poppe, Kurt 278 Pozzo, Riccardo 28 Protagoras 369 Putnam, Hilary 369 Pyrrho 360, 365, 377

Quarfood, Marcel 81 Querner, Hans 30 Quine, Willard Van Orman 372 Rang, Bernhard 18 Raumer, Friedrich von 276 Ray, John 43 Regius, Henricus 94 Reichard, J. J. 65 Reicke, Rudolf 2, 319, 360 Reil, Johann Christian 133 Reimarus, Hermann Samuel 26, 94 Reinhold, Karl Leonhard 3 Reusch, Christian Friedrich 266 Reusch, Karl 266, 328 Rheinberger, Hans-Jörg 36 Richards, Robert J. 115, 118, 119, 123, 133 Riemann, Bernhard 212-216 Rieppel, Olivier 27 Rink, Friedrich Theodor 311, 313320, 325 Ritter, Johann Wilhelm 273-276, 278-280, 282f., 328f. Roger, Jacques 33 Romé de L’Isle, Jean-Baptiste 246, 248 Roretz, Karl 35, 81 Rose, Gustav 245 Rosenberger, Ferdinad 412 Rothschuh, Karl Eduard 276 Ruben, Peter 162 Saint-Hilaire, Etienne Geoffroy 283 Sandkaulen, Birgit 303 Savioz, Raymond 28, 34 Schad, Johann Baptist 324 Schäfer, Lothar 9 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 5-7, 81, 133, 154f., 238f., 245, 251, 267, 279-281, 283, 307-331, 333f., 339f., 342f., 349-352, 357-359, 364f., 378, 385, 411, 436, 438-440 Scherer, Karl C. 26 Scherer, Nicolaus 280 Schiller, Friedrich 268, 270f. Schlegel, Friedrich 270, 277

Personenregister

Schmid, Carl Christian 82 Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich 162 Schneider, Martin 278 Scholz, Heinrich 206 Schönfeld, Martin 431 Schöpf, Hans-Georg 169 Schrödinger, Erwin 82, 170, 176181 Schütt, Hans-Werner 245 Schulze, Gottlob Ernst 288, 365 Schulze, Stefan 299 Schwabe, Karl-Heinrich 9 Sextus Empiricus 367 Seyffer, Otto E. S. 276 Sider, Theodore 431 Singer, Peter 107 Sklar, Lawrence 431 Skow, Bradford 431 Sloan, Phillip R. 34, 81, 83, 86f., 126f. Sömmerring, Samuel Thomas 256 Sonntag, Otto 40 Spallanzani, Lazzaro 39 Spinoza, Baruch 155-157, 309, 325, 327, 330f., 332-335, 339, 342, 345, 350, 357, 359, 364, 428 Stadler, August 81, 161-164, 184 Staël, Germaine de 268 Stark, Werner 27, 242f., 246, 308, 360 Steffens, Hendrik 282, 323, 325 Stegmüller, Wolfgang 81 Stein, Alois 33 Steinhard, Paul 431 Stern, Robert 224 Stolzenberg, Jürgen 61f. Stone, Alison 437 Strawson, Peter 224f., 228 Strohmeyer, Ingeborg 431 Stroud, Barry 227 Stump, David J. 239 Süß, David 265 Sutter, Alex 33, 82 Swammerdam, Jan 38 Swedenborg, Emmanuel 274 Tanaka, Mikiko 340

469

Thiel, Detlef 250, 252, Thöle, Bernhard 229 Thom, Martina 9 Thompson, Evan 268f. Thomson, George 170 Tieftrunk, Johann Heinrich 338, 422 Toellner, Richard 26 Toepfer, Georg 9, 30 Torricelli, Evangelista 190 Treder, Hans-Jürgen 213 Treviranus, Gottfried Reinhold 110, 117 Troxler, Ignaz Paul Vital 358 Turner, Michael 431 Turok, Niel 431 Tuschling, Burkhard 156, 229f., 243, 248, 307, 313, 322, 330, 332, 340, 357-359, 361f., 419, 422 Ungerer, Emil 81 Uzuquiano, Gabriel 431 Varela, Francisco J. 269 Vieweg, Klaus 435 Villers, Charles de 311 Vogeley, Kai 269 Vollmer, Gerhard 83 Volta, Alessandro 276 Voltaire 182 Vorländer, Karl 246, 260, 321 Wahsner, Renate 9, 30, 161, 164, 167-170, 172f., 177, 179, 182, 204, 209, 211f. Wald, Samuel Gottlieb 319f., 325 Wallerius, Johan Gottschalk 245f., 248 Wannowski, Stephan 319f. Warda, Arthur 313 Wasianski, Andreas Christoph 266, 311, 328 Weizsäcker, Carl Friedrich von 221228, 232, 239 Werner, Abraham Gottlob 246f. Westphal, Kenneth R. 361-79, 430, 437, 456

470

Personenregister

Wettstein, Ronald Harri 81 Weyl, Hermann 214f. Willaschek, Marcus 333 Williams, Howard 39 Winterl, Jacob Joseph 275 Witt, Elke 27 Wolff, Caspar Friedrich 17, 126 Wolff, Christian 17, 55f., 60-65, 6769, 72-74, 94, 103, 273 Wolff, Michael 172 Wolters, Gereon 90 Wrangel, Gustav Ludwig von 280 Wubnig, Judy 81, 83

Yovel, Yirmiyahu 335 Zahn, Manfred 273 Zammito, John H. 26, 42, 53f., 79, 81, 83, 85-88, 100, 103f., 124f., 127 Zanetti, Verónique 89 Zedler, Johann Heinrich 247f. Ziche, Paul 223, 315 Zöller, Günter 87, 343 Zumbach, Clark 16, 81, 100